The Project Gutenberg eBook of Meine zweite Weltreise

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Title: Meine zweite Weltreise

Vierter Theil : Vereinigte Staaten von Nordamerika.

Author: Ida Pfeiffer

Release date: March 17, 2025 [eBook #75641]

Language: German

Original publication: Wien: Carl Gerold, 1856

Credits: Peter Becker and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This file was produced from images generously made available by eBooks on Demand at the University of Vienna.)

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK MEINE ZWEITE WELTREISE ***

Anmerkungen zur Transkription

Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1856 so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr verwendete Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert; fremdsprachliche Ausdrücke wurden nicht korrigiert.

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Holzschnitt und Druck von Eduard Kretzschmar in Leipzig.

Niagara-Fall.

Meine
Zweite Weltreise.


Von

Ida Pfeiffer,

Verfasserin der „Reise in das heilige Land“, der „Reise nach Island“ und der „Frauenfahrt um die Welt.“


Vierter Theil.

Vereinigte Staaten von Nordamerika.


Wien.

Carl Gerold’s Sohn.
1856.

Das Recht der Uebersetzung in fremde Sprachen behält sich die Verfasserin vor.

Druck von Carl Gerold’s Sohn.

[S. iv]

Inhalt des vierten Bandes.

Achtzehntes Kapitel.
Neu-Orleans. — Oeffentliche Gebäude. — Hôtels. — Der Französische Marktplatz. — Oeffentliche Sklaven-Versteigerung. — Besuch einer Plantage. — Die Sklaverei. — Beispiele von grausamer Behandlung der Sklaven. — Die freien Neger und Farbigen. — Nachsicht mit den weißen Verbrechern.
Neunzehntes Kapitel.
Abreise von Neu-Orleans. — Napoleon. — Fahrt auf dem Arkansas. — Little Rock. — Gesellschaft auf den Dampfern. — Amerikanische Ungezwungenheit. — Kinder-Emancipation. — Fort Smith. — Die Cherokee-Indianer. — St. Louis. — Highland. — Die Farmer. — Pipin- und St. Croix-See.
Zwanzigstes Kapitel.
St. Paul. — Die St. Antony-Fälle. — Die Pelzjäger. — Die Fahrt in der Postkutsche. — Stillwater. — St. Croix. — Rückkehr nach Galena. — Amerikanische Geduld. — Chicago. — Der Michigan-See. — Milvaukee. — Die unterirdische Eisenbahn. — Die Mormonen. — Der Lake Superior. — Die Indianer. — Der Huron- und Erie-See. — Cleveland. — Niagara-Falls-Village.
[S. v]
Einundzwanzigstes Kapitel.
Die Fälle des Niagara. — Der Ontario-See. — Die tausend Inseln. — Montreal. — Quebek. — Die Amerikanischen Eisenbahnen. — Neu-York. — Merkwürdigkeiten der Stadt. — Die Hôtels. — Die schwarzen Minstrels. — Emancipation. — Gerichtsverfahren.
Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Die Umgebungen Neu-Yorks. — Die öffentlichen Institute. — Blackwells- und Randalls-Island. — Die Five-Points. — Reise nach Boston. — Der Empfehlungsbrief. — Festessen der Massachusetts-Mechaniker-Gesellschaft. — Waisenhaus, Gefängniß u. s. w. — Cambridge. — Lowell. — Rückkehr nach Neu-York. — Die Wahl. — Abschied von den Vereinigten Staaten.
Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Ankunft in Liverpool. — Reise nach St. Miguel. — Punta-del-Gada. — Sonderbare alterthümliche Gebräuche. — Villa-Franca. — Das Ilheo. — Der Badeort Furnas. — Die heißen Quellen. — Abreise von St. Miguel. — Die Einfahrt des Tajo. — Lissabon. — Ankunft in England. — Nachruf.

[S. 1]

Achtzehntes Kapitel.

Neu-Orleans. — Oeffentliche Gebäude. — Hôtels. — Der französische Marktplatz. — Oeffentliche Sklaven-Versteigerung. — Die Sklavenhändler. — Besuch einer Plantage. — Die Sklaverei. — Beispiele von grausamer Behandlung der Sklaven. — Die freien Neger und Farbigen. — Nachsicht mit den weißen Verbrechern.

Die Entfernung von Aspinwall nach Neu-Orleans beträgt 1440 Seemeilen, von welchen 1350 auf den Mexikanischen Meerbusen, 90 auf den Mississippi kommen. Die Fahrt bis an die Mündung dieses mächtigen Stromes legten wir ohne Unfall oder Abenteuer in fünf Tagen zurück. Die schmutzig gelben Wogen des Mississippi wälzen sich der See mit Ungestüm entgegen, und meilenweit vom Gestade erkennt man sein Gewässer an der Färbung. An der Mündung erscheint der Strom endlos wie die See. Auch höher hinauf noch breitet er sich schrankenlos über das tief liegende Erdreich aus, und gönnt kaum hie und da einer Sandbank, einem Erdfleckchen Platz. Nach und nach drängt sich mehr Land hervor, der kühne Fischer wagt es schon,[S. 2] sein bescheidenes hölzernes Hüttchen darauf zu bauen; noch höher hinauf beginnen die künstlichen Erdwälle, die den Strom einfassen und sein Bett beschränken. Einen ängstlichen Eindruck macht es zu Anfang auf den Reisenden, den Strom sechs bis acht Fuß über das Land emporragen zu sehen: statt auf das Ufer hinauf, blickt man auf dasselbe hinunter. Wie leicht kann er seine Fesseln brechen und Tod und Verderben über die sorglosen Ansiedler bringen! Den Fischerhütten folgt bald fetter Grasboden, diesem einzelnes Gestrüppe, das nach und nach Gruppen bildet und endlich in kleine Waldungen übergeht. Da kommt auch schon der Mensch mit seinem Fleiße. Mais und Zuckerpflanzungen wechseln mit den Waldparthien, und wie das Land an Räumlichkeit gewinnt, vermehrt sich die Kultur, bis zuletzt die schönst geordneten Pflanzungen sich ununterbrochen an einander reihen. Die netten Häuser der Pflanzer, die Zuckermühlen mit ihren hohen Kaminen, die kleinen, aber niedlich aussehenden Hütten der Sklaven verleihen dem Ganzen ein überaus freundliches Aussehen. Beneidenswerth möchte man das Loos der Bewohner nennen, wüßte man nicht, daß alle, die Pflanzer ausgenommen, — Sklaven sind.

Ungefähr auf halbem Wege zwischen der Mündung des Mississippi und Neu-Orleans kommt man an dem einfachen Fort „Jackson“ vorüber.

[S. 3]

Gegen Mitternacht fiel der Anker vor Neu-Orleans, der größten Stadt in dem Staate Louisiana.

Ungeachtet der späten Stunde eilten die meisten Reisenden noch an’s Land, jeder hatte Freunde oder Verwandte und wußte, wohin zu gehen — ich hatte niemanden aufzusuchen, ich stand allein und verweilte daher bis zum folgenden Morgen ruhig in meiner Zelle.

Bei der Landung bekam ich schon einen kleinen Vorgeschmack von der hier herrschenden republikanischen Gleichheit. Unter den Reisenden befand sich ein sehr hübsches Mädchen von etwa zwanzig Jahren, mit blendend weißer Hautfarbe und schönem, schwarzem Haar, das nur vorn ein wenig gekräuselt war und so dem scharfen Beobachter einigen Zweifel an der Reinheit des Blutes hätte einflößen können. Kaum hatte die Arme den Fuß an’s Land gesetzt, so wurde sie von einem Gerichtsdiener angehalten und in das Gefängniß gebracht, wo sie abwarten mußte, bis ihre Verwandten kamen, zu beweisen, daß sie frei sei.

Ich hatte dieses Mädchen schon bemerkt, als ich mich in Aspinwall einschiffte; sie fiel mir durch ihre Schönheit und durch ihr bescheidenes Benehmen auf. Sie verschwand jedoch alsbald und kam während der ganzen Reise nicht wieder zum Vorschein. Als ich mich erkundigte, ob sie seekrank sei, daß sie gar nie zu[S. 4] Tisch käme, gab mir einer der Herren, die Nase rümpfend, zur Antwort: „Wie könnte eine Farbige es wagen, in unsere Gesellschaft zu kommen? Jede unserer Frauen würde vom Tische aufstehen.“ Und diese Weißen mit so abgeschmackten, inhumanen Ideen sind dieselben, die den ganzen Sonntag über nichts anderes thun, als Kirchen besuchen und die Bibel lesen, von der sie (so beweist wenigstens ihr Benehmen) wahrhaftig nicht mehr zu verstehen scheinen, als ein Papagei von den Worten, die er plappern lernt.

Am letzten Tage der Reise, schon nahe der Gegend von Neu-Orleans, kam das arme, von der Gesellschaft verbannte Geschöpf manchmal auf das Deck; ich sprach mit dem Mädchen und fand sie höchst liebenswürdig und gebildet — ich möchte allen weißen Mädchen wünschen, daß sie ihr an Bildung und Bescheidenheit glichen.

Die Stadt Neu-Orleans steht auf morastigem Grunde, an manchen Stellen acht Fuß unter dem Niveau des Stromes. Sie nimmt sich sehr gut aus, ist regelrecht gebaut, besitzt viele schöne Häuser von Backsteinen, breite Straßen und einige hübsche Squares (Plätze) mit freundlichen Gartenanlagen. Schade, daß die Straßen, wenige ausgenommen, so schmutzig und unrein sind! Längs der Fußwege laufen wohl kleine Rinnen oder Kanäle für fließendes Wasser;[S. 5] aber theils sind sie ausgetrocknet, theils gleichen sie im vollsten Sinne des Wortes den ekelhaftesten Pfützen; man ist häufig gezwungen, das Tuch vor die Nase zu halten. Mit dem Unrathe nehmen es die Leute auch nicht so genau: sie werfen vieles auf die Straße. Im Regenwetter sind manche Straßen beinahe ganz unter Wasser. Bei dieser Unreinlichkeit, mit der sumpfigen Gegend rings umher und der glühenden Hitze, ist es nicht zu wundern, daß diese Stadt so oft von dem gelben Fieber besucht wird.

Neu-Orleans zählt bei 150,000 Einwohner, von welchen ungefähr ein Drittheil Franzosen, ein Drittheil Amerikaner, ein Drittheil Deutsche und andere Nationalitäten. Unter dem Namen „Amerikaner“ versteht man eigentlich nur jene, die von den Engländern abstammen. Meiner Meinung nach gebührt dieser Name entweder allen von Einwanderern Abstammenden, die im Lande geboren, oder gar keinem, denn „Amerikaner“ ist eigentlich nur der Indianer. Allein der Stolz der Engländer verleugnet sich nirgends, und so haben sie sich ausschließend einen Namen zugeeignet, der ihnen so viel oder so wenig zukommt, wie allen übrigen Nationen.

Neu-Orleans ist für den Welthandel der Vereinigten Staaten im Süden, was Neu-York im Norden.[S. 6] Es ist die drittgrößte Handelsstadt, aber die erste als Ausfuhrplatz.

Der Strom ist meilenlang mit Dampfern und Schiffen jeder Art bedeckt. Achthundert Dampfer befahren von hier aus den Mississippi und dessen Nebenflüsse. Ein großer Theil dieser Dampfer hat vier- bis sechshundert Pferdekraft, zwei Stockwerke, schöne Gallerieen — man glaubt eine Stadt von hölzernen Palästen vor sich zu sehen.

Im Spätherbste soll es auf dem Mississippi noch ungleich lebhafter zugehen, als es zur jetzigen Zeit der Fall war. Da ist die Ernte vorüber, Zucker und Baumwolle, die Hauptartikel der Ausfuhr, liegen bereit und werden in alle Weltgegenden versendet. Im Jahre 1853 wurden gegen fünf Millionen Zentner Zucker ausgeführt.

Seit kurzem haben die Pflanzer angefangen, mit der Guano-Düngung Versuche zu machen, wobei sich ein Gewinn von 100-150 Prozent ergab. Welch’ ungeheuere Steigerung wird dieß mit der Zeit in der Produktion bewirken!

Außer dem Mississippi, dem mächtigsten Strome der Vereinigten Staaten, außer der Schiffswelt, die sich längs der Stadt ausbreitet, hat Neu-Orleans nicht viel Anziehendes. Die Umgebung ist eben, auch nicht durch den kleinsten Erdhügel unterbrochen.

[S. 7]

Unter den Gebäuden zeichnen sich die Hôtels (besonders das St. Charles-Hôtel), die Münze, die Banken, die Maurer- und andere Logen, das Charity-Hospital, die katholische Kathedrale aus. Beinahe alle diese Gebäude sind aus Quadersteinen erbaut.

Die katholische Kathedrale nimmt sich sehr gut aus, ist in Gothischem Style gebaut und besitzt einen schönen, eisernen, durchbrochen gearbeiteten Thurm. Das Innere ist einfach und sauber, nur mißfiel mir die nach dem Vorbilde von London gemachte Eintheilung in Logen und Sperrsitze.

Das Hôtel St. Charles ist überaus großartig angelegt: es hat ein herrliches Portal mit einer Säulenreihe. Die innere Einrichtung entspricht der äußeren Pracht. Hohe, große Empfangssäle, mit dem größten Luxus ausgestattet, Lese-Säle mit allen Zeitungen der Welt, dabei zahllose Dienerschaft und eine Kost, die selbst dem Verwöhntesten nichts zu wünschen übrig läßt. Man zahlt zwar drei Dollars per Tag; bedenkt man aber, was man alles dafür hat, so ist der Preis nicht gar so übertrieben. Ueber die Maßen theuer dagegen sind die Empfangszimmer, wenn man sie zu seinem ausschließenden Gebrauche miethen will: ein Empfangszimmer kostet per Tag acht Dollars. Doch werden sie selten gemietet. Der Amerikaner geht den größten Theil des Tages seinen Geschäften[S. 8] nach; kommt er nach Hause, so verweilt er in den allgemeinen Besuch- oder Lese-Zimmern. Da wird geschrieben, gelesen, Musik gemacht, Kinder tummeln sich umher, eins nimmt auf das andere keine Rücksicht, jeder benimmt sich, als wäre er in seinen eigenen Zimmern. Eben so ungezwungen geht es bei Tisch zu. Man ist in Betreff der Mahlzeiten nicht an bestimmte Stunden gebunden. Das Frühstück beginnt z. B. um 7 Uhr Morgens und währt bis 10, das Gabelfrühstück von 12 bis 2 Uhr u. s. w. Man kommt in dieser Zeit je nach Belieben und läßt sich geben, was die Speisekarte enthält. Bei Tische geht es höchst einsilbig zu. Der Amerikaner betrachtet, wie bereits erwähnt, selbst das Essen als ein Geschäft und schlingt die Speisen so hastig hinunter, daß ihm für ein Gespräch keine Muße bleibt. Ueberdieß sprechen sich Leute, die sich nicht kennen oder einander nicht vorgestellt worden sind, gar nicht an; dieß würde für eine halbe Beleidigung gelten. Und so kann ein Fremder in dem größten Gasthause wohnen und täglich in zahlreicher Gesellschaft speisen, ohne Gelegenheit zu finden, auch nur eine Bekanntschaft zu machen oder ein Wort anzubringen.

Das Charity-Hospital ist sehr gut eingerichtet; die Gemächer sind ziemlich groß, Betten und Wäsche weiß und rein. Ein Theil der Krankenpflege wird[S. 9] von barmherzigen Schwestern besorgt, welchen man vorwirft, mit gar zu großem Eifer aus den Kranken und Sterbenden Proselyten zu machen. Thun doch die Anglikaner, Presbyterianer, und wie alle die Sekten heißen, dasselbe! Jeder meint, daß die Form seiner Religion die einzig wahre und seligmachende sei.

Außer dem Charity-Hospital gibt es viele sehr gut eingerichtete Privat-Spitäler, in welchen der Kranke täglich einen Dollar bezahlt.

Die Münze ist die schönste in den Vereinigten Staaten. Das herrlichste Gebäude dürfte jedoch das Zollhaus werden, welches im Bau begriffen ist, an dessen Vollendung man aber leider zweifelt. Es nimmt einen ganzen Block[1] ein.

Das Wasserwerk in La Fayette besteht aus einem sehr großen Becken, welches aus dem Mississippi gefüllt wird. Von dem Becken ist das Wasser in die Häuser geleitet, wofür jede Familie sechs bis zehn und auch mehr Dollars per Jahr, je nach dem Bedarfe, bezahlt.

Die Marktplätze, besonders der sogenannte „Französische,“ sind äußerst bequem und schön, die Hallen groß und luftig und in Reihen für die verschiedenen Artikel, als Fleisch, Gemüse, Fische u. s. w. getheilt. Auch an gekochten und gebratenen Eßwaaren gibt es[S. 10] keinen Mangel, alle sehr zierlich und reinlich aufgestellt. Thee, Kaffee und Chokolade werden ebenfalls ausgeschenkt; eine große Tasse dieser Getränke nebst drei kleinen Kuchen kostet nur fünf Cents. Nicht nur die Marktleute und Käufer, auch viele Geschäftsleute kommen hierher, ihr Frühstück einzunehmen.

Der Französische Markt ist besonders Sonntags früh Morgens sehr interessant. Die Neger und Negerinnen strömen von weit und breit herbei, Naturerzeugnisse oder die Handprodukte, die sie in ihren Freistunden verfertigen, zum Verkauf zu bringen. Sie sind vorzüglich geschickt im Korbflechten.

Wenn man die Sklaven auf diesem Markte sieht, sollte man gerade nicht glauben, daß es ihnen gar so hart ergeht, wie viele behaupten, und wie es leider im allgemeinen wirklich der Fall ist. Sie sind ordentlich und gut gekleidet, bringen viele Produkte auf den Markt, und umlagern die Kaffee- und Schenktische in großen Massen.

Ich besuchte während meines Aufenthaltes zu Neu-Orleans zu verschiedenen Malen die Sklavenmärkte, so wie auch die Orte, wo die Sklaven öffentlich versteigert werden.

Die Haupt-Sklavenversteigerungen finden jeden Sonnabend in einem prachtvollen, hohen Saale statt, der bequem an 500 bis 600 Personen fassen mag. In[S. 11] demselben Lokale werden an den andern Tagen der Woche Ländereien, Häuser u. s. w. versteigert. Rings herum in dem Saale sind drei Fuß hohe Tribünen errichtet, auf welchen die Ausrufer sammt den armen zu verkaufenden Opfern stehen. Die Sklaven sind gut gekleidet und herausgeputzt, und werden so gestellt, daß sie von den Kauflustigen vollkommen gut gesehen werden können. Der Ausrufer liest ihr Alter, ihre körperliche Beschaffenheit, Tugenden, Fähigkeiten u. s. w. ab, macht den Preis bekannt, und die Versteigerung beginnt. Der Ausrufspreis für eine junge Mutter mit einem Kinde auf dem Arme, einem andern an der Hand war 600 Dollars, das höchste Angebot 1280. Der Eigenthümer gab sie jedoch dafür nicht her; der Preis war ihm noch um einige hundert Dollars zu geringe. Mädchen von zwölf bis dreizehn Jahren sah ich für 600 Dollars verkaufen. Diese armen Geschöpfe sahen dem Verkaufe mit besonders fröhlichen Mienen entgegen, sie gefielen sich in ihren schönen Kleidern und dachten wohl, daß die ganze Gesellschaft sie bewundere — es war vielleicht der seligste Tag ihres Lebens!! —

Ich konnte diese Menschenversteigerung nicht lange mit ansehen — ich fand es wahrhaftig gar zu empörend, daß Menschen so tief sinken, so ganz aller Moral, aller Humanität vergessen, ihres gleichen wie Thiere zu er- und verhandeln.

[S. 12]

Bei den Sklavenhändlern fand ich die Sklaven in Höfen sich aufhaltend. Sie arbeiteten nicht, waren gut gekleidet und stets zum Verkaufe bereit gehalten. Ich that, als hätte ich eine Köchin nebst einem Diener nöthig. Sogleich wurden alle Sklaven durch den Schall einer Glocke zusammen berufen und in zwei Reihen aufgestellt, in der einen die Männer, in der andern die Weiber und Mädchen, worauf das Loben und Anpreisen von Seite des Verkäufers anging. Für eine gute Köchin verlangte er 1200 Dollars, für einen Diener, der, wie er sagte, noch nicht ganz abgerichtet war, 1100 Dollars.

Die Sklavenhändler werden, sonderbarer Weise, sehr verachtet; niemand geht mit ihnen um; sie sind beinahe wie von der menschlichen Gesellschaft ausgeschlossen. Ich möchte fragen, ob denn der Sklavenhalter achtbarer ist, als der Sklavenhändler? Kauft und verkauft der Herr nicht so gut wie der Händler? Lebt der eine nicht so gut wie der andere von dem Schweiße dieser Armen? Werden die Sklaven von beiden nicht als Vieh angesehen und behandelt? Wahrlich, wenn man die menschliche Gesellschaft betrachtet, mit ihren widersinnigen Unterschieden und Kleinlichkeiten, muß man sie oder sich selbst oft für irrsinnig halten.

Auch auf Plantagen hatte ich Gelegenheit, die Lage der Sklaven zu beobachten; ich besuchte mehrere[S. 13] und brachte auf einer derselben, bei Herrn Kok, einem reichen Sklavenhalter, in der Nähe von Donaldsville mehrere Tage zu.

Ich bin natürlich der Sklaverei so feind, wie jeder Mensch, der ein Herz im Leibe hat. Ich sehe in ihr den größten Schandfleck der Menschheit und möchte behaupten, daß jener, der Sklaven hält oder damit handelt, den Namen „Mensch“ oder gar „Christ“ nicht verdient. Ich war nicht das erste Mal in Sklavenstaaten, und überall erregte die Sklaverei meinen tiefsten Abscheu; aber hier noch ungleich mehr wie irgendwo, denn hier war ich von Republikanern umgeben, die auf ihre Freiheit, auf ihre Gleichheitsrechte so stolz thun, daß sie denjenigen gleich niederschießen möchten, der sie darin zu beeinträchtigen oder zu stören sucht. Und diese freien Männer können sich selbst so erniedrigen, können mit so öffentlicher Schamlosigkeit alle Grundsätze der Religion und Moral mit Füßen treten?! Mit diesen bittern Gefühlen besuchte ich die Pflanzungen, und war daher durchaus nicht geneigt, sie mit günstigen Augen zu betrachten.

Doch muß ich gestehen, daß ich wenigstens auf jenen, die ich besuchte, das Schicksal der armen Sklaven minder hart fand, als ich mir vorstellte, was besonders der Fall auf Herrn Kok’s Pflanzungen war. Dieser Herr, so wie seine Gemahlin, mögen wohl[S. 14] zu den besten und menschenfreundlichsten Sklavenhaltern gehören; selbst ihre ganz jungen Kinder scheinen schon die Gefühle der Eltern zu theilen. Ich sah eines derselben, einen sechsjährigen Knaben, bei Tische von allen Gerichten etwas bei Seite legen. Als ich ihn frug, für wen das bestimmt sei, gab er mir zur Antworte „Für ein Negermädchen, unsere Gespielin, die etwas unwohl ist.“

Die Negerwohnungen auf Herrn Kok’s Plantagen bestanden aus abgesonderten kleinen Hütten, deren jede ein geräumiges Gemach enthielt, in welchem entweder eine Familie, oder zwei bis drei Unverheirathete wohnten. Die Betten waren gut und mit Polster, Wolldecken, ja sogar mit Muskitonetzen versehen. In jeder Hütte gab es wenigstens einen Tisch, einige Schemel, eine hölzerne Truhe. Eine große Hütte in der Mitte des Dorfes war zur Aufbewahrung der kleinen Kinder bestimmt, deren Eltern zur Arbeit gingen. Eine muntere, kräftige Negerin führte die Aufsicht über sie. Nach einer Entbindung bleibt die Mutter vier Wochen ganz zu Hause, und so lange das Kind der Mutterbrust bedarf, sorgt man, daß sie in der Nähe der Wohnung Beschäftigung findet.

Auch an einem Hospitale fehlte es nicht, aus zwei geräumigen Gemächern bestehend und mit recht[S. 15] guten Betten versehen. Ein Arzt kommt jede Woche, und wenn es die Nothwendigkeit erfordert, jeden Tag.

Ich ging mehrere Male ohne Begleitung des Herrn Kok in das Dorf. Die Leute waren anständig gekleidet; ich sah manche vor der Thüre ihrer Hütte sitzen, mit einem tüchtigen Stücke Weißbrod in der Hand; auch gebratenes frisches Schweinefleisch bekommen sie von Zeit zu Zeit. Gegen sechs Uhr Abends kehrten sie von der Arbeit heim, munter und lachend; das Abendmahl, aus Maismehl und Fleisch bestehend, war bereitet und schmeckte gut, die Portionen waren reichlich. Nach eingenommenem Mahle gingen sie von einer Hütte zur andern, saßen zusammen, schwatzten und schäckerten — sie schienen ihr Loos durchaus nicht unglücklich zu finden. Besonders gut hatten es die Haussklaven bei Herrn Kok. Ich bemerkte nie, daß sie stark ausgezankt oder gestraft wurden, und ich suchte doch unbeachtet so viel wie möglich alles zu beobachten.

Wenn es auf allen Pflanzungen so zuginge, wäre Sklaverei freilich besser als die Lage vieler Bauern und Arbeitsleute in Europa. Man gehe nach Rußland und sehe, wie der Bauer behandelt wird. Der russische Bauer ist Sklave seines Herrn, Sklave der Regierung, Sklave der Beamten, Officiere, ja nicht selten des gemeinen Soldaten. Er muß dem Gutsherrn[S. 16] Frohndienste leisten, der Regierung Steuern zahlen, sich von jedem Beamten, Officier und Soldaten Schläge und Mißhandlungen gefallen lassen, und dabei für seinen Lebensunterhalt selbst sorgen. Kein Mensch schafft ihm ein Kleid, wenn das seine in Lumpen vom Körper fällt, kein Mensch reicht ihm einen Bissen Brod, zahlt seine Steuern, wenn sein Feld zu wenig gibt. Was die Mißhandlungen betrifft, die ihm zu Theil werden, könnte man davon so schauderhafte Geschichten erzählen, wie man sie von den Sklavenhaltern erzählt. Der Herr, die Frau, die Aufseher mißhandeln ihn nach Gefallen, der Beamte, der Officier, ja der gemeine Soldat bezahlen ihm die geleisteten Dienste mit Prügel und Fußtritten. Wenn ein Weib, ein Mädchen die Aufmerksamkeit des Gutsherrn erregt und seine Wünsche nicht gutwillig erfüllt, ist sie, sind alle ihre Verwandten der Rache desselben Preis gegeben. Der russische Bauer darf die Scholle Erde nicht verlassen, auf welcher er geboren ist; er wird nur auf 25 Jahre zum Soldatendienst gezwungen, er wird mit der Knute zum Frohndienste, zum Straßen- und Brückenbaue, zum Vorspann und andern Leistungen getrieben, für welche er keine Entschädigung erhält. Für ihn gibt es kein Gericht, seine Peiniger selbst sitzen als Richter an der Tafel. Dabei aber besitzt er nicht, gleich dem Sklaven, einen Herrn, der ihn[S. 17] theuer erkauft hat, und daher für ihn sorgt, wenigstens seine leiblichen Bedürfnisse befriedigt. Wahrhaftig, das Loos eines Sklaven könnte man noch für erträglicher halten als jenes eines Russischen Bauern! —

Unverzeihlich finde ich es, daß sich die Regierung der Vereinigten Staaten gar nicht um das Schicksal der Sklaven bekümmert. Die Sklavengesetze sind höchst mangelhaft und schlecht, und selbst auf die Befolgung der wenigen und schlechten Gesetze wird nicht gesehen. Die Amerikaner sagen: „Da hätte die Regierung viel zu thun, sie kann sich nicht zum Spione machen; das wären Eingriffe in die Freiheit“ u. s. w. Ich meine aber, wenn sie sich in andern Zweigen der Verwaltung zum Spürhunde hergibt, und z. B. die Wirthe ausspionirt, die am Sonntage ein Glas Bier ausschenken, oder die Gäste, die es trinken, oder die Uebertreter des Maine-Gesetzes[2], so kann sie es auch thun, wo es sich um einen ganz ohne Vergleich wichtigeren Gegenstand handelt. Oder ist es vielleicht ein geringeres Verbrechen, einen Menschen zu Tode zu martern, als an einem Sonntage ein Glas Bier zu trinken? Warum vermag die Holländische Regierung in Indien die Sklaven[S. 18] so trefflich zu schützen? Ein despotischer Staat sorgt für die Milderung des Zustandes dieser des ersten Menschenrechtes beraubten Unglücklichen, und ein freier Staat, mit dessen Prinzip, dem gesunden Menschenverstande nach, Sklaverei unvereinbar sein sollte, erlaubt und begünstiget sie nicht bloß, sondern ermäßiget sie nicht einmal durch gute Gesetze! — In den Vereinigten Staaten darf der Sklave nicht Zeugniß abgeben, ja unbegreiflicher Weise nicht einmal klagen. Das Gesetz erlaubt, den Mann von seinem Weibe, die Kinder (jedoch nicht vor dreizehn Jahren) von ihren Eltern zu reißen und zu verkaufen. Was für herzbrechende Scenen mag es bei ähnlichen Gelegenheiten geben! Möchte doch solchen Gesetzgebern, solchen Sklavenverkäufern dasselbe Schicksal widerfahren, damit ihr abgestumpftes Gefühl ein wenig aufgerüttelt würde!

Ich will hier aus Hunderten von Beispielen, welche die grausame Behandlung der Sklaven von Seite der Weißen darthun, nur einige anführen. Ich ziehe sie aus: „Amerikanische Sklaverei, wie sie ist, bestätigt von tausend Augenzeugen,“— herausgegeben in Neu-York 1839.


Herr G..., Erzieher bei einer Pflanzerfamilie,[S. 19] die den Ruf der Milde hatte, schreibt im Juli 1832 ungefähr folgendes: „Eines Morgens, als das Tischgebet vor dem Frühstücke beendet war, verlangte eines der Kinder Syrup (Molasses). Die Sklavin gab ihm eine Portion auf den Teller, vielleicht ein wenig größer wie sonst, doch nicht mehr, als das Kind häufig zu essen pflegte. Der Herr ward darüber so aufgebracht, daß er aufstand, die Hände der Sklavin mit einer Hand festhaltend, sie mit der andern so lange aus allen Kräften schlug, bis er von der Anstrengung ermüdet auf den Stuhl sank und sagte, seine Hand sei zu schwach, um fortzufahren. Er zog hierauf seinen Schuh aus, und begann mit dem Absatze desselben auf die Arme loszuschlagen. Sie konnte sich endlich nicht enthalten zu schreien und suchte mit den Ellbogen den Kopf zu schützen. Der Herr rief einen Neger herbei, und ließ ihn die Hände der Sklavin hinter dem Rücken festhalten, damit er ungestört fortprügeln konnte. Die Sklavin fiel endlich vor Schmerzen zu Boden und rief Herrn G. um Hilfe an. Nichts desto weniger wurde mit dem Schlagen fortgefahren. Herr G. meinte schon, daß sie den Geist aufgeben müsse. Sie stand jedoch auf, ging hinaus, um sich vom Blute zu reinigen, und kam, bevor man vom Tische aufstand, wieder in den Saal. Kein Mensch würde sie erkannt haben, der Kopf war ganz aufgeschwollen,[S. 20] die Ohren handdick, die Augen mit Blut unterlaufen u. s. w.“

Für dergleichen Kleinigkeiten hat sich der Pflanzer gar nicht zu verantworten.

Eine andere Geschichte:

Herr P. erzählt von einem Herrn Benjamin Jakob Harris, Sklavenhalter in Richmond, daß er ein Negermädchen von 15 Jahren zu Tode gepeitscht habe. Während er sie schlug, machte seine Gattin ein Eisen glühend und brannte sie damit an verschiedenen Theilen des Körpers. Das Verdikt lautete: „Gestorben in Folge zu harter Schläge“ — und der Mörder wurde losgesprochen.

Einige Jahre später peitschte derselbe Harris einen Sklaven zu Tode. Er wurde abermals losgesprochen, da außer Sklaven niemand Zeuge dieser That war.

Ein Kapitän von der Marine der Vereinigten Staaten zürnte einst über seinen Negerjungen. Er stellte ihn auf einen Stuhl, band ihm die Hände mit einem Stricke vorne zusammen, schlang den Strick um einen Balken, zog den Jungen so hoch auf, daß er gerade mit den Zehen auf dem Stuhle stehen blieb, und peitschte ihn in dieser Stellung mit kurzen Unterbrechungen so lange, bis er ohnmächtig wurde und starb.

Auch dieser feige Henker wurde losgesprochen.

[S. 21]

In Goochland (Virginia) band ein Aufseher einen Mann an einen Baum, schlug ihn in kurzen Zwischenräumen auf das grausamste, umgab den Baum hierauf mit Strauchwerk, zündete es an und verbrannte langsam das arme Schlachtopfer. Weil der Thäter ein Farbiger, nicht ein Weißer war, wurde er zwar nicht aufgehenkt, wie er es verdient hätte, aber doch wenigstens auf einige Monate eingesperrt.


Mehr als tausend ähnliche Fälle enthält das Buch. Wenn man solche Unthaten sieht und erzählen hört, könnte man versucht werden zu wünschen, daß die Neger sich zusammenrotten und auch einmal an ihren grausamen Henkern das Richteramt ausüben, ihnen gleiches mit gleichem vergelten möchten! —

Dasselbe Buch sagt auch, daß die Sklavenhalter eine Zusammenkunft gehabt hätten, um zu berathen, was mehr Nutzen brächte, die Sklaven gut zu halten und dadurch das Kapital zu schonen, oder sie zu überarbeiten und nach sieben bis acht Jahren zu verlieren. Leider soll das letztere als mehr Nutzen bringend befunden worden sein. Und so sterben viele Sklaven im Uebermaße körperlicher Anstrengung frühzeitig dahin. Das Gesetz erlaubt in Süd-Karolina, den Sklaven im Sommer fünfzehn, im Winter vierzehn[S. 22] Stunden täglich zur Arbeit anzuhalten, während der Verbrecher durchschnittlich nur neun Stunden zu arbeiten hat. Die meisten Sklavenstaaten haben jedoch keine Gesetze in dieser Beziehung; der Pflanzer kann seine Sklaven ungestraft zu Tode arbeiten lassen.

Um den Unterricht der Sklaven bekümmern sich diese weisen und menschenfreundlichen Gesetze nur in so ferne, daß sie denselben verbieten. Einen Sklaven lesen oder schreiben zu lehren, wird von dem Gesetze strenge bestraft[3]. — Hier ist das Gesetz kein Spion!

Man ist aus allen Kräften bemüht, die Neger auf jener Stufe zu erhalten, auf der sie waren, als man sie aus ihrem Vaterlande riß.

Auch über den Religionsunterricht ist nichts vorgeschrieben. Hie und da befaßt sich eine Pflanzersfrau damit und hält eine Sonntagsschule, d. h. sie liest den Sklaven aus der Bibel vor, lehrt sie Psalmen und heilige Lieder singen — die Moral mögen sie selbst herausfinden (eine gewiß sehr schwierige Sache,[S. 23] da sie das christliche Betragen ihrer Herren stets vor Augen haben). Auch Priester gehen zeitweise auf die Pflanzungen, um zu lehren, d. h. zu predigen. Mehr darf nicht geschehen.

Höchst sonderbar finde ich es, daß die Weißen die Sklaven einerseits den Thieren gleich stellen, und andererseits ihnen das Theuerste, die Kinder, anvertrauen. Die Negerin säugt sie, pflegt ihre erste Kindheit, ja bleibt nicht selten die Vertraute des herangewachsenen Mädchens. Hiezu finden die Eltern die Schwarzen vollkommen geeignet. Muß dieser nahe Umgang mit so rohen sinnlichen Menschen nicht sehr schädlich auf Sitten, Charakter und Bildung der Kinder einwirken? Muß das Sittlichkeitsgefühl des Kindes, Mädchens oder Jünglings durch das Beispiel, durch die Redensarten dieser Leute nicht gänzlich untergehen? Ist dieß nicht von Seite der Eltern ein grenzenloser Leichtsinn, ein gänzliches Vergessen ihrer Pflichten? Aber weil sie so erzogen wurden, mögen es ihre Kinder auch wieder werden: es ist gar zu bequem, diese schwere Sorge andern zu überlassen. Daß es unter den Eltern auch Ausnahmen gibt, versteht sich von selbst.

Ich möchte beinahe glauben, daß sich das Sklavenwesen durch seine Folgen in manchen Beziehungen an den Weißen selbst rächt. Die Kinder werden gewöhnt, sich jeden Dienst leisten zu lassen: es wäre[S. 24] eine Schande, sich selbst auch nur ein Band zu binden, oder etwas von dem Boden aufzuheben, — der Sklave ist des Kindes Hand. Natürlicher Weise werden die Kinder dadurch launenhaft, befehlshaberisch, träge, boshaft; jede Energie, die Kraft zu handeln, ja selbst zu denken, geht verloren und leider das Gefühl auch. Ein in den Sklavenstaaten erzogener Jüngling, ein daselbst erzogenes Mädchen unterscheidet sich sehr zu seinem Nachtheile von der in den freien Staaten erzogenen Jugend. Und wirkt die Erziehung, die man in der Kindheit genießt, nicht auf das ganze Leben?

Nicht minder hart als Sklaverei ist das Loos der freien Neger und Farbigen, und zwar eben sowohl in den freien wie in den Sklavenstaaten. Sie sind theils durch das Gesetz, theils durch die albernen Vorurtheile der duldsamen Christen von der menschlichen Gesellschaft ausgeschlossen, gehören eigentlich gar keinem Stande zu, weder dem Sklaven- noch dem Bürgerstande, und sind die Parias der Vereinigten Staaten.

Um ihnen das Erniedrigende ihres Schicksals noch tiefer fühlen zu lassen, gab man ihnen die Erlaubniß, Schulen zu besuchen, sich zu bilden. Es ist dieß eine raffinirte Quälerei, der despotischsten Regierung unwürdig. Durch die Bildung wird der Ehrgeiz erweckt, der Neger und Farbige lernt sich als Mensch, lernt[S. 25] die Rechte der Menschheit kennen — wozu? — um zu sehen, daß er von den Menschen ausgestoßen, daß er der Rechte derselben beraubt ist. Denn das Gesetz läßt ihn nicht Bürger des Staates werden, gibt ihm keine Stimme bei den Wahlen, erkennt ihn nicht als Zeuge, ja ein Neger oder Farbiger darf sogar keine Ehe mit einer Weißen eingehen. Muß der Arme nicht zum Menschenfeinde werden? Muß durch so harte, widersinnige Gesetze nicht jedes bessere Gefühl in ihm erstickt werden? Und ist es nicht die erste Pflicht einer Regierung, mag sie was immer für einen Namen haben, auf die Moral, auf die Sittlichkeit der Menschen zu wirken? Hier ist es gerade das Gesetz, das der Moral Hohn spricht, und seine Verachtung des menschlichen Gefühls geht so weit, daß wenn ein Weißer Kinder mit einer Negerin oder Farbigen zeugt, er sie nicht einmal anerkennen darf. Will er die Achtung seiner Mitbürger erhalten, so muß er ihnen die Erziehung verweigern; verkauft er sie aber, allein oder sammt der Mutter, was nicht selten vorkommen soll, so bleibt er ein Ehrenmann.

Oft sprach ich über das Schicksal dieser Unglücklichen, hörte aber die Amerikaner stets behaupten, daß das vollkommen in der Ordnung sei, und daß, wenn es den Leuten nicht gefalle, sie in ihr Vaterland gehen oder nach Europa auswandern könnten.

[S. 26]

In ihr Vaterland gehen?

Wo ist denn ihr Vaterland? Etwa in Afrika? Sind sie dort geboren? Haben sie dort ihre Familie? Sprechen sie die Landessprache? Nichts von alle dem. Seit fünfzig Jahren darf kein Sklave mehr eingeführt werden. Die heutige Nachkommenschaft ist in Amerika geboren, Amerika ist ihr Vaterland, und nicht Afrika, denn meiner Meinung nach haben die in Amerika gebornen Neger so gut Anspruch auf den Namen „Amerikaner,“ als die von den Europäischen Einwanderern abstammenden Weißen. Das ihnen von den Amerikanern aufgedrungene Vaterland kennen sie nicht einmal dem Namen nach.

Nach Europa auswandern?

Wer gibt ihnen die Mittel dazu? Und was sollen sie in einem Welttheile machen, der übervölkert ist, der jährlich Hunderttausende von Auswanderern nach allen Weltgegenden sendet? Europa ist nicht Amerika. In Amerika bedarf man noch sehr der Hände und Köpfe. Die Einwanderung ist es, welcher die Vereinigten Staaten die Stufe der Macht und Bedeutung verdanken, auf der sie heut zu Tage stehen.

Kaum sollte man glauben, daß es Leute gibt, die behaupten, daß das Sklavensystem in seinen Folgen sehr wohlthätig auf die Eingebornen Afrika’s einwirke. Die freien Neger, sagen sie, werden erzogen,[S. 27] erhalten guten Unterricht in der Religion. Sendet man sie dann nach der Neger-Republik Liberia in Afrika, so können sie dort ihre Landsleute bekehren und gleichsam Missionär-Dienste verrichten.

Eine sehr kluge, fein erfundene Entschuldigung des Sklavensystems! —

Wenn diese Abgesandten ihren Landsleuten erzählen, welches Heil ihnen durch die Christen widerfahren ist, wie sie, so lange sie Sklaven waren, von den meisten Weißen schlechter als deren Lastthiere behandelt wurden, wie man sie für die kleinsten Vergehungen grausam marterte und züchtigte, aus Spaß oft zu Tode prügelte, wie man sie mit Arbeiten bis zum Hinsinken überlud und als Belohnung für die geleisteten Dienste im Alter halb verhungern und verderben ließ, wie sie als freie Leute noch immer von den Weißen verachtet, aus der menschlichen Gesellschaft verstoßen, aller Rechte beraubt wurden, wie sie jedem weißen Schurken nachstanden, sich an keine Tafel, in keinen Omnibus setzen durften, im Theater abgesonderte Plätze hatten, als wären sie Aussätzige! — ja, wenn von diesen Erzählungen ihre Landsleute nicht begeistert und hingerissen werden und nicht haufenweise zum Christenthume übergehen, so müßte man ihnen wahrhaftig allen Verstand absprechen. Ewig schade, daß es nicht auch für uns Christen irgend wo einen Staat gibt, in welchem[S. 28] wir derselben menschenfreundlichen Behandlung theilhaftig werden könnten, gleich den Negern und Farbigen in den Vereinigten Staaten! Es wäre nur der höchst wohlthätigen Folgen wegen, die sie auf das Christenthum haben müßte.

Es gibt bisher dreizehn Sklavenstaaten, nämlich: Florida, Georgia, Texas, Karolina, Virginia, Kentucky, Tennessee, Alabama, Mississippi, Louisiana, Arkansas, Missouri, Maryland, nebst einem Theile von Kolumbia. Vielleicht werden mit der Zeit noch einige zuwachsen, es wäre nur wegen des Glückes, welches Afrika daraus bevorstünde!! —

Den schroffsten Gegensatz zu der Behandlung der schwarzen und farbigen Amerikaner bildet die Nachsicht der Regierung mit den weißen Verbrechern.

Ich war drei Wochen in Neu-Orleans, und während dieser Zeit vergingen wenige Tage, an welchen nicht ein Mord, eine Brandlegung stattfand.

Ich sprach einst empört über einen Mord, der in einer Nacht verübt wurde. Ein Arbeiter schnitt in Streit und Trunkenheit seinem Weibe den Hals ab. Man lachte mich über meine Gefühls-Aeußerungen beinahe aus, und sagte, daß wenn ich fünf bis sechs Monate hier bliebe, ich an dergleichen Dinge gewöhnt werden und gar nicht mehr darüber sprechen würde.

[S. 29]

Wirklich fand kaum einige Nächte später schon ein zweiter derartiger Fall statt, bei welchem der Mann nach verübter That sich aufzuhängen versuchte.

Ein in Trunkenheit, Eifersucht oder Streit verübter Mord wird selten hart bestraft, und ganz besonders gilt das Laster der Trunkenheit als große Entschuldigung. Aber auch selbst nicht betrunkene Verbrecher kommen leicht durch, wenn sie reich sind und sich Freunde zu machen verstehen. So hatte z. B. vor mehreren Monaten in Kentucky ein gar schändlicher Mord statt, und der Mörder wurde dennoch gänzlich freigesprochen.

Die Sache war folgende: Ein Knabe besuchte eine Schule, blieb häufig aus, machte die Aufgaben gar nicht oder schlecht und entschuldigte sich stets mit Lügen. Der Lehrer, hierüber aufgebracht, nannte ihn einst einen Lügner. Der Knabe erzählte dieß, wahrscheinlich seiner Gewohnheit nach mit Lügen und Uebertreibungen, seinem Vater und Bruder. Letzterer, ein Jüngling von achtzehn bis zwanzig Jahren, bewaffnete sich mit einer Pistole, gab seinem Bruder ein großes Messer, ging mit ihm nach dem Schulhause und schoß nach kurzem Wortwechsel den Lehrer nieder. Der Vater, ein reicher Mann, erkaufte die Jury, und der Mörder kam ohne die geringste Strafe davon. Dieser Fall war so empörend, daß das Volk die Jury-Männer, den Mörder und seinen Vater öffentlich beschimpfte,[S. 30] wodurch erstere gezwungen wurden, ihre Stellen aufzugeben, letztere ihre Besitzungen zu verkaufen und nach einem andern Staate überzusiedeln. Traurig, wenn das Volk den Richter machen muß! —

Brandlegungen geschehen häufig von den Eigenthümern selbst, welche die kostbaren Waaren erst in Sicherheit bringen, Gebäude, Waarenlager u. s. w. überschätzen und auf diese Art aus derlei Schurkereien einen schönen Gewinn ziehen.

Wenn ich über solche Gegenstände Bemerkungen machte, hieß es: „Was wollen Sie? Amerika ist noch ein junges Land; es wird mit der Zeit schon anders werden.“

Ich weiß nicht, ich möchte glauben, daß es in seiner Kindheit, zur Zeit des großen Washington besser war, als es jetzt in seiner Jugend ist. Gute Gerechtigkeitspflege ist die erste Pflicht eines Staates und vom größten Einflusse auf die Moralität seiner Bürger; schlechte Gerechtigkeitspflege verdirbt das Volk. Wo die Leute nach Aemtern und Stellen aus der einzigen Absicht streben, sich zu bereichern, wo der Reiche alles durchsetzen, alles erkaufen und ungestraft, oder doch beinahe so, Verbrechen begehen kann, gehen Vaterlandsliebe und Moralität verloren. Amerika war nach der Trennung von England mit einem reinen, makellosen Bogen Papier zu vergleichen — Europa[S. 31] mit einem mit Tintenflecken besudelten. Was hätte auf diesem schönen Bogen nicht alles geschaffen werden können, und zwar um so leichter, als das alte Europa leider nur zu deutlich die Fehler und Mißbräuche aufweist, welche einer vollkommenen Gestaltung im Wege liegen. Was hätte aus einem Lande wie Amerika werden können, das von der Natur so reich ausgestattet ist und gegen keins der großen Uebel Europa’s zu kämpfen hatte! Leider aber ward der reine Bogen nicht so heilig bewahrt und ist mit der Zeit ziemlich stark besudelt worden!

Der Eindruck, den die Vereinigten Staaten bei meinem ersten Eintritte auf mich machten, konnte nach dem, was ich hier in Neu-Orleans sah, unmöglich ein sehr günstiger sein. Obwohl ich mich über meine persönliche Aufnahme nicht zu beklagen hatte, und besonders von Herrn Dürmayer und der Familie Höffer, in deren Hause ich die letzten acht Tage zubrachte, viele Freundschaftsdienste erfuhr, so war ich doch herzlich froh, dieser Stadt den Rücken zu kehren, die man mit vollem Rechte auch eine Stadt der Wunder nennen könnte, denn wunderbar klingt es, Sklavenhändler, Sklavenbesitzer von Freiheit und Menschenrechten sprechen zu hören.

[1] Die Straßen in den Amerikanischen Städten bilden gleichmäßige Vierecke, „Blocks“ genannt.

[2] Das Maine-Gesetz verbietet den Genuß geistiger Getränke. Es entstand zuerst in dem Staate Maine, und erhielt daher seinen Namen. Die Staaten, die dem Maine-Gesetze beigetreten sind, werden Temperance-Staaten genannt.

[3] Ein Kind eines Pflanzers hatte einst den Einfall, seiner Gespielin, einem Negermädchen, die Buchstaben kennen zu lehren. Als die Mutter dieß zufällig sah, erschrack sie sehr darüber und verbot ihrem Kinde streng, damit fortzufahren, — ja die Angst der Mutter war so groß, daß das Negermädchen aus dem Bereich der Familie geschafft wurde, um das Bischen Wissen so schnell als möglich zu vergessen.

[S. 32]

Neunzehntes Kapitel.

Abreise von Neu-Orleans. — Napoleon. — Fahrt auf dem Arkansas. — Little Rock. — Gesellschaft auf den Dampfern. — Amerikanische Ungezwungenheit. — Kinder-Emancipation. — Fort Smith. — Die Cherokee-Indianer. — St. Louis. — Highland. — Die Farmer. — Pipin- und St. Croix-See.

Am 23. Juni verließ ich Neu-Orleans auf dem prachtvollen Dampfer „Belfast,“ der den Mississippi aufwärts ging. Kapitän Taylor, Eigenthümer des Schiffes, war so artig, keine Bezahlung von mir anzunehmen; mein Name war ihm durch die Zeitungsberichte bekannt.

Die innere Einrichtung dieses Dampfers war sehr kostbar. Schwere Teppiche deckten den Boden, große Spiegel zierten die Wände, mit Sammt überzogene Möbel, ein schönes Piano die Säle. Die Kost bestand aus vier überaus reichen Mahlzeiten mit Backwerk, Eis u. s. w. Speisesaal, Schlafkabinen, Betten ließen an Pracht und Bequemlichkeit nichts zu wünschen übrig, und dabei war der Preis sehr billig:[S. 33] von Neu-Orleans bis St. Louis (1200 Seemeilen) 25 Dollars, stromabwärts gar nur 20. Die Amerikaner finden aber sogar diesen geringen Preis übertrieben.

Ich fuhr nur den halben Weg nach dem Städtchen Napoleon, um von da aus auf dem Arkansas, der in den Mississippi mündet, nach Fort Smith zu gehen.

Unterwegs wurde häufig an Städten und Ortschaften angehalten, von welchen die bedeutendste Baton-Rouge mit ungefähr 30,000 Einwohnern. Obwohl viel kleiner als Neu-Orleans, wird diese Stadt als die Hauptstadt von Louisiana betrachtet, da sie mehr im Mittelpunkte liegt. Das Gouvernements-Gebäude gleicht einem Palaste; es steht auf einem kleinen Hügel, um welchen sich die Stadt lagert, und besitzt ein schönes Säulenportal.

Die Stadt Vicksburg scheint an Größe um ein geringes Baton-Rouge zu übertreffen; sie liegt auf niedrigen Hügeln.

Am 26. Juni Abends gelangte ich nach Napoleon.

Ich hatte nun von der Mündung des Mississippi bis Napoleon an 700 Meilen gemacht, ohne auf dieser langen Strecke eine Ansicht zu finden, die mich nur im geringsten angesprochen, viel weniger bezaubert[S. 34] hätte. Der Strom als solcher ist erhaben: er gleitet majestätisch zwischen den reichen Urwäldern dahin; allein die fortdauernde Einförmigkeit seiner Ufer wird nur zu bald ermüdend, und man ist froh, die Fahrt auf dem raschen Dampfer zu machen. Die ersten hundert Meilen von Neu-Orleans an bieten nichts als große Pflanzungen von Zucker, Mais, Baumwolle in weiten Ebenen, die im Hintergrund von Waldungen begrenzt sind. Später werden die großen Pflanzungen seltener und kleiner, die Waldungen vorherrschend. Letztere sind zwar dicht und hübsch, aber Riesenstämme haben sie nicht aufzuweisen. Bei Baton-Rouge zeigen sich die ersten Hügelbildungen, Höhen von fünfzehn bis zwanzig Fuß, die sich aber bald wieder in den Ebenen verlieren. Bei Vicksburg erscheinen sie wieder auf eine kurze Strecke und mögen da ein Paar Fuß höher sein.

Für den Pflanzer sind diese Ansichten gewiß überaus reizend, da er sie aus einem andern Gesichtspunkte als der Reisende betrachtet, und die unermeßlichen Strecken Landes, die seinem berechnenden Geiste Nahrung und Hoffnung geben, bewundert.

Das einzige Originelle in diesem Lande mochten die Eingebornen gewesen sein, die aber, seit die Weißen hier hausen, beinah gänzlich verschwunden sind. Kein Wig-wam steht mehr in den finstern Hainen,[S. 35] kein Indianer erscheint bewaffnet mit Bogen und Pfeil und dem Scalpirmesser an der Seite. Die wenigen Eingebornen, die man bei einigen Städtchen und Ortschaften noch sieht, kommen mir wie exotische Gewächse vor; sie waren mit Europäischen Lappen behangen und aller ihrer Volks-Eigenthümlichkeiten schon halb entfremdet.

Obgleich die Reise nur drei Tage währte, hatten wir dennoch zwei traurige Fälle an Bord. Ein Mann starb an der Cholera, und ein freier Neger, Aufwärter am Tische, schlug im Streite einen seiner Gefährten todt. Die Ursache des Streites war folgende: Der Thäter schlief nahe an der Schiffsglocke, sein Gefährte band ihm aus Scherz die Füße an dieselbe, und rief ihm hierauf zu, daß es Zeit sei, die Tafel zu decken. Der Schläfer sprang auf, setzte dadurch die Glocke in Bewegung, und bekam natürlicher Weise von dem Steuermanne einen tüchtigen Verweis. Darüber erboßt, fing er mit seinem Kameraden einen Streit an, ergriff ein Stück Holz und versetzte ihm damit über den Kopf ein paar so tüchtige Schläge, daß er ihm die Hirnschale spaltete — zwei Stunden später war der Arme todt.

Die Reisenden sprachen über diese That mit einer empörenden Gleichgültigkeit. Die Jungen von acht bis zehn Jahren gingen hin, um den Erschlagenen anzusehen[S. 36] und kamen mit heiterer Miene zurück, erzählend was sie erblickten, als wären sie Zeuge irgend einer ergötzlichen Scene gewesen. Man weiß, daß Menschenleben in Amerika nicht hoch geschätzt wird; aber das Gefühl bei der Jugend schon so frühzeitig abgestumpft zu finden, ist doch traurig.

Das Städtchen Napoleon, erst kürzlich dem Walde entstiegen, ist noch gänzlich von demselben umgeben. Ich blieb hier nur einen Tag und schiffte mich auf dem kleinen Dampfer „Thomas P. Ray“ nach Little Rock, dem Hauptstädtchen des Arkansas-Staates ein. Die Entfernung beträgt 300 Meilen, die wir in 42 Stunden zurücklegten.

Auf dem Arkansas, so wie auf den meisten Nebenflüssen des Mississippi kann man sich nur kleiner Fahrzeuge bedienen, da die Flüsse im Sommer sehr wasserarm werden, und selbst die kleinsten Dampfer müssen durch einige Monate ihre Fahrten einstellen.

Von einem großen Dampfer auf solch einen kleinen versetzt zu werden, ist ein Unterschied wie zwischen Tag und Nacht. Auf dem „Thomas P. Ray“ herrschte noch überdies wenig Ordnung. Es gab hier z. B. keine kleinen abgetheilten Schlafkabinen, sondern die Herren schliefen in einer gemeinschaftlichen Kabine, die Frauen ebenfalls. Außer mir befand sich nur eine Frau mit zwei Kindern an Bord. Man denke sich[S. 37] aber meine Verwunderung, als der Gemahl dieser Frau Abends in unsere Kabine kam und daselbst eine Schlafstelle einnahm. Wir hatten eine Hitze von 108 Grad Fahrenheit, und ich war gezwungen, die schweren Vorhänge an meiner Schlafstelle zuzuziehen. Auch Morgens mußte ich mich mühsam hinter den Vorhängen ankleiden, und so an das Waschbecken treten, wo ich mir natürlich kaum die Augen und die Fingerspitzen waschen konnte. Freilich nehmen es die Damen in diesem Lande nicht so genau wie bei uns[4]. Die Sparsamkeit war auf diesem Dampfer ebenfalls sehr groß. Dem Trinkwasser wurde nur bei Tisch ein einziges Stückchen Eis beigegeben, während man auf den großen Dampfern zu jeder Stunde des Tages Eiswasser haben konnte. — Kaffee, Thee wurde ohne Milch getrunken, obgleich wir zu verschiedenen Malen im Tage anlegten, und die Milch in diesem Lande ein so billiger Artikel ist, daß eine ganze Flasche voll nur einen Cent kostet. Das Mittagsmahl bestand am ersten Tage aus gebratenen Hühnern mit Kartoffeln,[S. 38] am zweiten gar nur aus etwas Schinken mit Kartoffeln. Dabei waren die Preise höher, als auf den Prachtdampfern, die den Mississippi befahren.

Die beiden Ufer des Arkansas sind von dichten Waldungen eingesäumt, die sich noch über den größten Theil des Landes zu erstrecken scheinen. Der Fluß selbst ist so voll von hervorragenden oder, was für die Schiffe noch gefährlicher ist, kaum mit etwas Wasser überdeckten Baumstämmen, daß es der größten Vorsicht bedarf, hindurch zu steuern. Nachts wird nur bei hohem Wasserstande und hellem Mondscheine gefahren.

Little Rock zählt 3000 Einwohner und gleicht mehr einem niedlichen Walddorfe, als einem Städtchen; die Häuser liegen weit von einander, meistens mitten in Gärten und Gebüschen.

Ich fand hier als größte Merkwürdigkeit ein musikalisches Talent, ein sechsjähriges Mädchen, Marie Schaar, von deutschen Eltern, das erst seit fünf Monaten Klavierunterricht, und noch dazu sehr schlechten erhalten, und zum Erstaunen richtig und gut spielte. Jede Melodie, die man ihm einige Mal vorsang, spielte es nach, das Accordion behandelte es meisterhaft, obwohl es darauf gar keinen Unterricht bekommen hatte. Schade, daß das schöne Talent in dem kleinen Städtchen schwer eine höhere Ausbildung erlangen dürfte!

[S. 39]

Ich mußte in Little Rock bis 1. Juli auf den niedlichen Dampfer „Colonel Drennen“ warten, der von hier nach Fort Smith (300 Meilen) fuhr. Auf diesem Dampfer war mehr Ordnung und eine hinreichend gute Kost.

Die Fahrt auf dem Arkansas gefiel mir ungleich besser, als jene auf dem Mississippi. Der Arkansas ist zwar als Fluß mit jenem gar nicht zu vergleichen; im Gegentheil ist sein Wasserreichthum so geringe, daß die Dampfer häufig auf Sandbänke auffahren und nur mit großer Mühe wieder flott gemacht werden können. Das Auge aber hat hier, wegen der vielen und häufig aufsteigenden Hügel- und Bergketten (wenn auch diese von keiner bedeutenden Höhe), einen weiten und abwechselnden Spielraum; es herrscht nicht die tödtende Einförmigkeit wie auf dem Mississippi. Die Umgebung ist hier ebenfalls noch wilde Natur — Wald, wohin das Auge blickt; nur hie und da erscheint ein kleines Maisfeld, gleich einem vorgeschobenen Posten der Cultur. Aermliche Holzhütten liegen unter den Bäumen halb versteckt; selten wird man einen ihrer Bewohner ansichtig. Niedere Hügelreihen treten auf, höhere Berge hinter ihnen. Schön nimmt sich eine Felsenparthie aus, sechs bis acht Meilen hinter Little Rock, von den Amerikanern mit Unrecht „Big-Rock“ (großer Felsen) genannt, denn ihre Höhe übersteigt[S. 40] nicht dreißig bis vierzig Fuß. Noch schöner sind die Dardanellen[5]. Felsen von ungefähr vierzig bis fünfzig Fuß Höhe stehen gleich Soldaten in Reihen an beiden Seiten des Flusses. Die Reisenden waren alle entzückt von diesem großen Naturwunder und meinten, daß es in der Welt nichts Schöneres geben könne. Im Hintergrunde zeigt sich der 500 Fuß hohe Berg Magazine, der höchste der ganzen Umgebung; er zeichnet sich durch einen langen, schmalen, ebenen Rücken von allen andern Bergen aus.

In diesen Gegenden, wo man selten an einem Städtchen oder Oertchen vorüberfährt, wo alles noch wilde Natur ist, wo man nicht einmal die fällende Axt hört, hier machte es auf mich einen eigenthümlich erhabenen Eindruck, das große Kunstwerk menschlichen Schaffens, den Dampfer, stolz dahinbrausen zu sehen. Wenn seine Schaufelräder inne hielten, herrschte Todtenstille rings umher.

Obwohl die Wälder überall dicht und üppig stehen, die wenigen Maisfelder schöne Früchte tragen, behauptet man dennoch, daß der Staat Arkansas nicht unter die fruchtbaren zu zählen sei, und daß es deßhalb[S. 41] so wenig Ansiedlungen gäbe. Einst, wenn Amerika das traurige Schicksal Europa’s haben und übervölkert sein wird, dürften sich die Züge der Einwanderer auch nach Arkansas wenden. Jetzt hat man es noch nicht nöthig, mit dem Lande zu sparen, da es für den üppigsten Boden noch zu wenig Hände gibt.

Die Gesellschaften, die ich bisher auf den Dampfern traf, schienen eben nicht zu den gebildetsten zu gehören. Allgemein lachte man mich aus, wenn ich, während Holz geladen wurde, in den Wald ging, um Insekten zu fangen. Von einem Museum hatte selten jemand einen Begriff. Den ganzen Tag über wurde nichts als geplaudert; was die Leute in den Gasthöfen zu wenig sprachen, brachten sie hier ein. Man forschte mich mit großer Neugierde über meine Familienverhältnisse aus, man fragte mich, zu welcher Religion ich gehöre, wer mir das Geld zum Reisen gäbe, warum ich so große Reisen mache u. s. w. Nebstbei waren die Leute etwas gar zu ungezwungen. Wenn ich in einem Buche las, nahm man mir es ohne zu fragen aus der Hand, um den Titel, oder, wenn es Bilder enthielt, diese anzusehen. Während ich las, oder auf der Gallerie war, ging man ohne Umstände in meine Kabine, nahm die Insekten in die Hand und besah sie nicht bloß, sondern verdarb mir auch gar vieles. Am lästigsten aber waren die Kinder: die schrieen und[S. 42] lärmten um die Wette, wenn die Eltern nicht gleich thaten und erlaubten, was sie wünschten. Ich finde nichts schlechter, als Kindern die Erfüllung ihrer Wünsche erst zu verweigern, und wenn sie recht schreien und lärmen, dieselben am Ende doch zu gestatten. Sagt man den Kleinen: „Ja“ oder „Nein,“ so soll es dabei bleiben; das Kind wird dann schnell begreifen lernen, daß ihm die Unarten zu nichts helfen.

Ein anderer Fehler der Amerikanischen Erziehung ist es, den Kindern so frühzeitig das Benehmen und die Gewohnheiten der Erwachsenen beizubringen. In manchen Ländern Europa’s bleiben die Kinder zu lange Kinder, was auch nicht gut, aber doch besser ist, als sie um ihre Kindheit ganz zu betrügen. Hier benimmt sich das achtjährige Mädchen schon wie eine angehende Frau, der zehnjährige Knabe wie ein erwachsener Jüngling. Das Mädchen heirathet in den südlichen Staaten oft schon im zwölften Jahre, die Knaben treten mit demselben Alter in das Geschäftsleben ein. In einigen der südlichen Staaten erlaubt sogar das Gesetz die Trauung zwölfjähriger Mädchen, welche dem elterlichen Hause entlaufen sind. Das Kind hat nur zu sagen oder zu beschwören, daß es dieses Alter habe, und wird von dem Priester getraut. Solche Ehen, die nicht selten vorkommen, heißen „Run away matches.“

Eine natürliche Folge dieser Kinder-Emancipation[S. 43] ist, daß nicht nur die wissenschaftliche Ausbildung der Jugend vernachlässiget wird, sondern daß auch bei den Mädchen die Kindlichkeit, Bescheidenheit, bei den Frauen die zarte Weiblichkeit, die größten Zierden unseres Geschlechtes, nur zu häufig verloren gehen.

Es gibt vielleicht in keinem Lande der Welt so viel öffentliche und Privat-Unterrichts-Anstalten, wie in den Vereinigten Staaten; dennoch kamen mir, wenigstens bisher, nicht viele gründlich gebildete Mädchen oder Frauen vor; denn ein Bischen Klavier klimpern, singen oder einige Französische Worte herplappern, nenne ich keine Bildung. Die größere Zahl begnügt sich mit einem oberflächlichen Anflug des Wissens, womit sie aber die echt republikanische Kühnheit verbindet, denselben überall zur Geltung zu bringen. So erschrack ich immer, wenn ich ein Klavier auf einem Dampfer sah. Jung und Alt setzte sich ohne Scheu hinzu; das Geklimper, der sogenannte Gesang nahmen den ganzen Tag kein Ende. Eben so wenig Kenntniß hatten sie von der Geographie. Wenn man mich fragte (was Hunderte thaten), von welchem Lande ich nach den Vereinigten Staaten gekommen, wo ich geboren sei u. s. w., und ich antwortete, ich sei von Peru gekommen, in Wien geboren, wußten sie weder wo Peru, noch wo die Stadt Wien liegt. Außer ihrem eigenen Lande kennen sie wenig von der Welt, von[S. 44] Europa kaum mehr als Paris und London, vielleicht einiges von Deutschland, und seit dem Kriege der Russen mit den Türken wohl auch St. Petersburg und Constantinopel. In den vielen Schulen, in welchen ich von den untersten bis zu den obersten Klassen Prüfungen aus der Geographie beiwohnte, hörte ich nichts als Fragen über die Vereinigten Staaten; man hätte glauben mögen, daß es gar keine andern Länder gäbe.

Zu Anfange befremdete mich dieses oberflächliche Wissen sehr, um so mehr, als mich die Eltern versicherten, daß ihre Kinder schon mit vier Jahren die Schulen besuchten. Später sah ich wohl, woher es kam. Die meisten Eltern besitzen selbst keine höhere Bildung und glauben für die Erziehung ihrer Kinder genug zu thun, wenn sie dieselben nach der Schule senden. Die Mütter in der wohlhabenden Klasse sind wenig für Häuslichkeit erzogen; sie verbringen den größten Theil des Tages im Rocking-chair schaukelnd, eine Novelle lesend, oder einen Spaziergang machend, die Kaufläden besuchend, in welch letzteren sie Stunden zubringen, um die schönen Waaren zu besehen. Für Kinder-Erziehung Sorge zu tragen, dieselbe zu überwachen, haben sie weder Lust noch Zeit. In der Schule selbst werden die Kinder nicht sehr zum Arbeiten angehalten, denn beklagt sich das Kind über die Schule,[S. 45] über den Lehrer, so wird ihm stets Recht gegeben, und wünscht es die Schule, die es besucht, mit einer andern zu vertauschen, so erfüllt man seinen Willen. In Folge dieses Verfahrens sind die Lehrer gezwungen, gegen die Kinder weder Strenge noch Ernst zu gebrauchen, und sie wie erwachsene Leute zu behandeln. Thäten sie es nicht, so würden ihre Schulen bald leer sein.

Als ich dieß alles gesehen und beobachtet hatte, befremdete mich das oberflächliche Wissen der Kinder nicht mehr; im Gegentheile, es wunderte mich, sie doch noch so unterrichtet zu finden, als es der Fall war.

In Fort Smith angekommen, fand ich keine Gelegenheit mehr, die Reise zu Wasser fortzusetzen; der Fluß war schon zu seicht geworden. Ich miethete ein Pferd, um nach Fort Gibson (achtzig Meilen), in dessen Nähe die Cherokee-Indianer leben, zu reiten; allein in der Nacht hatte ich wieder einen Anfall des hartnäckigen Sumatra-Fiebers und mußte der Reise entsagen.

Die Cherokee-Indianer zeichnen sich vor allen übrigen durch Schönheit und Bildung aus. Sie leben in Ortschaften und Städtchen, haben eine konstitutionelle Regierungsform, gute Schulen und senden ihre Söhne häufig in Amerikanische Handelshäuser; sie geben sogar eine Zeitung heraus. Ihr Häuptling ist mit einem[S. 46] weißen Mädchen aus guter Familie verheirathet. — Eine Ehe mit einem Indianer wird nicht als entehrend angesehen.

Ich traf in Fort Smith viele dieser Indianer, die theils in Handelsgeschäften, theils zum Vergnügen dahin gekommen waren. Mehrere speisten in dem Gasthofe, in welchem ich wohnte. Sie sprachen etwas Englisch und benahmen sich recht anständig; nur nahmen sie manchmal einzelne Stücke aus der Schüssel und führten sie gleich zum Munde; sie aßen mit Messer und Gabel. Ihre Gestalt und Gesichtsbildung war durchgehend hübsch; man hätte die meisten für Europäer halten können, wäre ihre Hautfarbe etwas lichter gewesen; diese aber war nicht hübsch, entweder lederartig oder schmutzig lichtbraun. Männer wie Weiber trugen Europäische Kleidung, manche der Männer über die Kleider eine Art weite, kurze Blouse mit reich garnirten großen Krägen; einer hatte ein zusammengedrehtes Tuch gleich einem Kranze um den Kopf geschlungen. Die Männer waren alle hübscher, als die Weiber.

Während meines Aufenthaltes zu Fort Smith, am 4. Juli, wurde das Fest der Unabhängigkeit-Erklärung gefeiert, bei welcher Gelegenheit ein Negerball statt fand, an dem Freie wie Sklaven Theil nahmen. Sie waren alle Europäisch gekleidet, die Männer schwarz[S. 47] mit weißen Halsbinden und Westen, die Weiber und Mädchen in Tüll und andern hübschen weißen Stoffen; auch an Goldketten und Geschmeiden fehlte es nicht, eben so wenig an Bändern und Blumen in den Haaren. Der Saal war schön geschmückt und beleuchtet, der Speisen gab es in Fülle. Es machte einen höchst komischen Eindruck, alle die farbigen und schwarzen Gesichter in dem Europäischen Putze zu sehen.

Von dem bösen Fieber befreit, ging ich nach wenigen Tagen wieder nach Napoleon zurück, wo ich mich auf dem prachtvollen Dampfer „Crescent-City“ auf dem Mississippi einschiffte; der Kapitän Mr. John nahm ebenfalls keine Bezahlung von mir an.

Die Ufer des Mississippi blieben fortwährend von gleicher Einförmigkeit — dichte unermeßliche Waldungen deckten die Ebenen; man hatte gar keinen Anhaltspunkt einer hübschen Ansicht; nirgends bedeutende Pflanzungen. Dem Vorübersegelnden zeigten sich nur erbärmliche hölzerne Hütten, bei welchen Holz für die Dampfer zum Verkaufe aufgeschichtet lag.

Oberhalb des Städtchens Memphis stiegen die Ufer des Mississippi in senkrechten Sandwänden zu einer Höhe von fünfzig Fuß empor. Diese Strecke gilt als eine der schönen Scenen des Stromes. Der gute Kapitän John rief mich auf die Gallerie, dieses Naturwunder zu besehen; die Entzückungen unter den[S. 48] Reisenden nahmen kein Ende. Nach einer Strecke von einigen hundert Schritten fällt die Natur schon wieder erschöpft in ihre frühere Einförmigkeit zurück.

Bei Jeddo (300 Meilen unterhalb St. Louis, also 1000 Meilen von der Mündung des Flusses), einem Städtchen mit einem großen, schönen katholischen Collegium, einer katholischen Kirche in Gothischem Style und mehreren bedeutenden Ziegelhäusern, hat man zum ersten Male hübschere Ansichten. Der Strom wird durch liebliche Inselchen in Arme getheilt, bildet hie und da große Buchten gleich einem See, und kleine Hügelketten erscheinen im Hintergrunde. Leute, die in ihrem Leben nichts anderes als die unteren Gegenden des Mississippi gesehen haben, mögen freilich diese Ansichten hinreißend schön finden; aber mit den Donau-Gegenden z. B. halten sie keinen Vergleich aus.

Bei dem Städtchen Cairo (280 Meilen unterhalb St. Louis) mündet der Ohio in den Mississippi. Sein Wasser ist rein, von schöner, grünlicher Farbe. Eine gute Strecke noch vor der Mündung kann man den Kampf der beiden Gewässer beobachten. Erst tauchen nur einzelne Wogen des trüben Mississippi in dem klaren Ohio auf, bald werden sie häufiger und häufiger und endlich geht das Reine ganz verloren. Das böse Princip erringt hier, wie meistens im irdischen Leben, die Oberhand.

[S. 49]

Das Städtchen Cairo liegt auf einer Erdzunge zwischen den beiden Strömen. Alle diese Amerikanischen Städtchen oder Ortschaften gleichen sich: man sieht ihnen die Eile, die Hast an, mit der sie gegründet wurden. Sie bestehen meistens aus zerstreut umherliegenden Häuschen, die von einfachen Bretterwänden zusammen gezimmert, klein und beschränkt, mit Zimmerchen gleich Zellen versehen sind. Die dünnen Bretterwände halten weder im Winter die Kälte, noch im Sommer die glühende Hitze ab[6]. Aber an diesem und jenem Platze will sich der Amerikaner ansiedeln, mit dem Willen beginnt er auch schon die That und baut natürlich nur, was die höchste Notwendigkeit erfordert. Steigt sein Bedarf, so vergrößert er allmählich seinen Bau; auch findet er oft nach kurzer Zeit den Platz seinen Wünschen und Hoffnungen nicht entsprechend, oder sein spekulirender Geist sehnt sich nach etwas anderem; er verläßt plötzlich alles, selbst wenn es ihm gut ergangen war, um sich an einem andern Orte niederzulassen. Die Amerikaner nennen dieß „move.“ Ich traf auf dem Dampfer mehrere dergleichen „movende Familien,“ die mir selbst gestanden, daß sie ihre Ansiedelungen[S. 50] aus keinem anderen Grunde verließen, als weil sie schon einige Jahre darin gelebt hatten.

Am 14. Juli erreichten wir die Stadt St. Louis, die erst einige Meilen früher sichtbar wird, da der Strom beständig große Krümmungen macht. Der Anblick der gleichförmigen Häusermasse, die sich dem Strome entlang an einer kleinen Erhöhung ausbreitet, bietet eben nichts überraschendes. Die großen Amerikanischen Städte besitzen wohl schöne Gebäude und viele Kirchen; aber man sieht diese erst, wenn man durch die Straßen wandelt; hervorragende schöne Kuppeln, hohe, majestätische Thürme gibt es nur sehr wenige. Die nahe Umgebung von St. Louis ist sandig, die Waldungen liegen mehrere Meilen entfernt; das Land ist eben.

Ich stieg hier bei Herrn Charles Boyce, Richter (judge) in Louisiana ab. Ich hatte diesen Herrn, wie seine Familie, in Neu-Orleans kennen gelernt, bei welcher Gelegenheit er so gütig war, mich in sein Haus einzuladen, weil er wußte, daß ich im Sinne hatte, nach St. Louis zu gehen.

Die Stadt St. Louis zählt gegen 120,000 Einwohner, eine überraschend große Bevölkerung für die kurze Zeit ihrer eigentlichen Entwicklung, denn noch vor zehn bis fünfzehn Jahren hatte sie kaum einige Tausend. Unter den Gebäuden sind, wie in allen Amerikanischen Städten, die Banken, die Gasthöfe, das[S. 51] Zollhaus u. s. w. die bedeutendsten; auch unter den Privatgebäuden gibt es schöne; so steht z. B. in der vierten Straße[7] ein Haus, ganz aus weißem Marmor gebaut, der in der Nähe der Stadt gebrochen wird. Die katholische Kirche ist einfach, aber sehr hübsch. Mein erster Gang war dahin, denn ich hatte von ihr in dem Directory of St. Louis vom Jahre 1854 folgendes gelesen: „Die Kathedrale von St. Louis hat keine Nebenbuhlerin in den Vereinigten Staaten hinsichtlich ihrer Pracht, des Werthes und der Zierlichkeit ihrer heiligen Gefäße, ihrer Gemälde und Verzierungen, und gewiß haben wenige Kirchen in Europa werthvollere Gegenstände aufzuweisen. Sie besitzt Gemälde von Rubens, Raphael, Guido, Paul Veronese und eine Zahl anderer von den neuesten Meistern der Italienischen Schule.“ — Ich hoffte dieser Beschreibung nach eine kostbare Bildergallerie nebst andern großen Schätzen zu sehen; aber zu meinem Erstaunen fand ich von allen diesen Kostbarkeiten und Meisterwerken nichts, vier Oelgemälde ausgenommen, von welchen jedoch nur eines der älteren Zeit zuzuschreiben sein mochte. Ich weiß, daß wohl gar manche Reisende die Gewohnheit haben, mehr Poesie als Wahrheit in[S. 52] ihre Beschreibungen zu flechten; aber eine ähnlich starke Lüge ist mir bisher doch noch nicht vorgekommen.

Das Gefängniß ist aus massiven Steinen aufgeführt. Das Innere besteht aus einer großen Halle, um welche die Zellen in zwei Stockwerken laufen. Die Zellen sind für zwei Personen; sie besitzen gar keine Einrichtung, nicht einmal einen Schragen zum Schlafen — eine Kuhhaut vertritt dessen Stelle. Der Gefangene kann sich, so lange er nicht abgeurtheilt ist, mit seiner Börse alle Annehmlichkeiten verschaffen, was nach gefälltem Urtheil nicht mehr erlaubt ist. Allein ich sah doch bei manchen Abgeurtheilten mehr Comfort als bei andern. Leider ist der goldene Schlüssel in den freien Staaten so mächtig, wie überall in der Welt.

Die Gefängnißkost wäre nicht schlecht gewesen; allein die Bereitung und die Art, auf welche man die Speisen den Leuten gab, fand ich unsauber und unpassend — man fütterte sie wie Hunde ab. Ein großer Kübel, in welchem alles zusammen geschüttet war, wurde in die Halle gebracht, ein ekelhaft schmutziger Neger faßte vor jeder Zelle mit einem Löffel, wohl auch mit der Hand einige Brocken heraus, warf sie in ein Geschirr, und schob dieses durch eine kleine Oeffnung in der Thüre dem Verbrecher zu.

Die Luft in der Halle war sehr unrein: wenn man an die Zellen kam, mußte man die Nase zuhalten. Die[S. 53] Hinrichtungen (Aufhängen) finden in dem Hofe des Gefängnisses statt.

Von Lehr- und andern Anstalten, als: für Kinder, die man von der Straße aufliest, für alte arme Leute, für Mädchen und Frauen, die sich bessern wollen u. s. w., besah ich manche, die ich alle sehr zweckmäßig und trefflich eingerichtet fand. In dieser Hinsicht, besonders was die Anstalten für Arme anbelangt, wird in den Vereinigten Staaten sehr viel gethan. Viele Vereine bilden sich unter den Frauen, die emsig nachsehen und alles sehr genau überwachen. In diesem Punkte kann man den Amerikanischen Frauen wahrhaftig des Lobes nicht genug nachsagen.

Die Zuckerraffinerie des Herrn Belcher ist sehenswerth, da sie die größte im Westen ist: es werden wöchentlich bei 600 Tonnen[8] Syrup (Melasses) in raffinirten Zucker verwandelt. Herr Belcher beschäftigt gegen 700 Menschen nebst 140 Pferden und Maulthieren. Ich sah hier einen der tiefsten artesischen Brunnen, die bisher gegraben wurden: seine Tiefe beträgt 2200 Fuß. Man war zwar auf eine sehr starke Quelle gekommen, sie enthielt aber so viel Schwefel, daß man sie nicht benützen konnte; es wird daher mit der Bohrung des Brunnens noch fortgefahren.

[S. 54]

Die Markthalle ist groß und hübsch, steht aber jener von Neu-Orleans weit nach.

Der Friedhof Belle Fontaine ist einer der schönsten von allen, die ich bisher gesehen. Er besteht aus einem prachtvollen Naturparke von vielen hundert Acres Landes, in welchem die Kunst nichts anderes zu thun hatte, als das Untergebüsch zu vertilgen, den Wald ein wenig zu lichten und den Grasboden zu cultiviren. Auf diesem Friedhofe werden nur Plätze für Familiengräber um theure Preise verkauft. Die Plätze sind mit zierlichen leichten Eisengittern eingefaßt und mit Blumen geschmückt, in deren Mitte kunstvolle Marmor-Monumente aufsteigen, von welchen manche in Italien gearbeitet worden sind. Bis jetzt gibt es noch wenige Grabesplätze. Der ganze Park ist von schönen Fahr- und Gehwegen durchschnitten, und ein Spaziergang dahin sehr lohnend. Schade, daß es keine Bänke gibt, um sich mit einem Buche allda länger aufhalten zu können.

Ich blieb einige Wochen in dem Hause des Herrn Boyce und war während dieser Zeit sehr aufmerksam auf die Behandlung der Dienerschaft, die aus lauter Sklaven bestand. Zu meiner großen Freude fand ich, daß die Leute behandelt wurden, als gehörten sie zur Familie, ja meiner Ansicht nach wurden sie sogar zu wenig mit Arbeit beschäftiget: ein Halbdutzend Sklaven[S. 55] arbeitete nicht so viel, als bei uns zwei Dienstleute. Die Kleidung, die Kost war gut und hinreichend. Freilich gehörten auch Herr und Frau Boyce zu den trefflichsten Menschen und ihre Kinder zu den sehr wohl erzogenen. Glücklich wäre das Loos der Sklaven, würden sie überall so gehalten!

Ich machte von St. Louis einen kleinen Ausflug nach dem Städtchen Highland (32 Meilen) in dem Staate Illinois, jenseits des Mississippi gelegen. Zu diesem Ausfluge mußte ich einen Platz in der Postkutsche (Stage-coach) nehmen, welche Art zu reisen die unbequemste und lästigste ist. Der sonst mit der Zeit so geizende Amerikaner hat da eine mehr als himmlische Geduld. So ist es z. B. gebräuchlich, daß sich die Reisenden nicht an dem Orte der Abfahrt einfinden, sondern der Wagen fährt vor jedes Haus sie abzuholen, eine Einrichtung, die sehr langweilig ist und in großen Städten vielen Zeitverlust verursacht. Man fährt oft ein Paar Stunden kreuz und quer, ohne daß die eigentliche Reise begonnen hat. Eben so zeitraubend geht das Umspannen vor sich: die Pferde sind nicht bereit, die Herren treten in die Schenke, und so vergeht eine halbe Stunde, bevor man weiter kommt. Unterweges werden die Pferde noch überdies getränkt.

Das Städtchen Highland mit 5000 Einwohnern ist vor fünfzehn Jahren von Deutschen und Schweizern[S. 56] gegründet worden. Vor dieser Zeit war das Land rings umher noch Prairie; jetzt ist der größte Theil schön cultivirt und mit üppigen Weizen-, Hafer- und Mais-Feldern bedeckt.

Man erwies mir in Highland sehr viele Ehren[9]. Herr Bernais, ehemals bei der französischen Gesandtschaft in Wien angestellt, erwartete mich schon an der Station, und führte mich sogleich in sein Haus. Am ersten Abende brachten mir die Mitglieder des Musikvereins, am zweiten die Sänger ein Ständchen. Die Freundlichkeit und Herzlichkeit, mit welcher man mir entgegen kam, die Deutsche Sprache, die ich von allen Seiten hörte, die heimathlichen Lieder und Kompositionen, auf wirklich ausgezeichnete Weise vorgetragen, machten es mich beinahe vergessen, daß ich mich in einem fremden Welttheile befand: es war mir, als sei ein Stück von Deutschland hieher gezaubert worden.

Fünf bis sechs Meilen von Highland landeinwärts sind die Prairien noch im Naturzustande zu sehen. Man führte mich dahin; meine Begriffe waren aber anders gewesen: ich hatte sie mir, den Beschreibungen zufolge, als unübersehbare Flächen vorgestellt, mit sechs bis[S. 57] sieben Fuß hohem Grase bedeckt, durch welches der Durchgang höchst beschwerlich sei. Dem war indeß nicht so. Das Land hatte eine wellenförmige Bildung, der Boden war zwar reich bewachsen; allein selten überstiegen die Pflanzen die Höhe von zwei bis drei Fuß, und überall konnte man leicht zu Fuße oder zu Wagen durchkommen. Die Aussicht von den zwanzig bis dreißig Fuß hohen Hügeln war reizend; ich hätte nie geglaubt, daß eine Landschaft ohne Gebirge, ohne Flüsse und Seen so schön sein könnte. Die wellenförmige Bildung gestattete dem Auge eine weite Fernsicht und brachte dabei doch hinreichende Abwechslung hervor. Nette Farmhäuschen standen auf manchen Höhen, in Mitte blühender Pflanzungen; im Vordergrunde breitete sich das Städtchen aus, kleine Boskette von Frucht- und anderen Bäumen bildeten die Schlagschatten, und dunkle Waldungen faßten in weiter Ferne das ganze Bild ein!

Auf der großen Besitzung des Herrn Köpfli wurden vor einigen Jahren sogar Weingärten angelegt. Der Versuch gelang vortrefflich; allein es zeigte sich, daß der gewonnene Wein nicht die Kosten deckte und billiger aus fremden Ländern zu beziehen war; es wurde daher die Weincultur vor der Hand aufgegeben.

Ich besuchte mehrere Farms, um die Lebensweise[S. 58] der Farmer (Grundbesitzer, Bauern) kennen zu lernen. Wer so viel besitzt, sich Grund und Boden zu kaufen, ein Häuschen zu bauen und seinen Bedarf für das erste Jahr zu decken, hat in den Vereinigten Staaten gewiß die schönste Zukunft vor sich. Die Ländereien, die man in noch uncultivirten Ländern von dem Staate kauft, kosten per Acre 1¼ Dollar. Auf seinem Grunde kann der Farmer schaffen und bauen, was er nur immer will: nichts ist in diesem schönen, freien Lande Monopol, nichts ist verboten oder hoch besteuert; außer einer ganz unbedeutenden Abgabe gibt es gar keine andern Leistungen und Pflichten.

Die Farmers besorgen mit den Knechten die äußeren Geschäfte, denn nie sieht man in den Vereinigten Staaten ein Bauernweib auf dem Felde arbeiten, Gras für das Vieh heimschleppen, die Erzeugnisse nach dem Markte bringen u. dgl. Der Amerikaner hat für das weibliche Geschlecht zu viel Schonung, um ihm dergleichen schwere Arbeiten aufzubürden. Die Frauen besorgen die Hauswirthschaft, das Melken der Kühe, das Buttern u. s. w. Sie leben sehr gut und sind durchschnittlich sauber gekleidet, ja letzteres artet bei den Frauen oft nur zu sehr aus; sie erscheinen Sonntags in stattlichem Putze mit goldenen Ketten, Uhren und Ringen.

Die Kost der Farmers besteht Morgens gewöhnlich aus kaltem Fleische oder Schinken, Brot, Butter und[S. 59] Thee oder Kaffee, Mittags aus gebratenem Fleische und Kartoffeln, Abends wie Morgens aus kaltem Fleische, Thee u. s. w. Was am ersten Tage erscheint, kommt das ganze Jahr hindurch, so daß die Küche den Frauen weder viel Kopfzerbrechen noch Arbeit verursacht.

Beinahe jeder Farmer hat in seinem Hause ein nettes Zimmerchen, seine Freunde zu empfangen; trotzdem darf man aber von Gastfreundschaft nicht zu viel erwarten. Kommt man gerade zu einer ihrer Mahlzeiten, so wird man zwar eingeladen; aber außer den Eßstunden wird den Besuchern nicht einmal ein Glas Milch angeboten. Man sagte mir, daß jedermann auf Farms aufgenommen werde, aber gewöhnlich zahle, wenn er über Nacht bleibe, — worin besteht dann die gerühmte Gastfreundschaft? —

Ich kann von Highland nicht scheiden, ohne auch der liebenswürdigen Familie Bandelier zu gedenken. Jedermann, mit dem ich bekannt wurde, lernte bald meine Leidenschaft für Insekten kennen. Seit ich aber die Holländisch-Indischen Besitzungen verlassen hatte, war man nirgends so gütig gewesen, mir deren weder aus Gefälligkeit noch gegen Bezahlung zu verschaffen oder abzulassen; ja ich mußte wirklich oft über die Angst lachen, mit der man mir zuweilen ein Paar elende Stücke zeigte: die Leute fürchteten sich, mir ein Käferchen, einen Schmetterling anbieten zu müssen.[S. 60] Vergebens gab ich den geehrten Sammlern schon im voraus mein Wort, nichts zu begehren, mich mit dem Ansehen zu begnügen; aber wie es schien, trauten sie meinem Worte nicht, und jeder hatte seine Sammlung gerade vor einigen Tagen irgend einem Museum oder einem Freunde als Geschenk gesandt.

Nur der fünfzehnjährige Sohn des Herrn Bandelier machte eine Ausnahme; er zeigte mir seine Sammlung mit größter Freude, und bat mich mit wirklich rührender Innigkeit, davon zu nehmen, was ich brauchen könne.

Von Highland fuhr ich nach Libanon (10 Meilen), einem neu angelegten Städtchen, das bis jetzt noch aus nichts als aus einer kleinen Reihe hölzerner Häuschen besteht, die am Waldsaume liegen. Der größte Theil des Weges führt durch Prairien. Vier Meilen weiter liegt die Farm des Herrn Hecker. Mit Erstaunen sah ich diesen talentvollen, hochgebildeten Mann, den bekanntlich die politischen Verhältnisse zwangen, sein Vaterland (Baden) zu verlassen, sich in das Landleben fügen, als wäre er von Geburt an ein Farmer gewesen. Wenn er in seinem Farmeranzuge, mit seinem langen Barte mitten unter seine Landsleute, ja unter seine Freunde träte, niemand würde ihn erkennen. Beinahe noch mehr bewunderte ich seine Frau: sie hat sich mit derselben Ergebung und Fassung[S. 61] in die neue Lebensweise geschickt. Wie hart mag es beiden fallen, mit nichts als Feld und Vieh zu schaffen zu haben, von nichts anderem sprechen zu hören, jedes geistigen Umgangs zu entbehren?! —

Ich kehrte von diesem Ausfluge wieder nach St. Louis zurück, wo ich noch einige Tage verweilte. Am 29. Juli setzte ich meine Reise auf dem schönen Dampfer „Excelsior“ fort, der von hier nach St. Paul (825 Meilen) ging.

Kaum dreißig Meilen oberhalb St. Louis mündet der Missouri in den Mississippi, und dieser Fluß ist es, welcher dem Mississippi das schmutzige Gewässer bringt; oberhalb der Einmündung des Missouri ist der Mississippi klar und rein.

Am 30. Juli früh Morgens legten wir an dem winzigen, aus höchstens einem Dutzend kleiner Häuser bestehenden Städtchen Hamburg an, das sich ungemein reizend um einen ungefähr hundert Fuß hohen Hügel lagert.

Noch schöner ist die Lage des Städtchens Clarksville. Wir kamen an mehreren Ortschaften vorüber, die alle, wenn auch nur einige hölzerne Häuschen zählend, in der Hoffnung auf die zukünftige Größe und Bevölkerung schon jetzt „Städte“ genannt werden. Der Amerikaner lebt überhaupt so sehr in der Zukunft, daß er von der Gegenwart wenig genießt.

[S. 62]

Von Hamburg bis zu dem Städtchen Quincy, welches wir am 31. Juli erreichten, wird die Fahrt auf dem Mississippi angenehmer. Der Strom ist reich an größeren und kleineren Inseln; es zeigen sich abwechselnd Hügelketten, und die Waldungen sind ungleich schöner, da die Bäume an Höhe und Umfang zunehmen. Bei Quincy treten die Flächen wieder in den Vordergrund. Bei Keokuk wurde der Wasserstand schon so niedrig, daß der größte Theil der Ladung auf ein Schleppschiff übertragen werden mußte.

Das Städtchen Madison mit dem Fort gleichen Namens gehört schon zu den größeren und mag 3-4000 Einwohner zählen. Bedeutender noch ist Burlington, mit ziemlich großen Backsteinhäusern und breiten Straßen. Rock-Island und Davenport, einander gegenüber gelegen und nur durch den Mississippi getrennt, tragen den Namen „Stadt“ schon mit Recht. Doch haben alle diese Städte und Städtchen nichts Eigenthümliches oder Anziehendes. Das Land war auf beiden Seiten des Stromes noch wenig aufgebrochen, die Waldung nur an den Stellen gelichtet, auf welchen die Ortschaften standen; entweder wird noch wenig Land bebaut oder es geschieht dieß mehr im Innern.

Wir blieben die Nacht vor Davenport liegen. Gegen 11 Uhr erhob sich ein starker Sturm, der in[S. 63] einen Orkan auszuarten drohte. Die Blitze folgten sich unausgesetzt, der Donner grollte wild durch das Brausen des Windes. Der Kapitän und die Offiziere eilten aus ihren Kabinen auf der obersten Terrasse in die tieferen hinab, befürchtend, der Sturm möchte jene sammt dem Schornstein der Maschine mit sich fortführen, wie es bei einem ähnlichen Sturme drei Wochen früher der Fall gewesen war. Wir sahen noch am Ufer die zerstörten Kamine liegen, und am Lande ein Backsteinhaus, das durch den Orkan seines Daches beraubt worden war. Wir kamen jedoch dießmal mit der bloßen Angst davon, schon nach einer Stunde zügelte der Sturm seine Wuth und hatte bald gänzlich ausgetobt. In der heißen Jahreszeit sollen diese Gegenden öfter von Orkanen heimgesucht werden.

Am 4. August Morgens lenkten wir in das Fieber-Flüßchen und landeten unfern seiner Mündung an dem Städtchen Galena. Die Lage dieses Städtchens ist reizend: ein Theil windet sich an dem Fuße eines schönen Hügels fort, während der andere sich in malerischen Gruppen bis an dessen Spitze zieht.

Von Galena kehrten wir wieder in den Mississippi zurück, der nun schon bedeutend an Breite abnimmt, dessen Ufer aber dafür an Reiz gewinnen.

Von Neu-Orleans bis hierher bietet dieser Strom der großen, schönen Scenen wahrhaftig so wenige, daß[S. 64] ein Maler in Verzweiflung gerathen müßte, würde ihm die Aufgabe gestellt, irgend eine überraschende, reizende Ansicht davon zu liefern. Der Reisende hat für die lange Fahrt (von der Mündung bis hierher 1600 Meilen) keine andere Entschädigung, als sich an dem Gedanken zu laben, daß es doch großartig ist, zwischen diesen Urwäldern und Prairien den Rücken eines der mächtigsten Ströme der Erde von Hunderten von Dampfern befahren, in diesen Gegenden, die noch vor zwanzig Jahren größtentheils von wilden Indianern, von Bären und anderen Bestien bewohnt waren, überall Städte und Ortschaften gleich Pilzen aus der Erde entstanden zu sehen. Allerdings ist dieser Gedanke mächtig; aber schon nach wenig Tagen wird man mit den sich ewig wiederholenden Wundern so vertraut, daß man ihrer am Ende gar nicht mehr gedenkt und nur von der Einförmigkeit der Naturscenen gelangweilt wird.

In Galena vermehrte sich unsere Gesellschaft um zwei Mädchen oder Frauen von etwa zwanzig Jahren, deren Benehmen gleich zu erkennen gab, zu welcher Klasse sie gehörten. Sie sprangen umher, liefen einander nach, haschten sich u. s. w. Ich hielt mich fern von ihnen, denn noch war ich so albern, die Menschen nicht nach Farbe und Blut, sondern nach Bildung und Sittlichkeit zu schätzen. Als diese beiden Geschöpfe[S. 65] den nächsten Tag den Dampfer verließen, gingen sie ganz nahe an mir vorüber, klopften mir lachend auf die Achsel und schrieen mir in die Ohren, als wäre ich taub gewesen: „Sie gleichen unserer Großmutter auf ein Haar.“ Den Jahren nach hätte dieß wohl sein können: ich verläugne mein Alter nicht; allein die Art und Weise, in welcher mir die Mädchen dieß sagten, war so auffallend beleidigend, daß ich nicht umhin konnte, ihnen zu antworten: „Und Sie gleichen zwei Affen, die ich von meinen Reisen nach Hause gebracht habe, so vollkommen, daß ich schon dachte, Sie seien mir entsprungen.“

Ueberhaupt befand sich auf diesem Dampfer wieder eine sehr gemischte Gesellschaft. Ein Paar andere junge Frauen warfen sich bei Tische mit den abgenagten Maiskolben — die Nebensitzenden waren nicht sicher, daß ihnen ein Stück davon an den Kopf flog. Und Abends erst, wenn sich alle in den Schaukelstühlen (Rocking-chairs) wiegten, da hätte ich ein Maler sein mögen, um den Frauen ein Bild zu zeichnen, wie anmuthig sie sich in diesen Stellungen ausnahmen. Es waren zehn solcher Stühle, die Frauen schoben sie in einen Kreis zusammen, setzten sich recht tief hinein, streckten die Füße weit vor, ja manche hielten auch noch den Arm über den Kopf, und so schaukelten sie[S. 66] sich, so viel es der Stuhl zuließ. Wie unzart, wie unweiblich das aussah, ist nicht zu beschreiben.

Man sagte mir freilich, daß ich die Amerikaner nicht nach dem Benehmen auf den Dampfern beurtheilen solle.

Das will ich gern glauben. In den Gesellschaften in Neu-Orleans oder Neu-York hätte ich sie nicht so in ihrem natürlichen Gehenlassen gesehen wie auf den Dampfern. In den Gesellschaften hätte ich nicht gesehen, daß die Herren es sehr lieben, die Füße auf Stühle, ja selbst auf Tische zu strecken — ein eben so reizendes Bild, wie das der weiblichen Jugend in den Schaukelstühlen. In den Gesellschaften hätte ich nicht gesehen, wie die Leute die Achtung für sich und die Gesellschaft so ganz außer Augen setzen, daß sie in beschmutzten, ja selbst zerrissenen Kleidern, mit schmutziger Wäsche, ungeputzten Stiefeln an die Tafel kommen. In den Gesellschaften hätte ich nicht gesehen, daß selbst nett gekleidete Herren gleich Matrosen beständig Tabak kauen, daß sich gar viele ihrer Finger statt des Taschentuches bedienen, und daß sie bei Tische die Knochen des Geflügels, die Schalen der Kartoffeln u. s. w. auf das Tischtuch neben den Teller legen. In den Gesellschaften hätte ich nicht gesehen, wie unartig und naseweis sich die Kinder benehmen. Und schwerlich hätte ich in den Gesellschaften Gelegenheit gefunden,[S. 67] zu bemerken, daß die Leute gar so orthodox und von der Sucht befallen sind, alles bekehren zu wollen, was in ihr Bereich kommt. Kaum war ich oft auf das Deck eines Dampfers gestiegen, so kam schon eine Frau oder ein Herr mit der Frage daher. „Zu welcher Kirche gehören Sie?“ Ich fand diese Frage so unhöflich, so unbescheiden, daß ich meistens zur Antwort gab: „Ich bekümmere mich nichts, zu welcher Sekte Sie gehören, folgen Sie meinem Beispiele.“ Wünschte ich ein Buch zu haben, so gab man mir nicht selten religiöse Abhandlungen oder die Bibel. Ich finde nichts ungeschickter, als, wie man zu sagen pflegt, sogleich mit der Thüre in das Haus zu fallen: es gibt dieß einen ungünstigen Begriff von den Leuten, und man hört gar nicht oder mit Unwillen auf ihre Worte. Ich für meinen Theil floh diese Bekehrer wie das böse Fieber, denn nichts ist mir unerträglicher, als ein von seinem Glauben aufgeblasener Fanatiker.

6. August. Früh Morgens fuhren wir in einen kleinen See, aus dessen Mitte ein Inselchen steigt. Die Gegend war so still und romantisch, das Inselchen von der Welt so abgeschieden, daß nichts als eine Klause sammt dem Eremiten fehlte, das Bild vollkommen zu machen. Dieser kleine See ist das Vorspiel eines größern, des Pipin-Sees (zwanzig Meilen lang vier Meilen breit); beide werden von dem Mississippi[S. 68] gebildet. Die Ansicht des letzteren entschädigte mich zum großen Theile für die lange, einförmige Strom-Reise. Südwestlich ist sein Becken von einer hohen Hügelkette eingefaßt, die oft in steilen Felswänden von drei- bis vierhundert Fuß Höhe abfällt. An eine derselben, „Maiden’s-Rock“ (Mädchen-Fels) genannt, knüpft sich eine traurige Sage. Ein Indianisches Mädchen war bestimmt, mit einem ihrer Landsleute verheirathet zu werden. Da kam zufällig ein Weißer, der sich in der Gegend verirrt hatte, in den Wig-wam (Dorf) des Mädchens. Er hielt sich da einige Zeit auf, lernte das Mädchen kennen und lieben und fand Gegenliebe. Als die Eltern so wie der Bräutigam dieß bemerkten, verfolgten sie das Mädchen mit Vorstellungen und Drohungen, und suchten die Hochzeit zu beeilen, um der Geschichte ein Ende zu machen. Eines Tages, als das arme Geschöpf von dem Bräutigam besonders stark gepeinigt wurde und sich nicht zu retten wußte, floh es auf den Fels und stürzte sich in den See, der den Körper nur als Leiche wiedergab.

Die anderen Seiten des Sees sind theils von Hügeln, theils von sanft aufsteigenden, gut kultivirten Flächen umgeben, deren Hintergrund eine niedere Bergkette bildet. Städtchen, einzelne Farms liegen an den Ufern. Ich konnte des Anblicks der reizenden[S. 69] Landschaft, des schönen Wasserspiegels nicht müde werden, und zu schnell fuhren wir in den dritten See ein, den St. Croix, welcher von dem Flusse gleichen Namens gebildet wird und noch länger, aber bedeutend schmäler als der Pipin-See ist. Gleich einem langen, weißen Tuche schlingt er sich zwischen Hügeln, Flächen und Wäldern durch, und gestattet kaum einigen kleinen Inseln Raum in seinem Bette. Auch seine Ufer sind schön und abwechselnd.

Am 7. August Morgens trafen wir in St. Paul ein.

[4] Später, als ich auf dem Ohio fuhr, rief eines Morgens eine junge Dame einen Herrn in den Damensalon, mit welchem sie keineswegs in naher Verwandtschaft stand, denn sie nannte ihn „Mister“ (Herr) und er sie „Miß“ (Fräulein), und ließ sich von ihm ohne Umstände das Kleid zuschnüren, obwohl eine Dienerin und viele Frauen da waren, die ihr denselben Dienst hätten leisten können.

[5] Die Amerikaner pflegen Gegenden, Berge, Städte, Ortschaften mit den Namen der berühmtesten Gegenden, Gebirge, Städte oder selbst Personen der ganzen Welt aus alter und neuer Zeit zu benennen.

[6] Bekanntlich ist in den Vereinigten Staaten im Sommer die Hitze, im Winter die Kälte viel heftiger als in andern Ländern, die unter denselben Breitegraden liegen.

[7] Viele Straßen sind in den Amerikanischen Städten durch Nummern bezeichnet.

[8] Eine Tonne gleich zwanzig Centner.

[9] Man verzeihe mir, wenn ich dergleichen erwähne; es geschieht aber nur in der Absicht, allen den guten Menschen, deren ich auf meinen Reisen unter allen Nationen so viele traf, meine dankbare Erinnerung zu bezeigen.

[S. 70]

Zwanzigstes Kapitel.

St. Paul. — Die St. Antony-Fälle. — Die Pelzjäger. — Die Fahrt in der Postkutsche. — Stillwater. — St. Croix. — Rückkehr nach Galena. — Amerikanische Geduld. — Chicago. — Der Michigan-See. — Milvaukee. — Die unterirdische Eisenbahn. — Die Mormonen. — Der Lake Superior. — Die Indianer. — Der Huron- und Erie-See. — Cleveland. — Niagara-Falls-Village.

St. Paul ist das Hauptstädtchen des Minnesota-Distriktes. Es besteht aus zwei Theilen, von welchen der eine, der untere, an dem Ufer, der andere (obere) auf Hügelland liegt. Dieses Städtchen, erst vor fünf Jahren entstanden, nimmt, wie fast alle Anlagen in diesem Distrikte, mit überraschender Schnelligkeit zu: es zählt bereits über 5000 Einwohner, und zwischen den hölzernen Häuschen stehen schon gar manche stattliche Backsteingebäude. Bis auf zwei Meilen im Umkreise gibt es hübsche Landhäuser, die in jung gepflanzten Gärten, in neu aufgebrochenem Lande liegen.

[S. 71]

Der Distrikt Minnesota ist den Vereinigten Staaten noch nicht als Staat eingereiht. Eine Masse Landes muß, um als Staat anerkannt zu werden, von einer gewissen Anzahl Weißer bewohnt sein (sechzig- bis hunderttausend). So lange dieß nicht der Fall ist, bleibt sie „Distrikt.“ In den Distrikten kann sich jedermann ansiedeln, Land aufbrechen so viel und wo es ihm gefällt, man bedarf keiner Bewilligung hierzu, hat nicht das geringste dafür zu bezahlen und ist ganz steuerfrei; wird aber der Distrikt als Staat erklärt, so muß man für das in Besitz genommene Land 1¼ Dollar per Acre bezahlen oder es abgeben. Bevor der Distrikt zum Staate wird, entscheiden die Einwohner durch Stimmenmehrheit für oder gegen die Einführung der Sklaverei. Von Minnesota weiß man schon jetzt, daß die Sklaverei nicht eingeführt wird, was nicht so sehr aus Menschenliebe geschieht, als in Folge der klimatischen Verhältnisse. Das Klima ist gesund und für die Europäischen Einwanderer vollkommen geeignet; sie können hier so gut alle Feldarbeit bestellen, wie in ihrer Heimath, und wo dieß der Fall ist, kommt die Arbeit billiger zu stehen, als mit Sklaven.

Der Distrikt Minnesota hat 166,000 Quadratmeilen oder 106 Millionen Acres Land; er wurde, obwohl den Weißen schon seit mehr als hundert Jahren bekannt, doch eigentlich erst im Jahre 1849 von[S. 72] der Regierung mit einiger Aufmerksamkeit untersucht und für sehr fruchtbar erklärt. Sie kaufte den Eingebornen das Land ab, kleine Strecken ausgenommen, und schickte sie größtenteils nach dem Indianer-Territorium. Die Regierung bezahlt den Indianischen Häuptlingen gewöhnlich per Acre fünf bis sechs Cents, ungefähr eben so hoch belaufen sich die Kosten der Bemessung, Unterhandlung, Versendung der Eingeboren, Geschenke u. s. w., so daß ihr der Acre Landes auf zehn bis zwölf Cents zu stehen kommt. Sie verkauft ihn dann, wie gesagt, zu 1¼ Dollar.

Seit einigen Jahren bevölkert sich Minnesota mit reißender Schnelligkeit und dürfte in kurzer Zeit zum Staate wenden. Im Jahre 1852 zählte man kaum zwanzigtausend Weiße; in dem darauf folgenden Jahre ergab sich schon beinahe die doppelte Zahl.

Bisher sind die einzigen Ausfuhrartikel Bretter und Bauhölzer aller Gattung, die erst nach St. Louis verflößt werden, von wo man sie weiter versendet. Man kann sagen, daß in diesem Lande Dampf- und Wasser-Sägemühlen an Stellen arbeiten, wo man beinahe noch die rauchende Hütte des Indianers, die Spuren des wilden Büffels, des flüchtigen Hirsches gewahrt. Hier ist der Menschenfleiß mit der Natur im regsten Kampfe. Ich glaube kaum, daß je ein Land so schnell angegriffen wurde, wie Minnesota.[S. 73] Es wird zwar noch viel an Getreide, Kartoffeln u. s. w. von den Nachbarstaaten eingeführt, weil die Ansiedler noch zu sehr mit der Lichtung der Wälder, mit den Sägemühlen beschäftigt sind; doch hofft man schon in wenig Jahren nicht nur den eigenen Bedarf zu decken, sondern sogar auszuführen, da der Boden sich als außerordentlich fruchtbar zeigt.

Schönes, glückliches Land, das jedem Auswanderer mit gutem Gewissen zu empfehlen ist, besonders solchen, die kräftige Hände, Arbeitsliebe und Ordnungssinn mitbringen! Hier kann der Ansiedler auf baldigen Lohn hoffen, das Klima ist nicht tödtend, die Arbeit nicht so beschwerlich und langjährig, wie in manchen andern Ländern, wo oft erst die Kinder den Fleiß der Eltern ernten.

Ich kam nach St. Paul mit einem Empfehlungsbriefe an Herrn Holingshead, der sich sein Haus eine kleine Strecke von der Stadt auf einem Hügelchen gebaut hat, von welchem er das reizendste Rundgemälde überblickt. Das ganze Land ist wellenförmig und noch von großen Prairien und mächtigen Wäldern bedeckt. Die wellenförmige Bildung gestattet ausnehmend weite Fernsichten. Ein Hügel, welchen mir Herr Holingshead zeigte, soll hundert Meilen im Umkreise sichtbar sein und den verirrten Wanderern als Leitstern dienen.

[S. 74]

Herr Holingshead war so freundlich, mich sogleich zu einer Fahrt nach den berühmten Wasserfällen des Mississippi (den St. Antony-Fällen, 9 Meilen) einzuladen. Die lieblichsten Wege führen dahin über Ebenen und Hügel, zwischen Prairien, Bosketten und neu aufgebrochenen Feldern, in deren Mitte der kürzlich angekommene Farmer vorläufig seine Bretterhütte aufgeschlagen hat. Jeder Schritt, der mich den Fällen näherbrachte, steigerte meine Neugierde, denn ich hatte sie von den Amerikanern als höchst merkwürdig schildern hören. Ich konnte zwar keine mächtige Wassermasse erwarten, da der Fluß so seicht war, daß wir kurz vor seinen Fällen durchfahren konnten; doch war seine Breite noch ziemlich bedeutend; was an Wasserfülle mangeln mochte, hoffte ich an Höhe ersetzt zu sehen. Bald stand ich vor den Fällen, über alle Maßen erstaunt — aber nicht über deren Großartigkeit, sondern über deren Unbedeutendheit. Ueberdieß gab es nicht mehrere, sondern nur einen Fall. Die Höhe des Sturzes mochte kaum zwanzig Fuß betragen, die Breite war zwar bedeutend, aber eben dadurch verlor sich die Höhe noch mehr. Zudem war der Fall durch eine Brettermühle und durch eine Menge angeschwemmter Baumstämme sehr verunstaltet. Das schönste ist die Felswand, über die er sich stürzt: sie schien wie mit einem Meisel senkrecht abgeschnitten. Die nahe[S. 75] Umgebung bot nichts Romantisches: sie bestand aus Waldungen, die alle Aussicht versperrten.

Und so sah ich abermals eine Naturscene, aus welcher die Amerikaner ein Wunder machen, und abermals muß ich gestehen, daß nur Leute, die nichts weiter gesehen haben, so urtheilen können. Aus Gefälligkeit in das allgemeine Horn zu blasen, wie viele Reisende es thun, ist meine Sache nicht; ich schreibe wie ich sehe und fühle, bin jedoch weit entfernt zu glauben, daß meine Ansichten und Gefühle immer die richtigen sind.

Von dem Falle des Mississippi fuhren wir mit einem kleinen Umwege an dem Falle des Minne-ha-ha (lachendes Wasser) vorüber, nach St. Paul zurück. Dieses Wässerchen hat kaum drei Fuß in der Breite, stürzt sich jedoch senkrecht über eine Wand von sechzig Fuß, in ein Becken, das von dicht bewachsenem Hügeln, oder eigentlich Felswänden, enge umschlossen ist. Das Ganze gleicht einem eingestürzten Krater, allein keine ausgeworfene Lava ist sichtbar. Man kann zwischen dem Falle und der Felswand durchgehen. Mir gefiel beinahe dieser Miniatur-Wasserfall besser, als jener gerühmte des Mississippi; von ersterem erwartete ich nichts, von letzterem sehr viel. Besonders reizend waren die Ansichten von den kleinen Höhen: der Blick schweifte ungefesselt weit hin über das wellenförmige Prairien-Land, auf der einen Seite den Fluß[S. 76] Minnesota, auf der andern den Mississippi verfolgend, der nach dem Sturze seinen Lauf in einem engen Felsbette fortsetzt.

Auch an dem Fort Snelling kamen wir vorüber, das auf erhöhtem Felsgrunde steht, aus Stein gebaut und mit seinen vier Eckthürmen für Indianer gewiß uneinnehmbar ist. Bei diesem Fort ergießt sich der Minnesota in den Mississippi.

Wir fanden hier einige der sogenannten „Pelzjäger“ gelagert. Diese Leute führen ein ganz eigenthümliches Leben. Sie halten sich beständig unter den Indianern auf, wählen ihre Weiber aus ihnen und beschäftigen sich nur mit Jagd und Tauschhandel. Sie halten sich Wochen und Monate lang in den dichtesten Wäldern auf, wandern hoch nach dem Norden hinauf und suchen mit allen Stämmen in Verbindung zu kommen. Sie nehmen von den Eingeborenen Pelzwerk gegen Glasperlen, Messing, gefärbte Stoffe u. s. w. Wenn sie der Waaren genug gesammelt haben, beladen sie damit kleine, zweirädrige Karren, mit einem Pferde bespannt, und ziehen nach den großen Städten, um zu verkaufen. Zurück bringen sie Kaffee, Zucker, Thee u. dgl. für ihren Bedarf, und andere Waaren für die Indianer. Während der Reise lagern sie stets in kleinen Zelten unter Gottes freiem Himmel. Sie gewinnen ihre Lebensweise meistens so lieb, daß[S. 77] sie dieselbe gegen die bequemste und angenehmste nicht vertauschen würden. Obwohl sie oft viel Geld für ihre Pelze lösen, kehren sie doch häufig arm zurück, da sie wie die Minenarbeiter in Californien sind, und in kurzer Zeit den schwer verdienten Gewinn durchbringen. Glücklich noch jener, der davon so viel erübrigt, einige Waaren für den Tauschhandel mit nach Hause zu bringen. Die meisten dieser Pelzjäger sind Franzosen.

Mit trefflichem Appetit kamen wir von diesem Ausflug zurück nach Herrn Holingshead’s Haus, wo ein ausgezeichnetes Mittagsmahl unsrer harrte. Nach Tische führte mich noch Frau Holingshead nach einer kleinen Grotte, zwei Meilen von St. Paul, die eine halbe Meile weit in einen Sandhügel dringt. Ein Bächlein, das seinen Lauf durch die Grotte nimmt und kein eigentliches Bett hat, verbreitet überall Nässe und Feuchtigkeit, so daß der Gang in das Innere sehr unangenehm und dabei nicht lohnend ist, denn nirgends wird die Gestaltung eines Tropfsteins sichtbar. Das hübscheste ist eine unregelmäßige Halle am Eintritte, welche die Städter manchmal an heißen Tagen zu geselligen Vergnügungen benützen.

Am 9. August verließ ich St. Paul, um nach dem Lake Superior zu gehen. Diese Reise wird theils auf dem Flusse St. Croix und theils zu Lande gemacht. Ich hatte mich zu St. Paul mit einem Herrn,[S. 78] der gleichfalls dahin wollte, besprochen, den Ausflug gemeinschaftlich zu unternehmen, und sollte zu Stillwater (16 Meilen von St. Paul) zwei Tage auf ihn warten.

Nach Stillwater fuhr ich mit dem Postwagen. Ich fand da einen jungen Mann, der kein Wort sprach, und eine junge Frau, die keinen Augenblick schwieg. Schon in der ersten Viertelstunde hatte sie uns alle ihre Verhältnisse erzählt. Nachdem wir kaum zwei Meilen gefahren waren, vermehrte sich unsere Gesellschaft um eine dritte Person, eine junge Frau, dem Putze nach zur reichen Klasse gehörend, denn sie war in Seide gekleidet und mit Schmuck reichlich versehen. Allein ihr Benehmen verrieth sie nur zu schnell. Die eine Seite ihres Gesichtes wies noch große blaue Flecken, die sie vermuthlich in irgend einer Schenke erbeutet hatte. Sie kaute Tabak trotz dem derbsten Amerikaner, zog ein Fläschchen mit Branntwein aus der Tasche, labte sich ohne Umstände damit und lud uns freundschaftlich zum Mitgenuß ein. Sie richtete an uns alle das Wort. Von dem stummen Herrn und mir erhielt sie zwar keine Antwort; aber mit dem geschwätzigen jungen Weibe gerieth sie alsbald in tiefes Gespräch. Doch diese Gesellschaft genügte der Dirne nicht, sie rief dem Kutscher zu, anzuhalten, stieg aus und gesellte sich zu einigen Männern, die oben auf dem[S. 79] Wagen saßen. Mittags wurde an einem Gasthofe angehalten, wir setzten uns an die Tafel und mußten diese Person in unserer Mitte dulden — sie war ja eine Weiße! — Nach Tische kam ein hübscher, junger Mann in unsere Kutsche, und als die edle Dame dieß sah, stieg auch sie wieder ein. Die beiden Leutchen wurden bald so vertraut mit einander, daß man bedauern mußte, Ohren und Augen zu haben. Ich erzähle dieses schöne Intermezzo nur, um zum Nachdenken darüber aufzufordern, ob man die Menschen nach ihrer Hautfarbe, oder nach ihrem Benehmen beurtheilen solle.

Die kurze Reise[10] nach Stillwater ist so lieblich, daß ich sie (nur in keiner Stage-coach) aus Vergnügen oft wiederholen könnte. Hübsche Wege führen durch einen natürlichen Wiesenpark, an kleinen Seen vorüber, die sehr reich an Fischen sein sollen, und hin und wieder eröffnen sich Aussichten auf den schönen St. Croix See, auf Prairien und weite Strecken Landes.

Zu Stillwater nahm mich Herr Schulenburg freundlich in seinem Hause auf, und ich wartete verabredeter[S. 80] Weise zwei Tage auf meinen Reisegefährten; als aber weder er noch einige Zeilen von ihm kamen (die erste Unhöflichkeit, die ich von einem Amerikaner erfuhr), ging ich am dritten Tage den 12. August, auf einem kleinen Dampfer nach St. Croix (30 Meilen).

Stillwater liegt nahe dem Ende des Sees, und bald kamen wir in den St. Croix-Fluß, der nur bis St. Croix, und zwar nur für ganz kleine Dampfer befahrbar ist; bei St. Croix bildet er Stürze und Wasserfälle, und oberhalb dieser ist er seicht und voll Felsen, durch welche sich kaum kleine Boote durcharbeiten können.

Die Fahrt ist hübsch, man ist von wilden, pittoresken Fels- und Waldparthien umgeben; aber den nur einigermaßen verzärtelten Reisenden würde sie wohl nicht für die Unannehmlichkeiten entschädigen, welchen er auf diesen ganz beschränkten Dampfern ausgesetzt ist. Bis jetzt ist die Gegend meistens nur von Holzschlägern und Holzhändlern besucht, die in ihren ganz beschmutzten und zerrissenen Anzügen nicht selten betrunken an Bord kommen. Da nur ein Platz existirt, muß man in ihrer Gesellschaft leben. Der Tisch war jämmerlich bestellt, ein ekelhaftes Tischtuch ausgebreitet, Theetassen dienten statt der Trinkgläser. Ich werde dieses Dampfers, dieser Gesellschaft nicht leicht vergessen; ein Betrunkener saß mit am Tische, ein[S. 81] zweiter lag daneben im Bette und schnarchte nach dem Takte. —

Wir saßen mehrmals auf Sandbänken auf und erreichten diesen Tag nicht St. Croix, obwohl wir Stillwater schon Morgens acht Uhr verlassen hatten. Man wies mir für die Nacht ein schmutziges Bett an, das so hart und knollicht war, als wäre es mit Steinen ausgefüllt gewesen.

13. August. Um neun Uhr Morgens erreichten wir St. Croix. Der Dampfer hielt in einem Wasserbecken, das von sechzig bis siebenzig Fuß hohen Felsen so enge umschlossen ist, daß man kaum die Ein- und Ausfahrt gewahren konnte. Eine der Felsspitzen, von den übrigen etwas abgesondert, führt den Namen „des Teufels Schornstein.“

Als ich an’s Land stieg, bat ich sogleich jemanden, mich nach den zwei Fällen des St. Croix-Flusses, dem Taylor- und dem obern Falle zu führen, von welchen beiden man mir in Stillwater und St. Paul viel gesprochen hatte. Wenn wir Europäer von einem Wasserfalle sprechen, verstehen wir darunter doch eine hübsche Masse Wassers, die sich über eine Höhe von wenigstens zwanzig bis dreißig Fuß stürzt. Die Amerikaner sind in ihren Ansprüchen viel bescheidener: sie ersetzen an dem Namen, was der Sache fehlt. Man wies mir eine Wasserschnelle (Rapid) von kaum drei[S. 82] Fuß Höhe, vor welcher der Dampfer anhielt, und die ich, ihrer Unbedeutendheit wegen, gar nicht beachtet hätte, dieß war der Taylor-Fall; auch der obere Fall, eine Meile höher, war eher einer Schnelle zu vergleichen: seine Höhe betrug sieben bis acht Fuß.

St. Croix besteht bis jetzt nur aus einem Gasthause[11], einem Dutzend hölzerner Hütten und ein Paar Sägemühlen, die im Walde umherliegen. Man hofft, daß sich hier bald eine bedeutende Stadt bilden wird. Diese Hoffnung hegen die Amerikaner überall, wo einige Hütten entstehen.

Die Witterung in St. Paul, Stillwater und hier war bereits so rauh, neblicht und regnerisch wie kaum bei uns im Monat November, so daß man mir abrieth, die Reise nach dem Lake Superior zu Lande zu machen; sie wäre auch unter diesen Umständen, des bösen Sumatra-Fiebers wegen, das ich nicht los werden konnte, wirklich gefährlich für mich gewesen. Ich kehrte daher wieder über Stillwater nach St. Paul und von da mit dem Dampfer Galena auf dem Mississippi nach Galena (300 Meilen) zurück. Von Galena fuhr ich mit der Stage-coach nach Warren (25 Meilen) und[S. 83] von da mit der Eisenbahn nach Chicago (175 Meilen), wo ich am 20. August ankam. Ueber diese Reise läßt sich nichts sagen, als daß das Land durchgehends wellenförmig gebildet, zum Theil mit Waldungen bedeckt ist und sehr fruchtbar scheint; die üppigen Felder versprachen überall reiche Ernten.

Ungleich größeres Interesse fand ich darin, den Amerikaner zu beobachten, der mir mit seinen widersprechenden Eigenschaften ewig ein Räthsel bleiben wird. Auf einer Seite ist oft ein Wort hinreichend, sein Blut in Wallung zu bringen, ja ihn bis zu Mord und Todtschlag zu führen, auf der andern besitzt er die unendlichste Geduld. Letzteres namentlich den Dienstleuten gegenüber, die beinahe die eigentlichen Herren im Hause zu sein scheinen: um jede Dienstleistung muß man sie bitten und ersuchen, als wäre es eine Gnade, selbe von ihnen zu erhalten. Ich sehe es gewiß von Herzen gerne, daß Dienstleute wie zur Familie gehörend, behandelt werden, würde aber auch strenge darauf halten, daß sie die Pflichten, die sie gegen mich übernommen haben, eben so genau erfüllen, wie ich die meinigen gegen sie.

Eine eben so ungemessene Nachsicht zeigen die Amerikaner, wie ich zum Theile schon erwähnt habe, mit den Ungezogenheiten nicht nur ihrer eigenen, sondern[S. 84] auch der fremden Kinder. Um die Geduld meines Lesers nicht zu ermüden, will ich von den vielen Beispielen, die mir vorkamen, nur eines erwähnen. Ich fuhr einst in einer Stage-coach an einer einsamen Farm vorüber. Ein Junge kam heraus gesprungen, schrie dem Kutscher zu, anzuhalten und lief dann zurück in das Haus. Der Kutscher hielt einige Minuten, kein Mensch kam, — es war ein Scherz des Knaben. Anstatt abzusteigen und den Jungen zu züchtigen, begnügte sich der Kutscher ein „Goddam“ auszurufen, und fuhr weiter.

Mit wahrer Entrüstung aber war ich Zeuge der Gelassenheit, mit welcher sich auf der Fahrt von Galena nach Warren neun Herren den Launen eines der Kutscher unterwarfen. Auf der letzten Station, auf welcher die Pferde gewechselt werden, pflegen die Reisenden, wenn sie frühzeitig ankommen, Thee oder sonstige Erfrischungen zu nehmen. Wir waren aber später von Galena fortgefahren, hatten Angst, den Zug auf der Eisenbahn zu versäumen, und sagten dem Kutscher, der ebenfalls auf jeder Station gewechselt wird, er solle gleich weiterfahren. Dieser jedoch, mit dem Wirthe vermutlich einverstanden, befahl uns fast, den Thee zu nehmen und erklärte, daß er vor einer halben Stunde nicht weiterfahren würde. Wir nahmen zwar keinen Thee; allein der Kutscher verschwand, und all unser[S. 85] Rufen brachte ihn nicht zur Stelle. Als er endlich kam, ersuchten ihn die Herren auf die höflichste Weise, die Fahrt so viel wie möglich zu beschleunigen. Die Straße war herrlich, die Pferde waren frisch — der Kutscher aber fuhr im langsamsten Schritte. Keine Bitte half, nicht einmal Geld, das man ihm gab. Die Herren stießen zeitweise ein halblautes „Goddam“ aus, und damit war es abgethan. Ich als Frau konnte nichts machen; aber ein Halbdutzend meiner phlegmatischen Deutschen Landsleute hätte ich an die Stelle zaubern mögen, und bin überzeugt, die hätten sich zu helfen gewußt.

Glücklicher Weise kamen wir drei Minuten vor dem Abgange des Zuges an, und da niemand Reisekoffer mit sich führte, hatten wir nur von Wagen zu Wagen zu steigen. Das Versäumen des Zuges hätte uns einen ganzen Tag gekostet, denn es war Sonnabend, und am Sonntage geht in dem Staate Illinois kein Zug.

Die Stadt Chicago liegt in einer Ebene an dem Michigan-See. Das einzige Merkwürdige an ihr ist ihr schnelles Emporwachsen. Im Jahre 1830 entstanden die ersten hölzernen Hütten, vier Jahre später fing man an zu vermuten, daß der Platz vortheilhaft werden könnte, nahm ihn rasch in Angriff, und nun zählt die Stadt schon an 60,000 Einwohner.

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Ueberhaupt erfreut sich der ganze Staat Illinois einer reißend schnellen Entwicklung. Man kann von ihm dasselbe sagen, wie vom Distrikte Minnesota: das wellenförmige Land ist vortrefflich, die Prairien sind leicht in Felder umzuschaffen, das Klima ist gut und daher das Zuströmen der Einwanderer sehr bedeutend. Dabei ist der Amerikaner unternehmend wie kein anderer Mensch in der Welt, baut gleich Eisenbahnen nach allen Richtungen und befährt Flüsse und Seen mit Dampfern. Die Verbindungen sind früher im Gange, als die Gegend bevölkert ist; aber eben diese Verbindungen erleichtern das Ansiedeln. Ueberall wird Land aufgebrochen, werden Farms errichtet, und wie durch Zauber entstehen Ortschaften und Städte.

Am 22. August setzte ich die Reise auf dem Michigan-See fort. Ich fuhr bis Milvaukee (96 Meilen) in dem Staate Wisconsin. Auch diese Stadt, erst im Jahre 1833 entstanden, zählt bereits 35,000 Einwohner, von welchen ein Dritttheil Deutsche sind.

Ich fand hier den ersten guten Deutschen Gasthof, Herrn Wetzstein gehörig, in welchem man treffliche Kost, sehr hübsche reinliche Zimmer für den billigen Preis von einem Thaler per Tag bekam. In den andern Städten, wo ich bisher nach Deutschen Gasthöfen gefragt hatte, waren es schmutzige Kneipen für arme Einwanderer.

[S. 87]

In Milvaukee verweilte ich einige Tage und erfuhr von den Deutschen, ganz besonders von den Frauen, sehr viele Aufmerksamkeiten. Ihr freundlich zuvorkommendes Wesen, ihr Bestreben mir gefällig zu sein, wird nie in meinem Gedächtnisse erlöschen. Herr Napastek veranstaltete jeden Nachmittag eine Parthie nach den schönsten Punkten der Umgebung, nach Melm’s Garten, nach Pest’s Pavillon u. s. w. Die Fernsichten waren reizend, obwohl es der Landschaft an Hügeln und Bergen gebrach. Aber der herrliche Wasserspiegel des Sees, der in unübersehbarer Weite mit dem Horizonte verschwamm, ersetzte die fehlende Gebirgswelt.

Außer den Deutschen Frauen lernte ich auch eine sehr liebenswürdige junge Amerikanerin kennen, deren Gemahl, Herr Booth, Herausgeber des „Demokraten“ und wüthender Abolutionist, sich vor kurzem an einem Aufstande betheiligte, welcher eines entlaufenen Sklaven wegen hier statt hatte. Der Fall war folgender: Ein Neger, aus den Sklavenstaaten entflohen, wurde hier entdeckt und gefangen gesetzt. Er sollte seinem Herrn, der gekommen war, ihn abzuholen, ausgeliefert werden. An dem dazu bestimmten Tage vereinigten sich viele Abolutionisten, Herrn Booth an der Spitze, stürmten das Gefängniß, befreiten den Neger und verhalfen ihm zur Flucht nach Canada.

[S. 88]

Herr Booth wurde eingesperrt, später jedoch auf Ehrenwort und gegen eine Erlegung von 2000 Thaler bis zur Beendigung des Prozesses frei gelassen. Sollte er den Prozeß verlieren, so muß er auf sechs Monate in das Gefängniß und 1000 Thaler Strafe bezahlen[12].

Wie widersprechend sind doch die Gesetze, oder vielmehr wie leicht umgangen in diesem Lande! Wenn jemand einen Brand anlegt, ein betrügerisches Falliment macht, ja einen Mord oder was immer für ein großes Verbrechen begeht, kann er leichter durchzukommen hoffen, als wenn er sich eines entlaufenen Sklaven annimmt, demselben zur Flucht behülflich ist. Könnte man ein Verbrechen sittlich nennen, so würde es dieses sein, und gerade da sind die Richter unerbittlich. Wie empörend ist nicht ein solches Gesetz in einem republikanischen jungen Staate, welcher der ganzen Welt als Muster aufgestellt werden sollte! —

In dem Staate Illinois hat sich eine geheime Gesellschaft gebildet, die den aus den nachbarlichen Sklavenstaaten entlaufenen Negern zur Flucht nach Canada behülflich ist. Zu diesem Zwecke gibt es verschiedene Stationen, auf welchen stets Pferde und Wagen bereit stehen, die Flüchtlinge in größtmöglichster Eile[S. 89] über die Grenze zu bringen. Man nennt diese Art der Beförderung „die unterirdische Eisenbahn.“ Wenn der Sklave so glücklich ist, die erste Station zu erreichen, kann er sich für so viel wie gerettet halten. Ist das Gericht auf seiner Spur, daß man ihn nicht gleich fortschaffen kann, so hält man ihn verborgen und bietet alle Mittel auf, sein Entkommen zu bewerkstelligen.

Am 26. August verließ ich Milvaukee auf dem Dampfer Troi, der den ganzen Michigan-See entlang bis Sault St. Maria (304 Meilen) führt. Der Michigan-See ist, als Wasserfläche betrachtet, unstreitig großartig und einem Meere zu vergleichen, da seine Länge 400, seine größte Breite 80 Meilen beträgt. Die Umgebung dagegen ist im höchsten Grade einförmig — nichts als unübersehbare Ebenen. Die Ufer steigen höchstens bis 30 Fuß auf, und die Städte, die allein das ewige Einerlei unterbrechen, bieten eben so wenig Interesse, da sie eine der andern vollkommen gleichen.

Gegen das Ende des See’s gibt es viele Inseln, darunter die „Biber-Insel,“ welche von Mormonen[13] bewohnt wird. Wir hielten hier, wie überhaupt an vielen Orten an. Ich stieg an’s Land, um diese Leute zu besuchen, deren Lebensweise als gänzlich verschieden[S. 90] von jener aller andern christlichen Sekten geschildert wird. Man sagt von ihnen, daß sie Weiber- und Güter-Gemeinschaft haben, daß sie gemeinschaftlich essen und arbeiten, daß die Kinder der Mutter im dritten Jahre weggenommen und der Gesellschaft übergeben werden u. s. w.

Ich fragte einen alten, ehrwürdig aussehenden Mormonen hierüber. Derselbe wollte von alledem nichts wissen; nur was Feld- und andere Arbeiten anbelange, sei Gemeinschaft eingeführt. Er erzählte mir ferner, daß ihr Chef oder Priester ein Prophet sei, der die Krankheiten, mit Ausnahme der Beinbrüche (da reicht die Kraft des heiligen Mannes vermuthlich nicht aus) durch Auflegen der Hände heile, daß derselbe jeder Arbeit enthoben sei und dessen ungeachtet mehr arbeite, als der fleißigste unter ihnen, denn er sei nicht nur den ganzen Tag, sondern auch den größten Theil der Nacht mit Schreiben beschäftiget. Als ich ihn fragte, was jener denn so viel zu schreiben habe, ob es religiöse Tractate und Uebersetzungen derselben in verschiedene Sprachen wären, um sie hinaus in alle Welt zu senden und Proseliten zu machen, erhielt ich zur Antwort, daß er niemanden offenbare, was er schreibe, daß dieß ein heiliges Geheimniß sei. Zum Mormonenthum gehört also auch eine tüchtige Portion Glauben.

Ferner vernahm ich von diesem Manne, daß wenn[S. 91] ihr Prophet oder Priester stürbe, ein anderer unmittelbar von Gott gewählt und die Wahl durch einen Engel verkündet würde. Bei näherer Befragung zeigte es sich jedoch, daß der Prophet Gott und Engel selbst vorstellt, daß er seinen Nachfolger bestimmt, den guten Leuten vorgebend, es sei ihm die Wahl im Traume von einem Engel zugeflüstert worden(!!)

Am 28. August erreichten wir das Ende, oder besser gesagt, den Anfang des Michigan-Sees, der mit dem Lake Superior durch den Fluß Sault St. Maria (nur einige Meilen lang) verbunden ist. Unmittelbar vor dem Eingange in den Lake Superior bildet der Fluß starke Schnellen oder Abfälle, auch ist das Bett voll von Riffen und Felsen, über die sich das Wasser mit großer Gewalt stürzt, so daß die Schiffahrt auf die Strecke von einer Meile unterbrochen wird. Man arbeitete gerade an einem Schleußen-Kanale, welcher die Schiffe von einem See in den andern fördern wird. Die Kosten dieses Baues sind auf 650,000 Dollars veranschlagt. Der Obere See (Lake Superior) liegt 792 Fuß über der Meeresfläche und einige dreißig Fuß höher als der Michigan.

Zu Sault St. Maria mußte ich einen Tag auf den Dampfer warten, der den Oberen See befährt. Ich wohnte da bei Herrn Johnson, welcher ein kleines, aber sehr nettes Boarding-house hält und mit[S. 92] seiner Familie zu den trefflichsten Menschen gehört. Jeder Reisende wird sich bei ihm heimisch und zufrieden fühlen.

Am 29. August spät Abends trat der Dampfer „Baltimore“ seine Rundfahrt um den See an. Die Nacht war sehr neblicht, und durch Unvorsichtigkeit des Steuermannes, der sich dem Lande zu nahe hielt, fuhren wir auf eine vor dem Oertchen White fish points gelegene Sandbank hart auf. Wir mußten den Tag erwarten, die ganze Ladung herausnehmen und wurden erst nach zwölf Stunden angestrengter Arbeit wieder flott. Wir waren kaum hundert Fuß vom Ufer entfernt und hätten eben so gut, wie auf die Sandbank, auf das feste Land auffahren können. Dergleichen Unvorsichtigkeiten und noch bei weitem größere, kommen jedoch in den Vereinigten Staaten so häufig vor, daß man gar nicht viel Wesens davon macht.

Bei dieser Gelegenheit sah ich das Oertchen White fish points, welches von Indianern bewohnt ist, die sich ausschließlich mit dem Fischfange beschäftigen. Auch ein Paar Amerikaner haben sich da angesiedelt, um von den Eingebornen die Fische einzutauschen, welche getrocknet und eingesalzen werden. Der Obere See zeichnet sich durch seinen Reichthum an äußerst schmackhaften Fischen aus. Dieser Nahrungsquelle zufolge war auch in früheren Zeiten die ganze Umgebung des[S. 93] Sees sehr bevölkert, und als die Französischen Jesuiten im 17. Jahrhunderte bis hierher vordrangen, fanden sie Wig-wams mit einer Bevölkerung von 2000 Seelen. Jetzt ist das freilich schon lange anders. Die Weißen brachten ihnen Seuchen und Branntwein, so daß die Bevölkerung bald zusammen schmolz, und von den Resten dieses unglücklichen Volkes werden noch in der neuesten Zeit manchmal kleine Transporte nach dem „Indian Territory“ gesendet. Ein Indianer dürfte auch an diesem unermeßlichen See bald zur seltenen Erscheinung werden.

Der Superior-See ist der größte Süßwasser-See in der bekannten Welt, er hat 355 Meilen Länge, 160 Meilen größte Breite, seine Wasserfläche beträgt 32,000 Quadratmeilen, die tiefste Stelle 900 Fuß. Von den Jesuiten im Jahre 1641 entdeckt, wurde das umliegende Land im Jahre 1671 von der Französischen Regierung in Besitz genommen. Im Jahre 1659 geschah die erste Erwähnung des daselbst vorkommenden Kupfers: die Eingebornen zeigten den Jesuiten ein Stück reines Kupfer von sechs- bis siebenhundert Pfund. Doch wurde erst in unserem Jahrhundert, im Jahre 1845, angefangen, dieses Metall auf bergmännische Art zu Tage zu fördern. Die Bergwerke liegen alle mehrere Meilen von dem See entfernt, der tiefste Schacht mißt[S. 94] 700 Fuß, die größte Masse reinen Kupfers, die bisher gefunden wurde, soll 50 Tonnen schwer gewesen sein.

Wir machten auf dem Lake Superior wenigstens fünfhundert Meilen, bis wir an sein Ende kamen, denn wir lenkten in viele Buchten ein und brachten den erst kürzlich entstandenen Oertchen (von den Amerikanern bereits Städte genannt) Lebensmittel und sonstige Bedürfnisse.

Bei Lepointe, in dessen Nähe zwölf Inselchen liegen, die „zwölf Apostel“ genannt, fanden wir zufällig sehr viele Indianer. Die Amerikanische Regierung theilt nämlich alljährlich im Monat September an die Chefs und Vornehmsten der Stämme, welche noch in diesen Gegenden leben, Geschenke an Lebensmitteln, Kleidungsstücken, Geld u. s. w. aus. Die Vertheilung findet zu Lepointe statt, wo sich alle zu beschenkenden Indianer versammeln.

Ich sah deren eine ziemlich bedeutende Anzahl; sie gehörten zu den Chipewa- und Sioux-Indianern und waren hübscher, kräftiger und höher an Wuchs, als die meisten, besonders die südwestlichen, die mir bisher vorgekommen waren. Doch hatten sie auch breite Backenknochen und straff herabfallende Haare, die einen Theil des Gesichtes verbargen. Das Häßlichste an ihnen war die Hautfarbe: eine recht schmutzig blaßgelbe Lederfarbe. Wie sie zu dem Namen „Rothhäute“[S. 95] gekommen sind, mögen die Götter wissen. Es gab zwar manche rothbraune Gestalt unter ihnen, man hätte die Hautfarbe für natürlich halten können, so fein war sie am ganzen Körper eingerieben; allein bei näherer Betrachtung sah man wohl, daß es nicht die Naturfarbe war. Nichtsdestoweniger fand ich gar manche dieser Wilden mit ziemlich regelmäßigen, hübschen Gesichtszügen. Einige hatten etwas von der Kultur der Weißen angenommen, gingen Europäisch gekleidet, trugen die Haare zierlich gekämmt, sprachen Französisch oder Englisch, verstanden diese Sprachen sogar zu schreiben, und hatten Handwerke gelernt oder sich dem Handel gewidmet. Der große Haufe aber zieht es vor, schlecht zu leben, halb nackt zu gehen, nur nicht zu arbeiten. Die Indianer in den kalten Gegenden sind eben so wenig zum Ackerbau und zu Handwerken zu bewegen, wie die Völker unter der heißen Zone.

Erst am fünften Tage der Reise erreichten wir Fond of lake, die äußerste südwestliche Spitze des Sees. Ich war nun den ganzen See entlang gefahren, konnte aber in die stete Begeisterung der mich umgebenden Gesellschaft nicht einstimmen. Wenn die Leute nur einige hölzerne Hütten beisammen stehen sahen, ging es wie aus einem Munde: „Ach wie schön, wie herrlich! Welches Bild könnte man da entwerfen!“ Es ist wahr, der Lake Superior ist ungleich pittoresker,[S. 96] als der Michigan-See, die ihn umgebende, noch größtentheils im Schlummer ruhende Natur, die finster aufsteigenden Wälder, die Hügelketten verleihen ihm vielen Reiz; doch herrscht zu wenig Abwechselung, um von der Umgebung begeistert werden zu können. Die Hügel sind meistens niedrig, der höchste Berg, der St. Ignacio an der Neepigon-Bay soll 1300 Fuß hoch sein; diesen Koloß bekamen wir jedoch nicht zu sehen.

Die neu angelegten Oertchen sind alle sehr unbedeutend: sie bestehen vor der Hand noch aus kleinen Holzhäuschen, die mitten in den Waldungen liegen. Das Land wurde noch nirgends aufgebrochen, die Dampfer bringen allen Lebensbedarf für die neuen Ansiedler mit.

Unter den Reisenden gab es auch wieder gar manche, die begierig waren, zu wissen, welcher Religion ich angehörte, wer mir Geld zum Reisen gäbe u. s. w. Diese unzarte Neugierde berührte mich jedesmal sehr unangenehm, und ich fand mich wirklich oft gezwungen, in meinen Antworten ein wenig derb zu werden, um den unverschämten Fragen ein Ende zu machen.

Am zweiten Tage der Reise kam eine Frau von ungefähr dreißig Jahren an Bord. Sie war für ihr Alter etwas zu jugendlich gekleidet, trug die Haare in langen Locken bis über die Schultern hinab und einen[S. 97] großen runden Strohhut. Kaum hatten die übrigen Frauen sie gesehen, so kam sogleich eine derselben zu mir, vor einem Gespräche mit dieser Fremden warnend: man glaube, sie habe keinen guten Ruf. Ich erwiderte ihr, daß das Glauben nicht genug sei, jemanden zu beleidigen; aber außer mir sprach auch richtig niemand mit ihr. Abends wurden wie gewöhnlich einige Quadrillen getanzt. Bei der dritten Quadrille führte ein Herr die Fremde auf den Tanzplatz. Die Musik begann; aber kein anderes Paar erschien. Der Herr trat vor und frug, warum man diese Frau absichtlich so beleidige, er kenne sie und wisse, daß sie bei Verwandten zum Besuche gewesen sei und nun zu ihrem Gemahl nach Fond of lake gehe; ihr Charakter sei tadellos. Keine Antwort erfolgte, und der Tänzer war gezwungen, mit der Frau abzutreten.

Hätten doch die anderen religiösen, tugendhaften Frauen wenigstens so viel Zartgefühl gehabt, nicht mehr zu tanzen: das wäre doch eine kleine Entschädigung für die schwere Beleidigung gewesen; aber weit entfernt davon — kaum war der Platz geräumt, so fing das Tanzen wieder an.

Zufälliger Weise bestürmte mich den nächsten Morgen gerade wieder eine der neugierigsten Frauen mit der Frage, zu welcher Religion ich gehöre. Ich erwiderte ihr ganz erzürnt: „Gewiß nicht zu jener, zu welcher[S. 98] Sie und die ganze Gesellschaft gehören, denn meine Religion verbietet mir, einen Nebenmenschen zu beschimpfen, ihm die Ehre zu rauben.“ — Von diesem Augenblick an hatte ich Ruhe.

In Fond of lake sind in einem kleinen Halbkreise bereits fünf Plätze an dem See für Städte abgesteckt; an manchen stehen schon einige hölzerne Häuschen. Sollten die Städte zu Stande kommen, so dürften sie sich beinahe berühren; doch bezweifle ich die Erbauung, denn außer den Kupferminen wird, da der Boden schlecht ist, keine Erwerbsquelle sein. Leicht dürften einige von ihnen das Schicksal des Städtchens Trinidad in Kalifornien haben und eingehen, bevor sie noch zu Städten werden.

Am 6. September traf ich wieder zu Sault St. Maria ein. Ich hatte nun zehn Tage beinahe in derselben Gesellschaft gelebt und mit Erstaunen bemerkt, wie freundlich und zärtlich die Frauen mit einander thaten, gerade als wären sie alte Bekannte gewesen. Auch mich luden jene, die in St. Maria wohnten, in ihr Haus auf eine Tasse Thee ein. Kaum aber fiel der Anker, so lief alles auf und davon, und die neuen Freundinnen nahmen sich gar nicht einmal Zeit, einander Adieu zuzurufen. Um mich kümmerte sich schon gar keine Seele, man vergaß (vielleicht vorsätzlich), mir die Wohnungen zu sagen, wo ich die Tasse[S. 99] Thee nehmen sollte. Doch an derlei Artigkeiten war ich schon gewöhnt, und ruhig ging ich wieder in das nette Häuschen des Herrn Johnson.

Am 7. September traf mich der frühe Morgen schon am Bord des Dampfers „Illinois,“ um meine Reise nach dem Norden fortzusetzen.

Die Fahrt geht erst auf dem Flusse St. Maria, der sich oft zu kleinen Seen ausbreitet und recht artige Ufer bespült. Dieser Fluß führt in die Straße Mackinac, und diese in den zweitgrößten See Amerika’s, den Huron, welcher 260 Meilen lang, 160 breit ist, 20,000 Quadratmeilen einnimmt und 578 Fuß über der Meeresfläche liegt. Die Umgebung dieses Sees ist etwas hübscher als jene des Michigan, doch ebenfalls ziemlich einförmig. Das Land ist von wellenförmiger Bildung, viel mit Waldungen bedeckt und hin und wieder mit niedlichen Hügelketten durchzogen.

Am 8. September verließen wir den Huron-See und traten in den Fluß St. Clair, an dessen einem Ufer sich beinahe Städtchen an Städtchen reiht, mit Wiesen und fruchtbaren Feldern dazwischen, während auf dem andern zahllose Sägemühlen nebst mehreren Indianer-Dörfern liegen. Selbst die Indianer scheinen hier aus ihrer Trägheit aufgerüttelt, denn auch um ihre Dörfer war der Grund aufgebrochen und bepflanzt. Auf dem Flusse war bedeutendes Leben, es fuhren[S. 100] viele Segelschiffe, meistens mit Bauholz befrachtet, Dampfer schleppten sie durch den kurzen Fluß in den kleinen St. Clair-See, welcher so voller Untiefen und Sandbänke ist, daß er nur bei Tage befahren werden kann. Die Ufer dieses Sees sind an manchen Stellen so flach, daß sich das Wasser entfesselt über das Land ergießt und Sümpfe und Moräste bildet. Von dem St. Clair-See führt der Detroit-Fluß in den Erie-See. Die Entfernung von dem Huron- bis zu dem Erie-See beträgt achtzig Meilen.

Gegen Mittag landeten wir zu Cleveland, dem Stolze des Staates Ohio, am Eingange des Erie-Sees gelegen. In den wenigen Stunden meines Aufenthaltes machte mich Dr. Langsdorf mit dieser Stadt und deren naher Umgebung bekannt.

Cleveland besteht aus zwei Städten, der eigentlichen Stadt Cleveland und der Stadt Ohio, die durch eine Kluft von ersterer getrennt ist, aber kürzlich zu dem Stadtgebiete Clevelands gezogen wurde und dadurch ihren Namen verlor. Der Anblick der beiden blühenden Städte mit der dazwischen liegenden merkwürdigen Schlucht, in deren Tiefe ein artiger Fluß sein Bett gewühlt hat, ist höchst reizend. Die Kluft mag ungefähr fünfzig Fuß Tiefe haben und ist mit Gesträuchen und Bäumen reich bewachsen. Ein Kanal führt bis in den Erie-See.

[S. 101]

Von den Einzelnheiten Clevelands bewunderte ich am meisten die Straße Euclid. In dieser stehen die nettesten, geschmackvollsten Häuser, welche freundlichen Villen gleichen und durch Boskette und Wiesen von einander getrennt sind. In wenig Jahren mögen Gärten und Wiesen wohl schon von neu entstandenen Häusern verdrängt sein.

Spät Abends setzte ich meine Reise auf dem schönen Dampfer „Crescent-City“ fort. So viel ich bei scharfer Mondbeleuchtung sehen konnte, scheinen sich auch die Ufer des Erie-Sees in nichts von jenen des Michigan zu unterscheiden.

Der Dampfer „Crescent-City“ war eins der prachtvollsten Fahrzeuge, die ich je bestiegen. Wo man nur hinsah, nichts als Sammt und Gold, kostbare Teppiche, Spiegel von ungeheuerer Größe; eine hohe, schön gewölbte Kuppel von farbigem Glase verbreitete über alle diese Herrlichkeiten ein mattes Licht. Die Räume faßten an 1200 Personen. Man lebte da nicht wie in einer geschlossenen Gesellschaft, sondern wie in einer Stadt; man ging an den Leuten so fremd und unbekümmert vorüber, wie auf einem öffentlichen Spaziergange. Aber bequem fand ich diesen Dampfer nicht eingerichtet. Darauf scheinen indeß die Amerikaner weniger zu halten, als auf Pracht, Luxus und Prunk. Die Fensterscheiben z. B. rings auf die Gallerie[S. 102] hinaus waren von buntem Glase und mit Arabesken so ausgefüllt, daß man gar nicht durchsehen konnte, weder auf den See noch auf die Landschaft. Ja sogar das Licht von außen war dadurch fast ganz vor dem Eindringen gehemmt. In den Kabinen des unteren Stockwerkes (auch erste Klasse) schliefen je sechs Personen, und für eine Zahl von fünfzig bis sechzig Frauen gab es nur ein kleines gemeinschaftliches Waschzimmerchen mit nur zwei Waschbecken. Man mußte sich anstellen, um die Gelegenheit zu erhaschen, sich die Augen und Fingerspitzen ein wenig zu benetzen, und Glas und Handtuch selbst mitbringen, denn ein Glas war nicht vorhanden und die Paar Handtücher so durchnäßt, daß man sich ihrer nicht bedienen konnte. Die Aufwärterin schien nur zur Aufsicht da zu sein. Sie saß, wie eine Dame gekleidet, auf einem Sopha und häkelte. Zum Glück währte die Fahrt über den Erie-See nicht lange, denn schon am

9. September Morgens kamen wir nach Buffalo, einer hübschen Stadt mit 60,000 Einwohnern. Meine Ungeduld, mich den berühmten Fällen des Niagara zu nahen, war so groß, daß ich, des schlechten Wetters ungeachtet, gleich auf die Eisenbahn ging, um nach dem Orte Niagara-Falls-Village (22 Meilen) zu fahren. Ich war da so glücklich, ein überaus[S. 103] niedliches, kleines Hôtel, Madame Teuscher gehörig, an den Schnellen des mächtigen Stromes zu finden, der sich hier in zwei Theile theilt und in wüthend stürmischer Eile seinen Fällen zu eilt.

Für diesen Tag aber mußte ich, selbst wenn sich das Wetter aufgeheitert hätte, dem Gange nach den Fällen entsagen und mein Bett aufsuchen, denn in letzterer Zeit hatte ich häufige Anfälle des unermüdlichen Sumatra-Fiebers gehabt, und fühlte mich davon sehr angegriffen[14].

[10] Zu einer Reise von sechzehn Englischen oder vier Deutschen Meilen benöthigten wir sechs Stunden, hielten über Mittag an und wechselten die Pferde. Das nenne ich doch schnell reisen! —

[11] Ein Gasthof oder Boarding-house bildet sich gleich bei ein Paar Häusern. Der Amerikanische Arbeitsmann, Tischler, Maurer u. s. w. will gute Kost, ein gutes Bett haben und bezieht sogleich den Gasthof, wo er per Woche zahlt.

[12] Von den freien Negern in Milvaukee erhielt Herr Booth einen werthvollen, schönen Stock, den sie ihm als Vertheidiger ihrer armen schwarzen Brüder verehrten.

[13] Auf dieser Insel lebt nur ein kleiner Zweig dieser Sekte; der Hauptsitz der Mormonen ist am Salz-See, tief im Innern des Landes.

[14] Bisher nahm ich immerwährend Chinin gegen das Fieber; allein ich konnte es nur auf kurze Zwischenräume damit vertreiben. In Buffalo rieth mir jemand folgendes Mittel dagegen: „Man nehme auf ein halbes Wasserglas voll starken, guten Brandy einen Theelöffel rothen, pulveristrten Pfeffer (Cayenne) und fünf bis sechs Theelöffel voll weißen Zucker, mische es gut durch einander, bis der Zucker gänzlich aufgelöst ist, und lasse es dann vier bis fünf Stunden stehen. Man beginne diese Arznei ein bis zwei Stunden, ehe das Fieber kommen soll, einzunehmen, und zwar jede Stunde zwei Theelöffel voll, bis das Ganze genommen ist. Man schüttle es bei jedesmaligem Nehmen gut durch einander.“ — Das Fieber blieb, nachdem ich dieses Mittel genommen hatte, ganze zwei Monate aus; dann hatte ich einen abermaligen Anfall, ich nahm dieselbe Arznei, und das Fieber blieb gänzlich aus. — Sollte gegen das Wechselfieber nichts mehr helfen, so wage man gleich mir dieß letzte Mittel.

[S. 104]

Einundzwanzigstes Kapitel.

Die Fälle des Niagara. — Der Ontario-See. — Die tausend Inseln. — Montreal. — Quebek.— Die Amerikanischen Eisenbahnen. — Neu-York. — Merkwürdigkeiten der Stadt. — Die Hôtels. — Die schwarzen Minstrels. — Emancipation. — Gerichtsverfahren.

10. September. Der heutige Tag war wieder einer der unvergeßlichen in den Annalen meines Lebens, einer von jenen, die mich glänzend belohnten für die Mühen und Beschwerden, mit welchen ich sie erkaufte — ich sah eine der wunderbarsten, erhabensten Naturscenen in Gottes schöner Welt, die Niagara-Fälle. Unmöglich ist es auszudrücken, was das Auge da erblickt, was die Seele da fühlt. Der Maler muß hier an seiner Kunst verzweifeln, der Dichter seine Feder weglegen. Aber wenn man einem Todfeinde hier begegnete, müßte man ihm vergeben, oder kein Mensch sein, und wer je an Gott gezweifelt, der gehe an diesen erhabensten seiner Altäre, und gewiß wird er bekehrt, beruhigt heimkehren. O, daß ich doch die Anschauung dieses Wunders mit meinen Angehörigen, mit meinen Freunden, ja mit allen Menschen hätte theilen können! —

[S. 105]

Zuerst führte mich die gefällige Frau Teuscher an den Amerikanischen Fall, und ich dachte, es könne nichts Herrlicheres geben als diesen. Die ungeheuere Wassermasse stürzt sich über eine riesig breite, senkrechte Wand. Die Staubwolken sind so mächtig als wollte sich der Strom ein zweitesmal erheben, und doch kaum hundert Schritte von dem Sturze entfernt, fließt er schon wieder so ruhig dahin, daß sich das kleinste Boot sorglos auf seinem Rücken schaukeln kann.

Noch mächtiger aber ist die Wassermasse auf der Canadischen Seite, noch bedeutender ist hier der Umfang des Falles (der die Form eines Hufeisens bildet, und deßhalb „Hufeisenfall“ genannt wird), ich möchte daher doch dem Canadischen Falle die Palme reichen.

Bei Sonnenschein bilden sich an beiden Fällen in den Sprühregen-Wolken die schönsten Regenbogen. Eine ganz eigenthümliche Färbung zeigt das Wasser unmittelbar an den Fällen selbst. Ein schöneres, helleres Grün, durchsichtig wie der reinste, feurigste Chrysolit, sah ich bisher noch bei keiner Wassermasse. Das Getöse der Stürze fand ich jedoch nicht so betäubend und so weit vernehmbar, wie viele behaupten[15].

[S. 106]

Auf der Canadischen Seite kann man ein Stück unter den Fall hineingehen. Man erhält zu diesem Zwecke einen Führer und Kleider. Das Schauspiel unter dem Falle ist nicht nur ergreifend und großartig, sondern grauenhaft. Die über dem Haupte rollende Wassermasse, das fürchterliche Toben und Brausen des milchweiß schäumenden Elementes, die schmale, durch die beständige Nässe schlüpfrige Felskante, auf welcher man vor dem Abgrunde steht, in den sich das Wasser stürzt, die überhängenden Felstrümmer, die sich von Zeit zu Zeit lösen, machen diese Parthie wirklich gefährlich und so ergreifend, daß ich nicht jedermann rathen möchte, sie zu unternehmen.

Nachdem ich vor allem die Fälle besucht hatte, nahm ich mir erst Zeit, die Umgebung zu betrachten. Wie bereits bemerkt, theilt sich der Strom kurz oberhalb seines Falles in zwei Arme, von welchen der eine den Fall auf der Amerikanischen, der andere jenen auf der Canadischen Seite bildet. Die beiden Fälle sind sich jedoch ganz nahe und nur durch ein kleines Inselchen getrennt. Die ganze Umgebung der Fälle (eine Insel von einer halben Meile in der Breite und über eine Meile in der Länge) paßt vollkommen zu der erhabenen Naturscene. Sie ist von einem üppigen Urwalde mit majestätischen Bäumen, beinahe den umfangreichsten, die ich in den Vereinigten Staaten sah[S. 107] (Kalifornien ausgenommen), bedeckt; es gab viele Stämme von vier Fuß Durchmesser darunter. Die Menschenhand hat dieses Heiligthum der Natur bisher geachtet und kaum gewagt einige Fahrwege zu bahnen. Gott gebe, daß es immer so bleiben möge; allein schwerlich dürften die künftigen Besitzer dem jetzigen gleichen, der von der Mehrzahl der Menschen eine schöne Ausnahme macht und mehr Achtung für die Natur, als Liebe zu den Thalern hat. Hohe Summen wurden ihm schon für dieß Fleckchen Erde geboten; man wollte da Gasthöfe, Belustigungsorte, Bade-Anstalten u. dgl. mehr errichten, aber gerade deßhalb gab er es nicht her. Die heilige Stille des Haines sollte durch das rastlose Treiben der Menschen nicht entweiht werden, und dem Wunderwerke stets als Vortempel dienen.

In den Schnellen des Hufeisen-Falles steht von dem Sturze kaum vierzig Fuß entfernt, ein kleines Thürmchen aufgemauert, zu welchem eine Brücke führt. Gar manche Stunde stand ich da oben, die sich verfolgenden, überstürzenden Wogen betrachtend. Ich blieb fünf Tage in Niagara-Falls-Village, brachte meine Zeit größtenteils an den Fällen zu, und je länger ich sie sah, desto schwerer ward es mir, mich von ihnen zu trennen. So geht es mit allem Großen und Erhabenen; man braucht Zeit, bis man es zu verstehen und in sich aufzunehmen vermag.

[S. 108]

Leider vergeht selten ein Jahr, ohne daß die Fälle des Niagara ein Opfer fordern, so vor wenig Monaten drei junge Leute, die eines Abends zum Vergnügen auf dem Strome oberhalb der Fälle spazieren fuhren. Sie wurden in die Schnellen gerissen, und keine menschliche Hülfe war mehr möglich. Einem von ihnen gelang es, während der gräßlichen Fahrt einen in den Schnellen wurzelnden Baumstamm zu erfassen und sich hinauf zu schwingen. Er schrie um Hülfe; doch hörte man die Stimme zu undeutlich durch das Brausen des Wassers, und die Nacht war zu finster, um den Gegenstand zu sehen; erst Morgens entdeckte man den armen Menschen. Da auch er keinen Zuruf würde deutlich vernommen haben, schrieb man auf eine Tafel mit ellenlangen Buchstaben, daß man Vorkehrungen treffe, ihn zu retten. Nach vielfältigen Versuchen gelang es endlich Nachmittags gegen fünf Uhr, ein Boot in seine Nähe zu bringen. Der Arme saß schon darinnen, man zog das Boot mittelst eines Seiles dem Lande zu, allein unglücklicher Weise erfaßte es eine Sturzwoge mit solcher Gewalt, daß das Seil sprang und das Boot mit seinem Opfer in den Fall gerissen wurde. Keine Spur kam mehr zum Vorscheine, weder von ihm noch von seinen Gefährten; nie findet man eine Leiche oder nur[S. 109] das Bret eines Bootes, alles wird von der Gewalt des Sturzes zu Atomen zertrümmert.

Zwei Meilen von Niagara-Falls-Village ist eine Drahtbrücke über die Schlucht gespannt, in welcher der Niagara dem nahen Ontario-See zueilt. Die Schlucht ist enge, und der Strom soll hier an 900 Fuß Tiefe haben. Die Brücke ist ein wahres Meisterwerk, die zusammengeflochtenen Drähte haben die Dicke von starken Tauen und tragen die schwersten Lastwagen. Eine Fahrt dahin sollte man nicht nur wegen der Brücke, sondern auch wegen der reizenden Ansichten machen, die sich überall darbieten. Von der Brücke selbst übersieht man die pittoreske Felsenschlucht einerseits bis beinahe an die Fälle, andererseits bis an den Ontario-See, ja der Blick schweift wie durch ein Fernrohr über einen Theil des Sees bis auf die dahinter liegende lachende Landschaft.

Das Indianische Dorf Tuscarora (sieben Meilen von den Fällen entfernt) ist eines Besuches weniger werth. Seine Bewohner haben nichts eigenthümliches mehr: sie sind Christen geworden, gehen gekleidet wie die Weißen, und bauen und pflegen wie diese ihre Felder.

Am 13. September um zwei Uhr Mittags verließ ich Niagara-Falls-Village in einer Postkutsche und fuhr nach dem Städtchen Lewistown (sieben Meilen).[S. 110] Das Städtchen liegt an dem Ausgange der Schlucht, und der Strom nimmt sogleich derart an Breite zu, daß man sich schon in dem See vermuthet, bevor man an ihn gelangt.

In Lewistown bestieg ich den Dampfer Bay-State, um nach Montreal zu fahren. Schon sieben Meilen von Lewistown mündet der Niagara in den Ontario-See und verliert sein kurzes aber thatenreiches Dasein. An seinem Ausflusse liegt auf der Amerikanischen Seite die schöne Festung Georg, auf der Canadischen die minder schöne Festung Niagara.

In dem Ontario-See, welcher 180 Meilen lang, 35 breit ist, hielten wir uns stets der Küste der Vereinigten Staaten nahe. Sie bietet, außer vielen Ortschaften, nichts Sehenswertes.

14. September. Mit Sonnenaufgang ertönte die Schiffsglocke und weckte die Reisenden, daß sie das Ende des See’s, die tausend Inselchen und die Einfahrt in den Lorenzo-Strom nicht verschlafen und übersehen sollten. Bei Ogdensburg vertauschten wir unsern Dampfer mit einem kleineren, British Queen, um leichter über die Schnellen des Lorenzo-Stromes zu kommen. Die Fahrt zwischen den tausend Inselchen ist allerdings reizend: die Landschaft wird jeden Augenblick verändert, ein Bild verdrängt das andere; aber mit den tausend Inseln des Mälar-Sees[S. 111] in Schweden hält sie keinen Vergleich aus. Dort besteht die Einfassung des Sees aus herrlichen Bergen, in den verschiedenartigsten Formen, mit finstergrünen Waldungen bedeckt, zwischen welchen pittoresk aufgethürmte Felskolosse, reiche Triften und Wiesen liegen, die Inseln selbst sind ungemein schön und gewähren die abwechselndsten Bilder. Hier ist alles flach und eben, und die Ufer der Inseln, wie des festen Landes überragen kaum die Wasserfläche.

Der Lorenzo-Strom bildet mehrere Schnellen, die aber doch nicht so stark sind, den Dampfern die Fahrt zu sperren. Kunst und Kühnheit errangen den Sieg über sie, und furchtlos steuerte unser Kapitän darüber hin.

Etwas gefährlich ist die Schnelle bei Lachine, wo wir spät Abends ankamen. Da es stark regnete, und die Nacht stockfinster war, gingen wir erst den folgenden Morgen darüber. Diese Schnelle sieht weniger drohend aus, als die vorigen, ihre Hauptgefahr besteht in der geringen Tiefe des Stromes. Wir nahmen bei Lachine einen Indianer als Lootsen an Bord. Wenn über die Schnellen gefahren wird, arbeiten stets vier Mann am Steuerruder.

Da Lachine nur neun Meilen von Montreal liegt, kamen wir sehr frühzeitig an. Glücklicherweise hatte das Wetter sich aufgeheitert, und die Sonne beleuchtete[S. 112] den schönen Berg Montreal, an dessen Fuß sich die Stadt ausbreitet. Sie nimmt sich gut aus mit ihren Gothischen Kirchen und den Zinndächern, die bei Sonnenschein eine so blendende Wirkung hervorbringen, als wären sie mit den feinstpolirten Silberplatten belegt.

Wir fuhren in einen schönen Dock ein und wurden durch eine Schleuse dem Quai gleich gebracht.

In Montreal kaum ans Land gestiegen, hatte ich gleich einige Unannehmlichkeiten. Ich fuhr nach dem ersten Gasthofe, Montreal-House, und verlangte ein Zimmer. Der Buchhalter sah mich vom Kopfe bis zu den Füßen an und sagte endlich: „Wir haben keines.“ — Die Ursache war, weil ich allein, nur mit einem kleinen Reisesacke kam und nicht ein halbes Dutzend Koffer und Schachteln mit mir schleppte. In einem zweiten Hotel (einem Temperance-House) ward mir dieselbe Antwort zu Theil. Ich legte ein Goldstück von zehn Dollars auf den Tisch, den galanten Wirth versichernd, daß ich stets voraus bezahlen würde, wenn er glaube, es fehle mir an Geld. Dieser Talisman half. Er schob das Geld zurück und ließ mir ein Zimmer geben. Wie doppelt grell fiel mir diese Behandlung auf, da ich gerade aus den Vereinigten Staaten kam, wo man die ärmste Frau mit Achtung, Güte und Zuvorkommenheit behandelt!

[S. 113]

Wenn ich in Montreal ausging und auf den Straßen nach einem Wege fragte, gab man mir entweder gar keine Antwort, oder man fertigte mich ganz kurz mit den Worten ab: „I don’t know“ (ich weiß es nicht). So viel ich sah, befand ich mich gerade nicht in dem Lande der Höflichkeit. Da ich einige Auskünfte zu haben wünschte, niemanden kannte und keine Empfehlungsbriefe mitgebracht hatte, dachte ich, es sei am besten, mich an eines der größten Zeitungsbureau’s zu wenden. In den Vereinigten Staaten kannte jeder Herausgeber meinen Namen, ich mochte in das kleinste Städtchen kommen, und dann war ich schon geborgen, da jeder mich freundlich aufnahm. Hier war es anders: der Herausgeber des ersten Blattes kannte mich nicht, und dabei war er eben so höflich, wie alle Leute, auf welche zu stoßen ich bisher das Unglück hatte. Endlich fand ich doch ein Paar gefällige Menschen, gebrauchte aber dabei die Vorsicht, sie gleich nach Nennung meines Namens zu versichern, daß ich nicht arm sei und wohl freundschaftlicher Dienste, aber keiner Gabe benöthige. Der Herausgeber des Transcoast, der Belgische Consul Herr Josef und Dr. Visher machten mich die Unart ihrer Landsleute vergessen. Dr. Visher, den ich erst zwei Tage vor meiner Abreise kennen lernte, lud mich sogar in sein Haus ein, wohin ich sogleich übersiedeln mußte. Auch danke ich es[S. 114] seiner Verwendung, daß ich eine Freikarte zur Reise nach Quebek hin und zurück erhielt.

Die Stadt Montreal mit 75,000 Einwohnern, ist nicht wie die Städte in den Vereinigten Staaten, in regelmäßige Blocks getheilt, und zeigt in ihrer ganzen Bauart, daß sie aus ältern Zeiten stammt. Ihre Häuser haben eine alt-französische Form, mit hochaufsteigenden steilen Dachungen; sie sind meistens aus Quadersteinen und so solide gebaut, als sollten sie für die Ewigkeit währen; doch fehlt es ihnen dabei weder an Zierlichkeit noch an Geschmack. Neben manchem palastähnlichen Steinhause stehen wohl auch mitunter bescheidene, halbverfallene Holzhäuser. Die Straßen sind sauber und rein, und das geschäftige Leben in denselben ist nicht störend, die Leute scheinen sich hier mehr Zeit zu gönnen und überstürzen sich nicht so, wie in den Vereinigten Staaten, oder in England. Alles hat einen ruhigen gelassenen Anstrich. In den Nebenstraßen ist es sogar menschenleer.

Die Kirchen sind alle im Gothischen Style gehalten; die schönste ist die katholische Kathedrale, nach dem Muster der Notre-Dame-Kirche in Paris erbaut.

Von den Gebäuden fallen besonders das Jesuiten-Collegium, die Banken, einige Gasthöfe, das Postgebäude, die Markthalle u. s. w. in die Augen.

Das Museum lohnt kaum die Mühe, es zu besehen.[S. 115] Als das Merkwürdigste wurde mir ein Elenthier von ungewöhnlicher Größe und ein Paar kleiner Wallfische gezeigt, die man in dem Lorenzostrome gefangen hat.

Das sogenannte Englische Hospital, eine allerdings gute Anstalt, läßt noch manches zu wünschen übrig. Die Halbgenesenen z. B. haben zur Erholung in frischer Luft nichts als einen leeren Wiesenplatz ohne Baum und ohne Bank. Auch die Luft in den Zimmern fand ich nicht sehr rein, was freilich in kalten Ländern, wo man die Fenster nicht beständig offen haben kann, schwieriger zu erreichen ist, als in den Tropen.

In dem Nonnenkloster der „grauen Nonnen“ gibt es zwei sehr zweckmäßige Anstalten, die eine für arme alte Männer und Weiber, welche da bis zu ihrem Absterben verpflegt werden, die andere für Kinder, die entweder Waisen oder von ihren Eltern ganz vernachläßigt sind. Ich kam um zehn Uhr Morgens dahin, und sonderbarer Weise war dieß gerade die Stunde des Mittagmahles. Die Kost sah sehr schmackhaft aus und bestand aus Suppe, Fleisch und noch einem Gerichte nebst schönem Brode. Eine Klosterfrau theilte die Portionen aus.

Die Säle waren groß und hoch, die Betten bis[S. 116] hinab mit Vorhängen versehen, nur fand ich die Säle ein wenig überfüllt.

Die schönste Ansicht der Stadt und Umgebung hat man von dem Montreal-Berge oder von dem Thurme der Kathedrale. Ich war auf beiden Punkten, und meinte kaum sie wieder verlassen zu können, so sehr fesselte mich das vor dem Blicke sich entfaltende Bild. Die ehrwürdig alterthümliche Stadt, die sich traulich an den Fuß des Berges schmiegt, der Hafen mit seinen Schiffen und Dampfern, das rege Treiben auf dem Lorenzostrome, der unfern der Stadt einen See mit vielen Inseln bildet, das reichkultivirte Land umher, und in der Ferne einzeln auftauchende Berge von wenigstens 1000 Fuß Höhe, machen diese Ansicht gewiß zu einer der reizendsten Nordamerika’s.

Herr Konsul Josef war so zuvorkommend mich in seinem Wagen rund um den Berg Montreal (9 Meilen) zu führen. Diese Gegend ist, der schönen Ansichten wegen, die besuchteste und beliebteste; überall liegen niedliche Sommerhäuser mitten in hübschen Gärten.

Canada wäre ebenfalls ein gutes Land für Europäische Ansiedler. Der Boden soll sehr fruchtbar sein, das Klima ist zwar kalt und rauh, doch höchst gesund, der Ankauf des Landes noch billiger als in den Vereinigten Staaten, die Abgaben geringe und die Freiheit ziemlich unbeschränkt. Bei diesen Vortheilen einerseits,[S. 117] besteht jedoch andrerseits ein Gesetz, welches die Einwanderer abhält, Englische Untertanen ausgenommen. Diesem Gesetze zufolge kann nämlich der Einwanderer, wenn er früher stirbt, als er das Bürgerrecht erworben hat (wozu, so viel ich mich entsinne, ein Aufenthalt von zehn Jahren gehört), über seinen festen Nachlaß nicht verfügen. Land, Haus u. s. w. fallen an die Regierung zurück.

18. September. Abends ging ich mit dem großen Dampfer „Quebek“ von Montreal nach Quebek. Es war dieser Dampfer auch wieder einer von den „splendid ones,“ gleich dem „Crescent City“ auf dem Erie-See, wo man vor lauter Pracht und Herrlichkeit gar keine Bequemlichkeit fand.

19. September. Um 9 Uhr Morgens kam ich in Quebek an. Die Lage dieser Stadt ist noch bei weitem reizender als jene von Montreal. Zum Theil in demselben Style gebaut, nur noch älter, sind die Straßen etwas enger und winklichter. Quebek besteht aus der obern und untern Stadt. Zu ersterer führen hohe Treppen, doch schlängelt sich auch ein Fahrweg hinauf. Selbst die untere Stadt ist etwas hügelig. Die Bevölkerung zählt 45,000 Seelen, von welchen zwei Drittheile Franzosen, die noch aus den Zeiten stammen, als Canada zu Frankreich gehörte[16].

[S. 118]

Für Quebek hatte ich einen Brief mitgenommen, da ich besorgte, wie in Montreal in keinem Gasthofe aufgenommen zu werden. Letzteres war nichts desto weniger der Fall, aber nicht wegen Mißtrauens der Hôtelbesitzer, denn der Herr, an den ich empfohlen war, sandte seinen Neffen mit mir in ein Dutzend Boarding-Houses; wir fanden aber alle überfüllt. Die Parlamentssitzungen hatten gerade begonnen, und viele Fremde waren zugeströmt. Der Herr an welchen mein Brief lautete, schien auch kein Kämmerchen für mich zu haben, obwohl ich hörte, daß er ein schönes Haus bewohnte. Es blieb mir nichts anderes übrig, als den Tag über die Stadt ein wenig zu besehen und Abends mit dem Dampfer wieder nach Montreal zurückzukehren.

Ich bestieg vor allem das Kap Diamant, 345 Fuß hoch, auf dessen Spitze das Fort Diamant liegt. Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich, daß die Quebeker den Montrealern an Höflichkeit nicht nachstanden. Geizend mit der kurzen Zeit, über die ich zu gebieten hatte, wollte ich mich an keine Speisestunde binden, und ging in einen Laden, einige Kuchen zu essen. Dem Laden gegenüber lag die abgebrannte Ruine eines mächtigen Gebäudes. Ich frug das Ladenmädchen, was das für ein Gebäude gewesen sei. Sie[S. 119] antwortete mir: „Da hätte ich gerade Zeit, Ihnen Auskunft zu geben,“ — an Zeit fehlte es ihr wohl nicht, denn außer mir war kein Käufer im Laden. (Später erfuhr ich, daß diese Ruine des Gouverneurs Palast war.) Als ich das Kap zu besteigen anfing, überall nur grünen Rasen und keinen Weg sah, fragte ich einen Mann, ob es erlaubt sei, da hinauf zu gehen. „Try it“ (versucht es) war seine Antwort, und damit ließ er mich stehen.

Doch auf der Spitze des Kaps angekommen, vergaß ich schnell der erfahrenen Unhöflichkeiten, — lange schon hatte sich mir kein so überraschendes Bild dargeboten, wie ich es hier überblickte. Die ehrwürdige Stadt lag zu meinen Füßen, sich terrassenförmig um das Kap lagernd. Eines der schönsten, lachendsten Thäler verfolgte ich bis an die Ausläufer der grünen Gebirge (25 Meilen), deren Kuppen und langgezogene Rücken einen Theil desselben umfaßten, und der Lorenzostrom, der an der Stadt eine mächtige Bucht bildet, schlängelte sich andererseits durch mit Wald und Triften bedeckte Hügelketten fort.

Von dem Kap herabgestiegen, besuchte ich des Gouverneurs niedlichen Garten, der dem Volke geöffnet und mit vielen Bänken versehen ist — ein wahrhaft schöner Ruhepunkt, denn auch hier hat man das herrliche Amphitheater vor sich.

[S. 120]

Unter den Gebäuden fielen mir besonders die katholische Kirche und das Parlamentshaus auf, welch’ letzteres einen sehr schönen Sitzungssaal hat.

Schon um 5 Uhr Abends mußte ich wieder auf den Dampfer zurückkehren. Obwohl ich den ganzen Tag umher gelaufen und davon sehr ermüdet war, hielten mich dennoch die reizenden Scenerieen des Lorenzostromes bis tief in die Nacht auf dem Deck gefesselt. Ich glaube bestimmt, daß die Ufer dieses Stromes an Naturschönheiten so reich und wechselnd sind, wie jene des Rheins; doch fehlt hier der Zauber der Romantik, das Ohr des Reisenden kann keiner Sage lauschen, kein Schloß, keine Ruine zeigt sich seinem Auge. Merkwürdig und eigentümlich ist dafür das Farbenspiel, welches im Herbst die Baumblätter haben. Da gibt es rothe und braune, gelbe und grüne Blätter von allen Abstufungen und Uebergängen; dazwischen schimmern weiße durch, die oft wie Silber glänzen. Ich sah von diesen Blättern ganz allein gemachte Kränze, die sich herrlich ausnahmen.

Am 20. September Morgens traf ich wieder in Montreal ein, und schon Nachmittags setzte ich meine Reise nach Neu-York fort.

Beinahe alle Fahrten auf den Dampfern Nordamerika’s, von Neu-Orleans bis St. Louis, von Milvaukee über alle Seen und bis Montreal, von[S. 121] Montreal nach Quebek und zurück hatte ich bisher unentgeldlich gehabt. In den Vereinigten Staaten genügte die Nennung meines Namens; jeder Kapitän nahm mich zuvorkommend auf, ohne erst eine Bittschrift an einen Agenten oder Direktor einzureichen. In Montreal war es Dr. Visher, dessen Verwendung ich die freie Fahrt nach Quebek und zurück verdankte (es war, wie ich glaube, ebenfalls ein Amerikanischer Dampfer). Er versuchte auch, mir eine Freikarte auf dem Englischen Dampfer „Canada“ zu verschaffen, der den kleinen Champlain-See befährt; allein hier half keine Empfehlung, es hieß: „Bezahlen.“

Ich setzte bei Montreal in einem kleinen Dampfer über den Lorenzostrom, fuhr dann auf der Eisenbahn nach Rouses point (60 Meilen), von da auf dem schönen Dampfer „Canada“ über den Champlain-See und eine kleine Strecke den Hudson-Strom abwärts bis Whitehall, und von Whitehall wieder auf der Eisenbahn nach Neu-York, im ganzen eine Reise von ungefähr dreihundert Meilen, die man in 24 Stunden zurücklegt.

Die Fahrt auf dem Hudson hat viel ähnliches mit jener auf dem Lorenzo. Die Eisenbahn von Whitehall nach Neu-York läuft beständig längs des Flusses.[S. 122] Leider fährt sie so rasch, daß man kaum flüchtige Blicke auf die schnell wechselnden Landschaften werfen kann.

Man macht auf den Amerikanischen Eisenbahnen mit dem Postzuge sechzig, mit den gewöhnlichen Zügen fünfundzwanzig bis dreißig Meilen per Stunde. Die Wagen sind sehr bequem eingerichtet, die Preise ungemein billig. Die Geleise laufen, wie auf der Bahn von Callao nach Lima, durch Städte und Ortschaften, ohne durch ein Geländer von Geh- und Fahrwegen abgesondert zu sein. Daß dieß zu manchen Unglücksfällen Veranlassung gibt, ist nicht zu wundern. Aber Gefahr, Achtung für das Menschenleben kennt der Amerikaner nicht[17].

Die Einfahrt in die Weltstadt Amerikas (Neu-York) ist, wenigstens von dieser Seite, so unter aller Beschreibung, daß ich mich schon lange in dem Stadtgebiete[S. 123] befand und noch immer des Eintritts gewärtig war. Man fährt beständig über Plätze, wo nichts als Bauholz aufgeschichtet liegt, an hölzernen Hütten vorüber, zwischen welchen hie und da ein Steinhaus wie verloren steht, durch schmutzige, von Unrath strotzende Straßen.

Auf dem Bahnhofe wird die Dampfmaschine mit Pferden gewechselt; Schienen laufen durch einen großen Theil der Stadt, auf welchen die Reisenden nicht nur von einem Bahnhofe zu dem andern gebracht werden, sondern auch, wie ich später sah, Waggons die Stelle der Omnibus vertreten und nach verschiedenen Richtungen verkehren. Diese höchst zweckmäßige Einrichtung ist durchaus gefahrlos, da die Waggons langsam gehen, jeden Augenblick angehalten werden können, und die Geleise in den breiten Straßen kein Hinderniß sind, um so mehr, als die anderen Wagen kreuz und quer über sie hinfahren, als wären die Geleise gar nicht vorhanden.

Der Eintritt in eine große Stadt, wo man weder Oertlichkeit noch Menschen kennt, ist besonders für eine Frau überaus lästig. Ich war so glücklich, gleich für den ersten Augenblick eine freundliche Aufnahme bei Herrn Wutschel zu finden, und des folgenden Tages schon von Herrn Dr. Krakowitzer auf die zuvorkommendste Weise in das Haus eingeladen zu werden.[S. 124] Da dieses jedoch in Williamsburg lag, von der eigentlichen Stadt Neu-York zu weit entfernt, und ich in der Folge auch von Herrn Aigner, so wie von dem österreichischen Consul Herrn Loosey, die beide in der Mitte der Stadt wohnten, Einladungen erhielt, so verweilte ich abwechselnd bei diesen liebenswürdigen Familien, die mir den Aufenthalt so angenehm machten, als hätte ich unter lang bewährten Freunden gelebt.

Die Stadt Neu-York, mit einer Bevölkerung von beinahe 600,000 Seelen liegt, wie bekannt, auf einer Insel, die im Westen und Osten von dem Hudson, im Norden von dem Harlem-Flusse und im Süden von der Bay bespült wird.

Ich kann von dieser Stadt nicht viel mehr sagen, als daß sie schön gelegen und größer und bevölkerter ist, als alle Städte, die ich bisher in den Vereinigten Staaten gesehen, und daß mir das Geschäftsleben in den Hauptstraßen, besonders in Broad-way und Wall-Street noch bedeutender vorkam, als in der City in London. Das Gedränge von Menschen, Omnibus, Waggons, Lastwagen, macht jeden Gang durch diese Straßen beschwerlich, und sonderbarer Weise lieben es die Frauen sehr, sich gerade auf dem Broad-way, in Mitte der Geschäftsstunden im vollsten Putze zu zeigen, wodurch das Gedränge noch vermehrt wird, da[S. 125] sie langsam gehen und vor den Laden stehen bleiben, die Auslagen zu betrachten.

Die Straßen sind sehr breit und häufig mit großen Bäumen besetzt, was ihnen viel Reiz verleiht; die Gehwege sind von den Fahrwegen wie in London durch einige Zoll hohe Trottoirs geschieden. Ueberall, die Hauptstraßen nicht ausgenommen, herrscht sehr viel Schmutz, und dieß muß auf die Gesundheit, besonders im heißen Sommer, höchst schädlich einwirken. So ist es z. B. hier üblich, den Kehricht jeden Morgen in Kisten oder Kübeln vor das Haus zu setzen. Die Wagen, die das wegfahren sollen, kommen oft erst gegen Mittag und noch später, daher stößt man bei jedem Schritte darauf. Darneben gibt es viele kleine Pfützen, die sich in den schmalen Rinnen zwischen den Fahr- und Gehwegen sammeln und eben keine aromatischen Gerüche verbreiten.

Gebäude sieht man viele und sehr bedeutende; doch besteht ihre Schönheit hauptsächlich in der Größe, höchstens, daß einige einen Portikus, von Säulen getragen, besitzen. Die ausgezeichnesten sind auch hier wieder die Börse, die Banken und die ersten Gasthöfe, als Metropolis, St. Nicolas, Irvinghouse u. s. w. Von den Kirchen sieht die Trinidad-Kirche mit ihrem hohen Thurme viel versprechend aus; das Schiff ist jedoch weder lang noch hoch. Unter den[S. 126] Häusern gibt es einige von Eisen, auch ein Paar von Marmor, dazwischen aber gar manche hölzerne Hütte.

Die meisten Familien wohnen hier wie in England, in schmalen hohen Häusern, die sie für sich allein haben; doch fangen sie mitunter schon an einzusehen, daß es etwas unbequem sei, beständig Treppen auf- und nieder zu steigen, denn gespeist wird für gewöhnlich eine Treppe tief unter dem Erdgeschoß, neben der Küche, die Empfangszimmer liegen zu ebener Erde, die Schlafzimmer in den obern Stockwerken. Die neuen Häuser sind allerdings mit allen Einrichtungen versehen, das Wasser, kalt wie warm, wird bis in die obern Stockwerke geleitet, die Speisen werden mittelst eines Aufzuges in das erste Stockwerk gebracht, und von jedem Stockwerke kann man, vermöge kleiner Oeffnungen, welche die Wände durchziehen, bis unter das Erdgeschoß mit den Dienstleuten auf die leichteste Art verkehren: man spricht, den Mund an die Oeffnung haltend, ganz leise hinein, und erhält eben so die Antwort. Das ganze Haus ist mit Gas erleuchtet.

Von Museen, Bildergallerien u. dgl. ist in Neu-York nicht viel zu sehen. Das Privat-Museum des Herrn Barnum, als Museum nicht viel zu beachten, ist jedoch eines Besuches werth; man findet da bald einen Zwerg, bald irgend ein seltenes Thier, bald eine Komödie nebst einer Zusammenstellung von ausgestopften[S. 127] Vögeln, Thieren, Kleidungsstücken der Chinesen, ja sogar eine gut erhaltene Mumie, kurz von allem etwas. In diesem Museum sind überall Tafeln angeschlagen, welche die Besucher vor den Taschendieben warnen. Auch in manchen großen Verkaufslokalen gibt es derlei Plakate. Für mich war dieß ganz neu, ich hatte bisher an solchen Orten noch keine ähnliche Warnung gelesen.

Verkaufslokale besitzt Neu-York in großer Menge und zwar der prachtvollsten Art. Das großartigste ist jenes des Herrn Steward. Da können sich Frauen und Herren Stoffe und Luxusartikel jeder Art verschaffen; außer Schmuck und Schuhzeug ist alles zu haben. Ein großer Theil der Waaren ist in großen schönen Sälen auf das zierlichste aufgestellt — es kam mir hier beinahe wie in einer kleinen Industrie-Ausstellung vor. Mehr als 250 Leute finden bei diesem Geschäfte Anstellung.

Nicht minder großartig ist Herrn Taylors Zuckerbäckerei- und Erfrischungs-Lokal. Hier kann man nicht nur alle möglichen Bäckereien, Eis und Getränke haben, sondern auch Mittags- und Abend-Mahlzeiten. Bei Nacht bei der glänzenden Gasbeleuchtung sieht es wahrhaft feenartig aus.

Die Druckerei der „Tribune“ (das am meisten gelesene Zeitungsblatt in den Vereinigten Staaten, 35,000[S. 128] Exemplare, und von dem Wochenblatte 120,000), nimmt ein ganzes Haus von vier Stockwerken ein und beschäftiget 293 Personen. Das Interessanteste ist hier die von Herrn Hoe erfundene Cylinder-Presse, welche vier Seiten zu gleicher Zeit in weniger als vier Sekunden druckt. Herr Hoe hat auch für Paris eine solche Maschine verfertiget. In England soll jedoch, wie man mir sagte, in der Druckerei der „Times“ schon seit längerer Zeit eine ähnliche Cylinder-Presse im Gebrauche sein, man kann daher diese Erfindung eigentlich nicht ganz Herrn Hoe zuschreiben, wahrscheinlich hat er sie nur bedeutend verbessert.

Ueberhaupt ist es hier zu Lande ebenso gut wie in Europa der Fall, daß, wenn an irgend einer Maschine oder Erfindung eine Verbesserung angebracht wird, man das Ganze gleich als eine ganz neue Erfindung rühmen hört.

Bei dem Besuche der Druckerei hatte ich das Vergnügen, einen der Theilhaber an der „Tribune,“ Herrn Bayard Taylor kennen zu lernen. Dieser noch junge Mann hat sich nicht nur als Poet ausgezeichnet, sondern mit gleichem Talente auch den Orient, Indien, Abyssinien beschrieben, welche Länder er kürzlich bereiste. Selten liefert ein Poet getreue Reisebilder, gewöhnlich reißt ihn seine Phantasie hin, — nicht so bei Herrn Taylor; er wußte das Gesehene wahr,[S. 129] ohne Uebertreibung darzustellen, und doch den Zauber der Poesie darüber zu hauchen.

Auch die Novelty-Iron-Works der Herrn Stillman, Allen und Komp. besuchte ich. Sie sind die größten Amerika’s: nicht nur alle denkbaren Dampfmaschinen werden in ihnen verfertiget, sondern die größten Dampfschiffe gebaut und vollkommen ausgerüstet und eingerichtet. Tausend Menschen finden daselbst Beschäftigung, von welchen die geringen Arbeiter 1 Dollar per Tag, die Meister bis zu 4 Dollars verdienen; 400,000 Tonnen Roheisen werden jedes Jahr verarbeitet. Als Herr Stillman die Güte hatte, mich in dieser Riesen-Anstalt umher zu führen, lag gerade ein halbfertiger Dampfer auf der Werfte; seine Größe betrug 3400 Tonnen, er enthielt 1000 Schlafstellen und wird den Namen „Metropolis“ führen.

Was die großen Gasthöfe Neu-Yorks betrifft, so kann ich nur wiederholen, was ich von jenen in Neu-Orleans erwähnte: sie sind die prachtvollsten, die ich je gesehen habe. Aber auch hier geht, wie auf den Amerikanischen Dampfschiffen, vor lauter Pracht und Herrlichkeit gar mancher Comfort verloren. So findet man z. B. nirgends ein Fleckchen, um ruhig und bequem schreiben zu können. In den Empfangssälen berauben die großen, schweren, damastenen Vorhänge, welche mehr als das halbe Fenster beschatten,[S. 130] das Gemach des Lichtes, die Tische sind mit Marmorplatten überlegt, auf welchen in der kalten Jahreszeit der darauf ruhende Arm beinahe selbst zu Marmor wird. In den Schlafzimmern findet man alles, nur keinen Schreibtisch, und jeden andern Tisch ebenfalls mit Marmorplatten belegt. Ich sah zu verschiedenen Malen die Leute ihr Schreibbuch auf den Knieen haltend, so auf die mühevollste Weise schreiben. Heißt das doch dem Luxus Opfer bringen! — Wie gemüthlich saß ich dagegen in dem kleinen Hotel der Frau Teuscher an den Schnellen des Niagara. Mein Zimmerchen war auch mit Teppichen ausgelegt, es enthielt ebenfalls reine, zierliche Möbel, einen schönen Spiegel; aber ich hatte dabei nicht nöthig auf den Knieen zu schreiben — ein bequemer Tisch, freilich ohne Marmorplatten, diente mir hiezu.

Das größte Gasthaus ist das Neu-York-Hotel, welches an 1000 Zimmer enthalten soll. Auch das St. Nikolas-Hotel, das Irvinghouse haben bei 400 Gastzimmer und 300 Leute Dienerschaft. Das ganze Haus wird mittelst Dampf geheizt, überall genießt man einer angenehmen, gleichmäßigen Wärme. Die Kamine sind überflüssig und werden nur beibehalten, weil der Amerikaner gleich dem Engländer gerne ein lustiges Kaminfeuer sieht.

Neu-York besitzt mehrere schöne Theater, in welchen[S. 131] Englische, Französische und Deutsche Stücke, auch Italienische Opern aufgeführt werden. Am beliebtesten aber scheinen die sogenannten „schwarzen Minstrels“ zu sein. Die Schauspieler sind Weiße, aber schwarz gefärbt, und stellen Neger dar, die bemüht sind, sich in die Sitten und Gebräuche der Weißen hinein zu finden. In der Vorstellung, welcher ich beiwohnte, erschienen zehn Schauspieler in zierlich schwarzem Anzuge mit weißen Westen und Halsbinden; sie saßen im Halbkreise und sangen mit Begleitung eines Tamburins und einer Guitarre komische Lieder. Nach jedem Liede hielten zwei von ihnen witzig sein sollende Gespräche. Diese Unterhaltung währte eine ganze Stunde fort. Eine Art Komödie folgte darauf, bei welcher ich weder Sinn noch Zusammenhang heraus fand; dabei wurde auch ein wenig getanzt. Das Publikum (und sehr gewähltes, das verriethen nicht nur der geschmackvolle Anzug, sondern auch die Wagen in Menge, die vor dem Schauspielhause standen) schien sich sehr gut zu unterhalten und lachte fortwährend aus vollem Halse. Daß das schöne Geschlecht in diesem Lande eine ganz besondere Lachlust besitzt, wußte ich schon aus Erfahrung von den Dampfern her; aber an den Männern war es mir eine ganz neue Erscheinung.

Das Castle-Garden-Theater, in welchem gewöhnlich Ballete gegeben werden, gefiel mir durch[S. 132] seine Lage. Es steht an der südöstlichen Spitze der Stadt auf einer einstigen Batterie, die in die Bay etwas vorgeschoben und durch eine kleine Brücke mit der Stadt verbunden ist. Eine breite Gallerie läuft von außen rund umher, auf die man in den Zwischenakten treten kann, und von welcher man bei Mondbeleuchtung eine herrliche Uebersicht der Stadt und Bay genießt.

Wie ich bereits früher erwähnt habe, ist in den Vereinigten Staaten die Zahl der öffentlichen und Privat-Unterrichts-Anstalten außerordentlich groß. Neu-York selbst hat deren in Menge aufzuweisen. Ich besah mehrere, und unter anderen auch das Free-College für Jünglinge. Es ist ein Gebäude in Gothischem Style, mit hohen, großen Lehrsälen und Gängen. Diesem Institute stehen die ausgezeichnetsten Professoren vor, es werden bis zu fünfhundert Zöglinge aufgenommen, aber nur zum Unterrichte, nicht in Kost und Verpflegung. Sie bringen sechs Stunden täglich in dem Kollegium zu, lernen alle Gegenstände, die zur höheren Ausbildung gehören, und erhalten sowohl den Unterricht als die nöthigen Bücher, Papier, Federn u. s. w. unentgeldlich. Bevor ein Zögling aufgenommen wird, muß er sich einer strengen Prüfung unterwerfen, besteht er sie nicht sehr gut, so nützt keine Verwendung. Um hierbei jedem Unterschleife vorzubeugen,[S. 133] sollen die Professoren die Namen der zu Prüfenden nicht wissen und auch der Geprüfte eben so wenig seinen Erfolg erfahren, als bis derselbe im Rathe entschieden ist. Möglich, daß auf diese Art Bevorzugungen ausgewichen wird; allein der Mensch bleibt überall Mensch, und der Mittel der Bestechung gibt es gar viele, deshalb gefällt es mir nicht, daß der Reiche mit dem Armen hier gleichsteht. Der Reiche könnte bezahlen; die fünfhundert Plätze sollten nur für Mittellose bestimmt sein.

In den Privat-Mädchen-Instituten, hier Seminarien genannt, können die Mädchen in allen Zweigen der Wissenschaften und Künste Unterricht erhalten, und lernen sogar die lateinische und griechische Sprache. Auf meine Frage, wie es komme, daß man die Mädchen mit diesen todten Sprachen quäle, hieß es: „Damit sie in der Folge die Töchtersprachen, Italienisch, Französisch u. s. w., desto leichter erlernen.“ Man sollte daraus schließen, daß alle Mädchen der letztgenannten Sprachen mächtig seien; doch weit davon entfernt — ich hörte nirgends so wenig fremde Sprachen sprechen, als unter den Amerikanern.

Diese einseitige Erziehung, in welcher das Weibliche gänzlich vernachlässiget wird, möchte ich als Hauptursache jenes Hanges nach Emancipation betrachten, der[S. 134] die Amerikanischen Mädchen und Frauen so stark charakterisirt.

Ich sollte denken, daß die Frauen vorerst anfingen, sich in ihrem Hause vollkommen zu emancipiren. Die häuslichen Geschäfte müssen am Ende von jemanden verrichtet werden, und meiner Meinung nach sind dazu doch die Frauen passender als die Männer. Ich bin weit entfernt, damit sagen zu wollen, daß die Frauen die Dienste der Mägde leisten sollen; aber verstehen müssen sie dieselben, sonst sind die letzteren die eigentlichen Herren im Hause. Die Mädchen in meinem Lande studiren ebenfalls Sprachen, Musik, Geschichte u. s. w., finden aber dabei Zeit, sich auch mit den weiblichen Beschäftigungen bekannt zu machen.

Ich ging einst in Neu-York eine Frau besuchen und fand sie nicht zu Hause: die Magd sagte mir, sie sei auf das Land gegangen (da die Wohnung gewechselt werde) und werde erst wiederkommen, wenn in der neuen Wohnung alles in Ordnung gebracht sei. Und wer besorgte die Uebersiedlung? Natürlich der Gatte, der Geschäftsmann! —

Es sollte mich nicht wundern, wenn mit der Zeit der Mann es sein wird, welcher der neu eintretenden Magd zeigt, wie sie das Kind zu baden, anzukleiden, die Küche zu beschicken habe, mit einem Worte, wie[S. 135] ihre ganze Arbeit einzutheilen sei. Vielleicht kommt dieß jetzt schon vor!

Weil die Amerikanischen Frauen sich häufig von der Führung des Hauswesens emancipiren, die Männer nicht immer Zeit und Lust haben, die Pflichten ihrer Frauen zu übernehmen, gehen Eheleute nicht selten in Boarding-Houses, um da zu leben — eine abscheuliche Gewohnheit, die oft die fürchterlichsten Folgen nach sich zieht. Müssiggang ist, wie bekannt, aller Laster Anfang. Eine junge hübsche Frau[18] wohnt da mit Leuten in Gemeinschaft, deren Charakter oft nicht der beste ist, das Hauswesen beschäftigt sie nicht, und hat sie Kinder, so sendet sie dieselben schon in dem Alter von vier Jahren nach der Schule.

Zu dem Lobe der Amerikanischen Frauen muß ich jedoch anführen, daß sie (ausgenommen in den Sklavenstaaten) ihre Kleinen selten einer Amme anvertrauen und die Mutterpflicht selbst verrichten. In dieser Hinsicht gebührt ihnen der Preis vor allen andern Nationen. Gott erhalte diese schöne Sitte!

Fühlen Mädchen einerseits Abscheu für die weiblichen Beschäftigungen, andrerseits einen besondern[S. 136] Drang nach einer Kunst oder Wissenschaft[19], die sie bis zur Vollkommenheit studiren und ausüben wollen, so mögen sie es thun, aber in diesem Falle nicht auf halbem Wege stehen bleiben, sondern sich vollkommen emancipiren, und so lange sie Professoren, Doktoren u. s. w. sind, dem Ehestande entsagen, denn schwer, wo nicht unmöglich ist es, die Pflichten des Mannes und der Frau zu gleicher Zeit zu erfüllen.

Und möchten doch alle Emancipations-Proselytinnen bedenken, daß gerade der Beruf, von welchem sie sich emancipiren wollen, zu den schönsten und edelsten gehört. Oder kann es etwas Edleres geben, als den[S. 137] Beruf einer Mutter?[20] Liegt nicht in ihren Händen der kostbarste Schatz jedes Staates — die Erziehung der Jugend? Ist es nicht die Mutter, die dem Kinde schon im zartesten Alter Liebe für Pflicht und Tugend einflößt, es auf den Weg leitet, ein würdiges Mitglied des großen Menschenvereines zu werden? Eine besonnene Hausfrau, eine vernünftige, liebende Mutter war und wird ewig das Ideal des Weibes bleiben.

Doch wieder zurück zu den Seminarien.

Das Schulgeld für ein Mädchen in den ersten Anstalten ist per Jahr (zehn Monate) 500 Dollars; dafür erhält es Kost, Wohnung und den Unterricht in den gewöhnlichen Lehrgegenständen. Musik- und Tanzunterricht, Nebenrechnungen belaufen sich auf 200-300 Dollars, und bei dieser hohen Bezahlung herrscht die schöne Gewohnheit, daß zwei sich ganz fremde Zöglinge eine Schlafstelle theilen müssen. Ich fand leider diesen Uebelstand schon in London; doch erstreckt er sich dort gemeiniglich nur auf ein Schwesterpaar; in den Vereinigten Staaten aber geht diese Manie so weit,[S. 138] daß Knaben und Männer sogar die Schlafstellen theilen. Ich sah in manchen Familien, die zu den wohlhabenden gehörten, eine Magd und zwei Kinder, oder auch drei Kinder zusammen schlafen. Ich konnte mich oft nicht enthalten, diese abscheuliche Gewohnheit zu rügen. Man gab mir zur Antwort, es geschehe aus Zeitersparniß. Immer hört man dieses Wort in jedermanns Munde, und doch fand ich, daß Frauen und Dienstleute hier ungleich weniger arbeiten, als bei uns in Deutschland. Und muß man, um ein wenig Zeit zu ersparen, die Sittlichkeit, die Gesundheit zum Opfer bringen?! —

Die Gerichtsverhandlungen besuchte ich einige Male. Es ging da ungefähr so zu, wie in meiner Vaterstadt (Wien) nach der Revolution im Jahre 1848: es gab Richter und Geschworne, Advokaten von beiden Theilen, Zeugen und ein sehr aufmerksames Publikum. Ich wohnte einem wichtigen Prozesse bei, in welchem es sich um die Verurteilung eines Mörders handelte. Der Sachverhalt war folgender:

Der Verbrecher Dr. Gr., ein Ausschweifungen jeder Art ergebener Mann, wohnte in dem St. Nicolas-Gasthofe; mit ihm zu gleicher Zeit Obrist Loring sammt Frau. Dr. Gr. kam beinahe jede Nacht betrunken nach Hause. In einer Nacht, gegen drei Uhr Morgens ging er in die Gallerie und schellte mit Heftigkeit einem Diener, und zwar durch anhaltend lange[S. 139] Zeit. Obrist Loring trat endlich aus seinem Zimmer, den Doktor ersuchend, mit dem Schellen aufzuhören, da es vergebens sei, denn die Diener wohnten nicht in diesem Theile des Hauses, überdieß habe seine Frau starke Kopfschmerzen und könne den Lärm nicht vertragen. Doch nach kurzem ging das Schellen wieder an, und wie später Frau Loring bei dem Verhöre aussagte, ging ihr Mann abermals aus dem Zimmer mit dem Vorsatze, einen Diener zu holen und so der Ruhestörung ein Ende zu machen. Dr. Gr. aber behauptete, der Oberst habe ihm einige Scheltworte gesagt (eine Sache, die höchst natürlich gewesen wäre, und die der rohe Wüstling vollkommen verdient hätte). Kurz Dr. Gr. lief in sein Zimmer, kam mit einem Degenstocke wieder und stieß diesen Herrn Loring durch den Leib. Der Stich ging durch das Herz, und der Oberst wurde als Leiche in sein Zimmer zurück getragen.

Ich habe schon auf meiner Reise durch die südlichen Staaten erwähnt, daß in Amerika das Laster der Trunkenheit als große Entschuldigung gilt. Auch hier hörte ich viele, die das Benehmen des Mörder gerade durch seine Lebensweise entschuldigten. Sie sagten: „Er that dieß in der Trunkenheit, wer weiß, wie ihn Loring gereizt hat“ u. s. w.

Bei dem Verhör sah der Doctor so ruhig und unbefangen umher, als wäre er schuldlos gewesen.[S. 140] Die Zeitungen schrieben, daß er vermutlich ganz frei gesprochen werde, da er Geld und Freunde besitze. Er wurde zwar auf sieben Jahre Gefängniß verurtheilt, appellirte aber dagegen, und sogleich ward das Urtheil auf vier Jahre herabgesetzt. Ich verließ Neu-York vor der vollkommenen Entscheidung des Prozesses; allein die allgemeine Stimme sagte, daß wohl schon nach einigen Monaten gänzliche Verzeihung erfolgen dürfte. Nur müsse der Mörder in diesem Falle Neu-York verlassen, sonst würde er von dem Volke überall beleidigt werden.

Es gibt manche, die an dem Volke rühmen, daß es seinen Unwillen derart zu erkennen gibt, die dieses Gefühl für Gerechtigkeit in ihm bewundern. Aber wenn das Volk die Gerechtigkeit erkennt und liebt, warum gestattet es, daß so unrechtmäßige Nachsicht mit den Verbrechern geübt wird, warum wählt es nicht ehrliche, unbeugsame Männer zu Richtern und Geschwornen? — An der Macht hierzu fehlt es ihm in einem freien Lande, wie die Vereinigten Staaten es sind, doch gewiß nicht! —

[15] Ich las in Beschreibungen, daß man das Getöse 40 Meilen weit höre. Ich vernahm es kaum mehr in der Entfernung von einer Meile. — Der Hufeisen-Fall ist 2100 Fuß breit, die Höhe 149 Fuß. Der Amerikanische ist 1140 Fuß breit, 164 Fuß hoch. Man schätzt die Wassermasse, die von beiden Fällen per Minute herabstürzt, auf 670,250 Tonnen.

[16] Die Franzosen gründeten in Canada die erste Kolonie im Jahre 1607; sie blieben im Besitz des Landes bis 1759, wo es ihnen von den Engländern abgenommen wurde.

[17] Herr Chapin, einer der berühmtesten Amerikanischen Prediger, sagt in einer seiner Predigten nach einem großen Unfalle auf einer Eisenbahn: „Und gegen dieses Ungestüm sollte auf jede Weise gearbeitet, vor allem das Menschenleben geachtet werden. Dieß Gefühl sollte, wie ich mit Schmerz gestehen muß, in unserem Zeitalter und unserem Lande weiter und tiefer verbreitet sein. Das Leben ist kostbar. O! herzlose Korporationen, stellt eueren Dollars die Menschlichkeit gegenüber, und wenn ein kleiner Gewinn wichtiger ist als ein etwas fester gemachter Keil oder ein extra aufgestellter Aufseher an einem gefährlichen Punkte, so sagt nicht, daß der Staat nur seiner Aufregung Gehör gibt, wenn er die Lebensnerven durchschneidet, mittelst deren Korporationen bestehen.“

[18] Nicht selten ziehen auch junge Mädchen, welchen es in dem elterlichen Hause nicht gefällt oder zu still zugeht, in Boarding-Houses.

[19] In den Vereinigten Staaten gibt es eine außerordentliche Anzahl von Dichterinnen, Schriftstellerinnen und Komponistinnen. Wenn ich die Namen aller jener aufgezeichnet hätte, die man mir als solche vorstellte, so würde ich bogenlange Register zusammengebracht haben. Gewiß gibt es darunter viele sehr talentvolle; aber die auch nur ein Verschen, einen kleinen Aufsatz, einen Walzer, eine Polka geschrieben hat, nennt sich schon Dichterin, Komponistin. Die Unbedeutendheit des Werkchens ersetzt ein großer, viel versprechender Titel. Hierauf scheint man in den Vereinigten Staaten überhaupt sehr viel zu halten. Als ich mit einem Verleger betreffs meiner Reisebeschreibung sprach, war seine erste Frage nach dem Titel. Lächelnd erwiderte ich ihm, daß ich daran erst denken würde, wenn die Arbeit vollendet sei. Er meinte aber, dieß wäre eine sehr wichtige Sache, das Publikum sähe viel auf den Titel, und klänge dieser gut, so sei dem Buche schon im vorhinein eine gute Aufnahme gesichert.

[20] Man wird mir vielleicht zurufen, daß ich mich selbst in gewisser Beziehung emancipirt habe, indem ich so große Reisen allein unternahm und jahrelang vom Hause abwesend blieb; — ich that dieß jedoch erst, als meine Kinder herangewachsen, selbständig waren, als sie meiner Pflege und Sorgfalt nicht mehr bedurften, und als mir überhaupt keine häuslichen Pflichten mehr oblagen.

[S. 141]

Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Die Umgebungen Neu-Yorks. — Die öffentlichen Institute. — Blackwells- und Randalls-Island. — Die Five-Points. — Reise nach Boston. — Der Empfehlungsbrief. — Festessen der Massachusetts-Mechaniker-Gesellschaft. — Waisenhaus, Gefängniß u. s. w. — Cambridge. — Lowell. — Rückkehr nach Neu-York. — Die Wahl. — Abschied von den Vereinigten Staaten.

Ich benützte meinen Aufenthalt in Neu-York zu wiederholten Besuchen der nahen Umgebung, so wie auch zu zwei kleinen Ausflügen, den einen nach Herrn Bryant’s Landsitze auf Long-Island, den andern nach dem Landhause des berühmten Dichters Washington Irving.

Die nächste Umgebung der Stadt bilden die Städte Broklyn, Williamsburg und Hoboken, die man eigentlich als Theile Neu-Yorks betrachten könnte, denn sie sind nur durch den Fluß davon getrennt. Viele Leute wohnen da, welche ihre Geschäfte täglich nach Neu-York rufen, und Dampfer fahren jeden Augenblick hin und her.

[S. 142]

Etwas weiter über der Bay liegt States’ Island. Aus der Bay machen die Amerikaner gar viel, und wollen sie mit jener von Neapel oder Konstantinopel vergleichen. Davon kann wohl keine Rede sein. Sie ist allerdings hübsch; allein ihre Breite ist zu groß, die Hügelkette zu niedrig. Von der Stadt aus erscheint die gegenüberliegende Hügelkette noch viel unbedeutender als sie ist, und von States’ Island aus verschwimmt Neu-York zu einem Steinhaufen, und man sieht von den Schiffen nichts als den Mastenwald.

Auf States’ Island selbst gibt es hübsche Landsitze mit schönen Aussichten. Schade daß alles mit Bretterwänden eingefaßt ist und man nirgend durch die Wäldchen und Wiesen gehen kann, sondern sich mit der staubigen Straße begnügen muß.

Greenwood (6 Meilen von Neu-York) ist der prachtvollste Friedhof nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern in der ganzen Welt. Die ehrwürdigsten Bäume beschatten die saftigsten Wiesen, spiegelhelle Teiche blicken dazwischen durch. Unter den Bäumen zeichnen sich ganz besonders die Trauerweiden aus: in keinem Lande sah ich sie so groß und umfangreich, als in den nördlichen Theilen der Vereinigten Staaten. Von den Hügeln hat man die bezauberndste Uebersicht der Bay und der Stadt sammt ihrer Umgebung.[S. 143] Wahrlich, ich würde meinen Wohnsitz ungleich lieber hier bei den Todten aufschlagen, als in der geräuschvollen Stadt!

Ohne Einlaßkarte erhält man keinen Zutritt in diesen Ort der Ruhe; an Sonntagen wird er leider ganz geschlossen, und somit ist der schönste Punkt um Neu-York für die arbeitende Klasse, die nur über den Sonntag gebieten kann, so viel wie gar nicht vorhanden.

Zu High-Bridge (10 Meilen) sind die großen Wasserwerke, welche den Bedarf Neu-Yorks decken; ein hoch gespannter Aquädukt leitet das Quellwasser über einen Arm des Hudson-Flusses nach der Stadt. Ueberdieß verdient dieser Ort auch seiner Landschaft wegen besucht zu werden, die zu einer der schönsten um Neu-York gehört.

Ich fuhr in einem Omnibus dahin, welcher im Innern Plätze für zwölf Personen enthielt. Dieser Omnibus geht nur alle halbe Stunden ab und weist niemanden zurück[21]. Ich zählte vierzehn Erwachsene und fünf Kinder, von welchen das jüngste über vier Jahre alt war. Zu meinem Erstaunen setzten sich Mädchen, junge Frauen ohne alle Umstände auf den Schooß ihnen ganz fremder Männer. Das nenne ich[S. 144] doch etwas gar zu frei! — Sittlichkeitsgefühl, Frauenwürde, sind dieß hier nur leere Worte? Ich würde eine solche Sache für kaum möglich gehalten haben, hätte ich es nicht selbst gesehen.

Herrn Bryant’s Landsitz liegt bei Roslin auf Long-Island (30 Meilen von Neu-York). Es gereichte mir zum größten Vergnügen, diesen Herrn kennen zu lernen, der als Herausgeber einer der gelesensten Zeitungen und als Schriftsteller, Poet und Uebersetzer Deutscher Dichter nicht nur in seinem Vaterlande, sondern auch außerhalb desselben rühmlichst bekannt ist. Er war so freundlich, mich auf einige Tage zu sich auf das Land einzuladen. Die kleine Reise dahin kann man auf der Eisenbahn oder zur See auf kleinen Dampfern machen. Beide Wege bieten viele hübsche Ansichten, besonders letzterer.

Das Landhaus liegt überaus reizend auf einer kleinen Anhöhe, nahe der See; Parthieen des Dörfleins Roslin umgeben es von allen Seiten, frische Laubbäume, stattliche Trauerweiden (mit Stämmen bis zu fünf Fuß im Durchmesser) gruppiren sich dazwischen. Das Ganze hat einen so ländlich stillen, ruhigen Anstrich, als gäbe es Hunderte von Meilen weit keine Stadt. Hier kann sich das Gemüth erholen und neue Kräfte für das stürmische Leben sammeln. Aber abgesehen von diesen Annehmlichkeiten fühlte ich mich[S. 145] von der herzlich guten Familie Bryant so angezogen, daß ich alles andere nur als schöne Zugabe betrachtete. In Frau Bryant lernte ich das vollkommenste Muster einer Hausfrau kennen. Sie beweist, wie gut man Häuslichkeit mit Bildung, Bescheidenheit und Anmuth mit Willensmeinung und Kraft verbinden kann. Wollte Gott, es gäbe nicht nur in Amerika, sondern überall viele so gediegene Hausfrauen!

Wie gern hätte ich auch hier wieder der Zeit in die Speichen gegriffen; die wenigen Tage eilten nur zu rasch dahin!

Washington Irving’s Landhaus liegt ebenfalls ungefähr 30 Meilen von Neu-York, aber in einer andern Richtung, am Hudson-Flusse. Auch dieser große Dichter nahm mich sehr zuvorkommend auf. In seinen ruhigen, freundlichen, wohlwollenden Zügen hätte ich eher einen gemütlichen Landmann als einen genialen Schriftsteller gesucht; wenn er aber zu sprechen begann, erglänzten seine Augen in Jugendfeuer, seine Gesichtszüge nahmen den geistreichsten Ausdruck an. Glücklich hat hier die Natur Geist und Gemüth zugleich begabt.

Washington Irving führt ein Junggesellen-Leben; doch wußte er sein Alter herrlich auszuschmücken. Mehrere sehr liebenswürdige Nichten (Töchter seiner Schwester) theilen die reizend gelegene Villa mit ihrem Oheim, der[S. 146] selbst im Winter diesen Ort der Zurückgezogenheit nicht verläßt.

Nun blieb mir von Neu-York nicht viel mehr zu besehen übrig, als die öffentlichen Institute, die Volksschulen, Armen- und Waisen-Häuser, Irren-Hospital, Gefängnisse u. s. w.

Mein Glücksstern führte mich zuerst nach den Tombs (Stadtgefängnissen). Ich sage „mein Glücksstern,“ weil ich da an der Oberaufseherin (Matrone) M. Flora Forster, eine der besten, treuherzigsten Frauen kennen lernte: ihr Charakter sprach mich sehr an, und gar manche Stunde, ganze Abende brachte ich bei ihr in den Tombs und in ihrem Hause zu.

Das Stadtgefängniß ist ein in Egyptischem Style gehaltenes Gebäude. Ich dachte, es hätte den Namen „Tombs“ von seiner Aehnlichkeit mit den Egyptischen Grab-Monumenten erhalten; das ist aber nicht der Fall. Man nennt es Tombs, weil es zur Zeit seiner Entstehung von Sümpfen ganz umgeben war, welche die Luft so ungesund machten, daß die meisten der Gefangenen starben.

In dieses Gefängniß kommen Verbrecher jeder Art und besonders alle Betrunkenen, die man auf der Straße findet. Die Verbrecher bleiben bis zu ihrer Aburtheilung. Sie haben nette, luftige Kämmerchen (in jedem Kämmerchen lebt nur ein Gefangener), mit[S. 147] Betten und einem Stuhle und eine einfache gesunde, genügende Kost. Die leichteren Verbrecher können einige Stunden des Tages im Hofe umhergehen, die schweren in den innern Gängen. So lange sie nicht verurtheilt sind, wird ihnen gestattet, sich so viele Bequemlichkeiten und Annehmlichkeiten zu verschaffen, als es ihre Börse oder die Sorge ihrer Freunde erlaubt.

Die Betrunkenen kommen auf fünf Tage hieher, nach mehrmals wiederholtem Falle werden sie auf sechs Monate nach dem Strafhause auf Blackwells-Island verurtheilt.

Zu meinem Leidwesen sah ich in der Abtheilung für das weibliche Geschlecht meistens junge Mädchen und Weiber. Die Zahl solcher bedauernswerther Geschöpfe soll sich manchen Tag auf dreißig und vierzig belaufen. Im vergangenen Jahre wurden bei 6000 Weiber und Mädchen hieher gebracht. Wer das Laster der Trunkenheit in seiner vollen Entwürdigung sehen will, der komme hieher! — Ich begreife wirklich nicht, wie man ihm in den Vereinigten Staaten so viel zu Gute halten kann.

Die Oberaufseherin der weiblichen Abtheilung ist M. Forster, und wenn die Leute nicht gebessert herauskommen, ist es gewiß nicht ihre Schuld, denn sie sucht sie mit wahrer Herzlichkeit und Menschenliebe auf den Weg des Guten zu leiten. Ich hatte oft Gelegenheit,[S. 148] sie in der Ausübung ihres Berufes zu sehen und nahm den größten Antheil an ihrem Schalten und Walten.

Unter den Amerikanischen Frauen und Mädchen herrscht, wie in England und Deutschland, die schöne Sitte, daß sich gar manche unter ihnen zu zeitweiligen Besuchen der weiblichen Lehr- und Straf-Anstalten verbinden. Sie sehen nicht nur nach, ob die dabei Angestellten ihre Pflichten erfüllen, sondern sie bemühen sich auch selbst, durch gemüthliches Zusprechen, durch gute Lehren die Leute zu bessern, und wenn die Gefangenen ihre Strafzeit überstanden haben, sie an anständige Orte zu bringen, wo sie sich ihren Unterhalt verdienen können. Unter diesen Frauen, welche sich der Hülflosen und der Verbrecherinnen so liebevoll annehmen, lernte ich vorzugsweise Frau Gibbons (Gemahlin des Herrn J. S. Gibbons) und Fräulein Curtis kennen. Schon die Väter dieser beiden genannten Damen widmeten den Armen den größten Theil ihrer Zeit und vieles Geld, und bemühten sich besonders, die herangewachsenen Waisen, die gebesserten Sträflinge bei tugendhaften Familien unterzubringen; Frau Gibbons’ Vater ist bereits gestorben, Herr Curtis schon ein 81jähriger Greis. Die beiden Damen wirken aber ganz in dem Geiste dieser wahren Wohlthäter fort.

Ich besuchte mit ihnen und Frau Forster Blackwells-Island,[S. 149] ein winziges Inselchen, unferne von der Stadt, freundlich gelegen und mit einer herrlich gesunden Luft. Dieses Fleckchen Erde (eine Meile lang, eine halbe Meile breit) enthält ausschließend öffentliche Anstalten für alte, gebrechliche Leute, für Geisteskranke und solche Verbrecher, die auf sechs Monate verurtheilt sind.

Die drei Gebäude, in gehöriger Entfernung stehend und durch Gärten und Steinwänden von einander getrennt, gleichen an Größe und solidem Bau Palästen. Sie sind von Quadersteinen aufgeführt und wurden, wie man mir sagte, von den Verbrechern selbst gebaut.

Alle diese drei Anstalten kann man in jeder Hinsicht vollkommen nennen. Die Säle zum Arbeiten, zum Aufenthalte während des Tages, zum Speisen und Schlafen sind hoch und geräumig, die Kost ist gut, gesund und reichlich, die Ordnung und Reinlichkeit überaus groß. Wer arbeitsfähig ist, muß täglich eine bestimmte Zahl von Stunden arbeiten.

Unter den Verbrecherinnen fiel mir ein junges Mädchen von 18 bis 20 Jahren auf: sie trug das Haar kurzgeschnitten, nach Art der Männer. Als ich nach der Ursache frug, hieß es, daß sie sechs Monate als Matrose auf einem Schiffe gedient habe. Dieß war auch das Vergehen, wegen dessen sie sich an diesem Orte befand.

[S. 150]

Die Verbrecher, Männer wie Weiber, verhielten sich äußerst anständig, man hörte weder Geflüster, noch Gelächter, wenn man in die Säle trat. Man behandelt aber auch die Leute nicht mit bösen Worten und mit Rohheit wie Verbrecher, sondern wie bereits Gebesserte. Man hat den Grundsatz, des Verbrechers That zu vergessen, kein Mensch darf derselben erwähnen. Die Frauen, mit welchen ich kam, reichten den Leuten die Hände und sprachen mit ihnen auf die herzlichste Weise. Gewiß muß solche Behandlungsart von guten Folgen sein.

Am allerbesten gefiel mir das Hospital für die Irren; ich ziehe es bei weitem Bedlam in London vor. Die Unglücklichen werden Nachts nicht in kleine Zellen gesperrt, sondern schlafen in luftigen, geräumigen Zimmern und (obwohl durchgehend Arme) in blendend weißen guten Betten. Die Fenster sind derart vergittert, daß man es gar nicht gewahrt; die eisernen Stäbe passen nämlich gerade auf die hölzernen Fensterrahmen. Die Mahlzeiten werden in Gemeinschaft eingenommen, auf reinlich gedeckten Tafeln, mit weißem Geschirre, mit Gläsern und Eßbestecken; nur den gefährlichen Irren wird dergleichen nicht anvertraut: diese speisen auf Blechgeschirr, und das Fleisch wird ihnen in Stückchen geschnitten, auf den Tisch gebracht.

Randall’s-Island, ein anderes Inselchen,[S. 151] enthält ebenfalls nur öffentliche Anstalten und zwar meistens für Kinder. Die größte hievon (Home of refuge) ein prachtvolles Gebäude, so eben beendet, ist für Kinder bestimmt, die wegen Vergehungen hieher kommen. Die andern kleinen Häuser sind für Waisen oder von ihren Eltern ganz verwahrloste, für blödsinnige und eines auch für kranke, besonders scrophulöse Kinder.

Alle diese Anstalten sind schön und trefflich eingerichtet; nur fand ich bei den kranken und blödsinnigen Kindern der Wärterinnen zu wenig, und deshalb die Pflege nicht ganz so, wie sie sein sollte. Wie kann eine Wärterin zwanzig und mehr solcher kleiner Geschöpfe besorgen! Auch die Bezahlung der Wärterinnen ist zu gering.

In dem Home of refuge werden die Kinder vom zehnten Jahre an aufgenommen, und je nach ihrer Besserung und Bekehrung kürzere oder längere Zeit behalten. Oft erlangen sie schon nach drei Monaten ihre Freiheit wieder, oft bleiben sie bis zur Mündigkeit, die bei Jünglingen mit dem vollendeten einundzwanzigsten, bei Mädchen mit dem achtzehnten Jahre eintritt. Wenn dergleichen Kinder aus der Anstalt austreten, sucht man sie bei Farmers in Dienst zu bringen.

Außer dem Waisenhause auf Randall’s-Island,[S. 152] gibt es in Neu-York noch zwei, eines für farbige, eines für weiße Kinder. Letzteres liegt im Herzen der Stadt, in den „five points,“ dem verrufensten Theile Neu-York’s. Kein wohlgekleideter Mensch dürfte es wagen, Abends dahin zu gehen, außer in Begleitung eines Polizei-Mannes. Beraubungen, Morde, alle möglichen Verbrechen werden da besprochen und verabredet. Und inmitten dieser überirdischen Hölle hat die Missions-Gesellschaft das Waisenhaus errichtet, in dessen einer Abtheilung auch Mädchen und Weiber aufgenommen werden, die auf unrechten Wegen gewandelt und sich bessern wollen. Man versieht sie mit Arbeit; einen Theil ihres Wochenlohnes geben sie an die Anstalt für Kost und Verpflegung.

An dem Schulunterrichte der Waisen können auch Kinder Theil nehmen, die nicht in Kost und Verpflegung sind. Diese Anstalt erfreut sich eines sehr schönen Erfolges; schon senden viele der verworfensten Eltern ihre Kinder zur Schule, und gar manche jugendliche Sünderin verließ den schlechten Pfad.

In dem Waisenhause der farbigen Kinder werden diese von dem zweiten bis zum zwölften Jahre behalten; dann sucht man sie auf Farms, bei Handwerkern oder in braven Familien unterzubringen. Für den Schulunterricht gibt es sonderbarer Weise nur einen gemeinschaftlichen Saal; die Kinder sitzen zwar in[S. 153] Klassen eingeteilt, aber ohne durch eine Wand von einander getrennt zu sein. Das Geschrei der Lehrerinnen[22] und der Kinder ist so arg wie in einer Judenschule. Wenn eine Lehrerin eine Frage stellt, gibt die ganze Klasse die Antwort, ob recht oder nicht, das kann man, des Lärmens wegen, gar nicht unterscheiden. Die unzweckmäßigste Methode, daß ganze Klassen antworten, fand ich nicht nur in diesem Waisenhause, sondern auch in andern öffentlichen Schulen.

Das Amt einer Lehrerin oder Professorin ist in den Amerikanischen Schulen (die hohen Mädchen-Seminarien nicht ausgenommen) sehr leicht und bequem. Die Lehrbücher sind der Art eingerichtet, daß der Unterricht ganz einfach aus den Büchern herausgelesen wird, und damit ist die Sache abgethan.

In der Gegend der five points sind für die Jungen, welche die Zeitungen austragen, einige Säle eingerichtet, in welchen sie gute Betten, Beleuchtung, Heizung und Unterricht in den Normal-Gegenständen und in der Religion für die geringe Bezahlung von zweiundvierzig Cents per Woche finden. —

[S. 154]

Das Taubstummen-Institut unter der Leitung des Direktors Peck ist ausgezeichnet. Die Zöglinge sind in den verschiedenen Zweigen des Wissens so ausgebildet, als hätten sie nicht weniger, sondern mehr als fünf Sinne. Besonders thaten sie sich in der Aufsatzlehre und Arithmetik hervor. Einige sprachen wenige Worte, eine Erscheinung, die mir nicht neu war, da ich sie schon vor vielen Jahren in dem Taubstummen-Institute zu Wien beobachtet hatte.

Herr Peck Vater war abwesend. Die Anstalt wurde mir mit größter Bereitwilligkeit von seinem Sohne gezeigt, der an Jahren kaum das Jünglingsalter überschritten hatte, in der Art und Weise mit den Unglücklichen umzugehen, ihre Liebe zu gewinnen und sie zu unterrichten, aber den gediegensten und erfahrensten Männern an die Seite zu setzen ist. — Die Amerikaner werden schon in jungen Jahren für das praktische Leben gleich erfahrenen Männern ausgebildet, was hauptsächlich durch den frühen Eintritt in das Geschäftsleben geschieht.

Herr Peck Sohn hat sich ein sehr liebenswürdiges Mädchen aus den Zöglingen zur Lebensgefährtin gewählt.

Ich war nun schon drei Wochen in Neu-York und hatte das Merkwürdigste so ziemlich gesehen; man forderte mich auf, auch einige Ausflüge nach den[S. 155] andern großen Städten, Boston, Philadelphia, Washington zu machen. Aber aufrichtig gesagt, ohne Unterlaß große Städte besuchen, ermüdet mich; zudem bieten die Amerikanischen Städte, groß oder klein, zu wenig Abwechslung: sie gleichen einer der andern gar zu sehr. Doch gab ich endlich der Ueberredung meiner Freunde nach und entschloß mich, wenigstens Boston, das „Athen“ der Vereinigten Staaten zu besuchen.

Am 10. Oktober ging ich Nachmittags auf dem großen Dampfer „Van der Bilt“ den östlichen Hudson-Fluß 65 Meilen aufwärts, bis zur Eisenbahn. Diese Fahrt ist nur Anfangs hübsch durch die Ansichten der Städte Neu-York und Broklyn, durch kleine Hügelparthieen und die umherliegenden Landhäuser; später werden die Ufer flach und einförmig.

Sehr praktisch fand ich die Art und Weise, in welcher die Güter und das Gepäcke der Reisenden auf dem Dampfer geordnet werden, um allem Zeitverlust und allen Unordnungen bei dem Wechsel mit der Eisenbahn vorzubeugen. Es gab kleine Waggons, in welche das Gepäcke je nach den verschiedenen Stationen gelegt wurde. Bei der Ankunft an der Eisenbahn standen die Pferde schon bereit, die Waggons wurden herausgezogen und an den Zug angehängt. Dadurch[S. 156] ging alles schnell und ordentlich, ohne Gedränge und Laufen vor sich.

Was das Praktische in allen Einrichtungen anbelangt, sind die Amerikaner wirklich bewundernswürdig: in dieser Beziehung könnten alle Nationen bei ihnen in die Lehre gehen.

Um 2 Uhr Nachts wechselten wir den Dampfer mit der Eisenbahn, und nach ungefähr vier Stunden (120 Meilen) waren wir in Boston.

Ich stieg hier auch wieder in einem Boarding-house ab. Doch kaum hatte Dr. Hoffendahl (ein Deutscher) von meiner Ankunft gehört, als er mich sogleich in sein Haus einlud, obwohl ich keinen Empfehlungsbrief an ihn hatte. Ich sage ihm, wie allen Familien, die mich von dem lästigen Gasthofsleben befreiten, wiederholt meinen herzlichsten Dank.

Die Stadt Boston, mit einer Bevölkerung von 150,000 Seelen, liegt auf drei Hügelchen, und da die Straßen beinah durchgehends mit schönen Baumalleen bepflanzt sind, nimmt sie sich sehr gut aus; auch ist sie so rein gehalten, daß man sie im Vergleiche zu Neu-York ein „Schmuckkästchen“ nennen könnte. In den Geschäftsstraßen Washington- und Hannover-Street ist das Gedränge wohl auch bedeutend, aber nicht übermäßig. Ein Park in der Mitte der Stadt, mit wahren Prachtexemplaren von Bäumen,[S. 157] mit einem Teiche und vielen Bänken, bietet einen freundlichen Spaziergang und gewährt einen geräumigen Tummelplatz für die Jugend. Die öffentlichen Gebäude sind, wie in allen großen Städten der Vereinigten Staaten, schön und meistens aus Quadersteinen aufgeführt. An Museen, Bildergallerien u. dgl. ist nicht viel zu sehen. Das Lese-Athenäum enthält eine kleine Sammlung von Statuen, Büsten, Oelgemälden u. s. w., doch ohne besondern Werth; bedeutend ist dagegen die Bibliothek.

Dr. Warren, rühmlichst bekannt als Naturforscher, besitzt eine Sammlung seltener Fossilien, unter andern ein vollkommenes Skelett des Mastodon, welches auch zugleich das größte sein soll, das von dieser Gattung Thiere bisher gefunden wurde (Fundort: Nordamerika). Dr. Warren hatte die Gefälligkeit, mir selbst seine schöne Sammlung zu zeigen.

Das Bunka-Hill-Monument, für die Geschichte der Vereinigten Staaten gewiß das merkwürdigste, besteht aus einem einfachen Obelisken von grauem Stein. Es steht auf einem Hügelchen in der Stadt und wurde zur Erinnerung der Helden gesetzt, die in dem ersten Freiheitskampfe (1774), der wie bekannt von hier ausging, fielen. Gewiß ist dieser einfache Obelisk die schönste Zierde der Stadt und[S. 158] der Stolz der Vereinigten Staaten. Man kann bis an die Spitze des Monuments steigen, eine zwar etwas mühsame Arbeit, die aber durch einen schönen Ueberblick über Stadt und Umgebung belohnt wird.

Ich war so glücklich, in Boston die Bekanntschaft des Geistlichen Herrn Bernard zu machen. Derselbe war so überaus gütig, nahm so viel Antheil an mir, daß er mich persönlich überall hinführte. Wenn es seine Zeit erlaubte, kam er schon Morgens mich abzuholen.

Ich hatte zwar in Neu-York einen Empfehlungsbrief für eines der ersten Bostoner-Häuser (Ad. und Komp.) erhalten, mit der Versicherung, daß man mich da nicht nur sehr zuvorkommend empfangen, sondern mir auch vieles von Boston zeigen würde. Als ich aber den Brief abgab, betrachtete mich der reiche Herr höchst kaltblütig (ich war einfach gekleidet und kam nicht gefahren), las an den Paar Zeilen des Briefes eine ganze Ewigkeit (vermutlich überlegte er, wie er mich empfangen sollte) und fragte mich endlich: „Was wollen Sie?“ — gerade als wäre eine Arme vor ihm gestanden, mit irgend einem Anliegen. Ich antwortete ihm in demselben Tone: „Ich will nichts. Man hat mir diesen Brief an Sie gegeben, und zwar unaufgefordert, ich glaubte daher, ihn abgeben zu müssen.“ Als er sah, daß ich mit keinem Anliegen gekommen war (aus dem Briefe schien er das nicht heraus buchstabirt[S. 159] zu haben), fügte er in herablassendem Tone hinzu: „Wenn Sie einer Auskunft bedürfen, werde ich solche Ihnen ertheilen.“ Und damit schieden wir, ohne daß ich von diesem Herrn ferner etwas gesehen oder gehört hätte.

Das war ein echtes Beispiel eines Geldaristokraten, wie sie nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern in der ganzen Welt sind. Ihr Hochmuth erscheint noch ungleich unerträglicher, als jener der wahren Aristokratie, die doch gewöhnlich Bildung und Benehmen hat, was dem Geldadel nur zu häufig fehlt. In Boston scheint diese Klasse von Menschen ärger zusammen zu halten, als irgendwo. In ihre Gesellschaft zu kommen, soll unendlich schwer sein, die Heirathen schließen sie nur unter ihres gleichen, ja sie wohnen sogar alle in einer Straße (Beacon Street). Und dennoch entschuldige ich den Stolzen eher, als jenen, der ihm huldigt. Wie bald müßten Geld- und Geburts-Adel von ihren Höhen herabsteigen, wenn es keine Speichellecker gäbe, die ihnen Ehrfurcht und Bewunderung bezeigten.

Ich kam, wie gesagt, am 11. October Morgens um sechs Uhr in Boston an und wurde noch denselben Tag dem Stadt-Mayor, Herrn Dr. Smith vorgestellt. Abends hatte ein großes Festessen der „Massachusetts-Mechaniker-Gesellschaft“ (wie alle drei[S. 160] Jahre) statt, welches in der Faneuil-Hall abgehalten wurde. Diese Halle ist geschichtlich eben so berühmt, wie das Bunka-Hill-Monument, denn hier fanden die ersten Zusammenkünfte, Berathungen und Beschlüsse statt, von hier zog man zu dem ersten Freiheitskampfe aus, und dem zu Folge trägt diese jedem Amerikaner unvergeßliche Halle auch den schönen Namen: „Wiege der Freiheit.“

Herr Dr. Smith lud mich zu dem Feste ein.

Mit tiefer Ehrfurcht der Vergangenheit gedenkend, betrat ich die Halle: sie war geschmackvoll ausgeziert und reich erleuchtet, auf der Gallerie befand sich ein Musikchor. Die Tafeln waren für 800 Personen gedeckt. An Gerichten gab es eine große Auswahl; statt der geistigen Getränke aber wurde Wasser, Kaffee und Thee gereicht. Der Staat Massachusetts gehört nämlich dem Temperance-Vereine an. Die Mahlzeit war in einer Stunde abgethan. Dann wurden durch zwei Stunden Gelegenheitsreden gehalten. Herr Mayor Smith hatte die große Aufmerksamkeit, in seiner Rede von mir sehr schmeichelhafte Erwähnung zu machen und mich der Gesellschaft vorzustellen. Als ich seinem Wunsche zufolge aufstand, empfing mich sogleich ein lautes Beifallklatschen, und wenn ich bisher nie bedauert hätte, der Englischen Sprache nicht vollkommen mächtig zu sein, so wäre es in diesem Augenblicke der[S. 161] Fall gewesen; ich konnte der Gesellschaft meinen Dank für ihr freundliches Wohlwollen nur durch stumme Verbeugungen bezeugen.

Zwischen den Reden wurden Hymnen, Arien und das berühmte Volkslied „Yankee-Doodle“ vorgetragen. Um elf Uhr ging die Gesellschaft auseinander.

Die öffentlichen Anstalten in Boston sind durchgehends musterhaft eingerichtet.

Das Blindeninstitut, welches zu den ausgezeichnetsten seiner Art gehören soll, fand ich leider geschlossen, die Ferien waren noch nicht beendet. Ich hatte aber dennoch das Vergnügen, den Direktor desselben, Herrn Howe kennen zu lernen, der sich hinsichtlich der Erziehung und Behandlung der Blinden einen großen Ruf erworben hat.

Unweit des Blinden-Institutes steht jenes der Blödsinnigen. Wahrhaft bewundernswürdig ist hier die Macht der Erziehung. Alle diese Blödsinnigen waren rein in Kleidung und Haltung, viele unter ihnen konnten lesen, wenige auch schreiben, manche hatten sogar Begriffe von der Erdbeschreibung.

Ein Geschwister-Paar fiel mir durch die auffallend kleine Bildung des Kopfes auf. Dieser Form und dem Gesichtsausdrucke zufolge, hätte man die Unglücklichen für vollkommen dumm halten mögen; sie konnten jedoch ein wenig lesen, die Farben unterscheiden,[S. 162] die Tage der Wochen hersagen u. s. w. Ein bildschönes, blondlockiges, sechsjähriges Mädchen war irrsinnig. Man sah diesem Kinde weder in den Augen noch in den Gesichtszügen an, daß es der Vernunft beraubt war. Das feurige blaue Auge schien eher das Gegentheil zu verrathen; aber außer kleinen Gesängen war ihm bisher nichts beizubringen gewesen — es hatte eine rastlose Beweglichkeit.

So lange diese Armen in der menschenfreundlichen Anstalt sind, geht es ihnen freilich gut; aber wenn sie in die Welt hinausgestoßen werden, in deren Kette sie kein Glied bilden, dann ist ihr Schicksal schrecklich. Und leider erreichen solche unglückliche Geschöpfe gewöhnlich ein hohes Alter, denn keine Sorge, keine Leidenschaft trübt ihre Ruhe.

Das Massachusetts-General-Hospital ist unstreitig das schönste und best eingerichtete, das ich in den Vereinigten Staaten sah. Ich stelle es beinahe den Hospitälern in Surabaya und Samarang auf Java gleich — das höchste Lob, das ich ihm ertheilen kann.

Das Bostoner Gefängniß gehört ebenfalls zu den prachtvollsten, die ich sah. Von außen sieht es einer herrlichen Kirche mit einer schönen Kuppel ähnlich. Das Innere bildet eine lange, hohe Halle, in deren Mitte ein schmales, dreistöckiges Gebäude steht, welches[S. 163] auf beiden Seiten durch alle Stockwerke in kleine Zellen getheilt ist. Jede Zelle hat ein Fenster und eine Thüre, die durch eiserne Gitter geschlossen sind und auf die ringsum laufenden Gallerien münden. Das Ganze gleicht einem eisernen Käfige.

Die Gefangenen erhalten hinlänglich Licht und Luft von der Halle und finden auch einige Zerstreuung, da es in der Halle immer etwas zu sehen gibt. Mit einander können sie nicht verkehren. Der Gefangenwärter sitzt unten in der Halle, von wo er alle Zellen mit einem Blicke übersieht. Ich war in der Küche bei der Austheilung der Kost gegenwärtig, und fand diese sehr gut. Es gibt fünfmal in der Woche Fleisch nebst guter Suppe, die andern zwei Tage Fische. Jeder Mann erhält Morgens Kaffee nebst einem Pfund Brot, Mittags ein Pfund Fleisch, drei große Kartoffeln und ein Stück gutes Brot, Abends Thee und Brot. Es sollte mich nicht wundern, wenn die Leute kleine Verbrechen begingen, blos in der Absicht, auf einige Zeit hierher zu kommen. Sie essen und wohnen gut und haben nichts zu arbeiten.

Das Hospital für Irre besteht aus drei Gebäuden, jedes mit einem abgeschlossenen, schönen Garten. Die beiden Seitengebäude sind nur für wohlhabende Leute errichtet, das eine für acht Herren, das andere für acht Frauen. Jeder Kranke hat zwei überaus[S. 164] prachtvoll eingerichtete Zimmer, einen Badeplatz, einen eigenen Aufwärter und eine sehr gewählte, gute Kost. Für dieß alles, die ärztliche Pflege mit einbegriffen, werden per Woche zwanzig Dollars gefordert.

Das dritte Gebäude enthält billigere Plätze, für drei Dollars per Woche, und sehr viele unentgeldliche Plätze.

Von den Schulen, die ich in Boston besuchte, kann ich nur dasselbe wiederholen, was ich von jenen in Neu-York gesagt habe: sie sind alle als Musterschulen aufzustellen. Großes Vergnügen machte es mir, hier auch die farbigen Kinder so gut unterrichtet zu finden, daß man farbige Mädchen und Jünglinge als Lehrerinnen und Lehrer gebrauchen kann.

In der großen Volksschule, welche über 600 Schüler zählt und unter der Leitung Herrn Bernard’s steht, sah ich zum ersten Male, daß den Mädchen auch weibliche Handarbeiten, Nähen, Sticken u. s. w. gelehrt wurden. So viel ich glaube, ist diese vernünftige Einrichtung Frau Bernard zu danken, welche die Oberaufsicht über die Mädchen hat. Während der Tagesstunden wird die Schule von Kindern besucht, und drei bis vier Mal in der Woche sind zwei Stunden Abends (von sieben bis neun Uhr) für solche junge Leute bestimmt, die in ihren Kinderjahren keinen Unterricht genossen haben.

[S. 165]

Herr Bernard ist von seinen Zöglingen so geliebt und geachtet, daß sie ihn nicht nur in der Schule freudig begrüßen, sondern ihm überall entgegen eilen, wo sie ihm begegnen. Häufig sah ich dieß mit eigenen Augen auf unsern Wanderungen durch die Stadt.

Der Gefälligkeit meines unermüdlichen Freundes verdanke ich auch zwei interessante Ausflüge in Boston’s Umgebung, den ersten nach Cambridge, den andern nach Lowell.

Cambridge (4 Meilen von Boston) ist das größte und bedeutendste Kollegium[23] in den Vereinigten Staaten. Die Zahl der Schüler betrug in diesem Jahre 900, von welchen 700 in Kost und Wohnung aufgenommen waren. Dieses Kollegium gleicht einer kleinen Kolonie: es besteht nicht aus einem einzigen Gebäude, sondern aus vielen Häusern, die auf Wiesenplätzen oder in niedlichen Gärten liegen. In einigen Häusern befinden sich die Lehrsäle für die verschiedenen Gegenstände, die andern dienen den Studenten zu Wohnungen; auch jeder Professor bewohnt ein eigenes Häuschen.

Die Bibliothek ist ebenfalls die größte und interessanteste in den Vereinigten Staaten: sie enthält 80,000 Bände, darunter zwei geschriebene Bibeln, von welchen die eine aus dem neunten, die andere aus[S. 166] dem vierzehnten Jahrhundert datirt, viele andere werthvolle alte Bücher mit schönen Handzeichnungen und Malereien, so wie auch die Kopie eines kleinen Werkchens von Hypokrates, mit der Feder dem Original so täuschend nachgeahmt, daß man sie davon nicht zu unterscheiden vermag. Man soll für dieses Kunstwerk 1500 £ St. geboten haben.

Ich lernte in Cambridge den Professor und rühmlichst bekannten Naturforscher Herrn Agassiz kennen, der, als er noch in seinem Vaterlande, der Schweiz, lebte, die vorzüglichsten Berge und Gletscher, darunter auch den Montblanc, bestiegen hat. Die Bekanntschaft dieses ausgezeichneten Mannes war mir um so werther, als ich auf meiner ersten Reise um die Welt im Jahre 1847 in China (Canton) von einem seiner nahen Verwandten, auch einem Herrn Agassiz, gar freundlich aufgenommen worden war.

Hier beschäftigt sich Herr Agassiz außer der Ausübung seines Lehramtes mit Sammeln von Insekten, Reptilien und allem, was in das Naturreich gehört. Er soll eine der reichsten Sammlungen von Insekten und Schmetterlingen, die in Nordamerika vorkommen, haben. Ich konnte leider wenig davon sehen, da gerade alles gepackt war, um in ein anderes Lokal gebracht zu werden.

Lowell, die berühmteste Fabrikstadt der Vereinigten[S. 167] Staaten, mit einer Bevölkerung von 33,000 Seelen, liegt 25 Meilen von Boston. Man verfertiget hier die ausgezeichnetsten Teppiche, Weiß- und Druckwaaren. Im Ganzen sind 11 Fabriken im Gange, welche 8476 Mädchen und 4507 Männer beschäftigen, und deren Betriebskapital man auf 14 Millionen Dollars schätzt.

Die Mädchen wohnen beinahe durchgehends in Boarding-Houses, die zu den Fabriken gehören, und in welchen eben so wie in den Fabriken die wohlgeordnetste Aufsicht über sie geführt wird. Ein Mädchen bezahlt per Monat für gute Kost und Wohnung 5 Dollars, ihr Erwerb beläuft sich auf 13 bis 14. Jene, die nicht in den Kosthäusern leben, müssen sich einen wöchentlichen Abzug von 25 Cents (¼ Dollar) gefallen lassen. Man will sie durch diesen Abzug zu bewegen suchen, in den Kosthäusern zu wohnen, wo sie mehr unter Aufsicht sind.

Die Arbeiterinnen haben hier ein so sittiges Aussehen und Benehmen, daß viele Eltern, der wohlerzogenen Klasse angehörend, keinen Anstand nehmen, ihre Töchter in die Fabriken zur Arbeit zu senden. Dieses schöne, sittige Benehmen der Arbeiterinnen war mir so neu, daß es mich bei weitem mehr überraschte als das Maschinenwesen, welches allerdings in den Vereinigten Staaten auf einen sehr hohen Punkt gebracht[S. 168] ist, von dem ich aber viel zu wenig verstehe, um darüber etwas sagen zu können.

Am 19. Oktober ging ich wieder nach Neu-York zurück, wo ich noch bis zum 10. November blieb.

Am 7. November hatte in Neu-York die Wahl des Bürgermeisters, Gouverneurs und noch einiger Beamten statt. Man fürchtete, daß es bei dieser Gelegenheit sehr stürmisch hergehen würde, man war sogar auf kleine Gefechte gefaßt, denn nie standen sich die Partheien bisher so schroff gegenüber: es handelte sich um die Einführung oder Ausschließung des Temperance-Gesetzes. Ich ging einen großen Theil des Tages in der Stadt, besonders in den five Points und auf dem sechsten Ward[24] umher, um das stimmende Volk zu sehen. Der Anblick der Wähler war gerade nicht geeignet, das Gemüth zu beruhigen: der anständigen Leute gab es nur wenige auf den Wahlplätzen.

Glücklicherweise gestaltete sich die Wahl diesmal ruhiger als je, und zwar selbst in den „five Points“ und in der sechsten Ward, welche Plätze sich bei derlei Gelegenheiten stets durch fürchterliche Schlägereien auszeichnen, besonders letztere, die dadurch den Namen „blutige Ward“ errungen hat.

[S. 169]

Die Ursache dieser unerwarteten Friedlichkeit war gerade, daß jedermann sich auf das ärgste gefaßt, und daher sein Haus nicht ohne Schuß- oder Stich-Waffen verlassen hatte. Jede der Partheien hütete sich, den Anfang zu machen, und so ging der Tag, einen Todten und ein Paar schwer Verwundete in Williamsburg ausgenommen, ohne blutige Ereignisse vorüber.

Am 10. November verließ ich Neu-York auf dem prachtvollen Amerikanischen Dampfer „Pacific,“ der von hier nach Liverpool fährt.

Ich hatte nun das Land gesehen, dessen Besuch schon lange einen meiner sehnlichsten Wünsche bildete. Weniger reich an Naturschönheiten als die Länder der südlichen Hemisphäre, ist es mehr durch das industrielle und geschäftige Treiben seiner Bewohner, und vor allem durch seine Verfassung interessant.

Manches fand ich wohl anders, als ich es mir gedacht hatte, anders als es sein sollte und sein könnte, wenig übereinstimmend mit den Grundsätzen von Freiheit und Gleichheit, die den Grundpfeiler seiner Einrichtungen bilden. So die Sklaverei in den Sklavenstaaten — so in den freien Staaten die Ausschließung des freien Negers und Farbigen von aller Gesellschaft, von jeder bürgerlichen Bedeutung — so das grausame Gesetz, welches entflohene Sklaven gleich wilden Thieren aufzufangen und ihren barbarischen Peinigern auszuliefern[S. 170] befiehlt — so die nicht zu entschuldigende Nachsicht der Richter und Jury-Männer mit den weißen Verbrechern, die, wie die Amerikanischen Zeitungen selbst schreiben, ohne, oder mit höchst geringen Strafen davon kommen, sobald sie Geld oder gute Freunde haben — so die streng gebotene Feier des Sonntags, die den Armen, der die ganze Woche an seine Arbeit gefesselt ist, jeder Erheiterung beraubt.

Aber bei allen diesen Gebrechen und Unvollkommenheiten kann man doch nicht umhin, zu bekennen, daß (die Sklavenstaaten ausgenommen) das Gleichgewicht durch das Gute, welches der großen Mehrzahl der Menschen aus den freien Einrichtungen und Gesetzen erwächst, nicht nur hergestellt, sondern bei weitem überwogen wird, und daß die Vereinigten Staaten als Staat bisher einzig in der Welt dastehen.

Mit Recht ist der Amerikaner stolz auf sein Vaterland, in welchem der Mensch auf jener Stufe der Gleichberechtigung steht, auf die ihn Gott gestellt, und die in der Geschichte ihres gleichen nicht findet.

[21] Man sagt in den Vereinigten Staaten, daß ein Omnibus nie voll wird.

[22] In den Amerikanischen Schulen sind statt der Lehrer sehr häufig Lehrerinnen angestellt, selbst bei den unteren Schulen der Knaben. Man sucht in diesen Staaten auf alle mögliche Weise dem weiblichen Geschlecht Mittel und Wege zu verschaffen, sich anständig fortzubringen.

[23] Es wurde noch unter der Englischen Regierung gestiftet.

[24] Die Stadt ist in zwölf Wards eingetheilt.

[S. 171]

Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Ankunft in Liverpool. — Reise nach St. Miguel. — Punta-del-Gada. — Sonderbare alterthümliche Gebräuche. — Villa-Franca. — Das Ilheo. — Der Badeort Furnas. — Die heißen Quellen. — Abreise von St. Miguel. — Die Einfahrt des Tajo. — Lissabon. — Ankunft in England. — Nachruf.

Durch die freundliche Fürsprache des würdigen Greises Herrn Curtis erhielt ich für die Fahrt von Neu-York nach Liverpool (3200 Meilen) von der Amerikanischen Linie der Herrn Collins und Komp. eine Freikarte.

Die Amerikaner fand ich in dieser Beziehung ungleich galanter als die Engländer — auf keinem Englischen Schiffe, weder Segler noch Dampfer, gab man mir, selbst für ganz kurze Reisen, einen freien Platz. Ich sage den Amerikanern wiederholt meinen herzlichen Dank; durch ihre und der nicht minder galanten Holländer Unterstützung allein ward es mir möglich, meinen Reisen eine Ausdehnung zu geben, auf die ich Anfangs nicht zu hoffen wagte.

[S. 172]

Nach einer raschen Fahrt von 10½ Tagen trafen wir glücklich in Liverpool ein. Kapitän Nye hatte die ausnehmende Gefälligkeit, mich persönlich in den „Adelphi-Gasthof“ (wo man keine Bezahlung von mir annahm) zu führen, und von diesem am folgenden Morgen bis auf die Eisenbahn zu begleiten. Er gehört auch zu jenen Menschen, von welchen mir der Abschied schwer wurde, wie von lang bewährten Freunden.

In London ward ich herzlich von Herrn Waterhouse (einem der Direktoren im Britischen Museum) bewillkommnet, und verweilte einige Wochen in dem Kreise seiner freundlichen Familie, mich erholend von den Fieberanfällen, die mich auf der Seereise wieder heimsuchten[25]. Aber noch war meine Reise nicht zu Ende, noch wollte ich vor der Rückkehr in die Heimath einen meiner Söhne besuchen, der auf der Insel St. Miguel, einer der Azoren, lebte. Lange fand ich keine Gelegenheit dahin, bis endlich ein kleines Fruchtschiff (Schooner), deren jährlich gegen 200 von Englands Häfen nach St. Miguel gehen, daselbst Orangen zu holen, mich aufnahm. Diese Schiffe sind zwar nicht im geringsten für Reisende eingerichtet, und der Kapitän Herr Livingston sagte mir selbst, daß er[S. 173] mir durchaus keine Bequemlichkeit anbieten, und nur das Loch einräumen könne, in welchem der Koch schlafe. Was war aber zu machen? Nach St. Miguel wollte ich, ich setzte mich daher über diese Unannehmlichkeiten hinaus und entschloß mich zu der Reise. Sie dauerte leider 20 Tage, und während dieser langen Zeit konnte ich nicht einmal mein Kleid ablegen — der enge Raum, in welchem ich schlief, gestattete mir hierzu keine Möglichkeit. Dazu das fürchterliche Rollen des kleinen Schiffes in der beinahe fortwährend stürmischen See, der Kohlendampf vom Kamine, die schlechte Luft in der winzig kleinen Kabine, die der Kälte und des Sturmes wegen stets geschlossen bleiben mußte — ich dachte wahrhaftig kaum die Ankunft in St. Miguel zu erleben.

Doch über alles dies klage ich nicht, das hatte man mir im vorhinein gesagt; aber das Benehmen des Eigenthümers, oder eines der Eigenthümer des Schiffes (Royal Blue Jacket), des Herrn Chessel aus Bristol kann ich nicht ungerügt lassen: es war gar zu grob und gemein. Ich hatte die Ueberfahrt mit dem Kapitän und dem Rheder oder Agenten Herrn Chessel’s, Herrn Burnett, für 3 Livres St. ohne Kost abgeschlossen. Als ich am Tage der Abreise mit meinem Gepäck an Bord kam, sagte mir der Kapitän, wie es schien mit einiger Verlegenheit, daß ich nochmals auf das Office des Rheders gehen[S. 174] solle. Ich ging hin und traf da Herrn Chessel, der mich in ziemlich rauhem Tone anfuhr, mir erklärend, daß ich die Ueberfahrt unter 5 Livres St. ohne Kost nicht machen könne. Vergebens erwiderte ich ihm, daß der Vertrag bereits abgeschlossen sei, er fuhr in demselben höflichen Tone fort, daß das nichts zu sagen habe, ich möge entweder die 5 Livres St. zahlen, oder mein Gepäck wieder holen. Ich hätte nun freilich nur zum Richter zu gehen gebraucht, und das Recht wäre mir zugesprochen worden; allein das Schiff lag zum Absegeln bereit, die Zeit drängte, ich war deshalb gezwungen, mir diese unverschämte Prellerei gefallen zu lassen. Ich hatte nur die 3 Livres St. mit mir genommen und gab sie ab, mit dem Bemerken, daß ich den Rest an den Kapitän erlegen würde. Allein der edle Herr Chessel mochte mich für seines gleichen halten: er traute meinem Worte nicht und kam selbst an Bord, die 2 Livres St. in Empfang zu nehmen. Mit vielen Menschen haben mich meine Reisen in Berührung gebracht, aber Leute mit solchem Charakter sind mir glücklicher Weise nur wenige vorgekommen.

Am 31. December wurden wir der freundlichen Insel St. Miguel[26] ansichtig. Ich schmeichelte mir[S. 175] schon mit der Hoffnung, den Sylvester-Abend mit meinem Sohne feiern zu können, den ich seit sechs Jahren nicht gesehen hatte; allein die stets feindlichen Winde zwangen uns, hin und her zu kreuzen und gegen Einbruch der Nacht sogar das Weite zu suchen.

Am 1. Januar, obwohl die Winde noch heftig waren, gelang es uns, der Hauptstadt Punta-del-Gada nahe zu kommen, wir sahen schon das Boot des Arztes aus dem Hafen laufen und auf uns zurudern, und es stand unserer Meinung nach der Landung nichts mehr im Wege. Aber wie schmerzlich wurden wir durch den Schreckensruf überrascht, daß wir auf einige Tage der Quarantaine unterworfen seien — der Cholera wegen, die in England schon lange aufgehört hatte!

Glücklicher Weise kam schon am nächsten Tage, 2. Januar, der Arzt wieder, uns verkündend, daß die Quarantaine aufgehoben und daß wir frei seien.

Später erfuhr ich, daß an demselben Tage, an welchem wir ankamen (1. Januar), zu derselben Zeit, ja noch etwas früher, ein Schiff aus Lissabon anlangte, welches der Gesundheits-Behörde die offizielle Nachricht überbrachte, die Quarantaine sei aufgehoben. Um zehn Uhr Morgens waren, wie man mir sagte, schon alle Briefe und Zeitungen ausgetheilt und folglich[S. 176] wohl auch die offiziellen Befehle. Ob der Arzt aus Nachlässigkeit dieselben nicht geöffnet oder aus irgend einem andern Grunde vorsätzlich verschwiegen, weiß ich nicht; nur das weiß ich, daß ihm jeder Besuch eines Schiffes vier bis fünf Thaler einträgt, und daß er auf diese Art Gelegenheit bekam, zwei Besuche zu machen, den einen, das Schiff in Quarantaine zu erklären, den andern, die Quarantaine wieder aufzuheben. Ob aus Nachlässigkeit oder Eigennutz, ist eine solche Handlungsweise gleich unverzeihlich, und besonders an einem Platze, wie St. Miguel, wo es keinen Hafen, keine sichere Rhede gibt, und wo zur Winterszeit plötzliche und anhaltende Stürme die Schiffe oft wochenlang vom Lande abhalten. Was mich sehr bei dieser Sache wunderte, war, daß niemand, nicht einmal der Englische Konsul, den Arzt hierüber zur Rechenschaft zog.

Die Insel St. Miguel ist sehr hübsch: sie besitzt eine Fülle von Hügeln und Gebirgen, die mit frischem Grün bedeckt und in reizender Unordnung durcheinander geworfen sind. Auf den ersten Blick sieht man, daß diese Insel vulkanischen Ursprungs ist; die Form der Gebirge, die dunklen Meeresgestade hie und da (Lava) bezeugen es. Aber kein rauchender Krater ist mehr vorhanden, und lange müssen die Vulkane ausgetobt haben, denn schon ist die Lava so verhärtet, daß[S. 177] sie wieder halb zu Stein wurde, und beinahe überall mit Erde so bedeckt, daß die herrlichsten Orangenhaine, die üppigsten Getreide-Felder darauf wuchern.

Die Insel hat achtzehn Leguas (eine Legua = drei Meilen) in der Länge, drei bis vier in der Breite und eine Bevölkerung von 90,000 Seelen. Ihr Handel ist bedeutender, als man ihrer Größe nach vermuthen würde. Die Hauptausfuhr besteht in Orangen, jährlich zwischen 120,000 bis 140,000 Kisten, deren jede durchschnittlich 800 Stücke enthält, was die ungeheure Summe von mehr als hundert Millionen Orangen gibt. Ueber 200 Englische Schiffe kommen jährlich von dem Monate November bis gegen Ende März an, um die Frucht zu laden. Alle Orangen gehen nach England, ein einziges Schiff wird nach Hamburg, eines, höchstens zwei nach den Vereinigten Staaten gesendet.

Den nächst bedeutenden Artikel bildet das Türkische Korn, und nebstdem werden noch viele Getreidearten und Bohnen ausgeführt. Im Ganzen besuchen diese Insel jedes Jahr bei 450 Schiffe, und der Werth der jährlichen Ausfuhr beträgt an 500 Contos de Reis (90,000 £. St.)

Trotz dieses großen Verkehrs ist doch das Volk sehr arm, was hauptsächlich davon herrührt, daß der Bauer nicht Eigenthümer des Bodens, sondern Pächter[S. 178] ist, und das nicht einmal für seine Lebenszeit, sondern nur für eine bestimmte kurze Anzahl von Jahren.

Von dem Städtchen Punta-del-Gada (mit 12,000, die nahe Umgebung inbegriffen 16,000 Seelen) ist nicht viel zu sagen. Die Bauart ist der Europäischen ähnlich, die Häuser sind meistens unansehlich mit kleinen Balkons und abscheulich großen umfangsreichen Rauchfängen. Doch gibt es auch einige hübsche Gebäude. Den Nutzen der großen Rauchfänge konnte ich mir nicht erklären, um so weniger, als das Küchenfeuer das einzige im Hause ist. Kamine fand ich zu meinem Bedauern nicht im Gebrauche, obwohl die Wintermonate November bis März ziemlich rauh, regnerisch und stürmisch sind. Ich hatte das Unglück, einen, wie man mir sagte, außergewöhnlich strengen Winter zu finden und litt viel von der Kälte. Es gab zwar weder Schnee noch Eis; doch fehlten hiezu wenige Grade. Die fürchterlichsten Stürme hausten, und freundliche Tage gehörten zu den Seltenheiten; selbst noch zu Anfang des Maimonates war die Wärme nicht viel bedeutender, als in meinem Vaterlande. Daß dieß jedoch nicht immer so ist, davon zeigen außer den Orangen noch viele Früchte der wärmeren Zone, von welchen besonders die Banane hier zur vollkommenen Reife gelangt, weniger der Custod-apple, der hart und unschmackhaft bleibt. Die Ananas-Frucht gedeiht in[S. 179] Glashäusern ohne Beihülfe einer Heizung und erreicht einen außerordentlichen Umfang. Eine Portugiesische Dame, die Gemahlin des Herrn Dr. Agostinho Mochado, sandte mir einen Ananas, der an Größe alle übertraf, die ich in Indien gesehen; doch stand er ihnen an Süßigkeit nach. Die Europäischen Gemüse, Rüben, Kohl, Erbsen u. s. w. kommen ohne besondere Pflege fort.

Die Azorianer, von den Portugiesen abstammend, haben schöne dunkle Augen und Haare. Ich fand hier im Gegensatze zu allen Ländern, die ich bereist habe, das Volk hübscher, als die höhere Klasse. Die Tracht der letzteren ist die französische; das Volk trägt sich auch nach Europäischer Sitte, jedoch mit Ausnahme der Kopfbedeckung. Diese besteht bei den Männern aus steifen Tuchkappen mit einem weit hervorragenden, komisch ausgeschnittenen Schilde und rings herum mit einem acht bis zehn Zoll breiten Tuch- oder Sammtstreifen, der über die Achsel herunter hängt und den Hals gegen Sonne und Regen schützt. Noch grotesker ist die Kopfbedeckung der Weiber, eine Art Kapuze von blauem Tuche, bei zehn Zoll hoch und gewiß einen und einen halben Fuß lang, welcher Tracht mittelst eines starken Fischbeines ungefähr die Form eines mehr als riesenhaften Hahnenkammes gegeben ist. Außer diesem sinnreichen Kopfputze tragen sie über die Europäischen[S. 180] Kleider auch noch einen langen schweren Männermantel, durchgehend von blauem Tuche, der bis auf die Erde reicht und nie, auch bei der größten Hitze, abgelegt wird. Diese lächerliche, geschmacklose Kleidung hat namentlich den Uebelstand, daß eine Mutter ihre Tochter darin nicht erkennen würde, denn den großen Hahnenkamm, in welchem der Kopf steckt, ziehen sie nach vorne, so daß man von dem Gesichte beinahe nichts sieht, und die Mäntel gleichen einer dem andern. Kein Frauenzimmer aus dem Volke würde sich ohne Mantel und Kapuze auf die Straße begeben; jeder Pfennig wird emsig zusammen gespart, sich diese Kleinodien zu verschaffen; die nicht so glücklich ist, sie zu besitzen, sucht sie von Freundinnen oder gegen Bezahlung auszuborgen.

Nicht minder sonderbar ist die Sitte hier, daß kein Mädchen, kein junges Weib allein ausgehen darf; keine Magd würde allein über die Straße gehen, viel weniger etwas holen oder einkaufen. In jedem Hause muß man einen Diener halten, die Einkäufe und Ausgänge zu besorgen. Ich bedauerte wirklich die armen Mägde, die hier wie in einem Gefängniß eingesperrt sind; wenn sie nicht irgend eine alte Verwandte haben, die sich ihrer erbarmt und sie von Zeit zu Zeit ein halbes Stündchen auf die Straße führt, können sie das ganze Jahr zu Hause sitzen bleiben, denn nicht[S. 181] einmal Sonntags wagen sie es, allein nach der Kirche zu gehen.

Ueberhaupt sollen auf dieser Insel, wie man mir erzählte, vor noch kaum vierzig Jahren selbst unter der sogenannten gebildeten Welt gar sonderbare Gebräuche geherrscht haben.

So wurde z. B. wenn eine Frau einer andern einen Staats-Besuch machen wollte, Tags zuvor ein Diener zu der letzteren gesandt, ihr anzumelden, daß die Besuchende zu einer bestimmten Stunde an dem Hause vorüber fahren würde. Sie kam dann zu dieser Zeit in großem Putze, jedoch in einer mit Vorhängen dicht verschlossenen Kutsche angefahren, die zu besuchende Frau saß schon bereit an dem ebenfalls wohlgeschlossenen Fenster. Vor dem Hause angelangt, hielt der Wagen einen Augenblick an, der Vorhang wurde auf die Seite geschoben, das Fenster geöffnet, die beiden Frauen begrüßten sich — und sogleich wurden Vorhang und Fenster wieder geschlossen, und der Wagen fuhr weiter.

Die Frauen scheinen zu dieser Zeit eine solche Scheu vor Herren gehabt zu haben, daß diese bei den Besuchen der Frauen nicht zugegen sein durften. Kam eine Frau eine andere besuchen und es war zufällig ein Herr, selbst ein Verwandter, zugegen, so fuhr sie wieder[S. 182] fort, oder die Frau des Hauses ersuchte die Herren, fort zu gehen.

Noch lächerlicher ging es bei Hausbällen zu (öffentliche Bälle wurden gar nicht gegeben). Die weiblichen Gäste nahmen an dem Tanze selbst gar keinen Antheil, sondern saßen mit den Frauen und Töchtern des Hauses in einem an den Tanzsaal stoßenden Zimmer, und zwar im Finstern, um von den Herren nicht gesehen zu werden. Die Herren — tanzten mit den Dienerinnen des Hauses und andern von der Ballgeberin geladenen Dienerinnen! —

Ich verweilte einige Monate auf St. Miguel und machte außer einigen Spaziergängen in die nahe Umgebung auch einen Ausflug nach dem Badeorte Furnas (9 Leguas von Punta-del-Gada), berühmt durch seine heißen Quellen. Die vornehme Welt der Insel geht jedes Jahr auf einige Wochen oder Monate dahin, weniger um zu baden, als sich zu ergötzen, wie dieß überhaupt in den meisten Badeorten der Fall ist.

Wir machten die kleine Reise, wie es in diesem Lande Sitte ist, zu Esel, und nahmen unsern Weg über Villa-Franca (5 Leguas), längs der Seeküste. Villa-Franca ist ein kleines Städtchen mit derselben reizenden Lage, wie Punta-del-Gada. Wir blieben hier die Nacht in dem Hause des Herrn Gago, wo alles freundlich zu unserer Aufnahme bereit war.

[S. 183]

Am folgenden Morgen fuhren wir in einem Boote nach dem kaum zwei- bis dreihundert Schritte von dem Lande gelegenen „Ilheo,“ einer winzig kleinen Insel oder vielmehr Bay, von einem Felsengürtel umschlossen, in welchem nur eine ganz schmale Oeffnung frei geblieben, kaum breit genug, ein kleines Fruchtschiff einzulassen. Augenscheinlich stand hier unmittelbar in der See einst ein kleiner Vulkan, der ausgetobt hat und eingestürzt ist. Mit wenig Kosten könnte man aus dieser Miniatur-Bay einen herrlichen Dock zur Ausbesserung der Schiffe machen; doch für dergleichen Sachen hat man hier keinen Sinn.

Gegen Mittag setzten wir die Reise fort und langten nach einem angenehmen Ritte schon früh Nachmittags in Furnas an. Ungefähr eine Viertelstunde vor dem Orte liegt ein artiger See, von schön geformten Gebirgen umgürtet, an dessen nordöstlichem Ende gleichfalls heiße Quellen aufbrodeln, die wir aber nicht besahen, da uns gerade ein kleiner Regen überfiel.

Furnas selbst liegt in einem wunderlieblichen, freundlichen Thale, eingeschlossen von über einander aufsteigenden Gebirgen; schöne Waldungen, üppige Felder, Wiesen und Triften im frischesten Grün decken Berge, Hügel und Thal — ich sah mich ganz in eines jener schönen Gebirgsthäler versetzt, an welchen Steiermark,[S. 184] Kärnthen und Tyrol so reich sind. Aufsteigende Rauchwolken verkünden die unweit des Dorfes gelegenen heißen Quellen (Caldeiras), und begierig eilt der Fremdling dahin, eine Erscheinung zu sehen, von welcher die ganze Bevölkerung St. Miguels mit Entzücken und zugleich mit Grausen spricht.

Meine Neugierde, meine Erwartung, ich gestehe es, waren eben nicht sehr groß, ich hatte in dieser Art das Vollkommenste was die bekannte Welt bietet, auf Island gesehen. Aber gerade, weil ich mir nicht zu viel versprach, ward ich überrascht. Eine der kochenden Quellen brodelt reich und gewaltig zu einer Höhe von vier bis sechs Fuß auf, eine zweite minder hoch, andere nicht mehr als gewöhnlich kochendes Wasser. Am merkwürdigsten unter allen ist die Schlammquelle „Pedro Botelko“ genannt. Schon ihre Umgebung ist pittoresk: sie ist von finstern Felsen eingefaßt, in welchen das Getöse wiederhallt, und gleicht einem wahren Höllenschlunde; ein großer Fels neigt sich weit über sie und hindert ihr senkrechtes Aufsteigen. Ihre Kraft schleudert den kochenden Schlamm nach allen Seiten in eine Weite von zwölf bis fünfzehn Fuß. Unbedeutende, kleine Quellen gibt es in der Umgebung viele; einige davon brodeln sogar in der Mitte eines kalten Bächleins auf. Auch eisenhaltige[S. 185] Quellen und ein Sauerbrunnen (Aqua azeda) kommen vor.

An einer glücklich gewählten Stelle des reizenden Thales hat Herr Vicomte da Praia, einer der größten Grundbesitzer der Insel, ein Landhaus gebaut und einen Garten angelegt. Beide waren noch nicht ganz vollendet. Das zierliche Gebäude steht auf einem kleinen Hügel und bietet von jedem Fenster die herrlichsten Ansichten des Thales und der es umgebenden Gebirgswelt; der Garten, im großen Style angelegt, mit Teichen, dunklen Baumparthieen und freundlichen Blumenbosketten, zeigt schon jetzt von dem guten Geschmacke seines Gründers.

Wir machten von Furnas aus auch noch eine kleine Parthie auf eine der Bergkuppen, ungefähr 2000 Fuß über der Meeresfläche. Wir sahen hier Gebirge über Gebirge vor uns aufsteigen, darunter den höchsten Berg der Insel, den „Pico de Vara“ (4000 Fuß); zu unsern Füßen lag das liebliche Thal von Furnas mit seinen Caldeiras, dem See, so wie auch einige andere Thäler mit freundlichen Ortschaften, und auf beiden Seiten der Insel breitete sich das Meer ins Unermeßliche aus. Auf der Südseite entdeckt man auch die Insel Santa-Maria, ungefähr vierzig Meilen von St. Miguel gelegen.

Den Rückweg nach Punta-del-Gada nahmen wir längs der Nordküste über Ribeira-Grande.[S. 186] Als Weg ist er besser, als der längs der Südküste, aber an schönen Ansichten weniger reich und abwechselnd.

Die Karnevals-Zeit ging auf St. Miguel ganz unbeachtet vorüber. Nur in den letzten drei Tagen herrscht hier, wie in Brasilien die alberne Gewohnheit, sich gegenseitig mit Wasser zu übergießen. Statt sich während dieser drei Tage zu unterhalten, muß man sich in sein Zimmer einschließen, und kann nicht einmal an das offene Fenster treten, denn sogleich ist man der Gefahr ausgesetzt, von des Nachbars Fenster, von der Straße eine Ladung des nassen Elements zu erhalten. Die Leute blasen Eier aus, oder verfertigen von Wachs Orangen, Citronen, füllen sie mit Wasser und bewerfen sich damit, ja aus den Häusern schütten sie ganze Töpfe voll auf die Vorübergehenden. Keine Frau ist in diesen Tagen auf der Straße zu sehen, und die wenigen Herren, die auszugehen wagen, suchen sich durch aufgespannte Regenschirme zu schützen.

Erst am 21. Mai verließ ich St. Miguel. Die Fruchtschiffe für England hatten schon gegen Ende März aufgehört; ich war daher gezwungen, über Lissabon nach London zu gehen.

Auf dem kleinen Portugiesischen Schiffe „Michaelense“ (110 Tonnen, Kapitän Fonseca) fand ich zu meiner höchsten Verwunderung alles so bequem eingerichtet, wie es auf manchem Dampfer kaum der[S. 187] Fall ist. Die Schlafstellen waren hoch und geräumig, die Kost reich und gut bereitet, der Tisch rein gedeckt, die Bedienung rasch. Es war dies das erste Portugiesische Schiff, auf welchem ich fuhr. Wenn alle ihm gleichen, kann man sie den Reisenden mit gutem Gewissen empfehlen.

Die Fahrt währte acht Tage (720 Meilen), und außer einem todten Wallfische, der gleich einem emporragenden Felsen an unserm Schiffe vorbeitrieb, und um welchen Hunderte von Raubvögeln schwärmten, unterbrach nichts ihre Einförmigkeit. Wir sahen nicht eher Land als bis wir der Portugiesischen Küste nahe kamen.

Am 28. Mai liefen wir in den Tajo ein, der an der Mündung nur durch die Farbe von der See zu unterscheiden war. Die Stadt Lissabon liegt zwei Leguas stromaufwärts; doch geht die Fahrt beinahe noch eine Legua weiter, da die Schiffe an der Düne im Mittelpunkt der Stadt vor Anker gehen. An diesen drei Leguas segelten wir sieben bis acht Stunden; allein man konnte dies keinen Zeitverlust nennen, da die Fahrt wirklich gar zu reizend ist. Der Strom entfaltet eine mächtige Breite, sein Rücken ist voll von schaukelnden Fahrzeugen, zwischen welchen hie und da ein Dampfer eilt, und die Ufer bestehen aus freundlichen Hügelketten, welchen man den einzigen[S. 188] Vorwurf machen kann, daß weder Bäume noch Gebüsch sie decken.

An der Mündung steht auf der einen Seite das Fort St. Julian, hinter welchem sich in geringer Entfernung die schön geformten Berge der Serra de Cintra erheben; auf der andern Seite steigt ein Leuchtthurm, umgeben von einer Batterie (Torre de Bugia) unmittelbar aus der See. An malerisch gelegenen Ortschaften, kleinen Festungen vorüber gleitend, gelangt man nach Belem, wo der Strom von seiner Breite etwas abnehmend, die Mauern eines prachtvollen Thurmes bespült, der in Gothisch-Maurischem Style gehalten, ein herrliches Schaustück der älteren Zeiten ist. Während nun auf der Südseite noch immer einzelne Ortschaften mit zum Theile schon halbverfallenen Kastellen und Festungswerken wechseln, breitet sich auf der Nordseite die Stadt Lissabon aus, nicht nur den schmalen ebenen Gürtel zwischen dem Strome und der Hügelkette, sondern auch die Höhen und Seiten der Hügel selbst deckend. Dem Mittelpunkte der Stadt gegenüber treten die Ufer des Stromes weit zurück, und dieser bildet eine große Bay, an deren Rande man in der Entfernung Ortschaften, Baumgruppen und im Hintergrunde einzelne Berge entdeckt. Stundenlange saß ich später an den Fenstern des am Meere liegenden Gasthofes, in welchem ich[S. 189] abstieg, und betrachtete mit unendlichem Gefallen das großartige und doch dabei lieblich schöne Rundgemälde. —

Anmuthig sind bei der Ankunft in Lissabon die Plackereien mit den Beamten. Schon bei Belem kömmt der Besuch des Gesundheits-Offiziers an Bord, dann jener des Zollamtes, der Schiffspolizei, des Hafenmeisters, der Paß-Besichtigung — das nimmt kein Ende. Wir kamen von einer Portugiesischen Besitzung und wurden so strenge behandelt, als wären wir aus dem Monde gekommen. Für die Pässe hat man ein schweres Geld zu entrichten, und die Zollgesetze sind so strenge, daß man nicht den kleinsten Nachtsack mit sich nehmen darf. Wahrlich es ist unglaublich, daß gerade in dem auf sein Fortschreiten so stolzen Europa die Regierungen den Leuten das Reisen auf alle Art zu verleiden suchen!

Von der Stadt Lissabon sah ich nur sehr wenig, obgleich ich zwölf Tage daselbst verweilte; ich kam unwohl an und war gezwungen, den größten Theil dieser Zeit mein Zimmer zu hüten. Mit Mühe erstieg ich einige der steilen hügeligen Straßen, welche die Eigenthümlichkeit Lissabons bilden, um vollkommene Ansichten über Stadt, Strom und Umgebung zu haben; ich sah, daß die Stadt auch jenseits der Hügelkette sich fortzieht und ausbreitet. Die Häuser haben keine eigenthümliche[S. 190] Bauart, die Kirchen weder schöne Thürme noch Kuppeln. Reizend liegen hie und da auf hohen Hügeln mitten in der Stadt noch Ruinen halb eingestürzter großer Paläste und Kirchen aus der schaurigen Zeit des Jahres 1755, in welchem bekanntlich ein furchtbares Erdbeben den größten Theil der Stadt in Schutt legte, und wobei Tausende von Menschen ihr Grab fanden.

Die öffentlichen Gärten zeichnen sich durch schöne Blumenparthien, jener in der untern Stadt auch durch alte ehrwürdige Bäume aus. Die Portugiesen scheinen überhaupt große Blumenfreunde zu sein; schon auf St. Miguel hatte ich dieß bemerkt, und hier sah ich diese lieblichen Frühlingsboten überall in Menge, selbst auf Plätzen, wie z. B. in dem Hofe und an dem Landungsplatze des Zollgebäudes.

Eine Fahrt nach der Serra de Cintra, berühmt durch die reiche Vegetation und als Sommersitz der königlichen Familie, konnte ich nicht unternehmen. Ich brachte mehrere Tage im Bette zu und verließ erst am 9. Juni mein Zimmer, um mich auf dem Dampfer Iberia nach Southampton (900 Meilen) einzuschiffen.

Dieser Dampfer gehörte leider keiner Amerikanischen oder Holländischen, sondern einer Englischen Gesellschaft an, ich mußte daher bezahlen, und zwar[S. 191] zehn £ St. für eine kleine Schlafstelle in einer kleinen, dumpfen, finstern Kabine, in welcher sich außer mir noch elf Frauen nebst vier Kindern befanden. Wie ungleich bequemer hatte ich es auf dem kleinen Portugiesischen Segelschiffe, wo ich für eine beinah eben so weite Fahrt nur 3½ £. St. bezahlte. Meinem Sohne wurde die Schlafstelle gar auf dem zweiten Platze angewiesen, dafür aber nichts destoweniger die volle Bezahlung des ersten abgenommen.

Am 14. Juni Morgens langten wir in Southampton an, denselben Tag fuhr ich mit der Eisenbahn nach London, wo ich abermals von der lieben Familie Waterhouse auf das herzlichste aufgenommen wurde, und somit war meine Reise glücklich vollendet.


Sollten in meinem Tagebuche gegen das eine oder das andere Volk, gegen Sitten und Gebräuche der verschiedenen Länder, die ich durchwandert, zu starke Ausdrücke vorkommen, sollten unrichtige Ansichten geäußert sein, so bitte ich meine Leser um große, sehr große Nachsicht. Ich rufe ihnen wie bei Gelegenheit meiner ersten Reise nach dem gelobten Lande zu, daß ich weit entfernt bin, mich zu der Zahl der glücklich begabten Personen zu rechnen.

Mein Wesen ist Einfachheit, mein ganzes Streben[S. 192] schlichte Wahrheit und Vermeidung jeder Uebertreibung. Der Zweck meiner Schriften kann unter diesen Umständen kein anderer sein, als das von mir Gesehene und Erlebte ganz so wiederzugeben, wie es sich meinem Geiste und Gefühle darstellte.

[25] Ich nahm wieder Brandy mit rothem Pfeffer, und das Fieber blieb endlich ganz weg.

[26] Die Azoren-Gruppe besteht aus neun Inseln, von welchen St. Miguel die größte. Die Azoren werden zu Afrika gerechnet und sind von den Portugiesen im Jahre 1446 entdeckt und in Besitz genommen worden.