Title: Des Vaters Sünde, der Mutter Fluch
Author: H. Clauren
Release date: March 13, 2017 [eBook #54353]
Most recently updated: October 23, 2024
Language: German
Credits: Produced by the Online Distributed Proofreading Team at
http://www.pgdp.net (This file was produced from images
generously made available by The Internet Archive)
Anmerkungen zur Transkription
Der vorliegende Text wurde anhand der 1823 erschienenen Buchausgabe so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Zeichensetzung und offensichtliche typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche sowie inkonsistente Schreibweisen wurden beibehalten, insbesondere wenn diese in der damaligen Zeit üblich waren oder im Text mehrfach auftreten. Fremdsprachige Zitate und Ausdrücke wurden nicht korrigiert.
Das Original wurde in Frakturschrift gedruckt; Antiquaschrift wird in dieser Version kursiv dargestellt. Abhängig von der im jeweiligen Lesegerät installierten Schriftart können die im Original gesperrt gedruckten Passagen gesperrt, in serifenloser Schrift, oder aber sowohl serifenlos als auch gesperrt erscheinen.
Scherz und Ernst
von
H. Clauren.
Zweite Sammlung.
Erstes Bändchen.
Inhalt:
Des Vaters Sünde, der Mutter Fluch.
von
H. Clauren.
Dresden,
1823,
in der Arnoldischen Buchhandlung.
Der Admiralitätsrath kam von der Session, und lächelte freundlich, als Hulda ihm, wie gewöhnlich, Hut und Stock abnehmend, versicherte, daß es mit der Mutter recht leidlich gehe; sie hofft, setzte das Mädchen mit kindlicher Freude hinzu: heute wieder mit uns essen zu können; suche sie da nur möglichst aufzuheitern; sie bedarf dessen in ihrer jetzigen Stimmung mehr, als aller Arznei; ich habe alles Ersinnliche gethan, um sie ein wenig zu zerstreuen, und sie hat sich diesen Morgen viel besser befunden, als die ganze letzte Zeit über.
Der Vater küßte das holde Kind auf die Stirn, und ging mit bejahendem Kopfnicken, auf den Zehen, in das Krankenzimmer der Mutter.
Hulda ließ in diesem den kleinen Tisch nur mit drei Gedecken belegen und die Mutter nahm an demselben ihren Platz. Hulda faltete die Hände und sprach, nach des frommen Hauses alter Sitte, das Gebet zu dem, der seine Welt mit Liebe nähret, laut; in ihrem himmelwärts[S. 4] gehobenen Blick, in dem Tone ihrer Worte sah und hörte man die freudige Rührung, daß die geliebte Mutter sich auf dem Wege der Wiedergenesung, und seit vielen Monaten, heute zum ersten Male, in der Mitte des trauten Familienkreises befand.
Dem Vater trieb das Mädchen mit seiner einfachen, herzlichen Weise, Thränen in die Augen. Er reichte schweigend dem lieblichen Kinde, nach dem Gebete, die Hand, und zog die Rechte der Gattinn an seine Lippen. Diese aber ließ die stille Feier ihres Genesungfestes unerwiedert, tadelte das Essen, und warf der armen Hulda, die sich in sorglicher Auswahl des Beßten erschöpft hatte, Mangel an Aufmerksamkeit vor; sie würde, die ganze Tischzeit über, diesen Mißton festgehalten haben, wenn nicht der Vater, der Bitte des Mädchens eingedenk, die finstern Grillen der Leidenden immer abzulenken verstanden und, zu ihrer Aufheiterung, das Gespräch auf allerlei Gegenstände geleitet hätte. Die frohe Laune und die Gemüthlichkeit ohnehin selbst, ward ihm diese Aufgabe nicht schwer, zumal heute, wo ihm, wie Hulda schon bei der zweiten Schüssel bemerkt hatte, beständig ein leichtes Lächeln um die Lip[S. 5]pen schwebte; wie sie den Vater kannte, mußte ihm auf jedem Fall etwas komisches begegnet seyn, was sein Inneres noch angenehm beschäftigte, und als sie ihm, da er wieder einmal vor sich heimlich lächelte, ihre Vermuthung mittheilte, meinte er, daß sie nicht unrecht habe.
Er erzählte jetzt, daß schon seit länger denn vierzehn Tagen, ihm, allemal, wenn er Mittags aus der Session komme, ein junger Mensch, auf einer und derselben Stelle, unweit der Hauptwache, begegne; Beiden sey das aufgefallen, sie hätten bisher allemal, jeder für seine Rechnung, ein wenig gelacht und heute habe der junge Mensch höflich den Hut gezogen, und höchst freundlich gegrüßt, er, der Vater aber, mitten im Gegenkomplimente, über das Spaßhafte des täglichen Zusammentreffens, sich nicht enthalten können, laut aufzulachen. Ich sehe uns, setzte er scherzend hinzu, wenn das lange so fort geht, noch am Ende die dicksten Freunde werden.
Diese Worte, so unbedeutend sie jetzt klangen, so gewichtig, so eisenschwer wurden sie in der Folge. Manches Wort mag so in den Kreisen der Menschen, kaum gehört, verhallen, was ihnen der Schlüssel zu den Geheimnissen ihrer[S. 6] ganzen Zukunft seyn könnte. Wohl uns, daß es so ist.
Du bist morgen, fuhr er, zu Hulda gewendet, fort: bei Linsings auf dem Balle. Der Alte kennt die ganze Stadt; gewiß weiß der, wer der junge Mann ist; frag’ ihn doch; der Mensch kann vier- fünfundzwanzig höchstens alt seyn, und das kaum. —
Hulda legte, mit komischer Naivität, den Zeigefinger der Rechten, an das Daumen-Spitzchen der linken Hand, als wolle sie die beschriebenen Eigenschaften des Fraglichen, an den Fingern abzählen, —
Hat einen recht hübschen, braunen Lockenkopf —
Hulda war beim Zeigefinger der linken Hand —
Sehr freundliche, dunkelblaue Augen, —
Hulda stand am Mittelfinger, aber in beide kleine Hände schlug, wie aus ungesehenen Wetterwolken, ein leises Zittern, daß sie damit unter den Tisch fuhr, und nicht weiter zählte; denn der Vater, der jetzt von der römischen Nase, von dem Grübchen im Kinn, von den perlweißen Zähnen im wohlgeformten Munde, von dem kräftigen Aeußeren, der freien stolzen Haltung,[S. 7] und der blühenden Gesundheit des jungen Menschen sprach, und den einfachen Geschmack seiner eleganten Kleidung und den Schnee seiner Wäsche lobte, mahlte den nämlichen allerliebsten jungen Mann, der — sie glühte im ganzen Gesichtchen, und wagte nicht, die Augen vom Teller aufzuschlagen; die Mutter aber ward kreideweiß, legte den Kopf in den hohen Lehnstuhl zurück, und die todtenblassen Lippen lispelten leise: nichts weiter, wenn ihr nicht wollt, daß ich sterben soll.
Hulda und der Vater sprangen auf; Letzterer holte das Riechfläschchen und Hulda trocknete der Angegriffenen den kalten Schweiß, der ihr in glänzenden Tropfen auf der Stirne stand. Man brachte die Kranke wieder zu Bette, und beide stimmten in der Meinung überein, daß die Mutter sich zu zeitig herausgewagt habe, und daß der eben sich ereignete Zufall, Wirkung ihrer noch zu großen Körperschwäche sey.
Den Nachmittag befand sich die Mutter zwar wieder etwas besser; aber, wenn sich Hulda ihrem Lager näherte, fand sie die Leidende fast immer in Thränen, und fragte sie, was dem Mütterchen fehle, so entgegnete dieses mit milder[S. 8] Freundlichkeit, sie solle sich darüber nicht beunruhigen, es werde wohl bald vorübergehen; dem gepreßten Herzen thue es zuweilen wohl, sich still ausweinen zu können, und so hätte sie auch jetzt eine Art von Erleichterung darin gefunden; daher ihr gegenwärtig viel wohler sey, als vorhin.
Mein Mütterchen, sagte Hulda, mit weicher Stimme, und beugte sich zu ihr herab: dem gepreßten Herzen? — was fehlt Dir? was hast Du? vielleicht können wir helfen; Du weißt ja, wir —
Aber die Mutter verneinte schweigend, streichelte die rosige Wange des süßen Kindes, und bat, sie allein zu lassen, um ein wenig zu schlafen.
Hulda ging in den Garten hinab, setzte sich auf den Balkon des Saales, von dem aus sie die herrlichste Aussicht auf den Hafen, und rechts auf den grünen Riesenspiegel des unermeßlichen Meeres hatte, und wollte arbeiten; aber der junge Mensch — das braune Lockenhaar, die veilchenblauen Augen, die frischen Lippen, und wenn diese sich lächelnd öffneten, der Schmelz der blendendweißen Zähne, und das Schelmengrübchen in Wange und Kinn — waren es die leisen Abendlüftchen, die aus den geheimen Tiefen des[S. 9] Meeres herüberflogen und die Blumen auf ihrem Balkon und die leichte Hülle ihres Busens säuselnd durchkühlten, oder waren es die ersten Schauer der jungfräulichen Liebe, — es überhauchte sie auf einmal ein so wunderbares Frösteln durch Blut und Adern, daß sie die Hand auf das drängende Herz legte, und sich, ohne Worte, fragte, was das sey.
Der junge Mensch, es mußte ein Fremder seyn, denn früher hatte sie ihn nie bemerkt; am vorigen Sonntage hatte er, in der Kirche, ihr gegenüber gesessen, und kein Auge von ihr verwandt; zwei Tage später war sie ausgegangen, um einige Kleinigkeiten in einer Modehandlung zu kaufen; nicht zwei Minuten, und der hübsche Fremde tritt ein, und fragt nach französischen Blumen. Der Wohllaut seiner Stimme, das Fremdländische seiner Aussprache, — lächelnd sprach sie ihm halblaut nach. Hier oben auf dem Balkon hörte sie ja Niemand. Sie ärgerte sich noch, daß sie nicht, unter irgend einem Vorwande, länger in dem Kaufgewölbe geblieben; sie schämte sich, daß, als der Fremde weggegangen, sie wieder zurückgekehrt war, um auch so ein Bouquet von brennender Liebe zu verlangen, als der Herr[S. 10] eben eins gekauft hatte; sie freute sich, daß die Modehändlerinn erwähnte, wie der Herr das Bouquet zwar gewählt, dasselbe aber, weil es, nach seiner Meinung, nicht brennend roth genug gewesen, nicht gekauft habe; sie lachte heimlich, daß sie nun auch das Roth der Blumen zu blaß gefunden, und sie darum auch nicht genommen, und sie beruhigte sich, daß — lag denn darin nicht der offenbare Beweis, daß er, lediglich und einzig und allein, um ihretwillen, in das Putzgewölbe gekommen war; hätte er das Bouquet gekauft, — sie beugte sich tiefer auf ihre Nätherei nieder, denn es war, als führe ihr ein schmerzlicher Dolchstich mitten durch das Herz — hätte er die Blumen gekauft, so müßte er Jemand gehabt haben, dem er sie schenke, aber so — sie sah wieder freundlich auf, — und lachte leicht hin in die grünen Wogen des fast windstillen Meeres — denn daß er ihr, und nur ihr zu Gefallen gegangen war, das lag ja am Tage; brennende Liebe hatte er verlangt! Er konnte ja nicht deutlicher reden! dieß Roth — alle Pariser Blumenfabrikanten waren nicht im Stande, es schöner zu liefern — dieß Roth schien ihm noch nicht brennend genug. Gestern, als er vor dem Hause[S. 11] vorbeiging, — wäre nur nicht Hafen-Kapitains Linchen gewesen, — hätte sie so gern das Fenster ein wenig geöffnet, denn der Mutter ist frische Luft im Zimmer zuweilen recht zuträglich; aber so mußte sie hinter dem Vorhange blos ein Bischen lauschen, denn Linchen, das dumme Ding drüben, stand in dem Erker, wie vom bösen Schicksal hinbestellt, das hätte den Augenblick gewußt, was es bedeute, und wahrhaftig, das Mädchen wäre auch stockblind gewesen, wenn es das nicht gemerkt hätte, denn mit unverwandtem Blicke auf das Fenster, geht er, als wollte und müßte er die Scheiben mit den Augen durchbohren; der alte Kohlenträger schreit zweimal, Platz da, Platz da, noch ein Schritt, da stößt der lange Kohlensack, der weit über den Kopf des tief gebückten Trägers hervorragt, den Stillverzückten in das Gesicht; dieser prallt rechts, rennt den alten Gipsitaliener, der sein ganzes Büsten- und Figuren-Magazin von Kaisern, Königen, Gelehrten und Grazien, auf einem langen Brete, auf der Schulter trägt, mit sich nieder, reißt im Stolpern den Markt-Tisch der dicken böhmischen Glashändlerinn an der Ecke, sammt dem ganzen Kram, über den Haufen, und schlüpft,[S. 12] fast auf allen Vieren weiter turkelnd, in die, zum Glück offenstehende Apotheke; beschwichtiget hier, wie später das Hausmädchen berichtete, die ungestümen und mehr denn heidnischen Entschädigungforderungen des italienischen Gipsmannes und der böhmischen Glasfrau, mit ungezähltem Golde, und entzieht sich, durch eine wohlthätige Seitenthür die in das Nebengäßchen, dem, um Gips- und Glas-Ruinen zusammengeströmten Janhagel von Matrosen und Straßenjungen.
Sie mußte noch kichern, wenn sie an die verwünschte Scene dachte, aber über Hafenkapitains einfältige Lina konnte sie sich ärgern. Diese hatte sich zum Fenster heraus gelegt, und vor Lachen gerade heraus geschrien. Gott! die ging nun doch eigentlich die Geschichte auch nicht im Mindesten etwas an; und in dem lauten Lachen, in dem Herauslegen, lag so etwas Gemeines, so etwas Schadenfrohes; das Mädchen war ihr lange schon zuwider gewesen, aber jetzt konnte sie es gar nicht mehr ausstehen. Die Böhmin aber und der Italiener schienen recht gute Menschen zu seyn; Beide hatten, nach des Hausmädchens Rapport, in der Apotheke gemeint, dergleichen Unfälle könnten dem beßten Menschen begegnen,[S. 13] und es wäre nur ein wahres Glück, daß der hübsche Herr keinen Schaden genommen habe, denn um ein solches junges liebes Blut, wäre es doch ewig Schade gewesen.
Und nun heute, muß der Vater von dem Menschen bei Tische anfangen; denn daß das der nämliche war, litt gar keinen Zweifel. Sie — sie selbst, sollte sich nach ihm erkundigen. Das konnte sie ja nicht; ja wenn das abscheuliche Rothwerden nicht wäre. Der alte Handels-Gerichts-Director Linsing, wenn der sie dazu ansah, mit seinem blinzelnden Blick, er stand ganz lebendig vor ihr, das eine Auge ganz zu, und das andere so scharf auf sie gerichtet, — nein, sie konnte gewiß kein Wort herausbringen; er mußte bestimmt denken, sie frage mehr im eigenen, als in des Vaters Namen. Und dann, die Linsingschen Mädchen! Hätten die nur etwas der Art ergattert, sie hätten sie zu Tode gequält. Wissen mochte sie es wohl freilich gern, und der alte Linsing, der Director, konnte ihr alles wahrscheinlich ganz genau sagen; des Mannes Haus stand allen Fremden offen; wer nur das Weichbild der Stadt betrat, und nicht ganz ohne alle Bekanntschaft kam, war in diesem gastfreundlichen Hause[S. 14] eingeführt; sie probirte drei- viermal, wie sie fragen wollte, ohne Verdacht zu erregen, aber — nein es ging nicht; sie stockte jetzt schon, wenn ihre Lippen, von der ganzen Welt ungehört, die Anmuth des Mannes, in Worten aussprechen sollten, dessen Namen zu wissen, der Vater begehre; wie sollte sie sich getrauen, dieses Wagestück der jungfräulichen Liebe, im Kreise einer Familie zu vollführen, die, bei ihrem Scharfsinn in dergleichen kleinen Neckereien, das Verfängliche ihrer schüchternen Rede, gleich aus der ersten Sylbe — Was ist das? — da unten im Hafen, auf dem amerikanischen Dreimaster? so wahr der Herr lebt, da stand der junge Fremde auf dem Verdeck. Er hing nachläßig den einen Fuß über die Laufplanken, welche den Raum für die Finknetze umzäunen; dann sprach er, den linken Arm um den Besahnsmast geschlungen, mit dem Steuermann; ging hierauf mit diesem und sah nach dem Bug und nach dem Vorspill, stieg, es verging ihr der Athem, auf die Spitze des Kraanbalkens, lief, flink wie ein Eichhörnchen, auf das Bugspriet hinaus, setzte auf die Riegel des Galjons herab, kletterte, trotz der beßten Katze, vom Vorsteven weiter hinauf, und[S. 15] hatte dem Steuermanne überall etwas zu zeigen und zu weisen; und dieser nickte, immer den Hut in der Hand, sehr ehrerbietig, daß es schier aussah, als sey das amerikanische Prachtschiff des jungen Mannes Eigenthum.
Gar nicht übel, so ein Schiffchen, sagte lächelnd Hulda halb laut, und weidete sich an dem Anblick des jungen stattlichen Schiffsherrn; bisher hatte sie ihn immer im schwarzen Frack gesehen, jetzt — bestimmt hatte er gar kein Logis in der Stadt gemiethet, sondern wohnte, wie das in den Seehäfen wohl gewöhnlich ist, in der Kajüte seines Dreimasters — jetzt hatte er es sich bequem gemacht, und sich in sein seemännisches Negligee geworfen; die Tracht stand ihm, meinte Hulda, die in ihrer ungesehenen blumenumdufteten Höhe kein Auge von dem frischen, kräftigen Seefahrer verwendete, wunderhübsch. Jacke und Beinkleider von seidenem streifigen Zeuche; um den Hals ein schottisches Tuch geschlungen, dessen leicht geschürzter Knoten auf die offene Brust herabhing; so stand er vom Abendglanze der untergehenden Sonne mild umflossen, und horchte den melodischen Gesängen zu, die auf dem Deck seines Schiffes, vier brandschwarze Neger in ihrer[S. 16] Landessprache recht sinnig begonnen, und lachte über das von dem Deck des neben ihm liegenden Fahrzeuges, emporgellende Gezwitscher der tausend und aber tausend goldgelben Kanarienvögel, die in dem blühenden Orangenwalde, mit dem sie heute erst von den Kanarischen Inseln angekommen waren, frei herumschwärmten, und immer schärfer schrieen, je lauter die Neger sangen.
Im Saale stand — der Herr Amerikaner zwischen den schwarzen Sängern und den gelben Schreiern, er sah gar zu niedlich aus, sie mußte ihn einmal recht betrachten, es sah sie ja Niemand hier, — im Saale stand ein kleines Fernrohr des Vaters; sie schlüpfte hinein, holte es, kam wieder heraus, baute sich auf ihrem Nähtischchen ein kleines Versteck von recht groß buschigen Levkoitöpfen, streckte dann ihr Fernröhrchen dazwischen und lugte, im Geheimen nun überselig, herab, und — sah nichts, denn der Gesuchte war von seinem Verdecke verschwunden.
Sie überflog rasch mit einem Blick den ganzen Hafen, ob er sich etwa unterdessen in ein Boot geworfen habe, und sich an das Land setzen lasse; aber der ganze Hafen war zwar mit solchen kleinen hin und her gehenden Dingern, wie[S. 17] bedeckt, doch der, dem sie nachspähte, fand sich in keinem; der Mensch geht am Ende, sagte sie, mit dem Auge wieder vor ihrem Fernrohr: mit den Hühnern zu Bette! aber an solch einem himmlischen Abend, sich jetzt schon schlafen zu legen, nein das ist ja nicht — sie fuhr in diesem Augenblicke mit dem Rohre an der Seitenwand seines Schiffes herab, da — als schlüge der Blitz ihr das verwünschte Ding aus der Hand, so erschrak sie, und fuhr mit einem lauten Ach, in die Höhe; denn in der einen Geschützpforte des obern Verdecks, hatte der Schelm, hinten im Dunkeln gestanden, ein ellenlanges Telescop vor sich, und dieses gerade auf sie gerichtet; mit diesem Goliath von Telescop langte er sich alle, Millionen Meilen weite Sterne vom Himmel herunter, wie genau mußte er sie hier oben nicht beobachtet haben. Wie mochte er lachen, als er sah, wie sie hinter den Levkoibüschen stecke und ihn auf dem Verdecke suchte — was mußte er von ihr — nein, sie konnte um keinen Preis länger oben bleiben; sie fühlte, ihre Wangen glühten, wie Feuer, und angezogen war sie heute auch nicht besonders; auf eine solche Special-Musterung, wie der da unten, hinter seinen[S. 18] Stauchweegers, über sie hielt, hatte sie sich heute freilich nicht eingerichtet; sie packte ihre Nätherei, mit der sie diesen Abend nicht weit gekommen war, wieder zusammen; er stand — sie warf nur einen halben Viertelsseitenblick hinab, und erkannte, mit bloßen Augen, das große Spährohr, das jetzt, über eine brabanter Elle lang, aus der Geschützpforte hervorragte, — er stand noch immer da, und wenn sie gleich nicht in Abrede stellte, daß sie in seinem Benehmen, sich mit dem langen Dinge nicht vor seinen Matrosen und allen Leuten, auf das Verdeck zu stellen, eine Art von Zartheit finden müsse; so meinte sie doch auf der andern Seite, daß er die ganze Sternguckerei hätte unterweges lassen können, denn wenn das einer ihrer Bekannten, von denen beständig mehrere am Bord bald dieses, bald jenes Schiffes im Hafen sich befanden, gewahrte, so wäre in den ersten vier und zwanzig Stunden, in der ganzen Stadt herum, daß — Gott! der Mensch stand immer noch da; sie hatte nur herab geschielt, aber das Rohr war auf sie gestellt, als hätte es der erste Zieler der Welt gerichtet; sie ward so unnennbar süß befangen, daß sie, vor heimlichem Lachen, sich über das unausstehliche[S. 19] dicke Rohr, gar nicht recht ärgern konnte. Lange schon hätte sie vom Balkon gehen können, aber es gab noch erschrecklich viel dort oben zu schäftern; der Nähtisch war so staubig, der mußte abgewischt werden; die Blumen in den Töpfen — nein der Vater mußte mit dem Gärtner wirklich einmal ein recht ernstlich Wort reden; da war auch nicht ein Stock ausgeputzt, keiner angebunden, keiner — sie nahm einen Topf nach dem andern vor und hatte tausend Arbeit. Das gigantische Rohr, es stand wahrhaftig noch unverrückt. Anfangs war ihr die Sache verdrüßlich gewesen, jetzt, meinte sie bei sich selbst, fange sie an, ihr Spaß zu machen.
Die kleinen goldgefiederten Insulaner waren unterdessen müde geworden und hatten unter den Orangenblüthen, deren aromatischer Duft die ganze Atmosphäre durchwürzte, ihre Nesterchen gesucht; auf dem schwarzbetheerten Grönlandsfahrer links weiter unten, streckten die thranigen Matrosen sich der Länge nach, unter dem Fockmast zur Ruhe; die Neger auf der amerikanischen Fregatte sangen der scheidenden Sonne, die eben, ihre Brüder und Schwestern zu wecken, hinab sank, die wehmüthigsten Melodieen der Sehnsucht[S. 20] und Liebe nach, und immer stiller und lautloser ward es im Hafen; im Westen aber flammte das Feuergold der Himmlischen, und bekantete die dunkeln Nachtwolken, die tief unten am Horizonte dem Meere entstiegen, mit glühenden Säumen. Die indischen weichen Lieder der Schwarzen, klangen in Huldas Herzen seltsam wieder; ihr entzückter Blick staunte schweigend in die unbeschreibliche Pracht der Abendfeier; die Nachtwinde, die auf der gränzenlosen Fläche des Meeresspiegels, ihr eigenes Spiel treiben, jagten das leichte, golddurchblitzte Abendgewölk vor sich her, daß sich daraus oft wunderbare Gestalten bildeten, deren Deutung die Sinnige, ohne die Phantasie sehr anzustrengen, leicht zu finden vermeinte. Die Eisberge, die sich dort in das Unermeßliche hinaufthürmten, mit den zwei riesenmäßigen Bären und der tiefe Schnee — nun, daß das auf Nordamerika zielte, und zwar auf das alleroberste am Nordpol selbst, das lag wohl außer Zweifel. Der ungeheure Wasserfall von mehr denn 4000 Fuß in der Breite, mit seinen Tafel-Felsen, und seinen Staubwolken, und Strudeln und Wirbeln, — das war der furchtbare Katarakt des Niagara, durch den in jeder[S. 21] Minute 700,000 Tonnen Wasser, von unermeßlicher Höhe, unter donnerndem Getöse herabstürzen; die schwarzen kleinen Thiere, rechts unter dem Cran-berries-[1] Gebüsche, das waren gewiß die pechschwarzen Eichhörnchen, die oft in einem Tage zu 50,000 durch den St. Lorenzostrom schwimmen. Die Thürme und die herrliche große Kuppel, das war das Jesuiten-Kollegium und das Franziskaner-Kloster und das neue Schloß zu Quebeck; sie kannte den Prospect aus dem trefflichen Kupferstich, der im Putzzimmer des englischen Konsuls hing; der dichte hohe Laubwald im Hintergrunde links — auch dieser mußte ein amerikanischer seyn, denn dort nur prangen die Wälder, wie sie gelesen hatte, in solchem bunten Farbenspiel. Aber tiefer unten am Himmel stand auf dem Gipfel eines gigantischen Granitberges, eine dürre menschliche Gestalt; Beinkleider, Stiefeln und Strümpfe von Seehundsfellen; ein Hemde von Seerabenhaut; schwarze dünne straffe Haare; ein großer Kopf; dünne Beine, und die Farbe des Gesichts oliven[S. 22]grün. — Richtig, sagte sie lachend: das ist ein Eskimo auf Labrador, also auch ein Amerikaner! Der Glimmerschiefer dort an der nackten Felswand; die schönen himmelblauen Hypersthene, der Polarfuchs, der Papagaytaucher, richtig, richtig, das sind alles heimische Dinge jenes Welttheils; in der Zeichnung von Upernamik,[2] die wir neulich vom Onkel aus Herrnhut bekamen, ist das alles bis auf die geringste Kleinigkeit da. Jetzt bildete sich ein Kr — ja es ward aus düstern Wolken ein langes hohes Kreuz! sie erschrack im Geheimsten ihrer Seele über das sonderbare Zeichen des Leidens, und schüttelte sinnend den Kopf, und sagte heimlich, weg, weg, denn sie konnte kaum mehr hinsehen, in das magische Zauberspiel, so ganz eigen erschien ihr das bedeutsame Marterholz, das fest und unbeweglich dastand, als sey es für die Ewigkeit gezimmert; es wich nicht und wankte nicht, und unten am Stamme gestaltete sich auf dunstigem Nebellager, eine weibliche Figur, die, je länger Hulda hinsah, sich immer mehr und mehr der[S. 23] wolkigen Schleier enthüllte, bis denn endlich die Mutter in kolossaler Größe, aus dem dunkeln Chaos heraustrat, angethan mit einem milchweißen Sterbekleide, über dem Haupte einen goldlichten Heiligenschein; ihre Linke ruhte auf einem Monumente von weißlich grauem Gestein; ihre Rechte aber hielt sie furchtbar drohend, in die Höhe gehoben. —
Mein Mütterchen, rief Hulda seltsam ergriffen: was zürnt mir deine sanfte Liebe? was deutet der graue Grabstein, das weiße Sterbegewand, und der goldige Reif? und — das Kreuz, das entsetzliche Kreuz! will es denn noch immer nicht weichen? —
Es ward dem Mädchen angst und wehe in der gepreßten Brust; es konnte den Blick nicht mehr hinrichten in die gespenstigen Bilder; sie wendete sich, und erfreute sich an der herrlichen Abendbeleuchtung, in der die alte gothische Sophienkirche, drüben über dem Hafen, prangte; alle die langen Fenster waren lauter flimmernde Goldspiegel; das braunrothe Gemäuer schien mit Metall überzogen, und in der dunkelblauen Abendluft blitzte der große Knopf am himmelhohen Thurme, wie — ja, sie hatte nach dem Ameri[S. 24]kaner wirklich nicht wieder sehen wollen, am wenigsten jetzt, aber daß ihr Blick, als sie nach der Spitze des Sophienthurms hinauf sah, beim Mastkorb[3] des amerikanischen Dreimasters vorbei streifte, und daß in diesem, der junge Wagehals, fröhlich und wohlgemuth saß, davor konnte sie nicht. Er hatte das heimtückische lange Sehrohr mit oben, und ergötzte sich an der Aussicht rund um. Der Mastbaum war bestimmt über 100 Fuß hoch,[4] und der Mensch beinelte da oben mit beiden Füßen, und trieb allerlei Kurzweil, als säße er im Sopha; er — nein sie konnte nicht mehr hinsehen; sie waren sich Beide jetzt einander so nahe, und der dreuste Patron gab seinen Wunsch, in der luftigen Höhe hier oben, eine kleine scherzhafte Unterhaltung anzuknüpfen, so deutlich zu erkennen, daß sie nur durch geschwindes Wegwenden vermeiden konnte, nicht von ihm[S. 25] im nächsten Augenblicke freundnachbarlich begrüßt zu werden. Doch ein wenig heimlich und verstohlen hinüber zu schielen, versagte sie sich nicht; der junge muthige Seelöwe — er war gar zu hübsch.
Das Gebilde der Nachtwolken am Abendhimmel, war unterdessen gänzlich verschwunden, nur das Kreuz war noch etwas sichtbar, doch nicht mehr so düster und schwarzdunkel, wie vorhin; es schwebte, vom letzten Strahlen-Glanze der scheidenden Sonne durchglüht, tiefer im Hintergrunde, und zerfloß allmählich in unermeßlicher Ferne, vor Huldas Augen, in die Feierpracht des milden Lichts, das in rosiger Herrlichkeit, jetzt rein und klar, im gränzenlosen Raume flammte, und sich in den ruhigen Wogen des unübersehbaren Meeres wiederspiegelte; Milliarden Silbersternchen schillerten auf der ewig sich hebenden und senkenden chrysoprasgrünen Fläche, und hüpften in die weißen Schaumwellen der sanften Brandung, verschwanden und waren im Nu wieder tausendfältig da, und Hulda hob, verloren im Entzücken des unbeschreiblich großen Schauspiels, das Auge zu dem, der über den Wolken thront, und legte die Hände, gefal[S. 26]tet, auf das in süßer Vollkommenheit klopfende Herz.
Auf der äußersten Höhe der See, am Horizonte, hatte sie schon lange einen schwarzen Punkt gewahrt; er war jetzt näher gekommen, hatte geschossen, die Flagge in Schau wehen lassen und aufgebraßt,[5] und die Lotsen eilten in ihren Booten hinaus, um den englischen Brigkutter, der sich aus jenem schwarzen Pünktlein nach und nach geformt hatte, in den Hafen zu bugsiren.
Als der Kutter das Hafenfort passirte, begrüßte ihn dieses mit seinem Geschütz; sämmtliche vor Anker liegende Fahrzeuge bewillkommten es mit dem gewöhnlichen Hurrah, und der junge Freund im Mastkorbe, schnitt ihm, aus läppischem Muthwillen, die tiefsten Komplimente hinab, so daß Hulda über den komischen Menschen laut — ach nein — das Hähnlein im Korbe ward keck — mitten unter den Bücklingen, die er dem Kutter machte, warf der junge Herr Ame[S. 27]rikaner, — sie hatte es wohl gesehen, — der Nachbarinn auf dem Balkon, ein halb Dutzend Küsse zu. An den Ufern des Missisippi mochte das vielleicht Mode seyn, aber nicht hier zu Lande; sie flüchtete in den Saal zurück, eilte, ohne das Unheil, welches der englische Kutter ihr brachte, zu ahnen, auf ihr Zimmer; drängte das Gesicht, auf dem, — sie wußte selbst nicht warum, — Freude, Muthwille, Lachen und Ausgelassenheit, aus allen Zügen blitzte, vor dem Spiegel in die Schranken des Ernstes zurück, und ging, nachdem sich das Roth, das ihr der Aerger über den vorwitzigen Nachbar im Mastkorbe, auf die Wangen gegossen, ein wenig verloren hatte, zur Mutter.
Diese befand sich über alle Erwartung wohl; sie scherzte, seit mehreren Wochen zum ersten Male, wieder mit Hulda; sie streichelte ihr die Wange; sie liebkos’te das holde Kind mit den zartesten Namen und betrachtete es fast unverwandten Blickes, mit sichtbarem Wohlgefallen.
Hulda konnte sich die auffallende Umwandlung platterdings nicht erklären; sie frug die Mutter, ob in ihrer Abwesenheit etwas vorgefallen sey, was die glückliche heitere Stimmung[S. 28] bewirkte, allein die Mutter erwiederte lachend: soll ich mich meines Kindes nicht freuen? Du bist so fromm und gut; Du bist so frisch und gesund, so groß, und — die Mutter darf das ja dem bescheidenen Kinde in das Gesicht sagen, und so hübsch geworden, und wer dich vor ein paar Jahren sah, und Dir jetzt wieder begegnet, kennt Dich nicht mehr. Wie lange wird es werden, und ich flechte Dir den Brautkranz in’s Haar!
Der lieblichen Hulda flog alles Blut in die Wangen; davon hatte die Mutter im Leben noch nicht gesprochen. Man hatte sie immer noch wie ein Kind behandelt; die Mutter hatte sie, noch vor wenigen Tagen, ihr Kälbchen geheißen, und gefragt, wenn sie denn einmal die Kinderschuhe ausziehen werde, und jetzt — vom Brautkranz! — sollte unterdessen etwa der wilde Mensch, der Amerikaner — aber der war ja seit heute Mittag nicht von seinem Verdeck gekommen, der saß ja bestimmt noch in seinem Korbe. Nein, das war nicht möglich!
Es sollte mich, fuhr die Mutter freundlich fort: nichts glücklicher machen, als wenn ich noch die Seligkeit haben sollte, Dich vor mei[S. 29]nem Hinscheiden, an der Seite eines recht wackern Mannes zu sehen.
Dem Mädchen verging der Athem. Das Gesicht brannte ihm, wie Feuer! Der Dreimaster, das Kreuz, die drohende Mutter, das Sterbegewand, der englische Kutter, der Grabstein, alles wirrte sich ihr in dem Augenblick vor die Seele; sie wollte sich zum Scherz zwingen, und der Mutter versichern, daß es mit dem Brautkranz noch lange Zeit habe, aber — kein Wort konnte sie über die Lippen bringen. Hatte der Mensch mit dem braunen Lockenkopfe und den veilchenblauen Augen — denn keinen andern konnte die Mutter meinen, weil kein anderer auf der ganzen Welt in ihrem jungfräulichen, vor wenigen Minuten noch fest verschlossenen Herzen lebte — hatte der vielleicht durch einen Dritten — nein aber so rasend konnte er, wenn sie ihm auch, nach seinem Benehmen, alle Tollheiten zutrauen mußte, doch nicht seyn.
Schenkt mir der liebe Herr Gott, setzte die Mutter ernster werdend hinzu: meine Gesundheit wieder, und fristet er mir mein Leben, so[S. 30] gehört es zu dessen einziger Glückseligkeit, daß ich Dich in der Nähe behalte. Mütter, die das Liebste ihres Herzens, ihre Kinder, aus dem Hause in die weite Welt ziehen sehen, büßen mehr denn die Hälfte ihres ganzen Lebensglücks unwiederbringlich ein. Du bist jetzt in den Jahren, meine herzensliebe Hulda, daß Du meine Freundin seyn kannst; hier, das weißt Du, mein Kind, ist niemand, dem diese Stelle zu Theil ward. Die Männer gehören dem Getriebe der Geschäfte, der halben Welt; und meine Sophie, meine treue Schwester, haben sie zweitausend Meilen weit von mir weggeführt. Die wußte — sie sprach leiser, ihre Stimme ward weich und stille Thränen traten ihr in das lebensmüde Auge — die wußte alles; meinen Kummer und meinen Schmerz; auch meine Freuden wußte sie; ihr Gatte führte sie mit sich aus meinen Armen über das Weltmeer, und so habe ich seitdem zwanzig lange Jahre allein gestanden, bis Du jetzt heranwuchsest, um mir den Rest meiner Tage durch Deine Freundschaft, Deine Liebe zu versüßen, und mir die Augen, wenn sie im Tode sich brechen, zum ewigen Schlummer zu schließen.[S. 31] Nicht wahr mein einziges, mein süßes Kind, Du gehst nicht von mir?
Nein mein Mütterchen, rief Hulda tief bewegt, und dachte in diesem Augenblicke an nichts, als an die heilige Pflicht, die der Vater dessen, der die Kindlein zu sich kommen ließ, um sie zu segnen, in die fromme Brust jedes guten Menschen gelegt hat. Sie wollte noch etwas sagen, aber die Mutter unterbrach sie mitten in der Rede.
Der Vater, hob sie an, und es war, als verhalte sie die Miene des Verdrusses mit Mühe: der Vater gab Dir heute den Auftrag, Dich nach dem jungen Fremden — sie hielt inne, und legte die Hand krampfhaft zuckend, sich auf die Augen — nach dem jungen Fremden zu erkundigen. Thue das nicht, Hulda, Männer sind in dergleichen Fällen leichter, unzarter; Du aber wirst fühlen, daß sich das nicht schickt; der alte Director, Du kennst ihn, und besonders die Linsing’schen Mädchen — sie machte ein Gesicht, als seyen ihr letztere unbeschreiblich zuwider — bestimmt dächten diese, Du fragtest aus ganz besonderen Ursachen nach dem — nach dem Menschen.
Der armen Hulda flog ein geheimes Zittern durch alle Glieder, als die Mutter des Klettervirtuosen auf dem Rösterwerk gedachte; um nur davon abzukommen, und um — sie konnte aus dem Gesichte der Mutter nicht recht klug werden; es mußte ihr jemand von dem Unbekannten etwas gesagt haben, und um also zu erfahren, wer etwa mit der Mutter sprach, fragte sie, nach der Versicherung, daß sie, auch ohne die freundliche Erinnerung der Mutter, die Frage nach dem Fremden, bei Directors nicht gethan haben würde, querfeldein, ob unterdessen, daß sie im Garten arbeitete, Jemand bei der Mutter war; diese aber erwiederte halb lächelnd: kein Mensch, und versicherte, sie habe fast die ganze Zeit geschlafen, sey vor wenigen Augenblicken erst erwacht und — sie betonte das Wort, — gleich mit dem Gefühle der angenehmsten Erheiterung.
Kurz darauf erzählte die Köchinn, welcher Hulda, zum Abendessen, mehreres heraus gab, wie sie sich vorhin über Maklers Suschen ärgerte; das kam, fuhr sie, der Schiffssprache wohl kundig, fort: das kam die Treppe herauf gebraus’t, wie ein fliegender Sturmwind zwischen den[S. 33] Wendekreisen. Ich bat höflich, die Segel back zu brassen, weil die Frau Admiralitätsräthinn schlafe; Orkan-Suschen aber blieb beim steifen Winde, verlangte dringend, mit der Frau Räthinn zu sprechen, that erschrecklich fröhlich, als habe es, wer weiß, was vor eine glatte Fahrt, setzte alle Segel bei und mudderte gerades Weges in die Stube. Aber keine fünf Minuten, so wendete der Schnellsegler durch den Wind, und fuhr von dannen, woher er kam.
Hulda stutzte!
Was war das! die Mutter, sonst die Wahrheit selbst, hatte auf die Frage, ob Jemand bei ihr war, geantwortet, kein Mensch! und doch war Suschen — was konnte das Mädchen bei der Mutter gewollt haben? was konnte das so dringende Geschäft gewesen seyn? sollte der Mensch mit dem langen Sehrohr — der Mutter sonderbare Aeußerung über das Heirathen, — aber — einfältiger Gedanke; so etwas — wenn auch Suschen in seinem Auftrage gekommen wäre, so etwas macht sich doch nicht in solcher Eil, in solcher Hast ab. Zwar — das Mädchen konnte ja blos einen Brief[S. 34] von ihm bringen — doch — nein, die Liebe ist unausstehlich! sie macht alles möglich, sie setzt sich über alles weg; das Allerunwahrscheinlichste wird dem liebenden Glauben zur unumstößlichen Thatsache. Suschen war ein dummes gutherziges Ding; der junge Fremde hatte sich, seiner Geschäfte wegen, bei dem Vater, dem Schiffsmakler gemeldet; das Gespräch war auf dieß und jenes gekommen, am Ende auch auf den Herrn Admiralitätsrath Splügen, und dessen Jungfer Tochter; der Herr Fremde hatte — denn der konnte sich nicht verstellen, das hatte ihm Hulda nun schon abgemerkt, — geäußert, daß er dieser Hulda Splügen gar nicht gram sey, Mamsell Suschen, die sich nur zu gern in alles mengte, hatte in ihrer lieben Unbefangenheit sich erboten —
Der Vater lachte laut auf, denn, eben von seiner Erholung zu Hause gekommen, hatte er auf dem Flur der Tochter schon lange zugesehen, die, in Gedanken verloren, wie eine Bildsäule stand, das Wachslicht dicht vor das Näschen hielt und, mit beiden Augen starr in das milde Licht schauend, die Flammengluth nicht ahnete, zu der die ersten Liebesfunken in der[S. 35] geheimsten Tiefe ihres Innern, binnen wenigen Stunden, emporgelodert waren.
Hulda erschrak über die unvermuthete Nähe des Vaters und sein ironisches Lachen so heftig, daß das Licht auslöschte, und das war auch recht gut, denn sonst hätte der Vater den Scharlach gewahren müssen, der sich über das Zaubergesichtchen der liebholden Träumerinn, mit Blitzesschnelle ergossen hatte.
Sie ging zurück, das Licht wieder anzuzünden, und als sie es brachte, war der Vater, der vorhin so fröhlich geschienen hatte, verstimmt und befangen; er sah den Liebling seines Herzens mit ungewissem Blicke an, ging im Zimmer auf und ab, gab seiner Frau die Hand, schüttelte schweigend den Kopf, sagte still vor sich hin, nein, — nein, und ging in sein Kabinet.
Was war dem Vater? fragte Hulda besorglich — die Mutter aber entgegnete, nichts, Kind, Du weißt ja, wie die Männer sind.
Hulda schwieg, aber es ward ihr, sie konnte sich selbst nicht sagen, warum, bange in der beklommenen Brust, denn ohne Bedeutung war des Vaters: nein, nein! und der Mutter un[S. 36]terdrückte Verdrüßlichkeit nicht; und daß sie im Spiele war, lag klar am Tage; der Vater sah sie gar zu sonderbar an. Am Ende — ganz gewiß hatte die Mutter den Brief, den ihr Suschen brachte, und in welchem der da unten im Hafen ihrer erwähnte, dem Vater mitgetheilt, und dieser zu dem Antrage des Tollkühnen, sein einziges Kind ihm mit nach Amerika zu geben, — das vorbedeutende nein, nein gesagt — aber das konnte es ja auch nicht seyn! denn der Mutter schien dieses hingeworfene nein nein, gar nicht recht! — Je mehr sie sich alle Umstände zusammensetzte, desto verwirrter ward sie in ihrer Logik; und sie zagte jetzt dem Abendbrode entgegen, wo sie zwischen den beiden räthselvollen Aeltern sitzen sollte, ohne zu wissen, woran sie sey. Sie glaubte, die Mutter werde wegen des Unfalles von heute Mittag, nicht mit zu Tische gehen, aber, als wolle diese Vater und Tochter absichtlich mit einander nicht allein lassen, sie behauptete, daß ihr recht wohl sey, und kam.
Der Vater — das war so seine Art, wenn er mit der Mutter eine kleine vorübergehende Unannehmlichkeit gehabt hatte, — entfernte sich[S. 37] auf einige Minuten in sein Kabinet, kam dann mit erzwungener Laune zurück, gedachte des Vorfalls mit keiner Sylbe weiter, und bemühte sich, das gute Vernehmen, durch erkünstelte Heiterkeit, möglichst bald wieder herzustellen; der Vater brachte seinen, in aller Geschwindigkeit zusammengestoppelten Humor mit zu Tische; wenn er aber, mitten im Gespräch, Hulda ansah, dann schien dieser es immer, als wenn sein Blick ihr verstohlen sagen wollte, mein armes Kind, wenn Du doch wüßtest, was sie mit dir vorhätten. Doch späterhin, als er die Galle, die in ihm mochte rege werden, mit seinem vortrefflichen Loignon verdünnte, schien er das Krüppelchen, was ihm das Schicksal, vor dem Traualtare, an sein Lebensglück gebunden hatte, auf einige Augenblicke wieder vergessen zu haben; er ward freundlicher, und erzählte von den Begebnissen des Tages mit seiner gewohnten Lebhaftigkeit und fröhlichen Laune.
Apropos, begann er unter andern, zu Hulda gewendet: Du brauchst Dich morgen bei Direktors nach dem jungen Fremden nicht zu erkundigen. Hulda schlug die Augen auf den Teller nieder, und ärgerte sich über sich selbst, denn[S. 38] schon dieß einzige Wort jagte ihr eine stechende Röthe auf die Wangen; die Mutter aber legte Messer und Gabel weg, als vergehe ihr Essen und Trinken.
Beides bemerkte der Vater nicht, und berichtete nun, daß der junge Mann aus Mexiko sey. Ich weiß jetzt alles, fuhr er fort: er ist am Bord seines eigenen Schiffes, mit einer reichen Ladung von Vanille, Seide, Balsam und Kakao, aus dem Südseehafen Acapulco in See gegangen, und will hier Leinwand, als Rückfracht nehmen. Am Isthmus von Panama hat er weitläufige Kolonien; und aus den undurchdringlichen Wäldern seiner Heimath, versieht er mit Schiffsbauholz die Häfen von Veracrux und ganz Nordamerika. Mit den Tschipewäern, den Missuriern und den Biberindianern oben am Eismeere und mit den Huronen und Algonkinen in Kanada, hat er einen ausgebreiteten Handel mit Pelzwaaren, und von Yukatan an der Hondurasbai zieht er jährlich ungeheure Quantitäten Kampecheholz, mit dem ihr violett färbt, und unsere Aerzte die Ruhr vertreiben; und an den unerschöpflichen Gold- und Silbergruben seines Vaterlandes, deren[S. 39] Ausbeute jährlich 23 Millionen Piaster beträgt, hat er einen namhaften Antheil; seht Kinder, das ist ein Kaufmännchen, gegen den die Krämer unserer kleinbürgerlichen Seestadt sich alle verstecken müssen. Das Schiff, mit dem er gekommen ist, heißt, wie Du Frauchen, Antoinette, und —
Der Mutter ward wieder übel und wehe; sie lehnte sich in den Sessel zurück, wehrte mit der Hand, als wolle sie sagen: nichts mehr, nichts mehr davon, und verlangte zu Bette. Sie rief zweimal Hulda, dem Dienstmädchen zu klingeln, aber diese war ja in Acapulco, und sah ihn mit seiner Vanille und Seide, mit seinem Kakao und Balsam, dort die Anker lichten, und durchwandelte mit ihm seine Pflanzungen auf der Erdenge von Panama und hüllte sich in die prächtigsten Pelze, die er bei den Huronen und Biberindianern so eben erkauft hatte, und nahm sich vor, von nun an nichts als violett zu tragen, weil aus seinen Händen die Farbe kam; selbst ein wenig Ruhr hätte sie nicht übel genommen, denn er war es ja, der ihr das Heilmittel dagegen, aus dem fernen Welttheil brachte.
Aber Hulda, Du sollst ja der Babette klingeln; sagte der Vater verwundert, und sah der Stillverzückten in das starr auf einen Punkt vor sich hin geheftete Auge.
Gleich, gleich! entgegnete das Mädchen, aus seinen seligen Träumen schnell auffahrend, eilte, statt zur Klingelschnur am Sopha, auf den Flur hinaus, und zog an der Thürklingel, daß alle Domestiken zusammen kamen und, in der Meinung, ein Fremder läute den rasenden Sturm, von Ferne schon riefen: nun, nun, nur sachte, wir sind ja nicht taub.
Hulda aber war über das laut schellende Gebimmel der dummen Glocke, die, einmal so heftig in Bewegung gesetzt, nicht wieder schweigen wollte, längst wieder zu sich gekommen, und flüchtete, um dem Gefrage der Aeltern und der Leute, die sie alle für halb verrückt ansehen mußten, aus dem Wege zu gehen, in den Garten.
Nein, sagte sie zu sich selbst, das muß anders werden; das taugt nicht. Bei Gott, ich finge an, selbst an meinem Verstande zu zweifeln, wenn das länger so fortgehen sollte. Er muß heraus aus dem Kopfe und aus — sie[S. 41] wollte hinzusetzen, und aus dem Herzen, aber in dem Augenblick ertönte ein mit ungemeiner Zartheit geblasener Flötenaccord; schmeichelnde Nachtlüftchen trugen ihn ihr zum lauschenden Ohr, und säuselten ihr zu: das ist von ihm.
Sie stand wie angewurzelt —
Das ist von ihm? fragte sie lächelnd, und horchte mit stockendem Athem nach den lieblichen Lauten, die ihr zum Herzen sprachen! aber sie waren im Dunkel der sie umgebenden Stille verhallt; sie hörte nichts weiter.
Albernes Ding, sprach sie, sich selbst verweisend, von ihm — als ob es nicht tausend Andere im Hafen und in den benachbarten Gärten, und am Gestade des Meeres, auch seyn könnten. Die Flöte blasen mehr ehrliche Leute — Nur noch einmal möchte sie es hören, und sie wollte dann bestimmt wissen, wo der Vogel sitze.
Am Ende saß er oben, auf dem Balkon des Gartenhauses, wo sie vorhin gesessen; dort oben regte sich wahrhaftig etwas, und die Balkonthüre öffnete sich langsam. Aber, um Gotteswillen, wie hier heraufgekommen? — doch — der Kletterkatze, die vorhin von dem Schiffe[S. 42] zur Schlupe an dem Baumtau hinab gerutscht, und von da, auf demselben halsbrechenden Wege, wieder hinauf gekommen war, mit einer Sicherheit, als sey das schwankende Tau eine breite Prachttreppe mit eisernen Geländern — was war der nicht möglich? Es bewegte sich oben wieder. —
Etwas war da —
Hinaufgehen und nachsehen? —
Um keinen Preis! War er es, was mußte er von ihr denken! — War es ein Dritter, so setzte sie sich der Gefahr aus, einen Todesschreck davon zu tragen. — Die Leute aus dem Hause rufen? — wenn er es nun war, — die Geschichte wäre ja morgen in der ganzen Stadt bekannt geworden! — War es gar nichts, hatte sie sich getäuscht, so mußten die Leute, die sie vorhin erst hatten Sturm läuten sehen, und fest von ihr aufgefordert wurden, etwas zu suchen, was gar nicht da war, in allem Ernste glauben, sie sey zum Tollhause reif, und ein Dritter — konnte in dem leeren Gartenhause nicht viel nehmen.
Sie stand, unverwandten Blickes auf den Balkon gerichtet. Das Auge, jetzt mehr an[S. 43] die Dunkelheit gewöhnt, erkannte endlich in dem Verdächtigen, den unschuldigen Orangeriebaum; und die daneben befindlichen großen Levkoibüsche bewegten sich, wenn sie wirklich vielleicht ein wenig auf und ab geschwankt hatten, vom Windzuge berührt, der aus der halb offen gelassenen Balkonthür kommen mochte.
Es zog sie unwiderstehlich auf den Balkon; sie mußte ja die Thür zumachen.
Im Hinaufgehen — es war, als hörte sie die Flöte wieder. Sie eilte auf den Balkon!
Millionen Sterne flimmerten am schwarzen Himmelszelte; am fernen Gestade rauschte das Meer in sanfter Brandung; im Hafen aber schlief alles; nur die kupferne Lampe im Nachthause, wo der Steuercompaß steht, brannte auf jedem Schiffe, und hier und da war noch ein Lichtchen in den Kajüten sichtbar. Auch den Bord der Antoinette schien der Gott des Schlafes geentert zu haben, denn es rührte sich da unten kein Mäuschen. Aber — jetzt ertönte die himmlische Flöte noch einmal. Es klang, wie das Locken der Liebe, in dem der Sprosser zu seinem Nachtigallweibchen spricht; so sehnsüchtig und so schmelzend; erst bittender[S. 44] Scherz, in kurzen, rund abgebrochenen Sätzen, dann lange, lange Töne gezogen durch die Gluth der zärtlichsten Leidenschaft, und immer stärker und stärker werdend, und hoch hinausgehend über das Reich alles Irdischen, und endlich, zum Zeichen des Glaubens an freundliche Erhörung der schüchternen Bitte, ein sich bald in kräftige Volltöne, bald in ein süßes, hinsterbendes Pianissimo auflösender Doppeltriller.
Allerliebst, allerliebst, sagte Hulda leise, und holte jetzt erst wieder Athem, denn sie hatte ihn in der überseligen Brust verhalten, so lange die süßen Laute zu ihr sprachen, um von der Sphärenmusik nichts zu verlieren. Sie kamen ja doch vom Deck der Antoinette herauf; sie sah, so viel die Sternenhelle es gestattete, ganz deutlich da unten, auf der Tasche[6] des Schiffes, nach ihrer Seite zu, etwas sich bewegen, und aus dem wehmüthigen spanischen Liedchen, das die Flöte spielte, zog Hulda die Ueberzeugung, daß sie sich nicht irrte. Der Mexikaner mußte ja ein spanisches Lied blasen! Ihr kam[S. 45] es recht eigentlich spanisch vor. Konsuls Alwine besaß bei einem vollständigen Musikalien-Vorrath aller National-Melodien, dasselbe Lied, und hatte es früher schon zwanzigmal wohl gesungen, aber so klang es nie.
Man konnte aber auch nichts weicheres, nichts rührenderes hören, als diese Melodie aus dieser Brust. Es war, als wollte der junge hübsche Mensch da unten, seine ganze Seele aushauchen, so deutlich sprach das Instrument den süßen Schmerz seines liebekranken Herzens aus. Vorhin so läppisch, und jetzt so sanft, so leidend, so schmachtend.
Was für ein kurioser Mensch muß das seyn, dachte Hulda bei sich selbst, heimlich lachend, und fragte nach einer Weile, durch seine süße Klage weich geworden, halb leise herab: warum so traurig mein Freund? und die milden Sterne am dunkeln Himmelszelte, spiegelten sich in den Perlen, die ihr an den seidenen Wimpern hingen. Das Wasser war ihr in die Augen gekommen, sie wußte selbst nicht wie. Sie hätte zerfließen mögen in nie gekannte Lust und Freude. Seine zarte Klage that ihr unaussprechlich wohl; sie verstand jeden[S. 46] Hauch seiner Lippen; sie verriethen ihr, durch das heimliche Dunkel der Nacht, die frischblutende Wunde, die ihr Liebreiz dem Schwärmer schlug, das süße Wehe, in dem der glückliche Dulder schier zu vergehen glaubte, und die Südgluth seiner Leidenschaft.
Aber vom Meere herüber zog jetzt der Wind schärfer, durchreifte die warme Sommernacht mit eisigen Schauern und mahnte Hulda an das Nachhausegehen. Sie warf — es sah es ja niemand, als der liebe Herr Gott, der die ungeheure Gewalt der Liebe in die Brust des Menschen gesenkt hat, und dieser deutete es gewiß nicht übel, — sie warf, zum Danke für das hübsche Abendständchen, einen recht herzlichen Kuß herab, und sagte kaum hörbar, gute Nacht, mein lieber, lieber Freund, gute Nacht, und eilte in das Haus zurück; noch im Gehen warf sie einen scheuen Blick in die Himmelsgegend, wo sie, heute Abend, die sonderbaren Figuren und Gestalten sah; aber der Grabstein und das Kreuz, und das Drohbild der zürnenden Mutter, hatten die schwarzen Nachtwolken längst mit undurchdringlichem Schleier verhüllt.
Reiße, mitleidiges Schicksal, den Vorhang[S. 47] vor den Schrecknissen der Zukunft nicht zu früh von einander; laß den armen Menschen ihren Wahn, daß sie geboren sind, um immer glücklich zu seyn.
Hulda hatte sich gefreut, von ihm zu träumen, aber damit war es dießmal nichts; sie träumte wohl, doch nicht von ihm. Tante Sophie sandte ihr von Lima aus, schwarzen Krepp zu einem Ballkleide, und einen Schmuck von böhmischen Glasperlen, und schrieb ihr einen solchen launigen, verwirrten Brief dazu, daß sie, als sie am Morgen erwachte, noch darüber lachen mußte. Sie erzählte der Mutter davon, diese lachte mit, und sagte mit sonderbarer Betonung, schwarzer Krepp von daher, hat eine recht eigene Bedeutung; Hulda wollte fragen, welche, aber die Mutter fuhr, des Ballkleides Erwähnung eingedenk, gleich fort, von Huldas heutigem Anzuge zu sprechen, und meinte, daß, wie sie hörte, bei Directors sehr große Gesellschaft seyn werde, und äußerte daher den Wunsch, daß Hulda heute vorzüglich elegant erscheinen möge.
Diese schien dazu keine rechte Lust zu haben, denn Er war ja doch nicht dort, und Anderen[S. 48] gefallen zu wollen, kam ihr nicht im entferntesten in den Sinn; indessen um der Mutter den Willen zu thun, schmückte sie sich mit dem Beßten ihrer geschmackvollen Garderobe.
Sie war verstimmt und konnte den ganzen Tag platterdings ihren Frohsinn nicht wieder finden. Zweimal war sie auf dem Balkon gewesen; verkaufte er an seiner mitgebrachten Ladung, oder lief er nach der Leinwand zur Rückfracht herum, oder hatte er eine Andere gefunden, die ihm — als schnitt ihr Jemand mit scharfschneidigem Stahle das Herz mitten von einander, so zuckte sie bei dem Gedanken zusammen — sie krampfte die Hand in einander, und sah mit recht bösem Blick hinab auf das Deck der Antoinette; aber er war nicht da; zum vierten Male, kurz zuvor, ehe sie zu Directors fuhr, bestieg sie noch einmal den Balkon; sie mußte sich da noch einen recht schönen Orangenzweig holen, und all die hundert Orangerie-Bäume im Garten unten, blühten nicht so schön, als der auf dem Balkon. Wie ein Engel vom Himmel gekommen, sah das bildschöne Mädchen in ihrem blendendweißen Prachtgewande, auf dem, in luftiger Höhe kühn schwe[S. 49]benden Balkon aus. Von den Verdecken aller Schiffe im Hafen, sahen sie nach der himmlischen Gestalt herauf, und in den Sprachen aller Völker der Erde, ertönte einstimmig das Urtheil, daß das ein wunderhübsches Kind sey; aber Er — Er war immer noch nicht da. Abscheulicher Mexikaner, rief sie im drohenden Scherz leise hinab: wo steckst Du? In dem Augenblick kommandirte eine Stimme auf der Antoinette, spanisch: Saldat a la banda, (fallt auf’s Fallreep) und die Matrosen ließen die Fallreepstreppe an der Steuerbordseite hinab, und der alte Doctor Brehme stieg am Bord.
Er ist krank, sagte sie mit gebrochener Stimme: und er hat keine, die ihn pflegt, und ich bin böse auf ihn gewesen, daß er nicht da war, und er ist doch so unschuldig. Ich, ich bin die Ursache seiner Krankheit, denn bestimmt hat er sich gestern Abend, da draußen auf der Galerie, in dem kalten Meeres-Thau erkältet, und nun kann ich ihm meine Sorgfalt, meine herzliche Theilnahme mit nichts, mit gar nichts beweisen. Gott, wenn es nur nicht gefährlich ist — der Tante schwarzes Kreppkleid aus Lima! — da habe ich ja die schreckliche Lösung des Trau[S. 50]mes, über den ich und die Mutter heute früh noch lachten.
Aber hier sind Sie? unterbrach ihr Selbstgespräch die athemlose Köchinn: die vierrädrige Barkasse liegt vor der Thür schon länger denn eine halbe Stunde. Der Steuermann vorn auf dem Bratspill klatscht, zum Zeichen, daß er da sey, mit seinem Steuerruderchen, daß alle Leute auf der Straße stehen bleiben; er hat schon, Gott weiß wie lange, die Pitsjahrs-Flagge am Vortop aufgehießt,[7] und ich kann Sie nirgends finden. Wollen Sie nicht Extraliegegeld zahlen, so kommen Sie ja gleich.
Sie mußte fort, in die widrige Gesellschaft, in der sie keine Freude finden konnte.
Das ist kein Ballgesicht, sagte die Mutter, als sie kam, um sich bei dieser zu verabschieden: was fehlt dir Kind? Du hast ja nasse Augen, Mädchen?
Nichts, mein Mütterchen, man hat so seine Tage, entgegnete Hulda lächelnd: ich bliebe heute[S. 51] viel lieber zu Hause; die Mutter aber meinte, wenn sie nicht krank sey, so müsse sie sich dergleichen Mißlaunen nicht so hingeben; sie werde sich bestimmt recht wohl dort befinden, und da viel Fremde eingeladen wären, gewiß manche interessante Bekanntschaften machen. Dein Englisch, setzte sie mütterlich wohlwollend hinzu: mußt Du noch viel mehr üben; wenn Du mit jungen Britten sprichst, bist Du immer etwas befangen; hast Du daher Gelegenheit, heute englisch zu sprechen, so versäume sie nicht; das ist so gut, als hättest Du beim Lehrmeister zwei Stunden.
Desto geläufiger geht es jetzt mit dem Spanischen, entgegnete Hulda selbstzufrieden, und dachte im Stillen, daß sie mit dem jungen Mexikaner sich gewiß recht gut verständigen wollte, wenn sie ihn nur einmal spräche; die Mutter aber erwiederte scharf, daß die Sprache ihr eigentlich ganz überflüssig, und der Unterricht darin, gleich vom Anbeginn an, ihrem Willen ganz entgegen gewesen sey; sie empfahl ihr, beim Tanze sich recht in Acht zu nehmen, wünschte ihr recht viel Vergnügen, und freute sich, morgen früh von ihr umständlichen Bericht über das Fest zu vernehmen.
Der Wirrkopf mit den blauen Augen krank[S. 52] in der Kajüte, und sie auf dem Balle! Ein recht widriger Kontrast! Sie nahm sich vor, keinen Schritt zu tanzen, und recht zeitig nach Hause zu fahren; vielleicht war es doch noch möglich, heute Abend, auf seinem Verdeck, von ihm etwas zu erspähen, und wenn es auch nur das Licht in seiner Kajüte sey. In dem Augenblick, als sie in das Vorzimmer des Gesellschaftsaales trat, holte sie der Doktor Brehme ein, der ebenfalls als Gast hier erschien. Sie waren, fragte sie, vom Zufall überrascht: eben am Bord der Antoinette im Hafen; haben Sie dort einen Kranken? Sie erschrak, als sie die Frage glücklich heraus hatte, aber so gestellt, konnte der Doctor ja ihren Grund unmöglich bemerken; doch die Antwort blieb ihr der Gefragte schuldig; denn die Flügel der Saalthüre öffneten sich, und sie mußte eintreten.
Sie verneigte sich mit holder Anmuth gegen den großen glänzenden Halbkreis der geschmückten Versammlung, und ein halbleiser Beifallslaut in der ganzen Gesellschaft, sprach das stille Entzücken aus, mit dem die Erscheinung der Liebreizenden alle Anwesenden überrascht hatte. Schönheit, Unschuld und Jugend, diesen drei Grazien[S. 53] wird überall die zarteste Huldigung zu Theil. Aber zauberischer als heute, hatten auch des Mädchens älteste Bekanntinnen es nie gesehen. Hulda schaute mit schüchterner Befangenheit im Zirkel umher, um die Frau vom Hause herauszufinden, da traf ihr Blick auf den jungen Mexikaner. Der Wirth des Hause wisperte ihm in das Ohr: das ist unser Admiralschiff, das schönste Mädchen der Stadt, und der junge Fremde erwiederte freundlich lächelnd: ich streiche die Flagge.[8] Der Director näherte sich dem holden Mädchen, um es zu bewillkommen, führte es seiner Gattinn zu, fragte nach dem Befinden der Mutter, und betheuerte mit schönen Worten, daß Hulda immer liebenswürdig sey, aber heute müßte Adonis selbst ihre Toilette gemacht haben, denn reizvoller sey sie nie gewesen. Europa, setzte er scherzend hinzu: Europa nicht allein, liegt Ihnen zu Füßen; die fernsten Welttheile bringen Ihnen sogar ihre Huldigungen dar.
Der glatte Freund aller schönen Mädchen und[S. 54] Frauen, ein deckenhoher Spiegel, vor dem sie eben stand, und auf den sie verstohlen einen halben Seitenblick warf, flüsterte ihrer kleinen Eitelkeit zu, daß sie heute recht hübsch sey, und des Mexikaners seemännisches Kompliment vom Streichen der Flagge, hatte ihrem Ohre wohlgefällig geschmeichelt. Der junge Mann schien das Deutsche recht gut zu sprechen. Schade! — sie hätte sich lieber spanisch mit ihm unterhalten; die andern hätten dann ihr Gespräch nicht verstanden, und ihm, meinte sie, wäre es gewiß angenehm auffallend gewesen, hier ein Mädchen zu finden, das seine Muttersprache verstehe. Sie war, wie wohl jedes anspruchlose Mädchen, mit einer Art von Beklommenheit, in den großen eleganten Kreis getreten, aber jetzt, — war es der Beifall, den sie in jedem Auge gelesen, oder das, was der Herr vom Hause, der Director, von den Huldigungen der fernen Welttheile gesagt, oder was da drüben der junge hübsche Mensch mit den dunkelblauen Augen, vom Flaggen hatte fallen lassen, kurz sie fühlte, daß sie hier das Admiralschiff führe. Aber so kühn sie auch jetzt in See stach, so konnte sie doch ihr Auge nicht zu ihm selbst wenden; das Herz klopfte ihr unter[S. 55] dem Blumenstrauß am Busen, daß alle Blätterchen zitterten.
Maklers Suschen war auch da. Hulda ging auf sie zu, um über ihren gestrigen Sturmbesuch, von ihr näheren Aufschluß zu erhalten, diese aber stellte der Neugierigen den neben ihr stehenden Herrn vor, und fragte heimlich lachend, ob sie ihn nicht mehr kenne?
Ein linkischer, dürrer langer Stock, mit hängenden Knieen; mit, bis über die klapperbeinigen Waden, herabhängenden endlosen Rockschößen und, dem ganzen, allem Geschmack und allem Anstande Hohn sprechenden Aeußern nach, ein forcirter Engländer; das Auge grau und matt; das durch die enge Halsbinde roth geschnürte Gesicht mit Blüthchen und Schwären bedeckt, und in jedem Zuge Spuren eines Londoner Wüstlings, der nur in den Passages of Leicester, Fitzroy Square, Straffort Street, und ähnlichen Orten, seinen Freuden nachgejagt, und nichts, als Langeweile und Lebensüberdruß aus jener Nebelinsel mitgebracht hatte. Er redete Hulda englisch an, und versicherte, daß er das Deutsche während der sechs Jahre seiner Abwesenheit fast ganz vergessen habe, und Hulda erkannte in ihm,[S. 56] Suschens Bruder, Kasperchen, einen sonst gewaltig dummen Jungen, den die ganze Stadt ehedem hänselte, und der, als Deutschlands männliche Jugend das Schwerdt ergriff, um Napoleons Tyrannenketten zu zerhauen, sich aus angeborner Abneigung gegen das Kriegsleben, nach London verkrümelte, um dort die Sache in Ruhe abzuwarten. Mit dem Vermögen und dem Kredit seines Vaters, eines sehr wohlhabenden Mannes, führte ihm der Zufall einen jungen mittellosen, aber höchst speculativen Engländer zu, der sich mit ihm verband, und ihm, in der goldnen Zeit der brittischen Alleinherrschaft auf allen Meeren, sehr große Reichthümer erwarb, und jetzt war Kasperchen, nachdem die dummen Teufel, seine wackern Jugendbekannten, Arm und Beine, Blut und Leben verloren hatten, mit fast einer Million Thalern, auf dem gestrigen Kutter, nach Hause gekommen, weil in der einfältigen Friedenszeit, drüben auf der Krämer-Insel, nichts Rechtes mehr zu verdienen war. Das Alles erzählte Kasperchen der überraschten Hulda englisch, und lag dabei mit dem lüsternen Blick seiner verlebten Augen, so starr auf des wunderlieblichen Kindes frischen Liebesreizen, daß diesem[S. 57] vor den Faunenblicken des achtundzwanzigjährigen Greises, angst und bange ward, und sie mit heimlichem Grauen sich von ihm wandte, denn es war ihr in seiner Nähe, als stände sie in einem Dunstkreise von allerlei schmorenden Giften.
Die junge Welt rüstete sich zum Tanze, und Suschen fragte den Bruder, ob er nicht Hulda auffordern wolle; dieser meinte aber, in London tanze ein junger Mann von feinem Geschmack gar nicht; man stelle sich, den Hut in der Hand, unter die Zuschauer und spiele ein Bischen Moquirens, das wäre ein göttliches Vergnügen, und ergötze im geistreichen Cirkel viel mehr, als die albernen Hopsasas, bei denen die Tänzer mehr Schweiß vergössen, als das ganze Fest des einfältigen Wirthes gewöhnlich werth sey.
Suschen lachte beifällig, und fragte Hulda, ob der Bruder sich in den paar Jahren nicht sehr zu seinem Vortheil geändert habe. Außerordentlich, erwiederte diese, von kaltem Schauder überreift, und dankte ihrem Schöpfer, als der Director kam, und sie durch das Gesuch, mit ihm den Ball zu eröffnen, der Fortsetzung dieser Unterhaltung überhob.
Die Flügelthüren des hocherleuchteten Ball[S. 58]saales flogen auf. Eine herrliche Polonaise mit Trompeten und Pauken, begrüßte die Eintretenden, an deren Spitze die engelschöne Hulda, an der Hand des gastlichen Wirthes voranschwebte. Sie tanzte mit hinreißender Anmuth, aber ihr war es, als hätte sie Blei in allen Gelenken, denn der Mexikaner — warum hatte sie aber auch hingesehen! doch, nur vorbeigestreift war ihr Blick, ach nur so halb vorbei geflogen — er tanzte mit Gustchen, der Tochter vom Hause, und war, einen Augenblick nur von ihr in einer Tour abgekommen, so verwirrt geworden, daß er alle Gissing[9] verlor, einen wahren Wan-Cours in lauter loxodromischen Linien[10] steuerte, und, wie ohne Compaß, verweht und verschlagen, im Saale herumirrte, bis sein Convoi, Directors Gustchen, ihn wieder in die Colonne bugsirte.
Der kühne Mensch, der die halbe Welt umsegelt, der mehr denn zwanzigmal den dringend[S. 59]sten Gefahren des Lebens die Brust muthig gewiesen, und wenn alles um ihn herum zu verzagen angefangen, den Kopf allein oben behalten hatte — jetzt — ein einziger Blick von diesem zauberholden Mädchen — und er war in den Grund gebohrt. Ohne es selbst zu wissen, legte er seine Rechte, so oft er sie in der Polonaise frei bekam, auf das Herz, als ras’ten in diesem alle zwei und dreißig Compaß-Striche vom Boreas bis zum Mesocircius gegen einander.
Ihr Schiff hat einen Leck gesprungen, sagte Gustchen lachend, darf ich mit einem gespickten Bonnet[11] aufwarten, oder am Ende ist wohl gar ein Pfröpfchen nöthig?[12]
Seyn Sie ein mitleidiger Lotsen, erwiederte der junge Mexikaner bittend: und bringen Sie mich in die Docke[13]; Sie kennen das Fahr[S. 60]wasser hier, und die Untiefen und Bänke; meine Anker und Taue sind klar[14] und meine Pässe in beßter Ordnung.
Ich verstehe, mein Freund, entgegnete Gustchen schalkhaft: behalten Sie aber nur die freundlich leuchtende Blüse da vorn an der Spitze unserer Polonaisenzunge, hübsch im Auge, und Sie werden alle Bänke und Klippen glücklich umfahren.
Während dieses sinnigen Zwiesprachs, in dem Gustchen, Hulda’s innern Werth, des breiteren auseinandersetzte, fragte diese der Vater, was sie denn zu dem englisirten Casperchen gesagt habe, und zog über den unausstehlichen Gast waidlich her; nein, fuhr er fort und tanzte neben der Horchenden plaudernd weiter: nein, da lobe ich mir den jungen Mexikaner; das ist ein flottes Kerlchen; wie eine Tanne gewachsen, Licht im Kopfe, Gesundheit auf den Wangen, Kraft im Arme, und Courage in der Brust. Im vier[S. 61]zehnten Jahre schon hat er als Cadett bei der Marine gedient, und zwei Seegefechte mitgemacht; Huldchen, das will was sagen; so eine Geschichte ist wahrhaftig nicht spaßhaft; ringsum Tod, und nirgends Rettung — erlauben Sie! mein Sopha ist mir lieber; so viel Haare der Mensch auch auf den Zähnen hat, aber davon spricht er doch mit allem Respekt. Vom Despensero[15] hat er sich nach und nach bis zum Teniente[16] hinauf geschwungen, und nach dem Frieden als Capitain seinen Abschied genommen; seitdem hat er den Geschäften seines früher schon verstorbenen Vaters sich selbst unterzogen und, Huldchen, die gehen in das Ganze; solcher Schiffe, als er hier im Hafen liegen hat, besitzt er netto ein Dutzend, und was kosten die, und was bringen die ein! Huldchen, der Mensch scheint zum Anker gehen zu wollen, wird — er tippte ihr schelmisch-lächelnd auf das Herz — wird hier der Flügel[17] wohl Grund fassen?
Herr Direktor, entgegnete Hulda, im dunkelsten Purpur erglühend, und haschte mit Hast nach einem andern Gegenstande des Gesprächs: wir tanzen jetzt vor, und sollen nicht plaudern.
Lassen Sie, Huldchen, entgegnete der Tänzer mit gutmüthigem Spötteln: die andern kommen schon nach, ich weiß, was ich weiß; umsonst klettert so ein seefüßiges[18] Eichhörnchen nicht auf den Mars, umsonst bläs’t der blöde Schäfer nicht stundenlang die zartesten Lieder seiner Leiden, auf der schmachtenden Flöte; umsonst legt er sich am hellen lichten Tage nicht auf die Astronomie! Huldchen erlauben Sie mir aber nun auch bei Ihnen ein kleines Lothchen zu werfen.[19]
Unsere Polonaise nimmt kein Ende, sagte Hulda, — halb todt vor Schrecken, daß der Direktor, Gott weiß woher, des Mexikaners gestrige Faseleien kannte, als hätte er sie selbst mit angesehen, — wir werden aufhören müssen.
Gleich, erwiederte der Direktor: sobald Sie[S. 63] mir gesagt haben, wie es mit Ihrem Ankergrunde aussieht; und sollten wir bis morgen früh hier herum polonisiren, eher lasse ich Sie nicht los.
Fürchten Sie, auf scharfen[20] oder auf Wellgrund[21] zu stoßen? fragte Hulda lächelnd, und verbeugte sich, um den Tanz zu beendigen und dem weitern Examen zu entgehen; da folgten denn die übrigen Tanzenden dem Signale des Schlusses, und Gustchen kam als treuer Lotse, und führte den blanken See-Capitain durch das Gewirre der aufgelös’ten Tanzpaare, und stellte ihn der Lieblichen vor, mit der Bemerkung, daß er gekommen, um sie um den nächsten Walzer zu bitten.
Der Capitain hatte unterdessen wieder Besinnung und Ruhe gewonnen; er näherte sich der Königinn des Balles zwar Anfangs mit einiger[S. 64] Schüchternheit, die ihm jedoch recht gut ließ, aber nach und nach ward er unbefangener; er nannte Hulda seine schöne Nachbarinn, und machte ihr im Scherz Vorwürfe über die Härte, mit der sie ihre armen Blumen auf dem Balkon habe bisher verschmachten lassen. Gestern, meinte er, hätten sie von ihrer stiefmütterlichen Milde die ersten Tröpfchen Wasser endlich einmal bekommen, und so viel er von Weitem erkenne, wären doch Blumen darunter, die täglich wollten begossen seyn. Die schöne Zeit ihrer Blüthe, setzte er mit einem halb unterdrückten Seufzer hinzu: dauert ja ohnehin nur einige Wochen noch; dann sind sie vergangen, und dann ruft sie die herzlichste Pflege nicht wieder in das Leben zurück.
Hulda — kein Mensch in der Welt hatte sie die Spitzbuben Sprache der Liebe gelehrt, aber, so sind die allerdurchtriebensten Spitzbuben unter der Sonne, die Mädchen, wenn es die Linguistik des Herzens gilt; Schlauköpfchen Hulda verstand jedes Wort.
Nach ihrer Grammaire übersetzte sie sich die sinnige Rede des jungen Capitains, den sie jetzt in der Nähe noch viel tausendmal liebenswürdiger fand, und dessen schönes, reines Deutsch ih[S. 65]rem Ohr unbeschreiblich wohlklingend lautete, also: Seit ich im Hafen liege, bist Du ein einziges Mal nur auf Deinem Balkon sichtbar gewesen. Ich sehne mich nach Dir, wie deine Blumen nach frischem Wasser; in Kurzem lichte ich die Anker. Sey barmherzig, und schenke mir bis dahin die Freude, Dich zu sehen, täglich.
Es entspann sich von da ab, das Gespräch immer lebendiger, beide waren bald wie vertraute Bekannte; in dem ganzen Wesen des jungen Seemannes lag so etwas herzliches, offenes, biederes, und Hulda, das reizende Himmelskind, ward so ungebunden, und entfaltete ihren tiefen Werth mit solcher Anmuth, und gab sich ihm so natürlich hin, daß der Handelsgerichts-Direktor, der Beide von Ferne bemerkte, zu Gustchen und deren Bräutigam sagte: Kinder, die da drüben segeln vor dem Winde[22], das Schiffchen lüstert auf’s Steuer, wie ein Häring[23].
Je mehr der Ueberglückliche das Mädchen an[S. 66]sah, desto bestimmter überzeugte er sich, dieses Gesicht schon irgendwo im Leben gesehen zu haben, nur war es, wie ihm dünkte, blässer, und vielleicht etwas weniger schön gewesen. Er sann und sann, aber das war ja nicht möglich. Es war dieß der erste europäische Hafen, den er besuchte, und Hulda war keine zehn Meilen über die Küste des Meeres hinaus gekommen.
Endlich — ja, jetzt hatte er es. Ein musterhaft gearbeitetes Miniatur-Bild mit goldenem Reif — bei seinem verstorbenen Vater hatte er es einmal — doch eben begann der muntere Walzer.
Brust an Brust, Auge im Auge, die Arme süß verschlungen, drehte das bildschöne Paar, im getäfelten spiegelglatten Saale lustig auf und ab, daß die rasche Musik kaum Athem hatte, den beiden sausenden Wirbelwinden zu folgen. Wie eine Luft-Säule um ihre Achse mit Schnelligkeit sich dreht, und dabei immer weiter und weiter von dannen braus’t, wie der gewaltsame Küsel[24] auf des Meeres Spiegelfläche, so luftig und leicht flogen sie, eng in einander verschränkt, dahin,[S. 67] und entzückten, durch ihre zauberische Anmuth, den ganzen Saal. Selbst Caspar, der bei einem Ausfluge nach Paris, Anatole und die Bigottini, den gewandten Hoguet und die vierte Grazie, die liebliche Lemiere, und in London die Milanie und Lupino gesehen hatte, und alles, was nicht von daher war, gern herabwürdigte, gerieth über die Federkraft dieses Zephyrpaares in eine solche Exstase, daß er, von der haardünnen Scheitel bis zu den schlotternden Knieen, ein hüpfendes Zucken im ganzen Leibe verspürte, und jetzt gern mitgetanzt hätte, wenn die kranken Röhren seiner schwachen Gebeine solches zu leisten nur irgend im Stande gewesen wären.
Er trat, als der Walzer endete, näher zu Hulda, und wollte ihr etwas Schönes sagen, aber es war ihr, als überflöge sie ein eisiger Reif, so kalt wurden ihr Stirn und Wange, Hals und Busen, in der Nähe des englischen Narren. Den Capitain ignorirte er, das war, meinte er, brittische Sitte; wollte der Mensch Bekanntschaft mit ihm machen, so konnte er ihn anreden; aber dazu schien der Mexikaner nicht viel Lust zu haben. Hulda hatte Casperchen stehen lassen, ein Gleiches that der Capitain; diese suchte dafür[S. 68] Hulda auf, und setzte sich auf den neben ihr befindlichen Sessel.
Die deutschen Engländer sind mir in den Tod zuwider, sagte Hulda: der Mensch ist bei uns geboren und erzogen, ein Paar Jahre nur in London gewesen, und thut nun, als ob er von seiner lieben Muttersprache kein Wort mehr kennte.
Unsere Eskimo’s, hob der Capitain lachend an, sehen nicht viel besser aus; ziehen sie dem Patron einen grönländischen Frack von Seehundsfellen an, so haben Sie in dem olivenfarbenen Gesichte mit dem starren, dünnen kohlenschwarzen Haar, einen Grand von Labrador, wie er leibt und lebt.
Hulda erschrack über das hingeworfene Gleichniß des Scherzenden; denn sie gedachte des Eskimo’s am gestrigen Abendhimmel, dem Casperchen, bei näherer Betrachtung, wie ein Ei dem andern glich. Der Capitain aber, der jetzt Hulda in tiefem Sinnen bemerkt hatte, sprang auf, und rief: sie ist es wahrhaftig selbst; — nur bleibt mir ewig unbegreiflich, wie das Bild —
Kolonne, Kolonne, ertönte es im Saale; man trat zur Ecossaise an, und Hulda ward ihm von einem Dritten entführt.
Er sah ihr nach, und in seinem schmachten[S. 69]den Blicke lag das Uebermaß seines Entzückens, das Mädchen gefunden zu haben, das von der frühesten Jugend ab, in jenem ferneren Welttheile, sein Herz so wunderbar beschäftigt, und den ersten Träumen seiner Schwärmerei, wie ein zauberisches Ideal vorgeschwebt hatte.
Gustchen, Bräutchen, Schutzgeist, rief er, als diese zufällig eben bei ihm vorüberging, seiner nicht mehr mächtig: seyn Sie meine Vermittlerinn.
Gustchen stutzte freundlich, und sah ihm staunend in das Gesicht.
Sie sind Braut, fuhr er fort: Sie verstehen mich daher, Sie müssen, Sie werden mich verstehen. Sagen Sie dem Götterkinde mit den großen brennenden Augen da drüben, daß es mich zum Glücklichsten aller Glücklichen machen kann. Der Orizava bei uns, hat zwanzig Jahre lang Feuer gespieen, aber er ist gegen die Glut, die mir hier in der Brust lodert, ein wahrer Bärenberg[25] auf der Iwan-Maien-Insel.
Gustchen wehete sich, das Lachen verhaltend, Kühlung mit dem Taschentuche zu.
Sprechen Sie mit dem Engelskinde, sagte der Capitain ängstlich bittend und nahm Gustchens Hand zwischen die seinen: ohne Hulda kann ich nicht zurück; ich bin ihr fremd, und in den Paar Tagen meines Hierseyns kann sie mich nicht kennen lernen, nicht liebgewinnen; aber — ach Gott, wenn ich mich ihr nur so recht — ich weiß selber nicht, wie ich sagen soll; so ist mir in meinem Leben nicht gewesen; ich möchte, daß sie durch mich durchsehen könnte, sie würde keinen Schattenfleck in mir finden; ich bin rein und klar, und was ihr Herz nur wünschte, will ich ihr gewähren. Auf den Händen will ich sie tragen, sie soll ein Leben haben, wie im Himmel. Gustchen, liebes englisches Gustchen, sprechen Sie mit ihr, aber heute noch; morgen ist dann unsere Verbindung, und —
Warum nicht lieber heute gleich? fiel ihm Gustchen, dem die entsetzliche Eile höchst komisch vorkam, in das Wort.
Mir auch recht, fuhr er ernsthaft und dringend fort: auch heute noch. Meine Ladung ist gelöscht, mein Schiff hat die Rückfracht eingenommen, ich kann morgen fort — mit ihr, mit ihr in See.
Aber, mein Himmel, fragte Gustchen, und schüttelte über den unaufhaltsamen Ehelustigen den Kopf: warum denn das alles so rasch?
Ich kann, ich darf nicht warten, entgegnete der Capitain: ich gehe von hier nach Vera Cruz, verweile ich hier zu lange, so komme ich im März hin — und Kind, dann wirthschaften dort unter dem brennenden Himmel der Tropen-Länder, die Nordwestwinde so fürchterlich, daß das auftobende Meer oft hoch über Stadtmauer schlägt — dann ginge meine Antoinette mit Mann und Maus zu Grunde — und ach Gott, meine Hulda, mein liebes, niedliches Herzensmäuschen — ich gäbe mich ja selbst jenseits nicht zufrieden, wenn diese durch mein Zaudern hier, dort im Angesichte des Cofers von Perote und der Gebirge von Villa Ricca ihr Blüthenleben in der Tiefe des Meeres endete. Gustchen, seyn Sie christlich. Sprechen Sie für mich. Im Tempel des Mondes, der auf dem Hügel von Toatihuacan noch aus den Zeiten der Olmeken dicht vor Mexico prangt, lasse ich, zum ewigen Danke, Ihren Namen in Gold graben.
Liebster Capitain, erwiederte Gustchen und[S. 72] legte sorglich die Hand auf seine Stirn: haben Sie Pulk[26] am Bord ihrer Fregatte?
Berauscht bin ich, Gustchen, versetzte Alonso: aber nur von der Liebe, und dieser selige Rausch soll nicht eher verfliegen, als bis die Granitwände des Hafens Acapulco zu Staub zermürmelt sind.
Aber lieber Freund, erwiederte Gustchen, mit herzlicher Theilnahme: Ihre Liebe, verzeihen Sie meiner Offenheit, aber sie kommt mir vor, wie die Nortes de Hueso colorado, in ihrem Meerbusen, von denen Sie uns heute Mittag erzählten.
Ein Windstoß — ein rasender Windstoß nur sollte meine Liebe seyn? fragte Alonso laut lachend. Mein Kind, lesen Sie Halley, und d’Alembert, Bernoulli und de Luc; die werden Ihnen von den beständigen Ostwinden zwischen den Wendekreisen ein Mehreres erzählen; zu der Sorte, Engel, gehört meine Liebe.
Also immer doch Wind, und Wind und Wind, fiel ihm Gustchen bedenklich in das Wort.
Der Wind ist mein Element, Gustchen, sagte Alonso entschuldigend: er führte mich hierher und mit seiner Hülfe werde ich meine himmlische Hulda, die glänzendste aller Prisen, glücklich aufbringen.
Haben Sie denn schon den Marquebrief dazu, mein Herr Capitain, fragte scherzend Gustchen: ohne diesen, nehmen Sie sich in Acht, unsere See-Gesetze sind streng, ohne diesen sehen wir Sie als Räuber an.
Sie sollen mir den Marquebrief ausfertigen, Gustchen, Sie, entgegnete Alonso, und schien die Idee zu haben, daß sie die Sache gleich in’s Werk setzen sollte; aber Gustchen fragte, was er wohl glaube, daß Hulda von ihm denken werde, wenn er nach der ersten Unterhaltung von wenigen Minuten ihr, ohne sie im mindesten näher zu kennen, seine Hand antrage, und von ihr verlangen wolle, sich hierüber gleich stehenden Fußes zu erklären. Vater und Mutter auf immer und ewig zu verlassen, setzte Gustchen hinzu: und einem Manne, mit dem man keine tausend Worte gewechselt, den man kaum sechszig Mi[S. 74]nuten gesehen hat, zwei tausend Meilen weit zu folgen, und ihm die ganze Lebenszeit zu gehören, Freund Capitain, ist diese Idee kein Windstoß? und dann, Sie selbst, Sie wissen ja vom Mädchen nichts, als daß es hübsch ist. Von seinem frommen Wandel, von der Reinheit seiner Sitte, von seiner Häuslichkeit, von seinen Kenntnissen und Fähigkeiten, von seinem fröhlichen, heiteren Sinn, von seiner himmlischen Herzensgüte, wissen Sie noch kein Wort! Lernen Sie dieses seltene Wesen, mit seinem rein kindlichen Gemüth, mit seinem Zartgefühl, im ganzen Umfange seines Werthes erst kennen, recht genau kennen, ergründen Sie in der Tiefe dieser schönen Seele, die in ihrer Lage wahrhaft heilige Gabe, zwischen Vater und Mutter, die ewig kalt neben einander durch das Leben gehen, die versöhnende Vermittlerinn zu seyn; betrachten Sie die namenlose Liebe, mit der jedes der unter sich heimlich verfeindeten Eltern, an diesem ihnen, im eigentlichen Sinne des Worts, von Gott gesandten Kinde hängt, und wie es jedem derselben, das, durch ihre sonderbare gegenseitige Stellung freudenleere Leben, durch die zarteste Pflichterfüllung, durch die anständigste Beseitigung aller Veranlassungen[S. 75] zu Mißhelligkeiten, und durch Scherz und Frohsinn zu versüßen weiß, und Sie werden es lieben müssen.
Aber da soll doch mein großes Raa-Segel, mit allen Bolten, Schoten, Halsen und Nockbindseln, wie mitten von einander reißen! Gott verzeih mir die schwere Sünde, aber ich liebe das Mädchen ja schon bis zum Rasendwerden. Gustchen, wenn Sie das noch nicht weg haben, so ist ihr Peil-Compaß keinen Schuß Pulver werth. Sie reden vom Kennenlernen; als ob ich das Himmelskind nicht schon durch und durch kennte; alle Menschen, die ich hier spreche, sagen, was Sie sagen; überall höre ich nichts als Gutes — und ach, schon in Mexico — ich war, glaube ich, noch nicht einmal wohlbestallter Seecadet — betete ich dieses Ideal schon an, mit einer Gluth, mit einer —
In Mexiko? fragte Gustchen gespannter und war nahe daran, ihn für wenigstens halb wahnsinnig zu erklären.
Sagen Sie, hob er über etwas tief brütend an: hat sich Hulda je mahlen — doch das ist ja wieder nicht möglich; ich sah das Bild vor länger denn zehn Jahren, und da war Hulda ja noch ein Kind.
Wahrhaftig, ich glaube, Sie reden irre, hob Gustchen scherzend an: was denn vor ein Bild?
Hat Hulda, versetzte Alonso, im Sinnen und Nachdenken ganz verloren: irgend eine ältere Person ihrer Familie, etwa die Mutter oder eine Verwandte, der sie ähnlich, aber sehr ähnlich sieht?
Der Mutter, entgegnete Gustchen, den Sinn der sonderbaren Frage nicht verstehend: gleicht sie zum Sprechen, nur daß diese natürlich 20–22 Jahre älter ist und durch beständiges Kränkeln —
Zum Sprechen? fiel er ihr hastig in das Wort; ist die Mutter hier?
Die finden Sie in keiner Gesellschaft; seit dem ersten Augenblicke ihres Hierseyns ist, wie die Eltern mir oft erzählt haben, die Kirche der einzige Ort gewesen, den sie besucht; sie scheint mit der Welt zerfallen zu seyn, und meidet alle Menschen. Außer alten Maklers, die zu den Stillen im Lande gehören, geht sie mit keiner Seele um.
Seit dem ersten Augenblicke ihres Hierseyns sagen Sie, fuhr Alonso in großer Spannung fort: ist die Mutter nicht von hier?
Nein, erwiederte Gustchen, und konnte nicht begreifen, was der Großinquisitor mit allen diesen umständlichen Fragen wollte: sie ist, wenn ich nicht irre, aus Frankfurt am Main.
Alonso fuhr bei dem Worte, wie vom Blitz getroffen auf. Merkwürdig, rief er und legte sich die Hand vor die Augen, als starre er vor dem verworrenen Gewebe der menschlichen Schicksale, zu dem er den Faden fand, erschrocken zurück: aus Frankfurt am Main? Gustchen, wäre ich Intendant von Mexico, für diese Nachricht beliehe ich Sie auf ewige Zeiten mit den Silbergängen von Guanaxuato, Zacatacas und Tasco.
Gustchen hielt lachend die Hand hin, um den Muthschein auf diese unermeßlichen Gruben in Empfang zu nehmen, aber Alonso eilte fort, ging in eines der entlegensten Zimmer, das eine Alabaster-Lampe mit ihrem traulichen Halbdunkel beleuchtete, warf sich dann auf das Sopha, und verlor sich in die Erinnerung seiner Jugend, und in die Pläne seiner Zukunft. Die Stille des Kabinets that ihm unendlich wohl, und das Rauschen der fernen Tanzmusik wiegte ihn in die süßesten Träume.
Nach länger denn einer Stunde fand ihn Gustchen, das mit dem Bräutigam jetzt kam, um ihn aufzusuchen.
Ist das, hob die Muthwillige an: auf Ihren mexikanischen Bällen Mode, daß die jungen Herren, statt fröhlich zu tanzen und guter Dinge zu seyn, — sie wollte weiter reden, aber da fiel ihr Blick in seine nassen Augen, die durch zerdrückte Thränen die sanfte Bitte thaten, seiner nicht zu spotten.
Was ist Ihnen, Freund? fragte Woldemar, der Bräutigam, mit milder Rede: Auguste hat mir mitgetheilt, was Sie ihr vertraut; seyn Sie offen gegen uns, wir meinen es ehrlich und gut; was ist Ihnen?
Nichts, nichts, entgegnete Alonso wehmüthig lächelnd: ich dachte nur an meinen Vater! wenn der noch lebte, und ich führte ihm Hulda als Tochter zu — ich kenne kein seligeres Glück. Laßt, ich bitte Euch Kinder, laßt Euch durch das sonderbare Gefühl, was mich überrascht hat, in Eurer Freude nicht stören. Auf der ganzen Erde, in Eurer alten und in meiner neuen Welt, habe ich Niemand, der die entsetzliche Leere füllt, die mir das Herz so weit[S. 79] und so öde macht; ich habe mich in Arbeit und Geschäfte gestürzt, und meinte, darüber das himmlische Sehnen zu vergessen, was mit süßem Schmerze die Brust mir zerquält. Aber an all dem Gelde, womit Fleiß und Ordnung sich bei uns so reichlich belohnt sehen, konnte ich keine Freude haben; es fehlte mir immer und immer, was ich zu nennen nicht vermochte, da sah ich Euch Beide, vom trauten Familienkreise umschlossen, täglich im Arme bräutlicher Liebe, hörte von Euren Lippen Euer Glück preisen, las in Euern Augen Euer neidenswerthes Loos, und wußte nun, was mir gefehlt hatte. Hulda — Ihr kennt ja die Scham der Liebe; sie kann und mag die Geschichte ihres Geheimnisses nicht verrathen; ich weiß auch selbst nicht mehr, wie das Alles kam; aber wie ich sie das Erstemal sah — mein Vater, ich war noch Kind, als er starb, aber jene Stunde, die letzte seines Lebens, werde ich nie vergessen — der ließ sich von Manuel, seinem treuen Sclaven, aus dem Wand-Schränkchen, wozu er Schlüssel unterm Kopfkissen hervorholte, ein Miniaturgemälde bringen — ich sehe es noch vor mir; ein schön gestalteter Frauenkopf; vor[S. 80] allem fiel mir die Lockenpracht des dunkelen Haares auf; accurat so hatte mein Vater einen Onyx, auf dem sich eine herrliche Camee der Julia, der Tochter des Kaisers August befand; mit kindischer Neugierde fragte ich ihn, ob das die Kaisertochter Julia sey; aber, als ich das schwarze brennende Auge sah, und die Purpurlippen und das Lächeln in den Mundwinkeln, da meinte ich, es sey wohl meine selige Mutter, denn so hatte Manuel mir sie oft beschrieben, der sie gesehen, als sie mit dem Vater eben aus Europa gekommen war.
Sie sollte es seyn, entgegnete mein Vater, und betrachtete das Bild lange mit thränenschwerem Auge, und drückte es an seine, in leisen Todesschauern zuckenden Lippen. Seitdem habe ich das Bild nie wieder gesehen, ich weiß auch nicht, wohin es nach dem Tode des Vaters kam, aber die sanften Züge dieses himmlischen Gesichts, waren mir geblieben; allmählich war die Idee an die wunderschöne Kaisertochter und an die Mutter, aus meiner Seele geschwunden, und an beider Stelle ein Wesen mir vor die Phantasie getreten, das meine Heilige ward. Ich sah es in meinen Träumen,[S. 81] ich liebte es als meinen Schutzgeist, bis ich nach und nach älter ward, und dieß Nebelbild meiner jugendlichen Schwärmereien allmählich aus dem Gedächtnisse verlor. Aber als ich hier Hulda das erste Mal sah, das schwarzbraune Haar in Flechten und Locken wie die Camee der römischen Kaisertochter; die seelenvollen großen Augen unter den schön geschweiften Bogen; die würzigen Lippen; den Carmin auf der pfirsichsammetnen Wange, den zartgeformten Hals; die volle, in frommer Keuschheit ruhig wogende Schwanenbrust, und über das alles den Geist der höchsten Anmuth, den Himmelsglanz der reinsten Unschuld, den unnennbaren Zauber der süßesten Liebe, da hatte ich meinen Schutzgeist, die Heilige meiner Jugend wiedergefunden. Sie oder keine! hat mein Herz laut gesprochen. Jetzt wißt Ihr, meine Freunde, wie es mit mir steht! helft mir, mein Glück mit erringen. Ohne Hulda kann ich nicht leben.
Der Bräutigam schloß Alonso herzlich an seine Brust, und stimmte in Gustchens Versicherung ein, daß, so viel sie wüßten, Hulda’s Herz noch frei sey, und — doch sie trat mit Emma, Gustchens Schwester, eben selbst in[S. 82] das Kabinet. Beide Mädchen hatten das Brautpaar in allen Zimmern gesucht, und Hulda war nicht wenig überrascht, dasselbe in tiefem und wie es schien, in recht ernstem Gespräch mit Alonso verloren, hier zu finden.
Wir sprechen von Ihnen, hob Alonso an und erfaßte ihre Hand, und machte ein so feierliches Gesicht dazu, daß Gustchen angst und bange wurde, denn sie meinte, er würde gleich auf dem Fleck um Hulda förmlich anhalten. Bei Unterhaltungen dieser Art war, nach ihrer Ansicht, jeder Zeuge lästig; sie entfernte sich also mit ihrem Bräutigam und Emma heimlich, und Alonso wußte dieß ihr Dank, denn er mußte seinem Herzen Luft machen, und Hulda sagen, wie unendlich er sie liebe.
Hulda hörte ihm mit stillem Wohlgefallen zu; er sprach mit sanfter, ernster Rede, wie es dem Manne ziemt, wenn er das heilige Geheimniß seines Herzens dem Mädchen gesteht, das er sich zur Lebensgefährtinn erkohr. Sie wußte selbst nicht, wie ihr geschah; sie hörte das Geständniß seiner Liebe mit einer Fassung, als wäre sie darauf vorbereitet. — Sie war es ja auch wirklich; sein Benehmen, seine Blicke[S. 83] hatten ihr ja längst gesagt, was jetzt seine Lippen mit so reizender Schüchternheit wiederholten. Er setzte ihr mit der Offenheit, die er ihr als rechtlicher Mann schuldig war, die Lage seiner Umstände aus einander, und aus seinen schlichten Aeußerungen über diesen Punkt, der ihr, einzig und allein um der Eltern willen, der Berücksichtigung nicht unwerth zu seyn schien, konnte sie wohl abnehmen, daß Alonso, in seinem Vaterlande, in welchem Personen von zehn und zwölf Millionen Piastern[27] nichts Seltenes sind, nicht der Aermste war, und einen ganz vorzüglichen Werth legte sie auf den Schluß seines Antrages, in welchem er sich erbot, seinen Wohnsitz, wenn es ihr in Mexico nicht gefallen sollte, künftig nach Europa, an jeden ihr beliebigen Ort verlegen zu wollen. An ihrer Seite, meine Hulda, setzte er herzlich und mit unbeschreiblicher Zartheit hinzu: werde ich in den milden Bambuswäldern von Loxa, wie in den wüsten Steppen des goldreichen Choco, in den ewig sanften Frühlingsländern von Xaleppa und Tasco, wie zwischen den grauenhaften tod[S. 84]tenstillen Eiswänden auf Smeerenborg an der Spitze des Nordpols, glücklich und zufrieden leben; Sie schaffen mir in der neuen, wie in der alten Welt, mein Paradies, und eben so wenig, als der Vulkan von Masaya, dessen goldige Flammensäule, beständig und immer, zwanzig Meilen weit in das Land leuchtet, seines Feuerstrahls je beraubt werden wird, eben so wenig wird die Gluth meiner Liebe je verl —
Herr Kapitain, unterbrach ihn Hulda mädchenhaft züchtig, und schlug den Zauberblick ihrer zärtlichen Augen, in welchen das Entzücken der Liebe lächelte, vor dem lodernden Liebesvulkan zur Erde nieder: Sie sehen mich heute zum ersten Mal; diese Raschheit — ich weiß nicht —
Entschuldigen Sie diese, hob Alonso bittend an, und legte ihre Hand auf sein stürmisch bewegtes Herz: mit der heißen Zone meines Geburtlandes; dort, wo die Ananas und der Pisang, das Zuckerrohr und die Fächerpalme, die Sie hier nur mit Glasfenstern und Oefen treiben, wild wachsen, wo alle, auch hier heimische Früchte, saftreicher und frischer gedeihen, wo manches, wie z. B. die Mimosen, die Sie[S. 85] hier im Blumentopfe als ärmliches Pflänzchen ziehen, mannhohes Buschwerk ist, wo die Tannen, wie z. B. auf dem Olymp in Neugeorgien, eine Höhe von dreihundert Fuß erreichen, dort sind auch die Menschen anders; ihre Leidenschaft ist glühender, ihr Handeln rascher, ihr Wirken kräftiger. Langes Zaudern, wie es das Ceremonielle der europäischen Sitte verlangen mag, verstattet mir meine Lage nicht. Schlagen Sie ein, meine einzige Hulda; mein Herz ist gediegen und schlackenfrei, wie das Gold im Berge Ilimani,[28] krystallrein meine Seele, gesund und frisch mein Blut; Gott sey mein Zeuge, daß ich Keine liebe, als nur Sie; die allererste Liebe, Hulda, Himmelskind, sind Sie, und neben Ihnen kann ich Keine denken.
Er umschlang das wunderschöne Mädchen, das in süßer Verwirrung sich vergaß und, ohne es zu wissen, das schmachtende Auge zu ihm aufhob, und ihm, mit beredtem Blicke, seine Gegenliebe schweigend gestand; da zog der Ueberglückliche die Heißgeliebte enger an die, in Freude[S. 86] und Seligkeit überströmende Brust, und die stummen Lippen näherten sich einander zum feierlichen Verlobung-K —
Aber Kinder, rief der Bräutigam, und klatschte lachend in die Hände, daß Beide auseinander prallten: der ganze Ball fragt nach dem Herrn Mexicaner und nach Ihnen, meine Hulda, und unterdessen steht Ihr hier, am fernsten Ende des Hauses, und raspelt mit einander Süßholz! Ja, wenn man heut zu Tage das junge Volk nur eine Minute aus den Augen läßt! Geben Sie mir den Arm, Hulda, und Sie, Capitain, folgen in einer Weile nach.
Hulda ging willenlos, und ihrer selbst sich unbewußt, neben dem Bräutigam her, denn sie war in diesem Augenblick mehr in Neuspanien, als auf dem Balle; Alonso aber stand eine lange Weile noch, in lautloser Verzückung in dem Cabinet, faltete die Hände hoch in die Luft hinaus, und rief endlich, als hätte es ihm bis dahin an Athem gefehlt: Hulda! Dein! mit treuer Liebe bis zum Tode, Dein.
Hulda hatte unterdessen zur Francaise antreten müssen; aber mit dem Tanzen ging es[S. 87] heute platterdings nicht; sie machte nichts als lauter Unordnung im ganzen Quarree, denn er stand ja da in dem Fensterbogen des Saales, mit verschränkten Armen, und starrte bald nach ihr herüber, bald sah er durch die schwitzenden Scheiben hinauf zu den Sternen. Droben waren Vater und Mutter. Beide hatte er kaum recht gekannt, aber es war ihm, als müsse er heute mit ihnen sprechen, ihnen sein Glück erzählen, und Sie um ihren Segen bitten.
Ein bildschöner Abend, sagte Hafencapitains Lina, die schon lange die Gelegenheit abgepaßt hatte, mit dem crösusreichen Capitain, das Gespräch anzuknüpfen, näherte sich ihm mit einer leichten Verbeugung, warf das Auge in den flimmernden Sternenhimmel, streifte auf dem Rückwege auf die arme Erdenwelt, mit ihren Blicken an dem reizenden Fremdling vorüber, und drückte die dürre Brust aus dem kaffeegelben brabanter Kantenbesatz ihres heidnisch zusammengeschnürten Ballleibchens möglichst heraus.
Bildschön, bildschön! entgegnete er, noch in tiefen Gedanken, und beantwortete ihre entgegenkommende Verbeugung mit einem kurzen Bückling.
Bei Ihnen zu Hause, fuhr sie fort, und fand den jungen Piaster-Adonis, den sie bisher immer nur von ferne gesehen hatte, im Geheimen ganz unaussprechlich liebenswürdig: ist es dort jetzt Tag oder Nacht?
Stockfinster, stockfinster, antwortete Alonso, ohne zu wissen, was er sprach, denn er hatte in die Sterne am Himmel, und in die der Augen seines Engels drüben in der Francaise gesehen, und sie hatten ihm freundlich geleuchtet.
Des Hafencapitains eitles Töchterchen vermeinte, in seiner Kurzsylbigkeit ein stummes Zeichen seiner Huldigung zu finden; ihr Liebesreiz hatte den blöden Schäfer befangen gemacht, er hatte vor Entzücken die Sprache verloren; ich habe mir, hob sie, um das Gespräch weiter zu führen, und nach und nach die unsichtbaren Fesseln zu lösen, in die ihn ihr zartes Entgegenkommen geschlagen hatte, traulich an: ich habe mir dort alle Menschen schwarz gedacht; indessen —
Pechschwarz, pechschwarz! fiel er ihr in das Wort, und ging aus dem Fenster, als triebe ihn die Unleidliche von dannen; sie aber sah ihm zärtlich lächelnd nach; zehnmal wiederholte[S. 89] sie sich sein bildschön, stockfinster, und pechschwarz; mehr, als die drei Worte hatte sie von ihm nicht gehört; aber sie hallten in ihrem girrenden Taubenherzen wieder, als hätte sie ein Seraph zu ihr gesprochen.
Allen ihren Bekanntinnen erzählte sie, was der Mexikaner für ein ganz allerliebster Mensch sey; ihr guter Geist müsse ihr gerathen haben, die Francaise nicht mit zu tanzen; sie habe unterdessen eine Unterhaltung mit dem Manne gehabt, die ihr tausendmal lieber gewesen sey, als zehn Cottillons und alle Francaisen der Welt. Hulda, deren Tanz eben beendigt war, stand in der Nähe und hörte jedes Wort.
Ein Glück war, setzte Lina mit recht feiner Koketterie hinzu: daß uns Niemand behorchte, denn der Mensch hat die Gabe, einem so niedliche Schmeicheleien zu sagen, daß man wahrhaftig recht bescheiden seyn muß, um nicht ein Bischen sehr eitel zu werden.
Was sprach er denn von pechschwarz? fragte des reichen Rheders goldgelockte Tochter Alma, die in ihrem Quarree, dem Fenster zunächst gestanden hatte.
Was mußt Du für Oehrchen haben, erwie[S. 90]derte Lina mit sichtbarer Freude, von ihm länger reden zu können. Wir sprachen von den Mexikanerinnen; er lobte ihr schwarzes, seidenes Haar, aber solch pechrabenschwarzes, wie das meine, betheuerte er, in ganz Südamerika nicht gefunden zu haben; er bestand darauf, daß ich ihm eine Locke mitgeben sollte, — da kann der gute Freund aber lange warten.
Nun, und was war denn das mit dem stockfinster, fragte Alma weiter und die umstehenden Mädchen stießen sich heimlich mit den Elnbogen und ergötzten sich an des einfältigen Dinges ihnen längst bekanntem unerträglichem Dünkel; Hulda aber fühlte, wie die bitterste Galle sich auf die Frühlingssaat ihrer Liebe ergoß, und die frischen Keime alle, wie Mehlthau, vergiftete.
Nein, auch das hast Du gehört, sagte staunend Lina, und lachte: ei, das war nichts, als dummes verrücktes Zeug; ich lobte nämlich die Beleuchtung des Saals, und sagte, bei ihm, unterm Aequator könnte es in der Mittagsstunde nicht heller seyn; da meinte er aber, und legte die Hand sich auf das Herz, ihm sey alles stockfinster gewesen, bis ich in den[S. 91] Saal getreten; da habe ich ihm aber gut darauf gedient. Ich sage Euch, er kann einem Dinge weiß machen, man traut seinen eigenen Ohren nicht mehr. Aber liebste Alma, weiter hast Du doch nichts gehört?
Von bildschön war noch die Rede, versetzte diese, und wollte weiter reden, aber Linchen hielt ihr den kleinen Schelmenmund zu, und rief: nein das ist abscheulich von Dir; aber warte nur, ich will mich bei Dir auch einmal auf’s Horchen legen, und dann alles ausplaudern, ohne Schonung. Ich konnte ja nichts dafür, wenn Du Achtung gegeben hast, so wirst Du gesehen haben, wie er mir auf allen Schritten und Tritten nachging, und mich wie ein Schatten verfolgte, bis ich da, wo Du tanztest, an das Fenster kam; da konnte ich vor vier, fünf Herren, die dort standen, nicht weiter, und fing an zu sprechen, und —
Platz da, Platz da! erscholl es im Saale, und ein auf des Sturmwindes brausenden Flügeln heranwalzendes Paar schob Linchen, des Teufels Lügenkind, meuchlings auf die Seite, und sprengte das kleine, um sie versammelte Auditorium aus einander; Hulda wendete sich,[S. 92] sagte, im ganzen Gesicht kreideweiß und den zerreissendsten Krampf in der gequälten Brust, halb laut vor sich hin: das ist abscheulich! und stand vor Alonso, der sie zum Walzer aufforderte.
Was ist abscheulich, fragte Alonso freundlich, und wollte sich mit ihr in die Reihe der Tanzpaare stellen; sie aber wand sich aus seinem Arme, gab eine sie schnell anwandelnde Unpäßlichkeit vor, und eilte in das nächste Seitenzimmer.
Alonso folgte ihr, doch sie bat ihn, sie allein zu lassen, so dringend, daß er, in der Voraussetzung, weiblicher Hülfe zu bedürfen, zu Gustchen eilte, und diese ersuchte, ihr Beistand zu leisten.
Gustchen fand sie in Thränen; auf alle Fragen, was ihr fehle, erhielt die Bereitwillige keine Antwort, und als Gustchen erzählte, mit welcher Todesangst Alonso sie aufsuchte und wie ängstlich Händeringend er bat, ihr auf das Schleunigste beizuspringen, erwiederte sie schneidend kurz: nichts von ihm, ich bitte Dich, um Gotteswillen, nie wieder ein Wort von ihm; laß mir meinen Wagen holen, ich kann nicht bleiben.
Aber sage Mädchen, begann Gustchen theilnehmend: was hast Du, was ist Dir?
Morgen, erwiederte bittend Hulda, und zitterte am ganzen Körper: morgen will ich Dir alles erzählen; jetzt nur den Wagen.
Gustchen schüttelte bedenklich den Kopf; das Mädchen war vorhin, wie sie kam, leichenbleich gewesen, jetzt brannte ihm dunkele Röthe auf Stirn, Wange und Brust; es weinte schluchzend, und das Blut jagte ihm mit solch’ tobendem Rasen durch alle Pulse, daß der Busen fieberhaft schnell auf- und abwogte.
Gustchen ging, und Hulda sank auf das Sopha, und gab sich ihrem Schmerze mit kindischer Schwäche hin.
Du bist nicht wohl, höre ich, fragte sie Alma, und legte ihr sorglich die Hand auf die brennende Stirn; Hulda aber that sich Gewalt an, sich vor ihr zu verbergen, und versicherte, ihr kleiner Unfall habe nicht viel auf sich, und werde hoffentlich bald vorübergehen; was sagst Du, hob Alma, um die Leidende ein wenig zu zerstreuen, lachend an: was sagst Du zu der göttlichen Geschichte mit dem alten Dinge, der Caroline? sieh, ich stand drei Schritte von[S. 94] ihr, und habe jede Sylbe gehört; an dem ganzen Auftritte ist doch kein wahres Wort; das Mädchen kann lügen, wie gedruckt.
Hulda horchte hoch auf, und Gustchen kam zurück, und berichtete, daß der Wagen bestellt sey.
Sie — fuhr Alma unbefangen fort, und ahnte nicht, welchen heilenden Balsam sie auf die blutenden Wunden in Hulda’s zerrissenem Herzen legte: sie kam auf ihn zu! sie drängte sich an ihn heran; sie knüpfte die Unterhaltung an! und er, Gott weiß, was ihm im Kopfe stecken mochte, er hörte gar nicht auf sie, er antwortete, ohne sie anzusehen, kurz und einsylbig, und ließ sie, da sie ihm anfing unerträglich zu werden, im Fensterbogen stehen.
Und die Locke? fragte Hulda, wie aus bösem Traume erwachend, und die Wolkenschleier, die ihren Blick trübten, verschwanden und das Auge glänzte wieder, wie die Sonne nach schwerem überstandenem Gewitter.
Der Mensch hat nicht daran gedacht, entgegnete Alma: ich sage Dir ja, die Caroline hat uns da, in aller Geschwindigkeit, eine Komödie vorgelogen, an der auch nicht ein einziges —
Wieder besser? fragte Alonso zärtlich besorgt und steckte den braunen Lockenkopf zur Thür herein, und in Hulda’s freundlichem Lächeln lag die Versicherung ihrer völligen Genesung; sie hatte ihm ungeheuer Unrecht gethan, und mußte das schon ein Bischen wieder gut machen; sie bot ihm die zarte weiche Hand, und — der Mensch ist seiner nicht immer mächtig — und drückte seine Rechte zum Dank für seine Theilnahme recht herzlich; dieser sanfte Druck, so unmerklich er auch seyn mochte, schlug in das südamerikanische glühende Blut so allmächtig ein, daß Alonso, überglücklich, Hulda’s Händchen mit leidenschaftlicher Heftigkeit an seine Lippen zog, und komisch naiv versicherte, daß er ihrer Unpäßlichkeit noch recht viele kleine Rückfälle wünsche; denn Krankheiten dieser Symptome machten sie unendlich liebenswürdig. Der schuldlose Mensch! hätte er nur ihre Krankheit gekannt!
Der Bediente, der jetzt meldete, daß der Wagen vorgefahren sey, setzte Hulda in unbeschreibliche Verlegenheit. Gustchen, das Alma’s Erzählung mit angehört, und sich aus dieser Hulda’s plötzliches Erkranken sattsam erklärt[S. 96] hatte, that, aus neckender Schadenfreude, der Gepreßten nicht den Gefallen, ihr zum Bleiben zuzureden. Alma aber, das schlaue Kind, das sich, die beiden Menschen einander gegenüber, Hulda’s schnelles Uebelbefinden, die Heilkraft ihrer Erzählung, und Hulda’s Freundlichkeit gegen Alonso, in der eine förmliche Abbitte für begangenes schweres Unrecht lag, mit mathematischer Gewißheit aus einandersetzte, sagte zum Bedienten mit einem launigen Seitenblick auf Hulda: wir sind jetzt wieder besser, der Wagen kann abbestellt werden. Gott gebe, setzte die Scharfsichtige, als der Bediente abgetreten war, hinzu, und sah dabei recht drohend aus: Gott gebe, daß wir auf immer kurirt sind.
Gustchen lachte laut auf, und klatschte vor Freude über Alma’s tiefen Blick in die Hände; Hulda aber sagte, halb böse: das ist nicht hübsch von Euch; sie legte das erglühende Gesichtchen auf Alma’s Achsel, denn sie schämte sich vor den beiden Mädchen, denen die Geschichte der viertelstündigen Krankheit und Genesung das Geheimniß ihrer unendlichen Liebe, so wie die Gewalt der Eifersucht über ihr armes Herz, verrathen hatte.
Mein liebreizendes Mädchen, flisterte ihr Alma, die Purpurwange streichelnd, heimlich in das Ohr: zieh hin in Frieden, und hüte Dich vor solchem Krankwerden. Dein Mexikaner ist entsetzlich hübsch, dem kann kein Mädchen gram seyn; wehrst Du der Eifersucht nicht, so stirbst Du in den ersten acht Tagen nach der Hochzeit.
Haben Sie Anfälle der Art schon öfter gehabt? fragte Alonso mit gutmüthiger Besorglichkeit. Alle drei Mädchen mußten ihm in das Gesicht lachen, und Alma versicherte, daß dieß der guten Hulda zum ersten Male in ihrem Leben widerfahren sey; dießmal habe sie die arme Kranke geheilt, hinsichtlich der Zukunft aber hänge es vorzüglich von ihm ab, ob sich der Anlaß zu öfteren Rückfällen zeigen werde.
Aber Alma, rief Hulda verlegen und unwillig, und eilte, um den Neckereien der beiden heillosen Mädchen zu entkommen, in den Saal; Alonso, dem dieß alles Hieroglyphen waren, fragte Gustchen scherzend, ob er verrathen oder verkauft sey, und diese entgegnete ihm mit schäkerndem Muthwillen: verrathen und verkauft.
Ein kurzer Trompetenschmetter rief zur langen Tafel. Alonso, dem dieses europäische Spei[S. 98]sesignal fremd war, fragte Alma nach der Bedeutung desselben, und während ihm diese erklärte, daß der Trompetenschall für jeden Herrn das Zeichen sey, der Dame, neben der er bei Tafel sitzen sollte, den Arm zu bieten, und sie in den Speisesaal zu führen, war Casperchen gekommen, und hatte der erschrockenen Hulda eröffnet, daß ihm das Glück zu Theil worden sey, für diesen Abend ihr Tischnachbar zu seyn; Alma, die im Gespräch mit Alonso, davon so wenig, als dieser selbst bemerkt hatte, ward von einem jungen Herrn abgeholt; Gustchen flog bereits mit ihrem Bräutigam der Tafel zu, und Alonso, der jetzt allein im Ballsaale stand, und sich in der süßen Hoffnung, neben Hulda zu sitzen, nach dieser umsah, bekam vor Unmuth fast eine Ohnmacht, als Hafen-Capitains unausstehliches Linchen auf ihn zueilte, sich Glück wünschte, vom umsichtigen Wirth des Hauses, einem so interessanten Manne, zur Tischnachbarinn bestimmt zu seyn, ihn um seinen Arm bat, und die Versicherung hinzufügte, daß sie sich über alle Maßen freue, recht viel von seinem Vaterlande zu hören, daß Neuspanien ihr Lieblingsland, und es, von ihrer frühesten Ju[S. 99]gend an, ihr höchster Wunsch sey, in jenen herrlichen Gefilden, wo Gold und Silber, wie hier zu Lande die Feldsteine, umher lägen, das Hüttchen ihres häuslichen Friedens für immer zu bauen.
Der häßliche Mischmasch mit den Tischplätzen war von Suschen und Linchen gekartet worden. Caspar hatte, nach Gustchens Anordnung neben letzterer, und Alonso, wie sich von selbst verstand, neben Hulda sitzen sollen. Casperchen aber erklärte seiner Schwester, daß, wenn er nicht neben Hulda zu sitzen komme, er gleich nach Hause fahre, und Linchen steckte Suschen, der junge Mexikaner habe sich recht bitterlich bei ihr beklagt, beim Tische ihre Nachbarschaft einzubüßen, und so hatte denn Maklers Suschen den Wechsel der Plätze eigenmächtig veranstaltet, und freute sich, dem Bruder der Freundinn und dem armen Capitain geholfen zu haben; auch Hulda, meinte sie, werde ihr heimlich Dank wissen, denn was konnte ihr an dem Amerikaner liegen, der in wenigen Tagen, vielleicht auf ewig, wieder in See stach, statt daß Casperchen sich mit seinem in London ihm zugeströmten Gelde hier niederließ, und nach dem, zwischen den beiden Müt[S. 100]tern längst verabredeten, der armen Hulda aber noch nicht bekannten Plane, dieser ehestens seine Hand zu bieten bestimmt war.
Hulda aß, vor Unmuth über den unwillkommenen Nachbar, an dessen Stelle sie sich einen ganz andern gedacht hatte, keinen Bissen, und sprach kein Wort. Casperchen erzählte ihr von London, von seinen Geschäften und von seinem Gelde, lobte ihre schöne, weiße Haut und ihr Fleisch, und versicherte recht spaßhafter Weise, daß eine Brittinn, mit der er eine kleine vorübergehende Liebschaft gehabt habe, ihr ähnlich sehe, wie eine Schwester der andern, ließ nicht undeutlich fallen, daß er, des Herumschwärmens müde, nunmehr in den Stand der heiligen Ehe zu treten, nicht übel Willens sey, daß er, wie er sich recht zart ausdrückte, glaube, seine Hörner abgelaufen zu haben, und nun eine Frau suche, die sich in der Welt zu zeigen wisse, ihn seinen Gang gehen lasse, und dabei so hübsch sey, daß sich alle Leute wundern müßten, wie er zu der schönen Frau kam.
Hulda hörte von dem unerträglichen Gespräche keine Sylbe; sie sah links weg; schräg über, weit unten am Ende der fast unabsehbaren langen[S. 101] Tafel, saß Alonso; er aß und trank, als sollte er von morgen an, zeitlebens auf der Hungerinsel Kodiak hausen; man sah es ihm an, er aß und trank nur aus Verdruß. Der zudringlichen Karoline, die ihn mit tausend Fragen peinigte, antwortete er nur mit Kopfnicken oder Schütteln, denn sprechen konnte er nicht, weil er beständig entweder volle Backen, oder das Glas am Munde hatte. So ärgerlich Hulda auch war, sie mußte doch über ihn lachen; je zärtlicher ihm Karoline zusetzte, desto größere Bissen steckte er sich in den Mund; je deutlicher die Ausbrüche ihres Liebesdranges wurden, in desto längeren Zügen schlürfte er seinen Wein, so daß, als sie alle Register vergeblich gezogen hatte, und er auf alles nichts, oder höchstens ein kurzes hm, erwiederte, sie eher neben einem Kannibalen, als neben einem Neuspanier zu sitzen wähnte.
Jetzt kam — der Spaßvogel, der Herr Oberkonstabler hatte die witzige Gesundheit:
ausgebracht, — die Reihe an Alonso. Linchen machte die Schalkhafte; sie breitete die Serviette,[S. 102] wie einen Vorhang, zwischen sich und ihm, und versteckte sich schäkernd dahinter, den Sturm des liebeglühenden Amerikaners mit Verlangen erwartend. Alonso aber that, als habe er von der ganzen Gesundheit keine Sylbe gehört, und als Linchen des längern Harrens müde, den zärtlichen Schelmenblick über den obern Rand ihres Keuschheitserviettchens warf, saß er ganz ruhig und bearbeitete die gutgespickte Brust eines feisten Fasans, mit unendlichem Appetite; die Umsitzenden lachten laut, und Linchen schmollte mit dem mexikanischen Klotze, wie sie ihn nun nannte, von Grund des Herzens.
Gustchen, das am ganz entgegengesetzten Ende der Tafel saß, und in der Meinung stand, Alonso und Hulda im traulichsten Gespräch zusammen zu finden, erstaunte, als sie jetzt an des Bräutigams Arm die Runde machte, um mit den Gästen ihres Vaters ein freundliches Tischwort zu wechseln, nicht wenig, Freund Alonso hier neben Hafencapitains Linchen, und drüben schräg über, Hulda neben Casperchen zu finden. Sie fragte Alonso heimlich, was ihn bewog, seinen Platz, den sie ihm neben Hulda bestimmte, zu wechseln; dieser aber, da er hörte, daß ihm[S. 103] sein Recht, durch die Eigenmächtigkeit eines Dritten, gekürzt wurde, sprang auf, eilte, mit zornfunkelnder Röthe im ganzen Gesichte, zu Casperchen, tippte ihm so kräftig auf die Achseln, daß dieser noch acht Tage daran zu fühlen hatte, und ersuchte ihn, augenblicklich aufzustehen, und ihm Platz zu machen. Hulda zitterte vor Schreck am ganzen Körper, Casperchen aber sah sich um, affektirte den Unbefangenen, und that, als verstände er die sonderbare Zumuthung nicht.
Herr, sagte Alonso, seiner Wuth fast nicht mehr Meister: ich breche Ihnen hier auf dem Fleck Ihre kranken morschen Knochen in einander, wenn Sie mir nicht den Augenblick meinen Platz räumen. Zaudern Sie nur eine Sekunde, so trete ich Ihnen das Lebenslicht mit den Beinen aus. Er blickte ihm dabei so grimmig in die Augen, und griff ihm in das mürbe Schulterblatt, auf dem zufällig seine Hand lag, so gräßlich, daß Casperchen wohl abnahm, wie mit dieser Riesenkraft nicht zu spaßen sey.
Um kein Aufsehen zu machen! entgegnete Casperchen, und die Lippen flogen ihm, daß er kaum reden, und die Kniee schlotterten ihm, daß er kaum gehen konnte; und so schlich er, hinter[S. 104] der Tafel, die ihn fast laut bespöttelte, zur böslicher Weise verlassenen Lina, die das erbärmliche Surrogat ihres verlornen Mexikaners kaum eines Blickes würdigte.
Was haben Sie gemacht? fragte Hulda den siegreichen Alonso, mit verhaltenem Unwillen. Die ganze Gesellschaft sieht mit zweideutigem Blick auf mich; ich sitze wie am Pranger, und morgen bin ich das Gespräch aller Zirkel in der ganzen Stadt.
Was ich gemacht habe? erwiederte Alonso, bis zum Muthwillen fröhlich — mir mein Recht bewahrt, und das ist jedes Ehrenmannes Pflicht. So lange ich glaubte, daß der Wirth des Hauses mich da hinüber neben die Schmachtlampe bestimmt hatte, so lange mußte ich, als Gast, seine getroffene Einrichtung ehren; sobald aber Gustchen mir sagte, daß mir Unrecht geschah, sobald mußte der Patron, der mir schon vom ersten Eintritt in die Gesellschaft, wie Brechpulver war, wieder herausgeben, was er mir raubte; und hätte es mir, oder ihm, auf der Stelle das Leben kosten sollen, ich wäre nicht gewichen. Der Seelenverkäufer hat mir eine Stunde gestohlen, die mir mit dem ganzen Lumpenleben dieses Lur[S. 105]rendrehers[29] nicht ersetzt werden kann — und was die Stadt anbelangt, die lassen Sie sprechen, was sie will; sie soll hoffentlich noch mehr von uns zu erzählen bekommen; glauben Sie, die meisten Menschen, selbst in den Zirkeln der höheren Stände, die wir für die geistreichern halten sollen, wüßten oft gar nichts zu reden, wenn sie nicht über die Leute sprechen dürften. Die Stadt wird uns ordentlich verbindlich seyn, wenn wir ihr einmal etwas zu reden geben. — Hulda, setzte er ernster werdend hinzu: meine einzige, liebe Hulda, reichen Sie mir Ihre Hand, ich bringe Ihre Gesundheit aus, und die ganze Stadt weiß alsdann, woran sie ist. —
Hulda verging fast vor Todesangst, denn er griff schon zum Glase, und wollte sich vom Stuhle erheben.
Stürmisches Ungethüm, sagte sie, und wollte böse seyn, und konnte doch nicht auf ihn grollen; aber mit Wort und Blick bat sie auf das dringendste, sie nicht in diese entsetzliche Verlegenheit zu setzen. Sie haben vorhin Ihrer Eltern erwähnt,[S. 106] fügte sie, mit niedergeschlagenen Augen hinzu, denn sie fühlte, daß das, was sie sagen wollte, mehr, als ein halbes Jawort war, aber der Dränger — preßte er es ihr nicht durch den kecken Vorsatz ab, ihre und seine Gesundheit, als Braut und Bräutigam, ausbringen zu wollen? Mußte sie, um ihn davon abzuhalten, nicht zum letzten Mittel greifen? Sie haben vorhin Ihrer Eltern erwähnt; was würden die meinigen von Ihnen halten müssen, wenn Sie hier, ohne ihnen ein Wort gegönnt zu haben —
Darf ich kommen? wann? morgen früh? wie viel Uhr? fiel er ihr in die Rede, und küßte, vor Freude halb unsinnig, ihr die Hand bald wund.
Aber Alonso, sagte flehentlich die vom ganzen Umkreise mit Lorgnetten und Brillen Beliebäugelte: die ganze Gesellschaft sieht ja auf uns; wir sind ja nicht allein!
Wollte doch Gott, erwiederte er lachend: wir säßen auf den berüchtigten Inseln zwischen dem Nordcap Tschalaginskoi und Siberien; die sind von Rhinoceros- und Elephantenknochen zusammen gefroren; auf denen wohnt kein Mensch; dort sähe uns Niemand!
Hulda wollte sich dieses paradisische Eldorado[S. 107] verbitten, aber eben kam Gustchen, und meldete ihr den Wunsch des Vaters, baldigst zu Hause zu kommen, weil die Mutter wieder recht krank sey. Sie stand daher eilig auf, bat, vorfahren zu lassen, und hörte, von der unerwarteten Nachricht erschüttert, nur mit halbem Ohr, Alonso’s Bedauern, daß sie die Gesellschaft so zeitig verlasse, so wie seine wiederholte Frage, ob und wann er morgen früh kommen dürfe, und seine kaum gewagte Bitte, heute Abend noch, oder wenn dieß nicht möglich seyn sollte, wenigstens morgen ihrer Blumen auf dem Balkon zu gedenken. Er begleitete sie bis zum Wagen, und schien wohl auf einen Gutenachtkuß im Stillen gerechnet zu haben, aber, vor dem Kutscher und den zwei Bedienten mit Windlichtern und Fackeln, hatte der Schüchterne doch nicht den Muth, sich vielleicht einer abschlägigen Weisung auszusetzen.
Was sollte er jetzt noch in der Gesellschaft! er flüchtete in seine stille Kajüte, und blickte, von Zeit zu Zeit, mit der stillen Sehnsucht glühender Liebe, nach dem Balkon hinauf, aber es ward tiefe Mitternacht, und Hulda blieb aus.
Die Kindespflicht fesselte sie an das Bette der[S. 108] leidenden Mutter, die wieder recht krank gewesen war, jetzt aber ein wenig mehr Ruhe bekam, und nach einer Weile einschlummerte.
Der Vater winkte dem Mädchen in das Nebenzimmer.
Wie ist es gekommen, fragte Hulda ängstlich, daß Mutterchen so plötzlich wieder erkrankt ist? sie befand sich heute Mittag so wohl! hätte ich den Rückfall nur ahnen können, ich hätte ja keinen Fuß aus dem Hause gesetzt; ich mache mir jetzt ordentlich ein Gewissen daraus!
Wie ist es gekommen, erwiederte der Vater verdrüßlich: Du warst kaum fort, so ließen sich Maklers melden; ich kann die scheinheiligen Menschen, die ewig und immer die Gottesfurcht im Munde und die unmenschlichste Kälte im Herzen haben, nicht leiden, und bat, daß sie ihnen absagen lasse; aber sie meinte, daß ihr recht wohl sey, daß sie sich nach Unterhaltung sehne, daß sie die Veranlassung des Besuches schon wisse, und sie daher nur kommen möchten. Ich ging, weil ich das frömmelnde Wesen der beiden Menschen nun einmal platterdings nicht ausstehen kann, auf die Ressource, und kam vor einer Stunde erst wieder. Da rief mich denn die Mut[S. 109]ter an das Bette, und machte mich, nach einer langen, weit ausgeholten Einleitung über die Nothwendigkeit, auf Dein zeitliches Glück nun mit Ernst bedacht zu seyn, mit dem ihr, diesen Nachmittag, eröffneten Antrage der Eltern bekannt, Dich ihrem Caspar zur Frau zu geben?
Mich? — dem Caspar? fragte Hulda erbleicht.
Mach’, was Du willst, fuhr der Vater fort: aber ich kann mir nicht denken, daß ein reines keusches Mädchen, wie Du, meine Hulda, mit dem ausgemergelten Menschen glücklich seyn kann. Ich habe ihn heute früh gesehen. Wie die leibhaftige Sünde sieht er aus, und dabei so brutal, so plump, so ungeschlacht! das soll englisch seyn! der Narr! Die Britten sind Ehrenleute, die auf feine Manier und Anstand, auf Sitte und Anspruchlosigkeit eben so streng halten, als wir. — Mein einziges Kind diesem entnervten Wüstlinge in die Arme zu legen! — nein, es wäre mir nicht möglich. — Ich entgegnete dieß der Mutter, aber sie bestand mit ungewohnter Festigkeit darauf; sie lobte die Eltern, als fromme christliche Leute, den Sohn als gewandten, mit Glücksgütern reich begabten Kaufmann; und das[S. 110] Suschen, das einfältige Ding, das allen Menschen nach dem Munde redet, um sich bei allen einzuschmeicheln, als ein gefügiges liebenswürdiges Wesen, versicherte wiederholentlich, daß sie für Dich und uns kein größeres Glück kenne, als Dich in diesem Hause aufgehoben zu wissen, in welchem Religion und Tugend heimisch wären, und wo in einem Tage mehr und frömmer und andächtiger gebetet werde, als in der ganzen Stadt in einem Jahre, und bestürmte mich um meine Einwilligung in die Verbindung.
Ich war bis dahin recht ruhig geblieben, und hatte mich möglichst zu fassen gesucht; als ich aber aus ihren Reden merkte, daß von Caspars Eltern, die, wie Du weißt, auf die Mutter von je an, einen unbegreiflichen Einfluß gehabt haben, diese Parthie schon seit längerer Zeit abgekartet war, und ich gewahrte, daß sie, ohne meinen Einwendungen vorhaltende Gründe entgegen zu setzen, auf ihrem Willen fest beharrte, mochte ich — es galt ja Dein ganzes Lebensglück, mein einzig liebes Kind — mochte ich wohl etwas zu heftig geworden seyn. Unser Zweisprach ward immer lebhafter, ich vergaß, daß die arme Mutter krank war, ich platzte mit dem, seit Jahren[S. 111] schon verhaltenem Grolle gegen das Schleichervolk, die Maklers, aus der Brust heraus, und das erschütterte dann die Mutter so, daß sie in die heftigsten Krämpfe verfiel, und ihr Zustand so bedenklich ward, daß ich Dich holen lassen mußte. Habe ich gefehlt, so mag mir Gott verzeihen, aber sprach ich nicht für Dich, wer sollte Deiner sich annehmen, und wo ist der Vater, der bei ruhigem Blute bleiben kann, wenn er sieht, daß sein Kind, sein einziges Kind, aus bloßem Vorurtheil, aus blinder Geistesbefangenheit, um das Heil seines ganzen Lebens hienieden gebracht werden soll. Jetzt geh, meine Tochter, und leg’ Dich nieder, und bete zu Gott, daß er der Mutter erkaltetes Herz erwärme, damit sie von Dir nicht fordere, was Deinen Vater in die Grube bringen würde; denn den Menschen an Deiner Seite als meinen Schwiegersohn, zu sehen, würde ich kein halbes Jahr überleben.
Seyn Sie auf die Mutter nicht böse, mein Vater, hob Hulda an, und weinte kindlich fromme Thränen: sie meint es gut mit mir, und glaubt, mein Glück durch diese Verbindung zu begründen; wenn ich ihr aber sagen werde, daß ich den Menschen nie lieben kann, wird sie[S. 112] sicher von dem Plane abstehen. Sie ist ja gut und verständig; ich will schon mit ihr reden, daß meine Worte Eingang finden sollen in ihr mütterliches Herz.
Thue das, mein Kind, sagte der Vater: und leg Dich nun zur Ruhe, und bereite Dich zu morgen vor, daß Du gefaßt bist, und ihre Wünsche zurückweisen kannst, ohne Gefährdung ihrer Gesundheit.
Hulda legte sich wohl nieder, aber schlafen konnte sie nicht; die Augen fielen ihr vor Müdigkeit zwar hundertmal zu, aber sie schlug sie auch hundertmal wieder auf, denn bald umklammerte sie Caspar mit seinen langen dürren Armen, bald sah sie sich von einem Schlangenindianer an den Gewässern der Columbia verfolgt; bald lustwandelte sie mit Alonso am Meerbusen von Florida, umduftet von den hier wild wachsenden Orangen, im Schatten der breitblättrigen Banane und des zierlichen Bambusbusches; bald sprang das sanftmüthige flüchtige Thier, die Antelope, an den himmelhohen Basaltwänden des obern Missuri vor ihnen vorüber; — bald hörte sie seine sanfte Rede, und sah in das dunkele Veilchenblau seiner großen Augen und fühlte das Schwellen sei[S. 113]ner frischen Lippen auf ihrem rosigen Munde. Bald schwebte sie, umschlungen von seinem kräftigen Arm, und unter vollstimmiger Begleitung eines köstlichen Walzers, zum Ballsaal hinaus, über die blauen Berge am Kanhawa, über die goldgedeckten Tempel der Omegas im Innern von Guyana hin, bis zu den blumenreichen Küsten des stillen Meeres; — bald kamen wieder die Bilder am gestrigen Abendhimmel ihr vor die träumende Seele, und das lange hohe Kreuz und die drohende Mutter und die dürre Gestalt des Eskimos auf Labrador. — Da habe ich ja, sagte sie von der Stille der Mitternacht umdunkelt, leise zu sich selbst: da habe ich ja die Deutung jener Himmelsbilder! das Kreuz — ach es ist so schwarz und so schwer, und das Gesicht der Mutter so kalt und finster — und der entsetzliche Eskimo mit der grausenden Larve — weg, weg mit den schrecklichen Bildern — an ihn will ich denken, der so freundlich mit mir sprach, dessen Rede mir so wohl klang, dessen Seele so klar vor mir liegt, wie die Krystallquellen am Fuße der Luftvulkane[30] bei Turbako; in dessen Armen[S. 114] mir war, als stände ich kühl beschattet vom silberglänzenden Laubwerk des Riesenbaums.[31] — Aber, kann ich denn auch im Traume nicht aus dem verwünschten Amerika heraus, sagte sie jetzt völlig erwacht, und konnte nun nicht mehr schlafen, und wiederholte sich, vom Frühroth des ersten Morgengoldes im Bettchen freundlich begrüßt, alles, was er gesprochen, und hatte vor der heutigen Unterhaltung mit der Mutter keine Angst mehr, denn er wollte ja selbst kommen, und mit ihm hielt Casperchen keinen Vergleich aus; sah die Mutter auf zeitliches Gut, so wog der zwanzigste Theil von Alonsos Vermögen, den ganzen Caspar auf, und da Alonso erklärt hatte, daß die Wahl des künftigen Wohnorts lediglich von ihr abhängen solle; so verstand es sich, daß sie ihrem gestrigen Versprechen eingedenk, die Mutter nicht verlassen, sondern wenigstens so lange als diese lebe, hier bleiben werde, und somit war jede Schwierigkeit beseitiget.
Armes, getäuschtes Mädchen!
Beim Frühstück schon, trat die Mutter mit[S. 115] den Absichten hervor, die ihr Caspars Eltern gestern eröffnet hatten; sie erinnerte Hulda an deren gegebenes Versprechen, sich nicht außerhalb des Orts zu verheirathen; hielt der Familie, in deren Kreise sie künftig leben werde, die gebührende Lobrede, und ließ sich über Caspars wohlgeordnete Vermögensumstände und seine, im Auslande erworbene Bildung des weiteren aus; vergaß auch nicht die Schwierigkeit, bei der gegenwärtigen Heirathscheu der meisten jungen Leute im Orte, eine ähnliche vortheilhafte Parthie sobald wieder zu finden, in das gehörige Licht zu setzen, und schloß mit der Bemerkung, daß sie auf dieß alles, von der gehorsamen und liebenden Tochter, eine, den elterlichen Wünschen entsprechende Erklärung erwarte.
Hulda bog freundlich lächelnd aus; kam Alonso, der blühend schöne, frische Mann, dem der liebe Herr Gott die Reinheit des unverdorbensten Herzens, die Unschuld der zartesten Sitte, und die Gediegenheit der ehrenfesten Grundsätze auf jeden Zug seines einnehmenden Gesichts geprägt hatte, und hörte die Mutter von den zehn Millionen Piaster, die ihm der alte Handelsgerichtsdirector nachrechnen wollte, und erfuhr sie, daß[S. 116] ihr Hulda nicht aus dem Hause geführt werden, sondern bis an des Lebens Ende bei ihr bleiben sollte, so war von dem Casperchen keine Rede mehr; das stand mit mathematischer Gewißheit ihr im Köpfchen geschrieben; und kommen wollte er ja; er hatte es versprochen, und dieser wunderhübsche Mund hatte gewiß noch keine Lüge gesagt. Sie küßte der Mutter die Hand, nahm die ganze Sache als einen leichten Scherz, indem es bei ihrer Jugend keine Eile habe, meinte, daß es ihr ordentlich lächerlich sey, jetzt an das Heirathen zu denken, und betheuerte, daß vor allem erst die geliebte Mutter gesund werden müsse, und sich dann hierüber ja wohl werde ein Mehreres sprechen lassen.
Damit kam die Schlaue aber nicht los. Die Mutter ward empfindlich und begriff nicht, wie der besonnenen Hulda, die kein Kind mehr sey, ein so wichtiger Schritt, als die Verbindung eines Mädchens mit einem jungen Manne, auf die ganze Lebenszeit wäre, lächerlich seyn könne, und bat sie, dem sehr wichtigen Gegenstande einen Augenblick ernster Betrachtung zu schenken. Meine Tage, setzte sie hinzu: sind gezählt, ich habe auf dieser Welt keinen Wunsch mehr, als Dich glück[S. 117]lich zu wissen; ich habe zu Gott gebetet, daß er mir in dieser letzten Sorge hienieden, seinen Beistand nicht versage; er hat mir in den Eltern des, Dir vom Schicksal Bestimmten, christlich gesinnte Rathgeber geschenkt, und daß der Himmel unsern Beschluß segnet, beweis’t, daß der junge Mann, der Deine Hand begehrt, noch ehe ich die Augen schließe, glücklich und mit dem reichen Erwerbe seines redlichen Fleißes hier eintrifft, und ich die Freude noch erlebe, Dir den Brautkranz in das Haar zu flechten, und Deinen Ehrentag mit zu feiern. Ich bin daher fest überzeugt, daß das Werk, was wir mit frommem Gebet begannen, ein Gott wohlgefälliges sey, und Dein Glück und Deine Zufriedenheit begründen werde. Ich sehe also keinen Grund ab, warum Du mit Deiner Erklärung bis zu dem sehr ungewissen, und wahrscheinlich nie eintretenden Zeitpunkt meiner Genesung, Anstand nehmen willst, besonders da eine Menge Eltern hier, welche unbescholtene und mannbare Töchter haben, den von Dir herbeigeführten Aufschub mit Freuden benutzen, und den Entschluß des jungen Mannes, Dir seine Hand zu bieten, durch allerhand Zwischenträgereien schwankend, und ihn, am Ende, Dir[S. 118] selbst abwendig zu machen suchen würden. Alle diese Umstände bestimmen mich, Deine Erklärung und, da Du gegen das Haus so wenig als gegen ihn selbst etwas einwenden kannst, Dein Jawort in dieser Sache jetzt zu gewärtigen.
Die arme Hulda verlor fast die Fassung. In diesem Augenblicke der Mutter zu sagen, daß ihr Herz nicht mehr frei sey, war nicht möglich. Die Mutter kannte ja den nicht, dem es gehörte. — Sie hatte, als der Vater zum ersten Male von ihm sprach, und ihn vom Kopfe bis zum Fuß beschrieb, gesagt: nichts weiter, wenn ihr nicht wollt, daß ich sterben soll; als der Vater vorgestern Abend bei Tische von ihm wieder anfing, legte sie Messer und Gabel weg; wie dieser äusserte, daß des jungen Mannes Schiff ihren Namen führe, klagte sie über heftigeres Uebelseyn; gestern früh erregte der schwarze Krepp, den Tante Sophie, von Lima aus, im Traume sandte, ihr spöttelndes Gelächter. Sie eiferte gegen die spanische Sprache; — alles das zusammen genommen, webte in dem feinfühlenden Mädchen eine Ahnung, deren Daseyn es sich kaum selbst recht bewußt war; aber es mußte etwas seyn, was mit ihm, wenn auch, wie natürlich, in ganz ent[S. 119]fernter Beziehung stand, und was der Mutter an ihm unlieb war; doch sie hatte ihn selbst ja noch nicht gesehen, ihm konnte, nach Almas Geständniß, kein Mädchen gram seyn; bei seinem Anblick war bestimmt auch die Mutter gewonnen; er kam gewiß heute, spätestens morgen, allerspätestens übermorgen. Drei Tage also bat sich Hulda Bedenkzeit aus, küßte der Mutter beide Hände, und ärgerte sich, daß sie nicht einmal so viel Gewalt über sich hatte, wenigstens ein ernsthaftes Gesicht zu machen. Aber der ewig wolkenlose Südhimmel des paradisischen Climas, in dem ihr Alonso geboren wurde, lag in ihrer Seele, in ihrem Auge; die heimliche Freude, die Mutter mit einem zehntausendmal bessern Schwiegersohne zu überraschen, blitzte ihr aus allen Mienen, und sich zu verstellen, hatte ja das reine Wesen nie gelernt.
Die drei Tage sind Dir vergönnt, sagte die Mutter nach einigem Besinnen höchst mißgelaunt; aber ich begreife Dich nicht; Du behandelst den Schritt, zu dem jedes wohlgesittete Mädchen mit feierlichem Ernst sich vorbereitet, so leichtsinnig, als wäre es eine Ballangelegenheit; wenn Du vorliesest, so steht Dir bei irgend einer sentimen[S. 120]talen Stelle gleich das Wasser in den Augen, und jetzt ist Dir das Lachen näher, als das Weinen, und wo hier zwanzig Mädchen aus den ersten Familien mit beiden Händen zugreifen würden, thust Du, als ob Dir die angetragene, weiß Gott, doch höchst ehrenwerthe Parthie noch nicht gut genug wäre. Auf was willst Du denn warten? Auf was bildest Du Dir denn ein, Ansprüche machen zu können. Unsere Umstände sind, wie Du weißt, im Gegensatz vieler hier weit reicheren Häuser, nicht glänzend; und Dein Bischen Larve — mein Kind, es hat schönere Mädchen gegeben, und sie sind alle verblüht. Also sehe ich nicht ab, auf was Du glaubst groß pochen zu können, oder — fragte sie nach einer kurzen Pause, die Worte scharf und hart betonend, und durchbohrte das Mädchen mit stechendem Blick: steckt Dir etwas anders im Kopfe?
Nichts, als der gestrige Ball, entgegnete erschrocken das wahrhafte Kind, das noch nie gelogen, und bückte sich auf die Hand der Mutter tief nieder, denn das erste Morgenroth der heimlichen Liebe überhauchte die Lilienwangen der Liebreizenden, mit dem dunkelsten Purpur.
Warum nicht auch Deine Puppen, erwiederte die Mutter mit saurer Bitterkeit: wahrhaftig, man sollte denken, Du hättest noch gestern damit gespielt, so kindisch benimmst Du Dich heute. Geh und sammle Dich; und wenn Du Deinen Ball, und Deine Narrenpossen verschlafen hast, so komme wieder, daß wir, wie es einem Mädchen Deines Alters ziemt, ein verständiges Wort weiter über die Sache reden können.
Sie wendete sich in ihrem Bette verdrüßlich nach der Wand zu, und Hulda, der es nun anfing recht ernsthaft zu Muthe zu werden, flüchtete zum Vater, der von einem Geschäftsgange eben jetzt zu Hause kam.
Nun Mädchen, rief dieser ihr entgegen: Du siehst ja recht bedeutsam aus! hat die Mutter mit Dir schon gesprochen?
Ich habe drei Tage Bedenkzeit, entgegnete triumphirend die Tochter, und sah den Vater, der sie so unaussprechlich liebte, der so herzensgut war, und von dem jungen Seemanne gestern und vorgestern nichts als Liebes und Gutes gesprochen hatte, mit einem Blicke an, als fragte sie sich, ob sie es wagen dürfe, ihm ehrlich und offen zu beichten. Väterchen, hob sie an, und lehnte[S. 122] die Wange an seine Brust, damit er ihr zu dem, was sie ihm zu sagen habe, nicht in das Gesicht sehen möge: liebes Väterchen, mit dem Caspar ist es nichts.
Gut, mein Kind, erwiederte der Alte lächelnd: darüber sind wir, Gott sey Dank, einverstanden, und die Mutter wird am Ende auch die Idee aufgeben.
Aber, fuhr sie leiser fort, und senkte die Augenlieder, als schäme sie sich vor sich selber: aber mit einem andern — vielleicht — da ist es nicht ganz richtig. Sie lag mit dem Ohr dicht an des Vaters Herzen; sie hörte es schlagen — das Herz, das es so redlich mit ihr meinte, es schlug ruhig fort — der Vater sprach kein Wort, er schien noch Näheres von ihr zu gewärtigen.
Dir, mein liebes Väterchen, fuhr sie mit verhaltener Stimme fort, und schlang beide Arme dichter um ihn: muß ich mich vertrauen; noch ist das heilige Geheimniß über meine Lippen nicht gekommen, noch weiß es, außer Dir —
Die ganze Stadt, fiel ihr der Vater lachend in das Wort, und küßte segnend dem einzigen, dem lieblichen Kinde Stirne und Mund, und die hellen Thränen der süßesten Freude des Menschen,[S. 123] der Elternfreude über das Glück des geliebten Kindes, zitterten ihm im Auge.
Die ganze Stadt? wiederholte Hulda staunend, und sah dem Vater in das freundlich naße Auge, und las in diesem ihr Glück und ihre Hoffnungen.
Wo ich bei unsern Bekannten heute früh hinkam, versetzte der Vater: machte man mir große Gratulationen; die Menschen waren gestern auf dem Balle gewesen, und hatten von da das Gerücht Deiner Brautschaft mitgebracht; ich werde neugierig, der Sache näher auf die Spur zu kommen, steige zu Directors, und höre denn da zu meiner nicht geringen Verwunderung, daß mein Herr Mexikaner — o, nun weiß ich wohl, warum mich der Patron immer bei der Hauptwache abgepaßt hat. Höre, Huldchen, etwas Schlechtes hast Du Dir nicht ausgesucht, den alten Linsing hat er zu seinem Brautwerber erkohren, und sich an den Rechten gewendet; der Mann ist in ihn selber verliebt, wie ein Mädchen. Wenn er nur halb so brav und gut ist, als der Director ihn schildert, so mag er um Deine Hand werben, Hulda, und er soll mir willkommen seyn.
Mein Vater, mein einziger lieber englischer Vater! rief Hulda im Uebermaße ihres Entzückens, und sank ihm, trunken vor Freude und Wonne, in die Arme.
Sein Vermögen, fuhr der Alte fort, und hob die Brust höher, denn es that ihm wohl, seine Tochter im Besitz solcher unermeßlichen Reichthümer zu sehen, — der alte wackere Linsing hat ihm gesagt, daß, wenn er sich mit der Sache befassen solle, der junge Mann ihm über seine Lage reinen Wein einschenken, und seine Angaben ihm möglichst belegen müsse; die Nachweisung seines Vermögens wird nur glaubhaft, wenn man sie nach dem Maßstabe berechnet, der nur dort, in jener Heimath des Reichthums und Ueberflusses denkbar ist. Nach unserm Gelde angeschlagen, reicht Dir der Ehrenmann mit seiner Hand, ein Besitzthum von ungefähr funfzehn Millionen[32] Thalern — ich kann Dir zehn deut[S. 125]sche Fürsten nennen, die mit diesem mexikanischen Krösus gern tauschen würden, und von der Seite also betrachtet, ist das Glück meines Kindes gesichert; er hat zwar geäußert, sich, wenn Du es durchaus wünschest, hier ansiedeln zu wollen: allein, wenn es ihm irgend schwer wird, sein Vaterland Preis zu geben — ich ziehe mit der Mutter den Augenblick hin; dort, wo der Oelbaum gedeiht, und der Paradiesfeigenbaum, wo der Weitzen dreißigfältig trägt, die Ananas, wie bei uns die Heidelbeeren, in den Wäldern überall wild wachsen, und die Sonnenblume sechsmal größer ist, als hier zu Lande; dort, wo ein ewiger Frühling blüht, und den dunkelblauen Himmel keine Wolke trübt; wo nur leichte Morgennebel und des Thaues Perlentropfen die blumenbedeckten Fluren netzen, und des Meeres Winde die Lüfte kühlen; dort muß ja auch der Mensch kräftiger aufleben und der Kranke genesen — Der einzige Zweifel —
Hulda zog die schönen Augenbrauen zusammen, und harrte mit ängstlichem Blick auf die Zweifel des Vaters, der recht bedenklich den Kopf wiegte, und mit der Sprache nicht heraus zu wollen schien.
Der einzige Zweifel ist jetzt daher nur der, ob auch Du, meine Hulda, in seine und meine Wünsche Dich fügen, ob Du Dich entschließen wirst, ihm Deine Hand, und Dein Herz —
Mein Väterchen — unterbrach ihn Hulda verschämt lächelnd: was können Sie einem angst machen! Dieser einzige Zweifel wird sich wohl heben lassen. Sprechen Sie ihn nur erst selbst, und sein treues biederes Herz, sein fröhlicher Sinn, sein offenes trauliches Wesen, seine anspruchlose Natürlichkeit werden Ihnen gewiß gefallen; auch ist er — setzte sie, mit gesenktem Köpfchen schmunzelnd hinzu: nicht ganz häßlich.
Nun aber sag’ mir Kind, fragte der Vater, das Lächeln mit Mühe verhaltend: wie hat sich das alles so schnell gemacht? Du bist ja kaum drei, vier Stunden auf dem Balle gewesen?
Mit der Liebe? entgegnete Hulda, und machte[S. 127] ein recht naives Professorgesicht dazu: mit der Liebe, ich meine die so recht eigentliche liebe Liebe, ist es, glaube ich, wie mit der Ewigkeit; sie hat keinen Anfang und kein Ende. Ich weiß selbst nicht, wie das alles kam. Auf dem Balle aber sahen wir uns auch nicht zum ersten Male; wir kennen uns schon viel länger, und nun erzählte sie, wie er ihr in der Kirche gegenüber saß, und von dem Zusammentreffen in der Modehandlung, und von der Unglücksgeschichte mit der Glashändlerinn und dem Gipsitaliener, und von den Kinderstreichen auf dem Verdecke seines Dreimasters, und oben im Mars, und von dem verwünschten Sehrohre, und der schmachtenden Flöte, und von — Babette platzte zum Zimmer herein, und meldete den Capitain Don Mantequilla.
Hulda rief fröhlich: das ist er! schlüpfte — denn wie sie war, im nachlässigsten Morgenputz, konnte sie sich nicht vor ihm sehen lassen, — schlüpfte durch eine Seitenthür und eilte auf ihr Zimmer, um sich anzukleiden.
Er war gekommen, er hatte Wort gehalten. Er sprach die Eltern um ihre Hand an.
Wer mahlt des Mädchens Entzücken, wer[S. 128] das süße Beben ihres in Liebe und Freude erglühenden Busens!
Blumen, Band, Perlen, Häubchen, nichts paßte ihr heute in das Haar; die Locken liefen nicht, wie sie sollten; beide Händchen flogen ihr zitternd; sie konnte nicht zu Stande kommen. Das Morgenkleid war zu einfach, das zu geschmückt, alle Kasten standen offen, alle Kommodenfächer, alle Schränke, alle Cartons! Sie holte aus allen das Beßte, und nichts war gut genug; der Spiegel — sie kam sich bleich, reizlos, nicht ein Bischen hübsch vor; nein der Spiegel war Schuld daran, der hing im allerschlechtesten Lichte — aber der in der Toilette, den sie nach allen Weltgegenden richtete, gab ihr Bild um kein Haar besser zurück; am Ende war sie in ein blaßblaues Kleid und in rothe Schuhe gefahren, und hatte auf den gelben Morgenhut ein grünes Bouquet gesteckt — blau, roth, gelb und grün — i Gott bewahre, rief sie lachend: lieber gar alle Farben mit einander, daß er denkt, es komme ein lebendiges Prisma, — in zwei Minuten hatte sie alles wieder von sich geworfen, und machte ihre Toilette von Neuem — lassen wir die Selige in[S. 129] dem bunten Chaos ihrer Garderobenherrlichkeiten fröhlich gewähren — es war ja ohnehin fast das letzte Scheide-Lächeln ihrer untergehenden Freudensonne; denn ach! nur zu bald trübten sich am Horizonte ihres Lebens die Wolken, aus denen der Sturm sich gestaltete, der alle ihre Blumen entblättern, alle ihre Bänder zerreißen, alle ihre Hoffnungen zertrümmern, ihr ganzes Lebens-Glück auf immer und ewig vernichten sollte! —
Wahr und ehrlich, kurz und offen hatte Alonso mit dem Vater gesprochen. Es bedurfte keines weitläufigen Eingangs; Director Linsing hatte beiden schon die nöthigen Präliminarien eröffnet. Alonso machte seinen Antrag mit so zarter Bescheidenheit; legte in denselben so viel Feierliches; sprach von der Unmöglichkeit, ohne Hulda leben zu können, mit so vieler Rührung; entschuldigte seine, durch den Drang der für den Seemann vollgiltigen Umstände herbeigeführte Eile, die ihn nöthige, vielleicht schon in wenigen Tagen die Anker zu lichten, so wahr und einfach, und gelobte, den Pflichten des Gatten und des Sohnes bis zu seinem Tode treu zu seyn, mit solch’ frommer Rede, daß der alte[S. 130] Herr sich der Thränen nicht länger enthalten konnte, den jungen Mann an sein Herz drückte, und ihm, aus voller Brust und im heiligsten Vertrauen auf dessen Rechtlichkeit, sein einziges Kind, das Liebste dieser Welt, in die neue mitzugeben unbedenklich versprach.
Auf Alonso’s Wunsch, der Mutter jetzt vorgestellt zu werden, erwiederte indessen der Vater, daß er sie, ihrer Kränklichkeit halber, erst dazu ein wenig vorbereiten müsse; er bäte daher, ihn morgen wieder mit seinem Besuche zu beehren, wo er ihn bei ihr einführen wolle; zugleich ersuchte er ihn, nicht gleich das erste Mal, des eigentlichen Zwecks seines Besuches zu erwähnen, sondern unter dem Vorwand zu kommen, daß er hörte, sie habe eine Schwester in Lima, und er wolle sich daher erkundigen, ob sie dahin ihm etwa Aufträge mitgeben wolle.
Auch Hulda darf ich nicht sehen? fragte Alonso mit kindlicher Befangenheit, und versicherte, daß ihm die Zeit von gestern Abend bis jetzt eine halbe Ewigkeit gedauert habe; da ließ denn der Vater das Mädchen holen, und es kam im einfachsten Hauskleide, bloß, dem neuen Vaterlande zu Ehren, eine prächtige, blühende[S. 131] Datura[33] am Busen, und drei von Tante Sophie zum Geschenk erhaltene Schnüre californischer Perlen um den Hals. Aber schön war Hulda zum Entzücken; die Liebe hatte ihre Wangen geröthet, die Freude lachte ihr im ganzen Gesichtchen, und das bräutliche Schmachten der keuschesten Jungfräulichkeit schwamm in dem Feuerblick ihres großen himmlischen Auges. Mit frommer Weihe legte der Alte das unberührte Kleinod seines Vaterherzens an die Brust des schönen jungen Mannes aus der neuen Welt, den der Zufall zweitausend Meilen weit hergeführt hatte, um zu den Füßen eines der reizendsten Mädchen unsers alten ehrlichen Welttheils, das zarte Geständniß abzulegen, daß das eigentliche wahre Glück des Menschen nur in den Armen einer liebenden Gattinn heimisch sey, die unsere Freuden und Leiden redlich theile, und durch ihre Reize, wie durch ihre Tugenden, unsere Tage verschönere.
Braut Hulda hob den Entzückten an ihre treue Brust, und wie die bekannte wunderschöne[S. 132] Gruppe von Amor und Psyche, so lieblich in einander verschlungen, stand das Paar, Auge in Auge, Mund an Mund, und feierte die seligste Minute glücklich Liebender, die Minute des Verlobung-Kusses.
Alonso zog sich einen prächtigen Smaragdring vom Finger, überreichte ihn der überraschten Hulda, und sagte: aus Deinen Brüchen an der Küste von Manta[34] nimm dieß als Morgengabe von mir gütig an, doch mein ganzes Hab’ ist ja Dein. Den leisesten Deiner Wünsche — vertrau’ ihn mir, meine einzige, meine himmlische Hulda, und ich werde kein größeres Glück kennen, als ihn Dir zu erfüllen. Ich könnte zehnmal reicher seyn, als ich es bin; allein ich achtete des eiteln Geldes nicht, weil ich tausendmal mehr hatte, als ich brauchte; jetzt Dir die Welt zum Paradies zu schaffen, ist mein Streben; nun will ich erst mit Freuden mich in die Geschäfte werfen; ich habe einen Zweck, das Lächeln Deiner Huld! Des Meeres Wogen, der Winde Hauch, des Nor[S. 133]dens Eis und Schnee, der Sonne Gluth in unserm Süden, kurz, alle Elemente will ich mir zinsbar machen, und meines Vaterlandes Kern ist rein gediegenes Gold; heraus aus meiner Erde tiefen Schachten sollen, meine Hulda, Dir, mein Fleiß und meine Kunst das mächtige Metall im Ueberflusse fördern! Vor Dir will ich die Früchte meines Fleißes, die Schätze, die des Handels Treiben mir zusammen häufet, niederlegen, und Deiner Lippen süßer Kuß, ein Blick aus Deinem Augenpaar, und das Geständniß Deines Rosenmundes, daß Dich es nicht gereut, Dein Herz und Deine Hand mir fremdem Mann vertraut zu haben, — dieß, Hulda, dieß soll mehr mir seyn, als all das kalte Gold, das im ersten beßten Brennspiegel sich zu nichts verflüchtiget, das immer irdisch bleibt, und droben gar nichts gilt.
Ehe sich Alonso verabschiedete, lud er den Vater und Hulda ein, sich es bei ihm heute Abend, am Bord seiner Antoinette gefallen zu lassen.
Der Vater sah die Tochter, die Tochter den Vater an. Beiden war es um die Mutter zu thun; sah man das Mädchen mit dem Vater[S. 134] am Bord des mexikanischen Dreimasters, so war Huldas Verbindung mit Alonso, von dem zur Zeit die Mutter noch kein Wort wußte, in den Augen der ganzen Stadt keinem Zweifel mehr unterworfen, und daß dieß gegen die Mutter nicht gerechtfertigt werden konnte, fühlten beide, indessen Hulda richtete den bittenden Blick, daß er zusagen möge, zu freundlich auf den Vater, und diesem that die kleine Eitelkeit, den Leuten möglichst bald kund zu thun, daß der mexikanische Capitain Mantequilla mit dem Dutzend dreimastigen Schiffen auf der See, und den Silbergruben in Loretto, den Goldbergwerken in Oaxaca, den Zuckerplantagen unfern Vera-Crux und den 15 Millionen Thalern, und den andern unzähligen Herrlichkeiten, der Herr Schwiegersohn des Herrn Admiralitätraths Splügen sey, zu wohl, auch hatte der lebensfrohe Alte einen vergnügten Abend zu lieb, als daß er abschlagen konnte.
Alonso eilte fröhlich von dannen, und der Vater und Hulda überboten sich einander in dem Lobe des Liebenswürdigen; — doch die Mutter, die Mutter fiel beiden nur zu bald ein, aber sie wichen von einander in den An[S. 135]sichten ab, wie ihr die Sache, die den Plänen mit Casperchen so ganz entgegen war, am beßten beizubringen sey.
Hulda, welche in ihrem süßen Liebeswahn die Ueberzeugung hatte, daß Alonso’s persönliche Anmuth die Mutter am meisten bestimmen würde, den werthlosen Caspar fallen zu lassen, war der Meinung, daß es das Gerathenste gewesen wäre, den Capitain gleich jetzt der Mutter vorzustellen, sie jedoch später erst, wenn sie den liebenswerthen Mann hätte selbst näher kennen gelernt, von seinen Heirathanträgen zu unterrichten; der Vater hingegen, der, wie alle fröhliche Leute, jede Unannehmlichkeit gern so weit als möglich hinaus schob, der im Voraus sah, daß die Erscheinung des jungen Mannes, welcher der Mutter längst entworfenen Pläne mit einem Male vernichten sollte, sehr harte Auftritte herbeiführen würde, und, nach seiner Ansicht sehr richtig berechnete, daß, wenn er mit Hulda diesen Nachmittag den Capitain am Bord besuchte, und sich dadurch das Gerücht von dessen Verbindung mit seiner Tochter gehörig in der Stadt verbreitet habe, die Mutter dann, um der Ehre ihres Kindes willen, diesen[S. 136] einmal geschehenen öffentlichen Schritt nicht zurück nehmen könnte, behauptete, daß es viel besser sey, wenn er ihr heute den Mexikaner vorläufig auf morgen anmelde, daß man, bei der Reizbarkeit ihres Charakters überhaupt alles sogenannte, mit der Thüre in das Haus fallen, vermeiden müsse, und daß daher alles viel besser gehen werde, wenn es nicht zu übertrieben rasch gehe, weil, wie auch Hulda selbst wisse, der Mutter, im Allgemeinen, jeder Schein von Uebereilung, besonders in einer so delikaten Angelegenheit, verhaßt sey.
Hulda äußerte, auch wieder sehr richtig, die Besorgniß, daß Caspars Eltern, die von ihrem bekannt gewordenen Verhältniß zu Alonso eben so genau unterrichtet wären, als alle andere Leute auf dem gestrigen Balle, es gewiß an nichts fehlen lassen würden, um die Mutter davon in Kenntniß zu setzen; dadurch aber würde Alonso’s Spiel unendlich erschwert werden, denn, daß ihn diese schleichende Kopfhänger-Familie dabei in das allernachtheiligste Licht setzen werde, sey im Voraus anzunehmen; doch der Vater beschwichtigte ihre Furcht durch die Versicherung, dem vorzubauen. Er gab zu dem Ende allen[S. 137] Domestiken im Hause, unter dem Vorwande, daß seine Frau, ihrer Gesundheit wegen, aller lästigen Besuche heute überhoben seyn wolle, den Befehl, Niemand, ohne Unterschied, zu ihr zu lassen, und um ihr, wenn sie es etwa klingeln hörte, keinen Anlaß zu geben, zu fragen, wer da war, so umwickelte er den Klöppel der Hausglocke eigenhändig mit Papier und Leinwand.
So glaubte er, in jeder Hinsicht seine Sache ganz vortrefflich gemacht zu haben, und lächelte bei sich selbst über die Heimlichkeit, zu der er sich, wie er es entschuldigte, durch den Drang der Umstände bequemen müsse.
Dem Zartfühlenden regte sich wohl etwas in der Brust, was ihm sagte, daß nicht recht sey, was er thue, daß alle Heimlichkeiten zwischen Eheleuten nichts taugen, und daß aber — beruhigte er sein Gewissen: hat es nicht Antoinette an Dich gebracht? warum besteht sie auf Hulda’s Verbindung mit dem unerträglichen Caspar, als läge alles Heil der Erden in diesem widrigen Menschen? Warum hört sie auf das Zuflistern gehaltloser Frömmelei mehr, als auf das Wort der Vernunft und des Herzens? Warum gibt sie gleich Krämpfe und[S. 138] Schwindel und Anwandelung von Ohnmachten vor, wenn irgend ein Gegenstand im Gespräch berührt wird, von dem sie nicht sprechen will? Mit den Waffen, mit denen sie, aus blinder Vorliebe für eine einmal eingewurzelte Marotte, auf das Glück ihres eigenen Kindes los geht, als wollte und müßte sie es vernichten, wollen wir ihre Batterie demontiren. Maklers müssen außer Einfluß gesetzt, das heißt, entfernt gehalten werden; heute sind wir auf dem Dreimaster unten im Hafen noch recht lustig, und morgen stelle ich meine Heeresmasse in Schlachtordnung; die Mutter wird totaliter aus dem Felde geschlagen, und über’s Jahr, wenn wir das Kind in seinem Mexiko besuchen, und dieses uns einen bausbäckigen Enkel entgegen bringt, und unser europäisches genügsames Auge fast erblindet, vor dem Glanz des Ueberflusses und des Glücks, in dem Hulda dort schwelgt, und ihr Mund freudig bekennet, daß sie, an Alonso’s Seite, die neidenswertheste Frau in allen fünf Welttheilen sey, da, da — soll die Mutter mir danken, daß ich ihrem kleinen Eigensinne nicht fröhnte, sondern dem herz- und marklosen Casperchen die Thür wies, und —
Die gedämpfte Klingel klapperte draußen; der Admiralitätrath hielt lauschend mitten in seinem Monologe inne.
Es war richtig Casperchen. Die Frau Räthinn schlafe, hieß es, und der Ehelustige zog ab. Später kam Suschen; dann der Herr Makler; den Beschluß machte dessen liebwertheste Hälfte.
Dasselbe Manöuvre begann auch nach dem Essen; alle viere kamen einzeln und alle viere wurden abgewiesen.
Schlafen, schlafen, und immer schlafen, hatte die Maklerinn, vor innerer Bosheit kochend, mit freundlichem Lächeln zu Babette gesagt: sie haben der Frau am Ende ein Ruhepülverchen gegeben, aber, und wenn sie Mithridat genossen, ich muß sie aufwecken, aufrütteln muß ich sie, da es noch Zeit ist; ich komme wieder, mein Lämmchen, und zum dritten Male laß ich mich nicht abweisen.
Meine Frau will allein seyn, entgegnete der Admiralitätrath der berichtenden Babette: verstehst Du, sie will heute Niemand sprechen; darnach wird sich gerichtet.
Mit diesen Worten ging er, Hulda am Arme, in den Hafen. Der Mutter hatte er[S. 140] gesagt, sie wollten nur einen kleinen Spaziergang machen, weil der Nachmittag gar zu schön sey.
Schon lange lag Alonso’s große Barkasse nebst der Travalje und der Kapitains-Schaluppe am Lande; alle drei Fahrzeuge hatten sich unterdessen allmählig mit den eingeladenen Gästen aus der Stadt gefüllt, und sobald jetzt Hulda und der Admiralitätrath an den Bord der Barkasse gekommen waren, und sich die drei Fahrzeuge, nach der Antoinette zu, in Bewegung setzten, gab der mexikanische stolze Dreimaster eine Kanonensalve, daß alle Fenster in der Stadt klirrten; — und sämmtliche, im Hafen liegende Schiffe begrüßten die Ankommenden mit dem Donner ihres Geschützes, denn auf alle Fahrzeuge klein und groß im ganzen Hafen, hatte der überglückliche Alonso, Speise und Trank in Ueberfluß vertheilt, so daß die Matrosen, ohne Ausnahme, des süßen Weines voll waren und die neue Capitainfrau immer drauf los leben ließen, noch ehe sie dieselbe gesehen hatten; alle Capitaine aber, so viel ihrer im Hafen vor Anker lagen, hatte Alonso auf seinem Schiffe, heute Mittag schon, stattlich[S. 141] bewirthet, und hielt sie noch um sich versammelt, so daß die Herren lustig und guter Dinge waren, und der heranschwimmenden jungen, himmelschönen Frau Kolleginn zur See, die gebührende Ehre, von den, unter ihren Befehlen stehenden Schiffen aus, geziemend erweisen zu lassen, sich nicht versagen mochten. Und Alonso’s scharf gebautes Prachtschiff, und die Fahrzeuge aller Nationen im Hafen, strichen vor der liebreizenden Königinn des Tages, Flaggen und Segel, und von den buntbewimpelten Masten und im hohen Tauwerk aller Schiffe, erscholl aus dem Munde des Schiffvolks aller Welttheile, ein tausendstimmiges Hurrah, Hurrah, Hurrah! und in dieß alles schmetterte und wirbelte das, aus der Stadt geholte große Musikchor auf der Antoinette, mit Trompeten und Pauken, daß kein Mensch sein eigenes Wort zu hören im Stande war. Alonso selbst, in der herrlichen Uniform der spanischen Marine, stand, kräftig und schön, wie ein junger Gott, auf der Steuerbordseite der Antoinette, und kommandirte Listo, Saltad a la banda![35][S. 142] und ein Theil seiner Neger, die alle sich in das beßte Zeug geworfen hatten, und recht stattlich aussahen, stellten sich eilends an beiden Seiten der Fallreepstreppe, von oben nach unten, in Parade; und das Fallreep[36] selbst war oben am Schiffe, an einem metallenen Köcher mit Kupidos goldenen Pfeilen befestiget, und mit purpurrothem Tuche überzogen, und von Knopf zu Knopf[37] hingen leichte Gewinde von brennender Liebe, deren Deutung Hulda, bei der Erinnerung ihrer ersten Bekanntschaft mit Alonso im Putzladen, nicht schwer ward.
Die allgemeine Huldigung, mit der die Bescheidene, vor den Augen der, am Ufer, in dichten Massen zusammengedrängten Neugierigen, vom ganzen Hafen bewillkommt wurde,[S. 143] hatte Hulda sonderbar bewegt; es traten ihr, als sie den Fuß auf die unterste Stufe der Fallreepstreppe setzte, und mit diesem gleichsam den ersten Schritt in ihr nunmehriges Vaterland, in die neue Welt that, Thränen in’s fröhlich lachende Auge. Alonso umschlang öffentlich, vor Hafen und Stadt, im Angesichte seines Meeres und ihrer Erde, die liebreizende Braut, und seine Neger, über funfzig an der Zahl, riefen dreimal Hurrah, und warfen sich ihrer milden Gebieterinn zu Füßen. Der Pilot,[38] der Primero Contramaestro[39] und der Guardian[40] aber, näherten sich der neuen Herrinn, und überreichten ihr, nach ächt altmexikanischer Sitte,[41] einen Strauß von frischen Blumen; der Pilot, ein kräftig schöner, schwarzer[S. 144] Mann, redete die Gefeierte spanisch an, prieß Don Alonso, als ihren gütigen Herrn, und wünschte sich und all den tausend Sclaven in der fernen Heimath Glück, daß der Kapitain ihnen eine Mutter zuführe, deren Tugenden Don Alonso’s Auswahl verbürge. Du bist, setzte er im Ueberwallen seines Gefühls, und im Glauben seiner Väter, hinzu: Du bist herrlich, wie die Sonne, und freundlich, wie der Mond, und wer den milden Sternen Deiner Augen folgt, wird den Pfad zum Himmel nicht verfehlen. Sey, Du blendend weißer Engel, uns und unsern Kindern unsere Sonne, unser Mond; Tonatiuh[42] hat Dich geschmückt mit ihrem Roth, und Meztli Dich mit seinem Glanze; Du bist so schön, als wärest Du das Kind von beiden; wir werden göttlich Dich verehren, denn nur in Deiner zarten Hand liegt unser Glück. Sey immer gütig uns. Die Sonne zürnt ja nie, und nie der Mond, und schwebst Du einstens spät hinüber, wo keine Stürme heulen, und keine Donner brausen,[S. 145] so soll der Weg nach Deinem Hügel unserer Enkel Alameda[43] seyn; sie werden räuchern Dir das stille Blumen-Grab mit Cobans beßtem Weihrauch und mit Ambra von Masaya, und Dir die Gruft umpflanzen mit Pomeranzen und Limonen, und mit Cypressen und mit des ewigen Friedens schattenreichen Palmen. Da sollst Du schlummern kühl, denn, unserer Enkel Thränen um die verlorne Mutter, werden netzen jene Bäume, daß sie gedeihen, und noch in fernster Zeit, wie feste Denksäulen des Dankes, hoch hinaus ragen in unsers Himmels schöne Luft.
Hulda reichte dem Sprecher, dem die hellen Zähren über die schwarzen Backen rollten, die weiße Hand, und beantwortete seine herzliche Rede, in recht geläufigem Spanisch.
Der alte Admiralitätrath dachte, es wäre Pfingsten, so hatte sich der Geist des Herrn über sein gelehriges Töchterlein ergossen. Es war aber der heilige Geist der Liebe, der das holde Mädchen, das im Spanischen früher wohl hinlänglichen Unterricht, aber wenige Uebung gehabt hatte, jetzt ohne Anstoß und Furcht in[S. 146] fremder Zunge reden ließ, daß die ganze Mannschaft der Antoinette darob laut entzückt war.
Der blendend weiße Engel, das himmlische Kind der Sonne und des Mondes, versprach ihnen, ihr und der Ihrigen Schutzgeist zu seyn; ihre Frauen und ihre Kinder begrüßte sie in der Ferne, als ihre Pfleglinge; ihr Wohlstand solle das Ziel ihrer Wünsche werden, und im Zauberergusse ihres glühenden Gefühls, gelobte sie ihnen und allen ihren Familien, mit dem Beistande ihres Gottes, und von Don Alonso’s menschenfreundlicher Güte unterstützt, ihr zeitliches Glück nach Kräften begründen zu wollen.
Sämmtliche Neger drängten sich, von den Reizen des schneezarten Seraphs, und dessen einfacher Rede tief ergriffen, um sie herum, und küßten ihr den Saum ihres Gewandes, und schworen ihr unaufgefordert Liebe, Treue und Gehorsam. Alonso aber, hingerissen von dem Entzücken seiner ehrlichen Neger, und bezaubert von der, in ihrer Art einzigen Gruppe der schwarzen Figuren, um seine schlanke Lilie, schenkte mit feierlichen Worten, zum ewigen Andenken des heutigen Festes, den Sclaven ihre Freiheit, und Hulda mischte in den Jubel[S. 147] der Freigelassenen, ihren herzlichen Dank, und betheuerte dem edlen Menschen, daß er ihr kein erfreulicheres Brautgeschenk hätte ersinnen können.
Jetzt ging es zur Tafel, und was beide Welten, und das Meer und die Erde dem leckern Gaum zu bieten nur vermochten, das war mit verschwenderischer Pracht hier aufgetischt. So gegessen und getrunken war in der ehrsamen Hafenstadt, seit der Legung ihres ersten Grundsteins, nicht geworden, und alle Gäste versicherten einstimmig, daß Capitain Mantequilla der vortrefflichste Mensch unter der Sonne sey. Die Seeluft macht durstig; wenigstens leerte man alle Flaschen des köstlichen Weins, so daß viele Gäste, die rank[44] worden waren und übervolle Ladung hatten, das Wasser des ganzen Binnenhafens, für lauter Champagner ansahen, andere den großen Mastbaum, als ihren dicksten Freund, inbrünstiglich umarmten, und andere wieder, in der Weinrührung, so windelweich wurden, daß sie in das Besahnsegel, heimlicher Weise Thränen der zärtlichsten Freundschaft weinten. Alonso[S. 148] hatte den Nachtisch mit lauter amerikanischen Früchten besetzen lassen; Aepfel von Gili, von der Größe eines Menschenkopfs; sechszehnlöthige Pfirsichen von Valparayso und Mendoza; zwölfpfündige Weintrauben von Talca, Vanille von Paraguay, Pisangäpfel, Pomeranzen und Limonen, und zwanzig andere saftreiche und kühlende Obstarten; jetzt aber zu guter Letzt, credenzte er den feurigsten Liqueurwein seines Vaterlandes, den kostbaren Rebensaft von Passo del Norte.[45] Der brachte mit seinem dunkelflüssigen Golde alle gute Geister in Aufruhr, und Alles erklärte, mit tausend Freuden dahin zu gehen, wo dieses Götterblut flösse. Alonso stand, vom rauschenden Gewühl der Gäste entfernt, mit Hulda vorn am Bratspill, hielt die Glückliche im Arme, und fragte scherzend: ob er die Anker lichten, und mit der ganzen Gesellschaft, wie sie hier wäre, in die neue Welt segeln solle?
Ich bin wohl bereit, entgegnete Hulda mit bräutlicher Liebe, und schmiegte sich dichter an den Mann, der sie zweitausend Meilen weit, über das Meer führen wollte, und an dem sie sich fest[S. 149] halten sollte in allen Stürmen des Lebens: die alle hier aber mag ich nicht mitnehmen. Mit Dir allein, Alonso, will ich seyn; an Deiner Seite bedarf ich keines Menschen. Dir will ich folgen, wohin Du willst. Auf Deinem Eigenthume, hier auf Deinem Schiffe, auf dem Dein kühner Arm mich durch des Meeres wilde Wogen, und durch der Winde grausende Gewalt hinüber führen will, in Deines Vaterlandes weite Ferne, hier laß mich Liebe Dir, und Treue schwören. Dein menschlich fühlend Herz, gab Deinen armen Negern das höchste Gut, die Freiheit. Mir kann es Höheres nicht geben, als sich selbst. Schwöre mir Alonso Deine Liebe, und auf Dein Herz will ich meine Rechte legen, und Gott der Herr soll meinen Eid der Treue hören. Ihr glaubig frommer Blick flog auf zu dem, den sie zum Zeugen ihres Schwures gefordert hatte, da schwebte am Wolkenhimmel — auf derselben Stelle — sie schrak zurück, und barg das geisterbleiche Antlitz an Don Alonso’s Brust.
Was ist Dir, Hulda? fragte dieser erstaunt; sie aber schauerte kalt in einander, und wieß, ohne aufzusehen, nach dem Abendroth, und fragte: siehst Du nichts?
Dort, erwiederte Alonso lächelnd: die Gottheit meiner Schwarzen, schließt dort ihr müdes Auge, und zieht sich vor ihr Lager den Wolkenvorhang lauschig zu; mit Gold hat sie die Zipfel all gesäumt; sie macht das stets recht zierlich; und rechts am Bette steht ein Baum, ein blühend schöner Bananas.
Ein Baum? fuhr Hulda ängstlich auf! Ein Kreuz, Alonso, ist’s. Ein hohes, langes Kreuz — und dicht daneben liegt — mein Heiland und mein Gott — am Stamme des Kreuzes betet meine Mutter —
Aber liebholdes Wesen, entgegnete beruhigend Alonso: was regt Dich so allmächtig auf! Ein Kreuz? — nun ja, wenn Du ein Bischen davon, und ein Bischen dazu thust, und überall mit Deiner Phantasie nachhelfen willst, verwandelt sich am Ende mein Paradiesfeigenbaum[46] in Dein Kreuz, und — die Wolke da unten — hm — ja — eine weibliche Figur ist es — aber, was bringst Du Deine gute Mutter in dieses Nebelspiel, und wie, ich bitte Dich, wie kann ein[S. 151] bischen Wasserdunst solch Gaukelwerk erhitzter Phantasie Dir gleich zusammen treiben? der Passo del Norte hat Dich nicht etwa, setzte er in süßer Liebeständelei hinzu, und tippte auf Hulda’s Stirn: mein trautes Kind, berückt?
O scherze nicht, Alonso, entgegnete Hulda erschüttert, und bat, sie und den Vater bald zu entlassen, weil sie zur Mutter müsse.
Du kömmst mir nicht vom Bord, erwiederte Alonso, und umfaßte Hulda mit inniger Liebe: ich bin fest segelklar[47] und warte nur auf guten Wind. Beim ersten Lüftchen setze ich meine Segel bei, und steche frisch und wohlgemuth, mit meinem Bräutchen, in die hohe See.
Alonso, doch nicht ohne meiner Mutter Segen? fragte Hulda ernst: und doch nicht ohne des Dieners Christi fromme Weihe?
Das wird mir alles viel zu lang, entgegnete Alonso mit heißer Ungeduld. Die Mutter — ja; die werd’ ich morgen sprechen; sie soll uns segnen, Hulda. Was aber das Copuliren hier betrifft — ich bitte Dich, eh’ sich das alles ordnet, der Trauschein meiner Eltern, das Zeugniß[S. 152] meiner Taufe — das alles muß herbei, ehe wir das Aufgebot verlangen können. — So lange kann und darf ich hier nicht warten. Viel besser ist’s, Du gehst als Braut zu mir an Bord. Auch mitten auf der See ist unser Gott bei uns. Wirf Deine Anker in mein Herz, sie greifen da in festen Grund. Als Braut, vertraue mir, als unberührte Braut führt Dich Alonso heim. Es liegt für mich ein namenloser Zauber in dem Gedanken! Gewähre mir, zum Zeichen Deines Glaubens an meine Ehrfurcht vor Deiner Tugend, diesen Wunsch. Sechs Monden sind es nur, dann steigt die Jungfrau an das Land der neuen Welt, und sinkt in Mexiko, vor Gottes Hochaltar in unsrer goldgeschmückten Kathedrale, als junge Frau an meine Brust, zu lohnen mir die uns selbst aufgelegte süße Pein der schmerzlichsten Entsagung, durch ihrer Liebe Vollgenuß.
Gib den Gedanken auf, versetzte bittend Hulda: ich traue Dir und mir, denn keuscher Liebe ist die schwerste Prüfung leicht; die Eltern aber würden darein sich nimmer fügen; doch morgen früh darüber mehr! Vielleicht läßt sich das alles leichter machen, als Du denkst, das liebe Gold ist ja der beßte Hebel aller Hindernisse, und auch[S. 153] die gute Kirche läßt das Dispensiren sich bezahlen. Jetzt lebe wohl, Alonso, gute Nacht, und süße Träume!
Ein langer, langer Abschiedkuß, und Hulda fuhr mit ihrem Vater an das Land zurück. Trompeten schmetterten ihr nach, und wilde Paukenwirbel; und Hurrah schrie das Schiffsvolk aller Decke, und des Kanonendonners furchtbares Krachen verkündete dem Hafen und der Stadt, daß jetzt des Mexikaners schöne Braut nach Hause fahre. Alonso wehte ihr mit weißem Tuche, so lang sein Blick sie noch erreichen konnte, den Wunsch der guten Nacht noch nach, und alle seine Gäste, die Becher in der Hand, schrien Vivat, Vivat hoch, und blieben bis zur späten Mitternacht, und tollten auf des Bräutigams Schiffe, als wäre morgen Hochzeit, und heute Polterabend.
Alonso nahm, sobald Hulda ihn verlassen hatte, an dem Tanz und dem rasenden Lärmen der fast überlustigen Gäste keinen unmittelbaren Antheil; er blieb zwar der Rolle des gastlichen Wirths, mit der artigsten Aufmerksamkeit, treu; aber, wo er konnte entfernte er sich, und wenn er allein war, und ungesehen, so stellte er sich[S. 154] hin, und schaute durch die Dunkelheit der Nacht hinauf nach dem bewußten Balkon.
Endlich erschien etwas Weißes da oben, und kaum gewahrten dieß einige, die ihn belauscht hatten, als der Spektakel von neuem begann, und die ganze Gesellschaft der weißen Erscheinung mit Trompeten und Pauken, und dem Hurrah der Neger, ein Vivat ausbrachte, daß es drüben an den Mauern der schlummernden Stadt widerhallte.
In dem Augenblicke zündeten die Mexikaner, und hundert Matrosen anderer Schiffe, die sie sich zur Hülfe geholt hatten, mehrere tausend Laternen an, die an den Seiten des Schiffes, am Tauwerk, und an den Mastbäumen, bis zum Mars hinauf, in zierlicher Ordnung hingen, und einen unbeschreiblich schönen Anblick gewährten. Oben auf dem Topp des großen und des Fockmastes, waren Sonne und Mond in herrlichen Transparents zu sehen, und die unzähligen Lichter auf dem kaum merkbar hin und her schwankenden Schiffe, die sich in dem schillernden Wasser rings um, hundertmal wiederspiegelten, stellten den ganzen hochbeleuchteten Dreimaster in einen zauberisch schönen Feuerkreis.
Alonso freute sich, daß diese feenartige Ueberraschung, die er Hulda zu Ehren veranstaltet hatte, nicht von ihr unbemerkt geblieben war; sie hatte ihm, von der Höhe ihres Balkons herab, einen herzlichen Kuß zugeworfen, und er schwamm nun in einem Meere von Fröhlichkeit. Er gab noch heraus, was Butlerei[48] und Kambüse[49] vermochten, und man schwärmte bis zum hellen Morgen, wo die armen, diese Nacht oft gestörten gelbgefiederten Schreihälse auf dem benachbarten canarischen Schiffe, den Tag verkündeten, und man die gastliche Antoinette verließ.
Doch einen Augenblick noch auf Hulda zurück. Als sie mit dem Vater zu Hause kam, empfing sie die Mutter mit verweinten Augen.
Ihr habt Euch auf Eurem Spaziergange ja recht lange verweilt, sagte sie kalt, und durchbohrte Hulda mit einem pfeilscharfen Blicke.
Wir sind in Gesellschaft gewesen, entgegnete Hulda offen, und morgen früh wird —
Erspare Deine Bekenntnisse, fiel sie dem[S. 156] Mädchen, das ihr jetzt das Geständniß seiner glücklichen Liebe ablegen wollte, bitter in das Wort. — Deine zärtliche — fuhr sie zum Manne fort: Deine zärtliche Vorsorge für meine Ruhe hat Dir wenig geholfen; ich weiß alles, leider durch Fremde. Mein Kind hat sein Vertrauen zu mir verloren; wo Vertrauen fehlt, ist auch keine Liebe, Hulda, ich bitte Dich um Gotteswillen, womit habe ich dieß verdient? Ich habe seit Empfang dieser Zeilen — sie wies auf ein Billet der Maklerin — Stunden gelebt, die mir den Abschied aus diesem Leben leider recht erleichtern. Ich träumte, wenigstens von meinem einzigen Kinde geliebt zu seyn! — und dieses hintergeht mich, hintergeht mich da, wo andere gute Töchter sich der Mutter, ihrer ersten, ihrer treuesten Freundin, vor allen andern vertrauen. — Die ganze Stadt weiß, was mir, von Dir, von meinem Kinde verborgen wird. Gott im Himmel! habe ich denn auf der ganzen Welt keinen Freund mehr, als den Tod? —
Antoinette! hob der Vater ruhig an: seit Du mir Deine Hand gabst, habe ich nie hinter Deinem Rücken gehandelt; traue mir so viel Selbstgefühl zu, daß ich jetzt nicht anfangen werde,[S. 157] mich einem Fehler Preis zu geben, der — er sagte das mit weicher Stimme — auch den letzten Pfeiler unsers häuslichen Glücks untergraben würde. Was ich gethan habe, kann jeder wissen. Der Mann, der sich um Hulda’s Hand bewirbt, wollte heute früh schon Dich begrüßen; ich hielt ihn davon ab, und bat um Aufschub bis morgen, weil ich auf den Besuch Dich vorbereiten wollte; von seiner jugendlichen Raschheit mußte ich fürchten, daß er gleich heute mit seinem Anliegen hervortreten möchte; von Deiner Liebe zum einmal gefaßten Plane aber, daß Du, krank und mißgelaunt, nicht möchtest Dich ihm so erklären, wie wir mit ihm es wünschen. Ein solcher Schwiegersohn, ist er einmal gekränkt, kömmt nicht leicht wieder, und darum rieth mir die Vernunft, mit Vorsicht hier an’s Werk zu gehen. Er lud uns beide zu sich ein; ich sagte zu, um unterdessen, bis ich mit Dir darüber sprechen konnte, den Mann, dem wir das Kind auf Lebenszeit hingeben sollen, noch näher zu ergründen. Daß seine Absicht ruchtbar ward, daß Maklers sie Dir hinterbringen, und ihres Sohnes Nebenbuhler in schwarzen Schatten stellen würden, konnte ich mir denken, und darum suchte ich die Men[S. 158]schen, wenigstens bis morgen, von Dir zu entfernen, damit Du ihn dann ohne Vorurtheil sähest, und zwischen ihm und Maklers Caspar freie Wahl hättest. Wenn ich hierinn gefehlt habe, so verzeihe mir Gott; ich that es nur, um Hulda’s Beßten willen. Du liebst das Kind, wie ich, und darum wirst auch Du mir gern vergeben, wenn mein Verfahren Dich beleidigt hat. Wehe wollte ich damit, beim Himmel, Dir nicht thun. Den Zweck, Alonso näher zu erforschen, habe ich nun zwar ganz verfehlt, denn in dem Saus und Braus von hundert frohen Gästen, ließ sich des Menschen Herz nicht sonderlich sondiren; indeß, was ich sah und was ich hörte, bezeichnet wohl den Mann, der unserm Kinde, außer Glanz und Reichthum, ein reines Herz darbringt, und, gute Antoinette, das ist in der Liebe und in der Ehe, ja doch immer der beßte Hausrath!
Die mexikanischen Weine müssen Euch über die europäischen Hindernisse hinweggehoben haben, oder ich begreife Dich und Hulda nicht, entgegnete die Mutter mit erzwungener Ruhe: lies doch den Brief meiner ehrlichen Maklerin. Der Mensch kann der gefährlichste Abenteurer[S. 159] seyn; das kümmert euch nicht. Er lügt Euch seine Piaster millionen weise her, und ihr seyd, mit der ganzen Stadt, gutmüthig genug, seine Prahlereien ihm auf’s Wort zu glauben. Er will von deutscher Abkunft seyn, und nennt sich Mantequilla! er hat gar, hie und da, den kecken tollen Wunsch geäußert, das Kind als Braut nach Mexiko zu nehmen, weil ihm der Trauschein seiner Aeltern und sein Tauf-Zeugniß nicht herzuschaffen seyen. Wer weiß, was für verlaufenes Gesindel seine Eltern sind! daß sie niemals getraut, und daß er nicht getauft — beweis’t sein leerer Vorwand! Und einem solchen soll mein Kind, mein einziges Kind, geopfert werden? Nein — nimmermehr. Wär’ frommer Sinn in seiner Heidenbrust, und hätte alles, was er sagt, recht seinen Grund, so gäbe er der Sache Raum, und käm nach Jahresfrist zurück, und brächte die Documente alle mit, die wir verlangen müssen, wenn uns der Vorwurf unsrer Mitwelt nicht treffen soll, daß wir ganz ohne Kopf handelten.
Das alles, liebe Frau, begann der Vater sanft: läßt morgen sich besprechen; das Mädchen ist noch jung, und kann das Jahr noch warten.[S. 160] Zwei tausend Meilen hin, zwei tausend Meilen her, sind wohl kein kleiner Weg; indessen muß Alonso sich, bestehest Du darauf, mit kindlichem Gehorsam darein fügen; die Liebe mag ihm Zeit und Weg verkürzen. Auch hat er sich, wenn Du es wünschest, schon erklärt, sein Vaterland ganz aufzugeben, und hier bei uns sein Lebenlang zu bleiben; ich mochte ihm sein Wort deßhalb nicht fodern, denn aus dem ungeheuern Geschäft, was dort sich um ihn treibt, sich hieher in unsern Hökerkram zu setzen, kann seine Jugendkraft, die immer höher strebt, nicht reizen. Der zärtlichen Mutter aber, die das Kind ungern von sich ziehen sieht, ist wohl ein Vorschlag dieser Art nicht zu verargen. Sprich morgen selbst mit ihm. Vielleicht erfüllt er Deine Wünsche.
Die Mutter hatte still und ruhig zugehört; ihr Gesicht schien sich bei dem, was der Vater zuletzt anführte, ein wenig aufzuheitern.
Hulda kniete neben dem Bette nieder, und küßte ihre Hand, und fragte leise, ob Mütterchen noch böse sey.
Sie schwieg und lächelte, und eine stille Thräne zitterte ihr im halb erloschenen Auge.
Der Vater benutzte die in ihrem Innern vorgehende mildere Stimmung, und erzählte, daß der alte Linsing, der recht geläufig spanisch spreche, sich mit dem Steuermann und dem Guardian, so wie mit einigen Matrosen auf der Antoinette unterhalten, und sie, hinsichtlich der Vermögenslage ihres Capitains, recht umständlich über dieß und jenes ausgefragt, daß aber, nach dem was sie darüber hätten fallen lassen, Alonso eher zu wenig, als zu viel davon gesagt habe. Er kann, setzte er hinzu, weil er bemerkt hatte, daß die Idee von Alonso’s hiesiger Niederlassung, der Mutter vorzüglich zusagte: mit seinen funfzehn Millionen hier leben, wie ein Fürst.
Und meine Hulda liebt den fremden Mann? fragte die Mutter mit mildem Worte.
Wie keinen andern, lispelte Hulda leise, und bog sich auf der Mutter Hand herab.
Ich werde, versetzte die Mutter mit einem Tone, als wolle sie Hulda und den Vater überzeugen, daß beide sich in ihr geirrt hatten: ich werde meines Kindes Glück nicht stören. Ich habe zwar geglaubt, daß der, den ich im Stillen erwählte, auch Hulda werde wohlgefallen, doch, wenn das nicht soll seyn, kann ich mich gern fü[S. 162]gen. Ist das, was von Alonso’s fabelhaftem Reichthum Ihr erzählt, zur Hälfte nur gegründet, und ist er meines Kindes Liebe werth, und kann er meinen Wunsch erfüllen, und seinen Wohnplatz bald, auf immer her verlegen! so kenne ich meine Mutterpflicht, und werde ihr nichts schuldig bleiben. Mit Freuden opfere ich dann jene kleine Grille, und segne Euren Bund.
Hulda traute ihrem Ohre kaum; sie umschlang die zärtliche Mutter, und bedeckte ihre bleiche Wange mit den Küssen der kindlichsten Liebe. Noch danke nicht, mein Kind, sagte die Mutter freundlich: erst wünsche ich den Mann zu sehen, dem es gelang, dieß reine Herz so schnell für sich zu gewinnen; doch — jetzt nichts, nichts mehr davon. Ihr wißt, ich liebe nicht viel Worte.
Da eilte Hulda von dannen und flog in den Garten, um dem vor Freude und Entzücken fast zerspringenden Herzen Luft zu machen. So rasch, so leicht der Mutter Sinn zu wenden, hatte sie sich nicht gedacht. Die Schickung wollte alles so; der Finger dessen, der das Herz des Menschen lenkt, ließ sich hier nicht verkennen. Den ganzen Tag war sie noch nicht auf dem Balkon gewesen, und hatte es Alonso doch versprochen! Ein we[S. 163]nig mußte sie hinauf, und kaum, als sie sich sehen ließ, stand, wie durch einen Zauberschlag, das ganze Schiff, vom Wasserspiegel bis zum Topp, so herrlich groß beleuchtet — ganz oben — höher noch als sie, die Sonne und der Mond — der Mexikaner sanfte Götter! verschwunden war am schwarzen Himmel das Kreuz und alle dräuende Gestalten. Nur Jauchzen hörte sie vom Schiff herauf und laute Freude, und mit der Liebe glücklichstem Entzücken warf sie dem schönen Mann, der beide Arme ihr entgegen breitete, die süßesten der Küsse zu.
Er kam den folgenden Morgen bei früher Tageszeit, hörte von Hulda und dem Vater, wie die Sachen sich unterdessen gestaltet hatten, und welche Wünsche ihm würden eröffnet werden, und trat, in beider Mitte, in das Zimmer der Mutter.
Ein Fieberblitz zuckte dieser durch alle Glieder, als sie seiner ansichtig ward; sie schrie laut auf und verhüllte das Gesicht mit ihrem Tuche, als hätte sie ein Gespenst gesehen.
Der Capitain Don Mantequila, hob der Vater, wegen dieses sonderbaren Auftritts, sehr verlegen an, und wollte ihr Alonso vorstellen. Sie aber rief: um Gotteswillen weg, weg[S. 164] — das ist sein Gesicht — das ist er selbst. Warum — ich frage Dich furchtbare Allmacht, warum mir hier, am Rande des Grabes, noch diese ungeheure Qual! —
Antoinette, sagte der Vater höchlich bestürzt: was ist Dir? Mütterchen, rief Hulda, und stürzte vor ihr Bette auf die Knie nieder: um Gotteswillen sprich — was hast Du für ein böses Traumgesicht?
Laßt mich sterben! tödtet mich! macht meinem entsetzlichen Leben ein Ende! entgegnete die Mutter aus schwer gepreßter Brust, und rang die Hände mit abgewendetem Gesicht — das, das soll Hulda’s Gatte seyn? Ein Teufel ist es, den die Hölle ausgespien! Ich habe ihm geflucht! Sie richtete sich in die Höhe, die Augen rollten funkelnd ihr im Kopfe, die bleichen Wangen brannten dunkelroth, und krampfhaft bebten ihr die blassen Lippen — Es ist die letzte Stunde meines Lebens! des Todes Schauer rieseln kalt mir durch die Seele — die Rache Gottes führt Dich Sünder zum Gericht. Ich fluche dreimal Dir — Fluch, Fluch, Fluch, Dir schauderhaftem Ungeheuer! —
Um Jesus Christi willen, Mutter! schrie Hulda[S. 165] außer sich, und faßte die drohende Rechte der Schrecklichen, die vor ihr grausend lag, wie jenes Wolkenbild am Himmel.
Der Mutter aber war der Athem ausgegangen — der Tod schlug grinsend seine kalten Arme um die sichere Beute — die Pulse stockten, und wie das letzte Gift des unversöhnlichsten Ingrimms, so trat ihr der weiße Schaum auf die zuckenden Lippen. —
Alonso schwankte vom Vater begleitet lautlos zur Thüre hinaus.
Der Mutter brechendes Auge suchte ihn, und da es ihn nicht mehr fand, ward sie ruhiger. — Sie athmete schwer. — Sie seufzte tief — eine Riesenlast lag ihr auf dem Herzen. Sie hatte aber nicht die Kraft mehr, sich sie abzuwälzen. Nur abgebrochene Worte, die kaum mehr verständlich waren, konnte sie hervorbringen.
Sie faßte Hulda’s Hand, und drückte sie heftig in die ihrigen. Mit höchster Anstrengung sammelte sie den Rest ihrer Kräfte, und sprach in kurzen Sätzen, halb laut — Die letzte Bitte Deiner Mutter! schwöre mir, ihm nimmer zu gehören —
Du bist krank, meine Mutter, sagte Hulda weinend: Deine Phantasie —
Nein, erwiederte die Sterbende: ist er es nicht, so ist’s sein Sohn; ich habe ihm geflucht bis in das dritte Glied — Sophie wird Dir alles sagen.
Der Heiland hat verziehen, entgegnete Hulda: er betete für seine Feinde; und Du, mein Mütterchen, willst scheiden aus der Welt mit solchem Groll, und wie — wie kann Alonso den verdienen, da Du ihn nie sahest?
Gott strafte auch der Väter Sünde bis in’s vierte Glied. Alonso soll des Vaters Sünde büßen.
Kennst Du den Vater denn?
Ein schwerer Seufzer war die Antwort; das Auge fand die letzten Thränen; — die Arme schluchzte laut, das hart gequälte Herz ward endlich weich und milde.
Nimm Mutter, Deinen Fluch zurück, bat Hulda christlich fromm, in Angst und Schmerz ganz aufgelös’t. Der Tod versöhnt ja alles! Laß beten mich für Deiner Seele Ruhe. O — Mutter richte nicht! Ich weiß nicht, was man gegen Dich verbrochen hat. Alonso aber ist nicht schuldig! Und Gott allein ist unser Richter. Mach’ Dir die Sterbestunde leicht. Vergib, so[S. 167] wird auch Gott Dir gern vergeben, und Engel werden Deine fromme Seele zu seinen Himmeln sanft geleiten.
Da fiel ein Schuß, ein zweiter, und ein dritter, und von dem Hafenfort erdonnerte des Abschiedgrusses Antwort.
Alonso geht in See, schrie händeringend Hulda, und sank ohnmächtig in einander. —
Die Unglückliche hatte sich nicht getäuscht.
Alonso, bis in den Grund der Seele erschüttert, des Mutterfluches grause Worte in dem Herzen, kam todtenbleich an seines Schiffes Bord.
Er fand den alten Linsing, warf weinend sich ihm in die Arme und rief, vom scharfen Schmerz zerrissen: Ich muß von dannen, ich muß fort. Allmählig nur gelang dem antheilvollen Freunde, das schreckliche Begebniß ihm abzufragen.
Alonso, hob er tröstend an: nur hier nicht gleich so rasch gehandelt. Die Frau hat phantasirt; ein Mißverständniß seltner Art muß hier zum Grunde liegen. Mein Freund, mein lieber Sohn, sey ruhig. Es wird, es muß sich alles noch enträthseln.
Kann Hulda den je lieben, den ihrer Mut[S. 168]ter Fluch getroffen hat? fragte Alonso und starrte dunkeln Blickes vor sich hin. Ich ahne Gräßliches! Ein Mißverständniß ist es nicht. Die Frau gehörte dieser Welt schon nicht mehr an, und drüben sieht man heller, als wir blöde Menschen. Sie hat sich nicht geirrt. Mein Vater — und ihr Bild! Im Sterben noch war sie sich ähnlich. — Antoinette nannte sie der Mann — des Vaters Lieblingsname — zu ehren ihn, hab’ ich mein Schiff also genannt. — Aus Frankfurt sagt Auguste — aus jedem Umstand press’ ich einen Tropfen zu dem Gifte, das mir in ihrem Fluche liegt. Und Hulda — mein ganzes Glück, mein Leben — dem Fluchbedeckten darf sie ja die reine Hand in Ewigkeit nicht reichen. — O — hätt’ ich doch aus meinem Scherze Ernst gemacht; ich wollte gestern mit ihr fort, — da hielt sie mich, um ihrer Mutter Segen willen. Statt dessen schleuderte die Sterbende, aus ihres Grabes Schauertiefe, mir ihren Fluch in’s todte Leben nach! — So wahr mein Gott im hohen reinen Himmel — ich büße eine fremde Schuld. — Was helfen nun mir alle Millionen! Das Höchste meines Lebens, das Herz des Engels ist mir freventlich geraubt, und ich bin bettelarm![S. 169] So lang ich athme, wird das meine ihr allein gehören. — Nein, außer ihr kann Keine ich je lieben! — Mein alter Herr und Freund, bringt meine Schwüre ihr. Der Sonne Strahl soll langsam quälend mich vertrocknen, des Mondes mildes Licht mir nimmer wieder scheinen, und meines großen Gottes Rache fort und fort mich überall verfolgen, wenn meinen Schwur der Treue ich je breche. Bringt, Freund, ihr diesen Kuß! Ich kann sie nimmer wieder sehen.
Alonso, liebster Freund, ermahnte bittend der Director: ach haltet diesesmal nur Euern raschen Sinn im Zügel. Die Mutter ist ja krank, sie kann sich bessern; das böse Wort, dem Irrthum bloß enteilt, kann sie ja widerrufen. — Sie kann vielleicht auch sterben, und dann ist Hulda frei! —
So denkt Ihr hier in Eurer alten Welt? fragte Alonso bitter. Ein Irrthum war es nicht! Der Geist des höhern Lichts sprach aus des Todtenrichters Munde. Und lebt sie Jahre noch, sie wird, sie kann nicht widerrufen. Und thät sie es — meint Ihr, daß sie damit den in Gift getauchten Dolch mir aus dem Herzen ziehen könnte, den sie tief hinein gestoßen hat? Was[S. 170] ich hörte, ich kann es nicht ungehört machen. Ich könnte nimmermehr mit Liebe mich ihr nahen; ich könnte nie Vertrauen zu ihr fassen. Sie könnte Mutter nimmermehr mir seyn. — Und frei, sagt Ihr, sey Hulda wenn sie stürbe? Wohl werden Wunder nicht geschehn, wenn Hulda mir die Hand nach ihrer Mutter Tode gäbe. Kann Hulda aber das? Kann Hulda an der Seite des Verfluchten sich eine Stunde nur des Lebens freuen? — Beim kleinsten Mißgeschick — muß sie nicht immer gleich des Mutterfluches harte Folgen fürchten? — Das Drohbild, was sie gestern in den Wolken sah! — Mein Gott und Herr, soll das ein Vorgefühl des Jammers, den der Zorn der Mutter uns bereitet hat, gewesen seyn? — Ich kann nicht bleiben; — ich muß fort. Sie noch einmal zu sehen, ist mehr als ich ertragen kann. — Mein Arm darf sie nicht mehr umfangen! Sie muß mich fliehen, ich bin geächtet. — In wenig Stunden bin ich der ganzen Stadt Gespött! man zeigt mit Fingern auf den kühnen Fremden, der sich erdreistete, der Blumen lieblichste Europa’s Gärten zu entführen, und den ein Weib mit Fluch und Bann belegte! — Nein! fort von hier! hinaus in’s wilde Meer![S. 171] vielleicht wirft bald eine Welle mich in des Abgrunds dunkle Tiefe! — Gott sey mir Armen gnädig.
Mit wildem Ungestüm sprang er zum Fockmast vor, und schrie den Negern zu: Listo! levad el ancla,[50] und andern: Listo! dad vela[51]; und pfeilschnell flogen sie auf ihre Posten. Die schweren Anker wanden sich aus ihrem Grunde, und in die aufgehießten Segel blies der leichte Landwind seewärts.
Alonso ließ ein kleines Boot aussetzen, um den alten Linsing an das Land zu bringen. Noch einmal schloß er ihn in seine Arme. Ein heißer Thränenstrom entstürzte seinen Augen. Mein letztes Wort ist Hulda! rief er im Schmerz der Trennung fast vergehend. Beschwöret sie, mit Liebe meiner immer eingedenk zu bleiben. — Doch ihre Hand sey frei. Kann sie mit einem Andern glücklich seyn, so segne ich den Bund, mag es mir auch das Leben kosten. Kein Bild, kein Blatt, nicht eine Locke, ich habe nichts[S. 172] von ihr, das süße Wehe nur in der gequälten Brust. Noch höre ich den Wohllaut ihrer Stimme, noch sehe ich die reizende Gestalt; mein guter Gott, laß mir dies beides nur, so lange ich das Leben hier noch friste. — Noch einmal laßt mich athmen tief — es ist die Luft in der sie lebt, laßt ihres Athems Würze mich einsaugen. — Ich sehe sie ja nie — verstehst Du alter Freund, verstehst Du dieses Schreckenswort? — Ich sehe nie sie wieder; — die Lootsen kommen an den Bord, aus Euerm Hafen mich zu bringen. Gehabt Euch wohl. Ich steure meinen Cours in’s Grab. Mein Herzensfreund, wenn Du mich liebst, so bitte mit mir Gott, daß er das liebeleere Leben mir bald ende. Dort oben gilt kein Fluch. Dort seh ich Hulda wieder! — Dank Dir, mein alter Freund, daß Du die bittere Scheidestunde mir versüßest. Bring Frau und Kindern meinen Gruß. Dieß, Linsing, meiner Hulda!
Er gab ihm aus einem neben ihm stehenden Blumentopfe, einen Zweig brennender Liebe, drückte ihm einen Kuß auf die Lippen, zog ihn noch einmal an sein Herz, und die Kanonen seines Schiffes sagten dem Hafen Lebewohl.
Linsing ließ sich an das Land setzen, und Alonso stand wie ein Wahnsinniger, mit starrem Blicke nach dem Balkon gerichtet.
Weiter und weiter trieb der Wind die Antoinette hinaus, dem unermeßlichen Weltmeere zu — Hulda erschien nicht — Alonso’s Kräfte schwanden. Die starke Eiche brach, wie mürbes Rohr, zusammen. Er stieß der bittersten Verzweiflung lauten Schrei aus der zerrissenen Brust, und stürzte halb todt auf das Verdeck; da eilten seine treuen Neger schnell herbei, und trugen ihren Herrn erstarrt in die Kajütte.
Wer mahlt der armen Hulda namenlosen Schmerz, als sie erwachte. Die Mutter lag entseelt vor ihr im Bette. Das Herz, es schlug nicht mehr, kein Athemzug — das starre Auge hatte nicht mehr Leben, vom bittern Todeskampf war das Gesicht entstellt — der Fluch — es war, als hätte sie ihn nicht zurück genommen, als wäre sie mit ihm zur Unterwelt gefahren.
Des Kindes Angstgeschrei rief den Vater und die Bedienung herbei. Auch der Arzt kam. Alle Mittel, des Todes Macht zu bannen, blieben erfolglos.
Hulda konnte nicht bleiben; das furchtbar zürnende Gesicht der — mein Jesus, rief sie laut: ich will ja, Mutter, Deinen Willen thun, nur zürne mir im Tode nicht! Ich war Dein liebes Kind ja immer, und Gott wird Kraft mir geben, daß ich — O Mutter, Mutter, höre noch aus Deiner fernen Welt auf Deines Kindes banges Flehen — geh’ nicht mit diesem Groll in Deine stille Gruft.
Der Vater bat weinend die Umstehenden, Hulda auf ihr Zimmer zu bringen. Bete mein Kind, sagte er, ihr ängstliches Zagen beschwichtigend: auf Deinen Knieen um die Ruhe der Verklärten. Alles meines Bestrebens ungeachtet, hat ihr das Leben der Freuden wenig nur geboten. Sie nannte oft den Tod nur ihren einzigen Freund. Sein sanfter Schlaf möge ihr die Erquickung schenken, die sie hier nirgends finden konnte, und jenseits, wo uns kein Kummer trüben soll und wo wir klarer schauen werden, wird sich vielleicht auch mir des Trübsinns Grund eröffnen, der überall die Rosen ihres Lebens bleichte.
Hulda, in Thränen der kindlichsten Wehmuth zerfließend, lag in ihrem Zimmer, vor ihrem[S. 175] Gott gebeugt, als der alte Linsing eintrat, die brennende Liebe ihr reichte, Alonso’s Scheidekuß ihr auf die Lippen drückte, und ihre vorhin geäußerte, über das plötzliche Verscheiden der Mutter aber wieder entschwundene Ahnung von Alonsos Abreise, durch die einfachen, im Munde des tief gerührten Mannes kaum vernehmbaren Worte: Er ist fort! bestätigte.
Sie sah den Todesboten mit thränenschweren Augen an, that aus der blutenden Brust einen lauten Schmerzensschrei und sank, dem Jammer des Lebens auf ewig verfallen, ohne Besinnung zu Boden.
Nach einer Stunde erst kam sie so weit wieder zu sich, daß sie ihrer Sinne mächtig ward. Unter dem Vorwande, frische Luft zu schöpfen, ging sie in den Garten, trat später in den Saal und bestieg den Balkon.
Auf der Stelle im Hafen, wo die prächtige Antoinette vor Anker lag, befand sich jetzt ein unansehnlicher Grönlandsfahrer; draußen auf dem Meere, ganz oben, auf der fernsten Höhe des Wasserspiegels, gewahrte sie einen schwarzen Punkt. Das war Alonso’s Schiff; mit gebrochenem Herzen rief sie dem Entschwindenden, der[S. 176] unauslöschlichen Liebe verzweiflungvolles Lebewohl, leise nach, und sah, still vor sich weinend, starren Auges, nach dem immer mehr und mehr enteilenden Punkte hin, bis er verschwand.
Zehnmal wischte sie sich die aus der gepreßten Brust unaufhaltsam hervorquellenden Thränen von den Wimpern, um noch einmal, nur noch ein einziges Mal das fliehende Schiff zu erspähen. Aber ihr Auge erreichte es nicht mehr! —
Die Mutter todt, Alonso fort! — Vielleicht auf immer und ewig fort! —
Die Unglückliche drückte das letzte Zeichen seiner Treue, die brennende Liebe, an die Lippen, und überließ sich, still weinend, der schmerzlichsten Trauer.
Die Leiche der Mutter zu sehen, hatte sie absichtlich gemieden; das zürnende Drohgesicht — es wich nicht von ihrem innern Auge; sie sah es wachend und träumend.
Am Begräbnißtage — sie hatte den entsetzlichen Augenblick lange gefürchtet, wo sie der Hülle der Vorangegangenen zum letzten Mal sich nähern sollte, um ihr der Kindesliebe frommen Dank zu bringen, und ihr zur Nacht des langen[S. 177] Schlafs, die Ruhe der Seligen zu wünschen — am Begräbnißtage trat sie an den Sarg.
Der Mutter Züge hatten sich verändert; nichts trübte mehr die qualerfüllte Brust, in der das frömmste Herz geschlagen. Der Kummer dieses Lebens drückte nicht mehr auf die Engelreine. Versöhnt mit dem Geschick, und harrend ihres Lohns, der droben guter Menschen wartet, lag sie, wie eine Gottverklärte da. Ein mildes Lächeln schwebte in jedem ihrer Züge; es war, als spräch’ ihr blasser Mund, mein Glück war nicht von dieser Welt. Jetzt ist mir wohl. Der Gott, der jede still geweinte Thräne zählt, wiegt jede mir durch tausend Freuden auf.
Mein Mütterchen, sagte Hulda mit der Wehmuth leisestem Tone, und kniete am Sarge nieder: Du zürnest nicht mehr mit mir? Du behältst mir drüben Deine Liebe? Dein Kind darf furchtlos an das Wiedersehen denken? — Der in den letzten Augenblicken Deines Lebens den Frieden Deiner Seele störte, er hat zum Opfer sich und mich gebracht. Das Kind soll folgsam seiner Mutter seyn. So hat sein edles Herz gewollt. Laß nun auch ab von Deinem Hasse gegen ihn, und kann aus jenen Lichtgefilden, in[S. 178] denen Deine Seele schwebt, auf Dein verwais’tes Kind Dein mütterlicher Segen wirken, so gib mir Kräfte, daß ich ertrage, was Dein Gebot mir auferlegt; und ist es in dem Plane des Geschicks, daß des irdischen Lebens Glück unwiderruflich mir verloren sey, so rufe Du mich bald, daß ich Dir folge, denn diese arme Welt gewährt mir keine Freude mehr. Schlaf sanft, mein Mütterchen! die Klage meiner Leiden soll in Deiner Ruhe Dich nicht stören. Kein Vorwurf soll in Deine stille Kammer Dich begleiten. Mein Heiland starb am martervollen Kreuze; er duldete und schwieg; auch ich will schweigend dulden. Vergebung flehete er, weil sie nicht wußten, was sie thaten. Vielleicht hast Du, mein Mütterchen, auch nicht gewußt, warum Du mir gethan, was meines Lebens Blüthe vernichtet hat, auf ewig. Mein Jesus lehrte mich, in diesem Fall, Vergebung Dir erbitten; und so soll Gott sich Deiner mild erbarmen, und wenn Du fehltest, mit seiner Liebe nur Dich richten. In Deinem Willen lag gewiß mein Wohl, und darum sey entladen aller Schuld, und kehre ein in Deiner Freuden Reich.
Sie neigte ihr Haupt auf die gefalteten Hände,[S. 179] und wimmerte, leise schluchzend. Da traten die mit schwarzem Krepp umflorten Träger ein, und verschlossen den Sarg. Einen Blick noch warf sie auf die Entschlafene, einen Blick der Liebe, der Verzeihung und des Friedens; und der Gott, der den schuldlosen Kindern das Himmelreich verheißet, und in seinem unerforschlichen Willen von seinen Auserwählten oft der Prüfung schwere Opfer fodert, schenkte ihrem Herzen wohlthätige Thränen und sanften Trost.
Mit einem spanischen Schiffe, das einige Wochen später nach dem Hafen von Calao[52] abging, hatte Hulda den Tod der Mutter deren Schwester, der Tante Sophie in Lima berichtet, sie von ihren Verhältnissen zu Alonso in Kenntniß gesetzt, und sie zugleich um die Aufschlüsse über der Mutter unerklärliche Abneigung gegen letztern gebeten.
Der Kummer über den Verlornen; der Schmerz, daß die erste Freundinn ihres Herzens, ihre Mutter, ein Bündniß nicht gebilliget hatte, in dem[S. 180] Hulda ihr ganzes Lebensglück zu finden meinte; die zweitausend Meilen weite Trennung von dem Treugeliebten; der sich täglich mehr begründete Zweifel eines möglichen Wiedersehens; das heimliche Spötteln mancher werthlosen Menschen; die heimtückische Rachsucht der Makler-Familie, die sich freute, das unglückliche Mädchen auf alle ersinnliche Art zu kränken; das lange vergebliche Harren auf eine endliche Nachricht von ihm und der Tante — Alles dieß nagte zerstörend an Hulda’s frischer Jugendkraft. Sie verlor allen Reiz am Leben, zog sich aus allen gesellschaftlichen Kreisen, mied alle Zerstreuungen, und lebte nur ihrem stillen Kummer und der Erinnerung der seligen Stunden, die ihr in Alonso’s Nähe vom Geschick, nur viel zu spärlich, zugemessen gewesen waren.
Einem reinen, zartfühlenden Mädchen ist kein Gift gefährlicher, als das des Grams der Liebe. Wie schmerzlich hatte dieses hier gewüthet! Die schöne Knospe, sie war geknickt. Verwelkt waren Blätter und Zweige; verdorrt der Saft des Lebens!
Ich kannte Hulda’s Lage, und meine herzliche Theilnahme erwarb mir ihr freundliches Wohlwollen.
Sie sprach, wenn sie mit Gustchen, ihrer vertrautesten Freundinn allein war, gern von Alonso, — aus der geheimsten Tiefe ihrer Seele schien dann immer noch ein schwacher Strahl der Hoffnung aufzublitzen, daß eine Verbindung mit dem Geliebten ihres Herzens doch möglich sey.
Ihre blasse Wange röthete sich dann ein wenig, und das thränenmüde Auge blickte mit wehmüthigem Lächeln in die Zukunft. Sie glich der Sonne am frühen Herbstabend, die, hinter trüben Wolken hinabsinkend, noch einmal der Erde den freundlichen Scheideblick zuwirft. In ihrem großen, geistvollen Auge lag ein Himmel voll Seligkeit, und wenn sie vom Herzen zum Herzen sprach, glaubte man eine Heilige der christlichen Vorwelt zu hören, so demüthig war ihr Sinn, so gottergeben ihr engelreines Gemüth, so vorbereitet ihre Seele auf das Jenseit, dem sie, durch Vollendung ihres edlen Selbst, entgegen reifte. Nur wenn die Rede auf ihn kam, an dem ihr Herz mit unaussprechlicher Liebe hing, trat die Anhänglichkeit an das Irdische mit all ihrem Zauber wieder vor; sie erschrak dann über die kalte Hand des Todes, die ihr den Blüthenreiz der Jugend so grausam abgestreift, das frische Pur[S. 182]purroth auf ihrer Lilienwange in kranke Leichenblässe gewandelt, und des Fleisches kräftige Frische so unerbittlich gewelkt hatte. Ihr Lieblingsaufenthalt war auf dem Balkon; wer die süßeste Sehnsucht der Liebe mahlen wollte, mußte dieß Mädchen sehen, wenn es oft Stunden lang, unverwendeten Blickes, in das unermeßliche Weltmeer schauete; und dann, heimlich vor sich hin, die Augen voll Wasser, den Kopf schüttelte, und leise sagte: er kömmt immer noch nicht.
Endlich, nach vierzehn langen Monaten, trafen Briefe von der Tante Sophie ein.
Der Mutter Wille, schrieb diese unter andern: ist, wie Du mir sagst, daß ich Dir das dunkele Räthsel löse, das der Unglücklichen Leben bis zur letzten Stunde trübte, und Dir, meine theure Hulda, alle Deine Hoffnungen, all’ Dein Glück, unwiederbringlich vernichtet hat.
Ich erfülle diesen Willen mit schwerem Herzen, weil ich des Unerforschlichen Wege, auf denen sich Folgen an Ursachen in ewiger Kette fortreihen, hier so sichtbar gezeichnet finde, daß ich alle Menschen laut und dringend beschwören möchte, jeden ihrer Schritte, jede ihrer Handlungen, und[S. 183] alles, was der Natur der Dinge nach, daraus entstehen muß, prüfend zu berathen, um seine Seele nicht mit Vorwürfen zu belasten, die keine Macht der Welt von uns zu nehmen vermag.
Antoinette ward, in der Blüthe ihrer Jahre, von einem jungen Manne geliebt, der ihren Reizen und ihren Tugenden mit unbeschreiblicher Leidenschaftlichkeit huldigte. Selbst ohne Vermögen, bot er, in leichter Hoffnung auf künftiges Glück, und ohne zu überrechnen, was zur Führung eines auch nur mittelmäßigen Hausstandes unentbehrlich nöthig ist, dem Mädchen seines Herzens die Hand; unsere Eltern aber, wie die seinigen, konnten diesen raschen Schritt nicht billigen, und empfahlen dem Heirathlustigen, die Verbesserung seiner Lage abzuwarten, die ihm, bei seinen Kenntnissen, mit der Zeit nicht entstehen könne.
Man hielt die Trennung beider Liebenden für das zweckmäßigste Mittel, ihn von allen Zerstreuungen abzuhalten, um sich desto bestimmter seinem Berufe widmen, und die Begründung seiner künftigen Selbständigkeit desto ungestörter bewirken zu können.
Er verließ, unter den heiligsten Schwüren ewiger Treue, unser Frankfurt, und ging nach[S. 184] Hamburg, um auf dem Comptoir eines der ersten dasigen Häuser zu arbeiten. Mangel an festen Grundsätzen, rasches Temperament, und Gelegenheit — wie viele junge Männer unsrer Zeit mögen diesen verführerischen Dämonen ihres Lebensglücks sich nicht schon in die Arme geworfen haben, ohne die Folgen ihrer Unbesonnenheit zu berechnen — Ein junges, unerfahrnes Mädchen von gutem Herkommen, wohnt mit ihm in einem und dem nämlichen Hause; sie sehen sich täglich; ihr beiderseitiger Umgang wird vertrauter, und der Mann, der vor wenigen Monaten noch, zu Antoinettens Füßen die Reinheit seiner Liebe mit tausend Eiden bekräftigte, mußte, um die Gefallene nicht dem Spotte der Welt Preis zu geben, mit ihr flüchten. In Mexiko gebar sie Alonso, und starb vor Gram über ihren Leichtsinn, der sie aus dem Kreise ihrer achtbaren Familie in einen fremden Erdstrich bannte, worin sie sich arm und verlassen fühlte und, nachdem der erste Rausch der Leidenschaft verflogen war, sich von dem nicht mehr geliebt sah, dem sie alles geopfert hatte. Alonso’s Vater machte seine Talente bald geltend; wer hier Thätigkeit mit Umsicht verbindet, muß sein Ziel erreichen; das[S. 185] Glück war dem Manne, der sich nun mit rastlosem Eifer in die Geschäfte warf, vorzüglich günstig, und so hinterließ er seinem eingebornen Sohne ein Vermögen, welches, selbst nach hiesigem Maßstabe, zu den bedeutendern gehört. Seinen deutschen Namen, Schmalz, hatte er, wahrscheinlich um unentdeckt zu bleiben, oder weil die sechs Consonanten in Einer Sylbe, dem spanischen und indischen Munde seiner Geschäftsverbündeten und Untergebenen unaussprechbar waren, in das Spanische übersetzt, und sich daher Mantequilla genannt; oft schon hatte ich von dem reichen Mantequilla in Mexiko gehört, ohne zu ahnen, daß dieß der Unbesonnene sey, der meiner Antoinette das Herz gebrochen hat.
Auf diese hatte seine Treulosigkeit einen furchtbaren Eindruck gemacht. Sie war von dem Augenblicke an, da sie die Nachricht seiner Flucht hörte, wie umgewandelt; sonst die fröhliche Unbefangenheit, die Gutmüthigkeit, die Liebe selbst, ward sie kalt und verschlossen; sie haßte das Leben und seine Freuden; in ihrem Innern gährte eine Säure, eine Bitterkeit, die sie gegen alle Menschen immer mehr und mehr verfeindeten; ihre Vernunft nur und ihr Pflichtgefühl, zügelten[S. 186] ihren heimlichen Ingrimm gegen die ganze Welt; sie glaubte an keine Eide mehr; sie hielt das ganze Menschengeschlecht für entwürdiget.
Dein Vater, von dem Reize ihrer blendenden Schönheit hingerissen, warb um ihre Hand; er ward von allen seinen Freunden gewarnt; allein der joviale Mann hielt ihre Kälte für Tiefe des Gemüths; ihre Zurückgezogenheit für Folge ihrer bisher eingeschränkten Lebensweise; ihre Bitterkeit, für Witz. Sie gab ihm ihre Hand ohne Liebe; sie gab sie ihm, weil es unsere Aeltern wünschten, weil sie jede ihrer Wünsche als unwiderrufliches Gesetz ansah, und weil sie jede ihrer Pflichten mit einer Strenge gegen sich selbst erfüllte, die an Märtyrerwahn gränzte. Es that ihr wohl, sich dem älterlichen Willen zum Opfer zu bringen; ihr Leben hatte, nach ihrer trüben Ansicht, doch nun wenigstens einen Zweck gehabt.
Es gibt, für den Mann von Gefühl, kein entsetzlicheres Loos unter dem Monde, als mit einer Gattinn verbunden zu seyn, die ihm, aus mehreren bewegenden Nebenumständen, nur nicht aus dem Drange ihres Herzens, ihre Hand gegeben. Antoinette erkannte alle Bemühungen[S. 187] Deines Vaters, ihr das Leben angenehm zu machen, sich in ihre unermüdlichen Launen zu fügen, und ihr Beweise seines herzlichsten Wohlwollens, seiner innigsten Liebe zu geben, an; aber sie konnte ihm dafür nichts, als bloßen Dank wiedergeben; sie haßte sich darüber selbst; sie klagte, in jedem ihrer Briefe, sich deßhalb selber an; die engelgleiche Schonung, mit der Dein Vater ihr zurückstoßendes Benehmen trug, und gegen andere sogar entschuldigte, drückte sie noch tiefer nieder; sie setzte sich in ihren schwermüthigen Selbstbetrachtungen zusammen, daß sie ihm und andern eine Last sey, und zerfiel so mit dem innern Glauben an sich und ihren Werth immer mehr. Eine sonderbare Frömmelei, der sie sich, nach ihren Briefen, besonders in der spätern Zeit, hingegeben zu haben, und in der sie, wie aus mehreren ihrer Aeußerungen hervorging, von einem dortigen mit ihr befreundetem Hause, bestärkt zu werden schien, dämpfte ihre zuweilen rege werdenden Bemühungen, sich aus sich selbst heraus zu reißen, noch mehr. Sie hielt jede Widerwärtigkeit für eine ausdrückliche Schickung Gottes, welcher die züchtige, die er lieb habe, und fügte sich zur[S. 188] Duldsamkeit der strengsten Büßerinnen unsrer christlichen Vorzeit. Ewig und ewig wühlte aber das Andenken an die Wehthat des Meineidigen, in ihrem tausendfach zerrissenen Herzen. Ach könnten die Männer das Unermeßliche der Liebe ahnen, das im keuschen Busen der Jungfrau so allmächtig wogt, sie würden die ungeheure Qual verstehen, die eine solche Liebe leidet, wenn sie betrogen wird! Verdamme nicht Deine unglückliche Mutter, wenn sie, — diese brennende Qual mehr denn zwanzig Jahre im gewaltsam verschlossenen Herzen, in der Stunde des ersehnten Todes, Alonso erkennend, — den wortbrüchigen Vater verfluchte! Es liegt in diesem Fluche etwas so schauderhaft Gräßliches, daß mir die Sinne vergingen, als ich ihn las. Hörten ihn doch alle, die sich eines gleichen Verbrechens schuldig wissen!
Deine Briefe, meine Hulda, bestimmten mich zu einer Reise nach Mexiko. Nach meiner festen Ueberzeugung galten die grausenden Verwünschungen der Sterbenden nicht dem schuldlosen Sohne, sondern der Sünde des Vaters. Alonso’s Aehnlichkeit mit diesem hatte der Unglücklichen, die auf der furchtbaren Schauer[S. 189]brücke zwischen dieß und jenseits stand, wo alle Sehnen, alle Nerven, alle Fibern im Kampfe mit dem wüthenden Tode, bis zum Zerspringen gereizt, wo ihre Sinne krampfhaft zerrüttet, wo die unsichtbaren Bande zwischen Seele und Körper, von der erbarmunglosen Parze schon halb zerschnitten waren, jene Aehnlichkeit, sage ich, hatte in diesem entsetzlichen Augenblicke, ihrer verworrenen Phantasie das Bild des Treulosen wie mit einem Zauberschlage vorgeführt; dem Jahre lang, unter der Gewalt der Vernunft erlegenen Herzen entstürzte fest das bitterste aller Gifte, das Gift gekränkter Liebe. Das Recht, was sie sich anmaßte, den Vater im Sohne noch zu hassen, ist ein Beweis ihres Wahnsinns mehr. Ihr frommer Geist war schon von ihr gewichen; diese Aeußerung war nur die letzte Zuckung ihres verblutenden Herzens. Nur einen lichten Augenblick hätte sie noch haben dürfen, nur der ernsten Zusprache eines verständigen Freundes hätte es bedurft, und jene unseligen Worte wären über ihre Lippen nicht gekommen, oder von ihr, mit ihrem milden christlichen Sinne, widerrufen worden.
Im Plane der Vorsehung hat es anders[S. 190] gelegen! Jene Sünde des Vaters hat den schuldlosen Sohn zum Opfer gefordert.
Bereite Dich vor, meine Hulda, das Schmerzlichste zu hören.
Ein Schwarzer empfing mich und meinen Gatten in Alonso’s fürstlichem Palaste.
Auf unsere Frage nach seinem Herrn, brach der Mann in sanfte Thränen aus. Nur zu seiner Ruhestätte kann ich Euch geleiten, entgegnete er, mein edler Herr ist todt!
Hulda, halte fest an Gott und seinen Glauben! Alonso ist in der Blüthe seines Lebens, in des Todes kalte Arme gesunken.
Wenige Tage nach seiner Abfahrt aus Euerm Hafen, hatte ihn, wie der Neger erzählte, ein hitziges Fieber befallen. Der Steuermann, der Bootsmann, der Guardian, alle bitten ihn, zurückzukehren; er aber besteht auf der Fortsetzung der Fahrt; nach zwei langen Monaten fängt die Kraft des Rüstigen endlich an, sich allmählig wieder zu regen; alles preis’t Gott, der ihn, ohne ärztliche Hülfe wieder genesen ließ; nur ihm macht die Rückkehr in das Leben keine Freude; er, sonst der Lebendigste, der Heiterste auf dem Schiffe, sitzt in sich gekehrt[S. 191] und still, mit dem Gesichte nach Europa gewendet; spricht kein Wort, ist weich wie ein Kind, und hat oft heiße Thränen im Auge. Der Pilot, ein verständiger Mann, naht sich ihm mit bescheidener Frage nach der Ursache seines Kummers, glaubt, daß er körperlich leide, und bitter, seinen Cours auf die zunächst liegende Insel richten zu dürfen, um da für seine Gesundheit besser sorgen zu können; Alonso aber reicht ihm freundlich dankend die Hand, bittet, die Fahrt nach Vera-Cruz möglichst zu beschleunigen, behauptet, daß ihm auf dieser Welt Niemand helfen könne, setzt späterhin sein Testament auf, und übergibt es, für den Fall seines Todes auf der See, gedachten drei Schiffsoffizieren mit den gewöhnlichen Förmlichkeiten.
Ein anhaltender, sehr bedeutender Sturm, der das Schiff mehrere hundert Meilen verschlägt, und die angreifendsten Anstrengungen nöthig macht, deren sich Alonso, um die Mannschaft zu retten, Tag und Nacht unterzieht, bewirken in seiner Krankheit einen gefährlichen Rückfall. Seine Kräfte schwinden immer mehr, und nur mit Mühe gelingt es ihm, kaum noch lebend nach einer höchst mühvollen Fahrt, im Hafen[S. 192] von Vera-Cruz, endlich an das Land zu setzen. Man bringt ihn in das benachbarte Xalappa[53], das eine gesündere und angenehmere Lage hat, als Vera-Cruz selbst; allein er dringt darauf, nach Mexiko geschafft zu werden; die erdrückende Hitze auf den Dünen[54], über die ihn, in einem Ruhebette, seine treuen Sclaven tragen, verschlimmert seine Krankheit, und kaum in Mexiko angelangt, verscheidet er nach kurzem Leiden.
Sein letztes Wort war Dein Name, meine unglückliche Hulda. An Dich sind die Zeilen gerichtet, die er am Bord der Antoinette geschrieben, und unter Deiner Adresse versiegelt hinterlassen hat, und die mir, da ich mich als Deiner Mutter Schwester auswies, zur Weiterbeförderung an Dich, ausgehändigt worden sind. Alonso muß ein sehr edler Mensch gewesen seyn.[S. 193] Er hat im Testamente seinen sämmtlichen Sclaven die Freiheit geschenkt, und sie mit Mitteln zur Rückkehr in ihre Heimath versehen. Ganz Mexiko rühmt ihn, als ein Muster von Sittenreinheit; der Ruf seiner Tugend, seiner Kenntnisse und seines Wandels hat ihm die Liebe und Achtung der ganzen Stadt gewonnen, und ein recht rührender Beweis der zarten Anhänglichkeit seiner Umgebungen war, daß uns alle Personen im Hause, als wir nach seinem Grabmal wandelten, schweigend Hand und Fuß küßten, als wollten sie uns für die letzte Ehre danken, die wir ihrem angebeteten Herrn erwiesen. Das Monument, unter dem seine Hülle ruht, ist ein einfacher Würfel von weißlich grauem, sehr schön geschliffenen Granit. Es liegt unfern der Stadt, auf dem Hügel von Toatihuacan, zwischen den majestätischen Trümmern der, den indischen Göttern, dem Monde und der Sonne, geweihten Pyramiden, in der Mitte eines heiligen Palmenhains, rings umgeben von einem Kranze frisch gepflanzter brennender Liebe. Wir knieten, vom Dunkel der stillen Friedens-Palmen umschattet, am Grabe nieder, und beteten für Alonso und für Dich. —
Alonso’s mit schwacher Hand geschriebene Zeilen lauten also:
Meine ewig einzige Hulda! Nur, wenn ich hinüber gegangen bin in die Gefilde der Seligen, empfängst Du dieses Blatt. Ruht Dein Auge also darauf, so bin ich schon drüben in dem Lande des Friedens, in dem keine Täuschung mehr gilt, in dem nur die Wahrheit und das Recht dem Throne des Allmächtigen zur Seite stehen.
Ich habe eine schwere Krankheit überstanden; meine Leute glauben mich genesen, aber ich fühle, daß meiner Stunden nur wenige noch sind. Erinnert an meine Sterblichkeit, habe ich meinen letzten Willen aufgesetzt, Kraft dessen Du die alleinige Erbinn dessen bist, was die Menschen zeitliches Glück nennen. Danke mir dafür nicht, denn es war seit dem Augenblicke, als Du mir Deine Hand gabst, ja schon Dein. Das Testament selbst, das gleich nach meiner Landung unserm Alcalde Mayor wird eingehändigt werden, bedarf, nach unserm Gesetz, die Bestätigung des Vicekönigs, für deren Bewirkung die nöthige Sorge getragen werden soll.
Ich mag und kann nicht mehr leben. Ohne Dich, meine angebetete Hulda, hat die ganze Welt keinen Werth für mich. Zwischen uns hat sich der Fluch der sterbenden Mutter, wie ein glühender Markstein gestellt. Der Geächtete, der Verfluchte konnte Dir nie seine Hand bieten! Es ist mir gewesen, als wäre mein Gehirn aus dem Schädel gebrannt, denn ich habe den Gedanken, Dich, Dich meine Hulda, auf diese Weise aufgeben zu müssen, nicht fassen können.
Im Wahnwitz des hitzigen Fiebers, an dem ich krank lag, war mir am wohlsten. Da hielt ich Dich noch für mein; da spann ich mir die Sekunde, die ich mit Dir lebte, zu Tagen aus; jedes Wort, jeder Blick, jedes Lächeln von Dir, Du alleiniger Engel meines Lebens, war mir gegenwärtig, und in meiner glücklichen Einsamkeit störte mich nichts, als das Toben der Wellen, die sich an den Seiten meines Dreimasters schäumend brachen. Ich sprach, ich kos’te mit Dir; ich sog aus Deinen Augen, von Deinen Lippen, aus Deinen tausendfachen Reizen das Süßeste der Liebe.
Nach und nach verflogen meine Fieber[S. 196]träume; ich kehrte in das schauerkalte, der Verzweiflung heimgefallene Leben zurück, und bin unterdessen tausend Meilen von Dir weggekommen. Sonst, Du in diesen meinen Armen, an dieser meiner Brust! — jetzt — ein halbes Weltmeer zwischen uns! — Ich sehe und sehe, aber mitten auf dem unermeßlichen Ozean erspähe ich nichts, als Himmel und Wasser, Dunst und Nebel; dieß armselige Gewand unsers ganzen Erdballs begränzt mir den Blick nach Deinen Küsten, und meine Einsamkeit ist fürchterlich, weil sie ewig ist. Ich kann mit glühender Sehnsucht hinabblicken in den Abgrund des Meeres, denn nur mit meinem Tode hört mein Unglück auf.
Jenseits sollen die in Gott Entschlafenen sich wieder finden! Hast Du dieß Blatt in Deinen Händen, so habe ich, wenn jene wohlthuende Hoffnung des himmlischen Wiedersehens kein leeres Trostwort unsers Glaubens ist, und Deine Mutter unterdessen den letzten Todeskampf auch überstanden hat, sie gefunden, und bin von ihr jener Unheil bringenden Verwünschung entlastet worden. Ich bin dann rein von aller Sünde, auch von der, die aus falscher Ansicht[S. 197] mir aufgebürdet wurde, und Du kannst und darfst an mich denken, ohne mit Deinem engelreinen Herzen Dich meiner zu schämen!
Weine um mich nicht, Hulda. Ich fürchte den Tod nicht, und wenn Du diese Zeilen liesest, habe ich ja den letzten Kampf schon glücklich gekämpft. Die Trennung von Dir, meine einzige geliebte Hulda, war mir wahrhaftig schwerer, als mir die vom Leben werden kann. Nun Du mir fehlst, fehlt mir alles. Athemholen und Essen und Trinken heißt noch nicht Leben. Ehe ich Dich kannte, liebte ich neben Gott meinem Herrn, meiner Neger sanfte Gottheiten, den Mond und die Sonne. Seit Dich mein Auge sah, vergaß ich beide, denn beide, die alles belebende Kraft der Sonne, und die stille Milde des freundlichen Mondes, fand ich in Dir wieder. Nun ich Dich nicht mehr sehen kann, mag ich auch die Götter meiner Neger nicht; nur nach des Grabes Dunkel sehnt sich mein müdes Herz.
Lebe wohl, meine Treugeliebte! behalte die Ueberzeugung fest, daß der Fluch Deiner Mutter mich unschuldig traf. Du warst meine erste, meine einzige Liebe. Schuldlos wie das Kind,[S. 198] das in der frühesten Jugend der himmlische Vater zu sich ruft, scheide ich aus diesem Leben. Die Gluth der Liebe, die von Deinen zauberischen Reizen angefacht, in meinem Herzen mit Riesengewalt empor loderte, sie soll nur im engen finstern Grabe, oder wenn ich auf der See noch sterbe, nur in der unergründlichen Tiefe des großen Weltmeeres erkalten. — Dir meine Hulda — das Laster des Neides ist dem Sterbenden fremd — Dir gebe ich Dein Gelöbniß der Treue hiermit feierlich zurück. Findest Du einen Mann Deiner Liebe werth, so reiche ihm Deine Hand, und sey mit ihm glücklich. Vergiß meiner nie, und bete für das Heil meiner Seele.
Weiter hatte Alonso, vermuthlich wegen Körperschwäche, nicht schreiben können; die letzten Worte waren ohnehin schon fast ganz unleserlich. Hulda reichte leichenbleich die Blätter dem Vater. Sie war vom Schreck so durchbebt, daß sie kein Wort sprechen konnte; ein Schauer jagte nach dem andern ihr durch Mark und Blut, sie zitterte an allen Gliedern, und das starre Auge netzte keine Thräne.
Ich konnte, sagte sie endlich nach langer[S. 199] Weile, ihre Leichtgläubigkeit sich selbst verweisend, mit erschütternder Kälte: ich konnte noch hoffen, und die Mutter hatte mir in jenem Wolkenbilde doch schon seinen Grabstein gezeigt! Weißlich grau war damals das Gestein, und daß jener schreckliche Spiegel meiner Zukunft nicht lüge, schleifen sie den Würfel, der auf seinem Grabe ruht, von weißlich grauem Granit!
Mehr sprach sie keine Sylbe; sie ging, wie im Traume, nach dem Garten-Saal, und trat auf den Balkon. Da erst, als sie in die Gegend hinschaute, in die er gesegelt war, ohne je wieder zurückzukommen, trat ihr das Wasser in die Augen, da erst fand das schwer belastete Herz Erleichterung durch sanfte Thränen.
Ich will, sagte sie, und reichte dem Vater wehmüthig die Hand: mit der Vorsehung nicht hadern; ich will nicht murren! aber womit habe ich dieses entsetzliche Loos verdient? Was habe ich gegen den Allgerechten verbrochen, daß ich dieser Strafe werth wäre? Für meinen Verlust ist hienieden kein Ersatz denkbar; mißbillige daher, mein armer Vater, mißbillige es nicht, wenn ich meinen Gott im Himmel bitte, mich bald von hier abzurufen. Drüben[S. 200] soll ich ihn ja wieder sehen, dort darf ich ihn ja lieben. Einen Vortheil, ja einen habe ich aus meinem unermeßlichen Unglück gerettet, den Vortheil des leichten Todes. Die letzte Stunde dieses freudenleeren Lebens — wann schlägt sie mir? Andere schaudern ihr entgegen, mir ist sie das Einzige, wornach ich mich hier noch sehne. Allgütiger, ende bald mit mir. Sie sah noch einmal über das Meer hinüber, sie lispelte leise: Mein Alonso, schlummere im Schatten Deiner Friedenspalmen sanft und ruhig. Deine brennende Liebe nehme ich mit in meine Gruft. Noch einen Blick — es war der letzte — warf sie rund um auf Land und Meer, verließ, sanft weinend, ihren Lieblingsplatz, den Balkon, und hat ihn nie wieder betreten.
Denselben Abend noch — dieß zarte Gemüth konnte die ungeheure Last eines solchen Schmerzes nicht lange ertragen, der Gram zerfraß diese noch nicht einmal ganz entfaltete Blüthenknospe mit eiliger Gier — denselben Abend noch mußte sich Hulda legen; sie sandte nach Gustchen und deren Bräutigam; sie fühlte das allmählige Verrinnen ihrer Lebenskraft, und[S. 201] freute sich der Gewißheit dieses Gefühls. Sie sandte zu der Familie, die durch heuchlerische Frömmelei Einfluß auf die Mutter gehabt, und dadurch wohl manches Unheil gestiftet hatte, und ließ ihr sagen, daß sie ohne Groll von hinnen scheide; sie ordnete ihr Begräbniß an, und bat um das heilige Abendmahl.
Es war Mitternacht, als der Prediger, der nämliche, der Hulda getauft, der sie confirmirt hatte, und der von ihr im Stillen schon bestimmt gewesen war, den Bund ihrer Liebe mit Alonso vor dem Traualtar einzusegnen, an ihr Lager trat, um ihr das letzte Mahl der Liebe und Versöhnung zu reichen, und der Kirche Segen ihr in das dunkle Reich des Todes mitzugeben.
Die Umstehenden knieten an ihrem Bette nieder; sie reichte ihnen allen die Hand, als wolle sie Abschied von ihnen nehmen, um dann die letzten Augenblicke ihres Lebens ungestört sich allein zu gehören, und nahm nun mit unbeschreiblicher Rührung, aus der Hand des Dieners Christi, eines ehrwürdigen alten Mannes, das Mahl, das der zu seinem Gedächtniß einsetzte, der den Menschen die[S. 202] reinste Liebe und den Leidenden das höchste Bild der frommen Duldung war, der in der strengsten Pflichterfüllung unser Aller Meister ist, und der den Sterbenden seine schützenden Engel mit dem Freudenlichte seines Worts und seiner Hoffnungen entgegen sendet, daß sie die Gläubigen sicher geleiten durch das Dunkel der langen Todesnacht.
Vor dem Hause hob jetzt das Schülerchor, mit gedämpfter Stimme, das fromme Lied: Jesus meine Zuversicht, an; der Geistliche segnete sie zur ewigen Ruhe ein, und noch hatte das Lied nicht geendiget, als Hulda, des Lebens müde, ihr Haupt neigte, und lautlos, ohne Schmerz und ohne Klage hinüber schlummerte in das Reich der Seligen. — Noch ein leiser Seufzer, und die Engelreine hatte vollendet.
Die Glocken der Stadt schlugen Eins. Ihr dämmerte der Morgen der ewigen Verklärung.
Auguste, ihre treueste Freundinn, drückte ihr die Augen zu — Alonso’s letztes Andenken, die brennende Liebe schmückte Hulda’s Brust im Sarge.
Auch ihr Grab deckt ein großer Würfel von geschliffenem Granit; statt der nur in Alonso’s Heimath, im Freien gedeihenden Palmen, beschatten Trauerweiden ihre Gruft. —
Sie ruhe in Frieden!
Uns allen aber einst solch einen sanften Tod.
Gedruckt in der Gerlachischen Buchdruckerei.
Bei der Arnoldischen Buchhandlung in Dresden sind folgende schöngeistige Schriften erschienen und um die beigesetzten Preise durch alle Buchhandlungen zu bekommen:
Abendzeitung, herausgegeben von Th. Hell u. Fr. Kind, auf das Jahr 1817. 6 Thlr. 1818. 6 Thlr. 1819. 6 Thlr. 1820. 6 Thlr. 1822. 6 Thlr. 1823. 9 Thlr.
A. Apel, die Aitolier. Tragödie m. K. 1 Thlr.
— — Kunz von Kauffung. Trauerspiel. 20 Gr.
Das Gespenst. Drei Erzählungen von Fr. Laun, Fr. Kind und G. Schilling. 1 Thlr. 6 gl.
Der Mantel. Drei Erzählungen v. Fr. Laun, K. Streckfuß und G. Schilling. 1 Thlr. 6 gl.
Ich und meine Frau. Drei Erzählungen von Fr. Laun, W. A. Lindau und G. Schilling. 1 Thlr. 6 gl.
H. Clauren. Lustspiele. 2 Thle. 1818. 2 Thlr. 6 gl.
— — Scherz und Ernst. 10 Theile. 10 Thlr.
— — des Lebens Höchstes ist die Liebe. 2 Thle. 1822. 2 Thlr.
— — Das Pfänderspiel. 1820. 1 Thlr. 6 gl.
— — Der Vorposten. Schauspiel. 1821. 16 gl.
— — Das Vogelschießen. Lustspiel. 1822. 21 gl.
— — Der Liebe reinstes Opfer. 1821. 18 gl.
— — Rangsucht und Wahnglaube. 1821. 22 gl.
— — Liesli und Elsi, zwei Schweizergeschichten. 1821. geb.1 Thlr. 8 gl.
— — Das Schlachtschwert. Eine Erzählung. 1821. 18 gl.
C. W. Contessa. Erzählungen. 2 Theile. 1819. 2 Thlr.
Th. Hell, Bühne der Ausländer. 3 Bde. 3 Thlr. 6 gl.
— — Lyratöne. 2 Thle. m. K. 1821. 2 Thlr.
E. v. Houwald, Erzählungen. 1819. 1 Thlr. 4 gl.
Fr. Laun, der wilde Jäger. 1820. 1 Thlr. 6 gl.
— — Welcher? Drei Erzählungen verwandten Inhalts. 1821.
1 Thlr. 3 gl.
W. A. Lindau, Lebensbilder. 2 Thle. 1816. 1 Thlr. 12 gl.
— — — Die Braut. Ein Gemälde nach W.
Scott. 3 Thle. 1822. 2te Aufl. 3 Thlr.
— — — Eduard, nach Walter Scott. 4
Thle. 1822. 4 Thlr. 18 gl.
— — — Das Herz von Mid-Lothian, nach W.
Scott, 1r, 2r Thl. 1822. 2 Thlr.
— — — Erzählungen nach Washington
Irwing, a. d. Engl. 1822. 21 gl.
— — — Anastasius, Abenteuer eines
Griechen. Nach dem Engl. 2 Thle. 1822. 2 Thlr. 16 gl.
dessen 3r Theil. 1823.1 Thlr. 8 gl.
R. Roos. Gedichte. 1820. 1 Thlr.
deren 2r Theil. 1823. 1 Thlr. 3 gl.
— — Erzählungen. 1820. 1 Thlr. 3 gl.
Salomon, Parabeln. 1819. 1 Thlr.
St. Schütze, Heitere Stunden, 1r Theil. 1821. 1 Thlr. 3 gl.
deren 2r Thl. 1822. 1 Thlr. 3 gl.
K. Streckfuß, Erzählungen. 1812. 1 Thlr.
Taillefas, Schreckensscenen aus dem Norden. 1820. 1 Thlr.
C. F. van der Velde, Erzstufen. 3 Thle. 1819. 2 Thlr. 18 gl.
— — — — Prinz Friedrich. 1820. 1 Thlr. 12 gl.
— — — — Die Eroberung von Mexiko, 3 Thle. 1821. 3 Thlr.
— — — — Der Maltheser. 1822. 1 Thlr. 12 gl.
— — — — Die Lichtensteiner. 1822. 1 Thlr.
— — — — Die Wiedertäufer. 1822. 1 Thlr. 3 gl.
— — — — Die Patrizier. 1823.
— — — — Arwed Gyllnstierna. 2 Theile 1823.
Die erste Sammlung der Schriften von Gustav Schilling besteht aus 50 Bänden, welche im Ladenpreise 50 Thlr. kosten. Um aber den Freunden einer neuen Sammlung den Ankauf der frühern zu erleichtern, geben wir solche für 33 Thlr. Sächs. Cour., wofür sie durch alle solide Buchhandlungen zu erlangen ist.
Es sind in jener Sammlung enthalten: 1) das Weib wie es ist. 3te verb. Aufl. 2. 3. 4.) Die Ignoranten. 3 Thle. 3te verb. Aufl. 5. 6. 7. 8.) Der Liebesdienst. 3 Thle. 9. 10.) Die schöne Sibille. 2 Thle. 3te verb. Aufl. 11.) Bagatellen v. Z. Kukuck. 2te verb. Aufl. 12. 13. 14. 15.) Erzählungen. 4 Thle. 16. 17. 18.) Geschichten. 3 Thle. 19. 20. 21.) Irrlichter. 3 Thle. 22. 23.) Abendgenossen. 2 Thle. 2te verb. Aufl. 24.) Das Orakel. 25. 26.) Laura im Bade. 2 Thle. 27.) Der Beichtvater. 2te aus 2 in 1 Bd. gedrängte Aufl. 31.) Die Wunderapotheke. 32.) Der Weihnachtabend. 2te verb. Aufl. 33.) Die Neuntödter. 34.) Die Geister des Erzgebirges. 35. 36.) Flocken. 2 Thle. 37. 38.) Gottholds Abenteuer. 2 Thle. 2te verb. Aufl. 39.) Wallmann der Schütze. 40.) Die Nachwehen. 41.) Freudengeister. 42.) Die Bedrängten. 43. 44.) Der Roman im Romane. 2 Thle. 2te verb. Aufl. 45.) Die Heimsuchung. 46.) Blätter aus dem Buche der Vorzeit. 47.) Orangen. 2te aus 2 in 1 Bd. gedrängte Aufl. 48.) Flämmchen. 49.) Die Versucherinnen. 2te verb. Aufl. 50.) Das Teufelshäuschen.
Die zweite Sammlung erscheint in Lieferungen zu 5 Bänden, welche im Ladenpreise 5 Thlr., gegen Vorausbezahlung aber nur 4 Thlr. kosten.
In der ersten Lieferung sind enthalten: 1.) Der Mann wie er ist. 2te verb. Aufl. 2. 3. 4.) Verkümmerung. 3 Thle. 5.) Heimchen. 6. 7.) Stoffe. 2 Theile. 8. 9. 10.) Die Familie Bürger. 3 Theile 1820.
In der zweiten: 6. 7.) Stoffe. 2 Thle. 8. 9. 10.) Die Familie Bürger. 3 Thle.
In der dritten sind enthalten: 11. 12. 13.) Wallows Töchter. 3 Thle. 1821. 3 Thlr. 6 gr. 14. 15.) Zeichnungen. 2 Thle. 1 Thlr. 18 gl.
In der vierten: 16. 17.) Wolfgang. 2 Thle. 2 Thlr. 6 gr. 18. 19. 20.) Häusliche Bilder. 3 Theile. 1822. 2 Thlr. 18 gr.
Arnoldische Buchhandlung.
FUSSNOTEN:
[1] Eine Art großer Heidelbeeren (vaccinium macro carcon) in der Gegend von Buffalo-Creek zu Hause.
[2] Die nördlichste Niederlassung der Herrnhuter in Grönland 72° 82, N. B.
[3] Eigentlich sagt der Seemann nicht Mastkorb, sondern Mars. Da indessen nur wenige Leser der Schiffssprache dürften kundig seyn, glaubte ich den ersteren, ihnen bekannteren Ausdruck beibehalten zu müssen.
[4] Bei großen Kauffahrern von 500 Lasten, (zwanzigtausend Centnern) hat der Mastbaum gewöhnlich eine Länge von 110 Fuß.
[5] Dieß heißt, etliche von den Segeln backbrassen und andere beiprassen, so daß sie unter einander eine entgegengesetzte Richtung haben, und das Schiff beinahe auf einer Stelle liegen bleibt.
[6] Taschen heißen die drei Fuß breiten Gallerien, die an den Seiten des Schiffes nach dem Hintertheile zu, angebracht werden.
[7] Dieß ist das Zeichen, durch welches ein segelfertiges Schiff, den am Lande befindlichen Passagieren zu verstehen gibt, sich baldigst an Bord zu verfügen.
[8] Die Flagge niederlassen, oder die Flagge streichen, ist der seemännische ehrfurchtvollste Bückling.
[9] Gissing ist die muthmaßliche Berechnung der Stellen, auf der sich das Schiff in See befindet, ohne Sonne und Sterne beobachten zu können.
[10] Ein falscher Cours mit Schneckenlinien.
[11] Ein Stück Bonnetsegel mit Werg benäht und mit Asche bestreut, mit dem man an der äußern Seite des Schiffs die schadhafte Stelle unter dem Wasser bedeckt.
[12] Haben in Seeschlachten die Seiten des Schiffes, durch Kanonenkugeln lecke Stellen bekommen, so werden letztere durch Pfropfen von Holz, mit Werg umzogen, verstopft.
[13] Ein gemauerter Raum im Hafen, zum Ausbessern leck gewordener Schiffe.
[14] Klar nennt man das Tauwerk, wenn es unverworren, nicht verwickelt ist, den Anker aber, wenn er dergestalt in Ordnung liegt, daß man alsbald die Parturlinie losmachen, und den Anker fallen lassen kann, auf daß er Grund fasse.
[15] Im Spanischen das, was auf andern Schiffen der Bottelier heißt; der Aufseher über die Lebensmittel, Magazine.
[16] Schiffslieutenant.
[17] Die platte dreieckige Spitze des Ankerarms.
[18] Seefüßig seyn, heißt, den Seedienst gewohnt seyn, und selbst beim Schlingern des Schiffes, am Tauwerk auf- und abklettern zu können.
[19] Die Tiefe und Beschaffenheit des Meergrundes durch das Loth zu untersuchen.
[20] Scharfer Grund besteht aus spitzigen Klippen, und ist darum dem Kabeltau gefährlich. Die Griechen nannten unser Kabeltau, Kamelos. Die Stelle im Evangelisten Matth. „Es ist leichter, daß ein Kameel durch ein Nadelöhr gehe“, ist daher wohl falsch übersetzt, und sollte eigentlich heißen: es ist leichter, daß ein Kabeltau (ein Ankertau) durch ein Nadelöhr gehe etc.
[21] Unbeständiger, aus Triebsand bestehender Grund.
[22] Vor dem Winde segeln heißt, den Wind so hinter sich haben, daß er gerade in die vollen Segel bläs’t.
[23] Ein bei Seeleuten übliches Sprichwort, welches so viel sagt, als, das Schiff fährt sich gut.
[24] Eine Art sehr heftiger Wirbelwind.
[25] Ein ungeheurer Eisberg am Nordpol.
[26] Gegohrner Saft von Agaven, den die mexikanischen Indianer wegen des leichten Champagner-Rausches, den er bewirkt, ungemein lieben. Die Franzosen nennen das Getränke Pulgue de Maguay.
[27] Ein Piaster ist ungefähr 1½ Thaler werth.
[28] Man findet daselbst Stücke reines, gediegenes Gold, von denen ein einziges 50 Pfund und oft noch mehr, wiegt.
[29] Ein im Seerechte gebräuchliches Wort, das einen Menschen bezeichnet, der sich durch allerlei Winkelzüge, einen schlechten Namen gemacht hat.
[30] Die Volcantitos in Goldcastilien.
[31] Anacardium caracoli erreicht gewöhnlich die Höhe von 350–380 Fuß.
[32] Ein solches Vermögen in der Hand eines Privatmannes kann nur denen fabelhaft klingen, welche von den, in den Gegenden von Mexiko, Lima und Peru heimischen Reichthümern keinen Begriff haben.
Um ungefähr eine Idee von dem zu geben, was man, in jenem Mutterlande der Gold- und Silberschätze, Wohlhabenheit nennt, darf ich nur anführen, daß in der Nationalgarde zu Lima, keiner aufgenommen wird, welcher nicht ein baares Vermögen von 4 Millionen Piaster (6 Millionen Thaler) nachweisen kann, und daß dieses respectable Corps, im Jahre 1804, aus 386 Mann bestand.
[33] Unstreitig eine der schönsten Blumen der amerikanischen Flora.
[34] Im Gouvernement Atacames im obern Peru. Die dortigen Smaragdgruben sind vielleicht die reichsten der ganzen Welt.
[35] „Fallt auf’s Fallreep.“ Dieß ist eine der größten Ehrenbezeigungen, zu der die Mannschaft nur beordert wird, wenn sehr vornehme Personen an Bord eines Schiffs kommen.
[36] Das Tau, welches an beiden Seiten der Treppe befindlich ist, um sich beim Hinaufsteigen daran zu halten.
[37] Am Fallreep befinden sich in einer Entfernung von einem Fuß, kleine Knöpfe oder Knoten, um sich besser am Tau halten zu können; man nennt einen solchen Knopf bei manchen Völkern auch Maus, Stegmaus, bei den Spaniern Barrilete de estay.
*die nach dem Capitain folgenden Offiziere auf einem Kauffahrteischiffe.
[41] Auch Malte-Brün beurkundet in seinem neuesten Gemälde von Amerika (Buch 9.) daß die schöne, zu Cortez Zeiten übliche Gewohnheit, einen Blumenstrauß, als das köstlichste Geschenk anzusehen, das man einem verehrten Gaste überreichen kann, sich in Mexiko und Guatimala, noch bis auf den heutigen Tag unter den Indianern erhalten habe.
[42] Bekanntlich verehren die Mexikaner unter diesem Namen Sonne und Mond, als ihre einzigen Gottheiten.
[43] Hauptspaziergang.
[44] Ein Schiff nennt man rank, das sich, weil es im obern Raum überladen ist, leicht auf die Seite neigt.
[45] Unweit Santa-Fe.
[46] Bananas, und Paradiesfeigenbaum und Pisang, ist ein und dasselbe. Ein einziger Zweig hat oft 200 Früchte, und wiegt 80–90 Pfund.
[47] Ich bin mit dem ganzen Schiff zum Abgehen in völliger Bereitschaft.
[48] Die Kammer in einem Schiffe, welche statt des Kellers und Speisegewölbes dient.
[49] Die Schiffsküche.
[50] Das auf spanischen Schiffen gewöhnliche Kommando, die Anker zu lichten.
[51] Der Befehl, die Segel beizusetzen.
[52] Einige Stunden von diesem Hafen liegt Lima.
[53] Die bekannte Heilwurzel Jalapa hat von dieser Stadt ihren Namen.
[54] Rings um Vera-Cruz sind die Ebenen mit brennendem Flugsande bedeckt, der die hier ohnehin heimische Hitze fast unerträglich macht, und in Verbindung mit dem stehenden Wasser des Baxio de la Tembladera die hier ewigen Wechselfieber und das gefährliche Vomito prieto (schwarze Erbrechen) verursacht.