The Project Gutenberg eBook of Grabbes doppeltes Gesicht

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Title: Grabbes doppeltes Gesicht

Author: Manfred George

Release date: August 28, 2011 [eBook #37229]
Most recently updated: January 8, 2021

Language: German

Credits: Produced by Jens Sadowski

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK GRABBES DOPPELTES GESICHT ***

 

 

 

 

Der Lichtkreis

 

 

 

 

Grabbes doppeltes Gesicht
von
Manfred Georg

 

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Verlagslogo

Edwin Runge, Verlagsbuchhandlung
Berlin-Lichterfelde

 

 

 

 

Alle Rechte vorbehalten

 

 

 

 

Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig

 

 

 

 

Meinem Vater

 

 

 

 

Wer kennt nicht auf den Schulhöfen die Jungens, die abseits vom lärmenden Spiel der Altersgenossen ihre Pausen kümmerlich vertrauern? Die gedrückter noch scheinen in der freien Luft und in der Losgebundenheit der Freizeit als auf den Bänken der Klassenzimmer? Und die doch abends in den Stuben dahinträumen, mit unglücklichen und glänzenden Augen zugleich, die in Sehnsucht und phantastischem Wunsch inneren Welten zugekehrt erscheinen. Meist linkisch, verschüchtert verschwenden sie sich, wenn sie aus ihrer Zurückhaltung hervorgereizt werden, in einem kurzen, besinnungslosen Kraftrausch und leben dann zusammensinkend eine Jugend, die mehr von außen bestimmt ist, als sie ahnen und wahrhaben wollen. Die Welt des Knabentums, von Abenteuern und Wundern riesig erfüllt, lockt sie an. Sie glänzt in die Gesichte des Schlafs, wird Wirklichkeit in einsamen Spielen und erhält Bestätigung in den heimlich verschlungenen Büchern. Aber wo diese Knaben in den harten Rhythmus des hellen Tages geraten, da werden sie nach scharfem Zusammenprall rasch wieder ausgeschieden und kehren, um die Erfahrungen der Realität reicher und ärmer in eins, in ihre unsichtbare Welt zurück.

Jetzt aber fängt im Lauf der Jahre ihr Schicksal an abzurollen. Nach innen wird alles in ihnen weich, aufblühend, empfänglich. Nach außen aber krustet sich Schale für Schale um diesen Kern und trotzig, widerhaarig, in der Verlegenheit oft betont burschikos und maßlos wird diese Art Mensch, den die hastige Lieblosigkeit der Mitmenschen, in rascher Bequemlichkeit sub Eigenbrödler, Kauz oder verrücktem Sonderling registriert. Dort, wo der also Bezeichnete ein schöpferisch Werkender ist, fügt man noch für sein Verhalten in irgendeinem Falle die Erklärung „Künstlerlaune“ hinzu und glaubt damit auf der Höhe der Erkenntnis zu sein. Täuschen wir uns nicht. Gerade in den heutigen Läuften, wo man jede nur im geringsten regelwidrige Tat schon an großen Ausnahmegesetzen mißt, wo ebenso differenzierte und umfassende Kenntnisse wie geläuterte Menschlichkeit voranssetzende Erforschungs- und Heilungsmethoden wie die der (längst in ihrer Isoliertheit vom Entstehenszentrum unfruchtbar gewordene) Psychoanalyse in die Hände jedes Dilettanten geraten sind, gerade jetzt ist man an Hand rasch entwickelter und volkstümlich gewordener Schlagworte bereit, einen Menschen „wissenschaftlich“ abzustempeln. Vor lauter Wissen ist die menschliche Nähe gegenüber dem anderen verlorengegangen, vor lauter Resultaten das Forschungsbemühen lahm geworden. Man könnte manchmal das Heulen bekommen, wenn man liest, mit wieviel pharisäischem Hochmut jetzt oft ein Popularmediziner eine künstlerische Persönlichkeit im Netz einiger trockener Schemata einzufangen sucht und damit das redliche Werben vergleicht, mit dem mancher nun schon als unzeitgemäß verschollene Biograph um das Erkennen desselben Menschen warb.

Wo Lieblosigkeit der Grundzug einer Zeit ist, da müssen die großen menschlichen Kräfte, die in ihr sich auswirken, verkümmern. Denn Zeiten der Lieblosigkeit sind Zeiten der Disharmonie, in denen nur der Durchschnitt einen Anschluß an das alltägliche Glück findet, weil er in seiner Bedürfnislosigkeit nicht merkt, wie die Welt um ihn aus den geistigen Fugen ist. Der Bewußte, vor allem aber der Künstler, merkt bald, wie wenig seine innere Welt außer ihm Gestalt annimmt, wie täglich mächtig wachsend die Distanz zwischen ihm und den anderen größer wird und der Riß immer klaffender sich auftut. Es ist ein Unglück, in solchen Zeiten des Übergangs zu leben. Zum mindesten für den Schaffenden, dessen innere Ganzheit Voraussetzung für sein Werk ist. Die aber fehlt, wo es an Kraft mangelt, härter als das harte Leben der chaotischen Umwälzung zu sein und es so formen zu können.

Wir sind im ersten Viertel dieses Jahrhunderts aus dem latenten Stadium der Krise, die seit Hegels, des letzten Systematikers, Tode begonnen hat, in das akute getreten. Die bürgerliche Sicherheit der Volksseele, im Glauben und in Ideologien verwurzelt, ist dahin. Der die Allgemeinheit einigende Grundzug, der große gemeinsame Nenner, ist die Unsicherheit geworden. Im Grunde gibt es heute überhaupt keine Bürger mehr, wenn auch noch Kämpfe gegen täuschend ähnliche Attrappen geführt werden. Wir haben verzweifelnde Gelehrte, Schieber, Ekstatiker, religiös inbrünstig Suchende, politische Fanatiker, aber keine Bürger. Wenigstens soweit irgendeine Aktivität in Frage kommt. Und alle ringen um eine neue Metaphysik, hoffen auf einen Propheten, erwarten den Retter schlechtweg.

Zeiten des Sturzes, Zeiten des Übergangs. Blickt man von ihnen ins Tal der Vergangenheit, wird man doppelt scharf die Gestalten gewahr, die in ähnlichem Zwielicht ihr Leben lebten. Über die verflammende Epoche der Klassik vor hundert Jahren fielen schon die Schatten des aufgehenden Zeitalters der Vertatsächlichungen, das bis zu unseren Stunden des völligen Zusammenbruchs jedes geistigen Himmels andauerte. (Um Mißverständnisse zu vermeiden: nicht unter dem fürchtenden Gesichtspunkt „Die Sintflut über uns“, sondern unter dem hoffenden „Nach der Sintflut das Neue“ wird diese Entwicklung gesehen.) Die schaffenden Menschen dieser Epoche haben, in der Parallelität von Anfang und Ende, viel Gemeinsames mit uns. Nicht umsonst nehmen auf den Bühnen des Landes Georg Büchner, Grabbe und Friedrich Hebbel einen erstaunlich breiten Platz ein. Eine Zeit, die innerlich rauh und ungar ist, muß, gleich diesen Dichtern, wie Scherer einmal formulierte, immer nur den Schmerz der Schranke empfinden, ohne ihn durch den Reiz des Maßes zu besiegen. Aber Scherer sah nur die eine Seite dieses Mißverhältnisses, den unausgefüllten Raum zwischen Wollen und Können. Die unerhörte Intensität des Seins solcher Menschen, denen noch immer die Lösung der letzten Distanz von Leben und Werk mißlang, sie sah er nicht, sie, die aus dem eben nicht zum Werk herausgereiften Leben ein Drittes gestaltet, das oft fast kostbarer ist als die beiden Komponenten, die es schufen. Ein Mittelding nämlich, das, im Entstehungsprozeß erstarrt, als Lebensroman oder Romanleben, wie man es nennen mag, für den Sehenden eine Offenbarung über die Zeit ist, da es entstand, ein wunderlicher Embryo, an dessen bizarrer Form man der ihn gebärenden Natur das schöpferische Geheimnis ablesen kann. Die großen Ausgeglichenen, die weise Abgeklärten, sie sind uns heute in der untadligen Ferne ihrer Aussprüche und Maxime fremder als die Künstlervorfahren der raschen Entscheidungen, Festlegungen und Widersprüche. Diese sind uns näher, weil das doppelte Gesicht, das jeder Mensch hat, bei ihnen noch nicht zur Ruhe einer antiken Maske erstarrt ist, weil sich in ihren Mienen der ewige Zweiseelenkampf noch in seiner ganzen Ursprünglichkeit spiegelt.

Von ihnen, die uns heute nahe sind, hatte der am 11. Dezember 1801 in Detmold geborene Zuchtmeisterssohn Christian Dietrich Grabbe eines der schönsten und furchtbarsten Gesichter zugleich. Schon wer äußerlich die Bilder mustert, die von ihm vorhanden sind, findet bald den Eindruck bestätigt, den Immermann in seinen „Memorabilien“ schildert. „Nichts“, schreibt er anläßlich der Schilderung seiner ersten Begegnung mit Grabbe in Düsseldorf, „stimmte in diesem Körper zusammen. Fein und zart — Hände und Füße von solcher Kleinheit, daß sie mir wie unentwickelt vorkamen — regte er sich in groben, eckigen, ungeschlachten Bewegungen. Die Arme wußten nicht, was die Hände taten, Oberkörper und Füße standen nicht selten in Widerstreit. Diese Kontraste erreichten in seinem Gesicht ihren Gipfel. Eine Stirn, hoch, oval, gewölbt, wie ich sie nur in Shakespeares (freilich ganz unhistorischem) Bildnisse von ähnlicher Pracht gesehen habe, darunter große, geisterhaft weite Augenhöhlen und Augen von tiefer, seelenvoller Bläue, eine zierlich gebildete Nase, bis dahin — das dünne, fahle Haar, welches nur einzelne Stellen des Schädels spärlich bedeckte, abgerechnet — alles schön. Und von da hinunter alles häßlich, verworren, ungereimt. Ein schlaffer Mund, verdrossen über dem Kinn hängend, das Kinn kaum vom Halse sich lösend, der ganze untere Teil des Gesichts überhaupt so scheu zurückkriechend, wie der obere sich stolz und frei hervorbaute.“

Dies merkwürdige Antlitz gibt, ohne daß damit die physiognomische Bedeutung übertrieben werden soll, die beste Illustration zu dem ganzen Wesen Grabbes. Er kommt aus einer Familie, die gerade den Fuß auf die unterste Stufe der Treppe zum sozialen Aufstieg setzte. Der Vater hat schon kleine Rentnergepflogenheiten, ein Fleckchen Grün vor der Stadt und im Herzen den Ehrgeiz, der Sohn solle etwas Besseres als er werden. Dumpfe Proletarierluft umwittert sein Gewerbe, und aus dieser Luft ist Grabbe der Sohn letzten Endes nie herausgekommen. Von früh an ist sein Inneres nächtig von Groll, und sein Streben trägt stets jenen Zug der Gewaltsamkeit, mit der die Ankömmlinge neuer Stände an den Gattern der alten Bereiche zu rütteln pflegen.

In der Schule geht es los. Grabbe fühlt sich sofort im Gegensatz zu den anderen Kameraden, für die das Gymnasium die Regel ist. Für ihn ist es Ausnahme, Gnade, erlangt nicht ohne Hilfe von außen. Er lernt, liest, bohrt sich in die Dinge hinein, unbewußt dem alten Spruch vom Wissen als Macht nachgierend und erlangt im Handumdrehen jeden Vorsprung, der erreichbar ist. Gleichzeitig lodert die Phantasie seines Genies auf und verbrennt ihn bis ins Mark. Ausgerissene Schulheftseiten füllen sich mit Dramenentwürfen. Eine Sehnsucht nach Außerordentlichem läßt ihn schon jetzt die angelernten Formen zersprengen. Daneben wirkt sich in der Zwangsarbeit der Schule bunt die eben erfahrene Welt Shakespeares aus, und über manche Aufsätze schlägt der biedere Deutschlehrer, der Herr Rat Falkmann, voll Verwunderung die Hände über dem Kopf zusammen. „Grabbe, wo haben Sie das her?“ ruft er einmal aus. „Es ist ja, als ob man etwas von Calderon oder Shakespeare lese.“

Dies die eine Seite. Frühzeitig wird der Unreife gehuldigt. Kleinstädtische Glorie glänzt um den begabten Schüler auf. Aber er ist kein prinzlicher Liebling der Götter, der im Flug Kenntnisse und Lob am Wege aufliest. Schon der Sechzehnjährige sitzt bis tief in die Nacht hinein und hält sich mit Kaffee wach. Übermaß der Leistung fordert früh ein Übermaß der Anstrengung von ihm. Dabei wahrt er nach außen die leichte Geste. Präpariert aufs peinlichste exakt den Cäsar, kommt aber jemand, so deckt er Buch und Wörterlexikon mit alten Romanen zu. Dabei verachtet er im Grunde seine Mitschüler. Spielt abseits von ihnen in einsamen Zimmern mit Bohnen und Knöpfen die Schlachten der napoleonischen Weltgeschichtsgegenwart und mischt sich nicht in den albernen Übermut primanerlicher Trinksitten. Da aber, wo er sich plötzlich in sie zufällig einbezogen sieht, trumpft er doppelt auf. Nur keine Schwäche zeigen. Dieser Pseudoheroismus aller Unsicheren wird sein Verderben. Er zwingt ihn, die Maske des doppelten Gesichts vom glücklichen Anfang bis zum traurigen Ende zu tragen.

Vorzügliche Zeugnisse in der Tasche, die Brust übervoll von Plänen zieht Grabbe nach Leipzig. Der Lärm von „Klein-Paris“ betäubt ihn. Erregt wirft er sich in den Strudel des großstädtischen Treibens. Aber bald finden wir ihn wieder abgeschwemmt. Soviel Briefe und Aufzeichnungen er geschrieben hat, unbedingte Ehrlichkeit ist nur selten in ihnen. Mit Kraftworten überstreicht er groß die Fassade seines Lebens, nur später, wenn ihn sein furchtbares Schicksal manchmal über jede Barmherzigkeit beutelt, schreit die gequälte Kreatur in ihm auf. Jetzt in Leipzig führt er sich als der geheimnisvolle Poet ein. Das von Brutalität und Sehnsucht überschäumende „Gothland“ ist in der Arbeit. Seine ersten Szenen platzen, eine Bombe, in das sentimentale Literaturidyll dieser Epigonenepoche, und als der Rauch sich vollzieht, zeigt sich der kleine Detmolder mit der olympisch hohen Stirn und den hungrigen Augen dahinter: der Proletarier, der täppisch durch die Salons stolpert und sich, die Eltern verleugnend, hinter einer „geheimnisvollen Abkunft“ verbirgt. Aber dem ungeheuren Eigensinn dieses Menschen wird auch das bald zu bunt. Was Burschenschaft, Jurisprudenz, Teenachmittage! Er speit die Zeit aus. Ohne ihre Gründe und Abgründe, aber auch ohne die ersten Weiser auf die Höhen wieder hinauf zu sehen. Im Messerummel, beim Schmatzen und Witzereißen bäurischer Wurstschmäuse strolcht er, Versblöcke im Busen, Wolkenfluggedanken hinter der Stirn, wohlig einher. Theater und Kneipe werden die Pole des Tages. Der Lebensberauschte verliert schon jetzt jede Spur eines Gleichmaßes. Zu groß, das leere Geschwätz einer rein ästhetisierenden Gesellschaft zu ertragen, zu klein zur einsamen Arbeit, geht er den Mittelweg, ohne die Möglichkeiten seines Lebens auseinanderhalten zu können. Bald zeigt er sich als Diener am Werk, bald als Lakai des Erfolges. Bis aus dem Grund seiner schwankenden Seele die Faust des Schicksals hinauflangt und ihm das bunte Bild der Welt zerschlägt.

Einstweilen aber siedelt Grabbe als Dichter des „Gothland“ nach Berlin über, nachdem ein plötzlicher Versuch, am Leipziger Stadttheater Schauspieler zu werden, ergebnislos verlaufen war. Hier erfolgt die letzte Überarbeitung des Werkes. Die Aufnahme ist laut. Dem Einundzwanzigjährigen wird es schwindlig vor Augen. Er ist im Nu bekannt. Bezeichnend ist es, was er an seinen Vater schreibt: „Mein Werk schafft mir allmählich immer mehr Freunde, Bekannte und Bewunderer, besonders lerne ich dadurch viele Adlige kennen; einer ist darunter, mit dem ich fast alle Donnerstagabend esse. Das Stück ist aber so ausgezeichnet und groß, daß sie mir raten, ich müßte es nur außerordentlich geistreichen Männern zeigen, weil das gewöhnliche Volk es nicht verstünde. Ein Dr. Gustavs sagte mir, daß mir meine Sachen, wenn erst eins gedruckt wäre, sehr teuer bezahlt werden würden.“

Glück, Renommage, Taktik sind in diesen wenigen Zeilen zur Einheit verbunden. Das geschmeichelte Gefühl des sozialen Emporkömmlings verschwistert sich mit dem Wunsche, dem Vater auch den handgreiflichen Vorteil des statt des Studiums gewählten Berufs klarzumachen. Und der gute, alte Mann, von Gerüchten schon aufgestachelt, die dem Brief des Sohnes vorausgeeilt sind, geht auch ganz auf die Tonart ein: „Ein Seminarist hat erzählt, Du hättest eine Komödie gemacht, die erst nach Schillers Stil entworfen wäre; diese hättest Du etwas umändern müssen und es wäre dann so gut ausgefallen, daß Dir der russische Kaiser dafür 3000 fl. zum Geschenk gemacht hätte.“ Man sieht ordentlich das Schmunzeln des verrunzelten Beamten, das jeden Federstrich mitzieht. Zugleich aber sieht man, von wem Grabbe die gläubige Kindsköpfigkeit erbte, die ewig über sein allertiefstes Wesen ausgebreitet war. Der Vater glaubt den Sohn schon reich und Freund allmächtigster Fürsten, während in der Kammer nebenan die Mutter am Spinnrocken sitzt, um etwas Geld für Porti und Tabak ihrem „leuwen Christian“ schicken zu können. Jene Mutter, eine brave, bürgerliche Frau, bescheidenen Gemüts, wenn auch von westfälischer Härte nach außen vielleicht, um die die zünftigen Literarhistoriker soviel Legende woben. Aber sie dürfte weder eine trinkfeste Hexe noch eine Gracchin gewesen sein, sondern ein biederer, nordwestdeutscher Mensch voll natürlicher Neigungen. Ehrgeiz und Kindlichkeit stammen sicherlich vom Vater, dem er kurze Zeit nach obigem Brief in einem (falschen) Anfall von Einkehr schreibt: „— darum werde ich aber nicht hochmütig, denn ich kenne meine Schwächen nur gar zu gut.“

Leider war dies durchaus nicht der Fall. Eine günstige Äußerung Tiecks bläst ihm Wind in die Segel des Übermuts. Die Saufgelage bei Lutter und Wegner, in dem von E. T. A. Hoffmann bis Matkowski als Musenstätte gültigen Weinkeller der Berliner Künstler, geben mit ihren historischen Mitspielern, den Koechy, v. Uechtritz, Heine u. a. den Hintergrund des Berliner Lebens Grabbes, das oft ein rasendes Arbeiten an den Vormittagen war — „Nannette und Marie“, die Shakspearo-Manie, — „Marius und Sulla“ entstehen, — oft aber auch ein Hindämmern in Kopfschmerz, Schnapsseligkeit und Weiberbetten. Inmitten des glänzenden Aufstiegs beginnt schon jetzt, noch vor den Hauptwerken, der innere Zusammenbruch Grabbes. Schon sitzt ihm auch ein giftiger Pfeil aus dem Köcher der Venus im Fleisch, und das martialisch geträumte Leben wird ein Hungerleiderdasein. Bisweilen reckt er sich im finsteren Stolz des Abenteurers aus dem Volke auf und knirscht die Worte seines stolzen Marius wild durch die Zähne: „Sie heißen spöttisch mich den Bauer, und beim Gott der Rache, ich verstehe das Mähen.“ Aber dieser Geste kann er nicht nachleben. Zwar läßt er sich nicht den Mangel an fast allem, den er leidet, anmerken. Einem Bekannten fällt er bei einem nächtlichen Spaziergang ins Haus und schläft dort auf dem Stuhl ein. Nach dem Morgenfrühstück bekennt er tonlos, daß es der erste Bissen war, den er seit drei Tagen gegessen habe. Aber er wahrt das Gesicht des glücklichen Poeten. Wo es nicht mehr ging, rettete er sich in einen schmerzlichen Humor, von dem auch diese Erinnerung Heines, der immer für Grabbe eintrat, durchsetzt ist: „Beim Abschied, erzählte mir Grabbe, drückte ihm seine Mutter ein Paket in die Hand, worin . . . sich ein halb’ Dutzend silberne Löffel nebst sechs dito kleinen Kaffeelöffeln und ein großer dito Potagelöffel befand . . . Als ich Grabbe kennenlernte, hatte er bereits den Potagelöffel, den Goliath, wie er ihn nannte, aufgezehrt. Befragte ich ihn manchmal, wie es gehe, antwortete er mit bewölkter Stirn lakonisch: Ich bin an meinem dritten Löffel, oder, ich bin an meinem vierten Löffel. Die großen gehen dahin, seufzte er einst, und es wird sehr schmale Bissen geben, wenn die kleinen, die Kaffeelöffelchen, an die Reihe kommen, und wenn diese dahin sind, gibt’s gar keine Bissen mehr.“

Sie waren schließlich dahin. Riesige Entwürfe im Herzen türmend, doch mit dürren, vom Entbehren unsicheren Fingern schreibt Grabbe, nicht imstande sich eine Feder zu kaufen, mit einem abgebrochenen Streichhölzchen jenen grandiosen, allerdings nicht abgeschickten Brief der Verzweiflung an den Kronprinzen von Preußen, der in den Schrei ausklingt: „Viele nannten mich genial, ich weiß indessen nur, daß ich wenigstens ein Kennzeichen des Genies besitze, den Hunger.“ Dann kommt der letzte Versuch Grabbes, sich in der großen Welt zu halten. Tieck, der durch den „Gothland“ auf Grabbe aufmerksam geworden war, läßt ihn nach Dresden kommen. Von neuem keimt der Schauspielergedanke. Aber Dresden wird zur Katastrophe. „Es war im Frühling 1823,“ erzählt Tiecks Biograph Köpke, „als ein Fremder zu Tieck ins Zimmer trat, eine schwächliche Figur, ein bleiches Gesicht, von Sorge und Leidenschaft zerstört. Verlegen und unbehilflich kündete er mit polternder Stimme an, er sei Grabbe. Kaum konnte es eine größere Selbsttäuschung auf der einen und Enttäuschung auf der anderen Seite geben. Es war schwer, mit ihm zu verkehren. Die Gegenwart anderer war ihm lästig. Er war bald scheu, bald hochfahrend. An keinem Gespräch nahm er teil; oft stand er oder er saß stumm auf einer Stelle, oder er sah, unbekümmert um die Gegenwärtigen, zum Fenster hinaus.“ Man sieht den eingeschüchterten Dichter vor sich. Er fühlt die Brände in der Brust drinnen, weiß, daß eines seiner Werke die ganze morsche Bühnenliteratur seiner Zeit aufwiegt, aber im praktischen Getriebe der Theaterkanzleien und Direktorenzimmer ist ihm der Mund wie zugenäht. Er flüchtet in die Bierwirtschaften an der Elbe zu Spießern und Knechtseelen und baut sein Reich des Glanzes vor blinden Augen auf. Er wird bald fallen gelassen und kehrt, nach weiteren mißglückten Versuchen, in Braunschweig, Bremen, Hannover eine Anstellung zu finden, nach Detmold, in das Inferno seiner Zukunft, zurück. Voll rührender Ehrlichkeit ist sein Brief an Tieck: „So schlich ich mich nachts 11 Uhr in das verwünschte Detmold ein, weckte meine Eltern aus dem Schlafe und ward vor ihnen, denen ich ihr ganzes kleines Vermögen weggesogen, die ich so oft mit leeren Hoffnungen getäuscht, die meinetwegen von der halben Stadt verspottet werden, mit Freudentränen empfangen. Ja, ich mußte noch obendrein mich mit der plumpsten Grobheit waffnen, weil ich sonst in das heftigste Weinen ausgebrochen wäre und eine öffentliche Szene aufgeführt hätte.“

Das ist der ganze Grabbe, der Mensch mit dem doppelten Gesicht, von dem nie jemand wußte, ob das zur Stunde aufgesetzte das innerlich wahre war, das war der Grabbe, der sich in Leipzig einen wohlmeinenden Rat, der ihn überdies mit seiner Tochter verbinden wollte, in Gohlis beim Essen anschnob: „O Gott, o Gott! lassen Sie mich zufrieden — der schöne Eierkuchen wird mir ganz kalt durch Ihr ewiges Sprechen — ich habe jetzt keine Zeit zu hören!“

Einstweilen zeigte sich freilich das Schicksal noch freundlich. Grabbe reißt sich zusammen, macht sein Staatsexamen, wird bald Auditeur in der Lippeschen „Armee“ und ist für die Bürgerschaft der „berühmte Sohn der Stadt“, nach dem sich die Köpfe bei Bällen, Konzerten und im Theater umwenden. Und Grabbe festigt seinen jungen Ruf. Hatte er sich in „Gothland“ im tumultuösen Donner angekündigt, so macht er sich jetzt freier von Lärm und Schlacke. Es ist merkwürdig, daß die Mediziner und Literaturgeschichtsschreiber, die alles auf Neurasthenie und Jugendgenialität abstellen, immer im innerlich, wenn auch nicht künstlerisch unreifsten Werk schon steckenbleiben. Man sieht eben Grabbe nur als Kuriosum, nicht als Menschen, der sich entwickelt wie jeder andere, freilich unter den Bedingungen seiner Zeit, die man bis jetzt fast gar nicht beachtet hat. Um die Dreißig herum sprüht seine Kraft am stärksten und erschöpft sich fast auch zugleich. Er vollendet „Don Juan und Faust“, die beiden Hohenstaufendramen „Heinrich der Sechste“ und „Friedrich Barbarossa“ und schließlich den „Napoleon“. An der gefährlichsten Alterswende, wo es sich entscheidet, ob man alt werden oder jung bleiben wird, steht Grabbes großer, krampfhafter Versuch zur Synthese. Der Stoff bleibt ungar. Es wetterleuchtet, aber es schlägt nicht ein. Das Ungeheure der Gegenwart, die damals in der Welt begann, das Auseinanderfallen von Idee und Sein, war kaum spürbar. Grabbes Brust war empfindlichster Seismograph für das anhebende Weltbeben. Er faßte es allerdings noch nicht. Zwar richtete es ihn zugrunde. Aber er wußte nicht, woran er starb. Aus dem Konflikt des Überganges rettete er sich in die Geschichte, zu den großen Gestalten. Das deutsche Schicksal, bald darauf das Schicksal des großen Einzelnen, ward ihm das Land seiner dichterischen Erlösung. Hatte er im „Don Juan und Faust“ (wozu Lortzing die Musik schrieb) sein gedoppeltes Sein nach außen ins Zwiefache geteilt, so ist er im „Napoleon“ weiter gereist. Hinter den großen Stationen des Individuums, der Rebellion, dem Kampf um die Frau, der Bewältigung der Historie kommt die Frage nach Sinn und Möglichkeit des machtvollen Seins. Menschliches wie Politisches verlangt jetzt weitere Synthese. Im Napoleon findet Grabbe sie: dieser Korse ist ein Sohn der Revolution, aber über sie hinaus Diktator der neuen Zeit, der Mensch aus der Masse ihr Herrscher, die Besiegung einer verluderten Namensaristokratie endet mit einer wirklichen Aristokratie. Gigantisch loht Grabbes Feuergeist auf dem graugrämlichen Hintergrund der Zeit der deutschen Reaktion, die nach den blutigen Begeisterungsstürmen der Freiheitskriege angebrochen war, jener Zeit der tiefen Resignation und der perfiden Geheimkanzleidiktatur Metternichscher Diplomatentricks, mit denen man das rasende Pferd Europa zu kirren versuchte. Heute, wo es zerschmettert im Abgrund liegt, wächst ins Bergehohe die Schuld jener Sekretärsnaturen, die im Schatten eines blinden Gottesgnadentums die Völker verfeilschten, die Ideen ins Unproduktive verfälschten und den Geist an die Phrase verrieten. Grabbe litt unter dieser Zeit. Aber dadurch, daß es ihm unbewußt blieb, wurde der Austrag des Kampfes mit der zerfallenden Welt vom Werk ins Persönliche verschoben. Das Leben wurde wichtigeres Dokument als das Werk. Dies verfiel. Der Dichter kam aus der Atmosphäre des Tages, aus dem Einzelfall der kleinlichen Stunde gar nicht mehr heraus. Im „Hannibal“, diesem kunstlosen, aber wuchtig hingemeißelten Denkmal des Untergangs der Größe, ist der Sprung ins Objektive noch einmal gelungen. Aber nur die These kommt recht eigentlich heraus. Von einer Elastizität des Geistes, künstlerischer Schwingung, seelischer Spannung ist nicht mehr viel in das Drama hineingerettet. Wie blockiges, finsteres Gestein ragt dies Werk in die fahle Sonne des endgültigen Untergangs des Dichters hinein. Im Grunde ein Meer von Schreien, ein letztes Schwenken der Fahne der Empörung gegen eine Welt von Spießern, in deren wimmelndem Gewühl der Dichter versinkt. Grabbe stirbt seiner Zeit ein langes voraus. Und darum ist auch sein persönliches Schicksal den meisten immer wesentlicher gewesen als sein geistiges. Weil sich in jenem sichtbarer der Riß zeigte, der durch sein ganzes Wesen ging, der Riß, der klaffend die letzten hundert Jahre durchzieht und nichts anderes bedeutete als die Trennung von Wirklichkeit und Idee, von Geist und Körper, von realem Verhaltensprinzip und metaphysischer Forderung.

Ohne Milderung ist das Leben für Grabbe. Keine Frauenhand liegt tröstend und die heiße Schläfe kühlend auf seiner Stirn. Frauen pflegen solchen Menschen auszuweichen. Ihnen fehlt das Empfindsame, das sie mit der grotesken Wildheit und animalischen Lust versöhnt. Ihnen fehlt auch das Unnahbar-Heroische. Danton und Robespierre konnten Frauen haben. Sie lagen bei jenem und schauten zu diesem auf. Grabbe hatte weder den liebenswürdigen Charme noch den eisernen Willen der Höhe. Er schäumte in den Träumen nach Frauenfleisch, vergrübelte sich schon als Jüngling in überhitzte Visionen und suchte die dumpfe Nähe bereitwillig geöffneter Betten. Er kennt keine Liebeslyrik, keine Zeiten des Werbens. Er hat erst den infernalischen Hunger des Kraftkerls, und später, als er, in einer betäubenden Stunde auf einem Leipziger Kokottenlager vergiftet, krank am Boden liegt, vernichten ihm die Kuren und allmählich ausartenden Nervenanfälle jede stillere Stunde. Kommt hinzu, daß Grabbe ein so männlicher Mann ist, daß er geistig sofort jede Empfindung in ihre realen Motive zerlegt und im Rausch schon die Tristitia nahe fühlt. Wenn er schließlich doch erst um Henriette Meyer, später um die Tochter seines alten Gönners, um Luise Clostermeier wirbt, so ist das im Grunde die Flucht eines bereits wrack Gewordenen unter das Dach täglicher Fürsorge. Er weiß es zwar nicht. Aber außer einigen sehr groben, sinnlichen Reizen bieten beide nichts, was die Entschlüsse Grabbes rechtfertigen könnte, als eine gewisse Mütterlichkeit, die sich im ordentlichen Haushalten erschöpft. Grabbe will einfach heiraten. Er erhofft sich davon eine Regelung der trostlosen Junggesellenwirtschaft und unternimmt die Herzensattacken mit der gleichen, künstlich angehitzten Leidenschaftlichkeit, mit der er Verleger bestürmt oder günstige Kritiken erstrebt. Es gibt Funken, aber es ist kaltes Feuer, das aus den erregten Briefen und Szenen aufblitzt. Um Henriette müht er sich in seiner bekannten Art. Wenn sie im Zimmer ist, spricht er laut und so zynisch zu anderen, daß sie rot und blaß vom Zuhören wird. Das sind Grabbes Blumensträuße und Serenaden. „Das war“, meint sein geduldiger, liebevoller Zeitgenosse und Mitbürger Ziegler, „so seine Natur. Er war anfangs einem schönen Mädchen gegenüber fast immer verlegen, seine Gefühle zogen sich da in ihn zurück, und seine Zärtlichkeit konnte nicht in Fluß kommen und sich nicht in leichten Wendungen bewegen; dem hierüber entstandenen empfindlichen und gepreßten Gefühl suchte dann der Stolz, der sich in ihm rege machte, durch Witz und Spötterei ein Gegengewicht zu geben, die über jedes Bedenken hinwegsetzten, ob auch ein fremdes feines Gefühl verletzt werden könnte; er vergaß sich in blinder Genialitätssucht und verletzte, was er gewinnen wollte.“

Und doch war er kein Toggenburg etwa. Er empfand sein Mißverhältnis zur Frau nicht als unterlegener, bittender Jüngling, sondern als geistiger Mann. Aber es war keine Sicherheit in ihm. Das machte ihn doppelt unbeholfen, zwang ihn auch hier, sein wahres Gesicht zu verstecken. Er suchte im Grunde keine Geliebte, sondern die Wirtschafterin, war aber zu feige, sich das einzugestehen. So mimte er voll Eifer, der ihm selbst Ernst dünkte, den unglücklichen Liebhaber vor zwei braven Köchinnennaturen, einer ungebildeten und einer halbgebildeten kleinbürgerlichen Frau. Die noch dazu von strammen Schenkeln waren und denen der von frühen Lüsten ausgezehrte Grabbe keine großen Freuden bieten konnte. Aber beide reizte sein Ruhm. Aber was soll man zu einem Grad der Dummheit sagen, die Szenen macht, weil auf einem Spaziergang Grabbe, der als Auditeur Offiziersuniform trägt, einem Posten das Salutieren abwinkt und das Bräutchen dadurch um eine untertänige Habt-Acht-Stellung kommt. Die Verlobung mit diesem Mädchen, das schließlich einen Blaufärber heiratet, geht unter fürchterlichen Szenen und Nervenkrisen auf beiden Seiten zu Ende. Aber Grabbe ist nicht gewarnt. Instinktlos tappt er im März 1832 in die Ehe mit Luise Clostermeier.

Sie wird eine der kläglichsten Tragikomödien. Wie in keiner grotesken Szene seiner Dichtung erreicht er nun in Wirklichkeit den Gipfel eines bizarren und bei allem Auf und Ab geradewegs in den Untergang hineinführenden Lebens. Sicherlich mag vieles, was über diese Ehe geschrieben worden ist, nur aus Kleinstadtklatsch herrühren. Fest steht, daß nur eine im Gefühl geniale, geistig hochstehende Frau dieses Mannkind Grabbe glücklich gemacht hätte. Diese egoistische Provinzlerin dagegen, verzogen im Elternhaus und auf Phrasen abgerichtet, dabei von einer nur allzubald langweilenden Durchschnittsschöne, eingebildet auf den Besitz an einigen Batzen Geld und Fremdwörtern, mußte zum Hausdrachen werden. Der unsichere Grabbe verliert, nun nicht bloß im alles schablonisierenden Dienst, sondern auch im eigenen Heim dauernden Reizungen ausgesetzt, völlig jede Haltung. Vor der Ehe hatte ihm die Frau u. a. etwa folgenden Brief geschrieben:

„Hochgeschätzter Herr Auditeur!

Goethe schmückte zu Weimar vor einem Jahr den Sarg des Pius Alexander Wolff mit einer Blumenleier; wenn Sie sterben, schmücke ich denselben mit einer ähnlichen, umwinde sie aber noch mit einem weißen Atlasband, auf welchem mit großen goldenen Buchstaben Horazens Worte geschrieben: non omnis moriar!

Die Hoffnung, in nicht gewöhnlicher Umgebung mich einst rühmen zu dürfen, aus der eigenen Hand des Dichters der Hohenstaufen sein Werk (Grabbe hatte ihr den Barbarossa geschenkt) empfangen zu haben, beglückt mich jetzt schon, und nach diesem Geständnis wollen Sie die Größe meiner Dankbarkeit messen.“

Diese Frau schloß ihm nach der Ehe die Haustür zu, wenn er zu spät heimkam, graulte seine Mutter mit Schimpfkanonaden aus dem Haus und steigerte sich bis ins Megärenhafte, wenn es um Geld ging. Jene berühmte Szene, da sie dem Mann in einer Gewitternacht, in der er krank und schwach zu Bett liegt, einen Siegelring, um den sie tagsüber gestritten haben, beim Aufleuchten der Blitze vom Finger zieht und eine gelle Lache des Triumphes über den Ohnmächtigen schüttet, hat etwas von Strindbergs unheimlichen Ehebildern. Und derartige Augenblicke der Todfeindschaft gab es viele. Eifersucht und Niedertracht machen den in der Seele tödlich verwundeten Dichter fast zum Tollhause reif. Kein Wunder, daß Grabbe innerlich und äußerlich zusammenbricht. Er ist schludrig in seinem Amt, merkt es, will sich rechtzeitig salvieren und richtet an den Fürsten ein Gesuch — um Einstellung in die Armee als Hauptmann. Es kann kaum sein Ernst sein. Von Krankheit geschwächt, geistig fast aufgerieben, setzt er ein martialisches Gesicht auf. In Wirklichkeit bebt die Angst dahinter und die Hoffnung, mit der Absage zugleich die Pensionierung zu bekommen. Es ist ein für den Dichter typischer Umweg. Aber es hilft nichts. Er bekommt eine ungnädige Ablehnung, und Treibereien wartender Nachfolger drängen ihn aus dem Posten.

Die Ehe zerbricht nun ganz. Das höhnische Wutlächeln der Frau und die Schadenfreude des Detmolder Spießertums verschmelzen zu einem furchtbaren Gesicht, vor dem er kopfüber nach Frankfurt flieht. Im Reisesack schleppt er den „Hannibal“, die „Tragödie des verratenen Genies“, mit sich. Er sieht nicht nach rückwärts. Aber was er litt, schreit aus dem Satz, den er flehentlich an seine Frau in einem Brief nach Hause schreibt: „Laß meine Mutter, die soviel für mich getan hat, in Ehren! — Wärst du gut, wie vor der Ehe, könnte manches anders sein . . .“

Als ein Verwüsteter langt Grabbe in der Stadt Goethes an. Und das Schicksal hat sogleich einen neuen Blitz für ihn bereit. Sein Verleger Kettembeil fühlt sich als gefestigter Bürger berechtigt, seine Dramen zu korrigieren. Darüber lösen sich auch diese Bande Grabbes an die reale Welt. Er fühlt sich, das Nötigste entbehrend, nun ganz verlassen. Seine Briefe, in denen er um Hilfe fleht, sind die eines kranken Kindes. Es beginnt die letzte Epoche seines Lebens: der Aufenthalt in Düsseldorf bei Immermann, der sich den demütig gewordenen Poeten kommen läßt. Dessen Zeilen an ihn: „Ich habe Zutrauen zu Ihnen und hoffe auf Sie. Ich glaube nämlich, ich und eine alte Mutter sind verloren, wenn Sie mir nicht zu helfen suchen“, müssen ihn gerührt haben.

Das Verhältnis der beiden Dichter in Düsseldorf ist menschlich nicht ganz geklärt. Der formende Geist, dem aber der Funke fehlt, spannt den formlosen vor seinen Wagen. Der Theaterdirektor und Oberlandesgerichtsrat legt sich einen Herold zu, der in der Bestallung nur Anerkennung, nicht die zwecknützliche Absicht sieht. Einmal versucht Grabbe nun, ohne aufgesetzte Miene einherzugehen und ein kindlich offenes Gesicht zu zeigen. Er beugt sich vor dem Geheimrätlichen in Immermann und nimmt es als Väterliches, dem er sich offen aufschließt. Nun, da der Sand in seiner Lebensuhr mit letztem Rieseln rinnt, kommt eine vertrauensselige Einfachheit über ihn. Er schreibt Kritiken voll Eifer des Lobens, schreibt auch Rollen ab, um in mechanischer Arbeit sein ungezügeltes Temperament zu zähmen, feilt unter Immermanns stilstrengem Rat die ungefügen Kanten seiner Dramenblöcke ab und versucht das Wirtshaus zu meiden und in manierlicher Gesellschaft zierliche Konversation zu machen. Bis ihm plötzlich das rosenrote Bild schwarz erscheint, der Dienst an sich ein Dienst am Ruhme seines Wohltäters und ihm die Galle ins Blut tritt. Er erstarrt in alter Verbissenheit, Feindschaft bricht aus zwischen den beiden Männern, und doppelt heftig ist der Rückfall in die alte Wüstheit und Getriebenheit.

Aber das Gesicht wechselt nicht mehr mit. Die Muskeln, die es in seinen verschiedenen Zügen spannten, sind schlaff geworden. Die Schatten des Endes sind darüber gefallen. Es lohnt nicht mehr, sich einen Faltenwurf der Mienen zurechtzulegen. Das echte Antlitz bricht jetzt durch, das eines rasch gealterten, hilflosen Kindes. Das Leben Grabbes gleicht nun einem Marmorblock, aus dem der Schöpfer einen Kopf und zwei hungrig gen Himmel gestreckte Arme herausgemeißelt hat, aber alles übrige in der rohen Urform des Materials beließ. Und der beredte Mund wird stumm, da er nur noch die Wahrheit, die Erkenntnis des Vergeblichen aussprechen kann.

Typhusanfälle, Alkoholvergiftung, Rückenmarksschwindsucht sind die drei düsteren Plagen, die die Physis dieses Genies zermürben. Aber er weicht nicht. Mit der Beharrlichkeit proletarischen Trotzes sitzt er Abend für Abend ausgemergelt und hohl in der Kneipe „Zum Drachenfels“, im altmodisch braunen Frack, der dicht bis unter die Roßhaarkrawatte zugeknöpft ist, weil die Wäsche fehlt. Und ihm gegenüber, bis er unerwartet in Aachen stirbt, der geniale Musiker Norbert Burgmüller. Beide im Wein ihr hartes Los vergessend, beide stumm geworden. Dabei war innen in Grabbe noch blühenwollendes Land. Oder vielmehr nur der Abglanz einer Vision davon. Heimat und Vaterland locken und grüßen den dem Staube Zusinkenden noch einmal als Erde. Die Hermannschlacht, leuchtende Mythe seiner Generation, will er in Verse gießen, in ihrem Weh und Glück die grauen Farben der Zeit und die hellen der Zukunft aufleuchten lassen. „Ich betreibe jetzt die Vorstudien,“ schreibt er an einen Freund, „Teufel, da wächst was! Mein Herz ist grün vor Wald.“ Ein andermal: „Der Hermannschlacht unterliege ich fast. Die Studien dazu erschüttern mich fast.“ — „Das Stück zerreißt mir die Seele! Alle Täler, all das Grün, alle Bäche, alle Eigentümlichkeiten der Bewohner des lippischen Landes, das Beste der Erinnerungen aus meiner Kindheit und Jugend sollen darin grünen, rauschen und sich bewegen. Es ist der schwierigste Stoff, den ich unter den Händen gehabt habe . . . Er ist in mir und über mir, wie ein Sternenmeer, wohl mein letzter Trost.“

Aber die Kraft fehlte. Um und um arbeitete Grabbe das Stück, und doch ward nur ein Schlachtenpanorama daraus, in dem Varus als bedeutend sympathischere Gestalt gegenüber einem Hermann steht, der unedel und im letzten Grunde auch unkühn ist. Da, wo unmittelbar an lippischen Boden die Sage verhaftet ist, haben ihre Gestalten Naturkraft. Wo der geistige Gegensatz aufklingt, klappert es bedenklich von Phrasen. Für Grabbe waren’s freilich silberne Trompeten, die sein versinkendes Glück umbliesen. Er ist wieder der Junge, der Weltgeschichte spielt, diesmal statt mit Vitsbohnen wie als Kind mit papierenen Dramenhelden.

In der Wirklichkeit des Alltags hat er nun jede Distanz verloren. Er schlüpft in Detmold wie ein krankes Tier unter. Sein Äußeres beschreibt Ziegler: „Er ging dahin, ein trauriger Aufzug. Seine Kleidung schien sehr abgetragen und saß sehr nachlässig. Der Rock war an den Ellenbogen sehr weiß geworden, und die weite schwarze Hose wehte melancholisch um seine dünnen Beine, die dunkle Weste war bis unter den Hals zugeknöpft, seine grobe Halsbinde ließ nichts Weißes sehen, und auf dem Kopf trug er eine alte grüne Mütze. In seinem ganzen Körper war kein Halt, er wankte so, daß man befürchten mußte, er möchte umfallen, nur langsam bewegte er sich fort, nach seiner Weise, wo er die Spitzen der Füße wie fühlend voraussetzte. — — Doch war in ihm ein schöner und edler Sinn, der nach freundlich edlen Lebensverhältnissen das heißeste Verlangen trug.“ Die aber sollten ihm nicht beschieden sein. In dem Hotel „Zur Stadt Frankfurt“, wo er wohnte, da er vor den Keifereien in seinem Hause Ruhe haben wollte, dämmerte er an einem einsamen Seitentisch die Abende dahin, wenn das steigende Fieber ihn aus der Apathie des Tages vom Bett scheuchte. Und hier erlebte Christian Dietrich Grabbe sein letztes Abenteuer.

Es war ein regnerischer später Sonntagnachmittag. Der Wirtsraum erfüllt von einer trüben Stimmung, die schwer und körperlich sich zwischen den Wänden spannte. Auf den Tischen hatten die Biergläser ihre schlüpfrig breiten Ränderspuren zurückgelassen. Rauch zog dick durch die niedrige Stube. Am Boden breiteten sich kleine, schillernde Tümpel verschütteten Weines. Ganz Detmolds Honoratiorenschaft hockte dumpf und gelangweilt auf den fleckigen Schemeln. Man trank sich zu, die Köpfe schienen im Dunst größer, unförmiger zu werden. In einer Ecke flüsterten junge Burschen Politik und hielten zögernd inne, wenn der Fürstlich Lippesche Archivrat Binder seinen dicken Weißkopf wie horchend zu ihnen durch den Qualm bohrte. Mit sinkender Dunkelheit verrannen aber auch diese Gespräche in Einsilbigkeit. Nur das klippende Zusammenstoßen der Becher und das Klappern des Geschirrs in der Küche waren die einzigen hellen Laute in diesem Nebelmeer, das um die Köpfe der Zecher wogte. Die Zinkkannen auf dem Schenkbord blinkten wie Leuchtturmfeuer durch. Eine rot schwelende, stinkende Petroleumlampe kämpfte vergebens mit ihren kurzstrahligen Lichtfingern gegen die wallenden Schwaden.

Plötzlich wurde es am Mitteltisch laut. Eine grobe und eine ängstliche Stimme hoben sich deutlich ab. Dazwischen tönte Gelächter und Zuruf. Etliche sprangen auf, um zu sehen, um was man stritt. Der Archivrat Binder lag über den Tisch gebeugt und zerrte ein schmächtiges, vertrocknetes Männchen am Arm. Es wehrte sich ängstlich, und seine runden Knabenaugen, die tief in einem riesigen, von einem dünnblonden Haarbusch überwehten Schädel lagen, lugten hilflos von einem zum anderen. Sein Kinn war unter dem breiten Trinkermund wie weggesackt, und der Kopf schien wie eine von Kinderhand verschnittene Kartoffel auf dem dürren Leibe hin und her zu wippen. „Also los, Grabbe, zieren Sie sich nicht. Lesen Sie uns ihr neuestes Opus vor. Schließlich will man doch, wenn man so ein Genie in seiner Stadt hat, auch Anteil nehmen an seinem Schaffen und Werken.“ Beifällig schmunzelte die Tafelrunde . . . Man erwartete sich einen Hauptspaß, und keiner war dabei, der diesem größenwahnsinnigen, versoffenen Poeten, auf den die ehrsamen detmoldischen Bürger mit einer selbstbewußten Verachtung blickten, nicht aus vollem Herzen einen demütigenden Denkzettel gegönnt hätte. Grabbe, den der Wein schon nicht mehr klar sehen ließ, der aber instinktiv fühlte, daß man ihn in eine Falle locken wollte, kreuzte die abgezehrten Hände wie schützend über der Brust. Seine Stimme klang weinerlich: „Aber Herr Rat, ich habe doch nichts hier. Ich kann ja auch gar nicht vorlesen.“ Binders Gesicht warf höhnische Falten. „Ihr nicht vorlesen, der Ihr vor Tieck und Könneritz spieltet?!“ Alles kicherte vor Entzücken. Grabbe, dieser halbblinde, lahmbeinige Held! „Ihr nichts bei Euch haben, der nicht einen Fidibus sieht, ohne ihn zu beschreiben?!“ Mit diesen Worten schob der Rat, dessen verkniffene Augen vor Vergnügen funkelten, ein mächtiges Glas Rum vor den Dichter. Der starke Geruch betäubte schnell die Widerstandskraft. Er stürzte die brennende Flüssigkeit schnell hinunter. Dann begann er in seiner Brusttasche zu wühlen.

„Also lest, Christian Dietrich, wir hören!“ Die Ellenbogen stemmten sich würdig in Positur, man stieß sich gegenseitig an, kicherte in sich hinein. Endlich zogen Grabbes zitternde Hände mehrere Bogen engbekritzelten, schmutzigen und eingerissenen Papiers hervor. Er glättete sie liebevoll, schob die Flaschen und Krüge beiseite und beugte sich sehr tief über die Blätter, denn er sah sehr schlecht. Seine knollige Nase schien fast auf dem Papier zu liegen. Langsam bewegte er die Zunge, sie saß ihm wie geschwollen im Mund. Die Schriftzeichen verschwammen vor seinen Augen. Er stammelte den Titel: „Die Hermannschlacht.“ „Auf den Spuren Klopstocks und Kleists also?“ grölte Binder. Die übrigen brüllten vor Lachen. Diesen windschiefen Trunkenbold sich in einer Verbindung mit dem gigantischen Germanenringen zu denken, schien ihnen aber auch zu komisch. Grabbe sah Binder verständnislos an. Er begriff diese Lustigkeit nicht. War er nicht der Dichter des „Gothland“, des „Napoleon“? Was hatten diese dummkrötigen Gesellen zu lachen, wenn er vorlas. Wut stieg in ihm auf. Aber der Wein ließ ihn nicht zum Verstehen durchdringen. Er feuchtete schmatzend die Lippen, zuckte mit den spitzen Achseln und blinzelte den Archivrat ratlos an. Der fühlte vor diesem stehenden Blick etwas wie Scham. „Laßt Euch nicht stören durch meine Frage. Fangt an!“

Und der Dichter fing an. Stockend, holpernd wand er sich von Satz zu Satz, von Szene zu Szene. Mitunter irrten seine Gedanken ab. Dann unterbrach er sich und flocht irgendeine Zote hinein. Die Tischgenossen quittierten dankbar mit einem Stampfen der Gläser. Sonst aber zogen sie enttäuschte Mienen. Über das Stottern und Rülpsen konnte man sich nicht allzulange ergötzen, und was dieses abgemagerte Rauhbein sonst las, schien recht verständlich, vernünftig, sogar auch, was man in Berlin und Düsseldorf „dichterisch“ genannt hatte, zu sein. Einige gähnten. Binder stützte leicht den Kopf in die Hand, um nicht zu zeigen, daß er die Augen geschlossen hatte. Allmählich wurde Grabbe sicherer. Seine Trunkenheit verflog vor dem kalten Hauch, der aus seinem Drama stieg. Noch einmal hatte er in dieses letzte Werk, das seine müde Seele sich abgerungen hatte, all sein Wünschen und Hoffen verströmt, seinen Haß gegen die Herrschaft geschäftlicher Nüchternheit, gegen die Kleinheit diplomatischer Windmachereien entkettet. Des Teutoburger Waldes Eichen rauschten über ihm, er zog mit eisenstarrenden Legionen durch das sumpfige Gebirg’, litt mit den unter römisches Recht gebeugten Freien, flog an der Spitze der Bructerer zum Kampf an die Werra und küßte Thusnelda auf das goldene Haupt, das wie schwerer Weizen im Mittag glänzte. Grabbes Stimme wurde klar. Nur noch die in scharlachnem Rot leicht aufgewellten Backen zeugten von seinem Rauschfieber. Er reckte sich. Die gelblich-pergamentene Hand fuhr gebieterisch aus dem blauen Ärmelaufschlag. Fast schön leuchteten die Augen, die in unsichtbare Fernen kreisten. Er riß sich den Kragen auf. Auf seine Bartstoppeln trat leichter Schweiß. Rings um ihn saßen nicht Detmolds Bürger. Er war wieder zwanzigjähriger Student und pokulierte mit seinen Kumpanen in Luther und Wegeners verräucherten Gewölben. Da unten links stand ja der lockige Heine mit seinem traurig-spöttischen Lächeln um den schmalgekrümmten Mund; hinter einem bauchigen Faß lag von Uechtritz’ lange Gestalt und hörte schon wieder nichts mehr von dem, was um ihn her vorging, während der besonnene Koechy mit heiterer Stirn neben Heine saß und bedeutungsvolle, auf ihn, den Dichter, den neuen Shakespeare, gemünzte Blicke mit Gustorff und dem blaßwangigen Bruder der göttlichen Rahel, Ludwig Robert, wechselte. Grabbe sprang auf. Er breitete die Arme. Der Pfeifendampf legte sich wie ein bestaubter Lorbeerkranz um sein Haupt. Das war nicht mehr der kranke, kümmerliche Poet, der grämlich und bissig seine Tage verschlief und seine Nächte verzechte, das war Armin selbst, seinen Reitern vorandonnernd, den sausenden Nordwind in Haarbusch und Brünne.

Da schlug ihm der Qualm eines niedergebrannten Stummels beizend in den Hals. Er schluckte, hustete, mußte sich unterbrechen. Als er seine Stimme nicht mehr hörte, weckte ihn die Stille jäh aus seinem herrlichen Traum. Fassungslos blickte er um sich. Die Tische mit den abgegessenen Tellern, die halbgeleerten Gläser, die umhergestreute Asche brachten ihn zur Besinnung. Nur wenige Gäste waren noch geblieben. Und die lagen, die Köpfe auf den Tischplatten, und schliefen. Eine Glatze blinkte fahl und wie höhnisch in dem ungewissen Licht. Der Rat Binder lag friedlich in seinen Stuhl zurückgelehnt und schnarchte. Ein schaler, abgestandener Geruch durchsäuerte die Luft. Grabbe wurde bis zum Hals hinunter totenweiß. Seine Finger knifften das Papier messerscharf zusammen. In der stickigen Hitze begann ihn zu frieren. Die Atemzüge der Schlafenden kreuzten sich und verflossen ineinander. Der Dichter sah immer noch mit einem halb verlegenen, halb verdutzten Lächeln um sich. Dann begriff er’s. Er hatte vor tauben Ohren gelesen. Das Blut schoß ihm mit solchem Ruck in Stirn und Wangen, daß es durch die Haut zu brechen schien; er wollte schreien, aber nur ein heiseres Winseln kroch aus seiner Kehle. Seiner selbst vor Scham und Wut nicht mehr mächtig, ergriff er ein Seidel und schwang es, um es auf den Kopf des gerade vor ihm liegenden Rats zu schmettern.

Da blieben seine flatternden Blicke in zwei großen, dunklen, schreckerstarrten Augen hängen, die ihm durch den Dunst entgegenblitzten. Mit einem Ruck stellte Grabbe das Glas hin. Die Augen hinter dem Schenktisch lösten sich aus ihrer Regungslosigkeit und wurden lebendig. Der Dichter stürzte über die umgeworfenen Stühle auf sie zu. Er griff ins Dunkle, faßte einen weichen, sanften Arm und zog ein vierzehnjähriges Mädchen hervor, das sich scheu hin und her wand. „Bitte, bitte, sagt es nicht Vater, daß ich hier war, er prügelt mich sonst braun und blau.“ „Gehörst du denn zum Haus, mein Kind?“ fragte Grabbe und führte die sich Sträubende in den Lichtkreis der Lampe. „Ja. Mein Vater ist der Wirt von der ‚Stadt Frankfurt‘. Ich hörte Euch in meiner Kammer oben lesen und schlich mich hinunter. Eure Stimme scholl so gewaltig. Und wie die einen gingen und die anderen einnickten, Ihr es aber nicht merktet und nur ich noch wach war und zuhörte, da bildete ich mit ein, ich sei die Königin und Ihr mein Dichter, der mir seine Lieder vorliest.“ Grabbe strich über die Stirn des Kindes; unendlich zart glitt seine hartgenarbte Hand darüber. „Ihr die Königin und ich Euer Dichter?“ Seine Schultern zuckten hin und her; sein Mund bog sich lautlos, verkrümmt nach unten. „Ja, und meinen ganzen Hofstaat hatten Eure Worte verzaubert. Es war so herrlich. Warum habt Ihr nur aufgehört? Und wie geht es nun weiter, sagt doch: wird der Römer nun getötet?“ Bettelnd hatte das Kind seine Backe auf Grabbes Hand gepreßt. Er zog sie unwillkürlich zurück. „Mein liebes Kind — —“ Das verdammte Würgen in der Kehle! „Ach, lest doch weiter, ja?“ Das Mädchen streichelte schmeichelnd des Dichters magere Hände. Da ließ er sich am Tische nieder. Das Kind kauerte sich daneben. Und zwischen dem Schnarchen der Zecher und dem Stöhnen der Träumenden las Grabbe die „Hermannschlacht“ zu Ende. Über seine Wangen purzelten die Tränen. Er wischte sie mit der Hand fort und verschmierte sich das Gesicht. Aber er las und las.

Da, als gerade Varus sich in sein Schwert stürzen wollte, polterte jemand ins Zimmer. Es war der Wirt. Als er seine Tochter in dem gelben Dunst zwischen den Säufern an Grabbes Seite knien und ihre glänzenden Augen sah, die sich an des Dichters Lippen festgesogen hatten, brach er los. Die beiden fuhren auseinander. „Verdammtes Balg! Wirst du wohl hinauf ins Bett. Na wart’! Morgen sprechen wir weiter über deine nächtlichen Ausflüge!“ Er stieß das Mädchen roh zur Tür hinaus; dort drehte es sich noch einmal um. Grabbe nickte ihm mit einem ohnmächtigen Lächeln zu. „Und Ihr mit Eurer Firlefanzerei, tätet wohl besser daran, auf Euer Zimmer zu gehen. Verdreht Ihr mit Eurem Gewäsch dem Kinde noch einmal den Kopf, so könnt Ihr Eure Siebensachen packen.“ Grabbe schwieg. Er stand auf. Über seinem Antlitz lag ein Schimmer, vor dem der Wirt zurückwich. Der Dichter aber grüßte ihn mit einer fast feierlichen Gebärde. Dann schritt er hinaus, so gerade und sicher, wie er lange nicht einhergegangen war.

Am anderen Tage, erzählt der getreue Ziegler, der ebenfalls in der „Stadt Frankfurt“ logierte, habe ein Fremder sich beschwert, daß er fast die ganze Nacht nicht habe schlafen können, so sehr sei er durch einen Gast im Zimmer nebenan gestört worden. „Mit dem Mann mußte etwas Fürchterliches vorgehen. Er sprang aus dem Bette, das konnte ich hören, und rannte dann wie wild die Stube auf und ab, er sprach laut mit sich selbst und stieß die schrecklichsten Verwünschungen und Flüche aus. Ich möchte mich umbringen, ha die Welt, ich wollte, daß ich tot wäre. Dann wurde es etwas stiller und es war mir, als ob der Hahn einer Pistole losginge, ohne daß es jedoch einen Knall gab. Sicher hat er die Absicht sich totzuschießen, dachte ich mir, aber er hat nicht den Mut, seinen Entschluß auszuführen. Als er dann eine Weile den Hahn in Bewegung gesetzt hatte, rief er: Nein, das wäre gemein! Und es wurde die Pistole gewaltsam auf die Erde geschleudert. Es war mir darauf, als hätte er sich über das Bett geworfen und laut geschluchzt und geweint.“

Das Trauerspiel war zu Ende. Die Maske fiel. Das doppelte Gesicht verschmolz zu einem, auf dem schon das Licht einer anderen Welt lag. Noch einige Wochen lebte Grabbe im eigenen Haus, von Schimpf und Bosheit gepeinigt. Dann starb er am zwölften September achtzehnhundertachtunddreißig in den Armen seiner Mutter, während oben in der Dachstube bei einem Glase Festwein seine Frau die Erbschaftspapiere ordnete.

Ein Mensch hatte ausgelitten. Ein Mensch, der sich in seiner Zeit nicht zurechtfand. In dem schon all die Not, der Aufruhr und die Unsicherheit waren, die heute allgemein sind. Grabbe hat als Einzelner eine Epoche vorausgelebt. Ihm fehlten inmitten einer noch scheinbar festen bürgerlichen Welt schon der Glaube und die Form des Lebens. Mächtig begann er, klein und zerbrochen schwand er dahin. Über seinem Werk und Leben steht der Qualspruch aus Gerhart Hauptmanns „Florian Geyer“, der in der abendlichen Marktherberge zu Rothenburg über das kühne Unterfangen des Schwarzen Ritters und des Bauern sich dem getreuen Rektor Besenmeyer abpreßt: „Wie fing sich der Handel so glücklich an und wie fast gewaltig, und wie gehet er gar so kläglich aus.“

Kein stärker erschütternder Vergleich von Aufgang und Niedergang dieses Menschen, als wenn man seinen ersten uns bekannten und seinen letzten Brief hintereinander liest. Jener ist mit sechzehn Jahren an seinen Vater geschrieben und lautet:

„Liebe Eltern!

Schnell ergreife ich die Feder, da ich höre, daß mein Vater mit mir nach Meinberg will. Ich habe einen heftigen Wunsch, Wunsch — sage ich? — die heftigste Begierde, die größte Leidenschaft nach einem Buche . . . Wie gern gäbe ich vieles von meiner Kleidung dahin, um es zu erhalten, allein dies würdet ihr nicht erlauben, doch geht es, so erlaub es Vater, liebe Mutter! Bedenkt, daß wahrscheinlich die Ruhe Eures Sohnes auf lange davon abhängt. Abschreiben möchte ich es, aber es sind vierzehn Baende . . . Wenn ich ein neu Kleid bekam, murrte ich: ach dachte ich, du hast der Kleider so viele, haettest du doch das Geld dafür, daß du es zum Buche brauchen könntest. Giebst du es mir, dann will ich wahrhaftig lange kein ander’ Buch, als ein Schulbuch, lange kein neu Kleid haben, und dir, durch kindlichen Gehorsam, soviel ich kann, und was doch meine Schuldigkeit ist, Dein Alter versüßen. Da es wissenschaftlich ist, so kannst du denken, daß ich es nicht zur Unterhaltung verlange. Es heißt: Zimmermann, Taschenbuch der Reisen, bei Gerhard Fleischer zu Leipzig mit Kupfern und Charten. O Gott, welch’ einen Tag habe ich heute wieder gehabt, ich habe das Buch immer vor Augen gehabt. . . Ich will keine Butter mehr essen, Caffee wenig trinken. Verschreib’ es mir, wenn Du kannst, bedenk’ meine Ruhe hängt lange, lange davon ab, jetzt beschließe ich diesen unter manchen Zähren und Schluchzen geschriebenen Brief.

Euer

geliebter Christian.

PS. Die Schrift konnte ich wegen meiner Unruhe nicht besser machen. Zum Zeichen, daß ich aber alles Mögliche getan habe, lege ich meine Aufsätze zum Durchsehen bei . . .

 

Dieser Brief ist vielleicht nicht ohne kindliche List geschrieben. Inhaltlich nur eine Bitte um ein Buch. Aber deutlich kündet sich in ihm schon das Maßlose und zugleich Verkrampfte, das Willensstarke und dabei doch zugleich sich vor Widerständen Duckende an. Vor allem jedoch: welche Begehr nach Wissen, nach Aufzucht seines Geistes, nach dem Kennenlernen für ihn abenteuerlicher Welten schreit förmlich daraus den Leser an. Und wie trocken, verquält, das tägliche Leiden und den Ekel vor der täglichen Demütigung verratend klingt dagegen der letzte Brief, den er, der Ausgesperrte, zwei Monate vor seinem Tode an seine Frau schreibt:

„Frau!

Uebermorgen früh, Schlag neun Uhr, zieh’ ich in mein Haus. Vorerst denk’ ich mein altes Zimmer nebst Schlafkammer, beide parterre, zu wählen. Ich hoffe sie mit allen Möbeln so imstande zu finden, als sie waren. Den Doppelschlüssel zu dem Zimmer, wovon u. a. der Sergeant Schulz vielleicht zu sagen weiß, bitt’ ich mir auch neben dem Hausschlüssel aus. Hast Du mehr Hausschlüssel, so begehre ich alle, um sie zu vernichten. Einen Hausschlüssel (Du hast 2, wo nicht mehr) verlang’ ich gleichfalls. Uebermorgen früh halb neun Uhr hat Sophie bei mir zu erscheinen, oder sie ist übermorgen mittag 12 Uhr außer Diensten. Warum du gestern das Publikum aufzuregen geschienen . . . begreif’ ich nicht. Ein Ehemann kann übrigens in sein Haus treten. Ich tat dir dabei nichts zuleide. Sei klug. Bedenke, unser Interesse ist gemeinsam. Handle nicht dagegen. Ich werde dich nie verletzen. Fremde Ratgeber nützen wenig.

Chr. D. Grabbe.

Das knirschte derselbe mit sechsunddreißig Jahren über das Papier, der mit zwanzig versprach, ein Führer für Deutschland aus der Not der geistigen Reaktion zu werden. Er war ausgebrannt. Aber er hat sein Leben nicht umsonst gelebt. Durch das Jahrhundert geistert sein wüst-schönes Gesicht in unsere Tage, und mit dem Gelöbnis, auf seinem Wege der künstlerischen Konsequenz und der Mißachtung des Kompromisses glücklicher als er werden zu wollen, senken sich vor ihm die Fahnen der Gegenwärtigen. Die Fahnen, die immer vor ihm sich senken werden, wenn Jugend das Schiff Poesie gen Morgen steuert. Schon an seinem Grab stand einer der Jugendlichsten seiner Zeit, der Dichter der schwarz-rot-goldenen Trikolore von 1848, Ferdinand Freiligrath, und sandte dem gestorbenen Freunde sein schönstes Epitaph nach, das unseren Ohren zwar ein wenig dröhnt, aber das durch und durch in echtestem Gefühl wurzelt. Er schrieb es

Bei Grabbes Tod

Dämm’rung! — das Lager! — Dumpf herüber schon
Vom Zelt des Feldherrn donnerte der Ton
Der abendlichen Lärmkanonen;
Dann Zapfenstreich, Querpfeifen, Trommelschlag,
Zusammenflutend die Musik danach
Von zweiundzwanzig Bataillonen!

Sie betete: „Nun danket alle Gott!“
Sie ließ nicht mehr zu Sturmschritt und zu Trott
Die Büchse fällen und den Zaum verhängen;
Sie rief die Krieger bittend zum Gebet,
Von den Gezelten kam sie hergeweht
Mit vollen, feierlichen Klängen.

Der Mond ging auf. Mild überlief sein Strahl
Die Leinwand rings, der nackten Schwerter Stahl
Und die Musketenpyramiden.
Ruf durch die Rotten jetzo: „Tschako ab!“
Und nun kein Laut mehr! Stille, wie im Grab —
Es war im Krieg ein tiefer Frieden.

Doch anders ging es auf des Lagers Saum
Im Weinschank her; — da flog Champagnerschaum,
Da hielt die Bowle dampfend uns gefangen!
Da um die Wette blitzten Epaulett’
Und Friedrichsd’or; da scholl’s am Knöchelbrett:
„Wer hält?“ und Harfenmädchen sangen.

Zuweilen nur in dieses wüsten Saals
Getöse stahl ein Ton sich des Chorals,
Mischte der Mondschein sich dem Schein der Lichter.
Ich saß und sann — „Nun danket —“ „Qui en veut?“
Geklirr der Würfel — da auf einmal seh’
Aus meiner alten Heimat ich Gesichter.

„Was, du?“ — „Wer sonst?“ — Nun Fragen hin und her.
„Wie geht’s? von wannen? was denn jetzt treibt der?“
Auf hundert Fragen mußt’ ich Antwort haben. —
„Wie“ — „Nun, mach schnell, ich muß zu Schwarz und Rot!“
„Gleich! nur ein Wort noch. Grabbe?“ — „Der ist tot;
Gut’ Nacht! wir haben Freitag ihn begraben!“

Es rieselte mir kalt durch Mark und Bein!
Sie senkten ihn vergangnen Freitag ein,
Mit Lorbeern und mit Immortellen
Den Sarg des toten Dichters schmückten sie —
Der du die hundert Tage schufst, so früh! —
Ich fühlte krampfhaft mir die Brust erschwellen.

Ich trat hinaus, ich gab der Nacht mein Haar;
Dann auf die Streu, die mir bereitet war
In einem Kriegerzelt, warf ich mich nieder.
Mein flatternd Obdach war der Winde Spiel:
Doch darum nicht floh meinen Halmenpfühl
Der Schlaf — nicht darum bebten meine Glieder.

Nein, um den Toten war’s, daß ich gewacht:
Ich sah ihn neben mir die ganze Nacht
Inmitten meiner Leinwandwände.
Erzitternd auf des Hohen prächt’ge Stirn
Legt’ ich die Hand: „Du loderndes Gehirn,
So sind jetzt Asche deine Brände?

Wachtfeuer sie, an deren sprüh’nder Glut
Der Hohenstaufen Heeresvolk geruht,
Des Korsen Volk und des Karthagers;
Jetzt mild wie Mondschein leuchtend durch die Nacht,
Und jetzo wild zu greller Brunst entfacht —
Den Lichtern ähnlich dieses Lagers!

So ist’s! Wie Würfelklirren und Choral,
Wie Kerzenflackern und wie Mondenstrahl
Vorhin gekämpft um diese Hütten,
So wohl in dieses mächt’gen Schädels Raum,
Du jäh Verstummter, wie ein wüster Traum
Hat sich Befeindetes bestritten.

Sei’s! diesen Mantel werf’ ich drüber hin!
Du warst ein Dichter! — Kennt ihr auch den Sinn
Des Wortes, ihr, die kalt ihr richtet?
Dies Haus bewohnten Don Juan und Faust;
Der Geist, der unter dieser Stirn gehaust,
Zerbrach die Form — laßt ihn! Er hat gedichtet!

Der Dichtung Flamm’ ist allezeit ein Fluch!
Wer, als ein Leuchter, durch die Welt sie trug,
Wohl läßt sie hehr den durch die Zeiten brennen;
Die Tausende, die unterm Leinen hier
In Waffen ruhn — was sind sie neben dir?
Wird ihrer einen, so wie dich, man nennen?

Doch sie verzehrt; — ich sprech’ es aus mit Grau’n!
Ich habe dich gekannt als Jüngling; braun
Und kräftig gingst dem Knaben du vorüber.
Nach Jahren drauf erschaut’ ich dich als Mann;
Da warst du bleich, die hohe Stirne sann,
Und deine Schläfe pochten wie im Fieber.

Und Male brennt sie; — durch die Mitwelt geht
Einsam mit flammender Stirne der Poet;
Das Mal der Dichtung ist ein Kainsstempel!
Es flieht und richtet nüchtern ihn die Welt!“ —
Und ich entschlief zuletzt; in einem Zelt
Träumt ich von einem eingestürzten Tempel.

Literarhistorische Anmerkung

Von Grabbe, dessen Werke nur wenige kennen, konnte der vorstehende Aufsatz nur einen ganz bestimmten Umriß geben. Man soll ja aber nicht nur über einen Dichter lesen, sondern diesen selbst. Wen ich dazu verlocken konnte, der wählt hierzu am besten die Ausgabe der sämtlichen Werke Grabbes im Verlag von Max Hesse, in der eine in der sachlichen Zusammenstellung vorzügliche Einleitung von Otto Nieten enthalten ist. Die früher bekannten Ausgaben von Grisebach und Oscar Blumenthal sind überholt, die zahlreichen, in Zeitschriften verstreuten Arbeiten von Duller, Hart, Poppenberg, Moeller v. d. Bruck, Krack, P. Friedrich u. a. sind in der Nietenschen Arbeit in ihren wesentlichen Teilen verwertet. Die zitierte Schrift von Karl Ziegler führt den Titel „Grabbes Leben und Charakter“ und ist wohl nur noch in Bibliotheken zu finden. Als Beispiel einer überheblichen Wissenschaftlichkeit, die wohl ihr Spezialgebiet kennt, aber den Zusammenhang mit dem Wesensganzen verloren hat, mögen die „Beiträge zum Studium Grabbes“ von C. A. Piper in den Munckerschen Forschungen zur neueren Literaturgeschichte warnend genannt sein. Desgleichen sei gewarnt vor den albernen Abstempelungen der Goedeke, Scherer, Gottschall und Bartels, die damit dem fluchwürdigen Brauch huldigten, quantitative Literaturgeschichte in konzentriert-aphoristischer Form zu treiben. Wer den deutschen Kerl Grabbe erfahren will, der — noch einmal sei’s gesagt — lese ihn selbst.

Im Herbst 1922.

M. G.