Title: Weltuntergang: Geschichtliche Erzählung aus dem Jahre 1000 nach Christus
Author: Felix Dahn
Release date: June 2, 2016 [eBook #52222]
Most recently updated: October 23, 2024
Language: German
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Geschichtliche Erzählung aus dem Jahre 1000
nach Christus
von
Felix Dahn
Neunte Auflage
Leipzig
Druck und Verlag von Breitkopf & Härtel
1912
Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten.
Den Freunden
Karl Gareis, Lorenz Grasberger,
Mathias von Lexer
und
Anton Freiherrn von Tröltsch
in dankbarem Gedenken gemeinsam zu Würzburg
verlebter Tage
zugeeignet.
Alter Spruch.
In ew'ger Gegenwart steht alles Leben. – –
Die Gedichte, welche Gedanken und Namen – beides – nachfolgender Erzählung tragen, sind bereits 1868 entstanden, 1873 in der ersten Auflage der zweiten Sammlung meiner Gedichte (Stuttgart, J. G. Cotta) zuerst, zuletzt in der dritten Auflage dieser Sammlung (1883, Leipzig, Breitkopf und Härtel) veröffentlicht worden.
Gar wunderhold, wie sonst kaum irgendwo auf deutscher Erde, zieht der Frühling ein zu Würzburg an dem Main.
Frühzeitiger als anderwärts kehrt er zu: im Hornung schon flötet die Amsel ihr melodisch Lied hoch vom Ulmenwipfel, wann die Sonne zu Rüste geht über dem Guttenberger Wald, Thal und Rebgelände tauchend in eitel Gold und Segen. Frühe sprießen an sonniger Halde die Veilchen hervor und wie leuchten, wie duften sie in den Weingärten der sanften Hügel, die wilden, gelben Tulpen! Dankbar gedenkt, wer je sein genoß, des Würzburger Lenzes. –
Und ganz besonders schön, herrlicher denn je zuvor, meinten die frohen Menschen, war der liebe Lenz in das Mainthal eingefahren im Jahre des Herrn Eintausend.
Das Land weithin stand in eitel Maienblust.
Das Wildgedörn, das die Rebgärten rings an den sanft aufsteigenden Hängen umhegte – Weißdorn und Rotdorn und zahllose Hagerosen – blühte so reich, daß der süße Duft, vom Südwind getragen, berauschend flußabwärts zog. In den dichten Hecken vor der Stadtmauer, aber auch in den häufigen Gärten innerhalb der Umwallung sang die Mönchsgrasmücke, sang die Nachtigall ihr feurig Lied. –
Am Abend eines wunderschönen Maientages leuchteten vom linken Flußufer her über den Wall am rechten Ufer, zumal über die Mainbrücke hin, die Strahlen der versinkenden Sonne: sie trafen voll auf den ragenden Dom und das unmittelbar im Süden daranstoßende »Bischofshaus«: das heißt das gemeinsame Wohnhaus der Kanoniker. Brücke und Dom standen damals bereits genau an derselben Stelle wie heute: aber beide waren von Holz gebaut und erheblich schmäler als dermalen.
In dem Hauptsaale – der Bücherei – des Bischofshauses, in dem einzigen Stockwerk oberhalb des Erdgeschosses, stand an dem hochgewölbten romanischen Rundbogenfenster ein ernster Mann in mittleren Jahren. Er hatte soeben den von zierlichen Querlatten gebildeten Fensterladen, der den heißen Tag über verschlossen gehalten worden, nach außen aufgestoßen und blickte nun hinaus. –
Wo sich heute bergab, gegen den Fluß zu, die »Domstraße« senkt, lag damals ein offener Platz, nur in weitem Abstand vom Dom und dessen Anbauten durch ein paar unverbundene »Höfe« begrenzt.
Der einsame Mann neigte das braunhaarige, aber stark ergrauende Haupt leicht hinaus; er strich langsam mit der Linken über den breiten, fast völlig weißen Bart; er schloß die grauen, schwermütigen Augen; seltsame Augen waren es: nicht schön von Form oder Farbe: müde von vielem Lesen: – vielleicht auch von anderem: – aber doch war ihr Blick scharf, – wie der des Falken – und unvergeßbar für jeden, der ihn aus der verhaltenen, ja trüben Ruhe hatte plötzlich aufleuchten sehen in flammendem Blitz. –
Aber jetzt, als er sie wieder aufschlug, war der Ausdruck dieser sinnigen Augen tief verträumt. Lange blickte er schweigend hinaus. »Wie schön,« sprach er endlich leise[9] vor sich hin, »wie friedevoll! Des Herrgotts reichster Segen ruht auf Gau und Stadt. Soll ich – darf ich – diesen Frieden stören? – Aber muß ich nicht? – Und wird nicht – wie sie sagen – vielleicht der Herrgott diesen Frieden in wenigen Wochen wandeln in flammende Zerstörung, in Verderben? – Er nach einem unerforschlichen Ratschluß im großen – ich im kleinen, nach Pflicht meines von ihm mir verliehenen Amtes, also doch auch nach seinem Ratschluß.«
Er richtete sich hoch auf, trat von dem Fenster zurück und machte einen Gang durch den geräumigen, durch zwei Reihen von Holzpfeilern mit Rundbogen gegliederten Saal.
Die Einrichtung war einfach, ohne Prunk, aber würdevoll; das ansehnlichste Gerät bildete eine Art Baldachin, der an der Ostwand gegenüber den nach Westen blickenden Fenstern, von zierlich geschnitzten Rundpfeilern getragen, eine lange Truhe überhöhte, deren Deckel, mit weichen Decken belegt, als Rücksitz diente; in der Mitte der Bücherei stand ein mächtiger runder Tisch, dessen weiße Ahornplatte mit Schreibgerät und mit vielen Pergamenten bedeckt war, an welchen an Lederriemen und bunten Schnüren große Siegel in hölzernen, bleiernen und silbernen Kapseln herabhingen.
»Mein Amt?« raunte er nun leise. »Ist es nur des Amtes Pflicht, was dich treibt, Heinrich von Rothenburg! Oder ist es die alte Lust am Kampf?« – Er ballte die Rechte wie um Schwertesknauf und spannte die Muskeln des eingebogenen Armes. – »Am Kampfe, – zumal gegen diesen Feind? – – Also Sünde? – Sünde also plante ich, während der Rächer aller Sünde vielleicht schon die Wolken zusammenballt, auf denen er niederfahren wird, zu richten die Lebendigen und die Toten!« –
Er hielt erschauernd inne in seinem hastigen Gang und schlug andächtig ein Kreuz über Stirn und Brust. –
»Sünde?« – begann er aufs neue, wieder ausschreitend. »Jawohl! – Hätte ich nicht dringendere Pflichten, – vielleicht! – aber die meinen immer noch weltlichen Sinn weniger befriedigen, meine Kampfesfreude schwächer – locken? Denn diese Pflicht des Amtes lockt dich, Heinrich! Ist das nicht ein Zeichen, daß sie weniger Pflicht als – – Leidenschaft?«
Er stieß bei einer raschen Wendung an den Rundtisch: eine der Urkunden glitt herab und rollte vor seine Füße. Er hob sie auf und warf einen Blick auf das daranhängende Siegel. »Kaiser Karls Verleihung! Sie selbst! – War das ein Wink, eine Mahnung des Herrn? Wüßt' ich es nur, – zweifelfrei: – ich nähme sie ja so gern auf mich, die Pflicht und den Kampf.« – Er drückte das Pergament heftig an die Brustfalten seines langwallenden dunkel-porphyrfarbigen geistlichen Gewandes.
Da ward die in das Vorgemach – nach Süden – führende Thüre des Saales geräuschlos geöffnet und ebenfalls in geistlichem, aber ganz schwarzem Gewande trat ein wenige Jahre älterer Mann ein. Dicht an der Schwelle, zwischen den dunkelgelben Thürvorhängen, blieb er stehen; demütig neigte er tief das ganz glattgeschorene Haupt und mit leiser Stimme hob er ehrerbietig an: »Hochehrwürdiger Herr Bischof, Ihr habt befohlen.«
Der Angeredete trachtete, seine lebhafte Erregung zu[11] bändigen, zu verbergen; er legte die aufgeraffte Urkunde ganz sacht auf den Tisch: – er suchte, vor denselben tretend, sie dem Blicke des Besuchers zu entziehen. »Laß diese unterthänige Weise, Bruder Berengar«, sprach er gütevoll. »Sind wir doch Kampfgesellen: du bist mein eifrigster Mitstreiter.«
Der andere trat näher, langsamen Schrittes. Die starren Züge des langen, hageren, gelbfahlen Gesichtes blieben unbeweglich, die schmalen Lippen öffneten sich kaum, die tiefschwarzen Augen hielt er streng zu Boden gerichtet, als er sanft erwiderte: »ich darf nicht anders. – Euer Vorgänger, der hochselige Herr Bischof Bernwart, hat mir solches Gebahren besonders auferlegt zur Buße für meine hochfärtige Überhebung.«
»Ja, ja,« lächelte Herr Heinrich – und die freundliche Heitre stand dem wohlgebildeten Antlitz, den feinen Zügen herzgewinnend gut, »Mein gestrenger Oheim war ein stolzgemuter Herr« – »Er durfte es sein. – War er doch ein Graf von Rothenburg, – wie Ihr.« Der Bischof zuckte die Achseln: »Edle Geburt ist wertvoll.« »Ha, wirklich?« flüsterte der Priester, aber ganz unhörbar. –
»Doch ist sie kein Verdienst. – Aber er hatte dich im Verdacht, Archidiakon«, – und er hob mit lächelnder Drohung den Finger – »erstens schon bei seinen Lebzeiten Bistum und Bischof beherrschen und zweitens um jeden Preis sein Nachfolger werden zu wollen.« – »Was doch nur abermals ein Rothenburger werden sollte.« Ganz tonlos und unterwürfig kam das aus den kaum geöffneten Lippen. Aber der Bischof schüttelte lebhaft das Haupt und hob, schmerzlich berührt, in Abwehr die Hand: »Da irrst du, Freund. – Mein Oheim konnte nicht ahnen … War ich doch ein Kriegsmann! Ein Mann der Staatskunst …« – »Und was für einer! In keiner Heerfahrt[12] des Kaisers Otto des Roten und des jungen Otto fehltet Ihr auf deutscher, wendischer und zumal auch meiner italischen Heimaterde. Wie oft ginget Ihr als der Frau Kaiserin Theophano Vertrauter in Gesandtschaft nach Rom, ja selbst nach Byzanz!«
»Also!« unterbrach Herr Heinrich, kopfschüttelnd. »Mein Ohm und ich – wir dachten wahrlich nicht daran, daß ich weltlicher, mit viel Schlachtenblut befleckter Mann jemals geistlich, vollends Nachfolger des heiligen Burchhard werden würde. Du – Archidiakon, es ist wahr – hattest das nächste Anrecht auf diesen Stuhl.« – »Kaiser Otto der Junge dachte anders, weiser – als er Euch – noch nicht sehr lange trugt Ihr geistlich Gewand – das Bistum gab.« Der Rothenburger seufzte: »Ja: Er gab es mir.« Beschwichtigend fiel der Archidiakonus ein: »Ihr seid vom Kapitel gewählt.« – »Ja, ja, aber warum? Weil der Kaiser es wünschte.« – »Nachdem er und die Regentin so sehr überrascht waren durch Euern Rücktritt aus der Welt.« »Sieh, Berengar,« fuhr der Bischof fort, »das ist es ja, was mir den Entschluß so schwer macht. Er – der König – setzt mich in dies Würzburg, vertrauend, daß ich sein Recht und seinen Vorteil hier nach Kräften wahre. Und nun soll ich Stadt und Grafschaft ihm entreißen!« Der Archidiakon glitt geräuschlos näher; scharf richtete er auf den Ringenden die dunkeln Augen, die unter kohlschwarzen, streng regelmäßig geschwungenen Brauen hervorblitzten. »Verzeiht,« sprach er ruhig, »Herr Bischof: das ist nicht bischöflich geredet.« – »Mag sein! Aber es ist ehrlich gedacht: – mit Gedanken treuer Lehenschaft.« – »Ihr aber seid vor allem Sankt Peters Vasall! Von ihm, nicht vom deutschen König oder römischen Kaiser, tragt Ihr den Bischofstab zu Lehen. Sankt Peters und Eures großen Vorgängers, Sankt Burchhards, Recht habt Ihr zu wahren,[13] auch gegen des Königs Vorteil. Und nicht im Recht, im Unrecht ist der König! Gedenkt des Briefes Kaiser Karls! – Scharf sah ich es, wie ich eintrat: – er hatte Euch gerade wieder beschäftigt! Diese ehrwürdige Urkunde giebt Euch nicht nur das Recht, – hört es, Herr Bischof! – sie legt Euch die Pflicht auf, in jenen Kampf einzutreten und nicht zu rasten noch zu wanken, bis Ihr Gott erstritten habt, was Gottes ist. Dem Kaiser bleibe, was des Kaisers ist.« – »Dann bleibt ihm wenig genug in Stadt und Gau!« – »Gleichviel! Habt Ihr des Kaisers Sache zu führen oder die der heiligen Kirche? Wollt Ihr, nachdem Ihr das gute, klare Recht des Bistums entdeckt habt, es diesem Bistum vorenthalten – aus Schwäche, aus Menschenfurcht?«
Unwillig fuhr der Bischof auf und griff an die Stelle, wo er einst im Wehrgehäng das Schwert getragen hatte.
»Verzeiht: aus Liebe zu diesem Kaiserjüngling vorenthalten, was der große Karl aus Ehrfurcht vor Sankt Kilian und Sankt Burchhard dem Stuhle zugewandt? Erkennt Ihr nicht den Finger Gottes darin, daß er Euch – gerade Euch! – durch Zufall, – sagen die Weltleute – durch ein Wunder der Heiligen, ziemt uns Geistlichen zu sagen – in der Kämmerei, unter altem wertlosem Gerät und Gerümpel dieses kostbare Pergament auffinden ließ?«
»Ja, es ist erstaunlich,« sprach Herr Heinrich nachdenksam, das Kinn in die linke Hand schmiegend. »Ist wirklich wundersam! Unter Bischof Dietho – vor achtzig Jahren – verbrennen mit dem damals erst seit siebenundzwanzig Jahren vollendeten Dom – hier, an der Stelle des jetzigen, stand auch er – in der Sakristei alle Urkunden des Bistums, aber auch alle! So daß, als Bischof Burchhard der Jüngere, der wackere Henneberger, vor etwa zwei Menschenaltern dies Gotteshaus hier neu erbaute, auch[14] nicht Eine Urkunde, nicht Ein Beweismittel für all unsere Rechte vorhanden war: mußten alle vom König, von den Erben der anderen Schenker und Verleiher neu ausgestellt werden – auf vieles Bitten meiner Vorgänger. Und nun muß ich vor wenigen Monaten in einer alten Truhe der Kämmerei unter abgetragenen, zerschlissenen Meßgewändern und angebrannten Altardecken dieses unschätzbare Kleinod auffinden! Wie kann das aus der Bücherei oder aus dem Archiv dahin geraten sein?«
Berengar zuckte die Achseln: »Wer soll das wissen? Vielleicht gelang einem der Brüder die Rettung dieses wertvollsten Stückes aus dem brennenden Archiv: – er selbst mag darüber umgekommen sein.« »Ja, ja,« bestätigte der Bischof, »es sind mehrere bei dem Brand erstickt, und zwar gerade auch – in der Kanzlei – der Protonotar, der dem ganzen Urkundenwesen vorstand, der pflichtgetreue Bruder Skapelarius.« – »Die Kämmerei lag auch damals im Erdgeschoß – die Urkunde, in die Altardecke gewickelt, kann von dem Kanzleifenster – hier, im ersten Stock – in das offene Fenster der Kämmerei geworfen worden sein, als der Protonotar, der sie retten wollte, erkannte, daß er selbst nicht mehr zu entkommen vermöge.«
»Klingt ganz glaublich! – Aber weshalb lassen die Heiligen die wichtige Urkunde sechzig Jahre verborgen bleiben und sie auffinden gerade durch meine weltliche, schwertgewohnte, vom Schlachtenblut befleckte Hand?« – »Gerade darin erblickt und verehrt die weise Fügung der Vorsehung.« – »Wie meinst du das, Archidiakon?« »Heinrich von Rothenburg,« erwiderte dieser feierlich, wieder leis einen Schritt näher gleitend, »gebt der Wahrheit die Ehre, hier im Kämmerlein vertrauter Zwiesprache: mehr vom Kriegsmann, als vom Geistlichen, mehr vom Staatsmann,[15] denn vom Priester, mehr vom rechts- und waffenkundigen Grafen, als vom Bischof habt Ihr an Euch – immer noch!« »Ja, leider,« seufzte Herr Heinrich demütig, »immer noch!« »Weshalb – vor fünfzehn Jahren etwa – der tapferste Graf über alles deutsche Land, die rechte Hand der schönen Kaiserwitwe und Reichsregentin, Frau Theophano, plötzlich das Schwert ablegte und Priester ward – – kein Mensch weiß es …« Er zögerte: er schien gespannt auf Auskunft zu warten. Allein Herr Heinrich sprach nur leise zu sich selbst: »Aber Gott weiß es« und drückte die schwermütigen Augen zu.
Der Welsche wartete noch eine Weile: da aber der andere beharrlich schwieg, fuhr er fort: »Aus der Haut konntet Ihr eben nicht fahren, wie aus der Brünne, auch nicht, als Ihr, nach kurzer Priesterzeit, hier Bischof wurdet. Nach wie vor weilen Eure Gedanken noch häufiger bei Recht und Gericht und weltlicher Wohlfahrt und weltlicher Gewalt, denn bei Beten und Büßen und bei dem Jenseits.« »Leider!« wiederholte Herr Heinrich betrübt. »Nein, nicht leider: zum Heile dieses Bistums! Seht Ihr denn nicht? Deshalb eben führten die Heiligen Kaiser Karls Verleihungsbrief gerade in Eure starke Hand! Euch, Eurem weltkundigen Sinn vertraute Sankt Burchhard, Eurer weltlichen Klugheit, Eurer frischen Manneskraft seine Rechte an, nicht Euren Vorgängern, meist mönchischen weltflüchtigen Psallierern. Der Bischof, nicht der Graf, muß herrschen über diese Mainstadt und den Waldsassengau, darin sie liegt. Vor allem über die Stadt! So wollte Kaiser Karl! So will es Gott! Seht hier auf diesen Plan der Stadt« – er wies auf eines der Pergamente, die auf dem Tische ausgebreitet lagen – ein langes Jagdmesser war darüber gelegt, es auseinandergespreitet zu halten – »Ihr selbst habt ihn – mit der Hand des[16] kundigen Feldherrn – entworfen: glaubt Ihr, es ist ohne Bedeutung, daß die Stadt ein Fünfeck bildet, genau wie Eure Bischofsmütze, die dort liegt, Herr Heinrich?« »Spiel des Zufalls!« erwiderte dieser. Aber der Einfall behagte ihm. – »Ihr seid der Mann, des Bistums Recht zu wahren, mit scharfem Wort und – muß es sein – mit scharfem Schwert. Sankt Burchhard, Sankt Kilian, Sankt Petrus, ja Gott selber rufen Euch in diesen heiligen Kampf. Heinrich von Rothenburg, der Mann ist ein Felon, der irdischem Lehnsherrn die geschuldete Heerpflicht weigert: Heinrich von Rothenburg, willst du sie dem himmlischen Lehnsherrn weigern?«
»Nein! Bei meinem Schwerte!« rief der Starke und seine grauen Augen blitzten auf. »In solchem Lichte sah ich's noch nie. Gott ruft zum Streit. So will ich denn streiten bis zum Sieg oder – Untergang! Ich fürcht' ihn nicht, den Grafen Gerwalt!« »Gewiß nicht! Und« – der Welsche trat näher und flüsterte – »jene Weissagung des arabischen Magiers in Kalabrien, die Ihr mir vertraut – wie war es doch?« »Ich werde nicht sterben – so las er in meiner rechten Hand – bis ich mit dieser Hand meinen schlimmsten Feind auf Erden erschlagen,« sprach Herr Heinrich mit grimmiger Freude. »Nun also! Und das ist doch ohne Zweifel –« »Graf Gerwalt!« nickte der Bischof.
»Aber,« fuhr Berengar fort, »es wird zum Waffenkampfe gar nicht kommen müssen. Ihr werdet schon auf dem Wege Rechtens – vor dem Reichstag gewinnen. Sicher! Das Gericht möchte ich sehen –« und hier flog ein stolzes Lächeln um die schmalen, allzu schmalen Lippen des Lombarden und seine schwarzen Augen funkelten – »das Gericht möchte ich sehen, welches gegen jene Urkunde Kaiser Karls irgend eine Einwendung gelten lassen könnte.«[17] »Allein,« warf der Bischof ein – »warum haben alle meine Vorgänger seit bald zwei Jahrhunderten das Recht aus der Verleihung nicht geltend gemacht?«
Berengar zuckte die Achseln: »Wer kann solche Fragen beantworten? Soviel steht fest: Graf Gerwalt, Euer schlimmster Feind … –« »Der Welsche weiß nicht,« flüsterte Herr Heinrich zu sich selbst, »wie sehr sein Wort die Wahrheit trifft!« – »Kannte die Urkunde nicht. Und groß war sein Erstaunen, ja sein Zorn, als ich sie ihm – wohlweislich nur in Abschrift – übersandte. Diese Urkunde ist unanfechtbar. Nicht umsonst hab' ich Jahre um Jahre in der Rechtsschule zu Pavia geistlich Recht, Lehenrecht, Landrecht gelernt bei den ersten Lehrern. Viele, viele hundert Urkunden von Königen und Kaisern hab' ich eingesehen, viele Dutzend hab' ich abgeschrieben, hab' ich selbst verfaßt im Auftrag des Pfalzrichters daselbst. Erkennt Kaiser Otto unser Recht nicht an, so rufen wir das Urteil des Reichsgerichts am Reichstage an. Nach dem Rechte muß es für uns ausfallen! Siegt aber in dem barbarischen Reichstag dieser plumpen Deutschen – verzeiht, aber manchmal bricht das Blut Italiens in mir durch! – die Scheu vor dem Herrn König, so lebt noch ein anderer Richter, der uns – das heißt Sankt Kilian und Sankt Petrus! – unzweifelhaft zu unserem Recht verhelfen wird.« »Gott der Herr!« sprach der Bischof fromm. »Der ist gar fern und unberechenbar! – Nein, der Herr Papst zu Rom. Nicht rasten will ich und nicht ruhen, bis wir gesiegt – für Sankt Burchhard. Und müßt' ich auf meinen Knieen im Sankt Peter dem heiligen Vater Bann und Interdikt über König und Reich der Deutschen entwinden!« »Nein! Nimmermehr!« rief der Rothenburger erschrocken. »Ich sollte den Bann herabbeschwören auf des großen Otto Enkel, meines teuren Feldherrn in so vielen Schlachten?[18] Das Interdikt auf diese geliebte deutsche Erde, auf dieses blühende Mainthal? Es ist nicht deine Heimat, Lombarde!«
»In die Hölle stoß' ich ganz Lombardenland, das abgefallene, um diesen Sieg!« schrie der Welsche, fortgerissen von wilder Leidenschaft.
Betroffen sah Herr Heinrich auf ihn herab: »Abgefallen? Von wem?«
»Von … sich selbst!« rief Berengar noch heiß erregt, dann fuhr er zusammen und erläuterte: »Von seinem wahren Heil – das heißt: von der Herrschaft der deutschen Könige.«
»Aber wie,« fiel Herr Heinrich, plötzlich stehenbleibend, ein, »wenn all unser Planen und Trachten gar nicht mehr Zeit fände, sich zu vollenden? Wenn es sündhaft, frevelhaft wäre, solch' irdischer Sorgen zu pflegen, an Herrschaft über Stadt und Gau und an weltliche Macht zu denken, während Stadt und Gau und Welt in wenigen Wochen …?« Er brach ab. Der Welsche lächelte; es zuckte wie Hohn über seine sonst so starren Züge hin. »Ihr meint? Auch Ihr? Jene Weissagung – aus meiner Heimat kam sie über die Berge – unheimlich – wie der schwüle Südwind … –« »Es ist der Glaube ja weit verbreitet,« sprach der Bischof ernst. »Viel gelehrtere und viel frommere Männer als ich hegen keinen Zweifel. Ich – ich kann's noch nicht recht glauben. Entscheidend ist mir der Ausspruch des Herrn Papstes. Und der, so schreibt man mir aus Rom, schwankt hin und her.«
»Wie? Papst Sylvester? Er? Der große Gerbert von Reims, der Schüler der Araber in Spanien, der Lehrer des Erdkreises, von fast übermenschlicher Weisheit! Wenn der nicht daran glaubt, dann …« – »Ich sage Euch ja, er soll zweifeln. Seine Auslegung der Schrift[19] und der Väter führte ihn nicht zur Bejahung.« – »Nun also.« – »Aber ein heiliger Einsiedler – den Namen erfuhr ich nicht – soll stets wachsenden Glauben nicht nur bei dem ganzen Volke in Welschland, auch bei dem tief gelehrten Papste finden. Doch, wie dem sei! Ich muß der Kirche, des Oberhauptes der Kirche Weisung einholen, nicht nur für meine Belehrung, sondern darüber, wie ich mich als Bischof gegenüber meiner Gemeinde zu verhalten habe.« »Mich würde der nahe Untergang herzlich wenig freuen,« meinte Berengar spöttisch. »Noch gar viel hab' ich vor in der Welt.«
»Ist das ein Grund für den Himmelsherrn, sie noch zu erhalten, wenn das Maß der Sünden voll? Ich fürchte sehr, solcher Wunsch, solch weltlich Begehren ist auch für mich der letzte Grund, der, unbewußt in der Tiefe der Seele wirkend und wühlend, mich abhält, daran zu glauben. Und so hab' ich denn über die Alpen, nach Rom, an den Herrn Papst einen ganz eigen gearteten Boten gesandt.« »Wen?« forschte Berengar eifrig. »Es fehlt keiner aus unserem – wollte sagen: Eurem Klerus.« Der Bischof schwieg; ein heiteres Lächeln schwebte um seinen feinen Mund. »Denn,« fuhr der Archidiakon eifrig fort, »es kommt oft sehr auf den Boten an, welche Botschaft er heimbringt. Wenn einer von den Schwarmgeistern, den Träumern, den geheimnisbrünstigen Priestern, wie sie Kloster Cluny züchtet –« Herr Heinrich lachte. »Nun, hat keine Gefahr! Ungefähr das Gegenteil von solcher Art hab' ich zur Kundschaft ausgeschickt. Wenn dieser Bote, der welt- und lebensfreudigste Mann –« – »Dann meint Ihr Arn aus Bayerland, Euren Jägermeister! Richtig! Er fehlt seit Wochen!« – »Wenn der in Welschland dazu bekehrt wird, an den Untergang der Welt zu glauben –« »Arn? Ja dann,« lächelte der Lombarde, »dann muß sie vorher[20] schon halb untergegangen sein. Einstweilen aber: – ruhet nicht, handelt, Herr Bischof. Die Zeit ist günstig; der Mann, der von Amts wegen ebenso berufen ist für den Kaiser, wie Ihr für Sankt Burchhard zu handeln – der Graf des Gaues, ist fern – man sagt, in Italien. Wenigstens seine Reisigen und Vasallen alle hat der König nach Rom entboten: der Marienberg da drüben ist fast unbesetzt: ein rascher Handstreich und – aber –« er stockte und sprach leiser zu sich selbst – »es scheint beinah, Er – der andere – hat recht.« Herr Heinrich stutzte. »Wer? – Was zischelt Ihr da?« – »Ich? – Oh nichts!«
»Doch! Ich hörte genug, um mehr hören zu müssen! Wer hat recht?« Drohend, ahnungsvoll trat er näher. – »Nicht doch,« wich der Welsche aus. »Lasset ab, Herr! Nicht gerne nenn' ich Euch diesen Namen. Er pflegt Euch zu ergrimmen!« »Graf Gerwalt!« rief Herr Heinrich und seine Augen blitzten. »Dacht' ich's doch! Was – was hat er gewagt, von mir zu sagen?« »Es wird Euch erbittern!« warnte Berengar. »Oh nein,« knirschte der Bischof und zerbrach mit der starken Rechten die Armlehne von Eichenholz des hohen Stuhles, den er ergriffen, »ich bin ja ganz ruhig! – – Was hat er …?« – »Nun – vor seiner Abreise – er war ja nur ein paar Tage auf der Burg – an der Brücke war's – der Zollwart erhob den Zoll von den Mainschelchen, welche den Fluß zu Berg getreidelt wurden und meinte –: ›Nun wird der Zoll, wie jedes Gefäll in der Stadt, bald nicht mehr in des Herrn Grafen Jagdranzen, in des Herrn Bischofs Kirchenbüchse wird er wandern.‹ Da lachte der Graf, wie er zu Pferde stieg, – er und sein Jagdtroß sperrten mir den Weg über die Brücke – und meinte: ›Bah, es wird gehen wie immer zwischen uns. Wo ich gegen ihn vortrete[21]–‹« – »Nun? Was …?« – »›Tritt der Rothenburger zurück‹« »Ah, ah, ah!« schrie der Gepeinigte auf, wie von einer Natter gebissen. »Das hat er gesagt? Er soll sich irren! Graf Gerwalt liebt es zwar, an sich zu reißen, was nicht ihm, – was mir gehört: aber doch nur, wenn ich fern, wenn ich wehrlos bin gegen ihn. Doch Sankt Burchhards Recht soll er mir nicht entreißen. Und wehrlos? Noch bin ich's zwar – nicht lange mehr will ich's sein! – Wo …?« Er schritt, hastig, heiß erregt, durch den Saal. »Wo stehen die Wenden? Du weißt: die Söldner, von denen wir sprachen?«
Der Archidiakon war nun dicht an den Tisch getreten: er legte beide Hände auf die hohe Lehne des Eichenstuhles und hielt sich fest daran: er drückte darauf, während seine Augen wachsam jedem Schritte, jeder Miene des Erbitterten folgten. »Mainaufwärts, wenige Tagemärsche. Noch auf deutscher Erde, aber nahe der böhmischen Mark. Sie sind von Markgraf Eckhard von Meißen – nach tapferen Diensten – entlassen. Ihr Führer, Zwentibold, verhandelt um neuen Dienst mit Herzog Boleslav von Polen. Kommt der zum Abschluß, dann ziehen sie nach dem fernen Osten … –« – »Nichts da! Wir müssen sie an der Hand, zur Verfügung bereit haben. – Noch diese Nacht muß an sie ein geheimer Bote – ein verlässiger Mann … wen schicken wir?« Berengar folgte dem Gange des Bischofs durch die Halle: »Ich will gehen: ich selbst,« sagte er mit leiser, aber fester Stimme. – »Du wolltest? Es ist halsgefährlich!«
Berengar zuckte die Achseln: »Ich trage dieses Haupt nur für Sankt Burchhard und für Euch.« – »Gut! Dank! … Aber höre! – Noch nicht fest abschließen! – Ich bin jetzt – ein wenig – erregt! In der Hitze soll man nichts beschließen. – Nichts übereilen« – »Aber[22] auch nichts versäumen soll man! Die Söldner sind viel umworben. Auch der Magdeburger Erzbischof, Herr Gisiler, will sie dingen …« – »Die Wenden sollen warten! … Nur noch kurze Zeit!« – »Das thun sie nicht – ohne Wartegeld.« – »Freilich! Freilich! und die Kammer ist …?« – »Leer. Nur der fällige Betrag für die Armen – das Drittel der Einkünfte …« – »Nein! Nichts da! Kein Schilling davon! Aber – wie steht es denn mit dem Gelde für meine Bauten in der neuen Vorstadt?« – »Euerer Vorstadt: auf dem Sande?« – »Jawohl! Das Waisenhaus und die Klosterschule … freilich: der Verschlag, in dem jetzt beide untergebracht sind – recht elend ist er. Aber bah! – Menschenalter hindurch hat es genügen müssen: – bessere ich es, ist's mein eigenstes Werk. Drängt sich mir nun Notwendigeres vor, so …! Die Waisen, die Schüler können warten: die Wenden, – du hast recht – die warten nicht. Nimm das Geld für meine Bauten in der Sandvorstadt. Bezahle Zwentibold die Wartezeit.« – »Es wird nicht reichen.« – »So nimm die Summe für das geplante Siechenhaus bei Sankt Andreas überm Main dazu. Aber eile.« – »Ihr sollt mit meinem Eifer zufrieden sein.« Er stand schon in den Vorhängen der Thüre. – »Aber noch nicht abschließen: nur Wartegeld! hörst du?« Die Vorhänge rauschten. – Ohne Erwiderung war Berengar verschwunden.
Gar früh am Tage – wie heute noch bei unseren Bauern auf dem Lande – begann dazumal auch in den Städten das Leben.
Mit Sonnenaufgang und den Vögelein erhob man sich vom Lager: um elf Uhr pflegte das Mittagmahl gehalten zu werden: bald nach Einbruch der Dunkelheit suchte man den Schlaf: die recht spärliche Beleuchtung der Zimmer lud nicht dazu ein, Arbeit oder geselligen Verkehr im Hause in die Dunkelheit zu verlängern.
So war denn auch an dem schönen Maientage, der auf Berengars rasche Abreise folgte, das Leben in dem Städtlein früh erwacht. Bei der ersten Hahnenkraht war diejenige Rotte der speertragenden Bürger, die für diese Nacht die Reihepflicht der Wache an den Thoren, in den Türmen und auf den bezinnten Mauern getroffen hatte, abgelöst worden von der »Tagwacht«.
Und der »Morgengruß«, den, sobald die Sonne über die Höhen emporgestiegen war, die Türmer weithin über die Holzdächer der kleinen Siedelung aus ihren langen, gewundenen »Tuthörnern« schmettern ließen, weckte überall in den wenigen schmalen Gassen, in den zahlreichen »Höfen« der freien Plätze sofort rühriges Regen.
Die Runde der neu aufziehenden Wache bedurfte nicht langer Zeit, den ganzen Umfang der Umwallung abzuschreiten Denn das liebe, liebliche Würzburg war dazumal noch gar enge beschlossen: zählte doch die Umwallung, eingerechnet die Geistlichen, die Mönche, die bischöflichen Dienstmannen und die Reisigen des Grafen auf dem Marienberge, nicht mehr als etwa viertausend Bewohner.
Der Archidiakon hatte recht, als er die Gestalt der[24] Stadt einer Bischofsmütze verglich. Denn sie bildete damals ein Fünfeck und dessen Grundlage der von Süd nach Nord, dann nach Nordwest gerichtete Lauf des Mains.
Eine Holzbrücke, wie bemerkt, gerade an der Stelle der heutigen schönen und breiten Steinbrücke, bezeichnete ungefähr die Mitte der ganzen, damals noch auf das rechte Ufer beschränkten Stadt: auf dem linken Ufer lagerten sich an den Fuß der alten Feste, um ein paar Kapellen und ein Kloster nur wenige Hütten armer Fischer. Die Siedelung auf dem rechten Ufer hatte erst vor etwa achtzig Jahren Erdwälle, hier und da durch steinerne Mauern verstärkt, und davor einen schützenden Graben erhalten zur Abwehr der ungarischen Raubreiter, die wiederholt so weit westlich gestreift und alles nicht ummauerte Land verbrannt und verheert hatten.
Damals hatte der bisher offene Flecken zugleich Stadtrecht empfangen; aber auch die neue »Stadt« war unter der Amtsgewalt des Grafen des Gaues, – Waldsassen hieß er – zu welchem sie gehörte, geblieben.
Die Brücke oder – in ihrer Verlängerung – der ihr im Osten gerade gegenüberstehende Dom schied die Stadt in zwei ungefähr gleich große Teile. Denn von der Brücke lief die Ringmauer mainaufwärts gen Süden, wandte sich dann in scharfer Biegung nach Osten bis an den Zwinger, das heißt den Zwingergraben, vor dem Wall, und bog von da nach Nordosten, die Wiesen östlich außerhalb des Grabens belassend. Von dort zog sich die Umwallung weiter gen Nordwesten, dann von Ost nach West, wandte sich dem dermalen noch sogenannten »inneren« Graben entlang dem Flusse zu und erreichte stromaufwärts von Nord nach Süd den Ort, von dem wir ausgegangen: die Mainbrücke.
So war also die ganze damalige Stadt eingeschlossen[25] durch die Grenzen, die heute der Fluß im Westen, die Neubaugasse im Süden, die Kettengasse und die Theaterstraße im Osten, der innere Graben im Norden bilden. Auf dem linken, dem westlichen Ufer schaute von dem Marienberg die Burg des Grafen, das »Castellum Virteburch«, weithin über Stadt und Gau.
Die von dem Fünfeck der Umwallung umhegten Häuser bildeten nun aber sehr selten Straßen oder Gassen: waren es doch »Höfe«, ganz wie die Siedelungen der Landsassen draußen vor den Thoren im Gau, fast ausschließlich aus Holz aufgezimmert, nur etwa der Unterbau aus Stein: die vornehmeren »Höfer« liebten es wohl hier, ein paar Platten des wunderschönen fränkischen roten Sandsteins als Treppenstufen vor die alsdann etwas erhöhte Thüre des Wohnhauses zu legen. Dies war aber – ganz wie auf dem Lande draußen – stets umfriedet von einem manneshohen Hofzaun aus Pfahlwerk: der »Hofwehre«; das Hofthor mußte so weit sein, daß die zweispännigen breiten Wirtschaftswagen bequem ein- und ausfahren konnten. Denn Ackerbürger waren sie, diese burgenses, und die Anfänge von Handel und Gewerk noch sehr bescheiden. So lagen auch innerhalb der Mauern weite Strecken von Wiesen, lagen Äcker, besonders aber Gärten, in welchen Wein, Obst, Gemüse gepflegt wurden.
Alsbald nachdem bei Sonnenaufgang von der Zinne des Brückenturmes der Thorwart seinen Morgengruß geschmettert, antwortete ein höchst friedlicher Schall: auf dem Widderhorn blies der Gemeindehirte seine Herde von blökenden Schafen und meckernden Ziegen zusammen. Er fing damit an im Nordwesten der Stadt, hielt vor jedem Hof und wartete, bis der Viehschalk die bereits aus der[26] Stallthüre entlassenen und an dem verschlossenen Hofthore sich drängenden Tiere aus diesem zu dem Hirten hinausließ.
So zog er die Kreuz und die Quer an allen Höfen vorbei, bis er an das »Südthor« gelangt war. Wie im Norden und im Osten zog sich auch im Süden um die Stadt, hart vor Graben und Wall beginnend, ein breiter Gürtel von Wiesen und Gärten innerhalb des »Pfahlhags«, den an geeigneten Stellen ein paar Blockhäuser, aus festen Balken gefügt, verstärkten; hier wohnten kleine Leute, die als Taglöhner, Gärtner, Zeidler, Winzer, Fischer ihr Leben fristeten.
Gleich hinter den wenigen ärmlichen Lehmhütten und Holzhäuslein dieser werdenden »Vorstadt« begann die weitgestreckte, bis zu dem »Acker des Randahar« sich hinziehende »Allmännde«, das Gemeindegut der Stadt, bestehend aus Weide, Wiese und buschigem Wald, von den »Burgensen« besonders zur Weide für Rinder und Schafe verwendet; während manches Borstentier mit grunzendem Wohlbehagen in den häufigen Pfützen sich sielte, die, an Stelle von gepflasterten Straßen, Hof von Hof zu trennen pflegten.
Rado, der graubärtige, hünenhaft lange und starkknochige Gemeindehirte, kam nicht so rasch hinweg von den meisten Höfen als er wünschte: – denn ihm war nur wohl draußen in Wald und Heide: in der Stadt, diesem ummauerten Grabe, müsse er ersticken, schalt er.
Und er war ein Liebling der Leute, der Alte: Hausherr[27] und Hausfrau, Knecht und Magd, zumal aber die Kinder ließen ihn nicht leicht los ohne ein paar Fragen. Er wußte gar so viel, so vielerlei, was sonst kein Mensch mehr wußte: von Jagd und Fischfang und Viehzucht, von gesunden und kranken Tieren. Das Wetter verstand er ganz genau vorher zu sagen, manche meinten, geheimnisvoll nickend, weil er es selbst – ein wenig – mache.
Und alte Geschichten vollends wußte er zu erzählen – von seiner verstorbenen Mutter her – und Mären und Sagen, daß Kinder und Große offenen Mundes lauschten; und Segen: Wundsegen, Jagdsegen, Kampfsegen, Reisesegen, Biersegen, Viehsegen, Fischsegen – in mannigfaltigster Auswahl: seltsam nur, daß er sie alle plötzlich vergaß, trat in den Kreis seiner Hörer ein »Geschorener«, wie er unwillig sagte. Herr Heinrich schalt wohl oft darüber, aber er lächelte dazu und ließ ihn gewähren: denn der Hüne war in jungen Jahren ein gar treuer und trefflicher Waffenknecht der Rothenburger Grafen gewesen und hatte – so sagte man – dem Vater Herrn Heinrichs das Leben gerettet in Welschland.
Während nun der Hirt von Knecht und Magd und Kind an dem Hofthor aufgehalten ward mit Frag' und Antwort, wartete der vorwärtsdrängenden Herde gar oft – und auch heut' – ein anmutvolles Kind mit dicken, langen, dunkelblonden Zöpfen, die durch die lebhafte Kleine stets in Bewegung gehalten wurden, daß die hellblauen Bändlein an deren Enden hin- und herflatterten. Sie zeigte weit über ihre vierzehn Jahre hinaus voll und üppig entwickelte Formen, aber sie war so mutwillig und so kindlich wie die springenden, bockenden Zicklein ihrer Herde.
Als der Alte aus dem letzten Hofe vor dem Thor der Sandvorstadt zurückkam, fand er die Kleine aus vollem Halse lachend: lachend, daß ihr aus den hellgrauen Augen[28] die Thränen über die dicken, runden Kinderbacken liefen. Sie hielt sich vor Lachen kaum aufrecht an dem langen, gebogenen Schäferstab, den sie einstweilen dem Alten abgenommen hatte.
»Was hast du, Fullrun?« fragte der. »Dich reiten wohl wieder die Elben!« »Es ist zum Zerspringen!« keuchte sie, sich mit der umgewandten Linken über die Augen fahrend. – »Was?« – »Schau ihm nur nach, Ohm! Da – links hin! – humpelt er davon. Sieh nur, wie er ausschaut! Ganz weiß vom trockenen Straßenstaub. Wie der Müller aus der Au! Nur nicht so sauber!«
Der Alte reckte die hohe Gestalt und hielt die Hand vor die buschigen Augenbrauen: denn die Morgensonne blendete von dort her: »Ei, das ist ja Junker Blandinus, der Sohn des Dogen aus Venetia, der jüngst erst ankam, Korn zu kaufen von dem Juden Renatus. Was hat der hier – in deiner Nähe wieder! – gesucht?« Und er nahm ihr den Stab aus der Hand und hob ihn drohend, daß sein langer Mantel, aus drei Wolfsfellen zusammengenäht, von seinen Schultern zurückwallte. »Weiß nicht, Ohm. Aber was er auch suchte: – gefunden hat er was anderes. Er ist immer um die Wege, mit seinem seidenen Mäntelein und dem bunten gezipfelten Wams. Wäre gar nicht so übel im Gesicht, putzte er sich nicht so weibisch heraus. Kaum warst du im Hammerhof verschwunden, da bog er flugs um die Ecke der Wirsinge und stand vor mir. ›Jungfrau Fullrun!‹ flüsterte er in seinem welschen weichen Ton, ›segne Euch Sankt Amor!‹ ›Ich heiße die runde Runel und mein Schutzheiliger heißt Sankt Kilian!‹ rief ich. ›Wer ist Euch wohl der Liebste auf der Welt nach Euren Gesippen?‹ fragte er und machte ganz verschwommene Augen. ›Schnufilo!‹ erwiderte ich rasch ohne Besinnen. Denn es ist ja auch wahr. ›S–Se–ch? –[29] Schn–ufilo?‹ wiederholte er lispelnd. ›Wo ist er? Ist er ein Ritter, daß ich ihn bestehen mag? Ich durchspeere ihn!‹ ›Durchspeeren? – Meinen Herzens-Schnufilo? Nun wartet! Komm!‹ schrie ich ›faß, Schnuf, faß!‹ Und grimmig bellend sprang der herzige Schnuf herzu und fuhr ihm an die Waden.
›Oh – ohimè – Eine bestia? Ein monstro!‹ Nun trat der Schwarzkopf wieder näher: die dunkeln Locken – 's ist wahr – lassen ihm nicht übel! Aber sein Haar stank süß von Salben! Ich hielt mir die Nase zu! – So!« Und sie machte es dem Alten vor: – so drollig, daß er lachen mußte. »Und wisperte: ›Wißt Ihr auch, schöne Runa, wie man in Venetia küßt?‹ ›Nein,‹ sagte ich. ›Ich küsse überhaupt nur Schnuf und Schnee.‹ ›S–ch–nee? Ist das auch so eine Beißbestia?‹ forschte er, besorgt um sich blickend. ›Nein, hier mein Mailämmlein.‹ ›So will ich Euch küssen lehren!‹ lächelte er und machte einen Schritt. Aber – o Sankt Kilian sei gepriesen! – er trat, nur auf mich guckend – auf das Ferkelein, das da – nun wieder! – in der Pfütze liegt. Laut aufquiekend fuhr ihm das zwischen die langen Beine – er stolperte und fiel bäuchlings in den weißen Staub daneben. Nun fuhr auch Schnuf ganz erbost wieder gegen ihn und zerriß ihm den langen erdbeerroten Flattermantel. Fluchend sprang er auf und entwich eilfertig.«
»Kommt er wieder,« drohte Rado, »lehr' ich ihn, wie man im Waldsassengau – haut! – Auf, Thorwart, auf mit dem Gitter!« – Und nun flüsterte er ganz andächtig, gen Himmel blickend:
»Hier, Giero, hier!« Er pfiff dem mächtigen grauen Hund: der trieb in unablässigem Umkreisen die zerstreuten Schafe und Ziegen auf dem weiten Platze rasch zusammen, so daß sie nun in guter Ordnung durch das geöffnete Thor und dann über den an eisernen Ketten herabgelassenen schmalen Steg über den Graben trippelten. Draußen begrüßte das kluge Tier freudig in lustigen Sätzen und laut bellend die Freiheit. Einverstanden klopfte ihm der Alte den Kopf. Fullrun folgte zuletzt; sie trug über den geländerlosen Steg gar sorgsam auf ihrem vollen linken Arm ein schneeweißes Lämmchen, das sie aus der blökenden Menge gegriffen hatte: mit der Rechten hob sie den Saum ihres rotbraunen Röckleins bis über den Knöchel des unbeschuhten Fußes: im Morgenwind flog das krause kurze Haar an ihren Schläfen: mit vollen Zügen sog sie den frischen Hauch des Morgens in die junge Brust.
An demselben Morgen trabte, nachdem die Frühmesse in dem Dom zu Ende, ein bunter Reiterzug den freien Platz hinab auf die Mainbrücke zu.
Die Hengste der Männer und auch zwei zeltende Paßgänger für Frauen – mit zierlich gegitterten hohen Seitenwänden an den weichen Sätteln aus spanischem Leder – waren neben der Kirche von mehreren Knappen in Bereitschaft gehalten worden. Als das gemeine Volk aus den weitgeöffneten schön geschmiedeten Doppelthüren und über die vier roten Sandsteinstufen des Eingangs hinab sich verstreut hatte, wurden die Pferde dicht an die kniehohen[31] »Roßsteine« geführt, die, an dem Dom, wie an gar manchem Eckgebäude angebracht, das Aufsteigen und Absteigen reitender Damen erleichterten.
Ein schlanker Jüngling von nicht allzuhohem, aber zierlichem Wuchs und von auffallend anmutvoller Haltung geleitete gar höfisch, nur an den Fingerspitzen ihren hellgelben Reithandschuh berührend, ein schönes junges Mädchen die Stufen des Domes hinab. Das veilchenfarbene Barett, geschmückt mit dem weißen Gefieder der Silbermöwe, stand gut zu dem dunkelbraunen dichten Gelock des jungen Ritters mit dem etwas helleren Bart, der überall das feine Gesicht umrahmte. Das enganliegende Wams, von gleicher Farbe wie das Barett, zeigte vorteilhaft die geschmeidigen, wohlgestalteten Glieder: die zarten Gelenke der Hände und der Knöchel schienen nicht deutsche oder doch nicht ungemischt deutsche Abkunft zu bekunden.
Lebhaft sprach er zu der jungen Dame, feurig blickte er ihr – und recht nah! – in die großen Augen von hellstem sonnig goldenem Braun, welche unter blonden, nicht allzustarken Brauen hervor freundlich und freudig in die schöne Welt hineinleuchteten. Ihre Wangen waren hold wie vom Flaum des Pfirsichs überzogen: die frischen, ein wenig aufgeworfenen Lippen lächelten gar gern und zeigten dann zierlich gereiht die weißesten Zähnlein. Ein Reiterhut von weißem weichstem Filz mit sehr breitem Rand und schwarzer Feder wiegte sich keck auf dem ganz hellbraunen, aber leicht von einem roten Schimmer durchleuchteten Haar. Gar anmutvoll war die Bewegung ihrer schmalen langen Hand, mit der sie das weitflutende weiße Wollkleid aufhob, wie die feinknöcheligen Füßlein über die Steinstufen vorsichtig hinabglitten. Herzhaft lehnte sie dabei den vollen warmen Arm auf den des Ritters; der führte sie an den weißen iberischen Zelter mit hellrotem Sattel-[32] und Zaumzeug, der, ungeduldig harrend, mit dem rechten Vorderhuf gescharrt hatte und nun, die schöne Herrin erkennend, sie freudig begrüßend laut wieherte.
Der Junker hielt ihr beim Aufsteigen die Hand unter den Schuh und umspannte dabei den feinen Knöchel erheblich fester, als die Sicherheit der Reiterin gerade würde erheischt haben. Diese zürnte aber nicht, sondern sowie sie sich sicher im Sattelsitz fühlte, neigte sie ihm das wunderschöne Antlitz zu in gar holdseligem Lächeln: er erglühte vor Glück über soviel Huld, seine dunkelgrauen Augen blitzten und freudig schwang er sich auf seinen feurigen friesischen Rapphengst.
Hinter diesem Paar schritt langsam ein zweites die Domstufen hinab: gleich jung, gleich schön, aber in ganz anderer Haltung und Stimmung, so schien es. –
Zwar der Ritter, dessen blondes Haar dicht aus der ehernen Sturmhaube quoll, ließ die blauen Augen gar sehnend ruhen auf dem schmalen, blassen, nur ganz zart rosig überhauchten Antlitz der Dame; aber diese preßte den kleinen, stolzen Mund fest zusammen, schlug die Augen unerbittlich nieder und furchte streng die Brauen, deren tief dunkelbraune Farbe scharf abstach von dem fast weißgelben Geriesel ihres gewellten Haares, das unter der himmelblauen runden Seidenkappe hervor auf den gleichfarbigen langen Mantel frei, gelöst, flutete; dieser Gegensatz der fast schwarzen Brauen zu dem weißblonden Haar verlieh dem höchst vornehmen, edeln, aber marmorkalten Antlitz eigenartig fesselnden Reiz: wer diese stolzen, feinen Züge einmal geschaut, – er mußte ihrer gedenken für und für. Die ganze schlanke hohe Schilfgestalt schien ein schönes, aber herbes Rätsel; man mußte nachgrübelnd fragen, welch Geheimnis das junge Herz so streng verschlossen hüte? Denn die hellgrauen Augen, die sie selten aufschlug, schienen[33] auch dann nicht in die Welt, schienen nach innen zu schauen, fest entschlossen, um keinen Preis zu verraten, was sie in diesen Tiefen erblickten.
Schweigend, sinnend, zögernd, wie widerstrebend, schritt sie nun die Stufen hinab: sie waren noch feucht vom Morgentau: – sie glitt ein wenig aus: – der Jüngling hielt ihr rasch den rechten Arm hin: aber sie achtete dessen nicht: noch schärfer die langgestreckten Brauen furchend richtete sie sich – allein – rasch auf zu ihrer vollen Höhe, schritt sicheren Fußes fürbaß und winkte, auf der letzten Stufe angelangt, einen grauhaarigen Knappen herbei: der mußte ihr auf den Rücken ihres Falben helfen. Dem Jüngling klirrte laut Schuppenbrünne, Wehrgut und Schwertknauf aneinander, wie er sich nun hastig auf das starke Streitroß schwang, einen braunen Flanderer schwersten Schlages.
Die beiden Junker ritten jetzt an die Seite der beiden Edelfräulein und nun ging's in raschem Trab hinab an die Brücke: – deren Thor ward von den Wächtern ehrerbietig aufgethan: – nun über die dröhnenden Balken und drüben aufwärts auf dem linken Ufer, wo sich der Leinpfad zum Schleppen für die Mainschelche hinzog.
Ein Holzverhack sperrte den schmalen Weg zwischen dem Fluß zur Linken und dem steil abfallenden Felsen des Marienbergs zur Rechten: jenseit eines engen Durchlasses in dem Verhack wartete der beiden Paare ein Häuflein von Jägern mit Pferden, Hunden und Falken: denn der Falkenjagd, der Reiherbeize galt dieser Morgenritt.
Das Jagdgeleit bestand aus nur Einer »Rotte«: das heißt dem Falkenmeister und drei Falkenieren; alle vier waren beritten; die letzteren hielten abwechselnd den Falkenrahmen, eine leichte viereckige Trage, aus weißem Holze zierlich geschnitzt, auf welcher zwei Beizvögel, mit einer langen Kette unter dem Flügelbug und einer kurzen um den rechten Lauf und Fang angefesselt, saßen: zierlich stand den schlanken Vögeln die Falkenhaube, ein Käppchen von rotem Leder aus Cordoba, oben mit weißen Federn, unten mit kleinen silbernen Schellenkügelein geschmückt: ein schmales Lederriemchen hielt die Haube, über Kopf und Augen gezogen, unter der Kehle festgeschnallt. Den Berittenen folgten zu Fuß drei Hundekoppeler, von denen jeder zwei Stöberhunde an der Koppelleine führte: mächtig zerrten sie vorwärts, die starken, grauhaarigen, hochbeinigen Rüden aus Ungarland: aber scharf erzogen, gaben sie bei aller Jagdgier nicht Laut.
»Was habt Ihr heute für Vögel auf den Rahmen gesetzt, Herr Fulko?« fragte die Braunlockige, anmutvoll den Kopf und den breitrandigen Hut nach ihrem Begleiter zurückwendend. »Geht es auf hohen oder auf niederen Flug?« »Wer mit schön Minnegardis jagt – und für sie, – denkt nur an hohen Flug,« erwiderte der Junker mit weicher, wohllautender Stimme. »Die Falkeniere haben Reiher angesagt in den Altwassern des Mains, nahe der Fähre bei den Höfen der Heitinge: sogar einen –, nun, nicht vor der Jagd von der Strecke plaudern, sonst verfällt sie dem wilden Jäger! Heute wollen wir erproben, Freund Hellmuth, ob des Herrn Bischofs isländischer Girofalk besser arbeitet oder mein Wanderfalk: ich[35] holte ihn, gerade flügge geworden, selbst aus dem Horst auf dem Geiersberg im Spechteshart.«
»Deiner steigt besser und streicht gehorsamer zurück auf die Faust zur Atzung,« antwortete der Blonde; trüb war, gedämpft der Ton seiner Rede. »Ei ja,« rief Fulko, »er hat mir auch manch Federspiel zerzaust, bis er's gehörig lernte. Der Isländer ist nicht gut abgetragen: denn Freund Arn, der Jägermeister, der's besser als wir alle kann, ward vom Herrn plötzlich verschickt, bevor der teure Vogel stoßreif war. Aber nun, habt acht, Jungfrau Minnegardis! Die Stöberer springen ein.« »Da platschen sie ins Röhricht,« rief das Mädchen, und setzte in hellem Jagdeifer ihren Zelter in lustigen Trab. »Seht, schon müssen die vordersten schwimmen: da ist's schon tief.« – »Ja, ein altes Weidmannswort scherzt: ›Reiher ist von höherem Stand denn Rüde‹. Aber jetzt – den Rahmen herbei!« Die Ritter lösten den Vögeln beide Fesseln, nahmen sie von der Trage und setzten einen derselben je einem der Fräulein, – Minnegard den Wanderfalk, Edel den Isländer – auf den seidengestickten Handschuh der rechten Hand, so daß die scharfrandigen Krallen den Zeigefinger fest umschlossen; die Kappen blieben noch unbehoben.
Es war nun gar schön zu schauen, wie die beiden holden Reiterinnen in raschem Trabe den Fluß entlang dahinflogen, mit wehenden Federn, Locken und Mänteln, die stolzen Vögel auf dem anmutig gebogenen Handgelenk.
»Hört ihr?« rief Fulko. »Da schlagen die Stöberhunde den Reihergruß. Lüpft die Kappen! Werft eure Vögel, edle Jägerinnen!« Die Mädchen schnallten den Vögeln rasch die Kappenriemen ab, ließen die von dem plötzlichen Lichteinfall Geblendeten noch einen Augenblick in den Himmel schauen, wiesen ihnen dann Beute und Flug, sie in der Richtung der rasch enteilenden Reiher in die Höhe hebend,[36] und schnellten sie mit kräftigem Schwunge des Gelenks in die Luft mit dem lauten Rufe: »Holî! Holî!«
Sofort hatten die Falken das steigende Wild eräugt und stiegen nach, pfeilschnell, mit gellendem Schrei, dem der kreischende Angstruf der Reiher »krätsch! kraitsch!« antwortete. Beide Flüchtlinge blieben auf dem linken Ufer und eilten flußaufwärts: die Berittenen hatten also nur die nebenherziehende breite Heerstraße einzuhalten, so konnten sie leicht folgen.
Herrlich war der Anblick der Flucht und der Verfolgung durch die Lüfte. Zuerst entleerten die beiden Sumpfvögel die Kröpfe des Fraßes, ihren Flug zu erleichtern: denn sie hatten mit Erfolg in dem Schilfwasser gefischt, stets gegen die Sonne stehend und watend, damit der hinter sie fallende Schatten die Fische nach vorn ihrem Schnabel zutreibe. Dann legte jeder den langen kegelförmig zugespitzten Schnabel mit den messerscharfen Schneiden auf den Kropf, streckte die langen Ständer gerade hinter sich und sausend ging es nun in die Höhe, immer höher, immer höher, dem Verfolger das Überfliegen unmöglich zu machen.
Denn der Falke konnte den viel größeren Feind nur zwingen, wenn er ihn überstieg und dann von oben her schlug, ihm zwischen den Flügelschultern und dem Ansatz des Halses den Haken des Schnabels mit dem scharf ausgeschnittenen dreieckigen Zahn des Oberkiefers einhieb, die beiden Fänge aber mit den kräftigen spitzen Krallen unter den ausgespannten Flügeln – vor deren Bug – in den Rumpf schlug und so schon durch den Druck von oben den keineswegs immer tödlich getroffenen Reiher zum sausenden Sturz brachte; der Falkenier eilte dann herzu und tötete oder fing den Verwundeten, während der Falke, wenn gut abgetragen, auf die Hand der Herrin zurückstrich.
Aber nicht gerade aufwärts stiegen die Reiher, sondern[37] schraubenförmig, ähnlich den Lerchen, in immer höher und höher gezogenen Ringen: der schwere Vogel konnte nicht senkrecht oder sehr steil schräg fliegen, während der Falke schnurgerade, nur stets etwas höher zielend als sein Gegner flog, auf diesen losstürmte.
Übrigens kamen diesmal die beiden Paare in den Lüften und demgemäß die beiden Jägerpaare auf der Erde bald ziemlich weit auseinander. Edel hatte ihren Vogel früher geworfen als Minnegard: derselbe ersah daher den zuerst aufgestandenen grauen Reiher: dieser und sein Verfolger, der Isländer, gewann rasch starken Vorsprung in die Höhe und in die Weite vor dem Wanderfalk, der den zweiten etwas größeren Reiher – weiß wie Schnee leuchtete im Sonnenglast dessen Gefieder – stets vom Wasser ab nach dem Walde hin zu treiben suchte.
Edel und Hellmuth sprengten an dem anderen Paare vorbei und hatten bald Mühe, zu Pferd den raschen Fliegern zu folgen.
Lange vermochte der Isländer nicht, dem Feinde nachzukommen: endlich, endlich aber hatte er ihn überstiegen – etwa um sechs Fuß – und sofort stürzte er sich nun aus dieser Höhe auf seine Beute. Allein blitzschnell hatte der Reiher den bisher abwärts auf dem Kropfe getragenen starken, spitzen und langen Schnabel – eine fürchterliche, oft den Augen des Jägers sogar, der den wunden Vogel greifen will, gefährliche Waffe – senkrecht nach oben gekehrt: der Falke, der mit voller Wucht herabstieß, spießte[38] sich dabei die Brust auf wie auf einem Speer, so daß die Spitze des Reiherschnabels ihm im Rücken zwischen den Flügeln hervordrang. Der Sieger aber konnte sich nicht von dem verendenden Feinde losmachen, nicht unter dem Drucke dieser Last den Schnabel aus der Wunde reißen und so taumelte er denn, den Rücken nach unten, sausend zur Erde. Kaum war er aufgefallen, – zwischen der Straße und dem Fluß – war Hellmuth schon zur Stelle, Edel folgte. Der Junker sprang ab, riß den toten Falken von dem Reiher los, faßte diesen mit der Rechten im Genick an beiden Fittigen und warf ihn hoch in die Luft: »Geh!« rief er dem hastig Enteilenden nach. »Du hast dich ritterlich gewehrt – hast gesiegt: ich mag dich nicht unritterlich erwürgen. – Ich habe doch recht gethan?« fragte er zu Edel hinaufblickend, die nun dicht hinter ihm auf dem schnaubenden Falben hielt. »Gegen Reiher seid Ihr ritterlich,« erwiderte sie herb, ohne eine Miene zu verziehen, wandte das Roß und ritt langsam zu dem anderen Paare zurück.
Auch dessen Beize war ausgebeizt. Gar bald hatte der Wanderfalk den großen, glänzendweißen Vogel überhöht, und ihn von dem Flusse, den er nun überschreiten wollte, ab- und auf das linke Ufer zurückgedrängt: auf den ersten Stoß gelang ihm das Schlagen: Reiher und Falk taumelten, aber der Falke rittlings auf seiner Beute sitzend, auf die blumige Wiese zur Rechten der Heerstraße. »Ruft ihn, ruft ihn rasch,« drängte Fulko die Jägerin, während beide heransprengten. »Er verliert sonst die Zucht und den Heimstrich.« »Hilô! Hilô!« rief Minnegardis freudig und setzte in vollem Jagen über den breiten Graben auf die Wiese: ihre schwarze Feder flog, ihre Locken flatterten. Entzückt folgte Fulko der zierlichen Gestalt der mutigen Reiterin.
Gehorsam kam der kluge Vogel zurückgestrichen und ließ sich auf dem Handgelenk der Herrin nieder: vergnügt die beiden Schwingen leicht schlagend rief er ganz leise, – nicht den gellenden Kampfschrei – und sah mit seinen nußbraunen Augen in Minnegardens Antlitz: ein Falkenier brachte ihr eilig auf goldenem Stäblein ein Stück Rinderherz und hielt ihr den Zügel, während der Vogel aus ihrer Linken behaglich und mit leisem Dankrufe gierig kröpfte: dann ward er wieder gehaubt und auf die Trage zurückgebracht.
Nicht eher doch hatte der Falke seinen Gefangenen freigegeben, bis Fulko, vom Rosse gesprungen, denselben an beiden Schwingenknochen gefaßt hatte; er hielt ihn nun der Jägerin hin, die sich anmutvoll aus dem Sattel herabbeugte. »Welch herrlich Tier!« rief sie erfreut. »Welch leuchtend Weiß! Nie sah ich seinesgleichen!« – »Es ist ein Silberreiher. Ich wollt' es nicht – vor der Zeit! – verkünden. Aber ich hatte ihn gestern abend angeschlichen.« – »Er ist – wie es scheint – ganz unverletzt?« – »Fast ganz. Nur wenig blutet hier der Hals. Das hab' ich ihn gelehrt, den klugen Greif, am Federspiel: – für den Silbervogel! – nur fangen, nicht morden!« – »Oh! dann wollen wir das edle Tier freilassen! Nicht?« – »Gewiß: Ihr seid ja seine Fängerin, nicht ich! Und ich: – im voraus erriet ich Euer gütig Herz.« Er griff in die kleine von Stricken geflochtene Jagdtasche, die er am Wehrgurt trug. »Das mögt Ihr jetzt leicht sagen,« lächelte sie. »Ich beweis es, Herrin!« gab er zur Antwort. – »Wie? Was wollt Ihr thun?« – »Wie immer: Euren Willen – Nur ein Andenken an diesen frohen Morgen soll Euch Euer schöner Gefangener lassen. Seht Ihr die beiden silberweißen Federn hier auf seinem Haupt?« – »Wie stolz sie wallen! Schaut, sie[40] reichen noch weit über seinen Rücken.« – »Wie prächtig werden sie sich abheben von Eurem Jagdhut und von Eurem Haar.« Er zog nun mit sanfter Gewalt dem Vogel die beiden Kopffedern aus und überreichte sie der Jägerin, die sie freudig dankend nahm und sofort in dem Goldring ihres Hutes befestigte. Sie schmückte sich so gern! Für sich und für andere. Und jeder einfachste Schmuck ließ ihr so gut. Aber nun vollends diese stolze fürstliche Zier!
»Ihr seht aus wie die Königin von Avalon, dem Feenland!« – »Wenigstens trägt keine Königin schöneren Schmuck.« – »Und keine Kaiserin würdiger denn Ihr.« – »Dank! Recht von Herzen Dank!« – »Aber nun wollen wir ihm die Freiheit geben, dem Glücklichen, der Euch erfreuen und Euch zieren durfte. – Seht, lange hab' ich vorgedacht für diese Jagd.« Und er zeigte ihr, was er aus der Netztasche hervorgeholt: es war eine kleine, runde Goldplatte an einer länglichen, rohrartigen, innen hohlen Schließe aus Silber: »Was hab' ich darauf ritzen lassen von Meister Aaron, dem kundigen Goldschmied zu Frankfurt? Schon vor Wochen ritt ich deshalb hinüber.«
Und das Mädchen las mit holdem Erröten:
»Ihr seid ein Schalk,« lächelte sie, »wie alle Sänger, aber ein feiner.« – »Und was Ihr seid, – das singen und sagen alle Sänger der Erde nicht aus! – Nun fliege, Reiher, und verkünde in allen Landen vom Maine bis zum Jordan Minnegardens Schönheit!« Er hatte nun das Silberröhrlein um den linken Ständer des Gefangenen[41] zusammengedrückt, die Schnalle geschlossen und gab ihn jetzt frei: der Reiher reckte sich in die Höhe, hob den langen Hals, breitete dann die mächtigen Schwingen aus, stieß vom Boden ab, hob sich und flog, mit lautem frohem Ruf der Erlösung, schwirrend in die Höhe: bald war er im fernen Blau wie ein schimmernd weiß Gewölk verschwunden.
Das Jagdgeleit ward nun entlassen, es kehrte in die Stadt zurück; die beiden Paare jedoch, gefolgt von einigen Dienern zu Pferd, wandten sich von der Heerstraße und dem Flußufer ab nach Westen die Hügel hinan dem schönen Walde zu, der jetzt der Guttenberger heißt, damals der Königswald genannt wurde.
Sobald der kleine Zug wieder beisammen war, gab Minnegard ihrem Zelter, aber auch dem Falben ihrer Genossin einen leichten Schlag mit der Gerte, die ihr Fulko von einer Weide gebrochen: »Ei,« rief sie, »gestrenge Edel, nun wollen wir sehen, welcher Reiterin Rößlein rascher läuft: deren Herz schlägt auch wohl mutiger.« »Rascher das deine, aber mutiger nicht!« erwiderte die Blonde ernst und schoß weit an ihr vorüber. Sie wollte sichtlich allein sein; Hellmuth folgte ihr nicht; er hielt den Hengst an und blieb so auch hinter dem anderen Paare zurück.
Der steil ansteigende Weg ward bald so schmal, daß zwei Pferde nur gerade zur Not nebeneinander Raum fanden. Dies machte sich Junker Fulko zu nutze. Gar bald hatte er seinen Rappen dicht neben Minnegards Weißrößlein gelenkt und nun wich er nicht mehr von ihrer Seite.[42] Geraume Zeit ritten sie, nur stumme Blicke tauschend, nebeneinander hin, damit begnügt, Aug' in Auge zu senken. – Da strauchelte das Tier der Reiterin – allzuwenig achtete sie des Weges! – über eine knorrige Wurzel, die den Pfad kreuzte: es drohte, auf die Vorderfüße zu fallen und seine leichte Last vornüber zu schleudern. Mit raschem Griff riß der Junker das Pferd empor und schob die Errötende in dem Sattel zurecht. Sie war wohl ein wenig erschrocken: aber sie lächelte schon wieder mit schalkhafter Fröhlichkeit: »Dank!« rief sie. »Waret Ihr nicht an meiner Seite … –« – »O dürft' ich's immer sein!« »Ausreden lassen!« schalt sie. »Waret Ihr nicht an meiner Seite, hätte mich dies Unheil nicht bedroht.« – »Wieso?« – »Ei, dann hätte ich wohl besser, zwischen den Ohren meines Rößleins durch, gerade vor mich auf den Weg geschaut, wie mich Herr Bischof Heinrich, mein geistlicher Reitlehrer und reisiger Beichtiger, gelehrt hat. Da Ihr mich in Gefahr gebracht, mußtet Ihr mich freilich auch beschützen.« – »O könnt' ich Euch auf meinen Armen über alle Gefahren hinweg – durch's Leben – tragen.« – »Gemach, Herr Ritter von Yvonne! Zunächst müßtet Ihr mich dann tragen – in das Kloster, das zu schmücken ich bestimmt bin.« – »Ihr seid noch nicht darin!« – »Aber bald werd' ich's sein.« – »Arme Minnegard!« – »Und armes Kloster!« – »Man kann Euch nicht zwingen.« »Ich zwinge mich selbst. War es doch der letzte Wunsch meiner sterbenden Mutter. Meine Oheime, die Bischöfe von Köln und von Würzburg, kennen diesen Wunsch und …! Oder vielmehr,« lächelte sie, – »weshalb wähnt Ihr, daß es des Zwangs bedürfe? Warum soll ich nicht gern eine Heilige werden?« »Weil's ein Frevel ist!« brach der Junker los, »eine Sünde wider die Natur, die Euch holdes Wunder, so wunder-anmutvoll geschaffen hat! O Minnegard,[43] Ihr gleicht an holdem Reiz, an blühender Schöne der Alpenrose, die Euerer wie meiner grünen Heimat Berge schmückt. Ihr seid geboren, zu beglücken und beglückt zu sein! Schon Euch anschauen ist wie heiße Qual, so heiße Wonne, heiße Seligkeit! Und all dieser Reiz – er soll verblühen? O viel edle Dame! Ich sah einmal – zu Paris war's – in der Basilika der heiligen Genoveva – hinter einem Gegitter von Golddraht auf dem Seitenaltar schöne, wirklich wunderschöne vollblühende Blumen: Lilien, Rosen, Krokus, – auch eine Alpenrose war darunter! – Staunend trat ich näher: denn draußen lagen fußhoch Eis und Schnee: allein ach! meine Freude schwand! Gemacht waren sie, diese armen Blumen, aus Flitter, aus Lappen, auf Draht gezogen, seelenlos, duftlos: – vielmehr ging ein Geruch von Staub, von dumpfem Moder von ihnen aus! – Das, o holde Alpenrose, ist die Nonne! Und Ihr solltet also vertrocknen? Diese leuchtenden Augen sollten nicht Liebe strahlen? Diese roten, weißen, weichen Lippen …« – »Hört auf, Herr Fulko von Yvonne! Vernähmen es die Leute, sie dächten, Ihr wüßtet drum, ob meine Lippen weich oder hart. Und davon wißt Ihr doch so wenig wie …« – »Ach ja! wie Ihr von meiner heißen Liebe!« – »Ei, meint Ihr? Ich glaube, davon weiß ich doch ein wenig mehr!«
Und sie schaute ihn dabei so freundlich an und sie lächelte dabei so hold, daß er, kühn gemacht durch soviel Huld, fortgerissen von soviel Liebreiz seine verlangenden Lippen sehr nah unter ihren breitrandigen Jagdhut wagte. »Oho, Reitersmann!« rief sie, sich weit von ihm abbeugend. »Jetzt, – so scheint's – seid Ihr gestolpert – sehr stark sogar! Gemach! Sind das die gepriesenen Sitten der Provence? Oder sind's die Sitten in Poetenland? Man sagt, die Sänger brauchen den Mund mehr[44] zum Singen denn zum Beten, mehr zum Trinken denn zum Singen und noch mehr als zum Trinken zum – nun, zu was anderem! Ihr pflückt wohl jedes Röslein an Eurem Wege?« – »O Minnegard, wer kann Euch sehen und noch nach anderem Reiz begehren? Und Küssen ohne Liebe: – das ist niederträchtig!«
Sein Auge blitzte in edlem Zorn, Glut schoß ihm in die Wangen: er ließ ihm sehr schön, dieser heilige Zorn der Reinheit. Sie sah zu ihm empor mit warmem Blick. »Dank Euch, Herr Fulko! Das war ein schönes Wort. Nie werd' ich's Euch vergessen! Ihr seid … Doch nein! Wozu braucht Ihr zu wissen, wie Ihr seid? Könnt' Euch am Ende eitel machen! Und unter Euern vielen, wimmelnd vielen Fehlern hab' ich die Eitelkeit – noch! – nicht entdeckt. Nicht mal auf Eure Liedkunst seid Ihr eitel. Und das gehört doch sonst wohl zum Dichter wie zum Pfau das Radschlagen? Ihr geizt mit Eurer Kunst. Man muß Euch überlisten, sollt Ihr singen! Deshalb hab' ich Euren Waffenträger bestochen, – ich verhieß ihm ein Küßlein meiner Zofe: (denn sie lieben sich!) – heute unter seinem Mantel versteckt Eure kleine welsche – wie sagtet Ihr jüngst? Die Citole! – mitzunehmen. Seht Ihr ihn dort hinten reiten? Da guckt an seinem Halse das blaue Tragband hervor. Sind wir im Waldesgrunde gelagert, dann, Herr Sänger von Yvonne, singt Ihr uns ein Lied. Nicht wahr? Ich bitte!« – »Ihr – mich – bitten? O vielsüße …!« – »Gemach! Ihr sprecht zu einer künftigen Äbtissin. Singt Ihr uns?« – »Gern. Aber – den anderen nicht. Dir, dir allein!« Verweisend hob sie den Zeigefinger. »Man sagt: ›Euch, Jungfrau Minnegardis.‹ – Ein altes Lied? Das ich schon kenne?« – »Nein. Ein neues.« – »Wann gedichtet?«
»Noch gar nicht!« – »Ja, wie wollt Ihr dann Euer Wort lösen?« – »Wie? O Herrin:
Alsbald waren nun die ersten Bäume des »Königswaldes« oben auf der Hügelkrone erreicht: schlanke hochstämmige Buchen waren es meist schon damals, wie sie heute an jenem schönen Fleck deutscher Erde den Wanderer erfreuen.
Aber dazumal war der noch nicht durchforstete Urwald noch viel häufiger und dichter mit Unterholz und Buschwerk bestanden: daher nisteten dort viel zahlreicher als heute die Vögel, deren noch zwei Jahrhunderte später Herr Walther sich erfreuen mochte. Als die kleine Schar die Raststätte, eine runde Lichtung, erreicht hatte, auf welcher schon während der Jagd vorausgesandte Diener über das weiche, hier in der Waldeskühle noch vom Tau funkelnde Moos Decken gespreitet und Körbe und Krüge für einen kurzen Weidmannsimbiß bereit gestellt hatten, stiegen die beiden Paare von den Pferden und lagerten sich auf der sammetweichen Waldwiese. Die Diener stellten das »Lägel« Wein, die Zinnbecher und die mitgeführten Speisen zurecht und gingen dann mit den Rossen seitab.
Freudig glitzerte die Morgensonne des schönen Maientages durch die Wipfel der hohen Buchen und warf auf[46] den Waldboden ein goldiggrün Gegitter. Die Bienen, den Sonnenschein suchend, flogen häufig um den Agelei und die großblumigen Blauglocken, die an hochaufgeschossenen Stielen nickten. Würzigen Harzduft atmeten im Sonnenbrand die dunkeln Tannen, die hin und wieder neben der milden »Frau Buche« wie ernste waffentragende Kriegsmänner Wache zu halten schienen. Aus den dichten Wipfellauben scholl bis herunter in der lauschenden jungen Paare Ohr das kosige Girren und Gurren der Wildtaube und weither aus der Tiefe des Buchwaldes klang der Goldamsel metallischer Ruf. Gar schön war's und freudig auf der stillen, sonnigen Waldwiese.
Die warmblütige Tochter der Alpen empfand voll den Zauber des Ortes, der Stunde: ihre fröhlichen hellbraunen Augen suchten den feurigen Blick Fulkos: – sie hatten nicht lang zu suchen: – er lag im dichten Gras zu ihren Füßen. Denn den beiden Fräulein war über das hoch aus dem Boden ragende Wurzelgedräng einer breitstämmigen Buche als erhöhter Sitz ein weicher Teppich aus Lombardenland gespreitet worden, so daß die beiden Jünglinge tiefer lagerten.
Auch Edel spürte wohl, daß Hellmuths Auge unablässig nach dem ihren suchte; doch unerbittbar hielt sie die langen Wimpern niedergesenkt, und mußte sie dieselben aufschlagen, verstand sie es meisterlich, seinen Blick zu vermeiden.
Fröhlich den blinkenden Zinnbecher schwenkend rief Minnegard: »Wie wohlig ist's doch hier im Walde! Frisch, aber doch nicht kühl, sonnenhell, aber nicht sengend! Und alles in Laub und Blumen so jugendfroh! Das lieb' ich! Es scheint, – in solcher Stunde – das Leben noch so leicht, so einfach selbstverständlich! Und doch! – Was mußte nicht alles geschehen, bis gerade wir vier Menschenkinder an dieser Stelle, zu dieser Stunde zusammentrafen,[47] zwei gute Gesellen, zwei herzvertraute Gesellinnen!« Und sie griff mit der rundlichen warmen Rechten nach Edels langen, schmalen, kühlen Fingern.
»Das ist noch nicht genug!« rief Fulko. »Auch jeder Gesell muß sich eine Gesellin gewinnen; was meinst du, Freund?« Aber Hellmuth schwieg: denn Edel runzelte die Stirn.
»Es ist so kurz erst,« begann die Braune aufs neue, »daß wir alle vier zusammengetroffen sind in dem freundlichen Städtlein am gelben Main. Wir wissen noch gar zu wenig voneinander. Wie wär' es, wenn wir hier einander erzählten, was uns hergeführt und wie wir früher gelebt? Eine Waldbeichte! Die Tauben da oben – hörst du ihr zärtlich Gurren, Edel? – singen die Waldmesse dazu.« »Ja, beichten wir!« fiel Fulko bei. »Aber Ihr, schön Minnegard, macht den Anfang. Ihr habt gewiß von uns vieren das meiste Unheil in der Welt angerichtet. Uns anderen wird's dann leichter.« »Mein junges Leben,« lachte sie, die weißen Zähnlein zeigend, »ist gar bald auserzählt. Geboren bin ich fern im schönen Hochgebirg des Bayerlandes, wo, an den Schroffen des Wettersteins, die Partnach schäumend durch die Felsen bricht, die Kanker murmelnd durch die Büsche zieht, die Alpenrose bis herab zum Thalgrund blüht: dort ragt ein altes Schloß seit grauer Zeit: – des Werto Fels: das ist mein Heimatthal, auf jener Burg stand meine Wiege. Früh starb die gute Mutter, bald folgte ihr der Vater, Herr Werinher von Rothenburg, des Königs Graf im Sundergau. Da ward mein Muntwalt sein Bruder, der Herr Erzbischof Heribert von Köln; der ließ mich zu sich bringen an den Rhein. Als ich den achtzehnten Winter vollendet hatte, teilte er mir mit, der letzte Wunsch meiner Mutter habe mich dem Kloster bestimmt: dieser Wunsch solle mir heilig[48] sein. Ich erschrak! Thränen brachen mir aus den Augen. Das Kloster, das mich aufnehmen soll, darf ich mir wählen.«
»Gut, sagt mir's vorher. Ich steck's in Brand,« grollte Fulko leise.
»Ich erbat vor allem Aufschub. Und da der Oheim als Reichskanzler den Herrn Kaiser auf unabsehbar lange Zeit nach Welschland über die Berge zu begleiten hatte, gab er für immerdar die Vormundschaft über mich ab an seinen jüngeren Bruder, den Herrn Bischof Heinrich, und sandte mich hierher. Diesen Oheim lob ich mir! Ist's ein Mann!«
»Ein Held ohnegleichen!« rief der wortkarge Hellmuth begeistert und seine traurigen Augen blitzten dabei auf. »Eine Faust von Erz!« »Und ein Herz von Gold!« ergänzte der Sänger, den Becher frisch füllend und hebend. »Ich trinke auf sein Heil!« »Wir thun Bescheid,« fielen die andern ein und selbst Edels strenge Züge wurden freundlich: sie stieß mit dem frohen Paare an; Hellmuth machte gar nicht den Versuch, seinen Pokal ihrer Trinkschale zu nähern. »Allein auch er,« seufzte Minnegard, »hält es für Pflicht, dem letzten Wunsch der Mutter nachzuleben.« »Wäre nur Frau Heilfriede nicht so fern,« meinte Edel, mitleidig auf die Freundin blickend, »die vieledle Gräfin, die hilfreiche, die ratkluge. Sie fände wohl Rat auch für deine Not!« – »Ja, die vielgütige Frau. Wie hat sie mir in Köln die Mutter ersetzt, solange ihr Gatte, Graf Gerwalt, des Deutzgau's waltete.« – »Hat sie doch sogar mich, die Fremde, wie eine Tochter gehalten und gepflegt, als ich erkrankte, während mich Herr Heinrich dorthin gesandt hatte, dich zu besuchen.« – »Und in hohem Ansehen stand sie bei dem Herrn Kanzler.« – »Dagegen hier sah ich sie noch nie im Bischofshof.« –[49] »Sie weilt ja nun schon geraume Zeit mit ihrem Gemahl in Welschland.« »Und noch nicht gar lange ist's her,« ergänzte Hellmuth, »daß Graf Gerwalt diesen, den Waldsassengau, erhielt.« »Die heilige Gräfin, wie wir sie alle nannten,« fuhr Minnegard fort, »sah wohl mein Widerstreben; ich glaube, sie hat auch einmal bei Herrn Heribert für mich gesprochen Aber ohne Erfolg! So werde ich denn –« und hier spielte schon wieder ein schelmisch Lächeln um ihre Mundwinkel – »in irgend einem weltvergessenen Klösterlein dereinst als ›heilige Äbtissin‹ für euch drei sündhafte Weltkinder beten. Vielleicht, Edel, läßt du dich dort vor meinem Altare trauen.«
»Ich werde mich nie vermählen,« sprach diese gepreßt und sah scharf in die Ferne. Gespannt folgten Hellmuths Augen diesem Blicke. »Oho!« lachte der Ritter von Yvonne und warf den krausgelockten Kopf in den Nacken. »So hat schon manch Jungfräulein gesprochen, das als Urgroßmutter starb. Die eine soll nicht heiraten, die andere will nicht! Ja, soll die Welt aussterben? Zwingen muß man euch zu eurem Glück, vielholde Thörinnen!« – »Welcher Mann zwingt mich?« Scharf, wie drohend flog die Frage aus Edels stolzen Lippen und ein blitzender Zornesblick aus den hellgrauen Augen schoß auf Fulko. »Nicht ein Mann, aber eine Frau, strenge Edel von Edelhag,« erwiderte der rasch: »Frau Minne! Die ist doch noch mächtiger denn Euer Herzenstrotz.« »Und,« forschte sie bitter, »giebt es wirklich kein anderes Glück als Liebe und Ehe?« – »Für das Weib – nein!
»Ich fand noch keinen,« sprach Edel laut und fest, »der meiner Liebe wert.« Dabei wandte sie das stolze schöne Haupt und sah mit zürnenden Augen Hellmuth voll in das Antlitz; es war der erste Blick, der ihm heute ward. Der senkte demütig den Kopf: »Ihr werdet nie einen finden,« sprach er leise, nickend. »Doch, doch!« rief der Junker von Yvonne. »Herr Hellmuth vom hohen Horst, trauter Genoß, – das war – mit Urlaub der herben Jungfrau dort sei es gesagt! – das war herzlich thöricht geredet. Verdienen zwar kann der Mensch die Liebe überhaupt nicht:
»Das ist hübsch,« rief Minnegard. »Ist gewiß provençalisch Gewächs?«
Der Sänger neigte sich höfisch und fuhr gegen Edel gewendet fort: »Aber dieser Spruch gilt von Weib wie von Mann. Die anders dächte, der sagte ich:
Und dir, du junger Aar vom hohen Horst, du Sieger in fast so viel Gefechten als du Jahre zählst: – schon nennt man dich weit über Frankenland hinaus bis zu den Wenden den Rennespeer, den Junker Siegespeer! – dir sag' ich: es lebt kein Mädchen noch so schön und noch so stolz-gemut, dessen du nicht würdig wärest!« »Eia wohl!« wollte Minnegard rufen, aber die Stimme versagte ihr: sie erschrak, so zornig klang nun Edels Frage, die sie Hellmuth zuschleuderte wie einen spitzen Speer: »Euer letzter Sieg, Herr Ritter, war der zu Worms im Lanzenstechen – nicht?« Er errötete über und über; er ließ das Haupt[51] noch tiefer auf die Brust sinken und erwiderte, ohne sie anzublicken: »Ich habe seither keine Waffe mehr geschwungen.« »Ja, allen Heiligen sei's geklagt!« schalt Fulko laut. »Ein Kopfhänger ist er seither worden! Kein Mensch begreift, warum? Nach dem glänzendsten Siege, der seit Menschengedenken in einem Stechen gewonnen ward, so erzählte der Herr Bischof.« »Jawohl,« bestätigte Minnegard. »Auch mir rühmte der Ohm – weiß nicht, Herr von Yvonne, warum er uns beide damals zu Hause sitzen ließ! – den Sieg des ›Rennespeers‹. Du aber, Edel, – erzähle doch! – du warst ja mit dem Herrn Bischof damals zu Worms.« »Jawohl,« fiel Fulko ein. »Wart nicht Ihr es, edle Jungfrau, die damals den Siegesdank zu reichen hatte?«
Die Frage blieb ohne Antwort. Denn ungestüm sprang Hellmuth auf. »Es wird schwül im Walde!« rief er und ging mit langen Schritten auf und nieder. Und zornig, schweigend, mit zusammengedrückten Lippen sah ihm Edel nach.
»Halt an, Freund!« rief Fulko. »Du darfst nicht entweichen mit deiner Lebensgeschichte. Beichte!« Hellmuth erwiderte nicht, er strich nur das schlichte, kurze, dichte Blondhaar aus den heißen Schläfen. »Jawohl,« pflichtete Minnegard bei und haschte ihn, da er wieder an ihr vorüberstürmte, am braunen, lang nachflatternden Mantel. »Steht! Und steht Rede!« »Ist bald geschehen,« erwiderte gelassen der Traurige. »Heiße, wie ihr wisset, Hellmuth …« – »Trübmuth solltest du heißen!« – »– vom hohen Horst. Fern, aus dem Lande der Ostfalen[52] stammte der Vater. Der trat in den Dienst Sankt Burchhards zu Würzburg. Als des Bistums Dienstmann bin ich geboren und trage seit der Schwertleite des Bistums Waffen. Das ist alles.« »Nein,« rief der Ritter von Yvonne, »wie du sie trugst, – das ist die Hauptsache. Noch zählst du nicht dreißig Jahre und seit vierzehn Jahren hast du in keinem Gefechte gefehlt auf deutscher, welscher, wendischer Erde, darin Sankt Burchhards Fähnlein geflattert und jedesmal … –« »Bist du nun fertig, Lobposaune?« schalt der Sachse, kurz vor ihm Halt machend. »O nein, noch lange nicht!« lachte der Provençale. »Denn du wirst noch lange ruhmreich weiterkämpfen in Ernst und Spiel.« – »Glaubst du? In einem Spielkampfe spiel' ich nie mehr mit. Ich hab's gelobt. Nur in den nächsten Ernstkampf, der bevorsteht, – in den reit' ich noch ein.« – Und als er wieder fern von den anderen war auf seinem hastigen Gang, fügte er bei: »und nimmermehr heraus!« – »Und du, schöne Edel, vielgestrenge Vetterin, – willst du uns auch nicht mehr Worte gönnen als dieser eiserne Rennespeer?« – »Noch wenigere. Ihr wißt, ich bin von der Spindelseite eine fern versippte Niftel der Herrn von Rothenburg, aber aus Nordalbingien von der Eider stammen mir die Ahnen, von den Markgrafen von Esesfeld. Weit von hier im Nordgau lag meines Vaters Volkfried Lehen, nahe der Wendenmark. Sie brachen gar oft ein, die wilden Berunzanen. Und einmal trafen ihre weitgeschleuderten vergifteten Wurfdolche den Vater vor der Burg am Edelhag bei Wolframsdorf …«
»Ja, sind gar arg liebe Leute!« meinte Fulko, grimmig lachend.
»Sie drangen mit den Fliehenden in die Burg und verbrannten sie mit meiner armen Mutter: – Muthgard[53] hieß sie, nach einer Ahnin – und allem, was darin lebte. Nur mich flüchtete, aus der Wiege mich reißend und aus den Flammen, ein treuer Knecht in den Taubergau zu meinen Gesippen nach Rothenburg. Dort und, seit Herr Heinrich Bischof ward, hier, haben sie mich mit milder Hand geborgen. Die Heiligen werden es den Gütigen vergelten!« – Sie schwieg eine Weile. Dann fuhr sie, weich geworden, fort, in das Ohr der Freundin flüsternd: »Du sollst ins Kloster, Liebe, und ich – will.« Minnegard erschrak. »Du wolltest – noch vor kurzem – so wenig davon hören wie ich!« – »Jetzt aber will ich! Der Herr Bischof scheint – – anderes zu wünschen. Dürft' ich mit dir tauschen! So wär' uns beiden geholfen.« »Aber wohl nicht allen,« lächelte das Kind der Alpen, mit einem heiteren Blick auf Hellmuth. Jedoch das Lächeln verflog ihr sofort, sowie sie Edels Auge, das sie suchte, feindlich den Schritten des Junkers folgen fand. Sie trachtete eifrig, das dunkle Gewölk solcher Stimmung zu verscheuchen: – lachte sie doch selbst so gern und hörte sie doch so gern andere fröhlich lachen! –
»Nun,« rief sie mit ihrer glockenhellen Stimme, »Herr Fulko von Yvonne, nun ist's an Euch. Da werden wir wohl viel mehr Worte und viel weniger Wahrheit hören. Seid Ihr doch ein Sänger: – oder wie sagt man jetzt oft? – ein Dichter!« – »Gelogen ist nicht gedichtet, schönes Fräulein. Ja, wer lügt, der ist kein Sänger. Und mein Wahlspruch lautet: Wahre Schönheit ist schöne Wahrheit.« – »Nicht ganz übel! – Nun, so sagt uns denn auch schön die Wahrheit über – Euch! Nämlich! …« – Sie schwieg beharrlich. – »Was will dies nämlich?« – »Nämlich: – – ich kam einmal in Euere Kammer! …« – »Nun?« – »Nämlich der Herr Bischof schickte mich: – denn er wußte, Ihr waret fern: – mit den Junkern[54] Hellmuth und Blandinus saßet Ihr, wie gewöhnlich um die Mittagszeit, im schmalen Rebgarten des Hatharlin, der den besten Wein verzapfen soll, unter seinen grünen Bäumen … –« – »Weiß Dame Abonde, dort trinkt sich's gut mit fröhlichen Gesellen!« »Der Herr Bischof, der selbst noch zuweilen die Laute zupft wie in seinen Welttagen, gebot mir, Euere Citole zu holen. Oder vielleicht auch« – sie errötete – »erbot ich mich dazu an Supfos des Kellermeisters Statt. Denn längst war ich ein wenig neugierig, wie es wohl bei … Nun – ich fand Euere große, große Truhe offen.« – »Hab' leider keine Ursach', sie zu schließen!« – »Und fand – bei Eurer welschen Laute! – gar sonderbare, mannigfaltige Herrlichkeiten. – Beutestücke wohl? Siegeszeichen?« – »Was meint Ihr da?« »Ei nun, welke Blumen, darunter noch in der Welke gar schöne, mir unbekannte, wohl an Durance und Garonne aufgeblüht, ganze oder auch in der Mitte geteilte Schapel, seidene Bänder, buntfarbige Schleifen, goldene Knöpflein, Ringlein und Spangen und allerlei solch' Zeug. Wenn die erzählen könnten, – was würden wir da alles erfahren!« drohte sie mit dem Zeigefinger.
»Daß Fulko von Yvonne mit Schwert und Laute durch gar manches Herren Land geritten ist vom Pyrenäenberg bis über den Main, daß er in gar mancher Schloßhalle und mancher Kemenate gesungen und unverdientes Lob gewonnen, auch gar manch' üppige Frau, manch' schlanke Maid gesehen und schön gefunden und ihr das auch vorgesungen, – aber nur Eine geliebt hat. Wollt Ihr deren Namen wissen, Jungfrau Minnegard?« »Behüte! Mädchen sind nicht neugierig,« fiel sie hastig abwehrend ein, aber sie lächelte und errötete. »Jedoch ein anderes wüßten wir gern von Euch: Euer Wesen schillert zwiefach: seid Ihr ein Welscher oder ein Deutscher?« – »Beides, o wißbegieriges[55] Fräulein. Ich verbinde beider Völker Tugenden.« – »Oder doch Laster! Aber erzählt!« – »Mein Vater war ein Neckarschwab; er kam auf einem Kriegszuge unter Kaiser Ott dem Roten nach Frankreich: das schöne Land gefiel ihm: er blieb nach dem Friedensschluß darin, nahm Lehen von Kaiser Otts treuem Verbündeten, dem Grafen Gottfried vom Ardennerland, zog mit diesem in allerlei Fehden tief in den Süden bis in die Provence und erstürmte dort einmal das feste Schloß Yvonne, das hoch von steilem rotem Fels durch Rebgelände niederschaut auf die wild schäumende Durance, nahm den Burgherrn, Graf Eudo von Yvonne, gefangen und machte mit dem Graukopfe wenig Umstände …« »Pfui, wie unmenschlich!« schalt Minnegard. – »Nun, das ist doch zuviel gesagt. Er that ihm gar nicht weh dabei, als er ihn … –« – »Schweigt! Wie grausam!« – »Zu seinem Schwiegervater machte.« Da lachte die Braune hellauf und selbst das andere Paar konnte sich des Lächelns nicht erwehren.
»Ja, das blieb nicht die einzige Unmenschlichkeit, die er ihm anthat. Schon zehn Monate danach erhob er ihn – aus lauter Ehrfurcht für sein graues Haar! – zu noch höherer Ehre, indem er ihn –« – »Nun?« – »Zu meinem Großvater machte. Meine Mutter aber, Frau Jolanthe, war die wunderschönste Frau über all Septimanien, Aquitanien und Provence. Noch jetzt ist sie gar hold zu schauen, wie Ihr bald selbst sehen und gestehen werdet, Jungfrau Minnegard. Gott segne ihre lieben Augen. Heil mir: ich hab' sie niemals im Leben weinen machen.« – »Das – das war ein hübsches Wort – das beste, was ich noch von Euch gehört. Aber was schwatzt Ihr da von Sehen? Wie sollte Eure Frau Mutter an den Main kommen?« – »Aber Ihr kommt – sicher! – an die Durance. – – Der Vater sandte mich schon früh[56] von Yvonne an die Lehnhöfe zu Orleans, zu Paris, zu Givet: – denn ein Junker, meinte er, wird nirgends schlechter erzogen als daheim. Von Givet aus geleitete ich unseren Lehnsherrn, Graf Gottfried, zu dem jungen Kaiser, der damals noch in Deutschland weilte, erhielt Urlaub, unsere schwäbischen Gesippen am Neckar zu besuchen, ward auf dem Rückwege hier von Bischof Heinrich, altem Waffenbruder meines Vaters, väterlich aufgenommen und … –« »Und es scheint Euch hier nicht übel zu behagen,« meinte Minnegard. »Schon recht lange erfreut Ihr den Main und uns durch Euren Anblick.« »Der Bischof hat ihn gar lieb gewonnen, den Schalk,« sprach Hellmuth, die Hand auf des Freundes Schulter legend, »wie wir alle. Wir lassen ihn gar nicht wieder fort.« – »Ja, ich lasse mich erbitten, noch zu bleiben. Denn ich muß dabei sein, wenn Jungfrau Minnegard den Schleier nimmt. Ganz notwendig muß ich dabei sein.« »Wie schadenfroh!« schalt diese. – »Ich meine ja nicht den Nonnenschleier: – den anderen meine ich!« flüsterte er ihr ins Ohr, sich so nahe vorbeugend, daß sein braun Gelock ihre Wange streifte. »Jetzt ist's Zeit, aufzubrechen,« rief sie. »Es wird immer heißer hier im Walde.«
Hellmuth und Edel sprangen hastig auf: sie fanden das Beisammen kaum zu tragen; sie schritten dem Rastorte der Rosse zu. Aber dem anderen Paare schien's nun nicht so zu eilen: – auch dem Mädchen auf einmal nicht. »Ihr habt noch ein Wort einzulösen,« mahnte sie, ruhig sitzen bleibend. – »Ich weiß: ein Lied!« – »Nun wird es zu Tage kommen, daß Ihr gar nicht, wie Ihr geprahlt, aus dem Stegreif dichten könnt.« – »Doch! Aber – wenn's Euch dann nur auch gefällt. Ihr müßt's dann nehmen, wie mir's aus der Seele bricht. Und bei mir heißt's: Feuer in die Leier oder Leier ins Feuer.«
»Nur zu! Fangt nur an. Ich fürchte mich nicht vor dem Feuer. Ich gleiche der Schwalbe: die Kälte verscheucht mich, die Wärme zieht mich an. Da! Nehmt!« Sie reichte ihm die kleine, zierliche, welsche Laute, die sie schon vorher neben sich bereitgelegt hatte. Er strich einmal über die Saiten, hob das schöne Gesicht in recht bedrohliche Nähe zu dem ihrigen, sah ihr tief, suchend, in die haselbraunen Augen und hob an:
Bei der letzten Zeile sprangen beide, heiß bewegt, auf: die Laute flog in das Moos, und wer weiß, was das Rotkehlchen, welches neugierig aus der Weißdornhecke auf das Paar hervorguckte, würde zu sehen bekommen haben, – hätten nicht gerade in diesem Augenblick die Diener den Zelter des Fräuleins herangeführt.
Der Herr Bischof von Würzburg war nicht recht mit sich zufrieden.
Er sagte sich das, wie er an einem heißen Nachmittag in der Bücherei auf und nieder wanderte. »Schon all diese Zeit her ist mir nicht geheuer, seit ich Berengar entsendet habe; eigentlich doch mehr nur: habe ziehen lassen. Und ich hab' ihm streng eingeschärft, noch nicht abzuschließen mit den wilden Wenden. Ich scheue mich, sie in den Gau hereinzurufen, am Ende gar in die Stadt einlassen zu müssen. Wenn diese Heiden …« Er blieb plötzlich stehen und griff mit der Hand an die heiße Stirne.
»Ah bah,« fuhr er, wieder ausschreitend, fort, »ich habe doch schon oft schlimmes Kriegsvolk in Zucht gehalten, werd' auch mit diesen fertig werden. Der erste, der stiehlt, hängt. – Es ist nicht das! – Aber gegen den Kaiser! Gegen den deutschen König! Gegen diesen Jüngling: – er, seine Mutter, sein Vater haben mich mit Huld, mit Ehren überhäuft. Undank wird er's nennen. Er – und die Welt! Ich trotze dem lauten Wort der ganzen Welt, wenn das stille Wort hier – hier in der Brust mich freispricht. Und es muß mich freisprechen. Ich muß Sankt Burchhards Rechte wahren! – Wäre doch Arn zurück mit[59] der Entscheidung des Papstes. – Ja: die Entscheidung! Wäre ihre Stunde doch da! – Inzwischen verzehrt mich die Ungeduld! – Immer beten! – Kann's nicht! – Und auch nicht immer lesen! – Es ist so eng, so dumpf, so staubig hier unter all den alten Pergamenten! – Ich bin büchermüde. Menschen will ich sehen! Hinaus ins Freie! Aber was draußen thun? Fechten darf ich gar nicht mehr. Jagen soll ich nur zahm und selten. Der Bischof, der Priester soll –! O Weh und Pein! Der Priester! Warum Priester, warum? Ah falsches, treuloses Weib! Was hast du zu verantworten! Was hast du angerichtet in mir, Verräterin!« Und er drückte die geballte Faust vor das Auge.
»Der Priester, – der Bischof – was kann er thun draußen unter den Menschen? Ihnen wohlthun! Ja, und das will ich! ›Seelsorge!‹ Schönes Wort! ›Herzenssorge‹ wäre auch gar schön, aber wer auf Herzen baut –! Ah was! Fort damit.
Geht es dir schlecht, soll's andern desto besser gehen! Hinaus, Heinrich, und hilf, wo du kannst!«
Er stieß den halbgeschlossenen Laden auf und blickte über die Stadt hin gegen den Main.
»Die Sonne geht zu Gold. Bald sinkt sie hinter die Buchenwipfel des Königswaldes. – Aber noch ist's Zeit genug, Gutes zu wirken, bevor der Tag verronnen ist. Es kommt die Nacht, da niemand mehr wirken mag. Die Nacht! Am Ende gar – für diese Welt – bald die ewige Nacht.«
Er schritt aus dem Büchersaal in das Vorgemach, dann auf den breiten Gang, in welchen die Holztreppe mündete, stieg diese herab und wollte sich der Hauptthüre zuwenden, die aus dem Bischofshause ins Freie – in der Richtung nach Westen, gegen die Brücke hin, – führte.
Allein in der Mitte der Vorhalle ward er angerufen von einer Stimme, die aus der Unterwelt emporzudringen schien. »Hezilo! Herr Graf! – Hochwürdiger Herr Bischof, wollt' ich sagen.« – »Du, Supfo? Was soll's? Was willst du?«
Und er wandte sich zur Rechten, wo einige Stufen in die Keller des Hauses hinunterführten. Auf der obersten derselben tauchte jetzt dort eine behäbige drollige Gestalt auf, die aus lauter aufeinandergesetzten Kugeln aufgebaut schien.
Kugelform hatte das grüne Mützlein aus steifem Wolltuch, das, vorn höher als hinten, etwas schief auf dem rundgeschorenen Grauhaar des runden Kopfes saß. Aus dem ganz glattgeschorenen Gesicht traten die stark geröteten Wangen halbkugelig hervor unter den runden vergnügten Äugelein, die frisch und hell in die Welt schauten; unter dem hellbraunen Schurzfell erhob sich ein Bäuchlein, das sich der Kugelgestalt nach Kräften zu nähern trachtete und auch die roten Wadenstrümpfe zwischen Knie und Knöchel hatten Mühe, ihren geschwellten Inhalt zu bergen. Fröhlich, treuherzig und dabei recht gescheit, ja schelmisch-witzig war der Ausdruck der angenehmen Züge: auch Herrn Heinrich schien der Anblick zu vergnügen: heiter ward seine bewölkte Stirne, während er auf die Antwort des dicken Männleins wartete. Diese kam etwas langsam, denn der Rundliche hinkte ein wenig beim Ersteigen der Stufen und schnaufte ganz gewaltig. »Uf! Heiß ist's im lieben Würzburg im Brachmond sogar im kühlen Keller.« »Ja freilich,« drohte der Bischof lächelnd, »wird dem Kellermeister warm, wenn er so fleißig seines Amtes waltet – im Vorkosten! Aber was willst du?« – »Was ich will? O Hezilo, lieber Herr, – das krieg' ich doch nie wieder.« – »Was ist's?« – »Meinen Hezilo von ehemals möcht' ich wieder haben! Den aus der guten Rothenburger Zeit. Hei wie wir[61] jagten mit dem alten Rado in dem waldgrünen Taubergrund! Den Grafen Heinrich möcht' ich wieder haben, den jagdfrohen, waffenfrohen, weinfrohen, frauenfrohen …« Hier furchte der Bischof die hohe Stirn. »Den weltfrohen Liebling von Jung und Alt, von Mann und Weib!« »Ja, Vielgetreuer,« seufzte Herr Heinrich, »der ist gestorben und begraben! Lange schon!« – »Ich weiß! Ich weiß! Weiß auch den Todestag, die Todesstunde – zu Pfingsten war's. – – Hätt's nie von ihr geglaubt! Der arme Herr!« brummte er unhörbar. »Schad' um Euch, Graf Hezilo! Was war's für eine Freude, mit Euch leben im Frieden, und im Krieg erst recht! Wißt Ihr noch den schlimmen Julitag von Squillace? Wetter und Strahl, dort in Kalabrien war's doch noch heißer als hier am Main! Da Ihr – Ihr allein den Herrn Kaiser Ott den Jüngeren – noch seh ich ihn vor mir in seinem jugendlichen welligen roten Bart! – vor der Gefangennehmung gerettet habt? Sie glauben falsch, diese Saracenen, aber dreinschlagen thun sie ganz richtig. Auf einmal waren sie da, wie vom Himmel heruntergeflogen, unzählbar viele! Nichts sah man mehr – vorn, hinten und links – als ihre weißen Flattermäntel fliegen! Es war wie ein unabsehbar Schneegestöber.«
»Ja,« fiel Herr Heinrich eifrig ein. »Und welch' ein furchtbar Kampfesfeld für uns! Ich hatte treu davor gewarnt, von der breiten alten Straße oben auf den Berghöhen herabzuziehen auf den Schmalpfad unten an der See. Nun hatten wir's! Vorn und hinten die Araber zu Roß: auf den Felsen aber zur Linken – wie steil stiegen sie empor! – die arabischen Pfeilschützen zu Fuß, unsichtbar, unerreichbar: und hart zur Rechten – das brausende Meer, gierig, jeden Ausgleitenden zu verschlingen.« »Wie viele starben damals,« fuhr Supfo fort, »des Herrn Kaisers[62] Entkommen zu decken! – Wißt Ihr noch, wie er zuletzt – auf geliehenem Roß! – in das Meer hineinsprang und schwimmend ein Schifflein erreichte?« – »Da fielen alle um ihn her, Herr Richari, sein Lanzenträger, und die Markgrafen Berchtold und Günther, die Grafen Udo, mein Vetter, Gebhard, Ezelin.« – »Landulf von Capua und Atenulf, die edeln Langobarden.« »Und sogar der alte ehrwürdige Herr Bischof Heinrich von Augsburg kämpfte dort und starb für seinen Kaiser. Beneidenswerter Tod für einen Bischof!« seufzte Herr Heinrich. – »Da lag sie hingestreckt, seine ganze Stechschar. Nur Einer daraus stand noch aufrecht, seine Flucht zu decken. Aber zu Fuß, denn das eigne Pferd hatte er dem Kaiser aufgedrängt, da dessen Rotroß, von Pfeilen gespickt, unter ihm zusammengebrochen war. Und dieser, stets der vorderste am Feind, im Weichen der letzte, der hieß – Heinrich von Rothenburg.« – »Nein! der vorletzte hieß so. Denn der letzte, der den Schild über mich hielt, der hieß Supfo, der von der Taubermühle. So oft ich dich den linken Fuß ein wenig nachschleppen sehe, denk' ich des Schwerthiebes, den du damals für mich aufgefangen.« »Bah,« lachte Supfo, »der Heide, der den Hieb schlug, ist doch schlimmer daran. Zwar schleppt er den Fuß nicht nach, aber auch den Kopf nicht mehr mit! – Ja, das waren noch Zeiten! Achtzehn Jahre sind's nun bald! – Aber auch noch nach des Herrn Kaisers frühem Tode erging's uns gar gut. Wir sonnten uns unter der warmen, – recht warmen! – Gnade der schönen Kaiserwitwe. Weiß Sankt Kilian, Ihr und ich, wir beide regierten damals die Frau Regentin samt dem heiligen römischen Reich!«
Herr Heinrich mußte lachen.
»Als der falsche Vetter von Bayerland sie verriet, ihren Knaben stahl, das Reich an sich riß, viele, viele geistliche[63] und weltliche Fürsten abfielen von der vereinsamten Witwe und ihrem guten Recht, da habt Ihr bei der vielschönen Griechin nahezu allein ausgeharrt, – wie einst bei ihrem Gatten in der Schlacht – ein Turm in ringsher brandender Flut, und habt endlich ihre Sache zum Siege durchgekämpft. Das war lustig. Fast jede Woche ein Gefecht! Und jed' Gefecht ein Sieg. Und die Sieger immer Ihr und Graf Gerwalt.«
Der Bischof schloß die Augen.
»Und in dem Hoflager der Regentin die edle, holde Jungfrau Heilfriede! Wie oft hat sie nach erfochtenem Sieg Euch den Helm mit Eichenlaub gekränzt! Euch oder Graf Gerwalt.«
»Was hast du von des Grafen Gerwalt Eheweib zu schwätzen?« – Recht unwillig war das gefragt. – »Und wozu riefst du mich an?«
»Zu nichts Bösem wahrlich! Ich wollt' Euch bitten, den Lautertrunk vom vorvorigen Herbst zu kosten: ich sag' Euch – der ist fein geraten!« – »Ist mir nicht danach zu Mut. – Mich rufen Pflichten.« Und er wollte sich zur Thüre wenden, aber der Kellerer hielt ihn am langen porphyrroten Bischofsgewande fest.
»Auch das ist Pflicht, zu erproben, wie herrlich der milde Himmelsherr Eurer müheschweren, klugen, ja weisen Arbeit gelohnt hat. Viele Jahre sind's nun, seit Ihr, – kaum waret Ihr hier eingesetzet – befohlen habt, auch die unwirtlichen Hügelhalden im Norden der Stadt dem Weinbau zu gewinnen. Eitel Geröll und Gestein bis dahin! Den ›Stein‹ schalten die unzufriedenen Bauern den ganzen unnützen Berg, auf dem nur ein paar Ziegen kletterten. Aber die liebe Mittagssonne liegt darauf so lang und so heiß sie irgend kann! Die Blust der Trauben verweht dort nie ein rauher Wind: – des Berges hoher und breiter[64] Rücken schließt ihn aus. Schwer Geld hat's Euch gekostet, die edelsten Rebschößlinge tief aus Welschland zu beziehen: – den ersten habt Ihr mit eigener Hand gepflanzt und gesegnet, und unverdrossen habt Ihr all die Jahre lang bei dem müheharten Winzerwerk selbst mitgearbeitet in Sommerbrand und in Herbstnebel. Zum erstenmal nun kelterten wir vor zwei Jahren dies welsche Gewächs auf ostfränkischem Boden – treu und liebevoll, wie eines Liebchens, pflegte ich des Fasses! – und nun kommt in den Keller und schmeckt, genießt, was Ihr da Köstliches geschafft. Es rollt wie flüssig Feuer durch die Adern. Noch späte Enkel werden Euch drum danken.« – »Ich hab' gelernt, der Menschen Dank entsagen. Ich gehe, um …« – »Nein, Herr, bitte, bleibt nur noch ein weniges. Ich … ich habe Euch im Keller etwas mitteilen wollen: – es wäre gerade der rechte Ort dafür gewesen: auf einem Fäßlein sitzend und von Weinduft umweht – so muß man das lesen und anhören. Denn es ist …« er lachte herzlich. – »Nun was ist's?« – »Ein Brieflein von Arn!« – »Wie? Von Arn? Aus Welschland? Wohl gar aus Rom? Was? An dich schreibt er und mich, der ich so schmerzlich auf Nachricht, auf Entscheidung warte, mich läßt er ohne Kunde? Das ist ja …« – »Nein, nein, Herr Graf, es ist kein Unrecht wider Euch: – Ihr werdet's gleich selbst einsehen: aber, bitte, laßt Euch einen Augenblick nieder – dort auf der Hallenbank.« – »Ich nicht! Aber du! Dein Fuß! Verzeih mir, Freund, daß ich dich so lange stehen ließ.« Und fürsorglich geleitete er den Humpelnden an die Bank und ließ ihn auf dieselbe niedergleiten.
»Wie gut er ist!« flüsterte der Runde. »Und immer so allein! So trübselig! Unter den verwünschten heiligen Pergamenten. Gott verzeih mir's: ich wollte sie wären lauter Fässer voll Stein und Leisten!« – »Nun also! Was schreibt mein träger Bote?« – »Vor allem, er ist noch nicht in Rom. Der Brief ist geschrieben in einem Dörflein hinter Florentia und erst vor einer halben Stunde brachte ihn ein Laienbruder aus dem Sankt Gundberts Kloster zu Onoldesbach (dem mußt' ich doch den Willkommbecher vom Fasse füllen!) dort, bei den guten Mönchen, liegt Arns Reitknecht wund: er stürzte mit dem Gaul schon auf dem Brennerberg und schleppte sich seither all den weiten Weg durch Bayerland und Schwabenland bis in unser liebes Franken. Darum währte das so lang. Nun hört, was der wilde Bayer schreibt: mir ist, ich seh' ihn vor mir und hör' ihn! Die armen Welschen, die ihn angehen wollen! Der Riese steckt zwei von ihnen, wie etwa Euer zwiebelgelber Berengar ist, unter jeden Arm und trägt sie ins Wasser wie junge Katzen.
›Unsern huldvollen Gruß und geistlichen Segen zuvor …‹« »Der Unverschämte!« lachte der Bischof. – »Unserem lieben und getreuen, aber durstigen Supfo. ›Meinem gnädigen Herren, dem Bischof, hast du sofort zu melden, daß nichts Entscheidendes zu melden ist.‹« – »Noch immer nicht! Ja freilich, wenn er erst bei Florenz ist!« – »Verzeiht, Herr Hezilo, der Brief ist ja viele Wochen alt: – wegen des Boten, der lange Zeit schon zu Wilten am Fuße des Brennerberges liegen bleiben mußte: – einstweilen muß der Bayer längst am Tiberstrom angelangt, ja er kann schon bald wieder zurück sein! – ›Dem hochehrwürdigen[66] Herrn Bischof – oder wie ich lieber sage – denn so durft' ich sagen in den schönsten Jahren meines Lebens! – dem tapfern Herrn Grafen also Gott zum Gruß voraus. Aber dann gleich Weidmannsheil und Weinfreude vollauf!
Schon einige Male hab' ich ihm durch Boten Nachricht gesandt, wie es mir ergangen auf meiner frommen Fahrt, zu der er mich unfrommen Jägersmann auserkoren hat. Wundert mich nur, daß er mir nicht Rado, den Heiden, mitgegeben hat als Begleiter. (Grüße mir den Alten und er soll mir noch ein paar Stück Wild übriglassen im Grafenwald!) Hat meine Aussendung Herrn Heinrich der heilige Geist eingegeben, so war der gerade in sehr guter Laune. Denn mir geht's soweit ganz gut. Lieber zwar ritt ich mit Junker Hellmuth auf die Wolfsjagd oder säße mit dir, Freund Kugilo, in dem geheimen Kellerverschlag, wo du Schlauer die Griechenweine birgst, und mit dem lustigen Junker Fulko: – grüß' ihn schön, und sag' ihm, ich habe zwischen Main und Arno keine zweite Minnegard gesehen, ja keine, die würdig wäre, jener ersten den Strumpf über den feinen Knöchel zu streifen.‹« »Ich werd' ihm!« unterbrach heftig der Bischof. »Du unterfängst dich nicht, dem kecken Provençalen …! So weit ist das schon? Nun, warte Jungfräulein! Das führt dich noch rascher ins Kloster.« Supfo wollte etwas einwenden, aber dies zornige Antlitz vertrug jetzt kein Widerwort; so fuhr er fort: »›Als daß ich hier im heißen Welschland erkunden soll, – höchst überflüssigerweise! – ob nicht demnächst die Welt untergehen wird. Es fällt ihr gar nicht ein. Sie schaut gar nicht danach aus! Zwar wahr ist: je weiter man gen Mittag reitet, desto häufiger findet man diesen dummen Wahn in den Köpfen der Leute und desto verbissener und versessener sind sie darauf. Aber[67] das macht nicht die größere Weisheit, sondern die größere Hitze, bei der ja die klügsten Rüden, die oft viel gescheiter sind als die Menschen, toll werden. In Augsburg glaubte noch kein Mensch daran: – nur ein paar Nonnen! – in Bozen schon viel mehr Leute, auch Weltliche: in Mailand ist noch kaum ein Vernünftiger – ausgenommen Herrn Heinrichs Bruder, der Herr Erzbischof Kanzler Heribert: – der sagte mir: er glaube es erst, wenn's der Herr Papst befehle …‹« Der Bischof nickte: »So schrieb mir Heribert, und also halt' ich's auch.« Der Runde legte das Pergamentblatt nieder auf seine Kniee und sah ihn an – mit einem vielsagenden Lächeln. »So – –?« fragte er gedehnt. »So? – Ich … ich halt' es anders.« – Rasch, wie um einer Frage zuvorzukommen, las er weiter. »›Vollends aber in dieser sonst gar lieblichen Stadt Florentia! – ich kenne sie gut von früher! – jedoch davon alsbald. Es ist mir also immer gut gegangen, Freund Supfissimo, wie man dich hier zu Lande nennen würde, abgesehen von der landesgebräuchlichen grausamen Hitze: die verträgt mein zottiger Kopf und mein vollblütiger Leib gar schlecht. Denn siehst du: die unsinnige Hitze macht unsinnigen Durst, der unsinnige Durst macht ein Trinken, das auch nicht alle Tage sinnig bleibt und dann macht das starke Trinken wieder noch stärkere Hitze und so geht es in der Runde fort wie beim Rosenkranzbeten.
Zumal ich doch die edle Gottesgabe, die hier wächst – fast schwarzrot ist der starkduftende Feuerwein! – wahrlich nicht wie diese erbärmlichen Welschen mit sündhaftem Wasser verschänden werde. Nun, und im Rausch giebt's dann manchmal einen gelinden Raufhandel. Denn mich macht der Rausch nicht weinerlich, sondern minnegehrend wider die Weiblein und kampfgehrend gegen die Mannsleut' –‹ Ich muß schon sagen,« unterbrach sich[68] der Dicke hier, »einen gar frommen Boten habt Ihr an den heiligen Vater geschickt. Der wird eine Freude haben an Arn aus Bayerland! – ›Trittst du aus den kühlen, kellergleichen Weingewölben auf den glutheißen, in grellstem Sonnenbrand bratenden Marktplatz so einer welschen Stadt, dann glaubst du ohnehin, du stehst mitten in einer sausenden Windmühle: so geschwind drehen sich Säulen und Kirchen und Bettelbuben und Heiligenbilder und Cypressen und Marktweiber um deinen armen Schädel. – Nun, und da bin ich auch schon manchmal einem schwarzlockigen, glutäugigen Mägdlein oder auch einer Ehefrau – man kann's doch nicht immer gleich erraten, zumal sie hier ihre Ringhand mit Handschützen zudecken! – nachgestolpert … –‹«
Hier sah sich zur Abwechselung der Bischof zu einer Unterbrechung veranlaßt: »Nun warte, Bayer! Geht die Welt nicht unter, sollst du mir fasten und dursten, daß dir die Üppigkeit vergeht.« »Hilft nicht. Kommt nicht wieder!« meinte Supfo trocken und las weiter. »›Schon in Verona, in Mailand hab' ich daher leider manchen Degenstoß auffangen und zurückgeben müssen, wenn mir so ein neugieriger Vater, Bruder oder wenig duldsamer Ehemann dabei in den Weg lief. Aber in dieser schönen Stadt Florentia: – das gab einen Spaß ohnegleichen! Schon lange erzürnte mich, daß, je tiefer ich in das schöne Land hineinreite, desto mehr die Hitze zu- und der Verstand abnimmt, so daß sie mir achselzuckend ›barbarische Wildheit‹ an den Kopf werfen, weil ich an jenes Gewäsch vom Weltende nicht glaube.
Hatt' ich mich da in meiner Herberge den ganzen Abend herumgestritten mit zwei edlen Florentinern und zwei Mönchen von Cluny – die nicht zu trinken, sondern zu bekehren in die Weinherbergen gingen, tranken zwar doch bei der Bekehrung, aber ich mehr als alle vier! – und[69] als der eine Pfaff boshaft wurde und von ›dummen Deutschen‹ und ›groben Bayern‹ sprach, erklärte ich, ihn hinausthun zu müssen: – und zwar, weil's näher sei, zum Fenster: – es war nämlich im Erdgeschoß und nicht gar zu hoch – und da ich es ihm einmal versprochen, ließ ich ihn auch nicht lange warten. Sein Genosse entwich kreischend durch die Thüre. Aber da die beiden florentinischen Valvassori dem andern helfen wollten, hatte ich sie diesem vorausschicken müssen. Nun, so was bringt das Blut in leise Wallung. Und wie ich nun den Schlaf suchen will auf meinem elenden Lager – ungleich weniger Strohhalme denn Flöhe barg der Sack, der also richtiger ein Floh- denn ein Strohsack würde geheißen haben, von anderem Getier, nicht so groß wie Skorpione, aber viel häufiger, zu schweigen! – da ertoset ein unglaublich Heulen und Winseln auf dem weiten Platz vor meinem Fenster, als ob tausend Teufel tausend alte Weiber zwackten. Ich springe mit einem Salzachfluch ans Fenster und seh' im Mondschein und im Licht von düster rotflammenden Pechfackeln einen langen, langmächtigen Zug von Pfaffen und Laien und Männern und Weibern und Kindern und gewaffneten Valvassoren und schön geputzten Edelfrauen und zerlumpten Bettlern, alles einträchtiglich nebeneinander, und all das wälzt sich, betend und singend, gegen die alte Basilika mir gegenüber. Und trugen eine Menge Wachskerzen und Fackeln und Kreuze und Bandièren und Heiligenbilder: und heulten aus eitel Furcht vor dem nahenden Tod und Teufel und Weltgericht, daß es die Steine erbarmte; oder doch die Hunde von Florenz, denn die heulten mit gottsjämmerlich. Und scholl's da durcheinander auf Latein und auf Welsch und sangen: ›Wehe! Reue! Buße! Besserung! Glaube! Der Diabolus droht. Das Weltgericht! Und vorher geht umher der Antichrist.[70]‹
Gute Nacht, Schlaf! sagte ich. Flöh' im Stroh, vor dem Fenster Weiber, Hunde, Pfaffen heulend um die Wette – mir ward's zuviel. Gut' Nacht, Florentia, denk' ich. In hellem Zorn lauf' ich hinunter in den Stall – ziehe meinen Hengst heraus – den Reitknecht hatte ich schon vorausgeschickt nach Germinianum: denn der hatte – er ist aus Passau und ein wenig grob! – mit dem Wirte einen unerheblichen Raufhandel gehabt: – drei Zähne, aber nur florentinische! – Und will auf und davonreiten noch in der Nacht. Suche aber den Wirt, weil ich die Zeche immer zahle, wie hoch sie sei. Alles leer! Wirt und Wirtin und Kammermagd und Stallknecht: – alle halfen wohl da draußen das Ende der Welt herbeiheulen. Und wie ich durch all die kleinen engen Kammern laufe – (in wahren Mauslöchern hausen sie, diese Welschen! Warum? Liegen immer auf der Straße) … Jetzt weiß ich aber nicht mehr, wie ich den langen Satz angefangen habe, denn auch hier in Germinianum ist der Wein ziemlich stark: ich mußte ihn sogar auch in die Tinte träufen (atramento sagen sie hier), und ist immer im Eintrocknen, wegen Hitze der Natur und Seltenheit des Schreibens … also hier geht es mit den Worten nicht ganz zusammen, wohl weil die Tinte – nicht ich! – des Weines allzuviel getrunken, aber du wirst es schon verstehen – also daher finde ich keine Seele. Aber in einer Gewandkammer, in die der Mond voll hineinscheint, wär' ich schier erschrocken. Denn da hing einer. An einem Thürhaken. Sah aus wie der leibhaftige Teufel, etwa wie ihn die Buben bei uns am Ostersonntag auf der Bleichwiese vor der Stadt verbrennen im Osterfeuer. Schwarze Tarnkappe mit zwei Gemshörnern, schwarze Kapuze, glühendrote Augen, rote Zunge, lang heraushängend aus bleckenden weißen Beißzähnen – Fledermausflügel an den Schultern – langer[71] schwarzer Mantel, der die ganze Gestalt verhüllt – eine zweizinkige Feuergabel lehnte daneben. Die Welschen haben solche Mummerei im Hornung. Ein lustiger Gesell hatte wohl für manchen vertrunkenen Krug Chlavintowein den kostbaren Seidenmantel als Pfand zurückgelassen. Die Verlarvung sehen und laut aufschreien vor Spaß war eins bei mir! Flugs stak ich drin: vom Hirn bis zum Knöchel der Teufel. Flugs auch saß ich auf meinem schwarzen Gaul und, die Zackengabel schwingend, jage ich, was das Roß nur laufen kann, schreiend, wie auf einer Salzburger Hochzeit, plötzlich in den heulenden Zug. Von der Seite her kam ich: ganz ungesehen, bis ich mitten drin war unter den heulenden und zähneklappernden Weibern und Pfaffen. Da schrie ich in meinem besten Florentinisch: ›Ja! Ja! Der Teufel! Der Teufel! Ihr habt ihn gerufen. Jetzt kommt er, euch holen!‹ O Supfo mein! Hättest du das mitangesehen! Du hättest dir das Bäuchlein gehalten vor Lachen! Hättest du den Schrecken gesehen, den ich, der Eine Mann, der verachtete Barbar aus Deutschland, all diesen überklugen, feingeistigen Welschen einjagte. Auseinander stoben sie wie ein Flug Sperlinge, darein der Habicht stößt.
Männer wie Weiber, Ritter wie Pfaffen, die Kerzen, die Fackeln, die Kreuze, die Fahnen warfen sie weg, über den Haufen rannten sie sich, alles drängte, die Kirche, den rettenden Altar mit seinen Heiligenknochen zu gewinnen. ›Der Teufel! Der Diabolo! Der Antichrist! Der Dämon!‹ schrieen sie durcheinander. ›Gleich greift er mich. Er hat mich schon.‹
So sprengte ich zwei-, dreimal von links nach rechts und von rechts nach links quer durch den langen Zug, der in seinen Windungen sich mehrfach über den weiten Marktplatz hin dehnte. Und nicht einer hatte den Mut zu stehen,[72] meinem Gaul in den Zügel zu fallen. Nachdem ich, der Eine Salzburger, etwa zweitausend Florentiner in die Flucht der Todesangst gejagt, sprengte ich davon, und riß mir, als ich an das römische Thor gelangt war, die Teufelslarve ab. Hier ward ich eine kleine Weile aufgehalten. Der Thorwart hatte meine Entmummung gesehen und leider kannte mich der Mann von meiner letzten Fahrt durch Florenz: und nicht gerade von meiner tugendlichsten Seite: denn er hatte damals eine Nichte gehabt, eine dralle Dirne von üppigem Wuchs und Wesen. Der unchristlich lang nachtragende Oheim stürzt also, sobald er mich erkennt, auf den Platz vor dem Thore mit gefälltem Speere: ›Halt,‹ schreit er, ›ruchloser Arn, du trägst mit Recht des Teufels Gewand.‹ Und wirklich mußte ich ihm erst den Speer aus der Hand und die Sturmhaube vom Kopfe schlagen, bevor ich an ihm vorbei ins Freie jagen konnte. Die Zeche blieb – zu meinem großen Kummer! – unbezahlt: ein halbes Brot, ein Käse und siebzehn Krüge Wein. Der Teufel, für den sie mich genommen, mag sie zahlen, kommt er einmal wirklich nach Florenz.
Nun Gott befohlen, Supfo. Trinke den Griechenwein nicht allen allein aus, bevor ich wieder zurück bin. Ich komme durstiger aus diesem Lande der Heiligen heim als ich hineingeritten. Noch heute geht's nach Rom weiter. Ich freue mich auf den heiligen Vater. Aber noch viel mehr auf die unheiligen Römerinnen, die stolzbusigen, wie man sie nennt, und auf den Wein der Campagnatrauben. Das soll der feurigste sein. Gegeben in einer Taverna zu Germinianum, wo es auch wieder Flöhe hat. Aber es sind doch andere. Es grüßt dich Arn von der Salzach, Jägermeister zu Würzburg und Teufel zu Florenz.‹«
Der Bischof schüttelte den Kopf, aber er mußte doch lachen. »Es ist nur ein Glück, daß mir der wilde Bayer die Entscheidung des heiligen Vaters schriftlich zu bringen hat. Seinem mündlichen Bericht …!« »Nun ist's schon recht,« rief Supfo heiter, sich erhebend von der Bank und das Pergament wieder in den Gürtel des Schurzfells steckend. »Der freche Brief hat doch was Gutes gewirkt: Ihr habt gelächelt, Herr Hezilo, und die böse Falte auf der Stirn, mit der Ihr kamt, hat sich verzogen. Wißt Ihr was? Wollt Ihr mir nicht in den Keller folgen, so verstattet, daß ich mit Euch gehe. Meine Gesellschaft ist doch noch besser als die Eurer Gedanken in der Einsamkeit.« – »Du hast weit mehr recht hierin, als du ahnst! – Komm mit!« – »Gleich, teurer Herr, gleich! Aber da, nehmt, bitte, diesen Schattenhut: – ich habe ihn für Euch erstanden auf dem letzten Markt von den Dalmatinern – er hängt nun immer hier an der Hallenthüre für Euch bereit – er ist von feinem Stroh, gar leicht und luftig: – die Sonne schießt noch heiße Pfeile über den Main herüber. Wo steht mein Krückstock? Da in der Ecke. Ich schreite doch besser damit und manchmal gilt's, ein bissig Schwein von den Waden zu wehren! So!« Er öffnete die breite Thüre der Halle. »Im Namen Gottes!« betete der Bischof im Hinausschreiten. »Er segne unsern Ausgang.« Beide stiegen nun die Sandsteinstufen hinab auf den freien Platz vor Bischofshaus und Dom. »Wohin zuerst?« fragte der Kellermeister. – »Ich will einen Rundgang der Seelsorge machen und der guten Werke; es gilt gleich, wo wir beginnen: führe du. Du kennst der Menschen Not und Wünsche gut, fast besser als ich, was traurig zu[74] gestehen,« schloß der Bischof seufzend. »Ja freilich,« meinte Supfo und schlug die Richtung von dem Domplatz nach links, nach Süden, ein. »Für die letzte Zeit mag's zutreffen. Ihr zieht Euch ja immer mehr in Euch selbst zurück. Oft seh' ich noch nach Mitternacht vom Hof aus in der Bücherei Euer Öllämplein glimmen. Immer beten!« – »Wenn's doch gebetet wäre!« – »Oder höre unten in unserm Schlafzimmer Eueren Schritt ob meinem Haupte rastlos – rastlos – auf und nieder! Seit Ihr diesen schwarzhaarigen Welschen …« – »Schweig, Supfo. Ich weiß, du hassest ihn bitter. Das ist unchristlich.« – »Aber unvermeidlich! Der hagere Kerl mit seinem graugelben Gesicht – wie ein unreif verfaulter Apfel! – sein Anblick schon zieht mir das Wasser im Mund zusammen wie der Saure von Dürrbach.« – »Er hat sich als mein – und was viel mehr ist – dieses Bistums eifrigster Freund bewährt.« – »Wer's glaubt wird selig, – oder angeführt! Er ist glücklich fort seit ein paar Tagen. Sankt Kilian schenk' ihm eine lange Reise! – Seht hier, Herr Bischof, könnt Ihr gleich anfangen mit guten Werken!« Und er blieb stehen.
»Was? Hier?« rief der Bischof unwillig. »Bei dem Hause des Geizhalses, des Kornwucherers? Wenig erbaut bin ich vom Treiben dieses Renatus.«
»Nennt ihn doch nicht Renatus. Isaak heißt der Jud'.« – »Er ist getauft.« Supfo lachte. »Tauft ihn nochmal! – deshalb führt' ich Euch her! – Aufs erstemal half's wenig, aber besser: laßt es ganz bleiben! Wein kann man[75] wassern, nicht Blut.« – »Ich verbiete dir, so von dem heiligen Sakrament zu sprechen.« – »Verzeiht mir, Herr. Aber ist's nicht so? Der Glaube wird danach – vielleicht, vielleicht auch nicht! – geändert: aber das Geblüt? Wisset Ihr noch in Neapolis, der schönen Stadt, des Herrn Kaisers Mohren aus Äthiopia? Die Welschen hatten ihn bei ihrem Mummenschanz vor Aschermittwoch mit weißem Mehlkleister überstrichen – fingerdick! Aber sowie er schwitzte beim Tanzen und Springen, da bröckelte die weiße Tünche ab von Stirne, Wangen und Händen und allüberall kam die angeborne schwarze Haut wieder zum Vorschein. Gedenkt Ihr's noch? Nun seht, gerade so steht's mit dieses Juden Taufe. Wird der Mensch in ihm warm und rührt sich, – bröckelt der Christ ab und der Jude kommt zum Vorschein. Da lob' ich mir die Ungetauften: – unter denen sind die Besten!« – »Du sprichst unchristlich. Die Taufe bringt ihnen das Heil.« – »Ja, aber nur, wenn sie daran glauben, wenn sie das Sakrament deshalb suchen. Wenn sie's aber suchen, weil sie sich ihres Volkes schämen und lieber mit den Christen die Juden placken wollen als sich mit den Juden von den Christen placken zu lassen …«
»Und geplackt müssen sie doch nun einmal werden, nicht, Supfo?« lächelte der Bischof. – »Gewiß, dafür sind's Juden. Sind ja das ›auserwählte Volk‹. So hat sie der Herr, nachdem sie seinem Sohn Gewalt und Unrecht gethan, auserwählt, Gewalt und Unrecht zu leiden. Das ist doch klar und höchst gerecht. Ihr Volk verleugnen diese Abtrünnigen und Euch, Herr Bischof, lügen sie vor, sie glauben: Untreue und Lüge aber bringt nicht Heil, sondern Schmach. Dagegen des Juden Mutter, – das ist ein prächtig Weib! Seht, da tritt sie gerade hervor aus ihrem Hofthor.« Vor der Außenthüre des ansehnlichen[76] Holzhauses erschien eine stattliche alte Frau mit edeln, vornehmen Zügen des tief gebräunten Gesichtes. Sie trug die phantastische, kleidsame, weitfaltige Gewandung der Orientalen. Ein gelbes Brusttuch von feinster Wolle verhüllte den Oberleib, gelb waren auch die spitzen Schnabelschuhe, die aus dem langen, dunkelblauen Rock hervorsahen; ein ganz enganliegendes, turbanähnlich gebundenes Kopftuch von schwarzer Seide verbarg sorgfältig jedes Haar der Witwe. Sie kreuzte ehrerbietig die Arme über der Brust, neigte, gleich einer Palme, das hohe Haupt vornüber und sprach mit niedergeschlagenen Augen: »Der Gott meiner Väter segne dich und behüte dich, großgewaltiger und – was siebenmal mehr ist! – großgütiger Herr Bischof. Und er lohne dir, daß du bist ebensogut als du bist gewaltig.« »Mit der großen Gewalt, Sarah,« erwiderte der Gelobte, »ist das so schwach bestellt wie – leider! – mit der Güte.« »Laßt Euch nicht irren, kluge und schöne Frau!« fiel Supfo ein. »Wären wir nur so fröhlich, als wir gut sind.« »Unnütze Reden!« verwies der Bischof. »Jawohl,« sprach die Greisin mit sanfter, wohllautender Stimme und schlug die langen, schwarzen Wimpern auf: – die schönen dunkelbraunen Augen leuchteten immer noch – »unnütz, denn man kennt Eures Herzens Güte! Mein Eheherr Manasse, – lang ruhet er, gesegnet sei sein Gedächtnis für und für und sein Name sei nicht vergessen in Israel! – oft hat er es uns geschildert, Isaak, unserm Sohn, und mir, wann wir saßen in Frieden vor den brennenden Leuchtern und aßen vom Passahlamm und Ruhe waltete im Haus und ringsum im Lande und Sicherheit in der Stadt. ›Die Ruhe‹ – hat er gesagt, – ›und die Sicherheit verdanken wir nach Gott dem Herrn dem Mann, der da ist wie ein Turm der Stärke und ein Streitwagen von Erz, dem Löwen von[77] Rothenburg. Der Graf ist fern, denn leer steht da oben die Grafenburg der Gewalt. Er steuert – der Bischof – dem Raub auf den Handelsstraßen und auf dem Flusse und er hat die bösen Buben gebändigt, die schlimme Rotte, die da plündern wollte mein Frachtschiff auf dem Main und einbrachen mit Beilen in das Haus unsres Friedens. Der Engel des Herrn ist mit diesem Bischof der Christen!‹ Und so hab' ich mich gewöhnt zu Euch, starker und guter und weiser Herr, emporzuschauen alle Zeit als zu einem Helfer in der Not. Und so bin ich hinausgeeilt aus meinem Witwengemach, wie ich von fern Euch kommen sah des Weges und stehe hier vor der Thüre meines Hauses, eine alte, kummervolle Frau, und greife Euren Mantel und lasse Euch nicht, bis Ihr mir habt geholfen in meinem großen Leid!« Und sie glitt langsam vor ihm nieder auf beide Kniee und haschte sein weites Obergewand mit ihrer magern Hand und küßte demütig dessen Saum.
»Steht auf, alte Frau,« mahnte der Kellermeister, sie aufrichtend, »wir mögen das nicht leiden. Sagt kurz, was oder wer Euch quält.«
»Es ist,« sprach sie, sich erhebend, aber den Saum nicht aus der Hand lassend, »Isaak, mein Sohn, mein einzig Kind. Was oder wer sonst könnte mich auch quälen auf der Welt? Hab' ich doch auf Erden nichts als ihn. Und ach! ihn hab' ich nicht mehr, seit … Nun, seit er die Taufe nahm zu Mainz.« Der Bischof furchte die Brauen: »Daran, Jüdin, that er recht. Aber er wußte wohl, weshalb er nicht von mir das Sakrament erbat, sondern zu Mainz, wo Herr Erzbischof Willigis nicht so viel von ihm weiß wie wir leider hier von ihm wissen. Ich hätte ihm zur Bedingung gemacht – vorher – ein Gelübde, daß er nun auch innerlich den Christen anziehe und von sich werfe seinen jüdischen Wucher und Geiz.« »Jüdischer[78] Wucher und Geiz!« stöhnte die alte Frau und ein so schmerzlicher, vorwurfsreicher Blick der dunkeln Rehaugen traf Herrn Heinrich, daß er leicht errötete und rasch einfiel: »Ich weiß, was Ihr sagen wollt. Euer Gatte – Manasse – hat in der großen Kornnot aus seinen Speichern die verhungernden Christen in allen Städten und Dörfern am Main gespeist von Staffelstein bis Mainz. Er war ein Wohlthäter der Armen: – Gott möge ihm die Strafe seiner Verstocktheit mildern, Sankt Burchhard und Sankt Kilian mögen für ihn bitten, wie ich, deren unwürdiger Nachfolger, es dankbaren Herzens gar oft thue. Aber Euer Sohn ist ein …« – »Herr, er ist krank, glaubet mir. Er ist besessen von übeln Geistern! Wir haben ja zu eigen soviel Güter der Erde, – der Herr hatte gesegnet meines Manasse Redlichkeit und Fleiß! – daß wir wahrlich nicht sorgen müßten um unsere Lebsucht. Aber – es ist wahr – er ist so … sparsam, mein armer Isaak, daß er sich nicht gönnet eine Neige Weines am Sabbath des Herrn!« »Und Euch, scheint's,« schalt Supfo zornig, die hagere Gestalt musternd, »Euch, seiner alten Mutter, auch an den andern Tagen keinen Bissen Fleisch.« – »Vollends aber seit ein paar Tagen ist er ganz krank im Gehirn und wirr in seinen sonst so klugen, scharfen Gedanken. Denn er ist gar scharf, mein geliebter Isaak.« »Wir wissen's!« bestätigte der Kellerer. »Allzuscharf! Möchte seine Seele nicht sehen! Muß voller Scharten sein!« – »Seit wann, arme Frau?« forschte der Bischof voll Mitgefühls. Ihn jammerte um die leidende Mutter und es ergriff ihn, über das ehrwürdige, schöne Gesicht langsam zwei große Thränen rinnen zu sehen. – »Seit das Gerede überhandnimmt unter den Burgensen hier und seinen Geschäftskunden in andern Städten, die Welt werde demnächst untergehen. Das hat ihm ganz verstört die[79] Gedanken. Er kann nicht mehr schlafen seitdem. Und immerfort, in der eifrigsten Arbeit, im Rechnen sogar oder wann er wiegt auf seiner Wage die Goldmünzen des Herrn Kaisers – wobei ihn sonst nichts störte, ja nicht einmal Blitzschlag ins Haus des Nachbars Hesso: er wog ruhig fort. Jetzt spricht er dabei mit sich selbst wirre Worte und unterbricht sich und rechnet falsch – der Isaak! – und stiert vor sich hin und stöhnt: ›wenn's wahr ist, bin ich ein Narr gewesen vom Knaben an und Narretei war all' mein Thun, mein Raffen, Listen, Geizen! Wenn's wahr ist – wüßt' ich's nur! – noch heute werd' ich ein Schlemmer, ein Fresser, ein Säufer wie diese …‹« »Diese Deutschen, sagte er wohl,« ergänzte scharfsinnig, aber grimmig, der Kellerer. – »›Ein Spieler werd' ich, ein Kleiderthor, und halte mir Jagdrosse und Eberhunde und Reiherfalken und … anderes! Ob's wahr ist!‹ stöhnt er dann wieder und rauft sich Haar und Bart, ›ob's wahr ist?‹ – So quält er mich, – aber was liegt an mir! – so quält er sich selbst, meines Manasse Sohn, er quält sich Nacht und Tag mit Grübeln. Jetzt ist er fortgeritten gen Frankfurt, einzuheimsen den Gewinn von einem großen, großen Geschäft, das er hat gemacht in Goldkörnern, Silberbarren und edlem Gestein! Aber, o wehe wehe geschrieen! Es hat ihn nicht gefreut das reiche Geschäft! Und wie er mir vorrechnet den Gewinn, verrechnet er sich wieder! Zu seinem Schaden verrechnet er sich, der Isaak! Das war noch nie! Wie muß er sein ungesund! Und warum verrechnet er sich? Weil er mitten drin immer wieder stutzt und fragt: ›ob's wahr ist? Ob's wohl wahr ist?‹ Und als er steigen will auf das Pferd zu reiten nach dem Gewinn, steigt er daneben statt in den Bügel, weil er gen Himmel schaut und fragt ›ob's wohl wahr ist?‹ Und er findet und findet nicht Ruhe, bis er's[80] weiß, so oder so. Ich bin eine unweise Frau, ich kann's ihm nicht sagen. Und es kann ja sein, daß es geht zu Ende: denn oft hat es gelesen Manasse aus den Rollen, daß die Welt wird einmal vergehen und Elias wiederkommen im feurigen Wagen. Aber Ihr, Herr Bischof, guter Mann und weiser, Ihr kennet die Schriften, Ihr wisset viel. So sagt nur ja oder nein, daß ich beruhige meinen wirren Sohn, wann er wird wiederkommen, und beschwichte sein fiebernd Gehirn!«
Und wieder wollte sich die Weinende vor ihm niederwerfen. Er hielt sie fest am Arm und sprach: »Frau, Ihr thut mir leid in der Seele! Ihr: – merkt! – nicht Euer Sohn, den auch die letzten Dinge der Menschheit nur schwanken lassen zwischen dem alten sündhaften Wucher oder neuem sündhaften Sinnentaumel! Pfui über den Juden und schade um das vergeudete Taufwasser! – Höret denn, gute Frau, – Ihr wäret würdig christlicher Gemeinschaft! – Ich selbst habe davon keine Wissenschaft. Allein ich habe das Haupt der Christenheit befragt: bald muß der Bescheid eintreffen. Dann werd ich ihn allem Volke dieser Stadt, dieses Bistums, verkünden. Bis dahin aber sagt Euerm Sohn: ›der Herr Christus hat nicht Freude an denen, die da nehmen die Taufe, aber nicht lassen vom Wucher. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: man kann nicht Gott dienen und dem Mammon‹. Das hat der Herr schon Eurem Volke offenbart: – aber mit dieser Offenbarung hat er von allen seinen Worten den wenigsten Glauben gefunden in Israel. Ihr jedoch, gute Sarah, Euch rate ich: nehmet die Taufe. An Euch werden die Heiligen Freude erleben! Mag das Gericht nun nahe sein oder fern: rettet Euere unsterbliche Seele!« Und er löste mit sanfter Gewalt sein Gewand aus der Hand der Greisin, die es immer noch[81] festgehalten hatte, und schritt hinweg von ihr mit gütigem Nicken des Kopfes.
Die alte Frau sah ihm lange nach. Dann sprach sie, kopfschüttelnd und mit der Hand über die Augen wischend: »Ich glaube es nicht, daß wir Kinder Israel verdammt sind. Wäre es aber so: – lieber mit Manasse in der Hölle, als mit Isaak im Himmel der Christen. Ich will beten für uns und für die Christen – für den armen Isaak und für den guten Bischof – zum Gott meiner Väter!«
Und sie schritt langsam zurück in den Hof.
Von dem Hofe des Kaufmanns hinweg übernahm zunächst Herr Heinrich die Führung des Rundganges. Er wollte nach dem Stand der neuen Bauten sehen in der Vorstadt vor dem Südthor »auf dem Sande«, die er als sein eigenstes wohlthätiges Werk betrieb; vor allem den großen Bau des Klosters und der Kirche – nur diese war bereits vollendet – die er dort den Apostelfürsten Sankt Peter, Sankt Paul und dem frühest berufenen Blutzeugen: Sankt Stephan, zu Ehren gestiftet hatte.
Schwer fiel es dem Bauherrn aufs Herz, als er sich jenseit des Thores der Baustätte näherte, von der her sonst, weithin vernehmbar, der fröhliche Klang des Beilschlags, der Reihengesang der Arbeiter, der Befehlsruf der Werkmeister ihn begrüßte, daß statt dessen eine Grabesstille waltete.
In die Luft hinauf stiegen die hohen Gerüste: – aber[82] sie waren leer, verlassen; sie schienen zu trauern; die halbfertigen Holzwände sahen wie vom Feinde zerstört aus. Nur ein einsamer Mann schlich, die Verödung betrachtend, über den leeren Bauplatz; als er den Bischof von weitem erkannte, wollte er hinter einem großen Bretterhaufen verschwinden. Aber Herr Heinrich hatte ihn erkannt und rief ihn an: »Hallo! Haltet an, Hesso! Was lauft Ihr vor Eurem Bauherrn davon, Werkmeister?«
Der Angerufene, eine starke stattliche Männergestalt mit treuen Augen in dem gebräunten Gesicht, machte Halt, zog ehrerbietig, aber mißmutig den kurzrandigen Filzhut und erwiderte trübselig: »Werkmeister ohne Werk: – Bauherr ohne Bau.« Verstimmt und verdüstert entgegnete der Bischof: »Nun – eine kurze Unterbrechung! Wird soviel nicht schaden! Bald dürft Ihr wieder hauen und hämmern lassen hier, Meister Hesso.« Der Mann zuckte die breiten Achseln. »Schade! Wir waren so gut im Zuge. Die Arbeiter willig und geschickt. Nun haben sich die besten schon verlaufen. Und der Bau des neuen Münsters zu Sankt Johannis Ehren und des Stiftes in der Nordvorstadt, der Hochvorstadt, des Siechenhauses und des Waisenhauses und der Schule! Alles unterbrochen! Warum? Weil kein Geld in der Kammer sei, log der verfluchte Welsche. Aber am gleichen Tage hatte er Speere, Sturmhauben, Brünnen für die bischöflichen Dienstmannen gekauft und bar bezahlt bei dem Waffenschmied Gericho im Eisenhof! Als er nun mit seinen Lügen hier auf das Gerüst trat und die Arbeiter ablohnte und fortwies, – gern hätt' ich ihn im Namen und zu Ehren der heiligen Petrus, Paulus und Stephanus herabgeworfen von den Balken« – »Geduld! sag' ich Euch. Ihr müßt warten.«
»Ich kann warten. Aber die Waisen, die Schulknaben in dem feuchten Loch am Main und die Siechen, die nun[83] auf den Gassen im Stroh liegen? Die können nicht warten, Herr Bischof. Jedoch Speere und Brünnen für die bischöflichen Dienstmannen: – das eilte wohl! Uns bedroht ringsum kein Feind weit und breit!« »Hört doch auf,« mahnte Supfo. »Ihr seht – Ihr sagt da …« – »Ich sehe, der Herr Bischof zürnt, aber ich sage die Wahrheit! Und das Schlimmste ist – die Armen!« »Wieso?« grollte Herr Heinrich. »Ihr Teil ward nicht angetastet.« – »Nein, aber durch die plötzliche Einstellung all dieser – sechs – großen Bauten haben doch recht viele Brot und Lohn verloren. Wohl waren viele Bauleute Unfreie des Stifts – allein gar mancher kleine Freie fand doch auch bei der Arbeit Lohn und Brot für Weib und Kind. Die hungern nun! Sind aus der Stadt gelaufen, rotten sich zusammen im Gau, stehlen und rauben.« »Wie Wetter Gottes fahr' ich unter sie,« rief Herr Heinrich. »Ich will sie! Wenn der Graf des Waldsassengaus schläft …« – »Er schläft nicht, der wackere Herr Gerwalt, aber er ist fern, in Welschland. Wißt Ihr das nicht, Herr Bischof?« »Die Bauten werden bald wieder aufgenommen, sagt das den Leuten. Und den Gauräubern sollen meine Ritter Hellmuth und Fulko den fehlenden Herrn Grafen mehr als ersetzen, das gelob' ich.« Unmutig schritt er davon, ziellos, weiter gen Süden.
»Nichts für ungut, Herr Bischof!« rief ihm der Werkmeister nach. »Aber nehmt sie bald wieder auf, Eure Bauwerke: sind gott- und menschen-gefällig.« »Gott und Menschen gefällig,« wiederholte der Enteilende bei sich. »Jawohl. Zweifellos. Und das Werk, dem ich diese Bauten geopfert, wird den Menschen nicht gefallen. Und Gott? –«
Erregt hastete er weiter, immer gerade aus nach Süden. Der treue Supfo hatte mit seinen klugen Augen schon bei[84] den ersten Worten des Baumeisters das Gewölk gesehen, das aufstieg auf der hohen Stirne Herrn Heinrichs. »Auch hinter diesem Unheil steckt,« brummte er, »– wie hinter allem! – Berengar. Ich muß den Herrn auf andere Gedanken bringen. – Ei sieh da!« rief er. »Was verschwindet da so fluchteilig, links, hinter dem Buschwerk, vor dem Graben? Ich meine, ich kenne sie, diese fliegenden Zöpfe mit den roten Bändern! Da könntet Ihr schon wieder ein gutes Werk thun, Herr Bischof Heinzelein!« – »War der Bursche, der nach dem Maine zu davonstob, nicht Gericho, ehedem meines Hellmuth Waffenträger, jetzt Waffenschmied in dem Eisenhof?« – »Jawohl! Und das hübsche runde Kind, das da entsprang, das war die braune Rosbertha, die Tochter des Bezzo, der da ein Gärtlein hat und eine kleine Verzapfung östlich vom Südthor.« – »Hm! Was thaten die beiden da drüben?« – »Ei, was werden sie groß gethan haben? Dort ist ja der Ziehbrunnen des Wolfilo. Gericho hat wohl dem zarten Kind geholfen, den schweren Eimer heraufzuwinden.« »Du mußt deinen Bischof nicht anlügen, Supfilo,« lächelte Herr Heinrich. »Zumal ich als junger Knab' zu Rothenburg auch wohl einmal hinter einem Ziehbrunnen stand. Der Eimer wartete schon ganz ruhig auf dem Brunnenrand. Aber der Bursche stand immer noch bei ihr hinter der Brunnenmauer. Recht nah stand er. Und hielt sie, glaub' ich, an der Hand.«
»Nun ja, soll er das arme Kind etwa in den Brunnen stürzen lassen?« Herr Heinrich mußte doch wieder lachen. »Und welch' gut Werk hätte ich hier zu thun? Das Mägdlein verwarnen, den Burschen schelten –?« – »Bewahre! Hilft so wenig wie bei Arn!« – »Und dem Vater Bezzo die Augen aufthun.« – »Ja freilich! Aber nicht darüber, daß die beiden jungen Leute sich gern haben, – so dumm, das nicht zu sehen, ist der Bezzo auch nicht![85] – sondern darüber, daß es sündhaft ist, das frische junge Blut, statt es dem hübschen tapfern Gericho zu geben, dem alten Stedilo zu verkuppeln, dem reichen Büttner, nur weil er fromm und reich ist, der dicke. Er hat nämlich nicht eine thatfreudige Frömmigkeit an sich, sondern eine feige, sozusagen eine muffige! Und nicht eine liebliche Rundlichkeit hat er: wie … nun wie sie Sankt Urban seinen Lieblingen gewährt, sondern sozusagen: eine aufgedunsene, eine Wanstigkeit. Ihr solltet … –« – »Supfilo, ich bin nicht junger Minne Feind und Verfolger. Nein, mich freut's, wenn treue junge Liebe siegt, – wenn solche wirklich lebt, außer in Fulkos Liedern! Aber du kannst doch wirklich deinem Bischof nicht das gute Werk auflegen, junge Maide wider väterliche Muntschaft aufzustacheln!« – »Das wäre hier gar nicht mehr nötig. Nur ein wenig – stützen. Aber ich vertraue, der Alte lernt noch rechtzeitig frisches Mark und feiges Fett unterscheiden.« – – »Er sah schon wieder recht ernst darein,« sagte er nach einem raschen Blick der hellen runden Augen zu sich selbst. »Ich darf ihn nicht ins Grübeln versinken lassen –« Er spähte ziemlich ratlos umher: da fiel sein Blick auf einen Schwirreflug von weißen Tauben, die jetzt, bei stärker einbrechender Dämmerung des Brachmondtages, aus den nahen Feldern nach ihrer Heimstätte flüchteten. Die lag in dem spitzen, hochragenden Giebel eines alten braunen, vielfach mit Moos geflickten Strohdaches: rechts, westlich von der großen Straße, die damals schon wie heute auf dem östlichen Mainufer flußaufwärts nach Süden führte. Dort fielen sie ein: blendend blitzte dabei in den letzten Sonnenstrahlen ihr helles Gefieder. –
»Dorthin!« dachte der Treue. »Frau Ute! Und Wartold mit seinen Blumen! Das wird ihm gut thun. Und sie – das liebe, schlimme Kind! Und ein wenig[86] Ärger über den andern? – Ei was, wird ihm auch gut thun, so ein gesunder streitbarer Ärger. – Und im geheimen mag er den Alten doch ganz gut leiden – noch aus der alten, das heißt der jungen, fröhlichen Zeit.« Er begann nun: »Ihr solltet doch wieder einmal einsprechen da, – da vorn mein' ich, wo die Tauben einfielen, bei der alten Mutter Ute. Trägt ihr hartes Los so fromm! Aber manchmal ein wenig Trost thut ihr doch recht wohl.« – »Ja! – Und ein paar Worte Christentums können nicht schaden in dem alten Hirtenhaus. Dem Heidenhaus! Ist die letzte Trutzburg der halb vergessenen Unholde, an welche die Leute hier zu Lande glaubten, bevor Sankt Kilian sie erleuchtete. Wohl, laß uns in Rados Haus gehen. Dort braucht's wirklich Seelsorge!« »Wenn der Alte still hält dazu,« dachte Supfo. Aber er sagte es nicht.
Rüstig ausschreitend hatten beide bald das Pfahlbürgerhüttlein erreicht.
Der starke Wolfshund vor dem Zaun schlug an, wie sie sich von Osten her dem kleinen Nebenpförtlein näherten: gleich darauf stob eilfertig zu dem großen Hofthor ein Reiter hinaus und verschwand alsbald gen Süden im Staube der Straße. Herr Heinrich schaute ihm merksam nach: er hielt die Hand vor die Augen: denn die jetzt wagrecht einfallenden Strahlen der Sonne blendeten ungeachtet des Schattenhutes; er sah nur den Mantel des Reiters noch flattern. »Ich meine fast, das war – auf seinem braunen Hengst – mein Junker Hellmuth. Was[87] hat der hier zu suchen?« Der Kellerer machte sein ahnungslosestes Gesicht: – der Frager sah ihm nämlich scharf in die Augen. »Nun? Du weißt doch sonst gar viel von ihm – steckst immer mit ihm zusammen und mit dem lustigen Provençalen.« »Das macht: der steckt gern bei meinem Lauterwein,« schmunzelte Supfo. »Aber Junker Hellmuth … Kaum trinkt er noch! Und lachen hab' ich ihn schon seit unser lieben Frauen Verkündigung nicht mehr hören.« »Was sucht der hier?« wiederholte Herr Heinrich, nachdenklich. »Schon einmal traf ich ihn hier um die Wege. – Heda, halt, Rado!« rief er dem Hirten im grauen Wolfsmantel zu, der des nahenden Bischofs offenbar ansichtig geworden und gleichwohl beflissen war, durch eine schmale Lücke im Zaun zu entweichen. Er pfiff seinem großen Hund und enteilte gar hastig. »Komm, Giero!« rief er alsdann, diesem über den zottigen Kopf streichend, wie das Tier auf der Straße in mächtigen Sätzen neben ihm her sprang, »wir gehn zu Walde, zur alten Esche … zu unserm wahren Herrn! Seit der Held von Rothenburg ein Geschorener geworden! …«
Der Bischof schüttelte das Haupt: »er entläuft dem Hirten seiner Seele! In der Schlacht entlief er nie. Damals folgte er mir blind.« »Und würde Euch auch heute gerne folgen in die Schlacht: – viel leichter denn in den Beichtstuhl!« meinte der Runde und schloß das Zaunpförtlein hinter dem Bischof.
Gegenüber der Verwahrlosung und Unreinlichkeit, in welcher die Häuser der geringeren Leute fast ausnahmslos lagen, berührte in diesem bescheidenen Höflein das Auge gar wohlthätig die Reinlichkeit und Wohlgepflegtheit des ganzen Anwesens. Die Wiesenfläche vor dem Wohnhäuschen war durchschnitten von säuberlich mit rotem Sand bestreuten Wegen: daneben zeigten sich in dem Gras ausgeschnitten[88] – regelmäßig mit der Schnur gezogen – bald längliche, bald kreisrunde Beete, in welchen Blumen, oft auch nicht deutscher Heimat, glänzten und dufteten, während an dem gen Mittag gekehrten Holzzaun Spalierbäume von Edelfrüchten, sorgfältig aufgebunden und liebevoll gewartet, nebeneinander in Reih' und Glied standen.
Wohlgefällig wies Herr Heinrich seinen Begleiter darauf hin: »Welcher Fleiß! Welche Reinlichkeit! Leider selten bei unsern Gauleuten!« »Ja, ja,« nickte der Kellermeister. »Auch ganz leidlichen Wein züchtet der alte Wartold … für einen Laien in der edeln Winzerei. Ein ungleich Brüderpaar. Der Gärtner gerade so sanft, friedlich, fromm …« – »Als Rado der Jäger – denn er jagt, fürcht' ich, mehr die Wölfe als er die Schafe hütet! – wild und rauh und unfromm. Muß einmal den Archidiakon über ihn schicken. Der ist schärfer als ich. Mich erweicht immer das Gedenken an die alte Zeit. Aber Berengar mag ihn …« – »Laßt den beiseite, lieber Herr. Der treibt die Leute leichter aus der Kirche denn hinein.«
Wie sie unter solchem Gespräch auf dem mittleren Sandweg gegen die Thüre der Wohnhütte vorschritten, hüpfte ihnen etwas entgegen mit wehendem Gezöpf, gefolgt von einem desgleichen hüpfenden Hündlein, das gar lustig bellte und mit dem struppigen Schweif wedelte. »Kind,« lächelte der Bischof, und strich über das wirre Haar der Kleinen, während sie ihm ehrfürchtig die Hand küßte, »weißt du's wohl? ›Das schlimme Kind‹ nennen sie dich – alle.« –[89] »Aber sie haben mich doch gern – alle, hochheiliger Herr.« – »Mir ist, du bist nicht schlimm. – Und ein Kind ist sie auch nicht mehr,« sprach er zu sich selber. »Sollte vielleicht Junker Hellmuth …? Doch nein! Den traf doch wohl ein andrer Pfeil! – Aber immerhin, laß sehen. Mein fröhlich Vögelein,« begann er wieder zu ihr, »hab' dich lange nicht gesehen. Hast du keinen Wunsch?« »Doch, lieber – hochlieber – nein – hochheiliger Herr Bischof. Doch!« sprach sie und senkte das blonde Köpflein. »Urgroßmutter befahl mir, Euren stärksten Segen zu erbitten gegen … gegen meinen argen Mutwillen, wie sie's nennt.« »Herr Heinrich, spart Müh' und Segen!« lachte der Kellerer, der Kleinen in die volle Wange kneifend, »der den Mutwillen auszutreiben, – dazu brauchte es stärkern Exorcismus als sogar der gelehrte Herr Papst Sylvester kennt. Was meinst du selber, Hexlein?« »Daß Ihr recht habt, kluger Herr Supfo,« antwortete sie ganz betrübt und kleinlaut. »Seht, es ist ein Kreuz und ein Elend mit mir. Mein Mutwille, wie sie's alle heißen – der ist gerade wie – wie meines – Gott! wo ist er denn jetzt schon wieder hin? – wie meines Schnufilos Fell vom Schnauzbart bis zum Zagel. Immer und immer kämm' und bürst' ich ihn glatt und Schnuf verspricht auch, er solle nun glatt bleiben: – und er schüttelt sich und 's ist alles beim alten und zottel-rauh-zottig, zum Fürchten! Heiliger Kilian,« seufzte sie, »ich weiß nicht, was in mir steckt. Aber es läßt mich nicht! Ich muß!« – »Nun, was mußt du denn, Kleine?« – »Lachen muß ich! In einem fort lachen! Vom Aufstehn an, wann der Knecht so tölpisch daher tappt mit den Wassereimern bis zur Vesper, wann die Zicklein so närrisch gesprungen kommen von der Weide. Möchte oft gern ernsthaft sein, – werde soviel gescholten! Aber es läßt mich nicht! Seh[90] immer an allen Sachen und Tieren und Menschen was zum Lachen!« »So? Zum Beispiel auch an mir?« forschte der Bischof. »Ei freilich!« lachte sie. So geschwind kam die Antwort aus den kirschroten Lippen, daß Herr und Diener mitlachen mußten. »Was? Daß Ihr Euren Abendgang mit dem Kugelmännlein da machen müßt, armer heiliger Herr, und stünd' Euch so gut zu Arm und Antlitz, ein stattlich Ehgemahl. – Aber o weh, das – ich seh's an Euren Augen! – das ist mehr zum Weinen als zum Lachen.« »Wein und Kinder sagen die Wahrheit,« seufzte der Kellerer. – »Also den Segen für mich … Herr Süpfelin hat recht! – er ist doch wohl vergeudet – den möcht' ich umtauschen statt für mich – für einen andern.« »So? Und für wen?« forschte der Bischof ernst. »Etwa für Ritter Hellmuth, der soeben mit Euch sprach?« »Der?« lachte sie. »Mit mir? Behüte! Kein Wort. Sieht mich gar nicht. Nur mit Ohm Rado raunt er immer heimlich. – Aber den Segen möchte ich haben für den, der mir – nach den Gesippen – aber gleich nach ihnen! der Liebste ist auf der ganzen Welt. Seht Ihr. Da kommt er. Dort links!«
Argwöhnisch, wenig erfreut drehte sich der Seelsorger um und spähte scharf nach links. »Seht, meines Herzens Schnufilo! – O gnadenreiche Jungfrau, wie schaut er wieder aus! – Voll Schmutz, und blutend am Mündlein. – Jetzt hat er schon wieder gerauft mit des Nachbars großem Kater! Meint Ihr, Herr Bischof, er läßt es? Nein! O den segnet mir. Er hat soviele Verfolger und Unterdrücker unter den Bürgerschweinen und Bürgerhunden und den Beißkatern. Er kommt oft heim, zerzaust und zerrissen und blutend, wie die heiligen Märtyrer im Sankt Burchhard drüben in der Kapelle auf dem scheußlichen, greulichen, heiligen Bild! Ich bitt' Euch um[91] Euern kräftigsten Hundesegen. Ist er doch mein herzallerliebster Schatz!« schloß sie seufzend.
Herr Heinrich hatte die Stirn in Falten legen wollen, aber – »es ließ ihn nicht«: – er mußte lächeln, wie er der hübschen Kleinen heiligen Ernst und des wirrhaarigen Köters Liebesblick zu ihr empor aus den ringsumzottelten Augen gewahrte. »Möge er noch lange dein Herzallerliebster bleiben und du noch lange die schlimme Fullrun,« sprach er freundlich und schritt fürbaß. Supfo verweilte noch bei der Verdutztem: »einen Hundesegen, tolle runde Runel, holt man nicht beim Herrn Bischof, sondern von … einem andern Jäger. Frage nur Rado – aber ja nicht die Urmutter!« »Behüte! Weiß schon!« lachte sie, »komm, Schnufelschatz!« und sie sprang davon in hohen Sätzen, daß Zöpflein und Röcklein flogen, bis Schnufilo sie zornig bellend daran fing und festhalten wollte. Aber sie schleifte ihn nach und lachte, daß es schallte. Der Kellerer sah ihr nach: »Und das – das! – soll der liebe Himmelsherr demnächst zu Zunder und Asche verbrennen? Er müßte sich ja schämen! Nein. Unser Herrgott hat das Herz am rechten Fleck – trotz unsereinem. Ich mag's nicht von ihm glauben!«
Wie nun die Besucher dem Hüttlein unter dem Moosdach sich näherten, öffnete sich die niedere Thür und heraus trat eine sehr alte Frau, gestützt auf ihren auch schon betagten, aber noch vollrüstigen Enkel. Die Züge der Greisin waren immer noch schön – so friedlich waren sie![92] – und das silberweiße Haar stand ihr gut zu den rosigen Wangen. Diese zarte Gesichtsfarbe und das Milde in den Mienen und im ganzen Wesen hatte der Enkel von ihr geerbt.
»Dort steht der hochehrwürdige Herr Bischof, dort, zur Rechten, Großmütterlein!« mahnte der Führer, indem er den aus Mainschilf geflochtenen Flachhut, wie ihn in der heißen Zeit während der Arbeit in den Weinbergen die Winzer trugen, demütig abnahm. »Dank Euch, Herr Bischof, daß Ihr auch die Hütten der Geringen aufsucht. Ihr seid wie des lieben Herrgotts Sonne! Die grüßt und erfreut auch nicht bloß, was ihr stolz das hohe Haupt entgegenrecken mag, – auch das geringe Blümlein sucht sie segnend auf, das sich bescheiden duckt am Raine.« Der Bischof nickte ihm freundlich zu: »Ich fand schon oft, wer viel mit Blumen und Pflanzen zu thun hat, dessen Seele wird sanft und sinnig.« Er faßte jetzt die Hand der Alten: »Nun, Mutter Ute, wie steht's? Ihr tragt Euer schweres Los so lang – so lange schon! – mit echt christlicher Geduld.« – »Ach, gütiger Herr Bischof, es ist nicht schwer, wenn man nur einen recht festen Glauben hat. Und den, seht, – den hab' ich! – Und daß ich ihn habe, – das dank' ich auch – Ihm!« – »Gott dem Herrn!« »Mag wohl sein,« erwiderte die Greisin zögernd. »Will gewiß nicht nein sagen. Der Herr mag es wohl meinem armen Konrad auf die Lippen gelegt haben, bevor er starb.« – »Euer Mann! Was hat er Euch gesagt damals? Er starb', mein' ich, in derselben Nacht, da Ihr, da die Ungarn –« – »Ganz recht, Herr Bischof! Hunnen nannte man sie. Bald sind's nun siebzig Jahre.« »Siebzig Jahre blind!« seufzte der Kellerer mitleidig. »Ja, das war noch unter Bischof Dietho,« fuhr die Alte fort, immer lebhafter redend in dem Eifer der[93] Erinnerung und wiederholt mit der Hand über ihr dichtes weißes Haar streichend. »Damals war noch Sankt Burchhards heiliger Leib nicht erhoben. Da war der Graben um die Stadt noch nicht gezogen, noch nicht einmal der Pfahlhag war ganz fertig geworden. Wir wohnten in einem Hüttlein dicht hinter dem Pfahl im Osten der Stadt am dürren Bach. Mein Mann, ein Freigelassener des Bistums, war gar geschickt, mit Axt und Stemmeisen zu bauen und zu zimmern; er war vom Knaben auf im Bischofshaus als Zimmerer verwendet worden, hatte daselbst gar frommen, frommen Sinn gewonnen und nun hatte ihm vor Jahr und Tag der Herr Bischof Dietho das Hüttlein am dürren Bache zur Leihe gegeben, damit er mich heiraten konnte: ich war Magd von Sankt Andreas, wie man damals statt Sankt Burchhard noch sagte. Ich hatte meinem Konrad gerade ein paar Nächte vorher Zwillinge gebracht: – einen Knaben und ein Mägdlein. Wir waren so glücklich! Auf einmal – in der Nacht – ein Gejohle, wie wenn der Höllenwirt tausend böse Geister losgelassen hätte! Konrad springt ans Fenster – das war offen: denn warmer Sommer war's, wie jetzt – ›Helft‹ rief er, ›Sankt Kilian, Sankt Koloman und Sankt Tetnan!‹ – Rings Feuer! Rings Flammenschein! Des Nachbars Hütte zur Rechten brennt lichterloh! Und in dem Flammenschein Hunderte von Teufeln und Unholden, zu Roß, zu Fuß, schreiend, jauchzend, mit Äxten an die Nachbarhöfe zur Linken, auch schon an unsere Hausthüre schlagend. ›Das sind die Hunnen!‹ rief mein Konrad, schloß rasch den Laden und griff nach einem Beil. Wie aus dem Abgrund aufgestiegen, so plötzlich waren sie da. Schon brannte auch unser Heim, das Strohdach und die rechte Holzwand! Aber hinaus? Wehe, wir sahen durch die Ritzen des Ladens, wie die Unholde da draußen die[94] Weiber, die Kinder, die aus den brennenden Hütten flüchteten, griffen und in ihre Lanzen oder zurück in die Flammen warfen.
So blieben wir an dem Herd zusammengedrängt, mein Kurt das Mägdlein, ich den Knaben im Arm und beide schreiend zu Gott und den Heiligen. Da plötzlich – von oben her – ein Krach und eine Lohe über uns hin! Der Firstbalken war gerade auf uns herabgestürzt, über meine Augen ein brennender Span. Das that weh, Herr Bischof! Noch spür' ich's, denk' ich daran. ›Kurt,‹ gellte ich in grellem Schmerz, ›wo bist du, ich sehe dich nicht.‹ ›Hier,‹ stöhnte er, ›ich sterbe, arme Ute.‹ ›Wo? Wo denn?‹ schrie ich und tastete nach ihm. Ach – ich sah ihn nicht mehr – ihn nicht und nichts mehr auf Erden. Er merkte es bald: ›Utelein,‹ sprach er, ›liebes Weib, schönes Weib‹ – so sagte er, Herr Bischof: O ich hab' mir's seither vorgesagt tausend, tausendmal! – ›das Mägdlein an meiner Brust ist tot, zerschmettert. Und ich – ich muß sterben. Aber der Knabe in deinem Arm ist ganz unversehrt. Du – glaub' ich – siehst nicht mehr ganz gut. Das ist hart! Aber sei getrost: der Himmelsherr hat's so gewollt. Und horch – es wird schon stiller draußen – die Hunnen haben sich verzogen‹. ›Blind!‹ schrie ich. ›Blind fürs Leben? So soll ich niemals dein helles Antlitz, wiedersehen?‹ ›Du vergissest, liebes Weib,‹ sprach er sanft, ›ich muß jetzt sterben. Aber dereinst, wann auch du stirbst, dann wirst du wieder sehen. Im Himmelreich da oben, bei dem milden Gott, giebt es keine Lahmen, Krüppel und Blinde: dort ist lauter Vollkommenheit: erst gestern hat's der Herr Bischof gepredigt im Dom. Also sei ganz getrost! Kommst du zu sterben, wirst du sehen, wirst du mich wiedersehen. Mit dem Mägdlein auf dem Arme schweb' ich dir aus den Wolken entgegen und hole[95] dich ab aus der Not und der Nacht der Erde in das ewige Licht. Leb' wohl! Gewiß ist's wahr – glaub' mir – du wirst mich wiedersehen, wann du stirbst.‹ Das war sein letztes Wort.
Bald darauf gruben mich die Reisigen des Herrn Grafen und die Dienstmannen des Herrn Bischofs – die Hunnen waren hinweggestoben, nachdem sie die Häuser vor der Mauer verbrannt – aus dem noch qualmenden Schutt, mich und den unverletzten Knaben und ach! die beiden Toten. – Und nun leb' ich und zehr' ich bald siebzig Jahre von dem letzten Wort meines Konrad. Ich glaube an sein Wort wie an Gottes Wort so fest.«
Gerührt sprach der Bischof: »Gott der Herr hat dich gesegnet, arme Frau, in deinem Elend durch deinen Glauben.« »Ja, Herr, da sprecht Ihr wahr,« bestätigte ihr Enkel, sich aufrichtend: er hatte sich gebückt, die Schnecken von seinen Blumen abzulesen und auf dem Sandwege zu zertreten. »In aller Not hat sie dies Wort aufrecht erhalten. Und es ging ihr früher doch oft recht übel.« »Nicht Schuld meines braven Sohnes Konrad,« fiel die Alte eifrig ein – »und seines lieben Weibes: Gott lohnt ihnen längst schon beiden in der lichten Himmelsaue! Und auch wahrlich nicht, sobald die irgend eine Arbeit leisten konnten – meine beiden Enkel. Denn darin muß ich den Schwarzen loben wie den Blonden – so ungleich sonst sie geartet sind, die seltsamen Brüder. Auch mein Rado – … wo ist er? ich höre ihn nicht –?« – »Zu Walde gegangen, Großmutter.« »Schon wieder!« seufzte die Greisin. »Das ist sein Unsegen! Weiß Sankt Kilian, immer in den finstern, verrufenen Grafenwald! Böse Geister sollen dort hausen« – sie bekreuzte sich Stirn und Brust – »der wilde Jäger hetzt ob seinen Wipfeln und jagt die Holzweiblein darin mit lautem Huhu, Huhu. Bald als[96] Hirt, bald als Jäger, bald als Köhler, aber immer in jenem Wald macht er sich zu schaffen. Schon vom Knaben auf! Seine Mutter – will sie sonst gewiß nicht schelten! – ist schuld daran: sie erzählte ihm viel, viel mehr vom wilden Jäger und vom bergentrückten Kaiser und von Waldschrat und Rauchries' und Drachenries' als von den lieben Heiligen. Aber was er früher im Waffendienst der Rothenburger verdiente und was er später hier im Hirtendienst der Bürger erarbeitete, – alles brachte er mir, der Schwarze wie mein Blonder – wie ihr Vater sie nannte. Aber der Blonde ist immer gern bei mir geblieben.«
»Nun, Großmütterlein, jetzt sind wir schon lange beide grau. Und es ist doch nicht mein Verdienst, daß es mich von Kind auf mehr freute, hier im Gehöft zu bleiben, das die Bürger dem Vater als Gemeindehirten zur Erbleihe gegeben und dies Gärtlein anzulegen und meiner lieben, lieben Blumen zu pflegen und an den Zäunen des Edelobstes und der Reben.« – »Er hat eine so glückliche Hand, mein Wartold. Alles gedeiht unter seinen geschickten, geschmeidigen Fingern …« »Der Herr hat sie ihm gesegnet, diese Hand,« sprach der Bischof, »die so getreulich die blinde Ahnin geführt hat.« »Aber auch Rados Hand!« fiel der Gärtner eifrig ein. »Wohl ist sie härter als die meine hier, aber stärker und sicherer. Er trifft den fließenden Fisch im Main! Und Bär, Luchs und Wolf, sie kennen seinen Speerwurf gut.« »Wie weiland Saracenen, Wenden und Welsche,« nickte Herr Heinrich. »Aber die Heiligen schlecht sein Beten!« »Zürnt ihm nicht, Herr,« bat Wartold. »Lieber Gott,« raunte Supfo ungeduldig, »ich kenne einen, – einen Seelenhüter, nicht bloß Gemeindehüter – der hat die längste Zeit seines Lebens auch viel lieber den Auerhahn im Buchenwald balzen als den Pfaffen im Dom Messe singen hören.« »Und nun geht ja doch bald alles[97] zu Ende, Gott sei Dank,« erinnerte Frau Ute. »Da gönnt ihm doch noch sein bischen Jagen.« – »Meint Ihr, gute Frau? Noch hat sich die heilige Kirche nicht ausgesprochen über jenen Glauben.« »Herr Bischof,« fragte Wartold, sehr ernsthaft, »was meint Ihr? Giebt's im Himmelreich auch Blumen?« Herr Heinrich schwieg verdutzt einen Augenblick. »Das … das hat mich noch kein Mensch gefragt! Und ich mich selber auch nicht! – Blumen? – Weiß nicht! – Aber ja! Doch wohl! Palmen, Palmen für die Märtyrer.« »Ach, die wachsen nicht bei uns,« klagte Wartold ganz betrübt. »Hab' sie immer nur gemalt gesehen in den Kapellen. Von denen hab' ich kein Verständnis; werde sie am Ende zu trocken halten,« schloß er nachdenksam. »Die Wipfel in Glut, die Wurzeln in Wasser taucht die Palme, so lehrte mich der Araber, den Ihr eine Weile hier als Geisel gehalten.« »Nun, Gärtner, verzagt mir nur nicht,« lachte Herr Heinrich. »Eben fällt mir bei: auch Lilien brauchen sie da oben für die Jungfrau Maria. Und um die Stirnen der Seligen zu kränzen. Und auch Engelein sah ich zu Rom im Sankt Peter auf Goldgrund fliegen, – die trugen weiße Lilien in den Händen.« »Eia, Eia!« rief der Alte vergnügt und rieb sich die Hände in heller Freude. »Gott lohn' Euch dieses Wort, Herr Bischof! Lilien! Lilien, sagt Ihr? Nun seht: das sind ja gerade meine Lieblinge. Und ein klein wenig,« nickte er lächelnd, »ein klein wenig verstehe ich mich auf deren Pflege! Habe dafür am meisten Geschicklichkeit. – Oder Gnade von Sankt Gertraud, will ich sagen. Seht nur, frommer Herr Bischof, dort das runde Beet. Zwei neue Arten! Haben hier zu Lande noch nie geblüht. Die eine – die weiße – gefüllt! Und die andre – die feuerrote – noch viel süßer duftend als die weißen! Ein Freund von mir, der Klostergärtner von[98] Herrieden, der seinen Abt auf einer Pilgerfahrt nach Rom begleiten durfte, brachte mir die Zwiebeln mit aus einer welschen Stadt: – die soll nach den Blumen benannt sein: ach diese Stadt möcht' ich wohl gesehen haben! Aber nun ist's zu spät. Seht nur, wie sie gedeihen! Und noch schönere hab' ich in dem Neubruch, den ich angelegt – weiter gegen die Stadt und den Main hin, die solltet Ihr mal sehen!« »Der Alte hat eine Liebe zu den unnützen Stingel-Stengeln,« brummte Supfo, »als wären's wirklich Reben vom Stein!«
»O, Herr Bischof,« fuhr Wartold fort und faltete die Hände, »komme ich – Unwürdiger! – doch etwa in den Himmel … –« »Er ist dir sicher, schon wegen des vierten Gebots,« sprach die Blinde. – »Dann legt ein gutes Wort für mich ein bei Eurem Amtsbruder, Sankt Petrus – der hat ja doch wohl das Ganze des himmlischen Hauswesens unter sich, nicht? Ich meine: die Vergebung der Ämter zu Lehen! – Bittet, daß ich sein Gärtner …, ach so, wegen der Palmen? Nun, die werd' ich mir wohl auch anlernen können! – o wenn ich nur sein Gärtnergehilfe werden darf. Ewiglich der Lilien pflegen, wie selig!« Und seine sanften blauen Augen leuchteten ganz verklärt. »Sancta simplicitas!« sprach Herr Heinrich gerührt zu sich selber. »Mir ist, diesem reinen Herzen ist der Himmel gewisser als mir.« »Soll ich einmal selig werden im Himmel – aber es eilt nicht, gar nicht!« – raunte Supfo – »reiß' ich ihm die Lilien aus und setze Leistenschößlinge!« – »Wenn nur dein wilder Bruder,« warnte Herr Heinrich, »nichts Ähnliches wünscht wie du: zwar nicht ewig gärtnern, aber ewig jagen!« »Sankt Kilian schütze ihn,« rief die Alte, »vor solch' frevelem Wort! Da müßte er ja dem wilden Jäger folgen immerdar.«
Der Bischof wandte sich zum Gehen; vorher aber zog er noch ein Geldstück aus seiner ledernen Gürteltasche, reichte es dem Alten und sprach: »Da! Nimm! Ich kaufe dir all' deine Lilien ab. Das heißt: – erschrick nur nicht! – alles soll dein eigen bleiben: Beet und Zwiebeln und Stengel und Blätter und Blüten –« – »Ja, aber was – was ist denn dann die Ware, die Ihr kauft?« – »Du sollst mir nur, soviel ich davon brauche, an Sonntagen zum Schmuck des Hauptaltars des Domes liefern. Bist du's zufrieden?« – »Gewiß, Herr! Welche Ehre für meine Blumen! Meine Fullrun soll sie Euch immer, frisch geschnitten, bringen. Aber – es ist des Geldes ja viel zu viel. Und für so kurze Zeit! Wie viele Wochen wird denn die Welt noch stehen?« »Es ist zum Lachen,« schalt Supfo in sich hinein. »Sie glauben fest an die Dummheit.« – »Nun, für so lange eben gilt der Handel, als die Welt, der Dom und die Lilien noch stehen.« – »Gut, gut. Aber …« – »Noch ein Bedenken, Alter?« – »Wenn der jüngste Tag an einem Sonntag gerade hereinbricht …?« – »Nun, was dann?« »Dann,« rief der Greis tief erregt, »dann geht der Himmel Euerem Altare vor! Die letzten, die ich hier gezogen, die nehm' ich mit hinauf, die Stirnen der Seligen dort oben damit zu schmücken. Zumal Eine Stirne …!« Die Stimme versagte ihm: – die blauen Augen wurden feucht. »Nun, Wartoldchen, mein Junge, nun!« tröstete die Blinde. »Mußt nicht weinen! Siehst sie ja nun bald wieder, Friedlindis, deine gute Frau! Hast sie nicht so lange entbehren müssen wie ich meinen Kurt. Sie starb, nachdem sie ihm das liebe, schlimme Kind geboren. Sind erst fünfzehn Jahre. Da thut so was noch heiß und bitter weh!« »Sind erst fünfzehn Jahre,« wiederholte Herr Heinrich tonlos, »da thut so was noch heiß und bitter[100] weh. Ach, und er hat nur ihren Leib, nicht ihr Herz verloren!« brütete er still weiter. »Und kann der Mann ein Weibesherz verlieren, das er einmal besessen? Weh, ich bilde mir nur ein, ich hab's verloren. Sie hat kein Herz. Oder ich hab's nie besessen.«
»Was ist Euch, Herr Bischof?« fragte die Blinde. »Ihr leidet! Ich hör's! Ihr atmet so schwer.« Supfo zupfte sie am Rock, sie möge schweigen.
Aber Herr Heinrich hatte sich schon wieder emporgerafft: »Lebt wohl, ihr guten Leutchen. Bald komm' ich wieder zu euch. – Friedlich ist's bei deinen Blumen, Wartold. Ich will beten für euer Heil im Himmel. Betet ihr für meinen Frieden – auf Erden! Komm, Supfo! Nach Hause! In die Einsamkeit.« Und hastigen Schrittes eilte er aus dem Garten.
In einem dem Bischofshause benachbarten und dem Bistum gehörigen Hofe hatte schon Herrn Heinrichs Oheim und Vorgänger Edel, unter der Obhut der Frau Malwine, einer alten verwitweten Dienerin des Rothenburgschen Hauses, geborgen; der jetzige Bischof hatte sie hier belassen und Minnegard während ihres Besuches am Main bei seiner Schutzbefohlenen – ihrer Freundin – untergebracht, bis die künftige Nonne in einem Religiosenhause von frommen Schwestern am Nordthor in Empfang genommen und für den Eintritt in ein eigentliches Kloster vorbereitet werden sollte: das hatte ihr Herr Heinrich als nahe bevorstehend angekündigt.
Ziemlich trübselig daher erwartete sie an diesem Abend[101] in der schmuckarmen Kemenate des schmalen Holzhauses den Ohm zum Nachtmahle.
Statt seiner erschien der Kellerer mit einer Absage: »Der Herr Hezilo ist von einem Rundgang ganz weich- und wehmütig nach Hause gekommen,« meldete der Treue kopfschüttelnd. »Er hat als Abendspeisung nur trocken Brot und Wasser bestellt; ich sollte es ihm in die Bücherei tragen. Das Brot bracht' ich ihm ganz gehorsam. Das Wasser aber? Ich schickte es ihm durch den Brunnenmeister und ließ ihm sagen, bischöflicher Keller führe das Gewächs nicht! O das bedeutet wieder einmal eine zu durchwachende Nacht! Er geht jetzt wieder auf und nieder, auf und nieder, und summt dazu – aber nicht ein Gebet! Die erste Zeile hab' ich erlauscht: 's ist, glaub' ich, aus einem alten Liede, das der Junker von Yvonne einmal vortrug:
aber das andere hab' ich nicht verstanden. – Vielschöne Jungfrau Minnegard,« rief er näher tretend, »ich sag' Euch: wenn das noch lange so fortgeht, dann geht's nimmer lang so fort! Er schläft nicht mehr, er ißt nicht – das, glaub' ich, hat er nie gelernt – er trinkt nicht mehr! Und wenn nun vollends auch Ihr noch uns verlaßt! Dann weicht von uns der letzte Sonnenstrahl. Über Euch und Eure Schalkheit hat er doch noch manchmal gelächelt mit seinem lieben, feinen, sonst so traurigen Mund. Wer sollte auch an Euch nicht seine helle Freude haben!«
»Ja, mein treues Supfolein,« seufzte das schöne Mädchen und trug von dem säuberlich von ihrer Hand gedeckten Tisch des Bischofs silbernen Teller und goldenen Becher hinweg und stellte sie, sich zierlich auf den Zehen reckend – »wie steht ihr alles so anmutig!« dachte Supfo dabei – auf das vorspringende Kruggesims an der lindengetäfelten[102] Wand. »Ich weiß es wohl, – Ihr habt mich lieb gewonnen in Eurem treuen Herzen und in Euren klugen Gedanken, – soviel der Oheim und der Wein Raum darin leer gelassen haben. Bitte, gießt ein wenig Öl aus jenem Krüglein auf die Ampel – aus Byzanz, Geschenk von Frau Theophano, nicht wahr? Die hätt' ich gern gesehen. Denn ich meine immer …! Nicht wahr, sie war argschön?« – »Schöner vielleicht sogar als Ihr, und das heißt was! Aber nicht so anmutvoll. So mehr wie die marmornen Göttinnen in Rom.« – »Sie soll aber gar nicht von Stein gewesen sein, die üppige junge Witwe, wenigstens nicht gegen …! – Ach, wer doch von Stein wäre! Glaubt Ihr, herzgescheiter Mensch, ich gehe gern von Euch und mit Vergnügen in das Kloster?« »Ist ein Schandfleck für alle deutsche Jugendschaft!« schrie der Dicke und ward rot im Gesicht. »Hei, wär' ich ein Junker wie wir hier zwei oder drei herumstolzieren haben: – auf dem Wege zu den Schmachtnonnen, ja noch hinter dem Klostergitter hervor würd' ich Euch retten. Für Euch selbst und für …« – »Am Ende gar für Euch selbst? Hört, Ihr werdet ganz gefährlich in Eurem Mitleid! Ich rufe mir Aufsicht herbei – und was für gestrenge! – komm, Edel, komm heraus. Erscheine, du Heilige, und hilf mir wider die Anläufe dieses dicken Dämons. Wir armen Jungfräulein müssen wieder einmal allein zu Abend speisen.« »Die?« flüsterte Supfo. »Ja, die vertreibt mich. Denn Junker Hellmuth ist mir nah ans Herz gewachsen. So blond, so schön und so widervernünftig!« Und er verschwand.
Nachdem der Ruf ohne Erfolg blieb, schlug die Braune den dunkelroten Vorhang zurück, welcher das Nebengemach zur Linken abschied.
Da erblickte sie im trüben Dämmerlicht einer Hängeampel die Freundin auf dem Betschemel knien, die schmalen, langen, weißen Hände gefaltet zu brünstigem Gebet vor einem dunkelfarbigen Kreuz; das stammte aus Jerusalem; Herr Heinrich hatte es aus Monte Casino mit heimgebracht. Rasch erhob sich nun die Beterin, strich ihr tiefblaues langfaltiges Gewand zurecht und trat in das Vorderzimmer; mit leisem Kopfschütteln empfing sie Minnegard. »Der Bischof kommt nicht,« seufzte sie. »Und also auch nicht das junge Geleit, das er manchmal mitbringt.« »Desto besser,« erwiderte Edel, die schönen dunkeln Brauen zusammenziehend. »Du denkst nur an dich,« meinte die andere und öffnete einen in der Wand angebrachten Verschlag, Schüssel und Teller daraus hervorholend. »Vergieb!« bat Edel weich. »Es war selbstisch.« Sie griff nach der Freundin Hand, sie half ihr, die Teller aufstellen. »Glaube nur, ich gönne dir von Herzen das Vergnügen, das dir der Ritter von Yvonne zu gewähren scheint. – Ich gönn' es dir, – obgleich ich es beklage.« – »Jetzt … erst setze dich, Edel! Wir wollen unser Nachtmahl nicht versäumen! Ist doch morgen ohnehin schon wieder Fasttag! Weil an diesem Tag vor vielen hundert Jahren irgendwo ein sehr heiliger Mann – wer kann sich alle merken! – geboren oder gestorben oder ›transferiert‹ worden ist. Komm! Greif zu! Der kalte Rehbraten wird dir munden, – du wirst ihm nicht anschmecken, daß der verhaßte Fulko den Bock erlegt hat. Sage nur, weshalb du wie auf –[104] den andern – o! ich nenne ihn nicht! – auch auf den fröhlichen Singemund deinen Groll geworfen hast?« – »Ich trage dem Ritter Fulko keinen Groll.« – »Aber er mißfällt dir?« »Doch nicht! Denn bei allem Übermut ist er …« sie brach ab. – »Warum dann beklagst du, daß ich ›Vergnügen‹ – wie du das nanntest – an ihm finde?« – »Warum? – Weil ich fürchte, holde Thörin, es ist weit mehr als Vergnügen, mehr als Scherz.« »Und wenn es Ernst wäre?« erwiderte Minnegardis sehr rasch. – »O liebes Herz! Das eben fürchtete ich, – sah ich. Bedenke doch! Wie soll das enden? Du – im Kloster. Und im Herzen das Bild eines Mannes! Hast du das wohl je bedacht?« Da ward das schöne Gesicht des heiteren Mädchens plötzlich sehr ernst, – der edle Ausdruck ließ ihr doch noch viel besser denn der Mutwille! – und sie antwortete nachdrücklich: »Ja, Edel, ich hab' es bedacht. Oft, lang und tief. Sieh, dieser Gedanke ist mein Halt, er ist mein Trost, er ist mein einzig Glück. Mögen sie mir ein Geschick aufnötigen, dem ich widerstrebe mit Leib und Seele: – nur den Leib doch können sie einsperren und zwingen, die Seele nicht! Und muß ich aller andern Lebensfreuden darben, nach denen ich – ach! so lechzend heiß begehre – das Eine Glück –, es ist mir ja zu gönnen, das bloße Glück der Gedanken! – können sie mir nicht rauben: das Glück, sein liebes, schönes Bild tief in der Brust zu tragen, das Glück, ihn zu lieben und – o ich weiß es! – heiß von ihm geliebt zu sein. Und Heil mir! Er ist es so voll wert, daß ich ihn liebe!«
Da schluchzte plötzlich Edel laut auf: strömende Thränen brachen aus ihren Augen, sie schlug beide Hände vor das blasse, schmale Antlitz, bog das Haupt dicht an die Stuhllehne zurück und seufzte: »Du Beneidenswerte!«
Erschrocken sprang Minnegard auf: nie hatte sie solchen[105] Ausbruch des Gefühls erlebt bei der so streng verhaltenen, bis zur Härte und Herbheit spröden und scheinbar so kühlen Freundin. »Edel, mein Liebling!« rief sie, kniete sich zu ihren Füßen auf das Bärenfell des Estrichs und umschlang mit beiden Armen die schmalen Hüften. »Was ist dir? O sprich! Wirf endlich dieses starre, stolze Schweigen ab! Es schmerzt ja doch dich wie – wie mich! Vertrau' dein stummes Weh meinem treuen Herzen! Sprich es aus! Es wird dir gut thun! Sieh, ich ahne ja doch so manches! Hab' ich doch wochen- und monatelang gelebt neben dir und –« »Nenn' ihn nicht!« brachte die Ringende schwer aus den halbgeschlossenen Zähnen hervor. »Hab' ich's doch mit angesehen, wie – allmählich! – sogar deines allzustolzen Herzens Eisrinde endlich schmolz. Ist auch wahrlich kein Wunder! Ist er doch …« – »Lob' ihn nicht! Es ist all' nicht wahr! –« Bitter, schmerzlich kam das heraus. »Ach was! Wohl ist's wahr! Er ist – leider Gottes: er war! – der freudigste junge Held (– in Blond! –), den man sich träumen konnte, wenn man nicht lieber von – was Braunem träumte. Wie lobte ihn der Bischof! Und auch dir gefiel sein ritterlich Wesen. Er taugte so gut zu deiner stummen, stolzen, ehernen Art. So gut zu dir – wie – – ein anderer zu meiner Weise. Und zuletzt – unnahbar wie du bist – du nahmst es an, sein edel zurückhaltend, zartes Werben!« – »Edel zurückhaltend – zartes – Werben!« Sie riß die Hände von dem Gesicht, ein funkelnder Zornblick schoß aus den grauen Augen, die Flügel der feinen Nase zuckten. »Bis auf einmal – nach jenem Stechen zu Worms! – O wie ihr daher zurückkamt! – Er vom Tage seines höchsten Ruhmes wie ein weidwund geschossener Edelhirsch. Und du – wie jene zürnende Göttin der Jagd, von der uns Fulko verdeutschte aus Meister Ovidius.[106] Und wie hängt er noch immer an jedem Blick deines Auges, so grausam auch du mit ihm umgehst! Mich wundert, daß dich seiner nicht erbarmt. Bedenke! Wenn wirklich die nächste Sunnwend' ein Ende macht mit uns allen …!«
Da flog ein leichtes Erbeben über Edels feine Gestalt: ihre Züge wechselten den Ausdruck: an Stelle des Zornes trat ein Etwas wie Wehmut, wie Trauer: die Kluge ersah das und fuhr eifrig fort: »Wodurch immer er deinen Zorn gereizt hat, – willst du unversöhnt mit ihm hinübergehen in die Ewigkeit?«
Edel schwieg und schlug die langen Wimpern nieder.
»Willst du, Grimm und Groll im Herzen gegen ihn, der dir so ganz ergeben, vor den ewigen Richter treten, vor Christus, der seinen Mördern selbst vergeben hat? O Edel – ich überraschte dich – nicht das erste Mal! – im Gebet: wenn du denn so fromm bist: wie lehrte uns der Heiland beten? ›Gleich wie wir vergeben unsern Schuldigern.‹ Was immer du gebetet hast, – das Rechte – dies Gebet! – du hast es nicht gebetet!« – »Ich … ich betete – wie schon so oft! … für ihn!« – »Edel! – Wie gut du bist!« – »Nein, nein! Hoffart war mein Gebet: – ich sehe es jetzt ein! Ich fühlt' es bei deinen wahrhaft frommen Worten. Ich betete immer nur …« – »Nun, was?« – »Gott möge ihm seine Schuld gegen mich verzeihen.« – »Und du hast beigefügt: gleich wie ich, Edel, ihm verzeihe?« Beschämt senkte Edel das Haupt auf die wogende Brust. Minnegard hob es zärtlich und gelinde, mit dem Finger unter dem Kinn, in die Höhe.
»Du schweigst, kleiner Trotzkopf?« – »Ich … ich will nicht …, daß ihm um meinetwillen Gott zürne und ihn strafe.« – »Aber du, du zürnst und strafest fort! Geh du dem lieben Gott mit gutem Beispiel voran! Verzeihe[107] du zuerst.« – »Ich … ich kann nicht … will nicht.« – »Weil du ihn eben nicht liebst! Du kannst wohl gar nicht lieben!« Da traf sie ein blitzender Blick aus den plötzlich voll aufgeschlagenen grauen Augen: »Glaubst du?« – »Noch einmal, Edel, bedenke: wenn nun wirklich demnächst alles aus ist? – Wenn ich dessen erst sicher bin – ganz gewiß! – dann …!« – »Nun? Was wirst du dann thun?« – »Dann …!« Minnegard sprang heftig vom Boden auf. »Ja, siehst du, ganz genau weiß ich noch nicht, was ich dann thue. Aber einmal noch im Leben, thu' ich dann, – wozu das Herz, – dies heiße Herz! – mich treibt, unbekümmert um das Geschelte der Welt: – sie hat ja dann nicht mehr viel Zeit, zu schelten.« – »Kind – du glühst! – Was wogt in dir? Was treibt dich um?« Ohne die Frage zu beantworten, fuhr Minnegard fort, heiß erregt in der engen Kemenate auf und nieder zu schreiten; sie hob die vollen Arme in die Höhe und holte tief Atem: »Mit einer Halbheit in der Seele, mit ungestilltem Sehnen, mit unbefriedigtem Begehr: – ich weiß freilich nicht, wonach! – aber nach Liebe, nach einer süßen Wonne – mit dieser schmerzenden Leere hier in der Brust – hinübergehen in das Jenseits, wo nicht geliebt wird, nicht gefreit und nicht … geküßt, also nie – in Ewigkeit nie! – erfahren, wie die Minne beglückt – das – das also wird dann mein Los? O wie traurig!« Sie blieb plötzlich hart vor Edel stehen. »Und du vollends! Du willst deinen Haß mit hinübertragen gegen den Mann, der dich so herzverzehrend liebt? Willst du dann vor den Richter treten und verlangen: bestrafe ihn!« – »Nein doch! Nein! Ich bete ja das Gegenteil!« – »Dann wird der Richter sprechen: Und du verzeihst nicht? Die ganze Welt ist vergangen, aber nicht dieses Mädchens Haß?« Die so Bedrängte erhob sich[108] rasch vom Stuhle: »laß mich! Ich kann nicht anders! Laß mich ringen im Gebet mit meinem Stolz, mit mir selbst! Laß mich wieder beten.« – »Gut, Schwester, bete! Geh wieder hinein zu dem Kreuze des Allvergebers. Junker Hellmuth ist ein Ritter ohne Makel: er kann nicht Unvergebbares verbrochen haben. Auch ich werde beten: aber nicht, daß Gott ihm, daß er dir verzeihe deinen lang nachtragenden, deinen unversöhnlichen Groll.«
Zu der gleichen Stunde saß in dem Speisesaal in dem Erdgeschosse des Bischofshauses an dem runden Tisch mit der Ahornplatte Hellmuth in stummem Brüten vor dem unberührten Weinkrug; er hatte den linken Ellbogen auf den Tisch gelehnt und das blonde Haupt auf die Hand gestützt. Da trat Fulko ein und warf zorngemut das reiherbefiederte Barett auf die Bank. »Nichts ist's!« rief er unmutig. »Der Herr Bischof beliebt wieder einmal zu fasten, nicht zu Nacht zu speisen und gönnt uns die gleiche Frömmigkeit.« »Ist gelogen, mit Verlaub, Herr Ritter von Yvonne,« lachte Supfo, der eben eintrat und eine stattlich mit allerlei Kaltfleisch gefüllte Silberschüssel auftrug, sich neben den beiden Freunden niederließ und alsbald tapfrer als beide zusammen auf den Braten einhieb. »Fasten müßt ihr heute Abend nur in der Minne, richtiger gesagt: im hungrigen Anschauen einer allerdings fast unerlaubt schönen Jungfrau. Daß sie letzteres noch ist, Herr Ritter, ist nicht Euer Verdienst.« »Verschafft sie mir zum Eheweib und ich erhebe Euch zu meinem Kellermeister,« rief der[109] Provençale und schenkte sich den Zinnbecher wieder voll. »Leichter Amt wär' es als hier,« erwiderte Supfo und trank ihm zu. »Warum?« – »Nun: immer leerer Keller, weil immer durst'ger Herr. – Übrigens, wo steckt Junker Blandinus? Der pflegt doch sonst häufig euer Abendgast zu sein! Wo läuft er noch so spät herum?« – »Jedenfalls hinter einem Weiberrock! Schad' um ihn.« – »Er ist nicht übel.« – »Nicht dumm und nicht feige.« – »Beides nicht!« – »Aber die verfluchte Eitelkeit!« – »Und die Verliebtheit! Nach allen Seiten hin!« – »Es ist ihm eigentlich gar nicht drum. Er meint nur, als Venetianer, als Dogensohn und schmucker Bursch – denn er ist wirklich hübsch! – müsse er überall um Minne werben. Wenn ich ihn nur einmal gehörig zum Fechten und Schlagen bringe! Dann kann noch ein Mann aus ihm werden.« – »Bis dahin – in ein, zwei Jahren – ist auch die schlimme Runel kein Kind mehr; und wer weiß, ob der Schwarzlockige dann nicht doch den graulockigen Schnufilo verdrängt in ihrem trutzigen Herzlein.« – »Bah, was schwatzen wir da von ein, zwei Jahren – und sind nur noch ein paar Wochen bis Sunnwend' und Weltend'! Sagt, schlauer Supfo, wie findet Ihr Euch ab gegenüber den Schrecken des Gerichts und Eurem Gewissen?« »Ich?« lachte der Dicke und schob ein mächtig Stück Rehbraten in den Mund. »Ich habe das beste Gewissen, das mir je bei einem Menschen vorgekommen ist.« – »Wieso?« – »Es ist so gut. So weinfromm. Besser als Euer Rapphengst, Herr Fulko, der beißt zuweilen: und mein Gewissen, – das beißt mich nie. Ich kann ihm viel bieten, bis es nur, warnend, schnappt. Aber beißen? Nie! – Und das andre …?« – Er hob den Becher an die Nase. (»Köstlich der Ruch, dieses weißen Leisten! –) – das andre: der Weltuntergang? – Das ist dummes Zeug!«[110] – »Aber Supfo!« Sogar Hellmuth fuhr hier aus seiner trübsinnigen Träumerei auf und warf dem Dicken einen fragenden Blick zu. Jedoch der rümpfte unverzagt die rötliche Nase, verzog den Mund wie bei einer Weinprobe und sprach bedächtig: »da hab' ich von unserem Herrgott eine viel bessere Meinung denn ihr alle.« »Wenn's aber der Herr Papst selber sagt?« forschte Hellmuth. – »Hat er's schon gesagt? Nein! Und wenn er's sagt, –« »Nun, dann aber?« meinte Fulko. »Dann ist's doch bewiesen.« »Daß er's glaubt!« schloß Supfo und stellte den Becher nieder, daß er klirrte. »Mehr nicht. Ich glaub's mal nicht vom braven Himmelsherrn. Man glaubt auch sonst gar viel, was nie geschah und nie geschieht. Diese seine Welt sollte er selbst zerstören? Wer weiß, ob er eine neue so schön wieder zusammenbrächte! Und nun gerade heuer, da wir des Trunks der Steinrebe froh werden wollen! Heuer, da in meiner Neupflanzung auf dem Harfenhügel schon jetzt – vor Johannis – alles so wundervoll abgeblüht hat. Habt ihr alle zwei den Duft nicht verspürt vor lauter Verliebtheit? – Übrigens –« er sog und schlürfte nun langsam, verständnisinnig einen Schluck durch die gespitzten Lippen (– »ah, ist das ein Weinlein! Viel zu gut für euch unmerksame Knaben! –) übrigens hab' ich eine prächtige Wetterprobe für Gewitter, Erdbeben und all' dergleichen Erfreulichkeiten. Eine Prophetissa – sagt man in Welschland –, der glaub' ich mehr als sieben Päpsten.« »Ihr redet recht lästerlich, Supfo,« sprach Hellmuth verweisend. »Für Erdbeben – Ihr?« zweifelte Fulko. »Jawohl, Herr Sänger! – Meint Ihr, nur Ihr mit Eurer Laute seid in der Welt umhergekommen. Oho! Wir waren auch schon draußen! Sind mit Kaiser Ott dem Roten unter dem Rothenburger Fähnlein in Welschland auf Heldenschaft gefahren. Lagen wir da vor Napoli,[111] der schönen Stadt. Sehr schön. Aber heiß! Und dreckig! Wir lagen vor den Thoren, als Beschirmer nämlich gegen die Saracenen. Nicht in Zelten oder Holzhütten, sondern in den Häusern der Bauern lagen wir: – sind alle von Stein vom Grund bis unters Dach. Da drüben rauchte ganz behaglich und gemütlich der Feuerberg, der Mons Vesuvius: – wir waren schon so daran gewöhnt in all' den Wochen, wie daß man den Atem sieht im Winter. Mein Hauswirt – Gaudenzio hieß der Wackere – hatte eine Katze, die liebte er mehr, beteuerte er oft, als seine gelbhäutige, schnurrbärtige Ehefrau. ›Denn warum?‹ sagte er. ›Meine Lucia kratzt nur, fängt aber keine Mäuse und verkürzt mir das Leben, während Mucia zwar gelegentlich kratzt – aber nicht mich, nur Lucia (woran sie recht thut), Mäuse fängt und mein Leben verlängert, meine schwarze Prophetissa!‹« »Wieso?« fragte Fulko. »Ja, wieso? genau meine Worte von damals! (woran man erkennen kann, was Ihr für ein kluger Knab' seid!) ›Ja,‹ sagte Gaudenzio und streichelte die Katze, die gleich schnurrte. ›Nämlich wir haben hier gar oft die landesüblichen Erdbeben. Ist weiter gar kein Vergnügen nicht, sag' ich Euch, Supfone, wenn Ihr gar nicht getrunken habt und doch wackeln müßt mit den Beinen, weil nämlich das Land unter ihnen wackelt, als habe das Land einen Rausch. Und wenn Euch das eigne Haus auf den Kopf fällt, so genau und platt, wie der Deckel auf einer Schildkröte liegt – nur, daß Ihr nicht damit davonkrabbeln könnt, sondern gar keinen Leichenstein mehr zu bestellen braucht! Nun also, kurz bevor Santo Vesuvio da drüben – Santo Januario, bitt' für uns bei ihm! – ein wenig rappelig wird über die Sünden seiner lieben Napolitaner, an die er nun doch schon seit mehr als einem Jahrtausend gewöhnt sein könnte, – aber er ist ein unberechenbarer Heiliger! –[112] also bevor der liebe gute alte Vater da drüben – mit dem dürfen wir's noch weniger verderben als mit der heiligen Jungfrau! – auch nur ein kleines rappelig wird, wird Mucia – schon ziemlich lange vorher! – ganz rappelig, miaut, wie wenn sie ihr Fleisch durch Gesang verdienen müßte, springt bald gegen mich, bald gegen die verschlossene Hausthür und ruht nicht, bis sie im Freien ist: – sie und ich auch. Nach Lucia schaut sie gar nicht um.‹ Ich begreife Eure Liebe zu dem Tier, sprach ich verständnisvoll. Nun gut: – ein paar Nächte nach dieser Unterredung weckt mich mein Gaudenzio aus dem tiefsten Schnarchschlaf: – denn der schwarzrote Amalfitaner ist gut, aber schwer! – reißt mich aus dem Strohlager und stößt mich zur Thüre hinaus ins Freie. Ich wollte ihn gerade niederschlagen, da schrie er: ›Die Katze! die Katze! Mucia hat gewarnt.‹ Und kaum senk' ich den erhobenen Arm, – da taumel' ich und wanke, als hätt' ich den Amalfitaner nicht ganz verschlafen – war aber hecht-nüchtern – und auf einmal – pardauz! – lag sein ganzes Steinhaus platt auf dem Bauch, wie ein Frosch, drüber ein Lastwagen fuhr. Die Ungewarnte lag leider darunter. Am andern Morgen zog unsere Heerschar ab. Zum Abschied schenkte mir mein Wirt seine Katze. ›Denn warum?‹ sagte er treuherzig unter Thränen. ›Brauch' sie nicht mehr. Baue kein Steinhaus mehr. Und nehme – ganz gewiß! – keine Frau mehr. Denn warum? Lucia war doch so böse, wie ich keine mehr fände. Und jetzt thut es mir gleichwohl leid um sie. Nun denket erst, wie leid mir eine sanftere thäte! Also wozu Katze?‹ So nahm ich Mucia mit. Auf meinem Rucksack quer durch ganz Welschland über den Brenner trug ich sie bis in die Heimat. Sie verläßt mich nie. Hört ihr sie draußen miaun? Ich komme, Schätzlein, ich komme. – Nun seht: merkte Mucia das bißchen Erbrechen[113] von dem lumpigen Vesuvio da drunten und jedes Erdbeblein, das dort zu Lande so häufig wie bei uns das Nießen im Schnupfen, und zeigt sie – wie sie immer thut – hier jedes Gewitter an, lange bevor es vom Königswald heraufzieht! – da wird's die Prophetissa doch wohl auch merken, wenn alsbald die ganze Welt zerkrachen soll. – Ich komme schon, Liebelein! – Ich nehme sie, – an dem Vorabend – mit in einen Ort, wo – nun, wo man dem Kern der Erde näher ist als anderwärts. Bleibt sie ruhig, bleib' ich auch ruhig. Die Zeit soll uns dabei schon nicht lang werden: denn an jenem heimlichen Orte giebt's für Mucia viele Mäuse und für mich – nun, für mich giebt's da auch was. Wir sehen uns dann schon wieder, Jungherrn. Entweder in der ewigen Seligkeit oder – was ich eine Zeitlang noch vorziehe – hier in diesem Jammerthal. Aber dann, Herr Fulko, dann singen wir erst recht das Lied, das mir von all' Euren Schelmenweisen zumeist gefallen hat!« – »Welches? Sind ja viele so nichtsnutzig, daß sie Euch gefallen können.« – »Ich meine das:
Ich komme, Prophetin des Herrn. Ich bringe dir deinen Prophetenlohn heraus,« und er nahm ein leckres Stück Braten aus der Schüssel. »Traumselige Nacht, ihr Herren. Ihr, Fulko, küsset für mich mit!« Und er humpelte hinaus und verschwand.
»Ein guter Gesell,« lachte Fulko. – »Aber ach, meine Gesellin! Nun ist es heute abend wieder nichts! Ohne den Bischof läßt uns die Tugendverwalterin und Unschuldbeschließerin und geheime Obervestalin – wie heißt sie doch? aus Schottland stammt sie – richtig: Malwine! – dadrüben gar nicht über die Schwelle am Abend. Und wie heiß hatte ich mich gesehnt, wieder einmal in das süße, klare, holde Gesicht zu schauen! Ist ja wenig genug, weiß die heilige Aphrodite! für mein wildes Begehren. Aber als der Teufel einmal sehr durstig war, trank er Wasser. Sind wir daher doch auf das Zabelspiel gekommen. Kenne keinen Zug! Aber dabei konnten wir uns doch an den Abenden manche gute Weile einander gegenüber setzen, uns – recht nahe! – in die Augen schauen und manchmal stießen unsere Finger durch Zufall aneinander, während wir auf dem Brett die Steine rückten. Denn dergleichen mußten wir schon zuweilen thun. Jüngst trat Herr Heinrich an unsern Marbeltisch im Erker, wo wir schon drei Stunden saßen – die ganze Vesper hatten wir darüber versäumt – und sprach: ›Nun, wie steht das Spiel?‹ Heilige Eulalia von Barcelona! Wir hatten in all' der Zeit ja erst einen Zug gethan. Und das lose Mädchen hatte mir, während ich ihr die Rechte drückte und ihr selig in die Augen sah, ganz verstohlen mit der Linken meinen König vom Brette genommen und in ihrem leer getrunkenen Goldbecher in Gefangenschaft gesetzt! Es war schrecklich. Lächelnd befreite ihn der Gütige, hob ihn heraus, stellte ihn auf seinen Platz und fragte: ›hoffentlich ist dies nicht noch immer das erste Spiel?‹ Er war so freundlich, mir das Lügen zu sparen: er schritt hinweg,[115] ohne meine Antwort abzuwarten. Ein prächtig Herz! War wohl auch einmal jung und heiß. Und noch jünger war Frau Theophano …« »Gieb acht,« warnte Hellmuth. »Man hört da draußen auf dem Gang, was hier so laut gesprochen wird.« »Nun,« lachte Fulko, »das flüstert man vom Danevirke bis Salerno! War sie doch Witwe! Wär' ein schönes Paar geworden! – Aber das Zabelbrett war auch sonst so willig! Konnte meinem holden Schatz stets abends meine den Tag über gedichteten Minnelieder darunter durchschieben. Wie geschickt zog sie mit den wachsweißen langen schmalen Fingerlein die Blätter auf der andern Seite heraus! Und hui! waren sie verschwunden in ihrem lang herunterhängenden Ärmel. Jetzt müssen meine armen Reime wieder Messe hören!« – »Wie das?« – »Nun ja! Morgen früh in der Kirche halte ich sie ihr wieder vor das zierliche Näslein und sie singt daraus die lateinischen Psalmen. Ist aber gefährlich! Neulich stand der fürwitzige Venetianer hinter mir, guckte über meine und ihre Schulter, las ein paar Zeilen und fragte mich lachend, ob ich das hohe Lied Salomonis in das Deutsche übersetzt hätte? Nicht schlecht! Lache doch, Hellmuth! Oder trinke wenigstens! Thu' Bescheid. Unserer Herrinnen Minne.« Aber Hellmuth schob kopfschüttelnd den Becher zur Seite. »Nun, willst du nicht reden, so höre wenigstens. Du hattest immer Freude an meinen Versen.« »Gewiß, Freund. Denn du kannst sagen, was ich nur fühlen und – leiden kann. Zwar schmerzt es, zu hören, welch' Glück erwiderte Minne gewähren mag: aber es ist ein Weh, das wohl thut mitten im Schmerz. Bitte, beginne.« Fulko war ein Dichter: zweimal ließ er sich nicht bitten. Er trank erst herzhaft, griff dann in den Brustlatz, holte ein paar Pergamentblättlein hervor und las:
Er schloß ab und that einen tiefen Trunk.
»Das Edelweiß!« wiederholte Hellmuth. »Sechsmal würd' ich sterben, könnt' ich dadurch sie – nicht gewinnen, – ach! nur versöhnen! Danke dir, mein Fulko. Deine Verse sind –« – »Bah, Verse sind's! Nicht Küsse! Bittere Tinte und trocken Pergament! Das ist all' nichts, gar nichts! Ich halt' es nicht mehr aus! Immer bloß das verfluchte Reimen von ihrem roten Mund und heißen Kuß! Morgen – ganz in der Frühe – paß ich's ab! Wenn sie aus der Kemenate tritt – immer allein: – Malwine, die Verwalterin des Anstands, hütet alsdann die Tugend noch im Traum: und Jungfrau Edel verbetet sich immer um ein Weilchen! dann trete ich hin vor diese Minnegard und fasse sie und frage sie nicht lang und küsse sie, daß sie – nun, nicht gerade ganz erstickt, aber recht beinahe.« Da sprang Hellmuth auf, legte die Hand[118] auf des Freundes Schulter und rief: »Nein! Um Gottes willen nicht! Thu's nicht! Wag' es nicht!« – »Warum nicht? Ich mein', ich kann es wagen!« – »Thu's nicht, mein Fulko! Willst du so elend werden wie – ach! wie mich viel, viel bescheidneres Wagnis gemacht hat?« Und er schlug die geballte Faust vor die Stirne. Der andre zog ihm mit sanfter Gewalt Arm und Hand herab: »Hellmuth, tapfrer Gesell! Sprich! Sprich's doch endlich einmal aus: was ist geschehen zu Worms? – Du weißt, ich bin getreu und verschwiegen!« – »Ich weiß es! Und darum sollst du – du allein von meiner Schuld, – meiner schweren Schuld! – erfahren!« Er seufzte tief. »Bin gespannt! – Alle Augen hier im Bischofshaus sahen nicht bloß, daß du … auch, daß sie dir – allmählich! – gut ward. Herr Heinrich selbst sah's auch und hatte wahrlich nichts dawider! ›Ein schönes Paar und trefflich gepaart,‹ rief er mir einmal aus dem Sattel zu, als ihr auf dem Rennweg uns entgegengesprengt kamt. ›Der liebe Gott scheint sie für einander geschaffen zu haben.‹ So werdet Ihr sie nicht scheiden wollen? fragte ich rasch. ›Ich? Junge Liebe scheiden? Ich doch gewiß nicht! – Es sei denn‹, – warnte er und sah mir scharf ins Auge – ›daß zwischen Wunsch und Erfüllung steht – ein Kloster.‹ Und als der Bischof nach Worms nur euch beide mitnahm, da sagten wir: die kommen zurück mit den Ringlein am Finger. Aber wie kamt ihr zurück! Sie wie die Eisjungfrau und du wie ein in ihren Armen Erfrorner. Was ist geschehen, sprich, an jenem Tage deiner schönsten Siege?« – »Ach, ich verfluche sie. Sie haben mir all' das Unheil angerichtet. Sieh, Fulko: du weißt, eitel und eingebildet bin ich wahrhaftig nicht …« – »Behüte! Deine Bescheidenheit ist dein größter Fehler. Könntest mir drei Viertel abgeben, – wär' uns beiden geholfen.« –[119] »So hätt' ich auch wahrlich nie gewagt, mir einzubilden, die stolzeste der Jungfrauen werde mir, bevor ich feierlich beim Bischof um sie geworben und dessen Ja wie das ihre erhalten, das geringste Zeichen von Gunst gewähren.« »Verkehrt,« meinte Fulko und trank seinen Becher aus. »Einmal muß man doch anfangen! Weib will gewonnen sein durch Wagen.« – »Als ich nun aber in dem Lanzenstechen alle – wirklich alle! – Gegner aus dem Sattel gehoben – zuletzt auch Siboto, den zähen blonden Friesen, und den starken Richard, den Grafen zu Winklarn, – nie noch hatte ich die beiden zwingen können! – und als nun rings die Drommeten schmetternd meinen Sieg verkündeten und die Herolde mich auf dem schnaubenden Roß dreimal durch den Kampfkreis führten und alles Volk mir ›Heilô!‹ und ›Siegô!‹ zujauchzte, und der Herr Bischof mir huldvoll zunickte von seiner Altane herab an Edels Seite und als ich nun heranritt, aus ihrer weißen Hand den Preis, den dreifach gewundenen Eichenkranz mit der goldenen Schnur, mir auf das Haupt setzen zu lassen, als ich sie nun vor mir sah, schön wie nie zuvor, strahlend vor Anmut und – wie ich wähnte! – auch ein klein wenig vor stolzer Freude an mir, als sie sich über mich beugte, als ich den zarten, leisen Druck ihrer beiden lieben Hände auf meinem Haupte fühlte, – da schlug ich entzückt die Augen zu ihr auf: durch mein Herz jagte das Blut in wilden Sprüngen: – die Hitze des Kampfes tobte noch nach in meinen Adern – und all' der Lärm, der Glanz ringsum, die Freude, daß sie meinen Sieg gesehen – all' das zusammen berauschte mich! Sehnsüchtig, – aus aller Kraft der Seele! – suchte ich nach ihrem Auge, nach nur Einem Blick! –
Allein beharrlich, eigensinnig, trotzig – ach! oder war es süße jungfräuliche Scham? – hielt sie die langen,[120] langen, die feierlichen Wimpern gesenkt. Ich flehte leise: ›Edel! Einen Blick – nur Einen,‹ hauchte ich. – Umsonst! – Da ergriff mich Stolz, Trotz, heiße Wut: – ich wollte mir den Blick erzwingen, wie ich mir den Sieg erzwungen. Mit der Rechten griff ich – kein Mensch konnte es gewahren, der dichte Kranz und ihr vorflutend Haar verbargen völlig meine Hand – ganz leis an ihr Kinn und hob es mit Gewalt empor: ›Einen Blick!‹ wiederholte ich dringend! –« – »Nun? Da sah sie auf?« – »Ach ja! Da sah sie auf! Da erhielt ich einen Blick, aber welchen Blick! Wie blaues Feuer blitzte mir Zorn, Haß, Empörung, Verachtung entgegen aus den sonst so sanften Augen. – Sie bog sich zurück, soweit sie irgend konnte, ach! mir war, zwei scharfe Pfeile flogen durch mein Herz! Ich wankte im Sattel: – in Verzweiflung sprengte ich aus der Stechbahn: – draußen glitt ich besinnungslos vom Gaul! ›'s ist die Hitze, die schwere Rüstung‹, hieß es. Ach wär' ich nicht mehr aufgewacht! – Seitdem hab' ich sie verloren für Zeit und Ewigkeit. Nie – ich kenne dieses Herz von Diamant! – niemals verzeiht ihr gekränkter Mädchenstolz.« Und er brach zusammen auf der Bank und stützte die Stirn auf die Hand. »Hm! Armer Freund!« sprach Fulko nach einer Weile. »So hat sie dich denn wirklich nie geliebt? – Denn liebt ein Weib, – ein echtes Weib – und ich will das dieser herben Edel nicht bestreiten, – so verzeiht es, unter Thränen, ja im Zorne lächelnd, der Kühnheit des Geliebten. Und was ist es denn, was du gewagt? Gar nichts! – Nein, Hellmuth,« – er sprang auf – »dein Geschick kann mich nicht warnen. Nein! Geht wirklich demnächst die Welt zu Grunde, dann …! Bei einem Kuß laß ich's dann nicht bewenden. Dann, schöne Minnegardis, wirst du mein, magst du darüber grollen oder[121] nicht. Liebst du mich aber – wie ich's hoffe! – mitten im Grolle wirst du verzeih'n und – selig sein in diesen Armen. – Komm, Hellmuth, laß uns schlafen. Es wird spät.«
Der Blonde erhob sich nun ebenfalls. »Ich schlafe nicht. – Auch ich habe mir ausgesonnen – bin nur über eins dabei nicht aufgeklärt! – wie ich die letzte Stunde dieser Welt verbringen, wie ich sterben werde. Nicht so süß umarmt wie du und nicht so weich gebettet: – aber auch nicht übel umarmt und auch nicht übel gebettet: – hart, jedoch herrlich. Allein vorher muß ich noch manches erkunden. – Schlaf wohl! Ich reite aus!« – »So spät! Wohin? Zu wem?« »Zu wem?« lächelte Hellmuth grimmig. »Nicht zu einem Liebchen. Vielleicht – zum wilden Jäger!«
Und klirrend in seinen Waffen schritt er hinaus.
Angesehene Leute fanden in jenen Zeiten auf ihren Reisen fast immer Unterkunft bei Gastfreunden; auf dem flachen Land in Burgen der Ritter oder in Höfen der bäuerlichen Landsassen, in Klöstern oder in den – freilich noch seltenen – Städten in den Häusern der Burgensen. Die schmutzigen Herbergen in den Dörfern und Städten aufzusuchen und darin zu nächtigen, vermied man gern: es ging gar unsauber, wüst und lärmend darin her. Häßlich und unbehaglich sah es denn auch aus in einem solchen Leuthaus des Nordgaues südlich der Eger nahe der Mark der böhmischen Berunzanen. In der großen Schenkstube[122] lag auf den löcherigen Dielen schmutzig Schilf; und nicht nur von ehrlichem Ruße waren die Wände aus ungehobeltem Kiefernholz so dunkelfarbig geworden; ein paar rote Flecken in dem Schmutz des Bodens verrieten verdächtige Ähnlichkeit mit der Farbe des Blutes.
Um den viereckigen Schenktisch – dessen Platte ein mittendurch zersprungener Schieferstein bildete, sie ruhte auf vier geschrägten Balken – saßen auf niedrigen Schemeln, rohen Eichstrünken, zwei Männer in eifrigem, oft im Flüsterton geführtem Gespräch. Die lange nicht mehr gesäuberte, hohe, schmale enghalsige Zinnkanne und zwei Becher aus leichtem Tannenholz enthielten ein gelblich braunes, säuerlich riechendes Getränk; nur einer der Gäste sprach ihm zu: der andere – in geistlicher Tracht – schob mit widerwilliger Handbewegung seinen Becher so weit von sich hinweg, daß der Geruch des Nasses ihm nicht mehr in die Nase steigen möchte. »Ihr trinket gar nix, Archidiakon?« fragte der eifrige Zecher in einem Deutsch, dem slavische Zischlaute einen seltsamen Anklang liehen. »Verbietet's ein Gelübde? Oder eures Magens Eigenart?« »Mein Gaumen gebietet mir und meines Wesens Eigenart, nur Wein, – guten Wein – zu trinken, nicht dies Gärgebräu, das zu einer gewissen Ähnlichkeit mit kahnigem Traubensaft verdorben ist und das diese deutschen Barbaren Bier nennen.« »O, ist nix schlecht,« meinte der andere und füllte sich den Becher aufs neue. Obwohl es ein warmer Sommerabend war, bestand seine Tracht aus Pelz: sein enganliegendes, bis an die nackten Kniee reichendes Wams war aus vielen hunderten von schwarzen Maulwurfsfellen zusammengenäht; um die Hüften hielt es ihm ein breiter Dolchgurt aus mattem schwarzem Leder zusammen: die Waden steckten in Strümpfen aus dem gleichen schwarzen Rauhwerk: die Schuhe wurden ersetzt durch strohgeflochtene[123] Sohlen und ein Kreuzgeschnür von dunkeln Riemen. Die sammetschwarzen und sammetweichen, jeder Biegung der geschmeidigen Glieder sich eng anschmiegenden Fellchen sahen aus wie die angewachsene Haut selbst des Wenden und gaben ihm bei seinen weichen, katzengleichen Bewegungen Ähnlichkeit mit einem schwarzen Panther.
Aus dem dunkelbraunen Gesicht über den häßlich vorstehenden breiten Backenknochen zu beiden Seiten der aufgestülpten Nase funkelten ein paar tiefschwarze, aber feurige Augen; der Bart war glatt abgeschoren, ausgenommen zwei sehr lange schmale Stränge des Schnurrbarts, welche ihm rechts und links vom Munde hingen: er strich und drehte daran unablässig mit der Linken. Auf dem schwarzen, kleingekrausten Haar saß ihm schief, aber kecklich, eine hohe viereckige Mütze aus dem gleichen schwarzen Fell, von dem ein paar schwarz-weiße Elsterfedern grell abstachen; die rechte Hand fuhr ihm öfter an den Horngriff des langen krummen Säbels als für die Gemütlichkeit der Unterhaltung ersprießlich war: gereinigt war alles, was er am Leibe trug, niemals worden und der Leib selbst recht selten. »Ist ganz gut hinunterschütten,« wiederholte er, den Becher niedersetzend und sich den triefenden Schnauzbart mit der Rückseite der Hand wischend. – »Ja, Ihr seid nicht verwöhnt, Herr Berunzane. Weder in Trank noch in Speise. Wahrscheinlich habt Ihr all die armen Schermäuslein auch verspeist, denen ihr die weichen Wämmslein abgestreift.« – »Aber gewiß! Leckerer Braten! Besser sogar noch als Engerlinge! Sind wir nix so reich, wir armen Brüderlein, wie diese Deutschen.« – »Wißt Ihr auch warum, mein Fürst?« – »Oh ja. Weil nix arbeiten, wie die Bauerntölpel. Deutschen ist Hand gewachsen zum Pflugziehen, uns, zu nehmen, was Deutscher erarbeitet hat.« – »Ja, ja, Eure Leute treiben's arg mit Stehlen im Nordgau.[124] Deshalb will ja Euch und Eure Haufen weder Ritter noch Freibauer noch Abt aufnehmen in Burg, Hof oder Kloster. Deshalb muß ich heute in diesem übelstinkenden Bretterverschlag mit Euch sitzen, Fürst Zwentibold, Spithinieffs edler Sproß!« – Der Fürst der Maulwürfe zuckte die Achseln: »Ich hab' Euch nix gesucht, Ihr mich. Und was wir zu verhandeln hatten, brauchte weder Laie noch Pfaff zu hören.« – »Wir sind nun doch einig – in allen Stücken?« – »Ganz einig. Der Handel gilt: ›Blut gegen Gold‹. – Nur eines wurmt mich noch.« – »Und das wäre, wackrer Held?« – »Daß Ihr mir nur die Hälfte des Geldes ausgezahlt habt.« – »Die andere nach dem Sieg.« – »Das will sagen: Ihr traut mir nix. Aber ich soll Euch trauen. Und seht, Herr Archipfaff, das ist zu viel verlangt.« – »Herr Wende!« – »Nun ja! Schaut, ich und meine lieben Wölflein, – wir sind hier fremd im Land. Daß wir – gegen gutes Gold! – gern gegen die verhaßten Deutschen losschlagen, daß wir gerne dazu helfen, wenn deutscher Bischof gegen deutschen König kämpft und Königsgraf, – das! – beim großen Zrnbog! – das mag man füglich von uns glauben. Wer aber bürgt uns, daß Ihr Euch nicht wieder vertragt mit den anderen Deutschen? Wer bürgt für die Zähe Eures Hasses? Ihr seid …« – »Kein Deutscher!« – »Wohl, wohl. Weiß! Seid Lombarde! Aber Kaiser Otto ist auch Euer Landesherr. Wie Deutschland gehöret ihm Lamparten!« Da erschrak der Wende: denn der sonst so kühle Priester schlug plötzlich mit der Faust auf die Schieferplatte, daß die Becher aufhüpften: und tödlicher Haß sprühte aus den dunkeln Augen unter den starken Brauen, als er mit einer vom Zorn halb erstickten Stimme hervorstieß: »Ja, leider! Fluch ihm dafür! Fluch und Verderben allen Deutschen.« »Beim schwarzen Zrnbog!« rief der Slave, zurückprallend[125] auf seinen Schemel. »Welche Wuth! Woher?« »Woher? Warum? Weil …! Wohlan: Ihr sollt' es wissen! Ihr müßt sogar darum wissen, sollt Ihr das eine – das letzte – verstehen, was wir noch nicht beredet haben und was mir doch das Wichtigste von allem.« Mißtrauisch fuhr der Häuptling an den Schwertgriff und warf die dicken wulstigen Lippen auf: »Nix einen Finger rühr' ich über das Versprochene hinaus für das wenige Geld, den Bettelsold. Ein Knicker ist er, euer Bischof von Würzburg.« »Es ist nicht viel,« gab der Priester zu: »Nicht meine Schuld! Der Weichmütige wollte nicht einmal diesen Betrag – ›einstweilen nur!‹ – seinen frommen Bauten entziehen. Säße ich auf dem reichen Stuhl des reichen Würzburg, – Euer Lohn sollte …! Aber Ihr fragt, woher mein Haß gegen diesen Kaiser-Knaben, gegen alles, was Deutsch? O der Haß ist trefflich begründet. Ihr wißt nicht, wen Ihr vor Euch habt, tapferer Häuptling.« – »Den Archidiakon von Würzburg,« sagte dieser, offenbar ohne sehr hohe Meinung von einem solchen Wesen. – »Gott sei's geklagt! Aber in des Priesters Adern fließt königliches Blut.« – »Das wäre!« staunte der Wende und riß die Augen auf. »Und ging' es nach Recht und Gerechtigkeit, so säße ich in diesem Augenblick statt in dieser schmutzigen deutschen Herberge auf dem goldenen Throne zu Pavia und dies Haupt trüge, statt der Tonsur, die Königskrone des Lombardenreichs.« – »Ihr seid …?« – »Ich bin der Sohn Berengars, des letzten rechtmäßigen Königs von Italia, und der einzige Erbe seines Rechts und seiner Krone. Mein armer Vater! Überwunden und gefangen von jenem schrecklichen eisernen Otto, verbannt für immer aus unserer schönen Heimat starb er – hier in der Nähe – zu Bamberg. Anmaßer, Gewaltherren, Thronräuber, Tyrannen sind alle Ottonen wie jener erste, der[126] meinem Vater das Scepter aus der Hand riß.« – »Aber,« wandte der Slave ein, »in Welschland sagte man mir, die Welschen selbst haben jenen ersten Otto ins Land gerufen, damit er endlich Ordnung und Ruhe …« »Tyrannen sind sie!« schrie der Lombarde, ohne auf die Worte zu achten. »Auch mich, ein Knäblein damals, hat der fremde Zwingherr mit meinen Eltern über die Alpen geschickt in dies Land voll Eis und Nebel und nach des Vaters Tod zu Würzburg erziehen lassen.« – »Das war unvorsichtig, sehr! Bei uns zu Land erdrosselt man die Knaben besiegter Fürsten.« – »Teuflisch grausam war es! Denn in einem Kloster – zum Priester! – ward ich erzogen. Der Welt, den Waffen sollte ich für immer entrückt, unschädlich sollte ich gemacht werden. Ein Pfaffe kann Italien nicht befreien vom Joche der Barbaren! Und doch ist die Lust an weltlicher Macht, die Gier, zu herrschen, ja – und ich fühl's! – auch die Gabe, zu herrschen, Land und Leute zu regieren, staatsmännische Pläne zu schmieden mit des Vaters Herrscherblut auf mich vererbt. Statt dessen – was bin ich?« – »Nun, wie sich soeben zeigt, auch in weltlichen Dingen nix ohne Gewalt: – die rechte Hand eines deutschen Kirchenfürsten …« – »Verschling' ihn der Abgrund der Hölle!« schrie der Lombarde. – »Hui, welch heißer Haß! Und dennoch dient Ihr ihm so eifrig? – Wie soll ich das verstehen?« – »Ihr müßt's verstehen lernen! Hört weiter! Als ich zum Jüngling, zum Manne herangewachsen war und den Frevel begriff, den diese Deutschen an meinem Vaterland, an meinem Vater, an mir begangen, da knirschte ich in das Gebiß, mit dem sie mich wehrlos gemacht hatten. Tag und Nacht sann ich darauf, es abzustreifen. Aber tief verbarg ich Haß und Groll und Hoffnungen! So gut gelang mir die Verstellung, daß ich das vollste Vertrauen[127] der häufig wechselnden Bischöfe in der Mainstadt gewann. Bald ward ich ihr Apokrisiar, Vorstand ihres gesamten Urkundenwesens: diesseit der Alpen lebt kein zweiter, der dies Schrifttum so fein versteht. So konnte es geschehen – daß … O ich hatte jahrelang nur gehofft, als Flüchtling über die Alpen zu entkommen, um dort ganz Italia zur Freiheit aufzurufen, mein Königsrecht mit dem Schwerte zu verfechten. Und nun geschah das Wunderbare, daß mich Bischof Poppo – der zweite dieses Namens – selbst mit sich nahm auf einer Romfahrt. Wie erglühte mein Blut! Wie pochte mein Herz, als ich jenseit der Berge zuerst lombardischen Boden betrat, mein Erbgut! Wir weilten viele Monate in Pavia, in Mailand: Zeit übergenug für einen Kopf wie ich, einen Aufstand vorzubereiten. Und, – bei meines Vaters Grab! – ich war nicht müßig. Aber Schmach und Verderben! Was mußte ich erleben?« – Und er verstummte vor Ingrimm, warf beide Arme aus den Tisch und legte das Gesicht darauf. – »Nun? Was ist? Nix traurig werden!« – »Was antworteten sie mir? Sie, meine Landsleute, meine Stammesgenossen, ging's nach dem Rechte – meine Unterthanen! ›Nie – solange wir zurückdenken mögen und unsere Jahrbücher berichten – nie seit den Tagen des großen Carolus, hat solch weise, friedliche, und doch starke, Recht schirmende Herrschaft gewaltet in unserm Heimatland von Verona bis Benevent und Napoli, wie unter diesen rotbärtigen Ottonen. Das Land ist glücklich und zufrieden – laß es so!‹ – Und da ich nicht abstand, zu schüren, zur Freiheit aufzumahmen, da drohten sie, – meine eignen Vettern in Pavia! – mich dem deutschen Zwingherrn anzuzeigen! Ah Schmach und Weh! Vernichtet war da, zertreten für immerdar all' mein Hoffen, des Vaters Krone mir wieder zu erkämpfen, diese knechtischen Seelen zu entflammen.[128] Ich eilte nun nach Deutschland, nach Würzburg zurück. In der entarteten Heimat Macht und Herrschaft zu gewinnen, – ich hatte es erfahren! – war unmöglich. Allein ich wußte längst, ich sah es täglich vor Augen an Köln, und Mainz, ja auch an Würzburg, wie im deutschen Reiche Männer von Geistesschärfe und Willenskraft – lange nicht soviel davon eignete ihnen wie dem Königssohne von Italien! – von ihren Bischofssitzen aus den Staat leiteten – den deutschen und den italischen dazu. König von Italien konnte ich nicht werden, aber Kanzler des deutschen Reichs wie der Kölner, – wie schon so mancher Bischof das ward. Und einstweilen war es auch nicht übel, als Bischof von Würzburg zu walten! Unablässig war ich daher bemüht, die Gerechtsame dieses Bischofs zu erweitern, durch erbetene Verleihungen des Königs, durch Geltendmachung alter, vergessener Ansprüche, die oft nur durch meine Gelehrsamkeit – oder ›Findigkeit!‹ – aus Urkunden, die ich erst wieder entdeckte, zu erweisen waren. Sie staunten über mich, die blöden Thoren, Bischof und Domherren! Sie lobten, sie lohnten meinen unermüdbaren Eifer für Sankt Burchhards Recht, wie sie es nannten. Diese deutschen Tölpel! Als ob ich mich für den ersten lange toten oder auch für den jetzigen lebendigen Bischof zu Würzburg also mühte! Nein: für den nächsten Bischof: und der sollte heißen: Berengar!«
»Ah, verstehe jetzt. Versteh! Nix dumm!« nickte der Fürst, kratzte sich eindringlich, – aber vergeblich am Kopf und trank.
»Drei Bischöfe – Poppo, Hugo und Bernward – hatte ich, höher und höher steigend in geistlichen Würden, erlebt. Nun hatte ich allen Grund, anzunehmen, – mein Amt als Archidiakon, als Apokrisiar, meine von allen laut anerkannten Verdienste um das Bistum gaben mir[129] ein Recht dazu – bei der nächsten Erledigung des Stuhls könne keinen andern die Wahl treffen als mich. Ich zählte schon so fest darauf, daß ich – vielleicht unvorsichtig! aber wie hatte ich mich jahrzehntelang zusammengehalten! – den Stolz, das Gefühl des geborenen Herrschers, der Überlegenheit fühlen oder doch erraten, ahnen ließ – kurz, Bischof Bernward verfiel in seinen letzten Zeiten in Mißtrauen, wirkte bei dem Kaiser, bei den Domherren gegen mich und als er starb, der alte Rothenburger, da folgte ihm nicht ich, sondern sein Neffe Heinrich!« – »Ja, der Rothenburger,« knirschte Zwentibold und griff ans Schwert. »Der arge Wolf des Waldes fresse seine Seele! Was hat er uns früher viele Brüderlein erschlagen.« – »Dieser höchst ungeistliche Graf, der erst vor ein paar Jahren – plötzlich – der Welt entsagt hatte! Dieser Weltling schnappte mir mein schwer verdientes Bistum weg! Bei meines Vaters Grab! Er soll's nicht lang mehr tragen.«
Zwentibold lehnte sich zurück, blinzelte dem Priester zu und wölbte die dicken Lippen zu einem gelinden, aber ausdrucksvollen Pfeifen: »Ahi! Aho! Fange an zu begreifen!« – »Das geht – scheint's – langsam, Fürst, bei Berunzanen wie bei Deutschen. Meintet Ihr wirklich bisher, für eines andern Macht müht sich der Königssohn Italiens so emsig ab, feilscht um die Hilfe Eurer wilden Horde, begiebt sich in hohe Fährlichkeit? Denn Reichsverrat ist was wir treiben: – ich, mit Wollust, in klarem Bewußtsein: – der ehrenfeste Bischof unbewußt, aber doch mit mahnendem Gewissen. Das Leben kann mir's kosten: – im Gefecht oder – nach der Niederlage: – am Galgen. Denn Graf Gerwalt versteht keinen Scherz.« »Mich wundert doch,« sprach der Wende, kopfschüttelnd, »daß es der Rothenburger thut. Er focht so treu für dieses Reich.« – »Gerade so treu ficht er jetzt für seines Bistums Recht.[130] Aber Ihr habt nicht Unrecht. Ich hätte ihn nicht soweit getrieben ohne einen glücklichen Zufall. Der Graf, dem er den Gau zunächst abkämpfen muß, dieser Graf Gerwalt, – er haßt ihn tödlich.« – »Warum?« – »Weiß nicht. Man flüstert in der Stadt, der Graf habe ihn ausgestochen in der Gunst der schönen Kaiserwitwe. Ich entdeckte diesen Haß, als – erst ganz vor kurzem – Gerwalt, bisher Graf des Deutzgaues gegenüber Köln, den Waldsassengau mit Würzburg erhielt. Der Rothenburger wurde glutrot vor Zorn bei der Nachricht. Erst seit es gegen Gerwalt fechten heißt, will er – im Notfall – fechten. Im Notfall! wie er meint: denn erst will er den Spruch des Reichstags abwarten: – nur falls dieser sein sonnenklares Recht nicht anerkennt …« »Kann nix solang warten,« grollte der Slave. »Gewiß nicht! Deshalb hab' ich, statt Euch erst Wartegeld zu zahlen, gleich fest mit Euch abgeschlossen. Wann brecht Ihr auf?«
»Sobald mein frischer Zuzug eingetroffen aus Tethin: zweihundert Lanzen!« – »Gut! Seid Ihr einmal – in seinem Namen – eingebrochen in den Gau, kann er nicht mehr zurück. Er darf nicht mehr Zeit haben, zu bereuen. Deshalb wollen wir auch gleich wegziehen von hier und unsere Spur verbergen, damit mich seine etwaigen Boten nicht finden und abrufen können. Denn es gelang mir doch nur dadurch ihn fortzureißen, daß ich dem verhaßten Grafen Droh- und Hohnworte in den Mund legte, die dieser nie gesprochen! Ich erfand sie – jenem Gerücht angepaßt! Das half! Wie der Stier aufs rote Tuch stürmte der plumpe Deutsche darauf hin los. Aber nun merkt auf. Jetzt kommt die Hauptsache. Der Rothenburger –« er stand auf, trat vor die halb offene Thür in das Freie und überzeugte sich, daß dort niemand das Ohr an die dünne Bretterwand lehnte. Dann kam er[131] zurück, warf einen Blick in die anstoßende Küche, sah, daß diese völlig leer war, trat nun dicht an seinen Verbündeten heran und flüsterte diesem in das Ohr: »der Bischof darf seinen Sieg nicht überleben.« »Aha,« nickte der Slave. »Meint Ihr, ich will noch jahrelang in seinem Dienst, als sein Knecht, zusehen, wie er mit den von Kaiser Karl verliehenen Rechten den Gau beherrscht, den er mir verdankt? O nein! Ohne Zweifel werde ich zu seinem Nachfolger gewählt: – er selbst hat im voraus, falls er stürbe, die Stimmen des Kapitels für mich gewonnen: – so möge denn sein eigener Wunsch geschehen: – aber bald.« – »Jedoch wie soll …?« – »Merkt auf! Er wird nicht fehlen in dem Gefecht! Er läßt sich's nicht nehmen, selbst den Überfall der Burg – denn die vor allem müssen wir nehmen! – zu leiten.« – »Ich führe meine Wölflein selbst,« erwiderte der Häuptling schroff. »Und nicht schlecht, glaubt mir. Hab' was gelernt im Dienst der Byzantiner! Nix so tölpelig bloß dreinschlagen wie diese Deutschen!«
»Schon gut. Aber der Rothenburger kämpft jedenfalls mit. Nun wohl! Nach dem Sieg – den soll er uns noch erkämpfen helfen! – fliegt nicht ein Pfeil oft irr im Gefecht? Auf der Verfolgung der Fliehenden? Kann ihn nicht ein Geschoß – falsch gezielt – von Euren eigenen Leuten treffen?« Zwentibold sprang auf: »Oder ein geworfenes Messer! Sind vergiftet. Ein Hautritz – muß sterben. Fehle nie meinen Mann. Es gilt! Aber dann …« – »Das Doppelte!« – »Nix genug.« – »Wie, Unersättlicher? Ich bringe – auch als Bischof – nicht mehr auf.« – »Nix mehr an Geld. Erst das Doppelte. Dann – andres. Ist wilder, lustiger! Vorerst: meine Wölflein müßt Ihr auch in die Thore hinein lassen.« – »Er will's zwar nicht. Aber der Überfall der Burg – der Kriegsmann in ihm wird's einsehen –[132] gelingt am sichersten so. Ihr sollt hinein!« – »Hui wohl! Dann – liegt er erst tot – nix zahm die Hand hinhalten, wie Bettler um Geschenklein – dann –« Die Augen des Slaven funkelten, wie die des Raubtieres, das zum Sprunge niederduckt. »Nun, was dann?« »Plündern!« stieß Zwentibold hervor mit schnalzender Zunge. »Nur zwölf Stunden! Mit Brand und Blut und – nix zu vergessen! – die Weiblein küssen, – ohne kirchlichen Segen. Ihr wißt, wir brauchen den nix,« höhnte er, »sind nix getauft!« – »Das muß ich doch …« – »Erst überlegen? Nix! Herr Bischof Berengar muß!« Seine Faust fuhr an den Schwertgriff. »Oho! Es giebt der Söldner noch mehr.« »Wohl«, lachte der Häuptling, daß seine weißen Zähne blitzten. »Aber Zwentibold, Spithinieffs Sohn, kennt jetzt des Herrn Archidiakons Geheimnisse.« »Was wollt Ihr damit sagen?« fragte der Lombarde, scheinbar ruhig, aber er ward ganz bleich unter seiner gelben Haut.
»Ihr seid nix so dumm, das nicht zu erraten! Entweder Ihr thut nach meinem Willen oder ich fange an, Geschichtlein zu erzählen. Dankbare Hörer, gut zahlende, werd' ich finden: den Herrn Kaiser, den Grafen Gerwalt und – nicht zum mindesten – den Bischof Heinrich.« Er sprang auf. Berengar that desgleichen und reichte ihm die Hand. »Es sei! Ich gönn' es diesen Deutschen!«
Es war ein strahlend schöner sonniger Sonntag im Brachmond, ein paar Stunden nach Mittag: da wogte auf den weitgestreckten Gemeindewiesen vor der Vorstadt »auf dem Sande« eine festlich-fröhliche Menge.
Denn der Verband der Bogenschützen feierte die Wiederkehr des Tages, an dem vor fünfzig Jahren König Otto der Große ihnen durch einen Gnadenbrief die Rechte einer Genossenschaft und allerlei Freiheiten und Befugnisse verliehen, auch die königliche Kammer angewiesen hatte, alle fünf Jahre drei große Stückfässer Wein der Schützenschaft zu verabreichen, wenn sie an diesem Tag ein Bogenschießen halten wolle; sie hatte es immer gewollt!
Auch heute drängte sich da draußen vor dem Südthor so ziemlich alles, was die Beine rühren und die enge, heiße Stadt verlassen konnte: denn zur Lustbarkeit ließen sie sich schon damals recht leicht bewegen, die guten Burgensen der fröhlichen Stadt am Main.
Männer und Weiber, diese gar oft ganz kleine Kinder auf den Armen oder auch auf dem Rücken in einem Huckekorb oder einer »Butte« festgebunden tragend, Laien und Priester und Mönche, bischöfliche Dienstmannen, Pfahlbürger und zumal auch viele Bauern und Winzer aus den benachbarten[134] Dörfern und Höfen wallten und wogten hier durcheinander; es fiel auf, daß die Reisigen des Grafen fehlten: aber die wenigen, welche ihm nicht über die Alpen gefolgt waren, durften die Burgwacht nicht verlassen.
Gerade an der Stelle, wo sich heute die Straßen nach Randersacker und nach Heidingsfeld gabeln und wo auch dermalen – gegenüber dem Ehehaltenhause – ein Wirtshaus steht, hatte ein Wirt für das allzeit durstige Völklein – denn die drei Fässer reichten bei weitem nicht! – zu dem Festtage eine sehr bescheidene Schenke aufgezimmert: über ein paar tannenen Tischen und Bänken spannte sich, von belaubten Birkenstämmlein getragen, aus Segeltuch ein lustiges Gezelt: grüne Gewinde von Schilf und Zweigen waren darüber hingezogen: oberhalb des Eingangspförtleins schwankte ein Kranz von Rebenblättern: roter Teufelsabbiß, weißer Ehrenpreis, zierlicher Frauenschuh waren hineingeflochten.
Hastig lief der Wirt, der sonst gar behäbige Bezzo, mit den Zinnkrügen und Holzbechern voll billigen weißen Weines zwischen den Bänken auf und ab, sein rosig Töchterlein zu gleichem Eifer mit manchem Scheltwort treibend. »Röschen! daß dich der Donner verschlag! Was steckst du wieder solang bei dem Schlingel von einem Waffenschmied? Und der würdige Kapellan von Sankt Burchhard und sogar der Nachbar Spedilo, der brave und gerechte Büttnermeister, müssen schier vor Durst verschmachten! Der Bettelbub, der Scheibennarr zahlt dir doch nie ein Handgeld über die Schuldigkeit hinaus.«
Verschämt wischte sich die Kleine das Mündchen: »Ei, ich bin mit dem Mundgeld zufrieden!« und eilig sprang sie nun zu der Bank, wo mehrere Geistliche und ältere angesehene Bürger der Stadt um einen weißgescheuerten Ahorntisch versammelt saßen, dabei der dicke Büttner, der[135] sich vergeblich bemühte, der Flinken den Arm um die schlanken Hüften zu legen; der junge Waffenschmied aber rief, sich das braune Bärtchen streichend: »Ei, Vater Bezzo, Ihr müßtet von Rechts wegen dem Gast noch Mundgeld obendrein zahlen, der Euern sauern Rostputzerwein hinunterwürgt.«
»Gelbschnabel, unverschämter! Für dich wird wohl eigens Herr Supfo den Edeltrank vom Stein- oder vom Harfenhang schenken? Wann zahlst du deinen letzten, vorletzten und drittvorletzten Trunk?« – »Auf der Hochzeit mit Röschen, Vater Bezzo!« – »Der Teufel ist dein Vater.« – »Nein, der wird ja mein Schwiegervater!« – »Ich werd' euch,« grollte von dem geistlichen Tische her der Baß des Kapellans, »wer nennt da so keck den üblen Höllenwirt? Dann kommt er gar rasch herbei.« »Fürcht' ihn nit!« lachte der Waffenschmied, »ich schieß' ihn zusammen auf fünfhundert Schritt wie einen alten Auerhahn. Mein früherer Herr, Junker Hellmuth, hat's gesagt: zwei Burschen wie er und ich reiten allen Teufeln entgegen. Da kommt der Ritter! Er soll euch zeigen, daß er noch viel besser schießt als ich.«
Damit sprang der hübsche Bursche auf und eilte einem ansehnlichen Zug entgegen, der eben von der Stadt her auf die Festwiese gelangte. Es war der Bischof selbst, begleitet von vielen seiner Geistlichen, von seinen Junkern und den Edelfräulein. Während Herr Heinrich von den Ältesten der Schützengilde ehrerbietig empfangen und mit seinem geistlichen Gefolg in eine vorbehaltene festlich geschmückte Laube geleitet ward, mischten sich seine weltlichen Begleiter unter die Menge.
»Ich hörte schon unterwegs,« begann Hellmuth, »von Gästen, die von der Wiese bereits nach Hause trachten, wer heute – wieder einmal! – den besten Schuß gethan.« –[136] »Ja, bis jetzt – weil Ihr nicht mit geschossen. Kommt, Herr! Bogen und Pfeile liegen bereit. Dort: den Rebhügel aufwärts, vor der Weinbergmauer des Geigilo steht die Scheibe. Nun reißt die Augen auf, ihr Stümper: jetzt sollt ihr sehen, was treffen heißt.« »Ich schieße nicht mehr – im Spiele, Gericho;« düsteren Blickes schritt er weiter. »Wie schade! – Bei dem letzten Wettschießen, mein Röslein« (denn sie war schon wieder an seiner Seite! –) »zu Werthheim traf ich das Rote so genau in der Mitte, daß ein besserer Schuß nicht möglich schien. Aber was that er? Was that mein Herr? Er traf doch noch viel, viel besser. Denn er schoß meinen Pfeil mitten entzwei. – Wo lebt – alles in allem – ein junger Held seinesgleichen?«
Diese Worte schlugen an Edels Ohr wie sie, vom Gedräng aufgehalten, mit Minnegard einen Augenblick verweilen mußte: sie schlug die Augen auf, glühendes Rot schoß aus dem stolzen, verhaltenen Herzen in die bleichen Wangen bis unter die lieblich krausen Haare über der Stirn; ganz verstohlen, von keinem gesehen, flog von der Seite ein leuchtender Blick stolzer Freude über die edle Gestalt des Jünglings hin. Aber auch die folgenden Worte Gerichos, obwohl er sie seinem Liebchen leise zuflüsterte, vernahm ihr feines Ohr.
»Der Unselige! Ganz verwandelt ist er. Er lacht nicht mehr. Sogar Roß und Speer, und all' seine Waffenfreude sind ihm verleidet. Er muß verzaubert sein von irgend einem Neider, der ihm den vielen Ruhm nicht gegönnt hat. Wüßt' ich den Zauberer, ich riß ihm das Herz aus dem Leibe.«
»Vielleicht ist's eine Zauberin, die ihn verwunschen,« meinte Rosbertha mit leisem Grauen. »Es giebt solche. Er ist gar schön. Vielleicht that's Eifersucht – verschmähte[137] Liebe.« – »Oder auch: er grämt sich um ein Weib.« Hastig schritt Edel fürbaß, Minnegard an der Hand mit sich ziehend.
»Nun, Nachbar Bezzo,« rief der dicke Büttner dem Wirte zu, »wann endlich schließen wir ab? Ich bin jeden Tag bereit, den Muntschatz zu zahlen – soviel Ihr fordern mögt. Ich kann's! Ich hab's liegen. Ich bin ein Mann, der Frau und Kind ernähren kann.« »Könnt Ihr sie auch beschützen?« fragte Gericho, blitzenden Auges hinzutretend. »Schämt Ihr Euch nicht, alter Kahlkopf? Rösleins Großvater könntet Ihr sein!« »Immer noch jung genug,« erwiderte der Dicke, »dich, Nestling, zu züchtigen«: und er holte mit der Rechten, zornig aufstehend, zum Schlage aus. »Ihr? mich?« lachte der. »Versucht's! Für Euch brauch' ich nur die Linke. Da! Seht! Meine Rechte leg' ich auf den Rücken – so! – und rühre sie nicht, bis Ihr am Boden liegt. Kommt an!«
»Nachbar,« meinte Bezzo, »das könntet Ihr wagen, mein ich. Gebt dem Keckling eine Lehre.« Sichtlich nicht gerade gern befolgte Spedilo seines Freundes Mahnung, hob die beiden Fäuste und schritt drohend gegen den Burschen heran.
Der unterlief ihn, schlang den linken Arm um seinen Leib und, ohne den rechten Arm vom Rücken zu lösen, lupfte er den schweren Gegner ein wenig in die Höhe, drehte ihn um und warf ihn bäuchlings in das weiche Gras der Wiese. Lautes Gelächter, tosender Beifall erscholl von allen Seiten und Gericho hob nun die Rechte, dem schwerfällig sich Aufrichtenden einen herzhaften Schlag auf die untersten Grenzgebiete seines Rückens zu versetzen.
Aber mitten im Ausholen hielt er ein: er lauschte, vorgebeugt, flußaufwärts und rief: »Halt! Haltet an![138] Still ein wenig! Was ist das?« Und er ließ den erhobenen Arm sinken. – »Jawohl! Stille!« – »Horcht! Gebt Ruh.« – »Was für ein Gedröhn!« – »Dort von Mittag her – auf der großen Straße!« – »Sind's Feinde?« – »Die Hunnen kommen wieder!« rief entsetzt ein altes Weiblein. »Nein! Es sind Drommeten!« – »Nein! Posaunen!« – »Aber nicht das deutsche Heerhorn!« – »Und Grabgesänge tönen drein!« – »Wie schauerlich!« – »Immer näher kommt's.« – »Schon sieht man die Staubwolken!« – »Viele, viele Reiter!« – »Und Wagen.« – »Da! Da sind die ersten Reiter schon!« – »Was bringen sie? Was hat das zu bedeuten?«
Und die mehr als zweitausend Menschen auf der Wiese gerieten in wirre Bewegung: Alles drängte den die breite Heerstraße heranziehenden Ankömmlingen entgegen.
Noch bevor die staubbedeckten Reiter – meist Bauern aus den nächsten stromaufwärts gelegenen Dörfern – abgesprungen waren und den neugierig Fragenden Bescheid gegeben hatten, kam bereits ein gar schauerlich aussehend Gefährt in Sicht.
Vier schwarze, mit schwarzem Trauerzeug über und über bedeckte Rosse zogen einen gewaltigen, auf hohen Rädern stehenden Wagen, einen italienischen »carroccio«: auf diesem aber war ein bühnenartiges Gerüst aufgeschlagen, das, wie der ganze Wagen, auf allen Seiten ebenfalls mit schwarzen Tüchern behangen war.
In den vier Ecken des langgestreckten breiten Wagens,[139] der nahezu die ganze Heerstraße füllte, standen vier Mönche in schwarzen Kutten mit weithin hallenden ehernen langen Posaunen in den Händen, in der Mitte aber, sie alle überragend, ein fünfter riesenhoher Mönch, der die schwarze Kapuze bis an die Augen über die Stirn gezogen hatte: in der Rechten trug er eine lang hinwallende schwere Fahne von schwarzer Wolle, in welche mit weißer Farbe plump ein Totenkopf über zwei geschrägten Knochen gemalt war: alle fünf aber sangen in schauerlichen Tönen – nach den Weisen eines römischen Grabgesanges – ein Lied: und schauerlich stimmten sie ein, die vielen Hunderte von Männern, Frauen, Kindern, die vor dem Wagen schritten oder demselben folgten, alle vom Staube langer Wanderschaft über und über bedeckt, die meisten in schwarze Gewande gehüllt, viele davon mit Geißeln und Stöcken sich auf die entblößten Schultern und den Rücken schlagend.
Das Lied aber lautete:
Die Wirkung des Liedes, des ganzen Aufzuges auf die wirre Menge war eine furchtbare.
Nur wenige zwar verstanden genau die Worte des Gesanges: aber von den dem Wagen nächsten aus verbreitete sich mit Windeseile bis in die hintersten Reihen der Herandrängenden[141] das kurze, vernichtende Wort: »Es ist so. Die Welt geht unter. Der Papst hat's selbst gesagt. Er hat befohlen, es zu glauben.« Was monatelang nur wie ein fernher drohendes Gewölk über den Gedanken der Menschen geschwebt hatte – die allermeisten der leichtlebigen Franken hatten gehofft, es werde sich zerstreuen – das hatte sich nun plötzlich zu einer furchtbaren schwarzen Wetterwolke über ihren Häuptern geballt und donnernd zu entladen begonnen. Keiner von den Tausenden zweifelte mehr. Heulend und schreiend liefen sie durcheinander, Männer wie Weiber, zerrissen die Kleider, rauften sich das Haar; einzelne rannten in wahnsinniger Angst gegen den Fluß zu, sich zu ertränken. Die meisten strömten in wilder Flucht nach der Stadt zurück – manch' alt' Weiblein ward dabei umgeworfen und überrannt – die zurückgelassenen Ihrigen zu benachrichtigen, zu warnen oder in den Kirchen an den Altären, bei den Überbleibseln der Heiligen zu beten. Die paar Hunderte aber, die wahrgenommen hatten, daß der lang erwartete Bischof bereits vor dem schrecklichen Aufzug eingetroffen war auf der Wiese, drängten alle, wie eine Herde Schafe, die der Wolf bedroht, auf ihren Hirten, so auf ihren Bischof zu um Hilfe, Rat, Trost, Auskunft, Rettung. »Helft, helft, helft, Herr Bischof! Herr Heinrich, was sollen wir thun?« riefen Hunderte von Stimmen. Und der Herr Heinrich that seine Hirtenpflicht.
Seine Ritter hatten ihm alsbald Bahn gebrochen durch die wogende Menge, so daß er ziemlich in die Nähe des schauerlichen Wagens gelangte und den Sinn des Liedes genau verstehen konnte. Seine Junker und er selbst, mächtig den Fliehenden sich entgegenstemmend, die beiden Mädchen hinter sich deckend, hielten auch nun, nachdem der Gesang zu Ende, in dem Gedränge stand. Endlich legte sich der[142] Lärm, es entstand um den Wagen her eine todesbange Stille: Herr Heinrich drang durch die letzten Reihen des Volkes, die ihn noch von dem schwarzen Gespann trennten: scharf spähten seine Augen auf die Gesichter und Gestalten der fünf Mönche: er kannte keinen. »Wer ist es,« rief er mit starker Stimme, weithin vernehmbar allem Volk, »der solche Schrecken zu erregen wagt? Wer will hier das Wort führen im Namen Sylvesters, des heiligen Vaters?«
Da schlug der riesenhafte Mönch in der Mitte des Wagens die Kapuze zurück und sprach: »Ich!«
»Arn!« rief der Bischof mit Entsetzen. »Du! Arn!«
»Nein! Nicht mehr Arn, Bruder Monitor ist mein Name. Abgelegt für immer, abgeschworen habe ich, was an mein sündhaftes Leben in der Welt erinnert.« Der Bischof entgegnete: »Wohl! – Aber das ist unweise gehandelt und nicht im Sinne der Kirche, diese gewaltige Wirrnis, plötzlich, ohne Vorbereitung, unter den großen Haufen zu werfen. Schau' hin, welch' Unheil du angerichtet hast. Da tragen sie blutende Kinder, ohnmächtige Weiber vorüber!« – »Heil ihnen, nehmen sie Schaden an ihren Leibern und retten ihre Seelen.« – »Warum hast du nicht – in alter Treue – mir, deinem Dienstherrn, deinem Lehnsherrn, zuvor vertraute Kunde geschickt, wie es gutem Boten ziemte?« – »Ich weiß nichts mehr von Treue, Dienst und Lehen! Ich bin Mönch, habe weder Allod noch Lehen und diene nur den Heiligen.« »Nun,« erwiderte Herr Heinrich heftig, »so bin ich doch Euer Bischof geblieben und als Euer Bischof verbiete ich Euch, den Schrecken in solcher Weise weiter unter meine Gemeinde zu werfen und Verzweiflung zu verbreiten. Ich verbiete Euch, weiter in diesem Aufzug durch meinen Sprengel zu fahren. Als mein Bote seid Ihr ausgesendet worden und[143] mir allein habt Ihr genauen Bericht zu erstatten. Ich werde ihn prüfen und werde, was davon für die Gläubigen zu erfahren ersprießlich ist, unter gehöriger bischöflicher Vermahnung und Anleitung mitteilen. Herunter mit Euch von dem Gerüst! Spannt die Pferde von dem Wagen ab!« Und drohend trat Herr Heinrich dicht an das Gespann. Aber der Mönch riß aus seinem Gürtelstrick eine Pergamentrolle, hielt sie ihm entgegen und schrie mit gellender Stimme: »Nichts hast du mir zu befehlen, du allzuweltlicher Bischof von Würzburg! Als dein Bote ritt ich aus, als Bote des Herrn Papstes kehre ich wieder. Schau' her! Kennst du das Siegel? Lies! Mein Orden, der Orden des schwarzen Bundes von Garganus, neu gestiftet unter den furchtbaren Offenbarungen dieser Wochen von Sankt Nil, dem größten Heiligen und Wunderthäter der Christenheit, steht unmittelbar unter dem Papst: nur der Bischof von Rom ist mein Bischof, er hat mir mit eigner Hand diese schwarze Fahne gereichet und mich zu seinem Bandalarius, zum Bannerträger und Herold des drohenden Gerichts bestellt. Und der heilige Vater selbst – lest doch, leset auch ihr, Ritter und edle Fräulein! – hat mir Auftrag und Befehl gegeben, mit vier andern Brüdern aus Deutschland in die Heimat zurückzueilen und hier vom Brennerberg an von Gau zu Gau zu ziehen, rastlos und unhemmbar, bis zur Dänenmark und überall in jedem Dorf, in jeder Stadt zu verkünden: ›das Ende bricht herein. Thuet Buße! Bereitet euch, den fürchterlichen Richter zu empfangen‹. Und Ihr seht, mit welchem Erfolg ich das Wort vom Gericht verkündet habe. All' diese vielen Hunderte hinter mir, zu Roß, zu Fuß, zu Wagen, von meiner Verkündung hingerissen, haben vom Inn bis zum Main Haus und Hof und Habe verlassen und folgen mir nach freiwillig: Männer und Frauen, Jünglinge und Greise,[144] um die schreckende Kunde weiterzutragen und die eignen Seelen zu retten, indem sie andre warnen, aufrütteln und erretten vor dem ewigen Verderben. Und überall will ich laut verkünden vor allem Volk – nicht vor Bischof oder Priester im geheimen! – das große Wunder, das der Herr in Welschland an mir gethan.«
Inzwischen hatte der Bischof das Pergament durchflogen, das ihm der Mönch von dem Wagen herunter gereicht: – er prüfte nun und erkannte als echt das große daran hangende päpstliche Siegel: seufzend gab er das Schreiben dem Mönche zurück und mahnte seine Junker, welche bereits sich anschickten, die schwarz behangenen Pferde auszuspannen, davon abzulassen.
»Kein Zweifel,« sprach er. »Es ist alles, wie er sagt. Ich habe kein Recht, dem Boten des heiligen Vaters das Wort zu verbieten. So redet denn in Gottes und der Heiligen Namen! – Seid Ihr zu Ende, wird der Bischof anordnen, welche geistlichen Vorbereitungen geschehen sollen.«
Er trat nun mit seinem Gefolg ein paar Schritte von dem Wagen zurück: auf einen Wink Monitors stießen die andern Mönche wieder dreimal in die ehernen Posaunen: – weit dröhnten sie über das Blachfeld hin: eine bange, eine ungeheure Stille entstand.
Der Bischof und die Seinen betrachteten mit Staunen, mit leisem Grauen die Verwandlung, welche die Gestalt des hünenhaften, breitschultrigen Jägermeisters verändert hatte. Er war kaum wieder zu erkennen. Zum Knochengerippe[145] war der einst kraftstrotzende Leib abgemagert, mit Mühe hielt die hagere Gestalt sich auf den Fahnenschaft gestützt aufrecht, die Wangen waren völlig eingefallen und von wachsgelber Leichenfarbe, die Backenknochen ragten spitz hervor, unablässig zuckte es krampfhaft um die glattgeschornen Lippen und aus den tiefen, von schwarzen Schatten umränderten Höhlen schossen die unheimlichen Augen Blicke von fanatischem Wahnsinn. Er zitterte am ganzen Leib: – es war wohl das welsche Fieber: – oft unterbrach das Klappern der Zähne den Fluß seiner Worte.
Und die gewaltige Fahne mit der Linken an seine Brust drückend hob er an mit lauter schriller, markdurchgellender Stimme: »Höret mich! Höre mich, alles Volk der Deutschen! Wer Ohren hat zu hören, der höre! Denn aus meinem, ihres unwürdigsten Knechtes, Mund redet der heilige Geist, redet Sankt Petrus, redet dessen Statthalter auf Erden, der Herr Papst zu Rom, redet der große Wunderthäter Sankt Nil im Land Italia und redet auch der oberste Herr der Weltlichkeit auf Erden – solang sie noch bestehen wird! – der Herr Kaiser Otto. Euch, ihr Ritter, Geistliche und Dienstmannen des Bischofs von Würzburg, bin ich allen wohl bekannt. Aber auch die meisten Bürger dieser Stadt und gar viel Bauern der Dörfer und Höfe kennen mich gut, der ich in der Weltlichkeit Arn hieß, des Helmbrecht Sohn aus Salzburg. Und wisset wohl: ich war der Jägermeister des Bischofs und war aller Weltlinge weltlichster und sündigster. Aus dem Bayerland war ich und allerwegs gerichtet nicht auf das Geistliche und Himmlische, sondern auf das Fleischliche und Irdische: kein Felsgrat in meinen Bergen war mir zu steil vom Wetterstein bis zum hohen Ortler: wohin der schwindelfreie Gemsbock stieg, da stieg ich nach. Des[146] Weines trank ich mehr als drei Männer zusammen und mit drei Männern zumal zu raufen hab' ich mich nie gescheut. Dem Bären ging ich an den Leib, allein, Schwert in Hand. Beim Reigentanz war ich der erste auf dem Platz und der letzte, aber auch beim Waffentanz in Pusterthal und Krain mit Wenden, mit Arabern und Welschen in Calabria. Ach und manche Maid in manchem Land hab' ich zerstört durch meine wilde Minne! Und viel, viel Blut von Erschlagenen – in Krieg und in Frieden! – klebt an meinen Händen. Viel öfter lief ich zu Wald mit Rado, dem argen, argen Heiden – dort steht er und wendet sich finster von mir! – als in den Dom, wann der Bischof die Messe sang. Diese Welt, diese lustige Erde, mit Jagdhornklang und Becherschwang und Speeredrang und Mädchenfang: – sie war mein alles. Und als nun vor vielen Monden zuerst das Wort vom nahenden Gericht auch in unseren Gau drang, da war keiner unter all den Dienstleuten des Bischofs, der weniger daran glaubte, der übermütiger, frevelhafter – verzeihe mir Sankt Petrus! – darüber spottete als ich. Und gerade mich wählte er als seinen Boten nach Rom. Wie lachte mein sündhaft begehrlich Herz bei dem willkommenen Auftrag! Ich freute mich auf ein üppig Feld von Sünden und ich trieb's danach von hier bis Rom. Auch Rom machte mich durchaus nicht besser. Nicht einmal das Grab der Apostelfürsten! Aber bald darauf – da kam über mich die erlösende Zermalmung, die beseligende Zerknirschung, die errettende Verfinsterung des natürlichen Verstandes durch das Übernatürliche, das Wunder, das unsrer sündhaft stolzen Vernunft eitel Thorheit ist.«
»Ich erforschte, der Papst weilte zur Zeit nicht in der ewigen Stadt. Er war mit dem Herrn Kaiser und mit großem Gefolge von Geistlichen und Laien – und viele Tausende von Römern und Welschen aus der Campagna hatten sich alsbald dem Zug angeschlossen – gepilgert nach dem Kloster des heiligen Michael auf dem Berge Garganus zu Nilus, dem greisen Einsiedler, der in einer Höhle jenes Berges hauste. Viele, viele Wunder hatte der Herr durch ihn bereits gethan, der auch zuerst schon seit Monaten die große Botschaft von dem nahenden Gericht verkündet hatte. Der Herr Papst hatte sich heftig wider jene Verkündung gesträubt: er beschloß, mit allen seinen gelehrtesten Priestern und Scholarchen und mit einem ganzen Lastwagen voll heiliger Schriften – den Beweismitteln für seinen Unglauben! – selbst hinzuziehen zu dem Manne Gottes: denn der hatte sich geweigert, auf den Ruf des Herrn Papstes nach Rom zu diesem zu kommen: Sankt Petrus hatte ihm im Traumgesicht verboten, die enge Felsenhöhle zu verlassen, bevor die Engel des Gerichts ihn selbst daraus abholen würden. Und wollte der Herr Papst durch seine fast zauberhafte Gelehrsamkeit den schlichten Einsiedler widerlegen, und ihm – bei Strafe der Ausstoßung aus der kirchlichen Gemeinschaft – verbieten, – ganz wie vorhin jener Bischof mir! – solche Schrecknisse zu verbreiten unter dem Volke. Der Herr Kaiser begleitete ihn: seine schwärmerisch glühende Jünglingsseele vertraute viel mehr als der gelehrte Papst dem Worte des großen Büßers: denn der Greis hatte ihm schon manches geweissagt von Plänen seiner Feinde in Rom, und alles war eingetroffen Ich aber – als sie mir das erzählten – ich[148] Frevler lachte laut und spottete – der Heilige hat es mir in der Beichte vergeben! –: ›ei, hat der alte Schlaukopf so gute Späher in Rom?‹ Und also, lachenden, höhnenden Mundes all den Weg über, eilte ich tagelang von Rom gen Süden bis zum Berge Garganus durch das Volk hin, das zu vielen, vielen Tausenden zu Fuß, oft auf den Knieen rutschend, schwere Eisenketten schleppend, die nackten Rücken geißelnd bis aufs Blut, unablässig Psalmen singend und betend alle Wege, die von Nord nach Süd zu dem Weissager führten, wimmelnd bedeckten wie wandernde Ämsen. Und als ich endlich an dem Fuße des steilen Berges vom Gaule sprang, rief ich meinem Roßknecht zu: ›Jetzt paß auf! Denn jedenfalls erlebst du heut' ein Wunder. Ich steige jetzt da hinauf zu dem Alten. Steige ich ungläubig herunter – ist's ein großes Wunder für all' die Tausende, die da herum kriechen und knieen und klettern. Steig' ich aber gläubig herunter, mein Sohn, dann ist's ein noch viel größer Wunder – für mich.‹
Aber ich stieg gar nicht mehr herunter! Ein Weltling stieg hinauf: – einen Mönch trugen sie herab. Denn … ah meine Freunde! Wie soll ich's euch schildern! Als ich endlich durch das Gedränge der Hunderte und Tausende die Höhe erstiegen hatte, da ergriff mich, den schwindelfreien Gemsenschütz, alsbald ein seltsam kreiselnd Schwirren im Kopfe. Furchtbar heiß brannte die kalabrische Mittagssonne gerade senkrecht auf die nackten Schieferfelsen: nirgends ein Baum, ein Strauch, nirgends ein Streifen Schattens! – Und stundenlang mußte ich so harren, an dem Platz, an dem mich, nachdem ich die Hochplatte erstiegen, ein Priester eingereiht hatte hinter vielen hundert andern Pilgern, die vor mir eingetroffen waren und nun alle harren mußten, bis sie nachrücken konnten in die enge Höhle. Viele Stunden stand ich so!
Die Welschen sind's gewöhnt, barhaupt in der ärgsten Sonnenglut auszuhalten: und ich – ich – mußte es nun auch. Denn meinen breitrandigen Reisehut, den ich allein trotzig auf dem Kopf behalten hatte, als ich in die Reihe trat, den hatten sie mir flugs abgerissen und den Felshang hinuntergeworfen: – raufen konnt' ich nicht: konnt' ich doch die Arme nicht heben, so eng war ich eingekeilt. Und mir war, als finge unter der stechenden Mittagssonne mein Gehirn an zu sieden, nein, zu braten: ich konnte kaum mehr denken: in meinen Ohren sang es wie das Gesumms von ganzen Heerscharen von Mücken!
Endlich – traf uns die Reihe.
Kaum trugen mich die Füße noch die paar Schritte bis an den Eingang der Höhle: meine Schläfe pochten. Da empfing mich in dem Eingang ein solch furchtbares Geschmetter von Posaunen und Drommeten, daß ich glaubte, der Kopf platze mir auseinander.
Und ein Weihrauchduft, wie ich ihn so süß, aber auch so betäubend stark nie geschmeckt, quoll und qualmte mir entgegen: mit Mühe rang ich nach Luft! Und aus dem Hintergrund der schmalen, aber sehr langen Grotte strahlte mir in dem ganz dunkeln Eingang entgegen ein Meer von Licht, von tausend und aber tausend Kerzen: geblendet, schloß ich die Augen: sie zuckten mir vor Schmerz. Aber gleich that ich sie wieder auf, erschrocken, erschüttert bis in den Grund der Seele.
Denn eine Mark durchbohrende Stimme, die aus dem Grabe, – nein doch! aus der andern Welt! – zu dringen schien, schlug an mein Ohr: »Bereue! Büße! Das Gericht ist nah.«
Und ich sah mir gegenüber den Heiligen!
O meine Lieben, das war kein Mensch mehr! Eine hohe hagere Gestalt, nackt bis zum Gürtel. Das gewaltige[150] Haupt umflattert von wirrem weißem Haar: aus tiefen Höhlen sprühten die kohlschwarzen verzückten Augen Feuer: man sah ihnen an, die schauten Himmel und Hölle offen. Und neben ihm kniete, in einem härenen Gewand, Asche auf dem Haupte – gar wohl kannte ich ihn aus unserem letzten Kriegszuge gegen die empörten Römer, – der Herr Papst, der gelehrte Sylvester, und er, der Stolz der Wissenschaft, küßte demütig die halbnackten Füße und umschlang seine Kniee und rief: ›Ich büße! ich bereue! Ich bereue meinen hochfärtigen Unglauben! Denn wahrlich, wahrlich ich sage euch: diesem Ungelehrten hat der Herr sich offenbart. Und das Gericht des Herrn ist nahe.‹
Wohl schlug mir das Herz vor Grauen an die Rippen, daß ich meinte, es müsse mir zerspringen. Aber es war ein gar trotzig Herz und wollte nicht nachgeben. ›Ach was,‹ sagte zu mir dies sündhafte Herz: ›Pfaff ist Pfaff: auch der Herr Papst ist Pfaff: – leicht glaubt er dem andern Pfaffen.‹ Aber da – o meine Geliebten …!«
Und überwältigt von der Erinnerung knickte die hünenhafte Gestalt zusammen; der Mönch brach in lautes Schluchzen aus, der Kopf schlug ihm mit der Stirn auf dem Gerüst auf.
Das wirkte noch mehr als alle seine Worte. Ein Murmeln des Grauens lief durch die Menge. Die Männer zitterten vor Erregung, viele Weiber ergriff krampfhaftes Weinen: selbst Herr Heinrich preßte die Linke auf das tapfere Herz.
Aber schon erhob Monitor wieder das Haupt und fuhr fort: »Da ersah ich zur Linken des Heiligen einen andern knieen! Wohl kannt' ich auch den – und doch! – ich erkannte ihn kaum wieder. Eine herrliche blühende Jünglingsgestalt – von goldenem Gelock das Haupt umwallt – schön wie die marmornen nackten Götter, die man zu Rom aus dem Schutte der Heidentempel gräbt. Nackt war auch der Jüngling, bis auf einen Lendenschurz von schwarzer Schafwolle: – und in Bächen, in Strömen rieselte ihm das rote Blut von Rücken, Brust, Seiten und Beinen. Denn unablässig, grimmig, mit aller Kraft seines Armes geißelte sich vor allem Volk der Jüngling mit einer siebensträngigen Geißel, ein Eisenstachel am Ende jedes Stranges, und unablässig schrie und keuchte er mit schon versagender Stimme: ›Ich büße, ich bereue. Ich bereue jeden Gedanken, den ich jemals der Welt und ihrer nichtigen Herrlichkeit zugewendet und dem Reiche des Herrn entzogen habe. Denn – schon seh' ich es vor Augen! – es nahet das Gericht des Herrn!‹ Und nun – denn ich meinte, die Stimme zu erkennen – nun schärfte ich meine Augen, auch das Antlitz des schönen Jünglings in der Weihrauchwolke genau zu sehen …
– O Heiland der Welt! – – –
Ja, er war es! Aber wie furchtbar verwandelt, wie entstellt, wie abgethan all' der freudigen stolzen Herrlichkeit, die einst ihn geschmückt, unsere Freude, unseren Stolz. Denn – hört es, höret es alle! – er, der uns allen das leuchtende Beispiel des Glaubens und der blutigsten Büßung gab – er, der zum Entsetzen herabgemagert, nackt, wie ein Verbrecher bei dem Staupenschlag, vor allem Volk sich[152] selbst zergeißelte – Er war es – mein Herr, euer, unser aller Herr: es war des großen Otto herrlicher Enkel, der Deutschen und der Lombarden König, des römischen Kaisers Majestät, der Herr der Welt – Herr Otto war's der Dritte!«
Da ging ein Stöhnen, ein dumpfer Schrei des tiefsten Wehs über den Jammer aller irdischen Größe und doch auch einer gewissen grausigen Wonne durch die vielen Hunderte hin.
»Und nun,« fuhr der Mönch, sich hoch aufrichtend, fort: »Nun geschah mir das Ärgste. Ich wankte, meiner Sinne nicht mehr mächtig, dem blutüberströmten nackten Jüngling entgegen, ich streckte meine beiden Hände gegen ihn aus: – da – da traf sein Auge auf das meine, er erkannte mich und in wildem Schrecken schrie er: ›Wehe, weh! Ich kenne dich! Du bist Arn, der wilde, arge Arn, der Genosse so vieler meiner Sünden in Krieg und Jagd und Gelag. Ach, du heiliger Mann Gottes! Das ist derselbe – man hat ihn erkannt, wie er davonjagte aus dem Thore von Florenz und hat es mir gemeldet – der auf dem Marktplatz dort, auf Antrieb und in der Larve des Teufels, unter die Büßenden sprengte. Er trägt einen Dämon im Leib. Er ist besessen. Heiliger Mann Gottes, treibe den Teufel aus seiner Seele.‹
Und ohnmächtig sank der junge Kaiser zusammen.
Nun aber – wehe! wie geschah mir! Alle, alle um mich her schrieen: ›Er hat einen Dämon! Er hat einen Dämon!‹ Und der fürchterliche, der hagere Heilige schritt gerade gegen mich heran und streckte die beiden knöchernen Arme gegen mich aus und bohrte mir die brennenden Augen in meine glanzgeblendeten, schmerzenden Augen und sprach in schauerlichem Grabeston: ›Ja, ich sehe es, mein Sohn: aber nicht Einen Dämon, vier Dämonen trägst du in dir[153] von Jugend auf: den Saufdämon, den Wollustdämon, den Kampfdämon, den Spottdämon. Ich aber – ich bin vom Herrn berufen sie von dir auszutreiben und deshalb hat dich der Herr hierher gesandt zu dieser Stunde. Auf, ihr Gerechten und Geheiligten, greift ihn, bindet ihn und geißelt ihn bis aufs Blut.‹
Ich schrie auf!
Aber nicht aus Furcht vor den Schlägen, die nun von zwanzig Geißeln auf mich niederhagelten: nein, wahrlich nein! Sondern ich schrie auf vor Entsetzen über mich selbst, vor Grauen über mein vergangenes Leben, aus Furcht vor den Teufeln in mir. Ich schrie, weil ich's fühlte, weil ich's denken mußte in meinem brennenden Hirn: ›Er hat Recht! Weissagend hat der Heilige, der mich nie gesehen, mein Inneres, und den Inhalt meines Lebens aus meinen Augen gelesen.‹ Und ich spürte, wie die Dämonen in mir sich bäumten und wanden, wie aufsteigende Schlangen. Und ich schrie mit letzter Kraft: ›Ja, ja, ihr Frommen! Der Heilige sprach wahr. Ein Wunder! Ein Wunder! Er hat sie erkannt, – die Dämonen, von denen ich besessen bin dreißig Jahre. O treibt sie aus! O rettet meine Seele.‹
Das war das letzte, was ich hörte und wußte auf lange, lange Zeit.
Als ich meiner Sinne wieder mächtig war, lag ich in dem Krankensaal des Klosters des heiligen Michael und stak in der Kutte der schwarzen Brüder von Garganus.
Und an meinem Pfühle saßen der Herr Kaiser zur Linken und der Herr Papst zur Rechten, zu meinen Häupten aber stand der Heilige, und sprach: ›Sehet, es ist geschehen, wie ich gebetet, wie ich geweissagt. Er sollte ja sterben müssen, sprach euer griechischer Arzt, Herr Kaiser, an »sideratio« wie er's nannte: – Sonnenstich, das sollte[154] das ganze Wunder sein! Ich aber fragte den gelehrten Spötter: Ei, hat die Sonne auch seine Seele gestochen? Warum ist er geworden aus einem Saulus ein Paulus? Wahrlich, wahrlich ich sage euch: ich kleide diesen geretteten Sünder in das Gewand meiner schwarzen Brüder und er wird nicht sterben. Oder, wenn er stirbt, wird er nach dreien Tagen wieder auferstehen von den Toten. So sprach ich. Wohlan: es ist der dritte Tag – er schlägt die Augen auf – er ist genesen. Ausgefahren aber von ihm auf immerdar sind seine vier Dämonen.‹ –
Und er beugte sich über mich und sah mir in den Grund der Seele mit diesen überirdischen Augen und forschte feierlich: ›Ich frage dich im Namen des Herrn, mein Sohn: nicht wahr, du bereuest, du büßest und du glaubst an das Nahen des Gerichts?‹ Und bei dem Klange dieser Stimme kam mir zurück die Erinnerung an alles, was ich in der Höhle gehört, gesehen und erlebt, und erschauernd sprach ich: ›Ja, du Heiliger des Herrn, ich bereue, ich büße und ich glaube an das Nahen des Gerichts.‹ Da warfen sich der Herr Papst und der Herr Kaiser zu des Heiligen Füßen und umfingen seine Kniee und küßten sie und der Herr Papst rief: ›Heil mir, nun hab ich, was ich immer gewünscht zur Verscheuchung meiner Zweifel: nun hab ich eines deiner Wunder mit Augen gesehen!‹
Der junge Kaiser aber schluchzte unter Thränen: ›Wohl mir, daß ich nie an dir gezweifelt, du Heiliger des Herrn.‹ Und ich beichtete dem Propheten. Und als Buße – ach wie geringe Buße! – legte er mir auf, von Stund an nie mehr im Leben Fleisch zu essen und überhaupt nur jeden dritten Tags Speise zu nehmen und nie mehr Wein. Und sprach zuletzt: ›Du ziehest aus als des heiligen Vaters Sendbote und als der meine. Weil du verspottet hast das Nahen des Gerichts, sollst du das Nahen des Gerichts[155] verkünden unter den Menschen deiner Heimat, in dem Land Italien aber nur auf dem Marktplatz zu Florenz: wo der Dämon des Hohnes aus dir sprach, soll der heilige Geist der Wahrheit aus dir sprechen. Und wenn dir in deiner Heimat die Weltlinge nicht glauben und dich verhöhnen, so wird das die gerechte Strafe sein deines Hohnes. Wenn sie dir aber glauben, wirst du noch vor dem Nahen des Gerichts erretten die Seelen Vieler und dadurch auch die eigene: denn jener Errettung wird dir der ewige Richter anrechnen als ein gutes Werk.‹
Und bald darauf erhielt ich des Herrn Papstes Brief und Siegel und diese schwarze Fahne und vom Herrn Kaiser diesen stattlichen Wagen und die vier Rappen und zog aus auf meine heilige Sendung. Und der Herr hat sie gesegnet von Florentia an, – wo sie mein Carroccio ausspannten und den bekehrten Sünder im Triumph auf ihren Schultern über den Marktplatz in die Kirche trugen, – bis hierher: ihr sehet diese Hunderte von Geretteten.
Ihr aber, o Bischof und ihr Priester von Würzburg und ihr Bischofsmannen und Bürger und Bauern – o thuet desgleichen wie diese. Verstocket nicht eure Herzen! Ihr seht das Wunder vor Augen: das große, das der Heilige gethan hat an Arn, dem argen Sünder. So befolgt denn des Herrn Papstes, des Herrn Kaisers, des heiligen Nilus Gebot. Büßet, büßet und glaubet, das Gericht ist nah: um Mitternacht dieser Sommersonnwend – noch wenige Wochen sind's – geht die Welt in Flammen auf und der jüngste Tag bricht an.«
Da stürzte der Mönch bewußtlos zusammen: Schaum trat ihm vor die Lippen: seine Kraft war erschöpft: er sank mitsamt seiner riesigen schwarzen Fahne in die Arme eines seiner Genossen: die drei andern aber setzten wieder die Posaunen an den Mund und bliesen und schmetterten,[156] als erschallten schon jetzt die Posaunen des Gerichts: sie hieben auf die schwarzen Rosse ein: diese zogen an – vorwärts rollte langsam der schwere hohe Wagen und ihm folgte singend und schreiend und heulend alles Volk, die Hunderte von Ankömmlingen, und die Tausende von Bürgern und Bauern – alles wälzte sich unaufhaltsam gegen die Stadt zu: der Bischof und sein Gefolge vermochten weder seitwärts auszuweichen noch den gewaltigen Strom der wild Erregten, der Verzweifelnden aufzuhalten: willenlos wurden sie mit fortgetragen von dem wogenden Gewühl.
Jetzt gab es Arbeit für den Bischof von Würzburg, geistliche und weltliche! –
Die Wirkungen des Glaubens an das demnächst hereinbrechende Weltende waren im ganzen Abendland gewaltig. Freilich nicht überall gleich starke: In Italien, im Süden von Frankreich wurde die Bevölkerung, an sich von lebhafterer Empfindungsweise und leichter erregbar, in größeren Mengen und leidenschaftlicher ergriffen, weil so nahe den Quellen, von denen die Verkündung ausströmte: süditalische Einsiedler, zuletzt auch Rom. Die kühleren Deutschen nahmen die Sache kühler, mit häufigerer Bezweifelung und, auch wo sie glaubten, mit festerer Haltung auf; in manche Landschaften des Nordens und Ostens war das Gerücht kaum gelangt.
Allein wo, wie im Würzburgischen geschehen war, ein Bote, unmittelbar von Papst und Kaiser und heiligem Wunderthäter entsendet, ein Bote, befeuert von schwärmerisch verzücktem, felsenfestem Glauben, selbst durch ein Wunder erst zu diesem Glauben bekehrt, das schaurige Wort verkündete, – da war die Wirkung eine furchtbare, eine fortreißende. Nicht einer und nicht eine, die den Aufzug des Mönches und seine Bußmahnung auf jener Festwiese[158] gesehen und gehört, verharrte im Unglauben, hegte noch Zweifel; sogar der alte Rado raunte Hellmuth zu: »Ja, zur Sonnwend! Ist richtig! Ich wußt' es längst. Die Welt geht unter, – aber anders als die Pfaffen wähnen.«
Supfo hatte wichtiger Geschäfte gewaltet und an jenem Nachmittag den Keller nicht verlassen.
Noch am selben Tage hatte sich der Zug des Mönches durch die Stadt hindurch den Fluß hinab weiter gewälzt: der Bischof hatte, mancherlei Wirren in der Gemeinde besorgend, die baldige Entfernung des starken Haufens in jeder Weise begünstigt und beschleunigt.
Eines der ersten Geschäfte Herrn Heinrichs, sobald er in seinen Hof zurückgelangt war, bestand darin, daß er einen Eilboten in die Gegend von Bamberg sandte, wo er noch die Lagerung der wendischen Söldner vermutete, mit dem strengen Befehl an Berengar, die Verhandlungen abzubrechen, das etwa bereits Bezahlte zu opfern und schleunigst zurückzukehren. Es hatte keinen Sinn mehr, für Sankt Burchhard eine Grafschaft zu erkämpfen, die in wenigen Wochen in Feuer aufging.
Im übrigen aber hielt der tüchtige, klar-verständige Mann streng darauf, daß, unerachtet der frommen Vorbereitung durch Gebet und Bußen, jeder seine obliegenden weltlichen Pflichten streng und genau wie immer erfülle, gleichwie er selbst mit bestem Beispiel darin voranging: er sah voraus, was die Erfahrung der nächsten Tage schon bestätigte, daß die Wirkungen jenes Glaubens keineswegs bloß fromme, wohlthätige, sittliche sein würden.
Gegenüber der maßlosen Aufregung der Gemüter, der Furcht vor Tod und Hölle, die zu unthätigem Brüten, zu leidenschaftlichen Ausbrüchen, zur Lockerung aller hergebrachten Bande, zur Vernachlässigung aller Gewohnheiten[159] und Geschäfte verführte, war das einzige Heilmittel die strenge treue Erfüllung jeder Pflicht, auch der weltlichen. Unermüdlich schärfte er das wie in seinen nun täglichen Predigten, so im Beichtstuhl und im Verkehr mit Geistlichen und Laien ein.
Und wahrlich: es that not!
Die meisten freilich, die Frauen und Mädchen fast ausnahmslos, und auch der weitaus größte Teil der Männer wurden durch die Erwartung des nahenden Endes zur Zerknirschung, Reue und Buße getrieben. Und die Furcht vor dem Zorne des allwissenden Richters bewog Unzählige, nach der sehr bedenklichen Sittenlehre nicht der Kirche zwar, wohl aber der Zeit, die Heiligen zu bestechen, ihre Fürsprache bei dem Herrn dadurch zu gewinnen, daß sie den Heiligen: das heißt deren Kirchen, Klöstern und frommen Stiftungen Geschenke zuwendeten soviel sie nur konnten. Viele, viele Tausende errichteten damals Schenkungen an die Kirchen von Land und Leuten, von nutzbringenden Hoheitsrechten, von Häusern und Feldern, von barem Geld, von Gold- und Silbergerät und Schmuck. Auch dem Bischof von Würzburg wurden jetzt für Sankt Kilian, Sankt Burchhard und andre Heilige solche Vergabungen in einer kaum zu bewältigenden Fülle aufgedrängt. Wenig Freude hatte Herr Heinrich an diesen Äußerungen einer Frömmigkeit, die dem Schenker den Genuß nur auf drei Wochen noch entzog, dem Heiligen nur auf drei Wochen zuwandte und durchaus nicht in Selbstverleugnung, sondern in jämmerlicher Furcht vor den Höllenqualen ihren Beweggrund hatte.
Allein ausschlagen durfte er das Dargebrachte nicht: – das verboten die Canones! – Auch würde die Zurückweisung die Leute erbittert, zur Verzweiflung, zu wüstem vergeudenden Genuß getrieben haben. In solchen Mengen aber drängten sich Schenkungsurkunden und geschenkte Fahrhabe[160] zusammen, daß er außer dem Bischofshaus auch noch andre verfügbare Räume zur Aufnahme anweisen mußte. Auch das bisher von den beiden Mädchen bewohnte Haus ward hierzu bestimmt: die Freundinnen mußten sich trennen. Denn der Bischof bestand darauf, daß der Eintritt Minnegardens in das Kloster nun doch noch zu geschehen habe. Das Widerstreben der Weinenden, die geltend machte, nun könne es doch darauf nicht mehr ankommen, ob sie nächstens als Weltkind oder als Nonne sterbe, wies er gütig, aber bestimmt zurück. Er würde, gestand er ihr, wäre der Bescheid des Papstes anders ausgefallen, ihr vielleicht nachgegeben haben, da er längst erkannt habe, wie wenig das Alpenkind zum Kloster neige und dafür tauge, wie so ganz auf andre Dinge ihr Sinn gerichtet sei. Aber nun, da alle solche Hoffnungen und Wünsche doch ausgeschlossen, nun sei es Pflicht, den letzten Wunsch der Mutter zu erfüllen: auch teilte er den allgemeinen festen Glauben der Zeit, es sterbe sich viel seliger im Nonnen- oder Mönchsgewand denn in weltlicher Tracht; er machte mit dieser Versicherung freilich wenig Eindruck auf das Mädchen! Schon daß sie sterben müsse, bevor sie in das Himmelreich eintreten könne, fand sie recht hart; sie hatte gemeint, nachdem der Herr die Menschen, die er lebend antreffe, lebend richte, könnte er sie wohl auch gleich lebend mit in den Himmel nehmen. Da hatte sie denn zu lernen, daß jenes Leben ein andres als das auf Erden und daß nur wenigen Auserwählten verstattet sei, ohne den Tod zu schauen, in den Himmel einzugehen.
So ward die Tieftraurige untergebracht in das Haus der »Religiosen«, das nördlich der Stadt vor dem Holzthor, aber innerhalb des Pfahlhags auf dem rechten Ufer flußabwärts an der heutigen Straße nach Veitshöchheim lag: hier ward sie von den frommen Frauen für die Einkleidung[161] vorbereitet, die – nach Anordnung des Bischofs – von diesem selbst in dem Dom in der letzten Stunde vor Mitternacht vorgenommen werden sollte.
Edel bezog mit Malwine, der alten Pflegerin, ein kleines, dem Bischof gehöriges Häuslein, das, gerade dem Religiosenhaus entgegengesetzt, flußaufwärts vor dem Südthor und der Sandvorstadt in der Nähe der großen Festwiese, aber auch außerhalb des Pfahlhags lag. Sonder Abschied hatte Fulko die Geliebte müssen ziehen lassen; denn er wie Hellmuth wurden gleich in den nächsten Tagen nach jenem verhängnisvollen Schützenfest von Herrn Heinrich sehr häufig außerhalb der Stadt im Gau verwendet. Der waffenfrohe Bischof fand nämlich neben der unablässigen geistlichen auch weltliche, kriegerische Arbeit in diesen Wochen. Denn keineswegs alle Seelen wurden durch den Gedanken des nahen Endes zerknirscht: es gab doch auch gar viele rohe, kraftstrotzende Männer, in der Vollkraft der Jahre, in welchen umgekehrt die Flammen der Genußgier noch einmal wild aufloderten bei der Vorstellung des baldigen Erlöschens für immerdar. Von wahnsinnigem Drang nach Erdenlust jeder Art ergriffen, betäubten sie ihre Angst vor dem Tod und fröhnten zugleich ihrer Sinnengier in wüsten und verbrecherischen Thaten gegen alle Gebote der Kirche und gegen alle Gesetze des Reichs.
In der Stadt selbst hielt Herr Heinrich solche Ausbrüche nieder mit eherner Faust. Es war dem tapfern Manne sehr erwünscht, daß die Abwesenheit desjenigen, der durch sein Amt berufen war, den Landfrieden zu wahren, des Grafen, mit fast all seinen Reisigen in Italien, dem Bischof die Erfüllung dieser Pflicht zwar keineswegs von Rechts wegen aufzwang, aber doch ermöglichte und nahelegte.
Wie in anderen Teilen Deutschlands hatten sich im Waldsassen- und Rangau bei Würzburg, zumal aber auch in den armen Gegenden des Spessart, dann im Maingau, wohin der Mönch Monitor seine aufregende Verkündung zunächst getragen hatte, bewaffnete Scharen zusammengerottet. Sie suchten mit Raub und Brand die nächsten Herrensitze, ja auch Klöster heim, sie erbrachen hier die vollen Weinkeller, die strotzenden Vorratskammern ihrer Herren – die oft ihre Peiniger gewesen waren – oder ihrer reicheren Nachbarn und nahmen sich mit der Faust zu einem letzten Rausch, zu einer letzten Völlerei, was ja doch in wenigen Tagen dem Untergang geweiht war: auch manche Weiber und Mädchen rissen sie zu wilden, schamlosen Reigen und oft zu schlimmeren Dingen fort.
Es waren meist Unfreie, die ihren Herren entlaufen waren, entsprungene Gefangene, Landstreicher, Waldgänger, Räuber, unzufriedene verarmte Kleinbauern. Schwer aber fiel es Herrn Heinrich aufs Herz, als ihm gemeldet wurde, auch viele jener Bauleute seien darunter, die er plötzlich aus Arbeit, Brot und Lohn entlassen hatte.
Daß so er – er selbst! – die Scharen jener Mordbrenner verstärkt habe, – das legte ihm die rasche, kraftvolle Dämpfung der Unruhen noch besonders als Pflicht auf das Gewissen.
So gab er sich denn mit heißem Eifer wie mit altbewährter Stärke und Umsicht dieser kriegerischen, staatlichen Aufgabe hin. In einer kampffreudigen Predigt in der in diesen Tagen immer bis auf den letzten Fleck gefüllten Domkirche forderte er alle wehrfähigen Bürger der Stadt und des Gaues auf, sich zu waffnen: – er stellte ihnen die eigne reiche Waffensammlung zur Verfügung – und zusammen mit seinen Dienstmannen unter Führung seiner Ritter die Umgegend zu durchstreifen, die bedrohten offenen Landsitze,[163] Dörfer und Klöster zu schützen, die Banden aufzusuchen und zu zerstreuen.
Seine flammende Beredsamkeit – »wie ein Herzog sprach er, nicht wie ein Pfaff,« meinte Fulko begeistert – hatte guten Erfolg: wohl ein paar hundert Bewaffnete sammelten sich alsbald um den Bischofshof: hatte er doch solches Thun für gottwohlgefälliger und verdienstlicher noch denn Fasten und Beten erklärt! Und eine Freude und heiß erwünschte Erholung von den jetzt fast erdrückenden geistlichen Geschäften war es ihm, gelegentlich selbst, hoch zu Roß, die Sturmhaube auf dem Haupt, das Schwert in der Faust auszuziehen – nicht gerade ganz im Geist der Canones! – an der Spitze einer solchen gewaffneten Schar und eine Rotte von Räubern und Landbrennern auseinanderzusprengen, wie sie Aschaffenburg im Nordwesten, Kissingen im Südosten bedroht und geschädigt, aber auch im Waldsassengau in der Nähe von Würzburg selbst Holzkirchen, Helmstädt, Utingen, Römlingen, Fotingen, Birkenfeld, Himmelstadt, Steinbach, Trifenfeld heimgesucht hatten mit Gewalt und Plünderung. Da hatten außer dem Bischof selbst seine Junker die Hände voll kriegerischer Arbeit. »Es ist all nicht genug,« schalt gleichwohl Hellmuth. »Sie halten nicht Stand, die feigen Schächer. O nur noch Ein tüchtig Einhauen vor dem Ende!«
Aber neben allen geistlichen und weltlichen Aufregungen dieser Wochen irdischen Daseins gingen doch die Dinge des täglichen Lebens, dessen Erfordernisse und Bedingungen[164] – in seltsamem Gegensatz zu jenen außerordentlichen Geschehnissen – ihren hergebrachten Gang: die Leute sahen dem Ende entgegen: aber einstweilen wollten sie doch schlafen und trinken und – wenn sie nicht gerade das Fasten sich vorgesteckt hatten – auch essen.
Herr Heinrich hörte einmal, wie er die Eingangshalle des Erdgeschosses durchschritt, seines treuen Supfo Stimme gewaltig schelten: laut drang aus der Tiefe des Kellergewölbes seine schallende Rede an die Oberwelt, verbrämt mit manchem nicht gerade bischöflich gedachten Kernfluch. Das bewog den Seelenhirten, zu verweilen und an seinem Kellermeister im Vorüberwandeln ein wenig Seelsorge zu treiben. Er blieb stehen, beugte sich über das Geländer der steinernen Kellerstufen und rief hinab: »Aber Supfo! Schämst du dich nicht? Es wird wohl dein Werk, was immer es sei, auch ungeflucht von statten gehen. Aber nichts als: ›Donner!‹ und ›Donnerstrahl!‹ Was bringt dich denn so auf?« »Nun, Herr Hezilo!« antwortete der Runde, der langsam ein paar Stufen entgegen humpelte. »Wenn das einen Christenmenschen nicht aufbringen soll! Was haben sie gethan, diese Eselfüllen von Kellerjungen? Den köstlichen Trank vom Stein schon aufgespundet. Jetzt hält er sich kaum mehr zwei Jahre!« – »Aber Supfo! In zwei Wochen ist ja alles aus!« – »Ja – ja! – Jawohl! – Aber nichtsdestoweniger! – Wie habt Ihr erst gestern wieder so schön gepredigt in der Vesper (– wie jetzt schon so oft, daß ich's auswendig weiß!)? ›Geliebte in dem Herrn! Vor allem fahret fort, eure Pflicht zu thun in allen Stücken, im kleinen wie im großen‹ (der Steinwein ist aber nichts Kleines!) ›als ginge es noch immer so fort wie von je.‹«
»›Ohne doch (fügte ich bei) durch solche Geschäfte euere Gedanken ablenken zu lassen von dem nahen Ende.‹ –[165] Du aber scheinst ein sehr gutes Gewissen oder – noch immer! – einen herzhaften Vorrat Leichtsinn zu besitzen.« »Beides, lieber Herr,« beteuerte der Kellerer treuherzig, die Hand auf sein Schurzfell legend in die Grenzgebiete zwischen Herz und Bauch. »Was hast du denn aber da?« forschte der Bischof sich tiefer bückend. »In der großen Kiste, die du dort in den Nebenkeller schaffen lässest?« – »Das? Das …? Das kleine Kästlein, meint Ihr? O … das … das ist nichts … von Bedeutung.« – »Was ist darin? Kirchengerät?« – »O nein, im Gegenteil – sozusagen! Es sind Schläuche – von … von dem Griechenwein, den weiland Frau Theophano, – Gott hab' sie selig! (werdet sie ja auch nun bald wiederschauen: ob sie wohl noch so schön ist?) – Euch oder vielmehr, wie es in ihrem Schreiben hieß, Sankt Burchhard (der aber schon lange – zu Lichtmeß waren es zweihundertsechsundvierzig Jahre! – seinen letzten Trunk gethan), also doch wohl Euch verehrt hat. Der Griechenwein steht hier der Kellerarbeit im Wege und …« »Lauter überflüssig Thun!« schalt der Bischof und schritt zum Thor hinaus, im nahen Dom wieder Beichte zu hören. »Ganz unnütz!« »Wer weiß?« meinte Supfo und sah ihm verschmitzt lächelnd nach.
Wenige Tage danach – es war schon dunkler Abend – kam Junker Fulko von einem Streifzug in der Umgegend – mainaufwärts – gegen die Landschädiger zurück. Er hatte sein Häuflein in dem Thore der Vorstadt auf[166] dem Sand entlassen, Orco, seinen schönen Rapphengst, dem Roßwart übergeben und schritt nun in tiefe – ach! nicht mehr hoffnungsfreudige – Gedanken verloren durch die schmale Gasse, die innerhalb der Umwallung von Ost nach West an den Fluß führte; er wollte sich von da allmählich an das Religiosenhaus heranpirschen, zu versuchen, ob es nicht endlich gelinge, einen Blick auf oder von Minnegard zu erhaschen; bisher war die Hut der frommen Schwestern nicht zu durchbrechen gewesen! Er summte den Anfang eines werdenden Liedchens vor sich hin in der Dämmerung:
Da drang aus der noch engeren Quergasse, welche die Straße von Nord nach Süd kreuzte, lautes Gekläff eines Hundes, dazwischen durch der Streit zweier menschlicher Stimmen, zuletzt etwas wie ein Hilfeschrei: und das war nicht eines Mannes Stimme.
Im Augenblick stand der Ritter in der ziemlich dunkeln Gasse: an deren Südende sah er gerade noch zwei blonde Zöpfe fliegen, während ein zottiges Grauhündlein, mit zornigem Gebell vorstoßend, den Rückzug seiner Herrin deckte.
»He, Junker Blandinus! Bei Euerem Sankt Markus! Schon wieder einmal beim Kinderquälen und im Köterkampf?« rief Fulko. »Könnt Ihr denn nicht warten bis diese Kirsche reif? Noch ist sie zu sauer – wenigstens für Euch. Ja so! Warten! – In vierzehn Tagen …! Gleichviel, laßt mir das dicke Kind zufrieden oder …« »Tod und Teufel! Ich liebe das holde Geschöpf und würde sie zur Dogaressa machen, ging nicht – leider! – vorher – zufällig die Welt unter!« rief der Venetianer, blitzschnell sich wendend und die schmale Stoßklinge herausreißend. »Was geht's Euch an, Provençale! Seid Ihr[167] des Mädchens Muntwalt oder der meine? Zieht! Was habt Ihr mich zu stören? Zieht, sag ich.« Aber Herr Fulko hatte schon gezogen und wehrte ruhig, jedoch nachdrücklich die hitzigen Stöße ab, mit welchen der Erbitterte auf ihn eindrang. »Brav, brav,« lachte der Sänger. »Das war sogar recht hübsch, dieser Doppelstoß. Aber nun ist's doch genug.« Des Venetianers Klinge flog in die Luft, Fulko haschte sie behend vom Boden auf und reichte ihm mit anmutiger Verbeugung den reichvergoldeten Griff hin; beschämt steckte sie der Entwaffnete ein.
»Seht,« fuhr der Sieger gutmütig fort, »so gut wie jetzt habt Ihr mir in Eurem ganzen Leben noch nicht gefallen. Das war doch ein Anflug von Mannheit, wenigstens ein Flackerzorn, und ein ganz leidlich Fechten. Hätte Euch dabei das hübsche Kind gesehen, – ich glaube, Ihr hättet stark bei ihr gewonnen. Glaubt mir, ich mein' es gut mit Euch, junger Löwe von San Marko. Es steckt was in Euch, Ihr seid gar nicht so übel. Nur laßt – für die paar noch übrigen Tage – die verfluchte Geckerei und Ziererei! – Erst werdet ein Mann, eh' Ihr Weiber gewinnen wollt. Bei Sankt Amor, ich schelte Euch nicht drum, daß Ihr verliebt seid im Angesicht des jüngsten Tages. Es wäre recht sündhaft von mir! Aber alles hübsch nach der Reihe. Nur der Starke ist des Schönen wert! Glaubt mir, merken die Mädchen, an Eurem Auftreten gegen die Männer, Ihr seid ein Mann, dann werden sie Euch nicht mehr auslachen, tretet Ihr auch gegen sie auf mit dem Begehr, weil mit dem Recht des Mannes. Hätt' ich nur mehr Zeit, zu predigen, und Ihr, mir zu folgen. Folgt mir doch noch diese Spanne Zeit. Und nun gerade erst recht in diesen Tagen. Wenn Ihr nun in Bälde steht vor Sankt Georg, dem Erzengel, der uns Ritter unter sich hat, und er Euch fragt: ›Junker Blandinus[168] aus Venetia, was habt Ihr beschafft auf Erden? Womit habt Ihr die zwanzig Jahre, seit Ihr Hosen tragt, ausgefüllt?‹ Ihr müßtet ja doch vor Scham in die Erde sinken (wenn sie noch da wäre!), könntet Ihr nur sagen: ›Den Mädchen bin ich nachgelaufen – und noch dazu oft sonder Erfolg!‹«
»Ihr … Ihr habt nicht Unrecht, glaub ich,« sprach zögernd Blandinus, mit niedergeschlagenen Augen, – »ich will's befolgen.« – »Wollt Ihr? Das ist recht! Morgen zieht einmal mit mir aus wider die tollen Bauern. Ich stehe Euch dafür: der Mann findet ganz gehörig zu reiten, zu fechten und zu trinken, der auf Kampf und Abenteuer zieht mit Fulko von Yvonne.«
In der diesem Abend folgenden Nacht sprengte auf der Heerstraße von dem Südthor flußaufwärts ein ungeduldiger Reiter; immer wieder trieb er den ohnehin wacker ausgreifenden Braunen zu rascherem Lauf an. –
Die Höhen gegen Randersacker hin, auf denen heute ein edler Trank gewonnen wird, überzog damals noch dichtes Gehölz: im Unterschied von dem »Königswald« auf dem linken Ufer hieß es der »Grafenwald«: denn es gehörte zu dem Amtslehen des Grafen des Waldsassengaues. Etwa eine Stunde oberhalb der Allmänndewiese bog von der breiten Heerstraße ein schmaler Reitweg links nach Osten ab und schlängelte sich durch das buschige Gelände bis zu der Höhenkrone mit ihrem finstern Urwald hinan. Diesen engen Pfad schlug der nächtliche Reiter ein.
Er mußte der Örtlichkeit genau kundig sein: denn nicht eben leicht war durch Weißdorn- und Hartriegelgesträuch der schmale Streif des Weges zu verfolgen. Freilich warf der Mond, bereits über den Höhenzug emporgestiegen, von Osten her sein phantastisches Licht auf die Abhänge gen Westen, auf die Heerstraße und den silbern glitzernden, ruhig ziehenden Fluß.
Allein der Wind trieb unablässig ziehend Gewölk über die noch nicht gefüllte Scheibe, so daß das wechselvolle Licht, geraume Zeit völlig versagend, dann wieder plötzlich auf kurze Weile grell und blendend vorbrechend aus den schwarzgrauen Wolkenflügen, vielfach mehr störte als förderte. Alsbald sah sich der Reiter, wie der Pfad steiler anstieg, genötigt, abzuspringen und das Roß am Zügel langsam bergan zu führen: trotzdem stolperte es zuweilen über die Knorrwurzeln, welche, wie dunkle Schlangen, quer über den Waldweg liefen. »Gemach, Falk! hübsch bedächtig,« mahnte er das erschrockene Tier. »Sieh, bei Tage trägst du mich! bei Nacht, im Dunkel, wie billig, führ ich dich! Treue um Treue. Erschrick nicht! Das war nur ein Glühwurm! Aber freilich, es hauset mancherlei im nächtlichen Tanne, was mit eisigem Grausen auch an die Brust des Weidmanns rühren mag. Schon mancher zog zu Walde zur Nacht – kam nicht mit heilen Sinnen wieder daraus hervor. – Ruhig, Brauner! Das war eine fauchende Eule – und was da rot leuchtet an dem alten Baumstumpf, das ist Morschholz. Vorwärts und scheue nicht! Wir sind nicht auf schlimmem Gang!« Nach einer scharfen Rechtsbiegung des Pfades ward oben auf der Höhe in einiger Entfernung ein schwach glimmendes Licht sichtbar. Dahin zog nun der Weg. –
Da schlug der Vorderhuf des Pferdes, das sonst ganz geräuschlos auf das Waldgras trat, an einen Stein: weit[170] klirrte der helle Ton durch die schweigende Nacht: gleich erscholl lautes, wütendes Hundegebell von der Höhe her und in mächtigen Sätzen rannte ein gewaltiges Tier zornmütig auf die Ruhestörer herab: kaum war es abzuwehren durch den umgewendeten Speerschaft, welchen der einsame Wanderer ihm entgegenstreckte. »Giero! Treuer Herdenwart! kennst du mich nicht mehr?« rief er dabei beschwichtend. Da stutzte die grimme Rüde, schnob und schnupperte gegen den Wind und hüpfte gleich danach friedlich und freundlich an Mann und Pferd hinauf. »Schon gut, du wachbarer Freund! Besser zu viel Vorsicht als zu wenig. Nun komm hinauf zu deinem Herrn.« Bald standen nun, von dem freudig bellenden und meldenden Hunde geführt, Reiter und Roß auf der Höhe, wo in einer runden, wie es schien, schon lang bestehenden Waldlichtung an dem Fuß einer uralten gewaltigen Esche ein schwaches Reisigfeuer mehr Qualm als Licht verbreitete.
Neben der Glut lehnte an dem Stamme, hoch aufgerichtet, ein hagerer Mann in einem Mantel aus Wolfsfellen, eine ungeheuere Schürstange, wie sie die Köhler führen, in der Faust; er hatte nach oben geschaut, in den gerade wieder hervorgleitenden Mond; schweigend, nur mit leichtem Nicken des grauen Hauptes, begrüßte er den Ankömmling, der sein Pferd seitab, geschützt vor dem Zug des Rauchqualms im Südwestwind, an eine junge Buche band.
»Nun Rado, kam ich noch zu rechter Zeit?« – Hastig entflog die Frage. »Du weißt: gleich durft' ich dir nicht folgen: es war noch zu hell; und der Bischof, der mit seiner Streifschar zurückkam, noch ganz nah. Ich fürchte, er erkannte mich, wie damals in Eurem Hof. Gar manchen Ritt im Zickzack macht' ich noch, meine Spur zu verbergen, falls er mir einen seiner Reiter nachgesandt hätte.[171] Und doch – streng schärftest du's ein – mußt' ich die Stunde einhalten.«
Der Alte, den Schürbaum weglehnend, nickte.
So der Spruch der Ahnen. Wir haben noch Zeit. Seht Ihr, Junker Hellmuth, dort rechts vom milden Herrn Mond das kleine Sternchen? ›Hollespang‹ heißt er: und ist unserer lieben weißen Frau Holle Busenspange. Er darf nur mehr drei Handbreiten von dem Mondrand abstehen. So müssen wir noch warten. Und fragt jetzt, was Ihr noch zu fragen habt: denn
»Wie soll ich dir danken, Rado, treuer Rado? Du erfüllst den letzten heißen Wunsch meines Lebens, der mir noch übriggeblieben!«
»Danken? Ihr? Gar nicht! Euer Vater hat mir vorausgedankt für alle Zeiten. Die vielen Jahre, die ich, von den Rothenburger Herren ihm als Waffenträger zugeteilt, ihm dienen durfte in Jagdfahrt und Heerfahrt, – das waren die besten, die ich gesehen.
Seit er gestorben, Herr Heinrich Pfaff und ich Hirt[172] der Burgensen geworden, – wenig Freude habe ich mehr am Leben. Nur daß ich im Wildwald hausen darf als Jäger und Köhler – neben der Herden-Hut – das thut mir wohl in der Seele. – Und wißt Ihr, was mir das Liebste war an Euerm Vater? Nicht, daß er mir Lohn und Beuteanteil gab mit vollen Händen, – nein, daß er sich so gern von mir erzählen ließ von – von den Alten – Ihr wisset schon! … Und daß er davon vieles glaubte, was ich von meiner Mutter überkommen. Mein Bruder Wartold, Großmutter Ute bekreuzen sich dabei, Fullrun ist zu kindjung und mutwillig. Aber Wartold wird's schon erleben, – gar bald! – daß ich recht habe. Und daß auch Ihr, obwohl des Bischofs Lieblingsritter, mir glaubt … –« – »Manches, Rado! Beileibe nicht alles! Ich bin ein guter Christ und will es bleiben. Ich glaube dir von deinen Sachen nur …« »Was Euch anzieht, was Euch gefällt,« schmunzelte der Alte. »Ihr werdet nicht bereuen, daß Ihr glaubt: ›reich lohnt Woden treue Freundschaft,‹« brummte er leis in den grauen Bart. »Und seht:« fuhr er laut fort, »Eins hat mir – all diese Monate her! – so gut gefallen von Euch.« – »Nun?« – »Daß Ihr etwas nicht gethan, nicht von mir verlangt habt!« – »Bin gespannt!« – »Keinen Minnezauber!« »Rado!« rief der Jüngling und errötete über und über. – »Nun, ich sage nichts weiter. Aber wer Euch und – Eine im Winter selbander zur Jagd reiten sah, – Aug' in Auge! – und Euch jetzt beisammen sieht, der merkt was. Und doch verlangtet Ihr nicht – wie so viele – von mir einen Liebeszauber.« »Niemals!« rief Hellmuth. »Lieber dreimal drüber sterben als ihren keuschen Willen brechen – durch Zauber!« – »Ja, das eben ist mein Hellmuth, den ich vom Kind an kenne und seine lichte Seele: sie ist durchsichtig wie ein klarer Waldquell und[173] kein trüber Fleck darin. Ihr leidet so schwer.« – »Bald ist nun ja auch diese Qual zu Ende. – Aber sage, wie kommt es, daß du, der sonst allzuwenig den Worten der Priester glaubt, gerade diese Verkündung gleich von Anfang – lange bevor der Papst durch den Mönch es gebot! – so gläubig, ja so eifrig, so gierig aufgenommen hast? Was nur die Allergelehrtesten und Allerfrömmsten der Kirche ergrübelt hatten … – …« »Hm,« lachte der Alte. »Und wie lang ist's her, daß die das lehren?« – »Noch nicht Jahr und Tag.« – »So? – Nun da weiß ich's etwas länger – so seit vierzig Wintern etwa! Mich hat's die Mutter gelehrt, als ich meinen ersten Fuchs geschossen. ›Ei,‹ sagte sie, ›ein wacker Werk. Du hast Herrn Loges Heer gemindert.‹ ›Herrn Loges Heer?‹ forschte ich. Und nun hob sie an zu erzählen, was sie von ihrer Mutter gehört und die wieder von ihrem Ahn. Ich glaube,« grübelte er vor sich hin, »unsere Sippe wußte es von je.« »Aber was, was wißt Ihr?« unterbrach Hellmuth ungeduldig. »Das andre ist mir all gleichgültig: nur das will ich nun endlich genau wissen, von den letzten Geheimnissen, was Ihr immer so dunkel angedeutet, wo und wie …?«
»Hei, ist so kurz nicht zu sagen. Setzt Euch. Hier! Ins trockene Eschenlaub. Nehmt die Lederflasche. Der Wein, den in der Bergleiste Frau Sunna kocht, die heiße Herrin, ist feurig. Und da – in meinem Netzranzen, das ist Wildeberfleisch. Und nun gebt acht!« Er trank einen langen Zug und hob an: »›Heilige und Teufel ringen dann‹, sagt der Bischof? Mag ja wohl sein! Riesen und hohe Helfer sagen wir. Die ringen und kämpfen unablässig miteinander um die Herrschaft der Welt und um die Seelen der Menschen: so sagt der Bischof, so sage auch ich. Einst endet die Welt, so sagen wir beide. Aber[174] wie endet sie? Das weiß der Bischof nicht –: auch der Papst nicht und der irrsinnig gewordene Arn – schad' um ihn! den hätten wir als dritten mitgenommen, hätte ihm nicht die welsche Sonne das Gehirn verbrannt, der Tod sieht ihm aus den hohlen Augen: ich glaub's nicht, daß er die Sunnwend noch erlebt! Also Arn, der wußt es auch nicht: sonst hätte er's doch neulich gesagt. Wir aber wissen's seit grauer Vorzeit der Ahnen: die Welt geht unter – freue dich, mein tapfrer Hellmuth! – in einem ungeheueren herrlichen Heldenkampf, wie er noch nie gestritten ward auf Erden.«
Der Ritter sprang auf: »Den kämpf ich mit!«
Wohlgefällig ruhten die Augen des Alten auf dem edeln, leuchtenden Antlitz des schönen Jünglings, im Glanze des von der raschen Bewegung aufflackernden Feuers. »Das sollst du, mein Liebling, an meiner Seite. Das eben gönn' ich dir – dir allein – seit Herr Hezilo sich hat scheren lassen. Den letzten Sieg, den auf dieser alten Männererde lichte Helden gewinnen gegen dumpfe Unholde, – du sollst ihn mit ersiegen helfen.« – »Aber wann? Wo? Wie?« – »Gemach! Heute will ich das selbst erst erkunden. Deshalb hab' ich dich heute nacht hierher beschieden. Aber noch ist's nicht an der Stunde. Schau hinauf – Hollespang steht noch zu weit rechts.« »Ich erinnere mich,« sprach der Junker nachdenkend. »Ja, ja! Von einem Kampfe, der dem Gericht vorangehen wird, sprach auch einmal einer der Dompriester. Aber da müsse – als Führer der Frommen – zuvor Elias wiederkommen.«
»Wer ist der Held? Hab' nie von ihm gehört!«
»Ein Prophet der Juden. Und werde der gewaltig streiten.«
Ziemlich ungläubig zuckte der Alte die breiten Schultern[175] unter dem Wolfsfell. »Würde mir andern Herzog küren. Vernimm nun die alte Sage von diesem Kampfe, wie sie mich die liebe Mutter gelehrt.«
»Einst endet das All, es welket die Welt, wann wilde Gewalten ruchloser Riesen reißen die kräftigen Ketten, darin sie gefesselt gute Geister. Und es wollen die Wilden, die wütigen Wölfe, die dräuenden Drachen sich der Seelen bemeistern der Menschen.
In Feuer und Flammen hebt sich ein Buhurd: vom hohen Himmel steigen, stolz und strahlend wie Sterne, uns Helden als Helfer herab und auf Erden ringen, rennen und reiten alle Edeln, die Waffenwerks weise. Wird da wild ein kühnes Kämpfen, ein arges, entbrennen, wie nimmer noch Augen ersahen auf Erden. Es hallet ein Heerhorn, ein gellendes, goldnes, das da wahret der Wächter des Wegs zu den himmlischen Hallen. Von drüben dumpf dröhnet der Riesen Ruf: nun treffen die Tapfern in Eil' aufeinander.
Es naht eine Natter, ein wütender Wurm, mächtig aus dem Meer, aus Wogen und Wellen windet und wälzt er sich in Schlangenschuppen ans steile Gestade: giftigen Geifer speit er in Sprudeln. Es schwimmt ein Schiff, schwarz und schrecklich: gräßliche Geister stehen am Steuer, setzen die Segel, rühren die raschen Ruder: Reihen von Riesen lädt es ans Land. Krächzend krähet der heis're Höllenhahn: es heult der Helhund. Der Helwolf hat die Bande gebrochen: die Fessel fiel, rasend rennt er und[176] reißt, was er erreicht. Da beben die Berge, da brechen die Bäume, entwurzelt erdröhnen uralte Eichen und Fichten im Fall. Es ächzen die Elben, die zottigen Zwerge, unter den fallenden Felsen. Es birst der blaue Himmel, der hohe, es birst die Brücke, der reichfarbige Regenbogen, darauf die Stolzen herabgestiegen. Unter all dem Dröhnen und Donnern doch dauert der Drang der ringenden Recken: aus den Fugen fällt die weite Welt, nicht stört das die Starken im Stürmen: fort fechten sie freudig, unter den Trümmern noch trotzig einer wankenden Welt.«
»Fort fechten sie freudig, … unter den Trümmern noch trotzig einer wankenden Welt –« wiederholte Hellmuth leuchtenden Auges und drückte fest die Faust um den Schwertgriff.
»Es rasen die Rosse der helmfrohen Helden, die wild wiehernden Hengste, hoch hauenden Hufs: Speere zerspellen: zerschrotene Schilde, zerhackte Helme, zerbrochene Brünnen decken dicht die alte Erde, die eine einzige Walstatt wurde. Aber ach! Allmählich werden die Wilden, die argen Unholde, Meister der Menschen: es wanken und weichen die schimmernden Scharen der guten Geister, der hohen Helfer.
Und die ermüdenden Menschen mähet und fället furchtbar der Feinde finsterer Führer, das schwarze Scheusal, der Rauchriese, ganz gehüllt in Rauch und in Ruß. Auf dem Rappen rennt er in die Haufen der hellen Helden. Soll er denn siegen?«
»Nein,« knirschte Hellmuth, »nicht, solang ich Hand heben mag.«
»Da rufen die Recken, die bitter bedrängten, blutend aus Verch-Wunden, sie rufen um Rettung: ›komm, kehre du Kühnster der Kühnen, uns, du Waltender, wieder! Was wichst du von uns? Was weilte dich, Wandrer, im[177] Walde? Was barg dich im Berge? Siegvater, siehe die Drangsal der Deinen!‹
Und horch! Da hallet es hin durch die Himmel! Gellender gellt das helle Horn: und es läuft durch die Lüfte wie Rauschen von Raben und ein Jauchzen, ein Jagen von raschen Rossen! Und siehe, da sauset, im mächtigen Mantel, im herrlichen Hochhelm, auf dem großen Grauroß, mit dem spitzigen Speer uns zur Hilfe heran der herrliche Held: Kaiser Karl, den in hohler Höhle des Berges geborgen zäher Zauber: verwunschen war er, als wilder Jäger zu jagen. Aber in äußerster Not nun naht er!
Der Zauber zerfiel und stolz und strahlend, wie er weiland gewaltet in hohen Hallen, führt er freudig die Seinen zum Siege! Und siegen darf an seiner Seite, wer ihm die Seele selber brachte im Bündnis, im treuen Vertrag, auf ewig zum Opfer! An seiner Seite darf er die dräuenden Drachen bestehen im Streite und fällen die Feinde. Wir siegen! Wir siegen! Es fliehen die Feinde, es weichen die Wilden. Wohl verbrennt in breitem Brande die alte Erde. Doch es taucht aus den Tiefen, den nächt'gen, aufs neue wonniger wieder eine werdende Welt und hoch dann und herrlich mit dem hehren Helden haus' ich im Himmel mit allen Edeln immer und ewig.«
Er sprang auf und hielt inne, mehr verzückt als erschöpft.
Hellmuth wollte sprechen: – aber der Alte kam ihm zuvor: »Still! Nun sollt Ihr nicht mehr hören, Ihr sollt sehen. Schaut hinauf, das Sternlein ist dem Mondrand nah. Die Stunde kam.«
Er bückte sich und hob, nicht ohne Anstrengung, unter den hohen, mächtig gewölbten Wurzeln der alten Esche eine Rasenscholle aus: – erst jetzt gewahrte der Jüngling, daß sie auf drei Seiten eingeschnitten war – und holte darunter ein Stück Fell hervor: – es war ein Hamsterpelz: – darin lag gehüllt ein etwa zwei Hände breiter rundlicher Gegenstand. Der Alte wickelte ihn sorgfältig heraus und wies ihn dem Überraschten dar: es war eine dunkle, ganz glatte Metallscheibe in ehernem Rahmen: einen in sich gerollten Drachen stellte der umrahmende Erzreif dar.
»Ein Spiegel?« rief Hellmuth erstaunt.
»Ja! Aber nicht der Eitelkeit: – der Wahrheit. Ein Zukunftspiegel! In unserer Sippe vererbt von Geschlecht zu Geschlecht! Alle andere Fahrhabe teilte die liebe Mutter, als sie zu sterben kam, ganz gleich unter uns beiden Brüdern. Aber diesen Spiegel gab sie mir voraus! Sie schickte den Bruder, der so kircheneifrig war, hinaus, griff unter das Kopfpolster und reichte dies Erbstück mir –, weil sie wußte, ich würde davon schweigen gegen die Geschorenen. ›Und so haben's,‹ sagte sie, ›die Ahnen gehalten von Geschlecht zu Geschlecht: immer nur Einem – dem Treuesten! – haben sie das Erbe der Vorzeit vertraut.‹ – Und sie lehrte mich auch, wie ich des Spiegels zu gebrauchen habe. Einst war er wohl zu eigen den drei seligen Fräulein auf der Karlsburg da unten am Main: Sankt Kilian soll sie von ihren Herrscherstühlen im Goldsaal des Schlosses vertrieben und sie verwunschen haben in den tiefen Ziehbrunnen unten im Burghof. Aber der einsame Hirt, der im Abenddämmer an der Halde die Ziegen weidet, hört sie noch manchmal leise singen aus der Tiefe und ein Sonntagskind mag sie wohl auch in heißester Mittagsschwüle da oben im hohen Grase des Burghofs überraschen, wie sie ihr Goldhaar strählen mit goldenem Kamme. Und[179] ein Urahn von uns hat den Spiegel gefunden, da er einst hinabstieg in den Brunnen, weil ihn das leise Singen und Rauschen lockte. Und die Mutter sagte, das Ende der Welt wird kommen in einer Sommer-Sunnwendnacht. In der Sunnwendnacht eines Jahres, da am Tage der letzten Rauchnacht – heilige drei Könige nennen's die Pfaffen jetzt – also mitten im Winter! – ein mächtig Gewitter wird aufsteigen über dem Stein zur Mitternachtseite der Stadt und wird der Blitz schlagen – gerade zu Mittag – in diese uralte Heidenesche hier.«
Da erbleichte der Jüngling: »Das ist dies Jahr! Am Tage der heiligen drei Könige kam ein Gewitter von Norden und schlug zu Mittag in diese Esche: – ich stand ganz nah dabei, auf Wölfe pirschend, und sah es.« – »Deshalb, nicht weil die Geschorenen es predigen, glaub' ich an das Ende der Welt, in diesem Jahr, in jener Nacht. Zwei Stunden vor Mitternacht, so lehrte die Mutter –, beginnt der Kampf.« – »Gut. Die Stunde weiß ich nun: – aber wo?«
»Das zu erfragen kam heute die Nacht: – nach dem Stand der Gestirne. Nun laßt mich gewähren und schweigt.«
Und der Alte streifte den geflochtenen Bundschuh von der linken Sohle, trat barfuß auf die Breitfläche seines nackten Weidmessers, das er vor sich niedergeworfen hatte, streifte den Mantel von dem rechten Arm zurück, riß Gras, Kraut und Erdschollen aus dem Boden neben den Wurzeln der Heidenesche, streute sie auf sein graues Haar und hielt den runden Spiegel derart empor, daß die Strahlen des Mondes schräg hineinfielen, Hellmuth aber wie er selbst auf die Metallscheibe blicken konnten. Er drehte sich dabei langsam im Kreise und winkte dem Jüngling, ihm zu folgen. Lange schwieg er. Zuerst hatte er den Spiegel gen Norden – nach der Stadt zu – gehalten: man sah[180] nichts. Dann drehte er ihn gen Westen dem Flusse zu: – lange hielt er hier inne. Weiter drehte er ihn gen Osten – nichts zeigte die Scheibe. Endlich wandte er sie gen Süden, – flußaufwärts.
Alsbald fuhr er zusammen. »Seht Ihr?« raunte er leise. »Es zuckt durch meine Hand! Von dorther! Von Mittag – nein, von Südost also – reiten sie an da unten – auf der großen Heerstraße!«
In dieser Richtung jagte der rasche Wind dunkles Gewölk wechselnd mit Helle über die Mondscheibe hin: – phantastisch wirre Gestalten: – und demgemäß verdunkelte und erhellte sich der Spiegel.
»Schaut!« Dem Alten zuckte und bebte vor Erregung die starke Hand. »Allen voran der Schwarze! Auf schwarzem Gaul! Den gilt es, vor allen zu treffen! Und hinter ihm – seht nur! – die ganze dunkle Schar, zu Roß, zu Fuß! Schaut wie sie wimmeln und drängen! Danke dir, Mutter! Nun weiß ich's gewiß! Ich werde nicht fehlen! In mancher Sturmnacht hab' ich's geschrieen in die Wolken hinauf: ›Hör' es, Herr Wode oder wilder Jäger, oder Kaiser Karl oder wie immer du heißest, der da oben brausend hinfährt über meinem Haupt: ich kämpfe für dich im letzten Kampfe. Dafür gieb mir Weidmannsheil und treffende Pfeile.‹ Hoch aus den Wipfeln, lachend, gleich der Eule, rief er Gewährung hernieder: – nie fehlte mein Pfeil. So fehle auch ich nicht in seinem letzten Kampfe.«
»Noch ich,« sprach Hellmuth ernst. »Merke: keinem andern als dem Himmelsherrn gelob' ich meine Seele. Aber in dem Kampf, der – auch die Priester sagen's ja! – in der Sunnwendnacht gekämpft wird auf Erden gegen Satan und all sein Heer – den Kampf kämpf' ich mit, Alter: wir reiten zusammen in die Teufel! Zur rechten[181] Stunde bin ich da unten – wo der Reitweg abbiegt – zur Stelle.«
Und von ihm hinweg schreitend zu seinem Roß, sprach er zu sich selber: »Das höchste Glück der Welt – es war, in Edels Arm zu ruhn. Es blieb versagt! Das zweite ist der Siegeskranz von höchster Ritterschaft: – den will ich mir ertrotzen. Sankt Georg soll gestehen: ›nie sah ich Ritter ritterlicher streiten‹ und – noch einmal – jenseit des Grabes – soll mich Edel müssen krönen.«
Näher und näher kam der verhängnisvolle Tag der Sonnenwende, der Johannes dem Täufer geweihte vierundzwanzigste des Brachmonds.
Da begaben sich seltsame Dinge vor und in dem Hause des reichen Kaufmanns, des Kornhändlers Renatus. An dem klugen Manne rächte sich nun der Christenglaube, den er nicht aus Überzeugung, den er aus heuchlerischer Selbstsucht und aus Feigheit angenommen hatte. Und damals war es nicht wie später mit dem einmal abgelegten Bekenntnis, also einer einzigen Lüge, abgethan. Wie alle andern Christen mußte der neugetaufte Jude all' die durch das ganze Kirchenjahr sich hinziehenden äußeren Bethätigungen des Glaubens mitmachen vor allem Volk. Täglich – wo irgend thunlich – mußte er die heilige Messe hören, alle vorgeschriebenen Fasttage einhalten, die öffentlichen Aufzüge durch die Stadt mit wallenden Fahnen und Umhertragung der hölzernen Heiligenbilder begleiten, alle die vielen anderen Feste mitfeiern, die öffentlichen Gebete einhalten[182] und mindestens sechsmal im Jahre zur Beichte gehen. Scharf überwachte die Seelsorge der geistlichen Oberen den Neugewonnenen, strenger als die Altchristen: und wehe dem Jüdling, gab irgend seine Lässigkeit Grund, ihn des Rückfalls zu beargwöhnen!
So hatte denn auch Renatus viele Jahre lang all diese Christengebräuche mitgemacht, sorgfältiger noch als andere. Den Glauben an die Lehre seiner Väter hatte er abgestreift: der christliche Glaube aber hatte ihn nicht ergriffen, höchstens hier und da ein Stück christlichen Aberglaubens.
So hatte sein feiges Herz die Verkündung des nahenden Gerichtes mit Schrecken erfüllt: zwar glaubte er anfangs nicht unbedingt daran, wann er aber glaubte, war er der Verzweiflung nah.
Und als nun die Entscheidung immer näher herankam, da wuchs ihm von Tag zu Tag wie der Glaube, so die Angst.
Es war der Morgen des dreiundzwanzigsten im Brachmond angebrochen. Da sah Renatus mit stieren Augen, wie alles Volk, die vielen Hunderte, die ohne den leisesten Zweifel felsenfest an das bevorstehende Ende glaubten, sich in die Kirchen drängten, betend, singend, weinend, heulend vor Todesfurcht oder vor Gewissensangst. Und er mußte es erleben, daß auf dem offenen Platze vor seinem Hof, dem Kornhof, die Leute in dichten Haufen vor einem hochragenden Holzkreuz sich auf die Kniee warfen, an die Brust schlugen, das Haar rauften, vorbeigehende Priester mit Gewalt festhielten, ihnen nochmal zu beichten, ja laut sich solcher Sünden und Verbrechen anzuklagen, die sie nie zuvor über die Lippen gebracht.
Und er sah wie die Männer vorüberschreitenden Mönchen das Mönchsgewand abrissen, sich darein zu hüllen und so seliger zu sterben und sicherer vor den Krallen der überall[183] unsichtbar in der Luft auf die arme Seele bei deren Ausfahren aus dem Munde lauernden Teufel.
Und er sah zuletzt, wie, in immer wachsender Herzensangst, reiche Frauen heraneilten, vor dem hohen Kreuz ihre Prachtgewande, Schapel, Schleier, Geschmeide von sich warfen, bis diese Opfergaben der Todesfurcht und Höllenfurcht zu einem gewaltigen hochgetürmten Haufen sich aufbauten.
Und er mußte es mit anhören und mit ansehen, wie endlich eine Stimme aus der Menge schrie: »Ins Feuer damit. Laßt uns alle diese Sünden verbrennen.«
Und alsbald ward der Haufe von Schätzen zum Scheiterhaufen!
Ein Knecht der nahen Schmiede rannte herzu mit brennendem Span, andere rissen das Stroh von des Kaufherrn Scheunendach herunter, brachen Planken und Bretter aus seinem Zaun, und warfen sie, die Glut schürend, auf die brennenden Kleider: bald stieg die rote Flamme hoch in die Lüfte.
Und nun strömten von allen Seiten Männer und Weiber herbei, und schleuderten Gewänder, Gerät, Schmuck, auch bares Geld, Urkunden, Schuldverschreibungen unter Schreien und Heulen in die gierig fressende Lohe.
Da ergriff es auch ihn mit der ganzen fortreißenden, ansteckenden Gewalt solch wahnwitzigen Thuns!
Er sprang mitten in den tobenden Haufen, unter jedem Arm ein paar vollgestopfte Ledersäcke, gefüllt bis zum[184] Bersten mit goldenen Solidi, silbernen Denaren, kupfernen Pfennigen: er schnitt die Säcke mitten durch und ergoß den klingenden klirrenden Inhalt wie einen metallenen Regen unter die Leute: ja, zuletzt riß er einen kleinen Leinensack, den er sorgfältig verwahrt auf der nackten Brust nachts wie tags getragen hatte jahrzehntelang, von der Schnur ab, öffnete ihn und streute Perlen und Juwelen mit vollen Händen unter die Menge: wie blitzten, wie funkelten die lichten Steine in dem roten Glast der Flamme!
»Nehmt doch,« schrie er dabei mit scharf ergellender Stimme. »Nehmt, ihr Leute! Lest auf! Hier Gold! Da Silber! Hier Smaragden – o schöne Smaragden aus Askalon! kostet mich der große da … ach ich weiß nicht mehr, wie viel! Nicht ins Feuer werf ich's, wie die Närrinnen dort. Wie schlecht verstehen sie sich auf ihren Seelenprofit! Ich – schau her, Jesus von Nazareth, und hör' auf mich! – ich schenk es den Armen, zum Heil meiner Seele! Siehst du's auch wohl genau, Galiläer, in all dem Qualm? Diamanten sind sogar dabei und viele blaue Saphire! Ich bin der Schenker, ich, dein Renatus, du Sohn Gottes! Ich bin wohlthätig gegen die Armen, ganz wie du es hast befohlen, Rabbi. Ihr Leutchen, tretet's doch nicht mit Füßen! Kauft euch Brot, Wein, Fleisch! Siehst du's, Sohn Marias der Jungfrau, wie ich speise die Hungernden? Hier du, Alter, – wie bist du zerlumpt! – nimm diesen Topas und kaufe dir einen Mantel. Schau' her, Stern von Bethlehem und, du heiliger Geist, seht her wie ich kleide die Nackten. Hab' ich früher wohl genommen mehr als sechs oder zwölf! – ach ja! es war manchmal wohl mehr, – vom Hundert, – ich mach' es jetzt gut millionenfach. – Und, Herr Christus, hier – schau hier! – bist ja allgegenwärtig, sagen sie! Hier ist der Auszug aus dem Taufbuch –[185] weißt du? – aus deiner großen Kirche zu Mainz« – er riß ein Pergamentblatt aus dem Brustlatz und hielt es ausgebreitet mit beiden erhobenen Händen gen Himmel: – »hier! hat's doch geschrieben deines Herrn Bischofs – nein, Erzbischofs sogar! – eigene Hand: – wie heißt er doch gleich! Nun, Christus, du mußt es ja wissen! Willigis heißt er! Dein frommer großer Willigis selbst hat mich getauft. Ich bin getauft: ich kann's dir beweisen! Also mußt du's gelten lassen. Und ich glaube auch an dich, o ja! Nicht immer hab' ich geglaubt. Aber heute – jetzt – glaub' ich. Ich zittere, aber ich glaube. Ich möchte lieber nicht glauben, aber ich muß!«
Nun wandte er den Blick vom Himmel wieder auf seine Umgebung: »Was!« schrie er und das dichte, kohlschwarze, struppige Haar sträubte sich ihm. »Was? Sie nehmen es gar nicht! Sie bücken sich nicht nach meinen Saphiren! Sie zertreten – wehe, wehe geschrieen! meine Perlen, meine weißen Edelperlen, meine Zahlperlen aus Damaskus! Wie! Ihr stoßt gegen mich mit den Ellbogen? Ihr Undankbaren! Nehmt doch, gute, edle Herren, schöne Frauen, nehmt: – wenn nicht für euch – aus Barmherzigkeit gegen mich, daß ich kann ausrechnen morgen vor dem Zimmermannssohn, – ach nein, vor dem Sohn Gottes, dem Messias! – gegen kleinen Wucher großmächtige Wohlthätigkeit und abziehen von meinem armen winzigen Betrug zu Frankfurt dieses unsinnig reiche Almosen. Ach wehe! Sie hören gar nicht auf mich! Sie lassen's liegen – im Kot! O Christus, ich kann doch nicht dafür, daß sie nicht wollen? Ich habe gewollt – Gutes thun.« Da brach er ohnmächtig auf das Gesicht nieder, Geifer und Schaum standen ihm vor dem Munde.
Die tobende Menge, die sein kaum geachtet hatte, würde ihn zertreten haben: aber da warf sich, aus dem Hofthor[186] hervoreilend, in den dichtesten Haufen eine hohe Gestalt in dunklem Gewand: furchtlos sprang sie unter die Rasenden, ergriff mit beiden Armen des Bewußtlosen Haupt und zog ihn – ihn aufzuheben vermochte sie nicht – quer über den Platz und durch das Hofthor, das sie sorgfältig hinter ihm verschloß. Sie besprengte seine heißen pochenden Schläfe mit Wasser aus dem nahen Brunnentrog: da schlug er die Augen auf.
»Er lebt!« frohlockte die alte Frau. »Er lebt, mein Isaak, meines Manasse Blut! Gott meiner Väter, ich danke dir: deine Gnade währet ewiglich! – Zwar wie wird er rasen übermorgen, wann er sieht, die Welt, Jehovahs weises Werk, ist nicht untergegangen – denn ich habe nachgelesen in den Rollen und kann es nicht finden darin und kann es nicht glauben! – und er hat geworfen all sein Geld und Gut auf die Straße! Er wird verfluchen sich und Gott und die Welt, und mich wird er schlagen, grausam schlagen! Aber! – nun ist er eingeschlafen! – wie schwer er atmet! – aber verzweifle nicht, mein armer Liebling. Nun ist es doch gut, daß die alte Mutter – wie hast du oft gescholten ihre Dummheit! – dir nie hat aufgedeckt den großmächtigen Schatz, den dein Vater hat vergraben als Notpfennig tief unter dem alten Birnbaum im Wurzgärtlein! Das wird dich trösten in deiner Trübsal und du wirst streichen der alten Mutter Kinn, daß sie dich errettet von dem Bettel. Und wirst erkennen, daß es nichts ist mit dem Glauben der Christen und daß sich geirrt hat der große Bischof in Rom und geirrt hat auch der gute Herr Bischof hier, als er ihm folgte. Und wirst einsehen, daß da ist kein anderer Gott als der Gott deiner Väter, Jehovah ist sein Name, der hat über dich gebracht, wie einst über Hiob, diese Prüfung zu deiner Läuterung. Verloren hast du viel Geld, aber zurückgewinnen wirst du[187] deinen Glauben. Und wirst thun nach dem Rat deiner alten Mutter und abschütteln von deinen Schuhen den Staub dieses Landes, wo wir doch immer, ob wir nun verleugnen unsern Glauben oder ihn bekennen, werden bleiben Fremdlinge und Verachtete, in diesem wilden Volk der Gojim, der Waffengewalt, und wirst nehmen den Wanderstab und wirst mit mir wandern an den Jordan, wo die Palmen rauschen, und wirst begraben mit frommen Händen deine alte Mutter am Jordan unter rauschenden Palmen.«
Als bald darauf Fulko und Blandinus – denn der war in den Waffendienst Herrn Heinrichs getreten – mit einer Schar von bischöflichen Reisigen erschienen, die rasende Menge auseinandertrieben, und das Feuer, das bereits das Holzkreuz ergriffen hatte und den Kornhof schwer bedrohte, löschten, da vernahmen sie aus den geschlossenen Läden des Judenhauses einen leisen eintönigen Gesang. Sie verstanden die hebräischen Worte nicht: allein sie lauschten, tief ergriffen, dieser eigenartigen fremdartigen feierlichen Weise; der Sinn der Worte aber war:
Die Sonne dieses Tages neigte sich zur Rüste, die Wipfel der Buchen des Königswaldes wunderschön vergoldend.
In tiefster Erregung durchschritt der Bischof nach Erledigung aller geistlichen und weltlichen Geschäfte – auch in den Nächten hatte er zuletzt nicht mehr geschlafen – lange den geräumigen Büchersaal.
Ein blaues Wölklein von gar süßem Geruch schwebte kreiselnd durch den Saal und verzog sich langsam durch das offene Fenster: neben dem mit Urkunden hoch bedeckten Schreibtisch ruhte auf hohem Erzgestell ein zierlich gearbeitetes Kohlenbecken, in welchem auf rotglühenden Kohlen Weihrauch glimmte: der Bischof hatte befohlen, denselben für den Abendgottesdienst bereit zu stellen.
Oft und oft ließ er im Wandeln den Blick durch das Fenster auf den freien Platz, auf den Strom, die Brücke, die ragende Feste und die Hügelkette im Westen schweifen.
»Wie schön war sie doch, diese Welt, welche morgen in Flammen aufgeht!« Er seufzte tief: dann schloß er fromm: »aber nicht mein Wille, – dein Wille, o Herr, geschehe!« –
Supfo trat ein, offenbar, jemand zu melden.
Rasch schritt Herr Heinrich auf ihn zu: »Berengar, – nicht wahr?« Der Alte schüttelte schweigend den Kopf. »Oder doch Nachricht von ihm? Auch nicht! Einer meiner Boten – es ist der vierte, den ich nach ihm ausgesandt …?« – »Ritt eben ein; aber er hat Berengar sowenig gefunden, wie seine drei Vorgänger. Kein Mensch weiß, wohin die Söldner, in deren Lager er gesucht werden sollte, sich gewandt haben.« »Es ist auch gleichgültig,«[189] sprach der Bischof vor sich hin. »Ich wollte nur, er sollte wissen, daß mich der ganze Plan … Was willst du aber, Supfo? Du blickst so ernst – wie ich es kaum je an dir gesehen. Fängst du doch endlich auch an, des Gerichtes zu gedenken? Es ist wahrlich an der Zeit.« Aber Supfo schüttelte noch stärker als zuvor das Haupt und sprach: »Ich melde Besuch, Herr Hezilo.«
»Habe jetzt nicht Zeit für Besuch und Unterhaltung.« – »Wird nicht sehr unterhaltend werden, rat' ich.« – »Wer ist's?« – »Eine Frau. Bittet um eine Unterredung.« – »Nein doch. Soll anderwärts Unterredung suchen. Oder vielmehr, sie soll gar nicht Unterredung suchen, sondern nachdenken über das nahende Ende.« – »Gerade darüber will sie mit Euch reden.« – »Ah, sich trösten lassen? Soll nachher in die Abendpredigt kommen. Oder in die Mitternachtsmesse, wie die andern auch. Soll sich geistlich vorbereiten.«
»Das eben will sie. Ihr müßt sie hören, diese Frau: sie will Euch beichten.« – »Beichten! Dann freilich! Führe sie herein! – Kennst du sie?« Der Alte hatte die Frage wohl nicht verstanden; gar eilig war er hinausgehumpelt. Noch einen friedlosen Gang durch das Gemach: »Beichte hören! Andrer Sünden würdigen … im Namen des Heilands den Reuigen, den Büßenden vergeben! Und ich? Ich selbst! Wer verzeiht mir im Namen des Heilands meine Erinnerungen, – die ich nie gebeichtet, weil ich sie nicht für Sünde hielt, und die mich auch jetzt noch nicht loslassen? Wer verzeiht mir die unbereute …?«
Er brach ab, – mitten im Schritt – mitten im Wort.
Er erschrak: er schlug hastig ein Kreuz: denn er glaubte, sie zu erkennen, die Frauengestalt, die ganz geräuschlos über[190] die Schwelle geglitten war, hart an der Thüre stehen blieb und nun den langfaltigen dunklen Schleier zurückschlug. »Hilf, Sankt Kilian!« flüsterte er, während ihm das Blut heiß vom Herzen in die Wangen schoß. »Es ist ein Blendwerk des Versuchers. Ach, gut kennt er die Schwäche meines …« – Lauter sprach er nun: »Es ist ja nicht möglich!« – »Doch. Es ist. Ich bin Heilfriede.« Unsagbarer Wohllaut klang aus dieser sanften, lieblichen Stimme, die wie aus dem Mund einer Verklärten zu tönen schien. Etwas Verschleiertes, Verhülltes, wie ein stets im Verborgenen gehütetes Heiligtum lag in der Stimme. Und verschleiert auch war der Blick dieser sanften, lieblichen Augen von mattem Blau unter langen, langen blonden Wimpern: nicht traurig war der Blick, aber so friedlich, so wehmutvoll befriedet, so weltentrückt!
In das lichtblonde, leicht gewellte Haar hatte das häufige Silberweiß nicht das Alter gestreut: die zarte Frau hatte offenbar das vierzigste Jahr noch nicht erreicht: diese blassen, weich gerundeten Wangen waren so jugendlich: nur gar so bleich, so farblos, so nonnenhaft! Der Zug der Augenbrauen war kaum sichtbar angedeutet durch einen Halbkreis von Blond: aber die sanfte Weichheit dieses Antlitzes ward auch von dem bloßen Anschein der Schwäche weit ferngehalten durch den Ausdruck des kleinen, fein geschnittenen, aber festgeschlossenen Mundes, der Willenskraft und lang geübte Willensmeisterung bekundete. Wie sie so dastand, die schmächtige, nur mittelgroße, zarte Gestalt in dem grauschwarzen Schleier, im dunkelveilchenfarbenen Mantel, der das Untergewand völlig verhüllte, glich sie einem stummen, wunderschönen, seelenbeschwichtenden Heiligenbilde. – – –
Herr Heinrich war regungslos stehen geblieben, weit von ihr: er lag völlig unter dem Banne des von ihr ausstrahlenden[191] Zaubers, dieser rührenden Sanftmut, dieser stillen Ergebung, dieser heilig verklärten Anmut. Lange, lange schauten sich die beiden sprachlos an: sie fanden keine Worte: vor tiefem stillem Weh oder war's vor geheimer Wonne?
Endlich that Herr Heinrich, fortgerissen von der Gewalt des Gefühls, einen raschen Schritt ihr entgegen: er hatte ihr die ausgestreckte Hand hinreichen wollen. Allein mitten in der Bewegung hielt er inne: er ließ den rechten Arm schlaff herabfallen. »Frau Gräfin …!« brachte er nun leise hervor, kalt, beinahe feindlich. Grimm und Erbitterung malten sich auf seinen durchgeisteten, von Schmerz durchzuckten Zügen: er furchte finster die gewaltige Stirne.
Jedoch wie er nun in die sanften Augen der stillen blassen Frau einen feuchten Schimmer treten sah, der sie noch schöner und noch viel rührender machte, – da versagte ihm die Kraft, zu zürnen und in ganz anderem Tone fuhr er traurig, tief aufseufzend, fort: »Ach wie lang ist's her, daß wir uns nicht gesehen!« – »Fünfzehn Jahre.« – »Das ist lang.« – »Ja. Denn es ist das ganze Leben.« Gegen den Ton dieser Stimme – Herrn Heinrichs Jugend klang daraus hervor! – gab es nicht Trotz, nicht Groll, nicht Widerstreben. Er wies mit der Hand auf den erhöhten Platz an der Wand unter dem dunkelroten Baldachin. Aber die Frau blieb an der Thüre stehen; sie sprach nicht. So mußte er aufs neue beginnen. Und das war so schwer! – Milder hob er an: »Was …?[192] Was führt Euch zu Heinrich von Rothenburg?« Da richtete sie die Augen fest auf ihn und sprach mit Nachdruck: »Zu dem Bischof sendet mich mein Gemahl.« Jäh fuhr Herr Heinrich zurück: »Ah so! – Freilich! Ich hätte mir es denken können!« schloß er herb.
»Gewiß! Ihr konntet nicht annehmen, ich suche Euch gegen, ohne meines Gatten Willen.« – »Es hieß … man ließ mir sagen … Ihr wolltet beichten?« – »Ich will beichten. Euch will ich, muß ich beichten, keinem andern. Das sagte ich meinem Mann; und dazu schickt er mich.« Der Bischof war aufs höchste überrascht: aber er wollte es um keinen Preis verraten; kühl erwiderte er, leicht die Achsel zuckend: »Seine Pflicht! – Christenpflicht!« – »Mich zu Euch als Beichtiger ziehen zu lassen, zu schicken? – Nein, das verlangte keine Pflicht von ihm.« Herr Heinrich entgegnete nicht. Er strich nur einmal langsam mit der umgewandten linken Hand über die stolze Braue: »So beginnet,« sprach er tonlos.
»Ich beginne damit, zu gestehen, daß ich mir gerade Euch als Beichtiger ausgesucht habe nicht nur meinetwillen, auch – ja mehr noch! – um Euretwillen. – Nein: die ganze Wahrheit muß gesagt sein: nur um Euretwillen habe ich Euch zum Beichtiger ausgewählt und von meinem Mann erbeten.«
Jetzt konnte Herr Heinrich sein Erstaunen nicht mehr verbergen: »Und auch das … das habt Ihr ihm gesagt?« – »Gewiß.« – »Und er hat …?« – »Er hat erwidert: ›Ja. Geh zu ihm. Sag' ihm alles. Alles, was du soeben mir gesagt. Wenn etwas auf Erden ihm wohlthun kann und seine Seele retten …‹« »Graf Gerwalt soll für seine Seele sorgen!« donnerte der Bischof sehr zornig. Aber ruhig schloß sie: »›… so wird es das sein.‹ Also sprach mein Mann.« – »Ich will[193] nicht hören, was mir Graf Gerwalt sagen läßt – durch Euch.« – Trotzig schritt er durch den Saal. Geduldig wandte die Frau das schmale Gesicht so, daß sie ihm überall hin folgen konnte mit den Augen. –
»Nicht Er,« sprach sie ganz sanft, »meine Seele spricht – unter seiner Verstattung – zu Euch. Bald stehen wir – wie alle – vor dem Richterstuhl des Herrn. Ihr glaubt doch zweifelfrei daran? Sagt mir das offen, bevor ich weiterrede. Euch glaub' ich unbedingt darin, wie – wie in allen Stücken. Nur weil übermorgen doch alles klar und offen wird zwischen Eurer Seele und der meinen – nur deshalb« … hier überflog die bleichen Wangen ein leiser Hauch von zartem Rot – »konnte ich mich soweit überwinden. Stehen wir übermorgen vor Gott? Sprecht: Ja oder Nein? Wenn Nein, bleibt meine Beichte ungebeichtet.« – »Ja. Habt Ihr nicht all meine Vorbereitungen in der Stadt gesehen?« – »Ich treffe soeben erst ein. – O Gott sei Dank für dieses: Ja!« Sie faltete die Hände und sah nach oben.
»Ein betender Engel!« mußte der Bischof denken. »Aber welche Freude in diesen Zügen? – Ihr – ersehnt, so scheint's, den Tod?« – »Von ganzer Seele!« – »Lange schon?« – »Seit … seit vielen Jahren.« – »Und die drohenden Schrecken des Weltbrands?« – »Ich fürchte sie nicht. Ich segne sie. Sie allein haben mir diese Stunde gebracht. Das Wort der Erlösung – ach! nicht nur für mich – so selbstisch bin ich nicht! – für Euch – – von bittrem Leid.«
Vornehm richtete er sich auf zu seiner ganzen Höhe: »Wer sagt Euch,« fragte er stolz, »daß ich leide oder litt?« Sie wollte ein rasches Wort erwidern: aber sie erschrak über ihr eigenes Wort, faßte sich und verbesserte sanft: »Oder doch von bittrem Groll. Leugnet Ihr auch den?«[194] »Nein, das wäre gelogen!« lachte er grimmig. »Bin kein Erzengel, nur ein Mensch, ein Mann. Und bin's geblieben, auch als ich Priester und Bischof ward.« – »Nun seht, Herr Bischof, daß Ihr nicht mit der schweren Todsünde dieses Hasses, dieses unversöhnten Grolles auf der Seele vor den allwissenden Richter tretet, deshalb, o glaubt es mir, Herr Bischof Heinrich, – nur deshalb steh ich hier: hört es: nur Eure Seele zu retten.«
Er schüttelte finster den Kopf: »Das ist keine Beichte. Habt Ihr keine Schuld auf der Seele?«
Aber ohne auf die Frage zu achten, fuhr die Frau in wachsendem Eifer fort: »Diese Sorge, diese Angst um Euch hat mich ergriffen von dem Tag an, da ich das nahende Ende erfuhr: diese Qual um Euer ewig Heil hat mich rastlos umgetrieben Nacht und Tag. Sie hat mich – ich bin sonst scheu, wie Ihr vielleicht noch wißt, Herr Heinrich! – fortgetragen über alle Bedenken – hierher zu Euch getragen – wie auf Flügeln: die Sorge, die heiße … Sorge um Euch. Beichten konnte ich, nachdem ich meinem Manne gebeichtet – das war nicht leicht! – jedem Priester. Aber diese Beichte, die ich Euch anvertraue – o Gott! – sie soll ja nicht, wie Beichte sonst, der Beichtenden Seele retten, – sondern die Eure! Euch retten und erlösen – bevor der Richter richtet! – von dem dumpfen Haß und bitteren Groll gegen meinen Mann und – ach! – gegen mich!« Rasch machte sie einige Schritte – dann sank sie unter Thränen auf den vorher abgelehnten Sitz.
Auch er war tief, mächtig bewegt: die edle Empfindung dieser reinen Frauenseele hatte ihn erschüttert. Er trat dicht vor sie hin, schaute scharf auf sie herab und hielt seine beiden zuckenden Hände fest ineinander geschlossen: »Graf Gerwalt zu hassen, ihm zu grollen, – prüf' ich[195] mich – als Christ – im Angesicht des nahen Todes – dazu hab' ich kein Recht. Wir streiten uns um Zoll und Brückengeld, – um Grafenbann und Bischofsrecht: – wir sind beide aus recht hartem Holz – da setzt es denn harte Stöße. Aber deshalb Haß und Groll? Nein! Er glaubt im Recht zu sein, wie ich. – Und … das andre? Das vor fünfzehn Jahren …?«
Sie seufzte und zog den Schleier vor die Augen.
»Beim Donnerstrahl, ich kann's ihm nicht verdenken! Nicht Freunde waren wir: – nur Waffengenossen, Jagdgefährten, Bechergesellen – oder Nebenbuhler um Ruhm und Glanz und Lebensfreude. Daß er die schönste Jungfrau liebte, die wir – beide – jenseit und diesseit der Alpen – gesehen, daran that er recht. Und daß er ihre Hand nahm, als sie ihn vorzog, daran that er wahrlich nicht unrecht. Also – will ich – nur als Mann, gar nicht als Priester – fragen – also warum Haß und Groll gegen – ihn?« – »Aber gegen mich, nicht wahr?« Das brach aus ihrer Brust wie aus dem Felsen der Quell, wie aus dem Vulkan das Feuer – weil sie müssen.
»Ah!« Und mit herzzerreißendem Klageton schlug sie die Stirn gegen die Holzwand und bedeckte den Kopf mit den beiden durchsichtigen Händen.
Aber diesmal erweichte sie ihn nicht, die rührende Stimme, den grimmen, seit langen Jahren verhärteten Groll des Mannes. Einen Augenblick noch blieb er vor ihr stehen mit festverschlungenen Händen: dann wandte er[196] sich jäh von ihr ab und stürmte in raschen Schritten – in abgebrochenen Sätzen redend – den Saal auf und nieder. »Kann es anders sein? – Bedenkt doch! – Ihr habt es wohl all vergessen – in diesen langen Jahren – an der Seite des schönen Gemahls? Ich nicht! Ich war nicht – abgezogen durch neues Liebesglück! – Merkt auf, ob ich's noch weiß. Und straft mich Lügen – gleich! – thu' ich Euch unrecht – nur mit Einem Wort. – –
Jahrelang kannten wir uns – am Hofe der Regentin … Ihr stets in der hohen Frau Geleit: – auch ich nur selten fern von ihr. Denn sie hielt viel auf Euch. Und auch – ein wenig – auf mich. Seit ich zuerst Euer Antlitz geschaut … – Genug! – Ihr merktet es bald – leugnet es nicht! – mußtet es merken! Und nach vielen Monden treuen Werbens – durft' ich annehmen – durft' ich wenigstens hoffen: … Frau Gräfin: sagt es offen, wenn es Einbildung eines eitlen jungen Thoren war. Durfte ich nicht hoffen – ich sei Euch nicht ganz … o wie sag' ich nur?«
Er stand jetzt wieder dicht vor ihr.
Da löste sie langsam die langen, schmalen Hände von dem Gesicht, wandte ihm voll das blasse Antlitz zu, schlug die Augen groß auf und sprach mit traurigem Blick: »Ja. Ihr durftet annehmen, ich liebe Euch. Denn es war die Wahrheit. Und ich konnte – Ja: mehr! Ich wollte es auch nicht – weiter verbergen.«
»Hei! Das gesteht Ihr also zu? Und doch, und doch, Verräterin, verraten und verlassen!«
»O Herr Heinrich …!« – »Nun, beim Zorne Gottes, der uns morgen richtet! Ist das nicht Verrat? Ihr liebtet mich, sagt Ihr? Seltsame Liebe! Sechs Wochen aus den Augen – für immer aus dem Sinn!« – »Herr Heinrich – war das Heilfriedens Art?« –[197] »Nein! Freilich nicht! Gewiß nicht! Ich hätte geeidet als Euer Eidhelfer und Euer Kämpfer – allein! – gegen eine Welt von Speeren: – ›Kein steter, kein verlässiger Herz hat je in Weibesbrust geschlagen.‹ Daher ja die Verzweiflung! Es war nicht nur der Schmerz um Euch: – nicht nur Euch, den Glauben an die ganze Menschheit hab' ich ja verloren. War mir doch bei der Kunde, als fielen alle Sterne vom Himmel: Dieses herrliche Geschöpf – dieses! – verhehlt mir nicht mehr ihre Liebe. Das war zu Ostern. Ich ziehe aus in der Regentin Dienst wider die Wenden. Ich wußte, kehrte ich siegreich zurück an den Hof nach Regensburg, – die Herzogswürde war mir zugedacht. Als Herzog wollt' ich um die Hand Heilfriedens werben. Zu Pfingsten bin ich, sieggekrönt, zurück und sie – – ist fort und des Grafen Gerwalt Weib. O pfui! Wie grenzenlos abscheulich!« Und er stürmte wieder durch den Saal.
Matt sprach sie, kaum vernehmbar: »Ja. Fort war sie. – Und war des Grafen Gerwalt Weib. – Wißt Ihr auch, warum?« »Tod und Verderben!« fuhr er auf. »Welcher Hohn! Weil sie jetzt – war er doch auch jünger und schöner! – auf einmal den Grafen Gerwalt liebte!« Und er blieb wieder hart vor ihr stehen und schoß flammende Blitze auf sie herab. »Nein,« sagte sie ruhig und sah ihm voll und fest in die zornigen Augen. »Weil Kaiserin Theophano befahl.«
Er taumelte zurück. »Wie? Was? … Und darum?«
»O Herr Heinrich,« begann sie liebreich-sanft und beinah heiter in allem Weh. »Nein, Ihr seid wahrlich nie ein eitler Mann gewesen, der sich die Gunst der Frauen eingebildet hätte. Ihr sahet sie ja nicht an vielen von uns, als sie mit Händen zu greifen war. Und nun vollends[198] Sie! Ihr allein merktet nicht, was der ganze Hof wußte.« – »Aber was denn? Was?« – »Die Kaiserwitwe Theophano – die wunderschöne Griechin – verwitwet im sechsundzwanzigsten Jahre – die herrliche, glühende Frau – sie hat Euch geliebt aus aller Macht ihres Wesens.«
»Die Kaiserin? Unmöglich!«
»Und die schöne, stolze, heiße Frau in ihren blauschwarzen diademgleichen Flechten,« fuhr sie ruhig fort, »sie entdeckte, der Graf von Rothenburg, der von so vielen geliebte Held, zeichne vor allen Frauen und Jungfrauen des Hofes aus das schlichte blonde, arme Edelfräulein von der Heide, aus dem Lande der Westfalen. Sie konnt' es nicht begreifen. Sie hatte recht: denn ich begriff auch nicht, warum? Und deshalb – so dachte sie wohl – achtet er gar der Frau Kaiserin nicht und sieht nicht ihre brennende Liebe. Sie war meine Wohlthäterin, die Erzieherin meiner verwaisten Jugend. Sie ließ mich kommen, sie öffnete mir ihr Herz. ›Du mußt ihm aus den Augen,‹ sprach sie, ›blondes Kind. Du mußt ihm unerreichbar werden. Dann – ist er mein. Du wirst nicht so selbstisch sein, ihm den Weg an meiner Seite – den sichern Weg zu höchstem Erdenglanz und Ruhm – zu versperren. Aber auch du sollst nicht leiden. Behüte! Graf Gerwalt liebt dich, ich weiß es. Er ist ein schöner wackrer Mann, ein Held wie jener. Du wirst sein glücklich Weib. Heinrich aber – er wird wozu ihn Gott vorausbestimmt hat durch hohe Gaben –: Regent des deutschen und italischen Reiches und mein Gemahl.‹ Sie befahl. Ich gehorchte. Durft' ich, – ich armes Ding! – dem Aufflug des Adlers zur Sonne im Wege sein?« »Um Gottes willen!« schrie der Gequälte auf. »Geopfert um meinetwillen?« Und er warf sich leidenschaftlich vor ihr nieder auf die Kniee.
Sofort sprang sie auf.
Weit trat sie weg von ihm zur Thüre.
»Steht auf, Herr Bischof! Sofort: oder ich verlass' Euch.«
Er stand schon wieder.
Hochaufgerichtet stand er, die geballte rechte Faust auf die Tischplatte gestemmt, die flache Linke auf das wild pochende Herz gedrückt, glühendes Rot im Gesicht.
»Verzeiht, Frau Gräfin … – nein: Heilfriede, vergieb, daß ich auf die Kniee sank! Ich bin's so sehr gewöhnt, vor Heiligen zu knieen. Und du – du bist eine Heilige! – Und ich blinder, wildherziger Mann habe dich all diese Jahre … gehaßt? O nein! Ich konnte nicht! Aber verachten wollt' ich dich und deine Treulosigkeit. ›Die schöne Verräterin‹ nannte ich dich so gern in meinen schlummerlosen Nächten. Ach der Spruch:
er war zu meinem Nachtgebet geworden. O dich verachten – diese Wollust that so bitter weh! Vergieb mir, Heilfriede! Kannst du mir vergeben?«
Sie trat nun langsam von der Thüre wieder in die Mitte der Halle zurück. »Ich hab' mir's wohl gedacht,« erwiderte sie traurig. »Ihr kanntet mich doch nicht genug, an mich zu glauben auch gegen den Anschein. Ich, Herr Heinrich, würde nie so an Euch gezweifelt haben.« – »O sprich, daß du mir verzeihst!« Sie lächelte wehmütig: – es ließ ihr unendlich schön. »Stände ich hier, wenn[200] ich Euch nicht vergäbe?« – »Dank!« – »Ist doch kaum etwas zu vergeben! Daß ein ungestümer Mann, gekränkt in seinem Stolz von einem Weibe, das ihn aufgab, diesem nicht gute Beweggründe beilegt, sondern Schwäche in seinen vorwurfsvollen Gedanken, – das ist wohl so der Lauf der Welt. Aber Ihr ahnt nicht, was ich empfand, als mich, statt der Nachricht Euerer Verlobung mit der Regentin, wie ein Donnerschlag die Kunde traf am fernen Rhein: ›Graf Heinrich von Rothenburg hat der Welt entsagt.‹ Er!« Hier leuchteten die sonst so mattblickenden blauen Augen zum erstenmal auf in freudigem Stolz. »Der allerersten Helden des Reiches einer – mir – so lange Zeit! – der Erste! Er nahm die Weihen! Ward Priester! Umsonst, umsonst – so sagt' ich mir – habe ich mein Herz verleugnet, mein Leben geopfert, ihr und ihm. Weder die Herrin, vor der ich aus Dankbarkeit zurückstand, noch Er, dem ich den Weg zu kaiserlichem Glanze bahnen wollte, hat Vorteil davon! – Ach, in jenen Nächten ist mein Haar ergraut. Und ich sagte mir doch auch, welches Weh allein es sein konnte, das den heldenhaften Mann dahin getrieben, das siegvertraute, das geliebte Schwert sich abzugürten.« – »Ja, Heilfriede, auch das that weh.« »O so vergebt Ihr mir!« rief sie nun in überraschendem Ausbruch des Gefühls, »daß ich Euere Liebe nicht als so stark erkannt, wie sie es war. Aber seht: darum ließ mir die Sorge um Eure Seele keine Ruhe! Sollten wir vor Gott treten – Ihr belastet mit diesem sündhaften, grundlosen Hasse gegen mich und ich ohne Eure Verzeihung, daß ich Eure Liebe unterschätzt? Alles, alles sagte ich meinem wackren Mann in diesen Tagen auf unserer Rückreise aus Welschland: alles! Und er ließ, ja er hieß mich dennoch zu Euch eilen.«
»Ich dank' ihm! Sagt ihm das!« In rascher Aufwallung[201] des Edelgefühls kam das hervorgesprudelt. Zögernd fügte nun der jahrelang genährte Groll hinzu: »Das heißt: wenn ein Dankeswort von mir bei Graf Gerwalt gute Stätte findet.«
»O Herr Heinrich! Ihr habt ihm noch viel, viel mehr zu danken!«– »Hei ja, gar manchen Span, Streit und Verdruß! Ein Glück, daß er, seit er diesen Gau erhalten, immer jenseit der Alpen weilte. Saß er da oben auf dem Marienberg und ich hier – es wäre wohl Blut geflossen. So hab' ich mich nur mit seinen Amtleuten herumzuzanken gehabt. Wo ist er? Wann folgt er Euch nach?« – »Heute Nacht oder morgen in aller Frühe. Er hat noch in seinem andern, im Rangau Geschäfte.«
»Auch über diesen,« schalt der Bischof, »gab es immer Zank und Hader!« – »Gerade deshalb hat er …! Aber nein! Ihr würdet mir nicht glauben. Und bevor der Erfolg eintreten kann, stehen wir alle drei vor Gott. Dort – auf Wiedersehen, Herr Heinrich!« – »Heilfriede! Wohin?« – »Nach Haus' – in die Burg – so gebot mein Gemahl – ihn dort zu erwarten.« – »Gut! Gehorcht ihm. Aber noch eine Bitte – die letzte im Leben.« – »Sprecht!« – »Wann nun die letzten Dinge hereinbrechen – wann die Posaunen erdröhnen der Engel des Gerichts – dann, Heilfriede, laß uns die Ankunft des Herrn gemeinsam erwarten. Im Dom, am Hauptaltar, im Schutz aller heiligen Reliquien, versammle ich, lang vor Mitternacht, die Gemeinde um mich – so viel der Gläubigen die Kirche fassen mag. – O Heilfriede, in solch schirmender Umgebung, an solch heiliger Stätte erwarte auch du das Ende. Steige rechtzeitig herab von der Burg und –«
»Mein Gemahl ist bis dahin sicher hier. Gern wird er mit mir Euren frommen Vorschlag annehmen. Versöhnt,[202] befriedet, vereint, Hand in Hand wollen wir dann alle drei das Ende erwarten … – Und nun noch« – ihre Stimme zitterte – »Euren Segen, Herr Bischof!« Und sie beugte demütig vor ihm das bleiche Gesicht.
Er aber winkte ihr abwehrend mit der Hand. »Wer bin ich, daß ich dich segne? Der Sünder die Heilige! Dich hat der Herr gesegnet aus der Maßen. Selig sind, die reinen Herzens sind, denn ihrer … ach, dein, Heilfriede, ist das Himmelreich!«
Und der starke Mann brach laut aufschluchzend zusammen über dem Tisch. »Leb wohl! Auf Wiedersehen am Ende, Hezilo!« hauchte sie. »Heilfriede! Deine Hand! Nur deine Hand –« Er sprang stürmisch auf.
Sie war verschwunden. Wieder lehnte er sich vorgebeugt, seiner selbst kaum mehr bewußt auf den Schreibtisch.
Dabei streifte sein langfaltiger Ärmel eines der Pergamente, es glitt herab von der Tischplatte und fiel gerade auf das offene Becken der glühenden Kohlen.
Hastig raffte er es auf, schon war es leicht angebrannt.
»Kaiser Karls Verleihung!« rief er erschrocken. »Beinahe …! Nun, und wenn sie verbrannte?« lächelte er. »Wie thöricht doch die Gewohnheit macht! Übermorgen verbrennt sie ja doch! Mit allem was sie mir – dem Bistum – schenkte. O du unselig Pergament! Durch deine zierlichen Buchstaben hat mich der Welsche bezaubert, durch dich hat er mich immer wieder angetrieben, wann ich nachgeben wollte. Zwar für Sankt Burchhards Recht … ach nein, nein, es ist ja all nicht wahr!
Heinrich, gesteh' dir's doch endlich – an diesem Tage – selber ein, dir und dem Allwissenden, den du ja doch nicht täuschen kannst, wie du dich selbst so lange, so gern getäuscht hast. Die Lust, Land und Leute zu beherrschen,[203] gegen ihren Gatten – lauter Sünde hat dich dabei getrieben! Unheilsurkunde! Hätt' ich dich doch nie entdeckt! Wärst du doch verbrannt mit allen andern damals vor vielen Jahren! Oder jetzt verbrannt – in diesen Kohlen, – eh' ich dich nochmal sehen mußte!
Dämonisches Geschreibsel!« Zornig zerknitterte er es in der Rechten. »Wieviel Sünde hast du in mir angerichtet! Ich hasse dich, ich verfluche dich – nicht erst übermorgen – gleich sollst du verbrennen! Durch meinen Willen! Durch meine Hand! Und so wie ich dich zerstöre, so thu' ich von mir – zu Ehren jener bleichen Heiligen – allen Haß gegen Gerwalt und jedes – jedes! – sündige Verlangen!«
Und in fiebernder Erregung, seiner Sinne nicht mehr mächtig, riß er das zähe Pergament mit den beiden starken Händen mitten durch und warf die beiden länglichen Streifen in die glühenden Kohlen.
Hoch loderte sofort die helle Flamme auf. Mit seltsamer Lust sah er das noch: dann stürzte er besinnungslos, ohnmächtig auf den Estrich nieder.
So fand ihn Supfo, der den schweren Fall gehört hatte und besorgt herbeieilte.
Der furchtbare Tag war angebrochen und nahezu abgelaufen ohne irgendwelche Störung der Ruhe in der Stadt.
Das war bei der gewaltigen Aufregung aller Gemüter nur den weisen und kräftigen Anordnungen zu danken, die der Bischof schon lange für diese bangen Stunden vorbereitet und nun ins Werk gesetzt hatte. Unter Supfos treuer Pflege – er hatte dabei des Steinweins nicht gespart! – erholte sich die starke Natur Herrn Heinrichs bald von der Betäubung, in welche ihn der rasche Wechsel so mannigfaltiger Erregungen gestürzt hatte; er begab sich noch am Abend zu rechter Zeit in den Dom und waltete dort seiner heiligen Pflichten.
Nach durchwachter und durchbeteter Nacht schritt er in feierlichem Aufzug, gefolgt von seiner ganzen Priesterschaft und allem Volk, durch die Straßen, zum letztenmal Gott zu danken, seine Gnade und die Fürbitte der Heiligen anzurufen. Zwar ward gemeldet, daß räuberische Bauern auch an diesem Tage selbst noch sich ziemlich nahe der Stadt gezeigt hätten: – aber auch hiergegen hatte Herr Heinrich wachsame Vorkehrung getroffen auf den Warttürmen.
So war der wunderschöne Sommertag friedlich, feierlich, erwartungsvoll hingegangen.
Nun deckten bereits blaue Schatten die fernen, waldigen Höhen an dem Oberlaufe des Flusses, während in der Stadt auf den Türmen im Umkreis der Mauern die roten Pechpfannen der Türmer glühten; auch stromabwärts glomm hier und da ein Licht aus den auf den beiden Ufern verstreuten Höfen: die Leute wachten in bangem Gebet die Mitternacht heran.
Schon damals setzte sich wie heute auf dem rechten Mainufer die von Süden herziehende große Heerstraße unterhalb der Stadt gen Norden hin fort: im Osten stieß sie dicht an die mit Reben bepflanzten Anhöhen; aber links, gegen den Fluß hin, erstreckten sich in jener Zeit noch Wiesen und Buschwerk.
Wonnesam ist und berauschend die laue Mittsommernacht zu Würzburg und, wie des Lenzes in jenem gesegneten Mainthal, wird, wer je dort einer Mittsommernacht genoß, ihrer dankbar gedenken.
Und diese Nacht, welche da als die letzte ihren weichen dunklen Schleier werfen sollte auf die Erde, – diese Nacht war wunderbar vor den andern vieler Jahre! –
Der Mond stand nahezu voll am Himmel: von den Osthöhen aufschwebend warf er sein bleiches Licht zauberhaft auf den Fluß, auf die ragenden Mauern der Burg im Westen; leichtes fast durchsichtiges Gewölk, von rötlich gelben Rändern umsäumt, zog manchmal, vom lauen Südwest getragen, über die leuchtende Scheibe, durch solchen Wechsel des vollen und des gedämpften Lichts den Reiz geheimnisvoll erhöhend.
Jener weiche, warme Südwest – hauchend, als wär'[206] es Atmen des Himmels – führte auf seinen leisen Schwingen den wunderbaren, den süß berauschenden, den entzückenden Duft der Rebenblüte von den Weingärten des Burgbergs, zumal der Burgleiste über den Fluß nach Nordosten. – Zur Sonnwend gerade stehen dort die Reben in voller Blust und ihr Duft ist keinem auf Erden vergleichbar! Es ist eitel Poesie, süße, feurige, heiße Liebeslust atmende Poesie, was die trunkenen Sinne da einschlürfen in einer Berauschung, viel feiner und beseligender als im Trunk des Rebensaftes selbst.
Durch jenes Strauchwerk an der Straße und über die Wiesen hin flogen Leuchtkäfer in reicher Menge, mit ihrem grünlichen Licht das Phantastische, Ahnungsvolle dieser halbdunkeln Stunden noch steigernd.
Das Buschwerk aber bestand zum größten Teil aus wilden Rosen, die so schön, so starkstämmig, so zahlreich wie dort im sonnigen Mainthal wohl nirgend mehr gedeihen auf deutscher Erde.
Vielfach hatten zwar die Rosen schon abgeblüht: aber der überaus warme und doch feuchte Sommer hatte an vielen Büschen eine zweite Blüte hervorgelockt: und der honigduftende süße Hauch der Wildrose mischte sich hier mit dem feineren herberen der Rebe.
Und in den Rosenbüschen schlugen und schmetterten ihr feurig Lied ungezählte Nachtigallen! So laut, so lustheiß, so jauchzend in beglücktem Minnewerben! So stark, wie noch in keiner Nacht dieses Sommers! Es war, als ahnten die klugen Vögelein, die zwar an den Untergang der Welt nicht glaubten, daß sie nun bald verstummen mußten für ein Jahr: und als wollten sie noch einmal aus vollster Kraft den Wonnejubel der Liebe hinausschmettern in die blaue, die leise atmende Nacht! –
All das: das silberne Mondlicht – der laue Wind[207] – der Reben- und Rosenduft – das heiße, brünstige Lied der Nachtigall – wirkte zusammen zu einer süßen, weichen lustvollen Berauschung der Sinne und der Seele. – –
Der Zauber dieser Stunde befing wohl auch den einsamen Reiter, der aus dem äußersten flußabwärts vorgeschobenen Blockhaus der Pfahlbefestigung in raschem Trabe gegen die Stadt geritten kam.
Er hatte den Helm abgenommen und ließ die laue kosende Nachtluft, den schmeichlerischen Wind, der ihm entgegenkam, frei durch seine dunkeln Locken streichen. Er hielt nun das schwarze Roß an, sprang ab und führte es am Zügel: »Still, Orco, tritt sacht auf! Sie dürfen uns nicht kommen hören, die frommen Frauen, sonst …! – Ich hielt es nicht mehr aus! Ich mußte! Es riß mich fort so unwiderstehlich – wie dort der heiße Sang dem kleinen Vöglein aus der Seele bricht. Diese Nacht! Nie sah ich ihresgleichen! Du mußt – du mußt mein werden vor dem Ende. Magst du wollen oder nicht! Aber du wirst wollen: – wollen müssen! – denn du liebst mich! Wie lautete doch das Lied, das ich gestern auf diese Nacht, auf diese Stunde gedichtet?
Aber der liebe Gott wird's selber einsehen, daß ich nicht anders konnte. Was hat er sie so schön geschaffen und mich so heiß? Und ich hätte ja ganz gern des Bischofs Segen dazu erbeten, wenn … Aber halt! Was ist das? Wer kommt da mir entgegen? Eine dunkle Gestalt – ein Weib – ganz allein – heute! in dieser Stunde! – Sie winkt mit der Hand. Bei Sankt Martin zu Tours! Wahrhaftig – sie ist's! sie selbst. – Minnegardis!« »Fulko!« schallte es zurück. Und er eilte ihr entgegen, das Tier nach sich ziehend. Hell trat der Mond aus Gewölk, da sie sich erreichten. »Geliebte! Du – hier?« rief er und faßte ihre beiden Hände. »Wen suchst du?« – »Dich!« – »Aber wie konntest du …?« – »Ich ahnte, du würdest, müßtest kommen in der letzten Stunde der Welt. Ach, ich wußte es!«
»Woher?« – »Aus meinem eignen Herzen und Verlangen! Ich erfuhr, du hast Wache in dem Blockhaus da unten. Da wußte ich, du würdest versuchen, mit List oder Gewalt zu mir zu dringen, in meine Kemenate bei den Religiosen. Aber ich wußte auch, es könne dir nicht gelingen.« – »Ich bin auf dem Weg und mein Schwert …« – »Wäre nicht nötig gewesen. Ich erwartete dich und hätte dir den Laden der Kemenate selbst geöffnet.« – »Nun also!« – »Aber ich sollte ja fort! Der Bischof[209] ließ mir sagen, er werde mich noch vor der zehnten Stunde durch die Runde der Wachen abholen lassen in den Dom. Dreißig Speeren konntest du mich nicht entreißen! Und darum – o ich sollte wohl vor Scham vergehen! – darum, weil du nicht zu mir dringen konntest – deshalb, du geliebter Mann, kam ich zu dir! Drang ich, flog ich dir entgegen. Denn, wisse das, du heiß Begehrter: ich liebe dich über alle Maßen. Und nicht sterben will ich, bevor du das erfahren und gefühlt. Ich muß, ich muß! Es reißt mich dir entgegen mit unbezwinglicher Gewalt, so notwendig wie hier die Rose duftet, dort das Vöglein singt. Dein will ich sein und dir gehören – unscheidbar Eins in Ewigkeit. Und wird – wie sie lehren – in der Ewigkeit nicht geküßt und gefreit, – so will ich dich küssen und kosen in der letzten Stunde, da die Welt noch steht. Will mich der gütige Himmelsherr drum strafen, – – so mag er's thun. Ich aber thu', was ich nicht lassen kann. Ich kam, um dein zu werden, ach nur im Tod: nicht mit dir zu leben, nur mit dir zu sterben. Ich liebe dich, komm an dies Herz und fühl's, wie ich dich liebe.« Und weit öffnete sie beide Arme und stürmisch umschlang er sie. Und er küßte sie, daß ihr der Atem verging. »Komm,« – flüsterte er dann – »hier auf der offenen Heerstraße – man wird dich vermissen – suchen …«
Ein leichter Sprung und sie waren westlich von der Straße im dichten Gebüsch: – das kluge Roß sprang hinterdrein: – er schlang den Zügel um den nächsten Baum: »Nun, treuer Orco, halt Wacht! und warne, kommt jemand.« Der Rappe wieherte lustig und nickte mit dem Kopf, als hab' er alles verstanden. – – –
Und – nun alles still ringsum … ganz still.
Der Mond lugte nur selten und schonend durch das dichte Gebüsch auf die weiche Wiese. Ein Leuchtkäfer flog[210] über ihre Häupter hin und ließ sich dicht neben Minnegardens Locken nieder auf das Gras. »Unsre Hochzeitfackel!« flüsterte er.
Und der laue Wind trug ganze Wolken Wohlgeruchs von Rebenblüt' und Rosen ihnen zu.
Und laut, schmetternd, jubelnd, schlug die Nachtigall im nahen Busch ihr triumphierend Siegeslied der Minne. – – –
Sonst rings alles ruhig um sie und weihevoll: rings alles still: auch sie sprachen nicht vor eitel Seligkeit und eitel Liebe. – – –
Plötzlich wurden die Glücklichen aus ihrer süßen Versunkenheit aufgestört durch einen dröhnenden ehernen kriegerischen Ruf.
Erschrocken fuhr Minnegard auf unter seiner heißen Liebkosung, strich das gelöste wirre Haar aus den brennenden Schläfen zurück und rief: »Horch! Was war das? Die Posaune des Gerichts? Bricht das Ende herein? Ich fürchte es – nun – nicht mehr. Denn du wardst mein und höchste Seligkeit. Und nicht den strengen Richter: Hand in Hand mit dir tret' ich vor ihn hin und jauchze: ›Ja, ich liebe ihn, ewig werd' ich ihn lieben! Strafe mich, Herr, wenn es Sünde war. Aber ich thät's nochmal!‹«
»Still, Kind! Laß mich horchen! Richtig. Das – es ist auch noch lange nicht Mitternacht! – Das ist nicht die Posaune der Erzengel: – das ist das Wächterhorn vom Brückenturm. Aber es bläst den Waffenschrei!«
Er machte sich los aus ihren Armen und lauschte.
»Horch! In der Runde antworten die andern Türmer. Es ist der Notruf: ›Feinde!‹ Und schau – dort – in der Ferne – unweit der Stadt – vor der Sandvorstadt[211] – flammt Feuerschein auf. Das sind Mordbrenner, räuberische Bauern.«
»Wie? In dieser Nacht? Kurz vor dem Ende?«
»Gleichviel! Es scholl der Waffenschrei: Herr Heinrich ruft seine Ritter. Nicht vergeblich soll er Fulko rufen! Auf, mein süßes Lieb, du mein holdes Eigen: – rasch in den Sattel! So ist's recht! Halte dich an der Mähne! Hier bin ich schon hinter dir im Sattel. Noch einen Kuß! Und noch – und noch Einen – den letzten wohl! Und nun, renne mein Rößlein! Fulko und Minnegard darfst du tragen aus seliger Lust in seligen Tod.«
Pfeilschnell sauste das edle Tier durch die Wiesen gegen die Stadt dahin: es wieherte den schmetternden Trompeten feurig entgegen.
Es waren noch etwa zwei Stunden vor Mitternacht.
Im Dome standen der Bischof und seine Geistlichen und so viele Gläubige, als der Raum zu fassen vermochte, Kopf an Kopf gedrängt, versammelt: auch in allen andern Kirchen und Kapellen hatte, nach Anordnung des Bischofs, nächtlicher Gottesdienst stattgefunden, ein paar Stunden nachdem die Vesperfeier vorüber war: auch sie waren sämtlich überfüllt.
Zu Hause blieben fast nur die Kranken, die Bett oder Haus nicht verlassen konnten und oft, aber nicht immer, ein Pfleger – oder meist eine Pflegerin! – welche die Pflicht, bei den Siechen auszuharren, höher anschlugen als den Trost, das Ende in der Kirche, in der schützenden Nähe der Heiligtümer zu erleben.
Nur Eine Ausnahme kam vor: – der Bischof selbst hatte sie befohlen.
Die Führer der Thor- und Wallwachen, die er – in Abwesenheit des Grafen – ordnete, waren am Morgen vor ihn getreten und hatten ihn gefragt, ob sie nicht mit ihren Leuten heut, am letzten Tag der Welt, ihr kriegerisch Werk einstellen und in den Kirchen der Andacht aller andern sich anschließen dürften?
Bei Herrn Heinrich hatten auf diese Bitte hin der Bischof und der Kriegsmann einen scharfen Kampf geführt; aber der Kriegsmann hatte gesiegt. Er hatte die Stirne gefurcht und gesprochen: »Nein! Die Landbrenner sind nah! Jeder auf seinem Posten. Der Bischof vor dem Altar, der Turmwärter auf dem Turm. Findet uns der Herr dort, so findet er uns da, wohin wir gehören. Bis zum letzten Augenblick – die Pflicht des Dienstes, des weltlichen wie des geistlichen.«
Mit stillem Kopfnicken hatte er, lange bevor er die Messe begann – die letzte, die er zu lesen hatte! – von dem Ankleidezimmer aus die Gräfin mit ihren Frauen die Steinstufen des Doms hinaufschreiten sehen. »Sie hält Wort,« sprach er gerührt; den Grafen Gerwalt sah er noch nicht, er vermißte auch noch Minnegard und Edel: aber er zweifelte nicht, sie würden rechtzeitig, wie er geboten, erscheinen.
Die Messe war gelesen, auch die Predigt zu Ende, in welcher der Bischof ernst, aber ohne weich zu werden, in mannhaften tapfern Worten zu seinen Hörern sprach, dem Feldherrn vergleichbar, der seine Sturmschar ermahnt, dem sichern Tode kühn entgegenzuschauen. –
Der Dom hallte wider von dem lateinischen Gesang der Priester und der Chorknaben, in welchen hin und wieder[213] die Latein- und Sanges-Kundigen aus der Gemeinde einfielen. –
Wallend und wogend zogen dichte Wolken des Weihrauchs durch den von Öllampen und Kienspänen nur schwach beleuchteten einschiffigen Holzbau: – bloß der Hauptaltar, wo der Bischof nun segnend stand, strahlte in der Helle zahlloser Wachskerzen. –
Da plötzlich schmetterte durch die offene Thür – denn die Menge der Andächtigen drängte vom Chore durch die ganze Kirche und auch durch die Thüre hinaus bis auf die Stufen und auf den Platz vor dem Dom – derselbe eherne Trompetenschall, welcher das wonneberauschte Liebespaar aufgeschreckt hatte.
Auch hier würde wohl die Vorstellung des Posaunentons des Weltgerichts – heute allen die nächstliegende – die Menge ergriffen und in dem dichten Gedränge Schrecken und Entsetzen verbreitet haben. –
Aber Herr Heinrich kam dem zuvor.
Sofort erkannte sein an solchen Ruf gewohntes Ohr die Eigenart dieses Grußes. Er ermaß auch blitzschnell die Gefahr, welche ein falscher Schreck über die vielen Hunderte, in engem Raum zusammengepferchten, höchst erregten Menschen bringen mußte.
So rief er denn mit seiner lauten Stimme, die gewohnt gewesen, mit dem Ruf des Befehls das Toben der Reiterschlacht zu überdröhnen: »Bleibt ruhig, ihr Gläubigen! Das ist nicht der Beginn des Gerichts! Ich habe befohlen, mit der Turmtrompete … Hört ihr? Es ist die Trompete vom Sandturm – jetzt auch vom Brückenturm! – zu melden, wann sich das Raubgesindel gegen die Stadt heranzieht. Es sind Brandräuber!«
Da brach sich durch die Menge vor den Stufen ein ganz Gewaffneter Bahn – er schob die Bürger, die Frauen,[214] links und rechts kräftig zur Seite – schon hatte er den Altar erreicht. »Auf, Herr Bischof! Hier Euer Schwert. Nehmt! Eure Sturmhaube! Euer Roß steht draußen gesattelt. Feinde vor der Stadt! Es brennen schon mehrere Höfe mainaufwärts. Kommt und helft!« Es war Blandinus, voll glühenden Eifers: Nie war sein schön Gesicht so schön gewesen, wie es jetzt unter der Sturmhaube hervorglänzte. »Helft! Rettet! Herr Bischof!« riefen die Bürger. »Was sollen wir thun?« »Hierbleiben! Beten!« schrieen die Weiber.
Aber Herr Heinrich richtete sich auf zu seiner vollen Höhe, riß das Schwert aus der ihm dargereichten Scheide, warf diese weg, und, hoch die Klinge schwingend, rief er: »Fechten sollt ihr! Nicht beten! Eure Stadt, Sankt Burchhards Weihtum, schirmen! Fallt ihr so, so fallt ihr schön und büßet manche Sünde. Wie können wir besser unsre letzte Stunde verleben, als im Kampfe für Sankt Kilians Heiligtum? Folgt, ihr Bürger Würzburgs, folgt euerm Bischof! Hinaus vors Thor und wehe den Kirchenräubern! Sankt Kilian und Sankt Burchhard ziehn euch voran!«
Und er stürmte die Stufen des Altars hinab der Domthüre zu.
»Sankt Kilian und Sankt Burchhard! Steht uns bei!« riefen die Krieger und folgten ihm.
Das kühne Vorgehen des streitbaren Bischofs sollte sich aber doch gar bald als allzukühn erweisen.
Zwar die Dienstmannen und Reisigen waren rasch zur Stelle und folgten sofort eifrig ihrem heißgeliebten Führer: Blandinus, dem der Befehl in der inneren Stadt übertragen war, hatte sie rasch gesammelt: aber Hellmuth und Fulko konnten nicht zur Stelle sein: ihnen hatte ja Herr Heinrich die gefährlichste Wacht: die in den beiden entlegensten Blockhäusern des Pfahlhags flußabwärts und flußaufwärts anvertraut.
Und das Häuflein, an dessen Spitze jetzt der Bischof durch das Südthor und die Sandvorstadt sprengte, war doch nur recht klein: zwanzig Rosse und vierzig Fußknechte: mehr waren es nicht.
Die Bürger aber zeigten zwar guten Willen, waren auch nicht übel gerüstet und in den Waffen geübt. Allein es währte recht lange, bis sie diesmal in genügender Stärke beisammen waren und ihrem Bischof hinaus nacheilen konnten, der sofort mit seinen Dienstmannen allein dem Feinde entgegengesprengt war.
Unbewaffnet waren die Burgensen alle – den Canones und dem Landfriedensrecht gemäß – in den Dom und in die übrigen Gotteshäuser gekommen: nun mußten sie erst in ihre oft weit entlegenen Höfe zurück, sich mit Schutz- und Trutzwaffen zu versehen, meist unter dem Widerstreben, den Bitten und Thränen ihrer Weiber und Kinder, die sie im Angesicht des nahenden Gerichts nicht von ihrer Seite, nicht aus dem Hause, am wenigsten vor das Thor hinaus zum Gefecht ziehen lassen wollten.
So sammelten sie sich heute nicht, wie herkömmlich war,[216] an den vorherbestimmten »Schar-Orten«, sondern einzeln, paarweise oder in ganz kleinen Häuflein, wie sie sich auf dem Wege zu der Sandvorstadt zufällig gefunden, trafen sie vor dem Südthor weit, weit hinter dem Bischof auf der Heerstraße oder auf der Allmännde ein, die nun gar bald zum Schlachtfeld werden sollten.
Bevor wir aber dieses betreten, müssen wir nachholen, was auf demselben unmittelbar vorher sich begeben hatte.
Um dieselbe Zeit, da nördlich der Stadt Frau Minne Ritter Fulko und schön Minnegard einander entgegengeführt hatte, eilte im Süden der Stadt auf der großen Heerstraße gegen das Südthor zu eine weiße Gestalt.
Ein lichter Schleier flatterte ihr nach, so hastig schritt sie: im Glanze des Mondes, den nur selten ziehend Gewölk verdeckte, leuchtete das freiflutende, hellblonde Haar – es war aufgegangen: das zusammenhaltende blaue Band hatte sie bei dem raschen Aufbruch verloren. Sie drückte den weiten hellgrauen Mantel über der Brust zusammen. Ihr Auge spähte scharf vorwärts: aber nicht auf die Vorstadt am Ende der Heerstraße war es gerichtet, sondern links ab von der Straße, wo, nahe dem Flusse, das äußerste Blockhaus des Pfahlhags vor dem Südthor ragte.
»O Gott,« betete die Eilende, »laß mich noch recht kommen. Nun Ein Wort zu ihm – von ihm! Dann will ich ja gern in den Dom. Wie spät mag es schon sein? Ich konnte die Zeit nicht genau erkunden! Wartete ich länger, mußte ich in Begleitung der andern Frauen[217] gehen und dann mit ihnen gleich in den Dom. Mag es wohl schon bald Mitternacht sein? Barmherziger Heiland, o verschiebe die Stunde des Gerichts nur so lang, bis ich … Du blickst in mein Herz, heilige Jungfrau! Du weißt, mich treibt nicht sündiger Liebe Verlangen – nicht an seine Hand will ich rühren! – nie würde ich aus solchem Sehnen die scheue Scham überwinden, und zerspränge mir darüber das Herz in der Brust. Nein! Nicht nach solchem steht mein Begehren! Ich will ja nur – – – du weißt, Gott, was ich will. Darum hilf mir! Bald – bald bin ich ja dort. Sehe ich doch schon das schmale Thor, das in das Blockhaus führt. Gleich muß der Wiesensteig links abbiegen hier unten von der Straße … Ah! Was ist das? Dies Thor …?«
Sie konnte nicht vollenden.
Mit Schrecken nahm sie wahr, wie das Blockhausthor, nach welchem Ziel ihres eilenden nächtlichen Ganges sie so sehnsüchtig ausgeschaut hatte, sich von innen öffnete und wie aus demselben auf dem engen Wiesenpfad, der ein wenig hügelan auf die Heerstraße führte, ein Reiter ihr in den Weg sprengte.
»Weh mir – wenn man mich erkennt, anhält, – aufhält!«
Sie wankte: sie stützte die Hand auf einen breiten Grenzstein rechts an der Heerstraße, der hier die Markung der Stadt von den Äckern des Randahari trennte. Schon hatte der rasche Reiter die Hochstraße erreicht: ungestüm jagte er heran – sein Helm glänzte und strahlte hell im Mondlicht – ein langer dunkler Mantel flog ihm nach von den gepanzerten Schultern: – sie hoffte, er werde an ihr vorbeisausen: sie glitt ganz hinter die breite Steinsäule – schon hörte sie das Schnauben seines Rosses – schon sah sie … »Ah! Er! Gott ich danke dir!«[218] rief sie frohlockend und sprang, beide Arme hoch gen Himmel erhebend, aus ihrem Versteck hervor.
Heftig erschrak das Roß, aber nicht der Reiter. »Edel!« rief er, bändigte kraftvoll das scheuende, hochsteigende Tier, brachte es zum Stehen, sprang nun ab und schritt ihr, den Zügel in der Hand, entgegen. »Jungfrau Edel« – in höchstem Erstaunen sprach er – »was thut … was wollt Ihr hier – allein … zu dieser Stunde? Was sucht Ihr?« »Euch!« rief das Mädchen »Nein doch: dich, Hellmuth, dich!« Und beide Hände fest ineinanderringend ließ sie sich vor ihm auf die Kniee gleiten. »Laß mich! Nicht deine Liebe such' ich mehr – ich weiß, ich habe sie verwirkt – aber deine Verzeihung. Ich kann nicht sterben, kann nicht vor den ewigen Richter treten mit dieser unverziehenen Schuld auf meiner Seele, der schweren Sünde der Herzenshärtigkeit, des verstockten Stolzes, der grausamen Mißhandlung … Ich habe dich gequält … gepeinigt, ich habe dein stummes monatelanges Flehen um Verzeihung eines ach! so leichten Fehls, – eines Fehls aus Liebe! – mit Füßen in den Staub getreten! O es war so schlecht von mir, so eitel, so sündhaft! Aber sieh: nun – in der letzten Stunde meines Lebens – lieg' ich, Edel, die stolze Edel, vor dir im Staub – nein, laß mich! Ich stehe nicht auf, bis … Und ich flehe dich an: verzeihe mir! Verzeihe mir um des Heilands willen, der, ein Wunder wirkend, dich mir hier entgegengesandt hat in dieser Stunde! Ich sprang aus dem Fenster der Kemenate in den Garten. Ich wußte, wo du zu finden warst. Ich konnte es nicht mehr ertragen – ich lief dir entgegen – es schob mich vorwärts wie mit unsichtbaren Engelshänden: das Wort, das in diesen Tagen unablässig uns verkündet ward: – ›Bereue! Büße!‹ – es mahnte mich unwiderstehlich, die schwerste Schuld meines Lebens[219] zu büßen: die Schuld gegen dich und deine große, deine rührende Liebe. Ich hätte dich im Blockhaus aufgesucht vor allen deinen Reisigen und dich dort laut angefleht, wie hier in der heiligen, nur von Gott erschauten Einsamkeit: Hellmuth, verzeihe mir!«
Schon hatte er sie vom Boden aufgerissen. »Edel! Ich Euch – ich dir verzeihen? Nein, vergieb du mir. Die Liebe riß mich fort. Doch du kannst das nicht fassen! Denn was weißt du von Liebe!« »Ich?« – Sie errötete über und über, wie sie nun mit unendlicher Anmut das edle langgestreckte weiße Antlitz zu ihm emporhob: es leuchtete geisterhaft im Glanz des Mondes, umrahmt vom blonden Haar: – sie richtete einen langen Blick auf ihn aus den tiefen grauen Augen. – Dann senkte sie die dunklen Wimpern und fragte: »Was immer Euch in dieser letzten Stunde der Welt in die Nacht hinausgetrieben hat, was immer Ihr suchtet – gewiß war's nicht Edel?« – »Wie durfte ich das wagen? Nein! Den Tod, den Heldentod in herrlichem Reiterkampf. Denn wisset – von dorther – von Süden – nahen alsbald furchtbare Feinde.« »Den Tod? O so laß mich ihn teilen!« rief sie leidenschaftlich ausbrechend. »Du hast mir verziehen – und du liebst mich noch immer – ich sehe dir es an: so gewähre mir die letzte Bitte! Im Leben hat mein sündhafter Stolz uns getrennt: laß nun im Tode meine Demut uns vereinen. Vergönne mir, mit dir zu sterben.« Und überwältigt von allbezwingender Liebe sank sie an seine Brust, das schmale Köpflein vorwärts beugend wie eine tauschwere Blume. »Edel! Geliebte! Ist es wirklich? Bist du meine Edel?« – »Ja! Deine Edel! Aber nur im Tode dein!« Und er küßte sie auf die weiße Stirn: er wagte es nicht, sie auf die so festgeschlossenen, schmerzumzuckten Lippen zu küssen.
Es war ganz still um dieses Paar; hier sang keine Nachtigall. –
Plötzlich schlug an beider Ohr von Süden her ein schriller gellender Hornruf. »Horch! Was war das?« rief Edel, erbleichend und sich hoch aufrichtend. Beide wandten sich nun flußaufwärts nach der Richtung des Schalles. Alles still. Da flammte in der Ferne rote Lohe auf. »Der Weltenbrand!« rief Edel. Aber im selben Augenblick antworteten dem ersten Hornruf zwei, drei lautere dem Paar erheblich näher. »Nein!« rief Hellmuth. »Gut kenne ich den wilden Ton! – Das sind wendische Hörner! Sie blasen den Kriegsruf. Und schau: dort brennt ein zweites – wie rot! – ein drittes Feuer auf – dort liegen die Höfe des Randahar – es sind ihre brennenden Strohdächer. Das sind wendische Plünderer! Sind ja Heiden, glauben nicht an das Weltgericht. Und horch nur! Ich meine …« Er warf sich zu Boden und drückte das Ohr fest auf die harte Heerstraße. Sofort sprang er wieder auf. »Kein Zweifel. Reiter sprengen heran! Viele, sehr viele! Die Erde dröhnt von Hufengestampf. Das sind nicht die himmlischen Heerscharen und nicht die Teufel der Lüfte. Auf, Edel, rasch! In diese Hände darfst du nicht fallen.«
Er hob sie auf das Pferd und schwang sich hinter ihr in den Sattel. »Wohin? Was willst du thun?« fragte sie. »Ich warne die Stadt und Herrn Heinrich.« Und schon jagte der treue Falk sausend zurück nach dem Südthor. Funken stoben unter seinen klirrenden Hufen aus den Kieseln der Straße, weithin flog Edels weißer Schleier nach.
So war es Hellmuth gewesen, welcher zuerst den Turmwart des Südthors gewarnt und auf die nahenden Feinde merksam gemacht hatte.
Er führte die bleiche schweigende Edel in die nahe Kirche in jener Vorstadt der Heiligen Petrus, Paulus und Stephanus. Hier, dicht bei dem Südthor, fanden sich alsbald viele Frauen und Mädchen der Stadt aus den nächsten Höfen, aus dem Dom und den andern Kirchen zusammen: denn hier war man sicher, zufrühest Nachricht von dem Gefecht zu erhalten, sowie den Bischof und die Seinen bei ihrer Heimkehr zuerst zu begrüßen. Hierher führte auch Fulko die Geliebte, die er schon außerhalb des Nordthors vom Rosse gehoben und gar sittsam durch die von den zusammenlaufenden Bürgern belebten Teile der Stadt geleitet hatte; bereits vorher war hier aus dem Dome mit ihren Frauen der beiden Mädchen mütterliche Freundin, die Gräfin Heilfriede, eingetroffen.
Als der Bischof das Thor hinter sich gelassen hatte und nun auf der Heerstraße ungestüm vorwärts sprengte, – vor ihm mit brennender Fackel Blandinus – da drängten Hellmuth und Fulko von rechts und von links ihre schnaubenden Rosse an seine Seite. »Gut, daß ihr da seid. Willkommen, tapfre Junker, im letzten Gefecht,« rief er ihnen freudig zu. »Herr Heinrich,« erwiderte Hellmuth, »wollen wir nicht warten, bis von den Bürgern einige heran sind?« Höchlich erstaunt, ohne im Vorwärtsjagen einzuhalten, sah der Bischof zu ihm hinüber: »So redet Hellmuth vom hohen Horst? Um eine kleine Rotte schlecht gewaffneter Bauern zu zersprengen …?« – »Herr, es sind nicht Bauern. Und nicht eine kleine Rotte! Da![222] Hört Ihr das Horn? Wenden sind's.« »Gewiß die Söldner Zwentibolds!« rief Fulko. »Das wolle Gott nicht!« stammelte der Bischof und erbleichte, … aber nicht aus Furcht. »Da vorn – rechts – brennt schon wieder ein Hof!« rief Blandinus mit der Fackel deutend. »Das ist, mein' ich,« riet Fulko, »das Haus des Zeidlers Wulfilo, des Nachbars von Frau Ute. Arme Fullrun, wie mag es dir ergangen sein! Halt, holla! Hier geblieben, Signor Blandinus!« und er fiel dem Venetianer in die Zügel, der bei jenem Namen, laut aufschreiend, den Gaul spornend, nach rechts hin über die Wiesen davonjagen wollte: »Jetzt heißt's, beisammen bleiben! Wollt Ihr allein die Wenden schlagen?« »Das Kind wird Gott beschützen,« pflichtete der Bischof bei, »wir kämen zu spät.« »Da! Da sind sie schon!« rief Hellmuth. »Jawohl,« lachte Fulko, das Schwert ziehend. »Jetzt hat sie der Teufel schon da.« »Weiß Gott, die Wenden!« stöhnte der Bischof dumpf. »Und wie viele!« rief Fulko. »Jetzt, Freund Hellmuth, jetzt heißt's fechten.« »Ja! Gott sei Dank! – Das wollen wir,« antwortete der mit blitzenden Augen. »Wohlan!« sprach der Bischof. »So mögen sie denn zum letztenmal auf Erden schmettern, die deutschen Drommeten. Bald schallen die himmlischen Posaunen darein!«
Noch nicht gleich kam es zum Zusammenstoß: die vorausgeschickten Reiter der Slaven jagten zurück, offenbar, ihrem Führer Meldung zu bringen. Und der Bischof gebot Halt, seine Fußknechte nachkommen zu lassen. Wie er das Ganze übersah, mußte er erkennen, daß sein kleines Häuflein doch in recht schlimmer, aufs höchste gefährdeter Lage war.
Was von einer erlesenen Reiterschar gegen einen wenn auch viel zahlreicheren Haufen schlecht gerüsteter Bauern, die nur zu Fuß fochten, zu wagen gewesen wäre, das[223] erwies sich als undurchführbar gegen diese trefflich und mannigfaltig bewaffneten, zum Teil gut berittenen Soldknechte, die unter ihrem mit wilder Begeisterung verehrten Häuptling seit einem Jahrzehnt im Dienste gar vieler Fürsten auf wendischer, deutscher, welscher, byzantinischer Erde gefochten und gar oft gesiegt hatten.
»Der Wende,« rief Fulko »– Gott verdamm ihn! – versteht den Krieg. Schau, Hellmuth, wie klug benützt er seine große Übermacht! – Auf wieviele schätzest du sie?« Hellmuth hob sich hoch in den Bügeln, bog das behelmte Haupt vor und spähte nach allen Richtungen: »Die links von uns in den Weinbergen und im Gehölz kann ich nicht schätzen. Aber da auf der Straße vor uns und rechts in den Wiesen– das sind eher vier- als dreihundert.«
»Schau – man sieht es deutlich im Mondlicht! – hier auf der breiten Straße schart er seine Reiter zusammen, viele Glieder tief, unsern Anprall abzuwehren.« – »Aber auch das Umgehen hat er gelernt! Sieh, westlich von der Straße – über die Wiesen hin – läßt er andere Reiter vortraben, uns in der Flanke zu fassen.« – »Und wo bleiben unsere Bürger? Noch gar wenige sammeln sich auf der Wiese.« – »Und seine Fußknechte,« ergänzte der Bischof, »und Pfeilschützen schickt er östlich von der Straße in die Weingärten und in den Buschwald der Höhen, uns von links zu packen. Ja, von dort könnten sie sich zwischen uns und die Stadt werfen und uns auch vom Rücken fassen.« Er gebot den Junkern, hier zu halten, und ritt langsam voraus, seine vordersten Reiter zu ordnen. »Nun, die links werden aber nicht viel ausrichten,« meinte Hellmuth, »bergan, auf den Schmalpfaden zwischen den Weinbergen. Ein Häuflein entschlossener Männer genügt …«
»Sind aber immer noch nicht da, auch zur Linken nicht,[224] die lieben Bürger von Würzburg!« – »Oder doch nicht genug. Jetzt hab' acht, Herr Heinrich winkt mit dem Schwerte!«
Der Bischof hatte, jener Dreiteilung der Feinde zu begegnen, auch von seiner ohnehin so schwachen Schar einen rechten und einen linken Flügel abzweigen müssen.
Er sandte Boten über Boten in der Richtung gegen die Stadt zurück, die Bürger zur Eile zu mahnen und sie, wie sie einzeln oder in kleinen Häuflein herankamen, jenen beiden Flanken zuzuteilen. Er gedachte, durch das beste, alterprobte Mittel deutscher Kriegskunst – seit nämlich die schwer gepanzerte Reiterei (zuerst in den Ungarnkriegen) wichtiger geworden war als das alte nur zu Fuß kämpfende Aufgebot des Heerbanns – gegen alle Feinde: durch das Ansprengen seiner eng aneinander geschlossenen schwergerüsteten Ritter und berittenen Heerknappen auf den mächtigen Streithengsten die Wenden auf der Heerstraße über den Haufen zu rennen, so durch einen gewaltigen Stoß ihre Mitte zu durchbrechen und die Schlacht zu entscheiden. Mit dem alten Feldruf der Deutschen: »Christus! Kyrie eleuson!« sprengte er, hoch das Schwert schwingend, auf seinem leuchtend weißen Dänenhengst an der Spitze seiner Panzerreiter auf die Wenden an und ein.
Es erging – anfangs – wie er gehofft: die schwächeren Gäule der Slaven und die geringere Körperkraft ihrer Reiter hielten den deutschen Ansturm nicht aus: das erste Glied war sofort überritten, das zweite – in der Mitte[225] wenigstens – durchbrochen: aber in der dritten Reihe kam der Anprall zum Stehen.
Jetzt kreuzten sich deutsches Ritterschwert und slavischer Streitkolben: das Gefecht stand.
Und das war sehr schlimm für die kleine Reiterschar, deren einzige Siegeshoffnung in raschem Niederreiten der Übermacht bestanden hatte.
Da ersah Herr Heinrich im roten Licht einer Pechfackel einen feindlichen Führer in reicher Rüstung mit geschlossenem Helm, der sich soeben von seinem gestürzten Gaul – Hellmuth hatte ihn überrannt – los machte und behend auf ein anderes Pferd schwang, das ihm ein Wende zuführte. »Vorwärts!« scholl es aus dem Mundloche des Visiers hervor. »Nieder mit den Deutschen.« Und die Wurflanze in der Hand wirbelnd ritt er wieder in die vorderste Reihe.
»Die Stimme kenne ich!« rief Herr Heinrich, spornte das Roß gegen den Feind, schwang grimmig das Schwert und schmetterte einen solchen Streich auf den reich vergoldeten Helm, daß dieser klirrend in zwei Stücke auseinander sprang. »Berengar!« schrie der Bischof. »Wie konntest du es wagen? Gegen meinen Befehl …?« – »Befiehl du deinen deutschen Knechten, nicht mir!« gab er zurück und hob scharf zielend den Speer zum Wurf.
Allein da wurden sie getrennt, auseinander gerissen durch den Stoß einer frischen Rotte Fußvolks, die, auf den Befehlsruf eines nicht sichtbaren Führers, aus der vierten Reihe der Slaven mitten auf der Heerstraße mit gefällten Lanzen vorbrach und die deutschen Reiter sofort schwer bedrängte. Diese konnten auf der von gefallenen Pferden und liegenden wie kämpfenden Menschen vollgestopften Straße nicht mehr vorsprengen, also ihr wirksamstes Kampfmittel nicht mehr gebrauchen. Und ein Roß der Bischöflichen nach dem andern brach zusammen: denn die[226] wendischen Lanzenknechte stießen nicht auf die gepanzerten Reiter, sondern auf die Pferde. Nur mit äußerster Anstrengung gelang es Fulko, der sich stets ein wenig vor Herrn Heinrichs Schimmel hielt, die zahlreichen Speerschäfte niederzuschlagen, welche dies weithin sichtbare Ziel vor andern bedrohten.
Da sprengte Hellmuth, welchen der Bischof entsendet hatte, Nachricht von seiner rechten Flanke einzuholen, wo die Wenden auf den Wiesen, nach dem Vordringen ihrer Hornrufe zu urteilen, erheblich Raum gewonnen, auf die Straße zurück und meldete: »Nun geht's wieder da drüben! Es stand schlimm. Aber ein Häuflein Bürger, das eben eintraf und das ich und Gericho den wendischen Reitern entgegenwarfen, hat das Gefecht dort gestellt. Jung Gericho macht seine Sache gut. Allein Übles vernahm ich von unserm linken Flügel her. Dort scheinen …«
Er konnte nicht vollenden.
Denn von eben dort, von Osten her, sprengte Blandinus, der zu gleichem Zweck entsendet worden war, auf die linke Seite der Straße: den Helm hatte er verloren, sein Gesicht war von Blut aus einer klaffenden Wangenwunde überströmt. »Herr Bischof, wir sind umgangen. Die feindlichen Pfeilschützen und Fußknechte haben die wenigen Bürger in den Weinbergen überwältigt. Baumeister Hesso, der starke, treue Mann, der sie befehligte, ist gefallen: ich führte die Weichenden zu einem letzten Stoße vor – umsonst – – mich traf …« Er wankte: Fulko hielt ihn aufrecht im Sattel.
Herr Heinrich drückte in bitterem Schmerze die Augen zusammen: »Zurück? In die Stadt? Nein! Weichen wir einen Fuß breit, – sind wir verloren und der Feind dringt mit uns ein. Das soll nicht sein.« – »Nein!« rief Hellmuth. »Um keinen Preis! Seht, dort hinten schart[227] sich ein frischer, ein noch stärkerer Haufe Fußvolks zum Stoße gegen uns. Kommt zuvor! Laßt uns noch einmal einsprengen, so gut es eben geht, und dabei fallen, das Gesicht nach vorn!« »Jawohl,« rief Fulko. »Es muß doch endlich einmal gleich Mitternacht sein. Dann holen die Englein unsere Seelen hier und die Heiden holt, wie billig, der Teufel. Drauf und drein, Herr Heinrich! Auf Wiedersehen im Himmel, Minnegard.«
Und schon wollte der Bischof, zum Tode bereit, den Befehl geben zum letzten hoffnungslosen Ansprengen wider den entgegenstarrenden Lanzenrechen, als plötzlich, wie durch ein Wunder, das Gefecht völlig umschlug.
Denn auf dem rechten Flügel der Wenden – östlich der Straße – in den Weingärten und von den Waldhöhen herab ertönte auf einmal wildes, wüstes, verworrenes Geschrei.
Freund und Feind stutzte, hielt ein im Kämpfen, wandte dorthin Augen und Ohren. Und schon stürzten die wendischen Pfeilschützen und Fußknechte, aufgelöst, in wilder Flucht, die Höhen herab, auf die Straße, in die rechte Seite der Ihrigen hinein, brachten diese in volle Verwirrung und warfen sie mit solcher Wucht auf die Mitte und diese auf die westlichen Nebenmänner, daß diese über die steile Straßenböschung hinunter in die Wiesen stürzten.
»Steht, beim Zrnbog! steht! meine Brüderlein,« schrie den flüchtigen Pfeilschützen eine schrille Stimme zu. Und ein Führer, auf schwarzem Roß, in ganz schwarzer Gewandung[228] und Rüstung, warf sich ihnen entgegen, den Nächsten über den Haufen reitend, den zweiten an der Schulter packend und mit eisernem Griffe festhaltend, daß er wohl stehen mußte. »Steht doch! Es ist ja schon alles gewonnen!« »Ja, steht, ihr Memmen!« schrie Berengar herzureitend. »Habt ihr den Teufel gesehen, daß ihr so lauft?« »Wie? du bist's, Kratochwyl?« rief der auf dem Rappen. »Bist doch wahrlich kein Feigling! Hab' dir ja den ganzen rechten Flügel anvertraut! Wer jagt euch denn so?« »Der Teufel,« keuchte der Wende atemlos. »Wirklich der Christenteufel – wie der Christenpfaff gesagt hat. Wir hatten die Bürger vor uns zurückgeworfen – schon zweimal! – hatten fast schon den Kamm der Höhe erstiegen, – da plötzlich brach aus dem dichtesten finstersten Buschwald in unsere rechte Flanke – hoch von oben herab – ein rasender Riese – nicht gar viele hinter ihm! – Aber ein Riese! In Wolfsfellen! Das muß der Teufel selber sein! Unverwundbar! Die Pfeile prallten von seiner Wolfsschur ab. Er sprang mitten unter uns: ›Hilf, Woden! Woden hilf!‹ schrie er unablässig und bei jedem Schrei schlug er mit einem fürchterlichen Balken, den er mit beiden Händen schwang, einen, auch zwei von uns zu Boden. Da zog ich mein Wurfmesser – du weißt, ich fehle nicht – und warf's ihm seitwärts in den Kopf. Es traf: es blieb stecken. Aber er fiel nicht! Vorwärts sprang er gegen mich und – ich sterbe. Flieh, Zwentibold! Es ist der Teufel!« Und er fiel um und war tot.
Zwentibolds geübtes Auge ersah, daß er die Flucht seines zersprengten rechten Flügels nicht hemmen konnte. Rasch entschlossen befahl er seinem Mitteltreffen, vorzurücken und die Fliehenden hinter sich vorüber fluten zu lassen, wohin sie wollten.
Er warf einen Blick nach vorn, überzählte die geringe[229] Schar der deutschen Reiter, fand, daß von den Seinen immer noch genug in Ordnung standen, sofort vorgeführt zu werden, und befahl mit gellendem Hornruf den Vorstoß. Jetzt erst zog auch er den krummen Säbel. »Nun hat's Sinn, daß auch der Feldherr ficht,« rief er Berengar zu. »Drauf, meine Brüderlein! Wir sind immer noch fünf gegen einen. Werft den Bischof dort und seine paar Reiter und euer ist die reiche Stadt. Plündert sie und brennt sie nieder!«
Ein gellendes Geheul – wie von Rudeln hungriger Wölfe – ward ihm zur Antwort. Vorwärts sprengten und rannten die Wenden und da die Deutschen, die neue Wendung erkennend, im selben Augenblick anritten, prallten beide Scharen sofort zusammen. Gewaltig war der Stoß. Gab den Deutschen die Wucht der Hengste und der Waffen großen Vorteil, – voll aufgewogen ward er durch die starke Übermacht der Wenden. Ein wildes, heißes Ringen auf der Straße: – nach Osten, die Hügel aufwärts, gab es kein Ausweichen für die Gäule – so drängte alles von der Mitte nach Westen gegen den Fluß hin: da stürzten die Rosse und die Reiter und die Fußknechte der Wenden, oft, wie Käfer, aneinander zu Klumpen geballt, in dichten Massen hinunter auf die Wiese. Zwentibold merkte, daß dort die Seinen schwere Verluste litten; er bahnte sich den Weg hierher; Berengar war dicht hinter ihm. Beide ersahen an der Spitze der Deutschen hier einen Gewaltigen auf weißem Roß, der mit sausenden Streichen seines langen Schlachtschwerts hoch von oben herab die Fußknechte wie Mohnköpfe niedermähte. »Der Bischof!« riefen beide wie aus einem Munde. Und alsogleich fielen sie beide ihn an.
»Schaut links, Herr Heinrich!« schrie Hellmuth und fing mit dem Schild einen sehr starken Säbelhieb Zwentibolds,[230] während Fulko mit dem Schwert einen Speerstoß Berengars zur Seite schlug, daß der Schaft zersprang. Aber da stürzte, von dem Lanzenstoß eines Fußknechts getroffen, Fulkos Rappe und begrub den Reiter unter sich. Sofort riß Berengar das Schwert aus der Scheide und hieb auf Herrn Heinrich ein. Aber der – nun gewarnt – schwang ausholend mit aller Kraft – denn er war jetzt sehr zornig! – die Klinge hoch in die Luft und hieb ihm den Schwertarm samt Hand und funkelndem Schwert hart an der Schulter, gerade wo er aus der Brünne trat, so säuberlich ab, als wär' er niemals dort angewachsen gewesen. Aufbrüllend vor Schmerz schlug der Verstümmelte rücklings aus dem Sattel.
Allein nun warf sich Zwentibold auf den Bischof.
Seines bisherigen Gegners Hellmuth, mit dem er blitzschnelle funkensprühende Hiebe getauscht, hatte er sich soeben entledigt, indem er des Gegners Roß durch einen tückischen Hieb über die Vorderbeine zu Fall gebracht. »Hierher, Brüderlein! Alle zu Hauf! Auf den Bischof! Auf den Schimmel!« schrie er.
Und nun wäre Herr Heinrich – bei aller Kraft des Armes und aller Tapferkeit des Herzens – doch verloren gewesen. Blandinus, der ihm beispringen wollte, stürzte, aus nächster Nähe von einem Wurfspeer mitten auf die Brünne getroffen, aus dem Sattel. Der nächste der bischöflichen Reiter, der den Schild über seinen Herrn hielt, ward von Zwentibold über das Gesicht gehauen; und während[231] Herr Heinrich alle Mühe hatte, sich der raschen Doppelhiebe des Fürsten zu erwehren, erschaute er die spitzen Speere von vier Fußknechten gegen sich und sein schon mehrfach verwundetes Roß gezückt. Er sah den Tod vor Augen. »O Heilfriede!« dachte er noch, »Gott sei mir gnädig!«
Aber da ergellte ein wilder Schrei vieler Feinde von seiner linken Seite: – er verstand die Worte nicht: – jedoch auf einmal sah er von der Anhöhe des Weinbergs zu seiner Linken in gewaltigem Satz auf die Straße herabspringen eine Hünengestalt – und eine furchtbare Waffe schmetterte nieder auf das Roß Zwentibolds. »Hilf, Woden!« scholl es nun ganz nah an seiner Seite, und der Ankömmling schlug mit einem zweiten Streich den nächsten Lanzenknecht nieder. Die drei andern ließen zwar noch nicht ab: sie packten des Bischofs Roß am Zügel und zielten auf den Reiter mit den Speeren. Aber dem einen fuhr mit wütendem Gebell ein grauer Wolfshund an die Kehle und gleichzeitig fielen die beiden andern vor den hochgeschwungenen Schwertern Hellmuths und Fulkos, die sich inzwischen unter ihren Gäulen hervorgearbeitet hatten.
Jedoch auch Zwentibold stand schon wieder, katzenbehend, auf seinen Füßen und wollte – zum drittenmal – Herrn Heinrich anfallen. Allein er kam nicht dazu.
»Halt, Schwarz-Riese: – du bist mein. Hilf, Woden!« scholl es ihm entgegen und Rado hob den furchtbar wuchtigen Schürbaum. – Der Slave duckte sich, sprang zurück und kauerte hinter einem toten Gaule nieder auf den Boden. »Warte, Langer, du kommst später. Dein Bischof hat den Vortritt.« So zischend nahm er den Säbel zwischen die Zähne, riß ein kleines, kaum fingerlanges Messer aus dem Wehrgurt, faßte das Hornheft mit nur den ersten drei Fingern der Rechten und warf die dünne Klinge gegen[232] Herrn Heinrich. Schwirrend, pfeifend durchschnitt sie die Luft – und traf. Gerade, wo zwischen dem Halsrand der Brünne und dem Sturzrand der Sturmhaube eine schmale Lücke klaffte, oberhalb des Schlüsselbeins, drang die scharfe Spitze in den Hals. Der Getroffene glitt langsam nach rückwärts aus dem Roß, das Schwert aber ließ er nicht aus der Faust.
Hellmuth und Fulko fingen den Sinkenden auf.
Gleichzeitig aber sprangen Rado und Zwentibold widereinander, beide in tödlichem Haß, nicht sich zu decken, nur zu treffen bedacht. – Und beide trafen. Dem Alten hatte die geschweifte Säbelklinge die dicke Sturmhaube aus dreifachem Wolfsfell durchschnitten und war noch tief in den Schädel gedrungen: – dem Slaven aber war die schwarze Pelzmütze und der schwarze Kopf in Eins zusammengeschlagen.
Das waren fast die letzten Streiche, die geschlagen wurden in diesem Gefecht. Denn die Söldner auf der Heerstraße entscharte der Schreck, als sie den Führer fallen sahen, dem sie blind in abgöttischem Vertrauen zu folgen so lange gewohnt waren. Ohne ihn zu kämpfen, waren sie nicht fähig.
Zugleich trafen nun von Osten, von den Höhen und Halden herab, jene Bürger ein, die unter Rados Führung den rechten Flügel der Wenden zersprengt hatten. Sie fielen den auf den Wiesen westlich von der Straße noch im Gefecht mit Gerichos Schar ausharrenden Feinden in den Rücken und nun floh alles, was noch fliehen konnte zu Roß und zu Fuß eilfertig flußaufwärts, eifrig verfolgt von den Siegern.
Das sah noch Herr Heinrich, den seine Ritter unter einer alten Eiche, die am Wege stand, gebettet hatten. –
Er sah's mit strahlenden Augen und faltete die Hände[233] um den Kreuzgriff seines blutigen Schwertes: »Herr Gott,« sprach er, »dich loben wir. Sieg! Sankt Burchhards Stadt gerettet! Nun will ich gerne sterben. – Und seht – seht dorthin, meine Freunde! Dort im Osten flammt es lohend auf! Das – das sind die Flammenboten – das sind die Cherubim des Herrn, der zum Gericht herniedersteigt.«
»Nein!« jubelte Fulko laut aus voller Brust, mit erhobenem Schwerte deutend. »Das ist Sonnenaufgang! Mitternacht muß ja längst vorüber sein! Wir dachten nur nicht dran im Drang des Kampfes! Vorüber ist der gefürchtete Tag – und die Welt: – sie steht noch! – Es war ein Wahn! – Herr Gott, wir danken dir aus tiefster Seele! Nein, du wolltest sie nicht vernichten, deine alte, liebe, schöne Welt!« Und er warf sich auf die Kniee und hob dankend, frohlockend, beide Arme gen Himmel.
Da fiel der erste Strahl der Sonne über die Höhen auf sein Antlitz: trillernd stieg aus den Wiesen eine Heidelerche in den noch grauen Himmel. –
Und Hellmuth und Blandinus und alle, die nicht die Wunde hemmte, thaten desgleichen, warfen Schwert, Speer und Schild von sich, und aus vielen hundert Kehlen in die dämmernde Morgenfrühe hinauf – deutsch und lateinisch durcheinander – klang der alte Lobgesang:
Gnade, du, nicht in Zeit | Nunquam resolvitur, |
Nein, in Unendlichkeit, | Nunquam revolvitur |
Immer erneut: | Credens in te: |
Herr Gott, wir danken dir, | Gratias agimus, |
Herr Gott, dich loben wir | Gratias canimus |
Ewig wie heut! | O domine! |
Prachtvoll ging die Sonne des jungen Tages auf über dem Mainthal: der Himmel strahlte in wolkenloser Bläue: auf wieviel Glück und Freude sah er hernieder!
Viele Tausende von Menschen, die mit Entsetzen, mit Furcht vor schwerer Strafe durch den allwissenden Richter die Mitternacht herangewacht hatten, lagen nun auf den Knieen und priesen, unter strömenden Thränen, die oft von seligem Lächeln, ja von lauten Jubelrufen unterbrochen wurden, die Gnade des großen, des barmherzigen Gottes, der seinen Geschöpfen nach wie vor die süße Lust des Atmens belassen und vergönnt hatte.
Wo heute in Würzburg nahe der Brücke der stattliche »Vier-Röhren-Brunnen« steht, da scharen und verweilen sich am Morgen und am Abend gar gern die Mägde, nachdem sie das Wasser in ihre auf dem Rücken getragenen »Butten« geschöpft haben. Gar oft läuft die Butte über, weil zwar sie mit Wasser gefüllt ist, aber noch nicht das harrende Mägdelein mit den Neuigkeiten – meist nicht so lauterer Art wie Brunnenwasser! – welche ihr die Nachbarsmagd, die Freundin, zuträgt; oder mit den Koseworten, die ihr der schon lang hier ihrer wartende Schatz zu sagen hat.
Damals schon war an derselben Stelle ein tiefer Ziehbrunnen gegraben, der reichlich Wasser spendete: ein paar Lindenbäume standen im Kreis um das runde Gemäuer aus rotem Sandstein herum und in den Ästen eines derselben war das Holzbild Sankt Kilians, in grellsten Farben gemalt, unter einem vorspringenden dreieckigen Schutzdach angebracht.
Dieser Brunnen und seine schattige und zugleich geweihte Umgebung war auch damals schon ein Lieblingsort der Würzburger, die schon damals erstaunlich viel über sich selbst – und zumal über andere Leute! – zu plaudern hatten; hier und auf den Stufen, die zu der nahen Brücke hinanführten, drängten sich die Leutchen zusammen, wann es etwas zu erzählen gab. Und es gab immer etwas zu erzählen zu Würzburg, obwohl – streng genommen – nicht gerade sehr viel dort, in der frommen und weinfrohen Stadt, sich zu ereignen pflegte.
Aber heute, – am fünfundzwanzigsten des Brachmondes des Jahres eintausend, – da gab es allerdings einiges zu erzählen! Und es ist den Würzburgern von damals kein Vorwurf daraus zu machen, daß sie diese Gelegenheit, sich einmal auszusprechen, sich nicht entgehen ließen, sondern recht ergiebigen Gebrauch davon machten. Das wichtigste von allem war ihnen, daß sie überhaupt noch vorhanden waren; auf diese erfreuliche Thatsache kamen sie immer wieder zurück.
Um den Brunnen und auf den Stufen der Brücke und auf dieser selbst wogte eine mächtig bewegte Menge, Männer, Weiber und Kinder, Bürger, Geistliche, Mönche, Reisige des Bischofs – alles durcheinander. Es litt die Menschen nicht in der Einsamkeit, nicht in den engen Häusern: das Gemüt, von so gewaltigen, widerstreitenden Eindrücken der Furcht, des Grauens, der aufatmenden, aufjauchzenden[236] Erlösung durchzittert, suchte nach dem Ausdruck seines aufs tiefste erregten Innern. So liefen denn die Leute überall zusammen und wurden nicht müde zu reden von der überstandenen Angst, von dem wilden Kampf mit den Wenden, von der Gewißheit der Errettung. Zumal auf der Mainbrücke standen die Menschen dicht gedrängt, sahen flußaufwärts und flußabwärts und hinan zu der ragenden Burg und freuten sich, daß sie noch lebten, und zeigten einander, wie schön und freundlich alles sei, die bewaldeten Hügel und die rebenbewachsenen Gelände und der helle glitzernde Sonnenschein auf dem lieben alten Main! So schön, meinten sie wohl, sei's noch gar nie gewesen in der trauten Heimat. –
»Nun,« sprach einer der jungen Bürger, – dem alten Bezzo auf die Schulter klopfend, »gar manchem kamen die Wenden zum Verderben, aber Euch kamen sie zur Erleuchtung.« »Und mir zum Glück« rief Gericho, sein Liebchen um die Hüfte fassend. »Freilich,« lächelte Rosbertha, sich an ihn schmiegend. »Sonst hätt' der Vater nie eingesehen, wieviel mehr du wert bist als der dicke Spedilo mit all seinem Gelde.« »Nun ja,« rief Bezzo gutgelaunt, »wie konnt' ich glauben, daß mein bester Freund ein solcher Tropf ist? Wir standen nebeneinander auf der Wiese gegen die wendischen Reiter: – im ersten Anlauf ritten sie uns über den Haufen! – ich lag unter einem erstochenen Gaul, der mich schier zu Tode drückte. Da lief Spedilo an mir vorbei.« »Nach Hause!« lachte Gericho, unterbrechend. – »›Hilf mir, Nachbar,‹ keuchte ich, ›hilf mir hervor. Ich ersticke.‹ Was antwortete mir der Lump? ›Schad' nicht! Erstickt ist auch gestorben.‹ Und lief weiter. Aber dieser wackre Bursche da – oft gab ich ihm zu Unrecht harte Namen! – er sah mich von fern, brach sich Bahn mitten durch die Wenden, riß mich unter dem Roß[237] hervor, deckte mich mit seinem Leib und – rettete mein Leben.« »Ja, und Hieb und Stich traf ihn dabei,« klagte Rosbertha zärtlich. »Bah, Kopf und Herz und auch beide Arme blieben ganz,« lachte Gericho, umschlang und küßte sie.
»Aber sagt,« forschte der Alte, »noch weiß ich immer nicht – wir standen ja am weitesten rechts ab – wie kam es denn, daß von links her der alte Rado – gerad' noch zu rechter Zeit! – den Wenden in die Flanke brach, mitten aus dem Grafenwald hervor?« »Ja,« erwiderte Gericho, »das hab' ich auch nur zum Teil herausgebracht aus den letzten Worten, die er mit Junker Hellmuth – Gott segne seine Klinge! – tauschte. Als sie den Herrn Bischof auf den Schild gelegt hatten, kniete Herr Hellmuth – ich kam gerade dazu – neben dem Alten nieder und wollte seiner Wunde pflegen. Da sprach der: ›Laßt's gut sein! Ich fahre zu Ihm! Dem Sieghelfer. Gut hat er diesmal geholfen. Lange, lange harrte ich auf Euch, Junker, an der beredeten Stelle, – Ihr kamt nicht –‹« »Versteh' ich nicht,« meinte Bezzo. – »Versteh's auch nicht. Aber der Junker verstand ihn; er antwortete: ›Mich führte höhere Pflicht in die Stadt zurück.‹ Und Rado fuhr fort: ›Plötzlich entbrannte tief unter mir – auf der Straße, – bald auch neben mir in den Weinbergen der Kampf. Ich sah – wie wir's vorausgeschaut – die schwarzen Scharen von Süden gen Norden vorstürmen: – immer mehr Raum gewannen sie! – Da lief ich zu den Bürgern, nördlich von mir, die in den Weinbergen nur noch schwer standhielten, raffte ein Häuflein, das mir gern folgte, zusammen, eilte mit ihnen in den Wald und auf Pfaden, die nur dem Luchs, mir und noch Einem bekannt, führte ich sie den Unholden in Flanke und Rücken. Und Woden half: er that das übrige.‹«[238] »Woden!« flüsterte Rosbertha und bekreuzte sich, »den darf man gar nicht nennen.« – »Der Junker und ich sahen wohl, daß der Alte dem Tode nahe sei: denn er redete nun ganz wirr: daß er den Schwarzen, den Rauchriesen nun doch glücklich erschlagen habe. – Und der Junker erfüllte die letzte Bitte des Alten, daß er nicht, wie alle Verwundeten, in die Stadt gebracht werden solle – auch die Feinde, so hatte der Herr Bischof noch befohlen – zur Heilung und, falls sie stürben, zur Bestattung: – sondern vier Bürger trugen Rado auf seinen Wunsch an den Main hinab unter die alte Rabenesche. Sein grauer Hund, aus tiefer Wunde blutend, wich nicht von seiner Seite.«
»Da schaut!« rief Rosbertha. »Wer fährt dort davon – gegen das Ostthor hin – in dem Wagen, – dem leinwandüberzogenen?« »Das ist Isaak, der Jude,« antwortete Bezzo. »Aber Vater, er ist ja getauft,« mahnte Rosbertha. – »Bah, scheint nicht geholfen zu haben auf die Dauer.« »Wieso?« fragte Gericho. »Er fehlte nie in der Dommesse.« – »Wohl! Aber jetzt – wißt ihr's noch nicht!« »Nein! Was denn?« fragten viele Stimmen zugleich. »Heute früh,« erzählte Bezzo, »kam seine Mutter zu meinem Röschen da –« »Die wackre Frau!« rief das Mädchen. »Hat mir oft die frühverstorbene Mutter ersetzt.« – »Und teilte ihr mit, sie und ihr Sohn verließen für immer die Stadt, ja sogar das Reich. Sie gingen nach Jerusalem. Ihr Sohn … –« »Er war oft recht wenig freundlich gegen sie!« schalt Röschen. – »Ja, aber jetzt sei er ganz lammfromm und so voll Ehrfurcht und Gehorsam gegen seine alte Mutter! Und die Alte übergab meiner Tochter eine Schrift: für den Herrn Bischof – es kann ja niemand zu dem Sterbenden! – darin verschenkt Renatus seinen Hof in der Stadt und alles, was drin[239] steht und liegt: aber an wen? Nicht an die Heiligen, nicht an seine Glaubensgenossen, die Christen! Nein! Der Herr Bischof soll alles verkaufen und der Erlös soll eine Stiftung werden zur Unterstützung armer – Juden in Stadt und Bistum. Da grüßt die Alte nochmal mit der Hand aus dem Wagen! Nun, gute Fahrt nach Jerusalem!«
»Ob der Herr Bischof das wohl so ausführt?«
»Gewiß! Wenn er mit dem Leben davon käme. Aber …« – »Man sagt, es steht sehr, sehr schlecht!« – »Ja! Das Messer, das seinen Hals traf, soll vergiftet gewesen sein. Er muß sterben!«
»O der arme, brave Herr!« klagte Rosbertha. »Der herrliche Held!« rief Gericho. – »Seine beiden Junker pflegen ihn.« – »Und Herr Blandinus.« – »Nein. Der liegt selber wund danieder.« – »Wo? Im Bischofshause?« – »Nein! Bei Wartold draußen. Er eilte, sowie der Bischof zurückgebracht war, dorthin. Der Knecht Wartolds erzählte es mir, der in die Stadt lief, einen Arzt zu erbitten von den grauen Mönchen.« »Ja, ja,« lächelte Röschen. »Der Junker strich immer hinter der runden Runel drein.« »Blandinus kam eilends, um zu sehen, was aus ihr geworden,« fuhr Gericho fort. »Als er sie heil und unversehrt fand, atmete er tief auf und brach zusammen. Er hat sich in dem Strauß – hätt's ihm nicht zugetraut! – manchen Hieb und Stoß geholt. Nun liegt er draußen in dem Gärtnerhaus und die schlimme Runel pflegt ihn und weint dabei, daß ihr die hellen Thränen über die dicken Backen laufen und Schnufilo – sonst eben nicht sein Freund! – leckt ihm die Hände. So erzählte der Knecht, selbst voll Staunen. Ja, ja! es hat sich gar manches gewendet mit der Sonne in dieser Sonnwendnacht.«
»Aber sagt,« fragte Bezzo, »wie konnte es nur geschehen, daß die Leute in dem Gärtnerhof verschont blieben,[240] während doch die Wenden … –?« »Da kommt der alte Wartold selbst!« rief Gericho. »Mit einem großen, wunderschönen Strauß von Lilien,« sprach das Mädchen. »Kommt, Vater Wartold, Ihr seid müde. Man sieht's an Eurem Schritt. Setzt Euch ein wenig zu uns, hier, auf den Brunnenrand. Wir rücken zusammen. Erzählt uns doch, wie es Euch ergangen. Ihr seid gar seltsam bewegt.«
»Dank euch, danke, gute Leute,« erwiderte der freundliche Greis, mit dem sanften, rosigen Gesicht, vom weißen Haar umwallt. »Bewegt! Ja, liebe Nachbarn! Welch Gemüt soll da nicht bewegt sein, bei so wunderbarer Führung durch den Herrn? Den Bruder hab' ich diese Nacht verloren und die alte Großmutter: und doch hab' ich Gott für reiche Gnade zu danken.« »Erzählt, erzählt!« drängten alle. »Ja, ja,« begann er langsam. »Wunderbar sind die Dinge verlaufen in dem kleinen taubenumflatterten Haus. Es war schon fast dunkel geworden, da sprach ich zur Großmutter: ›Mutter Ute, gebt mir Urlaub, mir und dem Kind Fullrun.‹ ›Wohin, mein Sohn?‹ fragte sie. ›Die Stunde des Gerichtes naht. Wir wollen sie doch miteinander erwarten und erleben.‹ ›Gewiß!‹ tröstete ich. ›Lange vor Mitternacht sind wir zurück. Ich habe noch eine dringende Arbeit.‹ ›Aber Wartold!‹ mahnte die Gute. ›In ein paar Stunden ist alle Menschenarbeit zunichte, und ihre Frucht vergeblich.‹ ›Nicht die meine, Mutter,‹ erwiderte ich. ›Sieh, unsere Lilien hier im Garten sind verblüht und versengt vor der Zeit. Es war gar so heiß in diesen[241] letzten Tagen und so trocken hier oben und staubig neben der großen Straße. Ich gehe hinunter an den Fluß und hole frische aus meinem Neugarten dort. Soll ich die Stirnen der Seligen mit welken Lilien schmücken? Für meine Friedlindis ist nur das Schönste schön genug.‹ In dem weit abgelegenen Neugarten angelangt mit dem Kinde, konnt' ich mich lange nicht trennen von meinen Blumen, geraume Zeit, nachdem ich die schönsten ausgesucht und geschnitten. Auch die ich stehen ließ, sprengte ich – zum Abschied! – noch mit Wasser aus dem Fluß.
Als ich nun mit meiner Arbeit zu Ende war und allmählich an die Rückkehr dachte, da loderte in der Ferne südlich von unserem Höflein eine rote Flamme in den dunkeln Nachthimmel: bald folgte, immer näher rückend, der Heerstraße entlang, eine zweite, dritte: und während wir noch zagend berieten, was das zu bedeuten habe, drangen auch schon von der Stadt her die Waffenrufe der Wächter auf den Walltürmen, ja bald auch von der Straße her verworrener Lärm, Schreien, Waffenklirren an unser Ohr. Erschrocken barg ich mich und vor allem mein holdblühendes Kind in den dichten Gebüschen des Gartens: – denn daß hier Räuber und Feinde drohten, war mir bald klar: ich dachte es seien die schlimmen Bauern! – Hier lauschten wir, bis der Lärm, der unverkennbare, eines scharfen Kampfes vertoset war: jetzt erst wagte ich – immer noch sehr vorsichtig – den Rückweg einzuschlagen. Wir trafen unseren Hof unversehrt: so weit waren die Wenden nur auf ganz kurze Zeit vorgedrungen, wir fanden bloß die Spuren weniger Rosse im Sandweg des Gartens, der alten Frau thaten sie nichts zuleid.« »Aber wehe, trafen sie Fullrun!« rief Gericho. – »Das nächste Haus, etwa dreihundert Schritte weiter südlich, stand in hellen Flammen: wie staunten wir, als wir die blinde Frau auf der[242] Schwelle aufrechtstehend fanden: ihr weißes Haar flog im Nachtwind: sie wies mit der ausgestreckten Rechten auf die rote Flammensäule und rief: ›Seid ihr endlich zurück? Ich erwarte euch schon solange. Sehet ihr, sehet ihr? Alles erfüllt sich wie mein Konrad gesagt. Der Tag des Gerichts, der Tag des Herrn ist angebrochen. Hörtet ihr nicht das Gefecht? Und die Drommeten der Engel des Herrn? Ich hörte sie vorbeirasseln auf ihren Rossen, hörte ihre Waffen klirren: sie haben gekämpft gegen die Unholde des Abgrunds: grell schrillte deren Geschrei – wie einst der Hunnen! – in mein Ohr: sie waren schon ganz nah: – ich meine, ich hörte sie im Garten. Die Teufel sind geworfen und geflohen. – Dort aber – dort – von wo der Rauchqualm herweht – dort – ich seh' es mit den Augen der Seele! – da nahet in flammenden Lohen, im weißen Gewande der Seligen mein Kurt, das Mägdlein trägt er – wie damals – auf dem Arm! Er holt mich! Er winkt! Er ruft mir. Ich komme. Du hast wahr gesprochen: im Sterben seh' ich dich wieder. Ich komme.‹ Und sie sank, ein selig Lächeln um die Lippen, zurück in meine Arme und war tot.« Und er weinte bittre Thränen, der alte Mann.
»Welch schöner Tod!« schluchzte Rosbertha, sich an ihren Schatz schmiegend und die Augen wischend.
»Die schönsten meiner Lilien wand ich um ihre Stirn. Diese hier bring ich dem guten Herrn Bischof – ach! für seinen Dom waren sie bestimmt: – nun werden sie wohl seine Totenbahre schmücken.« »Und was ist mit Eurem Bruder?« fragte Gericho. »Der Knecht erzählte – ist es wahr? … er ist nicht gefunden worden unter der Rabenesche?« »Es ist so,« nickte Wartold. »Weder er noch Giero, sein Hund! Ihr wißt, der Baum steht nahe dem Fluß: – es schien auch eine Blutspur über die Wiese an[243] das Ufer zu führen. Aber vergeblich suchte ich mit dem Knecht und den Nachbarn das ganze Ufer ab, vergeblich mit den Mainschiffern – die kennen gut die Wirbel und die Löcher im Bette – auch den Fluß. Ich wollte doch so gern die Leiche in geweihter Erde bestatten, aber wir fanden nicht Mann, nicht Hund. Und schon – gleich nachdem das fruchtlose Suchen vorüber war« – – er erschauerte und bekreuzte sich. »Nun? was geschah?« forschte Röschen in bangem und doch süßem Gruseln. – »Nichts geschah, liebes Kind. Aber die Nachbarn, die Schiffer, alle, die davon hören, raunen – – –«
»Nun was raunen sie denn? Sagt's doch geschwind!« – »Ihr wisset, der Rabenbaum ist der Sitz – ist geweiht dem … –« »Den man nicht nennen darf!« warnte das Mädchen und schlug rasch wieder ihr Kreuz. – »Nun, eben dem soll – sagen sie – mein armer Bruder längst seine Seele geweiht haben. Und der – sagen sie – habe ihn geholt, samt seinem Hund, ewig mit ihm zu jagen. Ja, ein Schiffer, der sich im Mainschilf vor den Wenden verborgen hatte, will gesehen haben, wie noch vor vollem Sonnenaufgang zwei Raben –« »O weh!« schrie das Mädchen. »Das sind seine Begleiter.« – »Vom Feuerschein der brennenden Dächer grell beleuchtet über das tosende Schlachtfeld hin geflogen sind und auf der Esche aufgebäumt haben. So betet manchmal, liebe Nachbarn, betet für meines armen Bruders Seele.«
In Vertretung des Bischofs hatten Hellmuth und Fulko alle erforderlichen Maßregeln getroffen.
Die Toten vor dem Südthor wurden bestattet, die Spuren und Schäden des Kampfes nach Möglichkeit getilgt. Hellmuth ritt als Herold, einen Drommetenbläser voran, durch die Straßen, verkündete den in der Stadt Verbliebenen, zu welchen doch nur wirre, abgerissene Kunde der Ereignisse dieser Nacht gelangt war, feierlich das Geschehene und forderte alle Burgensen auf, mit Weibern, Kindern, Knechten und Mägden in den Dom und in die übrigen Kirchen und Kapellen der Stadt zusammenzuströmen, wo überall Dankgottesdienst gehalten werden sollte. Sie sollten beten für die Erhaltung ihres tapfern Bischofs, der, ein echter Hirte, sein Blut gelassen in Verteidigung seiner Herde, – und den nur ein Wunder Gottes noch vom Tode retten könne.
Es war allbekannt, die kurzen Wurfmesser der Wenden waren vergiftet. Und als der Wunde schon während er, von Blut überströmt, auf einem breiten und langen Standschilde von sechs seiner Reisigen behutsam in die Stadt zurückgetragen wurde, das Bewußtsein verlor, da gaben seine Getreuen ihn verloren. Und man wagte doch nicht die tödliche Klinge aus der Wunde zu ziehen: man fürchtete, alsdann werde der Bischof, der schon sehr viel Blut verloren, sich rettungslos verbluten. Man hatte das Lager des bleichen Mannes in dem geräumigsten luftigsten Gelasse des Dombaues, der Bücherei, aufgeschlagen: man wußte, sie war – nach dem Waffensaal, aus dessen Vorräten die Bürger waren ausgerüstet worden – der Lieblingsaufenthalt Herrn Heinrichs gewesen. Wie viele[245] Nachtstunden hatte er hier durchwacht, den schweigenden Gang der Sterne verfolgend, ein stiller, einsamer Mann, »wachend und betend« und doch gar oft »in Anfechtung fallend«!
Der Wunde fand die volle Besinnung nicht wieder: auch nicht, als er sanft von dem Schild herab auf ein Pfühl in der Bücherei gelegt wurde; wohl war es ihm einmal, gleich beim Eintritt in die Stadt – noch unter dem Thorbogen – gewesen, als beuge sich ein bleiches, schönes Frauenantlitz auf ihn herab, als fühle er eine leise Berührung ihres Mundes: – dann hatte er eine große, große Erleichterung des Atmens verspürt – aber er sagte sich gleich selbst, das sei ein Gebilde seiner Träume, des Wundfiebers.
Lange, lange Zeit lag er so. –
In dem Bischofshause sammelten sich, nachdem die weltliche Arbeit des Tages erledigt und der schuldige Dank dem Himmelsherrn dargebracht war, die nächsten Zugehörigen des wunden Mannes. Es waltete nicht nur in der Bücherei, auch in den andern Räumen des Hauses jene bange, atemverhaltende Stille, welche die Sorge um das Leben eines geliebten Kranken verbreitet; wer einmal ihren beengenden Druck lasten gefühlt auf der Seele, vergißt sein nie mehr.
In einem Vorsaale der Bücherei saßen Hand in Hand die beiden Liebespaare: sie sprachen in bangem, leisem Flüsterton.
»Wie traurig!« klagte Fulko. »Wir andern alle dürfen uns der geschenkten Welt erfreuen. Ist es doch, als habe Gott der Herr die Erde zum zweitenmal für uns geschaffen! und nur Er – der Beste von uns allen! – soll sich nicht mit uns des gesicherten Daseins erlaben.« »Ja, aber,[246] Liebster,« koste Minnegard, verschämt das Köpflein an seiner Schulter versteckend. »Nun steht die Welt immer noch! Und die Welt und alle Leute werden schelten: – – – es ist schreckbar, wie sie alle schelten werden! Und wenn sie erst alles wüßten, wie der liebe Gott es weiß, dann würden sie gar nie mehr aufhören!«
Fest sah Edel dem Geliebten in die Augen: »Ich sage der Welt und dem Herrn Bischof, bevor er stirbt, alles. Und fürchte mich nicht.« Er drückte schweigend ihre Hand.
»Ja, das ist keine Kunst, streng Schwesterlein,« lächelte die Braune. »Erstens hat der Herr Bischof dich nie zur Nonne bestimmt: – was will er Besseres für dich als einen Eheherrn wie dieser junge Ritter Georg? Und zweitens« – sie stockte, sie errötete, und schmiegte das Haupt wieder an die Brust des Geliebten. »Nun, was, mein Liebling?« – »Kann's nicht sagen.« – »Nur mir ins Ohr – ins Herz vielmehr.« – »Die andre hat wohl nicht soviel zu gestehen: – oder doch im stillen zu bereuen: nein,« brach sie leidenschaftlich aus, »nicht soviel zu bereuen, nein, selig zu bejubeln!« Und sie küßte ihn heiß auf den Mund und umschlang seinen Nacken mit beiden Armen.
Schon fielen sie seitlich ein, die Strahlen der sinkenden Sonne des langen, langen Sommertages durch die Öffnung des Bogenfensters: – der dunkelgelbe Vorhang war zurückgeschlagen –: ein goldiger Streif spielte auf dem dunkelfarbigen Kopfpolster und berührte das bleiche Antlitz des[247] stillen, blassen Mannes: – da holte der auf einmal tief und voll Atem und schlug die Augen weit auf.
»Wo bin ich?« fragte er matt. »Nicht im Sarg! Nein. Es ist hell. Nicht im Jenseits – nein – das ist – was da hängt – o Gott! es ist mein Schwert! – Ringsum die Wände – meine Bücherei. Ja, ja! Die Welt steht! Mitternacht war ja auch schon vorbei. Gott – ich danke, daß du die Heiden von der Stadt gewehrt – ich sah sie fliehen! – nun will ich gern sterben.« »Nein, Herr Bischof, nicht sterben. Leben sollt – leben werdet Ihr jetzt,« sprach da eine wunderliebliche Stimme und über ihn neigte sich ein sanftes bleiches Antlitz und zwei Thränen fielen auf seine Wangen. »Heilfriede! Nein, das war diesmal kein Traum. Und wir sind nicht gestorben – beide?« Sie schwebte leise an die Thüre des Vorsaals und winkte den dort Harrenden, einzutreten. »Gestorben? Nein. Gerettet seid Ihr, Herr Bischof!« jubelte Fulko und küßte seine Hand. »Gerettet durch diese Frau!« rief Edel. »Das ist gar keine Frau,« besserte Minnegard, »das ist eine Heilige.« »Ein Engel auf Erden,« schloß Hellmuth. »Und es war auch kein Traum,« lächelte die stille Frau, die nun zu seiner Linken kniete und ihm einen Heiltrunk reichte, »daß Ihr mich schon vor Stunden gesehen.« »Wir zagten, wir verzweifelten ob Eurer Wunde –« begann Fulko. »Wir fürchteten das Gift, und wußten – auch der Klosterarzt nicht – Hilfe,« klagte Edel. »Aber Frau Heilfriede!« fuhr Minnegardis freudig fort. »Weiß Gott, wie sie auf einmal, – schon im Thorbogen – da war,« rief Fulko. »Sie beugte sich sofort über Euch,« ergänzte Hellmuth. »Und obwohl der Klosterarzt verbot, das Messer zu entfernen, zog sie es sanft heraus. Viel Blut floß nach! Und dann … Ja dann! Obwohl der Arzt sie warnte, es gebe Gift, das[248] nicht nur im Blut, auch im Magen den Tod bringe –« »Kein Wort sprach sie,« rief Fulko, »ihren Mund preßte sie auf Euren Hals und sog die Wunde aus in tiefen Zügen.«
Da schaute Herr Heinrich verklärten Blickes auf zu der Errötenden; die schlug die langen blonden Wimpern nieder.
Nun schloß auch der Wunde die Augen: – aber er konnte doch nicht hindern, daß sie weinten; er griff nach ihrer Hand; sie ließ sie ihm willig. »Aber auch ich werde nicht sterben,« sprach sie beschwichtigend. »Viele Stunden ist's her. Längst hätte das Gift gewirkt. Ich aber – ich bin ganz wohl. Ach, und ich bin so glücklich.« – »Wie … wie war doch alles … vorher? Nach unsrer Unterredung? – Was hab' ich doch … dann – vor dem Gefecht – noch gethan?« Da fiel sein im Saal umhersuchender Blick auf das Räucherbecken. Er stieß einen jähen Schrei aus und fuhr empor aus den Decken: er wollte sich aufrichten: aber matt sank er zurück. »Um Gott!« stöhnte er. »Nun steht die Welt noch! Und ich – ich Unseliger! Was hab' ich gethan! Weh mir! Sankt Burchhards Recht – den Beweis! – hab' ich zerstört. Die Schenkung … die Urkunde Kaiser Karls hab' ich verbrannt!« Und er hob die beiden geballten Fäuste und wollte sie sich in das Antlitz schlagen. Schrecken ergriff die andern: aber zwei weiche Hände haschten die Fäuste und zogen sie sanft hernieder auf die Bettdecke: »Daran habt Ihr sehr recht gethan, Herr Heinrich,« sprach die herzgewinnende Stimme. »Ich wollte Euch gerade bitten, es zu thun. Denn sie war falsch.« »Was? Was sagt Ihr?« rief Heinrich. »Unmöglich! Jener … Berengar … verstand sich scharf auf Urkunden.« – »Jawohl. Nur allzu scharf! Er verstand auch, sie zu fälschen. Gemäß Eurem Gebot ward auch er in die Stadt[249] getragen. Ich sah nach seiner Wunde; ich sagte ihm, er müsse sterben. Und nun sterbend, in den Qualen des Todes, zitternd vor der Hölle, hat er all seine Schuld bekannt und bereut. Er hatte mit Zwentibold abgeschlossen: – er glaubte nicht an das Ende der Welt: er wollte die Wenden in die Stadt lassen und Euch ermorden. Er starb, nachdem er mir aufgetragen, Euch zu bitten, sein Machwerk zu zerstören.« »Ihr wollt mich …? Nein, dieses Antlitz kann nicht täuschen,« rief der Bischof und atmete beseligt auf. – »Die Schenkung Kaiser Karls war falsch: Ihr wart im vollen Unrecht gegen meinen Mann. Aber eine andre Schenkung – eines andern Kaisers – die ist echt. Eine Ersatzurkunde – für die verbrannte falsche – ist Euch erworben.« – »Ihr … Ihr habt …?« – »Nicht ich. Und nicht aus meiner Hand sollt Ihr sie nehmen. Aus einer andern Hand. – Herr Heinrich,« flüsterte sie in sein Ohr – »der Herr hat so große Gnade an Euch gethan …« – »Durch seinen lichtesten Engel!« – »Ihr könnt jetzt nicht Groll in der Brust tragen.« – »Nein. Ich vergebe dem toten Fälscher.«
»Auch nicht gegen Lebende Groll. Herr Heinrich: unten im Waffensaale steht mein Mann. Er traf bei Sonnenaufgang auf dem Schlachtfeld ein, mit dem Aufgebot der nächsten Gaue: – er hatte von dem Zug der Wenden auf Würzburg gehört, war ihnen auf dem Fuße gefolgt und hat die Flüchtigen in den Main gesprengt. Er wartet. Er hat Euch was zu bringen. Aus Italien. Vom Kaiser Otto. Er selber hat's bewirkt, – schon vor vielen Wochen – und mitgebracht. Es ist was Freudiges! Freude wird Euch nicht schaden – wird Euch gut thun. Darf ich Graf Gerwalt rufen?«
Er konnte nur stumm nicken.
»Aber vorher noch,« sprach die ernste Frau jetzt gar[250] holdselig lächelnd – »vor den Staatsgeschäften – eine Stärkung. Sagt, ihr tapfern Junker – ihr wißt doch sicher, wo hier im Bischofskeller der beste Wein liegt?«
Beide waren schon an der Thüre! Die Gräfin und die Mädchen folgten ihnen.
»Supfo, Supfo!« rief Hellmuth lautschallend durch das Haus. »Wo ist Supfo? Wo steckt der dicke Schalk?« »Ich hab' eine Ahnung!« lachte Fulko und eilte durch die Vorhalle auf die Fallthüre zu, welche die Kellertreppe schloß.
Da ward diese Thüre von unten aufgestoßen und auf der obersten Stufe erschien Supfo, ein strahlendes Lächeln auf dem stark geröteten hübschen rundlichen Gesicht; auf seiner linken Schulter lag, behaglich schnurrend Mucia, die Kluge, in der Rechten trug er einen mächtigen erzgetriebenen Krug, aus welchem ein starker, herzerfreuender Duft aufstieg.
»Ja Supfo! Wo wart Ihr denn die ganze Zeit?« – »Da, wo ich hingehöre, ihr Gelbschnäbel!« – »Supfo – ist es möglich? – Ihr habt? – während des Untergangs der Welt …?« – »Na, ist sie untergegangen?« – »Aber sie sollte doch.« – »Nicht doch! Sie sollte eben nicht! Hab' ich's euch nicht vorausgesagt? Mucia und ich, wir wußten es besser.« – »Aber Supfo! – Wann seid Ihr denn da hinunter?« – »Vorgestern Abend.« – »Und die ganze Zeit verschlafen?« – »Das ist Verleumdung. Nur die zweite Hälfte.« – »Und das Sturmblasen von allen Türmen! Das Hinaussprengen der Reisigen, den Auszug und den Einzug? Ihr hättet[251] wirklich die Posaunen des Gerichts auch verschlafen.« – »Haben sie geblasen? – Was ich that in der ersten Hälfte der Zeit? Nun, der Griechenwein ist zu Ende. Das ist die Neige – diesen Vollkrug hab' ich für den Herrn Bischof und für euch gespart. – Wer war nun der klügste Mann in ganz Würzburg?« Und er lachte, daß ihm das runde Bäuchlein bebte, bis ihm Fulko erzählte, aus welchen Gefahren und Sorgen sie sich eben erst geborgen wußten. Da humpelte der Dicke – unglaublich rasch – die Treppe hinauf und an Herrn Heinrichs Lager und sank dort auf die Kniee und weinte, weinte Thränen des Schmerzes und der Freude durcheinander.
Während Hellmuth den Grafen Gerwalt aus der Waffenhalle holte, wartete die Gräfin mit den beiden Mädchen und Fulko im Vorsaal.
Da trat Minnegard an Frau Heilfriede heran und begann, ziemlich kleinlaut: sie schlug die Wimpern nieder – denn allzu glücklich für eine zage Bitte und geheimen Glückes zu süß bewußt leuchteten – sie fühlte das – ihre minneseligen Augen: »Was soll nun werden aus … aus uns beiden armen jungen Paaren? Wir hatten uns ganz darauf eingerichtet, daß heute nur der liebe Gott, der – leider Gottes! – doch ohnehin alles weiß, mit uns rechten werde können über das, was wir Mädchen diese Nacht gethan – oder doch: erlitten« seufzte sie, »und vielleicht nicht ganz heftig genug abgewehrt: – wer konnte aber heute Nacht um Hilfe gegen Entführer schreien? Es hätte doch niemand darauf gehört!« Da lachte Fulko. »Mein süßes … Kind. Deiner Mutter Klosterwunsch galt nur für die alte Welt: – die ist heut' Nacht versunken: – nicht bindet er für die neue, die uns der Herr Gott heute[252] geschenkt.« »Das würde der Herr Bischof schwerlich gelten lassen,« meinte die Frau Gräfin, drohend den weißen Finger gegen Fulko hebend: »aber getrost. Herr Heinrich steht so tief in der Schuld des gnädigen Himmelsherrn, –« »Und in der Eurigen,« riefen die drei andern. – »Daß er auch ein Übriges an Güte thun muß – und wird. Seid ganz getrost. Ich – ich führe eure Sache – aller vier.«
»Dann ist sie gewonnen!« jubelte Minnegardis, warf sich an ihre Brust und küßte sie stürmisch. »Wie sollen wir Euch danken?« fragte Edel, tief gerührt. – »Mein Dank ist – euer Glück. Ich war auch einmal jung. – Da kommt mein Mann. Nun zu ihm … zu Herrn Heinrich.«
Am Lager Herrn Heinrichs stand Graf Gerwalt, eine stattliche, mannhafte Kriegergestalt in voller Waffenrüstung, nur ein paar Jahr jünger als der Bischof, aber sein blondes Haar war weit weniger ergraut. Er hielt des Wunden Hand gefaßt und sprach: »Ihr habt mir nicht zu danken. Was ich gethan, ich that's nicht Euch zu lieb' – ich that's fürs Reich. Ich kam zu der Einsicht, daß, wie die Dinge hier in der Stadt und im Gau nun einmal liegen, Bischof und Graf, auch wenn sie beide nicht solche Streitköpfe sind wie wir, auch bei friedfertigem Sinn – unablässig in Hader über die Grenzen ihrer Rechte kommen werden, kommen müssen. Deshalb hab' ich – und allerdings auch, weil ich den Rothenburger Heinrich als einen Mann kenne, der Land und Leute trefflich zu leiten und – wir haben's diese Nacht wieder erlebt! – zu schirmen weiß, bei Kaiser Otto mit Hilfe Eures klugen Bruders, des Herrn Kanzlers, durchgesetzt, was fortab – nun, ich lese Euch seine Urkunde vor«; und er ließ sich von Frau Heilfriede ein Pergament reichen mit dem großen kaiserlichen Siegel und las:
»In dem Namen der heiligen unzerteilten Dreifaltigkeit Otto der Dritte, ein Knecht Jesu Christi und römischer Kaiser, Mehrer des Reichs, nach dem Willen Gottes, unsres Seligmachers und Erlösers. Was von unserer Majestät zu Erhöhung der Kirchen Gottes und seiner Heiligen gegeben wird, das, so hoffen wir, wird sonder Zweifel zur Stätigung unseres Reiches und uns zur Freude des ewigen Lebens ersprießlich sein. Darum sei kund allen unsern gegenwärtigen und künftigen Getreuen, daß wir um Willen der Bitten des ehrwürdigen Erzbischofs und Kanzlers unsres Reiches, Herrn Heriberts, auch auf verständige und für des Reiches Nutz zuträgliche eindringliche Vorstellung des tapfern Herrn Gerwalt, bisher Grafen des Ran- und Waldsassengaues und dazu aus besonderer Ehrung der wackern Dienste in Krieg und Frieden, die uns Herr Heinrich, weiland Graf von Rothenburg ob der Tauber, nunmehr aber Bischof von Würzburg, geleistet hat, diesem Herrn Bischof Heinrich und all seinen Nachfolgern zu Ehren des allmächtigen Gottes, Seligmachers der Welt, und der kostbarlichsten Martyrer Sankt Kilian, Sankt Coloman und Sankt Totnan geweihet haben, geschenkt und gewidmet zwo Grafschaften, genannt Waldsassen – mitsamt Stadt und Weichbild von Würzburg – und genannt Rangau in dem Lande, das man das Morgenfrankenland heißt, gelegen, die wir mit allem Zwang, allen Satzungen und unserm königlichen Banne, mit Ordnung und Gerichtsbarkeit, nichts ausnehmend von dem allen, was die Grafen oder sonst irgend ein Mensch von Herkommen und Gewohnheit wegen haben sollen, und dies alles mit aller Nutzbarkeit den obgeschriebenen Martyrern zu eigen gegeben und aus unsern Rechten und unsrer Herrlichkeit in des ehrwürdigen Bischofs Heinrich und seiner Nachfolger Recht und Herrlichkeit gänzlich übertragen haben: nämlich in der Gestalt, daß gemeldeter,[254] ehrwürdiger Bischof Heinrich und alle seine Nachfolger die vorgenannten Grafschaften wie immer es ihnen gefallen wird für und für ordnen, selbst verwalten oder einen andern als Grafen damit belehnen mögen, ohne daß wir, unsere Nachfolger oder sonst männiglich Eintrag und Widerspruch erheben mögen. Und damit diese unsere kaiserliche Übergabe nun und hinfort desto beständiger verbleibe, haben wir diesen Brief mit eigener Hand gefestigt und zu besiegeln geboten. Gegeben den dreißigsten Tag des Maien, nach der Menschwerdung des Herrn im tausendsten Jahr, in der dreizehnten Römer Zinszahl, in unseres des dritten Otten Königtum dem sechzehnten und unseres Kaisertums im fünften Jahr. Gegeben zu Rom: seliglich. Amen.«
Herr Heinrich reichte ihm die Hand und suchte sein Auge, gewaltig hob sich ihm die Brust in tiefem Atmen. Es dauerte geraume Zeit, bis er sagen konnte: »Dank! – Heißen Dank! Und war mir doch geweissagt, ich würde nicht sterben, bevor ich meinen schlimmsten Feind erschlagen! Ich meinte, das … war …« »Nicht ich!« sprach Graf Gerwalt und strich ihm über die Stirne.
»Nein! – Das war … ein anderer! – Aber Graf Gerwalt, was wird aus Euch?« Heilfriede legte die Hand auf ihres Gatten gepanzerte Schulter und sprach mit stolzfreudigem Blick: »Markgraf von Meißen wird er, mit herzoglichem Recht und Rang. Der große Held, Markgraf Eckhart, der Schreck der Slaven, der Schirmer unserer Marken dort, ist gestorben. Mein Mann tritt an seine Stelle. Sobald Ihr vom Lager erstanden seid, brechen wir dorthin auf.«
Herr Heinrich nickte: »Er hat's verdient. – Zwei Grafschaften kann ich allein nicht selbst verwalten. Hellmuth soll den Rangau – Wo ist Hellmuth? ah dort! Sieh, Hand in Hand mit Edel? Nun möcht' ich doch[255] wissen auch von gar manchen andern noch: von dem Geschicke so vieler der mir anvertrauten Seelen – wie hat all das gewirkt auf …? – ach auf viele! Und wie kommt es, – daß Minnegard, – sie lehnt an Fulkos Brust! Ei schlimme Mündel! Berichtet und erklärt!«
»Nein,« sprach Frau Heilfriede sanft, den Finger auf die Lippen legend, »heute wird nichts mehr berichtet und erklärt. Es ist genug, fast schon zuviel gewesen für einen wunden Mann. Morgen dann – da uns der liebe Gott nicht mehr bedroht! – morgen ist auch noch ein Tag. Da mögt Ihr alles vernehmen: – wird Euch wohl manches wundern! Aber Ihr werdet mir eine Bitte nicht verweigern, Herr Hezilo?«
»Keine, Heilfriede!« – »Jetzt, Herr Bischof, sprecht Euer Nachtgebet. Es wird draußen schon dunkel. Jetzt scheidet … auch du, mein Gerwalt – geht nun alle hinaus. Der Kranke muß ruhen, schlafen.« »Aber er darf nicht allein bleiben,« rief Minnegard. »Gewiß nicht! Ich will …« sprach Edel eifrig. »Nein, liebes Kind,« erwiderte die sanfte Frau, ihre Wange streichend. »Das ist mein Recht: ich bin doch seine älteste Freundin.«
Weitere Anmerkungen zur Transkription
Offensichtlich fehlerhafte Zeichensetzung wurde stillschweigend korrigiert. Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht.
Korrekturen:
S. 36: Schatte → Schatten
damit der hinter sie fallende Schatten die Fische
S. 38: nud → und
aus der Wunde reißen und so taumelte er denn
S. 63: kaum → kann
so lang und so heiß sie irgend kann
S. 87: Zaum → Zaun
durch eine schmale Lücke im Zaun zu entweichen
S. 189: nachhher → nachher
Soll nachher in die Abendpredigt kommen
S. 200: Auswallung → Aufwallung
In rascher Aufwallung des Edelgefühls kam