The Project Gutenberg eBook of Jacobine von Baiern Gräfin von Hennegau, Holland, Friesland und Zeeland

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Title: Jacobine von Baiern Gräfin von Hennegau, Holland, Friesland und Zeeland

Author: Gottlob Heinrich Heinse

Release date: June 30, 2017 [eBook #55013]
Most recently updated: October 23, 2024

Language: German

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Staatsbibliothek / Bavarian State Library.)

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK JACOBINE VON BAIERN GRÄFIN VON HENNEGAU, HOLLAND, FRIESLAND UND ZEELAND ***

Anmerkungen zur Transkription

Der vorliegende Text wurde anhand der 1791 erschienenen Buchausgabe so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Dies gilt insbesondere für eine Vielzahl altertümlicher Ausdrücke in unterschiedlichen Schreibweisen, welche nur dann harmonisiert wurden, wenn eine Variante im Text mehrmals auftritt, die andere dagegen nicht mehr als einmal. So werden etwa Wörter, die die Buchstabenkombination ‚tz‘ enthalten, in mehreren Schreibweisen gleichberechtigt verwendet (z.B. ‚setzen‘, ‚sezen‘ oder ‚sezzen‘). Oftmals wird ‚wann‘ für ‚wenn‘ verwendet; auch dies wurde so belassen, soweit der Sinn erkennbar bleibt. Personen- und Ortsnamen wurden nicht in deren heute üblichen Schreibweisen übertragen.

Wie in der damaligen Zeit üblich, folgt auf Kardinalzahlen oft ein Punkt, auf Ordinalzahlen aber nicht; umgekehrt wie in den heutigen Rechtschreibregeln festgelegt. Diese Regel wurde im Original zwar nicht konsequent eingehalten, eine Harmonisierung erfolgte im vorliegenden Text dennoch nicht.

Korrekturen aus der Liste der ‚Druckfehler‘ am Ende des Buches wurden bereits in den Text eingearbeitet. Offensichtliche typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert.

JACOBINE
von
BAIERN
GRÄFIN VON HENNEGAU,
Holland, Friesland und Zeeland.

Eine vaterländische Geschichte aus dem fünfzehenden Jahrhundert.

Verlagssignet

Frankfurt
bei Johann Daniel Knoop

1791.

IHRO KÖNIGLICHEN HOHEIT

DER

PREISWÜRDIGSTEN

STATTHALTERIN

BELGIENS

FRIEDERIKE SOPHIE WILHELMINEN

unterthänigst gewidmet.

Da Tausende, die DEINER Huld sich freu’n,
Von Dank durchglüht, DIR reichen Weihrauch streu’n,
Leg ich auf den Altar
Ein Blümchen hin. — Nimms gnädig an,
Erhabenste! ich gebe, was ich kann
Und brings voll Ehrfurcht dar.
Jordan.

[S. 5]

Dekoration zum Vorbericht

Vorbericht.

Ob zwar die Begebenheiten einer Fürstin, die vor mehreren Jahrhunderten gelebt hat, eben die Neuheit nicht haben, auch denen, die nur einigermaßen in der Geschichte älterer Zeiten bewandert sind, bekannt sein werden; so scheinen sie mir doch, besonders bei jezigen, in den befragten Ländern herrschenden Unruhen, interessant genug, aus verschiedenen Bruchstücken und einer französischen Handschrift einen Auszug zu[S. 6] verfertigen und solchen zum Druck zu befördern. Wollte man diese Geschichte ganz zum Roman bilden, so lies sie sich freilich viel weiter ausdehnen; allein in solchem Fall müste nothwendiger Weise oft von der Wahrheit der Sache selbst abgewichen werden. Auch hätte ich um der Geschichte einen glänzendern Anstrich zu geben, sie mit Turniren, Bällen und andern dergleichen galanten Lustbarkeiten ausschmücken können; allein eine Fürstin, deren Leben durch so viele und anhaltende Widerwärtigkeiten vergället war, konnte wenig an dergleichen Ergözlichkeiten denken. Ausserdem glaub ich dem Leser einen Gefallen zu thun, wenn ich diese Tändeleien, so wie den verliebten Stil ganz weglasse und nur buchstäblich bei der Geschichte bleibe. Ueber die vier Gemahle, die meine Heldin[S. 7] theils aus Gehorsam, theils aus Schwachheit, genommen hat, wird sich freilich manche Spröde ärgern; indessen wenn sie die unglükliche Verfassung, in der sie sich befand, genau erwegen, werden sie gewis nicht so streng in ihrer Beurtheilung sein; dann sie war von ihrer eigenen Mutter verlassen; auf Veranlassung der Päbste muste sie Fehler begehen, die einigermaßen gegen den Wohlstand stritten, und bei ihren stetigen Widerwärtigkeiten konnte sie sich bei niemanden Raths erholen. Ob man ihr freilich manchen Vorwurf machen kann, so ist sie doch nichts destoweniger auf der andern Seite so viel mehr zu bedauern. Sie besas sehr viel gute Eigenschaften, und hatte die gerechtesten Ansprüche auf ein glänzendes Glück. Diese Vortheile aber vermochten nicht, sie für dem empfindlichsten[S. 8] Elend zu schüzen, und ihre grossen und vielen Widerwärtigkeiten beweisen, welch vergängliche Dinge, Ehre, Reichthum und Schönheit in der Welt sind.

Homburg vor der Höhe
im Heumonat 1790.

Der Verfasser

[S. 9]

Dekoration zum Vorbericht

Jacobine von Baiern.

Da öfters Menschen von reifern Jahren ihre Handlungen mit wenig Vorsicht und Klugheit unternehmen und verrichten, so ist es nicht zu verwundern, daß junge, von aller Erfahrung noch entblößte Menschen in diese Fehler verfallen. Die täglichen Beispiele beweisen solches zur gnüge; allein gewisse Fehler, die aus jugendlicher Unbedachtsamkeit begangen werden, lassen sich um so viel mehr entschuldigen, weil das Herz keinen Antheil daran hat, und man also der Tugend nicht ganz entsaget.

Die Heldin, deren merkwürdige Begebenheiten hier vorgetragen werden, war eine der, sowohl durch Verdienste als häufige Unglücksfälle berühmten Prinzeßinnen jener Zeiten, in welchen tugendhafte Handlungen noch unter dem Joch der Barbarei lagen. Ihre erhabene Geburt, ihre ausserordentliche Schönheit, und[S. 10] über dieses alles, ihr erleuchteter Geist, zeichnete sie vor allen andern ihres Geschlechts aus. Ihr Betragen mit dem strengen Richterauge betrachtet, solte man urtheilen, daß Liebe und Unbeständigkeit bei ihr Fehler des Temperaments waren, allein untersucht man ihre Handlungen, so wird man finden, daß sie weit mehr wegen ihres vielfältigen Unglücks zu bedauern als zu schelten war.

Jacobine, Prinzeßin von Baiern und Gräfin von Hennegau, war die einzige Tochter und Erbin Wilhelms des IV. von Baiern, Grafen von Hennegau, Holland, Friesland und Zeeland, und der Margaretha Herzogs Philipp des Kühnen von Burgunds Tochter, Uhrenkelin Kaiser Ludwig des V. von welcher sie 1401. gebohren ward. Ihre erhabene Geburt und der Glanz ihres Hausses, veranlaßten, daß die mächtigsten Fürsten, sich schon in ihrer zarten Jugend um sie bewarben. Karl VI. König von Frankreich, gab sich für seinen Sohn Johann, Dauphin von Vienois, um ihren Besiz besonders viele Mühe, und die Verlobung erfolgte auch wirklich im Jahr 1406. da Jacobine erst fünf und der Dauphin, der 1398. gebohren, acht Jahr alt war. Ob nun gleich die förmliche Vermählung weit hinaus gesezet wurde, so betrachtete man doch[S. 11] Jacobine von Stund an, als Königin von Frankreich, und erwies ihr gleiche Ehrerbietung. Der König von Frankreich stund mit dem Grafen von Hennegau in dem besten Einverständnis, allein der Dauphin und seine Braut, kannten sich nur daher, daß man öfters von dieser Verlobung in ihrer Gegenwart sprach.

Da nun die Liebe an diesem Bündnis keinen Antheil hatte, so wollte sie bis zur Vollziehung der Vermählung dennoch nicht unthätig bleiben, sondern ihre gewöhnliche Streiche spielen. Johann von Burgund, Herzog von Brabant, der wenig Geist aber desto mehr Ehrgeiz besaß, nahm auf einige Zeit seinen Auffenthalt zu Bergen. Da Jacobine und er leibliche Geschwisterkinder waren, berechtigte ihn dieses, den beständigen Zutritt bei ihr zu haben. Die Gräfin von Hennegau liebte ihn als ihr eigenes Kind, weil er der Sohn ihres Bruders war, und sie hätte daher sehr gewünscht, daß die beträchtlichen Güter ihrer Tochter lieber ihm als dem Dauphin zugefallen wären.

Der Herzog von Braband war eines ziemlich guten Ansehens, und dabei sehr reich; allein sein Verstand war eingeschränkt, und er hatte einen so wunderlichen Sinn, daß auch die Allernachgiebigsten mit ihm nicht auskommen[S. 12] konnten.[A] Dem ohnerachtet verliebte er sich auf das heftigste in Jacobinen; allein seine Leidenschaft hatte nicht jene zärtliche Empfindungen, die vermögend sind, das Herz des Gegenstandes zu rühren.

Um diese Zeit 1407 ereigneten sich in Frankreich Vorfälle von grosser Wichtigkeit für das Haus Burgund. Ludwig, Herzog von Orleans, hatte sich die Schwachheit seines Bruders, des Königs Karl, zu Nuze gemacht, und durch einen Anhang von mehr als sechshundert Edelleuten sich fast der gänzlichen Regierung bemächtiget. Dieses erwekte Eifersucht bei dem Herzog Johann von Burgund, der gleichfalls Antheil an der Regierung haben wollte. Ob nun gleich diese Zwistigkeiten durch Vermittelung ihres Oheims, des Herzogs Johann von Beri, waren beigelegt und beide Prinzen vereiniget worden; so lies doch Johann von Burgund den Herzog von Orleans den 23ten Nov. bei der Pforte Barbette in Paris meuchelmörderischer Weise umbringen.[B]

[S. 13]

Die hinterlassene Gemahlin und Kinder des Herzogs von Orleans suchten diesen Mord zu rächen; der Herzog von Burgund der sich nach Flandern geflüchtet hatte, vertheidigte sich schlecht, und die Gräfin von Hennegau, seine Schwester, war natürlicher Weise auf seiner Seite. Da aber der König von Frankreich die Anverwandten der Dauphine schonen wollte, trieb er diese Sache nicht eifrig, sondern wünschte einen Vergleich.

Der junge Herzog von Brabant und Jacobine, die noch keinen Antheil an diesen Zwistigkeiten nehmen konnten, vertrieben sich die Zeit während man am Hof Karls VI. von nichts als Blut und Mord sprach, mit unschuldigen Spielen. Denn nachdem der Herzog von Burgund dem Bischof zu Lüttig, Johann von Baiern, gegen seine aufrührerische Unterthanen beigestanden, und diese vor Mastricht den 23ten Sept. 1408. geschlagen und vertrieben hatte, kam er mit gewafneter Hand nach Paris, vertheidigte sein Verbrechen, zog während der Schwachheit[S. 14] des Königs[C] die ganze Regierung an sich, verübte grosses Unheil im Königreich, und entzündete[S. 15] dadurch den noch unter der Asche glimmenden bürgerlichen Krieg an allen Enden des Königreichs.[D]

Ob nun gleich der junge Herzog von Brabant Jacobinen auf das heftigste liebte, hatte sie doch nicht die geringste Gegenliebe noch Neigung zu ihm. Alle seine Tritte misfielen ihr; denn in allen seinen Handlungen herrschte ein so albernes Wesen, das ihn ihr unerträglich machte. Jacobine wurde nicht anderst als mit dem Namen Dauphine benennt, daher erwies[S. 16] man ihr auch, als der Gemahlin des zukünftigen Thronfolgers eines mächtigen Königreichs die gebührende Ehrerbietung, und ihre guten Eigenschaften verdienten auch dieses hochachtungsvolle Betragen.

Der Graf von Hennegau bemerkte durch seine Scharfsichtigkeit die Leidenschaft des Herzogs von Brabant leicht. Er sagte daher eines Tages zu seiner Gemahlin: Ich fürchte, diese jungen Leute, die nicht für einander bestimmt sind, dürften am Ende zu vertraut miteinander werden; ich ersuche Sie also, nöthige Maasregeln zu nehmen, damit diese Vertraulichkeit nicht zu weit gehe. Sie wollen, antwortete die Gräfin, Sachen sehen, die mir gar nicht bedenklich scheinen; und wie können Sie begehren, daß Kinder, die Blutsfreunde sind, sich einander gleichgültig begegnen sollen? Glauben Sie mir diese Art angenommener Vertraulichkeit, führt öfters weiter als man glaubet. Ihre Tochter gehöret weder Ihnen, mir, noch sich selbst mehr; ich verlasse mich auf Ihre Klugheit und beschwöre Sie, alle Sorgfalt zu gebrauchen, ihre Aufführung zu beleuchten, damit mir kein Verdruß daraus erwachse. Aber Graf! was wollen Sie daß ich thun soll? antwortete sie, und was kann ich desfalls zwei noch unschuldigen[S. 17] Kindern verständliches sagen? Sie glauben sie unschuldiger als sie würklich sind, fuhr der Graf fort; denn, obgleich der Herzog von Brabant keinen glänzenden Verstand hat, ist er doch der Liebe fähig; meine Tochter hat schon zu viel Geist, und ich würde verzweifeln, wenn ihr Jemand Empfindungen beibrächte, die sie einzig und allein gegen den Dauphin haben soll. — Ihre Vorsicht scheinet mir ganz unzeitig zu sein, erwiederte die Gräfin; jedoch um Sie zu befriedigen, will ich das Betragen meiner Tochter und meines Neffen genau beobachten; allein, in Wahrheit! ich wünschte nicht, daß man Ihr Mistrauen und Ihre unnüze Vorsicht gewahr würde. — Thun Sie nur was ich begehre, schloß der Graf, und sein Sie unbekümmert, was andere seltsames in meinem Betragen finden mögen.

Nach dieser Unterredung gieng die Gräfin in der Dauphine Zimmer, die man eben ankleidete. Sie sahe heute ausserordentlich schön aus, und der Herzog von Brabant betrachtete sie mit solcher Aufmerksamkeit, daß er die Ankunft der Gräfin von Hennegau kaum gewahr wurde. Sie scheinen mir sehr tiefsinnig zu sein, Herr Herzog! redete sie ihn an; haben Ihnen Ihre[S. 18] Lehrer eine so wichtige Lexion aufgegeben, oder Sie angewiesen, Betrachtungen über die Frau Dauphine zu machen? Ich finde meinen Vortheil besser ihre Reize zu bewundern, erwiederte er, als ein unnüzes Thema auszuarbeiten, und hierinn ist mein Herz allezeit mit meinen Augen übereinstimmend. Die Gräfin verwundert über diese Erklärung, antwortete: Da Sie die Dauphine nicht ewig beschauen können, rathe ich Ihnen sich in Zeiten und nach und nach an ihre Abwesenheit zu gewöhnen; denn es ist nicht wahrscheinlich, daß Sie dieselbe nach Paris begleiten werden. Gehet sie ohne mich dahin, äuserte der Herzog weiter, so muß ich sterben; warum haben Sie sie dem Dauphin versprochen, der sie nicht kennt und der sie nie so inbrünstig, wie ich lieben wird? — Ihre kleine Thorheit kann groß werden, erwiederte die Gräfin; Sie werden nicht mit nach Frankreich gehen; denn Sie müssen notwendiger Weise in Ihren Staaten zurück bleiben. — Ha! ich werde sicher dahin gehen, rief er aus, und sollte es nur sein um den Dauphin zu bekriegen. Mit diesen Worten entfernte er sich, und die Gräfin sahe nur zu gut ein, daß ihres Gemahls Furcht gegründet war. Sie redete hierauf die Dauphine folgender Weise[S. 19] an: Gefällt Ihnen der Herzog so gut wie Sie ihm zu gefallen scheinen, und würden Sie es gerne sehen, wann er die Waffen gegen Ihren Gemahl ergriffe? Lachend antwortete die Prinzessinn ich schäzze den Herzog als einen Blutsfreund von Ihnen, und weil Sie ihm besonders gewogen sind; allein da ich dem Krieg feind bin, würde es jederzeit gegen meinen Willen sein, er möge auch bekriegen wen es seie. Begegnen Sie ihm nicht streng, sezte die Gräfin hinzu; allein lassen Sie sich nicht zu vertraut mit ihm ein. Die Dauphine versicherte, daß sie diesem ohne Zwang folgen werde, und daß sie bis jezt noch nichts empfunden hätte, das ihrer Schuldigkeit entgegen wäre. Ohnerachtet nun die Gräfin von Hennegau durch diese Unterredung von der Leidenschaft des Herzogs überzeugt war, wollte sie doch ihrem Gemahl nicht eingestehen, daß er recht geurtheilt habe.

Die Dauphine, die nunmehr heranwuchs, ward von Tag zu Tag reizender, und desfalls allgemein bewundert. Die Leidenschaft des Herzogs von Brabant nahm, wegen der beständigen Gegenwart eines so liebenswürdigen Gegenstandes, immer mehr zu; allein sein von Natur widriges Betragen, leistete ihm in seinen jugendlichen[S. 20] Begierden bei dieser zärtlichen, doch lebhaften Prinzeßin, schlechte Dienste. Er sprach viel, allein die Gaben des Ausdruks fehlten ihm. Mit ausserordenrlichem Vorurtheil von sich war er eingenommen, und doch beobachtete man an ihm nichts, als ein hochmüthiges und widerwärtiges Betragen.

Der Graf von Hennegau, den seine Gemahlin endlich die Leidenschaft des Herzogs eingestanden hatte, fand für nöthig, da die Zeit sich nahete, wo seine Tochter dem Dauphin zugeführt werden sollte, den Herzog von Brabant zu entfernen. Er veranstaltete daher seine Zurückberufung. Bei dieser Gelegenheit verübte dieser junge Liebhaber die ausschweifensten Thorheiten. Er weinte, man muste ihn mit Gewalt fortbringen; ja! seine Wuth brach sogar in Vorwürfe und Drohungen aus. Der Gräfin, die ihn bedauerte, gieng es sehr zu Herzen; allein die Dauphine blieb ziemlich gelassen, und man sahe wohl, daß sie keine Gegenneigung für ihren Vetter hatte.

Die Zwistigkeiten zwischen dem Herzog von Burgund und dem Prinzen von Orleans dauerten beständig fort; jenes Verbrechen erweckte Grausen und Empfindungen des Mitleidens bei den Theilnehmenden. Der König, der[S. 21] zum strafen zu schwach war, und sowohl den Beleidiger als die Beleidigten schonen wollte, blieb saumselig, den Mord seines Bruders zu rächen und hielte seine Neffen nur mit eitlen Vertröstungen auf.

Endlich nahete die Zeit, wo die Dauphine ihrem Gemahl zugeführt werden sollte. Der Graf und die Gräfin von Hennegau, die grosse Neigung zur Pracht hatten, verschaften ihr einen glänzenden Hofstaat; und Jacobine, die nun an einem der glänzenden und artigsten Höfen Europens auftreten sollte, verabsäumte keine Mittel, die ihre natürliche Schönheit noch besser erheben konnten. Man hatte zu ihrem Gefolg verschiedene der schönsten Fräuleins ernannt; unter solchen war eine mit Namen von Degre ihre vertrauteste, und dieser waren die grösten Geheimnisse der Prinzeßin nicht unbekannt. Also Madame! sagte sie einige Tage vor der Abreise zu ihr, werden Sie in kurzem dem Dauphin zugehören, und der arme Herzog von Brabant wird in Verzweiflung fallen. Sein Temperament ist nicht so heftig, antwortete die Dauphine; sein Leichtsinn der mir bekannt ist, wird seine erste Neigung durch neue Gegenstände leicht unterdrücken und ihn heilen, und ich versichere dich, daß er mich jezt schon vergißt. — Dieser[S. 22] Meinung bin ich nicht, Madame! erwiederte von Degre; allein das kann ich mit Zuverlässigkeit versichern, daß, da ich so grossen Antheil an allem was Sie betrift nehme, mir auch alle, die Sie lieben, nicht gleichgültig sein können. — Um Dich wegen dieser guten Empfindungen zu belohnen, erwiederte die Dauphine scherzend, wünscht ich, daß Du die unumschränkteste Beherrscherin des Herzog von Brabant wärest, und mit Vergnügen würde ich Dich Rang und Glük mit ihm theilen sehen. Das Erröthen der von Degre überzeugte die Dauphine, daß ihr dieser Wunsch nicht misfiel; allein jene stellte sich ganz schamhaftig und antwortete der Dauphine: Sie spotten meiner Madame! übertriebener Eifer ziehet mir diese Beschämung zu; ich weis meine Hofnungen besser einzuschränken, und die von Degre haben keine vornehme Ketten genug um Herzoge von Brabant zu fesseln. — Nun gut Thörin! fuhr die Dauphine fort, Du magst böse oder nicht böse sein, nichts destoweniger war es mein völliger Ernst, wenn ich wünschte, daß Du eine Fürstin und meine Anverwandtin würdest. Und ich Madame! sezte von Degre Hinzu, wünsche, daß Sie im Besiz des Dauphins, zu einer der glücklichsten, da Sie schon eine[S. 23] der vollkommensten in der Welt sind, werden mögen.

Endlich trat die bestimmte Zeit (1417) ein, in welcher die Dauphine ihrem Gemahl zugeführt werden sollte. Der Graf und die Gräfin von Hennegau begleiteten sie nach Compiegne, wo ihrer der Dauphin erwartete. Die Zusammenkunft dieses jungen Paars, war zwar nicht ausserordentlich feurig; allein doch nicht ganz gleichgültig. Der Dauphin war liebenswürdig und die Prinzeßin, seine Braut, besaß unzählbare Reize. Die Königin von Frankreich, unter Begleitung des Herzogs von Tourraine, ihres Sohnes, des Herzogs von Britanien, und mehrerer Prinzen empfingen sie zu Senlis. Das beiderseitige Vergnügen wurde durch vielfältige Veränderungen in Lustbarkeiten gefeiert, über welche die Dauphine viel Zufriedenheit bezeugte. Die Königin und die Gräfin erwiesen sich gegenseitige Freundschaft,[E] und nachdem man[S. 24] verschiedene Tage in Fröhlichkeit zugebracht hatte, gieng die Königin zurück nach Paris, der Dauphin mit seiner Gemahlin nebst der Gräfin ihrer Mutter aber nach Compiegne. Der Graf von Hennegau, der, wichtiger Angelegenheiten wegen, nach Paris gegangen war, entfernte sich, auf gewisse Warnungen, die man ihm eines Verdachts wegen beibrachte, gleich wieder. Da er nun durch die Heirath seiner Tochter sich den Dauphin ganz eigen gemacht hatte, gieng er mit der Hoffnung, ganz seine Absichten zu erreichen, zu ihm nach Compiegne; allein das Verhängniß drohete Frankreich und dem Grafen von Hennegau mit grossen Unglücksfällen. Bei seiner am 5ten April erfolgten Ankunft, fand er den Dauphin an einem vorgeblichen Halsgeschwühr in den lezten Zügen liegen, welcher gleich hernach seinen Geist aufgab, und durch diesen unerwarteten Todtesfall verschwanden zugleich alle weitere grosse Aussichten für den Grafen von Hennegau. Traurig und schmerzhaft für beide Familien, war[S. 25] dieses Absterben, das ganz Europa in Verwunderung sezte. Die Dauphine, deren Schmerz um so grösser war, da sie wirklich anfieng ihren jungen Gemahl zu lieben, gieng, statt nach Paris, mit ihrer Mutter zurück nach Bergen. Der Dauphin wurde ganz stille und eiligst in der Abtei Cornelien zu Compiegne begraben, welches den Verdacht seines schleunigen Todes um so mehr bestätigte; wie dann auch niemand zweifelte, daß er durch geheime Cabale des Herzogs von Brabant sei hingerichtet worden.

Des Glückesunbestand hatte Jacobine, zu einem denkwürdigen Bild des Leidens bestimmt; auf diesen Verlust erfolgte gleich ein, für sie noch weit schmerzhafter Schlag. Denn er legte den Grund zu allen ihren künftigen Widerwärtigkeiten. Der Graf von Hennegau ihr Vater, der durch den Tod des Dauphins schmerzlich gerührt war, wollte in der Einsamkeit einige Linderung suchen. Er gieng desfalls nach Bouchain; allein statt dessen, vermehrte sich vielmehr seine Betrübnis dergestalt, daß er wenige Tage nach seiner Ankunft starb. Sein Leichnam wurde in die Franziskaner-Kirche nach Valencienes gebracht. Durch diesen Tod war nun seine Gemahlin eben so, wie seine Tochter zur Wittwe geworden. Jacobine, die einzige und rechtmäßige[S. 26] Erbin aller seiner Staaten, wollte solche daher, und vermöge ihrer Gerechtsame, in Besiz nehmen; sie fand aber an Johann von Baiern, Bischoffen zu Lüttig, ihrem Oheim, unter dem Vorwand einer ungleichen Theilung der Verlassenschaft seines Vaters, des Herzog Albrechts von Baiern, einen heftigen Widerstand und Verfolger. Dieser Johann von Baiern, der den Bischofsstaab niedergelegt und sich mit der Wittwe, Anton Herzogs von Brabant, Bruders des Herzogs von Burgund, verheurathet hatte, machte nunmehr seine Ansprüche mit dem Schwerd gegen seine Nichte geldend.[F] Die Verlegenheit, in welche[S. 27] diese beiden Wittwen hierdurch versezt wurden, war nicht gering. Um aus derselben zu kommen war ein kräftiger Vorstand nöthig; die Gräfin von Hennegau war daher bedacht, solchen durch eine andere Verheirathung ihrer Tochter zu verschaffen. Sie hatte den Herzog von Brabant immerfort auf das zärtlichste geliebt. Bewust war es ihr, daß seine Liebe zu Jacobinen noch nicht erloschen war. Er war ihr Anverwandter, und stand wegen seines grossen Reichthums in gewissem Ansehen. Dieses alles, und da sie ausserdem noch glaubte, sich ihm gefällig zu erzeigen, bewog sie, ihm ohnverzüglich den Antrag zu thun. Entzückend nahm er ihn an; und da die Gräfin von dieser Seite gesichert war, fehlte nichts weiter, als ihrer Tochter gleiche Gesinnungen beizubringen; sie verabsäumte daher nicht, sie auf das schmeichelhafteste zu bereden. Sie sehen, sagte sie zu Jacobinen, in welchen Abgrund von Verlegenheiten und Unruhe der Bischoff von Lüttig uns stürzet; sein Verfahren wird uns unglücklich machen, wo nicht gar, ganz unterdrücken; durch des Dauphins Tod[S. 28] sind Sie frei; Sie können daher einen andern Gemahl wählen, und sehr würden Sie mich verbinden, wenn ihre Wahl auf den Herzog von Brabant fiel. Die Begierde, Ihnen gefällig zu sein, ist meine Hauptbestrebung, erwiederte Jacobine; allein Madame! welche Hülfe können Sie von einem jungen, unerfahrnen Mann, wie der Herzog ist, erwarten. Seine Geistesgaben sind ausserdem sehr eingeschränkt; aufrichtig gesteh’ ich und bin dessen überzeugt, daß unsere Angelegenheiten unter einer dergleichen Leitung schief gehen würden. Ausserdem sind wir zu nahe verwandt, als daß wir uns ohne Erlaubnis und Einwilligung der Kirche ehelich verbinden könnten. Ist es dann unumgänglich nöthig, daß ich mich verehliche? Der Dauphin und mein Vater haben kaum die Augen geschlossen; unsere Thränen rinnen noch, und Sie denken schon an ein Eheverlöbnis. Ich muß gestehen, erwiederte die Gräfin, daß alle Ihre so eben gemachte Einwendungen den Schein einiger Wahrheit haben; allein ob solche in unserer izigen Lage der Staatsklugheit gemäß sind, ist eine andere Frage. Der Herzog von Brabant muß einzig und allein nach unserm Rath und Willen handlen; je weniger er aus selbst eigener Gewalt und Einsicht auszurichten vermag,[S. 29] desto mehr bleibt er uns unterwürfig. Urtheilen Sie selbst nach dem Betragen des Bischoffs von Lüttich, ob es rathsam sei, sich mit ehrsüchtigen und unternehmenden Fürsten in solchen Fällen einzulassen..... Aber Madame! unterbrach Jacobine, wann ich mich mit Ihrer Erlaubnis freimüthig erklären darf, muß ich gestehen, daß es ein trauriger Zustand ist mit einem fast blödsinnigen Menschen, der nichts aus eigenem Verstand unternehmen kann und doch seinen Leidenschaften ergeben ist, Zeitlebens verknüpft zu sein. Alle das hieraus entstehende Ungemach und die Schande würde auf mich fallen; ich beschwöre Sie daher, in dieser Sache meinem Gehorsam keinen weiteren Zwang anzulegen. Sie werden beleidigend, Madame! erwiederte die Gräfin weinend. Wie! weil Sie der Herzog von Brabant aufrichtig liebte, weil er mehr zärtlich als lebhaft in der Liebe war, betrachten Sie ihn, — mich dieses Ausdrucks zu bedienen — wie ein unvernünftiges Thier, und urtheilen das Schimpflichste von ihm. Mus man eben albern sein, Ihre Verdienste schäzen zu können? Haben Sie etwas mehr Erkenntlichkeit gegen seine ersten und reinen Triebe, und denken weniger an sonstige gute Eigenschaften, die er Ihrem Vorgeben nach[S. 30] haben sollte. Die Kirche wird keinen Anstand nehmen, und ohne grosse Schwierigkeiten kann man sie zur Einwilligung bringen; — Wir haben tausend Beispiele von dergleichen Ehen. — Hierauf umarmte sie ihre Tochter, die die Achseln zuckte, und wohl einsahe, daß sie am Ende ihrer hartnäckigen Mutter den Willen thun, und sich ihrem Eigensinn aufopfern müste.

Da die Gräfin von Hennegau ihre Tochter etwas nachgebender sahe, verabsäumte sie nicht, die nöthigen Maasregeln auf Seiten des Herzogs von Brabant zu nehmen. Da er Jacobinen noch heftig liebte, war ihm die Nachricht, daß er noch zu ihrem Besiz gelangen könnte, auch sehr willkommen. Man veranstaltete zu Bergen alles zu seinem Empfang; und die junge Fürstin, die wohl einsahe, daß sie, ohne sich mit ihrer Mutter ganz zu entzweien, nicht anderst konnte, bereitete sich allmählig auch hierzu. Die von Degre, die den Herzog von Brabant so bedauert hatte, da Jacobine dem Dauphin zugeführet wurde, schien, da nun diese Heirath beschlossen war, dieser Fürstin nicht freudig genug darüber zu sein. Wie! von Degre! sagte sie, Du läßt wenig Vergnügen blicken, daß ich deinen guten Freund heirathe; denn[S. 31] nachdem Du mir sonst so vieles zu seinem Vortheil gesagt hast, scheinest du mir jezo eben so traurig als damals, wie ich mich mit dem Dauphin vermählte. Ich nehme dennoch grossen Antheil an dem Glück, das ihm wiederfähret, erwiederte von Degre; allein Madame! würden Sie es jezt gerne sehen, daß ich den kleinsten Plaz seines Herzens einnehme? Ich muß gestehen, antwortete die Fürstin, daß, da er mein Gemahl werden soll, sähe ich nicht gerne, daß er zugleich eine andere liebte; und lächelnd sezte sie hinzu, glaube ich nicht, daß sein Herz von so grossem Werth ist, daß zwei sich darin theilen könnten. Sie verdienen es auch gewis allein zu besizen, antwortete von Degre, und ich bin überzeugt, daß er keiner andern Raum in demselben verstatten wird. Sie sehen jezt, Madame! wie grosse Ursache ich hatte, für ihn zu sprechen, da ihn der Himmel für Sie bestimmt hat. Er kann dir selbst für diese geneigte Gesinnungen Dank abstatten, schloß die Fürstin, und ich werde mir angelegen sein lassen, ihn von Deiner guten Meinung zu überzeugen.

Ob sich nun gleich der Bischoff von Lüttig, unter Begünstigung Kaiser Sigismunds, dieser Heirath mit aller Gewalt widersezte, gab demohnerachtet doch das Konsilium zu Costanz[S. 32] die Einwilligung und Dispensation. Bei der Ankunft des Herzogs von Brabant in Bergen, sahe man unmäßige Freude aus seinen Augen funkeln. Er war jung und wohl gestaltet; Pracht herrschte in seinem ganzen Gefolg. Dieses und das Vergnügen, das man ihm ansahe, unterdrückte, oder verbarg wenigstens in etwas seine Verstandesfehler. Gleich nach seiner Ankunft veranstaltete die Gräfin von Hennegau das Beilager, das sie so sehnlichst gewünscht hatte. Viele Standspersonen und der ganze Adel des Landes wohnten der Feierlichkeit bei; und obgleich Jacobine, mit Widerwillen und nur aus Gefälligkeit für ihre Mutter, diesen Schritt gethan hatte, sahe sie doch bei dieser Gelegenheit reizender als jemals aus. Der Herzog von Brabant hatte daher Ursache, in ihrem Besiz alle Leiden, die er zu der Zeit, da er ohne Hofnung liebte, erduldet hatte, zu vergessen.

Gleich nach den Feierlichkeiten wurde an einem Vergleich zwischen Jacobinen und ihrem Oheim gearbeitet; und die, welche zu der Unterhandlung gebraucht wurden, waren in ihren Bemühungen glücklich, indem sie denselben zu Stande brachten. Diese wiederhergestellte Einigkeit lies demnach heitere Tage vermuthen; allein die angenehmsten und wahrscheinlichsten[S. 33] Hoffnungen werden nicht allezeit nach Wunsch erfüllet.

Während der Zeit, die der Herzog von Brabant an seinem Hof zubrachte, und von Jacobinen, seiner nunmehrigen Gemahlin, entfernet war, schenkte er sein Vertrauen einem, Namens Beghe, den er zu den obersten Ehrenstellen erhoben hatte. Dieser wuste sich dergestalt seiner zu bemeistern, und ihn zu regieren, daß er auch nicht das mindeste ohne seinen Rath unternahm. Da diesem Minister der erhabene Verstand der Herzogin nicht verborgen sein konnte, befürchtete er den Verlust dieses unumschränkten Zutrauens. Ob er nun gleich seine Furcht durch die tiefste Ehrerbiethung, die er der Herzogin bei jeder Gelegenheit erwies, zu verbergen suchte, gab er nichts destoweniger dem Herzog, unter dem Schein der Treue und Redlichkeit, zu verstehen: daß es gefährlich sei der Herzogin in allem nachzugeben, daß die klugen und beherzten Frauenzimmer gemeiniglich sich übermäßige Freiheit nehmen, und daß es schimpflich, ja schändlich für einen Fürsten, als er sei, so ganz nachsichtig zu sein. Des Herzogs Geistesschwäche war nicht frei von Stolz; dieses wuste Beghe wohl; sein Kunstgrif[S. 34] that daher die erwünschte Wirkung. Der ersten Sache, die Jacobine ihrem Gemahl vorschlug, widersezte er sich hartnäckig. Verwundert und verdrossen über dies unerwartete, trozige Betragen, sagte sie zu ihm: Sie müssen blind sein, da Sie die Nothwendigkeit einer Sache nicht einsehen, welche die verdrüßlichsten Folgen für uns haben kann, wenn desfalls etwas versäumet wird, und wenn Ihre Einsichten nicht stark genug sind, müssen Sie sich nothwendiger Weise auf die, welche grössere haben, verlassen. Ich glaube nicht, antwortete er trocken, daß es mir an Klugheit fehlet, und mich dünkt, Madame! daß es Ihnen gar nicht zukommt, mir Geseze vorzuschreiben. Erstaunt rief Jacobine aus: Ha! Mein Herr! wer hat Sie diese Sprache gelehret? Dürfen unsere Vortheile jezt getrennt sein, und müssen wir nicht eine einstimmige Meinung haben? Begeht eine Frau Fehler, wenn sie ihrem Ehegatten Widerwärtigkeiten ersparen will? Ja Madame! erwiederte er noch bitterer; und Weiber haben sich in nichts zu mischen, das über ihre Begriffe gehet. Mit Verachtung erwiederte sie: die Ihrigen sind so gering, daß, wenn unglücklicher Weise, unsere Angelegenheiten Ihrer Leitung überlassen werden sollten, sie ganz schief betrieben würden. — Nach diesen Worten eilte Jacobine,[S. 35] von Schmerz durchdrungen, zu ihrer Mutter, um ihr diesen Vorgang zu erzählen. Die Gräfin von Hennegau aber, die übertriebene Nachsicht für einen Menschen hatte, den sie selbst zu ihrem Eidam erkohr, suchte die Herzogin dadurch zu beruhigen, daß der Herzog sein Betragen von selbst bereuen und zurückkehren würde. Und kaum hatte sie ihn gesprochen, als er alles, was man von ihm verlangte, wirklich that.

Dieses benahm aber der Herzogin den Verdruß nicht, den sie hatte, mit einem so fehlerhaften Gemahl verbunden zu sein. In der Zuversicht, daß die von Degre Theil an ihrem Kummer nehmen würde, öfnete sie derselben ihr Herz; allein diese Treulose hatte schon seit geraumer Zeit ganz andere Absichten. Sie glaubte reizend genug zu sein, einem Menschen, der dem Anschein nach, eines Glücks, das jeder andere beneidet haben würde, überdrüssig war, Liebe einzuflösen. Sie nuzte also das Vertrauen ihrer Gebieterin, mit dem Vorsaz, eigenen Gebrauch davon zu machen, und spielte daher bei der Herzogin die nämliche Rolle, die Beghe bei dem Herzog spielte. Ich glaubte, daß man sich nicht genug beeifern könnte, Ihnen gefällich zu sein, Madame! sagte sie zu Jacobinen, innerlich[S. 36] erfreuet, daß die Uneinigkeit zu Bergen dem völligen Ausbruch so nahe war. Sie sind nicht gebohren, dergleichen beleidigende Widersprüche zu dulten. Wie? der Fürst, der sich in Ihrem Besiz über alle Massen glücklich schäzen sollte, biethet Ihnen schon Troz, und will Sie beherrschen? O Himmel Madame! welchen Wunsch äuserten Sie mir, da Sie mir ehemals den Besiz seines Herzens wünschten; da Ihre Herrschaft von so kurzer Dauer ist, wie lange würde die meinige gedauert haben? Brauchen Sie bei einem so gefährlichen Anfang Ihre ganze Herzhaftigkeit und Klugheit; jezt ist es noch Zeit, wenn Sie nicht ganz unterdrückt sein wollen, Ihre Gewalt fest zu stellen; denn Ihr Gemahl ist Ihnen Ehrerbiethung schuldig; er ist durch Ihren Besiz genugsam dafür belohnet worden. — Bei diesen Reden der von Degre, seufzte die Herzogin ohne Unterlaß; allein jene war, während derselben, auf Ausführung der gräulichsten Bosheit bedacht. Sie war auf das heftigste in den Herzog verliebt; und da sie alle Gelegenheiten nuzte, sein Thun und Lassen auszuspäen, war es ihr nicht schwehr zu entdecken, daß Beghe diesen schwachen Fürsten ganz regierte. Sie sind, sagte sie eines Tages zu diesem Liebling des Herzogs, da er ihr eben einige verliebte Schmeicheleien[S. 37] vorsagte, ganz aus Ihrer Sphäre. Die Sorge, dem Fürsten gefällig zu sein, sollte Sie ununterbrochen beschäftigen, und Sie sollten die Zeit nicht mit Erhebung meiner vorgeblichen Reize verderben. Opfern Sie dem Ehrgeiz dergleichen köstliche Augenblicke nicht auf, und geben Sie mir keine Ursache, mir selbsten etwas auf meine Schönheit einzubilden. — Ich kan zugleich meinem Herrn dienen, erwiederte Beghe, und einer Gebieterin Ehrfurcht bezeigen, wenn Sie wollen die Meinige sein.... Ich! unterbrach sie? Wenn ich Ihnen auch alles verspräche, würde ich doch vielleicht gar nichts halten können; kennen Sie die Frauenzimmer nicht? Einige, erwiederte Beghe; allein ich muß zugleich gestehen, daß deren verschiedene sind, die ich nicht auszuklügeln vermag; zum Beispiel unsere Herzogin. Hat diese nicht einen solchen Scharfsinn, durch welchen sie alle Unternehmungen auszuführen weis; und kan sich wohl jemand rühmen ihre Gesinnungen zu ergründen? Ja! erwiederte von Degre, dieser Kunst kan ich mich rühmen; und ich sage Ihnen mit Zuverlässigkeit, daß sie den Herzog hasset, verachtet, ja! verabscheuet. Halten Sie sich nicht mit Auskramung verliebter Schmeicheleien auf, sezte sie hinzu, benuzen Sie den[S. 38] Wink, den ich Ihnen gebe; aber schonen Sie meine Offenherzigkeit und benehmen mir die gute Meinung, die ich auf ihr Vertrauen seze, nicht. Nachdem Beghe dieser Lasterhaften vielen Dank gesagt hatte, eilte er zu dem Herzog von Brabant, der weder Verstand noch Empfindung hatte, und dessen Liebe mehr eine Wirkung des Eigensinns, als einer richtigen Beurtheilungskraft war. Leicht machte er ihn daher glauben, was er für gut fand; und dieser alberne Fürst glaubte, nach den Eingebungen dieses gefährlichen Menschen: daß ihn die Herzogin nur verächtlich mache, um allein zu herrschen; daß sie schon zu viel Gewalt habe; und daß es aus diesen Ursachen nöthig sei, sich jemanden zu versichern, der alle ihre Handlungen auf das genaueste zu beobachten vermögend wäre. Hierauf schlug der Herzog, wie von ungefehr, zu diesem Geschäft die von Degre vor. Er wuste schon, daß sie aus eigenem Triebe des Herzens darzu geneigt war. Er rühmte, ganz übertriebener Weise, die Schönheit, den Eifer und Verstand dieses Mädchens; und überlies die weitere Einrichtung der Sache dem Beghe. Einige Augenblicke hernach begegnete ihm die von Degre selbst. Er sahe sie jezt mit weit mehr Aufmerksamkeit als vorher[S. 39] an. Sie war schön, jung, sanft und auf ihrer Stirne konnte man die Begierde, ihm zu gefallen, deutlich lesen. Mit vieler Bewegung redete er sie an: Wo wollen Sie hin, mein Fräulein? Was macht Ihre Gebieterin? — Sie ist bei der Gräfin von Hennegau, erwiederte von Degre, und ich gehe, um ihr Bericht wegen eines Geschäfts, das sie mir aufgetragen hat, abzustatten. — Bleiben Sie einen Augenblick, sagte der Herzog, und vergönnen Sie mir ein kurzes Gehör; ich bitte inständigst. — Da es jederzeit meine Schuldigkeit ist, Ihnen zu gehorchen, antwortete sie, bin ich auch jezt bereit, die Befehle, die Sie die Gnade haben werden mir zu geben, zu vollziehen. — Nicht auf diesen Ton nehmen Sie es, mein Fräulein! erwiederte der Herzog; denn wer so reizend ist, wie Sie, der hat keinen andern Befehlen als denen zu gehorchen, welche eigene Schönheit und Anmuth ertheilen. Sie sind schmeichelhaft und werden gefährlich, gnädiger Herr! sagte von Degre mit niedergeschlagenen Augen; ob ich gleich nicht zum Hochmuth geneigt bin, würden Sie mich doch dazu verleiten. Aber weit entfernt, mich durch dergleichen süsse Schmeicheleien blenden zu lassen, welche im Ernst aufzunehmen nur Thorheit von mir sein[S. 40] würde, will ich solche nicht anderst als mit schuldiger Ehrerbietung aufnehmen. — Glauben Sie, fuhr der Herzog fort, daß ich falsch oder heimtückisch sei? Man glaubt, ich wäre unempfindsam; Ihre Gebieterin aber kann das Gegentheil bezeugen und Ihnen Meinungen beibringen, die Ihnen alle Furcht benehmen werden. Ich urtheile nicht nach dem Ausspruch anderer, erwiederte von Degre; in dergleichen Fällen sind meine Augen die sichersten Beobachter. — Nun denn! unterbrach der Herzog, so müssen Sie in den meinigen die Ueberzeugung lesen, daß ich Ihren Reizen Gerechtigkeit wiederfahren lasse, und daß Sie an der Aufrichtigkeit meiner unbegränzten Liebe nicht zu zweifeln haben. — Dieses würde ein Wunder und zugleich eine grosse Ungerechtigkeit sein, erwiederte von Degre, Sie dürfen niemand anderst als die Herzogin lieben; und wenn deren Reize, da es keine vollkommnere giebt, Sie nicht mehr fesseln können, werden es gewis keine andere, noch weniger meine, als welche sehr gering sind, vermögen. — Besser empfinde ich, was in mir vorgehet, als ichs mit Worten auszudrücken vermag, war des Herzogs Antwort; Genug, mein bestes Fräulein! ich liebe Sie von Grund der Seele, und gestehe es[S. 41] ohne weiter gekünstelte Ausdrücke; ersezen Sie durch Güte und ein wenig Gegenliebe, die beleidigende Verachtung, die mir die Herzogin erweiset.

Ob nun gleich die von Degre ihres Sieges gewis war, wollte sie ihre Nachgiebigkeit doch nicht gerade zu den Herzog merken lassen. Sie wollte ihm noch einige Zweifel entgegen sezzen, würde aber doch bei dieser Unterredung ihr Schiksal bestimmt haben, wann nicht eben die Herzogin dazu gekommen wäre. Da diese gar kein Mistrauen hegte, und die Gräfin ihre Mutter sie noch kürzlich versichert hatte, der Herzog habe keine böse Absichten, näherte sie sich mit Freundlichkeit, zu ihrem Gemahl, und sagte: Ich bin recht erfreuet, daß Sie sich mit meiner Gesellschafterin unterhalten; es giebt mir den sichersten Beweis, daß Sie mich nicht hassen. Ohne Zweifel war die Rede von mir, billig ist es also, daß auch ich zu ihrem Vortheil spreche, und Sie, mein Lieber! versichere, daß sie schon bei Ihrem ersten hiesigen Aufenthalt sich Ihrer Angelegenheiten bei mir mit dem wärmsten Eifer angenommen hat. Die von Degre, sich bewust, daß sie eine Person, die so viel Güte und Zutrauen hatte, auf das Schändlichste hintergieng, erröthete, und so unverschämt[S. 42] sie auch war, konnte sie doch die Blike der Herzogin nicht aushalten. Sie neigte ihre Augen, während der Herzog die seinigen beständig auf die Undankbare gerichtet hatte. Da Sie es mir zur Schuldigkeit machen; Madame! der Fräulein von Degre erkenntlich zu sein, sagte er zur Herzogin, bitte ich auf das Angelegentlichste, sie noch mehr zu schäzen, als Sie bisher schon gethan haben, damit durch Ihre gütige Behandlung sie einigermassen für die Verbindlichkeit, die ich ihr schuldig bin, belohnet werde. — Mit freudigem Herzen nehme ich den Befehl an, erwiederte die Herzogin, und das Bestreben, Ihnen gefällig zu sein, verbunden mit der Neigung, die ich schon dazu habe, versprechen der von Degre die glücklichsten und vergnügtesten Tage.

Während dieser Unterredung, die der von Degre so schmeichelhaft war, saugte diese Untreue das ihr angenehme Gift in vollem Maße ein: Der Herzog führte seine Gemahlin in ihr Zimmer zurück, woselbst er aber nicht lange blieb, sondern den Beghe aufzusuchen eilte. Seine Anrede war: Wissen Sie wohl, daß Sie mich eines der schönsten weiblichen Geschöpfe, das bis jezt meinen Augen verborgen war, haben kennen gelehrt? Begehe ich einen Fehler,[S. 43] wenn ich sie liebenswürdig finde, so fällt er auf Sie selbst zurück. Beghe, der nichts sehnlicher wünschte, als daß das Herz seines Fürsten mit einem andern Gegenstand, der die Liebe zu seiner Gemahlin ganz unterdrücke, beschäftiget wäre, rühmte die Schönheit und Annehmlichkeit der von Degre auf eine übertriebene Weise. Dieses und ihr schmeichelndes Zuvorkommen, das sie so eben dem Herzog gezeigt hatte, waren die sichersten Mittel, das noch übrige Ansehen der Herzogin zu stürzen und das ihrige zu befestigen. Sie sind es nicht allein, der die Fräulein von Degre schön findet, sagte Beghe zum Herzog, ich selbst bewundere ihre Reize; es kommt mir daher nicht übernatürlich vor, daß Sie gleichfalls Behagen daran finden: allein ob Sie gleich mein Gebieter und Wohlthäter sind, kann ich mich doch nicht enthalten, eifersüchtig zu sein. — Verlieben Sie sich nur nicht in sie, erwiederte der Herzog hastig, vielmehr, wenn Sie schon in sie verliebt sein sollten, so schlagen Sie dieses ganz aus den Gedanken, und lassen sich nur angelegen sein, mir als treuer Bottschafter in meiner Liebe zu dienen. Allein, gnädiger Herr! sagte Beghe scherzend, wie kann ich Ihre Aufträge in dieser kizlichen Sache besorgen? — Wenn Sie die von Degre ernstlich liebten, antwortete[S. 44] der Herzog, würden Sie mich sehr unglücklich machen, und meine Angelegenheit und mein Vertrauen stünden alsdann in gefährlichen Händen. — Sein Sie desfalls ausser Furcht, gnädigster Herr! erwiederte der Bösewicht; ich gehorche Ihnen unter der Versicherung, daß Sie auch von Seiten der von Degre nichts zu befürchten haben. Denn die Ehre, von einem solchen Fürsten geliebt zu werden, kann ihr nicht anderst als sehr angenehm sein.[G]

In dieser Verfassung stunden die Sachen, und in dieser Lage befanden sich die, welche dabei interessiret waren. Des Herzogs Leidenschaft wuchs dergestalt, und war so sichtbar, daß die von Degre fast den Verstand darüber verlohr, indem ihr nunmehriges Betragen den Schein der Ehrbarkeit nicht hatte. Beghe behandelte diese Intrique mit solcher Behuthsamkeit und List, daß die Klügsten nichts davon entdeckten, und so einsichtsvoll die Herzogin war, dauerte es doch[S. 45] lange genug, bis sie etwas davon merkte. Der Herzog machte der von Degre die kostbarsten Geschenke; allein, auf Anrathen des Beghe, jederzeit durch die Hände der Herzogin; hierdurch wurde, unter dem Schein, ihre Vertraute zu belohnen, diese gute Fürstin hintergangen, und man konnte mit Wahrheit sagen, daß sie mit Blindheit geschlagen sei. Wenn die von Degre durch Jacobinen mit des Herzogs Geschenke überhäuft wurde, nahm sie solche anderst nicht, als mit vielem Stolz und Geringschäzung an. Sie sagte öfters: dieses alles rührt mich nicht, Madame! wenn er Ihnen nicht Gerechtigkeit wiederfahren läßt, und sich als Ihren Sklaven betrachtet. So übertrieben sind meine Wünsche nicht, erwiederte die Herzogin, ich bin zufrieden, wenn wir nur gleiche Zärtlichkeit, Gewalt und Nachgiebigkeit für einander haben; übrigens, wenn er Dir meinetwegen Wohlthaten erweiset, so ist es ein sicherer Beweis, daß er die, welche ich liebe, gleich schäzet, und daß er mich verbindlich machen will.

So hintergieng die Herzogin von Brabant sich selbst; und Beghe, der seine Gewalt durch Hülfe der von Degre täglich zunehmen sahe, wollte sein Ansehen immer weiter und auf den[S. 46] höchsten Gipfel bringen. Dieses verursachte, daß endlich alles, was von angesehenen Personen in Bergen war, anfieng zu murren. Sie erachteten sich verbunden zu sein; dem Hochmuth eines Menschen, dem die Nachlässigkeit des Herzogs volle Gewalt gab, Gränzen zu sezzen, und ihn zu demüthigen. Eberhard, natürlicher Sohn des verstorbenen Grafen von Hennegau, war der Aufgebrachteste unter allen. Geheime Kundschaften, die er hatte, überzeugten ihn, daß Beghe trachte die zwei Fürstinnen unter eine nachtheilige Bottmäsigkeit zu bringen, und da er dies frevelhafte, und das Andenken des Grafen von Hennegau beleidigende Beginnen nicht zugeben wollte, entschloß er sich solches zu verhindern, und den Beghe, es sei auf welche Weise es wolle, von seiner Höhe zu stürzen, der aber dergestallt von Herrschsucht eingenommen war, daß er seinen Weg unbekümmert, was geschehen würde, fortwandelte.

Der Graf von Hennegau hatte Eberharden eine vortrefliche Erziehung gegeben, und ihm beträchtliche Reichthümer hinterlassen; und da er zugleich vielen Verstand und Muth besaß, konnte er sich um so mehr furchtbar machen. Die Güte seines Herzens flößte ihm Abscheu gegen alle Ungerechtigkeiten ein; er konnte daher[S. 47] den Uebermuth des Beghe und die Schwachheit des Herzogs nicht länger ertragen. Leztern selbst zur Rede zu stellen, würde ihm empfindlich gewesen sein, und die Sache nur verschlimmert haben: sich an die Gräfin von Hennegau zu wenden, wäre gleichfalls vergebliche Mühe gewesen. Das sicherste schien ihm daher, sich grade zu an die Herzogin, die ihn sehr hochachtete und viel Vertrauen in ihn sezte, zu wenden. Er redete sie also an: Madame! es schmerzet mich, daß ich genöthiget bin, Ihnen eine kleine Unruhe zu verursachen, um einer weit grössern vorzubeugen, die gewiß verdrüßliche Folgen für Sie haben würde. Die Leichtgläubigkeit des Herzogs, Ihres Gemahls hat die Unverschämtheit des Beghe so weit kommen lassen, daß er sich das Ansehen giebt, als ob ihm jeder, wer er auch sei, untergeben sein müsse. Beständig warnet man mich, daß er sich erdreiste, die wichtigsten Angelegenheiten eigenmächtig auszuführen. Bald wird er Ihnen selbst befehlen, und sich zum gänzlichen Ruin Ihrer Unterthanen bereichern. Die Frau Gräfin von Hennegau widersezt sich im geringsten nicht seinen Absichten, noch der Leichtgläubigkeit des Herzogs, aus welchen beiden die schrecklichsten Folgen und Unordnungen entstehen werden,[S. 48] und wenn Sie desfalls keine Vorkehrungen treffen, wird uns dieser Elende Geseze geben und ganz unterjochen. — Lieber Bruder! erwiederte die Herzogin, ich sage Ihnen den wärmsten Dank für diese aufrichtige Gesinnung, und gewis setze ich ein unbegränztes Zutrauen in Ihre Freundschaft, um derselben meine Angelegenheiten zu übertragen. Dächte mein Gemahl nur einigermassen billig, so würde er solche allen andern Ergözlichkeiten vorziehen; zu meinem grösten Unglück aber, hat mir der Himmel einen Mann gegeben, der weder eigenes Gefühl, vielweniger das geringste für mich hat, da er mir doch wirklich Erkentlichkeit schuldig ist. Ich gestehe Ihnen frei, daß mir der Beghe sehr verhaßt ist. Seine Aufführung, seine Person, sein Stolz, ja! selbst seine scheinbare Ehrerbietigkeit, und kurz, sein ganzes Betragen mißfällt mir. Ich weis, daß er seines Herrn Ohrenbläser ist, und dieser zu allen Niederträchtigkeiten fähige schwache Geist, glaubt seinen Eingebungen, wie einem Orakel. Auf meine Warnungen wird nicht geachtet; und es ist, als ob mein Gemahl verblendet wäre, da er mir sein ganzes Zutrauen entziehet. Wir werden in diesem elenden Zustand schmachten und zu der Zeit, da ich am meisten zu beklagen[S. 49] sein werde, wird es Menschen geben, die grausam genug sind, die Schuld auf mich zu werfen, und meine Aufführung zu tadeln. Meine Mutter ist von den eingebildeten Vollkommenheiten ihres Neffen so eingenommen, daß sie selbst seine Thorheiten vertheidiget. Was soll ich also anfangen, und bei wem Trost und Hülfe suchen? — Bei mir, Madame! erwiederte Eberhard, sollen Sie beides finden. Schon lange mache ich mir Vorwürfe, Ihnen meinen Diensteifer nicht bezeigt zu haben. Man muß sich zuvörderst des Beghe entledigen. — Ach! unterbrach die Herzogin, auf welche Art? — Dieses ist meine Sache, Madame! erwiederte Eberhard. Ach! liebster Bruder! schrie die Herzogin, ich beschwöre Sie, keine Gewaltthätigkeit zu brauchen. Ob ich gleich den Beghe auf das höchste hasse, verabscheue ich doch weit mehr alle dergleichen Verbrechen. Denn ob wir gleich seine gesezmässigen Richter sein können, dürfen wir doch seine Henker nicht werden. — Und wer erlaubt ihm, ein Meineidiger und Verräther zu sein? erwiederte der aufgebrachte Eberhard. Nein, Madame! nein! Sie sind gegen diesen ehrsüchtigen Bösewicht zu nachsichtlich; ungestraft mißbraucht man Ihre allzugrosse[S. 50] Güte nicht. Hierauf, und aus Furcht die sanftmüthige Fürstin möchte sich seinem Unternehmen zu heftig widersezen, eilte er von ihr, um es ungesäumt auszuführen.

Der Herzog von Brabant war auf der Jagd. Seine Abwesenheit war dem Eberhard all zu günstig, als daß er solche nicht gleich hätte nutzen sollen. Er gieng zu dem Beghe, den er vermuthlich um eine neue Treulosigkeit auszusinnen, nachläsig auf dem Faulbett ausgestrekt antraf. In dieser Stellung sahe er ihn mit vieler Verachtung an. Der Oberamtmann von Hennegau, ein kriechendes Geschöpf, des Beghe Vertrauter, war eben bei ihm. Jenen redete er zuerst an: Sie spielen eine saubere Rolle. Beghe ist der Abscheu aller redlich Denkenden, und Sie verdienten wegen der Unterwürfigkeit, die Sie ihm bezeigen, und durch welche Sie seinem unerträglichen Hochmuth steifen, ein ähnliches Schiksal. Hierauf lies der von Rache geleitete Eberhard, den Beghe durch fünf bis sechs Entschlossene, die er zu diesem Entzweck mitgebracht hatte, vermittelst verschiedener Stiche durchbohren, die ihm zugleich die Sprache und das Leben benahmen. Der Oberamtmann war so erschrocken über diese behende That, daß er vor Angst, es möchte ihm ein gleiches wider[S. 51]fahren, fast von Sinnen kam; also weit entfernt den Verschwohrnen die Flucht zu erschweren, erleichterte er vielmehr solche durch seine eigne.

Wie der Herzog von Brabant bei seiner Rückkunft erfuhr, was vorgegangen war, gerieth er in die schrecklichste Wuth, und drohte, sich an jedem, der ihm vorkäme, zu rächen. Die Gräfin von Hennegau, die ihren Tochtermann bei allen Gelegenheiten begünstigte, zeigte ihren Unwillen öffentlich über diese That, und die Herzogin von Brabant war dermassen darüber betroffen, daß sie wie versteinert dastund. Sind Sie es, Madame! sagte ihr Gemahl, die mich hat eines treuen Dieners berauben lassen? und haben Sie mich etwa zu glücklich geschäzet, weil ich mich auf seinen Diensteifer verlassen konnte? Sein Mörder wird nirgends Schuz finden, und nichts wird ihn meiner gerechten Rache entziehen. Was! mich so wenig achtungswerth zu halten: daß die, die ich schätze und liebe, in meinem eignen Hause nicht vor Mord gesichert sind! Was wird man erst mit mir selbst vornehmen? Ich bin mit Feinden umgeben, und nur durch besondern Schuz des Himmels athme ich noch — Ich habe Sie reden lassen, antwortete die Herzogin, weil ihr Zorn ein Strohm[S. 52] ist, dem sich zu widersetzen, vergebliche Mühe sein würde. Es ist wahr, Ihr Liebling ist umgebracht, und ich bin nur in soweit misvergnügt darüber, weil ich dergleichen Greuelthaten hasse; allein wollte der Himmel, er hätte niemals gelebt, so würde sein vergifteter Geist sich weniger in Hennegau ausgebreitet haben. Nicht durch mich, noch auf meine Veranlassung ist er umgebracht worden. Denn vergossenes Blut habe ich jederzeit verabscheuet. Allein bei diesem, Ihnen so nahe ans Herz gehenden Unfall, werden Sie an der von Degre eine mitleidige Trösterin finden. — Unvorsichtiger Weise sprach die Herzogin das leztere; denn man hatte sie von dem geheimen Verständnis des Herzogs mit der von Degre glaubhaft belehret. Ganz wüthend erwiederte der Herzog: Ja! und ich werde Ihre Mitschuldige zu verhindern wissen, daß ihr das nämliche Schicksal des unschuldigen Beghe nicht widerfahre. — Sie werden wohl thun, erwiederte die Herzogin ganz gleichgültig; es ist das Geringste das Sie für ein Mädchen thun können, das Ihnen Ehre, Gebieterin und Reize aufgeopfert hat; denn eines gewissen Umstands wegen bemerke ich, daß leztere ziemlich abnehmen. Hierauf kehrte sie ihm den Rücken; er aber gieng zur von Degre, deren Gesichtszüge und Leibesgestalt[S. 53] sich wirklich verändert hatten, ohne deswegen ihrem boshaften Sinn Gewalt anzuthun, die dann den Beghe, als ihre verlohrne Stütze, mit der heftigsten Gemüthsbewegung beweinte.

Die Gräfin von Hennegau, die den Eberhard nicht liebte, war zum heftigsten gegen ihn aufgebracht. An ihr und ihren Nachstellungen hat es nicht gelegen, daß er dem Volk in Bergen auf dem Blutgerüste wäre zur Schau ausgesezet worden: Allein er war in Sicherheit; und dieses war keine geringe Erleichterung für die bekümmerte Herzogin.

Die an die Stelle der von Degre zu der Herzogin kam, hatte viel Verstand und war tugendhafter. Ohne aufdringlich zu sein, noch sich verdächtig zu machen, hatte sie gleich zu Anfang des Umgangs Beghe mit der von Degre geschlossen, daß ihr beiderseitiges Verständnis böse Absichten zum Grund habe. Sie entdeckte alles, und sie war es eigentlich, die mit einer lobenswürdigen Vorsicht ihrer Gebieterin die Augen öfnete. Die Herzogin, die schon des Kummers gewohnt war, zeigte eben keine grosse Empfindlichkeit bei dieser leztern Beschimpfung; der Herzog war nicht liebenswürdig genug, um jene alle Gemüthsruhe benehmende Eifersucht, die öfters mit dem Verlust[S. 54] des Verstandes vergesellschaftet ist, zu erwecken, allein wenn sie zurük dachte, wie sehr sie dieser Treulose geliebt hatte, kam sie aus aller Fassung; und, da vollends ihre neue Gesellschafterin, die sich Climberge nennte, ihr die Stärke des Leibes der von Degre bemerken lies, betrachtete sie selbige nicht anderst als ein schändliches, undankbares Ungeheuer.

Indessen der Herzog von Brabant den Beghe beweinte, und nur allein für die von Degre lebte, die ihn ganz bezaubert in ihrem Neze hielt, machte die Herzogin ihre Mutter so aufmerksam auf Dinge, die diese ohne nicht ganz von Eigensinn eingenommen zu sein, unmöglich gleichgültig ansehen konnte. Kaum sahe der Herzog seine Gemahlin täglich einmal, da er im Gegentheil seine Zeit ganz bei der von Degre zubrachte. Endlich legte der Herzog alle Verstellung ab, und der von Degre Schande fieng an allgemein bekannt zu werden. Nun Madame! sagte die Herzogin zu ihrer Mutter, Sie haben mich genöthiget, ja gezwungen, dem Herzog von Brabant meine Hand zu geben. Was sagen Sie jezt zu seiner Aufführung, und in der Lage, in welche er mich versezet, wie soll die meinige sein? — Sie müssen sich nicht vorstellen, daß die Ehemän[S. 55]ner, besonders die Fürsten sich eben einer so grossen Treue gegen ihre Gemahlinnen befleisigen. Wäre Ihr Vater unter der Zahl der allzugewissenhaften gewesen, so würde der Beghe noch leben, sein Mörder nicht gebohren, und wir in keiner so grossen Verwirrung sein. Verzeihen Sie ihm also diese jugendliche Ausschweifung, die sich mit den Jahren legen wird. — Was! Madame, rief die Herzogin aus, sind es grade meines Vaters Schwachheitsfehler, die er nachahmen soll? Gebe ich auch zu, daß ein Jüngling, vermöge seiner noch wenigen Erfahrung, ausschweifen, und sich, mit Hintansezung seiner Ehre, vergnügen kann, ist es darum unserm Geschlecht, und besonders einem Mädchen, das Sie mir zugesellet haben, das mit mir erzogen worden, das ich allen andern mit Achtung vorzog, das mein ganzes Vertrauen besaß, und das nun der ganzen ehrbaren Welt ein Aergernis ist, erlaubt. Genehmigen Sie auch noch sein jeziges Betragen, oder muthen Sie mir vielleicht gar zu, um ihm gefällig zu sein, die Vermittlerin seiner schändlichen Ausschweifungen zu werden? — Sie reizen meine Gedult auf das äuserste, erwiederte die Gräfin. Ihren Reden nach hat es das Ansehen, als ob Sie sich Dinge in Kopf setzen, die niemals entstehen wer[S. 56]den. — Ha! Madame, erwiederte die Herzogin weinend, Sie sahen sie lange zuvor ein; denn die bösen Eigenschaften des Herzogs waren Ihnen zur Gnüge bekannt, und doch zwangen Sie mich, ein Opfer derselben zu werden. — Sie legen mir also die Schuld Ihres Misvergnügens allein bei, erwiederte diese unnatürliche Mutter; Gut! ich werde mich daher von Ihnen entfernen, und da Sie selbst so einsichtsvoll sind, wird es Ihnen ein leichtes sein, dem drohenden Unglück vorzubeugen. — Hierauf verlies sie das Zimmer, und stürzte die Herzogin durch ihre, am folgenden Tag wirklich unternommene Abreise nach Quesnoy, in unaussprechlichen Gram. Du siehest, sagte sie zur Climberge, daß mich alles verläßt, und ich muß fürchten, daß endlich auch Du, wie mein Gemahl, meine Mutter, meine Dienerschaft, ja! öfters mein eigener Verstand, mich noch verlassen wirst. Gerechter Himmel! was habe ich verbrochen, daß du mich mit so viel Unglück heimsuchest? Mein Wandel ist schuldlos, kein Verbrechen habe ich begangen, dennoch sind meine Leiden groß, und bald werde ich, statt wie ich es gekönnt hätte, in gewissem Glanz zu leben, vom Glück ganz verlassen, der Spott und die Verachtung der Menschen[S. 57] sein. Ha! Climberge! wie gepreßt ist mein Herz, und wie schwach sind meine Kräfte, dergleichen harten Prüfungen zu widerstehen! — Ich gestehe aufrichtig Madame! erwiederte die Gesellschafterin, daß Sie nichts weniger, als ein so trauriges Schicksal verdienen; dieses, nebst dem unschuldvollen Bewustsein muß Ihnen die Leiden erträglicher machen. Unterliegt Ihr Muth ganz, so können Sie leicht urtheilen, wie es mit dem meinigen beschaffen sein würde. Ohne ungerecht zu sein, dürfen Sie an meiner aufrichtigen und ehrfurchtsvollen Ergebenheit nicht zweifeln. Setzen Sie mich, theureste Fürstin! auf die Probe. Ich verabscheue die von Degre, deren Betragen jedem Redlichen ein Greuel sein muß, und die wegen ihrer schändlichen Undankbarkeit nicht hart genug bestraft werden kann. Es wundert mich nicht, daß die Tugend eine Buhlerin verläßt, noch daß ein schwacher Fürst sich so weit vergehet, die ehelichen Pflichten hintan zu setzen; aber daß die Frau Gräfin von Hennegau, der Sie leider! zu viel nachgegeben haben, sich unverantwortlicher Weise entfernet, und Sie in einer so traurigen Lage verlassen hat, dieses deucht mir entsezlich zu sein, und ich kann nicht ohne tiefe Wehmuth an dieses Verfahren denken. —[S. 58] Laß mich! rief die Herzogin schluchsend, laß mich, grausames Schicksal! deine ganze Härte fühlen! Unter allen Wegen, die Du mir zeigest, werde ich immer den unschuldigsten einschlagen; bin ich bestimmt unglücklich zu sterben, werde ich doch wenigstens den Trost haben, schuldlos mein Haupt niederlegen zu können. Climberge weinte mit der Herzogin, und sie würden beide wahrscheinlich noch lange in dieser traurigen Beschäftigung geblieben sein, wenn der Herzog nicht dazu gekommen wäre und sie gestöhret hätte. Nun, Madame! sagte er mit stolzem und verachtendem Ton, Ihr mürrischer Sinn hat denn endlich die Frau Gräfin von Hennegau vertrieben; zum Lohn ihrer zärtlichen Sorgfalt muß sie nun den bittersten Schmerz empfinden. Für wen bewahren Sie Liebkosungen, wenn die, die das erste Recht drauf haben, und die Ihnen am schäzbarsten sein sollten, solche entbehren müssen? — Wenn ich aufgelegt wäre mich zu ereifern, erwiederte die Herzogin mit vieler Mässigung, so gäbe mir ihr Betragen Stoff genug. Sie sind der Urheber alles dessen, was vorgeht, und die Quelle meiner Leiden. Meine Mutter hat eigensinniger Weise drauf bestanden, daß ich Sie heirathen sollte, ob ihr gleich Ihre Gemüthsbeschaffenheit nicht unbekannt[S. 59] war. Wie belohnen Sie diesen meinen unglücklichen Gehorsam? Sie beleidigen mich auf hundertfältige Weise; und, nicht zufrieden mich die größte Verachtung empfinden zu lassen, füllen Sie noch mein Haus mit Schimpf und Schande; da Sie unter meinen Augen eine meiner Frauen, die ich am meisten schäzte, verführen. Hohnlachend unterbrach der Herzog: ich rathe Ihnen, noch auf die Liste meiner Verbrechen den Mord des Beghe zu sezen, ob ich gleich solchen Ihrer unmässigen Begierde, allein herrschen zu wollen, zu verdanken habe. In Ansehung der von Degre aber sollten Sie mir billig wegen der Achtung, die ich für sie habe, verbindlich sein, da Sie mir ihre Verdienste öfters angepriesen haben, und mein Herz also hier Ihre Empfehlungen erfüllet, und Ihre Vorschriften befolget hat. — Ha! Grausamer, welche Folgen von Leiden bereiten Sie mir? Ueberflüssig wäre es, Sie an Vernunft, Pflicht und Ehre zu erinnern, denn von allen diesen Dingen wissen Sie nichts, noch weniger sind Sie fähig, solche auszuüben. Fahren Sie in Ihrem feigen und gesezwidrigen Leben fort: triumphiren Sie über meine Enthaltsamkeit, und verstatten mir, der von Degre einen Plaz einzuräumen, den ich mit Widerwillen innen habe,[S. 60] und auf den ich von Grund der Seele Verzicht thue.

Der Unwille verhinderte die Herzogin ein mehreres zu sagen. Sie gieng in den Garten, um in der Einsamkeit ihrem beklemmten Herzen durch eine Thränenfluth Luft zu schaffen. Allein hier fand sie abermal neue Gelegenheit zum Misvergnügen. Die von Degre, deren Schwangerschaft sich nun allgemein offenbahrte, saß unter einem Baum. Mit frecher Stirne trug sie ihre Schande, sie kam nicht mehr zur Herzogin; es war ihr ausdrücklich verboten und ihr aller Zutritt versagt. Sie schauderte und konnte ihren Zorn, bei dem Anblik dieser frechen und ganz unverschämten Kreatur, nicht verbergen. Anfangs wollte sie ihr ausweichen, allein ihr Unwille sezte sie über alle Betrachtungen weg. Schnell gieng sie auf die von Degre los, die kaum eine geringe Bewegung zum Grüssen machte. Ich stöhre sie vielleicht in Ihrem Nachdenken, sagte die Herzogin; allein da Sie meine ganze Glückseligkeit zernichtet haben, würden Sie ungerecht sein, wenn Sie mir diesen geringen Verdruß nicht zu gut halten wollten, da Sie mir durch Ihr Betragen so unendlich grossen verursachen. — Wenn Sie Misvergnügen haben Madame! erwiederte die von Degre ohne[S. 61] alle Ehrfurcht, ganz unbescheiden, müssen Sie sich die Schuld selbst beimessen. — Ich gestehe es, erwiederte die Herzogin. Denn wenn ich nicht blinde Güte und thörigtes Nachsehen für Sie gehabt hätte, würde ich vielen Verdruß überhoben sein. In was vor einem verächtlichen Zustand befinden Sie sich jezt, und wie können Sie mir in solchem unter die Augen treten? Habe ich Sie gelehret dergleichen niederträchtige Handlungen zu begehen; und wer hat Sie sonst dazu angeführet? Noch wenn Sie unvorsichtiger Weise, oder durch Verführung zu Fall gekommen wären, würde man Sie wegen Ihrer Schwachheit bedauern, wenigstens nicht verabscheuen so aber, da Sie selbst den Herzog zu dieser schimpflichen Leidenschaft verführet, sich ihm freiwillig Preis gegeben und ihn zu Bosheiten verleitet haben, deren er bisher unfähig war, verdienen Sie kein Mitleiden. Was für Folgen werden aus diesem strafbaren Verständnis entstehen? Sie werden ohne Zweifel elendiglich umkommen, und Ihr verführter Liebhaber wird in den Abgrund des Verderbens stürzen, den Sie ihm zubereitet haben. — Die von Degre, die sich nun zu Antworten genöthiget sahe, war verlegen, was sie zu ihrer Vertheidigung vorbringen sollte. Glüklicher[S. 62] Weise zog sie der Herzog, den sie von ferne kommen sahe, aus der Verlegenheit. Sie können, Madame! sagte sie mit wenigen Worten, dem Herrn Herzog alles was Ihnen gefällig ist, sagen, ich glaube daß er Sie sucht; und es wäre unbescheiden von mir, Sie in der Unterredung durch mein Verweilen zu stöhren, und Ihnen einen so verhaßten Gegenstand länger vor den Augen zu lassen. Sie kehrte hierauf der Herzogin den Rücken, die einen andern Weg gieng um ihrem Gemahl nicht zu begegnen.

Sobald die Herzogin auf ihrem Zimmer war, lies sie, in Gegenwart der Climberge, ihren Thränen freien Lauf. Ich muß fliehen, sagte sie zu ihr, und sollte mich gleich die ganze Welt tadeln, unmöglich kann ich länger an einem Ort bleiben, wo ich nichts als Gift und Galle einnehme. — Wo wollen Sie aber hin, Madame! erwiederte Climberge, und welchen Entschluß kann ein Frauenzimmer Ihres Rangs bei einer so kizlichen Sache fassen? — Ich weis es selbst nicht, antwortete die Herzogin; allein ich hoffe, daß so bald ich nur aus Bergen bin, der Himmel mir alsdann eingeben werde, was ich weiter thun soll. So hartherzig meine Mutter ist, kann mich doch nichts von der Ehrerbietung, die ich ihr schuldig bin, befreien. Ob sie mich[S. 63] gleich verlassen hat, muß ich sie doch aufsuchen. Rufe den Descaillon. Dieser war der treuste Diener meines Vaters, und noch der Einzige unter den meinigen allen, auf dessen Treue und Redlichkeit ich mich verlassen kann. — Climberge befolgte diesen Befehl; und kaum hatte die Herzogin dem Descaillon ihr Vorhaben eröfnet, traf dieser so geheime und schleunige Anstalten, daß sie schon den andern Morgen mit Tagesanbruch aus Bergen war. Sie gieng nach Quesnoy zu ihrer Mutter, die sich über ihre unvermuthete Ankunft nicht wenig wunderte. Nachdem sie dieselbe mit kindlicher Ehrfurcht umarmt hatte, sagte sie zu ihr: Madame! verdammen Sie meine Reise nicht, und lassen Sie vielmehr meiner Gedult Gerechtigkeit widerfahren. Der Herzog von Brabant behandelt mich mit tirannischer Unanständigkeit; sein Sie billiger und häufen meine Leiden nicht durch harte Gleichgültigkeit. Behält der Herzog volle Gewalt, so wird er mit unserm Eigenthum nicht allein die von Degre, sondern die ganze Rotte seiner nichtswürdigen und unverschämten Höflinge bereichern, wie er es schon gethan hat. — Meine liebe Tochter! unterbrach die Gräfin, Ihr Schmerz rühret mich; ich bin nicht so unmenschlich als Sie es vielleicht von mir glauben, und ich gebe ihnen die Versicherung[S. 64] meiner zärtlichsten Liebe und Theilnehmung Ihrer Leiden. Schon lange sollte die Aufführung Ihres Gemahls meine Langmuth erschöpft haben; allein zur Ehre unseres Hauses müssen wir uns zuvörderst bemühen, ihn durch Gelindigkeit und Güte zur Reue zu bringen. Wir wollen uns hierzu des Herzogs von Burgund, dessen Ansehen etwas vermag, bedienen, und wenigstens die Sache so einleiten, daß man nicht sagen kann, Sie hätten Ihren Gemahl leichtfertiger Weise verlassen. Ich weis zwar, daß Sie gegründete Ursachen dazu haben; allein es werden noch weit wichtigere erfordert, um Sie vor der Welt dieses wichtigen Schritt wegen zu entschuldigen. — Nun gut, Madame! antwortete die Herzogin, handeln Sie nach eigenem Gutdünken. Ihr Wille soll der Meinige sein, und ich will bei Ihnen, als einem ruhigen und unverletzlichen Zufluchtsort, den Erfolg Ihrer Bemühungen abwarten.

Hierauf schrieb die Gräfin von Hennegau an den Herzog von Burgund, ihn von der ganzen Lage der Sache zu unterrichten. In ihrem Schreiben schilderte sie mit vieler Klugheit und Wahrheit das Betragen des Herzogs von Brabant; und Descaillon, der eigends damit abgeschickt war, fügte noch mündlich alles bei, was zum Vortheil[S. 65] der Herzogin gereichen konnte. Auch machte der Herzog von Burgund keine Schwierigkeiten, sich des Zwists zweier Personen, die ihm so naheanverwandt waren, anzunehmen, um sie wo möglich zu vereinigen.

Der Herzog von Brabant, der sich einzig und allein mit seiner gesezwidrigen Liebe beschäftigte, bekümmerte sich wenig um die Abreise seiner Gemahlin. Wie ihm die Vorschläge zur Aussöhnung gemacht wurden, antwortete er schlechterdings: Die Herzogin könne zurückkommen, wann sie wollte; allein seine Beischläferin würde er in kein Kloster schicken, noch seine Lieblinge vom Hof entfernen, wie man es ihm vorgeschlagen habe. — Die Gräfin von Hennegau nahm diese schwürige Antwort für befriedigend an, und verlangte, daß es ihre Tochter auf die Willkühr des Herzogs ankommen und auf seine gegebene Zusicherung nach Bergen zurückgehen sollte; denn man müste ihm die Schande ersparen, als ob er gezwungener Weise hätte nachgeben müssen. Nun verlohr die Herzogin völlig ihre bisher noch gehabte Mässigung. Nachdem sie ihren vergangenen und künftig zu erwartenden jämmerlichen Lebenswandel lange überdacht hatte,[S. 66] faßte sie den Entschluß, nach England überzu gehen. Sie lies sich durch den vertrauten Descaillon nach Calais bringen, wo sie sich einschifte, von dannen sie ohne weitere Hindernis in London glücklich anlangte.

Ob gleich die Kriegsflamme an verschiedenen Orten Europens hell leuchtete, und der Englische Hof, wegen dem Absterben seines Königs Heinrich des V. in Trauer versezt war, herrschte dennoch Höflichkeit und galante Lebensart an demselben.[H] Humphrei, Herzog[S. 67] von Glocester, des verstorbenen Königs Bruder, war damals Regent in England. Dieser Prinz hatte vortreffliche Eigenschaften, aber dabei einen ausserordentlichen Hang zu Liebeshändeln;[S. 68] selten sahe er ein schönes Frauenzimmer, ohne daß sein Herz nicht davon eingenommen ward: Die Herzogin von Brabant traf es daher nicht frei an; ihre Reize aber verdrängten bald alle anderen Gegenstände aus demselben. Verbunden mit majestätischem Ansehen sprach sie mit Ueberzeugungskraft. Ihre Sache war gerecht, und der Herzog, zum Innersten gerührt, gab ihr die Versicherung, daß sie mit Englands ganzer Macht beschüzt und als Königin verehret werden sollte. Diese Versicherungen begleitete er mit noch einigen besondern Versprechungen; und die Herzogin von Brabant konnte dem Himmel wegen dem glücklichen Erfolg ihrer Reise nicht dankbar genug sein. Durch das edelmüthige Betragen und die gefällige Sorgfalt des Herzogs sahe sie bald ein, daß er sich die Beförderung ihres Glücks, wie seines eigenen, angelegen sein lies. Eins der Königlichen Paläste wurde ihr zur Wohnung angewiesen, in welchem sie mit außerordentlicher Pracht und Aufmerksamkeit bedienet ward, und es wurden ihr solche Ehrerbietungen erwiesen, deren sich noch keine Fremde zu rühmen gehabt hatte. Jedermann trachtete sich ihr gefällig zu erzeigen, und ihr den Auffenthalt angenehm zu machen, und sie erkannte bald den Unterschied, der zwischen einem[S. 69] großmüthigen Beschützer und einem unwürdigen Gemahl ist.

Diesen Gegensatz empfand die Herzogin im innersten des Herzens, und die Climberge, die es wohl einsahe, bezeugte ausserordentliche Freude, daß ihre Reize dieses bewirkt hätten, weshalb sie der Herzogin Glück wünschte. Aber liebe Climberge! erwiederte die Herzogin, ich begreife nicht, daß Du wegen einer Sache, die mir neue Verdrüßlichkeiten zuziehen könnte, vergnügt sein kannst. Sind meine Verdienste etwa hier grösser, als sie zu Bergen waren, und glaubest Du, daß meine Flucht mich in Achtung halte? Ausserdem bin ich deswegen von der ehelichen Treue losgesprochen, weil ich mich in einem fremden Staate, den nur eine schmale See von meiner Heimath absondert, befinde; und so ungerecht der Herzog von Brabant auch immer ist, bin ich ihm deswegen weniger Zeitlebens verknüpft? — Nein Madame! antwortete die Climberge, er hat Sie auf eine Weise behandelt, die von aller Schuldigkeit befreiet. Die Kirche, die sie zusammen gegeben hat, ist keine unbarmherzige Stiefmutter; sie kann eine üble Verbindung aufheben; und unzählig gegründete Ursachen sprechen hier zu Ihrem Vortheil. — Schweig! und verschone mich mit deinen Träu[S. 70]mereien, erwiederte die Herzogin; ich bin unter einem unglücklichen Gestirn zur Welt gekommen mein Loos ist zu Widerwärtigkeiten bestimmt; und wenn es an dem wäre, daß der Herzog von Glocester einige Liebe zu mir empfände, ich auch gleich von meiner Verbindung mit dem Herzog von Brabant losgesprochen wäre, würde ich mich doch in keine weitere eheliche Sclaverei begeben. Von zwei Gemahlen, die ich in meinen jugendlichen Jahren hatte, starb der eine unglücklicher Weise, kaum daß wir einander kennen lernten, und der andere beschimpfet mich gleich nach unserer Verbindung ganz niederträchtiger Weise. Glaubest Du, daß ich bei einem Dritten ein besseres Schicksal zu erwarten hätte? und würde ich nicht in steter Furcht sein, alle Unfälle, die ich schon erfahren habe, und vielleicht noch stärkere zu erdulden? Nähre daher deine Einbildungskraft nicht weiter damit; nur an mir bist Du mit den Trübsalen bekannt worden. Denn wenn Du sie an Dir selbst erfahren hättest, würdest Du mit mir eingestehen, daß, wenn der Mensch zum Leiden bestimmt ist, ihn nichts in der Welt davor schützen kann. — Also Madame! erwiederte Climberge, Sie wollen vorsetzlich Ihre Leiden durch die Furcht vergrössern, daß die eingebildeten[S. 71] künftigen den vorigen, wirklich schon erduldeten, gleich kommen, wo nicht gar übersteigen würden? Ueberlegen Sie dagegen, daß der Himmel gerecht ist, und Sie vor allem schützen, ja! Ihre bisherigen Leiden auf einmal stillen kann, und wird. Uebrigens sind Sie dem Herzog von Brabant, seiner schlechten Aufführung wegen, keine Schonung mehr schuldig. — Nein! Climberge, unterbrach die Herzogin, wenn ich auch gleich keine Achtung für den Herzog mehr hätte, müste ich doch jederzeit derjenigen eingedenk sein, die ich meiner eignen Ehre schuldig bin. Das Vorgeben, daß ich ihn gegen meinen Willen und gezwungener Weise zum Gemahl genommen habe, würde vor der Welt nicht hinlänglich sein, mich eines solchen neuen Fehlers wegen zu entschuldigen. Ich habe nun einmal diesen Schritt gethan, es wäre aber viel verzeihlicher gewesen, damals meiner Mutter ungehorsam zu sein, als jezt meinem Gemahl zu entsagen, so viel Verdruß er mir auch macht. Ich habe mich auch nicht mit dem Vorsatz ganz los zu sein entfernet, sondern nur um kein Augenzeuge seiner, gegen alle Ehrbarkeit streitenden Aufführung mehr zu sein. Im strengsten Verstand aber hätte ich alles dulden müssen, seine Unbestän[S. 72]digkeit, seine Verachtung, ja sogar die Härte mit der er mich behandelt hat. Genug tugendhafte Frauen haben mir Beispiele in ähnlichen Fällen gegeben; allein ich war zu schwach, ihnen nachzuahmen. — Setzen Sie noch hinzu Madame, unterbrach Climberge, daß Sie auch schwach genug sein werden, sich ganz aufzuopfern; und der eingebildeten Ehre wegen, von welcher heut zu Tage die Tugendhaftesten das Joch abschütteln, wird Sie der Herzog von Brabant nichts destoweniger mit eben der Wuth, mit der er Sie zu Bergen verfolgt hat, ferner verfolgen, und die von Degre wird die Höllenfurie sein, die Sie beständig und überall wo Sie sich aufhalten, quälen und Ihnen alle Drangsale anthun wird.

Der Herzog von Glocester, dessen Bestreben von nun an war, sich der Herzogin von Brabant gefällig zu erzeigen, unterbrach diese Unterredung durch seine Zwischenkunft. Madame! sagte er, ich komme vielleicht zur ungelegenen Zeit: allein wenn ich Sie oft aufsuche, so schreiben Sie es einer heftigen Leidenschaft, der zärtlichsten Liebe zu. All mein Streben gehet dahin, Ihnen überzeugende Beweise davon zu geben; und wollten Sie mich unglücklicher Weise nicht erhöhren, so würde[S. 73] ich der bedauernswürdigste Mensch auf dem ganzen Erdboden sein. — Wenn Sie gleich, Herr Herzog! erwiederte die Fürstin, die wichtigen Staatsgeschäfte, die Ihnen obliegen, nicht dadurch versäumen wollten, daß Sie mir Beweise Ihrer Achtung und gütigen Fürsorge, die Sie für nöthig halten, das bittere meiner Leiden zu versüssen, stetshin zu geben belieben, würde ich Ihnen doch gewis schon grosse Erkenntlichkeit wegen Ihrer Aufmerksamkeit, und dem Zuvorkommen aller meiner Bedürfnisse, schuldig sein. — Die Staatsklugheit, erwiederte der Herzog, ist nicht der Beweggrund meiner Handlungen, sondern die Triebe meines zärtlichen Herzens sind es, die mich leiten. — Unendlich leid würde mir es sein, unterbrach sie, wenn Sie würklich die Empfindungen hätten, die Sie so eben gegen mich äussern. Mein Lebenslauf ist Ihnen bekannt; ich bin zu elend Sie zu begünstigen; denn ob ich Ihnen gleich unzählbare Verbindlichkeiten schuldig bin; so habe ich doch solchen nichts als wahre Hochachtung und unvollkommene Dankbarkeit entgegen zu setzen. — Madame! erwiederte Humphrei, so grosse Verbindlichkeiten, wie Sie glauben, sind Sie mir nicht schuldig: denn nur meine aufrichtige und reine Liebe ist der Zoll,[S. 74] den jedes empfindsame Herz Ihren Vollkommenheiten und Reitzen, zu entrichten schuldig ist. — Meine Reitze, antwortete die Herzogin, sind sehr mittelmässig, und wenn sie ja jemanden zu rühren vermöchten, wünschte ich, daß es einen anderen als einen Fürsten wäre, den ich unendlich ehre und schätze, und dessen Gemüthsruhe mir so angelegen ist. Lassen Sie mich die Last meiner Leiden in Gedult tragen, ohne solche durch neue zu erschwehren, und überlegen dabei, daß Sie durch Stöhrung meiner Ruhe, den Schutz, den Sie mir so großmüthig haben angedeihen lassen, vereiteln und sich verdächtig machen würden. — Sie könnten, Madame! unterbrach der Herzog, ohne sich weiter unglücklich zu machen, meine Glückseligkeit befördern. Der ganzen Welt ist bekannt, wie unwürdig der Herzog von Brabant Ihrer ist. Ausserdem sind Sie in einem Grad Blutsfreundschaft mit ihm verwandt, der eine Ehescheidung noch viel gültiger macht. Ziehen wir desfalls den Pabst Benedickt zu Rath; er ist in dergleichen Fällen nicht allein am besten bewandert, sondern er wird sich auch gewis sehr billig finden lassen. Was haben Sie nachher, Madame! weiter zu befürchten, da Sie von einem Prinzen, der Sie ewig[S. 75] anbetet, beschützet werden, und der Englands ganze Macht aufbieten wird, Ihren Verfolgern, Trotz zu bieten. — Ganz mißfiel Jacobinen (die wir in der Folge nicht anderst nennen werden) dieser Antrag nicht. Der Herzog von Glocester war zärtlich und überaus einnehmend; es war ihr daher nicht zu verdenken, daß sie selbst Verlangen trug, von einem Gemal, den sie niemals geliebt hatte, und welchen sie vielmehr jezt zu hassen berechtiget zu sein glaubte, vor immer geschieden zu werden. Allein der Vorschlag geschahe durch einen Prinzen, den sie noch nicht genug kannte, und der vielleicht mehr durch die Gewalt einer heftigen Leidenschaft hingerissen, als durch Vernunftschlüsse, geleitet, nur die Befriedigung seiner Begierden suche, und nach deren Genuß Treue und Liebe, leicht wieder vergessen konnte. Kurz, unzähliche Betrachtungen sezte sie dem schmeichelhaften Entwurf des Herzogs entgegen. Was! sagte sie zu ihm, wenn der Pabst mich von der Verbindung mit dem Herzog von Brabant lossprechen wollte, so würden Sie Entschlossenheit genug haben, mir Ihre Hand darzubieten? Ja! Madame, unterbrach er mit Heftigkeit, ja! ich würde dieses Glück als das größte meines Lebens schätzen, wenn es mir zu Theil wird,[S. 76] und gewis nach keinem andern mehr geizen. — Sie irren sich, fuhr Jacobine fort, wenn die Erlaubnis zur Ehescheidung hier in London zu haben wäre, würden Sie vielleicht eine ganz andere Sprache führen. Ausserdem muß man auf einem dornichten Pfad nicht so schnell zu laufen wagen; denn hier ist die Rede von einer Sache, die das Gewissen, die Ehre und die Religion betrift; welcher Richter ist dermalen befugt solche zu entscheiden? Wir sehen eine ärgerliche Spaltung in der Kirche; wollen wir solche noch dadurch vermehren, daß wir zur Befriedigung unserer Leidenschaften Hülfe bei einem oder dem andern Theil suchen? Benedickt ist Pabst, und Martin, von vielen unterstüzt, will es gleichfalls sein. Diese geistliche Eifersucht trennt die ganze Christenheit, und welcher von beiden wird wohl vom heiligen Geist genugsam erleuchtet sein, ein gerechtes Urtheil zu fällen? Ruhet er aber auf beiden gleich stark, so haben sie auch gleiche Gewalt, und der eine wird nicht verfehlen, dem andern in allen Fällen, wie der meinige ist, zu widersprechen; die Schande und der Nachtheil aber der für mich hieraus entstehen und auf mich allein zurückfallen würde, wäre unauslöschlich. — Ich glaubte nicht, Madame! erwiederte ganz niedergeschlagen[S. 77] der Herzog, daß Sie in Ihrer dermaligen Lage an dergleichen heilige Spitzfindigkeiten zu denken Ursache hätten. Verzeihen Sie meinen wilden Ausdruck und schreiben ihn meiner schmerzlichen Empfindung zu. Ist es erst von Heute daß dieser Zwietracht in der Kirche entstehet, und haben nicht andere Päbste schon vorher sich in dergleichen Fällen gezankt?[I][S. 78] Wir haben Beispiele genug. Haben Menschen, sobald sie als Päbste anerkannt sind, die Macht,[S. 79] auf Erden zu binden und wieder zu lösen, warum sollten wir uns bemühen, die Gültigkeit[S. 80] ihres Berufs zu untersuchen? Steht mir Benedickt Ihren Besiz zu, so mag meinetwegen[S. 81] Martin mit seinen Donnerkeilen gegen ihn losstürmen, mein Glück wird nichts destoweniger befestigt sein. Uebrigens, Madame! werden Sie durch unsere Verbindung dem Abgrund aller Leiden entgehen. Ueberlegen Sie, daß[S. 82] von allen denen beträchtlichen Staaten, die Sie ruhig besitzen sollten, Ihnen wenig überbleiben wird. Der Herzog von Brabant, der den größten Theil durch sein unordentliches Leben schon durchgebracht hat, wird den übrigen durch seine Nachlässigkeit, gegen den Herzog von Burgund, der sich solche zuzueignen sucht, schlecht vertheidigen. Ein Mann wie ich, wird sie aber leicht durch Bestrafung ihrer Undankbarkeit und Ehrgeizes zurecht weissen, und niemals werden Sie Ursache haben, die mir erwiesene Güte zu bereuen.

Während dieser Unterredung, bei welcher die Climberge zugegen wer, hatte Jacobine die Augen beständig zur Erde geheftet. Endlich sagte sie zum Herzog: Ich habe Sie gelassen angehöret, lassen Sie mir nun auch Zeit, Ihre Gründe zu untersuchen. Vorläufig aber muß ich Ihnen gestehen, daß sie mir sehr seicht vorkommen; vielleicht aber finde ich sie bei genauerer Erwägung triftiger. Sie würden mich gering schätzen, wenn ich blinder Weise in Ihren Vorschlag einwilligte. Sie werden also verzeihen, wenn ich mich nicht übereilt entschließe. Der Herzog war einstweilen mit dieser Antwort zufrieden, und da er wohl einsahe, daß Jacobinens Standhaftigkeit schon ziemlich[S. 83] erschüttert war, wollte er vor diesmal nicht weiter in sie dringen, sondern entfernte sich, und überlies der Climberge, das übrige für ihn zu bewerkstelligen.

Diese redete Jacobinen folgendergestalt an: Nun Madame! werden Sie doch einsehen, daß Ihre Angelegenheiten eine günstige Wendung bekommen. Der Herzog von Glocester bietet Ihnen sein Herz, seine Hand und die ganze furchtbare Macht, über die er zu gebieten hat, dar. Er verspricht noch über dieses die Hülfe des römischen Stuhls: wollten Sie nun noch einen Augenblick anstehen, aus unzeitiger und furchtsamer Scham, der ungerechten Gewalt des Herzogs von Brabant, der sich so verächtlich gemacht hat, zu entsagen? — Ich verabscheue ihn auch, erwiederte Jacobine, allein die Rache, die ich vielleicht schon zu weit getrieben habe, muß mich nicht selbst bei der Welt verächtlich machen. Wird man mir nicht, wenn ich in das Begehren des Herzogs von Glocester einwillige, vieles vorzuwerfen haben? kann man, unter welchem Vorwand es sei, einem rechtmässigen Gemahl entsagen, ohne sich dem Tadel auszusetzen? In Beurtheilung der menschlichen Handlungen wird selten Rücksicht auf Unglücksfälle genommen, und ohnerachtet meiner[S. 84] Unschuld, würde ich bald dem Tadel jener strengen Geister, die da wollen, daß man alles dulden und sich nie beklagen soll, ausgesezt sein. — Aber Madame! erwiederte die Climberge, wenn Sie einen Pabst, der Ihr Vater, Seelsorger und Gewissensrichter zugleich ist, zum Gewährsmann haben, was können Sie noch befürchten? Oder hassen Sie etwa gar den Herzog von Glocester? — Ich kann fast nicht entscheiden, antwortete Jacobine, ob ich Liebe oder Haß in meinem Herze habe, und es liegt so etwas Seltenes in meinem Schicksal, daß der Wohlstand erfordert, es meinen Empfindungen ganz unabhängig zu überlassen. Ich habe mich schon zu viel über etwas gegen den Herzog von Glocester herausgelassen, das mich jezt sehr beunruhiget. Ich verstehe hier, wegen der angetragenen öffentlichen Ehescheidung, wovon der Schimpf auf mich zurück fallen würde, denn die Kirche, unter zwei entgegengesezten Häuptern, kann sicher in dieser mißlichen Sache nicht entscheiden. — Also Madame! unterbrach die Climberge, mit dergleichen Heldenträumereien, wollen Sie lieber den tödtenden Gift geduldig einsaugen, als ihn durch heilsame Gegenmittel vertreiben. Was! weil wir zwei Päbste haben, wollen Sie sich keines derselben[S. 85] bedienen. Ha! Madame! denken Sie nicht so schwach; wer weis ob es nicht der Himmel auch um Ihrer Angelegenheiten wegen verfügt hat, daß dermalen zwei Päbste sein müssen. Beeifert, sich gegeneinander alles streitig zu machen, werden sie nicht verfehlen, hier ihre Gewalt zu beweisen. Fehlen Sie nun, wenn dieselbe Sie begünstigen; so liegt ja die Verantwortung auf ihnen selbst, und Sie, Madame! haben sich desfalls keine Vorwürfe zu machen. Denn sobald der eine, oder der andere entschieden haben wird, können Sie in aller Gewissensruhe dem Herzog von Brabant entsagen, den Herzog von Glocester ehelichen, und den Genus Ihrer noch jugendlichen Jahre, in welchen Sie schon so viel gelitten haben, befriedigen. — Climberge! erwiederte Jacobine, die Päbste sind Menschen, und oft Menschen, deren Herzen ganz verdorben sind; wie können sie daher göttliche Gesetze, die schon viele Jahrhunderte bestehen, und die jedem wahren Christen unverbrüchlich sein müssen, zernichten? — Die Päbste, antwortete Climberge, sitzen auf ihrem Gerichtsstuhl, den Unterdrückten Gerechtigkeit und Hülfe zu ertheilen. Sie sind nicht die erste tugendhafte Frau die ihre Zuflucht dahin genommen[S. 86] hat, Sie würden aber sicher die Einzige sein, die es in dergleichen Fall unterlies.

Climbergs Gründe waren Jacobinens Herzen sehr schmeichelhaft. Ausser daß der Herzog von Glocester ein angesehener Fürst war, hatte er zugleich fürtrefliche Eigenschaften. Bei näherer Untersuchung seiner Verdienste verlohren sich alle, der Ehescheidung entgegengesezte Schwürigkeiten. Jacobine schloß, daß, sobald die Ursachen ihrer Flucht öffentlich bekannt würden, die Schande allein auf den Herzog von Brabant zurückfallen werde.

Schlaflos brachte Jacobine die ganze Nacht mit Bestreitung ihrer Zweifel zu. Und obgleich in derselben der Antrag des Herzogs von Glocesters durch die Climberge nicht unterstüzt werden konnte, sprach doch etwas weit vermögenderes zu seinem Vortheil, und die Liebe besigte bald alle Schwürigkeiten. Climberge und Descaillon, die beide dem Herzog von Glocester ganz ergeben waren, unterstüzten die günstigen Gesinnungen Jacobinens, die nun, ob sie gleich noch einige innerliche Zweifel beunruhigten, sich nicht mehr weigerte ihre Einwilligung zu geben.

Sobald Jacobine die Erlaubnis gegeben hatte, den Pabst Benedickt wegen ihrer Ehescheidung anzugehen, empfand der Herzog von[S. 87] Glocester unaussprechliche Freude darüber. Er wollte, daß ganz England theil daran nehmen sollte; deswegen unterlies er nicht, bei allen Gelegenheiten seine großmüthige Freigebigkeit gegen jedermann zu zeigen. Derweil man mit dem Pabst in Unterhandlung war, erfand er täglich neues Vergnügen, Jacobinen die Zeit angenehm zu vertreiben, und sobald der Scheide-Brief des günstigen Pabsts eintraf, wurde die Vermählung zwischen dem Herzog von Glocester und Jacobine von Baiern vollzogen. Um der Feierlichkeit ein majestätisches Ansehen zu geben, berief der Herzog alles, was nur im Stande war, die Pracht und den Glanz derselben zu erheben, nach London. Jacobine war noch in der Blüte Ihrer Jahre, dabei sehr liebenswürdig und der Herzog so verliebt, daß er das ihm widerfahrne Glück nicht genug zu schätzen vermochte. Beide aber verlebten einige Monate ganz unbekümmert, ob sie noch andere Leiden in der Welt zu erdulden hätten.

Jacobinens Verhängnis aber war zu grausam, sie lange in dem Genus einer so süssen Ruhe zu lassen. Es bereitete ihr viel schmerzhaftere Streiche, als die, welche sie schon empfunden hatte. Mitten im Genus des Vergnügens zog ein fürchterliches Wetter über sie auf. Das Concilium[S. 88] zu Costanz hatte Benedickt abgesezt, und hierdurch alle Schlüsse dieses Pabsts vereitelt. Bei dieser Nachricht wollte Jacobine fast verzweifeln. Der Herzog von Glocester gab sich alle nur erdenkliche Mühe, sie zu trösten und verwünschte im Eifer die ganze Kirchen-Versammlung. Allein was halfen hier tröstliche Worte und Drohungen? Jacobine, die bessere Einsichten, als Klugheit hatte, fand nichts darinn, das ihr die Furcht benehmen konnte. Sie zweifelte nicht, der Herzog von Brabant würde sich, auf des von Degre Antrieb, an den Pabst Martin wenden. Ich werde das Gelächter und der Abscheu der ganzen Welt sein, sagte sie zum Herzog von Glocester. Man wird mich hinführo nicht anderst, als wie ein schändliches Ungeheuer betrachten, und meine Schwachheiten wird niemand entschuldigen. Zwei lebende Ehegemal! Gerechter Himmel! wie abscheulig! Ha! Warum ist der bitterste Tod meinen Ausschweifungen nicht zuvorgekommen? — Sie bereuen also, daß Sie mich geliebt haben, erwiederte der Herzog, und Sie wollen meine Zärtlichkeit damit bestrafen, daß Sie sich Leiden vorstellen, die nur in dem Gehirn der niedrigsten Klasse von Menschen Statt haben? Was habe ich bis jezt anderst gethan, als Sie bis zur Anbetung geliebet, und was kann ich mehr thun als Ihnen[S. 89] die theure Versicherung zu geben, daß, entstehe auch was da wolle, diese Liebe nur mit meinem Tode aufhören wird? Lassen Sie den Martin im Eifer schmählen, so lang er will, er ist nichts anderst als ein wiederrechtlicher Regent der Kirche, der nur einem der niedrigdenkensten Menschen Gehör geben kann. Wir sind glüklich und in Sicherheit. Warum wollen Sie das Gemüth mit schrekhafter Einbildungen martern, indessen Sie nur süsse Tage verleben können? Ha! Herr Herzog! antwortete Jacobine, Sie sehen nicht ein, was ich am meisten zu befürchten habe, und was mir den tiefsten Schmerz verursachet. Sie lieben mich jezt, und ich gestehe aufrichtig, daß ich es glaube: Wer kann mir aber die Versicherung geben, daß Sie mich beständig lieben werden? Die armseligen Reize, die Sie gerührt haben, waren zu schwach, die Unbeständigkeit des Herzogs von Brabant zu hintertreiben. Die Zeit und der Genuß sind die Klippen, an denen Zärtlichkeit und Treue oft scheitern; und vielleicht werden Sie eines Tags der erste sein, der mein Betragen mißbilligen wird, ob Sie mich gleich darzu verleitet haben. Lassen Sie mich also meinen bejammernswürdigen Zustand beweinen. — Sie bürden mir viele Ungerechtigkeiten zugleich auf, Madame! erwiederte der Herzog seufzend,[S. 90] und ich glaubte, Sie würden mehr Zutrauen in meine Redlichkeit setzen, als mir ein so beleidigendes Mißtrauen äusern. Was soll ich thun, und welche Beweise meiner ewigen Treue soll ich Ihnen geben? Wollen sie, daß ich England und dessen Regierung, die mich bindet, verlassen, und daß wir uns in einem verborgenen Winkel der Erde niederlassen sollen, wo wir gegen den Ausbruch des Wetters, das Sie ohne Zweifel zu arg fürchten, gesichert, nichts von aufgeblasenen Kirchen-Vätern und treulosen Ehemännern mehr hören, und wo wir uns einzig und allein mit unserer gegenseitigen Liebe ungestört beschäftigen können? Ihre Ehre und Ruhm liegt mir all zu viel am Herzen, und ich würde mich schlecht rechtfertigen, wenn ich zugäbe, daß Sie solche meinetwegen in einer finstern Einöde vergraben würden. Dieß ist der Weg nicht, den ich einzuschlagen wünsche. Wenn Sie in der Liebe gegen mich beharren, schätze ich mich nicht ganz unglüklich; verlassen Sie mich aber, so bleibt mir nichts als die äuserste Verzweiflung übrig.

Der Herzog umarmte hierauf Jacobinen auf das zärtlichste, und beide vergassen auf einige Zeit dergleichen vergebliche Zweifel, die sie beunruhiget hatten. Die dienstfertige Climberge, die den Herzog von Brabant haßte, und die gegentheils[S. 91] dem Herzog von Glocester, der sie mit Freigebigkeiten überhäuft hatte, ganz ergeben war, bemühte sich, die Bekümmernisse ihrer Gebieterinn zu zerstreuen, worinn es ihr auch oft geglückt haben würde, wann deren nicht täglich neue entstanden wären.

Die Gräfin von Hennegau war über das Betragen ihrer Tochter ausserordentlich aufgebracht. Sie erwog die Gründe nicht, die eine junge beleidigte Fürstin zu ihrer Rechtfertigung haben konnte. Sie war ganz auf des Herzogs Seite, verwarf öffentlich den Scheidebrief des Benedikts, und behauptete gegen jeden, daß die Ehe, die er begünstigt habe, unzulässig sei.

Ob sich nun gleich die von Degre, die noch bei dem Herzog von Brabant in grosser Gunst stand, freuete, daß er seine Gemalinn loß war, wuste sie doch, um so besser uneigennüzig zu scheinen, ihre Zufriedenheit dergestalt zu verbergen, daß man nicht merken konnte, wie sie an Jacobinens gänzlichem Verderben arbeite.

Ist es möglich, sagte sie zum Herzog, daß eine grosse Fürstin ihre Würde so erniedrigende Handlungen begehet, und daß sie eines unbedeutenden, Verdrusses wegen, der nur die Folge ihres Uebermuths war, ihren Gemal verläßt, über See gehet, und sich den Umarmungen eines Andern Preiß[S. 92] giebt? Ist es überdieß noch möglich, daß ein Gegenpabst, ein Mensch, der weder Ehre noch Gottesfurcht besizet, sich unterstehet, dergleichen freche Handlungen, den göttlichen Gesezen schnur straks zuwieder, und die die Menschlichkeit empören, öffentlich zu erlauben und zu begünstigen? Sollen dergleichen Mißbräuche nicht bestrafet werden, und wollen Sie sich nicht durch Behauptung Ihrer Gerechtsame desfals rächen?[J] Ganz bezaubert über diese Rede, erwiederte der Herzog: Liebste von Degre! Der Fehler der Herzogin von Glocester ist uns zu vortheilhaft, als daß wir darüber klagen sollten. Sie hat mehr für[S. 93] uns gethan, als sie hätte thun sollen, wenn sie es zuvor recht überlegt hätte; denn nun kann ich Ihnen ihren Plaz ohne Wiederrede einräumen. Sie haben sie aus meinem Herzen verdrängt, und freiwillig hat sie sich von mir entfernet. Benedikt ist mir mit seiner Gefälligkeit zuvorgekommen, und hat mir die Mühe erspart, ihn selbst darum anzugehen, welches ich sicher gethan haben würde. Das Koncilium zu Costanz giebt mir ein neues Hülfsmittel, um Ihnen ehestens die Würde meines Rangs ertheilen zu können. Nein! Herr Herzog! antwortete dieses schändliche Mädchen, Nein! mein Erheben würde Ihrem Ruhm nachtheilig sein, und ich bin genug befriediget, da ich das Glük habe, Ihnen nicht zu mißfallen. Ich strebe nach keiner andern Ehre, sondern nur nach Ihrer beständigen Liebe. Aber verfolgen Sie die Undankbare, die Sie verachtet hat; und da der Päbste Aussprüche göttlich sein sollen, so suchen Sie den Pabst Martin auf Ihre Seite zu bringen, damit diese Männersüchtige, durch öffentliche Beschimpfung gewahr werde, daß sie unter der Gewalt eines Menschen stehe, der im äusersten Fall genommen, nur als ihr Buhler angesehen werden kann. Ihre Ehre erfordert es, und ich beschwöre Sie darum, sezte sie hinzu (auf die Knie vor den Herzog fal[S. 94]lend), denn ich kann nicht zugeben, daß der Schimpf einer solchen Schandthat auf Ihnen sitzen bleibe. — Der Herzog, ganz von der Degre geäuserten Ergebenheit eingenommen, glaubte leicht, daß sie ihm diesen Anschlag aus aufrichtigem Herzen gäbe; und ohne weitere Untersuchung, versprach er ganz nach ihrer Vorschrift zu verfahren; wie er dann auch von Stund an bedacht war, die Wiederrufung der Bullen des Pabst Benedikts vom Pabst Martin zu erhalten. Der mit Blindheit geschlagene Herzog hatte bei diesem Unternehmen eine ihm verborgene Hülfe und Unterstüzung. Philipp, Herzog von Burgund, der im äusersten Grad ehrsüchtig war, sahe Jacobinens Besitzungen mit neidischen Augen an; schon lange wünschte er, Gelegenheit zu finden, solche an sich bringen zu können.

Diese Zwietracht war ihm also zu Erreichung seiner Absichten sehr willkommen. Er stellte sich zwar dem äuserlichen Schein nach, als ob er sich alle Mühe gäbe, die Partheien zu vergleichen; allein die minder Klügsten konnten leicht einsehen, daß es ihm nicht Ernst war. Jacobinens Aufführung machte ihm heimlich boshaftes Vergnügen, nicht zweifelnd, er würde im Trüben fischen, und sich bald durch den Raub ihrer Staaten bereichern können. Einverstanden[S. 95] mit dem Herzog von Brabant, fiel es ihm nicht schwer, vom Pabst Martin ein donnerndes Urtheil, das jenes vom Pabst Benedikt zerschmettern sollte, zu erhalten. Die Ausdrücke desselben waren ausgesucht und der Kühnheit des Päbstlichen Stuhls eigen. Wonnevoll, ganz entzückt war die von Degre darüber. Der Herzog von Brabant glaubte, gerächt zu sein; die Gräfin von Hennegau, die beständig über ihre Tochter loszog, frohlokte über diesen schönen Erfolg; und der Herzog von Burgund freute sich innerlich, daß ihm nunmehr die Unordnungen in seiner Famillie Gelegenheit verschaften, gemächliche Entwürfe zu machen, den Besiz der schon inne habenden Staaten sich zuzusichern, und solchen zu erweitern. Nur der Graf von S. Paul, des Herzogs von Brabant Bruder, ärgerte sich über diese Mißhelligkeiten und das unkluge Betragen seines Bruders; allein mit dem besten Willen war er zu ohnmächtig, es zu hintertreiben.

Diese Nachricht blieb in England nicht lange unbekannt. Ob sie gleich Jacobine erwartet hatte, war sie ihr nichts desto weniger empfindlich zu vernehmen. Ihr heftiger Schmerz vermehrte sich; sie bezeigte solches ihrem Gemal, der sich alle Mühe gab sie zu trösten und[S. 96] zu beruhigen. Die Climberge brauchte gleichfalls ihre ganze Beredsamheit; allein Jacobine warf ihr mit vieler Bitterkeit vor, daß sie es nur ihrem dringenden Zureden zu verdanken hätte, daß sie nunmehr so unglüklich wäre.

Indeß Jacobine allen Muth und fast den Verstand verlohr, schmeichelte der Herzog von Burgund dem von Brabant ganz ausnehmend; der Herzog von Bedford aber, damaliger Regent in Frankreich, nahm sich seines Bruders an. Es wurden einige Versuche gemacht, die Partheien zu vereinigen; wie man sich dann auch würklich zu Amiens versammlet hatte, allein der Erfolg entsprach diesen Bemühungen nicht. Um die Thränen seiner Gemalin zu stillen, gieng der Herzog von Glocester, nachdem er so viel Völker, als er nöthig glaubte, Besiz von denen, dem Hause Hennegau zugehörenden Ländereien nehmen zu können, aufgebracht hatte, mit ihr nach Calais über.

Gerührt bei dem Anblik ihrer rechtmässigen Fürstin, empfiengen sie die Einwohner der Provinz unter lautem Freudengeschrei, ob sie gleich dem Herzog von Brabant das Gegentheil zugesagt und geschworen hatten: Allein da eben damals Johann von Baiern Jacobinens Oheim in dem Haag vergiftet wurde, und sie dadurch[S. 97] dieser noch einzig übrig gebliebenen Stütze ihres Hausses beraubet ward, nuzte der Herzog von Brabant dieses, und bemächtigte sich einiger der beträchtlichsten Oerter. Hierdurch brach die Kriegsflamme in voller Wut aus. Der Herzog von Glocester wollte seine Gemalin in Sicherheit nach England zurük bringen; allein eigensinniger Weise blieb sie in Bergen, und wollte lieber alles wagen, als, wie sie sich ausdrükte; schimpflich die Flucht nehmen.

Hier hatte sie aber neuen Verdruß zu erdulten. Da die Gräfin von Hennegau, die noch beständig für den Herzog von Brabant eingenommen und gegen Jacobinen aufs äuserste aufgebracht war, sich an dem nehmlichen Ort befand, erforderte es der Wohlstand, daß sie sich einander sahen. Aeusserlich vermied die Gräfin von Hennegau alles, was den Schein eines Unwillens haben konnte, und Jacobine beobachtete ihre Schuldigkeit sehr sorgfältig und mit vieler Bescheidenheit. Allein bei der ersten Unterredung redete die Gräfin Jacobine in stolzem Ton folgendergestalt an: Jezt Madame! nachdem sie Ihren Gemal, ihre Mutter und ihre Staaten verlassen, die gesittete Welt durch Ihre Aufführung geärgert und die Päbste gegeneinander[S. 98] aufgebracht haben, kommen Sie mit fremden Kriegsvölkern nach Bergen, uns heimzusuchen und vermuthlich auf keine Weise unserer zu schonen. — Madame! erwiederte Jacobine, es wird genug zu meiner Rechtfertigung sein, wenn ich Ihre beleidigende Vorwürfe, die ich nicht verdiene, gedultig und ehrerbietig anhöre. Die Beleidigungen, die mir der Herzog von Brabant zugefügt hat, sind Ihnen nicht unbekannt, und diese haben mich bewogen, ihn als einen Treulosen und Undankbaren, der mich ins Elend gestürzt hat, zu verlassen, und mit Erlaubnis der Kirche, einen Fürsten zu heirathen, der mir ganz uneigennüzig gedienet und Schuz gegeben hat. Ich sehe daher nicht ein, was in diesem Betragen tadelnswürdig ist. Allein Madame! leid ist es mir, mich gezwungen zu sehen, Ihnen ohne Rükhalt zu sagen: Daß mir Ihre Gleichgültigkeit, die Sie mir in meinen Leiden bewiesen haben, alle Ueberlegungskraft benommen hat. Denn hätten Sie mir nur einige theilnehmende Liebe gezeigt, so würde meine Erkenntlichkeit Ihre Güte übertroffen haben. — Mit verächtlichem Ton erwiederte die Gräfin: Die Erlaubnis, auf die Sie sich so vest stüzen, ist eben von keiner grossen Wich[S. 99]tigkeit, da sie nur aus dem Mond[K] ihre Entstehung hat; und Sie sehen auch, wie wenig das Konzilium drauf achtet. Ich glaubte, Sie würden vorsichtiger und klüger zu Werke gehen, als durch Ihre Uebereilung zwei Fürstlichen Häussern einen solchen Schandfleken anzuhängen, den sie Ihnen mit Recht noch nach vielen Jahrhunderten vorwerfen werden. — Ihnen zu gefallen Madame! antwortete Jacobine, will ich die Schuld ganz auf mich nehmen, und Sie nicht anklagen; allein hätten Sie mir die Freiheit gelassen, meine erste Verbindung im Wittwenstand zu betrauren, so würden Sie mir alle diese Leiden und sich selbst den Verdrus erspahret haben. War es nöthig, um Ihnen gefällig zu sein, daß ich ewig unter der Abhängigkeit eines eigensinnigen Fürsten, dem nicht einmal die Worte von Ehre und Tugend bekannt sind, leben muste? Sollte ich der von Degre Schandthaten durch gefälliges Betragen noch selbst begünstigen? Und muste ich endlich gelassen zusehen, daß eine Handvoll Menschen aus der Hefe des Volks sich anmasse, mir Geseze vorzu[S. 100]schreiben, da wo ich allein unumschränkt zu befehlen habe? — Sie musten sich beklagen, fuhr die Gräfin fort, und dieß war alles, was Ihnen die Klugheit zu thun erlauben konnte. Es ist jezt ein schöner Anblik für mich, Ihnen, nachdem Sie unsinniger Weise das Meer durchstrichen, unter Begleitung eines Wollüstlings, der Sie in sein Nez gelokt hat, und der Ihnen, wenn er nur Ihr wahrer Liebhaber gewessen wäre, besser geschonet haben würde, wieder hier zu sehen. Denn sein Betragen zeiget deutlich, wie niedrig er Sie achtet, und daß er sich nur Ihrer als einer ganz in Ehren verlornen Frau, zur Befriedigung seiner Lüste bedienet. Diese grausame Mutter wollte hierauf weiter nichts anhören noch sagen, sondern gieng in ein anderes Zimmer; und Jacobine, vom tiefsten Schmerz gebeugt, begab sich in das ihrige.

Da der Herzog von Brabant damals zu Brüssel war, führte in seiner Abwesenheit die Gräfin von Hennegau die Regierung in Bergen. Allein das Blatt drehte sich bald anderst. Die Einwohner, die Jacobinen wirklich so sehr liebten, als sie ihre Mutter und den Herzog von Brabant hasseten, erklärten öffentlich, daß sie nur ihr gehorchen wollten, indem der Herzog[S. 101] sich des Titels ihres Souverains unwürdig gemacht hätte.

Seines eigenen Vortheils wegen, ließ sich der Herzog von Burgund sehr angelegen sein und wandte seine ganze Aufmerksamkeit auf den Nuzen, den er daraus zu ziehen gedachte; dieser zielte schlechterdings dahin, Jacobine gänzlich zu unterdrücken. Er foderte den Herzog von Glocester trozig auf, und zwischen beiden Theilen entstund ein Briefwechsel, der keine andere Folgen als den Krieg nach sich zog. Humphrei, der damals seine Gemalin zärtlich liebte, war über die ihr wiederfahrne Kränkung äuserst gerührt. Die harte Unterredung, die ihre Mutter mit seiner Gemalin gehabt hatte, sezte ihn vollends in Wuth; und da er alle Kräfte anwenden wollte sie zu rächen, beschloß er, eine Reise nach England zu machen, um von da desto leichter die erforderlichen Hülfs-Völker zu beziehen.

Die Gräfin von Hennegau, die ihrer Tochter mit so grosser Strenge, begegnet war, empfand, mehr aus Furcht, als aus anderm Triebe, einige Reue, und wollte sich nun in etwas menschlicher bezeigen. Dem zufolge gieng sie zu ihr, und bat sie, während der Abwesenheit des Herzogs von Glocester, in Bergen zu bleiben. Die Einwohner, die ihr dem Anschein[S. 102] nach ganz ergeben waren, erboten sich sie zu bewachen. Jacobine sahe so viele Wiederwärtigkeiten in ihrem Schiksal, daß ihr alles, ja sogar Humphreis Sorgfalt, dessen Eifer sich verdoppelte, verdächtig war. Da der Tag seiner Abreise anbrach, wollte sie ihn einige Meilwegs ausser Bergen begleiten. Beim Abschied schienen beide gleich gerührt, und eben sagten sie sich das lezte Lebewohl, als ein Frauenzimmer, das sich durch Schönheit und verbissene Wuth besonders auszeichnete, das Volk das sie umgab, durchdrang, und den Herzog von Glocester in vollem Eifer also ansprach: Verräther! feiger und treuloser Fürst! gieb mir meine Ehre wieder, die du mir geraubet hast, oder tödte mich vor den Augen derjenigen, die die Ursache deines Meineids ist. Madame! fuhr sie fort, sich zu Jacobinen wendend, verzeihen Sie meine Ausschweifung und entschuldigen solche in Rüksicht meiner Verzweiflung. So lange es mir möglich war, habe ich im verborgenen gelitten; allein die Kräfte eines zärtlichen und betrogenen Mädchens, die ohne Hülfe ist, sind nicht unerschöpflich. Dieser heimtückische Fürst, der Ihnen seine Hand gegeben hat, vergab ein Gut, das ihm nicht mehr eigen war. Er mißbrauchte die Unschuld meiner Jugend, und verführte mich[S. 103] unter Ausstosung der theuresten Schwüre, die ich unverbrüchlich zu sein glaubte. Sie sehen meine Person, ausserdem aber bin ich aus einer guten edlen Famillie entsprossen, daß er keine Ursache zum erröthen gehabt haben würde, wenn er sein heilig beschwornes Versprechen gehalten hätte.

Dieser unvermuthete Auftritt verursachte Jacobinen eine wunderbare Bestürzung. Mit vieler Aufmerksamkeit betrachtete sie die, die ihn erregt hatte. Sie fand, daß sie viele Reize hatte; und konnte sich nicht enthalten, sie zu bedauern. Der Herzog, ganz beschämt, war in der grösten Verlegenheit, wie er sich aus diesem verdrüslichen Handel wickeln sollte. Endlich, nachdem er sich lange besonnen hatte, sagte er zu Jacobinen: Madame! Kehren Sie sich an den Reden einer Unsinnigen nicht; nach ihrem Betragen können Sie auf ihre Unverschämtheit urtheilen. Die wahre Tugend schreiet nicht so laut und vor so vielen Zeugen. Ich versichere, daß ich Ihnen sehr treu bin, und daß ich jezt von Ihnen verliebter scheide, als ich es jemals war. Hierauf und ohne ihr weitere Zeit zur Erholung zu lassen, umarmte er sie, sezte sich aufs Pferd, und jug mit solcher Geschwindigkeit davon, daß man ihn augenbliklich aus den Augen[S. 104] verlohr. Die Bekümmerte aber, die ihn in Verlegenheit gesezt hatte, lief ihm mit einer Schnelligkeit, die man ihrer Schwäche nicht zugetrauet hätte, nach!

Der Lerm, den diese Begebenheit verursacht hatte, verbreitete sich bald bis zur Gräfin von Hennegau; und Jacobine, die wieder zurük nach Bergen gegangen war, hatte von ihrer Mutter die empfindlichste Spötteleien auszuhalten. Wenn ich mich nicht irre, sagte sie zu ihr, so schmeichelt sich die verzweiflungsvolle Schöne mit einem glüklichen Erfolg ihres zärtlichen Ausfalls, und der eine merkwürdige Epoche in Ihrem Roman machen wird. Die kleine Ausschweifung des Herzogs von Brabant war Ihnen empfindlich, weil Sie ihn nicht liebten, und die weit grössere des Herzogs von Glocester werden Ihnen noch viel empfindlichere Schmerzen verursachen. Aus Mittleiden muß man Sie bedauern und aus Vernunft tateln; denn überhaupt sind Sie nicht zu entschuldigen. Die aller unschuldigsten meiner Handlungen, erwiederte Jacobine, werden Ihnen allezeit wie unverzeihliche Fehler vorkommen; denn nur gegen den Herzog von Brabant sind Sie leicht nachsichtlicht. So groß aber dieses gefällige Betragen ist, weis ich dennoch nicht, ob er es nicht einstens erschöpfen wird. Wenn[S. 105] der Herzog von Glocester vor unserer Bekanntschaft einige flüchtige Liebes-Verständnisse gehabt hat, folget daraus daß er mich verlassen wird? Wenn eine Verwegene sich selbst anklaget, kann deswegen der Schimpf, auf mich zurükfallen? Sie suchen mich nur zu beleidigen; denn Sie müssen den Schimpf den mir der Herzog von Brabant, da er mich schändlicher Weise der von Degre aufopferte, angethan hat, einem unbedeutenden Liebeshandel, den der Herzog von Glocester vor unserer Verbindung gehabt hat, nicht vergleichen. Betrügen Sie sich Madame! erwiederte die Gräfin honlächelnd, und schmeicheln Sie wenigstens mit freiwilliger Blindheit Ihren Verwirrungen. Sie bedürfen keines Raths; und da Sie den Weg nach England allein gefunden haben, so können Sie leicht weit entlegenere Betrüger finden. Unter Ausstosung dieser beleidigenden Worte verließ sie Jacobinen, die ihrem beklemmten Herzen bei der Climberge, mit einer Thränenfluth Luft zu machen suchte. Nun siehest du, sagte sie zu ihr, in welche Kette von Leiden ich mich durch dein Zureden verwickelt habe. Du siehest die Päbste, meine Anverwandte und alle vernünftig denkende Menschen gegen mich aufgebracht. Du siehest ferner eine Unbekannte aus der Erde empor kom[S. 106]men, der es vermuthlich der Himmel eingegeben hat, mich durch ihren Vorgang auf das zu bereiten, was mir unbezweifelt selbst wiederfahren wird. Ha! Climberge! ich bin an meinem Unglük schuld! Die schnelle Abreise des Herzogs von Glocester überzeuget mich, daß er nichts zu meiner Beruhigung zu sagen wuste. Seine Liebste ist ihm nach, sie ist schön und entschlossen; vieleicht sind sie schon vereiniget; denn ich sehe nur schrekhaften Auftritten entgegen. Ich gebe zu Madame! antwortete die Climberge, daß Sie einige Ursache haben verdrüslich zu sein; allein ist der Verdrus von solcher Beschaffenheit, daß er Sie in einen so verzweiflungsvollen Zustand sezen sollte? Seit dem der Herzog von Glocester Ihr Gemal ist, was können Sie ihm vorwerfen? Seine ehrerbietige und sorgfältige Aufmerksamkeit hat Ihrer Zärtlichkeit entsprochen; die seinige hat er Ihnen durch stets gefälliges Betragen bewiesen, und Sie beunruhigen sich dar über, weil es einer thörigten Creatur beliebt, ihre Ausschweifung selbst öffentlich bekannt zu machen? Er hat Ihnen nicht gesagt, daß er niemalen einige verliebte Abentheuer gehabt hätte. Wenn diese Unverschämte noch einige Gewalt über das Herz Ihres Gemals hätte, würde sie wohl mit solcher Wuth vor Ihnen ihr Recht zu behaupten[S. 107] suchen? Beruhigen Sie sich Madame! mit diesen Betrachtungen, und lassen Sie diese Ehrvergessene dem Herzog von Glocester immer nachlaufen; er schien bei ihrem Anblik so gleichgültig, daß man unbezweifelt einsehen konnte, er sei der Gunstbezeugungen, die sie ihm vermuthlich all zu freigebig aufgedrungen hat, überdrüssig: Die Ihrigen aber, die ihm von weit höherem Werth sind, wird er auch gewiß besser zu schätzen wissen. Schmeichle! unterbrach Jacobine, schmeichle so viel du willst. Dir allein, durch dein Zureden, habe ich meine jezige Leiden zu verdanken. Hiemit endigte sich diese Unterredung; Jacobine aber blieb ganz tiefsinnig.

Durch einige Engländer erfuhr Jacobine nach der Hand, daß die, die ihr dermalen so empfindliche Kümmernis verursachte, ein junges Frauenzimmer von guter Famille, Namens Eleonore, sei, die der Herzog von Glocester ehedessen vorzüglich geliebt hatte, und man damals auch in London geglaubt habe, daß er sich mit ihr vermälen würde. Durch einige wahrscheinliche Betrachtungen, die Jacobine desfals machte, tröstete sie sich einigermassen, da sie aber die Unbeständigkeit der Männer schon erfahren hatte, wiedersezte sich stetes Mistrauen ihrer Ruhe.

[S. 108]

Ganz ohne Freunde war Jacobine nicht; verschiedene derselben hatten sich bemühet, den Pabst Martin für sie zu gewinnen; und da die Hohenpriester der römischen Kirche gewöhnlich dergleichen Knoten nicht so vest knüpfen, daß sie nicht auflösbar sein sollten; zog auch dieser sein eigenes Urtheil wieder ein, und hob hierdurch Jacobinens Beschämung zum Theil auf. Allein dieser gefällige Pabst gab damit neuen Anlaß zum Krieg. Der Herzog von Brabant war nichts weniger als ein Held; er zog das Vergnügen dem Geräusch der Waffen bis zur Feigheit vor; und da der Herzog von Burgund, der nur Jacobinens gänzlichen Sturz zum Augenmerk hatte, sahe, daß sie nur unter dem Schuz eines unerfahrnen Volks war, lies er ohne alle Achtung für das weibliche Geschlecht und der Würde einer Fürstin, die Provinz ihrer Zuflucht mit Kriegsvölker überziehen und in derselben übel haussen. Die Gräfin von Hennegau, die äusserlich sich stellte, als ob sie auf ihrer Tochter Seite wäre, aber ganz auf der des Herzogs von Burgund war, brachte durch ihre listige Unterhandlungen einen Vergleich zu stande, vermöge welchem: dem Herzog von Brabant die Provinz Hennegau zum Eigenthum verblieb, wo er züglich alle Beleidigungen, die ihm etwa in derselben wiederfahren wären, zu vergessen[S. 109] und zu vergeben versprach, und daß Jacobine, bis der Proces, den man wieder aufs neue beim römischen Hof anhängig gemacht hatte, entschieden wäre, dem Herzog von Burgund zur sicheren Verwahrung übergeben werden sollte.

Diese Uebereinkunft, die Jacobinen so ganz nachtheilig war, verursachte ihr den tiefsten Schmerz. Nun sahe sie erst recht die Falschheit ihrer Mutter; und die Untreue der Einwohner Bergens ganz ein. Ob ihr gleich die Nachläßigkeit des Herzogs von Brabant bekannt war, glaubte sie dennoch nicht, daß er dem Ehrgeiz des Herzogs von Burgund alles so schlechterdings aufopfern würde. Man drohete ihr, daß, falls sie diesen Vergleich nicht eingehen würde, sie dem Herzog von Brabant zu überantworten. Ihre eigenen Bediente wurden gefangen gesezt. Sie selbst aber wurde nicht nur als eine Staatsgefangene, sondern als eine würkliche Mißethäterin behandelt. Da sie keine Nachricht vom Herzog von Glocester hatte, und daher nicht wissen konnte, was in England vorgieng, marterte dieses ihr Gemüth um so mehr. In dieser äusersten Verlegenheit lies sie folgendes Schreiben an den Herzog ergehen:

„Es würde überflüssig sein, Ihnen eine weitläuftige Erzählung meines bejammernswürdigen[S. 110] Zustands zu machen; denn das Gerücht trauriger Begebenheiten verbreitet sich nur all zu schnell und zu sorgfältig. Dieses finde ich aber nöthig, Ihnen in Erinnerung zu bringen, daß Sie mir mit Ihrer Hand zugleich Ihr Herz zugesichert haben. Mich von Ihnen nicht mehr geliebt und verlassen sehen, würde mein trauriges Herz unter allen Leiden, die auf mich losstürmen, das empfindlichste sein. Mein gröster Feind hier ist meine eigne Mutter. Ich bin meiner Länder beraubet, und meine noch wenige, getreu gebliebene Diener liegen in Fesseln. Mir selbst aber ist keine andere Wahl gelassen, als mich der Sclaverei des Herzogs von Burgund, oder der des Herzogs von Brabant, zu unterwerfen. Urtheilen Sie also was aus mir werden würde, wenn Sie mich verliessen. Nicht der Ehrgeiz, sondern meine gegen Sie tragende Liebe fordert Sie auf. Denn wären Sie mir weniger schäzbar gewessen, so würde ich jezt mehr Muth haben. Ziehen Sie bei dieser Gelegenheit die Reize der schönen Eleonore nicht zu Rath; sie dürften mir nachtheilig sein. Da ich nicht angestanden habe, Ihnen mein Herz zu schenken, gebe ich Ihnen jezt auch die[S. 111] Versicherung, daß ich mit unverbrüchlicher Treue Zeitlebens sein werde &c. Jacobine.“

Der Eilbote, den sie mit diesem Schreiben eigends abgefertigt hatte, beschleunigte so viel ihm möglich war seine Reise; allein wiedrige Winde vereitelten diese gute Meinung, und er kam erst in London an, nachdem sich Jacobinens Wiedersacher ihrer schon ganz bemeistert hatten. Unter dem Geleit des Prinzen von Oranien und einiger andern Herren, die der Herzog von Burgund darzu gewählet hatte, wurde sie von Bergen weg und nach Genf gebracht, alwo sie noch ziemlich ehrerbietig bedient ward.

Den Herzog von Glocester rührte Jacobinens elender Zustand sehr. Er säumte keinen Augenblik an seinen Bruder den Herzog von Bedford nach Frankreich zu schreiben, der sich dann auch gleich bei Empfang des Briefs, mit Achthundert Reuter und unter Begleitung vieler vom Adel, Jacobinen beizustehen auf den Weg machte, und zu Corbie in der Picardie anlangte. Die Herzogin von Bedford wollte ihren Gemal zu dieser Unternehmung begleiten; allein es geschahe mehr um die ganze Sache zu hintertreiben, da sie eine Schwester des Herzogs von Burgund war. Dieser besuchte sie gleich bei der Ankunft, und unter dem Vorgeben, sie besser bewirthen[S. 112] zu können, führte er sie auf einige Tage nach Hedin, wo er durch verstellte Sanftmuth den Herzog von Bedford so ein zu nehmen wuste, daß der bedrükten Jacobine gar nicht gedacht wurde.[L][S. 113] Ob gleich der Herzog von Bedford Regent in England war, wollte ihm diese Nation dennoch nicht als ihrem Souverain gehorchen. Sie versagten ihm ihren Beistand mit ziemlichem Unge[S. 114]stüm. Er fühlte diese Beleidigung sehr empfindlich, er sahe aber keinen Ausweg sich zu rächen. In dieser seiner Unvermögenheit war er auf eine besondere Rache bedacht, und foderte zu dem Ende den Herzog von Burgund zum Zweikampf auf. Beide Fürsten bereiteten sich auch hierzu; allein der Herzog von Bedford, der es in Zeiten erfuhr, gab nicht zu, daß sie sich durch ein so abentheuerliches Benehmen vor der ganzen Welt lächerlich machen sollten.

Jacobine, die den Pallast der Grafen von Flandern in Gent zur Wohnung hatte, ward gleichwohl in demselben ihrem Rang nach bedienet. Diese glimpfliche Behandlung benahm ihr aber keineswegs das Andenken ihrer gehabten, ihrer jezigen und die Vorstellung ihrer künftigen Leiden. Welchen Namen man auch ihrem Auffenthalt geben mochte, war er doch im Grunde eine wirkliche Gefangenschaft; sie konnte daher ihren dermaligen Zustand nicht anderst als die Folgen einer unerträglichen Tiranei ansehen, die sie unmöglich erdulten konnte. Außerdem marterten sie noch gewiße Gemüthsunruhen. Die Briefe des Herzogs von Glocester wurden ihr vorenthalten, und unter so vielem Verdrus strebte sie sehnlichst nach der Freiheit. Man hatte ihr überdem gestekt, daß der Herzog von Burgund vor[S. 115]habe, sie auf immer in Lisle einzusperren. Die Furcht einer ewigen Gefangenschaft flößte ihr, mit Beihülfe der Climberge, und des Descaillon, die ihr beständig treu verblieben waren, neuen Muth und Entschloßenheit ein. Sie schrieb an einige angesehene und vermögende Holländer, und sprach sie um ihren edelmüthigen Beistand an. Keiner unter ihnen versagte ihr denselben, zu welchem Ende sie auf das schleunigste nach Gent giengen. Daselbst war sie nicht so genau bewachet, daß man nicht, mit Beobachtung einiger Vorsicht, hätte zu ihr kommen können. Sie hatte eine gerechte Sache, und unmöglich konnte man sie, ohne von ihrer Schönheit und Anmuth gerührt zu sein, ansehen. Ihre Befreier verabredeten sich und trafen so gute Vorkehrungen, daß sie sie, nebst der Climberge, in Mannskleidern aus Gent und glüklich nach Antwerpen brachten, daselbst zog sie wieder ihre gewöhnliche Kleidung an, und langte über Breda in der Grafschaft Holland an. Hier wurde sie als Gebieterinn empfangen, und die Angesehensten der Provinz giengen wegen ihrer wichtigen Angelegenheit mit ihr zu Rath. Der Herzog von Burgund, der über ihre Flucht in Wuth gerieth, versammlete ein so fürchterliches Heer, als ob er wolle die ganze Welt bezwingen, und drang damit[S. 116] in Holland ein, um die schon unter seine Bottmässigkeit gebrachten Oerter im Gehorsam zu erhalten. Man sahe ihn auf die gänzliche Unterdrükung einer liebenswürdigen Fürstin, die fast so viele Unglüksfälle gehabt, als sie an Alter Jahre zählte, ganz erbittert.

Es dauerte nicht lang, so trafen die zwo Parteien auf einander, und wurden handgemein. Obgleich Jacobinens Heer sehr gering war, erhielte es doch verschiedene Vortheile, von welchen sie dem Herzog von Glocester Nachricht gab, der denn auch entschloßen schien, ihr zu Hülfe zu kommen. Silvatier, unter dem Karacter seines General-Leutenants, an der Spitze von fünfhundert der tapfersten entnommener Engländer, wurde hierzu ernannt; allein der Herzog von Burgund, deßen Macht all zu beträchtlich war, behielt die Oberhand. Dieses zwar tapfere, aber all zu schwache Heer wurde geschlagen, und fast ganz in die Pfanne gehauen. Der Sieger aber gieng nach Flandern, um das seinige, welches gleichfals viel gelitten hatte, wieder zu ergänzen.

Dieser unglükliche Ausschlag benahm Jacobinen den Muth dennoch nicht. Der Schmerz, den sie darüber empfand, war heroisch; denn mit wahrem Heldenmuth, der ihrem Geschlecht[S. 117] sonst nicht eigen ist, stellte sie sich selbst vor die Spitze ihres kleinen Heers und belagerte Harlem. Dies Unternehmen glükte ihr nicht. Denn die Vorkehrungen, die der Herzog von Burgund zur Vertheidigung dieser Stadt getroffen hatte, wurden zu genau befolget, und sie muste daher mit Kummer ihre lezte Anstrengung vereitelt sehen. Der Herzog von Glocester verfuhr sehr nachläßig. Die See schied sie von einander, und Jacobine zweifelte nicht, daß sich die entschloßene Eleonore in London befinde, und diese Nachläßigkeit verursache. Wenn der Herzog an sie schrieb, war es in so verlegenen Ausdrücken, die leicht ihre Muthmaßung bestättigen konnten, und indeßen sie ihre Völker in eigener Person anführte und sich allen Gefahren aussezte, blieb er, unter dem Vorwand, die Engländer auf seine Seite zu bringen, und die Hülfe seines Bruders, des Herzogs von Bedfords abzuwarten, dem es auch kein Ernst war, ganz unthätig in London. Alle diese traurigen Betrachtungen bekümmerten Jacobine stets, und verursachten ihr manche Gemüthsunruhen. Jezt Climberge! sagte sie zu dieser ihrer Vertrauten, siehest du die betrübten Folgen der Falschheit des Herzogs von Glocester. Er überläßt mich ganz meinem Schiksal und der Himmel straft mich wegen meiner thörigten Leichtgläubigkeit. Die Rolle, die[S. 118] ich spielen muß, schikte sich weit besser für ihn. Wie? indem ich ein Heer zur Vertheidigung unserer Gerechtsame anführe, überläßt er sich ganz in träger Unthätigkeit seiner verrätherischen Leidenschaft. Grausame Climberge! Warum stimmte meine Schwachheit mit deinen unbedachtsamen Rathschlägen so überein? Warum habe ich mich durch deine schmeichlerische Zunge verführen lassen? Und endlich warum muste ich dir, zu meinem grösten Nachtheil, folgen? Wilst du nun noch einen Menschen entschuldigen, der mich im grösten Jammer ganz verläßt? und wirst du mich noch ferner mit seigten Trostgründen beruhigen können? Betrachte mich von nun an wie ein verstoßenes in der Welt herum irrendes Geschöpf, das von Anverwandten gehaßt und von Feinden verfolgt ist, und siehe, ob du im Stande bist, mir die verlohrne Unschuld wieder zu verschaffen. — Ich gestehe Madame! erwiederte die Climberge, daß mich mein Diensteifer kann betrogen und zu weit getrieben haben; allein sind Sie deswegen straffällig? haben Sie dem Herzog von Brabant Anlaß zu seiner Ausschweifung mit der schändlichen von Degre gegeben? und geben sie jezt dem Herzog von Glocester Ursache undankbar zu sein? In beiden Fällen sind Sie unschuldig. — Ich war zu leichtgläubig[S. 119] und zu voreilig, erwiederte Jacobine, ich hätte die Wichtigkeit meiner Handlungen beßer überlegen sollen und dieses habe ich mir mit Recht vorzuwerfen.

Der Herzog von Brabant, den die von Degre beständig anreizte, verfolgte, während der Zeit, den so viel wiedersprochenen Scheidungs-Proceß beim römischen Hof aufs schärfste. Zur gründlichen Untersuchung dieser Sache ernannte der Pabst eine Congregazion von verschiedenen Kardinälen; und da diese auf Seiten des Herzogs von Brabant die Ursachen zur Ehescheidung nicht hinlänglich genug fanden, erkannten sie ohne weiteres Jacobinens Ehe mit dem Herzog von Glocester für ungültig, wenn auch gleich der Herzog von Brabant mit Tode abgehen sollte. Diesem Urtheil nach, von welchem nicht zu appeliren war, wurde beschloßen, daß das unschuldige Schlachtopfer, zur Befriedigung der gegenseitigen, durch Eigennutz geleiteten Partei, auf ihre eigene Kosten gefangen und dem Herzog von Savoien in sichere Verwahrung gegeben werden sollte. Gleich nach dem dieses, für Jacobinen so fatale, Urtheil bekannt wurde, erklärte sich der Herzog von Glocester auf die unedelste Art, daß er mit Jacobinens Angelegenheiten nichts mehr zu schaffen haben wollte; und wenige[S. 120] Tage drauf, heurathete er die nehmliche Eleonore, die ihn bei der Abreise von Bergen mit ihren Vorwürfen so überrascht hatte.

Ob nun gleich jezt Jacobinen die Größe ihres Unglücks ganz einsahe, verlohr sie darum den Muth noch nicht. An der Spitze ihres kleinen Heers führte sie den Krieg noch immer fort, und auch bei verschiedenen Gelegenheiten mit günstigem Erfolg. Allein den eifersüchtigen Herzog von Burgund, der einmahl ihre völlige Zernichtung geschworen hatte, glükten wegen seiner großen Obermacht die Unternehmungen weit beßer.

Damals, nehmlich 1426. im April, starb der Herzog von Brabant, dem sein Bruder, der Graf von St. Paul, in der Regierung seiner Länder folgte. Da aber dieser ein sehr friedliebender Herr und unvermält war, bekümmerte er sich weiter nicht um Jacobinens Angelegenheiten, deren eigenthümliche Staaten sich nunmehr der Herzog von Burgund ganz zueignete.

Jacobinen blieb noch ein wahrer Freund in ihrer ganz verlaßenen Lage übrig. Es war der Graf von Brederode, dieser stellte sich an die Spitze ihres übrig gebliebenen kleinen Heers, und erfochte wirklich mit dieser geringen Anzahl Völker ziemlich beträchtliche Vortheile in[S. 121] Nordholland. Allein endlich muste er doch der großen Obermacht des Feindes unterliegen; nach einer tapfern Gegenwehr wurde er überwunden, gefangen und muste zusehen, daß verschiedene Edelleute von seiner Partei enthauptet wurden. Er würde auch das nehmliche Schiksal erfahren haben, wenn man nicht befürchtet hätte, da er von dem ehemaligen Grafen von Holland abstammte,[M] die ganze Provinz dadurch aufzubringen.

[S. 122]

Nun wurde die unterdrükte Jacobine gezwungen, der unrechtmäßigen Gewalt nachzugeben und einen Vergleich einzugehen, vermöge welchem sie sich anheischig machen muste, ohne Einwilligung des Herzogs von Burgund, ihres nunmehrigen Gesezgebers oder vielmehr Tirannen und nächsten Blutsverwandten, nicht wieder zu heirathen. Dieser Vergleich wurde von ihnen beiden, in Gegenwart des Adels und der Deputirten der Städte, zu Delft eigenhändig unterschrieben. Da nun hierdurch der Herzog von Burgund seine haabsüchtigen Absichten erreicht hatte, ernannte er einen jungen Edelmann, Namens Franz von Borselle, der einer der tapfersten und wohlgestaltesten Edelleute der damaligen Zeit war, zum Gouverneur über die unrechtmäßig an sich gebrachten Länder. Um sich mehr Ehre und größeres Ansehen zu geben, führte er Jacobinen, gleichsam wie im Triumpf, mit sich nach Bergen.

[S. 123]

Hier hatte sie nun volle Muße, Betrachtungen über die vielen Wiederwärtigkeiten, die ihr begegnet waren, anzustellen. Sie befand sich an einem Ort, wo ihr alles zu Befehl stehen sollte, wo sie aber leider nichts mehr zu sagen hatte. Man erwies ihr zwar einige Ehrenbezeigungen; allein mit weniger Achtung und mit vieler Nachläßigheit. Stündlich beweinte sie die Härte ihrer Leiden, den Tod des Dauphins und den ihres Vaters, des Grafen von Hennegau, und verwünschte ihre unglüklichen Ehen mit den Herzogen von Brabant und von Glocester. Vielfältige Betrachtungen machte sie über das schändliche Verfahren der Päbste, und alle andern Ereigniße, die sie in den Abgrund des Verderbens gestürzt hatten. Aller ihrer Vorrechte beraubt, unvermögend die geringsten Bedürfniße befriedigen zu können, verachtet in ihren eigenen Staaten, und unterdrükt von einem Fürsten, der ihr Blutsfreund war — was muste sie bei ihrer erhabenen Denkungsart nicht alle dabei empfinden? Sie fühlte noch zärtliche Regungen für den untreuen Herzog von Glocester, die zu tiefe Wurzeln gefaßt hatten, als daß sie so leicht hätten können ausgerottet werden; und man konnte in Wahrheit von ihr sagen; daß das schönste, geistigste und anmuthigste Frauenzimmer, das aller elendste auf[S. 124] Erden war, worüber der Herzog von Burgund frohlokte. Ihr elender Zustand rührte die Gräfin von Hennegau, ihre Mutter, auf keine Weise; und die von Degre, die nicht unterlies übertriebene und nachtheilige Erzählungen und Lügen von ihr auszustreuen, spottete sie allerwegen aus. Dieses alles aber verhinderte nicht, daß ihr die Liebe in ihrem Schicksal neue Prüfungen zubereitete. Der von Borselle hatte sie verschiedenemalen angetroffen, da sie ihrem kummervollen Herzen durch eine Tränenfluth Luft zu machen gesucht hatte. Nichts erhebt die Schönheit eines Frauenzimmers mehr, als traurige Blicke; und wer nur die geringste Anlage zu zärtlichen Empfindungen hat, der kann unmöglich ein liebenswürdiges Frauenzimmer im Kummer sehen ohne Mittleiden zu fühlen und ohne von ihren Reizen gerührt zu werden. So gieng es auch dem von Borselle; und ob er gleich dem Herzog von Burgund sein ganzes Glük zu verdanken hatte, so sahe er doch denselben von Stund an wie seinen ärgsten Feind an, und lies sich in seinen zärtlichen Regungen für Jacobinen nicht irre machen.

Anfangs betrachtete Jacobine Borsellens gefälliges Betragen als Wirkungen der Großmuth und des Mittleidens; sie wurde aber bald ge[S. 125]wahr, daß er aus ganz andern Empfindungen handele. Selbst die Climberge, die noch immer Jacobinens Vertraute war, bemerkte es und unterredete sich ohne weitern Zwang darüber mit ihr. Wie? antwortete ihr Jacobine, wirst du nach dem allem, was mir begegnet ist, noch thörigt genug sein, mir von neuen Liebhabern zu sprechen? Ist Borsellens Rang und Geburt nicht weit unter der meinigen? und wenn er mich redlicher und treuer wie die vorigen liebte, würdest du ihn würdig genug halten, drei angesehenen Fürsten in dem Ehebete zu folgen. Ich weiß wohl, erwiederte die Climberge, daß er nicht von so hoher Abkunft ist, demohnerachtet ist er doch aus edlem Blut entsproßen, liebenswürdig wegen seiner angebohrnen Anmuth, über die Maßen großmüthig, und eifrigst beflissen, Ihnen zu dienen. Können Sie versichert sein, ob nicht ihm die Ehre, Sie zu befreien, und der Ruhm, Sie glüklich zu machen, vorbehalten ist? — He! Wer hat dir denn gesagt, fuhr Jacobine fort, daß er mir so geneigt ist? Kanst du ihm ins Herz sehen oder hat er dir sein Geheimnis offenbahret? Man darf nur Augen haben, erwiederte die Climberge, um dergleichen Bemerkung zu machen; denn entweder giebt es keine wahre Verliebte, oder Sie haben dem von Borselle die heftigste Leidenschaft[S. 126] eingeflößt. In diesem Fall, antwortete Jacobine, da eben Borselle zur Thür herein tratt, würde er zu bedauern sein. Da er ziemlich schüchtern und bleich aussahe, seine Blicke auch zärtlich und ehrerbietig waren, so bestättigte dieses Climbergens Aussage vollkommen. Jacobine erröthete bei seinem Anblik, und, um ihre Verwirrung zu verbergen, nahm sie ein erkünsteltes Lächeln an. Sie werden schlechten Dank bei dem Herzog von Burgund verdienen, sagte sie zu ihm, daß sie eine arme Gefangene, die alle, welche einiges Mitleiden für sie blicken laßen, mit ins Unglük stürzet, besuchen. Wenn Sie die Gewogenheit und des Zutrauens eines mißtrauischen Gebieters fernerhin theilhaftig sein wollen, so behandeln Sie mich nicht zu edelmüthig. Ich gebe Ihnen die aufrichtige Versicherung, daß ich mit den, mir schon erzeigten Gefälligkeiten vollkommen zufrieden bin, und Ihnen dafür ewig verbunden sein werde. — Madame! antwortete Borselle, Sie sind mir auf keine Weiße Verbindlichkeit schuldig; und wenn gleich Ihre Gütigkeit meine gute Meinung dahin rechnen wollte, so ist bei derselben mein Unvermögen so groß, daß ich mich darüber schämen muß. Sie sind ganz ohne Fehler und demohnerachtet sind Sie unglüklich. — Sie sind zu ausschwei[S. 127]fend in Ihrer Höflichkeit, unterbrach ihn Jacobine; denn von strengern Richtern würde ich nicht so vortheilhaft beurtheilet werden. Wißen Sie nicht, welche ärgerliche Gerüchte man von mir ausgestreuet hat, und auf welche, meiner Ehre nachtheilige Weiße man von mir spricht? Dieses habe ich der christlichen Liebe der Päbste zu verdanken; diese wollten mich vermuthlich durch dergleichen grausame Demüthigungen zur strengeren Buße anhalten. Die Päbste, erwiederte Borselle, waren von jeher die Geisseln rechtschaffener Menschen. Welche Lästerzunge darf sich wohl erfrechen, Ihnen ein Vergehen anzudichten. Was? weil Männer undankbar und unsinnig genug gewesen waren, Ihnen mit Verachtung zu begegnen, will man Sie ihre Verbrechen entgelten laßen? Ich behaupte vor der ganzen Welt, daß, wenn jemand unfehlbar ist, Sie es gewiß sind. — Ha! Borselle, erwiederte Jacobine, Ihre Nachsicht ist übertrieben; ich laße mir selbst Gerechtigkeit wiederfahren und gestehe freimüthig, daß ich zu unvorsichtig gehandelt habe. Um aber das Gespräch von meinen Angelegenheiten abzubrechen, bitte ich Sie, mir die Ursache Ihrer Traurigkeit und Verlegenheit zu sagen. Sollte ich etwa noch unglüklich genug sein, Ihnen Verdruß zu verur[S. 128]sachen, und sollte das traurige Verhängniß, daß mich überall verfolget, auch Einfluß auf Sie haben? — Sie allein Madame! erwiederte er, verursachen unschuldiger Weise die Gemüthsruhe, die sie an mir bemerken; denn meine Liebe ist so gränzenlos, daß ich die Hochachtung, die ich Ihnen schuldig bin, darüber auf die Seite setze. Ihre Reitze, durch Leiden erhöhet, sind vermögend, die härtesten Seelen zu rühren; wie kann also die meinige, die von ganz anderer Beschaffenheit ist, ohne Empfindung sein? Ich sage dieses mit keiner unbedachtsamen Verlegenheit; denn ich weiß den Unterschied, der zwischen uns ist, sowohl in Ansehung der Geburt als des Standes, nur zu gut, dieserwegen ist dennoch meine Liebe nicht weniger heftig. Erzürnen Sie sich nicht über einen Unglücklichen, den die Stärke der Leidenschaft hinreißt, durch diese Erklärung seinem beklemmten Herzen Luft zu schaffen. Obgleich dieser große Unterschied zwischen uns ist, indem Sie des Glüks eines der ersten Königen theilhaftig sein sollten, vermindert diese Betrachtung dennoch meine empfindsame Leidenschaft nicht. — Borselle! antwortete Jacobine, ich habe Sie ungestört reden laßen, weil mit Ihre unvermuthete Erklärung die Sprache benommen[S. 129] hat. Ohne Ihnen die Anmerkung, die Sie selbst in Ansehung des Unterschieds unseres Standes gemacht haben, nochmals zu wiederholen, wird es genug sein, Ihnen zur Betrachtung zu geben, daß alle dergleichen Leidenschaften, die ich unglüklicher Weise schon eingeflößt habe, gleich nach ihrer Entstehung verschwunden sind, daß man mir, nur mich beßer betrügen zu können, geschmeichelt hat, und daß, anstatt daß man mir hätte Treue und Versprechen halten sollen; es vielmehr scheinet, als ob mein Herz und meine Hand vergiftet wären; denn so bald ich deren Besiz eingeräumet habe, wurden solche gleich verachtet und verschmähet, ohne zu gedenken, daß ich unglüklich genug war, meinem ersten Gemal den Tod zum Brautschaz mit zu bringen. Wenn es also wirklich an dem ist, daß meine geringen Reize, die niemand mehr unglüklich machen sollen, Sie beunruhiget haben, so nützen Sie diese Betrachtungen, Ihre aufkeimende Leidenschaft zu unterdrücken, und vermehren Sie mein Elend nicht durch Ihr eigenes Leiden. — Ich würde, erwiederte Borselle, wenn es in meinem Vermögen stünde, Ihnen gehorchen; allein eine Leidenschaft, die so heftig wie die meinige ist, läßt sich nicht bezwingen[S. 130] Sein Sie vielmehr versichert, Madame! daß sie von ewiger Dauer sein wird. Nur der Tod kann mir solche rauben, und ich weiß nicht ob sie mir nicht noch jenseit des Grabes folgen wird. Ah! welcher Unterschied ist in der Liebe, zwischen den hohen Ungetreuen, die Sie verrathen haben und dem unglüklichen Borselle? Warum kann die Geburt seine Leidenschaft nicht rechtfertigen, und warum hat er keine Kronen zu Ihren Füßen zu legen? — Sie haben, erwiederte Jacobine, gute Eigenschaften genug, die zu Ihrem Vortheil sprechen; aber um des Himmels willen dringen Sie weiter nicht in mich, und überlegen Sie, daß ich schon unglüklich genug war. Hierauf lenkte sie das Gespräch auf andere Gegenstände; und Borselle der nun einmal den Schritt, der manchen Liebhaber in Verlegenheit setzet, gemacht hatte, sezte vor jezt nicht weiter in sie.

Von diesem Tag an verdoppelte er seinen Fleiß und seine Sorgfalt, Jacobinen gefällig zu sein. Der Herzog von Burgund, der sie so vest gebunden hatte, war auf Borsellens Betragen wenig aufmerksam. Dies günstige Uebersehen verknüpfte diesen Umgang bald sehr eng. Die Climberge, der ihr gezwungener Aufenthalt in Bergen unerträglich wurde, legte Borsellens unbedeutenste[S. 131] Handlungen großen Werth bei. Ja! Madame, sagte sie zu ihrer Gebieterin, weil man Sie noch nicht wirklich geliebt hat, wird es Ihnen um so viel süßer sein, nach Ihren Verdiensten geliebt zu werden. Hat nicht schon der Himmel Ihre treulosen Gemale bestraft? Der Herzog von Brabant ist in der Blüte seiner Jahre gestorben, und der Herzog von Glocester hat sich durch seine Verbindung mit einer entehrten Person, ganz Europas Verachtung zugezogen, und Sie mit Aufopferung seiner eigenen Ehre gerächet. Borsellens Beständigkeit in der Liebe wird diese Rache vermehren. Wollten Sie lieber in den Feßeln, die Ihnen der Herzog von Burgund angelegt hat, schmachten, als das Glük eines verdienstvollen Mannes befördern? Man hat Ihnen unbillige Geseze vorgeschrieben, denen Sie sich zu unterwerfen nicht verbunden sind. Wenn Sie durch Borsellens Tapferkeit wieder in Ihre Gerechtsame werden eingesezt sein, haben Sie alsdann nicht Würde und Hoheit, die ihn dem grösten Fürsten gleich stellen, mit ihm zu theilen? Er ist von edler Geburt, und seine Thaten machen ihn ehrwürdig. Sollten Ihnen dieses nicht Beweggründe genug sein? — Spreche! unterbrach sie Jacobine, spreche immerfort und leite mich aus einem Irrweg in den[S. 132] andern: weil es deine und meine Bestimmung ist. Ich sollte die Liebhaber und Ehemänner mehr als den Tod fürchten, und doch höre ich dir gelaßen zu; ja! ich weiß nicht, ob du mich nicht noch gar überreden wirst. Gefährliche Freundin! Warum hast du mich in meinem Unglük allerwegen begleitet? Glaubst du, daß deine Beharrlichkeit mir nachtheiliger als der andern Treulosigkeit ist? Wie ich in London ankam, war ich wenig geneigt zu thun, was ich nachher gethan habe; Du allein warst schuld an der Thorheit, die ich begieng, jezt willst du mir eine weit größere zumuthen, und am Ende werde ich mich mehr über dich, als über die von Degre zu beklagen haben.

Während Jacobine in einem Strom von Unruhen dahin schwamm, sahe Borselle, der wirklich und aufrichtig liebte, wohl ein, daß er ihr nicht verhaßt war; er sezte daher so anhaltend in sie, daß es ihm glükte das lezte Geständnis von ihr zu erhalten. Er hatte Jacobinens wegen außerordentlich große Ausgaben gemacht. Denn zu der Zeit, da sie an allem Mangel litte, sezte er sie in Ueberfluß. Er trat geheime Vorkehrungen, die des Herzogs von Burgund seine vereiteln sollten, und heirathete[S. 133] Jacobinen mit der zu diesem Unternehmen nöthigen Behutsamkeit und erforderlichem Geheimniß. Die Climberge, der Descaillon und zwei vertraute Freunde des Borselle, waren die einzigen, die dieser Handlung beigewohnt hatten; das neue Paar war aber dieserwegen nicht wenig glüklich. Sicher ist es, daß Borsellens Liebe, statt zu erkalten, täglich zunahm; denn es schien, als ob die Zeit ihr neue Kräfte gäbe. Allein Borselle konnte nicht länger unthätig bleiben; er hatte zu viel Muth, das Interesse einer Person, die alles für ihn aufgeopfert hatte, zu vernachläßigen. Er muste sich daher von ihr entfernen. Schreklich war für beide dieses nothwendige Scheiden, das auf die beweglichste Weise, mit Versicherung ewiger Liebe, erfolgte.

Man wurde bald gewahr, daß Borselle Jacobinens Angelegenheiten wegen in Bewegung war. Es dauerte nicht lang, so wurde der Herzog von Burgund davon benachrichtiget; und ob gleich das Ehebündniß sehr geheim gehalten war, erfuhr er es doch auch gar bald. Da er einer der stolzesten rachsüchtigsten Fürsten war, geriet er bei dieser Nachricht in die gröste Wuth. Hundert Eilboten wurden mit dem Befehl abgefertiget, sich des Borsellens zu bemächtigen, der sich zu sehr auf seinen[S. 134] Muth verlaßen, und sich mit seiner geringen Anzahl Leute zu viel gewagt hatte, gefangen genommen und in die Hände seines Feindes geliefert wurde.

Der Herzog von Burgund, der nun seiner Beute gesichert war, wollte die strengste Rache ausüben. Er befahl zu dem Ende, Borsellens Prozes zu beschleunigen. Bis zur Wuth gegen Jacobinen, die ihn so hintergangen hatte, aufgebracht, wollte er ihr das Schiksal, das ihrem Gemal bevorstand, selbst ankündigen. Sie können nun auf den fünften Gemal bedacht sein, sagte er zu ihr; denn ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich Sie in einigen Tagen der Mühe überheben werde, den Scheide-Brief Ihres vortreflichen Ehebündnißes mit dem Borselle, von Rom aus kommen zu laßen. Ein Scharfrichter wird hier die Stelle des Hohenpriesters vertreten, und Ihnen diese Erlaubniß verschaffen. Denn ich glaube nicht, daß Sie mich feig genug halten werden, dergleichen grobe Beleidigungen ungestraft zu laßen. Ganz unvergleichliche Ehre haben Sie den Baierischen und Burgundischen Häusern erwießen, daß Sie ihr Blut mit dem eines elenden Kriegers vermischt haben, der nur meiner Gnade, das was er ist, zu verdanken hat, und der nun bald dem Volk zum Schauspiel und den Raben zur Speise dienen wird.[S. 135] Schämen Sie sich nicht, nach so erniedrigenden Ausschweifungen, noch das Tageslicht anzuschauen? Der Herzog von Brabant that klug daran, daß er die Gesellschaft einer Frau, wie Sie sind, mied; und der Herzog von Glocester hat recht gehabt, Ihnen ein geschändetes Mädchen vorzuziehen.

Er würde ihr noch mehr Unangenehmes gesagt haben, wenn es sein Zorn zugelaßen hätte. Jacobine hörte ihm schmerzlich bestürzt zu; aber da er sie so erniedrigend behandelte, konnte sie nicht länger an sich halten. Mit trotzigem Blik sagte sie zu ihm: Ob Sie mir gleich im gebieterischen Ton sprechen, so sind Sie deßwegen noch lange nicht befugt, mir Geseze vorzuschreiben; und es macht Ihnen eben keine große Ehre, daß Sie sich mein Unvermögen und Unglük zu nutz machen. Welches Recht haben Sie, mir meine Güter zu rauben und mich zur Sclavin zu machen? Ja! ich habe den Borselle geheirathet, und wenn etwas vermögend wäre, mich es bereuen zu laßen, so wären es die Leiden, die ich ihm dadurch zugezogen habe. Schwärzen Sie sich immer damit, daß Sie ihn Ihrem Ehrgeiz aufopfern. Es wird das Maaß Ihrer Ungerechtigkeiten voll, und Sie vollends[S. 136] abscheuungswürdig machen. — Ja! Ja! antwortete der Herzog, ich werde der Nachkommenschaft ein Beispiel geben; denn man soll nicht von mir sagen, daß ich einen Menschen, der die ersten Häuser Europens beschimpfet hat, ungestraft laße. Hierauf entfernte er sich, und verließ die erschrokene Jacobine im tiefsten Schmerz versenkt.

So leicht als er es wollte glauben machen, war es doch dem Herzog von Burgund nicht, den Borselle seiner Rache aufzuopfern. Dieser Edelmann war durchgehends geachtet und beliebt, auch war Jacobine in den Jahren, in welchen sie von ihrem Thun und Laßen keine Rechenschaft mehr zu geben hatte. Es war leicht einzusehen, daß nur die Furcht Jacobine möchte Leibeserben bekommen, den Herzog zu diesem blutgierigen Entschluß reizte. Da nun Jacobine dieß alles wohl überlegte, war sie minder in Verlegenheit.[N]

[S. 137]

Sie bediente sich der Vermittelung des Grafen von Meurs, durch diesen versprach der Herzog von Burgund, daß wenn Jacobine auf alle ihre Gerechtsame Verzicht thun würde, so wollte er sie und den Borselle in Friede laßen.[O] Die dringenden und traurigen Umstände, darinn sich Jacobine befand, und einen Gemal, den sie zärtlich liebte, zu retten, nöthigten sie, dieße harte Bedingniß einzugehen. Sie entsagte also zu Gunsten des Herzogs von Burgund allen ihren[S. 138] Staaten,[P] und man sahe dieße große Fürstin, und rechtmäßige Erbin so beträchtlicher Länder, in die äuserste Dürftigkeit versezt.

Borselle wurde hierauf seiner Gefangenschaft entlaßen. Jacobine empfieng ihn mit der nehmlichen Zärtlichkeit, als ob sie gar nichts zu seiner Befreiung aufgeopfert hätte. Beim ersten Anblik sagten sie sich einander die rührensten Sachen. Borsellens Herz strömte aus Erkänntlichkeit über; und Jacobine, die sich nun für die glüklichste Person auf der Welt schäzte, beeiferte sich, ihm ihre zärtliche Liebe noch mehr zu zeigen. Durch die Bemühungen ihrer beiderseitigen Freunde wurde[S. 139] der Herzog von Burgund nach und nach besänftiget. Er warf seiner Nichte einen Gehalt aus, der aber in Betracht deßen, was er ihr entrissen hatte, gering war. Der Borselle erhielt, wegen seines Bündnisses mit verschiedenen hohen Fürstenhäuser, den Orden des goldenen Vliesses. Dieser liebte, oder vielmehr verehrte seine Gemalin von Tag zu Tag mehr, und Jacobine schäzte ihn eben so. Allein da ihr Leben mit so vielen und anhaltenden Verdrißlichkeiten verwebt war; so konnte es nicht anderst sein, als daß ihr Körper sehr geschwächt wurde, und dieses verursachte ihren frühzeitigen Tod, der dann 1436, sechs Jahre nach der Zeit, als sie den lezten Vergleich mit dem Herzog von Burgund eingegangen war, der nun in dem ruhigen Besiz aller der Länder, die er ihr entrissen hatte, blieb, erfolgte.


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Bei Verleger dieses ist zu haben:

Auf die Schöpfung. (Ein Gedicht nach Klopstock.) 8.

6 ggr. oder 24 kr.

Carl’s (Dr. Joh. Sam.) Armen-Apotheke, zum Unterricht und Dienst derer, so keine Kenntniß der Arzneikunst haben. &c. &c. Mit vollständigen Registern. Siebente verbesserte Auflage. 8. 1789.

6 ggr. oder 24 kr.

Caspari (J. P.) Tirocinia sintactica, oder lateinische Sprach- und Schulübungen, nach Anleitung der Langischen Grammatik, 2 Theile verbesserte Auflage. 8. 1789.

12 ggr. oder 48 kr.

Gedanken eines Hohenpriesters der Schwarzen, über die Religion. 8. 1789.

16 ggr. oder 1 fl.

Hans Georg schlag zu! unser Glaube leidet Noth! eine Ode, bei Gelegenheit eines Religions Gezänks zwischen Katholiken, Lutheranern und Reformirten 8. 1788.

3 ggr. oder 12 kr.

Jacobine von Baiern, Gräfin von Hennegau, Holland, Friesland und Zeeland. Eine vaterländische Geschichte aus dem fünfzehnten Jahrhundert. 8. 1791.

12 ggr. oder 45 kr.

Lecture amusante pour la jeunesse des deux Sexes par Mr. Villaume. 2 Tomes gr. 8, 1788.

1 Rthlr. 12 ggr. oder 2 fl. 45 kr.

Lettres critiques morales & politiques de Mr. le Comte Max. de l’Amberg. 3 Tomes 8. à Amsterdam 1786.

2 Rthlr. oder 3 fl.

Philosoph (der) aus Afrika, 3ter Theil, von dem durch mehrere Schriften sehr bekannten Herrn Pfarrer Hiltebrandt in Baden-Weyerbach. 8. 1789.

16 ggr. oder 1 fl.

NB Die beiden erstern Theile ließ der Herr Verfasser in Frankenthal drucken.

Reimarus (Dr. J. A. H.) Beantwortung einiger, gegen die Gewitterableiter gemachten Einwürfe als ein nützlicher Anhang zu dessen Abhandlung vom Blitz, und Vorschriften zur Anlegung neuer Gewitterableiter. 8. 1790.

4 ggr. oder 15 kr.

Sanders (Heinr.) kleine Schriften. Nach dessen Tode herausgegeben von G. F. Götz. 2 Bände gr. 8. 1788.

1 Rthlr. 20 ggr. oder 2 fl. 45 kr.

Schatzens (Joh. Jak.) kurze Einleitung in die römischen Antiquitäten, zur Erläuterung der klassischen Schriftsteller, vierte sehr vermehrte und verbesserte Auflage, nebst einem Register, 8. 1789.

12 ggr. oder 48 kr.

System der Wesen, enthaltend die metaphysischen Principien der Natur. 12. 1779.

16 ggr. oder 1 fl.

Thyms deutliche und vollständige Anweisung zur Orthographie oder deutschen Rechtschreibung. Berichtiget und herausgegeben von J. D. Meidinger, zweite und sehr vermehrte Auflage, mit einem Verzeichniß zweifelhafter und ähnlichlautender in der Bedeutung aber sehr verschiedener Wörter; nach alphabetischer Ordnung. 8. 1791.

16 ggr. oder 1 fl.

Volks (Alex.), gründlicher Unterricht zur Rechenkunst, woraus ein Rechenschüler ohne Lehrmeister die Species und Regel de Tri, nach Anleitung der gemeinen Rechnungsart und der welschen Praktik, mit ganzen Zahlen und Brüchen, erlernen kann. Mit vielen ausgearbeiteten Exempeln, sowol nach der Reichsmünze, als Sächsischen Münze mit allen Vortheilen der Rechenkunst. 8. 1789.

6 ggr. oder 24 kr.


Fußnoten:

[A] Seine merkwürdigste Handlung war, daß er 1425 die Universität zu Löwen stiftete.

[B] Zu dieser abscheulichen That bediente er sich eines Normänischen Edelmanns, Namens Raoul d’Ocquetonville, der dem Herzog aufgelauert hatte, und ihn überfiel, da er eben zu Pferd und nur von zwei Bedienten begleitet von einem Besuch von der Königin, die in den Wochen lag, zurük kam.

[C] Diese Schwachheit, oder vielmehr Wahnsinn des König Karls, rührte von folgenden Ursachen her: da ihm im Aug. 1392. als er unter Wegs nach Britannien war, entstandene Unruhen daselbst zu stillen, die Sonne sehr heiß auf das Haupt schien, bekam er den ersten Anfall von Unsinn; das Uebel vermehrte sich durch den Schrecken, dem ihm ein unbekannter, hagerer und elend verstellter Mensch verursachte, der sich ihm näherte, sein Pferd in den Zaum griff, und ihn mit den Worten anredete: Bleib zurück König, wo willst Du hin? Du bist verrathen, und gleich verschwand. Und da endlich zum Unglück ein auf dem Pferd eingeschlafener Edelknabe seine Lanze auf einen vor ihm hergetragenen Helm fallen lies, glaubte der König man wollte ihn seinen Feinden überliefern und bekam eine so heftige Wuth, daß er in eine Ohnmacht fiel und in derselben drei Tage lang liegen blieb. Hierauf hatte er sich wieder ziemlich erholet, allein, da man, um ihn zu zerstreuen, das folgende Jahr, den 29ten Jenner, einen vermumten Ball veranstaltete und ein mit Pech bestrichenes Gewand sich auf demselben entzündete, wodurch er in Gefahr zu verbrennen gesezt wurde, verfiel er auf das neue in Raserei. Hieran war die Unvorsichtigkeit des Herzogs von Orleans schuld, der mit einer brennenden Fackel einigen Personen, die als wilde Männer verkleidet waren, um sie zu erkennen, zu nahe kam.

[D] 1412. Bemächtigte er sich der Person des Königs, führte ihn vor Bourges, wo eine Anzahl Grossen des Reichs eingeschlossen waren, die zu einem Vergleich gezwungen wurden. Nach diesem verbündete sich der Herzog näher mit der Königin, und vermehrte dadurch die Zerrüttung im Reich. Denn unter dem Vorwand der königlichen Gewalt und Befehle lies er den 18ten Juni 1418. den Kanzler und mehrere Grossen des Reichs, die ihm entgegen waren, umbringen, und verübte überhaupt unerhörte und die Natur empörende Grausamkeiten in Paris. Allein das folgende Jahr erhielt er den verdienten Lohn dafür; denn Sontags den 10ten Sept. wurde er zu einer Unterredung von dem Dauphin auf die Brücke Monterrau gelockt, und daselbst durch einen alten Diener des ermordeten Herzogs von Orleans, Namens Tanegui du Chastel umgebracht.

[E] Da die Neigungen dieser beiden Frauen in vielem gleich war, so ist an deren gegenseitigen Freundschafts-Bezeugungen nicht zu zweifeln. Isabella, Karls Gemahlin, war die Tochter Herzog Stephans II. von Baiern, und diese Fürstin, die mit ihrem Bruder Ludwig dem Bärtigen, Grafen von Mottagne beständige Unruhen in Frankreich erregte, konnte man eine wahre Geissel des Staats nennen. In wie weit ihr die Gräfin von Hennegau mit ihren Intriguen gleich kam, wird der Verfolg lehren.

[F] Dieser Johann von Baiern war überhaupt ein sehr haabsüchtiger und unbarmherziger Fürst. Ob er gleich als Bischoff zu Lüttig lange Zeit regieret hatte, war er doch nie Priester. Die Lüttiger, die gerechte Beschwerden gegen ihn hatten, empörten sich, und hielten ihn in Mastricht eingeschlossen, von wo er, durch Hülfe des Herzogs von Burgund (wie schon gesagt worden) befreiet wurde. In dem 1409. mit seinen Unterthanen gehaltenen Treffen, wurden 36000 derselben getödtet, die übrigen beredete er, unter dem Versprechen einer gänzlichen Verzeihung, zum Vergleich; allein kaum hatte er die Stadt Lüttig wieder in Besiz, so lies er eine grosse Anzahl Einwohner, unter dem Vorwand, daß sie die Rädelsführer, und daher nicht unter diejenigen, die er begnadigt habe, begriffen sein, ganz unbarmherziger Weise ertränken und sonst hinrichten.

[G] Welche Ränke braucht ein verlarvter Bösewicht zu einem erniedrigendem Geschäft nicht! Zu unsern Zeiten, brauchen die, zu Ausschweifungen der Art geneigte Fürsten dergleichen Hülfe nicht: sie wissen sich selbst zu rathen; wäre es aber nöthig, so würden sie bereitwillige Höflinge zu Unterhändlern genug finden.

[H] Obgleich der Friede zwischen Heinrich von England und Karl VI. von Frankreich den 20ten Junii, 1420. zu Troyes geschlossen war; vermöge welchem Heinrich, nach Absterben König Karls, zum Nachfolger des französischen Reichs erkannt wurde, und nach der Einnahme verschiedener Oerter, die es mit dem Dauphin gehalten hatten, die beiden Könige den ersten Advents-Sonntag ihren Einzug in Paris hielten, wurde doch der Krieg nicht beendiget. Der Dauphin, unzufrieden mit dem für ihn so nachtheilig geschlossenen Frieden, der ihn von der Nachfolge im Reich ausschloß, verstärkte seinen Anhang. Hierdurch wurde Frankreich in zwei Partheien getheilet, und man sahe damals in demselben zwei Könige, zwei Königinnen, zwei Kronregenten, doppelte Kronbediente, doppelte Parlementer, kurz alles war wegen der Spaltung in diesem Reich zweifach. Die Unruhen auf einmal zu beendigen gieng Heinrich nach England, um neue Völker zu sammlen. Mit beträchtlicher Macht kam er zurück, mit dem Vorsaz dem Dauphin ein entscheidendes Treffen zu liefern; allein dieser wich ihm überall aus. Er belagerte und eroberte Dreux, während welcher Belagerung ihm ein Einsiedler soll prophezeiet haben, daß er wegen seiner Ehrsucht das Königreich Frankreich unrechtmässiger Weise an sich zu bringen, mit einer abscheulichen Krankheit, vom Himmel würde heimgesucht und bestraft werden. Er verlachte diese Weissagung. Dem sei wie ihm wolle, so wurde er doch einige Monate drauf zu Senlis krank. Sein Uebel waren Feigwarzen. (Mal de St. Fiacre) Ohne sich vor den Folgen dieser Krankheit zu fürchten, lies er sich in einer Sänfte nach Vincennes bringen, woselbst er aber am 31. Aug. des 1422. Jahrs seinen Geist im 36ten Jahr seines Alters aufgab. Kurz vor seinem Ende verordnete er seinem unmündigen Sohn Heinrich, der erst neun Monat alt war, die Herzoge Johann von Bedford und Humphrei von Glocester, (der Held in dieser Geschichte) seine beide Brüder zu Vormündern; und befahl, daß der erste in Frankreich und der andere in England Regent sein sollte.

[I] Da hier die Rede von zwei Päbsten ist, die in der damaligen grossen Kirchenspaltung zugleich gelebt und um gleiche Vorrechte gebuhlet haben; so wird es wohl hier der schicklichste Platz sein, den kurzen Lebenslauf derselben anzuführen. Der Leser wird hiernach von selbsten urtheilen, welcher von beiden den gültigsten Beruf gehabt haben mag? ein Fall der zu unsern Zeiten schwerlich mehr entstehen wird, jedoch zur Sache: Peter de la Lune, ein Spanier aus dem Königreich Aragonien, erhielt vom Pabst Gregor XI. im Jahr 1375. den Kardinalshuth; nach 1378. erfolgtem Tod dieses Pabsts, trug er nicht wenig bei, daß Clemens VII. zum Nachtheil Urbans V. der schon in Rom auf dem päbstlichen Stuhl saß, erwählet ward, wodurch die schon in der Kirche herrschende Zwietracht vermehret wurde. Oefters sprach er dennach mit verstelltem Eifer von dieser Spaltung, verwünschte alle Zwietracht und versicherte, daß wenn er an einer der Päbste Stelle wäre, würde er sich alle Mühe geben und allem entsagen, um die Gläubigen wieder unter ein Haupt zu vereinigen. Allein der Erfolg zeigte bald, daß er nur unter diesem heuchlerischen Friedenseifer hochmüthige und ehrsüchtige Absichten verbarg. Denn als Clemens 1394. zu Avignon starb, stellten die damals zur Wahl anwesenden Kardinäle, unter deren Zahl er war, eine schriftliche Versicherung aus, daß derjenige unter ihnen, den die Wahl treffen würde, wenn es das ganze Collegium für gut finden würde, der Spaltung dadurch ein Ende zu machen, dem päbstlichen Stuhl wieder freiwillig entsagen sollte. Es konnte daher nicht fehlen, daß die Wahl einstimmig auf ihn fiel, bei welcher er den Nahmen Benedickt XIII annahm. Da er aber nun seinen Entzweck erreichet hatte, wollte er von allem was er zuvor versprochen und sich anheischig gemacht hatte, nichts wissen. Der König von Frankreich, verschiedene Häupter Europens, der französische Klerus und andere mehr, gaben sich alle erdenkliche Mühe, ihn zur Erfüllung seines Versprechens, damit die Einigkeit in der Kirche dadurch wieder hergestellet würde, zu bewegen. Allein es war tauben Ohren gepredigt; sein Ehrgeiz lies es nicht zu; gab er auch einmal einige Hoffnung, so war es nur um Zeit zu gewinnen, und um desto wiedrigere Maasregeln nehmen zu können, nach welchen er endlich die nur auslachte die ihm von freiwilliger Abtretung ferner sprachen. Anfangs hielt man ihn in Avignon gefangen, er fand aber Gelegenheit 1402. von da verkleidet zu entweichen, und auf das Schloß Reinard in der Provence zu flüchten, wo er eine geringe Anzahl Völker antraf, die ihm zur Leibwache dienten. Auf dem Konzilium zu Pisa wurde er 1409. nebst Gregor XII. als Schismatiker und Eidbrüchiger, des Päbstlichen Stuhls verlustig erklärt, worauf den 26ten Juni die Kardinäle ins Conclave giengen, und Alexander V. an deren Stelle erwählten. Allein Benedickt kehrte sich hieran nicht, sondern seine Würde zu behaupten und sich neue Anhänger zu verschaffen, da die Kardinäle alle, die ihn erwählt hatten, von ihm gewichen waren, ernannte er verschiedene neue. Ob er nun gleich 1417. von der Kirchenversammlung zu Costanz in den Bann, gethan und abgesezt wurde, so gaben sich dennoch Europens Monarchen die Mühe, ihn zum freiwilligen Verzicht unter den vortheilhaftesten Bedingnissen zu bereden; allein ihre Bemühungen waren auch fruchtlos. Da er sich endlich von jedermann verlassen und verabscheuet sahe, begab er sich, nebst zwei ihm treu gebliebenen Kardinälen nach Paniscola, einer geringen Stadt im Königreich Valenzia, wo er 1424. starb. Dreisig Jahr hatte er in der Kirchenspaltung verlebt, die er auf seinem Sterbebette, so wie die Zwietracht boshafter Weise nach seinem Tode, dadurch noch weiter nähren wollte, daß er die zwei zugegen gewessenen Kardinäle zwang, an seine Stelle einen Kanonicus zu Barcellona unter dem Namen Klemens VIII. zu erwählen.

Sein Gegner Martin III. aus dem Hausse Colonna, wurde, nachdem Gregor XII. dem Päbstlichen Stuhl freiwillig entsagt hatte, und die Mitpäbste Johann XXIII. und Benedickt XIII. von der Kirchenversammlung zu Costanz abhgesezt waren: auf eben dieser Versammlung 1417. zum Pabst erwählet und daselbst gekrönet. Die versammelten Kirchenväter wollten hierdurch der ärgerlichen Spaltung, die nun schon vierzig Jahre in der Kirche gedauert hatte, ein Ende machen. Sie beschlossen daher diese Wahl nur durch die anwesenden Kardinäle, mit Zuziehung dreisig theils Prälaten theils andern Geistlichen, die aus verschiedenen Staaten auf der Versammlung waren, vorzunehmen. Sie erfolgte auf dem Rathhauß zu Costanz. In der 42ten Sitzung, so wie bei allen folgenden, hatte der neue Pabst den Vorsitz, worinnen er sich durch seine Beredsamkeit alle Mühe gab die Eintracht in der Kirche wieder herzustellen. Ein Beweiß, daß sein Vorsatz aufrichtig war, ist dieser: daß er, nach Absterben Gregors, den abgesezten Pabst Johann sehr liebreich aufnahm, und ihn zum Dechant des Kardinalkollegiums ernannte, ihm auch in solchem einen erhabenern Sitz, als der andern Kardinäle ihrer war, zum Unterscheidungszeichen anwies. Seine Bemühungen aber, Benedickt zu gewinnen, waren eben so fruchtlos, wie die der andern Mächte, wovon schon gesagt worden? nur von Alphonsus König von Aragonien war er noch unterstüzet. In der 44 Sitzung zu Constanz wurde beschlossen, eine anderweitige Versammlung für das Jahr 1423. nach Pavia zu berufen, die aber wegen der daselbst herrschenden Pest das folgende Jahr zu Sienna gehalten wurde. Dahin sandte Alphonsus einen Bevollmächtigten mit ansehnlichen Geschenken und grossen Versprechungen, um der Sache Benedikts eine andre Wendung zu verschaffen, und Martin vom päbstlichen Stuhl zu vertreiben: Allein der gleich darauf erfolgte Tod Benedikts machte diesem Zwist ein Ende; denn auf die Wahl, die Benedikt bei seinem Tode, auf Veranlassung Alphonsus, angestellt hatte, wurde keine Rüksicht genommen; auch entsagte der dabei ganz ungültig erwählte Clemens dem päbstlichen Stuhl freiwillig. Dieses bewog den Pabst Martin, daß er demselben das beträchtliche Bisthum von Majorqua übertrug. Und hierdurch hörte die während 51. Jahre in der römischen Kirche gedauerte Spaltung ganz auf, welches man den klugen Bemühungen Martins zu verdanken hatte.

[J] Was vermag eine rachsüchtige Buhlschwester nicht! und welch Unglük entstehet nicht oft in einem ganzen Lande durch das teufelische Einblasen einer Beischläferin? Doch Dank sei es unsern aufgeklärtern Zeiten! Kein Blutbad, wie damals wird mehr darauf erfolgen. Denn so kleine Geister, wie der Herzog von Brabant war, der, ausser seinem schwachen Verstand, doch gutmüthig genug gewesen sein würde, seine Gemalinn nicht weiter zu verfolgen, giebt es unter den Grossen nicht mehr. Thut ja eine Beischläferin noch einigen Schaden, so ist es nur an Einzeln und an denen, die nicht niederträchtig genug sind, zu ihrer Fahne zu schwören; der ganze Staat wird aber deswegen nicht zerrüttet.

[K] Dieser Ausdruk ist ein Wortspiel, das auf den Familien Name (de la Lune) des Pabsts Benedikts, bezug hat.

[L] Natürlicher Weise konnte sich Jacobine wenig von dieser Hülfe versprechen; denn ausserdem wie schon gesagt worden ist, der Herzog von Bedford ein leiblicher Schwager des von Burgunds war, muste jener diesen besonders schonen. Da er um seines Vaters Mord zu rächen, zur Englischen Partie getreten und die Waffen gegen sein Vaterland ergriffen hatte, war zu befürchten, daß wenn der Herzog von Bedford eifrig in ihn sezen wollte, er diese Partei verlassen, und sich zum Nachtheil Englands mit dem König von Frankreich vergleichen dürfte, wie er denn auch schon oft solches gedrohet hatte. Wäre aber dieses erfolgt, so hätte sich die Englische Partei unmöglich in Frankreich erhalten können. Da sich in der Folge mehrere Gelegenheit finden wird, von dem Herzog von Burgund zu reden, so wird es nicht undienlich sein, hier einen Biographischen Auszug von ihm zu geben. Philipp III. Herzog von Burgund &c. war ein Sohn des zu Paris ermordeten Herzogs Johann von Burgund, wie anderwärts schon gesagt worden. Er ward 1396. Zu Dijon gebohren. Seines Vaters Tod zu rächen ergrif er 1420. die Waffen gegen sein Vaterland, und schlug sich zur Englischen Partei. Hierdurch wurde er sehr mächtig; und da er nirgends Wiederstand fand, verbreitete er zu Ende der Regierung Carls VI. und Anfangs der von Carl VII. in Frankreich überall Furcht, Schreken und Verwüstung. 1421. lieferte er die berühmte Schlacht bei Mons in der Picardie, in welcher er den Dauphin aufs Haupt schlug, und dadurch das Elend im Vaterland vermehrte. Endlich verlies er 1435. die Englische Partei, und gieng mit dem König von Frankreich einen Vergleich ein, welches er auch mit dem Herzog von Orleans that. Dem ohnerachtet behielt er gegen Carl VII. beständig heimlichen Haß, welchen er dadurch bewies, daß er seinem Sohn dem Dauphin, nachmalig König Ludwig XI. Zuflucht in seinen Staaten verstattete. Er war es der den 19. Jenner 1430. den Orden des güldenen Vließes stiftete, der verschiedene andere milde Stiftungen errichtet, und fast die siebenzehen Provinzen der Niederlande vereiniget hatte. Er starb zu Brügge den 15. Julii 1467. und hinterlies von drei Gemalinnen, die er gehabt hatte, nur einen Prinzen, Carl den Verwegenen, der ihm in der Regierung seiner Staaten folgte, dagegen aber fünfzehen natürliche Kinder, die er von verschiedenen Beischläferinnen erzeugt hatte.

[M] In der Familie der Grafen von Brederode hat es von jeher nicht an berühmten Männern gefehlet, unter welchen aber folgende die merkwürdigsten sind. Heinrich von Brederode war ein Haupt der Protestantischen Verschwöhrung in den Niederlanden. 1567. überreichte er der damaligen Gouvernantin Margaretha von Parma verschiedene Denk- und Bittschriften, in welchen er, als aus dem Hauße der Grafen von Brabant entsproßen, sein Recht gegen das Hauß Burgund, das diese Grafschaft in Besiz hatte, suchte geltend zu machen. Da sich aber bald hernach die Umstände änderten, gieng er mit seiner ganzen Famille, und allem was er nur fortbringen konnte, zu Wasser nach Embden, und von da aus nach Deutschland, wo er bald darauf vor Verdruß starb. Seine Wittwe die eine Gräfin von Meurs, und eine der herzhaftesten Frauen damaliger Zeit war, vermählte sich nachher mit dem Churfürsten von der Pfalz. Lancelot von Brederode aber, gleichfals ein Haupt der Verschwornen, wurde 1573 nach der Einnahme von Harlem, davon er Kommandant war, und sich muthig vertheidigt hatte, nebst den öbersten Offiziers der Besazung, auf Befehl des Herzogs von Alba enthauptet.

[N] Nicht allein diese Furcht, sondern noch ein ganz anderer Beweggrund veranlaßten den Herzog von Burgund, seine Rache aufzuschieben. Der Englander Angelegenheiten in Frankreich, mit denen er in Bündniß stand, fiengen an für ihn nachtheilig zu werden. Es war 1429 da die berüchtigte Jeanne d’Arc, oder das Mädchen von Orleans, deren Geschichte, ob gleich schon viel darüber geschrieben worden, jezt noch ziemlich problematisch ist, zu Frankreichs Rettung auf den Schauplaz trat. Die Engländer fiengen an, Mißtrauen in den Herzog von Burgund zu sezen. Trennten sich nun die Engländer ganz von ihm, so muste er befürchten, daß Jacobine als Gräfin von Holland und Zeeland Hülfe von ihnen erhalten dürfte. Merkwürdig ist es indeßen, daß Jacobine die Befreiung ihres Gemals gewißer maßen obiger französischen Heldin verdanken konnte.

[O] Es war dem Herzog von Burgund um so viel mehr an Vollziehung des Vergleichs gelegen, weil eben der lezte Herzog von Brabant, Philipp Graf von S. Paul, Jacobinens Schwager ohne rechtmäßige Leibeserben mit Tode abgegangen war, und er sich also auch den gewißen Besiz des Herzogthums Brabant zusichern wollte.

[P] Der Herzog von Burgund hatte nun seinen Endzwek erreichet, und durch Jacobinens Verzicht, die dem Hauße Baiern in den Niederlanden noch zugehörigen Länder, an sich gebracht. Da er bei seinem Tod nur einen Sohn, — wie schon gesagt worden ist — Carl den verwegenen hinterließ, und dieser, der 1477. vor Nanzig blieb, keine männliche Erben, sondern nur eine Prinzeßin Maria, die an den Erzherzog von Oestreich, nachherigen Kaiser Maximilian, vermälet war, hinterlaßen hatte, brachte diese die reiche Erbschaft ihres Vaters dem Hauße Oestreich zu, das denn würklich noch gegenwärtig einen beträchtlichen Theil davon, wie bekannt ist, besizt.