Title: Die selige Christina von Stommeln
Author: Arnold Steffens
Release date: August 31, 2017 [eBook #55466]
Most recently updated: October 23, 2024
Language: German
Credits: Produced by Peter Becker, Franz L Kuhlmann and the Online
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Anmerkungen zur Transkription
Die nicht sehr häufigen typografischen und Fehler bei der Zeichensetzung sind stillschweigend bereinigt.
Das Deckblatt ist vom Einband des Originals übernommen; es geht damit in die "public domain".
Von
Dr. Arnold Steffens,
Domkapitular.
1912.
Druck und Kommissionsverlag der Fuldaer Actiendruckerei
in Fulda.
Fuldae, 29. Okt. 1912.
Dr. Arenhold,
Vic. gen.
Die selige Christina von Stommeln, die vielgenannte und vielfach verkannte hervorragendste Vertreterin des beschaulichen Lebens im Cölner Erzbistum aus dem dreizehnten Jahrhundert, ist in letzter Zeit infolge der seitens des h. apostolischen Stuhles erfolgten Bestätigung ihrer unvordenklichen Verehrung Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit geworden. Die Nachfragen nach einer eingehenden Darstellung ihres Lebens mehrten sich. Das im Jahre 1859 über sie erschienene Buch von Pfarrer Theodor Wollersheim ist längst im Buchhandel vergriffen. Eine Neuauflage desselben empfahl sich nicht, weil es mehr eine Uebersetzung der Materialien zur Geschichte Christinas ist, und zudem noch eine vielfach ungenaue und irrtümliche, als eine durchgearbeitete Darstellung ihres Lebens.
Da der Verfasser gegenwärtiger Arbeit im kirchlichen Prozeß der Bestätigung der Verehrung Christinas als Antragsteller das Beweismaterial beizubringen hatte und sich deshalb mit allem, was auf die Dienerin Gottes Bezug hatte, vertraut machen mußte, wurde er von verschiedenen Seiten ersucht, eine neue Darstellung ihres Lebens zu bearbeiten, zumal am 6. November dieses Jahres die sechste Jahrhundertfeier ihres Todes eintrifft.
Die Aufgabe hat ihr Verlockendes, aber auch ihr Schwieriges.
Verlockend ist sie, weil es sich darum handelt, eine innige, gottliebende, durch das Feuer der Trübsale erprobte starkmütige Frauengestalt der an Heiligen jederzeit fruchtbaren Cölner Kirche zu schildern.
Schwierig ist sie, weil Christina zu jenen zählt, die auf dem Wege der innigsten Gottvereinigung, die ein Ausfluß der Gaben des h. Geistes ist und gewöhnlich als mystische bezeichnet wird, zur beseligenden Anschauung Gottes im himmlischen Vaterlande geführt wurde. Solche Seelen aber sind regelmäßig durch Gottes [IV] Zulassung Gegenstand außergewöhnlicher Anfechtungen und Quälereien seitens der bösen Geister. Auch in Christinas Leben treten sie in die Erscheinung, sind jedoch beschränkt auf die Bußzeiten des Kirchenjahres und finden sich auch nur in den beiden mittleren Jahrzehnten ihrer siebenzigjährigen Lebensdauer. Da alles Dämonische stets seine dunklen Seiten hat, eine eingehende Nachprüfung der vielgestaltigen, stets neuen Arten der angeblichen teuflischen Quälereien, die über sechshundert Jahre zurückliegen, im Einzelnen kaum möglich ist, auch ermüdend wirken würde, erschien es dem Verfasser am zweckmäßigsten, Christina so zu schildern, wie sie sich selbst gibt, und den Ideenkreis ihrer Zeit getreu wiederzugeben. Einzelne der berichteten Vorgänge lassen sich freilich als Krankheitserscheinungen erklären; allein die meisten haben mit Krankheitserscheinungen nicht den mindesten Zusammenhang, sie sind einfach körperliche Mißhandlungen, die von unsichtbarer Hand ausgeführt wurden.
Selbstverständlich bleibt es einem jeden überlassen, sich über diese Vorgänge sein Urteil zu bilden. Die Verehrungswürdigkeit Christinas hängt nicht davon ab, ob ihre Leiden natürlichen oder teuflischen Ursprunges waren. Sie hat dieselben mit heldenmütiger Geduld ertragen. Auch für solche, die geneigt sind, Christinas Leiden und Anfechtungen auf natürliche Gründe zurückzuführen, gilt sie als eine fromme und heilige Person.
Quelle der Darstellung ist vor allem der handschriftliche Kodex des Pfarrarchivs zu Jülich, der den Titel führt: Legenda et passio sancte christine virginis. Er ist auf Pergament geschrieben, in Holz und Leder gebunden und besteht aus drei Büchern. Das erste Buch hat die Ueberschrift: Incipit liber primus de virtutibus sponsae Cristi Cristinae compilatus a fratre Petro de ordine predicatorum. Es zählte 39 Blätter, von denen jedoch 22 fehlen. Im Anschluß an 43 Hexameter handelt es von den Tugenden, die Christina besonders zierten, ohne daß jedoch ihr Name genannt wird. Abgesehen von den Hexametern ist dasselbe noch nicht veröffentlicht. Das zweite Buch hat die Aufschrift: Incipit liber secundus de vita benedicte virginis Cristi Cristine. Es zählt 55 Blätter. Dasselbe wurde auf Kosten der schwedischen Staatsregierung in mustergültiger Weise herausgegeben im Jahre 1896 [V] durch Professor Johannes Paulson in Gotenburg (Wettergren und Kerber). Das dritte Buch ist überschrieben: Incipit liber tertius de passionibus sepe benedicte virginis cristi cristine, quem compilavit magister Johannes capellanus virginis. Es zählte gleichfalls 55 Blätter; die Zählung schließt sich jedoch an die des zweiten Buches an. Das vorletzte Blatt fehlt. Es ist veröffentlicht bei den Bollandisten unter dem 22. Juni, und auch Professor Paulson hat im Appendix seiner Schrift: In tertiam partem libri Juliacensis annotationes, Blatt 66-72 und 110 aus demselben abgedruckt. Verfaßt ist der Kodex zur Zeit, als Christina und Petrus noch lebten, also noch vor 1288. Der Kodex, wie er jetzt ist, wurde zusammengestellt und geschrieben um das Jahr 1340, wahrscheinlich auf Veranlassung des Grafen Dietrich von Cleve.
Das dritte Buch enthält ausgesprochenermaßen Berichte über Vorgänge visionärer Natur und kommt daher für die Geschichte wenig in Betracht.
Die bei den Bollandisten unter dem 22. Juni abgedruckte Vita anonyma ist eine bald nach Christinas Tode aus dem im Jülicher Kodex vorhandenen Material zusammengestellte Lebensbeschreibung Christinas, die wohl zur Einleitung ihrer Heiligsprechung dienen sollte. Sie kommt nebst einer Nachschrift zum zweiten Buch der Jülicher Handschrift in Betracht für das Lebensende Christinas und den Beginn ihrer kirchlichen Verehrung.
Unsere Darstellung fußt, was Christinas Leben anbelangt, im Wesentlichen auf dem zweiten Buch der Jülicher Handschrift, das Petrus von Dazien als Augenzeuge der Vorgänge geschrieben und sein Landsmann, Professor Johannes Paulson im Jahre 1896 herausgegeben hat.
Petrus von Dazien war ein gewissenhafter Schriftsteller, der außerordentlich sorgfältig arbeitete. Die ungemein zahlreichen, in dem Buch vorkommenden Orts- und Zeitangaben, desgleichen die Angaben über Persönlichkeiten und Zeitverhältnisse, überhaupt alle Angaben, die eben nachgeprüft werden können, erweisen sich als zutreffend, sodaß kein Grund, Dingen, die sich der Nachprüfung entziehen, die Glaubwürdigkeit abzusprechen. Er berichtet getreulich und umständlich, was er gesehen und gehört. Ob er die Natur der außergewöhnlichen Vorgänge im Leben Christinas richtig erfaßt [VI] und beurteilt hat, bleibt dahingestellt. Man tut ihm jedoch Unrecht, wenn man sagt, er habe alles Außergewöhnliche gleich für Teufelswerk gehalten. Im Gegenteil forschte er mitunter nach, ob nicht äußere Ursachen, etwa mutwillige Menschen, die Vorgänge bewirkt hätten. Daß auch innere Ursachen im Spiel sein konnten und einzelne Vorgänge als Krankheitserscheinungen sich deuten lassen, scheint ihm freilich nicht in den Sinn gekommen zu sein, weil eben Christina nicht krankhaft veranlagt war.
Der Verfasser dieser Schrift hat seinen persönlichen Anschauungen rückhaltlos Ausdruck gegeben. Er will aber dadurch andere nicht verpflichten und unterwirft dieselben ebenso rückhaltlos dem Urteile der Kirche.
Cöln, den 24. Juli 1912.
Dr. Arnold Steffens.
Seite | ||
1. Kapitel: | Christinas Herkunft und Kindheit | 1 |
2. Kapitel: | Christina bei den Beginen in Cöln | 9 |
3. Kapitel: | Christina in Stommeln bis zum ersten Besuch des Petrus von Dazien (1259-1277) | 19 |
4. Kapitel: | Zur Beurteilung des Dämonischen | 24 |
5. Kapitel: | Erster Besuch des Petrus von Dazien bei Christina im Advent 1267 | 39 |
6. Kapitel: | Zweiter Besuch des Petrus. Christinas Entrückung und Seelenjubel | 45 |
7. Kapitel: | Dritter und vierter Besuch des Petrus. Christina empfängt die Wundmale des Herrn | 49 |
8. Kapitel: | Drei weitere Besuche des Petrus an den Festen Kreuzauffindung, Pfingsten u. Maria Magdalena | 56 |
9. Kapitel: | Achter, neunter und zehnter Besuch des Petrus zu Allerheiligen, im Advent und zu Weihnachten 1268. — Seelenjubel, Besudelung | 64 |
10. Kapitel: | Fastenzeit des Jahres 1269. Sinnliche Versuchung. Elfter und zwölfter Besuch des Petrus | 74 |
11. Kapitel: | Christinas Briefwechsel mit Petrus während dessen Aufenthalt in Paris (Mai 1269 bis Juli 1270) | 84 |
12. Kapitel: | Besuche des Petrus in Stommeln bei seiner Rückkehr von Paris. | 97 |
13. Kapitel: | Briefwechsel nach des Petrus Rückreise nach Schweden. Christinas Eltern und Pfarrer Johannes sterben. 1270-1279 | 101 |
14. Kapitel: | Bruder Petrus kommt aus Schweden nach Stommeln, um Christina zu besuchen. 1279 | 113 |
15. Kapitel: | Vom Advent 1279 bis zum Advent 1280 | 118 |
[XII] 16. Kapitel: | Christina bewirkt die Bekehrung der Sünder und die Befreiung der armen Seelen aus dem Fegfeuer | 135 |
17. Kapitel: | Christinas letzte Prüfungen, friedevoller Lebensabend und seliges Ende. | 149 |
18. Kapitel: | Christinas Verehrung nach dem Tode und deren Bestätigung durch Papst Pius X. | 162 |
[1] Eine Passionsblume erblühte im alten Jülicherland, viele hundert Jahre sind es her. Gar lieblich war ihr Duft und tief purpurn ihre Farbe. Entzückt neigten sich Gottes Enkel über sie und gute Menschen staunten sie bewundernd an. Auch heute noch ist ihr Duft nicht verweht und ihre Farbenglut nicht verblaßt. Im Gegenteil, köstlicher als je weht uns in diesem Jahre der Wohlgeruch ihrer Tugenden entgegen, herrlicher als je prangt heuer ihr verehrungswürdiger Name. Am 6. November dieses Jahres werden nämlich sechshundert Jahre verflossen sein, seitdem diese Blume aus dem Garten der Cölner Kirche ins himmlische Paradies verpflanzt wurde. Die selige Christina von Stommeln meine ich, die im Jahre 1242 zu Stommeln geboren wurde, dort am 6. November 1312 starb, seit dem 22. Juni 1586 in einem Hochgrabe in der Hauptkirche zu Jülich ruht und deren unvordenkliche Verehrung durch Papst Pius X. am 12. August 1908 die höchste Bestätigung erhielt.
In eine gewaltig bewegte Zeit fiel das Leben Christinas. Ein jugendfrisches Geschlecht bevölkerte damals unsere heimischen Gauen, das zwar mit Begeisterung dem christlichen Glauben anhing, aber die angestammte heidnische Wildheit noch nicht vollständig überwunden hatte. Christlicher Heldensinn und lasterhafter Frevelmut, zarte Gottinnigkeit und leidenschaftliche Roheit, grausige Verbrechen und strenge Bußübung gedeihen nebeneinander. Es ist das Zeitalter, in dem Papst und Kaiser in Fehde lagen, es ist das Zeitalter der letzten Kreuzzüge, aber auch die kaiserlose, schreckliche Zeit, in der Räuberhorden sich allerorts breitmachten, eine Zeit, die an Kampf und Streit ihre Freude hatte, eine Zeit großen Wohlstandes [2] und mächtigen Aufblühens in Handel und Gewerbe, Kunst und Wissenschaft, eine Zeit, wo der ungestüme Freiheitsdrang der Bürger erfolgreich ankämpfte gegen die Macht des Adels und der Geistlichkeit, es ist die Zeit, in der Konradin, der letzte Hohenstaufe, auf dem Blutgerüste zu Neapel sein junges Leben lassen mußte, die Zeit, die den Cölner Dom gebaut, aber auch die streitbaren, herrschgewaltigen Cölner Erzbischöfe im Kerker geschaut.
Das alte Stumbelo, etwa 3½ Stunden nordwestlich von Cöln gelegen, dort, wo die von Cöln über München-Gladbach nach Venlo führende Straße sich kreuzt mit dem von Worringen nach Bergheim gehenden Wege, gehörte zur Grafschaft Jülich, die 1336 zur Markgrafschaft und 1356 zum Herzogtum erhoben wurde.
Die Grafen von Jülich waren kühne Haudegen, die, wiewohl sie in ihrem Lande die Frömmigkeit pflegten, doch vor keiner Gewalttat zurückschreckten, wenn es galt, ihren Machtbereich auf Unkosten des Reiches und besonders der Cölner Kirche zu erweitern. Wilhelm II., der Große genannt, war ein höchst lasterhafter Mensch, der im Kriege der Gegenkönige Philipp von Schwaben und Otto von Braunschweig aus Wut darüber, daß sein Land mit dem Interdikt belegt worden war, die dem h. Stuhl ergebene Geistlichkeit plünderte, mißhandelte und wegjagte und dafür seine Kreaturen eindrängte. Er war verrufen weit und breit wegen seiner Gewalttätigkeit, Grausamkeit und Wollust. Sein Ende entsprach seinem gottlosen Leben. Nicht weit von Stommeln führte die alte Heerstraße, die von Jülich nach Cöln geht, vorbei. Sie ging damals über Brauweiler. Auf dieser wohl ritt i. J. 1207 der Große Wilhelm gen Cöln. Plötzlich wurde er von einer Herzschwäche befallen und sank zu Boden mit den Worten: „Cöln werde ich nicht wiedersehen.“ Sein Kaplan eilte herzu und sprach zu ihm: „Herr und Gebieter, entlaß die Buhlerin und nimm Dein Weib zu Dir.“ Er hatte nämlich seine rechtmäßige Gemahlin verstoßen. „Nimmermehr,“ erwiderte der Sterbende. Zur Buhlerin aber, die gleichfalls herbeigeeilt war und unter Tränen ihn fragte, was aus ihr werden solle, wenn er tot sei, sprach er: „Heirate einen jungen Soldaten.“ Und so starb der trotzige Sünder. Sein Nachfolger Wilhelm III. nahm das Kreuz und starb 1219 auf dem Kreuzzuge in Aegypten. Wilhelm IV. war [3] gleich seinen Vorgängern ein rauflustiger Held, der in seiner langen Regierungszeit namentlich mit den Cölner Erzbischöfen scharfe Fehde führte. Im Geburtsjahre Christinas fand zwischen Lechenich und Brühl ein Treffen statt, bei dem Erzbischof Konrad von Hochstaden in die Hände des Jülicher Grafen fiel, der ihn neun Monate lang auf Schloß Nideggen in Haft hielt. Im Gefechte bei Marienholz zwischen Zülpich und Lechenich, das im Jahre 1267 stattfand, nahm er Erzbischof Engelbert von Falkenburg gefangen und hielt ihn bis 1271 zu Nideggen in Gewahrsam. Ein tragisches Ende jedoch ereilte ihn in der Gertrudisnacht (16. März) des Jahres 1278 beim Ueberfall der Stadt Aachen. Im Handgemenge wurde er nebst seinem Erstgeborenen, der gleichfalls Wilhelm hieß, von einem Grobschmiede erschlagen.
Zur selben Zeit lagen die Cölner Erzbischöfe in schwerem Streite mit der Stadt Cöln. Bei Frechen kämpften im Jahre 1257 die beiden Heere mit großer Erbitterung gegeneinander. Erzbischof Konrad von Hochstaden behauptete zwar das Schlachtfeld, erlitt jedoch große Verluste. Konrads Nachfolger, Erzbischof Engelbert von Falkenburg, wurde, als er inmitten seiner Würdenträger und Dienstmannen im Bischofssaale saß, am 28. November 1263 von den Cölnern verräterischer Weise überfallen und im Hause „zum Roß“ in der Rheingasse eingekerkert, woraufhin die Stadt vom Papste mit dem Interdikt belegt wurde. Immer größer wurde der Hader, immer höher stieg die Erbitterung auch unter Engelberts Nachfolger, dem Erzbischofe Sigfrid von Westerburg, bis schließlich auf dem Schlachtfelde bei Worringen, wo die Heeresmächte des ganzen Niederrheins aufeinanderstießen, die Jahrzehnte hindurch aufgespeicherte Wut am 5. Juni 1288 zur Entladung kam und die Entscheidung fiel. Sigfrid wurde gefangen und Cöln wurde freie Reichsstadt.
In dieser gährenden, wildbewegten Zeit lebte Christina. Ihr Heimatsort Stommeln lag mitten auf dem Gebiete des Kampfes, wiewohl er nie unmittelbar in denselben hineingezogen wurde. Gegenwärtig zählt der Ort, der schon im 10. Jahrhundert ein ansehnliches Pfarrdorf war, rund 2500 Einwohner, die fast ausschließlich sich zur katholischen Religion bekennen und Ackerbau treiben. In den ältesten Urkunden wurde der Ort Stumbelo, in der Jülicher Handschrift jedoch Stumbele genannt. Der Name, der soviel besagt als „Wald [4] der Baumstümpfe“ (Stumbe = Stumpf und lô = Wald) weist darauf hin, daß der Ort eine fränkische Siedelung ist und auf abgeholztem Waldgebiete angelegt wurde. Die trotzige und treue Art der salischen Franken, der alles Gezierte und Unechte widerstrebt, die in ihrer Natürlichkeit und Geradheit selbst vor Derbheit und Rücksichtslosigkeit nicht zurückschreckt, ist auch heute noch in der Einwohnerschaft Stommelns unverwischt erhalten. Der gute Kriegsmann St. Martin, der Lieblingsheilige der Franken, ist denn auch von jeher dort Kirchenpatron. Der Bruder Kaiser Otto des Großen, Erzbischof Bruno, der Heilige, von Cöln, der als Herzog von Lothringen zugleich Landesfürst war, hat sich um Stommeln besonders verdient gemacht. Er schenkte der Gemeinde einen ansehnlichen Wald, der jetzt teils Ackerland, teils Weidengelände ist und der eingesessenen Bewohnerschaft, der Realgemeinde Stommeln, zugehört. Die Pfarrkirche samt dem neben ihr gelegenen Fronhofe wurde von demselben Erzbischofe im Jahre 961 dem hochadeligen Damenstifte zur h. Cäcilia in Cöln einverleibt. Da der Ackerboden der Stommeler Flur zu den gesegnetsten Gefilden Deutschlands zählt, so herrschte von jeher Wohlstand unter den Bewohnern, aber auch das kirchliche Leben stand dort im 13. Jahrhundert in schönster Blüte. Ganz besonders aber wurde die Andacht zum bittern Leiden unseres Heilandes in der Pfarrgemeinde gepflegt und an den Freitagen wurde der Gottesdienst wie an den Sonn- und Feiertagen besucht. Eifrige und angesehene Seelsorger standen an der Spitze der Pfarre und die Dominikaner von Cöln leisteten häufig Aushülfe in der Seelsorge.
so singt ein Dichter des 13. Jahrhunderts. Der selige Albert der Große, der hervorragendste Gelehrte seines Zeitalters, stand damals an der Spitze des Hauptstudiums der Dominikaner zu Cöln, wo Thomas von Aquin sein Schüler war. Nicht bloß aus Deutschland, sondern auch von auswärts strömten die wißbegierigen jungen Leute, vor allem aber die von ihren Provinzialen als die talentvollsten befundenen Dominikaner nach Cöln, das als Sitz der Gelehrsamkeit mit Paris wetteiferte. Stommeln war der Erholungsort, wo an den schulfreien Tagen die Cölner Dominikaner gerne verweilten. Sie fanden dort [5] gastliche Aufnahme nicht bloß auf dem Hofe des St. Cäcilienstiftes, sondern auch im Pfarrhause und bei Gutsbesitzern. Bruder Mauritius sehnte sich, als er in Paris studierte, nach Cöln zurück und seinem „Stommeler Aegypten“, wie er sich in einem Briefe an Christina vom 15. Juni 1271 scherzhaft ausdrückt.[1] Dort hätten sie frische Eier bekommen und schmackhaftes Gemüse zum Fleische. In Paris jedoch seien die Eier verderbt und kleiner als die Eifler Eier, die sie zu Cöln gegessen. Christina solle jedoch den Brief niemanden zeigen, damit er nicht etwa eine üble Note erhalte, der Frau Beatrix aber sagen, daß sie für die vom Kapitel heimkehrenden Brüder frische Eier und Zulage frischen Käses bereite. Auch Bruder Folkwin in Gotland erinnerte sich später noch mit Dankbarkeit der in Stommeln zugebrachten Tage und schickte zur Bekundung dieser Dankbarkeit der Christina einen größeren schwarzen Löffel aus Horn, Christinas Schwester Hilla einen kleinen schwarzen Löffel, der Hilla vom Berge einen weißen mit schwarzem Griffe und der Tochter des Vogtes ebenfalls einen schwarzen Löffel aus Horn.[2]
Auch für den Schulunterricht der Knaben sowohl wie der Mädchen war in Stommeln gesorgt. Die Knaben unterrichtete der Magister Johannes, der entfernt mit Christina verwandt war und später Priester wurde.
Die Gerichtsbarkeit wurde ausgeübt durch einen im Orte ansäßigen Vogt, der in der Nachbarschaft Christinas wohnte und mit ihrer Familie befreundet war. In dieser wohlgeordneten, frommen und wohlhabenden Pfarrgemeinde erblickte Christina das Licht der Welt im Jahre 1242. Der Tag ihrer Geburt ist nicht näher bekannt. Daß sie am 24. Juli, dem Feste der h. Jungfrau und Martyrin Christina, geboren sein soll, ist nur eine Vermutung. Ihr Vater war ein vermögender Ackerwirt. Er hieß Heinrich Bruso und seine Frau Hilla. Vom Geburtshause Christinas sind noch Mauerreste erhalten geblieben. Es lag inmitten des Ortes an der Hauptstraße, dort, wo gegenüber die Eschgasse zu der auf einer ziemlichen Anhöhe gelegenen alten Pfarrkirche abbiegt. Es war ein Gehöfte mit einem Doppelhause, einem ältern großen Hause und einem [6] kleinern Anbau. Noch immer führen die dort befindlichen Baulichkeiten den Namen Brusohaus, und früher, als Stommeln noch zum Herzogtum Jülich gehörte, war dort auch der Wohnsitz des Amtsverwalters.
Christina war nicht das einzige Kind ihrer Eltern. Sie hatte einen ältern Bruder namens Heinrich, der etwas weltlich gesinnt war, wohl den Versuch gemacht hatte, ins Kloster Kamp einzutreten, es aber wieder verlassen hatte und nach Cöln übergesiedelt war. Außerdem hatte sie einen jüngern Bruder, Sigwin genannt, für den sie in mütterlicher Liebe besorgt war. Dieser trat als Laienbruder in den Dominikanerorden ein und zwar in der Provinz Dazien, erhielt den Namen Gerhard, weil der Name Sigwin in Schweden nicht gebräuchlich war, und führte zur größten Zufriedenheit die Geschäfte eines Prokurators, da alle Einnahmen und Ausgaben des Klosters durch seine Hand gingen. Wie Christina zwei Brüder hatte, so hatte sie auch zwei Schwestern. Eine hieß Hilla und die andere Gertrud. Beide scheinen älter gewesen zu sein als Christina. Eine von ihnen wohnte später in Cöln; die andere heiratete und blieb anfänglich in Stommeln. In Poulheim wohnten nahe Blutsverwandte Christinas, zwei Schwestern nämlich und deren Brüder.
Schon in der Kindheit stand Christina, die ein gewecktes Mädchen war, unter besonderer Einwirkung der göttlichen Gnade. In dem freilich erst nach ihrem Tode von einem Ungenannten verfaßten Bericht über ihr Leben lesen wir, daß der Jesusknabe dem fünfjährigen Kinde öfters erschien, es im Glauben unterrichtete, es beten lehrte und ihm zum frommen Leben Anleitung erteilte. Christina zeigte denn auch viel früher als andere Kinder Verständnis für göttliche Dinge, ging gerne in die Kirche und wohnte dort täglich mit kindlich frommer Andacht dem h. Meßopfer bei. Als sie sechs Jahre alt war, schaute sie bei der Wandlung das Jesukind in den Händen des Priesters, das zu ihr sprach: „Siehe, ich bin hier zugegen, stets bereit, Barmherzigkeit zu erweisen. Wer also um Barmherzigkeit fleht, wird Barmherzigkeit erlangen.“ Als sie sieben Jahre zählte, wurde sie von einem Engel im Geiste ins Paradies geführt, wo sie himmlische Geheimnisse schaute und mit unaussprechlicher Wonne erfüllt wurde. Ein Seraph kam dort zu ihr, begrüßte sie als die Auserlesene Jesu Christi und machte ihr kund, daß durch sie viele Sünder bekehrt, viele Gerechte gestärkt und getröstet [7] und viele Seelen aus dem Fegfeuer würden befreit werden. Als der Engel sie dann wieder zur Erde zurückgeführt und sie zu sich gekommen war, hub sie an zu singen ein Lied, das so anfing:
Im Alter von neun Jahren wurde sie um das Fest Mariä Verkündigung drei Nächte nacheinander im Geiste von einem Engel der allerseligsten Jungfrau Maria vorgestellt und in jeder dieser Nächte sang sie dreimal nacheinander zuerst die Sequenz vom h. Geiste, die zu Pfingsten beim Hochamt gesungen wird:
und sodann die von der allerseligsten Jungfrau, welche anfängt mit den Worten:
und wenn sie diese Gebete beendet, so warf sie sich nieder vor der h. Gottesmutter und sprach folgendes Gebet:
Die h. Gottesmutter aber beantwortete jedesmal dieses Gebet mit den Worten: „Freue dich, teuerste Tochter, und frohlocke; denn du wirst die Braut und Freundin meines vielgeliebten Sohnes sein.“ Seit jener Zeit wußte Christina diese beiden lateinischen Sequenzen auswendig, obschon sie den Psalter noch nicht gelernt hatte, und wurde jedesmal, wenn sie dieselben singen hörte, mit großer Wonne erfüllt.
Im Jahre 1252, als sie zehn Jahre zählte, erschien ihr in einer Nacht Jesus Christus selbst im Traumgesichte in Jünglingsgestalt. Christina erschrak. Christus aber sprach zu ihr: [8] „Vielgeliebte Tochter, siehe, ich bin Jesus Christus. Gelobe mir Treue, und zwar so, daß du mir immerwährend dienest. Sollte dich übrigens jemand um ein anderes Verlöbnis angehen, so sage ihm, daß du dich Jesu Christo selbst in seine Hände verlobt habest“ — dabei ergriff er ihre rechte Hand und legte sie in die seine. — „Bei den Beginen,“ so schloß der Herr, „sollst du bleiben.“ Als Petrus von Dazien sie siebenundzwanzig Jahre später über diese Erscheinung befragte, sagte sie: „Ich sah den lieben Heiland im Glanze solcher Herrlichkeit und in solcher Schönheit, daß ein menschliches Auge es nicht zu ertragen vermag. Deshalb kam ich von Sinnen und drei Tage und drei Nächte hindurch war ich für alle körperlichen Wahrnehmungen unempfänglich.“ Von diesem Tage an hatte ihr Geist keine Ruhe mehr, sondern immerdar quälte sie sich mit dem Gedanken, wie sie zu den Beginen kommen könnte.
Wie sie elf Jahre alt war und nach Weise der Schulkinder den Psalter lernte, kam es ihr, wenn sie die Psalmen las, vor, als ob sie zu demjenigen rede, dem sie Treue gelobt hatte. Und dann konnte sie nicht anders als weinen vor seliger Freude.
[9] Das engelgleiche Töchterlein des Heinrich Bruso wuchs inzwischen zur blühenden Maid heran. Sie war mit allen Vorzügen ausgestattet, die ihre Hand auch für die erlesensten aus der Schar der Jünglinge begehrenswert machten. Sie war das Kind wohlhabender und angesehener Eltern. Schlank von Wuchs und kräftig von Gestalt, machte sie mit ihrem frischen, edelgeformten und von goldblondem Haar umwallten Gesichte den Eindruck jungfräulicher Anmut. Kein Wunder, daß die Eltern daran dachten, sie zu verloben; denn sie hatten keine Kenntnis von dem Traumleben ihres Kindes. Doch Christina widerstrebte diesem Vorhaben. „Bei den Beginen sollst du bleiben,“ so hatte der Herr ihr gesagt, und dieser Weisung wollte sie folgen. Ohne Vorwissen der Eltern begab sie sich deshalb am St. Katharinentage des Jahres 1255, als sie dreizehn Jahre alt war, nach Cöln. Es schneite und stürmte und sehr kalt schnitt der Wind. Nichts hatte sie von Hause mitgenommen, als ein leinenes Tuch, das sie über den Kopf geworfen hatte. Eine Frau, die sie mitgenommen, zeigte ihr den Weg. Die Freude, bald zu den Beginen zu kommen, beflügelte ihre Schritte. Die einzige Besorgnis, die sie auf diesem Wege hatte, war die, jene Frau könne sie möglicherweise verraten oder in Cöln, wo sie unbekannt war, in ein Haus führen, wo ihre Ehre und Unschuld Gefahr leiden könnte. Sie langte jedoch glücklich in Cöln an und ging sofort zu den Beginen, wo sie auch aufgenommen wurde.
Die Beginen bildeten einen nach Art einer Ordensgemeinschaft organisierten Stand weiblicher Personen, die als Jungfrauen, Ehefrauen und Witwen sich zu einem enthaltsamen Leben entschlossen hatten. In Folge der Kreuzzüge war damals die [10] männliche Bevölkerung in unseren Gegenden bedeutend verringert, und für einen erheblichen Teil der weiblichen war mithin die Ehelosigkeit der gewiesene Weg. Es war natürlich, daß diese weibliche Bevölkerung Anschluß an die bestehenden Ordensgenossenschaften suchte. Die Prämonstratenser waren es, die zuerst dieser Frauenbewegung sich annahmen, dann ihr aber, als sie ihnen zur Plage wurde, wieder den Rücken kehrten. Darauf versuchten die Zisterzienser die Lösung derselben Frage, die aber auch ihnen ebenso wenig wie den Prämonstratensern gelingen sollte. Notgedrungen bildete sich nun diese der Enthaltsamkeit geweihte Frauenwelt zu einer selbständigen Eigenart des Ordenswesens aus, zum Beginentum. Ohne Gründer und ohne Gründerin aus dem Drange der Verhältnisse geboren, entwickelte es sich vorzugsweise in den belgischen und rheinischen Landen zu großer Blüte. Seine Wiege ist die Stadt Nivelles in Brabant, wo im Jahre 1207 das erste selbständige derartige Kloster entstand. Als kirchliche Organisation wurde das Beginentum anerkannt durch Papst Gregor IX., der ihm am 30. Mai 1233 einen Schutzbrief ausstellte. Den Anforderungen, die der Völkerapostel an die gottgeweihten Frauen und Jungfrauen stellt, nacheifernd, bemühten sich diese frommen Frauen, nicht bloß ein keusches, enthaltsames Leben zu führen, sondern auch den Geist des Gebetes zu pflegen, die hh. Sakramente häufiger zu empfangen, ein Leben der Entsagung zu führen und sich in den Werken der christlichen Barmherzigkeit zu üben. Sie trugen einfache, eigene Kleidung von schwarzer Farbe, verrichteten das kirchliche Stundengebet, pflegten aber auch mit besonderer Vorliebe das Rosenkranzgebet[3]; wohnten gewöhnlich in nächster Nähe der Pfarrkirche, trugen Sorge für die hh. Gewande, die Reinheit und den Schmuck des Gotteshauses, unterrichteten die Mädchen, pflegten die Kranken und beherbergten die durchreisenden Fremden. Ihr Reformeifer erweckte jedoch vielfachen Widerspruch. Man warf sie zusammen mit der Sekte der Apostoliker und Albigenser, und weil in jenem Zeitalter ein Lütticher Priester namens Lambert, zubenannt le bègue, [11] d. h. der Stammler († 26. März 1187), viel von sich hatte reden machen wegen seines Reformeifers, der ihn in einen Streit mit seinem Bischof verwickelt hatte, in Folge dessen er zensuriert und eingekerkert wurde, so nannte man sie Beginen, womit der Begriff der Ueberkirchlichkeit und Widersetzlichkeit verbunden war. Doch der Priester Lambert war mit Unrecht bekämpft worden; in der Tat war er ein Mann Gottes. Papst Luzius III. hob das Urteil des Lütticher Bischofes auf und gab dem unschuldig Gemaßregelten die Vollmacht zu predigen wieder. Die neuen Ordensfrauen brauchten deshalb den ihnen in kränkender Absicht zugelegten Beinamen nicht zurückzuweisen und er ist ihnen in der Folge verblieben, wiewohl Lambert le bègue geschichtlich mit ihnen keinerlei Zusammenhang hat.[4] Als die beiden Bettelorden der Dominikaner und Franziskaner sich hierzulande auszubreiten begannen, kamen die Beginen wie von selbst in ein Abhängigkeitsverhältnis zu ihnen. Mit diesen beiden Ordensfamilien, die im ersten und zweiten Orden das eigentliche Ordensleben für das männliche und weibliche Geschlecht organisiert hatten, war nämlich ein dritter Orden planmäßig verbunden, der eine losere Form des Ordenslebens für Weltleute darstellte. Dieses Tertiarierwesen war aber seiner Idee nach der Grund zur Bildung des Beginentums gewesen. Es ist deshalb auch nicht zu verwundern, daß die Beginenhäuser sich um die Klöster der Dominikaner und Franziskaner zu gruppieren pflegten. Im 15. Jahrhundert sind die Beginen durch die kirchlichen Behörden veranlaßt worden, eine bestimmte Ordensregel anzunehmen. Sie entschieden sich für die Augustinerregel. Die noch heute blühenden Klöster der Zellitinnen in Cöln, Düren, Neuß und Aachen sind dem Ursprunge nach Beginenklausen.
Das älteste Beginenhaus in Cöln ist der Konvent „ver Selen“, der 1230 gegründet wurde, sich in der Stolkgasse befand und dem Dominikanerkloster, dessen Stelle jetzt die Hauptpost einnimmt, gegenüberlag. Allem Anschein nach war es dieses Haus, in das Christina eintrat. Denn wir lesen von ihr, daß sie die Dominikanerkirche fleißig besuchte. Im Kloster erhielt Christina jedoch bald Besuch. Ihre Mutter hatte erfahren, wo [12] sie sich hinbegeben. Sie kam nach Cöln, und unter Tränen bat sie ihre Tochter, doch wieder mit ihr nach Stommeln zurückzukehren. Christina indes war nicht hierzu zu bewegen. Zum Entgelt versagte die Mutter ihr jegliche Aussteuer. Ein ganzes Jahr hindurch ließ sie ihr nicht die mindeste Unterstützung zukommen, sodaß Christina darben mußte und an manchen Tagen nicht einmal Brot zum Essen hatte. Einige Beginen redeten ihr deshalb zu, sie sollte doch wieder zu ihren Eltern zurückkehren. Sie aber lehnte dies ab, da sie lieber dem Willen Gottes gemäß im Kloster in Armut, als bei den Eltern im Ueberfluß leben wollte. Sie blieb ungefähr vier Jahre bei den Beginen in Cöln und übte sich dort eifrig in der Schule der Vollkommenheit. Sie liebte die Einsamkeit, um dem Gebete obliegen zu können; auf Erholung und Unterhaltung nahm sie nicht Bedacht. An jedem Samstage und an allen Vorabenden der Heiligenfeste fastete sie bei Wasser und Brot. Sie trug ein einfaches, wollenes Kleid, aber kein leinenes Unterzeug. Ein fest anliegender Gürtel umschlang ihre Lenden. Sie schlief allein. Holz und Stein bildeten ihr Ruhelager, damit sie desto eher erwache und zum Gebete sich erhebe. Zweihundertmal beugte sie das Knie in jeder Nacht und tagsüber flehte sie zu allen Heiligen, deren Namen sie kannte, sie möchten ihr die h. Liebe erwirken. Ihr Stundengebet verrichtete sie gewöhnlich mit dem ganzen Körper seitwärts zur Erde hingestreckt, Freitags dagegen streckte sie dabei die Arme in Kreuzesform aus und so legte sie sich dann auch auf ihr Ruhelager. Strümpfe trug sie nicht; sie hatte nur Sohlen unter den bloßen Füßen. Die Hälfte des Jahres fastete sie, ohne irgendwelche Fleischnahrung zu sich zu nehmen. Ihr gewöhnliches Getränk war Wasser, sehr selten nahm sie etwas Bier. Alles, was nach Weichlichkeit aussah, war ihr zuwider. All ihr Sinnen und Trachten war unablässig darauf gerichtet, zu betrachten, wie vieles und wie schmerzliches Christus für uns gelitten hat.
Christina besuchte, wie gesagt, mit Vorliebe die Dominikanerkirche. Im Jahre 1225 waren die Dominikaner nach Cöln gekommen. Die Stiftsherrn zum h. Andreas hatten ihnen ihr in der Stolkgasse gelegenes Hospital zur h. Maria Magdalena geschenkt. Dieses Hospital hatten die Dominikaner zur Kirche umgewandelt, an deren Stelle Albert der Große 1271 die zu Anfang des 19. Jahrhunderts niedergelegte [13] prächtige Kirche gotischen Stiles zum h. Kreuz erbaute. In jener älteren Magdalenenkirche war eines Tages Christina in die Betrachtung des bitteren Leidens unseres Herrn versenkt. Da wurde sie mit einem Male entrückt. Sie war wie entseelt und mußte aus der Kirche nach Hause getragen werden. Drei Tage lang dauerte dieser Zustand. Die Beginen aber, mit denen sie zusammenlebte, wußten diesen Zustand nicht zu beurteilen. Sie meinten, das müßte ein Anfall von Geisteskrankheit oder von Fallsucht gewesen sein, und sie hielten deshalb Christina für eine Minderwertige.
So ergeht es ja in der Regel den von Gott besonders begnadigten Personen. Sie werden für unsinnig gehalten und Gott läßt dies zu, um sie vor Ueberhebung zu bewahren.
Die Entzückung ist jedoch weit davon entfernt, etwas Krankhaftes zu sein. Es hat ja auch Männer von Ruf gegeben, die künstlerische Begabung, zumal das Dichter- und Musikergenie, als eine Art von Wahnsinn ansahen. Und doch ist solch' künstlerische Begabung ein Zeichen höchster Geisteskraft und Geistesgesundheit. Noch viel mehr sind Verzückungen Aeußerungen höchsten Geistesaufschwunges. Freilich können gottbegnadigte Personen und desgleichen Dichter und Musiker gerade so gut geisteskrank werden wie andere Menschen; allein an und für sich haben mystische Zustände und künstlerische Begabung mit Geisteskrankheit nichts zu tun. Es gehört freilich ein Kennerauge dazu, krankhafte Erscheinungen von mystischen Zuständen zu unterscheiden, weil gewisse äußere Aehnlichkeiten vorliegen bei aller Verschiedenheit des Wesens. Die Kenntnisse eines auch noch so hervorragenden Nervenarztes reichen da nicht aus; der eigentliche Fachmann ist da der mit den Zuständen des übernatürlichen Seelenlebens entweder durch eigene Erfahrung oder durch eindringendes Studium der Wissenschaft der Heiligen vertraute Geistesmann.
Die h. Teresia, eine der vorzüglichsten Lehrmeisterinnen des geistlichen Lebens, wußte wohl zu unterscheiden zwischen Weiberohnmachten und Verzückungen. Sie kannte beide Zustände aus Erfahrung. Auch träges, träumerisches Versunkensein beim Gebete hat mit Verzückung nichts zu tun. Diese ist vielmehr ein machtvoller, urplötzlicher Aufschwung der Seele zu Gott, ihrem Urheber. Es sind nicht mehr die natürlichen, von der Gnade unterstützten Fähigkeiten der Seele, die da tätig [14] sind; es ist vielmehr der Geist Gottes selbst, der h. Geist, der durch seine sieben Gaben, zumal durch die Gabe des Verstandes, den menschlichen Geist anregt und leitet. Ein unmittelbares Schauen der Gottheit, wie es im Zustande der Verklärung eintritt, findet freilich nicht statt. Dazu bedarf es des Lichtes der Herrlichkeit. Auch bei der mystischen Vereinigung wird die Seele geleitet auf dem Wege des Glaubens, der nicht im Schauen aufgegangen ist. Allein die Seele ist auf eine höhere Stufe des übernatürlichen Lebens erhoben, welche die Mitte hält zwischen dem gewöhnlichen Gnadenzustande und der Himmelsseligkeit. Vermöge der Eingießung der Gaben des h. Geistes sind es nicht so sehr die natürlichen Seelenkräfte, die tätig sind, es ist vielmehr der Geist Gottes, der von der Seele Besitz ergreift und in ihr tätig ist. Da ist nun höheres, göttliches Licht, da ist ein Vorgeschmack der Seligkeit und Wonne des Himmels. Würde jemand aus nebelumlagerter Finsternis plötzlich in der h. Weihnacht in den in hellster Beleuchtung prangenden Cölner Dom eintreten und sein Ohr von den Klängen überirdischer Musik entzückt werden, er würde sprachlos dastehen, staunen und genießen. Und wenn dies Schauen und Genießen auch nur eine Viertelstunde währen sollte, es würde ihm zeitlebens unauslöschlich vor der Seele stehen, und niemand würde ihm einreden können, er habe nur ein Traumbild geschaut. Aehnlich ist es mit der Seele, die entzückt wird. Beim Einfluten des Lichtes der Gottheit wird sie sprachlos. „Der Atem stockt, sodaß sie, wenn auch die Tätigkeit der anderen Sinne noch andauert, durchaus nicht reden kann. Manchmal jedoch hört urplötzlich alles auf, es erkalten die Hände und der ganze Körper erstarrt derart, daß es den Anschein gewinnt, die Seele sei nicht mehr da, und mitunter kann man auch keinen Atem wahrnehmen. Dieser empfindungslose Zustand dauert jedoch nur kurze Zeit; denn sobald dieser gewaltige Aufschwung etwas nachläßt, scheint der Körper wieder einiges Leben zu gewinnen und atmet wieder auf, um aufs neue zu sterben und der Seele ein höheres Aufleben zu verschaffen. Bei all dem dauert eine solche großartige Verzückung nie lange. Es kommt aber auch vor, daß nach ihrem Aufhören der Wille so versenkt und der Verstand einen ganzen Tag oder mehrere Tage so entrückt bleibt, daß es den Anschein hat, er könne auf nichts achten als auf das, was den Willen zur Liebe zu erwecken vermag. Hierzu ist er in vollkommen [15] wachem Zustande, dagegen ist er ganz eingeschlafen, wo er einem Geschöpfe besondere Aufmerksamkeit zuwenden soll.“
Diese Beschreibung, welche die h. Teresia[5] von der Entzückung gegeben, paßt ganz und gar auf das, was bei Christina wahrgenommen wurde. Der Leib wird empfindungslos und starr. Zu verschiedenen Malen hat man an Christina, während sie in Verzückung war, den Versuch gemacht, zu erproben, ob dem wirklich so sei. Einmal hat man ihr am Arme drei Wunden beigebracht. Christina aber regte sich nicht und merkte nichts. Als sie aber aus der Verzückung erwachte, fühlte sie den Schmerz der Wunden, die nun anfingen zu bluten und langer Zeit bedurften, um zu heilen. Ein anderes Mal hat, wie Bruder Gerhard vom Greif, der Pfarrer Johannes und andere dem Bruder Petrus berichteten, eine Begine der Christina, als sie nach der Kommunion in Verzückung gekommen, mit der Schere tief in die Wade geschnitten. Auch diesmal merkte Christina während der Verzückung nichts von der beigebrachten Verletzung. Als sie aber zu sich kam, empfand sie heftigen Schmerz und die Wunde fing an zu bluten. Da sie kein Mittel anwandte, um die Wunde zu heilen, so schwoll das Bein bedenklich an und die Wunde fing an in Fäulnis überzugehen. Sie begab sich nun nach Cöln und klagte dem Bruder Gerhard vom Greif ihr Leid. Dieser sagte ihr, es müsse ein Wundarzt die Wunde untersuchen und einen Einschnitt machen. „Muß der Mann die Wade sehen?“ fragte Christina. Bruder Gerhard erwiderte: „Ich glaube, er wird sie sonst nicht heilen können.“ In einer Weise, die mehr zu bewundern als nachzuahmen ist, erwiderte Christina: „Lieber lasse ich das ganze Bein verfaulen, als daß ich dieses zugebe,“ und ging fort. In der Nacht wandte sie sich zum Gebete und erlangte vom Herrn Heilung ihrer Wunde. Morgens ging sie dann zurück zu Bruder Gerhard und sprach: „Es ist nicht nötig, den Wundarzt zu rufen; denn der Herr hat mich in seiner Güte geheilt.“[6] Auch trifft bei Christina zu, was die h. Teresia von den Wirkungen der Verzückung sagt. Krankhafte Erscheinungen erzeugen Unlust zu geistiger Betätigung, sie hinterlassen Schwäche, Abspannung und Erschöpfung. Ganz anders die Verzückung. Auch sie greift die Sinnesorgane in ihrer Weise [16] an. Durch das übermächtig einströmende Licht der Gottheit wird die Tätigkeit der Sinnesorgane nicht nur, sondern auch alle gewöhnliche Tätigkeit des Geistes gebunden. Die Seele ist ganz aufgegangen in ihrer höchsten und edelsten Tätigkeit, im Schauen und Lieben ihres Urhebers. Sie lebt ein höheres Leben und das natürliche ist eine Weile wie erstorben. Kehrt sie nun wieder zum natürlichen Leben zurück, so bedarf es einer Art Neubelebung des Organismus, um wieder die gewohnten Beschäftigungen aufnehmen zu können. Diese geht gemach vor sich, hat aber, da eine Krankheit gar nicht vorlag, mit Rekonvalescenz keine Aehnlichkeit. Bald fühlt der Organismus sich wieder ganz frisch. Die Seele brennt vor Glut, sich wiederum mit Gott und zwar für immer zu vereinigen. Die ganze Schöpfung möchte sie aufrufen, mit ihr Gott zu preisen. Entbehren und leiden aus Liebe zu Gott ist für sie eine Genugtuung. Keine Bußübung ist ihr zu schwer. Die Welt und was sie enthält erscheint ihr gar armselig. Ihre Herrlichkeit ist ihr wie welkes Gras und ihre Lust wie ödes Sumpfwasser. Sie hat ja Höhres verkostet. Was sie in der Verzückung geschaut, vermag sie, wie St. Paulus es darlegt, nicht in Worte zu kleiden. Es übersteigt ja alle Erfahrung. Gefällt es jedoch dem Allmächtigen, sie durch bildähnliche Erscheinungen zu belehren oder zu erbauen, so weiß sie diese auch, sobald sie zu sich gekommen, zu beschreiben. Wo jedoch die Mitteilung des göttlichen Lichtes unmittelbar auf die geistige Erkenntnis einwirkt, ist einerseits eine Täuschung unmöglich; denn durch den Vorgang selbst hat die Seele die Gewähr, daß sie mit Gott verbunden ist, andererseits aber versagen ihr auch die Ausdrucksmittel, das, was sie erfahren, entsprechend wiederzugeben.
In der Regel sind solche besondere Hulderweisungen der göttlichen Liebe Vorboten großer Prüfungen und Leiden. Liebe und Leib gehören nun einmal zusammen wie im natürlichen Leben, so auch im übernatürlichen. Seine besondern Lieblinge führt Gott den Weg des Leidens. Keine verzärtelten Geschöpfe würdigt er seiner besonderen Freundschaft, sondern nur die Heldenseelen, die Opferfreudigen. Sie werden in der Schule des Leidens geübt, dann aber auch im Brautgemache der göttlichen Liebe erquickt. Unter den Heiligen des Himmel ragen die hh. Martyrer hervor, die für Christus die grausamsten Qualen erduldet und ihr Leben für ihn gelassen haben. Was [17] in den Zeiten der Christenverfolgung wutschnaubende Machthaber an den Bekennern des christlichen Namens verübt, das gestattet in friedlichen Zeiten Gott der Herr dem Satan an seinen Auserwählten zu vollbringen, damit auch ihnen des Martyriums Palme nicht fehle. Es darf uns daher nicht wundern, wenn in der Lebensbeschreibung Christinas nach der hohen Begnadigung von widerwärtigen Versuchungen und grausamen Quälereien die Rede ist. Sie verehrte mit besonderer Innigkeit den h. Apostel Bartholomäus; sie betrachtete ihn als ihren ganz besonderen Schutzpatron, da sie in ihren Trübsalen sehr oft seinen Beistand erfahren hatte. In der Dominikanerkirche sowohl wie in der nahegelegenen Stiftskirche zum h. Andreas befanden sich Reliquien des h. Bartholomäus. Ob es nun diesem Umstande zuzuschreiben ist, daß Christina sich ihn zum besonderen Schutzheiligen erkor, oder ob seine grausame Marter, da ihm lebendigen Leibes die Haut abgezogen wurde, auf ihr mitleidiges und heldenmütiges Herz bestimmend eingewirkt hat, läßt sich nicht ermitteln. Vielleicht haben beide Gründe zusammen eingewirkt.
Als Christina bereits zwei Jahre bei den Beginen zu Cöln war, sie mithin fünfzehn Jahre zählte, kam, als sie nachts in ihrer gewohnten Art sich zum Gebete niedergeworfen hatte, der Versucher in Gestalt des h. Bartholomäus vor sie hinstehen und sprach: „Tochter, du betest viel und hast ein großes Verlangen, in den Himmel zu kommen. Nun wisse, daß du dies erreichen wirst, wenn du dich tötest. Das ist ja bald geschehen, und du kommst dann ohne alles Leid ins Himmelreich.“ Christina, die noch unerfahren war in der Unterscheidung der Geister, glaubte, es sei wirklich der h. Bartholomäus, und war ein halbes Jahr lang von dieser lästigen Versuchung geplagt. Wenn sie allein war, meinte sie, sie müsse sich das Leben nehmen; stand sie an einem Brunnen, so kam ihr der Gedanke, hineinzuspringen; war sie in der Kirche, so fühlte sie sich zu ihrem größten Leidwesen gedrungen, wieder hinauszugehen, um den Tod zu suchen. Doch endlich hatte der Herr Erbarmen mit ihr. Als diese Versuchung ihr schier unerträglich wurde, kam ihr in den Sinn das Wort des Evangeliums, das sie früher gehört, sie würde verloren gehen, wenn sie Selbstmord verübe. Und so schwand diese Versuchung.
[18] Nach einer Weile indes wurde sie von einer andern Versuchung gequält. Es kamen ihr Zweifel an der Gegenwart Christi im allerheiligsten Altarssakramente und an der Erschaffung der Welt durch Gott; auch erschien es ihr fraglich, ob überhaupt Gott um sie wisse oder die Heiligen. Sie hatte kaum Freude mehr daran, Gutes zu tun, zu beten und die Kirche zu besuchen. Achtzehn Wochen lang blieb sie dem Beichtstuhl fern. Doch gab sie der Versuchung nicht nach. Trotz der Unlust wohnte sie dennoch dem Gottesdienste bei und eines Tages betete sie bei der h. Messe also: „Herr, ich habe doch immer gehört, daß dein Leib wahrhaftig hier zugegen ist. Zeige mir doch, wie ich diese Zweifel los werden kann.“ Und alsbald sah sie bei der Wandlung ein Knäblein in den Händen des Priesters, das zu ihr sprach: „Ich bin Jesus.“ Als sie solches sah und vernahm, kam sie vor Staunen außer sich. Und als sie wieder zu sich gekommen, verspürte sie in ihrem Geiste ein gewisses Maß von Licht. Daraufhin ging sie am folgenden Tage zur h. Kommunion und die Versuchung wich so vollständig von ihr, als ob sie dieselbe niemals gehabt hätte. Auch diese Anfechtungen gegen den Glauben währten ein halbes Jahr.
Nunmehr suchte der arglistige Feind des Menschengeschlechtes ihr Speise und Trank und vor allem die h. Kommunion zum Gegenstand des Ekels zu machen. Es kam ihr vor, als ob auf jeglicher Speise, die sie zum Munde führen wollte, häßliche Tiere säßen, Molche, Spinnen und dergleichen. Vor Spinnen hatte sie, nebenbei bemerkt, ganz besonderen Abscheu. Der Beichtvater gab ihr den Rat, den Ekel zu überwinden und nichtsdestoweniger zu essen. Sie folgte, vermochte jedoch vor Ekel die Speise nicht bei sich zu behalten. Selbst wenn sie dem Tische des Herrn nahte, überkam sie das Gefühl des Ekels. Doch auch diese Plage überwand sie, indem sie trotz des Widerwillens dennoch den h. Leib des Herrn empfing. Auch diese dritte Versuchung währte ein halbes Jahr. Dies alles trug sich zu, während Christina zu Cöln bei den Beginen weilte. Dort blieb sie bis zum Alter von siebenzehn Jahren, also bis zum Jahre 1259. In diesem Jahre kehrte sie nach Stommeln zurück.
[19] In den bisher erschienenen Lebensbeschreibungen der seligen Christina heißt es gewöhnlich, sie sei von den Beginen in Cöln entlassen worden und deshalb nach Stommeln zu ihren Eltern zurückgekehrt. Das scheint jedoch nicht richtig zu sein, denn zunächst steht nichts derartiges in dem Berichte, den der damalige Pfarrer von Stommeln, Johannes, dem Petrus von Dazien auf dessen Bitte über Christinas Jugend zusandte. Auch wäre es dann nicht zu begreifen, daß Christina zeitlebens Begine geblieben ist und niemals das Kleid der Beginen abgelegt hat. Wie die Verhältnisse lagen, dürfte die Sache sich folgendermaßen zugetragen haben. Als Christina bei den Beginen in Cöln eintrat, gab es in Stommeln offenbar noch kein Beginenhaus. Sonst würde Christina nicht nötig gehabt haben, sich so viele Mühe zu geben, um endlich zu den Beginen zu kommen. Während ihres vierjährigen Verweilens zu Cöln ist dann zu Stommeln eine Beginengemeinschaft zustande gekommen. Eine Verwandte Christinas, Hilla vom Berge, so genannt, weil sie auf dem höhergelegenen Teile von Stommeln wohnte, war eine der angesehensten der Stommeler Beginen. Wir wissen, daß Christinas Eltern ihr die Aussteuer versagten. Deshalb werden die Cölner Beginen Christina geraten haben, nach Stommeln zurückzukehren, da sie nunmehr dort, wo mittlerweile die Beginen sich eingerichtet hatten, ebensogut als Begine leben konnte wie in Cöln. Das Beginenhaus zu Stommeln war, wenn auch nicht gleich von Anfang an, eine an die Kirche angebaute Klause. Jedoch nicht alle Beginen wohnten dort, wenigstens nicht andauernd. Die Räumlichkeiten scheinen zu beschränkt gewesen zu sein. Mehrere von ihnen, wie Hilla vom Berge und die blinde Aleidis, hatten eigene Wohnungen. [20] Bei ihrer Rückkehr nach Stommeln nahm auch Christina zunächst im elterlichen Hause Wohnung. Hier wurde sie, namentlich anfangs, nicht allzu freundlich behandelt, weil sie gegen den Willen der Eltern ins Kloster gegangen war. Man gönnte ihr nicht einmal das Brot, das sie aß. Ihr der Abtötung und dem Gebete geweihtes Leben fand auch nicht den Beifall der Beginen. Diese spotteten mehrfach über sie und nannten sie eine Scheinheilige. So hatte sie Niemanden, weder zu Hause noch außerhalb, bei dem sie einigen Trost gefunden hätte. Im öftern Empfange der h. Kommunion hätte sie gerne Kraft und Mut sich geholt zum standhaften Ertragen aller Widerwärtigkeiten. Allein sie wagte es nicht, darum zu bitten, mit wie heißer Sehnsucht sie auch darnach verlangte; denn damals war es nicht üblich, häufig zu den hh. Sakramenten zu gehen. Es war ja im dreizehnten Jahrhundert, daß die vierte Lateransynode (1215) sich veranlaßt sah, die Pflicht der Osterkommunion unter Androhung von kirchlichen Strafen einzuschärfen. Der Heiland jedoch wußte auf andere Weise sich seiner treuen Dienerin mitzuteilen. Ihrem Pfarrer Johannes hat sie nämlich im h. Gehorsam gestanden, sie sei einst krank gewesen (so nannte sie in Demut ihren mystischen Zustand), und da habe sie stets über das bittere Leiden unseres Herrn nachgedacht. Das habe wohl sechs Wochen gedauert. Und es sei ihr vorgekommen, als ob ihr vielgeliebter Heiland vor ihren Augen getötet worden sei. Sie lag dann, so fährt der Pfarrer Johannes fort, in tiefster Beschaulichkeit da, aß sozusagen gar nichts und ihre Glieder blieben, wie Johannes selbst gesehen hat, ganz starr. Aber auch der Versucher stellte sich bei ihr ein. Umstrahlt von Schönheit erschien er ihr, tröstete sie und sprach: „Teuerste, gehab dich wohl; der Herr ist mit dir.“ Er belobte sie dann sehr und sagte schließlich: „Siehe, schon bist du merklich schwächer geworden. Wenn du dich noch zwei Tage lang der Nahrung enthältst, so wirst du alsbald deinen Gott in seiner Herrlichkeit schauen.“ Bei diesen Worten erkannte Christina durch Erleuchtung des h. Geistes den teuflischen Betrug, begehrte sofort zu essen und beschämt wich der Böse von dannen.
Abgesehen von dieser Versuchung lebte Christina drei Jahre lang im Hause ihrer Eltern in seligem Herzensfrieden, auf Gott allein ihren Sinn richtend und nicht beachtend, was [21] in der Welt vor sich ging. Sie war nun zwanzig Jahre alt und sollte bald in die Schule der Leiden genommen werden, indem es dem Satan gestattet wurde, sie zu quälen, wie er einst den Diener Gottes, den gerechten Job, gequält hatte. Nur das Leben durfte er ihr nicht nehmen, wie er ja auch dem Job das Leben lassen mußte. Sie nahm, wie es scheint, Wohnung im Hause der Beginen. Dort kam der Versucher in Gestalt des h. Apostels Bartholomäus zu ihr und sagte ganz leise: „Teuerste Tochter, deine Werke sind wohlgefällig vor Gott, dem du über die Maßen gefällst. Du hast jetzt eine Zeit lang an Leib und Seele Ruhe genossen. Nun mußt du auch, da du gar sehr verlangst, zum Geliebten deiner Seele zu kommen, an deinem Körper etwas leiden.“ Wohl einen Monat lang wurde sie von solchen Zuflüsterungen geplagt. Endlich kam der Versucher mit einem Bündel Hülsendorn und sprach: „Weil du bisher allzu weichlich gelebt hast, so bringe ich dir dies, damit du damit deinen Leib zur Ehre Gottes kasteiest; denn das gefällt ihm gar sehr.“ Also tat er zur Zeit der Mette sowohl wie zur Zeit der Komplet. Christina aber, vom h. Geiste belehrt, dachte bei sich: „Es ist der Dämon. Kaum vermag ich die übliche Geißelung zu ertragen, um wieviel weniger eine solche?“ Sodann sprach sie zum Versucher: „Uebel ist dein Rat, weil er falsch ist; denn Gott will, daß man in allem weise maßhalte.“ Doch wiewohl sie den Versucher in dieser Weise abfertigte, kam ihr doch später immer wieder der Gedanke, sie hätte doch den Rat befolgen sollen; er könne doch von Gott herrühren. Als der Versucher jedoch sah, daß Christina seinen Einflüsterungen nicht Folge gab, rächte er sich, indem er selbst acht Nächte hindurch Christina mit Hülsenwischen dermaßen geißelte, daß sie am ganzen Leibe wund war. Hilla vom Berge, die zur Zeit der Komplet zu ihr zu kommen pflegte und nicht wußte, was vor sich gegangen war, fand sie wie halb tot und brachte sie zu Bette. Nachdem der Versucher sie noch durch mehrere andere Plagen das Jahr hindurch belästigt hatte, quälte er sie im Advent auf besondere Weise. Am ersten Adventssonntage wurde sie, während sie ihren Rosenkranz[7] betete, [22] mit einem knotigen Stocke derartig von unsichtbarer Hand geschlagen, daß die Umstehenden meinten, man müsse es im ganzen Dorfe hören können. Fünfmal fiel Christina dabei in Ohnmacht. Schließlich betete sie zum Herrn also: „Herr Jesu, ich bitte dich bei deinem bitteren Leiden, befiehl dem Dämon, er solle aufhören mich zu schlagen; denn ich vermag es nicht länger zu ertragen. Oder gib mir die Gnade, daß ich es auszuhalten vermag.“ Eines Tages empfing sie, als sie in den Stall ging, einen solch heftigen Schlag auf die Hand, daß Blut floß. Darob weinte sie, nicht aus Mangel an Gottergebenheit, sondern weil sie glaubte, in solchem Leiden nicht mehr allein in ihrem Kämmerlein leben zu können und in ein anderes Haus ziehen zu müssen. Mehrfach noch erhielt sie von unsichtbarer Hand Schläge, die derartig heftig waren, daß man sie fast bis auf die Straße hörte. Auch wurden ihre Füße zerkratzt, und zwar einmal mit spitzigen Eisenkrallen; und die ganze Pfarre kam zusammen und sah mit eigenen Augen diese Quälereien.
Christina kehrte ins Haus ihrer Eltern zurück und blieb etwa ein Jahr lang von körperlichen Mißhandlungen frei. Jedoch suchte der arglistige Feind ihre Andacht auf mancherlei Weise zu stören. Am Weihnachtsabend kam er in Gestalt eines Stieres und brüllte entsetzlich, packte ihren Kopf zwischen seine Zähne und übergoß ihr Gesicht mit Geifer. Vier Wochen nachher hörte sie jedesmal ein starkes Brüllen, so oft sie der h. Messe beiwohnte, Gottes Lob singen oder predigen hörte, oder wenn sie sich im Gebete befand. Davon wurde sie eine Zeit lang ganz taub. Als sie den Herrn bat, er möge diese Plage, die ihr die Uebungen der Gottseligkeit verleidete, von ihr nehmen, hörte sie eine gar liebliche Stimme einen Psalm zum Lobpreis Gottes anstimmen, wodurch ihr Herz in solche Wonne versetzt wurde, wie sie niemals solche bis dahin beim Gesange empfunden hatte. Das Gehör war wiedergekommen; nunmehr wurde sie eine Zeit lang stumm. Ein mündliches Gebet vermochte sie nicht mehr zu verrichten. Zuweilen versuchte sie kurze Seufzer auszusprechen wie: „Mein Herr und mein Gott!“ oder: „O Gott, erbarme dich meiner!“ oder: „Vielgeliebter.“ Aber auch das vermochte sie nicht. Sie bekam darüber solches Wehe, daß sie vierzehn Tage lang Blut spuckte. Der Versucher aber kam und verhöhnte sie, indem er sprach: „O Törin, wo ist nun dein Gott? Wenn du einen Gott hast, so bete diesen an und rufe [23] ihn an. Du siehst doch wohl, daß ich der Schöpfer aller Dinge bin.“ Solche Lästerungen empörten Christina, und es schmerzte sie über die Maßen, daß sie ihn, weil sie stumm war, nicht abfertigen konnte.
Dann quälte sie der Böse durch Ohrenbläsereien. Drei Wochen lang flüsterte er ihr unaufhörlich in die Ohren, was die Menschen Unrechtes getan, gestohlen und dergleichen, und dabei nannte er die Leute mit Namen. Auch drohte er ihr, er werde in der Kirche laut ausrufen, daß sie alles, was abhanden gekommen sei, gestohlen habe. Als auch diese Versuchungen nicht vermochten, Christina zu lieblosen Urteilen oder zur Vernachlässigung des Gottesdienstes zu verleiten, wurde sie vierzehn Tage hindurch durch feuerige Erscheinungen in Schrecken gesetzt. Wollte sie in ihrem Kämmerlein beten, so schien es in Flammen zu stehen; nahm sie ihr Gebetbuch, so schien es zu brennen; ging sie zum Beichtstuhl, so schien der Priester in Flammen zu stehen; wollte sie dem Tische des Herrn nahen, so glaubte sie, durchs Feuer gehen zu müssen. Unterdessen kam wieder die Adventszeit heran und nach den früher gemachten Erfahrungen war Christinas Umgebung in Furcht vor neuen Plagen. So kam es, daß der ehrwürdige Pfarrherr Johannes sie für den Advent 1267 ins Pfarrhaus aufnahm.
[24] In der Folge wird häufiger noch als bisher von ganz eigenartigen Plagen die Rede sein, von denen Christina heimgesucht wurde. Christina ist nicht die einzige unter den Seligen des Himmels, die solche Plagen zu erdulden hatte. Bezeichnender Weise sind es vorzugsweise die mit mystischen Zuständen Begnadigten, die solchen Quälereien ausgesetzt sind, als deren Urheber gemeinhin die bösen Geister angesehen werden. Kein geringerer als der Völkerapostel Paulus, der in den dritten Himmel entrückt wurde, klagt darüber, daß der Satansengel ihn mit Faustschlägen mißhandelt habe.
Die Ungläubigen, die alles Uebernatürliche leugnen, halten alles Dämonische für Fabel oder Ausgeburt eines krankhaften Gehirns. Mit solchen Leuten kann man aufrichtiges Mitleid haben.
Daß es eine Welt unsichtbarer Geister gibt, von denen die einen, die hh. Engel, das Menschengeschlecht lieben, die andern hingegen, die gefallenen Engel, die wir Teufel nennen und deren Fürst Satan ist, voller Haß und Neid gegen die Adamskinder, die statt ihrer der Himmelsherrlichkeit teilhaft werden sollen, diesen zu schaden suchen, ist eine Wahrheit, die fast auf jeder Seite der heiligen Schriften des alten und neuen Bundes zu Tage tritt und die auch, wenn auch mehr oder minder entstellt, im Bewußtsein des gesamten Menschengeschlechtes zu allen Zeiten festgehalten wurde. Ein wissenschaftlicher Beweis für die Behauptung, daß es keine Teufel gibt oder keine geben kann, oder daß diese die Menschen nicht zu versuchen oder ihnen nicht zu schaden vermögen, ist bisher [25] von Niemanden erbracht worden und kann auch nicht erbracht werden. Von ewigen, unabänderlichen Naturgesetzen zu reden, ist leere Phrase. Gesetze sind Vorschriften. Naturgesetze aber schreiben nichts vor. Es sind nur Verallgemeinerungen von einzelnen von uns beobachteten Vorgängen. Will man von Naturgesetzen reden, so muß man auch einen Herrn der Natur annehmen, der mit Macht und Weisheit sie leitet, der aber auch auf andere als die gewohnte Weise durch sie wirken kann und auch solches vollbringen kann, was die Kräfte der Natur übersteigt. Denn der Urheber der Natur ist doch nicht durch die von ihm ins Dasein gerufenen Naturkräfte eingeschränkt. Wenn schon der Mensch gewaltige Aenderungen im Naturlauf hervorrufen kann, indem er die Naturkräfte seinem Willen dienstbar macht, sei es, daß er auf dem Stahlroß oder im Kraftwagen über die Erde dahinsaust, oder im Luftschiff sich in die Höhe emporschwingt und am Himmelsgezelt mit den Wolken einherfährt, wie sollte es den überirdischen Geistern, denen zudem auch die uns noch verborgenen Naturkräfte bekannt sind, sich deren mit Zulassung des Schöpfers nicht bedienen können, um Wirkungen hervorzubringen, die uns wunderbar vorkommen? Eigentliche Wunder kann freilich nur Gott allein wirken, weil nur seine Allmacht die Macht der von ihm geschaffenen Natur übersteigt. Die Engel jedoch und ebenso die Teufel vermögen die vorhandenen natürlichen Kräfte in einer Weise anzuwenden, die ungewohnt ist und uns deshalb wunderbar erscheint. Teuflische Einwirkungen auf die Menschheit sind deshalb möglich. Ob sie nun wirklich vorliegen, muß in jedem Falle, wo ihre Tatsächlichkeit behauptet wird, bewiesen werden. Nirgendwo wäre Leichtgläubigkeit weniger angebracht als hier. Die Kirche läßt uns in der Untersuchung und Prüfung solcher Vorkommnisse, die in den Lebensbeschreibungen der Heiligen berichtet werden, vollste Freiheit und ermahnt uns zu größter Vorsicht. Der allgemeine Einwand jedoch, heutzutage trete der Teufel nicht sichtbar in die Erscheinung, also habe er es auch früher nicht getan, ist nicht stichhaltig. Der Teufel ist eben von jeher arglistig und boshaft und Dummheit gehört nicht zu seinen Eigenschaften. Vor allem sucht er Unglauben und Gottlosigkeit zu verbreiten. Das würde er aber heutzutage am wirksamsten verhindern, wenn er offen hervorträte. Denn wer heute an den Teufel glaubt, [26] der kann nicht mehr ungläubig sein, der muß auch Hölle und Himmel annehmen, und an Gott glauben. Anders aber lagen die Dinge im Mittelalter, wo der Glaube ans Jenseits unbestritten war.
Was nun die teuflischen Quälereien, die von der seligen Christina in der Jülicher Handschrift berichtet werden, anbelangt, so verdient hervorgehoben zu werden, daß diese Handschrift zu Lebzeiten Christinas angefertigt wurde, und die Verfasser die Vorkommnisse miterlebt oder sie aus dem Munde Christinas vernommen haben. Daß sie alle die Wahrheit sagen wollten, wird niemand, der diese Aufzeichnungen und Briefe liest, in Zweifel ziehen. Die Erzählung ist so treuherzig, die Schilderung so unmittelbar, die in die Darstellung verwobenen Angaben über Ort, Zeit und sonstige Umstände der Geschehnisse mit der geschichtlichen Wirklichkeit so genau übereinstimmend, daß ihr der Stempel der Wahrhaftigkeit nicht abgeleugnet werden kann. Die Personen, welche diese Dinge berichten, sind achtbare, unterrichtete Männer. Da sind zunächst die beiden Pfarrer von Stommeln, Johannes und sein Nachfolger Heinrich, die beide über alles, was Christina betraf, aufs genaueste unterrichtet waren, an ihr das lebhafteste Interesse nahmen und in ihrem ganzen Verhalten eine Art heiliger Ehrerbietigkeit gegen Christina an den Tag legten. Pfarrer Johannes war ein Mann nach dem Herzen Gottes, von reinem Wandel und erprobter Tugend, ausgezeichnet durch uneigennützige Freigebigkeit und große Frömmigkeit, wie allgemein bekannt war. Da ist ferner der hochbetagte, in der Seelenleitung wohlerfahrene Bruder Walter aus dem Dominikanerkloster zu Cöln, der uns geschildert wird als sehr frommer Mann, reich an Jahren und Verdiensten, mit weißem Haupthaar und lieblichem Angesichte, hochangesehen nicht bloß bei den Weltgeistlichen, sondern auch bei den Ordensleuten.[9] Dieser war Christinas Beichtvater seit ihrem Eintritt ins Beginenkloster zu Cöln. Da ist vor allem der schwedische Dominikaner Petrus von Dazien, der am eingehendsten sich mit den Zuständen Christinas befaßt und dem vorzugsweise die über sie erhaltenen Aufzeichnungen zu danken sind. Petrus stammte [27] aus der Stadt Wisby auf der Insel Gotland in der Ostsee, war gegen das Jahr 1266 in den Dominikanerorden eingetreten, dessen zehnte Provinz Dänemark, Schweden und Norwegen umfaßte und Dazien genannt wurde. Wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Provinz wird er gemeinhin Petrus von Dazien genannt. Wegen seiner besonderen Befähigung wurde er von seinen Ordensobern zur Vervollkommnung seiner Studien nach Cöln und Paris geschickt. Während seines Cölner Aufenthaltes, der von 1266-1269 währte, kam er zwölfmal nach Stommeln, dann noch einmal bei seiner Hinreise nach Paris und abermals bei der Rückreise, und später noch einmal von Schweden aus, also im ganzen fünfzehnmal. Der ebenso fromme und demütige wie kenntnisreiche und gelehrte Ordensmann betrachtete Christina als das ihm von Gott gegebene Vorbild eines vollkommenen, ganz der Liebe Jesu Christi geweihten Lebens; Christina hingegen, durch göttliche Erleuchtung belehrt, betrachtete den Petrus als ihren geistlichen Führer und Tröster. Christina verschloß, wie alle wahrhaft mystischen Seelen, die Vorgänge ihres Innenlebens vor der Außenwelt. Nur dem Petrus gab sie in Gehorsam hierüber Aufschluß. Petrus war schon einundzwanzig Jahre hindurch im Dominikanerorden, als er im Advent 1267 zum ersten Male nach Stommeln kam. Er war mithin nicht ein unerfahrener, junger Student, wie der Innsbrucker Professor Emil Michael irrtümlicher Weise annimmt, sondern ein allseitig durchgebildeter, urteilsfähiger Ordensmann in der vollen Kraft des Mannesalters. In welchem Ansehen er stand, geht daraus hervor, daß er nach seiner Rückkehr in die Heimat Lesemeister zu Skeninge, dann zu Strengnäs und darauf zu Gotland wurde und schließlich zu Wisby das Amt eines Priors versah. Einen getreuen Helfer in der Aufzeichnung dessen, was sich Merkwürdiges im innern und äußern Leben Christinas ereignete, hatte Petrus in dem Schullehrer zu Stommeln, dem Magister Johannes, einem allseitig verehrten Manne von frommem und reinem Wandel, der später Priester wurde und als Kaplan Christinas bezeichnet wird. Petrus vergleicht ihn in einem seiner Berichte mit dem Apostel Johannes; denn wie der Heiland diesem seine jungfräuliche Mutter, so habe er ihm seine Namensgenossin, das Gefäß der Tugenden und die Uebungsschule aller geistigen Kämpfe zur Hut anvertraut. Dem Petrus sei auch hier der Johannes vorgezogen. „Darum,“ [28] so fährt Petrus fort, „strenge deine Sinne an, suche scharf und mit allem Fleiße zu beobachten, was der Herr Wunderbares wirkt. Lasse dir keine Handlung und kein Wort entgehen, was der Bräutigam oder die Braut tut oder spricht. Beobachte das Benehmen, wäge ab die Handlungen, verkoste die Freuden, merke die Gnadenerweisungen, das Geheime bewahre treu in deinem Herzen und erzähle es, wenn die Zeit gekommen, den Gläubigen. Denn es wird die Zeit kommen, wo man dies von dir verlangen wird. Und weil das Gedächtnis sehr vergeßlich ist, so schreibe auf, was der Herr Großes wirkt.“[10] Wie getreulich der Meister Johannes dieser Aufforderung nachgekommen ist, zeigt das dritte Buch der Jülicher Handschrift. Was Johannes von Christina berichtet, hat er ihr größtenteils abgelauscht bei ihrem Erwachen aus der Verzückung. „Diese Geheimnisse,“ so schreibt er an Petrus, „die ich Ew. Liebden mitteile, sind mir nicht von einem Menschen, sondern von Gott kundgemacht worden. Laßt Euch das nicht unglaublich sein. Denn wenn zu den Dienern Gottes im allgemeinen gesagt ist: „Nicht ihr seid es, die da reden, sondern der Geist eures Vaters ist es, der in euch redet,“ so gilt das auch insbesondere von seiner Braut und besonders zu jener Zeit, wo sie eben aus der Entrückung zurückkehrt, in dem Zeitraum, wo sie von äußern Dingen und von sich selbst nichts weiß. Ich schreibe euch dies darum, auf daß ihr wisset, daß Christina, Eure Tochter, zur Zeit, wo sie ihrer mächtig war, mir nichts von dem, was ich aufgeschrieben habe, mitgeteilt hat, außer wenigem über ihr Leiden.“ Sehr richtig ist diese Bemerkung des Magisters Johannes für die Beurteilung der außergewöhnlichen teuflischen Quälereien, die im dritten Buche der Jülicher Handschrift berichtet werden. Sie tragen durchgängig visionären Charakter und somit entfällt alles, was man gegen ihre Glaubwürdigkeit vorgebracht hat.
Da die Dominikaner damals stets zu Fuß reisten und bei ihren Reisen stets mindestens zu zweien sein mußten, so kamen mit Petrus auch andere Dominikaner nach Stommeln und lernten Christina kennen. Außer dem bereits erwähnten Bruder Walter verdienen noch angeführt zu werden die Brüder Gerhard vom Greif, ein sehr gelehrter Mann, Lehrmeister der [29] Studenten und ehemaliger Unterprior im Cölner Kloster,[11] und Johannes von Muffendorf, die beide auch zu Christinas Beichtvätern zählen, ferner die Brüder Aldebrandino aus Rom, Balduin von Flandern, Gotfrid von Werden, Jakob von Andernach, Johannes Hespe aus der Provinz Dazien, Karl, der in Paris studiert hatte und als Ordensmann, reich an Gnaden, ausgezeichnet durch große Herzensreinheit, feine Sitten, Freigebigkeit und vorzügliche Frömmigkeit, gerühmt wird,[12] ferner Bruder Laurentius aus dem Kloster zu Wisby, Bruder Mauritius, später Lesemeister in Reval, Bruder Salomon aus Ungarn, Bruder Folkwin von Gotland, Bruder Wilhelm von Werigehal aus der englischen Provinz und Bruder Wipert von Böhmen aus der Provinz Polen. Wie der Vorgesetzte dieser Brüder, der Cölner Prior Hermann von Havelbrech, über Christina dachte, ersehen wir aus den Worten, mit denen er den Brüdern Aldebrandino und Petrus auf ihr Begehren Erlaubnis erteilte, nach Stommeln zu gehen: „Geliebteste Söhne,“ sprach der Prior, „mit Freuden gestatte ich euch, nach diesem Orte zu gehen, um Gottes Wundertaten zu sehen. Ich habe nämlich so außerordentliche Dinge von dieser Jungfrau gehört, daß ich sehr gerne mit euch gehen möchte, wenn ich dazu in der Lage wäre. Ihr aber, Geliebteste, seid noch jung und seid aus entfernten Gegenden hierhergekommen und möget also hingehen und die wunderbaren und erbaulichen Dinge beobachten. Diese könnt ihr dann dereinst in eueren Ländern noch im hohen Alter zu gegebener Zeit andern zur Erbauung erzählen.“[13] Einige Monate nachher, am Weißen Sonntag 1269, ging indes Prior Hermann selbst mit dem Bruder Arnold von Xanten, Prior von Straßburg, nach Stommeln und besuchte Christina. Dieser Prior Hermann von Havelbrech war aber ein Mann von großer Sanftmut und Güte, geschmückt mit allen Tugenden. Längere Zeit hindurch war er der Begleiter des Ordensgenerals Johannes I. gewesen und hatte mit diesem, wovon er mitunter zu erzählen pflegte, zehn Provinzen des Ordens bereist. Auch war er zweimal Provinzial der deutschen Ordensprovinz gewesen. [30] Doch nicht bloß die Dominikaner kannten Christina. Auch die minderen Brüder vom h. Franz in Cöln interessierten sich für sie. Im Jahre 1281 z. B. kamen am Vorabend von Johannes Geburt zwei Minoriten mit vier Dominikanern nach Stommeln, um Christina in der Verzückung zu sehen. Der Prior der unweit von Stommeln gelegenen Benediktinerabtei Brauweiler, Gotfrid genannt, „ein Mann von allseitig gutem Rufe, großer Bescheidenheit und auferbaulichem Wandel“, von dem Petrus von Dazien sagt, daß er, ohne der Heiligkeit der übrigen nahetreten zu wollen, niemals einen Mann seines Ordens von solcher Vollkommenheit gesehen habe,[14] war Christinas väterlicher Freund, der häufiger in Begleitung des Kellermeisters der Abtei Brauweiler, namens Leonius, eines hochbetagten Mannes von großer Umsicht und Reife des Urteils, sie in Stommeln besuchte. Zur Zeit des Interdiktes, das Erzbischof Engelbert von Falkenburg über Cöln und Umgebung verhängte, weil die Stadt sich mit dem Grafen von Jülich gegen ihn verbündet hatte, ging Christina regelmäßig nach Brauweiler, um in der Abteikirche, die dem Interdikte nicht unterlag, dem Gottesdienste beizuwohnen. Sie beichtete dann regelmäßig bei dem Prior Gotfrid. Auch andere Geistliche aus dem Ordens- und Weltklerus kamen Christinas halber nach Stommeln, z. B. Adolf, Scholar des Cölner Domdechanten, Magister Heinrich vom Stifte der hh. Jungfrauen in Cöln, Herr Engelbert vom St. Cäcilienstifte dortselbst und ein Mönch des Klosters Quinheim[15] bei Neuß. Es wird vielfach behauptet, im Mittelalter sei man wundersüchtig gewesen und deshalb verdienten die Wundermären aus jener Zeit keinen Glauben. Wie alle derartigen allgemeinen Sprüche sich bei näherem Zusehen als oberflächliche Uebertreibungen erweisen, so auch hier. Die Männer, die Christinas mystische Zustände in Stommeln beobachteten, waren keine Schwärmer. Es waren fromme und vernünftige Männer von nüchterner Auffassung und gesundem Urteil. Wie sie dachten, geht anschaulich hervor aus einer Begrüßungsszene zwischen dem vorhin erwähnten Unterprior Gerhard vom Greif und Petrus von Dazien. Als letzterer im Jahre 1279 aus Schweden kommend in Cöln anlangte, hatte [31] er in Stommeln vorgesprochen und der Unterprior sprach zu ihm, als er ihn im Cölner Kloster empfing: „Habt Ihr Christina gesehen?“ denn er kannte die Hochachtung, die Petrus gegen Christina hegte. Petrus antwortete: „Ja, Vater.“ Da lächelte der Unterprior und fuhr fort mit den Worten des h. Hieronymus an Paulinus: „Jene Zeit hatte ein unerhörtes, für alle Jahrhunderte denkwürdiges Wunder, sodaß die Menschen, die in eine so herrliche Stadt kamen, dennoch etwas anderes außerhalb dieser Stadt suchten und diejenigen, die Cöln nicht an sich ziehen konnte zu seiner Bewunderung, sich durch den Ruf eines einzigen Menschenkindes angezogen fühlten.“ Dann fragte er weiter: „Wie geht es mit Christina? Wie gefällt Euch ihr Zustand?“ Petrus antwortete: „In allem gut. Ich bin gar sehr getröstet worden; denn seit meinem Weggang hat sie sehr große Fortschritte in der Heiligkeit gemacht.“ Der Unterprior erwiderte: „Ihr habt recht, Bruder Petrus; ich bin derselben Ansicht und Ihr möget wissen, daß meine Hochachtung gegen sie um kein Haar abgenommen hat. Daß ich sie aber seltener als früher besuche, kommt daher, weil diejenigen, die früher die Brüder aufzunehmen pflegten, meistens gestorben sind.“[16] So spricht und handelt kein wundersüchtiger Schwärmer.
Auch bei dem weiblichen Geschlechte fand Christina Verständnis und Verehrung. Da ist vor allem zu nennen die hochangesehene, hochbetagte Aebtissin des hochadeligen Damenstiftes zur h. Cäcilia in Cöln, Geva, Gräfin von Virneburg, die mit den fein gebildeten Stiftsfräulein, unter denen Irmgardis[17] hervortritt, besonderes Interesse für die fromme Tochter des Stommler Gutsbesitzers Bruso bekundete. „Geva liebte Christina wie eine Mutter ihre Tochter und erwies ihr viel Gutes.“[18] [32] Auch zwei Stiftsdamen aus dem Stifte der hh. Jungfrauen (St. Ursula) in Cöln, Christina und ihre Schwester Gertrud, zählten zu Christinas Bekanntenkreis.[19] Was von größter Bedeutung ist, diejenigen, die täglich um Christina herum waren, ihre Vertrauten, die Beginen von Stommeln, liebten und verehrten ihre Mitschwester Christina und erwiesen ihr, wie Christina bezeugt, viel Gutes. Wenn sie auch anfänglich mitunter, von frommer Eifersucht verleitet, über Christinas strenges Bußleben und ihre mystischen Zustände gespöttelt hatten, so erkannten sie doch, beim längeren Zusammenleben mit ihr, die Gediegenheit ihres Wesens und die Echtheit ihrer Begnadigungen. Da ist zuerst Hilla vom Berge, ihre Blutsverwandte und unzertrennliche Gefährtin in allen ihren Leiden und Freuden. „Ich sah, schreibt Petrus, ihr Angesicht immer gleich, sie mochte im Glück oder Unglück sein. Sie war eine Jungfrau, die alles Lob verdiente, in Kreuz und Leid unverzagt, in Freude und Glück behutsam, überall eine wahre Jungfrau im Wandel, im Verhalten, in der Rede. Ihr Scherz war ernst und ihr Ernst schien scherzend, weil sie in Wort und Benehmen sich immer gleichmäßig benahm. Nächst Christina glaube ich kein Mädchen von solcher Herzensreinheit je gesehen zu haben; denn es kam mir vor, als könnte sie keine Sünde begehen, und Gott weiß es, daß ich an ihr nie eine Geberde, eine Miene oder ein Wörtchen wahrgenommen habe, was auf Leichtsinn hätte schließen lassen können, wiewohl ich sie scharf beobachtet und mich oft und lange mit ihr unterhalten habe.“[20]
An zweiter Stelle kommt die blinde Aleidis, die, wie man glaubte, durch Weinen das Augenlicht verloren hatte und sich doch über diesen Verlust nicht beklagte. Sieben Jahre hindurch war sie bettlägerig gewesen und hatte bei gänzlicher Erschöpfung ihrer Kräfte eine wundersame Geduld bewiesen. Ihre Tugend läßt sich, sagt Petrus, nicht beschreiben. Wer sie kennt, wird gestehen, daß alles Lob hinter der Wirklichkeit zurückbleibt.[21] — Neben der blinden Aleidis gab es in Stommeln noch eine andere sehr geschäftige Begine mit Namen Aleidis und außer der Hilla vom Berge auch noch eine Hilla von Ingendorf. Die Schwester des Pfarrers Heinrich von Stommeln, Benigna [33] mit Namen, war ebenfalls nach Kleidung und Wandel eine Begine, wiewohl sie nicht in deren Klause wohnte, sondern ihrem Bruder den Haushalt führte. Zum engeren Kreise der Freundinnen Christinas gehörten auch noch ihre Nichte Hilla und die Nichte der blinden Aleidis, die Begine Engilradis, Tochter des dortigen Vogtes, sowie die hochbetagte Mutter des Pfarrers Johannes und dessen beide Schwestern Gertrud und Hadewig. Diese Gertrud, von der gerühmt wird, daß sie eine gar liebliche Stimme hatte und oft und gerne schöne geistliche Lieber sang, war eine ganz besondere Vertraute Christinas.
Was Christina selbst anbelangt, so war sie das Kind gesunder Eltern. Auch ihre vier Geschwister erfreuten sich bester Gesundheit. Sie war, wie der Befund ihrer Gebeine ausweist, von schlankem und kräftigem Körperbau und erreichte ein Alter von siebenzig Jahren. Sie lebte in frischester Landluft, liebte es freilich, vorzugsweise am Spinnrocken zu sitzen und sich mit Nähen und Sticken zu beschäftigen.[22] Andererseits aber beteiligte sie sich auch an der Feldarbeit, half namentlich bei der Ernte[23] und war selbst des Reitens nicht unkundig. So wird von ihr berichtet, daß sie am Ostersonntag des Jahres 1268, weil ihre Füße vom Karfreitag her noch wund waren, an der Seite ihres Vaters zur Kirche ritt, um der Osterpflicht zu genügen, und zwar, um Aufsehen zu vermeiden, in weltlicher Tracht.
Manche sind geneigt, Christinas Zustände als Krankheitserscheinungen zu betrachten. Sie denken an überreizte Nerven, Halluzinationen und Hysterie. Krankheitsbilder unseres nervösen Zeitalters werden ohne weiteres in das dreizehnte Jahrhundert zurückverlegt, wo jedoch Volksgesundheit und Volkskraft in höchster Blüte standen. Christinas Persönlichkeit hatte nun aber gar nichts an sich von der zarten Mattigkeit, der zitternden Empfindsamkeit und dem unaussprechlichen Angekränkeltsein der nervenschwachen Frauenwelt unserer Tage. Christina ist einige Male wohl auf wenige Tage krank gewesen; allein von einer ernstlichen, langandauernden Störung ihrer Gesundheit ist nirgendwo die Rede. Sie erfreute sich im Gegenteil wie alle ihre Familienangehörigen einer kräftigen, widerstandsfähigen Körperverfassung. Wenn sie mitunter das Bett zu hüten gezwungen war, so geschah dies [34] infolge mystischer Zustände, die sie in ihrer Demut als Schwachheitszustände bezeichnete. Man hat auch versucht, Christinas mystische Zustände mit gewöhnlichen Frauenleiden in Verbindung zu bringen und sie aus diesen zu erklären, weil sie mit dem einundzwanzigsten Lebensjahre anfingen und mit dem sechsundvierzigsten Lebensjahre schlossen. Es liegt hier der nicht selten vorkommende Trugschluß vor, aus dem Nebeneinander zweier Erscheinungen auf deren ursächliche Abhängigkeit voneinander ohne weiteres zu schließen. Unerklärlich bleibt jedoch dann, weshalb denn nicht auch die Verzückungen und die Wundmale auf diese Zeitperiode beschränkt blieben, sondern diese überdauerten. Sind denn geheimnisvolle Leiden und von unsichtbarer Hand ausgeführte körperliche Mißhandlungen, wie Christina sie in der angegebenen Zeit zu erdulden hatte, dem weiblichen Geschlecht in dieser Zeitperiode im allgemeinen eigen? Weshalb sollen denn gerade bei Christina gewöhnliche Frauenleiden den Grund zur Erklärung ungewöhnlicher Zustände des Seelenlebens hergeben? Auch vergißt man, daß das geheimnisvolle letzte Leiden Christinas zur Zeit der Schlacht bei Worringen im Jahre 1288, das gewöhnlich zur pathologischen Erklärung ihrer Zustände herhalten muß, in keiner natürlichen Blutung bestand. Vielmehr bestand diese darin, daß der ganze Körper zerfleischt und geschunden war und dann zur Erhöhung der Qualen mit Salz eingerieben wurde. In Folge dieser Marter war der ganze Leib mit Blut überströmt. Bei der beliebten pathologischen Erklärungsweise bleibt es auch unerklärt, daß Christinas Zustände in der angegebenen Zeit nicht das ganze Jahr hindurch währten, sondern sich nach den liturgischen Zeiten richteten. Sie traten nämlich regelmäßig in der Advents- und Fastenzeit sowie an den Vorabenden der Heiligenfeste ein. Die Bußzeiten des Kirchenjahres waren Christinas Leidenstage, ihre Festzeiten hingegen Christinas übernatürliche Freudenzeiten. Auch blieb sie stets frei von allen Anfechtungen und Quälereien am Kommuniontage und an dem darauffolgenden Tage bis zur Komplet.
Zudem darf nicht vergessen werden, daß ein beträchtlicher Teil der Leiden Christinas mit Krankheitserscheinungen nicht den mindesten Zusammenhang hat. Es sind einfache körperliche Mißhandlungen, die von unsichtbarer Hand ausgeführt [35] wurden, z. B. Ausschlagen von Zähnen, Zerren an den Haaren, Durchbohren der Füße, Brennen mit glühenden Steinen, Stockschläge, Geißelhiebe, Bewerfen mit Unrat und dergleichen.
Einzelne der berichteten Leiden sehen allerdings epileptischen Anfällen ähnlich, z. B. das beim ersten Besuch des Petrus beobachtete wiederholte heftige Anschlagen des Kopfes gegen die Wand oder das mehrere Jahre nachher im Advent eintretende heftige Erschüttertwerden des ganzen Körpers. Allein es wirkten dabei auch Umstände mit, die in ein Krankheitsbild schlecht passen. Des Vorganges beim ersten Besuche des Petrus erinnert sich Christina nach zwölf Jahren noch in allen Einzelheiten; hätte Fallsucht vorgelegen, so wäre dies doch wohl nicht möglich gewesen. Auch fiel Christina bei dem Vorgange nicht zu Boden, wie es doch bei epileptischen Krämpfen gewöhnlich der Fall ist, sondern sie saß aufrecht da, wie alle übrigen, die im Zimmer anwesend waren. Allerdings hätte Petrus, natürlich gesprochen, bei seinem ersten Besuche zurückhaltender sein sollen in seinem Urteile. Es wirkten jedoch damals auf seine Seele Vorgänge übernatürlicher Art ein, von denen später noch die Rede sein wird. Diese lassen freilich sein Verhalten erklärlich erscheinen. Das Erschüttertwerden im Advent war Christina lange vorher angekündigt worden und sie war darauf gefaßt. An der Fallsucht leidende Personen sind zudem in der Regel minderwertige Menschen, was bei der mit den reichsten Gaben an Körper und Geist ausgestatteten Christina mit nichten behauptet werden kann. Will man epileptische Veranlagung als Erklärungsgrund der außergewöhnlichen Zustände Christinas annehmen, so müßte doch das Krankheitsbild ein gleichmäßiges sein. Allein das trifft keineswegs zu. In jedem Advent, in jeder Fastenzeit treten Erscheinungen zutage, die keinerlei Verwandtschaft aufweisen. Oder besteht etwa ein Zusammenhang zwischen Geistestrockenheit und Besudeltwerden, zwischen Geißelung und Brandwunden?
Es soll jedoch nicht in Abrede gestellt werden, daß hin und wieder vorübergehende Krankheitserscheinungen sich in Christinas Zustände hineingemischt haben können. Daß sie einmal, sie wußte nicht wie, in eine mit Schlamm gefüllte Grube hineingeriet, kann in Folge eines Fieberanfalles geschehen sein. Bezeichnender Weise sagt Christina von diesem [36] Vorfalle, den sie bei späterem Befragen genau beschreibt, auch gar nicht, daß er dämonischer Einwirkung zuzuschreiben sei.
Bei Christina finden sich aber anderseits Vorkommnisse, die von allen Gottesgelehrten, denen Fachkunde in der Unterscheidung der Geister zusteht, als dämonische Einwirkungen bezeichnet werden. Aus der Mundhöhle Christinas, die Gott von Herzen liebte, und deren größte Freude es war, Gott zu loben, ertönen einmal, worüber sie entsetzt war, Lästerungen und Verhöhnungen der Gottheit. Sie wird einmal auf einige Zeit des Gehörs, ein anderes Mal der Sprache beraubt. Es kommt ihr auf einmal ein unerklärlicher Widerwille gegen Personen, die sie am meisten liebt und verehrt. Es treten Versuchungen auf, die weder von der Umgebung herrühren, noch auf dem Boden ihres Herzens entsprossen sein können, aber demjenigen ähnlich sehen, der Versucher von Anbeginn ist, der bald zur Ueberhebung, bald zur Verzweiflung treibt, bald zum Uebereifer anspornt, dann Apostasie in den Sinn gibt, in wechselnder Folge den Menschen bald zur Unzucht, bald zum Unglauben zu verleiten sucht, ihm jetzt Gedanken der Selbstgefälligkeit, dann Versuchungen zum Selbstmord eingibt, dem aber immer zuwider sind Demut und Gottesliebe.
Christina aber ist gerade ein Musterbild von Demut und Gottesliebe, die sie dem Teufel besonders verhaßt machen mußte. Sie war zudem nicht bloß mit außerordentlichen übernatürlichen Gnadengaben ausgerüstet, sondern auch mit natürlichen Vorzügen aufs vornehmste bereichert und geschmückt.[24] Petrus von Dazien gibt uns von ihr bei seinem zweiten Besuche folgende Schilderung: „Ich hatte Gelegenheit, ihre Sitten und ihr Verhalten genau zu beobachten und zu prüfen und reiflicher Erwägung zu unterziehen, wie ich früher ihre Geduld und Bescheidenheit betrachtet hatte. Obgleich nun Manches in ihren Zuständen vorkam, was der gewöhnliche menschliche Verstand nicht fassen und erklären kann und was nach meiner Meinung den Charakter des Uebernatürlichen und Wunderbaren an sich trägt, so habe ich doch zum mindesten das bemerkt, daß sie eine erstaunliche und für solche, die es nicht aus dem Augenschein feststellen konnten, unglaubliche Enthaltsamkeit übte, eine mit Anständigkeit verbundene Freundlichkeit und eine mit Gottesfurcht gepaarte Heiterkeit besaß und dazu eine vor allen ausgezeichnete [37] Demut und Fröhlichkeit bei Erniedrigung und Zurücksetzung. Sie redete Weniges und nur Erbauliches, und wenn man sie über etwas befragte, antwortete sie mit Bescheidenheit. Sie redete mitunter auch wohl ein munteres, nie aber ein leeres oder müßiges Wort. Sie trug Ordenskleidung, die gleich entfernt war von überflüssigem Zierart wie von gesuchter Demut. In ihrem Wandel war etwas wunderbar Tugendhaftes, das alle, die sie sahen oder mit ihr umgingen, sehr erbaute. In ihrem Wandel und Wesen suchte sie sich nach Möglichkeit den andern Menschen anzubequemen und alles Auffallende zu vermeiden, um zu keinerlei Gerede Veranlassung zu geben.“[25]
Was nun die Beurteilung der teuflischen Quälereien, denen Christina ausgesetzt war, anbelangt, so sind, nach Befund der Tatsachen, drei Arten zu unterscheiden. Zunächst liegen, wie bereits gesagt, körperliche Mißhandlungen vor, die mit den Sinnesorganen wahrnehmbar waren. Diese wurden von vielen Zeugen wahrgenommen. Auch ließen die dadurch hervorgerufenen Verwundungen ihre sichtbaren Spuren zurück und heilten erst allmählich auf natürlichem Wege. Wenn z. B. in der Jülicher Handschrift[26] berichtet wird, der Teufel habe der Christina mit einer Zange zwei Backenzähne auf grausamste Weise ausgerissen, so findet dies seine Bestätigung im Befunde des im Grabmal der Seligen zu Jülich aufbewahrten Schädels. An ihm sind die Grübchen zweier Backenzähne zugewachsen, wie es zu geschehen pflegt, wenn Zähne im jugendlichen Alter entfernt werden. Diese Tatsache ist bisher von niemanden beobachtet worden. Verfasser nahm sie wahr beim Wiederverhüllen des Schädels nach der durch Weihbischof Hermann Josef Schmitz vorgenommenen kanonischen Untersuchung der Gebeine am 17. Februar 1897.
Der größte Teil der an Christina verübten Quälereien ist jedoch visionären Charakters, vollzog sich im Innenleben Christinas und war für andere nicht wahrnehmbar. Darüber belehrt uns Christina selbst. Denn sehr häufig betont sie, man solle nicht glauben, daß die von ihr berichteten Vorgänge sich alle tatsächlich ereignet hätten, sie teile seelische Empfindungen mit, sie habe Zustände inneren Leidens und Kämpfens [38] gehabt, die so auf sie einwirkten, als hätten sich die Dinge wirklich zugetragen.[27] Diese Quälereien erfolgten regelmäßig durch lebhaft in die Erscheinung tretende und auf das Vorstellungsvermögen einwirkende Bilder.
Bei einer Anzahl von Belästigungen geschah die Einwirkung auf das Vorstellungsvermögen nicht durch Bilder, sondern durch Truggestalten, die dem körperlichen Auge wahrnehmbar waren. Um derartige Vorgänge handelt es sich, wenn Christina hier und da beteuert, dieselben seien nicht bloß innerlich gewesen, sondern hätten sich auch äußerlich abgespielt.
Es kommen im Seelenleben Christinas mitunter auch gestaltlose Einwirkungen vor, wie sie den sogenannten Verstandesvisionen eigen sind, die in unmittelbarem Verkehre himmlischer Geister oder Gottes selber mit der menschlichen Seele bestehen.
Auch verdient hervorgehoben zu werden, daß, wiewohl im Leben Christinas zeitweise das Dämonische so stark in den Vordergrund tritt, doch nirgendwo sich etwas findet, was mit dem in späterer Zeit auftretenden Hexenwahn irgendwie verwandt wäre.
Schließlich sei noch auf den bisher von niemanden beobachteten Nebenumstand hingewiesen, daß Christina im Gegensatz zu ihrer Umgebung den bösen Feind niemals als Teufel (diabolus) bezeichnet; sie bedient sich stets des gewählteren Ausdruckes Dämon, was einerseits von der Zartheit ihres Empfindens, andererseits aber auch von der Genauigkeit der Berichterstattung Zeugnis ablegt.
[39] Kehren wir nunmehr zu Christina zurück, die wir im Advent des Jahres 1267 im Pfarrhause zu Stommeln zurückgelassen haben, wo sie den ersten Besuch des Dominikanerpaters Petrus von Dazien erhalten sollte. Wie das kam, soll uns Petrus selbst erzählen. „So weit meine Erinnerung reicht, schreibt Petrus,[28] hatte ich seit meiner frühesten Kindheit allezeit eine innige Freude, wenn ich etwas hörte von dem Leben, den Tugenden, den Leiden und dem Tode der Heiligen und besonders von Jesus, unserem Herrn, und seiner glorreichen Mutter. Wenn ich dann über das Gehörte nachdachte, so brachte das meinem Herzen viele Tröstungen. Infolgedessen fing ich schon damals an, die Welt mit ihren Lüsten geringzuschätzen und öfters sprach ich mit meinen leiblichen Brüdern darüber, wie wir die Welt verlassen möchten. Dabei entstand in meinem Herzen eine besondere Sehnsucht. Ich verlangte und wünschte nämlich, der Herr möchte mir mit seiner Gnade behülflich sein, irgend einen seiner Diener kennen zu lernen, durch den ich den Wandel der Heiligen nicht bloß in Worten, sondern in Tat und Beispiel sicher und klar erlernen könnte.... Unter diesem Sehnen flossen viele Jahre dahin, wie ich meine, wohl über zwanzig Jahre. In dieser Zeit hat nun freilich der Herr mir mehrere Personen beiderlei Geschlechtes gezeigt, an denen ich mich oft erbaut habe. Doch wurde durch sie niemals mein Verlangen gesättigt. Je mehr ich solche fromme Seelen antraf, desto mehr sehnte ich mich wieder nach andern. Denn in keiner fand ich, was ich suchte, und mein Sehnen blieb ungestillt. Endlich hat der Vater der Erbarmungen ... mich ganz unerwartet [40] eine solch fromme Seele, die ich suchte, finden lassen. Eine aus vornehmer Familie entsprossene Frau namens Alfradis, die einen Mann, der ebenfalls vornehmen Standes war, geehlicht hatte, wurde schwer krank und sandte zum Bruder Walter, der seit langer Zeit ihr Beichtvater war. Er ging zu ihr am Tage vor dem Feste des h. Apostels Thomas und nahm mich als Begleiter mit. Wir kamen erst spät an jenem Hause an. Während nun Walter die Beichte jener Frau hörte und ich im Hause saß, kam zu mir eine Begine, Aleidis mit Namen, und fragte mich, woher ich gekommen sei. Ich antwortete: Von Cöln. Da sprach sie: Wärest du doch in unserem Dorfe gewesen und hättest einmal die wunderbaren Dinge gesehen, die dort an einem Mädchen geschehen! Am Nachmittage des folgenden Tages nun gingen wir, wie es Walter bestimmte, nach jenem Pfarrdorfe und kehrten im Pfarrhause ein, wo sich damals jenes Mädchen befand wegen der Bedrängnis, die man befürchtete.... Als ich ins Pfarrhaus eintrat, sah ich ärmlichen Hausrat, betrübte Menschen und eine junge Person, die etwas seitwärts saß und das Gesicht mit dem Mantel verhüllt hielt. Diese stand auf, als Bruder Walter eintrat, und grüßte ihn. Aber in demselben Augenblicke stieß der Teufel sie rückwärts, sodaß ihr Kopf heftig wider die Wand anschlug. Die Anwesenden erschraken darüber, waren aber noch mehr in Angst wegen der Trübsale, die nach den Erfahrungen der früheren Jahre noch zu befürchten waren. Während nun diese alle in Sorge und Betrübnis waren, wurde ich allein mit einer ganz besonderen, ungewohnten Freude erfüllt, fühlte eine innerliche Tröstung und war ganz von Staunen ergriffen. Ich begriff nicht, was mit mir vorging, und wurde darob betroffen, weil ich fürchtete, man möchte es merken.... Um nun diese meine Gemütsstimmung zu verbergen, suchte ich mit den Hausgenossen, mit dem Herrn Pfarrer nämlich und seiner Mutter, mit seinen Schwestern und anderen Personen, die gerade im Hause waren, ein Gespräch anzuknüpfen. Mein Genosse saß inzwischen ein wenig von uns entfernt bei jenem Mädchen und hielt ihr verschiedene Beispiele vor von der Geduld Christi und der Heiligen. Jene meine Freude aber prägte sich so stark in meine Seele ein, daß auch bis jetzt, wo schon elf Jahre seitdem verflossen sind, sie nicht bloß mir im Gedächtnis haftet, sondern mir auch wie gegenwärtig fühlbar ist. Ich habe [41] in jener Stunde, wie ich glaube, gewiß irgendeine göttliche Einwirkung empfangen. Während ich nun so dasaß und den Leuten zuhörte, auch mitunter ein munteres oder ernstes Wort dazwischen redete, waren meine Augen und Gedanken dahin gerichtet, wo jene Person sich befand, deren Nähe ich meine Umwandlung zuschrieb ... Wie ich nun meinen Genossen und jenes Mädchen genau beobachtete, sah ich, daß der Teufel es siebenmal stieß, viermal wider die Wand rücklings und dreimal wider eine Kiste zu ihrer Linken und zwar mit solcher Gewalt, daß die Stöße auch für die ferner Stehenden hörbar waren. Was mir besonders auffiel, war der Umstand, daß bei diesen heftigen Stößen das Mädchen weder Seufzer noch Schluchzen vernehmen ließ, ja nicht das geringste Zeichen von Ungeduld oder Schmerz weder durch Wort noch Geberde zu erkennen gab, sondern ruhig blieb, ohne einen Laut des Murrens oder der Klage von sich zu geben. Ich konnte mich nun nicht länger mehr halten und sprach zu Bruder Walter: „Liebster Vater, ich weiß nicht, ob Ihr es bemerkt, wie der Teufel das Mädchen so heftig stößt. Es wäre wohl gut, wenn Ihr mit ihm etwas weiter von der Wand und der Kiste abrücktet und ein Kissen hinter ihren Kopf legtet, damit, wenn noch weitere Stöße erfolgen sollten, die Heftigkeit des Anpralles durch die weiche Hinterlage gemildert werde.“ Man tat dieses auch. Wie wir nun noch eine Weile dagesessen hatten, hörte ich das Mädchen auf einmal aufseufzen, wie wenn es plötzlich von etwas Schmerzhaftem betroffen worden wäre. Als die Frauen, die um es herumsaßen, dies bemerkten, fragten sie nach der Ursache des Aufseufzens. Es antwortete: „Ich bin an den Füßen verwundet.“ Man sah nach und fand es so. Denn an jedem Fuße fand sich eine frisch blutende Wunde. Als die Verwundete auf solche Weise viermal von neuem aufseufzte, wurde ich von Mitleid ergriffen und bei dem Weinen und Schluchzen derer, die um sie saßen und bei jedem neuen Aufseufzen neue Wunden sahen, stand auch ich auf und sah, wie ich meine, bei den beiden letzten Aufseufzungen nach, und ich erblickte die Wunden in ihrem Entstehen, noch bevor das Blut hervorquoll. Denn gewöhnlich pflegt es einige Augenblicke zu dauern, ehe das Blut nach der Verwundung hervorfließt. Hiermit nun hatte diese Mißhandlung ein Ende. Sieben frisch blutende Wunden erblickte ich auf der oberen Seite der Füße, und zwar vier auf [42] dem einen und drei auf dem anderen Fuße. Da ich aber zweimal aufgestanden war und die Sache mich sehr interessierte, habe ich genau acht gegeben und bemerkt, daß jedesmal eine neue Wunde hinzugekommen war. Unterdessen war die Nacht nach dem Feste des h. Apostels Thomas angebrochen und ich, der ich vorher von Freude erfüllt war, war nun voll des Mitleidens. Bruder Walter wünschte, daß wir jetzt die Komplet beteten. Wir beteten sie mit allen Zusätzen nach Vorschrift und zwar in Gegenwart der Jungfrau. Und als wir zu Ende waren, kniete die Jungfrau nieder, Bruder Walter legte ihr beide Hände auf das Haupt und sprach das Johannesevangelium zum Schutze gegen die Wut des bösen Feindes. Hierauf bat ich ihn um die Erlaubnis, mit den Hausgenossen die Nacht durchwachen zu dürfen. Er gestattete es und ich geleitete ihn zu seiner Ruhestätte, die man ihm aus Ehrfurcht vor seinem Alter und seiner Frömmigkeit im Pfarrhause selbst bereitet hatte.... Als ich nun mit seiner Erlaubnis wieder zur Jungfrau zurückkam, um ihr Trost zu spenden und auch durch sie mittels der Wunderwerke des Herrn Trost zu empfangen, fand ich zwei Lichter im Hause, die bis zum Morgen brannten, und sieben Personen, die nicht abwechselnd, sondern alle mitsammen die Nacht hindurch ununterbrochen Wache hielten, bis es Tag wurde, ohne daß auch nur einer sich zur Ruhe niederlegte. Man hielt dies für notwendig, weil ein jeder der Anwesenden von der Wut und Bosheit des Teufels die heftigsten und unerträglichsten Angriffe zu befürchten hatte. Sie waren froh, als sie mich zurückkommen sahen, und ersuchten mich, dort Platz zu nehmen, wo mein Gefährte vordem gesessen hatte. Ich tat es, und als ich dort eine Weile in Stillschweigen gesessen, fragte mich jene Jungfrau: „Wie heißet Ihr?“ Ich antwortete: „Petrus.“ Da sprach sie: „Guter Bruder Petrus, erzählet mir etwas von Gott; ich höre so gerne etwas von ihm, wiewohl ich wegen meiner jetzigen Bedrängnis zu meinem Bedauern nicht sonderlich achtgeben kann.“ Auf ihren Wunsch, dem sich auch die übrigen anschlossen, erzählte ich ihnen nun, obschon ich der Mundart noch nicht vollkommen mächtig war, zwei Beispiele aus dem Leben der Brüder, die ich für erbaulich hielt, das eine, wie die seligste Jungfrau einen Kartäuser gelehrt habe, ihr zu dienen und sie zu lieben; das andere, wie ein Bruder des Predigerordens durch die h. Messe, die ein [43] befreundeter älterer Bruder für ihn gelesen, aus dem Fegfeuer, in dem er fünfzehn Jahre lang gewesen war, befreit worden sei.
Als ich die Erzählungen beendigt hatte, hielt ich ein wenig inne. Da auf einmal seufzte die Jungfrau auf, heftiger wie gewöhnlich. „Was ist geschehen?“ fragte ich. „Ich bin am Knie verwundet,“ sagte sie. Nach einer Weile, in der man wohl ein Miserere hätte beten können, stöhnte sie wieder, zog ihre rechte Hand durch den Aermel ihres Kleides nach innen, fuhr damit unter ihrem Kleide herab, zog dann einen eisernen Nagel hervor, der mit frischem Blute überronnen war und gab ihn mir in die Hand.... Ich fand ihn viel wärmer, als er es durch Berührung des menschlichen Körpers hätte sein können.... Da es nun, wie mir dünkte, Mitternacht war, ging ich zu meinem Gefährten, um nach Ordensbrauch mit ihm die Mette zu beten. Wir beteten die Mette von der allerseligsten Jungfrau, und als wir die Laudes begonnen, entstand im Hause ein solches Jammern, daß wir das Gebet abbrachen, ohne Nachricht abzuwarten, gleich zu der Jungfrau und ihrer Umgebung hineilten und fragten, was geschehen sei. Man sagte uns, die Jungfrau sei schwer verwundet worden. Mein Gefährte setzte sich neben sie und fand sie in tiefer Betrübnis und fast ohnmächtig. Bald jedoch kam sie wieder zu sich, zog dann die andere Hand ähnlich wie früher durch den Aermel nach innen und langte einen anderen Nagel hervor, der mit frischem Blute benetzt und gleich heiß war wie der erstere, aber eine viel grauenhaftere Form hatte. Sie gab denselben meinem Gefährten in die Hand mit den Worten: „Schauet da, womit ich verwundet worden bin.“ Alle betrachteten den Nagel, staunten über seine schreckliche Form und entsetzten sich. Ich aber bat, man möge ihn mir zum Geschenke und steten Andenken überlassen. Man gab ihn mir und ich habe ihn bis zum heutigen Tage aufbewahrt, auch an ihm ein Zeichen gemacht, wie tief er in das Fleisch eingedrungen war. Denn das Fleisch, das noch daran hing und das anklebende Blut, ließen das ganz deutlich erkennen.
Am Morgen kehrte ich wieder nach Cöln zurück. Ich weiß nicht, ob ich mich je in meinem Leben in solcher Gemütsverfassung befunden habe, so daß ich damals am liebsten, wenn ich gekonnt, die Messe von der allerseligsten Jungfrau gelesen hätte zur Danksagung für die mir von Gott erwiesenen Gnaden. [44] Nun glaubte ich die Psalmstelle zu verstehen: „Helle ist mir geworden die Nacht in meiner Wonne; denn vor dir hat die Finsternis kein Dunkel und hell wird die Nacht wie der Tag. Denn so wie ihr Dunkel, so ist sein Licht.“ (Ps. 138, 11-12.) Und mit den Jubeltönen des Exultet fährt dann Petrus fort: „O glückliche Nacht! o selige Nacht, die du für mich geworden zum Anfang der göttlichen Erleuchtungen, bei denen Nacht und Tag nicht mehr wechseln. O süße und wonnevolle Nacht, in der mir zuerst verliehen wurde zu verkosten, wie lieblich der Herr ist. Das ist die Nacht, in der ich gewürdigt wurde, zuerst die Braut meines Herrn zu sehen.“ Nur eines beklagte Petrus, daß sie für ihn zu kurz war. „Möchte von nun an,“ so schließt er, „meine sündige Seele erneuert und ich in einen neuen Menschen umgewandelt werden, so daß ich zu neuem Leben erstehe und den Tod nicht schaue in Ewigkeit!“
[45] Nach dem Advente verließ Christina das Pfarrhaus. Im darauffolgenden Jahre, 1268, einem Schaltjahre, fiel das Fest des h. Apostels Matthias, das in Stommeln noch heute als das des zweiten Pfarrpatrons besonders feierlich begangen wird, auf den Samstag vor dem ersten Fastensonntag. Der Pfarrer von Stommeln hatte seinen guten Freund, Bruder Gerhard vom Greif aus dem Dominikanerkloster in Cöln, gebeten, zur Aushülfe herüberzukommen. So bot sich für Bruder Petrus eine Gelegenheit, die Schritte wieder nach Stommeln zu lenken. Hören wir ihn selbst, wie er seinen zweiten Besuch in Stommeln beschreibt: „In der nächstfolgenden Fastenzeit ging ich wieder bei dargebotener Gelegenheit nach dem früher genannten Orte, nach dem meine Sehnsucht stand, als Begleiter des Bruders Gerhard vom Greif, dem Beichtvater besagter Jungfrau ... Wir kamen dort an am Samstage vor dem ersten Sonntage der Fastenzeit. Am Sonntage nun lud der Herr Pfarrer seinem Freunde, dem Bruder Gerhard, zuliebe auch dessen geistige Tochter auf Mittag zu Tisch. Sie folgte der Einladung und speiste mit uns. Darüber hatte ich viele Freude; denn so hatte ich Gelegenheit, ihre Sitten und ihr Verhalten genau zu beobachten ... Nach Tisch, als der Pfarrer einen Kranken besuchte, begab es sich, daß eine Person — jedenfalls die sangeskundige Gertrud, Schwester des Pfarrers, — aus Andacht den Hymnus: Jesu dulcis memoria in unserer Gegenwart sang und nach der lateinischen Strophe auch jedesmal die deutsche innig-fromme Uebersetzung[29] mitsang. Dadurch [46] wurde ich mehrmals zu Tränen gerührt. Da wurde mit einem Male die Jungfrau dermaßen im Geiste entrückt, daß sie in allen ihren Sinnesorganen unempfindlich und am ganzen Körper starr war und kein Lebenszeichen mehr von sich gab. Was uns aber noch mehr in Erstaunen setzte, man konnte gar kein Atemholen mehr an ihr bemerken. Ich gestehe, daß ich bei diesem Anblicke vor Freuden weinte und vor Verwunderung außer mir war und für eine so große Gabe des göttlichen Einflusses dem Geber Dank sagte. Denn was hier vor sich ging, konnte ich keiner natürlichen Ursache, noch menschlicher Einwirkung zuschreiben; ich erkannte darin vielmehr die Nähe Gottes ... Einen solchen Zustand hatte ich noch nie an einem Sterblichen wahrgenommen und ich glaubte, hier geschehe, was der Apostel andeutet, wenn er schreibt: „Sive mente excedimus“, d. h. mögen wir im Geiste entrückt sein ... Und ich begann nun, desto genauer alle Geschehnisse zu beobachten, auf alle Worte zu hören, und auf alle Bewegungen und Geberden zu merken und sie meinem Gedächtnisse tiefer einzuprägen, weil ich alles dem Hulderweis besonderer Gnade zuschrieb.
Als sie nun in diesem Zustande, ein wenig nach vorn geneigt, Gesicht und Hände mit dem Schleier verhüllt, etwa drei bis vier Stunden auf einer Bank gesessen hatte, seufzte sie unter Schluchzen auf, so daß sie am ganzen Körper etwas in Bewegung kam. Dann begann sie ein wenig aufzuatmen; jedoch ging dies leichter und langsamer vor sich, als es sonst bei Menschen zu geschehen pflegt. Die Bewegung beim Atmen war so gering, daß es besonderer Aufmerksamkeit bedurfte, um sie wahrzunehmen ... Es war nämlich, wie gesagt, die Bewegung beim Atmen geringer und die Zwischenzeit zwischen Ein- und Ausatmen größer wie gewöhnlich. Als sie nun auch in diesem Zustande die Zeit von ungefähr zwei Messen hindurch gesessen hatte, fing sie an tiefer und überhaupt so zu atmen, wie Menschen gewöhnlich zu atmen pflegen. Darauf begann sie auch zu reden, jedoch so leise, daß man es selbst bei aufmerksamem Hinhorchen kaum verstehen konnte und auch nicht in vollständigen Sätzen, sondern in einzelnen Ausrufungen voller Liebe und Süßigkeit, wie: Liebevollster, süßester oder herzinnigster, trautester oder Bräutigam. Und dabei jubelte sie auf unter freudiger Erregung des ganzen Körpers, das einem [47] Aufhüpfen ähnlich sah, und zwar in ganz ungewohnter Weise. Das Jubeln ging in einem Atemzuge vor sich und dauerte ein Miserere lang und dann trat wieder eine ebensolange Zeitdauer hindurch Unbeweglichkeit ein. Es wiederholte sich dann derselbe Vorgang des freudigen Aufhüpfens, Jubelns oder Jauchzens — ich weiß nicht, wie ich es nennen soll, sagt Petrus, denn ich habe früher so etwas nie gesehen — und nahm ungefähr die Zeit von zwei Messen in Anspruch. Diejenigen, die bei ihr saßen, weinten vor Freude ob der Inbrunst der Andacht und der Glut der Liebe, die in dem Vorgang zu Tage trat.“ — Es ist dieses Aufjubeln der Seele eine im Leben der innigen Vereinigung mit Gott mitunter hervortretende Erscheinung. Beim Einströmen der göttlichen Liebeswonne wird die Seele gleichsam trunken vor Seligkeit. Sie vermag sich nicht mehr zu fassen vor übergroßer Wonne, ihr Herz strömt über und so führt sie unwillkürlich eine Art mystischen Reigens auf, ähnlich demjenigen der jungfräulichen Chöre im Hochzeitssaale des himmlischen Bräutigams, und süße Jubeltöne entströmen ihren Lippen, wie sie in unnachahmlicher Meisterschaft wiederklingen in den Melismen der Gradual- und Allelujagesänge des gregorianischen Chorals.
Als nun diese Art des Seelenjubels nachließ, begann sie in ihrer Rede mehrere Worte miteinander zu verbinden und gleichsam vollständige Sätze zu bilden, in denen sie Danksagung und Lobpreis ausdrückte. Denn sie tat einige Erwähnung von dem Zustande, in dem sie gewesen war, und von den Wohltaten, die sie empfangen hatte, obgleich sie sich in einzelnes nicht einließ. Es war überaus rührend zu hören, wie sie dabei ihre eigene Armseligkeit und die großmütige Freigebigkeit und herablassende Güte ihres Bräutigams hervorhob. Von dem einen zum andern übergehend, redete sie bald von ihrer eigenen Geringheit und Unwürdigkeit, bald wieder pries sie die unermeßliche Güte Gottes. Diese Art und Weise der Rede dauerte etwa die Zeit einer Messe. Darnach begann sie in größter Bitterkeit des Herzens und unter einem großen Tränenstrome die vielen Armseligkeiten ihrer irdischen Verbannung so sehr zu beklagen, daß ich derartiges Weinen früher nie gesehen habe. Ich hatte zwar bis dahin auch geglaubt, daß die Füße des Herrn, wie das Evangelium berichtet, von den Tränen eines Weibes benetzt wurden; seitdem aber habe ich [48] mir diese Worte, durch ein solches Beispiel belehrt, tiefer eingeprägt. Und ich meine, diese Jungfrau würde mit ihren Tränen nicht nur die Füße, sondern auch die Hände und das Haupt des Herrn, wenn die Gelegenheit dazu sich dargeboten hätte, benetzt haben. Da nun auch so eine Stunde vorübergegangen war, begann sie, gleich einem andächtig Betenden, Gott dem Herrn inbrünstig jene anzuempfehlen, die sich ihr empfohlen hatten. Ich bemerke dies deshalb, weil ich hier zuerst wahrnahm, daß sie wieder aus Antrieb der menschlichen Vernunft und natürlichen Erkenntnis handelte ... Nachdem sie so ihre Freunde und Wohltäter, die ihr nur irgendetwas Gutes erwiesen hatten, angelegentlich dem Herrn empfohlen hatte, betete sie auch ganz innig für ihre Feinde, falls sie solche haben sollte, damit der Herr ihnen verzeihe, ob sie nun geflissentlich oder aus Unverstand gegen sie gesündigt. Das setzte sie hinzu, weil einige, da sie die Wahrheit nicht kannten, lieblos über sie geredet hatten. Schließlich begann sie denen, die mit ihr gesprochen, zu antworten und sich nach gewöhnlicher Art der Menschen zu verhalten, ohne jedoch Erwähnung zu tun von dem, was vorgegangen war. Es schien ihr vielmehr unangenehm zu sein, wenn sie jemanden davon reden hörte.
[49] Das Fest der Verkündigung Mariens wurde im Jahre 1268, da der 25. März auf den Passionssonntag fiel, am vorhergehenden Samstage gefeiert. An diesem Samstage traf Bruder Petrus zu seinem dritten Besuche in Stommeln ein. Er war diesmal begleitet von Bruder Karl, der von Paris gekommen war und im Begriffe stand, über Cöln nach seiner Heimat Dazien zurückzureisen. Petrus hatte ihm von Christina erzählt und ihm auch die beiden schrecklichen Nägel gezeigt, die der Teufel ihr ins Fleisch hineingetrieben hatte. Bruder Karl wurde darob so ergriffen, daß er gar sehr Christina zu sehen wünschte. Auch erbat er sich von Petrus einen der Nägel zum Geschenke. Petrus gab ihm den kleinern. Nach erhaltener Erlaubnis machten die Brüder sich am Nachmittage des 24. März auf den Weg, kamen nach der Komplet in Stommeln an, und kehrten im gastlichen Pfarrhause ein, wo sie auch die Nacht zubrachten. Als sie nach dem Abendbrote miteinander plauderten, fragte Petrus den Pfarrer, wie man es wohl einrichten könne, daß man Bruder Karl, der gar sehr darnach verlange, Christina kennen zu lernen, seinen Wunsch erfüllen könne. Freundlich entgegnete der Pfarrer: „Ladet sie morgen ein, mit euch zu speisen.“ Ich erwiderte: „Es steht mir nicht zu, jemanden einzuladen.“ Darauf sagte der Pfarrer. „Sie wird lieber kommen, wenn ihr sie einladet.“ Ich lud sie denn auch, schreibt Petrus, am folgenden Morgen ein. Da wir nun zu Tisch gehen sollten, fanden wir sie dastehen, bereit, uns Wasser über die Hände zu gießen. Während sie uns zum Händewaschen einlud, kamen mir unwillkürlich die Worte Elisabeths in den Sinn: „Woher mir dieses, daß die Mutter meines Herrn zu mir kommt?“ Doch ließ ich die Dienstleistung geschehen, um [50] Christinas Demut und ihren frommen Sinn nicht zu beschämen. Weil der Pfarrer uns am vorhergehenden Abende gesagt hatte, in Christinas Handfläche sei das Zeichen des Kreuzes erschienen, suchte ich bei Tisch ihre linke Hand zu beobachten. Es gelang mir jedoch nicht zu sehen, was ich wünschte. Als wir aber nach Tisch am Herdfeuer saßen nach Sitte der Deutschen, bat mich Christina, ihr etwas von Gott zu reden. Ich erklärte ihr also die vier oder drei hauptsächlichen Eigenschaften der Serafin nach dem seligen Dionysius;[30] denn ich wußte, daß sie gerne von der Liebe Gottes reden hörte. Darob wurde sie so ergriffen, daß sie die Magd ihrer Mutter, die zu ihr geschickt worden war und sie dreimal angeredet hatte, nicht bemerkte und ihr keine Antwort gab. Ich hielt nun eine Weile inne und sprach zu ihr: „Warum hast du der Magd deiner Mutter keinen Bescheid gegeben?“ denn ich kannte damals ihr Wesen nicht hinlänglich. Sie erwiderte: „Wenn auch die ganze Habe meiner Mutter in Gefahr wäre, so wäre es mir doch augenblicklich unmöglich, mich damit zu befassen.“ Während sie nun so im Geiste ergriffen war, öffnete sie ihre linke Hand und ich erblickte in ihr etwas, wie ich es in meinem Leben nicht gesehen hatte ... In der weißen Hand der Jungfrau sah ich das Kreuz unseres Herrn von blutroter Farbe. Es war aber nicht wie mit Farbe oder Blut aufgemalt, sondern durch sichtbare Wunde in das Fleisch eingeprägt, und zudem mit zierlichen Blümchen geschmückt. Bruder Karl sah auch das Kreuz und war von allem, was er gesehen und gehört, höchlich erbaut. Am folgenden Tage gab er der Jungfrau zum Zeichen besonderer Verehrung sein schönes, kleines Psalterium, das er zu Paris für sich gekauft hatte, da er vernommen, daß der Teufel ihr letzthin am Tage Pauli Bekehrung ihr Psalmenbuch, das einzige, das sie besaß, mit Gewalt aus der Hand gerissen und verschleppt hatte. Lächelnd bemerkte ich dazu: „Gott will mehr geben, als der Teufel rauben kann,“ zog dann mein kleines Diurnale hervor, das mir Bruder Absalon seligen Angedenkens, der Provinzial von Dazien, in meinem Noviziate geschenkt hatte, und sprach: „Schau, da der Teufel dir ein Buch genommen, so gibt Gott dir dafür zwei.“ Dabei überreichte ich ihr das Diurnale und wir schieden recht erbaut von dannen.
[51] Die Betrachtung des Leidens Christi war Christinas liebste Andachtsübung. Sie brachte ihr immer Trost und Erquickung. Kein Wunder, daß Satan ihr diese Andacht zu verleiden suchte. Er quälte sie, wie der Pfarrer Johannes berichtet,[31] in dieser Fastenzeit mit einer langwierigen Versuchung wider den Glauben an das Leiden Christi. Es kam ihr der Gedanke, Gott habe überhaupt nicht gelitten. Wenn sie in die Kirche eintrat und das Kreuz erblickte, dachte sie bei sich: „Das ist ein Bild, was soll dies? Es liegt nichts wahres zu Grunde.“ Sie hatte großes Leidwesen über diese Versuchung, und ihr Herz mühte sich ab in der Bekämpfung dieser Zweifel. Dann sprach der Versucher zu ihr: „Glaubst du, dein Gott habe gelitten? Es ist nicht wahr. Alles, was man davon erzählt, ist erlogen, mögen die Geistlichen sagen, was sie wollen.“ Wenn sie die h. Kommunion empfing, blieb sie ohne Erquickung und beim Gebete verspürte sie keinen Trost. Am Donnerstage nach dem Weggange der beiden Brüder, es war acht Tage vor dem Gründonnerstage, betete sie, als sie der Mette beiwohnte, also zum Heilande: „O mein Geliebter, du bist allzeit mein Helfer gewesen und du weißt, daß dein Leiden immer für mich ein Trost war, befreie mich nun von dieser Plage; denn ich kann diesen Unglauben nicht länger ertragen.“ Und alsbald zeigte sich an ihrem ganzen Haupte etwas wie eine Dornenkrone. Diese wurde ihr so eingedrückt, daß über Gesicht und Hals das Blut herabfloß und alsbald kam sie außer sich. Als sie wieder zu sich kam, war jene Versuchung verschwunden. Von diesem Augenblicke an bis Ostern konnte sie an nichts anderes denken als an das Leiden des Herrn. Am Gründonnerstage fing sie abends spät auf einmal an beängstigt zu werden und am ganzen Körper zu zittern. Blutstropfen begannen schließlich von ihrem Körper zu rinnen. Die Angst war so groß, daß sie glaubte, alsbald sterben zu müssen, und dieser Zustand dauerte bis zur Non, d. h. bis drei Uhr nachmittags des Karfreitags. Da öffneten sich die fünf Wundmale und zwar an ihrer Seite, an den Füßen und den Händen, und am Haupte erschien die Dornenkrone. Auch wurde sie mit Galle getränkt, und ihr Mund war davon mit solcher Bitterkeit erfüllt, daß sie keinerlei Speise verkosten konnte. Sie lag da wie halbtot jene Tage [52] hindurch bis zum Ostertage, wo sie in solchen Seelenjubel eintrat, daß es wunderbar war. Seit jener Zeit kam sie, so oft sie an das Leiden des Herrn dachte oder davon reden hörte, jedesmal, wenn nicht gerade besondere Prüfungen sie heimsuchten, außer sich. Auch hatte sie hinfort eine solche innere Erleuchtung, daß die h. Schrift ihr besser verständlich wurde. Zudem glaubte sie von Gott alles erlangen zu können, was sie begehrte. Wenn jemand mit ihr ein Gespräch anknüpfte, so erkannte sie innerlich, in welcher Absicht dies geschah.
Hören wir nunmehr den Bericht des Bruders Petrus über die Stigmatisation Christinas. Am Karsamstage sagte ihm der Prior, er solle mit Bruder Gerhard vom Greif nach Stommeln gehen; denn der Pfarrer hatte um Aushülfe gebeten. Freudig gehorchte Petrus und er machte sich mit seinem Gefährten nach Tisch auf zu seinem vierten Besuch in Stommeln. Als sie ins Pfarrhaus eintreten wollten, kam ihnen die Mutter des Pfarrers, eine hochbetagte Frau, entgegen und sagte zu Petrus, den sie von früher ja kannte: „Liebster Sohn, schade, daß du gestern nicht hier warest. Du hättest Gottes Wunderwerke geschaut, wenn du hier gewesen wärest.“ Gleichsam scherzend entgegnete Petrus: „Vielleicht kann ich morgen auch dergleichen sehen.“ — „Nein, sagte sie, niemals ist in unserer Zeit auf dieser Erde so etwas gesehen worden und wird auch wohl nicht mehr gesehen werden.“ Da ich merkte, schreibt Petrus, daß sie etwas Wichtiges uns mitteilen wollte, fragte ich sie: „Was ist denn Neues geschehen, wovon du soviel Aufhebens machst?“ Da begann sie zu erzählen und sprach: „Gestern sind an einem Mädchen hier im Dorfe die Zeichen des bitteren Leidens deutlich erschienen“ und sie fügte dann noch einiges über die Umstände des Vorganges hinzu. Petrus wurde darob sehr gerührt und wäre am liebsten sofort zu Christina ins Haus der Aleidis gegangen. Allein sein Gefährte war zu müde, um mit ihm gehen zu können. Am Ostertage ging Christina ganz in der Frühe zur h. Kommunion. Nach Tisch gingen der Pfarrer und Petrus zu ihr. Sie lag zu Bett und hatte das Gesicht sorgfältig mit dem Schleier bedeckt. Petrus hatte von der Mutter des Pfarrers gehört, Christinas Gesicht sei ganz blutig unterlaufen, wie wenn es mit Stöcken wäre zerschlagen worden. Er setzte sich deshalb zu Füßen des Bettes, um womöglich einen Blick auf das Gesicht tun zu können. Der [53] Pfarrer, der sich zu Häupten gesetzt hatte, begann zu Christina zu reden vom Osterlamme; denn dieses habe sie am Morgen genossen. Und als die Beiden hierüber einige herzliche Worte wechselten, traf es sich, daß Christina sich räuspern mußte, wobei sie den Schleier etwas lüftete. Da ich am Fußende saß, schreibt Petrus, sah ich ihr Angesicht unter dem Schleier, und wahrlich, es war nicht wie das Angesicht eines Engels, sondern eher wie das Angesicht des ewigen Hohenpriesters, und gar wehmütig anzuschauen. Denn es war ganz blutrünstig, ja fast schwarz. Bald darauf sah ich es noch einmal und meine Augen wurden starr beim Anblicke. Staunen ergriff mich und ein wunderbares Mitleiden mit dem leidenden Heilande ergriff meine Seele.... Ich ging nun mit dem Herrn Pfarrer zur Kirche, um die Vesper zu halten. Nach Landesbrauch war die Vesper schon früh nachmittags beendigt, sodaß man kaum sagen konnte „Quoniam advesperascit“ (es will Abend werden), und der Pfarrer ging mit Bruder Gerhard abermals zu Christina. Petrus folgte ihnen. Auf dem Wege trafen sie noch zwei andere Brüder, nämlich Johannes von Muffendorf und Nikolaus, die wahrscheinlich auf einem benachbarten Dorfe zur Aushülfe gewesen waren. Diese vier Brüder nun gingen mit einigen anderen frommen Personen zu Christina, um sie zu begrüßen, hielten sich indes dort nicht lange auf. Es wurde aber bestimmt, daß am folgenden Tage Bruder Gerhard und Bruder Johannes beim alten Vogt, Bruder Nikolaus hingegen und Bruder Petrus bei Christina speisen sollten. Am Ostermontag nun gingen Bruder Nikolaus und Bruder Petrus nach dem vormittägigen Gottesdienste zur Wohnung Christinas, beteten dort mitsammen in ihrer Gegenwart die Tagzeiten vom h. Geist und von der allerseligsten Jungfrau und setzten sich dann vor Christinas Bett zum Essen nieder. Während wir nun mit ihr aßen, schreibt Petrus, habe ich dreimal in ihren Händen die Wundmale Christi beobachtet. Mitten in der inneren Fläche einer jeden Hand sah ich eine Wunde. Sie war rund, hatte den Umfang eines Sterlings, das rohe Fleisch war sichtbar, und nicht sah sie aus wie gemalt, sondern sie war in etwa ins Fleisch hineingedrückt. So sahen die Wunden auch die ganze Osteroktav hindurch aus mit dem Unterschiede, daß sie jeden Tag etwas kleiner wurden. Auch auf dem Rücken der Hand war eine Wunde, die sich der inneren gegenüber [54] befand, ihr an Größe entsprach und so aussah, als ob sie die Spur eines die Hand durchdringenden Nagels gewesen wäre.
Christina selbst sprach kein Wort mit Petrus über die Wundmale. Petrus aber verhörte sorgfältig im einzelnen Christinas Vertraute, die alles gesehen und gehört hatten, über den Vorgang und zwar Hilla vom Berge, des Pfarrers Schwester Gertrud, die blinde Aleidis und eine andere Jungfrau weltlichen Standes aus Stommeln. Diese alle bekundeten übereinstimmend Folgendes: Am Gründonnerstage, als die Mette vom Karfreitag beendigt war, zur Zeit der Abenddämmerung, geleiteten wir Christina zur Wohnung der Aleidis. Da begann sie in einer uns ungewohnten Weise zu reden und sprach: „Geliebte Gefährtinnen, ich weiß nicht, was mit mir vorgeht.“ Und als sie das gesagt hatte, begann sie zu zagen und innerlich bestürzt zu werden. Die Angst nahm derart zu, daß sie kurz vor Mitternacht Blut schwitzte, und diese Bestürzung dauerte fort bis zum folgenden Tage, wo wir wegen des Gottesdienstes alle zur Kirche gingen. Die Aleidis aber, die wegen ihrer Blindheit und Körperschwäche allein bei Christina zurückgeblieben war, sagte Folgendes: „Ich habe ein Krachen gehört, wie wenn ein Mensch derart ausgereckt würde, daß alle Knochen aus den Gelenken gerissen würden. Auch habe ich Stimmen und Worte gehört, die ich in meinem Leben nicht offenbaren werde.“ Nach der Osteroktav ging Petrus mit Gerhard vom Greif wieder nach Cöln zurück.
Christina ist nicht die einzige unter den Seligen des Himmels, die mit Christi Wundmalen hienieden bezeichnet wurde. Allgemein bekannt ist diese Auszeichnung vom serafischen Patriarchen, dem h. Franz von Assisi. Weit häufiger jedoch als in der Männerwelt tritt diese Erscheinung bei gottseligen Personen des weiblichen Geschlechtes uns entgegen. Kein Wunder. Das Uebernatürliche baut sich ja auf das Natürliche auf. Das Weib hat nun aber ein reicheres Gemütsleben als der Mann; die Liebe und das Mitleid sind mithin bei ihm weit lebhafter als beim Manne. Die Wundmale aber sind der äußere Ausdruck der innigsten Liebesvereinigung mit dem gekreuzigten Heiland, des herzlichsten Mitleidens mit der grausamen Marter, die er aus Liebe zu uns erduldet hat. Dieses Mitempfinden ist derartig lebhaft, daß nicht bloß die Seele ganz und gar davon durchdrungen, sondern das ganze Wesen [55] des Menschen, mithin auch der Leib, davon ergriffen wird. Und so wird denn durch die Glutpfeile der göttlichen Liebe nicht bloß die Seele verwundet, sondern auch der Körper dem Gekreuzigten verähnlicht; es treten die hh. Wundmale an ihm in die Erscheinung.
An das Wundmal der Dornenkrone erinnert eine merkwürdige Färbung des Stirnbeins der seligen Christina, die in einem kranzförmigen, grünlichen, mit roten Punkten durchsetzten Geäder von Fingerbreite besteht. Wie das Geäder des Marmors erst dann klar zutage tritt, wenn er geschliffen wird, so ist auch dieser grünlichrote Streifen erst dann bemerkt worden, als der Schädel Christinas, der alljährlich am 6. November den Gläubigen zum Kusse dargeboten wird, infolge der jahrhundertelangen Verehrung glatt und blank geworden war. Peter Lull, der um 1680 in Jülich war, spricht zuerst von diesem grünlichen Kranze in seinem Büchlein „Lilium inter spinas“ und P. Steinfunder aus Essen beschreibt ihn genau in zwei an den Bollandisten Papebroch gerichteten Briefen, von denen der eine im Jahre 1685, der andere im Jahre 1692 geschrieben wurde. Wie Steinfunder, so erklärte auch Josef von Görres in seiner Mystik[32] diese Erscheinung damit, daß die bei Lebzeiten erhaltene Dornenkrone bis zur Knochensubstanz des Schädels vorgedrungen sei. Wegen ihrer Merkwürdigkeit wurde sie im Titelblatt in Farbendruck wiedergegeben.
Am Tage vor dem Feste des h. Martyrers Petrus von Mailand, der im Jahre 1252 den Tod erlitten und im Jahre 1253 von Innocenz IV. heilig gesprochen worden war, wurde Bruder Petrus, was ihm selten geschah, im Kloster zu Cöln an die Pforte gerufen, und unter den Personen, die da mit ihm sprachen, befand sich auch Christina. Aus Andacht war sie zu dem Feste nach Cöln gekommen, um die Dominikanerkirche zu besuchen und des Ablasses teilhaftig zu werden. Bruder Petrus sagte ihr, Bruder Mauritius habe ihn ersucht, auf einige Tage mit ihm auszugehen, worauf Christina die Beiden einlud, nach Stommeln zu kommen.
Am Tage vor dem Feste Kreuzauffindung gingen nun beide Brüder nach Stommeln, wo sie freundliche Aufnahme fanden. Am folgenden Tage erklärte Bruder Petrus nach Tisch in Gegenwart einer ziemlichen Anzahl von Personen die Stufen der Betrachtung nach Richard von Sankt Viktor, wobei Christina große Freude empfand. Nach dem Vesperbrot wünschten mehrere einen Spaziergang zu machen bis zu einem gewissen Wasser. Man machte sich auf den Weg und ging paarweise wie in Prozession. Petrus ging mit Christina und die Beiden unterhielten sich über die Süßigkeit Gottes. Unter anderem fragte Christina den Petrus, wie es komme, daß einige Priester schneller, andere langsamer die h. Messe läsen. Petrus antwortete mit einem Gleichnis: „Wenn jemand, sprach er, den Mund voller Mohnsamen nimmt und die Süßigkeit jedes einzelnen Körnchens verkosten will, so muß er länger kauen und braucht deshalb mehr Zeit wie einer, der sie ganz herunterschluckt. So auch muß jener, der die Süßigkeit der einzelnen honigfließenden Worte des Kanons verkosten will, diese etwas [57] langsamer aussprechen.“ Die Erklärung gefiel Christina und sie stellte alsbald eine andere Frage: „Guter Bruder Petrus,“ sprach sie, „nimm mir meine Frage nicht übel. Wie ist es dir, wenn du Messe liesest?“ Petrus antwortete: „Wohl, sehr wohl.“ Daraufhin kniete Christina mit beiden Knien nieder und neigte sich mit dem Angesichte tief bis zur Erde hin. Nachdem sie sich wieder erhoben, wurde der Rückweg nach Stommeln angetreten, wo unterdessen noch zwei andere Dominikaner, nämlich Bruder Heinrich von Bedburg (beitbur) und sein Begleiter eingetroffen waren. Die Gesellschaft speiste zu Abend und ging dann mit Christina in den Baumgarten, der an das Speisezimmer anstieß. Auf die Bitte der Gesellschaft erklärte Petrus die Stelle aus dem Hymnus von den hh. Jungfrauen: „Post te canentes cursitant, d. h. Sie folgten dir lobsingend nach.“ Darauf sprach er von der Größe und Weite des Himmels und bezog sich auf die Schriftstelle „O Israel, quam magna est domus Dei, d. h. O Israel, wie groß ist Gottes Haus“[33] und auf des Ptolomäus Darlegungen über den Lauf der Gestirne. Während Petrus sprach, kam Christina in Verzückung. Als Petrus dies bemerkte, hielt er inne. Etwa zwölf Personen, darunter mehrere Geistliche, saßen im Kreise beisammen und beobachteten den Vorgang, der für manche etwas neues war. Die Geistlichen nannten ihn Entzückung (raptus). Christina blieb in der Entzückung so ziemlich vom Untergange bis zum Aufgange der Sonne. Die Brüder aber gingen am Morgen wieder nach Cöln zurück.
Zum Pfingstfeste kam Bruder Petrus mit Bruder Gerhard vom Greif zum sechsten Besuche nach Stommeln. Am Pfingstmorgen empfing Christina nach den übrigen Gläubigen während der h. Messe die h. Kommunion und begab sich dann in den hinter dem Hochaltar befindlichen Raum, wo sie bis lange nach der Komplet blieb. Sie lag dort in der bereits beschriebenen Körperhaltung, wie sie bei den Cölner Beginen üblich war und die nicht unähnlich ist jener durch Madernas Marmorbild verewigten Haltung, in der Sankt Cäcilias Leichnam ins Grab gebettet wurde. Sie hatte das Gesicht mit dem Schleier und die Hände mit dem Mantel bedeckt, war ohne alle Empfindung gegenüber der Außenwelt und am ganzen Körper starr. Sie [58] war in Verzückung. Als nun die Vesper und im Anschluß an sie auch die Komplet gesungen wurde, und der Psalm: „Ecce unc benedicite Dominum, d. h. Wohlan, nun preiset alle den Herrn“ angestimmt wurde, kam auf einmal vor den Augen des Volkes ein in ein Täschchen gehülltes Buch von der westlich im Turme befindlichen Eingangstüre durch die ganze Kirche geflogen, prallte gegen die nach Morgen gelegene Chorwand deutlich vernehmbar an und fiel dann mit Geräusch zu Füßen des Bruders Petrus nieder, der mit seinem Begleiter Gerhard und dem Pfarrer im Chorgestühl saß. Die drei meinten im ersten Augenblicke, die an der Südseite gegenübersitzenden Schulknaben hätten das Geräusch verursacht. Doch da sahen sie das Buch vor sich auf dem Boden liegen. Der Pfarrer erkannte es sofort wieder als das Psalmenbuch, das von unsichtbarer Hand am Tage Pauli Bekehrung der Christina entrissen worden war; denn er hatte es selbst geschrieben und er kannte auch das Buchtäschchen. Er sprach zu Bruder Petrus, er möge das Buch aufheben. Petrus tat dies und reichte es dann an Bruder Gerhard vorbei dem Pfarrer. Dieser besah es und sagte dann in der Ausdrucksweise des Landes: „Bei der Seele meines Vaters, das ist das Buch der Christina!“ Die das Buch umhüllende Tasche war naß und übelriechend, wie wenn sie in einer Kloake gelegen. Er zog das Buch aus dem Täschchen, wobei der Aermelsaum seines Röckleins naß wurde, das Buch aber war ganz unverletzt und wohl erhalten. Darüber wunderten sie sich. Ein gewisses Feuer der Andacht durchzuckte die drei, sie sprachen den unterbrochenen Psalm bis zu Ende und stimmten dann mit erhöhter Stimme den Hymnus der Komplet „Veni creator spiritus“, wie es damals nach Cölner Brauch üblich war, an und sangen denselben so feierlich, daß die mit Menschen besetzte Kirche sich darüber verwunderte. Nach der Komplet hielt dann Bruder Gerhard eine Ansprache an das Volk und zeigte ihm auch das Psalmenbuch und das Buchtäschchen. Christina aber lag währenddem noch immer in Verzückung. Von den Leuten aber kam niemand auf den Gedanken, daß etwa irgend ein loser Bursche das Buch in die Kirche hätte hineinwerfen können. Auch die Brüder, die sich noch vier Tage in Stommeln aufhielten, sowie der Pfarrer konnten nichts derartiges in Erfahrung bringen. Christina aber stieg seit jenem Vorgange, der viel besprochen wurde, im Ansehen der Leute, die sagten: [59] „Nun haben auch wir einmal etwas von den wunderbaren Dingen Christinas mit eigenen Augen gesehen.“
Im Dominikanerkloster zu Cöln befand sich in jener Zeit ein Bruder aus der Provinz Toskana in Italien namens Aldebrandino (Hildebrand), der in der Wissenschaft wohl gebildet und ein tüchtiger Prediger war. Auch er hörte von Christina, und da er wußte, daß Bruder Petrus sie näher kannte, ersuchte er ihn, mit ihm nach Stommeln zu gehen. Petrus war aber, wie er bemerkt, auch mit den Einwohnern von Stommeln ziemlich bekannt, namentlich aber mit der Herrin des Ortes, der Aebtissin Geva von St. Cäcilien in Cöln, die eine Gräfin von Virneburg war. Am 22. Juli, einem Sonntage, dem Feste der h. Maria Magdalena, gingen die beiden nach erhaltener Erlaubnis, nicht aus Neugier, sondern aus Andacht nach Stommeln. Sie kamen dort an zur Zeit der Vesper und gingen deshalb zunächst zur Kirche. Nach dem Gottesdienste begrüßten sie ihre Freunde und gingen dann zu den Wohnungen, die ihnen angeboten worden waren. Kurz nachher kam auch die Aebtissin Geva mit ihren Mägden an.
„Am andern Morgen,“ schreibt Petrus, „gingen wir zur Kirche, und da wir mit der h. Messe warteten, bis die Aebtissin zur Kirche kam, ging ich in der Zwischenzeit zu Christina, die in der Kirche war, begrüßte sie und fragte sie, wie es ihr gehe. Sie antwortete: „Ich habe Kopfwehe, weil ich seit vierzehn Tagen nicht mehr geschlafen habe. Wenn ich mich zu Bette lege, so überfällt mich eine so große Hitze, wie wenn ich in siedendes Wasser gelegt würde. Daher ist auch mein ganzer Körper mit Bläschen bedeckt, die vor Hitze aufbrechen und so kann ich gar nicht schlafen.“ Sie bat mich, ich möge für sie beten. Ich tröstete sie und ermahnte sie zur Geduld. Darauf ging ich wieder ins Chor, hörte eine h. Messe, die für die Verstorbenen gehalten wurde, und las dann selbst die h. Messe von den Engeln. Denn Montags pflegte ich die h. Messe von den Engeln zu lesen, wenn kein Hindernis entgegenstand. In der h. Messe gedachte ich in besonderer Weise Christinas, wie sie mich gebeten und wie ich es ihr versprochen hatte.“ Mittags wurde bei der Aebtissin im Fronhofe gespeist. Nach der Vesper trafen noch zwei andere Studiengenossen des Bruders Aldebrandino aus Cöln ein, nämlich Bruder Balduin aus Flandern und Bruder Mauritius aus Reval. Abends [60] wurde wieder bei der Aebtissin gespeist. Dann machte diese mit ihren Mägden und den adeligen Stiftsfräulein, deren sechs da waren, einen Spaziergang ins Feld und auf ihren Wunsch gingen die Brüder mit ihnen. Nach dem Spaziergange setzte sich die Aebtissin auf einem Hügel vor ihrem Hofe auf einen Sitz, und die Brüder und die Stiftsfräulein setzten sich um sie herum. Als man eine Weile hin und her geredet hatte, sprach der Pfarrer zur Aebtissin: „Gnädige Frau, ihr habt hier vier gelehrte Studenten des Predigerordens aus verschiedenen Provinzen vor Euch. Saget ihnen, daß sie über irgendeine theologische Frage eine Unterredung halten.“ Die Aebtissin ersuchte darauf den Petrus, irgendeine Streitfrage zu behandeln. Petrus aber bat die Aebtissin, sie möge auf ihrem Wunsche nicht bestehen, weil er befürchtete, es möchte, wie gewöhnlich, zu hitzig hergehen. Sie aber ließ nicht nach, weil sie noch nie einer gelehrten Disputation beigewohnt hatte und begierig war, eine solche zu hören. Auf den Vorschlag des Pfarrers stellte sie die Frage zur Verhandlung: „Wem unser Herr einen größern Vorzug verliehen, dem Petrus, dem er seine Kirche, oder dem Johannes, dem er die glorreiche Jungfrau, seine Mutter, anvertraut habe.“ Bruder Aldebrandino, der unter den Brüdern der älteste war und im Erbteile des h. Petrus, dem Kirchenstaate, das Licht der Welt erblickt hatte, übernahm es, die Würde des h. Petrus zu vertreten, Bruder Petrus hingegen verteidigte die jungfräuliche Reinheit des h. Johannes und seine vertraute Freundschaft mit Jesus. Während nun Einwendungen und Lösungen von den Beiden vorgebracht wurden, wobei die zwei Studiengenossen miteingriffen, kam plötzlich ein Mädchen herzugelaufen und rief dem Pfarrer, er möge schleunigst kommen. „Wir glaubten,“ sagt Petrus, „es handle sich um einen Kranken, der am Sterben liege.“ Als aber der Pfarrer mit dem Mädchen gesprochen, rief er mir laut zu, ich solle samt Aldebrandino schnell kommen; der Teufel habe Christina in eine Grube voll Morast geworfen. Wir brachen die Disputation ab, liefen so schnell wir konnten und fanden Christina ganz in schmutzigen Schlamm versenkt. Nur ihr Kopf ragte noch hervor, den Hilla vom Berge aufrecht hielt. Petrus, der zuerst angelangt war, sprang mit den Schuhen in den Morast hinein und suchte mit Hilla, sie aus dem Schlamm herauszuziehen, vermochte es aber nicht, bis der Pfarrer und [61] Aldebrandino zu Hülfe kamen. Nunmehr wurde Christina, die nur mit ihrem langen, weißen Untergewande bekleidet war und Kopf und Hals mit dem Schleier umwunden hatte, in den auch ihre erhobenen Hände eingehüllt waren, herausgezogen, eine kleine Weile aufs Stroh gelegt und dann ins Haus getragen. Die Mägde trugen sie, Aldebrandino aber stützte den Kopf und Petrus die Schultern. Sie wurde ins Bett gebracht und es fand sich, daß sie ganz empfindungslos war, jedoch war der Körper nicht starr. Nach einer halben Stunde begann sie wie aus einer Ohnmacht zu sich zu kommen, jedoch nicht stufenweise wie beim Erwachen aus der Verzückung, und sie weinte bitterlich. Sie beklagte sich beim Herrn darüber, daß Männerhände sie berührt und getragen hätten. „Solch eine Beschämung sprach sie, ist für mich hart über alles; leicht wäre es mir, alles zu erdulden, was du von mir verlangst, mag es auch noch so unerträglich sein, wenn ich es nur vor dir allein zu leiden hätte.“ Petrus wollte sie trösten, indem er bemerkte, daß nichts unziemliches vorgekommen sei; sie aber wollte keinen Trost annehmen, pries aber Gottes Fügung. Darauf kehrten die Brüder mit dem Pfarrer zu ihrer Wohnung zurück.
Tags darauf, am Feste der h. Christina und Vorabend des h. Apostels Jakobus, gingen die Brüder mit dem Pfarrer wieder zu Christina und begrüßten sie. Sie wurden von Christina freundlich empfangen und begaben sich dann zur Kirche, um die h. Messe zu lesen. Zuerst las Aldebrandino, dann hielt Bruder Petrus am Altare des h. Apostels Petrus die Messe vom h. Geiste und während er beim Memento Christinas gedachte, wurde seine Seele von einer nie empfundenen süßen Freude erfüllt und Tränen strömten ihm aus den Augen. Der Pfarrer brachte unterdessen Christina die h. Kommunion. Nach Beendigung der hh. Messen drang Aldebrandino in Petrus, er möge mit ihm zu Christina gehen, da er gehört hatte, daß sie nach der h. Kommunion in Verzückung zu kommen pflege und ihr Leib dann starr werde. Sie gingen hin, fanden Christina im Bette liegen, das Gesicht mit dem Schleier und den Körper mit einer anständigen, aber ärmlichen Decke bedeckt, und so regungslos, daß man nicht einmal das Atemholen bemerken konnte. Aldebrandino trat näher ans Bett hin und berührte ihre Schulter. Da er aber nichts von Starre bemerkte, wandte er sich voller Entrüstung zu Petrus hin und rief in seiner [62] feurigen Art: „Bruder Petrus, Lüge ist es, was man mir von diesem Mädchen gesagt hat, daß sie so tief in Verzückung komme, daß ihr Leib hart werde.“ Petrus sagte ihm, er möge noch ein wenig zuwarten; denn zwischen der Kommunion und der Starre pflege eine längere Zeit zu verstreichen. Doch Aldebrandino ging aufgebracht weg und beklagte sich, daß man ihn falsch berichtet habe. Das mißfiel dem Petrus sehr.
Bei der Aebtissin wurde um drei Uhr — es war ja Fasttag — gespeist und nach Tisch ersuchte Aldebrandino den Petrus, ihn zu Christina zu begleiten. Petrus aber wollte nicht. Aldebrandino jedoch ließ nicht nach mit Bitten, und so entschloß sich doch schließlich Petrus dazu, mit ihm zu Christina zu gehen. Auch der Pfarrer ging mit. Christina lag noch geradeso da, wie am Vormittage, das Gesicht zur Wand gerichtet. Aldebrandino stellte sich zu Häupten des Bettes und beobachtete alles genau. Da er nun kein Lebenszeichen mehr an ihr wahrnahm, auch kein Atemholen mehr bemerken konnte, legte er noch einmal seine Hand auf ihre Schulter und fand diese so starr, wie wenn der Tod eingetreten wäre. Die Härte, die er wahrgenommen, brachte sein Herz zur Erweichung. Doch schwieg er einstweilen still. Nachdem sie noch eine Weile schweigend dagesessen, kam Christina in etwa zu sich, jedoch nicht so, daß sie mit den Sinnen etwas wahrnahm, sondern bloß, daß sie atmete und der Körper sich etwas regte. Da fügte es sich, daß sie den linken Arm ausstreckte, wobei die Hand sich etwas öffnete. Als nun Aldebrandino, der scharf aufpaßte, in der Handfläche das oben beschriebene purpurrote Kreuzchen erblickte, rief er, von Rührung übermannt, laut aus: „Wehe mir Ungläubigen! daß ich es jemals gewagt habe, wider eine solche Heiligkeit zu reden! Nie habe ich so etwas gesehen, und keinem würde ich es glauben, wenn ich es nicht mit eigenen Augen geschaut! Wehe mir! wie konnte ich so unsinnig sein, wider eine solche Heiligkeit zu reden! Wahrlich, die ganze Welt vermag nicht, ein solches Kreuz zu bilden!“ Während Aldebrandino dieses und ähnliches aus Herzensdrang in großer Aufregung sprach, weinten alle vor Rührung. Auch Aldebrandino weinte bis zur Vesper, machte bald sich selbst Vorwürfe, pries bald Gottes Wunderwerke und ging einher wie trunken im Geiste. Zur Vesperzeit gingen alle zur Kirche. Als sie am Fronhofe vorbeikamen, trafen sie die Aebtissin an der Türe des Hauses sitzen. [63] Auf deren Frage, ob sie Christina gesehen, sprach Bruder Aldebrandino: „Gottes herrliche und wunderbare Werke haben wir heute geschaut. Nie hätte ich geglaubt, daß solches zu unseren Zeiten geschehe.“ Und er erzählte dann den ganzen Hergang. Am folgenden Tage, dem Feste des h. Jakobus, nahmen die Brüder Abschied von der Aebtissin und sprachen dann, bevor sie den Rückweg nach Cöln antraten, bei Christina vor. Sie war wieder im gewohnten, natürlichen Lebenszustande. Petrus fragte sie unter anderm, wie es gekommen, daß sie in den Schlamm geraten sei. Da erzählte sie Folgendes: „Am Tage vor dem Feste der h. Christina ergriff mich, als du weggegangen, ein solcher Schauer und eine solche Angst, daß ich nicht wußte, was mit mir vorging. Um diese Beklemmung in etwa zu mildern, legte ich mein Obergewand ab und machte die Betten meiner Mitschwestern zurecht. Als ich das getan und auch so meine Beklemmung nicht gewichen, ging ich aus dem Kämmerlein, worin ich mich mit meinen Mitschwestern befand, hinaus und kniete nieder vor einer Kiste, die im größern Hause stand, jedoch nahe an der Türe des Gemaches, aus dem ich herausgekommen war. Während ich nun zu Gott betete, er möge meine Trübsal mildern oder mir Geduld verleihen, sie zu ertragen, kam es mir plötzlich vor, als komme durch die große, nach Morgen befindliche Türe des größern Hauses eine schauerige, schwarze Wolke herangezogen, und umhülle meinen Kopf. Was nun noch weiter mit mir geschehen ist, davon weiß ich nichts, bis ich mich im Bette liegend gefunden habe.“
[64] Zu Allerheiligen lud der Pfarrer von Stommeln den Bruder Petrus und den Bruder Aldebrandino ein, herüberzukommen. Schon tags vorher in der Frühe machten sich die Beiden auf den Weg und kamen noch vor der Messe in Stommeln an. Als sie zu Tische gerufen wurden, fragte Aldebrandino, wo Christina sei. Man antwortete ihm, sie sei deshalb nicht gekommen, weil sie der Andacht und dem Gebete obliege, da sie am folgenden Tage zur h. Kommunion gehen wolle. Diese Entschuldigung gefiel dem Aldebrandino sehr wohl. Am Allerheiligentage empfing Christina während der h. Messe nach den übrigen die h. Kommunion und ging dann ihrer Gepflogenheit gemäß auf ihr stilles Plätzchen hinter dem Hochaltar, wo sie sich zur Danksagung in gewohnter Weise hinstreckte und bis lange nach der Komplet verblieb. Nach der Non wurde die Kirche geschlossen. Als die beiden Brüder mit dem Pfarrer zu Mittag gespeist, gingen sie mit diesem zur Kirche, um sich dort an Christina zu erbauen. Sie konnten jedoch nicht eintreten, weil der Küster mit dem Schlüssel nicht zur Hand war. Während sie wohl eine Stunde lang vor der Kirche warteten, vernahmen sie in der Kirche eine gar liebliche Stimme, die zwar dem Petrus als eine menschliche erschien, jedoch der Melodie nach und, was Schmelz und Zartheit anbelangt, menschliche Singweise übertraf. Man hörte deutlich, daß es nur eine Stimme war und daß die Töne, die süß wie Honigseim dahinflossen, sich zu einer Melodie zusammenschlossen, ohne daß jedoch artikulierte Worte damit verbunden waren. Als der Küster endlich gekommen war und die Kirche aufgeschlossen hatte, gingen [65] die drei hinein und fanden dort niemanden als Christina. Sie lag noch an derselben Stelle, war empfindungslos und starr am ganzen Körper und hatte das Gesicht mit dem Mantel bedeckt. Der unterdessen verstummte Seelenjubel wurde nach einer Weile wieder vernehmbar und die drei beobachteten, daß er aus Christinas Brust herkam. In diesem Zustande blieb Christina bis zum Abendgottesdienste.
Tags darauf, am Allerseelentage, kam es durch die Mutter und eine der beiden Schwestern des Pfarrers, jedenfalls Hadewig, zu einer sehr aufgeregten Szene gegen Christina. Die beiden Dominikaner erachteten es infolgedessen für ratsam, daß Christina auf einige Zeit nach Cöln gehe, bis die Erbitterung sich gelegt. Dies geschah auch. Was die Veranlassung zur Erregung gab, wird von Petrus nicht angegeben, ist aber unschwer zu erraten. Der Sturm spielte sich im Pfarrhause ab. Der Pfarrer war nicht wohlhabend. In seinem Hause sah es ärmlich aus. Er hatte seine alte Mutter und zwei Schwestern bei sich, zudem wird seine Wohltätigkeit gerühmt. Es ist daher begreiflich, daß es schwer wurde, die Auslagen des Haushaltes zu bestreiten. Das mehrtägige Verweilen der beiden Dominikaner im Pfarrhause nun wird wegen der damit verbundenen Unkosten die besorgte alte Frau aufgebracht haben und die Schuld hiervon schob sie in ihrem Unmut Christina zu. Hiermit stimmt auch, daß Petrus bei seinem nächsten Besuche, der im Advent stattfand, nicht im Pfarrhause einkehrte und daß er sich dreimal bitten ließ, ehe er der durch Christinas Eltern erfolgten Einladung Folge gab. Die Mutter des Pfarrers scheint sogar soweit sich vergessen zu haben, daß sie ihren eigenen Sohn verdächtigte. Denn gegen Ende des Jahres 1269 schreibt Bruder Mauritius dem Petrus, die Mutter des Pfarrers und seine Schwester, die wegen des Vorfalles mit dem Pfarrer zerfallen waren, hätten sich mit ihm wieder ausgesöhnt und die übeln Nachreden, die sie über ihn und andere geführt, als Verleumdungen, zu denen der Teufel sie aufgestachelt habe, widerrufen und zwar bei denjenigen, vor denen sie dieselben vorgebracht.[34] Nach dem Tode des Pfarrers jedoch hat seine Mutter nochmals Vorwürfe gegen Christina erhoben, als ob diese daran Schuld [66] gewesen, daß der Pfarrer keine größere Barschaft hinterlassen hatte.[35]
Mit den Seligen des Himmels hatte Christina am Allerheiligenfeste in der Verzückung gejubelt. In den finsteren, langen Nächten des Adventes sollte sie die tiefste Verdemütigung erdulden, die mit Gottes Zulassung Satan ihr zufügen konnte. Satan, den der Herr als unreinen Geist bezeichnet, hat sein Behagen am Schmutz jeglicher Art. Im Lande der Gerasener erbat er sich, als er vom Herrn aus dem Menschen ausgetrieben war, als besondere Vergünstigung die Erlaubnis, in die unsaubersten aller Tiere, in die Schweine, fahren zu dürfen. Besudelung des Menschen, der nach Gottes Ebenbild geschaffen ist, verursacht ihm besonderes Behagen. Er ist es, der die Juden antrieb, das Antlitz unseres Heilandes in der Leidensnacht mit unflätigem Auswurf zu besudeln. Ist er es nicht, der jene verwegenen Diebe, die in Kirchen einbrechen, um die hh. Gefäße oder die Opfergaben der Gläubigen zu rauben, antreibt, dabei das Heiligtum in ekelhafter Weise zu besudeln, wie es auffälliger Weise auch heutzutage fast bei jedem Kirchendiebstahl festgestellt werden kann? Er hat auch Christina in den Nächten des Adventes des Jahres 1268 in der ekelhaftesten Weise mit Unrat besudelt. Hören wir den Bericht des Petrus, den wir jedoch, weil er allzu umständlich ist, in Kürze wiedergeben: „Kurz vor dem Advent, schreibt Petrus, kam Christinas Vater zu mir nach Cöln, ließ mich ins Kapitelhaus der Brüder rufen und sprach: „Christina, deine Tochter, läßt dich grüßen.“ Er machte den Eindruck der größten Niedergeschlagenheit. Ich antwortete ihm: „Rede nicht also; denn sie hat dich ja zum Vater.“ „Freilich, erwiderte er. Doch wenn du inniges Mitleiden mit uns hast, so komme uns besuchen; denn wir sind in Gefahr. Ein gar starker Feind ist bei uns angekommen, dessen Wut unsere Habe nicht nur, sondern auch unser Leben gefährdet.“ Diese Worte bewogen mich zum Mitleide, das ich jedoch zu verbergen suchte; denn ich wußte, daß er an schwere Plagen gewohnt war und um einer Kleinigkeit willen nicht zu mir würde gekommen sein. Doch entließ ich ihn mit den Worten: „Gehe in Gottes Namen, der Herr möge euch trösten.“ Traurig ging er weg, kam aber nach acht Tagen wieder und wiederholte mit noch größerer [67] Betrübnis seine Einladung. Ich entließ ihn wie früher und betrübt schied er von dannen. Nach sechs Tagen kam er abermals, suchte lange nach mir, und, nachdem er mich endlich gefunden, sprach er wehmütig: „Meine Tochter bittet dich bei der Liebe, die du im Herrn zu ihr trägst, zu ihr zu kommen. Auch ich und ihre Mutter bitten inständigst darum, wenn du nicht willst, daß der Teufel unser ganzes Anwesen durch Feuer zerstört.“ Diese Worte und noch mehr der rührende Ausdruck, womit sie gesprochen wurden, machten Eindruck auf Bruder Petrus. „Wenn ich Erlaubnis erhalte, so sprach er, will ich euch gerne besuchen.“ Auf diese Antwort schöpfte der Mann etwas Mut und entfernte sich. Petrus machte dem Bruder Aldebrandino Mitteilung von der Bitte des Vaters der Christina. Dieser erbat und hielt denn auch für sich und Petrus vom Prior Hermann von Havelbrecht die Erlaubnis zur Reise nach Stommeln. Da aber für Aldebrandino Hinderung eintrat, so erhielt Petrus zum Reisegefährten den Bruder Wipert von Böhmen aus der polnischen Ordensprovinz. Am Donnerstage in der zweiten Adventswoche gingen die Beiden nach Stommeln. Es regnete und die Wege waren stark aufgeweicht. Erst spät am Abend kamen sie recht müde, wenn auch fröhlichen Herzens, in Stommeln an und gingen ins Haus, wo Christina war, bei der sie den Prior Gotfrid der Abtei Brauweiler nebst dem P. Leonius, dem Kellermeister (cellerarius) derselben Abtei, sowie den Pfarrer Johannes von Stommeln vorfanden. Christina saß im Bette; denn sie konnte nicht liegen wegen der Plagen, die sie unablässig zu erdulden hatte. „Wir grüßten sie, schreibt Petrus, und alle, die bei ihr waren, und gingen dann wieder hinaus, um an dem Feuer, das vor der Türe des Kämmerleins brannte, unsere Kleider zu trocknen. Da wir nun so dasaßen und der Kellermeister, der sich zu uns gesetzt hatte, seinen mit dem Stiefel bekleideten Fuß zum Feuer hin ausstreckte, flog auf einmal vor unser aller Augen Kot auf den Stiefel des Kellermeisters. Darüber erstaunten wir, die wir eben angekommen waren und noch nicht wußten, was hier vorging. Der Kellermeister aber, der ein beherzter Mann war, sagte zu uns: „Brüder, wir müssen uns an solche Dinge gewöhnen.“ Kurz darauf hörten wir, daß auch jene im Kämmerlein miteinander Klagereden führten. Und als wir nach der Ursache fragten, vernahmen wir, daß der Teufel, wie er schon die ganze Adventszeit [68] hindurch getan, Christina eben besudelt habe. Auf diese unerwartete Nachricht standen wir alle, die draußen waren, auf, gingen hinein und fanden es so, wie man uns gesagt hatte. Ich stellte mich nun nahe vor das Bett Christinas, der Prior aber zu Häupten des Bettes, nämlich nach Osten, der Kellermeister zu Füßen, nach Westen, der Pfarrer neben mich nach Norden. Die Wand, an der das Bett stand, war nach Süden. So war das Bett gut mit Wächtern umstellt. Da geschah es nun unter unsern Augen, daß Christina nach meiner Zählung mehr als zwanzigmal auf verschiedene Weise am Gesichte, unter dem Schleier am Kopfe, und an sonstigen Stellen des Körpers besudelt wurde. Mit Sonnenaufgang hörte diese Plage auf. Der Prior kehrte mit dem Kellermeister nach Brauweiler zurück und ich ging mit meinem Gefährten zur Kirche, um die h. Messe zu lesen. Der Tag ging vorüber, ohne daß äußerlich eine Plage oder Belästigung zu bemerken war. Als aber die Sonne untergegangen war, und die Nacht mit ihrer Finsternis gekommen, da kehrte auch der Geist der Finsternis zurück und besudelte Christina in der gleichen Weise wie in der vorhergegangenen Nacht. Gegen Mitternacht fragte ich Christina, ob sie den Teufel sehe, dessen unsaubere Werke wir alle wahrnahmen. Sie antwortete bescheiden: „Ich sehe den Teufel immerfort, wenn ich auch meine Augen schließe oder sie mit dem Schleier verhülle.“ Ich fragte sie weiter: „Wie sieht er denn aus?“ Sie erwiderte: „Es ist unmöglich, zu beschreiben, wie vielfach und verschiedenartig die Gestaltungen sind, die er annimmt. Augenblicklich sehe ich nur ein scheußliches Gesicht, das einem menschlichen ähnlich sieht, nur daß es zwei Hörner hat.“ „Wo siehst du ihn denn?“ fragte ich weiter. „Dort, sprach sie, zwischen den beiden Mädchen“ und zeigte mit der Hand nach der nördlichen Seite, wo Hilla vom Berge und Gertrud, des Pfarrers Schwester, saßen, die, als sie das hörten, erschraken und voneinander abrückten. Ich aber fragte Christina, ob der Teufel sich nicht entfernen würde, wenn wir das Zimmer mit Weihwasser besprengten. Sie sagte, er würde freilich fliehen, aber auch sogleich und zwar im selben Augenblicke wieder zurückkehren. Beim Anbruche des Morgens hörten die Besudelungen auf. Als nun die dritte Nacht kam, die Nacht vor dem dritten Adventssonntage, kam der Teufel wieder und quälte und besudelte Christina wie in den vorhergegangenen Nächten. Ich saß [69] zu Häupten des Bettes, Bruder Wipert am Fußende und der Pfarrer vor dem Bette. Während wir miteinander sprachen, hörten wir alle ein Geräusch, das unter der Bank herkam, auf der Wipert saß. Das Geräusch war ähnlich so, wie wenn Eiweiß zu Schaum geschlagen wird. Bruder Wipert nahm seinen Rohrstock, den er aus Toskana mitgebracht hatte — er war nämlich erst vor Kurzem vom päpstlichen Hofe hergekommen — und stieß mit der Pike des Stockes heftig und öfters nacheinander unter die Bank, indem er sprach: „Nichtswürdiger Dämon, ich will dir die Augen ausstoßen.“ Das Getöse jedoch ließ nicht nach. Da sprach Bruder Wipert zum Pfarrer: „Teuerster, weißt du keine Beschwörungen, mit denen dieser böse Feind hier ausgetrieben werden kann?“ Dieser erwiderte: „Ich weiß wenigstens jene Beschwörung auswendig, die über die Täuflinge gesprochen wird. „Ergo maledicte diabole recognosce sententiam tuam“ u. s. w. Da sprach Wipert: „Sage sie mir vor, so will ich sie dir nachsprechen in der Meinung, daß wir diesen unreinen Geist verscheuchen.“ Da sie so miteinander überlegten, sprach Christina zu mir: „Worüber sprechen jene? Was haben sie vor?“ Ich antwortete: „Sie wollen den Teufel beschwören, daß er weichen soll.“ Sie erwiderte: „Saget ihnen, sie sollten sich gegen Gottes Zulassungen keine vergebliche Mühe machen; denn ich muß dieses erdulden, so lange Gott will.“ Bruder Wipert hörte das, blieb aber nichtsdestoweniger bei seinem Vorhaben. Als die Beiden mit der Beschwörung nahezu ans Ende gekommen, entstand ein starker und furchtbarer Knall im Kämmerlein, wie wenn eine mit Luft gefüllte Blase zerplatzt wäre. Im selben Augenblicke erlosch die Lampe, die zwei Ellen hoch über mir stand. Wipert sprang vor Schrecken auf und wollte hinausgehen. Doch mitten im Zimmer kam der Teufel auf ihn zu, versetzte ihm einen Schlag aufs Auge und übergoß ihn mit Unrat. Wipert schrie: „Wehe mir, ich habe ein Auge verloren.“ Dem war jedoch nicht so. — Und er lief aus dem Kämmerlein hinaus ans Feuer, wo warmes Wasser stand, um sich zu reinigen. Unter diesen und ähnlichen Quälereien ging diese peinliche Nacht vorüber. Bei Tagesanbruch beteten wir die Mette und darnach die Prim im Kämmerlein bei Christina. Als wir geendigt, sprach ich zu Christina: „Gedenkst du heute die h. Kommunion zu empfangen, wie du gestern es mir gesagt?“ — [70] „Ja,“ erwiderte sie. „Nun denn, sprach ich zu ihr, so hüte dein Herz mit aller Sorgfalt, daß du an nichts anderes denkst als an Jesus, den du empfangen willst.“ Sie erwiderte: „Es würde mir schwerfallen, an etwas anderes zu denken.“ Darauf gingen wir zur Kirche. Wir beide Brüder lasen die h. Messe und währenddessen trug der Pfarrer Christina die h. Kommunion. Mittags speisten wir beim Pfarrer und gingen dann, bevor wir die Rückreise nach Cöln antraten, zu Christina. O wie hatte die Hand des Herrn hier alles umgewandelt! Es herrschte der lieblichste Wohlgeruch statt des abscheulichen Gestankes, die süßeste Ruhe statt Mühsal und Schmerz, Lob und Jubel statt Betrübnis und Angst, Anstand und Sauberkeit statt ekelhaften Schmutzes. Im Kämmerlein trafen wir Hilla vom Berge, Hilla, Christinas Schwester, Hilla von Ingendorf und Gertrud, des Pfarrers Schwester. Sie waren die Zeugen unserer Betrübnis gewesen, sie waren nun auch die Zeugen unserer Tröstung. Christina war in Verzückung, ohne jegliche Regung und Empfindung. Alle sahen mit Erbauung das Zeichen des Kreuzes in der linken Hand der Jungfrau. Es war ein dreifaches Kreuz, da der Querbalken des Hauptkreuzes an beiden Enden in ein kleineres Kreuz ausmündete. Die Brüder schieden von dannen; Christina aber, entrückt wie sie war, wurde nichts von ihrem Abschiede gewahr.
Weihnachten fiel im Jahre 1268 auf den Dienstag. Am vorhergehenden Sonntage, dem vierten des Adventes, reiste Bruder Gerhard vom Greif, dem der Prior Hermann den Bruder Petrus als Begleiter zugesellt hatte, nach Stommeln. Im Hause Christinas angelangt, legten sie ihre vom Regen durchnäßten Oberkleider ab und gaben sie denen, die am Feuer waren, zum Trocknen. Dann traten sie ein ins Kämmerlein Christinas, woselbst sie unter anderen den Johannes von Muffendorf mit seinem Gefährten sowie den Pfarrer von Stommeln antrafen. Nach der Begrüßung der Anwesenden fügte Bruder Gerhard scherzhaft die Worte hinzu: „Herr Teufel, mich darfst du nicht besudeln; denn ich bin dein Freund.“ „Wenn du des Teufels Freund bist, entgegnete Petrus, so bin ich dein und sein Feind.“ Gerhard nahm nun Platz zu Füßen des Bettes, in dem Christina saß, Petrus aber zu dessen Häupten nahe bei der Tür. „Da wir nun so saßen, schreibt Petrus, kam plötzlich aus einem Winkel, worin niemand war, eine [71] schmutzige Flüssigkeit, wie aus einem Becken gegossen, auf mich zugeflogen und benetzte meine rechte Schulter sowie auch die ganze Türe neben mir. Nach dem Essen stand Bruder Gerhard auf und wollte zum Feuer gehen, das vor der Zimmertüre brannte. Doch mitten im Zimmer noch wurde er mit seinem neuen weißen Skapulier, das er tags vorher zuerst angelegt hatte, vom Teufel mit Unrat übergossen. Daß der Teufel seinen angeblichen Freund so übel zugerichtet hatte, machte einigen Freude. Der Teufel überbot in der kommenden Nacht nicht bloß alles, was er bisher an Besudelung geleistet, sondern brannte auch Christina, wie er es bereits in den sechs vorangegangenen Nächten getan hatte, mit einem glühenden Stein. Um Mitternacht nämlich, da ich neben Christina saß und sie tröstete, begann sie plötzlich sich zu krümmen und zu zittern und es brach ihr der Schweiß aus. „Was ist geschehen?“ fragte ich, „woher diese Angst und dieser Schweiß?“ — „Wundere dich nicht,“ antwortete Christina, „hier vor meinen und deinen Augen sehe ich einen schrecklichen Dämon stehen, mit einem glühenden Steine in den Händen und er droht mir, mich damit zu brennen.“ Ich tröstete sie, soweit ich konnte, und ermahnte sie zur Geduld. Nach einer Weile legte der Teufel wirklich einen faustdicken, glühenden Stein auf ihre linke Seite unter die Kleider und drückte ihn so stark ins Fleisch hinein, daß er darin unbeweglich festsaß, wie wenn er mit dem Körper zusammengewachsen gewesen wäre. Alle Anwesenden haben den Stein gesehen und mit den Händen berührt. Nach geraumer Zeit nahm der Teufel den Stein unter ihren Händen weg und legte ihn auf Christinas Schulter, wo er bis zum ersten Hahnenschrei liegen blieb. Dann schwand diese Plage.
Da es nun Morgen geworden und der Teufel wußte, daß er nur noch kurze Zeit habe, begann er noch heftiger zu wüten als bisher und auch sein Unwesen der Besudelungen fortzusetzen. Wir fürchteten deshalb, Christina allein zu lassen; denn, wenn ein Priester ihr beistand, wütete er nicht so sehr. Wir sprachen uns also ab, daß Bruder Johannes und sein Begleiter zur Kirche gehen sollten, um die Leute Beichte zu hören und sonst auszuhelfen, — es war tags vor Weihnachten — Bruder Gerhard aber und ich bei Christina bleiben sollten. Den ganzen Vormittag dauerten die Besudelungen. Es nahte schon bald die Mittagszeit und die Brüder waren noch nicht aus [72] der Kirche zurückgekommen. Wir hatten uns schon darauf gefaßt, auf die h. Messe zu verzichten und beteten die Tagzeiten von der allerseligsten Jungfrau, die beginnen mit den Worten: Rorate caeli desuper. Als wir an das Evangelium: Missus est gekommen waren, kniete ich mit beiden Knien auf die Erde nieder und legte beide Hände auf das Haupt Christinas, damit die Kraft der heiligen Worte auf sie mehr einwirken möchte. Kaum war ich mit dem Evangelium zu Ende und siehe da, der Geist der Unlauterkeit brachte unter meinen Händen über Christinas Haupt zwischen Kopf und Schleier eine dichte Schicht des häßlichsten Unrates. Endlich kam der Pfarrer aus der Kirche zu uns und sagte, die Brüder würden bald zurückkommen. In dieser Erwartung gingen wir dann zur Kirche, um die h. Messe zu lesen und waren froh, bei Christina zu ihrem Troste einen Priester zurücklassen zu können. Auf dem Wege begegnete uns Bruder Johannes mit seinem Gefährten und fragte uns, wie es mit Christina stehe. „Sehr schlimm,“ sagten wir. Da sprach er, heftig bewegt: „Laßt uns hingehen, um mit dem Teufel zu kämpfen,“ und raschen Schrittes ging er weiter. Wir aber gingen zur Kirche, hielten die h. Messe, und da während derselben auch der Pfarrer wiedergekommen war, schlossen wir, nach Landesbrauch an die h. Messe unmittelbar die Vesper an.[36]
Während wir in der Kirche waren, trug sich in Christinas Hause etwas eigenartig Grausiges zu. Bruder Johannes und sein Begleiter, Hilla vom Berge und Gertrud, des Pfarrers Schwester, die zugegen waren, haben es uns nachher erzählt. Jener böse Feind, der Gott selbst hatte gleich sein wollen, vermaß sich in seiner Frechheit, Christinas Bett zu durchwühlen und zu erschüttern und dabei Worte der Gotteslästerung zu singen. Er sang in wohlgesetzter Melodie, und die Worte waren rythmisch geordnet und endeten in Reimbildung. So sang er in hohem Tone: „Wo ist nun dein Gott? Wo ist dein Gott?“ Oefter und mit Zwischenpausen wiederholte er diese Frage und sang dann auch die Antwort: „Ich bin dein Gott. Ich bin dein Gott.“ Nachdem er diesen gotteslästerlichen Gesang mehrfach wiederholt hatte, fügte er hinzu: „Jetzt wenigstens erkenne, daß ich dein Gott bin; denn ich habe Macht, mit dir zu tun, was [73] mir beliebt.“ Dann beschimpfte er die Diener Gottes und sprach: „Wo sind die geschorenen Narren, die bei dir waren? Ich werde sie jetzt so zurichten, daß sie sich nicht mehr unterstehen, zu dir zu kommen.“ Da sprach endlich Christina, entsetzt über die dem Namen Gottes zugefügte Beleidigung, mit erhobener Stimme, so daß alle, die da saßen, es hörten: „Ich beschwöre dich, Dämon, in Kraft des Leidens unseres Herrn Jesus Christus, daß du die Wahrheit dessen beweisest, was du gesagt hast.“ Da änderte Satan seine stolze Sprache, er ließ ab vom Singen, Versemachen und Reimbilden und gleich einem abgelebten Greise begann er mit zitternder, schwacher Stimme die Wahrheit zu bekennen und sprach: „Wahrhaftig, alles ist gelogen, was ich gesagt habe; ich bin nicht Gott. Ich habe keinen Teil an seiner Wesenheit, und die Teilnahme an seiner Seligkeit habe ich mit Recht für immer verloren. Es ist mir aber von ihm gestattet worden, meine Bosheit an dir auslassen zu können, und das habe ich mit Eifer getan. Ueber das, was er mir erlaubt hat, bin ich aber weder hinausgegangen noch darunter zurückgeblieben. Und weil du mich in Kraft des Leidens des Herrn beschworen hast, muß ich die Wahrheit bekennen. Da ich dir so viel Qual und Schmach angetan habe und dich dennoch nicht zu besiegen vermochte, so bin ich gewiß, daß mir das hundertfach auf ewig wird heimgezahlt werden mit dem unaufhörlichen Spotte meiner Genossen. Als Feigling werden sie mich verhöhnen, da ich ein einziges Mädchen nicht zu überwinden vermochte.“ Nachdem er dieses und ähnliches gesagt, verschwand er mit einem starken Knalle.
In der h. Weihnacht, als die Mette und die erste h. Messe vorüber waren, ging der Pfarrer zu Christina und reichte ihr die h. Kommunion. Bei Anbruch des Tages ging Bruder Johannes zu Christina und ich folgte ihm. Wir fanden Christina in Verzückung, im Bette liegend und ganz starr. In diesem Zustande blieb sie den Weihnachtstag hindurch bis tief in die folgende Nacht. An den übrigen Festtagen speisten wir mit ihr und nahmen dabei mehrere Zeichen ihrer himmlischen Tröstung und inneren Liebe wahr, woraus wir schlossen, daß nach der Fülle der Leiden, die sie erduldet, nun auch Gottes Tröstungen ihre Seele erfreuten.
[74] Im Advent hatte der Teufel Christina äußerlich mit Unrat besudelt. Darauf suchte er in der Fastenzeit ihre jungfräulichreine Gesinnung durch sinnliche Versuchungen und Vorführung unsauberen Blendwerks zu beleidigen. Dem Berichte des Pfarrers Johannes entnehmen wir Folgendes: Der Teufel erschien ihr und sprach: „Schau! Du hast ein ganz elendes und mühseliges Leben; du siehst, daß du Tag und Nacht keine Ruhe hast. Die aber in der Welt leben, haben sehr vergnügte Tage im Familienleben. Auch sind viele unter ihnen sehr reich. Wenn du deiner jetzigen Lebensweise entsagen wolltest und leben wie Weltleute, so würde ich dich reich machen und dein Leben verlängern, so lange du willst.“ Christina antwortete ihm: „Verfluchter, du lügst. Für Gott ist mir keine Mühe zu viel, und was du versprichst, vermagst du nicht zu halten.“ Darauf der Teufel: „Die Ordensleute, die Geistlichen und alle Enthaltsamen sind betrogen; ihre Lebensweise ist Ketzerei. Denn Gott hat von Anbeginn es so angeordnet, daß alle Menschen im Ehestande leben sollen. Wenn auch du das befolgen würdest, könntest du leicht und eher selig werden.“ Um diesen Versuchungen mehr Reiz zu geben, begleitete der Teufel sie mit allerhand unlauterem Blendwerk. — Wochenlang quälte er so Christina, vermochte jedoch nicht ihren Sinn zu beugen. Da sprach der Teufel: „Weil du mir nicht folgst, so wisse, daß ich dich beschämt machen werde vor aller Welt. In der Kirche werde ich einen kleinen Knaben vor dich hinstellen und ausrufen, daß er von dir sei.“ Diese Drohung quälte Christina fürchterlich. Wenn sie in der Kirche war und zur h. Kommunion gehen wollte, so kam es ihr vor, als ob die Leute sich zuflüsterten: [75] „Schauet da die elende Heuchlerin, wie sie die Menschen betrogen hat. Jetzt kommen ihre Betrügereien an den Tag; sie hat ja ein Kind geboren.“ Lange Zeit kämpfte Christina mit dieser Angst und wagte es nicht, zum Tische des Herrn zu gehen. Endlich überwand sie diese Angst, indem sie also bei sich dachte: „Möge man immerhin rufen; Gott weiß, daß du unschuldig bist.“ Darauf hatte sie in der Nacht folgendes Traumgesicht: „Geliebter, so glaubte sie zu sprechen, habe Mitleiden mit mir in dieser neuen Angst und nimm diese Versuchung von mir.“ Da antwortete alsbald eine Stimme: „Vielgeliebte Tochter, habe Geduld; deine Pein wird heute ein Ende haben und dein Bräutigam wird dir für die ausgestandene Angst den gleichen Lohn geben, als ob du wirklich die Beschämung erduldet hättest.“ Da sprach sie: „Gepriesen seist du, o Süßester; ich bin elend, reich aber ist deine Huld.“ Als sie erwachte, war alle Versuchung verschwunden. Sie ging am Morgen zur h. Kommunion und wurde mit solcher Wonne erquickt, daß sie drei Tage lang weder aß noch trank und kein Wort reden konnte.
Dann kam der Teufel mit einer andern Versuchung: „Was führst du doch, sprach er, jetzt für ein Leben? Früher betetest du viel, übtest dich fleißig im Stillschweigen, fastetest, stets warst du allein und konntest den Umgang mit Mannsleuten nicht leiden; jetzt aber gehst du gar zu vertraulich mit ihnen um, mit Ordensbrüdern und andern plauderst du in der Kirche, und außer der Kirche bist du träge. Auf diese Weise wirst du nicht ins Himmelreich kommen können; so gemächlich geht es nicht.“ Wieder ein anderes Mal, als sie im Gebete die Nacht durchwachte, wie sie es zu tun pflegte, wenn sie zum Tische des Herrn gehen wollte, kam jener alte Bösewicht und sprach gar gelind, wie wenn es ein Engel vom Himmel gewesen: „Teuerste, du hast vor, zur Kommunion zu gehen. Tue das nicht um dreier Ursachen willen. Erstens wird die Hostie zur Erde fallen, wenn der Priester sie dir in den Mund legt, und das wird eine große Störung verursachen. Zweitens mußt du auch billig erkennen, daß du eine Sünderin bist und deshalb gänzlich unwürdig. Drittens weiß der Pfarrer dieses auch und ist deshalb in übler Stimmung.“ Christina wähnte, ein Engel rede zu ihr, hatte aber doch Zweifel und deshalb bat sie den Herrn, er möge ihr kundtun, ob diese Stimme von ihm oder von einem andern sei. Da entstand ein gewaltiges Gepolter und alles [76] war vorbei. Morgens ging sie zur Kirche, wagte aber nicht, zum Tische des Herrn zu gehen wegen jener drei Gründe. Der Priester aber, dem sie dies offenbarte, sagte ihr, der Teufel habe sie von der h. Kommunion abhalten wollen und so ging sie mit großer Furcht zum Tische des Herrn.
Um diese Zeit erhielt Christina den elften Besuch des Bruders Petrus. Diesem war zu Ohren gekommen, daß er laut Bestimmung seiner Obern zur Fortsetzung seiner Studien nach Paris gehen sollte und deshalb wollte er vorher seine Freunde in Stommeln noch einmal besuchen. In der Fastenzeit kam er mit seinem Landsmann Bruder Johannes Hespe zu Christina. Zur Zeit der Komplet sprach er zu ihr einiges zur Erbauung. Darob wurde sie sehr zur Andacht entflammt, und sie bat Petrus, er möge am folgenden Tage die Messe von der seligsten Jungfrau nicht lesen, sondern singen. Petrus kam dem Wunsche nach und sang die Messe „Rorate caeli desuper“. — Trauet Himmel den Gerechten —, für die er eine besondere Vorliebe hatte. Als nach Beendigung des Gottesdienstes das Volk die Kirche verließ, blieb Christina, ohne sich zu regen, auf ihrer Stelle zurück. Da sprach der Pfarrer zu Petrus: „Es scheint mir, daß Christina entrückt ist.“ Petrus und Bruder Johannes gingen nun auf sie zu und fanden sie ganz starr. Der Mantel aber, mit dem sie ihr Haupt bedeckt hatte, war an der Stelle über dem Kopfe wie mit Tau benetzt. Bruder Johannes, der seit vierzehn Tagen am Gelenke zwischen Arm und Hand einen Auswuchs von der Größe eines halben Eies hatte, befeuchtete seine gesunde Hand mit diesem Tau und berührte dann mit dieser also befeuchteten Hand den Auswuchs an der andern Hand. Von diesem Augenblicke an begann die Geschwulst schneller abzunehmen, als sie bisher gewachsen, sodaß sie in wenigen Tagen ganz verschwunden war. Christina aber blieb verzückt bis zur Komplet. Tags darauf besuchten die beiden Brüder den Prior zu Brauweiler und kehrten von da nach Cöln zurück.
Während dieser Fastenzeit hatte Christina noch eine andere ganz schreckliche Versuchung gegen die jungfräuliche Reinheit zu bestehen, die von Pfarrer Johannes umständlich berichtet wird.[37] Es befand sich damals in Stommeln oder nahebei ein [77] elender, schrecklicher Mensch, der ein Ausbund aller Laster und ein berüchtigter Räuber war. Wie sehr Christina diesen Menschen auch fürchtete und seine Stimme ihr Grausen erregte, so kam ihr doch wider ihren Willen die Neigung, diesen Menschen zu sehen und mit ihm zu sprechen. Schon im Mai des vorhergehenden Jahres hatte diese unerklärliche Neigung sich bemerkbar gemacht. Jetzt nun kam in der Nacht der Versucher in Gestalt jenes schlechten Menschen zu Christina und sprach: „Geliebteste, siehe, ich bin es. Ich bin hereingekommen; das Haus ist offen. Dein Vater und deine Mutter wissen nicht, daß ich hier bin; Du brauchst nichts zu fürchten.“ Dann kam er näher auf sie zu und ergriff ihre Hände. Christina glaubte, den Räuber vor sich zu haben und schrie aus allen Kräften: „Wenn Ihr mich berührt, so wisset, daß der Dämon Euch umbringen wird.“ Dann bat sie ihn beim Leiden unseres Herrn, sie in Ruhe zu lassen. Der Versucher aber entgegnete: „Trauteste, nie habe ich ein Menschenkind so sehr geliebt wie Dich. Wenn Du mir nur einen freundlichen Blick schenken wolltest, so würde ich fürderhin nicht mehr schlecht sein. Wenn Du es willst, werde ich gut sein, und wenn Du es willst, werde ich schlecht sein. Ich werde Dich zu einer vornehmen Frau machen, Dir schöne Kleider kaufen, Dir soviel Geld geben, als Du haben willst, und nichts wird Dir mangeln. Ich nehme Dich mit; Deine Eltern werden nichts davon gewahr, und ich bringe Dich zu reichen und feinen Leuten, wo Du ein herrliches Leben haben wirst.“ Allein Christina antwortete nicht und richtete alle ihre Gedanken auf das Leiden unseres Herrn. „Du bringst mich ums Leben, begann er nun zu schluchzen, ich muß sterben, weil Du mich verschmähst; ich vermag nicht mehr zu schlafen und kann weder essen noch trinken.“ Als aber alles fruchtlos blieb, änderte der Versucher seine Sprache und schrie: „Ich werde doch meinen Willen an Dir vollbringen!“ und dabei ergriff er sie mit Gewalt, wie wenn er sie hätte umbringen wollen. Christina aber schrie zu Gott: „Herr, stärke mich in dieser Stunde!“ Dann zog der Versucher ein Messer hervor, setzte es ihr auf die Brust und sprach: „Ich ermorde Dich, wofern Du mir nicht zu Willen bist.“ Christina entgegnete: „Meinem Herrn Jesus Christus habe ich Treue gelobt; für seinen Namen zu sterben ist mein Wunsch.“ „Doch nicht so, erwiderte der Versucher, Dein Vater und Deine Mutter sollen die ersten sein; ich will [78] alle im ganzen Hause ermorden, Dich aber fürs letzte aufsparen.“ Alsdann lief er mit dem Messer durchs Haus und tat so, wie wenn er am Morden wäre, Christina aber hörte erbärmliches Weinen und Jammern. Es war das alles freilich teuflische Gaukelei. Dann hörte sie, wie ihr Vater, es war in Wahrheit der Teufel, zu dem Verführer sprach: „Halte ein! töte mich nicht; ich will sie bereden, daß sie Dir zu Willen sei.“ Und alsdann kam dieser Teufel zu Christina in der Gestalt ihres Vaters — Christina jedoch glaubte wirklich, es sei ihr Vater — und sprach zu ihr: „Liebste Tochter! gedenke, daß ich kein anderes meiner Kinder so geliebt habe wie Dich; willige doch ein, damit Du mir das Leben rettest. Du wirst es doch nicht vor Gott verantworten können, wenn ich um Deinetwillen getötet werde.“ Christina aber, obgleich voll Mitleid mit dem vermeintlichen Vater, sprach herzhaft: „Vater, Ihr sagt, ich solle Gott verlassen! Wisset Ihr denn nicht, daß Gott für uns gestorben ist. Seid deshalb standhaft und erleidet freudig den Tod.“ Der Verführer stürzte sich alsdann auf Christinas Vater und versetzte ihm den Todesstoß; Christina hörte sein Röcheln. Dann kam er auf Christina zu. Diese aber entriß ihm behend das Messer, stieß es sich selbst in die Hüfte, um durch den Schmerz der Verwundung aller sinnlichen Empfindung vorzubeugen, und rang mutig mit dem Versucher, der alsdann beschämt die Flucht ergriff. Das Messer jedoch blieb zurück. Christina bediente sich desselben später beim Essen und der Pfarrer Johannes hat es sich nachher von ihr zum Geschenke erbeten. Die Wunde aber, die Christina sich beigebracht, blutete drei Tage lang. Sie lag da und weinte, da sie glaubte, sterben zu müssen und sich quälte mit dem Gedanken, sie habe selbst den Tod herbeigeführt. Da sie nun so weinte, kam ein Jüngling in Himmelsschönheit zu ihr und sprach: „Sei ohne Furcht, geliebteste Tochter! Siehe, ich bin Jesus Christus, dem Du Treue gelobt hast, ehe Du zu den Beginen kamst. Laß alle Sorge fahren; an dieser Wunde wirst Du nicht sterben. Du hast Deine Treue gegen mich bewährt. Und wie Katharina, da sie um meinetwillen die Welt verachtete, den Tod erduldete und deshalb ihr Tod kostbar war in meinen Augen, so würdest auch Du, wenn Du an der Wunde, die Du in gleicher Gesinnung Dir beigebracht, gestorben wärest, den gleichen Lohn erhalten haben wie sie.“ Bei diesen Worten machte er das [79] Kreuzzeichen über die Wunde und augenblicklich hörte diese auf zu bluten, und aller Schmerz war verschwunden. Am Gründonnerstage kam Petrus wieder nach Stommeln. Seine Abreise nach Paris hatte sich nämlich verschoben, da die Brüder aus Dazien, die mit ihm reisen sollten, noch nicht angekommen waren. Er kam als Begleiter des Bruders Johannes von Muffendorf, der vom Pfarrer von Stommeln zum Osterfeste war eingeladen worden. Die Brüder Aldebrandino und Mauritius hatten sich mit Erlaubnis des Priors Hermann ihnen angeschlossen. Zur Zeit der Komplet kamen die vier Brüder in Stommeln an und begaben sich alsbald in die Kirche, wo sie, wie Petrus sagt, die Reliquien der Heiligen oder vielmehr die Heiligen, deren Gebeine dort aufbewahrt wurden, begrüßten. Dann trat Petrus auf Christina zu, die vor dem Altare der allerseligsten Jungfrau saß, da sie in Folge des erlittenen Blutverlustes sich sehr schwach fühlte. Sie erlitt sogar einen leichten Ohnmachtsanfall, bei dem Petrus in ihrer linken Hand, die etwas unter dem Mantel hervorgekommen war, fünfzehn Malzeichen wahrnahm. Sie waren sämtlich rund von Gestalt, rötlich von Farbe und wohl geordnet. Das größte Malzeichen befand sich in der Mitte der Hand und hatte die Größe eines Sterlings. Um dieses herum waren vier andere, die etwas kleiner waren, so verteilt, daß sie ein Kreuz bildeten. Von den zehn übrigen, die noch kleiner waren, befanden sich zwei auf den unteren Fingergliedern. Christina hatte von ihrem himmlischen Bräutigam für die in der schrecklichsten Versuchung bewiesene Treue für die linke Hand, wie es ja bei Verlobten Brauch ist, ein bräutliches Abzeichen erhalten. Als die Komplet zu Ende war, wurde nach Landesbrauch zur Dämmerstunde die düstere Mette gesungen, gegen deren Ende die Lichter allmählich ausgelöscht werden und zu deren Schluß etwas Geräusch mit den Sitzklappen des Chorgestühls gemacht zu werden pflegt. In Stommeln scheint die Jugend für diesen geräuschvollen Schluß der Mette eine besondere Vorliebe gehabt zu haben. Als die Ordensbrüder nach dem Benedictus das Kyrie eleison sangen und alles finster war, fing, wohl aus Irrtum, die Jugend schon an vorzeitig Geräusch zu machen und die Erwachsenen halfen redlich mit. Während dieser Störung des Gottesdienstes wurde ein großer Teil des Volkes im Schiffe der Kirche mit Unrat besudelt. Christina aber blieb von der Besudelung unberührt, [80] wiewohl diejenigen, die um sie herum saßen, von ihr sämtlich betroffen wurden. Am meisten waren gerade jene besudelt worden, die ihre Zunge gegen Christina geübt und ausgestreut hatten, die Besudelungen, die Christina im Advent erlitten, seien Erdichtungen. Die Unruhe wurde durch die Besudelung noch gesteigert, legte sich dann aber allmählich und jeder begab sich nach Hause. Christina wurde von ihrem Vater nach Hause geführt; denn sie konnte vor Schwäche nicht allein gehen. Petrus begleitete sie bis zum Scheidewege, wo er auf dem andern Wege zum Pfarrhause hin abbog. Die ganze folgende Nacht war Christina wie entrückt und ihre Gedanken waren derart mit dem Leiden Christi beschäftigt, daß sie kaum beachtete, wenn man mit ihr sprach. Jungfrauen hielten bei ihr Wache. Am Morgen des Karfreitags gingen die Ordensbrüder Aldebrandino und Mauritius nach Cöln zurück, sprachen aber zuvor in Begleitung des Pfarrers bei Christina vor, sahen jedoch nichts anderes, als daß sie zu Bette lag und das Gesicht mit dem Schleier bedeckt hatte. Zur Zeit der Terz, d. h. um neun Uhr morgens, sprachen auch Petrus und Johannes vor und fanden Christina ganz starr wie eine Leiche. Sie gingen alsdann zur Kirche und hielten den Karfreitagsgottesdienst, wie es für diesen Tag Vorschrift und Brauch war. Nachmittags verfügten sich die drei wieder ins Kämmerlein Christinas, verrichteten ein Gebet, damit Gott ihnen zeigen möge, was, wie sie vermuteten, an Christina vorging, und dann sprach Petrus zu den beiden Johannes: „Ihr habt noch immer Zeit und Gelegenheit; ich aber werde bald abreisen und kann nicht hoffen, jemals wieder an solchem Tage an diesen Ort zu dieser Person zu kommen. Es würde mir sehr wehe tun, wenn ich des Trostes entbehren sollte, den ich hier zu finden hoffte. Ich hatte mich darauf gefreut, das jetzt selbst zu sehen, was ich im vorigen Jahre von andern gehört habe.“ Zum Pfarrer gewandt, sprach er dann: „Du weißt gar wohl, daß nur die Liebe Christi uns hierher führt und das Bestreben, der Wahrheit zu dienen und das Zweifelhafte aufzuhellen. Strecke nun, ich bitte Dich, Deine Hand aus und berühre ihre Fußsohle.“ Er tat es mit großer Scheu, und als er die Hand wieder zurückzog, war sie ganz mit Blut überronnen. Da sprach Petrus: „Lasset uns eines von den Mädchen rufen, damit dieses uns die äußersten Teile der Füße aufdecke und wir so feststellen können, [81] was dieses bedeutet.“ Da die Beiden, so fährt Petrus fort, mit dem Vorschlage einverstanden waren, rief ich Hilla vom Berge und ersuchte sie, den untersten Teil der Füße Christinas aufzudecken. Diese entschuldigte sich anfangs, gab aber doch meiner Bitte und ihrer Begründung nach und tat, was ich wünschte, mit großer Ehrfurcht und heiliger Scheu. Und wir alle vier sahen, was ich hier schreibe: In der Mitte des rechten Fußes, und zwar an seiner obern und untern Seite, war eine Wunde, etwas größer als ein Sterling, und aus ihr flossen vier Bächlein Blutes von ziemlicher Breite, jedoch nicht auf die Zehen hin, sondern seitwärts. Da wir das sahen, suchte jeder von uns sich einen Winkel, um seinen Tränen freien Lauf zu lassen, weil Christina mit dem Heilande litt, und seine Wunden an ihr zur Ausprägung gekommen waren. Als wir uns ausgeweint hatten, gingen wir zum Pfarrhause zurück, nahmen ein kleines Mahl, wie es sich für den Tag schickte, und gingen dann vor der Komplet wieder zum Hause Christinas. Sie atmete nicht und war ganz starr. Ich sprach deshalb zum Pfarrer: „Laßt uns doch versuchen, an ihrem Haupte nachzuschauen, ob auch dort sich ein Merkmal des Leidens Christi vorfindet!“ Dieser erwiderte: „Ich sehe nicht, wie das möglich ist. Denn Gesicht und Kopf hat sie mit größter Sorgfalt verhüllt.“ Sie hatte nämlich die Arme kreuzweise über die Brust gelegt, so daß die Hände die Wangen berührten, und hielt dabei den vordern Saum des Schleiers, womit sie Kopf und Gesicht geschickt verhüllt hatte, zwischen den Fingern fest. Auf mein abermaliges Ersuchen machte indes der Pfarrer den Versuch, die Stelle am rechten Ohre in etwa aufzudecken. Soviel ich jedoch bemerken konnte, war dort kein Wundmal zu sehen. Als er aber das Gesicht aufgedeckt hatte, sahen wir auf der Stirne drei Blutbächlein von je zwei Finger Breite wie aus einem Quell herabfließen. Das mittlere strömte auf die Nase, die beiden anderen auf die Schläfen zu. Aus Ehrfurcht vor der göttlichen Gegenwart, die sich hier in so deutlichen Zeichen zu erkennen gab, trugen wir Scheu, das göttliche Geheimnis weiter zu erforschen. Wir hörten jedoch nach dem Ostertage von den Jungfrauen, die Christinas Vertraute waren, daß auch ihr Untergewand dort, wo es die Herzgegend berührte, in Handbreite mit Blut getränkt war. Und während der Osteroktav haben wir selbst, als wir mit Christina aßen, an beiden Händen die Spuren [82] der Wundmale auf der Vorder- und Rückseite deutlich wahrgenommen. Vor Sonnenuntergang kam Christina wieder zu sich und ich fragte sie: „Wie befindest Du Dich?“ — Sie antwortete ganz leise: „Ich bin sehr schwach. Rede nicht weiter mit mir; denn ich kann Dir nicht antworten vor Bitterkeit im Munde und Gaumen.“ Wir ließen nun Christina allein und gingen zur Kirche. Am Karsamstage zur Zeit der Komplet, während Bruder Johannes in der Kirche Beicht hörte, ging ich wieder zu Christina, an der ich große Herzensfreude wahrnahm. Wir unterhielten uns über die beschauliche Betrachtung und Liebe Gottes, wobei Christina reichlichen Stoff lieferte. Am Ostermorgen begab sie sich ganz in der Frühe, zu Pferde, in weltlicher Kleidung, von ihrem Vater begleitet, zur Kirche. Sie hatte nämlich an Stelle des Mantels ein leinenes Tuch umgelegt. Sie begab sich zu Pferde zur Kirche, weil die Wundmale an den Füßen sie am Gehen hinderten. Auch hoffte sie so, unerkannt zu bleiben und das, was an ihr geschehen war, zu verheimlichen. Weil nämlich im vorigen Jahre der Pfarrer ihr die h. Kommunion am Ostertage ins Haus gebracht hatte, war aus diesem Anlasse Gerede entstanden und das Gerücht über ihre Wundmale hatte sich verbreitet. Christina empfing in der ersten Messe die h. Kommunion, blieb dann vollständig verzückt bis nach Mittag und kam ganz zu sich vor der Komplet. Während der Osteroktav kam auch Bruder Wipert wieder nach Stommeln und hielt eine Predigt, während der Christina in Verzückung kam und in ihr blieb bis zur Vesper. Am Samstage vor weißen Sonntag sprach Bruder Salomon aus Ungarn auf der Durchreise nach Paris in Stommeln vor, um dort seinen Freund, Bruder Petrus, zu begrüßen. Dieser erzählte ihm von den Wundmalen Christinas und Salomon wünschte gar sehr, diese zu sehen. Petrus sagte ihm, dann möge er sich wohl hüten, Christina über diese Dinge zu befragen, weil sie dann gleich ihre Hände verbergen würde; er solle vielmehr zusehen, ob an seinen Kleidern nichts aufzubessern sei, und Christina dann bitten, die Ausbesserung vorzunehmen. Und wirklich fand Wipert, daß an seiner Kapuze sich eine Naht aufgetrennt hatte. Er bat nun Christina, sie möge die Naht wieder zunähen, und während sie daran arbeitete, war es Bruder Wipert vergönnt, die Spuren der Wundmale an ihren Händen zu sehen.
[83] Am weißen Sonntag kam zur Vesperzeit hoher Besuch in Stommeln an. Zu Pfingsten sollte das Generalkapitel des Dominikanerordens in Paris gehalten werden. Alle drei Jahre fanden diese Generalkapitel statt und zwar abwechselnd einmal jenseits, das andere Mal diesseits der Alpen. Auf der Hinreise zu diesem Kapitel hielten nun der Cölner Prior, Hermann von Havelbrech, und der Prior von Straßburg, Arnold von Xanten, der damals Definitor des Generalkapitels war, mit ihren Gefährten in Stommeln an. Die Aebtissin Geva von St. Cäcilien in Cöln war schon vorher mit den Stiftsfräulein eingetroffen, um die Brüder, dreizehn an der Zahl, auf ihrem Hofe aufzunehmen und zu bewirten. Montags besuchte Prior Hermann Christina und sprach bei der Rückkehr das bezeichnende Wort: „Dieses Antlitz ist nicht dasjenige eines Menschen, der auf Erden wandelt.“ Petrus stimmt diesem Urteile bei und fügt hinzu: „Ueber dieses Antlitz war auch körperlich ein Anflug von Glanz ausgegossen, wie ich ihn nie im Angesichte eines sterblichen Menschen, mit Ausnahme eines Einzigen, wahrgenommen habe.“ Dieser Einzige wird wohl der große h. Thomas von Aquin gewesen sein, der nachmals in Paris Lehrer des Petrus war und mit der Sonne verglichen zu werden pflegte. Petrus hielt die Messe von der seligsten Jungfrau und der Prior Arnold predigte in derselben über das Evangelium: „Stabat iuxta crucem Jesu — Es stand neben dem Kreuze Jesu seine Mutter“, das die Weltpriester um jene Zeit im Cölner Erzbistum zu lesen pflegten. Christina kam während der Predigt in Verzückung und blieb bis zum Abend ohne Bewegung und Empfindung. In diesem Zustande haben die meisten der Dominikaner sie beobachtet und sich daran sehr erbaut. Nachmittags setzten die einen der Brüder ihre Reise nach Paris fort, die andern, unter ihnen Petrus und Johannes, kehrten nach Cöln zurück.
[84] Der Prior von Dazien, Bruder Nikolaus Heinrich, kam vierzehn Tage später in Cöln an und brachte dem Bruder Petrus die Weisung, sich zur Vollendung seiner Studien nach Paris zu begeben. Der Prior reiste ohne Verzug weiter nach Paris zum Generalkapitel, dessen Definitor er war. Petrus konnte noch nicht allsogleich abreisen und folgte seinem Prior einige Tage später nach. Als Reisegefährten hatte er den Bruder Mauritius. Sie gingen über Stommeln, weil es nicht weit ablag von der Hauptstraße, die von Cöln nach Paris führte, um von den dortigen Freunden Abschied zu nehmen. Sie übernachteten in Stommeln und reisten am folgenden Tage nach dem Mittagessen weiter. Der Pfarrer Johannes von Stommeln sowie Christina und mehrere Andere begleiteten die beiden Brüder bis Ingendorf (Engendorp), wo sie tiefgerührt voneinander Abschied nahmen. Am Freitage vor Pfingsten, das auf den 12. Mai fiel, kamen die beiden Brüder in Paris an, also noch vor Zusammentritt des Generalkapitels, zu dem auch Thomas von Aquin aus Italien herübergekommen war. Im Kollegium von St. Jakob, das zur Zeit der großen französischen Revolution den führenden Männern als Versammlungsort diente und ihnen den Namen Jakobiner eingetragen hat, hielt der berühmte Aquinate in diesem und im folgenden Jahre philosophische und theologische Vorlesungen und gerade in diesem Kollegium nahm Petrus von Dazien Wohnung.
Während der vierzehn Monate, die Petrus in Paris zubrachte, wurde zwischen ihm und Christina ein Briefwechsel in lateinischer Sprache geführt, der uns über Christinas Zustände einigen Aufschluß gibt. Christina scheint das Latein [85] einigermaßen verstanden zu haben. Sie führt einmal einen Hexameter an, ein anderes Mal läßt sie eine Stelle aus dem prächtigen Osterhymnus der Cölner Kirche einfließen und von der Uebersetzung eines Briefes sagt sie, daß sie dadurch zu vollerem Verständnis desselben gekommen sei.[38] Hätte sie das Latein nicht verstanden, so hätte sie auch nicht unter den Psalmen gerade diejenigen als Lieblingsgebete auswählen können, die auf ihre Lage ganz besonders paßten.
Christinas Briefe, die sie dem Pfarrer Johannes und später dem Schulmeister Johannes diktierte und die diese dann lateinisch niederschrieben, sind gewöhnlich kürzer gehalten als die des Petrus, die sich meist in frommen Betrachtungen und Tröstungen ergehen. Christinas Briefe, die für uns wichtiger sind, geben wir dem Wortlaute nach vollständig wieder, die des Petrus nur auszugsweise. Die Ausdrucksweise dieser Briefe ist die des dreizehnten Jahrhunderts, die, was Herzlichkeit anbelangt, die jetzt herrschende Form bedeutend überbietet. Auch lehnt sich die Sprache mitunter an die des Hohen Liedes an.
Seit der Abreise des Petrus bis zum Dreifaltigkeitssonntage befand sich Christina wohl, dann litt sie einige Zeit hindurch an dreitägigem Fieber und danach kamen neue Plagen des Teufels. Kurz nach Johannis Geburt schrieb hierüber Christina an Petrus folgenden Brief:
„Dem geliebten Bruder Petrus von Dazien in Paris entbietet seine Tochter Christina in Stommeln ihre Gebete im Herrn. Ich glaube Euch mitteilen zu sollen, daß Euere Abreise mich mehr, als ich geglaubt hätte, angegriffen hat. Denn ich gedenke Euerer treuen Anhänglichkeit und meiner geringen Dankbarkeit. Ich hoffte und hoffe noch, Ihr würdet mich beerdigen. Ihr habt mich um Einiges gefragt, worüber ich Euch keine Auskunft gegeben habe und das tat mir später leid. Denn ich sehe ein, daß es gut für mich gewesen wäre, wenn ich Euch jene Dinge und mehreres Andere mitgeteilt hätte. Auch möget Ihr wissen, daß ich seit dem Feste des h. Johannes des Täufers weder beten noch beichten kann, ohne daß der Dämon mich mit einem glühenden Eisen brennt und mir äußerlich und innerlich am Munde Brandblasen verursacht. Diese Plage wird voraussichtlich dauern bis Mariä Himmelfahrt. Früher habt Ihr mir in Eurer Treue viele Freunde erworben; auch jetzt wollet mich, ich bitte Euch darum, dem Gebete vieler empfehlen. Durch den Ueberbringer dieses Briefes würde ich Euch zwei Korporalien haben zugehen [86] lassen, wenn er sie hätte mitnehmen wollen. Wenn Ihr immer einen Wunsch habt, so tut ihn mir kund; ich will ihn erfüllen. Lebet wohl, Teuerster. Der Herr Pfarrer läßt Euch grüßen. Betet für meinen Vater, wie ich Euch darum ersucht habe. Ich sehne mich danach, Euch wiederzusehen. Besuchet mich doch, sobald Ihr könnt.“
Diesen Brief erhielt Petrus am Feste Mariä Himmelfahrt. Er aber hatte gleich nach seiner Ankunft in Paris an Christina einen Brief geschrieben, um sie zu trösten über den Schmerz des Abschiedes. Dieser Brief, den Bruder Mauritius nach Stommeln überbrachte, hatte sich mit Christinas Brief gekreuzt. Auf diesen Brief des Petrus schickte Christina etwas nach Kreuz Erhöhung folgendes Antwortschreiben:
„Dem in Christo geliebten, teuersten Bruder Petrus von Dazien aus dem Predigerorden zu Paris entbietet Christina von Stommeln den Ausdruck ihrer Liebe und die Gabe ihres Gebetes. Aus Euerem Briefe ersah ich, welch' besondere Liebe Ihr zu mir heget. Ich wundere mich nicht darüber, daß Ihr dasjenige, was innerlich im Herzen, dem Auge des Herrn allein sichtbar, vorgeht, auch äußerlich durch Wort und Schrift zu erkennen gebet. Doch wisset, daß auch die Liebe, die ich zu Euch im Herrn trage, nicht gemindert wurde durch Euer Weggehen; ich empfinde sie vielmehr jetzt bei Euerm Fernsein lebhafter als bei Euerem Hiersein, und wenn ich Euer im Gebete gedenke, so füllen sich meine Augen mit Tränen bei der Erinnerung an Eueren treuen Beistand und Euere Liebe in Christo. Als ich Eueren Brief lesen hörte, konnte ich die Tränen nicht unterdrücken, wiewohl das ausgesprochene Lob mir nicht zukam, ich aber doch durch die in ihm hervortretende liebevolle Gesinnung vollkommen getröstet wurde. Auch der Umstand, daß gerade Bruder Mauritius den Brief überbrachte, vermehrte meine Betrübnis an jenem Tage, weil er bei der Abreise Euer Begleiter war. Ihr ginget damals so schnell fort, und vor großer Betrübnis konnte ich nicht so zu Euch reden, wie ich es wünschte. Und wenn Brüder aus Euerer Gegend hierher kommen, so befällt mich Traurigkeit, da ich Euch ferne weiß in der Verbannung. Aus Eueren Worten schöpfte ich besondern Trost. Und wenn Ihr vom Geliebten sprachet, dann sah ich Euch in solcher Begeisterung, daß auch mein Herz mit Freude erfüllt wurde und in Jubel ausbrach. Diese Freude aber und diesen Jubel konnte ich vor Niemanden kundgeben als vor Euch, weil Ihr mich verstandet. Gerade deshalb bin ich betrübt, weil ich seit Euerem Weggange niemanden mehr habe, vor dem ich mich so geben könnte und dürfte. Denn ich fürchte mich vor Jedermann, und mit niemanden kann ich verkehren wie mit Euch. Einstmals, als ich in Leiden war, habt Ihr mir liebevolle Aufmerksamkeit erwiesen, und ich habe Euch mit [87] dem Gegenteil vergolten. Doch nicht Euretwegen benahm ich mich so, sondern wegen anderer Dinge, die in meinem Herzen vor sich gingen. Ich bitte Euch deshalb, es mir nicht zu verübeln. Ich versichere Euch, daß ich in meinen Trübsalen niemanden lieber zum Beistande habe als Euch. Ihr waret immer bereit, zu mir zu kommen, wenn ich geplagt wurde. Derohalb bin ich jetzt betrübt, weil ich seit Euerer Abreise manches leiblich und geistig erduldet habe, und ich Euch dieses lieber mündlich als schriftlich mitteilen möchte.
Beständige Trübsale, die acht Tage vor dem Feste des h. Johannes des Täufers ihren Anfang nahmen, suchten mich heim bis zum Feste der Himmelfahrt der allerseligsten Jungfrau. So oft ich zum Tische des Herrn ging, wurde ich am darauffolgenden Tage zur Zeit der Komplet durch ein glühendes Eisen erschreckt, ebenso, wenn ich beichten wollte, so daß ich vergaß, was ich sagen wollte. Auch bin ich vierzehn Tage hindurch, wenn ich mich anschickte, zum Tische des Herrn zu gehen, in solche Angst geraten, daß ich glaubte Blut zu schwitzen. Nachher vermochte ich nicht, der h. Messe beizuwohnen oder das Wort Gottes zu hören oder von Gott zu reden oder zu ihm zu beten, ohne durch jenes glühende Eisen erschreckt zu werden. Und wenn ich nach dem Empfange des Leibes des Herrn mich an meinen gewohnten Platz verfügte, so blieb mein Herz ohne allen Trost. Das war für mich über alles Maß bitter, und so ging es fort, bis zu genanntem Feste. Schließlich bin ich außen am Munde sichtbarlich verbrannt worden, so daß sich ums Kinn weiße Brandblasen zeigten. Nachdem dieses Verbrennen eine Zeit lang gedauert hatte und dann Heilung eingetreten war, wurden mir in einer Nacht die Ohren verbrannt. Als dies nachließ, wurden mir Augen und Stirne versengt und zwar so erbärmlich, daß es das Mitleid meiner Freunde erregte. Denn die Augen waren in Folge der Verletzung angeschwollen und große Brandblasen waren über denselben aufgetreten. Später wurde mir auf der Straße in Gegenwart des Bruders Wilhelm Bonefant und des Bruders Gotfrid von Werden die Nase versengt. Während ich nun solche Plagen am Körper erlitt, erduldete ich noch größere in meiner Seele infolge von Versuchungen. Denn der Dämon riet mir, ich sollte meinen Gott verleugnen und so sein, wie die übrigen Menschen. Und wenn ich dann überdachte, wie ich an Leib und Seele gequält wurde, und alles göttlichen Trostes entbehrte, dann wurde ich so niedergeschlagen, daß es zuweilen schien, als sei ich von meinem Gott ganz und gar verlassen. Ich verlor dann ganz meine Fassung, wie Ihr es einmal gesehen habt. Mitunter, wenn ich beten oder beichten wollte, kam es mir vor, als ob mein ganzer Leib und das Buch in meinen Händen, ja auch mein Herr Pfarrer selbst, bei dem ich beichtete, in Flammen stände. Später wurde meiner Schwester Gertrud, als [88] sie bei mir im Bette schlief, nachts die Nase versengt, weshalb sie in den folgenden Nächten sich von mir fern hielt. In der letzten Nacht (vor Maria Himmelfahrt) hatte ich vom ersten Hahnenschrei bis kurz vor Tagesanbruch einen jammervollen Kampf zu bestehen. Der Dämon kam mit einem glühenden Eisen und durchbohrte mir damit die Ohren, und während er das Eisen in meinen Ohren festhielt, rief er, ob ich jetzt meinen Gott verleugnen wollte; sonst wolle er mich auf der Stelle töten; denn er habe Macht dazu. Ich antwortete, seine Mühe sei vergeblich; denn ich sei bereit, tausendmal für Christus den Tod zu erdulden. Als ich das gesagt, kam ein Feuerstrom wie aus einem Ofen und verbrannte mir das ganze Gesicht, so daß ich die ganze Nacht dalag und sozusagen nicht wußte, wo ich war.
Als ich wieder zu mir kam, war es mir zu Mute, als wollte ich dergleichen noch mehr leiden, und alle Plage der Seele und des Leibes war gänzlich von mir gewichen.
In derselben Nacht waren mir auch vier Dämone erschienen. Sie standen da, wie wenn sie gezwungen gewesen wären, zu erscheinen und nannten ihre Namen. Sie bekannten, wenn auch ungern, daß der Allerhöchste ihnen Erlaubnis gegeben habe, solches an mir zu tun, sie aber dafür desto größere Pein zu leiden haben würden. Schließlich sprach ich unerschrocken: „Ich beschwöre euch in Kraft des Leidens Christi: warum habt ihr mich so verbrannt?“ Sie erschienen und antworteten, weil Gott meine Sinne für das Fest habe reinigen wollen. Als sie nun anfingen, mich zu loben, wandte ich mich zum Gebete. Da nun taten sie, als ob sie weinten und entflohen dann mit einem solchen Getöse, als ob sie das Dach mit sich genommen hätten. Tags darauf sah mein Gesicht ganz verbrannt aus. Wangen, Augen, Nase und Stirne, alles war voller großer Brandblasen. Ich kam allen vor, als hätte ich kein Angesicht mehr; ich war wie eine Aussätzige und von Gott Geschlagene. Auch vorher hatte ich viele Mißhandlungen im Angesichte erlitten, wovon noch Narben zu sehen sind. Nachdem dies alles vorüber war, erschien mir der Dämon zweimal in Gestalt eines Begarden. Ich fragte ihn, was er wolle, und warum er mich verfolge. Er antwortete: „Ich verfolge dich, um dich zum Zorne zu reizen oder zu anderen Sünden. Du aber erhebest gleich deine Hände zu Gott und betest um Nachlaß der Sünden. Er aber ist barmherzig und vergibt dir, und so bemühe ich mich vergeblich.“
Am Mittwoch nach Kreuzerhöhung befand ich mich abends in meinem Kämmerlein, damit beschäftigt, mich auf die h. Kommunion vorzubereiten, die ich am kommenden Morgen zu empfangen gedachte. Ein Licht brannte auf dem Stuhl, der neben meinem Bette stand. Da kam der Dämon in Gestalt meines Bruders, der in [89] Cöln wohnt, und in sein Wamms gekleidet, herein. Er machte den Eindruck eines stark Verwundeten und war voll Blut. Er sprach zu mir: „Erschrecke nicht, geliebteste Schwester! Siehe, da ich hierher kommen mußte, wie ich es mitunter zu tun pflege, kamen feindliche Menschen und verwundeten mich. Hilf mir also meine Wunden verbinden und mache, daß Mutter nichts davon gewahr wird.“ Ich warf mich nieder zum Gebete, erkannte, daß es der Dämon war und rief aus: „Blutdürstige Bestie, was verfolgst du mich?“ Er entgegnete: „Ich sehe, du hast wieder andere Ratschläge; diese Wunden hast du mir verursacht.“ Bei diesen Worten verschwand er. Als ich neulich in der Kirche im Gebete hingestreckt war, wurde ein Teil der Türe zertrümmert, ich wurde verwundet, verlor meine Schleier, und das Buch, das Ihr mir so schön ausgeziert habt,[39] wurde entwendet und ist fort. Infolge der erlittenen Verwundung konnte ich acht Tage lang nicht gehen und ich fürchte, daß ich das Schmerzgefühl nicht los werde. Dies alles schrieb ich Euch, damit Ihr mit mir Gott herzlich danket für alle seine Wohltaten; denn er kommt mir stets in der Trübsal zu Hülfe und führt alles zu einem guten Ende. Ich habe niemanden, dem ich diese und andere Vorgänge lieber mitteile als Euch; denn es ist anscheinend für mich heilsam, wenn Ihr davon wisset. Lebet wohl, ja tausendmal wohl! Es grüßt Euch bestens der Pfarrer, meine Mutter und mein Vater, deren Schulden mir einige Sorge machen und die ich deshalb Eurem Gebete empfehle. Es grüßen Euch meine Schwester Hilla und Hilla vom Berge, meine Nichte Hilla, die blinde Aleidis und ihre Nichte Engilradis. Durch den Ueberbringer lasse ich Euch einige Geschenke zugehen: ein Biret zum persönlichen Gebrauch und ein Käppchen. Es ist Gewürz darin zum essen. Wenn ich sonst noch etwas hätte, was Eueren Wünschen entspräche, so würde ich es Euch gerne schicken. Hilla vom Berge sendet Euch ihren Schleier. Ich bitte Euch bei der Liebe Gottes, wenn Ihr etwas von mir zu erhalten wünscht, so lasset es mich wissen. Es quält mich sehr, daß ich nicht weiß, wie lange Ihr dort bleiben müßt, und ich kann ohne Betrübnis nicht daran denken. Auch möchte ich gerne wissen, wie es mit Euerer Gesundheit steht. Schreibet mir doch bald darüber. Auch bitte ich Euch bei der Liebe meines Gottes, wenn Ihr aus dieser Welt scheidet, so lasset mich, wenn Ihr es bewirken könnt, nicht lange nach Euch in dieser Verbannung zurück. Noch einmal: Lebet wohl! Empfehlet mich getreulich Euern Freunden ins Gebet. Die Reklusen grüßen Euch bestens. Betet für sie; denn sie tun mir Gutes. Betet für [90] Bruder Gerhard vom Greif; denn er ist sehr krank, und man fürchtet, daß er stirbt. Er ist mir ein sehr treuer Beistand.“
Petrus erwiderte den Brief Christinas mit einem längern schönen Antwortschreiben, in dem er darauf hinweist, daß nur die Liebe Christi ungeteilt unser Herz beherrschen muß. Er schließt mit den Worten: „Es lebe und wachse in Euch die Liebe Christi, es lebe die Demut, es lebe die Freundschaft, deren Ziel in den Worten ausgesprochen ist: Betet für einander, damit ihr selig werdet.“ Christina erhielt diesen Brief des Petrus mit andern am 18. Dezember 1269. Um diese Zeit, es war ja der Advent, war sie wiederum heimgesucht von allerlei neuen schrecklichen Plagen, die eine Steigerung alles bisher Dagewesenen darstellen und sich sogar bis zu einer Art Besessenheit (obsessio) erhoben, in der der Teufel sich der Sprachorgane Christinas bediente, um zu sagen, was dieser innerlich ganz und gar widerstrebte. Hierüber machte sie in den Weihnachtstagen dem Petrus Mitteilung, wie folgt:
„Ihrem vertrautesten Freunde und getreuesten Vater in Christo, dem Bruder Petrus von Dazien in Paris, entbietet seine Tochter Christina den Ausdruck ihrer großen Liebe und ihr Gebet. Teuerster, ich kann Euch nicht genug danken für die Briefe, die Ihr seit Euerer Abreise mir mehrmals geschickt habt. Mein größter äußerlicher Trost besteht darin, von Euch etwas zu vernehmen. Darum kann ich auch Euere Briefe nicht lesen hören ohne Tränen zu vergießen. Ich habe sie alle noch beisammen und verwahre sie bis zu Euerer Rückkunft. Im Briefe vom Mittwoch nach dem Sonntag Gaudete (3. Sonntag des Advents) führt Ihr Beschwerde darüber, daß Euch keine Mitteilung geworden sei über die zugesandten Geschenke und über meinen Zustand. Das ist allein dem Umstande zuzuschreiben, daß der Bote zu schnell wegging. Ich würde Euch weit häufiger über meinen Zustand unterrichten, wenn ich einen Boten zur Verfügung hätte. Den Verbrüderungsbrief Eueres Ordens besitze ich nunmehr.[40] Ich danke Euch herzlich für denselben.
Ihr erkundigt Euch nach meinen Leiden, von denen Ihr gerne etwas erfahren möchtet. So wisset denn, daß ich vor Allerheiligen vierzehn Tage hindurch eine eigenartige Versuchung hatte. Es kam mir vor, als ob ich alles, was ich betete, im Namen des Dämons betete. Das verursachte mir großes Leidwesen. Was ich sagte, sagte auch der Dämon. Bei der Erhebung der Hostie konnte ich den Leib des Herrn nicht sehen, sondern der Dämon kam mir vor die [91] Augen und sprach: „Schau! nun siehst du, daß ich dein Gott bin.“ Und wenn ich meine Knie beugen wollte, so stieß er mich so heftig auf die Knie, daß ich nicht von der Stelle konnte. Als ich am Mittwoch vor dem Feste (das auf den Freitag fiel) in der Kirche war, kam der Dämon, raffte zwei Häringe aus einer Schüssel, beschmutzte diese und warf sie mit dem Schmutze in die verschlossene Beginenklause. Auch sagte er mir, er habe einer ältern Begine, die mir nicht wohlgesinnt war, aus der Klausur des Beginenhauses ungefähr zehn Cölnische Schillinge herausgeholt und sie in die Abortsgrube der Dominikaner geworfen. Diese fand denn auch, daß dem so war. In der Nacht blieb ich mit meinem Vater und meinen Befreundeten in der Kirche. Da zerdrückte mir der Dämon alle Glieder und nahm mir einen Schuh vom Fuße weg, den er dann später im Hause meines Vaters vor meinen Augen dem Knechte an den Kopf warf. Auch warf er ein Fenster ins Haus hinein mit solch schrecklichem Getöse, daß mein Bruder fast wahnsinnig wurde. Einmal als ich betete, verletzte er mich an der Nase, sodaß sie blutete. Am Vorabende von Allerheiligen entwich er mit gewaltigem Gebrüll und unter Besudelung der Klause in Gegenwart der Hilla von Ingendorf und der Reklusen. Auch nannte er seinen Namen vor ihnen und sagte, er heiße Barlabam. Am Feste Allerheiligen blieb ich ohne alle göttliche Tröstung und auch nachher habe ich solche selten genossen.
Seit jener Zeit bis Weihnachten hatte ich fortwährend zu leiden, was mir sonst niemals widerfahren ist. Es stiegen nämlich in meinem Herzen ohne Unterlaß Gedanken auf über Gott, als ob er gerade so sei wie ein anderer Mensch. — Diese Plage darf kein anderer wissen, als Ihr allein. — Aus dieser Vorstellung entstanden dann wieder andere Gedanken, so daß es mir vorkam, mein Geliebter sei meiner nicht würdig. Und doch war mir dieses überaus widerwärtig und betrübte mich über die Maßen. Er wollte nämlich, daß mein Herz ihm fluche und seinen heiligen Namen lästere. Mehrere, auch einige von Eueren Ordensbrüdern, haben ja gehört, wie der Dämon deutlich aus meinem Munde heraus wider Gott redete. Und hierbei kam mir mein Bräutigam, der mir soviel Gutes erwiesen hat, vor, wie ein Nichtswürdiger, der voller Eifersucht ist. Im Widerstande gegen diese Versuchungen habe ich derart gelitten, daß mir Blut aus Mund und Nase hervordrang. Bei der Kommunion ging es mir gerade so. Welche Bitterkeit mir das verursachte, könnt Ihr Euch denken. Ich klage Euch das als meinem getreuen Beistande. Bestürzung befiel mich auch bei der Erinnerung an meine früheren Beziehungen zu meinem Bräutigam, und daß an Stelle von Tröstung und Freude nunmehr gänzliche Bitterkeit mein Anteil sei. Eine andere Versuchung betraf meinen Herrn Pfarrer. Was [92] immer er tat, mochte er nun meine Beichte hören oder mir den Leib des Herrn reichen, nichts von dem, woran ich doch früher soviele Freude hatte, gefiel mir, und er selbst kam mir vor wie ein Nichtswürdiger. Zu alle dem hatte ich noch eine Versuchung, die ich weder dem Herrn Pfarrer noch einem andern Menschen offenbaren konnte. Ihr wollet ihrethalben, wie ich vertraue, zu Gott für mich beten.
Mit meinen äußern Leiden verhielt es sich folgendermaßen: Gleich nach dem ersten Adventssonntage kam der Dämon und warf die Türe meines Kämmerleins so ins Haus hinein, daß diejenigen, die darin waren, meinten, das Haus stürze ein. Hierauf brachte er einen Totenkopf, warf denselben hin und her und grinste mich aus seinen Augen heraus schrecklich an. Dann warf er denselben der Schwester des Pfarrers, Gertrud, an den Kopf und unserm Knechte in die Seite, band ihm dann denselben an den Hals und ließ ihn schließlich bei uns liegen. Fast die ganze Pfarre kam hierüber in Aufregung.
Später warf er mit fürchterlichen Steinen meinem geliebten Vater nach dem Kopfe und brachte ihm zwei Wunden am Arme bei. Gertrud, des Pfarrers Schwester, verwundete er schrecklich an der Stirne. Eine Jüdin, die gerade hinzukam, nichts nach ihm fragte und sagte, er würde sich nicht unterstehen, ihr so etwas anzutun, warf er mit einem schweren Stein an den Kopf. Es tat mir wehe, daß er Leute meines näheren Bekanntenkreises so verletzte. Später warf er einen großen Stein zwischen die beiden Brüder Heinrich von Bedburg und Nikolaus. Dem Prior von Brauweiler biß er elf Wunden in die Hand. Auch dem Bruder Johannes von Muffendorf brachte er eine große Wunde bei. Den Pfarrer biß er in die Hand. Einem andern Mönche[41] brachte er fünf Bißwunden bei. Auch biß er eine Begine aus Brauweiler und Eueren Sohn Adolf, den Scholaren des Herrn Dechanten der Cölner Domkirche. Auch an mich machte er sich heran, warf mir mit einem Steine nach dem Kopfe, und verwundete mich so am Kopfe viermal, nach den Knien sechsmal, wobei er mich einmal verwundete, fünfmal auf den Rücken, und kratzte mich neulich wund am Knie mit der Scherbe eines Trinkkruges. Endlich warf er mich mit einem vierpfündigen Steine zwischen die Schultern, so daß ich Blut spie, mit fünferlei andern Steinen und mit Tierknochen. Fünfmal schnürte er mir in Gegenwart von Knaben die Finger und Fußgelenke so fest zusammen, daß Blut floß. Auch preßte er mir wie mit eiserner Hand die Zehen derartig zusammen, daß unter den Nägeln das Blut hervorquoll. Desgleichen preßte er meinen Arm so, daß er ihn beinahe verrenkte. Eine besondere Plage, welche die ganze Adventszeit hindurch andauerte, bestand darin, daß er mir ungezählte Wunden in den Rücken biß und [93] immer wieder mit den Zähnen in die Wunden einhackte, so daß das Blut von den Seiten und vom Rücken herabfloß. Auch biß er mich derartig in die Füße, daß die beiden Zahnreihen unter der Haut aufeinanderkamen. Er tat das mit aufgesperrtem Maule, und zwar so, daß er den Biß in die Fersen und Fußgelenke wiederholte. Jene, die das Blut fließen sahen, konnten sich des Weinens nicht enthalten.
In der letzten Woche brachte er eine geschundene Katze, drückte sie mir mit Gewalt in den Mund und ließ sie darin stecken. Am folgenden Tage steckte er mir den Kopf einer Katze in den Mund, und mein Mund wurde dabei so voll Blut, daß die Umhersitzenden dasselbe herausfließen sahen. Auch stopfte er mir Fleisch von Thieräsern in den Mund. Er stieß mich mit den Füßen so gegen einen Sessel, daß man diesen nicht losbekommen konnte. Im Beisein der Brüder verbrannte er mein Oberkleid am Rücken und lies ein kleines Stück daran am Halse übrig. Auch mein Unterkleid verbrannte und zerriß er. Mein besseres Unterkleid nahm er mir im Beisein anderer weg, als ich es auszog. Er goß mir auch unsichtbaren Schwefel in den Mund, so daß ich nur solchen Geschmack im Munde hatte. Etwas wie eine Flamme erschien mir die ganze Nacht hindurch und es kam mir vor, als ob er sie mir in den Mund brächte. Zuweilen zeigte er sich als Ungeheuer mit fürchterlichen Zähnen und tat, als ob er mich verschlingen wollte. Stimmen ließen sich vernehmen wie die eines Ochsen und eines Schafes, was mir großen Schrecken einjagte. Oefters führte er hohe Gespräche über Glaubenssachen und führte dabei Schriftstellen an. Doch es gebricht mir die Zeit, Euch alles zu schreiben.
Teuerster, Ihr könnt Euch nicht denken, welche Qual mir dies alles verursacht hat, zumal ich Euch, meinen allezeit getreuen Helfer, in meinen Leiden nicht bei mir hatte. Unzählige Tränen vergieße ich bei der Erinnerung an Euere Güte, Euer Mitleid und Euern hülfreichen Beistand. Wiederum muß ich Euch die Abwesenheit meines Geliebten klagen; denn ich kenne keinen Menschen, der mich in dieser Bitterkeit so versteht, wie Ihr. Doch beginnt der helle Tag in etwa zu leuchten.
Ich danke Euch sehr für das mir gesandte Kleid und die andern Geschenke, die mir Freude machen. Ihr habt gezeigt, daß Ihr alles, was für mich gut ist, zur Ausführung bringt. Ich schreibe Euch dies alles, weil ich Euch Vertrauen schenke. Lebet wohl, geliebtester im Herrn! Betet für meinen Vater und für meine Mutter. Euch zu schreiben, wie es mir im Herzen ist, das vermag ich nicht wegen meiner Euch bekannten Scheu.“
Der Pfarrer Johannes, der Christinas Brief geschrieben, fügte demselben folgende Nachschrift bei:
[94] „Der Pfarrer bittet Euch, noch folgende Mitteilungen entgegen zu nehmen: Ihr möget wissen, Bruder Petrus, daß Euere Tochter Christina am Vorabende von Weihnachten glänzend befreit worden ist. In Gegenwart vieler — es waren anwesend Bruder Gerhard vom Greif und sein Gefährte, der Prior von Brauweiler mit seinen Begleitern und noch mehrere andere — rief der Dämon laut und allen vernehmbar, daß Gott gut sei und er gelogen habe; er heiße „Schütterich“ (scutericht). Auch von den andern Versuchungen ward sie befreit und die Gnade Gottes ist reichlich zu ihr zurückgekehrt.“
Drei Tage vor Lichtmeß, mithin am 30. Januar 1270, erhielt Petrus vorstehenden Brief Christinas. Er antwortete ihr in mehreren Briefen, die einzelne in Christinas Brief angeklungene Fragen des geistigen Lebens behandeln, nämlich das Unvermögen, vollständig das Empfinden wiedergeben zu können, die Abwesenheit des Geliebten, den Anbruch des Tages u. dgl. Er bittet Christina, ihm in einem Quatern, d. h. einem Hefte von vier Pergamentblättern in Folio, eingehendere Mitteilung über ihren Zustand zu machen. In der Fastenzeit sandte dann Christina dem Petrus folgendes Schreiben:
„Dem in Christo vielgeliebten Bruder Petrus von Dazien in Paris entbietet Christina, seine Tochter oder Schwester[42] in Stommeln, Gruß und was immer er gutes und nützliches sich wünschen mag. Teuerster, gar sehr bin ich um Euch bekümmert, und obgleich ich es Euch schon öfters geschrieben habe, so kann ich doch nicht umhin, Euch nochmals zu wiederholen, ein wie großes Verlangen ich nach Eurer Gegenwart habe, die für mich so vorteilhaft war, wie sehr ich Euch im Herzen Jesu Christi liebe und wie ich danach verlange, einander wiederzusehen im Reiche unseres Gottes. Deshalb bitte ich Euch, Ihr wollet es doch, wo möglich, so einrichten, daß Ihr Euch einige Zeit zu Cöln aufhaltet. Dann kann ich Euch auch nicht genug danken für die Tröstung, die Ihr mir durch Euere Briefe bereitet habt und die so wohltuend für mich war. Gott wolle es Euch ewig vergelten. Was nun Euern schon früher geäußerten Wunsch anbelangt, ich solle Euch über meinen Zustand Aufschluß geben und das Betreffende in einem Quatern aufzeichnen, so habe ich mir vorgenommen, diesem Wunsche nach Möglichkeit zu entsprechen. Hierin habt Ihr ein Vorrecht; denn sonst niemanden auf Erden könnte ich wohl solche Mitteilungen machen. Mein Versprechen mache ich Euch in dem Vertrauen, daß ihr meine Mitteilungen Euerer Gepflogenheit gemäß sorgsam hütet, wie ich mich selbst hüte. Zudem [95] bitte ich Euch getreulichst, Ihr wollet mir doch recht viele Fürbitter verschaffen, und mir auch mit Euerm Gebete, worauf ich Vertrauen setze, zu Hülfe kommen. Denn ich bin in großer Bedrängnis. In jeder Nacht erdulde ich schweres Leid, so daß es mir vorkommt, als ob ich nicht länger leben könne. Ich empfinde solchen Ueberdruß an mir selbst, daß es mir scheint, diejenigen, die in der Welt sind, hätten ein besseres Leben. Auch verzweifle ich an Gott, obschon mir das zuwider ist. Das alles verursacht mir größere Pein, als ich Euch jetzt zu sagen vermag. Und mit Gottes Hülfe kämpfe ich so gegen diese Anfechtungen, daß mir durch Nase und Mund Blut hervordringt. An nichts Gutem habe ich mehr Freude. Habet doch Mitleiden mit mir! Ich fühle mich schwach am ganzen Körper, besonders in der Seite und am Kopfe. Aeußere Plagen habe ich jedoch seit Weihnachten vom Dämon keine zu erdulden gehabt. Am Mittwoch nach Invocabit (2. Fastensonntag) kam eine Menge von Dämonen in mein Kämmerlein und hielten ein Gespräch, wobei ich anfänglich zuhörte. Sie sprachen miteinander davon, wieviel Uebles sie mir zugefügt, in welchen Versuchungen sie mich überwunden hätten und in welchen sie überwunden worden seien, und welche Strafe sie dann erlitten. Als sie endlich weggingen, ließen sie die Fetzen meines Obergewandes zurück, das sie verbrannt hatten.
Inständigst bitte ich Euch, lasset mich doch öfter wissen, wie es Euch geht. Wenn Ihr wüßtet, welche Freude mir Euere Briefe machen, würdet Ihr mir gerne schreiben. Es grüßen Euch mein Vater und meine Mutter. Ich bitte Euch, wie für mich, so auch für sie zu beten.“
Diesen Brief erhielt Bruder Petrus am Tage des h. Petrus von Mailand (29. April) zugleich mit einem ganz kurzen Schreiben des Pfarrers Johannes. Dieser machte noch, jedoch ohne Vorwissen Christinas, Mitteilung davon, daß sie am Sonntag Reminiscere (2. Fastensonntag), während Bruder Gerhard vom Greif vom Leiden des Herrn predigte, die fünf Wunden sowie die Dornenkrone empfing und mit Galle getränkt wurde. Am Karfreitag erschienen desgleichen an ihren Händen und Füßen, sowie an der Seite und Stirne die Wundmale wie in den vorhergehenden Jahren. Vor Pfingsten hatte Christina drei Nächte nacheinander ein merkwürdiges Gesicht. Sie schaute und gewahrte alle Peinen der Hölle: Heulen und Weinen, Hammerschläge, Qual der Hitze und der Kälte, Kröten und Schlangen, Gestank und Qualm und viele andere, die sich mit Worten nicht ausdrücken lassen. Infolge dieses Gesichtes überfiel sie eine große Angst wegen ihrer Sünden, da sie sah, [96] welch unerträgliche Qualen in der Hölle und im Fegfeuer den Menschen treffen wegen der Sünden, die so bald vollbracht sind. Sie wünschte deshalb, sofern es dem Willen Gottes entspreche, daß eine von den Schlangen, die sie gesehen, sie quäle für ihre Sünden und sie reinige, damit sie so den Strafen des Fegfeuers entgehe. Und in der Tat, die Schlange kam auf sie zu, zischte ihr entgegen, ringelte sich um ihre Glieder und zernagte ihre Eingeweide, so daß Christina aufschrie vor Angst und Schmerz. Zwei Wochen dauerte diese furchtbare Qual. Dann verschwand die Schlange und die seligste Jungfrau kam im Schlafe zu Christina mit einem Becher in der Hand und sprach: „Nimm hin, Geliebteste, und trinke; dann wirst du gesunden und aller Schmerz wird von dir weichen.“ Süßer als Honig dünkte dieser Trunk der Schwergeprüften und drei Tage hindurch wich dieser Geschmack nicht aus ihrem Munde.
[97] Bereits zu Ostern 1270 war nach Cöln die Kunde gekommen, Bruder Petrus werde in Bälde aus Paris zurückkehren. Jedoch reiste er erst am Sonntage nach dem Feste des h. Jakobus (27. Juli 1270), begleitet von Bruder Nikolaus, von Paris ab und langte zwei Tage vor Maria Himmelfahrt in Stommeln an. Tags darauf machte Petrus der Christina einen kurzen Besuch. Es war ja der Vorabend des höchsten Marienfestes, ein Fasttag, den Christina, wie alle ähnlichen Tage, in strengster Zurückgezogenheit zuzubringen pflegte. Bruder Nikolaus drang darauf, noch am selben Tage nach Cöln zu gehen, um dort mit den Brüdern das Fest zu begehen. Bruder Hiddo jedoch, ein Ordensmann von hohem Ansehen, der neun Jahre hindurch Provinzial der deutschen Provinz gewesen, befand sich gerade in Stommeln. Er war Beichtvater und Ratgeber der Aebtissin Geva von St. Cäcilien in Cöln, die auf ihrem Hofe in Stommeln weilte, und Hiddo war deshalb zum Feste herübergekommen. Dieser riet den beiden Brüdern, in Stommeln zu bleiben bis zum Nachmittage des Festtages. Sie folgten dem Rate, übernachteten auf dem Hofe des Cäcilienstiftes und gingen am Maria Himmelfahrtstage nach Tisch mit Bruder Hiddo nach Cöln.
Christina hatte in ihrem letzten Briefe an Petrus diesem den Wunsch ausgedrückt, er möge sich bei seiner Rückkehr aus Paris einige Zeit in Cöln aufhalten. Als nun Petrus bei Christina am Vorabende vor Maria Himmelfahrt vorgesprochen, hatte diese ihn gefragt, ob er sich in Cöln aufhalten würde. „Nein,“ hatte Petrus geantwortet, „es müßte denn ein unvorhergesehenes Hindernis eintreten.“ Christina hatte darauf erwidert: „Möchtet Ihr doch durch irgend etwas genötigt werden, [98] zu bleiben.“ Als die beiden Brüder nun zwei Nächte in Cöln geschlafen und Bruder Nikolaus, der für die Reise Vorgesetzter des Petrus gewesen zu sein scheint, am darauffolgenden Tage unbedingt abreisen wollte, wurde er in der Nacht von einem sehr heftigen Fieber ergriffen, das ihn sieben Wochen lang ans Bett fesselte und fast an den Rand des Grabes brachte. Während dieser Zeit kam Petrus eines Tages auf einige Stunden nach Stommeln. Bruder Mauritius nämlich und Bruder Andreas von Esch (acsiensis) mußten studienhalber nach Paris reisen. Sie gingen über Stommeln und Petrus gab ihnen bis dahin das Geleit, mußte aber noch am selben Tage nach Cöln zurück, um die Nacht hindurch wieder bei dem kranken Gefährten Nikolaus sein zu können. In jenen Tagen kam Christina einmal nach Cöln und während sie dort war, raubte ihr der Teufel acht cölnische Schillinge (solidi), die sie dem Petrus geben wollte, damit er sich dafür einen neuen Rock kaufen könne. Denn sie hatte gesehen, daß er dessen sehr bedurfte. „Doch, schreibt Petrus, der Teufel störte sich nicht an ihre Wohltätigkeit noch an meine Dürftigkeit.“
„Als aber Bruder Nikolaus, so fährt Petrus fort, wieder zu Kräften gekommen war, ging ich ihm voraus nach Stommeln, um meine dortigen Freunde zu besuchen, und als ich am Tage des h. Erzengels Michael mich mit Christina über Gott und seine Liebe unterhielt, stellte sie im Laufe des Gesprächs an mich die Frage: „Bruder Petrus, da du jetzt von mir scheidest, so befrage ich dich über ein trautes Geheimnis: sage nur, wenn du es weißt, was ist die Ursache unserer gegenseitigen Liebe?“ Ich wurde stutzig und antwortete: „Ich glaube, daß Gott der Bewirker und Urheber unserer gegenseitigen Liebe und Freundschaft ist.“ Sie entgegnete: „Daran zweifle ich nicht; allein ich möchte wissen, ob dir in dieser Hinsicht ein unzweifelhaftes Kennzeichen und eine besondere Gnadenerweisung zuteil geworden ist.“ Ich suchte einer Beantwortung auszuweichen, weil ich nicht die Unwahrheit sagen wollte, und andererseits Vorwürfe des Gewissens fürchtete. — Petrus hatte nämlich am Christinatage des Jahres 1268 ein Malzeichen in der linken Hand erhalten, das er sorgfältig geheim gehalten hatte. — Christina aber fuhr fort: „Ich weiß, daß die Zeit unserer Trennung und meiner Verlassenheit ganz nahe bevorsteht. Deshalb offenbare ich dir ein Geheimnis, das ich dir sonst nicht mitgeteilt [99] haben würde. Erinnerst du dich noch, wie du zuerst zu mir gekommen bist gegen Abend mit Bruder Walter guten Angedenkens, wo ich dich zum ersten Male gesehen habe; ich saß nicht weit von dir, hatte mich auf ein Kissen etwas angelehnt und den Kopf geneigt?“ „Dessen erinnere ich mich,“ sagte ich. Sie aber fuhr fort: „In jenem Augenblicke erschien mir der Herr, und ich sah meinen Geliebten und ich hörte, wie er zu mir sprach: „Christina, kennst du den Mann, der dort an der Seite sitzt, nach der du den Kopf hingeneigt hast, und ist dir kund sein Loos?“ Ich antwortete: „Herr, diesen Mann kenne ich nicht und sein Antlitz habe ich niemals gesehen.“ Da sprach er weiter: „Betrachte diesen Mann genau; er ist dein Freund und wird es auch fürderhin sein und er wird Vieles für dich tun. Aber auch du sollst für ihn tun, was du für keinen andern Sterblichen tun wirst. Wisse auch, daß er mit dir im ewigen Leben vereinigt sein wird.“ Das nun, Bruder Petrus, ist die Ursache, weshalb ich dich liebe und weshalb ich so vertraut gegen dich bin.“ Während Christina dies sprach, dankte ich Gott unter Tränen, daß er mich zum Freunde einer solchen Person hatte machen wollen und zum Mitwisser so großer göttlicher Geheimnisse. Doch habe ich dies, was mir Gegenstand innigster Tröstung gewesen, in meinem Herzen verborgen gehalten ... Ich hoffe aber durch Christi Freundin Christina Verzeihung der Sünden und Gnade zur Ausübung guter Werke zu erlangen. Am folgenden Tage, dem Tage des h. Hieronymus d. J. 1270, reisten Bruder Nikolaus und ich von Stommeln ab. Bruder Johannes Hespe und Bruder Helinrich, Studierende aus der Provinz Dazien, wie auch der Herr Pfarrer und seine Schwester Gertrud, Hilla vom Berge und Christina nebst mehreren andern Personen begleiteten uns eine Strecke Weges. Während ich nun mit Christina einherschritt, übergab sie mir den Quatern, worin Einiges über ihren Zustand, das sie auf meinen Wunsch hin hatte aufzeichnen lassen, enthalten ist. Dieser Quatern ist meines Erachtens gemeint, wenn oben gesagt wurde, sie werde für mich tun, was sie für keinen andern Sterblichen tun werde. Als wir zwei nun des Weges gingen, der eine ebenso betrübt und traurig wie die andere wegen der bevorstehenden Trennung, sprach ich endlich: „Teuerste Christina, es ist Zeit Abschied zu nehmen. Lebe wohl im Herrn.“ Als sie das hörte, antwortete sie nicht, sondern verhüllte mit dem [100] Mantel ihr Gesicht, setzte sich auf die Erde und weinte reichlich und bitterlich. Da ich sie so weinen sah, rief ich dem Bruder Nikolaus, der etwas vorangegangen war, er möge zurückkommen, um sich von Christina zu verabschieden, damit wir dann weiter reisen könnten. Als dieser zurückkam, stand Christina auf. Wir verabschiedeten uns nun, empfahlen uns einander ins Gebet und setzten dann die Reise fort. Bruder Nikolaus aber schenkte der Christina seinen Rosenkranz, den er vier Jahre hindurch getragen hatte. Er war nämlich durch Christinas Anblick, wie er gestand, mit großer Verehrung gegen sie erfüllt worden. Als wir weggegangen, setzte sich Christina wiederum auf die Erde, bedeckte ihr Gesicht mit dem Mantel und weinte bitterlich.“
[101] Nach seinem Weggange von Stommeln blieb Bruder Petrus zwei Jahre lang ohne Nachricht von Christina. Erst als er nach Aarhus in Jütland zum Ordenskapitel kam, erhielt er mehrere Briefe von ihr, die aber nacheinander zu verschiedenen Zeiten geschrieben waren. Durch Schreiben des Bruders Mauritius aus Paris vom 15. Juni 1271 hatte Christina erfahren, daß Petrus nach vielen Beschwerden am Freitage nach Mariä Lichtmeß gesund und wohlbehalten in Skeninge angekommen war, dort am Mittwoch nach dem Feste des h. Matthias sein Amt als Lesemeister angetreten habe und wünsche, von ihr Nachricht zu erhalten.
Daraufhin schrieb dann Christina folgenden Brief:
„Dem besonders geliebten Bruder und Vater Petrus vom Predigerorden, Lesemeister in Skeninge, entbietet die besonders geliebte und ergebene Christina von Stommeln den Ausdruck ihrer aufrichtigen Liebe aus tiefstem Herzen, im Feuer und in der Süßigkeit des h. Geistes, im Glanze und in der Schönheit Jesu Christi. Teuerster, als wir uns letzthin trennten, war ich so voller Betrübnis, daß zwei Tage hindurch meine Augen nicht aufhörten, Tränen zu vergießen beim Gedanken daran, daß ich nunmehr des Trostes entbehren müßte, den Ihr mir in Christo zu spenden pflegtet. Und so oft ich seitdem einen Bruder aus dem Ausland hier ankommen sah, erneuerte sich mein Schmerz über Euer Fernsein. Ja, wahrlich, nach dem Abschiede von Euch bin ich wie eine Verbannte und Hoffnungslose nach Hause gegangen, als eine von ihren treuen Freunden Verlassene. Denn ich finde keinen, der mir so gesinnungsverwandt wäre, der es so verstände, mit meinen Schwachheiten Mitleid zu haben, der solch allseitige Erfahrung besäße. Euch allein vertraute ich und würde Euch meines Herzens Geheimnisse mehr als irgend einem [102] Menschen auf Erden anvertraut haben, wenn ich bei Euch hätte bleiben können. Ich stehe zwar zu mehreren Brüdern in freundschaftlicher Beziehung; allein sie sind mir doch nicht das, was Ihr mir waret. Ihr wißt, weshalb.
Acht Briefe habt Ihr mir seit Euerer Abreise zugesandt. Dafür vermag ich Euch zeitlebens nicht hinlänglich zu danken. Denn unter den unzähligen Beweisen Euerer Güte nehmen Euere Briefe die erste Stelle ein. Die Verdolmetschung dieser Briefe konnte ich nie anhören, ohne Tränen zu vergießen, weil sowohl der Inhalt mich erfreute, und weil ich auch die Treue Euerer Liebe erkannte.
Nunmehr zu den Mitteilungen. Vierzehn Tage nach Euerer Abreise sagte mir der alte Feind: „Bruder Petrus ist auf der Reise von Räubern getötet worden.“ Zaghaft, wie ich bin, schenkte ich ihm Glauben und war acht Tage hindurch über die Maßen betrübt. Dann aber betete ich zu Gott unter Tränen: „Herr, mein Gott, der Du allein die Wahrheit bist, tue mir kund, ob wahr ist, was der Dämon gesagt hat.“ Darauf erschien mir im Traumgesicht die allerseligste Jungfrau und sprach: „Beruhige Dich; Petrus lebt noch. Der Dämon hat Dich betrogen. Darin hast Du gefehlt, daß Du Dich über die Maßen betrübt hast. Den Worten des Dämons sollst Du keinen Glauben schenken.“
Teuerster, bisweilen melden Euere Briefe Zweifel, als ob ich Euerer vergessen hätte. Dem ist nicht so. Was ich versprochen, werde ich mit Gottes Gnade halten, und ich hoffe, mit Euch zusammen ewig im Himmel zu leben. Ich bedauere es, Euch nicht öfter über meinen Zustand Mitteilung machen zu können. Wenn ich einen Boten zur Verfügung hätte, so würde ich Euch noch lieber schreiben und geschrieben haben, als Ihr mir. Ja, wenn ich selbst schreiben könnte, so würde ich Euch manches mitteilen, was ich jetzt füglich nicht mitteilen kann.
Ihr führtet gern den Spruch im Munde:
Pluribus intentus minor est ad singula sensus.
Ist der Sinn auf Vieles gewandt, so leidet das Einzelne.
So wünsche ich denn umgekehrt, daß Ihr mir Euere besondere Sorgfalt angedeihen laßt, da ich ja, wie Ihr sagt, Euer einziges Pflegekind bin. Teuerster, wie groß mein Schmerz ist wegen Euerer Abwesenheit, vermag ich nicht zur Genüge zu schildern. Aber mein größter Schmerz ist es, daß ich Euch über meinen Zustand nicht so schreiben kann, wie ich gern wollte. Ach! Teuerster, es ist nicht mehr wie ehedem, als Ihr nebst Bruder Aldebrandino mit mir nach Ossendorf ginget, wo Ihr mir soviel Tröstliches gesagt habet. Solch erlesene Erweise der Güte waren für mich allzeit der Weg zu größeren Gütern. Ich danke Euch recht sehr für Euere mehrfachen Geschenke. Ohne Auslagen zu scheuen, habet Ihr Euch über Gebühr angestrengt [103] und mehr getan, als ich wünschte. Für Euer Heiligtum[43] danke ich verbindlichst und für den Rock. Diesen ziehe ich nur an Festtagen an; denn ich möchte, so Gott will, ihn mein ganzes Leben lang tragen. Ach! Teuerster, was fehlte mir, als Ihr hier waret? Vor Euch hatte ich keine Furcht; und Ihr habt meine Worte und meine Handlungen, meine Freude und meine Trauer niemals übel gedeutet, sondern alles nach der guten Seite hin ausgelegt als wahrer Freund, der meine Gesinnung kannte. Aber jetzt ist es nicht mehr so. Ich lege mir Stillschweigen auf, weil ich Eueres Gleichen nicht finde und auch nicht zu finden suche. Als die härteste Pein erachte ich es aber, daß Ihr von mir weggegangen seid wie einer, der verbannt ist ohne Hoffnung auf Rückkehr.
Als Ihr Euch auf der Reise befandet, war ich immer Euretwegen besorgt wegen der Witterung, der Beschwernis und Weite des Weges, ob Unfall Euch etwa getroffen, ob Ihr gute Unterkunft und gastliche Aufnahme unterwegs gefunden; und immer flehte ich zu Gott, daß er Euch eine glückliche Reise verleihen wolle. Und nun ist mein größter Wunsch, daß Ihr mir recht viele Freunde anwerben wollet, die für mich bei Gott Fürsprache einlegen. Besorget mir auch, wenn ich Euch überleben sollte, einen treuen Freund, der nach Euerem Tode Euere Stelle bei mir vertritt. Ueberdies beschwöre ich Euer Liebden, mir von Euerem Geliebten die von mir ersehnte Gnade zu erwirken, daß er mich nach Euerem Heimgange nicht länger möge leben lassen, sonder vielmehr mich zugleich mit Euch und in Teilnahme an Euern Gütern, gestützt auf den Geliebten hinwandern lasse ins Himmelreich. Desungeachtet bitte und wünsche ich dennoch, daß Ihr, wofern es immer möglich ist, in Anbetracht unserer gegenseitigen Liebe und Freundschaft, mich Unwürdige vor Euerem Tode noch einmal besuchen wollet, teils weil ich sehr darnach verlange, teils weil ich Euch vieles zu offenbaren habe, was ich keinem andern mitteilen kann. Wenn Ihr irgendeinen Wunsch habt, so lasset ihn mich wissen; denn ich bin gerne bereit, alle Euere Wünsche zu erfüllen. Lebet wohl in unserem Herrn Jesus Christus. Betet auch, Teuerster, ich bitte Euch, für meinen Herrn Johannes, den Schreiber dieses Briefes.“
Mit diesem Briefe Christinas gelangte gleichzeitig ein anderes Schreiben von ihr an Petrus, das über neue Versuchungen berichtet. Christinas Trauer und Niedergeschlagenheit über des Petrus Abreise benutzte Satan dazu, um sie zu versuchen, dem Ordensleben zu entsagen. Ihr Herzeleid und ihre Trostlosigkeit klagt sie dem Petrus folgendermaßen:
[104] „Ihrem teuersten und liebwertesten Vater und besondern Freunde, dem Bruder Petrus aus dem Predigerorden, Lesemeister in Skeninge, entbietet Christina von Stommeln alles, was er sich an Ehrbezeigung und Liebe wünschen mag. Teuerster, was die Plagen anbelangt, die mich nach Euerem Weggange betroffen haben, so wisset, daß kurz vor Allerheiligen (1270) der Dämon mich durch einen bösen Ratschlag versucht hat. Da ich aber durch Gottes Barmherzigkeit seine Versuchung zurückwies, drohte er mir, mich bei den Haaren in die Höhe zu ziehen. Das setzte er schließlich auch ins Werk und zog mich an den Haaren über die Decke, den Dachboden meiner Kammer, die Ihr kennt, und stieß mich dann mit dem Leibe gegen den Dachstuhl. Vor dieser Quälerei zog er ein Schwert, zerschnitt damit der Hilla das Kleid und verletzte ihren Rücken. Als ich aber über meiner Kammer lag, fuchtelte er mit dem Schwerte, wie alle, die da waren, es gesehen haben, bis mein Vater zum Herrn Pfarrer lief. Dieser eilte alsbald herbei und hörte bereits auf unserem Hofe das Sausen des Schwertes. Als er aber eintrat, sah er, wie über dem Dachboden der Kammer ein Schwert einhersauste, Hände aber sah er nicht. Als er nun eine Leiter ansetzte, um hinaufzusteigen, wurde er daran gehindert, weil der Dämon ihm wiederholt Schläge auf den Kopf versetzte. Mein Vater versuchte dann mit einer Stange das Schwert hinwegzuschlagen, aber da hieb das Schwert in die Stange hinein. Endlich als mein Herr Pfarrer beherzt heraufkommen wollte, ließ der Dämon das Schwert fallen und so trug man mich hinab. Später, als ich bei dem Bruder Johannes von Muffendorf beichten wollte, kam der Dämon und schlug mich aufs Auge. Dann erschien er mir in Gestalt desselben Bruders und sprach. „Teuerste Tochter, ich habe dieselbe Versuchung wie du; um jeden Preis will ich mit dir aus dem Orden austreten.“ Ich antwortete. „Was sagt Ihr, Herr? Glaubt Ihr etwa, ich hätte Euch deshalb meine Versuchungen offenbart, weil ich in dieselben einwilligen möchte? Das empört mich. Ich glaubte, Ihr würdet mich trösten. Wisset Ihr nicht, daß ich lieber sterben möchte, als meinen Gott verlassen?“ Bruder Johannes hörte diese Worte und wurde sehr betrübt. Er fürchtete, ich würde aufschreien und ihn beschämen; denn er wußte nicht, daß der Dämon die Sache angestiftet hatte. Im Advent (1270) bereitete mir der Dämon folgende Leiden: Zwei bewaffnete Fäuste legte er mir auf die Schultern und schüttelte meinen ganzen Körper so, daß ich beinahe erstickte und viele Ordensleute mich nicht halten konnten. Zudem zog er mir die Zunge aus dem Halse, so daß alle es sahen, und sie verharrte in solcher Starre, daß niemand sie zurückbringen konnte. Da aber betete ich und indem ich mit dem Daumen das Kreuzzeichen über meine Zunge machte, sprach ich: „Herr Jesus Christus, wenn jemals diese Zunge dich [105] würdig gelobt hat, so befiehl dem bösen Feinde, daß er sie verlasse.“ Und alsbald ließ er sie los. Ich aber blieb vierzehn Tage lang stumm. Dem Bruder Johannes schnitt er eine große Wunde in die Hand. Dem Bruder Johannes von Kreuzburg machte er Schnitte in zwei Finger, und als derselbe Bruder einmal da saß und bei Kerzenschein in seinem Buche las, schlug ihn der Teufel mit einem schweren Steine an den Kopf, riß ihm das Buch weg und warf ihn in seinem Mantel aus dem Zimmer. Die Schwester des Pfarrers schnitt er in den Daumen. Einem Laien hatte er den Daumen nahezu abgeschnitten.“
Diesem Briefe Christinas fügte der Pfarrer noch eine Nachschrift bei, in der die Reihe der teuflischen Mißhandlungen ergänzt und erläutert wird. Unter anderm erfahren wir, daß der Teufel, als er schließlich am Vorabende vor Weihnachten abließ, Christina zu schütteln, sich entfernte mit den Worten: „Louvelois scheindhof“ (schmähliche Hofschinderin), mir ward Gewalt gegeben, Dich zu versuchen; doch mit Schande weiche ich zurück und werde die verdiente Strafe empfangen.“
Auch meldet der Pfarrer, daß bald nach der Abreise des Petrus ein Interdikt über die Gegend verhängt worden sei — Erzbischof Engelbert von Falkenburg war der Urheber dieser Maßregel — Christina mußte deshalb nach Brauweiler gehen, um die h. Kommunion zu empfangen. Die Abtei Brauweiler unterlag nämlich nicht dem Interdikte. Wenn Christina nun ausgehen wollte, um die hh. Sakramente zu empfangen, so drohte ihr der Teufel, wenn sie nicht zu Hause bleibe, so werde er sie mit vielen Plagen heimsuchen und dafür sorgen, daß sie beschämt werde. Als sie nun einmal in der Kirche zu Brauweiler beim Prior gebeichtet hatte und sich dann anschickte, zur h. Kommunion zu gehen, da riß ihr urplötzlich der Teufel die Schuhe von den Füßen und zerfetzte sie; dann stieß er sie mit dem Kopfe gegen die Mauer und zog ihr die Haut von den Füßen. In diesem schmerzlichen Zustande ging sie zum Altare. Noch lange Zeit nachher hatte sie Schmerzen an den Füßen.
Ein dritter Brief, den Bruder Petrus zu Aarhus von Christina erhielt, gibt Kunde von weiteren Prüfungen, die sie betroffen, vom Verluste mehrerer Freunde und von der Verarmung ihrer Eltern. Er ist gegen Ende der Fastenzeit 1272 geschrieben und hat folgenden Wortlaut:
„Ihrem lieben, teuern, allerteuersten Bruder Petrus, Lesemeister der Predigerbrüder in Skeninge, entbietet Christina von [106] Stommeln Heil im wahren Heilande. Da ich nach Euerem Weggange mich lange Zeit hindurch von meinem Bräutigam verlassen fühlte, war ich so niedergeschlagen, daß ich, was viele gesehen, beträchtliche Klumpen geronnenen Blutes gespieen habe.
Klagen muß ich Euch auch meinen Schmerz über das Geschick meiner Freunde. Vor allem melde ich Euch mit Betrübnis, daß der innigstgeliebte Herr Prior von Brauweiler nach Mariä Himmelfahrt gestorben ist. In seiner Krankheit hat er sich mit so flehentlichen Worten meinem Gebete empfohlen, daß ich ohne Tränen nicht davon sprechen kann. Er hat auch gewünscht, ich möchte Euch schreiben, daß Ihr doch für ihn betet. Ich bitte Euch deshalb, daß Ihr so seiner Seele gedenken möget, wie Ihr nach meiner Ueberzeugung es für mich selbst tun würdet, wenn ich gestorben wäre. Er hat mir nämlich, so lange er lebte, sehr viel Gutes erwiesen. Um meinen Schmerz voll zu machen, ist dann auch noch Bruder Gerhard vom Greif weggegangen. Er wurde nämlich als Prior nach Coblenz versetzt. So sind denn nun fast alle meine Freunde von mir geschieden.
Außerdem traf großes Ungemach andere von meinen Freunden und zumal meine Eltern, die ganz verarmten, weil mein Vater in Folge einer Bürgschaft, die er zwischen Juden und Christen übernommen, seine ganze Habe eingebüßt hat. Da er es nicht über sich bringen konnte, hier zu bleiben, ist er für drei Monate aus dem Dorfe weggegangen. Ihr könnt Euch denken, Teuerster, welche Betrübnis es für mich war, als mein Vater, der mir soviel Gutes erwiesen, jeglichen Gutes bar, so von dannen ging. Als er in Cöln war, drängte es mich, ihn dort zu besuchen, um zu sehen, wie es mit ihm stände. Und als ich ihn so niedergeschlagen sah, habe ich herzlich geweint. Am Tage der unschuldigen Kinder mußte meine Mutter nach Cöln, um den Vater zu besuchen, fiel aber vom Karren, brach den Arm und erhielt eine große Wunde am Kopfe. Auch sie zog sich dann nach Cöln zurück. Das war für mich eine neue Trübsal, da sie lange bettlägerig war und viele Auslagen hatte. Auch wurde sie von hochgradigem Fieber befallen, so daß Euere Mitbrüder ihr die h. Oelung erteilten. Ueberdies bekam sie die Blättern, so daß sie nicht wiederzuerkennen war. Sechs Wochen lang lag sie in dieser Heimsuchung in Cöln darnieder. Und so ging ich denn gleich nach den Weihnachtsfeiertagen nach Cöln. Ich konnte jedoch wegen der frischen Wunden keine Schuhe anziehen — kurz vor Weihnachten hatte ihr nämlich der Teufel Bindweiden durch die Füße gezogen — und so ging ich denn barfuß nach Cöln bei größter Kälte und in großer Qual an Leib und Seele. Als ich nach einiger Zeit nach Stommeln zurückkam, fand ich Haus und Hof ohne Bewohner. Nichts mehr fand sich dort vor; ich war [107] wie eine Arme und Heimatlose und in gänzlicher Not mußte ich bald hier, bald dort Unterkunft suchen.
Voll von Leid bin ich gegenwärtig und auf noch mehr Leid mache ich mich gefaßt. Und doch muß ich Vorsorge treffen und den ganzen Tag über sehe ich der vollständigen Losreißung von den Meinigen entgegen. Darum, teuerster, bitte und ersuche ich Euch, doch für mich zu beten in Anbetracht der großen Notlage, in die ich gekommen bin, auf daß Gott mich in diesen Prüfungen ohne Sünde erhalten möge, mir unerachtet der Ablenkung seine Gnade nicht entziehe und schließlich mein Leid verwandele in Freude, die niemand mir nehmen kann.
In der gegenwärtigen Fastenzeit, in der ich diesen Brief schreibe, entbehre ich jeglicher Gnadenerweisung und der Freude am Gebet. Dabei werde ich von innerlichen Versuchungen heftig geplagt. Ueberdies kommt der Dämon, wenn ich bete, in Gestalt einer eigroßen Spinne — Christina hatte besondern Ekel vor Spinnen — mir ins Gesicht gekrochen und belästigt mich. An einem Finger hat sie mir Blasen verursacht und ich befürchte, daß sie mir deren noch mehr beibringen wird. Teuerster, nochmals bitte ich Euch, wollet wo möglich, sobald Ihr könnt, mich besuchen; denn ich bedarf Eueres Rates und möchte Euch gerne wiedersehen. Lebet wohl in unserm Herrn Jesus Christus.“
Am Karfreitage (22. April) des Jahres 1272 empfing Christina die fünf Wunden wie in den früheren Jahren und am h. Ostertag genoß sie überreichlichen Trostes. Auch verschwanden an diesem Tage die Narben der Wundmale, worüber sie sich sehr freute. Vor Maria Himmelfahrt war ihr längere Zeit hindurch jegliche Tröstung entzogen und es war ihr, als ob Gott ihr niemals eine Gunsterweisung erzeigt hätte. Am Tage des h. Laurentius begann der Teufel morgens ihr besonders heftig zuzusetzen und in der folgenden Nacht versengte er ihr die Haare, so daß der Geruch davon sich durchs ganze Haus verbreitete. Dann stieß er ihr ein glühendes Eisen in den Rachen, zog es aber wieder heraus, und stieß es ihr dann in die Eingeweide. Das verursachte ihr unaussprechliche Qual. Sie hatte sich aber vorgenommen, am folgenden Tage zur h. Kommunion zu gehen und sie sprach deshalb: „Ich sage Dir, Dämon, daß ich vorhabe, morgen meinen Geliebten zu empfangen.“ Der Dämon antwortete, indem er einen Dolch hervorzog: „Wenn Du das tust, so steche ich Dich in die Zunge und vereitle Dein Vorhaben.“ Und da sie von ihrem Vorhaben nicht abließ, stieß der Teufel sie wirklich mit dem Dolch in die Zunge [108] und ließ ihn darin stecken. Als sie morgens zur Kirche kam, floß das Blut noch aus dem Munde.
Am Feste Mariä Himmelfahrt oder tags darauf diktierte Christina dem Pfarrer Johannes ein kurzes Schreiben, das Petrus zugleich mit den drei vorhin mitgeteilten zu Aarhus erhielt. Es bringt inhaltlich nichts Neues, enthält vielmehr Wiederholungen, ist aber bezeichnend für den Zustand des Verlorenseins, der Christina beim Diktieren überraschte. Sie geriet nämlich beim Diktieren in Verzückung. Das Briefchen lautet wie folgt:
„Ihrem vielgeliebten Vater und teuersten Freunde, dem Bruder Petrus, Lesemeister in Skeninge, wünscht seine Tochter Christina immerwährende geistige Teilnahme am himmlischen Gastmahl, Fülle der Wonne, Erhebung zum Wunderbaren und Erquickung durch Gnadeneinströmung. Oefters habt Ihr mir vorgehalten, daß ich Euch nicht schriebe; in letzter Zeit aber habe ich Euch vier Briefe geschrieben, die Euch durch die Brüder zugestellt werden sollten — ich weiß aber nicht, ob Ihr sie erhalten habt. In diesen Briefen habe ich Euch vieles berichtet über das, was mir der Dämon nach Euerem Weggang angetan hat, und auch solches, was meine Freunde betrifft. Und weil ich Euern Wunsch in dieser Hinsicht kenne, so dürft Ihr Euch versichert halten, daß ich Euch sehr gerne schreiben würde, wenn ich Gelegenheit hätte, die Briefe abzuschicken. Was mir bis zum Advent zugestoßen, habe ich Euch geschrieben. In der Fastenzeit kam, wenn ich betete, regelmäßig der Dämon in Gestalt einer Spinne und belästigte mich, soviel er konnte. Teuerster, ich bitte Euch, bleibet mir ein treuer Freund; denn vor allen Menschen setze ich mein Vertrauen auf Euch und ich verlange mehr nach Euerem Besuche, als Ihr glaubt. Möge er mir vor meinem Tode zuteil werden! In Brauweiler ist der Prior, mein trautester Freund, gestorben. Teuerster, gedenket seiner in Treue und betet für meine Eltern, die sich in größter Trübsal befinden.“ —
Dann fügt der Pfarrer Johannes bei: „Soeben, als sie den Brief diktierte, vermochte sie nicht weiter zu reden, weil sie sich in fortwährendem Jubel befand.“
Petrus tröstete Christina in einem herzlichen Antwortschreiben, indem er sie hinweist auf die Herrlichkeit des Himmels, in der er mit ihr in ewiger Seligkeit zusammen zu sein hoffe. Auch Bruder Mauritius schickte von Paris ein Trostschreiben. Er habe, sagte er, ein so herzliches Mitleiden mit ihr, je schwächer das weibliche Geschlecht sei, um dem Ansturm solcher Leiden gegenüber standzuhalten. „Doch, fügt er hinzu, da ich Euch als [109] ein in Drangsalen starkmütiges Weib erkannt habe, so hoffe ich zum Herrn, der die Stärke jener ist, so auf ihn vertrauen, daß er Euch Standhaftigkeit und Kraft von oben verleihe, um auszuharren bis zum guten Ende.“
Bruder Petrus wurde unterdessen nach Strengnäs im Södermanland versetzt, wo er wie in Skeninge das Amt eines Lesemeisters bekleidete. Von dort schrieb er mehrere Male an Christina; teilte ihr unter anderem mit, daß auch in dortiger Gegend Gott ihn durch einige gottgeweihte Jungfrauen erfreut habe, von denen einige das Ordenskleid des h. Dominikus trügen, andere das der Beginen angelegt hätten. Eine von diesen komme Freitags in Verzückung und erhalte zuweilen die fünf Wunden. Die meiste Zeit bringe sie im Gebete und in der Betrachtung zu und dazu sei sie bemüht, Almosen zu geben und den Armen zu dienen. Diese begnadete Jungfrau habe eine innige Liebe zu Christina, nenne sie ihre Schwester und wünsche, sie kennen zu lernen und womöglich mit ihr zusammenzuleben. Auch habe sie ihm Einiges, was in Christinas Briefen enthalten war, lange vorher offenbart. „Wundert Euch nicht, so schließt Petrus seinen Brief, daß ich Euch seltener schreibe; denn ich habe nicht oft Gelegenheit, einen Brief abzuschicken, weil ich tief ins Land hinein wohne, von wo aus selten Reisende und niemals Kaufleute hinausreisen. Meine geistliche Tochter, die ich Euere Schwester genannt habe, bittet mich, Euch ihrerseits zu grüßen ... Ich empfehle Euch die Seelen meiner beiden leiblichen Brüder, die nach meiner Rückkehr beide in einem Jahre gestorben sind. Grüßet alle unsere Freunde, insbesondere den Herrn Pfarrer, Euren Vater und Euere Mutter, alle Schwestern des Namens Hilla, des Pfarrers Schwester Gertrud und die blinde Aleidis. Betet für mich.“
Die Verarmung, die Christinas Eltern getroffen, dauerte fort. Von Gram und Kummer getroffen, starb ihr Vater um das Jahr 1276. Im folgenden Jahre gegen Peter und Paul starb auch Christinas geistiger Vater und besonderer Wohltäter, Pfarrer Johannes von Stommeln, der bisher ihre Briefe geschrieben. Bruder Nikolaus von Westeräs (Westra-aros) überbrachte die Trauerbotschaft dem Bruder Petrus nach Strengnäs. In einem Schreiben vom Tage nach dem Feste des h. Dionysius (10. Oktober) ersuchte dann Petrus Christina, ihm baldigst Mitteilung über ihren Zustand zu machen. Bruder [110] Laurentius könne ihr als Schreiber dienen. Dieser Bruder Laurentius war gebürtig aus Swealand, dem mittlern Teil Schwedens, in dem Skeninge gelegen war, und studierte damals in Cöln. An ihn schrieb nun Petrus, er möge der Christina seinen an sie gerichteten Brief verdolmetschen und auch die an ihn gerichteten Briefe Christinas schreiben. Da Petrus keine direkte Gelegenheit nach Cöln hatte, so gab er die Briefe dem Bruder Olaw aus Skara mit, der im Herbste 1277 nach Paris ging. Von Paris nun brachte Bruder Helinrich diese Briefe im folgenden Jahre Freitags nach Margaretentag, also am 15. Juli, nach Cöln. Tags darauf schickte Bruder Laurentius ein Briefchen nach Stommeln, um Christina zu melden, daß ein Brief von Bruder Petrus für sie angekommen sei und er den Auftrag habe, diesen ihr persönlich zu verdolmetschen. Es sei jetzt auch Gelegenheit gegeben, ein Antwortschreiben an Bruder Petrus nach Schweden abgehen zu lassen, was vielleicht das ganze Jahr hindurch nicht mehr der Fall sein werde. „Christina kam, so schreibt Bruder Laurentius, gleich am folgenden Tage mit ihrer Nichte Hilla nach Cöln, obgleich sie die Arbeit stehen lassen mußte, da es die Zeit der Ernte war. Euern Brief übersetzte ich ihr, so gut ich konnte. Mit welcher Rührung sie ihn entgegennahm, zeigten die Tränen, die sie reichlich vergoß.“
Als Christina den Brief des Bruders Petrus vernommen, diktierte sie allsogleich dem Bruder Laurentius das Antwortschreiben, wie folgt:
„Dem ehrwürdigen Vater in Christo, ihrem verehrungswürdigsten und liebevollsten, entbietet die geringste seiner Töchter mit ihren Gebeten sich selbst und wünscht ihm, falls es noch etwas Besseres geben kann als Gesundheit, auch dieses durch Vermittlung seines getreuen Bruders Laurentius. Nachdem ich Euern Brief bekommen und volleres Verständnis von ihm erhalten, da ist nach dem Verlust meiner Freunde und meiner zeitlichen Güter und nach schwerster körperlichen Bedrängnis mein Geist innerlich wieder aufgelebt und ich, die ich den Mut hatte sinken lassen, begann wieder aufzuatmen. Mit welcher Herzensfreude ich diesen Brief meines geliebtesten Vaters vernommen, mit welcher Hurtigkeit ich unerachtet körperlicher Ermüdung und ungelegener Zeit zu seiner Entgegennahme herbeigeeilt bin, dafür kann unser gemeinsamer Dolmetsch glaubwürdiges Zeugnis ablegen. Es ist ja natürlich, daß ein Brief von demjenigen, dessen persönliche Gegenwart so viel Liebes hatte, für mich etwas Erfreuliches war. Mein Geist wurde mit süßer Wonne erfüllt und die [111] Qualen, die der menschlichen Gebrechlichkeit und zumal der Schwäche eines Mädchens, schier unerträglich vorkamen, wurden gelindert.
Meine Lage, worüber Ihr Bericht zu erhalten wünscht, ist gar traurig und verwirrt und das gerade Gegenteil von Euerer glücklichen Wohlfahrt, die Gottes mächtige Huld noch mehren möge. Denn von zeitlichen Gütern bin ich dermaßen entblößt, daß fast Alles aufgezehrt ist. Unser Hof ist in fremde Hände als Besitztum übergegangen. Das große Haus, in dem wir bisher noch immer wohnten, war vor Alter baufällig und ist, nicht ohne Lebensgefahr für die Bewohner, zusammengestürzt. Wir aber sind keineswegs in der Lage, es wieder aufbauen zu können. Auch habe ich keinen Freund mehr, der uns beistehen oder auch nur trösten könnte.
Ueberdies erdulde ich sehr harte Verfolgungen und Plagen von meinem Widersacher. Neulich hat er mir mit einer Zange zwei Backenzähne in grausamer Weise ausgerissen[44]. Von andern unzähligen Trübsalen, die ich erlitten, kann ich Euch nicht gut Mitteilung machen, bis wir etwa eine mündliche Aussprache haben, nach der ich sehr verlange. Das aber ist mir härter als alles, daß ich in unserm Dorfe, wo ich wohne wie früher, niemanden habe, dem ich mein Herz rücksichtlich der wunderbaren Vorgänge zu erschließen wage. Deshalb halte ich das Meiste in meinem Herzen vergraben; nur derjenige hat Kenntnis davon, der die Herzen durchforscht, den ich auch mit gutem Gewissen zum Zeugen anrufe. Nichts, glaube ich, wäre mir in diesem Leben lieber, als wenn ich Euch vor meinem Tode dieses offenbaren könnte. Wie das aber geschehen könnte, weiß ich nicht. Denn zu Euch überzusiedeln, wie Ihr es mir so getreulich anbietet, möchte ich auf keine Weise versuchen. Und doch würde ich es gerne tun, wenn ich mit Euch mündlich die Sache besprechen und Ihr dann, nachdem Ihr vollständig Kenntnis von meiner Lage genommen, es dennoch für ratsam halten solltet. Für Euer Anerbieten aber möge Euch belohnen jener, „der die Hoffnung der Verzagten ist und der große Tröster in der Qual“.[45] Lebet wohl, liebster Vater, mein einziger und getreuester. Ich empfehle Euch inständigst die Seele meines Vaters und die des Herrn Pfarrers. Nochmals: Lebet wohl!“
In dem bereits vorhin erwähnten Begleitschreiben zu diesem Briefe macht Bruder Laurentius zum Einsturz des Hauses folgende Bemerkung: „Während die ganze Familie und dabei auch kleine Kinder im Hause waren, und ein mächtiges [112] Feuer brannte, stürzte das Gebäude plötzlich zusammen. Jedoch wurde niemand verletzt, und auch das Feuer richtete keinen Schaden an, was einige für ein Wunder halten. Der Zusammensturz war vollständig; nur die Kammer, in der Christina war, blieb stehen. Doch auch sie wurde von den herabstürzenden Balken hart getroffen.“
Einige Zeit nachher, im Herbste 1278, starb auch Christinas Mutter. Petrus wurde im selben Herbste auf dem Provinzialkapitel in Wisby zum Lesemeister dieser seiner Geburtsstadt Wisby auf der Insel Gotland ernannt, weshalb er von da an Lesemeister von Gotland genannt wird.
[113] Als Bruder Petrus obigen Brief Christinas erhalten und ihm auch noch sonst Mitteilungen über das Mißgeschick, das über sie hereingebrochen, zugegangen waren, da, so schreibt er, entbrannte mein Geist, und mein Herz wurde heftig bewegt und ich sann darüber nach, wie ich sie wohl trösten könnte. Ich begab mich zum Provinzial, Bruder Augustinus, (nach Westeräs), um von ihm die Erlaubnis zu einer Reise nach Cöln zu erlangen. Dreierlei Gründe lagen zu dieser Reise vor. Erstlich wünschte ich von der geistigen Trockenheit befreit zu werden, an der ich schon lange gelitten und die mich mitunter so niedergeschlagen machte, daß man für mein Leben fürchtete. Zweitens ging mein Verlangen danach, die glorreichen Schutzpatrone Cölns, nämlich die dort ruhenden Martyrer und Jungfrauen, für die ich seit meiner Cölner Studienzeit eine besondere Verehrung hatte, zu besuchen, mir von ihnen Reliquien zu verschaffen und diese dann in mein Vaterland zu übertragen. Drittens, um die in Christo geliebte Christina, nach deren Wiedersehen ich verlangte, zu besuchen und sie im Herrn zu trösten, wie sie es wünschte, und wie es meinem frommen und mitleidigen Sinne entsprach, um aber auch andererseits von ihr Tröstung und Erleuchtung zu erhalten. Mit Gottes Hülfe und (wie ich vertraue) durch Christinas Verdienste ist alles nach Wunsch glücklich von statten gegangen, und es hat sich bestätigt, daß „unverdrossene Liebe alles überwindet“.[46] Am Pfingstmontage also brach ich von Westeräs auf, kam dann nach Gotland, [114] wo ich eine Zeitlang blieb, und gelangte schließlich nach Lübeck. Und wahrhaftig, ich, der ich früher keine halbe Meile zurücklegen konnte, ohne zu ermüden, Einkehr zu nehmen und Halt zu machen, ging jetzt einen ganzen Tag, ohne sonderliche Ermüdung zu verspüren. Es war am Tage nach der Oktav des h. Laurentius (18. August). Am Tage der Oktav von Maria Geburt (15. Sept.) langten wir in Stommeln, dem lang ersehnten, von Gott mit vielen Vorzügen begnadigten, vor allem aber durch die Frömmigkeit seiner Bewohner ausgezeichneten Orte, an. Als wir uns nun diesem Dorfe näherten, sahen wir von Ferne die Leute aus der Messe nach Hause gehen, — es war nämlich Freitag[47] — zuletzt aber gingen zwei Beginen. Da sagte ich zu Bruder Folkwin, meinem Begleiter: „Siehe, da geht Christina.“ Denn auch ihn trug Verlangen, sie zu sehen. Man konnte aber Christina gut von andern unterscheiden. Denn, wie sie sich im Umgange durch Erbaulichkeit und im Aussehen durch Frömmigkeit auszeichnete, so hatte ihr Gang eine würdevolle Gemessenheit. Um es kurz zu sagen, in all ihrem Tun und Handeln, in Gang und Bewegung leuchtete ein verklärender Schimmer besonderer Anmut hervor, so daß ein jeder, der mit frommem Sinne ihr Benehmen beobachtete, nicht daran zweifeln konnte, Gottes Gnade und Gottes Gegenwart sei bei und in ihr.
Als wir nun bis zum Pfarrhause gekommen waren, wo wir das Erforderliche besorgen wollten, um die h. Messe lesen zu können, stand die Frau des Glöckners da, schaute mich neugierig an und sagte schließlich: „Wie heißet Ihr?“ „Petrus,“ entgegnete ich. Darauf fragte sie weiter: „Woher seid Ihr?“ „Aus Dazien,“ gab ich zur Antwort. Da eilte sie gleich auf die Straße hinaus und rief, so laut sie konnte: „Christina! Christina! komme zurück, wenn Du eine Messe hören willst.“ Da nun auch wir auf die Straße hinausgingen, trafen wir mit Christina, die zurückkehrte, zusammen. Als ich sie grüßte, wußte sie vor Staunen und Ergriffenheit kaum zu antworten. Schließlich sagte sie: „Woher kommt Ihr?“ Ich antwortete: „Von Gott dem Herrn gesandt bin ich gekommen.“ Als mein Gefährte und ich Messe gelesen, speisten wir mit Christina in der Klause, wobei der Schulmeister Johannes den Gastgeber [115] machte. Auch der Herr Pfarrer — Heinrich hieß er — gesellte sich zu uns. Als ich tags darauf nach der Vesper auf Christinas Begehr die Schriftstelle auseinanderlegte: „Ein gutes, geschütteltes, gerütteltes und gehäuftes Maß wird man Euch in den Schoß schütten“, kam sie derartig in Verzückung, daß sie weder zu Nacht speisen noch reden konnte. Ja, sie war derart in Gott versunken, daß sie gar nicht mehr achtete auf das, was gesprochen wurde. Sie war ganz mit ihrem Geliebten beschäftigt; sie hatte für nichts anderes Sinn und nur Worte der Andacht brachte sie hervor. Und in Anbetracht dieser großen Liebe zu ihrem Bräutigam ruhte alle Sinnestätigkeit. Zweimal aber brach sie währenddem in die Worte aus: „Teuerste! lasset uns Gott lieben, denn er ist überaus liebenswürdig. Teuerste! was sollen wir ihm wiedervergelten für so viele Wohltaten, die er uns erwiesen hat?“ ... Als sie endlich in etwa zu sich kam, geleiteten der Schulmeister Johannes und Aleidis sie zu ihrer Wohnung. Als es sich nun traf, daß ich neben ihr ging, fragte sie, wer das sei. Es wurde ihr geantwortet: „Bruder Petrus.“ Da sagte sie: „Bruder Petrus, wenn Du von Gott reden willst, bist Du willkommen. Wenn Du aber zu etwas anderem gekommen bist, so mache schnell und gehe dann; denn sonst würden wir Deiner bald müde sein.“ Die ganze folgende Nacht hindurch blieb sie in diesem Zustand der Innerlichkeit. Tags darauf fingen jene, die obiges gehört, mit dem Ausdruck des Bedauerns an, darauf die Rede zu bringen, daß jemand mich beleidigt habe. Sie antwortete: „Gewiß, wer solches gesagt hat, ist gar zu dreist gewesen.“ Sie hatte keine Erinnerung mehr an das, was sie am vorhergehenden Abende gesagt hatte. Wir blieben drei Tage in Stommeln und gingen dann nach Cöln, wo wir freundlich von den Brüdern aufgenommen wurden, besonders von denen, die mich von der Studienzeit her kannten, und ganz besonders von Bruder Johannes von Greif, der damals Unterprior war, und Bruder Johannes von Muffendorf. Bruder Gerhard vom Greif erkundigte sich nach Christina und belobte ihren Fortschritt auf dem Wege der Heiligkeit. Ich blieb nun ungefähr einen Monat lang in Cöln und wurde durch Gottes Gnade von meinem Seelenleiden geheilt. Auch verschaffte ich mir neun Häupter der hh. Jungfrauen (aus der Gefolgschaft der h. Ursula) und eines von der [116] thebäischen Legion. Unsere Cölner Ordensbrüder besorgten mir diese unter Beihülfe des Bruders Folkwin.
Mitten in dieser Zeit, nämlich am Tage nach dem Feste des h. Erzengels Michael, ging ich mit Bruder Folkwin wieder nach Stommeln zu Christina. Wir fanden sie zu Bette liegen und sehr schwach. Ueber unsere Ankunft aber war sie sehr erfreut. Und als ich sie nach dem Grunde ihrer Schwäche fragte, sagte sie: „Der Dämon hat mir in dieser Woche die Haut vom Rücken gezogen, so daß man sich wundern muß, wie ein Mensch dabei noch leben kann.“ Am folgenden Tage, Sonntag den 1. Oktober, zeigte Petrus der Christina das früher am Sankt Christinatage an der linken Hand erhaltene Malzeichen und sie bestätigte ihm mündlich alles, was im Quatern schriftlich durch Pfarrer Johannes niedergeschrieben worden war. Auch machte sie ihm die in Kapitel 2 bereits berichteten Mitteilungen über Verwundungen, die man ihr während der Verzückung beigebracht hatte. Am folgenden Mittwoch kamen alle Beginen von Stommeln zusammen und bereiteten den beiden Ordensbrüdern ein schönes Mittagsmahl. Auch der Pfarrer Heinrich sowie Gerhard, der Sohn des Vogtes, und der Schulmeister Johannes gehörten zu den Gästen. Nach Tisch hielt Bruder Petrus einen Vortrag über die geistige Freude unter Zugrundelegung der Schriftstelle: Laetare Jerusalem (Freue dich, Jerusalem) und im Laufe des Nachmittags kehrte er mit Bruder Folkwin wieder nach Cöln zurück.
„Zum dritten Male,“ schreibt Petrus, „ging ich nach Stommeln am Tage der elftausend Jungfrauen, als ich auf der Rückreise in meine Provinz begriffen war. Auf den folgenden Tag lud uns der Herr Pfarrer und seine Schwester, Frau Benigna, die nach Kleid und Wandel eine Begine war, zu Tische. Da nun bei Tische die Rede auf die Reliquien kam, die ich zu Cöln erhalten, und Benigna meine Hochachtung und Verehrung gegen Reliquien bemerkte, sagte sie: „Hätte ich das gewußt, so hätte ich Euch gerne das Haupt einer Jungfrau geschenkt, das ich zu Cöln habe.“ Als ich darauf erwiderte, ich möchte es mir gerne ausbitten, sagte sie: „Ich würde es Euch mit Freuden geben, wenn ich wüßte, wie Ihr es bekommen könntet.“ Daraufhin sprach der Herr Pfarrer: „Ehe er dieses Hauptes entbehren soll, gehe ich selber lieber zu Fuß nach Cöln und hole es.“ Und das tat er auch wirklich. Am folgenden Morgen machte [117] er sich in der Frühe auf und noch vor der Abenddämmerung war er wieder zurück und trug jenes Haupt am Halse. Mit größter Freude nahm ich dasselbe entgegen und habe es von Stommeln bis Lübeck am Halse getragen, wodurch mir sehr oft große Süßigkeit des Herzens bescheert wurde.
Abends vor dem Tage der Abreise erhielt Christina, als sie die Vesper betete und unsere Reise Gott anbefahl, eine große Tröstung, die sich in ihrem Aeußern offenbarte. Sie war nämlich bei der Abendmahlzeit munterer als gewöhnlich. Als ich sie nun nach dem Essen nach dem Grunde ihrer Munterkeit fragte, sagte sie: „Seit zwei Tagen war ich niedergeschlagener Stimmung wegen Euerer Abreise. Als ich nun vorhin unter dem Baume die Vesper betete und Euch in großer Betrübnis des Herzens Gott anbefahl, sprach der Herr zu mir: „Sei ohne Sorge. Ich war mit Bruder Petrus, als er hierher kam; ich werde auch auf der Rückreise sein Führer sein.“ Auch sagte er: „In mir habe ich Euere gegenseitige Liebe gegründet und ich werde sie auch in mir erhalten.“ Diese Worte gaben mir Veranlassung, von der Süßigkeit der göttlichen Liebe zu reden. Christina wurde darob derart gerührt, daß sie wegging, vollständig entrückt wurde und starr und regungslos dalag. Am andern Morgen, dem Tage der hh. Krispin und Krispinian (25. Oktober), lasen wir Messe, frühstückten und darauf hielt ich eine Ansprache über die Schriftstelle: Convertere anima mea in requiem tuam, quia dominus benefecit tibi (Kehre in deine Ruhe ein, meine Seele, denn der Herr hat dir Gutes erwiesen). Hierauf nahmen wir Abschied von Christina und von denen, die bei ihr waren, empfahlen uns einander dem Herrn und so reisten wir ab. So endete der fünfzehnte Besuch im Jahre 1279.“
[118] Ueber Neuß und Düsseldorf, Soest und Minden gelangte Petrus mit seinem Begleiter Folkwin Freitag den 24. November 1279 nach Lübeck, schrieb von da an Christina sowohl wie an Magister Johannes, ging am 26. November zu Schiff, erlebte in der Nacht vor St. Luzia einen furchtbaren Sturm, landete aber am Tage nach St. Luzia glücklich in Kalmar, woselbst er im Dominikanerkloster überwinterte und an Christina sowohl, wie an Magister Johannes und Hilla vom Berge Briefe schrieb. Im Briefe an Christina setzt Petrus auseinander, daß er Christina um Christi willen liebe. „Möge die Welt,“ sagt er, „lärmen, spotten, verkleinern, zürnen und abraten, so werde ich doch die Braut meines Herrn aus Herzensgrund lieben — wegen des Bräutigams selbst.“ Grund der Liebe ist Christus. Christina aber ist dem Petrus Wegweiserin und Vorbild geworden, um Christus zu finden, ihn zu lieben und feiner zu genießen. Im Frühjahr 1280 fuhr Petrus mit Folkwin nach der Insel Gotland und sie langten am weißen Sonntage in Wisby, der Geburtsstadt des Petrus, an. Hier trat dieser das Amt eines Lesemeisters an und schrieb bald nach seiner Ankunft einen Brief an Christina, in dem er unter anderm meldet, daß ein Teil der hh. Reliquien, die er in Cöln erhalten, glücklich angekommen sei. Auch entschuldigt er sich, daß er dem Magister Johannes noch nicht die versprochene Schrift, gemeint ist das erste Buch der Jülicher Handschrift, zugeschickt habe. Es habe ihm nämlich bisher an Pergament und an einem Schreiber gefehlt.
Am Vorabend des h. Laurentius (9. August) des Jahres 1280 erhielt Petrus auf dem Provinzialkapitel auf Alsen (Aslonia) einen ausführlichen Bericht des Magisters Johannes, den dieser am Freitag vor St. Urbanus (24. Mai) geschrieben [119] hatte. Aus demselben ersehen wir, daß Christina im Advent 1279 von gänzlicher Dürre des Herzens heimgesucht wurde und zudem, wenn auch nicht in körperlicher Weise, ganz neue teuflische Quälereien zu erleiden hatte. In der zweiten Adventswoche wurde sie im Geiste in bitterster Kälte hingeschleppt über hartgefrorene Erdschollen, durch Dorngestrüpp und Hecken hingerissen zu einem Sumpf im nahen Walde, dort verhöhnt, durch Drohungen und Gotteslästerungen gequält, schließlich an einen Baum aufgeknüpft und gliedweise verstümmelt. Das wiederholte sich bis zum Weihnachtsabende. Dabei sah Christina das Schauerliche der Oertlichkeiten, ihre schimpfliche Entblößung, die Schar der Teufel und fühlte den entsetzlichen Schmerz der Verwundungen. Die Teufel trieben ihr Blendwerk so weit, daß sie sagten, sie wollten zu Christinas Beschämung alle Männer des Dorfes zusammenrufen, so daß Christina wirklich zum Glauben kam, es ständen Leute umher, um sich an ihrer Qual und ihrer Entblößung zu weiden, was aber wirklich nicht der Fall war. Es erging der seligen Christina bei diesen Vorgängen geradeso wie der h. Teresia, als ihr Herz mit einem Pfeile durchbohrt wurde. „Es war dies,“ sagt Sankt Teresia, „kein körperlicher Schmerz, sondern ein geistiger, wiewohl auch der Leib und zwar in nicht geringem Maße an demselben teilnahm.“ In der Nacht vor dem h. Abend erhielt die durch den Advent hindurch fortgesetzte Folter ihre Krönung durch die Enthauptung Christinas. Diese zagte nicht, sondern empfahl sich dem, der tötet und wieder lebendig macht. Noch vor Tagesanbruch hörten alle Qualen auf; die bösen Geister, zwölf an der Zahl, gestanden, daß alles, was sie gesagt und getan, Lug und Trug gewesen, und als Christina ihnen im Namen Jesu befahl, sich zu entfernen, schieden sie unter großem Geheul von dannen. Von da bis zum Weihnachtstage blieb Christina in Sammlung des Geistes und großer Sehnsucht des Herzens, bis sie in der h. Kommunion sich mit ihrem Bräutigam vereinigte. Sie geriet so schnell in Entzückung, daß sie nicht einmal zu ihrer gewohnten Stelle hinter dem Altare gelangen konnte, sondern zur Seite des Altares hinsank und dort regungslos bis zum dritten Tage verharrte, überströmend vor Wonne und Seligkeit, ohne irgend etwas wahrzunehmen und ohne irgendwelche Nahrung zu sich zu nehmen.
[120] Von Weihnachten bis zum ersten Sonntag der Fastenzeit 1280 erfreute sich Christina, abgesehen von einigen Tagen vor Mariä Lichtmeß, großer Tröstungen und geistiger Freude. In der Nacht vor Mariä Lichtmeß wurde sie jedoch versucht, die h. Kommunion am folgenden Tage zu unterlassen, weil sie bisher irre gegangen und erst ein besseres Leben beginnen müsse. „Da habt ihr mir eine gute Ermahnung gegeben,“ antwortete Christina den Versuchern, „denn es ist Zeit, daß ich mich zum wahren Leben, das Christus ist, bekehre.“ — Enttäuscht begannen nun die Versucher Christina zu quälen, indem sie dieselbe mit Haken zerfleischten. Christina achtete dies alles gering, ging, wiewohl ihre Wunden bluteten, morgens zur h. Kommunion und wurde alsbald entrückt.
Die folgende Fastenzeit brachte eine Prüfung neuer Art. Der Heiland, der Christina in mannigfacher Weise schon die Präge seiner Aehnlichkeit aufgedrückt hatte, ließ sie vom ersten Fastensonntage bis zum Gründonnerstage das Leiden stellvertretender Buße für die Sünden der Menschen durchmachen. Wie die öffentlichen Sünder am ersten Fastensonntage aus dem Heiligtum des Gotteshauses verwiesen wurden, um am Orte der Büßer Sühne für ihre Vergehungen zu leisten, und erst am Gründonnerstage wieder zur Gemeinschaft der Gläubigen Zulaß erhielten, so wurde Christina in genannter Zeit der tröstlichen Gegenwart ihres Bräutigams gänzlich beraubt und ihre Seelenfreude in Trauer und Trockenheit verwandelt. Sie war wie ausgeschlossen aus dem Herzen ihres Bräutigams. Trotzdem unterließ sie nichts von ihrem Gebete, hielt an in stetem Wachen und kämpfte mit mannhafter Stärke gegen alle Anfechtungen. Zur Trostlosigkeit gesellten sich vom zweiten Sonntage an auch noch besondere Versuchungen. Der Fürst der Finsternis liebt es ja, sich als Engel des Lichtes aufzuspielen. In Gestalt der beiden Dominikaner, denen Christina das meiste Vertrauen schenkte, des Petrus von Dazien nämlich und des Gerhard vom Greif, kamen zwei böse Geister nachts zu Christina, quälten sie mit allerlei Behauptungen, suchten sie von der Verkehrtheit ihres Lebens zu überzeugen und rieten ihr, einen andern Wandel anzufangen. Wiewohl Christina bei Anbruch des Tages die Täuschung erkannte, so war es ihr doch immer wieder in den folgenden Nächten so, als ob jene beiden Brüder wirklich ihr Vorhaltungen machten. Sie kamen nämlich in jeder Nacht [121] wieder, brachten immer neue Gründe vor, um sie irre zu machen, und da sie standhaft blieb und sich zum Gebete wandte, wurde sie auf grausame Art gequält. Bald war es flammendes Feuer, bald siedendes Pech, dann Schwefel, das sie vom Gebete abschrecken sollte. Dann wurde sie mit Steinen zermalmt, dann mit einem Beile zerhackt und in der Nacht vor Gründonnerstag mit Lanzen zerstochen. Zweimal ging sie in dieser Zeit zur h. Kommunion, empfing aber keinerlei Tröstung. Ihr liebstes Gebet war in diesen Heimsuchungen der 87. Psalm: „Domine Deus salutis meae. Herr, Gott meines Heiles, Tag und Nacht ertönt mein Wehklagen vor Dir“, der so recht ihre Verlassenheit und Seelenpein zum Ausdruck bringt. Nicht mehr war in dieser Zeit der Name des himmlischen Bräutigams auf ihren Lippen; sie nannte ihn nur ihren geliebten Vater. Alle Betrachtungen und Unterredungen und Gebete Christinas waren während dieser ganzen Fastenzeit nur ein Widerhall dessen, was in der h. Messe oder im kirchlichen Stundengebet aus den Propheten oder Evangelien über das Leiden des Herrn gelesen wurde. Am Morgen des Gründonnerstages, dem Ende der Bußzeit, wurde Christina in der Verzückung wiederum ins himmlische Brautgemach eingeführt, erhielt Vergebung der Sünden, wurde der Anschauung ihres Bräutigams gewürdigt und mit seliger Wonne erquickt. Vom Abende des Gründonnerstages bis zum Karsamstage sonderte sich Christina gänzlich vom Verkehr mit den Menschen ab und zog sich in ihr Kämmerlein zurück. Alle Marter, die der Herr am Karfreitag erduldet, erneuerte sich der Reihe und Zeitfolge nach an Christina. Gegen drei Uhr war sie im Todeskampf; die Seite öffnete sich, das Herz schien zu brechen und um drei Uhr hauchte sie aus. Sie lag da wie eine entseelte Martyrin, ihre Seele aber wurde gewürdigt zu verkosten, wie groß die Liebe Christi gewesen, die ihn bewogen hatte, für uns zu sterben. Am Karsamstage leuchtete aus Christinas Blick himmlische Seligkeit hervor, ihr Antlitz strahlte wie das eines Engels, ihr ganzes Aeußere war wie verklärt. Sie war mit Christus auferstanden. Fröhlich und jubelnd ging sie am Ostermorgen zur Kirche, empfing die h. Kommunion, wurde alsbald entrückt und mit überströmender Wonne erfüllt.
In der dritten Woche nach Ostern nahte Christina wiederum dem Tische des Herrn, hatte aber in der vorhergehenden [122] Nacht Störung im Gebete verbunden mit Quälung durch Pfriemenstiche zu erleiden.
Freitag der darauffolgenden Woche (24. Mai) vollendete Magister Johannes das Schreiben an Petrus, dem vorstehende Mitteilungen größtenteils entnommen sind, bittet gegen Schluß desselben den Petrus, er möge für Christina, ihrem Wunsche entsprechend, das Lob- und Dankopfer darbringen und auch das versprochene Buch ihr baldigst zugehen lassen. Gemeint ist die Fortsetzung des ersten Buches der Jülicher Handschrift, in dem Petrus, ohne Christina mit Namen zu nennen, im Anschluß an dreiundvierzig, in leoninische Hexameter gefaßte, dem Buche vorangestellte Leitsätze das Ideal einer gottseligen Jungfrau schildert, unter anderem ihre Züchtigkeit im Blick, ihre Klugheit in der Rede, ihre Frömmigkeit im Werke, die Innigkeit ihrer Gottesliebe, ihre Herzensgüte im Umgang, ihre Enthaltsamkeit im Genusse von Speise und Trank, ihre Bescheidenheit im ganzen Benehmen hervorhebt und ihre Fasten, Nachtwachen, Leiden, Kämpfe und Triumphe feiert.
Magister Johannes hatte den Anfang des Buches, den er bereits von Petrus erhalten hatte, der Christina vorgelesen und erklärt. „Sie hat sich dadurch,“ so schreibt Johannes an Petrus, „gar sehr erbaut und mit solcher Herzenseinfalt zugehört, daß sie sich über Euch nicht genug wundern konnte, warum Ihr von dieser Euerer geistlichen Tochter ihr nie etwas gesagt hättet.“ In ihrer Demut kam es ihr nämlich nicht in den Sinn, daß von ihr selbst im Buche die Rede war.
Am Mittwoch nach Apostel-Teilung (17. Juli 1280) ging ein neues Schreiben von Magister Johannes und Christina an Petrus, das verschiedene Mitteilungen über Christinas innere Erlebnisse enthält, vornehmlich aber die Aufnahme Sigwins, des Bruders Christinas, in den Dominikanerorden bezweckte.
Wir entnehmen demselben, daß Christina am Vorabende von Christi Himmelfahrt, als sie nach der Beichte in der Kirche allein zurückblieb, um dem Gebete obzuliegen, darin wieder vom Versucher durch Lärm und Getöse gestört wurde, ihre Verachtung gegen diese Versuchung aber dadurch bekundete, daß sie anfing mit lauter Stimme zu singen. Magister Johannes, welcher in der an die Kirche anstoßenden Klause damals seine Wohnung hatte, öffnete das in die Kirche Einblick gewährende [123] Fenster und beobachtete den ungewohnten Vorgang. Am Feste der Himmelfahrt unseres Herrn empfing Christina die h. Kommunion, wurde entrückt, verkostete einen Vorgeschmack der Himmelsseligkeit und wiederholte im Seelenjubel gar oft den Vers des Psalmes: Ascendit deus in iubilatione — Der Herr ist aufgefahren unter Jubelsang. — Dem Briefe des Magisters Johannes fügte Christina am Schlusse folgende Bitte bei:
„Im Uebrigen bitte ich Euch, geliebtester Vater und Herr, bei der Treue und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, in der ich Euch liebe und mich auch freue, von Euch wiedergeliebt zu werden, Ihr wollet aus meinem Herzen alle Besorgnis wegräumen und meiner Seele volle Freiheit verschaffen, indem Ihr bezüglich meines Bruders dem Wunsche, den ich Euch bei Euerer Anwesenheit hierselbst, leider nicht nachdrücklich genug, kundgegeben und den ich in meinem letzten Schreiben inständigst in Erinnerung gebracht habe, wie ich zuversichtlich hoffe, zu entsprechen Euch bestrebt. Ich darf Euch nicht verhehlen, daß seit Euerer Abreise dieser auf das Seelenheil meines Bruders gerichtete Wunsch immer lebhafter geworden ist. Ich befürchtete nämlich, sein jugendlicher Sinn könnte ihn, der jetzt noch heilsamen Ratschlägen ein williges Ohr leiht, weltlichem Treiben zuführen und so, was Gott verhüten möge, sein Seelenheil in Gefahr bringen. Deshalb bitte ich Euch, geliebtester Vater und Herr, recht herzlich bei der Treue und Liebe, die uns miteinander verbindet, Ihr möget womöglich bei der ersten besten Gelegenheit die Erlaubnis nachsuchen, baldigst in unsere Gegend kommen zu dürfen. Solltet Ihr aber für Euere Person diese Erlaubnis nicht erlangen können, so wollet durch befreundete Ordensbrüder oder durch vertrauenswürdige Boten meinen Bruder wissen lassen, was er tun soll oder wie er zu Euch gelangen soll. Sollte man aber nicht sonderlich geneigt sein, meinen Bruder in den Orden selbst aufzunehmen, weil er ein Laie ist und wenig geeignet dazu, so wollet doch dafür Sorge tragen, daß er dem h. Ordensleben in irgend einem Orte angeschlossen werde, aber in der Nähe Euerer Stadt, damit Ihr ihn, den Fremdling und Ausländer, in väterlicher Liebe mit frommem Zuspruch im Dienste Christi mitunter bestärken könnt.
Es erübrigt mir, teuerster Vater, Euch von ganzem Herzen für die mir unwürdigen durch soviele Wohltaten an Leib und Seele erwiesene Güte zu danken. Da ich jedoch nicht im Stande bin, Euch Euere Güte entsprechend zu vergelten, so bitte ich flehentlich Denjenigen, dem zu Liebe Ihr das Alles getan habt und noch tut, er möge selbst Euer übergroßer Lohn sein.
Es grüßt Euch Johannes, der Lehrer (rector) der Knaben, der mir allerwegen besondern, vertrauten und treuen Beistand leistet. [124] Auch bitte ich, teuerster, zugleich mit Magister Johannes recht dringend, Ihr wollet, sofern Ihr wünscht, er solle Euch schreiben oder da bleiben, wo er jetzt ist, das uns versprochene Büchlein mit den weitern Darbietungen, die Ihr zu unserer Erbauung oder Tröstung geeignet erachtet, uns möglichst bald zugehen lassen. Magister Johannes hat mir den Teil davon, den wir hier haben, zweimal vorgelesen und ich muß Euer Liebden gestehen, daß ich nie etwas gehört habe, was mir solche Freude bereitet hat. Auch wundert es mich gar sehr, daß Ihr mir von dieser Euerer Tochter oder Freundin nie etwas gesagt habt, obschon Ihr doch seit langer Zeit mit mir befreundet seid.
Es grüßt Euch auch mein Bruder Sigwin; betet doch für ihn zu Gott. Desgleichen Hilla vom Berge mit allen Euern Freundinnen; sie bitten, Ihr möget für sie beim Herrn Fürsprache einlegen. Grüßet auch, wenn Ihr könnt, den Bruder Folkwin und saget ihm, er solle für uns alle zu Gott beten.“
Weil Christina in ihren Briefen öfter von der Liebe und Freundschaft sprach, die sie mit Petrus verband, so setzte Petrus in seinem Antwortschreiben die Gründe der wahren, in Gott gegründeten Liebe auseinander, die auch bei räumlichem Getrenntsein keinerlei Einbuße erleidet. Den Freund, so führt er schließlich aus, sollen wir in Gott und den Feind um Gottes willen lieben. So sei auch Christus für alle Menschen, auch für seine Feinde gestorben. Wiewohl nun aber der Tod des Herrn hinreichend gewesen sei, um Freunden und Feinden Erlösung zu bringen, so hätte er sie doch in Wirklichkeit nur den Freunden gebracht. Wie daher hinreichende und wirksame Gnade nicht in der Bemessung des Spenders, sondern in der Bewertung des Empfängers den Grund ihres Unterschiedes hätten, so sei auch Christi Tod von verschiedenem Werte gewesen für seine Freunde und für seine Feinde.[48]
In einem Briefe, den Petrus erst im Jahre 1282 erhielt, der aber viel früher, nämlich nach Allerheiligen 1280, geschrieben wurde, berichtet Magister Johannes unter anderm, daß Christina vom 5. Juli ab, an welchem Tage die Seele des Pfarrers Johannes aus dem Fegfeuer befreit wurde, bis zum Feste der [125] h. Maria Magdalena ununterbrochen große Tröstung und Wonne des Herzens verkostet habe. Sie sei während dieser Zeit sehr oft in Verzückung gekommen und in die Geheimnisse ihres göttlichen Bräutigams derartig vertieft gewesen, daß sie ihn, den Magister Johannes, wenn er mitunter in ihre Wohnung oder in ihr Kämmerlein eingetreten, nicht einmal bemerkt habe, obschon sie den Spinnrocken in der Hand hielt und recht fleißig spann oder sonst eine Handarbeit verrichtete. Und obschon er sie mehrmals angeredet habe, so hätte sie doch nichts von dem gehört, was er gesagt, bis sie aus der Entrückung gänzlich zurückgekehrt gewesen.
In den drei Nächten, die dem Freitage vor Mariä Geburt vorangingen, also vom 4.-6. September, hatte sie verschiedenartige Qualen zu leiden, jedoch nicht sichtbarer Weise, sondern nur innerlich im Geiste. Es war ihr, wie wenn Donner und Blitz ihr Herz bestürmten. Da sie sich nicht darüber klar war, ob der böse Feind der Urheber der Quälereien sei, beschwor sie in der dritten Nacht, als die Plagen aufhörten, deren Urheber mit den Worten: „Ich beschwöre euch, ihr bösen Geister, im Namen des Herrn Jesus, daß ihr bekennet, ob dies alles durch euere Bosheit geschehen ist?“ Darauf erfolgte die Antwort: „Dienerin des allmächtigen Gottes, wir alle sind böse Geister, tausend an der Zahl; mit Zulassung des Allmächtigen haben wir dir diese Qualen unsichtbarer Weise zugefügt, um dich vom Gebete abzuhalten.“ Am folgenden Tage, dem Freitage vor Mariä Geburt, ging Christina zur Kirche, empfing den Leib des Herrn, kam in Verzückung, in der ihre Seele nach dem Maße der überstandenen Schmerzen die Wonne der göttlichen Tröstungen zuteil wurden (Psalm 90, 19).
Es begab sich in der dritten Nacht nach Mariä Geburt, daß Christina mit ihrem Bruder Sigwin und einem andern Manne geschäftshalber nach Cöln reiste. — Ihr Bruder fuhr einen Karren mit Weizen. — Als sie nun nicht mehr weit von Cöln waren, aber erst Mitternacht vorbei war, spannten die beiden Männer die Pferde aus, ließen sie auf die Weide gehen ... und legten sich zum Schlafe nieder. Christina aber stieg auf den Karren, setzte sich auf die Säcke und hielt Wache, doch gar bald kam der Karren derart ins Wanken und Schwanken, daß Christina sich gezwungen sah, abzusteigen. Sie kniete nun auf die Erde nieder und hub an [126] zu beten. Und siehe da, ein Wolf stürzte auf sie los mit funkelnden Augen und fletschenden Zähnen, wie wenn er sie hätte verschlingen wollen. Sie aber erachtete dies für teuflische Gaukelei und fuhr fort zu beten, ohne auch nur zu zucken. Da stürzte sich der Wolf auf Christinas Bruder, und es erscholl ein klägliches Geschrei wie aus dem Munde Sigwins, damit Christina glauben sollte, er würde erwürgt. Dann lief er auch auf die Pferde zu und griff diese an. Und bald kam ein ganzes Rudel Wölfe, fraß anscheinend die Leichen Sigwins und der Pferde und erfüllte die Luft mit wildem Geheul.
Wir glauben diesen visionären Vorgang mitteilen zu sollen, weil er Veranlassung geworden, am Nordportal des Cölner Domes die selige Christina mit einem Wolfe darzustellen.
Im Herbste desselben Jahres trafen neue Schicksalsschläge Christina und ihren Bruder Sigwin. Die Eltern Christinas waren infolge einer Bürgschaft, die ihr Vater für einen Christen einem Juden gegenüber übernommen hatte, um ihre Habe gekommen. Nur der ausverkaufte Gutshof mit dem eingestürzten Wohnhause scheint ihnen geblieben zu sein. Durch Christinas Bemühungen wurden jedoch die Verhältnisse wieder geordnet, wenn auch noch Schulden zu tilgen waren. Sigwin scheint Ländereien gepachtet zu haben, und unterstützt von Christina führte er wieder Ackerwirtschaft größeren Stiles. Christina durfte so hoffen, bald alle Schulden beglichen zu sehen und dann, aller weltlichen Sorgen ledig, ungestört der Pflege des innern Lebens sich hingeben zu können. Doch es sollte durch Gottes Fügung anders kommen. „Der Herr,“ so schreibt Magister Johannes, „hat seine Hand ausgestreckt und die fünf Pferde, die sie hatten, mit schwerer Seuche heimgesucht. Als die Ernte kaum unter großer Arbeit eingeheimst war, hat er zur allerschlimmsten Zeit, wo nämlich die Aecker zur Saat bestellt werden mußten, alle fünf Pferde an plötzlichen Erkrankungen eingehen lassen. In Zeit von drei Wochen wurden sie alle, und zwar zwei an einem Tage, dann eines allein und darauf wieder an einem Tage die beiden übrigen abgedeckt. Infolge dessen befindet sich Euere Tochter in mehrfacher Trübsal. Zunächst drücken sie stark die Schulden, die sie binnen Kurzem bezahlen zu können gehofft hatte. Dann ist sie auch noch immer gar sehr bekümmert wegen des Seelenheiles ihres Bruders, der jetzt die [127] Ackerwirtschaft drangeben will. Doch diese und andere Leiden erträgt sie mit Geduld, indem sie spricht: Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen; wie es dem Herrn gefallen hat, so ist es geschehen; der Name des Herrn sei gebenedeit von nun an bis in Ewigkeit.“ —
Zum Schlusse des Schreibens des Magisters Johannes ergreift Christina das Wort und spricht:
„Folgendes läßt Euere Tochter Euch melden. Ihr möget ihr eine einsame und stille Zelle besorgen mit einer Kapelle in der Nähe, in der genannter Johannes, der zum Priester geweiht werden soll, die h. Messe lesen kann ... Dann aber klage ich Euch, teuerster Vater, daß der Prior Ingeld, ich weiß nicht durch welche Versäumnis dies gekommen, mich nicht gesehen und über die Angelegenheit meines Bruders deshalb auch nicht mit mir Rücksprache genommen hat. Das verursachte mir keinen geringen Kummer. Doch wurde ich dagegen nachher auch sehr erfreut durch Euern Brief, den genannter Prior mitgebracht hatte, den ich aber erst nach seiner Abreise, am Sonntag nach Sankt Bartholomäus (25. August), erhalten habe. Bedenket, teuerster Vater, die Leiden, die ich an Seele und Leib zu erdulden habe und unterstützet mich bei Euerm ewigen Bräutigam und Freund ohne Unterlaß durch Euer Gebet. Säumet auch nicht, das im Briefe in Aussicht gestellte recht bald auszuführen. Es grüßt Euch der Herr Pfarrer, der Magister Johannes, Hilla vom Berge, mein Bruder und meine Schwester sowie Euere sonstigen Freunde. Sie bitten um Euer Gebet, namentlich aber Magister Johannes, weil er die heiligen Weihen, nämlich das Diakonat und sodann die Priesterweihe, zu empfangen wünscht.[49]
Flehet also in andächtigem Gebete zu Gott, daß, wenn es so sein heiliger Wille sei und genannter Johannes in der Demut und Frömmigkeit Fortschritte machen soll, sein Wunsch in Erfüllung gehe und der Herr seinen Sinn und all sein Tun nach seinem heiligen Wohlgefallen ordne und lenke. Wir möchten zu unserer Tröstung um Zusendung des dem Magister Johannes versprochenen Büchleins bitten, wenn wir uns nicht in Wirklichkeit mit der Hoffnung trügen, Ihr würdet persönlich zu uns kommen. Lebet wohl, teuerster Vater, und bleibet stark in der Liebe des ewigen Bräutigams Euerer Seele und Eueres trautesten Freundes. Nicht ein dürftiges Schreiben, sondern Euer persönliches Kommen, nach dem wir lange und inständig uns sehnen, möge auf diesen Brief die Antwort bilden. Nochmals, lebet wohl und freuet Euch allzeit im Herrn.“
[128] Vorstehender Brief blieb ohne Antwort, weil er erst nach nahezu zwei Jahren in die Hände des Petrus kam. Deshalb schrieb Christina im Advent 1280 abermals an Petrus, vornehmlich um ihm ihren Bruder Sigwin zu empfehlen. Das Schreiben lautet, wie folgt:
„In Jesus Christus, ihrem ewigen Bräutigam und geliebtesten Freunde, entbietet ihrem Vater und Freunde, dem Herrn Bruder Petrus, Lesemeister von Gotland, seine arme und verlassene Tochter, Christina von Stommeln, Gruß sowie unvergänglichen und vollen Trost im Herzen des Geliebten, dessen sie sich leider gänzlich beraubt fühlt.
Da ich, teuerster Vater und Herr, die vielfache Trübsal und Kümmernis meiner Seele weder durch Briefe noch durch Worte so, wie es mir ums Herz ist, auszudrücken vermag, so möge jener, der Herzen und Nieren durchforscht, Euch kundtun und Euerem Geiste Verständnis dafür und Mitleid einflößen. Ach, teuerster, welcher Güter und Tröstungen bin ich beraubt! Ach, von welchen Leiden und Aengsten bin ich umgeben! Stimme denn an deine Wehklage, o du, mein armes Herz, und seufze auf in deiner Trostlosigkeit, weil dein Heiland und Helfer ob deiner Sünden sich gänzlich von dir zurückgezogen und dich lebendig zu den Dämonen in der Unterwelt gesellt hat. Gleich erachtet bist du jenen, die hinabsinken in den See; geworden bist du wie eine Erschlagene, gleich jenen, die in den Gräbern ruhen; und deren nicht mehr mit Segensspruch gedacht wird, da sie weggewiesen sind von Gottes beseligendem Antlitze.[50] Was nun wirst du tun? Zu wem wirst du deine Zuflucht nehmen? Wer wird dich aus dieser tiefsten Unterwelt befreien? O, möchte es dir freistehen, aus Liebe zu deinem Geliebten, wiewohl er sich dir entzogen hat, zu sterben oder es dir doch vergönnt sein, deinem Schmerze freien Lauf zu lassen. Doch ach! und abermals ach! Schmerz häuft sich auf Schmerz! Denn zu alledem wirst du auch noch in die Sorgen und Kümmernisse der Welt verwickelt und so beklagenswerter Weise abgehalten, deinem Schmerze dich hinzugeben und den Verlust deines Geliebten ohne Unterlaß zu beweinen. Um das Maß deines Schmerzes voll zu machen wird dir überdies zu den vielen und unaufhörlichen Plagen auch noch von den Dämonen der Vorwurf gemacht, daß jene, die du für deine treuesten Freunde hieltest, wegen deines übelgeordneten und irrigen Lebenswandels, deiner überdrüssig sind und dich gänzlich verlassen. Wenn daher, teuerster Vater, Ihr noch Mitleid verspürt, wenn in Euerm Herzen sich noch Mitgefühl regt, so möge dieses Euch rühren und zur Teilnahme bewegen. Somit beschwöre ich Euch, teuerster Vater, bei jener Treue und Liebe, [129] vermöge der Ihr von Ewigkeit her von Gott zum engern Freundschaftsbunde ausersehen worden seid, Ihr wollet den Schmerz meines Herzens lindern und meiner Seele wieder volle Freiheit wiedergeben und deshalb bei der ersten sich darbietenden Gelegenheit ohne Verzug persönlich hieher kommen, um die schier unerträgliche Last meines Herzens zu erleichtern, besonders aber, um meinen Bruder, worum ich Euch so oft und so inständig gebeten habe, an eine Stätte zu bringen, wo er ungestört ein gottseliges Leben führen kann. Denn er ist hauptsächlich Gegenstand all meiner äußern Besorgnis. Ich sagte aber, Ihr möchtet persönlich kommen, weil mein Bruder sich nicht so sehr aus eigener Neigung, als infolge von Belehrung und gütlichem Zureden zum Ordensleben hingezogen fühlt und deshalb einem Fremden wohl nicht so bereitwillig folgen möchte als gerade Euch.
Wohlan denn, teuerster Vater, von ganzem Herzen danke ich Euer Liebden für alle und jede Wohltaten, die Ihr mir so väterlich erwiesen habt, und abermals bitte ich flehentlich im geliebten Herzen des vielgeliebten Bräutigams und Freundes, in dem wir uns einander aufrichtig lieben, Ihr wollet doch, getreu Euerer bisherigen Gepflogenheit, in diesem meinem Anliegen, das gleichsam Ziel und Anfang all meiner Besorgnis ist, mir Euern Liebeserweis weder versagen noch ihn hinausschieben, um nicht durch Zögern mein Herz, anstatt es zu erfreuen, über die Maßen zu betrüben und den Gewinn, den Ihr an meinem Bruder erzielen könnt, durch Hinausschieben gänzlich in Frage zu stellen. Denn es liegt auf der Hand, daß mein Bruder, so lange er noch in Demut Rat anzunehmen gesonnen ist und sich nach Euerer Ankunft sehnt, durch Euern Rat und Beistand zum Hafen des Heils geführt wird oder aber, zum bittersten Schmerze und Leidwesen meines Herzens, von den Nichtigkeiten der Welt, die jetzt sein Seelenheil in Gefahr bringen, betört, heilsame Ratschläge von sich weisen und in den Abgrund des Lasters versinken wird. Es liegt auch noch ein anderer Grund vor, weshalb ich gar sehr nach Euerer Ankunft verlange. Magister Johannes, der bereits zum Diakon geweiht worden ist, soll, wie ich mit Sicherheit annehme, an den kommenden Quatembertagen die Priesterweihe erhalten. Die Zahl seiner Schüler hat aber derartig abgenommen und ist so gering geworden, daß er Mangel am nötigen Lebensunterhalt hat und deshalb an seiner bisherigen Stelle nicht mehr bleiben kann. Sollte er nun wegziehen, so können Euer Liebden leicht ermessen, daß dies mir mehr Schmerz verursachen würde als der Tod irgend eines mir Nahestehenden. Deshalb hegt besagter Johannes gleich mir das sehnlichste Verlangen nach Euerer Ankunft, damit Ihr meinen Bruder mitnehmet und auch mir raten möget, was wir tun und wohin wir gehen sollen. Deshalb bitte ich nochmals und [130] abermals flehentlich: Kommet doch. Lebet wohl, teuerster Vater, und betet recht inständig und herzlich zu Euerem Freunde für Euere schwer geprüfte und trostlose Tochter. Johannes läßt Euch sagen, daß er manches über Christi Wunderwerke aufgeschrieben hat. Wenn Ihr es zu haben wünscht, so empfiehlt es sich, daß Ihr möglichst bald kommt. Lebet wohl und bleibet stark in der Liebe Christi!“
Diesen Brief erhielt Petrus im Herbste 1281, als er zum Provinzialkapitel in Skeninge weilte. Sogleich besprach er sich bezüglich der Anliegen Christinas mit dem Prior der Insel Gotland, Bertold, der ihr eine Unterstützung im Betrage von zwölf Sterlingsschillingen (solidi sterlingorum) zuschickte und zugleich den guten Rat erteilte, ihren Bruder Sigwin nach Gotland einzuladen und seine Aufnahme in den Dominikanerorden in die Wege zu leiten. Der bereits mehrfach erwähnte Bruder Mauritius, ein Bekannter Christinas, sollte den zum Definitor des für den Frühling 1282 in Wien anberaumten Generalkapitels seitens der Provinz Dazien erwählten Bruder Johannes auf der Reise begleiten und dieser sollte, da die Reise über Cöln ging, den Sigwin mitbringen. Mauritius brachte drei Briefe nach Stommeln mit, einen Brief des Bruders Petrus für Christina, desgleichen einen Brief des Priors Bertold an Christina, in denen Christina eingeladen wird, mit Sigwin nach Gotland zu kommen, wo sie in einem Kloster der Dominikanerinnen alle Tage ihres Lebens Gott dienen könne. Sie könne dort ihr jetziges Ordenskleid beibehalten oder auch das Ordenskleid der Dominikanerinnen annehmen. „Doch,“ schreibt Petrus, „will ich Euch in dieser Sache nicht meine Meinung aufdrängen; denn ich weiß, daß Ihr den Geist Gottes habet, der Euch in allem zu belehren pflegt.“
Der dritte Brief war für Magister Johannes bestimmt und von Bruder Petrus geschrieben. Aus ihm ersehen wir, daß im Sommer 1281 die Abhandlung von den Tugenden, die das erste Buch der Jülicher Handschrift bildet, durch einen jugendlichen Cölner Bürger, Johannes von Stolzenberg, dem Magister Johannes und Christina aus Gotland war überbracht worden. Auch ein Mann von vornehmer Herkunft, Johannes, Bruder der Miliz Christi, d. h. des dritten Ordens des h. Dominikus, schrieb an Christina, er habe von seinen Eltern eine besondere Vorliebe für den Dominikanerorden überkommen und selbe auch bewahrt. Auch habe er zwei Schwestern, von denen eine, Namens Christina, bereits gestorben sei. Beide hätten [131] das Kleid der Schwestern des h. Dominikus genommen und es länger als zehn Jahre allein im Königreich Schweden getragen. Ihr Verlangen nach Zuwachs sei leider lange Zeit hindurch unerfüllt geblieben. Jetzt endlich sei mit Bewilligung des Königs von Schweden und des zuständigen Diözesanbischofs sowie des Provinzials von Dazien ein schön und günstig gelegenes Kloster gegründet worden, das er aus seinem Vermögen sowie demjenigen seines Bruders Andreas und seiner Schwestern mit Einkünften ausgestattet habe. Dahin ladet er Christina mit ihrem Bruder Sigwin ein, damit sie dort an die Stelle seiner verstorbenen Schwester Christina trete. Auch Helborgis und ihre Schwester, die beide Beginen auf Gotland waren, luden Christina zu sich ein, wobei sie bemerkten, daß sie unter Leitung der Dominikaner ständen. Der Definitor der Provinz Dazien auf dem Generalkapitel in Wien, Johannes, starb zu Wien oder auf der Reise und sein Begleiter Mauritius schrieb nun nach Cöln an Bruder Laurentius aus Dazien, der in Cöln studierte, er möge Christina wissen lassen, ihr Bruder Sigwin solle sich bereit halten, um mit ihm, Mauritius, bei seiner Rückreise aus Oesterreich zu Bruder Petrus nach Dazien zu reisen.
Auch empfiehlt er die Seele des verstorbenen Definitors Johannes in Christinas Gebet und läßt ihr danken für das h. Haupt, das sie diesem verschafft habe.
Am Feste Peter und Paul oder kurz nachher ist dann Sigwin mit Bruder Mauritius nach Dazien abgereist. Am Vorabend des h. Laurentius langten die beiden in Wisby auf Gotland an, woselbst gerade das Provinzialkapitel gehalten wurde. Die beiden überbrachten dem Bruder Petrus einen Brief Christinas, den letzten, der uns erhalten ist. Derselbe lautet wie folgt:
„Ihrem in Jesus Christus, dem süßesten Bräutigam und Freunde, geliebtesten Vater und Herrn, dem Bruder Petrus, Lesemeister auf Gotland, entbietet seine gar arme Tochter Christina von Stommeln, demütiges und frommes Gebet und was immer an Wonnevollem sich im Brautgemache des ewigen Bräutigams finden mag. Teuerster Vater und Herr, für die Güte und Treue, die Ihr mir allerorts und in allen Stücken in väterlicher Huld erweiset, jetzt aber dadurch, daß Ihr Euch für meinen Bruder so getreulich bemühtet, in ganz vorzüglicher Weise bekundet habt, kann ich Euch niemals genugsam Dank sagen. Ich bitte aber und flehe, jener süßeste Bräutigam und Freund, der gütig und getreu ist und ein überaus gnädiger [132] Belohner alles Guten, möge statt meiner es Euch vergelten. Im vollen Vertrauen auf Euere Güte und Treue lasse ich also jetzt meinen Bruder zu Euch reisen und ich empfehle ihn Euerer Liebe in Christo. Er ist aufrichtigen Sinnes, schüchtern im Auftreten und sanften Gemütes. Unter allen meinen leiblichen Brüdern und Schwestern habe ich ihn von Kindheit an besonders geliebt und ihn deshalb, da ich zuversichtlich hoffe, er werde sein ewiges Heil wirken, allzeit durch fromme Ermahnungen und gütiges Zureden zu fördern gesucht. Und nun bitte ich Euch inständig bei aller Treue und Liebe, mit der wir uns einander zugetan sind, Ihr wollet ihn, als Ankömmling und Fremdling in Euerem Lande, in Güte aufnehmen und ihm die Erweise Euerer Liebe noch mehr als mir selbst, wenn ich in Person bei Euch wäre, um Gottes willen zukommen lassen. Auch bitte ich Euch, dafür Sorge zu tragen, daß er, sofern es nur irgendwie möglich ist, in Euerem Kloster Unterkunft findet, und Ihr ihn dort gleich wie Euern Sohn behandelt, ihn wie eine zarte Pflanze durch gütiges Zureden und heilsame Lehre gleichsam bewässert und zum Ordensleben anleitet. Das ersehne und erhoffe ich nämlich mit allen Fasern meines Herzens, weil ich vor allen Menschen zu Euch ein besonderes Vertrauen habe. Sollte dieses jedoch sich nicht bewerkstelligen lassen, so bitte ich inständigst und ergebenst, Ihr wollet ihn Euerem besondern Freunde, dem Herrn Prior Bertold, und den einzelnen Brüdern jenes Klosters getreulich anbefehlen und denselben ans Herz legen, daß sie ihn liebevoll aufnehmen, durch gütiges Zureden und trauliche Unterredungen ihn zum Guten anleiten und seinen Sinn weiter ausbilden; denn seine Gemütsart erheischt Ermunterung zum Guten und liebevollen Zuspruch. Und weil ich vor allen übrigen Orden dem Predigerorden in aufrichtiger Liebe und besonderer Ergebenheit zugetan bin, so bin ich voller Freude und Wonne darüber. daß mein Bruder in denselben Aufnahme findet. Deshalb bitte ich Euch, Ihr wollet doch diesen meinen Bruder in keinem andern Orden als demjenigen Euerer Brüder unterbringen und dafür sorgen, daß er von den Brüdern mit solchem Wohlwollen behandelt wird, daß nicht die fremde Gegend, die immerhin schwerdrückende Entfernung von der Heimat und die Strenge der Ordenszucht ihm Ueberdruß verursachen, ihn mutlos machen und, was Gott verhüten wolle, in die Heimat zum größten Schmerze meines Herzens zurücktreiben ... Abermals bitte ich recht herzlich, Ihr wollet zu meines Herzens großer Freude mir recht bald schreiben und mir im Einzelnen mitteilen, wo, wie und wann mein Bruder in Euern Orden aufgenommen worden ist und wie es ihm auf der Reise ergangen. Aber auch noch einen andern Wunsch habe ich, daß Ihr ihn nämlich im Ordenskleide der Predigerbrüder hierher führet. Denn nichts könnte mich, sofern es Gottes Wille sein sollte, so sehr bewegen und bestimmen, [133] in Euerem Lande meinen Aufenthalt zu nehmen. Geschrieben am Tage der Apostel Petrus und Paulus. Lebet wohl für immer.“
Am 9. August 1282 kam Sigwin, von Bruder Mauritius geführt, in Wisby an. Sie brachten auch ein Heiligenhaupt mit, das Christina für den inzwischen verstorbenen Definitor Johannes in Cöln besorgt hatte, wofür Petrus später seinen Dank ausspricht. Petrus besprach sich sofort in Wisby mit dem dort zum Provinzialkapitel weilenden Prior Bertold, und Sigwins Aufnahme in den Dominikanerorden wurde beschlossen. Bereits am Tage des h. Bernard (20. August) wurde er wahrscheinlich in Schöningen eingekleidet und erhielt den Namen Gerhard, weil der Name Sigwin in dortiger Gegend nicht gebräuchlich war. Bruder Petrus konnte in einem Briefe, den er vor dem Provinzialkapitel des Jahres 1283 an Christina schrieb, nur Gutes über ihren Bruder melden: Er sei gesund an Leib und Seele und von Gott und den Menschen geliebt. „Unsere Brüder,“ schreibt Petrus, „die ihn kürzlich sahen und lange Zeit mit ihm zusammen waren, haben mir erzählt, er sei Kellermeister unserer Brüder und führe dieses Amt so umsichtig, daß es allen eine wahre Freude sei. Auch sagten sie, er sei gottselig und eifrig besorgt, unsere Ordenssatzungen zu beobachten. Dafür, Teuerste, schuldet Ihr Gott innigsten Dank. Jetzt will ich, was ich bisher nicht wagte, Euch die Wahrheit gestehen. Wider Erwarten nämlich ist die Sache gelungen; denn, wenn Ihr wüßtet, wieviel hin und her überlegt wird, wenn es sich um die Aufnahme von Laienbrüdern in unsern Orden handelt, so würdet Ihr es für ein Wunder oder doch für einen besonderen Hulderweis Gottes erachten, daß Euer Bruder unter Unbekannten so schnell in den Orden aufgenommen worden ist.“ Vom Provinzialkapitel des Jahres 1284, dem Petrus als Prior von Wisby beiwohnte, erhielt Christina die weitere fröhliche Nachricht, daß ihr Bruder, wie es von jeher ihr sehnlichster Wunsch gewesen, unter die Leitung des Petrus komme. Noch vor dem Winter des Jahres 1284 wurde er ins Kloster zu Wisby versetzt, wo Petrus Prior war. Im Jahre 1287 war er aber wieder in einem andern Kloster. Denn Petrus meldet der Christina, ihr Bruder befinde sich sehr wohl und sei Gott und den Menschen wohlgefällig. Alle Ausgaben der Brüder seines Klosters gingen durch seine Hand und seien seiner Verwaltung übergeben. Auch habe er ihm geschrieben, [134] es sei ihm sehr lieb, in dem Kloster zu verbleiben, in dem er sich jetzt befinde. Im Herbste 1287 jedoch starb Petrus und Bruder Folkwin, der am 9. September Christina die Trauerbotschaft meldete, stellte einen baldigen Besuch Sigwins in Stommeln in Aussicht. Weitere Nachrichten über Sigwin fehlen.
[135] Wie die Sonne nach ihrem Aufgange am Morgen sich allmählich immer höher erhebt und bei ihrem Hinaufsteigen immer mehr Licht ausstrahlt und immer mehr Wärme verbreitet, bis sie am Mittage in vollster Pracht und Herrlichkeit in der Höhe des Firmamentes erglänzt, so machte auch Gottes treue Dienerin Christina von Jahr zu Jahr, ja von Tag zu Tag immer größere Fortschritte in der Erkenntnis und Liebe Gottes. Und weil sie Gott liebte, deshalb war ihr Herz auch von aufrichtiger Liebe zum Nächsten erfüllt, der ja Gottes Ebenbild in sich trägt und zur ewigen Seligkeit berufen ist. In zweifacher Hinsicht betätigte sie vorzugsweise die Tugend der Nächstenliebe, in der Sorge um die Bekehrung der Sünder und im Erbarmen mit den armen Seelen im Fegfeuer.
Christus ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was veloren war. Es darf uns daher nicht wundern, daß Christina, an der immer mehr die Präge Christi hervortrat, ganz besonders auf die Rettung der armen Sünder bedacht war. Der Versucher gestand ihr einmal, daß er die Länder durcheile und aus allen Ständen viele Seelen sich erwerbe. Sie aber raube ihm jene wieder, die er schon in seinem Besitz zu haben gewähnt. Sie bot sich nämlich als Schlachtopfer der Gerechtigkeit Gottes dar für die Sünden anderer, um Gottes Zorn zu beschwichtigen und den Sündern Erbarmung und Bekehrung zu erwirken. So lesen wir von ihr im dritten Buche der Jülicher Handschrift, daß in der Nacht vom 12. auf den 13. Januar 1284, als sie sich für den folgenden Tag auf den Empfang der h. Kommunion vorbereitete, ein böser Geist, der sie bereits seit zwei Jahren des öftern mit einem Dreizack [136] gemartert hatte, sie jetzt mit einem eisernen Haken, der zwei umgebogene Spitzen hatte, zerfleischte. Dieser böse Geist war immer stumm gewesen und Christina hatte nie die Kraft gehabt, ihn zur Rede zu stellen. Vom Herrn bestärkt sprach sie aber jetzt zu ihm: „Ich beschwöre dich in Kraft des Leidens meines Herrn Jesus Christus, daß du mir gleich sagest, weshalb du mich schon so lange und so heftig gequält hast?“ Jener erwiderte: „Nicht deinetwegen habe ich dies getan. Vom Allerhöchsten werde ich gezwungen, dieses zu tun, weil du ein so großes Verlangen hast, für die Sünden anderer zu büßen.“ In der Fastenzeit desselben Jahres hatte sie gar schreckliche Qualen zu erdulden, kam auch bei der h. Kommunion nicht in Verzückung, wurde aber am Abend des Freitags der ersten Fastenwoche über den Willen Gottes bezüglich der Leiden, die ihrer noch harrten, belehrt. Wozu diese Leiden dienten, das zeigte sich in den beiden Nächten der Karwoche, die dem Gründonnerstage vorangingen. In der Nacht vom Dienstag auf den Mittwoch schlangen sieben Teufel ihr eine glühende Kette um den Leib und schleppten sie aus ihrem Kämmerlein durch Disteln und Dornen in eine weit entlegene Gegend bis an einen großen Wald und sprachen dann zu ihr: „Siehe, Elendeste, in diesem Walde hausen sieben Räuber, die uns zu Willen sind, schon viele Mordtaten vollbracht und nicht wenige Seelen zu uns in die Hölle befördert haben. Wofern du nicht deinen Sinn änderst, so schleppen wir dich in den Wald hinein, schlagen ringsum eine Anzahl Bäume nieder, lassen aber einen stehen, an dem wir dich anbinden werden, locken alsdann durch unser Geschrei die Räuber herbei, die dich in deiner schmachvollen Lage sehen sollen, um dann mit uns und den Räubern in die Hölle zu fahren.“ Mutig entgegnete Christina: „Sparet euere Drohungen und tut, was euch vom Herrn befohlen ist.“ Wütend stürzten nun die Teufel auf sie los, schleppten sie in den Wald, erfüllten denselben mit furchtbarem Geheul, hefteten Christina mit der Kette an einen Baum und sprachen dann höhnend: „Nun rufe deinen Bräutigam an, deinen Herrn und Helfer.“ Christina aber sprach: „Mein Herr Jesus Christus wird mich nicht verlassen; euch Lügengeister aber wird die ewige Qual verschlingen.“ Die Teufel wichen nun zurück. — Vom ungewohnten Getöse aufgeschreckt waren aber unterdessen die Räuber herbeigekommen und sie hörten das standhafte Wort der Jungfrau. [137] Mit neugieriger Scheu traten sie an den Baum heran, an den Christina angekettet war. Diese war aber derartig zugerichtet, daß die Räuber nicht wußten, ob sie ein menschliches Wesen vor sich hatten oder nicht. Auf ihr verwundertes Ausrufen, was denn los sei, und ob das etwa ein menschliches Wesen sei, was da hänge, sagte Christina, die bösen Geister seien hier im Spiele. „Ich aber,“ so fuhr sie fort, „bin wahrhaft ein Mensch von katholischem Glauben und zwar ein weibliches Wesen. Wisset aber, daß ich durch mich selbst in so großer Folter nicht mehr leben könnte; aber mein Herr Jesus Christus, der für mich gestorben ist, er ist mein Leben, mein Heiland, mein Schutz. Und weil ich in ihm lebe, so verschmachte ich nicht in den Leiden und verliere darin nicht mein Leben; denn er lebt in mir und redet aus mir und beschützt mich überall.“ Darüber erstaunten die Räuber und sprachen: „Wir kennen gar nicht diesen großen Gott und Herrn, der dir in so großen Leiden das Leben erhält, und wir glauben niemals, daß es nach diesem Leben noch ein anderes Leben gebe. Darum haben wir uns nicht gescheut, unsere Hände zu allen Freveltaten auszustrecken. In dieser Nacht aber haben wir so schreckliche Dinge gesehen und gehört, daß wir vor Angst fast vergangen wären.“ Christina aber erwiderte: „Es gibt einen wahren und allmächtigen Herrn Jesus Christus, der sich herabgelassen hat, für das Heil des menschlichen Geschlechtes am Kreuze zu sterben, der aber am dritten Tage wieder auferstanden ist und gen Himmel aufgefahren. Er ist das Leben aller, die einen gottseligen Wandel führen; er ist ein Helfer und Beschützer aller, die auf ihn vertrauen. Er wird auch denen, die an ihn glauben und ihm treu dienen, selige Unsterblichkeit schenken. Es gibt aber auch ein anderes, nie endendes, unseliges Leben, das eher Tod als Leben genannt zu werden verdient. Dieses ist für die Gottlosen und die Sünder bestimmt. Es ist die schreckliche Finsternis, in der häßliche und schreckliche Dämonen wohnen. Ihrer Gewalt werden diejenigen, die sich nicht zum Herrn bekehren wollen, sondern in ihrer Bosheit verharren, nach diesem Leben überliefert, um von ihnen mit unerträglichen Qualen ohne Erbarmen gepeinigt zu werden.“
Diese Worte machten Eindruck auf die Räuber und sie sprachen: „Wenn das wahr ist, was du sagst, was wird dann aus uns werden? Denn wir sind Mörder und Räuber, und [138] wenn wir schon dem Namen nach katholisch sind, so haben wir doch Gott weder erkannt noch gefürchtet. Vor mehreren Jahren haben wir uns zusammen getan und unsern Aufenthalt in diesem Walde genommen, der über sechzehn Meilen breit und über dreißig Meilen lang ist. Hier haben wir viele Mordtaten und alle möglichen Arten anderer Greueltaten vollbracht. Wie können wir demnach noch hoffen, Rettung zu finden?“ Die Jungfrau erwiderte ihnen: „Verzweifelt nicht, sondern bekehrt euch zum Herrn Jesus Christus, dem Vater der Erbarmungen, und bereuet euere Sünden von ganzem Herzen. Er ist gnädig und überaus barmherzig, und alle euere Sünden wird er euch vergeben, wenn ihr wahre Buße tun und in Zukunft die Sünden meiden wollet.“ Sie aber entgegneten: „Unsere Sünden sind so zahlreich und so groß, daß wir auf Verzeihung nicht hoffen können. Denn schon viele Jahre hindurch sind wir Räuber der schlimmsten Art gewesen und vor keinerlei Lastern schreckten wir zurück. Da wir nun mit so schweren Verbrechen behaftet sind, wie können wir uns da noch Hoffnung auf Vergebung machen?“ Darauf sprach die Jungfrau: „Wollet nicht an der Barmherzigkeit Gottes verzagen und euch nicht durch Verzweiflung in den Fallstrick des ewigen Todes stürzen; denn Gottes unermeßliche Barmherzigkeit geht weit über alle euere Vergehen hinaus. Auch die Größe eurer Sünden soll euch nicht abschrecken; denn Gottes Erbarmen ladet euch zur Versöhnung ein. Befolgt mithin meinen Rat, lasset alles Mißtrauen fahren, flehet die große Güte Gottes an und bittet um Verzeihung. Und dann gehet zu den Priestern und bekennet vor ihnen mit reumütigem Herzen in der Beicht den ganzen Wust euerer Sünden.“
Da aber sprachen sie: „Wenn wir deinen Rat befolgen und aus diesem Walde herausgehen würden, um Priester aufzusuchen, so würden wir ohne Zweifel das Leben einbüßen. Denn es gibt viele, die wegen unserer Mordtaten, Räubereien und anderer Frevel uns schon längst aufpassen, um uns zu ergreifen und uns dann dem schmählichsten Tode zu überliefern.“ Darauf sprach die Braut Christi: „Wenn ihr aus Furcht für euer leibliches Leben es nicht wagt, aus diesem Walde herauszugehen, um Priester aufzusuchen, denen ihr eure Sünden beichtet, so dürft ihr auch so durchaus nicht an der unendlichen Barmherzigkeit Gottes verzweifeln. Vielmehr in der festen Hoffnung auf Verzeihung erhebet Hände und Herz zu Gott empor und in der [139] heiligen Gegenwart seiner Majestät bekennet mit dem Munde alle euere Sünden; denn der Vater der Erbarmungen und Durchforscher der Nieren ist hier gegenwärtig und wenn er sieht, daß euere Sünden euch leid sind, so wird er euch nicht nur verzeihen, sondern euch auch von allen Widerwärtigkeiten und Gefahren gnädig befreien und euch nach diesem vergänglichen Leben mit seinen Auserwählten in der ewigen Seligkeit krönen. Um euch aber mehr Zuversicht und Vertrauen einzuflößen, so nehme ich die Last euerer Sünden auf mich und erbiete mich aufs bereitwilligste, für euch genugzutun.“ Da nahmen zwei von den Räubern, Simon und Rembold, die leibliche Brüder waren, durch Gottes Barmherzigkeit gerührt, das Wort und ermahnten ihre Genossen, dem Rate der Jungfrau zu folgen und die Sünden wahrhaft zu bereuen. Diese aber waren noch unschlüssig, fragten hin und her, wollten zunächst wissen, was es mit der Jungfrau für eine Bewandtnis habe und wie sie dorthin gekommen sei. Um nun ihre Zweifel zu heben und ihre Hoffnung auf Verzeihung zu beleben, ergriff Christina wiederum das Wort und sprach: „Es gibt eine große und berühmte Stadt, die Cöln heißt. Etwa zwei Meilen von dieser Stadt liegt ein Dorf, Stommeln genannt. Dort bin ich diese Nacht, als ich in meinem Kämmerlein betete, von den Dämonen ergriffen, unter großem Geheul in diesen Wald geschleppt und nach vielen Martern mit einer Kette an diesen Baum aufgehängt worden. Sie vermochten es aber nicht, mich zu töten, weil sie über mich nur insoweit Gewalt haben, als es ihnen von meinem Herrn Jesus Christus gestattet ist. Dieser ist mein Schützer und mein Helfer; er erhält mich am Leben; auch aus dieser Not wird er mich gnädig erretten, mich durch seine wunderbare Kraft heilen und stärken und mich an den Ort, von denn ich hierher geschleppt worden bin, wieder zurückbringen. Und das tut er, wie ich vertraue, nicht bloß dieses mal, sondern sehr oft schon hat er in ähnlichen und noch schwereren Bedrängnissen mich befreit. Er ist es, der mir die Kraft gibt, aus Liebe zu ihm zu leiden. Auch habe ich zwei Engel bei mir, die mich stärken. Ihr könnt sie freilich nicht sehen, weil die Augen eueres Geistes noch nicht hinlänglich gereinigt und deshalb hierzu noch nicht geeignet sind. Denn diese Engel sind Geister und können nur mit geistigen Augen geschaut werden. Wenn ihr aber an meinen Herrn Jesus Christus in Wahrheit glauben wollet, so [140] werdet ihr sehen, wie ich durch diese Engel von meiner Marter wunderbar befreit, euern Blicken entzogen und gleichsam in einem Augenblick in mein Kämmerlein zurückgebracht werde.“
Als die Räuber diese Worte vernahmen, sprachen sie: „Wir staunen über die Maßen darüber, daß du aus so weitentlegener Gegend hierher geführt worden bist; denn es däucht uns, daß dieser Wald wohl an dreihundert Meilen von Cöln entlegen ist.“ Von Gottes Barmherzigkeit gerührt fielen dann die Räuber allesamt auf die Knie nieder, flehten um Verzeihung ihrer Sünden, erhoben gemäß dem Rate der Jungfrau ihre Hände gen Himmel und bekannten ihre schmachvollen Vergehen vor der Jungfrau unter Tränen. „Erbarme dich unser,“ so riefen sie, „Vater der Barmherzigkeit, und habe Nachsicht mit der Schwere unserer Sünden; denn lasterhafte Menschen sind wir und die ärgsten Sünder. Fünfzehn Priester, teils Ordens-, teils Weltgeistliche, haben wir in diesem Walde mit eigenen Händen ermordet. Dazu haben wir noch fünfzig andere Personen geistlichen Standes, Diakonen, Subdiakonen und Studierende, getötet. Hundert Mädchen und ehrbare Frauen haben wir vergewaltigt und dann umgebracht. Auch haben wir Frauen, die ihrer Niederkunft entgegensahen, ums Leben gebracht. Die übrigen Menschen aber, die wir ermordet haben, als Kaufleute, Reisende und Pilger, sind nicht zu zählen. Alle diese haben wir ausgeplündert und dann getötet, und niemanden haben wir verschont, wenn gleich er flehentlich um sein Leben bat. Was wir so an uns gebracht, haben wir vergeudet, indem wir weder das Gesetz achteten, noch Gott fürchteten, sondern nach unsern Gelüsten lebten, weil wir kein anderes Leben nach diesem Leben anerkannten.“ Als sie nun diese und ihre anderen Sünden vor der Jungfrau bekannt hatten, ermunterte diese sie, sie möchten wegen der Menge ihrer Sünden nicht verzagen, vielmehr fest im Glauben und unerschütterlich in der Hoffnung auf Verzeihung beharren; sie selbst aber wolle für sie Genugtuung leisten.
Während Christina also den Räubern zuredete, wurde ihr Leib auf einmal gar wundersam von Licht umstrahlt, im Glanze des Lichtes ehrfürchtig durch Engelshand vom Baume, an den er angeheftet war, losgelöst, vollständig geheilt, den Blicken der Räuber entzogen und unter großer Tröstung ins Kämmerlein nach Stommeln zurückgebracht.
[141] Ueberwältigt von dem hellen Lichtglanze, der ihre Augen traf, fielen die Räuber auf die Knie nieder, und als Christina vor ihnen in diesem Lichte entrückt wurde, da glaubten sie alles, was Christina zu ihnen geredet, legten alle Todesfurcht ab und machten sich auf den Weg, um Priester aufzusuchen, bei denen sie ihre Beichte ablegen könnten. Es war ja am Vorabende des Gründonnerstages. Sie wurden aber auf dem Wege von solchen, die ihnen auflauerten, ergriffen, und diese beschlossen in ihrer Habgier und Grausamkeit, sie ohne weitere Umstände und ohne gerichtliches Verhör zu töten. In dieser Not flehten die Räuber zwar nicht um Schonung, sondern nur darum, daß man ihnen Zeit gönne, ihre Sünden zu beichten. Dann wollten sie gerne sterben aus Liebe zu Christus, der ja auch für sie am Kreuze gestorben sei und der sie in vergangener Nacht so große und wundersame Dinge habe schauen lassen. Die Häscher aber spotteten ihrer und sprachen hohnlachend: „Höret, wie diese verruchten Räuber und Mörder jetzt noch Mönche werden wollen und unter dem Vorgeben der Beichte uns zu überlisten gedenken. Am Rade oder am Galgen mögen sie Profeß ablegen, und beichten und büßen mögen sie, wenn wir ihnen Pfähle durch die Weichen stoßen.“ Da sprachen die Räuber sich einander Trost zu und ermunterten sich gegenseitig, herzhaft den Tod zu erleiden aus Liebe zu Christus, der die Jungfrau in so großer Folter bewahrt und so wunderbar befreit habe, auf daß dieser ihnen in seiner Barmherzigkeit alle ihre Sünden nachlassen möge, weil sie ja keinen andern Beichtvater haben könnten. Als die Häscher dies hörten, fielen sie grausam über die Räuber her, trieben ihnen spitze Pfähle durch den Leib, hefteten sie damit an die Erde fest und brachten sie unter jammervoller Marter so zum Tode.
In der Nacht darauf, also vor dem Gründonnerstage, wurde Christina von den nämlichen bösen Geistern an die Stätte geschleppt, wo die Leichen der Räuber aufgespießt waren und höhnend sprachen die bösen Geister zur Braut Christi: „Siehe, die Seelen dieser Räuber haben wir zur Hölle hinabgeführt, und wenn du dein Leben nicht änderst, so werden wir auch dir diese Pfähle durch den Leib rennen und deine Seele in die Hölle hinabführen, wo du in Gesellschaft dieser Räuber in Ewigkeit brennen sollst.“ Christina aber erwiderte mit Unerschrockenheit: „Wozu sucht ihr Lügengeister mich durch euer [142] leeres Gerede zu erschrecken? Ich bin nämlich vergewissert, daß die göttliche Erbarmung diesen alle ihre Sünden verziehen, sie euerer Gewalt entrissen und sie in seiner Gnade der Zahl seiner Auserwählten zugesellt hat.“ Darob ergrimmten die Teufel, mißhandelten Christina, flohen aber, als diese standhaft blieb, unter Geheul von dannen, indem sie bekannten, daß sie über die Seelen der Räuber keinerlei Gewalt hätten. Christina aber wurde in großer Tröstung wieder in ihr Kämmerlein nach Stommeln zurückversetzt, feierte in gewohnter Andacht den Gründonnerstag, zog sich dann von der Außenwelt gänzlich zurück bis zum Karsamstage, wo die Spuren der Wundmale Christi, die sich am Karfreitage an ihrem Leibe erneuert hatten, noch sichtbar waren, empfing dann am Ostertage die h. Kommunion und kam allsogleich darauf in Verzückung, in der sie mit neuen Gnadengaben bereichert und mit unaussprechlicher Freude erfüllt wurde.
Zur Erleichterung der Abbüßung der Sündenstrafen der sieben Räuber erlitt Christina in der Woche vor Pfingsten jede Nacht ganz besondere Leiden, nicht sichtbar, sondern nach Weise des Fegfeuers geistig, aber doch auch körperlich fühlbar, nämlich Qualen des Feuers, das heiß war über allen menschlichen Begriff, und dazu unerträgliche Kälte und andere empfindliche Peinen, die den Tod hätten herbeiführen müssen, wenn nicht Gottes Kraft sie am Leben erhalten hätte. Vor Allerheiligen erduldete sie wiederum eine Woche hindurch die Fegfeuersqualen für die sieben Raubmörder und erhielt am Allerheiligentage, als sie nach der h. Kommunion in Entzückung gekommen, die Versicherung, daß die Seelen jener sieben am nächsten Weihnachtsfeste würden erlöst werden. Im Advent litt Christina wiederum jene schweren Leiden des Fegfeuers, aber am Weihnachtstage wurde ihr in der auf den Empfang des Leibes des Herrn eintretenden Verzückung unter anderen Tröstungen auch die unsägliche Freude zu teil, die Seelen jener sieben Räuber, von ihren Strafen befreit, vor dem beseligenden Angesichte ihres Bräutigams mit der Krone des ewigen Lebens geziert zu sehen. Jene sieben Räuber aber hießen Simon, Rembold, Hermann, Konstantin, Volmar, Vortleuv und Eckbert.
Je weiter Christina fortschritt in der innigen Vereinigung mit Gott, je vollkommener sie losgeschält wurde von allen Dingen dieser Welt, desto mehr nahm auch ihr Mitleiden [143] mit den armen Seelen zu, so daß in der letzten Hälfte ihres Lebens das Büßen für die armen Seelen ihre Lieblingsandacht wurde.
Christus der Herr hat, als er am Holze des Kreuzes hing, einen der mitgekreuzigten Schächer bekehrt und seine Seele noch am selben Abende ins Paradies eingeführt. Christina, die gewürdigt wurde, auch in diesem Punkte ihrem göttlichen Bräutigam ähnlich zu werden, bekehrte, wie wir eben gesehen, in der Karwoche 1284, als sie von bösen Geistern schmachvoll an einen Baumstamm aufgeknüpft worden war, sieben Raubmörder, erlitt für sie die Fegfeuersqualen und sah sie so am Weihnachtstage in der Herrlichkeit des Himmels. Was sie für arme Sünder der verkommensten Art, die ihr fremd waren, mit größter Bereitwilligkeit getan, das übte sie mit noch größerer Bereitwilligkeit und Hingabe für diejenigen, die ihr nahegestanden und Gutes erwiesen. Rührend ist es zum Beispiel zu lesen, wie durch ihr Gebet und durch ihr Leiden die Seele des Pfarrers Johannes von Stommeln aus dem Fegfeuer befreit wurde.[51]
Der Herr gab ihr in den Sinn, um Qual und Leid zu bitten zur Erlösung der Seele des genannten Pfarrers. Da kam in den drei Nächten vor Pfingsten 1280 durch Gottes Zulassung der böse Geist in Gestalt jenes Priesters zu Christina und sagte, er sei auf ewig verdammt. Christina aber mochte dies nicht glauben und betete also zum Herrn: „O liebster Vater und Herr, soll denn dieser dein Diener, den du mir, deiner Magd, zum dienstbereiten Freunde gegeben, und der deinen Wunderwerken gläubig frommen Sinn entgegenbrachte, auf ewig von deinem Angesichte verstoßen sein, da du doch meinem Herzen eine wahre Hoffnung und ein volles Vertrauen eingeflößt hattest, daß er selig werden würde? Was soll ich denn anfangen? Wohin soll ich mich wenden? Wenn dieser von deinem Angesichte verstoßen wird, dann wird auch meine ganze Hoffnung und mein Vertrauen zu nichte!“ — In der dritten Nacht nun bekannte jener böse Geist seine Lüge und gestand, daß er über jenen Priester kein Recht habe. Vom Pfingstmittwoche, dem 9. Juni 1280 bis zum Freitag nach Peter und Paul, den 5. Juli, dem Jahrestage des Todes jenes [144] Pfarrers, erduldete Christina für dessen Seele die Peinen des Fegfeuers in der oben beschriebenen außerordentlich schmerzlichen Weise und sie schaute dabei auch die Ursachen dieser Qualen, nämlich die verschiedenen Nachlässigkeiten, die der Pfarrer sich zeitlebens hatte zuschulden kommen lassen. Am 5. Juli kam Christina nach dem Empfange der h. Kommunion in Verzückung, wurde im Geiste in den Himmel versetzt und schaute dort im Spiegel der Gottheit den Freund, für den sie soviel gelitten, bei dem ewigen Freunde und Bräutigam.
Erschütternd ist das, was in den Offenbarungen der seligen Christina über die lange Dauer des Fegfeuers angedeutet wird. Wenn auch der Magister Johannes, der Christina die diesbezüglichen Mitteilungen bei ihrem Erwachen aus der Verzückung ablauschte, sich mitunter verhört haben mag, wenn auch die Berechnung der Jahre des Fegfeuers offenbar die Zeitdauer der für die einzelnen Vergehen festgesetzten Kirchenbuße widerspiegelt und die Verschärfung der Strafe oder stellvertretende Genugtuung eine Kürzung der Zeitdauer des Fegfeuers bedingt, so kann man sich dem Eindruck doch nicht entziehen, daß Gottes Gerechtigkeit unerbittlich jegliche Sünde straft, und wenn er auch den wirklich reumütigen Sünder nicht zur Hölle verdammt, er ihn doch für jede, auch der Schuld nach verziehene Sünde, im Fegfeuer der mißachteten Oberhoheit der göttlichen Majestät Sühne leisten läßt. Mit der langen Dauer des Fegfeuers, wie sie sich in den Offenbarungen der seligen Christina und anderer Auserwählten Gottes kundgibt, stimmt auch die Auffassung der Kirche überein, die Jahrhunderte hindurch die h. Messe für dieselben Verstorbenen darbringen läßt.
Christinas Mutter hätte sechshundert Jahre im Fegfeuer bleiben müssen, hätte Christina nicht für sie ihre Leiden und Verdienste zur Sühne angeboten. In der Nacht nach dem dritten Adventssonntage 1282 wurde Christina von den bösen Geistern auf jene Felder geschleppt, die einst ihr Vater besessen hatte, und bei jedem Stücke sprachen sie zu ihr: „Siehe, das sind die Aecker, wegen deren dein Vater in Sünden gelebt und zur Hölle gefahren ist. Wofern du dich nicht auf der Stelle bekehrst, so werden wir dich zu deinem Vater ins ewige Feuer bringen.“ Und da Christina sich an dieses Gerede nicht störte, so rissen die Teufel sie in die Höhe und ließen sie dann zur Erde [145] fallen und das wiederholten sie auf jedem Ackerfelde. Die ganze Woche hindurch wurde Christina in dieser Weise und auch noch durch Verwundungen gepeinigt. Einigen Trost hatte sie jedoch dadurch, daß sie gleich zu Anfang der Woche über die Erlösung ihres Vaters belehrt wurde und so ertrug sie diese Peinen mit Freude. In der Nacht nach dem vierten Adventssonntage wurde sie nach Nettesheim geschleppt und in den drei folgenden Nächten nach Knechtsteden und dort gefoltert. In der dritten Nacht, der h. Weihnacht, rang Christina den Teufel, der sie mit einer Lanze in den Schlamm des Klostergrabens stieß, nieder, bannte ihn fest, bis die anderen Teufel herbeikamen und flehentlich um Entlassung baten. Sie gestanden, daß ihrer zwölftausend seien, daß sie von Gott den Befehl erhalten, Christina zu foltern zur Erlösung ihres Vaters. Am Weihnachtstage wurde Christina nach der h. Kommunion entrückt und wurde gewürdigt, die Seele ihres geliebten Vaters, für den sie soviel gelitten hatte, und zugleich die Seele eines jungen Mannes, des Bruders des Magisters Johannes, vor Gottes Angesicht in Seligkeit und Herrlichkeit zu schauen. Es wurde ihr dabei auch kundgetan, daß die Seele ihres Vaters noch zwölftausend Jahre und die Seele des jungen Mannes noch viele Jahre im Fegfeuer hätten leiden müssen, wenn durch Christinas Verdienste ihnen nicht Hülfe gekommen wäre.
In der Fastenzeit des Jahres 1283 erreichte die Peinigung Christinas, was die Anzahl der bösen Geister anbelangt, ihren Höhepunkt. Sie schleppten sie zur Nachtzeit gewöhnlich in den benachbarten Wald, „Gohrbroich“ genannt, und in der Nacht vor dem Gründonnerstage sogar in das weitentlegene, von einem grausamen Volke bewohnte Friesland und folterten sie auf alle mögliche Weise. Einem schlachtgeübten Helde gleich triumphierte Christina über den ganzen Höllenschwarm, der seine eigene Ohnmacht und die Allmacht des Herrn, den Christina verehrte, bekennen mußte. Den Gründonnerstag verbrachte Christina in Tröstung. Am Karfreitage schloß sie sich in ihr Kämmerlein ein, und empfing wie üblich die Wundmale des Herrn. Am Karsamstage war sie wieder in großer Freude und nach der Kommunion am h. Ostertage wurde ihr in der Verzückung kundgetan, daß durch ihr letztes Leiden zwei Seelen aus ihrer Verwandtschaft aus dem Fegfeuer befreit worden seien, von denen [146] die eine sonst sechshundert, die andere dreihundert Jahre im Reinigungsorte hätte leiden müssen.
Nach der prüfungs- und schmerzreichen Adventszeit des Jahres 1283 wurde ihr am Weihnachtstage in der Verzückung auch die Auszeichnung zuteil, daß sie drei Seelen, für die sie so bittere Schmerzen hatte erdulden müssen, von den Strafen des Fegfeuers befreit, vor Gottes Thron erblickte. Die eine war die des Oheims des Magister Johannes, die zweite die der Großmutter Christinas und die dritte die einer Matrone aus Cöln, welche bei ihren Lebzeiten Christina besonders geliebt hatte. Gleichzeitig mit diesen wurde noch eine große Anzahl anderer Seelen aus den Qualen des Reinigungsortes in des Himmels Seligkeit eingeführt, die ohne Christinas stellvertretende Sühne noch viele Jahre im Fegfeuer wären zurückgehalten worden.
Im Juni 1284 hatte Christina eine Erscheinung. Es zeigte sich ihr die Seele eines Adeligen, der einige Tage vorher in einem Gefechte bei Aachen gefangen genommen und dann aufs Rad geflochten und getötet worden war. Er hatte mehrere Jahre in Sünden dahin gelebt, jedoch die gute Gewohnheit beibehalten, täglich zu Gott zu beten und auch sonst war er gutherzig. Er hatte das Glück, vor seinem Tode eine reumütige Beichte ablegen zu können, und so wurde seine Seele durch Gottes Erbarmen vor der Hölle bewahrt, jedoch zu den schwersten Strafen des Fegfeuers verurteilt. Die Seele dieses Mannes sah Christina in der Qual und hörte ihn mit jämmerlicher Stimme rufen: „Erbarme dich meiner, o Vater der Barmherzigkeit, und habe Mitleiden mit mir, der ich mich in so schweren und unerträglichen Leiden befinde; denn du hast mir nach deiner wunderbaren und unaussprechlichen Güte die Barmherzigkeit erwiesen, mich vor der Hölle zu bewahren. Nun flehe ich zu dir, du wollest mich auch aus dieser so schweren und unerträglichen Marter befreien.“ Christina erbot sich, für ihn zu leiden, wurde infolgedessen von einer großen Schar böser Geister zwei Wochen lang aufs grausamste gehämmert und sonstig gefoltert, erhielt dann aber am Sonntag vor Petri Kettenfeier die Versicherung, daß jenem Manne soviele Jahre von seinen Strafen erlassen worden seien, als Teufel gewesen, die sie seinetwegen gequält hätten. Dann erlitt sie nach dreitägiger Pause zwei Wochen hindurch bis zum Feste der [147] Himmelfahrt Mariens, dann wieder zwei Wochen lang vor dem Feste der Geburt Mariens und noch sechs Nächte nach diesem Feste die Qualen des Fegfeuers. Doch erst am Feste der Himmelfahrt Mariens 1285, vor dem sie abermals acht Tage hindurch die Fegfeuersmarter erduldet hatte, wurde sie in der Verzückung gewürdigt, zu sehen, wie die Seele jenes Edelmannes aus dem Fegfeuer erlöst und mit der Himmelsfreude beglückt wurde. Bei ihm befanden sich noch sieben andere Seelen von Männern, die sieben Jahre vorher, in der Gertrudisnacht 1278, beim Ueberfall Aachens durch Graf Wilhelm von Jülich, in der Stadt Aachen erschlagen worden waren, und außer diesen noch neun andere aus verschiedenen Gegenden, die, wenn Christina nicht für sie gelitten, sonst noch viele Jahre in den Flammen des Reinigungsortes hatten leiden müssen.
Zwischen Ostern und Pfingsten 1285 hatte sie die Fegfeuerspein zur Erlösung von neun armen Seelen erduldet, deren Einzug in den Himmel sie am Pfingsttage in der Verzückung schaute. Eine dieser Seelen war die eines sehr weisen und gebildeten Cölner Bürgers, der vor anderthalb Jahren gestorben war. Dieser hatte einst Christina mit einigen anderen Ordensjungfrauen in sein Haus aufgenommen, ihr Gastfreundschaft erwiesen, sich nach Tisch unbemerkt zu den Füßen Christinas niedergeworfen und sie inständigst gebeten, doch seiner vor dem Herrn zu gedenken. Seit jenem Tage hatte Christina allezeit seiner im Gebete gedacht. Ohne Christinas Hülfeleistung hätte die Seele dieses Mannes angeblich dreißigtausend Jahre zur Abbüßung ihrer Sündenstrafen im Fegfeuer bleiben müssen. Eine andere Seele war die der Mutter eines Mädchens, das mit Christina sehr befreundet war. Diese hätte hundert Jahre im Fegfeuer zubringen müssen. Zwei andere waren Seelen von Frauen aus Cöln, die vor zwei Jahren gestorben und noch dreißig Jahre hätten leiden müssen, die fünf übrigen Seelen waren solche von Knaben, die ungefähr fünfzehn Jahre alt waren.
Am Allerheiligenfeste 1285 schaute sie in der Verzückung sechs Seelen, für die sie in der vorhergegangenen Woche gebüßt hatte. Es waren Seelen von verheirateten Männern, die im selben Jahre in den Ländern jenseits des Meeres im Kampfe gegen die Ungläubigen gefallen waren. Drei davon hießen Petrus, einer dagegen Sibodo, einer Hermann und einer [148] Heinrich. Diese hätten hundert Jahre Fegfeuer zu erdulden gehabt.
Im Advent 1285 erduldete sie wiederum die Fegfeuersqualen und in der Verzückung erhielt sie am Weihnachtstage die frohe Kunde, daß vierzig Seelen aus dem Kerker der Reinigung befreit worden seien. Zwei davon waren aus Stommeln, und zwar war die eine die Seele einer Begine Hildegundis, die andere die Seele einer Witwe namens Elisabeth. Die übrigen waren aus entfernten Gegenden am Ufer des Meeres. Unter ihnen befanden sich zehn Männer, von denen drei Priester waren; die übrigen waren Frauen.
Am Lichtmeßtage 1286 wurde sie in der Verzückung durch die Erlösung dreier Seelen beglückt, von denen die eine die Seele eines bereits vor vielen Jahren verstorbenen Verwandten war, für dessen Seelenruhe sie schon lange Jahre gebetet hatte. Die beiden andern waren Seelen von zwei Frauen aus Cöln, Mutter und Tochter. Am Freitage nach Pfingsten, den 7. Juni 1286, wurde Christina nach der Kommunion entrückt und wurde getröstet durch die Erlösung von abermals drei Seelen, für die sie die Fegfeuerspein erduldet hatte.
[149] Die Gnade der Beharrlichkeit ist bekanntlich ans Gebet geknüpft. Darum versucht der Feind des Menschengeschlechtes es bis zum Aeußersten, selbst bei den Auserlesenen, daß sie vom Gebete ablassen oder es lau und lässig verrichten.
In der dritten Nacht nach Christi Himmelfahrt 1282 trat der Versucher in das Zimmer der im Gebete begriffenen Jungfrau und sprach zu ihr mit furchterregender Stimme: „Wie lange willst du, Starrsinnige, den Weg der ewigen Verdammnis gehen? Denn du, und zwar du allein, trittst mit Füßen die weisen Verordnungen der Väter und der Ordensstifter. Zur Zeit der Ruhe wachest du, betest in unnützer Weise und zur Zeit des Essens übest du Enthaltsamkeit und Fasten. Und so handelst du in allen Stücken verkehrt und erfüllst nicht Gottes Willen, sondern deinen verdammlichen Eigenwillen. Und darum wirst du vom Allerhöchsten in unsere Hand gegeben.“
Als er so gesprochen, bedrohte er sie mit grausamer Folter, wofern sie sich nicht zur Ruhe begebe und das Beten sein lasse. Christina aber sprach unerschrocken: „Mühe dich nicht vergeblich ab, böser Dämon, mich durch Lügengerede und Drohungen vom Lobe meines Herrn Jesu Christi abzubringen. Jemehr du mich davon abzukehren suchst, desto mehr bestärkst du mich darin und solltest du mir selbst meine Zunge rauben, so würde doch mein Herz und meine Seele fortfahren, den Herrn zu preisen.“ Darauf machte sich der Versucher beschämt von dannen.
Am Freitage nach St. Martin 1280 ging Christina morgens mit großer Sehnsucht zur Kirche, um die h. Kommunion zu empfangen. Da kam hinter ihr die Dienstmagd ihres in Cöln wohnenden Bruders Heinrich, die Christina hieß, auf dem Kirchweg hergelaufen, faßte sie am Kleide an und sprach: [150] „Teuerste Jungfrau, warum habt Ihr nicht auf mich gehört. Schon eine Weile laufe ich Euch nach und oft schon habe ich Euch zugerufen. Kommt doch schnell wieder um; denn ich habe Euch einen wichtigen Auftrag von Euerem Bruder mitzuteilen.“ Christina erwiderte: „Teuere Namensschwester, verzeihet mir, wenn ich Euch beleidigt haben sollte. Denn der Herr weiß es, daß ich Euch gar nicht rufen gehört habe. Wisset aber, daß ich durchaus nicht mit Euch zurückgehen werde.“ Da begann das vermeintliche Dienstmädchen zu seufzen und sprach mit tränenerstickter Stimme: „Teuerste Jungfrau, nun muß ich es Euch gerade heraussagen, weshalb ich gekommen bin. Euer Bruder Heinrich ist tödlich verwundet und er schickt mich zu Euch. Und so bin ich die ganze Nacht hindurch gelaufen, um Euch desto eher die Nachricht bringen zu können. Ihr wisset ja, daß dieser Euer Bruder ohne Furcht und Erkenntnis Gottes, zum großen Nachteile seines Seelenheiles, immer in der Welt gelebt hat. Kommet also Teuerste, und stehet Euerem Bruder bei, der dem Tode nahe ist; denn Ihr könnt durch Euere frommen und heilsamen Ermahnungen in seinem Herzen das Feuer der Buße wecken, das Licht der Erkenntnis Gottes entzünden und so seine Seele der Pforte der Hölle entreißen und dem himmlischen Vaterlande zuführen.“ Aus diesen wohlgesetzten Worten, die darauf berechnet waren, in Christinas Herzen Regungen der Selbstgefälligkeit hervorzurufen und sie vom Empfange der h. Kommunion abzuhalten, schöpfte sie Argwohn und gab zur Antwort: „Gott, der Schöpfer und Erhalter aller Menschen, wolle nach seiner Güte meinen Bruder stärken und erhalten. Ich kann aber jetzt nicht umkehren; denn ich habe mir vorgenommen, die h. Kommunion zu empfangen.“ So sprach sie und ging eiligen Schrittes auf die Kirche zu. Im gleichen Augenblicke aber fiel ein schwarzer Hund sie an, zerrte sie an den Kleidern und hinderte sie am Weitergehen. Christina aber rief den Namen Jesu Christi an und befahl dem Versucher, zu offenbaren, wer er sei. Dieser gestand nun, daß er es gewesen, der in Gestalt der Magd ihr nachgelaufen, sie über die Verwundung ihres Bruders belogen, um ihr Gemüt zu verwirren und sie von der h. Kommunion abzuhalten.
Mit innigster Liebe hing Christina an ihrem jüngsten Bruder Sigwin, weil er ein gelehriges Herz zeigte, sich auf dem Wege der Vollkommenheit unterweisen zu lassen. Der [151] Teufel, der jede Neigung des Herzens erspäht, um sie zu Versuchungen auszunutzen, wußte auch aus dieser besondern Zuneigung Christinas zu ihrem Bruder ihr einen Fallstrick zu drehen. Als Sigwin nach Schweden abgereist war, und noch keine Nachricht über seine Aufnahme in den Predigerorden eingetroffen war, nahm der Versucher zu drei verschiedenen Malen Sigwins Gestalt an und trat Christina auf dem Kirchweg hinter dem Dorfe entgegen. Das erste Mal wurde sie über seine vermeintliche Rückkehr sehr betroffen, faßte sich aber und umarmte ihn sehr freundlich, ohne zu vermuten, daß es der Versucher sei. Dieser aber konnte seine Freude über die Ueberlistung Christinas nicht verbergen und verschwand unter Hohngelächter. Als er aber zum dritten Male in Gestalt Sigwins sie auf dem Kirchwege zu beunruhigen versuchte, erkannte sie, vom Herrn belehrt, allsogleich seine Arglist und sprach zu ihm: „Weshalb verwandelst du Bösewicht dich in fremde Gestalten? Und warum beunruhigst du mich unter der Gestalt meines Bruders?“ Er antwortete: „Wenn ich dich auch nicht vollends habe hintergehen können, so wollte ich doch wenigstens dein Gebet unterbrechen, weil ich wußte, daß dein Herz Hinneigung hat zu deinem Bruder.“ Als Christina dies hörte, kniete sie nieder und bekannte sich schuldig vor dem Herrn, in dem Punkte nämlich, daß ihre Andacht so lau gewesen, daß der Dämon in Gestalt ihres Bruders sie darin habe stören können.
Ein anderes Mal kam ihr, als sie zur Kirche ging, jemand nach in Gestalt eines Briefboten und fragte sie, ob sie die Jungfrau sei, die Christina von Stommeln genannt werde. Betroffen sprach sie, warum er so genau nach ihrem Namen frage. Er entgegnete, Bruder Petrus aus Gotland habe ihn gesandt, um ihr einen Brief zu überbringen und Näheres über ihren Bruder Sigwin mitzuteilen. Da freute sich Christina und ersuchte ihn, es nur gleich zu erzählen. Da fuhr jener fort: „Erschrecket nicht, Sigwin ist gestorben.“ Da erhob Christina die Augen gegen Himmel und sprach: „Wenn der gute Knabe, mein geliebter Bruder, der Welt abgestorben ist, so bete und wünsche ich, daß er ewig leben möge im Herrn Jesus Christus.“ Und als sie das gesagt, begann sie bitterlich zu weinen. Sobald sie begonnen zu weinen, hatte sich die Gestalt des Briefboten als Trugbild des Versuchers erwiesen. Christina wies alsbald den Betrüger von sich. Dieser aber erhob [152] ein lautes Hohngelächter und rief: „Nun habe ich dich doch wenigstens zum Weinen gebracht,“ und dann verschwand er.
Am Dreikönigentage des Jahres 1283, als Christina frühe vor der Messe um das Dorf zur Kirche ging, nahte sich ihr der Versucher abermals und sprach: „Wolltest du doch mir folgen und dein leeres Geplapper — er meinte das Stundengebet — aufgeben, so würde ich dich mit Reichtum und Ehren überhäufen und dich die Kunst lehren, wie du im Augenblicke an jedem beliebigen Orte der Welt sein könntest. Dann könntest du auch sofort jenes Kloster besuchen, in dem dein Bruder sich befindet, den du so sehr liebest und sehen, wie er sich befindet und daraus großen Trost gewinnen.“ Christina fertigte ihn ab mit den Worten: „Weiche von hinnen mit deiner Wissenschaft und deinem Trost; Jesus Christus beut mir wahre Wissenschaft und sichern Trost.“
Alle Verführungskünste bietet der Feind des menschlichen Heiles auf, um die Seelen, die auf dem Wege der Vollkommenheit mutig voranschreiten, zu verwirren und vom rechten Wege abzubringen. Schmeicheleien und Lobhudeleien wechseln ab mit Drohungen und Mißhandlungen. So wurde auch Christina nicht immer mit Schreckbildern geplagt. Als Christina in einer Nacht nach Pfingsten im Jahre 1281 wegen der drückenden Hitze in ihrem Hofe auf und ab ging und betete, zeigte sich eine Lichterscheinung in Gestalt eines Jünglings über ihr in den Lüften, die mit ihren Strahlen Haus und Hof erhellte. Christina erkannte diese Erscheinung als Täuschung, beschwor deren arglistigen Urheber im Namen Jesu Christi zu verschwinden oder sich in Finsternis zu verwandeln, und alsbald trat Dunkelheit ein. Im Januar 1282 kamen Engelsgestalten zu ihr, als sie nachts in ihrem Kämmerlein im Gebete wachte. Brennende Kerzen trugen sie in ihren Händen und mit den süßesten Worten erhoben sie Christinas Verdienste, und sagten, sie seien von Christus beauftragt, ihr an dieser Stätte, wo sie soviel für ihn gelitten, in dieser Nacht zu dienen und ihr aufzuwarten, und ihr durch die Helle des Lichtes Tröstung zu bereiten. Christina aber erkannte auf den ersten Blick das Blendwerk des Teufels, verdemütigte sich in ihrem Herzen vor dem Herrn und sprach dann: „Geister der Finsternis, durch Jesus Christus, der da ist der Abglanz der Herrlichkeit des Vaters, beschwöre ich euch, abzulegen den Glanz des Lichtes, der euch nicht zukommt und [153] zurückzukehren ins Reich der Finsternis.“ Und alsbald war der gleisnerische Spuk verschwunden und an seine Stelle trat wieder der grausame Verfolger.
Ein anderes Mal wurde sie auf dem Sandberge in Stommeln in die Lüfte erhoben, mit Lichtglanz umhüllt und von Gestalten, die Engeln ähnlich sahen, mit jubelnden Zurufen begrüßt und eingeladen, zu ihnen zu kommen. Aber auch diese List verfing nicht. Christina verachtete das Gaukelspiel, ließ sich nicht zur Selbstgefälligkeit verleiten und erwiderte, sie wolle lieber aus Liebe zu Christus leiden als trügerische Tröstungen annehmen. Doch auch wirkliche Tröstungen wundersamer Art bereitete ihr mitunter der Herr des Himmels und Gebieter der Natur. Als die Unholden der Finsternis sie in einer Nacht des Adventes 1285, der vorletzten vor Weihenacht, am zugefrorenen Sumpfe im Gohrbroich gar jämmerlich zugerichtet hatten, kamen sieben Wölfe herbei; die ihre natürliche Wildheit ablegten, gleich sanften Lämmern an Christina herantraten, mit ihrem warmen Hauche ihre erfrorenen Glieder erwärmten und dann vor ihr die Köpfe senkten, als wollten sie zum Abschiebe Christinas Segen erbitten. Da dankte Christina im Herzen ihrem Schöpfer, wurde innerlich getröstet und gebot dann im Namen Jesu Christi, dem selbst die wildesten unvernünftigen Geschöpfe gehorchen, den Teufeln, zu bekennen, weshalb sie ihr so unmenschliche Qualen zugefügt hätten. Sie bekannten, daß sie auf Befehl Gottes sie für die Sünden anderer gepeinigt hätten, verschwanden alsdann, und Christus selbst trat herzu, um Christina in ihr Kämmerlein zurückzuführen. Christinas Seele vertieft sich an Demut, steigt an Gottwohlgefälligkeit. Nicht mehr sind es Engel, die Christina nach überstandener Folter erquicken und trösten, der Herr der Engel selbst, Christus, der Seelenbräutigam, würdigt sich, sie heimzusuchen und gleich ihm wird sie durch Leib und Kreuz Siegerin und Gebieterin über die stolzen Mächte des Reiches der Finsternis. Was David im 90. Psalme singt, das traf auch, wie Petrus von Dazien[52] in einem seiner Briefe an Christina bemerkt, bei dieser zu. Sie spricht zum Herrn: „Meine Zuflucht bist du und mein Hort, mein Gott, ich vertraue auf dich. Und der Herr rettet dich vor des Jägers Schlinge und vom bösen Worte. Mit einem Schilde umgibt dich seine Wahrheit, nicht [154] hast du zu fürchten vor den Schrecknissen der Nacht, vor dem schwirrenden Pfeile, der bei Tage fliegt, vor dem Unholde, der im Finstern schleicht ... Seinen Engel hat er geboten, dich zu schützen auf allen deinen Wegen; auf den Händen werden sie dich tragen, daß du nicht deinen Fuß an einen Stein stoßest. Ueber Vipern und Basilisken wirst du einherschreiten und niedertreten Löwen und Drachen ... Rufst du zu mir, so spricht er, so werde ich dich erhören; bei dir bin ich in der Bedrängnis, ich befreie dich und ich verherrliche dich. Mit der Länge der Tage will ich dich ersättigen und dich schauen lassen mein Heil.“
Petrus von Dazien, der, selbst vom Geiste Gottes erfüllt, Christina so wirksam zu trösten verstand, er sollte schon bald aus der irdischen Wanderschaft abberufen werden, um das ewige Heil dort oben zu schauen. Zu Anfang des Jahres 1287 war er aus Gotland nach Bordeaux, jedenfalls zur See, als Gefährte seines Provinzials, zum Generalkapitel gereist. Den Rückweg machte er dann auf demselben Wege bis Antwerpen, reiste dann aber zu Lande bis Löwen, von wo er am 1. Juli an Christina schrieb, daß die Reise langwierig und mühselig sei, und er viele Beschwerden und körperliche Schmerzen erduldet habe, doch die unverdrossene Liebe überwinde alles, und wenn er auch mit dem linken Fuße stark hinke, so hoffe er doch im Herrn, in einer Woche zu Stommeln zu sein. Er erinnert dann noch Christina daran, daß sie ihm Reliquien der Heiligen und Magister Johannes ihm zwei Sexterne über die Wunderwerke Gottes versprochen habe. Ob Petrus wirklich im Jahre 1287 nach Stommeln gekommen ist, wissen wir nicht. Es ist jedoch sehr wahrscheinlich. Er starb auf Gotland in der Fastenzeit 1288 und Bruder Folkwin meldete am 9. September 1288 die Trauerbotschaft nach Stommeln. Durch Reisen und Geschäfte, so schreibt er, sei er gehindert, öfter zu schreiben. „Jetzt aber zeige ich Euch mit Schmerz und unter Tränen an, daß unser ehrwürdiger Vater, der Bruder Petrus, weiland Prior und Lesemeister unseres Klosters, in der Fastenzeit im Herrn entschlafen ist. Seine Seele empfehle ich inständigst Euern heiligen Gebeten und bitte Euch zugleich, daß Ihr seine Seele den Gebeten der Schwestern, die bei Euch sind, sowie auch dem Gebete der Schwestern in Cöln, die er kannte, angelegentlichst empfehlen wollet.“ Der früher von Christina mehrmals geäußerte Wunsch, dem Bruder Petrus im Tode bald nachzufolgen, [155] ging nicht in Erfüllung. Der Herr ließ sie noch nahezu fünfundzwanzig Jahre hier auf Erden. Jedoch bildet das Jahr 1288 einen Wendepunkt im Leben Christinas. In ihm wurde sie ihres geistigen Vaters und Trösters beraubt; in ihm sollten aber auch die Beunruhigungen und Quälereien seitens der Mächte der Finsternis ein Ende nehmen. In ihm löst sich ja auch die aus der Machtgier der Fürsten und Völker des Niederrheins erwachsene Unsumme von Haß und Eifersucht in der folgenschweren Schlacht von Worringen aus, in der die Heeresmächte sämtlicher Fürsten der niederrheinischen Lande miteinander kämpften. Veranlassung zum Kriege war die Thronfolge im Herzogtum Limburg. Im Jahre 1282 war der Herzog von Limburg ohne männliche Nachkommenschaft gestorben. Graf Reinold von Geldern und Graf Adolf von Berg stritten um die Erbschaft. Letzterer übertrug seine Ansprüche an den Herzog Johann von Brabant, und nun entstand Spannung, Streit und Zwietracht zwischen den Genannten nicht bloß, sondern auch zwischen allen benachbarten Fürsten. Auf Seite des Grafen von Geldern standen der Erzbischof von Cöln, Sigfrid von Westerburg, Graf Heinrich von Luxemburg, Adolf von Nassau, der spätere deutsche König, Dietrich von Cleve, Johann von Limburg an der Lahn, Walram von Falkenburg, Dietrich von Moers und andere Herren. Johann von Brabant hatte zu Verbündeten den Herzog Walram von Jülich, Graf Eberhard von der Mark, Adolf von Berg und andere. Die Erbitterung des Grafen von Jülich gegen den Erzbischof und Kurfürsten von Cöln sowie die Spannung zwischen der Stadt Cöln und dem Erzbischofe spielten mächtig in den Streit hinein. Sechs Jahre lang wurde gegenseitig gerüstet. Der Erzbischof selbst zog mit 14000 Mann auf das Schlachtfeld. Am 5. Juni 1288 kam es bei Worringen zur Schlacht. In der Abteikirche zu Brauweiler hatte Sigfrid vorher einen feierlichen Gottesdienst gehalten und seine Mannschaften durch eine feuerige Ansprache aufgefordert, die von den Gegnern im Erzstifte verübten Greuel zu rächen. Sigfrid und Reinold standen auf den beiden Flügeln, Heinrich von Luxemburg im Zentrum. Ihnen gegenüber standen Adolf von Berg und Arnold von Looz, im Zentrum dagegen Herzog Johann von Brabant. Durch einen geschickten Meisterzug lockte Erzbischof Sigfrid den Feind auf von Wassergräben durchschnittenes Gelände und wäre so beinahe [156] gleich nach Beginn der Schlacht Sieger geworden. Allein durch das Ungeschick seiner ungestüm herandrängenden Bundesgenossen wurde Verwirrung angerichtet; die Lage des Erzbischofs und des Grafen von Geldern verschlechterte sich. Mit großer Tapferkeit wurde beiderseits gekämpft, lange wogte der blutige Kampf unentschieden hin und her, zuletzt neigte sich der Sieg auf die Seite der Brabanter. Elfhundert Leichen deckten die Wahlstatt und von den Verwundeten starben siebenhundert bald nachher. Unter den Gefallenen waren Graf Heinrich von Luxemburg und sein Bruder Walram, desgleichen Heinrich von Westerburg, des Erzbischofs Bruder. Sigfrid selbst wurde gefangen genommen, desgleichen Adolf von Nassau. Auch Reinold von Geldern wurde auf der Flucht eingeholt und mußte sich ergeben. Erzbischof Sigfrid verbrachte die erste Nacht seiner Gefangenschaft in der Kirche zu Monheim und blieb dann ein Jahr lang auf Schloß Burg an der Wupper in strenger Haft des Grafen Adolf von Berg.
Die sechs Jahre anwährenden Kriegsunruhen machten auf Christina, deren Heimat Stommeln, an der Grenze zwischen den Jülicher Landen und dem Cölner Erzstifte, nur zwei Stunden vom Schlachtfelde Worringen entfernt gelegen war, einen tiefen und betrübenden Eindruck. Der Gedanke an die vielen Greuel und Frevel, die der Krieg herbeiführte, und besonders die Befürchtung, es möchte mancher im Kriege umkommen, ohne mit Gott versöhnt zu sein, und in die Hölle fahren, hatte sie bewogen, Gott den Herrn zu bitten, er möge sie leiden lassen, um die einen vor dem Tode zu bewahren und denen, die fallen würden, die Gnade einer seligen Sterbestunde zu erlangen. Der Herr nahm ihr Anerbieten an und schickte ihr anderthalb Jahre hindurch vor der Schlacht ganz besondere Leiden. Den Teufeln wurde gestattet, sie am ganzen Körper mit spitzigen Eisen und Scherben zu zerkratzen und zu schinden, so daß er nur eine Wunde war, und diese Wunden wurden dann noch, um den Schmerz zu erhöhen, mit Salz eingerieben. Bluttriefend, einem Schlachtopfer gleich, dem h. Bartholomäus, den sie von Jugend auf besonders verehrte und der für Christus geschunden wurde, ähnlich, lag Christina auf ihrem Schmerzenslager inmitten des um sie her herrschenden Kriegeslärms und Kampfgetümmels. Trotz der grausamen Folter, die sie an allen Gliedern ihres Leibes quälte, und trotz des großen Blutverlustes [157] nahm sie nur wenig Nahrung zu sich. Während dieser ganzen Zeit von anderthalb Jahren aß sie nichts anderes als etwas Ingwer. Das war ihre ganze Speise.
Durch ihre Leiden und Gebete erlangte sie von Gott die Gnade, daß Graf Adolf von Berg in jener Schlacht dem Tode entging und auch nicht gefangen genommen wurde und die beiden Grafen von Luxemburg nebst sehr vielen andern, die dort umkamen, durch die Barmherzigkeit Gottes vor der Höllenstrafe bewahrt blieben.
Christinas Leiden hatten den Höhepunkt erreicht. Nach der Wut des Kampfes trat endlich Friede ein im Lande. Nach der Zeit der Versuchungen und Prüfungen kamen nun auch Jahre friedevollen Trostes für die heldenmütige Dulderin Christi. Die von einem Ungenannten verfaßte Lebensbeschreibung Christinas schließt mit den Worten: „Nach der Schlacht bei Worringen hörte jegliche Verfolgung seitens des Teufels gänzlich auf. Zu dieser Zeit hat Christi Braut durch die Gnade ihres Bräutigams den Luzifer samt allen Teufeln, die in und außer der Hölle sind, durch standhaften Kampf und heldenmütigen Sieg überwunden, so daß sie über alle Feinde: Fleisch, Welt und Teufel, glorreich triumphiert.“
Christina war, um mich der Redeweise der h. Teresia zu bedienen, eingetreten in die siebente Wohnung der Seelenburg, in der es fast nie Geistestrockenheit noch innere Beunruhigung mehr gibt. Hier sprudelt dem verwundeten Hirsche labendes Quellwasser in Fülle. Hier findet die Taube, nach dem Verlaufen der Flut, den Oelzweig zum Zeichen, daß sie festen Boden gewonnen inmitten der Strömungen dieser Welt. Die Seele ergötzt sich im Zelte Gottes in fast ungetrübter Ruhe und ist frei von jeglicher Furcht, der böse Feind könne sie umgarnen. Sie ist nämlich vergewissert, daß Gott selbst es ist, der hier wirkt. Und wenn auch in diesem Seelenfrieden mitunter aus irgend einem äußeren Anlasse eine Beunruhigung eintritt, so ist sie von ganz kurzer Dauer und vermag nicht, die Seele in ihrer Entschlossenheit, in keinem Stücke vom Wege der Gottwohlgefälligkeit abzuweichen, wankend zu machen.
Der Born, an dem die Seele sich labt, ist die Seitenwunde Christi, aus der geflossen jenes Geheimnis der Liebe, das da ist unsere Stärkung auf der Wanderschaft zum himmlischen Vaterlande. Häufig und mit innigster Sehnsucht nahte [158] Christina dem Tische des Herrn. Wie würde sie aufgejubelt haben, wäre es ihr vergönnt gewesen, täglich das Sakrament des Leibes und Blutes Jesu Christi zu genießen. Damals war es nicht Sitte, außerhalb der Hochgezeiten des Jahres zum Tische des Herrn zu gehen und Christina war zu bescheiden, um durch öftere Kommunion Aufsehen zu erregen. Jedoch benutzte sie jeden sich darbietenden festlichen Anlaß, um sich im Sakramente mit Christus zu vereinen, so daß sie durchschnittlich monatlich zum Tische des Herrn hinzutrat. So läßt sich aus den zufälligen Angaben des Petrus von Dazien feststellen, daß sie z. B. im Jahre 1279 zu Allerheiligen die Kommunion empfing, dann am Katharinentage, dann wieder zu Weihnachten, Mariä Lichtmeß, zweimal in der h. Fastenzeit, am Gründonnerstage, zu Ostern, am dritten Sonntage nach Ostern, Christi Himmelfahrt, Pfingsten. Später, zumal nachdem Magister Johannes Priester geworden und ihr die h. Kommunion reichen konnte, ging sie häufiger, nämlich durchgehends alle vierzehn Tage, zu den hh. Sakramenten. Mit welch heiligem Ernste, mit welch auferbaulicher Sammlung sie sich auf den Empfang des allerheiligsten Sakramentes vorbereitete, sahen wir im Verlaufe der Lebensbeschreibung des öftern. Den ganzen vorhergehenden Tag zog sie sich gänzlich von der Welt zurück und die Nacht durchwachte sie im Gebete, einzig und ausschließlich damit beschäftigt, sich vorzubereiten auf den Empfang ihres himmlischen Bräutigams, und in seliger Vereinigung mit ihm verbrachte sie den Kommuniontag gewöhnlich im Zustande der Verzückung an ihrem liebgewonnenen Plätzchen hinter dem Hochaltar der Pfarrkirche. Wenn es für Christina nicht tunlich war, Christum den Herrn so oft, als sie es gerne gewünscht hätte, im Sakramente zu empfangen, so vereinigte sie sich desto öfter im Geiste, nämlich der Sehnsucht nach, mit ihm. Eine wundersame Art dieser geistigen Kommunion ist aus der Fastenzeit des Jahres 1281 zu berichten. In der zweiten Fastenwoche jenes Jahres war Christina drei Nächte nacheinander in der widerwärtigsten Weise von den bösen Geistern gequält worden. In den beiden ersten dieser Nächte sandte der Herr einen Engel, um Christina zu trösten und zu heilen. In der dritten Nacht aber kam der Hohepriester und oberste Hirt Jesus Christus selbst zu ihr, nicht sichtbar, sondern nur dem Herzen Christinas innerlich wahrnehmbar, und trug einen Kelch von lauterm Gold, [159] die h. Hostie darauf, in seiner Hand, machte das Kreuzzeichen über Christina, und siehe, alle Verwundung und Belästigung war verschwunden, und dann reichte er ihr die h. Hostie, indem er sprach: „Nimm hin, meine Braut und Freundin; das ist mein Leib.“ Dann reichte er ihr auch den Kelch und sprach: „Das ist mein Blut, das für dich vergossen wurde; durch dieses wirst du mit Sicherheit über alle Feinde siegen. Fürchte dich also nicht, sondern streite tapfer; denn ich werde dein sicherer Sieg und dein ewiger Lohn sein.“ Nach diesen Worten verschwand die wundersame innere Kundgebung, ließ aber in Christinas Seele Stärkung und Tröstung zurück.
Mit der Andacht und dem frommen Empfange des allerheiligsten Sakramentes verband Christina auch eine Andachtsübung, die erst in unsern Tagen Gemeingut der Christenheit geworden ist, nämlich die Andacht zum heiligsten Herzen Jesu, aus dem der Welt das Heil geflossen.
In ihren Briefen erwähnt sie des öftern das Herz unseres Erlösers und dem Bruder Petrus beteuert sie, daß sie ihn im Herzen Jesu liebe (S. 128), sie wünscht ihm Tröstung im Herzen Jesu (S. 123) und bittet ihn im geliebtesten Herzen Jesu, sich ihres Bruders Sigwin anzunehmen (S. 129).
In der Nacht vor Christabend des Jahres 1280 betete sie, als die Geister der Bosheit sie unmenschlich marterten und sie mit dem Tode bedrohten, folgendermaßen:
„O Herr Jesus Christus, Du Leben der Menschen und Heil aller, die auf Dich vertrauen, ich bitte Dich durch Dein glorreiches Leiden und Sterben und durch Dein süßestes Herz, das aus Liebe gebrochen ist: sollte es Dein Wille sein, daß ich von diesen bösen Geistern getötet werde, so nimm mein angstvolles Herz in Gnaden auf und verbirg es in Deinem süßesten Herzen.“
In der Nacht des Donnerstags vor Petri Stuhlfeier 1281 rief sie inmitten der Folter also:
„O mein Herr Jesus, meine einzige Hoffnung von Jugend auf, der Du in meinen Leiden allezeit mein treuer Helfer und liebevollster Tröster gewesen bist, keine Wut der Verfolger, keine Heftigkeit der Peinen soll mich jemals, so lange ich lebe, von Dir trennen. Wenn ich jetzt sterben muß, so nimm mich nach Deiner Liebe in Gnaden auf und verbirg mich in Dein süßestes Herz.“
In der Fastenzeit des Jahres 1282, als sie, wohl im Geiste, hinausgeschleppt auf den Galgenberg bei Stommeln, mit dem Tode bedroht wurde, sprach sie wehmutsvoll:
[160] „O Herr Jesus Christus, Du süßeste Liebe, in Deine Hände befehle ich meine Seele. Nimm sie in Frieden auf und bewahre sie in Deinem süßesten Herzen auf ewig. Meinen Leib aber lasse, wenn es Dein gütigster Wille ist, von den Dämonen zerrissen werden und eines Todes sterben, wie es Dir wohlgefällig ist.“
In der Nacht vor Weihnachtsabend 1283, als sie mit Durchbohrung des Herzens bedroht wurde, erhob sie die Augen gen Himmel und flehte also:
„Herr Jesus Christus, geliebtester Bräutigam, Du weißt es, daß ich allezeit gewünscht habe, mein Herz möchte brechen aus Liebe zu Dir; wenn Du Dich nun jetzt würdigest, diesen meinen Wunsch zu erfüllen, so sage ich Dir von ganzem Herzen Dank und empfehle meine Seele in Dein süßestes Herz.“
Die sicheren Kennzeichen der Vereinigung mit Gott sind nach der h. Teresia das Verlangen, Gott zu preisen, für ihn zu leiden, Buße zu üben, verbunden mit dem inbrünstigen Verlangen, daß alle Menschen Gott erkennen und lieben möchten, woraus dann bittere Pein entsteht bei der Wahrnehmung, daß er beleidigt wird. Mit diesem Verlangen ist nach der h. Teresia naturgemäß verbunden das Verlangen nach Einsamkeit.
Alle diese Kennzeichen treten im Leben Christinas klar zutage. Die Liebe zur Einsamkeit war es jedenfalls, die sie in ihrem stillen Heimatdorfe zurückhielt und sie bestimmte, den wiederholten und dringenden Einladungen, nach Schweden zu kommen, nicht Folge zu geben. Die Liebe zur Einsamkeit war es, die sie bewog, nach dem Weggang ihres Bruders Sigwin ein kleines Heim, dort gelegen, wo das alte Holzkreuz, rückwärts der dem großen Kreuzhof gegenüberliegenden jetzigen Christinakapelle, in Stommeln steht, zu beziehen, von wo sie hinter dem Dorfe her über den jetzigen Berlich unbeachtet und ungestört zur Kirche gehen konnte. Dort konnte sie in der Verborgenheit ihren frommen Uebungen und Bußwerken obliegen, dort konnte sie die außergewöhnlichen Gnadenerweise, mit denen die Huld des Herrn sie zu beglücken pflegte, verborgen halten. Wie sehr sie darauf bedacht war, diese besonderen Gnadenerweisungen, namentlich die hh. Wundmale, zu verbergen, erhellt aus dem Umstande, daß die Lederhandschuhe, mit denen sie am Ostertage, wenn sie zur Kommunion ging, die Hände verhüllte, damit die noch nicht ganz vernarbten Wundmale neugierigen Blicken entzogen würden, erhalten geblieben sind. Sie wurden als verehrungswürdige Gewandstücke nach Christinas Tode sorgfältig [161] aufbewahrt, schon um die Mitte des 14. Jahrhunderts mit gestickten Seidenhüllen, auf deren einer Christina vor dem Heilande, auf der anderen Christina vor dem Bilde der Gottesmutter dargestellt ist, umgeben. Mit ihrem Gebetstäfelchen und dem gewirkten Täschchen, in dem sie ihr Psalmenbuch aufzubewahren pflegte, sind sie noch heute als teuere Andenken in ihrem Grabmale bei den heiligen Gebeinen hinterlegt (Abb. 5). Sie müssen ihr also auch wohl bis zum Lebensende gedient haben. Es liegt somit der Schluß nahe, daß auch die Wundmale wie früher in der Leidenszeit, so auch später in der Friedenszeit sich alljährlich am Karfreitage an Christina erneuert haben. Nachdem Petrus von Dazien, ihr vom Herrn selbst bestellter Seelenführer, in die ewige Heimat hinübergegangen war, hat Christina allem Anscheine nach niemandem mehr, abgesehen von der Beichte, über ihre inneren Erlebnisse und Zustände Mitteilungen gemacht. In ihrer Einsiedelei lebte sie in inniger Gottvereinigung, äußerster Genügsamkeit, am Spinnrocken sitzend und stets dem Gebete obliegend, bis sie im Alter von siebenzig Jahren abberufen wurde zur beseligenden Vereinigung mit ihrem himmlischen Bräutigam im Hochzeitssaale des ewigen Lebens. In der Nachschrift des ersten Buches der Jülicher Handschrift, die nach dem Urteil der Sachverständigen aus der Zeit von 1342-1400 herrührt, heißt es wie folgt: „Die von Gott und den Menschen geliebte Braut Christi Christina legte im zehnten Jahre ihres Alters das Gelübde der Keuschheit ihrem Bräutigam Jesus Christus ab, dem sie unter mannigfachen und andauernden Versuchungen ... Nachstellungen und Martern der bösen Geister durch ein frommes Leben und unbesiegte Standhaftigkeit diente bis zum Jahre 1312 den 6. November, welcher der Tag des h. Leonhard war und auf den Montag fiel, an dem sie zur Zeit der Morgendämmerung beim ersten Hahnenschrei aus diesem irdischen Lichte in glücklichem Tausche hinüberschied ins ewige Licht.“
[162] Die Heiligen leben nach ihrem Hinscheiden aus dieser Welt nicht bloß weiter bei Gott in ewiger Seligkeit, sondern sie herrschen auch mit ihm, wie die Schrift bezeugt. Der Herr liebt es, durch Vermittlung derer, die seine getreuen Diener und auserlesenen Freunde auf dieser Erde waren, den Erdenpilgern mannigfache Erweise seiner Huld und Erbarmung an Leib und Seele zukommen zu lassen. Für solche, die zeitlebens, vom Geiste Gottes getrieben, ihr Glück darin fanden, andere glücklich zu machen; die von Gottes Liebe entzündet, sich erschöpften in Werken christlicher Nächstenliebe, muß es ja auch im seligen Leben dort oben Möglichkeit und Gelegenheit geben, Erbarmen und Liebe zu üben, da ja die Himmelsherrlichkeit die Natur nicht zerstört, sondern nur erhebt und veredelt und das mit Hülfe der Gnade hienieden Begonnene zur Vollendung bringt. Auf die Anrufung der Heiligen erfolgen denn auch erfahrungsgemäß ganz auffallende Gebetserhörungen und der Herr verherrlicht die Grabstätte seiner Auserwählten nicht selten mit Wunderwerken. Auch Christinas Grab sollte glorreich werden. Sie wurde bestattet auf dem Kirchhofe zu Stommeln an der Nordseite des noch jetzt stehenden Turmes der alten Pfarrkirche, die anmutig auf der Höhe gelegen, Dorf und Umgegend beherrscht. Laut der bereits vorhin erwähnten, aus dem 14. Jahrhundert stammenden Nachschrift des ersten Buches der Jülicher Handschrift geschahen nach dem Tode Christinas viele auffällige Heilungen an ihrem Grabe. Auch Werner von Titz schreibt in seinen um 1586 verfaßten Annalen von Neuß zum Jahre 1330, um jene Zeit habe angefangen berühmt zu werden die selige Christina, eine heilige Jungfrau, die aus Stommeln gebürtig sei. Umständlich aufgezeichnet von diesen Heilungen ist jedoch nur die des Grafen Dietrich IX. von Cleve, die Veranlassung [163] zur Errichtung eines Kollegiatkapitels in Stommeln werden sollte.
Graf Dietrich litt derartig an der Gicht, daß er weder gehen noch stehen, noch Speise zum Munde führen konnte. An seiner Schloßkapelle zu Monterberg bei Calcar versah damals Kaplansdienste ein Johannes von Stommeln, der wahrscheinlich dieselbe Persönlichkeit ist mit dem ehemaligen Magister Johannes von Stommeln und nachmaligem Kaplane Christinas. Durch diesen wohl erhielt Graf Dietrich Kunde von den Heilungen, die sich am Grabe Christinas zu Stommeln zutrugen, und auch er beschloß, sich dorthin fahren zu lassen. Am 2. August 1339 kam er nach Stommeln und ließ sich in einer Sänfte hinauf zum Kirchhofe tragen. Das Grab wurde geöffnet und die Gebeine herausgenommen, um in die Kirche übertragen zu werden. Dietrich verrichtete am Grabe Christinas ein Gebet, man gab ihm eines der Gebeine (ein Fingergelenk) in die Hand, und alsbald knisterte es in seinen Gliedern, wie wenn man dürres Reis zerbricht. Urplötzlich fühlte er sich geheilt, sprang auf, stieg zu Pferde und ritt von dannen, voller freudiger Dankbarkeit gegen Gott, der auf die Anrufung seiner Dienerin Christina ihm den Gebrauch seiner Glieder wiedergegeben hatte.
Die Heilung des Grafen Dietrich war die Veranlassung zur Stiftung zweier Kollegiatkapitel, nämlich desjenigen von Cleve und desjenigen von Stommeln.
Graf Dietrich verlegte nämlich das von ihm am 15. Februar 1334 zu Monterberg errichtete Stift mit Genehmigung seines Vetters, des Cölner Erzbischofs Walram von Jülich, im Jahre 1341 nach Cleve. Am 18. März des genannten Jahres legte er selbst den Grundstein zum neuen Chore der ehemaligen Stiftskirche und nunmehrigen Pfarrkirche zu Cleve. Eines der Chöre wird im Jahre 1425 bezeichnet als geweiht der seligsten Jungfrau und der seligen Christina.[53]
Die Stiftungsurkunde des Kollegiatkapitels von Stommeln ist nicht mehr vorfindlich. Aus der vom Cölner Erzbischof Walram von Jülich unter dem 4. Mai 1342 ausgestellten Uebertragungsurkunde, die im Staatsarchiv zu Düsseldorf beruht, geht jedoch hervor, daß das Stift oder Kollegiatkapitel [164] vollständig in Stommeln bestand, jedoch keine hinlänglichen Einkünfte hatte. Es bestand aus einem Dechanten und zwölf Stiftsherren. Der erste Dechant des Stiftes hieß Gotfrid, und als Stommeler Stiftsherren werden aufgeführt: 1. Petrus von Unkelbach, 2. Herpern von Kentzwilre, 3. Johannes Knode, 4. Johannes von Stommeln, 5. Jakob von St. Andreas, 6. Johannes von Caster, 7. Wilhelm von Zülpich, 8. Ludwig von Randerode, 9. Philipp von St. Andreas, 10. Reinard von Nideggen, 11. Johannes von Arscoit, 12. Konrad von St. Cäcilien.
Als Grund zur Verlegung nach Nideggen, der Residenz des Markgrafen von Jülich, wird angegeben, daß Stommeln ein nicht sonderlich passender Ort für ein Stiftskapitel sei, auch sei die dortige Bewidmung eine dürftige. Anderweitig aber wissen wir auch, daß das Bestreben des Markgrafen Wilhelm von Jülich schon lange dahin ging, seiner Residenz durch ein Stift größere Bedeutung und höheren Glanz zu verleihen. Bereits im Jahre 1329 hatte er von Papst Johann XXII. die Ermächtigung erbeten und auch erhalten, in Nideggen eine solche Stiftskirche zu errichten. Um jedoch mit weniger Unkosten zum Ziele zu kommen, hatte er zunächst versucht, die Pfarrkirche in Nideggen, die im Besitze der Johanniter war, diesen streitig zu machen und zur Stiftskirche zu erheben. Dieser Plan scheiterte jedoch am Widerstande der Johanniter. So sah sich denn Markgraf Wilhelm in die Notwendigkeit versetzt, für das in Nideggen zu errichtende Stift eine neue Kirche zu bauen. Er baute sie vor dem Brandenberger Tore, und wie die Pfarrkirche dem h. Johannes dem Täufer geweiht war, so sollte die Stiftskirche den Namen des Liebesjüngers des Herrn, des h. Apostels und Evangelisten Johannes, tragen. Im Frühjahr 1342 scheint der Bau, der ein ansehnliches, aus rotem Sandstein ausgeführtes, dreischiffiges Gebäude gotischen Stiles von 130 Fuß Länge und 60 Fuß Breite war, fertig geworden zu sein. Denn am 15. April 1342 ersuchte Markgraf Wilhelm seinen Bruder, den Erzbischof Walram, um die Vornahme der Weihe der neuen Stiftskirche und um die Verlegung des Stommeler Stiftes nach Nideggen. Da der Markgraf für die Erbauung der Kirche erhebliche Aufwendungen hatte machen müssen, so kam ihm die Geneigtheit der erst seit Kurzem in Stommeln angesiedelten und noch nicht vollständig eingerichteten [165] Stiftsherren, ihr stilles Dorf mit der Residenz Nideggen zu vertauschen, sehr gelegen. Für die vollständige Bewidmung der Stiftspfründen brauchte er nun nicht mehr aufzukommen. Es genügte, die für das Stommeler Stift von seinem Vetter, dem Grafen Dietrich IX. von Cleve, gestiftete Bewidmung zu ergänzen, was er auch tat.
Unter dem 4. Mai 1342 wurde dann das Stift von Stommeln nach Nideggen von Erzbischof Walram unter Zustimmung des Domkapitels verlegt, und das Cäcilienstift in Cöln trat wieder in dasselbe Verhältnis zur Pfarrkirche von Stommeln wie ehedem.
Weil jedoch das Stommeler Stiftskapitel mit Christina innig zusammenhing und bei ihren Gebeinen errichtet worden war, so mußten naturgemäß bei der Verlegung des Stiftskapitels nach Nideggen auch Christinas Gebeine dorthin übertragen werden. In der Tat wurden dieselben noch vier Tage vor Ausfertigung der Verlegungsurkunde von Stommeln in die neuerbaute Stiftskirche nach Nideggen gebracht. Die Uebertragung geschah nämlich am 1. Mai 1342, dem Feste der hh. Apostel Philippus und Jakobus, „bei prachtvollem Wetter“. Da die Bewohner Stommelns, die bis heute die Grabstätte Christinas neben dem Glockenturme in hohen Ehren halten, die Uebertragung ihrer Gebeine nach Nideggen nur ungern sehen konnten und Unruhe und Widerstand zu befürchten war, deshalb wohl hat man die förmliche Verlegung des Stiftskapitels nicht abgewartet, sondern vorher, in unvermuteter Weise, die Uebertragung der Gebeine vorgenommen.
Sie wurden in der neuen Stiftskirche anfänglich in einem Tiefgrabe beigesetzt, weil Christinas Heiligsprechung, wie Johann Gilemanns in seinem Novale Sanctorum berichtet, beim Papste wohl beantragt worden, aber noch nicht erfolgt war. Jedenfalls war es Erzbischof Walram von Jülich, der wohl in Verbindung mit seinem Bruder, dem Markgrafen Wilhelm von Jülich, die Heiligsprechung Christinas beantragt hat. Walram starb jedoch im Jahre 1349 und infolge der Ungunst der Zeitverhältnisse kam die Sache ins Stocken. Die Verehrung Christinas jedoch kam deshalb nicht in Verfall, sondern hob sich mit Wissen und unter stillschweigender Billigung der kirchlichen Behörde immer mehr, zumal auch in Nideggen ihr Grab durch wunderbare Heilungen verherrlicht wurde.
[166] In dem vom Jülicher Markgrafen an den Erzbischof Walram gestellten Antrag auf Weihe der Stiftskirche in Nideggen, den der Erzbischof in allen Punkten bestätigte, heißt es, die neue Stiftskirche solle zwar dem h. Apostel und Evangelisten Johannes geweiht werden, allein es sei deshalb doch nicht beabsichtigt, daß die Patrone der Kirche von Stommeln — diese war dem h. Bischof Martinus geweiht — und sonstige Heilige, die dort entweder kraft der Satzung oder nach Brauch verehrt worden seien, künftighin in Nideggen nicht mehr in der früheren Weise sollten verehrt werden. Diese nach Lage der Sache — da das Heiligsprechungsverfahren Christinas noch in der Schwebe war — vorsichtig gefaßte Stelle, kann sich nur auf die selige Christina beziehen.
Wie sehr ihr Grab in der Stiftskirche zu Nideggen verehrt wurde, geht daraus hervor, daß diese nicht nach ihrem Patron, dem h. Apostel und Evangelisten Johannes benannt wurde, sondern gemeinhin Sankt-Christinen-Kirche heißt. So nennt sie z. B. Herzog Gerhard von Jülich in der am Karfreitag des Jahres 1445 erlassenen Satzung des St.-Hubertus-Ordens, den er zum Andenken an den von ihm am Hubertustage des Jahres 1444 bei Linnich über Arnold von Egmont errungenen Sieg auf dem Schlachtfelde selbst gestiftet hatte. Dieser Orden, der jetzt der vornehmste Orden des bayerischen Königshauses ist, und dem auch damals nur die edelsten Herren und ersten Fürsten Deutschlands angehörten, hatte seinen Sitz in der Christinenkirche zu Nideggen. In § 3 der Ordenssatzung heißt es, daß ein Ordensritter, wenn er aus irgend einem Grunde in Gegnerschaft zum Herzoge von Jülich treten müsse, gehalten sei, vorher die „Ordenskette“ nach Nideggen zur Kirche der seligen Christina, die der Hauptsitz des Ordens sei, zurückzusenden. Und in § 15 wird bestimmt, daß, wenn ein Ordensritter gestorben sei, die Erben und Verwandten die Ordensabzeichen allsogleich nach Nideggen zur Kirche der heiligen Christina zurückschicken sollen.[54]
[167] In ihrem am 6. Februar 1496 vor dem Cölner Offizial durch Notar Hermann Birrick von Orsoy beglaubigten Testamente bestimmte die Gräfin zu Virneburg, geb. Maria von Croy, sie wolle nach ihrem Tode begraben werden „zo Nydecken in der understhen Kirchen zu sent Christynnen by unseren jonckeren van Blanckenheym seliger“. Dann stiftet sie noch verschiedene Wochenmessen, die „in derselver kirchen Nydecken zo „sent Christinen“ sollten gelesen werden“.[55]
In der Stiftskirche zu Nideggen wurde gegen das Jahr 1500 für die Gebeine der seligen Christina ein recht geschmackvolles, aus Schmiedeeisen gearbeitetes, erhabenes Grabmal errichtet, dessen Abbild aus dem Werk der Bollandisten wir (Abbildung 11) beifügen.
Der auf der Höhe des Denkmals thronende hölzerne Reliquienschrein zeigte an den beiden Schmalseiten das in flacher Schnitzerei aus Eichenholz gearbeitete Bild Christinas mit dem Drachen unter den Füßen und dem Buche in der Hand. Am Giebel der rechten Langseite befand sich das Bild des h. Apostels und Evangelisten Johannes, ihm gegenüber an der linken Langseite das Bild des h. Bischofs Martinus. Bei einem Gewölbeeinsturz wurde im Jahr 1783 das zierliche Denkmal zerstört. Eines der beiden Bilder Christinas ist jedoch erhalten geblieben und ist gegenwärtig an der Seitenwand der Christinakapelle der Jülicher Pfarrkirche angebracht (Abbildung 12).
Der im Renaissancestil gehaltene, aus schwarzem Marmor gearbeitete Sarkophag, für den der gotische Eisenaufbau nur die Umrahmung und Bekrönung bildete, ist jünger als dieser, hat jedoch schon in Nideggen Christinas Gebeine umschlossen, wie er es annoch zu Jülich tut. Denn der Marmor, aus dem er angefertigt ist, stammt aus der Umgegend von Nideggen. In der Jülicher Fehde, auch Geldrischer Erbfolgekrieg genannt, wurde Schloß und Stadt Nideggen von den Truppen Kaiser Karls V. im Jahre 1542 fast gänzlich zerstört. Auch die Stiftskirche wurde stark beschädigt. Die herzogliche Residenz wurde nach Jülich verlegt und in dessen Nähe das Waldschloß Hambach prächtig wiederaufgebaut. Nideggen verfiel und die Stiftskirche begann zu veröden. Nach dem Willen des Herzogs sollte [168] das Stift dem Hofe nach Jülich folgen, und deshalb beantragte Herzog Wilhelm beim päpstlichen Nuntius Sebastian Pighino dessen Verlegung in die Pfarrkirche zu Jülich. Dem Ersuchen wurde durch Urkunde vom 15. November 1550 entsprochen. Die Stadt Nideggen aber sträubte sich gegen die Verlegung des Stiftes. Auch lag in Jülich, in Folge des großen Brandes vom Jahre 1547, noch alles im Argen, und so blieb das Stift noch achtzehn Jahre lang in Nideggen. Erst am 1. Oktober 1569 siedelte es hinüber nach Jülich in die dortige der allerseligsten Jungfrau geweihte Pfarrkirche und führte von nun an den Titel „Liebfrauenstift“. Christinas Gebeine konnten aber von den Stiftsherren nicht nach Jülich mitgenommen werden. Der Widerstand der Bewohner Nideggens war zu groß. Sie blieben vielmehr, wie der Notar Christian Hammechers von Nideggen in einer vom 6. März 1578 datierten Nachschrift zum ersten Buch der Jülicher Handschrift mit Dank gegen Gott bezeugt, noch eine Reihe von Jahren in der Kirche zu Nideggen. In dieser mußte auch noch an allen Sonn- und Feiertagen von seiten des nunmehrigen Jülicher Stiftes eine h. Messe gehalten werden. Jedoch verfiel die Kirche immer mehr. Durch List wußten die Jülicher Stiftsherren schließlich Christinas Gebeine von Nideggen nach Jülich zu schaffen.
Es war am 22. Juni 1586, als an einem Nachmittage nach der Vesper ein Mann, der auf alle an ihn gestellten Fragen keine Antwort gab, mit einem Wagen vor der Pfarrkirche zu Jülich anlangte, dort den Schrein mit den Gebeinen der seligen Christina absetzte und dann spurlos verschwand. Der Mann wird von den Jülicher Stiftsherren gedungen gewesen sein. Zur Nachtzeit wird er den Reliquienschrein in Nideggen aufgeladen haben und konnte so um die Zeit, als die Stiftsherren aus der Vesper nach Hause gingen, in Jülich ankommen. Natürlich mußte er spurlos verschwinden, um Weiterungen vonseiten Nideggens zu verhüten.
Von der Anwesenheit der Gebeine Christinas in Nideggen geben noch heute zwei Ortsbenennungen Kunde, das Christinentälchen am obern Abhange des Jungholzes und das ebendaselbst befindliche „Christinenpützchen“. Hier sollen nach Aschenbroich Christinas Gebeine in Kriegszeiten versteckt gewesen sein, um sie vor Verunglimpfungen seitens der Krieger zu schützen.
[169] Die Stiftskirche in Nideggen wurde im dreißigjährigen Kriege vollends zur Ruine. Später bauten dort die Minoriten ein kleines Kirchlein mit Kloster, das bis zur Franzosenzeit bestand. Im Hofraum des Privatgebäudes, das an die Stelle des Klosters getreten ist, sind die Grundmauern des Langhauses der ehemaligen Stiftskirche noch zu erkennen. Auch sind im Garten die Untermauern des Chores in der Höhe von 2-3 Meter noch vorhanden.
Die Marianische Kongregation für Jungfrauen zu Nideggen erwählte die selige Christina letzthin zu ihrer besonderen Schutzpatronin, und eine Reliquie aus den Gebeinen der Seligen wurde von Jülich bei Gelegenheit der Seligsprechungsfeier nach Nideggen übertragen.
Das Stiftskapitel in Jülich bestand bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts, wo es gleich den übrigen Stiften von der französischen Fremdherrschaft aufgelöst und die Stiftskirche wieder einfache Pfarrkirche wurde.
Der 22. Juni wurde alljährlich in der Stiftskirche zu Jülich als Tag der Uebertragung der Gebeine der seligen Christina mit erhöhter Festfeier begangen. Das Hauptfest der seligen Christina wird jedoch von jeher und heute noch am 6. November, ihrem Sterbetage, unter großem Zulaufe des Volkes gefeiert, das zu ihr in leiblichen und geistigen Anliegen, besonders bei Lähmungen, Gichtleiden und in Fieberkrankheiten, seine Zuflucht nimmt und erfahrungsmäßig gnädige Erhörung findet. Ihr Grab war mit Weihegeschenken aller Art umhangen. Eine ununterbrochene Reihe von Gebetserhörungen und Heilungen, die auf Christinas Anrufung an ihrem Grabe erwirkt wurden, findet sich aufgezeichnet. Das Stiftskapitel traf sogar die Anordnung, daß ein apostolischer Notar die fast täglich zum Grabe Christinas kommenden hülfesuchenden Pilger beobachten und die Heilungen protokollieren solle. Wilhelm Hermann Gabriels hat denn auch in den Jahren 1704-1706 eine ganze Reihe solcher Heilungen in ordnungsmäßigem Verhör vor Zeugen festgestellt und aufgezeichnet. Auch sonstige, selbst von weltlichen Behörden aufgenommene Protokolle über solche Heilungen sind in erheblicher Anzahl vorhanden.
Auch bei den Kartäusern, die bei Jülich am Vogelsang ein Kloster hatten, und auch im Kloster zu Cöln blühte Christinas Verehrung. Zeugnis dafür legt ab ein auf Seide noch [170] vor dem Jahre 1639 in der Cölner Kartause gedrucktes Bild der Seligen, dessen photographische Nachbildung im verkleinerten Maßstabe wir (Abbildung 4) wiedergeben.
Doch nicht bloß in Jülich bei den Gebeinen Christinas, sondern auch an ihrer ursprünglichen Grabstätte, auf dem Kirchhofe zu Stommeln neben dem Glockenturm, geschahen viele Aufsehen erregende Heilungen. In den letzten Tagen des Januar und den ersten Tagen des Februar des Jahres 1897 nahm Pfarrer Christian Klausmann zu Stommeln vierzig Protokolle von Heilungen auf, die auf Anrufung der seligen Christina und Besuch ihrer ehemaligen Grabstätte sich in den vorhergehenden Jahren in Stommeln zugetragen hatten.
Im Jahre 1896 wurde die ehemalige Grabstätte Christinas zu Stommeln, die bis dahin Jahrhunderte hindurch durch einen gewölbten, tumbaähnlichen Ziegelsteinbau kenntlich gemacht war, mit einem schönen, aus Heilbronner Sandstein in frühgotischem Stile gefertigten Denkmal geziert, das die gefeierte Selige in Lebensgröße darstellt (Abbildung 8).
Ganz in der Nähe jener Stätte, wo sie in den letzten Jahren ihres Lebens gewohnt hat und gestorben ist, gegenüber dem großen Kreuzhof wurde durch Familie Christian Lemper im Jahre 1854 eine Kapelle zu Ehren der seligen Christina erbaut.
Weil jedoch Christina förmlich weder selig noch heilig gesprochen worden war, wurde die Zulässigkeit ihrer Verehrung vielfach in Zweifel gezogen.
Unter Erzbischof Johannes, Kardinal von Geißel, bereits wurde in Jülich eine Untersuchung über die Verehrung der seligen Christina angestellt, die damit endigte, daß durch Verfügung des erzbischöflichen Generalvikariates vom 30. Dezember 1854 das fernere Fortbestehen der seit unvordenklichen Zeiten in der Pfarrkirche zu Jülich eingeführten gottesdienstlichen Feier am 6. November jeden Jahres in der bis dahin üblichen Weise und Ordnung bis zu anderweitiger Verfügung genehmigt wurde.
Die Pfarrkirche zu Jülich wurde, abgesehen vom Turme, in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts durch einen Neubau auf der alten Stelle ersetzt, und durch die Fürsorge des für Christinas Verehrung eifrig besorgten Oberpfarrers und Dechanten Andreas Esser wurde an der Epistelseite des Neubaues [171] eine eigene Christinakapelle errichtet, in deren Mitte das alte Grabmal mit den hh. Gebeinen Aufstellung fand (Abbildung 13).
In der Karwoche des Jahres 1874 war Erzbischof Paulus Melchers, weil er sich den sogenannten Kulturkampfgesetzen nicht fügen wollte, ins Gefängnis am Klingelpütz abgeführt worden, woselbst er sechs Monate hindurch eingekerkert war. Mit ihm teilte die Haft der Pfarrverwalter von Stommeln Johann Wilhelm Havermann. Das Studium und die Betrachtung der Leiden und Prüfungen der Dulderin Christina brachte beiden schwergeprüften Männern Trost und Kraft.
Aus dem Gefängnisse entlassen, genehmigte Erzbischof Paulus Melchers unter dem 31. Oktober 1874 die Gottesdienstordnung für die Festfeier der seligen Christina in der Pfarrkirche zu Stommeln, der er auch eine Reliquie der Seligen, nämlich einen Armknochen, aus dem Reliquienschreine in Jülich überwies.
Kein Wunder, daß der Kirchenfürst, als er nach zehnjährigem Exil im Jahre 1885 mit dem Kardinalshut geschmückt, in der Hauptstadt der Christenheit seinen Wohnsitz aufgeschlagen hatte, die Sache der seligen Christina in die Hand nahm.
Am Feste des Namens Jesu 1889 stellte er schriftlichen Antrag beim Papste auf Bestätigung ihrer unvordenklichen Verehrung und die Ritenkongregation beauftragte den damaligen Cölner Erzbischof Philippus Krementz, das ordentliche Prozeßverfahren in dieser Sache einzuleiten. Weihbischof Hermann Josef Schmitz führte im Namen des Erzbischofs den kanonischen Prozeß, und unvergeßlich ist der Jubel und die Begeisterung, mit der er am 16. Februar 1897 in Jülich empfangen wurde, als er dort mit Postulator, Promotor und Notar zur Inaugenscheinnahme des Grabes der Seligen und zur Vornahme von Zeugenverhören erschien. Freilich erhob sich auch, wie das nicht anders zu erwarten war, Widerspruch, und lebhafte Fehde wurde in den politischen Blättern über die Zweckmäßigkeit der Einleitung des Prozeßverfahrens geführt. Das mußte natürlich den Gerichtshof bewegen, das Verfahren mit größter Sorgfalt und Gründlichkeit zu führen. Das Ergebnis war ein günstiges. Am 9. September 1897 fällte der Kardinal Erzbischof Philippus Krementz in feierlicher Gerichtssitzung, die in der erzbischöflichen Hauskapelle zu Cöln stattfand, [172] nach Anrufung des Namens Christi, Gott allein vor Augen habend, das Endurteil dahin, es sei als feststehend zu erachten, daß die ehrwürdige Dienerin Gottes Christina schon vor dem Jahre 1534 kirchlich verehrt worden sei, und daß diese Verehrung sich ununterbrochen bis auf den heutigen Tag erhalten habe.
Papst Urban VIII. hat nämlich aufs strengste verboten, jemanden als Heiligen zu verehren, der nicht vom Papste heilig gesprochen sei. Dieses Verbot findet jedoch nicht auf diejenigen Diener Gottes Anwendung, die bereits hundert Jahre vor der Verfügung Urbans VIII., nämlich vor dem Jahre 1534, in der Kirche öffentlich als Heilige oder Selige verehrt worden sind. Bezüglich der seligen Christina wurde nun der vollgültige Beweis erbracht, daß ihre Verehrung bereits vor dem Jahre 1534 zu Recht bestand.
Nach langwieriger und sorgfältiger Prüfung hat die Ritenkongregation in ihrer Sitzung vom 11. August 1908 auf Anstehen des Kardinals Hieronymus Gotti das Urteil des Cölner Erzbischofs bestätigt, und am darauffolgenden Tage hat Papst Pius X. die Verehrung der seligen Christina gutgeheißen.
Nach kirchlichem Rechte gebührt ihr nunmehr der Grad der Verehrung, der den förmlich selig gesprochenen Dienern Gottes zusteht.
In der neuen Pfarrkirche zu Stommeln wurde der Seitenaltar auf der Evangelienseite nach ihr benannt und mit ihrem Bilde geschmückt (Abbildung 9), und am Fuße des Kirchhügels wurde ein stattliches Krankenhaus (Abbildung 10) erbaut, das am Christinafeste des Jahres 1908 feierlich eingeweiht wurde. Zellitinnen aus der Kupfergasse in Cöln, deren Orden sich aus dem Beginentum entwickelt hat, mithin Mitschwestern der seligen Christina, versehen in ihm den Krankendienst.
Auf Antrag des hochseligen Kardinals und Erzbischofs von Cöln Antonius Fischer wurde durch Dekret der Ritenkongregation vom 18. März 1909 der Name der seligen Christina in das liturgische Kalendarium der Cölner Kirche unter dem 6. November eingetragen, die Feier ihres Festes für den Bereich des Erzbistums Cöln bewilligt und eigene Meßgebete und Lesungen für die Begehung des Festes genehmigt.
Die Meßgebete lauten in der Uebersetzung wie folgt:
[173] O Herr Jesus Christus, der Du Deine geliebte Braut Christina mit überaus reichen Gnadengaben ausgestattet und sie gegen alle Nachstellungen des Teufels mit unbesiegbarem Heldenmute ausgerüstet hast, gib gnädig, daß wir durch ihre gütige Vermittelung alle Widerwärtigkeit standhaft überwinden, in Deinem Dienste treu bis zum Tode verharren und so die ewigen Freuden erlangen. Der Du lebst und regierst.
Wir bringen, o Herr, das Opfer Deines Leibes und Blutes dar und bitten Dich demütig, daß wir durch die Fürbitte der seligsten Jungfrau Christina Verzeihung aller Sünden erlangen mögen. Der Du lebst u. s. w.
Laß einströmen, o Herr, in unsere Herzen, den Geist Deiner Gütigkeit und gib gnädig, daß wir in Nachahmung der Tugendbeispiele Deiner seligen Jungfrau Christina standhaft im Glauben und glühend in der Liebe befunden werden. Durch unsern Herrn.
Nach der neuen Melodie: „Maria zu lieben“. (Kölner Diözesangesangbuch Nr. 177).