Title: 21 Jahre in Indien. Erster Theil: Borneo.
Author: Heinrich Breitenstein
Release date: August 31, 2022 [eBook #68881]
Most recently updated: October 19, 2024
Language: German
Original publication: Germany: Th. Grieben's Verlag
Credits: Peter Becker, Reiner Ruf, and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (Zurich University (ETH Zürich))
Anmerkungen zur Transkription
Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1899 so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr gebräuchliche Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert.
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Das Inhalts- und das Abbildungsverzeichnis wurden der Übersichtlichkeit halber an den Anfang des Texts versetzt.
Die Begriffe im ‚Sach- und Namenregister‘ entsprechen oft nicht exakt den verwendeten Ausdrücken im laufenden Text; so verweist beispielsweise der Punkt ‚Adat‘ auf den Ausdruck ‚hadat‘ (Tradition) auf S. 8. Beim Eintrag ‚Medara-See‘ fehlt die Seitenangabe im Original; diese konnte vom Bearbeiter auch nicht zugeordnet werden.
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Dr. H. Breitenstein.
21 Jahre in Indien.
Aus dem Tagebuche eines Militärarztes.
Erster Theil: Borneo.
Von
Dr. H. Breitenstein.
Mit 1 Titelbild und 8 Illustrationen im Text.
Leipzig.
Th. Grieben’s Verlag (L. Fernau).
1899.
Druck von H. Klöppel, Gernrode Harz.
Seite
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Vorwort
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1. Capitel.
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Rassen auf Borneo: Olo-Ott, Dajaker u. s. w. — Reise von
Surabaya nach Bandjermasing — Insel Madura und Bawean — Dussonfluss —
Mosquitos — Oedipussage auf Borneo — Danaus-Seen — Antassan — Rother Hund
(eine Hautkrankheit)
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2. Capitel.
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Pesanggrâhan = Passantenhaus — Ausflug nach der Affeninsel
— Aberglaube der Eingeborenen — Reise nach Teweh — Ein chinesisches Schiff
im Innern Borneos — Trinkwasser in Indien — Eis — Mineralwässer
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3. Capitel.
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Amethysten-Verein — Alcohol — Gandruwo, eine Spukgeschichte
— Polypragmasie der jungen Aerzte — Verpflegung in einem Fort —
Unselbständigkeit der Militärärzte — Malayische Sprache — Vergiftung mit
Chloralhydrat und Arsenik — Krankenwärter und Sträflinge — Amoklaufen —
Erste Praxis unter den Dajakern — Schwanzmenschen
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4. Capitel.
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Fischschuppen-Krankheit — Tigerschlange — Schlangenbeschwörer
— Gibbon — Kentering — Beri-Beri — Simulanten beim Militär — Mohammedanisches
Neujahr — Tochter von Mangkosari — Kopfjagd — Pfeilgift — Genesungsfest —
Gesundes Essen — Früchte — Indische Haustoilette — Wüthende Haushälterin —
Dysenterie — Gewissenlose Beamte — Missionare
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5. Capitel.
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Fort Buntok — Orang-Utang — Operationen — Prostitué
bei den Affen — Darwinisten — Indische Häuser — Möbelfabrikanten
— Französische Mode — Gefährliche Obstbäume — Einrichtung der Häuser
— Dajakische Häuser — Götzenbilder — Tuwak oder Palmwein —
Wittwenstand der Dajaker — Opfern der Sclaven — Todtenfest
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6. Capitel.
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Ameisen und Termiten in den Wohnungen — Verderben der
Speisevorräthe — Milch-Ernährung der Säuglinge — Aborte Tjebok —
Transpiration in den Tropen — Baden — Siram = Schiffsbad —
Antimilitärischer Geist der Holländer — Das Ausmorden der Bemannung des
Kriegsschiffes „Onrust“, von den Dajakern erzählt
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7. Capitel.
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Acclimatisation — Sport in Indien — Sonnenstich — Prophylaxis
gegen Sonnenstich — Alcoholica — Bier — Schwarzer Hund — Mortalität beim
Militär im Gebirge und in der Ebene — Klima — Statistik — Erröthen der
Eingeborenen — Geringschätzung der „Indischen“ — Fluor albus, Menstruation
— Gesundheitslappen — Erziehung der Mädchen — Indische Venus — Indischer
Don Juan
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8. Capitel.
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Urbewohner von Borneo — Eisengewinnung bei den Dajakern
— Eisenbahn auf Borneo — Landbaucolonien — Jagd in Borneo — Im Urwalde
verirrt — Wilde Büffel — Medicin auf Borneo — Actiologie bei den Dajakern
— Taufe bei den Dajakern — Dukun — Doctor djawa
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9. Capitel.
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Kriegsspiele der Dajaker — Angriff auf einen Dampfer —
Hebammen — Frauen-Doctor — Europäische Aerzte — Gerichtsärzte
— Stadtärzte — Civilärzte — Furunculosis — Aerztliche Commissionen —
Vaccinateurs
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10. Capitel.
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Geographie von Borneo — Reise des dänischen Gelehrten
Dr. Bock — Besteigung des Berges Kinibalu — Die Syphilis in Indien —
Beschneidung
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11. Capitel.
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Das „Liebesleben“ bei den Waldmenschen, Dajakern, Malayen
und Europäern — Aphrodisiaca
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12. Capitel.
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Abreise von Borneo — Tod meiner zwei Hausfreunde durch
Leberabscesse — Bandjermasing nach 100 Jahren
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Anhang.
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Geschichte des Süd-Ostens von Borneo
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Sach- und Namen-Register
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Seite
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Titelbild: Ein Waringinbaum.
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Umschlagbild: Ein Dajaker.
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Fig. 1: Grundriss von Bandjermasing
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Fig. 2: Eine Bekompeyerin
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Fig. 3: Das Fort Teweh bis zum Jahre 1880
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Fig. 4: Mein erster Hausfreund
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Fig. 5: Erste Begegnung mit der Tochter des Fürsten Mangkosari
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Fig. 6: Mein zweiter Hausfreund
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Fig. 7: Der Schweinsaffe (Cercopithecus nemestrinus)
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Fig. 8: Skizze von Borneo
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Fig. 1 ist (in doppelter Grösse) entnommen dem grossen Atlas von Stemfoort und ten Siethoff.
Titelbild und Fig. 6 wurden nach Photographien des Verfassers reproducirt.
Figg. 2–5 wurden nach den Skizzen und Mittheilungen des Verfassers gezeichnet.
Fig. 8 ist die verkleinerte Reproduction der Skizze, welche im Militärblatt von Holländisch-Indien in No. 59 vom Jahre 1888 erschien.
Legenda:
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D = dajakisch.
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J = javanisch.
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M = malayisch.
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S = sundanesisch (im Westen Javas).
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[S. v]
E. Ch. Barchewitz rechtfertigt in der Vorrede seiner „Ost-Indianischen Reise-Beschreibung“ („Erfurt, verlegts Joh. David Jungnicol 1751“) die Herausgabe seines Buches mit folgenden Worten:
... „Ich könnte aber viele Ursachen anführen, welche mich hierzu bewogen, wenn ich die engen Grenzen meiner kurzen Vorrede überschreiten wollte; gleichwohl habe ich die vornehmste nicht verschweigen sollen. Die erste ist, dass wir unterscheiden vornehme und gute Freunde, denen ich dann und wann in Conversation von meiner Reise Eines und das Andere erzählet, mir angelegen, das, was ich erfahren, nicht vor mich allein zu behalten, sondern dem Publico zu communiciren ...“
Auch mir erging es so. Wenn ich einen Vortrag hielt über dieses oder jenes Thema, wie z. B. im Jahre 1885 über Borneo oder im Jahre 1898 über die Hygiene in den Tropen; wenn ich in einem kleinen Kreise in groben Zügen eine oder die andere den Tropen eigene Krankheitsform beschrieb, oder wenn ich diesen oder jenen Theil des täglichen Lebens im Lande des ewigen Sommers meinen Freunden entrollte, immer wurde ich dazu gedrängt, in irgend einer Weise meine Erlebnisse einem grösseren Publicum zugänglich zu machen. Wenn ich also dieser Aufforderung Folge leiste, so beabsichtige ich kein grosses gelehrtes Buch zu schreiben oder wie Barchewitz in seiner Vorrede sagt:
„An dem in diesen Bogen gebrauchten Stylo muss sich der geliebte Leser keineswegs ärgern, dass er nicht hochtrabend, sondern in einem ganz einfältigen und gemeinen deutschen Kleide aufziehet. Denn, gleichwie es einem Bürger oder Landmanne übel würde ausgelegt werden, wenn er in einem güldenen Stück einher[S. vi] getreten kommen würde; so würde es auch mir fast billig verarget werden, wenn ich wider mein Naturell und Lebensart in Beschreibung der Geschichten meines Lebens, den galanten Schlesiers oder Sachsen ihre Wohlredenheit abborgen und in selbige meine Historie verstecken wolle.“
Ich will nur erzählen, was ich gesehen und was ich erlebt habe als Arzt und als Mensch, und ich will, wo es sein muss, flüchtig den Kothurn der Wissenschaft besteigen; denn ich schreibe für Aerzte und für Laien.[1] Europa sprengt seine Fesseln und breitet seine Arme nach dem fernen Westen und Osten der Welt aus. Zahlreiche Aerzte gehen nach dem Congo, zu den Tabakpflanzern auf Sumatra u. s. w., um dort ihr Glück zu suchen. Sie finden dort andere Menschen, andere Sitten und Gebräuche, ein ander Klima, eine ganz andere Volksnahrung, sie finden Manches, von dem sie früher nichts gehört und nichts gelesen haben. Als ich vor 22 Jahren an der Westküste Sumatra’s in Padang zum ersten Male indischen Boden betrat, bot mir ein Hausirer eine Ananas zum Kauf an. Ich nahm sie auf das Schiff mit, ein Schiffsgenosse liess sie für mich schälen, während er mir ihren Saftreichthum und ihr Aroma in überschwänglichen Worten pries, und schon wollte ich einen Bissen zum Munde führen, als ein alter College, der von seiner Urlaubsreise zurückgekehrt war, mir warnend zurief: „Des Morgens (= Vormittagsstunden) darf man keine Ananas essen, sonst bekommt man die Cholera.“ Kurze Zeit darnach sass ich mit einem Obristlieutenant in der Veranda seines Hauses; wir philosophirten, wie er es nannte, und er behauptete, was ich späterhin noch vielfach zu hören bekam, dass Gott jedem Lande seine Krankheiten, aber auch die Arzneien für diese Krankheiten gegeben habe, und dass daher für die Behandlung der „indischen“ Krankheiten der europäische Arzt nicht die geeignete Person sei, sondern jene Damen, welche in der Behandlung der „indischen“ Krankheiten (Dysenterie, Aphthae tropicae u. s. w.) grossartige Erfolge hätten, weil sie sich nur der Arzneien des Landes bedienten, und dass selbst der Sanitätschef sich[S. vii] bei ihnen Raths erhole u. s. w. Wie rath- und hilflos stand ich gegenüber diesen — Phrasen! Nun Dieses und Solches mehr werde ich in diesem Buche mittheilen, ich werde erzählen, wie ich solche Fragen damals beantwortete, oder wie ich sie heute beantworten würde; ich werde damit kein Lehrbuch schreiben für den Arzt, der zum ersten Male das Land der Tropen betritt, sondern ihn nur aufmerksam machen auf die neuen Verhältnisse, denen er entgegentritt, und ihm auf diese Weise die Gelegenheit geben, zu manchen Fragen Stellung zu nehmen und über manche Fragen nachzudenken, welche ihm aus Unkenntniss der Verhältnisse, um mich eines banalen Ausdrucks zu bedienen, nicht einmal im Traume einfallen.
Der Laie wird mit mir eine Reise in das Land machen, welches sich „wie ein Gürtel aus Smaragd um den Gleicher schlingt“ (Multatuli); ich werde ihn in die Hütte des Kopfjägers begleiten, welcher im Herzen Borneos in grossen Hütten aus Bambus sein leichtsinniges Leben führt; ich werde ihm das Leben und Lieben der javanischen Frau in kurzer Skizze zeichnen; ich werde ihm die Feste der Palembanger (Sumatra) beschreiben u. s. w.; dann werde ich ihn in das Familienleben der europäischen und halbeuropäischen Bewohner dieser Inseln blicken lassen, und ich werde ihm ein ärztlicher Führer sein, wenn er als Tourist die Tiger des südlichen Java oder die Orang-Utangs Borneos fangen oder erlegen will, oder wenn er die „Tausend Tempel“ Javas zu bewundern beabsichtigt, oder für die Producte der heimathlichen Industrie im fernen Osten ein Absatzgebiet aufsuchen will.
Schon manches Werk wurde in diesem Genre geschrieben, aber nicht, so weit mir wenigstens bekannt ist, in deutscher Sprache. In Holland erschien jedoch vor 16 Jahren ein solches Buch unter dem Namen „De geneesheer (Arzt) in Nederlandsche Indië“ von Dr. C. L. van der Burg, welches mir so manche vergnügte Stunde bereitet, und aus welchem ich Vieles gelernt habe, obzwar ich damals schon 6 Jahre in den Tropen gelebt hatte. Dieses ist ein systematisch geschriebenes Buch, welches scharf abgegrenzte Theile der Tropenhygiene und der Ethnographie behandelt.
Ich habe mir ein weiteres Ziel gesetzt und auch eine andere Form dafür gewählt.
[S. viii]
In 3 Theilen[2], genannt nach den 3 Inseln Borneo, Java und Sumatra, auf welchen ich viele Jahre gelebt habe, werden meine Erlebnisse und meine Beobachtungen, wie sie in meinen alten Reisebriefen auf einander folgen, mitgetheilt werden, nachdem die Schlacke der ersten oberflächlichen Eindrücke durch die Kritik der Beobachtung vieler Jahre beseitigt werden konnte.
Wenn diese 3 Bücher auch nach dem fernen „heiligen Java“ und Borneo den Weg finden, dann rufe ich ihnen wehmüthig die Worte des römischen Dichters nach:
Karlsbad, im April 1899. Dr. H. Breitenstein.
[S. 1]
Rassen auf Borneo: Olo-Ott, Dajaker u. s. w. — Reise von Surabaya nach Bandjermasing — Insel Madura und Bawean — Dussonfluss — Mosquitos — Oedipussage auf Borneo — Danaus-Seen — Antassan — Rother Hund (eine Hautkrankheit).
Wien Neerlands bloed door de aderen vloeit, van vreemde smetten vry (= Wem Niederland’s Blut durch die Adern fliesst, das frei von fremdem Makel) wird heute unter den Fahnen Javas mit ebensolcher Begeisterung als an den Ufern der Maas gesungen. Aber hier wie dort kann der Ethnograph nur von einer gemischten Rasse sprechen.
Wie in Europa, im Lande der »Bataver«, Franzosen, Engländer, Spanier und Deutsche seit Jahrhunderten abwechselnd sich angesiedelt und durch gegenseitige Heirathen, ich möchte sagen, eine neue Rasse geschaffen haben, so hat auch Bandjermasing, die Hauptstadt des südöstlichen Theiles von Borneo (wie alle grossen Hafenstädte des indischen Archipels), zahlreiche Menschenrassen, welche nicht nur neben einander leben, sondern sich auch unter einander kreuzen. Buginesen von Celebes, Javanen, Malayen, Maduresen, Bekompeyer, Chinesen und Europäer bewohnen zwar in eigenen Kampongs die einzelnen Theile der Stadt, aber Amor kennt keine Grenzpfähle und keinen Unterschied der Rassen. Reiner hat sich jedoch auf der Insel Borneo der dajakische Volksstamm erhalten, wenn wir dem Laufe des grossen Stromes Baritu folgen, in den sogenannten Dusson- oder Dajaklanden, d. h. ungefähr oberhalb Mengkatip (2° 5′ S. B.), trotzdem sie Jahrhunderte lang unter dem Joche malayischer Fürsten seufzten; ganz rein blieben nur die Olo-Ott in ihrer Rasse; das sind jene Wilden, welche in den Urwäldern frei ohne jedes politische sociale Band in einzelnen Familien und als Nomaden auf Bäumen leben und in Hütten aus Laub sich vor den Unbilden des Wetters schützen. Sie selbst, d. h. die Olo-Ott, habe ich[S. 2] nicht gesehen, aber ihre nächsten Nachbarn, die Bewohner von Murong und Siang; unter den Dajakern, stricte dictu habe ich 3 Jahre gelebt; 10 Monate weilte ich in Buntok (1° 17′ S. B.), wo die Dajaker mit den Bekompeyern friedlich beisammen wohnen. Das sind Dajaker, welche im Contact mit den benachbarten Malayen nicht nur den mohammedanischen Glauben angenommen haben, sondern auch in ihren Sitten und Gebräuchen milder geworden sind und selbst durch Handel, Industrie und durch Ackerbau auf der ersten Stufe der menschlichen Civilisation stehen; auch ihre Künste und ihre Literatur sind die der Malayen, welche die Küsten aller Inseln des indischen Archipels bewohnen.
Bevor ich jedoch auf dieses Thema mich weiter einlasse, will ich mit einigen Zeilen von der Reise selbst sprechen, welche mich zunächst nach Bandjermasing und hernach nach Muara Teweh brachte, wo ich 3 lange Jahre verblieb und während dieser Zeit kein Pferd gesehen habe und keine — europäische Dame.
Den 28. März 1877 schiffte ich mich in Surabaya, der zweitgrössten Stadt Javas, ein, um als holländisch-indischer Oberarzt nach Borneo zu gehen. Gegenüber dieser Stadt liegt die Insel Madura und das Fahrwasser zwischen diesen beiden Inseln versandet mit jedem Tag mehr und mehr, so dass die Regierung ihre Mühe hat, diese Strasse offen zu erhalten. Hier hat die See eine so starke Strömung, dass ich mit meinem Kahne unmöglich das Schiff erreichen konnte, bis einer der Schiffsofficiere uns am Seil einen Rettungsring zuwerfen liess. Die Ruderer legten die Ruder zur Seite, erfassten das Tau und so gelang es ihnen, den Kahn an die Falltreppe zu bringen. Den vier Collegen, welche mich begleitet hatten, drückte ich zum letzten Male die Hand, und ich verliess die Nordküste Javas, um 3½ Jahr lang weit entfernt von der menschlichen Civilisation in einem kleinen Fort in Gesellschaft zweier Officiere ein Leben zuzubringen, das mir alle Genüsse des europäischen gesellschaftlichen Lebens vorenthielt bis auf die — der Wissenschaft. —
Das östliche Ufer der Insel Madura, an dem wir vorüber glitten, war reich mit Urwald bewachsen und bot uns manches schöne Panorama, hingegen war die Küste der Insel Bawean, an welcher wir ebenfalls vorbeidampften, flach und öde. Schon am 30. März sahen wir die Mündung des Baritu, ohne jedoch wegen der Ebbe weiterdampfen zu können. Eine ungeheure Sandbank verlegt nämlich die Einfahrt in den Baritu und wird mit jedem Tage grösser, so dass es nur eine Frage der Zeit[S. 3] ist, wann sie die Insel Bawean erreicht haben wird. Erst am 31. März brachte uns die Fluth in den Baritu, welcher Strom auch Bandjermasing genannt wird und in seinem Oberlaufe Dusson heisst. Er hat zwei Mündungsarme, von denen jeder an der Küste ungefähr ein Kilometer breit ist. (Der westliche Arm mündet 3° 26′ S. B. und 114° 13′ O. L. und der andere 3° 35′ S. B. und 114° 33′ O. L. in die Javasee.)
Die Fahrt in den Baritu ging sehr langsam, weil der Strom bis zur Mündung des Martapuraflusses, an dessen Ufern die Hauptstadt Bandjermasing liegt, in mehr als dreissig Windungen sich schlängelt. Die Ufer sind dicht bewachsen und zwar unter anderem von der Nipahpalme (Nipa fructicans), deren Blätter abgekocht, abgekratzt und getrocknet werden, um als Deckblatt von Cigaretten zu dienen und welche die Heimath ist der — Mosquitos (Culex und Tipula).
Deren giebt es zahlreiche Species; aber alle sind eine fürchterliche Plage, von der besonders Bandjermasing heimgesucht wird.
Wenn auch in der Regel die indischen Mosquitos nur Abends und in der Nacht dem Menschen lästig werden, so ist dies doch nur in den Häusern der Städte der Fall; wenn man jedoch auf die Jagd geht und aus anderen Ursachen in das Gebüsch der Nipahpalmen kommt, dann kann man von ihnen bei Tage ebenso attaquirt werden als von den kleinen Blutegeln; der Stich der Njamuks (so heissen die Mosquitos im Malayischen) ist empfindlich, er verursacht eine Quaddel von bedeutender Grösse, welche durch heftiges Kratzen oft in ein Geschwür sich verwandelt. Dass man sie auch beschuldigt, die Uebermittler so mancher pathogener Bacterien zu sein, wie der Cholera, Lues u. s. w., ist, ich möchte beinahe sagen, selbstverständlich. Man schützt sich gegen ihre Stiche auf mannigfache Weise. In der Regel sind die von den Kleidern bedeckten Körpertheile vor ihren Angriffen gesichert; man kann aber doch nicht den ganzen Abend und die ganze Nacht gekleidet bleiben; die indische Haustoilette ist, wie wir sehen werden, so dünn, dass die Mosquitos hindurch stechen; dabei sind Kopf, Hände und Füsse unbekleidet; man bestreicht sie eventuell mit Oel, Cajaputiöl oder einem Decoct von Lignum Quassiae, wodurch sie in respectabler Entfernung von dem Menschen gehalten werden. Das am meisten gebrauchte Schutzmittel gegen diese blutdürstigen Mücken ist das Netz; man spannt nämlich um das Bett, welches an den vier Ecken zwei Meter hohe Pfeiler hat, ein Zelt aus Tüll; es bleibt jedoch eine akrobatische Leistung, beim Schlafengehen so geschwind hinter das Netz zu kommen, dass kein Mosquito uns begleiten kann. Wie schon erwähnt, hat Bandjermasing[S. 4] eine traurige Berühmtheit ob der Menge seiner Mosquitos. Zwei Momente jedoch vermindern diese Landplage: erstens dass diese blutgierigen Feinde unserer Nachtruhe Feinschmecker in ihrer Art sind; das Blut mancher Menschen schmeckt ihnen nämlich nicht oder vielleicht die Ausdünstung derselben. Zu diesen bevorzugten Geschöpfen Gottes gehörte z. B. ich. Ich war mir keiner einzigen constitutionellen Krankheit bewusst, als ich in Bandjermasing von den Bissen dieser Insecten verschont blieb, so dass ich selbst in der Nacht mit geöffnetem Mosquito-Netz schlafen konnte, während selbst der kleine Wau-Wau (Hylobates concolor), welcher dem Apotheker B... gehörte, mit Vergnügen Abends hinter das Mosquitozelt kroch, um ungestört dem Schlaf sich ergeben zu können. Freilich blieben sie auch von mir in keiner respectvollen Entfernung; ihr Summen und Schwirren beunruhigte und störte auch mich Anfangs, bis mich Gewohnheit und Erfahrung lehrten, das wählerische Gesindel schnarchend zu verachten. — Der zweite Factor ist, dass nur der Hauptplatz Bandjermasing von so zahlreichen und grossen Mosquitos heimgesucht wird, während in den Garnisonen jenseits des Alluviallandes diese Landplage aufhört. Während meines dreijährigen Aufenthaltes in Muara Teweh bekam ich niemals eines dieser Insecten zu Gesicht, es sei denn, dass ein Dampfer von Bandjermasing zu uns kam und die unwillkommenen Gäste als blinde Passagiere mitführte. Auch auf den übrigen Inseln des indischen Archipels kamen sie nur in der Ebene, an der Küste, im alluvialen Boden, in der Heimath der Sumpfgewächse vor, während im Gebirge, auf der Hochebene, in der Kalkformation sie nur zeitweise zu Gastrollen auftauchten. Auch kann man mit ein wenig Heroismus allen schädlichen Folgen ihres Stiches entgehen. Wir sehen ja, dass Säuglinge niemals Quaddeln, Entzündungshöfe oder Geschwüre von einem Mosquitostich bekommen; sie kratzen sich eben nicht und stören die blutdürstigen Insecten nicht in ihrer Trunksucht; ist einmal das Thierchen gesättigt (man gewahrt die Plethora seines Bauches, der bis zur Grösse einer halben Erbse anschwillt), so fliegt es seiner Wege und sein Stich lässt nur einen rothen Punkt zurück; wird es jedoch weggejagt, so bricht der Stachel ab und die Folliculitis ist gegeben; kratzt man diese stark juckende Stelle, so excoriirt die Haut, und der Anfang des Geschwüres ist fertig, welches mitunter recht lange bestehen kann. Tant de bruit pour une omelette, wird vielleicht mancher Leser denken; aber er erkundige sich z. B. bei einem Marineofficier, der tage- oder wochenlang bei einer Blockade vor einer Küste liegen muss. Ob die Langeweile mehr von unserer Gemüthsruhe fordert als die Mosquitos in[S. 6] einem solchen Falle, das muss man selbst erfahren haben, um die Verwünschungen gegen diese Plaggeister zu begreifen.
Ueber Bandjermasing selbst bringen meine Reisebriefe aus damaliger Zeit nur magere Berichte, vielleicht weil ich nur kurze Zeit in der Hauptstadt selbst verweilte und nach kurzem Aufenthalt ins Innere des Landes, an die Grenze aller menschlichen Civilisation geschickt wurde; vielleicht weil die Stadt Bandjermasing wenig Interessantes oder Mittheilenswerthes geboten hat, oder vielleicht weil nur die Topographie der Umgebung mir mehr Mittheilenswerthes und Interessantes bot. Ihre Einwohnerzahl bezifferte ich damals auf 30000. Der grösste Theil der Bewohner Bandjermasings besteht aus Malayen (Bandjeresen und Bekompeyer), und am kleinsten ist die Zahl — der Europäer. »Wenn wir von den Officieren mit ihren europäischen Soldaten und den Beamten absehen, ist die Zahl der europäischen Handelsleute, auch wenn die halbeuropäischen mit gerechnet werden, noch auf den Fingern einer Hand abzuzählen.« So sprach ich im Jahre 1885 in einem Vortrage über die Bewohner dieser Stadt; heute ist die Zahl der Europäer grösser, weil der Handel einen solchen Aufschwung genommen hat, dass selbst die Handelmaatschappij einen Agenten für die südöstliche Hälfte Borneos zu ernennen sich bemüssigt sah.
Von monumentalen Gebäuden kann kaum gesprochen werden; das Haus des Residenten ist wie die meisten Häuser Indiens in altgriechischem Stile gebaut mit einer vordern und hintern Veranda; das Fort mit seinem Spitale und seinen Kasernen, das neue Gefängniss, das Seminar für Volksschullehrer, das Clubgebäude, die europäischen Geschäfte u. s. f. sind hübsch und nett, aber ohne jeden architektonischen Werth. Am linken Ufer des Martapuraflusses liegt jedoch das chinesische Viertel mit zahlreichen Geschäften und einer chinesischen Kirche. Vor vielen Jahren las ich in einer Reisebeschreibung, dass in dem chinesischen Tempel zu Bandjermasing der Hauptaltar mit einem Bilde Napoleons I. verziert sei; sofort nach meiner Ankunft miethete ich einen Kahn, um diese Chinesische Kirche mit Napoleon als Buddha zu sehen. Ich sah keinen Buddha oder Confucius, welcher Napoleon ähnlich war, und als ich darnach mich erkundigen wollte, bekam ich keine Antwort; ich sprach kein Chinesisch und nur sehr mangelhaft die malayische Sprache, und die Tempeldiener waren nur dieser zwei Sprachen mächtig.
Unrichtig wird angegeben, dass diese Stadt auf dem linken Ufer des Baritu liege; von diesem Flusse sind die äussersten Gebäude der[S. 7] Stadt, das Hafenbureau und das Gefängniss noch mehr als eine Stunde entfernt.
Alle Häuser stehen auf Pfählen, denn die Stadt liegt im Inundationsgebiet des grossen Stromes Baritu, welcher sich täglich über 1 Million Hektar Landes mit der Fluth des Meeres ergiesst; mit der Ebbe dringt zwar das Wasser dem Meere zu, aber zahlreiche Pfützen bleiben zurück, die zahlreichen Canäle werden wasserfrei, die stinkenden Ausdünstungen verpesten die Luft und selbst der Martapurafluss wird in trockenen Jahren so wasserarm, dass das Trinkwasser aus höher gelegenen Theilen des Stromes geholt werden muss.
Grosse und ausgestreckte Sümpfe begrenzen im Norden und Süden die Stadt, und der Canal Kween (Fig. 1) ist die östliche Grenze des bewohnten rechten Ufers des Martapuraflusses.
Der officielle Ausweis spricht im Jahre 1882 von 592959 Bewohnern[3] des südöstlichen Borneos mit 549 Europäern, 2843 Chinesen und 435 Arabern; von diesen Ziffern haben nur die Angaben über die anwesenden Araber, Chinesen und Europäer einen gewissen Werth; wie wir später sehen werden, ist die Statistik der Eingeborenen ganz unverlässlich, so dass factisch die Einwohnerzahl Borneos noch heute selbst auf eine Million noch nicht bekannt ist.
Ob diese Stadt Bandjermasin oder Bandjermasing zu nennen sei, ist kaum zweifelhaft. Valentyn nennt sie Bandjermasingh, und mit Unrecht wird in dem grossen Atlas von Stemfoort und ten Siethoff eine neue Schreibweise dieses Namens eingeführt. Bandjir heisst nämlich Ueberströmung und mâsing bedeutet häufig vorkommend. Da thatsächlich diese Stadt häufigen Ueberströmungen ausgesetzt ist, und da nicht nur in den ältesten Büchern der Name Bandjermasingh vorkommt, sondern auch während meines dreijährigen Aufenthaltes auf Borneo mir geläufig war, so ist nach meiner Ansicht die ältere Schreibweise beizubehalten.[4]
Bis zum 16. Jahrhundert waren auch die Bewohner der Küste ebenso Heiden als heute noch die Dajaker im Innern der Insel es sind.[S. 8] Die Einführung der mohammedanischen Religion auf Borneo ist mit einer Oedipussage verbunden:
Bekanntlich hat Ende des 15. Jahrhunderts Madjopahit auf Java den Islam eingeführt und zwar mit Feuer und Schwert (so dass heutzutage nur zwei sehr kleine Colonien von echten Hindus auf dieser Insel gefunden werden, und zwar die eine in West-Java in der Provinz Labak und die zweite in Mittel-Java), und darum ist es interessant, dass die folgende Sage auch in den Anfang des 16. Jahrhunderts verlegt wird.
Im Beginne des 16. Jahrhunderts (1530?) lebte eine Fürstin des Bandjermasingischen Reiches, deren Name von der Zeitfluth weggespült wurde; sie hatte einen Knaben, dem sie einmal bei einer körperlichen Züchtigung eine Wunde am Kopfe beibrachte; er bekam dadurch eine solche Abneigung gegen das elterliche Haus, dass er seine Flucht mit Hülfe des Anakoda Laba, eines reichen Javanen, beschloss, der damals mit seinem Schiffe bei Negara vor Anker lag. Nach dem Tode seines reichen Pflegevaters führte er den Handel mit Borneo weiter. Seine hohe Abstammung hatte sein Pflegevater verheimlicht; Akar Sungsang (unter diesem Namen war er auf Java erzogen worden) erregte durch seinen Reichthum, seine Schönheit und durch seinen Muth dermaassen die Aufmerksamkeit der Bewohner von Amunthay, dass sie ihm die Hand der seither verwittweten Fürstin anboten. Viele Jahre lebte er in glücklicher Ehe mit — seiner Mutter, als sie eines Tages die Narbe an seinem Kopfe entdeckte und die Flucht auf Anakoda Laba’s Schiff erfuhr. Beschämt und erschreckt entzog sie sich seinen Umarmungen und stellte sich vor den Rath der Aeltesten, um die verdiente Strafe zu empfangen. Die Tradition (hadat) hatte jedoch keinen Präcedenzfall; die Ehe wurde nur gelöst und die Gattin-Mutter blieb straflos. Akar Sungsang heirathete wieder, und sein Enkel Samatra, der Sohn seiner Tochter Putri Kalarang und eines Dajakers, führte als Sultan Suriansah (1608?) den Islam auf Borneo ein. (Schwaner.)
Neben dieser Oedipussage hat die Mythologie der Dajaker auch die einer Venus anadyomene; aber für die Lernäische Schlange der Griechen hat der Dajaker kein Pendant; das ist um so überraschender, als die Küste ein ungeheurer Sumpf ist, über den sich bei der Fluth das Meer bis auf 1 Million Hektar ergiesst, und wo eine üppige Flora eine undurchdringliche, unausrottbare Wildniss geschaffen hat. An diese grosse sumpfige Ebene schliesst sich die tertiäre Formation[5] mit den[S. 9] Urwäldern, welche noch keines Europäers Fuss betreten und in welchen die Riesen der Flora neben den Riesen der Fauna hausen. Die Avicennien, Caesalpinen, Casuarinen und Rhizoforen; das Sideroxylon (Kaju besi M), Teakbäume, Guttapercha, Muskatbäume, Campher, Zimmt, Citrone, Bambus, Rottan, Reis, Pfeffer, Kaffee u. s. w. fesseln in ihrer Massenhaftigkeit den Laien vielleicht mehr als den Botaniker, und auch ich nahm den ganzen Reiz eines Urwaldes und der Sumpfpflanzen in mich auf und beugte in Demuth mein Haupt vor den gewaltigen Riesen der Pflanzenwelt, oder vor den Lianen, welche Schritt für Schritt den Marsch des Wanderers erschweren oder unmöglich machen. Auch ich ergötzte mich an der Pracht der Nepenthes-Artent, von denen schon Friedmann auf Borneo 22 Arten kannte und unter welchen die Nepenthes Edwardsiana, villosa und Rajali die schönsten sind.
Ein fesselndes Bild sind auch die Ströme mit ihren zahlreichen Seen (Danaus).
Ich habe den Genfer See gesehen, ich habe den Rhein befahren, ich kenne die Donau von Wien bis zum Banat; ich habe vier Monate in den Karpathen gelebt und habe mich an der Riviera herumgetummelt; ich weilte auf Java an den Ufern des Telagawarna, welcher wie in einem Kessel zwischen hohen Felsen eingeschlossen ist, dessen majestätische Ruhe und lautlose Luft mich mächtig ergriffen hat, aber nirgends sah ich ein Bild, das sich nur annähernd mit dem der Danaus vergleichen könnte; nirgends sah ich ein solch pittoreskes, variabeles Panorama, als auf den Seen jenseits der Ufer des Baritu.
Wahrscheinlich sind es alte Flussbetten, welche durch Antassans mit dem neuen Strom in Verbindung geblieben sind. Sinkt das Wasser in dem Barituflusse, so ist der Danau ein grosser Sumpf, aus dem hier der kahle Stamm eines Waldriesen (Balangiranbaum) sich erhebt, dort die Wurzeln einer Rhizophore eine niedrige Säulenhalle über dem sumpfigen Boden errichtet, durch die sich still und lautlos ein Krokodil windet; hier sitzt auf einem andern kahlen Stamme ein Reiher, dort tauchen einige Fische aus der Tiefe und trachten mit leichten Sprüngen die darüber schwebende Libelula zu erhaschen. Kreisen auch nebstdem einige Falken, oder in später Abendstunde zahlreiche Kalongs hoch in den Lüften, so ruht doch ein schwermüthiger, geheimnissvoller Ernst über der ganzen Fläche der Sümpfe und stimmt den Beobachter traurig im Gefühle der Einsamkeit und Verlassenheit.
Steigt das Wasser des benachbarten Stromes jedoch so hoch, dass es die durch den abgelagerten Sand und Schlamm immer und immer[S. 10] höher werdenden Ufer überragt, dann füllt sich das alte Becken zu einem grossen See, dessen Wasser in seiner wilden Fahrt immer und immer mehr den Boden aufwühlt und immer und immer neue Sümpfe schafft, bis wieder hier oder dort ein künstlicher Canal, Antassan, das Wasser dem Hauptstrom zuführt.
Die Formation dieses Diluvium und Alluvium ist bis jetzt ebenso wenig abgeschlossen als die der Danaus, Antassans und der grossen Ströme, welche oft einen täglichen Verfall von 15 Metern!! haben.
Ich verlasse nur ungern dieses Capitel, weil ich noch heute den ganzen Zauber dieser jungfräulichen Tropenwelt empfinde und fühle, obzwar ich kein Geologe und kein Botaniker bin.
So möge noch vor Schluss dieses Capitels wieder der Arzt in mir zu Worte kommen:
Eine zweite indische Landplage, welche noch ärger ist als die der Mosquitos, ist der rothe Hund, Lichen tropicus oder, wie sie Scheube nennt, eine Eczemform, z. B. eczema aestivum. Wenn ich mich jedoch an die Definition von Lichen halte, welche Hebra s. Z. gab, dann muss ich mich aus anatomischen, ätiologischen und klinischen Ursachen an die, wenn ich nicht irre, von mir zuerst in N.-Indien eingeführte Classification von Lichen tropicus halten. Hebra nannte Lichen »jene Krankheitsform, bei welcher Knötchen gebildet werden, die in typischer Weise bestehen und im ganzen chronischen Verlaufe keine weitere Umwandlung zu Efflorescenzen höheren Grades erfahren, sondern als solche sich wieder involviren«.
Als ich zum ersten Mal meinen Collegen mein Leid klagte, dass mich ein fürchterliches Jucken plage mit kleinen hochrothen Knötchen auf der Haut, und zwar am meisten zwischen den Fingern und am Rücken der Hand, am Rücken, auf der Innenseite der Arme und am Hals, da antwortete mir der Eine: »Seien Sie froh, dass Sie den rothen und noch nicht den schwarzen Hund haben« (wobei ein malitiöses Lächeln um seine Lippen spielte), während der Andere mir ein anderes Trostwort zu Theil werden liess. »Nein, seien Sie froh, dass Sie den rothen Hund haben, denn dann wissen Sie sicher, dass Sie keine andere Krankheit in Ihren Gliedern bergen.« Nun, was der Eine mit seinem »schwarzen Hund« und mit seinem malitiösen Lächeln sagen wollte, erfuhr ich später; für die Behauptung des zweiten Collegen, dass ich durch die Anwesenheit des »rothen Hundes« die demonstratio ad oculos hätte, nicht krank zu sein, bekam ich jedoch sofort die nöthige Interpretation.[S. 11] »Weil ich gesund sei, schwitze ich stark; weil ich stark schwitze, bekäme ich den »rothen Hund«; also, weil ich den rothen Hund hätte, sei ich gesund.« Kopfschüttelnd machte ich die Bemerkung: Gar so sehr könne ich mich mit meinem fürchterlichen Jucken nicht freuen, und ich würde es schon vorziehen, gesund zu sein, ohne den »rothen Hund« mitschleppen zu müssen, und ich möchte höflichst meine Collegen bitten, mir ein Mittel anzugeben, mich von diesem unliebsamen Gaste zu befreien. Ja, bekam ich mit mitleidigem Tone zur Antwort, wenn Sie den rothen Hund und die Transpiration unterdrücken wollen, und das Eine geht nicht ohne das Andere, dann können Sie auch sofort einen Sarg bestellen; Sie wissen ja, wie gefährlich es in Europa ist, die Transpiration zu unterdrücken; dies hat noch mehr Bedeutung »in de Oost«, wo Malaria, Cholera, Dysenterie u. s. w. sicher mit dem Schweisse den Körper verlassen. Noch wagte ich den Einwand: Mir scheint der »rothe Hund« von zu vielem Schwitzen zu entstehen, und ich möchte darum nur das zu viele Schwitzen bekämpfen, um dadurch vielleicht vom »rothen Hund« befreit zu werden. Auch dieses wurde mir abgerathen mit den Worten: Dagegen lässt sich nichts thun, denn der »rothe Hund« ist eine indische Krankheit, und da wir kein Arzneimittel dagegen haben, so ist auch bewiesen, dass der »rothe Hund« nicht vertrieben werden darf!! Aus diesem Gespräche wurde mir ersichtlich, dass der »rothe Hund« gewissermaassen einen diagnostischen Werth habe, weil er nie zugleich mit acuten Krankheiten vorkäme, und dass wir kein specifisches Heilmittel für ihn hätten. Nun, späterhin hatte ich an mir selbst und an hundert Anderen genug Gelegenheit, mich von der Richtigkeit dieser zwei Axiome zu überzeugen.
Leider sind nicht allein die »Totoks« das Opfer dieser Plage, d. h. jene Europäer, welche erst eine kurze Zeit in den Tropen sich aufhalten, sondern noch jahrelang, selbst sein ganzes Leben lang wird man in grösseren oder kleineren Pausen von dieser Hautkrankheit heimgesucht. Als ich im Jahre 1884 zum ersten Mal mit Urlaub nach Europa ging, hatten wir eine junge Wittwe an Bord, welche wegen dieser Krankheit Indien verlassen musste. Diese Dame hatte selbst im Gesicht die rothen Knötchen, was in der Regel nicht vorzukommen pflegt. Sie konnte beinahe die ganze Reise nicht an die Tafel kommen, weil sie unter der europäischen Toilette zu stark transpirirte und die indische Haustoilette an der Abendtafel nicht erlaubt ist.
Die Eingeborenen leiden gar nicht oder selten an dieser Krankheit. Sind es Eingeborene mit dunkler Hautfarbe, bleiben sie ganz und gar[S. 12] davon befreit; sind es pigmentarme Eingeborene, wie z. B. die in Indien geborenen Europäer (Kreolen), so leiden sie ebenso häufig am »rothen Hund« wie die in Europa geborenen Europäer; Menschen aus gemischtem Blut (Sinju und Nonna genannt) haben bei pigmentreicher Haut wenig oder gar keine Anlage zu Lichen tropicus, und bei pigmentarmer Haut sind sie in gleicher Weise dieser lang dauernden Krankheitsform unterworfen. Die Prophylaxis fällt zusammen mit der Aetiologie, d. h. alles zu thun und zu lassen, was die Schweisssecretion erhöht (nirgends wird so viel getanzt als in Indien!!), und die Behandlung ist die der juckenden Hautkrankheiten. Nur wird man das tägliche Schiffsbad nicht abzuschaffen brauchen, denn die Krankheit »schlägt nicht hinein« (es ist ja ein Ausschlag); man wird das Jucken mit Streupulver, Eau de Cologne u. s. w. vermindern; mit dem Eintreten der niedrigen Temperatur wird das Jucken eo ipso minder, und nur in Ausnahmefällen wird es nöthig sein, wegen des »rothen Hundes« ein kaltes Bergklima aufzusuchen.
[S. 13]
Pesanggrâhan = Passantenhaus — Ausflug nach der Affeninsel — Aberglaube der Eingeborenen — Reise nach Teweh — ein chinesisches Schiff im Innern Borneos — Trinkwasser in Indien — Eis — Mineralwässer.
Vor zwanzig Jahren bestand kein Hotel in Bandjermasing, wenigstens nicht im europäischen Sinne, sondern nur ein sogenanntes Pesanggrâhan, das heisst ein Gebäude, welches ursprünglich nichts anderes war, als ein Nachtverbleib für Reisende, welche sich selbst mit den nöthigen Lebensmitteln versahen. Solche giebt es heute noch zahlreich im Innern Javas. Der gesteigerte Verkehr brachte es mit sich, dass diese primitiven Häuser aus Holz oder Bambus von der Regierung einem niedrigen Beamten in Administration übergeben werden, welcher monatlich fl. 50 erhält und dafür in dem Pesanggrâhan einige Betten, Tische u. s. w. aufstellen muss, Reisende auf ihr Verlangen verköstigt (in der Regel gegen eine Bezahlung von 4–5 fl.) und für Officiere oder Beamte ein oder zwei Zimmer reservirt halten soll. Als im Jahre 1896 der König und die Königin von Siam Java mit grossem Gefolge besuchten und einige Tage an dem Fusse des Buru Budur zubringen wollten, mussten sie auch ein solches Nachtquartier beziehen, welches zu diesem Zwecke natürlich mit schönerer Einrichtung versehen wurde. Für das zahlreiche Gefolge wurden selbst zahlreiche Hütten aus Bambus in aller Eile gebaut und eingerichtet. Aber auch in diesem primitiven Hotel fand ich keinen Platz bei meiner Ankunft in Bandjermasing, und in liebenswürdiger Weise wurde mir vom Landessanitätschef Gastfreundschaft in seinem Hause angeboten. Zwei Tage später verliess der Dampfer wieder Bandjermasing, und im Hotel (?) wurden wieder einige Zimmer verfügbar. Da ich wusste, dass es noch einige Tage dauern würde, bis ich Bandjermasing verlassen sollte, hatte ich, um von der Gastfreundschaft meines Chefs keinen Missbrauch zu[S. 15] machen, oder ich will lieber sagen, um nicht länger, als nöthig war, davon Gebrauch zu machen, das Pesanggrâhan bezogen. Ein primitives Zimmer (das ganze Gebäude bestand aus Holz) mit primitiver Einrichtung, jedoch mit guter Küche, wurde mir geboten. Ich werde noch später Gelegenheit haben, mit der indischen Küche mich näher zu beschäftigen. Die wenigen Tage, welche ich in Bandjermasing bleiben sollte, benutzte ich zur Besichtigung der Stadt und zu einem Ausfluge nach der Affeninsel. Wenn, wie schon erwähnt, meine Reisebriefe aus dieser Zeit nur mangelhafte Berichte aus der Hauptstadt Borneos bringen, so kann ich sie heute hinreichend ergänzen, weil ich 3½ Jahr später wieder eine ganze Woche in Bandjermasing procul negotiis verweilte und durch den späteren Aufenthalt auf den andern Inseln einen Maassstab fand, mit Verständniss die herrschenden Verhältnisse, das Leben und Treiben dieser Hafenstadt zu beurtheilen. Es ist das Leben einer Hafenstadt, welche an einem Flusse und nicht an der Küste des Meeres liegt; es ist auch kein Wald von Mastbäumen oder eine unzählbare Menge von Dampfern, welche eine solche Hafenstadt charakterisirt. Ein Kriegsschiff, ein paar kleine Dampfer, einige grosse und unzählbar viel kleine Segelschiffe und Kähne bevölkern den Fluss; da das linke Ufer nur von den Chinesen bewohnt wird, welche zahlreiche Geschäfte (tokos) haben und keine einzige Brücke die beiden Ufer verbindet, so ist es der Kahn, welcher den kauflustigen Menschen und hin und wieder einem der beiden Militärärzte den Verkehr zwischen beiden Ufern vermittelt. Zahlreich sind die Magazine, welche auf dem Wasser in schwimmenden Häusern sich befinden, um von Zeit zu Zeit den Martapurafluss zu verlassen und mit Weib und Kind der Eigenthümer entweder stromaufwärts nach Martapura, der alten Sultan-Residenz, oder stromabwärts in den Baritu mit Dampfbarkassen gezogen zu werden.
Es ist hier ein Bild en miniature des bunten Lebens in den grossen Hafenstädten von Port Said, Singapore oder Makassar u. s. w.
Die Trachten der Chinesen, Araber, Malayen, Javanen, Dajaker, Bekompeyer, Buginesen und der Europäer geben auch hier ein kaleidoskopisches Bild, und wenn hin und wieder eine bandjeresische Frau auf ihrem Kahne bei uns vorbeifährt, so ist es nur ein neuer Stein in diesem farbenreichen Bild; denn sie hat einen colossal grossen Hut auf dem Kopfe, der sie vor den versengenden Sonnenstrahlen und dem tropischen Regen schützen soll. (Fig. 2.)
[S. 16]
Der Ausflug nach der Affeninsel geschah natürlich auch auf einem Kahn und zwar auf dem Canal Kween.
Dieser natürliche Canal ist ursprünglich nur ein Antassan gewesen, d. h. der Strom des Baritu hat sich in dem weichen Boden einen Weg gebahnt und die Martapura erreicht; ich zweifle auch keinen Augenblick, dass dieser Canal in den 18 Jahren, dass ich ihn nicht gesehen habe, an Breite, Grösse und Richtung nicht unbedeutende Veränderungen erfahren haben wird. An dem einen Ende dieser Antassans befindet sich die Affeninsel, wohin ich mich begab, beladen mit einem Revolver und mit einer grossen Pisangstaude (Musa sapientium und Musa paradisiaca = Banane).
Ich werde noch Gelegenheit haben, über die Pisang, sowie über Früchte Indiens im Allgemeinen zu sprechen; ich will jetzt nur erwähnen, dass diese eine Frucht ist, welche das ganze Jahr und überall im Archipel gegessen wird, dass es deren zahlreiche Arten giebt — bis zu 50 —, dass der Pisang-Baum auf gleichem Raume 133 mal mehr Nahrungsstoff als Weizen giebt, ja, dass einzelne Autoren selbst von zwei Centnern Früchten sprechen, welche ein einzelner Baum in einem Jahre liefere, dass die Frucht in Gurkenform ein mehliges Fleisch habe von süsslichem, leichtsaurem, adstringirendem Geschmack, und dass Säuglinge genährt werden mit geriebenem Pisang, mit welchem etwas gekochter Reis vermengt ist.
Den Revolver nahm ich mit, weniger aus Furcht, als mit dem Vorhaben, einen Affen zu erlegen. Kaum hatte ich mich der Insel genähert, welche ich wegen niederen Wasserstandes nicht betreten konnte, als die Affen (Cercopithecus cynomolgus), gemeinhin Keesch genannt, in grossen Schaaren ans Ufer kamen; ich glaube wenigstens 50–60 an diesem Tage gefüttert zu haben. Das possirliche Treiben dieser Vierhänder will ich meinen Reisebriefen nicht entnehmen, weil es genug bekannt ist, und weil ich späterhin genug von meinen Orang-Utangs und Gibbon mittheilen werde, welche in meinem Hause frei herumliefen. Als ich jedoch den Revolver zog, um nach den Affen zu schiessen, warnte mich mein Bedienter, dies zu thun, weil ich dann sehr krank werden würde. Ich liess mich nicht davon abhalten, schoss, ohne jedoch einen Affen zu treffen. »Glücklicherweise,« sagte ich, weil ich später gesehen, welche Macht diese eingeborenen Bedienten über ihre Herren bekommen, wenn man nicht vom Anfang an ihren Aberglauben ignorirt. Wenn man nicht vom Anfange an (principiis obsta!) sich auf diesen höheren Standpunkt stellt, ohne darum ihren Aberglauben[S. 17] zu bespötteln oder zu belächeln; dann wird der Orang baru = homo novus oft in unangenehmer Weise der Dupe seiner Bedienten, weil sie um jeden Preis ihre Ansichten durchsetzen wollen.
Zwei Beispiele aus meiner Erfahrung mögen dieses genauer illustriren. Ich schenkte einem meiner Freunde einen Beo (Gracula), welcher noch nicht gut sprechen konnte; sein Bedienter erklärte, die Zunge dieser indischen Elster dürfe nur an einem Freitag gelöst werden; ich zuckte die Achseln und bedeutete meinem Collegen, dass ich solche abergläubischen Ansichten principiell nicht befolge; mein College jedoch fand meinen Skepticismus gegenüber dem Mysticismus der Malayen nicht gerechtfertigt, weil Vieles zwischen Himmel und Erde sei, wovon die menschliche Weisheit sich nichts träumen liesse und weil der Bediente als Eingeborener des Landes besser mit der »Natur« des Landes vertraut sei u. s. w. Wie gewöhnlich stand sein Bedienter mit einem wesenlosen Ausdruck neben uns, als ob sein Geist irgendwo im Weltraum schweife, während er factisch, ohne dass es sein Herr wusste, die holländische Sprache gut verstand. Wenigstens ich sah, als mein Freund hierauf erwiderte, er wolle es probiren und denselben Tag dem Beo die Zunge lösen lassen, ein eigenthümliches Lächeln um seine Lippen spielen. Den andern Tag war der Beo — todt. Weniger gleichgültig ist der Aberglaube — in der Kinderpraxis. Die Babus (Dienstmädchen) haben ihre eigenthümlichen medicinischen Erfahrungen und octroyiren sie in geschickter Weise den Müttern, und wird man zu einem kranken Kinde gerufen, so erhält man die abenteuerlichsten Rathschläge. Ist so eine Mutter gewöhnt, jenen absurden Vorschlägen, wie wir sie späterhin kennen lernen werden, nicht principiell entgegen zu treten, oder sie sogar anzunehmen, so fühlt sich die Babu ihrer Rolle sicher und beherrscht die Mutter in fürchterlicher Weise; wird jedoch einmal ihr Rath nicht befolgt, so wird es oft geschehen, dass sie, um Beweise für ihre Ansicht zu bringen, selbst schädliche Medicinen dem Kinde eingeben, oder, wie ich es einmal entdeckte, in Gegenwart der Eltern und des Arztes das Kind in die Hinterbacke zwicken, um es fortwährend schreien und weinen zu lassen.
Am 11. April erhielt ich Marschbefehl und zwar nach Muarah Teweh (0° 5′ S. B.), wohin den folgenden Tag ein Regierungsdampfer mich und den neuen Militär-Commandant bringen sollte. Dieses Fort lag damals am rechten Ufer des gleichnamigen Nebenflusses des Barituflusses.
Auf dem Strome, auf welchem oft tausend Meter weit die tiefste[S. 18] Stille herrscht, welche nur durch das Plätschern der Räder des Dampfers unterbrochen wurde, waren wir oft stundenlang die einzigen lebenden Wesen; hin und wieder erhob am Ufer lautlos ein Krokodil seinen Kopf und schaute uns mit neugierigen Blicken an, hin und wieder flog ein glänzender Alcedo über dem Dampfer, oder wir hörten aus weiter Ferne die gellen Klagelaute der Gibbons; eine Riesentaube, einen Reiher, ein Lori sahen wir hin und wieder im Gebüsche; aber der Grundtypus des Panoramas war die majestätische Ruhe.
Menschen, sollte man glauben, bewohnen nur den unteren Lauf des Baritu, wo oft, wie in Bandjermasing, auf schwimmenden Häusern die Handelsleute wohnen. Diese Häuser, aus Matten verfertigt, schwimmen auf dem Wasser und sind mit grossen Rottangs an den Ufern befestigt; mit dem Steigen und Fallen des Wassers müssen die Rottangs kürzer oder länger angebunden werden. Will ein solcher Jünger Mercurs den Platz verlassen, löst er die Schlinge, zieht den Rottang ein und lässt sich den Strom abwärts treiben oder den Strom aufwärts ziehen mit seinem Geschäfte, mit Weib und Kind und mit seiner Wohn- und Schlafstätte. Das ganze Familienleben spielt sich auf diesem Hause ab, durch dessen Flur man die spiegelnde Fläche der Wasser sieht.
Im oberen Laufe des Stromes jedoch verschwinden diese schwimmenden Häuser ganz; nur sehr selten sieht man am Ufer ein Dorf (Kampong) stehen, und ebenso selten sieht man einen vereinzelten Dajaker auf der Fischjagd oder auf dem Wege nach seinem weit jenseits des Ufers gelegenen Kampong. Wenn man die Zahl der Kampongs und der Menschen, welche die Ufer dieses Riesenstromes bewohnen, als Maassstab für die Schätzung der Einwohnerzahl Borneos nehmen wollte, würde das Ergebniss viel zu weit hinter der Wirklichkeit bleiben, obgleich, wie bekannt, das Land sehr schwach bevölkert ist. Die Namen der einzelnen Kampongs und der zahlreichen Nebenflüsse dieses Stromes anzuführen, unterlasse ich gerne im Interesse des Lesers. Aber von drei Nebenflüssen, vom S. Rungan (Nebenfluss des Kahayastromes) und von der Lotongtoor und Teweh, welche sich in den Baritu ergiessen, muss ich doch einiges mittheilen.
Auf dem Ufer des Rungan soll nämlich das Wrack eines chinesischen Schiffes sich befinden. Wir werden im letzten Capitel sehen, dass die Chinesen schon vor 1400 Jahren Borneo, und zwar die Nordküste, besucht haben; aber aus einer viel späteren Zeit stammen die Berichte von einer Einwanderung der Chinesen in den südlichen Theil dieser Insel. Uebrigens ist der grösste Theil des Stromgebietes des[S. 19] Flusses Kahaya im Diluvium gelegen; die Quelle des Rungan liegt jedoch in tertiärer Formation. Wie ist nun dieses chinesische Segelschiff auf die Ufer dieser Nebenflüsse geworfen worden und wann geschah dies?
Wir haben aus jüngster Zeit ein Analogon für einen solchen Fall. Im Jahre 1883 war mit dem Ausbruchs des Krakatau (zwischen Java und Sumatra) ein heftiges Seebeben verbunden, welches den Dampfer »Berouw«, welcher im Hafen vor Telok Betong lag, bis eine Meile weit ins Innere des Landes schleuderte. Das Wrack lag noch im Jahre 1888 so weit von der Küste.
Wer weiss also, wie weit vor 1000 Jahren die Küste Borneos von der heutigen entfernt war?
Der Fluss Lotongtor ist ein historischer Kampong am gleichnamigen sehr kleinen Nebenfluss oder vielmehr Antassan zwischen den Flüssen Montalat und Teweh. Hier liegt nämlich das Wrack von dem Kriegsschiff »Ourust«, welches im Jahre 1859 von den Dajakern überfallen und dessen ganze Bemannung bis auf einen javanischen Bedienten niedergemacht wurde, welcher die Trauermähr nach Bandjermasing brachte.
Den Fluss Teweh nenne ich, weil auf seinem rechten Ufer ein Fort stand, Namens Muarah Teweh, in dem ich drei Jahre lang in Garnison lag, und weil dieser Nebenfluss auf der Wasserscheide entspringt, zwischen den Strömen der Ostküste und den Nebenflüssen des Baritu, so dass im Jahre 1880 der Sultan von Kutei und der dänische Forscher Bock diesen kleinen Bergrücken überschreiten und auf dem Teweh in den Baritu sich abtreiben lassen konnten, wo sie ein Regierungsdampfer erwartete und nach Bandjermasing bringen konnte. Das Fort lag damals im Winkel, welchen das rechte Ufer der Teweh mit dem linken Ufer des Baritu bildet; später wurde es verlegt nach dem linken Ufer der Teweh, und heute steht es am rechten Ufer des Bantu, direkt gegenüber der Mündung (Muara) dieses Flusses. Seine Kanonen bestreichen also die ganze Breite des Baritu, welche ich seiner Zeit auf 400 Meter berechnete, und den untern Lauf der Teweh. Im Jahre 1877 befand sich dort nur ein Fort mit 3 Officieren und ungefähr 100 Mann; heute residirt dort nebstdem ein Assistentresident (= Bezirkshauptmann), ein Postbeamter und ein Schreiber. Wie lange wird es dauern, dass auch ein Schullehrer und ein Notar sich in Teweh ansiedeln?
[S. 20]
Während der Fahrt nach Teweh beschäftigte ich mich unter anderem auch mit dem Trinkwasser unseres Regierungsdampfers, welches in Bandjermasing an Bord gebracht worden war.
Prof. Robert Koch hat am 9. Juni 1898 in der Colonialgesellschaft zu Berlin einen Vortrag über Malaria gehalten, in welchem er einige Axiome aufstellte, welche in ihrer Allgemeinheit nicht von mir und wahrscheinlich auch von keinem andern Praktiker unterschrieben werden können: 1) Das Ueberstehen der Krankheit verschafft eine gewisse Immunität (?); 2) Chinin, zur rechten Zeit gegeben, heilt die Malaria (?); 3) die Uebertragung der Malaria findet weder durch die Luft, noch durch das Wasser statt (?) u. s. w. Im zweiten Theil werde ich meine diesbezüglichen Erfahrungen mittheilen; aber an dieser Stelle muss ich meine warnende Stimme erheben, auf Grund dieser Theorien Maassregeln zu nehmen; denn Luft und Wasser sind Vermittler der Malaria!!
Das Trinkwasser ist für Bandjermasing eine Lebensfrage in erster Reihe, weil die Stadt zum Inundationsgebiet gehört, welches täglich unter dem Einflusse der Ebbe und Fluth steht. Es existiren keine Brunnen mit trinkbarem Wasser. Es wird also das Wasser gebraucht, welches während der Ebbe der Martapurafluss führt, an dem die Stadt liegt. Abgesehen davon, dass dieses Flusswasser sehr verunreinigt ist, weil zahlreiche Antassans und kleine Nebenflüsse noch im Bereiche des Inundationsgebietes liegen, ihr Wasser dem Baritu zuführen und somit gesundheitsschädliche Bestandtheile enthält, so geschieht es in trockenen Monaten oft, dass der Wasserstand so niedrig ist, dass zur Zeit der Ebbe ein Theil des Meerwassers zurückbleibt und zur Zeit der Fluth noch vermehrt wird. In solchen Monaten wird in grossen eisernen Kähnen das Trinkwasser aus höher gelegenen Theilen der Martapura zugeführt, wo sich der Einfluss der Fluth nicht mehr fühlbar macht. Natürlich bleibt ein solches Wasser immer mehr oder weniger gesundheitsschädlich. Wir haben ein sehr gutes Mittel, jedes ungesunde Wasser von den pathogenen Bacterien zu befreien. Aber — es ist zu einfach und kann darum (?) natürlich keinen allgemeinen Gebrauch finden?! Gegen die groben Verunreinigungen des Wassers werden grosse Filtrirsteine gebraucht, welche aus Sandstein in der Nähe Surabayas (Java), in Grissé gewonnen werden. In diesen kegelförmig ausgehöhlten Sandstein werden Holzkohle und Kieselsteine gelegt und das Wasser fällt, von den groben Verunreinigungen befreit, tropfenweise in den darunter stehenden Topf. Wegen der zahlreichen chemischen Verunreinigungen geben einige ins Wasser Eisenchlorid und Soda. — Die bacteriologische[S. 21] Untersuchung eines Wassers, welches auf diese Weise gereinigt ist, liess vieles, wenn nicht alles, zu wünschen übrig. Alle möglichen Filtrirapparate wurden also aus Europa bestellt — es wäre zu viel, um sie alle bei Namen aufzuführen — und alle entsprachen mehr oder weniger, d. h. die bacteriologische Untersuchung des Wassers, nach diesem letzten Filtrirungsprocesse, brachte mehr oder weniger nicht pathogene und sehr selten pathogene Bacterien zu Tage. Im Vertrauen auf die bacteriologische Untersuchung versäumten nun die meisten das einzige richtige Mittel, um Wasser sicher und zweifellos von pathogenen Bacterien zu befreien und zwar, es bis zur Siedhitze zu kochen, zum Nachtheile ihrer und ihrer Angehörigen Gesundheit. Wenn in einem Orte die Cholera epidemisch ausbricht, da treibt eine Jagd nach Filtrirapparaten die Preise in die Höhe; aber dass auch die Malaria, diese epidemische Pest einzelner Orte, gleicherweise durch das Trinkwasser verbreitet werden könne und verbreitet wird, daran denkt niemand; ja noch mehr, es wird von manchen Aerzten für unwahrscheinlich gehalten. Ich will nicht diesbezüglich die Literatur über dieses Thema in den Rahmen dieser Causerie hineinziehen, aber ich will nur zwei Thatsachen zur Unterstützung dieser meiner Behauptung anführen. Vor zwanzig Jahren hatte Semarang (auf der Nordküste Javas) kein artesisches Wasser und war berüchtigt durch seine schweren Malariaformen. Ist nicht nach dem Einführen der artesischen Brunnen Semarang bedeutend gesunder geworden? Hat sich dieser günstige Einfluss nicht auch auf die Zahl und Intensität der Malariafälle erstreckt? Während der letzten zehn Jahre rieth ich meinen Patienten und meinen Freunden, überall und immer nur gekochtes Wasser zu trinken. Ist es wirklich nur Zufall, dass alle, welche diesen Wink befolgten, seither vom Fieber befreit blieben, obzwar darunter Familien vorkommen, welche in Tjilatjap, dem grössten Malariaherde Javas, gelebt und das Fieber s. Z. acquirirt hatten. Um nur von zwei solchen Familien zu sprechen: sie nahmen nach dieser Zeit niemals Chinin, und doch sind sie seither befreit von Fieberanfällen, während es bekannt ist, dass Menschen, welche von der Malaria heimgesucht wurden, oft jahrelang noch einzelne Fieberanfälle bekommen, auch nachdem sie die Malariagegend verlassen haben. Ich wage es also zu behaupten, dass alle anderen Filtrirapparate überflüssig und selbst schädlich sind; dass die bis jetzt üblichen Filtrirsteine zweckentsprechend sind, wenn das Wasser zu gleicher Zeit bei einer Temperatur von 100–120° wenigstens ¼ Stunde lang gekocht wird. Im Allgemeinen wird es hinreichen, erst das Nutzwasser[S. 22] durch den Filtrirstein laufen zu lassen und darnach zu kochen, manchmal jedoch wird es besser sein, mit dem Kochen anzufangen und zwar bei dem grauen Wasser, welches reich an pflanzlichen Verunreinigungen ist. Oft wurde mir auf meinen Rath eingewendet, dass das Trinkwasser durch das Kochen seinen erquickenden Geschmack verliere. Das ist richtig; aber diesem Mangel ist abzuhelfen, z. B. durch ein Stück Kunsteis, welches natürlich aus destillirtem Wasser bereitet sein muss, oder durch Hinzufügen von Thee, Brandy u. s. w. Es kann das Trinkwasser auch in einem Kübel mit Eis frappirt werden und erhält dann auch einen angenehmen Geschmack. Durch das Kochen des Wassers wird auch der Gebrauch der Mineralwässer überflüssig. Diese werden mit mehr oder weniger Recht häufig gebraucht, und besonders das Apollinariswasser hat in den letzten Jahren eine starke Verbreitung gefunden. Es ist reich an Kohlensäure, und zwar ist es künstlich damit imprägnirt. In Indien giebt es zahlreiche Fabriken von Mineralwässern, und ihre Producte werden auch gerne von den Chinesen und den Halbeuropäern wegen ihres niederen Preises gekauft; sie haben jedoch immerhin einen gewissen schalen Beigeschmack, und man ist nicht sicher, ob das Wasser einer genügend reinen Quelle entnommen ist. Ich glaube nicht, dass immer destillirtes Wasser zur Fabrikation dieser künstlichen Mineralwässer verwendet wird, und in diesem Falle sind die Apollinaris, Krondorfer, Giesshübler u. s. w. gewiss vorzuziehen. Wer die Bedeutung eines guten Trinkwassers im Auge hält, wird mir gewiss verzeihen, wenn ich so lange bei diesem Gegenstande verweilt habe; denn es ist eine Lebensfrage für alle Länder und am meisten für Indien, wo auf der einen Seite wegen der starken Transpiration mehr als in Europa getrunken wird, und andererseits die Beschaffung von gutem Trink-, Koch- und Waschwasser schwierig, oft unmöglich ist. Die Flüsse im alluvialen Boden sind durch die Fäcalien der Menschen, durch anorganische Stoffe und durch die ungeheuren Massen faulender Pflanzen und Thiere stark verunreinigt. Die Flora und Fauna ist ja in den Tropen üppig. Neben den Riesen des Waldes aus der Thier- und Pflanzenwelt ist ja das Reich der Mikroorganismen noch riesenhafter. Das Wasser der Brunnen hat ja oft eine kleine Menagerie, wie van der Burg erzählt, von Terpsinoe, Melosira, Arcella, Cypris, Synedra, Navicula u. s. w., und oft genug findet man selbst makroskopisch im filtrirten Wasser munter herumschwimmende Ungeheuer. In solches Fällen gebraucht man daher aufgefangenes Regenwasser, welches jedoch ebenfalls filtrirt und gekocht werden muss. Vielfach wurde der Gebrauch des Eises[S. 23] angefeindet; alle möglichen Krankheiten des Magens und selbst der Magenkrebs wurden ihm zugeschrieben, aber, wie ich glaube, mit Unrecht. Eingeborene wie Europäer lieben (mit Recht) den kühlen Trank, weil sie viel kleinere Quantitäten zum Löschen des Durstes nöthig haben, und weil der Durst durch kaltes Wasser intensiver gelöscht wird als durch laues Wasser. Vielleicht ist die Einführung des Eises selbst eine Wohlthat zu nennen, denn seit dieser Zeit wird viel weniger Alkohol consumirt als früher. In früheren Jahren wurde Natureis von Amerika und selbst von Schweden eingeführt und war das Eis um einen billigen Preis nur in einzelnen Hafenplätzen zu bekommen; auch die ersten Eisfabriken wurden nur in den grossen Hafenstädten errichtet. Als ich im Jahre 1882 in Telok-Betong (Südküste von Sumatra) in Garnison lag, liess ich gemeinschaftlich mit einigen Herren von Batavia Eis kommen; es kam jedoch durch Schmelzen der Preis in Telok-Betong auf 25 Kreuzer das halbe Kilo, so dass wir von diesem Luxusartikel sehr bald absehen mussten, abgesehen davon, dass nur jede Woche einmal ein Boot zwischen diesen beiden Städten verkehrte. In früheren Zeiten, d. h. als die Eisfabriken noch nicht bestanden, hatten sehr viele Menschen im Innern des Landes, wohin das Natureis nicht transportirt wurde, kleine Maschinen für 60–100 Fl., in welchen durch Luftverdünnung kaltes Wasser gemacht wurde. Noch muss ich erwähnen, dass in hoch gelegenen Gegenden das Eis für den täglichen Gebrauch beinahe entbehrlich ist, weil das gewöhnliche Trinkwasser oft nicht mehr als 18–20° C. hat und bei dieser Temperatur erfrischend ist, und dann, dass von jeher irdene Krüge im Gebrauch sind (Gendis), in welchen das Wasser bewahrt wird und davon eine angenehme kühle Temperatur behält, weil der poröse, nicht glasirte Krug das Wasser verdunsten lässt, womit eine Herabsetzung der Temperatur verbunden ist.
[S. 24]
Amethysten-Verein — Alkohol — Gandruwó, eine Spukgeschichte — Polypragmasie der jungen Aerzte — Verpflegung in einem Fort — Unselbständigkeit der Militärärzte — Malayische Sprache — Vergiftung mit Chloralhydrat und Arsenik — Krankenwärter und Sträflinge — Amoklaufen — Erste Praxis unter den Dajakern — Schwanzmenschen.
Mit mir wurde, wie schon erwähnt, auch ein neuer Commandant nach Muarah Teweh transferirt, welcher gewissermaassen mein Chef in loco war, während der Landessanitäts-Chef in Bandjermasing in allen dienstlichen und wissenschaftlichen Angelegenheiten der eigentliche Chef blieb. Wir Beiden standen den fünften Morgen am Deck, als uns der Schiffs-Capitain am linken Ufer in weiter Ferne das Dach eines Forts sehen liess, mit des Worten: »Das ist Ihr Gefängniss.« Das erste Wort, welches der neue Commandant über Teweh zu mir sagte, war: »Nun zeigen Sie mir hier etwas Interessantes!« — Ein Fort mit zwei Meter hohen Palissaden aus Eisenholz; die Gebäude zeigten das schmutzig-gelb Graue von alten Bambusmatten und waren mit Holzschindeln gedeckt; hinter dem Fort war Urwald, auf dem jenseitigen Ufer des Baritu war Urwald und auf der Südseite zog der Tewehfluss zum Baritustrome. Mein Vorgänger soll, wie die bösen Zungen behaupteten, sofort nach seiner Ankunft in Teweh geheirathet haben, um die Regierung zu zwingen, ihn aus dieser Garnison abzulösen, weil »sie können doch nicht eine europäische Dame in Muarah Teweh wohnen lassen«; er blieb aber doch und hatte zur Zeit seiner Transferirung selbst schon ein kleines Baby; ich kaufte seine ganze Einrichtung, soweit er sie nicht mitnehmen wollte, bezahlte ihm auch den Preis für die Küche, welche er ausserhalb des Forts hatte bauen lassen; ich übernahm den Vorrath der Apotheke, ohne mich natürlich aufs Wägen und[S. 25] Messen der Medicinen einzulassen, bestätigte den Empfang von so viel Flaschen, Töpfen, Instrumenten, Utensilien, so viel Kilo Chinin, Ricinusöl und hundert anderen Medicinen, und zwei Tage später verliessen uns der alte Commandant und Dr. F. mit seiner Frau und drei Kindern (zwei stammten aus erster Ehe) und liessen uns (mit dem 3. Officier) zurück mit den wohlgemeinten Wünschen, die Oede des gesellschaftlichen Lebens mit Kartenspiel und dem Schnapse auszufüllen. Diese zwei Herren hatten es nicht gethan, und auch uns hat das Schicksal vor diesen Dämonen bewahrt.
Ich glaube, dass im Jahre 1894 Dr. Fiebig in Bandjermasing den Amethysten-Verein gegründet hat.
Aber schon seit wenigstens einem Jahrzehnt und zwar seit Einführung des künstlichen Eises hat der Alkohol in Indien viel von seinem verderblichen Einfluss verloren, seine Opfer sind jetzt bei weitem nicht so zahlreich, als sie es waren, wenn auch noch häufig genug, um einem Mässigkeits-Verein raison d’être zu geben. Ich zweifle, ob dieser Verein jedoch mit Erfolg Propaganda für seine Theorien machen wird und machen kann.
Dr. Fiebig verurtheilt nämlich den Gebrauch des Alkohols in jeder Form, zu allen Zeiten und unter allen Verhältnissen, d. h. er findet den Alkohol auch in der Hand des Arztes nicht nur überflüssig, sondern sogar schädlich. Dr. Fiebig geht also zu weit, er schiesst über das Ziel und verliert gerade in jenen Kreisen, welche berufen sind, seine Pläne, dem schädlichen Einfluss des Missbrauchs des Alkohols entgegenzutreten, zu unterstützen, eines grossen Theil der Anhänger, welchen er haben würde, wenn er sich an die thatsächlichen Verhältnisse halten würde. Auch Sympathie verlor er für seine Bemühungen durch die Form, in welcher seine Thätigkeit begann: amethystblaues Ordensband für die Mitglieder seines Vereins und das Losungswort »Los« (wenn ich mich nicht irre), welches die Mitglieder Jedem zurufen sollten oder mussten, wenn sie Jemanden Bier, Wein, Cognac oder Genevre trinken sahen, haben mehr Männer vom Zutritt zum Vereine ferngehalten, als Dr. Fiebig vielleicht dachte oder wusste. Nun, meine Wenigkeit z. B., die 20 Jahre unter den Holländern in Indien wohnte und doch keinen Genevre gewohnheitsmässig trank, welcher principiell kein Bier trank, weil sein Gebrauch (selbst der mässige) in den Tropen schädlich ist, ich selbst, der überzeugt ist, dass der Alkohol zum täglichen Gebrauch entbehrt werden kann, der in dem Alkohol ein Genussmittel sieht, welches als solches kein Bedürfniss ist, ich selbst hatte alle[S. 26] Sympathie für diesen Verein, so lange — ich nicht von den kindischen Spielereien mit einem amethystblauen Band u. s. w. hörte; ich bin also niemals Mitglied dieses Vereins geworden.
Wie gesagt, auch ohne die etwas laute Agitation dieses Vereines wurde der Missbrauch des Alkohols in holländisch Indien sehr vermindert; die Folgen desselben auseinander zu setzen, halte ich für überflüssig, weil sie hinreichend bekannt sind. Auf zwei Factoren möchte ich jedoch aufmerksam machen. Erstens: die meisten Menschen, welche dem Alkohol zum Opfer fielen, vergassen das alte Sprichwort: Principiis obsta. Als ich in Muarah Teweh Verdruss auf Verdruss hatte, verlor ich den Appetit; ein Gläschen Wein regte ihn jedoch so weit an, dass ich etwas essen konnte; bald jedoch zeigte sich diese Dosis zu klein, und ich musste bei Tafel zwei Gläschen Wein nehmen, um dasselbe Ziel zu erreichen; bald jedoch wurde auch dieses Quantum zu klein; ich nahm drei Gläschen, ohne dass für die Dauer mein Appetit rege blieb. Ich kam jedoch zu dem Entschlusse, die Dosis nicht weiter zu vergrössern, weil ich das Gespenst des chronischen Alkoholismus vor mir sah. Eine Zeit lang konnte ich trotz dieser drei Gläschen Wein keinen rechten Appetit bekommen; ich blieb jedoch bei meinem Entschluss und — siegte. Ohne die Dosis Wein zu erhöhen, konnte ich nach und nach wieder Mittag und Abendmahl essen, und auf diese Weise bin ich kein Säufer geworden.
Der zweite Factor ist, dass die Verführung in Indien zum Missbrauch des Alkohols gross ist. Wenn man dahin kommt, wird man von guten Rathschlägen überhäuft. Man geht in den Club und der Nachbar will sich des Homo novus erbarmen und ihm die Gefahren des Tropenklimas mit lebhaften Farben schildern, und schliesst seinen Vortrag mit den Worten: Ich bin schon 10–15 Jahre in Indien, ich bin niemals krank gewesen, lebe noch, wie Sie sehen; aber ich habe täglich zweimal vor der »Reistafel« und vor dem Abendessen mein Bitterchen getrunken. Sein Nachbar will auch ein Wort darüber sprechen und fügt hinzu: »Der Alkohol setzt ja die innere Temperatur herab, wie Sie wissen, Doctor; also müssen Sie ein Bitterchen trinken.« Ein Dritter fügt wieder hinzu: »In de ›Oost‹ muss man in den ›Pökel‹ gesetzt werden, sonst geht man zu Grunde, wie das Rindfleisch verdirbt, wenn es nicht eingepökelt wird.« Dies alles ist schon darum unrichtig, weil Millionen Menschen in den Tropen leben ohne den Gebrauch des »Genevre«. Alkohol ist eben kein Bedürfniss für den täglichen Gebrauch, ebenso als der Tabak oder das Opium. Es ist[S. 27] ein Genussmittel, und zwar ein gefährliches Genussmittel, weil es leicht zum Missbrauch führt und dann gefährlich für Leib und Seele wird. Dies möge jeder bedenken, der zum ersten Gläschen Bittern greift, um in der Monotonie des alltäglichen Lebens »auf dem Posten« einen Ersatz für andere Genüsse oder einen Sorgenbrecher für die Unannehmlichkeiten im häuslichen oder dienstlichen Leben zu finden. Wenn aber Dr. Fiebig mit seinen Anhängern den Alkohol aus dem Arzneischatz verbannen will, dann möchte ich ihm doch ein Halt, ein Ne nimis zurufen. Will vielleicht Dr. Fiebig in dem Moschus oder Campher so ein kräftiges Excitans als in dem Alkohol oder Aether sehen? Dr. Fiebig hat Unrecht, wenn er den Alkohol selbst den Aerzten entreissen möchte. Gänzlich wird ihm dies niemals gelingen. Noch einen Einwand des Dr. Fiebig gegen den »mässigen Gebrauch« des Alkohols möchte ich entkräften. Er wirft nämlich allen jenen, welche in unschädlicher Menge den Alkohol geniessen, vor, dass sie kein Recht hätten, dem Soldaten, dem Arbeiter oder dem Proletarier den Schnaps zu verweigern, weil sie ja auch Alkohol in der Form des Weines, Bieres, Champagners u. s. w. gebrauchen, mit einem Wort: exempla trahunt. Darüber liesse sich vieles zur Antwort geben; aber weder ich noch tausend Andere fühlen den Beruf in sich, von diesem Genussmittel abzusehen, allein — weil der Nachbar davon Missbrauch machen könnte. Wenn ich die Charakterstärke habe oder hatte, trotzdem dass ich den Wein gern trinke, und trotzdem meine Mittel es erlaubten, Wein in beliebig grosser Menge zu trinken, nur einen bescheidenen Gebrauch davon zu machen, dann darf ich mein warnendes Wort jedem zurufen, ein Gleiches zu thun. Für mein Kind, für meinen Freund werde ich vielleicht das Opfer bringen, ein Genussmittel mir zu versagen, wenn es aus pädagogischen Rücksichten nothwendig ist; aber zu Gunsten eines Fremden haben weder ich noch tausend Andere dazu den Beruf. —
Das Schiff hatte uns verlassen, und jeder von uns drei Officieren zog sich in seine Gemächer zurück; wir zwei neuen Bewohner des Forts, um mit den häuslichen Angelegenheiten einen Anfang zu machen, der dritte, um den Anforderungen des Dienstes gerecht zu werden. Meine Wohnung lag an der Westseite des Hauptgebäudes, und zwar an dem südlichen Ende, so dass die westliche und südliche Seite meiner Wohnung von den Palissaden der Festung, die nördliche von der Bambuswand meines Nachbars und die östliche von der Hinterfront des Gebäudes begrenzt wurde. An diese schloss sich ein kleiner Hofraum und dahinter[S. 29] Pulvermagazin und Provostzimmer, und daran grenzte die Caserne, welche ebenfalls (nach Osten) von der Palissadenwand umschlossen wurde (Fig. 3). F. Gerstäcker theilt in der »Gartenlaube« von den 70er Jahren eine in Indien bekannte Spukgeschichte, wenn ich nicht irre, unter dem Namen »Gandruwó« mit, welche seiner Zeit sogar zu einem Duell eines Generals geführt habe. Die gegenwärtige Generation hat sie offenbar schon vergessen, weil man so selten von ihr sprechen hört. Sie zu erzählen, habe ich keine Ursache, weil ich folgenden ähnlichen Fall erlebt habe. Eines Abends sassen wir drei Officiere in unsern Zimmern, als plötzlich in meinem Zimmer ein Stein von der Decke fiel; ich schrieb es einem Zufalle zu und schwieg; es kam ein zweiter, ein dritter, und als endlich sogar ein Kork fiel, und zwar versehen mit dem Namen meines Weinlieferanten, stand ich auf und rief dem militärischen Commandanten zu, ob er die Steine fallen höre; ja, was bedeutet dieses? frug er zurück. Scherzend rief ich zurück: Das ist Gandruwó! Er kam zu mir und nirgends war eine Spur von einer lebenden Seele; vor uns lag das Ufer, es war mondhelle Nacht — kein Mensch, kein Affe zu sehen; vor der Südseite standen zwei grosse Bäume und ein Wachthaus, das geschlossen war; beim hellen Scheine des Mondes konnte man jedes Blatt des Baumes sehen, so dass wir sicher waren, dass auf dem Baume der Schalk nicht sitzen konnte, und nur in der Galerie, welche längs unserer Wohnung sich zog, lief die Schildwache auf und ab. Während wir den Fall besprachen und vor der Schildwache standen, fielen wieder Steine, und zwar immer aus dem Süden kommend. Für den dritten Lieutenant (de mortuis nil nisi bene) war es der ausgesprochene Fall von Gandruwó, weil er in dem jahrelangen Verkehr mit seiner Haushälterin in dem Aberglauben der Eingeborenen aufgegangen war. Nun, auch für uns zweie war es eine mysteriöse Sache: nirgends einen Menschen, nirgends ein lebendes Wesen zu sehen, und vor uns aus dem hohen Dachraume, in dem der Uebelthäter auch nicht sitzen konnte, Steine und Kork fallen zu sehen und zu hören! Nun, Doctor? frug mich der Commandant. In französischer Sprache gab ich ihm zur Antwort (weil die Schildwacht, obzwar ein Eingeborener, vielleicht doch holländisch verstehen konnte): »Ich weiss ein Mittel, um diesen Geisterspuk aufzuklären.« »Nun! welches?« »Drohen Sie der Schildwacht mit acht Tagen Provost, wenn das Fallen der Steine nicht aufhöre.« Der Commandant acceptirte meinen Rath und — die Ruhe war hergestellt. Offenbar hatte der Soldat, während er in strammer Haltung vor uns stand, mit dem Finger die Steine hinaufgeschnellt,[S. 30] ohne dass wir es merkten. In anderen ähnlichen Fällen sind z. B. in geschlossenen Räumen, selbst in Zimmern mit gewöhnlichem Plafond, dubang, d. i. mit Sirih roth gefärbter Speichel, Steine u. s. w. auf den Beobachter gefallen, obschon, wie in dem von Gerstäcker erwähnten Falle, ein Cordon von Soldaten das Haus umstand. Den directen Beweis für die natürliche Entstehungsweise habe ich in meinem Falle auch nicht erbracht; aber ich zweifle nicht, dass es in allen Fällen möglich gewesen wäre, den Betrug aufzudecken, wenn man nur den Mysticismus dieses Vorganges principiell ausgeschlossen hätte.
Auf die Ordnung meiner Wohnung brauchte ich nicht viel Zeit zu verwenden. Die Wände bestanden aus Matten von 2–3 Meter Höhe, hatten also keine Fenster, denn das Licht fiel über die Palissaden in mein erstes, ich will es Studirzimmer nennen; im zweiten Raume standen mein Bett, Kasten und Waschtafel. In der südlichen Wand war eine Oeffnung, welche in der Nacht oder bei schwerem Regen von einem Thürchen geschlossen werden konnte, also die Rolle eines Fensters spielte, und im letzten Raum stand der Geschirrkasten; eine Thür aus Bambus-Matten führte in den Hofraum. Natürlich war mein Studirzimmer zu gleicher Zeit, venia sit dictu, Empfangs- und Speisezimmer. Vor dem Fort stand am Ufer des Flusses meine Küche, mein Badehaus mit Abort, welche ebenfalls aus Bambus verfertigt waren; später errichtete ich daneben ein Affenhäuschen. Die Marodenzimmer für 6–8 Kranke und eine Apotheke standen im Fort und hatten dieselbe primitive Bauart und dasselbe einfache Baumaterial. Die Apotheke hatte einen grossen Vorrath an Arzneien, welche sich in den Jahren ihres Bestehens aufgehäuft hatten, ohne dass sie in Gebrauch genommen wurden. Die indische Regierung ist diesbezüglich besonders freigebig, oder sagen wir lieber verschwenderisch. Jeder Arzt hat das Recht, um Arzneien ad libitum ersuchen zu können; kein Chef hat den Muth, das »fiat verabfolgen« zu verweigern; wie viele, namentlich junge Aerzte, sehen ihr Heil nur in dem Verabfolgen von zahlreichen Medicinen und vergessen, dass der Arzt sehr viel auch ohne Arzneien helfen kann. Ich hatte einmal einen Patienten mit einem Typhoid — es ist 4 Jahre her — im Spital zu Magelang (Java), dem ich ¾ Gramm Antipyrin dreimal des Tages vorgeschrieben hatte; in meiner Abwesenheit bekam er Nasenbluten, und es wurde der »Doctor der Wacht« (du jour) gerufen; als ich zur Abendvisite kam, erzählte mir dieser Heilkünstler, dass er durch Ergotine sofort das Nasenbluten gestillt hatte (wäre es[S. 31] auch nicht ohne dieses gelungen?) und dass er nebstdem noch Chinin und Phenacetin gegeben hatte!! ein College konnte die Bemerkung nicht unterdrücken: »Dieser Mann lebt noch, trotzdem er Antipyrin, Chinin, Phenacetin und Ergotin erhalten hat!!« Schon vor vielen Jahren hat der damalige Sanitätschef die jüngeren Aerzte aufmerksam gemacht, dass die Kunst des Arztes nicht im Verschreiben grosser oder zahlreicher Recepte bestehe; er hat zu tauben Ohren gepredigt, und die Polypragmasie florirt in Indien jetzt wie zuvor. Selbst in der Verabfolgung von Utensilien und Instrumenten zeigt die Regierung eine gleiche Freigebigkeit. Mikroskope z. B. von 500–600 fl. (mit Abbé, Oelimmersion) sah ich oft jahrelang in einem Winkel einer Apotheke ungebraucht stehen. Dem bacteriologischen Schwindel scheinen jedoch die letzten Jahre ein Ende gemacht zu haben. Auf zahlreiche Ansuchen nämlich von echten Dilettanten, welche vielleicht einmal einen Tuberkelbacillus unter dem Mikroskop gesehen hatten, oder denen es einmal gelungen war, einen solchen, sagen wir nach Gram oder Ehrlich, zu färben, wurden grössere Apparate, als Sterilisirungsöfen u. s. w. verweigert, während z. B. dem Laboratorium so ziemlich alle Hülfsmittel der modernen pathologischen Forschungen zur Verfügung gestellt wurden. Ich muss es wiederholen, dass der Sanitätschef sehr weise thäte, auch gegenüber dem Ansuchen um Medicinen und anderen Instrumenten etwas kritisch sich zu verhalten. Wie viele Tausende Gulden, vielleicht Hunderttausende sind in den einzelnen Apotheken der Marodenhäuser u. s. w. im indischen Archipel aufgehäuft, bis sie endlich von irgend einem Arzte als »verdorben« weggeworfen werden müssen.
Das Mobiliar des Marodenzimmers, das Geschirr, die Krankenwäsche und die Utensilien standen unter der Verwaltung des milit. Commandanten; auch die Kost bekamen die Kranken aus der gemeinsamen Menage; nur hatte ich das Recht, für gewisse Krankheitsfälle eine zweckentsprechende Diät vorzuschreiben, und erhielt dafür auf Ansuchen alles Nothwendige nach feststehendem Tarif, so z. B. durfte ich für jeden europäischen Patienten pro Tag ein halbes Huhn verlangen; wie erhält man jedoch ein halbes Huhn, wenn nur ein Patient im Marodenzimmer sich befindet? Im Archiv fand ich darüber sogar eine Correspondenz, d. h. eine diesbezügliche Anfrage an den Sanitätschef in Bandjermasing. Leider fand ich keine Antwort auf diese Frage vor. Für die Lieferung aller Bedürfnisse für die Truppen, somit auch der Patienten, befand sich ausserhalb des Forts ein Chinese, welcher unter dem Schutze des Häuptlings und der Truppen am linken Ufer der[S. 32] Teweh sein Magazin hatte. Er war natürlich nur der Vertreter einer grossen Gesellschaft, welche die Verpflegung der Truppen auf der S.-O.-Hälfte Borneos auf sich genommen hatte. Die gesetzliche Bestimmung bestimmte die Menge an Lebensmitteln, welche zu jeder Zeit im Fort und welche zu jeder Zeit in seinem Magazin anwesend sein mussten. Neben dem Quantum spielt natürlich auch die Qualität der Lebensmittel eine grosse Rolle in den Verpflichtungen des Lieferanten, welche eine stete Controle von Seiten des Commandanten erfordern. Die Gewissenlosigkeit der Lieferanten kann in Europa gross sein; aber der Chinese ist als Lieferant vielleicht weniger dumm als sein europäischer College, aber darum noch nicht gewissenhafter. Im Jahre 1870 wurden im Lager der französischen Armee Kisten eröffnet, welche Schuhe für die Soldaten enthalten sollten, und man fand — Kinderwagen und anderes Kinderspielzeug. So etwas hat ein chinesischer Lieferant niemals gethan. Womit jedoch der Thee z. B. gefälscht sein kann, welcher den Soldaten geliefert wird, das entzieht sich jeder Beschreibung. Die Butter, welche im Jahre 188... in Atjeh z. B. beim Lieferanten den Officieren zum Kauf angeboten wurde, sah dem Wagenfett ähnlicher als der Butter! Viel dieser Uebelstände erklären sich leicht durch die Unschlüssigkeit der Regierung. Auf der einen Seite will sie den Soldaten nur Lebensmittel in erster Qualität verabfolgen lassen, auf der andern Seite möchte sie gern so wenig als möglich dafür bezahlen. Ist der Officier bei der Uebernahme der gelieferten Lebensmittel zu streng, und beklagt sich der Lieferant bei dem Intendanten, so kommt sicher eines Tags die Belehrung an die Officiere, bei der Uebernahme der gelieferten Lebensmittel auch das Interesse des Lieferanten nicht aus dem Auge zu verlieren, weil anders der Preis der folgenden Concurrenzausschreibung zu hoch aufgesetzt werden würde. Kommt jedoch ein Inspecteur die Truppen inspiciren und sieht z. B., dass der gelieferte Reis zu viel mit gebrochenen Körnern gemengt sei, bekommt der Commandant wieder seine Nase. Am besten würden alle diese Schwierigkeiten behoben werden, wenn die Officiere, welche mit der Uebernahme der Lebensmittel u. s. w. betraut sind, wenigstens ebenso viel Waarenkunde besässen, als der Administrateur. In 189.. weigerte ein Lieutenant in Magelang, der kurz vorher von der Kriegsschule in Breda abgegangen war, das gelieferte Rindfleisch auzunehmen, weil die Lunge tuberculös sei; ich wurde geholt, um seine Diagnose zu bestätigen. Dieses konnte ich nicht thun, weil die Lunge nur ungleichmässig pigmentirt war. Der Lieutenant acceptirte meine Diagnose, das[S. 33] Rindfleisch wurde angenommen, und ich nahm ein Stück der Lunge mit, um sie dem Chef zu zeigen. Dieser Mann lebt jetzt als pensionirter Oberstabsarzt in Holland und hatte schon Vieles von Tuberculose des Rindes offenbar gelesen und gehört, und hatte auch schon von Färbung der Tuberkelbacillen und mikroskopischer Untersuchung läuten gehört — aber er hatte noch niemals gegenüber den militärischen Vorgesetzten eine selbständige Ansicht gehabt. Ohne auch nur die Lunge gut anzusehen, sprach er das Wort, das gewiss verdient der Nachwelt überliefert zu werden: »Wie können Sie oder wie wagen Sie es zu behaupten, dass die Lunge nicht tuberculös sei; haben Sie dort im Schlachthause nach Tuberkelbacillen gesucht?!« Auf meine Bemerkung, dass Pigmentflecke von der Grösse eines Cents bis zu der einer Hand doch keine Knötchen seien, und dass also nicht einmal ein Anlass in casu bestände, auf Tuberkelbacillen zu untersuchen, wurde ich entlassen, mit der Warnung, dass ich ohne mikroskopische Untersuchung niemals könnte wissen, ob eine Lunge tuberculös sei oder nicht?!
Es ist nämlich unglaublich, wie manche Militärärzte gegenüber dem »Commandanten« unselbständig sind, in der Furcht, Schwierigkeiten mit diesem Herrn zu bekommen, während sie oft ihrem untergeordneten Arzte gegenüber die grösste Strenge zeigen. Der Militär-Commandant ist und bleibt natürlich der Chef von Allen und über Alle: Ueber dem Artillerie- und Genieofficier, den Administratoren und dem Arzt. Keiner von diesen vier Fachleuten in Indien verleugnet aber so oft seine Selbständigkeit als der Arzt. Unglaublich aber wahr. Die Schuld liegt daran, weil, wie ich schon in der »Locomotif« vom 11. December 1896, betreffend »die Reorganisation des militärärztlichen Dienstes«, schrieb, die Aerzte in zahlreichen militärischen und medicinischen Wissenschaften fürchterliche Lücken haben. Von der gerichtlichen Medicin wissen sie nichts, und wenn, wie es häufig geschieht, ihre Hülfe oder vielmehr ihr Gutachten gefordert wird, nehmen sie »Casper« oder »Hoffmann« zur Hand und fabriciren daraus ein Schriftstück, welches den Stempel der Unreifheit deutlich trägt. Die Advocaten Indiens wissen das und halten damit Rechnung! In der Bauhygiene ist es am schlechtesten bestellt; d. h. pro forma werden die Aerzte in Fragen der Bauhygiene um ihr Gutachten angezogen; aber das »Genie« würdigt sie oft nicht einmal einer Antwort. Im Jahre 1891 wurde ein neues Spital in M.... gebaut; alles war fertig, d. h. der Boden abgemessen, Bauplan angenommen u. s. w., man sollte schon mit dem ersten Spatenstich anfangen, als ein neuer Stabsarzt in M.... ankam.[S. 34] Sofort erhob er gegen die Wahl des Grundes sein Veto, weil in der Nähe Sawahfelder (= nasse Reisfelder) sich befänden, welche die Quelle von Fieberepidemien werden könnten, und weil der ausgemessene Grund vor Jahrzehnten ein Kirchhof gewesen sei; die Genie gab ihr Gutachten, dass die nassen Reisfelder natürlich nicht bebaut werden würden, weil sie behufs Trockenlegung schon angekauft seien, und was den »alten Kirchhof« beträfe, so sei seit dreissig Jahren niemand dort begraben worden, der Grund sei also nicht antihygienisch. Der Stabsarzt V... erhob jedoch nochmals seine warnende Stimme; das Armeecommando bestätigte den Plan »der Genie«, das Spital wurde gebaut, und niemals hat sich ein schädlicher Einfluss des Bodens gezeigt.
»Die Militärhygiene ist ganz in den Händen der Compagnie- und Bataillonscommandanten. Allein im Nothfall, d. h. sobald sie Unterstützung für ihre Vorschläge suchen, rufen diese Herren die Hülfe des Arztes an, um ein wissenschaftliches Kleid ihren Vorschlägen zu geben, so als Bacterien, Eiweissgehalt u. s. w. ...« Und immer finden sich Aerzte, welche zu diesem Liebesdienst sich hergeben. Kein Wunder, dass ein Major der Infanterie eine dicke Broschüre über die Prophylaxis der Beri-Beri geschrieben hat!
Die Epidemiologie ist ganz und gar am Gängelband der europäischen Wissenschaft; anstatt selbständig die Verhältnisse des Tropenklimas zu den Epidemien zu beobachten, d. h. den Einfluss der tropischen Temperatur, Feuchtigkeit der Luft und des Bodens, der tropischen Flora und Fauna, Windrichtung, Wald, Höhe und Ebene auf die Ausbreitung gewisser Krankheiten zu studiren, werden kritiklos die Theorien der europäischen Epidemiologen auf Indien angewendet.
Von der militärischen Rechtspflege wissen die Militärärzte ebenso viel und ebenso wenig als von der Administration, obzwar oft eine Compagnie von Militär-Krankenwärtern unter ihrem Commando steht. »Ist es daher ein Wunder, dass bei solch mangelhaftem Wissen von Allem, was nicht direct den fachmännischen Theil betrifft, die Militär-Aerzte gegenüber dem Militär-Commandanten beinahe absolut unselbständig sind und oft genug auch in rein medicinischen Angelegenheiten keine Anerkennung finden?«
Sieben Personen von dem Fort standen direct unter meinem Befehl; ein europäischer Krankenwärter von dem Range eines Corporals (Hospitalbediende heisst sein Rang), zwei Handlanger und vier Sträflinge. Die »Handlangers« und die Sträflinge (dwangarbeiders) waren[S. 35] jedoch Eingeborene und zwar theils Javanen und theils Malayen, welche natürlich nicht der holländischen und noch weniger der deutschen Sprache mächtig waren. Im Anfange meiner indischen Carrière und zwar im Spitale zu Surabaya war mir sogar eine Abtheilung mit eingeborenen Soldaten zur Behandlung angewiesen worden. Einen meiner Krankenwärter gebrauchte ich also als Dolmetsch, da er genug der malayischen Sprache mächtig war, um sich mit den eingeborenen Soldaten verständigen zu können. Bei meiner Ankunft in Muarah Teweh ging es mir nicht viel besser. Ich hatte während meines Aufenthaltes in Surabaya die malayische Sprache kaum in ihren Elementen erlernt, so dass ich mich nur mangelhaft mit meinen Bedienten verständigen konnte und bei meiner Ankunft in Teweh vor denselben Schwierigkeiten stand. Ich frug also meinen »Hospitalbedienten«, welcher Sprache ausser der holländischen er mächtig sei? Ich spreche alle Sprachen des Archipels: Malayisch, Javanisch, Buginesisch, Chinesisch u. s. w., war seine Antwort. Einen colossalen Respect bekam ich vor diesem polyglotten Krankenwärter, der leider nicht lange anhielt. Es war eben eine Aufschneiderei im grossen Stile; in der chinesischen Sprache wusste er nur von 1–10 zu zählen; von der buginesischen Sprache wusste er ungefähr ein Dutzend Worte, ebenso viel von der javanischen Sprache, und nur in der malayischen hatte er die Wahl von 2–300 Wörtern.
Eine ähnliche Grosssprecherei mit etwas komischem Beigeschmack hörte ich acht Jahre später in Wien. Ich war auf meiner Urlaubsreise in Wien und stand mit einigen Philologen und der Frau eines indischen Collegen im Gespräch über indische Sprachen. Auf die Frage des einen Philologen, welche Sprachen auf den Inseln des indischen Archipels gesprochen würden, antwortete ich: »Es giebt zahlreiche Dialekte des polynesischen Sprachstammes, welche unter einander grösseren Unterschied zeigen als z. B. Deutsch und Englisch. (1000 Jahr v. Ch. ungefähr schieden die Malayer in westliche, von Madagascar bis zu den Philippinen, und in östliche Malayer, welchen der Name Polynesier heutzutage am häufigsten gegeben wird und die Inseln Süd-Australiens bis zu den Sandwichinseln bewohnen.) Malayer, Javanen und Sundanesen (in Malakka und Sumatra ist die ursprüngliche malayische Sprache am reinsten erhalten) können sich vielleicht mit einander verständigen, aber mit den Buginesen, Battakern, Dajakern, Alfuren u. s. w. ist dies beinahe unmöglich. Aber an allen Küsten des indischen Archipels wird malayisch gesprochen, welches von den malayischen Handelsleuten dahin verbreitet wurde; ja oft wird man im Innern[S. 36] aller Inseln hin und wieder einen Eingeborenen finden, der die malayische Sprache wenigstens etwas versteht. Es spielt also die malayische Sprache in Indien dieselbe Rolle wie die französische in Europa. Alle Europäer also, welche in Java u. s. w. sich aufhalten, müssen sich diese Sprache aneignen und wäre es nur, um mit den Bedienten sprechen zu können. Jedoch nur die wenigsten Europäer haben diese Sprache grammatikalisch gelernt. Wenn wir von wenigen Beamten und einzelnen Officieren absehen, so ist das Malayische, welches von den Europäern im indischen Archipel gesprochen wird, ein wahres Kauderwelsch, welches unter dem Namen Casernenmalayisch bekannt ist. Es werden nämlich die einzelnen Worte ohne Conjugation und ohne Declination, ohne Präfixe und ohne Suffixe hinter einander ausgesprochen, und dann spricht man von einem »sprechen« der malayischen Sprache!! Es ist natürlich nur ein Kauderwelsch.« »Ach!« fiel mir diese Dame ins Wort, »Sie sprechen natürlich nur von sich selbst; Ich bin der malayischen Sprache vollkommen mächtig!«
Von den zwei Handlangern war der eine ein Javane, der andere ein Malaye; die vier Sträflinge waren wegen Diebstahl und Mord (zwei von ihnen) aus ihrer Heimath (Java und Sumatra) verbannt und verurtheilt zu »Zwangsarbeit« und waren dem Marodensaal zu Teweh zugewiesen, Kulidienste zu leisten. Der eine der beiden »Handlangers« war ein langer, magerer Malaye, Namens Amat. Eines Tages untersuchte ich den Inhalt der »Feldmedicin-Kiste« und sah eine grosse viereckige Flasche mit einer Flüssigkeit gefüllt, ohne Etiquette. Dem Geruch nach zu urtheilen, hielt ich es für Chloralhydrat in Lösung, und bevor ich es sehen und verhindern konnte, hatte mein Amat zur Probe einen Schluck genommen. Ich wusste nicht, was in der Flasche war; ich wusste nicht, wieviel er davon getrunken hatte; die Grösse der Flasche liess zwar nicht an ein schweres Gift denken, aber ich befahl ihm, sofort den Finger in den Hals zu stecken, und er erbrach eine Flüssigkeit von demselben Geruch als dem in der Flasche. Theilweise war ich schon um das Schicksal meines dienstbeflissenen Krankenwärters beruhigt, als er in auffallender Weise fröhlich und ausgelassen wurde.
Ich kann für diese komische Scene kaum Worte finden. Ein langer, magerer Malaye, welcher betrunken zu sein scheint!! Auf dieses Stadium excitationis folgte bald die narcotische Wirkung, und nachdem er einige Stunden lang fest geschlafen hatte, war sein Chloralhydrat-Rausch geschwunden.
[S. 37]
Diese Unvorsichtigkeit im Untersuchen der Medicamente ist mir in den spätern Jahren noch oft vorgekommen. Die Medicinen sind in Indien theuer, so dass sie von den Patienten aufgehoben werden, wenn sie momentan nicht nöthig sind. Sie schreiben z. B. auf das Fläschchen »gegen Husten« oder »gegen Nervosität« u. s. w., um sie eventuell später wieder benutzen zu können. Nun geschieht es manchmal, dass die Signatur abgefallen ist; nun, dann wird der behandelnde Arzt einfach ersucht zu kosten und zu sagen, was für eine Medicin dies sei!! Ich weigerte zu allen Zeiten, dieses zu thun, wenn ich auch keinen Augenblick fürchtete, von einigen Tropfen vergiftet zu werden, welche aus einem gewöhnlichen Medicinfläschchen getrunken werden. Einmal hätte eine solche Probe für mich verhängnissvoll werden können. Im Jahre 1890 lebte ich in Tjilatjap (Süden von Java) und hatte nur ein Marodenzimmer, obwohl sich anschliessend die Räume eines alten Spitals befanden. Auf der benachbarten Insel Nussah Gambangan lebte ein europäischer Aufseher des Leuchtthurms, welcher damals bei einem Ritte bergabwärts über den Kopf seines ungarischen Sattels gefallen war. Die Haut hing in Fetzen auf den Schenkeln herab. In einer Sänfte wurde er zu mir gebracht, und ich bot ihm ein Zimmer des alten Spitals zum Aufenthalt für ihn und seine Familie an. Die Beköstigung sollte seine Frau und seine Tochter auf sich nehmen. Dankbar nahm er das Anerbieten an, erfreute sich dadurch einer sorgsamen Pflege und die Heilung ging hübsch von Statten. Eines Tages stand ich in der Apotheke, als seine Tochter mit einem Glas Milch zu mir kam und mich ersuchte, die Milch zu kosten und ihr zu sagen, »ob und was der Milch fehle«, weil ihrem Vater bei dem Gebrauch derselben übel geworden sei. Ueberrascht sah sie mich an, als ich ihr zur Antwort gab: »Wenn Ihr Vater von der Milch übel wurde, brauche ich es doch nicht zu werden«. Kaum hatte sie mich darauf ersucht, »die Milch also chemisch zu untersuchen,« als ein fürchterlicher Schrei um Hülfe zu meinen Ohren drang. Ich eilte dahin und fand ihren Vater in einem fürchterlichen Zustande. Ich habe im Jahre 1873 in Ungarn und auch späterhin zahlreiche Cholerapatienten gesehen, aber keiner derselben zeigte so heftigen Krampf der Gedärme als dieser Patient. Erbrochen hatte er schon viel, wie ich sah, und ich dachte also sofort an eine Vergiftung mit Warângan (= Arsenik). Bei Vergiftungen mit mineralischen Giften wird man in Java am besten thun, in erster Reihe an Arsenikpräparate zu denken, weil dieses Gift täglich und in jeder Marktbude zu bekommen ist.[S. 38] Die Dolche der Javanen (Kris genannt), werden nämlich mit einer Lösung von Warângan und Citronensaft u. s. w. bearbeitet, um der Klinge ein schön damascirtes Aussehen zu geben.
Auch unser Patient war mit Warângan von einem der Sträflinge vergiftet, welcher täglich von seiner Wohnung die Milch gebracht hatte. Es gelang mir, ihn auch von dieser Heimsuchung zu befreien. Das Schicksal verfolgte ihn jedoch ohne Erbarmen. Er ging kurz darauf nach Samarang, wo er von einem tollen Hunde gebissen wurde. Damals existirte in Batavia noch nicht das Pasteur’sche Institut; diese unglücklichen Patienten mussten damals nach Saigon gehen; auch er that dies, kehrte zurück, starb jedoch kurz darauf an Lyssa humana.
Der Bestand meiner Krankenwärter war also sieben Mann, obzwar ich kaum jemals sieben Patienten zu gleicher Zeit im Marodenzimmer hatte; dieses hatte jedoch seine guten Ursachen. Das Fort war eben durch seine isolirte Lage gezwungen, immer kriegsbereit zu sein; die Sträflinge mussten im gegebenen Falle Kulidienste leisten, d. h. bei einer etwaigen Expedition Feldverbandskisten und Feldmedicinkisten tragen, die Tragbahre für Verwundete u. s. w. führen; sie mussten Lebensmittel und Trinkwasser mitnehmen oder mit dem Messer in der Hand einen Weg in den Urwald bahnen u. s. w. In Friedenszeiten mussten sie natürlich das gröbste Werk im Spital verrichten, die Aborte reinigen, die Wäsche der Patienten waschen, die Krankenkost in der Küche bereiten u. s. w. Natürlich war es für mich schwer, für sie immer Beschäftigung zu haben, und darum benützte ich sie gegen eine kleine geldliche Entschädigung auch zu Privatzwecken, obzwar dies ausdrücklich verboten war. Dies gab einmal Anlass zu einer Anklage gegen mich und zwar von Seiten des Commandanten des Forts. Ich vertheidigte mich in der erwähnten Weise und fügte hinzu, dass ich es nicht aus Gewinnsucht thäte, weil ich die Sträflinge bezahle, dass ich diese Leute lieber für mich arbeiten lassen müsse, als sie müssig im Fort herumgehen zu lassen, dass sie mir nur bei wissenschaftlichen Arbeiten, und zwar beim Ausstopfen der Thiere, behülflich seien, und dass unter den herrschenden Verhältnissen ich keinen Bürger miethen könnte, weil eben auf ganz Teweh kein Bedienter oder Kuli zu bekommen wäre. Der Commandant des Forts bekam seine Nase und mir wurde ausdrücklich von Bandjermasing erlaubt, die Sträflinge in ihrer freien Zeit zu wissenschaftlichen Arbeiten gebrauchen zu können. Ich kann nicht umhin, den Heroismus eines solchen Sträflings zu besprechen,[S. 39] als er mir half, das Zibeth aus einer Zibethkatze (Viverra Zibetha) herauszunehmen. Er sollte die Katze bei den vier Füssen so halten, dass ich das Zibeth aus der Drüse, welche sie zwischen den hintern Extremitäten hat, mit dem beinernen Löffel herausdrücken konnte. Er hielt jedoch die Katze in einer so eigenthümlichen Weise, dass ich darauf aufmerksam wurde; ich blickte auf seine Hand und — die Katze hatte sich in seinen Finger verbissen, ohne dass er auch nur mit der Miene gezuckt hatte oder auch nur eine Schmerzensäusserung von sich gab. Sofort befreite ich ihn aus seiner erzwungenen Haltung, indem ich die Katze mit starkem Griff im Nacken fasste, und — legte einen silbernen Gulden in seine Hand. Da diese Sträflinge nebst der Kost nur 4 Kreuzer täglich bekommen, so ist ein solcher Nebenverdienst immerhin für sie sehr erwünscht. Zu einer ähnlichen heroischen That habe ich später einen europäischen Krankenwärter, mit dem Range eines Feldwebels, entschlossen gesehen. Ich bekam nämlich vier Jahre später in Batavia einen Soldaten in Behandlung, der Monate vorher von einem Pferde im Rücken gebissen war, und dessen Wunde zu gross war, um heilen zu können; ich entschloss mich zur Transplantation und entnahm ein Stück Haut zu diesem Zwecke aus dem Arme eines Sträflings, weil der Patient, ein Europäer, sich nicht dazu hergeben wollte und gab ihm (dem Sträfling) einen Reichsthaler (2 Fl. 50) dafür. Den andern Tag ersuchte mich der Sergeant, ihn und nicht den Sträfling den Reichsthaler verdienen zu lassen, wenn ich wieder ein Stückchen Haut nöthig hätte.
Schon wenige Tage nach meiner Ankunft in Muarah Teweh kam der erste Dajaker in meine Behandlung. Ich stand an der Palissade und sah einen Mann einen Kahn verlassen und das sanft abfallende Ufer heransteigen. Der »Commandant der Wacht«, ein Feldwebel, nahm ihm sein Messer (Mandau) ab, liess ihn warten und meldete ihn bei mir an. Es war ein Mann mittlerer Grösse, von leicht brauner Hautfarbe, schwarzen Haaren, braunen Augen, grossen Löchern in den Ohrläppchen und war nur bekleidet mit dem Djawat, das ist einem Gürtel aus Baumbast, welcher mit einer schmalen Schürze vom Bauche herabhing; er sprach etwas Malayisch, und so hatte ich keinen Dolmetsch nöthig, um mich mit ihm zu verständigen. Am rechten Ufer des Baritu, gegenüber der Mündung der Teweh (etwas südlich), läge sein Kampong, von welchem sein Vater Häuptling sei; dieser sei schon[S. 40] seit längerer Zeit krank, obwohl die Bassirs und die Bliams ihre Opfer an den Radja-ontong schon zu wiederholten Malen gebracht hatten, und leide so fürchterlich, dass er käme, meine Hülfe anzurufen, weil er gehört habe, dass ich so ein gewaltiger Bassir sei. Nun, wenn ich damals gewusst hätte, dass ein solcher Bassir nicht nur ein Priester, Zauberer und Teufelsbeschwörer, sondern auch ein publiker Paederast sei, ich hätte mich für diese Titulatur bedankt. Seine Absicht war jedoch gut, denn als ich ihn frug, was denn ein Bassir sei, antwortete er: »So was, als ein Jesus!!?!« Wie ich später erfuhr, hatte er kurz vorher einen Soldaten vor einem Christusbilde beten gesehen, und auf seine Frage, wer dies sei, die Antwort erhalten: »Tuwan-Allah-Jesus«. Aus seiner weiteren Mittheilung entnahm ich, dass es sich bei seinem Vater um einen Tumor vesicae handle mit consecutiver Retentio urinae. Mit Nelaton-Katheter und Pravatz’scher Spritze ausgerüstet und begleitet von dem europäischen Krankenwärter, dem langen Amat und zwei Sträflingen, bestieg ich den Kahn des Dajakers. Der Fluss ist bei Teweh ungefähr 400 Meter breit; da aber unser Ziel stromabwärts lag, erreichten wir bald den Kampong, ohne dass die Ruderer thätig waren; der Strom riss uns einfach mit. Ans Ufer gekommen, sah ich vor mir ein langes Haus, welches auf Pfählen von ungefähr 1½ Meter stand. Eine breite Leiter stand in der Mitte. Ich stieg mit meinem Gefolge hinauf und fand sofort im Entrée den Patienten auf dem Boden liegen. Im Hintergrund tanzte ein Bassir vor einem Altar, und zur Seite des Kampongs sassen die Musikanten mit der Tote (eine Art Panpfeife), mit Pauken, malayischen Violinen (râbab genannt) und einer Art Dudelsack aus der Schale der Labufrucht, der sie wehmüthige Klänge zu entlocken wussten. Als ich mich niederbückte, um den Patienten zu untersuchen, begann der Bassir vor dem Altar hin und her zu trippeln, wobei er die halb ausgestreckten Arme schüttelte, welche zahlreiche kupferne grosse Ringe trugen. Nicht unharmonisch fiel draussen der Chor der Pauken und der anderen Instrumente ein, und die Beschwörungen der Bliams übertönten Alles, die Tote, die râbab, den Glockenschall der Ringe u. s. w. Die Untersuchung bestätigte mein Vermuthen, dass ein Tumor die Urethra unwegsam machte, so dass ich palliativ die Punctio vesicae machen wollte. Ich theilte der Umgebung mit, dass ein Stich in die Blase sehr viel Erleichterung in seine Schmerzen bringen würde, und Alle, wie auch der Patient, gaben zu dieser kleinen Operation die Zustimmung. Kaum hatte ich jedoch den Troicart auf den Unterbauch angesetzt, als der Patient und seine Frau einen leisen[S. 41] Schrei ausstiessen, seine Frau rief, die Krankenwärter mich erfassten, von dem Patienten hinwegrissen, mich zur Thüre und die Leiter hinabdrängten und am Ufer mich sofort den Kahn zu besteigen ersuchten. So rasch folgte eins auf das andere, dass ich keine Zeit zum Fragen hatte, was dies bedeute. Bevor ich jedoch in den Kahn stieg, um was mich die Krankenwärter ersuchten, sah ich mich noch einmal um und sah nichts, was die Aufregung meines Gefolges erklären konnte. Die Spieler schlugen ihre Pauken, die Mädchen bliesen ihre Tote, dazwischen hörte ich manche Seufzer des Patienten, gemischt mit den Worten seiner Frau; unter dem Kampong, zwischen den Pfählen, grunzten die Schweine, suchten ruhig in den Abfällen, welche zwischen den Latten des Hausflurs herabfielen, einen Leckerbissen, und dasselbe thaten die Hühner. Ich frug also meine Krankenwärter, was dieser Rückzug bedeute, der mehr eine übereilte Flucht, als ein ehrenhafter Rückzug war. »Haben Sie nicht »Amok« rufen gehört?« bekam ich zur Antwort. Dies war nicht der Fall. Der Patient hatte beim Ansehen des Troicart einen unwillkürlichen Angstschrei ausgestossen, weil er sich vor dem Stiche fürchtete; seine Frau hatte ebenfalls unwillkürlich und reflectorisch dasselbe gethan; meine Krankenwärter hielten diese zwei Schreie für »Amok«, ergriffen die Flucht und zogen mich mit, der keine Ahnung von der Gefahr hatte, welche mir in der Einbildung dieser Helden (?) drohte.
Ich hatte nämlich schon früher vom »Amok rufen« hin und wieder sprechen gehört. Nach dieser Zeit hatte ich einige Male Gelegenheit, mit dieser Sache mich zu beschäftigen. In der ursprünglichen Bedeutung des Wortes (amoq = Mord) hört man es beinahe jeden Tag gebrauchen; wenn zwei Soldaten raufen und einer von ihnen zieht das Messer, wird durch Schlagen auf den Holzblock in dem Wachthause die Polizei herbeigerufen, und dann spricht man von Amok; ein eifersüchtiger Ehemann prügelt seine untreue Frau, welche so fürchterlich schreit, dass wieder von Amok gesprochen wird u. s. w. Aber das eigentliche »Amok machen« bedeutet eine Mordmanie: Der betreffende Malaye läuft wie ein Rasender durch die Strassen mit einer Waffe in der Hand (in der Regel mit einem Kris) und stösst jedem, der ihm entgegenkommt, Alt oder Jung, Mann oder Frau, Feind oder Freund, das Messer in die Brust, ohne sich weiter aufzuhalten, oder nach seinem Opfer sich umzusehen, so lange, bis er von der herbeigeeilten Menschenmenge erstochen oder auf andere Weise unschädlich gemacht ist. Allgemein wird behauptet, dass dieses unter dem Einfluss des Opiumrauchens geschehe. Der eine Fall, welchen ich zu untersuchen Gelegenheit[S. 42] hatte, betraf einen Mann von ungefähr 30 Jahren. Seine Verwandten erzählten mir, dass er schon eine Woche vorher am Fieber gelitten habe und dass ihn offenbar der Teufel (setan) gepackt hätte, weil er immer ein ruhiger, gelassener und ordnungsliebender Mann gewesen sei. Da er an dem bewussten Tage kurz vor seinem Anfall von Raserei hohe Temperatur hatte (»er war glühend heiss«, erzählte mir seine Frau), so war zweifellos das Fieberdelirium der Anlass zu diesem »Amok machen«. Man sieht in diesem »Amok machen« oft einen eigenthümlichen Selbstmordversuch, weil sie beinahe immer ermordet werden; Menschen also, welche des Lebens überdrüssig sind, würden Amok laufen, um so ihr Ziel zu erreichen, d. h. ohne eigentlich Hand an sich zu legen, von der Last des Lebens befreit zu werden, und doch der Freuden des Himmels theilhaftig zu werden, welche den Selbstmördern versagt bleiben. Oft wird behauptet, dass Rachsucht das Motiv der »Amokmacher« sei, dass der Beleidigte durch Opiumrauchen sich den Muth verschaffe, gerade wie die Europäer durch Schnaps dies thun, und dann mit seinem Feinde noch andere unschuldige Opfer treffe. Wenn ich noch hinzufüge, dass bei Frauen das Amok machen niemals vorkommt, dass Rasch es für eine Mania transitoria auf epileptischer Basis hält, so habe ich alles mitgetheilt, was mir hierüber bekannt wurde.
Wie gesagt, bestand das »Amokrufen« in unserem Falle nur in der Phantasie meines Gefolges; wenigstens niemals habe ich gehört, dass unter den Dajakern diese Volksunsitte herrsche, obzwar ich 3½ Jahr unter ihnen gelebt habe, und alle Fälle, welche mir bekannt wurden, waren von echten Malayen (Buginesen oder Maduresen u. s. w.) ausgeführt. Vielleicht glaubte mein malayischer Krankenwärter nur, dass es am sichersten sei, sobald als möglich aus diesem Kampong wegzukommen, und hat also zu diesem Mittel seine Zuflucht genommen. Er war zu dieser Furcht gewissermaassen gerechtfertigt, weil wir damals jede Woche, einmal von dem Residenten, das zweite Mal vom Militär-Commandanten, die Warnung erhielten, vorsichtig zu sein. Im Jahre 1873 hatte der damalige Häuptling Mangkosari den Argwohn der Holländischen Regierung so erregt, dass sie dem damaligen Militär-Commandanten von Teweh den Auftrag gab, ihn dafür zu tadeln u. s. w. Dieser liess ihn ins Fort kommen und zeigte eine solche Vertrautheit mit den verrätherischen Plänen dieses Häuptlings, dass er für die Sicherheit seiner Person bange wurde, über die Palissade hinweg ins Freie sprang und sich nie mehr sehen liess. Es wurde also ein anderer[S. 43] zum Häuptling der »Boven Dusson« ernannt, und zwar sein früherer Schreiber Namens Dakop, welcher ein Malaye war. Drei Jahre hat auf diese Weise Mangkosari im Gebirge gelebt, und erst Anfang 1876 war er zurückgekommen und hat die Holländische Regierung um Vergebung gebeten. Nun hatte Dakop sowohl als Malaye und Mohammedaner, als auch durch jeden Mangel einer ausgesprochenen Individualität absolut keinen Einfluss in dieser Gegend. Mangkosari dagegen war ein Dajaker von Geburt und Religion, war ein Neffe des Antasari, welcher im Jahre 1859 mit Suropatti in dem Aufstand gegen die Holländer eine grosse Rolle gespielt hat, er war schlau, intelligent, muthig und reich, und doch ... hat ihn die damalige indische Regierung nicht in sein früheres Amt eingesetzt; sie hat ihn aber auch nicht nach Bandjermasing kommen lassen, um sich zu rechtfertigen für sein früher verrätherisches Treiben, sie hat ihn auch nicht gefangen nehmen lassen; was denn? sie gab ihm Pardon und liess ihn »als Bürger und als Kaufmann« unter einem Häuptling leben, welcher früher sein Schreiber war!! Welcher Missgriff einer Regierung!
Dies alles war die Ursache, dass wir jede Woche gewarnt wurden, vorsichtig zu sein, weil Mangkosari »ein solcher verrätherischer Mann« sei. Was sollten solche warnenden Worte für mich jedoch bedeuten? Sollte ich niemals das Fort verlassen und höchstens vor der Palissade und auf der Schiessstätte spazieren gehen, welche sich im Norden an die Festung anschloss? Sollte ich ausserhalb des Forts niemandem meine ärztliche Hülfe leisten? Das eine wäre zu langweilig, das andere inhuman gewesen. Nebstdem erfreute ich mich der Freundschaft (?) des Mangkosari, dem ich viel verdankte; er führte mich in die Religion und Liturgie der Dajaker ein; ihm verdankte ich ausführlichen Bericht über das Leben und Treiben der Waldmenschen (Olo-Ott); ja, er erklärte sich s. Z. selbst bereit, mir das Skelett oder die Leiche eines Schwanzmenschen zu besorgen, wenn es mir gelänge, ihm volle Begnadigung zu erwirken, so dass er wieder Districts-Häuptling werden würde. Ich wandte mich auch an den Residenten, als er im Jahre 1878 in Teweh war, aber bekam zur Antwort: Mit solchen Sachen bemühen wir uns nicht. In dieser Frage gab ich mir damals viel Mühe, ohne zu einem Resultate in positiver oder negativer Richtung zu gelangen. Jedermann behauptete nämlich deren Existenz; ich bot darum 1000 Fl. für das Skelett eines solchen Menschen; ein Chinese bot sich mir an, ein solches zu holen, wenn ich ihm einen Reisevorschuss von 3–500 Fl. geben wollte.
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Dazu konnte ich mich nicht entschliessen, weil ich mit mehr oder weniger Recht fürchten musste, dass der Chinese nicht weiter als bis um die nächste Ecke des Stromes fahre, dort einige Tage liegen bleiben würde und dann mit einer oder der anderen fabelhaften Erzählung, aber ohne das gewünschte Skelett zurückkommen würde. Das Anerbieten Mangkosaris jedoch war so bestimmt, dass ich unmöglich die Existenz in das Reich der Fabel verweisen konnte. Ich habe jedoch keinen solchen Schwanzmenschen gesehen; ich darf also von der Existenz dieser Menschen als Thatsache nicht sprechen. Nach allen gewonnenen Berichten sollten diese Menschen zwischen dem Quellengebiet des Baritu und dem des Mahakamflusses wohnen und ein Rudiment von einem Schwanze haben, der ungefähr 2–3 cm lang sei, so dass sie, wenn sie auf dem Boden hocken, eine Grube in dem sandigen Boden zurücklassen. Ich muss jedoch bemerken, dass nach der Ansicht einiger Bewohner von Teweh die Schwanzmenschen — ein Schimpfwort für die primitiven Menschen des genannten Gebietes sein sollte.[6] Der Zufall kann manchmal auch ein Schalk sein. Zur Zeit, als ich mich mit dieser Frage beschäftigte, kam ein javanischer Soldat zur Reengagirung zu mir. Beim Assentiren sah ich gerade am Ende der Wirbelsäule einen — Schwanz (?). Ich rief schon mein heureka; als ich jedoch den Zusammenhang des Schwanzes (?) mit der Wirbelsäule untersuchte, sah ich, dass es nur ein cornu cutaneum (= Hauthorn) war, welches mit dem Steissbein in gar keiner Verbindung war.
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Fischschuppen-Krankheit — Tigerschlange — Schlangenbeschwörer — Gibbon — Kentering — Beri-Beri — Simulanten beim Militär — Mohammedanisches Neujahr — Tochter von Mangkosari — Kopfjagd — Pfeilgift — Genesungsfest — Gesundes Essen — Früchte — Indische Haustoilette — Wüthende Haushälterin — Dysenterie — Gewissenlose Beamte — Missionare.
Eines Tages stand ich vor der Palissade und liess meinen Blick über die Ufer des Baritu schweifen; das Wasser war sehr niedrig; 15 Meter war der Fluss seit früh gefallen; die Schildwacht hatte ihre Aufmerksamkeit vielleicht mehr den Frauen gewidmet, welche in dem schwimmenden Badehause (zugleich Abort) sich befanden, als dem Badehause selbst; endlich riss ein eigenthümliches Knarren ihn aus dem Träumen. Das Badehaus war nämlich mit grossen Rottangs an dem Ufer festgebunden, welche nach dem jeweiligen Stande des Flusses kürzer oder länger angezogen werden mussten; das Wasser war schon so tief gefallen, dass das schwimmende Badehaus mit dem einen Rande am schräg ablaufenden Ufer aufruhte und dadurch eine schiefe Stellung bekam. Sofort schlug die Schildwacht den in der Nähe hängenden Holzblock, einige Soldaten eilten herbei, und es gelang ihnen, das schwimmende Haus vor dem Einsturz zu retten, indem sie die Rottangs vom Ufer lösten und durch einen kräftigen Stoss das Badehaus gänzlich ins Wasser brachten. In finsteren Nächten hat die Schildwacht nur dieses eigenthümliche Geräusch zum Wegweiser, ob unerwartet das Wasser gefallen sei und das Gebäude bedrohe; denn die Schildwacht muss in der Nacht von den Palissaden geschützt sein; wie leicht könnte es sonst geschehen, dass ein oder der andere Dajaker sich heranschliche, um sich ihren Kopf zu holen?
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Den Soldaten war es also gelungen, das Badehaus den Soldaten zu erhalten, die Schildwacht ging wieder in schläfrigem Schritt auf und ab, als sie plötzlich in der Tiefe des Ufers einen Kahn anlegen sah und mich darauf aufmerksam machte. Ein Riese stieg nämlich aus dem Kahne, der nur aus einem ausgehöhlten Baumstamme bestand. Bald folgten noch zwei Kähne mit zwei anderen Dajakschen Männern. Trotz der Tiefe des Ufers war seine Grösse so auffallend, dass ich die zwei andern Officiere zur Palissade rief; je höher er stieg und je näher er kam, desto mehr fiel mir neben seiner Grösse sein zerstörtes Wesen auf. Endlich erreichte er das Fort und ersuchte, mit dem Doctor sprechen zu können. Nachdem sie die Mandaus (Kopfmesser) abgelegt hatten und ich die Erlaubniss gegeben hatte, kamen sie zu mir, und ein eigenthümliches Gespräch begann; die drei Männer waren aus verschiedenen Gegenden gekommen und sprachen also drei verschiedene Dialekte; der Eine sprach den von Teweh, war jedoch nicht des Malayischen mächtig; ich liess also erst einen Bewohner von dem gegenüberliegenden Kampong holen, der beide Sprachen beherrschte, und ich hatte unterdessen Zeit, den Riesen näher zu beobachten. Zu Ehren seines Besuches hatte er ein Kopftuch angelegt, unter welchem jedoch die langen schwarzen ungekräuselten dicken Haare herabhingen; es bestand aus Baumbast, welches gefärbt war; nebstdem hatte er aus demselben Stoffe ein Röckchen ohne Aermel und ohne Knöpfe, welches also die Brust nicht bedeckte, und dann hatte er seinen Djawat (den Gürtel); das war also seine Galakleidung; was mich jedoch neben seinen zerstörten Gesichtszügen am meisten interessirte, war die Ichthyosis, d. h. der ganze Körper war mit Ausnahme des Gesichts, der Hände und Fusssohlen mit Schuppen bedeckt.
Wie ich später sah, ist beinahe ein Viertel der männlichen Bevölkerung mit dieser Hautkrankheit behaftet (von den Frauen finde ich in meinen Reisebriefen aus damaliger Zeit nichts diesbezügliches erwähnt). Auch gelang es mir niemals, über die Entstehungsursache dieser Fischschuppenkrankheit etwas zu erfahren; natürlich wurden die Lues, die Unreinlichkeit, der Genuss von Schweinefleisch u. s. w. in der Aetiologie dieser Krankheit genannt, ohne dass ich auch nur die geringste Bestätigung dafür finden konnte. Auch in Europa war mir ja eine Familie bekannt, wo die Fischschuppenkrankheit (= Ichthyosis) bei drei Brüdern vorkam (der vierte war davon befreit geblieben), und zwar ohne bekannte Ursache, die Eltern waren nämlich ichthyosisfrei. (Kaposi beschreibt mehrere Formen der Ichthyosis und nennt sie eine hereditäre[S. 47] Krankheit.) Mir gelang es niemals, eine Ursache für die Ichthyosis der Dajaker zu finden, und sie war so zahlreich, dass ich sie für die Dajaker eine endemische Volkskrankheit nennen musste.
Endlich kam der letzte Dolmetsch, und nach langer Debatte erfuhr ich erst das Folgende: Der lange Dajaker sei von der Quelle der Teweh zu mir gekommen, weil er an blutiger Diarrhoe leide; diese Krankheit hätte sich langsam und allmählich entwickelt, nachdem er vor acht Monaten von einer Tigerschlange (Python) attaquirt worden sei. Er ging nämlich um diese Zeit im Walde und hatte nur einen grossen Korb auf seinem Rücken; plötzlich fühlte er etwas Nasskaltes auf dem Rücken, er griff dahin, und in diesem Augenblicke schlang sich eine Sawahschlange viermal um seinen Thorax. Die Elasticität des Korbes rettete ihn vor einem sichern Tode; denn sie gab ihm Gelegenheit und Zeit, unter den Windungen der Tigerschlange sein Messer zu ziehen und mit raschen und kräftigen Zügen die Schlange — zu durchsägen. Diese Riesenschlangen, welche in Indien fälschlich für Boas gehalten werden, erreichen oft eine ungeheure Länge. In Buntok (zwischen Marabahan und Teweh) hatte eine Python den Stall eines Dajakers überfallen und war mit einer Gans davon geeilt. Durch das Geschnatter der übrigen Gänse aufmerksam gemacht, eilte er hinaus, und es gelang ihm noch, mit seinem Mandau ihr den Kopf abzuschlagen. Als ich den folgenden Tag ins Spital ging, sah ich den Rumpf auf der Strasse liegen; er war 9 Schritte, also mehr als 6 Meter lang; man will selbst Sawahschlangen von 8 Meter Länge gesehen haben. Diese Gans hatte ein sehr trauriges Schicksal, denn allgemein wird in Indien angerathen, Gänse in seinem Garten zu halten, weil sie durch ihr Geschnatter die Schlangen vertreiben sollten, und gerade eine Gans war es, welche sich die hungrige Python zu ihrem Opfer auserlesen hatte. Das beste Mittel jedoch, die Schlangen aus der Umgebung der Häuser fern zu halten, besteht darin, dass man rings um das Haus alles Gras ausrodet; die Schlangen lieben nicht die steinigen Wege, und wenn auch eine sich auf einen solchen Weg verirrt, so sieht man sie und läuft nicht Gefahr, sie zu treten und von ihr gebissen zu werden. Dies ist sehr wichtig; denn keine Schlange greift den Menschen an, und jede Schlange geht dem Menschen aus dem Wege, wenn er sie nicht tritt oder angreift. Man kann neben der grössten und giftigsten Schlange gehen, sie beobachten u. s. w., man bleibt unbehelligt, so lange man sie nur in Ruhe lässt. Ich habe zahlreiche Patienten behandelt, welche von giftigen und ungiftigen Schlangen gebissen waren.[S. 48] Auf mich machte es den Eindruck, dass der Biss einer giftigen Schlange nicht absolut tödtlich sei, und dass es allein davon abhänge, ob das Gift direct in eine Vene eingespritzt werde oder nur das subcutane Gewebe reize; im letzten Falle entsteht nur eine Entzündung mit consecutivem Exsudat, welches mechanisch die Aufnahme des Giftes in die Blutcirculation erschwert oder unmöglich macht. Damit ist natürlich der Process localisirt. Wenn jedoch der Giftzahn seinen Inhalt direct in das Lumen einer Vene entleert, so wird der tödtliche Ausgang nicht lange auf sich warten lassen; wenn nur eine Arrosion eines Blutgefässes ursprünglich stattgefunden hat, welche erst secundär die Wand einer kleinen Vene öffnet und den Uebergang des Giftes in den Blutstrom ermöglicht, ist natürlich noch nach Stunden und selbst nach 1–2 Tagen der Tod durch einen Schlangenbiss möglich. Da a priori diese Verhältnisse nicht erkannt werden können, ist es darum rathsam, sofort nach dem Bisse einer giftigen Schlange die Extremitäten abzuschnüren und die Wunde auszubrennen. (Compressen mit Ammoniak haben natürlich gegen die Aufnahme des Giftes ebenso wenig Erfolg als der inwendige Gebrauch desselben.) Ein Unicum in dieser Hinsicht sah ich im Jahre 1880 in Bantam (Süd-Westen von Java). Eine Frau sah ich mit einem exquisit komischen Stumpf des linken Unterschenkels und Contractur des Kniegelenkes. Auf meine Frage, wie sie dazu gekommen sei, erzählte sie mir, dass sie vor 13 Monaten von einer Schlange in den Fuss gebissen wurde, dass sie die Wunde (landesüblich) mit einer Kupfermünze bedeckt habe, welche wie ein Sieb durchlöchert war, dass die Wunde jedoch nicht heilte, sondern immer grösser und grösser wurde, und dass zuletzt der Fuss abgefallen sei. Da sie die ganze Zeit den Unterschenkel in gebeugter Stellung gehalten hatte, so hatte sich nebstdem die Contractur des Kniegelenkes entwickelt.
Auch hatte ich einmal Gelegenheit, einen Schlangenbeschwörer zu sehen und zu sprechen. Es war in Tjilaljap, wo ein Javane mit zwei lebenden, 2–3 Meter grossen Schlangen zu mir kam, welche sich um seinen Hals und Arme schlangen; natürlich erzählte er mir, dass er eine Medicin (obat) eingenommen habe, welche ihn gegen die Folgen eines Schlangenbisses unempfindlich gemacht habe. Als ich jedoch ihn frug, ob er vielleicht die Giftzähne ausgebrochen hätte und darum den Biss seiner Schlangen nicht fürchte, lächelte er mit verschmitzten Augen und bot sie mir zum Kaufe an. Da ich eine unbenutzte Volière aus Draht in meinem Garten stehen hatte, entsprach ich seinem Wunsche und liess sie dahin bringen. Es war an einem Samstag, an welchem Tage die[S. 49] meisten Männer Abends in den Club gehen, um Whist, L’hombre, Quadrille oder Billard zu spielen. Meine Frau bat mich, diesen Abend das Haus nicht zu verlassen, weil sie der Stärke des Drahtnetzes nicht vertraute. Als ich jedoch bei meiner Absicht verblieb, schloss sie alle Thüren und Fenster des Hauses sofort nach meinem Weggehen und verstopfte überdies noch die Ritzen zwischen Thür und Boden mit Lappen. Um 1 Uhr Nachts kam ich nach Hause, ging sofort nach der Volière, zündete ein Streichhölzchen an, um meine neuen Gefangenen im Schlafe beobachten zu können; ja wohl, »der Vogel war geflogen«, wie ein holländisches Sprichwort sagt. Der Käfig war leer. Im Stillen pries ich natürlich die Vorsichtsmaassregeln, welche meine Frau genommen hatte, und ging zu Bett, ohne meiner Frau etwas von der Flucht der beiden Schlangen zu erzählen. Am andern Morgen rief ich das ganze Personal herbei, den Kutscher, die Bedienten, die Köchin, die Babu (Zofe) und den Gärtner, und theilte ihnen das Vorgefallene mit. An Stelle des Entsetzens und Furcht, was ich von ihnen beim Hören dieser Botschaft erwartete, bekam ich nur die kurze Antwort »baik« = gut, und sie gingen — die Schlangen suchen. Die grössere der beiden lag ruhig am Eingange des Gartens zu schlafen. Der Kutscher nahm einen grossen Bambus, legte an das eine Ende eine Schlinge und näherte sich vorsichtig der schlafenden Schlange (es war eine Python bivittatus, welche auch von den Chinesen gegessen wird). Ebenso schnell als geschickt zog er die Schlinge über den Kopf, zog das freie Ende des Strickes, welches er in der Hand gehalten hatte, an, und der Flüchtling war wieder gefangen. Mit Hurrah wurde sie in den Garten gebracht, und ich liess sofort das Todesurtheil über den Deserteur aussprechen. Es bleibt eine solche Nachbarschaft immerhin gefährlich, weil ihre Bewegungen geradezu geräuschlos sind. In Teweh bekam ich einen solchen Gast sogar einmal ins Schlafzimmer und ins Bett. Es war nämlich Ueberströmung und die Schlangen der Umgebung flüchteten sich aufs Trockene (hinter dem Garten begann nämlich ein kleines Hügelland). Ich hatte oft Gelegenheit, die Schwimmtüchtigkeit der Schlangen zu bewundern. Sollte diese die Sage von der Existenz der Seeschlangen veranlasst haben? Es war die erste Ueberschwemmung (1878), welche ich in Teweh mitmachte. Ich stand vor dem Fort, wo das Wasser schon 1 Centimeter hoch stand. Da sah ich ruhig und gelassen eine Schlange sich uns nähern. Ich stellte mich zur Seite, und kaum war sie auf dem trockenen Ufer angelangt, als ich mich niederbückte und mit einem kräftigen Schlage[S. 50] meines Stockes ihren Kopf zerschmetterte (??). Die Schlange war ungefähr 2 Meter lang; ich nahm sie auf meinen Stock und schleuderte sie weit in den Fluss; wie überrascht war ich jedoch, als ich sah, dass diese Schlange auf der Oberfläche des Wassers sich erholte, einfach umkehrte und wieder ans Ufer schwamm.
Bei dieser Ueberschwemmung sah ich zahlreiche Schlangen, welche aufs Ufer kamen, um Nahrung zu suchen. Eines Abends jedoch lag ich schon im Bett und las, als von dem Dachraum herab eine Schlange auf das Zelt meines Bettes sich fallen liess und mich mit fragenden Augen anblickte. Ich sprang aus dem Bett, holte ein grosses Hackemesser, und es gelang mir, mit einem Schlage den Kopf abzuschlagen.
Wenn ich auch die Furcht vor den Schlangen auf ihr richtiges Maass zurückführen will, weil keine einzige ungereizt den Menschen angreift, so muss ich doch vor diesen Reptilien warnen, weil man eben zufällig, und ohne es zu beabsichtigen, eine Schlange treten kann. Unser Fort stand auf Pfählen, und bei jeder Ueberströmung krochen kleine Schlangen, welche sich auf das Trockene flüchteten, auf den Pfählen des Hauses hinauf und kamen auf diese Weise auch in die Wohnung; dies waren die gefährlichen Ular (Schlange) welang und die Ular dedor; es sind dies kleine niedliche Schlangen von 20–40 cm; ihr Gift ist aber nach den Mittheilungen der Eingeborenen ausserordentlich lebensgefährlich.
Sehr bald hatte ich zwei junge Orang-Utangs und zwei Gibbons (Hylobates concolor) domesticirt in meinem Hause; der Orang ist ein Phlegmaticus, der Gibbon ist ein ausgelassener Junge, welcher den ganzen Tag nur auf tolle Streiche denkt und Mann und Frau, Alt und Jung, Thier und Mensch necken oder plagen will. Manchmal wurden seine tollen Streiche lästig, aber noch öfters musste selbst der grösste Hypochonder über ihn lachen. Ich hatte z. B. einen kleinen Honigbär (Ursus malayanus), welcher in einem eisernen Käfig lebte; er war ein gutmüthiges Thier, welcher seinen Reis sehr gerne mit den kleinen Hühnern theilte; wenn jedoch die alte Henne vor dem Käfig angstvoll gluckte, um ihre Jungen vor dem Gastherrn zu warnen, so fand sie kein Gehör bei den Küchlein; aber der kleine Bär hatte Mitleiden mit der besorgten Mutter; er wollte ihr helfen und zwischen den Stäben des Gitters die alte Henne hineinziehen. Die Henne schrie aus Leibeskraft, er liess sie jedoch nicht los und wollte sie mit seiner Pfote hineinzwängen, wodurch oft nicht nur Federn, sondern auch ein Stückchen Haut[S. 51] mitgerissen wurde. Hin und wieder gab ich ihm die Freiheit, und gerne trottelte er dann in die Küche. um bei den Dienstboten ein Stückchen Zucker zu holen. Weh ihm jedoch, wenn mein Gibbon ihn erblickte! Aufrecht kam dieser gelaufen (Fig. 4), die langen Arme hielt er in die Höhe, die Schenkel im Knie ein wenig gebogen und nach Aussen rotirt. So konnte ich meinen Gibbon langsam auf der Erde dem Bären nachlaufen sehen, der die Gefahren, welche ihm drohten, kannte und brummend weglief. Vergebliche Mühe; denn der Gibbon hat ihn sehr bald ereilt, springt ihm auf den Rücken, giebt ihm einen guten Biss und eilt schnell davon, wobei er dann auch seine Hände gebraucht. Der Bär ist wüthend und läuft dem Plaggeiste nach, brummend und heulend. Der Gibbon wartet geduldig ab, bis der Bär nahe ist, springt ihm wieder auf den Rücken, beisst ihn in die Ohren und springt auf den nächsten Baum oder auf einen Pfeiler der Küche. In seiner Wuth klettert ihm der Bär nach, ohne zu ahnen, welche Streiche der Gibbon ersinnt, um ihn noch mehr zu plagen. Ruhig bleibt er auf dem Aste sitzen, blickt auf den Bär, welcher brummend und langsam heraufklettert, mit vornehmer Ruhe herab, und wer, wie ich, seinen Blick kannte, konnte schon aus seinem Zucken der Augenlider wissen, dass der Gibbon verrätherische[S. 52] Pläne schmiedete. Endlich ist der Bär in seiner Nähe, der Affe schwingt sich mit seinen langen Armen, während die Fusse den Ast festhalten, unter dem Bären auf den Stamm des Baumes, lässt seine Füsse los und fasst jetzt die Hinterfüsse des Bären. Wie dieser auch brummt und heult, sein Plaggeist lässt die Füsse nicht los; er zieht so lange, bis das arme Schlachtopfer endlich dem Zuge nachgiebt und, gezogen von dem Affen, endlich den Boden erreicht. Noch einmal beisst ihn der Affe und verschwindet mit Windeseile im Fort.
Ein grosses Beobachtungsmaterial boten mir meine Hausgenossen aus der Thierwelt, und manches Mittheilenswerthe enthält darüber mein Tagebuch. Soweit es in den Rahmen einer Reisebeschreibung passt, werde ich sie in den folgenden Capiteln mittheilen, und jetzt vorläufig wieder dem Arzt oder vielmehr der Hygiene einige Seiten einräumen.
Im Allgemeinen tritt in Borneo die trockene Zeit (der Ost-Monsun) viel später ein als auf Java. Im ersten Jahre meines Aufenthaltes auf dieser Insel (im Jahre 1877) war sogar erst im August die erste regenfreie Woche eingetreten. Mit dem Eintritt der Monsune steht geradezu in einem Causalnexus der Gesundheitszustand von Menschen und Thieren. Welcher Theil des Jahres in den Tropen jedoch der gesunde oder der gesündere zu nennen sei, lässt sich im allgemeinen nicht behaupten; locale Ursachen spielen hierbei eine grosse Rolle. Was Teweh betrifft, so lag es nicht mehr in der Ebene des angespülten Landes. Aber das Bett des Baritu und des Nebenflusses Teweh, an deren Ufern unser Fort stand, war vorherrschend Lehmboden. Ein steter Wechsel des Wasserstandes charakterisirt diesen Strom auch noch in Teweh, wo die Ebbe und Fluth des Meeres nicht mehr merkbar ist; 10–15 Meter Unterschied im Niveaustande war eine häufige Erscheinung. Das Wasser bringt aus den Bergen eine Schlammmasse, welche reich an vegetabilischen und thierischen Stoffen ist, und lagert es (beim Sinken) auf den seicht absteigenden Ufern ab. Diese Schlammmassen sind die Brutstätte der todbringenden Miasmen. In der Regenzeit, wenn es täglich einige Stunden stark regnet, bleibt der Wasserstand hoch und bedeckt die sedimentirten Schlammmassen, und verhindert also gewissermaassen mechanisch das Entstehen der fieberbringenden Plasmodien. Aber auch in der trockenen Zeit können alle Bedingungen zur Existenz der Malaria, Beri-Beri u. s. w. fehlen. Wenn Tage oder Wochen lang, oder selbst Monate lang kein einziger Tropfen[S. 53] Regen fällt, wenn durch den niederen Wasserstand die Ufer Wochen oder Monate lang den versengenden, aber auch bactriciden Sonnenstrahlen ausgesetzt sind, und wenn selbst grosse Sprünge und Risse in den ausgetrockneten Lehmboden des Flussbettes kommen, auch dann fehlt den Miasmen jede Basis der Entwicklung.[7] In der Uebergangszeit zu beiden Monsunen (Kentering) sind jedoch im Gegentheil alle Factoren zu einer üppigen Entwicklung der Miasmen gegeben: Feuchtigkeit, Wärme und organische Stoffe. Ueberraschend gross war auch der Unterschied des Krankenstandes im Fort zu den verschiedenen Jahreszeiten. Während des Höhepunktes des Ostmonsuns, und noch mehr während des Westmonsuns, hatte ich oft Tage lang keinen einzigen Patienten. Sobald jedoch während des Ostmonsuns in der Woche ein- oder zweimal es regnete, oder sobald in der Regenzeit in der Woche einige Tage frei vom Regen blieben, meldeten sich alle Soldaten, welche früher schon an Intermittens gelitten hatten. Aber nicht allein die Malaria forderte in der Kentering ihre Opfer; auch die Beri-Berifälle bekamen ihre Recidiven zu dieser Zeit. Ich sehe noch den ersten Beri-Berifall vor mir, welcher sich in Teweh bei mir meldete; es war ein Soldat, welcher den ganzen Tag seinen Dienst verrichtet hatte und gegen den Abend unwohl wurde und mich nur um ein Linimentum ersuchte, weil er so schwere Füsse hätte. In der Absicht, den folgenden Morgen ihn eventuell zu untersuchen, liess ich ihm durch den Krankenwärter Spiritus camphoratus geben, ohne weiter mich mit ihm zu beschäftigen. Wie erschrak ich aber, als ich zu demselben Patienten in derselben Nacht gerufen wurde und ihn mit den stärksten und ausgesprochenen Erscheinungen der Herzparalyse sterbend sah. Es ist vor einigen Jahren in Atjeh geschehen, dass ein Beri-Beri-Patient als geheilt das Spital verliess und auf dem Wege nach der Caserne todt niederfiel. Ein solcher plötzlicher Tod scheint bei dieser Krankheit selbst häufig vorzukommen. Im Jahre 1880 hatte ich im grossen Militärhospital in Batavia »die Wacht«; in der Nacht wurde ich zu einem Beri-Beri-Patienten gerufen, welcher mit einer schweren Hydrops[S. 54] pericardii darniederlag; ich entschloss mich, ihm eine subcutane Injection von Pilocarpin zu geben, und schrieb das Recept auf die »Krankenliste«, welche für jeden Patienten angelegt wird und neben der Behandlung auch die Krankheitsgeschichte enthalten soll. Mit der »Liste« wurde das Pilocarpin aus der Apotheke geholt, und die übrigen Patienten des »Saales« umstanden das Bett, als ich ihm die Injection machte. Einer dieser Zuschauer hielt mir auch den Leuchter mit der Kerze (das Spital hatte zwar schon damals Gasbeleuchtung; aber dieser »Saal« war als temporärer Pavillon noch mit Oel beleuchtet). Hierauf ging ich wieder schlafen, und zwei Stunden später kam mir ein Krankenwärter melden: »Der Patient ist gestorben.« Ich nahm ihm die »Liste« ab, um die Stunde seines Todes aufzuschreiben, bevor ich mich angekleidet hatte, um bei diesem Opfer der Beri-Beri den Tod zu constatiren. Ich glaubte jedoch eine unrichtige »Krankenliste« zu haben, weil ich die Notirung vor der Injection darauf nicht sah; auf meine diesbezügliche Frage erwiderte mir der Krankenwärter, nicht Sidin, dem ich Pilocarpin eingespritzt hätte, sondern Amat, der mir bei dieser Gelegenheit die Kerze gehalten hatte, sei plötzlich gestorben!! Diese miasmatische Krankheit, welche mit der Malaria die indische Armee decimirt (die Beri-Beri sucht die meisten Opfer unter den Eingeborenen), wird im zweiten und dritten Theil noch ausführlicher besprochen werden müssen. Solche plötzliche Todesfälle aber geben dem jungen Militärarzte einen Wink, mit der Diagnose »Simulation« vorsichtig zu sein. Besonders die moderne Schule, welche nur Krankheiten und nicht den Kranken behandelt, hat an solchen irrigen Beschuldigungen eines unglücklichen Patienten oft genug Schuld; der junge Arzt baut in erster Reihe seine Diagnose auf den Befund durch Stetoskop, Harn u. s. w. Der Visus practicus fehlt ihm in Indien wie überall; Missgriffe sind also unvermeidlich; dies muss ihn also zur Vorsicht mahnen, die Diagnose »Simulation« nicht leichtfertig zu stellen. Ich weiss sehr gut, dass beim Militär damit grosse Schwierigkeiten verbunden sind; aber es ist nicht so arg, als man annimmt; herrscht ein guter Geist und Disciplin unter den Soldaten, sind, wie wir sehen werden, auch in Friedenszeiten die Fälle der Simulation nicht häufig, besonders wenn der Arzt sich nicht foppen lässt, und zur Zeit des »Ausrückens« noch weniger. Am 4. April 1887 sollte der Marsch nach Kotta-radja Bedil in Atjeh stattfinden, und an diesem Tage hatte sich kein einziger Soldat krank gemeldet!! Dass in ruhigen Zeiten die petites misères de la vie sich fühlbar machen, besonders wenn z. B. von einem Korporal[S. 55] oder Sergeant »Theorie« über die Handgriffe des Gewehres oder über die Bestandtheile der Kanone gehalten wird, dass dann die Soldaten Hülfe für ihre kleinen Qualen bei dem Doctor suchen, um eventuell »Frei vom Dienste« zu bekommen, spricht nicht gegen den »guten Geist unter den Soldaten«, sondern ist — begreiflich. Natürlich giebt es auch einige echte Simulanten in der indischen Armee. Einen solchen Fall hatte ich in Teweh zur Behandlung bekommen, und weil er ein Unicum in seiner Art ist, an den van Hasselt in seinem Buche über Simulation nicht einmal gedacht hat, will ich ihn etwas ausführlicher mittheilen. Ein Franzose, Namens Daudu, kam nach Teweh und meldete sich schon den andern Tag krank, »weil er so viel durch seinen Bauch leide«. Er stand vor mir als der Typus eines kräftigen, gesunden und schönen Mannes, hatte aber einen Bauch wie eine — schwangere Frau. Ich untersuchte alle Organe der Brust, sie waren gesund; der Puls regelmässig, die Schleimhäute waren normal gefärbt, der Stuhlgang, das Uriniren und der Appetit waren, wie er selbst mittheilte, normal; aber der Bauch war wie eine Trommel gespannt; es war unmöglich, durch Percussion Leber, Milz oder Nieren zu untersuchen; natürlich ergab auch die Palpitation ein negatives Resultat. — Ich kann und will nicht alle Details der Untersuchung und nur das Eine mittheilen: Nichts Objectives war zu finden, und keine andere subjective Klage äusserte der Patient (?) als: »j’ai tant de mal au ventre« oder »je souffre horriblement«.
Schmerzen für die Dauer zu simuliren, ist beinahe unmöglich, denn der Schmerz schreibt eine deutliche Schrift in den Zügen der Patienten; das erfahrene Auge unterscheidet den erheuchelten und den wirklichen Schmerz. Nun, der Schauspieler simulirt auch Schmerz, aber Tage oder Wochen lang die Rolle einer Mater dolorosa ununterbrochen zu spielen, wird wohl der grössten Künstlerin unmöglich sein. Dieses mochte wohl unser Freund Daudu gewusst haben und gab sich auch nicht einmal Mühe, durch ein leidendes Aussehen auf mein Mitleid Einfluss zu nehmen. Er hoffte alles von seinem grossen Bauch. Ich wusste mir also nicht anders zu helfen, als dass ich ihn zur Beobachtung ins Marodenzimmer aufnahm. Durch die Krankenwärter ihn observiren zu lassen, dazu hatte ich keine Lust; oder besser gesagt, zu wenig Vertrauen in die Ehrlichkeit und den Muth dieser Soldaten. Der europäische »Bediende« würde als Verräther wenn nicht durchgeprügelt, so doch boycottirt worden sein; und die eingeborenen »Handlanger« hätten gewiss ein gleiches Schicksal erfahren. Ich selbst kam[S. 56] natürlich so oft als möglich in den Krankensaal, und immer stand Daudu wie eine Säule in strammer Haltung vor seinem Bett und mit einem Bauche, als ob eine Pauke angebunden gewesen wäre. Kam ich in der Nacht und lag er, was sehr selten geschah, auf dem Rücken, so war das vorsichtigste Zurückziehen der »Sprey«, in welche er eingewickelt war, hinreichend, um ihn aufzuwecken, und der Bauch hatte sofort seine alte Haltung.[8] Ich gab ihm bei der Morgenvisite eine Morphiuminjection von 10 mg; er schlief jedoch nicht ein, weil er durch forcirtes Auf- und Abgehen und durch Kaffeetrinken die Wirkung des Morphium zu neutralisiren suchte. Zur Chloroformnarcose meine Zuflucht zu nehmen, konnte ich mich nicht entschliessen, weil ich keine Assistenz hatte. Sein Zustand blieb unverändert, d. h. er ass gut, trank, bewegte sich und lebte wie jeder andere gesunde Soldat, und jede Untersuchung ergab negatives Resultat. Unter diesen Verhältnissen musste das Vermuthen von Simulation in mir auftauchen, und zwar musste ich daran denken, ob er nicht ein »Luftschnapper« sei, der, wie gewisse hysterische Patienten, Luft in grosser Menge verschlucken können, oder aber, ob er nicht wie die Bauchredner gelernt hätte, in der Inspiration zu sprechen. Mit palliativen Mitteln mich aus dieser schwierigen Lage herauszuhelfen, wäre auch möglich gewesen; ihn z. B. frei zu stellen von allen schweren Arbeiten, als Corvédienste, Schildwache stehen u. s. w.; dies wollte ich nicht thun, weil ich damit direct oder indirect ihn für krank erklärt hätte, also ... ich wartete. Diesmal, wie späterhin sehr oft, brachte das Warten die erwünschte Aufklärung. Daudu wurde nicht müde mit seiner künstlichen Auftreibung des Bauches, aber er ging in die Falle, die ich ihm legte. Ich musste nämlich die Apotheke in Ordnung bringen; zu diesem Zwecke liess ich von Daudu neue Signaturen schreiben u. s. w. In der Apotheke stand auch, stets gefüllt, die »Feldverband-Kiste« und die »Feldmedicinen-Kiste«, welche je 30–50 Kilo wogen und beim Ausrücken von zwei Kulis mit grossen Bambusstangen auf den Schultern getragen werden sollten. Mit bewunderungswürdiger Leichtigkeit und Geschicklichkeit hantirte er mit diesen Kisten, als ob sie nicht einmal 5 Kilo wogen. Ich beneidete ihn oft um seine Körperkraft, die ihn dazu in Stand setzte; aber das Vermuthen, dass sein Zustand kein pathologischer sei, bekam dadurch beinahe Gewissheit.[S. 57] Ich sorgte dafür, dass der militärische Commandant auch Gelegenheit bekam, diese seine Körperkraft beobachten zu können, und zwar nicht nur momentan, sondern ich liess ihn oft stundenlang die schwersten Arbeiten in der Apotheke verrichten, z. B. die grossen Töpfe, Büchsen und Kisten einen ganzen Vormittag von einem Kasten in den andern überbringen u. s. w., so dass ich die Ueberzeugung bekam, dass Daudu nicht krank und dass sein Zustand ein artificieller sei. Nach zwei Monate langer Beobachtung hatte ich mir also die Ueberzeugung geschafft, dass sein Zustand ihm nicht hinderlich im Verrichten seines Dienstes sein könne (per analogiam). Der Zufall wollte es auch, dass um diese Zeit ein Transport mit militärischen Utensilien nach Bandjermasing gehen sollte. Daudu ersuchte mich, den Transport mitmachen (dies geschah zu Wasser in einem Boote) und zugleich von Bandjermasing nach der Superarbitrirungscommission zu Surabaja gesendet werden zu können. Mit der grössten Ruhe sagte ich ihm, dass dazu keine Ursache wäre, dass er nicht krank sei, dass er ganz gut seinen Dienst thun könne, und dass er also den folgenden Morgen das Marodenzimmer verlassen müsse. In der ersten Ueberraschung sprach er nur »C’est impossible, mon Doctor major«, und ich entliess ihn nur mit den Worten: »je l’ai vu que vous pouvez faire votre service.« Die Sache nahm natürlich den erwarteten Verlauf. Den andern Tag meldete er sich wieder krank, der Militär-Commandant frug mich brieflich (gemäss einer gegenseitigen Absprache), nicht ob er krank sei, sondern ob er seinen Dienst verrichten könne, was ich mit gutem Gewissen bejahen konnte; Daudu wurde bestraft, er reclamirte bei dem militärischen Commandanten in Bandjermasing, der mich ebenfalls um mein Gutachten officiell ersuchte; ich blieb bei meiner Behauptung, dass der Reclamant seinen Dienst verrichten könne; er wandte sich an das Kriegsgericht, und auch dieses verurtheilte ihn wegen Unwilligkeit und wegen Mangel an Achtung gegen seine Vorgesetzten, und endlich ... machte er alle seine Dienste. Zu gleicher Zeit wollte er sich in einem hochelegant französisch geschriebenen Brief, den ich noch heute besitze, an den Unterkönig wenden, in welchem er sich als das Opfer der mangelhaft entwickelten Wissenschaft der Medicin hinstellt, da nicht einmal so ein ausgezeichneter Arzt als Dr. Breitenstein seinen Zustand beurtheilen könne; er hat ihn aber auf mein Anrathen inhibirt. Einige Monate später musste ich einen Brief begutachten, welcher auf dem Wege der Gesandtschaft von seinem Bruder, einem Advocaten in Paris, an den Unterkönig geschickt wurde. In diesem frug dieser Advocat nur, wie[S. 58] es mit dem Magenleiden seines Bruders gehe. Ich begnügte mich, mitzutheilen, dass mir von einem Magenleiden des Daudu gar nichts bekannt war, da er während seines zweimonatlichen Aufenthaltes im Marodenhause zu Muarah Teweh sich eines solch guten Appetits erfreut hat, dass er nicht einmal an der gewöhnlichen Ration der Soldaten-Menage genug hatte, sondern sich oft noch Reis u. s. w. dazu kaufte. In einer ebenso feigen als läppischen Weise hat aber Daudu sich dafür an mir gerächt. Als ich im October 1880 Borneo verlassen musste, war ich gezwungen, einige Tage in Bandjermasing auf die Ankunft des Schiffes zu warten. Täglich ging ich nach dem Spital, welches im Fort lag, und passirte bei dieser Gelegenheit die Caserne der Artilleristen. Eines Tages stand Daudu in der Veranda, und gerade als ich vorbeiging, bog er so seinen Oberleib, dass ich nur das Ende des Rückens zu sehen bekam! Wohlweislich sprach ich ihn dafür nicht an, denn er hätte gewiss mit dem unschuldigsten Gesicht der Welt versichert, mich nicht kommen gesehen zu haben.
Solche seltene Fälle von Simulation sind in gewisser Hinsicht natürlich nicht gefährlich; d. h. wenn man aus Unsicherheit der Diagnose oder aus zu grosser Gewissenhaftigkeit hineinfällt, so wird nicht leicht ein zweiter Soldat es wagen, ein solches Leiden zu simuliren; aber bei anderen simulirten Krankheiten geschieht dies häufig; denn dem Soldaten macht es immer Freude, seinem Vorgesetzten ein Schnippchen schlagen zu können. Im Jahre 18.. kam z. B. ein Soldat mit Schmerzen in dem rechten Oberarm ins Spital zu M.... Per exclusionem zweifelte ich keinen Augenblick, dass dieser Patient einige Tage im Spitale ausruhen wollte, und theilte dies dem jüngeren Arzt mit, dem ich meinen Dienst übergab, weil ich auf Urlaub ging. Dieser wusste es natürlich (?) besser als ich, diagnosticirte: Neuritis brachialis, und als ich zurückkam, waren drei solche Fälle, und zwar von demselben Bataillon und von derselben Compagnie im Spital. Sogar ein vierter meldete sich mit dieser Krankheit; ich untersuchte ihn nach den Regeln der Kunst und schrieb ihn schon den folgenden Tag aus dem Spitalstande. Es kam kein neuer Fall von Neuritis brachialis mehr zur Behandlung, und auch die übrigen drei verliessen in einigen Tagen geheilt(?) das Spital.
Den 6. October (1877) war das mohammedanische Neujahrsfest (1294). Die Mohammedaner feiern diesen Tag mit allem Luxus, der ihnen zu Gebote steht; Jeder geht in seinem neuen Kleide in die[S. 59] Moschee, spazieren und Visite machen; auch zu uns kamen sie ins Fort und zwar unter einem fürchterlichen Raketenfeuer. — Ueberall wird Feuerwerk (mortjon) an diesem Tage angezündet, und je stärker das Donnern und Poltern desselben ist, desto grösser ist das Vergnügen dieser Menschen. Wenn man am mohammedanischen oder chinesischen Neujahr durch die Strassen einer grossen Stadt Javas fährt, hält man sich krampfhaft das Herz, weil man fürchtet, dass die Pferde durch das tolle Schiessen, oder getroffen von den Funken des Feuerwerkes scheu werden; sie gewöhnen sich jedoch so daran wie die Menschen. Dass natürlich die europäische und halbeuropäische Jugend an diesem lauten Vergnügen activ Theil nimmt, ist selbstverständlich. Wie viel tausend Gulden an einem solchen Tage für dieses Freudenschiessen verschleudert werden, weiss Gott. Sehr selten hört man jedoch von einem Unglück bei dieser Gelegenheit. Ich selbst hatte nur im letzten Jahre meines Aufenthaltes in Indien eine kleine unangenehme Ueberraschung durch die Mortjon zu erleiden. Ich fuhr nämlich in meiner Equipage von Samarang nach Tjandi und suchte so viel als möglich dem Feuerwerke aus dem Wege zu gehen; kaum war ich jedoch auf der grossen Strasse, als ein Knabe sein Bündel mit brennenden Mortjons in die Luft warf; ohne darauf zu achten, fuhr ich weiter. Wenige Minuten darauf jedoch stieg auf meiner Seite eine kleine Rauchwolke und eine Flamme in die Höhe. Das Mortjon hatte die offene Rücklehne getroffen und in Brand gesetzt.
Zu den Besuchen, welche wir damals erhielten, gehörte auch die Tochter Mangkosari’s, welche natürlich nicht zu uns selbst, sondern zu unseren Haushälterinnen kam. Ein langer Zug von 20–25 Frauen zwischen 15–25 Jahren näherte sich dem Fort. An der Spitze des Zuges ging jene stolz wie eine Juno und schön wie eine Venus. Mit ihren feuersprühenden Augen und elfenbeinernen Zähnen verrieth sie in ihrem gemessenen Schritt und der ihrer hohen Abkunft bewussten Haltung ihre fürstliche Abstammung. Bei ihrem Eintritt legte sie ihre kleine, weiche Hand in die meinige mit den Worten slamat taon Baru = glückliches Neujahr, ging stolzen und erhobenen Hauptes bei mir vorbei in das hintere Zimmer, wo meine Haushälterin auf dem Boden sass, und liess sich ebenfalls nieder, während das Gefolge in gemessener Entfernung ein Gleiches that. Natürlich war der Boden mit (Singaporschen) Matten bedeckt, und meine Haushälterin, welche von der Ankunft dieser Fürstentochter verständigt war, hatte für Gebäck, Zuckerwerk und Thee gesorgt. Ihr zurückhaltendes Benehmen gegen mich hatte seine gute Ursache. Täglich machte ich nämlich vor Sonnenuntergang einen Spaziergang[S. 61] zwischen dem Fort und der Wohnung ihres Vaters, welche am rechten Ufer des Tewehflusses lag; ich ahnte nicht, dass jedesmal ein Paar schwarze, feurige Augen mich auf meinem Spaziergang beobachteten. Eines Tages jedoch kam ich an das Ende der Strasse, und sieh’ da! zwei schöne Frauen sassen auf einem gefällten Baume, welcher vor dem Hause Mangkosari’s lag. Die eine der beiden kannte ich bereits; es war die (halbchinesische) Frau des chinesischen Lieferanten des Forts; die zweite wurde mir als die Tochter Mangkosari’s vorgestellt. Selten habe ich ein so schönes Mädchen gesehen, und niemals mit einer schöneren Frau, als diese war, gesprochen. Im Laufe des Gespräches (in malayischer Sprache) bot sie mir (Fig. 5) Früchte aus dem Körbchen an, welches sie in der Hand hielt; einen Augenblick zögerte ich, diese Liebesgabe anzunehmen — die Frauen standen auf und mit einem kurzen und gemessenen Tabeh (Gegrüsset) verliessen sie mich. Nur zweimal noch bekam ich hierauf während meines dreijährigen Aufenthaltes in Teweh die Tochter Mangkosari’s zu sehen, und zwar beim erwähnten Neujahrsfest und 1½ Jahr später, als die Frau des Mangkosari schwer erkrankte und mich um Hülfe ersuchen liess.
Den 3. Mai 1878 hatte ein Dajakscher Jüngling in unserer nächsten Nähe sich seinen Brautschatz geholt. Ungefähr 500 Schritte hinter dem Fort waren einige Malayen mit dem Fischfang beschäftigt, plötzlich sprangen einige Dajaker aus dem Gebüsche; vier von ihnen gelang es, je einen Malayen beim Kopfhaar zu fassen und ihm mit dem Mandau mit einem Schlag den Kopf abzuschlagen. Ebenso schnell als sie gekommen waren, wussten sie auch zu entfliehen, bevor die übrigen Fischer sich von ihrem Schrecken erholt hatten. Nur die kopflosen Leichen ihrer Kameraden und die Blutspuren, welche in den Urwald führten, waren die traurigen Ueberreste dieser Kopfjagd. Die Kopfjäger schnitten mit den kleinen Messern, welche sich auf der Scheide der Mandaus befanden, das Fleisch von den Köpfen ab, die langen Haare derselben banden sie an die Griffe ihrer Schwerter, und frohlockend zogen sie weiter, in der Ueberzeugung, mit ihren Schätzen jedes spröde Frauenherz erobern zu können. Die Werthscala eines Kopfes ist folgende: Sclave, Kind, Frau, Dajaker, Malaye, Chinese und Europäer. Die Leiche des einen Opfers wurde mir als corpus delicti des Verbrechens zur Obduction gebracht. Ich habe seitdem keine Gelegenheit mehr gehabt, eine solche Leiche zu obduciren; ich weiss also nicht, ob es Zufall[S. 62] war, oder ob es immer geschieht: am Rumpfe befand sich nur ein Schnitt, der den Zwischenraum zweier Halswirbel durchzogen hat. Was ich darüber bei Perelaer und Schwaner gelesen habe, und was mir darüber von den Eingeborenen erzählt wurde, stimmt damit überein, d. h. der Kopfjäger liegt im Hinterhalt, springt im gegebenen Augenblick auf sein Opfer, fasst es bei den Haaren, und mit einem Schwunge seines Mandaus trennt er den Kopf vom Halse. Diese Trophäen sind den Dajakern das Zeichen des persönlichen Muthes, und darum wurden sie damals von den Bräuten von ihren Freiern gefordert. Mittheilenswerth ist die Erzählung, welche Perelaer in Nr. 11 vom Militär-Spectator 1864 bringt. Im Jahre 1860 reiste Harimaung nach Kwala Kapuas und schloss mit den Beamten dieser Gegend ein Bündniss und beschwor, die Kopfjagd aufzugeben und auch in seinem Reiche die Kopfjagd zu verbieten. Viele Jahre hielt er sein Wort, bis ihn die Liebe wortbrüchig machte, obwohl sein Vater und seine Freunde ihn als Feigling behandelten und beschimpften. Er ging auf Freiersfüssen, ohne jedoch seine Braut heimführen zu können, weil er noch keinen Kopf erbeutet hatte, ja noch mehr, sie bot ihm den saloi (den kurzen, bis zum Knie reichenden Sarong) mit den Worten an: »Du bist kein Mann, Du musst Frauenkleider tragen.« Auch diesen Schimpf ertrug er, um dem Wort treu zu bleiben, das er dem Commandanten von Kwala Kapuas gegeben hatte. Als aber seine Geliebte einem berühmten Kopfjäger aus Miri (Kahajan) Gehör gab und selbst als Bräutigam annahm, da schwanden seine guten Vorsätze. Eines Tages verschwand er plötzlich und kehrte nach einigen Tagen zurück, mit seinem Korb auf dem Rücken, welcher vier Köpfe enthielt. Der süsseste Liebeslohn strahlte aus den Augen seiner Geliebten, als er den Korb vor ihren Füssen hinstellte und die Schädel herausrollen liess. Er aber blieb ruhig stehen und streckte seine Hand nach dem auf dem Boden liegenden Liebeslohn. Es waren die Köpfe ihres Vaters, ihrer Mutter, ihrer Schwester und ihres — Bräutigams. »Du hast Köpfe gewünscht,« fügte er hinzu, »hier sind sie; ich habe meinen Eid gebrochen; ich darf nicht mehr unter die Augen des Commandanten von Kwala Kapuas kommen; sei verflucht!« Er floh in die Urwälder, welche er seitdem nicht mehr verlassen hat.
Natürlich giebt sich die Holländische Regierung alle Mühe, nicht nur unter ihren eigenen Unterthanen, sondern auch über die Grenze ihres Gebietes hinaus dieser grausamen Sitte zu steuern; abgesehen davon, dass die Sitten durch einen solchen Gebrauch nie milder werden[S. 63] können, ist die Kopfjagd eine der Ursachen, dass Borneo so schwach bevölkert ist.
Nach einer solchen Kopfjagd, wie sie Harimaung übte, bleibt natürlich die Blutrache nicht aus. Die Familie seiner Geliebten nahm Rache; sein ganzes Vaterhaus wurde ausgemordet und dessen ganzes Vermögen wurde zersplittert, und er selbst blieb — in den Urwäldern Borneos.
Lieutenant X., welcher gleichzeitig der Vertreter der Regierung gegenüber der Bevölkerung war (civile gezagvoerder), liess den Districtshäuptling Dakop kommen und gab ihm den Befehl, den Mörder auszuforschen, einzufangen und der Regierung auszuliefern. Unterdessen kam schon Mangkosari sich bei dem Commandanten melden und bot sich an, den Mörder zu suchen. Ich erinnere mich nicht mehr, ob Lieutenant X. sein Anerbieten annahm, denn es war noch keine Antwort auf sein Gnadengesuch eingelaufen, oder ob dieser Häuptling trotz des Verbotes des Militär-Commandanten diesen Kriegszug unternahm; genug an dem; einige Stunden später, während Dakop noch am Berathschlagen war, sah ich Mangkosari mit ungefähr 100 Mann den Baritu stromaufwärts fahren. Den andern Tag um 9 Uhr Abends sassen wir drei Officiere an der Whisttafel, als ein weihevoller Gesang an unser Ohr drang; wir traten zur Palissade; gellende Hurrahrufe mengten sich unter das gedehnte illa—la—lah há; eine ägyptische Finsterniss bedeckte die Landschaft, so dass wir nur einige Lämpchen wie Irrlichter auf dem Wasser schweben sahen; ein Blitzstrahl zuckte und zeigte uns vielleicht 40 kleine Kähne, welche sich unserem Fort näherten. Einer von ihnen blieb stehen, zwei Männer stiegen aus, wovon der Eine eine Laterne trug; als sie der Palissade nahe waren, erhob der Eine die Laterne, ein hundertstimmiges Hurrah drang zu unseren Ohren und wir sahen den zweiten Mann — ich glaubte, dass es Mangkosari selbst war — einen Schädel in die Höhe bringen, welcher, beleuchtet von der Laterne des zweiten Dajakers, uns den Mörder zeigen sollte, welcher mit seinem Kopfe sein Verbrechen gebüsst hatte. Wahrlich! eine eigenthümlich pittoreske Scene, die sich uns damals darbot! (Wer weiss, welchem unschuldigen Mann Mangkosari den Kopf abgeschnitten hat, um nur einen Beweis für seine Tüchtigkeit als Polizeimann zu geben.)
Noch dreimal hat während meines 3½ jährigen Aufenthaltes auf Borneo die Regierung von einer solchen Kopfjagd Nachricht bekommen.[S. 64] Der Einfluss der europäischen Civilisation macht sich natürlich, wenn auch langsam, doch sicher geltend, so dass heut zu Tage dieser grausame Gebrauch nicht so häufig geübt wird als früher. Dazu trägt auch die neue Waffe das ihrige bei. Als vor ungefähr 25 Jahren in der indischen Armee die Hinterlader eingeführt und die zurückgestellten alten Vorderlader auf Auction gebracht wurden, blieb kein einziges dieser alten Gewehre unverkauft. Auch unter den Dajakern befanden sich zahlreiche Käufer, welche die neue Waffe sehr gut zu gebrauchen lernten. Ich ging damals oft auf die Jagd und nahm einen Dajaker aus dem Gefolge Mangkosari’s mit, welcher mir das Gewehr trug. Bald wurde er ein geübter Schütze, der seinen Lehrmeister bei weitem übertraf. Vom oberen Laufe des Baritu kamen Ende 1879 die Fürsten von Murong und Siang nach Teweh und sahen damals zum ersten Male einen Dampfer und die neuen Beaumont-Gewehre; das Dampfschiff erregte mehr ihre Neugierde als Erstaunen; aber als sie das Hinterladergewehr gebrauchen sahen, sprangen sie wie Besessene vor Bewunderung. Ueber die Waffen der Dajaker, welche noch nicht von der Cultur beleckt sind, d. h. welche nur den Mandau, Schild, Pfeile und Blasrohr gebrauchen, ausführlich zu schreiben, würde überflüssig die Grenzen dieses Buches überschreiten.
Nur will ich mittheilen, dass ich mit dem Ipoh, dem Pfeilgift der Dajaker, einige Experimente gemacht habe. Ich habe nämlich 1 Gran = 65 Milligramm Ipoh in Wasser gemischt einem kleinen Affen ins Rectum eingespritzt. Obwohl ungefähr die Hälfte sofort wieder ausfloss und ich den Affen (Cercopithecus cynomolgus) nach Angabe der Dajaker sofort unter Wasser tauchte, bekam er doch nach ungefähr 10 Minuten Krämpfe und starb. Zweimal habe ich ein Schuppenthier (Manis pentadactyla) durch Ipoh getödtet; das erste Mal in Teweh und das zweite Mal, 16 Jahre später, in Java. Mit dem Messerchen gab ich zwischen zwei Schuppen einen Stich und steckte hierauf einen Pfeil in die Wunde. Im ersten Falle starb das Thier beinahe sofort nach der Operation, während es im Jahre 1896 doch noch ¼ Stunde dauerte, bis das Thier unter Convulsionen erlag. Nach Perelaer stamme das Gift von zwei Sorten Gewächsen; das eine, das Siren, stamme von einem Baume, und das andere, Ipoh, von einem Strauche. Nach meinen Untersuchungen dürfte in dem Theile Borneos, welchen ich bewohnt habe, Strychnos Tieuté Lechenault, und in Kapuas, Antiaris toxicaria die Quelle des Pfeilgiftes gegeben haben. Dass jedoch, wie Wefers Bettink behauptete, »das Pfeilgift von Borneo keine Spur[S. 65] von Strychnin enthalte«, kann ich, soweit es die Pfeile betrifft, welche ich in Teweh erhielt, nicht unterschreiben. Der verstorbene Professor Stricker in Wien schrieb mir seiner Zeit nämlich, dass das von mir gesendete Ipoh eine Strychninsorte sei.
»Greift nur hinein in’s volle Menschenleben, und wo ihr’s packt, da ist’s interessant.« So ging es auch mir während meines Aufenthaltes auf der Insel Borneo. In dem engen Raume des kleinen Forts herrschte Monotonie des ganzen täglichen Lebens. Als Arzt konnte ich nicht viel zu thun haben, weil hundert Soldaten, welche doch in der Kraft ihres Lebens stehen, nicht oft erkranken; als Mensch und als Officier kostete ich den Kelch eines der civilisirten Welt entrückten Bestehens bis auf die Neige, weil ich nur zwei Kameraden hatte, d. h. weil nur zwei Officiere und sonst niemand sich im Fort befand, mit denen ich verkehren konnte, und doch hatte ich keine Langeweile. Denn so oft als möglich (und natürlich immer auf eigene Verantwortung) verliess ich das Fort, um zu jagen, um Käfer zu sammeln, um einem dajakischen Feste beizuwohnen oder um an der Grenze des Urwaldes seltene Orchideen zu pflücken u. s. w.
So geschah es auch, dass ich den 25. Februar 1878 mit dem Bezirkshäuptling Dakop über den Baritu setzte, um hinter dem Kampong des Demong Djatra zu jagen. Der alte Kamponghäuptling war seinem Blasenkrebs erlegen, und sein Sohn Demong Djatra, der Nachfolger in dieser Würde, ist mein Freund (?) geworden. So oft als möglich besuchte er mich, d. h. so oft er Pulver für sein Gewehr nöthig hatte, und brachte mir hin und wieder auch kleine Geschenke, z. B. Früchte mit. Sein Gesichtsausdruck war der eines hinterlistigen Mannes, und vielleicht war dies die Ursache, dass mein Wau Wau ihn jedesmal attaquirte, wenn er zu mir ins Zimmer trat. Entweder riss er ihm wüthend das Tuch vom Kopfe oder er hing sich an seine Füsse und zerriss ihm die Hose (welchen Luxus er sich immer erlaubte, wenn er ins Fort kam), oder er sass zwischen den Spitzen der Palissade und riss ihn en passant, mit einem Ausdruck voller Wuth, bei dem Kragen, kurz und gut, er hasste den Demong Djatra. Dies war darum so auffallend, weil es der einzige Dajaker und der einzige Mensch war, dem mein Wau Wau solche unzweideutigen Beweise seiner Feindschaft gab, und weil thatsächlich Falschheit die Physiognomie dieses Häuptlings zeigt. Dass er zwei Jahre später das Haupt des Aufstandes war, will ich nur per parenthesim[S. 66] erwähnen, weil noch andere unserer »Freunde (sobat)« daran Theil genommen hatten, ohne dass sie einen solchen listigen Ausdruck gehabt hatten.
Als wir uns seinem Kampong näherten, sahen wir eine eigenthümliche Scene. Im Wasser stand mein »Freund« Djatra, vor ihm lag ein Boot, hinter ihm standen drei Männer in feierlicher Haltung und neben diesen eine Miniatur-Hütte, welche auf einem Gestell umgeben mit Wachslichtern ruhte. Im Hintergrunde standen die übrigen Bewohner des Kampong als Zuschauer. Unter den Frauen waren einige junge, welche über dem Knöchel eine Schnur mit kleinen Glasperlen hatten. Auf meine Frage, warum nicht alle Frauen diese Glasperlen über dem Knöchel tragen, theilte mir Dakop mit, dass nur jene Frauen oder Mädchen diesen Schmuck anlegen, welche zu heirathen wünschen. (Also eine dajakische Heirathsannonce!) Die drei Männer murmelten ihre Gebete und besprengten den Djatra mit Reis. Nun kam dessen Frau und kletterte auf einen Baum, der vor dem Boote im Wasser stand. Djatra nahm sein Mandau und hieb so lange darein, bis der Baum mit seiner Frau ins Wasser fiel. Jetzt stiegen Mann und Frau in den Kahn, welcher nichts mehr als ein ausgehöhlter Baumstamm war, und der älteste der drei Bliams fasste ihn mit den Händen und platsch! beide liegen im Wasser; das Boot wird, während die beiden das Wasser von sich abschütteln, gut mit Wasser abgespült, und diese Procedur wird dreimal wiederholt. Nach dieser Taufe eilen Mann und Frau an den Wall und kriechen in eine zu diesem Zwecke bereitete Grashütte. Burschen bringen brennende Fackeln herbei, eine zweite Frau (garde-dame!) leistet dem Paare in der niedrigen Hütte Gesellschaft, es stürmen die drei Priester mit Lanzen gegen die Hütte, umtanzen sie schreiend und mit den Lanzen schwingend und drohend; mit Hurrah springen die drei Insassen aus der Höhle und im folgenden Moment verbrennen die Flammen die Grashütte. Jetzt ist Djatra, welcher Reconvalescent nach einer schweren Krankheit war, vollkommen gereinigt und das Genesungsfest abgelaufen.
Zahlreich sind die Krankheiten des Magens, der Leber und der Därme, an welchen die Europäer in Indien leiden. Natürlich wird dem Klima die Schuld gegeben, die Ursache dieser zahlreichen Krankheiten zu sein, ob aber mit Recht, das ist noch die Frage. Denn in Indien wird zu viel gegessen und zu viel getrunken. Woher soll der Magen die hinreichende Menge des sauren Magensaftes nehmen, wenn[S. 67] er durch eine zu grosse Menge von Speisen überfüllt wird. Man hilft sich zwar dadurch, dass man zu den Speisen gewisse Gewürze zusetzt, welche eine grössere Production von sauerem Magensaft anregen sollen; aber dieses hat seine Grenze.
Zuletzt kann keine grössere Menge gesunden Magensaftes erzeugt werden; die grosse Menge aufgenommener Speisen wird nicht zur gehörigen Zeit verdaut in den Zwölf-Fingerdarm geschafft, weil der Magen atonisch geworden ist. Es muss Dyspepsie eintreten, weil nicht genug saurer Magensaft vorhanden ist, um die Fermentation der Speisen zu ermöglichen, und auch Plethora stellt sich ein, welche zu Congestionen der Leber und der anderen Baucheingeweide und zum Entstehen der Hämorrhoiden Anlass giebt.
Es lässt sich zwar nicht leugnen, dass in Indien die Flora und Fauna aussergewöhnlich üppig sind und dass also auch das Reich der Bacterien durch die immer herrschende Wärme und grosse Feuchtigkeit der Luft einen günstigen Boden zur Entwicklung hat; aber auch in Indien ist der sauere Magensaft im Stande, die Bacterien des Magens und des Darmes zu verzehren, wenn er in hinreichender Menge vorhanden ist. Daran denkt man in der Regel nicht, obzwar unter den Tropen der Stoffwechsel lange nicht so energisch ist, als in Europa. Jeder von uns weiss ja, dass in den kalten Wintermonaten der Appetit grösser als im Sommer ist, und doch wird in Indien, wo das ganze Jahr hindurch eine Temperatur von 25–40° herrscht, nicht nur nicht weniger gegessen und getrunken als in Europa, sondern sogar mehr. Zur Illustration dieser Behauptung will ich jetzt eine Beschreibung der Diners folgen lassen, welche man z. B. in Batavia in einem Hotel ersten oder zweiten Ranges erhält. (Wegen Mangel an Restaurationen und Kaffeehäusern bekommt man in den Hôtels auf Java die ganze Verpflegung und zwar für 4–6 fl. per Tag.) Beim Aufstehen des Morgens erhält man eine Schale Kaffee, welcher, so unglaublich es ist, nicht schlechter sein kann, als er ist. Zwischen 7–8 Uhr geht man zum ersten Frühstück.
Man erhält Thee oder Kaffee, zwei Eier, Butterbrot, Käse, Salami und Beefsteak. In Indien geborene Europäer nehmen gerne beim Frühstück einen Teller voll Nassi Gôrèng, d. i. Reis mit klein gehacktem Fleisch, Zwiebeln und Lombok (Paprika) in Cocosöl gebacken und mit zwei Spiegeleiern garnirt. Ich pflegte bei meinem Aufenthalt in Indien dabei zu bemerken, dass in Europa nicht einmal der Fürst von Reuss-Greiz-Schleiz-Lobenstein ein so reiches Frühstück habe, als ein einfacher[S. 68] Lieutenant in Indien. Vorläufig muss man damit bis 1 Uhr Nachmittags zufrieden sein. Um jedoch zu dieser Hauptmahlzeit (Rysttafel genannt) den nöthigen Appetit mitzubringen, steht vor dem Essen die Caraffe mit Genever und Bitterextract den Gästen à discrétion. Wie der Magyar seinen Sliwowitz, so nimmt der Holländer vor Tisch ein, zwei oder drei Gläschen »Bitter«.
Die »Rysttafel« führt insofern diesen Namen mit Recht, weil des Mittags täglich der Reis die Hauptrolle spielt. Aber wie gross ist die Zahl der Nebenrollen! Zunächst wird der Reis mit zwei Saucen begossen. Die eine, Kerry genannt, besteht aus Cocosmilch, Bouillon und zahlreichen Gewürzen mit Stücken von Huhn, Fisch, Krabben u. s. w. Die zweite Sauce besteht aus Bouillon und verschiedenen Sorten Grünzeug, worin ebenfalls die Extremitäten eines Huhnes, der Kopf eines Fisches u. s. w. schwimmen. Auf einem zweiten Teller werden aufgehäuft zwei bis drei Sorten Rindfleisch, zwei bis drei Sorten Huhn, Fisch, Krabben, ein bis zwei Sorten Eier, und niemals fehlt ein Stück gehacktes Fleisch (Fricadell). Dazu werden noch verschiedene Grünzeuge mit Lombok zubereitet gemischt.
Damit ist aber das Mittagsmahl noch lange nicht beendigt. Jetzt folgen noch Beefsteak, Erdäpfel und Salat, Käse mit Butterbrod, Früchte und Kaffee.
Die »Rysttafel« bekommt der Passagier nur auf den holländischen Dampfern, und zwar sofort hinter Aden, d. h. bei der Einfahrt in den Indischen Ocean. Auf den Schiffen der Franzosen und Engländer wird diese nur in einer Miniaturausgabe geboten. Ebenso wie wir es in den Hôtels auf Ceylon und Singapore sahen, wird nämlich auf diesen Schiffen nach der Hauptmahlzeit Reis mit einer Kerrysauce servirt.
Bevor ich die weiteren täglichen Mahlzeiten auf Java mittheile, muss noch erwähnt werden, dass Jeder, der es thun kann, nach diesem üppigen Mittagmahle Siesta hält. Zwischen 4–5 Uhr wird aufgestanden, ein Schiffsbad genommen, eine Schale Thee getrunken, ein Spaziergang gemacht, und um 7 Uhr Abends beginnt das gesellschaftliche Leben, d. h. man empfängt und macht um diese Zeit seine Visiten. Darnach nimmt man ein paar Gläschen Genever oder Portwein, und um halb 9 Uhr geht man an das Abendessen. Curiosums halber will ich die Abschrift des Menu geben, welches am 17. Jänner 1897 (ich glaube es war ein Sonntag) im Hôtel du Pavillon in Samarang (Java) den Gästen geboten wurde:
Caviar. — Bruinsoep (braune Suppe). — Croustades. — Visch[S. 69] met wortelen (Fisch mit jungen Rüben). — Rolade met celleri (Sellerie) au jus. — Eend (Ente) met doperwten (Zuckererbsen). — Compôte. — Gebak (Torte). — Nougaijs (Nougat-Gefrorenes). — Vruchten (Obst). — Koffie.
Es kann wohl vorkommen, dass die Gäste hin und wieder eine oder die andere Schüssel passiren lassen, ohne etwas davon zu nehmen, aber ich kann auch behaupten, dass in Europa auf keiner Table d’hôte den Gästen soviel geboten und von ihnen soviel gegessen wird als in Indien, und zwar nicht nur in den Hôtels, sondern auch am häuslichen Herd. Kann es also Wunder nehmen, dass die Europäer im Indischen Archipel so oft an Krankheiten des Magens, des Darmes und der Leber leiden? Wir wollen keine strengen Richter sein, schon darum nicht, weil die indischen Früchte und Gewürze gar so herrlich sind. Ich habe eine Zeit gekannt, dass ich dreimal des Tages die »Rysttafel« hätte essen wollen.
Von den zahlreichen Früchten, welche besonders saftreich sind, und deren Aroma oft von keiner einzigen europäischen Frucht übertroffen wird, will ich nur einige erwähnen, und zwar jene, welche mir am besten mundeten: die Ananas (A. sativa), Djambu (Anacardium occidentale), die Papaja (Carica papaya), Nonafrucht (Anona reticulata), Durian (Durio zibethinus), Mangistan (Garciana mangostana), Duku (Lantium domesticum), Mangga (Mangifera indica). Von den zahlreichen Gewürzen (Hass-Karl spricht von 119 allein aus dem Pflanzenreich) und ihren Zusammensetzungen, z. B. Kerry, Ketjab (Soja) kann ich nur dasselbe sagen; sie sind herrlich.
In den Hôtels habe ich natürlich von diesen herrlichen Speisen täglich genug bekommen, ohne dass ich damals mich an dem »zu viel« versündigt hätte, obzwar die alte Phrase: »in Indien muss man sich kräftig nähren« und »flink trinken« in den verschiedensten Variationen mir vorgeleiert wurde von Aerzten und auch von Laien, welche »in Indien geboren sind und darum am besten wissen müssen, was in »de Oost« gegessen werden muss, wenn sie auch keine Aerzte seien«. Es bleibt eine Phrase zu sprechen von der Wahl einer »nahrhaften Speise«, wenn man vielleicht 10–20 Schüsseln oder Schüsselchen mit eiweissreichen Speisen vor sich stehen hat. Für die Frage einer zweckmässigen Volksspeise, oder für die Ernährung eines Soldaten auf dem Kriegszuge, oder für arme Leute, welche keine Wahl haben, oder für Kranke, welche nur gewisse Speisen vertragen, für diese Probleme ist es nöthig, genau zwischen nahrhaften und nicht nahrhaften Speisen zu unterscheiden. Aber für das Gros[S. 70] der Bevölkerung ist in Indien diese Frage schon erledigt. Dem Eingeborenen ist der Reis eine bessere und gesündere Nahrung, als dem Proletarier in Europa der Erdapfel; denn nach Horford und Krocker hat der Reis nur 15·1% Wasser (und 6·3% Albumin, 73·6% Stärke, 4·6% Cellulose und 0·3% Salze), während die Erdäpfel nach Moleschot 0·5–2·5% Eiweiss, 0·4–1% Cellulose, 9–23% Stärke und 69–81% Wasser haben. Wenn der Malaye und Javane mehr Fleisch gebrauchen würde, dann wäre seine »Volksnahrung« gewiss eine zweckentsprechende und »gesunde« zu nennen.
Die europäischen Soldaten bekommen aber so viel Reis (0·5 Kilo) und so viel Fleisch (0·27–0·4 Kilo) und 30 Gramm Butter u. s. w., dass die zweite Frage die Hauptsache wird, nämlich: ob genug Abwechslung geboten wird und auch genug aufgenommen und verzehrt wird, oder ob nicht vieles geradezu für den Organismus verloren gehe. Die zahlreichen Gewürze haben zwar den Zweck, den Magen zur grösseren Production des Magensaftes anzupeitschen; dieses gelingt zwar eine Zeit lang, aber es dauert nicht lange. Auch Dr. Pollitzer, welcher fünf Jahre am Mississippi wohnte, sprach als seine Ueberzeugung aus, dass mehr als die Hälfte der Magen- und Darmleidenden nicht dem Tropenklima, sondern der unzweckmässigen Lebensweise ihre Krankheit zuschreiben müssen, weil, wie schon oben erwähnt, bei zu grosser Menge der aufgenommenen Nahrung der Magen nicht genug sauern Magensaft erzeugen könne.
Auch mir ging es in Teweh nicht besser. Ich hatte grössere Sorgen, etwas zu essen zu bekommen, das ich gerne ass, als eine »nahrhafte Speise« am Tisch stehen zu sehen; im Gegentheil, diese »nahrhafte Speise« bekam ich zum Ueberdruss und zwar: Beim Frühstück Beefsteak, nach dem Reis Beefsteak und Abends Beefsteak; nebstdem jeden Morgen zwei oder vier Eier; zu guterletzt konnte ich kein Ei mehr sehen und schon der Geruch der Beefsteaks nahm mir allen Appetit. Glücklicher Weise schmeckte mir damals die »Rysttafel« so gut, dass ich mich beim Mittagsmahl für den ganzen Tag satt essen konnte. Denn nur zu oft geschah es, dass das Brod von dem Lieferanten ungeniessbar war und er uns dafür den zweifachen Geldbetrag erstatten musste; für jeden Soldaten war dies ein Freudenfest, er konnte dafür eine halbe Fl. Bier, Genever oder Aehnliches kaufen und ass dafür sein Surrogat, Reis u. s. w. Für uns Officiere war es jedoch jeder Zeit eine arge Enttäuschung, des Morgens kein Brod zu haben. Keine Erdäpfel zu haben, — das waren wir gewöhnt; als im Jahre 1878 durch aussergewöhnlich[S. 71] niederen Stand des Flusses sechs Monate lang niemand zu uns kommen konnte, und zwar nicht nur kein Dampfer, sondern auch kein Transportboot mit Lebensmitteln, so dass z. B. kein einziges Schächtelchen Streichhölzchen auf ganz Teweh zu kaufen war, da fühlten wir erst recht unsere Einsamkeit. Nur die Post, welche auf einem Kahn, der nichts anderes als ein ausgehöhlter Baumstamm war, jede Woche uns gesendet wurde, war das Band zwischen uns und der ganzen übrigen Welt. Mit Angst sahen wir dem Tage entgegen, dass unser Vorrath an Kaffee, Bier, Wein und Genever ausgehen sollte. An »nahrhaften Speisen« hatten wir genug grossen Vorrath; denn der Lieferant musste stets für sechs Monate bei sich und für einen Monat im Fort an Vorrath haben: Reis, lebende Rinder, Petroleum, Salz u. s. w. Von diesen Lebensmitteln hatte der Lieferant vor dem Eintritt der trockenen Zeit zufällig für sechs Monate das verpflichtete Quantum in seinem Magazine aufgespeichert, so dass wir keinen Hunger zu leiden brauchten. Ist die Noth am grössten, ist die Hülfe am nächsten; es begann zu regnen, und der Fluss begann zu steigen, als die Cigarren, Wein, Genever, Streichhölzer und Butter nur noch in ganz kleinen Mengen in Teweh zu bekommen waren und zwar nur bei dem chinesischen Lieferanten der Armee. Ein anderes Geschäft bestand natürlich in Teweh nicht. Endlich konnte ein Dampfer wieder zu uns kommen, und ein Stein fiel uns vom Herzen, als wir ein Glas Bier erhielten und ein Päckchen Streichhölzchen in unserer Vorrathskammer geborgen werden konnte.
Die Worte »gesundes Essen« werden jedoch mit mehr Recht gebraucht als »nahrhaftes Essen«; es wird am häufigsten gebraucht bei der Wahl von Grünzeug, Früchten und gewisser nur in Indien gebrauchter Zuspeisen. Zu den letzten gehört die »Rudjak«, das sind Scheiben von meistens unreifen Früchten, welche mit einer dicken Sauce von Lombok, Zucker und »Trassi« gegessen werden. Verschiedene Sorten von kleinen Fischen werden mit Garneelen in Wasser und Salz in einem irdnen Topf zum Gähren gebracht und darin gelassen, bis ein Brei daraus geworden ist; das Wasser wird danach weggegossen, und der Brei wird zu kugelförmigen Stücken getrocknet. Diese stinkende Zuspeise (Trassi) wird von manchen Europäern und allen Eingeborenen sehr gern bei der »Rysttafel« gebraucht. »Rudjak« wird ohne Löffel oder Gabel und nur mit den Fingern gegessen. Ein Stück rauhe Gurke, Manga, Papaya u. s. w. wird in die oben erwähnte Sauce getaucht, gegessen und — als »gesundes Essen« gepriesen, d. h.[S. 72] von den halbeuropäischen Damen. Ueber die Frage, ob Grünzeug ein »gesundes Essen« sei, lässt sich weniger streiten; denn wenn auch Fleisch (in allen Sorten) ein gesundes Essen ist, so regt es zu wenig die Peristaltik des Darmes an, natürlich in gebräuchlicher Menge; darum ist es gut, neben dem Fleische auch andere Speisen zu nehmen, welche, wenn auch nicht reich an nahrhaften Stoffen, doch für eine hinreichende Bewegung des Darmes sorgen. Von diesem Standpunkte aus muss theilweise auch der Gebrauch der Früchte beurtheilt werden. Andererseits sind die Früchte so mannigfaltig, und es giebt von vielen Früchten so zahlreiche Sorten, dass es schwer fällt zu generalisiren, d. h. sie im Allgemeinen zu den »gesunden« oder »ungesunden« Essen zu rechnen. Es darf aber nicht vergessen werden, dass der Zuckergehalt gewisser Früchte und ihr Reichthum an Cellulose im Darme ungeheure Massen von nicht pathogenen Bacterien entstehen lassen, welche gewiss ein kräftiges Agens gegen die Entwicklung vom Krankheitserreger unter Umständen sein können. Wenigstens auf diese Weise erklärt Loebisch in Innsbruck den günstigen Erfolg einer Traubencur bei gewissen Erkrankungen des Darmes. Uebrigens hat die Früchtecur, von Sonius gegen die »Indische Spruw«[9] in Java eingeführt, wahrscheinlich derselben Ursache ihre günstigen Erfolge zu verdanken.
Die Zahl der Früchtesorten in Indien ist zu gross, um sie an dieser Stelle hinsichtlich ihres Nährwerthes zu beschreiben; aber ich kann nicht umhin, die am meisten gebrauchten Früchte mit einigen Worten zu besprechen:
Die Pisang, von welcher wir auf S. 16 bereits sprachen, kommt in zahlreichen Varietäten auf den Tisch der Europäer; wegen ihres reichen Gehaltes an Amylum (±70%) wird von ihr niemals bezweifelt, dass sie »ein gesundes Essen« sei.
Die Ananas (Ananassa sativa) erfreut sich diesbezüglich schon mehr eines zweifelhaften Rufes; sie ist nämlich sehr saftreich und wird daher nicht von Menschen mit Hyperacidität vertragen; auch die Frauen fürchten manchmal diese süss-säuerlich aromatische Frucht, weil sie den weissen Fluss verstärken, die Menstruation zu stark anregen solle und das Fleisch ihrer Frucht wegen des grossen Gehaltes an Cellulose schlecht verdaut werde. Es ist gewiss überflüssig, das Fleisch der Frucht zu essen, und ich habe mich immer mit ihrem herrlichen Saft begnügt. (Dass sie jedoch, wie behauptet wird, auch ein Diureticum sei, weiss ich nicht aus eigener Erfahrung.)
[S. 73]
Djambu ist, ich möchte sagen, ein Sammelname für Früchte aus den verschiedensten Pflanzenfamilien. Die Djambu bidji (Psydium guajava) kann leicht gelb oder roth sein; diese letztere mit Zucker bestreut, giebt den Geschmack von Himbeeren; sie ist so reich an Samenkörnchen wie die Ribisel, die Körnchen sind aber etwas grösser und haben ihr daher den schlechten Ruf besorgt, dass sie den Darm reizen, Proctitis und sogar den Tod unter Cholera ähnlichen Symptomen zur Folge haben könne. Kirschenkerne haben auch schon manchmal eine Apendicitis verursacht, ohne dass man darum die Kirsche selbst in den Bann gethan hätte. Die herrliche aromatische Djambu verdient diesen schlechten Namen schon darum nicht, weil ihre Körner vielleicht nicht einmal ⅙ der Grösse eines Kirschkerns haben. Die holländische Djambu (Persea gratissima) wird auch advocat genannt; sie stammt aus Westindien und soll dort Apocata heissen, woraus das indische Wort advocat entstanden ist. Sie hat die Grösse eines sehr grossen Apfels, ist eine Fleischfrucht und wird gegessen, indem man ohne Schale die Frucht zerreibt und mit Portwein mengt. Der feinste Mandelgeschmack ist nicht so fein und so angenehm, als von diesem Brei.
Die Papaja (Carica papaya) hat seit einigen Jahren in den europäischen Laboratorien Eingang gefunden, weil der weisse Saft der weichen Schale einen Verdauung befördernden Extract giebt: das Papajin. Diese Fleischfrucht erreicht oft die Grösse eines Kindskopfes und hat in ihrem Innern eine grosse Menge schwarzer Samenkörner, welche als Heilmittel manchmal gebraucht werden; sie ist sehr angenehm (besonders die Riesenpapaya) und aromatisch und wird beschuldigt, bei den Männern temporäre Impotens und bei den Frauen Fluor albus zu veranlassen; ich glaube weder an das Eine noch an das Andere. Sie wird roh mit Zucker und Wein gemischt oder in Zucker eingemacht gegessen. Auch Icterus (Gelbsucht) soll sie erzeugen.
Die Nonnafrucht (Anona reticulata) hat in früheren Zeiten als Aphrodisiacum gegolten, wie Bontius erzählt; aber heute ist diese mehlige, süsse Frucht trotz ihrer zahlreichen Samenkörner eine gern gesehene Frucht auf dem Tische der Europäer, ohne dass man an ihren Liebeszauber denkt oder glaubt. Die Anona muricata wird oft so gross als der Kopf eines Mannes und hat auch einen sehr angenehmen, sehr stark sauern Geschmack; ihr Fleisch wird zerrieben und durch ein Sieb gepresst, weil die Cellulose unangenehm im Munde ist.
Die Durian (Durio zibethium) erreicht die Grösse einer grossen Melone und kann dem sorglosen Wanderer gefährlich werden, wenn[S. 74] sie reif abfällt und den Kopf des Zerstreuten trifft; sie stinkt nach faulen Zwiebeln so stark, dass sie das ganze Haus verpestet, wenn man sie nicht im Hofraume, sondern im Hause öffnet; ihr Geschmack soll jedoch den aller übrigen Früchte der Welt an Feinheit übertreffen und wird von jedem gepriesen, dem es gelingt, sich an den fürchterlichen Gestank zu gewöhnen. Mir gelang es nicht.
Die Manggis (Garcinia mangostana) ist nach meinem Geschmack die beste der indischen Früchte und wird nach »van der Burg« selbst von Bontius durch folgendes Dystichon verherrlicht:
Sie sieht wie ein Lederapfel aus, birgt jedoch hinter der fingerdicken, tanninreichen Schale grosse Körner mit schneeweissem Fleisch, welches einen süss-säuerlichen aromatischen Geschmack hat.
Die Mangga (Mangifera Indica), die Rambutan (Nephelium lappaceum), die Djeruks (Citrus), welche jedoch bei weitem nicht so aromatisch sind, als die europäische Orange, die Duku’s, Langsat, die Labu (Lagenaria idolatria), die Samangka (Wassermelonen) u. s. w., alle diese zahlreichen Früchte werden bald »ein gesundes«, bald »ein ungesundes Essen« genannt; die einen werden ein Diureticum genannt, die andern hätten einen scharf reizenden Saft u. s. w.; wir werden uns im zweiten und dritten Theil noch mehr mit ihnen beschäftigen und wollen darum jetzt wieder zu unseren Erlebnissen auf Borneo zurückkehren.
Von den indischen Frauen, oder besser gesagt, von den Frauen in Indien, zu schreiben, ist eine dankbare Sache. Das Geistesleben aller Frauen Indiens, von der hochgebildeten europäischen Frau angefangen bis herab zu der Wilden, zeigt einen festen Punkt, die Liebe; aber wie die übrigen Fragen und Phasen des täglichen Lebens zu dieser Cardinalfrage sich verhalten, giebt den verschiedenen Frauen den eigenthümlichen Typus, welcher am besten mit dem Worte Charakter bezeichnet wird. Dass natürlich die Verhältnisse des Tropenlebens, die Erziehung, die gesellschaftlichen Verhältnisse auf die Formung des Charakters einen grossen Einfluss nehmen, ist selbstverständlich. Ob aber dieser Einfluss grösser oder kleiner sei als der, welcher bedingt ist durch die Abstammung, d. h. in unserem Falle durch die Vermischung mit den Kindern des Landes, wage ich nicht zu entscheiden. Oft gehen nämlich Kinder aus gemischter Ehe in einem Alter von wenigen Monaten nach Europa, geniessen eine europäische Erziehung[S. 75] und kehren erst als Erwachsene nach Indien zurück. »Sofort klettern sie auf die Palmen,« sagt der Malaye und deutet damit an, dass diese leichter wie die in Europa geborenen, und ebenso leicht als die in Indien erzogenen Europäer die Sprache, Sitten und Gebräuche des Landes annehmen. Die in Indien geborenen Europäer werden Kreolen genannt und zeigen in ihrem Charakter dieselben Eigenthümlichkeiten, als die der gemischten Rasse, wenn auch die Hautfarbe weiss ist und das Jochbein und Oberkiefer nicht so stark prominiren als bei den »Halbeuropäern«. Darum mag in diesem Buche der Ausdruck »indische Damen« alle europäischen Frauen umfassen, welche in Indien geboren und in Indien erzogen wurden, ohne Unterschied, ob Vater oder Mutter, ob Grossvater oder Grossmutter von Eingeborenen abstammen, oder ob selbst »kein Tropfen Eingeborenen-Bluts in ihren Adern rollt«. (Charakteristisch ist die Thatsache, dass nur sehr vereinzelt der Fall dasteht, dass ein Eingeborener eine europäische Frau heirathet, während das Umgekehrte nicht selten geschieht und zwar dass ein Europäer »die Mutter seiner Kinder« zum Altar führt.) Bei den »indischen Damen« zeigt sich die Vorliebe für die indische Toilette geradezu als Charaktereigenthümlichkeit; keine europäische Dame z. B. wird gegenwärtig in indischer Toilette im Salon erscheinen oder Abendgesellschaften aufsuchen. Die »indische Dame« jedoch sieht darin nichts Indecentes.
Zu D... sollte eines Abends grosser Empfang beim Residenten sein; der Militär-Commandant erschien mit seinem Officier um 7 Uhr in Galatenu und fand die Frau des Residenten in — indischer Toilette, weil sie mit ihren Freundinnen beim Kartenspiel vergessen hatte, dass an diesem Tage ihr Mann, der Resident, seinen »jour« habe. Um nicht die Gäste warten zu lassen, blieb sie in ihrer Haustoilette. Die militärischen Gäste verliessen jedoch auf Antrag ihres Chefs sofort das Gebäude. Dieser Fall ist allerdings vereinzelt. Eine europäische Dame hätte natürlich lieber die Gäste warten lassen, bis sie die Haustoilette abgelegt hatte, als in solcher Toilette zu »empfangen«. Denn diese besteht nur aus einem bunten Rock, der um den Unterleib geschlungen und mit einem Bande befestigt wird; ein Leibchen, mit mehr oder weniger Spitzen garnirt, bedeckt den Oberleib; die »indischen Damen« haben unter dem Leibchen (Kabaya genannt) ein Unterleibchen (Kutang), welches die Rolle eines Mieders vertritt und weiter nichts. Ein indiscreter Wind wird nicht gefährlich, weil der bunte Rock, Sarong genannt, eng anschliessend ist, und es darum nicht viel Geschicklichkeit[S. 76] erfordert, den Sarong nach dem Winde zu drehen. Ist der Sarong aber von schlechter Qualität und die Sonne fällt auf ihn, dann sieht man nicht nur die äusseren Conturen des Körpers, sondern die schwach durchfallenden Sonnenstrahlen geben oft ein sichtbares, wenn auch schwaches Bild der schlecht verdeckten Theile. Nicht nur aus Schicklichkeitsgründen, sondern auch aus hygienischen ist es darum zu empfehlen, dass die Damen Unterhosen tragen; man transpirirt stark in Indien, der Landwind ist oft kühl, er spielt oft unter dem Sarong, dass es Mühe kostet, ihm (dem Winde) den Eintritt zu wehren; Darmkrankheiten in Folge Erkältungen sind dann unvermeidlich. Eine sehr zweckmässige Haustoilette sind Sarong und Kabaya, wenn darunter Unterhose und Flanellhemdchem (mit oder ohne Aermel) getragen werden, sie ist eine sehr praktische Nachttoilette für die Damen; auf die Strasse oder in den Empfangssalon gehört sie jedoch nicht. Ich weiss, dass diese meine Worte keinen Einfluss haben werden, denn die »indischen« Damen sind noch conservativer als die holländischen. Die indische Toilette entspricht zwar einem Bedürfniss. Wir würden in Europa im Hochsommer auch eine leichtere Kleidung für wünschenswerth finden; wir tragen aber der Schamhaftigkeit Rechnung und gewöhnen uns daran. Eine Unterhose und eventuell ein Flanellhemdchen unter der Kutang zu tragen, ist ja nicht so schwer, und es wäre damit dreierlei Vortheil erreicht: der Genuss einer leichten Toilette wäre verbunden mit der Schamhaftigkeit und dem hygienischen Vortheil eines Präservativs gegen Erkältung. — Dies ist auch die Toilette der eingeborenen Frauen, mit dem Unterschiede jedoch, dass die Kabaya sehr oft aus hell gefärbten Stoffen und nicht aus Leinwand mit Spitzen besteht; die Sonnenschirme und Kabaya sind schreiend roth, grün oder blau in allen möglichen Nuancen. Oft bestehen diese Kabayen aus Seide oder ähnlich glänzenden Stoffen, so dass das Auge von diesen grellen Farben — man sollte meinen — beleidigt, nein, im Gegentheil befriedigt wird. Gerade im Lande des ewigen Sommers mit dem hellen und scharfen Sonnenlicht gefiel mir dieses farbenreiche Kaleidoskop besser als in Europa, vielleicht, weil dieser »bäuerische« Geschmack dem ganzen Wesen der Malayen entspricht.
Von den Frauen der Dajaker werden ebenfalls bunte Kabayen getragen, und zwar bei ihren zahlreichen Festen; in ihrer Häuslichkeit ist der »saloi«, der kurze Sarong, ihr einziges Kleidungsstück, der von der Mitte des Unterleibes bis zum Knie reicht; bei einem Feste, welches[S. 77] mir zu Ehren gegeben wurde, erschienen sie jedoch in ihrem Galatenu, d. h. im sarong und badju (Leibchen ohne Aermel). Es wurde ein Ladang angelegt, d. h. ein trockenes Reisfeld. Wochen vorher wurde hinter dem Kampong ein niedriger Hügel durch Fällen der Bäume und Verbrennen der Reste von allen Pflanzen befreit. Zu der Aussaat des Reises wurde ich eingeladen. Eine Reihe von Männern bohrte mit einem zugespitzten Bambusstock Löcher in den Boden, und hinter ihnen stand eine Reihe von Mädchen und Frauen, welche einen Selindang nach malayischer Sitte trugen, ein Umschlagtuch, welches von der rechten Schulter zur linken Seite gezogen und befestigt wird, und darin war ein Körbchen mit dem Reis für die Aussaat. Endlich siegte die Natur über die Etiquette; die Mädchen und Frauen warfen Selindang und badju weg und rückten den Sarong in die Mitte des Bauches. Der Bildungsgrad dieser Frauen kann natürlich nicht mit europäischem Maassstab gemessen werden; sie spielen die Flöte, sie singen ihre Helden- und lyrischen Lieder und tanzen in anmuthigen Bewegungen ihre Chorreigen; im Uebrigen — lieben sie. Manche von ihnen hat auch in der Geschichte eine Rolle gespielt, wie z. B. Induambang, welche im grossen Aufstande gegen die Holländer im December 1859 die Dajaksche Helena war. Vor der Ehe führen sie ein so liederliches Leben, dass kaum jemals eine virgo intacta das Ehebett bestiegen hat. Kinder zu bekommen ist für solche Mädchen keine Schande; ehrlos ist sie jedoch, wenn der Vater nicht bekannt ist oder der Geliebte die Vaterschaft verleugnet.
Höher stehen natürlich die malayischen Mädchen und Frauen; von ihnen sind allerdings gewiss noch 95% Analphabeten, weil nur die Töchter der Häuptlinge die Schule besuchen, und zwar entweder die malayische oder die holländische Schule; läuft das malayische Mädchen von Borneo von 2–3 Jahren nackt auf der Strasse, mit einem silbernen Feigenblatt vor den Schamtheilen, welches mit einer Schnur um die Hüften gebunden wird, und Ringen an Händen und Füssen, so geht sie doch mit 7–8 Jahren schon mit einem Sarong und bunter Kapaya gekleidet, wenn sie die Schule besucht oder am Neujahrstag ihre Gratulationsvisite abstattet; sonst ist ihre Toilette der Sarong, welcher unter den Achseln befestigt wird; ihre Reife bekundet sie durch die Beschneidung, welche den meisten Europäern unbekannt ist, weil sie von einer Dukun (Hebamme) ohne Festlichkeiten ausgeführt wird. (Bei den Knaben hat die Beschneidung, wie wir sehen werden, immer einen mehr oder weniger öffentlichen Charakter.) Nach der Beschneidung[S. 78] tritt sie in alle Rechte einer heirathsfähigen Frau. Besonders die Häuptlinge auf den Inseln heirathen gerne eine junge Frau, um sicher ihres Kaufes zu sein, d. h. dass physisch und geistig der zarte Thau der Virginität erhalten sei; sie bezahlen auf Borneo 50–150 fl. Brautschatz; nur zu oft entläuft die junge Braut ihrem ältlichen Bräutigam, weil seine leidenschaftlichen Umarmungen schmerzhaft sind. Sie wird von ihren Eltern wieder in die Wohnung des Mannes gebracht, bis endlich dieser sein Ziel erreicht. Solche junge Frauen von 13–14 Jahren gehören bei den malayischen Häuptlingen Borneos zur Regel; sie sind dann auch zärtliche Frauen und finden sich recht gut in diese Rolle. Das ganze Aeussere ist bis auf die plattgedrückte Nase ein angenehmes, wenn sie kein Sirih kaut, die Zähne nicht schwarz färbt und nicht abfeilt. Das letzte ist natürlich Regel, weil es Volkssitte ist, aber oft unterlassen dieses jene Frauen, welche durch den Umgang mit den Europäern auch eine andere Geschmacksrichtung angenommen haben. So eine junge malayische Frau hat zierlich schöne Füsse, magere Hände mit langen, mit bunten Ringen geschmückten Fingern, welche etwas hyperextendirt, d. h. nach dem Rücken der Hand gebogen sind, eine schöne Büste, glänzend schwarze Haare und Augen, die Lippen sind etwas dick und die Ohrläppchen haben Oeffnungen von der Grösse einer Krone, welche ausgefüllt werden mit einem Cylinder, verziert mit zahlreichen Diamanten.[10] Das lange Haar wird auf dem Hinterkopf in einen grossen Knoten gebunden und trägt reiche Haarnadeln; der Sarong wird mit einem silbernen oder goldenen Gürtel über den Hüften, und die Kabaya mit 2–3 Nadeln, welche mit zierlichen Ketten verbunden sind, geschlossen. Auf den Armen tragen sie Armbänder.
Alle unsere drei Haushälterinnen waren Malayische Frauen, welche ihre Scepter im Hauptgebäude des Forts schwangen; nicht nur von den übrigen Soldatenfrauen, sondern auch von den Frauen und Männern des Kampongs wurde ihre Stellung sehr hoch geschätzt; die Eine fühlte sich als die Haushälterin des »Militär-Commandanten« als die höchste Person des Forts; die zweite fühlte sich in noch höherer Position, weil ihr »Mann« in der Caserne die höchste Autorität sei, und die dritte wollte von der gewichtigen Stellung ihrer zwei Colleginnen nichts wissen, weil sie die Tochter eines Hadji’s war und weil »ihr Mann« ein Doctor sei, von dem alle beide in allen täglichen Fragen[S. 79] des Lebens ganz und gar abhängig seien, und weil er den grössten Gehalt beziehe. Solche Debatten nahmen oft eine gefährliche Heftigkeit an; ich kam einst zu einer solchen thätlichen Scene; die Eine behielt ein Bündel Haare ihrer Nachbarin in Händen, während die dritte die Spuren eines Bisses im Oberarm für Wochen lang davon trug.
Während meines Aufenthaltes in Teweh, also vom April 1877 bis 1. Januar 1880, habe ich keine europäische Dame gesehen und gesprochen, und in Buntok, d. i. bis Oktober des Jahres 1880, habe ich im Ganzen nur mit drei europäischen Damen verkehren können. Die erste war eine »indische Dame«, und zwar die Frau des Controleurs, welcher in Buntok seinen Standplatz hatte und einige Wochen nach unserer Uebersiedelung von Teweh (1. Januar 1880) seine Frau zu sich kommen liess, weil er hoffte, durch die gleichzeitige Anwesenheit von Officieren seiner Frau wenigstens einige Gesellschaft und »Ansprache« bieten zu können. Die zwei andern Damen waren die Frauen von zwei Missionären, welche im Osten von dem Barituflusse, und zwar in Telang und Tamejang Layang, auf Kosten der Barmer Missionsgesellschaft der Bekehrung und Civilisirung der Dajaker sich gewidmet hatten. Späterhin habe ich nie mehr Gelegenheit gehabt, mit Missionären zu verkehren, und ich kann mir daher über die Arbeit dieser Männer im Allgemeinen aus Autopsie kein Urtheil erlauben. Von diesen zwei Männern jedoch bekam ich einen so ungleichen Eindruck, dass ich noch weniger das Thun und Lassen der Missionäre in Holländisch-Indien im Allgemeinen beurtheilen kann. Folgender Anlass gab mir Gelegenheit, diese zwei protestantischen Familien im Innern Borneos aufzusuchen: Im Osten der Insel lebte der Sohn Suto-Ono’s, jenes Dajakers, welcher im Kriege der Jahre 1859–1863 ehrlich und treu der Holländischen Regierung zur Seite stand. Es war ein fürchterlicher Aufstand; die Kohlenminen von Pengaron wurden geplündert, der europäische Ingenieur ermordet; das Kriegsschiff »Onrust« mit Mann und Maus ausgemordet (auf seinem Kessel stand ich noch im Jahre 1878); der kleine Kreuzer No. 42 fiel ebenfalls in die Hände der Dajaker; Puhi Petak und die Schanze von van Thuyll wurden erobert u. s. w. Die malayische Bevölkerung, welche den Aufstand begonnen hatte, ermüdete bald im Kampfe mit den Holländern; Antasari war gestorben, Hidajat nach Java verbannt und Demang Lehmann zum Tode verurtheilt; doch die Dajaker setzten den Kampf fort, bis endlich die Uebermacht[S. 80] der europäischen Strategie und Waffen im Jahre 1864 dem Krieg ein Ende machte und das Sultanat von Bandjermasing beseitigte.[11]
Der Sohn des treuen Häuptlings Suto-Ono folgte in seiner Würde, und in dieser Eigenschaft schrieb er mir im Jahre 1880 einen Brief, und zwar in malayischer Sprache. Er theilte mir mit, dass in seinem Bezirke eine Dysenterie-Epidemie ausgebrochen sei, d. h. er gebrauchte diesen Ausdruck nicht; aber mit wenigen und doch so glücklich gewählten Ausdrücken beschrieb er die Symptome der unglücklichen Patienten, dass mir sofort das Bild der septischen Dysenterie deutlich wurde, und dass ich diese präcise und deutliche Schreibweise dieses Dajakers bewundern musste. Buntok lag in der Nähe der inficirten Gegend; ich fürchtete, dass die Epidemie unser Fort erreichen könnte, wenn sie in ihrem Fortschreiten nicht aufgehalten würde. Ich ging also mit diesem Brief zu dem Controleur, der ungefähr den Wirkungskreis eines Kreishauptmanns hat. Diesem routinirten Beamten kam der Brief sehr ungelegen, weil er in seinen stereotypen Bulletins: »Gesundheitszustand günstig, politische Verhältnisse günstig« Veränderung bringen sollte. »Wozu lassen Sie mich diesen Brief lesen?« frug er mich. »Vielleicht kann man diesen armen Dajakern Hülfe in ihren schweren Leiden bringen; vielleicht können die hygienischen Verhältnisse verbessert werden, so dass die Epidemie bald ein Ende nehme; nebstdem fürchte ich, dass sie das Fort erreiche, wo in einem relativ engen Raume 150 Menschen beisammen wohnen, und dass es dann zu spät sei, ›den Brunnen zuzudecken, wenn das Kalb schon ertrunken ist‹.« (Holl. Sprichwort.)
»Kennen Sie die Sitten und Gebräuche der Dajaker, dass Sie auch nur den geringsten Nutzen von einer hygienischen Maassregel erwarten?«
»Ja, gerade darum will ich dahin gehen, um nicht nur zu sorgen, dass diese unglücklichen Patienten von ihren so fürchterlichen Schmerzen befreit werden und heilen, sondern auch, dass die Fäcalien ...«
»Ah, jetzt verstehe ich Sie, Doctor! ...« und dabei machte er mit seinen Fingern die Bewegungen des Geldzählens.
Darauf konnte ich nichts anderes erwidern, als dass es mir sehr gleichgiltig sei, wie er über mich denke, dass ich ihn jedoch warne, mir noch einmal solche Insinuationen in’s Gesicht zu sagen, weil ich dann auch meine Finger bewegen würde, und zwar nicht in der Luft, sondern auf seiner Wange.
[S. 81]
Zu dieser unparlamentarischen Antwort liess ich mich hinreissen, weil er mit seiner Fingerbewegung andeuten wollte, dass meine Theilnahme für die »unglücklichen« Dajaker nichts anderes als reine Geldspeculation sei.
Ich ging darnach zum Militär-Commandanten, erzählte ihm den Vorfall und bat ihn um einen Privat-Urlaub für einige Tage, um wenigstens etwas gegen diese Epidemie thun zu können. Da er nur für vier Tage die Befugniss hatte, nebstdem in meiner Abwesenheit den ärztlichen Beruf im Fort auf sich nehmen musste, so wollte er noch einmal mit dem Controleur darüber sprechen. Obwohl mit dieser kleinen Expedition grosse Unkosten verbunden waren, bat ich doch den Lieutenant T., von diesem Plan abzustehen, weil ich mit einem solchen Manne überhaupt nicht verkehren wollte, und weil ich fürchten musste, dass ein solcher Mann noch Aergeres im Stande zu thun sei, wenn es gälte, ihn aus seinem Dolce far niente herauszureissen. Ich bekam also meinen Urlaub für vier Tage, miethete einen Kahn mit sechs Ruderern, nahm für vier Tage Lebensmittel mit, und mein Bedienter, welcher einige dajaksche Worte sprach, war mein Dolmetsch, Küchenmeister, Gesellschafter u. s. w.
Der Kahn war so lang, dass ich darin liegen, während die dajakschen Ruderer und mein Bedienter bequem mit gekreuzten Füssen (nach ihrer Gewohnheit) sitzen konnten. Die hintere Hälfte des Kahnes hatte eine Decke aus Atap, welche mich vor Regen und Sonnenschein beschützte; Waffen nahm ich nicht mit, nach dem Princip, dass mir Einzelnen eine Waffe, Revolver oder Säbel, gegen eine Uebermacht unmöglich etwas helfen könnte, und dass »Vertrauen wieder Vertrauen gewinne«. Zwischen Buntok und Mengkatip befinden sich zahlreiche Nebenflüsse und Antassans; auf der Karrauw sollte ich das von der Epidemie heimgesuchte Gebiet erreichen. Dieser Fluss ist befahrbar und giebt den Weg nach dem Osten der Insel, in welcher ein langer Gebirgsstock von Nordwesten nach Südosten zieht. Zwischen ihm und dem Baritu sind zahlreiche Danaus mit ihrem düsteren, schwermüthigen Panorama. Telang war das Ziel meiner Reise, welches an einem kleinen Flusse desselben Namens liegt. Dieser ist wieder ein Nebenfluss des Sungei (kleiner Fluss), Siong, welcher zwischen dem S. Pattai und dem Karrauw (1° 37′ S. B.) in den Baritu sich ergiesst. Seine Ufer haben niedriges Gesträuch; seine Mündung ist mit Treibholz angefüllt, und unvergesslich bleibt mir die Reise, die ich damals auf diesem Wasser machen musste; dreimal habe ich die Kähne wechseln müssen, weil sie zu gross waren, und habe zuletzt ein Djukung, die[S. 82] nicht mehr als ein ausgehöhlter Baumstamm war, benützt. Es schwamm aber so viel Treibholz, dass die Ruderer nicht einmal den kleinen Kahn vorwärts bringen konnten; sie stiegen aus und sprangen auf den Stämmen umher, wie Onkel Tom auf den Eisschollen. Zuletzt war das Wasser nur noch 1 Meter tief, so dass mir die Dajaker den Platz im Kahne gönnten, ins Wasser stiegen und ihn über das Treibholz zogen. Wir waren in einem Antassan, d. h. in einem Wasserkanal, den der Strom in den weichen Alluvialboden gräbt oder vielmehr bohrt. Sein Ende war bald erreicht, und vor mir lag eine schöne, schneeweisse Strasse aus Kalkstein, welche zum Hause des Missionärs F. führte. Hier verblieb ich sechs Tage (inclusive der Tage der Ankunft und Abreise, welche der Militär-Commandant im Interesse der guten Sache nicht rechnete), und wenn auch mein Gastherr klagte, dass nach zehnjähriger Arbeit nur acht Familien den protestantischen Glauben angenommen haben, so machte dennoch seine Arbeit auf mich den günstigsten Eindruck. Die Dajaker lernten Lesen und Schreiben; zur Sonntags-Uebung versammelten sich über 30 Personen in der Kirche und sangen christliche Lieder in dajakscher Sprache, und zu den täglichen Andachtsübungen, im Hause des Missionärs selbst, sangen die dajakschen Bedienten deutsche Lieder. Leider habe ich bei einer solchen Gelegenheit der Frau des Missionärs zu einem unangenehmen Missverständniss Anlass gegeben. Es war ein schönes Genrebild; die Frau F. sass am Phisharmonium, und daneben ihre zwei Kinder mit wahren Engelsköpfen. Hinter ihnen stand ein junges, schönes dajakisches Mädchen. Es herrschte eine gewisse heilige Weihe in diesem Raume, und dieser Zauber erfasste mich mit voller Macht. Als wieder ein deutsches Lied begann, wollte ich die Aussprache der Dajakerin genauer unterscheiden und näherte mein Ohr dem Kopfe des Mädchens. Herr F., der neben mir sass, sah und verstand auch mein Verlangen; die Frau F. jedoch verkannte meine Absichten, und mit lauter drohender Stimme drang das Lied durch das Haus: »Nur Gott ist meine Liebe«, und stärker und stärker fielen die Hände auf die Tasten, bis ich den Wink verstand und den Kopf zurückzog.[12]
Sobald als möglich liess ich mich von dem Districtshäuptling herumführen und fand ein grosses Feld für meine Thätigkeit. Nicht allein, dass ich zahlreiche Patienten behandeln konnte (der Herr F.[S. 83] war Homöopath), sondern auch die Hygiene trat in ihre Rechte. Der Dajaker[13] lässt nämlich die Leiche drei Tage im Hause liegen, bis er sie in den Sarg giebt, welcher aus einem schweren Baum besteht; dieser Sarg bleibt entweder im Hause oder wird auf das Feld gebracht, wo er auf ein Gestell gelegt wird, mit einem Sonnenschirm über seinem Kopfe; in beiden Fällen ist der Sarg mit einem Deckel aus demselben Holze geschlossen und hat in der Mitte des Bodens eine Oeffnung mit einer kleinen Röhre; durch diese läuft ununterbrochen das Wasser ab, oder besser gesagt, die Flüssigkeit, welche beim Faulen der Leiche sich abscheidet. Man corrigirt, wenn die Leiche im Hause bleibt, den damit verbundenen Gestank dadurch, dass in den Topf, welcher die Fäulnissflüssigkeit auffängt, Harz, Oel und Kalk gegeben werden. Ob nun die Leiche auf dem Felde oder im Kampong bleibt, dauert es noch lange, bis das »Todtenfest« den Schlussstein des Begräbnisses besorgt. Man wartet, bis die Leiche ganz ausgetrocknet ist, oder man wartet, bis man das Geld hat, welches das Todtenfest kostet; also es verstreichen oft 1–2 Jahre, bis die Leiche verbrannt oder beigesetzt wird.
Bei meiner Ankunft hatten die meisten Verstorbenen nicht einmal einen Topf unter sich, um die Flüssigkeit der Fäulniss aufzufangen; nun dass dies Zustände sind, welche geradezu das Aufhören einer Epidemie unmöglich machen, bedarf keiner weiteren Erörterung. Natürlich gelang es mir nicht, die sofortige Bestattung der Leichen zu veranlassen, aber sie willigten ein, die Excremente u. s. w. mit Kalk, Schwefel und Asche zu begraben, und die Cadaver nicht im Hause, sondern auf dem Felde den Fäulnissprocess abwarten zu lassen.
Den folgenden Tag zog ich weiter in das Gebiet des Häuptlings und kam nach Tameang Layang, wohin mich der Herr F. begleitete. Auch hier wohnte ein Missionär von der Barmer Missionsgesellschaft mit Frau und Kind. Man kann sich keinen grelleren Contrast vorstellen als diese zwei Männer, welche im Innern von Borneo die Civilisation und das Christenthum verbreiten wollen. Der Eine, ein philosophisch geschulter, geistreicher Mann, welcher den Segen des Christenthums, aber auch den der europäischen Civilisation erkannt hat und für beide das dajaksche Volk gewinnen will; der Andere, dessen Ideenkreis sicher nicht den des dajakschen Districtshäuptlings übertraf, beklagte nur, dass die Dajaker solche verstockte Heiden seien[S. 84] und durchaus das Christenthum nicht annehmen wollten, während der Herr F. mit Genugthuung im erfolgreichen Unterrichte in der Schule schon ein schönes Ziel sah, das er erreicht hat. Jener war früher Schmied; aber noch in Borneo hämmert er nur Einen Amboss, und zwar, dass die Sünde die Ursache aller Uebel sei, und zwar die Sünde im banalsten Sinne des Wortes; sein College konnte mir gegenüber nach solcher banalen Debatte nur kopfschüttelnd beifügen: »Ja, ja, mein College hat viel Amtseifer.« Auch pries er mit überschwänglichen Worten die Verdienste und Talente des Controleurs seines Bezirkes, weil er den Markttag der Dajaker, der früher jeden Sonntag gehalten wurde, auf den Montag verlegt hatte. Umgekehrt war seine Frau eine einfache, geduldige, tolerante Frau, während die Frau des Philosophen etwas fanatisch angelegt war. Ich muss es jedoch wiederholen, dass die sechs Tage, welche ich bei den Missionären verlebt habe, zu den schönsten meines Aufenthaltes auf Borneo gehören.
Einen schönen Schlag der Dajaker sah ich in diesen beiden Orten; an und für sich ist der Dajaker nicht so dunkel als der Malaye an der Küste, und doch fiel mir ihre blanke Hautfarbe auf, so dass ich den Districtshäuptling um Aufklärung ersuchte. Lächelnd zeigte er nur in der Ferne — die Ruinen eines Forts, welches vor zwanzig Jahren dort gestanden hatte. Diese Rasseverbesserung durch europäische Soldaten wird wohl dort ein Unicum gewesen sein, denn in Muarah Teweh hätte zwanzig Jahre später gewiss kein europäischer Soldat es gewagt, mit einer dajakschen Frau ein Liebesverhältniss anzuknüpfen. Eines Tages bekam ich Nachricht, dass im Kampong des Häuptlings Djatra die Blattern ausgebrochen seien. Bevor ich in Bandjermasing das Ansuchen um Vaccinestoff und um einen malayischen Vaccinateur machen wollte, musste ich wissen, ob die Berichte des Häuptlings richtig seien und wie viel Blatternkranke schon vorkämen. Ich machte mich also mit dem Districtshäuptling auf den Weg und kam per Kahn vor den Kampong, bei welchem alle Einwohner zu einem Feste vereinigt waren und, da es schon Nachmittag 5 Uhr war, dem Tuak (schwach alkoholisches Getränk) gut zugesprochen hatten. Kaum hatte ich den Fuss auf das Ufer gesetzt, als zwei junge hübsche Mädchen, nur mit dem Saloi gekleidet, auf mich zukamen. Hinter ihnen aber schwankte ein Dajaker, mit seinem Mandau bewaffnet, den Mädchen halb betrunken nach, streckte die Hand zum Grusse aus und rief wiederholt: Ich kenne Dich (saja kanal samah kowe). Die liebeslüsternen Augen der beiden jungen dajakschen Schönen waren mir zu gefährlich, und[S. 85] ich zog mich in den Kahn zurück und begnügte mich, die Ziffern der Blatternkranken, welche Dakop mitgetheilt hatte, nach Bandjermasing einzusenden. — Auch habe ich zum ersten Male in Telang diese Andeutung gehört, dass die europäischen Soldaten sich mit den dajakschen Frauen abgegeben hätten.
Den sechsten Tag verliess ich also die beiden Missionäre mit dem Bewusstsein, was unter den herrschenden Umständen in so kurzer Zeit zu thun möglich war, auch gethan zu haben; d. h. ich gab den Missionären Winke zur Behandlung der Unglücklichen und zur Verbesserung der hygienischen Zustände. Unterwegs wurde mir ein Sägehai angeboten (Pristis antiquorum), welcher sich bis in die Nähe von Teweh verirrt hatte und dort eingefangen wurde, und zu Hause angekommen, berichtete ich meinem Chef nach Bandjermasing alle Maassregeln, die ich getroffen hatte. Da ich übrigens den Häuptling ersucht hatte, mich durch wöchentlichen Rapport von der Ausbreitung der Epidemie auf dem Laufenden zu erhalten, so erhielt ich ein gutes Bild von ihrem Verlaufe, der mich leider sehr beunruhigte; denn mit jeder Woche bekam ich Rapport aus Kampongs, welche näher dem Fort lagen, und nach zwei Monaten beschloss ich, wieder eine Inspectionsreise zu unternehmen. Ich ersuchte den Militär-Commandanten um einen eintägigen Urlaub, weil ich nur die Kampongs auf dem Ufer des Baritu besuchen wollte, von welchen ich aus dem erhaltenen Rapport den Krankenstand kannte. Den Abend vor meiner Abreise ging ich zu dem Controleur, um ihn davon zu verständigen. Er billigte zu meiner Ueberraschung meinen Plan, rieth mir aber, erst um 8 Uhr aufzubrechen, weil er um 6 Uhr denselben Weg nehmen müsse, um dem Residenten (Statthalter) bis zur Grenze seines Bezirks entgegen zu fahren. Arglos willigte ich natürlich ein, und als ich am folgenden Tage bei allen Kampongs, wo ich anlegte, hörte, dass zwei Stunden vorher der Controleur gewesen sei und dass gar keine Dysenterie-Patienten sich unter ihnen befänden, dass diejenigen, von welchen sie in ihren Rapporten gesprochen hatten, schon gesund oder gestorben seien, und als sich dieses bei jedem Kampong wiederholte, und als ich nebstdem bei den meisten Kampongs oft Minuten lang warten musste, bis sich ein Häuptling oder überhaupt jemand am Anlegeplatz zeigte, da — fielen mir die Schuppen von den Augen. Ich kehrte um, weil ich doch keinen Nutzen von meiner Reise erwartete, und weil denselben Abend der Resident ankommen sollte. Bei dem officiellen[S. 86] Empfange erzählte mir der Schiffskapitän des Dampfers folgenden Dialog zwischen dem Residenten und dem Controleur, welcher in seiner Gegenwart an Deck des Schiffes geführt wurde. Bei Mengkatip wäre der Controleur auf das Schiff gekommen und hätte ein Resumé von den Verhältnissen des Bezirkes gebracht. Zuletzt frug der Resident: »Wie steht es mit der Gesundheit am obern Lauf des Dussons?«
»Gut! Resident! Der Menschenmörder behauptet zwar, dass wir eine Dysenterie-Epidemie hätten, und er ist auch hier in der Nähe »auf Inspection«; aber nach meiner 19jährigen Erfahrung in den Tropen geschieht es immer in den Kenteringen, dass mehr Menschen sterben als sonst.«
»Wer ist das, der Menschenmörder?«
»Der Doctor!«
»So, der Doctor sagt, dass hier eine Dysenterie-Epidemie ist, und Sie sagen: dies hätte keine Bedeutung!! Vorläufig genug darüber!«
Nach dem officiellen Empfang, welcher auf dem Schiffe selbst stattfand, ging der Resident auf’s Land und besuchte zuerst den Militär-Commandanten und dann mich. Nachdem ich alles erzählt hatte, fand er nicht nur Anerkennung für meine Bemühung, sondern forderte mich auch auf zu »declariren«, d. h. für die zwei Reisen, welche ich im Interesse der armen Patienten gemacht hatte, nach dem üblichen Modus die Rechnung einzureichen; in meinem Range konnte ich 6 fl. per Tag Diät und sieben Ruderknechte für 1 fl. per Tag und Kopf in Rechnung bringen, so dass ich keinen Schaden erlitten hatte.
Bald darauf verminderte sich die Zahl der Kampongs, welche Dysenterie-Kranke bekamen, und die Zahl der Todesfälle, und zuletzt war die Epidemie ganz und gar erloschen.
Dieses war die erste, und beinahe möchte ich sagen, die einzige Dysenterie-Epidemie, welche ich in Indien gesehen habe; im Jahre 1895 habe ich in Magelang (Java) auch zahlreiche Dysenterie-Kranke gesehen; aber wie wir im Capitel »Java« sehen werden, kann in diesem Falle von einer Epidemie stricte dictu nicht gesprochen werden. Ja noch mehr, es ist noch die Frage, ob gegenwärtig in Java überhaupt noch Dysenteriefälle vorkommen. Von Laien wird die Diagnose »Dysenterie« sehr häufig gestellt, d. h. immer, sobald Blut im Stuhl sich zeigt; aber diese Diagnose erfordert noch ein wenig mehr. Der Arzt wird aber in gewöhnlichen Verhältnissen auf »Java« kaum alle Jahre einen Dysenteriefall zu Gesicht bekommen; mit Recht wurde sogar vor dem Jahre 1894 bezweifelt, ob überhaupt die Dysenteria[S. 87] tropica auf Java noch vorkomme; denn in der ganzen Armee wurden von 1891–94 12, 10, 9, 14, also durchschnittlich 11 Dysenterie-Kranke behandelt. Dieser Zweifel ist gerechtfertigt gegenüber jenem Theil der Bevölkerung, mit welchem der europäische Arzt in Berührung kommt; denn dieser Theil, mag es ein Europäer oder ein Eingeborener sein, trinkt kein Sawahwasser, ohne es zu filtriren, oder gebraucht nur artesisches Wasser (in den grossen Städten). Ob jedoch in jenen abgelegenen Kampongs, deren Bewohner niemals einen europäischen Arzt zu Rathe ziehen, noch gegenwärtig die Dysenterie vorkomme, weiss ich nicht; in der Armee, welche allein eine Statistik von nennenswerther Bedeutung herausgiebt, waren bis zum Jahr 1894 die Dysenteriefälle immer nur vereinzelt. In diesem Jahre brachte der Krieg auf Lombok mit seinen elenden und traurigen Erlebnissen eine grosse Zahl von Dysenteriefällen, welche nach Java evacuirt wurden; meistens kamen sie nach Magelang, wo auch noch später einzelne Fälle vorkamen, jedoch keine Epidemie sich einstellte. Diese einzelnen Fälle recrutirten sich auch aus Soldaten, welche nicht auf Lombok gewesen waren, wenigstens die letzten Wochen oder Monate vor ihrer Erkrankung, so dass, was übrigens nicht mehr eines Beweises bedarf, der infectiöse Charakter dieser Krankheit constatirt werden konnte.
[S. 88]
Fort Buntok — Orang-Utang — Operationen — Prostitué bei den Affen — Darwinisten — Indische Häuser — Möbelfabrikanten — Französische Mode — Gefährliche Obstbäume — Einrichtung der Häuser — Dajakische Häuser — Götzenbilder — Tuwak oder Palmwein — Wittwenstand der Dajaker — Opfern der Sclaven — Todtenfest.
Als mein Vorgänger im April 1877 Teweh verliess, nach Batavia ging und von dort aus mir einen Brief schrieb, meldete er mir unter anderem, dass ich nicht lange in dieser abgelegenen Garnison bleiben würde, weil, wie ihm der Armee-Commandant mitgetheilt habe, die Aufhebung Tewehs eine beschlossene Sache sei. Es dauerte aber drei Jahre, bis (am 1. Januar 1880) das Fort eingezogen und nach Buntok verlegt wurde. Es war für alle drei Officiere eine mit strenger Arbeit verbundene Zeit, weil jeder einzelne in seinem Fach dafür sorgen musste, dass alles so gut als möglich eingepackt zur Uebersiedlung an diesem Tage bereit gehalten werde. Am 31. December kam ein Kriegsschiff uns holen; die Soldaten und Sträflinge brachten alles an Bord, und den folgenden Morgen sollten die letzten Geräthe mit der Mannschaft eingeschifft werden. Es regnete fürchterlich; in Strömen fiel der Regen zur Erde; gegen 11 Uhr war alles eingeschifft, und schon ertönte das Signal »Vorwärts«, als die drei Mächte, der Militär-Commandant, der Assistentresident und der Schiffscapitän, zu einer Besprechung am Hinterdeck des Schiffes sich zurückzogen. Der Commandoruf: »Stop« erscholl, und wir, »dii minores gentium«, suchten vergebens eine Erklärung für diesen Vorgang. Die Boote wurden wieder herabgelassen, und die ganze Besatzung mit den Sträflingen ging wieder ans Land — um die Palissaden niederzureissen. Erst im letzten Augenblick hatte der Assistentresident es für bedenklich erklärt, ein Fort zurückzulassen, welches dem Feinde bequem und leicht der Sammelplatz für seine Truppen werden[S. 89] und verhindern könnte, dass späterhin, wie beabsichtigt war, die Palissaden aus dem Boden gerissen und nach Buntok gebracht würden, um dort wieder in Gebrauch genommen zu werden. Sie bestanden nämlich aus Eisenholz (Sideroxylon), welches trotz der 15 Jahre, welche sie im Gebrauch standen, noch immer ein theures, gut verwendbares Material war. Also unter einem heftigen Tropenregen zogen die Truppen die verbindenden Stangen aus den Balken, rissen sie aus dem Boden, und auf diese Weise blieben sie liegen, ohne eine Palissade zu sein; das Ganze war eine überflüssige Plagerei der Soldaten, weil ein etwaiger Feind in 1–2 Tagen, wenn er hätte wollen, die Palissade wieder in Ordnung bringen konnte. Wenn das Kriegsschiff schon die grossen schweren Baumstämme nicht mitnehmen konnte oder wollte, so war es auch zwecklos, im heftigsten Regenwetter die Soldaten Stunden lang arbeiten zu lassen. Endlich konnten wir unter Dampf gehen und kamen nach Buntok. Es war ein neues Fort in Viereckform mit zwei Bastionen im Westen und Osten; kopfschüttelnd betrachtete ich das neue Fort; vielleicht keine 15 Meter war es vom Ufer entfernt und die westliche Bastion keine 10 Meter!! Buntok liegt beinahe ganz im alluvialen Land; der Fluss Baritu kommt gerade oberhalb des Forts in einer scharfen Strömung gegen das Fort an; mit mathematischer Genauigkeit liess sich berechnen, dass in 5–6 Jahren das Fort einstürzen müsse, weil der Baritu die Palissaden in dieser Zeit erreicht haben müsse; und factisch hat schon zur Zeit meines Aufenthaltes der Kampf mit dem Wasser angefangen; es wurden Strombrecher angelegt, aber ohne Erfolg; ich weiss nicht mehr, wie lange dieser Unterspülungsprocess dauerte; Buntok musste verlassen werden, und das Fort wurde wieder nach Teweh verlegt.
Im Fort selbst wohnte der militärische Commandant; für den »Doctor« und den dritten Officier sollten zur Seite des Forts Wohnungen gebaut werden; unterdessen blieb ich im Kampong neben dem Controleur wohnen, und zwar zusammen mit dem Officiersstellvertreter v. E., welcher den Bau des Forts geleitet hatte. Meine kleine Menagerie hatte ich von Teweh mitgebracht; Jacob und Simon, die zwei kleinen jungen Orang-Utangs, konnten sich nur langsam an die neuen Verhältnisse gewöhnen. Als ich den folgenden Morgen nach dem Fort gehen wollte, welches ungefähr 10 Minuten von meiner Wohnung entfernt war, begleitete mich Jacob. Auf der Ebene bewegte sich der Orang sehr schwerfällig; die langen Arme gebraucht er zwar beim gewöhnlichen Gange, aber nicht mit der innern Fläche der Hand; er[S. 90] stützt sich auf den Rücken der eingeschlagenen Hand; dadurch kann er nur langsam vorwärts kommen; auch auf den Bäumen sind seine Bewegungen sehr langsam und träge, besonders im Vergleiche mit dem Gibbon, welcher mit Windeseile von Baum zu Baum springt, klettert oder sich schwingt. Um 8 Uhr sollte ich in der Caserne sein, weil um diese Zeit täglich der »Krankenrapport« gehalten wird. Mein Orang wollte sich, wie er es mit dem Bedienten zu thun pflegte, auf[S. 91] meinem Unterschenkel festhalten, um auf diese Weise meine Gesellschaft nicht zu verlieren. Dies war mir jedoch eine lästige Anhänglichkeit stricte dictu und ich erlaubte es auch diesmal nicht. Darauf begann er so ein jämmerliches Geschrei und humpelte mir nach, so dass ich mit ihm Erbarmen hatte. Ich überliess ihn dennoch seinem Schicksale und ging eilenden Fusses in die Caserne, wohin unter denselben klagenden Tönen mein Jacob mir folgte. Der Krankenrapport war beendigt, und ich ging in’s neue Spital, um die erste Anordnung zu treffen, als auch mein vierhändiger Freund erschien, ohne dass ich es bemerkte; er aber fasste mich bei der Hand, um mich zu begrüssen und auf seine Gegenwart aufmerksam zu machen. (Fig. 6.)
Jacob blieb die ganze Zeit bei mir und folgte mit seinen verständigen Augen all meinem Thun und Lassen; um 11 Uhr verliess ich das Fort und liess den Orang durch meinen Bedienten nach Hause tragen. Hier lebte ich schon in einem grossen Comfort; meine Wohnung bestand aus Holz und hatte Fenster; ich konnte Spiegel und Gemälde aufhängen; ich konnte mit Vorhängen die Fenster verzieren; ich hatte eine Veranda, in welcher ich Gäste empfangen konnte, und ich hatte europäische Nachbarn, den Controleur mit seiner Frau. Noch bequemer hatten es Simon und Jacob; an das Haus grenzte ein kleiner Garten und hinter ihm der Urwald. Zwischen beiden war ein breiter Streifen âlang-âlang (Schilfrohr) und hier hatten sie ein pied à terre sich gebaut; nach dem Frühstück verschwanden sie, kehrten zum Mittagessen zurück; Nachmittags machten sie denselben Spaziergang, um vor Eintritt der Finsterniss zurück zu sein. Natürlich war ich neugierig, wo und wie sie ihre Zeit zubrachten; ich folgte ihnen eines Tages und sah sie im Schilfrohr — »Klima schiessen«.[14] Das Rohr war plattgedrückt, und sie lagen auf dem Rücken und zogen Grimassen, während der eine die Unterlippe schaufelförmig hervorstreckte und Speichel darin ansammelte, gab ihm der andere mit dem Zeigefinger einen kleinen Stoss, so dass der Speichel weithin spritzte. Die Ruhe ihrer Bewegungen, das Phlegma in allem ihrem Thun und Lassen steht im grellen Gegensatze zu dem sanguinischen Temperament und ausgelassenen Treiben der Gibbons. Eines Tages brachte ich meinen Wau-Wau, der ein Weibchen war, zu Jacob, der damals in seinem Käfig lag und sich in seine Decke eingewickelt hatte; Jacob stand auf, näherte sich dem[S. 92] Gibbon und spitzte die Lippen, wobei die Unterlippe die Form einer kleinen Schaufel bekam. Offenbar wollte er den Wau-Wau küssen. Dieser jedoch sprang zurück und verrieth deutlich, dass er von seiner Intimität nichts wissen wollte; dreimal wiederholte mein Orang seine Liebesbewerbungen, und als er zum dritten Male einen Korb geholt hatte, fasste er sein Kopfpolster, schlug es wüthend auf den Boden und zog sich schmollend in die Ecke seines Käfigs zurück. Wiederholt habe ich diese Scene aufführen lassen, und es wäre mir unmöglich gewesen, seinen Bewegungen eine andere Deutung zu geben, als die einer Liebeswerbung. Das Einwickeln in seine Decke ist für den Orang geradezu ein Bedürfniss, obwohl ich es nicht erklären kann, denn wenigstens in Teweh hatten wir keine Mosquitos und die Temperatur in der Nacht war zwar etwas niedriger als bei Tage, aber doch nicht empfindlich kalt. Das erste Mal, dass ich den Käfig des Abends nicht schloss, weil er schon an mich gewöhnt war, hatte er in der Nacht das Tischtuch vom Tisch genommen, um davon Gebrauch zu machen; natürlich musste am folgenden Tage das Tischtuch von dem Bedienten aufgehoben werden. In der Nacht wurde ich jedoch plötzlich wach; im ersten Halbschlaf glaubte ich, einen Gorilla vor meinem Bette stehen zu sehen; bald merkte ich jedoch, dass mein Jacob es war, der das Leinentuch unter meinem Körper hervorzuziehen trachtete. Den andern Tag gab ich ihm eine alte Militärdecke, und er war zufrieden. Die Intelligenz dieser Affen ist factisch sehr gross, und es ist kein Zufall, dass ein Dajaker und ein bekannter, seither verstorbener Larynkolog (im Jahre 1885) mich frugen, ob man dem Orang nicht sprechen lernen könnte. Wenn es auch sein grösstes Vergnügen war, auf dem Rücken zu liegen, mit den Füssen in der Höhe und die Lippen zu einer Schaufel zu spitzen und mit dem Speichel zu spielen, so suchte er doch Thätigkeit und fand sie in meinem Conversationslexikon; mit grösster Zufriedenheit betrachtete er die Bilder in diesem Buche, und als er eines Tages die Zeichnung des Elephanten zu Gesicht bekam, warf er das Buch weg; oder er stieg auf den Schreibtisch und zerlegte meine Lampe, er nahm Ballon und Cylinder ab und drehte den Dochtträger heraus. Auch war er sehr bald mein täglicher Gast zu Tisch; ich gebrauchte jedoch die Vorsicht, seinen Stuhl etwas von dem Tische entfernt zu halten, so dass er nicht mit seinen langen Armen in eine der Schüsseln greifen konnte; auf einem kleinen Teller bekam er seinen Reis mit Fleisch und Huhn u. s. w.: er ass Alles, was auf den Tisch[S. 93] kam, und wenn er genug hatte, gab er den Teller auf den Stuhl, ohne ihn jemals fallen zu lassen, und entfernte sich.
Man kann ihn eine Caricatur von einem Menschen nennen; auf dem Stuhl sass er nämlich mit gekreuzten Füssen wie die Eingeborenen und fasste mit denselben den Teller; sein grosser Bauch erinnerte mich immer an den »Reisbauch« der indischen Kinder, wenigstens er hat dieselbe Form und dieselbe Grösse; sein Gesicht ist haarlos, und der übrige Körper ist mit Ausnahme der innern Flächen der Hände und Füsse mit rothbraunen Haaren bedeckt; er hat in der Jugend eine schöne, hohe Stirn, welche im Alter zurücktritt und zwar mit einer scharfen Kante von rechts nach links; dazu entwickeln sich im hohen Alter grosse Drüsen zu beiden Seiten des Gesichts (die Ohrspeicheldrüsen?), so dass er den menschlichen Typus verliert und ein geisterähnliches Ansehen erhält. Dieses erklärt auch, dass die Dajaker von zwei Sorten Orang-Utangs sprechen, weil sie sich nicht vorstellen können, dass zwei so verschiedene Wesen denselben Ursprung haben könnten. (Nun, der vom hohen Alter gebückte Greis ist auch dem jungen Knaben sehr wenig ähnlich.) Nach Friedmann heissen die alten Orang-Utangs Pappan und die ohne die erwähnten Drüsen Rambi; ich habe jedoch nur alte Orang-Utangs mit diesen grossen Drüsen gesehen, während Friedmann erzählt, dass es auch junge Pappan gäbe. Ich habe ungefähr 25 Orang-Utangs bekommen, gewöhnlich um den Preis von 5–7.50 fl. per Stück, von diesen waren nur die zwei erwähnten, Simon und Jacob, lebend; die andern waren mit Pfeilen oder Gewehren geschossen; der grösste war 150 cm. lang und hatte einen so versteinerten Schädel, dass ich sein Alter auf 80–100 Jahre schätzte; ich habe noch keinen Menschenschädel gesehen, der ein so hohes Alter gezeigt hätte.
Vieles habe ich bereits über den Orang gelesen, und manches war insofern übertrieben, als ihrem Thun und Lassen manchmal Motive untergeschoben wurden, welche offenbar zu hoch gegriffen waren. Mein Simon liebte es z. B., in der Küche sich bei der Köchin aufzuhalten und ihr von Zeit zu Zeit den Sarong aufzuheben; ich habe niemals etwas anderes darin gesehen, als einen unschuldigen Zeitvertreib, während die Köchin ihn dafür einen »Nâckal« nannte, d. h. ausgelassener Junge, weil sie in dieser Bewegung seiner Hände etwas anderes suchte.
Ich kann nicht umhin, eine Erzählung von Spencer St. John mitzutheilen, obwohl sie wenig Vertrauen verdient, weil er offenbar zu viel den Mittheilungen der Eingeborenen vertraute; er spricht ja von einem[S. 94] 5′ 2″!! grossen Orang. Er theilt also folgende Erzählung eines Dajakers mit: »Ein junger Dajaker wanderte an einem heissen Tage durch das Dickicht; er kam zu einem kleinen Bache, dessen klares Wasser ihn zum Baden einlud. Schnell entkleidete(?) er sich, legte seine Waffen, Schwert und Blasrohr, auf die Seite und sprang hinein. Als er sich erfrischt hatte und wieder aus Ufer stieg, bemerkte er, dass ein mächtiges Orang-Utang-Weibchen vor seinen Kleidern(?) Wache hielt und auf ihn zukam. Sprachlos vor Erstaunen stand er da; dasselbe steigerte sich noch mehr, als das Thier ihn beim Arme ergriff und ihn zwang, mit auf einen laubreichen Baum zu klettern. Dort musste er sich zu ihm setzen und bekam Früchte zu essen, doch bewachte es ihn eifersüchtig und litt nicht, dass er hinabstieg. Dies dauerte einige Zeit, bis die Wächterin sorgloser wurde. Der Mann benützte den günstigen Augenblick und entschlüpfte nach dem Platze, wo er seine Waffen gelassen hatte. Als der Orang ihm dahin folgte, erschoss er ihn aus dem Blasrohr mit einem vergifteten Pfeile.
Wer die Behendigkeit und die Schnelligkeit kennt, mit welcher sich ein Dajaker bewegt, und nur einmal die Unbeholfenheit des Orang gesehen hat, oder vielmehr, wie langsam dieser auf dem Boden geht und wie ruhig, gelassen, ich möchte fast sagen schwerfällig von Ast zu Ast auf den Baum klettert, den erfasst sofort die Unwahrscheinlichkeit dieser Erzählung.
Wir hatten z. B. in Teweh vor dem Fort eine Hütte stehen, wo wir nach unserm Spaziergange um 6 Uhr uns niederliessen und gewöhnlich ein Glas Limonade tranken; Jacob wartete auf den Augenblick, dass wir genug entfernt waren und, ich weiss nicht, ob es Zufall war oder Absicht, er stieg jedesmal hinauf, um das Glas des militärischen Commandanten zu nehmen und auszutrinken; sobald ich das sah, eilte ich natürlich zurück, und der Orang ergriff die Flucht; ich möchte sagen, dass jeder Mann, ohne gerade zu laufen, jeden Orang-Utang einholen kann und muss; Jakob wurde auch immer eingeholt und für seine Genäschigkeit bestraft, wobei er ein so jämmerliches Geschrei erhob, dass ich Mitleid mit ihm haben musste; wenn jedoch mein Gibbon bei irgend einem muthwilligen Streiche ertappt wurde, da war er auch, wie ein Wirbelwind, schon entflohen, und beinahe niemals gelang es, ihn einzuholen und sofort zu bestrafen.
Eines Tages sass ich bei der Theetafel, als er sich mit erhobenen Armen näherte, hin und wieder sich in der Achselhöhle kratzte und mit der gleichgiltigsten Miene von der Welt den Kopf nach allen Seiten hin[S. 95] drehte; ich kannte meinen Pappenheimer zu gut, um nicht zu wissen, dass mein Gibbon irgend einen Bubenstreich ausführen wolle, wenn er solche Gleichgiltigkeit zeigte. Kaum hatte ich mich auch zur Seite gewendet, um ein Stück Zucker zum Thee zu nehmen, sprang der kleine Gibbon auf den Tisch, packte den silbernen Theelöffel und eilte hinweg. Es war das Werk eines Augenblickes stricte dictu; sofort sass er auf der Fallklappe, welche vom Dach des Hauses zur Palissade bei Sonnenschein oder Regen gelegt wurde. Mit dem Löffel in der Hand sah er mich mit seinen schelmischen Augen triumphirend an, und weder mein Bitten noch Drohen erreichten ihr Ziel. Endlich liess ich die Klappe schliessen, so dass entweder er oder der Löffel in die Chicane fallen musste. Der Löffel war dort nicht zu sehen, und der Affe sass hoch oben auf dem Dache. Zufällig fanden wir später den Löffel zwischen den Latten der geflochtenen Fallklappe.
Eines Tages sah ich, dass mein Gibbon einen traumatischen Staar am rechten Auge hatte; zu gleicher Zeit hatte ich einen malayischen Patienten, welcher centrale Flecken an einem seiner Augen hatte; durch Entfernung eines Stückes der Regenbogenhaut konnte er wieder den Gebrauch seines Auges bekommen. Ich schrieb also nach Bandjermasing an den Landes-Sanitäts-Chef d. G., welcher ein bekannter Oculist war, und bat ihn, die Augeninstrumente, welche zu diesen zwei Operationen nöthig waren, mir zu borgen. Vor der Operation liess ich den Gibbon von unten bis zum Halse einwickeln, um ihn zur Ruhe zu bringen; es half nichts; ich narcotisirte ihn also und führte die Staaroperation nach den Regeln der Kunst aus. Die Operation war bei ihm schwieriger als bei einem Menschen, weil zum Fixiren des Augapfels mir der Platz fehlte. Der Rand der Orbita ist nämlich beim Wau-Wau gerade so gross als die Cornea; den Augapfel durch die Cornea fixiren zu lassen, hielt ich für gefährlich; ich musste also mit der Pincette in die Orbita eindringen, um dort die Conjunctiva sclerae zu fassen. Kaum war die Operation beendigt und ein Verband angelegt, als auch schon der Affe erwachte, sich den Händen der assistirenden Krankenwärter entriss, davon eilte und den noch unvollkommenen Verband vom Kopfe riss. Ich war jedoch unter den herrschenden Verhältnissen mit dem Resultat der Operation zufrieden. Die Wunde heilte mit einem Vorfalle der Regenbogenhaut. — Auch folgende Operation einer Phlegmone bei einem Affen ist mittheilenswerth. Es war ein alter grosser Gibbon, 90 cm lang, welcher gefesselt mir gebracht wurde. Unter den Soldaten war ein Europäer, der in gewisser[S. 96] Hinsicht das Factotum des Forts war. Tilly hiess er und war ein Belgier. Das Wort Furcht kannte er nicht, und er verstand alles. Ging eine Taschen-Uhr schlecht, reparirte er sie; brach ein Instrument von mir, von der Genie oder von der Artillerie, er brachte es in Ordnung; wollte ich eine Blechbüchse für meine Spirituspräparate haben, er machte sie mir aus Petroleumbüchsen u. s. w. Auf meine Frage, warum er noch nicht Korporal oder Feldwebel sei (denn auch seine Aufführung liess nichts zu wünschen übrig), antwortete er mir: Wozu soll ich Korporal u. s. w. werden? Mein Essen und Trinken habe ich; durch meine Arbeiten verdiene ich viel mehr als ein Feldwebel und habe gar keine Verantwortung; als Korporal ist man der Sündenbock von jedem und für jeden. Also, ich thue meinen Dienst und bin dann frei, zu thun, was ich will. Als mir dieser grosse Wau-Wau gebracht wurde, ersuchte ich den Dajaker, die Fesseln zu lösen, weil eine Hand stark geschwollen war und beim Palpiren die Anwesenheit von Eiter verrieth. Der Dajaker wagte dies jedoch nicht zu thun, weil er sich vor den starken Zähnen des alten Wau-Wau fürchtete. Ich liess also Tilly holen, welcher den Wau-Wau mit fester Hand im Nacken fasste, der Dajaker löste die Fesseln und legte sie über die Hüfte an und befestigte den Strick an einem grossen Nagel der Palissade. Mit traurigem und schmerzhaftem Gesichtsausdruck sass der Gibbon zwischen den Spitzen der Palissade und zeigte selbst meinem jungen Gibbon die Zähne, wenn er sich ihm näherte. Nun war das auch für mich eine gefährliche Nachbarschaft; ich gab jedoch den Muth nicht auf; ich nahm eine Wundspritze mit warmem Wasser und spritzte ihm diese aus respectvoller Entfernung auf die geschwollene Hand; offenbar war durch die Entfernung der Fesseln oder durch das Bespritzen mit warmem Wasser ihm deutlich geworden, dass ich gute Absichten mit ihm habe; genug an dem, schon nach ein paar Stunden konnte ich mich ihm nähern, streicheln und die Hand gut untersuchen und ihm die Phlegmone öffnen!! Nach der Operation legte er selbst seinen Kopf auf meine Schulter. Mit einem gut angelegten Verbande überliess ich ihn dann der Ruhe. Leider konnte ich ihn nicht auf der Palissade lassen, weil an dieser Stelle die Patrouille in der Nacht auf und ab ging. Vor Schluss des Thores liess ich ihn von Tilly hinausbringen und an einem Baume anbinden. Den andern Morgen war er geflüchtet, indem er die Fesseln vom Unterbauch abgestreift hatte.
Vor dem Fort hatte ich mir in Teweh ein Affenhäuschen bauen[S. 97] lassen, in welchem die Affen von niedrigem Range gemüthlich beisammen lebten. Der Cercopithecus nemestrinus, der Schweinsaffe, ist ein wilder Cumpan mit starkem Gebiss; er hat Backentaschen, Steissschwülen, kurzen, gekrümmten Schwanz und eine gelbliche Farbe. Ich hatte späterhin einen solchen Lampongaffen, welcher abgerichtet war, Cocosnüsse zu pflücken; zu diesem Zwecke wurde er mit einem langen Stricke zu der Cocospalme gebracht, an der er sofort schnell hinaufkletterte und begann, die einzelnen Nüsse um ihren Stiel zu drehen oder abzubeissen. Sah ich, dass die Frucht noch grün, d. h. zu jung war, so schüttelte ich nur mit dem Strick, und er nahm eine andere in Arbeit. In Sumatra werden die »Lampongaffen« allgemein zu dieser Arbeit abgerichtet; sie sind jedoch wie alle Affen im höheren Alter falsch und — ist es Zufall oder nicht — mein Exemplar eilte immer, sobald es losgekommen war, in die Küche gegen die weiblichen Bedienten, obzwar oder vielleicht eben, weil es selbst ein Weibchen war.[S. 98] Jene, welche ich jedoch auf Borneo hatte, waren noch jung und lebten friedsam mit den übrigen beisammen. Wenn ich hin und wieder meinen Gibbon in den Käfig brachte, so gab es fürchterliche Eifersuchtsscenen; denn mein Gibbon (ein Weibchen) zeigte in so auffallender Weise sein Verlangen, wieder einmal Liebesgenuss zu kennen, dass man ihn eine — Prostituée nennen musste. Das Geschrei der übrigen weiblichen Affen wurde so fürchterlich, dass ich um sein Leben besorgt war; gern folgte er in einem solchen Falle meinem Rufe, den Käfig zu verlassen. Affen gewöhnen sich leicht an den Menschen; wie oft entkam einer oder der andere, und er flüchtete höchstens auf das Dach des Forts; gegen den Abend kamen sie ohne Ausnahme zurück; hin und wieder selbst brachte ich meinen Hund vor den Käfig, welcher nun geöffnet wurde. Das neckische Spiel der Affen mit dem Hunde war interessant. Die Thür war noch keinen Meter hoch; der Hund stand vor der Thüre, und die Affen tänzelten um ihn herum, bis sie endlich einer nach dem andern den Käfig verlassen hatten; der Hund eilte ihnen nach; endlich sprang einer nach dem andern in den Fluss, und mein Hund that dasselbe; ruhig liess jeder Affe den Hund näher kommen, um im rechten Augenblick unterzutauchen. »Bela«, mein treuer Jagdhund, dreht sich rechts und links und sieht endlich in einer Entfernung von 20–30 Metern wieder ein Köpfchen auftauchen; er schwimmt dahin; endlich ist jeder der Affen des Spieles müde und lässt sich von dem Hunde packen, der sie, ohne sie zu verletzen, mit den Zähnen ans Ufer bringt. Hier werden sie von meinem Bedienten in Empfang genommen und wieder ins Häuschen gebracht. Wiederholt wurde behauptet, dass die Affen auch in der Gefangenschaft sich paaren; ich habe es jedoch niemals gesehen und kann daher diese Behauptung nicht unterschreiben.
Bevor ich dieses Thema verlasse, muss ich noch mittheilen, dass die Dajaker, zufolge einer Sage im Dusongebiete, Darwinisten sind; die Schöpfung der Menschen geschah auf diese Weise, dass Tempon Telon mit einem fürchterlichen Blasen in die Versammlung der aufrührerischen Thiere flog und dadurch drei Sorten von Affen Menschengestalt gab; aus dem Keesch (Cercopithecus cynomolgus) wurde der Javane, aus dem Orang-Utang der Dajaker und aus dem Nasenaffen mit weisser Glabella, und weissem Präputium der Europäer; da ich unsern Stammvater, d. h. den Nasenaffen, niemals besass, weiss ich nicht, ob der Nasenaffe dieser Sage mit dem Nasalis larvatus identisch sei.
[S. 99]
Von den Halbaffen Borneos hatte ich nur den Tarsius spectrum und den Plumplori (Stenops tardigradus).
Auch die Frage von dem Vorkommen von Elephanten auf Borneo muss ich mit wenigen Worten besprechen, weil, um nur ein Beispiel anzuführen, ich in Batavia im Jahre 1896 darüber interpellirt wurde. Meines Wissens nach kommen sie nicht auf Borneo vor; ich sass ja im Herzen von Borneo, niemand hatte sie gesehen, die dajaksche Sprache hat kein Wort für diese Ungeheuer des Waldes und der gebildete Dajaker spricht nur von gâdja, welches Wort malayisch ist; niemals sah ich einen Zahn oder sonst einen Theil eines Elephanten, und jede Information, die ich darüber nahm, hatte kein anderes Resultat als dass eine Rhinocerossorte, aber kein Elephant auf der Insel Borneo vorkomme. Bekanntlich wird erzählt, dass vor ungefähr 140 Jahren die ostindische Compagnie an den Sultan von den Sulu-Inseln (im Osten von Borneo) einige Elephanten zum Geschenk gegeben habe, dass er jedoch gefürchtet hatte, dass diese »theuren« Gäste seinen Vorrath von Reis in kürzester Zeit auffressen würden, und dass er sie also auf die Küste von Borneo bringen und weglaufen liess. Selbst Friedmann, welcher ebenfalls diese Erzählung mittheilt, fügt hinzu, dass jedoch Elfenbein allein von todten Thieren gefunden worden, und dass zu seiner Zeit niemals ein lebender Elephant gesehen worden sei. Aus obiger Ursache jedoch muss ich sogar annehmen, dass überhaupt die ganze Erzählung jeder historischen Basis entbehre.
Bei unserer Ankunft in Buntok am 1. Januar 1880 war das Fort fertig, aber für zwei Officiere fehlten noch die Wohnungen; der Platz-Commandant wohnte im Forte, ich zog zum Aspirant-Officier der »Genie« (= Ingenieurs), und der dritte Officier bezog vorläufig im Fort die Wohnung eines Feldwebels. Natürlich wurde der Bau passender Häuser für zwei Officiere sofort angefangen, und zwar wenige Schritte entfernt von der Südseite des Forts. Nicht nur in Holland, sondern auch in Indien bewohnt in der Regel jede Familie »ein Haus« und nicht »eine Wohnung«, und der echte holländische Spiessbürger hat nur Mitleiden für den Wiener oder Berliner, welcher kein eigenes »Haus« bewohnt, sondern mit vielen Andern den Gebrauch eines Hauses theilt. In Indien, wo der Grund ausserordentlich billig ist, hat nebstdem jedes Haus einen grösseren oder kleineren Garten, welcher in erster Reihe Fruchtbäume und nur ausnahmsweise Blumenanlagen hat.[S. 100] Natürlich sind die Häuser ohne Stockwerke, haben die Villaform im entarteten altgriechischen Stile und sind aus Bambus, Holz oder Stein gebaut. Wenn ich auch im letzten Jahre meines Aufenthaltes in Indien, und zwar in Samarang, Häuser im Schweizerstil erbauen sah, so ist im Allgemeinen der Typus aller Häuser folgender: Das Haus hat die Form eines Oblongums und besteht aus einer vorderen und hinteren Veranda, welche mit einem Gange verbunden sind und zu dessen Seite je 2–3–4 Zimmer sich befinden. Ausserhalb des »Hauses« befinden sich die Speisekammer, Bedientenzimmer, Küche, Aborte, Badezimmer, Stall, Wagenremise und der Brunnen. Eine solche Wohnung wurde also auch für mich gebaut, und zwar aus Holz; die inwendigen Wände wurden mit Tapeten belegt, was ich seitdem niemals mehr gesehen habe. Es stand auf Pfeilern von ungefähr ½ Meter Höhe; dies ist eine zweckmässige Maassregel. Wenn auch der Grund des Hauses mit Steinen, trockenen Korallen oder Sand ausgefüllt ist, so dringt bei hohem Stande des Flusses das Wasser im weichen Alluvialboden nicht nur bis an, sondern auch in die Grundmauern des Hauses. Ist aber das Material des Unterbaues nicht gut trocken, was sehr oft der Fall ist, wenn es lange Zeit vor dem Gebrauche am Bauplatze aufgespeichert lag, oder wenn junge Korallen angewendet wurden, von welchen z. B. die Thiere noch nicht abgestorben sind, dann ist ein solches Haus auch bei niedrigem Wasserstande feucht; es entwickeln sich Miasmen und verpesten das Haus.
Wenn aber das Haus ½-1 oder selbst 1½ Meter über dem Boden sich erhebt, wenn unter dem Flur des Hauses sich ein Hohlraum befindet, z. B. ein grosses Gewölbe, oder wenn das Haus auf hohen Pfeilern steht, so dass der Wind die Zwischenräume gut durchstreichen kann, dann können die Miasmen, welche aus dem feuchten Grunde aufsteigen, mit jedem Windschlage vertrieben werden. Wenn nicht Sümpfe in der Nähe des Hauses sich befinden, so ist die Richtung von Nordost nach Südwest die beste, so dass weder den ganzen Vormittag, noch den ganzen Nachmittag die Schlafzimmer von den heissen Sonnenstrahlen erwärmt werden. So wählte auch ich das Zimmer im Osten zum Schlafzimmer; dadurch hatte ich zur Zeit meines Mittagsschläfchens keine Sonne auf den Mauern meines Schlafzimmers stehen, und auch zur Nachtzeit war die Temperatur darin weniger hoch als im Zimmer auf der anderen Seite. Sind jedoch Sümpfe in der Nähe, dann bestimmt die Lage derselben die Wahl der Thüren und Fenster; bei Nacht werden die aufsteigenden Miasmen durch keine[S. 101] versengenden Sonnenstrahlen vernichtet und darum ist es gefährlich, bei offenem Fenster zu schlafen, wenn der Wind die Miasmen aus den nahen Sümpfen gerade durch die Fenster ins Haus jagt. Dies war bei meinem Hause der Fall. Da ich unmöglich den Sumpf drainiren oder trocken legen konnte, liess ich zwischen meinem Hause und dem Sumpfe einen Schirm pflanzen, welcher das Ueberstreichen der Miasmen verhindern sollte. Weder Eucalyptus noch Sonnenblumen hatte ich zu diesem Zwecke gewählt; ich wollte rasch Hülfe haben, und dies war nur möglich durch die Wahl eines Baumes, welcher in kurzer Zeit hinreichend Laub erreicht. Auch vor dem Eingange des Forts stand ein Schilderhäuschen, welches den ganzen Tag den glühenden Sonnenstrahlen ausgesetzt war, weil die Bäume kaum so dick als ein Spazierstock waren und nur geringes Laub trugen. Es waren nämlich einige Waringinbäume (Urostigna benjaminum) gepflanzt, welche erst nach Jahren eine stattliche Grösse erreichen; unterdessen sollte jedoch die Schildwacht doch auch etwas Schatten haben; ich schlug also vor, hier wie dort Warubäume (Hibiscus elatus??) pflanzen zu lassen, welche schon nach einigen Monaten ein stattliches Laub tragen.
Die Einrichtung des Hauses war die allgemeine, d. h. Rohrstühle aus Djatiholz (Tectona grandis), Kasten und Tische aus demselben Holz, Spiegel und Gemälde. Erst in den letzten 5 Jahren entwickelte sich der Luxus, gepolsterte Stühle, schwere Vorhänge und Fussteppiche in Gebrauch zu nehmen. Batavia begann damit, und schon in wenigen Jahren wird dieser Luxus sich bis in die entferntesten Garnisonen aller Inseln verbreitet haben; die Erfahrung muss erst lehren, ob dieser Luxus neben dem hohen Preis noch andere Vorzüge habe. Denn die Stühle aus Djatiholz mit Rottanggeflecht waren praktisch und schön. Die elegantesten Stühle werden nämlich auf Java von den chinesischen Möbelmachern gemacht; nach jeder Zeichnung und nach jedem Modell verfertigt der gezopfte Chinese Alles, und um einen Preis, der in Europa unerhört ist. Ich besitze momentan einen Rohrstuhl, welchen ich um 3 Fl. in Singapore gekauft habe und der geradezu das Erstaunen aller Fachleute wegen seiner schönen Arbeit, aber noch mehr um die Billigkeit erregt. Der Gebrauch der Teppiche an Stelle der Matten muss auch noch erprobt werden; die Matten haben zwar den Nachtheil, dass sie den blossen Füssen der Kinder (auch Erwachsene gehen oft ohne Schuh[15] und Strümpfe im Hause herum) nachtheilig werden[S. 102] können. Wenn sie nicht aus gutem Rottang (Calamus), sondern aus anderem ordinären Schilfrohr, oder gar aus Bambus geflochten sind, haben sie oft Unebenheiten, an welchen der Fuss oder der Podex der herumrutschenden Kinder sich verletzen kann, oder aber, was noch häufiger geschieht, sie sind so glatt, dass man häufig ausgleitet und fällt. Es hat gewiss so manchen hygienischen Nutzen, Teppiche zur Bedeckung des Bodens zu verwenden; wie sie sich jedoch zu der Feuchtigkeit des Bodens und zu den zahlreichen Motten, Mosquitos und Ameisen verhalten, dazu fehlt mir die Erfahrung. Auch was die Vorhänge betrifft, bleibt die Frage noch immer offen, ob das Neuere auch das Bessere sei. Ich hatte (wie überall) weisse Vorhänge aus Vitrage, welche mit Vorhängen aus mehr oder weniger schönen Cretonen garnirt waren. In den letzten Jahren sah ich jedoch schwere, theure Vorhänge aus Damast u. s. w. die Fenster verzieren. Zum Mildern des scharfen Lichtes habe ich weisse oder gefärbte Vitrage an den Fenstern selbst anbringen lassen; also zu diesem Zweck sind theuere, schwere Vorhänge entbehrlich; nebstdem werden sie in ihren Falten ein Heer von Insecten und selbst Eidechsen bergen, wenn sie nicht täglich ausgeklopft werden; aber die Zukunft wird es erst lehren, ob sie bleibend dem Möbel eines Hauses in Indien eingereiht werden können.
Als ich im Jahre 189.. in Weltevreden bei einem Collegen zum ersten Male eine solche nach europäischer Mode eingerichtete Wohnung sah mit Divan, Teppichen, Vorhängen, Causeusen, Chaiselongues und diversen Phantasiestühlen, da bedauerte ich es, dass auch in Sachen der Mode Java am Gängelband von Europa läuft und jede Originalität aufgiebt.
(Auch in der Wissenschaft könnte Java sich von Europa emancipiren, und dies wird auch geschehen, aber wann?)
Ist es zu bedauern, dass in Europa die verschiedenen nationalen Trachten verschwinden und Platz machen der »französischen Mode«, noch mehr verdient es Tadel, dass die Mode Europas ihr strenges Scepter über Indien führt. Vor 20 Jahren trug keine Dame einen Hut, auch die Männer nicht nach Sonnenuntergang, welcher täglich zwischen 6–6½ Uhr stattfindet, wobei die Dämmerung nur 10–15 Minuten dauert; nur wenn eine Dame aus den höheren Ständen auf die Reise ging, und wenn die Herren im Laufe des Tages ihren Geschäften nachgingen, trugen sie Hüte. Gegenwärtig hat der Hut in allen Formen Indien erobert; bei den Empfangsabenden, welche um 7 Uhr Abends beginnen, hat gewiss schon die Hälfte der europäischen Damen den thurmhohen Hut auf dem Kopfe, und gewiss 90% der Männer einen modernen Filzhut in der Hand; ja selbst der Cylinder[S. 103] und der Claquehut haben sich der Köpfe der höchsten Würdenträger bemächtigt. Im Anfange dieses Jahrhunderts kamen die Damen im Sarong und Kabaya auf den Empfangsabend des Unterkönigs in Buitenzorg, und am Ende desselben Jahrhunderts in Seiden- und Sammetroben und Hüten von ½ Meter Höhe! O quae mutatio rerum.
Der Eingang in mein Haus befand sich im Garten und war üblicher Weise mit Blumentöpfen umgeben, welche theilweise auf der Treppe selbst und zum Theil in der Veranda standen. Diese Blumentöpfe waren jedoch nichts anderes als die leeren Petroleumbüchsen und leere Bier- oder Weinfässer, welche grün angestrichen waren. Andere Blumentöpfe aus Lehm gebrannt, welche in verschiedenen Formen gegenwärtig in Java um einen Preis von 8–25 Kreuzern gebraucht werden, waren auf Borneo damals unbekannt; die Petroleumbüchsen werden jedoch noch heute gerne überall zu Blumentöpfen umgewandelt, weil sie nicht brechbar sind. Das Petroleum kommt nämlich in Kisten in den Handel, welche zwei Büchsen zu je 18 Liter enthalten. (Im Innern Javas kosten diese 36 Liter Petroleum fl. 4·25 bis fl. 4·50. Die leeren Büchsen sind ein sehr gesuchter Handelsartikel geworden, weil sie, wie gesagt, zu Blumentöpfen und zur Versendung von Cocosöl u. s. w. gebraucht werden. Seitdem in Java und Sumatra ergiebige Petroleumquellen entdeckt wurden, werden diese Büchsen auch in Indien gemacht, und zwar aus dünnen Zinnplatten, welche aus Europa bezogen werden.) — Schön sind solche Blumentöpfe nicht, wenn sie auch grün oder braun angestrichen werden, aber dauerhaft sind sie. Auch im Garten selbst sieht man diese Blumentöpfe stehen, ohne dass sie den bescheidensten Ansprüchen des guten Geschmackes entsprechen; dass jedoch so selten Blumenbeete gefunden werden — ich sah sie nur bei Pflanzern — hat seine gute Ursache; ein grosser Theil der europäischen Bevölkerung ist flottirend, d. h. die Beamten und Officiere werden häufig transferirt; jedesmal hält der Transferirte Auction von seinen Möbeln u. s. w.; Blumenbeete können natürlich nicht transportirt werden, aber Blumentöpfe; hinc illae lacrimae. Da nebstdem die Blumen ein starker Modeartikel sind, so kann ein geschäftlicher Geist mit dem Verkaufe der Blumentöpfe oft einen hübschen Gewinn erzielen. Diese Aussicht hatte ich natürlich nicht, weil bei einer etwaigen Transferirung nur mein Nachfolger der einzige Käufer voraussichtlich war; denn damals hatten die eingeborenen Häuptlinge der Umgebung, im Gegensatze zu ihren Amtsbrüdern auf Java, noch kein besonderes Bedürfniss nach[S. 104] Blumentöpfen, Schaukelstühlen, Lampen, Tischen, Illustrationen aus alten illustrirten Zeitungen, alter Wäsche und Kleidern u. s. w. gezeigt, und ich war auf meinen Nachfolger angewiesen, wie viel von der Einrichtung verkauft werden würde; hätte er Möbel mitgebracht, so hätte ich alles um eine Kleinigkeit oder um gar keinen Preis an den Mann bringen können.
Bei der Wahl der Bäume im Garten kann man nicht genug vorsichtig sein; denn wenn man Kinder hat, welche gern im Garten spielen, können Bäume mit grossen Früchten sehr gefährlich werden. Noch vor Kurzem hat Dr. F. auf Java einen zweijährigen Sohn dadurch verloren, dass im Garten eine Cocosnuss diesem auf den Kopf fiel. Ich liess also keine Palmen, keine Durian und keine Nangka[16] pflanzen. Von Mangistan, Liberia-Kaffee, Mangga und Pisangbäumen liess ich Ableger aus dem benachbarten Kampong holen und sie in entsprechendem Abstand in den Boden stecken. Zu meiner Genugthuung fassten alle Ableger Wurzel. Die Umgebung der Bäume blieb, wie der ganze Garten, frei von Gras, weil ich Sand, mit Kalk und kleinen Kieselsteinen gemischt, zum Pflaster des Gartens gebrauchte. Der Graswuchs kann ja so üppig sein, dass es sehr viel Mühe kostet, es aus dem Garten fernzuhalten. Noch muss ich bemerken, dass weder die Fenster noch die Thüren des Hauses jemals durch die Bäume bedeckt werden konnten, so dass der Wind immer das ganze Haus durchstreichen konnte.
Natürlich erforderte das neue Haus eine landesübliche und standesgemässe Einrichtung. Dem »Standesgemässen« wird leicht Genüge geleistet. In der vorderen Veranda spielt sich nämlich, wenn ich mich dieses Ausdruckes bedienen darf, das Salonleben ab; hier empfängt man die Besuche; sie sind also darnach eingerichtet. Ein runder oder ovaler Tisch mit sechs Schaukelstühlen, Lampe und Blumentöpfen ist die Einrichtung eines kleinen Hauses in einem kleinen Orte; in grösseren Orten, oder wenn man verheirathet ist und einen »jour fixe« hält, ist eine zwei- oder dreimal so grosse Zahl von Stühlen mit einem oder zwei Divans unvermeidlich; sehr oft hängen an der Mauer schöne Gravüren (von Gopil z. B.) oder porzellanene Blumenvasen u. s. w. Auch ich war in der Lage, meinen »Empfangssalon« standesgemäss einzurichten, obwohl die Zahl der Stühle nicht gross zu sein brauchte; denn im Ganzen waren es ja nur fünf Männer und eine Dame, mit[S. 105] welchen ein Verkehr möglich und erlaubt war; wenn jedoch ein Dampfer zu uns kam, da musste schon auf eine doppelte Anzahl gerechnet werden; nun dann nahm ich einfach die Stühle meines Schlafzimmers u. s. w. zu Hülfe.
Die hintere Veranda, in der holländischen Sprache »achtergallery« genannt, ist der Schauplatz des täglichen Familienlebens. In der Ebene und in warmen Gegenden im Allgemeinen ist die hintere Veranda ebenfalls eine offene Halle, und doch besitzt sie die ganze Einrichtung eines Familien- und Speisezimmers. Im Gebirge jedoch ist sie häufig, aber bei Weitem nicht immer, ein grosses Zimmer mit Fenstern, weil in der Morgen- und Abendstunde die Temperatur[17] oft so niedrig ist, dass der Gebrauch in der Haustoilette ein sehr unangenehmes Gefühl der feuchten Kälte mit sich bringt. Hier wird von der Hausfrau und den Kindern der ganze Tag verlebt, von hier aus hat sie Uebersicht über die Küche, über die Bedienten, über den Garten und über die Speisekammer; hier spielen die Kinder auf dem mit Matten bedeckten Boden, oder arbeiten die Schulkinder ihre Hausaufgaben, hier versieht die Hausfrau alle ihre Arbeiten, und hier wird auch gespeist. In einigen Häusern befindet sich über dem Tische die Pongka, d. i. ein grosser Fächer, der mit einem Stricke von einem der Bedienten während der Mahlzeit ununterbrochen in Bewegung gehalten wird. Dieser Fächer wird in Englisch-Indien häufiger gesehen als in Holländisch-Indien. Vor zwanzig Jahren war die Pongka auf Borneo, und selbst auf Java noch ganz unbekannt. Es wird mit ihr nämlich ein Luftstrom erzeugt, welcher besonders Menschen mit Rheumatismus Anfangs lästig ist. Gewöhnt man sich jedoch daran, dann bietet er eine angenehme Abkühlung.
Wie oft wird die malayische Rasse eine diebische genannt! In einer offenen Veranda, welche mitten in einem kleinen Garten steht, der von allen Seiten zugänglich ist, befinden sich nicht allein die grossen Möbelstücke, als Buffet, Tische und Stühle, sondern Gläser, silberne Messer, Gabeln und Löffel, zahlreiche Gemälde und Nippsachen zur Verzierung der Mauern und Tische, und wie selten hört man von einem Diebstahle! In jeder grossen Stadt Europas würde eine solche Veranda nicht eine einzige Nacht von den Langfingern unbehelligt bleiben. Einige Familien lassen zwar in der Veranda eine »Nachtwache« ... schlafen! welche[S. 106] eigentlich nur verhindern soll, dass Räuber, Mörder oder Diebe in die geschlossenen Schlafzimmer eindringen können. Landherren haben jedoch auch »nichtschlafende Wächter«, welche vielleicht einige Dienste leisten.
Wie gross der Unterschied zwischen einer europäischen und einer dajakschen Wohnung sei, möge folgende Schilderung der letzteren, entnommen einem Vortrage, welcher in der geographischen Gesellschaft im Jahre 1885 von mir gehalten wurde, die beste Illustration geben. Ich muss hier jedoch für den Ethnographen bemerken, dass die Beschreibung die eines Hauses ist, welches auf dem Baritu gegenüber der Mündung des Tewehflusses, also gegenüber dem europäischen Fort lag und keine Palissaden hatte. Es sind echte Pfahlbauten (die ich übrigens auch noch im Süden von Java, an der sogenannten Kindersee und auf Sumatra gesehen habe).
Im Süden Borneos, und zwar schon von Buntok aus, bestehen die Kampongs (Dörfer) aus einzelnen Häusern, welche in gewisser Entfernung von einander liegen und darum auch keine gemeinschaftlichen Palissaden haben können; im Norden jedoch, wo die Dajaker in einem steten Kampfe unter einander leben, sind diese Kampongs nicht mehr als ein langes Haus von ungefähr 100 Meter Länge und stehen auf Pfählen von 1½-2 m Höhe. Vor dem Hause stehen hin und wieder einige Ampatong, das sind aus Eisenholz geschnitzte Figuren mit bis auf die Brust hervorragenden Zungen und stark entwickeltem Charakter ihres Geschlechtes, nach welchem sie auch in männliche und weibliche eingetheilt werden. Sie dienen gewissermaassen zur Vogelscheuche, um nämlich die in der Luft herumschweifenden Hantus, bösen Geister, von den lebenden Menschen selbst abzuhalten, und speculiren dabei auf die Sinneslust dieser feindlichen Bewohner der Luft. Die ganze Front des Hauses nimmt ein Vorsaal ein, in dem das öffentliche Leben sich abspielt. Gäste werden hier empfangen, Berathungen gepflogen, bei schlechtem Wetter ihre zahlreichen Feste gefeiert u. s. w. Hier münden auch die Thüren der Wohnungen der einzelnen Familien. In einer solchen Wohnung spielt sich das tägliche Familienleben in allen seinen Phasen im einzigen Raume ab. Auf dem Boden, der aus Latten von der Rinde der Arengpalme besteht, liegen Matten zur Schlafstätte; der reiche Dajaker hat auch einige Polster aus Kapok (indische Pflanzendaunen), manchmal sogar eine Matratze. Im Hintergrunde stehen auf einigen thönernen Herden, Dâpur genannt, die thönernen oder kupfernen Kessel auf Holzfeuern, und der Rauch findet nur schwer durch das kleine Fenster oder durch die Lücken der Matten den Weg nach[S. 107] aussen. Der Gestank der getrockneten todten Fische mischt sich dazu mit den Ausdünstungen der Menschen. Der Kranke oder das kleine Kind können nicht den Weg zum Flusse nehmen (wo der Abort steht), weil nur ein Baumstamm mit Einkerbungen, oder eine Leiter mit dünnen Bambusstäben die Treppe zum Flusse ist. Die Defäcationen geschehen also im Zimmer und zwar über den Löchern in der Flur, und Schweine und Hühner halten zwischen den Pfählen Wache, um den Dienst der Sanitätspolizei zu übernehmen. In den Dächern mengen sich unter das triefende Fischgeräthe, seien es Netze oder Seros, d. h. geflochtene Körbe in allen möglichen Formen, die Schädel der theuern abgestorbenen Familienmitglieder, oder erbeutete Schädel, die in einem Bündel von Flocken aus der Nipapalme eingehüllt sind.
In diesen Häusern werden alle Phasen des persönlichen, des Familien- oder des Gemeindelebens mit 4–8 Tage langen Festen gefeiert, bei denen Venus und Bacchus abwechselnd sich die Hände reichen. Bei Tag wird der Tuwak aus grossen Schalen getrunken, in Chören getanzt beim ohrzerreissenden Schall der Pauken, und der scheidende Tag ladet Jung und Alt, das ganze Dorf zur Orgie; ihre Priester (Bassirs) und Priesterinnen (Bliams) sind Prostituées im strengsten Sinne des Wortes, und wenn sie sich doch einer gewissen grossen Verehrung erfreuen, so wird es Niemand überraschen, der die dualistische Erklärung eines intelligenten Häuptlings vom Standpunkte eines Dajakers hört: »Die Verehrung gilt ja nur ihrem Geiste und nicht ihrem Körper.« Sie sind nämlich Zauberer und beschwören die Geister, welche über die Menschen Krankheiten bringen, sie bannen die Hantu’s, welche dem neugeborenen Kinde Unheil drohen, sie trachten die bösen Vorzeichen, welche einem kriegerischen Unternehmen entgegenstehen, zu beschwören, sie massiren die Kranken und Ermüdeten, wobei oft ein Splitter, kleine Schlangen u. s. w. aus dem Körper geholt werden und — prostituiren sich gegen Bezahlung; die lesbische Liebe und die Sünden Sodoms und Gomorrhas sind alltägliche Sünden, so dass ihre Priester eine zweite Ursache der geringen Bevölkerung von Borneo sind. (Die erste ist, wie wir Seite 61 sahen, die Kopfjagd.)
Von den dajakschen Kampongs, welche vor ihren Palissaden hohe Stangen mit den Köpfen der getödteten Feinde stehen haben, und von ihren Tätowirungen weiss ich aus Autopsie nichts mitzutheilen. (Von der Religion und Sprache der Dajaker will ich auch nicht sprechen, weil dieses in den Rahmen eines ethnographischen Werkes und nicht in eine Reisebeschreibung gehört, und weil thatsächlich das[S. 108] Material unter meinen Händen wächst, auch wenn ich mich begnüge, das selbst Erlebte und das mit eigenen Augen Gesehene mitzutheilen.)
Zu allen ihren Festen wurde ich von Dajakern eingeladen, weil ich ein dankbarer Gast war; ich brachte nämlich ein oder zwei Flaschen Genevre mit und begnügte mich, ein ganz passiver Zuschauer zu sein. Wenn jedoch der Herr Y. kam, liefen die Mädchen entweder ganz weg oder zogen sich mit ängstlicher Miene in eine Ecke zurück, wie erschreckte Schafe in einen Stall, nicht weil er ihre Keuschheitsgefühle (?) wiederholt beleidigt hatte, sondern weil er Tyrannengelüste als ein Servitut seiner Stellung beschaute, das nicht bezahlt werden dürfe. Das ist ja, wie wir bereits andeuteten, die ärgste Schande für ein dajaksches, ja selbst für ein malayisches Mädchen. Vor mir fürchteten die dajakschen Mädchen sich nicht, weil ich die Rolle des nüchternen Beobachters niemals verliess, und diesem Umstande verdanke ich es auch, dass ich in ihren Glauben und Liturgie, in ihre Gebräuche und Sitten einen Einblick erhielt, wie wenig Andere, obzwar der Controleur X.[18] darin einen wachsenden Einfluss meinerseits sah, der unterdrückt werden musste. Als ich z. B. (vide Seite 80) meine Reise nach Telang antreten wollte, musste ich einen Kahn miethen, und zwar den einzigen, der in Buntok zur Verfügung stand, den des Kamponghäuptlings. Zufällig erkundigte ich mich Abends bei ihm, ob der Kahn schon gereinigt sei. Ja, erwiderte dieser, aber der Herr Controleur giebt mir nicht die Erlaubniss, den Kahn zu vermiethen!!
Ein andermal war ich bei einem Feste gewesen, und als ich nach Hause ging, folgte mir ein Dajaker mit einer Schüssel als Gegengeschenk für die zwei Flaschen (3 Liter) Genevre, welche ich gebracht hatte. Der Controleur erfuhr dies durch seinen Bedienten und schickte den Befehl, dem Feste ein Ende zu machen, weil der Controleur in seinem Mittagschläfchen gestört werde. Die Dajaker fühlten diesen Wink mit dem Zaunpfahle, schickten auch dem Controleur eine Schweinskeule und — mochten weiter singen, tanzen und spielen!! Ob solche Geschenke, Slametans (javanisch Sedekah) genannt, auch unter den Dajakern üblich seien, will ich bezweifeln. Bei den Malayen, bei den Javanen u. s. w. ist der Slametan eine Landessitte: Ein eingeborener Feldwebel verheirathet z. B. seine Tochter und möchte gerne die Officiere zum Tanzfeste[S. 109] einladen. Er schickt also an die Frau oder Haushälterin der Officiere eine Schüssel mit einem geschlachteten oder lebenden Huhn, 10–20 Eier, eine Staude Pisang und andere Früchte. Der Anstand erfordert, dass man nicht nur diese Geschenke annimmt, sondern auch sofort ein Gegengeschenk, und zwar in Geld macht. Wenn der Betrag nicht höher ist als der Werth des gesendeten »Slamatans«, dann kann man in Zukunft von solchen Aufmerksamkeiten vielleicht verschont bleiben. Will man jedoch seine besondere Erkenntlichkeit für die Einladung zeigen, dann giebt man ½-1 oder 2 fl. mehr und wird beim Erscheinen des Festes besonders herzlich empfangen.
Dieser malayischen Sitte also wollten die Dajaker folgen, wenn sie mir, wie erwähnt, ein Gegengeschenk brachten, und zwar die Keule eines Wildschweines und einige Früchte.
Wenn sie auch den Tuwak[19] als Volkstrank stark gebrauchen, so ziehen sie doch den Genevre vor, obschon oder vielleicht weil sein Alcohol bedeutend grösser ist. Gewöhnlich hat der Tuwak 3–5% Alcohol und der Genevre 40–50%; ersterer kann dadurch in viel grösseren Mengen getrunken werden als der Genevre; alle Feste der Dajaker dauern 4–6–8 Tage; der Tuwak wird in grossen Töpfen (Blanggas) auf den Festplatz gebracht und von Alt und Jung, von Frau und Mann mit halben Cocosnussschalen aus den Blanggas geschöpft. Sie werden dadurch fröhlich, ausgelassen, aber nur selten betrunken. Eine solche Orgie muss man gesehen haben, um an sie glauben zu können. Es war ein »Todtenfest«, bei welchem ich zum ersten Male eine solche »Ausgelassenheit« der Dajaker sah, welche ein Beamter sittlich entrüstet nicht mit ansehen wollte.
Der Kamponghäuptling, zu dem ich im Jahre 1877 gerufen wurde, um ihm in seiner schweren Krankheit (Carcinoma vesicae) Hülfe zu leisten, war gestorben; sein Körper war auf das Feld gebracht und in einem hölzernen Sarge der Verwesung übergeben. Nach dieser Zeit sollte das Todtenfest beginnen. Eile hatte es damit nicht, weil die Wittwe zu alt war, um an eine zweite Heirath zu denken, und weil ein solches Fest viel Geld kostet. Nebstdem hatten sie gehört, dass Muarah Teweh aufgelassen werden sollte; sie konnten dann vielleicht zu Ehren der Verstorbenen einige Sclaven opfern, wie es bei den unabhängigen Dajakern damals noch üblich war. Da jedoch noch Ende 1878 das Fort Teweh bestand und noch immer keine Anstalten zum[S. 110] Verlassen der Boven-Dusson genommen wurden, entschlossen sie sich endlich, für ihn das Todtenfest zu halten, ohne Sclaven zu opfern; denn der Geist (liau) wurde zwar in den ersten 24 Stunden nach seinem Tode vom Charon (Tampon Telon) nach dem »Wolkensee« gebracht, aber die Seele, welche erst nach Ablauf des Todtenfestes dahin gebracht wird, um sich mit der »liau« zu vereinigen und die Freuden des Himmels zu geniessen, blieb, so lange der Sarg des Verstorbenen nicht bestattet ist, unbefriedigt schweben. Die Wittwe ist, so lange das Todtenfest nicht gegeben ist, »pali«; ihre Kinder sind »pali«, d. h. sie sind unrein und werden von den Sanggiangs (gute Geister) nicht erhört. Nebstdem muss die Wittwe die Trauerkleider, d. h. stets ein Kopftuch und schwarze Kleider tragen (unmittelbar nach dem Tode trägt sie jedoch weisse und erst später schwarze Kleider). Das sind genug Ursachen, um das Todtenfest sobald als möglich zu geben, d. h. sobald die grossen Ausgaben, welche damit verbunden sind, gedeckt werden können. Unser Häuptling hatte keine Sclaven officiell, d. h. er hatte nur »Schuldner, welche ihre Schuld durch Arbeit auf dem Felde und in dem Hause zu tilgen sich verpflichtet hatten«; diese aber beim Todtenfeste seines Vaters zu opfern, wagte er nicht wegen Anwesenheit des Forts; er wählte also dazu Karbouwen (indische Büffel), welche dasselbe Schicksal erlitten, als den Sclaven zugedacht war. Sie wurden an einem Opferstock festgebunden, und ihnen gegenüber nahmen die Männer in voller Kriegsrüstung in einer Reihe Platz; einer nach dem andern sprang aus der Reihe hervor, und unter dem Jubelgesang der Bliams und Bassirs schwang er seine Lanze gegen den unglücklichen Stier, der, nur leicht verwundet, ein fürchterliches Gebrüll ausstiess.
Ein fürchterlich schöner und doch erbärmlicher Anblick war es, ein solch colossales plumpes Riesenthier mit seinen gutmüthigen Augen und seinen massiven Hörnern machtlos und wehrlos gefesselt zu sehen und preisgegeben dem mordlustigen Spiele der Menschen. Wir Europäer sassen auf einem hohen Gerüst und waren ausser Gefahr, auch wenn es dem Büffel gelungen wäre, seine Fesseln zu brechen und in blinder Wuth sich auf seine Quäler zu stürzen. Drei Jahre später sah ich dieses. Ein Karbouw sollte geschlachtet werden; die Sundanesen (Bewohner des Westens von Java), welche seinen Kopf mit dicken Stricken auf dem Blocke festhalten sollten, liessen plötzlich die Stricke los, mit einem wilden Angstschrei zog sich der Büffel aus der Schlinge und stürzte in die umgebende Menge, welche sofort auf die nächsten[S. 111] Bäume flüchtete; ich selbst hatte noch Zeit, mein Pferd zu besteigen, welches mich bald ausser Gefahr brachte. Wenn man im täglichen Leben einer Heerde dieser Riesenbüffel begegnet, oder sie im Sumpfe baden sieht, während nur ein kleiner Bube die ganze Heerde leitet und sie wäscht, dann bewundert man den sanften Charakter dieser Ungeheuer, welche jedoch ihrer Kraft sich ganz gut bewusst sind. In Tjilatjap fuhr ich mit meinem Mylord, welcher mit zwei Pferden bespannt war, durch eine Heerde von diesen Riesenbüffeln; um keinen Millimeter wichen sie aus, so dass das Spritzbrett meines Wagens zertrümmert, ohne dass nur ein Karbouw auch nur ein Haar breit zur Seite gedrängt wurde.
Endlich hatte der letzte der anwesenden Dajaker seine Lanze in das Herz des Karbouws gestossen, mit einem fürchterlichen Gebrüll, dem sofort das Todesröcheln folgte, stürzte der Riesenbüffel zusammen, und Alt und Jung stürzte sich auf ihn, um Stücke abzuschneiden und kochen zu lassen. Während dieser Zeit begann der Reigentanz; die dajakschen Schönen waren zu Ehren der anwesenden Gäste (der Resident, Assistent-Resident, Controleur und wir zwei Officiere) in Festgewand, mit Sarong, Badju und Selindang gekleidet und umstanden einen Opferstock, auf welchem eine Ziege angebunden war. Die weibliche Jugend umzog tanzend in einem Reigen den Altar, indem sie in der einen Hand die Tóte hielten und darauf bliesen, und mit der anderen Hand die der Nachbarin berührten; unter dem ohrzerreissenden Schalle der Pauken und der kupfernen Becken sangen sie ihr illa-la-hap, blieben stehen, beugten sich und drehten den Körper rechts und links, um wie eine Sprungfeder aufzuschnellen. Um diesen Reigen bewegten sich drei Bassirs mit vorausgestreckten Armen, in welchen grosse kupferne Ringe hingen, und die dritte Reihe bestand aus zwei — Clowns; sie trugen nur eine Schwimmhose und hatten eine Maske vor dem Gesicht.
Den ernsten Gesang der Bassirs begleiteten diese Bajazzos mit Sprüngen und ekelhaften körperlichen Bewegungen; bald näherten sie sich den Mädchen und ahmten unter dem schallenden Gelächter der Frauen die Bewegungen des Coitus nach, bald brachten sie ein Gläschen Genevre an die Lippen einer Schönen und liessen sie das Gläschen in einem Schluck leer trinken, und bald carikirten sie die Bewegungen der Bassirs. Ich habe noch nie so ein widerliches, ekelhaftes Fest gesehen, als dieses Todtenfest bei den Dajakern; ich muss jedoch beifügen, dass nur diesen einen Tag wir Europäer officiell Zeuge waren (es dauerte ja[S. 112] 8 Tage), und dass nicht nur zu Ehren der Todten solche Orgien gefeiert werden, sondern bei jeder Gelegenheit; das für das Todtenfest charakteristische Abholen der Leiche von dem Felde, das Aufbahren der ausgetrockneten Leiche, das Schmücken derselben u. s. w. haben wir nicht gesehen, ebenso, als wir Abends nach Fallen der Sonne die Bassirs und Bliams nicht ihre Rollen vertauschen sahen. Sie haben aufgehört, Zauberer zu sein, und beim Scheine der kleinen Harzflammen beginnen jene schon angedeuteten Orgien, welche zwar in Europa nicht unbekannt sind, aber doch nur von Wenigen geübt werden. Wenn Rousseau etwas von diesen »Naturmenschen« gewusst hätte, wäre in seinem Emil niemals ihnen eine Hymne gesungen worden.
Nach Perelaer lautet die erste Strophe des Liedes, welches die Bassirs beim Todtenfeste sangen, wie folgt:
[S. 113]
Ameisen und Termiten in den Wohnungen — Verderben der Speisevorräthe — Milch-Ernährung der Säuglinge — Aborte Tjebok — Transpiration in den Tropen — Baden — Siram = Schiffsbad — Antimilitärischer Geist der Holländer — Das Ausmorden der Bemannung des Kriegsschiffes „Onrust“, von den Dajakern erzählt.
Bei der Einrichtung eines »Hauses« muss man in Indien auf vieles bedacht sein, das in Europa kaum in Betracht gezogen wird; die üppige Flora und Fauna der Tropen z. B. können des Guten zu viel leisten. Abgesehen von der Gefahr, in seinem Garten Bäume und Früchte zu halten, welche durch ihre Grösse beim Herabfallen geradezu gefährlich werden können, ist es nicht rathsam, wogegen so häufig gesündigt wird, auf den Mauern Schlingpflanzen anzubringen; es nesteln sich darin zahlreiche Insecten, welche bei Gelegenheit ins Zimmer kriechen. Ein schöner Baum ist der Seite 101 erwähnte Waringinbaum; mit seinem mächtigen Laub und den zahlreichen Luftwurzeln wird er oft ein stattlicher, herrlicher Baum; seine Wurzeln aber pflanzen sich weit unter dem Boden fort und unterminiren die Grundmauern; sie müssen also in bedeutender Entfernung von dem Hause (wenigstens 20 Meter weit) gepflanzt werden. Eine gleiche Gefahr bieten die mächtigen Rhizophoren, welche ein gutes Brennmaterial liefern; da sie jedoch nur in neugebildetem Alluvialboden gedeihen, und da selten ein »Haus« in diesem gebaut wird, so ist diese Gefahr der Mangroven nur eine theoretische. Auch ist es nicht empfehlenswerth, stark riechende Blumen im Hause zu halten, obzwar die Ventilation der Wohnungen intensiver ist als in Europa. Halbeuropäische Frauen und noch mehr die Eingeborenen gebrauchen gerne Odeurs, welche geradezu betäubend sind und selbst Kopfschmerzen verursachen,[S. 114] z. B. die Blüthe der melatti (eine Jasminumsorte), welche sogar von den malayischen und javanischen Dichtern in allen Tonarten besungen wird.
Aber auch die Fauna ist so üppig, dass selbst im täglichen Leben gegen ihren zu grossen Reichthum Maassregeln genommen werden müssen. Gegen die Riesen des Urwaldes hat der Einzelne in seinem »Hause« nur selten sich zu schützen; denn sie ziehen sich vor dem Menschen zurück; auf der Jagd nach ihnen habe ich natürlich so manche Vorsichtsmaassregeln nehmen müssen, um nicht umgekehrt ihnen eine Beute zu werden; aber die grosse Welt der kleinen Thiere giebt im »Hause« den Menschen viel zu schaffen. Zahlreiche Eidechsen sieht man auf den Mauern herumlaufen; diese sind jedoch gern gesehene Gäste, weil sie uns in der Jagd gegen die Mosquitos und andere Insecten helfen. Wenn zur Zeit der Kenteringe vor dem Regen grosse Schwärme von fliegenden Ameisen (Larong) die brennenden Lampen des Abends umkreisten und auf den Tisch mit dem Verlust ihrer Flügel niederfielen, da machte es mir immer viel Vergnügen, den grossen Appetit meiner zahmen Eidechsen zu bewundern. Scheu waren sie nicht und fürchteten sich vor mir nicht im Geringsten. So lagen sie auf dem Tische auf der Lauer, und sobald eine Ameise auf den Tisch fiel, weil sie sich an dem warmen Lampencylinder verbrannt hatte, stürzten sie aus ihrem Schlupfwinkel und verschlangen die Ameise. Zu ihrer Lieblingsspeise gehört auch die Walang sangit (Stenocoris varicornis), welche einen fürchterlichen Gestank verbreitet und oft bedeutenden Schaden den Reisfeldern verursacht. Zu den tolerirten und aus denselben Ursachen gern gesehenen Gästen gehören die Frösche, welche in die Veranda gesprungen und hin und wieder auch ins Haus kommen; denn auch sie verzehren eine grosse Menge der Insecten; Wanzen habe ich nur in den Spitälern gesehen; aber die Ameisen sind eine fürchterliche Plage der Hausfrau, sowie die »weissen Ameisen«, besser Termiten (termes fatalis) genannt, in ihrer Gefrässigkeit geradezu gefährlich werden. Von diesen sah ich oft 1 Meter hohe Nester, welche so hart waren, dass sie mit der Hacke zertrümmert werden mussten, um das Innere besichtigen zu können. Es war ein Erdhügel aus Lehm mit zahlreichen, labyrinthähnlichen Gängen. In der Mitte lag die Königin, welche von den Malayen gern gegessen wird. Aber auch die Larongs sind ein Leckerbissen der Javanen und Malayen. Zur Zeit des Schwärmens werden im Hause weisse Lavoirs unter die Lampe mit Wasser gefüllt gestellt. Die schwärmenden »weissen Ameisen«, wie der Holländer die[S. 115] Termiten nennt, versengen an der Lampe die Flügel oder die Füsse, oder sie fallen, erschöpft durch die ausstrahlende Wärme der Lampen, nieder und werden im Wasser aufgefangen; die Flügel werden, wenn sie nicht schon abgefallen sind, herausgerissen und die Termite selbst in Oel mit oder ohne Mehl gebacken. Ich konnte mich niemals dazu entschliessen, mich durch Kosten von ihrem mandelähnlichen Geschmacke, den sie haben sollen, zu überzeugen. Ob die javanischen Gourmands jemals einen europäischen Feinschmecker in ihre Gilde aufnehmen werden? Ich bezweifle es. Beinahe täglich kann man im Kampong oder selbst in seinem eigenen Garten 2–3 Mitglieder seiner Bedienten auf dem Boden hintereinander sitzen sehen, welche auf dem Kopfe ihres Vordermannes gewisse ungeladene Gäste suchen und verspeisen.
Bekannt ist es, dass die Termiten grossen Schaden anrichten können, wenn man ihrem gefrässigen Triebe keine Grenzen setzt. Mir gelang dies immer, so dass ich während meines 21jährigen Aufenthaltes in den Tropen nicht den geringsten Schaden durch die râjaps erlitt. Meine Kästen liess ich niemals an den Mauern stehen, sondern in einer Entfernung von 2–3 cm.; die Füsse derselben ruhten entweder in zinnernen Näpfen, welche mit Wasser oder Petroleum gefüllt waren, oder auf kleinen zinnernen Platten; auch die Kisten und Koffer standen nicht auf dem Fussboden selbst, sondern auf Ziegeln; jede Woche wurden alle Kästen, Koffer und Kisten zur Seite geschoben zur Controle, ob die Termiten sich unter denselben nicht angesiedelt hätten; täglich wurden die Matten von dem Fussboden aufgenommen, um nach Oeffnungen zu suchen, aus welchen sie ins Haus hätten dringen können. Oft genug sah ich dann zwischen den Fugen des Fussbodens kleine Sandhügelchen mit einer Oeffnung, in welcher die Termiten aus- und eingingen. Ich goss in die Löcher Petroleum oder Carbolsäure (5% Auflösung), um für lange Zeit von ihrem Besuche verschont zu bleiben.
Lästig sind die schwarzen Ameisen, welche von Vielen gern gesehene Gäste sind, weil, wie man behauptet, sie die Termiten vertreiben. Thatsache ist, dass ich beide niemals zu gleicher Zeit in meiner Wohnung hatte. Die schwarzen Ameisen scheinen eben aussergewöhnlich stark entwickelten Riechnerv zu haben. Es ist oft unglaublich, wie sicher und schnell diese Ameisen ihre Beute finden. Lässt man z. B. die Zuckerbüchse unbewahrt Abends auf dem Tische stehen, so ist den andern Morgen die Oberfläche schwarz von Ameisen;[S. 116] Man muss also die Zuckerdose immer in einer Schale mit Wasser stehen lassen. Aber nach einigen Tagen hilft dieses Präservativ auch nicht mehr, wenn die Zuckerschale nebstdem nicht gut geschlossen ist. Man sieht dann auf dem Wasser Leichen von Ameisen schwimmen, auf welchen die lebenden sorglos ihre Näscherei aufsuchen. Nach der Ansicht der Eingeborenen opfern sich einige Ameisen dem Tode durch Ertrinken, um mit ihrem Leichnam eine Brücke zu bauen, auf welcher ihre Brüder zu dem Zucker gelangen können. Natürlich ist der Speisekasten immer und ewig ihren Einfällen ausgesetzt und selbst, wenn seine Füsse in Näpfen, mit Wasser und Petroleum gefüllt, stehen. Die Eingeborenen behaupten, dass in einem solchen Falle die Ameisen, durch den Geruch der Speisen angelockt, sich vom Plafond auf den Kasten fallen lassen; ich fand jedoch eine andere Erklärung dieser eigenthümlichen Erscheinung. Die Hausfrau lässt nämlich im Eifer ihres Amtes die Thür des Kastens offen stehen, welche sich an die Mauer anlehnt; von dieser finden sie dann ihren Weg in den Kasten. Man erwehrt sich also der schwarzen Ameisen am besten, wenn man auf dem Tische keine Speisen stehen lässt, den Speisekasten in einiger Entfernung von der Mauer und seine Füsse in einen Napf mit Petroleum stellt; Wasser zu diesem Zwecke zu gebrauchen, ist darum nicht praktisch, weil es von den Hunden, Katzen und Ratten in der Nacht ausgetrunken wird. Sind die »weissen Ameisen« auch gefährlicher als die schwarzen Ameisen, weil sie alles zerstören, was aus dem Thier- und Pflanzenreich stammt (Banknoten und hölzerne Schiffe fielen schon ihrer Fresswuth zum Opfer), so sind die schwarzen Ameisen wieder lästiger, weil sie eine ununterbrochene Aufmerksamkeit der Hausfrau erfordern, um die Speisereste vor ihren Angriffen zu beschützen. Leider sind diese nicht die einzigen Feinde, gegen welche die Hausfrau einen steten Kampf führen muss. Die drei Factoren, welche die Entwicklung der Bacterien ermöglichen, organische Stoffe, Wärme und Feuchtigkeit, befinden sich in Indien zu allen Zeiten und an allen Orten. Dadurch verderben die Speisen sehr leicht und sehr schnell unter den Tropen. Nach 48 Stunden sind Fleisch und Fische schon ungeniessbar. In Essig eingelegte Gurken u. s. w. haben in wenigen Tagen eine dicke Schimmelauflage, wenn der Verschluss der Gefässe nicht luftdicht ist. Wenn auch die Gurken u. s. w. unter der Schimmelschicht nicht verdorben waren, so ekelte mich der Anblick so sehr, dass ich sie immer habe wegwerfen lassen. Mit Milch zubereitete Mehlspeisen können kaum 24 Stunden lang bewahrt werden, weil sie darnach sauer werden.[S. 117] Fette Fleischspeisen werden nach 2 Tagen ranzig. Das sind Verhältnisse, welche den Hausfrauen viele Sorgen bereiten, wenn ihnen von den Männern ein gewisser Grad von Sparsamkeit auferlegt werden muss.
In Buntok musste ich viele Conserven gebrauchen, weil weder von den eingeborenen noch von den sogenannten Soldatenfrauen viele Sorten Grünzeug gepflanzt wurden. Physolen (Katjang), Spinat (Bajem), aubergines (terong = Solanum melongena), Gurken, Wassermelonen, Labu (Lagenaria idolatrica), junge Bambus kamen auf meinen Tisch; ebenso klein war die Abwechslung in den Fleischspeisen: Huhn, Ei, Fisch und Beefsteak; ich musste also zu Conserven meine Zuflucht nehmen, um hin und wieder junge Erbsen oder Spargel zu essen, oder californische Birnen, Kirschen, Aepfel und Pfirsiche zum Nachtisch zu haben, oder aber eine andere Fleischsorte geniessen zu können als Huhn und wiederum Huhn u. s. w. u. s. w. Späterhin und zwar auf Java war eine Conserve auf meinem Tisch eine grosse Ausnahme, es sei denn, dass ich Gäste hatte.
Eine wichtige Rolle spielte die Milch. Wir hatten auf Borneo keine Kuh, also auch keine Milch; die Rinder, welche uns das Rindfleisch lieferten, wurden von Bengalis über Java und von Madura importirt und niemals zur Zucht gebraucht; von Bandjermasing wurden sie in grossen Kähnen nach Buntok und Teweh geschleppt, was oft wochenlang dauerte. Sie waren bei ihrer Ankunft oft so mager, dass wir sie Kleiderstöcke nannten, weil man auf die Hüfte factisch einen Hut aufhängen konnte. Da diese Rinder das erlaubte Minimum an Gewicht gewöhnlich hatten, so gab sich der chinesische Lieferant keine Mühe, diese Thiere fetter werden zu lassen. Das Gras war in Buntok wegen der immerwährenden Ueberschwemmung mit theilweise gemischtem Fluss- und Seewasser schlecht; er hätte also die Rinder mit Reis mästen müssen; er that es nicht; so geschah es selten, dass das Rind nach dem Schlachten, nach der Enthäutung und nach der Entfernung der Eingeweide, des Kopfes und der Füsse mehr als 75 Kilo wog. Nun, solche Rinder wären auch nicht besonders geschickt für die Gewinnung einer guten Milch gewesen; Ziegenmilch konnten wir ebenso wenig als Eselinnen- oder Pferdemilch bekommen; Karbouwen sah ich auch nicht in Buntok, also wir mussten Milch aus Conserven zum Kaffee und Thee nehmen. War auch diese nicht zu bekommen, so quirlte ich in meinen Morgenkaffee ein Ei, welches selbst ein angenehm schmeckendes Surrogat für Milch ist. Weniger für Erwachsene als für Säuglinge[S. 118] ist ja Milch eine Lebensfrage. Es kommt wohl selten bei den dajakschen und malayischen Müttern ein vollständiger Mangel an Milch vor; ich wenigstens habe kein einziges Mal gehört, dass eine eingeborene Mutter ihr Kind nicht säugen konnte; dass sie jedoch zu wenig oder zu schlechte Milch haben, sah ich öfters; sie helfen sich dadurch, dass sie das Kind mit einem Brei vollstopfen, welcher aus weichgekochtem Reis, Pisang und Zucker besteht. Die Zweckmässigkeit dieser Kinderernährung lässt sich theoretisch bestreiten; ob aber die Sterblichkeit unter den eingeborenen Kindern eine grössere oder kleinere sei als unter den Europäern, ist gar kein Zweifel, wenn wir auch keine statistischen Ausweise darüber haben. Java hatte im Anfange dieses Jahrhunderts 5 Millionen Seelen, heute 25 Millionen; die Sterblichkeit kann also nicht gross sein. Aber es ist eine kleine und schwache Rasse; dieses spricht nicht für die Zweckmässigkeit der vegetabilischen Kinderernährung. Nebstdem ist es bekannt, dass die eingeborenen Kinder einen Hängebauch haben, der unter dem Namen »Reisbauch« bekannt ist.
Eine Amme würde ich in Indien, wenn auch nicht unbedingt zurückweisen, so doch als ultimum refugium in Reserve halten, wenn die künstliche Ernährung nicht gelingen sollte; denn eine europäische Amme wird vielleicht niemals zu bekommen sein, und mit einer eingeborenen Amme sind so viel Unannehmlichkeiten verbunden, dass ich vorläufig jeder Frau abrathen muss, ausser in der dringendsten Noth durch eine eingeborene Amme ihr Kind säugen zu lassen. Vielleicht entschliesse ich mich doch später dazu, die Leidensgeschichte einer französischen Dame zu erzählen, welche in Magelang (Java) entgegen meiner Warnung eine eingeborene Amme zu ihrem Kinde nahm, dreimal sie wechselte und endlich ihr Kind mit der von mir angegebenen Conservemilch nicht nur glücklich über die Zeit des Wechsels in der Nahrung brachte, sondern auch zu einem kräftigen und gesunden Mädchen entwickeln sah. Ich liess von der überall käuflichen Swiss condensed milk anfangs 1 : 17 (die ersten 4 Wochen) und später aufsteigend bis 1 : 10 eine Auflösung machen und gab davon 50 Ccm. in der ersten Woche, um bis 200 Ccm. per Dosis zu steigen. Diese Milch hat mir wiederholt so vortreffliche Dienste geleistet, dass ich die letzten Jahre zuerst zu diesem Surrogat der Muttermilch meine Zuflucht nahm, und in zweiter Reihe zur Kuhmilch, wo diese, wie z. B. auf Java, in hinreichender Quantität, aber oft in schlechter Qualität zu bekommen ist.
[S. 119]
Wenn man seine eigene Kuh hat und das Melken controlliren kann, so hat man doch noch Schwierigkeiten damit; nur zu oft geschieht es, dass die Kuh entweder krank wird, oder wenigstens sich den Magen verdirbt; sie bekommt Diarrhoe und der Säugling, welcher ihre Milch trinkt — wird auch krank. Wenn auch unter den schweizerischen Kühen, welchen diese Conserven ihren Inhalt verdanken, die eine oder andere Kuh krank wird, so vertheilt sich ihre Milch auf die grosse Menge; ich will mich jedoch anderer theoretischer Erklärungen enthalten, weil für mich die Thatsache spricht, dass in Indien unter den zahlreichen Ersatzmitteln der Muttermilch die condensirte Milch mir die besten Resultate gegeben hat.
Um nur eines Falles zu gedenken: Im Jahre 189.. kam in Ngawie der Lieutenant X., welcher eine tuberculose Frau hatte, mit einem ½ Jahr alten Kinde in Garnison. Das Kind war eine Mumie, obzwar es mit Eiweiss genährt wurde. (Eiweiss kann nur für einige Tage ein Surrogat der Muttermilch sein, für die Dauer regt es zu wenig die Peristaltik des Magens und der Därme an.) Sofort liess ich die Ernährung mit Eiweiss trotz des Sträubens der Eltern aussetzen und liess dem Kinde erwähnte condensirte Milch, und zwar in einer Auflösung 1 : 12 geben. Das Kind vertrug die Milch gut und schon nach wenigen Wochen entwickelte sich ein kräftiges Fettpolster.
Eine zweite Ursache, warum ich in Indien geradezu vor dem Gebrauche der Kuhmilch für Säuglinge warnen muss, ist die Thatsache, dass sie, ich möchte sagen fast immer, mit Wasser aus dem Sumpfe (Sawahfeld), oder aus den Riols, mit Zuckerwasser, Cocosmilch oder selbst mit Gyps verfälscht wird. Selbst wenn man seine eigene Kuh hat, aber beim Melken nicht dabei steht, ist man seiner Sache nicht sicher, weil der Bediente, der damit betraut ist, einen Theil der Milch unterschlägt, um sie zu verkaufen, und, um das gewöhnliche Maass seinem Herrn abzuliefern, die Milch verfälscht. Uebrigens hat die erwähnte condensirte Milch diesen Vortheil, dass man eventuell einen Soxhletapparat entbehren kann. Man braucht ja keinen Vorrath an Milch zu halten, während die von der Kuh gewonnene Milch nicht allein sofort gekocht, sondern auch in gut verschlossenen Flaschen zum Zwecke der Sterilisirung bewahrt werden muss. Wenn man keinen Soxhlet besitzt, gebraucht man in Indien häufig die Fläschchen von Eau de Cologne von ungefähr 200 Ccm. Trotz ihres Reichthums an Zucker hält sich die condensirte Milch 2, selbst 3 oder 4 Tage in Indien, bevor Schimmel darauf kommt; also für jeden Fall so lange,[S. 120] dass ein Kind die Büchse zu Ende gebrauchen kann. Man kann ja aus einer Büchse 2–3 Liter Milch gewinnen, und da nebstdem so eine Büchse 30–40 Kreuzer in Java kostet, und eine Flasche Milch von 750 Ccm. mit 25 Kreuzern bezahlt wird, so verdient auch vom ökonomischen Standpunkte aus diese Milch in Indien den Vorzug vor der käuflichen Kuhmilch.
Im Jahre 18... wurde in W. eine grosse Caserne gebaut, ohne dass man für Aborte gesorgt hatte. Als die Mannschaften die Caserne bezogen und vergebens nach diesen Räumlichkeiten sich umsahen, erst an diesem Tage wurde dieser Mangel entdeckt. Errare est humanum, und doch ist dies ein unverzeihlicher Fehler gewesen, weil Jedermann beim Miethen einer Wohnung an diese unentbehrlichen Räume denken soll und muss; umsomehr in Indien, wo eigenthümliche Verhältnisse und auch andere Gebräuche berücksichtigt werden müssen. So z. B. ist der Gebrauch des Papiers zur Reinigung wenig oder gar nicht bekannt; die Eingeborenen benützen Wasser selbst nach dem Verrichten eines kleinen Bedürfnisses. Die Vorzüge dieses Gebrauches, tjèbok genannt, gegenüber dem des Papieres, sind so in die Augen springend, dass es keines Wortes zur Begründung bedarf. Für Männer mit Hämorrhoiden und für Frauen mit weissem Fluss hat das Wasser in diesem Falle selbst einen so grossen hygienischen Werth, dass ich auch in Europa diese Art von Reinigung solchen Patienten recommandiren würde. Ich habe ja nur ein einziges Mal in Indien eine Blenorrhoea recti gesehen, und zwar bei einem alten europäischen Matrosen. Bei Frauen kann ja das Secret des weissen Flusses auf die benachbarten Schleimhäute übergreifen; wie häufig dieses in Europa geschieht, lässt ein Aufsatz in der W. M. W. No. 23 und 24 vom Jahre 1898 vermuthen; in Indien aber sah ich es niemals, und ist kaum denkbar, weil die eingeborenen Prostituées sich eben nach allen Entleerungen mit Wasser reinigen.
Zu diesem Zwecke befinden sich in jedem Aborte eine gewisse Anzahl Weinflaschen mit Wasser gefüllt; öfters hält man zum Zwecke der Desinfection auch Flaschen mit 5% roher Carbolsäure im Aborte vorräthig; ich selbst bekam einen Officier zur Behandlung, welcher irrthümlicher Weise eine Flasche Carbolsäure (anstatt Wasser) zur Reinigung gebraucht hatte. Diese 5% Auflösung hatte keine weiteren schädlichen Folgen als den augenblicklichen Schmerz. Solche Verwechselungen sind natürlich leicht zu vermeiden. Ich hatte beim Beziehen[S. 121] meines »Hauses« keine Wahl mehr über die Bauart meines Abortes; der Bauplan des ganzen Hauses war ja schon lange vorher durch die Regierung genehmigt. Ich will auch den technischen Theil nicht besprechen, weil in der Bauhygiene von dem Capitän der Genie G. W. F. de Vos Jeder diesbezüglich hinreichende Belehrung findet, der ein Haus und einen Abort nach den Forderungen der Hygiene bauen will. Dieses Buch ist aus dem Jahre 1892 und erwähnt darum noch nicht die letzten Erfindungen auf diesem Gebiete. Wenn aber auch die Häuser keine Wasserleitung haben, so liesse sich doch ohne bedeutende Kosten ein modernes Closet in jeder Privatwohnung anbringen, welches unbedingt allen Anforderungen nicht nur der Hygiene und Zweckmässigkeit, sondern auch der Aesthetik und Reinlichkeit entspricht. Diese wären jedoch nur von den Europäern in Gebrauch zu nehmen; für den Eingeborenen ist das Hocken eine solche Gewohnheit, dass er nie einen Abort gebraucht, bei dem er sitzen muss. Es ist darum zweckmässig, für die eingeborenen Bedienten den Abort nach »indischem« Modell einzurichten.[21]
Das Baden ist in Indien ein grösseres Bedürfniss als in Europa; durch die höhere Temperatur ist eine grössere und intensivere Transpiration bedingt, und es ist eine alltägliche Erscheinung, einen Kuli mit nacktem Oberleib an der Arbeit zu sehen, während ihm der Schweiss in fingerdicken Strömen herabfliesst; und doch ist die pigmentreiche Haut weniger zum heftigen Schwitzen disponirt als die des blonden Europäers; vielleicht ist es ein post und doch kein propter hoc, d. h. vielleicht ist die Acclimatisation die Ursache, dass Eingeborene, halb europäische und auch europäische Menschen, welche nach langer Anwesenheit unter den Tropen einen dunklern Teint bekommen, weniger schwitzen, als die Orang Baru, welche während des Anfangs ihrer indischen Laufbahn in so heftiger Weise transpiriren, dass sie oft an den erschöpfenden Schweiss der Phthisiker denken lassen; zur Regenzeit ist auch die Transpiration intensiver als zur Trockenzeit, weil der niedrige Feuchtigkeitsgehalt der Luft im Ostmonsun das Verdampfen der Flüssigkeit befördert. Der Schweiss riecht intensiv sauer und zeigt auch eine saure Reaction, und besonders bei Frauen zur Zeit der Menstruation; in der Regel ist die Transpiration am stärksten in der Achselhöhle und am Bauche, wo die Kleider eng anschliessen, obwohl[S. 122] Krause angiebt, dass die grösste Menge von Schweissdrüsen sich an der Flachhand und Fusssohle befinden (2236–2685 auf den ☐″). Hier färbt der Schweiss die Leibwäsche von lichtgelben bis beinahe dunkelbraunen Flecken; wiederholt habe ich Frauen unter Behandlung bekommen, welche glaubten, einen intensiven Fluss aus der Vagina zu haben, weil sie braune Flecken in der Unterhose hatten, und auch Männer, deren Gewissen nicht rein war, welche ähnliche Flecken im Hemde hatten und an einer »leichten russischen Blenorrhoe« zu leiden glaubten. Es war nichts anderes, als der Schweiss. Wie weit der Inhalt der Talgdrüsen sich mit diesem vermengt hat, weiss ich natürlich nicht; denn auch im Schweisse gesunder Menschen findet man unter anderem Harnsäure, Harnstoff, ja selbst manchmal Indigo.
Thatsächlich besteht ein Vicariiren zwischen der Hauttranspiration und dem Secerniren der Nieren. Auf meiner letzten Seereise bekamen wir bei unserer Einfahrt in das Rothe Meer unerwartet eine niedrige Temperatur. Auffallend war es, wie mit dem Zurücktreten der Schweissmenge eine grössere Secretion der Nieren verbunden war; dasselbe geschieht, wenn man in Indien selbst aus der Ebene ins Gebirge reist; je höher man kommt, desto ergiebiger ist die Function der Nieren.
In Europa verliert man, nach Séguin, täglich durch die Haut 1⁄67 seines Körpergewichtes; wie gross der Gewichtsverlust in Indien sei, ist mir nicht bekannt, aber gross, sehr gross muss er sein, denn man muss ein-, oft zweimal des Tages die Wäsche wechseln, und wenn man, wie z. B. der Arzt, einen Beruf im Freien ausübt, selbst dreimal. Wie oft geschieht es selbst, dass man in der Nacht aufstehen muss, um die wenige Wäsche, welche man anhat, zu wechseln?!
Es bedarf also keiner weitern Motivirung, dass das tägliche Baden in Indien einem dringenden Bedürfnisse entspreche; ja noch mehr, es ist Regel, dass man zweimal des Tages badet, und manche Menschen thun dieses selbst dreimal des Tages. Es ist aber ungesund, sofort nach dem Verlassen des Bettes und vor Aufgang der Sonne sein Bad zu nehmen. Vor Sonnenaufgang sollte man überhaupt das Zimmer nicht verlassen, weil die nächtliche Luft von den Miasmen geschwängert wird. Nebstdem sind die Poren der Haut durch das Schlafen hinter den Mosquitonetzen und durch die reichliche Transpiration geöffnet, die Haut und die Leibwäsche ist feucht und der plötzliche Uebergang in die kühle, mit Miasmen geschwängerte Luft, vor dem Aufgang der Sonne, muss schädlich sein. Es empfiehlt sich daher, die Nachtwäsche[S. 123] zu wechseln und den Aufgang der Sonne abzuwarten, und erst unmittelbar vor dem Anlegen der Kleider sein Bad zu nehmen. Die meisten Damen sind in dieser Hinsicht vorsichtiger als die Männer; sie nehmen ihr erstes Bad erst nach Ablauf der grössten häuslichen Arbeit, d. i. zwischen 10 und 11 Uhr, wenn das »Haus« aufgeräumt ist und die weitere Arbeit der Köchin überlassen werden kann.
Das Bad selbst ist ein sogenanntes Schiffsbad (siram M), d. h. man begiesst den Körper mit Wasser. Wannenbäder werden überhaupt nur von einzelnen Kranken genommen; selbst in den grossen Spitälern badet der grösste Theil der Patienten in dieser Weise oder gebraucht eine Douche. Die Eingeborenen und die Chinesen nehmen gern ein Flussbad oder erfrischen sich öfters des Tages unter einem Pantjoran (M). Das sind kleine Bäche, welche mit einem Abzugrohr, gewöhnlich einem halben Bambusrohr, versehen, das Wasser in einer Höhe von ungefähr 1 Meter auf den Körper fallen lassen. Da diese Bäche gewöhnlich im Gebirge vorkommen, so ist das Wasser zwar krystallhell, aber so kalt, dass ich nur mit Schüttelfrost davon Gebrauch machen konnte. Ein Schiffsbad in der Ebene z. B. hat 25–27° C.; die Pantjoran in Sindanglaya (im Gebirge der Preangerregentschaft), welches beinahe 1100 Meter über dem Meere liegt, hatte ein so kaltes Wasser, dass ich keinen Augenblick unter dem Sturzbad verweilen konnte, obzwar im Bassin selbst der Aufenthalt geradezu erquickend war. Auch in Salatiga befindet sich ein solches Bad, welches durch sein helles, frisches Bergwasser zu den besten indifferenten Bädern gehört, welches dem durch die Wärme der Ebene erschöpften Organismus neue Energie und neue Lebenslust giebt. Salatiga und Sindanglaya sind auf Java bekannte Luftkurorte, wo Malaria- und Leberkranke in der Reconvalescenz Kräftigung des Organismus suchen. Leider tragen die meisten Menschen keine Rechnung mit der Temperaturdifferenz und gebrauchen dieselbe Haustoilette als in der warmen Ebene. Erkältungen sind also sehr häufig und zwar die des Darmes, so dass die armen Patienten durch die Diarrhoe gezwungen werden, das »Bergklima« zu verlassen.
Auch mein »Haus« hatte ein Badezimmer, in welchem ein gemeisseltes 3 Cbm. grosses Wassergefäss sich befand; der Flur war mit Cement bedeckt; ein Kleiderrechen war das einzige Möbelstück. Ich liess also noch einen Spiegel aufhängen, liess auf den Boden hölzernes Rost auflegen, weil man auf dem nassen Cementboden leicht ausgleiten kann, den Filtrirstein mit grossem Topf hineinstellen und aus Zinnblech[S. 124] einen Schöpfer machen, mit welchem ich mich siram konnte. Das Wasser erhielt ich aus einer Rinne, welche das Regenwasser auffing, oder aber aus dem Ziehbrunnen, welcher hinter dem Hause stand.
Auf Seite 18 sprach ich von dem Antassan Lotongtor, als von einem historischen Orte, weil sich dort die traurigen Reste des Kriegsschiffes »Onrust« befänden. Im Jahre 1877 war noch nicht einmal im October die Regenzeit eingetreten; der Ostmonsun war so ausgesprochen trocken gewesen, dass der grosse Strom Dusson im oberen Laufe nicht nur für Dampfer, sondern selbst für Schleppkähne nicht mehr befahrbar war. Wir bekamen Nachricht, dass bei Lotongtor das Wrack des »Onrust« zu sehen sei; in zwei kleinen Kähnen gingen ich, Lieutenant X. und der Bezirkshäuptling Dakop dahin, um es zu besichtigen. Der Kessel stand mehr als ½ Meter über der Wasserfläche, und wir beide mussten mit den schärfsten Worten den Indifferentismus der holländischen Regierung verurtheilen, welche es nicht der Mühe werth gefunden hat, und zwar in 18!! Jahren Zeit, das Wrack beseitigen zu lassen. Eine traurige Siegestrophäe der Dajaker, welche selbst ihre Enkel zu neuer Heldenthat und zu neuem Morden anfeuern musste! Dakop tauchte in das Wasser und fand noch eine goldene Uhr und ein Medicinfläschchen im Wracke; erstere wurde nach Bandjermasing gesendet, während ich das Medicinfläschchen dem Sanitätschef der Kriegsmarine zukommen liess. Wie es doch möglich sei, dass ein europäisches Kriegsschiff mit Mann und Maus von wilden Dajakern ausgemordet werden könne, wird so mancher fragen. Der antimilitärische Geist der Holländer war an diesem schaurigen Drama ebenso schuld, wie 23 Jahre später, als auf Sumatras Nordküste nach den siegreichen Feldzügen des Generals Karl van der Heyden dieser das Obercommando in die Hände des Civilbeamten Pruys van der Hoeven legen musste und die Atschinesen sofort wieder zum Angriffe übergingen. Wie ein rother Faden zieht sich durch die ganze Geschichte Indiens die Ungeduld der holländischen Regierung, das kaum unterworfene oder eroberte feindliche Land, und wäre es nur für eine kurze Zeit, in den Händen des zielbewussten, kräftigen Militär-Commandos zu lassen. Kaum hat sich ein Feind de facto oder nur zum Schein unterworfen, erscheint der Regierungs-Commissar, der Resident oder wie er sonst heissen möge, und die militärische Macht wird zum Polizeidienst degradirt.
Ich kann nicht umhin, den Verlauf dieses Dramas zu erzählen, wie er mir von den Epigonen der Dajakschen Helden mitgetheilt wurde.
[S. 125]
Im Jahre 1857 war Sultan Adam gestorben und hatte seinen Sohn Prabu Anam[22] vorher auf Drängen seiner Frau Njaih Ratu Komala Sari zum Thronfolger ernannt, obzwar die holländische Regierung ihren gerechtfertigten Einwand dagegen erhoben hatte. Er wurde seines Thrones verlustig erklärt und Tamdschit Illah, ein Enkel des Sultans Adam, zum Sultan des Bandjermasingschen Reiches ernannt, obwohl er von mütterlicher Seite nicht von fürstlicher Abstammung war; nebstdem war sein Stiefbruder Hidajat, der dieses Vorrechtes sich erfreuen konnte, zum Reichsverweser ernannt worden, ohne durch seine Geistesgaben auch nur im Entferntesten dazu geschickt zu sein. Allgemeine Unzufriedenheit herrschte hierauf im ganzen Südosten Borneos, welche natürlich von Hidajat im Geheimen genährt wurde. Der damalige Resident von Bandjermasing, Graf von Bentheim Tecklenburg, wusste so wenig von dem drohenden Unwetter, dass er 1859 auf eine diesbezügliche Anfrage von Batavia mit dem Dampfer Ardjuno das Bulletin dahin schickte: »Politische Zustände günstig.« Der Landes-Commandant jedoch sandte Ende März einen genauen Bericht über die Gährung im Reiche, und den 29. April kam der Oberst Andresen mit 300 Mann in Bandjermasing an, um das militärische und civile Commando auf sich zu nehmen. Unterdessen hatte der Aufstand, welcher zu Gunsten der Thronfolge des Hidajat unternommen war, fürchterliche Ausbreitung gewonnen; in Pengaron wurde der Ingenieur der Kohlenminen ermordet, im Süden von Martapura fielen alle Europäer, 21 an der Zahl, zum Opfer; am Kapuasflusse erlitt ein Missionar mit seiner Frau dasselbe traurige Schicksal u. s. w. Endlich wurden die Truppen Herr des Aufstandes; beide Kronprätendenten, Hidajat und Illah, wurden nach Java verbannt und das Reich am 14. December 1859 direct der holländischen Colonie einverleibt. Jetzt war es natürlich die höchste Zeit, die Weisheit des Residenten N.. leuchten zu lassen und das »militärische« Element sofort zu beseitigen. Resident Nieuwenhuizen trat an die Spitze der Regierung, und Major Verspyk wurde »nur« der militärische Commandant von der südöstlichen Hälfte von Bandjermasing.
Der Krieg war jedoch nur mit den malayischen Fürsten beendigt. Die Dajaker der Dusson ilir und ulu, welche diese zur Theilnahme an dem Aufstand gegen die Holländer überredet hatten, legten[S. 126] ihre Waffen nicht nieder. Sie fürchteten, unter dem holländischen Scepter ebenso ausgesogen zu werden als unter dem malayischen Tyrannen; nebstdem hatten sie »Blut gekostet«. Zahlreiche Köpfe von angesehenen Europäern zierten ihre Wohnungen. Verlieren konnten sie nicht viel, weil sie keinen Handel trieben, keine Magazine hatten, keine Fabriken, welche leer stehen blieben; sie konnten nur gewinnen, wenn sie den Raubkrieg fortsetzten. Der Herr Bangkert, welcher in Marabahan Assistent-Resident war, sah in den einzelnen Truppen der Dajaker, welche bei Amuntai, Barabei, Buntok und längs des Martapuraflusses schwärmten, nur noch »einzelne böswillige Marodeure«, und versicherte gegenüber dem Residenten Nieuwenhuizen, dass es ihm ein Leichtes sei, den dajakschen Häuptling Suropatti wieder zur Unterwerfung zu bringen, weil er mit ihm vor 7 Jahren ewige Freundschaft beschworen habe.
Induamban jedoch, die Tochter eines Häuptlings der Dusson ulu, hatte ewige Feindschaft den verhassten Blanken geschworen; der Krieg dauerte schon beinahe ein Jahr und noch kein einziger europäischer Schädel wurde ihr angeboten, ihr, der Tochter des Gusti Leman, des angesehensten Häuptlings im Gefolge Suropattis. Nur den Kopf einer malayischen »Soldatenfrau« und eines javanischen Soldaten hatte ihr Freier ihr zu Füssen gelegt; sie müsse jedoch auch den eines holländischen Officiers bekommen. Sie zog von Lager zu Lager, nur bekleidet mit dem Saloi und der Glasperlenschnur um den Knöchel des rechten Fusses. Ihr rabenschwarzes, glänzendes Haar liess sie frei über die Schultern flattern, und wenn Abends die Männer halb trunken vom Tuwak vor dem Lager Wache hielten, erschien sie mit glühenden Augen, fasste krampfhaft ihre Brüste und hob ihren rechten Fuss gegen die Schildwacht mit den Worten: »Dies für einen holländischen Officier.« Sie erzählte auch, dass sie schon siebenmal den Flug des Antang (Falken) beschworen habe, und jedesmal sei er gegenüber den rechten Pfeilen erschienen, dass die Töchter der Sonne (Mahatara) ihr Vornehmen guthiessen, dass sie vor Sonnenuntergang zum Bigal (Flussraub) und nicht zur Kajau (Kopfjagd durch Lauern im Walde) ausziehen müssten, dass, sie wisse es aus guter Quelle, ein Feuerschiff Suropatti werde abholen, dass alle Officiere und Bangkert in ihre Hände fallen werden, und dass auch sie, ihre Freunde, welche jetzt im Lager zu Amuntai versammelt, an diesem Bigal theilnehmen könnten, und dass sie dem Bringer des Kopfes des ersten Officiers nicht nur für immer angehören wolle, sondern dass sie den Kopf in Stücke[S. 127] schneiden und jedem ihrer Freunde ein Stück schenken wolle. Sie wisse dies sicher, denn ein Sanggian habe ihr (im Traume) ein viereckiges, gelbes glänzendes Steinchen gezeigt, welches hinter dem Opferstock des letzten Todtenfestes liegen sollte. Kaum war dieses am achten Tage beendet, wartete sie den Sonnenuntergang ab, und als Alle sich in den Kampong zurückgezogen hatten, um mit den Bliams und Bassirs zu ....., da sei sie hinter den Opferstock gegangen und fand diesen gelb glänzenden Stein. Dabei zog sie wild die Brüste auseinander, zwischen welchen, auf einem dünnen Rottangschnürchen befestigt, ein gelbes Steinchen zum Vorschein kam.
Kaum mehr denn eine Nacht blieb sie in demselben Lager; am Ufer des Teweh war sie heute, morgen zog sie nach den Ufern des Montalat, an den Ufern des Kapuas und Kahajan theilte sie die freudige Botschaft mit, anfangs December den Kopf eines hohen Officiers in Händen zu haben. In ihrem kleinen Canoe übersetzte sie den Baritu und hatte nebst ihrem Saloi nur noch den Tudong (Fig. 2), einen grossen Strohhut in der Form einer Futterschwinge, welche ihr Vater bei einem Becompeyer erbeutet hatte, um endlich wieder an der Mündung des Teweh die Nachricht abzuwarten, ob und wann Suropatti zur Unterredung mit Bangkert eintreffen werde. Anfang December kam ein Bote von Suropatti, welcher mittheilte, dass nach der dritten Einladung des Herrn Bangkert der Fürst beschlossen habe, bei Teweh eine Conferenz zu halten, und zwar sollte dieses den 10. December geschehen. »Illa-la-hap« stiess Induamban beim Hören dieses Berichtes aus, nahm zwei Ruderer auf, um in Eilmärschen die Orang Tabayan, O. Anga, O. Njamet und selbst an der Quelle des Teweh die O. Bonoi aufzusuchen und sie sofort zur Reise nach der Mündung des Teweh zu veranlassen, während zwei ihrer Liebhaber stromabwärts bis Buntok zogen, um alle Dajaker am 10. December, Alt und Jung, Mann und Frau, zwischen dem Teweh und Montalat in den Atassans sich verbergen zu lassen. Thatsächlich erschien den 9. December Abends das Kriegsschiff »Onrust«[23] vor der Mündung des Montalat; die Anker wurden fallen gelassen, und mit gezücktem Säbel betraten die Schildwachen das Deck. Die Officiere und der Assistentresident Bangkert gingen um 6½ Uhr zur Abendtafel, ohne auch nur zu ahnen, dass sie von Hunderten und Hunderten lüsterner Augen belauscht wurden. Suropatti war noch nicht erschienen, und so beschloss Bangkert,[S. 128] den folgenden Morgen ihm bis Teweh entgegenzufahren. Induamban und die Hunderte Dajaker folgten lautlos dem Schiffe, welches wegen der zahlreichen Krümmungen und der Sandbänke nur langsam fahren konnte. 12 Uhr schlug es, und noch Niemand war zu sehen. Nach Tisch zog sich Bangkert aus und ging sein Nachmittagsschläfchen thun, als um 2½ Uhr der laute Werdaruf der Deckwacht ihn aus seinem ersten Schlaf unsanft riss. Ohne weitere Kleidung anzulegen, also nur mit einem Sarong bekleidet, eilte er auf das Deck und sah drei grosse Kähne mit der holländischen Flagge dem Schiffe sich nähern. Einer davon trug jedoch die Flagge umgekehrt.[24] »Suropatti kommt also sich unterwerfen,« rief er dem Schiffscapitän frohlockend und jubelnd zu, welcher bei dem Werdarufe der Schildwache schnell die Uniform anzog, um beim Empfang des Fürsten gegenwärtig zu sein. Als er jedoch den Herrn Bangkert nur im Sarong gekleidet sah, zog er sich in seine Cajüte zurück, um sich seiner überflüssigen Epauletten zu entledigen. Unterdessen hatte das Schiff gestoppt, den Anker und die Falltreppe fallen lassen, und mit lautem Tabéh Tuwan,[25] Tabéh Tuwan hatten sich Suropatti, Bangkert und der Commandant begrüsst. Auf dem Decke stand ein Tisch, auf welchem Bangkert und Suropatti sich niedersetzten, das Gefolge setzte sich auf den Boden nieder, und bei einem Gläschen Genevre begannen die Unterhandlungen.
Zu dem Gefolge, welches abwechselnd auf dem Decke sass oder hockte (Djongkok), gehörten auch der Vater (?) und der Geliebte Induambans. Von den Verhandlungen der beiden Männer verstand das Gefolge nur einzelne Worte, weil sie in der malayischen Sprache geführt wurden; als aber ein Mandur mit Säcken Ringgis = ryksdaalders = 2 fl. 50 auf dem Decke erschien, wurde es ihnen deutlich, dass Suropatti sich unterwerfen würde, und als der Vater Induambans spöttisch den Geliebten seiner Tochter frug, ob er noch den Saloi hätte, welchen sie ihm als Gegengeschenk seiner Liebeswerbung gegeben hatte, sprang dieser mit einem durchdringenden Schrei auf die Füsse, zog seinen Mandau und fasste den Schiffsarzt, welcher in diesem Augenblick auf Deck erschien, bei den Haaren und schlug ihm den Kopf ab; zu gleicher Zeit erschienen von dem gegenüberliegenden Antassan zahlreiche Djukungs, aus welchen die Dajaker wie Katzen das Schiff erkletterten,[S. 129] in ihrer Mitte mit gezogenem Mandau Induamban, Suropatti erfasste den Kopf Bangkerts, und ebenso schnell flog die Bande der Dajaker in das Zwischendeck, um Alles zu ermorden. Während Induamban mit dem Kopfe des Schiffscapitäns in der hocherhobenen Hand bigal, bigal rief, stürzte sich ein javanischer Bedienter ins Wasser und entkam als Einziger dem traurigen Blutbade. 44 europäische, 11 eingeborene Matrosen, 6 Officiere und der Assistenz-Resident Bangkert waren in wenigen Minuten den Mördern zum Opfer gefallen. Im Februar 1860 zog eine Expedition nach Lotongtor, um die Dajaker dafür zu züchtigen. Wieder wusste Niemand, was die Dajaker mit dem ausgemordeten Schiffe gethan hatten. Sie wussten nicht, dass die Kanonen mit dem Pulvervorrath von den Dajakern ans Ufer gebracht wurden und in Lahey, ungefähr zwei Stunden oberhalb Muarah Teweh, zur Batterie aufgepflanzt wurden. Als die Kriegsschiffe an Lahey vorbeifahren, bekam das erste Schiff einen Schuss aufs Deck, ohne dass es glücklicher Weise kampfesunfähig wurde; sofort wurden die Matrosen ausgeschifft und nahmen im Sturm die Festung und sahen zu ihrer Ueberraschung nicht nur die Kanonen und Munition von dem »Onrust«, sondern auch die grossen eisernen Querbalken, welche die zwei grossen Schaufelräder des Schiffes verbanden.
[S. 130]
Acclimatisation — Sport in Indien — Sonnenstich — Prophylaxis gegen Sonnenstich — Alcoholica — Bier — Schwarzer Hund — Mortalität beim Militär im Gebirge und in der Ebene — Klima — Statistik — Erröthen der Eingeborenen — Geringschätzung der „Indischen“ — Fluor albus, Menstruation — Gesundheitslappen — Erziehung der Mädchen — Indische Venus — Indischer Don Juan.
Die Frage der Acclimatisation hat schon viel Tinte und Papier gekostet, und doch ist dieses Thema noch nicht erschöpfend behandelt, obzwar selbst Virchow schon vor 30 Jahren zu dieser Frage Stellung genommen hat. Die thierische Zelle besitzt im Allgemeinen eine ungeheure Fähigkeit, sich in die extremen Verhältnisse zu schicken. Momentan sind zwei Aerzte auf Java, welche kurz vor ihrer Abreise nach Indien eine Nordpolexpedition mitgemacht haben. Derselbe Maschinist, welcher im Schiffsraume bei dem Ofen steht, verträgt fünf Minuten später den Aufenthalt auf dem Decke, obschon er vielleicht eine Temperatur unter Null dort findet. Pictet und Young (Comptes rendus Bd. 98 S. 747) sahen Bacterien, welche −70° 108 Stunden und −130° 20 Stunden aushielten, während wiederum ±100° Wärme nöthig ist, um sie sicher zu tödten. Aber auch der menschliche Geist erfreut sich einer Elasticität, die oft unglaublich ist. Wie viel tausend und tausende Menschen führen Jahre lang ein Leben voll Schmerz, Verdruss und Elend, ohne ein Opfer des geistigen Todes zu werden. Also muss gesagt werden: Die Acclimatisation ist im Allgemeinen für Jedermann möglich. Wie aber der Maschinist während des Aufenthaltes beim Ofen stark transpirirt und beim Aufenthalt auf dem Deck durch die Kälte leidet, so ist auch für Jedermann die Acclimatisation mit gewissen Beschwerden verbunden. Um aber bei demselben Beispiel[S. 131] zu bleiben: gerade wie der Maschinist vom Ofen weg nicht sofort und in derselben Toilette aufs Deck gehen wird, ebenso ist es für Jedermann nöthig, den Acclimatisationsprocess mit Vorsicht und entsprechend den Lehren der Hygiene zu leiten und unterstützen, d. h. mit andern Worten, der Mensch muss den neuen Verhältnissen entsprechend seine Lebensweise einrichten und zwar entsprechend seiner Constitution und seinen Gewohnheiten.[26]
Bekannt ist es, dass vor ungefähr 23 Jahren zwei englische Naturforscher nach Afrika gingen und dort ein eigenthümliches Leben führten; der Eine nahm sofort das ganze Thun und Lassen der Eingeborenen an, so dass er selbst dieselben, d. h. keine Kleider gebrauchte. Der Andere jedoch behielt soweit seine heimathlichen Gewohnheiten, dass er Abends im Frack zu Tische ging. Der Erstere stützt sich auf die allgemein geäusserte Regel, dass man sich überall in die Sitten und Gebräuche des Landes fügen und schicken müsse. Das ist richtig, aber damit ist noch nicht gesagt, sie kritiklos anzunehmen. Der Erstere hat geradezu unrichtig gehandelt, weil seine Constitution eben eine andere war als die der Eingeborenen; denn, um nur ein Symptom von tausend anderen hervorzuheben, bei einer Temperatur von 37° C. wird der Eingeborene ohne anstrengende Arbeit nicht transpiriren, während der Europäer in Schweiss gebadet sein wird; kommt nun, sagen wir, ein leises Zephyrwehen, so wird der Eingeborene es nicht fühlen, der Europäer jedoch frösteln und vielleicht eine Erkältung von grösserer oder kleinerer Intensität bekommen.
Aber auch der zweite Naturforscher beging eine hygienische Sünde, weil er mit den veränderten klimatischen Verhältnissen nicht rechnete. Dieses ist ja die wichtigste Bedingung, die Acclimatisation ohne bedeutenden Schaden für Körper und Seele zu ermöglichen. Dazu gehört aber auch Zeit, und mit Recht spricht der Volksmund von einem Pikol (= 125 Pfd. = 62½ Kilo) Reis, den man gegessen haben muss, um nicht mehr zu den Orang-Baru (= Neulingen) gerechnet zu werden. Ein Pikol hat 100 Kattie; der Eingeborene isst täglich 1 Kattie Reis, und der Europäer aus besserem Stande, weil er zum Reis noch vieles andere isst, ½ Kattie; der Volksmund fordert also zur vollständigen Acclimatisation 6 Monate Zeit.
[S. 132]
Das ist ein Zeitraum, welcher gewiss hinreichend ist, um in die Verhältnisse des Tropenlebens sich einbürgern zu können.
Als ich zum ersten Male nach Singapore kam und dort die englischen Herren und Damen Nachmittags im offenen Wagen herumfahren und Lawn tennis spielen sah, war mir diese Lebensweise unverständlich, weil in Holländisch-Indien Jedermann, dem die Geschäfte dies erlauben, um diese Zeit sein Mittagschläfchen hält, zu diesem Zwecke die Haus- oder Nachttoilette anzieht und darnach ein Bad nimmt, und erst kurz vor Sonnenuntergang spazieren geht. Seitdem sind 16 Jahre verflossen, und die Erfahrung hat meine Ansichten darüber radical verändert Ich bin nämlich zu der Ueberzeugung gekommen, dass die Bewegung in der freien Luft auch in Indien nicht nur nicht schädlich, sondern sogar »gesund« sei. Die Pflanzer sind die gesündesten Menschen auf Java und erreichen das höchste Alter; die Beamten, Handelsleute und jene Officiere, welche ihr Leben nur im Bureau zubringen, sind in der Regel sehr anämisch, haben eine grosse Leber oder Hämorrhoiden oder beides, und sind oft nichts anderes als Treibhauspflanzen, welche bei jedem Windzug sich unwohl fühlen. Ich selbst befand mich am wohlsten zur Zeit, als ich sogenannten Garnisonsdienst hatte, d. h. den ganzen Vormittag von 6 Uhr ab von Caserne zu Caserne und von Haus zu Haus gehen musste. Viele Menschen fürchten den Spaziergang oder die Arbeit in der freien Luft oder unter den »versengenden Strahlen der Tropensonne« wegen des etwaigen Sonnenstiches und -Fiebers. Die »versengenden Sonnenstrahlen« verbrennen aber die Plasmodien, verhindern also das Entstehen von Fieber und sind der grösste Feind der Miasmen der Sümpfe. Aber auch die Gefahr von Sonnenstich ist nicht so gross als allgemein angenommen wird. Wie viel tausende und tausende von Kuli arbeiten auf dem Felde, nur mit einem Strohhut auf dem Kopfe und einer kurzen Hose auf dem Leibe, ohne einen Sonnenstich zu bekommen? Die meisten und besten Militärhygieniker wissen, dass zur Entstehung des Sonnenstiches eine Menge von Factoren zusammen wirken müssen, und geben darum zahlreiche prophylaktische Maassregeln an, welche sich bewährt haben. Schon Robertson Jackson behauptete mit Recht, dass Menschen im heissen Klima ebenso viel arbeiten können, als im gemässigten, womit meine Erfahrung gänzlich übereinstimmt.
Ich habe den Jahresausweis des Sanitätschefs der indischen Armee von 1895 vor mir, und zufolge diesem waren nur vier Soldaten in diesem Jahre am Sonnenstich erkrankt, wovon einer starb;[S. 133] ich habe im Jahre 1887 eine Expedition auf Atjeh mitgemacht, bei welcher ich am 5. April um 4 Uhr ausrücken musste und um 1 Uhr nachmittags nach Hause kam, ohne nur einen Mann verloren zu haben, obwohl der ganze Weg über einen baumlosen Wall sich zog; im Jahre 1895 machte ich in Java die grossen Manöver mit, wobei wir von 6 Uhr Morgens bis 3 Uhr Nachmittags manövrirten, und nur 9 Mann waren ausgefallen wegen Retentio urinae, Diarrhoe u. s. w., aber keiner darunter litt an Sonnenstich. Die prophylaktischen Maassregeln, welche genommen wurden, waren folgende: Sofort hinter der Stadt öffneten sich die Reihen, so dass die Soldaten nicht in geschlossenen Gliedern marschirten, sondern frei und ungezwungen sich bewegen konnten. Die Halscravate und Röcke wurden geöffnet, so dass die Circulation des Blutes am Halse nicht behindert wurde; die Soldaten hatten in ihren Feldflaschen Thee mitgenommen, und vor dem Ausrücken wurde Sorge getragen, dass kein Schnaps dafür eingetauscht wurde. Die Temperatur unter dem Helmhute ist auch nicht bedeutend grösser gewesen, als die Aussenluft, weil für Ventilation des Hutes gesorgt war. Bei jedem Rasten konnte die Mannschaft Thee oder Wasser nach Belieben trinken. Die lockere Marschordnung verhinderte, dass »durch das Zusammendrängen vieler Menschen die Wärmeabgabe beschränkt wird, weil dadurch die natürliche Luftbewegung gestört und eine Art von Stagnation einer warmen und feuchten Atmosphäre in der Umgebung der einzelnen Körper begünstigt wird« (Roth und Lex 3. Band S. 407) und eine Anhäufung von Kohlensäure stattfindet. Die häufigsten Hitzschläge kommen ja vor in geschlossenen, schlecht ventilirten Räumen, wo die Luft von der ausgeathmeten Kohlensäure der übergrossen Menschenmenge vergiftet wird.
Niemand braucht sich also zu fürchten, bei Beobachtung einzelner hygienischer Maassregeln in den Tropen einer mässigen Bewegung sich zu befleissigen, seinen Geschäften nachzugehen, und so weit er es in Europa gewöhnt war, dem Sporte zu huldigen, durch welchen er seine Muskelkraft in Uebung erhält, seine Widerstandskraft gegen schädliche Einflüsse erhöht und sein Selbstvertrauen stärkt.
Was das Essen betrifft, muss ich den europäischen Neuling aufmerksam machen, dass die starken Gewürze für ihn überflüssig, ja selbst schädlich sind. Wenn er einen guten Appetit hat, so producirt sein Magen eine hinreichende Menge des sauren Saftes und braucht also zu erhöhter Secretion nicht angeregt zu werden. Stellt sich zeitweilig Appetitmangel ein, dann ist es noch immer Zeit genug, zum Lombok[S. 134] u. s. w. zu greifen. Er wird also auch nicht so leicht in den Fehler verfallen, zu viel zu essen, das, wie wir Seite 67 sahen, eine reichliche Quelle zum Entstehen von Magen-, Leber- und Darmkrankheiten giebt.
Auch der Alcohol stumpft die Acidität des Magensaftes ab, und darum ist es rathsam, aller Alcoholica sich zu enthalten. Kleine Mengen von Wein werden ihm jedoch nicht schaden, weil, um ein Beispiel anzuführen, ¼ Liter Wein ungefähr nur 20 Gramm Alcohol enthält, der übrigens durch die freie Säure theilweise neutralisirt wird, während ein Gläschen Cognac oder Rum bei einem Alcoholgehalte von 56–77% (Volumen) schon 36–40 Gramm Alcohol repräsentirt. Wenn ich den Alcohol als Genussmittel anerkenne, das entbehrlich ist und selbst schädlich werden kann (durch zu grosse Mengen), so muss ich noch mehr das Bier als unbedingt schädlich für den Gebrauch in den Tropen zurückweisen, weil es Fett ansetzt und zur Vergrösserung der Leber und zur Retention der Galle Anlass giebt. Nur für ärztliche Zwecke, wie z. B. für milcharme Wöchnerinnen, darf es in den Tropen getrunken werden.
Das Trinkwasser entspreche den auf Seite 21 angedeuteten Anforderungen.
Die Kleidung muss sich immer den zeitlichen Temperaturverhältnissen anpassen. Niemals gebrauche man die weissen Kleider ohne Leibwäsche; es ist gewiss kein ästhetischer Anblick, einen Menschen vor sich zu sehen, dessen Transpiration mit den bekannten Zeichnungen rings um die Schulter, am Rücken und eventuell an anderer Stelle des Körpers markirt zu sehen; aber auch sehr »ungesund« ist es, ohne Flanellhemd (mit oder ohne Aermel, je nach Gewohnheit) sich Erkältungen auszusetzen. Am meisten wird vergessen, der niedrigen Temperatur im Gebirge und auch in der Ebene in den frühen Morgenstunden während der trockenen Zeit Rechnung zu tragen; selbst in Samarang, also an der Küste (Javas) beobachtete ich manchmal des Morgens um 6 Uhr 16° C. Es war eine angenehm erfrischende kühle Temperatur, und doch muss ich es Jedermann anrathen, in solchen Fällen niemals das Schlafzimmer zu verlassen, ohne unter der Nachttoilette auch Strümpfe und Leibwäsche anzulegen; wenn um 7½ oder 8 Uhr die Luft wärmer geworden ist, kann ja von dieser Vorsichtsmaassregel Abstand genommen werden.
Das Baden wurde ebenfalls schon besprochen und zwar Seite 122.
Junge Männer, welche nach Indien gehen, um einen Beruf auszuüben,[S. 135] also dauernd oder für viele Jahre dort zu weilen, mögen sobald als möglich heirathen; das Surrogat der Ehe, d. h. mit einer Haushälterin zu leben, hat in den letzten Jahren glücklicher Weise stark abgenommen, aber es besteht noch, und ist dieses auch ein nothwendiges Uebel, so kann gegenwärtig dem leicht abgeholfen werden. Wenn ich auch den moralischen Standpunkt nicht verleugnen will, weil die Ehe die Basis des gesellschaftlichen Lebens ist, so will ich dennoch mehr die praktische[27] als die sittliche Seite dieser Frage besprechen. Das Concubinat mit einer eingeborenen, oder chinesischen, oder halbeuropäischen Frau demoralisirt die Männer. Wieso dieser Process in Holländisch-Indien zu dem Namen »schwarzer Hund« kam, ist mir nicht bekannt; sollte der »rothe Hund« (Vide Seite 10) eine Beschwerde des Körpers und der »schwarze Hund« die der Seele bedeuten? Die Männer werden durch diese Frauen oft so demoralisirt, dass, wie ich es wiederholt sah, sie in ihrem ganzen Denken und Fühlen auf das Niveau eines rohen, ungebildeten Eingeborenen kamen! Nebstdem besitzen diese Frauen eine aussergewöhnlich hohe Kunst, ihre »Männer« unter den Pantoffel zu bekommen. Jede europäische Frau kann diesbezüglich noch vieles, sehr vieles von einer »Njaih« lernen. Zur Illustration dieser Behauptung will ich nur zwei Fälle aus meiner Erfahrung mittheilen. Lieutenant A. wohnte in einem Fort; seine Wohnung hatte nur eine Aussicht und zwar auf den Fluss. Er durfte niemals bei der Palissade stehen, weil auf dem Flusse das Badehaus und der Abort der Soldaten sich befand. »Es schicke sich nicht, dass der Lieutenant die Soldatenfrauen dahin gehen sehe,« behauptete seine chinesische Haushälterin, und dieser Pantoffelheld hat 1½ Jahr lang in seiner Wohnung nur die vier kahlen Wände aus Bambus gesehen!
In B. war Ball bei dem Resident. In der vorderen Veranda des Residentenhauses tanzten die Officiere und Beamten, während vor derselben die Bedienten dem bunten Treiben zusahen. Unter diesen befand sich so manche Haushälterin, deren Herz in Eifersucht oder in Furcht leidenschaftliche Gluth ins Gesicht jagte. Das Auge der Eifersucht sieht scharf. Die Haushälterin des Lieutenant X. ertrug den Anblick nicht mehr, dass ihr »Mann« die Taille seiner Tänzerin umfasste und mit liebevollen Blicken ihre schön geformte Büste betrachtete; sie eilte nach Hause und kehrte sofort zurück; aber nicht allein; hinter ihr folgte der Bediente mit einem Topfe, der aber nicht leer war. Der Bediente wurde in den Tanzsaal geschickt, um den Lieutenant X.[S. 136] herauszurufen. Er kam und bekam den Inhalt des Topfes auf sein schuldiges Haupt. Auch in Europa schwingen die Frauen manchmal (?) den Pantoffel, der, mit Sammt bekleidet, oft genug ein heilsamer Sporn für einen energielosen, denkfaulen Mann ist; so sehen wir auch in Indien, dass die besten Soldaten jene sind, welche »eine Haushälterin« haben. Im Allgemeinen aber ist der Pantoffel, den eine eingeborene Haushälterin über ihrem »Mann« (lakki M) schwingt, nicht mit Sammt und Seide gefüttert; es ist ein hölzerner Pantoffel, der mitunter selbst mit grossen Nägeln beschlagen ist.
Zur leichten Acclimatisation Maass im Geschlechts-Genusse zu empfehlen, ist selbstverständlich; aber die Gluth der Tropensonne, die Monotonie des täglichen Lebens, die reichliche Gelegenheit, welche Diebe schafft, und das üppige Leben lassen Bacchus mit Venus nicht nur unter den Dajakern, wie wir sahen, sondern auch unter den Europäern einen festen Bund schliessen.
Ich muss es wiederholen, ein verständiges Leben, welches den Anforderungen der Hygiene entspricht, ermöglicht eine leichte und ungefährliche Acclimatisation und eine nicht viel kleinere Lebensdauer in Indien als in Europa. Im Jahre 1895 starben von 17216 europäischen Soldaten 261 Mann, das ist 1·51%.
Im Jahre 1894 starben, wie Stabsarzt Mydracz mittheilt, in der Schweiz 0·2, Deutschland (ohne Bayern) 0·2, Holland 0·29, Oesterreich 0·36, Nordamerika 0·54, Russland 0·55, Spanien 0·82 und in England 0·84 pro Mille der Kopfstärke. Das ist also ein grosser Unterschied in der Mortalität zwischen den indischen und diesen europäischen Armeen. Diese 1·5% Mortalität verliert aber viel von ihrem Schrecken, wenn man die Verhältnisse berücksichtigt. Im Jahre 1895 erlagen ja viele den Wunden und Erkrankungen vom Kriegsschauplatze Atjeh und Lombok. Aber auch der Unterschied zwischen einer Armee, welche aus Freiwilligen besteht, und einer solchen, welche allgemeine Dienstpflicht hat, macht sich diesbezüglich geltend. Die Assentirung ist nämlich bei Freiwilligen mit grösseren Schwierigkeiten verbunden, als bei jenen, welche der allgemeinen Dienstpflicht unterstehen. Diese simuliren, um von dem Militärdienst befreit zu werden; jene jedoch dissimuliren, um wegen des hohen Handgeldes angenommen zu werden. (Ich sass drei Jahre in der Superarbitrirungs-Commission und habe also nach beiden Richtungen hinreichende Erfahrungen.) Wenn der freiwillige Soldat sein Handgeld verprasst hat, dann gefällt ihm oft das militärische Leben nicht mehr; er beginnt also Krankheiten zu[S. 137] simuliren, während er vielleicht bei der Aufnahme diese oder jene Krankheit dissimulirt hat.
Die Sterblichkeit ist gegenwärtig also unter dem Einfluss der verbesserten Hygiene und dem verminderten Missbrauch des Alcohols nicht viel grösser als in Europa, aber auch bedeutend kleiner als in früheren Jahren. Im Jahre 1828 starben (nach van der Burg) von 1000 europäischen Soldaten 294!! und im Jahre 1895 (nach dem officiellen Jahresausweis) 15!!
Eine zweite Frage drängt sich Jedermann auf, welche ebenfalls durch den statistischen Ausweis beantwortet werden könnte und zwar, ob im Allgemeinen die im Gebirge oder in der Ebene gelegenen Garnisonen gesünder seien resp. eine kleinere Sterbeziffer aufzuweisen haben. Die Statistik lässt uns diesbezüglich im Stich. Im Jahre 1895 waren unter den 261 gestorbenen europäischen Soldaten
20 |
in
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Weltevreden
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(Küste)
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=
|
1·2%
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des
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Standes
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47 |
„
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Surabaya
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(Küste)
|
=
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6·9%
|
„
|
„
|
30 |
„
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Kota Radja
|
(Küste)
|
=
|
2·2%
|
„
|
„
|
29 |
„
|
Ampenan
|
(Küste)
|
=
|
3·9%
|
„
|
„
|
25 |
„
|
Magelang
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(Gebirge)
|
=
|
1·4%
|
„
|
„
|
14 |
„
|
Samarang
|
(Küste)
|
=
|
2·0%
|
„
|
„
|
16 |
„
|
Malang
|
(Gebirge)
|
=
|
1·2%
|
„
|
„
|
10 |
„
|
Padang
|
(Küste)
|
=
|
2·0%
|
„
|
„
|
Wir sehen also aus dieser Statistik, dass der Höhenunterschied keinen bedeutenden Einfluss auf die Sterblichkeit der europäischen Soldaten genommen hat; denn die drei grössten Städte Javas liegen auf der Küste, und zwar auf der Nordküste dieser Insel; und doch zeigen sie untereinander einen so grossen Unterschied in der Sterblichkeit, dass sich noch andere Factoren geltend machen müssen.
Ich will sofort bemerken, dass Surabaya kein artesisches Wasser hat, das die zwei anderen Städte schon seit Decennien besitzen, und dass seit Einführung desselben der Gesundheitszustand in Batavia und Samarang in auffallender Weise sich gebessert habe.
Der Höhenunterschied beeinflusst aber zum grössten Theil alle jene Factoren, welche in ihrer Totalität den Begriff Klima bedingen. Das solare Klima, d. h. das Klima, welches Indien zufolge seiner Lage und geographischen Breite haben sollte, kann den Hygieniker weniger interessiren, als das factische oder physische Klima, welches durch die Temperatur, Feuchtigkeitsgehalt der Luft und des Bodens, Luftdruck, Regenmenge, Windrichtung, Verunreinigung der Luft durch Staub,[S. 138] Kohle und Miasmen bedingt ist, das sind Factoren, welche nur theilweise von der geographischen Breite abhängen. Zum grossen Theil werden sie auch beeinflusst von der geologischen Art des Bodens von Berg und Wald u. s. w.
Wenn man also von einem Tropenklima — und zwar mit Recht — spricht, dann versteht man immer darunter das Klima der Ebene und der Küste; mit der Erhebung über dem Boden sinkt die Temperatur nicht unbedeutend und damit auch jener Factor des Klimas, welcher einerseits den grössten Einfluss auf den Charakter des Klimas nimmt, andererseits aber auch am besten bekannt und studirt ist, weil wir einen festen bequemen Maassstab dafür haben: das Thermometer. Im Jahre 1891 besuchte ich einen Kaffeepflanzer auf dem Berge Lawu (Mittel-Java), ungefähr 1000 Meter über dem Meere; Nachmittags um 5 Uhr wurde es mir zu kalt im Freien, ich musste mich ins Zimmer zurückziehen und die Fenster schliessen lassen.
Also, im Gebirge kann schwer von einem Tropenklima gesprochen werden. (Auf dem Gipfel des Sumbing wurden 5° C. und des Morgens selbst Reif beobachtet.) Auch die Flora verliert im Gebirge ihren tropischen Charakter; Erdäpfel, Kohl, Zwiebeln, javanische Eiche (von denen schon Friedmann 27 Arten kannte), Lorbeerbaum, Sassafras u. s. w. nehmen den Bergen Javas den tropischen Charakter; von den Farrenkräutern kann dasselbe nicht gesagt werden, weil sie ungeheuer gross werden. Ich hatte in Magelang (Mittel-Java) einen »Farrenbaum«, dessen Stengel mehr als zwei Faust dick war und dessen Blätter eine Laube waren, unter welcher man bequem sitzen konnte. Noch will ich aus dieser Höhenregion den Tjemorobaum (Casuariana Junghuniana) erwähnen, weil er, wie die europäische Trauerweide, die passendste Zierpflanze eines Kirchhofes ist. Wenn ich ihn auch nicht, wie andere Schreiber erzählen, bis zu einer Höhe von 30 Metern sah, so fesselte er jedesmal meine Aufmerksamkeit, wenn ich vor einem solchen Baume stand. Seine langen, schlaff herunter hängenden Nadeln, sein schlanker gerader Baum geben ihm einen düsteren Anblick, und wenn der Wind durch die feinen, rauhen, nadelförmigen Zweige streicht, stimmt er uns ebenso viel wie sein Anblick zum Ernst und zur Trauer.
Wenn also bei so veränderter Welt der Fauna und Flora auch die Temperatur, die Regenmenge, der Feuchtigkeitsgehalt der Luft und des Bodens, die Verunreinigung der Luft durch Staub, Kalkpartikelchen und Miasmen sich so ändern, dass von einem Tropenklima nicht mehr gesprochen werden darf, so ergiebt sich daraus die[S. 139] Nothwendigkeit, übereinstimmend mit dieser neuen Welt auch sein tägliches Leben einzurichten. Ich sah nicht nur in Magelang, welches 384 Meter über dem Meeresspiegel liegt, sondern auch höher im Gebirge (z. B. 1000 Meter), die Eingeborenen keine anderen Kleider gebrauchen, als in Batavia. Sie zogen einfach ihren Sarong über die Brust und legten sich ohne andere Kleidung oder Bettdecke in ihre luftigen Bambushütten auf die Baleh-Baleh schlafen. Aber wir Europäer können, noch mögen dieses thun; unser Organismus ist feiner; er reagirt sofort auf solche schädlichen Einflüsse; wir werden krank. Es ist gewiss anzuempfehlen, dass Malariapatienten sich ins Gebirge flüchten, entweder um in der Reconvalescenz schneller zu Kräften zu kommen und sich zu erholen, oder um von den Fieberanfällen befreit zu werden. Wie oft geschieht es jedoch, dass diese Patienten im Gebirge erschöpfende Diarrhoen bekommen und zurück nach dem warmen Küstenklima verlangen; ich selbst sah in Sindanglaya und Salatiga die Patienten in derselben luftigen Kleidung in der Galerie sitzen oder ins Bad gehen, welche sie in Batavia oder Surabaya trugen, und dabei mit Wollust von der »entzückend herrlichen frischen Luft« dieses Ortes sprechen. Ich selbst konnte in diese Hymne einstimmen, aber trug unter der Nachthose eine Unterhose und zog Strümpfe an. Auch ich genoss von dieser »herrlichen frischen Luft«, dass ich um 11 Uhr einen Spaziergang machen konnte, dass die Transpiration auf ein Minimum reducirt war und dass der rothe Hund mich nicht quälte. Der Appetit wurde besser, man ermüdet nicht so schnell, die Respiration ist freier, man schläft besser, der Gang wird elastischer, man urinirt mehr, mit einem Worte: Die Lebensenergie ist erhöht, und die Lebenslust ist grösser. Wir werden im dritten Theile sehen, dass darum oder wenigstens theilweise aus dieser Ursache die Regierung im Gebirge (zu Malang, Magelang und Tjimahi) die Depots der Truppen verlegte, aber den grossen Fehler beging, den Unterschied zwischen europäischen und eingeborenen Recruten nicht zu berücksichtigen, was die Acclimatisation derselben betrifft.
Warum ich niemals bis jetzt Ziffern aus der indischen Statistik und nur aus dem militärischen Leben anrührte und es auch weiterhin nicht thun werde, bedarf einiger Worte der Erklärung, wenn nicht auch der Entschuldigung. Sie haben eben gar keinen wissenschaftlichen Werth. In erster Reihe stammen nämlich alle statistischen Mittheilungen aus der Feder eingeborener Schreiber, welche keine Ahnung von der Bedeutung und dem Werth einer statistischen Wissenschaft haben; das kann bei einem europäischen Schreiber auch der Fall sein; aber[S. 140] der eingeborene Beamte vermisst jeden sittlichen Ernst, um seiner Aufgabe gerecht zu werden. Ein Vaccinateur brachte mir die Impfungsergebnisse seines Bezirkes, worin 95% der Picqure sich zu guten Pusteln entwickelt hatten; ich äusserte meine Ueberraschung über diesen günstigen Erfolg; »Pigimana sukah, tuwan Doctor.« Wie es dem Herrn Doctor beliebt, bekam ich zur Antwort. Ich begriff diese Antwort damals nicht und legte die Tabellen auf den Tisch; drei Tage später bekam ich eine »verbesserte Ausgabe« von 25% gelungenen Einimpfungen!! Wenn nicht jede Frage über die Verhältnisse u. s. w. eines Bezirkes an einen Beamten ganz neutral gestellt wird, so wird er immer jene Antwort geben, welche er glaubt, dass der höhere Beamte zu erhalten wünscht.
Die Holländer in Indien und in Europa zeigen vielseitige Unterschiede; die Verhältnisse bestimmen den Menschen, und so beeinflussen die indischen Zustände auch den Charakter der Holländer. Wie weit das Klima darauf Einfluss nimmt, will ich nicht untersuchen, weil es meine Kräfte überschreitet, und weil man so leicht in den Fehler verfällt, post hoc, also propter hoc zu urtheilen.
Der blonde Teint der Europäer färbt sich leicht nach längerem Aufenthalt in den Tropen, während bald die gesunde rothe Hautfarbe einer blassen anämischen weicht. Untersuchungen aus letzter Zeit bewegen sich auf dem Unterschied, ob Blutarmuth, oder nur Mangel an Blutfarbstoff, oder nur ein krankhafter Zustand der peripheren Capillaren die Ursache dieser blassen Hautfarbe sei. Hier muss ich sofort beifügen, dass die Behauptung, die braune Rasse könne nicht erröthen, unrichtig ist, und dass ich Gelegenheit hatte, malayische Frauen aus psychischen Ursachen »roth« werden zu sehen. Es war nicht die starke Röthe des Zornes (bei einer blonden Frau), auch nicht das zarte Erröthen einer schamhaften Jungfrau Albions. Es war ein viel feineres zartes Roth, das sich über das Gesicht, und selbst den Hals, ergoss.
Den Einfluss des Tropenklimas auf das Herz zu studiren, hatte ich keine Gelegenheit, obschon ich drei Jahre in der Superarbitrirungs-Commission sass und alle Soldaten, welche vor ihr erschienen, untersuchte. Denn mir fehlte der Befund des Herzens vor ihrer Erkrankung und vor ihrer Abreise nach Indien. Die so oft behauptete grössere Venosität des Blutes konnte ich direct nicht nachweisen, weil mir die Mittel zur Untersuchung fehlten; aber sie besteht wahrscheinlich in hohem Grade; denn die passiv-congestiven Zustände aller Bauchorgane sind thatsächlich eine häufige Erscheinung.
[S. 141]
Die Grösse des Herzens nimmt einen Einfluss auf das Temperament und den Charakter des Menschen; die Biologie liegt auf diesem Gebiete noch brach; aber ich wage mich auf dieses Terrain, weil ich den Unterschied in der Psyche der Europäer in Indien und in Holland auf den Einfluss der gesteigerten Herzthätigkeit zurückführe, welche wiederum die Ursache eines gesteigerten Nervenlebens ist.
Viele sind in Indien nervös, sie sind gejagt, Präcordialangst macht sie scheinbar zu Pessimisten, die gestörte Darmfunction macht sie zum Hypochonder (durch Autoinfection?). Eine Musik von mittelmässiger Kunst regt sie auf; unerwartete Ereignisse treiben ihnen die Thränen ins Auge, geringe körperliche Anstrengung verschnellt ihnen den Puls und lässt sie eine Ermüdung fühlen, welche factisch nicht vorhanden ist; viele ergeben sich mit einem gewissen Fatalismus einer Trägheit, welche sie beschönigen wollen; sie unterwerfen sich bereitwillig dem monotonen Tropenleben als unvermeidliche Folge der grossen Wärme so lange — als es ihnen gefällt. Aber ein Tanzabend lässt Alt und Jung die ganze Nacht Terpsichore huldigen, die Abreise eines Bataillons Soldaten lässt dieselben Menschen einen Marsch von einer Stunde machen, um dann noch 2–3 Stunden lang unter den Strahlen der glühenden Tropensonne auf dem Einschiffsplatz zu stehen; eine bevorstehende Prüfung lässt sie Tage, Wochen und Monate lang neben ihrer Berufsarbeit viele Stunden täglich studiren,[28] und Stunden lang sah ich die zartesten Damen auf die Ankunft des Königs von Siam warten, ohne deswegen denselben Abend den Festlichkeiten zu Ehren dieses Gastes aus dem Wege zu gehen.
Ist der Holländer an und für sich ceremonieller als z. B. der Süddeutsche, noch mehr ist er es in Indien, wo bis vor wenigen Jahren gar kein Mittelstand existirte; da jeder Europäer damals zu der bevorzugten Rasse der »Wolanda« gehörte, fühlte sich ein Jeder als ein »tuwan«, als ein Herr und nahm die Gewohnheiten und Gebräuche der Beamten- und Officierswelt an, deren Kreise ihm häufig in patria verschlossen waren. Dies hat sich, wie schon erwähnt, seit einigen Jahren verändert. Der kleine Kaufmann, der Schuhmacher und Schneider »empfangen« nicht und gehen auch nicht mehr zu den Empfangsabenden der Officiere und Beamten. Dieses »Formelle« im äusseren Auftreten war jedoch von einer Freiheit in der Sprache begleitet,[S. 142] welche an das »Unsittliche« grenzte. Auch dieses hat sich geändert und gebessert; wenn auch in den besten Kreisen anstandslos von Darm- und Uteruskrankheiten gesprochen wird, die ewigen Witze über das sexuelle Leben beschränken sich, wenigstens in den besseren Kreisen, gegenwärtig auf die jungen Männer.
Diese Ungenirtheit in der Conversation ist eine der Ursachen gewesen, dass die Holländer in patria ihre Landsleute »aus dem Osten« für Menschen niederer Kategorie betrachteten. Von dem Spiessbürger, der mit Geringschätzung von der »Indischen« spricht, welche »fingerdick« den Staub auf den Möbeln liegen lassen solle, oder dem Arbeiter, welcher in »dem colonial« per se einen Säufer oder ein verkommenes Individuum sieht, bis zu dem Arzt, welcher seinen Collegen »aus Indien« kaum jemals ebenbürtig oder gleichwerth anerkannt hat, weil er in »de Oost« nur für die Reichsthaler lebe, in allen Kreisen zeigte sich diese Geringschätzung der »indischen« Menschen.
Das Geschlechtsleben ist von Seite der Männer erhöht und von der der Frauenwelt nicht geringer als in der Zone des gemässigten Klimas. Zunächst ist es nicht wahr, dass per se jede europäische Dame an Fluor albus leide. Eine halbeuropäische Dame behauptete sogar, dass »indische« Damen niemals an Fluor albus leiden, es sei, dass er verdächtigen Ursprunges sei. Noch vor dem Erscheinen des Buches »Die Frauen in Java« von Dr. C. H. Stratz drängte sich mir die Erfahrung auf, dass auch in Indien bei den europäischen Frauen der Fluor albus ebenso häufig vorkommt als in Europa, und dass der Verdacht Noggerath’s, in solchen Fällen die Quelle desselben bei der nicht ausgeheilten chronischen Blennorrhoe der Männer zu suchen sei, auch in Indien raison d’être habe. Aber auch Dr. Stratz, welcher ein grösseres gynäkologisches Material unter den Händen hatte, hat unter den europäischen Damen seiner Praxis, welche also krank waren, nur 50% der Fälle an einem Fluor albus leidende gesehen. Da viele europäische Frauen, welche in Indien geboren sind, und da die sogenannten halbeuropäischen Frauen oft Tage, Wochen und manchmal Monate lang kein Mieder anziehen und unter der Kabaya nur ein Unterleibchen (Kutang) tragen und blossfüssig, oder wenigstens ohne Strümpfe sich bewegen, wird weder die Blutcirculation in den Füssen gestört, noch werden die Brustorgane zusammen- und die Bauchorgane nach unten gedrückt, und die Prolapsi uteri sind bei diesen Damen ebenso als bei den eingeborenen Frauen aves rari. (Auch auf die Haltung des Körpers nehmen die indischen Toiletten einen sichtbaren[S. 143] Einfluss; die Füsse sind ideale Füsse; ein so schöner Fuss, wie ich ihn bei manchen eingeborenen oder halbeuropäischen Frauen sah, kommt sehr selten in Europa vor. Die halbeuropäischen Damen haben eine aufrechte Körperhaltung mit hervorstehendem Bauche, und die Arme schlingern, mit nach vorn gehaltenen Händen, wie ein Pendel hin und her.)
Die Menstruation beginnt bei den Mädchen, welche in Indien geboren sind, sehr früh, nach van der Burg in einem Alter von
in Indien
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in Niederland
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10–14 |
Jahren
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53·63%!!
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20·88%
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15–18 |
„
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13·15%
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54·77%
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19 und darüber |
2·97%
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21·34%.
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Die Periodicität unterliegt grösseren Schwankungen als in Europa, weil z. B. oft schon nach 21–22 Tagen die Menses zurückkehren, und ebenso ist die Intensität eine stark abwechselnde; grosse Blutverluste, welche selbst für Abortus gehalten werden, wechseln mit jenen Fällen ab, in welchen kaum einiges Blut in den gebrauchten Tüchern gesehen wird. Diese dürfen nicht, wie in Europa die »Gesundheitslappen«, mit Holzwolle oder Aehnlichem gefüllt sein, oder aus dickem Stoff bestehen, weil durch das starke Transpiriren eine Maceration der Haut stattfindet und einen Pruritus vulvae erregt. Der Einfluss des Klimas auf die Libido bei den Frauen ist nur schwer nachzuweisen, und wird auch in Europa nur nach der persönlichen Erfahrung der einzelnen Gynäkologen beurtheilt. Es lässt sich aber nicht leugnen, dass die geschlechtliche Erziehung der Mädchen in Indien mit viel grösseren Schwierigkeiten zu kämpfen hat als in Europa. Der intensive Verkehr mit den eingeborenen Bedienten macht die Mädchen »früh reif« und eröffnet ihnen die Perspective des geschlechtlichen Lebens in einem frühen Alter und füllt einen grossen Theil ihres Denkens und Fühlens mit den Genüssen der Liebe aus, während selbst zahlreiche Fälle bekannt sind, dass die männlichen Bedienten, wenn auch keinen »Gebrauch« von der Unerfahrenheit dieser jungen Mädchen machen, doch mit Worten und Geberden ihre Sinneslust reizen. Wenn in Europa so etwas geschieht, ist sich der Bediente seiner Schuld bewusst, und es geschieht darum nur ausnahmsweise; der javanische oder malayische Bediente jedoch, oder die Zofe oder Köchin dieser Nation sieht darin nur ein unschuldiges Wortspiel u. s. w., weil seine Töchter von dem Tage der Beschneidung an in alle Geheimnisse der Ehe und Liebe eingeweiht werden und immer an den Gesprächen der alten[S. 144] Frauen theilnehmen können. Wenn also die in Indien geborenen Frauen sinnlicher sind als jene, deren Wiege in Europa stand, so muss es erst bewiesen werden, ob das Klima oder die Erziehung daran schuld ist. Soweit meine Erfahrung reicht, möchte ich den grösseren Factor in der Erziehung suchen.
Was die Fruchtbarkeit der europäischen Frauen angeht, dafür kann ich keine Belege bringen. Unrichtig ist jedoch die Behauptung von Dr. van der Burg, dass sie sich in extremen Grenzen bewege, d. h. dass sie entweder steril sind oder sich eines grossen Kindersegens erfreuen (Seite 295).[29] Was »die Neigung zu Abortus« betrifft, so hat dieses auch andere Ursachen, als das Klima.
Auch bei den Männern wird die Geschlechtslust frühzeitig erweckt und genährt; der Säugling, welcher unruhig ist wird von der »babu« masturbiert, um ihn einschlafen zu lassen. Sobald der Knabe sprechen kann, wird er (in zahlreichen Fällen) erst in malayischer Sprache sich ausdrücken; er bleibt unter dem Zwange der Verhältnisse den grössten Theil des Tages in der Gesellschaft der Bedienten, deren beschränkter Ideenkreis nur zwei Themata kennt: das Spiel und die Liebe. Geht der Knabe in die Schule, so eröffnet sich ihm eine neue Welt von Gedanken und Ideen; aber die Welt der Sinneslust wird so früh ihm erschlossen, dass die weitere Erziehung die Sinnlichkeit mildern, aber nicht unterdrücken kann; ob die Onanie häufiger vorkomme als in Europa, will ich bezweifeln, weil dies beinahe unmöglich ist; aber die Gelegenheit zum Coitus ist den jungen Knaben so viel gegeben, dass ich annehmen muss, dass der Onanie in Indien viel früher und viel häufiger eine Grenze gesetzt wird als in Europa.
Thatsache ist es, dass oft halberwachsene Knaben schon den Genuss der freien Liebe kennen, und dass ich, wie manche andere Aerzte, Schüler der Realschule wegen Gonorrhoe zur Behandlung bekam. Von dem Scrotum wird behauptet, dass es in der Regel schlaff herabhänge; aber ich glaube, dass die Altersunterschiede hier wie dort ihren Einfluss nicht verleugnen; das Smegma des Präputialsackes zersetzt sich sehr leicht, und thatsächlich sind die Balanitiden sehr häufig bei den Männern, welche sich nicht gewöhnt haben, den Präputialsack täglich zu reinigen. (Ich habe selbst einen alten Beamten gekannt, welcher einen ringförmigen Stein im Präputium hatte und von der operativen Entfernung desselben nichts wissen wollte.) Ob die Geschlechtslust bei den Männern viel höher sei als in Europa, trotz der »erschlaffenden[S. 145] Wärme«, möchte ich kaum bezweifeln. Peccatur intra et extra muros Trojae, in Indien aber ist die Gelegenheit zu sündigen gross, und nur zu oft hört man von den indischen verheiratheten Don Juans, dass alle Tage Beefsteak zu essen langweilig sei, und dass der Mensch gern Veränderungen habe; und dennoch muss ich behaupten, dass unter den ernsten Männern meiner Bekanntschaft die eheliche Treue ebenso hoch gehalten wurde als ceteris paribus dieses in Europa der Fall ist.
Beiden Geschlechtern ist eine grosse Gewandtheit des Körpers eigen; ob sie »rein« europäisches Blut in sich haben, oder von gemengter Abstammung sind, in beiden Fällen sind die Kinder körperlich besser entwickelt als in Europa. Während meines langen Aufenthaltes habe ich ja nur eine Eingeborene gesehen, welche einen Buckel hatte; unter den europäischen Kindern habe ich kein einziges missgeformtes gesehen, und nur sehr selten sah ich ausgesprochene Skrophulosis. Von Rhachitis habe ich keinen Fall gesehen. Wer gewisse Krankheiten sucht, der findet sie natürlich. So hatte ein dänischer Arzt mit aller Bestimmtheit in einem Falle von Rhachitismus gesprochen, weil ein mageres Kind stark entwickelte Epiphysen der Rippen hatte, während ich darin nur ein Kind mit schwach entwickeltem Fettpolster sehen konnte. Die wichtigsten Factoren zur Entstehung von der englischen Krankheit fehlen ja in Indien: schlechte Volksnahrung und das Zusammenleben in engen, schlecht ventilirten Räumen. Im Gegentheil. Die Kinder leben das ganze Jahr in der freien Luft, und ihre Hauptnahrung ist der Reis. Auch ihre Kleidung ist eine zweckentsprechende und befördert in jeder Hinsicht die freie Entwicklung des Körpers. Die Knaben und Mädchen tragen nämlich ein weisses Gewand, welches, ich möchte sagen, ein Hemd mit Hosenröhre ist; werden die Mädchen grösser, bekommen sie darüber noch ein Hemd; im Hause gehen sie natürlich blossfüssig oder mit Pantoffeln herum, und nur bei besonderer Gelegenheit ziehen sie Schuhe, Strümpfe und einen Hut an. Die Kinder eignen sich dadurch eine solche körperliche Gewandtheit an, dass der Einfluss auf den Charakter sich geltend macht. Abgesehen davon, dass z. B. selbst Mädchen aus dem niedrigsten Stande eine gewisse Freiheit und Eleganz in der Bewegung zeigen, wie sie ihre Altersgenossen in Europa nicht kennen, so ist ihr Selbstvertrauen ein grosses und auch berechtigtes; führt ein solches Mädchen der Zufall in die höchsten Kreise, ist sie nicht verlegen in ihrem Gespräche und nicht in ihren Bewegungen; beim Tanze zeigt sie sich so graziös, als[S. 146] jede Dame aus den höchsten Kreisen es nur wünschen kann, und der Fächer ist in ihren kleinen, wohlgepflegten, zierlichen Händen eine ebenso gefährliche Waffe als in den einer Salondame. Das rabenschwarze, dichte, lange Haar einer Nonna (halbeuropäische Dame), die dunkelbraunen, grossen Augen mit der lichtblauen Sclera, die schneeweissen, regelmässigen Zähne, die wohlgeformte Büste, die breiten Hüften, der kokette, sanft sich schmiegende Gang, die zierlichen, kleinen Füsse und die wohlgepflegten Hände und Nägel, die eleganten Pantoffeln, der eng umschliessende Sarong, welcher deutlich die Formen der stark entwickelten Hüften zeigt, und die mit Spitzen besetzte Kabaya, welche nur theilweise den schön geformten Busen bedeckt, sieh da — eine indische Venus.
Der indische Don Juan[30] verwendet auch sehr viel Sorgfalt auf seine Toilette und noch mehr Geld. In Batavia z. B. wird er bei dem ersten europäischen Schneider seine weisse Hose und Rock machen lassen, weil dessen Schnitt elegant ist; er bezahlt zwar drei- bis viermal soviel als beim chinesischen oder eingeborenen Schneider; aber es ist wahr, er ist elegant in seiner weissen Kleidung, Lackschuhen und grossen Manschetten. Sein rabenschwarzes Haar, seine dunkeln Augen stehen im angenehmen Contrast zur Weisse seiner Zähne und seiner Toilette. Der Sinjo, so nennt man nämlich den halbeuropäischen Mann, wird auch immer mit mehr Erfolg bei den Nonnas flirten als der europäische Freier.
[S. 147]
Urbewohner von Borneo — Eisengewinnung bei den Dajakern — Eisenbahn auf Borneo — Landbaucolonien — Jagd in Borneo — Im Urwalde verirrt — Wilde Büffel — Medicin auf Borneo — Aetiologie bei den Dajakern — Taufe bei den Dajakern — Dukun — Doctor djawa.
Ueber die Urbewohner Borneos, welche auf der niedrigsten Stufe der menschlichen Civilisation stehen, den Olo-Ott (D), wissen nur wenige Europäer aus Autopsie etwas Positives mitzutheilen. Der Reisende Dr. Bock nennt sie Orang (M) Punang, während Dr. Karl Schwaner, welcher in den Jahren 1843–1847 das Innere Borneos durchkreuzt hatte, auch von den Olo-Ott spricht, welcher Name mir während meines Aufenthaltes in Teweh viel geläufiger war als der des Dr. Bock. Die Berichte der Frau Ida Pfeifer können kaum jemals in Betracht gezogen werden, weil sie nicht nur, wie die meisten Reisenden, nur das Ziel kannte, in möglichst kurzer Zeit die möglichst grosse Strecke zu durcheilen, sondern auch, weil sie in der kurzen Zeit ihres Aufenthaltes im Norden Borneos nur einen malayischen Bedienten als Dolmetsch hatte, welcher ein wenig englisch sprach und von keinem der dajakschen Dialekte kaum den Namen kannte. Hin und wieder mag ein »gebildeter« Dajaker einige Worte der malayischen Sprache verstanden haben; ob aber durch solchen Dolmetsch über Religion, Erbrecht, Tradition, Geschichte und Sagen etwas Verlässliches mitgetheilt werden kann, muss unbedingt bezweifelt werden. Auch meine Quelle über das Leben und Treiben der Olo-Ott ist nicht die reinste. Wenn der Fürst von Siang mir gegenüber die Sprache dieser Waldmenschen mit dem Grunzen eines Schweines vergleicht, so tritt schon die Voreingenommenheit deutlich in den Vordergrund. Wie ich schon vor 14 Jahren mittheilte, lebten sie damals und vielleicht heute noch im Walde, ohne jede staatliche, gesellschaftliche Einrichtung, in einzelnen Familien auf[S. 148] den Bäumen oder in aus Laub und Atap geformten Hütten, und zwar nicht allein an den zwei Quellen des Baritu, sondern auch östlich davon, im Gebirge, nahe den Quellen des Lahey, Tohop, Marawy, Tahudja und Ossoh bis an die Grenze des Volkes Pari, welche zwischen den höher stehenden Bewohnern des obern Laufes des Baritu und dem Reiche Kutei leben.
Wie mir der Fürst von Siang weiter mittheilte, sind diese Waldmenschen hell von Farbe und gross von Statur und leben von Pflanzen, Früchten und Weichthieren der Sümpfe, kennen das Feuer, ohne darum Fleisch oder andere Speisen zu kochen, und auch das Familienleben erhebt sie nur ein wenig über die ersten primitivsten Elemente der Civilisation. Aber den Werth des Goldes kennen sie schon sehr gut und gebrauchen es zum Tauschhandel. Der Verkehr mit der Aussenwelt findet in einer eigenthümlichen Weise statt, wenn ich den allgemeinen Mittheilungen im obern Laufe des Baritu Glauben schenken darf. Uebrigens hatte ich in Muarah Teweh einen malayischen Bedienten, welcher nach einem Jahre den Abschied von mir nahm, um, wie er sagte, mit den Olo-Ott Handel zu treiben. Ungefähr 1½ Jahre später kam er mich in Buntok aufsuchen und erzählte mir alles, was er von den Olo-Ott wusste. Es war nichts Neues, aber es bestätigte die Mittheilungen, wie ich sie früher wiederholt gehört hatte.
Nachdem er meinen Dienst verlassen hatte, war er nach Bandjermasing gegangen und hatte dort aus seinen Ersparnissen einen grossen Kahn gekauft, welcher mit einer Decke aus Atap versehen war. Es war ihm genug Geld übrig geblieben, um noch einen Vorrath an Salz zu kaufen, und bunte Glasperlen und billige Leinenwaaren von allen möglichen Farben bekam er auf Credit. Nebstdem miethete er zwei Bekompeyer, welchen er einen Theil seines Gewinns versprach, und so zogen sie stromaufwärts. Viel Lebensmittel brauchte er nicht mitzunehmen; denn bis Teweh konnte er, wenn auch nur in vereinzelten Kampongs, doch immerhin oft genug Gelegenheit finden, seinen Reisvorrath zu ergänzen; in Teweh selbst konnte er von den Soldatenfrauen alle möglichen Lebensmittel erstehen. Uebrigens brauchte er gar keine Entbehrung zu leiden. Hier und da standen am Ufer Palmenbäume, von welchen seine Begleiter die Cocosnüsse holten, welche ihm das Oel für die Nachtlampe und zum Bereiten einzelner Speisen lieferten. Die Klapper[31] (Kalapa S) gab ihnen einen erfrischenden Trank; ihre jungen Blattsprossen sind ein angenehmes Gemüse, besonders wenn sie[S. 149] in Essig eingelegt sind, und von der Arengpalme werden die unreifen Früchte gebraten gern gegessen. Der Strom hat übrigens einen solchen Fischreichthum, dass man es sich kaum vorstellen kann. Er konnte also täglich, ohne einen Kreuzer zu bezahlen, die herrlichsten Fische, gekocht oder in Klapperöl gebraten, sich verschaffen. Die Früchte für seinen Nachtisch verschaffte er sich auch, ohne sie bezahlen zu müssen; das Brandholz zum Kochen seiner Mahlzeiten holte er sich vom Ufer oder sammelte sich das Treibholz, welches er auf der Decke des Kahnes trocknen liess; also waren die täglichen Bedürfnisse ohne Schwierigkeiten gedeckt. Aber gefährlich war sein Unternehmen, das ihn den Kopf hätte kosten können. Vielleicht war er Fatalist wie jeder Mohammedaner, und ich möchte sagen, wie jeder Bewohner der Tropen; vielleicht calculirte er, dass zur Zeit seines Ausfluges Mangkosari selbst der Kopfjagd entgegentrat, um die Gunst der Regierung zu erwerben (vide Seite 63), mit einem Worte: Er wagte es. Oberhalb Teweh passirte er den Lahey, von welchem Fluss ein Weg nach der Ostküste Borneos führt. Hier, im eigentlichen Gebiete des Dusson (= Baritu) ulu, mit ungefähr 10000 Menschen, war er ausserhalb des schützenden Armes der holländischen Regierung; dann (oberhalb des Stromes Makujong) beginnt das Reich der Fürsten Murong und Siang, welche erst im Jahre 1879 die Souveränität der holländischen Regierung anerkannt haben. Hier wird viel Rottang, Guttapercha, Eisenholz und andere Bauhölzer, von denen 60 Sorten auf Borneo gefunden werden, gewonnen, Eisen und Goldstaub gefunden (Diamanten kommen mehr im östlichen Theile vor); von hier werden Wachs, Honig und Schwalbennester in den Handel gebracht; aber die Industrie ist beinahe Null. Nur Matten, Djukungs (Canoës), Pfeile und Pfeilgift werden hier erzeugt und Eisen aus dem Erze geschmolzen. Der Landbau beschränkt sich auf die nothwendigste Menge des Reis und Pflege der Obstbäume, und im übrigen werden hier — Feste gefeiert.
So wenig die Industrie wegen ihrer geringen Entwicklung auf die Wohlfahrt des Landes Einfluss nimmt, so sehr verdient mit einigen Worten von ihrer Eisen-Industrie gesprochen zu werden, weil die Dajaker mit den primitivsten Mitteln Eisen und Stahl gewinnen, welches dem besten Material von Europa nicht nur gleichkommt, sondern es sogar übertrifft.
Auf meiner Fahrt nach Surabaya zeigte mir der Schiffscapitän eine sogenannte »Negaraklinge« (Negara ist ein Nebenfluss des Baritu, welcher sich ins linke Ufer gegenüber Marabahan in diesen Strom ergiesst),[S. 150] und schlug mit ihr in einen gusseisernen Pfeiler des Schiffes eine Scharte, welche vielleicht einen Centimeter tief war!
Schon der Schmelzofen ist so einfach als möglich; er besteht aus 1 Meter hohem Lehmcylinder, dessen Wände ungefähr 10 Centimeter dick sind und 20 cm über dem Boden zwei Oeffnungen haben, eine für das Rohr des Blasbalges, die andere für den Abfluss der Schlacke, der innere Raum ist jedoch nicht cylinder-, sondern pyramidenförmig, mit einer Basis, welche ungefähr um 100 ☐cm kleiner ist als die obere Oeffnung. Beim Füllen des Ofens wird pulverisirte Holzkohle auf den Boden gestreut mit einer Grube in der Mitte zur Aufnahme des flüssiggewordenen Eisens; die Röhre des Blasrohres muss bis zur Mitte der Grube reichen. Darauf wird Holzkohle geworfen und auf diese das Eisenerz gelegt, welches vorher im Holzfeuer geröstet und in kleine Stücke zerschlagen wurde. Die Kohle wird hierauf angezündet und die Ausflussöffnung des Ofens geschlossen. Der Blasbalg wird in Bewegung gesetzt (mit 40–50 Schlägen in der Minute), hin und wieder wird die Ausflussöffnung geöffnet, um die Schlacke herauszuholen, ungefähr nach jeder Stunde wird neues Erz mit Kohle gemengt in den Ofen geworfen und dieses bis gegen Sonnenuntergang fortgesetzt. Der Feierabend tritt nicht früher ein, als bis das geschmolzene Eisen mit grossen Zangen aus dem Ofen herausgenommen, auf dem Boden, welcher mit fein gestampfter Schlacke bedeckt ist, mit hölzernem Hammer zu einem Würfel (von ungefähr 30 Kilo) bearbeitet, in 10 Stücken vertheilt und so lange gehämmert und von der Schlacke befreit wird, bis es dem Waffenschmied geliefert werden kann.
Ueber die Gewinnung des Goldes kann ich aus eigener Erfahrung und Beobachtung nichts mittheilen; ebenso von der der Diamanten; nach den Mittheilungen Perelaers soll jedoch der Reichthum an Gold[32] auf dieser Insel sehr gross sein.
In dem Gebiete der Fürsten von Siang und Murong hatte mein ehemaliger Bedienter das Quellengebiet des Baritu erreicht. Steile Ufer, starke Krümmungen, Sandbänke, in das Flussbett hineinragende Felsen charakterisiren den Oberlauf des Baritu, und an den Flüssen Topo und Lamiung legte unser kühner Jünger Mercurs seinen Kahn an, um den Tauschhandel anzufangen.
Aber erst im Quellengebiete dieser kleinen Flüsse erreichte er die Heimath der Olo-Ott. Es gelang ihm jedoch niemals, diese primitiven[S. 151] Menschen zu Gesicht zu bekommen, weil sie jede Berührung mit der Aussenwelt scheuen. Bei seiner Ankunft brachte er die Waaren ans Ufer und schlug mit einem Stück Holz auf einen in der Nähe stehenden Baum. Dann zog er sich in seinen Kahn zurück, um zu übernachten. Jedesmal unterdrückte er seine Neugierde, diese Buschmenschen zu Gesicht zu bekommen; ein vergifteter Pfeil hätte sicher seine Neugierde bestraft. Den andern Morgen ging er ans Ufer und sah Näpfe mit Goldstaub neben seiner Waare stehen. War er damit zufrieden, so nahm er das Gold und zog sich zurück, ohne sich zu kümmern, wann und wer seine Waaren wegholen würde.
Mit diesem Ertrage begnügte er sich jedoch nicht, sondern am untern Lauf dieser zwei Nebenflüsse sah er Dajaker, welche einer grösseren Stabilität sich erfreuen, weil der Boden in dieser Gegend aussergewöhnlich fett ist; oft wird 5–6 Jahre hintereinander auf demselben Felde der Reis gepflanzt, um jedesmal dieselbe ergiebige Ernte zu bekommen. Ich hatte oft Gelegenheit in dem Urwalde, die Dicke der Humusschicht zu bewundern. Seit Jahrhunderten waren Gesträuche hier in Fäulniss übergegangen und hatten mit der Erde eine dicke fette Humusschicht gebildet.
Hier kaufte er für den erhaltenen Goldstaub Rottang, Eisenholz und Guttapercha. Der Rottang ist eine Schlingpflanze mit einer Epidermis, reichlich mit Stacheln versehen; in dem Urwalde ziehen sie kreuz und quer, und ein Vordringen ist absolut unmöglich, wenn man sich nicht mit der Hacke in der Hand einen Weg bahnt. Ich habe Rottang von 30–40 Meter Länge und faustdick gesehen. Abgeschnitten werden sie umgebogen ins Wasser gelegt, wo die Epidermis aufweicht und durch Dreschen darnach von dem »spanischen Röhrel« abfällt. Aus den gefällten Bäumen, welche unser Handelsmann am Ufer des Dusson-Ulu mit dem Staubgolde bezahlt hatte, wurde ein Floss gebaut, darauf Rottang, Damar und Eisenholz geladen und die Reise nach Bandjermasing damit angetreten. Zur Bequemlichkeit wird von manchen solchen Jüngern Mercurs auf dem Flosse eine Hütte gemacht; ich selbst fuhr einmal mit einem solchen Flosse von Lahey bis Teweh; in der Hütte befand sich ein Bett mit Mosquito-Netz und daneben einige dapur, das sind aus Lehm gebrannte Formen zur Aufnahme von Kohlen und Holz, auf welchen in Töpfen und Pfannen gekocht wird. Es ist die angenehmste Weise zu reisen, weil man überhaupt gar keine Bewegung fühlt. Das Floss wird mit dem Strome fortgerissen und nur durch ein oder mehrere Steuerruder in der Mitte[S. 152] des Stromes erhalten. Das Floss, mit dem ich gefahren bin, war sehr breit und hatte also drei Steuerruder, mit welchen drei Männer nur mit grosser Anstrengung das Floss dirigiren konnten, um nicht gegen eine der zahlreichen Windungen des Ufers anzufahren und zerschellt zu werden.
Mit diesem Floss fuhr er also ungefähr zwei Wochen lang, und in Bandjermasing verkaufte er es an den malayischen Händler, welcher ihm die Leinwaaren creditirt hatte. Mit dem Guttapercha hatte er das beste Geschäft gemacht, weil es wenig mit Sand und Schmutz gemischt war. Leider kennen die Dajaker keine andere Art der Gewinnung des Guttapercha, als den Baum zu fällen; hoffentlich hat die Regierung schon ihren Einfluss geltend gemacht, sie von diesem Raubsystem abzubringen. Einschnitte in die Rinde der Bäume sind ja hinreichend, um das darin befindliche Harz abfliessen zu lassen. Die Wunde schliesst sich und der Baum ist für eine nächste Production erhalten. Die Bewohner sind ja für Aufklärungen zugänglich.
Eines Tages kam ein Dajaker zu mir mit der Bitte, ihm ein Mittel zu nennen, das Guttapercha zu lösen; in Singapore werden nämlich drei Sorten davon gekauft, abhängig nach der Menge der Verunreinigung. Wenn es ein Mittel gäbe, das Guttapercha zu lösen, würde er nur I. Qualität dieser Waare verkaufen und somit auch den höchsten Preis erzielen können. Ich gab es ihm, ohne jedoch weiter zu erfahren, ob sein Reinigungsverfahren ihm den erhofften Gewinn gebracht hat.
Damals befanden sich nur zwei europäische Geschäfte in Bandjermasing, welche, wenn ich nicht irre, keinen Export betrieben; einige arabische Händler und Hadjis[33] kauften die nach Bandjermasing gebrachten Waldproducte, um sie wieder in Java oder Singapore auf den Markt zu bringen. Seit dieser Zeit hat zwar auch die »Handelsmaatschappy« eine Agentschaft dort errichtet; mir ist aber nicht bekannt, welche Ausbreitung der Exporthandel damit gewonnen hat.
Eine gewisse Lethargie charakterisirte damals den Handel in Indien; sie ist jedoch in den letzten fünf Jahren einer Unternehmungslust gewichen, welche hoffentlich nicht wieder erlöschen und die schönsten Früchte tragen wird. Es wird z. B. in Java und Sumatra so viel Petroleum gewonnen, dass Japan und China schon seit drei Jahren das amerikanische und russische Petroleum abzustossen beginnen. Auch Borneo besitzt sehr viel Erdöl, welches dem unternehmenden Manne viel Reichthum einbringen kann; denn die kleinste Hütte Javas hat schon ihre kleine Petroleumlampe; auf allen grossen Wegen Javas[S. 153] sieht man kleine Markthüttchen, in welchen Petroleum verkauft wird, und unter den Dajakern ist die Damarlampe noch immer die schwache Lichtquelle, welche die nächtlichen Feste und Orgien beleuchtet. Vielleicht würde das helle, starke Licht einer Petroleumlampe auch civilisatorisch die Sitten und Gebräuche dieser Wilden beeinflussen.
Vor zwei Jahren besprach ein Herr E.. in den indischen Zeitungen den Plan, von Bandjermasing eine Eisenbahn nach Pontianak bauen zu wollen.[34] Dieser Plan konnte nur in dem Gehirn eines Mannes entstehen, welcher auf Borneo niemals gelebt oder höchstens mit beschleunigter Geschwindigkeit diese Insel durchreist hatte. Amerika hat sich dieser Phantast offenbar vor Augen gehalten, als er dieses Project entwarf; nur vergass er einige nicht unbedeutende Unterschiede.
Borneo ist sehr schwach bevölkert; auch Amerika war es in jenen Theilen, in welchen neue Eisenbahnen die Auswanderer Europas dahin lockten. Diese Auswanderer sammelten sich jedoch zuerst in den grossen Städten der Küste an, und von hier zogen diese Pioniere ins Innere des Landes. Bandjermasing hat aber ohne die Officiere und Beamten keine zwanzig europäische Familien; und bis diese Stadt einen Ueberschuss an europäischen Arbeitern und Landbauern bekommen wird, dann erst darf man an ein solches Unternehmen denken. Dieser Ueberschuss muss aber auch sehr gross sein, um vom »Denken« zur Ausführung überzugehen. Der Bau der Eisenbahnen in Amerika erfolgte durch die im Lande anwesenden Arbeitskräfte. In Borneo müssten diese erst importirt werden. Der östliche Theil ist hinreichend bevölkert, um vielleicht einen Theil derselben zum Bau der Eisenbahn heranziehen zu können.
Der Import von dem grössten Theil der nothwendigsten Arbeiter würde Geld, und zwar viel Geld kosten; Kulis wären vielleicht in hinreichender Menge von Java oder China zu bekommen; aber jetzt kommen wir zu den technischen Schwierigkeiten — im Stromgebiete des Dusson würden die Eisenbahnarbeiter wie Fliegen dem Sumpffieber erliegen. Es müsste, wenn von Bandjermasing aus die Bahn nach Norden und Westen ginge, der theuerste und schwierigste Unterbau geschaffen werden, weil das ganze Stromgebiet junger, weicher Alluvialboden ist; es müsste also die ganze Eisenbahn weit nach Osten verlegt, zu diesem[S. 154] Zwecke Bandjermasing verlassen und eine neue Hauptstadt angelegt werden. Der Herr von E. brachte auch schon ausgearbeitete Skizzen, die ich leider nicht mehr besitze; aber schon beim ersten Lesen dieses Planes konnte ich mich eines Ausrufes der Ueberraschung nicht enthalten. Während drei grosse Ströme von Norden nach Süden ziehen und als eine natürliche, sehr billige Fahrstrasse die Küste mit dem Herzen verbinden, sollte eine Eisenbahn gebaut werden, welche hunderte und hunderte Millionen Gulden und tausende und tausende Menschenleben kosten sollte!! Ich bezweifle selbst, ob der Herr von E. während seines Aufenthaltes in Borneo jemals ein steinernes Haus bauen gesehen hat. Die Pilote gehen in den bodenlosen Grund wie in Butter hinein, und auf solche Unterlage sollten hunderte, nein! tausende Brücken, Viaducte u. s. w. gebaut werden! Wenn er wenigstens den Fuss der Gebirge zur Route seiner Eisenbahn gewählt hätte, wäre er im Bereiche des Möglichen geblieben; aber kein Mensch der Welt würde einen solchen Umweg machen, wenn ein kurzer billiger Wasserweg dasselbe Ziel erreicht. (Fig. 8.) Auch muss ich bezweifeln, ob der Herr von E. jemals einen Westmonsun auf Borneo mitgemacht und gesehen hat, dass in einem Tage alle drei Ströme um 10–15 Meter steigen und im Flachlande Millionen Hektare Land unter Wasser setzen können!
Und doch liessen sich die Schätze Borneos leicht und sicher erschliessen, und zwar selbst ohne bedeutende Kosten.
Von jenen Factoren, welche die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit des Gelingens eines solchen Unternehmens bedingen, will ich nur den einen besprechen, welcher gewissermaassen in den Rahmen dieses Buches passt. Das ist die vielfach besprochene und ventilirte Frage, ob auch Landbaucolonien in den Tropen möglich seien.
Vielfach wurde behauptet, dass auf Java die Europäer in dritter Generation ausstürben, wenn sie sich nicht mit den Eingeborenen mischen. In dieser Allgemeinheit ausgesprochen, entbehrt diese Behauptung jeder wissenschaftlichen Basis. Es wurde niemals ziffermässig nachgewiesen, wie viel europäische Familien gesund, d. h. zeugungsfähig nach Indien kamen, ihre Kinder wieder gesund und zeugungsfähig geheirathet hätten u. s. w. Wenn auch thatsächlich keine einzige Familie auf Borneo z. B. mir bekannt ist, in welcher vom Urgrossvater herab europäische Familien sich auf Borneo fortgepflanzt hätten, so beweist dies nicht, dass sie nicht in Indien resp. in Borneo fortpflanzungsfähig sind, sondern dass, aus welcher Ursache auch immer, die europäischen Männer nicht immer europäische Frauen geheirathet haben. Wer die Geschichte der[S. 156] indischen Colonien kennt, ist davon nicht überrascht. Wie gross war die Anzahl der »anständigen Frauen«, welche im vorigen Jahrhundert nach Indien gingen, im Anfange dieses Jahrhunderts oder noch vor 50 Jahren!! Jedes Jahr kaum so viel, als die Finger der beiden Hände zählen. Also die Männer, welche nach Indien gingen, konnten nicht mit europäischen Frauen verkehren, weil es deren nicht gab, und erst seit der Eröffnung des Suezkanals kommt eine grössere Zahl europäischer Frauen nach Indien, so dass erst nach 30 Jahren eine diesbezügliche Statistik irgend einen wissenschaftlichen Werth haben kann, weil sie auf eine grosse Reihe von Fällen sich erstrecken wird.
Wenn Professor Stokvis auf Grund von theoretischen Erwägungen zu dem Schlusse kam, dass Europäer in den Tropen auch Landbau-Colonien errichten können, so kann ich dies, gestützt auf Erfahrungen, nur bestätigen.
Als ich nach Indien kam, beschäftigte ich mich mit der Temperatur des gesunden Menschen, weil es mir auffiel, dass die Fieberkranken in der anfallfreien Zeit besonders niedere Temperatur hatten, und ich fand, dass der gesunde Europäer niemals 37°, sondern 36·8° erreichte. Dies waren jedoch nur Erwachsene; später hatte ich auch bei Kindern Gelegenheit die Temperatur häufig zu messen; diese zeigten eine durchschnittlich höhere Temperatur. Es zeigte sich immer, dass die hohe Temperatur der Tropen keinen Einfluss auf die Körpertemperatur der Menschen hatte, dass dieselbe zwischen denselben Grenzen schwankte, als in Europa (36·25–37·5° C.), und dass also das Wärmeregulativ hier wie dort nach denselben Gesetzen arbeite. Warum sollte also die höhere Lufttemperatur schädlich sein, da der Körper das Vermögen besitzt, stets eine constante Temperatur zu entwickeln?
Aber das Fieber, die Dysenterie, die Leberkrankheiten, die Cholera u. s. w. der Tropen? Sind diese kein Hinderniss für die Arbeit auf dem Felde, im Garten und im Walde? Natürlich sind diese Krankheiten ein Hemmschuh jeder Arbeit und jeder Unternehmung. Man muss sie eben verhüten; man muss eben nach den Regeln der Hygiene leben, um sie nicht zu bekommen.
Prof. Geer hat übrigens in einer statistischen Arbeit nachgewiesen, dass die holländischen Frauen in Indien länger als in ihrer Heimath leben; die europäischen Kinder »gedeihen in Indien wie Kohl«; die starke Transpiration, der Ausdruck der geregelten Wärmeregulation gegenüber der hohes Aussentemperatur, die bedeutende Arbeitsleistung der Menschen in ihrem Berufe und ausserhalb ihres Berufes (ist z. B. eine ganze[S. 157] Nacht zu tanzen keine bedeutende Körperleistung?), welche ich gesehen habe, sind mir Bürgschaft, dass Landbaucolonien in Indien möglich sind.
Die Jagd in den Urwäldern Borneos hat einen eigenthümlichen Reiz, erfordert aber auch gewisse Vorsichtsmaassregeln. Nie gehe man ohne Führer, ohne Compass und ohne zweckmässige Kleidung auf die Jagd. Die weissen Waschkleider sind auf der Jagd nicht zu gebrauchen, weil sie schon in grosser Entfernung und zu früh (auch im dichtesten Walde) die Aufmerksamkeit des Wildes erregen; besser sind schon die aus grauen, oder lichtbraunen, oder schwach grünen ähnlichen Stoffen verfertigten. Immer trage man Gamaschen, welche die Hose gut schliessen; sonst schlüpfen die kleinen Blutegel in die Hosen, und man bekommt einen ausgiebigen, unfreiwilligen Aderlass. So lästig auch die Stiefeletten sein mögen, sind sie doch noch besser als die Halbschuhe, welche man leicht verliert. Beabsichtigt man jedoch eine Sumpfgegend zu durchschreiten, sind Stoffschuhe mit Gamaschen vorzuziehen, weil das Wasser ebenso gut hinaus- als hineinfliessen kann. Kein Tropenhelm mit Schleier, sondern eine kleine Mütze ohne herabhängenden Lappen für den Nacken sei die Kopfbedeckung; die schön gestickte Waidmannstasche muss auch zu Hause bleiben, weil man mit ihr überall hängen bleibt und die Lebensbedürfnisse doch am besten im Kahne zurücklässt, mit welchem man auf einem Antassan ins Innere des Landes dringt.
Ohne Führer auf die Jagd zu gehen, ist selbstverständlich gefährlich; ich selbst habe z. B. in Gesellschaft mit dem einen Lieutenant einen kleinen Spaziergang hinter dem Fort gemacht, um wieder »einmal einen Urwald des jungfräulichen Borneos betreten zu haben«. Im Gespräch vertieft, achteten wir nicht darauf, dass wir, ohne an den Rückweg zu denken, in den Urwald eingedrungen waren. Es war 4 Uhr Nachmittags, die Sonne war nicht mehr zu sehen, nur eine grosse, schöne Cicade erhob sich lautlos von einem Aste, kein Zephyr bewegte die Blätter der Waldriesen, welche uns umgaben, und vergebens drang unser Auge durch das dichte Laub, um den Stand der Sonne zu sehen; Lianen kreuzten sich nach allen Seiten von einem Baum zum andern; Parasiten und Epiphyten bedeckten die hohen Stämme; unter uns drangen die Füsse in die mit jungem Laube bedeckte hohe Humusschicht, und nirgends sahen wir eine Moosschicht auf einem Baume, welche uns den Weg nach Norden zeigen sollte. Lachenden Mundes, aber nicht mit fröhlichem Sinn, sprachen wir von den tausend[S. 158] Gefahren, welche uns die nähernde Dämmerung und Finsterniss bringen sollte: Die Schlangen, welche wir nicht sehen würden, die rothen Ameisen, welche oft zu hunderten einen Baum bewohnen und jedes lebende Wesen attaquiren, der Honigbär, die grossen und schönen Baumwanzen, der wilde Büffel, der Panther, das Rhinoceros, vielleicht einige eifersüchtige männliche Orang-Utangs, die Blutegel.
Als aber factisch die Dämmerung im Walde eintrat, als die Cicaden ihr lautes Zirpen ertönen liessen, und aus weiter Ferne der Wau-Wau ein klagendes Uh—uh ausstiess, als einige grosse Fledermäuse (Kalongs) und fliegende Hunde ihre Flügel auszubreiten anfingen und selbst einige grosse Leuchtkäfer auftauchten, da schwand auch von unsern Lippen das Lächeln und — endlich fiel es mir ein, einen Baum zu erklettern; ich fand glücklicher Weise eine dünne Palme, und als ich ungefähr 10 Meter hoch gekommen war, sah ich durch eine Lücke im Laub die untergehende Sonne und eine kleine Fläche, von welcher in derselben Richtung ein Bächlein mit klarem und hellem Wasser in sanftem Laufe floss, und in dem die scheidenden Sonnenstrahlen sich spiegelten. Mit lautem Hurrah stieg ich hinab, und bald fanden wir das Gesträuch, welches wir durchdrungen hatten, und erreichten selbst noch vor Untergang der Sonne den Saum des Waldes. Jetzt hörten wir auch das Blasen der Trompete, welches der dritte Officier als Signal geben liess, als wir nicht nach Hause kamen, und er ganz richtig vorausgesetzt hatte, dass wir uns verirrt hätten. Als wir den kleinen freien Platz betraten, da stand ein Dajaker mit gezücktem Mandau vor uns, welcher durch das Geräusch unseres Ganges aufmerksam gemacht worden war. Der Dajaker ist nicht der Wilde, der schon, wie die Rothhäute, durch sein Aeusseres imponirt; dünne Lippen, eine schwach eingedrückte Nase, wenig hervorstehende Backenknochen, bartloses Gesicht imponiren uns sehr wenig; in seiner mangelhaften Toilette, nur mit dem Djawat bekleidet, tritt sein Schmutz besonders durch die Schuppenkrankheit, zu der sich oft genug Geschwüre paaren, ekelerregend in seiner ganzen Totalität vor unsere Augen. Der Druck der malayischen Fürsten nahm ihnen alle Männerwürde und Selbstvertrauen; ihr Gang ist also mehr schleichend als kräftig, und nur wenige tragen ihren Kopf aufrecht.
Wir waren ohne Waffen und hatten nur unsere Stöcke bei uns. Entweder hatte auch er das Signal gehört und glaubte, dass auch die Truppen in nächster Nähe wären, oder sei es, dass er gar nicht glauben konnte, dass wir ohne Revolver uns in den Urwald wagten, oder sei[S. 159] es, dass wir unvermuthet vor ihm standen, so dass er keine Zeit und Gelegenheit hatte, im Hinterhalt auf uns zu lauern, genug an dem, wir gingen stolzen Hauptes, ohne auch nur mit einer Miene das Bewusstsein unserer Wehrlosigkeit zu verrathen, unbelästigt an ihm vorbei, und ich brauche mit keinem Wort das selige Gefühl zu schildern, mit welchem wir der Richtung des Trompetenschalles folgten, und schon nach Sonnenuntergang das Fort erreichten.
Wenn ich auch oft auf die Jagd ging, so fehlte mir doch die Elasticität des Körpers, um in Borneo als wahrer Nimrod auch grosses Wild zu verfolgen. Schon die Jagd auf Wildschweine ist lohnend, weil man etwas Abwechslung in sein Menu bringen kann. Diese fordert nur Geduld; hinter dem Fort hatten die Soldaten einen Gemüsegarten angelegt, und bald stellten sich diese ungalanten Gäste ein, welche das Grünzeug auffrassen und den Boden aufwühlten. Ihre Spuren waren deutlich, und darum zog ich öfters, kurz vor Aufgang des Mondes, mit meinem Bedienten in den Garten und legte mich auf die Lauer. Sobald der Mond das Terrain erhellte, kamen diese Feinschmecker, und zwar einzeln oder zu Paaren, und fielen dann leicht in unsern Schuss. Auch die Jagd auf Rehe ist ungefährlich, wenn man die Stelle kennt, wohin sie Abends zu trinken kommen. Eine solche Tränke war in der Nähe des rechten Ufers des Baritu, gegenüber der Mündung des Teweh. Es war eine grosse Schlucht mit hellem, frischem Wasser, über welchem ein grosser Baum als Brücke lag. Vor Sonnenuntergang kamen die Rehe und auch die Kantjils hier ihren Abendtrunk holen. Gewöhnlich sass ich auf dem Baume, das Gewehr schussbereit in der Hand.
Eines Tages jedoch ging ich mit dem Häuptling dahin, und er nahm Platz auf dem Baume, während er mir die Lauer bei einem Baume empfahl, in dessen Nähe der Weg war, auf welchem die Rehe zur Schlucht zogen. Ich vertraute seinen Angaben um so mehr, als er factisch, viel häufiger als ich, mit reicher Jagdbeute nach Hause kam. Ich suchte mir also hinter dem angewiesenen Baume eine trockene Stelle aus und liess mich nieder in geduldiger Erwartung dessen, was kommen sollte. Plötzlich wurde ich jedoch durch ein fürchterliches Geräusch aufgeschreckt. Ich sprang auf und sah über meinem Kopfe eine grosse Heerde von Schweinsaffen (Fig. 7) von Baum zu Baum springen. War es nun Zufall oder nicht, ich sah mir nun ein bischen näher die Gegend an, welche mir Dacop mit solchen warmen Worten für die Lauer auf die Rehe angewiesen hatte, und sieh’ da, es war der Weg zur Tränke für die gefährlichsten und gefürchtetsten Riesen des Waldes,[S. 160] für die Büffel und Rhinocerosse!! Dem Rhinoceros kann man entfliehen, wenn man seines Schusses nicht sicher ist, oder wenn aus anderen Ursachen dieses plumpe Thier nicht kampfesunfähig gemacht wird; aber der Büffel ist ein gefährlicherer Gegner als der Königstiger und das Rhinoceros; denn der Banteng lebt in Heerden, und wenn einer von ihnen, von der Kugel getroffen, mit seinem donnerähnlichen Brüllen die Luft erschüttert, stürzt sich die ganze Heerde auf den Jäger, der nur sehr selten dem traurigen Schicksal entgehen wird, von der rasenden Heerde zertrümmert zu werden. Flüchtet er sich auf einen Baum, so wühlt die Heerde in der Wurzel und stürmt mit den Hörnern gegen den Baum, dass er endlich fallen muss; und ist der Baum so dick, dass es vielleicht nur durch einzelne Einkerbungen ihm möglich wurde, die hohen Aeste zu erreichen, und dass es den rasenden Büffeln unmöglich ist, den Baum zu fällen, so weichen sie nicht früher vom Platze, als bis die aufgehende Sonne sie zwingt, ins Dickicht sich zurückzuziehen.
Nun, zu solchen Abenteuern hatte ich keine Lust, als ich auf dem Pfade die Spur einer solchen Heerde sah; ich rief Dacop und zeigte ihm die grossen Massen Mist. Er war auch kein grosser Held, und so zogen wir uns zurück, ohne diese Ungeheuer des Waldes bei ihrer Abendzeche belauscht zu haben. Das Bedauerlichste bei dieser Sache war jedoch, dass ein Mann zum Häuptling eines Bezirkes gewählt war, der nicht wusste, dass in der nächsten Nähe seines Kampongs die wilden Büffel sich befanden. Dazu kommt noch, dass es alter Mist war, der zu unsern Füssen lag.
Es ist kein dankbares Thema, den Entwicklungsgang der Medicin in Borneo resp. in Indien zu verfolgen; denn wir kommen leider zu dem traurigen Resultat, dass die Therapie, das Stiefkind der medicinischen Wissenschaft, in Indien anstatt von den Europäern in die grosse Menge der Eingeborenen zu dringen, bis jetzt den umgekehrten Weg genommen hat: Dass nämlich die Europäer um vieles mehr von den therapeutischen Maassregeln der Eingeborenen angenommen haben, als diese von den europäischen Medicamenten Gebrauch machen.
Wenn wir festhalten, dass die Bevölkerung Borneos unter vier Rubriken zu bringen ist, so müssen wir die Olo-Ott bei der Besprechung dieses Capitels ganz ausser Betracht lassen. Mir ist von ihrer medicinischen Wissenschaft gar nichts bekannt. Die eigentlichen Dajaker, oder wie sie sich selbst nennen, Olo-Ngadju, haben jedoch schon so viel von den Arzneien, Gebräuchen und Sitten ihrer malayischen[S. 161] Nachbarn und Fürsten angenommen, dass es nicht leicht fällt, von einer Medicin der Dajaker zu sprechen.
Die religiösen Ceremonien, die Beschwörungen der Geister und Teufel sind originell, d. h. sie sind durch die malayische Umgebung nicht beeinflusst worden; aber die Massage ist die der Malayen; nur hat sie einen sichtbaren Erfolg; Holzsplitter, Fischgräten, Nadeln, Dornen u. s. w. wissen die Bliams beim Massiren aus dem Körper herauszureiben, kneten und zu zwicken, wahrscheinlich als sichtbarer Beweis, dass die Seele durch die Hülfe der Bliams in den Menschen zurückgekehrt sei. Radja Antuën (der Antuën König) hat ja seine Boten; diese entführen die Seele des Menschen und trachten, ihm dafür Splitter, Gräten u. s. w. in den Leib zu stechen, so dass er krank werden muss. So ein Antuë hat aber noch viele Mühe, bis es ihm gelingt, Jemand krank zu machen. Zu diesem Zwecke muss er sich selbst den eigenen Kopf abreissen. Dieser, d. h. der abgerissene Kopf, fliegt mit den daran hängenden Fleischtheilen in das Haus seines Opfers. Zu diesem Zwecke muss er sich vorher in einen Vogel, Ratte oder Maus verwandeln, um Zutritt in das Haus zu bekommen. Sobald sein Opfer in den Schlaf gefallen ist, stiehlt er ihm die Seele und steckt ihm eine Nadel, Gräte u. s. w. in das Fleisch. Der Antuën muss jedoch sorgen, dass dies Alles vor Anbruch des Tages geschehe. Denn, wenn es Licht wird, bevor der Kopf seinen Körper gefunden hat, muss er auf die kommende Nacht warten, um sich mit diesem wieder vereinigen zu können; aber unterdessen hat der Körper den Fäulnissprocess begonnen, so dass der Antuën sterben muss. Kommt jedoch der Kopf rechtzeitig zu seinem Körper zurück, dann setzt der Antuën den Kopf wieder auf den Rumpf und bekommt wieder seine menschliche Gestalt (Perelaer).
Diese Aetiologie der Krankheiten macht natürlich jede Diagnose unmöglich und die eigenthümliche Therapie der Dajaker verständlich. Ihre Massage haben sie vielleicht von den Malayen übernommen; vielleicht ist sie Original, und dass die Bliams bei dieser Operation immer ein corpus delicti finden, eine Fischgräte, Splitter u. s. w., kann vielleicht das Bestreben haben, durch Suggestion zu heilen. Auf Seite 40 haben wir gesehen, dass in schweren Krankheitsfällen der ganze Apparat der Beschwörung aufgeboten wird, um den Antuën zum Verlassen des Patienten zu zwingen.
Bei der Geburt eines Kindes geschieht dasselbe, und in erster Reihe wird an die Antuë Kankamiak ein schwarzes Huhn geopfert,[S. 162] um sie zu versöhnen und ihr zu schmeicheln, weil sie es ist, welche die Frucht der schwangeren Frau absterben und im Mutterleibe faulen lässt. Nebstdem sind viele Abortiva bekannt und wird der gebärenden Frau eine Arznei gegeben, welche den Gebärakt erleichtern soll. Vor und nach der Geburt ist die junge Frau in sehr vielen Sachen »pali«, d. h. vieles ist ihr verboten, z. B. dem Feuer sich zu nähern, Früchte zu essen u. s. w. Hält sie sich jedoch aus irgend einer Ursache nicht an die Vorschriften des »pali«, so wird sie »marujan«, d. h. sie hat die Krankheit gesucht und kann nur durch Hülfe der Bliams von der drohenden Gefahr befreit werden; so interessant auch das ganze Wochenbett der dajakschen Frau vom ethnographischen Standpunkte aus ist, so würde es mich doch zu weit von meinem Ziele führen, wenn ich es ausführlich beschreiben wollte.
Aber die Taufe des Kindes will ich doch mit einigen Worten erwähnen, weil ich dieselbe gesehen habe. Wenn das Kind ein Jahr alt ist, darf es zum ersten Male im Flusse gebadet werden (vor dieser Zeit wird es im Hause nur hin und wieder mit Wasser begossen), und dieses geschieht in der Form des Mandoifestes. Zu diesem Zwecke werden 7 Blanggas mit Wasser gefüllt, das sind Töpfe von ungefähr 40 cm Höhe und weiter Oeffnung, welche durch ihr hohes Alter oft 2–4000 fl. kosten; natürlich haben die Chinesen oft versucht, Imitationen dieser Töpfe einzuführen und zu verkaufen, ohne dass ihnen dieses jemals gelungen wäre, denn jeder dieser Töpfe hat seinen Stammbaum, der durch ganz Borneo bekannt ist. So lange er nicht in tausend Scherben zerbrochen ist, weiss jeder Dajaker, wo und bei wem ein grosser Blangga sich befindet. Es ist also bis jetzt noch niemals gelungen, einen falschen Blangga einzuführen. Sie werden in weibliche und männliche, und nach ihren Figuren in zahlreiche Unterarten eingetheilt. Ich hatte Gelegenheit, einige Blanggas zu sehen, welche dieselbe Form, und zwar die eines dickbäuchigen Topfes, aber in der Nähe des Halses verschieden geformte Drachen und Schlangen in Basrelief hatten. Diesen Töpfen wird eine aussergewöhnliche Zauberkraft zugeschrieben; sie vertreiben alle Antuëns und alle bösen Geister, sie geben dem Besitzer eine gute Ernte, Glück bei dem Fischfang, auf der Jagd und — in der Liebe.
Neben diesen Töpfen werden 7 Gantangs (1 G. = 1⁄10 Pikol = 6·2 Kilo) gut gereinigter Reis und ein langer Rottang gelegt, welche die Verwandten des Kindes bewachen, während die Bliams die Sanggiangs anrufen und bitten, »das Wasser des Lebens« bei dem Bruder von[S. 163] Mahatara zu holen. (Mahatara = Mata hari = Auge des Tages.) Ist die Menge des Wassers in den Blanggas und die des Reises und die Länge des Rottangs über Nacht grösser geworden, dann haben die Sanggiangs das Lebenswasser gebracht (danom Kaharingan), und es wird in einem metallenen Becken mit dem Blute eines schwarzen Schweines gemischt und auf den Fluss gebracht. Darin wird das Kind siebenmal getaucht und im Flusswasser abgespült. In einem pittoresken Aufzug wird das Kind an das andere Ufer gebracht und zwar in einem Kahn, welchen der Vater mit 6 Männern schwimmend begleitet, während die andern Familienmitglieder und Freunde ebenfalls in Canoes folgen. Das Canoe der Bliams und Bassirs ist mit Blumen verziert. Am jenseitigen Ufer werden an Djata, den Bruder des Mahatara, Affen, Hirsch- und Entenfleisch geopfert und darauf wird die Zurückreise angetreten. Zu Hause angekommen, wird das Kind auf ein todtes Schwein gesetzt und auf seinen Kopf wird Reis gestreut, welcher von einer weissen Henne abgefressen werden muss, wenn dem Kinde eine glückliche Zukunft bescheert sein soll.
Die eigentlichen Dajaker legen, wie ich schon oben erwähnte, der Behandlung ihrer Kranken sehr viel Suggestion zu Grunde und gebieten über keinen grossen Arzneischatz, obzwar sie die Nachbarn der Malayen sind und Jahrhunderte lang unter dem Joche malayischer Despoten seufzten. Auch von den europäischen Doctoren haben sie noch nicht vieles angenommen. Während meines 3½jährigen Aufenthaltes unter ihnen wurde ich nur zu drei internen Fällen gerufen: kam eine Frau zu mir, um mich über das starke Ausfallen ihrer Haare zu consultiren, ein Mann bat mich um Hülfe gegen seine blutige Diarrhoe, und drei Personen liessen sich von einer Hasenscharte befreien. Auch wurde mir ein Kind gebracht, welches keine Arme hatte, 27 cm lang war ohne die Unterschenkel, welche 8½ cm lang waren, alle drei Gelenke und nur die erste und fünfte Zehe hatte.
Die malayische Bevölkerung hat nicht nur ihre Sprache, sondern einen grossen Theil ihres medicinischen Glaubens den Völkern des indischen Archipels aufgedrängt; die Dajaker Borneos wie die Bataker von Sumatra, die Chinesen auf Java wie die in den Molukken, die Javanen, Sundanesen, Manduresen, sie alle haben malayische therapeutische Maassregeln in ihren Arzneischatz aufgenommen, geradeso wie die Europäer. Wie wenig ist von der europäischen medicinischen Wissenschaft bis jetzt in die grosse Menge der malayischen Völker gedrungen; das Chinin, Ricinusöl, Santonin und die Vaccination sind bis[S. 164] jetzt Gemeingut der höher stehenden malayischen Stämme geworden. Die Häuptlinge in Java consultiren den europäischen Arzt, wenn ihnen die heimathlichen Mediciner keine Heilung bringen; der Bauer jedoch wird höchstens in chirurgischen Fällen Hülfe bei uns suchen.
Auf welch niedriger Stufe die Medicin der Malayen steht, kann der Patient nicht ahnen, der zur Fahne der halbeuropäischen Heilkünstlerinnen schwört, oder die Kunst der Dukuns bewundert. Es ist unglaublich, wie selbst wissenschaftliche Männer durch das post hoc so schnell zum propter hoc übergehen und in die Hymne auf die Kunst der Dukuns einstimmen. Perelaer z. B. bewundert die Kunst der dajakschen Bliams, dass sie durch äussere Untersuchung der schwangeren Frau das Geschlecht des Kindes bestimmen können, und dass sie sich niemals darin geirrt hätten, und fügt hinzu: »Soweit haben es unsere Accoucheurs mit all ihrem Küchenlatein noch nicht gebracht.« — Das wäre gewiss bewunderungswerth, wenn es nur wahr wäre. Die Kunst der Dukuns wird selbst von Dr. Stratz überschätzt; sie sind nicht mehr und nicht weniger als geschickte Masseusen. So wird von ihnen auch behauptet, dass sie durch die äussere Untersuchung eine Gravidität von 14 Tagen oder einem Monat diagnosticiren könnten, und alle Aerzte beten dieser Behauptung nach; auch dies ist nicht wahr. In T.... kam Frau K. zu mir mit der Klage, die ein Arzt in Indien so oft hören muss, dass sie wieder schwanger sei, obzwar sie noch einen Säugling von einigen Monaten habe, dass ihr dieses ungelegen komme, weil sie von ihrem Einkommen keine grosse Familie ernähren könne, und dass ich ein gutes Werk thäte, sie von einem grossen Kindersegen zu befreien. Moralische Entrüstung zu äussern über ihr derartiges Verlangen und noch dazu zu einer Zeit, dass sie glaubt, schwanger zu sein, wäre zwecklos gewesen; man wird ja in Indien so häufig um Abortusmittel direct und indirect ersucht, dass ich mich in solchen Fällen nur über das Gefährliche eines solchen Ansuchens erging und höchstens ein unschuldiges Mittel angab, z. B. warme Fussbäder mit Asche, ohne die sittliche Frage zu besprechen. Diese Dame behandelte ich jedoch schon seit längerer Zeit so dass ich auch diese Seite ihrer Bitte besprechen konnte. Im weiteren Gespräche zeigte es sich, dass ihre Diagnose sehr unsicher und nur gegründet auf die Untersuchung einer Dukun war. Diese hätte ihr nebstdem ihre Medicin angeboten, um sie von der unerwünschten süssen Last zu befreien. Glücklicherweise ist Frau K. nicht darauf eingegangen; denn zwei Tage später stellten sich die Menses spontan ein; hätte diese Dame die Medicin[S. 165] dieser Dukun eingenommen, wären nicht nur 2,50 fl., welche sie verlangt hatte, umsonst ausgegeben gewesen, sondern auch der Ruf dieser Dukun wäre gefeiert worden, dass sie nicht nur die Diagnose der Gravidität schon in den ersten Wochen stellen könne, sondern dass sie auch ein unfehlbares Mittel besitze, dulce et jucunde die Frauen vom unerwünschten Kindersegen befreien zu können. Im andern Falle jedoch wäre der Rest — Schweigen gewesen.
Dasselbe sehen wir bei jenen halbeuropäischen Frauen, welche sich mit der Behandlung der »Bauchkrankheiten« beschäftigen und selbst von Aerzten empfohlen werden. Die glücklichen Fälle werden an die grosse Glocke gehängt und die andern Fälle werden todtgeschwiegen. Selbst europäische Aerzte lassen sich von solchen Frauen behandeln, obwohl ihre Therapie auf die roheste Empirie basirt ist, und wie wir sehen werden, selbst aus der Quelle des gröbsten Aberglaubens schöpft! Im Jahre 1896 starb eine solche Matrone in Samarang und erhielt sogar ein Jahr später ein kleines Monument auf dem Friedhofe, nachdem ein Oberstabsarzt sogar ein Büchlein über ihre Therapie herausgegeben hatte!! Diese Damen haben absolut kein medicinisches Wissen; sie individualisiren gar nicht; alt oder jung, Mann oder Frau; erstes oder letztes Stadium der Erkrankung, Dysenterie oder Enteritis membranacea, primäre oder secundäre Erkrankung, Ursache oder Folge anderer Krankheiten, complicirt mit Fieber oder ohne Fieber; alles geht auf dieselbe Schablone. Die Dosirung ist auch sehr primitiv; ihre Kräuter werden »handvoll«, fingerspitzenvoll u. s. w. verabfolgt. Natürlich müssen diese Kräuter an einem bestimmten Tage und Stunde und bei gewissem Stande des Mondes u. s. w. gesammelt sein. Einige sind jedoch so »gewissenhaft«, dass sie ihre europäischen Patienten erst nach ihrem befreundeten Doctor schicken, um eine Diagnose stellen zu lassen; sie haben aber unabhängig von der Diagnose des Arztes dieselbe Behandlungsweise, welche ihnen — viel Geld einträgt.
Natürlich drängt sich die Frage auf, worauf denn ihr Erfolg basirt sei; Erfolg müssen sie ja haben, sonst müsste zuletzt ihre Unkunde deutlich zu Tage treten. Welche Therapie hat aber gar keinen Erfolg? Soll ich an jene zahlreichen Infectionskrankheiten erinnern, welche ohne jede Behandlung und trotz jeder Behandlung der Heilung zugeführt werden, z. B. Blattern, Typhus, Scharlach u. s. w. u. s. f. Wenn nun in solchen Fällen Daun sedjuk[35] oder Mata udang (Cissus cinerea) dem Kranken gegeben werden und diese heilen, so haben wir doch[S. 166] kein Recht, die Therapie der Malayen zu bewundern und sie unserem Arzneischatz einzuverleiben. Eine Haematemesis in Folge eines Ulcus ventriculi heilt ohne jede Medicin, wenn nur dem Magen die nöthige Ruhe gegönnt wird, die Bildung der Thrombus zu ermöglichen; noch vor wenigen Wochen stand ich vor diesem Falle, dass ein 18jähriges Mädchen grosse Mengen von Blut erbrach und ich dazu gerufen wurde; ich gab nichts als kalte Compressen auf den Magen. Die Blutung wiederholte sich nicht, und das Mädchen erfreut sich heute einer vollkommenen Gesundheit. In einem solchen Falle hätte eine Dukun von den Daun setjang (caesalpina doppan) ein Decoct gegeben, und wäre die Patientin geheilt, hätten die »inlandsche geneesmiddelen« das Aureol der Unfehlbarkeit gewiss erhalten. Hätte aber diese Patientin abermals eine Blutung bekommen, und wahrscheinlich mit ihrem Leben die Therapie der Dukun bezahlt, denn diese hätte sicher den Magen auch massirt, so hätte der Fatalismus sein tröstendes Wort gesprochen: Tuwan Allah Kassih = Gott hat es gegeben.
Die Behandlung der externen Krankheiten der Eingeborenen findet bei den Europäern nur in ganz seltenen Fällen Anwendung; die Andol-andol (von Mylabris rubripennis) oder Sasawi (sinapis alba) oder Daun gatel (Urticaria ovalifolia) haben zwar auch in der europäischen Pharmakopöa Aufnahme gefunden; auch werden bei Furunculosis und Phlegmonen häufig von halbeuropäischen Patienten Daun baba (Solanum nigrum) oder Daun bisol (Veronica cinerea) u. s. w. gebraucht; aber zu einer Operation eines Tumors, zu einer Luxation, zu einer Fractur, oder zu einer kosmetischen Operation u. s. w. wird immer von den europäischen Patienten, und häufig auch von den Eingeborenen, die Hülfe eines europäischen Arztes angerufen. Die Dukuns gehören aber unbedingt zur messerscheuen, arabischen Schule. Aber selbst auf dem Gebiete ihrer grössten Triumphe, und zwar in der Behandlung der »Bauchkrankheiten«, verdienen weder die Dukuns noch die »indischen Damen« Nachahmung oder sogar Bewunderung ihrer Kunst. Sehr oft wird als Vortheil der »inländischen« Behandlung die Regelung der Diät angegeben; ich will nicht davon sprechen, dass sie schablonenhaft bei jeder Bauchkrankheit, d. h. bei jeder Darmerkrankung, dieselbe ist; aber sie wird in den meisten Fällen nicht gehalten und kann nicht gehalten werden, weil der europäische Gaumen eben ein anderer ist als der eines Kuli; und dann hat die »Dame« ihren berechtigten (?) Vorwurf bei der Hand, dass der Patient trotz Monate langer Behandlung nicht gesund werden konnte, weil er sich nicht an ihre Vorschrift der Diät gehalten habe. Ich war im Jahre 189..[S. 167] zum Mittagmahl beim Sanitätschef in Batavia eingeladen, welcher an Spruw (Aphthae tropicae) litt. Auch er stand unter Behandlung einer solchen »indischen Dame«. Zum Getränk hatte er auf dem Tisch Reiswasser und zur Nahrung seit Wochen und Monaten Nassi tim, d. h. in Reis ohne Gewürze und ohne Fett gekochtes und eingedampftes Huhn und Deng-deng, d. h. getrocknetes Fleisch. Wer kann eine solche Nahrung für die Dauer aushalten!? Die Patienten sündigen also immer, und auch mein Gastherr pries die Zweckmässigkeit der »indischen« Diät und versicherte mir, dass er gewiss schon längst geheilt wäre; »aber das Fleisch ist schwach,« fügte er lächelnd hinzu. Leider hat die Diätregelung des Dr. Gelpke ihren Weg nach Indien nicht gefunden; sie hat nämlich Rechnung getragen mit den verwöhnten Gaumen der Europäer und war ebenso viel, wenn nicht mehr zweckmässig, als die der »indischen Damen«, und brachte genug Abwechslung in das Menu der Patienten. Die medicamentöse Behandlung dieser Damen ist dieselbe als die der Dukuns.
Jahrzehnte, oft noch mehr als ein Lebensalter dauert es, bis in Europa eine neue medicinische Schule in die grosse Menge gedrungen ist, und ebenso lange dauert es, bis sie wieder der neuesten gewichen ist. (Noch im Jahre 1875 ersuchte mich in Wien eine Dame um die Venaesection, welche sie jährlich im Frühling zur Reinigung ihres Blutes vornehmen liess.) Aber die Dukuns haben gar keine »Schule« angenommen. Durch Tradition lernen sie die Medicamente in kalte und warme eintheilen; bis auf einige (den Aerzten abgelauschte) ausgesprochene Krankheitsbilder, wie Cholera und Blattern, kennen sie keine Diagnostik und sprechen von kranker Kehle (Diphtheritis), von krankem Bauche (alle Krankheiten der Verdauungsorgane), oder von einzelnen Symptomen, wie sakit Kentjing bei Nieren- und Blasenkrankheiten, und wenden jene Medicinen an, welche bei Tradition für die symptomatische Behandlung bekannt sind. Ich würde nicht so viele Worte über diese Frauen verlieren, wenn nicht so viele hunderte und tausende arme Patienten in ihrem blinden Glauben an diese Heilkünstlerinnen Wochen und Monate lang sich mit ihrem Leiden herumschleppen würden, anstatt durch eine radicale Behandlung von ihren schmerzvollen Leiden befreien zu lassen.
Zum Theil sind die europäischen Aerzte durch ihre Denkfaulheit an diesen traurigen Verhältnissen schuld. Wenn ein hoher Militärarzt das oben erwähnte Tractätlein der verewigten Heilkünstlerin von Samarang (vielleicht war er der Verfasser desselben) einem gewesenen klinischen Assistenten (von Prof. T. in Utrecht) nicht nur zur Lectüre[S. 168] empfahl, sondern auch deren Befolgung mit dem ganzen Hochdruck seiner militärischen Stellung erzwingen wollte, wenn ein anderer Arzt die Behandlung »der indischen Damen« höher schätzt als die seiner Collegen, weil sie die »indischen« Medicinen für die »indischen« Krankheiten kennen, was der europäische Arzt unmöglich thun könne, oder wenn ein Anderer gegenüber seinen »indischen« Patienten aus schlecht angebrachter Höflichkeit der geäusserten Hymne nicht widerspricht oder theilweise »für gewisse Krankheiten« anerkennt, oder wenn ein Dritter sogar Compagnon der indischen Heilkünstlerin wird und, wie schon erwähnt, die Diagnosen zwar stellt, die Behandlung der Krankheit an die »Indische« überlässt; dann darf es Niemanden Wunder nehmen, dass der ärztliche Stand in Indien auch viel an dem Wuchern dieses Unkrautes Schuld hat. Horsfield sagt schon 1816 in seinem Resumé (Short account) der indischen Arzneimittel: Man kann von der Praxis der Inländer wenig lernen; sie gebrauchen die Medicin nur empirisch, ohne auf die Menge zu achten; ihr Mangel an medicinischer Wissenschaft macht sie ungeschickt, um die Wirkung einer Arznei auf den menschlichen Körper zu beurtheilen ... (Dr. van der Burg). Und nach 80 Jahren, nachdem wir einen bessern Einblick in das Wesen der Krankheit bekommen haben, nachdem selbst die Therapie zu den Wissenschaften gerechnet werden darf, giebt es noch Aerzte, welche eine Dukun stimmberechtigt unter den Therapeuten erklären!!!
Die Regierung jedoch hat eine viel grössere Schätzung der europäischen Doctoren an den Tag gelegt, indem sie eine Schule für javanische Aerzte errichtete, welche die Fortschritte der europäischen medicinischen Wissenschaft in die grosse Menge des indischen Archipels einführen sollen. Vor ungefähr 50 Jahren wurde in Batavia ein Seminarium für die Söhne von Häuptlingen errichtet, welche nach Absolvirung der Volksschule sich dem Studium der Medicin widmen wollten. Ich hatte Gelegenheit, solche »Doctor Djawas« aus der damaligen Schule kennen zu lernen, welche nur theilweise den Erwartungen der Regierung entsprechen konnten, den Segen einer medicinischen Wissenschaft auch den Eingeborenen zu Theil werden zu lassen. Die Unterrichtssprache war damals nämlich die malayische. Die »Professoren« dieser Anstalt konnten jedoch kaum eine gut malayisch geschriebene Zeile lesen oder schreiben, sondern sprachen nur das gewöhnliche Casernenmalayisch. Anderseits ist die malayische Sprache durch ihre Armuth gar nicht geschickt, als Unterrichtssprache einer höheren Wissenschaft zu dienen. Es geschah daher das Unvermeidliche,[S. 169] dass diese Doctoren-Djawa aus damaliger Zeit niemals eine medicinische Idee erfasst, verstanden oder aufgenommen haben und einfache Receptschreiber waren, und in chirurgischen Fällen etwas mehr leisten konnten, als ein Krankenwärter. Seitdem jedoch die Unterrichtssprache holländisch geworden ist, kommt ein ganz brauchbarer Schlag von javanischen Aerzten in die Praxis. Es lässt sich darüber streiten, wie viel von der medicinischen Wissenschaft diesen Aerzten geboten werden soll, und ob das »zu viel« vielleicht mehr schaden könnte als das zu wenig.
Ich sass 188.. bei einer mikroskopischen Arbeit, und der Doctor Djawa folgte ihr mit Interesse. Endlich frug ich ihn, ob er auch wisse, was ich unter dem Mikroskop suche. Jawohl, Mynheer, antwortete er, Teichmannische Hämin-Krystalle. So sehr mich diese Antwort anfangs überraschte, so sehr fand ich sie später in Uebereinstimmung mit seinem übrigen medicinischen Wissen.
Wenn es nur der Regierung, oder vielmehr den Lehrern dieser Schule auch gelänge, diesen jungen Menschen auch Pflichtgefühl einzuprägen oder Begeisterung für die Wissenschaft, oder aber für das heilige Ziel dieser Wissenschaft, für die Idee, der leidenden Menschheit zu helfen! Derselbe »Doctor Djawa« wurde von mir betraut mit der Behandlung der kranken Prostituées. Die neu zugewachsenen Personen untersuchte ich mit ihm, besprach mit ihm die Behandlung und überliess ihm dann das Weitere. Unerwartet kam ich eines Tages in das Spital, und mein Assistent sass im Bureau, seine Cigarette zu rauchen, und überliess die Behandlung der Patienten der Krankenwärterin. Im Jahre 1881 war eine verheerende Fieberepidemie im Süden des westlichen Java. Als ich dahin von der Regierung geschickt wurde und Kampong für Kampong besuchte, fand ich bei den Häuptlingen Flaschen mit verschimmelten Chininpillen, welche sie beim Doctor Djawa des Bezirkes geholt hatten, der aber seinen Kampong niemals verliess. Wie gesagt also, es fehlt ihnen der nöthige Ernst und das Pflichtgefühl, so dass sie bis auf wenige Ausnahmen nicht mit einer selbständigen Stellung betraut werden und nur unter Aufsicht und Controle ihre Arbeit verrichten können. Die Doctor Djawa müssen also die Vermittler sein zwischen der europäischen medicinischen Wissenschaft und dem abergläubischen unwissenschaftlichen und oft betrügerischen Treiben der Dukuns.
In früheren Zeiten bestand auch eine Hebammenschule, welche jedoch schon nach kurzem Bestand aufgehoben wurde.
[S. 170]
Kriegsspiele der Dajaker — Angriff auf einen Dampfer — Hebammen — Frauen-Doctor — Europäische Aerzte — Gerichtsärzte — Stadtärzte — Civilärzte — Furunculosis — Aerztliche Commissionen — Vaccinateurs.
In voller Kriegsausrüstung tritt der Dajaker zum Kriegsspiel. In seiner linken Hand hält er den Schild, in seiner Rechten das Blasrohr für die vergifteten Pfeile. Auf seiner linken Hüfte ruht der Mandau und der Köcher mit den Pfeilen; auf dem Kopfe sitzt eine runde Mütze, aus Rottang geflochten, mit Federn von dem Pfaufasan oder von dem Pfau; ich hatte einige solche Mützen, welche mit dem Fell eines Orang-Utang überzogen waren. Die Brust und der Rücken sind bedeckt mit einem Ziegenfell, welches in der Mitte eine Oeffnung für den Kopf hat, von dem Halsausschnitt fällt ein Bündel mit Amuletten herab (mit Zähnen von den Babi-russa, Schneidezähnen von grossen Schweinsaffen u. s. w. u. s. w.).
Im Kriegsspiel idealisirt jedes Volk die Art und Weise seiner Kriegsführung oder, ich möchte lieber sagen, zeigt es die Theorie seiner Kriegskunst. Wie in der Fechtschule der Gebrauch des Gewehres gelehrt wird, das findet im Ernstfalle, abgesehen von dem Duell, keine Anwendung; so muss man auch beim Anblick der Kriegstänze nur sehr vorsichtig auf die Kriegsführung im Ernstfalle einen Schluss sich erlauben.
Nicht mit erhobenem Haupte oder stolzen Schrittes tritt der Dajaker zum Kampfspiele. Nonchalant oder gleichgiltig tritt er auf den Schauplatz, wirft zunächst das Blasrohr weg und zieht gelassen den Mandau aus der Scheide. Er beugt sein linkes Knie, deckt seinen Körper mit dem Schild und späht hinter diesem nach allen Seiten; das rechte Bein streckt er plötzlich aus und dreht sich dann wie ein Kreisel auf der Ferse seines linken Fusses, um von Zeit zu Zeit seinen[S. 171] Mandau nach allen Seiten zu schwingen. Hin und wieder ruft er kreischend la hap, la hap, springt rechts und links, dreht sich wieder wie der Wind um seinen Fuss, schlägt nach seinem unsichtbaren Feinde mit wuchtigem Schlag und fällt endlich — leblos danieder. La hap, la hap ertönt es aus den Reihen seiner Zuschauer, und ein zweiter Tänzer erscheint auf dem Schauplatz, um denselben Tanz aufzuführen.
Mich überraschte jedes Mal das Schlusstableau dieses Tanzes. Bei allen nationalen Tänzen, welche ich sah, ist das Ende des Tanzes der Sieg. Hier die Niederlage!!
In der Wirklichkeit und im Ernstfalle ist der Anfall mit dem Messer das Ende des Kampfes, die vorbereitenden Maassregeln zeugen jedoch oft auch von entwickelter Taktik und Strategie.
Ein Anfall auf den kleinen Dampfer »Kapitän van Os«, ausgeführt von den Dajakern des südlichen Borneos, zeigt uns ihre Kriegskunst selbst im günstigen Lichte.
Dieser Dampfer bekam Ende December 1859, nach dem unglücklichen und tragischen Ende des Kriegsschiffes »Onrust« und des Kreuzers No. 42, Befehl, die Mündung des Kapuaflusses zu blockiren. Jede Nacht wurde er von beiden Ufern dieses Flusses beschossen. Den 3. Januar 1860 jedoch schwieg zwar das Feuer der Gewehre, aber man hörte aus den mit dichtem Gesträuch bedeckten Ufern ununterbrochen Bäume unter den gewaltigen Streichen der Axt fallen. Der Capitän glaubte das Ziel dieser Arbeit zu kennen; die Dajaker fällen nämlich gerne den Baum bis auf ¾ seiner Dicke, vor dem Fallen wird er durch Rottangstricke geschützt, mit welchen er am nächsten Baume verbunden wird. Kommt nun ein feindlicher Kahn oder Schiff in die Nähe eines solchen Baumes, wird der Rottangstrick durchgeschlagen, der Baum fällt in das Wasser und zertrümmert Alles, was unglücklicher Weise in einem solchen Augenblicke auf der Wasserfläche schwimmt. Dieses war dem Capitän des Dampfers »van Os« bekannt, und er konnte sich also das Ziel dieser Arbeit nicht anders erklären, als dass die Dajaker ihn zur Fahrt in den Kapuafluss verleiten und auf bekannte Weise ihn dann vernichten wollten. Er verbrachte den ganzen Tag in Spannung, auf welche Weise sie ihr Ziel zu erreichen sich bemühen würden. Gegen 7 Uhr Abends, nach Untergang der Sonne, begann hierauf ein starkes Gewehrfeuer von beiden Ufern. Der Capitän hatte sofort den Anker aufgezogen, als die erste Salve erfolgte, und drehte den Dampfer bald gegen den[S. 172] Kapuafluss, bald gegen den kleinen Dajakfluss oder selbst gegen die Landzunge; jedes Mal wurde er von zwei Seiten mit lautem la hap-Ruf unter einem starken Gewehrfeuer begrüsst. Um 12 Uhr ging der Mond unter; der Himmel war bewölkt, eine pechschwarze Finsterniss bedeckte die ganze Landschaft, welche nur hin und wieder durch die Flammen der Salvenschüsse erleuchtet wurde und starker und stärker häuften sich Aeste, Laub und Stämme rings um den kleinen Dampfer, und zuletzt näherte sich selbst ein ganzer Berg von solchem Treibholz. Als bei einer Entfernung von ungefähr 10 Metern der Commandant der 15 Mann, ein javanischer Sergeant, eine ihm unverständliche Bewegung in dem Berge von Treibholz bemerkte, gab er das Commando »Feuer«, der Schiffscapitän Glaser, der Maschinist und die 15 Javanen gaben ein Salvenfeuer, die Matrosen eilen zu den Kanonen und feuern ihre Kartätschen in den schwimmenden Berg und — eine Unzahl von Canoes flüchtet unter lautem Gejammer verwundeter Dajaker aus diesem Berge von Treibholz. (Nach Perelaer.)
Besteht in Indien ein Bedürfniss für europäisch geschulte Hebammen?
Im Jahre 1897 sollte in Holland sich ein Verein constituiren, welcher diese Sorge auf sich nehmen sollte. Hat ein solcher Verein raison d’être? Die Geburtshülfe des grössten Theiles der eingeborenen Hebammen ist, wenn wir von den krankhaften Zuständen absehen, eine im Principe richtige Auffassung der Naturkräfte, und steht darum höher als die europäische im Anfange der 90er Jahre. Bei normalen Geburten beeinflusst nicht nur die Dukun ganz und gar nicht den normalen Verlauf, sondern sie schadet auch nicht, weil principiell, und zwar aus Sittlichkeitsgründen, jeder manuelle inwendige Eingriff vermieden wird. Wie viel unglücklich verlaufende Entbindungen sind durch überflüssige manuelle inwendige Eingriffe der europäischen Hebammen veranlasst worden!
Die Zahl der normalen Geburten ist gewiss eine aussergewöhnlich grosse, sonst hätte z. B. Java in den letzten neun Jahrzehnten nicht um 20 Millionen mehr Einwohner bekommen. Wenn auch Dr. Stratz der Behauptung entgegentritt, »dass, wie alle Naturvölker, auch die javanischen Frauen besonders schnell, bequem oder ohne Schmerzen entbinden«, so bleibt er uns den Beweis dafür schuldig; er kann gar nicht diesen Beweis bringen, weil ihm eine Statistik von normalen Geburten[S. 173] der Eingeborenen nicht zu Gebote stand, und weil seine eigene Erfahrung diesbezüglich auf zu kleine Zahlen von normalen und pathologischen Geburten basirt ist.
Meine eigenen Erfahrungen können natürlich nur von einem Eindrucke im Allgemeinen sprechen, und dieser ist der allgemein herrschende, dass die malayischen Frauen (aus anatomischen Gründen vielleicht) viel leichter von der Frucht befreit werden, als die europäischen. Ich will nur noch einmal hinweisen, dass in Indien Rhachitis sehr selten vorkommt, dass alle indischen Frauen normal gebaut sind, und selbst, dass ein Buckel ein rara avis ist. Der Heiltrieb ist bei den Eingeborenen, wie jeder Arzt weiss, viel höher als bei den Europäern. Bei einem Soldaten ging das Rad einer Kanone über die grosse Zehe des rechten Fusses, und ich beschloss, die Zehe zu enucleiren; der Hospitalchef kam dazu, und als er die Wunde sah, rieth er mir davon ab, weil er ein Eingeborener sei; ich folgte seinem Rath, und der Patient behielt eine brauchbare Zehe. Im Jahre 1892 wurde ich in Magelang zu einer jungen Frau gerufen, welche durch einen Abortus einen heftigen Blutverlust erlitten hatte. Als ich zu ihr kam, lag sie wie eine Wachsfigur delirirend im Bette, der Puls war weniger als filiformis; die Blutung noch nicht beendigt, und doch wurde mir jeder manuelle Eingriff von Seiten der Familie nicht gestattet. Ich massirte den Uterus durch die Bauchwand, gab eine Arznei, ut aliquid fieri videatur, ging weg, und — nach einem Jahre hatte sie wieder einen Knaben von fünf Kilo. Ich erzähle dieses nur als Pendant zu dem Falle von Dr. Stratz, wobei eine Berlinerin intra partum aus dem Bette ging, um ein gutes Glas »Weisse« sich zu holen.
Wie gesagt, ich kann nur das Echo der allgemein angenommenen Ansicht sein, dass die eingeborenen Frauen leicht entbinden; die Hülfe der Hebammen ist ja eine unbedeutende. Die Dukun erscheint bei der jungen Mutter mit 10–20 Medicinen sowohl für die Mutter als für den zu erwartenden Staatsbürger. Nur sehr selten wird jedoch vor oder intra partum Medicin gegeben; die meiste gilt dem Wochenbette und der Pflege des Kindes; ob nun die äusseren Geschlechtstheile sanft gerieben werden, ob alle Thüren, Fenster, Kisten und Kasten geöffnet werden, dass die Entbindung schneller stattfinde, ob Geld in kupferne Schüsseln geschüttet wird, oder gekochter Reis und Geld zwischen den Füssen der Wöchnerin gestellt wird, um das Kind herauszulocken; ob ihr Urin zu trinken gegeben wird von einem angesehenen Manne, oder ob der Mann ihr ins Gesicht blasen muss, oder ob der Vater mit ausgespreizten[S. 174] Füssen vor der Frau steht und rücklings schreitet, um das Kind, welches sich nach seinem Vater sehnt, zu bewegen ihm zu folgen u. s. w. u. s. w. Das sind doch keine Manipulationen, welche der Mutter und dem Kinde, oder beiden gefährlich werden können. Wenn jedoch bei zögernder Geburt ein langes Tuch, bengkun genannt, um den Oberbauch geschlungen wird, ist dies allerdings schon ein einflussreicher Eingriff; oder wenn bei einer Querlage die äussere Wendung nicht gelingt, oder aus andern Ursachen der Mann auf den Bauch der Wöchnerin tritt und stampft, dann sind Mutter und Kind in ihrem Leben bedroht; das ist wahr, aber dann sind auch bedeutende pathologische Verhältnisse vorhanden, in welchen auch eine europäische Hebamme nicht einschreiten darf und den Arzt holen lassen muss. Nur in Ausnahmefällen wird eine mohammedanische Frau sich dazu entschliessen, männliche Hülfe für einen solchen Fall in Anspruch zu nehmen. Zu wiederholten Malen habe ich es erfahren, dass Männer mich aufforderten, bei der Geburt ihrer Frau gegenwärtig zu sein und etwaigen Falles thätig einzuschreiten; aber immer waren es die Frauen, welche es nicht erlaubten.
Der letzte Fall traf eine javanische junge schöne Frau eines Lehrers, welche durch ihr schlechtes Aussehen in den letzten Wochen ihrer Gravidität den Mann veranlasste, mich zu consultiren. Ich fand normale Verhältnisse von Lunge u. s. w., der Urin hatte kein Eiweiss u. s. w.; aber die Beckenverhältnisse mochte ich nicht untersuchen, und von dem Eintritt der Geburt wurde ich auch nicht verständigt.
Welchen Zweck hätte es also, hier für europäisch geschulte Hebammen Geld, und zwar viel Geld auszugeben? In abnormen Fällen darf die europäische Hebamme ebenso wenig einschreiten, als die Dukun es kann. Bei normalen Geburten schadet die eingeborene Hebamme gewiss gar nicht, oder sicher weniger, als die europäische, weil diese, in ihrer Sucht nach Polypragmasie, oder um ihre Weisheit zu zeigen, die exploration per vaginam immer und immer unternimmt. Welche europäische Hebamme würde übrigens sich begütigen, im Innern des Landes im Kampong zu wohnen, um nur den Eingeborenen Hülfe zu leisten, selbst bei einem Gehalte von 100–200 fl. monatlich? Könnten diese Summen — wie viele müsste es deren im grossen »Insulinde« geben — nicht besser verwendet werden? In Java werden sogenannte Bezirksärzte mit 200 fl. monatlichem Gehalte im Innern des Landes angestellt, und müssen dann sehen, wie sie durch die Privatpraxis nebstdem soviel verdienen können, als sie zu ihrem Lebensunterhalte[S. 175] u. s. w. nöthig haben. Die Regierung würde zweckmässiger thun, einen Theil dieser Stellen durch weibliche Aerzte zu besetzen, welche zur Praxis in vollem Umfange berechtigt wären. Dadurch würde nicht nur eine grosse Zahl der eingeborenen Frauen in ihren Erkrankungen einer wissenschaftlichen Behandlung sich erfreuen können, sondern die moderne Geburtshülfe würde mit Hülfe der weiblichen Aerzte auch in die grosse Menge der Eingeborenen dringen. Wenn diese Doktorinnen nebstdem verpflichtet wären, zu allen Geburten zu gehen, zu welchen sie gerufen werden, bei Entfernungen über 6 Pal (± 9 Kilometer) eine standesgemässe Entschädigung erhielten, und wenn auf ihrem Standplatze ein bescheidenes Zimmer eingerichtet würde, in welchem die Wöchnerinnen die Zeit ihrer Entbindung abwarten könnten, und welches mit einem einfachen Armentarium eingerichtet wäre, wenn diese Doctorinnen exercitii causa alle Entbindungen leiten würden, so dass die eingeborenen Frauen Zutrauen zu ihrer Kunst bekämen, dann würden auch die abnormen Fälle, Steiss-, Querlagen u. s. w., mit Erhalt des Lebens von Mutter und Kind glücklich beendigt werden können.
An weiblichen Doctoren hat Indien ein Bedürfniss, aber nicht an Hebammen welchen nie und nimmermehr die Behandlung »aussergewöhnlicher« Geburtsfälle anvertraut werden darf. —
Die Stellung der europäischen Aerzte ist im Allgemeinen in Indien eine geachtete, und wie wir sehen werden, sind sie ein einflussreiches Glied in der grossen Kette der Beamten, welche die Verwaltung Indiens besorgen. Trotzdem zeigen sie Mängel, welche sich in Europa nicht fühlbar machen, weil dort nur selten von einem Arzte die Totalität der medicinischen Wissenschaft gefordert wird. In Indien muss der Arzt vielseitig, ja noch mehr, er muss allseitig entwickelt sein, so lauge, bis die Regierung zur Erkenntniss kommt, dass eine solche Vielseitigkeit heutzutage unmöglich ist, und dass es daher ihre Pflicht sei, mit diesem Factor zu rechnen. Auf Seite 33 sprach ich schon von dem mangelhaften Wissen der Militärärzte in der medicina forensis, Bauhygiene, Epidemiologie und Militärhygiene.
Im Jahre 1880 wurde in Samarang eine junge Frau des Mordes an einem neugeborenen Kinde angeklagt und vertheidigt von dem Advocaten C. S., welcher heute im »hohen Hause« zu Buitenzorg eine grosse Rolle spielt. Als corpus delicti lag, da der Mord schon vor einem Jahre geschehen sein sollte, wenn ich mich nicht irre, ein ausgegrabener Oberkiefer und ein Seitenwandbein vor. Der Advocat behauptete,[S. 176] dass die anwesenden Knochenreste gar nicht von einem Menschen, sondern von einem Affen herrührten. Er behauptete ferner, und brachte aus einem vor ihm liegenden Haufen von Büchern die Beweise, dass dieser auch nicht constatirt werden könne, weil der Gesichtswinkel zwischen Menschen und Affen keinen Unterschied zeige. Da keine Gerichtsärzte in Indien existiren, wurden nach einander vier Aerzte als Fachleute herbeigezogen, welche durch die angeführten Citate des Advocaten geradezu in beschämender Weise zum Schweigen gebracht wurden. Nichts wäre jedoch leichter gewesen, als dieser unangenehmen Scene zu entgehen. Der Gesichtswinkel (von Camper) kann ja nur an dem intacten Schädel gemessen werden; denn es ist der Winkel zwischen der Linie, welche gezogen wird von dem hervorragendsten Theil der Stirn bis zur Mitte des Oberkieferzahnes und der Linie, welche vom äusseren Gehörgang längs der Basis der Nasenhöhle zu der ersten gezogen wird. Um diesen bestimmen zu können, muss man also wenigstens einen halben Schädel haben. Die Fachleute liessen sich also in eine sterile Debatte mit dem Vertheidiger ein und mussten also den kürzeren ziehen. In diesem concreten Falle ist dies übrigens eine müssige Frage gewesen. Denn die Grösse des Kopfes musste zwischen Mensch und Affe, ausgenommen den Orang, entscheiden.
Der Kopf eines Säuglings ist auffallend grösser als der eines gleich alten Affen auf Java. Da der Orang auf Java ebenso selten als in Europa gesehen wird, so hätte der Vertheidiger erst beweisen müssen, dass in dieser Gegend ein Säugling eines Orang begraben wurde, das wieder eine solche Seltenheit ist, dass es zur Beurtheilung des Falles ganz ausser Betracht bleiben musste.
Wenn ich noch an den sensationellen Mord erinnere, welcher 1896 im Osten Javas Monate lang die Europäer in Spannung erhielt, und der von dem herbeigeholten Arzte als Selbstmord erklärt wurde, so will ich mit diesem Sündenregister abschliessen und nur die Nothwendigkeit betonen, dass in Indien Gerichtsärzte angestellt werden, welche keine Civilpraxis ausüben dürfen; wenn deren einer auf Java, zwei auf Borneo, zwei auf Sumatra und einer für die Molukken angestellt werden, ist eine hinreichende Bürgschaft gegeben, dass dieser Theil der Jurisprudenz die Rolle des Stiefkindes aufgeben könne. Vorläufig wäre es selbst hinreichend, wenn der Arzt, welcher auf der Doctor Djawa-Schule die pathologische Anatomie docirt, als Gerichtsarzt nach allen Theilen des Archipels im Nothfalle gesendet werde.[S. 177] Java wird von einem Telegraphennetze und von einer von Osten nach Westen ziehenden Eisenbahn durchzogen, mit drei Seitenlinien, so dass er im ungünstigsten Falle den zweiten Tag an Ort und Stelle sein kann. Natürlich müsste dieser Fachmann in der pathologischen Anatomie auch auf die Toxikologie, auf den forensischen Theil der Psychiatrie, auf das Stiefkind der medicinischen Wissenschaft, die Biologie, und auf alle Fächer sich verlegen, welche der moderne Gerichtsarzt beherrschen muss, um seinen Posten auszufüllen.
Die »Stadtärzte« sind Beamte von einer zu sehr begünstigten Stellung. Während der Militärarzt, wie wir unten sehen werden, oft von dem Umfang seiner Arbeit erdrückt wird, kann sich der »Stadtarzt« bei einem ziemlich guten Gehalt den grössten Theil des Tages der Privatpraxis widmen, welche, gerade durch seine Stellung als Stadtarzt, gross ist. Obzwar ihm die Behandlung der Patienten in den Civilspitälern anvertraut ist, spielt er dort nur die Rolle des Consiliarius und überlässt die eigentliche Arbeit dem Doctor djawa. Diese würden viel bessere Dienste prästiren im Innern des Landes, wo sie unter Controle der »Civil-Aerzte« nicht nur den Eingeborenen ärztliche Hilfe leisten, sondern auch civilisatorisch Pioniere für die Lehren der europäischen Hygiene u. s. w. werden können. Nach dem Reglement sollen die Stadtärzte auch Gerichtsärzte sein; aber die Untersuchungsrichter sind sehr liebenswürdige Leute und tragen der Thatsache Rechnung, dass die Stadtärzte so wenig Zeit haben, und finden oft genug Ursache, einen Militärarzt als Experten vorzuladen.
Im Jahre 189.. war ich in T., und ein Europäer gab seinem 9jährigen Sohne mit seinem rechten Fusse einen Fusstritt gegen den Podex; das Kind fiel nieder und — war todt; ich hielt Section und fand als Todesursache einen M-förmigen Riss in der Milz. Als »behandelnder Arzt«, als Zeuge und als Experte wurde ich nach S.. gerufen, um in dieser Sache als dreifacher Zeuge zu fungiren. Zufällig oder nicht zufällig wurde ich gleichzeitig nach S.. transferirt und konnte stundenlang vor dem Gerichtshof Rede und Antwort stehen über die Frage der spontanen Risse der Milz u. s. w. Der dazu angewiesene Stadtarzt hatte natürlich keine Zeit. —
Die Behandlung der Beamten, welche unter 150 fl. monatlich Gehalt haben, untersteht auch den Stadtärzten, ebenso wie die Untersuchung der Prostituées. Letztere lässt sehr viel zu wünschen übrig; denn die »clandestine« Prostitution ist ja die vorherrschende, und die Zahl der eingeschriebenen ist ja klein. Das heisst: clandestin gegenüber[S. 178] dem Arzte; die Organisation der Polizei und das Leben in den offenen Häusern bringt es mit sich, dass der Polizei alle Prostituirten bekannt sein könnten, wenn die Beamten es nur wollten. Dies giebt jedoch »Sussah«, d. h. Schreibereien und Schwierigkeiten; es wird also von den Beamten durch die Finger gesehen, und der »Stadtarzt« hat mit der Untersuchung der Prostituées sehr wenig zu thun.
Wie viel tüchtige Aerzte würden diese Stellung gern annehmen, wenn auch die Privatpraxis (wie den höheren Militärärzten) verboten wäre, und höchstens die consultative Praxis oder die Hülfe bei grossen Operationen gestattet wäre. Wenn nebstdem die Stelle des zweiten oder dritten Stadtarztes ebenso gut bezahlt würde, als die des ersten Stadtarztes (700 fl. per Monat), so würden manche Aerzte gern diese Stellung annehmen, weil ihnen damit ein stabiles Amt gegeben wäre, in welchem sie wissenschaftliche Arbeiten leisten könnten. Man könnte zu diesem Amte Aerzte wählen, welche in speciellen Fächern sich thatsächlich ausgebildet haben.
Stadtärzte befinden sich nur in Batavia, Samarang und Surabaya; wenn nun diese drei Städte je einen Chirurgen, Oculisten und Geburtshelfer zu Stadtärzten hätten, wie viel wäre der leidenden Bevölkerung geholfen, wenn, ich will mit Nachdruck wiederholen, keine ephemeren Specialisten, sondern solche Männer, welche factisch nach absolvirten Studien ausschliesslich nur in einem Fach gearbeitet haben, die Stellung der Stadtärzte einnehmen würden.
Die »Civil-Aerzte« sind Aerzte, welche keine Beamten, also nicht pensionsfähig sind, kein Recht auf Urlaub und freie Reisen u. s. w. haben, sondern es sind Aerzte, welche sich im Innern des Landes niedergelassen haben, meistens im Centrum von Zuckerfabriken, Tabaksanpflanzungen u. s. w., und dort den Kampf ums Dasein jucunde et dulce beginnen können, weil die Regierung sie mit fl. 200 per Monat subsidirt, wofür sie die Vaccination beaufsichtigen, die Gefangenen, die niedern Beamten behandeln und in gerichtsärztlichen und polizeilichen Fällen advisiren müssen. In vier Orten bezahlt die Regierung selbst 400 fl., weil kein Arzt sonst sich dort niederlassen würde. Manche dieser Doctoren stehen sich sehr gut und verdienen 1000–1500 fl. per Monat, obzwar auch in Indien »das Fett von der Suppe« für die Aerzte abgenommen ist. Die Concurrenz wird mit jedem Tage grösser.
In den grossen Städten giebt es natürlich noch Civil-Aerzte, welche procul negotiis sind, d. h. gar kein Amt versehen und nur vom Erträgniss ihrer Praxis leben.
[S. 179]
Im Ganzen und Grossen ist die Existenz der Aerzte in Indien bis jetzt eine günstige, und mitunter selbst eine sehr günstige zu nennen: Alle können von ihrem Einkommen standesgemäss leben; viele können von ihrem Einkommen ein kleines Capital für die alten Tage ersparen, besonders durch Kauf einer grossen Lebensversicherung, und einige von ihnen werden reich. Von den letzteren würde die Zahl viel grösser sein, wenn sie sich nicht durch den Speculationsgeist verleiten liessen, an geschäftlichen Unternehmungen sich zu betheiligen, ohne von dem Geschäft auch nur etwas zu verstehen. Es wird nämlich für eine gewöhnliche Visite 2 fl. 50, für eine Entbindung 100 fl. bezahlt, während für Operationen, je nach den Vermögensverhältnissen der Patienten, mehr oder weniger hohe Honorare bezahlt werden. Es sind aber nicht die europäischen Patienten, welche diese günstigen pecuniären Verhältnisse der Aerzte ermöglichen, sondern die Chinesen, von denen vor 10 Jahren auf Java allein sich mehr als 200000 befanden, und (in den grossen Städten) die Armenier. Wenn auch der Mittelstand der Chinesen bei den petites misères de la vie zuerst zu den Hausmitteln der Eingeborenen greift oder in den chinesischen Apotheken sein Heil sucht oder den chinesischen Arzt zu sich kommen lässt, so wird er doch, wie sein reicher Landsmann oder ein eingeborener Häuptling oder Handelsmann, bei längerer Dauer die Hülfe eines europäischen Arztes suchen. Die Zahl der Chinesen ist in allen grossen Städten, und auch im Innern des Landes, sehr gross; nebstdem ist unter ihnen die Zahl der »Reichen« viel grösser als unter den Europäern; in der Regel kommt er als Kuli ins Land und ist und bleibt sparsam bis er reich ist. Wenn er als Kuli 25–30 Kreuzer täglich verdient, wird er die Hälfte täglich brauchen, so lange bis er 10–15 fl. erspart hat; dann zieht er in den Kampong und spielt den Wucherer bei den Eingeborenen, bis ihm dieses oder jenes kleine Grundstück von einem säumigen Schuldner zufällt. Auch dann wird er immer und immer sparen; wenn er selbst schon Tausende und Tausende besitzt, wird er vielleicht bei einer Hochzeit seiner Tochter ein luxuriöses Fest geben und z. B. für das Feuerwerk allein 1000 fl. bezahlen, aber die Sparsamkeit und die Nüchternheit bleiben die Basis seines täglichen Lebens.
An anderer Stelle werde ich das Leben dieses conservativen Volkes skizziren, soweit ich Gelegenheit hatte, als practischer Arzt dieses kennen zu lernen; hier jedoch sei ihrer nur als pièce de résistance des europäischen Arztes erwähnt. Nur durch ihre grosse Zahl und durch ihre pünktliche Bezahlung des Arztes ist es möglich[S. 180] geworden, dass eine grosse Zahl europäischer Aerzte in Indien eines reichlichen Einkommens sich erfreuen können. Selbst der »kleine Mann« wird am ersten des Monates für jede Visite, welche der europäische Arzt bei ihm gemacht hat, den Ryksdaalder bereit haben, wenn der Einkassirer bei ihm erscheint, um die quittirte Rechnung zu präsentiren. Ich z. B. hatte tausende und tausende Chinesen behandelt, und davon habe ich keine fl. 200 unbezahlter Rechnungen zurückgelassen; ja noch mehr; in Magelang brachte mir der Einkassirer einmal die Nachricht, dass ein von mir im abgelaufenen Monat behandelter Chinese in seine Heimath zurückgereist sei; ich legte, überrascht von dieser ungewöhnlichen Erscheinung, die Quittung zu ihren europäischen Schicksalsgenossen; nach vielen Monaten war er aus China zurückgekehrt und — bezahlte die alte Rechnung!
Von der landläufigen Sage, dass der Chinese seinen Arzt nur für das Gesundsein bezahle, ist in Indien nichts bekannt; aber eine andere Eigenthümlichkeit ist mir in der Praxis aufgefallen. Zur Zeit, dass der Chinese in Behandlung ist, zeigt er gegenüber dem behandelnden Arzt eine besondere Liebenswürdigkeit; Früchte, Bäckereien, Fische, nationale Speisen, wie essbare Vogelnester, Kimlo, bami wurden mir ins Haus geschickt, so lange ich behandelte; in der Pause jedoch ignorirte mich manchmal derselbe Chinese in auffallender Weise, ja er grüsste mich nicht einmal. Ein gewisser Aberglaube scheint die Ursache von diesem auffallenden Benehmen zu sein.
Sind in Europa die Tanten, Nichten und Schwestern des Patienten der Schrecken jedes Arztes, weil sie ihre vereinzelten Erfahrungen gegenüber dem Arzte zur rechten und zur unrechten Zeit geltend machen, noch mehr hat in Indien der Hausdoctor darunter zu leiden. Wenn in Holland verlangt werden würde, nicht nur die Therapie der Bauern, sondern auch ihre Lebensweise und ihre prophylaktischen Maassregeln kritiklos anzunehmen, würde der Arzt von allen gebildeten Familienangehörigen im Zurückweisen derselben eine Stütze finden; in Indien wird dieses auf Grund landläufiger Phrasen gefordert; z. B.: »Jedes Land hat seine Krankheiten, für welche Gott auch dort selbst die Medicinen gegeben habe«; oder aber: »Kommt man in ein fremdes Land, müsse man die Gebräuche und Sitten des Landes annehmen«; oder aber: »Probiren geht über Studiren« u. s. w. Durch die Erziehung sind die in Indien geborenen Europäer diesbezüglich in eine Reihe mit den halbeuropäischen Familien zu stellen. (Aus der Therapie eines europäischen Arztes allein kann man sofort ersehen, wo seine Wiege[S. 181] gestanden und wo er die ersten Eindrücke für seinen Geist und sein Gemüth erhalten hat. Ohne Ausnahme greift der in Indien geborene europäische Arzt, auch wenn er einige Jahre die Mittelschulen (Gymnasium oder Realschule) in Europa absolvirt und natürlich die Universitäten von Holland besucht hat, bei den petites misères de la vie zuerst zu den »indischen« Hausmitteln, obzwar, wie wir sahen, eine bestimmte Dosirung der wirkenden Bestandtheile damit nicht verbunden ist; denn auch der Arzt kann sich den herrschenden Einflüssen nicht entziehen.) Lässt das Kind den Kopf hängen oder klagt es über Kopfschmerzen, wird die Babu (= Kindermädchen) dem Vater des Kindes, auch wenn er Arzt ist, nichts davon mittheilen, sondern ihm auf die Stirn mit Sirihkalk irgend eine mystische Figur zeichnen und darauf ein Stück der Limonaschale aufkleben. Ist ein Erwachsener unwohl, wird die Babu ihm Ricinusöl oder ein Adstringens, z. B. die Blätter der Djambufrucht (Psidium guajava) oder die Rinde von Djamblang (Syzygium jambolanum) (welche in letzter Zeit gegen Diabetes anbefohlen wird) mit solcher Ueberredungskunst anbefehlen und sofort auch anbieten, dass schon zur Würdigung ihrer guten Absichten davon Gebrauch gemacht wird. Dann kommen natürlich die verschiedenen weiblichen Familienmitglieder, und bei einer Entbindung die Dukun, welche die Pflege der Wöchnerin und des neugeborenen Kindes auf sich genommen hat. Eine Schüssel mit 10–20 Medicamenten bringt sie mit und probirt zuerst, hinter dem Rücken des Arztes, eins für die Blutreinigung, das andere für die Wehen, ein drittes für die Lochien u. s. w. anzubieten. Gelingt es ihr, nur eins verkaufen zu können, wagt sie sich sofort auch an den Arzt und erzählt ihm von den zauberhaften Erfolgen ihrer Medicamente. Ich für meine Person stellte jedes Mal die Bedingung, dass für jedes Medicament, welches von der Dukun angeboten wird, meine Zustimmung eingeholt werde; jedes Mal erlaubte ich es, dass zum Verbande der Nabelschnur ein Pulver gebraucht werde, welches die Dukun bereitete, indem sie den Kochlöffel, mit dem der Kaffee geröstet wurde, abkratzte; alle anderen, und besonders die internen, wurden für den Fall angenommen, als es nöthig werden sollte. Dies war natürlich niemals der Fall.
In chirurgischen Fällen hat der Arzt beinahe niemals solche Schwierigkeiten; bei der so oft vorkommenden Furunculosis jedoch schwirren die therapeutischen Vorschläge wie Spreu im Wirbelwind um den Kopf des Arztes, welcher zu einem solchen Patienten gerufen wird. Zwölf Sorten Blätter werden gebraucht, um die Furunkel zum »Aufgehen«[S. 182] zu bringen, und in der Regel muss der Arzt über jedes einzelne seine Ansicht aussprechen, bevor es ihm gelingt, seine Therapie vorschlagen zu können. Es ist vielleicht hier der Platz, über diese indische Landplage einige Worte zu verlieren.
Die landläufige angebliche Ursache dieser endemischen Krankheit, das Essen der Mangga (mangifera indica), beruht nach meiner Erfahrung auf keiner thatsächlichen Basis. Hunderte und tausende essen diese saftreiche, stark nach Terpentin riechende Frucht, ohne Furunkeln zu bekommen; 25 Sorten dieser Frucht sind bekannt, darunter sind die Mangga Kopior, von der Grösse einer Faust, und die Mangga padang geradezu herrliche Früchte zu nennen.
Auch der Genuss von der Papaja (Carica papaya) (vide Seite 69) wird als Ursache einer Hautkrankheit angegeben; sie wird beschuldigt, hin und wieder eine Gelbfärbung der Haut zu veranlassen (Dr. Jacobs). Ob jedoch thatsächlich ein Causalnexus zwischen diesen beiden Früchten und den erwähnten Hautkrankheiten besteht, ist noch die Frage. Die Furunculosis scheint vielmehr von andern Ursachen abzuhängen, welche mit dem Reifen der Manggafrucht zeitlich zusammenfallen. Die Ernte dieser Frucht fällt in die Zeit des Kentering von dem Ost- in den Westmonsun (vide Seite 52). Zu dieser Zeit kommen die meisten Fieberfälle vor; die dadurch veranlasste Cachexie ist ein starkes ätiologisches Moment in der Entstehung zahlreicher Hautkrankheiten. Wenn auch mit Unrecht die Hebrasche Schule beschuldigt wurde, die Dyskrasien aus der Aetiologie der Hautkrankheiten entfernen zu wollen, so ist sie doch die Ursache gewesen, dass (besonders seit dem Aufschwung der Bacteriologie) Jahrzehnte lang beinahe ausschliesslich das Mikroskop in dieser Lehre die Herrschaft führte.[36]
Im Jahre 1880 wurde ich dem Civil-Departement zugewiesen und nach dem Süden des westlichen Javas gesendet, um in den damaligen Fieberepidemien mit Hülfe von Krankenwärtern der mit dem Aussterben bedrohten Bevölkerung Hülfe zu bringen. (Im dritten Theile werde ich diese Epidemien ausführlicher erwähnen.) Ein fürchterliches Bild socialen Elendes bot sich mir damals dar. Die durch das Fieber erschöpften Patienten waren bedeckt mit Impetigo, Ectyma und colossalen Geschwüren (in Folge ihrer unzweckmässigen Behandlung mit durchlöcherten Kupfermünzen).
[S. 183]
Im Jahre 1895 kamen zahlreiche Dysenteriefälle und andere Darmkrankheiten von Lombok nach Magelang. Sobald sich bei diesen Unglücklichen auf dem Körper zahlreiche impetiginöse Pustelchen zeigten, wurde die Prognose infaustissima. Die humoral-pathologischen Anschauungen in der Dermatologie, wie sie Peter Frank (1792), Struwe (1829), Schönlein und C. H. Fuchs (1840) lehrten, waren also nach diesen meinen Erfahrungen so weit gerechtfertigt, als sie nicht jene Krankheit betrafen, wie z. B. die Scabies, welche mit Recht parasitären Ursprungs sich herausstellten. Wenn also die Humoral-Pathologie in der Dermatologie raison d’être hat, so muss doch noch der Beweis gebracht werden, dass die Furunculosis in Indien durch den Genuss der Mangga-Frucht entstehe. Die zwei letzten Fälle, welche ich zu beobachten Gelegenheit hatte, betrafen eine Lehrerin und einen Arzt, welche beide an Malaria gelitten hatten; bei beiden war die Zahl der Furunkeln innerhalb eines halben Jahres bis über 200 gekommen; beide litten fürchterlich sowohl durch die Schmerzen als durch die Erschöpfung, und beide erholten sich erst, als sie nach einer Reise nach Europa von ihrer Malaria befreit waren.
Die Praxis der Aerzte ist in Indien eine schöne und vielseitige und zwingt ihn bald, selbständig zu werden und sich von etwaigen Consilien mit andern Collegen zu emancipiren. Wie oft ist er in Gegenden thätig, wo auf hunderte von Meilen kein zweiter Arzt wohnt. Auf Java kommt man diesbezüglich nicht so leicht in Verlegenheit; aber in Borneo z. B., wo ich im günstigsten Falle in 8–10 Tagen Assistenz und den Rath eines zweiten Arztes erhalten konnte. Ja, ich zweifle keinen Augenblick, dass in ganz Holland kein einziger Arzt so vielseitige Erfahrungen sammeln kann, als ein Arzt in Indien.
Das ist auch die Ursache, dass man in Indien nicht so leicht zu Consilien übergeht, auch wenn man Collegen in der Nähe hat. Nebstdem ist ein consilium pour acquit de conscience für den Patienten ein theurer Spass — es wird fl. 25 dafür gerechnet — und bei dem Mangel an thatsächlich specieller Ausbildung auch nicht empfehlenswerth. In letzter Zeit bessern sich die Verhältnisse diesbezüglich auf Java; wir haben tüchtige Oculisten, Chirurgen, Gynäkologen und Ohrenheilkundige gekannt; aber auf Borneo gehören diese noch zu dem frommen Wunsche. Uebrigens ist ja die Ausbildung der jungen Aerzte auf den holländischen Universitäten im Allgemeinen sehr gut; sie können, in die Praxis eingeführt, in jedem einzelnen Falle durch die Literatur leicht Rath erholen und sind manuell auf der Schule genug geübt[S. 184] worden, um auch im Nothfalle die Praxis der Specialisten üben zu können, und zwar mit Erfolg. Anfangs der achtziger Jahre scheint jedoch ein schlechter Geist unter den holländischen Studenten geherrscht zu haben. Vielleicht generalisire ich damit zu viel, und es trifft nur eine der vier Universitäten des Landes diese Schuld. Ich habe nämlich in dem Jahre 188.. junge Aerzte nach Indien kommen gesehen, die ebensoviel durch ihre Unwissenheit und manuelle Ungeschicklichkeit, als auch durch ihren Indifferentismus gegen die Wissenschaft als solche, geradezu eine traurige Rolle spielten. In den letzten Jahren begegnete ich jedoch jungen Aerzten, welche mir imponirten durch ihr Pflichtgefühl, durch ihr grosses theoretisches Wissen, durch ihre manuelle Fertigkeit, welche nur das Resultat langer Uebung sein kann, und welche beseelt waren von dem feu sacré de la jeunesse, den leidenden Menschen zu helfen. Sie bilden einen grassen Gegensatz z. B. zu jenem Arzte, welcher, noch grün hinter den Ohren, die Gynäkologie als sein Specialfach ausgab und ohne Leitung allein, erst in der Praxis in Indien sich dazu ausbildete!! Wie ich jetzt höre, hat er es in den letzten Jahren zu einer bedeutenden Fertigkeit gebracht; aber ich kannte ihn zur Zeit des Anfanges seiner indischen Laufbahn und sah mit Staunen, wie ein Mann es wagen dürfe, ohne Leitung, allein, gestützt durch die Bücher, auf Kosten der armen Patienten zum gynäkologischen Operateur sich auszubilden. Wenn er die Flüche gehört hätte, welche seinem tollkühnen Unternehmen von einzelnen Patienten gezollt wurden, hätte er vielleicht mit einer bescheideneren Rolle, als der eines Gynäkologen, sich begnügt! Das Traurigste bei der Sache war jedoch, dass die Sanitätsbehörden es sahen und schwiegen. Dieser Mann traurigen Andenkens vergass seinen Beruf, der leidenden Menschheit zu helfen; er hat wahrscheinlich sein Ziel erreicht, und hat wahrscheinlich eine gewisse Routine und Fertigkeit im Operiren erlangt; aber die Opfer seines Noviciats waren überflüssig, weil operative Fälle der Gynäkologie in der Regel warten können, bis sie von befugter Hand behandelt werden können.
Die Praxis bei Kindern giebt dem europäischen Arzt in Indien noch mehr Schwierigkeiten als in Europa; sind die europäischen Kindermädchen abergläubisch, so sind es noch mehr die indischen; diese wissen aber in der Regel, und selbst auf Kosten der Gesundheit ihrer Schützlinge, ihre Ansichten geltend zu machen, wie es in Europa gewiss Ausnahme ist. So z. B. soll nach ihrer Ansicht bei keiner Erkrankung des Darmes ein Ei, bei keiner Hautkrankheit weisses Fleisch (vom Huhn, Kalkun u. s. w.) und bei keiner Augenerkrankung[S. 185] eine Garnale dem Patienten gegeben werden u. s. f. Ein schroffes Entgegentreten dieser Anschauung, oder vielmehr ein principielles Negiren aller ihrer abergläubischen Ideen hat mir viel bessere Dienste geleistet als das politische unbestimmte, halb zustimmende, halb ablehnende Besprechen der therapeutischen und prophylaktischen Principien der Eingeborenen. Wie viel diese das Gebiet des Geschlechtslebens beherrschen, kann man sich kaum vorstellen, und die Zahl der Aphrodisiaca ist gross. Nur selten wird ein chinesischer oder eingeborener Don Juan sich in diesen Sachen an den europäischen Arzt wenden; sie fürchten, bei diesem kein Verständniss für ihre Klage zu finden. Der europäische Arzt kommt also selten in die Lage, sich mit der Frage der Aphrodisiaca zu beschäftigen.
Ein eigenthümlicher Dienstzweig der europäischen Aerzte ist das Abgeben der ärztlichen Zeugnisse. Die gewöhnlichen Lebensversicherungen fordern gegen Bezahlung von fl. 25 eine ausführliche und genaue Untersuchung; es giebt aber auch Vereine, welche von dem Arzt nur die Erklärung fordern, dass der Candidat »dieselbe Lebenschance habe als jeder andere gesunde Mensch von seinem Alter«. Es sind dies Vereine der Chinesen, welche nach dem Tode des Mitgliedes der Wittwe sofort einen gewissen Betrag zur Hand stellen; ein ähnlicher Verein hat sich unter den Officieren der Landarmee gebildet, welcher der Wittwe sofort nach dem Tode des Mannes 1000 fl. auszahlt; die Mitglieder des Vereines zahlen facultativ, d. h. bei jedem Todesfall je nach ihrem Rang 1–1½-2 fl. und erwerben dadurch das Recht, ihrer Frau (oder anderen Familienmitgliedern) fl. 1000 bei ihrem Todesfalle ausbezahlen zu lassen. Die chinesischen Vereine, welche dasselbe Ziel sich gesetzt haben, verlangen nichts anderes als oben erwähnte Erklärung und kümmern sich nicht darum, auf welche Untersuchung gestützt der Arzt seine Erklärung abgiebt. Richtiger ist jedoch das Princip der europäischen und amerikanischen Lebensversicherungsgesellschaften, welche von dem Arzte nur die Mittheilung des Befundes verlangen und es ihrem advisirenden Arzt überlassen, darauf seinen Beschluss zu fassen.
Neben diesen ärztlichen Zeugnissen hat der europäische Arzt vielfach Gelegenheit, für die zahlreichen Beamten und Officiere solche auszustellen. Der Eine verträgt das Strandklima nicht und muss ins Gebirge versetzt werden; der Andere leidet im Gebirge an Diarrhoe oder Bronchialkatarrh und erhofft im warmen Klima der Ebene Heilung von seinem Leiden; ein Dritter hat schon alle Zonen der Tropen bewohnt[S. 186] und erwartet noch von einem Aufenthalt in Europa Rettung; ein Vierter braucht ein Impfzeugniss für seine Kinder, welche die Schule besuchen müssen; ein Fünfter muss dem Schützencorps (in den drei grossen Städten Javas) eingereiht werden und findet sich zu schwach dazu und hat auch keine Lust, bei der Feuerwehr Dienst zu leisten; ein Sechster wurde von einem tollen Hunde gebissen und möchte gerne auf Staatskosten nach Batavia gehen u. s. w. In früheren Jahrzehnten herrschte beim Abgeben dieser »Certificate« eine laxe Moral, welche unter dem Deckmantel von wissenschaftlichen Schlagwörtern eine Folge der Nonchalance, leichtsinnigen Auffassung der Verhältnisse, manchmal falsch verstandene Humanität oder Hascherei nach Popularität war. Im Jahre 188.. sah sich die Regierung selbst bemüssigt, die Annahme der »Certificate« eines Arztes zu verweigern, »weil er das Interesse des Reiches nicht beherzigte«. Ich selbst habe einen Stabsarzt gekannt, der urbi et orbi verkündigte, dass jeder ein »Certificat für Europa« von ihm bekommen könne, der 8–10 Jahre hintereinander in den Tropen gelebt habe, weil (damals war die Diagnose Neurasthenie noch nicht geläufig) durch einen so langen Aufenthalt im Tropenklima das Nervensystem geschädigt sein müsse und einer Erholung bedürfe. (Als ob ein Aufenthalt im Gebirge nicht dasselbe Ziel erreichen könnte.) Da die Regierung die Kosten einer Transferirung oder eines Urlaubes nach Europa (inclusive für Frau und Kind) bezahlt, so handelte es sich damals um grosse Summen, welche die Abgabe solcher »Certificate« veranlasste.
Im Jahre 188.. lebte ich in der Hauptstadt des Bezirks X. An der Grenze desselben wohnte der Controleur Y., welcher mit einer Dame aus Amsterdam verheirathet war. Dieser Dame gefiel das Leben in Indien, und noch dazu an der Grenze eines Bezirkes, so wenig, dass sie ihren Mann veranlassen wollte, entweder mit Urlaub zu gehen oder den Abschied aus dem Dienst zu nehmen. Einen Urlaub zu nehmen und nach Europa auf eigene Kosten zu gehen, d. h. für sich, seine Frau, zwei Kinder und eventuell für eine Babu die Transportkosten zu zahlen, hätte ihn einige tausend Gulden gekostet. Er wandte sich also an mich mit der Bitte, ihm ein »Certificat nach Europa« zu geben!! Im ersten Augenblick kochte das Blut in mir über das Verlangen, ein solches ärztliches Zeugniss erhalten zu wollen, ohne dass er krank gewesen war, ohne dass er, und wäre es nur für eine einzige Woche, unter meiner ärztlichen Behandlung gewesen wäre. Ich liess jedoch von meiner Entrüstung nichts merken, sondern nahm[S. 187] mir vor, ihn dafür gut »abzuführen«. Es war mir nämlich bekannt, dass dieser Mann in seiner Frau geradezu eine Xantippe gefunden hatte, welche sein Leben ihm mit Klagen und Vorwürfen verbitterte, dass er sie dem herrlichen Leben der Grossstadt A. entrissen und in eine Einsiedelei gebracht habe. Darauf basirte ich meinen Plan der Bestrafung. Ich bestimmte einen Tag der folgenden Woche, an dem er mit einem Stempelbogen zu mir kommen sollte. Zur angewiesenen Stunde erschien der gute Mann. Ohne ihn zu untersuchen oder über seinen Zustand zu befragen, übernahm ich den Stempelbogen, schrieb das »Certificat«, und mit einem freudestrahlenden Gesicht und unter überschwänglichen Worten des Dankes wollte er mich verlassen. Ich hielt ihn jedoch zurück mit den Worten, ob er denn kein Verlangen habe zu erfahren, für welche Krankheit ich es unter Eid »noodzakelijk« erklärt habe, dass er nach Europa gehen müsse. Es war ein Mann, der vielleicht um 10 cm grösser war als ich, ein homo quadratus von strotzender Gesundheit. Er warf einen Blick in das »Certificat«, und wüthend zerriss er das Papier. Ich hatte geschrieben, »dass zur Erholung des Herrn Y., Controleur zu X., ein 2jähriger Urlaub seiner Frau nöthig sei!« Als er jedoch mir über diesen schlechten Witz Vorwürfe zu machen begann, wies ich ihm einfach die Thür mit den Worten: »Sind Sie froh, dass ich Ihr Verlangen mit einem »schlechten Witz« beantwortet habe; seitdem ich hier bin, sind Sie niemals krank gewesen oder haben sich wenigstens nicht unter meine Behandlung gestellt. Adieu.«
Diesen ungesunden Zuständen hat die Regierung vor einigen Jahren in radicaler Weise ein Ende gemacht. In allen Fällen, dass ein Kranker ohne Nachtheil vor einer Commission von drei Aerzten erscheinen kann, entscheidet diese über die Nothwendigkeit eines Urlaubes nach Europa; der behandelnde Arzt giebt dem Candidaten eine historia morbi mit, die Commission untersucht den Kranken, verabfolgt das »Certificat« und reicht übrigens eine genaue Beschreibung seines Zustandes ein, welche auf amtlichem Wege nach Holland geschickt wird. Hier ist (in dem Haag) eine stabile Commission, welche vor Ablauf des Urlaubes den Kranken wieder untersucht und festsetzt, ob der Kranke nach Indien zurückkehren könne, ob sein Urlaub verlängert (bis 3 Jahre) oder ob der Candidat überhaupt im Interesse seiner Person und des Dienstes pensionirt werden müsse.
Es ist eine eigenthümliche Erscheinung, dass diese Commission so viel als möglich aus Militärärzten besteht, und zwar sowohl in Indien[S. 188] als in Holland. In dem Haag ist der Präsident ein pensionirter Oberstabsarzt, und die zwei Mitglieder werden aus der Zahl der Militärärzte genommen, welche zeitlich mit Urlaub in Holland sich aufhalten; und in Indien sind es die jeweiligen drei ältesten Militärärzte der Superarbitrirungscommission, welche diesen Zweig der ärztlichen Praxis ausfüllen müssen.
Auch einen »Gesundheitsrath« haben die drei grossen Städte Javas, welche die Hygiene der Stadt überwachen sollen. Auf Bandjermasing bestand weder zu meiner Zeit noch jetzt ein solcher; dort holen sich die Verwaltungsbeamten von dem militärischen Landessanitätschef etwaigen Rath.
Jene Civilärzte, welche im Innern des Landes eine monatliche Zulage als Gerichtsärzte bekommen, sowie der erste Stadtarzt in den grossen Städten sind mit der Aufsicht über die Impfung betraut. Die Oberaufsicht über die Vaccination führt jedoch ein »Inspector« von der »bürgerlijk geneeskundige dienst«. Die Impfung geschieht nämlich nicht von Aerzten, und nicht einmal von den »Doctoren djawa«, sondern von Vaccinateuren, d. h. von Eingeborenen, welche bei einem alten Vaccinateur Monate oder Jahre lang assistiren, sich nach einiger Zeit bei irgend einem Arzte einer Prüfung unterwerfen, von diesem ein Zeugniss ihrer theoretischen und praktischen Befähigung ausstellen lassen, und bei einer etwaigen Vacatur auf Grund dieses Zeugnisses sich um diese Stellung bewerben. Sein Gehalt beträgt 30–50 fl. monatlich. Dieses System hat sich bis jetzt sehr gut bewährt, und es geschieht sehr häufig, dass selbst europäische Mütter von dem eingeborenen »Mantri Djadjar« = Vaccinateur ihre Kinder impfen lassen, weil er mit einem bescheidenen Honorare sich zufrieden giebt. Der Vaccinestoff ist seit einigen Jahren vorherrschend ein animaler; er wird in Weltevreden auf gewöhnliche Weise gewonnen und nach dem ganzen Archipel an die Vaccinateure und Doctoren gesendet. Die Ersteren, welche von Dorf zu Dorf wandern müssen, gebrauchen natürlich noch sehr oft die humanisirte Lymphe; die Doctoren jedoch, welche zur Impfung gerufen werden, lassen sich in der Regel, ich glaube gegen eine Bezahlung von 2 fl., eine Phiole animaler Lymphe kommen, um damit gleichzeitig einige Kinder ihrer Clientel zu impfen. Dort, wo keine Civilärzte sind, ist der älteste Militärarzt mit der Aufsicht über die Vaccination betraut, muss jedes Jahr eine Inspectionsreise in seinem Vaccinationsbezirk machen und darüber einen ausführlichen »Rapport« einreichen. Nur einmal, und zwar im Jahre 1882, sah ich mich bei[S. 189] einer solchen Inspectionsreise veranlasst, radicale Maassregeln an den Residenten vorzustellen und hierüber an den Sanitätschef zu berichten, welcher mir auch einige Worte der Anerkennung dafür schriftlich sandte. Im zweiten Theile werde ich darüber ausführlicher sprechen, weil es ein schönes Fest war, welches ich damals im Innern von Sumatra gesehen habe; aber das Resultat meiner Inspection war damals ein trauriges. 500 junge Mädchen wurden mir vorgeführt, und bei einer grossen Anzahl derselben waren die alten Narben die von grossen Geschwüren; auch unter den jüngsten, d. h. welche erst vor 14 Tagen eingeimpft waren, befanden sich zahlreiche grosse Geschwüre. Mich mit einer genaueren Untersuchung dieser Geschwüre einzulassen, war nicht möglich, wie wir sehen werden. Ich stellte jedoch dem Residenten, der gleichzeitig dort anwesend war, vor, den Vaccinateur nach dem Hauptplatze zurückgehen zu lassen, um bei mir einige Lectionen zu nehmen, den alten Vaccinestoff aussterben und neue Lymphe von Batavia kommen zu lassen.
Seit einigen Jahren wird eine antiseptische oder vielmehr aseptische Impfung von den Vaccinatoren verlangt; ich zweifle aber sehr, ob ohne Controle diese auch ausgeführt wird. Der Vaccinateur führt zwar ein Fläschchen mit Carbol und Sublimat mit sich; wenn er jedoch im Kampong 50–100 eingeborene Kinder zu impfen hat, wird sich seine Antisepsis wohl nur darauf beschränken, mit einem schmutzigen Lappen den Arm mit Carbol zu befeuchten und das Messer damit abzuwischen. Aber, wie gesagt, dennoch ist der Vaccinateur »the right man in the right place«; denn ohne grosse Auslagen wird der Segen der Vaccination bis in die entferntesten Kampongs des ganzen indischen Archipels eingeführt.
[S. 190]
Geographie von Borneo — Reise des dänischen Gelehrten Dr. Bock — Besteigung des Berges Kinibalu — Die Syphilis in Indien — Beschneidung.
Dr. Posewitz, welcher mein Nachfolger in Buntok wurde, hat nicht nur die Geologie der Insel Borneo ausführlich beschrieben, sondern auch mit gründlichem Fleisse die Namen aller Gelehrten gesammelt, welche sich mit der Ethnographie, Geographie und allen verwandten Wissenschaften dieser Insel beschäftigt haben.
Ob aber die Karte von Borneo in dem grossen Atlas von Stemfoort und ten Siethoff, welcher in den Jahren 1883–1885 verfertigt wurde, sich auch auf die Untersuchungen dieses Geologen basirt, ist mir nicht bekannt; auch kenne ich die Quelle nicht, welcher diese beiden Kartographen die Höhenangaben der einzelnen Berge von Borneo entnommen haben.
Borneo zerfällt in drei Theile: 1. Der Süd-Osten Borneos, dessen Grenze im Norden der Gebirgszug ist, welcher von der nördlichsten Spitze zur Westküste parallel mit der Nordküste zieht, im Westen der »westliche Theil« von Borneo, im Süden die Javasee und im Osten die Strasse von Makassar. Das Innere und der Süden des Landes, welcher früher das Bandjermasingsche Sultanat genannt wurde, ist seit dem Jahre 1864 direkter holländischer Besitz, während die Ostküste aus einzelnen kleinen Staaten[37] besteht, welche unter malayischen Fürsten in grösserem oder kleinerem Maasse die Souveränität der holländischen Regierung anerkannt haben. Der mächtigste und einflussreichste dieser Fürsten ist der Sultan von Kutei.
2. Die »westliche Hälfte« der Insel mit der Hauptstadt Pontianak ist ebenfalls im Besitze der Holländer.
3. Der Norden Borneos steht unter englischer Oberherrschaft und besteht aus den Staaten Saba, Brunei und Serawak mit der Insel Labuan.
[S. 191]
Die triangularische Aufnahme dieser Insel hat sich bis jetzt auf die der Küste beschränkt, während die anderen Inseln des indischen Archipels so ziemlich genau schon bekannt sind. So ist z. B. die triangularische Aufnahme der Insel Sumatra im 1. Grad und die von Java schon seit langer Zeit im 2. Grad vollendet. Wann es möglich sein wird, die Schwierigkeiten zu überwinden, welche mit einer triangularischen Aufnahme von Borneo verbunden sind, lässt sich natürlich heute nicht feststellen.
Der Lauf der Flüsse wird von den europäischen und eingeborenen Beamten aufgenommen, wenn sie auf ihren Kähnen das Land durchziehen. Natürlich hat diese Aufnahme nur dann einen dauernden Werth, wenn es sich um den Lauf der Flüsse jenseits des angespülten Landes handelt; denn im Alluvium und im Diluvium ist das Bett der Ströme ein ewig wechselndes.
Der Lauf der Gebirge hat die Form einer Gabel mit vier Zinken, und es hat also Borneo eine vierfache Wasserscheide, und zwar mit sehr grossen Strömen. Die bedeutendsten Flüsse dieser Insel sind folgende: An der Nordküste der Rajang- oder Redjangfluss, der Beram- und der Bruneifluss. An der Ostküste münden der Kinabalang-, Bulangan-, Mahakam- und der Pasirfluss. In die Javasee ergiessen sich der Baritu, Kapuas Murong (= kleiner Dajakfluss) und Kahajan (= grosser Dajakfluss), welche nicht weit von der Mündung ineinanderströmen und zwei Inseln bilden, und zwar die Inseln (Pulu) Petak und Kupang; nebstdem wären an der Südküste noch erwähnenswerth die Flüsse Katingan-, Sampit- und Pembuasfluss (Fig. 8). An der Westküste ist der Kapuas der einzige bedeutende Fluss, welcher mit zahlreichen Kanälen und Armen sich in die Karimatastrasse ergiesst.
Was die Orographie dieser Insel betrifft, so lässt sie noch viel zu wünschen übrig; nur von einzelnen Bergen ist die Höhe bekannt. So z. B. sollen im Osten der Insel die Berge Melihat und Beratus ungefähr 1000 Meter hoch sein, während in der Nähe der Nordküste (116° 30′ O. L. und 6° N. B.) der Kinibalu eine Höhe von 4170 Meter haben soll.
Es sind, wie oben erwähnt wurde, vier Gebirgszüge, welche Borneo durchziehen. Der erste beginnt von der nördlichsten Spitze und zieht beinahe parallel zur Nordküste nach Westen und bildet theilweise mit seinem Bergrücken die Grenzlinie zwischen Serawak und dem holländischen Borneo. Der zweite Gebirgszug zieht nach dem Südwesten[S. 192] und ist die Grenze zwischen dem westlichen und südöstlichen Theil von Borneo. Der dritte geht beinahe in senkrechter Linie nach Süden und der vierte in einer concaven Linie nach dem Südosten der Insel und scheidet die mehr oder weniger abhängigen Staaten mit eigenen Fürsten von dem ehemaligen Bandjermasingischen Reiche.
Der höchste Berg der Insel ist der bereits erwähnte Kinibalu, der durch seine Lage in der Nähe der Nordküste den Seefahrern nach China und Java hinreichend bekannt ist; auf der Westseite hat seine Spitze die Form eines abgestumpften Kegels.
Schon vor 40 Jahren, und zwar im Jahre 1858, wurde die Besteigung desselben versucht, und zwar von zwei Seiten. Die erste Expedition wollte die Quelle des Tampasuk aufsuchen und von dort aus den Gipfel erreichen (April 1858). Längs dieses Flusses drang man vorwärts; »die Schwierigkeiten waren nicht geringer Natur, denn bald war der Fluss zu durchwaten, bald ging es über zerbröckelte Granitfelder, bald durch Urwälder. Tief hatte der Strom und seine zahlreichen Nebenflüsse den Boden durchwühlt; Landstürze und Erdrutsche bedrohten die Reisenden von allen Seiten, und selbst ungeheure Granitblöcke, die ursprünglich auf dem Gipfel des Berges gelegen haben mochten, waren durch die Gewalt des Wassers weit ins Land hineingeführt. Nach den starken wolkenbruchartigen Regengüssen, die im Innern Borneos keineswegs zu den Seltenheiten gehören, steigen die wilden Ströme oft binnen wenigen Stunden 50 Fuss hoch und reissen dann mit unwiderstehlicher Gewalt Alles, was ihnen in den Weg kommt, selbst die schwersten Felsmassen, wie leichte Spielbälle mit sich fort. Die von ihnen weggeschwemmte Erde wird lange Zeit im Wasser schwebend erhalten und erst an den Küsten abgesetzt, wo sie dann den fruchtbaren Alluvialboden bilden hilft.«
»Die Natur an den Abhängen des Kinibalu ist ungemein reich, namentlich wachsen hier die schönen Nepenthes-Arten und rothe, gelbe oder violette Alpenrosen. Die Kälte nimmt zu, je näher man dem Gipfel kommt, und als die Reisenden die zweite Nacht nach ihrem Aufbruche in einer Höhle zugebracht hatten, fanden sie am andern Morgen alle Gebüsche mit Reif überzogen. Auf die Rhododendron-Büsche folgte nacktes granitisches Gestein, und aus diesem erhob sich, 3000 Fuss hoch, noch fast senkrecht ansteigend, der Gipfel des Berges. Hier und da strömten kleine Wassergerinnsel über den Granit, und kleines Strauchwerk wuchs spärlich in den geschützten Winkeln der Felsvorsprünge. Da die Felsen fast unter 40° ansteigen, so versuchte[S. 193] Spencer St. John (dies ist der Name des kühnen Gelehrten), die Ersteigung mit wollenen Strümpfen durchzusetzen; diese zerrissen jedoch bald, und seine Füsse begannen zu bluten. Ausser einigen Moosen und Gräsern wuchs an dieser Stelle nichts weiter.« (Friedmann.)
Die zweite Expedition, welche einige Monate später erfolgte, war aus denselben Ursachen nicht glücklicher. Sie folgte dem Lauf des Flusses Tawaran (auf der Westseite des Berges), ohne die Quelle dieses Flusses zu finden oder den Gipfel des Berges zu erreichen.
Wenn auch im letzten Capitel die Geschichte der südöstlichen Hälfte Borneos mitgetheilt und es unvermeidlich sein wird, einige Namen von Städten, Bezirken und kleinen Reichen anzuführen, so glaube ich doch, an dieser Stelle mich nicht mehr, als gethan ist, mit der Geologie, Hydro- und Orographie des Landes beschäftigen zu müssen, weil jeder, der sich dafür interessirt, in Dr. Posewitz’s Geologie von Borneo eine reiche Quelle findet, aus welcher er nicht nur alles findet, was die Geologie des Landes betrifft, sondern auch eine übersichtliche Angabe aller Reisenden, welche diese Insel auch im Interesse anderer Wissenschaften durchzogen haben.
Die südöstliche Hälfte Borneos wurde bis jetzt nur von einer kleinen Anzahl von Gelehrten durchforscht. Der erste war ein Sergeant der indischen Armee, Namens F. J. Hartmann, welcher im Jahre 1790 den Baritustrom bereiste, und der letzte war Dr. Bock, ein dänischer Gelehrter, welcher zur Zeit meines Aufenthaltes, und zwar im Jahre 1879, mit dem Sultan von Kutei die Reise durch das Innere des Landes anfing und den letzten Theil allein zurücklegte. Der bedeutendste Forscher jedoch war Schwaner, welcher in den Jahren 1844 bis 1847 Borneo vom Süden nach dem Westen durchzog und geradezu ein standardwork über die Ethnographie der Dajaker schrieb, welches jedoch leider in vielfacher Richtung schon veraltet genannt werden muss. Uebrigens haben auch G. Müller 1825, Hallewyn 1824–25, Dalton 1827, Henrici 1831, S. Müller, Horner und Korthals 1836–39, Heinrich von Gaffron (gleichzeitig mit Schwaner) und Dewall 1846 bis 1849 zur Erforschung dieses Theiles von Borneo bedeutende Beiträge[S. 194] geliefert,[38] welcher 361653 ☐kmeter gross ist und im Jahre 1883 645772 (??) Einwohner zählte.
Wie erwähnt, zog Dr. Bock im Jahre 1880 mit dem Sultan von Kutei (Ostküste von Borneo) von der Hauptstadt dieses Reiches, Samarinda, über Land nach Bandjermasing.
So manchem Leser wird es aufgefallen sein, dass ich constant von Bandjermasing schreibe, während die meisten Reisenden, und auch der erwähnte grosse Atlas von Stemfoort und ten Siethoff, der Hauptstadt des südöstlichen Borneos den Namen Bandjermasin geben. Für meine Schreibweise habe ich jedoch eine historische und etymologische Rechtfertigung.
In vielen alten Handschriften wird von dem Lande von Banjermasingh gesprochen. So z. B. schreibt die »hohe indische Regierung« in ihrem Briefe vom 25. Februar 1660 an den »Kaufmann« Dirk van Lier: »Omdat het land van Banjermasingh groote Quantiteit pepers jaarlijks mitgeven kann .... dat zij zich vermeten hebben Oud-Banjermasingh ...« Auch der bekannte Reisende Valentyn schreibt den Namen mit einem gh am Ende.[39]
Der Name Bandjermasing wird aber auch dem Barituflusse gegeben. Dies ist jedoch ganz unrichtig. Die Stadt Bandjermasing liegt nämlich gar nicht an den Ufern dieses Stromes, sondern an seinem Nebenflusse Martapura. Auch die Dajaker nennen diesen Strom niemals Bandjermasing, sie sprechen nur von einem Baritu- oder Dussonflusse. Von der Mündung bis ungefähr zum Kampong Baru (1° 20′ S. B.) nennen sie ihn den Baritustrom; von hier aus bis zum Nebenflusse Montalat (0° 35′ S. B.) führt er den Namen Dusson ilir = unterer Dusson, und Dusson ulu = oberer (Lauf des) Dusson heisst er bis zur Vereinigung der Belatong- und Murongflüsse (0° 45′ N. B.), welche für die Quellen dieses mächtigen Stromes gehalten werden.
Wenn ich mit einigen Zeilen das Werk des dänischen Dr. Bock »Unter den Kannibalen auf Borneo«, oder vielmehr seine Reise vom Osten nach dem Süden der Insel Borneo bespreche, leiten mich mancherlei[S. 195] Motive. Wenn er z. B. im 21. Capitel schreibt: »Was die Sittlichkeit betrifft, so bin ich geneigt, den Dyaks eine hohe Stufe der Civilisation zuzugestehen,« so fehlt mir jedes Verständniss für diese Phrase.
Ich weiss, dass Dr. Bock nur kurze Zeit auf Borneo geweilt hat, dass Dr. Bock wie alle andern Reisenden nur ein Ziel kannte: In möglichst kurzer Zeit die möglichst grosse Strecke zu durcheilen; dass Dr. Bock zur Erwerbung ethnographischer Thatsachen nur die Mittheilungen seiner Dolmetscher oder Führer benutzen konnte; Dr. Bock konnte also gar nicht in die Tiefe der Sitten und Gebräuche der Eingeborenen eindringen, und doch — fällt er ein Urtheil. Ja noch mehr. Vom 16. Juli 1879 bis 3. März 1880 war er auf Borneo, hörte in Teweh, dass sich in Buntok ein Arzt befinde, der sich mit dem Sammeln von Fischen und Schlangen beschäftige und tausende und tausende Käfer bereits nach Europa gesendet hatte u. s. w. Am helllichten Tage zog er mit seinem Kahn bei Buntok vorbei und fand es nicht der Mühe werth, diesen Collegen aufzusuchen und seine Sammlungen anzusehen, obzwar dieser drei Jahre lang an der Mündung des Teweh gewohnt hatte und gewiss mehr als er (Dr. Bock) Gelegenheit hatte, ein Urtheil über die Fauna von Borneo sich anzueignen. Ich kenne die Ursachen dieser beschleunigten Rückreise nach Bandjermasing; ich kann sie aber nicht billigen.
Nachdem Dr. Bock seinen Ausflug zu den O. Punang beendigt hatte, und zwar, indem er den Mahakamfluss und seine Nebenflüsse Telen und Klintjoû stromaufwärts mit Kähnen gefahren war, war er nach Samarinda zurückgekehrt, um mit dem Sultan von Kutei die Reise nach dem Strome Baritu über Land zu machen. Er zog noch einmal den Mahakamfluss stromaufwärts bis zum Semajangsee, den er, wie auch den folgenden Djempangsee, mit einem Kahn befuhr, und auf dem Lawafluss kam er in die Wasserscheide des östlichen Gebirgszuges. Eine kurze Strecke mussten sie zu Fuss das Gebirge überschreiten, um in dem Renangonfluss, welcher ein Nebenfluss des Teweh ist, wieder mit Kähnen die Reise fortsetzen zu können.
Das Reisetempo des Sultans war ihm jedoch zu langsam, so dass er sich entschloss, seinen Reisebegleiter zu verlassen, und allein Teweh erreichte, wo sich bereits ein holländisches Kriegsschiff befand, um ihn und den Sultan von Kutei cito et jucunde nach Bandjermasing zu bringen.
Warum Dr. Bock in der Einsiedelei dieses Ortes, welcher kurz[S. 196] vorher von uns verlassen war, auf dem Kriegsschiffe seine Aufwartung nicht machte, weiss ich nicht. Als jedoch zwei Tage später der Sultan ankam und am Bord des Kriegsschiffes festlich empfangen werden sollte, schloss sich Dr. Bock uneingeladen dem Zuge an, und zwar in Reisetoilette. Der Officier, welcher an der Falltreppe die Gäste empfing, glaubte ihn zurückweisen zu müssen. Dies kränkte Dr. Bock mit mehr oder weniger Recht so sehr, dass er ans Land ging und sofort sans adieu Teweh verliess und fünf Tage und Nächte in seinem Kahne nach Bandjermasing reiste, ohne andere Lebensmittel als Reis bei sich zu haben.
Diese Details dieser übereilten Reise des Dr. Bock erfuhr ich später von dem Häuptlinge Dacop und von dem Seeofficier, welcher bei dem festlichen Empfang des Sultans von Kutei »du jour« gehabt hatte.
Als Dr. Bock auf seiner Eilfahrt nach Bandjermasing mein Haus in Buntok passirte, war es 5 Uhr Nachmittags, und ich sass in der Vorderveranda, meinen Thee zu trinken. Neben mir wohnte der Controleur der Abtheilung, und vor seinem Hause stand ein Polizeimann auf der Wache. Als dieser einen Kahn mit der holländischen Fahne vorbeifahren sah, rief er sein »Werda« zu und bekam zur Antwort: Tuwan blanda = ein holländischer Herr. So räthselhaft mir und den übrigen Officieren die Reise eines Tuwans auf einem Kahne sein musste, während ein Kriegsschiff, wie wir wussten, sich bei Teweh befand, so wenig liess sich daran etwas verändern, weil der Kahn die holländische Fahne führte und nebstdem mit grösster Eile fortgefahren war.
Ich kann also die Bemerkung nicht unterdrücken, dass ich es wohl verstehe, wenn Dr. Bock sich gekränkt oder beleidigt fühlte, dass er mit dem Kriegsschiffe, auf dessen Boden er beleidigt wurde, nicht die Reise machen wollte; es ist mir aber nicht verständlich, dass er darum nicht in Buntok Halt machte, um die einzigen Europäer dieser Gegend aufzusuchen, und meine Sammlung von Fischen, Schlangen, Käfern, Insecten und Thierfellen zu besichtigen, von welcher ihm der Häuptling Dacop, wie ich später erfuhr, ausführliche Mittheilungen gemacht hatte.
Dr. Bock ist Zoologe; er hätte bei mir so manches Neue und Unbekannte sehen können, wie z. B. die nach mir benannte Python[S. 197] Breitensteini,[40] Parachella Breitensteini[41] und Breitensteinia insignis,[42] und doch liess er sich diese Gelegenheit entgehen, sein Wissen von der Fauna Borneos zu bereichern!
Aber auch als Ethnograph hat, wie schon oben erwähnt, Dr. Bock durch seinen kurzen Aufenthalt auf Borneo der Wissenschaft nur schlechte Dienste geleistet; er hat nur weniges gesehen und zu viel den Mittheilungen seiner Führer vertraut, welche oft nicht einmal der Sprache der Gegenden mächtig waren, welche sie im Fluge durchreist hatten.
Während meines Aufenthaltes in Teweh und Buntok hatte ich nur wenig Material für das Studium der Magen-, Leber- und Darmkrankheiten, welche in den Tropen so häufig beobachtet werden, weil beinahe niemals die Eingeborenen bei solchen Krankheiten meine Hülfe in Anspruch nahmen; aber auch von der Syphilis sah ich viel weniger Fälle, als ich erwartet hatte. Es giebt ja einige Autoren, welche nach Indien die Heimath der Syphilis verpflanzen wollten. In Borneo fand ich sie (d. h. die Heimath der Syphilis) damals ebenso wenig, als später auf Sumatra und Java.
Wie ich schon früher mittheilte, mochte ich mir über diese Frage ein Urtheil erlauben, weil ich mit den Dajakern mehr als jeder andere Officier oder Beamte verkehrte; ich wurde zu allen ihren Festen eingeladen, bei einzelnen Krankheitsfällen wurde von meiner ärztlichen Kunst Gebrauch gemacht, und durch meine Dilettantenarbeiten im Ausstopfen und Sammeln der Thiere kam ich ebenfalls vielfach mit diesen primitiven Menschen in Berührung.
Als im Jahre 1879 der Fürst von Murong und Siang nach Teweh kam, suchte ich bei und von ihm die Lösung aller offenen Fragen zu finden, z. B. die Existenz von Vulkanen in Borneo und die der Elephanten und Schwanzmenschen; am wichtigsten war mir jedoch die Frage, ob unter den Waldmenschen (Olo-Ott) die Lues vorkäme, und ob die venerischen Erkrankungen ebenso häufig als im übrigen Theile des indischen Archipels bei den Urbewohnern Borneos beobachtet werden.
Wenn ich auch seinen Mittheilungen keinen höheren Werth beimessen will, als sie eben verdienen, so muss ich doch mittheilen:[S. 198] Borneo ist nicht die Heimath der Syphilis, und die auf dieser Insel jetzt vorkommenden Luesfälle sind ein Importproduct der Europäer. Aber auch auf den Inseln Sumatra und Java ist die Syphilis (ich spreche nur von dieser und nicht von den sogenannten venerischen Krankheiten) von den Europäern eingeführt worden, wie ich in der W. M. P. im Jahre 1884 und in der B. K. W. im Jahre 1886 nachzuweisen mich bemühte.
Ich schrieb damals:
»Genau so weit als die Europäer in Indien vordringen, findet sich die von ihnen verstreute Aussaat der Syphilis. In neuester Zeit konnte man dies in Deli (Ostküste von Sumatra) Schritt auf Schritt verfolgen.
Swediaux, Beckmann und Andere behaupten zwar in Ostindien den Ursprung der Syphilis gefunden zu haben; es ist aber unbegreiflich, in dem Mythus vom Lingamdienste (= Venusdienst) auch eine Schilderung syphilitischer Krankheiten lesen zu können. Sonnerat (Voyage aux Indes I. Band) erzählt uns diese folgendermaassen:
»Die Büsser hatten durch ihre Opfer und Gebete grosse Gewalt erlangt; aber ihre und ihrer Frauen Herzen mussten stets rein bleiben, wenn sie sich in dem Besitze derselben erhalten wollten. Siva hatte aber die Schönheit dieser rühmen gehört und fasste den Entschluss, sie zu verführen. Zu diesem Zwecke nahm er die Gestalt eines jungen Bettlers von vollkommener Schönheit an, hiess den Vishna sich in ein schönes Mädchen zu verwandeln und sich an den Ort begeben, wo sich die Büsser aufhielten, um sie in sich verliebt zu machen ..... Ihre Leidenschaften nahmen dadurch noch mehr zu; am Ende schienen sie ganz leblos, und ihre schmachtenden Körper glichen dem Wachs, das in der Nähe des Feuers schmilzt.« Bei diesem bilderreichen Satze kann man nur an eine Erschöpfung durch übermässigen Geschlechtsgenuss denken. Dies ist ersichtlich aus dem weiteren Verlaufe: »Siva selbst begab sich an den Wohnort der Frauen. Wie Bettler trug er in der einen Hand eine Wasserflasche und sang dabei, wie diese zu thun pflegen. Sein Gang war aber so entzückend, dass sich alle Frauen um ihn versammelten, worauf sie durch den Anblick des schönen Sängers erst völlig in Verwirrung geriethen. Diese war bei einigen so gross, dass sie ihren Schmuck und ihre Bekleidung verloren und ihm im Gewande der Natur folgten, ohne es zu bemerken. Nachdem er das Dorf durchzogen hatte, verliess er es, aber nicht allein; denn alle folgten ihm in ein benachbartes Gebüsch,[S. 199] wo er von ihnen erhielt, was er wünschte. Bald darauf wurden die Büsser gewahr, dass ihre Opfer die vorige Kraft nicht mehr hatten, dass ihr Vermögen nicht mehr dasselbe, wie ehedem.«
Die Rache, die dafür die Fakire nahmen, war fürchterlich; ihre vereinigten Gebete und Büssungen »gingen wie eine Feuerflamme aus und ergriffen Siva’s Zeugungstheile und trennten sie von seinem Körper. Erzürnt über die Büsser, nahm sich nun Siva vor, die ganze Welt damit in Brand zu setzen .......« Wenn man selbst mit europäischer Anschauung diesen Satz kritisch beleuchtet, könnte man höchstens an einen phagedänischen Schanker denken, aber noch lange nicht an das Krankheitsbild der Syphilis. Auf den Inseln des indischen Archipelagos, von denen hier die Rede sein wird, findet man überall Spuren des altindischen Glaubens und seiner Sitten und Gebräuche, und auf Sumatra z. B. kann man doch nur, wie oben erwähnt, deutlich die Syphilis den Europäern bei ihrem Eindringen ins Innere folgen sehen, ohne die Syphilis dort heimisch zu finden. Was die indische Regierung dagegen thut, ist mit Rücksicht auf die herrschenden Verhältnisse bitter wenig;[43] sie nimmt sich eben nur europäische Verhältnisse als Muster und vergisst, dass gerade der Unterschied in den politischen Verhältnissen mehr Mittel zur Abwehr der Verbreitung dieser Seuche an die Hand giebt in Indien als in Holland, abgesehen davon, dass duo si faciunt idem, non est idem. Die autokratische Regierungsform durch das Intermedium der eingeborenen Fürsten macht Manches möglich, was die individuelle Freiheit in Holland zurückweisen würde. Im Jahre 1883 z. B. wohnte ich den Schiessübungen der Artillerie in der Preangerregentschaft bei. Beinahe täglich bekam ich neue Fälle von venerischen oder syphilitischen Erkrankungen. Die Quelle dieser Erkrankungen war mir bekannt. In der Nähe des militärischen Terrains befand sich ein kleiner Kampong (Dorf) von ungefähr 20 Hütten, in denen die Priesterinnen der Venus vulgivaga wohnten. Darüber erstattete ich dem Residenten dieser Abtheilung Bericht und machte auf die unvermeidlichen Folgen aufmerksam. Sofort erhielt ich zur Antwort, dass der Regent (der eingeborene Fürst) die nothwendigen Schritte thun werde, um meine Vorschläge zur Ausführung zu bringen. Diese waren in der Hauptsache folgende: »Die »Prostituées« jede Woche zur Visitation mir vorführen zu[S. 200] lassen, um die Erkrankten sofort ins Spital zu Bandong senden zu können, weil der dortige Bezirksarzt nur einmal in vier Wochen nach Batu Djadjar kommen dürfe.« Der Pâtih (Stellvertreter des Regenten) besuchte mich den folgenden Tag und theilte mir mit, dass in Folge meines Anschreibens auf Befehl des Regenten den folgenden Samstag »alle Frauen zur Visitation kommen müssten, welche keinen Mann hätten«. Schon dieses war über das Ziel geschossen und der Pâtih konnte auf meine Bemerkung, dass in meinem Briefe nur von »Prostituées« die Rede war, nur seinen Befehl vom Regenten entgegenhalten. Noch mehr jedoch erstaunte ich, dass unter den vorgeführten 32 Frauen 4 waren, die zufolge Behauptung des Dorfhäuptlings sicher keine Prostituées sein konnten, weil sie eben noch Jungfrauen seien.
Dieser Missbrauch der Amtsgewalt machte mich auch zum Ehestifter; denn viele brachten junge Männer mit, die erklärten, in den nächsten Tagen schon diese Frau heirathen zu wollen; die Untersuchung dieser Frauen bestätigte es auch, dass sie unmöglich Prostituées sein konnten.
Dieser Vorfall lehrte mich, dass bei der herrschenden Regierungsform eine energische Prophylaxis der Syphilis möglich sei, den guten Willen der europäischen Beamten vorausgesetzt. Dieser fehlt jedoch manchmal, wie folgender Fall zeigt: Im Jahre 1882 war ich in Telok Betong (Sumatra) in Garnison. Eines Tages kam zu mir der Doctor Djava, um folgenden Bericht zu erstatten:
Ein eingeborener Polizeimann habe eine Frau, die schon zweimal von ihm geschieden gewesen sei. (Nach mohammedanischem Rechte und vielleicht nur nach Sitte in der Provinz Lampong muss eine Frau dreimal von ihrem Manne geschieden sein, bevor die Ehe für immer aufgelöst werden kann.) Weil seine jetzige Frau ihn angesteckt habe, wolle er zum dritten Mal sie wegjagen und eine andere junge Frau nehmen. Wie gewöhnlich liess ich erst den Doctor Djava beide untersuchen, und er berichtete auch von der Frau, dass sie in der Vagina Ulcera hätte. Mir kam die ganze Sache recht verdächtig vor; ich sah selbst nach und fand von den Ulc. vaginae keine Spur, wohl aber beim Manne eine frische Urethritis, Ulcera mollia und Bubonen; ich entliess die Frau aus dem Spital und schlug vor, den Mann unter Behandlung zu stellen. Dies geschah jedoch nicht; mit Hinweis auf die herrschenden Bestimmungen, die nur von inficirten Frauen sprächen, wurde der betreffende Polizeimann von dem Secretaris auf seinen Posten ins Innere des Landes zurückgesendet.
[S. 201]
Schon an anderer Stelle (Geneeskundig Tijdschrift vor Nederl. Ind. 1883) sprach ich von der Thatsache, dass Indien nur ausnahmsweise schwere Formen der Lues sehe; gegentheilige Behauptungen müssen vorsichtig aufgenommen und kritisch abgewogen werden. Die Lues hat, wenigstens soweit meine Erfahrungen reichen, in Borneo, Sumatra und Java vielleicht an Extensität, aber für keinen Fall an Intensität Europa überflügelt; ziffermässig liesse sich das durch die officiellen Ausweise über den Krankheitsstand des Militärs bestätigen, wenn nur diese Ziffern irgend einen Werth hätten! Wie es damit in Europa aussieht, weiss ich nicht; wahrscheinlich um nichts besser als in Indien. Was kommt in die Rubrik Syphilis? Die Zeiten sind vorbei, wo jeder Tripper und jedes Ulcus am Penis mit S. I oder S. II in die Bücher eingetragen wurden; vielleicht nur, dass noch einige englische Aerzte jede venerische Affection mit Quecksilber behandeln. Auf Singapore wenigstens behandelt Dr. B., der Chef im Spitals der Prostituées, jede primäre Affection der Syphilis mit Sublimat-Einspritzungen; auf meine Frage, in wie viel Fällen die secundären Erscheinungen bei dieser Behandlung ausblieben, wandte sich Dr. B. überrascht zu seinem Apothecary und sprach stolz das grosse Wort aus: »Die kommen bei dieser Behandlung eben gar nicht vor.«
Wie viele weiche Schanker, wie viele unschuldige Ekzeme oder Herpes mögen es auf ihrem Gewissen haben, wenn Dr. B. in dem erhebenden Bewusstsein lebt, er sei im Stande, durch Sublimat den weiteren Verlauf der Lues zu coupiren?!
Wie oft ist an und für sich die Differentialdiagnose zwischen Ulcus induratum und Ulcus molle mit infiltrirtem Boden erst nach Tagen oder gar nach Wochen zu stellen? Und in allen Spitälern stand es früher nur wenige Tage dem Doctor frei, die Diagnose offen zu lassen.
Ein dritter Punkt nimmt den Ziffern allen Werth. Wie lange lässt man, wie lange kann oder darf man einen syphilitischen Soldaten unter Behandlung im Spitals halten? Klar ist, dass er, so lange das Leiden ein ansteckungsfähiges ist, in Spitalsbehandlung behalten werden soll. Abgesehen davon, dass darüber die Ansichten noch himmelweit auseinandergehen, nehmen die Verhältnisse noch einen enormen Einfluss. Ich z. B. würde keinen Augenblick anstehen, in einem kleinen Fort mit 70 bis 100 Mann, wo durch zufällige Umstände jede zweite oder dritte Nacht der Soldat Schildwach stehen müsste, alle Patienten[S. 202] mit Roseola, Angina, kleinen indolenten Bubonen, Sarcocele u. s. w. der Spitalbehandlung zu entschlagen und ambulatorisch zu behandeln.
Im Jahre 1883 lag seit sechs Wochen ein europäischer Soldat zu Seruway (Sumatra) mit einem faustgrossen Tumor testis syphilit. im Spitale. Bei der Uebernahme des Dienstes äusserte der Patient den Wunsch, ambulatorisch behandelt zu werden. Mein an Dienstjahren wenigstens noch junger Vorgänger war nicht wenig überrascht, als ich sofort die Einwilligung dazu gab.
Darin sind alle Militärärzte einig, dass unmöglich der ganze Cyclus der Lues im Spitale abgewartet werden kann. Die Schwankungen in der Zeit, wann der Patient zeitweilig keiner Behandlung oder wenigstens nur einer ambulatorischen zu unterziehen wäre, müssen natürlich auch die statistischen Angaben über Syphilis enorm unsicher machen. Darum bringe ich keinen ziffermässigen Beleg für meine obige Behauptung.
Dass die venerischen Erkrankungen in Indien sehr häufig sind, dass die indische Armee reiche Syphilisfälle aufweise (das grosse allgemeine Krankenhaus in Wien hat ja auch 10%), dass jedoch nur als seltene Ausnahme schwere erschöpfende Formen vorkommen, kann jeder Arzt bestätigen, der vorurtheilsfrei beobachtet und kritisch zu Werke geht.
Die Verhältnisse in Indien und die Lebensweise sind ja die günstigsten, das syphilitische Gift zu schwächen. Ich habe während meines 8jährigen Aufenthaltes in Indien kein einziges skrophulöses Individuum gesehen und nur einen einzigen Eingeborenen mit einer bedeutenden Kyphose. Das Leben in der freien Luft, die eiweissreiche Volksnahrung (Reis), die besonders für Europäer günstigen socialen Verhältnisse, die täglichen Bäder und vielleicht auch die reichliche Transpiration erhöhen gewiss die Widerstandskraft des Körpers gegen den syphilitischen Process.
Die Häufigkeitsscala der einzelnen syphilitischen Formen entspricht so ziemlich der in Europa bekannten. Ulcus, Adenitis, Roseola, Angina, Rupia, Iritis (cyclitis), Psoriasis u. s. w. folgen sich so ziemlich in Indien wie in Europa; auch das gleichzeitige Auftreten einzelner Symptome bindet sich dort an eine gewisse Regelmässigkeit, so dass z. B. die Rupia kaum jemals gleichzeitig mit der ersten Roseola beobachtet wurde. — Von den schweren Formen, wie z. B. Psoriasis universalis, Knochensyphilis, Syphilis der inneren Organe, deletäre Iritiden, durch ihre zu grosse Ausbreitung erschöpfende Rupia- oder Ecthymageschwüre[S. 203] u. s. w. sah ich nur ausnahmsweise und hörte ebenso selten davon Erwähnung thun.
Die Behandlung der Syphilis in Holländisch-Indien richtet sich unter den europäischen Aerzten so ziemlich nach der betreffenden heimathlichen Schule; der Eine behandelt die secundäre Form mit Quecksilber, der Andere alle Fälle, die ihm unterkommen, ohne einen Unterschied in dem Stadium der Erkrankung zu machen, beinahe Alle jedoch unterscheiden scharf zwischen Ulcus molle und Syphilis und behandeln ersteres entweder exspectatif oder mit Jodoform oder Cuprum sulf. u. s. w. und beschränken die Mercurbehandlung nur auf Syphilis; einzelne enthalten sich dieser ganz und gar. Von einer einheitlichen Behandlung der Eingeborenen jedoch kann kaum die Rede sein; in Sumatra z. B. werden alle Geschwürsformen von den Chinesen ebenso mit Mercurius vivus bekämpft wie in Bantam mit kupfernen durchlöcherten Blättchen. Der zweite Theil von Dr. van de Burg: »De Geneesheer in Indien« wird wohl mehr darüber bringen, und ich will hier nicht zu weitläufig werden.[44]
Die Prophylaxis der Syphilis und ihre Verbreitung im indischen Archipel ist enge gebunden an das sociale, politische und religiöse Leben der indischen Nationen. Nur Java, Borneo und Sumatra können hier besprochen werden, weil ich nur diese drei Inseln aus Autopsie kenne und die Aufnahme von Erfahrungen Anderer nicht in den Bereich dieser Abhandlung ziehen möchte. Die malayische Bevölkerung dieser drei Inseln ist mohammedanischen Glaubens; sie kennen also die Circumcision bei den Knaben und Mädchen und die Depilation des Mons veneris. (Rosenbaum: Lustseuche im Alterthume.) Es ist aber unrichtig, die Depilation als allgemeine Volkssitte in Asien hinzustellen; denn nur Tänzerinnen, Prostituées u. s. w. ziehen sich die Haare vom Venushügel aus, wenn sie noch nicht den Rubikon (18. bis 20. Lebensjahr) überschritten haben; sie wollen sich dadurch das Air einer sehr jungen Frau geben. Der prophylaktische Werth dieser Operation ist nicht zu verkennen, wie auch das Glätten der Haut mit Bimsstein (Rosenbaum) und das Beschmieren des Körpers mit Oel die Empfänglichkeit für die Aufnahme des syphilitischen Giftes schwächt.
Im Norden Sumatras ist Päderastie[45] landesüblich, und noch bei meinem letzten Aufenthalte in Seruway (Atschin) hatte ein Atjeër[S. 204] einen jungen Mann (Knaben) getödtet, der einem Dorfgenossen zu Willen gewesen war, ihn jedoch verschmähte. Die Mohammedaner baden von Gesetzeswegen wenigstens einmal täglich, waschen sich nach den diversen Entleerungen und ebenso nach dem Coitus.
In Borneo wohnen im Innern des Landes, mit Ausnahme des unteren Laufes der grossen Ströme (z. B. des Baritu, wo die Bekompeyer dem Islam angehören), Dajaker, Heiden, welche Jahr aus Jahr ein Feste feiern. Aus den grossen Blanggas (Töpfen aus der Hinduzeit) wird der Tuwak (gegohrenes, braunliches, schwachalcoholisches Getränke aus Reis oder Blüthe der Saquerns saccharifer, oder Boranus flabelliformis u. a.) in grossen Schalen von Alt und Jung, von Mann und Frau Tage lang getrunken. Erst die Nacht macht dem Trinken ein Ende.
Ein ganzes Dorf (besonders auf dem Ufer des erwähnten Baritu) wohnt in einem langen Hause; in einer Veranda versammeln sich alle Gäste zur Nachtruhe; das kleine Lämpchen, gefüllt mit Damarharz, erlischt sehr bald, und zügellos blindlings werden da Orgien verübt, vor denen nicht nur die keusche Diana, sondern auch Venus sich beschämt verhüllt. Wenn Schiffe nach Java aus Europa und Amerika kommen, besonders Segelschiffe, die Monate lang auf der See schwammen, sieht man ganze Boote oft mit 30–40 Frauen von Batavia oder Surabaya in die hohe See stechen, um die liebesdurstenden Matrosen zum schaukelnden Schäferstündchen zu verlocken. Nach 10 Uhr Nachts fahren in den belebtesten Theilen von Batavia kleine Wagen mit je einer Frauensperson, welche sich anbietet, auf und nieder. Auch im Punkte der ehelichen Treue scheinen alle Nationen etwas auf dem Kerbholze zu haben, obschon gewisse Maulhelden offenbar der Uebertreibung Meister sind. Die sogenannten Haushälterinnen jedoch, welche den besser situirten europäischen Beamten, Officieren u. s. w. ein Surrogat der Ehe bieten, seien sie Eingeborene oder seien sie halbeuropäische Frauen, sind beinahe ausnahmslos mehr oder weniger Allerweltsfreund. Feste, Kartenspiele, die Gluth der Tropensonne und eigenthümliche sociale Verhältnisse erhöhen also im Vergleich zu Europa das geschlechtliche Leben in Indien und mit diesem auch die Gelegenheit zur Verbreitung der venerischen Krankheit.
Weder die alten Römer, noch die Griechen, noch die Araber erwähnen der Syphilis; dass sie zu jener Zeit noch nicht existiert habe, ist dadurch noch nicht erwiesen. (Dass in den Inseln des indischen Archipels syphilisfreie Reiche seien, kann man sich jedoch durch[S. 205] Autopsie überzeugen.) Doch von Affectionen der Genitalien sprechen schon Celsus und andere Schriftsteller. Dioskorides giebt auch Heilmittel gegen Kondylome an den Geschlechtstheilen u. s. w. an. Auch im Mittelalter waren venerische Krankheiten sehr gut bekannt, und 1347 verlangte Königin Johanna I., dass »die Puellae publicae im Bordell zu Avignon alle Samstage von der Frau Amtmännin und einem Wundarzte untersucht werden, und wenn eine mit dem aus der Hurerei entstandenen Uebel behaftet gefunden wird, soll man sie von den übrigen entfernen, damit sie sich Keinem mehr preisgebe und die Jugend anstecke«. Selbst die neueste Zeit fasst Krankenbilder in einem Rahmen und bringt sie in einen causalen Zusammenhang, die noch im vorigen Jahrhundert in ihrer Totalität unbekannt waren, z. B. Morb. Basedowii. So ist es ganz verständlich, dass specifische Ulcera u. s. w. mit consecutiver Roseola u. s. w. vorkamen, ohne dass man deren Zusammenhang ahnte und ihnen einen gemeinsamen Namen gab. Man hat also nur wenig Anlass, einen exotischen Ursprung der Syphilis zu suchen.
Im Jahre 1521 erscheint zum ersten Male dieser Collectivname. Natürlich musste Amerika der Sündenbock und als die Pflanzstätte der Lustseuche verschrieen sein. 1493 kam zum ersten Male Columbus nach Europa zurück, und schon 1483 war ein epidemisches Auftreten in Rom constatirt worden. Demungeachtet citiren alle Schreiber (auch Prof. Bäumler in Ziemssens »Handbuch der speciellen Pathologie und Therapie«) den Gonzalo Hernandez de Oviedo als maassgebende Autorität für die Abstammung der Syphilis aus Amerika, weil er bei seinem Aufenthalt in Haiti 1513 diese Thatsachen constatiren zu können glaubte.
Sei die Syphilis ein amerikanisches Product, hätten sie die Franzosen, oder die Italiener, oder die Deutschen in die Welt gebracht, in Indien und speciell in dem indischen Archipel folgt sie nur der Spur der Europäer. Java entzieht sich heute schon einem diesbezüglichen objectiven Nachweis; nicht so das jungfräuliche Borneo und Sumatra. Im Jahre 1877 sass ich im Herzen Borneos, in Muarah Teweh; hier sah ich, was eine zweckmässige und gut durchgeführte Prophylaxis leisten könnte; während 3½ Jahren kam kein einziger Fall von recenter Syphilis vor. Auf dieser Insel lässt sich die Ausbreitung der Syphilis gut verfolgen. Die malayischen Frauen auf der Küste und dem unteren Theile der grossen Ströme stehen in innigem Verkehr mit den Europäern, sei es als Haushälterinnen, sei es als Prostituées oder dienstwillige[S. 206] verheirathete Frauen; auch im Innern des Landes, so weit eben Garnisonen liegen, die mit den dajakschen Frauen in Contact kommen, wurde Syphilis unter den Eingeborenen gesehen. Von diesen kann nur schwer eine weitere Verbreitung erfolgen, weil die freien und relativ unabhängigen Stämme im Innern des Landes in steter Feindschaft mit den übrigen stehen; auch die Handelsleute, Bekompeyer oder Chinesen, die sich ins Innere des Landes, selbst bis in das Reich der Waldmenschen wagen, können die Lues nicht verpflanzen; sie haben ihren Kopf zu lieb, um ihn einem Schäferstündchen zu opfern. Auch die Soldaten in Muarah Teweh gaben kein einziges Mal sich mit den Dajaker-Frauen ab, darum habe ich auch keinen einzigen Fall von recenter Syphilis unter ihnen gesehen, obwohl ich 100–200 Dajaker zur Behandlung bekam. Ich besuchte ihre Dörfer, ihre Feste, ich stand durch meine Beschäftigung mit dem Ausstopfen der Thiere im innigen Verkehr zu ihnen, ich wurde zur Behandlung von Patienten in ihre Wohnräume gerufen, und niemals sah ich ein luetisches Individuum, obwohl ich dieser Sache die grösste Aufmerksamkeit schenkte; ihre Priester und Priesterinnen sind im strengsten Sinne des Wortes Prostituées; ihre zahlreichen Feste, ihre mangelhafte Toilette und das enge Zusammenleben auf einem kleinen Raume würden die Verbreitung der Lues, falls dieselbe überhaupt vorkäme, enorm begünstigen.
Java erfreut sich diesbezüglich leider schon eines grösseren Terrains. Im Laufe dieses Jahrhunderts wurden die Holländer nach und nach Herren der Insel, und selbst die zwei selbständigen Kaiserreiche Solo und Djocja haben europäische Garnisonen. Und doch giebt es noch einzelne Strecken, die frei von Syphilis sind. Mir ist z. B. der Süden der Provinz Bantam etwas mehr bekannt. Abseits der grossen Strassen liegen noch Kampongs (Dörfer), wohin niemals ein Europäer kommt und deren Bewohner kaum jemals ihren Geburtsort verlassen.[46] Dort sind die Frauen auch nicht so liederlich, zeigen eine weitgehende Zurückhaltung gegen die Europäer und geben also wenig Gelegenheit, die Syphilis aufzunehmen und zu verbreiten. Kam ich (1881) in ein solches Dorf, um die armen Menschen, die durch Malariafieber und Hunger erschöpft, auszusterben drohten, wenn die holländische Regierung sich ihrer nicht erbarmt hätte, so war es mir Anfangs nicht möglich, die Frauen zu Gesichte zu bekommen; nach und nach erst entschlossen[S. 207] sie sich, Medicamente und Lebensmittel von mir anzunehmen, die durch europäische Krankenwärter vertheilt wurden. Sumatra bietet Verhältnisse, die mehr jenen von Borneo gleichen.
Die politische Abhängigkeit der Stämme auf dieser Insel unterliegt allen möglichen Abstufungen. Der südliche Theil — die Provinz Lampong — die Provinzen Palembang und Benkalen haben eine geregelte europäische Verwaltung und sind daher sanitären Maassregeln zugänglich. Die sogenannte Ostküste befindet sich erst in einem Uebergangsstadium; das Innere des Landes hat bis jetzt nur wenigen Europäern den Zutritt erlaubt. So ist die »Lampong« besonders durch die Frauen von der Küste Bantams schon eine Brutstätte der Syphilis geworden, und in der Ostküste mit dem Hafenplatz Labuan Deli beginnt diese Krankheit mit Riesenschritten ihren siegreichen Einzug in das Land zu nehmen.
»Noch vor 25 Jahren,« so berichtet der »Javabote« in einer Nummer des vorigen Jahres aus Anlass einer von mir erschienenen Abhandlung, »war das Medan (Hauptplatz der Provinz) frei von Syphilis; heute ist sie auf dem Hafenplatz und in der Hauptstadt in floribus, und schon unter den Bewohnern der »Tamiang« konnte ich einige Fälle constatiren. Kommen einmal die einzelnen Stämme zur Ruhe, die sich jetzt an der Grenze Atjehs und Battakers bekämpfen, und tritt dann ein inniger Verkehr zwischen den Soldaten und den eingeborenen Polizisten ein, dann wird auch das Innere Sumatras schon in wenigen Jahrzehnten der Lues und dem Branntwein verfallen sein; denn weder alle Officiere noch die jungen Beamten, welche im Innern des Landes die Pioniere der Civilisation vergegenwärtigen, begreifen die prophylaktischen Bestimmungen in ihrer ganzen Tragweite.
Die individuelle Prophylaxis gegen die Syphilis muss besonders in Indien gegen die staatliche in den Hintergrund treten; denn die Eingeborenen zeigen sich bis jetzt beinahe unzugänglich selbst den einfachsten hygienischen Begriffen gegenüber; die dazu berufenen Lehrer, die eingeborenen Heilkünstlerinnen, nicht viel mehr, so dass von dieser Seite sehr wenig zu erwarten ist; Condome, abgesehen von ihrer fraglichen Wirksamkeit, können an und für sich niemals in der grossen Menge Gebrauch finden, und die Waschungen der Genitalien u. s. w. werden dort aus religiösen Anschauungen besonders bei den Frauen Schwierigkeiten finden, wenn sie sich weiter erstrecken sollten, als auf ein oberflächliches Abspülen. Mässigung und Vorsicht in der Befriedigung[S. 208] der Geschlechtslust würde der Eingeborene ebenso wenig acceptiren, als etwa der europäische Soldat im Gebrauche der Alcoholica. Die staatlichen Vorsichtsmaassregeln können nur dann viel leisten, wenn die damit betrauten Organe auch den Geist der gesetzlichen Bestimmung erfassen.
So lange im Innern des Landes junge Männer die Regierung repräsentiren, die nur zu oft dem Kitzel, von den Eingeborenen als unbeschränkte Alleinherrscher angesehen zu werden, alles opfern, und so lange einzelne Officiere, in ähnlichen kleinlichen Ideen befangen, dem Militärarzt nicht die nothwendige Unterstützung verleihen, wird dem Fortschritt der Syphilis kein Damm gesetzt werden. Die Dukuns, eingeborene Frauen, die in der Regel Hebammen sind, jedoch für alle möglichen Krankheiten die Kräuter sammeln, stehen ganz ohne Controle; Unterricht geniessen sie keinen.[47] Die Tradition von Grossmutter auf Mutter u. s. w. ist der einzige Lehrmeister; äusserliche Manipulation in allen möglichen Formen (selbst bis zum Besteigen des schwangeren Uterus, um die verzögerte Geburt zu beschleunigen), und die Verabreichung von einer grossen Zahl von Medicamenten sind ihre geburtshilflichen Wissenschaften, für die gewöhnlichsten Anforderungen der Reinlichkeit haben sie kein Verständniss. Der Verbreitung der Syphilis mag ihr künstlerisches Wirken eher zu statten kommen, als hinderlich sein.
Die Ammen kommen hier kaum in Betracht, weil die meisten eingeborenen Frauen stark entwickelte Brustdrüsen haben und daher selten ihre Kinder von Anderen säugen lassen, und die Europäerinnen, falls sie sich schon den Luxus einer Amme verschaffen müssen, die nöthige Vorsicht bei der Aufnahme einer solchen Frau üben. Diese Vorsicht kann nicht genug geübt werden, weil nur der Auswurf der malayischen Bevölkerung eine Amme abgiebt; sie wird ja nach mohammedanischen Begriffen dadurch verunreinigt.
Die Vaccinateurs sollten jedoch besser beaufsichtigt werfen, als es bis jetzt geschah. Auspitz’ Experimente zeigen, dass der Inhalt der Vaccinepustel niemals Träger des Syphilisgiftes sei; also nur das Blut. Alle Aerzte sind per se in Indien betraut mit der Aufsicht über die Vaccination. Nur selten jedoch geht diese weiter als bis zur Uebernahme der statistischen Berichte von den Vaccinateurs.
[S. 209]
Die Prostituées, als die gefährlichste Verbreitungsquelle der Syphilis, sind ebenso wie die öffentlichen Tanzmädchen (Ronggengs), Tandakmädchen u. s. w. einer wöchentlichen ärztlichen Visitation unterworfen. Nicht nur, dass die Zahl der Proscribirten relativ klein und die clandestinen Priesterinnen des freien Triebes stark überwiegen, auch der Eifer für diese sanitäre Maassregel ist sehr klein. Die damit betrauten Aerzte sind entweder (besonders in den grossen Städten) so mit Privatpraxis überladen, dass sie dieser Sache zu wenig Aufmerksamkeit schenken, oder die Polizeiorgane sind so wenig von der Wichtigkeit dieser hygienischen Maassregel durchdrungen, dass sie sich begnügen, hin und wieder eine diesbezügliche Ordre zu geben, ohne um das Weitere sich zu bekümmern.
Auf Labuan Deli z. B. sind heute gewiss schon über 250 Mädchen; hin und wieder kommt der Arzt von Medan dahin,[48] um in der kleinen Garnison dem Einen oder Andern zu helfen, und nebstbei untersucht er auch einige Prostituées, die ihm bei dieser Gelegenheit von dem Beamten gesendet werden. Labuan Deli ist heute schon die Bezugsquelle der Syphilis für die ganze Provinz bis an die Grenze der Battaker.
Die Matrosen der sogenannten Gouvernements-Marine unterstehen ebenso wenig einer regelmässigen ärztlichen Untersuchung als alle Polizeisoldaten. Auch die Niederländisch-Indische Dampfschifffahrts-Gesellschaft, welche jährlich Millionen für den Transport von Truppen u. s. w. von der indischen Regierung bezieht, thut nichts, absolut nichts, um der Verbreitung der Syphilis durch ihre Matrosen entgegenzutreten. Das Militär wird streng überwacht, und die gesetzlichen Bestimmungen sind hinreichend, um in isolirten Forts die Syphilis im Keime zu ersticken, wenn die civilen Behörden es an der nöthigen Unterstützung nicht fehlen lassen. In den Casernen hat wenigstens ⅓ der Bemannung Haushälterinnen.
Bei begründetem Verdacht, dass eine derselben inficirt sei, muss sie sich der ärztlichen Behandlung unterwerfen, oder der Aufenthalt im Fort wird ihr verboten, und sie wird den Civilbehörden zur weiteren Behandlung übergeben.[48] Im Innern des Landes wird unter 10 Fällen sicher 3 mal so eine Frau ruhig im nächsten Kampong (Dorfe) leben können und der Bevölkerung das Geschenk der europäischen Civilisation (= Syphilisation) übermitteln.
[S. 210]
Von den Inseln des indischen Archipels kam die Syphilis sicher nicht nach Europa, wenn auch Fracastor wehmüthig klagt:
Die Syphilisation des indischen Archipels hält gleichen Schritt mit dem Vordringen der europäischen Civilisation, und wenn auch einige Autoren in Indien die Heimath der Syphilis suchen und sehen, so ist nichts unrichtiger als diese Annahme. Auf Borneo z. B. haben wir noch deutliche Spuren des Priap-[49] und des Lingamdienstes, und doch sah ich im Herzen dieser Insel während eines 3jährigen Aufenthaltes keinen recenten Luesfall, weil die Soldaten des Forts von jeher ihren Kopf einem Schäferstündchen zu Liebe nicht in Gefahr bringen wollten.
So wie im dritten Buch der Bibel vor der Ansteckungsfähigkeit, des Trippers, gewarnt wird: »Vir qui patitur fluxum seminis,[50] immundus erit«, so sprechen auch Hippokrates, Galenus, Celsus u. s. w. von Geschlechtskrankheiten, und selbst syphilitischer Formen gedenken die alten Autoren, wenn sie von »ficus, ulcus acre, pustulae lucentes und sordigi lichenes« sprechen. Das Mittelalter ist zwar arm an Schilderungen der damals herrschenden venerischen oder syphilitischen Erkrankungen, aber dafür um so ausführlicher. So klagt z. B. der Dichter[51] in seiner Ode an Priapus:
Zu allen Zeiten gab es also Geschlechtskranke, und dem ungeachtet wird schon seit 3 Jahrhunderten der Streit um die Heimath der Syphilis geführt. Von Artruc bis John Hunter haben alle Aerzte, wie Sydenham, Boerhave u. s. w. in Amerika die Wiege der[S. 211] Syphilis gesehen, und Sonnerat’s Erzählung des Lingamdienstes (Venusdienst) hat Indien zum ersten Exporthafen der Syphilis gemacht.
Im indischen Archipelagus jedoch folgt die Syphilis dem Zuge der europäischen Pioniere der Civilisation. Nur die 3 grossen Inseln Java, Borneo und Sumatra sind mir aus Autopsie bekannt, und ich möchte fast sagen, dass ich Schritt auf Schritt dem siegreichen Zuge der Syphilis mit dem Vordringen der Europäer folgen konnte. Java hat die Lues beinahe schon ganz erobert; die Küstenplätze haben die liebesdurstigen europäischen Matrosen schon vor vielen Jahrzehnten inficirt, und nur jene hoch gelegenen Strecken, welche, abseits von der grossen Heeresstrasse, niemals ein Fort mit europäischer Besatzung hatten, und deren Bewohner, zufrieden mit den Erträgnissen des Bodens, die heimische Scholle nicht verlassen, keine bedeutenden Bedürfnisse kennen, diese Strecken sind auch heute noch frei von der Erstlingsgabe der europäischen Civilisation, der Syphilis.
Borneo und Sumatra sind theilweise noch unbekannt und nur zum kleinsten Theile von Europäern in Besitz genommen. Auf ersterer Insel stand ich in stetem Verkehr mit den Eingeborenen; sie halfen mir Thiere sammeln. Es wurden mir viele operative Fälle zugewiesen und für alle möglichen Krankheitsformen von den Dajakern mein ärztlicher Rath eingeholt.[52] Dem ungeachtet sah ich im Herzen[53] Borneos keinen Luesfall. Das Umsichgreifen der venerischen und syphilitischen Krankheiten demonstrirt beinahe ad oculos der officielle Jahresbericht über den Gesundheitszustand der holländisch-indischen Armee im Quinquennium 1878–1882, der im 5. Heft der ärztlichen Zeitschrift für Holländisch-Indien in Batavia erschien. Die Armee hatte nämlich im Jahre 1878: Syphilis 854 und venerische Krankheiten 7652; im Jahre 1879: Syphilis 881 und venerische Krankheiten 8024; im Jahre 1880: Syphilis 1125 und venerische Krankheiten 9650; im Jahre 1881: Syphilis 1289 und venerische Krankheiten 10261; im Jahre 1882: Syphilis 1270 und venerische Krankheiten 10402.
Der prophylaktische Werth der Circumcisionen fällt in diesem Berichte besonders scharf in die Augen.
[S. 212]
Im Jahre 1882 befanden sich in der Armee 15349 Europäer und 14583 Eingeborene [Malayen[54], Javanen u. s. w.], und von diesen wurden an Syphilis 988 oder 6·4% Europäer und 280 = 1·9% Eingeborene, an venerischen Krankheiten 6812 oder 44% Europäer und 3552 = 24% Eingeborene behandelt.[55] Auch das Verhältniss zu der Zahl der Patienten spricht zu Gunsten der Eingeborenen, obwohl nicht so stark. Krankenstand der Europäer 41595, Syphilis 988 = 2·3%, venerische Krankheiten 6812 = 16%; Krankenstand der Eingeborenen 36660, Syphilis 280 = 0·8%, venerische Krankheiten 3552 = 9·7%.[56]
Wie wir sehen werden, leben beide Rassen unter denselben socialen Verhältnissen; es kann also dieser Vorzug der Eingeborenen nur eine Folge der Circumcision sein, der sie als Mohammedaner unterworfen sind.
Der hygienische Werth der Circumcision ist schon oft genug betont, soweit mir aber bekannt, noch niemals so drastisch durch Ziffern illustrirt worden als in diesem Falle. »Wein, Weib und Gesang« mögen den europäischen Soldaten auf dem isolirten Posten die Zeit verkürzen helfen; der Eingeborene trinkt als Mohammedaner keine berauschenden Getränke; niemals hört man einen Malayen oder Javanen den Lüften sein Liebesleid oder seine Sehnsucht nach der Heimath klagen; er kennt nur eine Leidenschaft: die Liebe. Das Würfelspiel, dem er auch oft alles opfert, seine Stellung und seine Zukunft, ist ihm auch nur Mittel zum Zwecke: Geld zu gewinnen für den Schmuck seiner Geliebten. Und doch zeigen die europäischen Soldaten im Jahre 1882 eine 3–4mal so grosse Zahl der Syphilitiker und 2mal so grosse Menge venerischer Kranken.
Wie erwähnt, leben beide Rassen unter denselben socialen Verhältnissen, und wenn dennoch die Zahl der syphilitischen Erkrankungen sich wie 64 : 19 verhält und die der venerischen Krankheit wie 44 : 24, so spricht dies zu Gunsten der Circumcision.
In den Tropen ist ja eine reichliche Secretion der Fettdrüsen vorherrschend; das Smegma sammelt sich also in grosser Menge um die[S. 213] Glans an, und durch die saure Reaction des Schweisses (in Folge seines grösseren Gehaltes an Fettsäure) sind Eicheltripper sehr häufig, und zur Aufnahme des syphilitischen Virus ist der günstigste Boden gegeben.
Auch erklärt es sich leicht, warum die syphilitischen Affectionen der Europäer um 3–400% und die venerischen Affectionen kaum um 100% die Geschlechtskrankheiten der Eingeborenen überwiegen. Diese schliessen in grösserer Zahl die Urethritiden ein, und beide Rassen bieten so ziemlich gleiche Bedingungen zur Aufnahme des Trippergiftes. Leider sehen wir, dass die venerischen Krankheiten in dem Quinquennium 1878–1882 sich bedeutend vermehrten,[57] während doch im Allgemeinen die sanitären Verhältnisse der Armee sich besserten.
Im Jahre
|
Armeestand
|
Krankenstand
|
Syphilis
in % |
Venerische Kr.
in % |
1878
|
37023
|
317
|
2·3
|
20
|
1879
|
30771
|
398
|
2·8
|
26
|
1880
|
31459
|
340
|
3·5
|
30
|
1881
|
30209
|
293
|
4·2
|
34
|
1882
|
30051
|
261
|
4·2
|
24
|
Es würde mich zu weit führen, die Factoren zu besprechen, welche die sanitären Verhältnisse der indischen Armee mit jedem Jahre günstiger werden liessen, und ich will mich darauf beschränken, jene socialen Verhältnisse zu erwähnen, die auf die Verbreitung der Syphilis Einfluss nehmen, und wenn manches pittoreske Genrebild dem europäischen Leser etwas fremd erscheinen wird, werde ich nicht ermangeln, auch sein raison d’être zu demonstriren.
Officiell anerkannte Polyandrie kommt unter den europäischen und eingeborenen Soldaten nur ausnahmsweise vor; sie prügeln ihre »Frau« zwar durch, wenn sie Beweise eines Ehebruches haben, glauben es aber gerne, wenn sie den Besitz von Schmucksachen und Geld auf Gewinnste im Würfelspiele zurückführen, und wenn der »Mann« Abends[58] all sein Geld verloren hat, findet er es ganz natürlich, dass seine »Haushälterin« hin und wieder verschwindet, um in einiger Zeit mit gefüllter Tasche zurückzukehren.
Diese Soldatenfrauen ermöglichen jede Controle, und wenn demungeachtet die Geschlechtskrankheiten in dem erwähnten Quinquennium[S. 214] zunahmen, kann die Schuld nur in den Organen gesucht werden, welchen es obliegt, hierin prophylaktische Maassregeln zu ergreifen. Im Gegensatz zu Europa sind ja in der indischen Armee die heimlichen Infectionsquellen in der Minorität. Denn ¼-⅕ der Mannschaft hat auf Java eine »Haushälterin«, und auf den übrigen Inseln sichert sich beinahe ⅖ der Garnison durch den Besitz einer »Njai« gewissermaassen ein Familienleben und ein Heim inmitten der Caserne. Auf Java nämlich erfreut sich der europäische wie der eingeborene Soldat gewisser gesellschaftlicher Vorzüge. In den grossen Städten (Batavia, Surabaya, Samarang u. s. w.) geben Oper, einige Mal in der Woche aufgeführte Concerte, von Zeit zu Zeit Circusvorstellungen u. s. w. genügend Abwechselung in dem sonst monotonen Soldatenleben; in den kleinen Städten bieten Dilettantenvorstellungen des Militärs oder der Bürger, einiger Verkehr mit den Bewohnern des Landes u. s. w. auch einige Zerstreuung; auf den anderen Inseln jedoch hat selbst auf den Hauptplätzen das Leben der europäischen Soldaten nur die Wahl: Caserne[59] und Cantine, das der Eingeborenen nur die Caserne.
Hat er jedoch eine »Frau« oder eine »Haushälterin« bei sich und geniesst er sogar Vaterfreuden, dann fühlt er sich in der Caserne heimisch; diese wird ihm zur zweiten Heimath.[60] Die Frauen, die sich dazu hergeben, stammen aus der tiefsten Schicht der Küstenbewohner. Das sittliche Gehalt derselben steht dann um etwas höher, wenn sie sich mit den eingeborenen Soldaten durch eine gesetzliche Ehe verbinden; im anderen Falle sinken sie selbst unter das Niveau einer Prostituirten in Europa, so z. B. sah ich eine solche Frau nackt unter Soldaten baden, während jede mohammedanische Frau (in Indien wenigstens) ihr Schiffbad[61] nur im Sarong (Rock) nimmt, den sie über die Brust knüpft, auch wenn sie allein ist. (Der Islam kennt diesbezüglich sehr strenge Vorschriften, so z. B. würde jede schwangere Frau früher zu Grunde gehen, bevor sie sich von einem männlichen Arzte helfen liesse oder von einer Hebamme manuelle Hülfe per vaginam annähme.)
[S. 215]
Für die nicht verheiratheten »Frauen« der europäischen und eingeborenen Soldaten ist oft der »Mann« auch nichts anderes als der Firmaträger ihres Geschäftes, dem sie den Aufenthalt in der Caserne verdankt. Er ist sich dessen auch bewusst, obwohl sehr viele solcher »Soldatenfrauen« ihre uneheliche Untreue vor ihrem Manne geheim halten.
In Friedenszeiten geniessen diese Soldatenfrauen keine anderen Begünstigungen, als die Erlaubniss zum Aufenthalt in der Caserne; in Forts auf Kriegsfuss bekommen sie jedoch ihre tägliche Portion Reis (0,6 Kilo) und etwas Salz. Schon wegen der hohen Transportkosten dieser Frauen (und mit ihren Kindern) und aus sittlichen und strategischen Ursachen wurde die Frage ventilirt, ob diesem Zustande ein Ende gemacht werden müsse. Nein und abermals nein! — Der Soldat hat in Indien ein elendes sociales Leben.[62] Besonders auf den »Aussenbesitzungen« (Java und Madura sind von diesem Collectivnamen ausgeschlossen) fühlt sich jeder Bürger als Herr (Tuwan) und hält es also unter seiner Würde, einen Unterofficier oder gar einen Soldaten, sei er noch so intelligent, bei sich zu empfangen. Nichts bietet diesem Abwechslung, nichts Zerstreuung.
In den Jahre lang dauernden Guerillakriegen ist ihm seine Haushälterin eine wahrhaft treue und sorgsame Pflegerin. Ermattet vom schweren Patrouillendienst durch die sumpfigen Reisfelder, findet er bei seiner Rückkunft eine Schale Thee, Kaffee und Suppe und kann sich der Ruhe hingeben, während seine »Frau« die Kleider und Waffen reinigt. Jeden Augenblick des Alarmrufes gewärtig, oft jeden zweiten oder dritten Tag zum Schildwachdienst gerufen, in der Zwischenzeit »ausrücken« zu müssen, wäre ihm unmöglich, wenn nicht seine Haushälterin ihm die knapp zugemessene Ruhezeit ganz überliesse und für seine leiblichen Bedürfnisse sorgte. Wird er krank oder verwundet, pflegt sie ihn. Doch last not least: Jedwelche Controle zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten ist geboten und möglich.
Wir sehen aber, dass dessen ungeachtet die Syphilis im Quinquennium 1878–1882 zunahm; die Ursache liegt nur in der mangelhaften Ausführung der diesbezüglichen Bestimmung und in der Unzweckmässigkeit einzelner Verordnungen. Die Progression dieser Krankheitsfälle ist aber auch unter den Europäern eine viel stärkere als unter den Eingeborenen, die in viel grösserer Zahl Frauen bei sich haben:
[S. 216]
Eingeborenen-Armeestand
|
Syphilis
|
Vener. Krankheiten
|
|
1878
|
19561
|
271 = 1·3%
|
2252 = 18%
|
1879
|
15919
|
200 = 1·2%
|
2723 = 17%
|
1880
|
15045
|
219 = 1·4%
|
3123 = 20%
|
1881
|
14509
|
272 = 1·8%
|
3120 = 21%
|
1882
|
14583
|
280 = 1·9%
|
3562 = 25%
|
Europäischer Armeestand
|
Syphilis
|
Vener. Krankheiten
|
|
1878
|
17477
|
583 = 3·3%
|
5072 = 28%
|
1879
|
14780
|
666 = 4·5%
|
5292 = 36%
|
1880
|
16247
|
901 = 5·5%
|
6486 = 39%
|
1881
|
15568
|
1008 = 6·4%
|
7107 = 45%
|
1882
|
15349
|
988 = 6·4%
|
6812 = 44%
|
Auf den »Aussenbesitzungen« hat eine viel grössere Zahl der Soldaten Haushälterinnen, und allgemein erhält man (auch die ledigen Officiere) den Rath, bei einer Transferirung, z. B. nach Borneo, sich mit dem nöthigen Bedienungspersonal auf Java zu versorgen; thatsächlich ist auch die Zahl der Geschlechtskranken ausserhalb Javas viel kleiner als auf dieser Insel. Der Einwand, dass eben auf Java die Syphilis eine grössere Verbreitung gefunden habe, ist richtig.
So sehen wir Java bei einem Armeestand von 15525 Mann mit 6·9% (1076) Syphilitischen und 53% (8248) Venerischen belastet, während Borneo bei einem Garnisonstand von 1932 Mann 2·0% (39) Syphilitische und 14% (282) Venerische im Jahre 1882 hatte. Dass die Insel Borneo in unserem Falle der Syphilis noch nicht so viel Spielraum zur Entwicklung geboten hat, ist aber nicht die einzige Ursache, dass die Truppen beinahe 3–400% weniger Venerische zählen als die auf Java; denn hier wie dort ist die malayische Küstenbevölkerung der grosse Liverancier der Prostituées. Aus verschiedenen Ursachen verkehren die Soldaten im Innern des Landes, wenigstens in einigen Garnisonen, nur mit ihren Haushälterinnen oder mit jenen — ihrer Kameraden. Würden die herrschenden Bestimmungen auch mit Umsicht angewendet, müsste die Zahl der Geschlechtskranken eine noch viel kleinere sein.
Würde zudem das Gesetz erlassen werden, dass jede Frau, die, ohne zu heirathen, nur als Haushälterin einem Soldaten folgen wolle, sich vor dem Einzug in die Caserne einer ärztlichen Untersuchung unterziehen müsse,[63] dann wäre das jährliche Contingent der Geschlechtskranken[S. 217] auf den Aussenbesitzungen geradezu ein Minimum. Nur sehr wenige Frauen würden sich dadurch abschrecken lassen, Concubine eines Soldaten zu werden. Der sittliche Gehalt dieser Frau steht ja doch auf einem niedrigen Niveau; die Lehren des Islam existiren nicht für diese Frauen; sie essen Schweinefleisch, trinken mitunter auch Schnaps und finden auch im Verkehr mit einem Christen nichts Sündhaftes. Auch die Erfahrung zeigt, dass eine absolute Einschränkung der Syphilis ganz gut möglich ist.
Diese Soldatenfrauen haben also ihre raison d’être.
Dass auf Java die Zahl der geschlechtskranken Soldaten so enorm hoch ist, hat, wie erwähnt, seine Ursache darin, dass in den grossen Garnisonplätzen nur eine kleine Zahl Soldaten sich eine »Haushälterin« hält. Natürlich ist die »clandestine Prostitution« der sehr willkommene Deckmantel für die Nachlässigkeit der Organe, denen es obliegt, der Verbreitung der Syphilis entgegenzutreten. Mit der Heimlichkeit der Prostituirten ist’s ja in Indien gar nicht so arg gestellt. Die militärische Staffage der Küche ist in Indien unbekannt; entweder sind die betreffenden Babus (Dienstmädchen) verheirathet und leben mit Mann und Kind in den Nebengebäuden ihrer Wirthschaft; auch wenn sie ledig sind, würde es kein Soldat wagen dürfen, seine Geliebte im Herrnhause aufzusuchen. Die Rendezvousplätze der Soldaten, welche keine »Njai« haben oder ihren »Frauen« untreu sind, müssen nicht nur der Polizei bekannt sein, sondern sind es auch stets.
Die »clandestinen« Prostituées sind für die betreffenden Organe nur ein Deckmantel ihrer Nonchalance.
Dieser Jahresausweis constatirt also zwei Thatsachen:
1) Die Zahl der venerischen Erkrankungen und der Syphilisfälle wuchs mit jedem Jahre beinahe constant im Quinquennium 1878–1882.
2) Java, welches seit vielen Jahrzehnten im factischen Besitze der Europäer ist, hatte 6·9% und das wenig bekannte Borneo 2% des Armeestandes an Syphilis und 53% resp. 14% an andern venerischen Krankheiten Leidende.
So naheliegend auch die Erklärung dieser Thatsache ist, dass nämlich in den sogenannten Aussenbesitzungen die Syphilis noch nicht allgemein Wurzel geschlagen habe, so wenig ist sie frei von dem Einwande, dass gerade die geringe Kenntniss des Landes und der geringe Verkehr mit den Eingeborenen dieser Insel ein kleines Contingent zum Stande der Geschlechtskranken liefern solle. Dieser Einwand ist aber[S. 218] nicht stichhaltig, abgesehen davon, dass er das beste Plaidoyer für die sogenannten »Haushälterinnen oder Soldatenfrauen« bietet — Facta loquuntur: Je weiter ich ins Innere von Borneo kam, desto mehr verlor ich die Spur der Syphilis; je weiter wir uns auf Sumatra von der Küste entfernen, desto weniger Geschlechtskranke findet man. Labuan Deli[64] z. B. hatte vor 15 Jahren, wie der »Javabode« aus Anlass einer von mir erschienenen diesbezüglichen Broschüre berichtete, keine publiken Frauen und keine Syphilis; seitdem eine blühende, europäerreiche Colonie von Pflanzern dort selbst eine Eisenbahn nothwendig machte, zählt dieser kleine unbedeutende Hafenplatz schon mehr als 200 Priesterinnen der Venus vulgivaga aus aller Herren Länder. Der Hauptort Medan, 3 Meilen von Labuan Deli entfernt, ist heute schon verseucht, und ich bin überzeugt, dass nur energische Maassregeln im Stande sind, die Durchseuchung des ganzen Bezirkes weit hinaus über die Grenzen der Battaker, wo die Ida Pfeiffer vor 45 Jahren noch Menschenfresser fand, zu verhindern.
Auf Borneo sah ich, wie schon erwähnt, die Syphilis nicht einheimisch. Nur dort, wo die Soldaten in innigen Verkehr mit der Bevölkerung traten, nur dort sah ich unter den Eingeborenen Syphilis. Drei Jahre sass ich im Herzen von Borneo, und kein recenter Syphilisfall kam mir zur Beobachtung und zur Behandlung, obwohl die ursprünglichen Bewohner des Landes, die Dajaker, ein liederliches Leben führen.
Alle Phasen des persönlichen, des Familien- oder des Gemeindelebens werden mit 4 bis 8 Tagen langen Festen gefeiert, bei denen Venus und Bacchus abwechselnd die Hände sich reichen. Bei Tag wird der Tuwak (schwach alcoholisches Getränk) aus grossen Schalen getrunken, in Chören getanzt beim ohrzerreissenden Schall grosser Pauken und der malayischen Gamelang, und der scheidende Tag ladet Alt und Jung, das ganze Dorf zur Orgie, so dass kaum jemals eine Braut virgo intacta war. Bei solchem Familienleben konnte selbst der oberflächlichen Beobachtung eine etwa eingenistete Lues nicht entgehen.[65] Die Soldaten haben hier wie dort gleiche Lust zur Liebe; hier wie dort sind Soldaten, die keine »Haushälterin« haben; hier wie dort giebt[S. 219] es zahlreiche untreue Ehemänner, welche bei den Frauen des Landes Abwechslung in ihrem monotonen pseudoehelichen Leben suchen.
Wenn also auch die directe Beobachtung fehlen würde, dass im indischen Archipel die Syphilis nicht einheimisch sei, so würde schon der Jahresbericht hinreichend beweisen, dass auf diesen Inseln die Syphilis von den Europäern importirt sei, und dass mit dem Vordringen der Pioniere der Civilisation die Lues ihren siegreichen Zug durch das Land hält. Die Syphilis ist eine Treibhauspflanze der rasch lebenden grossen Städte. Auf dem Lande, im Innern der Inseln, fern von dem Gewühle der grossen Culturcentren, findet sie nur wenig oder gar keine Nahrung.
Wiederholt wurde bis jetzt von der Beschneidung bei den Eingeborenen gesprochen, welche den europäischen Aerzten nur vom Hörensagen bekannt ist. Da ich jedoch Gelegenheit hatte, die rituelle Circumcision zu sehen, so will ich gern einige Worte darüber verlieren, und zwar in Wiederholung dessen, was ich in der W. M. W. Nr. 27 vom Jahre 1897 darüber geschrieben habe:
Was die Circumcision der Javanen, Malayen (an der Küste des ganzen Archipels), der Sundanesen (im Westen von Java), der Maduresen (von der Insel Madura und von dem Osten Javas) und der anderen Mohammedaner betrifft, ist bis jetzt den europäischen Aerzten nur Weniges bekannt geworden. So z. B. wusste unter 7 Collegen, mit welchen ich dieses Thema besprach, kein einziger, dass auch die mohammedanischen Frauen (im Gegensatze zu den Juden) beschnitten werden, oder aber, was der »Beschneider« mit dem inneren Blatte des Präputiums thue. Der europäische Arzt dringt ebenso wenig als die übrigen Europäer (mit Ausnahme der Polizei- und Verwaltungsbeamten) tiefer in das Leben der Eingeborenen; er ist und bleibt ein fremdes Element, und was er von ihren Sitten und Gebräuchen weiss, schöpft er aus unverlässlicher Quelle, aus dem niedersten Theile der Bevölkerung, aus den Mittheilungen seiner Bedienten, und — wenn er Junggeselle ist — seiner Concubine.
Die Beschneidung der Frauen geschieht sehr geheim, im Gegensatze zu der bei den Knaben. Eine Dukun, vielleicht am besten zu vergleichen mit einer Hebamme, welche jedoch die Behandlung aller Krankheiten auf sich nimmt und besondere geschickt im Massiren (pidjet) ist, und ihr Meisterstückchen in der Verhinderung der Conception thut, ritzt in der Regel mit einem gewöhnlichen Messer das Präputium der[S. 220] Clitoris; bei übermässiger Länge des letzteren jedoch amputirt sie. Aus Autopsie weiss ich von dieser Operation nichts zu erzählen. Bei allen festlichen Gelegenheiten wird ein Festessen (slametan) gegeben, zu dem auch die Europäer eingeladen werden; nur nicht bei dieser Gelegenheit. Dies ist die Hauptursache, dass der europäische Nachbar ebenso wenig davon weiss, als z. B. der europäische Arzt, der die männlichen Verwandten eines Häuptlings und vielleicht auch seine Frau und Tochter im Krankheitsfalle behandelt.
Die Beschneidung der Knaben ist mit mannigfachen Ceremonien verbunden und unterscheidet sich in der Wahl der Instrumente, in der Methode u. s. w., je nach Insel und Theilen der Insel und den Vermögensverhältnissen des Vaters. Das Folgende ist entnommen der Beobachtung bei einem Javanen im Innern Javas (in Magelang) und bei dem Sohne eines angesehenen Häuptlings (eines Pâtih). Dieser Mann hatte (offenbar in Folge einer schlechten oder gar nicht ausgeführten Circumcision) eine atrophische Phimosis, die Verhaut war zum grössten Theile mit der Glans verwachsen; auch einer seiner Söhne hatte, wie ich später sah, eine partielle Verwachsung des Präputiums mit der Glans. Vielleicht wusste er, dass der mohammedanische Beschneider bei der kleinsten Abweichung sich nicht zu helfen wisse, vielleicht wollte er von der localen Anästhesie Gebrauch machen lassen, genug, er ersuchte mich, den europäischen Arzt, die Circumcision bei seinem Sohne vorzunehmen. Auf meinen Einwand, dass er vielleicht hierdurch den Unwillen der mohammedanischen Geistlichkeit auf sich ziehen könnte, bemerkte er: Es ist nirgends vorgeschrieben, wer diese Operation machen müsse, wenn sie nur zur rechten Zeit gethan werde. Gar so sicher fühlte er sich später in dieser Behauptung nicht; denn ein paar Tage vor der Beschneidung zog er seine Bitte so weit zurück, dass ich die Operation selbst dem Hadji (mohammedanischen Priester) überlassen sollte, den Knaben jedoch vorher local anästhesiren und die Nachbehandlung auf mich nehmen sollte. Wie wir sehen werden, geschah dies zu seinem Glücke.
An dem Tage der Operation sah ich eine grosse Schaar von Hadjis ein Zelt umgeben, welches, aus Tulle bestehend, einen kleinen viereckigen Raum umschloss mit einem kleinen Tischchen und einem Stuhle. Auf dem Tischchen standen verschiedene Fläschchen, darunter eines mit Cocain und eine silberne Schale zum Auffangen des Blutes. Unter dem Klange zahlreicher Tamburins und dem monotonen Gesange der Hadjis ging der Candidat in die Hütte und stellte sich[S. 221] zwischen die Beine eines Hadji, welcher auf dem Stuhle sass und ihn mit seinen Armen umschlang. Ein zweiter Hadji hockte auf dem Boden und bemühte sich, mit einem Stäbchen von der Dicke und Form einer dicken Stricknadel, den Präputialraum zu umkreisen; obzwar ihm dieses nicht gelang, wie ich später sah, hob er doch eine kleine Falte in die Höhe, brachte dahinter ein in der Form einer anatomischen Pincette gebogenes Rottanstück und that zwischen dieser Pincette und dem Stäbchen einen Schnitt, offenbar in der Absicht, einen Zwickel auszuschneiden, vielleicht in der Weise, wie Bardeleben die Excision der Vorhaut beschreibt. Diese war ihm jedoch nicht gelungen; er hatte nur ein Stückchen Epidermis von dem äusseren Blatte abgeschnitten. Enfin, ich bekam den kleinen Mohammedaner zur weiteren Behandlung und vollführte — lege artis — die Incision. Unterdessen wurden noch 8 andere Knaben (Söhne aus dem Gefolge) beschnitten, bei welchen die obengenannten Schwierigkeiten natürlich sich nicht einstellten. Wie ich später sah, war bei ihnen ein grosses, beinahe dreieckiges Stück vom Präputium ausgeschnitten, das äussere Blatt hatte sich zurückgezogen, und auf das innere Blatt hatten sie ein graues feines Pulver gestreut. Dieses Pulver rührt von dem Neste der Wespen her, welche sich auf alten Bambushecken ansiedeln. Es wird in grosser Menge auf das eine Blatt gestreut, bleibt sitzen, bis es mit der feinen zarten Membran eingetrocknet abfällt. Ein Verband wird nicht angelegt; um jedoch die Wunde vor dem Reiben des Unterrockes (Sarong) zu schützen, wird ein Horn in der Form unserer Schuhlöffel (bei den Armen wird ein Stück der Cocosnussschale in diese Form geschnitten) an dem Bauche über dem Penis befestigt und darüber der Sarong gefaltet. Der Ruhe pflegen die Patienten nur so weit, dass sie nicht laufen.
Dem Europäer ist es ein pittoreskes Bild, einen javanischen Knaben von ungefähr 13 Jahren, gefolgt von einigen Schicksalsgenossen, langsam und mit gespreizten Füssen gehen zu sehen, mit einem bunten Wedel in der Hand, ein Bedienter trägt über seinem Haupte den Sonnenschirm (pajong), und in der Gegend der Symphysis pubis wird das mit dem Sarong bedeckte Horn sichtbar, um gleichsam urbi et orbi zu verkündigen und ad oculos zu demonstriren, dass der Knabe Mohammedaner und Mann geworden sei.
Von anderen Operationsmethoden weiss ich nur vom Hörensagen; so zum Beispiel wird an Stelle eines gewöhnlichen groben eisernen Messers, welches in unserem Falle gebraucht wurde, ein Stück scharfen[S. 222] Bambus gebraucht. In anderen Orten wird keine Excision, sondern eine Circumcision lege artis gemacht; zu diesem Zwecke wird das Präputium in eine Zange gefasst, welche aus zwei Stäbchen besteht, die mit zwei Ringen aus Rottang aneinander gepresst werden. Das hervorragende Präputium wird dann abgeschnitten. Dieses sind die häufigsten landläufigen Erzählungen über die rituelle Circumcision bei den Bewohnern der Sundainseln.
[S. 223]
Das „Liebesleben“ bei den Waldmenschen, Dajakern, Malayen und Europäern — Aphrodisiaca — Abschied von Borneo — Bandjermasing nach 100 Jahren.
Ein Lieutenant, welcher gegenwärtig einen hohen Rang in der indischen Armee einnimmt, liebte es, in müssigen Stunden zu — philosophiren (?) und bezeichnete vor vielen Jahren den Genuss der sinnlichen Liebe als denselben, welchen wir bei einem ergiebigen Stuhlgang hätten, mit andern Worten, er gab der sinnlichen Liebe dieselbe Basis als den übrigen Entleerungen des Körpers!! Zu einer so trivialen und so gemeinen Benennung der sinnlichen Liebe hat sich meines Wissens noch kein Materialist erniedrigt, der nur jemals einen wissenschaftlichen Gedanken in seinem Gehirn ausbrütete; denn die Endproducte des Stuhlganges sind, wenn nicht schädliche, doch gewiss überflüssige Producte, während die der sinnlichen Liebe das Schönste, Grösste und Mächtigste schaffen, das das ganze Weltall kennt: ein neues organisches Wesen. Nur als Curiosum habe ich also den Ausspruch dieses Officiers erwähnt und als Beweis, wie weit sich Menschen verirren können, wenn sie mit materialistischen Ideen prunken wollen; gerade wie es widerlich ist, wenn manche Leute als Gottesleugner mit ihren atheistischen Ideen sich brüsten.
Es ist ein heikles Thema, die Liebe der Naturvölker zu besprechen, schildern und unter dem Secirmesser der Kritik zu betrachten; ich kann jedoch nicht mit Stillschweigen darüber hinweggehen, weil in Indien so zahlreiche unrichtige Ansichten über das Gefühlsleben der Eingeborenen im Allgemeinen colportirt werden.
Die stehende Phrase, welche gern von Europäern gebraucht wird, ist: Der Malaye ist gefühllos; nichts ist unrichtiger als dieses. Sie fühlen, aber es gehört nicht zum guten Ton, seine Gefühle zu zeigen, sondern sie zu verbergen.
[S. 224]
Eines Tages wurde ich zu einem Fürsten gerufen, dessen Sohn vom Baume gefallen war und sich den rechten Vorderarm gebrochen hatte; wenige Minuten vorher war der Vater abgereist, und es gelang meinem Kutscher, den Reisewagen einzuholen und ihn zurückzurufen. Ich ging ihm entgegen, um ihm in schonender Weise von dem Vorgefallenen die Details mitzutheilen. So lange wir im Garten, umgeben von seinem Gefolge, waren, bewahrte der Regent seine unerschütterliche Ruhe, und keine Regung verrieth in seinem Gesichte, in seinen Worten und in seiner Haltung das väterliche Mitgefühl; kaum waren wir jedoch im Zimmer, befreit von den neugierigen Blicken des Gefolges, als sein Vaterherz mit erregten Worten von mir die Prognose, den Verlauf der Krankheit, ihre Dauer u. s. w. zu wissen verlangte.
Auch das Liebesleben der Malayen entzieht sich ganz dem Urtheile der Europäer, weil sie jede Liebesäusserung coram publico als unsittlich perhorresciren; man kann Jahre lang verheirathete Bediente in seinem Hause haben, ohne sie einen Händedruck, einen Kuss oder nur die geringste körperliche Berührung wechseln zu sehen, obwohl sie den ganzen Tag bei der oben beschriebenen Bauart des Hauses dem controlirenden Auge der Hausfrau und der Nachbarn ausgesetzt sind. Ich für meine Person habe z. B. noch niemals einen eingeborenen Mann eine Frau küssen gesehen, so dass ich nur von Mittheilungen anderer diesen Vorgang kenne; es soll, wie das Wort tjîum schon sagt, eine Art von Beschnüffeln sein (tjîum heisst nämlich ursprünglich riechen).
Ich muss es also wiederholen, dass nur scheinbar die »Gefühllosigkeit« der Malayen besteht, und dass diese Völker ebenso innig lieben und leidenschaftlich hassen können; ja noch mehr. Die Liebe erfasst in ihrem Sinnesrausch diese Menschen noch mächtiger als die Europäer. Gewiss die Hälfte der Morde geschieht im Feuer des Liebesrausches oder der Eifersucht, und das französische Sprichwort: Cherchez la femme, hat in der malayischen Sprache ein Synonym und zwar: Perkâra parampuwan = Affaire (durch) Frauen. Während in Europa der Raubmord, der Mord aus Gewinnsucht viel häufiger vorkommt als der aus Eifersucht, sehen wir bei der malayischen Rasse umgekehrt die Liebe viel häufiger den Dolch in die Hand des Eifersüchtigen drücken als die Habsucht.
Vor einigen Jahren lockte eine öffentliche Dirne in Triest einen jungen Mann in ihre Wohnung, und während sie auf seinem Schoosse sass und ihn liebkoste, legte sie, wie sie sagte, scherzend eine Schlinge[S. 225] um seinen Hals. Plötzlich sprang sie jedoch auf, und ihr Liebhaber, welcher in demselben Zimmer verborgen war, fasste die Schlinge mit kräftiger Hand und erwürgte diesen jungen Mann!!
Darauf wurde der Leichnam seiner ganzen Habe beraubt!! Einen solchen feigen und gemeinen Mord kann ein Malaye unmöglich thun. Der Malaye wird in der Eifersucht den Kris ziehen und seinen Nebenbuhler durchbohren; er wird vielleicht, um Geld zur Befriedigung seiner Leidenschaft zum Spiele und zur Liebe zu bekommen, einen Raubmord thun; er wird vielleicht, um seinem Hasse zu genügen, Amok laufen; aber die Engelmacherei — kennt er nicht. Eine malayische erzürnte Mutter wird in der ersten Aufwallung ihres Zornes ihr Kind zwicken oder bei den Haaren ziehen; niemals jedoch wird eine malayische Frau durch Wochen langes Martern oder Hungern-Lassen ein Kind dem gewissen Tode weihen, wie man es so oft in Europa erzählen hört. Von solchen Fälschungen, wie sie die Dreyfussaffaire ans Tageslicht brachte, schweigt wahrscheinlich die Geschichte der Intriguen auf den Höfen von Djocja, Kutei u. s w. Die Auswüchse der europäischen Civilisation haben, mit einem Wort gesagt, die primitiven Sitten der malayischen Bevölkerung noch nicht verdorben.
Doch ad rem.
Die Waldmenschen kennen, wie mir im Jahre 1879 der Fürst von Murong und Siang mittheilte, kein fesselndes Band der Ehe; sie leben in einzelnen Familien, und ihre erwachsenen Kinder vereinigen sich wieder ohne den Segen eines Priesters und ohne Zustimmung irgend eines andern Häuptlings als ihres Vaters. Ihr Geschlechtsleben sei dasselbe wie das eines Schweines (Babi). Das ist alles, was ich von diesem dajakischen Häuptling über das Geschlechtsleben dieser primitiven Menschen zu wissen bekam. Auch hätten diese keine Geschlechtskrankheiten, wie ich schon früher mitgetheilt habe. Da dieser Häuptling nur im geringen Maasse der malayischen Sprache mächtig, und mein Dolmetsch (der Häuptling von Teweh) kein vertraubarer Berichterstatter war, musste ich davon absehen, nähere Details über das »Liebesleben« der Waldmenschen von Borneo zu erfahren.
Der Dajaker »heirathet« zwar, und grosse, langdauernde Feste geben dem Trauacte eine feierliche Weihe (??), aber die Basis ihrer Ehe ist die Liederlichkeit, die Sittenlosigkeit, welche die Dajaker selbst unter die Affen tief sinken lässt.
Der Dajaker heirathet nur, um eine kürzere oder längere Zeit den Gebrauch der Frau sich zu sichern, sei es als Krankenwärterin,[S. 226] sei es zur Befriedigung seiner thierischen Gelüste, oder sei es zur Erhöhung seiner Einkünfte. Wenn seine Frau einem anderen Manne Fallstricke legt — der Ehebruch wird ja mit dem Tode bedroht, aber nicht thatsächlich bestraft, — so wird er nicht nur mit Vergnügen das erhaltene Bussegeld in Empfang nehmen, sondern wird sich auch dessen rühmen, dass er eine so pîntare[66] Frau besitze, und dass sie schon zwei- oder dreimal diesen genialen Streich ausführen konnte u. s. w.
Schon die Vorbedingungen der Ehe sind unmoralisch. Der Dajaker erwartet von seiner Frau gar nicht die Jungfräulichkeit, selbst wenn er mit seiner zukünftigen Frau verlobt wurde, als sie noch Kind war.
Die dajakische Frau weiss aber auch, dass ihr zukünftiger Mann nicht jung heirathen würde, dass er vor der Ehe alle Laster von Sodom und Gomorrha geübt habe, und dass die Ehe ihr nur einen früh gealterten, kraft- und saftlosen Mann bringen werde.
Der Dajaker und die dajakische Frau stehen in ihrem Geschlechtsleben, wie gesagt, tief unter den Affen.
Ich hatte in Teweh ein Affenhäuschen und hatte daher Gelegenheit, auch in dieser Richtung die Affen beobachten zu können. Sie sind Onanisten im hohen Grade. Ich hatte einen kleinen Schweinsaffen, welcher Stunden lang an seinem Präputium saugte; ich bestreute dasselbe mit dem bittern Chinin, um ihn von dieser Gewohnheit abzubringen; ich amputirte das Präputium, welches durch das stete Zerren stark hypertrophisch geworden war. Nichts half jedoch; er ging tabetisch zu Grunde. Der Affe ergiebt sich in verschiedenen Weisen dem Genusse der gereizten Geschlechtsnerven; aber der Dajaker — übertrifft ihn.
Die dajakische Frau gebraucht den Balak, d. i. ein künstlicher mit Wachs überzogener Penis, und der dajakische Mann ist stolz, mit einem Priester (Basir) ein eheliches Leben führen zu können! Dr. van der Burg erzählt, dass die Dajaker »den Penis mit einem Stückchen Holz oder Bein durchbohren und an den freien Enden hölzerne Kügelchen befestigen, mit dem Zwecke, die innere Fläche der Vagina zu reizen und dadurch stärkere Contractionen von dem Constrictor cunni zu bekommen. Ein so ausgerüsteter Penis befindet sich u. a. im pathologisch-anatomischen Cabinet des Militärhospitales in Weltevreden.«
Dieses Präparat habe ich in Weltevreden nicht gesehen, weil ich[S. 227] nicht daran gedacht habe, es zu suchen; ich habe aber auch von diesem Instrumente zur Zeit meines Aufenthaltes in Borneo kein Exemplar gesehen und auch nicht davon sprechen gehört (auch Perelaer reiht die Existenz dieses Instrumentes in das Reich der Fabel); ich schenke jedoch den Mittheilungen des Dr. van der Burg Vertrauen, weil ich ihn einer solchen Lüge unfähig halte und weil — es in den Rahmen des liederlichen Lebens der Dajaker passt und ein Analogon ist zu dem bei andern Nationen des indischen Archipels gebräuchlichen Verfahren, einen Büschel Pferdehaare um den Penis zu knüpfen, um den Geschlechtsgenuss der Frau zu erhöhen.
Den Schleier des ehelichen Lebens der Dajaker will ich nicht aufheben, weil es sich nur wenig von dem Geschlechtsleben der unverheiratheten Männer und Frauen unterscheidet. Bei den zahlreichen und lange dauernden Festen wird ja unter dem Einflusse des Tuwak jeder Unterschied zwischen Alt und Jung, zwischen ledig und verheirathet vergessen, und wenn ich einen Schluss mir erlaube von dem, was ich selbst gesehen habe, auf das, was mir mitgetheilt wurde, so ist es vielleicht besser, wenn ich den Schleier nicht weiter lüfte.
Die Malayen der Insel Borneo sind Mohammedaner, und als solche tragen sie die Keuschheit äusserlich in höherem Maasse zur Schau als die Europäer. Ihre Polygamie ist gesetzlich geschützt; aber ihre Leidenschaft ist zügellos, weil der Geist der mohammedanischen Religion in sie nicht gedrungen ist, und ihnen eine höhere Bildung fehlt, welche ihrem Geiste eine andere Nahrung giebt, als die Sorge für die Liebe und das Würfelspiel. Nebstdem ist der Kampf ums Dasein in der üppigen Natur der Tropen ein leichter; die Sorge um das tägliche Brod beherrscht in Borneo, ebenso wie auf den übrigen Inseln des indischen Archipels, nur ausnahmsweise den einfachen Kampongbewohner; um 10 Kreuzer sind seine täglichen Bedürfnisse gedeckt, und wenn der Bauer in seiner freien Zeit sich als Kuli vermiethet, so erhält er 15–20 Kreuzer pro Tag und ist im Stande, damit selbst den Unterhalt für seine Frau und Kind zu decken; denn sein Feld giebt ihm genug Reis für seine ganze Familie; die Hühner und Enten bereichern entweder seinen Tisch oder schaffen ihm durch den Verkauf der Eier einen kleinen Erwerb. Seine Frau webt sich allein den nöthigen Sarong oder bemalt den europäischen billigen Kattun in geschickter Weise mit den Farbstoffen des Landes, unter welchen der Indigo die erste Rolle einnimmt.
Das Gemeindeleben bringt nur zur Zeit der Wahlen einige Abwechselung[S. 228] in das eng begrenzte Geistesleben der Malayen; er concentrirt dieses also auf das Geschlechtsleben und auf das Spiel.
Dieses ist die wichtigste Ursache, dass der Malaye der Erhöhung des Geschlechtsgenusses im Allgemeinen eine hohe Sorgfalt zuwendet und mit der Wahl der Aphrodisiaca regelmässiger sich beschäftigt, als der Europäer.
Der grösste Theil der Aphrodisiaca, welche der Malaye gebraucht, sind Arzneien, Früchte, Fische u. s. w., welche die Dauer des Genusses verlängern sollen; es besteht aber ein Unterschied zwischen dem malayischen und europäischen Wüstling. Dieser gebraucht z. B. die Diablotins, um die Zahl der Opfer in einer Nacht zu vergrössern; der Malaye jedoch rühmt sich mehr, das Quale erhöht zu haben. Der europäische Don Juan schwelgt bei der Erinnerung an eine Nacht, in welcher er 4–5, vielleicht 6mal am Altare der Liebe hätte sein Opfer darbringen können, der Malaye jedoch, und noch mehr der Javane oder der Halbeuropäer, wetteifern in der Dauer eines solchen Opfers; ¼ Stunde im Tempel der Venus jedesmal weilen zu können, ist das Ziel des malayischen Liebhabers. Ein zweiter Unterschied charakterisirt den malayischen Schwelger; in seinen ruhmredigen Gesprächen gedenkt er des langdauernden Genusses, welchen er der Frau geboten hat, und lässt seine Person erst die zweite Rolle spielen, während der europäische Grosssprecher nur von seiner und nicht seiner Frau Leistungsfähigkeit spricht. Die Mittel, welche sie dazu gebrauchen, stammen aus der Pflanzen- und Thierwelt, und — Massage und Gymnastik. Die Gymnastik führt das halberwachsene Mädchen in die Schule der Liebe, die Medicamente sollen dem reifen Mannesalter seine Kräfte erhalten und dem beginnenden Greisenalter mit Hülfe der Massage den letzten Funken des männlichen Feuers erhalten.
Die Zahl der Aphrodisiaca ist gross; die Tripang, Schwalbennester, schwere Weine, zahlreiche Fischsorten, aromatische Kräuter, welche als Kataplasmen gebraucht werden; Pferdehaare, welche in den sulcus glandis mit hervorragendem Ende gebunden werden; der Penis von einem Kaiman oder einer Seekuh (Halicore Dugong) werden getrocknet zu einem Pulver gerieben und mit Wasser getrunken; die Eier der Schildkröten, die Stacheln der Haie; einige Sorten Käfer, welche das Pfeilgift legèn liefern sollen (??); einige Früchte,[67] Austern u. s. w.[S. 229] u. s. w. sind die am meisten gebrauchten. Ich hatte Gelegenheit, wenigstens den Einfluss des reichlichen Fischessens auf die Energie der Männer zu beobachten. Im Süden Javas, und zwar im Westen von dem Hafenplatz Tjilatjap, befindet sich ein kleines Dorf auf Pfahlbauten; der Meerbusen, an dessen Ufer dieses Dorf steht, heisst das Kindermeer (Kinderzee); die Fruchtbarkeit seiner Bewohner ist gross und — der Einfluss der ausschliesslichen Nahrung von den Fischen aus dieser Gegend liess sich auch bei den Europäern constatiren, welche sich dort aufhielten. Ob es eine einzelne Species der zahlreichen Fischsorten, oder im Allgemeinen das starke Consumiren der Fische war, was die Geschlechtslust der Männer in so hohem Maasse erregt, weiss ich natürlich nicht zu sagen; aber wahrscheinlicher ist, dass die eiweissreiche Nahrung auf den Organismus kräftigend und stärkend wirkt, so dass Männer und Frauen unter den günstigsten Lebensbedingungen leben und also auch im höchsten Grade fortpflanzungsfähig sind.
Wenn ich nun auch das Geschlechtsleben der Europäer in den Tropen mit einigen Worten bespreche, so bin ich mir der Schwierigkeiten bewusst, welche damit verbunden sind; denn nur die Erfahrung aus wenigen Fällen kann das Thatsächliche meiner Mittheilungen sein. Peccatur intra et extra muros Trojae. Ueberall wird gesündigt, in Europa und in Indien; aber unrichtig ist es, dass, wie so oft angenommen wird, in Indien die Europäer auf schlechtem Fusse mit der Moral im Eheleben stünden. Weil die Zahl der Europäer eine kleine ist, und weil die Wohnungen den ganzen Tag den neugierigen Blicken der Nachbarn exponirt sind, so werden die Sünden des Einzelnen schneller und leichter bekannt, als in Europa. Ich habe hier wie dort solide Ehemänner gekannt; ich habe in Indien ebenso viele Frauen gekannt, welche nicht der geringste Vorwurf einer ehelichen Untreue treffen konnte, als in Europa.
Andere behaupten wiederum das Gegentheil. Die Tropensonne sollte auf den Mann erschlaffenden und auf die Frau erregenden Einfluss nehmen. Dies ist sicher nicht wahr. Der Totaleindruck, den ich diesbezüglich während meines 21jährigen Aufenthaltes in Indien gewann, ist ein ganz anderer gewesen. Ob es nun die Gluth der Tropensonne, oder das üppige Leben, oder der Mangel an geistigen Genüssen sei, oder alle diese Factoren zusammen, thatsächlich ist auch das Geschlechtsleben der Europäer in Indien ein intensiveres als in Europa. Es ist aber doch ein grosser Unterschied, ob der Europäer in Indien oder in[S. 230] Europa erzogen wurde. Hat der Europäer in Indien seine Wiege, sei er Vollblut-Europäer oder habe er eingeborenes Blut in sich, so wird durch den Umgang mit den eingeborenen Bedienten frühzeitig die Geschlechtslust erweckt, und es ist, wie ich schon früher erwähnt habe, keine Seltenheit, einen Realschüler oder einen Gymnasiasten an einer Blenorrhoe urethrae behandeln zu müssen. Auch die Mädchen werden frühzeitig in die Geheimnisse des Ehe- und Geschlechtslebens eingeweiht, so dass es oft den Eltern viel Mühe kostet, sie vor einem Falle zu schützen. Nebstdem sind die in Indien geborenen Europäer im Allgemeinen viel besser mit den Aphrodisiaca und mit den Kunstmitteln betraut, welche den Genuss in der Liebe erhöhen sollen. Auch das grosse Reich der Liebestränke der Eingeborenen ist ihnen geläufiger als jenen Europäern, welche in Holland ihre Erziehung genossen haben. Ich sah und sprach selbst mit europäischen Damen, welche in ihrem ganzen Denken und Fühlen, und besonders in der Unbefangenheit, mit welcher sie das geschlechtliche Leben besprachen, kaum von eingeborenen Frauen unterschieden werden konnten. Diese halten wohl, wie Dr. van der Burg schreibt, das Factum der geschlechtlichen Vereinigung und Alles, was damit zusammenhängt, vor der Umgebung geheim, d. h. nichts Anderes als die Handlung selbst; sie finden das Küssen coram publico unanständig, führen aber mit ihren Kameradinnen und anderen Frauen Gespräche, welche Damen, die dieses nicht gewohnt sind, die Schamröthe ins Gesicht treibt. Die »Sachen« werden ganz gewöhnlich und oft in ordinären Ausdrücken bei ihrem Namen genannt, und es ist nur schwer zu verhindern, dass europäische Kinder schon in ihrer frühesten Jugend in Sachen eingeweiht werden, welche selbst den Erwachsenen in Europa nicht immer bekannt sind. Kleine Kinder werden bei der Entbindung der Mutter nicht entfernt, sehen zu, was da geschieht, erzählen und besprechen die geschlechtlichen Unterschiede u. s. w.
Diese Charakterisirung der eingeborenen Frauen ist ceteris paribus auch auf die europäischen Damen anwendbar, welche in Indien geboren sind; natürlich zeigen nicht Alle diese Ungenirtheit im Gespräche in gleichem Maasse; aber alle sind freier in ihren Ausdrücken als Frauen desselben Standes in Europa. Ich selbst habe z. B. in Gesellschaft von drei Officiersfrauen Witze über mich ergehen lassen müssen, welche in Europa gewiss nie und nimmer in diesen Kreisen aus zartem Frauenmunde gehört wurden.
Im Jahre 188.. wurde ein Officier nach Atschin transferirt, wo seit mehr als 25 Jahren ein Guerillakrieg geführt wird. Sein Ersuchen,[S. 231] seine junge Frau mitnehmen zu dürfen, wurde nicht bewilligt und — seine Frau gab ihm ihre Zofe als »Haushälterin« mit.
Vor dem Forum der Moral wird die Toleranz dieser jungen Frau vielleicht verurtheilt werden; das Gelübde der ehelichen Treue bricht dieser Officier aber nur mit Wissen seiner Frau — volenti non fit injuria —, vom Utilitätsstandpunkte aus jedoch betrachtet, verliert dieser »Ehebruch« jeden Vorwurf.
Die Gelegenheit zu sündigen ist in Indien sehr gross; auch in Atschin giebt es zahlreiche Soldatenfrauen, und auf dem Strandplatz Oleh-leh zahlreiche malayische, chinesische und andere Prostituées (europäische werden von der holländischen Regierung im ganzen Archipel nicht zugelassen), welche jeden Strohwittwer in seiner freien Zeit in ihre Netzstricke zu locken suchen. Die Gefahren einer venerischen oder luetischen Erkrankung, welche ihrem Manne drohten, kannte diese junge Officiersfrau, während die Wahrscheinlichkeit, dass ihr Mann bei dieser »Haushälterin« ein Kind würde bekommen, sehr klein war. Wenn man nämlich einer eingeborenen Frau verbietet, ein Kind zu bekommen, so weiss sie die Conception zu verhindern. Unsere junge Officiersfrau wählte also zwischen zwei Uebeln das kleinere, und nach 14 Monaten Abwesenheit kam ihr Mann, gesund an Leib und Seele, zurück. Die frühere Zofe wurde natürlich aus ihrer alten und neuen Stellung entschlagen und suchte und fand einen andern Dienst.
Da die eingeborenen Frauen gerne als »Haushälterinnen« bei den europäischen jungen Leuten in Dienst treten, da ihre eheliche Treue gegen ihre eigenen Männer vieles zu wünschen übrig lässt, und da die Zahl der gewilligen eingeborenen Frauen gross und die der Prostituées noch viel grösser ist, so ist, wie ich schon oben erwähnt habe, die Gelegenheit zu sündigen sehr gross; und doch sind auch in Indien, trotz der Gluth der Tropensonne und trotz des üppigen Lebens, die Fesseln der Ehe als Grundlage des ganzen gesellschaftlichen und staatlichen Lebens ebenso hoch geschätzt und geheiligt als in Europa.
[S. 232]
Abreise von Borneo — Tod meiner zwei Hausfreunde durch Leberabscesse — Bandjermasing nach 100 Jahren.
Am 4. October 1880 wurde meine Transferirung nach Weltevreden beschlossen, und schon 14 Tage später kam ein Regierungsdampfer von Bandjermasing nach Buntok und brachte meinen Nachfolger, Dr. Posewitz. Der Dampfer konnte und wollte nicht länger als einen Tag in Buntok bleiben; ich stand also vor der Wahl, entweder in einem Tage alles einzupacken und die Apotheke, Spital und den ganzen Dienst zu übergeben, vielleicht auch noch Auction zu halten, oder den Dampfer ohne mich abreisen zu lassen und späterhin mit einem Kahn nach Bandjermasing zu gehen. Zudem ging von der Hauptstadt erst am 30. des Monates das Dampfschiff nach Surabaya, und es bestand eine Commandementsordre, dass bei Transferirungen nach einer andern Insel die Militär-Commandanten ihre Officiere u. s. w. an einem solchen Datum nach Bandjermasing schicken sollten, dass diese nicht länger als 2–3 Tage dort auf die Abreise des Schiffes zu warten brauchten.
Meine Sammlung von Häuten, Fischen und Schlangen hinderte mich nicht, sofort abzureisen; ich war ja schon mehr als 3 Jahre auf einem »Buitenposten«, wo die Regierung niemals einen Officier länger als diese Zeit lässt, um ihn nicht menschenscheu werden zu lassen; ich war also täglich meiner Transferirung gewärtig. Ich liess durch mein Factotum Tilly sofort alle Büchsen sortiren und in Kisten einpacken.
Meine kleine Menagerie existirte damals auch nicht mehr. Beim Verlassen des Forts Teweh habe ich das Affenhäuschen nicht mitgenommen; ich gab den Affen die Freiheit. Dieses hatte ich früher schon öfter gethan; sie entfernten sich niemals von der nächsten Umgebung des Fortes; sie mögen wohl am 1. Januar 1880 erstaunt gewesen sein, dass gegen den Abend mein Bedienter sie nicht mit Früchten[S. 233] zum Hause gelockt hat, und mein Bela sie nicht mit seinem Bellen begrüsste. Meine Menschenaffen waren ausgestorben; die beiden Wau-Waus (Hylobates concolor) waren schon in Teweh den Leberabscessen erlegen (nicht der Tuberculosis), und meine zwei Orangs hatte die Pylephlebitis ulcerosa hinweggerafft. Am schwersten traf mich der Verlust des einen Gibbon; so ausgelassen und übermüthig er war, so treu und anhänglich zeigte er sich zu mir. Ich habe Niemandem mein Beileid versagt, der um den Tod eines Hundes übermässig trauerte; denn noch heute betrauere ich den Verlust dieses liebenswürdigsten aller Affen. Wie ein Kind legte er seine langen Arme um meinen Hals und sah mich mit so innigem, liebevollem Blick an, als der Todesengel an ihn trat, dass sich mir dieser Blick noch bis zum heutigen Tage, also nach 19 Jahren, in meine Erinnerung eingeprägt hat. Die Affen lieben wie die Menschen, sie fühlen wie die Menschen, sie hassen wie wir und sterben wie die Menschen.
Ich verliess also das Innere Borneos mit einem Dampfer, blieb ungefähr 8 Tage in Bandjermasing, und erleichterten Herzens schiffte ich mich Ende October 1880 ein, um für viele Jahre nicht mehr den Segnungen der Civilisation entrückt zu sein.
Wie üblich bei der Abreise eines Officiers, spielte die Militärmusik am Ufer ihre ohrenzerreissenden[68] Weisen, den befreundeten Officieren und Beamten galt mein letzter Gruss, und ich blieb am Hintertheil des Schiffes stehen, um noch einmal, und zwar zum letzten Male, das pittoreske Bild der Ufer der Martapura und des Baritu an mir vorbeiziehen zu lassen. Es war bereits Nachmittags, als wir die breite Mündung des Baritu und die grosse Sandbank überschifft hatten; im Schiffsraum war die Luft zu heiss, und ein unangenehmer Geruch von Maschinenöl und der Küche durchdrang die tieferen Räume. Auf dem Deck nahm ich also mein Mittagschläfchen.
Bawean in Sicht, rief der Controleur M., welcher zu gleicher Zeit als ich die Insel Borneo verliess, und es ist schon 4 Uhr; wollen Sie keinen Thee nehmen? Ohne ihn nur einer Antwort zu würdigen, drehte ich mich auf die andere Seite und — träumte.
Es war der 31. October 1990. La-ilâha illa llahu wa Muhamadun rasul-l-lahie sangen hunderte von Stimmen am Ufer der Tanah Laut,[S. 234] wo die Spitzen der Behörden mit hunderten der Eingeborenen die Ankunft des neuen Residenten erwarteten. Denn ein Sturm peitschte die Wellen des Meeres, wie ihn die Aeltesten des Landes hier an der Küste der Javasee noch niemals gekannt, noch niemals gesehen hatten. Auf dem Berge Tungul stand ein Fort, und sein elektrischer Scheinwerfer warf jede 10 Minuten ein mächtiges Strahlenbündel hinaus in die sturmbewegte See, um das Schiff zu suchen, welches den neuen Residenten an Bord hatte. So mancher Seufzer der europäischen Beamten gesellte sich zu dem lauten Gebete der Mohammedaner und der dajakischen Grossen. Endlich brach die Macht des Sturmes, und plötzlich erhob sich dicht neben dem Ufer ein Schiff aus der Tiefe des Meeres. Das Zeltdach aus Glas öffnete sich, und der Resident stieg mit seinem Gefolge auf das Land. Ein ebenso lautes Hurrah begrüsste den Fürsten, als wenige Minuten vorher die Windsbraut über das Ufer gebrüllt hatte.
Hierauf bestiegen die Anwesenden die elektrische Eisenbahn, welche vom Cap Selátan durch die Provinz Tabanio (also 100 Km.) in 1½ Stunden Bandjermasing erreichte. Zu ihrer linken Seite lag die Niederung mit ihren drei grossen Strömen, grosse Dajak, kleine Dajak und Baritu. Am linken Ufer des Baritu befinden sich grosse Magazine, Werfte und Docks, und das ganze Getümmel einer blühenden Hafenstadt fesselte die Aufmerksamkeit der Reisenden um so mehr, als den Hintergrund sanft aufsteigendes Hügelland mit den Bergen Kapit, Satuï und Sakumbang abschloss, auf welchen zahlreiche Villen und Landhäuser standen.
Unterwegs erzählte der Resident, dass er nur ungern dieses Schiff zu seiner Ueberfahrt genommen habe, weil es seine erste Fahrt war, und die Maschinen noch nicht erprobt waren. Beim Ausbruch des Sturmes wurde sofort die gläserne Decke zugeschlagen, die Zwischenräume wurden zur Hälfte mit Wasser gefüllt und während das Schiff immer tiefer und tiefer sank, bis zuletzt durch das gläserne Dach nicht einmal der Himmel zu sehen war, strömte im Salon aus den geöffneten Krähnen die Luft aus, welche die Capitän in stark comprimirtem Zustande in grossen Fässern mitgenommen hatte. Nach der Versicherung der Frau Capitän wäre der Vorrath an Luft hinreichend gross selbst für eine Reise von 5–6 Tagen gewesen.
Der Zug hielt nur bei Bati-Bati an, von wo aus zwei Zweige, der eine nach Bandjermasing, der andere nach Martapura gingen. Der Resident wählte den ersteren, welcher ihn nach der Residenz des Reiches bringen sollte. Obwohl diese Stadt mitten im Sumpfe lag, war sie[S. 235] und blieb sie aus politischen Gründen der Sitz der Aemter und Würden; das höher gelegene Martapura und besonders die am Berge Bebaris gelegenen Villen wurden jedoch im Ostmonsun von den Beamten der Hauptstadt häufig aufgesucht. Uebrigens waren die hygienischen und sanitären Zustände Bandjermasings nicht so ungünstig, als man nach seiner Lage urtheilen sollte. Schon vor »der Schans van Thujl« begann ein grosser Dyk, welcher die Stadt umzog und erst 5 Kilometer oberhalb der Mündung des Kween endigte. Da nebstdem schon seit 30 Jahren zahlreiche Drainröhren und Canäle Bandjermasing durchzogen, welche entweder in den Baritu oder in den Kween mündeten, nebstdem schon seit 100 Jahren immer und immer der Boden durch Sand und Steine verhärtet wurde, so hatte diese Stadt von dem ursprünglichen sumpfigen Boden nicht viel zu leiden. Zwischen den beiden Sümpfen, welche im Norden und im Süden der Stadt sich längs des Stromes hinzogen, befand sich schon seit 25 Jahren eine stattliche Anpflanzung von Eukalyptus und andern Bäumen. Auch befand sich dort eine Wasserleitung, welche mit grossen Cysternen im östlichen Gebirge anfing und das Trink- und Kochwasser nach Martapura und Bandjermasing brachte, während eine zweite Wasserleitung das Wasser aus den höher gelegenen Theilen des Martapuraflusses in einem Canale nach Bandjermasing führte, wo es in einem Kessel filtrirt und gereinigt wurde. Von diesem aus wurde es durch Maschinen in ein grosses Reservoir geleitet, welches hinter dem Fort Tatas erbaut war.
Bei seiner Ankunft bezog der Resident das Haus seines Vorgängers, welcher von seiner Seite wieder mit Frau und Kind im Hotel Baritu vier Zimmer miethete. Den andern Morgen war grosser Empfang für alle europäischen Bewohner der Stadt, für die eingeborenen Beamten und die souveränen Fürsten des Landes. Der Fürst von Pasir war jedoch noch nicht angekommen, obzwar die Post schon vor zwei Tagen seine Ankunft gemeldet hatte. Da er jedesmal, d. h. bei jeder Seereise, fürchterlich durch die Seekrankheit litt, nahm er diesmal den Landweg. Mit einem Kahn fuhr er auf dem Pasirfluss bis zur Mündung des Nebenflusses Samu, und auf diesem bis zur Hälfte der Entfernung von dessen Quelle, welche auf dem Berge Melihat entspringt. Diesen überstieg er zu Fuss, während die seit Jahrzehnten importirten kleinen javanischen Pferde das Gepäck trugen. Bei Pringin bestieg er wieder einen Kahn, wo der Bolanganfluss schiffbar wurde, und kam so in den Negarastrom, von diesem in den Baritu, ohne aber zur rechten Zeit in der Hauptstadt einzutreffen.
[S. 236]
Der neue Resident dankte den Anwesenden für den herzlichen Empfang und erging sich dann in einigen Bemerkungen über den günstigen Zustand des Reiches, entwickelte weiterhin seine Pläne für die Zukunft und versprach, für das Wohl des Landes wie ein Vater zu sorgen und alle seine Kräfte, sein ganzes Denken und Sinnen der Wohlfahrt der südöstlichen Hälfte Borneos zu widmen.
Von seinem Programm und von seinen Plänen für die Zukunft, welche ungeschmälerten Beifall fanden, waren die folgenden in jeder Hinsicht bedeutend:
Wenn auch bis jetzt drei grosse Ströme, welche das Herz Borneos mit der Küste und dem schönen Hafen verbinden, für den Handel billige und bequeme Verkehrsstrassen seien, so müsste doch für eine bessere Verbindung mit den seitwärts gelegenen Landwegen gesorgt werden, und zwar durch Bauen von Kanälen, breiten Heeresstrassen und kleinen Eisenbahnen.
Für die Industrie müsste in ausgedehnterer Weise als bis jetzt die Bevölkerung gewonnen werden, und zwar durch Anwerben geschickter Handwerker von Java, welche als Lehrer, von dem Staate besoldet, die in ihrer Heimath blühenden Handarbeiten der grossen Masse der Bewohner Borneos zugänglich machen sollten.
Die letzten Reste der Waldmenschen müssten gezwungen werden, feste Wohnplätze zu wählen; zu diesem Zwecke würde er jedem Familienvater 100 Hectar Weide oder Bauland in Erbpacht geben, sie zu Gemeinden vereinigen, Schulen errichten lassen u. s. w.
Der Reichthum an Holz müsse durch zweckmässige Gesetze gegen das herrschende Raubsystem erhalten bleiben.
Da der letzte Nachkomme von James Brook in Serawak ohne Nachkommen auf dem Throne sässe, müssten diplomatische Verhandlungen die Vereinigung dieses Landes mit seinem Reiche anstreben.
In der Hauptstadt müssten ethnographische, zoologische, mineralogische und geologische Sammlungen angelegt werden.
Ein hygienisch-medicinisches Institut müsste errichtet werden und eine medicinische Schule für weibliche Aerzte (für männliche Aerzte sorge ja hinreichend die Academie auf dem benachbarten Java).
Für den bereits auf einer hohen Stufe stehenden Handel müssten Schutzmaassregeln genommen werden, wie z. B. gute Zollbeamte, höhere Einfuhr- und niedere Ausfuhrzölle.
Zur Vertheidigung des Reiches müssten an der Grenze zahlreiche kleine Forts mit modernen Vertheidigungsmitteln errichtet, alle Hafenplätze[S. 237] und alle Landungsplätze der Küste genügend gegen jeden Angriff eines auswärtigen Feindes verstärkt werden.
Das Heer müsse ein nationales werden, d. h. nur aus den Bewohnern des Reiches bestehen, welche von dem Reiche ihre Waffen erhielten und nur im Kriegsfalle aus ihrer Heimath abgerufen werden können. Da der Gebrauch der Waffen schon in der Schule gelehrt werde, und die Bürger nur zur Vertheidigung des Landes ihren friedlichen Arbeiten entzogen werden können, so sei es überflüssig, ein stehendes Heer zu halten; die Officiere und Unterofficiere der Polizei würden im Kriegsfalle das Commando über die übrigen Soldaten auf sich nehmen.
Nachdem der Resident zum Schluss allen Religionen seinen Schutz und Schirm versprochen hatte, belohnte ein lautes Hurrah seine weisen Pläne ...
»Die Küste von Madura in Sicht,« rief mir mit lauter Stimme der Controleur X. ins Ohr; ich erwachte.
[S. 238]
Geschichte des Süd-Ostens von Borneo.
Die Dajaker haben keine eigene Schrift. Als Gott die Menschen erschaffen hatte, gab er allen Rassen nicht nur ihre eigene Sprache, sondern auch die Schrift. Die Vertreter von Borneo jedoch verzehrten das ihnen geschenkte Alphabet, wodurch dieses sich mit ihrem Körper vereinigte und zum Gedächtnisse metamorphosirte. Die Dajaker behaupten also, dass sie an Büchern kein Bedürfniss hätten, um die Wissenschaft ihrer Religion und Geschichte bewahren zu können.
Die Tradition ist dadurch die einzige Quelle, aus welcher der Geschichtsforscher schöpfen muss, um die Urgeschichte dieser Insel kennen zu lernen bis zu jener Zeit, in welcher der Strom der Völkerwanderung auch Borneo erreichte. An dieser nahmen die Chinesen, Hindu, Malayen, Araber, Buginesen (von Celebes) und zuletzt die Europäer ihren Antheil.
Borneo bestand nach der sagenreichen Tradition in den urältesten Zeiten nur aus den Bergen Pararawan und Bundang, welche von zahlreichen Klippen umgeben waren. Die Voreltern der Dajaker waren in einem goldenen Schiffe angekommen und hatten von der Insel Besitz genommen. Nach und nach hätte der Schlamm des Meeres die Riffe und Klippen mit den genannten Bergen zu einem Ganzen verschmolzen.[69]
Aber auch die Ethnographen beschäftigen sich mehr mit der Frage, wann und welche Menschenrassen zuerst die Insel Borneo bevölkert hätten, und besprechen nur skeptisch die Möglichkeit der Existenz von Urbewohnern dieser Insel. Aus der Aehnlichkeit der Gottesvorstellungen u. s. w. suchen die Ethnographen einen Zusammenhang der Urbewohner Borneos mit den Afrikanern, mit Assam, dem Gebiete des Himalaya,[S. 239] mit Tibet und Mongolei, mit den Hindus und mit den Chinesen, und finden selbst den Weg, den, unter Einfluss von Winden, vor Jahrtausenden die Bewohner dieser Theile der Erde auf Kähnen nach Borneo genommen hätten.
Es ist wahr, dass zahlreich die Stämme der Dajaker sind und zahlreich die Dialekte der dajakschen Sprache; der Unterschied im Körperbau ist gewiss nicht grösser als z. B. zwischen den Holländern und Deutschen. Wenn der eine Stamm grössere Geschicklichkeit im Bearbeiten des Eisens, der andere im Weben von Sarongs zeigt, wenn der eine den Oberleib, der andere die Waden tätowirt, und der dritte gar nicht diesen Gebrauch kennt; wenn der eine Stamm als Nomade und nur in einzelnen Familien in den Urwäldern an den Flüssen wohnt, der andere in mehreren Familien, und zwar unter einem Häuptling, einen Kampong bewohnt, ein dritter jedoch seinen Kampong mit Palissaden umgiebt und ein vierter sogar Kanonen auf Bastionen in seinem Fort aufpflanzt; wenn der eine Hatallah oder Mahatara (= Mata-hari = das Auge Gottes) seinen obersten Gott nennt; der zweite dreimal täglich La-ilaha, illa llahu wa Muhamadun rasul-l-lahie mit dem Antlitz nach Mekka laut ausruft, und ein dritter zu Christus, dem Sohne Gottes, betet; wenn der Dajaker mit dem Mandau, Blasrohr, Schild (telawang), mit dem Ziegenfell (ajong) auf der Brust und mit dem Tapoh (aus Rottang geflochtene, mit Thierhaut bedeckte Mütze) sein Ngayau unternimmt, und ein zweiter auf seinem Assanzug mit dem Gewehr sich bewaffnet u. s. w.; wie gross auch der Unterschied in allen Sitten und Gebräuchen der Dajaker ist, und wie oft auch Analoga auf den benachbarten Inseln und im Herzen Asiens und Afrikas gefunden werden, so kann ich darin dennoch keinen Beweis sehen, dass Borneo keine Aborigines haben sollte.[70]
Seit Jahrhunderten sind auf der Westküste Borneos chinesische Colonien; Hindus, Malayen, Buginesen und Araber sind seit langer Zeit auf den Küsten, und selbst weit ins Innere des Landes, ansässig; sie haben den Eingeborenen des Landes vieles eingeimpft und viele ihrer Sitten und Gewohnheiten aufgedrungen. Schwer fällt es mir aber zu glauben, dass die Einwanderer entweder die ganze Urbevölkerung verdrängt hätten oder dass vor ihrer Ankunft Borneo unbevölkert gewesen sein sollte.
Die Verwandtschaft der gegenwärtigen Dajaker, was ihre Sagenwelt,[S. 240] ihren Aberglauben, ihre Religion, ihre Sitten und Gewohnheiten betrifft, mit denselben anderer Inseln oder anderer Continente lässt sich viel leichter erklären durch das Axiom: Gleiche Ursachen und gleiche Folgen, während die Theorie, dass von einem Paare die Welt bevölkert worden sei, nur gezwungen die Urbevölkerung Borneos auf Einwanderung basiren lässt.
Nach Schwaner ist die Schöpfungsgeschichte der Dajaker, welche sich am meisten von islamitischen Anschauungen fern gehalten haben, folgende:
Im Anfang war das Wasser, in welchem sich Naga bussai bewegte, eine ungeheure Schlange von herrlicher Farbe und geschmückt mit Krone und Diamanten, und einem Kopf so gross als die Erde. Hatalla (Gott aus dem Arabischen, jetzt auch Matara von matahari = Auge Gottes = Sonne genannt) warf Erde auf den Kopf von Naga, welche sich als Insel über das Wasser erhob. Ranjing Atalla stieg hinab und fand 7 Eier; zwei von ihnen enthielten einen Mann und eine Frau, welche jedoch todt waren — die andern 5 enthielten den Keim von allen Pflanzen und Thieren. Ranjing Atalla kehrte zum Schöpfer zurück, um den Lebensgeist für diese zwei Menschen zu holen. Unterdessen hatte Sangsang Angai (= der Gott des Windes) sich auf die Erde niedergelassen und blies ihnen den Athem ein, womit sie jedoch den Keim des Todes aufgenommen hatten. Ranjing Atalla, welcher den Menschen den Geist der Unsterblichkeit bringen wollte, fand bei seiner Ankunft die Arbeit von Angai (D = Wind). Er kehrte trauernd zum Himmel zurück und nahm nicht nur die Unsterblichkeit der Menschen mit, sondern alle göttlichen Geschenke, welche er für den Menschen bestimmt hatte: die ewige Jugend, allgemeines Glück und Ueberfluss ohne Arbeit.
Nur schwer lässt sich aus der Sagenwelt der Dajaker weiter die Entwicklungsgeschichte der Urbewohner Borneos verfolgen; Jahrhunderte, vielleicht Jahrtausende lebten sie friedlich in den Wäldern, nährten sich von den Früchten der Bäume, Weichthieren, Insecten und später vom Wild des Waldes, in einzelnen Familien ohne jede staatliche Gemeinschaft; sie schützten sich mit dem Laub der Bäume vor den Unbilden des Wetters, und erst viel später (in historischer Zeit) bedeckten sie ihre Scham und gebrauchten Waffen. Erst die Einwanderer brachten den Bewohnern der Küste die Segnungen der Civilisation,[S. 241] welche nur langsam in das Innere der Inseln drangen, und bis heute nur theilweise die O. Punangs und Olo-Ott erreicht haben.
Die ersten Einwanderer waren die Chinesen; auf der Westküste erschienen sie bereits im 4.-6. Jahrhundert auf ihrer Pilgerfahrt nach Indien, um die Lehre von Buddha an der Quelle zu studiren, und zwar unter Fa Hiën (399 p. Ch.); im 7. Jahrhundert ist Phala = Brunei = Borneo proper bereits an China tributpflichtig.
Aber auch an der Südküste von Borneo scheinen die Chinesen schon seit den ältesten Zeiten sich angesiedelt zu haben, wie Valentyn mittheilt; sie haben sich jedoch auf die Staaten der Küste beschränkt und nicht, wie auf der Westküste, sich im Innern des Landes angesiedelt.
Wie Veth mittheilt, waren Araber die folgenden Einwanderer im Bandjermasingschen Reiche, obzwar es noch zweifelhaft ist, ob die Namen Mihradj und Sobormah, welche in arabischen Reisebeschreibungen vorkommen, thatsächlich die Insel Borneo andeuten.
Die erste Colonisation des Bandjermasingschen Reiches stricte dictu stammt von Java, und zwar im 14. Jahrhundert unter dem Klingalesen Lembong Mangkurat, welcher sich in Amuntay festsetzte. Der Sage nach soll er sich eine Zeit lang der Askese gewidmet haben, wodurch aus dem Schaum der See eine schöne, reizende Fürstin entstiegen sei: Putri Djundjong Buhi. Lembong Mangkurat hatte nämlich bei der Stiftung der Colonie einen Waringinbaum als ersten König und sich zu seinem Propheten auserkoren; als aber der Baum abzusterben begann, suchten sie einen Menschen, der durch seine hervorragenden Eigenschaften würdig sei, dem Waringinbaum zu folgen. Die schöne Prinzessin müsste jedoch einen ebenbürtigen Mann bekommen. Unter den Eingeborenen des Landes war dieser natürlich nicht zu finden, und so zogen die Aeltesten zu dem Sultan von Madjopahit (Java), dessen Sohn ein Krüppel war. Der Fürst von Madjopahit erlaubte nach langem Zögern seinem Sohne, dahin zu gehen. In der Mündung des Baritu stürzte er sich in den Fluss, und nach acht Tagen stieg er unter den Tönen einer Gamelang schön und wohlgebaut aus den Wellen. Als Pangeran Surja Nata wurde er Gründer und Stammvater des Reiches von Bandjermasing, welcher auch sofort eine Theilung in »Stände« veranlasste, und zwar in den eigentlichen Adel (O Bangsawan), Sclaven (Abdi), Bediente (Budak), Kriegsgefangene und Verwandte des Adels (Mardika).
13 Sultane hatte diese Dynastie der Hindus, welche sich jedoch[S. 242] auf die Küstenstaaten, und besonders auf die des Ostens, beschränkten; die Unterwerfung der Dajaker längs des Stromgebietes des Baritu ging nur sehr langsam vorwärts; denn nur so weit der Arm der bewaffneten Herrscher reichte, unterwarfen sich die Dajaker den Befehlen ihrer Fürsten auf Amunthay, später in Martapura und zuletzt in Bandjermasing. Ihre patriarchalische Regierungsform verleugneten sie selbst nicht einmal unter der Herrschaft der Europäer. Wie schon früher erwähnt, wurde der Islam unter Pangeran Samatra, einem Enkel des Akar Sungsang, am Ende des 16. Jahrhunderts eingeführt. Dieser hatte nach der Auflösung der Ehe mit seiner Mutter wieder geheirathet und vier Kinder bekommen. Seine Tochter Putri Kalarang verheirathete er mit einem Dajaker, und deren Sohn Pangeran Samatra ernannte er zu seinem Thronfolger. Dieser wurde also der Gründer der Hindu-Dajakschen Dynastie, welche bis zur Auflösung des Sultanats von Bandjermasing im Jahre 1864, also 256 Jahre lang den südöstlichen Theil von Borneo beherrschte und aussog.
Die Einführung des Islam geschah unter Sultan Surja Angsa 1608 mit Hülfe des Sultans von Demak (Java), dem die neue Dynastie tributpflichtig wurde; aber schon im Jahre 1642 ging zum letzten Male eine Gesandtschaft (unter Sultan Agun) nach Java, um dem Fürsten zu huldigen und den Tribut zu bezahlen.
Unterdessen hatte schon so mancher Europäer vor Bandjermasing die Anker seines Schiffes fallen lassen. Während der Portugiese Lorenzo de Gomez im Jahre 1518, der Spanier Magellan im Jahre 1521 Borneo besucht hatten, im Jahre 1526 Don Jorge de Menges von Portugal zum Gouverneur der Molukken ernannt wurde und auf seiner Reise dahin auf Borneo gelandet war, und während schon im Jahre 1530 der Portugiese Gonsola Pereira von dem Sultan von Brunei gastfreundlich empfangen wurde, haben die Holländer erst im Anfange des 17. Jahrhunderte mit Bandjermasing Handelsverbindungen angeknüpft. Im Jahre 1607 kam selbst nach Bantam (Java) die Trauermähr, vide Valentyn (»Alt- und Neu-Ost-Indien« III, Seite 244), dass Gillis Michielszoon, welcher von Jan Willemsz Verschoor den 14. Februar 1606 nach Bandjermasing geschickt worden war, von dem Sultan dieses Reiches ans Land gelockt und ermordet wurde. (Gleichzeitig, und zwar im Jahre 1609, sollen die Engländer im S. O. der Insel Borneo erschienen sein.) Sechs Jahre dauerte es, bis die Holländer[S. 243] (im Mai 1612) Bandjermasing dafür züchtigten und zerstörten. Die Residenz des Sultans wurde dann nach Martapura verlegt. Der Handel mit dem Pfeffer jedoch, welcher damals eine bedeutende Rolle spielte und viel Geld und Blut kostete, blieb in den Händen der chinesischen Kaufleute, da die Holländer, in Kriege mit dem Sultan von Bantam verwickelt, erst 14 Jahre später (1626) unter Jan de Coster und Adriaan de Marees mit zwei Schiffen (de Haen und de Fortuyn) wiederum mit dem Sultan des Bandjermasingschen Reiches einen Handelsvertrag schlossen, dem zufolge unter anderem der Pfeffer ausschliesslich an die N. Compagnie geliefert werden sollte, obwohl kurz vorher einige batavische Bürger auf ihrem Kreuzzug gegen die Spanier und Portugiesen ein bandjermasingsches Schiff erobert und dessen Bemannung nach Batavia gesendet hatten. Aber auch 2 Jahre später sah Martapura wieder ein holländisches Schiff in seinem Hafen, im Jahre 1629 (unter P. Croocq) und zwar das Schiff Velsen, und am 21. October 1630 den Rhederer Adolf Thomasz, welcher hier starb und durch Sebald Wonderaer ersetzt wurde. Dem Seeraub der Bandjeresen, welche die javanischen Fischer selbst bis zu den »nördlichsten Inseln von Batavia« verfolgten, machte zeitlich die »Tayovan« 1631 ein Ende.
Da Mattaram um diese Zeit seine Macht nur noch schwach gegen die holländische Compagnie vertheidigen konnte, schickte der Sultan von Bandjermasing den 2. September 1631 eine Gesandtschaft nach Batavia zum Zwecke eines Bündnisses, um die Javanen nicht mehr in sein Reich zuzulassen. Gerrit Corsz, welcher 5 Jahre später in Atschin (Sumatra) Handelsbeziehungen anknüpfte, ging am 18. Februar und im Juli 1633 nach Martapura, ohne grosser Erfolge sich erfreuen zu können, so dass die Maccau nur 235 Pikols Pfeffer (1 P = 62½ Kilo) den 20. November 1633 nach Batavia bringen konnten, weil die Macassaren den übrigen Vorrath bereits angekauft hatten. Martapura setzte sich unterdessen in Vertheidigungs-Zustand, und als Gysbert von Lodenstein mit sechs Schiffen nach Bandjermasing kam, stellte sich der Sultan mit 2–3000 Mann ihm entgegen. Vielleicht durch die sechs Schiffe eingeschüchtert, sah er von jedem feindlichen Anfall ab und begab sich mit dem Gefolge auf das Schiff des Commandanten, den er um Hülfe nicht nur gegen die Javanen, sondern auch gegen die Macassaren bat. Zu gleicher Zeit wurden 1140 Picols Pfeffer und 2382 Bündel Rottang zum Verkaufe angeboten. Doch den 26. September liess die holländische Compagnie durch eine Gesandtschaft[S. 244] dem Sultan mittheilen, dass seine zweideutige Haltung ein Ende nehmen müsse. Der Sultan versprach dieses. Im Jahre 1635 sollte Martapura holländisches Geld (Ryksdaalders) aufnehmen und die spanischen Realen von sich abstossen. Die Silberarbeiter fanden jedoch dieses Silbergeld für feine Arbeiten nicht geschickt, und die holländisch-indische Regierung sah sich genöthigt, im September 1635 wieder die alten Realen dahin zu senden.
Unterdessen hatte der Sultan von Martapura sich die kleineren Fürsten von Mendawa, Pulu Laut, Kota-Waringin, Succadana, Landak Samba, und selbst die ganze Ostküste der Insel tributpflichtig gemacht.
Als daher den 24. Juli 1635 sein Gesandter auf dem holländischen Schiffe Manilla nach Batavia kam und den Holländern den ausschliesslichen Handel mit Pfeffer anbot, bewilligte die Regierung gern seine Gegenforderung, welche in der Hauptsache auf einen Vorschuss für den noch zu liefernden Pfeffer und auf die Entfernung der javanischen und macassarschen Kaufleute aus dem Reiche Pasir (Ostküste Borneos) sich bezogen.
Es scheint, dass die Portugiesen schon damals, und nicht erst nach 1669, die Südküste Borneos besucht hatten; sie trieben zwar nur auf der Insel Laut mit Gold und Sclaven einen ausgebreiteten Handel; aber die Bandjeresen gebrauchten sie gerne, um für ihren Vorrath an Pfeffer durch ihre Concurrenz grössere Preise von den Holländern zu erzielen.
In demselben Jahre (1635) waren jedoch auch englische Kaufleute unter Tewseling in Martapura erschienen, brachten einen Empfehlungsbrief und Geschenke vom englischen Präsidenten mit und boten gegen Gewährung von Freihandel dem Sultan so viel Geschütze und Pulver an, als er besitzen wollte. Auch von der holländischen Regierung erhielt der Sultan von Martapura zwei vollkommen ausgerüstete Kanonen mit einem Briefe, in welchem besonders auf das zweideutige Benehmen des Radja Itam hingewiesen wurde. Dieser liess nämlich den Engländern alle mögliche Hülfe zur Errichtung einer englischen Factory leisten. Der holländische Schiffscapitän Soop protestirte natürlich dagegen; der Sultan jedoch erklärte, dass der Handel mit Pfeffer von dem Freihandel ausgeschlossen werden würde und das Privilegium der hohen indischen Regierung bleibe.
Natürlich fuhr Martapura fort, trotz dieser schönen Versprechungen, einen ausgebreiteten Pfefferhandel mit Siam, China, Macassar, Cochinchina u. s. w. zu treiben.
[S. 245]
Demungeachtet richtete sich die holländische Compagnie zum Zuge gegen Pasir und Kutei, und am 7. October 1635 ging der Sultan von Martapura an Bord eines der Schiffe, welche von Markus Heyndriksz commandirt wurden, nach der Ostküste Borneos, um Pasir von fremden Kaufleuten zu befreien. Den 8. November kamen sie nach Kutei, dessen Sultan jedoch durch geheime Boten davon verständigt wurde und also Zeit hatte, sich in Vertheidigungszustand setzen zu können. Der Führer der holländischen Flotte wagte es nicht, einen Anfall auf die zu stark befestigte Hauptstadt dieses Reiches zu unternehmen, und begnügte sich, Unterhandlungen mit dem Sultan anzuknüpfen. Es gelang ihm auch, mit ihm, der den langen Namen Ady Patty Cinom Pangy Amodappa Ingh Martapura führte, einen Vertrag zu schliessen, demzufolge sein Reich die Souveränität des Sultans von Martapura anerkannte, und er den Bandjeresen und Holländern freien ungehinderten Handel gewährte. Der Sultan von Pasir zeigte sich jedoch viel weniger gefügig, worauf die Stadt beschossen, in Asche gelegt und 50 grössere oder kleinere Schiffe, welche in dem Hafen lagen, vernichtet wurden. Als der König von Martapura dies erfuhr, gab er den 2. December dem Commandanten ein grosses Diner und einen schmeichelhaften Brief an den Gouverneur-General, in welchem er alle seine Versprechungen wiederholte. Darunter war das wichtigste Versprechen, dass er an England keinen Pfeffer liefern wolle und jeden Handel mit diesem unterdrücken würde.
Unterdessen hatte jedoch Wollebrand Geleinsz, während der König vor Kutei lag, mit seinen Vertretern Radja Itam und Retua dy Ratya so wenig Erfolg (weil diese die Engländer begünstigten), dass den 24. Januar 1636 Pool mit sechs Schiffen dahin zog, um einen bindenden Contract zu erhalten. Der Sultan war jedoch noch nicht in Martapura anwesend; die Flotte zog also vorläufig nach Celebes, um die »Feinde der Compagnie zu vernichten« in der Erwartung, bei ihrer Zurückreise den Sultan in Martapura zu treffen.
Auch mit Cochin-China trieben die Martapuresen in damaliger Zeit ausgebreiteten Handel, und es ist unbegreiflich, dass in den letzten Jahrzehnten, ja selbst seit mehr als 100 Jahren, der Handel des Bandjermasingschen Reiches so darniederlag, und selbst heute noch überhaupt kein Pfeffer exportirt wird.
Natürlich blieben die Martapuresen auch mit den Engländern, Javanen, Macassaren und Malayen in steten Handelsbeziehungen, obwohl ihr Sultan stets mit 3–4000 Realen bei der holländischen Regierung[S. 246] im Schuldenbuch stand. Ja noch mehr. Der Einfluss der Engländer wuchs mit jedem Tage, sie mochten selbst den Baritu aufwärts fahren, um direct mit dem Sohne des Sultans Handel treiben zu können.
Die Behinderung der Javanen an dem Handel auf der Ostküste Borneos verschaffte dem Sultan von Martapura neue Feinde, und zwar den Kaiser von Mattaram, den Sultan von Surabaya und den Fürsten von Cheribon (welche drei Staaten auf der Nordküste von Java lagen), so dass er sich stark genug fühlte, sein Reich gegen einen gemeinsamen Angriff dieser drei Reiche zu vertheidigen.
Auf sein Ersuchen wurde also in dem untersten Theil des Barituflusses ein holländisches Schiff stationirt, um eine Ueberrumpelung seiner Hauptstadt von Seiten der javanischen Fürsten unmöglich zu machen.
Die englische Partei auf seinem Hofe bekam jedoch wieder bald das Uebergewicht über die der Holländer. Radja Itam veranlasste den Sultan, nach Bandjermasing zu gehen und dieses zu befestigen. Wenn er auch schon nach kurzer Zeit diese Arbeit wieder einstellte und in Martapura wohnen blieb, so triumphirte in allem andern die englische Partei.
Den 16. April 1638 brachte ein atschinesisches Schiff die Nachricht nach Batavia, dass die ganze holländische Colonie in Martapura ausgemordet und das Schiff Hoogcarspel, welches in dem Barituflusse lag, verbrannt wurde.
Danach schloss der Sultan von Martapura mit dem Herrscher von Macassar ein Offensiv- und Defensivbündniss, welcher dem Bandjeresischen Gesandten Bahong mittheilte, dass »auch er die Holländer in sein Land zugelassen hätte, und dass er sie ebenfalls später, wenn sie genug Schätze erworben und ein schönes Haus erbaut haben würden, zu ermorden gedenke, um gerade wie sein guter Freund von Martapura auf diese Weise Reichthümer zu erwerben«.
Aber auch seinen Collegen von Kota Waringin überredete der Sultan von Martapura, ein gleiches Blutbad unter den Holländern anzurichten. Der »Oberkaufmann« Nicolaas Cloet (= Clut) wurde mit seiner Mannschaft zu einem Gastmahle auf das Land gelockt, ermordet und die 2 Schiffe »de kleine Maan« und der »indische Zwaan« überrumpelt und geplündert.
Natürlich sah Bandjermasing sehr bald (April 1638) die rächende Flotte an seinen Ufern. 27 gefangene Martapuresen wurden, an Ohren,[S. 247] Nase und Genitalien verstümmelt, nach der Hauptstadt gesandt, um Schrecken und Furcht unter der Bevölkerung zu verbreiten. Um seinen Unterthanen etwas Muth einzuflössen und zu verhindern, dass sie sich in die Urwälder flüchteten, liess der Sultan urbi et orbi verkündigen, dass ein sehr alter, in seinem Palaste verpflegter Heiliger bei einem Anfall der Holländer den ganzen Fluss 40 Tage hintereinander vergiften und auf diese Weise die Feinde zum Abzug zwingen werde. Zu gleicher Zeit liess er Schanzen und Verstärkungen anlegen, an welchen besonders die in Martapura anwesenden Chinesen sich betheiligen mussten.
Radja Ade Patty Tape-Sana hatte sich an dem Morde der Holländer nicht betheiligt, weil er mit ihrer Hülfe den Thron zu erobern suchte, und hielt sich auch bei diesen Befestigungsmaassregeln passiv.
Dieses benutzten die Holländer, um ihn zu einem Bündniss zu bewegen, die Mörder auszuliefern, um dann mit Hülfe der Holländer »als König über das ganze Land in Ruhe und Frieden regieren zu können«.
Martapura wurde also vorläufig blockirt, und zwar 3 Monate lang. Als die Schiffe nach 3 Monaten zurückkehrten, hatten sie 7 Bediente der Compagnie an Bord, welche früher zum Uebertritte zum Islam in ihrer Gefangenschaft gezwungen und gegen 7 Martapuresen ausgetauscht worden waren.
Als übrigens während der Blockade die Nachricht gekommen war, dass in Kota Waringin der letzte Rest der anwesenden Holländer ermordet wurde, mussten die übrigen gefangenen Martapuresen das Schicksal ihrer früheren Leidensgenossen theilen. Verstümmelt wurden sie ans Land gesetzt, um Furcht und Schrecken in der Hauptstadt des bandjeresischen Reiches zu erregen.
Da der Sultan vor einem günstigen Erfolg des Tape-Sama sich fürchtete, vielleicht auch, um den Zorn der holländisch-indischen Regierung zu besänftigen, liess er einen Brief mit Friedensvorstellungen nach Batavia schicken. Sein Ziel erreichte er jedoch nicht. Denn schon den 21. October desselben Jahres wurden 4 Schiffe nach Bandjermasing gesendet, »um den Mördern keine Erholung zu geben und ihre Flüsse fortwährend abgeschlossen zu halten«, die Auslieferung aller Mörder und Rädelsführer zu verlangen und für die grosse Expedition alle nothwendigen Maassregeln zu nehmen.
[S. 248]
Unter den übrigen Nationen, welche auf der S. O. Küste Borneos Handel trieben, waren auch Dänen.
Gegenüber diesen und den Engländern sollte der Commandant Walravens nur mildere Saiten aufziehen.
Die Martapuresen liessen sich durch diese Blockade nicht die geringste Furcht einjagen; denn bei Nacht, und selbst bei Tage, konnten bequem kleine Kähne, beladen mit Nahrungsmitteln und Munition, von Macassar oder von Java die Blockade brechen, weil die grossen Schiffe der Holländer ohne günstigen Wind sich kaum bewegen konnten. Auch den Canal Kween hatten die Martapuresen so stark und so geschickt verbarricadirt, dass selbst das Einfahren (am 26. November) diesen grossen Schiffen unmöglich wurde.
Nur eines Erfolges konnte sich diese Expedition erfreuen. Das englische Schiff The Providence, dessen Capitän 20000 Realen von dem Sultan eincassiren wollte, musste unverrichteter Sache abziehen.
Als aber den 1. April Walravens wegen des ungünstigen Gesundheitszustandes seiner Matrosen unverrichteter Sache nach Batavia zurückkehrte, zog das englische Schiff de Coster mit »Flagge« und »Wimpel« bis Martapura.
Am 27. März 1641 wurde also Gillis van den Rande dahin gesendet, um die erbeuteten Kanonen und die schuldigen 50000 Realen, wenn auch nicht in Pfeffer, so doch mit Gold, Wachs, Rottang, Perlen und Diamanten bezahlen zu lassen.
Tapesana hatte im Jahre 1642 den Thron bestiegen und durch chinesische und malayische Handelsleute mit der holländischen Regierung Verbindungen angestrebt; da er sich jedoch zur Auslieferung der geraubten Kanonen und der Mörder nicht entschliessen konnte, blieb Batavia — bei dem Drohen mit einem grossen Revanchekrieg. Dieser kam auch niemals zu Stande. Ja, noch mehr. Im Jahre 1660 wurde mit Martapura ein neuer Vertrag geschlossen, bei welchem dem Sultan die alte Schuld von 50000 Realen erlassen wurde!!
Wenn auch 1664 dieser Contract dahin erweitert wurde, dass der ganze Handel in den Händen der Holländer bleibe, erhielt Antonie Hurdt im Jahre 1665 doch nicht mehr als 36 Lasten Pfeffer. Unterdessen hatten die Engländer auch nicht müssig gesessen und alles zur Errichtung einer Factory vorbereitet. Es war nämlich im Jahre 1669 der holländische Bevollmächtigte ermordet worden, und der Sultan hatte den Wunsch geäussert, dass sein Nachfolger sich an dem Aufsuchen[S. 249] der Mörder betheiligen sollte. Aber auch diesen ermordeten die Martapuresen.
Endlich hatten die Martapuresen ihr Ziel erreicht und auch die Engländer in ihre Falle gelockt; diese errichteten im Jahre 1698 in Martapura eine Factory und erklärten diese Stadt als den Hauptplatz ihres indischen Gebietes. Zu diesem Zwecke wurden einige hundert Buginesen gemiethet, welche die Factory bewachen sollten, und während der Chef auf dem Flosse wohnte, wurde auf dem Lande eine kleine Redoute mit 10 kleinen Kanonen gebaut. Als zur selben Zeit eine englische Colonie in Kambodja angegriffen und geschlagen wurde, flüchteten sich die Reste nach Martapura, und dasselbe geschah in Siam, dessen Chef die Factory in Martapura übernahm. Sie betrugen sich mit so viel Stolz und Uebermuth, dass der Hof und die Einwohner von Martapura nur in stiller Wuth dieses ertrugen und endlich den Plan fassten, die englische Factory auszumorden. Die Engländer bekamen davon Wind und ergriffen die Offensive. Sie eroberten Bandjermasing, Tatas, Kaju Tinggi und Martapura, 7 Kanonen, 100 Gewehre und 20 Kojang Pfeffer.
Gegen eine Kriegsentschädigung von 3000 spanischen Matten gaben sie jedoch alles an die Martapuresen zurück. Im Jahre 1707 jedoch, und zwar am 1. November, schüttelten diese das verhasste und unerträgliche Joch der übermüthigen Engländer ab und ermordeten die ganze englische Factory bis auf ihren Chef Thiems, welcher auf einem holländischen Schiffe, und einen Schiffscapitän, welcher auf einem englischen Schiffe nach Batavia entkam. Der Sultan von Martapura erklärte jedoch, gegenüber dem Hass seiner Unterthanen gegen die Engländer ohnmächtig zu sein, in Zukunft zwar mit ihnen weiter Handel treiben zu wollen, aber niemals mehr die Errichtung einer englischen Factory zulassen zu können. Dieses dauerte jedoch nur bis zum Jahre 1746.
Nach dem Blutbade von 1669 sah Martapura 23 Jahre lang kein holländisches Schiff vor seinen Ufern. Nachdem im Jahre 1692 der Holländer Jacob Jansz wieder in diesen Hafen eingelaufen war, konnte er nur mit den Portugiesen und Engländern zugleich einigen Pfeffer erstehen, so dass vorläufig der holländische Handel untergraben blieb.
Im Jahre 1712 drohte Martapura mit Brunei in einen Krieg verwickelt zu werden, und beide riefen die ostindische Compagnie zur Hülfe. Zu Martapura befanden sich zwar seit dem vorigen Jahre (1711)[S. 250] holländische Schiffe unter N. van der Bosch und Abraham Poele, um den Chinesen den Handel mit Pfeffer zu entreissen; es gelang ihnen dies nicht, und doch blieben sie in dem Hafen, um nach erhaltenem Auftrag von Batavia ihre Hülfe gegen Brunei zu verlehnen. Der Sultan von Martapura jedoch drang darauf, ein Bündniss mit Batavia zu schliessen (1714), welches im Jahre 1733 erneuert wurde. Obzwar den Holländern der Alleinhandel versichert wurde, und diese gestatteten, dass jährlich ein Jonk mit Pfeffer nach China gehe, konnte Martapura mit allen möglichen Nationen und besonders mit China und England Handel treiben. Sobald ein holländisches Schiff ankam, waren alle möglichen Ausreden bei der Hand, um ihnen keinen Pfeffer zu verkaufen. Bald war eine schlechte Ernte, bald ein zu kleiner Vorrath, bald etwas anderes die Ursache, dass Martapura an die Holländer keinen Pfeffer liefern wollte.
Die Waffen mussten also im Jahre 1746 den Sultan von Martapura zwingen, sein immer und immer gegebenes Versprechen einzuhalten. Lieutenant Ackerveldt blockirte den Hafen und zwang alle Schiffe der Engländer, Chinesen u. s. w., die Insel zu verlassen; als nebstdem im nächsten Jahre (1742) van der Heyden mit sechs Schiffen vor der Mündung des Martapuraflusses erschien, schloss der Sultan, ohne eine Beschiessung der Stadt abzuwarten, denselben Contract als im Jahre 1664. Er übergab nämlich den ganzen Handel mit seinem Reiche an die Holländer und gestattete, dass diese zur Sicherstellung des Vertrages zwei Forts in seinem Reiche bauten, und zwar auf Tabenio und Tatas (bei Bandjermasing).
Dies ist der Anfang vom Ende des Bandjermasingschen Reiches mit einem Hindu-Dajakischen Fürsten.
Im Jahre 1756 wurde holländisches Geld eingeführt; die Diamantengruben mussten ihre Erträgnisse an die Holländer abliefern, 15000 Pikols Pfeffer wurden an diese abgeliefert, und ein Bündniss gegen Sintang, Berouw, Kutei und Melavei geschlossen, wofür an die Holländer 80 Pikols Vogelnester, 160 Pikols Wachs und 340 Tail Gold gegeben werden sollten.
Der definitive Zusammenbruch des Reiches geschah doch erst am 13. August 1787.
Es war nämlich im Jahre 1780 (?) der Reichsverweser Pangeran Nata im Kampfe um den Thron mit dem unmündigen Sultan, welcher sich nach der Ostküste geflüchtet hatte. Hier hatten sich schon seit langer Zeit Tausende von Buginesen (von Celebes) angesiedelt, und im[S. 251] Jahre 1785 zogen 3000 von ihnen nach Tabanio, um die Partei des jungen Sultan zu nehmen, und plündernd und mordend verfolgten sie den Reichsverweser bis nach Martapura. Dieser wandte sich endlich an die »Compagnie« um Hülfe. Capitän Hoffmann zwang die Buginesen zum Rückzuge; der Preis, den Sultan Nata dafür bezahlen musste, war gross. Er wurde ein Lehnsmann der ostindischen Compagnie.
Nach grossen und kleineren Aufständen verliess unter Daendels im Jahre 1809 Holland das Bandjermasingsche Reich, Bandjermasing sandte 1811 eine Gesandtschaft an das englische Interregnum, welches im Jahre 1812 Alexander Hare als Residenten und Commissar dahin schickte, um mit Bandjermasing einen Vertrag zu schliessen, demzufolge dieses Reich ein englischer Lehnsstaat werden sollte. Offenbar hatte Alexander Hare noch bedeutende persönliche ehrgeizige Pläne; denn er errichtete mit Hülfe von javanischen Bauern (Landstreicher nennt sie die Geschichte) eine Ackerbaucolonie, welche jedoch, wie überhaupt das ganze Bandjermasingsche Reich, nach dem Sturze Napoleons im Jahre 1816 wieder in den Besitz der Holländer überging. Natürlich wurden die alten Verträge von den Jahren 1787 und 1812 jetzt von den Holländern erneuert, aber weder die Bevölkerung noch der Sultan hatten ernstliche Absichten, auch thatsächlich deren Bedingungen zu erfüllen. Zwei holländische Kreuzer, ein kleines Fort und ein Polizeicommissar mit seiner Mannschaft wurden vernichtet, und als der Commissar van Boekholtz die Mörder zu verfolgen und zu bestrafen sich bemühte, äusserte der Sultan darüber unverhohlen sein Missvergnügen. J. H. Tobias machte jedoch der despotischen Regierung ein Ende.
Im Jahre 1824 kam Halewyn, um die Anordnungen von J. H. Tobias auszuführen. Der Haupträdelsführer war ein gewisser Kendet, welcher beim Kampong Pelokkan ein Fort errichtete, welches von Halewyn angegriffen und erobert wurde. Am 2. März 1825 ergab sich Kendet an den Sohn des Sultans Soleiman, der ihn an den Residenten auslieferte. Kendet wurde hingerichtet, und für längere Zeit blieb nun die Ruhe Bandjermasings ungestört.
Am 3. Juni starb nach 17jähriger Regierung der Sultan Soleiman, welcher ein Tyrann im strengsten Sinne des Wortes war (seinen Bruder Ismael hatte er erwürgt), und ihm folgte sein Sohn Adam Alwas Sikh Billah, welcher mit M. H. Halewyn einen neuen Contract schloss, dem zufolge Tatas, Tandjong, Burong, das ganze Land im Süden vom Messaflusse, Tanah Laut, Tanah Bumbu, Pagattan, Passir, Kutei, Sambaliung, Bulangan, Bekompey, das Flussgebiet des obern[S. 252] Laufes des Baritu und die Südküste von Borneo bis Pontianak in volles Eigenthum von Holland abgetreten wurden. Nebstdem sollte die Wahl des Reichsverwesers und Thronfolgers des Bandjermasingschen Reiches von der indischen Regierung bestätigt werden müssen.
Sultan Adam hatte vier Söhne und drei Töchter von seiner Frau Ratoe (Sultanin) Kamala Sarie, welche herrschsüchtig, goldgierig und der eigentliche Herrscher des Reiches war. Nebstdem hatte der Sultan bei einer andern Frau zwei Söhne und eine Tochter, wovon der eine, Tamjid Illah, seine unheilvolle Rolle als Thronfolger zum Untergange der Dynastie lange spielte.
Im Jahre 1816 waren auch die Reiche der Ostküste wieder an Holland gefallen, weil sie ja, wenn auch in verschiedenem Maasse, Vasallen des Sultans von Bandjermasing waren.
Weder der Sultan von Kutei, noch von Pasir, noch von Berouw kümmerten sich viel um Bandjermasing; die Communication über Land war ja sehr schlecht, die Entfernung sehr gross und die Verbindung über See liess alles zu wünschen übrig. Im Jahre 1825 ging also George Müller von Surabaya (Java) aus nach der Ostküste, zunächst um die Küste topographisch aufzunehmen. In Passir gelang es ihm nicht, Fuss zu fassen. Der Sultan von Kutei jedoch erklärte sich bereit, seine Souveränität aufzugeben und Lehnsfürst der holländischen Regierung zu werden, von der er gegen eine jährliche Entschädigung alle Steuern eintreiben liess. Kurz darauf wurde jedoch Müller ermordet, ohne dass die holländische Regierung seinen Tod rächte. Java gab ja um diese Zeit Holland viel zu thun, und nebstdem brachte Bandjermasing keinen directen Gewinn.
Um diese Zeit unternahm John Dalton von Singapore aus einen abenteuerlichen Zug nach Kutei, umsegelte mit einem Kahn dieses Sultans, in Gesellschaft des Dänen Hecksler, die Südküste von Borneo, kam am 25. October in den Fluss Pegatan, wo sich der Räuberhäuptling Raga aufhielt, und kehrte am 4. December nach Kutei zurück. Hier blieb er 11 Monate, zog auf dem Mahakanfluss ins Innere des Landes, schloss mit dajakischen Häuptlingen Freundschaft und erzählte in seinen Reisebriefen eine Reihe von fürchterlichen Greuelthaten, welche Raga und der Sultan von Kutei sich zu Schulden kommen liessen.
Zur Zeit der Verwahrlosung Borneos von Seiten der holländischen Regierung hatten die Engländer den Norden von Borneo besetzt, James Brooke sich zum Radja von Serawak gemacht und (im Jahre[S. 253] 1844) Erskine Murray einen Zug von Hongkong unternommen, um dort eine Factory zu errichten. Dieser wurde jedoch von den Dajakern ermordet. Die holländische Regierung schickte den Herrn Weddik dahin, um den Mord zu untersuchen und die Missethäter eventuell zu bestrafen. Der Sultan fürchtete natürlich die Rache Englands; er übergab also sein Reich der holländischen Regierung, welche einen Assistenz-Residenten in seiner Hauptstadt Samarindah anstellte und ihm die Verpflichtung auferlegte, mit allen Kräften dem Seeraube entgegenzutreten. Ein ähnlicher Vertrag wurde mit dem Sultan von Passir geschlossen, ohne dass ein europäischer Beamter zur Controle dahin versetzt wurde.
Auch Berouw, welches die Nordgrenze von Kutei bildete, wurde um diese Zeit zum S. O. Borneos eingetheilt.
Es strandete nämlich ein englisches Schiff an der Küste dieses Reiches, und 7 Engländer und einige Bengalische Laskars retteten sich und begaben sich in den Kampong Gunung Tabur, welcher schon im Jahre 1834 Holland als Lehnsherrn anerkannt hatte. 12 Laskars kamen in die Hände des Fürsten von Bulongan, während die 6 andern als Sclaven an den Sultan der Sulu-Inseln verkauft wurden. Die englischen Matrosen wollte der Sultan von Berouw nach Macassar schicken; sie flüchteten jedoch den 18. August zu dem Sultan von Tidung, welcher sie an den holländischen Commissar auslieferte.
Sir Edward Belcher erhielt davon Nachricht und zog mit seinem Kriegsschiff »Semarang« nach den Suluinseln und von dort nach Gunung Tabur, dessen Sultan mit den Engländern ein Freundschaftsbündniss schloss; dann ging er nach Bulongan, um die 12 Laskars aus der Gefangenschaft zu befreien, schloss dasselbe Bündniss mit diesem Sultan und kehrte Anfangs Januar 1845 nach Gunung Tabur zurück, wo ihm der Sultan die Insel Maratuwa zur Errichtung eines Forts anbot.
Um diese Zeit wurden unter Dewall, welcher »Civil-Befehlshaber« von Kutei war, bedeutende Kohlenminen in Kutei, auf den Ufern des Berouwflusses, auf der Insel Laut, Nangka und Sewangi; Diamantgruben von Kusan, Goldgruben auf Tanah-Laut, und eine auf Pegaton und der gegenüber liegenden Insel Laut entdeckt. Auch wurden wiederholt Kreuzzüge gegen die Seeräuber unternommen. Schon im Jahre 1836 hat die Rheinische, und später die Barmer Genossenschaft, ihre Missionare nach dem S. O. Borneos gesendet.
[S. 254]
Wie schon erwähnt war Sultan Adam ein Pantoffelheld, und als im Jahre 1852 sein Sohn und Thronfolger Sultan Muda Abdul Rachmann gestorben war, glaubte die holländische Regierung den Einfluss der herrschsüchtigen Königin am besten zu schwächen, dass sie nicht deren Sohn Hidajat Ullah, sondern den Sohn einer Haushälterin des Königs, Namens Tamdjit Illah, zum Thronfolger ernannte, obschon oder gerade weil dieser eine unbedeutende Persönlichkeit, schwach, geizig und dem Genusse des Alcohols und des Opiums ergeben war. Trotz des Einwandes des Sultans ernannte die indische Regierung den Sohn der Sultanin zum Reichsverweser und den Sohn seiner Haushälterin zum Sultan muda = Thronfolger.
Dieses war die äussere und erste Veranlassung des fürchterlichen Krieges, welcher vier Jahre dauerte, von den Holländern mit abwechselndem Glücke geführt wurde und, da Sultan Adam den 1. November 1857 gestorben war, mit der Verbannung beider Thronprätendenten und Auflösung der Hindu-Dajakschen Dynastie endete.
Seit dem Jahre 1864 mussten die Holländer noch einmal, und zwar im Jahre 1882, zu den Waffen greifen; seitdem aber erfreut sich der ganze Süd-Osten der Insel Borneo der Ruhe, ohne darum ein gewinngebender Theil des grossen »Insulinde« geworden zu sein.
Erst im letzten Jahrzehnt wendet sich Hollands Unternehmung und Handelsgeist diesem Lande zu, in dem noch Millionen Gulden an Schätzen verborgen liegen.
[S. 255]
(ohne Berücksichtigung des Anhanges zum 12. Capitel).
Im gleichen Verlage erschien u. A.:
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Ein Handbuch für Reisende.
Mit Berücksichtigung der socialen, commerziellen, industriellen und naturgeschichtlichen Verhältnisse.
Von
L. F. M. Schulze.
— Mit einer Eisenbahnkarte von Java. —
Preis: broch. 9 M., gebunden 10 M. 20 Pf.
Fußnoten:
[1] Aber nicht für junge Mädchen, welchen die Ethnographie nur in Fragmenten gelehrt werden darf.
[2] Der 2. Theil (Java) und der 3. Theil (Sumatra) werden voraussichtlich binnen Jahresfrist erscheinen können.
Der Verleger.
[3] Dr. Posewitz theilt jedoch mit, dass S. O. Borneo im Jahre 1888 eine Grösse von 361653 Quadrat-Km. mit 646772 Einwohnern hatte.
[4] Die Ueberströmung (bandjir) mit „salzigem = mâsin“ Wasser ist auf den flachen Küsten der Inseln des indischen Archipels eine so häufige Erscheinung, dass sie nur gezwungen zur Erklärung des Namens dieser Stadt gebraucht werden kann.
[5] Vide geologische Skizze von „Borneo“, Entdeckungsreisen u. s. w. von Dr. Th. Posewitz.
[6] Auch auf der Insel Sumatra wird von der Existenz der Schwanzmenschen gesprochen und beide Inseln — sind die Heimath des Orang Utang.
[7] Es wird aber auch von der Topographie des Ortes abhängen, welcher Theil des Jahres die „gesunde“ und welcher die „ungesunde“ Jahreszeit genannt werden müsse. Dies beweist Tjilatjap im Süden von Java. Während gewöhnlich die Regenzeit die „gesunde Jahreszeit“ von Java genannt wird, entstehen gerade in diesem Theile des Jahres in Tjilatjap jene fürchterlichen Fieberepidemien, welche ob ihrer In- und Extensität berüchtigt sind. Im Westen von Tjilatjap befinden sieh nämlich grosse Sümpfe, deren Miasmen gerade zur Zeit des Westmonsuns von dem Winde über Tjilatjap getragen werden.
[8] Er hatte ja, wie Jedermann in Holländisch-Indien, ein „guling“ (M), d. i. einen cylinderförmigen Polster von ungefähr 90 cm Länge und 50 cm Umfang, zwischen den Schenkeln, um bei der Seitenlage nicht durch die eigene Körperwärme belästigt zu werden.
[9] Aphthae tropicae ist ihr wissenschaftlicher Name.
[10] Oder mit Quarzkrystallen.
[11] Vide: Letztes Capitel mit der Geschichte des Bandjermasing’schen Reiches.
[12] Aus einem Vortrage, gehalten in der geographischen Gesellschaft zu Wien im Jahre 1885.
[13] Die Europäer begraben in Indien ihre verstorbenen Angehörigen schon innerhalb 24 Stunden.
[14] Das ist ein indisch-holländischer Ausdruck für den höchsten Grad des „süssen Nichtsthun“.
[15] Zu der „indischen“ Toilette der Europäer gehören keine Schuhe, sondern Pantoffeln, welche für die Damen oft in grosser Eleganz verfertigt sind.
[16] Artocarpus integrifolia hat, wie die Palmen und Durian, Früchte, welche grösser als der Kopf eines Mannes werden.
[17] In Bandong, 714 Meter über dem Meere, habe ich oft eine Temperatur von 16–17° C. beobachtet.
[18] Ich muss mit Nachdruck bemerken, dass dieser Mann eine Ausnahme im Corps der Beamten Indiens war, welche in jeder Hinsicht achtungswerthe Männer sind.
[19] Tuwak wird aus den Blüthenkolben verschiedener Palmsorten gewonnen.
Eile Seele des Verstorbenen, besteige den Nebel, eile Seele des Gefallenen, besteige das Wasser, wo der Mond verfinstert.
[21] Wie z. B. in dem neuen Spitale zu Magelang. Dort hat der Fussboden der Aborte für die eingeborenen Soldaten eine steinerne Platte mit einer grossen ovalen Oeffnung.
[22] Dieser war der Bruder und nicht der Sohn des im Jahre 1852 verstorbenen Kronprinzen Abdul Rachmann.
[23] „Onrust“ = Unruhe.
[24] Sollte Bangkert diese Verhöhnung der holländischen Flagge nicht gesehen haben?
[25] = Sei gegrüsst, Herr.
[26] Die hohe Temperatur ist gewiss kein Hinderniss für die Acclimatisation; denn auch bei einer Lufttemperatur von 40° im Schatten hat der gesunde Mensch eine Körpertemperatur von ungefähr 37° C. Der Mensch hat ja überall, in den Tropen wie in den Polargegenden, seinen Wärmeregulator.
[27] Vide: 10. Capitel.
[28] In einzelnen Kreisen wird selbst zu viel gearbeitet; so z. B. hielt im Jahre 1897 die grösste Handelsgesellschaft in Indien, in Samarang, ihre Beamten von 9 Uhr Morgens bis 7, oft bis 7½ Uhr Abends im Bureau!!
[29] Vide: De Geneesheer (Arzt) in N. Indië von Dr. C. L. van der Burg.
[30] Bei den „Halbeuropäern“ fallen oft, aber nicht immer, die stark entwickelten Oberkiefer und Jochbeine auf, welche die malayische Rasse charakterisiren; sie haben selten Kraushaar, und ihre Hautfarbe ist vom zarten Weiss des Europäers bis zum Braun des Malayen in allen Nuancen vertreten.
[31] = Cocosnuss.
[32] Ausser den bereits erwähnten Mineralien werden auf Borneo noch gefunden: Antimon, Kupfer, Zinn, Zink, Schwefel, Porzellanerde, Kohle, Salz und Platin.
[33] = Mekkapilger.
[34] Die erste Eisenbahn wird von Tabanio nach Bandjermasing ziehen müssen und zwar erst dann, wenn der Handel und die Schifffahrt einen solchen Aufschwung genommen haben werden, dass die Bank vor der Mündung des Barituflusses für beide hinderlich werden sollte.
[35] = Kalanchoë laciniata.
[36] Dass man in den Furunkeln constant Bacterien (Staphylococci) findet, kann an obigen Thatsachen eine Erklärung geben, aber sie nicht ableugnen.
[37] Diese heissen: Bumbu, Pasir, Kutei, Berouw, Bulangan und Tidung (an der Grenze von Saba).
[38] Auch die Berichte der Barmer Missionsgesellschaft enthalten mitunter sehr interessante Details über das Leben der Dajaker.
[40] Vide 82. Band der Sitzb. d. K. Akad. der Wissenschaften Juliheft 1880.
[41] Vide 83. Band der Sitzb. d. K. Akad. der Wissenschaften Maiheft 1881.
[42] idem und Ichthyologische Beiträge X. von Hofrath Steindachner.
[43] Seit dem Schreiben dieser Abhandlung ist so manches besser geworden; 1899.
[44] Ist im Jahre 1887 in Batavia bei Ernst & Comp. erschienen.
[45] Auf Borneo sind die Priester, Basirs genannt, ebenfalls Päderasten.
[46] Im Gegentheile zum nördlichen Theile und den Küstenbewohnern, die häufig, besonders Frauen, des Erwerbes willen nach Sumatra (Lampong) übergehen.
[47] Seit dem Jahre 1890 werden eingeborene Frauen von europäischen Aerzten zu Hebammen abgerichtet.
[48] Seit dem Schreiben dieser Abhandlung ist so manches besser geworden. 1892.
[49] Die männlichen Götzenbilder der Dajaker haben einen colossalen Penis.
[50] Da Pollutionen nicht ansteckend sind, kann unter fluxum seminis nur der Tripper verstanden werden. Auch ist es naheliegend, dass der Schreiber des Leviticus Trippersecret mit Sperma verwechseln konnte.
[51] Pacificus Maximus lebte von 1440–1500.
[52] Eine Frau that selbst eine 14 Tage-Reise, um mich zu consultiren über den Ausfall ihrer Haare. Die gleichzeitige Phthisis war ihr jedoch gleichgiltig.
[53] 0·5′ S. B.
[54] Als Mohammedaner unterliegen sie der Circumcision.
[55] Im Jahre 1896 befanden sich unter 17216 europäischen Soldaten 710 = 4·1% Syphilisfälle und unter 21284 eingeborenen Soldaten 179 = 0·8% Luetiker.
[56] Im Jahre 1895 war die Zahl der behandelten Europäer 34549 mit 710 = 2% und die der Eingeborenen 29781 mit 179 = 0·6 % Luetiker.
Der Verfasser.
[57] Seit dieser Zeit ist, wie vorige Note zeigt, auch die Zahl der Syphilitischen kleiner geworden.
[58] In der Caserne wird gewöhnlich nur 1–2mal in der Woche das Würfelspiel den Eingeborenen gestattet.
[59] Bibliotheken finden sich selbst in kleinen Garnisonen; wo jedoch soll der Soldat lesen? Höchstens kann er dies zur officiellen Schlafzeit zwischen ½2–3 Uhr Nachmittags.
[60] Besonders gilt dies von den Unterofficieren, von denen jeder ein eigenes Zimmer hat.
[61] Die täglichen Bäder bestehen in Indien darin, dass man sich Wasser über den Kopf schüttet wie auf den Schiffen.
[62] Auch hierin hat sich seit dem Jahre 1884 vieles zu seinem Vortheile geändert.
Der Verfasser.
[63] Ist seitdem geschehen.
Der Verfasser.
[64] An der Ostküste Sumatras, gegenüber der Halbinsel Malakka.
[65] Die Dajaker leiden zwar an Ichthyosis, von der ich beinahe ⅓ der hiesigen männlichen Bevölkerung behaftet sah. Die Krankheit ist jedoch dort, wie hier in Europa, nicht durch Syphilis bedingt.
[66] M = gescheite.
[67] Darunter gehörten in erster Reihe die Durian (Durio zibethinus), die Nonafrucht (Anona reticulata) und die Wurzel von Panax quinquefolium.
[68] Ich meine damit natürlich nur die damalige Militärmusik von Bandjermasing.
[69] Wenn man die Grenzen des Alluvium und Diluvium des jetzigen Borneos ins Auge fasst, verdient diese Sage den Rang eines historischen Datums.
[70] Nur der Ethnograph, welcher sich von der Lehre der Abstammung der Menschheit von einem Menschenpaar emancipirt hat, wird diese Frage endgiltig lösen können.