The Project Gutenberg eBook of Schriften 17: Novellen 1

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Title: Schriften 17: Novellen 1

Author: Ludwig Tieck

Release date: December 17, 2015 [eBook #50707]

Language: German

Credits: Produced by Delphine Lettau, David Jones, Jens Sadowski,
and the Online Distributed Proofreading Team at
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*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK SCHRIFTEN 17: NOVELLEN 1 ***

Novellen
von
Ludwig Tieck.

Erster Band.

Die Gemälde.
Die Verlobung.
Die Reisenden.
Musikalische Leiden und Freuden.

Berlin,
Druck und Verlag von G. Reimer.
1844.

Ludwig Tieck’s
Schriften.

Siebzehnter Band.

Novellen.

Berlin,
Druck und Verlag von G. Reimer.
1844.

Die Gemälde.
Novelle.

Treten Sie nur indeß hier in den Bildersaal, sagte der Diener, indem er den jungen Eduard herein ließ; der alte Herr wird gleich zu Ihnen kommen.

Mit schwerem Herzen ging der junge Mann durch die Thüre. Mit wie so andern Gefühlen, dachte er bei sich selbst, schritt ich sonst mit meinem würdigen Vater durch diese Zimmer! Das ist das erste Mal, daß ich mich zu dergleichen hergebe, und es soll auch das letzte seyn. Wahrlich das soll es! Und es ist Zeit, daß ich von mir und der Welt anders denke.

Er trat weiter im Saale vor, indem er ein eingehülltes Gemälde an die Wand stellte. Wie man nur so unter leblosen Bildern ausdauern kann, und einzig in ihnen und für sie da seyn! so setzte er seine stummen Betrachtungen fort. Ist es nicht, als wenn diese Enthusiasten in einem verzauberten Reiche untergehen? Für sie ist nur die Kunst das Fenster, durch welches sie die Natur und die Welt erblicken; sie können beide nur erkennen, indem sie sie mit den Nachahmungen derselben vergleichen. Und so verträumte doch auch mein Vater seine Jahre; was nicht Bezug auf seine Sammlung hatte, war für ihn nicht bedeutender, als wenn es unter dem Pole vorfiele. Seltsam, wie jede Begeisterung so leicht dahin führt, unser Dasein und alle unsere Gefühle zu beschränken.

Indem erhob er sein Auge, und war fast geblendet oder erschrocken vor einem Gemälde, welches in der obern Region des hohen Saales ohne den Schmuck eines Rahmens hing. Ein blonder Mädchenkopf mit zierlich verwirrten Locken und muthwilligem Lächeln guckte herab, im leichten Nachtkleide, die eine Schulter etwas entblößt, die voll und glänzend schien; in langen zierlichen Fingern hielt sie eine eben aufgeblühte Rose, die sie den glühend rothen Lippen näherte. Nun wahrlich! rief Eduard laut, wenn dies Bild von Rubens ist, wie es seyn muß, so hat der herrliche Mann in dergleichen Gegenständen alle andern Meister übertroffen! Das lebt, das athmet! Wie die frische Rose den noch frischeren Lippen entgegen blüht! Wie sanft und zart die Röthe beider in einander leuchtet und doch so sicher getrennt ist. Und dieser Glanz der vollen Schulter, darüber die Flachshaare in Unordnung gestreut! Wie kann der alte Walther sein bestes Stück so hoch hinauf hängen und ohne Rahmen lassen, da all das andre Zeug in den kostbarsten Zierden glänzt?

Er erhob wieder den Blick und fing an zu begreifen, welche gewaltige Kunst die der Malerei sei, denn das Bild wurde immer lebendiger. Nein, diese Augen! sprach er wieder zu sich selbst, ganz im Anschauen verloren; wie konnten Pinsel und Farbe dergleichen hervorbringen? Sieht man nicht den Busen athmen? die Finger und den runden Arm sich bewegen?

Und so war es auch in der That: denn in diesem Augenblick erhob sich das reizende Bild, und warf mit dem Ausdruck schelmischen Muthwillens die Rose herab, die dem jungen Mann in’s Gesicht flog, trat dann zurück und verschloß klirrend das kleine Fenster.

Erschrocken und beschämt nahm Eduard die Rose vom Boden auf. Er erinnerte sich nun deutlich des schmalen Ganges, welcher oben neben dem Saale weglief und zu den höhern Zimmern des Hauses führte; die übrigen kleinen Fenster waren mit Bildern verhangen, nur dieses hatte man, um Licht zu gewinnen, in seinem Zustande gelassen, und der Hausherr selbst pflegte von dort oft die Gäste zu mustern, die seine Gallerie besuchen wollten. Ist es möglich, sagte Eduard, nachdem er sich aller dieser Umstände erinnert hatte, daß die kleine Sophie in einem Zeitraume von vier Jahren zu einer solchen Schönheit hat erwachsen können? — Er drückte unbewußt und in sonderbarer Zerstreuung die Rose an den Mund, stellte sich dann, starr auf den Boden sehend, an die Mauer, und bemerkte nicht, daß der alte Walther schon seit einigen Sekunden neben ihm stand, bis dieser ihn mit einem freundlichen Schlage auf die Schulter aus seiner Träumerei erweckte. Wo waren Sie? junger Mann, sagte er scherzend; Sie sind wie einer, der eine Erscheinung gehabt hat.

So ist es mir selbst, sagte Eduard; vergeben Sie, daß ich Ihnen mit meinem Besuche lästig falle.

Wir sollten uns nicht so fremd seyn, junger Freund, sagte der Alte herzlich; es ist nun schon länger als vier Jahre, daß Sie mein Haus nicht betreten haben. Ist es recht, den Freund Ihres Vaters, Ihren ehemaligen Vormund, der es gewiß immer gut mit Ihnen meinte, wenn wir gleich damals einige Differenzen mit einander hatten, so ganz zu vergessen?

Eduard ward roth und wußte nicht gleich, was er antworten sollte. Ich glaubte nicht, daß Sie mich vermissen würden, stotterte er endlich. Es könnte Vieles, Alles anders gewesen seyn; allein die Irrthümer der Jugend —

Lassen wir das, rief der Alte im frohen Muth; was hindert uns, unsre ehemalige Bekanntschaft und Freundschaft zu erneuern? Was führt Sie jetzt zu mir?

Eduard sah nieder, dann warf er einen eiligen, schnell abgleitenden Blick auf den alten Freund, zauderte noch, und ging nun mit zögerndem Schritt nach dem Pfeiler, wo das Gemälde stand, das er aus seiner Verhüllung nahm. Sehen Sie hier, sagte er, was ich noch unvermuthet in der Verlassenschaft meines seligen Vaters gefunden habe, ein Bild, das in einem Bücherschranke aufbewahrt war, den ich seit Jahren nicht eröffnet hatte; Kenner wollen mir sagen, daß es ein trefflicher Salvator Rosa sei.

So ist es, rief der alte Walther mit begeisterten Blicken. Ei, das ist ein herrlicher Fund! Ein Glück, daß Sie es so unvermuthet entdeckt haben. Ja, mein verstorbener lieber Freund hatte Schätze in seinem Hause, und er wußte selber nicht, was er alles besaß.

Er stellte das Bild in das rechte Licht, prüfte es mit leuchtenden Augen, ging näher und wieder zurück, begleitete aus der Ferne die Linien der Figuren mit einem Kennerfinger und sagte dann: wollen Sie mir es ablassen? Nennen Sie mir den Preis, und das Bild ist mein, wenn es nicht zu theuer ist.

Indem hatte sich ein Fremder herbei gemacht, der in einer andern Wendung des Saales nach einem Julio Romano zeichnete. Ein Salvator? fragte er mit etwas schneidendem Tone, den Sie wirklich als einen alten Besitz in einer Verlassenschaft gefunden haben?

Allerdings, sagte Eduard, den Fremden mit einem stolzen Blicke musternd, dessen schlichter Oberrock und einfaches Wesen etwa einen reisenden Künstler vermuthen ließen.

So sind Sie selbst hintergangen, antwortete der Fremde mit einem stolzen, rauhen Tone, im Fall Sie nicht hintergehen wollen; denn dieses Bild ist augenscheinlich ein ziemlich modernes, vielleicht ist es ganz neu, wenigstens gewiß nicht über zehn Jahre alt, eine Nachahmung der Manier des Meisters, gut genug, um auf einen Augenblick zu täuschen, das sich aber bei näherer Prüfung dem Kenner bald in seiner Blöße zeigt.

Ich muß mich sehr über diese Anmaßung verwundern, rief Eduard aus, ganz aus aller Fassung gesetzt. Im Nachlasse meines Vaters befanden sich lauter gute Bilder und Originale, denn er und der Herr Walther galten immer für die besten Kenner in der Stadt. Und was wollen Sie? Bei unserm berühmten Kunsthändler Erich hängt der Pendant zu diesem Salvator, für welchen vor einigen Tagen ein Reisender eine sehr große Summe geboten hat. Man halte beide zusammen und man wird sehen, daß sie von einem Meister sind und zusammen gehören.

So? sagte der Fremde mit lang gedehntem Tone. Sie kennen also oder wissen um jenen Salvator auch? Freilich ist er von derselben Hand, wie dieser hier, das leidet keinen Zweifel. In dieser Stadt sind die Originale dieses Meisters selten, und Herr Erich und Walther besitzen keines von ihm; aber ich bin mit dem Pinsel dieses großen Meisters vertraut, und gebe Ihnen mein Wort, daß er diese Bilder nicht berührte, sondern daß sie von einem Neueren herrühren, der Liebhaber mit ihnen hintergehen will.

Ihr Wort? rief Eduard in glühender Röthe; Ihr Wort! Ich sollte denken, daß das Meinige hier eben so viel, und noch mehr gölte!

Gewiß nicht, sagte der Unbekannte, und außerdem muß ich noch bedauern, daß Sie sich so von Ihrer Hitze übereilen und verrathen lassen. Sie wissen also um die Fabrikation dieses Machwerks, und kennen den nicht ungeschickten Nachahmer?

Nein! rief Eduard noch heftiger; Sie sollen mir diese Beschimpfung beweisen, mein Herr! Diese Anmaßungen, diese Unwahrheiten, die Sie so dreist herausstoßen, kündigen einen mehr als gehässigen Charakter an.

Der Geheimerath Walther war in der größten Verlegenheit, daß diese Scene in seinem Hause vorfallen mußte. Er stand prüfend vor dem Bilde, und hatte sich schon überzeugt, daß es eine moderne, aber treffliche Nachahmung des berühmten Meisters sei, die wohl auch ein erfahrenes Auge hintergehen konnte. Ihn schmerzte es innig, daß der junge Eduard in diesen bösen Handel verwickelt war; die beiden Streitenden aber waren so heftig erzürnt, daß jede Vermittlung unmöglich wurde.

Was Sie da sprechen, mein Herr! rief der Fremde jetzt auch in erhöhtem Tone, Sie sind unter meinem Zorn, und ich bin erfreut, daß ein Zufall mich in diese Gallerie geführt hat, um zu verhüten, daß ein würdiger Mann und Sammler hintergangen wurde.

Eduard schäumte vor Wuth. So ist es nicht gemeint gewesen, sagte begütigend der Alte.

Wohl war das die Meinung, fuhr der Fremde fort; es ist ein altes wiederholtes Spiel, bei dem man es nicht einmal der Mühe werth gefunden hat, eine neue Erfindung anzubringen. Ich sah in der Kunsthandlung jenen sogenannten Salvator Rosa; der Eigenthümer hielt ihn für ächt, und wurde noch mehr darin bestärkt, als ein Reisender, der, der Kleidung nach, ein sehr vornehmer Mann seyn konnte, einen hohen Preis für das Bildchen bot; er wollte bei der Rückkehr wieder zusprechen, und bat sich vom Kunsthändler aus, daß dieser das Gemälde wenigstens vier Wochen nicht aus den Händen geben sollte. — Und wer war dieser vornehme Herr? der weggejagte Kammerdiener des Grafen Alten aus Wien. So ist es klar, daß das Spiel, von wem es auch herrühre, auf Sie, Herr Walther, und Ihren Freund Erich abgekartet war.

Eduard hatte indessen mit zitternden Händen sein Bild schon wieder eingewickelt; er knirschte mit den Zähnen, stampfte mit dem Fuße und schrie: der Teufel soll mir diesen Streich bezahlen! So stürzte er zur Thüre hinaus, und bemerkte nicht, daß das Mädchen wieder von oben in den Saal herabschaute, die durch das Geschrei der Streiter herbei gezogen worden war.

Mein werther Herr, so wandte sich jetzt der Alte zu dem Unbekannten, Sie haben mir weh gethan; Sie sind zu rasch mit dem jungen Manne verfahren; er ist leichtsinnig und ausschweifend, aber ich habe bis jetzt noch keinen schlechten Streich von ihm gehört.

Einer muß immer der erste seyn, sagte der Fremde mit kalter Bitterkeit; er hat wenigstens heute Lehrgeld gegeben, und kehrt entweder um, oder lernt so viel, daß man seine Sachen klüger anfangen, und auf keinen Fall die Fassung verlieren muß.

Er ist gewiß selbst hintergangen, sagte der alte Walther, oder er hat wirklich das Bild, wie er sagt, gefunden, und sein Vater, der ein großer Kenner war, hat es schon deswegen, weil es nicht ächt ist, bei Seite geschafft.

Sie wollen es zum Besten kehren, alter Herr, sagte der Fremde; aber in diesem Falle wäre der junge Mensch nicht so unanständig heftig geworden. Wer ist er denn eigentlich?

Sein Vater, erzählte der Alte, war ein reicher Mann, der ein großes Vermögen hinterließ; er hatte eine so starke Leidenschaft für die Kunst, wie gewiß nur wenige Menschen ihrer fähig sind. Auf diese verwandte er einen großen Theil seines Vermögens, und seine Sammlung war unvergleichlich zu nennen. Darüber aber versäumte er wohl etwas zu sehr die Erziehung dieses seines einzigen Sohnes; so wie daher der Alte starb, war der junge Mensch nur darauf bedacht, Geld auszugeben, mit Schmarotzern und schlechtem Volke Umgang zu haben, sich Mädchen und Equipagen zu halten. Als er majorenn wurde, waren ungeheure Schulden bei Wucherern und Wechsel zu bezahlen, aber er setzte seinen Stolz darein, nun noch mehr zu verschwenden; die Kunstwerke wurden verkauft, da er keinen Sinn für diese hat; ich nahm sie für billige Preise. Jetzt hat er wohl, außer dem schönen Hause, so ziemlich Alles durchgebracht, und auch auf diesem mögen Schulden lasten; Kenntnisse hat er sich schwerlich erworben, Beschäftigung ist ihm unleidlich, und so muß man mit Bedauern sehen, wie er seinem Untergange entgegen geht.

Die alltägliche Geschichte von so Vielen, bemerkte der Unbekannte, und der gewöhnliche Weg unwürdiger Eitelkeit, der die Menschen lustig in die Arme der Verachtung führt.

Wie haben Sie sich nur dieses sichre Auge erwerben können? fragte der Rath; auch erstaune ich über die Art, mit der Sie dem Julio nachzeichnen, da Sie doch kein Künstler sind, wie Sie sagen.

Aber ich studire seit lange die Kunst, antwortete der Fremde; ich habe die wichtigsten Gallerieen in Europa fleißig und nicht ohne Nutzen gesehen, mein Blick ist von Natur scharf und richtig, und noch durch Uebung gebildet und sicher gemacht, so daß ich mir schmeicheln darf, wohl nicht so leicht, am wenigsten über meine Lieblinge zu irren.

Der Fremde empfahl sich jetzt, nachdem er dem Sammler hatte versprechen müssen, am folgenden Mittage bei ihm zu essen, denn der Alte hatte vor den Kenntnissen des Reisenden große Achtung gewonnen.

———

Mit unbeschreiblichem Zorne ging Eduard nach Hause. Er trat wüthend ein, warf alle Thüren heftig hinter sich zu, und eilte durch die großen Gemächer nach einem kleinen Hinterstübchen, wo in der Dämmerung der alte Eulenböck bei einem Glase starken Weines seiner wartete. Hier! schrie Eduard, du alter, schiefnasiger, weinverbrannter Halunke, ist Deine Schmiererei wieder; verkauf sie an den Seifensieder drüben, der sie in die Lichte gießen kann, wenn ihm die Malerei nicht ansteht.

Wäre Schade, sagte der alte Maler, um das gute Bildchen, indem er sich mit der größten Kaltblütigkeit ein neues Glas einschenkte. Hast Dich erhitzt, Freundchen; und der Alte hat von dem Kauf nichts wissen wollen?

Schelm! schrie Eduard, indem er das Bild heftig hinwarf; und um Deinetwillen bin ich auch zum Schelm geworden! Beschimpft, gekränkt! O und wie beschämt vor mir selber, glühend Kopf und Hals hinunter, daß ich mir aus Liebe zu Dir solche Lüge erlaubte.

Ist keine Lüge, liebes Männchen, sagte der Maler, indem er das Bild auswickelte, ist ein so veritabler Salvator Rosa, wie ich nur noch je einen gemalt habe. Hast mich ja nicht daran arbeiten sehen, und kannst also nicht wissen, von wem das Bild herrührt. Du hast kein Geschick, mein Hänschen; ich hätte Dir die Sache nicht anvertrauen sollen.

Ich will ehrlich seyn, rief Eduard, und schlug mit der Faust auf den Tisch; ich will ein ordentlicher Mensch werden, daß Andre und ich selber wieder Achtung vor mir haben! Ganz anders will ich werden, einen neuen Lebenswandel will ich anfangen!

Warum Dich erboßen? sagte der Alte und trank. Ich will Dich nicht hindern; mich wird’s freuen, wenn ich das erlebe. Ich habe ja immer an Dir ermahnt und Dir vorgepredigt; ich habe Dich auch an Beschäftigung zu gewöhnen gesucht, ich habe Dir das Restauriren lehren wollen, Firnisse bereiten, Farben reiben, in Summa, ich habe es an nichts bei Dir fehlen lassen.

Hund von Kerl! rief Eduard, Dein Junge, Dein Farbenreiber sollt’ ich werden? Aber freilich, ich bin ja heute noch tiefer gesunken, da ich mich zum Spitzbuben eines Spitzbuben habe gebrauchen lassen.

Was das Kind für ehrenrührige Ausdrücke braucht, sagte der Maler und schmunzelte in sein Glas hinein; wenn ich mir so was zu Herzen nähme, so hätten wir die Schlägerei oder bittre Feindschaft hier zur Stelle. Er meint es aber gut in seinem Eifer; der Junge hat was Nobles in seinem ganzen Wesen, allein zum Bilderhändler taugt er freilich nicht.

Eduard legte sich mit dem Kopf auf den Tisch, und der Maler wischte schnell einen Weinfleck ab, damit der Jüngling nicht mit dem Aermel hineinfahre. Der gute liebe Salvator, sagte er dann bedächtig, soll auch nicht das beste Leben geführt haben; sie geben ihm gar Schuld, er sei Bandit gewesen. Als Rembrandt sich bei lebendigem Leibe für todt ausgab, um den Preis seiner Werke zu erhöhen, war er auch nicht ganz der Wahrheit treu geblieben, ob er gleich wirklich einige Jahre später starb, und sich also nur in der Jahreszahl etwas verrechnet hatte. So, wenn ich nun solch Bildchen in aller Liebe und Demuth male, mich in den alten Meister und alle seine lieben Eigenheiten recht sanftselig und saumthunlich hineindenke, daß mir immer ist, als führte des Verstorbnen Seelchen mir Hand und Pinsel; und das Ding ist dann fertig, und nickt mir mit rechter Herzlichkeit seinen Dank zu, daß ich auch was vom alten Virtuosen geliefert habe, der doch nicht Alles hat machen und nicht ewig hat leben können, und ich mich nun, vollends nach einem Glase Wein, indem ich es mit tieferer Prüfung beschaue, rechtgläubig überzeuge, daß es vom alten Herrn wirklich herrührt, und ich übergebe es so einem andern Liebhaber des Seligen, und verlange nur ein Billiges für die Mühe, daß ich mir die Hand habe führen, mein eignes Ingenium derzeit unterdrücken lassen, an der Verringerung meines eignen Künstlernamens zu arbeiten, — ist denn das so himmelschreiende Sünde, Freundchen, wenn ich mich selbst auf solche kindliche Weise aufopfre?

Er hob den Kopf des Liegenden auf, verwandelte aber seine grinsende Freundlichkeit in eben so verzerrten Ernst, als er die Wangen des Jünglings voll Thränen sah, die in einem heißen Strome unaufhaltsam aus den Augen stürzten. O meine verlorne Jugend! schluchzte Eduard: o ihr goldnen Tage, ihr Wochen und Jahre! wie seid ihr doch so sündlich verschleudert worden, als läge nicht in euern Stunden der Keim der Tugend, der Ehre und des Glücks; als sei dieser köstlichste Schatz der Zeit jemals wieder zu gewinnen. Wie ein Glas abgestandenes Wasser hab’ ich mein Leben und den Inhalt meines Herzens ausgegossen. Ach! welch Dasein hätte mir aufgehen können, welch Glück mir und Andern, wenn ein böser Geist nicht meine Augen verblendete. Segensbäume wuchsen und schatteten um mich und über mir, in denen der Freund, die Gattin und die Bedrängten Hülfe, Trost, Heimath und Frieden fanden; und ich habe die Axt im schwindelnden Uebermuth an diesen Hain gelegt, und muß nun Frost, Sturm und Hitze dulden!

Eulenböck wußte nicht, welch Gesicht er machen, noch weniger, was er sagen sollte, denn in dieser Stimmung, mit solchen Gesinnungen hatte er seinen jungen Freund noch niemals gesehen; er war endlich nur froh und beruhigt, daß dieser ihn nicht bemerkte, so daß er in behaglicher Heimlichkeit seinen Wein ausleerte.

Tugendhaft also willst Du werden, mein Sohn? fing er endlich an. Auch gut. Wahrlich! wenige Menschen sind für die Tugend so portirt, als ich selber, denn es gehört schon ein scharfer Blick dazu, um nur zu wissen, was Tugend ist. Knausern, den Leuten abzwacken, sich und unserm Herrgott etwas vorlügen, ist gewiß keine. Wer aber das rechte Talent dazu hat, der findet’s auch. Wenn ich einem verständigen Mann zu einem guten Salvator oder Julio Romano von meiner Hand verhelfe, und er freut sich dann, so habe ich immer noch besser gehandelt, als wenn ich einem Pinsel einen ächten Rafael verkaufe, den der Gimpel nicht zu schätzen weiß, so daß ihm im Grunde seines Herzens ein geschniegelter Van der Werft mehr Freude machen würde. Meinen großen Julio Romano muß ich nun wohl in eigner Person verkaufen, da Du zu dergleichen weder Gaben noch Glück hast.

Diese armseligen Sophistereien, sagte Eduard, können auf mich nicht mehr wirken; diese Zeit ist vorüber, und Du magst Dich nur in Acht nehmen, daß sie Dich nicht ertappen; denn mit Laien mag es Dir wohl gelingen, aber nicht mit Kennern, wie der alte Walther einer ist.

Laß gut seyn, mein Kindchen, sagte der alte Maler, die Kenner sind gerade am besten zu betrügen, und mit einem Unerfahrnen möcht’ ich gar nicht einmal anfangen. O dieser gute, alte, liebe Walther, dies feine Männchen! Hast Du nicht den schönen Höllenbreughel gesehen, der am dritten Pfeiler zwischen der Skizze von Rubens und dem Portrait von Van Dyk hängt? Der ist von mir. Ich kam zu dem Männchen mit dem Gemälde: Wollen Sie nicht etwas Schönes kaufen? „Was! rief er; solche Fratzen, Tollheiten? Das ist nicht meine Sache; zeigen Sie doch. Nun, ich nehme sonst dergleichen Unsinn bei mir nicht auf, indessen weil in diesem Bilde doch etwas mehr Anmuth und Zeichnung ist, als man sonst bei diesen Phantasien trifft, so will ich mit ihm einmal eine Ausnahme machen.“ In Summa, er hat’s behalten, und zeigt’s den Leuten, um seinen vielseitigen Geschmack zu beurkunden.

Eduard sagte: aber willst Du denn nicht auch noch ein rechtlicher Mann werden? Es ist doch die höchste Zeit.

Mein junger Bekehrer, rief der Alte, ich bin es längst; Du verstehst das Ding nicht, auch bist Du mit Deinem heißen Anlauf noch nicht durch. Stehst Du am Ziel, und bist glücklich allen Klippen, Halseisen, Leuchtpfählen vorüber, dann winke mir nur dreist, und ich steure Dir vielleicht nach. Bis dahin laß mich ungeschoren.

So trennt sich also unsre Laufbahn, sagte Eduard, indem er ihn wieder freundlich anblickte; ich habe viel versäumt, aber doch noch nicht Alles, mir bleibt noch etwas von meinem Vermögen, mein Haus. Hier will ich mich einfach einrichten, und beim Prinzen, der binnen Kurzem hier ankommen wird, eine Stelle als Secretair oder Bibliothekar suchen, vielleicht reise ich mit ihm; vielleicht, daß anderswo ein Glück — oder, wenn das nicht, so beschränke ich mich hier, und suche Arbeit und Beschäftigung in meiner Vaterstadt.

Und wann soll das Tugendleben losgehen? fragte der Alte mit grinsendem Lachen.

Gleich, sagte der Jüngling, morgen, heut, diese Stunde!

Narrenspossen! sagte der Maler und schüttelte den greisen Kopf; zu allen guten Dingen muß man sich Zeit lassen, sich vorbereiten, einen Anlauf nehmen, die alte Periode mit einer Feierlichkeit beschließen und die neue eben so beginnen. Das war eine herrliche Sitte, daß in manchen Gegenden unsere Vorfahren das Carneval mit rechter ächter Ausgelassenheit zu Grabe trugen, daß sie zuletzt noch einmal recht toll aufjubelten und sich in der Lust übernahmen, um nachher ungestört und ganz ohne Gewissensskrupel fromm seyn zu können. Laß uns der verehrlichen Sitte nachfolgen; Brüderchen, sieh, ich bin Dir so gut, gieb uns und Deinen Launen noch einmal so einen rechten ausgesuchten Weinschmaus, so einen hohen Valet- und Abschied-Hymnus, daß wir, besonders ich, Deiner gedenken; laß uns beim besten Wein bis in die tiefe Nacht hinein jubeln, dann gehst Du rechts ab zur Tugend und Mäßigkeit, und wir andern bleiben links, wo wir sind.

Schlemmer! sagte Eduard lächelnd: wenn Du nur einen Vorwand findest, Dich zu betrinken, so ist Dir Alles recht. Es sei also am heiligen Dreikönigs-Abend.

Da ist ja noch vier Tage hin, seufzte der Alte, indem er den letzten Rest ausschlürfte, und sich dann schweigend entfernte.

———

Wir werden heut eine kleine Tischgesellschaft haben, sagte der Rath Walther zu seiner Tochter.

So? fragte Sophie. Und wird der junge Eduard auch herkommen?

Nein, antwortete der Vater. Wie fällst Du auf diesen?

Ich dachte nur, sagte Sophie, daß Sie ihm vielleicht durch eine Einladung die unangenehme Scene etwas vergüten wollten, die er ohne Ihren Willen in Ihrem Hause hat erleiden müssen.

Heute würde es am wenigsten passen, erwiederte der Alte, da gerade der Mann mit uns speisen wird, von dem der junge Mensch beleidigt ward.

So? der? sagte das Mädchen mit gedehntem Tone.

Es scheint, der fremde Mann ist Dir unangenehm.

Recht sehr, rief Sophie; denn erstlich, kann ich es von Niemand leiden, wenn man nicht genau weiß, wer er ist; solch Incognito ist in der Fremde allerliebst, um für etwas Besonderes zu gelten, wenn hinter dem Menschen gerade gar nichts steckt, und so ist es gewiß mit diesem Unbekannten, der ganz das Wesen eines vacirenden Hofmeisters oder Secretairs hat, der sich gestern in Ihrer Gallerie ein Ansehen gab, als wenn er der oberste Direktor aller Heiden-Bekehrungsanstalten wäre.

Du sagtest: erstens! fragte der Vater lächelnd: nun also zweitens?

Zweitens ist er fatal, sagte sie lachend, und drittens ist er unausstehlich, und viertens hasse ich ihn wahrhaft.

Das ist freilich erstens und letztens bei euch, sagte der Alte. Uebrigens erscheint noch mein Freund Erich und der junge Maler Dietrich, so wie der wunderliche Eulenböck.

Da haben wir ja alle Zeitalter beisammen, rief Sophie aus, alle Arten von Geschmack und Gesinnung! Kommt nicht etwa auch noch der junge Herr von Eisenschlicht, um mir das Leben recht sauer zu machen?

Der Vater hob den Finger drohend auf, sie ließ sich aber nicht irren, sondern fuhr schnell und unwillig fort: es ist ja wahr, daß ich in dieser Gesellschaft meines Lebens niemals froh werde; das schwatzt, und guckt, und ist artig, und lügt, und wird unausstehlich durch einander, daß ich statt solcher Mahlzeiten lieber drei Tage hungern möchte. Solche verliebte Leute sind mir so zuwider, wie unreife Johannisbeeren! jedes Wort von ihnen schmeckt mir noch sauer nach acht Tagen, und verdirbt mir auch die Zunge für alle bessere Früchte. Der alte krummnasige, kupfrige Sünder ist mir noch von allen der liebste, denn er denkt doch nicht daran, mich wie ein Möbel in seine Stuben hinzustellen.

Diese Art und Weise, sagte der Vater, ist mir an Dir selbst leid, ja recht verdrüßlich, weil ich bei Deinem starren Eigensinn noch gar nicht absehen kann, wie Du Dich je ändern möchtest. Du weißt nun, wie ich über die Ehe und die sogenannte Liebe denke, wie sehr Du mich glücklich machen würdest, wenn Du Deinen Willen brechen wolltest —

Ich muß nach der Küche sehen, rief sie plötzlich: ich muß Ihnen heute Ehre machen; vergessen Sie nur nicht die guten Weine, damit der röthliche Eulenböck nicht Ihren Keller in schlechten Ruf bringt. So lief sie hinaus, ohne eine Antwort abzuwarten.

Der Alte ging an seine Geschäfte, indessen die Tochter Küche und Tisch besorgte. Sie hatte jenes Gespräch so plötzlich abgebrochen, weil es der Wunsch des Vaters, den sie nur gar zu gut kannte, war, sie mit seinem Freunde Erich zu verheirathen, der zwar nicht mehr jung, indessen auch noch nicht so sehr in Jahren vorgerückt war, daß ein solcher Plan lächerlich gewesen wäre. Erich hatte bei seinem Handel ein ansehnliches Vermögen erworben; in diesem Augenblicke besaß er eine Sammlung ganz vorzüglicher Bilder aus den italienischen Schulen, und Walther hatte den Gedanken, daß, falls seine Tochter sich noch zu dieser Heirath bereden ließe, Erich alsdann seinen Handel einstellen, und diese vorzüglichen Gemälde seiner Gallerie einverleiben solle, damit der Schwiegersohn diese dann nach seinem Tode als eine recht ausgezeichnete besäße und erhielte. Denn es war ihm fürchterlich, sich diese treffliche Sammlung einst wieder zerstreut zu denken, vielleicht gar unter dem Preise verkauft und an Menschen vergeudet, bei denen die Bilder durch Unverstand zu Grunde gehen könnten. Seine Leidenschaft für Malerei war so groß, daß er auf jeden Fall seines Freundes Bilder für eine sehr große Summe gekauft haben würde, wenn ihn nicht der Erwerb eines ansehnlichen Gutes und großen Gartens, die er seiner Tochter zurück lassen wollte, gehindert und ihm jetzt jede Auslage, vorzüglich aber eine so bedeutende, unmöglich gemacht hätten. Indem er seine Briefe schrieb, zerstreuten ihn diese Gedanken unaufhörlich. Er gedachte dann des jungen Malers Dietrich, eines hübschen blonden Jünglings; und ob ihm gleich dessen Art, die Kunst auszuüben, so wenig wie die, sich zu kleiden, recht war, so hätte er doch auch diesen gern als Schwiegersohn umarmt, weil er überzeugt seyn konnte, daß der junge Mensch für sein Kunstvermächtniß die höchste Ehrerbietung hegen würde. Der alte Maler Eulenböck konnte ihm für seine Plane nie in die Gedanken kommen; aber seit gestern hatte er den fremden Kunstkenner mit väterlichem Auge gemustert, und die schnippische Antwort der Tochter, mit der sie sich über diesen geäußert hatte, war ihm daher um so empfindlicher. Er mochte es sich nicht gestehen, aber er dachte, wenn er in die Zukunft schaute, weit mehr an das Heil seiner Sammlung, als an das Glück seines Kindes. Selbst der junge Herr von Eisenschlicht, der Sohn eines Wucherers, wäre ihm zum Eidam erwünscht gewesen, weil der junge Mensch auf Reisen sich ziemlich gebildet hatte; und da dieser zugleich die Neigungen seines Vaters besaß, so ließ sich wohl erwarten, daß er aus jeder Rücksicht eine so kostbare Sammlung in Ehren halten würde.

So war der Vormittag verstrichen, und die Gäste fanden sich nach und nach ein. Zuerst der jüngste, Dietrich, im sogenannten altdeutschen Rocke, die weißlichen Haare auf den Schultern hängend, und mit einem blonden Bärtchen, der sein rosenrothes durchsichtiges Antlitz nicht entstellte. Er erkundigte sich sogleich angelegentlich nach der Tochter, und diese erschien, geschmückt, in einem grünseidenen Kleide, das den Glanz ihres Gesichts und Nackens wunderbar erhob. Der Jüngling begann sogleich eben so verlegen als zudringlich ein Gespräch mit Sophien, das um so trockner wurde, um so mehr er es überschwenglich zu machen suchte. Gestört und getröstet wurden beide durch das Erscheinen des alten Eulenböck, der mit seinem braunrothen Gesicht wunderlich aus einer hellgrünen Weste und weißlichem Frack heraus schien, da er es, wie viele ausgemacht häßliche Menschen, liebte, sich in auffallende Farben zu kleiden. Die jungen Leute konnten kaum das Lachen unterdrücken, als sie ihn sich linkisch hereindrehen, grimassirend grüßen und mit falscher Artigkeit stolpern sahen, wobei sich sein schiefes Gesicht, die kleinen grellen Augen und die seitwärts gedrehte Nase noch wunderlicher ausnahmen. Der Fremde ließ lange auf sich warten, und Sophie spöttelte wieder über die Anmaßung, den vornehmen Mann zu spielen, bis er endlich, schlicht gekleidet, erschien und es der Gesellschaft möglich machte, sich in das Speisezimmer zu begeben, in welchem sie Erich schon fanden, der dort ein Gemälde befestigt hatte, welches der Fremde und die Maler in Augenschein nehmen sollten.

Sophie saß zwischen Erich und dem Unbekannten, obgleich Dietrich einen vergeblichen Versuch gemacht hatte, sich an ihre Seite einzuschieben. Eulenböck, der alles bemerkte, und der am liebsten seine Bosheit in das Gewand der Gutmüthigkeit hüllte, drückte dem jungen Menschen die Hand und dankte ihm wie gerührt, daß er so lange herum gekreuzt sei, um nur neben einem alten Manne zu sitzen, der zwar auch die Kunst liebe und ausübe, indessen freilich mit seinen abnehmenden Kräften dem Fluge der neuern Schule nicht mehr nachstreben könne, an deren Enthusiasmus er aber doch sein altes Feuer wieder anzünde und seine schon kalten Lebensgeister erwärme. Dietrich, der noch jung genug war, um alles dies für Ernst zu halten, wußte nicht Dankbarkeit genug auszudrücken, noch hinlängliche Bescheidenheit aufzutreiben, um diese Demuth aufzuwägen. Der alte Schelm freute sich, daß ihm seine Verstellung gelang, und machte den gutmüthigen Jüngling immer treuherziger, der in diesem alten Knaben schon einen Schüler von sich zu sehen wähnte, und dabei im Stillen berechnete, wie er dessen practische Kenntnisse zu höhern Zwecken brauchen wolle, ohne daß der Alte merken müsse, wie der neue Lehrer wieder zugleich sein Schüler sei.

Indessen diese beiden sich so zu täuschen suchten, war das Gespräch des Fremden und des Wirthes zum Theil zufällig, und von der andern Seite klug gelenkt, auf die Ehe gefallen; denn der alte Walther ließ nicht leicht eine Gelegenheit vorübergehen, seine Gedanken über diesen Gegenstand auszusprechen. Ich habe niemals, sagte er, mit den Ansichten übereinstimmen können, die nun etwa seit funfzig Jahren zur allgemeinen Mode geworden sind. Ich nenne sie Mode, weil ich mich nie, obgleich ich auch jung gewesen bin, habe überzeugen können, daß sie in der Natur gegründet sind. Kann man läugnen, daß einzelne Menschen zu gewissen Zeiten leidenschaftlichen Stimmungen und Verirrungen ausgesetzt gewesen? Nur zu häufig haben wir die bösen Folgen des Zornes, der Trunkenheit, der Eifersucht und Wuth wahrnehmen müssen. Eben so ist auch nicht zu läugnen, daß vielfaches Unheil und seltsame Begebenheiten aus jenen gesteigerten Empfindungen, die man Liebe nennt, hervorgegangen sind. Es ist nur die Rede von jener Verkehrtheit, daß der Mensch zwar alle andere Verwirrungen vermeidet, und sich der Ueberraschung der Leidenschaften zu entwöhnen sucht, Alle aber sich seit einer gewissen Zeit damit brüsten, ja es für nothwendig zum Leben halten, die Liebe und ihre wilden Zustände und leidenschaftlichen Verwirrungen erlebt zu haben.

Der Unbekannte sah den Wirth ernsthaft an und nickte ihm zu, worauf der Alte mit erhöhter Stimme fortfuhr:

Möchte man am Ende auch einer gewissen Billigkeit nachgeben, und diese Zustände der sogenannten Liebenden, in denen, wie sie uns erzählen, die ganze Welt ihnen im schönern Lichte erscheint, und in welchen sie sich aller ihrer Seelenkräfte erhöht und vielfacher bewußt werden (obgleich sie in jenem Schlummerwachen in der Regel träge, und zu keiner Arbeit zu bringen sind), natürlich finden: was thut, frag’ ich nun, alles dies, auch noch so glücklich sich wendend, um eine vernünftige und gute Ehe zu schließen? Ich würde nie meine Einwilligung geben, wenn ich das Unglück hätte, an meiner Tochter einmal diese Verstandesverwirrung zu bemerken.

Sophie lächelte; der junge Dietrich sah sie erröthend an, und Eulenböck trank mit großem Wohlbehagen, indeß der Fremde den Alten mit Ernst anhörte, der, seiner Sache gewiß, um so eifriger fortfuhr: Nein, wohl dem Manne, der, mit dieser verkehrenden Leidenschaft völlig unbekannt, den vernünftigen Entschluß faßt, sich in den Stand der Ehe zu begeben, und Heil dem Mädchen, das züchtig den Gemahl findet, ohne jene Scenen des Wahnsinns je mit ihm gespielt zu haben, denn alsdann findet sich jene Zufriedenheit, jene Ruhe und jener Segen, der unsern Vorfahren nicht unbekannt war, und den die heutige Welt nicht mehr achten will. In diesen Ehen, welche nach vernünftiger Ueberlegung, in Demuth und stiller Ergebenheit geschlossen wurden, fanden die Menschen damals im wachsenden Vertrauen, in zunehmender Zärtlichkeit und im gegenseitigen Ertragen der Schwächen ein Glück, welches dem jetzigen hochfahrenden Geschlechte zu geringe erscheint, und das auch darum nur Elend und Noth, Unzufriedenheit und Mißverständniß, Zwietracht und Verachtung im Garten seines Lebens baut. Früh schon an den Rausch der Leidenschaft gewöhnt, suchen sie auch diesen in der Ehe, und verachten die Nothwendigkeit des alltäglichen Lebens, erneuern dann rechts und links in mannigfaltigen und immer geringeren Abwechselungen die Kunststücke ihres Liebeshandwerks, und gehen so in Schlechtigkeit und Selbstbetrug unter.

Sehr bitter, aber wahr, sagte der Unbekannte mit nachdenklicher Miene.

Es ist wie mit allen Bitterkeiten, flüsterte Sophie ihrem Nachbar zu, sie fallen zu schwer auf die Zunge; man kann nicht recht unterscheiden, ob es schmeckt, oder nur allen Geschmack betäubt; dergleichen ist natürlich für den wahr, der Liebhaber davon ist.

Eulenböck, der diesen Ausspruch auch gehört hatte, lachte, und der Vater, der die Sache nur halb verstanden, wandte sich mit Heiterkeit zu seinem fremden Gaste: wir sind also darüber einig, daß nur die sogenannten Conventionsheirathen glücklich seyn können; ich werde auch niemals Anstand nehmen, meine einzige und nicht unbegabte oder arme Tochter einem Manne zu geben, sei er, von welchem Stande er wolle, dessen Charakter mir werth ist, und dessen Kenntnisse ich, vorzüglich in der Kunst, achten muß, damit auch meine Enkel noch die Früchte meines Fleißes ärnten, und nicht in alle Winde und in die Häuser der Unwissenden das verstreut werde, was Liebe, Aufopferung, Studium und unermüdeter Fleiß in dieser Wohnung versammelt haben.

Er sah den Fremden mit gefälligem Lächeln an; doch dieser, der bis jetzt ihm freundlich erwiedert hatte, machte eine fast finstere Miene und sagte nach einer kleinen Pause: die Sammlungen von Privatpersonen können niemals lange bestehen; wer die Kunst liebt, sollte, falls er gesammelt hat, seine Schätze um ein Billiges Fürsten verkaufen, oder sie größern Gallerieen durch Testament einverleiben. Darum kann ich auch den Plan mit Ihrer Tochter nicht billigen, wenn ich auch mit Ihren Ansichten von der Ehe einverstanden bin. Und überhaupt ist es in Ansehung jeder Heirath eine mißliche Sache. Wenn ich nicht versprochen wäre und tausend dringende Ursachen mich zwängen, mein Wort nicht zu brechen, so würde ich meiner Neigung nach immer unverheirathet bleiben.

Der Alte wurde roth und sah vor sich nieder, dann fing er mit seinem Nachbar, nicht ohne Verlegenheit, ein anderes Gespräch an. Die neuliche Auction der Kupferstiche, sagte der Gemäldehändler, ist bei weitem nicht so ergiebig ausgefallen, als es der Eigenthümer sich versprochen hatte. Das ist häufig mit Auctionen der Fall, warf die Tochter mit schnippischem Tone dazwischen: darum sollte sich kein Mensch damit einlassen, den nicht die äußerste Noth dazu treibt.

Dietrich war noch zu unerfahren, um den Zusammenhang dieser Gespräche einzusehen; er redete treuherzig und eifrig über die Barbarei der Auctionen, in denen oft die kostbarsten Seltenheiten übersehen, viele Kunstwerke durch die Gaffer und Handlanger beschädigt, und der Ruhm großer Meister, so wie das Gefühl ächter Bewunderer, schmerzlich verletzt würden. Dadurch gewann er die gute Meinung des Vaters, der die getrübte Miene erheiterte und ihm mit Freundlichkeit Recht gab. Sophie, welche fürchten mochte, daß ein neuer Antrag im verdeckten Wege des Kunstenthusiasmus vorgeschoben werden sollte, fragte schnell den jungen Maler, ob er mit seinem Marienbilde bald fertig sei, oder ob er vorher die Abnahme vom Kreuz vollenden wolle?

Sie malen also auch dergleichen rührende Gegenstände? fragte der Unbekannte, indem er mit einem fast schielenden Blicke zum jungen Manne herüber blinzelte. Mich wundert es immer von Neuem, daß Menschen in ihren besten und heitersten Jahren mit dergleichen Gegenständen ihre Zeit und Imagination verderben können. Der heiligen Familien haben wir wohl, dächte ich, in der Kunst genug; da ist nichts Neues anzubringen und zu erfinden, und jene Leichname und Verzerrungen des Schmerzes widerstreben so völlig allem Reiz und dem Genuß der Sinne, daß ich mein Auge immer davon abwenden muß. Die Kunst soll unser Leben erhöhen und erheitern, alle Dürftigkeiten desselben und aller Jammer der Welt soll uns in ihrer Nähe verschwinden; nicht aber darf unsre Phantasie durch ihre Hervorbringungen geängstigt und gefoltert werden. Im heitern, frischen Licht soll die Sinnenwelt spielen, und in freundlichem Reiz uns schmeicheln und auf diese Weise erheben. Schönheit ist Freude, Leben, Kraft. Der hat sich noch wenig verstanden, der Nacht und düstre Gefühle sucht. Oder gehören Sie auch etwa zu denen, die sich vor dergleichen Bildern mit erzwungener Gläubigkeit entzücken, und verlangen, daß in uns eine Art von Andacht sich entzünden soll, um den Gegenstand zu verstehen und christlich zu würdigen?

Und wäre denn das, rief Dietrich mit einer gewissen Eil und Heftigkeit, etwas so Unerhörtes, oder nur Besonderes? Im Schönen, wenn es erscheint, wird der Reiz der Sinnenwelt zum Göttlichen erhöht, und so wird die stumme Ehrfurcht, die hülflose Rührung unbegeisterter Gemüther durch die Kunst zur himmlischen Andacht erhoben. Es ist, wenn auch verzeihlich, doch abgeschmackt, wenn bloß des frommen Gegenstandes wegen ein elendes Bild den gläubigen Beschauer entzückt, aber es ist mir völlig unbegreiflich, wenn sich ein fühlendes Herz vor der Sixtinischen Maria zu Dresden des Glaubens und der Andacht erwehren kann. Ich weiß es wohl, daß die neuen Bestrebungen jüngerer Künstler, zu denen ich mich auch bekennen muß, bei vielen trefflichen Leuten großes Aergerniß erregt haben, aber man sollte sich doch endlich ohne Leidenschaft überzeugen, daß das alte, ganz ausgefahrene Geleise kein Weg mehr ist. Was haben diejenigen, die diese neue Lehre zuerst wieder aufbrachten, denn anders gewollt, als das Gemüth wieder erwecken, welches seit langer Zeit bei allen Kunstproductionen als ganz überflüssig angesehen worden war? Und hat denn diese neue Schule nicht schon vieles Achtungwürdige hervorgebracht? Ein Geist offenbart sich, das ist nicht abzuläugnen, der sich kräftigen wird und ausbilden, ein neuer Weg ist gefunden, auf welchem freilich, wie bei jeder Begeisterung, mancher Unberufene auch das Uebertriebene, Widerwärtige und ganz Tadelswürdige hervorbringen wird. Ist denn aber das Schlechte dieser Zeit wirklich schlechter, als was weiland ein gefeierter Casanova erschuf, oder das Leere leerer, als jenes kalte Abschreiben der mißverstandnen Antike, das jene ganze frühere Zeit als einen großen Lückenbüßer in der Kunstgeschichte darstellt? Waren denn nicht bizarre Manieristen auch damals die tröstenden Erscheinungen? Und hat denn der Hülfverein für die Kunst, von verehrten Männern gestiftet, etwas Tüchtiges hervorbringen können?

Junger Mann, sagte der Unbekannte mit der schneidendsten Kälte: ich müßte zehn Jahre jünger, oder Sie einige älter seyn, wenn ich über so wichtigen Gegenstand mit Ihnen streiten sollte. Dieser neue phantastische Traum hat sich der Zeit bemächtigt, das ist freilich nicht zu läugnen, und muß nun bis zum Erwachen fortgeschlummert werden. Waren jene, die Sie tadeln wollen, vielleicht zu nüchtern, so sind dafür die jetzt Gepriesenen in einem kränklichen Rausch befangen, indem ihnen ein wenig schwaches Getränk zu Kopfe gestiegen ist.

Sie wollten nicht streiten, rief der junge Maler, und thun mehr, Sie sind bitter. In der Leidenschaft ist man wenigstens keines freien Urtheils fähig. Ob die Parthei, für die Sie mit solchen Waffen kämpfen, dadurch gewinnen kann, muß die Zukunft entscheiden.

Sophie sah den Jüngling ermuthigend mit einem schadenfrohen Blicke an, Walther war schon besorgt; doch nahm der Bilderhändler Erich das Gespräch beruhigend auf und sagte: sobald sich ein heftiger Widerstreit in der Zeit regt, so ist es ein Zeichen, daß etwas Wirkliches in der Mitte liegt, das den Streit wohl verdient, und welches der Mitlebende nicht ganz ignoriren darf, wenn er nicht unbillig seyn will. Seit lange war die Kunst aus dem Leben getreten, und nur ein Artikel des Luxus geworden; darüber vergaß man, daß sie jemals mit Kirche und Welt, mit Andacht und Begeisterung zusammengehangen hatte, und kalte Kennerschaft, Vorliebe für das Kleine und gemeine Natürlichkeit, so wie ein erkünstelter Enthusiasmus mußten sie erzeugen. Weiß ich doch die Zeit noch, wo man in den Gallerieen die schönsten Werke eines Leonardo nur als merkwürdige und sonderbare Alterthümer vorwies, selbst Rafael wurde nur mit einschränkender Kritik bewundert, und über noch ältere große Meister zuckte man die Achseln, und betrachtete die Malereien der früheren Deutschen oder Niederländer niemals ohne Lachen. Diese Barbarei der Unwissenheit ist doch jetzt vorüber.

Wenn nur keine neue und schlimmere darüber entstände! rief Eulenböck, vom Weine hochroth erglühend, indem er dem Unbekannten einen feurigen Blick zuwarf. Mir thut es immer weh, daß in unsern Tagen das Wort des ächten Kenners fast nie mehr gehört wird; der Enthusiasmus übertönt die Einsicht, und doch ist für den Künstler nichts so lehrreich, als ein Gespräch mit einem ächten Kunstfreunde, das ihn belehre und erhebe, da es ihm oft in Jahren nicht so gut wird, dergleichen zu genießen.

Der Fremde, welcher schon verstimmt und heftig zu werden schien, ward nach diesen Worten wieder heiter und freundlich. Künstler und Freunde der Kunst, erwiederte er, sollten sich immer aufsuchen, um beständig von einander zu lernen. So war es in voriger Zeit, und auch dies war eine der Ursachen, daß die Malerei gedieh. Die Phantasie eines jeden Schaffenden ist beschränkt und ermattet, wenn sie nicht von außen angefrischt und bereichert wird, und dies kann nur durch verständige, freundliche Mittheilungen geschehen; ohne zu erwähnen, was Correktheit, Anmuth der Behandlung und Auswahl der Gegenstände gewinnen.

Sie haben sich, antwortete der alte Maler, einen Künstler vorzüglich ausersehen, den ich auch gewissermaßen mehr als alle liebe.

Ich gestehe, sagte der Fremde, daß ich ihm mein Herz vielleicht etwas zu ausschließlich zugewendet habe. Es war mir früh vergönnt, einige ausgezeichnete Werke des Julio Romano kennen zu lernen und zu verstehen; in Mantua fand ich auf meinen Reisen Gelegenheit, ihn zu studiren, und seitdem glaube ich, meine Vorliebe auch rechtfertigen zu können.

Gewiß, erwiederte der Alte, wird Ihr Aufenthalt dort zu den schönsten Epochen Ihres Lebens gehören. Habe ich doch zu meinem innerlichen Verdruß in neueren Zeiten auch manchen Tadel dieses großen Geistes hören müssen, vorzüglich, daß er die geistlichen Gegenstände nicht mit der gehörigen Innigkeit behandle. Einem Jeden ist nicht alles gegeben. Aber die Verklärung des frischen sinnlichen Lebens, die Herrlichkeit des freien Muthwillens, das Spiel der lebendigsten Phantasie waren ihm vorbehalten. Und ist dem jungen Wallfahrer sein Herz noch für den Reichthum dieses glänzenden Geistes verschlossen, so wandre er nur nach Mantua, um dort in dem Pallast T kennen zu lernen, was Erd’ und Himmel, möcht’ ich fast sagen, Herrliches in sich fassen; wie in den Schrecken des Riesensturzes noch Lust und Scherz gaukelnd, und in dem Saale des Amor und Psyche in der Trunkenheit des Entzückens die himmlische Erscheinung der vollendeten Schönheit sich verklären.

Der junge Dietrich sah seinen abtrünnigen Anhänger schon seit lange mit großen Augen an; er konnte diesen Abfall nicht begreifen und nahm sich vor, mit dem Alten in einer vertrauten Stunde darüber zu sprechen; denn wenn er auch die Bewunderung des Julius gelten ließ, so schien ihm doch die erste Hälfte des Gesprächs geradezu im Widerspruch mit der früheren Aeußerung Eulenböcks zu stehen, der sich aber um dergleichen Nebendinge nicht kümmerte, sondern sich mit dem fremden Kunstfreunde in so lebhaften Enthusiasmus hineinschwatzte, daß beide auf lange Zeit weder die übrigen hörten, noch sie zu Worte kommen ließen.

Erich wollte eine Aehnlichkeit des Fremden mit einem Verwandten Walthers bemerken; darüber kam man in das Kapitel der Aehnlichkeiten, und wie sonderbar sich in den Familien, oft in der fernsten Verzweigung am deutlichsten, gewisse Formen wiederholen. Sonderbar ist es auch, sagte der Wirth, daß die Natur oft ganz wie die Kunst verfährt. Wenn ein Niederländer und ein Italiener aus der vorigen Zeit ein und dasselbe Bildniß malen sollten, so würden beide die Aehnlichkeit auffassen, aber jeder ein ganz verschiedenes Portrait und eine ganz andere Aehnlichkeit hervorbringen. So kannte ich in meiner Jugend eine Familie, die aus vielen Kindern bestand, an denen allen die Physiognomie der Aeltern und nur eine Hauptform, aber unter verschiedenen Bedingungen ausgeprägt war, so klar und sicher, als wenn die Kinder Bildnisse von demselben Gegenstande, von verschiedenen großen Malern gezeichnet, wären. Die älteste Tochter war wie von Correggio gemalt mit feinem Teint und zierlicher Form; die zweite war dasselbe Gesicht, aber größer, voller, wie aus der florentinischen Schule; die dritte hatte das Ansehen, als habe Rubens das nehmliche Portrait auf seine Art gemalt; die vierte wie ein Bild von Dürer; die nächste wie aus der französischen Schule, glänzend, voll, aber unbestimmt, und die jüngste wie ein flüssig gemaltes Werk von Leonard. Es war eine Freude, diese Gesichter unter sich zu vergleichen, die mit denselben Formen, in Ausdruck, Farbe und Lineamenten wieder so verschieden waren.

Erinnern Sie sich des wunderbaren Portraits, fragte Erich, welches Ihr alter Freund in seiner Sammlung besaß, und welches sich mit so vielen andern Sachen auf eine unerklärliche Weise verloren hat?

Ja wohl! rief der alte Walther aus, wenn es nicht von Rafaels Händen war, wie einige behaupten wollen, so war es wenigstens von einem vorzüglichen Meister, der nach diesem Muster die Kunst mit Glück studirt hatte. Wenn einige Neuere von der Kunst des Portraitirens als von einer geringen Sache sprechen wollten, oder die gar den Maler erniedrige, so durfte man sie nur vor dieses wunderwürdige Bildniß führen, um sie zu beschämen.

Wie, sagen Sie, so wandte sich der Fremde lebhaft zum alten Rath, es sind außer diesem trefflichen Stück noch andere merkwürdige Gemälde verloren gegangen? Auf welche Weise?

Ob verloren, sagte Walther, kann man so eigentlich nicht sagen; aber sie sind unsichtbar geworden, und vielleicht in’s ferne Ausland verkauft. Mein Freund, der Herr von Essen, der Vater des jungen Menschen, den Sie neulich in meinem Saale trafen, wurde mit zunehmendem Alter launenhaft und wunderlich. Die Liebe zur Kunst hatte uns befreundet, und ich kann sagen, daß ich sein ganzes Vertrauen besaß. Wir ergötzten uns an unsern Sammlungen, und die seinige übertraf damals bei weitem die meinige, die ich erst durch die Nachläßigkeit seines Sohnes so ansehnlich habe vermehren können. Wenn wir uns einmal ein rechtes Fest geben wollten, so setzten wir uns in sein Cabinet, in welchem die ausgesuchtesten seiner Werke versammelt waren. Diese hatte er mit vorzüglich prächtigen Rahmen einfassen lassen, und sie sinnreich bei einer sehr vortheilhaften Erleuchtung geordnet. Außer jenem Portrait sah man dort eine so unvergleichliche Landschaft von Nicolas Poussin, wie mir noch nie eine vorgekommen ist. Im sanften Abendlicht fuhr Christus mit seinen Jüngern auf dem Wasser. Die Lieblichkeit des Wiederscheins der Häuser und Bäume, die klare Luft, die Durchsichtigkeit der Wellen, der edle Charakter des Erlösers und die himmlische Ruhe, die über dem Ganzen schwebte und unser Gemüth wie in Wehmuth und friedlicher Sehnsucht auflöste, ist nicht zu beschreiben. Daneben hing ein Christus mit der Dornenkrone von Guido Reni, von einem Ausdrucke, wie ich ihn seitdem auch nicht wieder gesehen habe. Der alte Freund wollte sonst in seinem Eigensinne den trefflichen Guido vielleicht zu wenig gelten lassen; aber vor diesem Bilde war er immer entzückt, und es ist wahr, man sah es, so oft man es sah, jedesmal von Neuem; die vertraute Bekanntschaft mit ihm erhöhte nur den Genuß, und ließ immer neue, noch geistigere Schönheiten entdecken. Dieser Ausdruck der Milde, des ergebenen Duldens, der himmlischen Güte und des Verzeihens mußten auch das starrste Herz durchdringen. Es war nicht jene gesteigerte Leidenschaftlichkeit, wie man wohl in andern ähnlichen Bildern des Guido wahrnimmt, und die uns bei trefflicher Behandlung des Gegenstandes doch eher zurück stößt, als anzieht, sondern es war das süßeste, wie das schmerzlichste Gemälde. Durch die zarten Fleischpartien unter Wange, Kinn und Auge sah und fühlte man den ganzen Schädel, und dieser Ausdruck des Leidens erhöhte nur die Schönheit. Gegenüber war eine Lukretia von demselben Meister, die sich mit starkem vollen Arm den Dolch in den schönen Busen stieß. In diesem Bilde war der Ausdruck groß und kräftig, die Farbe unvergleichlich. Eine Mutter, die dem schlafenden Kinde das Tuch vom nackten Körper nimmt, und Joseph und Johannes den Schläfer betrachtend, die Figuren lebensgroß, waren von einem alten römischen Meister so herrlich und graziös dargestellt, daß jede Beschreibung nur unzulänglich ist. Aber wohl möchte ich Worte suchen, um auch nur eine schwache Vorstellung von dem einzigen Van Eyck zu geben, einer Verkündigung, welche doch vielleicht die Krone der Sammlung war. Hat sich die Farbe je als eine Tochter des Himmels verherrlicht, ist mit Licht und Schatten jemals gespielt, und im Spiel die edelste Rührung der Seele erweckt worden, haben Lust, Begeisterung, Poesie und Wahrheit und Adel sich je in Figuren und Färbung auf eine Tafel gelegt, so war es in diesem Bilde geschehen, welches mehr als Malerei und Zauber war. Ich muß abbrechen, um mich nicht selbst zu vergessen. Diese Bilder waren die vorzüglichsten; aber ein Hemling, ein herrlicher Annibal Carracci, ein kleines Bild, Christus zwischen den Kriegsknechten, eine Venus, vielleicht von Titian, wären wohl noch der Erwähnung werth, und kein Bild war in diesem Cabinet, das nicht jeden Freund der Kunst beglückt hätte. Und, denken Sie, fassen Sie die Sonderbarkeit des Alten, kurz vor seinem Tode sind alle diese Stücke verschwunden, ohne Spur verschwunden. Hat er sie verkauft? Er hat nie diese Frage beantwortet, und seine Bücher hätten es nach seinem Tode ausweisen müssen, die aber nichts davon sagten. Hat er sie verschenkt? Aber wem? Man muß fürchten, und der Gedanke ist herzzerreißend, er hat sie in einer Art von wahnsinniger Schwermuth, weil er sie wohl keinem andern Menschen auf Erden gönnen mochte, kurz vor seinem Tode vernichtet. Vernichtet! Fassen Sie es, begreift ein Mensch diese furchtbare Abwesenheit, wenn mein Verdacht gegründet ist?

Der Alte war so erschüttert, daß er seine Thränen nicht zurück halten konnte, und Eulenböck zog ein ungeheures gelbseidenes Tuch aus der Tasche, um in auffallender Rührung sein dunkelrothes Gesicht abzutrocknen. Erinnern Sie sich wohl noch, hub er schluchzend an, des sonderbaren Bildes von Quintin Messys, auf dem ein junger Schäfer und ein Mädchen in seltsamer Tracht abgebildet waren, beide herrlich ausgearbeitet, und wovon er behauptete, die Figuren sähen seinem Sohne und Ihrer Tochter ähnlich.

Die Aehnlichkeit war damals auffallend, erwiederte Erich. Sie haben aber noch den Johannes zu nennen vergessen, der wenigstens mit dem Guido wetteifern konnte. Dies Bild war vielleicht von Domenichino, wenigstens war es jenem berühmten äußerst ähnlich. Dieser Blick des Jünglings nach dem Himmel, die Begeisterung, die Sehnsucht, zugleich die Wehmuth, daß er schon das Göttliche auf Erden gesehen, als Freund umarmt und als Lehrer verstanden hatte, dieser Wiederschein einer entschwundnen Vergangenheit im Spiegel des edeln Antlitzes war rührend und erhebend. — O, wenige von diesen Bildern könnten den jungen Mann retten und wieder wohlhabend machen.

Wäre doch Alles an ihm verloren, rief Eulenböck aus. Er würde es doch nur wieder vergeuden. Was habe ich nicht an ihm ermahnt! Aber er hört auf den ältern Freund und die Stimme der Erfahrung nicht. Nun endlich, da ihm das Wasser doch wohl mag an die Seele gehen, ist er in sich geschlagen; er sah, daß ich über sein Unglück bis zu Thränen gerührt war, da hat er mir in meine Hand versprochen, sich von Stund an zu bessern, zu arbeiten und ein ordentlicher Mensch zu werden. Wie ich ihn hierauf gerührt umarme, reißt er sich lachend los und ruft: aber erst vom heiligen Dreikönigs-Abend an soll dieser Vorsatz gelten, bis dahin will ich noch lustig seyn und in der alten Bahn fortlaufen! Was ich auch sagen mochte, Alles war umsonst; er drohte, wenn ich ihm nicht seinen Willen ließe, die ganze Besserung wieder aufzugeben. — Ei nun, das Fest ist in einigen Tagen, die Frist ist nur kurz; Sie können aber wenigstens daraus sehen, wie wenig auf seine guten Vorsätze zu bauen ist.

Von jeher, sagte Sophie, ist er zu sehr mit frommen Leuten umgeben gewesen; aus Widerspruch hat er sich auf die andre Seite gewandt, und so hat freilich sein Eigensinn verhindert, daß der Umgang mit den Tugendhaften ihm hat nützlich werden können.

Sie haben gewissermaßen Recht, rief der alte Maler. Hat er sich nicht von dem Pietisten, dem langweiligen alten Musikdirektor Henne seit einiger Zeit wie belagern lassen? Aber ich versichere Sie, dessen trockne Predigten können unmöglich an ihm haften; auch wird der Alte beim dritten Glase betrunken, und so kommt er aus dem Text.

Er hat es zu arg getrieben, bemerkte der Wirth: dergleichen Menschen, wenn Unordnung und Verschwendung erst ihre Lebensweise geworden sind, können sich niemals wieder zurecht finden. Das rechtliche, wahre Leben erscheint ihnen gering und bedeutungslos; sie sind verloren.

Sehr wahr, sagte Eulenböck: und um Ihnen nur ein auffallendes Beispiel seiner Raserei zu geben, so hören Sie, wie er es mit seiner Bibliothek anfing. Er erbte eine unvergleichliche Büchersammlung von seinem würdigen Vater; die herrlichsten Ausgaben der Classiker, die größten Seltenheiten der italienischen Literatur, die ersten Ausgaben des Dante und Petrarca, nach denen man auch wohl in berühmten Städten umsonst fragt. Nun fällt es ihm ein, er müsse einen Secretär haben, der zugleich diese Bibliothek in Ordnung halten solle, die neu angekauften Werke in das Verzeichniß eintragen, die Werke systematisch aufstellen und dergleichen mehr. Ein junger wüster Mensch meldet sich zu diesem wichtigen Amte, und wird auch gleich angenommen, weil er zu schwatzen weiß. Zu schreiben ist nicht viel, aber trinken muß er lernen, und der Unterricht schlägt bei dem lockern Vogel an. Das wilde Leben nimmt gleich seinen Anfang; alle Tage toll und voll, Bälle, Maskeraden, Schlittenfahrten, die halbe Stadt frei gehalten. So fehlt es denn nun schon nach einem halben Jahre, als der junge Gelehrte sich seinen Gehalt ausbittet, an baarem Gelde. Man fällt auf den Ausweg, daß er für den Gehalt des ersten Jahres an Büchern nach einer billigen Taxe nehmen dürfe. Herr und Diener kennen aber den Werth der Sachen nicht, die auch nur für den Kenner kostbar sind, und deren finden sich nicht auf allen Gassen. Die theuersten Werke werden ihm also lächerlich wohlfeil überlassen, und da man die Auskunft einmal gefunden hat, so wiederholt sich das Spiel immer wieder, und um so öfter, da der neue Günstling zuweilen Gelegenheit hat, für seinen Patron baare Auslagen zu machen, die ihm in Büchern wieder erstattet werden. So fürchte ich, sind von der Büchersammlung vielleicht nur noch die Schränke übrig geblieben.

Ich weiß am besten, sagte der Rath, wie unverantwortlich man mit den Büchern umgegangen ist.

Das sind ja alles erschreckliche Geschichten, sagte Sophie: wer möchte sie nur von seinem Feinde so wieder erzählen?

Das Schlimmste aber, fuhr Eulenböck fort, war denn doch seine Leidenschaft für die berüchtigte schöne Betty; denn diese that das im Großen, was alle seine übrigen Thorheiten an seinem Wohlstand nur im Kleinen vernichten konnten. Sie hat auch seinen Charakter zu Grunde gerichtet, der sich ursprünglich zum Guten neigte. Er ist gutherzig, aber schwach, so daß Jeder, welcher sich seiner bemächtigt, aus ihm machen kann, was er will. Meine gutgemeinten Worte verschollen nur in den Wind. Bis in die tiefe Mitternacht hinein habe ich zuweilen auf die eindringlichste Art gesprochen, aber es war nur Schade um alle meine Ermahnungen. Sie hatte ihn so in Stricken, daß er selbst seine redlichsten und ältesten Freunde um ihrerwillen mißhandeln konnte.

Indem erhob man sich von der Tafel, und während der gegenseitigen Begrüßungen nahm Sophie die Gelegenheit wahr, indem sie dem alten Maler die Hand reichte, der sie ihr zierlich küßte, ihm deutlich zuzuflüstern: o Sie abscheulichster von allen abscheulichen Sündern, Sie undankbarer Heuchler! Wie kann es Ihr verkehrtes Herz über sich gewinnen, den öffentlich zu lästern, von dessen Wohlthaten Sie sich bereichert haben, dessen Leichtsinn Sie benutzen, um ihn mit andern Gehülfen elend zu machen? Bisher habe ich Sie nur für abgeschmackt, aber gutmüthig gehalten; ich sehe aber, daß Sie nicht ohne Ursache eine wahre Teufels-Physiognomie tragen! Ich verabscheue Sie! — Sie stieß ihn mit Bewegung zurück, und eilte dann aus dem Zimmer.

Die Gesellschaft ging in den Bildersaal, wo der Kaffee herum gereicht wurde. Was war denn meiner Tochter? fragte der Rath den Maler: sie schien so eilig und hatte Thränen im Auge.

Ein gutes, liebes Kind, schmunzelte Eulenböck. Sie sind recht glücklich, Herr Geheimer Rath, bei diesem empfindsamen Herzen Ihrer Tochter. Sie war so liebevoll um meine Gesundheit besorgt; sie findet meine Augen entzündet, und meinte gar, ich könnte erblinden: darüber ist sie denn so gerührt worden.

Ein treffliches Kind! rief der Vater aus: wenn ich sie nur erst gut versorgt sähe, daß ich in Frieden sterben könnte. Der Fremde war noch zurück geblieben, um das neue Gemälde in Augenschein zu nehmen, welches Erich ihm im Speisezimmer zeigte; jetzt kam er mit diesem zur Gesellschaft und Dietrich folgte. Sie waren Alle im lebhaften Gespräch begriffen; der Fremde tadelte den Gegenstand, welchen Dietrich vertheidigen wollte. Wenn Teniers und ähnliche Niederländer, sagte der letztere, die Versuchung des heiligen Antonius komisch und fratzenhaft dargestellt haben, so ist diese Laune ihrer Stimmung zu vergeben, so wie ihrem Talent nachzusehen, da sie das Würdige nicht zu erschaffen wußten. Der Gegenstand aber fordert eine ernste Behandlung, und dem alten deutschen Meister dort ist sie ohne Zweifel gelungen; wenn der Beschauer nur unpartheiisch seyn kann, so wird er sich von seinem Bilde angezogen und befriedigt fühlen.

Dieser Gegenstand, nahm der Fremde das Wort, ist keiner für die bildende Kunst. Die ängstigenden Träume eines wahnsinnigen Alten, die Gespenster, die er in seiner Einsamkeit sieht, und die ihn durch falschen Reiz oder Entsetzen von seiner melancholischen Beschaulichkeit abziehen wollen, können nur in das Gebiet fratzenhafter Phantome fallen, und auch nur phantastisch dargestellt werden, wenn es überhaupt erlaubt seyn soll. Dagegen dort die weibliche Gestalt, welche sich edel zeigen will und zugleich reizend, eine enthüllte Schönheit in der Fülle der Jugend, und die doch nur ein verkleidetes Gespenst ist; die wilden Gestalten umher, die durch den grellen Contrast sie noch mehr hervorheben, das Entsetzen des Alten, der sich im Vertrauen wieder zu finden sucht, diese Vermischung der widersprechendsten Gefühle ist durchaus widersinnig, und Schade um Talent und Kunst, die sich an dergleichen abarbeitend verschwenden und vernichten.

Ihr Zorn, sagte Dietrich, enthält das schönste Lob des Bildes. Ist denn nicht Alles, was den Menschen versucht, nur Gespenst, in die lockende Gestalt der Schönheit verhüllt, oder sich scheinbar mit nichtigem Entsetzen verpanzernd? Sollte eine Darstellung, wie jene, nicht gerade in unsern neuesten Tagen eine doppelte Bedeutung erhalten? Allen kommt diese Versuchung, die sich noch ihres Herzens nicht ganz bewußt sind; aber in jenem Heiligen sehen wir den festen und reinen Blick, der über die Furcht erhaben ist, und längst die wahre unsichtbare Schönheit kennt, um Grauen und geringe Lüsternheit von sich zu weisen. Das wahre Schöne führt uns in keine Versuchung; das, was wir wirklich fürchten dürfen, erscheint nicht in Larve und Unform. Das Bestreben jenes alten Meisters läßt sich daher vor dem gebildeten Sinne rechtfertigen; nicht so Teniers und seines Gleichen.

Das Tolle, das Alberne und Abgeschmackte ist ein Unendliches, rief der Unbekannte: es ist es eben dadurch, daß es sich in keine Gränze fassen läßt, denn durch die Schranke wird alles Vernünftige: das Schöne, Edle, Freie, Kunst und Enthusiasmus. Weil sich aber etwas Ueberirdisches, Unaussprechliches beimischt, so meinen die Thoren, es sei das Unbedingte, und sündigen im angemaßten Mystizismus in Natur und Phantasie hinein. Sehn Sie diesen tollen Höllenbreughel hier am Pfeiler? Weil sein Auge gar keinen Blick mehr hatte für Wahrheit und Sinn, weil er sich ganz von der Natur lossagte, und Aberwitz und Unsinn ihm als Begeisterung und Verständniß galten, so ist er mir vom ganzen Heere der Fratzenmaler geradezu der liebste, da er ohne Weiteres die Thüre zuschlug und den Verstand draußen ließ. Sehn Sie den Riesensaal von Julio Romano in Mantua, seine wunderlichen Aufzüge mit Thieren und Centauren und allen Wundern der Fabel, seine Bacchanalien, seine kühne Vermischung des Menschlichen, Schönen, Thierischen und Frechen; vertiefen Sie sich in diese Studien, dann werden Sie erst wissen, was ein wirklicher Poet aus diesen sonderbaren und unverstandenen Stimmungen unsers Gemüthes machen kann und darf, und wie er im Stande ist, auch in diesem, aus Träumen geflochtenen Netz, die Schönheit zu fangen.

Auf solchem Wege, sagte Dietrich, sind wir mit allen Dingen sehr bald fertig, wenn wir nur eine Norm und Regel annehmen, in leidenschaftlicher Verblendung alles Göttliche auf Einen Namen übertragen, und von dem einseitigen Erkennen seiner dann abweisen, was er nicht geleistet hat, oder nicht leisten konnte, der doch auch nur ein Einzelner und ein Sterblicher war, dessen Blick nicht in alle Tiefen drang, und dem wenigstens der Tod die Palette aus der Hand nahm, wäre er selbst fähig gewesen, alle Erscheinungen aus seinen Fingern quellen zu lassen. Schranke muß seyn; wer bezweifelt das? Aber so manche Altklugheit, die sich im Halten der Regel so groß dünkt, erinnert mich immer wieder an die sonderbare Eigenschaft des Hahns, der, wie unbändig und kriegerisch er auch thut, wenn er auf die Seite gelegt wird, und man von seinem Schnabel aus einen Kreidestrich auf den Boden hinzieht, unbeweglich und andächtig liegen bleibt, weil er sich, wer weiß von welcher Naturnothwendigkeit, philosophischer Regel oder unerlaßlichen Kunstschranke gefesselt glaubt.

Sie werden unbescheiden, mein junger altdeutscher Herr, sagte der Fremde in etwas hohem Tone. Die gute Erziehung wird freilich bald zu den verlorenen Künsten gerechnet werden müssen.

Dafür ist aber wohl gesorgt, versetzte Dietrich, daß Uebermuth nicht ausstirbt, und Dünkel bei frischen Kräften bleibt. Er verbeugte sich schnell gegen den Hausherrn und verließ die Gesellschaft.

Ich weiß nicht wie ich dazu komme, so behandelt zu werden, sagte der Fremde. Scheint doch über diesem Saal ein Unheil zu walten, daß ich hier immer auf Riesen treffe, die mich in den Staub legen wollen.

Der alte Walther war sehr mißmuthig, daß in seinem Hause solche Scenen vorfielen. So wie er den Fremden schon bei Tische hatte aufgeben müssen, so gab er nun auch den Gedanken auf, jemals den jungen Maler zum Schwiegersohn in Vorschlag zu bringen. Begütigend wendete er sich zu dem Fremden, der in seinem Zorn dem Höllenbreughel eine größere Aufmerksamkeit schenkte, als außerdem geschehen seyn würde. Nicht wahr, fing er an, ein in seiner Art treffliches Gemälde?

Das schönste von diesem Meister, das ich bisher gesehen, erwiederte der verstimmte junge Mann. Er nahm sein Glas zu Hülfe, um es genauer zu prüfen. Was ist das? rief er plötzlich: sehen Sie, wo die Beine der beiden Teufel zusammen kommen, und der feurige Schweif des Dritten, wird ein Gesicht, ein recht wunderlich ausdrucksvolles Profil gebildet, und, ich irre mich nicht, es gleicht auffallend hier Ihrem ältern Freunde, dem braven Künstler.

Alle drängten sich hinzu, keiner hatte diesen sonderbaren Einfall noch bemerkt. Eulenböck, der Schalk, spielte am meisten den Erstaunten. Daß mein Andenken, sagte er, sich in diesem seltsamen Stammbuche finden sollte, hätte ich mir nicht träumen lassen; sollte der boshafte Maler aber mein Profil schon in der Vorzeit geahndet haben, so ist es doch zu ruchlos, daß dieser Feuerschweif gerade meine etwas rothe Nase formiren muß.

Das Ding, sagte Erich, ist so sonderbar angebracht, daß man wirklich nicht ergründen kann, ob es Vorsatz, oder bloßer Zufall ist. Walther betrachtete das Profil im Bilde, dann musterte er die Physiognomie seines Freundes, schüttelte den Kopf, ward nachdenkend und nahm zerstreut Abschied, als der Fremde sich mit Eulenböck beurlaubte, der sich dessen Begleitung erbeten hatte, um ihm seine Kunstwerke zu zeigen.

Was ist Dir? fragte Erich, der mit dem Alten allein im Saale zurück geblieben war. Du scheinst über den sonderbaren Scherz des Zufalls verdrüßlich, der uns alle zum Lachen gezwungen hat; ist doch der Säufer hinlänglich dadurch bestraft, daß diese Teufelscompagnie so artig sein Portrait zusammen setzen muß.

Hältst Du es denn wirklich auch für Zufall? rief Walther erzürnt aus: siehst Du denn nicht ein, daß der alte Schelm mir dies Bild betrügerisch aufgeheftet hat, daß es von ihm herrührt? Schau nur hieher, ich habe ihn vor den Andern nicht beschämen wollen; aber nicht genug an dieser Abschattung von sich selbst, hat er auch noch dem großen Teufel da oben, der die Seelen in einer Handmühle mahlt, in seinem ungeheuren Schnauzbart fein den Namen Eulenböck eingeschrieben. Ich entdeckte die Kritzelei schon unlängst einmal; ich glaubte aber, da es nicht ganz deutlich war, es habe der Maler, oder ein Anderer, Höllenbreughel hineinschreiben wollen; so erklärte es mir der alte Schuft auch selbst, der mir, wie ich es ihm zeigte, Ellenbröeg herauslas, und hinzufügte, die Künstler hätten sich nie um die Orthographie viel gekümmert. Nun geht mir erst ein Licht auf, daß der verruchte Säufer auch nur den jungen Mann verführt hat, mir den Salvator zu verkaufen, daß Du einen solchen von ihm ebenfalls erhalten hast; und dabei müssen wir noch fürchten, unsre Gesichter einmal, wer weiß, unter welchen abscheulichen Gegenständen, irgendwo unanständig auf pasquillantische Weise angebracht zu sehen.

Er war so zornig, daß er die Faust aufhob, um das Bild zu zerstören. Aber Erich hielt ihn zurück und sagte: Vernichte nicht im Unmuth ein merkwürdiges Produkt eines Virtuosen, das Dich in Zukunft wieder ergötzen wird. Rührt es von unserm Eulenböck her, wie ich jetzt selber glauben muß, und sind gar noch die beiden Salvators von ihm, so muß ich die Geschicklichkeit des Mannes bewundern. Toll ist die Art, wie er sich selbst gezeichnet hat; indessen kann dieser Uebermuth nur ihm selber schädlich werden, da ich und Du uns nun wohl hüten werden, von ihm zu kaufen, von denen er außerdem wohl noch manchen Thaler gelöst hätte. Aber Dich wurmt noch etwas Anderes, ich sehe es Dir wohl an. Kann ich Dir rathen? Ist es vielleicht die alte Besorgniß um Deine Tochter?

Ja, mein Freund, sagte der Vater: und wie ist es mit Dir? Hast Du selbst meinen Worten nachgedacht?

Viel und oft, erwiederte Erich: aber, lieber Grillenfänger, wenn es auch glückliche Ehen ohne Leidenschaft geben kann, so muß doch eine Art von Neigung da seyn; die finde ich aber nicht, und ich kann es Deiner Tochter nicht verdenken, — wir sind uns zu ungleich. Schade wär’ es auch, wenn das liebe Wesen mit seinen lebhaften Empfindungen nicht glücklich werden sollte.

Durch wen? rief der Vater, es findet sich ja Niemand, den sie mag, und der sich für sie paßt; Du trittst völlig zurück, der fremde hochmüthige Gast hat mich heut mit seiner vornehmen Art recht empfindlich geärgert; aus dem jungen Herrn Dietrich würde nie ein gescheidter Ehemann werden, da er sich gar nicht in die Welt zu schicken weiß, wie ich gesehen habe, und vom jungen Eisenschlicht darf ich ihr gar nicht einmal sprechen. Dazu ist mir auf’s Neue der Verlust der herrlichen Bilder auf das Herz gefallen. Wo der Satan sie nur hingeführt hat! Sieh, meinem ärgsten Feinde möchte ich sie gönnen, wenn sie nur da wären! — Und dann — hab’ ich nicht auch noch eine Verschuldung gegen Eduard? Du weißt, zu welchen billigen Preisen ich nach und nach von ihm kaufte, was er noch im Nachlasse seines Vaters fand. Er kannte, er achtete die Sachen nicht; ich habe ihm nie abgedrungen, ich habe ihn nie angelockt, — aber doch — wenn der junge Mensch ordentlich werden wollte, wenn er den bessern Weg einschlüge, — wüßte ich nur, daß es ihn nicht wieder schlecht machte, daß er es nicht vergeudete, ich wollte ihm noch einen beträchtlichen Nachschuß gerne zahlen.

Brav! rief Erich und gab ihm die Hand. Ich habe den jungen Menschen nicht aus den Augen gelassen; er ist nicht ganz so schlimm, als die Stadt von ihm spricht, er kann noch einmal ein rechter Mann werden. Wenn wir Besserung sehen und Du Dich ihm gewogen fühlst, vielleicht daß Deine Tochter einmal auch gut von ihm dächte, kann seyn, daß sie ihm gefiele; — wie wär’s alsdann, wenn Du durch Dein Vermögen Beiden ein glückliches Schicksal bereitetest, Enkel auf Deinen Knieen schaukeltest, ihnen die ersten Begriffe der Kunstgeschichte beibrächtest, daß sie hier in Deinem Saale die berühmten Namen stammelten.

Nimmermehr! rief der Alte und stampfte mit dem Fuße. Wie? einem solchen verderbten Taugenichts mein einziges Kind? Ihm diese Sammlung hier, daß er sie verprassen und für ein Spottgeld verkaufen könnte? Das räth mir kein Freund.

Doch, sagte Erich: sei nur gelassen, überdenke den Vorschlag ohne Leidenschaft, und suche Deine Tochter zu prüfen.

Nein, nein! wiederholte Walther laut, es kann, es darf nicht seyn! Ja, könnte er noch ein einziges von jenen kostbaren, unvergleichlichen Bildern aufweisen, die aber nun auf ewig verloren sind, so ließe sich noch eher darüber sprechen. Aber so verschone mich in alle Zukunft mit dergleichen Vorschlägen. — Und der verdammte Breughel hier! Da oben, hoch, wo ich ihn nie wieder sehe, will ich ihn mit der Galgen-Physiognomie des alten Sünders und allen seinen Teufeln hinauf hängen!

Er sah empor, und wieder schaute aus dem offnen Fenster Sophie, lauschend auf ihr Gespräch, herab. Sie erröthete, entfloh, ohne das Fenster zu schließen, und der Alte rief: das fehlte noch! Nun hat die eigensinnige Dirne Alles mit angehört, und setzt sich wohl gar dergleichen in den kleinen trotzigen Kopf!

Die alten Freunde trennten sich, Walther mit sich und aller Welt unzufrieden.

———

Tief in der Nacht saß Eduard in seinem einsamen Zimmer, mit vielfachen Gedanken beschäftigt. Um ihn lagen unbezahlte Rechnungen, und er häufte die Summen daneben auf, um sie am folgenden Morgen zu tilgen. Es war ihm gelungen, unter billigen Bedingungen ein Capital auf sein Haus aufzunehmen, und so arm er sich erschien, so war er doch schon in dem Gefühl zufrieden, welches ihm sein fester Vorsatz gab, künftig auf andre Weise zu leben. Er sah sich in Gedanken schon thätig, er machte Plane, wie er von einem kleinen Amte zu einem wichtigern emporsteigen, und sich in diesem zu einem noch ansehnlichern vorbereiten wolle. Die Gewohnheit, sagte er, wird ja zu unserer Natur, so im Guten, wie im Schlimmen, und wie mir Müssiggang bisher nothwendig gewesen ist, um mich wohl zu befinden, so wird es in Zukunft die Arbeit nicht weniger seyn. — Aber wann, wann wird denn dies erwünschte goldne Zeitalter meines edlern Bewußtseins wirklich und wahrhaft in mir seyn, daß ich mit Befriedigung und Wohlbehagen die Gegenstände vor mir und mich selbst werde betrachten können? Jetzt sind es doch nur noch Vorsätze und liebliche Hoffnungen, die blühen und locken; und, ach! werde ich nicht auf halbem Wege, vielleicht schon auf dem Anfange meiner Bahn ermatten?

Er sah die Rose zärtlich an, die im Wasserglase ihm glühend entgegen lachte. Er nahm sie und drückte mit zarter Berührung einen leisen Kuß in ihre Blätter, und hauchte einen Seufzer in den Kelch. Dann stellte er sie behutsam in das nährende Element zurück. Er hatte sie neulich, schon verwelkt, in seinem Busen wieder gefunden; seit der Stunde, daß sie im Fluge sein Gesicht berührt hatte, war er ein andrer Mensch geworden, ohne daß er es sich selber gestehen wollte. Man ist nie so abergläubisch und merkt so gern auf Vorbedeutungen, als wenn das Herz recht erschüttert ist, und aus dem Sturm der Gefühle ein neues Leben sich erzeugen will. Eduard merkte selbst nicht, wie sehr ihm die kleine Blume Sophien selbst gegenwärtig machte, und da er Alles und sich selbst beinah verloren hatte, so sollte die welke Pflanze sein Orakel seyn, ob sie sich wieder erfrische und auch ihm ein neues Glück verkündigen wolle. Da sie aber nach einigen Stunden sich im Wasser nicht entfaltete, so half er ihr und der weissagenden Kraft durch die gewöhnliche Kunst, den Stengel zu beschneiden, diesen dann einige Augenblicke in die Flamme des Lichtes zu halten und die Blume nachher in das kalte Element zurück zu setzen. Fast sichtlich erfrischte sie sich nach dieser gewaltsamen Nachhülfe, und blühte so schnell und mächtig auf, daß Eduard fürchten mußte, sie würde binnen Kurzem alle ihre Blätter verstreuen. Doch war er seitdem getröstet, und traute seinen Sternen wieder.

Er blätterte in alten Papieren seines Vaters, schlug Briefe auseinander, und fand so manche Erinnerungen aus seiner Kindheit, so wie aus der Jugend des Erzeugers. Er hatte den Inhalt eines Schrankes vor sich ausgepackt, der Rechnungen, Nachweisungen, Prozeß-Acten und Vieles ähnlicher Art enthielt. Indem rollte sich ein Blatt auf, welches das Verzeichniß der ehemaligen Gallerie enthielt, die Geschichte der Bilder, ihre Preise, und was dem Besitzer bei jedem Stücke merkwürdig gewesen war. Eduard, der von einer Reise zurück kam, als sein Vater auf dem Sterbebette lag, hatte nach dem Begräbnisse vielfach nach jenen verlorenen Bildern gesucht, und manche vergebliche Nachforschung angestellt. Er konnte mit Recht erwarten, daß auch von jenen vermißten sich hier ein Wort finden möchte, und wirklich erschien ihm in einem andern Packet, zwischen Papieren versteckt, ein Blatt, welches genau jene Stücke nannte, die Namen der Meister, so wie die vorigen Eigenthümer. Die Schrift war augenscheinlich aus den letzten Tagen seines Vaters, und unten fanden sich die Worte: diese Stücke sind jetzt — —, weiter hatte die Hand nicht geschrieben, und selbst diese Zeile war wieder ausgestrichen worden.

Nun suchte Eduard noch eifriger, aber keine Spur. Das Licht war niedergebrannt, sein Blut war erhitzt; er warf die Bogen eilig im Zimmer umher, aber es zeigte sich nichts. Als er ein altes vergelbtes Papier auseinander schlug, sah er zu seinem Erstaunen einen Schein, der vor vielen Jahren ausgestellt war, in welchem sich sein Vater als den Schuldner Walthers mit einer namhaften Summe bekannte. Er war nicht quittirt, aber doch nicht in den Händen des Gläubigers. Wie war dieser Umstand zu erklären? —

Er steckte ihn zu sich und rechnete aus, daß, wenn das Blatt gültig wäre, er von seinem Hause kaum noch etwas übrig behalten würde. Er betrachtete einen Beutel, den er in eine Ecke gestellt, und der dazu bestimmt war, ein für allemal noch den Familien, die er bisher im Stillen unterstützt hatte, eine ansehnliche Hülfe zu geben. — Denn wie er im Verschwenden leichtsinnig war, so war er es auch in seinen Wohlthaten; man hätte sie auch, wenn man strenge seyn wollte, Verschwendung nennen können. — Wenn ich nur diese Summe nicht anrühren darf, damit die Elenden sich noch einmal freuen, so ist es nachher auch eben so gut, ganz von vorn anzufangen und nur meinen Kräften zu vertrauen. Dies war vor dem Einschlafen sein letzter Gedanke.

———

Eduard war vom Geheimenrath Walther eingeladen worden; es war lange nicht geschehen, und ob der Jüngling gleich nicht begriff, wie der alte Freund zu diesem erneuten Wohlwollen komme, so ging er doch mit frischem Muthe hin, hauptsächlich in der frohen Erwartung, mit Sophien die ehemalige Bekanntschaft wieder anzuknüpfen. Er nahm das aufgefundene Papier mit.

Es war ihm sehr verdrüßlich, dort den alten und den jungen Herrn von Eisenschlicht zu finden; indessen, da er bei Tische Sophien gegenüber saß, so richtete er das Gespräch hauptsächlich an diese, und bestrebte sich, heiter zu erscheinen, obgleich sein Gemüth auf vielfache Weise gereizt war; denn es entging ihm nicht, wie der alte Walther dem jungen Eisenschlicht mit aller Artigkeit entgegen kam, und ihn beinahe vernachläßigte; auch war es in der Stadt bekannt, daß sich der Rath den jungen reichen Mann zum Schwiegersohne wünsche. Dieser ließ sich die Freundlichkeit des Wirthes gefallen mit einer Art, als wenn es nicht anders seyn könne, und Erich, der es gut mit dem jungen Eduard meinte, suchte nur zu verhindern, daß der gereizte Jüngling nicht in Heftigkeit ausbräche. Sophie war die Munterkeit selbst; sie hatte sich mehr geschmückt als gewöhnlich, und der Vater mußte sie oft prüfend betrachten, denn ihr Anzug wich in einigen Stücken von dem gebräuchlichen ab, und erinnerte ihn heute lebhafter als je an jenes verlorene Bild von Messys, welches die beiden jungen Leute in einer gewissen Aehnlichkeit als Schäfer darstellte.

Man versammelte sich nach Tische im Bildersaal, und Erich mußte lächeln, als er bemerkte, daß sein Freund wirklich den falschen Höllenbreughel hoch in einen Winkel hinauf gehangen hatte, wo man ihn kaum noch bemerken konnte. Der junge Eisenschlicht setzte sich neben Sophien, und schien sehr angelegentlich mit ihr zu sprechen. Eduard ging unruhig hin und her, und betrachtete die Bilder; Erich unterhielt sich mit dem Vater des jungen Freiwerbers, und Walther hatte ein prüfendes Auge auf Alle gerichtet.

Warum aber, sagte Erich zu seinem Nachbar, ist Ihnen hier das Meiste aus der niederländischen Schule zuwider?

Weil sie so viel Lumpenvolk und Bettler darstellt, antwortete der reiche Mann. Mein Widerwille trifft auch nicht diese Niederländer allein, sondern vorzüglich ist mir deshalb der Spanier Murillo verhaßt, und auch so manche Italiener. Es ist schon traurig genug, daß man sich auf Markt und Straße, ja in den Häusern selbst, nicht vor diesem Geschmeiße zu retten weiß; wenn aber ein Künstler verlangt, ich soll mich gar noch auf bunter Leinwand an dem lästigen Volke ergötzen, so heißt das, meiner Geduld etwas zu viel anmuthen.

Da würde Ihnen vielleicht, sagte Eduard, der Quintin Messys recht seyn, der so häufig Wechsler an ihrem Tische, mit Münzen und Rechnungsbüchern so treu und kräftig vor uns hinstellt.

Auch nicht, junger Herr, sagte der alte Mann: das können wir leicht und ohne Anstrengung in der Wirklichkeit sehn. Soll ich mich einmal an Malerei erfreuen, so verlange ich große königliche Aufzüge, viele schwere Seidenzeuge, Kronen und Purpurmäntel, Pagen und Mohren; das, vereinigt mit einem Anblick auf Paläste, große Plätze und in weite gerade Straßen hinein, erhebt die Seele, das macht mich oft auf lange munter, und ich werde nicht müde, es immer wieder von Neuem zu beschauen.

Gewiß, sagte Erich, hat Paul Veronese und manche andere Italiener auch darin viel Vorzügliches geleistet.

Was sagen Sie denn zu einer Hochzeit von Cana in dieser Manier? fragte Eduard.

Alles Essen, erwiederte der alte Herr, wird auf Bildern langweilig, weil es doch nie von der Stelle rückt, und die gebratenen Pfauen und hoch aufgehobenen Pasteten, so wie die halb umgedrehten Mundschenken, sind auf allen solchen Darstellungen lästige Creaturen. Aber ein Anderes ist es, wenn sie den kleinen Moses aus dem Wasser ziehn, und dabei steht die Prinzeß in ihrem reichsten Schmuck, und umher die geputzten Damen, die auch für Fürstinnen gelten könnten, Männer mit Hellebarden und Rüstungen, selbst Zwerge und Hunde; ich kann nicht sagen, wie es mich erfreut, wenn ich eine solche Geschichte, die ich in meiner frühen Jugend oft unter Beklemmungen in einer dunkeln Schulstube lesen mußte, so herrlich ausgeschmückt wieder antreffe. Von dergleichen Sachen aber, lieber Herr Walther, haben Sie zu wenig. Ihre meisten Bilder sind für die Empfindung, und ich will niemals, am wenigsten von Kunstwerken, gerührt seyn. Ich werde es auch nicht, sondern ich ärgre mich nur.

Noch schlimmer, fing der junge Eisenschlicht an, ist es aber in unsern Comödien. Wenn wir aus einer angenehmen Gesellschaft und von einem glänzenden Diner in den erleuchteten Saal treten: wie kann man nur verlangen, daß wir uns für das mannigfaltige Elend und den kümmerlichen Mangel interessiren sollen, der uns hier aufgetischt wird? Könnte man nicht dieselbe polizeiliche Einrichtung treffen, die schon in den meisten Städten löblicherweise angeordnet ist, daß ich ein für allemal für die Armuth etwas einlege, und mich dann nicht weiter von den einzelnen Zerlumpten und Hungernden incommodiren lasse?

Bequem wäre es ohne Zweifel, sagte Eduard: ob aber durchaus zu loben, sei es als Polizei- oder Kunsteinrichtung, weiß ich noch nicht zu sagen. Ich kann mich wenigstens des Mitleids gegen den Einzelnen nicht erwehren, und mag es auch nicht, wenn man freilich oft zur Unzeit gestört, unverschämt bedrängt, und zuweilen auch wohl arg betrogen wird.

Ich bin Ihrer Meinung, rief Sophie aus: ich kann die stummen, blinden Bücher nicht leiden, in die man sich einschreiben soll, um sich ruhig auf eine unsichtbare Verwaltung verlassen zu können, die dem Elende, so viel als möglich, abhelfen werde. In manchen Gegenden verlangt man sogar, man soll sich verpflichten, dem Einzelnen nichts zu geben. Aber wie kann man nur dem Jammer widerstehn? Wenn ich dem gebe, der mir seine Noth klagt, so sehe ich doch wenigstens seine augenblickliche Freude, und kann hoffen, ihn getröstet zu haben.

Das ist es eben, sagte der alte Kaufmann, was in allen Ländern den Bettelstand erhält, daß wir uns nicht von dem kleinlichen Gefühl einer weichlichen Eitelkeit und eines süßlichen Wohlthuns frei machen können und wollen. Dies ist es zugleich, was die besseren Maßregeln der Staaten vereitelt und unmöglich macht.

Sie denken anders, als jene Schweizer, sagte Eduard. Es war in einer katholischen Gegend, wo ein alter Bettler seit lange sein Almosen an gewissen Tagen einkassirte, und in jedem Hause fast, da die ländliche Einsamkeit nicht viel Gewerbe und Umtrieb gestattete, mit zur Familie gerechnet wurde. Indessen traf es sich doch, daß man ihn in einer Hütte, als er zusprach, da man gerade mit einer Wöchnerin sehr beschäftigt war, in der Verwirrung und Besorgniß für die Kranke abwies. Als er wirklich nach wiederholter Forderung nichts erhielt, wandte er sich zornig und rief im Scheiden: Nun, wahrlich, ihr sollt sehn, daß ich gar nicht wiederkomme, und so mögt ihr dann sehen, wo ihr wieder einen Bettler herkriegt!

Alle lachten, nur Sophie nicht, welche diesen Ausspruch ganz vernünftig finden wollte, und mit diesen Worten schloß: gewiß, wenn es uns unmöglich gemacht werden könnte, Wohlthaten zu erzeigen, so möchte unser Leben selber arm genug werden. Könnte der Trieb des Mitleids in uns ersterben, so möchte es auch wohl um Lust und Freude traurig aussehen. Derjenige, der glücklich genug ist, mittheilen zu können, empfängt mehr, als der arme Nehmende. Ach! das ist ja noch das Einzige, fügte sie mit großer Bewegung hinzu, was das starre Eigenthum, die Grausamkeit des Besitzes etwas entschuldigen und mildern kann, daß auf die Schmachtenden unten etwas von dem unbillig Aufgehäuften herabgeschüttet wird, damit es nicht ganz in Vergessenheit komme, daß wir alle Brüder sind.

Der Vater sah sie mißbilligend an, und wollte eben etwas sagen, als Eduard heftig einfiel, indem er seine feurigen Augen auf die feuchten des Mädchens heftete: dächte die Mehrzahl der Menschen so, so lebten wir in einer andern und bessern Welt. Wir entsetzen uns, wenn wir von dem Drangsal lesen, das in Wüsten und Einöden fremder Himmelsstriche dem harmlosen Wanderer auflauert, oder von jenen Schrecknissen, die auf der unwirthbaren See das Schiffsvolk fürchterlich verzehren, wenn im höchsten Mangel kein Fahrzeug oder keine Küste sich auf der unermeßlichen Fläche zeigen will; wir entsetzen uns, wenn Ungeheuer der Tiefe den Verunglückten zerfleischen, — und doch — leben wir nicht in den großen Städten, wie auf einem Vorgebirge, wo unmittelbar zu unsern Füßen aller dieser Jammer, dasselbe gräuliche Schauspiel sich entwickelt, nur langsamer und desto grausamer? Aber wir sehen aus unsern Concerten und Festen, und aus dem sichern Gewahrsam des Wohlstandes nicht in diesen Abgrund hinein, wo die Gestalten des Elends sich in tausend fürchterlichen Gruppen, wie in Dante’s Gebilden, zermartern und verzehren, und gar nicht einmal mehr zu uns empor zu schauen wagen, weil sie schon wissen, welchem kalten Blick sie begegnen, wenn ihr Geschrei uns zu Zeiten aus den Betäubungen unsrer kalten Ruhe weckt.

Diese Uebertreibungen, sagte der alte Eisenschlicht, sind jugendlich. Ich behaupte immer noch, der wirklich gute Bürger, der echte Patriot soll sich von augenblicklicher Rührung nicht hinreißen lassen, die Bettelei zu unterstützen. Er theile jenen wohlthätigen Anstalten mit, so viel er mit Bequemlichkeit entbehren kann; aber vergeude nicht seine geringen Mittel, die auch hierin der Aufsicht des Staates zu Gute kommen sollen. Denn was thut er im entgegengesetzten Fall? Er befördert durch seine Weichlichkeit, ja ich möchte es fast wollüstigen Kitzel des Herzens nennen, Betrug, Faulheit, Unverschämtheit, und entzieht das Wenige der wahren Armuth, die er doch nicht immer antreffen oder erkennen kann. Wenn wir aber auch jene übertriebene Schilderung des Elendes als richtig anerkennen wollten, was kann der Einzelne auch selbst in diesem Falle Gutes stiften? Ist er denn im Stande, die Lage des Verzweifelnden zu verbessern? Was hilft es, doch immer nur wieder einen Tag oder eine Stunde zu erleichtern? Der Unglückliche wird seine Schmach nur um so tiefer empfinden, wenn er nicht seinen Zustand in einen glücklichen verwandeln kann; er wird noch unzufriedener, noch elender werden, und ich schade ihm, anstatt ihm zu nützen.

O, sagen Sie das nicht, rief Eduard aus, wenn ich Sie nicht verkennen soll; denn es erscheint mir wie Lästerung! Was der Arme in einem solchen Augenblick des Sonnenscheins gewinnt? O mein Herr! er, der schon daran gewöhnt ist, von der Gesellschaft der Menschen ausgestoßen zu seyn; er, für den es kein Fest, keinen Markt, keine Gesellschaft, und kaum eine Kirche giebt; für den Ceremonie, Höflichkeit und alle die Rücksichten ausgestorben sind, die sonst jeder Mensch dem andern leistet; dieser Elende, dem auf Spaziergängen und in der Frühlingsnatur nur Verachtung grünt und blüht, er wendet oft das dürre Auge nach Himmel und Sternen über sich, und sieht auch dort nur Leere und Zweifel; aber in solcher Stunde, die ihm unverhofft eine reichlichere Gabe spendet, daß er mit mehr als augenblicklichem Trost zu den verschmachteten Seinigen in die dunkle Hütte kehren kann, geht ihm plötzlich im Herzen wieder der Glaube an Gott, an seinen Vater auf; er wird wieder Mensch, er fühlt wieder die Nähe eines Bruders, und darf diesen und sich wieder lieben. — Wohl dem Reichen, der diesen Glauben fördern, der mit der sichtbaren Gabe das Unsichtbare schenken kann; und wehe dem Verschwender, der sich durch frevelnden Leichtsinn dieser Mittel beraubt, ein Mensch unter den Menschen zu seyn; denn das Gefühl wird ihn am härtesten strafen, daß er als herzloser Barbar in Strömen das Labsal in die Wüste geschüttet hat, wovon ein jeder Tropfen seine Brüder, unter der Last des mühseligen Lebens erliegend, erquicken könnte.

Er konnte das Letzte nur mit Thränen sagen, er verhüllte sein Angesicht und bemerkte nicht, daß die Fremden, auch Erich, vom Wirthe Abschied nahmen. Auch Sophie weinte; doch ermunterte sie sich zur Heiterkeit, als der Vater zurück kam.

Als sich in andern Gesprächen die Gefühle wieder beruhigt hatten, zog Eduard das Papier aus der Tasche, und trug dem Rathe die zweifelhafte Sache vor, und wie sehr er besorge, noch mit einer ansehnlichen Summe sein Schuldner zu seyn, die er ihm durch ein Capital abzutragen denke, welches er auf sein Haus zu bekommen suchen wolle.

Der Alte sah abwechselnd ihn und das vergelbte Papier mit großen Augen an, endlich faßte er die Hand des Jünglings und sagte mit gerührter Stimme: mein junger Freund, Sie sind viel besser, als ich und auch die Welt von Ihnen gedacht haben; Ihr Gefühl entzückt mich, und wenn Sie auch mit dem Herrn von Eisenschlicht nicht so heftig hätten sprechen sollen, so war ich doch bewegt; denn, wahrlich! ich denke wie Sie über diesen Punkt. Was dies Papier betrifft, so kann ich Ihnen darüber schwerlich eine entscheidende Antwort geben, ob es gültig sei oder nicht. Es rührt aus einer frühen Zeit her, in der ich mit Ihrem wackern Vater mancherlei, und zuweilen verwickelte Geldgeschäfte hatte; wir halfen einander bei unsern Speculationen und Reisen aus, und der alte Herr war dazumal in früher Jugend freilich zuweilen etwas locker und wild. Er bekennt hier, mir eine ansehnliche Summe schuldig zu seyn; das Blatt muß sich unter seinen Papieren verloren haben; ich weiß nichts mehr davon, weil wir sehr viel mit einander zu berechnen hatten, und ich war denn damals auch nicht so ordentlich, wie jetzt. Indeß — (und mit diesen Worten zerriß er das Blatt) sei diese anscheinende Forderung zernichtet; denn auf keinen Fall, auch wenn die Schuld klar wäre, könnte ich von Dir, mein Sohn, diese Summe annehmen; wenigstens sollte ich Dir so viel nachzahlen für jene Gemälde, die Du mir viel zu wohlfeil verkauft hast. Kann ich Dir überhaupt helfen, mein gutes Kind, so rechne auf mich, und Alles kann vielleicht noch gut werden.

Eduard beugte sich über seine Hand und rief: ja sei’n Sie mir Vater, ersetzen Sie mir den, den ich zu früh verloren habe! Ich verspreche es Ihnen, es ist mein fester Vorsatz, ich will ein andrer Mensch werden, ich will meine versäumte Zeit wieder einbringen; ich hoffe, der menschlichen Gesellschaft noch einmal nützlich zu werden. Aber väterlicher Rath, wohlwollende Aufmunterung muß mich leiten, damit ich wieder Vertrauen zu mir fasse.

So gut, sagte der Alte, hätte es uns schon seit manchem Jahre werden können, aber Du hast es dazumal verschmäht. Worin ich Dir nur irgend helfen kann, darfst Du sicher auf mich rechnen. Jetzt aber will ich doch, Neugierde halber, noch einmal meine Papiere ansehen, ob ich denn doch von dieser Schuld gar keine Nachricht finden sollte.

Er ließ die beiden jungen Leute allein, die sich erst eine Weile stillschweigend ansahen, und sich dann in die Arme flogen. Sie hielten sich lange umschlossen, dann machte sich Sophie gelinde los, entfernte den Jüngling und sagte, indem sie ihm mit Munterkeit in’s Auge sah: wie widerfährt mir denn das? Eduard, was soll uns denn das bedeuten?

Liebe, rief Eduard, Glück und ewige Treue! Sieh, liebstes Kind, ich fühle mich, wie von einem schweren Traum erwacht. Das Glück, das mir so nahe vor den Füßen lag, das mir mein redlicher Vater schon an Deiner Wiege zugedacht hatte, stieß ich wie ein ungezogener Knabe von mir, um mich der Welt und mir selbst verächtlich zu machen. Hast Du mir denn vergeben, holdseliges Wesen? Kannst Du mich denn lieben?

Ich bin Dir recht von Herzen gut, Du mein alter Spielkamerad, sagte Sophie: aber glücklich sind wir darum noch nicht.

Was kann uns noch im Wege seyn! rief Eduard aus. O wie tief beschämt es mich, daß ich Deinen edeln Vater so sehr habe verkennen mögen! Wie gütig er mir entgegen kommt! Wie herzlich er mich als Sohn an seine Brust drückt!

Ja, Du wunderlicher Kauz, lachte Sophie auf, das ist ja aber nicht so gemeint. Aber der bleibt zeitlebens unbesonnen, und hat gleich die Rechnung ohne den Wirth gemacht! Davon wird der Papa, so gut er auch seyn mag, nicht eine Sylbe hören wollen. Auch müssen wir beide uns ja erst näher kennen lernen. Freund, das sind Sachen, die sich noch in die Jahre hinaus verziehen können. Und während der Zeit sattelst Du auch vielleicht wieder um, und lachst dann in Deiner lustigen Gesellschaft über meinen Gram und meine Thränen.

Nein! rief Eduard und warf sich vor ihr nieder: verkenne mich nicht, sei so gut und lieb, wie Dein Auge verspricht! Und ich fühle es, Dein Vater wird sich unsers Glückes freuen, er wird unsern Bund segnen! Er umfaßte sie heftig, ohne zu bemerken, daß der Vater schon wieder hinter ihm stand. Was ist das, junger Herr? rief der Alte erzürnt aus: den Bund segnen? Nein, vertreiben, aus seinem Hause verbannen wird er den lockern Zeisig, der so sein Vertrauen und seine Neigung zu ihm mißbrauchen will.

Eduard war aufgestanden und sah ihm ernst in’s Auge. Sie sind nicht gesonnen, mir Ihre Tochter zur Frau zu geben? fragte er mit ruhigem Tone.

Was! rief der Alte mit der größten Ungeduld, seid Ihr rasend, Patron? Einem Menschen, der den Nachlaß seines Vaters, die kostbarsten Bilder verkauft und verschleudert hat? Und wenn Ihr ein Millionär wäret, ein so gefühlloser Mensch erhielte sie niemals! Ei, da würde es nach meinem Tode, vielleicht schon während meinen letzten Tagen, an ein herrliches Ausbieten meiner Schätze gehen, da würden die Bilder in alle vier Ecken der Welt fliegen, daß ich keine Ruhe in meinem Grabe hätte. Klug ist er aber, der saubre Herr. Macht mich erst recht treuherzig, bringt mir mit herrlicher Großmuth ein altes Schuldblatt seines Vaters, das er mir noch bezahlen will, kirrt mich in die Rührung hinein, damit ich nur noch großmüthiger, noch edler und heroischer werden, und ihm meine Tochter an den Hals werfen soll. Nein nein, mein junger Herr, so leicht hat er das Spiel bei mir nicht gewonnen. Die Schuld ist kassirt, ich finde keine Spur davon in meinen Büchern, und selbst, wie ich schon sagte, wenn es wäre. Auch will ich Ihm helfen, wie ich versprach, mit Rath und That, mit Freundschaft und Geld, so viel Er nur billigerweise verlangen kann. Aber mein Kind laß Er mir aus dem Spiele, und darum verbitt’ ich mir in Zukunft Seine Gegenwart in meinem Hause. Auch mag sie Ihn gar nicht, so wie ich sie kenne. Sprich, Sophie, wärst Du wohl im Stande, Dich mit einem solchen Thunichtgut einzulassen?

Ich mag gar noch nicht heirathen, sagte Sophie, und diesen wohl am wenigsten, der zu allen Dingen in der Welt besser, als zu einem Ehemann paßt. Halb schmerzhaft und doch lächelnd warf sie dem Jüngling einen scheidenden Blick zu und verließ den Saal. Sophie! rief Eduard aus und wollte ihr nacheilen: wie kannst Du diese Worte sprechen? Der Alte hielt ihn am Kleide fest und machte Miene, ihm noch eine lange Ermahnung zu halten; doch Eduard, der nun die Geduld völlig verloren hatte, nahm seinen Hut, stellte sich vor den Vater und sagte mit einer Stimme, die von Zorn und Schluchzen unterdrückt war: ich gehe, alter Herr, und komme nicht, merken Sie sich das! in Ihr Haus zurück, bis Sie mich rufen lassen! bis Sie mich selber wieder hieher zurück rufen! Ja, bis Sie mich inständig bitten, Ihre Wohnung nicht zu verschmähen! Es kann mir nicht fehlen; Talente, gute Aufführung, Kenntnisse, sie bahnen mir den Weg zu den höchsten Ehrenstellen. Dem Prinzen bin ich schon empfohlen. Das ist aber nur die erste und kleinste Staffel meines Glücks! Ganz andre Wege müssen sich mir eröffnen. Und wenn dann die Stadt es sich zur Ehre rechnet, mich geboren zu haben, wenn ich diese jetzige Stunde ganz vergessen habe, dann sende ich irgend einen Vertrauten von Ansehn zu Ihnen, und lasse unter der Hand anfragen, wie es um Ihre Tochter steht: dann fallen Sie aus den Wolken, daß ich noch an Sie denke, Sie falten andächtig die Hände, daß sich Ihnen die Möglichkeit zeigt, einen solchen Schwiegersohn zu erhalten, — und so, gerade so wird es kommen, und auf diese Weise werde ich Sie zwingen, mir Ihre Tochter zu geben.

Er stürzte fort, und der Vater sah ihm mit zweifelndem Blicke nach und murmelte: nun ist er gar verrückt geworden.

———

Im Freien, als dem jungen Manne ein heftiges Schneegestöber entgegenschlug, verkühlte sich seine sonderbare Hitze; er mußte über seine Heftigkeit und jene unsinnigen Reden erst lächeln, dann laut lachen, und als er sich in seiner Wohnung befand, kam er beim Umkleiden völlig zur Besinnung. Dieser Tag war für ihn von der höchsten Wichtigkeit, denn die Stunde war jetzt da, in welcher er sich dem Prinzen, der unterdessen, wie man ihm gesagt hatte, angelangt war, vorstellen sollte. Die Kleider, welche er jetzt anlegte, hatte er lange nicht getragen, mit solcher Aufmerksamkeit hatte er sich noch nie im Spiegel betrachtet. Er musterte seine Gestalt, und konnte sich nicht verhehlen, daß er gut gewachsen, daß sein Auge feurig, sein Gesicht anmuthig und die Stirne edel sei. Mein erster Anblick, sagte er zu sich selbst, wird ihm wenigstens nicht mißfallen. Alle Menschen, selbst diejenigen, die mich nicht leiden können, loben mein gewandtes und feines Betragen; ich habe manche Talente und Kenntnisse, und was mir mangelt, kann ich bei meiner Jugend, bei meinem trefflichen Gedächtnisse leicht nachholen. Er wird mich lieb gewinnen, und bald werde ich ihm unentbehrlich seyn. Der Umgang mit der großen Welt wird nach und nach alles das wegschleifen, was mir noch von schlechten Gesellschaften anhängen mag. Reise ich nun auch mit ihm, und muß mich etwa ein Jahr, oder selbst noch länger, von hiesiger Gegend entfernen, so dient dies auch in fremden Ländern nur um so mehr dazu, mich in seiner Gunst recht fest zu setzen. Wir kommen dann zurück; meiner Bildung, meinen Ansprüchen kommen durch seine Protection die ansehnlichsten Stellen hier, oder auch im Auslande entgegen, und ich werde gewiß alsdann nicht vergessen haben, daß es doch Sophie eigentlich war, die mein besseres Selbst zuerst aus seinem Schlaf erweckte.

Er war nun angekleidet und so trunken von seinen Hoffnungen, daß er es nicht merkte, wie er wieder die nämlichen Worte vor sich selber aussprach, über welche er sich vorhin verlacht hatte. Er nahm die ganz erblühte Monatsrose aus dem Glase, und drückte sie, um sich zu seinem Gange zu stärken, an den Mund, aber zugleich fielen ihm alle ihre Blätter vor die Füße. Eine üble Vorbedeutung! seufzte er und ging aus dem Hause, um in den Wagen zu steigen.

Als er im Palast angelangt war, gab er dem Bedienten den Brief, welcher ihn dem Prinzen empfehlen sollte. Indem er den Spiegelwänden vorüber spazierte, kam zu seiner Verwunderung der junge Dietrich aus einem Seitenzimmer in verstörter Eile, und bemerkte anfangs seinen Befreundeten nicht. Wie kommen Sie hieher? fragte Eduard hastig. Kennen Sie den Prinzen? — Ja, — nein, — stotterte Dietrich, — es ist eine sonderbare Sache, die wohl, — ich will es Ihnen erzählen, aber freilich wird hier keine Zeit dazu seyn.

Dies war in der That der Fall, denn eine geschmückte, in Juwelen prangende Dame schritt mit vornehmem Anstande herein, und vertrieb den jungen Maler, der sich mit ungeschickten Verbeugungen entfernte. Eduard stand still, als die glänzende Erscheinung ihm näher kam; er wollte sich verneigen, aber sein Erstaunen lähmte seine Bewegung, als er in ihr jene Schöne plötzlich erkannte, die zum Nachtheil seines Rufes so lange in seinem Hause gewohnt, und mehr als alle seine Verirrungen sein Vermögen verringert hatte. Wie! rief er aus, — Du selbst — Sie, hier in diesen Zimmern?

Und warum nicht? sagte sie lachend. Es wohnt sich gut hier. Du merkst doch wohl, mein Freund, daß ich, wie einst Deine Freundin, so jetzt die Freundin des Fürsten bin, und wenn Du etwas bei ihm suchst, so kann ich Dir Ungetreuem vielleicht beförderlich seyn, denn er hat mehr Gemüth, als Du, und auf seine fortdauernde Gunst kann ich sicherer zählen, als es mir mit Deinem Flattersinn gelingen wollte.

Eduard mochte die freundliche Schöne in dieser Stunde nicht daran erinnern, daß sie sich zuerst von ihm entfernt hatte, als sie gesehen, daß sein Vermögen verschwendet war; er entdeckte ihr seine Lage und seine Hoffnungen, und sie versprach, sich mit dem besten Eifer für ihn zu verwenden. Sei nur ruhig, mein Freund, so beschloß sie ihre Versicherungen, es kann und soll Dir nicht fehlen, und dann wird es sich ja zeigen, ob Du noch ein Fünkchen Liebe in Deinem kalten Herzen für mich aufbewahrt hast. Nur mußt Du vorsichtig seyn und in seiner Gegenwart fremd gegen mich thun, damit er nie erfährt oder merkt, daß wir uns schon sonst gekannt haben.

Mit einem flüchtigen Kuß, wobei die geschminkte Wange ihm einen lebhaften Widerwillen erregte, verließ sie ihn, und Eduard ging mit dem größten Mißbehagen im Saale auf und ab, da sich Alles so ganz anders gestaltete, als er es sich vorgebildet hatte. Dieses Wesen, welches er hassen mußte, in seiner neuen Umgebung zu finden, schlug alle seine Hoffnungen nieder, und er nahm sich fest vor, ihren Netzen und Lockungen zu entgehen, und wenn diese seine Tugend ihm auch die größten Nachtheile bringen sollte.

Indem öffnete sich die Thüre, und jener ihm so widerwärtige Unbekannte trat mit seinem hoffärtigen Gange und stolzer Geberde herein.

Eduard ging ihm entgegen und sagte: vielleicht gehören Sie zum Gefolge Seiner Durchlaucht, und können mir melden, ob ich jetzt die Ehre haben kann, ihm meine Aufwartung zu machen.

Der Fremde stand still, sah ihn an, und nach einer Pause antwortete er in kaltem Tone: das kann ich Ihnen freilich sagen; keiner besser als ich. — Eduard erschrack, da er den Empfehlungsbrief in seinen Händen bemerkte. Will mich der Prinz nicht sprechen? fragte er bestürzt. Er spricht mit Ihnen, antwortete jener, und mit so höhnendem und wegwerfendem Tone, daß der junge Mann alle Fassung verlor. Ich halte mich schon seit einiger Zeit in dieser Stadt auf, fuhr der vornehme Fremde fort, und habe Gelegenheit gefunden, Menschen und Verhältnisse durch mein Incognito kennen zu lernen. Wir sind uns auf eine etwas sonderbare Art nahe gekommen, und wenn ich auch jenen Schritt, von dem Sie wohl selbst wissen, daß er kein ganz unschuldiger war, entschuldigen könnte, so hat er mir doch ein gerechtes Mißtrauen gegen Ihren Charakter eingeflößt, so daß ich unmöglich Ihnen eine Stelle einräumen kann, die uns in eine vertrauliche Nähe rücken würde. Ich gebe Ihnen also diesen Brief zurück, den ich, trotz seiner warmen Empfehlung, und obwohl er aus höchst achtungswürdigen Händen kommt, nicht berücksichtigen kann. Insofern Sie mich persönlich beleidigt haben, ist Ihnen, da Sie mich nicht kannten, völlig vergeben, und Ihre jetzige Beschämung und Verwirrung ist mehr als hinlängliche Strafe. Ein junger Mann verließ mich eben, von dem ich ein ziemlich wohlgerathenes Bild gekauft habe, und welchem ich auch einige Warnungen und gute Lehren für seine Zukunft mitgegeben habe. — Ich sehe, daß unser Zusammentreffen Sie etwas zu sehr erschüttert, und da Sie vielleicht auf jene Stelle schon mit zu großer Sicherheit gerechnet hatten, und wohl in augenblicklicher dringender Verlegenheit sind, so empfangen Sie diesen Ring zu meinem Andenken und zum Zeichen, daß ich ohne allen Groll von Ihnen scheide.

Eduard, welcher indeß Zeit gehabt hatte, sich wieder zu sammeln, trat mit Bescheidenheit einen Schritt zurück, indem er sagte: rechnen Sie es mir, Durchlauchtiger Prinz, nicht als Stolz und Uebermuth an, wenn ich dieses Geschenk, welches mir unter andern Umständen höchst ehrenvoll seyn würde, in dieser Stunde ausschlage. Ich kann Ihre Art nicht mißbilligen, und Sie erlauben mir gewiß, ebenfalls meinem Gefühle zu folgen.

Junger Mann, sagte der Prinz, ich will Sie nicht verletzen, und da Sie mir Achtung abzwingen, so muß ich Ihnen auch noch sagen, daß wir uns, ungeachtet der sonderbaren Art, unsre Bekanntschaft zu machen, vereinigt hätten, wenn nicht eine Person, die ich achten und der ich glauben muß, und welche Sie vorhin in diesem Saale traf, mir so viel Nachtheiliges von Ihnen gesagt, und mich dringend ersucht hätte, auf den Brief keine Rücksicht zu nehmen.

Ich werde, sagte Eduard wieder ganz heiter, dem Beispiele dieser Dame nicht folgen, und sie wieder anklagen, noch mich über sie beklagen, da sie gewiß nur ihrer Ueberzeugung gemäß gesprochen hat. Wenn mir aber Ihre Durchlaucht die Gnade erzeigen wollen, das Bild des jungen Dietrich, so wie einige Ihrer andern Gemälde zu zeigen, so werde ich mit der größten Dankbarkeit von Ihnen scheiden.

Es freut mich, antwortete der Prinz, wenn Sie Interesse an der Kunst nehmen; ich habe zwar nur Weniges hier, aber ein Bild, das ich vor einigen Tagen so glücklich war, zu dem meinigen zu machen, wiegt allein eine gewöhnliche Sammlung auf.

Sie traten in ein reich verziertes Kabinet, wo an den Wänden und auf einigen Staffeleien ältere und neuere Bilder sich zeigten. Hier ist der Versuch des jungen Mannes, sagte der Prinz, welcher allerdings etwas verspricht, und ob ich gleich dem Gegenstande keinen Geschmack abgewinnen kann, so ist doch die Behandlung desselben zu loben. Die Färbung ist gut, wenn auch etwas grell, die Zeichnung ist sicher und der Ausdruck rührend. Nur sollte man die Marien mit dem Kinde endlich zu malen aufhören.

Der Prinz zog einen Vorhang auf, stellte Eduard in das rechte Licht und rief: sehn Sie aber hier dies gelungene, herrliche Werk meines Lieblings, des Julio Romano, und erstaunen Sie, und entzücken Sie sich!

Mit einem lauten Ausrufe, und mit einem höchst freudigen, ja lachenden Gesicht mußte Eduard in der That dieß große Bild begrüßen; denn es war das wohlbekannte Machwerk seines alten Freundes, an welchem dieser schon seit einem Jahre gearbeitet hatte. Es war Psyche und der schlafende Amor. Der Prinz stellte sich zu ihm und rief: daß ich diesen Fund gethan habe, bezahlt mir allein schon die Reise hieher! Und bei jenem alten, unscheinbaren Manne habe ich dieses Kleinod angetroffen! Ein Mann, welcher selbst als Künstler keine unbedeutende Rolle spielt, aber doch bei weitem nicht so erkannt wird, wie er sollte. Er besaß das Gemälde schon lange und wußte, daß es vom Julio sei; indessen da er nicht Alles gesehen hat, so waren ihm immer noch einige Zweifel geblieben, und er war erfreut, von mir so viele nähere Umstände von diesem Meister und seinen Werken zu erfahren. Denn freilich hat er Sinn, der Alte, und weiß wohl ein solches Juwel zu würdigen; aber er ist nicht in alle Trefflichkeiten des Malers eingedrungen. Ich würde mich geschämt haben, seine Unkenntniß zu benutzen, denn er foderte für diese herrliche Arbeit, zu der er auf sonderbare Weise gekommen ist, einen zu mäßigen Preis; ich habe diesen erhöht, um die Zierde meiner Gallerie auch auf eine würdige Art bezahlt zu haben.

Er ist glücklich, sagte Eduard, der verkannte alte Mann, einen solchen Kenner und edlen Beschützer zum Freunde gewonnen zu haben; vielleicht ist er im Stande, die Gallerie Eurer Durchlaucht noch mit einigen Seltenheiten zu vermehren, denn er besitzt in seiner dunkeln Wohnung Manches, was er selbst nicht kennt oder würdigt, und ist eigensinnig genug, seine eignen Arbeiten oft allen ältern vorzuziehn.

Eduard empfahl sich, ging aber nicht sogleich nach Hause, sondern eilte, so leicht bekleidet er auch war, nach dem Park, rannte lustig durch die abgelegenen, mit Schnee bedeckten Gänge, lachte laut und rief: o Welt! Welt! Lauter Fratzen und Albernheiten! O Thorheit, du buntes, wunderliches Kind, wie führst du deine Lieblinge so zierlich an deinem glänzenden Gängelbande! Lange lebe der große Eulenböck, er, der trefflicher, als Julio Romano oder Rafael ist! Habe ich doch nun auch einmal einen Kenner kennen gelernt.

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Eduard hatte nun Anstalten zu dem lustigen Abend gemacht, welchen er mit Eulenböck verabredet hatte. Vor Kurzem war ihm dieser Tag als ein lästiger erschienen, den er nur bald hinter sich zu haben wünschte; jetzt aber war seine Stimmung so, daß er sich auf diese Stunden der Betäubung freute, weil er meinte, daß sie für lange Zeit seine letzten vergnügten seyn würden. Gegen Abend erschien der Alte, und schleppte mit einem Diener zwei Körbe mit Wein herbei. Was soll das? fragte Eduard: ist es denn nicht ausgemacht, daß ich Euch bewirthen soll? Das sollst Du auch, sagte der Alte, nur bringe ich einigen Vorrath zum Succurs, weil Du die Sache doch eigentlich nicht verstehst, und weil ich auch an diesem Abend recht ausgelassen seyn will.

Ein trauriger Vorsatz, erwiederte Eduard, lustig seyn zu wollen, und dennoch habe ich ihn auch gefaßt, mir und meinem Schicksal zum Trotz.

Sieh da, sagte Eulenböck lachend, hast Du auch ein Schicksal? Das hab’ ich gar nicht einmal gewußt, junger Bursche; mir schien das Wesen sich immer höchstens zum Verhängniß hin zu neigen. Aber vornehmer ist das andere ohne Zweifel, und vielleicht wird es noch zum Geschick, wenn Du erst etwas klüger geworden bist. Ja, ja, Freund, Geschick, das ist es, was den meisten Menschen fehlt, Verstand, Umstände zu nutzen, oder sie hervor zu bringen, und darüber gerathen sie in’s Schicksal, oder gar in das noch fatalere Verhängniß, wo sich dann nicht immer eine christliche Hand findet, sie wieder los zu schneiden.

Du bist unverschämt, rief Eduard aus, und glaubst witzig zu seyn; oder Du hast Dir gar schon einen Rausch getrunken.

Kann seyn, mein Kind, schmunzelte jener, und wir wollen bald die Anstalten treffen, mich wieder nüchtern zu machen. Unser gutes Prinzchen hat mich in eine Art von Wohlstand versetzt, der, wenn ich Vernunft habe, ein dauernder seyn kann; denn er protegirt mich trefflich, wird mir noch mehr abkaufen, und auch Sachen von meinem eignen Pinsel malen lassen. Er meint, ich wäre hier in dieser Stadt nicht an meiner Stelle, man erkenne mich nicht genug an, und es mangle mir an Aufmunterung. Vielleicht nimmt er mich mit, und bildet mich noch zum ächten Künstler aus, denn er hat den besten Willen dazu, und ich gerade Sinn und Talent genug, um ihn zu verstehn und mir von ihm rathen zu lassen.

Schelm der Du bist! sagte sein junger Freund: ich habe lachen müssen, daß Du Deinen Julio Romano so vortheilhaft verkauft hast; aber ich möchte denn doch nicht an Deiner Stelle seyn.

Der Alte ging auf ihn zu, sah ihn starr an und sagte: Und warum nicht, Kleiner? Wenn Du nur die Gabe dazu hättest! Jeder Mensch malt und pinselt an sich herum, um sich für besser auszugeben, als er in der That ist, und für ein wunderbares köstliches Original zu gelten, da die meisten doch nur geschmierte Copieen von Copieen sind. Hättest Du meinen Gönner das Bild nur analysiren hören, da hättest Du etwas lernen können! Nun verstehe ich erst alle die Kunst-Absichten des Julio Romano; Du glaubst nicht, wie viel Treffliches ich an dem Bilde übersehen hatte, wie viele Stellen seines markigen Pinsels. Ja, es ist eine Freude, einen solchen Künstler so recht zu durchdringen, und wenn man ihn ganz und in allen seinen Theilen zugleich faßt, so überschleicht uns im vollständigen Gefühl seines hohen Werthes eine wohlthätige Empfindung, als hätten wir auch an seiner Herrlichkeit einigen Antheil; denn ein Kunstwerk ganz verstehen, heißt, es gewissermaßen erschaffen. Wie großen Dank bin ich meinem erlauchten Gönner und Kenner schuldig, daß er mir auch außer dem Gelde noch eine solche Fülle von Künstlerweihe zufließen läßt.

Wenn ich ihn nicht an der Tafel hätte malen sehen, rief Eduard lächelnd aus, so könnte er mich glauben machen, das Bild sei ein ächtes!

Was hast Du gesehen? antwortete im Eifer der Alte: was verstehst Du von der Magie der Kunst und jenen unsichtbaren Geistern, die sich durch die Farbe und Zeichnung herbei ziehn und verkörpern lassen? Das sind eben Geheimnisse für den Laien. Glaubst Du denn, man malt nur, um zu malen, und daß es mit Pallette, Pinsel und dem guten Vorsatze genug sei? O theurer Gelbschnabel, da müssen noch gar wunderbare Conjuncturen, astralische Einflüsse und Wohlwollen mannigfaltiger Geister zusammen treffen, um etwas Rechtschaffenes zu Stande zu bringen! Hast Du es noch niemals erlebt, daß ein feinsinniger, tiefdenkender Künstler sein Tuch und Netz ausspannt, und seine Pinsel in die besten Farben taucht, um das schönste Ideal in sein Netz zu locken und hinein zu kitzeln? Er hat sich redlich vorgenommen, einen Apollo zu malen, er streicht und tuscht, und wischt und bürstet, und lächelt verliebt und mit süßester Freundlichkeit die Creatur an, die aus dem Nichts und Nebel hervor gehen soll; und wenn es nun fertig ist, siehe da, so hat sich in alle die künstlichen Netze ein wahrer Lümmel eingefangen, der aus der arkadischen Landschaft uns zähnefletschend entgegen grinzt! Nun kommen die Unverständigen und schreien und toben: der Malerkerl hat kein Talent, er hat die Antike nicht gehörig verstanden, er hat statt eines Ideals ein Schmierial hervorgebracht! und was dergleichen unverdaute Urtheile mehr ausgestoßen werden. So wird alsdann das gerührte Herz des Künstlers verkannt, dem sich ein wahrer Teufel, eine Höllenbrut statt eines Himmelsengels in seiner künstlichen Krebsreuse gefangen hat. Denn auch diese Geister streifen herum, und lauern nur darauf, wo sie sich verkörpern können. Bildwerke, die etwa untergehn, treiben sich oft lange geängstigt im leeren Raume um, bis ein freundlicher und der Sache gewachsener Mann ihnen wieder Gelegenheit verschafft, sichtlich herab zu steigen. Es hat mich Mühe genug gekostet, dieses Gedichts des trefflichen römischen Malers wieder habhaft zu werden; es erfodert mehr Studium, als Du daran wandtest, wenn Du in der Jugend dem Nachbar seine Tauben wegfingst. Wenn Du der Meinung bist, daß der Mensch, um eine heilige Geschichte zu malen, nicht seine ganze Andacht dem Gegenstande entgegen bringen muß, so bist Du sehr im Irrthum, aus dem Dich unser junger Freund, der talentvolle Dietrich, am ersten reißen könnte.

Dietrich, welcher eingetreten war und nur die letzte Aeußerung gehört hatte, nahm sogleich Gelegenheit, diesen letzten Satz weitläufiger auszuführen. Indessen ließ Eulenböck decken, und stellte die Weine in die Ordnung, nach welcher sie genossen werden sollten; nachher wandte er sich mit der Frage an Eduard: und was denkst Du nun in Zukunft anzufangen?

Für’s Erste nicht viel, antwortete dieser: indessen will ich meine vernachlässigten Studien wieder anknüpfen und fortsetzen, und mich vorzüglich mit Geschichte und den neuern Sprachen beschäftigen. Ich schränke mich ein, vermiethe die übrigen Theile meines Hauses, welches mir doch ohne Nutzen leer steht, und behalte nur diesen kleinen Saal und die angränzenden Zimmer. So hoffe ich, ohne Sorgen, bei einer vernünftigen Lebensart, über die ersten Jahre hinüber zu kommen, und mich indeß zu irgend einem Amte tauglich gemacht zu haben.

Hier also wird Dein Museum seyn? sagte Eulenböck, indem er mit dem Kopfe schüttelte. Diese Einrichtung will mir gar nicht gefallen, denn ich glaube nicht, daß diese Wände dazu geeignet sind, um hier gehörig studiren zu lassen, denn sie haben nicht die gehörige Resonnanz, das Zimmer selbst hat nicht die wahre Quadratur, die Gedanken schlagen zu heftig zurück und verschwirren, und wenn Du einmal eine rechte Fuge denken willst, so klappert gewiß Alles durch einander. Dein seliger Papa war auch darin wunderlich, noch in seinen letzten Jahren diesen schönen Saal durch seinen Eigensinn so zu verderben. Sonst sah man die Straße auf der einen Seite, und hier auf der andern über den Garten und den Park hinweg in die Hügel und fernen Berge hinein. Diese schöne Aussicht hat er nicht nur zumauern lassen, sondern auch noch die Fensteröffnungen mit Bohlen und Täfelung weit herein verbaut, und so das Ebenmaaß des Zimmers gestört. An Deiner Stelle riss’ ich das Wesen, Tapeten und Vertäfelung wieder auf, und ließe, wenn doch einmal Fenster fehlen sollen, jene nach der Straße vermauern.

Es war kein Eigensinn, sagte Eduard, es geschah, da er hier am liebsten wohnte, seiner Gesundheit wegen; der Morgenwind von hier schadete ihm, und erregte ihm Gichtschmerzen. Konnte er doch in den andern Zimmern die grüne Aussicht genießen.

Wäre nur der alte Walther kein Narr, fuhr Eulenböck fort, so wäre Dir leicht geholfen. Er könnte Dir das Mädchen geben, die ja doch versorgt werden muß, und Alles wäre wieder in Ordnung!

Schweig! rief Eduard mit der größten Heftigkeit aus: nur heute laß mich vergessen, was ich hoffte und träumte. Ich mag nicht mehr an sie denken, seit ich zu meinem Entsetzen fühlte, daß ich sie liebe. Ich will es mir nicht wiederholen, wie albern und thöricht ich mich gegen den Vater betrug; nichts soll mir heut einfallen, auch ihre unbegreifliche Aufführung nicht. Nein, es gab ein herrliches Glück für mich, ich habe es zu spät erkannt; das ist die Strafe meines Leichtsinns, daß ich auf ewig darauf verzichten muß! Wie ich aber ohne sie leben soll, muß ich erst von der Zukunft lernen.

Indem trat der junge Mensch herein, der bis jetzt Eduards Bibliothekar vorgestellt hatte. Hier ist der Catalog, welchen Sie befohlen hatten, sagte er, indem er dem beschämten Jünglinge einige Blätter überreichte. Wie? rief dieser aus, nicht mehr als nur etwa sechshundert Bände sind noch von der schönen Sammlung übrig? Und unter diesen nur die gewöhnlichsten Werke? Der Bibliothekar zuckte mit den Achseln. Da Sie mir gleich vom Anbeginn, erwiederte er, meinen Gehalt in Büchern ausgezahlt haben, so mußte ich diejenigen nehmen, die am ersten Käufer fanden; auch bin ich nicht genug Kenner von Seltenheiten, und habe diese wohl nicht genug gewürdiget; außerdem haben Bücher, vorzüglich Raritäten, zu verschiedenen Zeiten einen ungleichen Werth, und ist der Verkäufer gedrängt, um eine Summe zu erhalten, so muß er fast nehmen, was ihm geboten wird.

So hätt’ ich also, sagte Eduard halb in Wehmuth, halb mit Lachen, gewiß besser gethan, gar keinen Bibliothekar anzunehmen, oder die Sammlung gleich anfangs zu verkaufen, dann hätte ich Geld dafür gehabt, oder die Bücher behalten. Und welche Sammlung! Mit welcher Liebe hat sie mein Vater gehegt! Welche Freude war es ihm, als er den seltnen Petrark, die erste Ausgabe des Dante und Boccaz erhielt! Wie konnt’ ich es vergessen, daß sich in den meisten Büchern Nachweisungen von seiner Hand finden! Wie wollt’ ich diese Werke ehren, wenn ich sie noch besäße! Uebrigens, da ich keine Bibliothek mehr habe, werden Sie ermessen, wie ich Ihnen auch schon neulich meldete, daß ich keines Bibliothekars mehr bedarf. Indessen wollen wir heut noch mit einander fröhlich seyn.

Jetzt trat auch der Mann herein, der oft an den wilden Gelagen Theil genommen hatte, und den sie wegen seiner Gesinnungen immer nur den Pietisten nannten. Sie hatten ihm diesen Namen beigelegt, weil er nie in die heitern Scherze oder ausgelassene Fröhlichkeit der Andern stimmte, sondern unter Murren und moralischen Betrachtungen seinen Antheil am Mahle verzehrte. Nun fehlt nur noch das Krokodill, rief Eulenböck aus, so sind wir beisammen. Dies war ein kleiner hypochondrischer Buchhalter, blaß und eingeschrumpft, aber einer der größten Trinker. Den sonderbaren Namen hatten sie ihm beigelegt, weil er alsbald, so wie ihn der kleinste Rausch anwandelte, in Thränen ausbrach, und diese um so reichlicher vergoß, je länger das Gelag dauerte, und je ausgelassener die Uebrigen waren. Die Thüre öffnete sich, und die Jammergestalt machte den wunderlichen Kreis der Gäste vollständig.

Die Tafel war mit Trüffelpasteten, Austern und andern Leckerbissen bedeckt; man setzte sich, und Eulenböck, dessen purpurrothes Gesicht zwischen den Kerzen einen ehrwürdigen Schein von sich gab, begann auf feierliche Weise also: Meine versammelten Freunde! Ein Unwissender, der plötzlich in diesen Saal träte, könnte von diesen Anstalten, die den Schein eines Festes haben, verleitet werden, im Fall er die Mitglieder dieser Gesellschaft nicht näher kennen sollte, die Meinung zu fassen, es sei hier auf Schwelgerei, Trinken, Tumult und ausgelassene Lustigkeit, die nur der rohen Menge ziemt, angelegt worden. Selbst ein junger Künstler, Dietrich mit Namen, der zum ersten Mal unter uns an diesem Tische sitzt, läßt verwundernde Blicke auf die Menge dieser Flaschen und Gerichte, auf diese Gansleberpastete, auf diese Austern und Muscheln, und auf den ganzen Apparat einer Feierlichkeit schießen, der ihm hier einen übertriebenen sinnlichen Genuß zu versprechen scheint, und auch er wird sich wundern, wenn er erfährt, wie alles dies so ganz anders und im entgegengesetzten Sinne gemeint sei. Meine Herren, ich bitte, Acht zu geben, und meine Worte nicht zu leicht in das Ohr fallen zu lassen. Wenn Länder die Geburt eines Prinzen feierlich begehn, wenn in Arabien ein ganzer Stamm sich festlich freut, indem sich ein Dichter in ihm gezeigt und hervor gethan hat, wenn die Installation des Lord-Mayor mit einem Schmause verherrlicht wird, ja wenn man die Geburtsstunde der Pferde von echter Race nicht unbillig auf nachdenkliche Weise auszeichnet: so liegt es uns ja wohl noch näher (um nicht mit einem Antiklimax zu schließen) aufzuschauen, gerührt zu seyn und etwa mit Gläsern anzustoßen, wenn das Unsterbliche sich uns zeigt, wenn die Tugend uns würdigt, körperlich vor uns zu erscheinen. Ja, meine Freunde, gerührten Herzens spreche ich es aus, ein junger angehender Tugendhafter ist unter uns, der noch heut Abend sich als eingepuppter Schmetterling durchbeißen, und seine Schwingen im neuen Leben entfalten wird. Es ist Niemand anders, als unser edler Wirth, der uns so manchen Schmaus gegönnt, so manches Glas eingeschenkt hat. Aber ein feuriger Vorsatz, abgerechnet, daß er selbst auf dem Trocknen sitzt, jener Impetus der Begeisterung, von dem schon die Alten sangen, reißt ihn nun von uns in lichte Höhen hinauf, und wir, von diesem Tisch und Flaschen und Schüsseln, seiner irdischen Grabesstätte, schauen ihm schwindelnd nach, staunend, welchen fremden Regionen er nun zusteuern wird. Ich sage Euch, Theuerste, er wälzt unendlich viele und treffliche Entschlüsse in seinem Busen: und was kann der Mensch, selbst der schwächste und unansehnlichste, nicht entschließen! Habt Ihr es wohl je schon erwogen (aber in Euerm Leichtsinn denkt Ihr nicht an dergleichen), daß in einer unscheinbaren Mappe, wenn sie nur etwa hundert gezeichnete Landschaften enthält, sich eine Strecke von tausend Meilen verbergen kann, und daß sie selbst doch nicht mehr Raum einnimmt, als ein mäßiger Foliant? Denn Perspektive liegt dort neben Perspektive, und Berg und Thal und Fluß und weite, unendliche Aussichten. So mit den Vorsätzen! so schwächlich unser Pietist, oder Herr Dietrich aussieht, so können sie doch gewiß an guten Entschlüssen mehr als zehn Elephanten, oder zwanzig Kameele tragen. Wie schwach ich selbst in dieser Tugend bin, weiß ich am besten, und daher meine Verehrung vor denen, an welchen ich diese Kräfte wahrnehme.

Da wir nun nicht alle der Begeisterung fähig sind, so sitzen wir hier an diesem Tische, wie an einem Kreuzwege, an welchem sich viele Straßen in mannigfaltigen und entgegengesetzten Richtungen scheiden. Auf dergleichen Hauptstationen pflegen auf pyramidalischer Säule die Entfernungen der Städte nach allen vier Weltgegenden verzeichnet zu stehn. So mag es auch hier, in einem nicht unerfreulichen Bilde, gelten. Diese Austern führen, übermäßig genossen, zur Krankheit, dieser Burgunder nach einigen Stationen zu rothen Nasen, diese Trüffeln und was ihnen anhängt, zu Wassersucht, Magenkrampf und ähnlichen Uebeln. Unser Eduard aber, alles dies verschmähend, wandelt zur Tugend. So fahre denn wohl auf Deinem einsamen Pfade, und wir, die wir entzündete Gesichter, dicke Bäuche und kurzen Athem nicht so sehr scheuen, gehn unsre Straße fort. Aber auch ich werde Euch bald verlassen, Theuerste; ein edler Unbekannter, den ich Euch noch nicht nennen darf, wird mein Kunstgenie zu den höchsten Leistungen begeistern, er wird mich in fernen Regionen einer idealischen Weihe empfänglich machen, und so zu sagen, vergeistigen. Unser frommer, gemüthlicher Dietrich, den wir kaum kennen lernten, wandelt den Kunstdom entlang, und schmückt die vaterländischen Altäre. Was soll ich von Dir sagen, Bibliothekar, der Du vor den leeren Bücherschränken stehst, und die Werke nicht blos gelesen, sondern buchstäblich verschlungen hast? O Du verlesener Mensch, Du von der Secte des muselmännischen Omar, Kienraupe der Bibliotheken, Verwüster der Schriften, der Du eine neue alexandrinische Sammlung blos durch die treffliche neue Erfindung, Dein Salar nicht geistig, sondern wirklich aus den Schriften zu ziehn, vernichten könntest. Alle Buchhändler des römischen Reiches sollten Dich umher senden, um mit Deiner zerstörenden Kraft die Sammlungen zu zerstieben und neue Werke nothwendig zu machen. Du, mehr als Recensent und schlimmer als Saturnus, der doch nur verzehrte, was er selbst erzeugt: Wo sind sie, Deine Untergebenen, Deine Mündel, die mit goldnem Rücken und Schnitt Dich so freundlich anlachten? Versilbert hast Du sie alle, und schon nach wenigen Jahren Deine silberne Hochzeit mit ihnen gefeiert. Lebe denn wohl, auch Du, Pietist, redlichster unter den Sterblichen, Du Hasser aller Poesie und Lüge! Reich mir die Hand zum Abschied, armes Krokodill, das schon in Thränen schwimmt; im Sumpf einer Taverne mußt Du künftig heulen. In einem bessern Leben sehn wir uns alle wieder.

Da Eduard nachdenkend war, und Dietrich in der Gesellschaft noch fremd, der Bibliothekar und Pietist keine Miene verzogen, so herrschte während und nach der Rede ein tiefes Stillschweigen, welches dadurch noch feierlicher wurde, daß der Buchhalter, der schon manches Glas geleert hatte, schluchzte und jammerte.

Heut ist der Abend der heiligen Drei-Könige, sagte Eduard, und wie es noch in manchen Gegenden Sitte ist, sich an diesem Tage zu beschenken, so wünsche ich, daß meine bisherigen Genossen und Freunde auch diese Nacht in froher Geselligkeit mit mir verbringen.

An diesem Abend, fuhr Eulenböck fort, ist es nicht unschicklich, einmal anders, als gewöhnlich zu leben; daher waren sonst Glücksspiele gebräuchlich, wenn sie auch übrigens verboten waren. Und wie gut wäre es für Dich, Freund Eduard, wenn heute auch Dein Glücksstern von Neuem erwachte, daß dem verarmten Verschwender ein neues Vermögen bescheert würde. Man hat wunderliche Erzählungen, wie verzweifelte Jünglinge sich in der Armuth haben in ihrem väterlichen Hause erhängen wollen, und siehe da, der Nagel fällt mit dem Balken der Decke herab, und mit beidem zugleich viele tausend Goldstücke, die der vorsorgende Vater dorthin versteckt hatte. Beim Lichte besehen, eine dumme Geschichte. Konnte der Vater denn wissen, daß der Sohn für das Hängen eine besondere Vorliebe haben würde? Konnte er wohl berechnen, daß der Körper des Desperaten noch schwer genug bleibe, den verborgenen Schatz durch sein Gewicht aufzudecken und herab zu ziehn? Konnte der verlorene Sohn nicht schon früher einen Kronenleuchter dort anbringen wollen, und das Geld finden? Kurz, tausend gegründete Einwürfe kann die vernünftige Kritik diesem schlecht erfundenen Mährchen machen.

Ohne daß Du immer wieder auf diesen Vorwurf zurück kommst, sagte Eduard empfindlich, schilt mein eignes Gewissen, meinen Leichtsinn und thörichte Verschwendung. Wären die Leidenschaften nicht unbändig, die ihren Stolz darein setzen, die Vernunft zu verhöhnen, so hätten die Moralprediger nur leichte Arbeit. Es ist ganz begreiflich, wenn die armen Menschen glauben, von bösen Geistern besessen zu seyn. Denn wie soll man es erklären, daß man dem Schlimmen folgt, indem man das Bessere einsieht, ja daß wir oft zum Letztern selbst in unsern wildesten Stunden mehr Trieb, als zum Unrecht empfinden, und dennoch, uns selbst zum Trotz, jeder Einsicht den Rücken kehren, und schon vor der begangenen That von unserm Gewissen gequält werden? Es muß eine tiefgewurzelte Verderbniß in der menschlichen Natur seyn, die sich auch nie ganz zum Edeln erziehn, oder durch Pfropfreiser der Tugend umwandeln läßt.

So ist es, sagte der Pietist: der Mensch an sich taugt nichts, er ist gleich in der Schöpfung mißrathen. Er kann nur geflickt werden, und die Lappen bleiben immer auf dem alten schäbigen Tuche sichtbar.

Ja wohl, seufzte das Krokodill, es ist zu bejammern, und immer wieder zu bejammern. Die Thränen flossen ihm dicht aus den weinglühenden Augen.

Als Du mich zum ersten Mal in jene Weinschenke führtest, fuhr Eduard zum alten Maler gewendet fort, machte es mir denn Freude, mich in dem Kreise dieser rohen und langweiligen Menschen zu sehn? Ich war beschämt, als der Herr der Schenke mir mit einer Ehrfurcht entgegen kam, als sei ich einer der Götter, vom Olymp herabgestiegen. Dergleichen Ehre war seinem Hause noch niemals widerfahren. Bald gewöhnte man sich an die Gegenwart meiner Herrlichkeit, und immer zog es mich wider meinen Willen in den Weinduft des Zimmers, in das schreiende Gespräch und an meine Wand hin, wie ein Zauber, der auch nicht riß, als die Gesichter des Wirthes und seiner Leute kälter, ja verdrossen wurden, als man mein Wort nicht mehr beachtete, und geringere Gäste anständiger behandelte; denn durch meine Nachlässigkeit war ich schon in eine bedeutende Schuld gerathen, um welche man mich mit grober Zudringlichkeit mahnte. Noch schlimmer ging es einem armen Lumpen, einem täglichen Gast, auf den man fast nie hörte, der oft verdorbenen Essig erhielt, und sich doch nicht beschweren durfte; er war die Zielscheibe des witzigen Gesindes, der Gegenstand des Hohns und Mitleids der übrigen Fremden, so wie seiner eignen furchtsamen Verachtung. Und so schlecht man ihn behandelte, mußte er doch theurer als Alle bezahlen, und ward betrogen, ohne klagen zu dürfen, indeß sein Gewerbe versäumt ward, und Frau und Kinder zu Hause schmachteten. In diesem Spiegel sah ich nun mein eignes Elend, und als einmal ein redlicher Handwerker von unbescholtenem Wandel dort zufällig einkehrte, und von Allen als eine seltene Erscheinung mit Hochachtung begrüßt wurde, erwachte ich endlich aus dem Schlummer meiner Ohnmacht, bezahlte, was nur meine Trägheit versäumt hatte, und suchte auch jenen Elenden zu retten, daß er nicht ganz versank. Aber so ist es, daß selbst diejenigen, die sich vom Leichtsinnigen und Taugenichts bereichern, diesen verachten, und dem Würdigen, der ihnen aus dem Wege geht, ihre Ehrfurcht nicht versagen können. So habe ich meine Zeit und mein Vermögen unwürdig verschleudert, um Verachtung einzukaufen.

Sei still, Sohn, rief Eulenböck, Du hast auch mancher armen Familie Gutes gethan.

Laß uns davon schweigen, antwortete Eduard in Unmuth: auch das geschah ohne Sinn, so wie ich ohne Sinn Aufwand machte, ohne Sinn reisete, spielte und Wein trank, und weder mir noch Andern eine gute Stunde zuzubereiten verstand.

Das ist freilich schlimm, sagte der Alte, und was den lieblichen Wein betrifft, eine Sünde. Aber seid munter und trinkt, ihr wackern Gehülfen, damit auch der Wirth in die Stimmung komme, die ihm geziemt.

Es bedurfte aber dieser Aufmunterung nicht, denn die Tischgesellschaft war unermüdet. Selbst der junge Dietrich trank fleißig, und Eulenböck ordnete an, wie die Weine auf einander folgen sollten. Heute gilt es! rief er aus, die Schlacht muß gewonnen werden, und der Sieger erzeigt den Besiegten keine Gnade. Seht in mein kriegerisches Antlitz, Ihr jüngern Helden, hier hab’ ich die rothe Blutfahne dräuend ausgehängt, zum Zeichen, daß kein Erbarmen statt finden soll! Nichts in der Welt wird so mißverstanden, Freunde, als der scheinbar einfache Actus, den die Menschen so obenhin trinken nennen, und keine Gabe wird so verkannt, so wenig gewürdiget, als der Wein. Könnt’ ich wünschen, der Welt einmal nützlich zu werden, so möcht’ ich eine aufgeklärte Regierung dahin bewegen, einen eignen Lehrstuhl zu errichten, von wo herab ich die unwissende Menschheit über die trefflichen Eigenschaften des Weines unterrichtete. Wer trinkt nicht gern? Es giebt nur wenige Unglückselige, die das mit Wahrheit von sich versichern können. Aber es ist ein Erbarmen, anzusehn, wie sie trinken, ohne alle Application, ohne Styl, Schatten und Licht, so daß sich kaum die Spur einer Schule findet; höchstens Colorit, was die Uebermüthigen dann auch gleich sich und der Welt auf die Nase binden und zur Schau aushängen.

Und wie muß man es eigentlich anfangen? fragte Dietrich.

Anfangs, erwiederte der Alte, muß man durch stille Demuth und einfachen Glauben, wie in allen Künsten, den Grund legen. Nur ja keine vorzeitige Kritik, kein spürendes, naseweises Schnüffeln, sondern ein edles, vertrauenvolles Dahingeben. Kommt der Schüler weiter, nun so mag er auch unterscheiden; und trifft der Wein nur Lehrbegier und Sitteneinfalt, so unterrichtet auch sein Geist von innen heraus, und weckt mit dem Enthusiasmus zugleich das Verständniß. Nur nicht die Uebung, als das Hauptsächlichste, hintangesetzt, keine leere Schwärmerei; denn nur die That macht den Meister.

O wie wahr! seufzte der Buchhalter, indem er seinen Thränen keinen Einhalt that. Worte, sagte der Pietist, die der gemeine Haufe goldne nennen würde.

Wäre das Trinken, fuhr Eulenböck fort, keine Kunst und Wissenschaft, so dürfte es auch nur einerlei Getränk auf Erden geben, so wie das unschuldige Wasser schon diese Rolle spielt. Aber der Geist der Natur versenkt sich auf lieblich anmuthige Weise wechselnd und spielend hier und dort in die Rebe, und läßt sich im wundersamen Ringen keltern und verklären, um über den magischen Weg der Zunge in unser Inneres zu steigen, und dort aus altem Chaos alle glänzende Kräfte aus Betäubung und Schlummer aufzuwecken. Seht, da geht der Säufer! O meine Freunde, so schalten und spotteten auch diejenigen, die die Eleusinische Weihe nicht empfangen hatten. Mit dieser goldnen und purpurnen Fluth ergießt sich und breitet sich in uns ein Meer von Wohllaut aus, und dem aufgehenden Morgenroth erklingt das alte Memnons-Bild, das bis dahin stumm in dunkler Nacht gestanden hatte. Durch Blut und Gehirn rinnt und eilt frohlockend der holde Ruf: der Frühling ist da! Da fühlen alle die Geisterchen die süßen Wogen, und kriechen mit lachenden Augen aus ihren finstern Winkeln hervor; sie dehnen die feinen kristallnen Gliederchen, und stürzen sich zum Bade in die Weinfluth, und plätschern und ringen, und steigen schwebend wieder heraus, und schütteln die bunten Geisterschwingen, daß mit Gesäusel die klaren Tropfen von den Federchen fallen. Sie rennen umher und begegnen einander, und küssen frohes Leben einer von des andern Lippe. Immer dichter, immer leuchtender wird die Schaar, immer wohllautender ihr Gestammel: da führen sie gekränzt und hoch triumphirend den Genius herbei, der kaum mit den dunkeln Augen aus vollen Blumengewinden hervor schauen kann. Nun fühlt der Mensch die Unendlichkeit, die Unsterblichkeit; er sieht und fühlt die Millionen von Geistern in sich, und ergötzt sich an ihren Spielen. Was soll man dann von den gemeinen Seelen sagen, die einem nachrufen: seht! der Kerl ist besoffen. Was meinst Du, redliches Krokodill?

Der blasse Weinende reichte ihm die Hand und sagte: ach! Lieber, die Leute haben Recht, und Ihr habt Recht, und die ganze Welt hat Recht. Was Ihr so prophetisch daher gekugelt habt, geht über mein Verständniß, aber ich bin selig in meiner tiefen Rührung. Wenn Leute in die Komödie gehn, um für ihr Geld zu weinen, so kommt mir das ganz abgeschmackt vor; mag es Andern vergönnt seyn, sich an hohen Gesinnungen und Thaten zu erheben und darüber Thränen zu vergießen, aber ich verstehe es nicht; doch, wenn solch guter Wein in mich hinein geht, so wirkt er wundersam, daß mir dann Alles, Alles, mag man sprechen was man will, mag man schweigen oder lachen, in der schönsten Rührung aufgeht. Seht, mein Herz möchte vor Wonne brechen, ich könnte Alles, und wär’ es Euer lahmer Pudel, in die Arme schließen. Aber meine Augen leiden darunter, und der Doctor hat mir deshalb das Trinken ganz verbieten wollen. Aber dieser Gedanke ist mir eben die rührendste von allen Vorstellungen, darüber könnte ich Tage lang weinen, und deshalb hat er auch diese Verordnung wieder zurück nehmen müssen.

Je mehr ich trinke, sagte der Pietist, je mehr hasse ich das, was Ihr, Eulenböck, da schwadronirt habt, je unvernünftiger kommt es mir vor. Lug und Trug! Es ist beinah eben so dumm, als beim Trinken die Lieder zu singen, die dazu gemacht sind. Jedes Wort darin ist gelogen. Wenn der Mensch nur einen Gegenstand mit dem andern vergleicht, so lügt er schon. „Das Morgenroth streut Rosen.“ Giebt es etwas Dümmeres? „Die Sonne taucht sich in das Meer.“ Fratzen! „Der Wein glüht purpurn.“ Narrenspossen! „Der Morgen erwacht.“ Es giebt keinen Morgen; wie kann er schlafen? Es ist ja nichts, als die Stunde, wenn die Sonne aufgeht. Verflucht! Die Sonne geht ja nicht auf; auch das ist ja schon Unsinn und Poesie. O dürft’ ich nur einmal über die Sprache her, und sie so recht säubern und ausfegen! O verdammt! Ausfegen! Man kann in dieser lügenden Welt es nicht lassen, Unsinn zu sprechen!

Laßt’s Euch nicht irren, ehrlicher Mann, sagte Eulenböck, Eure Tugend meint es gut, und wenn Ihr die Sache anders anseht, als ich, so trinkt Ihr wenigstens denselben Wein, und fast eben so viel, als ich selber. Die That vereinigt uns, wenn uns das System aus einander führt. Wer versteht sich heut zu Tage? Davon ist auch gar nicht die Rede mehr. Ich wollte nur noch bemerken, wenn es auch mit dem Vorigen gar nicht zusammen hängt, daß mir die Art, wie Menschen und Aerzte den Nahrungsprozeß und die sogenannte Assimilation ansehen, höchst einfältig vorkommt. Der Eichenbaum wird aus seinem Saamenkorne eine Eiche, und die Feige bringt den Feigenbaum hervor, und wenn sie auch Luft, Wasser und Erde bedürfen, so sind es doch diese Elemente nicht eigentlich, aus denen sie erwachsen. So erweckt die Nahrung in uns nur die Kräfte und den Wachsthum, bringt sie aber nicht hervor; sie giebt die Möglichkeit, aber nicht die Sache, und aus sich selbst quillt der Mensch wie eine Pflanze hervor. Es ist eine platte Ansicht, zu glauben, daß der Wein unmittelbar, an sich selbst, alle die Wirkungen hervor bringt, die wir ihm zuschreiben; nein, wie ich sagte, sein Duft und Hauch erweckt nur die Qualitäten, die in uns ruhn. Nun stürzen sich die Kräfte, Gefühle und Entzückungen hervor, wenn sie von diesen Wellen getränkt werden. Meint man denn, daß es in aller Kunst und Wissenschaft anders sei? Ich brauche doch wohl die alte Platonische Idee nicht von Neuem vorzutragen. Rafael und Correggio und Titian regen nur mein eignes Selbst an, das in Vergessenheit schlummert, und das größte Genie, der tiefste Kunstsinn können sich die Gebilde mit aller Imagination nicht erfinden, die ihnen von den großen Meistern vorgehalten werden; und doch wecken diese Werke selbst nur die alten Erinnerungen auf. Daher auch die Sucht nach neuen geistigen Genüssen, die sonst nicht löblich seyn würden; daher der Wunsch, Unbekanntes aufzufinden, Originelles hervor zu bringen, der außerdem nur Unsinn wäre. Denn wir ahnen die Unendlichkeit der Erkenntniß in uns, diesen weissagenden Spiegel der Ewigkeit, und was diese uns werden kann, ein unaufhörlich neues Erkennen, das sich im Mittelpunkt einer himmlischen Ruhe sammelt, und von hier aus weiter nach neuen Regionen ausbreitet. Und darum eben, meine lieben Saufbrüder, muß es auch viele und mancherlei Weine geben.

Und welchen ziehen Sie vor? fragte Dietrich. Giebt es hier nicht auch das Classische und Vollendete, das Moderne und Triviale, das Manierirte und Gesuchte, das Lieblich-Alte und Fromm-Schlichte, das Gemüthliche und leer Renommirende?

Jüngling, sagte der Alte, diese Frage ist zu verwickelt, setzt unendliche Erfahrung, historischen Ueberblick, abgelegtes Vorurtheil, und einen nach allen Richtungen ausgebildeten Geschmack voraus, den nur viele Jahre, fortgesetzte Arbeit und unermüdliches Studium, so wie die Mittel dazu, die nicht in Jedermanns Händen sind, fassen und lösen können. Einiges Encyklopädische wird Dir hinreichen. Fast jeder Wein hat sein Gutes, fast alle verdienen gekannt zu werden. Ist in unserm Vaterlande der Neckar fast nur, den Durst zu löschen, da, so erhebt sich der Würzburger schon zum Edeln, und die vielfachen hohen Sorten des Rheinweins lassen sich nicht in der Eile charakterisiren. Ihr habt sie hier vor Euch stehn gehabt und genossen. Diese trefflichen Wogen, vom leichten Laubenheimer bis zum starken Nierensteiner, gewaltigen Rüdesheimer und tiefsinnigen Hochheimer, mit allen ihren verwandten Fluthen gehörig zu preisen, dazu gehört mehr als die Zunge eines Redi, der in seinem toskanischen Dithyrambus doch nur mittelmäßig gefaselt hat. Diese Geister gehn rein und klar, kühlend und den Sinn erläuternd den Gaumen hinunter. Soll ich es vergleichen, so ist es die ruhige Gediegenheit trefflicher Schriftsteller, Gemüth und Fülle ohne Phantasterei oder schwärmerische Allegorie. Was ist nun der heißere Burgunder demjenigen, der ihn vertragen kann! Wie die unmittelbare Begeisterung fällt er in uns hinab, schwer, blutig, heftig erweckt er unsre Geister. Die Rebe von Bourdeaux dagegen ist heiter, geschwätzig, ermuntert, aber begeistert nicht. Doch schon voller und wunderlicher dichtet die Provence und das poetische Languedoc. Dann das heiße Spanien im Xerez und ächten Malaga, und den glühenden Weinen von Valencia. Hier verwandelt sich der Weinstrom, indem wir ihn genießen, schon an unserm Gaumen in Kugelgestalt, die sich weit und weiter ausbreitet, und uns im Tokayer und St. Georgen-Ausbruch noch weit inniger und sinniger so erscheint. Wie erfüllt Mund und Gaumen und den ganzen Sinn des Gefälls nur ein Tropfen des edelsten Cap-Weins. Diese Weine muß der Kenner nippen und züngeln, und nicht mehr trinken wie unsern braven Rhein. Was sag’ ich von euch, ihr lieblichsten Gewächse Italiens, und namentlich Toskana’s, du geistreichster Monte-Fiascone, du wahrhaft rührender Monte-Pulciano? Nun so kostet denn, Freunde, und versteht mich! Aber nicht konnt’ ich dich aufsetzen, dich König aller Weine, dich rosenröthlicher Aleatico, Blume und Ausbund alles Weingeistes, Milch und Wein, Blume und Süße, Feuer und Milde zugleich! Diesen Wundergesellen trinkt, kostet, nippt und züngelt man nicht; sondern dem Beseligten erschließt sich ein neues Organ, das sich dem Unkundigen und Nüchternen nicht beschreiben läßt. — Hier brach er gerührt ab, und trocknete die Augen.

So hatte meine Ahnung ja doch Recht, rief Dietrich begeistert aus: dieser ist denn im Weinreich, was der alte Eyck oder Hemling, vielleicht auch der Bruder Johann von Fiesole unter den Malern sind. So schmeckt ja auch diese lieblich rührende und tiefe Farbe, die ohne Schatten doch so wahr, ohne Weiße so blendend und überzeugend ist. So sättigt und berauscht der Purpur des Gewandes, und so mildert und sänftigt das Feuer das milde Blau, das schwärmende Violett. Alles ist Eins, und klingt in unserm Geiste zusammen!

Ausgenommen Eulenböcks Nase, rief der ganz trunkene Bibliothekar aus: die hat keinen Scharlach mehr, keine Uebergänge in den Tönen, um sie mit dem Gesicht in Verbindung zu setzen, sondern jenes violette Dunkelroth bratet in ihrer Zauberküche, wie unterirdisch in den Reichen der feuchten Nacht die rothe Rübe gerinnt, aller Sonne abgewandt. Soll dies Gewächs wohl dem Leben angehören? Soll der Weingott es so aufgefüttert haben? Nimmermehr! Es ist ein ungeschlachtes Gehäuse, ein widerwärtiges Etui für Bosheit und Lüge.

Leerer Schwulst, rief der Buchhalter, morscher Glanz, hinfällige Sterblichkeit! Und krumm, baufällig steht sie auch noch in dem unterminirten Gesicht, so daß sie mit ihrer Wucht bald den ganzen Mann in Trümmer drücken kann. Kerl! wo hast Du die unverschämt schiefe Nase her?

Ruhig, Krokodill! schrie Eulenböck, indem er heftig auf den Tisch schlug: will das Geziefer die Welt reformiren? Jede Nase hat ihre Geschichte, ihr Naseweise. Meint das dumme Volk denn, daß nicht auch das Kleinste sich als Ring an die Nothwendigkeit ewiger Gesetze fügt? Meine Nase, wie sie da ist, habe ich meinem Barbier zu verdanken.

Erzähle, Alter! riefen die jungen Leute.

Geduld! sprach der Maler. Die Physiognomik wird immer eine trügliche Wissenschaft bleiben, eben weil sie auf Barbiere, Weinschenken und sonstige historische Umstände zu wenig Rücksicht nimmt. Freilich ist das Gesicht der Ausdruck des Geistes; aber es leidet unter der Art, wie man damit handthiert, auffallend. Die Stirn hat es ihrer Festigkeit nach am besten, wenn sich der Mensch nicht gewöhnt, alle kleine Leidenschaften, Verdruß und Mißbehagen durch Faltenziehen darauf zu malen. Seht, wie edel ist die unsers Eduard, und wie viel schöner würde sie noch seyn, wenn der junge Bursche mehr gedacht und sich beschäftigt hätte! Die Augen, ihrer Beweglichkeit nach, hin und her rennend, conserviren sich in ihrem Spiel auch noch leidlich, man müßte sie denn ausweinen, wie unser krokodilischer Freund dort. Schlimmer ist es schon mit dem Munde; der schleift sich bald durch Schwatzen und fades Lächeln ab, wie bei unserm werthen Bibliothekar; wischt Einer nun gar nach Essen und Trinken übermäßig daran, so wird er bald unkenntlich, besonders, wenn man aus falscher Schaam etwa die Lippen immer nach innen kneipt, wie unser trefflicher Pietist, der die Röthe derselben wohl für Lüge und unnützen Schwulst, erklärt. Aber die Nase, die arme, die von allen Theilen am meisten sich hervor arbeitet, uns Unglückliche von allen Thieren unterscheidet, bei denen Maul und Schnauze so freundlich eins werden, und die beim Menschen als Höcker und Blocksberg der Tummelplatz aller Hexen und bösen Geister wird: wird sie nicht schon der kalten Luft und des Schnupfens wegen bei den meisten Menschen zum Sausewind und zur klingenden Trompete und Schlachtposaune ausgereckt, gezogen, gedehnt und gehudelt? Wird ihre Nachgiebigkeit, ihre Entwickelungs-Fähigkeit nicht gemißbraucht, um fast Elephantenrüssel und Truthahnsschnäbel heraus zu arbeiten? Frommere Seelen drücken sie wieder nieder und plätschen den Hochmuth in jammervolle Unformen zusammen. Alles dieses sah ich früh, schonte meine Nase, und konnte meinem Schicksal doch nicht entgehn. Ich bin mit meinem Barbier, einem meiner innigsten Freunde, aufgewachsen und alt geworden. Dieser Künstler, indem er sich von einer Seite meines Antlitzes zur andern wandte, pflegte bei diesem Wechsel, um einen Stützpunkt zu haben, mir die Schneide des Messers unten an die Kehle zu setzen, und darauf drückend und sich lehnend schnell die andre Seite zu gewinnen. Dies schien mir bedenklich. Er durfte ausgleiten, sich stoßen, so schnitt er höchst wahrscheinlich mit dem Gestützten in das Stützende, und mein Angesicht lag unrasirt zu seinen Füßen. Dem mußte abgeholfen werden. Er dachte nach, und als wahres Genie war es ihm nicht so gar schwer, sein System und seine Manier zu ändern. Er packte nämlich mit seinen Fingern meine Nase, was ihm den Vortheil gewährte, sich stützen und viel länger auf sie lehnen zu können, und zog sie gewaltsam in die Höhe, vorzüglich, indem er die Oberlippe barbirte, und so beschauten wir uns Auge in Auge, ein Herz dem andern nahe, und das Scheermesser arbeitete in besonnener und sicherer Thätigkeit. Es traf sich aber, daß mein Freund von je her eins der auffallendsten Gesichter an sich trug, die der gemeine Haufe abscheulich, verzerrt und garstig zu nennen pflegt; dabei hatte er die Gewohnheit, zu grimmassiren, und liebäugelte mir so herzlich entgegen, daß ich es in jeder Sitzung ihm erwiedern, und in dieser Nähe auch seine übrigen Fratzen unwillkührlich nachahmen mußte. Riß er die Nase unbillig hinauf, so zerrte er dafür, um mit seiner Kunst in die Mundwinkel zu gelangen, die Lippen und den Mund zu gewaltsam in die Breite. Hatte er auf diese mechanische Weise in meinem Antlitz ein scheinbares Lächeln erzwungen, so kam mir sein Lachen so liebreich, freundlich, herzinnig und rührend entgegen, daß mir oft aus schmerzlicher Theilnahme, und um nur ein boshaftes Lachen zu verbeißen, die Thränen in die Augen traten. Mensch! barbirender Freund! rief ich aus: stelle Dein menschenfreundliches Anlachen ein, ich lächle ja gar nicht, Du ziehst mir ja nur die Mundwinkel wie einen Schwamm aus einander. Thut nichts, antwortete die redliche Seele, Dein Liebreiz in diesem Lächeln zwingt mich zur Erwiederung. Seht, so grinsten wir uns denn wie die Affen minutenlang an. Ich bemerkte nach zwölf Wochen etwa eine auffallende Veränderung in meiner Physiognomie. Die Nase stieg und bäumte sich so auffallend nach oben, als wenn sie den Augen und der Stirn den Krieg ankündigen wollte, die wirklich häßlichen Verzerrungen der Wangen und Lippen ungerechnet, die ich aber schon nicht mehr lassen konnte, weil ich sie wie ein Andenken von meinem Freunde empfangen hatte. Ich drückte die aufstrebende Nase wieder nieder und trug dem Edeln meine Wünsche noch einmal vor. Nun schien aber guter Rath theuer, und eine Auskunft kaum möglich. Doch entschloß er sich, ein zweiter Rafael, eine dritte, untadelige Manier anzunehmen, und nach einigen Kämpfen gelang es ihm, indem er vorher bedächtig auskundschaftete, nach welcher Seite es am vortheilhaftesten sei, mir die Nase beim Auflehnen hin zu drehen: und dabei sind wir denn auch stehen geblieben, und diese Nothwendigkeit hat sie mir gebogen; das wahre Gesicht, nach dem ich mich instinktartig bilden mußte, hat mir diese Falten eingegraben, und tiefes Forschen und Denken, flammende Begeisterung und glühende Liebe zum Guten und Besten haben endlich diesen rothen Teppich über das Ganze gewoben.

Lautes Lachen hatte diese Erzählung begleitet; jetzt forderte der Bibliothekar ungestüm Champagner, und der Buchhalter schrie nach Punsch. Eulenböck aber rief: o ihr gemeinen Seelen! Nach dieser Himmelsleiter, die ich Euch habe hinauf klettern lassen, um in das Paradies zu schauen, kann auch ein so unedler, manierirter, moderner und witzloser Geist, wie dieser sogenannte Punsch, auch nur in den fernsten Winkel Eures Gedächtnisses kommen? Dies elende Gebräu aus heißem Wasser, schlechtem Branntwein und Zitronensäure? Und was soll dieses diplomatische, nüchterne Getränk, der Champagner, in unserm Kreise? Der nicht Herz und Geist aufschließt, und nach dem halben Rausche höchstens dazu dienen kann, wieder nüchtern zu machen? O Ihr Profanen!

Er schlug auf den Tisch; aber die Uebrigen, Eduard ausgenommen, erwiederten diese Geberde so heftig, daß von der Erschütterung die Flaschen tanzten, und mehrere Gläser zerschmetternd auf den Boden stürzten. Hierüber ward Gelächter und Tumult noch lauter, man sprang auf, andere Gläser zu holen, und Dietrich rief: es ist so kalt, eiskalt hier geworden, und dagegen würde der Punsch helfen.

Es war tief in der Nacht, die Diener hatten sich entfernt, man wußte nicht, wie man den Ofen wieder heizen sollte; auch gestand Eduard, daß sein Holzvorrath völlig zu Ende sei, und er morgen mit der Frühe erst neuen wieder herbei fahren lasse. Was meint Ihr? rief der ganz berauschte Dietrich, unser Wirth hat doch beschlossen, dies Zimmer auf neue Art einzurichten: wenn wir diese unnütze Vertäfelung, diese Bretter, welche die Fenster bedecken, heraus brächen, und in dem großen altfränkischen Camin hier ein herrliches deutsches Feuer anzündeten? Dieser tolle Vorschlag fand bei den verwilderten Gästen sogleich Gehör und lauten Beifall, und Eduard, der den ganzen Abend in einer Art von Betäubung gewesen war, widersetzte sich nicht. Man hob den Schirm vom Camin hinweg, und lief dann mit Kerzen nach der Küche, um Beile, Stangen und andere Instrumente herbei zu holen. Im Vorsaal fand Eulenböck ein altes verdorbenes Waldhorn, und darauf blasend, marschirten sie wie Soldaten unter Schreien und abscheulicher Musik in den Saal zurück. Der Tisch, welcher im Wege stand, ward umgeworfen, und sogleich begann ein Hauen, Brechen und Hämmern gegen die hohle Wand. Jeder suchte den Andern in Aemsigkeit zu übertreffen; um die Arbeitenden zu ermuntern, stimmte der Maler den Schlachtruf auf dem Horne wieder an, und beim Gepolter riefen Alle wie besessen: Holz! Holz! Feuer! Feuer! so daß dies Geschrei, die Musik, das Schlagen der Aexte, das Krachen der brechenden und ausspringenden Bretter den Wirth des Hauses in eine so dumpfe Betäubung warf, daß er sich stumm in eine Ecke des Zimmers zurück zog.

Plötzlich wurde die Gesellschaft noch auf eine eben so unerwartete als unangenehme Art vermehrt. Die Nachbarschaft war unruhig geworden, und die Wache, welche ebenfalls das ungeheure Getümmel vernommen hatte, trat jetzt, einen Offizier an ihrer Spitze, herein, da sie das Haus unverschlossen gefunden hatten. Sie forschten nach der Ursache des Getöses, und weshalb man Feuer geschrieen habe. Eduard, der ziemlich nüchtern geblieben war, suchte ihnen Alles zu erklären, um seine Freunde zu entschuldigen. Diese aber, aufgeregt und keines vernünftigen Gedankens mehr fähig, behandelten diesen Besuch als einen gewaltsamen Einbruch in ihre unveräußerlichsten Rechte; jeder schrie auf den Offizier ein, Eulenböck drohte, der Buchhalter fluchte und weinte, der Bibliothekar holte mit der Brechstange aus, und Dietrich, welcher am meisten begeistert war, wollte sich mit dem Beile über den Lieutenant hermachen. Dieser, ebenfalls ein junger hitziger Mann, nahm es von der ernsthaften Seite und fand seine Ehre verletzt, und so war das Ende der Scene, daß Jene unter Geschrei und Lärmen, Drohungen und Freiheits-Declamationen nach der Hauptwache abgeführt wurden. So endigte das Fest, und Eduard, der allein im Saal zurück geblieben war, ging völlig verstimmt auf und nieder, und betrachtete die Verwüstung, welche seine begeisterten Freunde angerichtet hatten. Unter dem umgeworfenen Tische lagen zertrümmerte Flaschen, Gläser, Teller und Schüsseln, nebst Allem, was von den Leckerbissen übrig geblieben war; der kostbarste Wein floß über den Boden; die Leuchter waren zerschlagen; von denen, welche stehen geblieben waren, waren alle Lichter, bis auf eine Wachskerze, nieder gebrannt und ausgelöscht. Er nahm das Licht und betrachtete die Wand, von der die Tapete abgerissen, und einige starke Bretter heraus gebrochen waren; ein Balken stand davor, der den Zutritt in die Nische hemmte. Ein sonderbares Gelüst befiel den Jüngling, noch in der Nacht das angefangene Werk seiner wilden Gesellen fortzusetzen; um aber kein übermäßiges Geräusch zu erregen, und doch noch vielleicht ihr Schicksal zu theilen, nahm er eine feine Säge, und durchschnitt oben vorsichtig den Balken; er wiederholte dies unten, und nahm dann den Kloben heraus. Hierauf war es nicht so gar schwer, noch eine innere leichte Vertäfelung wegzubrechen; das dünne Bret fiel nieder, und Eduard leuchtete in die Nische hinein. Er konnte aber kaum den breiten Raum übersehen, und etwas, das ihm wie Gold entgegen glänzte, wahrnehmen, als Alles plötzlich verschwand; denn er hatte mit dem Lichte oben angestoßen und es ausgelöscht. Erschreckt und in der größten Bewegung tappte er durch den finstern Saal, aus der Thüre, über einen langen Gang, dann über den Hof nach einem kleinen Hintergebäude. Wie zürnte er über sich selbst, daß er keine Anstalt in der Nähe habe, Feuer zu machen. Aus festem Schlafe ermunterte er den eisgrauen Thürhüter, der sich lange nicht besinnen konnte, ließ sich von ihm, nach vielen vergeblichen Versuchen, sein Licht wieder anzünden, und kehrte dann mit behutsam vorgehaltner Hand, an allen Gliedern zitternd und mit klopfendem Herzen über die Gänge nach dem Zimmer zurück. Er wußte nicht, was er gesehen hatte, er wollte noch nicht glauben, was er ahndete. Im Saale setzte er sich erst in den Lehnstuhl, um sich zu sammeln, dann zündete er noch einige Kerzen an, und begab sich nun gebückt in die Nische. Der weite Raum der Fenster erglänzte von oben bis unten wie in goldnem Brand; denn Rahmen drängte sich an Rahmen, einer kostbarer als der andere, und in ihnen alle jene verloren gewähnten Gemälde seines Vaters, um die der alte Walther und Erich so oft gejammert hatten. Der Erlöser Guido’s, der Johannes von Domenichino, sie alle schauten ihn an, und er fühlte sich selbst gerührt, andächtig, erstaunt, wie in einer bezauberten Welt. Als er sich besann, flossen seine Thränen, und er blieb dort, die Kälte nicht achtend, unter seinen neugefundenen Schätzen sitzen, bis der Morgen herauf dämmerte.

———

Walther war eben vom Tisch aufgestanden, als Erich eilig zu ihm in den Gemäldesaal trat. Was ist Dir, mein Freund? rief der Rath aus: hast Du Geister gesehn? Wie Du es nimmst, erwiederte Erich: mache Dich auf eine außerordentliche Nachricht gefaßt. — Nun? — Was gäbest Du wohl, was thätest Du wohl dafür, wenn alle die verlorenen Malereien Deines seligen Freundes, jene unschätzbaren Kostbarkeiten wieder da wären und Dein werden könnten?

Himmel! rief der Rath aus und verfärbte sich: ich habe keinen Athem. Was sagst Du? — Sie sind da, rief jener, und können Dein Eigenthum werden. — Ich habe kein Vermögen, sie zu kaufen, sagte der Rath: aber Alles, Alles würde ich geben, sie zu erhalten, meine Gallerie und Vermögen, aber ich bin zu arm dazu. — Wenn man sie Dir nun überlassen wollte, sagte Erich, und der Eigenthümer forderte bloß die Gunst dafür, Dein Schwiegersohn zu werden?

Ohne Antwort rannte der Alte hinaus und zur Tochter hinüber. Im Streit mit dieser kam er zurück. Du mußt mein Glück machen, geliebtes Kind, rief er aus, indem er mit ihr herein trat: von Dir hängt nun die Seligkeit meines Lebens ab. Die erschrockene Tochter wollte immer noch widersprechen, aber auf einen heimlichen Wink Erichs, den sie zu verstehen glaubte, schien sie endlich nachzugeben. Sie ging fort, sich umzukleiden; denn bei Erich warteten, wie dieser erklärte, die Bilder und der Freiwerber auf sie. Unter welchen sonderbaren Gedanken und Erwartungen suchte sie ihren besten Schmuck hervor; konnte sie sich in Erich nicht irren? Hatte er denn auch sie verstanden? hatte sie ihn richtig gedeutet? Walther war ungeduldig und zählte die Augenblicke; endlich kam Sophie zurück.

In Erichs Hause waren alle jene Gemälde im besten Lichte aufgehangen, und es wäre vergeblich, des Vaters Erstaunen, Freude und Entzücken beschreiben zu wollen. Die Bilder waren, so behauptete er, bei weitem schöner, als er sie in seiner Erinnerung gesehen hatte. Du sagst, der Liebhaber meiner Tochter sei jung, wohlerzogen, von gutem Stande, Du giebst mir Dein Wort darauf, daß er ein ordentlicher Mann seyn wird, und niemals nach meinem Tode diese Bilder wieder veräußern? Wenn dies alles so ist, so braucht er kein anderes Vermögen zu besitzen, als diese Bilder, denn er ist überreich. Aber wo ist er?

Eine Seitenthüre öffnete sich, und Eduard trat ungefähr so gekleidet herein, wie der ihm ähnliche Schäfer auf dem alten Gemälde von Quintin Messys stand. — Dieser? schrie Walther: woher haben Sie die Gemälde? Als ihm Eduard den sonderbaren Vorfall erzählt hatte, nahm der Alte die Hand der Tochter und legte sie in die des Jünglings, indem er sagte: Sophie wagt viel, aber sie thut es aus Liebe zu ihrem Vater; ich denke, mein Sohn, Du wirst nun klug und gut geworden seyn. Doch, eine Bedingung: Ihr wohnt bei mir, und Eulenböck kommt nie über meine Schwelle, auch siehst Du ihn mit keinem Auge wieder. Gewiß nicht, antwortete Eduard: überdies reiset er mit dem fremden Prinzen von hier fort.

Man ging nach dem Hause des Vaters. Dieser führte den Jüngling in seine Bibliothek: hier, junger Mensch, sagte er, findest Du auch Deine Seltenheiten wieder, die Dein luftiger Bibliothekar mir für ein Spottgeld verkauft hat. Du wirst diese Schätze Deines Vaters künftig heiliger halten.

Die Liebenden waren glücklich. Als sie allein waren, schloß Sophie den Jüngling herzlich in die Arme. Ich liebe Dich innigst, mein Freund, flüsterte sie ihm zu, aber ich mußte neulich dem Eigensinne meines Vaters nachgeben, und mich damals und heute stellen, als gehorchte ich ihm unbedingt, um erst nicht alle Hoffnung aufzugeben, und heute ohne Widerspruch Dein zu seyn; denn hätte er meine Liebe gemerkt, so hätte er nimmermehr so schnell eingewilligt.

Nach wenigen Wochen waren sie vermählt. Es ward dem Jünglinge nun nicht schwer, ein ordentlicher und glücklicher Mann zu werden; an seine wilde Jugend dachte er im Arme seiner Frau und im Kreise seiner Kinder nur wie an einen schweren Traum zurück. Eulenböck hatte mit dem Prinzen die Stadt verlassen, und mit ihm zugleich der sogenannte Bibliothekar, der jene Stelle als Secretär beim Prinzen erhielt, um welche Eduard sich bemüht hatte, und nach einigen Jahren die lockre Schöne heirathete, die unserm jungen Freunde einen so übeln Ruf in seiner Vaterstadt verursachte, und fast die Veranlassung seines Unglücks geworden war.

Die Verlobung.
Novelle.

Ich habe lange auf Dich gewartet,“ rief der junge Ferdinand seinem Freunde entgegen.

„Du weißt ja,“ erwiederte jener, „daß es unmöglich ist, sich schnell von dem wohlbeleibten Barone loszureißen, wenn er Fragmente aus seiner Lebensgeschichte vorträgt.“

„Wärst Du Offizier, wie ich,“ antwortete Ferdinand, „so würdest Du es dennoch möglich gefunden haben, pünktlich zu seyn; dies wenigstens lernt man im Dienst. Sie sind alle schon auf dem Spaziergange dort versammelt, laß uns eilen, daß ich Dich der verehrten Familie vorstellen kann.“

Die jungen Freunde bogen um die Felsenecke, und erfreuten sich des klaren Anblickes am rauschenden Strome, der Wäldern und Bergen leuchtend vorüber zog. Der Frühling war in diesem Jahre vorzüglich üppig erschienen. „Wie wohl wird es dem Arbeiter,“ sagte Alfred, „an einem solchen Tage die Stadt und die geistlosen Geschäfte hinter sich zu haben, um nach langer Anstrengung und Entbehrung diesen Segen der Natur zu fühlen und ihre heilige Stimme zu vernehmen! Und wie dankbar bin ich Dir, mein theurer Freund, daß Du mich in den Kreis der besten, der edelsten Menschen einführen willst. Denn wie wir uns auch zu bilden streben, wie ernsthaft wir studiren, einsammeln, und unser Herz und Gemüth erweitern wollen, so ist es doch der Umgang mit echten Menschen, der alles dies todte Wirken und unbeholfene Kämpfen erst belebt, und den Besitz in ein wahrhaftes Gut verwandelt. Den zarten Frauen ist es aber vorbehalten, dem Manne die Bildung zu geben, deren er nach seinen Kräften und Gaben fähig ist.“

Der junge Offizier sah seinen Freund kopfschüttelnd an, stand einen Augenblick still, und sagte dann, indem sie weiter schritten: „O wie kann ich in diese Phrasen, die man schon tausendmal hat hören müssen, so gar nicht einstimmen! Somit wäre es ja die große Welt, oder die sogenannte gute Gesellschaft, die man aufsuchen müßte, um in schlechtem Witz, Coquetterie, Lügen und Geschwätz die Reife zu erlangen, die uns die Einsamkeit nicht gewähren könnte. Bin ich auch in den meisten Dingen Deiner Meinung, so muß ich Dir doch hierin geradezu Unrecht geben. Die Weiber! sie sind es ja eben, die recht eigentlich von einem boshaften Schicksal dazu hingestellt zu seyn scheinen, sich des Mannes, wenn er schwach genug ist, zu bemächtigen, alles Menschliche, Edle, Kraftvolle und Wahre von ihm abzustreifen, und ihn, so viel es nur möglich ist, in sein Gegentheil zu verwandeln, damit er ihnen nur zu einem unwürdigen Spielzeuge gut genug sei. Das, was Du eben äußertest, ist auch schon mehr die Denkweise einer jetzt fast verschwundenen Zeit, einer Zeit, die der Wahrheit, vorzüglich aber aller religiösen Gesinnung, feindlich gegenüber stand. Auch muß ich Dir sagen, daß Du jenes Wesen, wodurch sich vormals unsre jungen Herren zu bilden glaubten, in der Gesellschaft dieser Frauen nicht finden wirst, weil bei ihnen alles heilige Wahrheit, Unschuld und echte Frömmigkeit ist.“

Der Freund suchte seine Meinung und sich selbst zu rechtfertigen, indem sie unter lebhaften Gesprächen ihren Weg eilig fortgesetzt hatten. Sie sahen jetzt schon den Garten vor sich liegen, in dessen kühlen Gängen die Baronin mit ihrer Familie und einigen auserwählten Freunden die Ankommenden erwartete. Alle fühlten sich in der grünen Umgebung wohl und behaglich.

Nur dem jungen Rathe Alfred ward es Anfangs schwer, sich in die Stimmung und Unterhaltung zu fügen. Wie es wohl zu geschehen pflegt, war er zu gespannt, um sich dem Gespräche leicht hinzugeben; auch hatte er zu Vieles auf dem Herzen, was er mit einer gewissen Bangigkeit an den Mann zu bringen strebte, wodurch er oft an sich und den Andern irre werden mußte; denn wenn er Gedanken zu einer Rede verarbeitet hatte, so war indessen der schickliche Moment verschwunden, um diese einzufügen, und unter den neuen Gegenständen der Unterhaltung kam wieder so Manches vor, das ihm unverständlich schien, und worüber er sich nähere Belehrung auszubitten doch zu verschämt war. Dazu kam, daß er von dem Reiz der Frauengestalten wie geblendet war; die vermählte Tochter Kunigunde war eine glänzende Schönheit; noch üppiger strahlte die jüngere Clementine, gegen welche die blonde kindliche Physiognomie der jüngsten, Fräulein Clara, rührend kontrastirte; selbst die Mutter durfte noch Ansprüche auf Anmuth machen, und man sah, daß sie in ihrer Jugend eine schöne Frau gewesen war. Dorothea, das älteste Fräulein, fiel in dieser Umgebung am wenigsten auf, so schön auch ihr Auge, so fein ihr Wuchs war; auch zog sie sich zurück und blieb still und blöde; sie schien selbst an der lebhaften Unterhaltung der Geschwister nur geringen Antheil zu nehmen, und es fiel auf, daß keine Rede oder Frage an sie gerichtet wurde, so sehr die anwesenden Männer sich auch mit Lebhaftigkeit um die übrigen Töchter oder die Mutter bemühten.

Unter den Männern zeichnete sich ein ältlicher aus, der am meisten das Wort führte, der Alle belehrte und alle streitigen oder zweifelhaften Fälle entschied. Auch der Offizier behandelte ihn mit ergebener Demuth, und dieser Familienfreund wandte sich mit Güte und Herablassung an Alle, sie fragend, zurecht weisend, aufmunternd und sich auf seine Weise bestrebend, Jeden zu ermuthigen oder aufzuklären. Ihm gelang es auch endlich, den verlegenen Alfred in das Gespräch zu ziehen, und dessen Dankbarkeit äußerte sich in einer feurigen Rede, die er jetzt anzubringen Gelegenheit fand, und in welcher er seinen Wunsch nach Bildung, seine Verehrung des Familienglücks, seine Hoffnung, daß die echte religiöse Stimmung und wahre Frömmigkeit sich durch ganz Deutschland ausbreiten würden, mit allgemeinem Beifall und zu seiner eignen Zufriedenheit entwickelte.

Mehr noch als die Uebrigen war die schöne Kunigunde aufmerksam gewesen, und sie war es auch jetzt, die am lautesten ihren Beifall aussprach. „Wie glücklich sind wir,“ beschloß sie endlich, „daß in unserm theuern Kreise sich immer mehr Gemüther versammeln, die das Gute und Edle wollen, die das Ueberirdische erkennen, und denen die Welt mit allen ihren anlockenden Schätzen nur nichtig erscheint. Aber das ist die Eigenschaft der Wahrheit und Güte, daß sie das Bessere sich näher zieht, daß sie das Schwache in etwas Höheres verwandelt. Wirkt der gesellige Umgang so glücklich in einem weitern Umfang, so ist es im beschränkten Hause der Segen der Ehe, der noch inniger die Vermählten anregt, sich für das Göttliche zu begeistern, der hier noch kräftiger das schwächere Gemüth zur Liebe des Unendlichen erhebt.“

„Ja wohl,“ sagte ein junger Mann, der neben dem ältern saß, „dies ist es, was ich mit jedem Tage inniger und dankbarer empfinde.“ Er seufzte und sah an die Wolken, und der Rath erfuhr auf seine Erkundigung, daß dieser der Gemahl der schönen und frommen Kunigunde sei.

Die Mutter nahm das Wort und sagte nicht ohne Bewegung: „Wie beglückt muß ich mich fühlen, daß ich so im Kreise meiner Kinder das Höchste gefunden und es ihnen selbst möglich gemacht habe, den edelsten Besitz dieser Erde zu erreichen. Wie kann ich doch so gar nicht an den Bestrebungen der meisten Menschen Antheil nehmen, ja wie erregt mir ihr mannigfaltiger Enthusiasmus eher Mitleid, als daß ich in ihren vielfachen Anstrengungen, ein sogenanntes Gut zu ergreifen, etwas finden könnte, das unsere Achtung aufruft. So rennen sie nach Kunst, oder Philosophie, meinen, im Wissen oder in Farben und Ton solle ihnen das ewige Licht aufgehen, quälen sich in Geschichte und den verworrenen Händeln des Lebens ab, und versäumen darüber das Eine, das Noth ist, und welches Alles ergänzt und ersetzt. Seit ich diesen Quell gefunden habe, der jeden Durst der Seele so lieblich stillt, ist jenes bunte Mannigfaltige für mich gar nicht mehr da, dem ich in der Jugend auch wohl manchen sehnsüchtigen Blick zuwendete.“

„Wie muß ich Sie bewundern!“ rief der Rath aus: „mit welcher Sehnsucht habe ich das Leben gesucht, und immer nur leere Schatten gehascht! und wie leicht ist es doch, die Wahrheit zu finden, die uns niemals täuscht, die nie entschlüpft, die dem Herzen Alles gewährt, in der wir nur leben und seyn können.“

„Ich verstehe Sie,“ antwortete die Baronesse, „Sie gehören zu unserm Kreise; es ist ein seliges Gefühl, daß sich die Gemeinschaft frommer und begeisterter Gemüther immerdar vermehrt.“

„Den herrlichsten Zeiten gehen wir entgegen!“ rief der junge Offizier in Begeisterung aus. „Und wie selig müssen wir uns fühlen, da Dasjenige, was uns über das nüchterne Leben erhebt, die ewige Wahrheit selber ist, da diese uns beherrscht, und wir, von ihr regiert, nicht fehlen, niemals irren können; denn wir geben uns der Liebe hin, daß sie in uns wirke und ihre Geheimnisse unserm Herzen offenbare.“

„Nicht anders,“ beschloß der ältere würdige Mann; „dies ist es, was uns die Sicherheit geben muß, die uns von gewöhnlichen Enthusiasten oder Schwärmern unterscheidet. Sie haben ein großes Wort gesprochen, theurer Ferdinand, und darum sind Sie mir so werth, weil Keiner, so wie Sie, auf dem kürzesten Wege das Rechte findet, weil Niemand es alsdann so klar und einfach auszusprechen weiß.“ Er umarmte den Jüngling, sah gen Himmel, und eine große Thräne glänzte ihm im schönen dunkeln Auge. Die Baronesse erhob sich und schloß sich an die Gruppe; alle waren bewegt, nur Fräulein Dorothea wandte sich ab, und schien im Busche etwas Verlornes zu suchen.

Dem aufmerksamen Alfred entging es nicht, daß die Mutter mit einem Ausdrucke des Schmerzes zu ihrem ältesten Kinde hinsah, das auf seltsame Weise von diesem Kreise der Rührung und Liebe ausgeschlossen schien. Der Baron Wallen, so hieß der ältere Hausfreund, näherte sich mit dem Ausdruck einer rührenden Milde dem Fräulein, die scheu vor sich nieder sah, und in diesem Augenblick hochroth erglühte. Er sprach heimlich und mit vieler Bewegung zu ihr, sie schien aber in ihrer Verlegenheit auf seine Worte nicht sonderlich zu achten; denn als jetzt eine Dame in der Allee zur Gesellschaft herschritt, ging sie dieser in großer Eile entgegen, und schloß sie mit der größten Herzlichkeit und Freude in die Arme.

Die Mutter schüttelte fast unmerklich mit dem Kopfe, und sah den Baron Wallen mit prüfendem Auge an; dieser lächelte, und die Unterredung der Gesellschaft gerieth nun auf ganz andere und gleichgültige Gegenstände; denn die Frau von Halden, welche jetzt lautschwatzend, lachend und Neuigkeiten erzählend, herzu trat, machte jeden Aufschwung, jede innigere Mittheilung völlig unmöglich, so daß auch alle, bis auf Fräulein Dorothea, etwas verstimmt wurden, die wie erquickt und getröstet mit ihren Blicken am Munde der Redenden hing, und jetzt an der übrigen Gesellschaft noch weniger Antheil nahm.

„Wer ist denn diese Neuigkeits-Krämerin?“ fragte Alfred unwillig, „die wie ein wilder Vogel in unsern stillen Kreis herein fliegt, und alle zarteren Gefühle verschüchtert?“

„Eine Nachbarin unserer verehrlichen Baronesse,“ antwortete der Herr von Wallen: „sie hat sich auf eine unbegreifliche Weise des Gemüthes der Fräulein Dorothea bemeistert, was wir alle nur beklagen können. Schon in der Jugend hat es die treffliche Erzieherin, die Fräulein von Erhard, eine Verwandte der Familie, verhindern wollen, daß dieser Umgang nicht die bessern Fähigkeiten des schönen Mädchens unterdrücke; aber von jeher sind alle ihre Bemühungen vergeblich gewesen.“

Diese Erzieherin, welche bisher wenig bemerkt worden war, näherte sich jetzt, da sie sah, daß von ihr die Rede sei, und mischte sich in das Gespräch. Sie erzählte, daß in dieser so liebenden und hochgestimmten Familie Dorothea von früher Jugend ein abgesondertes Leben geführt habe, und unter so vielen Geschwistern gewissermaßen ganz einsam gewesen sei. Fräulein Charlotte von Erhard erzählte dies mit einer rauhen und heisern Stimme, wurde aber so bewegt, daß sie sich der Thränen nicht enthalten konnte. Alfred, der schon gerührt war, fand in seiner erhobenen Stimmung die geälterte und fast häßliche Dame liebenswürdig und schön, und ein herzlicher Unwille, eine lebhafte Geringschätzung wandte sich gegen die arme Dorothea, die jetzt von der redseligen Freundin Abschied nahm und zur übrigen Gesellschaft zurück kehrte. Sie war sichtlich erheitert, aber man sah, welche Ueberwindung es ihr koste, wieder an den ernsteren Gesprächen Theil zu nehmen. Sie erzählte, wie die Frau von Halden in Unterhandlungen stehe, und wahrscheinlich ihr Gut verkaufen werde.

„Verkaufen?“ fragte die Mutter erstaunt, „und sie konnte dennoch so heiter, ja ausgelassen seyn?“

„Sie meint,“ erwiederte Dorothea, „einen so vortheilhaften Kauf ihrer noch unmündigen Kinder wegen nicht abweisen zu dürfen.“

„Giebt es einen Vortheil,“ sagte die Mutter, „welcher den Kindern das Glück der Heimath aufwiegen kann? Und sie selbst, Deine Freundin, die hier auf ihrem Gute aufgewachsen ist, die hier mit Eltern und Geschwistern, nachher mit einem geliebten Manne lebte, wie kann sie sich selber so verstoßen und diesen Bäumen den Rücken wenden, sich von den Zimmern verbannen, die sie als Kind geliebt und gekannt hat? Immer wieder muß es mir auffallen, wie ich das Leben und Treiben der allermeisten Menschen so gar nicht verstehe. — Und wer ist denn der Käufer?“

„Die Sache ist wunderlich genug,“ erwiederte Dorothea, „der Käufer will noch gar nicht genannt seyn; aber ein gewisser Graf Brandenstein führt die Unterhandlung. Meine Freundin ist eilig und bestimmt, denn der Fremde aus Amerika kauft noch manches andere Gut, so daß sie es für eine Gunst hält, da er nicht ängstlich auf den Preis sieht, wenn sie das ihrige dem Unbekannten zuwenden kann.“

Bei dem Namen „Brandenstein“ wurde die Mutter blaß. Sie suchte sich aber schnell zu fassen, und sagte nach einer kleinen Pause: „Ja, der Name war es, der mir schon seit einer Woche schwer auf dem Herzen lag. Ich weiß es schon, daß dieser Mann hier ist, der nun auf eine Zeitlang unsre stille Freude verderben, und die Harmonie unsers Kreises stören wird. Und ich kann es nicht vermeiden, ihn zu sehn, denn er ist ein alter Bekannter unsers Hauses, und die Sitte der Welt zwingt uns ja, selbst mit denjenigen freundlich umzugehen, die uns im innersten Herzen zuwider sind, ja, die wir, wenn wir noch so billig denken, für schlechte und ruchlose Menschen anerkennen müssen.“

Dorothea meinte, wo eine so bestimmte Empfindung vorherrsche, solle sich der Mensch keinen Zwang anthun; und besonders auf dem Lande, wo sie lebten, wäre es noch leichter, als in der Stadt, so widrigen Erscheinungen auszuweichen. Die Mutter aber sagte: „Du verstehst dies nicht, mein Kind; könnte ein gewissenloser Mensch ohne Grundsätze uns nicht auf die empfindlichste Art schaden oder kränken, hätte er es durch Witz und Frivolität nicht in seiner Gewalt, unser ganzes Leben zu verderben, so würde ich ihn kalt abweisen, und mit meiner Wahrheitsliebe ihm ohne Umschweif sagen, daß ich mit ihm nicht umgehen wolle; da aber dies nicht möglich ist, so muß ich ihm höflich entgegen kommen, mit Feinheit und Wohlwollen den bösen Geist in ihm zu beschwichtigen suchen, und mich späterhin so unmerklich, als es seyn kann, von seinem verderblichen Kreise zurück ziehn.“

Die übrigen Töchter drängten sich um die Mutter, und umarmten sie wie tröstend. „Wenn ich Euch nicht hätte!“ seufzte die Baronesse: „wenn ich nicht auf die Hülfe unsers edlen Hausfreundes rechnen dürfte, so würde mich der Besuch dieses gottlosen Menschen noch mehr ängstigen.“

„Wer ist er eigentlich?“ fragte der Baron.

„Ein Mann,“ antwortete die Mutter, „der sich schon früh in der Welt und ihren Verstrickungen herum getrieben hat, der, von seinem eignen Herzen belehrt, alles, was Liebe, Demuth, Frömmigkeit heißt, arg verspottet und verfolgt, ein grober Egoist, der Niemand lieben kann, und den das Heilige, Ueberirdische, wo er es wahrnimmt, wo er es nur ahndet, in einen widrigen Zorn versetzt, der ihn dann zu jenem frivolen Witze begeistert, den wir Alle so tief verachten. Es war das Unglück meines Lebens, daß er die Bekanntschaft meines guten seligen Mannes machte, daß dieser ihn lieb gewann, und sich in manchen trüben Stunden seiner Gesellschaft und traurigen Philosophie hingab.“

„Sie schildern, verehrte Frau,“ sagte der Offizier, „einen von jenen Charakteren, die, dem Himmel sei Dank! jetzt schon seltener geworden sind.“

„Eine Verruchtheit,“ sagte der Baron, „die das Unsichtbare lästert, weil sie auf Selbstverachtung gegründet ist. Sie sind aber, wie wir Alle, über diesem Jammer erhaben.“

„Sein mittelmäßiges Vermögen,“ fuhr die Mutter fort, „war bald ausgegeben; nun verließ er Europa, trieb sich, wer weiß, unter welchen wilden Völkern um, und ist nun zurück gekehrt, wie ich höre, als Geschäftsträger eines unermeßlich reichen Amerikaners, der ihm in Jahresfrist nachfolgen will, und der die Grille gefaßt hat, in unserer Nachbarschaft viele Güter zu einer großen Herrschaft zusammen zu kaufen.“

Fräulein Dorothea blieb dabei, daß man einem so bösen Menschen ausweichen könne und müsse, und daß sie ihm schon das Haus zu betreten unmöglich machen wolle, wenn die Mutter ihr dazu die gehörige Vollmacht gebe; doch diese ward unwillig, und gebot, für heute den Namen des Störenfried nicht mehr zu nennen. Jetzt sah man die Wagen vorfahren, weil mit der Abendkühle die Familie sich wieder auf ihr nahes Landgut begeben wollte, als sich in diesem Augenblick eine sonderbare Scene entwickelte. Der alte Baron hatte sich schon einigemal Dorotheen genähert; sie war ihm aber ausgewichen, doch benutzte er den Moment, als er ihr in den Wagen half, ihr einige freundliche Worte zuzuraunen; sie sprang zurück, indem sie hastig der Kutsche enteilte und in den Baumgang lief. Der Baron konnte sie nicht einholen, so sehr er sich bestrebte; als er schon tief im Garten war, kam sie athemlos zurück, warf den Schleier über das erhitzte Angesicht, und weinte heftig, indem sie dem fragenden und strafenden Blicke der mehr als erstaunten Mutter ängstlich auswich. Der Wagen fuhr rasch davon, und der Baron, nachdem er verwirrt und beschämt von den jüngern Freunden Abschied genommen hatte, bestieg den seinigen, schwer gekränkt, wie man ihm anmerken konnte, so sehr er auch seiner Fassung Gewalt zu thun suchte.

Als der junge Rath und der Offizier ihren Rückweg zur Stadt antraten, sagte der erste nach einer Pause: „Was war das? Immer noch kann ich nicht von meiner Verwunderung zurück kommen, daß unter so gebildeten und feinen Menschen eine solche unschickliche Scene hat vorfallen können! Ueberhaupt, wie kommt dieses Fräulein, dieser sonderbare, ja widerwärtige Charakter in eine Familie, die ich fast eine geheiligte nennen möchte? Irgend eine tiefe Verschuldung muß sie drücken, da sie sich immer scheu zurück zieht, niemals an der Unterhaltung Theil nimmt, und auch von allen Uebrigen mit einem herablassenden, fast geringschätzenden Mitleide behandelt wird, das einem Fremden sehr auffallen muß. Man kommt auf ärgerliche Vermuthungen, wenn man auch eben nicht zum Argwohn geneigt ist.“

„Du würdest aber irren,“ sagte der militärische Freund, „denn keine Schuld, kein Vergehn drückt dieses Wesen nieder. Unter so hochgestimmten Menschen, wie alle diese sind, würde sich dergleichen vielleicht ohne große Kämpfe wieder herstellen, wenn diese Schwester nur sonst in einer geistigen Harmonie mit den übrigen stände. Schlimmer aber als alles ist, daß sie schon mit einem niedrigern, unedlern Geiste geboren wurde, daß sie das Bestreben aller Uebrigen nicht versteht, und sich doch sagen muß, es sei ein Hohes und Edles, nur für sie Unerreichbares. Dies Gefühl der Unwürdigkeit drückt sie mehr nieder, als das Bewußtsein einer Schuld es thun könnte. Sie fühlt sich fremd unter den Nächsten, unheimisch in ihrem Hause; sie erquickt sich an den unwürdigen Bekanntschaften, wie mit jener dicken und geschwätzigen Nachbarin, und entflieht besonders dem Baron, den wir Alle so hoch verehren, und der sich zu sehr, fast mit Leidenschaft herabläßt, ihren Sinn für ein höheres Leben aufzuschließen.“

Sie bogen jetzt um die Felsenecke, und sahen die Stadt schon vor sich liegen. Aber zu ihrem Entsetzen bemerkten sie auch zugleich jenen wohlbeleibten Baron von Wilden, von dem sich Nachmittags der junge Rath nur schwer hatte losmachen können. „Nun,“ rief dieser ihnen entgegen, „kommt Ihr schon aus dem Himmel zurück? Hat’s brav viel ambrosische Redensarten abgesetzt? Sind die nektarischen Gesinnungen gut eingeschlagen? Hoffentlich war doch kein Mißwachs an überirdischen Gefühlen?“

Die Freunde, die in der schönen Natur und dem lieblichen Abende gern noch ihre Gefühle hätten harmonisch nachklingen lassen, suchten sich von ihm loszuwickeln; da sie aber denselben Weg zur Stadt zurück gingen, war dies unmöglich. „Nichts da!“ rief er mit herrschender Stimme aus: „wir bleiben treu beisammen, und dort unten beim Brunnen treffen wir noch einen armen Sünder, der auf mich wartet.“

Die beiden jungen Leute sahen sich gezwungen, aus der Noth eine Tugend zu machen, besonders weil der unempfindliche Baron mit kreischendem Tone fortfuhr: „Ich merke wohl, Ihr wäret hier in der Gegend gern noch empfindsam, besonders weil der Mond bald hervor kommen wird; aber dergleichen Unfug wird in meiner prosaischen Gesellschaft nicht geduldet. Glaubt mir doch, junge Menschen, all’ das Aetherisiren und Frommsüßlichen dort geschieht ja doch nur, daß Ihr an diesem lockenden Hamen als Eheleute anbeißen sollt, wenn Ihr nämlich selbst Amt und Vermögen besitzt. Es sind so viele Töchter dort, und nur die älteste, verwilderte, ist so toll, alle Partieen abzuweisen. Ja die liebe, gute, so hocherwünschte Ehe, das Freiwerben, wonach mit allen Fernröhren hinaus geschaut wird, wenn so herrliche edle Töchter in dem Familiensaal dasitzen, rund und fett, roth und weiß, züchtig und tüchtig, auferwachsen und vollständig! Und in der Mitte die verständige Mutter, achtsam, lauernd und spekulirend, die Augen nach allen Seiten, jeden anfühlend, der nur eintritt, ob der feine Rock auch bezahlt ist, ob derselbe, wenn er von Reisen und Bällen erzählt, auch wohl im Stande sei, ein Ehefrauchen standesmäßig zu ernähren. Da gehn der guten Matrone dann so fromme, weiche und gar unbefangene Redensarten aus dem zarten Munde, die Blicke leuchten zum Himmel und rechts und links, und alle Worte und alle Blicke schwimmen wie hundert Angeln im Strom der faden Unterhaltung, und die jungen Bursche schießen bald nach dieser, bald nach jener Schnur wedelnd und spielend hin, bis denn, wenn auch nach Wochen, einer und der andere fest sitzt. So haben sie für die Kunigunde den zarten Weißfisch erschnappt, und ihm gleich darauf eingebildet, das runde Mädchen sei für ihn viel zu gut, so daß er wie ein reuiger Sünder am Wagen des Ehestandes zieht, und sich geehrt fühlen muß, daß die Hohe sich zu ihm erniedrigt hat; nun müssen Clara, Clementine und die irdische Dorothea noch versorgt werden, ja ich stehe nicht dafür, daß die bejahrte Bekehrerin nicht selbst noch einmal aus einem frommen Knaben einen Bräutigam für sich drechselt, und ihm statt des Katechismus einen Ehekontrakt in die Hände schiebt. Ja wohl Ehestand, Wehestand! Wie rennt nur alles so blind und taub in das traurige Joch, und opfert Freiheit und Laune dem bösen Geiste, der den Mann fast immer unter den Sklaven erniedrigt.“

„Sie sind ein arger Frevler,“ sagte der Offizier: „aus launenhafter Verruchtheit hassen Sie die Ehe, und verlangen nun, alle Menschen sollen als sündliche freigeisternde Hagestolze leben, und weil Ihr Sinn nicht in jene Umgebung paßt, so lästern Sie diese Menschen, die jeder Verläumdung zu erhaben sind.“

„Ganz martialisch!“ rief der Baron aus. „Und doch werde ich Recht behalten, und vielleicht seufzen Sie selbst einmal, wenn Sie an der Kette wie ein Eichhorn immer wieder dieselben rechtgläubigen Sprünge machen müssen, um die Nüsse zu knappern, die die Gemahlin Ihnen zukommen läßt: ach! wenn ich doch dem resoluten Wilden hätte glauben wollen!“

„Nein, mein Herr,“ sagte der Rath sich ereifernd, „Ihre Ansicht geht nur aus der Verzweiflung hervor, ja, Sie glauben sich selber nicht.“

„Meinethalben,“ rief jener aus, „kann seyn, daß eine ganz andere Kreatur, als ich selber, aus mir heraus redet; denn das ist im Leben oft der Fall, und bei jenen Apostolischen guckt auch oft was, wie ein Affe, aus den verbrämten und aufgesteiften Gewändern hervor. Nicht wahr, besonders aus dem ältlichen, zu wenig weltlichen Fräulein Erhard, der unvergleichlichen Erziehungskünstlerin? Diese hat das Haubenmuster der inwendigen Gesinnung für die ganze Familie zurecht gesteckt, sich selbst aber die krauseste Religions-Frisur zurecht gezimmert. Ihr meint, wenn diese ihr Orakel kräht und die kleinen Augen verdreht, so müssen wir Ungläubige gleich unterducken. Ihr bin ich am meisten aufsässig, denn sie ist es eigentlich, die die ganze Familie in Grund und Boden verdorben hat.“

Jetzt standen sie am Brunnen. Die Sonne war längst untergegangen, und aus der Finsterniß drehte sich ein Mensch hinter dem Weidenbusche hervor. „Ach! der Michel!“ rief der Baron: „können Sie, meine Herren, einen ehrlichen Bedienten brauchen?“

„Warum,“ fragte der Offizier, „habt Ihr die Dienste der trefflichen Baronesse verlassen, die so mütterlich für ihre Leute sorgt?“

„Ach! gnädiger Herr,“ sagte der Diener, „weil ich neulich so ein bischen unschuldig gelogen habe, bin ich gleich fortgeschickt worden.“

„Das ist recht!“ rief der Offizier, „daran erkenn’ ich die edle Frau.“

„Alles ist nur ein Anstiften,“ fuhr Michel fort, von dem neidischen Fräulein Erhard: „die kann’s nicht leiden, wenn Mann und Weibsen sich gut sind, weil keiner sie aus dem ledigen Stande erlösen will, und seit sie vor vier Wochen sah, wie ich dem Hausmädchen einen Kuß gab, hat sie mir’s nachgetragen.“

„Wie gemein!“ rief Alfred aus.

„Ja, mein gnädiger Herr,“ sagte der Diener, „sie ist nicht vornehm, aber hübsch, und Kuß bleibt Kuß. Nun hatt’ ich eines Tags, auch wegen des Mädchens, ein neues Buch von der Stadt zu holen vergessen, es sollte so ein recht superkluges, andächtiges seyn, da sagt’ ich in der Angst, das Buch sei schon verliehen, das kam heraus, daß ich gar nicht weggegangen war, und da wurde ich nun um das bischen Lügen gleich aus dem Dienst geschickt.“

„Können Sie ihn brauchen?“ fragte der Baron die beiden jungen Leute; diese versicherten aber: sie würden sich nie mit einem Menschen zu thun machen, der in der edelsten und nachsichtigsten Familie nicht einmal hätte geduldet werden können. „Nun so bleib indessen bei mir,“ schloß der Baron, „aber lüge so wenig als möglich.“

„Gewiß, gnädigster Baron,“ rief der Mensch aus, „vorsätzlich niemals; es kommt einem manchmal in der Angst eine sogenannte Nothlüge in den Hals, die, meinte selbst mein alter Priester da hinten in meinem Dorfe, sei wohl noch zu vergeben; aber meine gnäd’ge Herrschaft legt alles auf die Goldwage, und in einem Hause, wo dann so die allerausgesuchteste Frömmigkeit und aufgeputzteste Tugend herrscht, da kommt ein armer, ordinärer Domestik durchaus gar nicht fort; wir sind zu irdisch, beste Herren, die vornehmen Leute haben es leichter, das schleift und schleift immer am Herzen und der Seele, dazu haben wir nicht Zeit vor Messerputzen und andern Verrichtungen. Fräulein Dorchen wollte mich auch entschuldigen und sagen, es wäre nicht so wichtig, die kam aber übel an, auf die schrieen sie alle zusammen noch mehr los, als auf mich. Die verachten sie alle, und sie ist doch die beste im Hause, weil sie nicht so hoch hinaus will, denn der Mensch ist doch einmal aus einem Erdenklos formirt, und da rührt sich von Zeit zu Zeit der alte Lehm und Thon in ihm.“

„Sie passen gut zusammen, Sie und Michel,“ sagte lachend der Offizier.

„Aber halt!“ rief der Baron, „ich habe Dich nun in meine Dienste genommen, und ganz vergessen, daß morgen die Fräulein Ehrhard auf einige Zeit in mein Haus kommt. Ja, meine Freunde, ich kann diese Person gar nicht leiden, aber da ich mit meiner jungen Schwester lebe, die nun ganz aufgewachsen ist, mancher Mensch bei mir aus- und eingeht, ich auch oft außer dem Hause bin, so muß sie doch, da ich nicht zu heirathen Willens bin, eine Gesellschaft und Aufsicht haben. Da hat sich das verdrehte Weibsen entschlossen, es bei mir zu versuchen, denn sie weiß wohl, daß es bei mir gut hergeht, nicht so arm, wie dort in der Familie; ich sehe auch oft Gesellschaft, vielleicht denkt sie leichter einen Herzenskumpan bei mir zu finden, als dort in der Einsamkeit. So versuchen wir es denn auf einen Monat, oder so mit einander.“

„Alles recht fein gemein konstruirt!“ sagte der Rath: „wenn Sie nur geringe Motive finden, so begreifen Sie die Sachen.“

„Kann nicht anders,“ sagte der Baron. Sie schieden, da sie schon das Stadtthor erreicht hatten.

———

Am andern Morgen war im Hause der Baronesse schon früh viel Unruhe. Im großen Saale, der unmittelbar in den Garten führte, war die ganze Familie mit Sonnenaufgang versammelt. Man zog Blumenkränze an den Wänden auf, ein geschmückter Tisch stand unter einer Thüre, mit Kleidern, Büchern und mannigfaltigen Angedenken bedeckt, und man erwartete nun die älteste Tochter Dorothea, die täglich den Garten am frühesten Morgen zu besuchen pflegte, um sie mit diesen Geschenken und dieser Festlichkeit erfreulich zu überraschen. Es war ihr Geburtstag, und Mutter und Töchter hatten alles anordnen können, ohne daß sie es bemerkte, weil sie sich niemals um den Kalender sonderlich bekümmerte. Jetzt kam sie den Garten herunter, und sah schon aus der Ferne die versammelten Geschwister. Als sie erstaunt in den Saal trat, und Alle sie freundlich umringten, die verschiedenen Gaben darboten, und Schwestern und Mutter sich so ungewöhnlich liebevoll bezeigten, war sie tief gerührt und um so heftiger erschüttert, je weniger sie diese Feier der Liebe erwartet hatte.

„Wie neu ist mir dies!“ rief sie aus: „ach! wie wenig habe ich das um Euch verdienen können! Liebt Ihr mich denn wirklich so? Alle diese Geschenke, dieser Glanz, diese freundliche Aufmerksamkeit, wie kann ich es Euch vergelten? Ich bin so überrascht, daß Ihr alle so an mich Arme denken mochtet, daß ich Euch noch gar nicht einmal danken kann.“

„Liebe uns nur recht innig,“ sagte die Mutter, sie herzlich umarmend, „sondere Dich nicht so ab, komm uns allen mehr entgegen; erkenne, wie wir es meinen, und bemühe Dich, in unsere Gefühle und Ansichten einzugehen; denn wir suchen ja nur das Gute, wir wollen ja nur das Rechte. Diese Deine Launen, mein geliebtes Kind, Dein störriger Sinn, der Dich den Freunden und Geschwistern entfremdet, der Dich geringeren Menschen entgegen führt, ist eine Unart und Verwöhnung Deines Geistes. Du wirst und kannst die Wahrheit erkennen, sobald es nur Dein ernstlicher Wille ist.“

„Ich will besser werden,“ sagte die weinende Tochter, „ich verspreche es Ihnen in dieser Stunde, die mich so unendlich bewegt.“

Alle herzten und küßten sie, und Dorothea, die schon seit lange als ein Fremdling in ihrer Familie stand, fühlte sich wie in einem neuen Leben. Sie sah Alle prüfend an, sie liebkoste Jeden, sie ließ sich die Geschenke zeigen und erklären; es war, als wäre sie von einer langen und weiten Reise zurück gekommen, und begrüße jetzt die Ihrigen nach schmerzlicher Trennung. „Wenn ich nur auch für Euch alle etwas thun könnte!“ rief sie aus.

„Wenn Du es ernstlich willst,“ antwortete die Mutter, „so kannst Du uns heut Alle, vor allen aber mich, unbeschreiblich glücklich machen.“

„Nennen Sie,“ rief Dorothea, „sagen Sie, was ich thun soll.“

„Wenn Du heut an diesem feierlichen Tage,“ fuhr die Baronesse fort, „endlich Deine so lange verweigerte Einwilligung geben, wenn Du unsern Freund Wallen heut mit Deinem Worte beglücken wolltest, den Du gestern so unziemlich gekränkt hast.“

Dorothea wurde blaß und trat erschreckend zurück. „Dies fordern Sie?“ sagte sie stotternd: „ich dachte, ich hätte darüber ein für allemal meine Erklärung gegeben.“

„Deine Leidenschaftlichkeit,“ sagte die Mutter, „kann für keinen vernünftigen Entschluß gelten. Du liebst keinen Mann, wie Du oft gesagt hast, Du kennst kaum einen, den Du achten möchtest; dieser edle Freund ist Dir mit der schönsten Herzlichkeit ergeben, er bietet Dir ein Glück an, das Dir so schön nicht wieder entgegen kommt, wenn Du es jetzt von Dir weisest; Du kennst die Lage Deiner Familie, wie mißlich es mit unserm Vermögen steht; Du kannst die Wohlthäterin Deiner Mutter, die Versorgerin Deiner Schwestern werden. Hast Du wohl schon bedacht, mein liebes Kind, wie trostlos Deine eigne Zukunft seyn muß, wenn Du auf Deinem Eigensinn beharrst? Von Männern und Frauen verlassen, den Deinigen empört und gehässig, einsam und ganz verloren in einer kalten, höhnenden Welt, arm und ohne Hülfe! Wirst Du Dich alsdann nicht in Deine Jugend zurück sehnen, und in bitterm Schmerz bereuen, daß Du jetzt alles Glück für Dich und die Deinigen so muthwillig, so unbedacht von Dir gestoßen hast? Fordert dieser edle Mann denn Liebe und Leidenschaft von Dir, wie sie wohl in unsern verkehrten Büchern geschildert werden? Will er mehr als Freundschaft und Achtung? Und kannst Du ihm diese versagen? Er ist zu allen Aufopferungen bereit, die unsere drückende Lage fordert, und die sein großer Reichthum möglich macht; aber wenn Du ihn so spröde verhöhnst, und er tritt beleidigt und beschimpft zurück — wer weiß, wo Deine Geschwister oder Deine Mutter und Du selbst noch einmal im Alter ein schnödes Almosen erbetteln müssen, wo ich noch krank und hülflos liege, und Dein weinendes Auge dann umsonst in diese Tage sehnsüchtig zurück blickt, die dann auf ewig verschwunden sind.“

„Hören Sie auf, meine geliebteste Mutter!“ rief Dorothea im größten Schmerze aus. „O leider, leider ist das Recht ganz auf Ihrer, und das Unrecht durchaus auf meiner Seite. Nein, ich habe noch nie geliebt, und werde es nie, mein Herz ist für dieses Gefühl verschlossen; die Männer, die ich gekannt habe, flößen mir alle ein Gefühl des Widerwillens ein, viele des Mitleids, um nicht Verachtung zu sagen; ich sehe ja ein, daß eine Ehe, die auf Vernunft sich gründet, die uns in Wohlstand und Sorglosigkeit versetzt, etwas Wünschenswerthes seyn muß; daß ich durch ein einziges Wort Sie und uns alle beglücken kann, daß es wohl edel ist, wenn ich es ausspreche, daß es die Nothwendigkeit vielleicht von mir erzwingt, und Kindespflicht und die edelsten Rücksichten — und doch — warum schaudert mein Gefühl davor zurück? — Ach, liebe Mutter, wenn nur eins nicht wäre, — darf ich es sagen? werden Sie mich nicht ganz mißverstehn? O gewiß! denn ich verstehe mich ja selber nicht.“

„Sprich, mein geliebtes Kind,“ sagte die Mutter im freundlichsten Tone, „ich werde Dein Herz fühlen, wenn ich auch nicht ganz Deine Worte fasse.“

Dorothea zögerte, sah sie bittend an, und sagte endlich verlegen und mit bittender Stimme: „Oft habe ich mir selbst die Frage vorgelegt, ich habe mich in einsamen Stunden ernst geprüft, und mir schien dann wohl, als könnte ich meine Hand in die des würdigen Mannes fügen, den Sie alle, den die ganze Welt verehrt, wenn er nur nicht —“

„Nun?“ rief die Mutter.

„Wenn er nur nicht fromm wäre,“ sagte die Tochter hastig.

Eine lange Pause der Verlegenheit entstand. Dorothea war glühend roth geworden, die Schwestern traten scheu zurück, die Mutter schlug den Blick nieder, und wandte ihn dann um so schärfer prüfend auf die Arme, die Allen und sich selbst fast eine Entartete schien. Endlich sagte die Mutter: „Nun, wahrlich, das muß mich überraschen, und wenn ich dies in Dir verstehe, so möchte es mich auch mit Schauder erfüllen. Also Du bekennst nun öffentlich Deinen Abfall von Gott? Du bist also darüber mit Dir einig, daß das Heilige Dir ein Anstoß und Greuel ist? Du kannst das nicht lieben, was die Liebe selber ist? So geh denn und verläugne das Göttliche, lebe ruchlos und stirb vom Himmel verlassen.“

„Sie verstehn mich nicht,“ rief Dorothea mit einem hohen Unwillen: „das ist ja das Unglück meines Lebens, daß Alles an mir mißdeutet wird, wenn ich es noch so gut meine. Vielleicht würde mir Herr von Wallen ganz recht seyn, wenn ich nur nicht wüßte, daß er so fromm ist, ja vielleicht würde ich ihn alsdann für fromm halten.“

„Trefflich!“ sagte die Mutter in schmerzlicher Entrüstung: „wenn wir selber verderbt sind, so ist es freilich am bequemsten, an den Würdigen ihre Tugend zu bezweifeln. Damit sprichst Du auch zugleich aus, wie Du von mir denkst, und was ich überhaupt von Deiner Kindesliebe zu erwarten habe.“

„Sie sollen, Sie werden sich irren!“ rief Dorothea fast im Zorne aus: „ich will mehr thun aus Liebe für Sie, als ich vor mir selbst verantworten kann, ich will mich heute Abend, darauf gebe ich Ihnen jetzt mein Wort, mit dem Herrn von Wallen verloben.“

Ein allgemeiner Ausruf der Freude, Thränen, Umarmungen, Schluchzen unterbrachen und ersetzten jedes Gespräch. Der Wortwechsel verwandelte sich in das lauteste und fröhlichste Getümmel, Alle hatten die Fassung verloren, und drückten Liebe und Entzücken heftig und übertrieben aus. Nur Dorothea war nach ihren letzten Worten plötzlich wieder ganz kalt geworden, und gab sich ohne alle Erwiederung still den Liebkosungen hin.

„O Du mein geliebtes Kind!“ sagte die Mutter endlich wieder gefaßt, „ja, ich habe Dich mißverstanden, und Du wirst mir verzeihen; macht ja diese unerwartete freiwillige Erklärung Alles wieder gut. Und jetzt darf ich Dir auch noch das schönste und kostbarste Geschenk zu jenen Gaben der Liebe hinzufügen, diesen Schmuck, den Dir der Baron sendet; ich habe ihn zurück gehalten, weil ich wirklich an Deinem schönen Gefühle zweifelte.“

Die Tochter sah die Mutter mit großen Augen an, dann warf sie einen kalten Blick auf die kostbaren Steine, und legte sie ruhig zu den Blumen auf den Tisch. Das Frühstück ward gebracht, und man war nach der lauten Scene um so ruhiger, kein Gespräch wollte in den Gang kommen. Es läutete zur Kirche, die Bedienten brachten Mäntel und Bücher. Dorothea legte ihr Andachtsbuch aus der Hand und sagte: „Sie verzeihen wohl, liebe Mutter, wenn ich Sie heut nicht zur Kirche begleite, ich bin zu gespannt, ich will mich hier in der Einsamkeit indeß zu sammeln suchen und auf unsere Mittagsgesellschaft vorbereiten, noch mehr auf den Abend.“

„Wie Du willst, mein holdes Kind,“ antwortete die Baronesse: „zwar wäre die Kirche und die Rede unsers frommen Seelsorgers wohl der natürlichste Ort und Anlaß, Deine Gedanken zu sammeln, indessen hast Du einmal Deine Art und Weise, sie bleibe Dir ganz unbekrittelt. Es ist augenscheinlich der Himmel selbst, der Dich, Geliebte, die Du es am meisten bedarfst, unserm geliebten Wallen zuführt; an seinem Arm wirst Du anders denken lernen, und vielleicht erlebe ich es noch, daß Du uns alle beschämst und in höherem Glanze voran leuchtest.“

Als sich Dorothea allein sah, musterte sie, fast gedankenlos, die Geschenke. Die schimmernden, kostbar gebundenen Bücher waren von jenen neuen religiösen, denen sie nie ein Interesse hatte abgewinnen können. Was macht es? sagte sie zu sich: ist denn die Erde selbst, das ganze Leben so sehr der Rede werth? Warum will ich mit so großem Widerwillen die Rolle durchführen, die mir einmal aufgegeben ist? Was ich mir früher dachte und vorsetzte, ist ja doch nur Traum und leere Einbildung! Ich sehe ja, wie alle, alle Menschen nur spielen und Erhebung heucheln, dann gern und beruhigt in die Gemeinheit sinken. Ist es das allgemeine Schicksal, warum will ich mich so heftig dagegen sträuben? Entsetzlich ist es! aber endlich, früh oder spät, löst ja doch der Tod das verwickelte Netz dieses Lebens, und jenseits wird es ja doch wohl Freiheit geben.

Mit ihrer Stimmung wurde auch der Himmel finsterer. Dunkle schwere Wolken zogen näher, und schienen ein Gewitter herbei zu führen. Ein schlanker Mann kam den Garten herauf und näherte sich dem Saal. Als er eintreten wollte, ging sie dem Fremden, der ein Mann von Stande zu seyn schien, entgegen. Sie begrüßten sich, und der Unbekannte bat um die Erlaubniß, verweilen zu dürfen, er habe in der Lindenallee sein Pferd dem Diener übergeben, und sei dann in den offenen Garten gerathen; er bedauerte, die übrige Familie nicht zu finden, worauf ihn Dorothea einlud, im Saale das Gewitter abzuwarten und zu verweilen, bis Mutter und Schwestern aus der Kirche zurück kehren würden.

„Sie scheinen beim Gewitter nicht ängstlich zu seyn,“ bemerkte der Fremde.

„Doch,“ erwiederte Dorothea, „wenn es allzunahe kommt, und Feuer und Schlag eins und dasselbe werden; ich glaube auch, daß sich alsdann wohl alle Menschen mehr oder minder fürchten; denn wo es keinen Widerstand giebt, wo ein plötzlicher unversehener Augenblick mich wegraffen dürfte, da ängstet es mich gerade, daß ich nicht auf meiner Hut seyn kann. In diesen Augenblicken beruhigt nur der Glaube an ein nothwendiges Fatum und die Betrachtung, daß ich nichts Besseres bin, als die Tausende meiner Mitmenschen, die demselben Schrecken ausgesetzt sind.“

„Diese Gesinnung,“ sagte der Unbekannte, „muß ich eine tapfere nennen, im Gegensatz jener schwachen, die bei den Damen gar nicht selten ist, wenn sie beinahe in Furcht vergehn, alle Fassung verlieren und in Thränen jammern, indem nur noch das fernste Wetterleuchten herüber schimmert.“

„Wohl,“ sagte Dorothea, „und ich sorge schon um Mutter und Schwestern, die nur gar zu reizbar sind. Ich mag es nicht tadeln, weil es wohl, wie so viele krampfhafte Furcht, Krankheit des Körpers seyn mag.“

„Es ist nicht so leicht zu entscheiden,“ bemerkte der fremde Mann, „weil wir erst ernsthaft versuchen müßten, was der starke Wille denn wohl vermag, und ob, wenn die Seele sich zwingt, nicht auch der Körper wenigstens einige Schritte mitgeht, und von selbst da Gesundheit entsteht, wo die eigenwillige Stimmung die Kränklichkeit erzeugt hat.“

„Das führt auf die Frage,“ sagte Dorothea, „in wie fern wir frei sind, und was wir im Geist und Körper durch Vorsatz vermögen.“

„Gewiß,“ erwiederte jener, „und nicht blos diese, alle ernsten Betrachtungen führen zu der großen Frage. Ohne diese uns beantwortet zu haben, können wir auch für nichts Interesse fassen, und weder an uns, noch an andere glauben.“

„Freiheit!“ seufzte Dorothea, wie vor sich hin phantasirend: „Sie glauben also daran? Ich auch ehemals, als ich jünger war.“ —

„Jünger, mein Fräulein? das klingt von Ihren schönen Lippen sonderbar. Ich zweifelte als Jüngling, und habe erst später diese Ueberzeugung fassen lernen.“

„Vergeben Sie,“ rief Dorothea beschämt, „daß ich mich mit Ihnen in dergleichen Worte verliere, da ich“ —

Der Fremde unterbrach sie: „Behandeln Sie mich nicht wie einen unbekannten jungen Menschen, der nur da seyn darf, um Ihnen etwas Verbindliches zu sagen. Sie sind mir mit einem schönen und ernsten Vertrauen entgegen gekommen, und ich weiß, daß ich dessen nicht unwerth bin.“

Und wirklich schien es, als spräche Dorothea mit einem alten Bekannten oder Bruder, so wenig war dieser Mann — nach dessen Namen sie selbst zu fragen vergaß — ihr fremd. Seit lange hatte sie nicht dieses Gefühl gehabt, ihre Gedanken, ohne Furcht, mißverstanden zu werden, aussprechen zu dürfen; dies gab ihr eine Behaglichkeit, daß sie auf das heranrückende Gewitter nur wenig achtete, und selbst den Abend vergaß, an welchen sie so eben noch nur mit Entsetzen hatte denken können. Im Verlauf des Gesprächs erzählte der Fremde von seinen Reisen, Manches von seinen Schicksalen; er erinnerte sich seiner Jugend, und bekannte endlich, daß er dies Haus, und vorzüglich den vor Jahren verstorbenen Vater des Fräuleins oft gesehn habe. „Sie sehen Ihrem Vater wunderbar ähnlich,“ beschloß er, „und ich habe gleich Anfangs diese freundlichen Lineamente nicht ohne Rührung betrachten können.“

Dorothea war überrascht, als sie die Familie schon aus der Kirche zurück kommen sah. Man begrüßte den Fremden, die Mutter trat fast erschrocken zurück, und Dorothea erblaßte, als sie ihn Graf Brandenstein nennen hörte. Er ward höflich zu Tische geladen, und der alte Baron Wallen erschien ebenfalls, so wie der Rath Alfred und der junge Offizier; beide waren aus der Stadt herüber geritten. Die Familie kleidete sich um, und Dorothea war in ihrem einsamen Zimmer in tiefen Gedanken verloren. Die Welt lag sonderbarer als je vor ihrem Geiste da, sie konnte sich kaum zurecht finden, um ihren bescheidenen Putz zu ordnen, und als sie nachher wie träumend zur Gesellschaft zurückkehrte, erschienen ihr alle Gesichter wie hart und gespannt, ja, als fremd, besonders aber die weiche, gesalbte Miene des Barons wie zum Erschrecken verzerrt, und ein Gefühl, als wenn sie lachen solle, bemeisterte sich wie ein Frost ihres ganzen Wesens, indem sie sich erinnerte, daß sie diesen Mann noch heut Abend für ihren Bräutigam erklären müsse. Wie widrig ihr der junge Offizier und Rath auffielen, so bekannt, vertrauensvoll und milde leuchteten ihr die Blicke des Grafen entgegen, den sie als einen bösen und gefährlichen Menschen noch gestern hatte schildern hören.

Er schien allein unbefangen am Tische. Mit Behaglichkeit erzählte er von seinen Geschäften, die er für seinen amerikanischen Freund betrieb; er nannte die Güter, die er schon gekauft hatte, oder um welche er noch in Unterhandlungen stand, und man verwunderte sich über den Reichthum des unbekannten Mannes, der die schönsten Besitzungen zu einer großen Herrschaft vereinigen konnte. Durch die Gewandtheit des Grafen ward die Unterhaltung bald freier, und der Baron, welcher dem Gefühle, das ihn bedrängte, wie mit Gewalt widerstand, suchte das Gespräch an sich zu reißen und zu beherrschen, vorzüglich wohl, damit die Jugend und die Frau des Hauses nicht in der gewohnten Verehrung nachlassen möchten.

Wie es aber zu geschehen pflegt, daß ein Gespräch, wenn es nicht mit leichter Unbefangenheit und feinem Sinne geführt wird, wohl in Anmaßung und Spannung eine polemische Natur annimmt, so war es auch hier; denn die Reden und Aeußerungen des Barons waren alle verhüllte Angriffe gegen den Grafen und dessen Meinungen, wie er sich diese nach der Schilderung desselben dachte. Der Graf achtete diese Demonstrationen Anfangs wenig; er unterhielt sich hauptsächlich mit Dorotheen, die neben ihm saß, sprach von seinen Geschäften, und sagte endlich auch, wie im Scherz, er habe zugleich von seinem amerikanischen Freunde den Auftrag erhalten, ihm eine Gemahlin zu suchen.

„Das kann wohl von Ihnen beiden nicht ernsthaft gemeint seyn,“ sagte die Baronesse.

„Und warum nicht?“ erwiederte der Graf in heitrer Laune, „mein Freund ahmt ja hierin nur den regierenden Fürsten nach, durch Anwalde und nach politischen Rücksichten zu unterhandeln. Er ist nicht mehr jung und kann nicht erwarten, Leidenschaft zu erregen; er hat in der Jugend traurige Erfahrungen gemacht, und an seinem eignen Unglück, so wie an manchem Freunde erlebt, daß dasjenige, was die Menschen Liebe nennen, nur weichliche Sehnsucht, oft Eitelkeit, zuweilen sogar Verblendung sei, und die meisten Ehen, die in scheinbarer Leidenschaft geschlossen werden, nur ein dürftiges, ganz kümmerliches Leben, oft Elend herbei führen. Ich bin sein ganz vertrauter Freund, und er rechnet auf meine Menschenkenntniß, daß ich ihm ein Loos ziehen werde, welches ihm geziemt.“

Der Baron erwiederte, daß ihm ein solches Unternehmen immer noch mißlich scheine, und daß der Unbekannte dabei doch das Glück seines Lebens auf das Spiel setze.

„Glück?“ nahm der Graf das Wort auf: „gewiß, wenn er sich jenes Unbedingte, Unendliche und Unaussprechliche dabei dächte, was die Jugend gewöhnlich mit diesem Worte verbindet. Wo finden wir dies? Wer sich nicht zu beschränken versteht, wird nichts erlangen, am wenigsten, was jenseit aller Schranken liegt. Die Resignation mag Anfangs bitter scheinen, aber ohne sie ist kein Zustand des Lebens zu ertragen; denn wenn wir mit uns nur wahr umgehen, so müssen ja doch auch alle Entzückungen unmittelbar der Wehmuth Platz machen, ja sie sind eins mit dieser, und Schönheit, Kunst, Begeisterung, Alles ist für uns irdische, vergängliche Menschen nur da, indem es vergänglich ist, obgleich die Wurzel alles Göttlichen in der Ewigkeit ruht.“

„Sonderbar!“ sagte der Baron: „somit wäre auch die Andacht und die Frömmigkeit, das Erkennen des Himmlischen diesem Wandel unterworfen?“

„Ich glaube,“ sagte der Graf, „wer nicht irdisch seyn mag, kann auch nicht überirdisch seyn; Nacht und Tag, Schlaf und Wachen, Erhebung und Gleichgültigkeit müssen sich ablösen. Wir beklagen mit Recht, daß es so ist und seyn muß, aber es kann nicht anders; wer aber die Erleuchtungen der Andacht, die Entzückungen einer himmlischen Liebe zu einem stehenden Artikel in seinem Herzen machen wollte, der dürfte sich wohl auf dem allergefährlichsten Standpunkte befinden, auf den der Mensch sich nur wagen kann.“

„Sie sind einmal als Freigeist bekannt,“ antwortete die Mutter, „und es wird Ihnen bei uns nicht gelingen, unsere klare Ueberzeugung zu trüben.“

Kunigunde sagte mit einem schmelzenden Tone: „Sie meinen also, es sei gefährlich, den Herrn zu lieben?“

Brandenstein mußte lächeln: „Gefährlich, wie alle Liebe, schöne Frau,“ erwiederte er leicht, „besonders, wenn man den Gegenstand, den man zu lieben unternimmt, nicht kennt, oder sich eine ganz unrichtige Vorstellung von ihm macht; noch schlimmer, wenn wir ein Phantom aus ihm bilden, das alle unsre Vorurtheile bestärken, uns in unsern Schwächen Recht geben, unsere Fehler und Irrthümer autorisiren soll. Da dürften wir unser thörichtes Herz leicht an ein Gespenst verschenken, wie einige alte Mährchen etwas Aehnliches erzählen, und uns entsetzen, wenn uns die wahre Gestalt des Göttlichen einmal in einer erleuchteten Minute erschiene.“

Dorothea hörte aufmerksam zu, und der Baron sagte nicht ohne Verdruß: „Die Liebe kann nicht irren. Wo sonst einen Wegweiser auf unserm Pfade suchen?“

„Wenn sie die wahre ist, nicht,“ erwiederte der Graf: „aber über diese täuschen wir uns selber nur gar zu leicht; denn wenn unsere Leidenschaften nicht Sophisten wären, so wären sie eben auch keine Leidenschaften.“

„So ist denn der Zweifel,“ sagte der Baron zürnend, „das Einzige, was wir gewinnen können.“

„Er sei unser Diener,“ antwortete der Graf, „der die Wege untersucht, unser Thor, der mit nüchternem Spaß uns vor dem Allzuviel oder vor Uebereilung warne. Kinder und Narren reden aber, wie das Volkssprichwort sagt, die Wahrheit: zuweilen wenigstens, wenn nicht oft und immer.“

„Eine Mutter,“ sagte die Baronesse, „weiß, was Liebe ist; der Mann behält vielleicht immer eine dunkle, zweifelnde Vorstellung von dieser Kraft. Auch ist die That immer mehr als das Wort, und so habe ich meine Kinder erzogen und mit ihnen gelebt, ganz in Liebe, keinen blinden Gehorsam, nie etwas Unvernünftiges von ihnen fordernd, immer habe ich mich ihnen geopfert; aber sie haben schon lallend meine Liebe erkannt und erwiedert, auch sie haben nur ihren Herzen folgen dürfen, und Strenge, Furcht und dergleichen ist ihnen völlig unbekannt geblieben.“

Die Töchter sahen die Mutter zärtlich an, die Mutter hatte Thränen im Auge, nur Dorothea blickte scheu vor sich nieder, und der Baron sagte begeistert: „Man kennt und verehrt diese musterhafte Erziehung, und wer an Liebe zweifelt, komme und sehe diesen Familienkreis.“

„Fern sei es von mir,“ sagte Brandenstein, zu Dorotheen gewendet, „mit rohem Gefühl diese zarte Liebe nicht anerkennen zu wollen; nur meine ich, wenn ich mich meiner glücklichen Kindheit erinnere, daß die Liebe zu den Aeltern, und eine gewisse religiöse und edle Furcht vor ihnen ein und dasselbe seyn müßte; denn durch die letztere scheint mir meine Kindesliebe erst ihre wahre Kraft und Innigkeit erlangt zu haben, auch soll ja diese heilige Scheu vor etwas Unbegreiflichem in den Aeltern jenen blinden, unbedingten Gehorsam erzeugen, in welchem sich das Kind eben so glücklich fühlt; denn ohne diesen Gehorsam findet, scheint es mir, weder Erziehung noch Liebe statt.“

Die Mutter sah die älteste Tochter, welche derselben Meinung zu seyn schien, bedenklich an, und sagte dann mit etwas gespitztem Tone: „Ich habe es vorgezogen, meine Kinder früh zu überzeugen, und wo das nicht möglich war, stimmte ich sie so, daß sie aus Liebe zu mir das thaten, was sie nicht einsehen konnten.“

„Ich verehre Ihre Erziehung,“ sagte der Graf, „denn wer möchte in dieser schönen Umgebung dagegen streiten? Doch dürften diese Auswege vielleicht etwas zu kostspielige Surrogate für den einfachen und wohlfeilen Gehorsam seyn.“

Der Baron wandte sich verstimmt an den Rath Alfred, und das Gespräch nahm eine andere Wendung. Der junge Offizier erzählte mit Selbstgenügsamkeit, daß er neulich die Gesellschaft, zu der ihn eine Dame eingeladen hatte, ohne alle Entschuldigung vermieden habe, da es ihm sündlich scheine, eine Unpäßlichkeit oder ein Geschäft vorzuschützen. Man lobte diesen Wahrheitstrieb und meinte, diese Art und Weise müßte in der Gesellschaft die allgemeine werden, wenn sie sich vor der leeren Affectation, Heuchelei und fortwährenden kleinen Lüge retten wolle. Auch die Mutter stimmte zögernd in diese Behauptungen ein, ob sie gleich befürchtete, daß dergleichen nur schwer möglich zu machen sei, ohne zugleich die feinen Bande der Geselligkeit völlig zu lösen; doch sei eben darum die Tugend des Einzelnen, der den Muth habe, sich über diese Rücksichten hinweg zu setzen, um so mehr zu preisen. „Nichts,“ fuhr sie fort, „habe ich bei meinen Kindern so sehr zu erwecken und zu beleben gesucht, als den heiligen Wahrheitstrieb; ich habe sie bewacht, daß sie sich nie auch nur die kleinste Unwahrheit, ja selbst im Scherze nicht, erlauben durften. Immer auch habe ich mich bestrebt, alle Fragen wahr zu beantworten, aus dem Unterricht alles zu entfernen, was nicht klar und deutlich gemacht werden konnte; am meisten aber vermied ich jene unsinnigen Mährchen und lügenhaften Geschichten, die Furcht und Aberglauben nähren, und das Gemüth der Kinder wohl am allermeisten der Wahrheit entfremden.“

Der Baron führte diese Sätze noch mehr aus, und alle Uebrigen stimmten ein, außer dem Grafen, welcher äußerte, daß es eine der schwierigsten Antworten seyn möchte, zu sagen, was denn Wahrheit, die eigentliche Wahrheit sei. „Die Menschen,“ meinte er, „suchen sie in allen Richtungen schon seit Jahrtausenden, und auch hier muß, wie fast immer, der gute Wille, wahr seyn zu wollen, nur zu oft die Sache selbst vertreten. Will ich gegen Kinder oder Schwache immerdar auf alle Fragen die Wahrheit sagen, so komme ich in die Gefahr, gar nicht mehr wahrhaft seyn zu können; denn das Letzte beruht ja doch auf einem Geheimniß, das ich eben so wenig läugnen darf, als ich es erklären kann. Und zu diesem Unsichtbaren hin drängen uns Phantasie und Gefühl schon sehr früh, und der Lehrer, der die junge Ungeduld hiervon entfernen will, muß nur wieder zu einer andern Lüge seine Zuflucht nehmen, die vielleicht in falscher Aufklärung eben so schlimm, als die des Abergläubigen ist. So scheint es mir auch nicht gut gethan, die Phantasie der Kinder nicht bilden zu wollen, auch in der sonderbaren Kraft, die das Grauen sucht, und blinde, wilde Schrecknisse ersinnt. Dieser Trieb ist in uns, er regt sich früh; und soll er unterdrückt werden, strebt man ihn zu vernichten, was nicht möglich ist, so wächst er in der finstern Tiefe fort und gewinnt an Macht, was er an Gestaltung verliert. Ich habe weibliche Wesen gekannt, die man aus übertriebener Aufklärung selbst vor dem unschuldigsten Mährchen bewahrte, und die in reifen Jahren es nicht über sich vermochten, am Abend auch nur durch das benachbarte Zimmer zu gehen, so bezwang sie ein namenloses, ganz kindisches Grauen, so daß sie vor jedem Laut, vor jedem Schatten ohnmächtig erzitterten. Wird dagegen in der Kinder-Phantasie auch das Seltsam-Aengstigende in Gestalt gebracht, wird es in Mährchen und Erzählungen gesänftiget, so vermischt sich diese Schattenwelt sogar mit Laune und Scherz, und sie selbst, die verworrenste unsers Geistes, kann ein Wunderspiegel der Wahrheit werden. Durch diese Krystallseherei können wir weitentfernte und doch befreundete Geister wahrnehmen, die uns in sichtlicher Nähe nur höchst selten vorüber schweben.“

„Daß Sie ein solcher Freund des Aberglaubens sind,“ erwiederte die Baronesse, „muß ich erst jetzt von Ihnen erfahren.“

Dorothea schien kein Wort dieser sonderbaren Unterredung zu verlieren; sie sah Kunigunden an, auf welche jene Schilderung einer unvernünftigen Angst, die sie oft sogar am Tage befiel, buchstäblich paßte; auch waren die andern Schwestern zuweilen kindisch genug, und scheuten am Abend jeden Gang. Kunigunde war empfindlich, sie glaubte, der fremde Gast kenne diese ihre Schwäche, und habe sie nur schildern wollen. Die Mutter konnte ihre Verlegenheit nicht ganz verbergen.

„Der Gesellschaft,“ fuhr Brandenstein fort, „kann ich mich nicht immer mit der nackten Wahrheit nahen, denn sie fordert und erwartet sie nicht von mir. Ich darf die Tugenden der Einsamkeit nicht in sie werfen, wenn ich nicht den Zauber, durch welchen sie für den gebildeten Menschen so reizend wird, zerstören will. Man findet allenthalben schlechte Gesellschaft, die ich wahrlich nicht preisen will; aber daß man das feine Leben, die zarteren Bande der gebildetern Welt, das anmuthige Verhältniß der Geschlechter, die Formen, welche Witz und Lebensart erfanden, so oft schmähend mit den Gesetzen und Bedingnissen eines sinnreichen Kartenspiels verglichen hat, ist mir zwar nicht unpassend, aber sonderbar vorgekommen, und unbegreiflich, daß man nicht die Mannigfaltigkeit des Lebens und dessen nothwendige Figuren hat anerkennen wollen. Man muß nur eine Zeitlang mit bäuerischen Menschen gelebt haben, die ihre rohe Zutäppigkeit für biedere Tugend so oft verkaufen wollen, die alles verletzen, die kein Geheimniß, kein zartes Verhältniß anerkennen, sondern alles Geistigere Affectation und Heuchelei taufen; man muß Wochen lang diesem rohen Betasten und Anpacken, und der drückenden Langeweile ausgesetzt gewesen seyn, um den Adel eines feinen, geistreichen Umgangs wieder schätzen zu lernen. Hier gilt denn freilich nicht immer das blanke Ja und Nein; und mit der sogenannten Wahrheit die gegebenen Formen, durch welche diese Erscheinung sich nur darstellen läßt, umstoßen wollen, ist eben so unbillig, als wenn ich die Gesetze eines künstlichen Schachspiels Lüge nenne, mit meinen Bauern gleich in das letzte Feld des Gegners rücke und mein Spiel für gewonnen erkläre.“

„Sie sind ein ziemlicher Sophist,“ sagte der Baron. „Es fehlte noch, daß die Verläumdung, Klatscherei, Neid und Verfolgung der großen Gesellschaften einen Lobredner fanden; es bleibt dann nur noch übrig, die stille Tugend, die schöne Bürgerlichkeit, die kindliche Unschuld und edle Einfalt der nichtvornehmen Welt zu schmähen.“

„Sie können mich unmöglich so mißverstanden haben,“ sagte der Graf: „ich meine nur, man soll Bedingnisse, die jedes Spiel und Kunstwerk nothwendig macht (und die gute und feine Gesellschaft sollte wohl von beidem etwas haben), nicht mit Unwahrheiten verwechseln; denn auch im Tanz ist keine Wahrheit, wenn anders der gerade eilige Geschäftsschritt so zu nennen ist, und es dürften sich von dieser Ansicht her selbst gegen den Spaziergang nicht unerhebliche tugendhafte Zweifel aufwerfen lassen.“

„Immer ärger!“ rief der Baron: „zum Glück, mein scharfsinniger Graf, sprechen Sie alles dies in einer Gesellschaft, auf die es nicht schädlich einwirken kann.“

„Sie haben mich einmal hinein gezogen,“ erwiederte Brandenstein, „und so mögen Sie denn auch mein ganzes Glaubensbekenntniß hören. Ich denke, es hat noch keinen Menschen gegeben (und keiner wird kommen), der nicht irgend einmal in seinem Leben mit Bewußtsein gelogen hätte. Sei es nun Nothlüge oder Schwäche, Furcht, Eigennutz oder Eitelkeit, und wie sie alle heißen mögen, diese Flecken unsrer Natur; vielleicht auch, um nur einmal diesem Geiste zu folgen, der uns doch gar zu reizend verlockt. Und dürfen wir doch nur auf die erhabenen Apostel sehen, um zu lernen, daß sie ihrem Vorbilde, der ewigen göttlichen Wahrheit, nicht immer getreu zu seyn stark genug waren. Vieles dieser Art möchte ich die unschuldigen Lügen nennen, denen der bessere Mensch, eben weil sie so resolut sind, bald aus dem Wege gehn kann. Aber wie steht es denn mit jener gleissenden Eigenliebe, mit jenem prunkenden Egoismus, mit der ausgebildeten Heuchelei, die aus dem ganzen langen Leben mancher Menschen nur eine einzige Lüge bilden? Ich habe wenigstens einige gekannt, die so im Lügengeiste untergesunken waren, daß es für sie gar keine Wahrheit mehr gab. Und diese Menschen galten für tugendhaft, sie hielten sich selbst für Auserlesene, es war ihnen möglich, selbst auf dem Sterbebette die Rolle der Heuchelei fortzuspielen.“

„Dergleichen ist nicht möglich!“ rief der Baron, und Alle stimmten ihm bei; nur Alfred äußerte, es könne doch wohl dergleichen Verkehrtheit geben, worauf ihn Dorothea verwundert mit großen Augen ansah. „Sie sprechen überhaupt,“ fuhr der Baron fort, „von einer vorigen Welt; seit Ihrer Abwesenheit hat sich bei uns Alles so geändert, daß Sie, wenn Sie unser Vaterland erst wieder kennen lernen, kaum mehr eine Spur vom vorigen finden werden. Die alte Irreligiosität, jene leere Freigeisterei, die sich Aufklärung nannte, ist, dem Himmel sei Dank! ziemlich verschwunden; immer schöner entwickeln sich die Keime einer ächten Religiosität, man schämt sich nicht mehr, Christ zu seyn, an den Herrn zu glauben und sich im brünstigen Gebet zu ihm zu erheben. Die Kirchen sind wieder gefüllt, die höhern Stände verschmähen nicht mehr die Gemeinschaft ihres Nebenchristen, andächtige Bücher haben die frivolen von den Tischen unserer Weiber und Mädchen verdrängt, geläuterte Seelen unterhalten sich, statt mit Theatergeschwätz, über die Bibel, ermuntern sich zur Buße und Andacht, theilen sich die Erfahrungen mit, die sie an ihrem Herzen machen, stärken sich gegenseitig, und immer deutlicher spricht aus diesen erhobenen Gemüthern der Geist des Herrn. Alles dies, mein zweifelnder Freund, werden Sie wenigstens gelten und stehn lassen müssen, denn hier ist Wahrheit und Liebe, hier ist kein Irren möglich.“

Er hatte alles dieses mit großer Salbung gesprochen. Der Graf schwieg einen Augenblick, ehe er sagte: „Unser Tischgespräch hat eine so ernsthafte Wendung und einen so feierlichen Inhalt gefunden, daß es wohl passender wäre, abzubrechen, entweder auf eine stillere Stunde diese Eröffnungen zu versparen, oder ganz zu schweigen, weil man sich über diese wichtigen Gegenstände am leichtesten mißversteht.“

„Weil Sie sich jetzt völlig geschlagen fühlen,“ sagte der Baron, „so wollen Sie sich wenigstens einen sichern Rückzug vorbehalten. Ich dächte, es wäre jetzt Ihre Pflicht, offen zu gestehen, daß Sie über diesen Punkt nichts zu sagen wissen, wenn Sie nicht unverholen bekennen wollen, daß Ihnen jene fast vergessene Freigeisterei lieber als unsere heilige Religion sei.“

„O sprechen Sie!“ rief Dorothea, sich selbst vergessend.

„Sie sehen, wie dringend Sie aufgefordert werden,“ sagte die Mutter, indem sie einen langen und drohenden Blick zu Dorotheen hinüber warf; auch Alfred bat, daß der Graf sich erklären möchte, in wiefern er in diesem Punkt mit dem Zeitalter einverstanden sei.

„Da ich es nicht ganz umgehen kann,“ sagte dieser: „so will ich kurz andeuten, was ich habe beobachten können; denn da ich schon seit einem Jahre wieder in Deutschland bin, so ist mir nicht alles so fremd, wie Sie glauben, ob ich gleich erst seit kurzer Zeit meine Geburtsgegend hier wieder besucht habe. Könnte ich Ihnen allen nur das Vorurtheil benehmen, daß Sie mich, wie ich merke, für einen gottlosen Unchristen halten. Nein, ein solcher bin ich wahrlich nicht, aber ich muß mir nur das unbestreitbare Recht vorbehalten, auf meine Weise ein Christ seyn zu dürfen. Daß es jetzt, wie zu allen Zeiten, wahrhaft fromme und erleuchtete Gemüther giebt, und daß man diese verehren solle, wer möchte daran zweifeln? Das Bedürfniß des Glaubens hat sich wieder gemeldet, der Geist hat fast an alle Herzen geklopft, und Anmahnungen mancher Art und aus allen Gegenden haben sich vernehmen lassen. Ein klarer frischer Strom hat sich wieder durch die lechzende Ebene von den ewigen Gebirgen her ergossen, und der Kraft seiner Wogen folgen die Dinge und Wesen, welche er ergreift; unwiderstehlich fühlt sich Alles fortgezogen, und Groß und Klein, Stark und Schwach muß nothgedrungen mit hinunter fließen. Wie ächte Begeisterung dies veranlaßt hat, so ist es denn doch auch hier, wie in allen geschichtlichen Ereignissen, ergangen, die Menge, die Eitelkeit, die menschliche Schwäche trübt auch diese Erscheinung, und als es einmal Mode war, frei zu denken und den starken Geist zu spielen, wenn Viele auch schwach und abergläubig waren, so ist es jetzt Sitte geworden, religiös zu scheinen, wenn es Manchem auch frivol und unerleuchtet genug zu Muthe seyn mag.“

Desinit in atrum piscem,“ sagte der Baron ereifert, „der Anfang Ihrer Rede ließ etwas Besseres vermuthen.“

„Wie Viele,“ fuhr Brandenstein ruhig fort: „sind mir aufgestoßen, die mir fast beim Begrüßen entgegen warfen, daß sie außerordentliche Christen seien. Andere sprechen beim dritten Worte und bei den gleichgültigsten Gegenständen vom Heiland; bei jeder Veranlassung, sei sie noch so geringe, beten sie, und erzählen uns dies; ja ich habe Romane gelesen, in denen der Verfasser in der Vorrede sagte, er schreibe niemals, ohne vorher zu beten, und alles Gute, was im Buche stehe, sei unmittelbare Eingebung; das kürzeste Mittel, jede Kritik zurück zu schlagen, und die Romanze dicht an die geoffenbarte Schrift zu schieben. In Gesellschaften ergreift man jede Veranlassung, von Reue, Buße, Andacht und Erlösung zu sprechen, und entweiht, nach meinem Gefühl, das Heilige, vergißt, daß es eine Aehnlichkeit mit der Liebe hat, deren Gefühle und Geständnisse der wahre Liebende auch nicht jedem fremden Ohre Preis geben wird.“

„Was schadet es aber,“ sagte der Baron, „wenn die frommen Gemüther vielleicht auch zu oft von dem Gegenstande ihrer Liebe sprechen?“

„Es kann nicht die Liebe seyn,“ erwiederte Brandenstein: „es ist Eitelkeit, Hochmuth, der besser seyn will, als andere Menschen. Gerade wie zu der Zeit der Empfindsamkeit oder der Aufklärung, ist es ein krankes Bedürfniß, das allenthalben Nahrung sucht, das sich schmeichelt und zu immer tieferer Krankheit verzieht, das unduldsam und verachtend auf Nebenmenschen, die oft besser und frömmer sind, hinblickt, weil diese nicht gerade in den angegebenen Ton auch einstimmen wollen.“

„Sie schildern die Ausartung,“ stammelte die Baronesse in einer Art von Angst.

„Nichts anderes, verehrte Frau,“ antwortete der Graf: „nur daß mir diese häufig in die Augen gefallen ist. Auch habe ich Erbauungsbücher gesehn, die sehr in der Mode zu seyn scheinen, Altes und Neues, die wahrlich nur dazu dienen können, mittelmäßige Menschen, die schon von der Eitelkeit ergriffen sind, ganz zu verwirren, in denen der Schöpfer, die reine Liebe, gleich einem launigen wunderlichen Alten dasteht, der sich aus Langeweile gelüsten läßt, die krausesten Schicksale zu flechten, und Diesen und Jenen, wenn auch Viele dabei untergehn, auf feine und seltsame Art aus seinem Elende wieder heraus zu führen. Andere verwandeln Religion in Magie und Zauberei; oder verhärten die Herzen der Weiber, daß sie sich unendlich über ihre Männer erhaben fühlen, diese, wenn sie nicht ganz auf ihre Weise frömmeln, in einem Zustande der Zerknirschung erhalten, und in dem Gefühl, wie tief sie sich herablassen, die geheiligten Gattinnen so ordinärer Sünder zu seyn. Ich kannte ein armes, mittelmäßiges Mädchen, die sich glücklich schätzte, an einen jungen wohlhabenden Mann verheirathet zu werden, die aber nach einem halben Jahre auch zur Heiligen wurde, und sich nun vorlügt, ihre christliche Tugend bestehe darin, den Mann zu dulden; übermenschlich erscheint sie sich, wenn sie ihn nicht ganz verachtet, aber doch sagt sie sich dies täglich und ihren religiösen Gespielinnen, die sie auch in dieser Frömmigkeit bestärken. Ist nun dies nicht Sünde?“

„Ja wohl!“ seufzte plötzlich Kunigundens Gatte auf, und die Mutter, welche den Halt ihrer Familie fast sichtlich zusammenbrechen sah, bereuete es, dies Gespräch begonnen zu haben, und zürnte ihrem würdigen Hausfreunde, dem Baron, daß es durch ihn so angefeuert wurde. Brandenstein aber, der nun einmal im Zuge war, konnte ebenfalls in seinem geistlichen Eifer nicht ruhen, bis er seine ganze Catilinarische Rede an den Mann gebracht hatte. „Wie erhebend kann es seyn,“ fuhr er lauter fort: „wenn wir fromme Männer, um sich ganz dem Heiligen zu ergeben, der Welt und allen ihren Schätzen den Rücken kehren sehen, um in stiller Abgeschiedenheit nur Einem großen Gefühle zu leben. Ich will einzelne Brüderschaften nicht tadeln, wenn sie sich in einem ähnlichen Sinne verschließen, und von Kunst und Geschichte, Philosophie und Welt nichts wissen wollen. Aber wenn diese einseitigen Frommen, die in der Welt stehen bleiben, die Erziehung der Uebrigen genossen haben und sich selbst für gebildet ausgeben, uns immer und immer wieder zurufen, nur Eins sei, was Noth thue, Malerei, Musik und Dichtkunst seien nicht nur überflüssig, sondern sogar sündhaft, und nur Gebet, Erleuchtung, Buße sei alles, was den Menschen in Anspruch nehmen solle, — so möchte ich doch wohl Diese fragen: von welchem engen Gefühle ihre sogenannte Religion sei, daß sie Liebe, Wahrheit, Vernunft und die lieblichen Erscheinungen der Phantasie gar nicht zulassen könne und dürfe? Also wäre den Reinen heut nicht mehr alles rein? Der Mensch ist schon als todt zu betrachten, dem in der Natur und Geschichte nicht Gott mehr erscheint; der ist verloren, der in der Kraft der Vernunft seine hohe Gegenwart nicht mehr sieht. Auch der ist fromm, dem aus dem Gemälde eine Entzückung anstrahlt, und der sich, so lange er Shakspeares Sommernacht liest, selig und im Himmel fühlt. Denn auch Scherz, Lust und Witz sind göttlicher Abkunft, und wir werden um so reiner und geläuterter, je mehr wir den göttlichen Strahl in diesen zarten Spielen erkennen lernen.“

„Ja wohl,“ sagte der Baron, welcher das auffallende Mißvergnügen der Baronesse bemerkt hatte, „können wir heut dies interessante Gespräch nicht zu Ende führen.“

„Unmöglich,“ antwortete der Graf, welcher selber über seinen Eifer zu erstaunen schien, „denn sonst möchte ich wohl noch darüber belehrt seyn, warum diese frommen Gemüther sich nicht mit mehr Demuth der Kirche anschließen? Warum sie verlangen, daß alle Menschen auf ihre Weise die Dinge sehen sollen? Warum nicht Zweifel auch sie anwandeln und es ihnen begreiflich machen, daß sie doch auch wohl irren könnten? Ob es nicht christlicher sei, mehr nach dem Evangelium bei verschlossenen Thüren zu beten, als pharisäisch ihr vieles Beten weltkundig zu machen? Ich könnte denn wohl noch bemerken, daß dieser geistliche Schwindel sich auffallend genug mit einem politischen verbindet, und daß diese kranke Stimmung, die sich über ganz Deutschland verbreitet, es einem überaus verwirrten und schwachen Buche möglich gemacht hat, den Beifallsruf einer Menge zu erwerben, die nun erst beurkundet, wie wenig sie je unsern großen Dichter faßte, als sie ihm zujauchzte. Es kann als ein Frevel gegen diesen großen Mann erscheinen, wenn man es nicht lieber lächerlich finden will, daß man ihm so schulmeisternd mit Glaubensfragen nahe rückt, daß man Immoralität und Mangel an Idee seinen Werken vorwirft, weil er sich nie zu den armen Bedürfnissen dieses Wortführers herabgelassen hat. Daß alles dies möglich gewesen ist, hat mir gezeigt, wie wenig wahre Bildung bei uns noch Wurzel gefaßt hat, und wie leicht es daher Schwindlern wird, mit halbwahren Begriffen die schreiende Menge zu verwirren.“

„Sie meinen Göthe,“ sagte der Baron, „und die sogenannten unächten Wanderjahre. Nun, da sind wir ja schon so ziemlich weit von unserm ersten Diskurse abgekommen.“

Es trat eine Pause ein, Alle schienen verstimmt, Dorothea war tief bewegt. Indem der Bediente jetzt den Braten brachte, rief die Baronesse: „Ach! wie konnte ich nur die arme kranke Wittwe vergessen? Johann, tragt dies Gericht sogleich zu der Unglücklichen, mit meinen herzlichen Wünschen. Sie leidet, wie ich heut gehört habe, unglaublich, dabei ist sie arm, und ihre Kinder können ihr nur wenige Hülfe geben.“ „Ja, die Armuth, die Krankheit!“ seufzte der Baron. „O Himmel, was würde aus der finstern Erde werden, wenn nicht immer noch weiche, edle Gemüther das ungeheure Elend zu mildern trachteten.“

„Die bedauernswürdige Frau,“ fügte Kunigunde hinzu: „soll auch mit ihrem verstorbenen Manne gar nicht glücklich gewesen seyn, er war hart und rauh, und behandelte sie oft übermüthig.“ Sie warf dabei ihrem Gatten, der am andern Ende des Tisches saß, einen sonderbaren Blick zu, der gar Vieles bedeuten konnte. Der junge Mann, vom Tischgespräch aufgeregt, war so unerhört dreist, zu erwiedern, daß es auch oft der Weiber eigne Schuld sei, wenn sie in der Ehe nicht glücklich wären. Der Graf, um nähere Erörterung zu verhindern, bemerkte, daß es vielleicht, da man die Krankheit der Frau nicht genau kenne, schädliche Wirkung thun möchte, wenn sie von der Fleischspeise unvorsichtig genösse. Der Baron aber, der einen neuen kriegerischen Angriff vermuthete, sprach gerührt über die große Wohlthätigkeit der Baronesse, wie sie den Armen eine Mutter sei, und begriff nicht, wie es noch so harte Menschen geben könne, die von dem Elende ihrer Nebengeschöpfe so ungerührt blieben.

Jetzt kam Johann mit dem Braten zurück und meldete, daß die Wittwe sich gehorsamst bedanke; es sei ihr aber vom Arzte im Fieber Fleischspeise bis jetzt noch untersagt, auch empfange sie seit drei Wochen alles vom Schlosse, was sie gebrauche, worüber sie ihre Rührung nicht genug ausdrücken könne. „Ein Arzt?“ sagte die Baronesse, „sie bekömmt schon? und wie?“ — „Ach, gnädige Frau,“ sagte der alte Diener verlegen und mit Bewegung: „Fräulein Dorothea sendet ihr schon seit lange Alles, sie hat auch den Doktor kommen lassen, und besucht die Kranke selbst alle Morgen und Abende.“ — „So?“ sagte die Baronesse mit einem gedehnten, zitternden Tone, und ein durchdringender Blick fiel auf die Tochter, die in der Beschämung nichts erwiedern konnte; „und warum, mein Kind, geschieht denn diese Ausübung der Wohlthätigkeit, diese Tugend, die mir an Dir neu ist, so heimlich? Warum gönnst Du Deiner Mutter denn nicht auch einen Antheil an dem Verdienste, da sich Dein Herz nun endlich auf dergleichen christliche Liebesdienste hinlenkt? Mein Rath würde die Wohlthat erst zu einer ächten machen können. Aber so sieht es aus, als wenn eher Eigensinn, als Mitleid, Deine Handlungen lenke.“

„Liebe Mutter,“ flehte Dorothea, „schonen Sie mich.“

„Es ist zu beklagen,“ fuhr diese fort, „wenn selbst das, was an sich Tugend ist, durch die Art, wie man es ausübt, sich zum tadelnswürdigen Fehler umgestaltet. Vorzüglich sehe ich Stolz und Anmaßung in dieser Art zu handeln, daß Du es übernimmst, ohne mich klug und weise seyn zu wollen, da Du doch nicht wissen kannst, ob Du nicht dadurch mehr Schaden als Nutzen stiftest.“

„Es ist zu viel!“ rief Dorothea laut weinend aus, stand schnell auf und verließ mit verhülltem Angesicht das Zimmer.

Alle sahen auf, der Graf aber schien am meisten überrascht, er sagte mit bewegter Stimme: „Geschieht aber dem Fräulein auch nicht zu viel? Sie hat es wahrscheinlich gut gemeint; und mir scheint es auch nicht strafbar, daß sie ihre Wohlthaten heimlich erzeigt, daß sie vielleicht etwas zu verschwiegen ist, um sich nicht dem Schein des Prunkens auszusetzen.“

„Gewiß, gnädigste Frau,“ sagte der greise Diener, „das Fräulein ist ein Engel, alle Leute im Dorfe sehn sie auch so an; was sie nur von ihrem Taschengelde sich absparen kann, was sie an Kleidern irgend entbehrlich findet, wendet sie auf die Armuth, aber das Schönste dabei ist die freundliche, stille Art, und wie sie die Leute beruhigt, und die Kranken tröstet, und die Kinder zum Gehorsam gegen die Aeltern ermahnt, die oft unwirsch sind: — ja, wir sollen schweigen, denn das hat sie uns strenge befohlen, wir haben es auch Jahre lang gethan, aber einmal verschnappt man sich denn doch. Verzeihung, gnädige Frau.“

Diese Reden fielen vor, indem man aufstand; die Baronesse zitterte; der Baron suchte mit feierlichem Gesicht und Anstand, indem er der Mutter die Hand küßte, die Sache gut zu machen; der Graf empfahl sich mit wenigen Worten, und Alfred begleitete ihn; die übrige Gesellschaft ging in den Gartensaal.

„Es thut nicht gut,“ sagte die Mutter, „wenn böse Menschen über unsere Schwelle treten.“

„Ihnen folgt kein Segen des Himmels,“ fügte der Baron hinzu.

„Welch ein Mittag!“ rief die Baronesse, „ich werde ihn lange nicht vergessen! Solche Menschen fehlen uns noch in unsrer Nähe, um mein armes abtrünniges Kind ganz unglücklich zu machen. Aber auch Sie, Herr Sohn, nahmen an dem gottlosen Menschen mehr Antheil, als ich oder die fromme Kunigunde wünschen können.“

„Mich dünkt aber,“ sagte Kunigundens Gatte, „daß er manches ganz Vernünftige sprach; ich glaube auch, daß die Frömmigkeit zu weit gehe, und daß manche Frauen sich zu viel einbilden können.“

Da sah ihn der Baron mit einem langen strafenden Blicke an, den der Arme nicht aushalten konnte, und als jetzt Kunigunde laut zu weinen anfing, die Mutter ebenfalls weinend diese in die Arme nahm, um sie zu trösten, konnte er gerührt die bereuenden Thränen nicht länger zurück halten; er stürzte sich auch an den Busen seiner Gattin, schluchzend und um Verzeihung bittend. „Sein Sie alle beruhigt,“ tröstete feierlich der Baron, indem er den Blick zum Himmel erhob: „der Herr wird Alles gut machen, denn heut Abend, wie Sie mir gesagt haben, verlobt sich mir jenes verhärtete, uns dennoch theure Herz, durch meine schwache Hülfe wird der Geist sie dann erleuchten, und wir alle werden Ein Herz und Eine Liebe seyn.“

———

Weinend hatte sich Dorothea in ihr Zimmer geschlossen. So zerstört, unzufrieden mit sich und der Welt, so ganz verloren und elend hatte sie sich noch nie gefühlt. Sie war tief beschämt, daß die einfache Art, sich der Armen anzunehmen, die ihr die natürlichste dünkte, plötzlich durch die Einfalt des Dieners war bekannt worden; aber es schien ihr auch zu hart, wie die eigne Mutter sie deshalb vor allen Gästen behandelt hatte, am schmerzhaftesten aber war es ihr, daß es in Gegenwart des Mannes geschah, den sie verehren mußte, der ihr Vertrauen gewonnen hatte, und dessen Achtung sie sich ebenfalls wünschte.

Es war finster geworden, ohne daß sie es bemerkte, als der Diener klopfte, und sie zur Mutter und der Gesellschaft herab zu kommen bat. „Mutter!“ sagte sie vor sich hin: „Mutter! welch schönes Wort! Warum habe ich keine kennen gelernt?“

Sie ging hinab, im Saale saß die Familie versammelt, auch der junge Offizier war gegenwärtig. Indem Dorothea herein trat, fiel ihr erst wieder ein, weswegen sie gerufen werde. Ein Fieberfrost überfiel sie. Alle begrüßten sie als die Braut des Barons, die Mutter sagte freundlich, sie wolle ihr jetzt das Betragen des heutigen Tages verzeihn, die Schwestern wünschten der Betrübten Glück, und der Baron bedeckte ihre zitternde Hand mit zärtlichen Küssen. „Sein Sie ruhig, sein Sie glücklich,“ sagte er mit sanftem Tone, „von heut an werden Sie, Geliebte, ganz zu uns gehören, und dieser Mensch wird das Haus nicht mehr betreten; wohl hatten Sie Recht, und der Himmel sprach aus Ihnen, daß ein solcher Elender nicht wandeln darf, wo wir unsre Schritte setzen.“

„Elender?“ rief Dorothea, und riß ihre Hand so gewaltsam weg, daß der Baron zurück taumelte. „Sie sind ein frecher Mensch, daß Sie einen solchen Mann so zu lästern wagen!“

„Himmel!“ schrie die Mutter, „sie hat den Verstand verloren! Ein böser Geist spricht aus ihr.“

Dorothea besann sich wieder, sie sah das Erstaunen der Umgebenden und suchte sich zu sammeln. „Ich bin so erschüttert,“ fing sie an, „ich fühle mich so bewegt, vielleicht daß eine Krankheit — nur einen Augenblick will ich mich im Freien abkühlen.“

„In diesem Wetter?“ sagte die Mutter, „in diesem Sturm und Regen, so ohne Tuch, in Deiner dünnen Bekleidung?“

„Es muß seyn! es muß!“ rief sie aus, und hatte schon, ohne auf die Uebrigen zu hören, die Saalthüre geöffnet, und stand im finstern kalten Garten. Da der Regen ihr entgegen schlug, so wandte sie sich in den bedeckten, dicht verflochtenen Gang, und ging hastig auf und nieder. „Ihm, dem Widerwärtigen,“ sagte sie zu sich selbst, „auf immer verbunden? So tief, so tief herabgewürdigt? Und für wen? Für Jene, die es mir niemals danken werden, die dann wieder thun, als sei mir dadurch die größte Wohlthat erwiesen worden? Meine Seele retten? Verloren geht sie hier, vernichtet wird sie!“

Ein dunkler Schatten kam auf sie zu, und an der lispelnden, sanften Stimme erkannte sie sogleich den Baron. „Meine Gute,“ fing er an, „Ihre liebe Mutter und wir alle erwarten Sie drinnen mit banger Besorgniß; mein Herz fließt in Zärtlichkeit über, da ich Sie schon als meine Gattin, und die Mutter meiner frommen Kinder betrachte.“

„Himmel!“ rief sie aus, „das bedachte ich nicht einmal, daß mein Elend sich auch so weit erstrecken kann, Heuchler und böse Egoisten aus meinem Blute entsprießen zu sehen. Aber wenn mir auch dies Unglück nicht würde, so kann ich doch nie die Ihrige werden.“

„Wie?“ rief der Baron, „und das feierliche Versprechen, welches Sie heut Morgen in die Hände Ihrer Mutter legten?“

„Und wenn ich es einem Engel vom Himmel gethan hätte,“ sagte Dorothea, „so kann ich es nicht halten! Ja, wenn schon die Trauung geschehen wäre, so müßte man uns doch wieder trennen!“

„Seltsam, mein Fräulein! Bedenken Sie auch die Folgen?“

„Welche können es seyn? Alles ist zu tragen gegen das unabsehbare Elend, das meiner wartet.“

„Wissen Sie auch, daß es Ihre Mutter fordern kann? Wissen Sie, daß diese mir verpflichtet ist, was ich bis jetzt mit der Geduld der Liebe trug und verschwieg, in der Hoffnung, Ihrer Familie anzugehören? Fragen Sie sich, ob Sie unter diesen Umständen die Verpflichtungen Ihrer Mutter nicht lösen müssen, wenn Sie für eine gute Tochter gelten wollen?“

„Nein!“ rief das Mädchen in der allergrößten Anstrengung, „lieber mit ihr darben, für sie arbeiten, ja, für sie sterben!“

„Es giebt aber doch noch Mittel,“ sagte der Baron halb lachend, „solchen Starrsinn zu beugen; die Rechte der Aeltern sind groß, und offenbar sind Sie jetzt Ihrer Sinne nicht ganz mächtig; etwas Bitte, etwas Gewalt wird schon den kindischen Willen brechen.“

Er hatte heftig ihren Arm gefaßt, und war bestrebt, sie nach dem Hause zu ziehen; aber das starke Mädchen riß sich behende los, und floh durch den Gang, der Baron ihr nach, sie aber, die leichter war und die Verschlingungen des Gartens besser kannte, war ihm bald weit voraus; jetzt war sie an der offenen Grenze des Parks, sie überschritt auch diese, und rannte nun über das Blachfeld wie ein gejagtes Reh, indem abwechselnd Regen sie durchnäßte, und Sturm ihre zarten Glieder erstarren machte.

———

Die Frau von Halden saß behaglich in ihrem Stübchen, indem die Bäume draußen der Sturm schüttelte, und der Regen rasselnd gegen die Fenster schlug. Sie war recht von Herzen zufrieden; denn für einen unerwartet hohen Preis hatte sie ihr Gut verkauft, Alles war abgeschlossen, und Graf Brandenstein hatte mit dem Rathe Alfred noch diesen Abend Alles in Richtigkeit gebracht. Beide schliefen schon in den obern Zimmern des Hauses, denn es war nahe an Mitternacht, und sie wollte sich auch eben in ihr Schlafzimmer begeben, als ein heftiges, lautes Pochen an das Hausthor, und eine klägliche, bittende Stimme sie erschreckten. Sie klingelte, der Diener ward gesandt, um zu öffnen, und mit triefenden Kleidern, zitternd und todtenblaß stürzte Dorothea herein, warf sich ihr sogleich stürmisch an die Brust und rief mit heiserer Stimme: „Rette mich! rette mich!“

„Um Gotteswillen!“ sagte die Freundin im höchsten Schreck, „Du bist es, geliebtes Kind? und so, in diesem Zustande? Ich traue meinen Augen noch nicht.“

So sehr sie erschrocken war, so schaffte sie doch sogleich mit der größten Freundlichkeit Wäsche und Kleider herbei, half der Erkälteten beim Umziehen, tröstete sie lachend und freundlich, und nöthigte sie dann, Glühwein zu genießen, den sie eiligst besorgt hatte, um den bösen Folgen der Erkältung vorzubeugen. Dabei umarmte sie sie so herzlich, trocknete ihr die Thränen vom Auge, küßte die Wangen, die sich schon wieder rötheten, daß Dorothea sich fast so glücklich wie in den Armen einer Mutter fühlte. Nach vielen tröstenden und scherzenden Worten sagte die Frau von Halden endlich: „Nun erzähle mir kurz, wie Du zu diesem tollen Entschluß gekommen bist, und dann geh zu Bett und verschlafe Alles.“

„Du mußt mich schützen,“ sagte Dorothea: „Du mußt mir ein Obdach nicht versagen, sonst muß ich verzweifelnd in die weite Welt rennen, oder die Raserei stürzt mich in die Wogen eines Mühlteichs.“

„Beruhige Dich, mein Kind,“ tröstete jene, „Du mußt ja doch wieder nach Hause. Aber erzähle: was ist Dir denn so plötzlich gekommen?“

„Nur lache nicht,“ rief Dorothea, „bleibe ernsthaft, meine gute liebe Freundin, denn ich bin in Verzweiflung. Heut Morgen ließ ich mich bereden, aus Schwäche, aus Rührung, man hatte so unerwartet meinen Geburtstag gefeiert, daß ich versprach, mich heute Abend mit dem Baron von Wallen zu verloben. Das sollte nun geschehen, und darum bin ich weggerannt, weil ich ihn verabscheue, weil ich in meinem väterlichen Hause mit meinen Geschwistern, mit meiner Mutter nicht mehr leben kann.“

„Ich weiß wohl,“ erwiederte die Freundin, „daß Du den Baron nie lieben kannst, daß Dir in der Familie oftmals Unrecht geschah; aber dieser Ausdruck des Entsetzens in Dir, da Du Alles so gewohnt schienst, bleibt mir doch unbegreiflich.“

„Immer noch fasse ich es selbst nicht,“ antwortete Dorothea: „ich weiß nicht, wie ich es Dir erzählen soll. Daß ich nicht glücklich war, mußt Du wohl gesehn haben, wenn ich Dir auch niemals ein Wort darüber sagte. Ach, das schreibt sich ja schon seit dem Tode meines geliebten Vaters her. Du weißt, ich war kaum dreizehn Jahre, als er starb. O Himmel, welch ein Mann! ich konnte damals seinen Werth nicht ermessen; aber je älter ich wurde, je mehr blühte er in meiner Erinnerung zum verklärten Gegenstande meiner Liebe auf. Dieser milde, freundliche Sinn, diese Heiterkeit, Menschenliebe, stille Frömmigkeit, diese Freude an Natur und Kunst, dieser rege, herrliche Geist — ach! und er war auch nicht glücklich! Ich sah, ich bemerkte es wohl, als ich etwas zu Verstande kam, er war in der Ehe nicht glücklich, er und meine Mutter waren sich zu ungleich, sie stritten oft mit einander. Dann war er zu Zeiten recht tiefbetrübt, aus seinen schönen braunen Augen konnte ein unendlicher Kummer sprechen, wenn er sie so still vor sich nieder senkte. Dann war ich seine Freude, ich fühle es, wie ich ihn trösten konnte. Und nun war er plötzlich dahin gegangen! Er muß es jenseits erfahren und gefühlt haben, wie meine Herzensliebe ihm gefolgt ist. O meine Freundin, es giebt Momente des Schmerzes, wo nur die kalte, taube Dumpfheit, in die endlich unser Wesen versinkt, uns von Wahnsinn und Raserei errettet. So war ich nun in Schmerz und Sehnsucht erwachsen, die Keiner theilte, Keiner verstand. Und wie veränderte sich das Leben unsers Hauses! Statt der heitern Mittheilungen, statt der frohen Gesellschaften ein ernstes, feierliches Prunken. Meine jüngern Geschwister wurden in einem ganz entgegengesetzten Sinne erzogen, als es mein Vater gewünscht hatte. Betstunden, Andachtbücher, religiöse Gespräche füllten die Zeiten des Tages; und mein Herz wurde immer leerer, ich konnte die Andacht nicht mitfühlen, ja, nicht einmal an ihr Dasein glauben. Alle meine Bücher, noch Geschenke meines Vaters, durfte ich nicht mehr zeigen, Alles war weltlich, anstößig; ich erschrak über die Deutungen, die man den Stellen gab, die mir die liebsten waren, die ich auswendig wußte. Göthe’s himmlische Natur selbst, seine edle Hoheit war Verführung, Sinnenlust, und eine raffinirte Prüderie, die mir höchst anstößig schien, mußte Tugend heißen. Meine Geschwister, so wie sie zur Besinnung kamen, betrachteten mich als eine Ausgeartete, die für’s Gute nicht empfänglich sei; sie hörten das ja in allen Stunden, sie mußten es wohl glauben. Zwischen ihnen und der Mutter entspann sich ein Verhältniß, welches mich gleich sehr von beiden entfernte, und um welches ich sie doch nicht beneiden konnte. Eine übertriebene Liebe, eine zarte Weichheit, ein Schonen und Liebkosen, das mir oft durch’s Herz schnitt; ja die Mutter ging so weit, diese jüngern Töchter zu vergöttern, sie anzubeten und es ihnen zu sagen, daß sie es thue. Die Schwestern behandelten die Mutter, wie man etwa mit einer abgeschiedenen Heiligen umgehen würde, wenn sie zu uns zurück kehrte; doch könnte ich es auch wohl nur einen Tag so treiben, und müßte dann heiterer mit ihr bekannt werden, oder sie wieder ganz vermeiden. Ich erinnerte mich noch wohl, wie oft mein Vater gesagt hatte, in früher Jugend müßten die Kinder blind gehorchen lernen, damit sie, erwachsen, der Freiheit fähig wären. Diese Freiheit des Geistes und des Gemüthes, die den Menschen erst zum bestehenden Wesen, die die Liebe, ein freies Hingeben, erst möglich macht, fand aber unter diesen so eng Verbundenen doch nicht statt, ja sie wurde, wenn sie sich einmal zeigen wollte, als die ärgste Sünde behandelt. Die kleinste Schwäche, das geringste Vorurtheil der Mutter durfte nicht berührt werden, auch in Kleinigkeiten, über ein gleichgültiges Buch, über einen Menschen, ja über die Farbe eines Bandes, durfte keins eine andere Meinung hegen, als sie. War nur von einem Spaziergange die Rede, nur zum nächsten Gut, ja, durch den Garten, so verbot sie diesen, wenn sie nicht daran Theil nehmen konnte oder wollte, nicht geradezu, sondern sie sagte: „Geht, wenn Ihr ohne mich seyn könnt; ich kann zwar ohne Euch nicht leben, aber könnt Ihr es, so will ich Euch nicht stören; bin ich doch daran gewöhnt, Euch alle Opfer zu bringen.“ Natürlich geschah nichts, und die Schwestern gaben dann ihrem Verdruß den Anstrich der Andacht, und ich, die ich zum Bündniß nicht gehörte, mußte ihre Launen entgelten. Mein Muth entwich. Ich ertrug es, auch von der jüngsten Schwester gehofmeistert zu werden. O meine Freundin! wenn ich dies alles so, was mir verkehrt und unrecht schien, bemerkte, so ging ich dann wohl in den einsamsten Theil des Gartens, und ließ meinen heißen Thränen ihren Lauf, weil ich mir schlecht und gottlos erschien, daß ich mir alles dies gestand, und meinen Wahrheitssinn, der von meinem Vater erweckt und gebildet worden war, doch nicht unterdrücken konnte. Oft war ich so unaussprechlich elend, daß ich Gott um meinen Tod bat. Es kamen dann auch Zeiten, da ich doch sehn mußte, wie alle Menschen, die in unser Haus kamen, meine Schwestern verehrten, ihnen huldigten und mich vermieden, in denen ich mir selbst schlecht und verächtlich schien. Wenn ich aber rang, so wie die Andern zu seyn, so brachen mir alle Kräfte zusammen, und die Arme fielen mir gelähmt am Leibe nieder. — Aber, hörtest Du nicht Geräusch im Nebenzimmer?“

„Nein, mein gutes Kind,“ sagte Frau von Halden: „Alles schläft, es kann höchstens eine Katze seyn.“

„Kunigunde heirathete,“ fuhr Dorothea fort: „die Männer, die sich um mich bewarben, ängstigten mich nur durch ihr läppisches Wesen, andere stießen mich durch ihre Rohheit zurück. Ich konnte nicht fassen, daß mich einer lieben könne, ohne daß ich ihn auch innigst liebte, und darum erschienen mir ihre affectirten, übertriebenen Redensarten so nüchtern, und es war mir unmöglich, an ihre Leidenschaft zu glauben. Alles aber war noch erträglich, bis der Baron Wallen in unser Haus kam; er bemächtigte sich bald des Gemüthes meiner Mutter, die Sclaverei wurde nun ganz unleidlich. Nun wurde erst recht im Großen mit der Liebe geprunkt, die meine Geschwister zu einander und zur Mutter trugen; in der ganzen Provinz sprach man davon; wenn Fremde kamen, war es wie ein Schauspiel, in dem sich alle Tugenden entwickelten. O vergieb mir, Du und die einsame Nacht werden meine Reden nicht weiter tragen; auch hast Du ja selbst die Art oft gesehen, und der Himmel mag meine Empfindungen ändern, oder sie verzeihn. Recht ängstlich aber war es, daß in diesem gleißenden Baron ein wahrer Faun unter der priesterlichen Decke wandelt. Clara gefiel ihm, auch Clementine; aber die Kinder, so sehr sie ihn auch verehren mußten, erschraken doch vor dem Gedanken, ihn als Ehemann anbeten zu müssen. Sie wurden aber bald befreit; denn die Bestimmung, für die sie sich zu gut fühlten, wurde mir unvermerkt und künstlich zugeschoben. Nun hörte ich immerdar, wie edel, ja wie nothwendig es sei, sich zu opfern, wie armselig die eigentliche Leidenschaft der Liebe erscheine, wie eine vernünftige Ehe jedes andere Glück der Erde übertreffe. Glaube mir, ich hätte mich fallen lassen, mein Leben war völlig abgeblüht, ich wäre das Opfer und ganz elend geworden, wenn — —“

Dorothea zögerte. „Nun, mein Kind?“ fragte die Freundin gespannt.

„Wenn nicht heut,“ fuhr jene im melodischen Tone fort, „heut an diesem Tage, an dem ich geboren ward, und an welchem ich auch wieder zu leben anfing, ein Mann erschienen wäre, der unserer Familie ein Abscheu war, und auf den ich, nach den Beschreibungen, heftig zürnte, ein Mann, der mein ganzes Herz umgewendet, ja neu geschaffen hat, und dessen bloßer Anblick, wenn er auch nicht gesprochen hätte, es mir unmöglich macht, den Baron, ja irgend einen Mann zu heirathen.“

„Wunderbar!“ rief die Frau von Halden.

„Nenn’ es so,“ sagte das Mädchen: „es ist auch so, ach, und doch wieder so natürlich, so nothwendig. In ihm, in seinem milden Blick, der Vertrauen einflößt (glaube mir, ich hatte wirklich ganz vergessen, daß es noch Augen giebt), in seiner verständigen Rede, in jeder seiner Geberden erschien mir die Wahrheit wieder, die mir schon zur Fabel geworden war, meine Jugendzeit, der Segen meines Vaters. Nie habe ich begreifen können, was die Menschen Liebe nennen, in den Dichtern habe ich es wohl geahndet; ich glaubte aber immer, dies himmlische Gefühl sei für mich armes, verstoßenes Wesen nicht geschaffen; aber jetzt weiß ich, daß es das seyn müsse, was ich für diesen trefflichen Mann empfinde, denn ich konnte mir nicht einbilden, daß auf Erden wirklich eine solche Erscheinung wandle.“

„Armes Kind!“ sagte die Freundin: „er ist ein ruinirter Mann, ohne Vermögen, und wer weiß auch, ob er so für Dich empfände, denn er ist nicht mehr jung. Jetzt geh nur zu Bett, morgen früh wollen wir mit Verstand darüber nachdenken, wie der Baron zu besänftigen sei, und daß der Baron Dir Ruhe läßt.“

„Nie gehe ich zurück!“ rief Dorothea mit erneuter Heftigkeit: „ich will lieber in einem fernen Lande als Magd dienen.“

Jetzt hörte man deutlicher im Nebenzimmer Geräusch, die Frauen stutzten, die Thüre öffnete sich, ein Lichtstrahl drang heraus und Graf Brandenstein trat ihnen entgegen.

„O mein Gott!“ rief Dorothea: „der Graf selbst!“

„Ich war nicht schlafen gegangen,“ antwortete dieser: „sondern arbeitete noch, als dieser unerwartete Besuch —“

„O Sie Heimtückischer!“ rief die Frau von Halden: „und so haben Sie auch gewiß alles gehört, was meine Freundin erzählt hat?“

„Ich kann es nicht leugnen,“ sagte der Graf: „die Wand und Thüre sind so dünn, daß mir kein Wort verloren ging. (Dorothea zitterte heftig.) Sie würden mich also, mein schönes, edles und mir unbeschreiblich theures Fräulein, nicht verschmähen, wenn ich ein Vermögen zu Ihren Füßen legen könnte?“

„O wie beschämen Sie mich!“ sagte das Fräulein —: „soll ich noch mehr sagen?“

„Nehmen Sie dieses Blatt,“ fuhr der Graf fort: „diese wenigen Zeilen werden Ihnen in Ihrem Hause vollkommene Sicherheit gewähren.“

Er sah Dorotheen durchdringend an, und entfernte sich zögernd. Sie war so bewegt und erschüttert, daß ein unruhiger Schlummer sie nur wenig erquicken konnte.

———

Im Hause des Baron Wilden waren einige Freunde zu einem kleinen Balle versammelt. Auch Alfred und der Offizier waren zugegen, und die junge Schwester, ein liebenswürdiges Kind, schien äußerst vergnügt; auch zeigte sich das Fräulein Ehrhard sehr munter, und Michel, der Zuschauer war, begriff kaum, wie sie sich so schnell im schottischen Tanze bewegen konnte. Jetzt war der Tanz geendigt, und der korpulente Wirth taumelte erschöpft auf ein Sopha nieder. „Wird man nicht ordentlich wieder jung,“ rief er aus: „so sauer es einem auch ankommt. Daß dich, mein werthes Fräulein Erhard, was Sie springen können! Niemals hätte ich mir bei Ihrer Gottesfurcht so viele Elasticität vermuthet. So gefällt’s mir, wenn man das überirdische Wesen mit dem weltlichen vereinigen kann, denn wahrhaftig, das Herz stirbt in der Demuth und dem weichen Wesen ab, wenn es nicht wieder einmal in Lust und Freude recht aufzappeln kann. Wie ein ganz neues Geschöpf, Fräulein Erhard, kommen Sie mir in meinem Hause hier vor, ich hätte Sie gar nicht wieder erkannt, wenn ich es nicht sonst wüßte, daß Sie es wären.“

Das muntere Fräulein setzte sich zu ihm, und beide betrachteten die tanzenden Paare. Der Rath Alfred bemühte sich sehr um Sophien, die Schwester des Barons, welches dieser nicht ohne Wohlgefallen bemerkte. Die Schenktische waren reichlich mit Erfrischungen versehen, und Diener in reichen Livreen servirten auf silbernem Geschirr. „Nicht wahr,“ schmunzelte Herr von Wilden, der die wohlgefälligen Blicke des Fräuleins wahrnahm: „hier geht es nicht so zu wie drüben, wo sie meistentheils alle beisammen sitzen, wie Adam und Eva vor dem Sündenfalle? Hochherzige Redensarten, apokalyptische Seufzer und eine Wundertinktur von ambrosianischer Wehmuth. Tugend und Andacht zum Zeuche, frommes Gemüth zum Unterfutter, und dann noch mit Reue und Buße aufgeschlagen. Nein, man muß ein bischen sündigen, um sich dann wieder bekehren zu können; nicht wahr, mein hochgeschätztes Fräulein? Die Beine thun Ihnen doch nicht weh? Sie zwinkeln so mit dem Munde.“

„Nein,“ sagte diese, „ich wollte mir nur das Lachen über Ihre sonderbaren Ausdrücke verhalten, denn Sie sind in der That ein arger Sünder; indessen, hoffe ich, werden Sie noch Buße thun.“

„Kommt Zeit, kommt Rath,“ sagte der Baron: „sehn Sie, ich habe mich klug eingerichtet, ich habe in meiner Jugend eine Menge Sünden im voraus begangen, damit ich in meinem Alter hübsch was zu bereuen hätte, um mir nicht, wie mancher Pietist, die Verbrechen aus den Fingern zu saugen, und um nichts und wider nichts Gewissensscrupel zu machen. O, davon kann ich Ihnen noch einmal in manchem Nachmittagsstündchen erzählen, daß Sie Ihr blaues Wunder daran haben sollen.“

„Aber auch dergleichen Reden sind wieder Sünde,“ antwortete das Fräulein.

„Nein,“ rief Herr von Wilden, „durch das Mikroskop müssen Sie meine Tugend nicht betrachten, sonst werden wir nicht mit einander fertig; denn bei mir geht Alles etwas ins Große, verfeinert sind meine Verdienste so wenig, wie meine Laster. Aber sehn Sie, wie unter allen meinen Gästen der Herr von Böhmer so einsam am Ofen steht, und mitten in der Musik seine Kalender macht! Herr Lieutenant, kommen Sie doch, und tanzen Sie einmal mit einer von diesen Damen.“

„Ich tanze niemals,“ sagte der junge Offizier, indem er näher trat: „auch würde ich nicht hergekommen seyn, wenn mich nicht Fräulein Erhard eingeladen hätte, von der es mir wohl nicht einfallen konnte, daß sie es auf einen tobenden Ball abgesehen hatte.“

„Sollte dem Reinen nicht alles rein seyn?“ fragte das Fräulein mit vieler Salbung.

Alfred, der hinzu getreten war, antwortete: „Gewiß ist dies die richtige Ansicht, und es wäre lustig genug, wenn Herr von Wilden durch das Fräulein, und dieses durch unsern fröhlichen Baron bekehrt würde. Aber Du, Ferdinand (indem er sich an den Offizier wandte), trägst auch nicht eine einzige festliche Miene auf Deinem finstern Angesicht.“

„Ich gehe von hier,“ antwortete dieser, „zur Baronesse hinüber, wirst Du mich begleiten?“

„Nein, mein Freund,“ antwortete dieser, „und ich gedenke auch, diesem Kreise nie mehr zur Last zu fallen; denn diese prunkende Gleißnerei ist mir neulich deutlich genug geworden. Wie danke ich es dem wackern Manne, der mir diese Binde vom Auge schüttelte.“

„Du meinst den Graf Brandenstein?“ sagte jener: „Du nimmst also die Partei des Bösen gegen den Frommen, der Sünde gegen die Tugend?“

„Lassen wir jetzt diese Reden,“ antwortete Alfred, „ich fühle mich, seit ich diesen Mann kennen gelernt habe, mündiger.“

„Wissen Sie denn,“ fiel der Baron ein: „etwas von der Geschichte? Der Wilde, der Amerikaner, soll ja nun angekommen seyn, ein gefleckter, kupfriger Mensch, mit Haaren wie Schuppen oder Stacheln. Auch sagen die Leute, dies unbändige Thier würde die störrige Dorothea heirathen.“

„Man weiß nichts Gewisses,“ sagte Alfred: „der Amerikaner wird übrigens wohl ein Mensch wie alle seyn, und folglich ist sie mit ihm wohl glücklicher, als mit dem Baron Wallen.“

„Den Du nicht zu schätzen verstehst,“ rief der Offizier, indem er sich nach einer kleinen Verbeugung entfernte.

„Sie meinen,“ fuhr der Baron fort: „ein wohlerzogenes Mädchen könnte mit einem solchen See-Ungeheuer glücklich leben? Aber freilich müssen im Leben wohl vielerlei Arten von Glück verbraucht werden, damit Jeder etwas bekommt, was für ihn paßt; und wie ich höre, ist ja die hübsche Dorothea so gottlos, daß vielleicht der gottloseste Menschenfresser für sie nicht zu schlimm ist.“

„Sie sind unrecht berichtet,“ antwortete Alfred, und wollte eine Erzählung anfangen, als die freundliche Sophie herbei hüpfte, um ihn zu erinnern, daß er mit ihr zur Quadrille versprochen sei. Der Baron trank indessen, und versprach dem Fräulein Erhard die nächste Polonaise, auf jeden Fall aber den fröhlichen Kehraus mit ihr zu tanzen.

———

Als man in jener Nacht Dorotheen vermißte, und der Baron die Geschichte seiner unglücklichen Werbung mitgetheilt, gerieth das ganze Haus in die größte Verwirrung. Man sendete Boten mit Lichtern aus, aber alle kamen in der stürmischen Nacht ohne Nachricht wieder. Die Mutter war sehr unruhig, und schien sich Vorwürfe zu machen, daß sie ein heftiges Gemüth, das sie an ihrer ältern Tochter kannte, zu weit getrieben habe. Sie schlief nicht, sondern irrte im Hause umher, und die beiden jüngern Töchter suchten sie zu trösten. Am Morgen erschien ein Bote von der Frau von Halden, der der Baronesse ein Billet übergab, und bald darauf fuhr eine Kutsche vor, aus welcher Dorothea stieg, welche die Mutter mit gezwungener Fassung aufnahm. Man sprach nur wenig, aber kein Wort des Vorwurfes ließ sich vernehmen, eben so wenig konnte die Tochter eine Entschuldigung vorbringen.

Der Baron, welcher Alles ängstlich und verwirrt beobachtet hatte, sagte endlich, als er sich mit der Baronesse allein sah: „Dies Blatt hat ja Wunder gethan! Von allem, was Sie sich gegen das ungerathene Kind vornahmen, ist nicht das Mindeste geschehen, Sie sind im Gegentheil gütiger als jemals gegen sie. Darf ich nicht wissen, von wem es kommt, und was es enthält?“

Die Baronesse erröthete. „Es kommt von dem Brandenstein,“ sagte sie mit ungewisser Stimme: „doch enthält der Schluß die gröbste Verläumdung.“

Der Baron las: „Im Fall Sie, wie ich gewiß hoffe, Ihre edle, trauernde Tochter freundlich aufnehmen, sie unter keinem Vorwande quälen, an die Ehe mit dem Baron Wallen nicht mehr denken, so verspreche ich Ihnen das Capital, welches der Baron an Sie zu fordern hat, und außerdem ein bedeutendes Darlehn, beide ohne Zinsen, auf unbestimmte Zeit. Zwingen Sie mich nicht, gegen Sie aufzutreten, es möchte sonst manches bekannt werden, was sich nicht zu dem Tugendbilde eignet, das die Welt in Ihnen bewundert. Gewiß darf ich mich unterschreiben

Ihren Freund
G. Brandenstein.“

„Dieser Zettel besagt,“ schmunzelte der Baron: „daß unser heroischer Graf über ansehnliche Summen zu disponiren hat, und daß sein amerikanischer Freund oder Schützling, dessen Hofmeister und Verwalter er spielt, so ziemlich blödsinnig seyn mag, ganz so, wie ich mir vom Anfange die Sache gedacht habe. Der edle Mann wird nach Umständen seine Hand tief in den Beutel des fremden Wunderthieres tauchen, und so verschwindet denn bei näherer Prüfung bei jedem aufgedunsenen Cato die falsche Vergoldung, und setzt sich in Kupfer um.“

Die Sache bekam aber doch einen andern Schein, als am folgenden Tage ein Brief des Grafen anlangte, in welchem er für seinen reichen Amerikaner um die Hand Dorotheens anhielt. Er hätte sich überzeugt, so schrieb er, daß sein Freund, da er ihn genau kenne, nur mit diesem Wesen glücklich seyn könne.

Dorothea, die ganz in ihren Gedanken und Empfindungen verloren war, erschrak über diesen Antrag; sie lehnte ihn heftig ab, ihr Herz verzweifelte, daß der Graf, der ihre ganze Seele gesehn hatte, diesen Vorschlag thun konnte. Also kein Gefühl, seufzte sie im Stillen, nicht das kleinste für mich, die ich ihn nur denke und träume.

Auf die abschlägige Antwort der Mutter erfolgte ein noch freundlicherer Brief des Grafen, er bat für seinen Unbekannten, der binnen Kurzem erscheinen würde, nur um die Erlaubniß, sich zeigen zu dürfen, daß Fräulein Dorothea ihn so viel würdigen möge, ihn und seine Gesinnungen kennen zu lernen.

Auf diesen Antrag hatte Dorothea nichts erwiedert. Im stummen Schmerz beachtete sie die Zeit nicht, und ihre Angehörigen mußten ihr anzeigen, es sei nun Tag und Stunde da, in welcher der sonderbare Freiwerber auftreten würde. Frau von Halden war als Freundin zugegen. Ein Postzug englischer Pferde sprang vor, ein kostbarer Wagen und Domestiken erschienen. Dorothea war im Gartensaal einer Ohnmacht nahe. Brandenstein trat hochzeitlich geschmückt in der Schönheit des Mannes herein. „Und ihr Freund?“ fragte die Mutter. „Nur die theure, geliebte Dorothea ist es,“ antwortete er, auf diese zueilend: „von welcher mein Scherz Verzeihung erflehen muß, ich bin der Amerikaner selbst, jene Herrschaft ist nun endlich mein, und meinem Glücke fehlt nur noch ein Wort von diesem holdseligen Munde.“

Dorothea blühte auf, sah ihn mit einer Thräne im glänzenden Auge an und reichte ihm ihre Hand. „Wir fahren sogleich, meine Theuern,“ indem er Alle begrüßte: „auf das nächste Gut, welches bisher der Frau von Halden zugehörte: ich habe die Erlaubniß zur Trauung, das Haus ist geschmückt, der Geistliche wartet.“

Nur der Brautkranz ward dem Mädchen in das Haar geheftet, dann stiegen Alle in den Wagen. Der Graf umarmte seine Braut, und drückte den ersten Kuß auf ihre Lippen. „Durfte ich diese Seligkeit hoffen?“ sagte er mit Thränen: „mußte mir die Liebe dieser reinen Seele begegnen? Dasselbe Kind wird die Freude meines Lebens, welches ich vor Jahren, neben Deinem theuren Vater sitzend, auf den Knieen wiegte? Sieh, hier bist Du in jener Sturmnacht verzweifelnd gewandelt. In demselben Zimmer erwartet uns der Geistliche, in welchem Du damals der Freundin das Bekenntniß ablegtest, das mich wie Blitze durchdrang.“

Dorothea war so glücklich, so vom Schmerz zur Wonne erwacht, daß sie nur wenig sprechen konnte. — Die ganze Provinz ertönte von dem Reichthum des Grafen, von dem wunderbaren Glück des Fräuleins, und alle Nachbarn waren Zeugen dieser glücklichen Ehe.

Als Alfred sich mit Sophien verlobte, meldete auch der Baron Wilden seine Verbindung mit dem Fräulein Erhard. Den Freunden, die sich darüber wunderten, antwortete er: „Seht, besten Leute, Einsamkeit und Langeweile machen viele Dinge möglich; dazu hat meine Braut viele gute Eigenschaften, und ist viel lustiger geworden, als sie ehemals war. Auch bemüht sie sich außerordentlich um meine Bekehrung, und das ist nichts Leichtes, da in meinem fetten Körper meine Seele so viel tiefer liegt, als bei andern Menschen. Ich bin nun auch bald auf meine Weise fromm, sorgt nur dafür, daß die Sache hübsch in der Mode bleibt, damit ich nicht wieder einmal, wie ein Krebs, rückwärts gehn muß.“

Nach einiger Zeit fanden der Baron Wallen und die Baronesse es auch besser, sich durch die Ehe zu verbinden, da er keine der Töchter erhalten konnte, und ihm der Umgang dieser Familie doch unentbehrlich geworden war.

Alfred lebte nachher viel im Hause des Grafen, dessen Geschäftsträger er war, und noch oft erinnerte sich Brandenstein mit Entzücken, daß das Schicksal es ihm gegönnt habe, in seiner Gattin die edle Perle zu finden, die von ihrer ganzen Umgebung und von den nächsten Blutsverwandten so gänzlich verkannt wurde.

Die Reisenden.
Novelle.

Es war an einem schönen Sommernachmittage, als drei junge Männer in lebhaften Gesprächen im schattigen Lindengange auf- und niederwandelten. Keiner kannte den Andern genau; noch weniger waren sie Freunde: und daher betraf ihre Unterhaltung auch nur unbedeutende Gegenstände. Doch wurde laut und sogar heftig gesprochen, weil der jüngste der Redenden es seinem Charakter und ausgezeichnetem Verstande angemessen hielt, seine Gedanken und Meinungen nicht ruhig, sondern in einem gewissen zänkischen und anmaßenden Tone vorzutragen, durch welchen er vielleicht seine Gegner eher zum Schweigen zu bringen, wenn auch nicht zu überzeugen glaubte. Sie sind, wie Sie mir gesagt haben, Arzt (so rief er eben jetzt aus), und als ein solcher haben Sie sich seit Jahren gewöhnt, das ganze Menschengeschlecht aus dem Gesichtspunkte der Kränklichkeit anzusehen. Wir Gesunden aber werden uns gewiß nicht so leicht, Ihrem Metier zu Gefallen, unsre feste Ueberzeugung nehmen lassen.

Mein Herr von Wolfsberg, erwiederte der Arzt, von meinem Metier, wie Sie es zu nennen belieben, kann hier gar nicht die Rede seyn.

Ja wohl, sagte der dritte Sprechende, welcher der Ruhigste schien. Wie kommen wir denn überhaupt dazu, zu streiten? Wir reden ja nur über allgemeine Gegenstände, die unmöglich einen von uns persönlich aufreizen können.

Warum nicht, mein ruhiger Herr Justizrath? rief der Baron noch lebhafter aus; denn gewiß können wir über die Leidenschaften nur dann etwas Bedeutendes aussprechen, wenn wir sie im eignen Herzen erfahren haben, und es scheint wohl, daß Sie alle Ihre klügelnden Beobachtungen nur aus mittelmäßigen Büchern schöpften.

Wenn Sie die Sache schon vorher abgemacht haben, antwortete der ruhige Mann, so thäten wir wohl besser, das ganze Gespräch zu schließen.

Es wandelt sich in der anmuthigen Kühle gut, sagte der Arzt; ereifern wir uns nicht, gönnen aber dem Herrn Baron diese Motion, die ihm nach dem Mittagsmahle wohl zuträglich seyn mag, da lebhaftere Geister und Temperamente auch im Verlauf des Tages mehr Lebenskraft verbrauchen, als wir übrigen.

So ist es, erwiederte der Baron mit vieler Selbstgenügsamkeit. Und ist es denn wohl anders mit der Liebe, über welche sich unser Streit anhob? Will ich es denn den sanften, stillen Gemüthern zum Vorwurf machen, wenn sie meinen und behaupten, ein einziger Gegenstand könne ihre Seele für die ganze Lebenszeit ausfüllen? Giebt es doch auch Menschen, die nur wenige Gedanken brauchen, noch weniger Bücher; die einen Monat lang sich an einer Flasche Wein vergnügen; die bei einem Schmause anderthalb Austern verzehren, und wenn sie in jedem Frühling einen Spaziergang mit der ganzen auferbauten Familie gemacht haben, die Natur dann wieder, wie eine Bude, bis zum künftigen Jahre verschließen. Lassen wir diese genügsamen Lämmerseelen in ihrer stillen Friedfertigkeit; nur stelle man sie uns nicht als Muster hin, wenn sie sich in grünen Tagen in eine verblaßte Amarillis vergaffen, und nachher mit erkaltetem Herzen in alberner Treue ihr Leben verwinseln, stolz sind auf diese felsenfeste Tugend, und auf feurige Gemüther, auf Herzen, die der Fülle und des jugendlichen Wechsels bedürfen, mit moralischer Verachtung hinab blicken wollen.

Nach einigen Erwiederungen ließ man dies Gespräch fallen, weil es deutlich wurde, daß der Edelmann nur sich selbst und seinen Leidenschaften das Wort reden wollte. Wohin gedenken Sie von hier zu reisen? fragte endlich der Arzt.

Ich weiß es selbst noch so eigentlich nicht, antwortete der Baron: und wenn ich es auch wüßte, so würde ich es Ihnen nicht sagen.

Warum das?

Weil das eben, fuhr jener fort, auch zu meinen Eigenthümlichkeiten gehört, weßhalb mich so viele bürgerliche Menschen mit dem Namen Genie verlästern wollen. Wenn ich so recht eigentlich zur Lust reise, so halte ich mir die ganze Welt mit ihren erfreulichen Zufällen offen; ohne Paß, ohne Briefe, ohne Bedienten oder Kutscher, ohne alle die Zugaben, die unser Leben nur belästigen, tauche ich, wie die Schwalbe in die blaue Luft, in die Schönheit der Natur hinein, und hinter mir muß jede Spur, so wie die der Welle im Strome, verschwinden. An einige Häuser ist schon im voraus geschrieben, wo ich Gelder finde, wenn ich sie brauche, doch führe ich so viel mit mir, als ich nöthig zu haben glaube. Dient es mir, so wechsle ich auch mit meinem Namen; und so wissen Sie von mir nur so viel, als ich für gut befunden habe, Ihnen mitzutheilen, und können nicht darauf wetten, daß der Name, den ich Ihnen genannt habe, mein wirklicher sei.

Sie können, sagte der Justizrath, auf diese Weise aber neben manchen angenehmen Zufällen auch auf sehr widerwärtige stoßen.

Jede Verwicklung wird sich doch nur lustig lösen, und wer die Menschen will kennen lernen, sollte durchaus nur in meiner Manier reisen.

Der Arzt konnte sich nicht entbrechen, die Frage zu thun: Was nennen Sie Menschenkenntniß? Da Sie die meisten Menschen schon vor der Untersuchung für Narren halten, so lohnt es sich schwerlich der Mühe, sie noch zu beobachten.

Zugegeben, rief jener, Sie thäten mir nicht so ganz Unrecht; ist denn nicht noch immer an den verschiedenen Modificationen eines und desselben Stoffes zu lernen? Ist es denn nicht auch erhebend und beruhigend, sich selbst an diesem und jenem zu messen? Das scheint mir eben die ächte Humanität, keinen zu verschmähen, und aufzumerken, welche Thorheit wir schon abgelegt haben, welche wohl noch unentwickelt in uns ruht, zu welcher wir keine Anlage spüren, warum wir uns für besser als andere halten dürfen, um so in uns hochfahrenden Stolz und kleinmüthige Bescheidenheit in das gehörige Gleichgewicht zu setzen.

Dann thäten Sie aber vielleicht besser, erwiederte der Arzt mit übertriebener Höflichkeit, sich gleich an die wahre Quelle zu begeben, und sich die mühseligen Umwege zu ersparen.

Und wo flösse diese?

Wie die Engländer, fuhr der Arzt fort, sich in Deutschland gern in Pension geben, um unsere Sprache zu lernen, so sollte ein Kosmopolit, der sich so für das, was man Narrheit nennt, begeistern kann, geradezu vor die rechte Schmiede gehn, und sich ein Jahr lang in einem gut versehenen Narrenhause als Kostgänger verpflegen lassen.

Sie sind ein Arzt! rief der Baron in der größten Erbitterung: man sagt mir, Ihre Reise sei auf diese Anstalten gerichtet, vielleicht um die zu finden, die Ihnen am meisten behagt, und sich dort niederzulassen. — Er warf noch einen grimmigen Blick, dann eilte er schnell den Lindengang hinunter.

Sie haben unsern edeln Unbekannten überrascht, sagte der Justizrath: wir werden seine theuere Gesellschaft darüber verlieren.

Er ist unerträglich, rief der Arzt aus. Sie haben es selber gehört, welche Geschichten er von sich an der Wirthstafel erzählt, wie alle Weiber ihm entgegen kommen, mit welcher Leichtigkeit er Liebschaften anknüpft und wieder löst. Gestern vertraute er mir, daß er seine Heimath plötzlich verlassen habe, weil ein unglückliches Mädchen gegründete Ansprüche an ihn mache. Die Arme wird nun vielleicht mit einem Kinde ihres Jammers nach ihm aussehn, indessen er sich mit seiner feigen Gewissenlosigkeit wie mit einer Tugend brüstet, und nach neuen Schlachtopfern seines verderbten Herzens sucht.

Der Justizrath meinte, er sei vielleicht nicht ganz so schlimm, sondern möge wohl zu jener armseligsten Gattung von Prahlern gehören, die sich mit einer Verworfenheit brüsten, zu der ihnen doch der Muth ermangle.

———

Der junge Baron war indessen zornig ins Feld gelaufen. Er mußte sich seine Verdienste in den glänzendsten Farben dicht vor das Auge rücken, um seinen Verdruß zu überwinden. Indessen stellte sich bald seine gute Laune wieder ein, besonders durch Aussicht auf ein nahes und freundliches Abenteuer, das seiner Eitelkeit schon im voraus schmeichelte. Auf dem Walle, welchen große Linden schmückten, hatte er hinter einem Gitterfenster ein schönes blondes Köpfchen, einen blendenden Hals und Nacken bemerkt; schöne Augen hatten ihm nachgesehn, ein freundlicher Mund hatte ihn angelächelt, und ein dreister Gruß war ihm endlich bei seinem dritten Vorüberwandeln entgegen gekommen. Er hatte die Schöne auch in der Ferne nicht ganz aus dem Gesichte verloren: er wollte nur die zunehmende Dämmerung und die größere Einsamkeit der Gegend abwarten, um sich ihr zu nähern, Bekanntschaft zu machen, und sie, wenn die Umstände sich günstig erwiesen, zu besuchen. Er betrachtete sich selber wohlgefällig und ging mit Behaglichkeit die Scenen seines bunten Lebens durch, indem er sich vornahm, daß diese phantastische Reise ihm noch angenehmere Abenteuer zuführen solle.

Wieder schaute das Lockenköpfchen durch das Gitter, lächelte, winkte und zeigte sich sehr erfreut, als es den geputzten, schlanken Spaziergänger von Neuem vorbei gaukeln sah. Der Abend nahte schon, die Sonne ging unter. Er benutzte die Einsamkeit, um zu grüßen, stehn zu bleiben, und mit fragender Geberde auf die Thür zu deuten. Sie nickte und entfernte sich schnell. Er öffnete die Thür und stieg die Treppe hinauf. Sie empfing ihn oben; „nur leise, leise!“ flüsterte sie, indem sie ihn in ihr Zimmer führte. So viel er in der Dunkelheit unterscheiden konnte, fand er das Gemach zierlich ausgeschmückt; er bemerkte, daß seine Führerin in Atlas gekleidet war. „Liebchen!“ sagte sie mit leiser Stimme, „gedulde dich hier einen Augenblick, ich bin gleich wieder bei dir; ich will mich nur putzen und Licht bringen. Aber rühre dich nicht, daß meine Feinde dich nicht gewahr werden!“

Mit diesen Worten ging sie in ein Nebenzimmer. Dem Abenteurer fing an, unheimlich zu Muthe zu werden. Da schlich man leise die Treppe herauf. Er besorgte einen Ueberfall und wußte nicht, welchen Entschluß er fassen sollte; doch trat Niemand ein, aber er wurde zu seinem Erstaunen gewahr, daß man von außen die Thür verschloß. Als er jetzt von unten eine männliche Stimme zu einem andern sagen hörte: er ist drinnen; er kann uns nicht entwischen! so sträubten sich ihm die Haare vor Entsetzen. Sein Schauder wurde aber noch vermehrt, als jetzt die Schöne mit einer brennenden Wachskerze wieder in das Zimmer trat. Hals und Busen waren fast ganz entblößt und schimmerten wie Marmor; ihr Auge strahlte in seltsamem Glanze, ein Diadem von Goldpapier stand auf dem Haupte, große Glasperlen hingen auf den weißen Schultern, Stroh und Blumen rankten sich um den Leib. So schritt sie mit Lachen und wilder Geberde auf den Geängsteten zu, der seine Gedanken noch nicht ordnen konnte, als die andere Thür wieder aufgeschlossen wurde, die räthselhafte Schöne mit einem lauten Schrei das Licht fallen ließ, und zwei starke Männer den Verwirrten in der Dunkelheit faßten, ihn die Treppe mehr hinunter trugen als führten, und ihn unten schnell in einen offen stehenden Wagen warfen. Ehe er noch fragen, sprechen, sich besinnen konnte, war die Thür des Wagens zugeschlagen, und im schnellsten Trabe fuhr dieser mit ihm durch die finstre Nacht über das Feld davon.

———

Am andern Morgen kam der Arzt in Eile und großer Bewegung zum Rathe. Was ist Ihnen? fragte dieser: es muß etwas Außerordentliches begegnet seyn. Theuerster Walther, rief der Arzt aus, unser Beisammensein, mein Aufenthalt wird plötzlich auf die unangenehmste Weise gestört und unmöglich gemacht. Sie haben ja zuweilen einen jungen Menschen in meiner Gesellschaft gesehen, der uns oft genug lästig fiel. Dieses Original, schon einfältig, stumpf und zugleich leidenschaftlich von Natur, durch eine verwahrlosete Erziehung aber völlig zum Thoren gemacht, ist mir von seinem Vater, einem reichen Grafen in Schwaben, in der Hoffnung anvertraut worden, daß eine Reise unter meiner Aufsicht ihn vielleicht bessern und von seinem verwirrten Zustande befreien könnte. Ich nahm damals diesen mißlichen Auftrag sehr ungern über mich, und würde mich gar nicht darauf eingelassen haben, hätte ich die unzähligen Verdrießlichkeiten vorher sehn können, die mit demselben verknüpft sind. Das hätte ich aber niemals vermuthet, daß dieses drückende Verhältniß mich von Ihnen trennen und meine Freiheit völlig aufheben würde.

Aber wie ist dies möglich geworden? fragte der Rath.

Sie sollen es gleich hören, war die Antwort. Nachdem dieser junge Mensch schon tausend Händel angezettelt, die ich wieder habe schlichten müssen, oft durch Geld, zuweilen mit guten Worten, immer aber auf Unkosten meiner Zeit und guten Laune, hat er es seit gestern Abend für gut gefunden, sich unsichtbar zu machen. Ich habe schon zu allen Bekannten geschickt, auf der Post Erkundigung eingezogen, in allen Wirthshäusern nachgefragt: aber man will nirgend von ihm wissen. Es würde mir keine große Sorge machen, wenn er nicht Mittel gefunden hätte, Schrank und Schatulle zu öffnen, und hundert Goldstücke, so wie bedeutende Wechsel mitzunehmen; dies überzeugt mich, daß er gesonnen ist, seine Bekanntschaft mit mir nicht zu erneuern, so lange diese Summen vorhalten. Ich darf den Thörichten nicht seinem Schicksal überlassen, sondern muß ihn wieder zu finden suchen; dies ändert mein Reiseprojekt. Ungern nur würde ich ihn in öffentlichen Blättern auffordern und kenntlich machen.

Und Sie glauben nicht, fragte der Freund, daß er mit diesem Gelde in seine Heimath zurückgekehrt sei?

Auf keinen Fall, erwiederte der Arzt; es liegt ihm zu viel daran, frei und ungehindert in der Welt umher zu schwärmen. Seine Leidenschaft ist, allenthalben Händel anzufangen und in gemeinen Trinkstuben Zank zu erregen; er freut sich dann, einige Stunden auf der Wache zu sitzen, um nachher als Graf Birken ausgelöst zu werden. Am schlimmsten aber ist es, daß er mit Kammermädchen und Aufwärterinnen Liebeshändel anspinnt und ihnen die Ehe verspricht; und ich muß am meisten fürchten, ihn auf diese Weise verheirathet wieder zu finden.

Und was denken Sie nun zu thun?

Ich muß ihn aufsuchen, und wenn ich ihn in einigen Wochen nicht wieder antreffen sollte, die ganze Sache seinem Vater melden.

Ein Diener trat eilig herein, gab dem Rathe einen Brief und entfernte sich wieder. Walther las und wurde nachdenkend. Verweilen Sie noch zwei Tage hier, sagte er endlich, und ich reise vielleicht mit Ihnen. Ich suche ebenfalls einen Verlornen, der mir und seinen Freunden schon seit Jahr und Tag aus dem Gesichte gekommen ist, einen jungen Mann, der Ihrem Entflohenen freilich auch nicht auf das Entfernteste gleicht. Ich glaube jetzt auf seiner Spur zu seyn, und wenn Sie unterdessen den Entsprungenen nicht wieder kommen sehen, oder keine bestimmte Nachricht über seinen Aufenthalt empfangen, so könnten wir die Reise, die wir uns vorgesetzt hatten, immer noch in Gesellschaft unternehmen.

Der Arzt war derselben Meinung, und man versprach sich, am andern Tage eine nähere Abrede zu treffen.

———

Der verschlossene Wagen fuhr mit dem jungen Baron die ganze Nacht hindurch fort. Allenthalben waren schon Pferde in Bereitschaft, und da der Mond sehr hell schien, konnte man so schnell, wie bei Tage reisen. In den dicht verhängten Wagen fielen nur wenige Strahlen hinein; doch bemerkte der Entführte, daß ein Mann an seiner Seite, und ein anderer ihm gegenüber saß. Als er sich von seinem ersten Erstaunen erholt hatte, wollte er seinen Gesellschaftern Rede abgewinnen; aber sie beantworteten keine seiner Fragen oder Bemerkungen. Wohin führt man mich? rief er endlich in der größten Ungeduld. Ruhe! antwortete der starke Mann, Alles wird sich aufklären. — „Man verkennt mich, man verwechselt mich mit jemand anderm!“ — „„Nichts weniger.““ — „Was hat man mit mir vor?“ — „„Morgen am Ort Ihrer Bestimmung werden Sie Alles erfahren.““

Als der Gefangene Miene machte, den Wagen zu öffnen, ergriffen ihn die Unbekannten gewaltig, und der eine rief drohend: keine Umstände! Finden Sie sich nicht gutwillig, so haben wir das Recht, Sie zu binden und zu knebeln; das geschieht auch bei dem ersten Versuche zu entfliehen, oder wenn Sie jemand Fremdes anreden wollten. Auch kann es Ihnen nichts nutzen; denn wir haben die gemessenste Ordre, die wir vorzeigen können, und auf welche uns in jeder Stadt Beistand geleistet werden muß.

So fügte sich denn der Entführte und sann stillschweigend nach, für welche Begebenheit seines frühern Lebens ihn etwa dieses Unheil treffen möchte. So in seinen Busen und dessen Geheimnisse eingehend, fand er mehr auf der Rechnung stehen, als er in seinen heitern und zerstreuten Stunden vermuthet hatte. Je länger er in der stillen Nacht fuhr, je größer wuchs in seiner Erinnerung sein Sündenregister an, und er zitterte vor der Entwicklung seines Schicksals; denn Vestung, lebenslängliche Einkerkerung, ja selbst das Aergste standen vor seiner erregten Phantasie. Er wandte sich von diesen Bildern des Schreckens ab, und suchte sich wieder zu überreden, Alles, was man ihm vorwerfen könne, sei doch nur Jugendthorheit und Leichtsinn. Mit Wehmuth mußte er an die hochmüthigen Reden gedenken, die er vor Kurzem noch gegen den Arzt geführt, und alle seine Zweifel kamen wenigstens darin überein, daß jene Handlungen, mit denen er als eben so viel Tugenden und Kraftäußerungen geprahlt hatte, doch wohl Sünden, oder gelindestens Verirrungen zu nennen wären. So blätterte er in dem dunkeln Buche seines Gewissens hin und her, und nahm sich vor, wenn ihn ein günstigeres Schicksal aus dieser Bedrängniß erlösen sollte, seinen Lebenslauf mit viel mehr Anstand und etwas mehr Weisheit zu führen.

Man fuhr die ganze Nacht und auch den folgenden Tag. Der Gefangene hatte sich fast schon an seinen Zustand gewöhnt, und die Furcht, daß seine Lage noch viel schlimmer werden könnte, machte, daß er die gegenwärtige mit Geduld ertrug. Hätte er sich ganz frei und ohne Schuld gewußt, so würde er in seinem Bewußtsein Waffen gefunden haben, sich dieser Gewalt zu widersetzen; aber der Zagende bettelte jetzt von jeder Stunde seines Daseins noch eine dürftige Erquickung, im Aufschub und in der Verzögerung fand er eine Art von Glück, und vergaß sogar in manchen Augenblicken, daß sich sein Schicksal doch endlich, und wohl bald, entwickeln würde.

Am Abende, als es schon wieder finster ward, kam man an. Durch ein Thor, das sogleich wieder verschlossen wurde, fuhr der Wagen. Man brachte Licht. Ein Schreiben ward von einem der Begleiter hinaus gereicht. „Immer neue Gäste, immer mehr Geschäfte!“ murrte eine dumpfe, verdrießliche Stimme draußen. Man fuhr in den Hof. Indem man ausstieg, ging einer der Männer jenem nach, der erst geschmollt hatte, und sagte: Ja, werther Herr Direktor, endlich haben wir ihn Gott Lob! erwischt; fünf Tage hatten wir ihm vergeblich aufgepaßt. — War er ruhig? fragte jener. — „Ja, er hat sich so leidlich vernünftig aufgeführt. Ein paar Mal wollte er närrisch thun. Je nun, wir sind ja alle Menschen!“

Das Letzte hörte der Entführte nur noch aus der Ferne. Er befand sich schon auf einer großen Treppe, zu welcher ihm zwei Menschen hinauf leuchteten. Ist Numero 18. aufgeschlossen? fragte der eine. Ja! scholl es von oben herab, und zugleich ward der Fremde in ein kleines, behagliches Zimmer hinein geschoben, in welchem Stühle, Tische, ein Bett und Sopha sich befanden. Lichter wurden hingestellt, und ein freundlicher Mann trug eine Abendmahlzeit auf. „Herr Friedrich, sagte der eine Diener, Sie haben doch nichts vergessen?“ — Gewiß nicht, antwortete der kleine Mann; Alles ist schon mit dem Direktor abgemacht.

Man ließ den Fremden allein. Da er hungrig war, aß er mit großem Behagen; nur vermißte er ungern den Wein, doch ließ ihn der Durst das Wasser schmackhafter finden, als er es unter andern Umständen für möglich gehalten hätte. Er öffnete das Fenster. Eisenstäbe verwahrten es; doch blickte er im Mondlicht über eine reiche und mannigfaltige Landschaft hin. Die Thür fand er verschlossen.

Als man den Tisch wieder abgeräumt hatte, legte er sich nieder, und schlief auf die Anstrengung des Körpers und Geistes ruhig und lange. Nach dem Frühstück wurde die Thür mit einigen Ceremonien geöffnet, und ein starker, untersetzter Mann mit finsterer Miene und braunem Gesicht trat herein, dessen grollende Stimme er sogleich für diejenige erkannte, die er schon gestern Abend gehört hatte.

Der finstere Mann warf einen durchdringenden, festen Blick auf ihn, und der Baron, der sich am Morgen eine lange, wohlgesetzte Rede ausgesonnen hatte, um seine Unschuld und das Mißverständniß, das über ihm schweben müsse, aus einander zu setzen, wurde so verwirrt und beängstigt, daß er jedes Wort vergaß und nur wünschte, diesen Besuch erst wieder los zu seyn.

Haben Sie gut geschlafen? fragte der verdrießliche Mann.

„Besser, als ich denken konnte, da ich so plötzlich“ —

„„Lassen wir das! Haben Sie mit Appetit gefrühstückt?““

„O ja — nur wünschte ich das Mißverständniß, den Irrthum schnell aufzuklären; da man mich gewiß für einen andern hält.“

„„Wir kennen Sie, junger Herr, besser, als Sie vielleicht glauben.““

„Besser? sagte der junge Mann, und wurde roth und von Neuem verwirrt. Man hat mich um meinen Namen hier noch nicht gefragt!“

„„Ist auch gar nicht nöthig. Wir wollen keine Rollen mit einander spielen.““

„Rollen? Wie meinen Sie das?“

„„Wie man so was meint. Sie sollen sich nicht verstellen, Sie sollen nicht hoffen, daß Sie mich hintergehen können.““

„Wenn ich Ihnen aber so ganz bekannt bin — so sagen Sie mir wenigstens, — wo befinde ich mich? Ich bin vielleicht zwanzig Meilen gereist, ohne zu wissen wohin.“

„„Lassen wir das noch jetzt, dergleichen muß Ihnen fürs Erste noch ganz gleichgültig seyn.““

„Die Forderung ist mehr als sonderbar.“

„„Bester junger Mann, sagte der Alte, um alle diese äußerlichen Zufälligkeiten müssen Sie sich jetzt gar nicht ängstigen. Es wird eine Zeit kommen, in der Ihnen Alles klar aufgeht.““

„Und welch Schicksal erwartet mich?“

„„Das wird ganz von Ihrem Betragen abhängen! Sind Sie sanft und ruhig, so wird Ihnen kein Mensch etwas in den Weg legen; können Sie es über sich gewinnen, vernünftig zu seyn, wenn es Ihnen auch im Anfange etwas schwer ankommen sollte, so wird man Ihnen alle Achtung bezeigen, die Sie erwarten können, und es liegt in Ihrer Hand, wie früh oder spät Sie Ihre Freiheit wieder erhalten werden.““

„In meiner Hand? fragte der Gefangene, indem er seine Hände betrachtete.“

„„Dummheit und kein Ende! fuhr der Alte ungeduldig heraus, ich dachte es wohl, daß der Diskurs nicht lange auf der geraden Straße bleiben würde. Figürlich gesprochen, junger Herr! Wie Sie sich benehmen, so wird man sich wieder gegen Sie benehmen; vielleicht sind Sie in Jahr und Tag wieder auf freien Füßen: das heißt, Jüngling, (damit Sie nicht wieder querfeldein fragen) wenn Ihre Beine wieder frei sind, wird hoffentlich das übrige Zubehör, sogar der Kopf wieder mitlaufen dürfen.““

„Und was befiehlt man, fragte der Baron, das ich vorstellen soll? Wie soll mein Name heißen? Denn es scheint, daß hier ein strenges Regiment obwaltet, dem man sich fügen muß.“

„„Nur keine Quängeleien! rief der alte Mann; machen Sie nicht, daß ich härter seyn muß, als ich von Natur bin; denn das ist mein Elend, daß der Teufel mir so ein breiweiches Herz eingesetzt hat, daß ich eigentlich ein altes Weib hätte werden müssen. Nun, lieber Herr Graf, wir werden uns schon noch verstehen lernen.““

„Graf? rief der Baron; also doch wenigstens eine Standeserhöhung.“ — Er war nach diesem Worte plötzlich viel heitrer geworden; die Beklemmung, die ihn drückte, schien ziemlich verschwunden.

„„Ja, Graf, nicht anders, fuhr der Alte fort; ja, mein junger Herr, man weiß hier mehr von Ihnen, als Sie begreifen können.““

„Nur noch eine Frage, dann will ich schweigen, sagte der Baron. — Bin ich etwa hier, wegen des Verhältnisses, das vor zwei Jahren die Baronesse“ —

„„Still! rief zornig der Alte; das ist es ja eben; an Liebe müssen Sie hier gar nicht denken, so wie Sie auf diese Passion gerathen, müssen gleich Anstalten getroffen werden; weder Baronesse, noch Gräfin, noch Fräulein, selbst das Wort Frauenzimmer muß nicht von Ihren Lippen gehört werden! Nun geben Sie mir die Hand, daß ich Sie noch einmal bewillkomme. Ich hoffe also, Sie werden uns keine Schande machen.““

Er hielt die Hand des Barons lange in der seinigen eingeschlossen, drückte sie, schob seine Finger hinauf, fast als wenn er den Puls fühlen wollte, sah dem jungen Mann noch einmal scharf in die Augen, und entfernte sich dann schnell nach dieser sonderbaren Begrüßung.

Nach einiger Zeit erschien der kleine freundliche Mann, den man den Herrn Friedrich nannte. Nun, sagte dieser, es ist ja gut abgelaufen; unser melancholischer Gebieter ist ja mit Ihnen zufrieden, er meint, es würde schon werden.

Aber, wo bin ich nur? fragte der Baron.

Der Kleine legte mit einer sehr listigen Miene den Finger auf den Mund, kräuselte die Lippen, zog die schmalen Schultern bis zu den Ohren, und sagte dann ganz leise: so lange Sie noch bloß auf Ihr Zimmer eingeschränkt sind, darf ich nichts Bestimmtes mit Ihnen sprechen; aber wenn Sie erst einmal herunter gekommen sind, dann wird Ihnen nichts mehr Geheimniß bleiben.

Wer sind Sie, fragte der Baron eifrig, und wer ist der Mann, der mich heute besuchte?

Nichts! nichts! rief der Kleine; sehn Sie, Verehrter, wir sind Alle ohne Ausnahme nur das, was unser gestrenger Herr uns befiehlt zu seyn. Hat er doch nun die Macht einmal; woher er sie hat, das weiß der Himmel wohl am besten, der sie ihm verlieh. Sehn Sie, er ist sehr hypochondrisch, und fast niemals vergnügt, und darum verlangt er, Alles im Hause solle auch ehrbar und fromm zugehn. Eine unbillige Forderung. Ich gelte aber doch viel bei ihm, und er meint, ich hätte Gaben. Nun haben Sie gleich beim Eintritt durch Ihr feines vornehmes Wesen mein ganzes Herz gewonnen, — Sie sehn einem großen Feldherrn so ähnlich, den ich einmal gekannt habe; aber ich bin doch zu schwach, Ihnen zu helfen.

Wie so, zu schwach?

Betrachten Sie nur selbst meine Schultern, wie schmal, flüsterte der kleine Mann. Ja, wenn ich mehr heben und arbeiten könnte; wenn ich mich nicht immer so schonen müßte; wenn ich mir mehr bieten dürfte, so wäre mein Schicksal wohl ein ganz anderes, als hier im Hause herum zu kriechen.

Er entfernte sich, um dem Fremden das Mittagsessen zu holen, verschloß aber sorgfältig indessen die Thür.

———

Der Rath Walther hatte den Arzt wieder aufgesucht, um über den Plan ihrer gemeinschaftlichen Reise zu sprechen. Der Doctor hatte von seinem entlaufenen Zögling noch keine Nachrichten; er war jetzt neugierig, was sein Freund, dem er sich immer enger anschloß, ihm würde zu eröffnen haben.

Vielleicht, fing dieser an, sehe ich schon in einigen Tagen einen Jüngling wieder, dem ich seit vielen Jahren schon, seit ich ihn als Knaben kennen lernte und aufwachsen sah, meine Freundschaft, ja mein ganzes Herz schenken mußte. Alle unsere Bücher sind voll von Schilderungen der sogenannten Liebe; genau sind alle ihre Kennzeichen beschrieben, die Steigerungen, so wie die Verirrungen dieser Leidenschaft nachgewiesen, und von der Freundschaft, die eben so wundersam, zuweilen noch seltsamer erscheinen kann, wird kaum gesprochen, oder man setzt sie voraus, und meint, sie zu schildern, sei ohne Interesse. Wenn Alle zu lieben glauben, ist es vielleicht nur Wenigen gegeben, im wahren Sinne Freund zu seyn. Ich habe mich früh und ohne Leidenschaft verheirathet, und bin glücklich in meiner Familie. Aber von frühster Jugend habe ich das Talent in mir ausgebildet, Freund seyn zu können, mich dem geliebten Gegenstande hinzugeben, seine Eigenheiten, Schwächen und Vortrefflichkeiten zu erkennen, mich zu überzeugen, wie bei den verdienstvollen Menschen die einen nicht ohne die andern seyn können, und alle Liebe ohne gegenseitiges Ertragen nicht möglich ist. Doch, um nicht zu weitläuftig zu werden, sage ich nur, daß es mir gelang, viele und sehr verschiedene Freunde zu erwerben; doch hatte ich noch nie das seltsame Gefühl kennen lernen, das mich zu einem Knaben hinzog, der in unsrer Familie aufwuchs und ein entfernter Verwandter von mir war. Er hatte nichts mit andern Kindern seines Alters gemein; er nahm an ihren Spielen nicht Theil; er sonderte sich ab, und lebte, seine Lehrstunden abgerechnet, ganz einer träumenden Einsamkeit hingegeben. Da der junge Mensch schon früh seine Aeltern verloren hatte, so war sein Vormund, ein liebevoller Oheim, sehr um ihn besorgt. Fragte man Raimund, so hieß der Knabe, was ihm fehle, so antwortete er immer, ihm sei in der Einsamkeit unendlich wohl; ihn störe das Geräusch der Welt, er sinne sich und seinen Empfindungen nach. Hauptsächlich schien ihn eine Wehmuth über das Elend der Welt, über ihre Armuth und Krankheit zu durchdringen, vorzüglich über die Feindschaft und den Haß, den er so oft wahrnehmen mußte. Der Vormund wünschte, ihn zum Geschäftsmann heranzubilden, oder ihm doch die Fähigkeit zu verschaffen, das große Vermögen, das er für ihn bewahrte, künftig selbst verwalten zu können. Die Bemühungen aber, den Weichgestimmten mit den Verhältnissen der Welt bekannt zu machen, schienen immer vergeblich; denn so leichte Fassungsgabe sein feiner Geist sonst verrieth; wie er in Poesie, Musik und Natur Alles begriff, und sich das Schwierigste aneignen konnte; so schien ihm doch der Sinn für gesetzliche Verhältnisse, für alles das, was Besitz und Eigenthum sichert, für juristische Verwickelungen, Berechnungen und dergleichen, gänzlich verschlossen. Begriff er doch gar nicht einmal, wie es möglich sei, daß seine Capitalien Zinsen trügen. Er hielt dies, als er selbst schon erwachsen war, für ein Ergebniß, welches nur auf Betrug gegründet seyn könne. Als Jüngling war er die lieblichste Erscheinung. Wir verhärten uns gewöhnlich, und wohl mit Recht, gegen die Sentimentalität; weil dasjenige, was die Menge so nennt und schwache Gemüther interessirt, nur eine Mischung von Heuchelei und falscher Süßigkeit ist, eine egoistische Zartheit, die gerade da verletzt und roh tyrannisirt, wo sie Liebe und Weichheit zeigen sollte. Aber in Raimund offenbarte sich etwas Himmlisches verkörpert, und die naivste Wahrheit, die edelste Treue und Einfalt bildeten sein Wesen. Ich konnte oft in Gedanken beklagen, daß er späterhin doch zum Manne reifen und diese Wunderblume sich in Frucht verwandeln müsse. Er blieb immer menschenscheu; am meisten aber ängsteten ihn die schwatzenden und lachenden Mädchengesellschaften. Die meisten Menschen verspotteten ihn; ich allein verstand sein liebendes Gemüth; doch zitterte ich auch für ihn, wenn ich voraus dachte, wie ihm wohl einmal ein gleich gestimmtes weibliches Wesen begegnen könne. Dies geschah, und die Folgen waren erschreckender, als ich vermuthen konnte. Die schöngebildete Tochter eines reichen Hauses, schwärmerisch und scheu, lernte ihn kennen. Als wären die beiden Wesen nur für einander geschaffen, so schnell verstanden und vereinigten sie sich. Was ihr Glück störte, war der Oheim, obgleich er seinen Neffen so innig liebte. Er schien der Ueberzeugung, daß diese Leidenschaft nur zu Beider Unglück ausschlagen könne; er verweigerte durchaus seine Einwilligung zu ihrer Verbindung, bis Raimund großjährig geworden sei. Dieser härmte sich und sann und träumte nur Unglück. Blanka weinte; ihr Gram zog ihr ein Nervenfieber zu. Nun schien auch Raimund verloren. Er irrte in den Nächten im Felde umher, er verschmähte fast alle Nahrung, er wollte nur seinem Schmerze leben und sterben. Als sie die gefährliche Krise überstanden hatte, erlaubte sich ein Bedienter den grausamen Scherz, um ihn desto freudiger zu überraschen, ihm zu sagen, Blanka sei gestorben. Der Widerruf kam zu spät; sein ganzes Leben schien aus allen Fugen gerissen. Es währte nicht lange, so war er verschwunden; jede Nachfrage, jede Nachforschung umsonst. Sein Oheim, der Freiherr Eberhard ist außer sich; nun erst zeigt er, wie sehr er seinen Neffen geliebt; er macht sich die bittersten Vorwürfe, daß er jene Verbindung gehindert; er zögert noch immer, als der nächste Erbe, das Vermögen des Unglücklichen als das seinige zu betrachten; er hofft noch immer auf seine Rückkehr, und beweint ihn doch schon als einen Verlornen. Blanka war seitdem in einem fürchterlichen Zustande, ich habe sie nicht wieder gesehn; ihre Aeltern verließen die Stadt, und ein ungewisses Gerücht wollte sagen, sie habe den Verstand verloren. Denken Sie nun die Freude, die mir der Brief machen mußte, der mir eine wahrscheinliche Spur meines jungen Freundes entdeckt. Wie werde ich den Oheim überraschen, wenn ich ihm etwas Gewisses melden kann!

Der Arzt war nachdenkend. Eberhard, — sagte er sinnend, — ein Mann bei Jahren, zwei ungleiche Augenbraunen, und eben so ein braunes und ein blaues Auge? Auch schwebt mir dunkel vor, als habe ich aus seinem Munde selbst die Geschichte, die Sie mir jetzt mittheilen, gehört; nur erzählte er die Umstände anders.

Ihre Beschreibung paßt auf ihn, sagte der Rath; er ist von der Natur so sonderbar gezeichnet, daß man ihn nicht leicht verkennen kann.

Wie seltsam, fuhr der Arzt fort; wenn es dieser seyn sollte! — Er spielte in meiner Vaterstadt eine wunderliche Rolle, und bewarb sich noch ganz kürzlich um eine Schauspielerin, die nicht den besten Ruf hatte.

Dann ist es dieser doch nicht, sagte der Rath; er lebt einsam, eingezogen, ja neigt eher zu einer übertriebenen Frömmigkeit hin.

Man kam dahin überein, am folgenden Tage abzureisen; denn im Dorfe eines einsamen Gebirges sollte der Jüngling, von dem der Rath Nachricht erhalten hatte, im Hause eines Predigers leben.

———

Es war einige Zeit verflossen, in der sich der junge Wolfsberg an seinen Aufenthalt und seine Lage gewöhnt hatte, und da er sich immer ruhig betragen, so trat eines Tages sein Freund, der kleine Friedrich, in sein Gemach, that einen kurzen Sprung, zuckte die Schultern, verzog sein blasses Gesicht zum Grinsen und sagte: jetzt werden Sie einer von den unsern; der Alte schickt mich, Sie möchten in den Gesellschaftssaal hinunter kommen.

Sind viele Leute dort? fragte der Baron.

Je nun, eine hübsche Gesellschaft; bald mehr, bald weniger; mancher reiset dann auch wieder ab, und so habe ich vorige Woche einen meiner besten Freunde auf der Welt verloren.

Sie traten in den untern großen Saal, und Wolfsberg, der so lange in der Einsamkeit und im kleinen Zimmer gelebt hatte, war so vom Licht, von der Gesellschaft und dem weiten Blicke über die Ebne und das Waldgebirge hin geblendet, daß er sich nur schwer fassen konnte, und einige Zeit brauchte, um sich mit allen diesen Gegenständen, vorzüglich aber mit den Menschen in dem großen Gemache bekannt zu machen. Der Direktor ging mit großen Schritten auf und nieder, noch finstrer, als er gewöhnlich war; er schien nur seinen Gedanken nachzuhängen, und sich um die Gesellschaft nicht zu kümmern. Er bemerkte auch den Eintretenden nicht, und erwiederte nichts auf dessen Gruß. Zwei Männer spielten mit großer Anstrengung und gespannten Mienen Schach; in einer Ecke las ein Andrer in einem Buche, lächelte zuweilen, oder schüttelte den Kopf, machte auch zuweilen Geberden der Billigung, so daß er völlig mit seinem Autor beschäftigt schien. Auf einem Lehnstuhle war ein Mann eingeschlafen, der durch sein rothes Kleid auffiel; noch mehr dadurch, daß sein Kopf von einem großen dreieckigen Hute bedeckt war. Starr nach dem Himmel und dessen Wolken war der Blick eines Andern gerichtet, der einen Maaßstab in der Hand hielt, dessen Zolle er dann immer wieder von Neuem überzählte. Drei seltsame Gesichter standen abseits, und stritten lebhaft. Der eine von diesen Männern war sehr beleibt; sein Kopf aufgedunsen, die Augen waren fast verschwollen, er krächzte mehr, als er sprach, und stach um so mehr gegen seinen schmalen langen Nachbar ab, dessen Gesicht so dürr und bleich erschien, daß man kaum noch Lippen darauf wahrnahm, indem die großen blauen Augen aber desto auffallender hervor leuchteten. Der dritte Redner lachte beständig mit seinem großen, aufgeworfenen Munde, und zerrte die wundersamsten Linien in seine kupfrigen Wangen hinein. Wolfsberg sah sich um, von seinem getreuen Friedrich Einiges über diese sonderbare Versammlung zu erfahren; dieser aber war verschwunden, und er mußte also selbst Bekanntschaft zu machen suchen. Er näherte sich den Schachspielern, und sah beim ersten Blick, daß beide Könige im Schach standen, ohne daß es die Streitenden trotz ihrer angestrengten Aufmerksamkeit bemerkten; aber seine Verwunderung stieg noch mehr, als man den weißen Thurm nahm, ihn schräg über das Brett zog, mit ihm einen Läufer schlug, und ihn darauf neben den König stellte. Der braune König retirirte nun behende als Springer, und ein weißer Springer nahm mit einem Satz im Zickzack drei Bauern zugleich weg. Wie, meine Herren, rief Wolfsberg aus, Sie spielen ja ganz gegen die ersten Regeln! Was? rief der eine tiefsinnig vom Brett aufsehend; sehn Sie einmal, durchlauchtiger Kriegsgefährte, der Neuling will uns wohl Schach spielen lehren? — Nehmen Sie es dem Grünling nicht übel, erhabener Mann, antwortete die andere Figur: er ist augenscheinlich nicht in die Geheimnisse des Cosroes und die alte orientalische Spielweise eingeweiht; er weiß es ja nicht, daß Sie einer der Urindianer sind, großer Geist, und will nun seine Fibelweisheit hier scheinen lassen. Wissen Sie, junger Abendländer, Vandal, oder Gothe, vielleicht Slave, — man spielt hier nicht mit Brett und Schritt und Sprung, wie in den Westländern; unser freier Geist erkennt weder die conventionelle Würde des Königs, noch den niedern Rang der Bauern, sondern wir spielen nach Sympathie, in jenem Geist, der alle Welten nach unsichtbaren Gesetzen zusammenhält! In jeder Nacht hat mein Freund eine neue Inspiration, am folgenden Tage bin ich inspirirt; dann erräth der andre durch hochgetriebenen Instinkt, welch neues System sein Mitspieler ersonnen hat und geht in seine Mysterien ein. Das ist gar eine andre Vielseitigkeit, als das moderne Hin- und Herrutschen der Figuren.

Das ist freilich eine andre Sache, sagte Wolfsberg, indem er sich zurück zog. Er näherte sich dem Lesenden, sah aber zu seinem Erstaunen, daß dieser das Buch verkehrt hielt, und rückwärts die Blätter umschlug. Wie, mein Herr, sagte er höflich, sind Sie so zerstreut, daß Sie nicht bemerken, wie man auf diese Art nicht lesen kann? Oder sind Sie der Kunst etwa gar nicht mächtig? — Der Lesende stand schnell auf, machte ihm eine sehr tiefe Verbeugung, sah ihn an, beugte sich noch tiefer, und sprach dann mit einer lispelnden Stimme und mit überhöflichem Tone: „geruhen dieselben gütigst zu bemerken, mein verehrter Herr Unbekannter, daß es denenselben gefällt, sich wie ein wahrer Einfaltspinsel auszudrücken. Nicht etwa, daß ich in Ihre eben so tiefen, als ausdrücklichen Einsichten einen Zweifel setzen wollte (fern sei von mir ein solcher Frevel!), so scheint es mir doch einleuchtend (möchte ich Sie auch übrigens anbeten), daß Sie mit der crassesten Ignoranz über eine Wissenschaft sich äußern, die freilich Ihrem elenden, kurzen, stümperhaften Horizonte weit entwachsen ist. Was? Weil ich etwa nicht von vorn lese, oder das Buch verkehrt halte, darum könnte ich nicht lesen? Ja, und wenn ich nun selber keinen Buchstaben wüßte, armer Hergelaufener, und ich nähme das Buch nur mit Glauben und Andacht in die Hand, könnte es nicht auch in mich übergehen? Habt Ihr denn wohl schon oft lesend gelesen, und verstehend verstanden? Ja, Druckerschwärze und die krausen Figuren sind Euch in die Augen, Geruch von Leim und Papier in die Nase gekräuselt, und dazu habt Ihr eine Physiognomie geschnitten, wie Schafe beim Gewitter, und meint alsdann, Ihr habt Weisheit in Euch geschlürft, oder seid Eurem berühmten Autor gar noch über den Kopf gewachsen! Bester Nichtdenker, verehrter Strohkopf, ich war seit Jahren Recensent, thätig und einsichtsvoll, gewöhnte mich ans Blättern und hatte immer um so mehr Urtheil, um so weniger ich las; ich brachte es zu der Höhe, daß ich kaum den Titel anzusehn brauchte, nur, wo verlegt, so hatt’ ich das ganze Buch weg. Ist das etwa keine Kunst? Seit ich mich in diese Einsamkeit zurück gezogen, habe ich, weil ich ein demüthiger Charakter bin, wieder zu lesen angefangen; aber warum denn von vorn? Das Ende ist mein Anfang, und da ich mich längst geübt habe, die Schrift umgekehrt zu erkennen, so wäre es mir nun gar nicht mehr möglich, auf Eure dumme, hirnlose, völlig altfränkische Art die Sache zu treiben. Und wo ist denn der Anfang, der anfinge, Ihr Gimpel? Setzt nicht das erste Verslein im Mose schon einen andern Anfang voraus? Und wenn wir den fänden, wiese er dann nicht wieder auf ein Voriges? O Ihr Bettelmann der Gegenwart und Dürftigkeit! ein Ende giebt es; ja in Eurem Verstande; mit dem seid Ihr längst zu Ende! — Er verbeugte sich hierauf wieder sehr tief und beschloß: Verzeihung, Verehrtester und Einsichtsvollster aller Trefflichen, wenn ich, so tief ich auch unter Ihnen stehe, nur durch ein geringes Scherflein habe andeuten wollen, wie sehr ich mich bestrebe, Ihre Meinung zu fassen, und gewiß nicht wagen werde, Ihnen irgend in Hauptansichten zu widersprechen, sondern nur submissest einige kleine Zweifel, welche die Bitte um Belehrung enthalten, entgegen zu schütten, und dadurch nur Veranlassung gebe, noch tiefer Ihr tiefes Ingenium und noch klarer Ihren klaren Geist, noch glänzender die Glanz-Atmosphäre Ihres Wissens, Denkens, zu entwickeln, — und enfin, excellenter Mann, ich verstumme.“

Heiliger Himmel! rief Wolfsberg mit Entsetzen aus, denn er erkannte nun erst, indem er noch einen hastigen Blick auf alle Gruppen warf, wo er sich befinde, — ich bin in einem Narrenhaus! Wer hat die Unverschämtheit gehabt, mich hieher zu versetzen?

Bei diesem lauten Ausruf und dem Worte „Narrenhaus“ wurden plötzlich alle Thoren aus ihren stillen Gesprächen und Speculationen aufgeschreckt. Der Beobachter ließ seinen Maaßstab fallen und rannte herbei; der Aufgedunsene, der Bleiche, so wie der Kupferfarbene liefen schreiend herzu; die Schachspieler sprangen auf; der Lesende machte ein grimmiges Gesicht, und der schlafende Rothrock erwachte, indem er zugleich eine kleine Peitsche aus dem Busen zog. Was? Wie? schrieen Alle und tobten durch einander — ein Narrenhaus? Herr! Wissen Sie, was Sie sprechen? Er wird auch nicht für die Langeweile hier seyn, sagte der große kräftige Mann im rothen Rock, und er darf mir nicht viel gute Worte geben, so lasse ich ihn hier, so wie meine Pygmäen, tanzen, bis die bösen Geister aus ihm gefahren sind.

Und wo sollten Sie denn sonst seyn, lieber Mann, schrie der Direktor zornig, der den verwirrten Haufen theilte und jeden zur Ruhe verwies; wenn Sie sich aber so aufführen und sich in Gesellschaft nicht zu nehmen wissen, so werden wir Sie wieder auf Ihr kleines Stübchen einquartiren müssen. Dies Wort zu nennen, was Sie gebrauchen, schickt sich in diesem Hause gar nicht, und schon aus Achtung vor mir müssen Sie es vermeiden! Und wer Sie hieher gesandt hat? Männer, denen Sie nicht verweigern werden, Gehorsam und Ehrfurcht zu bezeigen!

Wolfsberg war still und nachdenkend geworden, und der Rothgekleidete rief: hab’ ichs nicht gesagt? indem er zugleich die kleine Peitsche nahm und eifrig gegen alle Wände des Saales schlug, bis er außer Athem und ganz kraftlos war. Der Director wandte sich unwillig ab, und als der Ermüdete sich wieder in seinen Sessel geworfen hatte, trat Wolfsberg zu diesem und fragte: was machten Sie eben, und was hat diese Anstrengung zu bedeuten?

Was? rief Herr Kranich aus (denn so nannten ihn die Uebrigen), Herr, wenn ich nicht wäre und die Augen immer offen hätte, so wären Sie und alle Uebrigen hier verloren; ja, ich möchte wohl wissen, was von der Welt sonderlich übrig bleiben würde. Sie sehn es nicht, wie diese verdammten Pygmäen, kleine böse Geister, mich allenthalben verfolgen, Gesichter schneiden, und alles Uebel auf Erden anrichten. Von diesen rührt auch Ihre Verstockung her, daß Sie nicht einsehn wollen, was an Ihnen ist; von diesen kleinen Creaturen entspringt alles Unglück, und ich muß sie unaufhörlich bewachen, um nur zu verhüten, daß sie nicht das Aergste ausüben.

So war Alles wieder beruhigt, als man einen Landedelmann mit seiner Familie anmeldete, die sich das Haus betrachten wollten. Ein ältlicher Mann trat lächelnd herein und sah sich selbstgenügsam um; ihm folgte eine erwachsene Tochter, blöde und einfältig, und ein ebenfalls erwachsener Sohn, der sich gleich das Ansehn gab, als wenn er hier zu Hause gehöre. Der Director fuhr sogleich barsch auf sie zu, und fragte heftig, was zu ihrem Befehle sei. Gott bewahre! stammelte der Edelmann, indem er scheu zurück trat; ist denn hier kein andrer ruhiger Mann, der uns herumführen, und die Merkwürdigkeiten zeigen kann? Der Director sammelte sich wieder und sagte in sanftem Tone, daß er selbst der Vorsteher dieser Anstalt sei, und daß er sich ihm und dem kleinen Friedrich, der sich unterdessen wieder herbei gemacht hatte, getrost anvertrauen könne. Sie gingen hierauf friedlich durch den Saal, ergötzten sich an der Aussicht und betrachteten die Gesellschaft aus der Ferne, als sich der Kupferfarbene herbei machte und um die Erlaubniß bat, etwas vorzutragen.

Meine beiden trefflichen Schüler, fing er an, möchten heute einen poetischen Wettstreit halten, wie er bei den alten Griechen wohl üblich war, und es trifft sich gut, daß einige Fremde, als ganz unbefangene Zuhörer zugegen seyn können, um über die Verdienste meiner begeisterten Scholaren nach reifer Prüfung ein Urtheil zu fällen.

Er winkte, und der lange Blasse, so wie der Beleibte mit dem verschwollenen Gesichte näherten sich. Die Uebrigen schlossen einen Kreis; der Lesende drängte sich am nächsten, und der Pygmäenbekämpfer sah kritisch umher, ob auch keine bösen Geister die poetische Unterhaltung stören möchten.

Der Mann mit der Kupfernase wandte sich hierauf an den Edelmann, den er freundlich bei der Hand nahm und ihm die Tressen seines grünen Kleides streichelte. Englischer Mann, sagte er zärtlich, verstehen Sie wohl Galimathias zu sprechen?

Nein, sagte jener; was ist das für eine Sprache?

Schade, fuhr jener fort; da werden Sie es nur halb genießen können, denn etwas wenigstens sollten sich wohl alle Menschen damit befassen. Es ist zu verwundern, wie wenig wir immer noch auf unsre eigentliche Ausbildung wenden. Tretet zuerst vor, mein theurer Freund und Schüler, würdiger Troubadour und Meistersänger!

Der Aufgeschwollene räusperte sich, athmete tief auf und sprach dann schnell, aber mit einer krähenden Stimme: „Sind wir nicht alle innigst von dem Gefühle durchdrungen, daß, wenn eine Krebsmoral erst an der tiefsten Wurzel der Menschenschicksale nagt, kein einziges Schaalthier mehr auf den Höhen der Gebirge wird gefunden werden? Gewiß, meine Theuersten, schlägt jeder mit erneuertem Mannsgefühl auf seine Brust, wenn er bedenkt, daß bei dem siderischen Einfluß, den jede Theemaschine auf die Verflechtung innerer Organe und Inspirationen unbedenklich ausströmt, die alten Germanen nimmermehr ihren Wodansdienst ohne Hülfsleistung abnormer Zustände und tief empfundener mikroskopischer Ansichten würden haben durchsetzen können. Denn hier kommt es ja nicht auf ein oberflächliches, leichtgewagtes Entdecken vulkanischer Revolutionen an; sondern die Menschheit selbst ruft das in uns auf, was schon im Anbeginn der Zeiten reif und heterodox, aber im galvanischen Mittelpunkt unendlicher Verschlossenheit, tief und geheimnißvoll gebrütet hat. War es denn nicht auch damals dieselbe große Schicksalskatastrophe und Weltumschwungsaxiomatische Wunderbegebenheit, als dasjenige, was man bis dahin nur für orkanische Centripetalkraft abgewogen hatte, sich plötzlich als das ungeheure Ixionsrad schwärmerischer Antidiluvianer manifestirte? So merken wir, ist unsre Seele anders nicht völlig aphoristisch gebildet, und im Mausoleum hyrkanischer Waldgötter anticipirt worden, daß umgekehrte Verhältnisse sich immer wieder zu Kegelausschnitten gestalten, wenn die Galaxie der Planeten sich in ekliptische Rodomantaden verwandeln möchte. Aber festhalten müssen wir einen Gedanken, daß die Hieroglyphen immer nur wieder Apostrophen ausgebären können, wenn wir nicht mit den conglomerirten Gnostikern annehmen wollen, daß die Hypotenuse der Polarvölker immer wieder in die materiellste Abstraction der eleusinischen Pyrrichien verfallen müßte, an welchem Irrthum auch schon der berühmte Johann Ballhorn in seinem großen granitgebundenen Werke vom Phlogiston der Polypenkrater verstorben ist, da er ein Apostem der großen alchemistischen Tinktur mit den rauschenden Katarakten der Amathontischen Apodiktik mehr als ihm billig zugegeben werden konnte, verwechselt hat. So hoffe ich denn bewiesen zu haben, daß immer und ewig das große Geheimniß der peloponnesischen Antithese klar und verständlich ist ausgesprochen worden.“

Gewiß! sagte der Edelmann.

Sublim! rief der Leser aus.

Ein Beifallsmurmeln ertönte aus der dichtgedrängten Umgebung.

Nun, Görge, was meinst du? fragte der Edelmann, indem er sich an seinen Sohn wandte, der mit starren Augen und offnem Munde zugehört hatte.

Ich wollte nur, antwortete Görge, unser Herr Pastor wäre hier, der den Mann vielleicht widerlegen könnte; denn seine Reden klingen fast eben so.

Nun höre man aber auch, rief der Kupferne, meinen zweiten Zögling, den edeln, sanften Musenliebling.

Die lange, hagre Gestalt trat hervor und klagte in einem weinenden, schnell singenden Tone also: Ist nicht die Liebe und immer nur wieder die Liebe das hoch erhabne athletische Bildwerk der ächten attischen Hybla-akademischen, süßflötenden Nachtigallen-Atmosphäre? Wer möchte sich der Thränen enthalten, wenn flutende Herzenslustren im Umschwung der zartesten Cicaden-Gesinnung nicht endlich einmal zur Vollendung einer umarmenden Schicksals-Apotheose hinstreben sollen? Denn das Bildwerk liebender Gestirne ist ja doch nur ein Abglanz häuslicher und mattherzig rührender Sarkophag-Mumien-Attribute; vorausgesetzt, das fromme kindliche Gemüth hat sich schon in eine Phaläne von träumerischen Allegorieen verwandelt, und ist die ganze sublunarische Etymologie der peripatetischen, eben so großartigen, als herzergreifenden Sylbenstechereien uralter Religionsentzündungen durchgegangen. Fragt sich einzig nur: hat ein kryptogamisches Pfeifergericht von enggetriebenen Bildwerken nicht immerdar den Blumenstaub somnambulistischer Zustände auf hydraulische Weise mit Prophetenencyklopädieen vorher verkündigt? worauf die mathematische Antwort lautet: so gewiß der Umkreis der Welt einzig in den Umfang sanfter Cirkelschwingungen gebannt ist, so gewiß hat auch jede Periode und bacchische Begeisterung im Lichtscheine der erotischen Neufundländer Sitz und Stimme gefunden. Denn, was ist es denn, was das Echo unsrer Brust ewig beweint? Nicht wahr, daß noch kein Sterblicher in das Universal-Paradoxon der Himmelskräfte hat einschlüpfen können? Aber dennoch sagen uns begeisterte Seher, daß das Berlappenmehl dazu diene, den Blitz der Götter, so wie alle diagonale hochgefeierte Perioden des Immateriellen zu erschöpfen, wenn wir nicht vergessen, daß Phidias darum der Große genannt wird, weil er zuerst die petrarkische Elegie in der neuen Ausgabe der Homilien hat mit Vignetten in einen großen Salat von Vergißmeinnicht bei den Olympischen Spielen verzehren lassen, was eben die Ursache war, daß Romeo und Julia sterben mußten, so sehr sie auch vorher auf Pardon vom Könige von Abyssinien rechnen durften. Aber das ist das Große und Erschütternde eben in den edelsten Lebensverhältnissen, daß die Liebe des Herzens immer wieder auf die reine und unreine Mathematik angewendet werden soll, was doch kaum dem Platonischen John Bull möglich gewesen ist, mit Hülfe seines Freundes, des großen Eklektikers Pope, vermöge seiner Stanzen und der noch berühmtern Parlamentsreform einzuführen. Daher bleibt unserm Leben diese ewige Trauer, daß jede Sonnenblume in Oel kann verwandelt werden, wenn wir umgekehrt niemals einen Tropfen Oel in Blumen, ja kaum in Sonnen umschmelzen können; daher ist die Thräne an unsrer Wimper ein zartes Herzenssiegel, welches tropfend beurkundet, daß wir alle nur Blindschleichen und arme Würmer sind. Dies herzzerreißende Gefühl mitzutheilen, habe ich mich nicht enthalten können.

Die Tochter des Edelmanns weinte und sagte: ja wohl, ist unser Leben nur ein zerbrechliches Geschirr! Der Lehrer aber sah triumphirend umher und fragte: nun, meine Freunde, welchem würden Sie den Preis zuerkennen?

Das zweite, sagte das junge Mädchen, war mehr für das Herz, das erste mehr für den Geist.

So ist es, sagte Herr Kranich; der lange Herr Melchior hat die beste Rede gehalten: wir sind Alle gerührt; dazu hat er eine Stimme wie eine Nachteule oder Unke: die Thränen laufen einem über die Nase, man weiß nicht wie.

Ja, meine theuern Freunde und Sie, verehrte fremde Zuhörer, sagte der beleibte Lehrer, ich bin stolz darauf, daß ich in diesen beiden Männern diese großen Talente habe wecken und zur Reife führen können. Diese sokratische Hebammenkunst ist es, in welche ich meinen Stolz setze, da ich selber nichts dergleichen hervor bringen kann. Aber meine Schüler werden mich unsterblich machen. Doch soll der liebende, herzliche Melchior seines Kranzes nicht entbehren.

Er heftete diesem einen Stern von Blech an die Brust, mit welchem der lange blasse Mann sich brüstend durch den Saal schritt. Der Aufgedunsene ging verdrießlich in eine Ecke und murmelte: Abgeschmackter Kerl! Er hat doch durchaus keinen Begriff vom Aechten! Ich von ihm gelernt! Ja, freilich, wenn ich solche Alfanzereien spräche, wie die aschgraue Hopfenstange!

Ruhig, großer Mann, sagte der Lesende, der ihm nachgegangen war; das Erhabene wird nie verstanden, so ist es vom Anfang der Schöpfung gewesen: der größere Sophokles wurde eben so vom süßlichen Euripides verdunkelt; Terenz mußte Seiltänzern weichen; Phidias ward verkannt; Dante aus seinem Vaterlande vertrieben. Lassen Sie den Narren mit dem alten Stückchen Blech laufen; Ihr Herz sei Ihr Elysium, und morgen werde ich Ihnen eine zinnerne Schnalle bringen; heften Sie diese an Ihre erhabene Brust und verachten Sie den Gegner.

Der Edelmann hatte sich indessen wieder mit dem Sokrates ins Gespräch eingelassen, und bewunderte am meisten, daß die beiden Proberedenden diese Fülle von Gedanken und gelehrten Materien so aus dem Stegereif hätten hersagen können. Begeistrung, rief der Sokratiker, ist Alles: sie haben ihr Gemüth gesammelt, und dann aus dem Mittelpunkt ihres Wesens den rauschenden Springquell der Suada hingeströmt.

Ich kann niemals, äußerte der Edelmann, gegen meinen Pfarrer zu Worte kommen; wären Sie nun capabel, mir auch die Zunge zu lösen, daß ich so wie ein Advokat oder Prokurator zu reden wüßte?

Der Director zupfte kopfschüttelnd den Edelmann am Rocke; dieser sah sich verdrießlich um, indem der finstre Mann zu ihm sagte: lieber Mann, Sie verweilen offenbar zu lange in dieser Gesellschaft; dieser Umgang kann Ihnen unmöglich gut bekommen.

Indem erhob sich ein lautes Getümmel am andern Ende des Saales. Lassen Sie mich ungeschoren; rief der junge Wolfsberg laut, ich müßte ja selbst unsinnig seyn, wenn ich dergleichen Unsinn bewundern, oder mir auseinandersetzen wollte, welche von den beiden abgeschmackten Reden die bessere sei.

Die erste ist aber die bessere, rief der Lesende, und wenn Sie keine Kritik mehr respectiren wollen, so ist es mit Ihrem eigenen Verstande nur schwach bestellt. Und was nennen Sie denn Unsinn, Bester? O mein verehrter Widerwärtiger, hundert Meilen wollte ich reisen, wenn ich dergleichen doch nur einmal in Wahrheit anzutreffen wüßte. Das ist ja mein Jammer, daß ich mich schon seit länger als zehn Jahren damit abquäle, einmal den Unsinn zu finden. Aber rutschen Sie durch zehn Schauspielhäuser, und wenn Sie in jedem flüchtig auch nur ein paar Secunden verweilen, so hören Sie leider allenthalben etwas leidlich Vernünftiges; ja was noch schlimmer ist, die zehn kurzen Fragmente aus dem Trauer- und Lustspiel, aus dem Familiengemälde und der Posse, aus der Oper und dem Nachspiel, werden zusammen noch einen passabeln Satz formiren, über den sich sprechen läßt. Ein Blättchen, das Sie finden, ein Wort, das Sie aus dem Fenster hören, ein Gespräch aus einer vorüberrollenden Kutsche, Alles, Alles will leider noch etwas Verständiges aussprechen. Habe ich es nicht damals, als ich diese Liebhaberei zuerst bekam, an mich gewandt, die brillantesten Romane und Schauspiele, die verrufensten Broschüren anzukaufen und zu lesen, weil ich von allen Seiten hörte, daß Unsinn darin vorkäme. Nichts da! Eine alberne dumme Vernünftigkeit fand ich allenthalben, daß die Sachen mich auch gleich anekelten, eine miserable Lust, hie und da über die Schnur zu hauen, und gleich zum alltäglichen Verstande, wie Kinder im Finstern zur Mutter zurück gelaufen. Ja, mein Herzensfreund, in allem dem Geschwätz über Liberalismus und Monarchismus, in diesen Schilderungen von Riesen, Rittern und Pferden, in den Elementargeistern und Gespenster-Katzbalgereien, in dieser frömmelnden, liebesiechen Inspirationssucht ist immer noch kein rechter Aufschwung; allenthalben die kalte Vernunft; die Philisterei der Philisterei; und so sehr ich unsern Demosthenes oder Aeschylus hier in seiner ersten Rede verehre, so möchte ich sie doch nicht so übertrieben loben, daß ich sie unsinnig zu nennen wagte, denn jeden einzelnen Satz würde ich zu beweisen unternehmen und auch zeigen können, wie innig alle unter einander zusammenhangen. Von der zweiten Rede kann gar nicht die Rede seyn, denn sie war ganz trivial.

Der verschmähte Redner hatte sich indessen die Zinnschnalle aus dem Zimmer des Lesenden geholt, und stolzirte mit diesem Schmucke schon im Saale auf und ab. Der Blasse wollte ihm die Auszeichnung nicht gönnen, weil sie seinen eignen Ruf zu beeinträchtigen schien. Er ging daher auf den Usurpator zu, und suchte ihm das glänzende Zeichen zu entreißen; dieser aber wehrte sich und wurde vom Recensenten vertheidigt. Die Schachspieler nahmen dieselbe Partei, indessen der Denker mit dem Maaßstabe den sanften Melchior zu beschützen strebte. Der Edelmann und Wolfsberg standen in der Mitte, und da sich bald aus dem Gezänk ein Stoßen und Schlagen entwickelte, so zog der Pygmäen-Bekämpfer seine kleine Peitsche hervor, und schlug ohne Unterschied unter beide Parteien hinein, indem er behauptete, daß er allenthalben auf Rücken und Schultern jene bösen Geister wahrnehme, welche nur aus Bosheit diesen Zank und Streit unter Menschen erregt, die bisher immer als befreundete Wesen mit einander hätten leben können. Der Director fuhr ebenfalls tobend dazwischen, und durch seine drohenden und ernstlichen Worte ward der Friede endlich wieder hergestellt, obgleich Wolfsberg und der Edelmann, beide als unschuldige Zuhörer, manchen Streich davon getragen hatten, weil es die boshaften Pygmäen-Geister nicht unter ihrer Würde gehalten hatten, diese neutralen Leiber während des Krieges besetzt zu halten. Der Edelmann verließ die Anstalt sehr verdrießlich, und sein Sohn Görge begriff nicht, wie eine so lehrreiche Unterhaltung ohne alle Veranlassung eine so kriegerische Wendung hatte nehmen können.

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Friedrich hatte, seiner sanftmüthigen Gemüthsart nach, den letzten Krieg nur ungern entstehn sehn. Er zog sich früh zurück und beklagte aus der Ferne seinen jungen Freund, zu dem er sich tröstend gesellte, als der Friede wieder hergestellt war. Sie gingen in den beschränkten Blumengarten. Da Sie nun, Theuerster, im Grunde ein freier Mann sind, so fing der Kleine an, so will ich Ihnen heute in der Nacht etwas mittheilen, was für uns beide von dem größten Nutzen seyn kann. Wolfsberg war überzeugt, daß es nichts Geringeres, als die Mittel, sich frei zu machen, betreffen könne. Er ging zur Gesellschaft zurück und erwartete mit bangem Gefühl die Dunkelheit.

Gegen Mitternacht ward sein Zimmer eröffnet, der Kleine trat mit einer Laterne herein, und winkte seinem Freunde mit stummer Geberde. Wolfsberg folgte schnell, und schweigend stiegen sie die große Treppe hinunter. Das Hausthor war verschlossen, und als Wolfsberg die Klinke ergriff, schüttelte der Kleine sehr unwillig mit dem Kopfe und zeigte heftig nach einem Winkel hin. Der junge Mann folgte seinem Führer; sie stiegen eine andre Treppe hinab, und befanden sich jetzt in einem weitläuftigen Gewölbe. Nun fand der ängstliche Freund endlich seine Sprache wieder. Hier sind wir sicher, nicht behorcht zu werden, sagte er flüsternd: dies sind die Kellergewölbe des großen Hauses. — Ich dachte, Sie wollten mir den Weg zur Freiheit zeigen, sagte der Baron. — „Nicht daran zu denken, bester einziger Freund; das Thor ist doppelt verschlossen, dann müßten wir noch über den Hof und die äußere große Thür aufmachen, die der fatale Portier bewacht, mein größter Feind in der Welt, der niemals Vernunft annimmt, und sich von allen Menschen für den Klügsten hält.“ — „„Was machen wir aber hier?““ — „Wenn es uns gelingt, liegt hier mehr, als Ihre Freiheit.“ — „„Wie meinen Sie das?““ — „Nur still, unten sollen Sie Alles erfahren!“

Sie stiegen noch tiefer hinab. Im fernsten Winkel setzte sich nun Friedrich nieder, stellte die Laterne neben sich, und Wolfsberg sah zu seinem Erstaunen Hacke und Spaten auf dem Boden liegen. Die Erde war dort schon aufgewühlt, und als der Baron seinen Führer fragend und erstaunt betrachtete, lächelte dieser mit dem Ausdrucke der größten Verschmitztheit, zog den Andern neben sich nieder, und nachdem er ihn feurig umarmt hatte, sagte er endlich: liebster Baron, Ihnen vor allen Menschen gönne ich das Glück, dessen Sie hier theilhaftig werden können; hieher folgt uns kein Neid und keine Beobachtung, diese Gegend der Gewölbe wird niemals besucht; hier können wir mit geringer Anstrengung und in kurzer Zeit einen Schatz entdecken, der uns über alle Sorgen der Zukunft hebt, ja uns zu den angesehensten Männern der ganzen Provinz macht. Ich habe niemand da oben etwas von dieser Entdeckung sagen mögen; denn alle jene Menschen sind mehr oder minder gemeine Naturen, wozu noch kommt, daß sie alle einen Stich von Narrheit haben, der sie mir höchst widerwärtig macht. Dem Director mag ich von meinem Funde gar nichts mittheilen; er würde in seiner hochfahrenden Superklugheit thun, als wenn er mir nicht glaubte, und hernach stillschweigend für sich arbeiten lassen: denn er ist ein sehr mißgünstiger Mann und beim Lichte besehn ohne Verstand; er stellt sich viel klüger an, als er wirklich ist, und da er das Regiment im Hause hat, so darf ihm Keiner viel widersprechen. Nun, lieber, hochgeehrter Freund, hier nehmen Sie den Spaten und arbeiten Sie!

Aber, sagte Wolfsberg, wie kommen Sie nur zu dem Glauben, oder der Einbildung — —

Still! still! rief der Kleine im größten Eifer, nur ums Himmels willen keine Zweifel in dieser feierlichen Stunde ausgesprochen, sonst ist Alles verloren. Kennen Sie die Wünschelruthe und ihre Wirkungen?

Nein, sagte Wolfsberg verwirrt und schüchtern.

Haben Sie wohl Wirkungen des Magnetismus gesehen, und glauben Sie an die Wunder dieser Wissenschaft?

Ich habe mich nur wenig um dergleichen Gegenstände bekümmert, antwortete jener, und kann also auch nicht einmal sagen, ob ich an die Seltsamkeiten, die man davon erzählt, glaube oder nicht.

O Sie unverständiger Mann, rief der Kleine im größten Eifer aus, so muß ich ja also dem Blinden von der Farbe predigen! Indessen, was thuts? Glaube und Ueberzeugung werden Ihnen schon, wie zahme Hündchen, in die Hände laufen. Sehn Sie, ich bin schon eine Anzahl von Jahren Unteraufseher in diesem Hause. Ich sage nicht etwa deßwegen Unteraufseher, weil wir jetzt hier im untern Theile des Hauses eine gewisse Aufsicht führen; sondern Sie verstehn mich schon: ich meine, ich bin so fast nach dem Director der wichtigste Mann hier, wie Sie auch wohl werden bemerkt haben; nur der verdammte Thürhüter will keinen Respect vor mir haben. Nach einer Nervenkrankheit, wie es die trivialen Aerzte nennen, fand ich mich schon vor vielen Jahren als einen verwandelten Menschen wieder. Freund, da war mir ganz so zu Muthe, als wenn einer meinem inwendigen Geiste Hosen und Weste aus-, ja noch die Haut dazu abgezogen hätte, so daß er nun niemals mehr zerstreut, oder dumm, oder langweilig war. Sie werden mich nicht ganz verstehn, thut aber auch nichts zur Sache. Es ist nämlich so: ich konnte von dem Augenblicke an überirdische Dinge begreifen und fassen, nicht mit meiner alltäglichen Vernunft; sondern in meinem inwendigsten Geiste hatte sich noch ein eignes kleines und feines Verständchen angesetzt, das dergleichen begriff, und da der Geist nun nicht mehr bekleidet war, und auch keine dumme Haut mehr über sich hatte, so konnte Ich, der Lebendige, der hier draußen steht und mit Ihnen spricht, so frischweg in jene meine unsichtbare Creatur hinein sehn und Alles capiren. Capiren Sie mich?

So halb und halb, sagte Wolfsberg, Sie drücken sich etwas figürlich aus!

Außerdem aber, fuhr Friedrich fort, wurde ich gewahr, daß ich in fremde Leute hinein sehn konnte. Schaut’s! jetzt laufen Ihnen die Gedanken wie Ameisen durch Ihren Kopf, und einige schleppen sich dummerweise mit kleinen Steinen, Holz, albernen Zweifeln. Da rennt eben eine großmäulige Ideenassociation in der inwendigen Gegend des Ohres, und schreit, daß Alles, was ich Ihnen vortrage, aberwitziges Zeug sei; und nun fliegt eine kluge Gedankentaube mit dem Oelzweig hintennach und meint, man könne es denn doch noch nicht wissen. Husch! rennen die übrigen Gedanken in den Winkel und sitzen gluckend wie die brütenden Hühner da. Ja, ja, Herr Baron, ich weiß wohl, wer Sie sind.

So? fragte Wolfsberg in der größten Spannung.

Ja wohl, sagte der Kleine ganz ruhig, kein Graf, wie unser mürrischer Director meint, — he he he! Sie sind auch kein Baron, Sie Vocativus, Sie!

Ich dächte doch, sagte Wolfsberg verwirrt.

Mir können Sie nichts weißmachen, fuhr der Wahrsagende fort, denn ich weiß ja Alles: ja, ja, alle Ihre Streiche und Kniffe könnte ich Ihnen an den Fingern hersagen; aber still! wir sind ja alle Menschen, und Sie bleiben bei allem dem immer ein großer Mann. Ein sehr großer Mann, und ein berühmter Mann sind Sie, einer von denen, die die Nachwelt noch nennen wird! Haben Sie erst, was Sie brauchen, so werden Sie auch weiser werden, und das kann ich Ihnen schaffen, und vertraue dabei Ihrer Großmuth, daß Sie nicht allzu ungleich mit mir theilen werden.

Also zur Sache, rief Wolfsberg entschlossen, worauf kommt es an?

Wie ich in Menschen und Seelen hinein sehn kann, fuhr der Kleine fort, so kann ich es auch zu Zeiten in leblose Gegenstände. Lange schon habe ich gesehn, daß gerade hier, etwa vier Klaftern tief, ein ungeheurer Schatz liegt, fast ganz in Golde, nur wenige Edelsteine darunter. Es sind zwei große eiserne Kasten, auf dem einen ist eine Inschrift, aber so verrostet, daß ich die Buchstaben nicht recht zusammenbringen kann. Aber im zweiten Kasten befindet sich ein geschriebenes Blatt, welches Alles erklärt.

Wie sind aber diese Schätze hieher gekommen? fragte Wolfsberg; und weßwegen hier verscharrt?

Schwer zu sagen ist es, sagte Friedrich, denn Sie begreifen doch so viel, daß ich in die Vergangenheit, in ein Nichts, das weder Körper noch Geist hat, nicht so hinein sehn kann, wie in einen Menschen, oder in ein Kellergewölbe. Doch, Spaß apart, wollen Sie mir helfen oder nicht? Glauben Sie mir, oder nicht? Wenn Sie nicht dran wollen, suche ich einen andern Gehülfen, oder verschweige die Sache noch Jahre lang, wie ich denn bisher ein Geheimniß daraus gemacht habe.

Und was soll ich also thun, wenn ich Ihnen glaube?

O Fragen und kein Ende, rief Friedrich in der größten Ungeduld, ich habe Ihnen ja schon neulich meine Schultern gezeigt, wie schwach, meine Arme, wie dünn sie sind. Ich habe es schon oft versucht; aber ich kann nicht graben, ich bekomme auch gleich den Husten, wenn ich stark arbeite. Hier, ungläubiger Thomas, ist das Grabscheit! Machen Sie sich dran und grübeln Sie nicht weiter; in acht Tagen sind wir die reichsten Männer im Lande, und dann können wir den Director und alle Narren da oben auslachen.

Wolfsberg bequemte sich und arbeitete mit der größten Anstrengung einige Stunden. Als er es kaum mehr vermochte, rief Friedrich: für heute genug! Schlafen Sie nun gesund, denn man muß uns nicht vermissen. In der nächsten Nacht werde ich Sie wieder zur Arbeit abrufen.

Müde und ermattet, wie am ganzen Leibe zerschlagen ging der junge Mann, der an dergleichen Anstrengungen nicht gewöhnt war, auf sein Zimmer, und legte sich nieder.

———

Der Rath Walther hatte sich indessen mit dem Arzte auf die Reise begeben. Ihr Weg führte sie durch anmuthige Gegenden, und Walther wurde nicht müde, seinen Begleiter von der Trefflichkeit des jungen Raimund zu unterhalten. Der Arzt war sehr darauf gespannt, einer so wunderbaren Erscheinung im Leben zu begegnen; nur fürchtete er, ihre feine Harmonie jetzt durch Schmerz und Wahnsinn zerrissen zu finden. Manchmal stieß mir wohl ein Zweifel auf, ob die Schilderungen des Rathes, der in allen andern Dingen, außer dieser Verherrlichung seines jungen Freundes, ein ruhiger und kalter Mann war, nicht übertrieben poetisch seyn möchten. Sie näherten sich jetzt dem Dorfe, in welchem der junge Mensch leben sollte. In den engen Wegen des Gebirges fiel der Wagen um, und der Arzt ward am Fuße beschädigt; zwar nicht bedeutend, aber doch so, daß er einen Ruhepunkt zu erreichen wünschen mußte. Dies verdroß ihn um so mehr, da er in einer Waldschenke einen Mann gesprochen hatte, der ihm eine so seltsame Schilderung von einem jungen Wildfang gemacht hatte, welcher sich seit einiger Zeit in den dortigen Gegenden aufhalten sollte, daß er kaum daran zweifeln durfte, es sei der junge, ihm entsprungene Graf Birken. Der Rath erbot sich, den kurzen Umweg zu machen, indessen ihn der Arzt bei jenem Landprediger erwarten sollte, bei welchem man den jungen Raimund anzutreffen hoffte.

Der Arzt ließ sich bei dem Pfarrer melden, den er in einer Laube seines Gartens antraf. Nach den gewöhnlichen Begrüßungen leitete der Fremde die Unterredung auf den jungen Mann, welcher der Obhut des Geistlichen anvertraut sei; der Pfarrer schien aber kein großes Interesse an diesem Gespräche zu nehmen und sagte endlich: ja, seit einem Jahre etwa hält sich ein etwas confuser Mann bei mir auf, dessen ingenium und mens nicht zum Besten bestellt sind, und um den ich mich auch wenig kümmere, außer daß er uns bei Tische oft seine joci vormacht. Ich erhalte von dessen alten Domestiken eine anständige Pension, und so lasse ich ihn gewähren; denn es ist nicht meines Thuns, mich viel mit Narren einzulassen, oder sie gar curiren zu wollen. Der alte servus führt eigentlich ganz die Aufsicht über den Verwirrten, und mit wem sich dieser am meisten einläßt, ist unser gnädiger Junker, der freilich auch mit aller Macht zur dementia inclinirt. Diese beiden Thoren, wenn sie einmal bei Sonntagslaune sind, machen mir zuweilen mein kleines Haus zu enge.

Wissen Sie aber nichts Näheres von den Schicksalen des jungen Mannes? fragte der Arzt.

Urtheilen Sie selbst, verehrter Herr, erwiederte der Geistliche, ob eine solche Creatur, der es am Besten gebricht, wohl absonderliche Schicksale haben könne. Diese Personen sind ja recht eigentlich fruges consumere nati. Wir nennen ihn nur kurzweg immer den Werther.

Werther? fragte der Arzt sehr lebhaft.

Ja, mein Herr, fuhr jener fort, dieses ist ein Spitzname, der aus einem gewissen Buche entlehnt seyn soll, welches unsre junge Baronesse einmal gelesen hat. Derselbe trieb sich auch immer, wie man mir sagte, in Wald und Flur herum, statt in vernünftiger Societät ein Wort mitzusprechen, eine Pfeife zu rauchen und etwa zu hören, was es in der politischen Welt Neues giebt.

Sie scheinen kein Freund der Natur zu seyn, warf der Reisende ein, und bewohnen doch selbst eine der reizendsten Gegenden unsers Vaterlandes.

Natur! rief der Pfarrer aus; das Wort ist etwa seit 40 Jahren in die Mode gekommen, und so weit ich habe das Verständniß davon erreichen können, meint man darunter einen etwanigen Bach oder Fluß, sammt Berg und Steingeschichten, oder die Waldsachen und dergleichen. Hat mich nie sonderlich interessirt, weil ich mich immer bestrebt habe, ein denkendes Wesen vorzustellen. Und unser Werther, wie ihn die jungen Leute heißen, oder Theophilus, wie sein eigentlicher Taufname lautet, weiß auch weder, ob Frühling oder Herbst ist, ob die Bäume blühen oder dürr sind, ob die Bergwand aus Granit oder Marmor besteht, sondern er läuft nur, wie ein Uhrwerk, so hin und her.

Der Alte war mit allerhand Papieren und Briefschaften beschäftigt, die er in einem Tischkasten zu ordnen suchte, und der Arzt sagte indessen zu sich: Der Aermste! Also auch diese Empfindung ist in ihm untergegangen, die sonst dem Unglücklichen so oft einen heiligen Trost gewährt! Denn der Natur gegenüber verklärt sich jeder Schmerz, der uns unter Menschen, in den Mauern der Städte oft zu vernichten droht, und verwandelt sich in ein himmlisches Wesen, in eine Erscheinung von oben herab. Wie eine Himmelsharfe tönt die Natur Freude und Leid mit, und setzt unsre stummen Seufzer, die Worte der Klage in überirdische Musik um.

In diesen Phantasieen, die wohl so schnell in ihm antönten, weil er so lange mit dem fast schwärmerischen Rathe gereiset war, wurde er wieder vom Pfarrer unterbrochen. Verzeihen Sie mir, sagte dieser, daß ich Sie so schlecht unterhalte, jeder macht so seine Studia. Dieselben haben sich wohl niemals mit der Astrologia eingelassen?

Nein, antwortete der Arzt.

Sehr Schade, fuhr jener fort, daß diese Wissenschaft seit neueren Zeiten so ist vernachlässiget worden. Ich habe sie immer bewährt gefunden. Und so sehe ich hier wieder das Horoskop an, welches ich meiner Tochter bei ihrer Geburt stellte. Ich prognosticirte damals, daß sie sich in einen hohen Stand erheben würde, und sie ist nun auch wirklich glückliche Braut eines vornehmen Mannes. Das hat mir auch den Geist so eingenommen, daß ich fast nicht capabel bin, eine recht fortgesetzte Conversation zu führen. Doch da kommt ja unser Theophilus mit seinem alten Gesellschafter. Der junge Mann ist eine Zeit lang in einer andern Familie sehr gemißhandelt worden; man darf ihn nicht auf diesen Gegenstand bringen: denn er wird zuweilen bitterböse, wenn er sich jener Tage erinnert.

Der Arzt stand auf und sah zu seinem Erstaunen einen langen, nicht mehr jungen Mann eintreten, der sich gebückt trug, und aus dessen regelmäßiger Physiognomie die höchste Beschränktheit und Einfalt hervor leuchtete, aber auch zugleich eine so heitre Jovialität, daß er von Neuem an dem Rathe und dessen übertriebener Schilderung irre ward. Der Einfältige gab dem Pfarrer die Hand, sah den Fremden mit scheuem Blick von der Seite an, ging dann auf ihn zu und fragte hastig: sind Sie ein Edelmann?

Verzeihung, rief der Pfarrer dazwischen; ich habe noch nicht einmal Gelegenheit gehabt, mich nach Ihrem werthen Namen zu erkundigen.

Doctor Anselm, sagte der Arzt.

Ich dachte, Sie wären mein Vetter, rief der Einfältige, weil Sie eine solche ästhetische superfeine Nase haben. Zugleich sprang er in die Höhe, und schlug wie ein muthwilliges Füllen mit den Beinen hinten aus.

Der Arzt, der sich auf eine ganz andere Stimmung vorbereitet hatte, mußte laut lachen, indem der Pfarrer mißbilligend das Haupt schüttelte, und sehr ernste Runzeln in sein Gesicht zog.

Sehn Sie nur, sagte Theophil, indem er den Arzt etwas bei Seite führte, das Perlmutter-Gesicht von meinem alten Prediger; so debattirt er immer mit sich, als ob er an einem Obscuranten-Almanach arbeitete.

Sie drücken sich seltsam aus, sagte der Arzt, aber vergnüglich.

Er weiß nie, was er spricht, unser junger Freund, rief der Prediger; weder kennt er die Bedeutung der Worte, die er braucht, noch will er überhaupt etwas damit ausdrücken. Es ist wie Wiederhall von Felsen, oder Waldesbrausen. Mein ehrwürdiges Alter ist einmal immer das Stichblatt seines falschen Witzbestrebens.

Der Herr Prediger, sagte der Simple, hat eine rechte Hosiannah-Stimme und sitzt so mächtig auf seiner Bank da, als wenn er Habakuk und alle zwölf kleine Propheten zu künftige Pfingsten confirmiren wollte. — Pankraz! rief er dem alten Diener zu, du mußt mir wieder Taschengeld geben!

Haben Sie denn schon Alles ausgegeben? fragte dieser.

Dummer Teufel! rief Theophilus; freilich! Denken Sie nur selbst, mein fremder Herr Vetter, draußen vor dem Dorfe begegnen mir die Mädchen, die drüben in der Stadt allerhand auf dem Jahrmarkt eingekauft hatten, Tücher, Schürzen, Mieder, Hauben, Spielzeug für die kleinen Geschwister. Sie hatten noch eine volle halbe Meile, und ließen mich nun die Sachen herüber tragen. Wie ich sie ihnen wieder abgab, mußte ich ihnen doch wohl ein Trinkgeld geben, daß sie mir Alles so hübsch anvertraut hatten? Aber Pankraz ist faul; der trug nichts, und drum hat er auch sein Geld in der Tasche behalten.

Das ist ein schöner Zug von Ihnen, sagte der Arzt; sind Sie aber immer so vergnügt?

Wie’s kommt, antwortete jener lachend; nur wenn die Leute dumm sind, kann ich mich sehr ärgern, wenn sie nicht capiren. Sehn Sie, es ist sehr traurig, wenn man allein klug seyn soll. In Gesellschaft habe ich noch einmal so gern Verstand.

Sie denken trefflich, sagte Anselm.

Was sagen Sie aber vollends dazu, schwatzte jener weiter, daß wenn ich einmal so recht superklug bin, die Leute mir beweisen wollen, ich wäre dumm? Nicht wahr, die Welt liegt im Argen; wie unser Herr Pastor Kilian letzt einmal in der Kirche sagte.

Ich werde sorgen, daß Sie niemals mehr hinein gelassen werden, rief der alte Mann.

Ich bin ja aber doch ein getaufter Christ, sagte Theophil mit der größten Ernsthaftigkeit und ging traurig zum Prediger hin.

Lassen Sie sich dienen, Herr Doctor, fuhr der Alte fort, daß es nicht angeht, weil er sich laut mit seinem Bedienten während des Gottesdienstes zankt. Was thut er aber neulich? Indem ich in der Predigt aufsehe, hat er unsern Hund in meinen Sitz gebracht, läßt den Pudel aufrecht stehn, der nun über das Chor gucken und ein Gesangbuch zwischen den Pfoten halten muß. Heißt das nicht die Gemeine stören?

Ich bin ja aber doch ein getaufter Christ! sagte der Angeklagte mit weinerlicher Stimme. Der Arzt, der eine ernsthafte Wendung des Gespräches fürchtete, fragte den Klagenden, was das neulich gewesen sei, wo er so allein klug, und die Andern dumm gewesen wären. Ja so! sagte Theophil plötzlich laut lachend; das war eine lustige Geschichte! Die Mamsell Kilian hatte mir ganz neue Schnupftücher gekauft. Nun sollte ich den andern Tag mit dem Junker auf den Fischfang gehn, da nahm ich mir vor, den Pankraz zu erinnern, daß er mich erinnern sollte, damit ich es nicht vergessen möchte. Um aber auch gewiß daran zu denken, daß ich ihn zu rechter Zeit erinnern möchte, damit er mich ja erinnern könnte, machte ich einen Knoten in mein Schnupftuch. Sie wissen ja, das ist ein altes Herkommen, wenn man etwas nicht vergessen will.

Ja wohl.

Nun gut; ich wache den Morgen auf, da finde ich den Knoten. Da besinne ich mich auch gleich, daß ich den Pankraz erinnern muß. Pankraz, du sollst mich an was erinnern! Ganz recht, gnädiger Herr, Sie wollen mit dem Junker auf den Fischfang gehn. Ich geh’ auf den Fischfang und denke nichts Böses. Den andern Tag aber ist der Knoten noch im Tuche. Das ängstete mich, denn es gab nun nichts mehr zu erinnern, und wenn ich den Knoten anfaßte, wollte ich mich immer auf etwas besinnen. Den Knoten hatte ich aber so fest gezogen, daß ich ihn gar nicht wieder aufkriegen konnte. So nehm’ ich im Verdruß eine Scheere, und schneide bloß den Knoten, verstehn Sie, bloß den Knoten ab, und werfe ihn aus dem Fenster. Wie nun das Tuch wieder gewaschen ist, sagt die Mamsell sammt allen Menschen im Hause, ich hätte es entzwei geschnitten; es fehlte auch wirklich ein großes Stück davon. Nun sagen Sie selbst, ob ich etwas dabei versehn habe, und wer Recht hat!

Der Knoten, sagte der Arzt, war aber doch natürlich vorher ein Stück des Tuches, folglich mußte dieses nachher fehlen.

Sie begreifen nicht! sagte Theophil im großen Zorn, und faßte die Hand des Arztes heftig und stark; ich schnitt ja nicht das Tuch ab, sondern nur den Knoten, den ich erst hinein gemacht hatte, der vorher nicht drin war.

Wir wollen nicht streiten, sagte Anselm, Sie können wohl Recht haben; ich habe bisher dieses Experiment noch nicht gemacht, und Vieles begreift man gewiß erst durch die Erfahrung.

Hat man Ihnen wohl schon einmal Gesellschaft geleistet? fragte der junge Mann mit listiger Miene.

O ja, sagte der Arzt, mehr als einmal; und Sie leisten mir jetzt eben auch Gesellschaft.

Sie würden sich dafür bedanken, fuhr jener fort, wenn ichs in der Manier thun wollte, wie mein Gesellschafter Walz da drüben in der kleinen Stadt mir die Zeit vertrieb. Da sagten sie, ich müßte einen Gesellschafter haben. Da kam Herr Walz, der dazu bestellt war. Das gab ein Gesellschaftsleisten, daß mir des Abends alle Rippen weh thaten.

Wie so?

Er schlug immer um sich, und wir konnten uns gar nicht vertragen; aber ich durfte ihn niemals wieder prügeln. Ja, wie gern möcht’ ich ihm auch einmal so recht Gesellschaft geleistet haben! Wenn ich verdrießlich war, schlug er; war ich nicht aufgeräumt, ließ er mir zur Ader; ein paar Mal ließ er mir auch Zähne ausziehn, — die beiden hier: weil er sagte, ich wäre zu böse, die Zähne wären schon nichts nütz und thäten mir nur jetzt oder in Zukunft einmal weh. Den andern habe ich einmal beim Essen verloren.

Aber diesen Augenzahn hier? fragte der Arzt.

Der fehlte mir schon, antwortete jener ganz ruhig, vor meiner Zeit.

Vor Ihrer Zeit? Wie verstehn Sie das?

Lieber Himmel, Sie sind recht schwer von Begriffen! Vor meiner Zeit — ach! lassen Sie mich zufrieden und haben Sie mich nicht zum Narren! sagte er ganz böse.

Verzeihen Sie, fiel der Arzt ein, ich verstehe Sie jetzt schon; ich begreife nur langsam, wie Sie ganz richtig bemerkten.

Haben Sie die Naturwissenschaft studirt? fragte der junge Mann wieder ganz heiter.

O ja, sie ist mein Hauptstudium.

Nun, dann gratulire ich, sagte jener laut lachend. Sind Sie auch brav darin herumgewalzt worden?

Herumgewalzt?

Sie capiren schon wieder nicht! Brav abgewammst, tüchtig gedroschen! Sie verstehn nun schon, so wie es mir dabei mit meinem Gesellschafter Walz ergangen ist.

Er nahm also die Sache so ernsthaft?

Ja freilich. Er sagte, er müsse mir die Botanik beibringen. Es war aber eigentlich die Batonik, weil er den lieben Baton so sehr dabei brauchte. Da krochen wir herum und suchten Petersilie und Wurstkraut, Rüben und Knoblauch, und das sollte ich immer alles behalten. Ein ander Mal fing er einen Maikäfer. Seht, das ist ein Maikäfer. Ja, sagt’ ich, das ist ein Maikäfer. — Zu welchem Geschlecht gehört er? — Doch wohl zum Geschlecht der Maikäfer. — Sehn Sie, da brach er gleich einen Haselzweig ab, und demonstrirte mir die Sache auf meinem Rücken. Der wurde überhaupt dazumal so magnetisirt, daß er fast so hellsehend geworden wäre, daß die Sonne durch ihn hätte hindurch scheinen können. Sagen Sie mir überhaupt nur, wenn einer im Kopfe nicht zu Hause ist, warum man dann immer auf dem Rücken, oder noch tiefer anklopft. Sollte denn der Geist da allenthalben lieber als in der höhern Etage wohnen? — Nun gut; dann gingen wir in den Wald. Da unten liegt, schrie er, der berühmte Linné, oder auch Pistillen, oder dergleichen alberne Gelehrtennamen. Wenn ichs nicht behielt, von der Buche ein Zweig gebrochen, und damit wieder Privatstunde gehalten. Ich war nur froh, wenn das Botanisiren im Freien geschah, da war doch etwa nur ein Gesträuch zur Hand.

Sie haben also, sagte Anselm, in dieser Wissenschaft auf dem Wege nichts profitiren können?

Doch, antwortete jener; aber Alles, worauf es mir auch nur abgesehn schien, mit dem Rücken; denn der kriegte durch vieles Repetiren der Studien eine so feste Memorie, daß ich noch jetzt bei jedem Stocke unterscheiden will, auf welchem Baume er gewachsen ist. Sie glauben nicht, wie anziehend die frischen Haselgerten sind! Weiden schmiegen sich mehr, sind aber weniger eindringlich. Die Eiche klingt mächtig, als Baum der deutschen Freiheit; es läßt sich aber nicht viel damit ausrichten; der Walz konnte auch immer nur die dürren Zweige abbrechen, die fast gar nichts zu sagen haben. So ist es auch mit der Tanne und Fichte nicht viel. Die Buche ist körnig; die Birke, besonders im Frühjahr, empfindlich; auch wächst das Zeug, wo kein andrer Baum fortkommt, steht also fast immer zur Hand. Von allen diesen Stauden und Gewächsen brach er seine Wünschelruthen, und alle schlugen immer auf meinen Rücken an, so daß in meinem Innern große Schätze verwahrt liegen müssen. Er schonte auch die mitleidige Trauerweide, die vornehme Weihmuthskiefer nicht; ja selbst der Tulpenbaum mußte ein paar Mal das Instrument zu meiner Weihe reichen; und so kann ich gewiß, da gar kein Tergiversiren etwas fruchtete, auf eine recht pragmatische und polyhistorische Bildung Anspruch machen. — Als ich mich genug durchstudirt, und er alle Naturreiche durchgeprügelt hatte, wurde ich hieher zu dem friedfertigen Herrn Kilian gethan; und hier ruhe ich auf meinen Lorbeern aus, die ich noch manchmal in Rippen und Seiten fühle.

Es freut mich, daß Sie so fröhlich sind, sagte der Arzt; haben Sie Appetit, schlafen Sie gut?

Ich danke, sagte jener; bald so, bald so; aber ich träume oft schwer und fürchterlich, und tobe dann und lärme in der Nacht. So hatte ich auch diese Nacht einen ängstlichen Traum.

Was war das für ein Traum?

Pankraz! rief Theophil dem Diener zu: was träumte mir diese Nacht?

Der Alte trat näher und sagte verdrießlich: das kann ich nicht wissen.

Sehn Sie den eigensinnigen Menschen, rief Theophil aus, ich lasse ihn bloß deßwegen in meiner Stube schlafen, daß er alles wissen soll, was ich denke und träume; aber er ist so träge, daß er sich fast nie darum bekümmert. Wenn Du es nicht weißt, wer soll es denn wissen? Dazu sollst Du die Aufsicht über mich haben!

Es ist aber nicht möglich, ereiferte sich Pankraz. So wollen Sie auch immer von mir wissen, was Sie denken, oder gedacht haben; wie soll ich das anfangen?

Durch Liebe, einfältiger Mensch! rief jener aus. Du sollst mit mir so eins werden, daß wir unsre Seelen gemeinsam haben, dann wird es mir weniger sauer werden, über Vieles nachzusinnen; denn dann denk’ ich in Dir, und Du hast bloß die Mühe davon.

Dann müßte ich aber auch für uns Beide essen; sagte Pankraz mit Lächeln.

Nein, erwiederte Theophil; das würd’ ich gern übernehmen, und zwar in Deinem Namen mit; ich die Wurzel und der Stamm, Du die Blume und Frucht.

Bei dieser Stimmung schien es dem Arzte möglich, den Kranken über den Gegenstand zu prüfen, den zu berühren er außerdem ängstlich würde vermieden haben. Er ging also näher und fragte ihn leise: haben Sie lange keine Nachrichten von Blanka erhalten?

Blanka? rief Theophil aus; das ist ja wohl ein weißes Windspiel, das ich vor langer Zeit hatte?

Blanka? nahm der alte Diener das Wort, indem er den Arzt prüfend betrachtete: wissen Sie von der etwas?

Anselm begegnete dreist dem stechenden Blicke des Alten, und meinte nun fast nichts mehr schonen zu dürfen. Er sagte daher: ich wünsche bloß etwas Näheres von Blanka und Raimund zu erfahren, deren trauriges Schicksal mich sehr interessirt hat.

Pankraz schlug die Augen nieder und sagte: ich weiß nichts von ihnen; aber Theophil fiel plötzlich in eine tolle Laune, hüpfte auf einem Beine herum, schwenkte den Hut und schrie halb singend: Da hinter des Priesters Garten, da ist ein Wiesenplan, da stehn rings Weiden und Birken, ein Wasser rauscht fließend daran; da schreien Kuckuck und Staare, da schaut wohl der Hirsch aus dem Busch; es ist ein liebes Plätzchen, voll Einsamkeit und Schatten genug. Da kommen in Herbstestagen, wenn welkes Laub schon rauscht, die liebe Fräulein Blanka, der Monsieur Raimund zusamm. Sie sehn sich mit weinenden Augen, sie drücken sich zärtlich die Hand; da giebt es herzig Umarmen, da finden sie wieder Verstand! — Er schrie und sang immer lauter, so daß der alte Pfarrer aufstand und rief: um des Himmels willen, junger Herr, in welcher Spinnstube haben Sie die alte Ballade wieder aufgehascht?

Das hab’ ich selbst gedichtet, jetzt eben, schrie Theophil erfreut. Pankraz, behalt’ es ja, wir wollen es nachher dem Junker vorsingen.

Ich weiß kein Wort davon, sagte Pankraz, vom Kuckuck war was in der Ode, und daß Sie gern Verstand haben möchten. Da kommt der Junker!

Ohne den Eingang zu suchen, sprang in diesem Augenblick ein junger Bursche über den Zaun, mit rothem Gesicht, ohne Hut mit Papierwickeln in den Haaren. Da sind wir wieder, schrie er ungezogen, guten Tag, Tissel, ach! Herr Pastor, wären Sie doch mit uns gewesen; da hätten Sie disputiren können!

Wo wart Ihr, lieber Görge, fragte Theophil.

Ach! liebster Freund, fuhr dieser jubelnd fort, unsre ganze Familie hat seitdem an den Narren dort den Narren gefressen; nur die Mama will nichts davon wissen, und ist auf uns alle, vornehmlich auf den Papa böse, daß er uns so ein schlechtes Beispiel giebt.

Mein lieber Junker, sagte der Pfarrer sehr ehrbar, mit Narren würde ich niemals disputirt haben; denn sie haben keine Logik.

Es waren auch nicht so eigentliche Narren, sagte Görge, sondern eine Art Künstler. Ich sage Ihnen, der Papa war ganz eingenommen, und sie hatten da oben einen Mann, der den Leuten das Reden beibringen konnte.

Heisa! Heisa! Dort kommt erst der rechte Windbeutel, rief Theophil laut jubelnd; der und ich, wir sind die beiden größten Narren im Römischen Reich; das Kloster da oben, wo unser Herr Kilian disputiren soll, in allen Ehren gehalten.

Reden Sie mit Verstand, sagte der Geistliche, und respectiren Sie in dem verehrten Herrn Grafen den Bräutigam meiner Tochter.

Auf einem kleinen Schimmel sprengte ein junger Mensch heran, hüpfte aus dem Sattel, und eilte in die Umarmung des Pfarrers, indeß schon aus dem Hause, mit der Küchenschürze angethan, ein rothhaariges Mädchen herbei stürzte, und Vater und Geliebten zugleich umschloß. Die Gruppe fuhr aus einander, als sich jetzt der Arzt, so schnell es sein verwundeter Fuß erlaubte, ihnen näherte. Ist es möglich, Graf Birken, daß wir uns hier wieder treffen? Auf Sie hatte ich heute nicht gerechnet. Der junge Mensch sah sich schnell um, stieß seinen Schwiegervater so hastig vor den Bauch, daß dieser wieder in die Laube zurück taumelte, warf mit demselben Ungestüm die kleine dicke Braut von seinem Halse, ergriff den Schimmel, und ehe die Umstehenden sich noch recht besinnen konnten, war er im gestreckten Galopp schon aus dem Dorfe hinaus.

Ein Pferd! rief der Arzt. Setzt ihm nach!

Was haben Sie für Ansprüche an meinen Schwiegersohn? fragte der Pfarrer, der sich wieder gesammelt hatte.

Der Windbeutel reitet einmal! schrie Theophil jauchzend.

Um des Himmels willen ein Pferd! rief der Arzt; kommt er uns aus den Augen, so haben wir ihn Alle für immer verloren.

Verloren! schrie die Braut und rang die Hände.

Sei still, mein Kind, rief der Geistliche; morgen ist die Trauung, und kein fremder Mensch, mag er sich auch Doctor nennen, hat das Recht, Dir Deinen Bräutigam zu entreißen.

Der Mensch ist ein Narr! rief der Arzt heftig aus, und nun er mich hier gesehen hat, kommt er gewiß nicht wieder.

Lästern Sie unsre Familie nicht! rief der Pfarrer noch heftiger, Sie fremder, unbekannter, hergelaufener Herr; und wenn mein Schwiegersohn Ihretwegen nicht wieder kommt, so gebe ich Ihnen meinen Fluch, Sie Gottloser!

Theophil und Görge waren von diesem Gezänk auf das Höchste erbaut; denn sie kannten keinen größern Genuß, als den alten Pfarrer im Zorn zu sehen. Die Tochter hatte verzweiflungsvoll den Garten verlassen. Ein Wagen fuhr in den Hof, und der Rath Walther, in gespannter Eile, ohne die Andern zu begrüßen, kam herbei gelaufen, und rief schon von Weitem dem Arzte zu: wo ist er? — „Wieder ein neuer Windbeutel! Heute haben wir die Hülle und Fülle!“ jubelte Theophil. — Der Arzt ging ihm entgegen, indem er sagte: dort steht ja Ihr Liebling. — Dieser da? fragte der Rath, indem er den Einfältigen nur flüchtig betrachtete. Ach! Pankraz! rief er dann höchlich überrascht; Du hier? Sage mir, wo ist Raimund?

Der Diener war verwirrt und erschrocken, und konnte erst keine Antwort finden; endlich stotterte er: Sie wissen es ja wohl, Herr Rath, daß ich, als ich damals plötzlich aus den Diensten des Herrn Raimund mußte. —

Recht, sagte der Arzt; der Baron Eberhard gab Dir den Abschied wegen des unglücklichen Einfalls, daß Du dem kranken Jüngling die falsche Nachricht vom Tode seiner Geliebten überbrachtest.

Nun also, sagte Pankraz; seitdem habe ich von dem jungen Herrn nichts wieder gesehn und gehört. Es ist mir seitdem schlimm genug gegangen.

Aber wie kommst Du hieher?

Es ist mein Pankraz, rief Theophil, mein Gesellschafter; aber nicht in der Walzmanier.

Wie heißen Sie? fragte der Rath.

Du, Pankraz, rief Theophil, wie heiß’ ich doch? Ich kriege alle Augenblicke einen andern Namen.

Sie sind, sagte der Diener, der Herr Theophil von Leitmark.

So, sagte der Thor, ich dachte Ebermann, Hardeber, oder sonst. Nun, mir kann’s gleich gelten.

Der Arzt hatte sich wieder gesammelt, nahm Abschied vom Pfarrer, bat der Störung wegen um Verzeihung, und zog dann halb gewaltsam den Rath zum Wagen. Lassen Sie mich nur noch ein Wort mit Pankraz sprechen, sagte dieser. Doch Pankraz und Theophil waren eiligst verschwunden, und der Pfarrer erzählte, daß Beide oft Wochen lang in der Gegend, nahe und fern, auf ihren Pferden umher streiften, und man alsdann nur selten erführe, wo sie auf ihren thörichten Irrfahrten verweilten. Der Arzt hob seinen Freund selbst in den Wagen und sagte dann laut: Lassen Sie uns doch nun unser Ziel verfolgen, den Grafen Birken suchen, nach Raimund spähen; fahre Herr Theophil und sein Pankraz wohl, und sei unser lieber Herr Pfarrer Kilian auf immer dem Himmel befohlen; denn hieher werden wir auf keinen Fall wieder kommen! Niemals, denn wir haben noch eine weite Reise vor uns!

Der Rath sah ihn verwundert an, und wollte fragen; aber das Rollen des Wagens hinderte jetzt noch das Gespräch, und sie hatten in kurzer Zeit das Dorf und die Gegend verlassen.

———

Baron Wolfsberg hatte unterdessen fleißig arbeiten müssen. Um sich nicht zu verrathen, durfte er am Tage nicht so lange schlafen, als es ihm wohl gut und heilsam gewesen wäre. Der kleine Friedrich führte eine strenge Aufsicht über ihn und ermunterte ihn kräftig, wenn er einmal ermatten wollte. Als das Geschäft des Eingrabens schon weit gediehen war, zeigte sich die größte Schwierigkeit darin, die aufgehäufte Erde, welche bei der zunehmenden Arbeit immer hinderlicher wurde, fortzuschaffen. Doch Friedrich wußte auch dafür ein Mittel. Es gelang ihm, aus dem Garten einen Schiebkarren unbemerkt zu entfernen, und in die unterirdischen Gewölbe zu befördern. Da er aber selbst für die Arbeit viel zu schwächlich war, so mußte der junge Baron auch das Geschäft übernehmen, Sand und Erde herauf zu führen, und in die weit verbreiteten Räume der Keller zu verfahren und auszustreuen. Gewöhnlich holte Friedrich den nächtlichen Arbeiter schon vor eilf Uhr ab, und ließ ihn erst gegen vier Morgens zurück kehren, so daß auch Wolfsberg durch den wenigen Schlaf, da überdieß die Kost nicht die nahrhafteste war, sich nach wenigen Wochen ziemlich abgemattet fühlte. Er wurde mager, still und melancholisch, und sah dem jungen frischen Manne und dem übermüthigen Weiberliebling kaum mehr ähnlich, in dessen Gestalt er zuerst das Haus betreten hatte. Der Director schaute ihn oft prüfend an, untersuchte seinen Puls, und erkundigte sich theilnehmend, ob ihn ein besonderer Gram quäle. Wolfsberg aber, der sich schmeichelte, bald das Ziel seiner Anstrengungen erreicht zu haben, wich allen prüfenden Fragen sorgfältig aus.

Zu einer Mittagsstunde ward der junge Mann dadurch überrascht, daß ihn sein getreuer Friedrich an den Tisch des Directors zum Essen einlud. Er fand dort nur eine kleine Gesellschaft, und außer dem Wirthe nur einen schmächtigen, ziemlich alten Prediger aus der benachbarten Stadt, der zuweilen in einer Capelle des großen Hauses den Verwirrten predigte und sie zu ermahnen und bekehren suchte, meist aber durch possierliche Störungen gehemmt und unterbrochen wurde. Außer Wolfsberg war nur noch Herr Kranich gewürdigt worden, an diesem kleinen vertraulichen Tische Platz zu nehmen; Friedrich war mit zur Aufwartung zugegen. Sie sehn, meine Herren, fing der Director mit einer heitern Miene an, die man nicht an ihm gewohnt war, ich behandle Sie heute als Männer, die sich selbst in der Gewalt haben. Der Herr Pastor und ich hoffen von Ihrer Unterhaltung Vergnügen und Aufheiterung; denn sich in diesem großen Hause immer so einsam zu fühlen, ist wahrlich nicht erfreulich.

Wohl, sagte der Pfarrer schmunzelnd; und es will mir oft vorkommen, als wenn unsre Freunde nur etwas mehr kräftigen Willen haben dürften, um so wie wir Andern zu seyn; aber ich versichre Sie, Herr Director, und Ihre eigene Beobachtung wird es Ihnen auch bestätigt haben, daß die leidige Eitelkeit, der Stolz auf irgend eine Grille, die man nicht ablegen will, sehr viel, ja bei manchen unsrer Patienten wohl das Allermeiste thut.

Friedrich mußte dem Baron, so wie dem Herrn Kranich Wein einschenken, damit sich beide, vorzüglich der junge Graf, wie ihn der Director nannte, stärken möchten. Freilich haben Sie Recht, Herr Pastor, setzte dieser das Gespräch fort; denn wer von uns fühlt wohl nicht, daß er sich nur nachgeben und verweichlichen dürfte, um diese oder jene Seltsamkeit auf die wunderlichste Art auszubilden, und dadurch bei stärkern Menschen Anstoß oder Lachen zu erregen?

Mein Herr Director, antwortete der Geistliche, es ist überdieß im Thörichten (Verzeihung, meine Herren, daß wir so offen über diesen Gegenstand sprechen) etwas so Anlockendes, fast Liebliches, daß man zuweilen recht im ganzen Wesen den unwiderstehlichen Reiz spürt, mit beiden Beinen frisch und wohlgemuth hinein zu springen. Soll ich? Soll ich nicht? so fragt man sich selbst. Warum nicht? sagt eine curiose Stimme, aus dem fernsten und buntesten Winkel unsers Geistes; tausend! ruft es, was kannst du da erfahren, und dich genießen, ja erst recht verstehen, wenn du der Altklugheit ein Schnippchen schlägst. Aber zum Glück kommt dann wieder eine ehrbare, aschgraue Moral, die mit ernster Miene sagt: widerstehe dem Verführer und seiner Lockung, laß dich nicht in die Kellergewölbe des Wahns führen, wo trotz aller Versprechungen keine Schätze liegen!

Kellergewölbe? fragte Wolfsberg und wurde roth; wie kommen Sie nur auf dieses Gleichniß, das mir hier gar nicht passend scheint!

Der Director sah ihn schon wieder mit dem prüfenden Blicke an, und Friedrich machte ihm gegenüber eine so seltsam bittende Miene, seine beiden Wangen zitterten und zuckten, die Lippen schmiegten und krümmten sich wie ein Wurm, und die Augen zwinkelten so bedeutend, daß Wolfsberg in das lauteste Gelächter ausbrechen mußte.

Gebe der Himmel, sagte der Director, daß unsre Mahlzeit mit der Heiterkeit schließe, mit welcher sie anzufangen scheint. Gewiß, fiel der Prediger ein, ist zu wünschen, daß wir so fröhlich bleiben mögen: aber um fortzufahren, so kommt es mir noch immer nicht so ganz ausgemacht vor, ob die Mania (wir wollen dies Wort brauchen, um keinen Anstoß zu erregen) in uns Allen liegt, und nur wie bei den Lastern durch Nachgiebigkeit befördert und gereift wird, so daß der gewöhnliche Verstand nur in gewissen Graden von ihr entfernt seyn möchte: oder ob sie eine radicale Verschwiegenheit, ein wahrhaft kranker Zustand, ein andres und schiefgerichtetes Verhältniß der Seele ist.

Das Letzte und auch zugleich das Erste, meinte der Director, und darum sei auch die Cur leicht und schwer zugleich: leicht, weil man sich den Verirrten nur hingeben müsse, sie zu verstehn suchen, da immer noch Verständniß, oft eine Art System zum Grunde liege, sie achten, ihnen zur passenden Zeit nachgeben, ein ander Mal Strenge üben; und von dieser Seite sei wohl keiner ganz unheilbar zu nennen: schwer sei die Cur aber, weil man die Symptome oft mit dem Grunde der Krankheit verwechsle, den Verirrten dann nur störe und kränker mache, — für ein schwaches Gemüth aber, wie er selbst, sei sie dadurch am schwersten, daß man, um diese Menschen zu verstehn, mit dramatischem Geiste zu tief in sie eingehe, leicht in eine Art Täuschung gerathe, und wenn man sich dann plötzlich prüfe, sich selbst beinahe auf dem nämlichen Wege finde.

O mir aus der Seele gesprochen! schmunzelte der Geistliche; ach, Herr Medicinalrath, was sind Sie für ein Menschenkenner! Da liegt freilich recht eigentlich der Hund begraben, daß man, wie man im Trauerspiel weint, indem man sich in die Confusion hinein denkt, selbst confus wird. Dis moi qui tu hantes etc. Ja wohl, ja wohl, ein wahres Sprichwörtchen! Ich habe schon zuweilen die Meinung fassen wollen, daß, um als Seelsorger auf die guten Leutchen zu wirken, einer gefunden werden müßte, der, wenn auch nicht ganz in die Irre, doch ein wenig jenseit der Schnur gerathen wäre, und doch noch genug kräftige Religion übrig behalten hätte, um die Seelen zu ergreifen. Denn das, bester Herr Director, ist das Schlimme, daß, wenn man nicht selbst in ihren Orden eingeweiht ist, man fast niemals die rechte Perspective trifft. Sie wissen, wie ich in meinen Predigten gesucht habe, in Ton, Geberde und Beispiel mich den armen Drehschaafen zu nähern, aber manchmal zu wenig, oft aber viel zu viel that; Sie selber machten einige Male die Bemerkung, ich hätte wie ein wahrer Narr gesprochen. Ich mußte Ihre eigne Seele freilich ganz aus dem Spiele lassen; denn ich wußte ja, wie firm und kräftig Sie in Moral, Tugend und allen Glaubenslehren sind.

Sie gaben einige Male ein schlechtes Beispiel, sagte der Director; denn Sie lachten auf der Kanzel selbst aus vollem Halse.

Der ernsthafteste Mann hätte es nicht unterlassen können, sagte der Prediger, von Neuem laut lachend. Denken Sie, Herr Graf, wir hatten hier in unserm Hause einen jungen Mann, der ein Baukünstler gewesen war; er hatte aber eine so heftige Liebesleidenschaft zur Tochter eines Perückenmachers gefaßt, daß er darüber sein Studium verließ, und das Handwerk des Meisters ergriff; da ihm aber das Mädchen untreu wurde, mit Erlaubniß von Ihnen, so zu sagen, überschnappte. Nun bestand seine Grille darin, sich und alle Menschen, die er dazu bewegen konnte, auf die sonderbarste Weise zu frisiren. An jedem Tage hatte er eine neue wunderliche Kopfverzierung ersonnen, und ich glaube, daß ihn bei diesen mannigfaltigen Erfindungen sein ehemaliges Studium der Baukunst sehr unterstützte. Ich predige hier an einem Pfingsttage, und sehe die liebe Gemeinde unter mir. Der Verwilderte hatte sich furchtbar à la Herisson frisirt, so daß ihm die Haare wie Borsten vom Kopfe weit weg abstanden; sieben oder acht seiner Freunde standen und saßen neben ihm mit hochaufgewirbelten Papillotten, ein Anblick, der schon sonderbar genug war, weil viele Papierbündel wirklich wie aufgerichtete Krämerdüten auf den Köpfen leuchteten. Nun nahm aber er einen nach dem andern von seinen Anhängern zwischen die Knie, und frisirte ihn während meiner Predigt eben so fantastisch, wie er selbst sich trug, so daß gegen das Ende der Rede ein Theil meiner Andächtigen wie eben so viele wilde Teufel aussahen, und ich des Lachens wegen, das mich befiel, früher schließen mußte, als ich mir vorgesetzt hatte.

Friedrich wollte sich ausschütten vor Lachen, und der Director erwiederte: so wie der Verstand, so hat die Narrheit des Menschen keine Gränzen. Jetzt ist ein Mann bei uns, der sich immer mit einem Maaßstabe herumtreibt und ihn unablässig betrachtet und rechnet. Dieser Mensch ist ziemlich wohlhabend und besitzt in der Stadt drüben ein mittelmäßiges Haus. Es verdroß ihn aber, daß, wenn er so manche größere Häuser des Ortes betrachtete, ihm sein ererbter Wohnsitz nur winzig und unbedeutend erscheinen mußte. Mit diesem Verdrusse schleppte er sich Tag und Nacht, und wußte doch kein Mittel, dem Uebelstande abzuhelfen. Endlich, weil er vor Hochmuth weder mehr schlafen noch essen konnte, faßte er einen seiner Thorheit würdigen Entschluß. An einem schönen Sommertage geht er aus, miethet auf dem Markte vier der stärksten Tagelöhner, und nimmt sie mit in seine Wohnung. Hier führt er sie in sein größtes Zimmer; jeder von ihnen muß sich gegen eine Wand stemmen und mit allen Kräften dagegen drücken, bis er ihnen Halt zuruft. Sie empfangen ihren Lohn, ohne zu begreifen, was sie gearbeitet haben. Am folgenden Tage wird derselbe Versuch wiederholt; sie müssen streben und drängen, daß ihnen der Schweiß herab fließt, genau auf sein Commandowort achten, und in demselben Augenblick alle zugleich zu drücken aufhören, wie sie in demselben begonnen haben. So treibt er es den ganzen Sommer; er erweitert nach und nach alle Zimmer seines Hauses, die Gänge, die Treppen, den Hof; und nachdem er so eine bedeutende Summe ausgegeben hat, ist er fest überzeugt, sein Haus sei das größeste in der ganzen Stadt. Er spaziert Stunden lang mit hoher Verehrung vor demselben auf und nieder, er zeigt erstaunten Fremden seine unermeßlichen Säle, er fängt an, sich selbst den Grafentitel beizulegen, hängt ein gemaltes Wappen über seine Hausthür, und ist auf einige Zeit unser Gast geworden, um sich wieder auf die Wahrheit besinnen zu lernen. Sehn Sie, lieber junger Herr Graf, so sonderbare Verirrungen fallen vor, daß dieser Mann sogar den sichtlichen Raum seines Hauses nicht mehr hat wahrnehmen können.

Sie beweisen mir heute ein so schönes Vertrauen, erwiederte Wolfsberg, daß ich es wohl wagen darf, noch einmal das Wort zu wiederholen, mit welchem ich Ihr Haus zuerst betrat, daß ich nämlich durchaus nicht der bin, für welchen Sie mich halten, und daß Sie, wenn Sie mich nur einer ruhigen Prüfung würdigen wollen, mich eben so wenig des Verstandes beraubt finden werden, als den Herrn Prediger, oder als Sie es selber sind.

Der Director winkte mit dem allerfinstersten Blicke, und Friedrich, welcher jede seiner Mienen verstand, nahm schnell den Wein vor Wolfsberg weg, und stellte ihm ein großes Wasserglas hin. Es geht nicht, rief der Director, so mit Ihnen zu leben, wie ich wünsche. Da Sie jetzt so abgefallen und fast miserabel aussehen, da Ihr Blick so demüthig ist; so glaubte ich wirklich, Sie hätten in sich geschlagen, und ich dürfte Sie durch bessere Speise und Wein erquicken. Aber an Ihnen ist Hopfen und Malz verloren. Wie, Sie wollen wirklich streiten, daß Sie der Graf Birken, einer der confusesten jungen Männer sind? daß Sie schon tausend Händel angezettelt, und dafür drei oder vier Mal ansehnliche Schläge empfangen haben? daß Sie es zu guter Letzt gewagt, sich mehrmals in das Haus des Barons von Halden einzuschleichen, und das Unglück seiner sinnverwirrten Tochter durch Liebesbriefe und mündliche Betheuerungen erhöht, ja sie endlich beredet haben, sich von Ihnen entführen zu lassen? Hier ist die Klage des Barons, hier sind Ihre kläglichen Briefe, hier ist die Ordre vom Minister, Sie gefangen zu halten. Wollen Sie aber dieser Graf Birken nicht seyn, so zeigen Sie uns Pässe, oder Schriften, durch welche Sie sich ausweisen können; stellen Sie angesehene Bürgen! Aber man hat Sie dort im Hause nur zu gut erkannt, und Sie zu oft aus- und einschleichen sehn, Sie auch zuletzt im Zimmer der Tochter selber ergriffen. Und nun kein Wort mehr über die Abgeschmacktheit, wenn Sie nicht bei Wasser und Brod in Ihrem Zimmer wollen eingesperrt seyn.

Wolfsberg las die Papiere mit Aufmerksamkeit durch, und wagte es nicht, noch ein einziges Wort zu seiner Rechtfertigung zu erwiedern. Friedrich sah ihn tröstend an und warf heimlich höhnische Blicke auf den Director; der aufmerksame Herr Kranich aber war schnell mit der kleinen Peitsche bei der Hand, um die bösen Geister von Wolfsbergs Schultern zu verjagen. Der Director wurde noch zorniger und rief: stecken Sie die verdammte Peitsche ein! Ich glaubte, Sie würden doch wenigstens mein Vertrauen und mein Zimmer so weit ehren, das Zeichen Ihres Aberwitzes in Ihrer Klause zu lassen.

Der Rothrock steckte zwar die Peitsche wieder ein, machte aber ein zorniges Gesicht, sah den Director mit großen Augen unverwandt an und sprach dann laut: Aberwitz, mein Herr? Dieses Worts sollen Sie sich jetzt und Ihre Lebenszeit hindurch schämen! Ich kam an Ihren Tisch in dem festen Vertrauen, daß Sie doch so viel Vernunft haben würden, mich nicht mit den mancherlei Gecken, von denen heut Mittag die Rede gewesen ist, in eine Classe zu werfen, und mich nicht mit dem Gezücht vergleichen zu wollen, was da unten im Saale sein Gaukelwesen treibt. Ich brauche, dem Himmel sei Dank, nicht curirt zu werden; auch will ich niemals curirt seyn; denn meine Vernunft, Herr, ist probefest, und auf die Dauer gearbeitet, und ich bin noch niemals, wie Sie von sich vorher zugestanden haben, in Gefahr gerathen, mit Närrischen närrisch zu werden. Wer wären Sie denn, wenn ich nicht das Geschmeiß der Pygmäen immer wieder aus Ihrem Hause vertriebe? Ich will diese liebe Peitsche nur kurze Zeit ruhen lassen, und Sie werden es an sich erfahren, daß Sie ein ruinirter Mann sind, daß Sie überschnappen, daß Sie zum Kinderspott werden. Wie? Was? Es gäbe wohl am Ende gar keine Pygmäen? Haben sie nicht schon die alten Griechen erkannt, aber nach ihrer dummen Weise darüber gefabelt. Sogar von mir und meinem großen Einfluß auf sie hat man in uralten Zeiten dunkle Legenden und Ahndungen gehabt; aber man dichtete, daß die Pygmäen ein wirkliches Volk seien, so klein, daß die Kraniche Krieg mit ihnen führten. So erbärmlich hat man die Sache und meinen Kampf mit ihnen entstellt. Heut zu Tage nennen sie’s das böse Princip. Nicht wahr, da ist mehr Verstand drin! Nein, da lobe ich mir meine süße, liebe Peitsche; und wo ich bin, muß diese auch seyn. Dixi.

Der Geistliche sagte: nicht so übel! aber der Director fuhr auf: wenn Sie so großen Geschmack an Narren finden, ehrwürdiger Herr, so mögen Sie es haben. Er verließ das Zimmer; die Uebrigen folgten ihm nach.

———

Was machen Sie nur? fragte der Rath den Arzt, als der sandigere Weg wieder ein Gespräch erlaubte. Wir sollten lieber hier noch verweilen, vorzüglich Ihretwegen, da Sie doch nun Ihren theuern Grafen gefunden haben; und Sie selbst ziehen mich wie mit Gewalt in den Wagen, und erklären, Sie wollten niemals wieder hieher zurück kommen.

O mein bester Rath, sagte der Arzt halb lachend; für einen Rechtsgelehrten sind Sie mir doch etwas zu treuherzig und für einen Inquisitor und Nachspürer gar zu arglos. Der Birken ist entlaufen, Vater und Tochter sind mir entgegen. Vermuthen diese, ich komme wieder, so finde ich meinen Entsprungenen niemals und es geschieht, was ich verhindern will; kann ich sie aber sicher machen, daß ich nicht zurück kehre, so überrasche ich den vollständigen Familienkreis wohl in Kurzem. Mit Ihrem lieben Pankraz ist es derselbe Fall; er hat sich unsichtbar gemacht, und zeigt sich nur, wenn er uns entfernt weiß.

Was hat der ehrliche alte Mensch mit dieser Sache, ja mit irgend einer zu thun? antwortete der Rath. Er hat damals genug gelitten, als seine Unvorsichtigkeit dem armen Raimund so theuer zu stehen kam; der Mensch mußte sogleich den Dienst verlassen und dem Zorn des alten Barons entfliehn.

Der Arzt lachte laut auf. Wenn meine Menschenkenntniß mich nicht ganz trügt, sagte er endlich, so ist dieser gute alte Pankraz ein durchtriebener Schurke, und jener braun- und blauäugige Baron nichts Geringeres.

Sie schwärmen, lieber Freund.

Und Sie schlagen selbst etwas in die Farben, in denen Sie mir Ihren Raimund gezeichnet haben. Haben Sie denn nicht bemerkt, wie verlegen das Pankraziengesicht wurde, als es Sie erblickte? Schon vorher wurde er blaß, als ich ihn nach Blanka fragte. Er weiß uns Raimunds Aufenthalt gewiß zu entdecken. Können Sie sich in der Stadt durch Freunde oder Autorität eine Vollmacht verschaffen, um den Schurken, wenn Sie ihn wieder ansichtig werden, zu verhaften, ihn zu erschrecken; so erfahren wir gewiß Alles, und der Zweck Ihrer Reise ist erfüllt.

Wenn Sie Recht hätten! sagte der Rath. — Er befahl dem Kutscher nach der Stadt zu fahren.

———

Bei der Gesellschaft im Saale waren einige Veränderungen vorgegangen. Die beiden Redner hatten sich immer noch nicht versöhnt und jeder vermied den andern; die Schachspielenden schienen auch weniger einig, als sonst, und der Mann mit dem Maaßstabe war unruhiger, und lief hastig hin und wieder. Wolfsberg gesellte sich zu diesem, und fragte, was ihm fehle. Ach, mein Herr, sagte dieser heftig bewegt, Sie haben gewiß auch von meinem großen Hause gehört, welches ich durch meine Geschicklichkeit so ansehnlich gemacht hatte. Das konnte mir der Neid nie vergeben, daß ich durch Wissenschaft Besitzer eines der größten Paläste in der Stadt seyn sollte. Bald hieß es, durch die übermäßige Ausdehnung habe der Bau eine so zarte Constitution erhalten, daß er bei der nächsten Veranlassung, wenn etwa Truppen marschirten und die Trommel gerührt würde, erschreckend, wie in einem Nervenfieber zusammen stürzen müsse. Andre meinten gar, ich hätte die Stadt dadurch verengt, und die nahestehenden Häuser und Gassen litten darunter: als wenn der unendliche Raum etwas so Beschränktes wäre, daß man die Welt so leicht verderben könnte. Ich erbot mich, die ganze Stadt durch Beobachtung des Tactes auszudehnen, und sie, wenn wir Geld und Zeit genug hätten, größer als London oder Nanking zu machen. Aber die Bosheit hörte auf nichts; ich mußte mich hieher in die Einsamkeit zurück ziehn. Und was ist nun im Werke? Sollten Sie’s glauben, daß die Verderbtheit der Menschen so weit gehen könne! Eine ganze Schiffsladung von Gummi elasticum läßt man mit Erlaubniß des Parlaments von England kommen. Fünfhundert Menschen zerren das Zeug aus einander; man practizirt es so, nach allen Seiten ausgedehnt, unter meinen Palast, und auf ein Zeichen von dem nahestehenden Kirchthurm (denn auch die Religion wird dazu gemißbraucht) lassen alle fünfhundert Bösewichter in einem und demselben Augenblicke die Gummifetzen los; das unglückselige Zeug schnappt zusammen, und nimmt unwiderstehlich Breite und Länge meines Palastes mit sich, der durch dieses höllische Kunststück wieder zu einem gewöhnlichen Hause zusammenschrumpft. Denn das giebt die Vernunft, daß, da das elastische Unwesen sich nun in der Grundlage an das Gebäude anklemmt, keine menschliche Kraft, keine Wissenschaft, kein noch so gut observirter Tact dazu hinreicht, es aus den Gummi-Klauen zu retten und wieder aus einander zu dehnen.

Wolfsberg mußte dem Klagenden Recht geben; doch wurde jetzt seine Aufmerksamkeit auf einen jungen Menschen gerichtet, der zum Saale herein schlich, und den er bisher noch niemals gesehen hatte. Methusalem kommt einmal wieder! riefen Einige, und über die blassen Wangen des kranken Jünglings lief ein leichtes Roth. Wie nennen Sie ihn? fragte der Baron. O er heißt nur so, antwortete Sokrates, der eben vorüber ging, weil das Gespenst schon so außerordentlich bei Jahren ist, daß, gegen ihn gerechnet, Methusalem selbst noch in den Kinderschuhen steckt.

Die Gestalt und das Wesen des Jünglings waren so wunderbar und von Allem, was sich in diesem Hause zeigte, so verschieden, daß sich Wolfsberg wie gezwungen fühlte, sich ihm langsam und mit Blödigkeit zu nähern. Der Jüngling war schlank und mager, seine Geberde ruhig und edel, sein Gesicht schön, aber blaß und abgefallen; die Augen glänzten so überirdisch, daß man vor ihnen erschrecken konnte, wenn nicht eine süße Schwermuth ihr Feuer wieder gemildert hätte. Der junge Mensch schritt dem Baron entgegen, vielleicht, weil ihm auch dessen Gestalt und Wesen, als ein milderes, auffiel. Wolfsberg war um Worte verlegen, mit welchen er das Gespräch eröffnen könne; aber der Kranke kam ihm zuvor, nahm ihn bei der Hand und sagte mit der lieblichsten Stimme: was fehlt Ihnen?

Meine Vergehungen, sagte der Baron in einem fast zerknirschten Tone, haben mich hieher geführt. Aber woran leiden Sie?

Ach! klagte der Jüngling, daß ich so gar übermäßig alt bin; die große Menge der Jahre drückt mich zu Boden. Wie alt schätzen Sie mich?

Höchstens drei und zwanzig Jahre, sagte der Baron.

Des Jünglings Gesicht ward noch wehmüthiger und zwei große Thränen fielen aus den Augen. Sie sehn, sagte er mit seiner lieblichen Stimme, wie ich lachen muß. Nun bin ich gerade sechstausend dreihundert und vier und neunzig Jahre alt. Gestern Nachmittag hatte ich nur sechstausend und vier und neunzig: und denken Sie, in der kurzen Zeit bin ich schon wieder um die dreihundert Jahre älter geworden.

Sie setzen mich in Erstaunen, sagte Wolfsberg.

Wissen Sie denn, was die Zeit ist? klagte jener weiter. O Lieber, mancher Achtzigjährige geht zu Grabe, und hat vielleicht nicht zwanzig Jahre, nicht zehn gelebt. Vielleicht giebt es Menschen, die von der Geburt an bis zum Greisenalter nicht zur Zeit erwachen, und erst jenseit die erste Stunde müssen kennen lernen. In der Gleichgültigkeit ist kein Strom; weder Vergangenheit, noch Zukunft, auch keine Gegenwart. Freude, Jubel und Glück sind rasende Kinder, die tobend umher springen und das zarte Stundenglas zerbrechen; hinter ihnen steht Tod und Nichtsein, — der Himmel gab uns dafür keine Sinne. Aber im Schmerz, im Schmerz! Wie durch diesen Wunderbalsam die Secunde, die das Auge kaum unterscheidet, aufschwillt und mit der Ewigkeit schwanger wird! Ja, mein junger Zeitgenosse, ich habe Tage erlebt, in denen Jahrhunderte eingewickelt waren; sie lösten sie aus ihren Schleiern und legten sich mir um die Seele. Dann kam eine Stunde, eigentlich nur ein Augenblick; da sprang die ganze aufschwellende Knospe entzwei, in der mir die Zeit in duftenden Blättern aus einander blühen sollte, und ein Alles und Nichts, ein großer ewiger Tod, in dessen finsterm Herzen kindisch das süßeste Leben lächelte, brach mit Gewitternacht über mich ein. Da waren die Jahrtausende verlebt, dieselben, an denen das Menschengeschlecht, ohne sie nur zu kosten, vorüber kriecht. Schmerz, Herz, Scherz: nicht wahr, im Schmerz ist Alles, was die Andern nur einzeln aussprechen? Leben Sie wohl, und hüten Sie sich, so alt zu werden! Ich gehe wieder auf mein Zimmer, denn wenn diese großen Minuten mich besuchen wollen, müssen sie mich wach finden. Adieu, junger Mann, vielleicht bin ich schon acht oder zehntausend Jahre, wenn wir uns wiedersehn. Er wankte hinaus, und keiner von den Gegenwärtigen achtete auf ihn.

Die Uebrigen umringten Wolfsberg, und Sokrates, der den Sprecher im Namen Aller zu machen schien, sagte: junger Herr, wir Alle sind es nun endlich überdrüssig, Sie noch länger diese triviale Rolle spielen zu sehn, mit der Sie uns Allen herzliche Langeweile machen. Nicht der Unbedeutendste hier, der nicht sein Pfund wuchern ließe; und Sie wollen immer noch als leutseliger Beobachter sich herum treiben? Fordert die Menschheit nicht auch Ihre Kraft und Ihren Entschluß? Sie sollen nicht länger der Niemand seyn, mit dem Keiner von uns etwas anzufangen weiß.

Meine Herren, sagte Wolfsberg in einer sonderbaren Stimmung, die aus Schmerz und toller Laune gemischt war: da Sie mich Alle mit einem so gütigen Zuruf und schmeichelnden Zutrauen beehren, und da ich sehe, daß uns hier eine so glückliche Republik umfaßt, in der uns weder Gesetze der Zeit noch des Raumes tyrannisiren, und eine so freie Verfassung unsre Kräfte erhebt, daß auch selbst das Unmögliche möglich wird: so will ich denn auch nicht länger hinter dem Berge halten, mich Ihnen entdecken und Ihren herrlichen Bestrebungen anschließen. Wissen Sie also, daß ich das Eigne an mir habe, daß ich schon öfters gelebt habe, vielerlei Zustände erfahren, und mein dermaliges Leben nur als die hundertste Wiederholung in einer etwas veränderten Modification aufführe.

Wie meinen Sie das, Trivialer? fragte der Leser.

Dieselben geruhen, antwortete Wolfsberg, mit Ihrer unvergleichlichen Stupidität nicht zu capiren. Ich war mit Einem Wort, genau nach der Lehre des Pythagoras, schon in vielfachen Gestalten im Leben. Ich war König, Kaiser, Bettler, Vater, Sohn, lasterhaft, zur Tugend geneigt, glücklich und elend.

O, sagte der Indianische Schachspieler, Sie fangen an interessant zu werden, Männchen; fahren Sie nur so fort, so können Sie noch was leisten.

Können Sie uns nicht etwas Bestimmteres von Ihren frühern Verhältnissen mittheilen? fragte Sokrates.

Gern, erwiederte der Baron mit geläufiger Zunge, ich war z. B. zugegen, als Cäsar ermordet wurde.

Trefflich! rief der Leser; wer waren Sie denn dazumal?

Wer anders, als der berühmte Cassius, antwortete Wolfsberg.

Halt! schrie der aufgedunsene Redner, der noch immer mit der Zinnschnalle paradirte, halt! rief seine krächzende Stimme; das ist nur Windbeutelei! Denn wenn ich damals hätte leben können, so würde ich Cassius gewesen seyn: also ist es pur unmöglich, daß du selbiger gewesen!

Dieser leere Wunsch, und die etwanige Möglichkeit, sagte Wolfsberg spitzfindig, schließt doch wohl meine wirklich erlebte Wirklichkeit nicht aus?

Leerer Wunsch? schrie der aufgebrachte Dichter, in meinem ganzen großen Leibe und noch größerem Geiste ist kein einziger Wunsch, den man als leer verlästern dürfte! Leer! Ei, den ausgelernten Lehrer! Mit diesen Worten schlug er auf den jungen Baron ein. Sokrates wollte seinen ehemaligen Schüler zurechtweisen: da dieser aber, noch ergrollt, ihn ebenfalls nicht schonte, so verließ auch diesen die sokratische Ruhe. Doch, wie es auch wohl bei Vernünftigern zu geschehen pflegt, vergaß er den Beginn des Zanks, und sein thätiger Unwille wandte sich nach wenigen Augenblicken gegen Wolfsberg. Die Schachspieler, Melchior, der Baukünstler, ja Alle im Saale schienen plötzlich von der Ueberzeugung begeistert, daß es nothwendig sei, denjenigen, der schon als Cassius und in andern Zuständen Vieles gelitten, auch in diesem Momente mit empfindlichen Leiden zu überhäufen. Am grausamsten aber wüthete die Peitsche des Pygmäen-Bezwingers, dessen Seherkraft auf Rücken und Schultern des Armen Myriaden seiner kleinen Gegner erblicken mußte, weil er, unbarmherzig gegen sich und den Geschlagenen, in die Geister mit der Anstrengung aller Kräfte hinein arbeitete. Entsetzt stürzte Friedrich, der seinen fleißigen Arbeiter und Schatzheber unterliegen sah, mit fürchterlichem Geschrei zum Director, dessen Autorität und starkes Wort den armen, erschöpften Baron auch wirklich frei machte, der sich verdrießlich und zerschlagen nach seinem Zimmer begab, und den der Trost, welchen ihm Friedrich noch in der Thür zuraunte, daß die nun kommende Nacht die letzte und entscheidende sei, in diesem Augenblick nicht sonderlich erheben konnte.

———

Als Friedrich seinen nächtlichen Schatzgräber abrief, fand er ihn sehr übel gelaunt. Die Arbeit wird mir zu schwer, sagte er verdrießlich; meine Kräfte nehmen ab, und ich muß fürchten, daß diese ganze ungeheure Anstrengung vergeblich gewesen ist; denn nach so manchen Wochen, nach so vieler herausgegrabenen Erde, da wir doch schon tief genug gekommen sind, zeigte sich noch immer nichts. Es wird auch fast unmöglich, die Erde aus der Tiefe noch höher herauf zu schaffen, da ich Alles allein verrichten muß.

Nur heut noch, flüsterte Friedrich; ich gebe Ihnen mein Wort, heut ist die letzte und entscheidende Nacht! Wir müssen nur Anstalt treffen, das viele Gold aufzubewahren, ohne daß man es bei uns bemerkt. Und noch Eins, verehrter Freund, in der letzten Nacht zeigt sich gewiß etwas Sonderbares oder Gespenstisches. Lassen Sie sich nicht überraschen; erschrecken Sie nicht, wenn Sie Stimmen hören, ein wunderliches Gepolter, Geschrei; wenn Lichter und Geister kommen, und uns das so sauer Errungene wieder zu entreißen streben. Denn das ist ihre Art, den Glücklichen noch zuletzt zu ängstigen, damit sie ihm seine Beute wieder entziehen. Darum hüten Sie sich heute besonders vor jedem Zweifel oder gottlosen Wort und Fluch; denn sonst versinkt unser Schatz gleich wieder so viele Klaftern tiefer, daß alsdann unsre Arbeit von Neuem und viel beschwerlicher anfangen müßte. Heut müssen wir besonders still seyn, und uns eine feierliche Manns- und Heldenstimmung geben.

Sie gingen langsam hinunter. Sie flüsterten unterwegs, was sie mit den Schätzen beginnen, welche Unternehmungen sie ausführen wollten, wie die Welt vor den ungeheuren Dingen erstaunen sollte, die alsdann auftreten würden. Wolfsberg sprach davon, wie er sich sein eignes Theater in seinem großen Palaste anlegen wolle, und nur den vorzüglichsten Künstlern gestatten, bei ihm aufzutreten; Friedrich dachte mehr darauf, den Director zu kränken, seinem Hause gegenüber ein anderes, noch größeres aufzuführen, und alle Menschen dort kostbar zu bewirthen die sein Gebieter nicht leiden könne.

Als sie unten waren, stellte Wolfsberg die Laterne wieder neben sich, und fing an seufzend zu graben, da ihm Arme und Rücken, ermüdet, wie sie waren, fast den Dienst versagten. Friedrich stand oben auf der lockern Erde, und konnte kaum seine heisern anordnenden Worte hinab gelangen lassen, so tief hatte sich Wolfsberg schon unter die Fundamente eingegraben. Eine schauerliche Stille umgab sie; ganz dumpf und fern hörten sie jetzt die große Uhr zwölf schlagen. Wolfsberg dachte nicht ohne Grausen daran, daß sich nach seines kleinen Freundes Voraussagung nun wohl etwas zeigen könne, und suchte seine Angst durch emsigere Arbeit zu betäuben. Friedrich stand hoch über ihm und zitterte an allen Gliedern; er wagte es nicht mehr hinab zu sehn; die Erdschollen, wie sie von unten aufgeworfen wurden, erklangen ihm fürchterlich, weil er in jedem Wurf Schritt und Tritt eines Geistes zu hören glaubte. In der größeren Anstrengung warf Wolfsberg die Laterne um, die nur ein dämmerndes Licht in der ausgegrabenen Kluft schimmern ließ; Friedrich stieß einen leisen Ausruf des Entsetzens aus, und als sich jetzt ein seltsames Gepolter vernehmen ließ, ein dumpfes, brausendes Murren, von dem man nicht unterscheiden konnte, woher es komme, setzte sich Wolfsberg in höchster Angst nieder, ein Geisterheer und furchtbare Erscheinungen erwartend. Sein Haar sträubte sich, als das Getöse zunahm; und jetzt fiel plötzlich mit schwerem Fall ein Wesen um seinen Hals, schlang sich zitternd und weinend an ihn fest und schien ihn erdrücken zu wollen. Als Wolfsberg sich etwas besann, erkannte er Friedrich, der von oben zu ihm herab gekugelt war, vom Schreck hinunter geworfen. Was wird aus uns werden? schluchzte dieser. Aber nur Muth, Muth, mein Leidensgefährte! Jetzt vernahm man etwas Bestimmteres, wie Reden, Schreien durch einander. Es kam näher; aber nicht aus dem Boden, sondern von dem Eingange des Kellers her; Lichtschimmer fingen an sich zu verbreiten. Aber da muß das heilige Donnerwetter drein schlagen! brüllte jetzt eine Stimme, und der Kleine ließ jetzt den Baron fahren, richtete sich auf, und sagte: Gott Lob! es ist nichts, es ist nur unser Herr Director.

Mordelement! schrie dieser von oben, wie sieht das hier in den Kellergeschossen aus, da müssen wenigstens zwanzig verrückte Spitzbuben dran gearbeitet haben. Gewiß ist der Schuft, der Friedrich, wieder auf seine alten Tollheiten verfallen, und hat ein Rudel Dummköpfe zu Gehülfen genommen. An dir aber will ich ein Exempel statuiren!

Herr Director, Barmherzigkeit! winselte der Kleine von unten hinauf.

Leuchtet! schrie der zornige Mann. Die Diener kamen mit den Lichtern näher, stiegen auf die Erdhügel, und man sah jetzt beim Schein die armen Sünder, bleich und aufgelöst in Angst, unten stehn.

Wie? schrie der Director, der verrückte Graf ist da unten bei dir? Herauf ihr verdammten Kerle!

Langsam und mit Mühe krochen die Verbrecher aus ihrer Grube. Wißt ihr wohl, Patrone, eiferte der wüthende Medicinalrath, daß durch eure sauberen Bemühungen das Fundament hier gesunken ist, daß die äußere Mauer nach Westen einen Riß bekommen hat? daß ich das Recht habe, euch in Ketten zu schlagen und an die Wand zu schmieden? Ich erschrecke, wie ich heut Nachmittag den Sprung in der Mauer wahrnehme; aber das laß ich mir doch nicht träumen, daß der dumme Schatzgräber, der doch seine ehemalige Strafe nicht sollte vergessen haben, seine Streiche von Neuem angefangen hat. Sprich, wo sind die übrigen Verschwornen?

Der Graf, wie Sie ihn nennen, antwortete der zitternde Friedrich, hat Alles ganz allein gemacht.

Was? rief der Director erstaunt; das Kerlchen ganz allein? Allen diesen Schutt aufgeworfen? sich wohl vier Klaftern tief eingegraben? die Erde in die Gewölbe herauf gefahren und dort abgeladen? Das ist kaum menschenmöglich! Und wie lange treibt ihr die Teufeleien?

Seit vier oder fünf Wochen, klagte Friedrich.

Kein Wunder denn, sagte der Director, daß der Unkluge so verfiel und zum Jammerbilde wurde. Aber wie konnten Sie nur, Graf, ein solcher Dummkopf seyn, und sich von diesem armseligen Schaafe verführen lassen? Merkten Sie es denn gar nicht, da Sie doch manchmal Funken von Vernunft zeigen, daß er auch zu den Tollen gehört?

Also ist unser Herr Friedrich auch unklug? fragte Wolfsberg.

Was anders? erwiederte der Director: nur weil er anstelliger ist, als die Andern, wird er zum Aufwärter, ja Aufseher gebraucht. Nun hat sich das Ding freilich geändert. Hätten die Satans nicht uns Narren insgesammt den alten Kasten auf die Köpfe schmeißen können!

Mir fiel es oft ein, sagte Wolfsberg kleinlaut, daß hier keine Schätze liegen möchten, daß Friedrich vielleicht nicht gesunde Einsichten habe; aber weil ich doch einmal die tolle Arbeit angefangen hatte, weil er mich so zu lieben, auch ganz zu kennen schien, mehr als Alle, so — —

Ja, winselte Friedrich, ich mußte dem Narren gleich gut seyn, so wie ich ihn ankommen sah; denn betrachten Sie ihn nur, wie er dem berühmten Herzog Marlbrough ähnlich sieht, der vor einem halben Jahre bei uns saß, und mit dem ich damals auch die große Freundschaft errichtete. Aber da er nun doch ein recht verrätherischer Narr ist, will ich Ihnen auch sagen, wer er eigentlich ist; denn Sie kennen ihn Alle nicht.

Nun? sagte der Director.

Er ist, fuhr Friedrich trotzig fort, der durch die ganze Welt berüchtigte Cartouche, das können Sie mir auf mein Wort glauben.

Scheert Euch beide auf Eure Stuben, rief der Director, und nehmt da auf vier Wochen mit Wasser und Brod vorlieb, das ist Eure gelindeste Strafe! Die Maurer werden hier wohl eben so lange zu thun finden, ehe das Haus wieder fest steht und Alles in Ordnung ist.

Sie gingen Alle hinauf, und die beiden armen Sünder mußten sich seufzend in ihre Strafe fügen, die noch härter hätte ausfallen können.

———

Vor der Stadt lustwandelten die beiden Freunde Walther und Anselm. Sie billigen es also, sprach der Letztere, daß ich dem alten Grafen Birken Alles, was seinen wilden Sohn betrifft, geschrieben habe, und daß er nun, wenn es ihm wichtig genug dünkt, selber kommen und ihn aufsuchen mag; denn ich kann meine Zeit nicht länger mit diesen Nachforschungen verlieren. Sie wissen, daß mit jedem Posttag die vortheilhafteste Anstellung ankommen kann, die ich nicht zurück weisen darf.

Ich bin in allen Dingen Ihrer Meinung, erwiederte Walther, nur darin nicht, daß Sie nicht zum Hause des Predigers Kilian zurück kehren wollen, wo, wie ich immer noch glaube, wir Alle antreffen würden. Was nützt mir nun die Vollmacht, die ich bei mir trage, wenn wir den guten Pankraz niemals wieder zu Gesichte bekommen?

Ein Auflauf störte die Unterredung, denn ein Rudel von Jugend war hinter der seltsamsten Erscheinung her, die ihnen zu entlaufen suchte. Eine lange Gestalt im rothen Tressenrocke, kleinem goldbesetzten Hut und großem Haarbeutel, einem feinen Degen mit Porzellan-Griff an der Seite, in aufgewickelten seidenen Strümpfen und Corduan-Schuhen mit rothen Absätzen, stolperte ihnen unbehülflich entgegen, und bat mit kläglicher Stimme um Hülfe gegen die ausgelassene Jugend. Sie halfen dem alten Manne in ihren Gasthof, vor dem sie eben standen, und als sie im Zimmer dem Geschrei und Lärmen des nachfolgenden Haufens entgangen waren, erkannten die Freunde zu ihrem Erstaunen an dem hochauffrisirten und gepuderten Kopf das Gesicht des verdächtigen Pankraz. Wie bin ich Ihnen verbunden, meine werthen Herren, sagte er, den Rath von der Seite betrachtend, daß Sie mich gerettet haben!

Der Arzt, welcher fürchten mochte, daß bei der Milde seines Freundes vielleicht die Sache nicht die rechte Wendung nehmen könnte, bemächtigte sich gleich des Gespräches, indem er mit barschem Tone sagte: wir kennen Euch recht gut, alter Narr Pankraz; wie seid Ihr in diesen Habit gekommen, und was hat die Posse zu bedeuten?

Ach, mein Herr, sagte der Diener, wir sind schon einige Zeit von unserm Prediger entfernt —

Das wissen wir, unterbrach ihn der Arzt, und auch den saubern Grund, weil der gute Pankraz uns nicht gern dort treffen wollte. Doch das wird sich Alles finden!

Nun kann ich meinen Herrn, fuhr der Diener fort, nachdem er den Arzt ein Weilchen mißtrauisch angesehn hatte, so ziemlich regieren; er folgt mir in wichtigen Sachen immer, wenn er auch murrt, und hat mehr Respect und Furcht vor mir, als vor dem Herrn Prediger selbst; aber an einem einzigen Tage im Jahr ist er durchaus nicht zu bezwingen; an seinem Geburtstage nämlich; da muß ich ihm in allen Dingen seinen Willen thun, wenn ich ihn nicht wüthig machen soll. Heut ist der Unglückstag, und da faßte er schon vorige Woche den Gedanken, ich müßte heut als Herr angeputzt seyn, und er wollte meinen Bedienten vorstellen. Ich bat und flehte; aber umsonst. Ich wollte wenigstens den Spaß auf dem Lande treiben; half nichts. Er staffirt mich also aus, und lehnt das Zeug dazu von Juden und Christen zusammen; er selber tritt in einer engen hechtblauen Livree hinter mir her, und da sich die Jungen versammeln, fängt der böse Mensch zuerst an, mich auszulachen, und schreit hinter mir drein, ich sei der ewige Jude. So bin ich durch die halbe Stadt verfolgt worden, und hoffe nun durch Sie den Habit los zu werden, und sicher nach unserm Wirthshause zu kommen.

Das wird alles nicht nöthig seyn, sagte der Arzt kaltblütig, der gute Pankraz wird wohl anderswo ein Unterkommen finden. Seht, der Herr Rath Walther hat sich zu Eurem Besten vom Gerichtspräsidenten hier in der Stadt, der sein naher Verwandter ist, diese Vollmacht geben lassen, Euch zu greifen, wo Ihr Euch betreffen ließet, und den Gerichten zu überliefern; wo Euch dann das Zuchthaus wenigstens gewiß ist, wenn Euch nicht, wie ich glaube, Kette und Karren auf dem Vestungsbau erwartet.

Mein Himmel, sagte der Alte zitternd, indem er einen schnellen Blick in das große Blatt warf, wodurch denn — dieser Verdacht — ach! Herr Rath — ich weiß nicht —

Freilich, fuhr der Arzt kalt und bestimmt fort, könnt Ihr Eurem Schicksal selbst eine bessere Wendung geben, wenn Ihr in unsrer und einiger Zeugen Gegenwart ganz aufrichtig seid.

Ich weiß ja nicht, winselte Pankraz, was ich gestehen soll.

Die Sache ist übrigens schon klar, sagte der Arzt, und kann auch ohne Euch ausgemittelt werden; nur bewegt uns das Mitleid mit Eurem Alter dazu, Euch das harte Schicksal zu ersparen, das Euch nothwendig treffen muß. Vertraut Ihr Euch uns gutwillig an, so haben wir den alten Baron Eberhard so in der Hand, daß er künftig für Euch sorgen muß, und noch besser, als er bisher gethan hat. Wir wollen als Eure Freunde für Euch handeln, wenn Ihr aufrichtig seid, und Euch als Feinde verfolgen, wenn Ihr läugnet.

Lieber Himmel, stotterte der Alte, wenn ich doch nur gleich recht viel wüßte, um Ihnen durch meine Bereitwilligkeit meinen Diensteifer und meine Liebe zu beweisen.

Wir verlangen nur Weniges von Euch, sprach Anselm.

Ach! das ist ja recht Schade, seufzte Pankraz; wollte der Himmel, ich hätte Ihnen recht Vieles zu erzählen!

Daß Ihr sonst den jungen Raimund bedientet, fuhr der Arzt fort, daß Ihr einen Spion bei ihm abgabt, daß Ihr es nicht ehrlich mit ihm meintet, sondern Alles dem alten Herrn Baron zutrugt, wissen wir schon längst. Es ist uns auch bekannt, daß sich der alte Herr Baron über die Schwächlichkeit seines Neffen freute, weil er ihn zu beerben hoffte; daß ihm deßhalb die Verbindung mit Fräulein Blanka sehr zuwider war, die er auch nur unter den einfältigsten Vorwänden zu hindern suchte; daß er darum ihre tödtliche Krankheit so gern sah, und Euch alten Spitzbuben mit der Nachricht ihres Todes zu dem zerstörten jungen Manne schickte, als ob Ihr Euch einen rührenden und dummen Spaß mit ihm machtet. Als dieser Todesschlag die Sinne des Unglücklichen verwirrte, jagte der alte Unmensch Euch zum Scheine aus dem Dienst, wie es schon vorher unter Euch abgekartet war, und hat Euch seitdem eine gute Versorgung gegeben, und für die Zukunft eine noch bessere versprochen. Nicht wahr, so hat sich Alles begeben? Jetzt sagt nur noch, wo habt Ihr den armen Jüngling hingeschafft? Gesteht es lieber uns, als dort vor Gericht, wo keine Gnade mehr für Euch zu hoffen ist; auch thut Ihr so Eurem alten Beschützer den besten Dienst, der nur auf diesem Wege einem schimpflichen Prozesse entgeht.

Ach! meine Herren, heulte Pankraz, meinen Sie es denn auch ehrlich mit mir? Wenn ich mich doch nur Ihrem edlen Herzen so recht gutmüthig vertrauen könnte! Wenn Sie es doch einzurichten wüßten, daß ich nichts mehr mit dem Herrn Theophil zu thun hätte, sondern das, was ich von dem Baron fordern kann, in ungestörter Ruhe genösse.

Das soll geschehen, sagte der Arzt. Nur schnell! wo ist Raimund?

Sehn Sie, fuhr der Diener fort, wie soll ein armer bedrängter Domestik ehrlich bleiben, wenn es die vornehmen Herrschaften bei allem ihrem Ueberflusse nicht einmal sind? Der alte Herr glaubte immer, er würde das Vermögen besser brauchen können, als sein junger Neffe, der niemals so ganz seinen Verstand hatte; darum dachte er auch, das feine Wesen sollte mit Tode abgehn, weil die Leute immer sagen, solche Kinder und junge Leute wären zu gut für diese Welt. Wie er nun doch schon confus war, so meinte der Baron, der Tod des Fräulein Blanka, die auch besser für den Himmel paßte, würde den jungen Herrn auch dahin verhelfen; darum sollte ich ihn erschrecken, daß er nur recht schnell und ohne lange Leiden hinüber führe; und das alles wußte mir der Herr Baron ganz christlich vorzuschwatzen. Aber der junge Mensch hatte doch noch mehr Courage und Kraft, als wir ihm zugetraut hatten; er wurde freilich ein bissel lamentabel, und sein Verstand verfiel noch mehr, aber er blieb frisch weg am Leben. Da gab ihm der alte Herr einen andern Namen, schrieb Certificate, eine ganze lange Geschichte, die ich mir auch merken mußte; und das arme kranke Lamm ließ sich auch Alles gefallen; ob er so hieß, oder so, war ihm ganz gleich. Er wurde mir heimlich übergeben und ich brachte ihn ganz in der Stille auf das Haus da drüben über den Fluß, wo sie ihn gut verpflegen, und er sich, seit Fräulein Blanka für ihn todt ist, um nichts mehr kümmert. Ich bezahle vierteljährig seine Pension, die ich von einem Banquier erhebe, und so ist Alles in Ordnung.

Was ist das für ein Haus? fragte Walther.

Das berühmte Narrenhaus da drüben, antwortete Pankraz.

Entsetzlich! rief der Rath; Du wirst uns nun Deine Papiere ausliefern, Dein Geständniß noch ein Mal wiederholen, und es unterschreiben, und so lange, bis Alles entschieden ist, im leichten Arrest bleiben. Doch noch eins: wer ist denn dieser Theophil?

Der, sagte Pankraz, ist ein natürlicher Sohn unsers alten frommen Barons. Er schämt sich seiner, weil er ein Narr ist, und hat ihn bisher bald da, bald dort untergebracht.

Man hörte den Theophil draußen lärmen. Er trat als Bedienter gekleidet in das Zimmer. Ich will meinen Pankraz haben, rief er aus.

Ach, jammerte der Diener, ich bin zum armen Sünder geworden, und gegenwärtig im Arrest.

O das ist herrlich! jubelte Theophil; schöner konnte ich meinen Geburtstag gar nicht feiern, als dadurch, daß sie den alten Kater zum armen Sünder gemacht haben! Das muß ich gleich draußen dem Herrn Kilian und Görge erzählen. Das wird ein Jubel im ganzen Lande seyn. Pankraz im Arrest! der weise Salomon, der schnurrende altfränkische Solon mit seiner Cato-Physiognomie und dem herrlichen Haarbeutel im Nacken ein armer Sünder! — Er stürmte fort und hörte nicht auf die Einreden der beiden Freunde, oder die kläglichen Bitten seines alten Dieners.

———

Kaum war der Stubenarrest und die sehr dürftige Kost dem armen Wolfsberg noch nöthig, um ganz sein Inneres zu erkennen, und alle seine Thorheiten und die Verderbniß seines Lebens einzusehn. In demüthiger Unterwerfung ergab er sich seinem Schicksal, und war kaum erfreut, als man ihm ankündigte, daß seine wohlverdiente Strafe ihm früher erlassen sei. Jetzt durfte er wieder den Saal betreten, und der Director, den er bis dahin so wenig wie Friedrich, seinen Verführer, gesehn hatte, ließ ihn sogar dahin einladen.

Wolfsberg fand alle Thoren dort versammelt, und den Director mit dem Hut auf dem Kopfe sitzend. Dieser hielt ein Papier in den Händen, und seine Miene schien sehr verändert; doch konnte man nicht sagen, daß er heiterer, als gewöhnlich, aussah. Meine Freunde, fing er im Rednerton, aber mit einer weichen Stimme an, wir haben lange mit einander gelebt, viel mit einander ertragen; aber heut ist der Tag, an welchem wir von einander scheiden sollen. Man hat endlich meinen vielfältigen Gesuchen, mich in Ruhestand zu versetzen, nachgegeben, und der Mann, der nun als Vorsteher meine Anstalt übernehmen wird, soll noch heut Mittag eintreffen. Möge sein Verstand erleuchteter, als der meinige, und sein Sinn nicht unfreundlicher seyn!

Die Thür ging auf, und Görge trat mit großer Dreistigkeit herein. Was giebt’s, Bursche? fuhr der Director auf ihn los.

Ich kann’s nicht mehr zu Hause aushalten, sagte Görge ganz unbefangen. Sehn Sie, Herr Director, seit ich neulich ’mal hier war, bin ich wie ein verwandelter Mensch; mein Verstand ist aufgeklärter, und ich kann nun meinen lieben Aeltern nicht mehr so in Allem folgen, wie ehedem. Wenn ich das nicht recht mache, und jenes versehe, ’mal so spreche oder morgen anders denke, wie es zu Hause bei mir Mode ist; so wird die Mama immer sehr böse, und droht mir, mich in das Narrenhaus hier einsperren zu lassen. Gestern nun habe ich unserm Herrn Kilian wohl zwanzig Fledermäuse in die Stube geworfen: da hat er mich verklagt, und sie hat mir wieder gedroht, mich hieher zu schicken; da bin ich nun heute früh lieber gleich von selbst herüber gelaufen, und bitte, daß Sie mich eine Weile hier behalten; so könnte ich auch bei dem rothnasigen Herrn dort noch etwas lernen und mich ausbilden.

Sokrates machte sich sogleich herbei, und faßte die Hand des lehrbegierigen Jünglings. Der Director lächelte und sagte mit sonderbarer Miene: wenn Strafe selber zum Lohn wird, so ist der Mensch gewiß am glücklichsten. — Ich bin in meiner Abschiedsrede von Euch, meine Freunde, unterbrochen worden, fuhr er hierauf in verändertem Tone fort. Ich habe dies Haus nun sechszehn Jahre bewacht; viele Gäste empfangen, viele gebessert entlassen. Ihr seid die letzten; und da ich Eure Besserung durch Pflege und Aufsicht nicht lange genug habe abwarten können, so will ich sie hiermit durch ein Machtwort veranstalten, und erkläre Euch nun hiermit für frei, hergestellt und gesund. Wie? Diese Gewalt wenigstens sollte mir nicht einmal geblieben seyn? Thut der Staat, der Fürst, die Universität denn etwas anders, wenn sie Doctorhüte, Titel und Würden austheilen? Da sehn wir ja täglich, wie Menschen plötzlich Verdienste und Tugenden haben und glänzen lassen, die kurz vorher nur wenig taugten, oder kaum über Vier hinaus zählen konnten. Alle Thore, meine theuern, so lange gehegten und gepflegten Freunde, sind offen; die Thürhüter haben den Befehl, Niemanden am Ausgehen zu verhindern. Diese letzte Wohlthat ist es, wozu ich noch heute meine Macht gebrauchen will. Ich kann meinem Amte nicht länger vorstehn; denn, wie mancher der Märtyrer oder Wunderthäter jener frühern Jahrhunderte die Sünden ihrer Mitbrüder, so habe ich mit Liebe und Mitleid alle Eure Gebrechen in meine Seele aufgenommen: und Viele sind dadurch geheilt, die Bösartigkeit Andrer ist dadurch gemildert worden. Aber Ihr könnt wohl selbst ermessen, dankbare Freunde, daß das keine Kleinigkeit für einen sterblichen Mann ist, in seinem engen Busen so hundert Narrheiten zu tragen und zu hegen, an deren einer schon jeder von Euch genug zu schleppen hat. Freilich war ich auch dadurch nur Monarch und Herrscher, in welchem sich alle Kräfte und Vorzüge centralisiren. Nicht wahr, ihr guten, lieben Unterthanen und Einfaltspinsel? Geht nun zurück in die Welt, und gewöhnt Euch doch endlich als gesetzte Männer die kindische Aufrichtigkeit ab, mit der Ihr Euch vor jedem Narren Eure Narrheit habt merken lassen. Schaut um Euch! Von Allen, die hier vorbei fahren und gehen, die auf dem Flusse schiffen, die in der Stadt dort wandeln und auf ihren Zimmern sitzen, gehören, wenn man die Strenge brauchen wollte, wenigstens zwei Drittheil hieher. Warum wollt Ihr nun so weichherzig seyn, jedem Eure Brust zu öffnen, und in die curiose Structur Eures Innern hinein schauen zu lassen? Ist es denn so etwas Schweres, die gewöhnlichen Redensarten der Vernünftigen zu gebrauchen, ihre Geschäfte zu treiben, trivialen Spaß zu machen, und ihnen ihre ganze Ehrwürdigkeit abzusehn und nachzuspielen? Kinder, glaubt mir doch, es gehört weit mehr Genie dazu, ein Narr zu seyn! Daher mag es auch Mangel an Muth seyn, wodurch sich die Meisten abhalten lassen, zu uns überzugehn. Denn ein trivialer Narr ist wirklich etwas recht Triviales. Wann nun der neue Herr Director ankommt, seht, Kinder, so wird er hier das leere Nest finden. Das glaube ich, wenn der sich so recht in die Fülle, wie in eine vollständige Haushaltung hinein setzen könnte, das wäre ein Jubel für ihn; Alles eingemacht, vollgesackt, geschlachtet und gepökelt für Herbst und Winter; die ganze Ernte, die ich so mühselig seit manchem Jahre habe sammeln müssen! Nein, er mag auch säen und pflanzen, die junge Zucht auffüttern, die alten Gänse nudeln und stopfen. Zehre er von seiner eignen Arbeit! — Lebt nun wohl und reicht mir Eure Hand, ehrwürdiger Sokrates! Geht und nehmt den jungen Alcibiades, den lieben Görge, mit Euch; bildet ihn, daß er Galimathias sprechen lerne, aber mit Maaßen, damit er nicht verkannt werde, wenn er das, was auf einen Monat ausreichen sollte, in einem Tage an den Mann bringt. Fahrt wohl, Ihr beiden Redner; übt Euch dort vor dem Volke, und rührt und erbaut die Welt durch Liebe und erhabene Gesinnung! Indianer, großgesinnte Menschen mit edeln Inspirations-Gaben versehn, errichtet dort eine Akademie, um die trockne Welt geheimnißvoller zu machen und sie mit tiefer Mystik zu nähren! Begleitet diese Edeln, Ihr Lesender; und wenn Ihr unserm Jahrhundert Alles rücklings lesen und stellen könnt, so werdet Ihr Euch vielen Dank verdienen: ja der bloße Versuch wird Euch schon glänzend belohnt werden. Ihr Baukünstler, bezieht wieder Euer Haus, das Ihr als aufgeblühte Schönheit verließet, und das nun zu einem alten Mütterchen zusammen geschrumpft ist! Pygmäenfeind, geht und vertreibt die bösen Geister! Ihr, Graf Birken, macht Euch davon, und laßt nun Weiber und Mädchen in Ruhe! Herr von Linden, oder Methusalem, wie sie Euch hier nennen, verschwindet in Eil: denn Ihr macht hier nur theure Zeit, da Ihr sie so entsetzlich consumirt. Wie? wenn ich Euch nun die Zehrungskosten nebst Zinsen für die hundert tausend Jahre abfordern wollte, die Ihr hier, Eurem eignen Geständnisse nach, zugebracht habt? Meilen weit hier herum kann das Kind im Mutterleibe keine Zeit zum Wachsen finden, da Ihr Alles in Euch schlingt. — Friedrich, lebt wohl, und grabt keine Schätze mehr, sonst grabt Ihr Euch selber die Grube, in die Ihr hinein fallt!

Jeder mußte ihm, indem er vorüber ging, die Hand reichen. Alle verließen das Haus; nur Friedrich erklärte, daß er niemals weichen wolle. Sieh, rief der Director, am Fenster stehend, wie sie sich verbreiten und dahin ziehen, die lieben Pilgersleute! Sie werden es doch vielleicht nicht wieder so gut finden, als hier. Mancher wird sich zurück sehnen!

Ein Wagen fuhr in den Hof, und der Mann, welcher herausstieg, war sehr verwundert, alle Thore offen zu finden. Noch mehr erstaunte er aber, als er sich dem zeitherigen Director näherte, und erkannte, daß dieser plötzlich ein Kranker seiner eignen Anstalt geworden sei. Er gab sich ihm als Doctor Anselm zu erkennen, welchem die Regierung diesen Posten anvertraut habe: doch jener antwortete bloß: ja, bester Mann, Sie finden mich ganz allein hier, als Stock und Stamm, der wohl wieder Früchte tragen mag, doch aber jetzt abgelaubt ist. Für etwas, wenn auch nicht für viel, kann mein Friedrich gelten.

Anselm ließ sogleich einige Diener zu Pferde ausreiten, um, wo möglich, noch einige der Flüchtlinge einzuholen.

———

Görge ging mit seinem neu erworbenen Sokrates seiner Heimath zu. Sie müssen sich nur nicht Sokrates nennen, machte er ihm begreiflich; denn das klingt so heidnisch: so können Sie gewiß in unserm Hause bleiben, und mir Unterricht geben. Der Papa suchte schon seit lange einen Lehrer: er hilft Ihnen gewiß durch, und thut, als wenn er Sie dort oben nicht gesehn hätte; meine Schwester darf nichts ausplaudern, sonst verrathe ich ihre schwärmerische Liebe zu dem Windbeutel Theophil; bloß die Mama müssen wir betrügen, und Sie müssen sich nur hübsch klug und weise stellen.

Ich brauche mich nicht so zu stellen, antwortete Sokrates; das ist meine wahre Natur.

In einiger Entfernung hinter diesen schlich Wolfsberg; er ging nur langsam, und sehnte sich nach einer Erquickung. In dem großen Dorfe, wo der Junker ihm mit seinem Mentor aus den Augen verschwand, ließ er sich in dem Gasthofe ein Zimmer geben, und bestellte sich Essen und Wein. Er legte sich indessen auf das Bett, um etwas zu schlafen; aber kein Schlummer befiel sein Auge, denn tausend gute Vorsätze, Lebensplane und Erinnerungen besuchten ihn jetzt, da er sich nun endlich der Freiheit zurück gegeben sah, die er sich seit so mancher Woche vergeblich gewünscht hatte. Die heitre frische Herbstluft zog durch das offne Fenster, und stärkte seine Sinne. Wie ist mir wohl! sagte er zu sich selbst: warum habe ich denn so manches Jahr diese Empfindungen verschmäht, die mich jetzt besuchen, und die doch das theuerste Leben meines Lebens sind?

Ein sonderbares Gezänk, das draußen vorfiel, erregte erst seine Aufmerksamkeit und zog ihn dann ans Fenster. Ein alter Mann stritt mit einem jungen, und sagte jetzt eben: nein, Sie müssen mit uns gehen, und daß ich Ihnen Ihre Baarschaft oder Ihre Wechsel jemals wieder geben sollte, darauf machen Sie nur sich keine Rechnung; denn wenn ich nicht als ein kluger Mann Ihre Capitalien in Verwahrung genommen hätte, so hätte es wohl so kommen können, wie uns der fremde Herr wahrsagte, daß mein altes Auge Sie nie wieder sah, und meine arme Tochter sich der Verzweiflung ergeben mußte.

Wolfsberg sah sich hier wieder einen Spiegel vorgehalten, der ihm die Scene noch weit interessanter machte. Aber, Herr Kilian, es ist doch mein Geld, sagte der junge Mensch.

Was, Kilian? schrie der Alte; Herr Schwiegervater müssen Sie zu mir sagen, so wie ich Sie auch lieber hochgeborner Herr Schwiegersohn, als Graf von Birken tituliren werde.

Wie? sagte Wolfsberg zu sich selbst, dies also ist der junge verkehrte Mensch, für den ich so lange habe leiden müssen? — Seine Aufmerksamkeit hatte den höchsten Grad erreicht, und weil er dem Gespräche so eifrig zuhörte, bemerkte er nicht, daß zwei fremde Menschen durch den Baumgarten herbei kamen. Kommen Sie, ohne Umstände, rief der Pfarrer jetzt von Neuem, oder ich lasse Sie aus meiner Machtvollkommenheit als Mädchenverführer und Jungfrauenräuber arretiren.

Einen solchen suchen wir eben, sagte der eine Fremde, einen jungen Grafen Birken, der ein Verbrecher und Narr zugleich seyn soll. Alle Thörichten haben sich heut aus dem Narrenhause befreit, und das ganze Land ist nun im Aufruhr, sie wieder einzufangen.

Wolfsberg erschrak; er wollte schnell den Kopf zurück ziehn, aber man hatte ihn schon bemerkt. Er sammelte sich und rief von oben herab: Sie suchen den Grafen Birken? Der dort ist es, der mit dem alten Manne spricht.

Der Graf erschrak, der Geistliche sammelte sich aber bald. Schwiegersohn oder Arrestant? fragte er den jungen Mann schnell und leise. „Ach! Schwiegersohn!“ wimmerte dieser kläglich, und der Geistliche sagte mit fester Stimme: meine Herren, ich bin der Pastor dieses Orts; dieser mein Herr Schwiegersohn wohnt schon seit vierzehn Tagen in meinem Hause; aber dem Menschen da oben sieht ja der Vagabunde und der Narr obenein aus den Augen heraus. Ich gebe Ihnen mein Wort, er ist der entsprungene Graf Birken!

Er nahm seinen Schwiegersohn unter den Arm und führte ihn mit starker Hand davon. Die Fremden bemächtigten sich des unglücklichen Wolfsberg, erlaubten ihm kaum, sein bestelltes Mittagsessen zu genießen, und schleppten ihn wieder in seine alte Haft zurück.

———

Der Rath Walther war im Begriff, in schnellster Eile nach der Stadt zu fahren. Nur auf eine halbe Stunde wollte er in dem Dorfe beim Pfarrer Kilian einsprechen, und scheute deßhalb den Umweg nicht, weil er doch vielleicht irgend eine Nachricht durch ihn erhalten könnte. Als er nach dem Dorfe einbeugte, sah er seitwärts neben den Bergen auf einer grünen Wiese den Fluß entlang eine Gestalt gedankenvoll wandeln, die sein entzücktes Auge bald als seinen geliebten Raimund zu erkennen glaubte. Er ließ halten und wollte über die kleine Brücke dem Wasser zueilen, als er Schalmeien, Clarinetten und Waldhörner vernahm, und einen langen Zug geputzter Bauern und Bäuerinnen sich entgegen kommen sah. Alles jubelte, und in der Mitte gingen neben dem Pfarrer zwei wunderlich geschmückte Gestalten, die er für Graf Birken und die Tochter des Pfarrers erkannte, deren grüner Kranz in den brandrothen Haaren sie deutlich als Braut ankündigte.

Da der Rath wußte, wie wichtig es seinem Freunde, dem Arzte seyn mußte, daß die Trauung nicht vor sich ginge, so begab er sich, statt nach jener Wiese, in die Mitte des Brautzuges. Er wollte sprechen; aber die lärmende Musik ließ ihn nicht zu Worte kommen; besonders da der Pfarrer die Musikanten zum Blasen und das junge Volk zum Schreien ermunterte, um nur den lästigen Besuch zu übertäuben und zu verscheuchen. Des Rathes Anstrengungen wären auch für jetzt vergeblich gewesen, wenn nicht einige Reiter herbei gesprengt wären, die dem Zuge Halt geboten. Die Musik verstummte, und diesen Augenblick der Ruhe benutzte Walther, um seinen Einspruch gegen die Feierlichkeit vorzutragen und zu erklären, daß der junge Graf noch nicht mündig, außerdem auch thöricht im Haupte sei. Des Pfarrers bemeisterte sich ein erhabener Zorn. Ich weiß nicht, rief er aus, warum sich alle Welt in Bosheit gegen meinen verehrten Schwiegersohn und meine geliebte Tochter verschworen hat! Er thöricht im Haupte? Wissen Sie, unbekannter Freund, was das sagen will?

Die Reiter begehrten ebenfalls angehört zu werden. Sind Ihnen sonst keine Narren begegnet, fragte der erste sehr eifrig: das ganze Narrenhaus hat sich frei gemacht, wir sind alle in den Dörfern aufgeboten, sie wieder einzufangen. Jeder Reisende ist jetzt verdächtig; man prüft alle Welt sehr scharf, und selbst der Vernünftigste muß sich in Acht nehmen, nicht aufgegriffen zu werden; denn Narren müssen sie nun doch einmal dort oben wieder haben.

Sind Ihnen Verdächtige vorgekommen, Herr Pastor? fragte der zweite.

Ich untersage hiermit diese Hochzeit! rief der Rath im höchsten Unwillen.

Der Pfarrer, welcher das Grafthum seiner kleinen Tochter von Neuem in Gefahr sah, dessen Vaterliebe Alles daran setzte, sich diesen Schwiegersohn zu sichern, und dem mit Wolfsberg schon der kühne Streich gelungen war, rief jetzt laut: hier, meine Herren, sehn Sie einen solchen Wüthigen vor sich, der sogar die heilige Ceremonie durch seine Raserei stören will!

Was? rief Walther aus; ich ein Rasender?

Sehn Sie nur, sagte der Pfarrer gesetzt, wie ihm die Augen wie zwei Feuerräder im Kopfe herum gehn! Er ist toll; wir erkennen ihn Alle dafür an.

Ja, schrieen die Musikanten, und am lautesten der Graf: es ist der tolle Mensch, der schon seit acht Tagen hier herum läuft.

Geben Sie Acht, was Sie thun, sagte der Rath etwas besänftigt; ich wollte eben nach der Stadt; ich bekleide dort jetzt die Stelle des Gerichtspräsidenten.

Vor Hochmuth ist er übergeschnappt, rief der Pfarrer; allons! fort mit ihm! — Fort mit ihm, schrie der ganze Haufe. Die Reiter hatten schon ein drittes, lediges Pferd herbei geschafft; Walther ward hinauf gepackt, und ehe er noch sagen konnte, daß sein Wagen vor dem Dorfe halte, trabten seine Begleiter mit ihm fort: denn das Singen und Schreien der Menge, die betäubende Musik, und die Glocken, welche die Ceremonie einläuteten, machten für jetzt jede Erörterung unmöglich. Walther mußte gezwungen den Weg zur neuen Behausung seines Freundes antreten; der Pfarrer aber schleppte als Sieger seinen mühsam errungenen Schwiegersohn in die Kirche, mit dem Vorsatz, sich späterhin lieber jeder Verantwortung zu unterziehn, als das Horoskop Lügen zu strafen!

———

Der neue Director Anselm hatte sich indessen um seinen kranken Collegen bemüht, und es war ihm auch gelungen, den alten Mann wieder ziemlich zu beruhigen. Dieser sah seinen Zustand ein, und fühlte sich beschämt, daß er so leicht jenem Gelüste nachgegeben, welches ihm noch kürzlich der Prediger als so gefährlich geschildert hatte. Er besaß in der Nähe ein Landhaus, auf welches er sich verfügte, und Anselm sah ihn gern abreisen, weil er überzeugt war, daß die schnell erzeugte Unpäßlichkeit in einigen Tagen auf immer verschwinden müßte.

Jetzt ward eine Gesellschaft von Reisenden gemeldet, die das Haus besehn wollten. Anselm ging ihnen entgegen, sie zu bewillkommen, und zugleich zu entschuldigen, daß ihre Neugier sich diesmal mit einem einzigen Vernünftigen begnügen müsse. Voran in den Saal trat ein langer alter Herr, dem die Uebrigen große Verehrung bezeigten; er führte an seinem Arm ein phantastisch geschmücktes Frauenzimmer, die dem Arzte bekannt schien, obwohl er sich ihrer nicht gleich erinnern konnte. Ein breitschultriger junger Mann folgte, und als letzte Begleiterin schlich ein blasses, krankes Mädchen nach, die Strickkorb und Tuch ihrer lachenden und übermüthigen Gebieterin demüthig trug.

Wir kommen, sagte der angesehene Mann, Ihre Anstalt zu betrachten; meine junge Gemahlin hat dergleichen noch niemals gesehn, und der Bruder meiner Frau hat noch andere philosophische und künstlerische Absichten bei dieser Reise.

Sind die Narren aber auch nicht fürchterlich? fragte die junge Dame; ist man nicht auch in Gefahr angesteckt zu werden?

Anselm erzählte ihnen die unglückliche und doch lächerliche Begebenheit, worauf der alte Herr sehr betreten und erblaßt zurück fuhr und ausrief: wie? Alle entlaufen? Schrecklich! Und auch ein gewisser Baron Linden unter den Geflüchteten?

Ja wohl; leider, sagte der Arzt, indem er den Sprechenden näher ins Auge faßte.

Das ist ein Jammer, rief der robuste junge Mensch aus; so bin ich denn vergebens hieher gereiset? Mir fallen jetzt bei unserm Theater die wichtigen Rollen des Macbeth und Lear zu, und für diese möchte ich so gern hier meine Studien machen; denn seit unser Großprahler, der Adlerfels, so ganz verschollen ist, und man nirgend von ihm hört (Schade um den übrigens guten Künstler!), so muß ich doch nothwendig die Lücke ausfüllen, die mit seinem Verlust bei uns entstanden ist.

Du solltest ihn nicht nennen, mon frère, sagte die Dame: sieh nur, wie Fanny wieder von Erinnerung ergriffen wird.

Auf den großen Mann, sagte der Bruder, hätte sich das Köpfchen ja doch niemals Rechnung machen dürfen.

Friedrich, der auch zugegen war, sagte: es ist außer mir Niemand im Hause, als der berüchtigte Graf Birken; den haben sie vor Kurzem mit Gewalt wieder zurück geschleppt.

Graf Birken? rief der Arzt höchst erfreut aus; o diesen führe sogleich zu mir, guter Mann. Zugleich winkte er den Baron in ein Fenster, um im Geheimen mit ihm zu sprechen: ich habe die Ehre, fing er an, den Herrn Baron Eberhard vor mir zu sehn. Jener verbeugte sich. Wenn Ihr Neffe, fuhr der Arzt fort, jetzt sich wieder fände, würden Sie gewiß seiner Verbindung mit Fräulein Blanka nichts mehr in den Weg legen. — Wenn er noch lebte, der liebe Jüngling, sagte jener süßlich, und sie den Verstand wieder gefunden hätte, — doch scheinen das unmögliche Dinge zu seyn! — „Doch nicht viel unmöglicher, sagte Anselm, als daß dieser nämliche Neffe lange als Baron Linden hier im Hause gelebt hat.“ — „„Ei! was Sie mir sagen!““ — „Sie mußten es doch wohl wissen, da Sie sich gleich so angelegentlich nach dem jungen Linden erkundigten.“ — „„Ich? Ja, sehn Sie einmal, — daß ich nicht wüßte,““ — stotterte jener.

Sie sind ein so berühmter Christ, fuhr Anselm fort, Ihre Frömmigkeit und Menschenliebe sind so exemplarisch, daß Sie ganz gewiß in alle meine Bitten und Vorschläge willigen werden, da ich es gleich gut mit Ihnen, wie mit Ihrem Neffen meine.

Je, du mein Himmel, ächzte der Baron, wir sind ja alle gute Menschen. Wann ich nur erst wüßte, wodurch ich die Ehre habe, von Ihnen gekannt zu seyn.

Die arge Welt könnte glauben, fuhr Anselm leise im sanftmüthigsten Tone fort, Sie hätten es auf das Vermögen Ihres lieben Neffen angesehn, besonders weil ein alter Schuft sich nicht entblödet, auszusagen, ein gewisser Pankraz —

O der Galgenschwengel! rief der Baron: was sagt er aus? der soll mir Alles bezahlen!

Sehn Sie einmal, indem Anselm die Bogen aus einander faltete, diese weitläuftige Anklage, vor Zeugen ausgesagt und unterschrieben. Es ist entsetzlich! Was gewinnt aber ein frommes Herz, wie das Ihrige, dabei, einen solchen Menschen zu bestrafen? Nein; sammeln Sie feurige Kohlen auf sein Haupt; belohnen Sie ihn großmüthig und übermäßig, daß er in sich geht, und an Ihrem Edelmuth hinauf staunend, an Tugend glauben lernt. Sie könnten ihm wohl ein Häuschen, ein kleines Capital, eine mäßige Wiese und einige Aecker schenken, wie ihm ein sonderbarer Mann, der seit gestern Gerichtspräsident hier drüben in der Stadt ist, etwas voreilig in Ihrem Namen schon versprochen hat: ein gewisser Walther, er hat auch die Ehre, mit Ihnen verwandt zu seyn, und denkt Ihnen auch die Mühe abzunehmen, künftig noch des Vermögens wegen, das Ihrem Neffen zusteht, Sorge zu tragen.

Je du mein Gott, ja, — Alles herzlich gern! seufzte der Alte kaum hörbar.

Wie wäre es denn nun noch zuletzt, theuerster Mann, den ich immer mehr verehren muß, wenn Sie auch Ihren armen Sohn, den Theophil, legitimirten, und ihm ein anständiges Auskommen gewährten. Würde Ihr Herz darüber nicht eine unbeschreibliche Freude empfinden?

Ach ja, sagte jener, eine unbeschreibliche Freude, und da Sie es wünschen — und Sie eine gewisse Art zu bitten, — und zum Herzen zu sprechen haben, — o Himmel! die Thränen stehn mir in den Augen, daß ich eine solche Bekanntschaft gemacht habe.

Ich bin im Innersten gerührt, erwiederte Anselm. Sie umarmten sich herzlich, und der Baron wischte sich die Tropfen des kalten Angstschweißes von der Stirn; lange bin ich nicht so bewegt gewesen, seufzte er, und blickte zum Himmel. Und ich, erwiederte Anselm, habe auch, so lange ich lebe, an keinem so großen Herzen gelegen.

Der Baron trat zur schäkernden Gattin. Sie werden, sagte er fromm, in diesen Tagen einen Sohn von mir kennen lernen: auch ist mein Neffe wieder gefunden, und ein alter Diener Pankraz wird das kleine Gütchen Liebendorf erhalten, welches Sie dem Pachter verkaufen wollten.

Das ist ja viel in einer kleinen Viertelstunde, sagte sie, und maaß den Director mit großen Augen.

Es geht fast zu, wie im Lustspiel, sagte dieser.

Ja, sagte der Baron, der Herr Director haben mir Eröffnungen gemacht, und auf eine Art —

Hier kommt Graf Birken, schrie Friedrich; er wollte sich erst gar nicht dazu bequemen.

Wolfsberg trat herein; der Arzt ging ihm entgegen, aber beide fuhren in demselben Augenblicke vor einander zurück. Sie, Herr von Wolfsberg hier? unter diesem Namen? Und so verwandelt? so abgefallen? So drückte mit wiederholten Ausrufungen der Arzt sein Erstaunen aus. Die Uebrigen im Saale waren nicht ruhiger. Fanny lag in Ohnmacht, und Wolfsberg, der jetzt erst die Gruppe sah, machte sich aus den Armen des umhalsenden jungen Mannes, der einmal über das andre: mein Adlerfels! rief, los und eilte der Niedergesunkenen zu Hülfe. Er kniete zu ihr nieder, er legte ihr Köpfchen auf seinen Schooß: o meine geliebte, meine theuerste, meine einzige Franziska! rief er in den zärtlichsten Tönen; entziehe Dich mir jetzt nicht wegen meiner Missethat, entfliehe mir nicht, denn ich bin kein Herzloser mehr: ich kehre zu Dir zurück, wenn Du mich noch würdigest, mich Dein zu nennen! Ich bin ja aus meinem tiefen Elende zu mir selber erwacht; o so erwache denn auch Du zu diesem Leben wieder!

Franziska schlug die ermatteten, aber schönen Augen auf. Sie konnte an ihr Glück nicht glauben, daß sie in dessen Armen lag, der sie mit so grausamem Hochmuthe von sich gestoßen hatte. Du mein? stammelte sie; gewiß?

Ja, mein süßes Herz, erwiederte Wolfsberg, der sich nun als Adlerfels ausgewiesen hatte; ja ich kehre mit Dir zurück, Du wirst meine Gattin, und alle Schmerzen, allen Hohn, den Du um meinetwillen ertragen hast, will ich Dir vergüten, wenn ich es vermag. Und unser Kind, das arme Würmchen, lebt es denn noch?

Die liebe Bertha, sagte die Entzückte, ist zu Hause, bei meiner Schwester. Gott! wie wird sich Alles freuen!

Ich gratulire, Fanny, sagte die gnädige Frau: nun gieb mir nur Strickkorb und Shawl her, daß ich es selber trage.

Bruder, rief der andre Schauspieler, wie wird das Publikum sich freuen, Dich in Deinen Effect-Rollen wieder auftreten zu sehn.

So eben, rief Friedrich herein springend, haben sie noch einen ganz neuen Narren eingefangen. Das geht scharf her.

Walther trat lachend ein und man verständigte sich sogleich. Anselm stellte ihn dem Baron vor und sagte ihm kurz, daß das edle Herz des frommen alten Herrn in Alles gewilligt habe, was er nur irgend als Mensch oder Rechtsgelehrter von ihm fordern könne. So laßt uns denn, rief Walther, nach dem Dorfe zurück kehren, von dem ich eben herkomme, denn wenn meine Augen nicht ganz zu Lügnern geworden sind, so haben sie dort meinen geliebten Raimund erblickt.

Wirklich war es Raimund gewesen, den Walther erst erspäht hatte. Stumm und in sich gekehrt hatte der Jüngling das Haus verlassen. Er begriff nicht, was ihm geschah; er wußte auch nicht, wo er hin wollte. So ging er dem Fußsteige nach, der ihn bald in den Wald führte. Er sann seinem verschwundenen Leben nach, und ihm ward fromm und heilig zu Sinne. War es doch, als fielen verhüllende Schleier von seinem Gemüthe und Herzen herunter. Er kam an einen grünen runden Platz im Walde, wo er sich unendlich bewegt fühlte. Er sah sich um, um sich zu erkennen, und eine alte Birke, in welcher noch die Namenszüge, die er einst eingegraben, fast unkenntlich verwachsen waren, erinnerte ihn an Alles. Er war noch ein Kind gewesen, als er hier einmal von seiner theuren Mutter Abschied genommen hatte; bis hieher hatte er sie begleiten dürfen, und von dieser Stelle kehrte er mit seinem Vater wieder nach dem Schlosse zurück. Er ahndete damals nicht, daß er nach einem Jahre schon beide Aeltern beweinen sollte. Das Gut wurde nachher vom Oheime vortheilhaft verkauft, und Raimund hatte seit seiner Kindheit diese Gegend nicht wieder gesehn. So wie er jetzt zu diesen Erinnerungen immer deutlicher erwachte, wie die Sehnsucht nach den Scenen seiner Kindheit, nach dem Kirchhofe, wo seine Aeltern ruhten, in ihm wuchs; so empfand er es, wie jene dumpfe Angst immer mehr verschwand, die bis dahin seinen Geist wie in einem finstern Kerker eingefangen hielt. Er verließ den Wald, da lag der kleine Fluß vor ihm, der vom Wohnsitze seiner Kindheit herströmte. Alle Wogen schienen ihn zu grüßen, jede Blume am Ufer ihm einen kindlichen Gruß zuzunicken. Da fand er schon die Mühle im engen Thal, die ihm als Knaben mit ihren rauschenden Rädern so wunderbar erschienen war. Sie ist ja jetzt nicht weniger wundervoll, sagte er zu sich, wenn ich gleich weiß, was und wozu sie da ist. Er ging vorüber, und wollüstige erleichternde Thränen strömten aus seinen Augen. Da war der Bergschacht, der ihm so entsetzlich vorgekommen war; er ging dicht hinan, und erinnerte sich der grauenvollen Sagen, die von ihm im Lande umgingen. Nun sah er schon den wohlbekannten Berg seines Geburtsortes, die rothe hohe Felswand und die von oben herabhangenden Bäume. Da schimmerte auch schon das Dach des Schlosses herüber. Es schmerzte ihn, daß er nicht in das Thor vertraut eintreten dürfe, daß fremde Menschen, die er nur wenig kannte, in den Zimmern wohnten, wo seine Wiege gestanden, wo sein Vater ihm vorgelesen, wo seine Mutter ihn in einer Krankheit auf ihrem Schooße eingesungen hatte. Auf dem Kirchhofe kniete er mit Andacht an der Gruft. Er nahm sich nun fest vor, seine Freunde wieder aufzusuchen, und nachzuforschen, wer ihm das Schicksal bereitet haben könne, das ihm erst jetzt seltsam erschien. Doch mußte er, ehe er weiter ging, die einsame Wiese hinter des Pfarrers Garten besuchen, den Spielplatz seiner Kindheit, wo er unter der hohen Linde so manchmal im grünen Grase halb eingeschlummert war, auf das Säuseln der Blätter, das Summen der Bienen, und das Plätschern des nahen Baches horchend, wo Alles wie süßer Geistergesang ihn anredete, und er noch lieblicher aus seinen Träumen Antwort gab. Nun stand er wieder unter dem Baume, und eine himmlische Müdigkeit ergriff ihn, wie damals; er tauchte die brennenden, thränennassen, jetzt so bleichen Wangen in das kühle grüne Gras, und die Bienen schwärmten im Baum, die Blätter schwatzten mit ihnen, das Flüßchen erzählte sich selbst eine alte Geschichte, und er entschlief wieder, wie in der Kindheit. — —

Ein Wagen hielt am Dorfe. „Willst du ruhen, mein Kind?“ — fragte die Mutter. — „„Ja, aber im Freien.““ — „Bist du auch wohl genug?“ — „„O Sie sorgsame, treue, mütterliche Pflegerin, antwortete die Tochter, Sie sehn ja, wie es mit meiner Gesundheit mit jedem Tage besser wird. Vertrauen Sie mir nur mehr, damit ich mir auch selber wieder vertraue. Nein, Geliebteste, jene trübe Zeit wird niemals wieder kehren; aber ich fühle es, durch diesen fürchterlichen Zustand mußte sich meine Krankheit arbeiten, damit ich wieder genesen konnte.““ — Bist du dessen so gewiß, meine Tochter? Dann möchte ich Gott mit Thränen für die Verzweiflung danken, durch welche er mich damals geprüft hat.

Gewiß, liebe Mutter, sagte die reizende Tochter. Kenne ich doch nun mein ganzes Unglück; es ist mir kein düstres Geheimniß mehr. Wenn ich an die Ewigkeit der Liebe glaube, warum sollte ich denn jemals verzweifeln? Hier ist er geboren! O hätte ich ihn doch als Kind gekannt! Eine Welt voll Glück wäre mehr in meinem Besitz! Hier ist er auch wohl gewandelt; alle diese Gegenstände hat sein frisches Auge, wie oft, begrüßt. Nur über die Wiese will ich gehn, ein Viertelstündchen am Bache ruhn, so recht an ihn denken; dann komm’ ich zurück und wir reisen weiter. Aber allein müssen Sie mich lassen! — Sie umarmte die Mutter, und schritt über die kleine hölzerne Brücke. — —

Raimund träumte indessen einen seltsamen Traum. Der Wahnsinn war die Wahrheit, und was die Menschen Vernunft nannten, nur ein dämmernder Schimmer. Auch kein Raum war da, und keine Zeit. So wie auf den alten Stammbäumen es abgebildet ist, sah er sich aus dem Herzen eine hohe Blume wachsen; sie wurde von seinem Herzblut getränkt, und ihr rother Glanz ward immer mehr zum goldnen Purpur. Da sang es im wiegenden Kelch, er that sich süßflötend auf, und Blanka schaukelte sich drin hin und wieder, wie in einem durchsichtigen Kahn. Da blickte er über sich, und ihr blaues Auge ging in das seine; da zitterte sein Herz und mit ihm die Blume. Warte, rief sie, jetzt stirbt mein Blumenhaus ab, ich komme draußen in der Wirklichkeit zu dir! Sie schlüpfte auf den Rasen und stellte sich unter die Linde. — Gott im Himmel, hörte er sagen, das ist Raimund! Er schlug die Augen auf, und Blanka’s blaues Auge ging in das seine. Er kannte sie gleich. Sie umschlossen sich, als wenn die Arme sich nie wieder los lassen wollten. Auf den lauten Freudenschrei eilte die Mutter herbei, und fand das unvermuthete Glück, das sie noch nicht begriff. Auch Walther und Anselm kamen. Walther war so entzückt und berauscht, als wenn er selbst der Bräutigam wäre.

———

Im Hause des Pfarrers tobte indessen ein lautes Getümmel. Die Hochzeitgäste waren so lustig, daß es die Glücklichen endlich auch auf der Wiese hörten. Der alte Baron hatte indessen schon seinen Sohn Theophilus heraus gesucht und ihm unter Umarmungen seine Vaterschaft erklärt. Ich habe nun auch einen Vater! rief Theophilus im Hause lärmend umher, und schlug laut lachend mit den Beinen aus, als der Pfarrer ihm dazu vernünftig Glück wünschen wollte. Wolfsberg machte es mit dem Pfarrer ab, daß er ihn in den nächsten Tagen mit seiner überglücklichen Franziska verbinden sollte. Der Gerichtspräsident Walther konnte in der Leidenschaft des Glücks nicht so mit dem Geistlichen sprechen, wie dieser es wohl verdient hätte; auch wurden alle Unterhandlungen durch ein laut schmetterndes Posthorn unterbrochen. Eine glänzende Equipage hielt, viele zierlich gekleidete Diener beeiferten sich, einen ansehnlichen Mann, der auf dem Rocke einen großen Stern trug, aus dem Wagen zu heben. Die Dorfleute befiel ein stilles Grauen, und als Anselm ausrief: der alte Graf Birken! so fing der Pfarrer an zu zittern.

Wo ist mein ungerathener Sohn? schrie der alte Graf, als er in das mit Menschen überfüllte Zimmer trat. Die Braut heulte laut, und die anwesenden Weiber aus dem Dorfe stimmten in denselben Ton ein. Wo ist Caspar Birken? schrie der Alte noch einmal. Hier, winselte der junge Graf, der sich hinter einen großen eichenen Tisch verschanzt hatte. — Und wo ist der unverschämte Pfaff, der es gewagt hat, den dummen Laffen mit seiner Tochter zu verkuppeln? — Hier! rief der Pfarrer, der sich indessen wieder gesammelt hatte; aber keine Verkuppelung, sondern eine ächte christliche Ehe, wie unsre Kirche sie vorschreibt. — „Die wird wieder geschieden!“ — „„Die wird nicht geschieden!““ — „Sie ist nicht gültig, so gewiß da oben auf den Ebreschenbäumen keine Aprikosen wachsen.“ — „„Sie bleibt so lange gültig, bis da oben die rothe Felsenwand ein Mensch hinauf klettern kann, und von den nämlichen Ebreschenbäumen sein Veto in das Thal zu uns herunter schreit.““ — „Und wenn ich Blut und Leben, wenn ich mein Vermögen lassen muß, und wenn ich der Mörder meines eigenen Sohnes werden sollte, so gebe ich zu dem Unsinn nie meine Einwilligung.“ — „„Und wenn ich, schrie der Pfarrer entgegen, prozessiren müßte, bis ich keinen Groschen mehr hätte, und wenn ich zur Fortsetzung des Prozesses von dem Junker Görge, oder einem noch Einfältigern, das Geld betteln müßte, so lasse ich die Sache nicht ruhn. Mein Kind muß glücklich und Gemahlin des Grafen, Ihres Sohnes, bleiben. Wissen Sie, was ein Horoskop ist?““ — „Nein.“ „„Nun, dann können Sie auch gar nicht mit sprechen. Sehn Sie dies Papier; in der Geburtsstunde meiner Tochter habe ich alle ihre Sterne beobachtet, und schon damals mit Gewißheit prophezeiht, daß sie eine Gräfin werden müsse. Was können Sie gegen alle Sterne ausrichten? He?““

Der Graf sah das Papier eine Weile mit staunenden Blicken an. He! Caspar! schrie er von Neuem. Heraus aus Deinem Winkel, Du Satansbrut! Komm her, Spitzbube, ich will Dir ja meinen väterlichen Segen geben, weil es denn also doch einmal nicht anders seyn kann.

Der junge Birken hüpfte herbei, er legte die Hand des Sohnes in die seiner Braut und küßte das kleine dicke Mädchen dann recht herzlich auf den Mund. Nun, Spaß bei Seite, sagte hierauf der alte Herr bedächtlich, im Grunde ist es mir ganz lieb, daß die Sache so gekommen ist, denn der Junge hätte einmal noch ärger anlaufen können; er kommt somit in eine ziemlich reputirliche Familie; der Mosje Caspar muß nun aber seine dummen Teufeleien lassen, die ihm einmal den Hals hätten kosten mögen; der Schwiegerpapa ist ein resoluter Kerl, der wird ihm wohl den Daumen aufs Auge halten. Aber nun kriegt Dein jüngerer Bruder die großen Güter, und Du, Hasenfuß, trittst in seine Rechte, wie es auch eigentlich viel vernünftiger ist.

Alles war zufrieden und glücklich. Walther und Raimund waren indeß mit der geliebten Blanka zum Hause des Edelmanns gewallfahrtet. Es war vorläufig davon die Rede gewesen, den Jugendwohnsitz Raimunds wieder zu kaufen; auch zeigte sich die Möglichkeit einer Verbindung zwischen der empfindsamen Baronesse und Theophilus, da dieser jetzt von seinem Vater anerkannt wurde.

Alle gingen selig, in Gefühlen und Hoffnungen schwelgend, sprechend und scherzend die grüne Wiese hinunter. Kilian unterhielt sich mit Sokrates. Gnädige Frau, sagte er nachher zu Görges Mutter; der Mann kann Ihrem Sohne auf die Beine helfen; ich habe ihm auf den Zahn gefühlt, ich habe mit ihm disputirt, einen solchen Gelehrten bekommen Sie niemals wieder. Indem man noch sprach, hörte man von oben, die Felswand herunter ein lautes Veto! rufen. Alle sahen hinauf und schwindelten, denn von der steilsten Höhe hing der alte Graf Birken reitend auf einem Ebreschenbaum. Veto! rief er noch einmal; aber nun kommt schnell zu Hülfe, oder ich breche den Hals! Widerrufen Sie erst Ihr Veto! schrie der Pfarrer hinauf. Ich widerrufe, tönte es herab, aber ich werde doch den Hals brechen. Die Bedienten liefen: die Leute aus dem Dorfe holten Stangen, Leitern und Stricke. Plötzlich brach der Baum, und der Graf stürzte herab; er kam aber noch ziemlich glücklich auf dem Boden, zur Freude Aller, an. — Wie ist er nur auf die steile Wand gekommen? rief der Pfarrer. Ja, Schwiegervater, antwortete der junge Graf Birken, Sie sehen, mein Papa ist noch toller, als ich!

Die Sonne sank und beschloß den seligsten Tag, den Walther, Blanka und Raimund noch erlebt hatten. Franziska schloß sich diesen an, und im gebesserten Herzen fühlte sich Adlerfels als den glücklichsten Menschen.

Musikalische Leiden und Freuden.
Novelle.

Zwei Freunde stiegen vor der Stadt vom Wagen, um zu Fuß durch die Gassen zu wandeln und den Fragen am Thor auszuweichen. Es war noch ganz früh am Morgen und ein Herbstnebel verdeckte die Landschaft. Etwas entfernt vom Wege bemerkten sie ein kleines Häuschen, aus welchem schon früh vor Tage eine herrliche Frauenstimme erklang. Sie gingen näher, erstaunt über den unvergleichlichen Diskant, wie über die ungewöhnliche Stunde. Einige Träger brachten Lauten und viele Notenbücher, die kleine Thüre öffnete sich, und neugierig gemacht, fragte der ältere Reisende einen von den Tagelöhnern: hier, mein Freund! wohnt wohl ein Musikus und eine Sängerin? Der Teufel und seine Großmutter wohnt hier! erscholl eine krächzende Stimme von oben aus dem offnen Fenster, und zugleich fiel ein Lauten-Futteral dem Fragenden auf den Kopf. In diesem Augenblick hörte der Gesang auf, und der Frager sah im Fenster ein kleines greises Männchen stehn, welches die zornigsten Geberden machte, und dessen funkelnde schwarze Augen aus tausend Runzeln hervor grimmige Blicke herunter schossen. Der Reisende wußte nicht, ob er lachen oder schelten sollte, doch sprach ihm aus dem greisen Kopfe etwas so Wunderliches an, daß er in Verlegenheit den Hut zog, und sich mit einer höflichen Verbeugung stumm entfernte.

Was war das, Herr Kapellmeister? sagte der jüngere Reisende, als sie das kleine Häuschen schon im Rücken hatten. Ich weiß nicht, erwiederte jener, vielleicht ein wahnsinniger alter Mann, vielleicht gar dort in der Einsamkeit, in der Nähe des Tannenwäldchens, eine Spukgestalt.

Sie scherzen, sagte der Sänger; ich begreife jetzt selber nicht, wie wir so gelassen seyn konnten, dem Alten auf seine Grobheit nichts zu erwiedern.

Lassen wir es gut seyn, sagte der Kapellmeister, indem sie schon die noch ruhige Straße der Residenz hinunter gingen: in dem Ton der Sängerin war etwas so Wunderbares, daß es mich tief ergriffen hat; ich war wie im Traum, und darum konnte mir auch der alte Thor keinen Zorn abgewinnen.

Wieder die alte Schwärmerei und Güte! rief der Sänger lachend aus; denn erstens haben wir so gut wie nichts gehört, und zweitens war in dem Wenigen noch weniger Besonderes zu vernehmen, es war weder Methode noch Schule in dem traurigen Gesange.

Als sie jetzt um die Ecke nach dem Gasthofe zu bogen, hörten sie aus einem obern Stock ein Lied pfeifen; ein rundes, junges Gesicht kuckte mit der Schlafmütze aus dem Fenster, und so wie er die Fußgänger gewahr wurde, schrie er: Haltet, Freunde! einen Augenblick! ich bin gleich unten! Gott im Himmel! das ist eine Erscheinung! Er zog den Kopf so schnell zurück, daß er ihn heftig an das niedere Fenster stieß und die Bekleidung des Hauptes langsam schwebend zu den Füßen des Kapellmeisters nieder sank.

Wunderbar! rief dieser, indem er die Zipfelmütze aufhob; sagen diese sonderbaren Vorbedeutungen uns etwas Gutes oder Schlimmes voraus?

Es ist unser Enthusiast Kellermann, erwiederte der Sänger: hören Sie, er rasselt schon mit dem Hausschlüssel.

In diesem Augenblick stürzte der Bewunderer im Schlafrock heraus und umarmte die beiden Künstler mit theatralischer Herzlichkeit; er wurde es nicht müde, jedem wieder von Neuem an die Brust zu stürzen, ihn zu drücken und dann die Arme verwundernd in die Höhe zu strecken, bis der Sänger endlich sagte: Laßt es nun gut seyn, Hasenfuß! Ihr habt das Ding jetzt hinlänglich getrieben. Ein Glück, daß noch kein Mensch auf der Straße ist, sonst würden Eure Bockssprünge in dem saffrangelben Schlafrock alle Gassenjungen aufregen.

Also Ihr seid nun wirklich da, Ihr goldnen Menschenkinder? rief der Enthusiast aus; was würde es mich kümmern, wenn der vollständige Magistratus an meinem Entzücken Aergerniß oder Theil nehmen wollte? Habe ich doch seit drei Monaten nicht begreifen können, wozu diese Gasse eigentlich gebaut sei, noch weniger, warum sie so viele Fenster zum Auf- und Zuschieben habe, bis nun endlich ihre Bestimmung erfüllt ist; Ihr kommt durch dieselbe hergegangen, und ich kucke da oben mit meiner verlornen Mütze heraus, um Euch im Namen der Nachwelt zu begrüßen. Also nun wird Eure Oper doch gegeben werden, ausbündigster Mann?

Sind denn Sänger und Sängerinnen auch noch alle gesund? fragte der lebhafte Kapellmeister.

So, so, erwiederte jener, wie es die Laune mit sich bringt; genau genommen, existirt das Volk gar nicht, sondern lebt nur wie im Traum; die Zugabe, die an die Kehle mit Arm und Bein gewachsen ist, macht es oft schwer, sie nur zu ertragen, der unnatürliche Geschwulst aber oben, den sie Kopf tituliren, ist wie ein Dampfkolben, um in diesem Recipienten die unbegreiflichsten Verrücktheiten aufzunehmen. In so weit sind sie alle gesund, als es ihnen bis jetzt so gefällt, ist aber die und jene Arie ihnen nicht recht, hat der eine zu viel, die andre zu wenig zu singen, geht die Arie aus As moll, wenn sie Gis seyn sollte, so fallen sie vielleicht binnen drei Tagen wie die Fliegen hin.

Zieht Euch an, sagte der Sänger, und kommt zu uns in den Gasthof hier drüben, so können wir mehr sprechen, auch sollt Ihr uns auf den Besuchen begleiten.

Ohne Antwort sprang Kellermann in sein Haus, und die Reisenden begaben sich in das Hotel, wo sie ihren Wagen schon fanden.

———

Im Hause des Barons Fernow war am Abend große Gesellschaft versammelt. Der Ruf, daß der beliebte Kapellmeister und sein erster Tenorist endlich angekommen seien, hatte in die Wohnung des Musikfreundes alles getrieben, was sich für die neue Oper interessirte. Man hoffte, einige der vorzüglichsten Partien vorgetragen zu hören, und viele drängten sich hinzu, um wenigstens nachher in andern Gesellschaften darüber sprechen zu können.

In diesem Getümmel, welches der Hausherr, seine Frau und eine Tochter mit Klugheit beherrschten, schwamm der behende Enthusiast wie in einem Strome herum, um Jedem von der Herrlichkeit der neuen Composition begeisterte Worte, über die große Manier, die lieblichen Melodieen und den vortrefflichen Ausdruck in das Ohr zu raunen, obgleich er selbst noch keine Note davon gehört hatte. Sein rundes geröthetes Gesicht schob sich wie eine Kugel von einem zuhörenden Kopf zum andern, und die meisten Gesichter zogen jene nichtssagende Miene, die in Gesellschaften geistreiche Aufmerksamkeit bedeuten muß. Jetzt wurde ein Theil der Versammlung auf einen andern Gegenstand hingerichtet, denn in einfacher, höchstsauberer Kleidung trat ein junges Mädchen herein, von so glänzender Schönheit, daß man ihren unbedeutenden Anzug über den edlen und ausdrucksvollen Kopf, über die vornehme Geberde, den feinen Anstand gänzlich vergaß, und die Nahestehenden sie mit Ehrfurcht begrüßten. Die Tochter des Hauses eilte auf sie zu, indem sie ausrief: o meine theuerste Julie! wie glücklich machen Sie mich, daß Sie meinen Bitten doch noch nachgegeben haben! Aber Ihr Vater? — Sie wissen ja, erwiederte die Schöne, wie menschenscheu er ist, wie wenig er mit seiner Melancholie und Kränklichkeit in die Gesellschaft paßt; und ich gestehe, ich würde auch nicht gekommen seyn, wenn ich einen so großen Cirkel hätte vermuthen können.

Die Umgebung sprach über die außerordentliche Schönheit dieses Wesens, und man erfuhr, daß sie die Tochter eines armen Musikers sei, die aus einer entfernten Stadt dem Fräulein des Hauses einen Brief einer Freundin überbracht hatte. Immer noch hatte der Kapellmeister mit seinen Sängern keines der Stücke vorgetragen, weil der Wirth noch einen jungen Grafen erwartete, der einer der größten Enthusiasten für Musik seyn sollte. Denken Sie sich, sagte der Baron zum Kapellmeister, den sonderbarsten, unruhigsten aller Menschen, nichts interessirt ihn als Musik, er läuft von einem Concert in’s andre, er reis’t von einer Stadt zur andern, um Sänger und Compositionen zu hören, er vermeidet allen andern Umgang, er spricht und denkt nur über diese Kunst, und selten ist er doch ruhig genug, ein Musikstück ganz und mit völliger Aufmerksamkeit anzuhören, denn er ist eben so zerstreut als überspannt. Dazu scheint er den eigensinnigsten und eingeschränktesten Geschmack zu haben, so daß ihm selten ein Kunstwerk zusagt, eben so wenig ist er mit dem Vortrag zufrieden, und dennoch bleibt er Enthusiast. Er ist von großer Familie und reich, war eine Zeit lang in diplomatischen Geschäften an einem angesehenen Hofe, hat aber Alles der Musik wegen, die er doch oft nach seinen Reden zu verabscheuen scheint, aufgegeben.

Die nähern Freunde des Barons waren nach dieser Schilderung sehr begierig, einen Mann zu sehen, der wie von bösen und guten Geistern geplagt und verfolgt wurde. Als daher Graf Alten eintrat, sahen ihm alle mit großer Neugier entgegen. Er begrüßte die Gesellschaft hastig und sein dunkles Auge durchlief sie eilig; dann senkte er den Blick und setzte sein Gespräch mit einem alten, hagern und eingeschrumpften Italiener fort, welcher mit ihm gekommen war. Doch plötzlich brach er ab und rief halb vernehmlich: Himmel! was ist das? Er stand unmittelbar hinter Julien. Jetzt sang der Tenorist eine Arie der neuen Oper, und Alles schien begeistert, der Graf war in tiefen Gedanken. Nun, Eccellenza, fragte der Italiener am Schlusse, sein Sie contentirt? Ich habe keinen Ton gehört, antwortete der Graf, indem er den Kopf erhob und die schwarzen Locken aus der denkenden melancholischen Stirne strich.

Er benutzte die Pause, in welcher sich Alles lobend und bewundernd um den Kapellmeister drängte, vorzutreten und sich neben Julien zu setzen. Er wollte sie anreden, aber indem sie höflich das Antlitz zu ihm wandte, fuhr er wie erschreckt zurück. Nein, wahrlich, dergleichen hatte ich nicht erwartet! sagte er für sich. Das junge Mädchen war erstaunt und verlegen. Verzeihen Sie, redete der Graf sie heiterer an, Sie werden mich sonderbar finden; als ich vorher hinter Ihnen stand, mußte ich glauben, eine ehemalige Bekanntschaft zu erneuen, und jetzt bin ich von Ihrer mehr als wunderbaren Schönheit so geblendet worden, daß ich Zeit haben muß, um mich zu fassen. Die wahre ächte Schönheit kann wohl erschrecken, denn etwas Uebermenschliches kündigt sich unsern Sinnen und dem Gemüthe an. Himmel! wie müssen Sie singen!

Ich singe gar nicht, Herr Graf, und habe weder Stimme noch Kenntniß der Musik, erwiederte sie mit angenehmem Ton.

Der Graf sah sie prüfend an, schüttelte dann zweifelnd den Kopf und murrete unverständliche Worte verdrossen vor sich hin. Jetzt wurde ein Duett vorgetragen, und Alles war aufmerksam, nur der Graf betrachtete unverwandt seine Nachbarin. Das Duett war schwierig und die erste Sängerin äußerte ihren Verdruß, der Kapellmeister wurde empfindlich, wies zurecht, half nach, Alles vergebens; man mußte abbrechen, indem die Virtuosin behauptete, die Passage müsse geändert werden, weil sie ihrer Stimme ganz entgegen sei; der Componist meinte, er dürfe Ausdruck und Kraft nicht dem Eigenwillen aufopfern, denn die vortreffliche Künstlerin könne dies und noch schwierigere Sachen leisten, wenn sie sich nur bemühen wolle. Darüber aber wurde der Gesang völlig unterbrochen, und indem der Kapellmeister ein anderes Musikstück anordnen wollte, sagte der Graf zu Julien: ich wette, Sie können diese schwierige Stelle ohne Anstoß vom Blatte singen, wenn Sie nur wollen. Als Julie zu leugnen fortfuhr, sagte jener: Ihre Röthe, Ihr Auge widerspricht! Wie? dieser gewölbte Mund sollte in der Mitte der Lippen diese sanfte, seelenvolle Erhöhung von selbst haben, und nicht von den reinen vollen Tönen, die so oft über diesen Hügel schwebten? Denn nur der Ton, wenn er stark und lieblich die rothe Straße befährt, darüber klingend weht, bildet diese ausdrucksvolle Erhebung; ganz im Gegensatz jener gefurchten Mundwinkel, die jene berühmte Sängerin dort hat, die mit breitgedrückten und in die Länge gequetschten Lippen den armen kreischenden Ton hervor preßt. Sie versündigen sich, meine Schöne, daß Sie Ihr großes Talent verleugnen wollen.

Sie sind zu scharfsichtig, erwiederte Julie; um so trauriger, daß Sie dennoch irren.

Sie sprechen auch ganz wie eine Sängerin, fuhr jener fort, es ist ein lieblicher aber unterdrückter Ton in der Rede, der seine Fittige nicht auszufalten wagt. Wenn Sie doch nur wenigstens einen einzigen Ton anschlagen wollten! das Glück meines Lebens hängt davon ab, daß Sie singen können.

Sie quälen mich, Herr Graf, antwortete die Verlegne empfindlich; ich versichere Sie auf das Theuerste, ich werde nicht singen, weil mir diese herrliche Gabe von der Natur versagt wurde.

Gnaden, sagte der braune kleine Italiener, sollen Alles zu Virtuosen haben: kann aber nicht Alles singen, was hübsch und feinen Mund hat. Conträr! haben oft göttliche Prima Donna vor pur himmlisch Gesang und forzirt Schreien eine Schnautz wie Signor Cerberus, der die Talent hat, dreistimmige Sach solo durchzuführen.

Der frohe leichte Geist der Musiker war gestört, der Kapellmeister verstimmt, und die erste Sängerin mehr als verdrießlich. Der Enthusiast war in der Klemme, weil er es mit keinem verderben und doch keinen stummen gleichgültigen Zuschauer abgeben wollte. Da man sah, daß für diesen Abend nichts Bedeutendes mehr geschehen würde, so entfernten sich nach und nach die Fremden, auch die Musiker gingen, und nur der Kapellmeister blieb, dem sich der Enthusiast, ohne eine nähere Einladung abzuwarten, anschloß; der gedankenvolle Graf und sein Italiener verweilten ebenfalls, um mit der Familie des Barons beim Glase Wein und einem leichten Abendessen sich zu erheitern.

So ist es nun wieder wie fast immer ergangen, fing der Kapellmeister an, als sie um den runden Tisch saßen; man arbeitet sich ab, man studirt, man quält, und endlich freut man sich auch, wenn das Werk vollendet ist und gelungen scheint, und dann muß es diesen elenden, verdorbenen Handwerkern übergeben werden, die nichts gelernt haben, und mit dem Wenigen, was sie wissen, noch wie mit Wunderwerken hinter dem Berge halten wollen. Kann es einen traurigern Beruf, als den eines musikalischen Componisten geben? Denn endlich nun, wenn auch dieser Jammer durch Bitten, Drohen, Scherzen, Vergötterung, Lüge und Falschheit, durch kleine Aenderungen, Zusätze und Wegnahme überwunden ist, wird das gemarterte Werk der Laune des Publikums, und dem blinden Zufall, seinem allmächtigen Beherrscher übergeben. Nun muß es aber weder zu heiß, noch zu kalt, das Haus muß weder zu voll noch zu leer seyn, keine große politische Neuigkeit darf sich eben haben hören, ja keine Seiltänzer und Springer anmelden lassen, um das so nothwendige Klatschen und mit diesem armen Beifall einigen Enthusiasmus zu erregen. Und doch kann man es nicht lassen, sich wieder in der Vorstellung zu erhitzen, um eine neue undankbare Arbeit zu beginnen.

Wo ist die Dame geblieben? fuhr der Graf plötzlich auf.

Neben der Sie lange saßen? fragte die Tochter. Diese ist längst fort und von einer Magd abgeholt worden, denn sie wohnt entlegen, in einer fernen, unbekannten Gasse.

Die sollte ihre treffliche Arbeit singen, sagte der Graf, da würden wir etwas anders hören.

Sie irren, berichtigte die Tochter, ich weiß, daß das junge Frauenzimmer durchaus nicht musikalisch ist. Sie ist aber sonst in weiblichen Arbeiten sehr geschickt, auch hat ihr Vater, ein alter, verarmter Musikus, sie etwas zeichnen lernen lassen.

O du alter Sünder! rief der junge Graf im höchsten Verdruß: und keinen Gesang diesen Lippen, keinen Ton diesem schwellenden Munde! Ist es nicht, als wenn man der Rose den Duft rauben wollte, den die Natur ihr gleich im Erblühen mitgegeben hat?

Die Tochter war etwas empfindlich, denn sie glaubte auch eine Sängerin zu seyn, da aber der Kapellmeister in seiner Klage fortfuhr, so blieb ihre gespitzte Antwort unbeantwortet. Abgesehn aber, fuhr der Kapellmeister fort, von diesen armseligen Zufälligkeiten, so verkündigen sich auch erst am Kunstwerke selbst bei der öffentlichen Darstellung Mängel, welche sich der Componist vorher auf seinem Zimmer nicht hat träumen lassen. Denn mögen wir ein Werk noch so oft durchsingen, genau kennen, von allen Seiten prüfen, das Urtheil aller Freunde und Kenner vernehmen, so bleibt Manches, und oft das Beste, zurück und das Schlimmste zeigt sich bei der Aufführung erst. Und überhaupt — die Bestimmung des Künstlers! Ist sie nicht eine traurige? Ich setze mich zu keinem neuen Werke nieder, ohne innig überzeugt zu seyn, daß ich nun etwas ganz und durchaus Treffliches, Vollendetes erschaffen werde, das meine großen Vorgänger erreicht, und sie selbst hie und da übertreffen möchte. Diese himmlische Ruhe und Sicherheit verschwindet aber bald während der Arbeit; mein Entzücken an meiner Hervorbringung wechselt mit den bittersten Zweifeln. Dann fühl’ ich oft recht innig, daß ganz, ganz nahe an dem, was ich schreibe, das Wahre und Himmlische liegt, daß meine Noten anklopfen und den Wandnachbar, den unbekannten, begrüßen: mir ist, ich dürfte nur den Kopf so oder so wenden, so müßte mir der Genius sichtbarlich entgegen treten, — und immer, immer wieder erscheint er nicht! Mein Geist quält sich, um außen, weit ab, die Bahn anzutreffen — und so im Jammer, im Resigniren, arbeite ich weiter. Es gemuthet mir wie der Affe mit seiner traurigen Unruhe und dem fatalen Gesichterschneiden: vielleicht hat er jeden Moment dunkler oder deutlicher eine Ahndung von der Vernunft, will sie nun, die nah Erreichbare, und nun wieder haschen und sich dann besinnen, und findet sich immer wieder in seinem widerwärtigen Zustand eingeriegelt.

Jetzt trat noch ein Mann reifen Alters zur Gesellschaft, ein Gelehrter und Hausfreund des Barons, der sich fast täglich einfand, aber gern die größeren Versammlungen vermied. Sie haben wieder, redete ihn der Wirth an, unser Concert, wie Sie es gewöhnlich machen, nicht mit anhören wollen. Ich bin zu sehr Laie, erwiederte der Freund, und darum mag ich mich nicht unter die Kenner drängen; soll der Unmusikalische den Gebildeten durch seine trockne Gegenwart ihren Genuß verkümmern?

Wir kennen diesen Schalk schon, rief ihm der Kapellmeister zu, indem er den alten Bekannten begrüßte. Sie haben recht gethan, denn unsre Sängerinnen haben wieder den alten Spuk getrieben, schlecht gesungen, sich zu vornehm gedünkt, die Musik kritisirt, und endlich damit beschlossen, alle Musik in Verstimmung und Eigensinn zu beerdigen.

Sie sind also wirklich unmusikalisch? fragte der Enthusiast; und Sie machen auch kein Hehl daraus?

Warum sollte ich es? antwortete der Laie; kein Mensch kann alle Talente in sich vereinigen, oder alle seine schlummernden Anlagen erwecken und ausbilden.

Viel Charakter, es so dreist zu bekennen, erwiederte der junge Mann, der durch vieles Schwatzen während der Musik und dem hastigen Genuß des starken Weines in eine Laune erhitzt gerathen war, deren Sonderbarkeit er selber nicht zu bemerken schien: sehn Sie, fuhr er fort, daraus ist schon viel Unheil für mich entstanden, daß ich mich zu solchem Muthe nicht habe entschließen können. Ich war anfangs (und wie es schien, von Natur so geschaffen) gar kein Musikfreund, ich hatte kein Ohr, ich konnte keine Melodie behalten; darum vermied ich auch Concerte und Opern, und in Gesellschaften, wenn Lieder gesungen, wenn Cantaten aufgeführt wurden, sprach ich entweder, oder suchte eines Buches habhaft zu werden. Denn gewiß, nichts verschließt unser Ohr so sicher vor all den herein und durch einander fahrenden Tönen, als ein tüchtiges und vorhaltendes Gespräch über Stadtneuigkeiten oder einige interessante Verleumdungen. Sehe man nur den Stock! ertönte es nun von allen Seiten: hat die dicke Figur wohl eine menschliche Seele in seinen weitläufigen Fleischanlagen sitzen? Von der Musik, der göttlichsten aller Künste, nichts zu verstehn! Ist wohl ein Block, ein Stein, der nicht gewissermaßen von der himmlischen Harmonie gerührt werden müßte? — Nun gefiel mir dazumal auf mehr als gewöhnliche Weise ein gewisses Frauenzimmer: diese pflegte, so wie gesungen wurde, vor übermäßiger Empfindung herzlich zu weinen. Dieser nun war ich mit meinem kalten Herzen gradezu ein Abscheu. Wie? sagte sie, lieben wollen Sie, der Sie nicht einmal eine Ahndung jener Wonne haben, die aus dem Himmel stammt, und mit der Liebe so nah verwandt ist? — Da, Freunde! faßte ich nun den großen Entschluß, umzusatteln, und von der Musik gehörig begeistert zu werden. Alle meine Freunde und Bekannten erstaunten, als ihnen meine neugeprägte blanke Entzückung in die Augen strahlte. Da war nun auch gar kein Halten mehr, ich übertraf Alles in der Begeisterung, was ich nur je in den Gesellschaften hatte beobachten können; Alles zappelte an mir vor Freude, so wie nur das Clavier angeschlagen wurde, die Beine trommelten, die Arme schlenkerten, die Augen wackelten, ja ich nahm die Zunge zu Hülfe, und leckte mir zuweilen die vor Erstaunen weitgeöffneten Lippen. Dann mußten die Hände klatschen, die Augen, wenn es irgend möglich zu machen war, weinen, die ausgestreckten Arme Bekannt und Unbekannt an dies stürmische Herz schließen, das mit mächtigen Schlägen im wildesten Enthusiasmus klopfte. Ja, wenn ich nachher in mein einsames Zimmer trat, war ich so müde und matt, so mürbe und zerschlagen, daß ich zuweilen Kunst und Künstler, Liebe und Harmonie, so wie alle die bezaubernden Gefühle zum Satan wünschte.

Aber empfanden Sie nun wirklich recht viel? fragte der Laie lachend.

Das ist eine bedenkliche Frage, erwiederte der Enthusiast; was der Mensch so stürmisch will, davon muß wohl etwas auch wirklich in sein Wesen übergehn; es wäre unbegreiflich, wenn durch das vorsätzliche Nachspielen nicht hie und da ein Gefühl in unsrer Brust wiederklingen sollte. Aber um doch ganz aufrichtig zu seyn, so war mir bei all diesem Bewundrungsbemühen oft unerträglich nüchtern zu Muthe, so recht, was der Haufe langweilig nennt, und wenn ich nicht so stark mit Händen und Füßen gearbeitet hätte, so wäre mir wohl oft ein herzliches Gähnen angekommen. Das Schlimmste aber ist, ich habe doch nichts dabei gewonnen; denn meine boshaften Freunde meinten, ich hätte den Ansatz zu hoch genommen, und sei von der andern Seite vom Pferde wieder hinunter gefallen. Sei ich erst wie ein verstocktes dumpfes Thier gewesen, so erscheine ich jetzt wie ein verwilderter Hasenfuß, mein Enthusiasmus träte als ein verzerrender Krampf auf, man müsse fast glauben, mein Arzt habe mir diese übertriebene Motion nur empfohlen, um sie gegen mein Fettwerden zu gebrauchen. Ach! und die Musiker! Von denen habe ich das Meiste gelitten. Vor acht Monaten war es, als hier im Saal die beiden berühmten Compositeurs ihre Sachen aufführten. Wie der erste geendigt hatte, konnte ich ihm richtig mit fließenden Thränen an seinen Hals fallen, und der Mann klopfte mir selber über mein Entzücken gerührt mit aller Freundschaft auf den Rücken, wir drückten uns recht herzlich zusammen, und er sagte ganz laut, er habe noch keinen so gründlichen Kenner in allen Reichen der musikalischen Welt angetroffen. Nun brannte der andere Mann aber auch sein Kunststück los. Thränen hatte ich nicht mehr, es meldete sich aber ein großartiges Schluchzen, was noch höher lag als die Thräne, — und ein ganz stummer Druck, ein Vergehen, Aufgelöstseyn, fast sterbend in die Arme des zweiten Hinfallen, ja ein reelles Abstehn mußte diesen großen Meister belohnen. Der grobe Schelm ließ mich aber geradezu auf das Parket hinschlagen, ohne mir seine dankbare Brust unterzustemmen, und sagte, wie ich in der Kunstohnmacht lag, höhnisch zu mir: bleiben Sie in des Himmels Namen liegen, denn wer über die Stümperei jenes Menschen dort weinen kann, verdient gar nicht, einen Ton von mir mit seinen Ohren aufzufassen. So erhob ich mich, um Trost bei meinem großen Freunde zu suchen, dessen allergrößter Kenner ich war. Er sprang aber auch vor meinem Ausruf weg, so daß ich mit der Nase fast an die Wand stieß, unter dem nichtigen Vorwande, daß wer so wenig ächtes Gefühl besitze, daß er das Armselige wie das Edle so übermäßig bewundern könne, für die Kunst ein mißgeschaffenes Ungeheuer sei. Wie ich nun bei meiner Geliebten Hülfe suchen wollte, war sie ebenfalls gegen mich empört, denn ich hatte bei ganz unrechten Stellen geweint und da am lebhaftesten empfunden, wo grade die wenigste Empfindung hingehörte. O Theuerste, Verehrteste, möchte man nicht fast veranlaßt seyn, den Schwur zu thun, daß man bei Arioso und Cavatine, Finale und Ouvertüre, Adagio und Presto nur mit ruhig gekretschten Beinen dasitzen und höchstens zuweilen den Tact schlagen wolle; denn wenn all dies Hämmern und Puffen, dies Abarbeiten unsers irdischen entzückten Herzens, diese weissagende rinnende Thräne, die den Wiederschein der Unsichtbarkeit abspiegelt; wenn alles dies nichts fruchtet, sag’ ich noch einmal, und statt paradiesischer Sympathie nur die infernalische Antipathie erregt, so wünschte man ja lieber Balgentreter oder Schmiedegesell, als ächter Enthusiast zu werden. Darum wundert Euch nicht, wenn ich der undankbaren Kunst wieder einmal den Rücken wende.

Als man über diese Geständnisse lachte, sagte der Laie im frohen Muth: in meinem Leben gehören die Leiden der Musik auch zu den empfindlichsten. Nicht der zu starke Enthusiasmus hat mir geschadet, wohl aber sind meine Kinder- und frühen Jugendjahre mir durch Musik verbittert worden. Lächerlichkeiten, an die ich noch jetzt mit einigem Schrecken denken muß.

Sprechen Sie, alter Freund, rief der Kapellmeister, habe ich doch auch schon erst mein Leiden geklagt, was Sie freilich nicht mit angehört haben.

Ich mochte zwölf Jahr alt seyn, fing der Laie an, es ging mir gut, in der Schule rückte ich schnell hinauf, meine Lehrer so wie meine Aeltern waren mit mir zufrieden, als ein böser Geist, dieser Behaglichkeit und Harmonie zürnend, sein Unkraut unter den aufwachsenden Waizen säete. Mein Vater, ein strenger, aber heiterer Mann, ließ mir frei, meine Bestimmung zu wählen, er war ein Freund der Musik, aber ohne alles Talent. An einem Nachmittag fragt er mich, ob ich vielleicht Lust hätte, ein Instrument zu spielen. Mir war der Gedanke noch niemals gekommen; ich solle es mir überlegen, er verlange es nicht, aber wenn ich mich entschließe, müsse ich auch Ernst machen. Darauf kannte ich ihn, ich wußte, daß er sich nicht wundern würde, im Fall ich keine Musik triebe, aber einmal angefangen, durfte ich die Sache niemals wieder fallen lassen. Mir war, weil mein Ohr noch schlief, bis dahin alle Musik höchst gleichgültig und langweilig vorgekommen. Die Opern haßte ich geradezu, weil bei den Arien und Duetten, von denen ich nichts vernahm, die Handlung, die mich einzig interessirte, stehen blieb. Nie war in unserm Hausbedarf von Musik etwas vorgekommen, außer in den Stunden bei dem Tanzmeister, zu dessen vorzüglichsten Scholaren ich gehörte, der es mir aber nie hatte deutlich machen können, daß die Musik seiner Geige mit zum Tanz gehöre. Traf ich daher gleich anfangs den Tact, so tanzte ich meine Menuet, Cosak, oder was es war, trefflich hindurch. Fehlte es mir aber, so half kein Aufkratzen, Anhalten, Beschleunigen, mich wieder in den verlornen Tact zu werfen. Ich hielt es auch geradezu für Aberglauben, daß man herkömmlich zum Tanzen aufspiele. Konnte mich schon hier die Musik ängstigen, so brachte sie mich in der Kirche, die mir schon nicht erfreulich war, fast zur Verzweiflung. Meine Nerven waren schwach, und die losbrausende Orgel mit ihren schmetternden Tremulanten verwirrte mein Gehirn und unerträglich fiel mir der unisone kreischende Gesang der Gemeine. Mit beiden habe ich mich auch noch nicht vertragen lernen: die Orgel, sei sie eine erhabene Erfindung, erschreckt und ängstigt sie mich in der Nähe, und dieser Choralgesang, der sich so demüthig, wie gefesselte reuige Verbrecher, auf dem Boden hinschleppt, nimmt mir, so oft ich ihn auch gut vorgetragen höre, allen Muth, alle Poesie und Musik erlischt bis auf das letzte Fünkchen in meinem Gemüth, und ein nüchterner Lebensüberdruß bemächtigt sich meines Geistes.

Darüber ließe sich viel sagen, meinte der Kapellmeister, doch komme auch wohl eine seltne Eigenthümlichkeit des Laien hinzu.

So fern, begann dieser wieder, war ich aller Musik, und keine Spur eines Talents hatte sich gezeigt, als der böse Geist es mir in den Kopf setzte, in mir sei vielleicht ein großer Violinspieler verborgen. Die Geige wurde angeschafft, ein Lehrer angenommen. Es hatten sich aber nun der seltsamste Scholar und der wunderlichste Meister zusammen gefunden, denn dieser unterrichtete mich eigentlich so, als wenn ich schon seit Jahren ein nicht unwissender Violinspieler gewesen wäre. In der ersten Stunde ließ er mich nur die Geige anstreichen, was mir bei meinen zarten Nerven keine Freude verursachte. Zur folgenden hatte er mir schon ein Buch gemacht, und einige leichte Lieder hinein geschrieben. Dies Stück, sagte er, geht aus D dur; es war: Blühe, liebes Veilchen. Ich bekümmerte mich nicht weiter darum, was die beiden Kreuze oder D dur zu bedeuten hatten, ob es eine oder mehrere Tonarten gäbe, was die Tactabtheilung, oder die Striche an den Noten bedeuteten, sondern wir spielten nun wohlgemuth das Lied durch, und ich ihm nach, Fingersetzung und Alles aus dem Gedächtniß. So ging es beim zweiten und dritten Liede, welches aus C dur ging. Ich sah wohl, daß nun die Kreuze fehlten, und er nannte jedesmal die Tonart, wenn ich falsch griff, fand es aber gar nicht nothwendig, weitere Erklärung hierüber, oder über die Dauer der Noten hinzu zu fügen. Es klingt märchenhaft, aber eben so wahr ist es, daß ich in dieser Manier sechs bis sieben Jahr die Geige gestrichen habe, ohne daß der Trieb in mir erwachte, der Sache näher auf den Grund zu kommen, oder daß er es nothwendig geachtet hätte, unsrer practischen Kunst einige Theorie anzuhängen. Uebrigens kann man sich vorstellen, wie es lautete. Da ich Länge und Kürze der Töne, ihre Abweichung in Moll und Alles, was die Musik ausmacht, ohne jedes Verständniß, nur aus dem Gedächtniß spielte, (denn ich kannte nur die Note an sich selbst, so wie sie auf der Linie stand, und nichts weiter) da ich überdieß gar kein Gehör hatte, den Bogen schlecht führte, und in der Fingersetzung häufig irrte, so begreift sich’s, was ich für ein Charivari hervor brachte. Mein Meister, der wirklich geschickt im Spiel war, klagte in jeder Stunde über seine Ohren. Ich selbst litt, so oft ich die Violine unters Kinn nahm, wahre Höllenpein. Dies Schnarren, Pfeifen, Mauzen und Girren war mir unerträglich: selbst der beste Geiger hat, wenn man ihn zu nahe hört, einen Nebenton, die stark angestrichene Saite, besonders in der Applicatur, überschreit sich zuweilen, aber bei mir thaten sich fast nur die abscheulichsten Mißtöne hervor. Da meine Nerven so stark afficirt wurden, so zeigte sich mein Widerwille gegen das Geheul und Schnarzen, welches meine Finger so dicht vor meiner Nase erregten, auch deutlich in meinen Gesichtsmuskeln, der Mund und die Wangen begleiteten mit widerlichen Verzerrungen die hohen und tiefen Töne, die Augen klemmten sich zu und rissen sich auf, und ich fühlte deutlich, daß manche neue Falten und Lineamente sich formirten, die ursprünglich nicht für ein gewöhnliches Menschengesicht berechnet waren. Mein tiefsinniger Meister schüttelte oft sein Haupt, und meinte, so wenig Talent als ich habe keiner seiner Scholaren. Mir begegneten aber auch in der That mehr Unglücksfälle, als ich sonst bei ausübenden Künstlern wahrgenommen hatte. Kamen wir so recht in Eifer und lieferten, nachdem ich schon länger studirt hatte, die raschen muthigen Passagen: so rutschte im Allegro mein Bogen über den Steg, und im Entsetzen ließ mein Lehrer die Geige sinken, denn welcher Ton alsdann im heftigen Streichen aufquikt, weiß nur der, dem dieses Abenteuer begegnet ist. Mehr wie einmal fiel der Steg selber um, wie aus Mitgefühl, und ein heftiger Knall endigte mit Macht ein schmachtendes Largho mitten in der Note. Einmal sogar, und ich dachte der Tod ergriffe mich, brach der Knopf ab, der unten das Saitenbrett festhält, und sprang unbarmherzig gegen meine Nase. Für diese Stunde war denn unsre Harmonie zu Ende, und das Instrument mußte erst wieder hergestellt werden. Nach einem Zeitraum war denn auch mein Vater so neugierig zu hören, wie ich mich applicire. Ich trug ihm einige der Lieder vor, die ich am besten inne zu haben glaubte. Er erschrak über das, was er hörte, und erstaunte noch mehr über das, was er sah. Er meinte nämlich, in der Kunst, Gesichter zu schneiden, sei ich unbegreiflich weit vorgeschritten, und meine Musik könne doch von Nutzen seyn, Ratten und Mäuse zu vertreiben; er warnte mich nur zum Beschluß, den Ausdruck meiner musikalischen Physiognomie doch etwas zu beschränken, weil ich außerdem auf dem graden Wege zum Affen sei. Das war mein Lohn dafür, daß ich das damals populäre rührende Lied: Hier schlummern meine Kinder &c. ihm nicht ganz ohne Glück vorgetragen hatte, denn dies war gradezu meine Lieblings-Arie, in der ich firm zu seyn glaubte, die auch in den Mitteltönen mit melancholischer Gesetztheit verweilte, und nicht in den Discant oder gar in die Applicatur hinauf stieg, die ich ein- für allemal verabscheute.

Hatten Sie denn aber gar keinen Ersatz für diese mannigfaltigen Leiden? fragte der Kapellmeister launig.

Wenig, erwiederte der Laie: als mein Lehrer es nöthig fand, wegen des Ausdrucks für mich ein Sordin zu kaufen, den ich mit Freuden aufsteckte, weil es doch einmal einen andern Ton gab, die Dämpfung auch wie ein spanischer Reiter es dem reißenden Bogen unmöglich machte, wieder jenseit dem Steg zu springen. Auch machte es mir innige Freude, als wir erst weiter vorgerückt waren, in den Ouvertüren die Vierundsechszigtel als eine und dieselbe Note dreißigmal abzuspielen, welche meistentheils gegen Ende des Stücks, kurz vor dem Aufzug der Gardine, vorkommen. Diese wiederholte ich gern in der Einsamkeit, weil in diesen Passagen keine große Schwierigkeit ist, mir auch der so oft wiederholte Ton die Empfindung gab, als wenn ich in meinem geliebten Theater säße.

Aber damals, fragte der Kapellmeister, hatten Sie doch wohl einige klare Begriffe von der Musik?

So wenige, antwortete der Laie, wie in der allerersten Stunde; Tact, Vorzeichnung, Tonart, nichts von alle dem begriff ich, sondern spielte Sonaten und Symphonieen so pur aus dem Gedächtniß hin, wie ich es von meinem Lehrer hörte! auch vernahm ich keine Melodie, keinen musikalischen Gedanken; hie und da führten mir wohl ein paar Tacte eine Art von Verständniß herbei, das ich aber nie weiter verfolgen konnte. So fern war ich allem Begreifen, daß ich mir einmal einbildete, weil g, h, a und b vorkommen, daß das ganze Alphabet wohl in den Noten enthalten sei, und daß man bei der Composition eines Liedes nichts zu thun habe, als die Noten zu nehmen, die die Buchstaben eines Wortes bezeichneten, und sie dann schneller oder langsamer abzuspielen. Wie ich nun meinen Lehrer fragte, wo denn das m, r oder p stecke, wurde ich zwar von diesem sehr verlacht, aber doch nicht besser belehrt, denn er erstaunte nur immer von Neuem über meine ungeheure Einfalt, daß ich das alles nicht wisse, was sich doch von selbst verstehe. Eben da mir alle Musik nur wie ein Charivari vorkam, so ließ ich mir beigehn, auch selbst einmal zu componiren. Der Tact schien mir gleich ein Vorurtheil, eine Tonart brauchte ich noch weniger, und nie werde ich die Freude vergessen, die ich meinem Meister machte, als ich meine wild zusammen gewürfelten Noten ihm als meinen ersten dichtenden Versuch überbrachte. Er wollte sich ausschütten vor Lachen, und konnte nicht müde werden, sich unter Lust und Freude meine Phantasie vorzuspielen. Mir klang sie wie jede andere Musik.

Der braune alte Italiener erfreute sich sehr über diese Erzählung, und selbst der finstere Graf lächelte. Es ist unbegreiflich, sagte der Baron, daß Sie so lange ausgehalten haben. Ich mußte wohl, erwiederte der Erzähler, meines strengen Vaters wegen, da ich das Ungethüm einmal begonnen hatte. Sonst bekümmerte er sich nicht weiter um meine Kunst, weil er einigemal, da ich ihm Sonntags Nachmittags einen Zeitvertreib machen sollte, von meinem Spiel, wie er behauptete, Zahnschmerzen bekommen hatte. Einmal widerfuhr mir als ausübenden Künstler eine ausgezeichnete Demüthigung. Die Besitzerin des Hauses, in welchem wir wohnten, hatte zum Geburtstage ihrer erwachsenen Tochter eine große Anzahl hübscher Mädchen gebeten. Um das Fest unerwartet fröhlich zu machen, hatte die gute Dame mit meiner Mutter die Abrede getroffen, ich sollte heimlich mit meiner Geige hinauf kommen, im Nebenzimmer plötzlich stimmen, und den überraschten schönen Kindern dann einige englische Tänze aufspielen, damit sie einmal im Saale recht wohlgemuth herumspringen könnten. Ich wurde in das Nebenzimmer mit allem Geheimniß geführt: ich sah durch den Vorhang in die allerliebste Versammlung hinein, — aber nun, — die Geige stimmen! Wie gemein! Ich hatte es auch in meinem Leben nie versucht, weil mein Meister das besorgte, ich hörte auch niemals einen Unterschied, wenn sie nach seiner Meinung im Stande war, und wenn sie nicht jetzt schon richtig stimmte, so konnte ich auf jeden Fall nur Uebel ärger machen. Es schien mir edler sowohl wie vorsichtiger, mit meiner Lieblings-Arie mich anzukündigen, und so ließ ich dann plötzlich das: „Hier schlummern meine Kinder“ anmuthig ertönen. Die Freude dieser Nicht-Schlummernden war unbeschreiblich, mit Jubel ward ich in den Saal gezogen, wo ich wie geblendet stand, da ich noch niemals so viele reizende Wesen beisammen gesehen hatte. Das war ein Fragen und ein Bestellen; ich zeigte ihnen die englischen Tänze, die mir mein guter Meister in mein Notenbuch geschrieben hatte, ich spielte einen auf, aber er wollte nicht passen. Sie fragten nach der Anzahl der Touren und dergleichen, was mir alles unverständlich war. Ich sollte ihnen den Tanz und die Musik dazu arrangiren. Ich versuchte noch eine Anglaise und eben so die dritte, nun war meine Kunst zu Ende, und da auch diese nicht paßten und wir uns gar nicht verständigen konnten, so mußte ich, den sie im Triumph eingeholt hatten, mit der größten Beschämung wieder abziehen, und sie endigten ihren Nachmittag in Verdruß, der ihnen ohne die plötzliche unerwartete Freude heiter verflossen wäre. Meiner Mutter, die mich ausfragte, erzählte ich, die Mädchen hätten eigentlich gar nicht tanzen können; und so kam es mir auch vor, da sie sich aus meinem Spiel nicht zu vernehmen wußten. — Mein Meister wurde endlich zu einer auswärtigen Kapelle verschrieben, und nun glaubte ich, meiner Qual los zu seyn: mein consequenter Vater aber hatte schon wieder einen neuen Lehrmeister bei der Hand, der, als ich ihm meine Künste vorgespielt hatte, die Sache gründlich wieder von vorne anfing. Ich, der ich schon Symphonieen und die schwierigsten Sachen vorgetragen hatte, mußte jetzt jene mir verhaßten Choräle und Kirchenmelodieen einlernen, lauter Noten aus halben oder ganzen Tacten, weil mein neuer Meister behauptete, ich hätte weder Strich noch Fingersetzung. Dieser hatte ein so delikates Ohr, daß er bei meinen Mißtönen fast ärgere Gesichter schnitt, als ich selber, er lachte auch niemals über meine Ungeschicklichkeit und Mangel an Talent, wie der erste, sondern nahm sich die Sache sehr empfindsam zu Herzen, und war manchmal fast dem Weinen nahe. Zum Glück dauerte diese neue Schererei etwa nur ein halbes Jahr, worauf ich zur Universität abging, und seitdem kein Instrument wieder angerührt habe. Diese Bekenntnisse, meine Herren, schildern nur kurz den geringsten Theil meiner musikalischen Leiden, denn wenn ich sie ganz hätte darstellen wollen, würde mir Zeit und Ihnen die Geduld ermangeln.

Jetzt ist die Reihe an Ihnen, sagte der Baron Fernow, indem er sich zum alten Italiener wandte, Sie haben bei diesen Erzählungen eine besondere Freude gezeigt, und es ist wohl billig, daß Sie uns auch einige Ihrer Leiden mittheilen, die Ihnen wohl, als einem alten Virtuosen, nicht gefehlt haben können.

Ach! meine Herren, sagte der Alte mit einem sonderbaren Gesicht, meine Leiden seyn zu tragisch, um Plaisir zu machen, auch kann meine welsche Zunge nicht in die Landstraße von der deutsch Idiom recht fortkommen, muß daher um Nachsicht anfleh, wenn meine Confession etwas mit Confusion verschwägert seyn sollte. Ich war von Jugend auf geübt im Sang, fertig im Clavierspiel und guter Tenor, frisch auf Theatern mit Glück in Napoli gesungen, und brav beklatscht und e viva! mich zugerufen. Ging nach Rom, gefiel nicht so ausnehmend, denn die Herren Romani seyn kritischer Natur, bilden sich ein, die feinste Ohreinrichtung in den ganzen Italia zu haben. Ach! aber hier sah ich im Carneval eine junge Demoiselle, die Stunde bei mich nahm, um nachher in Firenza zu singen, auch auf das Theater. Ach! welcher Ton! welche Talente! welche Augen! Nun das war ein cara mia, amor und mio cour, bis wir, eh’ wir uns das Ding versahn, mitsammen davon gelaufen waren, und singen nun in Firenza auf Theater aus Leibesmacht als Mann und Frau. Hatten viel Zärtlichkeit in der Eh, aber auch manchen Verdruß, denn cara mia war der Jalousie ergeben, und meine Wenigkeit war dazumal ein gar hübscher Giovine und die Frauenzimmer rührten leicht mein Herz. Doch Alles ging gut, bis wir in eine deutsche Residenz engagirt wurden. Da lebte ein Compositeur, ein Maestro, so recht ein Theoretiko, voll Prätension, aber gescheidt, dabei ein hübsch wohlgewachsen Männel. Der Hortensio gefiel meiner Cara, und sie wollte nun seine Schülerin vorstellen, in edel große Manier singen, mit Seele, wie Hortensio sagte, nicht mehr aus Hals und Kehle, sondern so wie die Deutsche meinen, aus das Gemüth heraus. Gemüth! eine extra deutsche Erfindung, die alle andern Natione gar nicht kennen. Bis dahin hatte die Gute ihren schönen Ton gehabt, grausame Höhe hell wie Glas, spitz, laut, mochte Compositeur componiren wie er wollte, brachte er seinen hohen Ton, flugs hatten wir ihn weg, richtig mußte er in seine Passage und Cadenz hinein, hinaufgeschroben, höher und immer höher, da oben dann umgeschwenkt, und wieder hinab gegurgelt, und brava! brava! bravissima! aus den Logen heraus geschrieen, mit Fächern und Händchen geklopft, mia cara sich verneigt, Arme kreuzweis vor der Brust, und keinem Menschen wars eingefallen, daß monsieur Compositeur da hatte Gedanken, aparte Fühlungen hinein drechseln wollen. Aber Hortensio! Hortensio! bestia maladetta! denk’ ich, der Schlag soll mich rühren, wie ich zum ersten Mal die seelische Manier in mein Ohr hinein hör! Keine Passage, keine Uebergänge, keine Triller, singt daher wie ein Kalb, das geschlacht werden soll, pur ohne Manier und Methode. Ich war der primo nomo, konnte aber nicht lassen, meine prima donna im Liebesduett rechtschaffen in den runden Arm zu zwicken. Schreit sie auf gefährlich: meinen die Leut, das soll auch große neue Manier seyn, und fangen an zu lachen. Von dem Tage Zwietracht unter uns, kein Beifall vom Publikum mehr. Hortensio war großer Theoretiker und Enthusiast, wollte aber keinen Amanten abgeben, war verheirathet an eine gute Frau, die nach deutscher Manier ganz Seele war. Nun steigt in meiner zarten Isabelle die Bosheit immer höher. Sie will retour in alte brillante Manier, verflucht Seele und Gemüth, aber war nicht anders, als wenn die Töne wie Besessene durch einander schrieen, kochte und zwirbelte oft in der Gurgel, murrte und pfiff, als wenn Satansbrut in dem kleinen Hals mit einander auf Gabel und Besenstiel wie zum Schornstein hinaus auf die liebe Blocksberg fahren und rutschen wollten. So war das Elend komplett, fehlte nur noch, daß sie mir alle Schuld gab, und das that sie denn auch redlich: ich sänge so schlecht, wäre rückwärts gegangen: enfin, wir kriegten beide unsern Abschied mit kleine Pension. Zogen durch alle Provinz, den wohlfeilsten Ort anzutreffen und fanden immer die allertheuersten, gaben Concert, ich Privatstund im Singen. Die cara Isabella konnte aber Musik nicht aufgeben, und je ärger es wurde, je lieber sie sang, als kein Mensch mehr zuhören wollte, trieben wir das Spektakel privatissime auf unserer Stube. Ja, da mußte ich ganzer Mann seyn, um mit meine Heroismus das Schlachtgeschrei auszuhalten, und oftmals dachte ich, es müßte gesterben werden. Wir hatten großen mächtigen Kater, der lag immer auf das Clavier: sehn Sie, das Kerl fürchtete sich weder vor Ratz noch Maus, lief vor keine noch so große Hund, und hatte sich mal mit einem allmächtigen Bullenbeißer gekratzt: aber so wie meine Gemalin nur den Deckel aufmachte, um die Harmonie loszulassen, so lief das Katz was es konnte bis auf den allerobersten Boden. Wir tobten so gewaltig, daß uns kein Wirth mehr zum Miethsmann einnehmen wollte. Natürlich mochte nun kein Mensch mehr unser Concert hören, denn die menschliche Ohr seyn meistentheils etwas zart construirt und sehr viel Menschen haben fast natürlichen Widerwillen gegen Detoniren und widerwärtigen Gesang.

An einem Tage sagte mir die Gattin, ich solle meine beste Kleid anziehn, es sei große reputirliche Gesellschaft von Zuhörer gebeten. Wir sangen und tobten, es war aber kein Mensch da. Wie ich in der Nacht darüber mit ihr redte, sagte sie, die gewöhnliche Menschheit sei zu platt und grob organisirt, ihre Kunst zu fassen, darum habe sie Ueberirdische invitirt, die klagten niemals über Dissonanz, ich aber sei ein Gesell, zu plump, um die feinen Creaturen mit meine dumme Augen zu sehn. Nun gings immer so fort mit die Engelssocietäten, und sie erzählte mich viel von dem großen Beifall, den ihr Vortrag bei die Kenner fände. Am andern Abend, als wieder große Geisterassamblée bei uns war, und wir beide gnug schrieen, sagte sie zu mir plötzlich, ich sänge entsetzlich falsch, es sei nicht auszuhalten, und König David, der gewiß ein Kenner in Musiken sei, wolle gar nicht wieder kommen, wenn ich nicht richtiger und mit mehr Respect sänge. Ich sollte gleich hin, und Majesté um Verzeihung bitten. Wo sitzt er denn? Da, nahe am Ofen, denn der alte Herr hätte etwas kalt. Ich trug meine submisse Devotion in höfliche Redensart vor und wurde pardonirt.

Armer Mensch! sagte der Kapellmeister gerührt, und wie lange lebte die Wahnsinnige noch?

Bitte sehr um Verzeihung, erwiederte der Italiener, meine selige Gattin nicht zu lästern, war nichts weniger wie etwa toll im Kopf, dachte es auch erst, sah aber bald meinen Irrthum. Denn als es noch kälter wurde, die Tage immer kürzer, die Selige mich auch tüchtig tribulirt hatte und ich mir fast den Hals entzwei gesungen, weil diesmal alle Maccabäer uns die Ehre erzeigten, da sah ich, wie ich Licht hereinbrachte, die ganze Stube voll unsichtbarer Menschen, will sagen, verstorbene Geister. Seitdem mir nun die Binde von meine Augen herunter gefallen war, habe ich manche interessante Bekanntschaft unter die Abgeschiedenen gemacht, und hatte nun gar nicht mehr nöthig, viel mit die sterbliche Menschen umzugehn.

Das glaub’ ich, sagte der Baron, indem er den Erzählenden mit einem prüfenden Blicke anstarrte; die Tochter rückte etwas weiter von ihm weg, der Enthusiast war erstaunt, der Laie lachte, und nur der Graf, welcher ihn schon kannte, blieb ruhig. Wir sahen ein, fuhr der Alte fort, daß die zu weit ausgebreitete Bekanntschaft mit die ganzen Vorzeit etwas lästig werden könnte, und beschränkten uns nachher fast nur auf die berühmte Musiker. Ja, meine Herren, da habe ich nachher erst Dinge über Contrapunct, Wirkung, Ausbeugung und über Charakter von die Tonarten erfahren, die in keinem Buche stehen. Aber meine liebe Frau starb bald, und seitdem habe ich den Umgang auch nicht fortsetzen können, denn alle die Herren haben sich mich allein, da Cara mia nicht zugegen, seitdem mir nicht wieder gezeigt.

Der Baron fragte den Grafen nach einer Pause, ob er nicht auch vielleicht einige musikalische Leiden vorzutragen habe, und dieser, der bis jetzt geschwiegen hatte, fing so an: Ihre Klagen, meine Herren, waren zum Theil darüber, daß sie mit der Musik in Verbindung kamen, ohne eigentliche Lust oder scharfen Sinn für diese Kunst zu besitzen. Mein Elend kommt von der entgegengesetzten Seite. Von frühester Jugend war meine Freude an Musik, mein Trieb zu ihr überreizt zu nennen, auch machte er meinen Eltern und Erziehern gnug zu schaffen. Ich wollte nichts anders lernen, und verwünschte oft meinen Stand, der mich hinderte, ein ausübender Künstler zu werden. Wo nur ein Ton erklang, wo nur Gesang sich hören ließ, da war ich gleich mit ganzer Seele, und vergaß alle meine Geschäfte. Mein Vater, ein ernster, heftiger Mann, zürnte über meinen Enthusiasmus, der allen seinen Absichten feindlich zu werden drohte. Da ich auch zu leidenschaftlich war, und im jugendlichen Eifer wähnte, ich könnte meine Kunst nicht fanatisch gnug vertheidigen, so verletzte und kränkte ich oft meinen Vater auf ungeziemende Weise, und dieser Kampf, diese Reue und Zerknirschung über meine Hitze, Verstimmung gegen die Welt und mich, dies traurige, zerrissene Wesen verdarb mir völlig die Heiterkeit meiner Jugend, denn der gewaltsam errungene Genuß meiner Kunst war doch nicht im Stande, mir alles das zu ersetzen, was ich einbüßen mußte. Ja, sei es nun, daß meine Erwartungen zu hoch gespannt waren, daß meine Ahndung für das Höchste zu sehr meine Forderungen stimmte, genug, es wurden mir auch die Werke der Kunst selbst, so gut wie ihr Vortrag, oft allzusehr verkümmert. Denn ich glaubte nicht selten wahrzunehmen, daß man so vieles in die Musik aufgenommen habe, was dieser Kunst ganz fremd bleiben müsse, daß sie meistentheils zu sehr zum Zeitvertreibe herab gesunken sei, daß sie um Effecte buhle, die ihrer unwürdig sind, und daß die wenigsten Sänger nur wissen, was Vortrag und Gefühl zu bedeuten habe. Eine tiefe Schwermuth konnte sich meiner bemeistern, daß fast nirgend in der Welt die Stimmung angetroffen werde, die ich für nothwendig hielt, wenn diese hohe Kunst ihr Element finden sollte. Ich mußte denn endlich meinem Vater doch nachgeben und an den Geschäften Theil nehmen. Die Arbeit wurde mir leichter als ich mir vorgestellt hatte, und mein Vater, der mich wegen meiner Kunstliebe für fast blödsinnig gehalten, war so mit mir zufrieden, daß seine ehemalige Zärtlichkeit gegen mich erwachte. Nach einigen Jahren ward ich in diplomatischen bedeutenden Geschäften an einen großen Hof gesendet. Seit lange hatte ich die neuen Sänger und Sängerinnen beobachtet, und war fast mit allen unzufrieden. Wenn die Stimme das Gefühl, den Enthusiasmus der Leidenschaft ausdrücken soll, so muß sie sich großartig erheben, mächtig anschwellen, und die Höhe nur deswegen suchen, um die stärkste Lichtregion und Kraft zu gewinnen. In dieser Gegend ist es, wo Componist und Sängerin das Uebermenschliche der Liebe, der Klage, der Andacht und jeder Regung der Seele ausdrücken können: und doch fand ich fast immer, daß der Wohllaut, die Wollust dieser Klänge nur gebraucht wurden, um eine kleine Künstlichkeit, eine Art Springerei anzubringen, eine Virtuosität, die wohl ganz nahe an die Seiltänzer grenzt, und von der ächten Kunst ganz ausgeschlossen seyn sollte. Noch schlimmer fast erschienen mir diejenigen, die nach einer ziemlich verbreiteten neuen Manier den Ausdruck anbringen wollten. Kein Crescendo, kein Portament der Stimme, sondern ein plötzlicher Aufschrei, wie ein Angst- oder Hülferuf, dann ein eben so plötzliches Verhauchen, ein unmotivirtes Sinkenlassen des Gesanges, ein dumpfer Seufzer statt des Tons, und so fort in diesem schroffen eckigen Wechsel, so daß ich jetzt nichts hörte, und jetzt wieder von grellen Tönen erschreckt wurde, ein Unfug, den oft ein ganzes Publikum bewunderte, und der mir noch jenseit dem Anfange der Schule zu liegen schien, oder mir vielmehr wie der rohe unmusikalische Gegensatz alles Gesanges vorkam. Von dem neuesten Geschmack der Opern will ich schweigen, denn hier fände ich meinen Klageliedern kein Ende.

Als ich dem fremden Hofe mich vorgestellt hatte, empfing ich bald darauf den Bescheid, daß ich mit einem wichtigen Auftrage schnell in mein Vaterland zurück müsse. Am Abend war beim Bruder des regierenden Fürsten Concert, und eine fremde Sängerin wollte sich zum ersten Mal hören lassen. Ich begab mich in den Concertsaal. Nur der Sängerin Nacken, dessen blendende Weiße von einem wunderlich gekräuselten braunen Löckchen erhöht wurde, konnte ich wahrnehmen, so wie einen Theil des feingerundeten Ohres, so dicht war das Gedränge. Aber jetzt erhob das Mädchen den Ton, und ging in einen zweiten über, und strahlte den dritten aus, so mächtig, edel, rein, voll und lieblich zugleich, daß ich wie bezaubert stand, denn das war es, wie ich es mir immer gedacht, ja es war mehr, wie ich gewünscht hatte. Dieser reine, himmlische Discant war Liebe, Hoheit, zarte Kraft und Fülle der edelsten, der überirdischen Empfindung. Da hörte ich nicht den spitzen, blendenden Glaston, der noch die Harmonika überschleift, nicht die Betäubung in der letzten, schwindelnden Höhe, die wie mit Spitzen das Ohr verletzt und durchbohrt, nicht die Ohnmacht an der Grenze der Stimme, die erst ein Mitleidsgefühl in uns erregt, und von diesem dann Hülfe und Beifall bettelt: nein, es war die Sicherheit selbst, die Wahrheit, die Liebe. Nun begriff ich erst, wie Hasse hatte wagen können, zuweilen in seinen Arien durch viele Tacte den Sopran auf ein und zwei Sylben trillern, sich senken und wieder steigen zu lassen. Ich war so entzückt, daß ich mich und Alles vergaß, ich legte in diesem höchsten Augenblick meines Lebens das sonderbare Gelübde mir selber heimlich ab, daß nur dieses Wesen mit dieser Wunderstimme, oder keins, meine Gattin werden sollte. Der Rath und der Laufer des Fürsten hatten mich schon zwei-, dreimal erinnert. Ich ging zum regierenden Herrn in das Schloß hinüber. Es ward mir schwer, meine Lebensgeister zu dem sehr bedeutenden Gespräche zu sammeln. Nach der Audienz mußte ich mich in stürmischer Nacht in den Wagen werfen. Kein Diener, am wenigsten der alte Rath, mein Begleiter, wußten mir von der Sängerin etwas zu sagen. In meinem Vaterlande angekommen, erwarteten meiner dringende Arbeiten, die mich selbst in den Nächten beschäftigten, ich konnte meinen Vater, der auf dem Krankenbette lag, nur wenig sehn. Als ich fertig war und meinem leidenden Vater jetzt meinen Trost und Dienst widmen wollte, konnte ich ihm nur noch die Augen zudrücken. Jetzt wußte ich erst, wie theuer mir der edle Mann gewesen war, doch war es mir jetzt erlaubt, meiner Neigung zu folgen; ich entzog mich den Staatsdiensten. Sobald es meine geordneten Geschäfte zuließen, reisete ich nach jener Residenz zurück, — aber — und wie ist dies zu begreifen? Kein Mensch, kein Musiker, Niemand am Hofe wollte von jener Sängerin, oder jenem Abend, den ich beschrieb, etwas wissen, als sei diese einzige, himmlische Stimme eine der gewöhnlichsten Erscheinungen, die man kaum bemerkt und dann vergißt, oder als sei ich in Wahnsinn und Bezauberung, daß ich mir Alles nur eingebildet habe.

Als jede Nachforschung vergeblich war, suchte ich auf Reisen jenes Wunder wieder anzutreffen. Darum versäumte ich kein Concert und keine Oper, suchte jede musikalische Versammlung auf, und immer vergebens. Seit zwei Jahren führe ich dies unruhige traurige Leben, und heut Abend dacht’ ich thöricht zu werden, denn in der fremden Dame glaubte ich meine Unbekannte gefunden zu haben, dieselbe Locke im Nacken, derselbe feine Contour des Ohrs; und Mund und Physiognomie schienen mir ganz wie die einer Sängerin.

Die Tochter des Hauses versicherte noch einmal, daß der Graf sich durchaus irre, und daß seine Bemerkungen über Gesang fast eben so einseitig als fein zu nennen wären. Denken Sie denn Ihr sonderbares Gelübde zu halten? fragte hierauf der Baron.

Ich muß wohl, erwiederte der Graf, denn mögen Sie auch lächeln und es unbegreiflich finden, jener wunderbare süße Ton hat mir Liebe, wahre Liebe eingeflößt. Warum soll denn unser Auge der einzige Sinn seyn, der uns dies Gefühl, diesen enthusiastischen Taumel zuführt? Ich träume von dieser Engelsstimme, immer vernehme ich sie, Alles erinnert mich an diesen Ton: o Himmel! wenn er verschwunden, wenn sie gestorben seyn sollte! Ich mag mir die Unermeßlichkeit dieses Elends gar nicht vorstellen.

Die Uebrigen, den Laien abgerechnet, schienen diese Leidenschaft nicht begreifen zu können, oder an sie glauben zu wollen. Da es spät war, trennte man sich, und der Italiener begleitete den Grafen, in dessen Hause er wohnte.

Eccellenza, fing er in einer einsamen Straße an, thut mir die Gefälligkeit, mich übermorgen vor das Thor da in den Tannenwald zu begleiten, da will ich mir umbringen.

Narr! sagte der Graf, was fällt Euch einmal wieder ein? Habe ich nicht versprochen, für Euren Lebensunterhalt zu sorgen?

Alles recht schön, sagte jener, danke auch für die Großmuth; aber ich bin mein Leben völlig satt, so sehne ich mir nach meiner abgeschiedenen Hälfte.

Damit Ihr auch jenseit, fragte der Graf, Euer Katzenkonzert wieder fortsetzen könnt?

Nicht blos deswegen, erwiederte der Alte, bin aber mit Isabellen so gewohnt gewesen, mit Palestrina, Durante, Bach und alle große Leute, den königlichen Kapellmeister David mit eingerechnet, zu leben, daß ich es mit so ordinären Menschen nicht mehr aushalten kann. Wie rathen mich, Eccellenza, daß ich mir umbringen soll, hängen, schießen oder ersaufen?

Ich werde den Narren einsperren lassen, sagte der Graf.

Hat jedes etwas für sich, fuhr der Italiener fort, ohne sich stören zu lassen: Luft, Feuer, Wasser; jedes ein ganz gutes Element. Ein einziges Ding könnte mich mein Leben versüßen, so daß ich wieder in die Lebenslust einbisse.

Nun, und was?

Daß ich den Herrn Hortensio nochmal anträfe.

Und weshalb?

Daß ich ihn so recht abwamsen, durchdreschen könnte, daß er dazumal meiner Cara die Gesangmethode so verdorben hat.

Phantast! sagte der Graf, indem sie durch die Thür schritten. — Und was ist Eccellenza? murmelte der Alte, indem die Diener ihnen entgegen kamen.

———

Der Kapellmeister war in Verzweiflung. Es war ganz so gekommen, wie er gefürchtet hatte. Die erste Sängerin zeigte sich mehr als empfindlich, sie fühlte sich beleidiget, und sogleich war auf einen Wink von ihr eine recht schwere Krankheit da, die ihr es unmöglich machte, einen Ton zu singen, ja nur ihr Zimmer zu verlassen. Der Enthusiast wandelte und rannte hin und her, aber seine Vermittlung machte die Sache eher ärger als besser, denn da er treuherzig wieder erzählte, was jede der Parteien geäußert hatte, so wurde der Kapellmeister immer mehr erbittert, und die Sängerin ging am Ende so weit, daß sie verlangte, statt der beiden Haupt-Arien sollten zwei ganz neue gesetzt werden, und das Duo im letzten Acte müsse in den ersten und zwar gleich in den Anfang verlegt seyn, auch forderte sie noch für sich die große Arie der zweiten Sängerin, ohne welche Bewilligungen an keinen Friedensschluß zu denken sei. Ueber diese ungeheure Forderungen gerieth der Kapellmeister so außer sich, daß er schwur, sie solle nun in seiner Oper gar nicht singen, ob er gleich noch nicht wußte, wie er seiner Verlegenheit abhelfen sollte. Wenn nur meine Cara noch lebte! rief der alte Italiener aus, der an den Berathschlagungen Theil nahm, und jetzt die Verzweiflung des Kapellmeisters sah; ach! wie brillant könnte die Selige zum Theater wieder auferstehn! Die Rolle ist ganz und gar für sie geschrieben.

Könnt Ihr sie nicht vielleicht selbst übernehmen? fragte der Kapellmeister in tragischer Bosheit.

Signor si! rief der Alte, wenn Ihr kein ander Subject findet, ich kann zum Entsetzen einen hohen Sopran durch die Fistel singen.

Es kommt wirklich fast auf eins hinaus, rief der Componist in seiner Verzweiflung, ob man so oder so parodirt wird; wenigstens würde doch kein Liebhaber bei einer unpassenden Gelegenheit klatschen, und kein Eifersüchtiger oder der Bewunderer der zweiten Dame aus Neid pochen und zischen. Unternehmt Ihr, Alter, aber auch liebenswürdig zu erscheinen?

Was der Mensch leisten kann, antwortete jener, der es für Ernst hielt: vor dreißig Jahren war ich zum Malen hübsch, und wenn ich mal auf Carneval in Weibskleidern ging, lief mir alles junge Mannsvolk nach.

Die Prima Donna hätten wir also, sagte der Enthusiast, und wenn die Oper nur Nacht und Verfinsterung des Theaters erforderte, und kein Mensch die Sache erführe, so käme es wohl auf den Versuch an, welche Wirkung der alte Freund machen würde.

Wenn ich nicht vor der Aufführung todt bin, warf der Italiener ein, so wie das andere Subject krank ist, so möchte ich wohl in das Sterben gerathen.

Ich sehe schon, beschloß der Kapellmeister, ich bin vergeblich hergereist, ich habe umsonst alle Anstalten getroffen. So lange es unmöglich bleibt, von Obrigkeits wegen einen solchen Eigensinn zu bestrafen und zu hindern, so lange das Publikum selbst nicht eine solche Frechheit und Verachtung seiner so ahndet, daß kein zweiter dieselbe Vergehung wieder wagt, so lange bleiben wir das Opfer dieser Caprice von unwissenden Menschen, die für ihr mäßiges Talent viel zu sehr belohnt und von den Directionen und allen Zuhörern verzogen werden. Ich werde wieder einpacken.

Der Enthusiast weinte vor Schmerz, der Italiener aber sagte: Ihr habt ganz recht; nicht wahr, das Leben mit all den Mühseligkeiten ist nicht die Rede werth?

Ich bin es wenigstens völlig satt, antwortete der Componist.

Nun, so kommt mit mich, leistet mir Gesellschaft, sagte der Alte sehr freundlich, indem er sich an ihn schmiegte.

Wohin?

Nach jenseit, nach dem weiten großen Raum, wo man Ellenbogen-Freiheit nach Herzenslust hat. Sagt, Mann, wollen wir uns lieber ins Wasser schmeißen, oder frisch den Kopf abschießen, wie dem Vogel von der Stange?

Geht, rief der Musiker, Ihr seid schon am frühen Morgen trunken.

Nein, sagte jener, ich habe einmal einen heiligen Schwur gethan, mir aus dieser Welt hier fortzuschaffen, wenn ich nicht etwa den lieben Signor Hortensio wieder antreffen thäte: das würde natürlich die ganze Sache verändern. Aber wenn mir die Freude nicht arrivirt, sagt nur selbst, was ist denn das für ein lumpiges Leben hier unten? Da sitzt Ihr immer, närrischer Maestro, und klimpert auf das Clavier, und schreibt Eure Eingebungen auf, und ängstigt Euch um Invention, Charakter, Melodie, Styl, Originalität, und wie man Kunstwesen alles nennt: und wer dankt es Euch? Wer merkt es nur ein bissel? Laßt uns doch mal als vernünftige Männer in Tag hinein reden: ist es denn nicht spaßhafter, sich aus dem Staub zu machen? Ja, Ruhm, Nachwelt! Wollen der lieben Nachwelt ein bissel entgegen gehn, und mal hinter den Vorhang gucken, ob es solches Gethier überhaupt nur giebt. Uebermorgen, Freundchen, seid von der Parthie, ich bring’ auch Pistol mit: Ihr müßtet denn lieber baumeln wollen; ist aber jetzt windiges und garstiges Wetter.

Laßt die Narrenspossen, sagte der Musikus sehr ernst, es wird noch dahin kommen, alter Thor, daß Ihr nach dem Tollhause wandert.

Und wohnen da nicht auch Leute? sagte der Italiener grinsend; Ihr habt Vernunft noch nicht viel gebraucht, junger Mann, da ist sie noch ein bissel frisch! wer sie aber so wie ich strapazirt hat, da ist sie mürbe und matt; mir kommt’s gar nicht so sehr auf Ambition an, daß mich Eures gleichen für vernünftig, oder Weisen aus Griechenland hält. Ich habe wohl andern Umgang gehabt, als Ihr, Ihr armer, gegenwärtiger, kurzsichtiger Mensch! und wenn Nestor, oder Phidias und Praxiteles, mit die ich so oft konversirt habe, mich so etwas gesagt hätten, so hätte ich jeden einen Schlag an die Gegend von das Ohr gegeben.

Er lief wüthend fort, und der Kapellmeister setzte sich melancholisch nieder; auch der geschwätzige Enthusiast mußte ihn verlassen, damit er seinem Kummer recht ungestört nachhängen könne.

———

Nein, sagte am Abend der Laie zum Baron Fernow, ich habe dazumal einen Schwur gethan, niemals eine Geige wieder anzurühren, und darum verschonen Sie mich. Der Vater und die Tochter wünschten nämlich, er möchte ihnen nur etwas, das kleinste Liedchen vorspielen, um zu sehen, wie er sich in der Jugend mit seinem Instrumente ausgenommen habe.

Man sollte wohl nichts verschwören, sagte der Baron, am wenigsten die Ausübung einer so edeln Kunst.

Der Kapellmeister trat herein, und erzählte eine sonderbare Anmuthung, die ihm vom Grafen geschehen sei. Dieser habe ihn nehmlich besucht und gebeten, am heutigen Abend mit ihm und dem alten Italiener in den Wald vor die Stadt zu gehn, wo sich der Sänger erschießen wolle; der Graf wünsche wenigstens einen rechtlichen Mann zum Zeugen, der es nachher bewähren könne, daß der alte Thor sich selber umgebracht habe. Der Baron war der Meinung, man müsse den alten Verrückten sogleich fest nehmen und einstecken; die Uebrigen fielen bei, nur der Laie äußerte den Zweifel, ob nicht Jedem das Recht zustehen müsse, über sein Leben zu entscheiden, wie es ihm am besten dünkte. Hierüber entspann sich ein Streit, ob es dem Staate, oder den übrigen Menschen erlaubt sei, über irgend wen eine solche beschränkende Aufsicht zu führen, welches der Baron uneingeschränkt behauptete, da ein solcher durchaus, der einen so unklugen Vorsatz fasse, als ein Wahnsinniger zu betrachten sei.

So muß man erst ermitteln, was Wahnsinn ist, warf der Laie ein; denn wir sehn es in der Geschichte, wie die Gesetze und ihre Vollstrecker nach den Umständen und herrschenden Gesinnungen bald dieses bald jenes zum todeswürdigen Verbrechen gestempelt haben, welches andere Zeitalter zu Tugenden erhoben, oder gleichgültig ansahen, ja selbst verlachten. Frei zu denken, von gewissen Meinungen abzuweichen, hat ehemals Manchen auf den Scheiterhaufen geführt; wegen Zauberei, wegen angeschuldigter Künste ist Manchem der Stab gebrochen worden, und jetzt, wo wir in diesen Punkten Freiheit gestatten, und es doch dulden müssen, wie Viele durch Uebermaaß und Ausschweifung sich vorsätzlich und sichtlich zu Grunde richten, begreife ich nicht, wie man es den Elenden und Verstörten mit Recht verwehren kann, das Leben wegzuwerfen, wenn sie diesen Entschluß wirklich ergreifen.

Sie sind paradox, rief der Baron; ich bin nicht Philosoph gnug, um Sie widerlegen zu können, allein aus den Ueberzeugungen der Religion müssen Sie es selber schon wissen, daß Sie eine böse Sache vertheidigen.

Ich habe versprochen, mit auszuwandern, sagte der Kapellmeister, denn ich kann mir nimmermehr vorstellen, daß der alte Thor Ernst machen wird. Uebrigens wäre es wahrlich nicht zu verwundern, wenn ein armer geplagter Kapellmeister diese Gelegenheit benutzte, und ihm Gesellschaft leistete.

Der Graf trat wie verstört und tiefsinnig herein. Man fragte ihn, ob etwas Neues begegnet sei; er äußerte aber, die Erinnerung an jene Stimme, die ihm durch die neuliche Erzählung wieder mit frischer Lebhaftigkeit in das Gedächtniß gekommen sei, sein rastloses Suchen, die Qual dieser Spannung und die Unruhe, die es seinem ganzen Wesen mittheile, mache ihn völlig elend, und er habe beschlossen, wenn sich der Italiener erst erschossen habe, weiter zu reisen.

So halten Sie es denn für Ernst? fragte der Baron erstaunt.

Wenn er nicht wirklich dazu thut, antwortete der Graf, so nehme ich den Narren wieder auf die Reise mit.

Der Italiener trat herein und schien aufgeräumter, als man ihn noch je gesehen hatte. Alle betrachteten ihn mit einer gewissen Scheu, er aber nahm keine Notiz von diesem veränderten Betragen, und als jetzt der Enthusiast und der Sänger die Gesellschaft vermehrten, wurden Alle in heitern Gesprächen von einer vergnüglichen Laune beherrscht, den Grafen ausgenommen, der seine trübe Miene nicht veränderte. Lassen Sie uns, sagte der Kapellmeister endlich, Einiges von unsern neulichen Erzählungen aufnehmen. Wie ist es möglich, (indem er sich zum Laien wandte) daß Sie nach ihren neuerlichen komischen Bekenntnissen ein so großer Freund der Musik haben werden können? Vielleicht dadurch um so mehr, erwiederte dieser, weil das Gefühl, als es reif in mir war, durch sich selbst und stark erwachte, daß ich nichts Angelerntes, Nachgesprochenes in meine Liebhaberei hinüber nahm. Ich hatte es endlich dahin gebracht, daß ich kleine einfache Lieder begriff, die mir auch wohl im Gedächtniß hängen blieben, die trefflichen von Schulz, zum Beispiel, in denen uns, ohne daß sie uns eben poetisch aufregen, so behaglich und wohl wird, die uns so klar blauen Himmel, grüne Landschaften, leichte Figuren und anmuthige Empfindungen hinmalen, waren mir oft gegenwärtig und verständlich. Nur die größeren Compositionen, am meisten aber die dramatische Musik, waren mir zuwider, wenn ich auch in der letztern manchmal mit Wohlgefallen eine kleine Arie hörte, die sich dem Ohr einschmeichelte. Auch der Harthörigste lernt am Ende die kleinen melodischen Sachen fühlen, wenn ihm auch der Zusammenhang großer musikalischer Dichtungen unverständlich bleibt. Als das erste Mal Don Juan von Mozart gegeben wurde, ließ ich mich bereden, das Theater zu besuchen. Es war unlängst componirt, und des großen Mannes Ruhm noch in Deutschland nicht so begründet, wie bald nachher, welches ich besonders an einem hochgeachteten Musiker wahrnahm, der während und nach der Aufführung nicht gnug über den falschen Geschmack des Werkes reden konnte. Mir aber war, als fiele mir schon während der Ouvertüre eine Binde von allen Sinnen. Ich kann die Empfindung nicht beschreiben, die mich zum ersten Mal überraschte, daß ich wahre Musik hörte und verstand. Mit dem Verlauf des Werkes steigerte sich mein Entzücken, die Absichten des Componisten wurden mir klar, und der große Geist, der unendliche Wohllaut, der Zauber des Wundervollen, die Mannigfaltigkeit der widersprechendsten Töne, die sich doch zu einem schöngeordneten Ganzen verbinden, der tiefe Ausdruck des Gefühls, das Bizarre und Grauenhafte, Freche und Liebevolle, Heitere und Tragische, alles dieses, was dieses Werk zu dem einzigen seiner Art macht, ging mir durch das Ohr in meiner Seele auf. Daß es so plötzlich geschah, vermehrte meine Begeisterung, und ich konnte nun kaum den Belmont desselben Meisters erwarten, dessen Leidenschaftlichkeit mich nicht weniger entzückte. Auch andere Componisten suchte ich zu begreifen, und Glucks großen Styl, seine edle Rhetorik, sein tiefes Gemüth rissen mich hin, ich erfreute mich an Paisiello und Martini, Cimarosa’s heller Geist leuchtete mir ein, und ich bestrebte mich, die Verschiedenheiten des musikalischen Styls, so wie verschiedenartige Dichter zu erfassen und mir anzueignen. Während meiner Universitäts-Jahre verlor ich diese Kunst wieder aus dem Gesichte, doch zurück gekehrt war mein Eifer für sie um so brennender, vorzüglich da einige vertraute Freunde mein Urtheil und Gefühl läuterten. Jetzt wurde ich mit dem wundervollen Genius des großen Sebastian Bach bekannt, in dem vielleicht schon alle Folgezeit der entwickelten Musik ruhte, der Alles kannte und Alles vermochte, und dessen Werke ich etwa nur mit den altdeutschen tiefsinnigen Münstern vergleichen möchte, wo Zier, Liebe und Ernst, das Mannigfaltige und Reizende in der höchsten Nothwendigkeit sich vereinigt, und in der Erhabenheit uns am faßlichsten das Bild ewiger und unerschöpflicher Kräfte vergegenwärtiget.

Der Componist sagte: gewiß, es könnte Schwindel erregen, wenn man überschaut, was Alles vorangehen mußte, bevor Bach seine Werke schreiben konnte; aber es gehört auch wahrlich viel dazu, einer solchen Fuge oder einem vielstimmigen Satz auf die rechte Weise zu folgen, und ihn zu verstehn, es ist gleichsam eine Allgegenwart des Geistes, die ich einem solchen Laien am wenigsten zugetraut hätte.

Nach mehreren Jahren, fing der Laie wieder an, wurde mir es so gut, in eine edle Familie eingeführt zu werden, deren Mitglieder, vorzüglich die weiblichen, auf eine entzückende Art die Musik ausübten. Die älteste Tochter sang einen Sopran, so voll und lieblich, so himmlisch klar, daß ich bei Ihrer neulichen Beschreibung des Gesangs Ihrer Unbekannten, werther Graf, an diese unvergleichliche Stimme denken mußte. Hier vernahm ich nun neben manchem Weltlichen vorzüglich die großen und ewigen Gedichte des erhabenen Palestrina, die herrlichen Compositionen eines Leo und Durante, die Zaubermelodieen des Pergolese, den ich mit den Lichtspielen des Correggio vergleichen mußte, die trefflichen Psalme Marcello’s, die großartige Heiterkeit unsers Hasse, und das dramatische Requiem Jomelli’s: Manches von Feo, die Miserere von Bai und Allegri ungerechnet. So rein, ungeziert, im großen einfachen Styl, ohne alle Manier vorgetragen wird man schwerlich je wieder die Meisterwerke hören. Diese glückliche Zeit versetzte meinen Geist in eine so erhöhte Stimmung, daß sie eine Epoche in meinem Leben macht. Nur in wenigen schwachen Gedichten habe ich versucht, meine Dankbarkeit auszusprechen. Meine Seele war so ganz in diesen göttlichen Tönen aufgegangen, daß ich dazumal nichts von weltlicher Musik wissen wollte, es schien mir eine Entadlung der Göttlichen, daß sie sich zu den menschlichen Leidenschaften erniedrigen sollte. Ich glaubte, es sei nur ihre wahre Bestimmung, sich zum Himmel aufzuschwingen, das Göttliche und den Glauben an ihn zu verkündigen.

Ein Beweis, sagte der Kapellmeister, daß Ihr ganzes Herz damals von der Glorie dieser Erscheinung durchdrungen war. Man thut auch Unrecht, dergleichen wahre Begeisterung Einseitigkeit zu schelten, denn unsre Seele, wenn sie wirklich auf so große Art ergriffen und erschüttert wird, fühlt dann in diesem ihr neuen Element die ganze Kraft und Ewigkeit ihres Wesens: sie findet dann die Schönheit, von der sie früher gerührt wurde, erhöht und vollendet in der neuen Erscheinung, und sieht mit Recht auf ihre frühern Zustände als auf etwas Geringeres hinab. In wessen Herz eine solche Vision nicht steigen und es ganz ausfüllen kann, der weiß überhaupt nicht, was ächte Begeisterung ist. Und gewiß ist die Kirchenmusik, welche freilich die Neueren meist auch so tief herab gezogen haben, die erhabenste und schönste Aufgabe unsrer Kunst. Ich bin aber überzeugt, daß Sie späterhin von selbst eben aus Ihrem Enthusiasmus wieder den Weg zu Ihrem geliebten Mozart und andern gefunden haben.

Natürlich, fuhr der Laie fort, denn die Liebe kann sich ja doch niemals in Haß umwandeln. Ich habe immer die Menschen gefürchtet, die mit ihren Gefühlen in den Extremen schwärmen, und heut übertrieben verehren, was sie in einiger Zeit mit Füßen treten. Unsre Bildung kann und soll nur eine Modification einer und derselben Kraft, einer und derselben Wahrheit seyn, kein unruhiger Austausch und Wechsel, und kein hungerndes Verlangen nach Neuem und Unerhörtem, welches doch niemals befriedigend gesättiget werden kann. Als es mir nachher so gut ward, in Rom von der päbstlichen Kapelle viele derselben Sachen vortragen zu hören, so fühlte ich wohl, daß hier ein eigener traditioneller Vortrag des alten Canto fermo Manches anders und noch einfacher gestalte, aber weder dort noch in den Theatern habe ich je diesen unbeschreiblichen Discant wieder vernommen, und Pergolese oder andere neuere Kirchenmusik ist mir auch niemals in dieser Vollendung wieder vorgetragen worden.

Aus Ihren Beschreibungen, fing der Sänger an, muß ich wohl abnehmen, daß Sie mit der neuen Sängermanier wohl selten zufrieden seyn mögen. Ich gestehe Ihnen aber, daß ich hierin nicht ganz Ihrer Meinung seyn kann: zu große, zu schlichte Einfalt würde mich zurück stoßen, ich will den Virtuosen vernehmen, der die Musik und seine Stimme beherrscht. Wie der Deklamator nicht blos ruhig ablesen soll, sondern durch Erhöhung und Senkung der Stimme, durch kleine Pausen, durch rollende Töne erst zum Schauspieler wird, und das zur Kunst erhöht, was der ganz gute Vorleser doch in der niedrigen Region stehen lassen muß.

Sie haben gewiß Recht, erwiederte der Laie, vorausgesetzt, daß es wirklich das sei, was ich Deklamation im Schauspiel, oder Vortrag des Gesanges nennen kann. Was uns der Graf aber neulich als falschen und schlechten Ausdruck schilderte, muß ich freilich auch als meine Meinung unterschreiben. Und ist es denn in unsern Schauspielen anders? Wie denn überhaupt wohl nie Gebrechen und Vorzüge eines Zeitalters einzeln stehn können, sondern jede Kunst wird eine Abspiegelung der andern seyn, und selbst Staat und Geschichte müssen ebenfalls alle Gesundheits- oder Krankheitsstoffe wieder in ihrem großen verschlungenen Gewebe nachweisen. Eben so wie der Sänger schreit und seufzt, und selten das Gefühl im Ganzen ausspricht, welches die Arie oder das Duo von ihm fordert, so auch der Schauspieler; dieser hilft sich auch durch einzelne übertriebene Accente, herausgehobene Worte, stark unterstrichene Stellen, und muß darüber den Sinn des Ganzen fallen lassen, wodurch die Scene wie die einzelnen Stellen für den Kenner nüchtern und trivial werden. Denn wo gibt es jetzt wohl noch Schauspieler, an deren Leidenschaft man glaubt, die uns täuschen und in ihrem hohlen abgepufften Ton nur irgend Wahrheit sprechen? Ja unser Freund Wolf, so wie seine Gattin machen hievon eine ehrenvolle Ausnahme, so sehr, daß sie fast schon einzeln in Deutschland da stehn, wenn auch hie und da ein Talent sich zeigt, das aber immer nur zu Zeiten jener Manier widersteht, die unser Theater beinah schon völlig zerstört hat. Nicht, daß sich nicht viele Schauspieler bemühten, aber es ist hier eben so wohl wie im Gesange eine falsche Schule entstanden, die Ausdruck, Empfindung durch Einzelheiten, die nicht in der Sache selbst liegen, erregen will, und darüber das Ganze verdunkelt, und wenn wir uns strenge ausdrücken wollen, die Absicht der Kunst, ja diese selber vernichtet.

Sie haben vollkommen Recht, rief der Kapellmeister: aber machen es denn meine Handwerksgenossen, die Componisten selbst, anders? Kaum ein Lied wissen sie mehr zu setzen, wo sie nicht jede Strophe neu componiren, gewaltsam accentuiren, innehalten, abbrechen und in gesuchte und fernliegende Tonarten übergehn, um nur, wo sie die Empfindung wahrnehmen, so starke Schlagschatten hinzumalen, daß man diese Stellen nun zwar nicht übersieht, aber auch gewissermaßen mehr Schwärze als Farbe gewahr wird. Als wenn es dem Sänger nicht müßte überlassen bleiben, auch im wiederkehrend Einfachen eine leise Variation anzubringen, oder als wenn das nicht eben das musikalische Gefühl in unserer Natur wäre, in diesen sich wiederholenden Klängen ohne Weiteres vermöge unsrer Liebe zu ihnen das Mannigfaltige zu empfinden.

Sehr wahr, fügte der Laie hinzu, aus demselben Unglauben fürchtet auch mancher geniale Musiker, wie der herrliche Beethoven, nicht neue Gedanken genug anbringen zu können, deshalb läßt er so selten einen zu unsrer Freude ruhig auswachsen, sondern reißt uns, ehe wir kaum den ersten vernommen, schon zum zweiten und dritten hin, und zerstört so, wie oft, selbst seine schönsten Wirkungen. Sehn wir sogar auf die Götheschen Lieder, die er gesetzt hat: welche Unruhe, welche scharfe Deklamation, welches Ueberspringen. Ich möchte diesem trefflichen Manne, so wie manchem Andern nicht gerne Unrecht thun, aber die Reichardschen Melodieen zu den meisten dieser herrlichen Gesänge haben sich mir so eingewohnt, daß ich mir diese Gedichte, vorzüglich die frühern, nicht anders denken und singen kann.

Wenn Sie so gesinnt, nahm die Tochter das Wort, und die übertriebene falsche Gelehrsamkeit verwerfen, den Ausdruck schelten, der sich vordrängt, und darüber Melodie und eigentlichen Gesang verdunkelt, so hätten Sie ja nun selbst meinen geliebten Rossini gerechtfertiget.

O divino maestro! o piu che divino Rossini! rief begeistert und mit verzerrtem Gesicht der alte Italiener. Eccolo il vero! den ausgemachten Wunderdoktor des Jahrhunderts, der uns verirrte Schaafe wieder auf die rechte Straße bringt, der alle die falsche deutsche Bestrebunge maustodt schlagt, der mit himmlische unerschöpfliche Genie Oper über Oper, Kunstwerk auf Kunstwerk häuft, und sich Pyramid oder Mausoleum erbaut, worunter nachher alle die ausdrucksvolle, gedankenreiche und seelenmäßige Klimperlinge auf ewig begraben liegen.

O wie wahr! rief der Enthusiast, ich habe mir schon oft vorgenommen, keinen andern Componisten mehr anzuhören, so entzückt hat mich jedes seiner Werke, es kam mir nur unbillig vor, da ich doch selber ein Deutscher bin, mich so feindlich meinen Landsleuten gegenüber zu stellen.

Was hat die Landsmannschaft damit zu thun? sagte der Laie: manche Italiener, die gern eine Partei formiren möchten, haben es freilich bequem, wenn sie den Mozart oder gar Gluck zu den ihrigen rechnen, und so gegen Bestrebungen zu Felde ziehn wollen, die ihnen im Wege stehn. Giebt es aber eine wahrhaft deutsche Oper, eine Musik, die wir uns als national durchaus aneignen müssen, so ist es eben die Mozartsche, und es ist sehr gleichgültig, daß der Don Juan ursprünglich für italienische Sänger geschrieben wurde. Italien hat auch deutlich gnug bewiesen, daß es diesen großen und reichen Geist nicht fassen und lieben konnte. Mozart, Gluck, Bach, Händel und Haydn sind ächte Deutsche, die wir uns niemals dürfen abdisputiren lassen, und ihre Compositionen sind, recht im Gegensatz gegen die Italienischen, wahrhaft deutsche zu nennen.

Und dann, fügte der Kapellmeister hinzu, kann man gern dem Rossini Talent und Melodie zugestehen, wenn der Lobpreisende auch uns zugiebt, daß ihm in seiner Eile alles das abgehe, was den Componisten erst zu einem dramatischen macht. Regellos, willkührlich ist er durchaus, und achtet weder Zusammenhang noch Charakter, ja ich fürchte, in diesem leichten und wilden Spiel bestehe sein Talent, so wie das mancher dramatischen Schriftsteller, und ihn zwingen wollen, consequent zu seyn, dem Charakter und Inhalt gemäß zu componiren, hieße nur, ihm das Componiren selbst untersagen.

Sein schneller Ruhm, sagte der Laie, ist wohl nur entstanden, weil eben der ächte Sinn für Musik unterzugehen droht. Denn wie kann man sich doch nur mit diesem völligen Mangel an Styl vertragen, der allen seinen Melodieen einen so niedrigen, geringen Charakter aufdrückt? Seine Sangstücke sind großentheils sangbar, ja recht bequem für unsere jetzigen Sänger geschrieben, aber sehr häufig setzt er auch nur, so vielen Andern ähnlich, wie für Instrumente, und wenn sein Beifall noch lange währt, so wird er auch noch dazu beitragen, die Sänger völlig zu verderben, ja auch wohl den guten und edlen Vortrag der Instrumente, weil er Alles so kleinlich und geringe behandelt. Der Sinn für Musik erwachte bei uns auf eine schöne Weise, er kräftigte sich und es war uns vergönnt, Gluck zu verstehn und uns völlig anzueignen, eine so große Erscheinung, wie Mozart, entstand und vollendete sich vor unsern Augen, Haydns tiefsinniger Humor in seinen Instrumental-Compositionen ergriff alle Freunde der Kunst, des großen Händels Werke wurden wieder studirt, und selbst die Dilettanten fühlten sich von seiner Kunst entzückt, die das Mächtige, Gewaltige erstrebt, jeden kleinlichen Reiz verschmähend; wir sahen Anstalten gedeihen, die auch die alte Kirchenmusik, die herrlichen Werke der verstorbenen großen Meister wieder ertönen ließen, es schien, daß auf immer der Geschmack am Großen und Edeln gerettet sei. Nur hatte sich indessen die Menge auch mit der Musik scheinbar vertraut gemacht, und diese kann, wenn sie sich eine edle Sache aneignet, immer nur bis auf eine gewisse Weite mitgehn, dann wird sie nothwendig das Ergriffene in etwas Geringeres verwandeln, das ihr zusagt. Ehemals hatten wir nur Kenner und oberflächliche Liebhaber in Deutschland, jetzt aber entstand eine Halbkennerschaft statt der Freunde, die sich unschuldig ergötzten. Diese anmaßlichen Kenner haben mit lauter schreienden Stimmen nach und nach das Wort der wahren Musikfreunde verdrängt, ja diese gelten den neuern Enthusiasten wohl gar für eigensinnige, oder gefühllose Kritiker, die aus Neid und Mißlaune die glänzenden Erscheinungen der neuesten Zeit nicht anerkennen wollen. Darum hat auch in meiner Vaterstadt, in Berlin, Rossini am meisten Widerspruch gefunden, weil durch des unvergeßlichen Fasch herrlichen Eifer dort die treffliche Musik-Akademie gegründet wurde, die unser Freund, der wackre Zelter, nach dessen Tode in demselben Sinne fortgeführt hat. Durch die Vergegenwärtigung der alten Meisterwerke, durch den einfachen, edlen Gesang, der dort bekannter ist, als anderswo, sind die zahlreichen Mitglieder zum Bessern verwöhnt, und können sich unmöglich dem zierlich Nüchternen hingeben.

Sie werden es mit meiner Tochter völlig verderben, sagte der Baron lachend, denn sie meint, wo nur Effect sei, da wäre es lächerlich zu fragen, ob die Wirkung auch statt finden dürfe.

Sie hat vollkommen Recht, antwortete der Laie, ich aber auch, wenn ich behaupte, die Wirkung müsse gar nicht eintreten. Um diesen Punkt dreht sich ja die Kritik in allen Künsten.

Darum ist es ein Glück zu nennen, antwortete der Baron, ja gewissermaßen eine weise Lenkung des Kunstgenius, daß ein großer Componist sich diesem kleinlichen Unwesen so mächtig gegenüber stellt, und das so ausgezeichnet besitzt, Styl nehmlich, was jenem ganz abgeht. Ich spreche von dem nicht genug zu lobenden Spontini. Es läßt sich hoffen, daß von dieser Seite durch mächtige Wirkungen der Sinn der Deutschen wird gehoben, und ihr Wohlgefallen an diesem Melodieenkitzel beseitigt werden.

Der Laie schien so in Eifer gerathen zu seyn, daß er allein das Wort führen wollte. Gewiß, sagte er lebhaft, wäre es lächerlich, wenn man diesem Manne ein ausgezeichnetes Talent absprechen wollte, und über die Verdienste seiner Vestalin läßt sich Vieles sagen und streiten. Aber daß er im Cortez und nachher noch gewaltiger ein Brausen und Lärmen der Instrumente, ein Ueberschreien der Stimmen, ein Aufkreischen, ein wildes Getümmel uns hat für Musik geben wollen, scheint mir ebenfalls ausgemacht. Man kann schwerlich im voraus bestimmen, wie viel oder wenig unser Ohr von Instrumental-Musik vertragen soll, denn Mozart hat die meisten seiner Vorgänger überboten, und es gab früherhin auch Kunstfreunde, die bei ihm über zu große Fülle klagten; und schon lange vor diesem hat der große Händel außerordentlich viele Instrumente in Anspruch genommen, um seine erhabenen Gedanken auszusprechen. Aber bei diesen war die Fülle der Töne doch Musik, ein Anschwellen, ein Heranbrausen, ein Abdämpfen und Zurücksinken in eine gewisse Stille und Ruhe, aber nicht dieses ununterbrochene, nie rastende Wüthen aller Kräfte ohne Vorbereitung, Inhalt und Bedeutung, welches nur betäuben kann, und dessen Macht und Gewaltsamkeit mehr erschreckt und ermüdet, als erhebt und erschüttert. Geht der berühmte neuere Componist hiebei nur gar zu oft auf leeren Effect und Schreckschuß aus, so wie manche Schauspieler und Schauspieldichter, wirkt er nur einzig und allein durch große Massen, so ist er zwar wohl nicht der Wandnachbar Rossini’s, aber sie reichen sich denn doch aus einer gewissen Entfernung befreundet die Hände und stehn sich nicht als feindliche Kräfte einander gegenüber. Wohl uns, daß unser hochgeehrter Maria Weber uns zu den schönsten Erwartungen berechtigt, der in dem, was er schon trefflich geleistet hat, so glänzend zeigt, wie viel er in Zukunft noch vermag.

Nun erhob sich die Tochter mit allen Tönen, und der Vater stand ihr bei, um den Laien in die Enge zu treiben, der ihre Lieblinge so keck angegriffen hatte, ohne doch vom Metier zu seyn, da er sein ehemaliges Violinspielen selber nicht in Anschlag zu bringen wage. Unter lautem Lachen wurde disputirt und behauptet, der Teufel sei ein- für allemal unmusikalisch, die Kugelgießerei und der Lärmen dabei schlimmer als was je auf dem Theater getobt, und der Musik, die ganz Deutschland wie verwirrt gemacht, fehle die Mannigfaltigkeit, ein heiteres Element, ja auch jene Ironie, wodurch Mozart erst seine ungeheure Dichtung des Don Juan zu diesem einzigen Werke gebildet habe, so daß bei diesem durch Gegensätze sich Inhalt und Behandlung rechtfertigen, was dort ganz aus der Acht gelassen sei.

Der Kapellmeister nahm sich des armen Laien, der hierauf wenig zu erwiedern wußte, oder den man vielmehr nicht zu Worte kommen ließ, freundlichst an, und meinte, eine Vergleichung auf diese Weise anzustellen, sei unbillig, weil das neue Kunstwerk gar nicht die Absicht habe, sich neben jenes ungeheure zu stellen. Ueberschreitet auch die angefochtene Scene, fuhr er fort, welche gerade die Menge herbei gelockt hat, die Gränzen der Musik, so ist doch übrigens des Vortrefflichen, des ächten Gesanges, des Neuen und Genialischen, vorzüglich aber des wahrhaft Deutschen, im besten Sinne, so viel, daß ich vollkommen in das Lob unsers unmusikalischen violinspielenden Laien einstimmen muß, der Manches wohl eben deswegen bestimmter empfindet und kecker ausspricht, weil er niemals vom Handwerk gewesen ist, und selbst nicht als Dilettant hinein gepfuscht hat, da er sich doch bescheidet, in die eigentlich grammatische Kritik einzugehn. Sollte keiner als nur Musiker mitsprechen dürfen, so würde ja auch für diese nur componirt, und das werden wir uns doch wohl, so wie alle Künstler, verbitten, nur für die Zunftgenossen zu arbeiten, um von ihnen empfunden und verstanden zu werden.

Könnte ich nur, fing der Laie wieder an, den sanften Genuß wieder haben, den mir ehemals die Lila des Martini gewährte. Diese idyllische, reine und heitere Musik wäre nach so manchem Ungethüm unsrer Theater eine wahre Erquickung. Wie würde ich mich freuen, Paisiello’s Barbier von Sevilla wieder zu vernehmen, und es kränkt mich innig, daß man eine solche Composition nicht als eine klassische verehrt, die nun einmal für allemal fertig ist, und an die sich keiner von Neuem wagen dürfte. Denn ist bei Rossini auch hier und da vielleicht ein Moment brillanter, so ist doch der dramatische Sinn des Ganzen, die Bedeutung untergegangen, und nichts gegeben, was sich dem Humor in der Rolle des Alten nur irgend vergleichen dürfte. Die Verwöhnung der gehäuften Instrumente läßt aber befürchten, daß man, wenn man auch einmal diese trefflichen alten Sachen geben möchte, Zusätze zur Begleitung macht, oder diese wenigstens verstärkt. Hier und da habe ich schon murmeln hören, daß Gluck dergleichen bedürfe. Mozarts Figaro ist schon in Violinen und andern Instrumenten doppelt so stark besetzt worden, als es der Componist vorgeschrieben hat, bei dieser heitern Musik um so unpassender, weil dadurch der Witz, das wundersam Leichte und Heitere des Gesanges gestört wird. Es ist, als wollte man treffliche Brillanten aus ihrer leichten Fassung nehmen, und sie, um sie zu ehren, in schweres Gold schmieden. Oder, als riefe man sich witzige und launige Einfälle durch ein Sprachrohr zu.

Man sang zum Beschluß noch Einiges, und die Gesellschaft trennte sich. Beim Abschiede sagte der Baron zum alten Italiener: auf Wiedersehn! Doch dieser schüttelte den Kopf, und wies mit dem Finger nach oben. Der Laie ging nach seinem Hause, weil es schon spät war, und er in der kalten Nacht an einem Abenteuer, an welches er nicht glauben mochte, nicht Theil nehmen wollte. Der Kapellmeister und der Graf wandelten aber mit dem wunderlichen Alten durch die ruhige Stadt, ließen sich das Thor öffnen, und begaben sich nun nach dem Tannenwalde, wo der Lebensüberdrüssige seine Laufbahn eigenmächtig zu vollenden drohte. Als sie unter den finstern Bäumen standen, sagte der Graf: nun, Alter, seid Ihr wieder gescheidt geworden, wollt Ihr nun nicht lieber zu Bette gehn?

In die Ewigkeit thu ich mich hinein legen, sagte der Italiener, und das liebe Vergessen, Ruhe, tiefer, tiefer Schlaf, werden wie Flaumen eines Daunenbetts um mich zusammen schlagen. Adieu, Eccellenza! lebt wohl, thörichter Kapellmeister, der Ihr die schöne Gelegenheit nicht benutzt, allen Euren Jammer, Partituren, Noten, Pausen, Tonarten, Sänger und Sängerinnen los zu werden. Nun laßt mir ein bissel noch über meinen Zustand nachdenken, und dann rufe ich Euch wieder; Kapellmeister kommandirt Eins, Zwei, Drei, und beim Worte Drei, deutlich ausgesprochen, langsam, feierlich, laut, daß liebe Echo auch etwas davon abkriegt und mitspricht, schieß ich mich die ganze Pistole in meinen dummen Kopf hinein.

Ihr werdet doch nicht, sagte der Kapellmeister, so abgeschmackt wie der Hanswurst in der Kreuzerkomödie sterben wollen?

Gerade so muß es geschehen, sagte der Alte, und legte sich in einen Sandgraben nieder. Die beiden Begleiter gingen tiefer in den Wald, die Nacht war still, kein Wind wehte, ein ganz leiser Hauch rührte zuweilen die Zweige an, so daß die Nadeln der Tannen in sanften Tönen lispelten, das Flüstern fortlief, und indem sich dann der Wald in allen Stämmen bewegte, wie ferner Orgelton verhallte. Feierlich genug ist die Stunde, sagte der Musiker. Eine wundersame Empfindung, erwiederte leise der Graf, hat den ganzen Abend in mir fort geklungen: vielleicht bin ich dem Tode näher, als jener alte Wahnsinnige, denn noch nie war mir mein Dasein so abgestanden und leer, so jedes Reizes entkleidet. Ich glaube nun auch, daß jenes himmlische Wesen, welches ich schon lange suche, gestorben ist. — Still! rief jener: hörten Sie nicht Musik? — Vielleicht die fernen Glocken.

Nein, sagte der Kapellmeister gehend: ich höre es deutlicher: und nun erinnere ich mich, hier wohnt der unkluge Alte nicht fern, in dessen Häuschen ich bei meiner Ankunft schon Morgens um fünf Uhr einen herrlichen Discant vernahm.

Der Graf war tief bewegt. Jetzt kommt! kommt! schrie der Italiener, mein Ermorden soll ein bischen seinen Anfang nehmen! Schießt Euch todt, oder hängt Euch! rief der Graf zurück, wir haben jetzt etwas Besseres zu thun, als Eure Possen anzuhören.

Sie gingen weiter, drängten sich durch Baum und Strauch, und der neugierige Italiener hatte sich zu ihnen gesellt. Jetzt tönte ihnen schon bestimmter der Gesang entgegen, und der Graf zerriß sich Hände und Gesicht, um nur aus den Gesträuchen zu kommen, in denen er sich aus Eifer immer tiefer verwickelte. Er drängte endlich hindurch und stand in der Nähe des Häuschens, dessen kleine Fenster erleuchtet waren. Der treffliche Psalm Marcello’s „Qual anhelante“ tönte ihnen voll und rein entgegen, so einfach, so edel vorgetragen, daß der Kapellmeister erstaunt und hingerissen kaum athmete. Sie ist es! sie ist es! meine Einzige! rief der Graf in der größten Erschütterung aus, und wollte sich dem Hause nähern, aber der Kapellmeister hielt ihn fest, klemmte sich an ihn, und warf sich dann zu seinen Füßen nieder, die er umarmte, und rief: o bester, glücklichster Graf! Heirathen Sie sie also, wie Sie gelobt haben; aber gönnen Sie mir vorher das einzige Glück, daß sie erst die Geliebte in meiner ruinirten Oper singt; dann will ich gern sterben, denn eine solche Stimme giebt es auf Erden nicht mehr.

Der Graf strebte zum Hause hin, und der Kapellmeister ließ endlich sein ungeduldiges Bein los. So wie er auf die Wohnung losstürzte und an die kleine Thür klopfte, verstummte der Gesang. Macht nicht so viel Umstände, sagte der Italiener, der Sing-Sang ist nicht der Mühe werth, man sieht wohl, daß ihr meine Selige nicht gekannt habt. Der Kapellmeister, der jetzt eben so außer sich war, wie der Graf selbst, klopfte mit diesem wetteifernd an die Thür, und da sich beide in den Kräften überboten und das Tempo immer schneller nahmen, so entstand dadurch ein sonderbares Concert in der ruhigen Nacht. Im Hause war Alles still, endlich aber schien man drinnen doch die Geduld verloren zu haben, denn ein Fenster öffnete sich und eine leise, heisere Stimme sagte: was giebt’s da? Seid ihr betrunken? Laßt uns ein! rief der Graf: hinein müssen wir! schrie der Kapellmeister: wo ist die Sängerin? der Graf: ich habe sie schon am Morgen neulich gehört, der Kapellmeister, als Ihr mir sagtet, es sei des Teufels Großmutter: aber hinein müssen wir! vereinigten sich nun beide. Seid ihr rasend? rief die erhöhte Stimme des Alten, und in diesem Augenblick schrie der Italiener lauter als Alle: Hortensio! Hortensio! haben wir Euch endlich erwischt? Nun bleib’ ich am Leben! Mag sich umbringen, wer Lust hat, ich halte mich an Euch, altes Fell!

Ich bin der Graf Alten, schrie der Liebhaber; ich der Kapellmeister! rief sein Begleiter, laßt uns nur hinein, daß wir die Sängerin sehn: kommt herab! rief der Italiener, daß wir beide unsre Bekanntschaft erneuern können.

Mein Himmel! ächzte der Greis, so nach tiefer Mitternacht? Meine guten Herren, wenn Sie bei mir was zu suchen haben, so kommen Sie doch morgen, wenn der Tag scheint.

Gut, sagte der Graf beruhigter, morgen früh! der Kapellmeister fand sich auch in den Vorschlag, und als sie friedlich wieder fortgingen, sagte der Italiener: ich bleibe die Nacht hier draußen und passe ihm auf. Morgen früh machen wir Alle unsern Besuch. —

Wie erstaunten, erschraken am folgenden Tage der Graf und der Musiker, als sie das Haus verlassen und öde fanden; noch vor Tage, sagte die alte Aufwärterin, seien die beiden Bewohner ausgezogen und haben in größter Eil alle Sachen fortschaffen lassen. Auch der Italiener zeigte sich nirgend.

———

Ein schöner, heiterer Herbsttag war aufgegangen, die Sonne schien in dieser späten Jahreszeit noch so warm, wie im Sommer, und dies bestimmte den Laien mit seiner Tochter in das naheliegende Bergthal zu fahren. Auf einem kleinen Miethpferde sahen sie in der Entfernung den Enthusiasten auch mit nachflatterndem Kleide auf dieselbe Gegend zusprengen. Der Himmel verhüte nur, bemerkte der Laie zu seiner Tochter, daß der Schwätzer nicht ebenfalls in jenem Thale verweilt, weil er uns sonst mit seinen heftigen Reden und Schilderungen den Tag verderben würde.

Wir müssen uns schon darauf gefaßt machen, erwiederte die Tochter, denn er sagte mir neulich, daß er diese Gegend vorzüglich liebe und sie oft besuche.

Wie sind diese Menschen doch so lästig, fuhr der Laie fort, die eben, weil sie gar nichts empfinden, über Alles in Hitze gerathen können. Aber mehr noch, als bei Kunstwerken, stören sie mich in der Natur, die am meisten ein stilles Sinnen, ein liebliches Träumen erregt, in der ein vorüber schwebender Enthusiasmus und Behaglichkeit sich ablösen, und sie unsern Geist fast immer in eine beschauliche Ruhe versenken, in welcher Passivität und schaffende Thätigkeit eines und dasselbe werden: dazu der Anhauch einer großartigen Wehmuth in der Freude, so daß ich in der schönen Landschaft gegen diese beschreibenden Schwätzer oft schon recht intolerant gewesen bin.

Sie stören fast eben so sehr, wie die unerträgliche Musik, antwortete das Mädchen, da man so oft in der Nähe der Gebäude Tänze oder kreischende Arien vernehmen muß.

Als sie angekommen waren, sprang ihnen der berührige Enthusiast schon aus dem Hause entgegen. O wie schön, rief er aus, daß Sie diesen herrlichen Tag auch benutzen, der wahrscheinlich der letzte helle dieses Jahres ist. Lassen Sie uns nur gleich an den murmelnden Bach gehn, und dann von der Höhe des Berges das Thal überschauen. Es ist eine Wonne, die Schwingungen der Hügel, den kleinen Fluß, das herrliche Grün und dann die Beleuchtung zu sehn und zu fühlen. Giebt es wohl ein Entzücken, das diesem gleich oder nur nahe kommen kann?

Ich will mit Ihnen gehen, erwiederte der Laie, aber nur unter der Bedingung, daß Sie mich mit allen Schilderungen und begeisterten Redensarten verschonen. Wie können Sie überhaupt nur immer so vielen Enthusiasmus verbrauchen? Es ist nicht möglich, wie Sie auch neulich gestanden haben, daß Sie so viel empfinden.

Bei der Kunst, sagte der Enthusiast, setzt man freilich wohl hie und da, dem Künstler zu gefallen, etwas zu, aber in der himmlischen Natur — nein! da kann doch keine Zunge Worte genug finden, um nur einigermaßen das wiederzugeben, was im Herzen aufgeht. Ich habe es aber schon seit lange bemerkt, daß Sie kein großer Freund der Natur sind, denn wie konnten Sie nur sonst, wie ich schon so oft gesehen habe, daß Sie thun, beim schönsten Frühlingswetter in das dumpfe Theater kriechen, um eine Oper zu hören, oder sogar ein mittelmäßiges Schauspiel zu sehn, über welches Sie nachher selber Klage führen?

Weil es mir an solchem Tage, antwortete jener, darum zu thun ist, ein Schauspiel zu sehn, und ich dies mit dem Genusse der Natur dann nicht vereinigen kann und mag. Auch gestehe ich Ihnen, daß ich oft in der schönsten Natur bin, ohne sie mit den geschärften Jäger-Augen in mein Bewußtsein aufzunehmen, wenn mich ein heiteres Gespräch beschäftigt, oder ich auf einsamem Spaziergang etwas sinne, oder ein Buch meine Aufmerksamkeit fesselt. Glauben Sie nur, unbewußt, und oft um so erfreulicher, spielt und schimmert die romantische Umgebung doch in die Seele hinein. Wenn wir uns überhaupt immer so sehr von Allem Rechenschaft geben sollen, so verwandelt sich unser Leben in ein trübseliges Abzählen, und die feinsten und geistigsten Genüsse entschwinden.

Hm! Sie mögen nicht ganz Unrecht haben, sagte der Enthusiast nachsinnend: wenn ich nur nicht einmal den Charakter der Heftigkeit angenommen hätte und bei allen meinen Bekannten als ein Eiferer gölte, so wollte ich mir das Wesen wieder abzugewöhnen suchen. Es ist aber denn doch auch fatal, wenn man, so wie Sie, für einen Phlegmatiker gilt. Da Sie also nichts von Naturbegeisterung hören wollen, so will ich Ihnen lieber erzählen, daß ich schon vorhin, ehe Sie kamen, eine sonderbare Erscheinung hier bemerkt habe. Ein junges, wunderschönes Mädchen stand dort oben auf dem Hügel, sah immerdar auf den Weg hin, der zur Stadt führt, und weinte dann heftig. Sie erregte mein lebhaftestes Mitgefühl, ich ging zu ihr, aber so sehr ich auch in sie drang, so konnte ich sie doch nicht bewegen, mir eine vernünftige Antwort zu geben, oder mir zu erzählen, was sie hier mache, wie sie hergekommen sei und wen sie hier erwarte. Und ich war doch so ganz außerordentlich neugierig, vorzüglich, weil ich dies junge, außerordentlich reizende Frauenzimmer neulich schon bei unserm Baron in der Gesellschaft gesehen habe, wo sich der verwirrte melancholische Graf viel mit ihr zu schaffen machte. — Sehn Sie, sie steigt schon wieder den Hügel hinan, um ihre Beobachtungen anzustellen.

Mit Zierlichkeit und Grazie schwebte die Gestalt die grüne Anhöhe hinauf, und ihre vollen, braunen Locken, ihr leuchtendes Auge, das einfache Gewand und die Geberde wirkten mit unbeschreiblichem Zauber in der anmuthigen Landschaft. Die Tochter fühlte sich bewegt, als sie das schöne Wesen wieder weinen sah, die Thränen stiegen ihr selbst in die Augen, als die Unbekannte jetzt im Ausdruck des höchsten Schmerzes die Hände rang, und sich jammernd auf den Rasen niedersetzte. Lassen Sie uns hinauf steigen, sagte der Laie, das arme Wesen bedarf unsers Trostes und Beistandes, meine Tochter soll sie anreden, wir aber, Herr Kellermann, wollen uns fürs erste schweigend verhalten, und die Betrübte am wenigsten mit zudringlichen Fragen ängstigen. Die Tochter ging zu ihr, und die Fremde bekannte, daß sie ihren alten Vater aus der Stadt erwarte, und nicht begreife, wie er so lange zögern könne, da er ihr diesen Ort angewiesen habe, wo sie zusammen treffen wollten, um weiter zu reisen.

Sie wollen also unsre Gegend verlassen, fragte der Laie, da Sie doch, so viel ich weiß, nur kürzlich angekommen sind?

Ach! mein Herr, antwortete die schöne Fremde klagend, mein lieber Vater leidet schon seit lange an einer schweren Melancholie, an Menschenfeindschaft und tiefem Lebensüberdruß, so zieht er seit einigen Jahren von Ort zu Ort, verarmt immer mehr, wird immer kränker, versagt sich selbst alle Hülfe, und will auch mir das Glück nicht gönnen, ihm beizustehn, da ohne diesen starren Willen meine Talente sein Leben wohl unterstützen könnten. Denn mein Gesang und die Musik überhaupt machen das Unglück meines Lebens.

Sie singen also doch? fragte der Laie sehr lebhaft.

Meine Trauer, mein tiefer Schmerz, erwiederte die schöne Klagende, sind Schuld, daß ich mein Gelübde gebrochen habe. Ich habe meinem Vater geloben müssen, niemals zu gestehen, daß ich singe, auch niemals, außer wenn er zugegen ist, und es mir erlaubt, einen Ton anzuschlagen. Wir wohnten deshalb von der Stadt entfernt, wir vermieden allen Umgang, nur neulich war ich zufällig im Hause des Baron Fernow, wo ein Fremder, ein feiner, anständiger Mann mich über die Gebühr mit Fragen und Aufforderungen zum Singen ängstigte. In der letzten Nacht, als ich, wie ich glaube, in der höchsten Einsamkeit einen Psalm Marcello’s einübe, entsteht vor dem Hause ein Getümmel, wir halten die Leute für Räuber oder Trunkene, der Graf nennt sich endlich, und will eingelassen seyn, noch einige Andere toben eben so laut, und mein Vater kann sie endlich nur beruhigen, indem er ihnen verspricht, am Morgen ihren Besuch anzunehmen. Kaum sind sie fort, so muß Alles in der größten Eile eingepackt werden, noch in der Nacht werden Fuhrleute gemiethet, unsre wenigen Sachen hieher zu fahren, am Morgen muß ich nachreisen, und er verspricht, in wenigen Stunden ebenfalls hier zu seyn, weil er in der Stadt noch unsere Reisepässe besorgen müsse. Hier erwarte ich ihn nun schon manche Stunde, gewiß ist er krank, ein Unglück ist ihm zugestoßen, und ich weiß in meiner Angst nicht Rath noch Hülfe; wo soll ich ihn wieder finden?

Der Laie suchte sie zu beruhigen. Er schlug vor, im Gasthause bis nach Tische den Alten zu erwarten, dann solle sie mit ihm und seiner Tochter zurück fahren, da nur ein Weg zur Stadt führe, so müßten sie dem Vater begegnen, wäre dies nicht der Fall, so solle die Fremde in seinem Hause absteigen, indessen er selbst Erkundigungen einzöge. Auf sein eindringliches Zureden und der Tochter schmeichelnde Liebkosungen wurde sie ruhiger und ging mit ihnen in den Gasthof. Bei Tische wurde man sogar guter Laune, nur verweigerte die Fremde auf die unbescheidene Bitte des Enthusiasten, zu singen, weil dies gegen ihr heiliges Versprechen laufe. Man sprach dann viel über die neulichen Musikstücke, die der Kapellmeister im Hause des Barons habe probiren lassen, sie lobte die Composition als großartig, tadelte aber die Manier der Sänger. Es kann seyn, beschloß sie ihre Kritik, daß ich hierüber völlig im Irrthum bin, aber nach den Grundsätzen meines Vaters, und nach der Gesangsweise, die ich nach seinem Unterricht ausüben muß, ist jene Manier eben so klein als willkührlich. Ja, dürfte ich einmal (aber dazu ist mein Vater auf keine Weise zu bewegen) eine Opern-Rolle, wie diese des Kapellmeisters singen, so schmeichle ich mir, daß ich eine große Wirkung hervor bringen würde, und vielleicht um so größer, weil diese Art jetzt ganz vergessen ist und die Neuheit um so mehr erschüttern möchte.

Wenn Sie diejenige sind, erwiederte der Laie, für welche ich Sie jetzt halten muß, so können Sie einen gewissen enthusiastischen Mann, wenn es übrigens Ihre Gesinnung erlaubte, unbeschreiblich glücklich machen.

Die Schöne wurde roth, und der Enthusiast Kellermann, so wie er das Wort enthusiastisch nennen hörte, sprang eilig herbei und rief: ja gewiß, Verehrte! wie könnte mein Herz wohl so vielfach vereinigtem Zauber widerstehn?

Gebt Euch keine unnütze Mühe, rief der Laie laut lachend, ich meine jenen sonderbaren Grafen, den wir Alle kennen. Ich hoffe einen beglückenden Ausgang weissagen zu dürfen.

Die Schöne wollte sich auf keine nähern Erörterungen einlassen; lobte aber nachher im Verlauf des Gespräches den jungen Grafen als einen schönen und verständigen Mann, der sie auch in der Gesellschaft am meisten interessirt habe.

Auf der Rückfahrt unterhielt man sich mit heitern Gesprächen. Der Enthusiast sprengte wieder auf seinem kleinen Pferde voran, und war bemüht, seine Geschicklichkeit im Reiten zu zeigen. Als sie in die Stadt hinein gefahren waren, sahen sie in der Hauptstraße einen großen Volksauflauf, Getümmel, Geschrei, ein Vor- und Zurückdrängen, der Wagen mußte halten, die Wache machte Platz und der Laie erstaunte, als er den alten Italiener zwischen den Soldaten bemerkte, die ihn als Gefangenen fortführten. Was giebt es? fragte er einen Vorübergehenden. — Je, der braune Schelm, antwortete dieser, hat einen alten Mann so eben todt geschlagen.

Als sich die Menge verlaufen hatte und sie weiter fahren konnten, stürzte ihnen aus einem großen Hause der Graf entgegen, er rief, daß man anhalten solle, und mit einem Ausdrucke übermenschlichen Entzückens half er Julien aussteigen. Der Laie und die Tochter folgten, um zu sehen, wie sich die Scene entwickeln würde.

———

Im Saale fand Julie den alten Mann im Lehnstuhl sitzen, blaß und erschüttert, aber wohl und unverletzt. Man erfuhr, daß er den ganzen Tag durch Hin- und Herschicken, indem er seine Pässe berichtigen und auslösen mußte, von der Polizei war aufgehalten worden. Als er endlich fertig zu seyn glaubte, und eben einen Wagen suchte, um seiner Tochter nachzureisen, begegnete er dem thörichten Italiener, der ihn sogleich auf offener Straße angriff, um ihn zu mißhandeln, als er aber um Hülfe rief, nahmen sich die Vorübergehenden des Greises an, und der Verwirrte wurde der Wache übergeben. Julie liebkosete den Alten, und suchte ihn durch ihre Zärtlichkeit zu beruhigen. Der Enthusiast, so wie der Kapellmeister waren ebenfalls Zeugen dieses Auftrittes.

Vielen Dank, sagte endlich der Alte, bin ich Ihnen, mein Herr Graf, schuldig, daß Sie sich meiner so freundlich angenommen haben, jetzt aber lassen Sie uns abreisen, damit wir recht bald den Ort unsrer neuen Bestimmung erreichen.

Er stand auf und wollte gehn, Julie blieb zaudernd, und blickte verlegen auf die Gegenwärtigen, der Graf aber trat vor den Greis hin und sagte mit zitterndem Tone: können Sie mir das Glück meines Lebens entreißen wollen, dem ich so lange nacheilte, jetzt, nachdem ich es endlich so unverhofft und so wunderbar gefunden habe?

Was meinen Sie? fragte der Alte.

Selig würde ich seyn, antwortete der Graf, wenn Ihre Tochter sich entschließen könnte, mir ihre Hand zu schenken. Ich bin reich, völlig unabhängig, lassen Sie uns in Liebe, Freundschaft und Musik verbunden ein Glück begründen und genießen, wie es nur immer auf Erden möglich ist.

Der Alte taumelte wie erschrocken zurück, er mußte sich vor Zittern wieder niedersetzen. Wie! rief er im heftigen Weinen aus: das könnte Ihr Ernst seyn, mein Herr Graf?

Ich nehme, rief dieser, alle diese Freunde zu Zeugen: doch, Julie selbst?

Nun, meine Tochter, sagte der Alte bewegt, könntest Du Deinen greisen Vater so glücklich machen? Jetzt liegt es in Deiner Hand, mir allen Gram meines Lebens zu vergüten und meine letzten Tage zu verherrlichen. Aber ist es denn kein Traum? Wie kommt dies Alles? Kannst Du Dich entschließen, mein Kind?

Die Tochter war heftig erschüttert. O Himmel! rief der Graf: nein, Gewalt sollen Sie sich nicht anthun: lieber entsage ich allen meinen Hoffnungen.

Können Sie mich so mißverstehn? antwortete Julie, kaum hörbar: hätten Sie wirklich nicht gefühlt, wie sehr ich mich zu Ihnen gezogen fühlte? Habe ich doch seitdem immer Ihr Bild vor Augen gehabt. Aber auch den allerfernsten Schimmer eines solchen Glücks wies ich als einen wahnsinnigen Traum zurück.

Der Graf kniete vor ihr nieder, der Alte legte gerührt ihre Hände in einander, dann sank sie an die Brust ihres Geliebten.

Doch jetzt, rief der Graf aufspringend, nur Einen Ton, Einen Tact, ich weiß es zwar gewiß, daß Du es bist, aber um mich völlig zu überzeugen.

Sie sah fragend ihren Vater an, doch dieser sagte lächelnd: ich löse Dich jetzt gänzlich von dem Gelübde, welches Du mir gethan hast, jetzt darfst und mußt Du Alles thun, was Dein Bräutigam von Dir fordert.

Da sang sie ohne alle Begleitung den Anfang des stabat mater von Palestrina, so stark und voll, so anschwellend die Töne, so gehalten und lieblich, daß Alle, vorzüglich aber der Graf und der Kapellmeister in ihrem Entzücken keine Worte finden konnten.

Ja, sagte der Vater, als man wieder ruhiger war, es ist mein Stolz und mein Glück, diese Stimme gebildet zu haben, ich darf es ohne väterliche Verblendung behaupten, sie ist einzig in ihrer Art, und diesen Vortrag wird man jetzt nirgends hören.

Aber wie kamen Sie nur dazu, fragte der Laie, von Ihrer Tochter sich geloben zu lassen, niemals in Gesellschaft zu singen, ja sogar dieses himmlische Talent zu verläugnen?

O, mein Herr, sagte der Alte, wenn Sie meine Geschichte kennten, mein jahrelanges Elend, wie ich verkannt und gemißhandelt wurde, so würden Sie dies und noch weit mehr begreifen. Von frühster Jugend war mein Sinn und Streben auf Musik gerichtet, aber meine Eltern waren so arm, daß sie für meine Ausbildung nur wenig thun konnten. Mit Chorsingen fristete ich mich durch, späterhin mit Stundengeben. Ich mußte mir Alles selber erringen und auf den mühseligsten Wegen. Als ich den Contrapunct gründlich studirt hatte und Alles versucht und durchgearbeitet, was zu einem musikalischen Componisten nothwendig ist, als ich nun fertig zu seyn glaubte, und schon manche Kirchenmusik geschrieben, die mir gelungen schien, fand ich nirgends Unterstützung, kein Mensch wollte von mir etwas wissen, mein Aeußeres war nicht empfehlend, ich besaß keine feine Lebensart, mir fehlten die einschmeichelnden Manieren. Nach Italien strebte mein Sinn, doch die matten Augen meiner hülflosen Eltern sahen mich so flehend an, daß ich recht im Herzen fühlte, wie es meine Pflicht sei, für sie zu sorgen. So mußte ich denn wieder für ein geringes Geld fast auf allen Instrumenten Unterricht geben, und diese Pein, mit einem ungeschickten gefühllosen Schüler die Geige zu kratzen, immer dieselben Mißtöne zu hören, ist über alle Beschreibung. Nur ein solcher Musiklehrer erfährt, welche Dummköpfe es in der Welt giebt. So bot man mir einen an, der schon sechs Jahre Violine gespielt hatte. Ei! dachte ich dazumal, das ist doch ein Trost, da kann ich einmal musikalisch zu Werke schreiten und vielleicht einen ächten Scholaren erziehn. Er hatte schon Sonaten, Quartetts, Symphonieen und die schwierigsten Sachen durchgearbeitet. Und, denken Sie, als ich ihn nun ins Examen nehme, ist dieser Virtuose nicht im Stande, seine Geige zu stimmen, er kennt keine Tonart, schabt Alles aus dem Gedächtniß daher, hat keinen Tact, und verwundert sich in seiner blanken Unschuld, daß alles das Zusammenhang habe und Wissenschaft sei. Wie das Meerwunder, das schon fast ein erwachsener Jüngling war, seinen Pleyel zusammen rasselte, alle Töne falsch, ohne Bindung und Sinn, kreischend und quitschend, Gesichter schneidend und Pausbacken machend, davon haben Sie Alle keine Vorstellung. Denken Sie, ich mußte mit ihm wieder einen Choral zu spielen anfangen, und nach sechs oder sieben Jahren, die er schon bei einem andern Lehrer verarbeitet hatte, konnte er das nicht einmal leisten.

Die Uebrigen hatten den Laien schon während dieser Erzählung lächelnd angesehn, als dieser ausrief: ist es möglich, daß ich so unvermuthet meinen verehrlichen Musiklehrer wieder finden muß? Ja, alter Herr, damals haben wir uns beide das Leben rechtschaffen sauer gemacht.

Sie sind der junge Mensch von damals? sagte der alte Mann in Verlegenheit; bitte tausendmal um Verzeihung: aber es war mir doch so merkwürdig, daß ich diesen Umstand niemals wieder vergessen habe. — Auf diese Weise ging dann meine Jugend hin. Meine Eltern starben, ich war aber indeß alt geworden. Nach und nach gab man in kleinen Orten von meinen Compositionen. Hier und da versuchte auch ein Theater meine Opern darzustellen, aber sie machten kein Glück. Als ich meine Gattin, eine herrliche Sängerin, kennen lernte, und sie ihr Schicksal mit dem meinigen vereinigte, schien mir nichts mehr zu wünschen übrig. Aber nach der Geburt meiner Tochter war ihre Stimme schwächer geworden. Ach was ist es doch für ein unermeßlicher Verlust, wenn eine wahrhaft schöne Stimme verloren geht. Es ist ja noch weit mehr, als wenn uns ein geliebter Freund abstirbt. Und doch muß sich der Mensch auch darein finden. Meine Frau wollte es aber nicht, sie sang immer schwächer, immer stärker griff sie sich an, und sang sich zu Tode. Nun war mein ganzer Himmel diese meine Tochter. Eine kleine Pension, die mir das Theater zukommen ließ, das ich eine Zeit lang dirigirt hatte, schützte mich vor der äußersten Dürftigkeit. Von jetzt vertiefte ich mich erst recht in die großen Kirchenmusiken der alten Meister. Immer armseliger erschien mir die Gegenwart. Alle die Manieren, die Liebhabereien, die überhand nahmen, waren mir verhaßt. Am abscheulichsten aber erschien mir die neue Singmethode, welche immer mehr einriß. Der rechte Ton muß wie die Sonne aufgehn, klar, majestätisch, hell und immer heller, man muß die Unendlichkeit in ihm fühlen, und der Sänger muß ja nicht verrathen, daß er die letzte Kraft ausspielt. Eine Musik, recht vorgetragen, wiegt sich wie ein Stück des Himmels, und sieht aus dem reinen Aether in unser Herz, und zieht es hinauf. Und was ich einzig und allein im Ton hören will, ist die Begeisterung. Einen tragischen oder göttlichen Enthusiasmus giebt es, der heraus klingend jeden Zuhörer von seiner menschlichen Beschränktheit erlöst. Ist die Sängerin dieser Vision fähig, so fühlt sie sich vom Sinn des Componisten, aber auch zugleich vom Sinn der ganzen Kunst durchdrungen, daß sie Schöpferin, Dichterin wird, und wehe dem armen Kapellmeister, der dann noch Tact schlagen, und das Tempo zu starr fest halten will, denn die Eingeweihte darf über die gewöhnlichen und nothwendigen Schranken hinaus steigen, und sich wie ein Engel schwebend aus dem Grabe des Zeitlichen erheben, und triumphirend in lichter Glorie dem Unsterblichen zufliegen.

Das ist es, sagte der Laie, was ich neulich habe aussprechen wollen.

Die meisten Künstler, fuhr der Alte fort, sind nur höchstens von ihrer eigenen Virtuosität trunken, selten, selten, daß einer nur wagt, den Componisten zu verstehn, geschweige über ihn hinaus zu schreiten. So wie im letzten Fall der Componist verherrlicht wird, so wird er im ersten fast immer vernichtet, doch ist diese Begeisterung nicht ganz zu verwerfen, weil alsdann, wenn auch auf eitle Weise, Seele in den Gesang kommt, in so fern nämlich der Sänger ein wirklicher ist. Mein Kind erwuchs, und ward ganz, wie ich es mir gewünscht. Sie faßte meinen Sinn, sie bekam eine Stimme, wie ich sie noch niemals gehört hatte. Ich glaubte, ein unschätzbares Kleinod in ihr zu besitzen. In dieser Ueberzeugung schrieb ich von ihr einem großen Hof, wo man sie zur Kammersängerin berief. Nun glaubte ich, in Ruhe und ohne Armuth meine Tage beschließen zu können. Die vornehme Welt ist versammelt und sie singt ein altes Musikstück, so, daß mir die Thränen in den Augen stehn; ich selbst hatte sie nie so singen hören, denn sie hat Stolz, die Umgebung befeuerte sie. Und wie sie endigt, keine Hand, kein Wort, kein Blick. Der alte Kapellmeister kommt dann zu mir und flüstert, der Fürst und die Damen hätten geäußert, und er selber müsse die Meinung unterschreiben, meine Tochter möchte noch erst Unterricht von einem guten Sänger haben, um Schule zu bekommen.

Das ist es eben, rief jetzt der Graf aus, was sie wollen, Schule, Methode, wie sie es nennen, statt des Gesanges. Ja, das war jener Abend, als ich, Julie, in Wonne aufgelöst hinter Deinem Rücken stand, und Dein Angesicht nicht sehen konnte. Methode! gerade als wenn ein Solimene oder Trevisano den Raphael bedauern wollte, daß er nicht mehr Schule in seinen Werken zeige.

Julie sagte: glauben Sie mir, mein Vater, ich kann besser singen, als ich jenen Abend sang. Ja, vor Freunden, die uns verstehn, die unserm Sinn entgegen kommen, wird die Stimme noch einmal so mächtig und die Sicherheit unendlich. Aber man fühlt es auch vorher durch geistigen Instinkt, wenn wir vor Unverständigen uns hören lassen sollen. Wird bei jenen der Gesang wie Gold in Gluth der Liebe geschmolzen, so versagt bei diesen Stimme und Muth, ja der Ton wird oft, trotz aller Anstrengung, kümmerlich. An jenem, mir fürchterlichen Abende sah ich mich geflissentlich nicht um, und doch steckten mir alle die Augen der gelangweilten Hofdamen und die verwunderten Blicke der neugierigen Cavaliere in der Kehle.

Das Unglück, dieser Unsinn, nahm der Alte wieder das Wort, verwirrten mir auch den Kopf. Ohne es nur anzuzeigen, reisete ich noch in derselben kalten Nacht mit meiner Tochter wieder ab. Sie mußte mir feierlich geloben, nie anders, als nur in meiner Gegenwart, und wenn ich es ihr erlaubte, zu singen. Kam sie unter Menschen, die jetzt fast alle gern kreischen und zwitschern, so mußte sie fest verläugnen, daß sie nur irgend was von Musik wisse. Wir lebten sehr einsam, kamen wenig oder gar nicht unter die Leute. Mein Gemüth verfinsterte sich immer mehr, und hätte mich nicht meine Tochter getröstet, so wäre ich wohl längst gestorben, oder Wahnsinn hätte mich ergriffen. Ist mir doch fast, als wäre ich in manchen Stunden diesem Elende nicht allzufern gewesen. Oefter wechselte ich den Wohnsitz und kam nun hieher, um draußen, in der Nähe finsterer Tannen recht einsam zu leben, und ungestört mit meinem Kinde Gesang und Musik zu üben, da sah mich neulich der Herr (indem er auf den Kapellmeister wies) draußen, und gestern wollten sie beide in der Nacht mein Haus bestürmen, was ich freilich ganz anders auslegte, als es sich nun zu meinem unerwarteten Glücke ausgewiesen hat.

Man setzte fest, daß noch heut Abend die Verlobung seyn sollte, zu welcher auch der Baron und seine Familie gebeten wurde.

Aber halt! rief der Kapellmeister, Ihr Gelübde, Herr Graf, welches Sie in dieser Nacht gethan haben, daß Ihre schöne Braut noch vor der Vermählung die Hauptparthie in meiner Oper singen soll!

Es sei, sagte der Graf, wenn es meiner Julie nicht unangenehm ist. Man sah es ihr aber, auch ohne ihre Versicherung wohl an, daß es ihr Freude mache, auf eine so glänzende Art ihr großes Talent zu entwickeln.

———

Ehe der Graf in das Schauspiel ging, nahm er noch einmal den alten Italiener einsam vor und sagte: Ihr hättet neulich fast Unglück gestiftet, alter Thor, reiset nun, wozu ich Euch ausgestattet habe, in Eure Heimath zurück, lebt dort ruhig, und Ihr werdet richtig Eure Pension ausgezahlt erhalten, die Euer Alter froh und sorgenlos machen kann.

Eccellenza, antwortete der Verwirrte, seyn die Großmuth selbst: bitte auch auf Knieen um Pardon, daß den Schwiegervater habe prügeln wollen, den alten boshaften Hortensio, der alle Musik ruinirt. Ich hatte lange draußen gelauert, und war im Wald vor Müdigkeit und Chagrin eingeschlafen, unterdessen er auf und davon. Untersuche alle Dörfer dort, komme müde und matt zurück, da rennt er über die Straße: Herr Graf, da zog es mich so allgewaltig, ich mußte losprügeln, und wenn’s mein leiblicher Vater gewesen wäre.

Als Julie sich in der schöngesetzten Parthie zeigte, und in vollen Tönen so sicher ausstrahlte, war das Entzücken des Publikums allgemein. Die Zeichen des Mißfallens, die einige Freunde der eigensinnigen Sängerin wollten hören lassen, mußten beschämt verstummen. Als die große Arie gesungen war, entstand ein so lautes Beifallrufen, ein solches Jauchzen und Geräusch, daß Musik und Stück inne hielt. Als es ruhiger war, hörte man eine laut heisere Stimme, die vom Parterre herauf rief: taugt nix! gar nix! miserable Pfuscherei, kein Vortrag: ist nur Aberwitz und deutsche Seelenmanier des verrückten Herrn Hortensio! Es war der alte Italiener, der sich noch einmal vernehmen ließ, aber genöthigt wurde, das Theater zu verlassen.

Noch niemals hatte in dieser Stadt eine Oper so großes Glück gemacht, der Kapellmeister war beseligt, der Vater glücklich, der Graf entzückt, der Laie in frühere Jahre versetzt, und der Enthusiast, was die Uebrigen freute, ohne Worte.

Bald darauf war die Vermählung der Glücklichen. Dann zog der Graf auf seine großen Güter; alte Musik, die Compositionen Hortensio’s, Opern wurden in seinen Sälen gegeben, und die abwesenden Freunde hörten in Briefen nur von der ungetrübten Freude dieser auf so wunderliche Art Vereinigten.

Anmerkungen zur Transkription

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