The Project Gutenberg eBook of Der Spiegel: Anekdoten zeitgenössischer deutscher Erzähler This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Der Spiegel: Anekdoten zeitgenössischer deutscher Erzähler Editor: Karl Lerbs Release date: February 4, 2018 [eBook #56499] Language: German Credits: Produced by Norbert H. Langkau, Alexander Bauer and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER SPIEGEL: ANEKDOTEN ZEITGENÖSSISCHER DEUTSCHER ERZÄHLER *** Produced by Norbert H. Langkau, Alexander Bauer and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net Anmerkungen zur Transkription Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter Text ist _so ausgezeichnet_. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist ~so markiert~. Weitere Anmerkungen zur Transkription finden sich am Ende des Buches. Der Liebhaber-Bibliothek fünfzigster Band [Illustration] Der Spiegel Anekdoten zeitgenössischer deutscher Erzähler Herausgegeben von Karl Lerbs Sechstes bis fünfzehntes Tausend Gustav Kiepenheuer Verlag Potsdam--Berlin 1919 Dem Andenken Johann Peter Hebels Dubonnet Ein Gruß an Hebel Von _Otto Flake_ Im Schatzkästlein steht die Geschichte des deutschen Binnenländers, der in die große Stadt Amsterdam kommt und vor einem stolzen Schiff, einem prächtigen Haus und einem gewaltigen Begräbnis fragt: Wer ist es, dem dies gehört? »Kannitverstan«, ist die Antwort, und er beneidet den reichen Mann nicht mehr. Eine gute Geschichte; Pointe und Moral darin, Treuherzigkeit und Humor. Als Knabe las ich sie im Lesebuch; sie hat mir so gefallen, daß ich sie nie vergaß. Und später, als ich auf Reisen ging, in fremde Städte kam, ging sie mir erst recht auf. In ihrem Reiz war eine Aufforderung, wie jener junge Deutsche über vier, fünf Eindrücke aufs Geratewohl Eingeborene um Auskunft anzugehen und ein unbekanntes Wort zu erhalten, das ein Band schlang, wo keines war und einen Sinn, wo Sinn fehlte. Sehr jung, in Weltlichkeit nicht eingeweiht, stieg ich am Ostbahnhof in Paris ab und begann sofort kreuz und quer herumzustreifen. Da stieß ich auf ein Wort, das sich immer, immer wiederholte: Dubonnet. Zuerst bemerkte ich es in der Metrobahn, alle hundert Meter an den Wänden des Tunnels. Ich setzte mich auf Bänke in den Parks. Dubonnet stand auf der Lehne wie bei uns im Lande der Ordnung »Nur für Erwachsene«. Wo Löcher in den Häuserzeilen häßlich gleich Lücken in den Zähnen eines Menschen klafften, prangte blau das Wort Dubonnet, auf den Firsten der Dächer flammte es nächtlich auf, in den Zeitungen füllte es halbe Seiten, umrahmt von leerem Weiß: Dubonnet, sonst kein Wort. Dubonnet wiederholte ich, und als ich es fünfzigmal nachgesprochen hatte, wurde es wie ein mystischer Ruf, Symbol des Geheimnisvollen in der Wirklichkeit. Die Griechen hatten dem unbekannten Gott einen Tempel gebaut, war es nicht denkbar, daß in der Großstadt ein Wort der Gesinnung, Mahnung und fernen Weite metaphysisch rief? Auf einer Kaffeehausterrasse erfuhr ich die Lösung des Rätselworts; es bestellte einer einen -- Dubonnet. Zuerst war ich enttäuscht, dann lachte ich, so fröhlich, daß man sich nach mir umsah. Lehre war es, daß es in der Großstadt keine Mystik gibt -- wie, warum denn nicht? Nun _wollte_ ich sie, und wenn es mir gefiel, Dubonnet einen Klang wie dem erhabenen Feldgeschrei einer Religion zu geben, wer konnte mich daran hindern? »~Dieu le veut~« riefen die Kreuzritter, warum ich nicht Dubonnet? So wurde mir Dubonnet, was jenem Jüngling Kannitverstan gewesen war, Laut des Tiefsinns, Gleichnis, Wort der eignen Souveränität, die ihren Willen setzt. Gruß, Vater Hebel, dir. Zum Eingang Der Versuch, die im deutschsprachigen Schrifttum auf dem Gebiet der Anekdote wirkenden Kräfte in einem Sammelbuch aufzuzeigen, erschien in manchem Betracht von Wert. Er wurde unternommen im vollen Bewußtsein seiner Schwierigkeit; hat sich doch die einst so klare Form der Anekdote dem großen Wandlungsvorgang der Zeit nicht entziehen können. Daß solche Wandlung große Gebiete des Stofflichen umfaßt, wird man als eine aus verändertem Zeitbild organisch erwachsene Ausweitung würdigen und begrüßen; daß aber die Bestimmtheit der Form sich verwischte und heute so manches als Anekdote ohne Recht sich ausgibt, -- das scheint eine Abgrenzung der Anekdote gegen andere Kunstformen nötig zu machen. Es sei versucht, von der Kennzeichnung ihres Wesens zu ihrer Wertung vorzudringen. Die Anekdote ist die gedrängte, unbedingt in sich gerundete Darstellung eines Vorganges von irgendwie kennzeichnender Bedeutung, -- gleichgültig, ob kennzeichnend für eine bekannte Persönlichkeit, für einen Einzelmenschen, einen Menschentypus oder nur als Vorgang an sich. Sie ist nicht Ausmalung, Betrachtung, Stimmung, sondern Leben, Bewegung, Handlung. Das umrankende Beiwerk darf, sparsam verwandt, nicht die klaren, sicheren Linien des fortschreitenden Geschehens überwuchern; es darf nur dazu dienen, die plastische Wesenheit der Handlung zu erhöhen, die Farben mit lebendiger Leuchtkraft zu untermalen. Alles dient nur der Weiterführung des Geschehens, dem fortschreitenden Vordringen zu Wesen und Sinn; alles steht für sich selbst ohne breite, nachdenkliche Erläuterung da, die Klarheit bedarf keiner Erklärung und Erklügelung. Die Anekdote ist ein unbestechlicher _Spiegel_ des Lebendigen; darum habe ich dieses Buch »Der Spiegel« benannt. Wie ein Spiegel dem Betrachter einen fest umrissenen Ausschnitt aus einem Geschehen körperhaft zeigt, so auch die Anekdote. Man hat sie mit einer Zeichnung verglichen. Darin liegt viel Richtiges, wenn man die Zeichnung als Ganzes und Fertiges betrachtet, -- und doch kann der Vergleich irreführen. Denn die Technik des Anekdotenerzählers ist im wesentlichen eine andere als die des Zeichners. Dieser baut aus Linien ein Bild auf, das die zur Reglosigkeit erstarrte Plastik einer Situation wiedergibt, und erst die weiterschaffende Phantasie des Beschauers flößt ihm Leben ein. Ich erinnere z. B. an die Zeichnungen Menzels; sie sind in ihrer plastischen Kraft gewissermaßen Stoffe zu Anekdoten, und der Betrachter schöpft aus ihnen die Anregung zur Vervollständigung des linienscharf erfaßten Vorganges. Der Anekdotenerzähler aber packt mit sicherem Griff ein Lebendiges und läßt es durch Tun und Gebärde sein Wesen ausprägen. Zur langsam strichelnden Stimmungsergänzung bleibt ihm wenig Zeit, das drängende Tempo reißt ihn wie seinen Leser fort. Das führt abermals auf den »Spiegel«-Vergleich, und diesmal tiefer. Die Anekdote kann sich nicht auf die ausführliche und _betrachtende_ Zerlegung seelischer Vorgänge einlassen. Diese Vorgänge sollen aus dem Geschehnis, das den Leser zum Nachdenken zwingt, erhellen. Auch der Spiegel liefert dem Beschauer Merkmal und Ausdruck des Seelischen und überläßt ihm die Folgerung daraus. Und weiter: Er fängt mit dem Handelnden zugleich auch seine Umgebung auf; aber von diesem Beiwerk wird auch nur dem eine wesentliche Rolle zufallen, das dazu dienen kann, den Vorgang zu begründen und zu unterstreichen, ihn zu erklären und zu ergänzen -- soweit ihm das überhaupt gegeben ist. So wird auch der Anekdotenerzähler vom »Milieu« in knappen, aber scharf und körperhaft bildenden Worten nur das erstehen lassen, was seinem Vorwurf farbigen Hintergrund gibt und den Fluß der Handlung weiterleitet. Gewiß wird der »Spiegel«-Vergleich auch in anderen Fällen zutreffen; auch Satire etwa und Groteske können Spiegelungen sein, aber sie müssen um ihres Zweckes willen die Linien verstärken, verzerren, übertreiben. Die Anekdote ist aus dem Wirklichen erwachsen; Leben schaffen und wirken lassen nur durch seine Kraft ist ihr einziger Zweck. Ein alter Irrtum verlangt von ihr, daß sie zum Lachen reizen soll; auch das _kann_ ihre Folge sein, aber die Verallgemeinerung solcher Forderung ist natürlich unsinnig. Den Vorwurf formalistischer Engherzigkeit, den man mir nach alledem vielleicht entgegenhält, wird man fallen lassen, wenn man erkannt hat, daß gerade hier dem wirklichen Künstler die klare Umreißung des Formbegriffs Schaffensvorbedingung ist. Und solche Beschränkung ist keine Enge; sie eröffnet das Feld für den stärksten Einsatz gestaltender Kraft, sie fordert eine gezügelte, aber gerade darum ganze und bedingungslos sich einsetzende Kunst. Sie belohnt den Bildner tausendfach durch die Freude am schöpferischen Wort, am lebenzeugenden Stil, am schönen, festen Gefüge des unverrückbar dastehenden Ganzen. Ihr Beherrscher wird sich aus eigener Kraft vom »Rezept« freimachen und in der strengen Form ein in sich vollendetes Mittel zur Geltendmachung seines Willens sehen; er wird auch ohne Schwanken darüber entscheiden, welche Möglichkeiten sich ihm auftun, wo die Grenzen liegen, bis zu denen er seine Kraft spielen lassen kann. Und aus solcher Meisterung, solcher unbeirrbaren Blickschärfe wird ihm ein Gewinn erstehen, der weit über den Sonderfall hinaus in anderen Formen der Kunst sich auswirkt. Soweit der Versuch zur Festlegung des Programmatischen. Ich erhebe nicht den Anspruch, Abschließendes gesagt zu haben; ich bin mir auch durchaus bewußt, daß dieses Buch, rein als Auswahl genommen, diese oder jene Anforderung unerfüllt läßt, da es in seiner _anthologischen_ Eigenart einen ersten Schritt in unbegangenes Gebiet tut. Der Einladung, die ich an die hier vereinigten berufenen Erzähler ergehen ließ, lag die Absicht zugrunde, das Problem von recht vielen Seiten zu beleuchten und den Mitarbeitern die Möglichkeit zu schaffen, ihrer Auffassung durch das Beispiel Ausdruck zu geben. Darüber hinaus wird sich vielleicht über als wichtig erkannte Formprobleme eine Aussprache entspinnen, die (soweit das denkbar ist) zur Klarheit führt. Wenn aber der »Spiegel« diese Schattierungen in der Auffassung anschaulich macht, und wenn er durch den stets beobachteten einigenden Gesichtspunkt des Gewählten und die aus der Vielheit des Inhalts ganz unverkennbar sich abhebende Einheit der Grundlinien die Wirkung hat, eine als _Kunst_form nicht mehr nach Gebühr geachtete Erzählungsgattung wieder in ihre Rechte einsetzen zu helfen, so ist sein Zweck erreicht. Warum dieses Buch der Lebendigen dem Andenken eines seit langem Toten gewidmet ist? Weil in der klaren, urwüchsigen Kraft der Hebelschen Anekdoten ein zeitloser Wert an lebensstarker, herzhafter Kunst und weltfrohem Menschentum steckt; weil wir Heutigen, die wir eigene Wege gehen und gehen sollen, diesem deutschen Erzähler Dank und Achtung schulden wegen der helläugigen Geradheit und aufrechten Schlichtheit seiner Geschichten. Es bleibt mir noch die gern erfüllte Pflicht, allen, Mitarbeitern und Verlegern, die durch Beiträge und Nachdruckserlaubnis zu dem Buche beisteuerten, auch hier herzlichen Dank zu sagen. Bremen, im Januar 1918. Karl Lerbs Von allerlei Leuten Der ungebetene schwarze Gast Von _Paul Keller_ In einer schlesischen Stadt lebte ein Schornsteinfegermeister, der das war, was man ein »gelungenes Huhn« nennt. Seine Streiche hatten von Jugend auf immer etwas Kühnes gehabt, und da er ein wohlhabender Mann war, konnte er seine angeborene Abenteuerlust auch auf nichtschlesische Gegenden ausdehnen. Eines Tages kam der Schornsteinfeger auf einer Sommerreise nach Friedrichshafen am Bodensee. Da erfuhr er, daß am nächsten Tage die württembergischen Landtagsabgeordneten die Luftschiffanlagen besichtigen und vom Grafen Zeppelin selbst geführt werden würden. Nach der Besichtigung sollten die Herren im königlichen Schloß bewirtet werden, der König und Zeppelin selbst würden dabei die »Honneurs« machen. In der Seele des schlesischen Schornsteinfegermeisters entstand sofort ein kühner Plan. Er verschaffte sich eine passende Kleiderausrüstung und mischte sich am nächsten Morgen mit der zuversichtlichsten Miene der Welt unter die württembergischen Abgeordneten, ließ sich auch gar nicht dadurch beirren, daß ihn dieser oder jener etwas »befremdet« ansah, sondern »besichtigte« die Luftschiffanlagen und hörte den Erklärungen Zeppelins mit regem Interesse zu. Nachmals, als er in sein schlesisches Heimatstädtchen zurückgekehrt war, zeigte er voller Stolz die Photographien, die in Friedrichshafen aufgenommen worden waren, und auf denen unser Schornsteinfegerlein immer in dichtester Nähe von Zeppelin stand. Auch die illustrierten Zeitschriften haben ihn damals so verewigt. An dem Tage selbst aber, als die »Führung« beendet war und die gastronomischen Genüsse kamen, die Bewirtung, dachte unser Meister: »Ich tue nichts Halbes; ich bleibe bei der Sache!« Er entwickelte im Schloß, wo ein »zwangloses kaltes Büffet« aufgestellt war, einen glänzenden Appetit; als er sich aber gerade einen Benediktiner zu Gemüte führen wollte, tippte ihn jemand auf die Schulter und fragte ganz leise: »Sie sind wohl ein blinder Passagier?« Dunnerwetter, erschrak der Schornsteinfeger und begoß sich die Nase! Aber der andere blinzelte ihm beruhigend zu und flüsterte im schönsten Berlinerisch: »Ick nämlich ooch!« * * * * * Diese Geschichte sieht so aus, als ob sie erfunden sei. Aber sie ist buchstäblich wahr. Ich veröffentlichte sie damals. Der Schornsteinfeger war außer sich, obwohl ich seinen und seines Heimatortes Namen natürlich gar nicht genannt hatte. Nun, glaubte er, sei eine hochnotpeinliche Untersuchung und seine Bestrafung außer Frage. Der Brave ängstigte sich umsonst. Es kam eine Postkarte folgenden Inhalts an mich: »Friedrichshafen, den ... Für die Mitteilung der köstlichen Geschichte von meinem ungebetenen ›schwarzen Gaste‹ danke ich bestens. Graf _Zeppelin_.« Wie hat da der kühne Schornsteinfeger triumphiert! Und ich bin ganz sicher: zu den Deutschen, die heute den Heimgang unseres geliebten Zeppelin im tiefsten Herzen beklagen, gehört sein »ungebetener schwarzer Gast«. Eine Abelsberger Heiratsgeschichte Von _Peter Rosegger_ Die Gallbeißerin zu Abelsberg war mit ihrem ersten Manne bereits fertig geworden, hatte von ihm ein zwei Stock hohes Haus geerbt, und die Kleider. Was kann eine Witwe mit den Kleidern ihres Seligen machen? Sie kann mit den Kleidern ihres Seligen nichts Vernünftigeres machen, als wieder einen Unseligen hineinzustecken. Ihren ersten Gatten hatte sie aus Liebe geheiratet, aus Liebe zu seinem zweistöckigen Hause. Nun ist es aber nicht wahr, was Poeten sagen, nämlich, daß der Mensch nur einmal liebe. Im nachbarlichen Städtchen Neubrunn lebte ein Kaminfeger, der Witwer war und nach einer Frau suchte, die ihm bisweilen den Kopf wasche. Dieser Mann hatte sich ein drei Stock hohes Haus zusammengefegt; die Gallbeißerin liebte ihn. Der Bäckermeister zu Neubrunn, ein guter Bekannter der Gallbeißerin und Freund des Kaminfegers, übernahm die Vermittlung und drückte seine Freude darüber aus, daß hier zwei Häuser zusammenkämen, die übereinandergestellt fünf Stock gäben! Bald ging die Verlobung vor sich, zu welcher der Kaminfeger mit musterhafter Sorgfalt allen Ruß von seinem Gesichte wusch, um darzutun, daß er noch fein glatt und nicht alt sei; und zu welcher die Gallbeißerin ihr Gesicht mit etwas verdünntem Karmin anstrich, um darzutun, daß sie fein und rot und noch jung sei. Alsobald nach der Verlobung begannen die Vorbereitungen zur Hochzeit, wozu der brave Bäckermeister zu Neubrunn sein Möglichstes tat. Die Gallbeißerin ließ sich ein den fünf Etagen entsprechendes Brautkleid verfertigen; der Bräutigam aber holte sich aus irgendeinem hohen Schornsteine eine Lungentzündung herab und legte sich damit zu Bette. Mittlerweile war das Brautpaar auf den Kanzeln zu Abelsberg und Neubrunn feierlich verkündet worden; zu Neubrunn nach dem dritten Aufgebote hatten die Kirchenmusikanten sogar mit Trompeten und Pauken einen schallenden »Tusch« aufgeführt, weil der Bräutigam seinerzeit auf dem Chore mitmusiziert hatte. Der Arzt jedoch war der Ansicht, daß die Hochzeit zu verschieben sei, erstens, weil der Bräutigam noch nicht gesund, und zweitens, weil er todkrank wäre. Man stelle sich den Schmerz der Braut vor, als sie solchermaßen das dreistöckige Haus in Gefahr sah. Sie beschwor den Arzt, alles aufzubieten, um zu retten, was zu retten sei, und sie besprach sich mit dem Bäckermeister, ob nicht der Ehevertrag sofort könnte ausgefertigt werden? was der Meister bejahte und ein Übereinkommen auf Gütergemeinschaft sehr befürwortete. Es geschah, aber der Notar, wie solche Leute schon in allem auf das Umständliche und Verwickelte hinausspielen, schrieb unter den Ehevertrag als letzte Klausel: »Dieser Kontrakt tritt mit der kirchlichen Trauung obengenannten Paares in Gültigkeit.« Der Tag der Trauung war da, der hochzeitliche Festsaal, Küche und Keller waren bereit, aber der Arzt erklärte die Trauung in der Kirche für unmöglich, da eingetretenen Symptomen nach der Bräutigam nur noch wenige Stunden mehr zu leben habe. »Ist denn nicht _ein_ Stock mehr zu retten?« wimmerte die Braut und sank auf den Lehnstuhl. Bald hernach stürzte sie hin ans Bett und rief: »Mein Geliebter, mein Einziger, ich will dein Weib oder deine Witwe sein. Noch in dieser Stunde soll uns der Pfarrer trauen!« Der Kranke faßte gerührt ihre Hand und dankte für ihre Lieb' und Treue. Aber er wisse nicht, ob er das Opfer annehmen dürfe. Es _sei_ kein Opfer! rief sie, und auch der Bäckermeister legte sich ins Mittel, daß der Kranke den Willen zur Trauung im Bett gebe und somit der Herzenswunsch beider erfüllt werde, es gehe dann aus, wie Gott es wolle. So wurde, da alles so weit gediehen war und keinerlei Hindernisse mehr obwalteten, die Trauung »einfach und würdig«, wie die Gallbeißerin es wünschte, am Krankenbette vollzogen. Die Hochzeitsgäste, an der Spitze der Bäckermeister und die Braut, begaben sich hierauf vom Krankenbette weg in den Gasthof zum Festmahle, bei dem es gar heiter herging, die Braut viel mit Wein verehrt und sogar der Sterbende leben gelassen wurde. Sie waren gerade beim Schaumwein, den der noble Bäckermeister beigestellt hatte, und bei welchem wieder wacker angestoßen werden sollte, als die Nachricht kam, der Bräutigam sei ruhig im Herrn entschlafen. Die Braut flennte eins und dachte bei sich: Ach, was bei solchen Gelegenheiten die Zeremonien lästig sind! Am anderen Morgen, während auf dem Turme die Totenglocken klangen, bestieg die Gallbeißerin tränennassen Auges ihr ererbtes Haus bis in den dritten Stock. Den an Zins rückständigen Parteien der Dachkammern kündete sie die Wohnung, dann stieg sie, getragen von dem Nimbus des Schmerzes, wieder zur Erde nieder. Am Haustore erwartete sie der Bäckermeister, noch ein bißchen übernächtig, aber nichtsdestoweniger nüchtern. Er zog sie mit zurück in den Flur, er habe mit ihr eine kleine Angelegenheit zu besprechen. Es wäre wohl allzufrüh, an diesem Tage schon! lispelte sie, das Auge zu Boden schlagend. Er aber meinte, es gebe Angelegenheiten, die nicht früh genug ins reine gebracht werden könnten. Er sei von jeher ein Mann der Ordnung gewesen, und auch sie, die Gallbeißerin, kenne er von dieser höchst ehrenwerten Seite. Er habe -- und damit zog der Bäckermeister ein Papier aus der Tasche -- einen Schuldbrief in der Hand, nach welchem er vor einundzwanzig Jahren dem Kaminfeger Ignaz Kratzer, nunmehr ihrem seligen Gatten, eine Geldsumme geliehen habe; diese Summe sei im Laufe der Zeit durch den vereinbarten Zinsfuß auf mehr als fünfundzwanzigtausend Gulden angewachsen. Dieses dreistöckige Haus sei unter Brüdern kaum sechzehntausend Gulden wert, ein anderes Vermögen sei nicht da, und es freue ihn -- den Bäckermeister --, daß sein ehrenwerter, nunmehr heimgegangener Freund vor seinem Tode noch einen so schönen Ausweg gefunden habe, seiner Pflicht gerecht zu werden. Er sei überzeugt, die Witwe und Erbin werde das Andenken des Verstorbenen dadurch ehren, daß sie -- wozu er bereits die amtlichen Wege zu betreten sich erlaubt habe -- ehebaldigst den von ihrem Eheherrn unterzeichneten Schuldschein einlöse. In neue Schulden wolle er sie nicht stürzen, sondern erkläre sich in Gottes Namen mit den beiden Häusern für zufriedengestellt. So sagte er, der Schuldbrief war nicht abzuleugnen, und nun kamen für die Gallbeißerin Tage des wirklichen Schmerzes. Es wäre unerquicklich, ihre Zornausbrüche wiederzugeben, sie führten auch zu nichts. Die beiden Häuser mit den fünf Stockwerken fielen dem Bäcker zu, der diese Heirat schlau nur veranstaltet hatte, damit sich das Vermögen des Kaminfegers vergrößere und somit er zu seinem Gelde gelange. Die Welt war von jeher schlecht und ist in Abelsberg und Neubrunn nicht besser, als anderswo. Die Gallbeißerin hat daher zum Schaden auch noch den Spott. Der Erzähler wünscht ihr nichts Schlechtes, sagt aber das: Wem auf dieser Erde das Geld die Hauptsache ist, und so weiter. -- Der Bäckermeister soll's auch bedenken! Ein Wiedersehen Von _Rudolf Huch_ Als ich noch zu den jüngeren Rechtsanwälten gehörte, kam einmal ein Mann aus Braunschweig zu mir, der wirklich Schulze hieß. Er war ein älterer Mann, kam auf einem Rade gefahren und trug eine runde Radfahrermütze mit einem bunten Stern. Das gefiel mir nicht. Er wollte einen Prozeß führen. Ich sagte, daß er ihn zur Hälfte gewinnen und zur Hälfte verlieren würde. Er wollte das nicht glauben, es kam aber doch so. Als er einmal wieder sehr lange bei mir gesessen und das Gegenteil bewiesen hatte, erklärte ich ihm, ich brauchte das alles nicht, sondern nur eine Erklärung auf den letzten Schriftsatz des Gegners. Er behauptete, eben darüber hätte er sich seit einer Stunde verbreitet. »Herr Schulze,« sagte ich, »das war ja aber lauter Unsinn!« Seine Augen quollen auf eine beängstigende Art hervor, er verzog sich rückwärts aus der Tür und kam nicht wieder. Wenigstens erst nach drei Jahren. Ich war von der Herzogstraße in eine andre Wohnung gezogen und hatte mir einen Bart stehen lassen. Herr Schulze wollte wieder einen Prozeß führen, und zwar einen großen. Unsre Bekanntschaft erwähnte er nicht und ich auch nicht. Diesen Prozeß gewann er, aber als das Urteil rechtskräftig war, meldete der Schuldner Konkurs an. Ich mußte Herrn Schulze auch im Konkurse vertreten, obwohl ich ihm sagte, das könne er selbst. Der Gemeinschuldner bot einen Vergleich mit fünfundzwanzig Prozent an. Ich sagte, dreißig müßten es sein, worauf er antwortete, dann wolle er dreißig zahlen. Damit war meine Tätigkeit beendet. Die fünf Prozent kamen allen Gläubigern zugute, meine Kosten mußte Schulze natürlich allein tragen. Er kam selbst, um das Geld zu bringen. Ich sagte einigermaßen befangen: »Es hat sich recht aufgesummt!« »Bitte sehr,« erwiderte er höflich. »Man zahlt gern, wenn man so gut aufgehoben ist. Ich hatte vor drei Jahren hier am Orte einen Prozeß. Damals vertrat mich Ihr Kollege, der auf der Herzogstraße wohnt, ich weiß nicht mehr, wie er heißt. Der Mann konnte mir nicht imponieren!« -- »Herr Schulze,« sagte ich, »das war ja aber lauter Unsinn, was Sie mir damals sagten!« Herr Schulze gab keine Antwort. Seine Augen quollen auf eine beängstigende Art hervor, er verzog sich rückwärts aus der Tür und kam nicht wieder. Engelbert Meisenheimers Kriegsbeute Von _Heinrich von Schullern_ Engelbert Meisenheimer, der uralte Radetzkyveteran, ist nun auch gestorben. Er war einer der »Salzburger Edelknaben«, die einst Brescia bezwangen. Dabei will gerade er sich löwenkühn benommen haben. Das hat seine eigene Bewandtnis. »Nur die Liebe zu meiner jetzt im Herrn ruhenden Alten«, pflegte er noch in den letzten Lebensjahren zu erzählen, »war größer als die Ehrfurcht von unseren Generalen. Denken Sie nur, die Kathi ist meine Braut gewesen, den ganzen langen Krieg hindurch. Den reichen Obergugginger Franz hat sie ausgschlagen und geduldig auf mich armen Korporal gwartet. Ich war immer der Überzeugung, so etwas muß belohnt werden. Gold und Edelsteine haben andere aus Feldzügen mitgebracht. Bei Vater Radetzky aber -- das ist uns gleich gsagt worden -- war die Plünderei verboten. Recht so, hab ich gedacht und auch gut gheißen, wie unser Haynau mit dem Galgen gedroht hat. Es war grimmig schlecht von mir, daß ich in Brescia seinem strengen Befehl zuwiderghandelt habe; aber es war auch meine größte -- Heldentat. Unter Haynau über die Welschen siegen, war eine Kleinigkeit, ein Kinderspiel. Seine strengen Befehle übertreten, diesem fürchterlichen Mann Trotz bieten, das hab nur ich und der Feldwebel Überacher Quirin vom Ersten Bataillon zusammengebracht. Er tragt die Hauptschuld, er hat mich überredet. In einem Haus, aus dem sie tagsvorher siedendes Wasser hektoliterweis auf uns gschüttet haben, da drin ist der Quirin auf ein riesiges -- Handschuhlager gstoßen. Ich hab mich lang gesträubt mitzutun. Aber Handschuh waren immer ein Traum meiner Kathi. Wie eine Gnädige hab' ich sie schon gsehn herumgehn. -- Ich hab zwei Tag lang gekämpft mit mir selber, dann, na, dann hab ich halt eine Schachtel feine Damenhandschuh gepackt, eine einzige bloß. Die ist freilich gut versteckt worden! Und eine Angst hab ich ghabt, daß s' mir dahinterkommen! Der ärgste Jammer hat angfangen, wie wir nach Verona zurückmarschiert sind. Ich hab die leere Schachtel bei Nacht weggworfen und die Handschuhpakete, in lauter Fußfetzen und Socken eingemacht, in den Tornister gstopft. Wie's der Überacher mit seinen vielen Sachen gmacht hat, hab ich damals nicht gwußt. Der ist vor mir schon mit seinem Bataillon abmarschiert. Nur das weiß ich, daß ich mich schrecklich schwer getan hab, meine Leibesbagage auf dem Kompagniewagen vor dem Herrn Hauptmann zu verstecken. In Verona, in Vicenza und Treviso hab ich keine Nacht gut gschlafen. Nur der Gedanke an die Riesenfreud der Kathi, das war mein einziger Trost. Wie wir dann viele Wochen vor Venedig glegen sind -- es ist gar nicht zum sagen, was für Ängsten ich wegen der verflixten Handschuh ausgstanden hab. Wenn ich nur nicht der Kathi schon hätt' gschrieben ghabt, daß ich ihr etliche Paar Handschuhe 'kauft hab, alle wären sie ins Adriatische Meer gflogen, die gottunseligen Dinger. In den Laufgräben von Malghera ist mich auch noch das Fieber angekommen. Ich hab immer nur die Handschuh im Kopf ghabt. ›Nur nicht ins Lazarett!‹ hab ich immer gjammert und getan, als ob ich gsund wär. Ich hab's überwunden, die Krankheit, aber nachgschlichen ist's mir bis Padua und Verona. Der Regimentsarzt hat immer gsagt, das Lagunenfieber steck' wohl noch in mir; aber es war doch mehr die Angst und Schlaflosigkeit wegen die Handschuh, die mich ganz heruntergebracht hat. Es ist auch immer schlechter worden. Die ewige Angst, die Gewissensbisse! Ist mir nämlich berichtet worden, daß s' dem Überacher bald auf seinen Raub gekommen sind. Den Kopf hat er nicht verloren, aber -- die Charge auf ja und nein. Und Stockprügel hat er auch bekommen, das höchste Maß. Ich einst so ehrsamer Junggeselle war gleich ihm ein elender Plünderer! Aus Liebe, nur aus Liebe zu meiner Kathi! Endlich hat es gheißen, ich komme wegen allgemeiner Schwäche einstweilen einmal in meine Heimat zurück. Drei Nächt' hab ich drüber nachgedacht, wie ich's machen soll, daß man mir zu guter Letzt nicht noch bei der Abreise auf die grausam teuren Handschuh kommt. Aber es ist gut gegangen. Wie ich z'Haus angekommen bin, hab ich meine Kathi a wenig im Vorbeigehn abbusselt und ihr's Paket gebn, das große Paket. Die hat grad so herausglacht vor lauter Freud. Drei Dutzend feine Damenhandschuh! Dann bin i schnell zu mei'm alten Vater und gleich wieder zur Kathi zruck, daß ich ihre Riesenfreud auch mitgnießen kann. Aber was war das? Die Handschuh sind am Boden herumglegen, und die Kathi hat sich vor lauter Weinen nimmer derfangen können. ›Ja, was ist's denn, sans leicht verruiniert vom Lagunenwasser?‹ ›Na, na -- dös net -- dös -- net!‹ ›Oder sans z' klan oder z' groß?‹ ›Na, na, dös net -- dös -- net!‹ ›Ja, was ist denn nachher, in Kreuzteufelsnam?‹ ›Uhuhu,‹ heult sie da, ›i kann s' net brauchn, es hand ja grad allszamm lauter -- linksseitige!‹« Das Protokoll Von _Wilhelm Scharrelmann_ Ein Abbé erzählte einst folgende merkwürdige Geschichte: »Ich hatte vor einigen Jahren durch das Spiel des Zufalls das Vergnügen, hier in Paris einen Jugendfreund wiederzutreffen, der mir seit langem nicht mehr zu Gesicht gekommen war. Allerdings, der zarte Hauch inniger Freundschaft, die uns einst verbunden, ließ sich nicht wieder erwecken, doch wurde unser Verhältnis herzlicher und vertraulicher, als es sonst zwischen Bekannten zu herrschen pflegt, und ich hatte genügend Gelegenheit, die Wunderlichkeiten und zeitweise verrückten Launen, die sich bei Herrn de P. mit den Jahren eingestellt hatten, kennen zu lernen, denn, unter uns gesagt, er war ein sehr merkwürdiger Kauz geworden, der seine Bekannten oft dermaßen düpierte, daß die meisten immer weniger Gefallen an seinem Umgang fanden und Herr de P. darum mit jedem Tag mehr vereinsamte. Ich bin sogar der Meinung, daß auch seine Verwandten ihn gänzlich sich selbst überlassen hätten, wenn nicht sein Reichtum und die zu erwartende Erbschaft sie bewogen hätte, seine Bosheiten und Wunderlichkeiten mit einem stoischen Gleichmute lächelnd zu ertragen. Er war ein alter Hagestolz, und die Frauen waren ihm so verhaßt, daß er selbst den Besuch weiblicher Verwandter stets übel nahm. Sein Haushalt war so einfach wie möglich. Ein Kammerdiener versah seine ganze Bedienung, und trotz seines Reichtums waren seine Ansprüche mehr als bescheiden. Seine Vereinsamung und eine heimtückische, schleichende Krankheit machten ihn vollends zum Hypochonder, und seine Gesellschaft wäre gewiß eine unerträgliche gewesen, wenn er nicht durch Geist und Witz, sowie durch große Schärfe des Verstandes den Mangel an Herz und Gemüt, der in allem, was er sagte, zutage trat, in etwas ersetzt hätte. Mit den Jahren und der immer zunehmenden Krankheit (er litt an einer Arterienverkalkung) verdüsterte sich sein Sinn mehr und mehr. Er fürchtete den Tod, trotzdem er sich oft darin gefiel, dieses letzte und größte Mysterium unseres Lebens zu verspotten. Eines Tages ließ er mich zu sich rufen und empfing mich, in seinem Bette liegend, mit den rasch hervorgesprudelten Worten: »Ah! Mein lieber Abbé! Ich möchte Sie bitten, einige Stunden am Lager eines Sterbenden zu verweilen. Ich bin bereit, Ihnen das Schauspiel meines Abganges von dieser elendesten aller Welten recht interessant zu machen. Aber bitte, nehmen Sie Platz! Jean soll Ihnen eine Bouteille bringen, und es soll Ihnen ganz gewiß an nichts fehlen, wenn Sie mir versprechen wollen, mich drei Stunden lang nicht zu verlassen! In den nächsten drei Stunden werde ich nämlich sterben und habe mir vorgenommen, die etwaigen Schrecken des Todes dadurch zu bannen, daß ich jede Phase meines Absterbens mit kaltem Blute verfolgen werde. Sie, lieber Abbé, müssen Protokoll über meine Beobachtungen führen, und wenn Sie sagen wollen, daß es eine langweilige Beschäftigung für Sie sein wird, so bedenken Sie doch, daß es der Wissenschaft von großem Nutzen sein wird, eine genaue, sozusagen autorisierte Darstellung der Vorgänge beim Tode eines Menschen zu erhalten. -- Jean!« Er klingelte. »Bringen Sie eine Flasche Burgunder! Keine Widerrede, Abbé! Diese Flasche sollen Sie auf das Gelingen meines Planes trinken.« Ich war über diesen unerwarteten Empfang so verdutzt, daß ich verlegen Platz nahm und in einiger Verwirrung entgegnete, daß ich gern drei Stunden in seiner Gesellschaft verweilen wolle, aber die feste Zuversicht habe, ihn dann gesunder denn je wieder verlassen zu können, da mir die gute Farbe seiner Wangen, sowie sein frisches Aussehen überhaupt -- »Keine Widerrede! Lieber Abbé, ich sterbe ganz gewiß und bin so fest davon überzeugt, daß ich eine Wette von zehntausend Franken darauf eingehen würde, wenn ich nicht über mein gesamtes Vermögen vor einer Stunde bereits endgültig Verfügung getroffen hätte. Meine Vaterstadt wird mir dankbar sein.« »Und Ihre Verwandten?« wagte ich zu bemerken, nicht ohne die Befürchtung, seinen Zorn zu erregen. »Pah!« rief er und sah mich pfiffig an. »Glauben Sie, lieber Abbé, es mache mir Vergnügen, nach meinem Tode von den Flüchen dieser lieben Leute verfolgt zu werden, wenn ich nicht der Meinung wäre, daß es ihnen eine Wohltat sein muß, durch eine energische Anregung ihrer Galle einer allgemeinen Säfteverderbnis entgegenzuwirken, die schon manchem unheilvoll geworden ist?« In diesem Augenblicke brachte der Diener eine Flasche Burgunder, und ich bat Herrn de P. sehr, doch ein Glas mit mir zur Gesellschaft und zu seiner Stärkung zu trinken. »Nein, nein!« rief er da. »Der Wein könnte in diesem Augenblick nur meine Sinne verderben und abstumpfen. Ich bin schon genötigt, aus Liebe zur Wissenschaft dieses Opfer zu bringen. Ich möchte Sie aber bitten, lieber Abbé, nehmen Sie Ihr Notizbuch, damit wir sofort die ersten Anzeichen des beginnenden Todes protokollarisch festhalten können und nichts uns entgeht. Also schreiben Sie bitte: Am 17. April 1900, abends neun Uhr. Ohne sich beschwert zu fühlen von dem Gedanken des nahen Todes, gibt Patient im voraus an, in drei Stunden etwa zu sterben. Der Patient fühlt sich im allgemeinen wohl und wünscht allen Sterbenden die gleiche schmerzlose Ruhe und Gelassenheit.« »Aber mein lieber Freund,« unterbrach ich ihn hier, »ich war der Meinung, daß es sich hauptsächlich um psychologische Feststellungen handeln solle. Wenn Ihre Beobachtungen aber physiologischer Natur sein sollen, täten Sie doch besser, einen Mediziner zu Rate zu ziehen?« »Um Gottes willen nicht, Abbé!« rief er nun voller Verzweiflung. »Kommen Sie mir nicht mit einem Arzt! Ich bin sicher, nicht einmal diese drei Stunden mehr zu leben, wenn er die Stube betritt! Der Anblick eines solchen Mannes würde mich nervös machen und mir dadurch alle Ruhe rauben, die zur Selbstbeobachtung unbedingt nötig ist.« Was blieb mir anderes übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen? Überzeugt, daß er sich mit mir einen Spaß erlaube, wie er schnurriger kaum ausgedacht werden könne, nahm ich Papier und Tinte und machte die angedeuteten Notizen. Dann griff ich nach meinem Glase Wein und war nun entschlossen, den närrischen Kauz nicht weiter vom Sterben zurückzuhalten. Des Menschen Wille ist sein Himmelreich! sagte ich mir und fand die Situation komisch genug, um mich durch innere Heiterkeit für die verlorene Zeit schadlos zu halten. Wir plauderten nun eine ganze Weile, und nichts schien meinen Freund an den Tod zu mahnen, als plötzlich die Uhr schlug. Schreckensbleich wandte er sein Gesicht mir zu und flüsterte, kaum, daß der letzte Schlag verklungen war: »Notieren Sie: zehn Uhr. Ein ganz leichter Krampf stellt sich ein, die Atmungsbewegungen machen Schwierigkeiten. Das Herz fängt an, unregelmäßig und ruckweise zu schlagen. Aber der Sinn des Patienten bleibt ruhig und gefaßt!« Ich notierte gewissenhaft und las ihm die protokollierten Sätze wieder vor. Nach einigen Minuten schien er seine Fassung wiedergewonnen zu haben, so daß er die Unterhaltung, die sich um die Frauen gedreht hatte, wieder aufnehmen und in seinen Schmähungen über das zarte Geschlecht fortfahren konnte. »Alles Unglück der Welt«, philosophierte er, »kommt von den Weibern. Lieber Abbé, trauen Sie nie einem Frauenzimmer. Sie dürfen überzeugt sein, daß Treue und Weiberherzen die heterogensten Dinge der Welt sind.« Ich kann mich nicht mehr auf jedes seiner Worte besinnen, aber man kann sich ruhig darauf verlassen, daß alle auf diesen und ähnlichen Grundlagen aufgebaut waren. Als dann die Uhr zum zweiten Male schlug, wiederholte sich der Vorgang von vorher, nur in noch drastischerer Weise. Er klapperte mit den Zähnen vor Angst, wie ein Verurteilter, der zum letzten Gang hinausgeführt wird, und war von dem Gefühl so beherrscht, nun nur noch eine Stunde zu leben, daß er mich mit angstvollen Augen anstarrte und dann ausrief, als die elf silbernen Schläge verklungen waren: »Notieren Sie, Abbé! Eine Stunde vor dem Tode: Eine Schwere nimmt allmählich alle Glieder gefangen. Atmung und Pulsschlag werden langsamer. Der Geist ist frischer als je, und nur auf der Brust lastet ein unerträglicher Druck!« Als ich von meinem Papier aufblickte, bemerkte ich, daß er aschbleich geworden war. Er lag da in seinen Kissen, wie ein tatsächlich dem Tode Verfallener, und ich machte mir nun doch Gedanken wegen seines Zustandes. Alle meine Mühe, ihn auf den Ton der harmlosen Plauderei von vorhin zurückzubringen, war vergeblich, und er unterbrach mich mit den Worten: »Abbé! Wenn Sie meinen, daß ich den Tod fürchte, so irren Sie sich! Ich weiß, daß ich um Mitternacht sterben werde (der Himmel mag wissen, _woher_ er es wußte), und es wäre lächerlich, wenn ich Anstrengungen machen wollte, mich meinem Fatum zu entziehen. Glauben Sie mir, daß ich kein Verlangen trage, meine Sünden zu beichten, da ich hoffe, in Kürze vor einem größeren Beichtvater zu stehen. (Es war rührend, wie er dies sagte.) Ich weiß, daß dieser erbärmliche Leib, der mir durch seine Unvollkommenheit nichts als Schmerzen und Ungelegenheiten bereitet hat, bestimmt ist, zu vergehen. -- Was soll ich darüber Angst oder Trauer empfinden? Wo meine Seele bleibt, wenn sie den Körper verlassen hat, vorausgesetzt, daß ich ein solches Unikum überhaupt besitze, -- steht nicht in meiner Macht zu bestimmen. Dagegen habe ich alle Anordnungen, die mein Begräbnis betreffen, bereits getroffen, sie sind mit in mein Testament aufgenommen, und ich brauche darüber keine Worte weiter zu verlieren.« Dann sah er einen Augenblick die Wand an und sagte mit leiser Stimme: »Lieber Abbé! Glauben Sie, daß es ein Wiedersehen gibt?« Als ich bejahte, fuhr er mit bitterem Spott fort: »Ich habe durchaus nicht den Wunsch, die Verwandten oder Bekannten, die mir bereits im Tode vorausgegangen sind, wiederzusehen. Aber schließlich ist es auch gleichgültig.« Je näher aber der Zeiger der Zwölf auf dem Zifferblatt rückte, desto unruhiger wurde er. Er starrte die Uhr an, zuckte mit den Augen und schwieg eine ganze Zeit. Ich gab mir die erdenklichste Mühe, ihn auf andere Gedanken zu bringen. Ich fing an, ihm einige Tagesneuigkeiten zu erzählen. Er gebot mir zu schweigen. Ich lachte krampfhaft, machte Radau im Zimmer, riß die Vorhänge auf und ließ frische Luft herein: Er sagte mir mit leiser Stimme, daß ich sein einziger Freund sei und er von mir erwarte, daß ich im Zimmer eines Sterbenden Ruhe bewahre und mein Wort halte, seine letzten Beobachtungen aufzuzeichnen. Ich muß gestehen, in diesen Augenblicken glaubte ich, mein guter Freund sei nun wirklich verrückt geworden. Ich hatte bisher alles, was geschehen war, als eine Eingebung seiner ewig tollen Laune aufgefaßt und sah nun, daß es ihm blutiger Ernst zu sein schien. Der Arme mußte entsetzliche Qualen ausstehen. Ich wußte wirklich nicht, was zu tun war. Er beschwor mich, niemanden zu rufen. Er trage Verlangen, in Ruhe zu sterben, auch sei alle Hilfe ganz gewiß unnütz. Statt dessen möchte ich doch notieren. Und ich notierte: »Der Zustand des Patienten ist beklommen. Der Puls schlägt schwach und ist kaum hörbar. Die Füße werden kalt. Im Nacken macht sich eine Steifheit bemerkbar, die in schmerzhafte Kontraktionen der Nackenmuskeln übergeht. Lichtempfindung geschwächt. Gehör ausgezeichnet. Die Kontraktionen der Nackenmuskeln nehmen mit jeder Minute zu. Die Kälte steigt langsam aufwärts. Nun! Jetzt! Abbé! Eine schwarze Riesenfaust streckt sich langsam, langsam nach mir aus. Sie preßt mir die Brust zusammen, der Atem stockt mir! Luft! Lieber Abbé! Luft!« Es war nun einige Minuten vor zwölf. Ich sah mit unbeschreiblichem Grauen, daß ihm plötzlich die Fähigkeit, weiterzusprechen, genommen war. Sein Gesicht war blaufahl, und die Lippen hingen schlaff und willenlos herab. »Um Gottes willen,« rief ich aus, »was ist Ihnen?« Er versuchte zu lächeln, was einen schrecklichen Anblick gewährte, da sich nur seine rechte Gesichtshälfte zu einem Lächeln verzog. Er bedeutete mir durch ein Zeichen, seinen Puls zu kontrollieren. Ich kam seinem Wunsche nach, setzte mich auf den Bettrand und sah ihm in die Augen. Da schlug die Uhr. Beim ersten Tone der feinen Glocke zuckte er leicht zusammen, sah mich mit einem unbeschreiblichen Ausdruck an und starb. _Starb_, meine Herren! Programmäßig, auf die Minute!« »Nun,« sagte ein Herr lachend, der dem Abbé am nächsten saß, »an irgend etwas muß doch der Mensch zugrunde gehen, und sei es auch an seinen eigenen Einbildungen!« »Auch ich bin überzeugt, daß es eine Art von Selbstmord war, den Monsieur de P. an sich beging,« sagte der Abbé. »Ich habe mir nachher viele Mühe gegeben, zu erfahren, woher er die fixe Idee hatte, daß er gerade an diesem Tage und zu dieser Stunde sterben werde. Ich wüßte nicht, daß er jemals abergläubische Anwandlungen gehabt hätte! Wie gesagt, das ist mir rätselhafter geblieben als sein Tod!« In einem Seminar -- -- Von _Felix Freiherr von Stenglin_ Es war zur Zeit, als die Prüfungsarbeiten der Seminaristen bevorstanden. In diesen Jünglingen gärte es wie in jungem Wein. Am Tore des Lebens, in dem sie nie geahnte Taten zu vollbringen gedachten, empfanden sie mit Grimm den täglichen Zwang, dem sie noch immer ausgesetzt waren, und gelegentlich brach sich die Urnatur in rücksichtslosester Weise Bahn. Einige Lehrer (aber sehr wenige) ließen sie gelten, andere sahen sie als ihre persönlichen Feinde an. Der Direktor aber war in ihren Augen ein Pedant, dem sie mit Vergnügen den größten Schabernack gespielt hätten. Ein Pedant! Was lag alles in diesem Worte! Ihre Vorgänger hatten es ähnlich getrieben wie sie. Besonders hatte man auch früher schon alle List und Tücke daran gesetzt, sich vor dem Examen die Prüfungsarbeiten zu beschaffen, denn so kühn und selbstbewußt diese jungen Leute auch in die Welt sehen mochten, bei der Prüfung vertrauten sie doch lieber sicheren Tatsachen, als der unbestimmten eignen Kraft. Das Dienstmädchen des Direktors war in diesen Zeiten eine umworbene Persönlichkeit. Diesmal gelang es einem gewissen P., zarte Beziehungen zu ihr anzuknüpfen und sich die Schlüssel zu dem Zimmer des Direktors zu verschaffen. Er geht über Leichen, sagten seine Kameraden von ihm. Der Schreibtischschlüssel lag an einem bestimmten Platze, das hatte man herausbekommen; es galt also nur, unbemerkt einzudringen, die Aufgaben abzuschreiben und alsbald wieder zu verschwinden. In der Nacht schlich also P., mit einer Blendlaterne und einem Notizbuch bewaffnet, in das Allerheiligste. Er fand den Schlüssel zum Schreibtisch, öffnete das inhaltreiche rechte Schubfach, entnahm ihm ein Päckchen mit Papieren -- und siehe da, obenauf lag der Zettel mit den Aufgaben. Der »Pedant« war also immer noch nicht vorsichtig genug gewesen! Mit fliegender Hast schreibt der Eindringling beim Schein der Blendlaterne die Aufgaben ab. Schon ist er bis ans Ende gelangt, als er Schritte hört. Schnell wirft er die Papiere wieder ins Schubfach, schiebt es zu, legt den Schlüssel fort, löscht die Blendlaterne und will entfliehen. Er hat aber nur noch so viel Zeit, unter den großen Tisch in der Mitte des Zimmers zu kriechen, dessen Decke fast bis auf den Fußboden reicht. Die Tür öffnet sich; ein Licht in der Hand, in einem großen Schlafrock, schlurft der Direktor über die Schwelle. P. ist ganz von der Decke verborgen und verhält sich mäuschenstill. Der Direktor bleibt stehen und sieht sich um. Er scheint zweifelhaft zu werden, ob er wirklich etwas gehört habe. Der Seminarist glaubt schon, die Gefahr sei vorüber, als der Zipfel der Tischdecke leise hochgehoben wird, und das Licht sich dem Fußboden nähert. Schnell pustet er es aus. Der Direktor wirft den Leuchter fort und packt den Eindringling gerade noch, als er entwischen will. Der will sich frei machen, und es kommt zu einem stummen Ringen Mann gegen Mann. Es widersteht dem Direktor, Hilfe herbeizurufen. Daß er sich hier mit einem Seminaristen balgt, darf nach seiner Meinung nicht an die große Glocke gehängt werden, es wäre blamabel. Aber er fühlt, daß seine Kräfte nachlassen, und daß der junge Mensch ihm im nächsten Augenblick entgleiten wird. Und wie dann den Täter herausbekommen? Da hat er den glücklichen Einfall, ihn mit den Nägeln der rechten Hand im Gesicht zu zeichnen, er kratzt ihm ein paar scharfe Striemen über die linke Wange. Dann läßt er ihn laufen. Am nächsten Morgen im Betsaal nähert sich der Direktor von links her der Reihe der Prüflinge. Da geht ein teuflisches Lächeln über seine Züge. Im linken Flügelmann hat er den Täter entdeckt. Doch gleich darauf erstarren seine Züge zu Stein -- -- Alle Prüflinge ohne Ausnahme haben drei Nägelspuren auf ihrer linken Wange. Die größte Kirche der Welt Von _Wilhelm Schussen_ Heute hat mir jemand eine Geschichte erzählt, die erst gestern passiert sei. Sie lautet: Ein Mann mit Halalihut, Rucksack und kurzen Hosen, der einem Schwarm lärmender Ausflügler voranging, sagte scherzend zu einem ihm bekannten alten Pfarrer: »Guten Tag, Herr Pfarrer. Wie schön, daß ich Sie wieder einmal treffe! Ich habe Sie, wenn ich mich recht erinnere, seit Jahren nimmer gesehen.« »Ist meine Schuld nicht,« lächelte der Pfarrer. »Aha, ich verstehe. Sie wollen damit sagen, daß ich nie zur Kirche komme,« entgegnete fröhlich der Mann mit dem Halalihut und paffte ein paar kräftige Züge aus seiner Kurzpfeife. Der Pfarrer nickte leise. Unterdessen hatte sich der ganze, laute Lustverein um die beiden Plauderer versammelt. Auch einige Radfahrer, die in diesem Augenblick daherjagten, stiegen neugierig von ihren Gäulen ab. Und zu guterletzt machte noch ein vollgepfropfter Kraftwagen mit einem vornehmen Inhalt an der Stelle halt. »Ihre Kirche ist eben leider zu klein, zu eng und zu beschränkt,« nahm der Mann mit dem Halalihut wieder das Wort. »Heute vormittag war sie es jedenfalls nicht; denn sie war mehr als zur Hälfte leer,« widersprach der greise Pfarrer. »Aber sie ist trotz alledem zu klein. Ich kenne eine viel, viel größere, schönere, weitere und herrlichere Kirche als die Ihrige, Herr Pfarrer, eine Kirche, die ohne Zweifel die wunderbarste und größte der Welt ist.« Und der Mann im Halalihut hob seinen Bergstock in die Höhe und beschrieb damit einen Halbkreis in der Luft. »Eine Kirche, Herr Pfarrer, vom größten aller Architekten erbaut, himmelhoch und wundervoll und zur Andacht geschaffen, wie keine andere. Kennen Sie diese Kirche, Herr Pfarrer?« Der neugierige Lustkreis um die beiden war jetzt so stille, daß einer den anderen atmen hörte. »Nein,« gab der alte Pfarrer zur Antwort, obwohl er sich schon einiges denken konnte. »Nicht?« rief der launige Mann im Halalihut aus, »so will ich es Ihnen sagen, Herr Pfarrer.« Und noch einmal stieg der lange Bergstock ins Blaue hinauf. »Es ist die Natur, Herr Pfarrer. Ist sie etwa nicht die größte, wunderbarste, von Gott selbst gebaute, einzige Kirche, zum wahren Gebet und zur wahren Andacht geeignet wie keine andere?« Der Schwarm der Umstehenden aber gab jetzt eine Beifallssalve ab, daß die Lerchen aus den Lüften fielen. Einige der jungen Leute warfen dazu die Hüte in die Höhe, und die Fräulein hoben ihre bunten Feldsträuße empor. Ein vom Wein angesäuselter Biedermeier aber ließ noch hintendrein ein Bravo los, das einem regelrechten Donner glich. Dann trat plötzlich wieder Totenstille ein vor lauter Spannung, was nun der alte Pfarrer auf diese fadenklare Weisheit sagen würde. Der aber nahm den Schlapphut ab und erwiderte liebreich und gelassen: »Sie haben wohl recht, mein lieber Herr Landsmann. Wenn indessen die Natur eine so wundervolle, einzige, göttliche Kirche ist, dann sollte man sich darin auch bewegen wie in einer Kirche. Dies scheint mir nun nicht immer der Fall zu sein; denn ich sehe, wenn ich Sonntags aus meinem Ihnen so armselig erscheinenden Kirchlein trete und einen Gang in die größte aller Kirchen tue, leider eben nicht heftig viele Beter und Andächtige, wohl aber ziemlich viele recht merkwürdige Leute, die ihrem erhabenen Aufenthaltsort nicht immer Ehre machen.« Die Menge schwieg und wartete, ob der Mann im Halalihut wohl seinen Witz wiederfände. Aber er fand ihn nicht mehr. »Nichts für ungut,« schloß jetzt der greise Pfarrer, indem er, immer noch den Schlapphut in der Hand, barhäuptig und langsam aus der kleinlauten Menge hinwegging. Zwei Anekdoten Von _Richard Schaukal_ Verkehr Die jungen Damen einer Provinzstadt, wo seit kurzem ein vornehmes Kavallerieregiment lag, gewöhnten sich während einiger vergnügter Jahre im Ballsaal, auf dem Eise, auf dem Tennisplatze so sehr an den Verkehr mit den aus Not gefälligen Prinzen und Grafen, daß sie sich ihrer Verwandten, zum Teil auch ihrer Eltern schämten, ja einander schließlich, nach einer subjektiv verschiedenen Skala, als mehr oder minder aristokratisch einschätzten und verachteten. Die sonst üblichen Bezirksrichter, Advokaturkonzipienten und Infanterieoffiziere wurden, soweit sie es nicht selbst vorzogen, die ihnen ungemütliche Geselligkeit zu meiden, mit ausgesuchter Unhöflichkeit behandelt und endlich mit Erfolg abgestoßen. Als das lächelnd verwöhnte Regiment in eine andere Stadt verlegt und durch ein minder auserlesenes ersetzt worden war, galten die Mädchen, inzwischen etwas älter, den neuen Gästen bald als hochmütig. Die Offiziere suchten unter den inzwischen herangewachsenen jungen Damen einer (nach Meinung jener) minderen Schicht die ihnen gern gebotene Gemütlichkeit, und es gab allmählich eine ganze Reihe von Bräuten dieser so mit entschiedenem Gewinn sich verehelichenden Reiter, während die Zivilisten, die seither in Rang und Einkünften vorgerückt waren, so lange in trotziger Zurückhaltung blieben, bis ihrem unbefangenen Nachwuchs in aller Stille die verblühten »Aristokratinnen« eine um die andere, bürgerlich resigniert, zufielen. Geselligkeit Ein Konsul war auf der Rückreise nach Europa in Konstantinopel angelangt. Weil er sich da einige Tage aufzuhalten gedachte, gab er, der seine Pflichten kannte, bei den Mitgliedern der Vertretung seines Vaterlandes und ihren Damen seine Karten ab und ward denn auch alsbald vom Botschafter und seiner Gemahlin zum Speisen gebeten. Es war eine liebenswürdige Gesellschaft miteinander vertraulich verkehrender Paare versammelt. Man ging zu Tische. Dem fremden Gaste war der Platz neben der Hausfrau angewiesen. Als einer der letzten Gänge erschienen Artischocken. Die damit zuerst bediente Dame verzichtete auf die Speise. Der Gast als nächster nahm davon aus Höflichkeit, obwohl er nicht wußte, wie er die grünbraune Frucht zu behandeln hätte. Er wollte vorsichtig abwarten, was die andern damit anfangen würden. Aber einer nach dem andern, Herren wie Damen, lehnten sie ab, so daß er mit seinem Stück verlegen allein blieb. -- Später hat er erfahren, daß das Manöver zwischen den Teilnehmern ihm zu Ehren vereinbart gewesen war. Anekdote Von _Alexander_ Freiherr von _Gleichen-Rußwurm_ Die Grenze zwischen Vertraulichkeit und gesellschaftlicher Einfachheit ist schwer zu ziehen. Natürlichen Menschen gelingt ohne Anstrengung, was die Affektierten nie erreichen. Ich will damit nicht wachsender, uneleganter Intimität das Wort reden, wie sie leicht bei Leuten vorkommt, die sich erst jüngst gute Manieren anzugewöhnen suchten. In solchem Fall läßt sich die Situation aber immer mit einem Witz retten, wenn man schlagfertig und bei guter Laune ist. Eine Dame, die mit den Gebräuchen der großen Welt noch nicht ganz vertraut war, saß einmal bei einem Diner neben einem bekannten Diplomaten. Beim ersten Gang redete sie ihn mit »Herr Graf« an, beim zweiten mit »Graf X.«, beim dritten mit »lieber Graf« und erhielt die lächelnde Antwort: »Mein Vorname ist Hugo.« Die beiden Junggesellen Eine Anekdote aus Mitau Von _Herbert Eulenberg_ Wenn man von Mitau auf der Landstraße nach Doblen zu wandert, trifft man plötzlich eine kurze Strecke vor der Stadt am Rande des Weges zwei Denkmäler: einen kleinen Obelisken und eine Trauerurne. Zwischen beiden, die ungefähr einhundert Meter auseinanderliegen, wächst ein Haufen von Birken. Groß und klein, ganz wild zusammengepflanzt. Ein Anblick, der vielleicht das Auge eines Forstmannes wegen der unregelmäßigen Anlage ärgern kann, aber den romantischer Gesinnten gerade wegen dieser Buntheit sonderbar anziehen mag. Vor allem, wenn er die höchst merkwürdige Geschichte dieser Birkenansammlung vernimmt: Unter jenen beiden Denkmälern haben nämlich zwei Junggesellen ihre letzte Ruhestätte. Gerade einander gegenüber, so daß sie sich noch aus ihren Särgen anlächeln könnten, wie sie es soundso oft mal in ihrem Leben getan haben. Denn sie waren, solange sie atmeten, unzertrennlich verbunden und mochten darum auch die ganze lange Zeit, die ihnen nach ihrem Tode bevorstand, nicht weit voneinander liegen. Darum kauften sie sich schon bei Lebzeiten diese beiden Grabplätze vor den Toren der Stadt, zu denen sie häufig einträchtiglich nebeneinander hinauspilgerten. Sie hatten jeder einen Feldstein auf die Stelle gerückt, unter der sie begraben sein wollten. Auf diese Steine setzten sie sich oftmals gegen Abend, als sie noch müde werden konnten, und sprachen dann freundschaftlich zueinander hinüber: »Hier werde ich ruhen, Arthur, -- Und dort, mir ~vis-à-vis~, wirst du ruhen, Arthur.« Sie waren einander so völlig gleich geworden und harmonierten derart zusammen, daß sie sich sogar auf einen Namen für sie beide geeinigt hatten. Und natürlich mußte dies der Vorname ihres Lieblingsphilosophen Schopenhauer sein, den zufälliger-, oder darf man sagen, unglücklicherweise, einer von ihnen schon führte. Auf solche Weise lebten sie, da sie sich beide ein hübsches Vermögen erarbeitet und erspart hatten, ohne Sorgen und voller Eintracht zusammen. Lasen Schopenhauer, schimpften über die Menschheit und spazierten an ihren schwarzen Ebenholzstöcken miteinander zu ihren künftigen Gräbern. So verging Jahr um Jahr über ihnen und Mitau. Da ereignete sich plötzlich in einem Frühling etwas ganz Ungeheuerliches, noch nie Dagewesenes in ihrem Leben. Es geschah nämlich, daß sich die beiden Junggesellen allen ihren bisherigen Grundsätzen zum Trotz sterblich verliebten. Der weibliche Gegenstand ihrer Zuneigung ist nie bekannt geworden. Einige Leute in Mitau -- man wird gleich merken, was für Leute -- behaupten, sie hätten sich beide in ihre alte Köchin und gleichzeitige Waschfrau verliebt. Andere hingegen, die etwas poetischer veranlagt sind, erzählen, sie wären beide für zwei hold erblühte Mädchenknospen, zwei Schwestern, erglüht, denen sie abwechselnd Blumen oder Verse dargebracht hätten. Wie dem auch gewesen sein mag, das eine steht sicher fest, daß sie beide in ihrer Liebe unglücklich gewesen sind. Das oder die Opfer ihrer etwas verspäteten Frauensehnsucht blieb oder blieben hart gegen jede Werbung der beiden armen alten bekehrten Junggesellen. Eine Zeitlang verschlossen sie ihren Gram voreinander, wie sie sich auch geschämt hatten, gegenseitig ihre verliebte Schwäche zu bekennen. Aber eines Abends, als sie sich wieder einmal auf ihren künftigen Gräbern gegenüber saßen, rückten sie mit der Sprache heraus. »Ich war ein Esel, Arthur!« gestand der eine. »Ich war auch ein Esel, Arthur,« echote der andere. »Wir waren beide Esel,« stellten sie im Chorus fest. Zur bleibenden Erinnerung aber an diese wohlverdiente Schmach, die ihnen, die zeitlebens Verächter des weiblichen Geschlechtes gewesen waren, noch kurz vor Todesschluß begegnet war, beschlossen sie eine Bestimmung in ihr gemeinsames Testament aufzunehmen. Ihr zufolge sollte jedem Liebespaar in Mitau, das sich am ersten Tage des Mai, als des Monats, in dem die meisten Menschen derartige blöde Eseleien zu begehen pflegen, verloben oder vermählen würde, eine gewisse Summe Geldes ausgezahlt werden. Zum Dank für diese Ehespende sollte dann ein jedes Paar auf dem Grund und Boden zwischen ihren beiden Gräbern eine Birke pflanzen. Ihnen und ihrer unglücklichen Liebe zum Gedächtnis. Wenige Wochen darauf starben die beiden Junggesellen am nämlichen Tage oder doch ziemlich kurz hintereinander. Einige Leute -- man kann sich denken, was für Leute -- behaupten, sie seien an Galle und allzu reichlichem Essen eingegangen. Andere hingegen, die sich das Leben schöner auslegen, meinen, sie seien an gebrochenem Junggesellenherzen gestorben und hätten einander in einer Nacht verabredeterweise süßes Gift im Schaumwein zugetrunken. Wie dem auch gewesen sein mag, das eine steht sicher fest, daß sie beide tot sind, und daß ihr Testament, wie sie es bestimmt haben, in Kraft getreten ist. Von einem jeden Paar, das sich in Mitau am ersten Mai verlobt oder vermählt hat, ist die Summe, die ihm damit gleichsam vom Himmel in den Schoß gefallen ist, stets dankbar eingestrichen worden. Und ein jedes Paar hat dann zum Lohn den unbekannten Spendern, die wie Hymen, der Ehegott, über ihnen walteten, eine Birke gepflanzt. Woher denn die verschiedene Höhe und Größe der Bäume, die sich zwischen den beiden Gräbern erheben, zu erklären ist. Die beiden alten Junggesellen aber liegen auf ihren Rücken in wohlverdienter Ruhe unter der Erde und den ihnen zu Ehren wachsenden weißen Birken einander gegenüber. Einige Leute -- man ist selbst im Tode nicht vor ihnen sicher -- behaupten, daß die beiden alten Herren dort unten fortwährend einander hämisch angrinsten über die törichten Leute, die sich über ihnen am ersten Tage ihres Ehebundes wunders wie verliebt anstellten und, womöglich mit veranlaßt durch ihre Mitgift, mit der Anpflanzung einer neuen Birke den Grundstein zu ihrem mehr oder minder lebenslänglichen Unglück legten. Andre hingegen, die immer nur das Beste an der Welt sehen, meinen, daß die beiden guten greisen Junggesellen dort unten einander ewig zulächelten voll Seligkeit darüber, daß sie durch ihre Spende auch im Tode noch ihr Scherflein beitragen könnten zu dem süßesten Traum der Menschen, dem Liebes- und Ehetraum. Es bleibt dem Leser anheimgestellt, sich seiner Gemütsart und seiner Erfahrung folgend für eine dieser beiden Ansichten zu entscheiden. Anekdote Von _Rudolf G. Binding_ Es scheint, daß es Witze gibt, die selbst der humorvollste Mensch nicht ertragen kann -- nämlich wenn sie auf ihn gehen. Sie sind vielleicht zu gut, um ertragen zu werden. Dies wäre eigentlich kein Grund, aber ich weiß, soviel ich auch darüber nachdenke, keinen anderen für die Wirkung der folgenden Geschichte ausfindig zu machen, die eine Trübung einer guten Freundschaft nur wegen eines Witzes zur Folge hatte. In einem kleinen Schwarzwaldbade trafen sich im Sommer 19... in einer Gesellschaft außerordentlich gebildeter Leute, wie sie der Zufall nur selten an solchen Plätzen zusammenführt, am Mittagstisch ein Oberhofprediger und ein schwäbischer Kandidat der Gottesgelahrtheit, welche die Geschicklichkeit des Wirtes für die Zeit ihres Aufenthaltes zu den Mahlzeiten nebeneinander placiert hatte. Der Oberhofprediger, froh, den hallenden Gewölben des Doms der Residenz und anderem entgangen zu sein, was ihn dort droben im Norden beengte, freundete sich mit dem frischen jungen Schwaben, der das Herz auf dem rechten Flecke und die Zunge auf keinem anderen hatte, rasch an. Da der Kandidat nur wegen eines Herzleidens seinen früheren Beruf, welcher der eines Forstmannes war, hatte aufgeben müssen, so war es begreiflich, daß er aus diesem eine große Anhänglichkeit für alle Tiere des Waldes und der Lüfte mit hinüber genommen hatte in Gottes Reich, dem er nun dienen wollte. So war es besonders die Menge der verschiedenartigsten Vögel, welcher seine stundenlange Beobachtung in den Anlagen des Parkes, in den Hecken der Straße und in dem bronzefarbenen Dunkel unter den sonnenbestrahlten Tannen galt. Dieser täglichen Gepflogenheit schloß sich der alte würdige Oberhofprediger, welchem die behutsamen Spaziergänge, wie sie dem jungen Schwaben vorgeschrieben wurden, gerade recht waren, eifrig an. Seine bisherigen Kenntnisse auf dem Gebiete der Vogelkunde mochten nicht viel über Noahs Taube, den Raben des Eremiten und den heiligen Geist hinausgehen, und einer allzu ausgiebigen Erforschung der vielen Arten, die dort in der gehegten Umgebung sich zusammenfinden, widersetzte sich sein Auge, das, wie er scherzhaft behauptete, wohl schon zu sehr nach innen gerichtet war, um nach außen noch sehr brauchbar zu sein. So kam es, daß er manchmal die gewöhnlichsten und bekanntesten Vögel verkannte oder als Seltenheiten beschrieb. Das alles aber hielt ihn nicht ab, aus der reinsten Liebenswürdigkeit und Freude an seinem jungen Freunde dessen Liebhaberei, so gut es eben ging, zu teilen. Eines schönen Tages kam der Oberhofprediger von einem seiner Spaziergänge, den er aus irgendwelchem Grunde ohne die Begleitung des jungen Vogelkenners gemacht hatte, in ziemlicher Aufregung nach Hause. Er hatte einen ihm unbekannten, höchst merkwürdigen und seltenen Vogel gesehen, den er jedoch nicht weiter und genauer zu beschreiben vermochte, als daß er etwas Gravitätisches an sich gehabt und eine rot gefiederte Brust und ein graues Kleid zeige. Der Kandidat, der die ganze Tischzeit über sich mit seinem Nachbarn über dieses Wundertier unterhielt, ließ sich genau den Ort beschreiben, wo der Vogel gesehen war und glaubte sicher desselben an gleicher Stelle und zu gleicher Zeit ebenfalls ansichtig zu werden, hatte aber nicht die leiseste Vorstellung, um welchen Vogel es sich handeln könne. Dies betrübte den Oberhofprediger um so mehr, als er am nächsten Tag in der Frühe abreisen wollte und somit fürchtete, daß ihm der Wundervogel wirklich nur einmal in seinem Leben begegnet sein möchte und er nicht einmal Name und Herkunft desselben erfahren solle. Sein junger Freund indessen versprach ihm, sobald er den Vogel gesehen und bestimmt hätte, den Namen schriftlich mitzuteilen. Am andern Morgen reiste der Oberhofprediger zu Tal, während der Theologie-Kandidat ungesäumt die Spur des Wundervogels aufnahm, welcher denn an der bezeichneten Stelle bald sich seinem geübten Auge vorstellte. An demselben Abend trug mein Schwäblein schmunzelnd eine an den Oberhofprediger gerichtete Karte auf die Post. »Ein instinktives Gefühl«, so schrieb er, »hat Sie ein besonderes Interesse an einem Vogel nehmen lassen, welcher ganz und gar nichts besonderes an sich hat. Es ist nämlich ein _Dompfaff_.« Nun war der Oberhofprediger sicher ein humorvoller Mann und ertrug auch den feinen Witz über seinen Stand, wie es jeder, der einen Spaß versteht, erträgt. Aber diesen Witz hat er doch nicht vertragen. Es muß gesagt werden, daß es eine eigentümliche Laune des deutschen Sprachgebrauchs ist, denselben Vogel sowohl mit dem Ausdruck Dompfaff, als mit dem Ausdruck _Gimpel_ zu belegen; denn im menschlichen Leben ist ein Dompfaff sicher kein Gimpel und ein Gimpel gewöhnlich kein Dompfaff. Aber, könnt ihr mir einen anderen Grund für die Verstimmung des Oberhofpredigers angeben, als daß der Zufall hier einen zu guten Witz gemacht hatte, den der junge Schwab mit seinen hellen Augen und seinem klaren Verstand nur entdeckte? Die Banknote Von _Karl Federn_ Diese Geschichte erzählte mir eine Freundin, als wir uns eines Tages über die seltsam trügenden Erscheinungen unseres Bewußtseins und Gedächtnisses unterhielten: Ihr Vater, zur Zeit, da die Sache sich ereignete, bereits ein älterer Mann, reich, vornehm, von sehr bestimmten Anschauungen und Gewohnheiten, hielt es für richtig, jeden Tag, wenn er das Haus verließ, in Brieftasche und Börse eine Tausendernote, zwei oder drei Scheine von je hundert, fünfzig und weniger Gulden bis zur kleinen Münze hinab, sorgfältig zusammengestellt und nachgezählt, bei sich zu tragen. Vor Tische -- er wohnte für sich allein -- pflegte er einen Spaziergang zu machen, um dann in einem der bekanntesten Gasthöfe der inneren Stadt zu speisen. Und so war er auch an diesem Tage ausgegangen, war wie immer zahlreichen Bekannten begegnet, hatte mit manchen einen Gruß gewechselt, mit andern länger und eingehend gesprochen, hatte vielleicht in einem Laden einen Einkauf gemacht, und wurde dann plötzlich, sei es von einem Gedanken, der ihm kam, sei es von irgendeinem Vorfall, einem gestürzten oder durchgehenden Wagenpferd oder sonst einem Ereignis, das einen kleinen Volksauflauf verursachte und auch seine Gedanken lebhaft beschäftigte, vollkommen hingenommen, so daß er noch bei seiner stets sorgfältig gewählten und froh genossenen Mahlzeit, bei dem Wein, den er als Kenner trank, über die Sache nachdachte. Dann nach dem schwarzen Kaffee und der Zigarre hatte er den Kellner mit einer Hundert-Guldennote bezahlt und den Rest in Scheinen und Münze zurückbekommen. Als er im Laufe des Nachmittags bei einer Gelegenheit wieder Geld aus seiner Brieftasche nehmen wollte, vermißte er die Tausendernote, die darin sein mußte, -- denn er hatte die Tasche, seitdem er das Hotel verlassen, nicht mehr berührt, -- er mußte sich also geirrt und dem Kellner die Tausendernote gegeben haben. Er kehrte sofort nach dem jetzt verlassenen Speisesaal des Hotels zurück und sagte dem Manne, der ihn seit langem bediente, in nicht ungütiger Weise, er, der Kellner, habe wohl seinerseits auch nicht bemerkt, daß er ihm aus Versehen die größere Note gegeben, und sie wahrscheinlich für die geringere genommen und als solche gewechselt ... Der Kellner versicherte sehr höflich und bestimmt, aber nicht ohne eine gewisse Befangenheit, daß er lediglich eine Hunderternote von ihm zur Zahlung bekommen und dies sehr genau gesehen hätte, daß auch seine Rechnung vollkommen stimme, und daß der Gast im Irrtum sein müsse. Nach wenigen Sätzen, in denen jeder bei seiner Meinung blieb, sagte der alte Herr, er bedauere den Vorfall sehr und wolle auch nichts Schlimmes von ihm geglaubt haben, aber da es sich um einen bedeutenderen Betrag handle, sei er genötigt, die Sache dem Besitzer mitzuteilen und ihm das weitere anheimzustellen. Der Zahlkellner, gleichfalls schon ein älterer Mann, schwieg darauf eine Weile bestürzt, dachte nach und sagte zuletzt: »Das möchte ich nicht; vielleicht habe ich mich doch geirrt ...« und gab die fehlenden neunhundert Gulden heraus. Mit einem peinlichen Gefühl für den Mann nahm der alte Herr das Geld und ging, und wurde auch in den nächsten Tagen durch das gleiche Gefühl im Genuß seiner Mittagsmahlzeit gestört. Bis Wochen vergingen und die Sache für ihn schon eine halb vergessene war, -- als er eines Tags einen eingeschriebenen Brief erhielt, in dem eine Tausendernote lag, die ihm ein Freund mit vielem Dank für seine Liebenswürdigkeit zurückschickte. Und da erst kam ihm plötzlich die Erinnerung, daß er ja an jenem Vormittage auf seinem Spaziergang einem Bekannten begegnet war, einem gleichfalls sehr vermögenden Manne, der sich vorübergehend in Wien aufgehalten hatte und plötzlich und sofort abreisen mußte, und ihn für dringende Einkäufe, die er noch machen wollte, um jene Gefälligkeit ersucht hatte; daß er diesem Manne die Tausendernote eingehändigt, und daß, sei es eine Gedächtnisschwäche, mehr aber jener Vorfall, der ihn dann so sehr beschäftigte, jede Erinnerung daran in ihm ausgelöscht hatte. Nun selber bestürzt und mit vielen Entschuldigungen gab er am nächsten Tag dem Kellner sein Geld zurück. »Ich wußte es ja,« sagte dieser und nahm die neun Hunderter und was er zur Entschädigung dazu erhielt, mit tiefem Dank. »Aber,« fragte der andre, denn das hatte ihn am meisten in Erstaunen gesetzt, »wie konnten Sie mir nur damals das Geld herausgeben?« »Herr W.,« sagte der Mann, »ich habe ja gesehen, daß Sie es selbst glaubten. Wenn die Sache zum Prinzipal gekommen wäre ... Ihnen hätte jeder geglaubt, und mir nicht. Wie hätt' ich's beweisen sollen? Ich bin Familienvater, und ich habe hier eine Stellung, die mir viel einbringt. Die hätt' ich verlieren können, und die ist mir mehr wert als neunhundert Gulden ...« Der Schlaftrunk Von _Richard Schaukal_ Der Vater mehrerer gesunder schöner Kinder, Besitzer eines großen, auf viele Millionen geschätzten Unternehmens, Bewohner eines geräumigen bequemen Hauses, außerdem ein vollkommen gesunder Mann von angenehmer Gesichts- und Körperbildung, einem vorzüglichen Appetit und im selbsterworbenen Genusse mancher nützlichen Kenntnisse, übrigens eigentlich anspruchslos und in einer schönen Gegend durch lohnende Spaziergänge täglich zum besten unterhalten, begann, da er einige Stunden einer Nacht mit einem ungewöhnlichen peinigenden Gedanken schlaflos verbracht hatte, dem Glauben Raum zu geben, er leide an beständiger Schlaflosigkeit. Als dieser Glaube durch häufiges Übersinnen des Einfalls ihm zur Gewißheit geworden war, verlor er den Appetit, alterte sichtlich, erlebte viel Ärgerliches an seinen Kindern, wurde von plötzlichen quälenden Sorgen um sein Unternehmen angefallen und durch anhaltendes schlechtes Wetter an seinen Spaziergängen gehindert. Da seine Laune sich unangenehm im Kreise der Familie bemerkbar machte, verfiel der älteste Sohn nach häufigen und erfolglosen Beratungen mit Ärzten und Freunden auf ein ihm glücklich dünkendes Mittel, das er sofort in Anwendung brachte. Er ließ durch einen fremden, sehr gerühmten Gelehrten, dem er seinen Plan vorgetragen und genehm gemacht hatte, dem Vater täglich zwei Tropfen eines leichten ungarischen Weines als angeblichen Schlaftrunk verschreiben, und dieser, sobald er das Mittel versucht hatte, behauptete, es leiste ihm vorzügliche Dienste, wachte sorgfältig über dessen tägliche Vorbereitung, nahm an Appetit zu, erholte sich körperlich, scherzte im Kreise seiner Kinder täglich bis zur festgesetzten Schlafensstunde und war, da gutes Wetter eintrat, er also seine Spaziergänge aufnehmen konnte, innerhalb weniger Wochen wieder ein rüstiger und behaglich lebender Mensch geworden. Der lächelnde Tod Von _Wilhelm Schussen_ Einen Mann namens Heinrich, der ein schönes Weib namens Elise geehelicht hatte, traf eine große Heimsuchung. Als nämlich seine Frau wieder einmal unter höchsten Nöten niederkam, wußte er, daß sie das nächste Mutterglück mit ihrem Leben bezahlen müßte. Da schwuren die beiden, aus eigenem Antrieb und auf das Drängen des Arztes hin, aller Liebeslust zu entsagen. Und Heinrich nagelte im ersten heiligen, zornigen Eifer ein leibhaftiges Totengerippe ans Fußende des Ehelagers, auf daß sie, so sie etwa schwach und wankend würden, allzeit einen ganz furchtbaren Prediger in der Nähe hätten. Nach einiger Zeit brachte Heinrich dann noch ein rotes Lämpchen über dem Gerippe an. Das wirkte. Der Prediger blieb wach und schrecklich und stieg bis in ihre Träume hinab, und wenn sie nachts erwachten, wagten sie es nicht, die Augen zu öffnen. -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- Im Laufe der Zeit jedoch erschien ihnen der Furchtbare immer milder und freundlicher und schließlich beinahe wie zur Familie gehörig. Ja, während einer hellen, silbernen Mondnacht kam er dem ruhenden Menschenpaar fast verschönt und verklärt und verlieblicht vor. Da erhob sich Heinrich leise und blies das rote Lämpchen aus. Und Elise lächelte ihm zu und erinnerte ihn daran, daß die Nächte nun wieder abnähmen und man endlich wieder dem Frühling entgegenginge. -- -- -- -- Durch den nächsten weißen Winter aber wallte langsam ein großer dunkler Leichenzug mit blumenbeladener Bahre nach dem Kirchhof. Vier Anekdoten Von _Karl Scheffler_ Schuldner und Gläubiger Ich hatte einst zwei Freunde, die auch untereinander wieder heftig befreundet waren. Nach einer geraumen Zeit aber trat zwischen ihnen jene chronische Spannung ein, die einer Entfremdung vorauszugehen pflegt. Eines Tages nahm mich der eine, sagen wir A., beiseite und beklagte sich ernstlich über B. Dieser habe bei irgendeiner Gelegenheit acht Mark von ihm geliehen und hätte nun schon seit einem Vierteljahr vergessen, ihm das Geld wiederzugeben. Es sei natürlich nur Vergeßlichkeit, aber eben diese Sorglosigkeit würfe doch ein merkwürdiges Licht auf den Charakter des Freundes. Nicht lange darauf vertraute der andere mir mit einigen spöttischen Glossen an, A. täte immer in allen Dingen so schrecklich bürgerlich korrekt und vergäße ganz, daß er ihm immer noch dreizehn Mark schuldig sei. Sagen könne er es ihm doch nicht, und auch ich möchte mir nichts merken lassen, aber eine schnurrige Sache sei es doch. Mir selbst war bei diesen vertraulichen Mitteilungen, deren Kreuzungspunkt ich geworden war, wunderlich zumute. Denn auch von mir hatten beide einmal vor Monaten kleine Summen geborgt, wie man sie auf Landpartien oder sonstwie braucht, wenn ein großer Geldschein sich nicht gleich wechseln lassen will, und diese Tatsache war allen beiden vollständig entfallen. Was war zu tun? Ich dachte nach, ob ich nicht unwissentlich vielleicht den Freunden ebenfalls Geld schuldig sei. Mir war, als wäre einmal so etwas gewesen; aber ich konnte nicht mehr darauf kommen, und ich mußte schließlich einsehen, daß man sich nur dessen deutlich erinnert, was andere uns schulden, nicht aber dessen, was man selbst schuldig ist. Die Witwe von Ephesus Früher fuhr ich jeden Nachmittag mit der Vorortbahn in die Stadt. Auf der Fahrt wurde rechts vom Gleis für wenige Sekunden zwischen Häusern ein Stück Friedhof sichtbar, mit Blumengräbern und Grabmonumenten. Auf einer neuen Grabparzelle war täglich eine schwarzgekleidete Frauengestalt zu sehen, die mit Schaufel, Harke und Gießkanne arbeitete, den Efeu aufband, die Sträucher beschnitt oder Blumen pflanzte. Es war offenbar eine Witwe, die ihren Mann dort begraben hatte. Nach einiger Zeit tauchte auf dem Grabgrundstück nebenan ein Mann gesetzten Alters auf, der, wie es schien, das Grab seiner gestorbenen Frau pflegte und mit der Nachbarin an Sorglichkeit und Liebe wetteiferte. Zuerst blieb jeder für sich. Eines Tages aber, als der Zug vorüberfuhr, sah ich die beiden Leidtragenden über den niedrigen Erdwall weg miteinander sprechen. Einige Tage später -- es war ein heißer Sommer -- fuhr mein Zug gerade vorbei, als der Mann der Frau ein gefülltes Weißbierglas hinüberreichte und sie zum Trinken einlud. Und wieder nach einigen Tagen hatte der Mann seinen Rock beim Arbeiten ausgezogen, er plauderte schon vertraulich heiter mit der Nachbarin, und die Große Weiße stand zwischen beiden auf dem kleinen Grenzwall, wie ein gemeinsamer Besitz. Jetzt aber mit Himbeerschuß. Und dann kam ein Tag, wo der Witwer hinübergegangen war zur Witwe, und wo sie ihm alle Herrlichkeiten ihres Grabgartens mit errötendem Eifer zeigte. Noch eine kurze Zeit, und ich sah die beiden Trauernden in dem Gärtchen der Frau auf einem Bänkchen vor dem Leichenstein nebeneinander sitzen, Hand in Hand, sich verliebt ansehend und schnell auseinanderfahrend, als der Zug vorüberrasselte. Fortan blieben die Gärtchen leer. Die Blumen vertrockneten, auf den Wegen wuchs Gras, und der Efeu überrankte die Namen der Toten. Die Zeitungen In einem Neubau hatten die Stubenmaler ihre Gerüste aufgeschlagen, um die Decken zu bemalen. Sie standen oben auf den Brettern, den Kopf im Nacken, Ornamente schablonierend und pinselnd. Unter dem Gerüst hatten zwei Tapezierer ihren Tisch aufgestellt. Sie waren beschäftigt, die unteren Wände mit Makulatur zu bekleben. Dabei unterhielten sie sich eifrig. Sie sprachen von den Berliner Tageszeitungen und konnten nicht recht einig werden. Der eine behauptete: »Das einzige vernünftige Blatt in Berlin ist die »Vossische«.« »Nein,« erwiderte der andere, »die »Kreuzzeitung« ist mir lieber.« »Die ist auch gut,« gab der erste zu, »aber nicht so gut wie die »Vossische.« »Tägliche Rundschau« geht übrigens auch an.« »Ach, damit bleib mir vom Leibe,« rief der zweite, »das ist lappriges Zeug. Dann kannst du ja auch nur gleich »Tageblatt« und »Lokalanzeiger« sagen. Und das sind doch die schlechtesten Blätter in Berlin. Mosse und Scherl, das ist Jacke wie Hose.« »Ein Blatt ist doch noch schlechter,« sagte der andere, »das ist das allerschlechteste.« »Na, welches?« »Der »Vorwärts«!« »Da hast du recht, mit dem ist überhaupt nichts anzufangen.« Die Maler auf der Rüstung wurden unruhig. Einer rief hinab: »Na, ihr seid ja schöne Genossen. Der eine ist für die Junker, und der andere ist für die Bourgeois. Und ihr wollt Arbeiter sein?« Die Tapezierer antworteten grob, und ein Streit begann. »Wer so von dem »Vorwärts« spricht, ist ein Verräter,« schrie einer der Maler. »Und wer mir den »Vorwärts« hier auf den Tisch legt, dem schmeiß ich ihn an den Kopf,« schrie einer der Tapezierer zurück, »was verstehst du überhaupt vom Tapezieren!« »Na, vom Tapezieren versteh ich nichts, aber von der Politik verstehe ich was,« rief der Maler. »Was geht uns denn deine Politik an?« sagte verwundert der Tapezierer. »Wir reden hier doch von der Makulatur, von der Güte des Papiers.« »Ach so,« sagten die Maler, »sie reden von der Makulatur!« Moral: Der Mensch ist immer noch mehr Tapezierer als Politiker. Darwinismus im Ausverkauf »~Eritis sicut deus~«. Vor einigen Jahren, als die Bevölkerung Deutschlands, vor allem die Berlins, durchaus wissen wollte, ob Christus gelebt hat, hielt ein berühmter Professor des Monismus (so darf man ja wohl sagen) vor einem großen Zuhörerkreis einen Vortrag über diese neugierige Frage. Im Laufe seiner freigeistigen Rede, in der Christus durch Darwin ersetzt werden sollte, sprach der Vortragende von dem natürlichen Werden alles organischen Lebens, er rekapitulierte die Leitsätze des Darwinismus und wies u. a. nach, in welcher Weise sich die Lunge der atmenden Geschöpfe aus der Luftblase der Fische entwickelt hätte. »Ja, meine Damen und Herren,« rief er in den Saal, mit einem triumphierenden Seitenblick auf eine Anzahl kampfbereit zuhörender Pastoren, »wie haben wir uns diese Entwicklung denn vorzustellen? Wir müssen sie uns folgendermaßen denken: eines Tages wurde ein Fisch von den Brandungswellen an den Strand geworfen. Da stand der Fisch nun vor der Frage: du mußt entweder zugrunde gehen, oder du mußt deine Luftblase in eine Lunge verwandeln, um in der Luft weiterleben zu können -- eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Der Fisch tat natürlich das letztere -- und so, meine Damen und Herren, entwickelte sich aus der Blase des Fisches ...« Kein Schmerzensschrei wurde hörbar. Zwei Anekdoten vom Marquis Bonvivant Von _Karl Ettlinger_ Der Marquis über Heidenbekehrung Der Pariser Frieden von 1763 war noch nicht geschlossen, und Frankreich sonnte sich noch im Besitze seiner wertvollsten Kolonien. Der Jesuitenorden, -- den der durch die Unterrockpolitik der Pompadour erhobene und durch die Hemdpolitik der Dubarry gestürzte Choiseul 1764 vertrieb -- sandte noch seine Missionäre in die fremden Länder, um aus guten Götzendienern schlechte Christen zu machen. Der freigeistige Marquis Bonvivant bezeigte diesem Missionseifer nur geringe Sympathie, und er pflegte in seiner frivolen Weise zu spotten: »Statt den Heiden das Wasser der Taufe auf den Kopf zu träufeln und Schnaps zum Trinken zu verkaufen, wäre es besser und christlicher, ihnen Wasser als Getränk zu verhandeln und ihnen den Schnaps über den Kopf zu gießen.« Ein Bettelmönch, dem des Marquis Denkungsart unbekannt war, sprach einst bei ihm vor, um eine fromme Gabe für die Missionen zu heischen. Wie schlug ihm das Herz voll eitler Freude, als der Marquis ihm versprach, für das nächste Missionsschiff eine ganze Kiste Kruzifixe zu spenden! Mit den bestgemeinten Segenswünschen dankte der harmlose Bettelmönch. Das Missionsschiff lag abfahrtbereit im Hafen, in wenigen Stunden sollten die Anker gelichtet werden, -- als acht stämmige Männer erschienen, die im Auftrage des Marquis eine große schwere Kiste an Bord trugen, die die Aufschrift zeigte: »Kreuze für die Heiden.« Der frommen Mannschaft dünkte diese Kiste ein wenig groß geraten -- es mußten ja Abertausende von Kreuzen darin Raum haben --, und so wurde beschlossen, die Kiste zu öffnen, um die Hälfte der zur Verwendung für die Heiden bestimmten Kreuze für das nächste Missionsschiff zurückzubehalten. Man brach die Kiste auf. Sie enthielt -- ein halbes Hundert Grabkreuze. Der Marquis über das Duell Siebenunddreißig Duelle hatte der Marquis Bonvivant in seinen jungen Jahren ausgefochten, und er hatte damit bewiesen, daß es ihm nicht an Mut fehlte, in Streitfällen hinter jede Beschimpfung einen Florettstich als Schlußpunkt zu setzen. Als aber das Leben seine Haare mit dem Puder des Alters betupfte, als er in dem Garten seiner Erfahrungen die kostbarste Frucht: das Lächeln geerntet hatte, da änderte sich auch seine Sinnesart über das Duellwesen. »Es mag Ausnahmefälle geben, in denen ein Duell unvermeidlich ist,« sagte er. »Allein das Meer von Zweikämpfen würde zu einer Pfütze austrocknen, wenn meine lieben Zeitgenossen endlich einsehen wollten, daß ein Amtsgericht weit zuverlässiger ist als ein Gottesgericht.« Kurz nachdem er diesen Ausspruch getan hatte, der ihm sehr übel vermerkt wurde, gebot ihm die Freundespflicht, einem Baron de Sulpice Sekundantendienste zu leisten. Dieser hatte einem Chevalier, der beim Kartenspiel trefflich das Glück zu korrigieren verstand, das Wort »Falschspieler« ins Gesicht geschleudert. Nach dem ersten Gange lag der Falschspieler tot am Boden: eine Kugel hatte ihm das Herz durchbohrt. Marquis Bonvivant stand bei dem Leichnam; er betrachtete den leblosen Körper aufmerksam, hob ihn auf, musterte die Rückseite, befühlte den Kopf und ließ die Leiche kopfschüttelnd wieder zu Boden gleiten. »Was soll dieses Spiel?« herrschte ihn der anwesende Arzt an. »Verzeihen Sie meine Neugierde!« gab der Marquis zurück. »Ich bin nun einmal eine gründliche Natur: ich habe das Loch in der Brust gesehen, aus dem das Leben das Chevaliers entflohen ist, und ich suche nun das andere Loch, durch das angeblich die Ehre wieder in seinen Körper eingezogen ist!« Der Garibaldiner Von _Karl Federn_ Es war an einem Mainachmittag des Jahres 1891 in Rom, als ich meinen Freund Cesare Salvadori aus Cefalù traf. Am Abend vorher hatte eine patriotische Gedenkfeier stattgefunden; die schwarzen Carabinieri, kriegerische und andere Vereine mit vielen Fahnen, die Garibaldiner mit ihren roten Hemden waren unter rauschender Musik durch die staubigen Straßen des glänzenden Rom aufs Kapitol gezogen: Salvadori war mit im Zuge gewesen, denn er war Garibaldiner. Sie wissen, was das heißt; Sie kennen die tausend Helden, die überall in Italien mit Verehrung und Begeisterung betrachtet werden, die für das Land und die Freiheit geblutet haben, und die nie sterben, weil, wenn einer von ihnen zu Grabe getragen wird, der Nächstälteste der Familie das rote Hemd anlegt, um die Ehre und den Vorteil dem Hause zu erhalten. Als ich mit Salvadori vor dem Café Aragno saß, trug er das rote Hemd nicht mehr, sondern einen schlaffen schwarzen Tuchrock, und schlaff waren auch seine Züge, selbst der eisgraue Schnurrbart unter der Hakennase. »Wie geht es Ihnen, Salvadori?« fragte ich. Den Toskano im Mundwinkel, den einen Fuß mißmutig über dem andern wippend, saß er da. »Schlecht,« war seine Antwort. »Man lebt, aber es geht schlecht. Wie Sie mich sehen, bin ich wieder ohne Stellung. Man tut nichts mehr für uns, man schreit, wenn wir vorüberkommen, aber man tut nichts.« Nun war gerade kurz vorher Giovanni Nicotera, der sizilianische Baron und Revolutionär, gleichfalls ein ehemaliger Garibaldiner, Minister des Innern geworden. Daran erinnerte ich den Alten. Die grauen Augen in dem verwitterten Kriegergesicht zogen sich zusammen. »Ich bin bei ihm gewesen,« antwortete er und sah vor sich hin. »›Giovanni,‹ sagte ich ihm, ›du bist nun mächtig: du mußt etwas für mich tun.‹ Und er, ›mein Lieber,‹ sagte er, ›viel kann ich dir nicht bieten; es waren schon zu viele vor dir da. Aber wenn du unten in Calabrien, beim Präfekten von Catanzaro Amtsdiener werden willst: die Stelle ist frei. Anderes habe ich jetzt nicht. Vielleicht später; wir werden sehen.‹ Was wollen Sie? Ich nahm die Stelle an und fuhr nach Catanzaro. Es ging auch; bis eines Tags eine Deputation kam; aus Tiriolo, wegen einer Wahlsache. Sie wissen ja, wie das ist. Am Morgen sagt mir der Präfekt: ›Wenn die Deputation aus Tiriolo kommt, Cesare, bin ich nicht da.‹ ›Eccellenza,‹ sagte ich, ›es ist gut.‹ Und nun denken Sie: wie die Leute kommen -- sie waren vier Stunden gefahren -- waren drei davon alte Garibaldiner wie ich. ›Freunde,‹ sagte ich, ›es tut mir leid, aber der Herr Präfekt ist nicht da.‹ ›Cesare,‹ sagte der eine, der mich kannte, ›wir müssen den Präfekten sprechen. Und wir wissen, daß er da ist, ich habe ihn selbst am Fenster gesehen. Und du wirst uns anmelden.‹ Was wollen Sie, Herr? Es waren Garibaldiner; es war nichts zu machen. Ich habe sie angemeldet, und der Präfekt hat sie empfangen, und sie haben ihm einen heißen Kopf gemacht, wegen der Wahl, über die er nichts hatte hören wollen. Am anderen Tage ließ mich der Präfekt in sein Bureau rufen: ›Einen Amtsdiener, der sich nicht nach meinen Weisungen richtet, kann ich nicht brauchen,‹ sagte er, ›Sie sind entlassen.‹ Ich habe ihn angesehen, Herr. Und dann sagte ich: ›Eccellenza, Sie können mich entlassen. Aber wenn ich morgen nach Rom fahre und zum Minister gehe und mit Giovanni Nicotera spreche, so werden _Sie_ entlassen, und nicht ich. Aber, Eccellenza, Sie sind ein verheirateter Mann, Sie haben Frau und Kinder, und ich bin allein. Darum gehe ich, und Sie können bleiben.‹ Und so bin ich gegangen.« »Ja, und Nicotera?« fragte ich, »hat er nichts mehr für dich getan?« »Nun, ich war natürlich wieder bei Giovanni und sprach mit ihm. Er bot mir eine Stelle als Amtsdiener in Sardinien an. Aber dahin wollte ich nicht gehen. So ist es, Herr. Und so sitze ich hier und bin wieder ohne Stelle.« Der Dichter Von _Hans Bethge_ Ein junger Dichter schlenderte müde und blaß durch die Straßen von Montmartre oberhalb Paris. Er war sehr einsam und unglücklich. Sein Magen war leer, auch sah er andere Künstler, ihre Mädchen am Arme, heiter an sich vorüberschreiten, er aber hatte keine Freundin, denn die Mädchen waren ihm nicht hold. Er sehnte sich nach Liebe und zugleich nach einer guten Mahlzeit, und er war recht zornig gegen das Schicksal. Während er so dahinschritt, öffnete sich plötzlich neben ihm eine Tür. Ein Mädchen stürzte heraus, ein Mann hinterdrein mit einem Stock, den er auf den Rücken des Mädchens niederschwingen wollte. Aber das Mädchen entschlüpfte, und der Stock traf den Rücken des vorüberschreitenden Dichters, der einen Schrei des Schmerzes ausstieß, worauf er sich empört dem mit dem Stock bewaffneten Manne zuwandte. Dieser, äußerst bestürzt, bat vielmals um Verzeihung und fragte, welche Sühne er dem Geschlagenen zuteil werden lassen dürfe. Er wies auf die geöffnete Tür und bat den Dichter, näherzutreten. Es zeigte sich, daß der Mann eine Speisewirtschaft besaß, die er vor kurzem von seinem zu früh gestorbenen Vater geerbt hatte. Der Dichter ließ sich nicht weiter nötigen und wurde in aufmerksamer Weise mit einem so wohlbereiteten und verschwenderischen Mahle bewirtet, wie er es seit langem nicht mehr zu sich genommen hatte. Während des Mahles erzählte ihm der junge Mann, daß jenes Mädchen, seine Geliebte, heute zu ihm gekommen sei, um ihm mitzuteilen, daß sie nichts mehr mit ihm gemein haben wolle, weil sie einen anderen liebe. Daher die Szene. Nachdem der Dichter, der von dem Schlage schon längst nichts mehr spürte, mit vollem Behagen gegessen und getrunken hatte, verabschiedete er sich dankend, schlenderte vergnüglich die Straße hinauf, -- und wer trat an der nächsten Ecke an ihn heran? Das Mädchen. Es ergriff erregt seine Hand, küßte sie, bat vielmals um Verzeihung und fragte, welche Sühne es ihm, dem ihretwegen Geschlagenen, zuteil werden lassen dürfe. Er beschwichtigte die Demütige, sie schritten gemeinsam dahin, und als sie vor dem Hause angelangt waren, in dem er wohnte, bat er sie, mit in sein Zimmer hinaufzukommen, das seit langer Zeit von keiner Frau betreten worden war. Sie kam seinem Wunsche mit Vergnügen nach, riß ihm eilig die Kleidung vom Nacken und küßte ihn voll Liebe und Leidenschaft auf jene Stelle, wo er ihretwegen geschlagen worden war. Noch niemals war dem Dichter so himmlisch wohl gewesen, wie an diesem Abend. Später hat ihn das hübsche und vortreffliche Mädchen noch oftmals lachend auf jene Stelle geküßt, der er erstens ein lange entbehrtes köstliches Mahl und zweitens eine reizende Geliebte zu verdanken hatte. Nino Sventatello Von _Heinrich Mann_ Dies ist die Geschichte von einem, der Hans Leichtfuß hieß, und der auf den Stufen eines Brunnens schlief, weil ihm kein Bett gehörte. Aber als er eines Morgens erwachte, gehörte ihm Rom; denn ein großer Herr, der erst am hellen Morgen nach Hause ging, hatte Gefallen gefunden an seinen hellen Locken und an den Schatten um seine geschlossenen Lider. Er ließ ihn in seinen Palast tragen und sorgte dafür, daß ihm mit äußerster Vorsicht neue Kleider angelegt wurden: weißseidene Schuhe, Strümpfe und Hosen, ein grüner, gestickter Rock, -- denn er hoffte, wenn Nino in diesem prinzlichen Staat erwache, werde er zu lachen geben. Nino aber lachte selbst, sobald er die Augen aufschlug, sehr befriedigt von den Kavalieren, die ihn bekomplimentierten. Ihre Perücken schleppten vor ihnen her am Boden, so oft verbeugten sie sich. Er dehnte sich sodann mit solcher Anmut, dem Lakaien, der die Schokolade verschüttete, gab er so gewandt eine Ohrfeige, und setzte sich mit solcher Sicherheit auf das Lieblingspferd des großen Herrn, daß dieser endlich sagte: »Halt! Du tust ja, als ob du ein Prinz wärest.« -- »Sie meinen?« entgegnete Nino. Der Herr verstand Scherz. »Du sollst wirklich einer sein. Aber vorher mußt du beweisen, daß du Mut, Artigkeit und Redekunst besitzest. Diese Eigenschaften zu besitzen, ist leicht für den, der schon in den Kleidern eines Kavaliers steckt. Darum sollst du sie in deinen alten Kleidern zeigen.« -- »Alte? Ich habe nie etwas altes getragen.« -- Man zog sie ihm an. »Ich lasse die Verkleidung gelten,« sagte Nino. Er sah sich den Kutscher des Hauses an: »Das ist ein starker Mann, ich wage es.« Als der Herr mit seiner schönen Tochter daherfuhr, legte Nino sich über den Weg, den Hals gerade vor das rechte Rad. Rechts saß das junge Mädchen, es kreischte angstvoll. Der Kutscher riß an den Zügeln, das Rad berührte Ninos Hals. Der Herr wollte herausspringen, aber das Mädchen hielt ihn fest: »Du bist zu schwer, der Wagen würde einen Ruck bekommen, und er ist tot.« -- Während die Pferde um seinen Kopf her mit den Hufen stießen, redete Nino: »Sie kennen mich, schöne Prinzessin, ich bin einer der Knaben, die am goldenen Schlage Ihrer bunt bemalten seidenen Kutsche standen und die Hand hinhielten; ich aber ließ die meine sinken, weil Ihre Augen so groß und blau waren. Sie kennen mich, ich bin einer der Knaben, die am Küchenfenster Ihres Palastes die Düfte einatmeten und dabei ein Stückchen trockenes Brot aßen. Aber droben an Ihrem Fenster sah ich ein Stückchen von einer weißen Schulter mit einer goldenen Locke darauf -- und ließ mein Brot einem anderen. Sie kennen mich, ich bin einer der Knaben, die die Stäbe Ihres goldenen Parkgitters mit den Händen umfaßten, wenn auf den bunten Wiesen die Damen und die Herren Ball spielten. Ich aber sah Ihre goldenen Locken wehen und Ihre leichte Gestalt über die Blumen hinfliegen, ohne ihnen ein Leid zu tun -- und umklammerte die Stäbe, sonst wäre ich über das Gitter fort in die glänzende Gesellschaft mitten hinein und Ihnen zu Füßen geflogen. Und weil ich mich noch nicht fest genug gehalten habe, liege ich jetzt mit dem Halse unter den goldenen Rädern Ihrer Galakutsche und sage Ihnen, wie schön Sie sind, und wie sehr ich Sie liebe.« (Dabei zitterte Ninos Stimme.) »Und gleich wird Ihr Kutscher, wenn er auch stark ist, die Pferde nicht mehr halten können, und ich sterbe für Sie. Denn die Leute, die hier in Haufen umherstehen, werden sich hüten, mich unter Ihren Rädern hervorzuziehen. Sie sind den schönen Reden viel zu geneigt und viel zu begierig auf anregende Schauspiele, um diesem unterhaltenden und spannenden Auftritt vor der Zeit ein Ende zu machen.« »Aber ich tue es!« rief das junge Mädchen, hüpfte aus dem Wagen und hob Nino auf. »Wer bist du?« -- »Ich bin Prinz Nino, Ihr Herr Vater kennt mich.« Der große Herr schnaubte zornig: »Was ist das für eine Komödie? Was fällt dir ein, Betteljunge?« -- Nino erwiderte ruhig und vornehm: »Sie wollten, daß ich eine Komödie als Betteljunge spielen sollte. Ich, der Prinz, sollte beweisen, daß ich auch als Betteljunge Mut, Artigkeit und Redegewandheit besitze. Ist es nicht mutig, wenn ich den Hals vor die Räder einer Kutsche lege, die von zwei wilden Hengsten gezogen wird? Ist es nicht artig, wenn ich es zu Ehren einer Dame tue? Und werden mir nicht alle Anwesenden bezeugen, daß ich, selbst noch in einer ungewöhnlichen und halsbrecherischen Lage, zu reden verstehe?« -- Der Herr lachte laut, ließ Nino die Prinzenkleider wieder anziehen und vermählte ihn mit seiner Tochter. Der Fund Von _Paul Ernst_ Ein junger Mann namens Boppo hat treu und ehrlich lange Jahre einem Kaufmann gedient. Wenn die Frauen kamen und für einen Soldo Öl verlangten, so maß er ihnen das Öl in ihre Flaschen, indem er mit spitzen zwei Fingern das Maß hielt und die anderen drei Finger zierlich spreizte, dann den Trichter schwungvoll aus der Flasche zog, ihn noch einmal aufstieß, daß auch der letzte Tropfen in die Flasche lief, und ihn endlich mit sicherem Augenmaß wieder in sein Loch im Ständer stellte; wenn sie eine Tüte Pfeffer haben wollten, so riß er unbarmherzig aus einem schönen alten Buch ein Blatt, rollte es fix in der Hand zur Tüte, schob mit elegantem Schwung des Beines die Stehleiter zu sich, kletterte leicht nach oben, zog den Kasten halb vor und nahm mit dem Schäufelchen Pfeffer heraus, stieg dann herunter, indem er der entzückten Frau eine Schmeichelei sagte, legte die Tüte auf die Wage und schüttete mit dem Schäufelchen, sorgfältig prüfend, als wiege er Gold ab, die Pfefferkörner in die Tüte. Wie gesagt, Boppo hatte seinem Herrn treu und ehrlich gedient. Aber, natürlich hatte er keine Veranlassung, über die Grenzen seiner Pflichten hinauszugehen. Er versteht die Kunst, einzuwiegen und einzumessen, das heißt, wenn er hundert Pfund oder hundert Maß zu verkaufen hat, so kann er hundert und ein Pfund oder hundert und ein Maß verkaufen, ohne daß eine Frau zu wenig bekommt. Dieses eine Pfund oder eine Maß ist natürlich sein eigener Gewinn, von dem er ja seinem Herrn nichts zu sagen brauchte; er hatte es deshalb immer so eingerichtet, daß er von jedem Scudo einen Quattrino für sich einbehielt, das war nur eine abgerundete Rechnung; aber der Herr stand sich ganz gut dabei, denn Boppo war ein treuer und ehrlicher Ladendiener. Diese Quattrini aber, kann man sich denken, häuften sich im Laufe der Zeit an; und so kommt es denn, daß Boppo, wie er nun seinen Dienst aufgegeben hat, um nach seinem Heimatsort Ariccia zurückzugehen und dort selber einen Laden zu eröffnen, einen schönen Beutel voll Scudi in der Tasche hat. Vor dem Tore schließt sich ihm ein junges Mädchen an, die auf einem Esel sitzt, den sie mit fester und zierlicher Hand lenkt. Die Freunde haben Boppo gewarnt; es gibt so viele Gauner und Räuber in Rom und Umgebung, daß man sehr vorsichtig sein muß mit neuen Bekanntschaften, wenn man viel Geld in der Tasche trägt. Boppo ist auch ein verständiger Mensch, der weiß, daß ein ehrlicher Mann heutzutage niemand trauen darf; die Menschheit ist zu klug für ihn geworden. Aber das junge Mädchen hat so feurige, schwarze Augen und macht einen so freundlichen Mund, und dann ist sie ja doch überhaupt ein junges Mädchen, und kurz und gut, Boppo geht neben ihr, und die beiden erzählen sich etwas; er spricht von dem Geschäft, das er in Ariccia eröffnen will, wo es nur an Unternehmungsgeist fehlt, denn ein Geschäft ist in Ariccia zu machen, es muß nur der richtige Mann kommen; und sie teilt ihm mit, daß sie in Velletri eine Stellung annehmen will als Köchin bei einem Pfarrer, und daß sie selig ist, mit ihm bis Ariccia zusammen zu sein, denn man hört so viel, was alles geschieht, daß man wirklich Angst kriegen könnte; dabei sieht sie ihn mit einem so freundlichen Blick an und lacht so, daß ihm ganz warm ums Herz wird. So ziehen die beiden nun vergnügt weiter auf der Via Appia. Es ist Herbst; die Jäger halten überall ihre großen Jagden ab und schießen die Sperlinge, die Karren mit den Bottichen begegnen ihnen, in denen die Weintrauben eingestampft sind; die lieben Kinderchen sitzen unsagbar schmutzig auf den Trauben und quetschen sie zusammen, und die Männer, welche die Pferde führen, sind bis oben mit rotem Traubensaft beschmiert; von überall her hört man Jauchzen, Singen, Knallen, Schreien, und Boppo fühlt sich so glücklich wie noch nie in seinem Leben; er denkt an seinen Laden in Ariccia, an den Tresen, an die Büchsen mit Zuckerwerk, die auf ihm stehen, und wenn man den Kindern ab und zu eine Kleinigkeit zugibt, dann kommen sie immer; er denkt an die Wagen, welche blankgeputzt über ihm hängen, an das Einwiegen, und dann denkt er auch, was er für ein hübscher Kerl ist, und daß sich das Mädchen neben ihm gleich in ihn verliebt hat. Aber er nimmt sich in acht und verplempert sich nicht, denn man weiß ja nicht, ob sie Geld hat, und ein Kaufmann muß eine Frau mit Geld haben, und das kennt man schon, man denkt, man hat ein hübsches Mädchen, und dann mit einem Male kommt ein Bruder oder Vater und sagt: Heiraten! Die beiden sind früh aufgebrochen, um noch vor der großen Hitze in Ariccia zu sein. Nun aber beginnen sie hungrig zu werden, denn es ist Frühstückszeit. So gehen sie denn vom Wege ab in eine Wiese, wo unter einer einsamen Pappel ein alter marmorner Sarg steht, als Tränke für die Kühe; das junge Mädchen -- wir wollen es nur verraten, es ist die berühmte Colomba, von der selbst Lange Rübe sagt, er könne noch von ihr lernen -- steigt von ihrem Esel, der verständig mit den Ohren zuckt und sich dann an das Fressen begibt; sie zieht ein reinliches Tuch hervor, um es auf der Wiese auszubreiten für die mitgebrachten Speisen; da stößt sie plötzlich einen Laut der Überraschung aus; sie hat im Grase ein kleines Päckchen gefunden, das offenbar hier jemand verloren hat, ein sauber und fest verschnürtes Päckchen in steifem Papier mit einer Aufschrift. Sie wendet das Päckchen hin und her, Boppo nimmt es ihr aus der Hand: »Lies du, ich kann nicht lesen,« sagt Colomba, und Boppo buchstabiert die Aufschrift: »An den hochwohlgeborenen Herrn Matteo, Juwelenhändler in Rom.« »Wenn kostbare Steine in dem Päckchen wären?« fragt Colomba. »Erst prüfen, dann urteilen,« erwidert Boppo, zieht sein Taschenmesser und schneidet die Verschnürung auf. Es kommt ein Schächtelchen zum Vorschein und ein Brief. Colomba faßt nach dem Schächtelchen, öffnet es, da liegt auf weißer Seide ein wunderschöner goldener Ring mit einem Smaragden. Sie streift ihn sofort an den Finger und betrachtet ihn verliebt, indem sie ihn in der Sonne spielen läßt; Boppo ergreift ihre Hand und sieht ihn sich genau an. Er wird aufgeregt. »Das ist ein Stück für einen Kardinal,« sagte er, »das ist ein Stück für den heiligen Vater.« »Lies den Brief,« ruft ihm Colomba zu. Er kann sich nur schwer von der Hand mit dem Ring trennen, aber er entfaltet doch den Brief und studiert ihn, indessen Colomba den Ring weiter nach allen Seiten spielen läßt. »Der Besitzer hat den Ring an Matteo schicken wollen, er ist fünfhundert Scudi wert, Matteo soll ihn ihm verkaufen,« sagt endlich Boppo, nachdem er das Lesen des Briefes beendet hat. Dann fährt er fort: »Ich mache dir einen Vorschlag. Es ist ein Glück für dich, daß ich ein ehrlicher Mann bin. Wir haben den Ring zusammen gefunden ...« »Nein, ich habe ihn allein gefunden,« sagt Colomba. »Wir haben den Ring zusammen gefunden,« fährt Boppo fort, »du kannst ihn nicht verkaufen, du wirst bloß von den Händlern betrogen. Ich will den Ring annehmen und bezahle dir deinen Teil aus. Ich bin Kaufmann, ich weiß, was ich zu tun habe, mich soll keiner übers Ohr hauen, ich verstehe mich aufs Geschäft. Natürlich habe ich das Risiko. Ich biete dir für deinen Teil hundert Scudi. Abgemacht.« Colomba beginnt zu weinen. Der Ring ist so schön und steht ihr so gut, und sie würde ihn Sonntags immer tragen, und sie hat ihn doch gefunden, und er gehört doch ihr, und nun will ihr Boppo nur hundert Scudi geben, und sie ist ja ein armes Mädchen, für arme Mädchen sind solche teuren Ringe nicht, das sieht sie wohl ein, aber sie ist nicht so dumm, wie Boppo denkt, sie kann ihn auch selber verkaufen, und hundert Scudi für einen Ring, der fünfhundert Scudi wert ist, das ist eine Ungerechtigkeit, das kann ja der liebe Gott nicht dulden, und sie ist eine Waise, und hat nicht Vater und nicht Mutter, aber für die Waisen sorgt der liebe Gott, und so redet sie weiter und redet immer mehr, und Boppo antwortet ihr, und sie kommen ins Handeln, und schließlich geht Boppo bis hundertfünfzig Scudi. Er holt seinen Beutel heraus, klaubt ihn auf, zählt ihr das Geld vor, sie weint, liest es sorgsam zusammen, zieht ein Tuch und knotet es ein; der Beutel ist recht schmal geworden, wie er ihn mit der Schnur wieder zusammenzieht, aber dafür hat er ja nun den Ring. Sie trocknet sich die Tränen, er will zärtlich ihre Hand ergreifen, aber sie stößt sie von sich und geht zu ihrem Esel. »Was willst du denn tun?« fragt Boppo erstaunt. Sie aber antwortet ihm nicht, sondern steigt auf, und als er immer dringlicher fragt, da erklärt sie ihm, daß er ein Räuber ist, daß sie nicht mehr mit ihm reiten will, denn eigentlich hat sie den Ring allein gefunden, und nun will sie wieder nach Rom, sie muß sich erst ausweinen, denn das hatte sie nicht gedacht, daß es so schlechte Männer gibt. So wendet sie denn ihren Esel zurück, Boppo aber bleibt, und im Grunde ist er nicht ganz unzufrieden, daß er sie nicht mehr sieht, denn nun kann sie ihm doch nicht mehr vorklagen. Er sah sie also nicht mehr, und er hat sie auch später nicht wieder gesehen, obgleich er sie in Velletri und in Rom suchte wie eine Stecknadel; denn als er seinen Ring zu einem Händler brachte und ihn für fünfhundert Scudi anbot, da lachte der Mann und sagte, daß der Stein aus Glas sei und die Fassung vergoldetes Kupfer. Deshalb blieb ihm nichts anderes übrig, als daß er zu seinem alten Herrn ging und wieder Ladendiener wurde, damit er das verlorene Geld erst wieder zusammenbekam; denn mit dem, was er noch hatte, konnte er bei der heutigen scharfen Konkurrenz keinen Laden in Ariccia eröffnen. Das Bett Von _Paul Ernst_ Die Frau des Polizeihauptmanns Tromba war bei der Frau des Stadtrichters Matta gewesen. Matta ist Richter, und Tromba ist nur Polizeihauptmann; das müßte gewisse Schranken für die weibliche Einbildungskraft setzen, sollte man meinen. Es setzt aber diese Schranken nicht. Die Frau des Richters Matta hat ein Fremdenzimmer, weil vornehme Leute zuweilen Besuch vom Lande bekommen. Tromba bekommt zwar keinen Besuch vom Lande, aber seine Frau findet, daß sie reichlich ebenso vornehm ist wie die Frau des Stadtrichters Matta, denn Frau Matta ist eine reiche Fleischerstochter gewesen und sie eine reiche Bäckerstochter; und deshalb ist es notwendig, daß sie auch ein Fremdenzimmer hat. Tromba wünscht verschont zu werden und wird nervös. Beppina tröstet ihn und sagt, wenn die Mutter erst einmal gestorben ist, dann führt sie dem Vater die Wirtschaft, und dann bäckt sie auch jeden Tag Eierkuchen, und wenn er seinen Teil nicht ganz aufißt, dann schadet das nichts, dann ißt sie ihn mit. Tromba hebt sie hoch, küßt sie und sagt, sie ist ein Engel. Die Frau wischt Staub im Zimmer und wirft Gegenstände, welche sie abwischt, mit merklichem Knall an ihre Stelle. Das leere Zimmer hätte man nämlich; es liegt eine Treppe höher auf dem Boden und hat eine schöne Aussicht, genau wie das Fremdenzimmer der Frau Stadtrichter Matta. Man hätte auch die Bettstelle und die andern Möbel. Es fehlt nur das Bett. Und sie findet, wenn man Polizeihauptmann ist, dann hält man einfach eine Haussuchung ab, und es wäre doch merkwürdig, wenn man da nicht ein Bett fände, das man mit Beschlag belegen kann. Tromba sagt sich, daß er eine Gemeinheit begeht. Aber was nutzt ihm alles, er muß Ruhe haben. Er kommt nicht zum Arbeiten. Also, er macht eine Haussuchung bei Lange Rübe. Lange Rübe kann sich natürlich denken, wie die Haussuchung zu erklären ist, und macht bissige Bemerkungen über Ehrenmänner, wie sie beide, welche wissen, was sie sich gegenseitig schuldig sind, über das Unvermutete des Besuchs und über die Mühe, welche sich Tromba hätte sparen können, wenn er seinen Wunsch gegen Lange Rübe geäußert hätte. Tromba kann ihm nichts erwidern, denn Lange Rübe hat ja recht; und so erfüllt er denn mit den Häschern seine Pflicht, ohne Lange Rübe zu antworten. Lange Rübe kann sich nicht ausweisen über den Erwerb eines guten Bettes mit Roßhaarmatratze und Daunendecke; und so wird das Bett denn mit Beschlag belegt. Tromba übt in den ehelichen Kämpfen die bekannte Strategie, welche man auch von andern Ehemännern erzählt. Zunächst wird er immer geschlagen und muß den Willen der siegreichen Frau erfüllen. Wenn er das aber getan hat, so ist die Frau in schwächerer Verfassung, weil ihre Geisteskräfte in Anspruch genommen sind durch das Bedenken, wie sie das Gewonnene verwertet; und nun dreht er sich um und greift seinerseits an. Das Bett wird also gebracht; die Häscher stellen die Bettstelle auf und legen das Bett hinein, verweigern, ein Trinkgeld anzunehmen, und gehen mit höflichen Empfehlungen. Frau Tromba steht im Fremdenzimmer und überlegt, wie sie die Vorhänge aus einem alten Stoff herstellt; Tromba geht auf und ab, die Hände auf dem Rücken, pustet und stößt abgebrochene Laute aus. Ein Gauner ist auch ein Mensch. Lange Rübe hat nicht gleich ein Bett wieder. Wo soll er denn schlafen? Anständige Menschen nehmen Rücksichten. Tromba hat aus freien Stücken Lange Rübe erklärt, wenn er wieder ein Bett habe, das geht ihn nichts an, er weiß nichts davon, er will nichts davon wissen, ist seine Sache nicht. Er will nichts mehr hören von Betten. Er kann sich nicht um jedes Bett kümmern, das es in Rom gibt. Wenn Tromba zum Kaufmann geht und etwas kauft, der Kaufmann macht ihn doch dumm und nimmt ihm ab, was er kriegen kann, und lügt ihm noch vor, daß er ihm seine Ware zur Hälfte schenkt. Wenn der Bauer etwas in die Stadt bringt, und die Leute haben Hunger, und es ist nichts sonst auf dem Markt, dann verlangt er das Dreifache, und wenn sie es ihm geben, dann steckt er das Zehnfache ein. Sind die denn anders als der Gauner? Aber denen hat die Polizei nichts zu sagen, die werden vom Staat beschützt, ja, die kommen womöglich noch und machen Anzeige, wenn ein Gauner bei ihnen gewesen ist. Als ob der Gauner nicht auch sein Leben in Mühe und Schweiß verdient! Und überhaupt, die Polizei lebt von den Gaunern. Wenn die Gauner nicht wären, dann brauchte man auch die Polizei nicht. Das sagt man sich alles, wenn man ein Mann ist. Aber ein Weib, wenn sich ein Weib eine dumme Idee in den Kopf gesetzt hat, dann muß das geschehen. Dann muß das geschehen, und wenn der Himmel einstürzt. Alles einerlei. Vielleicht denkt sich Frau Tromba, daß sie ja nun ihr Bett hat, und daß es für die Gesundheit eines Mannes immer besser ist, er tobt sich aus, statt den Ärger hinunterzuschlucken; vielleicht ist sie aber auch wirklich zu sehr mit der Frage der Gardinen beschäftigt; jedenfalls widerspricht sie nicht. Nach gewöhnlicher Psychologie müßte ja nun Trombas Zorn abnehmen; aber bei Tromba, wie bei manchen anderen Männern, wenn sie in ähnlichem Fall sind, steigert er sich jetzt. Lange Rübe muß natürlich wieder ein Bett haben. Einerseits tut ihm ja Tromba leid; Tromba kann mit den Weibern eben nicht fertig werden; anderseits ist es Lange Rübe auch nicht zu verübeln, wenn er auf Tromba wütend ist, denn eine Gemeinheit bleibt es schließlich, ihm das Bett abzuholen. Lange Rübe nimmt sich also einen befreundeten Droschkenkutscher und fährt mit ihm zu Trombas Haus. Der Wagen hält unten, Lange Rübe steigt aus, tritt in das Haus, geht die Treppen hoch bis unter das Dach, öffnet das Fremdenzimmer und packt das Bett in zwei mitgebrachte große Säcke. Die nimmt er auf die Schultern und geht still wieder die Treppe hinunter. Man geht in solchem Falle bekanntlich rückwärts die Treppe hinunter; wenn jemand einen sehen sollte, dann kann man gleich so tun, als steige man nach oben und sagt, man bringe die Säcke zu einem Herrn Francesco, der ja wohl in diesem Hause wohne, mit einer schönen Empfehlung von Herrn Augusto. Herr Francesco wohnt nicht in diesem Hause; man schimpft über Herrn Augusto, der einem doch stets die unrichtige Hausnummer nennt, so daß man doppelte Arbeit hat; die Person, welche einem begegnet ist, bedauert einen, daß man die schweren Packen so hoch geschleppt hat, und gibt einem den guten Rat, sich lieber immer erst unten zu erkundigen, ob man auch recht gegangen ist; dann geht man die Treppe hinunter und hat seine Masematten in Sicherheit. Demnach geht auch Lange Rübe rückwärts hinunter. Aber die Bodentreppe ist steil, und wie er eben auf der vorletzten Stufe ist, tritt er fehl, stürzt, die Säcke rollen von den Schultern, und er selbst schlägt mit aller Wucht an Trombas Tür. Lange Rübe steht langsam auf und reibt sich das Bein, Tromba öffnet die Tür. Natürlich tut Lange Rübe ganz selbstverständlich. Er beklagt sich über die Treppe und preist sein Glück, denn er hätte ein Bein brechen können bei dieser Gelegenheit, und das hätte er dann von seinem guten Herzen gehabt. Da aus diesen Ausrufen und Erklärungen nicht zu erkennen ist, was Lange Rübe mit den beiden prallen Säcken will, so fragt Tromba; Lange Rübe tut wieder selbstverständlich und erklärt, in denen sei doch das Bett; er habe gehört, daß der Herr Polizeihauptmann ein Bett brauche, und da er ein Bett überflüssig habe, so bringe er es ihm; der Herr Polizeihauptmann könne es behalten, so lange er wolle, bei ihm sei es nicht nötig, und er freue sich sehr, daß er dem Herrn Polizeihauptmann die kleine Gefälligkeit erweisen könne, als ein Ehrenmann dem andern. Tromba denkt bei sich, daß Lange Rübe ja verdammt schnell wieder ein Bett gefunden hat, sein Gewissen ist beruhigt; einigermaßen ärgert er sich ja über die Frechheit, daß er es ihm gleich zeigen will, aber dann kann er ihm die Frechheit auch wieder nicht übel nehmen, denn Lange Rübe sieht zu komisch aus, wie er dasteht mit dem dummen Gesicht. Also erklärt er kurz, er brauche kein Bett weiter, er sei schon versehen. Lange Rübe entschuldigt sich, setzt die Mütze wieder auf und reibt sich das Bein. Tromba fragt, ob es noch sehr weh tue; Lange Rübe erzählt, daß er mit dem Schienbein gerade auf die scharfe Schwellenkante geschlagen ist, wie er die letzte Stufe nach oben steigt; er hat die Engel im Himmel pfeifen hören. Tromba geht in die Stube, bringt eine Schnapsflasche mit einem Glas heraus und gießt Lange Rübe ein. Lange Rübe dankt mit einer höflichen Verbeugung, leert das Glas und stellt es Tromba wieder zu. Dann sieht er seine beiden Packen an. Tromba versteht den Blick. Er gibt Lange Rübe die Weisung, daß er sich auf eine Treppenstufe setzt, dann legt er ihm die beiden Packen auf den Rücken; Lange Rübe erhebt sich, dankt von Herzen und geht die Treppe hinunter auf die Straße, wo ihn sein Freund mit der Droschke erwartet. Als Frau Tromba wieder in ihr Fremdenzimmer geht, fehlt das Bett. Sie stürzt zu ihrem Mann und erzählt es ihm. Die Vorwürfe, die sie ihm macht, sind berechtigt. Daß die Gauner so frech sind, selbst den Polizeihauptmann zu bestehlen, das muß denn doch an ihm liegen. Bei einem anderen würden sie mehr Furcht haben. Tromba sieht ein, daß er den Zwischenfall mit Lange Rübe nicht erzählen darf, und in seiner Bestürzung weiß er gar nichts zu erwidern, sondern schweigt, indessen die Frau den Übergang zum Weinen macht. Natürlich kann Tromba jetzt nicht noch einmal Haussuchung halten. Aber er hat auch die Aufsicht über die Gewichte und Wagen in den Kaufmannsläden. Deshalb schießen die Kaufleute zusammen und kaufen ihm ein Bett, und so sind denn nun alle Teile zufriedengestellt. Die Sklavin Von _Heinrich Mann_ Der Venezianer Benedetto Dolan war ein Trinitarier, er zerbrach die Ketten der Sklaven. Aber einmal brachte er aus der Berberei eine Sklavin mit, deren Kette konnte er nicht zerbrechen, weil er selbst darin gefangen war. Wie hat er sie lieb gehabt! In einem Saal seines Palastes am Großen Kanal schloß er sich mit ihr ein und verließ sie nie mehr. Es gab darin einen hohen, wunderbar geschmückten Sockel, auf den sie sich stellen mußte: ganz nackt, wie eine Statue; eine köstlich ziselierte Silberschale, in die sie sich legen mußte, ganz nackt, ähnlich einer Perle; und einen von erhabenen Bildern umzogenen Marmorsarkophag, auf dem sie sich ausstrecken mußte, ganz nackt, gleich einer Toten. Wenn sie auf dem hohen Sockel stand, erreichte ihr Kopf mit den langen, langen Haaren die wunderschöne Fensterrose, die in der Mauer des Palastes ist. So kam es, daß man sie von draußen sah, von dem Seitengäßchen, das neben dem Hause herläuft. Und jedesmal sammelte sich das Volk und verlangte, die schöne Sklavin solle hinausgeführt und ihm gezeigt werden. Der Ritter verweigerte es. Aber da man hörte, sie sei übermenschlich schön, drohte in Venedig ein Aufruhr, und die Signori schickten ihre Abgeordneten zu Benedetto Dolan: er solle seine Sklavin hinausführen. Er verneigte sich und gehorchte. Er trug sie in seine Gondel: nicht auf dem hohen Sockel, worauf sie, ganz nackt, wie eine Statue stand; auch nicht in der Silberschale, in der sie, ganz nackt, einer Perle ähnlich ruhte; -- sondern ausgestreckt auf dem marmornen Sarkophag, ganz nackt, gleich einer Toten. So fuhren sie, der Ritter in seiner Rüstung ihr zu Häupten, den Großen Kanal hinab. Als sie aber an der Piazzetta landeten, wo das ganze Volk wartete, da sah das ganze Volk, daß aus ihrem Herzen ein roter Tropfen trat. Von Künstlern und Kunstwerken Memlings Bild (April 1473) Von _Paul Enderling_ Paul Beneke stand vorn am Bug, wasserdurchnäßt und blutbespritzt. »Smiet de Hakens röwer!« brüllte er durch Sturm und Kampfgeschrei. Die Enterhaken packten das englische Schiff und fraßen sich gierig in das Holz. Ein Armbrustbolz zeichnete eine blutige Spur über Paul Benekes borstigen Schädel und riß seine Mütze weg in die schaumbespritzte See. »Wart, ick wull di!!« Er drohte wütend mit der Faust herüber. Dann stülpte er sich den Helm eines Gefallenen auf. Nun stürmten die Danziger Matrosen hinüber auf den »Sankt Thomas«. Ein paar Minuten später glitt die burgundische Flagge nieder, unter der das englische Schiff gefahren. Die Schiffsbesatzung hielt die Hände hoch. Der Kapitän, der totenblaß am halbzersplitterten Mast hockte, winkte den hanseatischen Kapitän zu sich. »Ihr seid Paul Beneke, den sie einen ›harten Seevogel‹ nennen. Ists nit so?« »Hol det Mul!« Das galt einem schreienden Matrosen. Paul Beneke beugte sich zu dem gefangenen Gegner hernieder, der ihm seine Worte ins Ohr wiederholte. Er nickte nur. »Dann ist's keine Schande für mich, gekapert zu werden,« sagte der Sterbende. Er stockte. Am Mast seines Schiffs stieg die Hansaflagge empor. Nun schwebte sie hoch oben und schlug fröhlich knatternd um sich. Da überflog eine furchtbare Grimasse das Antlitz des Engländers. Getrieben von Scham und Grimm, versuchte er, das neben ihm liegende Enterbeil nach Paul Beneke zu schleudern. Es entfiel aber seiner kraftlosen Hand. »Ick versteh' di, min Söhn,« sagte Paul Beneke nachdenklich und begab sich achselzuckend zur Schiffsluke, daraus seine Leute die Schätze des Schiffsbauchs holten, um sie zu dem eigenen großen Kraweel herüberzubringen. Der Steuermann zählte die Kisten und Säcke, die man herüberschleppte. Das monatelange Kreuzen und Segeln war mit einem Schlag reich gelohnt. Die Mannschaft sang und gröhlte vor Freude bei jedem neuen Stück, das an die Oberfläche kam. Nun war's ein hoher, flacher Kasten, der nach dem Stempel darauf der Handelsgesellschaft der Portunari in Brügge gehörte. Die Leute wußten nichts damit anzufangen. »Upbreeken!« befahl Paul Beneke. Mit den Beilen, die eben noch auf die Schädel der Feinde niedergekracht waren, brachen sie die Bretter auf. Der Lärm verstummte. Auch die See, die in der ganzen Zeit des Kampfes als eine rechte Mordsee mitgebrüllt hatte, beruhigte sich. Leichte, weiße Schaumkrönchen tanzten noch auf den grünen Wellen. Eine Wolke verschob sich. Sonnenschein glitzerte auf den Panzern und Helmen, auf den Waffen und nun auf dem breiten Goldrahmen des großen Bildes, das einer aufgeklappt hatte. ... Der Erzengel Michael in funkelnder Rüstung hielt die Wage -- ein frommer Beter kniete in der tiefen Schale, ein Verzweifelter jammerte in der nach oben geschnellten Schale. Christus saß auf dem Regenbogen und hielt Weltgericht über all die, so aus den Gräbern stiegen, der Seligkeit oder der Verdammnis entgegen. Auf dem linken Flügelbild zogen die Seligen in den goldenen Himmelspalast ein, auf der rechten Seite stürzten viele in den Höllenschlund, der ewigen Qual entgegen ... Erst war's Mathias Groddeck, der die Mütze langsam abnahm und in die Knie sank. Dann tat es der Steuermann. Und der Schiffsboden ächzte, als er es tat, und es krachte, als der Helm aufschlug. Dann knieten die anderen Matrosen vor dem »Jüngsten Gericht«, das der Maler Memling gemalt. Zulegt nahm Paul Beneke den Helm ab und beugte die Knie, indes das rote Blut langsam über die Stirn am rechten Auge entlang sickerte. ... Die Seligen gingen in das goldene Haus des Himmels. Christus blickte milde nieder, und die große Wage schwankte auf und ab ... Wohin würde einmal ihrer aller Weg gehen? Zur Rechten? Zur Linken? »~Te Deum laudamus~,« begann langsam mit heiserer Stimme Dietrich Bernecker, der ein entlaufener Mönch gewesen war und seit zwölf Jahren in geteerten Hosen herumlief. Erst blickten sie ihn verwundert an. Dann nickten sie bedächtig und stimmten ein, so gut es ging. ... Die Engel stießen in die Posaune, als bliesen sie die Melodie dazu. Die vielen Toten stiegen aus den Gräbern und hoben betend die Hände ... Paul Beneke erhob sich. Sein Blick hatte den englischen Matrosen gestreift, der grinsend dem Gebahren der Sieger zusah. Er ging langsam auf ihn zu und schlug ihm die Mütze vom Kopf. »Siehst du nit, dat hie Gottesdienst ist, min Söhn? Und weißt du nit, daß es sich geziemet, die Mütze vom Grindkopf zu nehmen?« Das war der längste Satz, den Paul Beneke seit langem gesprochen. Dann ging er befriedigt zu den Betern zurück. Der schlaue Akademiedirektor Von _Carl Bulcke_ Als der Professor und Kunstmaler D. damals vor zwanzig Jahren in K. seinen Dienst als Akademiedirektor antrat, fand er ziemlich heillose Zustände vor. Ein Übelstand war am größten: die Akademie war zu klein, und besonders war für den Unterricht der zahlreichen Kunstschüler nicht genügend Platz. Das betrübte den Akademiedirektor, und er machte sofort nach seinem Dienstantritt eine Eingabe an den Oberpräsidenten, schilderte den Sachverhalt und bat mit beweglichen Worten, da an einen Neubau vorläufig nicht gedacht werden konnte, wenigstens um einen Anbau an die alte Akademie. Auf diese Eingabe erfolgte indessen nichts; es fehlte wahrscheinlich an Mitteln, und der Oberpräsident schwieg. Der Akademiedirektor wiederholte nach einem halbem Jahre die Eingabe mit der gleichen Begründung, und wieder kam keine Antwort. So ging das weiter durch sechs, acht lange Jahre. Es wurde dem Akademiedirektor eine liebe Gewohnheit, Semester für Semester beharrlich und ohne Erfolg immer wieder dasselbe Gesuch vorzulegen. Bis endlich eines schönen Tages der Oberpräsident antwortete: gut, er wolle in eine Prüfung der geschilderten Mißstände eintreten; aber vorher wolle er die Sache persönlich sich mal ansehn, und er käme dann und dann. Dies Schreiben brachte nun den Akademiedirektor in eine arge Verlegenheit: Denn einmal hatte er im Laufe der Jahre mit den vorhandenen Räumen ganz gut sich zu helfen gelernt, und zweitens hatten sich ausgerechnet in diesem Jahre so wenig Schüler gemeldet, daß in diesem Jahre wenigstens die zur Verfügung stehenden Räume prachtvoll ausreichten. Doch der Akademiedirektor wußte sofort Rat: er versammelte sein Lehrpersonal und seine Schüler, erzählte ihnen die ganze Geschichte und sagte: »Kinderchen, wir machen die Sache so: Wenn der hohe Herr kommt, so steht ihr alle hübsch beisammen, die jüngeren im Vordergrund, unten in der Halle, und was da so vornean steht, wird dem hohen Herrn vorgestellt. Dann beschäftige ich den hohen Herrn eine Weile, ihr lauft was ihr könnt herauf in den Aktsaal und setzt euch fix an die Arbeit. Vornean setzen sich die älteren von euch. Dann kommen wir beide herauf, und ihr werdet alle noch einmal dem hohen Herrn vorgestellt. Dann beschäftige ich den hohen Herrn wieder eine Weile, ihr verteilt euch, was ihr laufen könnt, in die einzelnen Ateliers, und alles weitere überlaßt nur mir. Ich werde die Sache schon machen.« Es ging auch alles ganz ausgezeichnet. Der Oberpräsident kam, die Vorstellung in der Halle wurde rasch erledigt, die zweite Vorstellung im Aktsaal glückte vorzüglich, der Oberpräsident sah sich mit gedankenlosen Augen alles an, bestätigte, daß hier und da ein Übelstand sei, der abgestellt werden müsse, nickte zustimmend zu den Erklärungen des Akademiedirektors, fragte gedankenlos noch dies und das, wie hohe Herren das so tun, und sprach in der zweiten halben Stunde seines Besuchs schon längst von Dingen, die mit dem Zweck seines Kommens nichts zu tun hatten, von Hasenjagd und Wintersport und anderen schönen Sachen. Der Akademiedirektor strahlte. Und so nach einer Stunde verabschiedete sich dann der Oberpräsident, sprach seinen Dank für die freundliche Führung aus, murmelte etwas von langgehegter persönlicher Wertschätzung, und der schlaue Akademiedirektor führte den Oberpräsidenten die Treppe hinunter. Auf der Treppe blieb der Oberpräsident stehen, dachte nach, und ihm schien etwas einzufallen. »Und im übrigen muß ich Ihr Prinzip loben,« sagte der hohe Herr freundlich. »Ich muß an die Zeit denken, als ich noch junger Landrat war. Wenn ich da mal haben wollte, daß ein Wald größer aussah, als er war, so ließ ich die Herren immer im Kreise herumfahren.« Zwei Anekdoten Von _Karl Scheffler_ Kunsterziehung Ein Museumsdirektor, der nicht nur moderne Kunstwerke des In- und Auslandes mit leidenschaftlichem Eifer kauft, sondern der auch den Ergeiz hat, die Bürger seiner Stadt zum Kunstverständnis und zu einer neuen Kulturgesinnung zu erziehen, erzählte mir vieles von der Art seiner Propaganda, von seinen Vereinen, Ausstellungen, Vorträgen und Organisationen. Um die Wirkung seiner Kulturarbeit zu beweisen, führte er freudig das folgende Geschehnis an. Zu ihm sei eines Sonntagmorgens ein Mann ins Museum gekommen. Ein einfacher Mann aus dem Volke, Werkführer oder dergleichen und Mitglied eines der Kunstbildungsvereine. Er hätte sich vor den Direktor bescheiden, aber sicher hingestellt und gesagt, er habe sich soeben eine neue Krawatte gekauft, und er fühle die Verpflichtung, Rechenschaft abzulegen, nach welchen Gesichtspunkten er sie gekauft habe. ~Ad~ 1, nach welchen ästhetischen, ~ad~ 2, nach welchen ethischen und ~ad~ 3, nach welchen allgemein-kulturellen Gesichtspunkten. ~Ad~ 1 sei zu bemerken, daß eine Krawatte zur Farbe des Anzuges und des Gesichtes sowohl harmonieren wie kontrastieren müsse. Form und Farbe dürften nicht auffallend sein, doch müsse die Krawatte immerhin ein freudiger Farbenfleck sein im grauen Einerlei der männlichen Kleidung. Auf keinen Fall dürfte das Muster naturalistisch sein. Und selbstverständlich sei ein Selbstbinder gewählt worden. Dem kultivierten Manne gezieme es, die Krawatte selbst, individuell, zu knüpfen. ~Ad~ 2 sei zu sagen, daß der Käufer Rücksicht auf seine Mittel und seinen sozialen Stand hätte nehmen müssen. Seine Gesichtspunkte seien gewesen: gut, solide, geschmackvoll, aber einfach. So ein Kauf sei doch eine ernste Sache. Die Krawatte charakterisiere den ganzen Menschen, man erkenne den inneren Wert seiner Mitbürger daran. Zu Punkt 3, fuhr der Museumsdirektor fort, von seinem Thema hingerissen, habe der Mann mit der neuen Krawatte gesagt ... Aber ich weiß nicht mehr, was es war; denn jetzt hörte ich nur noch jenes peinliche Geräusch, das entsteht, wenn man oftmals hintereinander das Wort »Kultur, Kultur, Kultur« ausspricht. Spanisch Ein Versdramatiker, dem keine deutsche Bühne ein Stück aufführen wollte, kam auf folgende ingeniöse Idee, um durchzudringen. Als ein neues Lustspiel gedichtet war, gab er es als Buch heraus, verschwieg seine Autorschaft und vermerkte statt dessen auf dem Titelblatt, das Stück sei eine Übersetzung aus dem Spanischen. In dieser Form reichte er es einer Bühne ein, die auf die deutsche Theaterkultur bedeutenden Einfluß hat. An dieser Bühne nun wirkte, mit heiteren Cäsarengebärden, ein Dramaturg. Er las das Stück und bildete sich sein Urteil. -- Einst besuchte ihn ein anderer Dramatiker, um Geschäfte zu besprechen. Als der Besucher Abschied nehmen wollte, ergriff der Dramaturg ihn am Rockknopf und sagte eindringlich: »Ihr Kollege N. hat uns da ein Stück eingereicht, das aus dem Spanischen herkommt. Wir möchten es gern aufführen. Ich sage Ihnen, es ist fabelhaft! Aber miserabel übersetzt. Sehen Sie, lieber Doktor, das sollten _Sie_ uns übersetzen!« In der Frühlingsnacht Von _Hans Bethge_ In einer wundervollen Frühlingsnacht schritt ein junger Dichter leichtbeschwingt durch die Villengegend der Stadt. Er kam an vielen duftenden Vorgärten vorüber und dann an einem, in dem der Flieder an großen Büschen besonders üppig blühte und duftete, und jetzt sah er, wie ein junges Mädchen in Weiß aus ihrem erleuchteten Zimmer auf den Balkon der Villa, die in dem Garten lag, hinaustrat. Der Dichter blieb stehen und sah entzückt hinauf: ein reizendes, überraschendes Bild, dieses einsame, weißgekleidete, junge Ding, das sich da oben bei Nacht auf dem von einem feinen Gitter umgebenen Balkon gegen das rötliche Lampenlicht des Zimmers malerisch abhob. Fast unbewegt stand sie da, das Herz des Dichters klopfte laut, und er glaubte die Sehnsucht jener jungen Brust zu empfinden, die unruhige Sehnsucht, die es in dem engen Zimmer nicht mehr ertrug und nun ihre Zuflucht zu den Sternen und Düften der holdbewegten Mainacht nahm. In Wirklichkeit war jenes junge Mädchen nicht schön, sondern häßlich von Angesicht, und ach, sie war nur deshalb auf den Balkon getreten, weil sie zuviel von einer schweren Speise genossen hatte, die ihr nun Übelkeit und Magenschmerzen verursachte; sie hoffte, daß ihr in der frischen Luft der Nacht besser werden würde. Der Dichter ging, nachdem er sich eine Weile an der holden nächtlichen Erscheinung begeistert hatte, nach Hause und bildete eins seiner schönsten Gedichte, das später berühmt gewordene Lied von einem jungen, schönen Mädchen, das in der Frühlingsnacht weißgekleidet auf den Balkon ihres Zimmers hinaustritt und die sehnsüchtigen Gefühle ihres Herzens ängstlich hinaufwendet zu dem tröstenden Licht der Gestirne. Das seltene Buch Von _Hermann Hesse_ Vor einigen Jahrzehnten schrieb ein junger deutscher Dichter sein erstes kleines Büchlein. Es war ein süßes, schwaches, unüberlegtes Gestammel von blassen Liebesreimen, ohne Form und auch ohne viel Sinn, wie es viele gibt. Wer es las, der fühlte nur ein schüchternes Gleiten zärtlicher Frühlingswinde und sah schemenhaft hinter knospenden Gebüschen ein junges Mädchen lustwandeln. Sie war blond, zart und weiß gekleidet, und sie lustwandelte gegen Abend im lichten Frühlingsgehölz -- mehr bekam man nicht von ihr zu hören. Dem Dichter hingegen, dem in diesen Versen die Welt umschrieben und gedeutet schien, war dieses ganz genug, und er begann, da er nicht ohne Mittel war, unerschrocken den alten, tragikomischen Kampf um die Öffentlichkeit, um Kritik, um Ruhm, um Liebe, um Gewinn. Sechs berühmte und mehrere kleinere Verleger, einer nach dem andern, sandten dem schmerzlich wartenden Dichter sein sauber geschriebenes Manuskript höflich ablehnend zurück. Ihre sehr kurz gefaßten Briefe sind erhalten geblieben und weichen im Stil nicht wesentlich von den Antworten ab, wie sie heutigen Verlegern in ähnlichen Fällen geläufig sind; jedoch sind sie sämtlich von Hand geschrieben und insofern tatsächlich wirkliche Briefe, als sie sichtlich für ihren einmaligen Zweck geschrieben und nicht einem im voraus hergestellten Vorrat von gleichlautenden Exemplaren entnommen sind. Ostwald hat recht, die Welt ist seither fortgeschritten. Durch diese Ablehnungen, die er keineswegs verdient zu haben glaubte, gereizt und ermüdet, ließ der Dichter seine Verse nun auf eigene Kosten in 400 Exemplaren drucken. Das kleine Buch umfaßt 39 Seiten in französischem Duodez und wurde in ein starkes, rotbraunes, auf der Rückseite rauheres Papier geheftet (siehe den berühmten »Katalog für Bibliophilen« von Hofrat Lämmerschwanz, Seite 43, 769). Dreißig Exemplare verschenkte der Autor an Freunde. Zweihundert Exemplare gab er einem Buchhändler zum Vertrieb, und diese zweihundert Stück gingen bald darauf bei einem großen Magazinbrande zugrunde. Den Rest der Auflage, 170 Exemplare, behielt der Dichter bei sich, und man weiß bis heute nicht, was aus ihnen geworden ist (siehe die Abhandlungen hierüber von Lämmerschwanz und Wurmb im Archiv für exklusive Bibliophilie, Jahrgang I, 44 ff. und III, 89 ff.). Durch diese exzeptionellen Schicksale, den Brand und das spurlose Verschwinden jenes Auflagerestes, war das kleine Büchlein zur bibliophilen Seltenheit ersten Ranges prädestiniert; nur kannte damals noch niemand den Namen des gänzlich unberühmten Verfassers. Das Werkchen war totgeboren, und der Dichter verzichtete, vermutlich vorwiegend aus Erwägungen ökonomischer Art, einstweilen völlig auf weitere poetische Versuche oder doch auf deren Veröffentlichung. Etwa zehn Jahre später aber kam er zufällig einmal dahinter, wie man zügige Lustspiele macht. Er legte sich eifrig darauf, hatte Glück und lieferte von da an jährlich seine zwei Komödien oder Possen, prompt und zuverlässig wie ein Fabrikant. Die Theater waren voll, die Schaufenster zeigten Buchausgaben der Stücke, Bühnenaufnahmen und Bildnisse des Verfassers. Dieser war jetzt berühmt, fast weltberühmt, verzichtete aber auf eine Neuausgabe jener Jugendgedichte, deren er sich nun vermutlich schämte. Er starb in der Blüte der Mannesjahre, und als nach seinem Tode eine kurze, seinem literarischen Nachlaß entstammende Autobiographie herauskam, wurde diese begreiflicherweise gierig gelesen. Aus dieser Veröffentlichung erst erfuhr die Welt von dem Dasein jener verschollenen Jugenddichtungen. Seither sind jene zahlreichen Lustspiele aus der Mode gekommen und werden nicht mehr gegeben. Die Buchausgaben findet man massenhaft und zu jedem Preise, meist als Konvolute, in den Katalogen der Antiquariate. Jenes kleine Erstlingsbändchen aber, von welchem vielleicht, ja sogar höchst wahrscheinlich nur noch die dreißig seinerzeit verschenkten Exemplare vorhanden sind, ist jetzt eine Seltenheit ersten Ranges und wird von Sammlern mit Leidenschaft gesucht und mit jedem Preise bezahlt. Es figuriert täglich in den Desideratenlisten, nur viermal tauchte es bis jetzt im Antiquariatshandel auf und entfachte jedesmal eine hitzige Depeschenschlacht von bietenden Bestellern. Denn einmal trägt es doch einen berühmten Namen, ist ein Erstlingsbuch und überdies Privatdruck, dann aber ist es für manche Liebhaber auch äußerst interessant und rührend, von einem so berühmten, eiskalten Bühnenroutinier ein sentimentales Bändchen Jugendlyrik zu besitzen. Kurz, man suchte das kleine Ding mit Leidenschaft, und ein tadelloses, unbeschnittenes Exemplar davon gilt für unbezahlbar, namentlich seit auch einige amerikanische Sammler danach fahnden. Dadurch wurden auch die Gelehrten aufmerksam, und es existieren, außer den genannten bibliophilen Publikationen, schon zwei Dissertationen über das Büchlein, von welchen die eine es von der sprachlichen, die andere von der biographischen Seite beleuchtet. Ein Faksimiledruck in 65 Exemplaren, der nicht neu aufgelegt werden darf, ist längst vergriffen, und in den Zeitschriften der Bibliophilen sind immer wieder neue Arbeiten darüber angezeigt. Neuerdings streitet man sich namentlich über den mutmaßlichen Verbleib jener dem Brand entronnenen 170 Exemplare. Hat der Autor sie vernichtet, verloren oder verkauft? Man weiß es nicht; seine Erben sind im Auslande und zeigen keinerlei Interesse für die Sache. Die Sammler bieten gegenwärtig für ein Exemplar etwa das Doppelte wie für die Erstausgabe des »Grünen Heinrich«. Wenn aber zufällig irgendwo einmal die fraglichen 170 Exemplare auftauchen und nicht sogleich von einem Sammler ~en bloc~ aufgekauft und vernichtet oder doch totgeschwiegen werden, dann ist das berühmte Büchlein wertlos und wird höchstens noch zuweilen, neben andern lächerlichen Anekdoten, in der Geschichte der Bücherliebhaberei flüchtig und mit Ironie erwähnt werden. Heinrich Frauenlob stirbt Von _Wilhelm Schmidtbonn_ Heinrich Frauenlob lag in seiner rosagetünchten Kammer und starb. Sein weißes Haar und sein weißer Bart hingen, zu einem Urwald verwachsen, von seinem Bett bis zur Erde herunter. Das blauseidene Kissen, das den letzten Frost der Glieder zudeckte, und das in den Jahren der Jugend eine schöne Dame von ihrem Bett genommen und dem Dichter zugesandt hatte, war längst schwachfarbig geworden und hing zerfetzt. Auch sonst gab es im Zimmer nichts mehr als Spinnen an den Wänden und einen Stuhl, der Tisch zugleich war. Die Laute lag mit abgerissenen Saiten an der Erde. Zwei Vögel hatten sich ein Nest da hineingetragen und flogen durch einen Mauerriß ab und zu. Jedesmal, wenn ein Flügel an das Holz stieß, gab es einen Ton, der hoch und tief zugleich an den leeren Wänden nachhallte. Dann hob der Sterbende jedesmal den Kopf und horchte, und das weiße, klein gewordene Gesicht färbte sich noch einmal mit einem mädchenhaft zarten Rot. Heinrich dankte dem Mann, der ihm die letzten Tage das Bett gerichtet und zu trinken gereicht hatte, durch die hingehaltene Hand und schickte ihn aus dem Zimmer. Dann lag er, hielt die blaue Seide fest in den Fingern, horchte nicht länger auf das Tönen der Laute, wartete nur noch. Mit vorgestürzt glühenden Augen. Nachdem er sein ganzes Dasein die Anmut der Frauen gesungen und viel Liebe als Gegengeschenk dafür erhalten hatte, konnte er nicht sterben in dieser Kargheit. Noch eine letzte Schönheit, ehe die schwarze Ungewißheit kam! Wie immer, wenn eine Sehnsucht in ihm sich durch einen Schmerz durchbrannte, begannen in ihm Farben, Töne, Rhythmen gegeneinander zu kochen wie zusammengetriebener Nebel. Bilder rissen sich los, Worte brachen wie Blitze heraus, bis endlich die Ruhe der leuchtenden Reime über die Qual trat. Dieses sein letztes Lied galt der schönsten Frau der Stadt, die jeden Morgen, eine Magd hinter sich, mit niedergeschlagenen Augen ihr rostrotes Haar durch die Reihen der Giebelhäuser und die verwunderte Andacht der Menschen trug. Einmal das rostrote Haar mit der Hand streifen dürfen! Aber der Tod ist da und Armut und Vergessensein. Darum, Herzschlag, bescheide dich. Um dieselbe Stunde saß die Frau mit dem rostroten Haar, das sie in einem dicken Kranz um den Kopf gelegt hatte, während in der Mitte des Kranzes der helle Scheitel wie ein liebliches Tal im Gebirge glänzte, mit ihren Freundinnen zu Hause und trat das Spinnrad. Da geschah das Seltsame. Mitten in heiterer Erzählung blieben ihr Augen und Mund stehen. Den Kopf ein wenig geneigt gehalten, horchte sie in sich hinein, und plötzlich, von der Fernkraft einer verlangenden Stimme gerufen, erhob sie sich, gab auf keine Frage Antwort, warf ein lilafarbenes Tuch um die Schultern, füllte einen großen Korb schnell mit roten, gelben, blauen, weißen, schwarzen Violen, Tulpen, Rosen aus dem Garten, und eilte, den Korb mit beiden Händen vor ihrem Leib hertragend, die Treppe hinunter. Mit bittender Gebärde hielt sie die Freundinnen ab, ihr zu folgen, und lief mit ihren Blumen, den farbigen Widerschein davon auf dem Gesicht, nicht anders als ein Märchen durch die Straßen. Ohne vor der fremden Tür, vor der sie niemals gestanden, zu zögern, trat sie ein und sah, ohne Verwunderung, aber in einer sogleich ausströmenden Liebe, zu dem Sterbenden hin. Sie erinnerte sich wie in einem Traum daran, ihn einmal auf der Straße gesehen zu haben: da stand er, sah sie an und taumelte unter dem Anstoß der mit Traglasten vorüberschreitenden Menschen. Sie stellte ihren Korb hin, trat behutsam an das Bett, wischte dem Aufstarrenden mit den Spitzen der Finger den Schweiß von der weißen Wölbung der Stirn, hielt ihm das Glas zum Trinken an den Mund. Er aber drehte den Kopf ein wenig, um abzuwehren. Sie stellte das Glas wieder hin und fing an, ihre Blumen im Zimmer auszuschütten, über die Erde, über den Stuhl, über die Seide des Bettes, über Hände und Haar des Dichters. Dann, immer in heiterer Ruhe, immer einem geheimen Befehl gehorchend, legte sie ihr Tuch und Kleid ab, hängte alles sorgsam über den Bettrand, löste ihr Haar, schüttelte den Kopf, daß das Haar um ihre Schultern und Knie fiel, flocht Blumen hinein. Und während sie in seliger Unbekümmertheit nackt und flechtend dastand, begann sie zu singen. Die zwei Vögel flatterten aus ihrer Laute auf die Fensterbank auf die Schultern der Frau, saßen da, die Köpfe zum Mund der Frau hingedreht, flogen hin und wieder auf und schwirrten um die Töne, die aus dem Mund kamen, im Spiel herum. Die Augen des Dichters weiteten sich, bis das ganze Gesicht ein Auge schien, das dann in seinem eigenen Licht verbrannte und zusammenbrach. Sowie das Feuer der Augen erloschen war, schreckte die Frau plötzlich aus ihrer Verzauberung auf. Sie sah sich im Zimmer um, sah an sich hinunter. Sie starrte in die Augen des Toten, geriet in Furcht vor dem leeren Blick daraus, warf mit beiden Händen Blumen darüber, warf ihre Kleider über sich und floh. Als die Frau fort war und das Zimmer wieder still lag, setzten sich die Vögel in das wirre Haar des Dichters, mitten zwischen die Blumen, und sangen, als ob sie nun erst das Singen gelernt hätten, und riefen hundert andere Vögel durchs offene Fenster herein, die mit ihrem Gesang wieder das Volk der Straße anlockten. Kopf über Kopf standen die Menschen in der Tür und sahen verwundert, von einer Demut angerührt, nach dem Toten hin, den sie, als er noch lebendig über die Straßen ging, vor jungen Rittern und Rossen übersehen hatten. Der Brief des Dichters und das Rezept des Landammanns Von _Wilhelm Schäfer_ Als Klopstock, der Messiasdichter, vor der Pietisterei seiner Zürcher Freunde einmal ins Gebirge geflohen war und vom Klöntal her den Pragelpaß herunter kam, überraschte er an der Muotabrücke einen Knaben aus Schwyz in einem seltsamen Mißgeschick. Der hatte baden wollen in der schattigen Schlucht und nicht an das Windgebläse gedacht, wie es an heißen Sommertagen vom Stoos herunter einfallen kann. Nun waren ihm die leichten Kleider bis auf die Schuhe durch eine Sturmluft in den Fluß geworfen worden, sodaß er nackt auf der Muotabrücke kniete und durch einen Spalt hinunter spähte. Der Dichter war von dem schlanken Körper und der schönen Stellung entzückt, als ob ihm in der grünen Wildnis ein Götterkind begegnet wäre; er rief den Knaben, der sich vor seinem Schritt noch flüchten wollte, mit scherzhaften Worten an und half seiner Blöße aus mit seinem Rock, sodaß sie halb und halb bekleidet als Wandergefährten nach Schwyz hinunter kamen, wo der Dichter in den »Drei Eidgenossen« eine saubere Herberge fand, indessen der Knabe, mit seinem Rock über den nackten Körper angetan, heim ging zu seinen Eltern, die gegen Rickenbach hinauf in einem Landhaus wohnten und wohlhabende Doktorsleute waren. Der Dichter saß gerade, von dem Staub der langen Wanderung gesäubert, hemdärmelig in dem getäfelten Saal, die Abendmahlzeit abzuwarten, als mit dem Knaben -- der seinen Rock sorglich gefältet trug -- eine Frau herein trat, wie der Knabe von schlankem Bau, nur höher in den Schenkeln und rotblond. Auch zeigte sie ganz dessen freie Art, gab ihm mit herzlichem Dank die Hand und lud ihn ein, das Nachtmahl in ihrem Garten einzunehmen, wenn er nicht anderswo verpflichtet sei. Obwohl der Sohn im dreizehnten Jahre stand, war sie noch jung und schien dem Dichter von einer freieren Anmut, als er sie sonst bei Frauen kannte. Er nahm die Einladung mit Freuden an und ging sogleich mit ihnen durch den wohlgebauten Ort und über grüne Matten zu dem Haus hinauf, das mit zwei Gartenhäuschen auf der Mauer gleich einem Landschlößchen dalag, sonst aber den breiten Giebel der Schwyzer Bürgerhäuser zeigte. Er hatte seinen Namen Klopstock dreimal sagen müssen, bevor sie ihn verstand; auch dann war er nichts anderes für sie, als daß der sonderbare Klang sie lächeln machte. So sah der Dichter sich der Rolle entkleidet, die er in Zürich spielen mußte, und obgleich es seiner Eitelkeit unlieb war, gerade hier nicht mit der Geltung seines Namens eingeführt zu sein, gab er sich fröhlich der Begegnung hin. Der Doktor war unterdessen ausgefahren, und als er mit flinken Rossen von Steinen herauf kam, paßte der kleine schwarze Mann mit der klugen Geschäftigkeit kaum zu der hohen Frau und ihrem Knaben; doch war er gleich freundlich gegen den Gast, so daß es unter dem breiten Ahornbaum im Garten ein fröhliches Mahl gab, bei dem der Dichter sich immer mehr für die rötlichblonde Doktorsfrau entzündete. Auch sie schien Wohlgefallen an dem Fremdling zu finden, der so schwärmerisch von ihrer Landschaft, vom Menschengeist, von Freundschaft und von der Seele zu sprechen wußte, obwohl sie sich mit der Verschiedenheit ihrer Sprache nicht immer gleich verständigten. Als der Dichter durch einen Abend mit fernen Blitzen in seine Kammer zu den »Drei Eidgenossen« kam, hing er noch lange im Fenster und sah dem Geleucht der fernen Wetter wie dem Geflacker seiner erregten Jünglingsseele zu, bis er seinen Rock dankbar küßte und sich endlich in einen kurzen Schlaf fand. Sie hatten für den andern Tag eine Besteigung des Großen Mythen ausgemacht, ohne den Doktor, jedoch von einem Knecht der Doktorsleute begleitet, der schon mehrmals oben gewesen war und die Felswege kannte. Der holte ihn noch halb im Dunkeln zur Morgenmahlzeit ab, worauf sie, mit Proviant reichlich gerüstet, ihre Bergfahrt antraten -- gerade als in der Ferne die weißen Zacken vom Urirotstock in der ersten Sonne glühten, während das Tal, von den Felswänden der beiden Mythen breit überschattet, noch in tauiger Dämmerung lag. Auch kamen sie nach mancherlei Mühsalen gut hinauf bis auf den letzten Grat: als sich die dunstige Morgenhitze unvermutet zu einem Gewitter sammelte, das blauschwarz hinter den grell beleuchteten Felszacken stand und Wolkenfetzen wie Sturmvögel über ihre Köpfe jagte. Sie versuchten noch, ein Felsloch zu erreichen, das mit Stangen und Steinen bedeckt seit Alters her eine notdürftige Zuflucht bot, schon aber brach ein Donner los, der den Berg zu zersplittern und die losgerissenen Blöcke krachend in die Tiefen zu schmettern schien. Noch war jedoch kein Tropfen gefallen, und während der Knecht mit dem Knaben in dem dunklen Loch aufräumte, blieb die Frau tiefatmend davor stehen und sah in das drohende Wetter hinein. Sie hatte bei der raschen Flucht ihren Hut abgenommen, und der Sturm jagte ihr rotblondes Haar, das in dem grellen Licht feurig leuchtete; senkrecht über ihr aber stand und schien aus ihrem Kopf gewachsen ein altes Steinkreuz vom nahen Gipfel, das von Menschenhänden mit eisernen Stangen in der Spitze des Gesteins verklammert war. Wie der Dichter das sah, in dem donnernden Aufruhr -- darin die schwarzgeballten Lüfte mit den grell umflackerten Felsen eine Schlacht der Apokalypse kämpften -- die lächelnde Frau und das ragende Kreuz unbewegt, riß ihn das Sinnbild zu Gedanken und Worten menschlicher Vollmacht hin, wie sie ihm nie in eine Ode geflossen waren; als ob dies alles, der Vernichtungskampf der Natur, die Frau und das Kreuz lächelnd und leidend darin, nur ein Schauspiel seiner entzückten Seele wäre. Aber Sturm und Donner rafften die Worte wie fallende Blätter hin; was stark wie Posaunen in ihm klang, wurde leer, wenn sein Mund es in die Welt zurück gab; und was sein eigenes Ohr davon vernahm, war kaum ein Vogelschrei. So grausam überkam ihn da die Ohnmacht des Menschengeistes vor der Natur, daß er aus seinem Hochmut niederbrach auf den Stein und sich mit ausgestreckten Händen anklammerte. Und als er seinem Gefühl mit den strömenden Tränen in Ausbruch solchen Schmerzes doch noch etwas Großes retten wollte, prasselten nach den ersten Tropfen die Wasserstürze nieder und spotteten auch der Winzigkeit seiner salzigen Tränen, sodaß er wie ein gestürzter Vogel daliegen blieb und sich vom Wasser des Himmels durchtränken ließ. Als der Dichter, dem das begegnet war, wieder zu sich kam aus den Untiefen seiner Ohnmacht, waren Donner und Sturm mit zackigen Blitzen schon weit hinunter ins Land gen Einsiedeln gefahren, und nur noch der Regen strömte sein rieselndes Geräusch. Irgendwer hatte ihn an der Schulter gefaßt, als er aufsah, stand die Frau tiefgebeugt zu ihm und sah mit ihren Augen erschrocken in die seinen. Da griff er die Hand mit beiden Händen und legte Augen und Mund hinein und küßte sie, wie sonst ein Heiligtum geküßt wird. Und sie, die außer dem Bereich seiner Seele eine Doktorsfrau zu Schwyz war und ihren Knaben mit dem Knecht starr auf dies Schauspiel blicken sah, zog ihm die Hand nicht fort und stand ihm bei mit ihrer Menschennähe, bis er sie selber ließ und tief aufstöhnend auch das Gewitter seiner Seele in träufelnden Tränen zur Ruhe brachte. Sie standen nachher noch auf dem Gipfel bei dem ragenden Steinkreuz, sahen tiefeingebettete Seegewässer und Berggipfel wie einen Sturzacker liegen: in die Seele des Dichters drang nichts mehr ein, die hatte ihre Gehäuse geschlossen, und was dann mit den andern stundenlang auf schlüpfrig gewordenen Felsspuren hinunter stieg, war ein demütiges Menschentier, das in nassen Kleidern fröstelte wie sie. Nur als sie, immer noch stumm von dem Ereignis, sich unten trennten und der Dichter in einem wehen Gefühl, daß sie ihn mißverstehen könnte, zum Abschied noch einmal ihre Hand bekam und sie fragte, ob er ihr davon schreiben dürfte, was ihm da oben begegnet wäre: sah er sie rot und danach blaß werden und dann mit Hinterhalt lächeln, wie nur eine Frau über einen geheimen Einfall lächeln kann: das dürfe er, nur müsse sie ihm dann auch das Rezept von ihrem Vater, dem Landammann, sagen. * * * * * So kam es, daß der Dichter Friedrich Gottlieb Klopstock in den »Drei Eidgenossen« zu Schwyz einen Brief schrieb, in dem er tiefer an die hilflose Not des Menschenschicksals zu rühren glaubte als in allem, was er früher gedichtet hatte: wie es stets ein Spielball der Elemente sei, außen und innen. Er schrieb einen Abend lang und bei der Kerze noch die halbe Nacht daran; er traute der tönenden Macht erhabener Worte kaum noch und stammelte mehr, als daß er sprach. Als aber die Kerze schon auf Fingerlänge herunter gebrannt war, als immer stärker durch das offene Fenster das mahnende Geräusch ferner Bäche scholl, legte er die Feder weg, weil ihn die Merkwürdigkeit überkam, dies alles gerade der Doktorsfrau in Schwyz zu schreiben. Sogleich wußte er aber auch, warum; und einmal soweit entfesselt, hielt seine Seele nichts mehr zurück, sodaß seine Niederschrift in das Geständnis einer Liebe auslief, deren Leidenschaft in dieser Nachtstunde keine Grenzen kannte. Er siegelte den Brief, der viele Bogen füllte, noch in der Nacht, schlief danach einen tiefen Schlaf, und schickte ihn durch einen Burschen zu ihr hinauf. Als er das versiegelte Bündel Papier zum letztenmal in der Hand hielt, fühlte er, daß etwas Schweres damit geschah; doch war er gewöhnt, tapfer zu seinen Dingen zu stehen und nichts zu verbergen, was einmal soviel Gewalt über ihn gewonnen hatte, weil ihm in der Offenheit rauschender Stunden mehr reine Menschlichkeit zu leben schien, als in der Täglichkeit vorsichtiger Überlegung. Er wußte genau, daß es nur einen Ausweg gab nach diesem Brief, wenn sie ihm nicht das Haus verweisen sollte; so wartete er am Morgen und am Mittag den selbstgewählten Gerichtshof ab und dämpfte seinen Trotz erst, als auch der Nachmittag verging, ohne daß eine Nachricht kam. Umsomehr war er überrascht, als gegen fünf der Knabe heiter wie sonst erschien: Sie sollten mit meiner Mutter noch einen Gang ins Muotatal zur Brücke machen. Auch die Frau, die draußen wartete, war kaum anders als sonst, gab ihm die Hand und fragte, wie ihm die Bergfahrt und die nassen Kleider bekommen wären? Er sah sie unbekümmert lächeln mit allen Zähnen und wußte nicht, ob es Verstellung oder Spott war, und beides verdunkelte ihm ihr Bild, so daß er erst im Gehen Worte fand, ihr für die Einladung zu danken. Sie wehrte den verborgenen Sinn von diesem Dank mit einem Scherzwort ab und blieb auch übermütig, so oft er mit einer Frage an seine Dinge rühren wollte. Dabei kam sie ihm schöner und anmutiger vor als je, wie sie dahin schritt in den Nachmittag, der durch die Entladung der Luft klar und starkfarbig geworden war. Sie gingen durch den Wald von Iberg hinüber, und das moosige Kalkgestein mit seltsamen Höhlen unter Tannenbäumen gab dem Knaben Gelegenheit zu übermütigen Kletterkünsten. Dem Dichter, der sich immer trauriger als Fremder bei ihnen fühlte, und der die Frau -- die ihm gestern auf dem Berg und in dem Aufruhr der Nacht so nahe gewesen war -- in der Wirklichkeit dieser Wanderung sich hoffnungsloser entfernen sah, als es durch irgendeinen Abschied möglich gewesen wäre, wurde schwer und trotzig zumut. Als sie denn endlich durch die steile Schlucht hinab ins Muotatal und an die Holzbrücke gekommen waren, wo er den Knaben nackt und knieend gefunden hatte -- der nun gleich abwärts in die Felsen kletterte und nach dem rauschenden Spalt hinunterspähte, ob er von seinen Kleidern nicht irgend etwas angeschwemmt fände -- so daß sie beide allein unter dem alten Schindeldach der Brücke im Schatten standen und sich von dem sonnigen Gang erholten, vermochte er die Traurigkeit und den Grimm nicht länger zu bemeistern: Ob sie seinen Brief erhalten habe? Erhalten wohl, sagte sie und schwieg still, als sie vor seinen Augen noch lächeln wollte; doch wurde dasselbe Gesicht voll weiblichem Hinterhalt daraus, das sie ihm gestern beim Abschied gelassen hatte, nur daß in die Schelmerei der Ernst gefallen war: Da er nun einmal geschrieben habe, sei sie ihm das Rezept von ihrem Vater schuldig geworden, dessen Urteil als Landammann von Schwyz im Land wie ein Gesetz gegolten habe. Da ihre Mutter früh gestorben und sie als einziges Kind geblieben wäre, hätte sie anders als sonst wohl eine Tochter zu ihrem Vater gestanden. So habe er ihr schon als Mädchen abverlangt, stets alles in einem Brief zu schreiben, was sie ihm nicht ohne Überwindung sagen könne; er wolle ihr daraus nie etwas vorhalten, so böse und unrecht es auch sei, damit sich nicht aus Resten der Verstimmung in ihrem Herzen allmählich Mißtrauen gegen ihn sammele. Sie habe das Rezept durch ihre Mädchen- und Jungfrauenjahre treu befolgt, anfänglich oft, dann seltener; sie sei wohl ungerecht und hitzig, doch immer aufrichtig dabei gewesen, da sie gesehen habe, mit welcher Milde der Vater alle Launen, Klagen und Vorwürfe aufnahm. Bis ihr der Hochzeitstag diese Milde zwar auf eine resolute Art, jedoch die Weisheit des Rezeptes um so unerwarteter offenbart habe. Unter allen Geschenken dieses Tages sei nämlich eins gewesen, das ihr der Vater selber in die Hand gegeben habe: ein Kästchen aus poliertem Birnenholz mit ihrem Namenszug in eingelegter Perlmutterarbeit und einem vergoldeten Schlüsselchen; darin hätten all ihre Briefe in der Reihenfolge gelegen, wie sie geschrieben waren, keiner fehlend, und alle ungeöffnet; da, wie auf einem Zettel von ihres Vaters Hand dabei geschrieben stand, es bei solchem Unkraut wohl wichtig sei, daß es aus dem eigenen Herzen heraus käme, nicht aber, daß es seinen Samen in andere Herzen würfe! Als so die blonde Doktorsfrau aus Schwyz dem Dichter das Rezept von ihrem Vater, dem Landammann, gegeben hatte, holte sie auch seinen Brief heraus, der ein ziemliches Päckchen war: sie habe ihm kein Kästchen aus Birnenholz machen können, wohl aber eine Tasche aus Zürcher Seide, wenn ihm ein Andenken an sie nachdem nicht unlieb wäre. Da riß der Dichter, der in seiner Enttäuschung die Weisheit des Landammanns nicht schmackhaft finden konnte und sich in einem Spiel gespiegelt sah, wo er im Feuer gebrannt hatte, den Brief aus seiner bunten Hülle und wollte ihn durch die blaugrünen Spalten unter ihren Füßen in die tiefe Muota hinunter werfen. Weil aber das Päckchen mit dem unerbrochenen Siegel zu dick war und sich zwängte, mußte er ihm knieend nachhelfen, so daß der Knabe, zufällig von seiner Kletterei in den Schattengang der Brücke tretend, ihn in der gleichen Stellung überraschte, in der er selber vor zwei Tagen gewesen war. Nur, daß der Dichter nicht aufsprang bei seinen Schritten, sondern tief auf die Spalten gebeugt, zornige Tränen tropfen ließ. Doch nahm auch diesmal die Natur mit einem Zufall scherzend den Dichter in die Lehre; denn als der Knabe, die Bewegung mißverstehend, durch die Spalten sah, entdeckte er den Brief tief unten, der im Wind statt ins Wasser auf einen rund gewaschenen Felsblock gefallen und mit seinem roten Siegel als eine merkwürdige Sternblume in der Tiefe aufgeblüht war. Heraufholen konnte ihn von da niemand mehr; und als der Knabe erst wußte, daß er ins Wasser sollte, war es ein rasch ergriffenes Spiel für ihn, mit Stöcken und Steinen dem störrischen Papier den letzten Ruck zur Wasserfahrt zu geben. Es war ein grausameres Spiel, als seine Jugend ahnen konnte, aber der Dichter sprang ihm bei; er war es auch, der dem Brief schließlich mit einem Knüppel in den Strudel half, gerade als ein Landmann mit einer Kiepe aus der Brücke kam und sich an ihrem närrischen Tun verwunderte. Die Frau hatte unterdessen weitab gestanden, wie wenn sie als die Einzige die Grausamkeit von dieser Handlung empfände; nun ging sie wortlos von den beiden den Talweg fort. Der Dichter sah ihr nach, wie sie den Nacken beugte und Schritt für Schritt die schlanken Beine schwer los zu ziehen schien; dann küßte er den Knaben, wie er die Frau nicht küssen konnte, und entließ ihn mit einem letzten Gruß an sie. Denn sie danach zu sehen, vermochte er nicht mehr: sie ging aus dieser Felsschlucht in das sonnige Tal von Schwyz, wo sie im bürgerlichen Kreis ihrer Leute beheimatet war; indessen er mit seiner Seele, durch kein Rezept geschützt, allen Naturgewalten ausgeliefert blieb. Der Brief mit seinem Siegel war längst in hundert Strudeln geweicht und aufgerissen, die Dunkelheit fiel schon in das letzte warme Licht, als er noch immer dasaß und seine Traurigkeit in der blaugrünen Tiefe suchen ließ. Er sah den Grund der Vergessenheit, auf dem doch einmal alles endigte, was Großes und Erhabenes gelebt und gedichtet wurde. Der Weg für seinen Brief war kürzer und resolut gewesen. Und da erst war der Dichter weit genug, aus dem Rezept des Landammanns für sich doch eine Weisheit heraus zu finden: So oder so, wenn alles, was er schrieb, in den Birnenholzkasten wandern oder mit dem Strom der Zeit abtreiben mußte, seiner Seele blieb doch ihr ungeschmälertes Teil, daß sie in Rausch und Glück und Qualen die Elemente sich untertänig machen konnte. Wie ein Brennglas die Strahlen in sich band, so zwang sein Geist in Klang und Ordnung, was für die Sinne Schrecken und Sinnlosigkeit gewesen war. Sein Dichterwort war das Siegel, das der Menschengeist der Welt aufdrücken konnte zum Zeichen einer Herrschaft, die den Naturgewalten trotz Sturm und Donner unnahbar war. Als in der Nacht aus den »Drei Eidgenossen« zu Schwyz der Fremdling einsam abwanderte, der in Hemdärmeln mit dem Sohn der Doktorsfrau so landsmännisch zu ihm gekommen war, da schüttelte der Wirt den Kopf, um wieviel merkwürdiger doch solche Gäste wären als alles, was in Schwyz und sonst redlich sein Tagwerk täte. Begegnung mit Hebbel Von _Wilhelm von Scholz_ Ein stiller alter Maler aus der Zeit Schwinds, ein kluger, feiner Greis, dessen ganze lebensvolle, kunsterfüllte Welt aus dem Getriebe des Tages verschwunden und in eine ruhige, abseits gelegene Wohnung zurückgeglitten war, wo nur noch der befreundete Gast in sie eintrat, an Möbeln, Bildern und Menschen eine längst zum Stillstehn gekommene Zeit freundlich, wie in Dämmerung dauern sah -- dieser liebenswürdige alte Mann, zu dessen gelegentlichen Gästen auch ich gehörte, und bei dem ich viel Vergangenheit kennen und begreifen lernte, hat mir von einer persönlichen Begegnung mit Hebbel erzählt; mir den großen Mann geschildert, der in München seinen Freund Dingelstedt besuchte oder damals zur Aufführung seiner »Agnes Bernauer« gekommen war. Wir hatten erst beiläufig von Hebbel gesprochen. Der Alte hatte des hübschen, wenig bekannten Momentes gedacht, wie Hebbel bei irgendeinem Spaziergang in Wien auf dem anderen Fußsteig Grillparzer gehen sieht und mit leiser Ergriffenheit zu seinem Begleiter sagt: »Ein Unsterblicher!« Mir fiel auf, daß wir beide in anderem Tone von dem Dichter sprachen. Kühler, kritischer klangen die Worte des alten Mannes, der Hebbels jüngerer Zeitgenosse gewesen war und ihn immer als Zeitgenossen sah, das heißt: als irrenden, fehlenden Mitmenschen; während er mir nur mit seinem Wesentlichen, Zeitlosen vor Augen stand. Dann kam der alte Mann auf die Begegnung selbst. Ganz unerwartet war der große Dichter plötzlich in seine Stube getreten. Er liebte es, auf Reisen und in fremden Städten auch Menschen aufzusuchen, zu denen ihn kein praktischer Zweck führte, mit denen ihn manchmal nichts als der Zufall flüchtigen Kennenlernens verband. Dann kam er unvermittelt, unvermutet. Der andere trat für eine Stunde in den Kräftekreis des Hebbelschen Geistes. Die Beziehung erlosch so rasch wieder, wie sie angeknüpft worden war; und in der Seele des Dichters blieb vielleicht nur ein Wort, eine Gebärde, ein Gesichtsausdruck oder der Umriß eines Menschen zurück -- Eindrücke, die ihm, dann schon ohne Namen, wiederkommen mochten, wenn aus seinem Innern Gestalten und Charaktere herausdrängten. »Ich war erfreut und erstaunt,« sagte der Alte, »als ich im Dunkel des Flurs die große Gestalt des Dichters mit der mächtigen Stirne erkannte und mag sehr verlegen gewesen sein. Meine Verlegenheit schwand aber bald, als er ein paar Worte gesprochen hatte. Während er in dem Künstlerkreise, in dem ich ihn kennen gelernt hatte, sich unnahbar verschlossen und hoheitsvoll-abseitig gezeigt hatte, war er jetzt harmlos-natürlich, ja fast ein wenig unbeholfen im Gespräch, schwieg mehrmals lächelnd und sah sich dann in meinem Zimmer um. Er betrachtete alles, was an Bildern und Zeichnungen von mir herumhing, genau und schien bei mancher gezeichneten kleinen Szene in schaffendes Sinnen zu versinken. Ich glaube, daß er gar nicht darauf achtete, wie sie gezeichnet waren, daß er nur irgendeinen dichterischen Sinn aus ihnen herauslas. Im Basler Museum hängt ein allegorisches Figurenbild von mir: ›Der Dreißigjährige Krieg‹, das hatte ich damals auf der Staffelei stehen. Es beschäftigte ihn am längsten. Im Vordergrund -- unterhalb der Fürsten-, Staatsmänner- und Heerführer-Gruppen, am Fuße der Stufen, die die Gestaltenversammlung tragen, sitzen zwei symbolische Wesen: die Pest und der Tod; und zwischen ihnen liegt ein schlummerndes Kind, die neue unschuldige Zukunft nach der Zeit der Greuel. Hebbel, dessen zärtliches Familiengefühl ja bekannt ist, sah immer auf das Kind zwischen den Unholden. Mir war, als träte eine Träne in sein Auge; mochte ihm seine Kindheit und Jugend vor Augen stehen, mochte er an seine, von ihm sehr geliebte kleine Tochter denken. Endlich sagte er: ›Hier haben Sie das tragische Gesetz der Welt dargestellt. Das schuldlose, schlummernde Kind wird groß. Es wächst hinein zwischen die längst schuldigen Älteren, es wird im Umgange mit ihnen ebenso schuldig, es vergißt selbst den Schlummer seiner reinen, göttlichen Herkunft. Es steigt auf zwischen die Greuel, die Sie da gemalt haben, zwischen Pest und Tod, und in den Kreis verschlagener, heimtückischer, unredlicher Machtmenschen, die hier vor den rauchenden Trümmern stehen. Ihr Bild ergreift mich deshalb so, weil es, damit diese Tragödie zustandekommt, nicht erst eines dreißigjährigen Krieges bedarf.‹ Dann wurde sein Blick abwesend, und es schien, als nähme er nun von dem kurzen Besuch so viel mit, daß er ihm nicht ganz unlohnend scheinen mochte. Er schrieb sich etwas auf und fragte mich dann, wo wir uns durch Dingelstedt kennen gelernt hatten.« Viele Jahrzehnte lag diese Begegnung zurück. Aber der Alte erzählte mit dem Ton und der Gebärde der Nähe, so, als ob sie gestern gewesen sein konnte. Und das war sie für ihn auch. Es gibt eine Stufe hohen Alters, wo alles Gewesene fast gleichzeitig wird, wo dem Greise fast ununterscheidbar belanglos ist, wie weit etwas zurückliegt. Dieser Schauer des Gewesenseins, der von dem alten Manne kam, ließ mich einen Moment wie Halt suchend mich zurücklehnen und die Augen schließen. Da sprach er noch von dem Ende des kurzen Besuches, das ihm großen Eindruck gemacht hatte, und in dem Hebbels gelegentliches Berserkertum hervortrat -- wenn nicht, was der Erzähler offen ließ, Hebbel von seinem Freunde Dingelstedt eine gewisse ironische Art angenommen haben mochte, mit der er jüngere Bewunderer zum besten hatte, indem er seine bekannten Eigentümlichkeiten übertrieb. Hebbel sprach davon, wie sein Töchterchen sich an einer Stuhlkante eine Brausche geschlagen hatte, und fuhr dann, aufspringend, fort: »Sie begreifen doch, daß ich den Stuhl ergriff und in tausend Stücke zertrümmerte?!« Der Erzähler, der mir schon vorher eindrücklich und nachahmend die Gestalt und Gehabensart Hebbels geschildert hatte, nahm bei diesen Worten, wie ein Schauspieler, eine ihm fremde, herrische, zornige Haltung und einen großen, gebieterischen Gesichtsausdruck an. Seine Blicke funkelten. Ganz lebendig, das fühlte ich, stand das Erinnerungsbild vor ihm, ja um ihn. Sein Auge, das in eine dämmerige Ecke des Zimmers, wie in die um vier oder fünf Jahrzehnte zurückliegende Zeit sah, riß die Vergangenheit heran. Als unser Gespräch wieder ruhig und halblaut dahinfloß, und mein nicht mehr gebannter Blick rings über die Möbel, die alten Zierstücke, Kränze und Becher, die goldgerahmten Aquarelle ritterlicher Szenen, dieses stille Zeitinnere aus den vierziger und fünfziger Jahren hinglitt, hatte ich plötzlich das bestimmte Gefühl, als sei ich eben für eine einzige Sekunde Hebbel begegnet. Das Erinnerungsbild Hebbels in der Seele des alten Künstlers, das im Zimmer neben mir gestanden hatte, hatte sich mir blitzschnell mit Abbildungen, die ich kannte, und mit der Gedankengestalt des Mannes verbunden und war nun so stark geworden, daß ich es jetzt, wo es aus dem Zimmer geschwunden war, nicht anders vor mir sah, als wie einen eben hinausgegangenen wirklichen Menschen. Gottfried Keller und der freche Student Von _Karl Henckell_ Gottfried Keller, berühmter Dichter und Alt-Staatsschreiber von Zürich, saß wie allabendlich gewohnt im geräumigen »Pfauen«, nahe seinem schwesterlich betreuten Junggesellenheim am Hottinger Zeltweg, und trank mit beschaulichem Behagen ganz langsam sein wohlverdientes Schöppli Roten, unauffällig angesehen, als ein echt bürgerlich schweizerischer Hafis und Homeros inmitten seiner frohmütig-grillig gemischten Seldwyler. Sein großes Sinnier- und Fabulierhaupt mit der stark ausladenden Stirn nur wenig vorgeneigt, in der linken Hand die brennende Zigarre, die rechte leicht zur Faust geballt auf den stämmig breitwinkligen Oberschenkel gestützt, lugte der untersetzte Mann unter der Brille durch mit bedächtigem Ernst vor sich nieder und schwieg anhaltend bedeutsam in seinen aschgrauen Vollbart hinein. Mit energisch zurückgelehntem Oberkörper überragte ihn gegenüber am selben Tisch in strammer Haltung sein hochansehnlicher Basler Landsmann und sozusagen Dichterkollege von der malenden Fakultät -- seiner eigenen Jugendliebe -- _Arnold Böcklin_. Dessen vorwuchtende Augenknochen und bismarckisch pupillenfester Blick, die kurz auftrotzende Haarwelle vorn und der fast verächtlich hochgestrichene Schnurrbart zeugten, wiewohl heute zur ausgeglichenen Überlegenheit gemildert, von rauhem Künstlerkampf und Schicksalsgang stürmisch heldenhafter Jahrzehnte. Böcklin schaute klar und gerade vor sich aus, wie auf ein fernes Ziel innenäugiger Vorstellung zu, nicht getrübt durch weltfremde Schwärmerei, nur durch seelische Sammlung weltunbeirrt, schaute, schaute und schwieg, des heimlichen Sichverstehens mit dem bewährten Freunde und Trinkgenossen sicher, in den allmählich immer dunstiger werdenden gefüllten Wirtshaussaal hinein. Da platzte plötzlich vom Nebentisch, dem Keller seinen episch breiten Rücken zukehrte, eine dramatische Lärmbombe prasselnd in die Luft: »Laßt mich gefälligst mit diesem hochtrabend langweiligen _Schiller_ in Ruh!« zeterte mit greller Stimme ein geschniegeltes junges Herrchen und, wie sich nachher herausstellte, frischgebackenes Studentlein beider Rechte, dessen Stirn freilich mehr auf kantige Sinnesenge als auf kantische Geistesweite schließen ließ, während der ausgiebige Mund sein Werk geräuschvoll verrichtete und vor allem eine unsagbar abschätzige Mundfalte dem aufgeblähten Gesicht den Stempel hemmungsloser Arroganz aufprägte. »Das war doch der größte rhetorische Phrasenheld, der sich denken läßt, ein moraltriefender theatralischer Fanfarenbläser, nichts weiter, ein bombastischer Stelzengänger und Marquis Posa mühselig hochgepumpter Redensarten, ein selbstberauschter Wolkenkuckucksheimer, der mit seinem aufgedonnerten Jambenschwulst und seiner pathetischen Sentimentalität, mit seinem windigen kosmopolitischen Humanitätsdusel den kraftvoll und zielbewußt realistischen Sinn der deutschen Jugend auf mindestens ein Jahrhundert verpfuscht und verdorben hat ... Ich habe gerade heute zum schwarzen Kaffee eine wirklich erstklassige, epochemachende Broschüre darüber gelesen, einfach katastrophal vernichtend für euren Idealgötzen, vom konsequent naturalistischen Standpunkt aus ...« es zischte, spritzte und sprudelte dem pausbäckigen Bürschlein nur so heraus, daß seine Kameraden im Wortgeplänkel ihm gänzlich den Lauf lassen mußten und sich betreten ob der lauten Generalverdonnerung des karikierten Genius am Kragen zupften, wobei sie rings verlegene Blicke umherirren ließen. Meister Gottfried, der während des frech-gewaltigen Geredes sich nur einmal, allerdings ziemlich verdächtig, nach dem Sprecher umgedreht hatte, tat noch einen letzten Zug, brummte zu Böcklin: »Sei so gut!« und legte den Zigarrenrest auf den näher geschobenen Aschenbecher behutsam ab. Auf einmal schoß ihm eine Blutwelle zu Kopf, rot wie der Seewein, die Zornesader schwoll: »So'n Scheißjunge, chaibe!« Er zerknüllte mit der Rechten sein Taschentuch und steckte es heftig in die hintere Rocktasche. Böcklin murmelte gelassen bremsend, leichthin: »Laß den Bengel!« Doch schon war der »gesatzliche« annähernde Siebziger wie ein Jüngling emporgeschnellt, rückte auf seinen kurzen Beinen mit dräuendem Schicksalstempo wutbebend auf den Nebentisch los und versetzte mit dem lakonischen Begleitspruch: »_Ehrfurcht, Mosjöh!_« dem rosig winkenden Bäcklein des Schillerzerschmetterers einen saftigen Streich von klatschender, klassisch-naturalistischer Wahrheit und Lebensgewalt. Schleunig und scheu, selbst ohne zu zahlen, wie ein schmählich gezüchtigter armer Sünder und unfreiwilliger Zechpreller, drückte sich der zukünftige Anwalt der Gerechtigkeit lautlos seitwärts zur Nebentüre hinaus. Gottfried Keller aber, ohne sich irgend umzusehen, kehrte von seinem handgreiflichen dichterpädagogischen Streifzuge zu seinem Tische zurück und pflanzte sich mit idyllischer Gemächlichkeit auf seinen warmen Platz, wo schon ein neues Schöpplein des wieder völlig beruhigten trinkfesten Altmeisters herzenskundiger und weltweiser Erzählungskunst harrte. Böcklin nickte bloß bestätigend: »Gut so!«, die Hottinger Seßhaften steckten, den jüngsten »Streich« ihres eigenlaunigen Ehrenbürgers einen Augenblick neugierig beschwatzend, die Köpfe enger zusammen, und ein »hierorts« unbekannter, gründeutscher Dichterstudent lachte in der Ecke verständnisvoll beifällig in sich hinein, wozu er ein Glas bräunlich mißfarbenen, aber prickelnd süßen »Sausers im Stadium« stillvergnügt hinunterschlürfte. Klaus Groth Von _Carl Bulcke_ In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre war ich Student in Kiel. Klaus Groth wohnte in seinem schönen Gartengrundstück am Niemannsweg, war nahe den Siebzigern, groß, hager, ehrwürdig und einsam -- er sah übrigens genau so aus, wie ihn Hans Olde gemalt hat: der helläugige Blick grüblerisch und langsam. Wir Studenten verehrten ihn sehr. Diese Verehrung war indessen nicht ganz ohne Einschränkung: denn er galt für eitel. Die Kieler Universität hatte, wohl nur um ihn und sich zu ehren, ihn in ihren Lehrkörper aufgenommen und zum Professor ernannt. Demzufolge war seit Jahr und Tag an dem Schwarzen Brett in der Vorhalle der Universität regelmäßig auch eine Vorlesung von Klaus Groth angekündigt. Das Thema lautete Jahr für Jahr: »Lessing und seine Zeit«. Und dazu stand: »Persönliche Anmeldung von 2--3 nachmittags.« Um es gleich zu sagen: diese Vorlesung hat Klaus Groth nie gehalten. Geschah es, und es geschah oft, und es geschah auch mir, daß nachmittags zwischen zwei und drei ein Student sich zu ihm verirrte, so empfing ihn der Professor mit Wohlwollen unten in seiner »Kajüte« -- so nannte er sein Arbeitszimmer, das nach alter holsteinischer Sitte troglodytenmäßig im Keller des Hauses lag -- und erklärte, daß er diesmal leider die Vorlesung ausfallen lassen müsse, da sich außer dem Besucher niemand gemeldet habe. Es waren noch schöne alte Zeiten. Also wollten wir eines Tages den Professor auf die Probe stellen und erschienen nachmittags zwischen zwei und drei gleichzeitig zwölf Mann hoch: So und so, und wir wollten alle die Vorlesung über »Lessing und seine Zeit« belegen. Einer war der Sprecher, wir andern hielten uns im Hintergrund. Klaus Groth stand prachtvoll groß mit gesenktem Kopf vor uns, die hellen holsteinischen Augen grüblerisch geradeaus, und sagte mit Humor: »Ein Komplott, meine Herren. Sein Sie ehrlich und gestehen Sie, daß Lessing und seine Zeit Ihnen ganz egal ist, dann will auch ich ehrlich sein und Ihnen gestehen, daß auch mir Lessing und seine Zeit ganz egal ist. Sie wollen ja auch gar nicht, meine Herren, den alten Professor hören, Sie wollen sich ja bloß den alten Dichter ansehn. Na, und wenn ich nun jedem von Ihnen die Hand gebe und Sie später Ihren Kindern erzählen können, der alte Klaus Groth hat mir die Hand gegeben, so lassen Sie's damit genug sein.« Sprach's, gab richtig jedem von uns die Hand, und gleich standen wir wieder vor der Tür. Geschichte Aus einem alten Kriege Von _Wilhelm von Scholz_ Ho-Hang-Fen, ein chinesischer Schriftsteller aus der Zeit der dritten Dynastie, berichtet von einem sagenhaften Vorgang aus der Urgeschichte seines Reiches das folgende: Zwei Volksstämme, die beide ihren Wohnsitz in der Küstengegend des Landes hatten und sich vom Fischfang, vielleicht auch schon vom Seeraub, nährten, gerieten miteinander in Streit. Sie hatten schon jahrelang eifersüchtig jeder die Fischzüge des anderen beobachtet, hatten einander oft Überschreitung der in Vorzeiten von ihren Vätern durch Verträge festgesetzten Meergebiete vorgeworfen, zerstörten sich gegenseitig oft heimlich des Nachts ihre Stellnetze und behaupteten schließlich jeder vom anderen, er »stehle ihm das Meer«. Darüber war es erst zu kleinen Händeln zwischen einzelnen gekommen. Die Ältesten beider Stämme -- die ihrem Lebensalter nach schon »jenseits des Fischfangs« standen und das Dasein als ein unaufhaltsames Vorüberfließen erkannten, in welchem der Fischfang wohl wichtig, aber nicht das Allerwichtigste sei -- die Ältesten hatten es öfters noch vermocht, die Händel mit guten Worten zu schlichten. Aber sie konnten es nicht verhindern, daß sich unter den jüngeren Männern beider Stämme mehr und mehr die Überzeugung festsetzte, die Frage müsse einmal durch einen Waffengang entschieden werden. Gedanken reifen allmählich die Tat. Es bedarf dazu nicht einmal des eigentlichen Willens. Gedanken haben eine gefährliche Fähigkeit, Ereignis zu werden, rein in sich. Sie führen eine unwirkliche Existenz hart an der Wirklichkeit hin und sehnen sich aus dem Hungerdasein im Geiste fort, möchten sich mit Leben nähren. Hundert Jahre hatte der Gedanke und die Vorstellung dieses Krieges unsichtbar in den beiden Völkern gelebt, ohne daß sich in der schwer und langsam fließenden Wirklichkeit eine Raumleere fand, wo er einschießen und Ereignis werden konnte. Aber die Vorstellung nutzte diese hundert Jahre wohl, um sich immer mehr zu befestigen, auszubreiten und ins einzelne zu entwickeln. Sie knüpfte da und dort mit den Begebenheiten Verbindungen und Beziehungen an, sie wurde in den Seelen ein unverrückbarer Glaubenssatz. Dann hatte eine in der Nähe der Küste hinziehende, ihre Bahn plötzlich ändernde Meeresströmung einmal die in einer seichteren Bucht ausgestellten Netze des einen Volksstammes fortgeführt in die Meeresweite hinaus. Die geschädigten Fischer hatten Fischer des feindlichen Nachbarortes beschuldigt, da sie die gewaltige und übermenschliche Ursache des Vorganges nicht begreifen und einsehen konnten. Es kam zu ernsten Streitigkeiten der einzelnen, denen auf beiden Seiten ihre Stammesgenossen zu Hilfe eilten. Jetzt besannen sich alle Köpfe in den beiden Ländern auf den alten Gedanken einer Waffenentscheidung zwischen den Stämmen, wie auf eine Prophezeiung oder eine vorhergesagte Notwendigkeit. Und die alte Vorstellung hatte plötzlich die Gewalt eines Schicksalsbefehls, dem sich niemand entziehen konnte. Auch in dem Verstande derer, die jetzt die Ältesten waren, und die in gealterter Weisheit und dem ruhigen müderen Gange ihres Blutes über den Kriegsgedanken oft gelächelt hätten, herrschte er auf einmal. So wurde der Krieg Ereignis, wütete auf den unfruchtbaren Dünenfeldern, durch welche die Grenze beider Stammlande ging. Er wütete lange unentschieden hin und her, da beide Stämme nicht nur fast gleich stark waren, sondern in der langen Herrschaft des Gedankens an diesen Kampf auch sehr kriegerisch geworden waren. Auch Reichtum und Fülle war bei ihnen eingekehrt, so daß sie immer neue Hilfsquellen und Kräfte zur Verlängerung des Waffenganges in sich entdeckten. Der Krieg hatte schon manchen Mondumlauf gewährt, Tausende junger Männer waren auf beiden Seiten in das windüberwehte Dünengras gesunken, und noch immer zeigte sich keine Entscheidung, keine Aussicht auf Wiederherstellung des Friedens. Da geschah eines Tages das Wunderbare, das die beiden Stämme in weniger als einer Stunde zu Verbündeten machte. Ein dritter Gegner erschien auf der Walstatt: das Meer. Während eine Küstenschlacht tobte, verfinsterte sich Himmel, Meer und Erde mit schwerem, wuchtendem Gewölk. Unheimlich schossen in der wie durch Zauber eingebrochenen Nacht die Scharen der weißen Sturmvögel unter den Wolken umher wie aufgeflogene Schaummähnen der höher und höher anschwellenden und sich überschlagenden Wellenrosse, so daß mancher der Kämpfer auf Augenblicke das Gesicht von seinem Gegner weg und dem Meere zuwendete, zu dem er im Frieden täglich hinaussah, dessen Laune ihm Arbeit und Feierzeit bestimmte, aus dessen Tiefen sein Dasein floß. Ein ungeheures Donnern, Rollen, Dröhnen wanderte in den Wassergründen und jetzt auch unter dem flachen Lande hin; so, als rannten die Meergottheiten der Tiefe in ihrer purpurnen Nacht mit riesigen erzenen Balken gegen die unterseeischen Gestadefelsen. Dann erhob sich landeinwärts wehender, fliegender, jagender, mit ungeheurer, unentrinnbarer Kraft drängender und drückender Sturm. Das Meer schäumte nicht nur in weißen Kämmen auf, es schien weithin eine einzige weiße Schaummasse. Unübersehbare Wogen- und Wellenscharen rannten, stürzten, brachen heran. Sie stießen wie bei der beginnenden Flut, wenn die Ebbe vorüber ist, nach jedem Zurückrollen weiter ins Land vor; aber viel drohender, wuchtiger, schneller als bei der gewöhnlichen regelmäßigen Flut, so daß es oft schien, als stieße die vorgerollte Welle gar nicht wieder zurück, sondern bleibe im Lande stehen, bis die nächste kam, sie mit flachem Hinzischen weit zu überholen und höher ins Land mitzunehmen. Aber das war noch nicht das Furchtbare. Das stand draußen in der Nacht von Wolken und Wasser als ein immer mehr aufsteigender und durch sein unaufhaltsames, fußloses Herankommen bis zu seiner grausig-wirklichen Greifgröße anwachsender Flutberg, der bald mit seiner Schattenschwärze die schwarze Wolkendecke zu streifen, dann schon die niederhängenden Gewölkfetzen abzureißen und in seinen Wogengang einzuschlingen schien. Wenn man noch vor Stunden die Kämpfenden hüben oder drüben gefragt hätte, wann wohl der Friede kommen würde, so hätten sie die Achseln gezuckt und gesagt: Das weiß noch niemand. Jetzt aber kam der Friede. Schon daraus, daß sich mehr und mehr Augen der Kämpfenden vom Gegner fort und hinaus in die ungeheure Meerwetternacht wandten, war das Tosen und Gebrüll des Kampfes schwächer geworden, verebbt, fast verstummt. Die nicht mehr vom Auge geführten Schwerter und Äxte schlugen noch wenige Momente; aber sie schlugen ins Leere und trafen keine Gegnerwaffe, keinen Schild mehr. Dann sanken sie -- als hätte sich ihr Gewicht um den allgemeinen Schrecken vermehrt und sei nun zu schwer für die Muskeln, die sie eben noch schwangen -- da, dort, an vielen Stellen in schlaffen Armen herab. Das unterirdische Rollen dröhnte aus dem erbebenden Erdboden in die unheimliche plötzliche Waffenstille. In Gruppen erstarrt standen die Kämpferscharen. Und dann kam irgendwoher der Ruf: »Die Flut!« Ohr nahm ihn auf und Auge. Und jeder Mund gab ihn weiter, mehrte seinen grausigen Schall. Er klang von allen Seiten, erst einzeln, dann zusammen wie ein Gebrüll des Entsetzens. Wie eine einzige Volksstimme; denn das Wort »Flut« war in den Sprachen der beiden Nachbarstämme noch dasselbe und unterschied sich nur wenig in der Aussprache. Die Scharen, die dem Meer am nächsten waren, wandten sich zur Flucht und stürmten, wie Tiere des Urwaldes vor einem Waldbrande, in wirrem Durcheinander davon, den höheren Dünenwällen zu. Was war jetzt Freund und Feind? Hier riß ein Mann den neben ihm stürzenden Feind hilfreich wieder hoch, ja einer schleppte gar einen verwundeten Gegner eine Strecke weit mit sich; dort stieß ein anderer seinen Stammesgenossen zu Boden, weil er ihm den Lauf behinderte. Und immer wieder, wenn die Fliehenden auf noch erstarrte, weiter zurückstehende Scharen stießen, schäumte wie eine gräßliche Brandung von Schall der Ruf auf: »Die Flut!« Als die zurückfliehende, durcheinandergeworfene Menge von Freund und Feind an dem hohen Dünenwall ankam, bewirkte das schwerere, mühsamere Klettern, das manche Leute auch zu minutenlangem Stehenbleiben und Atemholen zwang, einige Besinnung. Und die die Flucht anhaltenden Rufe der schon vereint beieinanderstehenden Führer beider Völker fanden Gehör. Man rief und gab es weiter: »Jede Lücke des Dünenwalls verstopfen!« Die Panzer wurden abgeschnallt und weggeworfen, die Schwerter wie die Schilde wurden zu ungefügen Schaufeln, die Äxte schlugen das niedere Dünengesträuch ab, damit es in die in rasender Eile aufgeschütteten Sandmassen zur Befestigung eingebaut würde. Durch die fieberhafte Arbeit ging plötzlich ein Erlahmen und Anhalten. Der Flutberg hatte den weißen Strand erreicht, der in dem Wetterdunkel ganz fahl dalag, und stürzte seine Wassermassen aus schwindelnder Höhe donnernd herab auf den Sand, auf die Toten und Verwundeten, die weggeschleuderten Waffen und Beutestücke. Aber trotz der abstürzenden schäumenden Wasser, die von seinem Kamm herunterbrachen, schien er nicht im mindesten kleiner zu werden, wie er jetzt auf den Dünenwall zuwanderte. Schon begann da und dort wieder die wilde Flucht weiter ins Land hinein. Scharen anderer standen stumm, fassungslos, todergeben, ohne sich zu regen, und starrten der hereinbrechenden Übergewalt entgegen. Mit einem furchtbaren Anprall rannte der Flutberg gegen die Düne. Als er ihr auf hundert Schritte nahegekommen war, hatten die Leute erkannt, daß er wohl doppelt so hoch war wie die Sandmauer, deren Lücken zudem erst in ganz geringer Höhe verstopft und zugeschüttet waren. Da ließen auch die letzten, die dumpf vor sich niederblickend noch immer geschaufelt und gebaut hatten, die Hände sinken. Das Niederschütten der oberen Wassermenge über die Düne ins Land, das wie das Einschmettern von Millionen von Scherben klang, war das letzte, was ihre schon vom hereinrauschenden Wasserdruck betäubten Ohren hörten ... Von den beiden Völkern überlebten nur kleine, weit im Hinterlande wohnende Teile die Wasserkatastrophe. Sie hatten schon vorher etwas Ackerbau und Viehzucht getrieben und wurden nun ganz friedliche Ackerbauer. Die Küstenstriche, in welchen der eigentliche Sitz beider Volksstämme gewesen war, riß das Meer, das sie einander gestohlen haben sollten, und das mit seiner unachtsamen, die Netze entführenden Strömung den Krieg entfacht hatte, zerstört und verschwemmt in sich zurück, nachdem es furchtbaren Frieden gestiftet. Heute ist dort die weite, tiefe Bucht von Hang-Tschu. Rastrelli Eine Anekdote aus Mitau Von _Herbert Eulenberg_ Der italienische Graf Rastrelli, der einzige große russische Architekt, wie der boshafte Diderot bemerkt hat, ist auch der Erbauer des riesigen Schlosses zu Mitau gewesen, das Herzog Ernst Johann Biron auf der Stelle der alten Ordensritterburg errichten ließ. Ernst Johann hatte, da er noch seinen guten alten westfälischen Adelsnamen von Bühren führte, statt des parfümierten französischen Biron, den er sich erst als anerkannter Günstling der Zarin Anna zulegte, den Grafen Rastrelli auf einer seiner vielen Reisen kennen gelernt. Die beiden verstanden sich ausgezeichnet. Sie förderten einander wie zwei Brüder, die sich vertragen. In Mitau wie in Petersburg, wo Rastrelli, von Biron an die große Katharina empfohlen, die gewaltigsten weltlichen Bauten Rußlands, den Winterpalast und die kaiserlichen Schlösser von Zarskoje Sselo, entwarf. Das einzige, was sie zuweilen auseinander brachte, waren die zahlreichen Liebesabenteuer, in die sich beide mit einer bewundernswerten Unermüdlichkeit zu stürzen pflegten. Die Eifersucht plagte sie, wenn sie sich, was ihnen nicht selten zustieß, beide zu gleicher Zeit um die Gunst einer Schönen bewarben, ganz besonders. Wie zwei Rennpferde mühten sie sich dann, innerlich wütend aufeinander, ab, bis einer von ihnen zu seinem Triumph glücklich durchs Ziel gekommen war. So wetteiferten sie einstmals um die Zuneigung einer reizenden jungen kurländischen Baronesse, deren Namen heute, wo derartiges natürlich nicht mehr vorkommt, verschwiegen werden darf. Eines Abends erschien der Graf Rastrelli, der sich über der Besichtigung seines Schloßbaues in der Zeit verguckt hatte, später als sonst vor der zarten Schönen, bei der der Herzog Biron indessen schon sein ganzes Süßholz abgeladen hatte. Rastrelli hatte in der Eile, mit der er zu der lieblichen Baronesse gestürzt war, seinen Anzug nicht beachtet, so daß er hinten auf dem Rücken seines blauen Rockes noch Spuren von dem weißen Mörtel trug, an den er beim Besteigen der Baugerüste mehrfach gestreift hatte. Die junge Baronesse meinte nicht anders, als daß er sich zu stark gepudert hätte, und versuchte lächelnd mit ihrem Fächer den Staub von seinen Schultern zu wehen. Herzog Biron aber, der die wahre Beschaffenheit der weißen Flecken sofort erkannte, bewitzelte die vergeblichen Versuche der Baronesse, sie zu entfernen, indem er boshaft bemerkte: »Bemühen Sie sich nicht, mein süßes Kind! Der Herr Graf trägt das Kennzeichen seines Berufes allzu deutlich mit sich.« Rastrelli, der für diesesmal vollkommen bei der kleinen Baronesse ausgestochen war, ärgerte sich gründlich über die Geringschätzung, die ihm und seiner Kunst damit widerfuhr, und beschloß, sich zu rächen. Er erkundigte sich am nächsten Abend genau im Marstall des Herzogs, wann dieser vom Reiten, dem er mit größter Leidenschaft morgens und nachmittags oblag, zurückkäme. Dann machte er sich eine Weile bei den Gäulen zu schaffen und hob unbemerkt einen jener runden Gegenstände vom Boden auf, welche die Pferde ihrer Natur folgend zu verstreuen pflegen, und mit denen sich sonst nur die Stalldiensttuenden befassen. Im Vorzimmer der zarten Baronesse wartete er hierauf, bis Herzog Biron kam, und schmuggelte, da er sich nach der Art sehr vieler Italiener ein wenig auf Taschenspielerkunststückchen verstand, den besagten runden Gegenstand, indes Biron seinen Mantel ablegte, verstohlen in dessen braunseidenen Rock hinein. Vor der niedlichen Baronesse, zu der sie beide nun hineintraten, zeigte sich Rastrelli an diesem Abend von der besten Seite. Er glänzte wie ein feingeschliffener Diamant und wußte der Baronesse die geistreichsten Artigkeiten um ihren blonden Kopf zu schleudern. Herzog Biron, der sich ins Hintertreffen kommen sah, suchte schnell seinen vom langen Reiten etwas müden Kopf etwas aufzufrischen. Indem er nun hastig in die Tasche griff, eine Prise zu nehmen, was man damals für eine stets wirksame Anreizung der Gehirntätigkeit hielt, schlenkerte er gleichzeitig mit der Dose den besagten runden Gegenstand aus dem Pferdestall hervor. Und zwar zu seinem Unglück noch gerade auf den Schoß der jungen Schönen. Die zarte Baronesse wußte vor Entsetzen und schrecklichster Verlegenheit nichts anderes zu tun, wie ihr wohlriechendes Spitzentüchlein vor ihre Nase zu halten. Rastrelli aber, der die vergeblichen Versuche der Baronesse, die Lage zu verbessern, belächeln mußte, beugte sich zu ihr, indem er scherzhaft bemerkte: »Bemühen Sie sich nicht, mein süßes Kind! Der Herzog trägt das Kennzeichen seines Berufes allzu deutlich mit sich.« Hiermit entfernte er so zierlich wie möglich den anstößigen Gegenstand aus ihrem Schoße. Man will wissen, daß sich das Herzchen der lieblichen Baronesse von diesem Augenblick für ihn entschied. Der Schutzengel des Königs Von _Benno Rüttenauer_ Als im Jahre 1789 am vierzehnten Juli zu Paris das unglaublichste Wunder geschah und die ungeheuren Mauern und Türme der Bastille dem anstürmenden Volkshaufen zum Opfer fielen, beherbergte diese symbolische Zwingburg des königlichen Absolutismus kaum noch ein halbes Dutzend Gefangene (darunter den Grafen Delorges, dessen Kerkerhaft gerade vierzig Jahre gedauert hatte); denn wie das Königstum erst, nachdem es schwach und wankend geworden, gestürzt werden konnte, so fiel auch die Bastille zu einer Zeit, da sie schon lange her kaum noch benutzt wurde. Und wie einige Wochen darauf, am Geburtstag der vielbeschrienen Menschenrechte, die hohe Aristokratie die besten Köpfe einer Bewegung zur Verfügung stellte, in deren Verlauf unzählige Aristokratenköpfe, gute und schlechte, mit grauenhafter Hast abgeschnitten wurden, so hat an diesem vierzehnten Juli das gemeine Volk, ohne viel zu denken, seinen Arm der verhaßten Sache des Adels geliehen; denn in die Bastille eingekerkert zu werden, gehörte ja eben zu den Privilegien der Aristokratie, die des Geistes mit eingerechnet. Der gemeine Mann verirrte sich in dieses Gefängnis der Mächtigen und Bevorzugten nur selten, nur in ganz außerordentlichen Fällen, wie etwa der einer war, wovon diese kleine Geschichte zu berichten hat. Kaum ein halbes Dutzend Gefangene, wie gesagt, fanden die jubelnden Erstürmer in den dreimal vermauerten Gelassen der erschrecklichen Türme. Sie begnügten sich damit, die furchtbaren Riegel und Schlösser zu erbrechen; im übrigen hatte niemand Zeit und Muße, sich um die Befreiten weiter zu kümmern. Ein interessanterer Gegenstand war dem Volk, das sich vom ersten Rausch der aufdämmernden Freiheit auch gleich bis zur sinnlosen Tollheit fortreißen ließ, der unbeugsam strenge Graf von Launay, der Gouverneur und Verteidiger der Festung, den die rasende Menge, trotz zugestandenem freien Abzug, auf der Stelle zu zerfleischen drohte. Den militärischen Anführern des Unternehmens, zwei braven Soldaten der ~Gardes Françaises~ (Hulin hieß der eine, der andere Hélie) gelang es nur mit Gefahr des eigenen Lebens, den Unglücklichen eine Strecke weit durch den tobenden Pöbel hindurchzuretten, bis er ihnen doch zuletzt auf dem Greveplatz entrissen und in schauerlicher Weise hingeschlachtet wurde. Ein Fleischermeister, namens Bourtas, spießte den zerhackten gräflichen Kopf auf die Bajonettspitze eines geraubten Gewehrs, gleich einer Trophäe, und hinter ihm her wälzte sich die Hefe der Pariser Bevölkerung, die Fischweiber der Markthallen voran, in grauenhaftem Jubel durch die Straßen der inneren Stadt, während andere Haufen, nicht so sehr lüstern nach Blut als nach weniger symbolischen Dingen, in der erstürmten Bastille raubend und plündernd zurückgeblieben waren. Die Gefangenen aber hatten sich inzwischen längst unbeachtet verloren. Nur ein zitternder Greis in schwarzem Tuchrock, mit ergrautem Haar und wirrem Bart, saß noch auf einem Prellstein des inneren Tors und rührte sich nicht von der Stelle. Um ihn versammelte sich bald ein Häufchen Neugieriger von der gemütlicheren Sorte; doch blieben all ihre Fragen nach Namen und Herkommen vergeblich. Der Alte stierte die Umstehenden verständnislos an und legte nur manchmal geheimnisvoll den Finger auf die Lippen. Zwei- oder dreimal murmelte er etwas in den Bart und blickte dabei ängstlich und scheu um sich her. »Was sagt er?« fragten die Hintersten und drängten sich näher. »Er sagt: Der König ist in Gefahr,« erklärte ein hübsches, junges Weib. Darüber brachen einige in rohes Lachen aus; und man gewann allmählich die Gewißheit, daß man es mit einem Verrückten oder wenigstens ganz in Stumpfsinn Versunkenen zu tun habe. »Kinder und Narren sagen die Wahrheit,« meinte ein buckliger Schneider; »der gute Trottel scheint mir kein schlechter Prophet.« Dennoch handelte es sich nicht um eine Prophezeiung, sondern um eine Erinnerung. Dieser Unglückliche war einst ein wohlhabender Lyoner Kaufmann mit Namen Marcel Larousse, und im Winter 1756, kurz vor Neujahr, war dieser Herr Larousse, mit Zurücklassung einer hübschen Frau und zweier Töchterchen von sieben und neun Jahren, in Geschäften nach Paris gekommen, wo gerade der Streit zwischen König und Parlament eine Verschärfung erfahren hatte, die ernstliche Konflikte befürchten ließ. Herr Larousse kam just an dem Tage in Paris an, da auch der König in seiner lieben und getreuen Stadt erschienen war, um im Justizpalast ein feierliches ~Lit de justice~ abzuhalten, das bekanntlich einen recht bedenklichen Ausgang nahm. Der gute Kaufmann aus der Provinz konnte sich vor Erstaunen nicht erholen, als er sah, wie der König mit besonders pomphaftem Gefolge und im offenen Wagen an einer kalt gaffenden Menge vorüber, die den Quai der Goldschmiede und die Sankt Annenstraße füllte, seinen Einzug ins Parlament hielt, ohne daß auch nur der schüchternste Ruf »Es lebe der König« laut wurde. So erkaltet war in diesem Augenblick die Stimmung des Volkes gegen diesen König, den man nicht ohne Arg den Vielgeliebten nennen durfte, und der nun schon einen Mordanfall brauchte, um die alte Liebe der Pariser für ihn noch einmal auflodern zu sehen. Und dieses Attentat (Könige haben manchmal ein unglaubliches Glück) stellte sich wahrhaftig, wie auf Bestellung, ganz zur rechten Zeit ein. Und folgendergestalt kam Herr Larousse in Zusammenhang damit. Ihn hatten seine Geschäfte über Neujahr hinaus in der Hauptstadt festgehalten, und als er am vierten Januar von einer Einladung bei seinem Geschäftsfreund in später Nacht nach seiner Herberge kam und, infolge ungewöhnlichen Weingenusses und seiner lebhaften Gedanken an das freudige Wiedersehen mit Frau und Kindern, stundenlang nicht einschlief (er mußte sich immer wieder vorstellen, wie sich seine Frau über den Federnhut und den Spitzenfächer freuen werde, die er am Nachmittag eingekauft hatte): da hörte er plötzlich hart an seinem Ohr deutliches Stimmengeflüster. Er horchte auf und verstand auch bald einige abgerissene Wörter und Sätze, die aber lange ohne Sinn und Zusammenhang für ihn blieben, so daß er sehr ärgerlich wurde, weil er noch weiter an dem nötigen Schlaf gehindert sein sollte. Dennoch konnte er sich nicht enthalten, das Ohr zu spitzen und weiter zu horchen. »Du wirst im letzten Augenblick den Mut verlieren,« sagte jetzt drüben eine Stimme. »Das Bild der allerheiligsten Jungfrau, das ich auf der Brust trage«, antwortete die andere Stimme, »wird mir die Kraft geben.« »Wie willst du ihm aber so nah kommen?« »Er besucht jetzt fast täglich spät am Nachmittag seine Tochter, die Gräfin von Provence, die krank sein soll, und kehrt erst in der Dunkelheit zurück.« »Bei der jetzigen Kälte wird er gut eingemummt sein, und du wirst dein Leben umsonst wagen.« »Mein Dolch ist lang und scharf.« »Und wenn er nun auf Wochen hinaus das Trianon nicht verläßt?« Wie ein greller Blitz schlug das letzte Wort in das Bewußtsein des Kaufmanns. Also ein Mordanschlag auf die geheiligte Person des Königs! Und ihn also hatte Gott zum Schutzengel des Königs bestellt. Darum hatte er ihn so lange den Schlaf nicht finden lassen. Nun suchte er ihn schon nicht mehr, obwohl es drüben still geworden war. Die ganze Nacht hindurch überlegte der gute Kaufmann, was er tun könne, um das Komplott unschädlich zu machen. Plan um Plan durchdachte er; und einen nach dem andern verwarf er als unpraktisch oder gar gefährlich. Erst gegen Morgen kam er zu einem Entschluß, fest überzeugt nun, daß dieser Schritt der sicherste sei. Er hatte nämlich beschlossen, sich in aller Frühe zu Herrn von Berryer zu begeben, der als Leutnant des Königs der Pariser Kriminalpolizei vorstand. Schon kurz nach sieben meldete sich der Kaufmann an der Wohnung des Polizeileutnants. Seine Gnaden, sagte man ihm, sei vor elf Uhr nicht zu sprechen. Aber der Kaufmann ließ sich so leicht nicht abweisen. Er komme in einer dringlichen Sache, die Herrn von Berryer persönlich angehe. Da fragte ihn der Lakai nach Stand und Namen und ließ ihn warten. Ob dieser Lakai nun seinen Herrn von dem Begehren des Fremden wirklich benachrichtigt, oder ob er dem Kaufmann nur eine kleine Komödie vorgespielt hat -- kurz, er kam nach einigen Minuten zurück mit dem Bescheid: Der Herr Polizeileutnant lasse Herrn Larousse bitten, ihm, wenn es möglich sei, um elf Uhr die Ehre zu geben. Larousse begab sich nun in das benachbarte Café Procope, dessen literarische und sonstige Stammgäste zu dieser Stunde noch schliefen. Dort ließ er sich eine Schokolade und dazu Tinte und Feder geben und verfaßte mit großer Sorgfalt einen Brief an Herrn von Berryer, da ihm schwante, daß er auch um elf Uhr nicht vorgelassen werden könnte. »Euer Gnaden, der König ist in Gefahr,« so begann der Brief und erzählte darauf Wort für Wort das erlauschte Gespräch. Herr Larousse hatte richtig geahnt; als er wenige Minuten nach elf im Vorzimmer Seiner Gnaden erschien, hieß es, der Statthalter des Königs sei augenblicklich von wichtigen Geschäften in Anspruch genommen. Den Brief des Kaufmannes aber wollte der Lakai gerne abgeben. Umsonst erwartete Herr Larousse danach, zur näheren Auskunft vorgelassen zu werden. Eine Stunde verging, es vergingen zwei, es vergingen drei Stunden, worauf man dem Kaufmann bedeutete, Herr von Berryer sei plötzlich in einer dringlichen Angelegenheit ausgefahren und heute nicht mehr zu sprechen. Ob Seine Gnaden den Brief gelesen hätten, wußte der Lakai nicht zu sagen; der Kaufmann aber zweifelte nicht daran, denn sicher bestand zwischen der Lektüre des Briefes und der plötzlichen Ausfahrt des allmächtigen Polizeileutnants ein ursächlicher Zusammenhang. Dabei beruhigte sich Herr Larousse, und da etwas vor fünf die Lyoner Post abging, wofür er sich am Vorabend bereits einen Platz gekauft hatte, nahm er in aller Eile einen Fiaker und fuhr (sein Felleisen hatte er in der Frühe schon hin befördert) nach der Posthalterei von St. Severin nah beim Justizpalast, wo er gerade ankam, als der Postillon das letzte Signal zur Abfahrt blies, während in der Kutsche die Reisenden in dicken Mänteln sich zurechtrückten, und der Stallbursche mit krummen Knien im Schnee stand und heftig die Arme übereinanderschlug, um sich gegen die Kälte zu wehren. In der Vorstadt von St. Anton schlug die Uhr das erste Viertel nach Fünf, als der wackelige Postkarren, an der Bastille vorbei, über den knirschenden Schnee rollte, dem Tor von Vincennes zu. Trotz der beißenden Kälte ließ es sich der junge Postillon nicht nehmen, das finstere Staatsgefängnis drüben, das bei der hereinbrechenden Nacht sich nur unbestimmt vom schwarzen Himmel abhob, auf seinem Horn mit einer lustigen Weise, wie er immer pflegte, neckisch zu begrüßen, indessen im Innern der Kutsche Herr Larousse, gehoben von dem stolzen Gefühl, den König gerettet und dem Vaterland still und bescheiden einen außerordentlichen Dienst erwiesen zu haben, sich aufs neue dem beglückenden Vorgenuß eines zärtlichen Wiedersehens hingab. In derselben Viertelstunde aber geschah draußen in Versailles die Tat, die den guten Parisern, trotz aller Verstimmung gegen den König, so entsetzlich schien, daß zuerst niemand daran glauben wollte. Der König, der zu dieser Zeit das Trianon bewohnte, war um vier Uhr nachmittags nach dem Schloß gefahren, um seinen beiden Töchtern, deren eine, die Gräfin von Provence, etwas kränkelte, einen Besuch abzustatten, wie er fast täglich zu tun pflegte. Genau ein Viertel nach Fünf verabschiedete er sich von den Prinzessinnen. Er nahm beim Herabsteigen die kleine Treppe, da er fast ohne Gefolge war. Zwei Fackeln wurden ihm vorgetragen. Als er, unten angelangt, schon den Fuß erhoben hatte, um in den Wagen zu steigen, sah sich der nächststehende Oberst der Leibwache plötzlich mit einem Ruck auf die Seite geschoben, und der König fühlte etwas wie einen Faustschlag auf der linken Brust. Er fuhr nach der Stelle und griff in Blut. »Ich bin ermordet,« rief er, »haltet den Täter!« Der war schon ergriffen: ein großer, starker Mann in schwarzem Anzug mit einer Beutelperücke auf dem Kopf. Dies war der Vorgang bei dem bekannten Attentat des Hausknechts Damiens auf Ludwig den Fünfzehnten; und wenn man auch heute weiß, daß der König dabei nur ganz leicht verwundet wurde, so war doch zunächst alles zu befürchten und der Schrecken und die Verwirrung ungeheuer. Die erste amtliche Nachricht, die nach Paris abging, war an Herrn von Berryer gerichtet. Der reitende Kurier fand den hohen Polizeibeamten bei der Baronin von Breteuil, seiner anerkannten Geliebten, wo er in großer Gesellschaft bei Tische saß. Gerade wurde der sechste Gang, ein getrüffelter Pfau, aufgetragen, als sich die Staffette meldete. Man denke sich die Bestürzung der illustren Gesellschaft. In eiliger Hast verabschiedete sich der Königsleutnant, um seines Amtes zu walten. Das heißt: um im weitesten Umfang und mit äußerster Strenge alle die Maßregeln zu treffen, die eine hohe Polizei mit Sicherheit immer anzuordnen pflegt, wenn ein Unglück geschehen ist. Herr von Berryer war um so verwirrter, als der Brief, im Namen des Königs geschrieben, einen Zusatz enthielt, der sich wie eine erste Andeutung allerhöchster Ungnade ausnahm. »Auf daß es Euch nicht etwa einfallen mag,« hieß es da, »zu uns nach Versailles zu kommen, verbieten wir Euch ausdrücklich, unsere Stadt Paris für die nächste Zeit auch nur auf einen Augenblick zu verlassen.« Das war mehr als genug, um den Königsleutnant in einen Zustand der Verzweiflung zu versetzen. Während nun sein schwergebauter Wagen über das holprige Pflaster in heftigen Schwankungen dahinfuhr, und seine Seele in tausend Ängsten und Befürchtungen schwebte, fiel ihm plötzlich der Brief des fremden Kaufmanns ein, den er am Vormittag zu sich gesteckt, aber zu lesen vergessen hatte. Er zog das Schreiben hervor und überflog es. Und so erschrak er, daß die zitternde Hand das Blatt zu Boden fallen ließ. »Ich bin ein verlorener Mann,« rief er aus. »Der Mensch wird plaudern; ich bin unrettbar verloren.« Ein paar Sekunden saß er wie erstarrt. Dann kam ihm ein rettender Gedanke; er klopfte heftig an den Wagenschlag. Der Wagen hielt, und schon war auch der Jäger vom Bock gesprungen und stand, des Befehles gewärtig, den Federhut in der Hand, vor dem Schlag. »Kaserne St. Eustache, eilig!« befahl Seine Gnaden; und der Wagen setzte sich wieder in Trab. Die Lyoner Postkutsche hatte in dem Städtchen Pansou zum drittenmal die Pferde gewechselt und wollte eben mit ihren drei Insassen sich langsam wieder in Bewegung setzen, als plötzlich ein Trupp galoppierender Reiter die Straße herunter gegen sie heransprengte. Im Nu war der Wagen von den berittenen Gardisten umstellt. »Der Kaufmann Larousse aus Lyon!« rief der Gefreite. Ein eigentümlicher Glücksschauder durchrann in diesem Augenblick die Seele des Lyoner Kaufmanns, der aus seinen Gedanken an die zu Haus harrende junge Frau und die schönen Kinder wie aus einem lieblichen Traum emporfuhr. Aber nur, um in einen noch zauberhafteren einzutreten. Wie eine blendende Phantasmagorie tauchte es ihm vor den Augen auf. Kristallene Kronleuchter mit Tausenden von Kerzen flammten und vervielfältigten sich in Spiegeln bis ins Unabsehbare, auf goldgestickten Westen blitzten diamantene Sterne, nackte Frauenschultern leuchteten über Sträußen von Blumen, seidene Kleidfalten knisterten, Atlasschleppen rauschten; plötzlich ein allgemeines Knixen und Verbeugen: Der König! Denn der gute Kaufmann dachte, daß die Boten des Königs ihn einholten und ihm eine großartige Belohnung bevorstehe. Aber nur ein Wimperzucken lang stand ihm die beglückende Fata Morgana vor dem Blick. Denn schon fühlte er sich einen Knebel in den Mund gestoßen und eiserne Schließen an die Gelenke gelegt. Wie in einem Räuberroman war's. Kein Wort wurde laut, und ehe Herr Larousse sich's versah, saß er im Pferdesattel eng zwischen zwei Dragonern, die mit ihren Armen unter die seinen faßten. Und fort gings in gestrecktem Galopp auf der winterlichen Landstraße, zwischen verschneiten Hügeln mit den Flecken dunkler Gehölze, vorüber an Gehöften, wo die Hunde ängstlich knurrten, über Brücken und durch verschlafene Dörfer, in gestrecktem Galopp immer fort. Der arme Kaufmann verfiel zuletzt in jene todähnliche Betäubung, aus der er erst -- im Grabe wieder erwachte. Denn ganz an eine Gruft erinnerte das Gelaß, in dem er, ahnungslos, wie lange seine geistige Lähmung gedauert hatte, zur Besinnung kam. Nackte Mauern, zwei plumpe, mit Ketten befestigte Stühle, ein rohgezimmerter Tisch und eine hölzerne Lagerstatt: das waren die Gegenstände die er in dem schwachen Licht erkannte, das durch eine schmale Luke aus der Höhe herab spärlich in den trostlosen Raum sickerte. Er mußte sich besinnen, was mit ihm vorgegangen war. Aber umsonst suchte er nach einer Erklärung der furchtbaren und rätselhaften Ereignisse. Sein Kopf war düster wie die Gruft, die ihn umschloß. So versank er in ratloses, dumpfes Brüten. Und Stunden mochten so hingehen. Stunden oder Ewigkeiten: er hätte es nicht zu sagen gewußt. Ein Geräusch ermunterte ihn. Er hörte Schlüssel drehen und Riegel sich verschieben und eine schwere Tür in ihren Angeln knarren. Dreimal wiederholte sich das. Denn drei schwere Türen führten in seinen unterirdischen Kerker. Nach Öffnung der letzten Tür wurde wirklich ein lebendiger Mensch sichtbar. Er trug am Gürtel ein Gehäng mit gewaltigen Schlüsseln. Ein Gehilfe, der ihm auf den Fuß folgte, setzte ein Brett mit einem vollständigen Mittagsmahl auf den Tisch. Von dem Schließer erfuhr der Kaufmann, daß er in der Bastille sei. So hatte Herr von Berryer die ihm drohende Gefahr beseitigt. Auch in anderer Richtung wußte er der Ungnade des Hofes energisch vorzubeugen. Seine strengen Maßnahmen in der nächsten Zeit nach dem Attentat des Damiens fanden ganz die Billigung des Königs, der seinem Polizeichef dafür so dankbar war, daß er ihn bereits ein Jahr darauf, obwohl Herr von Berryer in seinem Leben noch nie ein Schiff gesehen hatte, zum Minister der Marine ernannte, wie in jedem Kompendium der französischen Geschichte zu lesen ist. Herr Larousse aber war in der Bastille und blieb darin. Erst der berühmte vierzehnte Juli des Jahres 1789 gab ihm die Freiheit; gab ihm aber weder seinen Verstand wieder, den er verloren, noch sein geliebtes Weib und seine schönen Kinder, auf die sich sein braves Herz so unsäglich gefreut hatte, als er vor dreiunddreißig Jahren, am Vorabend der heiligen drei Könige, an der Bastille vorüber durch das Tor von Vincennes in die frühe Winternacht hinausgefahren war, nicht nur vom Vorgefühl des Ersehnten, sondern auch von dem Gedanken beglückt, den König gerettet und dem Vaterland still und bescheiden einen außerordentlichen Dienst erwiesen zu haben. Napoleons größter Sieg Von _Walter von Molo_ Napoleons größter Sieg wurde vor der Entscheidungsschlacht erstritten, als seine zusammengeballten Soldatenmassen, noch in Ruhe, unübersehbar die Hügel füllten, wie Tiger zum Sprunge geduckt. Sie standen wie erstarrte, verlassene Wogen, die auf den Rückprall der Flut des Geschehens warteten, um fessellos wieder ins Chaos zu rasen. Erz klirrte, Pferde wieherten, Waffen klangen; hunderttausend Kürasse, Säbel und Bajonette, flatternde Standarten und gähnende Schlünde der Geschütze gleißten in der Sonne, die den Nebel scheuchte, die den Tod eilends rief. Napoleon saß, das Kinn wider die Brust gepreßt, auf seinem Schimmel, die Rechte im Brustausschnitt der grünen Uniform. Er sprach zu uns: »... Soldaten! Ihr dürft den Tod nicht fürchten; wenn Soldaten ihm trotzen, schleicht er in die feindlichen Reihen! Verachtet den Tod! Seid _stolz_!« ... Napoleons Schimmel begann unruhig zu werden, Napoleon stockte, seine Faust ballte sich fester um das Lederband des Zügels. Der Schimmel unter Napoleon wurde kleiner und streckte sich; des Kaisers messerscharfe Lippen wurden schmale Striche. Im Angesicht der Armeen, die das Los der Erde entschieden, tat Napoleons Schimmel die Notdurft. Der stärkste Feind zog wider den Weltherrscher zu Felde: die Lächerlichkeit des Seins, die Würdelosigkeit des Lebens. Napoleons stählerne Augensterne hielten uns niedergestemmt; tyrannisch zwang er unsere Blicke, unser Denken, unsere Seelen in sein Antlitz. Wir Pariser, ~40. de ligne~, standen und starrten, unsere Witzworte starben ungeboren, unser Lachen und Hohn verkrochen sich. Napoleon sprach ruhig weiter: »Soldaten, _Menschen_! Seid _stolz_! In euere Hand ist es gegeben, das Angesicht der unvollkommenen Welt zu _ändern_!« Mit Kniedruck und Sporenstich riß Napoleon den Schimmel zusammen; sein Antlitz war dunkelrot, wie vor Erschöpfung. Wir jubelten ihm zu. Napoleon wandte verächtlich den Kopf: »Marschall Ney,« rief er, »geben Sie jetzt den Befehl zum Angriff!« Von diesem Angriff und dessen Erfolg spricht die Weltgeschichte; doch Napoleons Sieg _vor_ der Schlacht war größer! Revolution Von _Paul Ernst_ Im Jahre Achtundvierzig fanden bekanntlich an einigen Orten in Deutschland Unruhen statt. Deren eigentliche Bedeutung war, daß den veränderten Verhältnissen entsprechend sich verschiedene Einrichtungen des öffentlichen Lebens hätten ändern müssen; aber da sich bei den Akten kein Vorgang für solche Änderungen fand, so geschahen sie immer nicht, bis endlich der weniger einsichtsvolle Teil der Bevölkerung ungeduldig wurde. Diese Ungeduld aber hielt man für revolutionäre Stimmung, und als sie sich äußerte, da glaubten sowohl die Regierung als auch die Ungeduldigen, daß eine Revolution gemacht werde. Man erzählt, daß damals in Berlin zwei Geheimräte, Exzellenzen und Abteilungsvorstände in ihren Ministerien, sich auf der Straße getroffen haben, sich kummervoll begrüßt und dann einander gefragt, was denn eigentlich der Grund für die Revolution sein könnte. Sie wußten es beide nicht. »Es kommt ja wohl einmal vor bei uns, daß ein Rest bleibt; die Eingänge sind ja nicht jeden Tag gleichmäßig,« sagte der eine; »aber das kann ich beschwören: jeden Sonnabend wird aufgearbeitet; und wenn ich bis zwölf Uhr des Nachts sitzen bleiben soll, bei mir findet der Registrator am Montag früh immer einen leeren Aktenständer.« »Jawohl,« entgegnete ihm der andere, »das kann ich bezeugen, bei uns wird es genau so gehalten, und in sämtlichen anderen Ministerien meines Wissens gleichfalls.« Ein Bäckermeister in Berlin, der ein gutgehendes Geschäft in der Krausenstraße führte, war schon in der Zeit vor der Revolution beim Bürgerstand eine angesehene Persönlichkeit gewesen, indem er Vorsitzender eines bei der Polizei angemeldeten freisinnigen Vereins war; er hatte zwei Haussuchungen erlitten und war drei Wochen lang in Haft gehalten, weil die Polizei glaubte, daß er mit den Häuptern der internationalen Demokratie in Verbindung stehe. Als die Revolution gesiegt hatte, da wurde er zu verschiedenen Vertrauensämtern gewählt, denen er redlich und brav vorstand. Seiner Frau war das politische Treiben von Anfang an nicht lieb gewesen. Sie sagte ihm, ein Bäcker habe die Reaktionäre ebenso zu Kunden wie die Demokraten; sie selber besorge den Laden, und der Mann gehöre in die Backstube; wenn der Meister außer dem Hause ist, dann tun die Gesellen nichts; es seien schon Klagen gekommen, und sie habe es ja auch selber gemerkt, daß der Teig nicht ordentlich geknetet werde; und was denn dergleichen Reden mehr sind. Man kann sich denken, wie die Haussuchungen und die Haft die gute Frau erregt hatten. Als aber die Revolution nun wirklich gekommen war, und ihr Mann einer der Führer des Volkes wurde, da überfiel sie eine unbeschreibliche Angst. Zu den Kunden des Meisters gehörte der Geheimrat Wagener, welcher damals die Konservativen zum Widerstand sammelte, eine Zeitung begründete, die »Kreuzzeitung«, und als der entschiedenste Gegner der Revolution galt. Die Frau hatte vor ihrer Heirat in dem Hause gedient und verehrte den Geheimrat Wagener, der ihr immer als ein höheres Wesen erschienen war; und auch der Geheimrat und seine Familie hatten Elschen, denn das war der Name der Frau, immer gern gehabt wegen ihres treuen und aufrichtigen Gemüts, und Frau Wagener war auch Patin bei dem ältesten Kind geworden. An einem Abend, kurz vor zehn Uhr, als gerade die Haustür schon geschlossen werden sollte, klingelte der Bäckermeister bei dem Geheimrat und verlangte den Herrn zu sprechen. Er wurde in das Arbeitszimmer geführt und entschuldigte sich dort vielmals, daß er störe; dann bat er darum, daß sein Besuch verschwiegen bleiben möge, denn er selber sei ja wohl nicht so einseitig und erkenne die Berechtigung des gegnerischen Standpunktes an; aber seine Freunde würden sagen, daß er das Volk an die Reaktion verrate, wenn sie erführen, daß er bei dem Herrn Geheimrat gewesen sei. Nach dieser Vorrede begann er nun seine Gedanken vorzutragen. Er hatte die Geschichte der Französischen Revolution studiert. Man lebte in einer Revolutionszeit. Das Volk hatte gesiegt. Der Herr Geheimrat mußte doch zugeben, daß das Volk gesiegt hatte. Der Geheimrat Wagener gab es zu. Nun, man weiß, was geschehen kann, wenn das Volk seine ewigen Rechte in die Hand nimmt, die eine kurzsichtige Regierung ihm vorenthält. Das Volk ist edel, aber es kann auch schrecklich sein. Das heißt, der Meister billigte es ja nicht, wenn Mord und Totschlag geschah. Wenn man die Preßfreiheit hatte, wenn man die Versammlungsfreiheit hatte, wenn man die Verfassung hatte, was wollte der friedliebende Bürger mehr? Er wollte seinen Geschäften nachgehen und ein nützliches Glied der menschlichen Gesellschaft sein. Aber zum Beispiel die Bäckergesellen gingen weiter. Hier nickte der Geheimrat bedeutungsvoll. Aber der Meister, welcher in dem Nicken wohl eine Bestätigung zweifelnder Stimmen in seinem Innern ahnte, schlug sich an die Brust und rief, er werde die heilige Sache des Volkes nie verlassen. Unvermittelt an diesen Ausruf schloß er nun einen Vorschlag. Das Volk hatte gesiegt. Der Meister hatte das Vertrauen des Volkes. Aber er verehrte auch den Herrn Geheimrat. Wenn nun, was Gott gewiß verhüten würde, das Volk seine Feinde zur Rechenschaft zog, dann konnte der Meister dem Herrn Geheimrat doch nützlich werden? Der Geheimrat Wagener nickte zustimmend. Nun also. Wenn man sich aber umgekehrt dächte, daß die Reaktion siegte, daß die Führer des Volkes eingekerkert würden, dann konnte der Herr Geheimrat dem Meister doch nützlich werden? Der Geheimrat Wagener räusperte sich und wiegte den Kopf. Aber der Meister fuhr fort. Er war ein eingesessener Bürger. Er hatte immer pünktlich seine Steuern gezahlt. Er verlangte ja nichts, das dem Herrn Geheimrat gegen das Gewissen ging. Der Herr Geheimrat war Beamter, das wußte er wohl. Aber der Herr Geheimrat kannte ihn doch. Haussuchung hatte die Reaktion bei ihm gehalten, in Haft hatte sie ihn gesetzt. Er war ein unbescholtener Mann. Das hatte gewurmt. Er hatte keine Verbindung mit verdächtigen Leuten, er hatte sich aus Büchern und Zeitungen selber gebildet. Und weiter wollte er ja nichts, als daß der Herr Geheimrat ihm bezeugte, daß er ein rechtschaffener Bürger war. Er hatte nur seine Bürgerpflicht erfüllt. Vielleicht hatte er einmal ein Wort zuviel gesagt; das wollte er nicht abstreiten; der Mensch redete manches, wenn er in der Volksversammlung steht, und die Leute wollten etwas von ihm hören. Wenn er da gefehlt hatte, gut, das wollte er büßen. Aber etwas anderes hatte er nicht getan, denn die Ehre ging ihm vor. Der Geheimrat Wagener antwortete lächelnd, daß er für ihn einstehen werde, wenn man ihn wirklich anklagen sollte; er wisse, daß das wahr sei, was der Meister gesagt habe, und das werde er denn auch bezeugen. Der Meister stand von seinem Stuhl auf, und ehe der Geheimrat es sich versehen, hatte er in seine Rechte eingeschlagen und gerufen: »Topp, es gilt.« Und dann fügte er hinzu: »Und auf mich können Sie sich auch verlassen. Wenn das Kopfabschneiden angeht, für Sie wird gesorgt.« Dann bat er noch um eine Empfehlung an die Frau Geheimrat, und darauf ging er. Der Mann wurde später wirklich angeklagt auf Grund von Aussagen untergeordneter Persönlichkeiten, und es wäre ihm wahrscheinlich schlecht gegangen bei der allgemeinen Verwirrung damals, wenn nicht der Geheimrat für ihn eingetreten wäre und ein gutes Zeugnis für ihn abgegeben hätte. Der Gesandte von Bismarck Von _Leo Sternberg_ Wie ein Blitz war dem jugendlichen Deichhauptmann von Schönhausen das blanke »Ja« von den stolzen Lippen gefahren, mit dem er sich verband, am Frankfurter Bundesratstische den Sitz eines preußischen Gesandten einzunehmen. Ein sechsunddreißigjähriger Gutsherr von Gardemaß, der nie ein diplomatisches Schriftstück gelesen! In militärischer Haltung hatte er seinem König, der diese Kühnheit bewunderte, entgegnet: »Der Mut ist ganz auf seiten Eurer Majestät!« Welche Stimme hatte aus ihm geredet? Verbrennt uns zuweilen ein übernatürlicher Augenblick zur gewaltigen Flamme, die geheimnisvoll ins All hinaus schlägt, und entläßt uns sofort wieder als irdische Schlacke, wenn die Flamme uns entflohen? In der Tat -- kaum daß der freie Landjunker in der geschäftigen Mainstadt, wo der ältliche General von Rochow einstweilen noch das Gesandtschaftssiegel führte, hinter hohen Aktenstößen saß, von früh bis spät eingekerkert in dem Salongefängnis des Bundestagshotels, so schlug er wild die Faust auf den Rokokotisch und fragte sich, welche Teufelsgewalten das schicksalsvolle Wort aus ihm emporgeworfen, und warum er nicht lieber bei Weib und Kind geblieben und Roggen auf Schönhausen gebaut, statt hier Ballen Papier zu verschmieren, in Kommissions- und Plenarsitzungen, die bis in die Nächte dauern, leeres Stroh zu dreschen und zwischen Tür und Angel die Zeit heranzuwarten, wo er selbst das Steuerrad ergriffe! Rochow zeigte verdammt mehr Lust, sich an der rheinischen Sonne bräunen zu lassen, als ihm das Feld zu räumen. Der Teufel sollte diesen Zustand länger ertragen. Er dampfte vor Tatkraft, und manche schlaflose Nacht hallten seine Reiterstiefel bis zum grauenden Morgen durch die dunklen Frankfurter Gassen. Wie Rübezahl streifte er durch die Wälder des Taunus, des Spessarts, des Odenwalds; fuhr mit der Wasserdiligenze den Main hinab, um sich auf der Mainzer Schiffbrücke in die Stunde zu verlieren, da Johanna in ihrem flatternden Genfer Mäntelchen dort neben ihm stand; und dreimal schon hatte er das Telegramm an den Minister bereit, in dem er binnen vierundzwanzig Stunden in sein Amt eingesetzt zu werden verlangte oder seine sofortige Entlassung forderte ... An einem herrlichen Julitage, als selbst in dem muffigen Legationsbureau der Aktenstaub regenbogenfarben auf schrägen Sonnenstrahlen schwebte, schien die angesammelte Elektrizität ihre höchste Spannung erreicht zu haben. Er schritt im Zimmer auf und ab und tobte: »Galeerenarbeit ... bestes Feuer verrauchen lassen ... Fiduz zu sich selbst zum Teufel ... sein gutes Heim aufgeben ...« Sein Attaché, der schüchterne Lynar, sah ihn an wie einen leidenden Titanen. »Das ist zu viel, sage ich!« -- schrie er und riß das Fenster auf. Lynars weißer Pudel, der auf dem Teppich lag, winselte mit, wie leises Weinen ... Da erhob sich Lynar vom Schreibsessel, stellte sich zu ihm an das geöffnete Fenster, wendete seinen Blick fragend hinaus in den kornblumenblauen Sommertag und erinnerte ihn sanft, wie man zu einem Schwerkranken spricht, an den Besuch in Johannisberg, zu dem der greise Fürst Metternich schon wiederholt seine Einladung geschickt hatte. Fürst Metternich! Der unlängst aus der englischen Verbannung Heimgekehrte! ... Der als erste Stätte auf dem wiedergewonnenen Heimatboden sein altes Geburtshaus am Rhein aufsuchte! ... Der Treue, der auch in den Tagen seines höchsten Glanzes nicht an Koblenz vorübergefahren, ohne sich den Metternicher Hof bis zum letzten Dachwinkel aufschließen zu lassen -- das Boudoir seiner Mutter ... die kleinen Stuben, wo er mit dem Hofmeister gehaust ... Er mußte an Schönhausen denken ... Das war sein Mann! Keine von jenen verknöcherten Exzellenzen, die hier ordenbehangen um ihn herstelzten ... Ein Romantiker war er -- auf seinem Schloß, das von dem sonnigsten Rebenhang des Rheins herabglühte ... Auf! Fort von Bureaukratie und Aktenstaub -- zur Urmutter Natur, wo wilde Sonne brennt und die Woge das Ufer peitscht ... Der Pudel sprang auf und wedelte und merkte, daß es ging. Es war eine eigentümliche Fahrt. Das zarte Delfter Blau, in dem sich die Sättel der waldigen Taunuskette neben dem Reisewagen mitwiegten, verwischte sich bald hinter der Weißglut geladener Dünste. Aschenschwarze Wolken schoben sich scharfgerändert aus der Wetterecke des Gebirges vor und verschatteten die hohen, goldenen Ährenfelder, in denen ein schlaffer Wind wühlte. Stickige Schwüle stieg aus dem Staub, nur selten von einer fernen Welle des trockenen Heues durchduftet, das die Bäuerinnen überall noch eilig auf die Leiterwagen gabelten. Dicht über dem Wasserspiegel jagten die Schwalben und netzten sich die weiße Brust in der Flut. Und General von Rochow, der sich der Fahrt ebenfalls angeschlossen, hatte abwechselnd das schwimmende Mützenleder zu wischen und gegen die Schnaken zu fechten. Doch das Gewitter entlud sich nicht. Einsilbig saß der feurige Legationssekretär im Wagen und schaute wie Wotan unter dem großen, breitkrämpigen Strohhut in die Ferne ... »Schönhausen, ganz wie Schönhausen!« rief er versunken, als sie an den ersten rheingauischen Herrensitzen vorüberrasselten. »Meine liebe Zampel« -- als das Gefährt den plätschernden Kiedricher Bach überschritt. »Der Kniephof!« seufzte er leise und zog den Duft einer mächtigen Linde ein, die am mohnroten Feldrain in der grellen Sonne stand ... Der verstehende Lynar, um ihn mit seinen Gedanken allein zu lassen, hielt Rochow im Gespräch, aus dem Bismarck manchmal nur dunkel ein Wort aufgriff ... »Rheinische Backofenglut ...« »Wie es reift!« war das geheimnisvolle Echo. »Wie es reift« -- wiederholte er im unverwandten Anblick der reichbehangenen Rebgärten und pfirsichglühenden Spaliere, die sein Auge angestrengt im Vorüberfahren abwanderte. Solchermaßen arbeitete es in ihm ... Unterdessen waren sie in Winkel angekommen, wo der Weg zum Johannisberg abzweigt. Da aber zeigte es sich, daß das, weswegen er die Reise unternommen, innerlich schon überlebt und ihm zuteil geworden war, und der Seitenpfad zu dem Schlosse hinauf jetzt nur ein lästiger Abweg gewesen wäre von der Hauptstraße seines Dranges, der ihn dem Strome entlang vorwärts trieb. Konnte es im Grunde größere Gegensätze geben, als ihn, den Diplomaten in Holzschuhen, und den ~ministre papillon~? Und was sollte er jetzt auf zierlich gepflegter Schloßterrasse zwischen Semperflorens-Rosen und einer in Töpfen gezogenen Orangerie anfangen? Rochow, wegen seiner heimlichen Mitbewerbung um den Frankfurter Gesandtschaftsposten befangen, ließ sich ohne Widerspruch den edlen Tropfen aus den fürstlichen Weinkellern von den Lippen reißen und schickte nur einen verlechzten Blick nach dem entschwindenden Schlosse auf die Höhe hinauf -- ohne zu ahnen, daß seine Gegenwart mit die Ursache war, warum es den andern vom Menschen fortdrängte ins Grenzenlose der Natur, bei der wir uns allein von unserer letzten Einsamkeit befreien, weil wir im tiefsten mit ihr zusammenklingen. Und wie jeder redliche Entschluß erfrischt, so begann auch der junge Diplomat, nachdem er sich den Weg freigemacht in eine unbestimmte Weite, seine Verschlossenheit mit dem beginnenden Abend abzuwerfen, sich den Traum von seiner pommerischen Heimat aus den Augen zu wischen und mit erhöhtem Pulsschlag zu fühlen, daß er nicht mehr an den Wiesenbächlein der heimatlichen Scholle, sondern am Rheine war -- dem deutschen Strom! So lebhaft zeigte er jetzt nach der dunkelnden Giebelfront der Hallgarter Zange, jetzt nach den heidnischen Walddolmen der Rabenköpfe, jetzt nach den goldgelben Sanden und Pappelauen mitten in den Fluten, daß Lynars Pudel den deutenden Händen bald herüber, bald hinüber, die Vorderpfoten über den Wagenschlag gelegt, nachsprang, um zu ergründen, was es da draußen zu apportieren gebe ... Als sie aber neben der reichgezackten Silhouette des Adlerturms mit seinem Birkenbäumchen in der Zinnenkrone in Rüdesheim einfuhren; drüben auf dem Rochusberg die Kapelle im Mondschein aufragen sahen; das dunkle Felsentor, das der Strom durchbricht, mächtig vor ihren Blicken lag; und rings um die Ufer die abendlichen Lichter an den Berglehnen sich entzündeten, als sei Vineta heraufgestiegen -- da wußte er, daß ein höher gewolltes Ziel ihn richtig geführt hatte ... Und während der Engelwirt seine Begleiter von dem Wagenschlag durch den vornehmen Treppenpavillon in den Gasthof komplimentierte, stand er just, wie er aus dem Reisewagen gesprungen, schon am grasigen Ufer drunten, an dem muschelknirschenden vordersten Kiesrande, -- allein mit dem erdgeisterhaften Rauschen der nächtlichen Brandung ... Das Gewitter hatte sich jenseits der Berge entladen und gereinigte Lüfte herübergesandt. Der Wisperwind kam aus den Felstoren und kräuselte Schaumkämme über die Wasserfläche, die im Mondschein spiegelte, als glühte das Nibelungengold aus der Tiefe herauf ... Er stand mit seherischen Sinnen und setzte sich allmählich, dem Stromlauf folgend, in Bewegung, wie ein Nachen auf den Wellen treibt, immer von dem Verlangen gequält, dem Strome näher zu kommen, anstatt verurteilt zu sein, auf dem Leinpfad nebenher zu schreiten -- bis er an die Klippe gelangte, darin der Lehrer Metternichs sein Herz hatte begraben lassen, daß es dort ewig umwiegt sei von den heiligen Wogen, über denen der Geist des Vaterlandes schwebt. Da riß es ihn plötzlich hin, all das Licht der Wasser in die Arme zu fassen; und, dem verankerten Dreibord seine Kleider hinterlassend, warf er sich in die Flut und tauchte bald wie ein Rheingott in der Ferne auf, wo die Mäuseturminsel mit ihrem Pappelhain traumhaft aus der Tiefe steigt ... Und während er auf den Wellen dahinwiegte, von der riesigen Stufenpyramide der Weinberge und mondduftigen Waldhöhen eingeschlossen, überglitzert von Sternen, die durch die Fensterhöhlen der getürmten Burgruine schauten, und der schäumende Wogenfall des Bingerloches durch die Stille donnerte, da fühlte er, wie er dem ganzen Lande angehörte; wie seine Arme erstarkten, indem er spielend die Flut bezwang an einer Stelle, wo die Strömung reißend den gefährlichen Felsenbänken entgegenschießt; und wie in seine Schultern die Kraft strömte, das Schicksal des geliebten Landes zu tragen ... Aber nur die murmelnden Wogen, die der Wiegengesang des Lebens sind, vernahmen, wie es ihn, reingebadet von Druck und Zweifel, betend erfüllte: In sein Wirken hineinzutragen und nie zu verlieren, was er, in der lichten Dunkelheit schwimmend, in weiten Armen hielt! Mit den Füßen im Bodenlosen schwebend auch am Tische des Rates! Aus der Urtiefe des Elementes das Wort hinaufzurufen und die Tat zu schwingen -- die wilde Woge im Blut und Sternengüte, Ruinenschweigen und Donner der Gegenwart, Felsenfinster und streichelnden Wind! Und das Segel des Staatsschiffes zu bewegen mit dem Sturmodem des ganzen Weltzaubers, der allein an die Küsten des Lebens bläst! ... Als er ans Ufer stieg, saß der weiße Pudel, der den Weg zu dem leeren Nachen gefunden, auf seinen Kleidern und erkannte ihn erst, als der Riese sich wieder in der Maske des bürgerlichen Rockes verborgen hatte und, während das Flämmchen der fernen Lichtboje auf den Wassern tanzte, schweigend im Dunkel neben ihm schritt. Ein Anekdotenkreis aus dem Kriege Sechs bayrische Reiter Von _Emil Lucka_ Am dritten September, an einem sonnigen Vormittag hat sich's zugetragen, daß fünf schwere bayrische Kürassiere, ein Gefreiter voran, das waldige Vogesental von Stoßweiler hinauf gegen die Grenze geritten sind, um ein bißchen nach Franzosen oder anderem schlechtem Volk, das an dem Ort nichts zu suchen hat, Ausschau zu halten. Weil ihnen die Zeit lang wird, fangen sie an zu jodeln und zu juchezen, aber die Pferde spitzen plötzlich die Ohren, und der Gefreite Jagenteufel schreit: »Maul halten!« Richtig kommt ein Zug Franzosen den Weg daher, vielleicht sechzig oder siebzig Leute, jeder sein Gewehr über der Schulter. »Drauf!« schreit der bayrische General und zieht sein breites Schlachtschwert, hinter ihm das Heer. Und sie stimmen ein solches Kampfgeschrei an, daß die Franzosen glauben, die ganze deutsche Armee wäre schon da, und werfen ihre Gewehre ins Gras. Der Leutnant, der sie führt, ein feines Bürschel ohne Bart, tritt vor den Jagenteufel und bietet ihm mit einer guten Verbeugung seinen Degen an, den der Jagenteufel nimmt. Und weil er nicht weiß, was er damit anfangen soll, stößt er ihn in einen alten Baum hinein, daß das Federmesser gleich abbricht. Dann brüllt er die Franzosen an: »Vorwärts!« -- und sie gehen ganz folgsam ihren Weg weiter, aber ohne Gewehre und von fünf bayrischen schweren Reitern flankiert und hinter einem Gefreiten her anstatt wie bisher hinter einem Leutnant. Und sie schämen sich, weil sie geglaubt haben, es wär die ganze deutsche Armee, nicht nur sechs Mann. Vom Tal herauf schlägt's gerade zwölf Uhr, wie sie einem Wirtshaus nah kommen, das sonst für Touristen und Fuhrleute bestimmt ist, jetzt aber verlassen steht. Der Jagenteufel sieht das Wirtshaus schon von weitem und muß sich das Bier vorstellen, das dort vielleicht im Keller liegt. Und weil ein braver Soldat dieselben Gedanken haben soll wie sein Feldherr, denken alle Fünfe mehr ans Wirtshaus als an die Franzosen, die zwischen ihnen her laufen. Auch das Pferd vom Jagenteufel hat das Wirtshaus bemerkt, und so geht der ganze Zug, er weiß selber nicht wie, immer mehr nach rechts, bis er vor der Tür halt macht. Der Wirt und die Wirtin und ein paar Kinder und andere Leute stehen da und schauen mit großen Augen, wie sechs bayrische Reiter sechzig oder siebzig Franzosen daher führen, und schreien: Hurra! -- denn sie sind gut deutsch -- und der Herr Wirt sagt gleich, die Herren Soldaten sollten hereinkommen, und zu bezahlen brauchten sie nichts. Aber die armen Schlucker müßten auch was kriegen! meint der Jagenteufel. Und richtig wird den Franzosen zu essen und zu trinken herausgebracht, während die Bayern vom Pferd steigen und mit viel Freude ins gute Zimmer geführt werden. Der Wirt schlägt gleich ein Faß Bier an, und die Wirtin stellt sich zum Herd. Weil aber ein Bayer nicht vom Bier weggeht, bis das Faß leer ist, so dauert die Mittagsrast drei Stunden, die Franzosen brauchen derweilen auch nicht hungern. Und wie die Bayrischen endlich herauskommen, sind ihre Pferde schon mit roten Hosen besetzt und die sechs Gewehre und die sechs Säbel auch schon vergeben -- die hat einer unbemerkt aus der Stube getragen. Der junge Leutnant sitzt hoch auf dem Pferd vom Jagenteufel und kommandiert stramm, so daß sich die fünf Reiter mit ihrem Gefreiten keinen andern Rat wissen, als zu Fuß zwischen den gut berittenen Franzosen denselben Weg zurückzugehen, den sie am Mittag gekommen sind. Die Bayern jodeln jetzt nicht mehr und bedenken, daß sie da ein übles Stück vollbracht haben, und trauen sich nicht, ihren Pferden ins Auge zu schauen; aber die Franzosen sind um so lustiger. Ihre Gewehre liegen richtig noch am selben Platz, jeder findet seines, und der Leutnant sucht den Strunk von seinem Säbel zusammen; so müssen die Bayern nach Frankreich ziehen, anstatt die Franzosen nach Deutschland. Gegen Abend kommen alle in ein französisches Dorf. Kinder, Weiber und Männer laufen zusammen und schauen jubelnd die gefangene Armee an. Und die Franzosen stolzieren einher, jeder wie ein Marschall, der Leutnant mit dem zerbrochnen Säbel aber wie Napoleon selber. Feierlich werden sie zum Diner geladen. Der Leutnant, der weiß, was sich schickt, sagt gleich auf die Ansprache des Bürgermeisters: »Unsere Feinde haben uns ein Dejeuner serviert, wir wollen ihnen das Diner nicht schuldig bleiben!« -- Und der Herr Maire ist rot vor Stolz, daß er das siegreiche Heer mit seinen Gefangenen bewirten darf, eine große Tafel wird auf der Wiese gerichtet für die Franzosen, die Bayern aber bekommen im Gemeindestübel, das vergitterte Fenster hat, ein Diner mit feinem Wein vorgesetzt. »Der Wein ist nicht schlecht!« schmunzeln die Gefangenen und begießen ihr trauriges Los. Der Jagenteufel hat aber schon das Eiserne Kreuz auf seiner Brust gesehen, und so wurmt es ihn, daß sich das Antlitz der wetterwendischen Kriegsgöttin schnöde von ihm abgekehrt hat. Er geht -- doch nicht bevor die Flaschen leer sind -- auf Kundschaft aus. Eigentlich sollte die Tür versperrt sein, aber die Kellnerin hat sie versehentlich offen gelassen. Das erste, was dem Jagenteufel ins Auge sticht, sind die sechs bayrischen Rösser, die gut gefuttert haben und ihn mit Wiehern begrüßen; nicht weit davon vorm Wirtshaus tanzen die Soldaten mit den Dorfmädeln. Da geht der Jagenteufel um seine Mannschaft, sie schleichen zur Gewehr-Pyramide, die ganz im Dunkeln steht, werfen die Gewehre in den Brunnen außer ihren eigenen, die zu unterst liegen, schnallen sich die breiten Säbel um, sitzen auf und fahren mit »Hurra!« in den Dudelsacktanz hinein. Der Leutnant ist gleich da und springt auf einen Tisch, die Soldaten laufen nach ihren Gewehren, kommen aber wieder leer zurück, und der Leutnant überreicht seinen halben Degen dem Jagenteufel, der ihn dieses Mal zwischen seinen Händen bis auf den Griff abbricht. Dann marschieren alle den Weg zurück, den sie heut schon zweimal gegangen sind, hinterdrein Kinder und Weiber. Und das bayrische Heer jodelt wieder wie am Vormittag und singt: »Muß i denn, muß i denn zum Städtle hinaus!« -- und die Franzosen fangen an mitzusingen, weil sie viel Wein getrunken haben und die Worte doch nicht verstehen. Bei der Grenze müssen die Mädel Abschied nehmen, weinen auch ein bissel dazu und hoffen aufs Wiedersehen; und der Jagenteufel mit seiner Patrouille führt hoch zu Roß (das gefährliche Wirtshaus bleibt dieses Mal rechts liegen) seine Gefangenen ins deutsche Quartier hinein. Der Talisman Von _Oskar Wöhrle_ Unteroffizier Bück, im Leben vor dem Kriege Theologe, ein kleiner, schmächtiger Mensch, dem man den Bücherhocker schon in der ersten Minute ansah, war der einzige von den Einjährigen-Unteroffizieren, der das Eiserne nicht hatte. Trotzdem, so ging die Meinung der ganzen Batterie, das heißt aller Kanoniere, hätte er es zehnmal eher verdient als mancher andere; denn er war ein Kerl, der mit einer unglaublichen Waghalsigkeit vorging. Bei Sachen, vor denen es selbst den abgebrühtesten Infanteristen graulte, zeigte er, der Artilleriehilfsbeobachter, einen solchen Schneid, als hätte er Zeit seines Lebens mit den russischen Pimpatschen zu tun gehabt. Galt's eine verlorene Patrouille vorzutreiben, Bück war dabei. Galt's eine feindliche Beobachtungsstelle auszuknobeln, Bück erknobelte sie. Galt's eine Leitung zu legen in schwierigem Gelände, im Artilleriefeuer, Bück legte sie. Und alle seine Verrichtungen tat er, dem Gefauche der blutgierigen Schrapnelle zum Hohn, mit einer Unbekümmertheit, als sei er unverwundbar. Wir, seine Kameraden, warnten ihn mehr als einmal, sein Leben nicht so leichtsinnig aufs Spiel zu setzen. »Ach was!« sagte er. »Was heißt Gefahr? Mumpitz! Mir tut keine Kugel was, ich habe einen Talisman.« »Sie, der Bibelpflüger, einen Talisman?« Er lachte nur zu unseren Erstaunungen und sagte in seiner etwas schüchternen Art: »Und wenn ihr erst wüßtet, was für einen!« Bück hat recht behalten. Er fiel keiner Kugel zum Opfer, er mußte in den giftigen Krallen des Typhus enden. Bei Blonie liegt er begraben. Als die Batterie seine Sachen heimatfertig machte, wurde auch der Talisman gefunden, ein kleines, zusammengefaltetes Stück Papier. Darauf stand mit violetter Tinte geschrieben, in klaren, unerschrockenen Buchstaben: »Denn es gehet dem Menschen wie dem Vieh; wie dies stirbt, so stirbt er auch, und haben alle einerlei Odem; und der Mensch hat nichts mehr denn das Vieh; denn es ist alles eitel. Es fähret alles an _einen_ Ort; es ist alles von Staub gemacht und wird wieder zu Staub. Wer weiß, ob der Odem der Menschen aufwärts fahre und der Odem des Viehes unterwärts unter die Erde fahre? So sah ich denn, daß nichts Besseres ist, denn daß ein Mensch fröhlich sei in seiner Arbeit; denn das ist sein Teil; denn wer will ihn dahin bringen, daß er sehe, was nach ihm geschehen wird?« Dieser Zettel wurde nicht mit weggeschickt. Er sei zu unchristlich, sagte der Feldwebel. Ich bat ihn mir aus. Als ich ihn späterhin, nicht ohne eine gewisse Bewegung, einem Kandidaten zeigte, zuckte der gleichmütig die Achseln: »Was ist denn da besonders Großes dabei? Die Stelle ist doch sattsam bekannt, siehe Prediger 3, Vers 19--22!« Wie ein preußischer General einen Juden zum Offizier vorschlug Von _Rudolf G. Binding_ Der General v. R--, Kommandeur einer Infanterie-Brigade, hatte in seinem Stab einen Ordonnanzoffizier. Diese Stellen wurden im Anfang des großen Krieges, mit dem der Sommer des Jahres 1914 die Welt überzog, vielfach nicht mit Offizieren besetzt, sondern mit solchen, die es werden sollten. In der Regel machte man, da die Infanterie an Offiziersaspiranten nicht geschwächt werden sollte, bei der Kavallerie eine Anleihe, und auf dieser Grundlage hatte der Rittmeister einer der Division unterstellten Schwadron den Befehl erhalten, zum Stabe des Generals v. R-- einen Ordonnanzoffizier zu kommandieren. Der Rittmeister kommandierte den Vizewachtmeister der Reserve K-- in die Stelle. Der General war glücklich mit seinem Ordonnanzoffizier. Denn dieser war ein gebildeter, anstelliger junger Mann von gutem Aussehen, reiterlichen und anderen Fertigkeiten und trug sein Herz ziemlich am rechten Fleck. Der General konnte nicht umhin zu bemerken, wie nützlich sich K-- bei ihm machte, wie gut seine Pferde gediehen, seit K-- bei seinem Stabe war, wie dieser auch für sein, des Generals, leibliches Wohl in bester Weise sorgte, wie er selbst am liebsten nur mit K-- auf Erkundung oder zu den Stellungen seiner Truppen ritt, da kein andrer sich auf der Karte so gut auskannte wie sein neuer Ordonnanzoffizier, und was dergleichen Tugenden mehr waren, die er an ihm entdeckte. Es vergingen kaum ein paar Wochen, so erhielt der Vizewachtmeister, der sich bei einigen Aufträgen hervorgetan und dabei bewiesen hatte, daß er sich aus englischen Granaten nicht einen Pfifferling machte, das Eiserne Kreuz. Der General hielt auf seinen Stab. Als er die Zeit für gekommen erachtete, schrieb er an den Rittmeister einen Brief. Er stellte ihm vor, wie man doch einen so tüchtigen und tapferen jungen Mann nicht wohl weiter ohne die silbernen Offiziersachselstücke herumlaufen lassen dürfe, da er alle Eigenschaften und Voraussetzungen in sich vereinige, die für die Beförderung zum Offizier verlangt werden müßten. Indem er den jungen Mann nach seiner Beförderung für die planmäßige Stelle des Ordonnanzoffiziers bei seinem Stabe vorsehe, hoffe er nicht nur, ihm die Wege zu ebnen, sondern auch seine Fähigkeiten für die große Sache und das Vaterland in bester Weise auszunutzen. »So erwarte ich denn, mein lieber Rittmeister,« schloß der General, »wenn es Ihnen recht ist, einen Beförderungsvorschlag für meinen prächtigen Vizewachtmeister. Denn Sie, als der Kommandeur der Schwadron, der er zurzeit noch angehört, müssen die Eingabe abfassen, die erforderlichen Nachweise und Unterlagen verschaffen und den Vorschlag an allerhöchst Seine Majestät richten. Ich aber werde ein Wort der Befürwortung zufügen können, das unserem Schützling von Nutzen sein wird. Es wird nicht fehlen. Schicken Sie mir morgen die Eingabe.« Der Rittmeister tat, wie ihm befohlen war. Am folgenden Tage gelangte ein Vorschlag zur Beförderung zum Offizier im Beurlaubtenstande, wie ein derartiges Schriftstück sich zu nennen die Ehre hat, in die Hand des Generals, und alle Spalten, die die gestrenge Vorschrift für eine solche Urkunde verlangt, waren säuberlich gezogen und ordnungsmäßig ausgefüllt. Wohlgefällig überlas der General die über die Person seines Ordonnanzoffiziers gemachten Angaben. Da standen die Vornamen, da die Geburtsdaten, da der Beruf. Der Mann lebte in geordneten Verhältnissen; der General hatte sich nicht getäuscht. Seine Blicke wandten sich befriedigt den nächsten Spalten zu, die über Glaubensbekenntnis und die Namen der Eltern aussagten. Und er erstarrte. Denn da, gerade unter dem Worte »Religion« stand -- (ja! der General konnte es nicht in Abrede stellen) gerade unter dem Worte Religion stand das Wort: »mosaisch«. Der General geriet in eine Aufregung ohnegleichen über diese Entdeckung. Daß die Angabe falsch sei, war bei der ihm bekannten Genauigkeit des Rittmeisters ausgeschlossen. Er stand vor der schrecklichen Gewißheit. Alles, was preußisch in ihm war, sträubte sich hoch, und alles, was christlich war, nicht minder. Und der General war sehr preußisch und sehr christlich. Was tun? Ganz abgesehen von dem Bilde, das sein Stab abgab, wenn ein Jude als Ordonnanzoffizier darin auftrat: wenn er, er, der General R--, einem Juden in den Offiziersstand verhalf, wankten die Grundfesten des Staates. Das war klar. Mochten andere tun, was sie verantworten konnten; da war er denn doch ein preußischer General. Er ritt sogleich zum Rittmeister. »Haben Sie denn das gewußt, daß K-- Jude ist?« rief er, -- -- »Jawohl habe ich das gewußt,« sagte der Rittmeister ruhig. »Aber dieser Jude weiß, was der Offiziersstand von ihm verlangt. Ich kann nicht finden, daß sein Glaube in irgendwelcher Weise seine Tapferkeit, seine Kenntnisse, seinen Anstand, alle jene Vorzüge beeinflußt, die der Herr General selbst, wie ich höre, an ihm oft genug gerühmt haben.« »Das ganz gewiß nicht! gewiß nicht!« erwiderte der General »aber --: er hat doch Eigenschaften, die --, ich meine: _jüdische_ Eigenschaften, die --« »Nicht, daß ich wüßte,« sagte der Rittmeister, »übrigens darf ich höflichst darauf hinweisen, daß der Herr General -- bisher wenigstens -- von diesen jüdischen Eigenschaften nichts bemerkt haben.« Das war richtig. Wie war es aber auch nur möglich gewesen, daß er nichts bemerkt hatte! »Sie wollen sich also nicht verstehen, Ihren Beförderungsvorschlag zurückzuziehen?« »Aber Herr General!« sagte der Rittmeister, »Sie selber haben den Vorschlag doch einverlangt! Und wie sollte ich einen Beförderungsvorschlag für einen Untergebenen zurückziehen dürfen, den ich nach Pflicht und Gewissen eingereicht habe? Der Vizewachtmeister, der gestern ein so vortrefflicher Mann war, ist heute kein andrer, weil er ein Jude ist.« Der General ging. So war nichts zu machen. Wenn er nicht den Rittmeister überzeugen konnte, daß K-- ganz unerträglich jüdische Eigenschaften habe, würde er ihn nicht vermögen, den Beförderungsvorschlag zurückzuziehen. Aber der Rittmeister war doch nicht blind. Und K-- mußte doch derartige Eigenschaften haben. -- Der General zog die Weitergabe des Beförderungsvorschlags eine Zeitlang hin. Noch immer hoffte er den Rittmeister zu entwaffnen. Tagtäglich fast verhandelte er den Fall. Und immer spielten die jüdischen Eigenschaften, die er an seinem Ordonnanzoffizier entdeckt haben wollte, die Hauptrolle in seinen Argumenten. Aber wenn er sie benennen wollte, so hatten sie Namen wie andere Eigenschaften und schienen ihn höhnisch anzusehen, als ob sie sagen wollten: auch du hast Eigenheiten. Und dennoch: der Vizewachtmeister hatte eben jüdische Eigenschaften, die bei einem preußischen Offizier ganz unerträglich zu denken waren. Davon biß keine Maus einen Faden ab. So lief die Sache eine Woche oder zwei. Eines Tages hatte der General den Rittmeister wieder bei seinem Gegenstand. »Sie mögen mir sagen, was Sie wollen«, sagte er zu ihm, »K-- hat jüdische Eigenschaften, eigentlich nur jüdische Eigenschaften! Sie _müssen_ zugeben, daß er jüdische, _unerträglich jüdische_ Eigenschaften hat!« Der Rittmeister bedachte sich. So, wie es bisher gegangen war, kam er nicht weiter. »Tja! Herr General,« sagte er auf einmal fast verwundert, »da er doch ein Jude ist, was soll denn der junge Mann andere Eigenschaften haben als jüdische?« Da geschah etwas Merkwürdiges. Es erging nämlich dem General wie dem Knaben beim Tauziehen, der, fest gegen die Erde gestemmt, mit aller Kraft den Gegner zu sich herüberziehen will; jener aber läßt urplötzlich das Seil fahren. Der General fühlte sich am Boden. Er hatte zwar eine unbestimmte Empfindung, als ob bei diesem Sieg und dieser Niederlage nicht alles mit rechten Dingen zugehe, aber er vermochte es nicht zu fassen. Daß er der Sieger war, entging ihm. Die Tatsache, daß ihm der Boden entzogen war, blieb. Er wußte nicht recht, wie ihm war. »Wenn Sie also wirklich meinen,« sagte er kleinlaut. Und da der Rittmeister bejahte, ging der General an den Tisch und schrieb, noch immer benommen von einem Beweis, der sich so seltsam gegen ihn zu wenden schien, ein »befürwortet« unter das Gesuch zur Beförderung des Juden. Schwaben Von _Oskar Wöhrle_ Auf einer Landstraße Russisch-Polens traf ich drei schwäbische Landsturmleute, die einen meuchelnden Russen mit den bloßen Fäusten hatten totschlagen müssen, weil der Kerl so schnell und hitzig und ihnen so nah am Leibe war, daß sie zu keiner Waffe hatten greifen können. Diese drei Soldaten standen um einen jungen Storchen herum, den der Sturm des Morgens aus dem Neste geworfen hatte. Hilflos lag das Unglückstier da, halbnackt, nur dürftig den Leib mit Fläumling bedeckt, und sperrte den jungen, gelben Schnabel weit auf vor Hunger und Angst. Einer der Männer sagte: »Wir müssen ihn wieder ins Nest bringen, sonst verreckt er.« Aber das Nest hing hoch; die Pappel, darauf es stand, war dick und dünnastig; sie zu erklettern eine heillose Arbeit und konnte das Leben kosten. Einer von den dreien wagte es doch und brachte den Jungen glücklich hinauf. Die Alten flogen in weitem Bogen um den Baum herum und plapperten zornig mit den Schnäbeln. Als der Soldat wieder drunten war, schulterten die drei das Gewehr, sagten mir »Grüß Gott« und gingen davon. Merkwürdig! dachte ich, wie der Mensch doch beschaffen sein kann. In einem Atemzuge tötet er und setzt nachher sein Leben aufs Spiel, eines Nichts wegen. Und ich heftete meinen Blick auf die Männer, bis ihre Bilder im Dunste des Himmels verschwunden waren. Der Intellektuelle Von _Peter Scher_ Herr von X., ein wohlhabender Privatmann, sah sich, ehe es ihm recht zu Bewußtsein gekommen war, über Nacht als Landsturmmann im Kreise von Männern, zu deren äußeren Verhältnissen und innerem Wesen er soviel Beziehungen empfand, wie sich ihm etwa bei unvermitteltem Zusammenleben mit Marsbewohnern ergeben haben würden. Als Norddeutscher, wenn auch seit längerer Zeit in Süddeutschland lebend, war er über die völkischen Eigenheiten der Bayern, denen er nun zugeteilt war, durch jenes theoretische Wissen unterrichtet, das sich den Gebildeten durch Überlieferung anekdotischer Einzelzüge leicht und scherzhaft zu vermitteln pflegt. Mit dem eigentlichen Volke war er, seiner Lebenshaltung gemäß, kaum je persönlich in Berührung gekommen, ohne darum auch nur im mindesten die Kraft und Ursprünglichkeit des Volkes niedrig eingeschätzt zu haben. Im Gegenteil -- er neigte, wie wohl die meisten Angehörigen seines Standes, eher zu einer sehr ausgesprochenen Wertschätzung alles Volkstümlichen, und zwar eben auf Grund der von persönlichen Erfahrungen ungetrübten literarisch-anekdotischen Kenntnis der Volksseele. Nun sah er sich auf einmal, gewaltsam aus seinem eigenen Nährboden gerissen, als einziger Intellektueller unter vielen vor die Aufgabe gestellt, in die kompakte Einheit der durch gemeinsame Interessen verbundenen zwanzig Mann seiner Stube einzudringen; sich -- wenn anders er nicht riskieren wollte, in eine unerträglich abseitige Situation zu geraten -- ihrem Kreis einzufügen; ja sich womöglich Geltung zu verschaffen. Hierzu veranlaßte ihn keineswegs bloß ein persönlicher Erhaltungstrieb, als vielmehr das seinem Charakter entsprechende Bestreben, niemals halb bei einer Sache zu sein ... am wenigsten bei der großen Angelegenheit, von deren Notwendigkeit er sich, nachdem es einmal ernst geworden war, mit aller Entschlossenheit überzeugt hatte. Die Versuche des Herrn v. X., sich seinen Kameraden anzupassen, hatten, wie häufig in solchen Fällen, damit eingesetzt, daß er sich bemüht zeigte, unter ostentativer Hintansetzung jeglichen Standesbewußtseins, kameradschaftliche Hilfsbereitschaft zu betätigen. Aber damit stieß er nur auf Mißtrauen und Ironien jeder Art -- von der lächelnden Anspielung bis zum fast hämisch herausgeprusteten Spott. Vollends seine törichten Bemühungen, ihren Dialekt und ihre Ausdrucksweise »unauffällig« zu kopieren, forderte die anderen nur noch mehr heraus, ihm seine Ohnmacht zu Bewußtsein zu bringen. So hatte Herr von X. die doppelte Last zu tragen, daß er, noch mit allen Fibern den plötzlichen Verlust aller höheren Lebensformen empfindend, in der neuen Umgebung ungeahnte Widerstände fand, wogegen die anderen im gleichen Maße bevorzugt erschienen, indem sie, ihr Leben ungefähr auf dem alten Niveau fortsetzend, zugleich am Rückhalt der Gemeinsamkeit mit ihresgleichen profitierten. Allerdings wurde dieses Mißverhältnis einigermaßen dadurch ausgeglichen, daß manche der ganz Unbemittelten, insbesondere die kleinen Gewerbetreibenden, hinsichtlich ihrer Geschäfte und Familien drückendere Sorgen empfanden als in normalen Zeiten. Aber diese Bedrückten empfanden dann wieder den Reichtum des Herrn v. X., von dem sie sich maßlos übertriebene Begriffe machten, als eine unerhörte Begünstigung, die ihm entsprechend angekreidet werden müsse. In Verfolg dieses Rattenkönigs von Mißverständnissen und Verkennungen der Umstände geschah es denn wohl, daß von X.s Kameraden seine reichlichen Bier- und Zigarrenspenden niemals entgegennahmen, ohne zuvor durch Blicke und kleine beißende Bemerkungen ihm die Freude vergällt und damit sich den Genuß erhöht zu haben. Obgleich nun von X., ein kluger Mensch und Lebenskenner, solche Kleinigkeiten nicht eben tragisch nahm, weil er die wahren Beweggründe erkannte, hatte er doch -- besonders in der ersten Zeit -- Momente tiefer Entmutigung. Einmal kam es sogar vor, daß er sich nachts, zwischen den schnarchenden Kameraden schlaflos liegend und grübelnd, zu dem folgenden empfindsamen Gedicht hinreißen ließ: _In der Nacht_ Die Kameraden schnarchen hart und dröhnen Ganz sagenhafte Töne durch den Raum; Die wache Landsturmseele glaubt es kaum Und muß sich erst so nach und nach gewöhnen. Wie schließt mein Herz euch ruhende Soldaten Und eure armen Träume in sich ein ... (Gäb' mir nur Gott, so ganz Natur zu sein, Wie sie, mich arglos folternd, hier verraten!) Der Schuster, rechts von mir, bewegt sich eben; Ich weiß: ein Traumglück löst ihm alle Qual ... Gebräunte Haxe ist sein Ideal ... O mög sie groß und lieblich ihn umschweben! Ein jeder macht in seinem kleinen Kreise -- Schmied, Fuhrmann, Gastwirt, Knecht und Assistent -- Bevor der Tag uns wieder eint und trennt, Solch eine karg beglückte Heimatreise. Beklommen seh ich auf die alten Knaben -- Ein alter Knabe selbst und heulend fast: Ach, sind wir uns nur Nacht für Nacht zur Last, Um Tag für Tag an uns vorbeizutraben?! Am anderen Mittag saßen sie dann wieder, der kleine Schuster, der lange Fuhrmann, der dicke Gastwirt, der hagere Schankkellner, mit ihren Maßkrügen einträchtiglich beisammen, und auch die Bauern, mit denen die Städter sonst nicht immer in seliger Harmonie zusammenstimmten, waren -- wenn es die unausgesprochene Verschwörung des »Ringes« gegen den Intellektuellen zu bekunden galt -- untereinander ein Herz und eine Seele. So wollte es wenigstens dem Herrn von X. scheinen -- und vielleicht verhielt es sich in gewissem Sinne auch so. Nur ... daß es dem Herrn von X. nie zu Bewußtsein kam, inwieweit er selbst an ihrem Mißtrauen dadurch mitschuldig war, daß er, der nicht aus sich heraus _konnte_, immer und immer wieder mit beleidigender Deutlichkeit erkennen ließ, wie gewaltsam er aus sich heraus _wollte_, um zu ihnen -- -- natürlich -- -- hinab zu gelangen. Wie er sich, der geistige Mensch, seiner Selbstlosigkeit als eines Gebotes überlegener Kultur bewußt war (ohne sich doch dessen voll bewußt zu werden), so empfanden die Kameraden seine Selbstlosigkeit als Hochmut und zahlten ihm gemäß ihren primitiven Lebensformen und Ausdrucksmitteln kräftig heim. Der Herr von X. ist sich dieser Wahrheit erst viel später bewußt geworden -- nämlich dann, als er, durch Umstände in größere Distanz zu ihren physischen Verhältnissen gekommen, nicht mehr in Gefahr war, die Fühlung mit den Kameraden äußerlich zu suchen. Es gelang ihm, ohne sich in ihre Sprache und Gebärden einzumischen, ihnen menschlich so nahe zu kommen, daß sich die Kameraden -- allerdings nicht die einmal mißtrauisch und verstockt gewordenen seiner Stube, aber andere vom gleichen Stande -- mit Respekt und ehrlicher Freundschaft zu ihm stellten. Später, im Felde, wurde er sogar im besten Sinne des Wortes beliebt. Und das war, als er, seiner eigentlichen Bestimmung entsprechend, ein guter _Führer_ und damit der beste Kamerad geworden war. Das unterbrochene Erlebnis Von _Karl Lerbs_ Ein Leutnant, dessen jungfröhliche Art sich unter dem harten Griff unerhörten Erlebens zu bewußter Männlichkeit gefestigt hatte, bestieg, seinen Anteil an den wilden flandrischen Kämpfen durch eine Fahrt in die lange entbehrte Heimat unterbrechend, in Brüssel den nach Deutschland bestimmten Zug. Er traf im Abteil mit einem Hauptmann zusammen, der vor dem Kriege in einem westfälischen Städtchen den wenig aufregenden Posten eines Amtsrichters ausgefüllt hatte und durch den nervenanspannenden Wachtdienst in einem belgischen Küstenort aus der leise beginnenden Beschaulichkeit zunehmender Jahre aufgerüttelt worden war. Da der ältere Offizier an der heiteren Offenheit des jüngeren ein rasch erwidertes Gefallen fand, verging ihnen die Zeit, da der Zug seinen Weg durch den regnerisch verhangenen belgischen Herbsttag nahm, in gutem Gespräch rasch genug. Erst als der wirre Klirrklang der über viele Weichen hineilenden Räder sie aus dem Getriebe des ersten deutschen Bahnhofs entführte, wurde ihr angenehm empfundenes Alleinsein durch eine junge Dame unterbrochen. Indessen die neue Reisegefährtin sich mit anmutig runden, sicheren Bewegungen ihres geschmeidigen Körpers augenscheinlich für eine längere Fahrt einrichtete, tröpfelte das unwillkürlich verlangsamte Gespräch der Herren in spärlichen Worten weiter, da sie beide in der unauffälligen, aber gründlichen Art, wie sie Männern von Welt eignet, ihre Beobachtungen anstellten. Das übereinstimmende Ergebnis war die Feststellung großen natürlichen Reizes, der durch eine schelmische, naiv ungezwungene Koketterie eher vermehrt als vermindert erschien. So kam es, daß dem Leutnant das Zusammentreffen wie ein Gruß und Vorgenuß lange ersehnter friedlicher Heimatstage war, und er sah sich alsbald von rheinischer Fröhlichkeit, die das Abteil mit hellem Lachen und melodisch zwitscherndem Plaudern erfüllte, in ein heiteres Wortgeplänkel verstrickt, in dem er sich in aufquellender Frohlaune wacker behauptete. Darüber entging es ihm, daß der ältere Kamerad allmählich in ein Stillschweigen verfiel, das seinen Grund in einer diesem selbst nicht recht erklärlichen Verstimmung hatte. Hätte jemand sie ihm als Ausfluß einer mißgünstigen Regung gedeutet, so würde er das sicherlich weit von sich gewiesen haben; immerhin gewann sie soviel Macht über ihn, daß er, obwohl seinem Reiseziel noch ziemlich fern, seinen Säbel einhakte und sich, aufbruchsbereit dasitzend, einem verdrossenen Spiel mit der Säbelquaste widmete. Bald aber mischte er sich, einem plötzlichen Antrieb folgend, in das Gespräch der anderen und geriet dabei in einen solchen, ihm selbst seit langem fremden Eifer, daß in dem anfangs spielerisch harmlosen Hin und Her launigen Wortgefechtes zuweilen die schärferen Waffen einer leichten Spannung flüchtig aufblitzten. Diese seltsame Wendung der Dinge brachte es mit sich, daß in dem Leutnant, der erst nur dem prickelnden Regen seines nach langer Haft wieder lustvoll aufwallenden Blutes nachgegeben hatte, ein Plan entstand, der, anfänglich fast erschrocken und abweisend beiseite geschoben, bald sich unwiderstehlich aufdrängte. Als daher der unerleuchtete Zug durch den Schacht eines langen Tunnels toste, erhob sich nach einem letzten kopfschüttelnden Zögern der junge Offizier und tastete sich in herzklopfender Spannung vorwärts, um, ohne der möglichen Folgen seines Tuns zu gedenken, von den willfährig lockenden Lippen seines anmutigen Gegenübers in knabenhaftem Trotz die Bekrönung dieser wunderlich erregten Stunde zu pflücken. Da geschah es, daß er innehielt in dem unabweisbaren, alle Nerven durchzuckenden Gefühl, daß jemand neben ihm stehe; er tat einen unwillkürlichen, heftig zufassenden Griff ins Dunkle und hielt einen Gegenstand in den Händen, in dem er tief erschrocken _die Säbelscheide des Hauptmanns_ erkennen mußte. Es ist sicher, daß beide Herren sich nach dieser Begegnung wieder an ihre Plätze verfügten und die ihnen noch verbleibende kurze Spanne Dunkelheit dazu benutzten, ihre ins Wanken geratene Sicherheit und Unbefangenheit zurückzugewinnen. Nicht sicher dagegen ist, ob die junge Dame, die zu alledem Anlaß gewesen war, des unterbrochenen Erlebnisses inne ward. Denn beide Offiziere wagten keinen Blick in ihr Gesicht. Der Leutnant sah unverwandt zum Fenster hinaus, um nicht zu zeigen, daß ihn nach anfänglichem Ärger eine kaum zu bezwingende Lachlust anwandelte; und der Hauptmann, dem das Blut in die Ohren gestiegen war, saß vornübergebeugt, mit einer scharfen Falte zwischen den Brauen, und ließ den Zorn über sich selbst an der heftig zwischen den Fingern gewirbelten Quaste seines schuldig-unschuldigen Säbels aus. Als indessen der Hauptmann, seinem Reiseziel nahe, von dem jungen Kameraden Abschied nahm, da sah der Leutnant in dem Gesicht des anderen ein gütiges und von leichter Traurigkeit überschattetes Lächeln, das von einer wehmütigen Resignation Kunde gab; und er umspannte die dargereichte Hand mit festem Druck. Er begriff plötzlich, daß jenem diese Stunde mehr bedeute als den überlegen belächelten Verzicht auf eine flüchtig lockende Tändelei. Und er blieb auf der ferneren Fahrt schweigsam und sinnend, da er sich nicht eines billig errungenen Sieges freuen mochte. Denn er fühlte tief, daß ihn in diesem Erlebnis ewiges und schmerzliches Schicksal mahnend gestreift hatte. Inhalt Seite _Bethge_, Hans, ~Dr. phil.~, * am 9. Januar 1876 in Dessau, lebt in Berlin-Wilmersdorf. _Der Dichter_ (handschriftlich) 91 _In der Frühlingsnacht_ (handschriftlich) 130 _Binding_, Rudolf G., * am 13. August 1867 in Basel, lebt in Buchschlag (Hessen). _Anekdote_ (handschriftlich) 64 _Wie ein peußischer General einen Juden zum Offizier vorschlug_ (handschriftlich) 229 _Bulcke_, Carl, Staatsanwalt, * am 29. April 1875 in Königsberg, lebt in Charlottenburg. _Der schlaue Akademiedirektor_ (handschriftlich) 123 _Klaus Groth_ (handschriftlich) 167 _Enderling_, Paul, * am 22. April 1876 in Danzig, lebt in Stuttgart. _Memlings Bild_ 118 _Ernst_, Paul, ~Dr. phil.~, * am 7. März 1866 in Elbingerode a. Harz, lebt in Neustadt a. Südharz. _Der Fund_ (handschriftlich) 98 _Das Bett_ (handschriftlich) 106 _Revolution_ (handschriftlich) 202 _Ettlinger_, Karl, Herausgeber der »Jugend«, * am 22. Januar 1882 in Frankfurt a. M., lebt in München. _Zwei Anekdoten vom Marquis Bonvivant_ 83 _Eulenberg_, Herbert, ~Dr. jur.~, * am 25. Januar 1876 in Mühlheim a. Rh., lebt in Kaiserswerth a. Rh. _Die beiden Junggesellen_ (handschriftlich) 58 _Rastrelli_ (handschriftlich) 181 _Federn_, Karl, ~Dr. jur.~, * am 2. Februar 1868 in Wien, lebt in Lugano. _Die Banknote_ (handschriftlich) 69 _Der Garibaldiner_ (handschriftlich) 87 _Flake_, Otto, * am 29. Oktober 1880 in Metz, lebt in Berlin. _Dubonnet_, Ein Gruß an Hebel (handschriftlich) 7 _Gleichen-Rußwurm_, Alexander Freiherr von, * am 6. November 1865 in München, lebt in München. _Anekdote_ (handschriftlich) 57 _Henckell_, Karl, * am 17. April 1864 in Hannover, lebt in München. _Gottfried Keller und der freche Student_ (handschriftlich) 162 _Hesse_, Hermann, * am 2. Juli 1877 in Calw, lebt in Bern. _Das seltene Buch_ (handschriftlich) 132 _Huch_, Rudolf, Justizrat, * am 28. Februar 1862 in Porto Allegre, lebt in Helmstedt. _Ein Wiedersehen_ (handschriftlich) 27 _Keller_, Paul, Herausgeber der Monatsschrift »Die Bergstadt«, * am 6. Juli 1873 in Arnsdorf, lebt in Breslau. _Der ungebetene schwarze Gast_ (handschriftlich) 18 _Lerbs_, Karl, * am 22. April 1893 in Bremen, lebt in Bremen. _Das unterbrochene Erlebnis_ (handschriftlich) 244 _Lucka_, Emil, * am 11. Mai 1877 in Wien, lebt in Wien. _Sechs bayrische Reiter_ 220 _Mann_, Heinrich, * am 27. März 1871 in Lübeck, lebt in München. _Nino Sventatello_ 94 _Die Sklavin_ 114 _Molo_, Walter von, * am 14. Juni 1880 in Sternberg (Mähren), lebt in Frohnau b. Berlin. _Napoleons größter Sieg_ 200 _Rosegger_, Peter, ~Dr. phil. h. c.~, Herausgeber des »Heimgarten«, * am 31. Juli 1843 in Alpl, lebt in Graz. _Eine Abelsberger Heiratsgeschichte_ 21 _Rüttenauer_, Benno, ~Dr. phil.~, * am 2. Februar 1855 in Wittstadt, lebt in München. _Der Schutzengel des Königs_ 185 _Schäfer_, Wilhelm, Herausgeber der »Rheinlande«, * am 20. Januar 1868 in Ottrau, lebt in Vallendar a. Rh. _Der Brief des Dichters und das Rezept des Landammanns_ 142 _Scharrelmann_, Wilhelm, * am 3. September 1875 in Bremen, lebt in Bremen. _Das Protokoll_ 35 _Schaukal_, Richard, ~Dr. jur.~, k. k. Ministerialrat, * am 27. Mai 1874 in Brünn, lebt in Wien. _Zwei Anekdoten_ (_Verkehr_, _Geselligkeit_) 54 _Der Schlaftrunk_ 73 _Scheffler_, Karl, Herausgeber von »Kunst und Künstler«, * am 27. Februar 1869 in Hamburg, lebt in Berlin. _Vier Anekdoten_ (_Schuldner und Gläubiger_, _Die Witwe von Ephesus_, _Die Zeitungen_, _Darwinismus im Ausverkauf_; sämtlich handschriftlich) 77 _Zwei Anekdoten_ (_Kunsterziehung_, _Spanisch_; beide handschriftlich) 127 _Scher_, Peter, Herausgeber des »Simplizissimus« * am 30. September 1880 in Großkamsdorf, lebt in München. _Der Intellektuelle_ (handschriftlich) 238 _Schmidtbonn_, Wilhelm, * am 6. Februar 1876 in Bonn, lebt in Murnau (Oberbayern). _Heinrich Frauenlob stirbt_ 137 _Scholz_, Wilhelm von ~Dr. phil.~, * am 15. Juli 1874 in Berlin, lebt in Stuttgart. _Begegnung mit Hebbel_ 156 _Aus einem alten Kriege_ (handschriftlich) 172 _Schullern_, Heinrich Ritter von, ~Dr. med.~, Oberstabsarzt, * am 17. April 1865 in Innsbruck, lebt in Wien. _Engelbert Meisenheimers Kriegsbeute_ (handschriftlich) 30 _Schussen_, Wilhelm (Wilh. Frick), * am 11. August 1874 in Schussenried, lebt in Stuttgart. _Die größte Kirche der Welt_ 50 _Der lächelnde Tod_ (handschriftlich) 75 _Stenglin_, Felix Freiherr von, * am 18. November 1860 in Schwerin, lebt in Friedenau b. Berlin. _In einem Seminar_ (handschriftlich) 46 _Sternberg_, Leo, Amtsrichter, * am 7. Oktober 1876 in Limburg a. d. Lahn, lebt in Rüdesheim. _Der Gesandte von Bismarck_ 209 _Wöhrle_, Oskar, * am 26. Januar 1890 in St. Ludwig (Elsaß), lebt in Stuttgart. _Der Talisman_ 226 _Schwaben_ 236 Quellen-Nachweis (Die im Folgenden genannten Bücher haben dem Herausgeber als Quelle gedient. In ihnen finden sich alle diejenigen Beiträge, bei denen im Inhaltsverzeichnis der Vermerk »handschriftlich« fehlt.) _Enderling_, Paul, _Land an der Weichsel_. Ein Sammelbuch. Verlag von Reuß & Itta, Konstanz a. B. _Ettlinger_, Karl, _Marquis Bonvivant_. Georg Müller Verlag, München. _Lucka_, Emil, _Das brennende Jahr_. 44 Kriegs-Anekdoten. Verlag von Schuster & Loeffler, Berlin. _Mann_, Heinrich, _Minerva_ (zweiter Band der »Göttinnen«). Verlag von Kurt Wolff, Leipzig. _Molo_, Walter von, _Im Schritt der Jahrhunderte_. Geschichtliche Bilder. Verlag von Albert Langen, München. _Rosegger_, Peter, _Die Abelsberger Chronik_ (Gesammelte Werke Bd. 10). Verlag von L. Staackmann, Leipzig. _Rüttenauer_, Benno, _Graf Roger Rabutin_. Die Beichte eines Leichtfertigen. Georg Müller Verlag, München. _Schäfer_, Wilhelm, _Gesammelte Werke_, Bd. I. Georg Müller Verlag, München. (Dort sind auch alle _Einzel_ausgaben der Schäferschen Anekdoten erschienen.) _Scharrelmann_, Wilhelm, _Die Fahrt ins Leben_. Geschichten. Verlag von Egon Fleischel & Co., Berlin. _Schaukal_, Richard, _Zettelkasten_. Aus Hans Bürgers Papieren. _Von Tod zu Tod_. Kleine Geschichten. Georg Müller Verlag, München. (Dort sind auch alle übrigen Bücher Schaukals erschienen.) _Schmidtbonn_, Wilhelm, _Der Wunderbaum_. 23 Legenden. Verlag von Egon Fleischel & Co., Berlin. _Scholz_, Wilhelm von, _Die Unwirklichen_. Verlag von Reuß & Itta, Konstanz a. B. _Schussen_, Wilhelm, _Der geadelte Steinschleifer_. Verlag von Reuß & Itta, Konstanz a. B. _Sternberg_, Leo, _Der Venusberg_. Rheinische Geschichten. B. Behrs Verlag (Friedrich Feddersen), Berlin. _Wöhrle_, Oskar, _Das Bumserbuch_. Verlag von Egon Fleischel & Co., Berlin. Druck der E. Gundlach Aktiengesellschaft Bielefeld Weitere Anmerkungen zur Transkription Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht. Korrekturen: S. 94: sie → so am Boden, {so} oft verbeugten sie sich S. 179: furchbaren → furchtbaren Mit einem {furchtbaren} Anprall rannte *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER SPIEGEL: ANEKDOTEN ZEITGENÖSSISCHER DEUTSCHER ERZÄHLER *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for an eBook, except by following the terms of the trademark license, including paying royalties for use of the Project Gutenberg trademark. If you do not charge anything for copies of this eBook, complying with the trademark license is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, performances and research. Project Gutenberg eBooks may be modified and printed and given away—you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the trademark license, especially commercial redistribution. START: FULL LICENSE THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK To protect the Project Gutenberg™ mission of promoting the free distribution of electronic works, by using or distributing this work (or any other work associated in any way with the phrase “Project Gutenberg”), you agree to comply with all the terms of the Full Project Gutenberg™ License available with this file or online at www.gutenberg.org/license. Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg™ electronic works 1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg™ electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to and accept all the terms of this license and intellectual property (trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy all copies of Project Gutenberg™ electronic works in your possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project Gutenberg™ electronic work and you do not agree to be bound by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8. 1.B. “Project Gutenberg” is a registered trademark. It may only be used on or associated in any way with an electronic work by people who agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few things that you can do with most Project Gutenberg™ electronic works even without complying with the full terms of this agreement. See paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project Gutenberg™ electronic works if you follow the terms of this agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg™ electronic works. See paragraph 1.E below. 1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation (“the Foundation” or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project Gutenberg™ electronic works. Nearly all the individual works in the collection are in the public domain in the United States. If an individual work is unprotected by copyright law in the United States and you are located in the United States, we do not claim a right to prevent you from copying, distributing, performing, displaying or creating derivative works based on the work as long as all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope that you will support the Project Gutenberg™ mission of promoting free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg™ works in compliance with the terms of this agreement for keeping the Project Gutenberg™ name associated with the work. 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The following sentence, with active links to, or other immediate access to, the full Project Gutenberg™ License must appear prominently whenever any copy of a Project Gutenberg™ work (any work on which the phrase “Project Gutenberg” appears, or with which the phrase “Project Gutenberg” is associated) is accessed, displayed, performed, viewed, copied or distributed: This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. 1.E.2. 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Additional terms will be linked to the Project Gutenberg™ License for all works posted with the permission of the copyright holder found at the beginning of this work. 1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg™ License terms from this work, or any files containing a part of this work or any other work associated with Project Gutenberg™. 1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this electronic work, or any part of this electronic work, without prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with active links or immediate access to the full terms of the Project Gutenberg™ License. 1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary, compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any word processing or hypertext form. However, if you provide access to or distribute copies of a Project Gutenberg™ work in a format other than “Plain Vanilla ASCII” or other format used in the official version posted on the official Project Gutenberg™ website (www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon request, of the work in its original “Plain Vanilla ASCII” or other form. Any alternate format must include the full Project Gutenberg™ License as specified in paragraph 1.E.1. 1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying, performing, copying or distributing any Project Gutenberg™ works unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9. 1.E.8. 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It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg™ and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state’s laws. The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation’s website and official page at www.gutenberg.org/contact Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine-readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit www.gutenberg.org/donate. While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. 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