Title: Kulturgeschichte der Nutzpflanzen, Band IV, 1. Hälfte
Author: Ludwig Reinhardt
Release date: April 7, 2020 [eBook #61775]
Language: German
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Michigan and the Online Distributed Proofreading Team at
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Anmerkungen zur Transkription
Der vorliegende Text wurde anhand der 1911 erschienenen Buchausgabe so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert; Rechtschreibvarianten wurden nicht vereinheitlicht, sofern die Verständlichkeit des Textes dadurch nicht berührt wird. Fremdwörter und Transliterationen (vorwiegend aus dem Griechischen) wurden weder korrigiert noch vereinheitlicht.
Einige Bildtafeln enthalten mehrere Abbildungen. Das Verzeichnis der Tafeln wurde der zweiten Hälfte dieses Bandes entnommen. Fußnoten wurden an das Ende des jeweiligen Kapitels gesetzt.
Die gedruckte Fassung wurde in einer Frakturschrift gesetzt, in der die Großbuchstaben I und J identisch sind; die Auswahl in der vorliegenden Ausgabe erfolgte daher mitunter willkürlich. Im Sachregister wird nunmehr zwischen den Begriffen mit den Anfangsbuchstaben I und J unterschieden, was im Original nicht möglich war.
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Kulturgeschichte der Nutzpflanzen
Die Erde und die Kultur
Die Eroberung und Nutzbarmachung der Erde durch den Menschen
In Verbindung mit Fachgelehrten
gemeinverständlich dargestellt von
Dr. Ludwig
Reinhardt
Bd. IV in zwei Teilen
Kulturgeschichte der Nutzpflanzen
München 1911
Verlag von Ernst
Reinhardt
von
Dr. Ludwig Reinhardt
Band IV, 1. Hälfte
Mit 57 Abbildungen im Text und 90 Kunstdrucktafeln
München 1911
Verlag von Ernst
Reinhardt
Alle Rechte vorbehalten
Roßberg’sche Buchdruckerei, Leipzig.
Die emsige Forscherarbeit der letzten Jahrzehnte hat auf dem weiten Gebiete der allgemeinen Kulturgeschichte eine Fülle von Material zusammengetragen, das aber, dem Nichtfachmann unzugänglich, in wissenschaftlichen Zeitschriften und Monographien verborgen war. Es aus diesem Dornröschenschlaf zu erwecken und dem weiten Kreise der Gebildeten zugänglich zu machen, war eine lockende Aufgabe, der ich mich in Gemeinschaft mit dem Geographen und Nationalökonomen Dr. R. Hotz und anderen Fachgelehrten gern unterzogen habe. In gewissem Sinne bildet es eine Ergänzung und Erweiterung des in gleichem Verlage erschienenen Sammelwerkes „Vom Nebelfleck zum Menschen“; denn wenn dort versucht wurde, die lange Geschichte der Menschwerdung zu schildern, so soll in „Die Erde und die Kultur“ gezeigt werden, wie der Mensch im Laufe der Jahrtausende die Erde erobert und seinen Zwecken dienstbar gemacht hat.
Die Gliederung des Gesamtwerkes ist die folgende: Band I: Die Erde und ihr Wirtschaftsleben (von Dr. R. Hotz). Band II: Kulturgeschichte des Menschen. Band III: Kulturgeschichte der Nutztiere. Band IV: Kulturgeschichte der Nutzpflanzen. Jeder Band ist in sich abgeschlossen und einzeln käuflich. Band IV ist soeben erschienen, Band I und III erscheinen im Laufe des Jahres 1911, Band II im Sommer 1912, so daß spätestens im Herbst des Jahres 1912 das ganze Werk vollständig sein wird.
In dem vorliegenden Doppelband „Die Kulturgeschichte der Nutzpflanzen“ suchte ich das fortzusetzen, was einst der feinsinnige Philologe Victor Hehn für einen Teil der bekanntesten Kulturpflanzen begonnen hatte: eine Geschichte ihrer Domestikation und ihrer Wanderung über die Erde im Gefolge des Menschen zu geben. Ein Menschenalter ist seit dem Erscheinen von Hehns Werk verflossen, manches hat sich geändert, dazu habe ich den Gegenstand nach allen Seiten erweitert; denn nicht nur die Kulturpflanzen sollen in dem Werke behandelt werden, sondern die Nutzpflanzen im weitesten Sinne des Wortes. Eine Fülle von Literatur war zu sichten und zu bearbeiten, fast zu groß für die Arbeitskraft eines einzelnen Menschen. Ich habe mich bemüht, allen wissenschaftlichen Ballast wegzulassen und durch gründliches Quellenstudium das heute Sichergestellte in klaren Zügen gemeinverständlich darzustellen.
Besondere Sorgfalt wurde auf die Bilder verwendet, die auf Kunstdrucktafeln, größtenteils nach noch unveröffentlichten Photographien, dem Texte beigegeben werden.
Allen Gelehrten, die mich in meiner Arbeit in zuvorkommender Weise unterstützt haben, spreche ich auch an dieser Stelle meinen verbindlichen Dank aus.
Basel, im Oktober 1910.
Dr. Ludwig Reinhardt.
Die ältesten vom Menschen in Kultur genommenen Nutzpflanzen sind, soweit wir dies heute zu beurteilen vermögen, Weizen und Gerste, die irgendwo in Vorder- oder Mittelasien, von fürsorgenden Frauen gesammelt und gehegt, später auch angepflanzt, mit der Zeit durch fortgesetzte Auslese zu Spendern besonders großer, mehlreicher Körnerfrüchte gediehen. Diese wurden nicht nur ihnen und ihren Kindern, sondern auch den zunächst ausschließlich von der Jagd und später, nach der Zähmung und Aufzucht von Haustieren, von Viehzucht lebenden Männern zu einer immer unentbehrlicheren Zukost zu der von diesen gelieferten Fleischnahrung.
Während der Mann der Urzeit mit seinen Sippengenossen der Jagd oblag, suchte die Frau für sich und ihre Kinder, soweit sie nicht mehr von ihr gestillt wurden, was damals in Analogie mit heute noch auf derselben Kulturstufe lebenden Völkern zwei bis drei Jahre gedauert haben mag, die für sie erreichbare, hauptsächlich aus Vegetabilien und kleinen Tieren wie Würmern, Schnecken, Heuschrecken, Käfern, Raupen, Fröschen, Eidechsen, Schlangen und dergleichen bestehende Nahrung. Mit dem ziemlich langen Grabstock versehen, den sie als Universalwerkzeug und Waffe stets bei sich führte, zog sie, von ihren Kindern begleitet, in die Speise irgend welcher Art zur Stillung des stets regen Hungers versprechende Nachbarschaft des jeweiligen Lagerplatzes, um hier alle möglichen, ihr als nahrhaft bekannten Wurzeln, Früchte und Sämereien zu sammeln und zugleich alle ihr dabei entgegentretenden kleineren Tiere zu erbeuten. Was nicht sofort verzehrt wurde, wanderte als Vorrat in die mitgeführte Felltasche und später in den aus Binsen oder Bast geflochtenen Korb, um dann, roh oder[S. 2] schwach am Feuer geröstet, als Speise zu dienen. Unbeweglich, wie sie durch die Mutterschaft geworden war, zog sie notgedrungen das für sie erreichbare minderwertige Kleinere dem begehrenswerteren Größeren vor.
Der viel beweglichere Mann dagegen bevorzugte als Nahrung die vorzugsweise in Schlingen und Fallgruben oder durch Anschleichen und Hetzen von ihm erbeuteten größeren Tiere. Aber in dem Maße als die Bevölkerung des Landes zunahm und der Wildreichtum durch die unausgesetzten Jagden sich verminderte, nahm diese Nährpflanzen zur Stillung des Hungers suchende Tätigkeit der Frau an Bedeutung stetsfort zu. So kam sie in der Fürsorge für sich und ihre Kinder nach und nach dazu, nicht bloß gewisse Reviere mit ihr allein bekannten Standorten nahrhafter Pflanzen, deren Zahl für jene sehr wenig wählerischen Menschen der Urzeit selbstverständlich unvergleichlich größer war, als wir es uns heute vorstellen können, für sich zu reservieren, sondern auch später in fürsorgender Arbeit selbst Samen dieser Nahrungspflanzen auszustreuen, in der berechtigten Erwartung, hier einst mühelos für die Ihrigen ernten zu können.
Wir Kulturmenschen, die das gewohnheitsmäßige Erleben selbst der außergewöhnlichsten Erscheinungen vollständig abgestumpft hat, so daß wir dieselben als ganz selbstverständlich hinnehmen und gar nicht mehr darüber nachdenken, übersehen gewöhnlich, welche außergewöhnliche Begabung und Verstandesschärfe dazu erforderlich waren, bis ein Mensch, und zwar ein armseliges, schwaches Weib, von der fürsorgenden Mutterliebe getrieben, voll Hoffnung, dereinst hier ernten zu können, die ersten Samenkörner einer Nährpflanze in die vorher von ihr mit dem Grabstock gelockerte Erde streute.
Den alten Griechen, welche den ersten Regungen menschlicher Gesittung näher standen als wir, erschien ein planvolles Erdenken des Ackerbaues, dem der primitivere Hackbau vorausging, als für[S. 3] menschliche Verstandeskräfte vollkommen unerfaßlich und undenkbar. Deshalb schrieben sie diese so überaus wertvolle, den Keim zu aller höheren Gesittung überhaupt legende Erfindung einer Gottheit zu. Und so wie sie dachten alle anderen Völker der Erde auf gleicher Erkenntnisstufe, die alle diese so überaus folgenschwere Erfindung als Geschenk einer Gottheit betrachteten und nicht als Produkt menschlichen Denkens auffaßten.
Mit dem ersten Pflanzenbau, den solchermaßen die fürsorgende Mutterliebe einer intelligenten Frau der Urzeit in den Sinn gab, selbst wenn er nur von Wanderhorden am Sommerlagerplatz armselig genug betrieben wurde, waren alle künftigen Fortschritte der Menschheitsentwicklung im Keime gegeben. Nicht nur hörte damit der Mensch auf als Almosenempfänger in den Wild- und Wurzelgärten der Natur von der Laune des Augenblicks und vom Zufall des Tages abzuhängen, seine Zukunft wurde eine mehr und mehr gesicherte, von der ungewissen Jagd unabhängige.
Diese friedliche, ihr innerhalb des Familienverbandes eine zunehmende Macht verleihende Tätigkeit der Frau führte sie früher schon auf eine höhere Kulturstufe als den Mann, der lange nur als ein geduldetes Anhängsel der Mutterfamilie erschien; denn in der Haushaltung, die das Weib der Urzeit mit ihren Kindern führte, war der Mann lange Zeit nur eine Art Pensionär, der für die Gunst, von der Pflanzenspeise mitessen zu dürfen, vom Ertrage seiner Jagd wenigstens etwas beizusteuern hatte.
Erst auf einer späteren Entwicklungsstufe der Menschheit wurde das Weib, weil es schwächer war und sich nicht gegen solche Vergewaltigung von seiten des Mannes zu wehren vermochte, von diesem als Sklavin und Arbeitstier betrachtet. Für sich selbst zog er das süße Nichtstun vor und bürdete alle Arbeit dem Weibe auf. Aber mit dem Überhandnehmen der Volkszahl genügten die Frauenarme bald nicht mehr, um den zunächst ausschließlich von diesen geübten Hackbau zur Fütterung der sich mehrenden Stammesgenossen zu bewältigen, zumal ihnen alle sonstigen Hausgeschäfte: das Kochen, das Weben der Kleidung, das Gerben der Häute, das Formen und Brennen des Tons zu Geschirr, der Hausbau und was sonst noch in den Bereich ihrer Pflichten fiel, oblagen. Und die Zahl dieser weiblichen Arbeiten wurde mit der besseren Lebenshaltung in zunehmendem Maße gesteigert, so daß die Frauenkraft mit dem besten Willen allen an sie gestellten Forderungen nicht mehr genügen konnte. Da galt es männliche Kraft zur Ge[S. 4]winnung der für die wachsende Bevölkerung immer wichtiger werdenden Nährfrüchte zu gewinnen. Diese aber leistete zunächst nicht der freie Mann, dem die Arbeit von jeher als größter Schimpf galt, wie wir bei allen auf dieser Kulturstufe verharrenden Menschheitsstämmen zu beobachten vermögen, sondern dazu wurden die Kriegsgefangenen verwendet, die man bis dahin getötet, d. h. den gefürchteten Geistern mächtiger Verstorbener, die sich allmählich zu Gottheiten entwickelten, geopfert hatte, weil man nichts mit ihnen anzufangen wußte. So erkannten die Stämme der jüngeren Steinzeit bald, daß diese Tötung eine unbegreifliche Verschwendung gewesen war. Deshalb wurde sie als unzweckmäßig abgeschafft und man begnügte sich als Opfer für die siegverleihenden Mächte die Anführer oder nur wenige, durch das Los bestimmte Männer aus der Zahl der Gefangenen zu schlachten. Die übrigen blieben am Leben und mußten als Knechte den Acker bestellen und alle schwere Arbeit verrichten.
Noch intensiver vermochte man den Landbau zu betreiben, als zu diesen unfreien Hörigen als ersten männlichen Arbeitern die Zugkraft des zunächst bloß zur Milch- und Fleischgewinnung vom Manne gezüchteten Rindes hinzukam, das den als Fortbildung der Hacke erfundenen einfachen Hakenpflug zur Auflockerung des Bodens vor der Aussaat des Getreides durch den zum Ackerfelde bestimmten Boden zu ziehen hatte. Besonders ausgiebig konnte der durch Kastration dem menschlichen Willen gefügiger gemachte Stier als Ochse den Pflug ziehen, und mit seiner Mithilfe vermochte man immer größere Ländereien dem Anbaue der Nahrung spendenden ältesten Nutzpflanzen dienstbar zu machen.
In dem Maße als sich der äußere Betrieb des Feldbaues vervollkommnete, verbesserte sich auch die Beschaffenheit der in menschliche Pflege und Kulturauslese verbrachten Körnerfrüchte, die neben den eßbaren Baumfrüchten und Wurzelknollen, welche aber erst später in Anbau genommen werden konnten, als die ältesten Nutzpflanzen des Menschen zu gelten haben. Schon auf der Stufe des umherziehenden Sammlers müssen dem Menschen die in dichten Beständen beieinander wachsenden Grasarten in erster Linie als Nahrungspflanzen aufgefallen sein. Mochten ihre mehlreichen Samen auch nur klein sein, so ersetzten sie den Mangel an Größe durch ihre leicht anzuhäufende große Zahl. Und als er zum Aussäen der Getreidekörner übergegangen war, griff er unwillkürlich, um eine größere Menge davon zusammenzubringen, nach den großen, in möglichst kräftig aufgeschossenen Halmen befind[S. 5]lichen Samen. Schon damit war der erste Schritt zur unbewußten Zuchtwahl getan, welche von selbst weiterschritt, wenn auf dem zur Aussaat gewählten Feld unter den ziemlich dicht nebeneinander aufschießenden Halmen im Ringen nach Luft und Licht die kräftigeren Pflanzen die Oberhand gewannen, während die schwächlicheren unterdrückt wurden und damit aus der Zucht ausschieden.
Je nach den klimatischen Verhältnissen und der Beschaffenheit des Bodens entwickelte sich die betreffende, in die Pflege des Menschen genommene Pflanze nach verschiedenen Richtungen weiter. Dazu kam die ihr innewohnende Variabilität oder Veränderungsfähigkeit, welche plötzlich neue Eigenschaften in ihr zutage treten ließ. Diese auffallenden abweichenden Formen suchte sich der Mensch, wenn sie sich als für ihn nützlich erwiesen, besonders aus und vermehrte sie durch getrennte Aussaat. So entwickelten sich unwillkürlich aus einer und derselben Stammpflanze mit der Zeit die mannigfaltigsten Kultursorten, die ihre Herkunft aus jener einen Art kaum glaublich erscheinen ließ. Daher kommt es, daß alle seit längerer Zeit in der Pflege und Kulturauslese des Menschen befindlichen Nutzgewächse eine solch unübersehbare Mannigfaltigkeit von Formen aufweisen und in so zahlreiche Unterarten mit allen Übergängen ineinander zerfallen, daß es ganz unmöglich ist, sie alle zu scheiden.
Die älteste vom Menschen in Pflege und Kulturauslese genommene Getreideart war zweifellos neben der Gerste, die besonders in Europa die erste Verbreitung besaß, der Weizen (Triticum vulgare). Er wurde irgendwo im westasiatischen Steppengebiet von einem heute nicht mehr festzustellenden, zu Ansässigkeit und höherer Kultur fortgeschrittenen Volke aus einem Wildlinge mit kleinen Samen zur wichtigen Nährfrucht mit großen, mehlreichen Körnern erhoben. Der gemeinsame Besitz dieser sicher schon vor mehr als 10000 Jahren in menschliche Obhut und Pflege genommenen Grasart bei den ältesten Kulturvölkern Westasiens und Ägyptens, wie auch bei den aus dem Innern Asiens, den Oasen am Südrande des Tarimbeckens etwa im vierten vorchristlichen Jahrtausend nach Osten gewanderten und als bereits reine Ackerbauer in den fruchtbarsten, aus Löß, dem besten Getreideboden, bestehenden Gegenden Nordchinas ansässig gewordenen Chinesen ließen eine zentralasiatische Herkunft des Weizens annehmen. So hat vor allem der Straßburger Botaniker H. Graf zu Solms-Laubach eingehend dazutun versucht, daß die Wiege der Weizenkultur in Zentralasien gesucht werden müsse, zu einer Zeit als die Wüste Gobi noch vom Meere bedeckt war[S. 6] und die Chinesen und die westasiatischen Kulturvölker noch näher beieinander wohnten. Als dann mit dem Verschwinden des Meeres die Existenzbedingungen des Menschen in jenen niederschlagsarmen Gegenden sich verschlimmerten, seien erstere nach Osten und letztere nach Westen ausgewandert und hätten diese ihre wichtige älteste Kulturpflanze mitgenommen.
So schön nun diese Annahme klingt und so verlockend sie auch auf den ersten Blick erscheint, so kann sie doch wohl kaum länger aufrechterhalten werden, denn bisher ist noch nirgends in Zentralasien wildwachsender Weizen angetroffen worden, wohl aber in Westasien. Dort ist neuerdings mit großer Wahrscheinlichkeit in Persien und am Antilibanon die wilde Stammform des Weizens mit kleinen Samenkörnern und ziemlich brüchiger Spindel, alles Merkmalen, die auf ursprüngliche Wildheit und nicht bloß Verwilderung schließen lassen, gefunden worden. Zuletzt gelang es Aaronsohn im Jahre 1906, sie auch am Südostabhang des Hermon im Westjordanlande, in Rosch Pinah und an den Ostabhängen des Dschebel Safed und Kanaan in einigen voneinander abweichenden Spielarten nachzuweisen, wobei allerdings die Möglichkeit nicht ganz ausgeschlossen ist, daß wir es in diesem letzteren Falle mit seit langer Zeit verwilderten einstigen Kulturformen des Menschen zu tun haben.
Jedenfalls sprechen alle uns bekannten geschichtlichen Tatsachen dafür, daß die Weizenkultur ihren ältesten nachweisbaren Herd in der durch ein reichverzweigtes Kanalnetz bewässerten und dadurch zu einem äußerst fruchtbaren Lande gemachten Ebene des Zweistromlandes zwischen Iran im Osten und Kleinasien im Westen hatte. Hier in Mesopotamien, wo das uralaltaische Volk von Sumer und Akkad, d. h. Süd- und Nordbabylonien das älteste für uns nachweisbare Kulturzentrum schuf, das dann allmählich von den eingewanderten Semiten eingenommen wurde, die jene Kultur völlig in sich aufnahmen und in eigenartiger Weise weiterbildeten, war die ganze Lebenshaltung des Volkes auf den im reich bevölkerten Lande intensiv betriebenen Weizenbau neben der Kultur von Gerste und Hirse, wie auch Sesam als Fettspender, gegründet. Der älteste griechische Geschichtschreiber Herodot, der ums Jahr 460 v. Chr. das Land bereiste, war von den Getreidekulturen Babyloniens so entzückt, daß er später bei der Beschreibung jenes Landes sagte: „Assyrien ist so übermäßig fruchtbar, daß das Getreide einen zweihundertfachen, ja in den besten Jahren einen dreihundertfachen Ertrag gibt und daß die Blätter des Weizens und der Gerste reichlich[S. 7] vier Finger breit werden, Hirse und Sesam aber sehen dort aus wie Bäume.“ Wenn wir auch von der offenkundigen Übertreibung dieses Berichterstatters absehen, so ist doch so viel sicher, daß der Weizen dort außerordentlich üppig gedieh. Der große Schüler des Aristoteles und nach dessen Tod im Jahre 322 Haupt der peripatetischen Schule, Theophrastos (390–286 v. Chr.) in Athen, schreibt in seiner Pflanzengeschichte: „In Babylonien ist man genötigt, den Weizen nicht nur einmal, wie in anderen fruchtbaren Gegenden, sondern sogar zweimal abzusicheln, zum drittenmal aber mit Schafen abzuweiden; erst dann kann man ihn in den Halm wachsen lassen, weil er sonst zu üppig in die Blätter treibt. Er gibt dort 50- bis 100fältigen Ertrag. Die große Fruchtbarkeit erlangt der Boden Babyloniens durch Bewässerung.“ Noch Berosos, ein Priester zu Babylon, der im dritten vorchristlichen Jahrhundert drei Bücher über babylonische Geschichte in griechischer Sprache schrieb, berichtet, daß der Weizen in der Gegend seines Wohnortes wildwachsend angetroffen werde.
Auch im ältesten Ägypten, dessen Kulturvolk auf eingehende astronomische Kenntnisse gestützt einen schon sehr genau ausgerechneten Kalender im Jahre 4241 v. Chr. einführte, also damals schon eine staunenswerte Höhe der Kultur errungen hatte, erhielt der Weizen den Vorrang vor der Gerste und wurde seit den ältesten für uns nachweisbaren Dynastien in solcher Menge angepflanzt, daß die Schriftsteller des Altertums die ganze fruchtbare Niederung am Delta des Niltales mit einem einzigen, großen Weizenfelde verglichen. Der Weizen hieß im Altägyptischen su und wurde wie der Spelt bôti und die Gerste ati in zwei Sorten, einer weißen und einer roten, kultiviert. Seine Fruchtkörner finden sich fast regelmäßig unter den Totenspeisen. Wie sie als Nährfrucht für die Lebenden von der größten Bedeutung waren, so sollten sie auch die Geister der Verstorbenen nicht entbehren. Die altägyptischen Grabdenkmäler zeigen uns schon ganz deutlich begrannten und unbegrannten Weizen, wie auch sämtliche Vorgänge beim Pflügen, Säen, Ernten, Dreschen und Magazinieren des Getreides. Der Pflug aus der Pyramidenzeit, d. h. dem Beginne des dritten vorchristlichen Jahrtausends war ein gekrümmtes, vorn zugespitztes Holz von einem Baumast, an welchem, durch Baststricke oder Weidengeflecht befestigt, sich die Deichsel befand. Er wurde meist von Rindern und nur ausnahmsweise von vier Männern zu Paaren gezogen. Die Kornfrucht wurde mit kurzen Sicheln in Kniehöhe abgeschnitten, in Garben zusammengeschnürt und diese auf Eseln nach der im Freien auf etwas[S. 8] erhöhter, dem Winde leicht Zutritt gewährender Stelle errichteten Tenne gebracht, wo man sie auflöste und über die Ähren Rinder oder Esel im Kreise herum trieb, damit sie die Körner austräten. Währenddem wendete ein Arbeiter mit einer Holzgabel die niedergetretenen Haufen um. Vermittelst der Worfel wurde dann die Frucht von der Spreu geschieden, d. h. Männer warfen die ausgetretene Masse mit Schaufeln in die Höhe, so daß der Wind die Spreu wegfegte, während die schweren Körner zur Erde fielen. Vielfach wurde die Tätigkeit des Windes durch Hin- und Herschwingen eines Wedels unterstützt. Dann wurde das Getreide, nachdem es durch ein Rohrsieb vom anhaftenden Staub und Unkrautsamen befreit worden war, in Säcke geschaufelt und auf den Rücken der Arbeiter in die oben geöffneten, hohen, runden Speicher getragen. In den staatlichen Magazinen wurde das Getreide in größerer Menge für Zeiten der Not auf viele Jahre hinaus aufgespeichert. Da der Weizen die Hauptkulturpflanze des Niltales bildete, gehörte auch Weizengebäck zu den Hauptnahrungsmitteln der alten Ägypter. Nachdem das Korn von den Frauen auf einfachen Handmühlen gemahlen worden war, wurde es mit Wasser zu einem Teig angemacht, der vielfach mit den nackten Füßen geknetet und zu den verschiedensten Fladen und Kuchen verarbeitet wurde. Diese wurden dann teils in heißer Asche, teils auf erhitzten Steinplatten, meist jedoch in bienenkorbähnlichen, etwa 1 m hohen Backöfen, die innen geheizt wurden und auf welche die fladenförmigen Brote außen angeklebt wurden, gargebacken und in der Regel, um sie schmackhafter zu machen, mit Sesamkörnern bestreut. Solches Weizenbrot galt im alten Ägypten als das vornehmste Opferbrot. Die Weizenkultur war noch zur Römerzeit in Ägypten so ausgedehnt, daß teilweise die Proletarier in Rom mit deren Erträgnis gefüttert wurden. So wurden unter Kaiser Augustus allein 20 Millionen römischer modii (= 175 Millionen Liter) Weizen aus Alexandrien nach Rom verschifft, und wenn auch dieser von Plinius in seinem Bericht über die Güte der nach Rom gesandten Tributleistungen der von den Römern unterjochten Völker dem italienischen, böotischen und sizilischen Weizen nachgestellt wird, so ist dies nur damit zu erklären, daß die Ägypter zu diesen Zwangslieferungen begreiflicherweise nicht die besten Sorten Getreide genommen haben werden.
Auch in Syrien und Palästina war der Weizen als Getreidefrucht sehr angesehen und wurde neben der Gerste viel kultiviert, wie schon verschiedene diesbezügliche Stellen aus dem Alten Testamente dartun.[S. 9] So wird in Jesaias, 25 gesagt, daß man Weizen und Gerste, wie auch Spelt jegliches an seinen Ort säe und solches nach der Ernte durch Darübertreiben von Rindern ausdresche. Dabei wurde als Tenne ein wenn möglich erhöhter, dem Wind allseitig Zutritt gebender Ort gewählt. Nur ausnahmsweise wurde eine in den anstehenden Fels gehauene Vertiefung, in welcher man sonst die Trauben bei der Weinbereitung mit den Füßen zertrat und die deshalb von Luther bei seiner Bibelübersetzung als Kelter bezeichnet wurde, zum Dreschen benutzt, wie beispielsweise im Buche der Richter 6, 11, wo der Engel des Herrn sich unter eine Eiche zu Ophra setzte, „die war Joas, des Vaters der Efriter, und sein Sohn Gideon (der Held und Heerführer — Richter — der Israeliten im 12. Jahrhundert v. Chr., der sein Volk von der siebenjährigen Herrschaft der Midianiter befreite) drosch Weizen in der Kelter, daß er flöhe vor den Midianitern“. Und als der Engel seine Botschaft ausgerichtet hatte, daß der Herr mit ihm sei und er die Midianiter schlagen werde wie einen einzelnen Mann, hieß ihn Gideon warten, bis er ihm ein Speiseopfer geleistet habe. „Und Gideon ging und schlachtete ein Ziegenböcklein und nahm ein epha ungesäuertes Mehl (d. h. aus ungesäuertem Teig gebackenes Fladenbrot) und legte (das gekochte) Fleisch in einen Korb und tat die Brühe in einen Topf und brachte es zu ihm heraus unter die Eiche und trat herzu. Da sprach der Engel Gottes: Nimm das Fleisch und das Ungesäuerte und laß es auf dem Fels, der hier ist, und gieße die Brühe aus. Und er tat also. Da reckte der Engel des Herrn den Stecken aus, den er in der Hand hatte, und rührete mit der Spitze das Fleisch und das ungesäuerte Mehl an. Und das Feuer fuhr aus dem Fels und verzehrte das Fleisch und das ungesäuerte Mehl. Und der Engel des Herrn verschwand aus seinen Augen.“ Da baute Gideon daselbst dem Herrn einen Altar und hieß ihn: der Herr des Friedens.
Sehr frühe schon in vorgeschichtlicher Zeit kam auch der Weizen mit der Gerste und der Hirse wie zu den neolithischen Hackbauern Europas, so auch nach Osten zu dem alten Kulturvolke der Chinesen, als sie noch im Innern Asiens saßen. Bei ihrer, wie bereits bemerkt, in das vierte vorchristliche Jahrtausend zu setzenden Auswanderung in die fruchtbaren Gegenden Nordchinas waren sie schon längst im Besitze dieser wertvollen Nährfrucht. In den chinesischen Annalen wird von einem Kaiser namens Schen-nung berichtet, der ums Jahr 2800 v. Chr. lebte und anordnete, daß bei einem alljährlich wiederkehrenden großen Feste in symbolischer Handlung die fünf wichtigsten Kultur[S. 10]pflanzen der damaligen Zeit ausgesät werden sollten. Unter ihnen befand sich neben der Gerste, dem Reis, den Sojabohnen und der Hirse auch der Weizen.
Die in den neolithischen Pfahlbauansiedlungen Mitteleuropas am häufigsten neben der für Europa älteren Gerste angebaute Körnerfrucht war nach den eingehenden Untersuchungen des verstorbenen Züricher Botanikers Oswald Heer der kleinkörnige Pfahlbauweizen, eine heute ausgestorbene Weizenart, welche durch ihre sehr kleinen Körner anzeigt, daß diese Getreideart noch sehr wenig durch künstliche Zucht und Auslese veredelt worden war. Daneben wurde der Emmer und das Einkorn oder der Zwergweizen, zwei ebenfalls sehr wenig ausgiebige Getreidearten, angepflanzt. Erst zu Beginn der Bronzezeit, etwa um 1800 v. Chr., wurde durch die regeren Handelsverbindungen mit den östlichen Mittelmeerländern, die durch ihre großen, mehlreichen Samen sich als hochgezüchtete Art ausweisende, ertragreiche ägyptische Kulturvarietät, der sogenannte Mumienweizen — so genannt, weil er sich den altägyptischen Mumien mitgegeben findet — zu den Hackbauern Mitteleuropas gebracht.
Auch bei den Griechen der homerischen Zeit war neben Gerste und Spelt der Weizen das Hauptgetreide, dessen Körner auch den Pferden und dem Federvieh, soweit solches schon in menschlicher Pflege stand, verfüttert wurden. So wurden nach der Ilias die schnellfüßigen Rosse des Diomedes und nach der Odyssee die zwanzig Gänse, die Penelope auf ihrem Gute in Ithaka besaß, mit „lieblich schmeckendem Weizen“ (pyrós) gefüttert. Und als Hektor zum Kampfe gegürtet aufbricht, redet er, bevor er den zweiräderigen Schlachtwagen besteigt, seine beiden Pferde an: „Wohlauf, ihr meine Rosse, zeigt euch dankbar für die gute Pflege, die euch Andromache (seine Gattin) angedeihen ließ, indem sie euch köstlichen Weizen und Wein vorsetzte, so oft ihr nach Futter und Trank verlangtet.“
Von späteren griechischen Autoren schreibt Theophrast in seiner Pflanzengeschichte zu Ende des vierten vorchristlichen Jahrhunderts: „Es gibt viele Sorten von Weizen. Sie haben ihre Namen von ihrem Vaterlande oder von anderen Dingen und unterscheiden sich in der Farbe, Größe und Gestalt und anderen Eigenheiten der Körner, sind auch an Wirkung und Nährkraft verschieden. Mancher Weizen wird im Herbst, mancher dagegen im Frühjahr gesät. Es gibt auch eine Sorte, die in drei, eine, die in zwei Monaten reif wird; auf Euböa soll er von der Aussaat bis zur Reife nur 40 Tage brauchen. An[S. 11] Nährwert sind manche Sorten so verschieden, daß Kämpfer, die in Böotien kaum drei Pfund verzehren, deren fast fünf brauchen, wenn sie nach Athen kommen. Der Grund solcher Verschiedenheit liegt im Boden und in der Luft.“ Und Columella, ein aus Spanien nach Rom gekommener römischer Ackerbauschriftsteller aus dem ersten Jahrhundert n. Chr., sagt in seinem Buche über den Landbau: „Die wichtigsten und dem Menschen nützlichsten Getreidearten sind Weizen (triticum) und Spelt (semen adoreum, d. h. beim Opfer dargebrachter Samen; sein gewöhnlicher Name war bei den Römern far). Wir kennen mehrere Weizensorten; für den Anbau eignet sich aber diejenige am besten, die robus genannt wird, weil sie sich durch Gewicht und Glanz auszeichnet. Den zweiten Rang nimmt der Siligoweizen ein; er gibt ein köstliches Brot, wiegt aber leicht. Die dritte Sorte ist der Dreimonatsweizen; er ist bei den Landleuten sehr beliebt, denn er hilft aus, wenn Regen, Überschwemmung oder eine andere Ursache die zeitige Aussaat verhindert hat. Dieser ist übrigens auch eine Siligosorte. Alle übrigen Weizenarten kann man recht gut entbehren, es sei denn, daß man seine Freude daran hat, recht vielerlei zu besitzen und zur Schau zu stellen.“
Columellas Zeitgenosse Plinius meint: „Der Weizen saugt das Land am meisten aus. In verschiedenen Gegenden werden verschiedene Getreidearten gebaut, und dieselbe Art führt auch nicht überall denselben Namen. Die gemeinsten sind Spelt (far), früherhin auch adoreum genannt, ferner siligo — wie der Spelt grannenlos — und Weizen. Siligo heißt eine zarte Weizensorte, sie ist weiß, kraftlos, leicht und eignet sich für feuchten Boden. Jenseits der Alpen hält sie sich nur im Lande der Allobroger und Meminer (keltischer Bergvölker in der Gallia narbonensis, d. h. Südostfrankreich), in den andern geht sie nach zwei Jahren in Weizen über. Eine andere Weizenart, arinca, wird in Gallien, jedoch auch in Italien angepflanzt; in Ägypten, Syrien, Kilikien, Kleinasien und Griechenland dagegen vorzugsweise zea (eine Art Spelt), olyra (eine Art Weizen) und tiphe (Einkorn). — Ägypten liefert ein feines Weizenmehl, das aber dem italienischen an Güte nachsteht.“ Später schreibt er, um zu sagen, wie fruchtbar der Weizen sein könne: „In der byzakischen Landschaft Afrikas (Algerien) gibt ein Maß ausgesäten Weizens bei der Ernte 150 Maß zurück. Der dortige Prokurator hat dem Kaiser Augustus eine Weizenstaude geschickt, welche aus einem Korne gewachsen war, sich aber in fast 400 Halme teilte. Das klingt kaum glaublich; aber die darüber ge[S. 12]wechselten Briefe sind noch vorhanden. Er hat auch dem Nero eine Weizenstaude mit 360 Halmen aus einem Korn geschickt. Hundertfältigen Ertrag geben auch die Felder in Sizilien, Bätika (die nach dem Flusse Baetis = Quadalquivir genannte südlichste, ganz Andalusien umfassende Provinz Spaniens), Ägypten.“
Seit dem Altertum werden in Europa wie in allen Kulturländern die verschiedensten Arten von begranntem oder unbegranntem Weizen angebaut, auf deren Unterschiede wir hier nicht eintreten können. Es genüge zu bemerken, daß heute jährlich etwa 90 Milliarden Kilogramm Weizen geerntet werden. Dabei nimmt der Weizenbau immer noch gewaltig zu, indem stetsfort neue Strecken Kulturlandes hierfür in Bearbeitung genommen werden. Unter allen Zerealien bedarf der Weizen am meisten Wärme; er verlangt nämlich eine mittlere Sommertemperatur von +14°C. Gegenwärtig ist der Weizenbau über die ganze gemäßigte und subtropische Zone der Alten und Neuen Welt verbreitet. In der heißen Zone kann sein Anbau nur noch auf Bergen stattfinden, deren Temperatur derjenigen unserer Gegenden entspricht. Am besten geeignet zur Weizenkultur ist lehmhaltiger Kalkboden; doch ist auch lehmiger Sandboden sehr gut dafür. Wenn zu viel Lehm vorhanden ist, ist der Boden zu feucht und gibt einen nur geringen Ertrag an Samenkörnern. Sonst nimmt es der Weizen nicht allzu genau mit der Bodenart. Er flieht nur übermäßige Feuchtigkeit und verlangt kohlensauren Kalk, daneben natürlich die unentbehrlichen Nährstoffe wie Stickstoff, phosphorsauren Kalk und Alkalien. Um rationelle Getreidekultur zu betreiben, muß also der Ackerbauer die natürliche und chemische Zusammensetzung des Bodens, auf dem er Getreide pflanzen will, genau kennen und die Düngung desselben dementsprechend regeln. Am besten ist dabei entschieden der Stalldünger, der die Ackerkrume nicht nur chemisch, sondern auch physikalisch verbessert.
Außerdem ist es nötig, daß der Acker, auf dem der Weizen gedeihen soll, sorgfältig von Unkraut gereinigt sei, weil dieses Kulturgewächs sich leicht durch allerlei Unkraut verdrängen läßt. Aus diesem Grunde läßt man zwischenhinein auf dem zur Weizenkultur verwendeten Boden eine Kultur wie Runkelrüben oder Tabak wachsen, die das Unkraut vertilgt. Überhaupt soll möglichster Fruchtwechsel geübt werden, damit der Boden trotz der Düngung nicht einseitig ausgesogen werde.
Die Entwicklung und das Reifen des Korns sind, was die Zeitdauer betrifft, hauptsächlich vom Klima und von der Getreidesorte ab[S. 13]hängig. Das als Winterkorn bezeichnete Getreide wird in den nördlichen Gegenden der gemäßigten Zone im Oktober, in den südlichen jedoch erst im Dezember gesät. Das Sommerkorn dagegen kommt erst im März oder April zur Aussaat. Für ein einigermaßen rauhes Klima kann als Grundregel gelten, daß das Korn keine Spur von Wachstum zeigt, so lange die Temperatur niedriger als + 6°C. ist, und daß es ungefähr drei Wochen wachsen muß, bevor es der Winterkälte Widerstand zu leisten vermag.
Um eine reiche Ernte zu erzielen, muß das Saatkorn völlig reif und schwer sein, sich trocken anfühlen, leicht durch die Finger gleiten und durch die Unkraut-Auslesemaschinen vom Unkraut befreit sein. Um allfällige, dem unbewaffneten Auge unsichtbar an ihm haftende Krankheitskeime, besonders des Getreiderostes und Stinkbrandes zu entfernen, wird es zudem vor der Aussaat gekalkt oder geschwefelt; letzteres ist die am meisten geübte, gründlichste und zugleich billigste Methode. Dazu wird das Saatkorn in einem Bottich mit einer Lösung von 300 g schwefelsaurem Kupfer auf 100 Liter Wasser gewaschen, wobei die obenauf schwimmenden leichten Körner als zur Saat ungeeignet entfernt werden. Bei dem nur auf kleineren Bauernhöfen geübten Kalken wird das Korn mit einer aus 1,5 Liter ungelöschtem Kalk auf 100 Liter Wasser hergestellten Kalkmilch begossen und dabei fortgesetzt mit der Schaufel umgewendet, damit jedes einzelne Korn gut mit der Masse imprägniert werde.
Diese Vorsichtsmaßregel ist durchaus nötig, denn der Weizen wird wie alle Kulturpflanzen von verschiedenen bösartigen Pilzkrankheiten heimgesucht. Beim Stinkbrand werden die Fruchtknoten mit einer stark nach Heringslake riechenden, klebrig-schmierigen Sporenmasse erfüllt. Kommen solche erkrankte Ähren unter das Getreide, und werden gemahlen, so können große Mengen von Mehl vollständig unbrauchbar gemacht werden. Noch verbreiteter und, wenn möglich, bösartiger ist der Getreiderost, der alle Getreidearten heimsucht. Es bilden sich dabei an den Blättern rötliche Flecken, die die Entwicklung der Pflanze hindern und nicht bloß den Ertrag herabsetzen, sondern auch das Eingehen der erkrankten Pflanze bewirken können. Rost kommt aus der germanischen Wurzel rud, d. h. rot. Bei den Griechen hieß er erisýbē und bei den Römern rubigo (von rubus rot). Aus Furcht vor dieser schlimmen Getreidekrankheit opferten die letzteren sogar dem Gotte Rubigus und feierten zur Abwendung der Krankheit am 25. April die Rubigalien.
Schon den Bauern des Mittelalters war es aufgefallen, daß die Rostkrankheit des Getreides sich immer nur da zeigte, wo in der Nähe der Felder Berberitzensträucher standen. Obgleich durchaus kein Beweis für diesen Zusammenhang erbracht werden konnte, war der Glaube daran schon so tief gefestigt, daß häufig die Gerichte die Entfernung von Berberitzensträuchern aus der Nähe von Getreidefeldern beantragten. Erst vor verhältnismäßig kurzer Zeit wurde von der wissenschaftlichen Forschung der untrügliche Beweis erbracht, daß die Praxis ganz richtig erkannt hatte. Ein und derselbe Pilz (Puccinia graminis) bedarf zu seinem Fortkommen des Wirtswechsels, indem er in der einen Generation auf den Getreidehalmen und in der folgenden auf den Blättern der Berberitze, wo er hellgelbe Pusteln verursacht, sich ansiedelt, um endlos diesen Kreislauf aufs neue zu vollführen. Deshalb dürfen auch absolut keine Berberitzensträucher in der Nähe von Getreidefeldern geduldet werden. Dies sei nur nebenbei bemerkt, um begreiflich zu machen, wie sehr eine Desinfektion des Saatkornes nötig ist.
Von tierischen Parasiten des Weizens ist vor allem das Weizenälchen (Tylenchus scandens) zu nennen, welches das sogenannte Gichtigwerden oder den Faulbrand des Weizens verursacht und dadurch oft gewaltigen Schaden anrichtet. Die jungen Älchen dringen in die Blütenähre ein und bilden, ähnlich wie manche Insektenlarven Galläpfel, eine abnorme Entwicklung des Korns, was man als Gicht oder Radenkorn bezeichnet. Die Weibchen legen darein eine große Menge Eier und sterben, wie auch die Männchen, ab. Aus den Eiern entwickeln sich geschlechtslose Larven, die in Anabiose, eingetrocknet den staubigfaserigen Inhalt des Gichtkorns bilden. Gelangt letzteres mit den gesunden Weizenkörnern in den feuchten Ackerboden, so werden die winzigen Würmchen durch Wasserzufuhr wieder lebendig, gelangen zu einer jungen Weizenpflanze, kriechen an derselben hinauf, halten sich bei trockener Witterung in den Blattscheiden ohne Bewegung und Lebenszeichen auf, suchen aber bei einfallendem Regen mit dem Emporwachsen des Halmes immer weiter nach oben zu kommen und gelangen so zu einer Zeit schon in die oberste Blattscheide, da sich die Blüte zu bilden beginnt. In diese dringen sie nun ein, wachsen zur Geschlechts[S. 15]reife heran, paaren sich und pflanzen sich fort, um den Kreislauf stets wieder aufs neue zu vollenden. Bemerkenswert ist die außerordentliche Zählebigkeit der Weizenälchen, die, wie mehrfache Versuche bewiesen, nach 20 und mehr Jahren völliger Eintrockung bei Befeuchtung wieder aufleben. Naturgemäß tritt der Faulbrand in nassen Jahren stärker auf als in trockenen. Der Landmann muß sich gegen den Schädling dadurch schützen, daß er alle gichtigen Körner des Weizens — am besten durch Verbrennen — vernichtet und zum Säen nur gesundes, in einer halbprozentigen Kupfervitriollösung gebeiztes Saatgut verwendet.
So vorbereitet wird das Korn mit voller Hand, breitwürfig, wie man zu sagen pflegt, auf den durch Pflügen und Eggen vorbereiteten Boden gesät und durch nochmaliges Eggen möglichst in ihn hineingebracht; denn alle an der Oberfläche liegen bleibenden Körner erliegen der Kälte oder der Sonnenwärme, oder werden von den danach lüsternen Vögeln, besonders Tauben, weggepickt. Viel besser als die Menschenhand besorgen dies Geschäft die modernen Sämaschinen, die ausgezeichnet rasch und gut arbeiten und über die Hälfte des Saatkorns ersparen, indem sie den Samen gleich in die Erde versenken.
Vierzehn Tage nach der Aussaat erscheinen die ersten Keime, so daß der Ackerboden einen grünen Anflug erhält. Im Laufe des Frühjahrs und Sommers wächst nun das Korn im Wechsel von Regen und Sonnenschein heran, treibt seine Blüten, die durch den Wind mit dem reichlich ausstäubenden Pollen befruchtet werden, und läßt den Samen reifen. Sobald die Samenkörner so fest geworden sind, daß sie ohne große Anstrengung durch den Nagel gerade noch einen Eindruck bekommen, beginnt die Ernte, die in kleineren Betrieben noch von Hand, sonst aber in zunehmendem Maße ebenfalls durch Maschinen besorgt wird. Durch Maschinen wird es auch gedroschen, geworfelt, gesiebt und dabei die Getreidekörner nach der Größe sortiert, während das Stroh automatisch zu Bündeln vereinigt wird. Die Getreidesäcke werden in gut gelüfteten Scheunen aufbewahrt — in den Zentren des Getreidebaus benutzt man dazu besondere Silos mit automatisch arbeitenden Elevatoren. Für den menschlichen Gebrauch wird dann das Korn in den Mühlen gemahlen und kommt als Mehl verschiedenster Sorte teils zum Bäcker, teils an die Makkaroni- oder Schiffszwiebackfabrikanten oder wird sonstwie in den einzelnen Haushaltungen zur Herstellung von allerlei Eßwaren verwendet.
Jahrtausende hindurch haben unsere Ahnen der vorgeschichtlichen und frühgeschichtlichen Zeit das zur Herstellung des Breies, der Grütze und später auch des Fladenbrotes nötige, damals noch äußerst grobkörnige und vielfach mit feinen Gesteinssplittern vermengte Mehl selbst herstellen müssen. Zu diesem Zwecke wurde das meist kurz geschnittene Korn durch die Hufe der darüber getriebenen Rinder, Ziegen oder Schafe ausgetreten — woher überhaupt die lateinische Bezeichnung des Weizens triticum (von tritare = austreten), d. h. das „Ausgetretene“ herrührt — und in Vorratsbehältern verschiedenster Gestalt aufbewahrt. Daraus holten sich die Frauen jeweilen ihren täglichen Bedarf an Korn. Wie heute noch im Orient, konnte man einst früh morgens noch vor dem Morgengrauen das Reibegeräusch der primitiven steinernen Handmühlen in den Siedlungen der Stein- und Bronzezeit hören, in denen die Frauen das Mehl zur Herstellung des Breies oder der flachen, ungetriebenen Brotfladen für das Frühstück herstellten. Es war dies die erste Arbeit des Tages, soviel Korn als für die erste Mahlzeit der Hausgenossen nötig war, zu Mehl zu mahlen. Deshalb heißt es in den Lobsprüchen eines tugendsamen Weibes aus den Sprüchen Salomos (Kap. 31, Vers 15) von „der Frau, die morgens früh aufsteht, wenn es noch Nacht ist, und die Speise für ihren Mann, die Kinder und das Gesinde bereitet“, d. h. auf der Handmühle das für den ersten Tagesbedarf erforderliche Korn zu Mehl mahlt.
Ursprünglich bestanden diese Handmühlen, die uns in großer Zahl in den prähistorischen Museen entgegentreten, aus zwei losen Steinen, einem kleineren, walzenförmigen, der auf einem größeren, flachen über das zu mahlende Korn hin und her gerieben wurde. Später wurden zwei annähernd gleich große Steine so zugehauen, daß der obere, an welchem exzentrisch ein hölzerner Handgriff angebracht war, um den unteren herumgedreht werden konnte, wie dies heute noch an den im Morgenlande überall gebräuchlichen Hausmühlen zu sehen ist. Solche einfache steinerne Handmühlen besaßen noch die deutschen Stämme zur[S. 17] Zeit der Völkerwanderung. Gotisch hießen sie quairnus, althochdeutsch quirn oder quern. An letztere erinnern noch manche Eigennamen wie Querner, Kerner, Körner, die also gleichbedeutend mit unserem Worte Müller sind, und Ortsnamen wie Quirnfurt, Querfurt, Körnbach usw. Daß aber ganze Orte nach der Handmühle quirn bezeichnet wurden, zeigt, daß es im Mittelalter neben den kleineren auch größere Mühlen gab, wie sie nicht in jedem Hause, nicht einmal an jedem Orte vorkamen, weil sie sonst kein unterscheidendes Kennzeichen für die Benennung hätten abgeben können. Wahrscheinlich wurden sie später so vergrößert, daß sie durch Tiere getrieben wurden, was bei den Griechen und Römern der späteren Zeit bereits allgemein üblich war. Aber mit dem Untergange der hellenisch-römischen Kultur verfielen in den Bedrängnissen der Völkerwanderungszeit diese bequemen Einrichtungen an den meisten Orten und kamen außer Gebrauch. So benutzten die Germanenstämme des frühen Mittelalters noch ausschließlich die kleinen Handmühlen. Erst nach und nach kamen bei ihnen die von den Römern in den von ihrer Kultur befruchteten Gebieten gebauten molinae, d. h. meist schon durch Wasser- statt Tierkraft getriebenen Mühlen auch in Germanien allmählich in Aufnahme. Deren Anlage erheischte jedoch so viel Vorbereitungen, wie Erwerb von Wasserrechten und Land, Stauung des Wassers, Einrichtung der Wasserräder und der an sie gekuppelten Maschinen, daß diese „Mülinen“, wie sie im späteren Mittelalter genannt wurden (franz. moulin), sich nur sehr langsam neben den allgemein gebräuchlichen Quirnsteinen einbürgerten.
Die Wassermühlen waren übrigens durchaus keine römische Erfindung, sondern dienten schon sehr früh im Orient zum Ersatze der menschlichen oder tierischen Kraft bei der Mehlbereitung. Bereits Mithridates der Große (132–66 v. Chr.), der im Jahre 88 von den Küstenländern am Schwarzen Meere aus ganz Kleinasien eroberte und daselbst alle Römer, etwa 80000 an der Zahl, ermorden ließ, besaß in seinem Reiche welche. Es waren dies oberschlächtige Wasserräder, die früher bekannt waren und dem Mühlenbetriebe dienten als die unterschlächtigen, von denen uns erst der römische Kriegsingenieur unter Cäsar und Augustus, Vitruvius, berichtet. Öffentliche Wassermühlen kamen in Rom erst zu Ende des 4. Jahrhunderts n. Chr. unter den Kaisern Honorius und Arkadius auf, und das älteste darauf bezügliche Gesetz aus dem Jahre 398 zeigt deutlich, daß sie damals noch eine neue Einrichtung waren, die man durch öffentlichen Schutz sichern mußte. Darauf bezügliche Befehle wurden noch gegen das[S. 18] Ende des 5. Jahrhunderts von Kaiser Zeno erneuert. Diese Mühlen lagen an den Kanälen, die Wasser nach Rom führten, und konnten, da sie nur von wenig Wasser getrieben wurden, jedenfalls nur verhältnismäßig geringe Kraft entwickeln. Als der Gotenkönig Vitiges im Jahre 536 den Feldherrn des oströmischen Kaisers Justinian, Belisar, in Rom belagerte und die 14 großen Wasserleitungen der Stadt verstopfen ließ, geriet dieser in große Verlegenheit, nicht wegen Wassermangel überhaupt — denn dagegen sicherte ihn der Tiberstrom —, sondern wegen Verlustes desjenigen Wassers, das die Mühlen trieb, die alle an diesen Kanälen lagen. Pferde und Ochsen, die man zum Treiben der Mühlen hätte gebrauchen können, fehlten den Einwohnern der belagerten Stadt. Da geriet Belisar auf den Gedanken, die Mühlen auf im Tiber verankerte Fahrzeuge zu bringen und sie vom Strome treiben zu lassen. Damit wurde er zum Erfinder der Schiffsmühlen. Diese funktionierten ganz gut. Und als die Belagerer starke Balken in den Strom warfen, um sie zu zerstören, schützten sich die Belagerten durch vorgezogene Ketten.
Vor der Erfindung der Wassermühlen war tierische oder menschliche Kraft zum Treiben der Mühlen gebräuchlich. Bei der Unmenge von Sklaven, über die man in Rom verfügte, besorgten diese lange Zeit hindurch das Drehen der großen Mühlen, die aus zwei Steinen aus[S. 19] rauhem Trachyt bestanden, wie man an den uns in Pompeji ziemlich zahlreich erhaltenen Exemplaren sehen kann. Die Unterlage bildete ein kreisförmiger, großer Stein mit erhöhtem Rand. In seiner Mitte ruhte ein am oberen Ende wagerecht abgestutzter Kegel, aus dessen Mitte ein kurzer Eisenzapfen hervorragte, der in eine entsprechende Höhlung einer eisernen Scheibe am sogenannten Läufer paßte. Dieser Läufer war ein sanduhrförmiger Doppeltrichter, in den oben das Getreide geschüttet wurde, um durch vier Löcher, von welchen die Eisenscheibe durchbohrt war, zwischen Bodenstein und Läufer zu geraten und beim Drehen des letzteren zermalmt zu werden. Das fertig gemahlene Mehl wurde am Rande der Unterlage mit der Hand hinweggenommen.
Neben diesen moderneren Mühlen haben die Römer noch lange Zeit hindurch ihr Getreide geröstet von Sklaven in Mörsern stampfen lassen. Vom lateinischen pinsere stampfen nannte man die Leute, die dieses Geschäft besorgten, pinsores, später pistores. Besonders wurde dies mit dem alsbald zu besprechenden Spelt oder Dinkelweizen gemacht, da damit die Hüllspelzen desselben leichter zu entfernen waren. Verordnungen über die Mühlensklaven kommen noch unter dem Kaiser Valentinian vor, der von 364–375 regierte. Erst unter dem 379 von Gratian zum Mitregenten ernannten Theodosius dem Großen, der 395 in Mailand starb, nachdem er sein Reich unter seine beiden Söhne Arkadius und Honorius geteilt hatte, hörte man, wie uns Antonius berichtet, auf, Sklaven zu halten und Mühlen von Menschen treiben zu lassen.
Windmühlen waren im Altertum noch nicht im Gebrauch. Diese kamen vielmehr erst um die Mitte des 11. Jahrhunderts in Deutschland auf. Jahrhunderte hindurch blieb dann hier das Mühlenwesen auf der einmal erreichten Stufe stehen, bis von den praktischen Nordamerikanern aus ein mächtiger Anstoß zu Verbesserungen im Mühlenbetriebe erfolgte. In Pennsylvanien und am Mississippi bestanden bereits zu Anfang des vergangenen Jahrhunderts Mühlen, die die Leistungen der europäischen Mühlen weit übertrafen, indem sie auf Großbetrieb eingerichtet waren. Dazu kam die Anwendung der Dampfmaschine zuerst 1784 in England, dann 1825 in Deutschland, und zwar Magdeburg, und 1828 in Frankreich, so daß von dieser Zeit an Dampfmühlen nach amerikanischem System rasche Ausbreitung fanden. Vom Jahre 1834 an, da Sulzberger solche Neuerung einführte, wandte man eiserne Walzen statt der Mühlsteine an, wodurch das Mahlverfahren noch weiter gehoben wurde, bis zuletzt der höchste[S. 20] Aufschwung durch die Erfindung von Porzellanwalzen im Jahre 1874 durch den Züricher Wegmann erfolgte.
Wie der Weizen das Hauptgetreide des klassischen Altertums war, so ist er es heute noch bei allen romanischen Völkern, wie auch bei den Engländern, die ihn Korn, wie wir den Roggen nennen. Man stellt daraus das „weiße Gebäck“ dar. Die Körner sind entweder durch den reichen Gehalt an einer als Kleber bezeichneten Eiweißart glasig oder durch relativen Mangel daran in Verbindung mit Vorwiegen des Stärkemehls mehlig. Keine von beiden Formen ist im Extrem zum Verbacken sehr tauglich. Im ersteren Falle liefert er ein sehr festes Produkt, im letzteren dagegen bäckt er wegen des mangelhaften Klebergehaltes nur schlecht. Deshalb wird der rein mehlige Weizen besonders zur Stärkefabrikation benutzt, während der kleberreiche speziell zur Herstellung von Nudeln, Makkaroni und Grieß Verwendung findet. Die Bedeutung vieler deutscher Seestädte, welche mit Getreide nach dem Auslande handelten, wie Danzig und Königsberg, bestand vorzugsweise darin, daß man dort Gemische unseres mehligen deutschen Weizens mit dem glasigen russischen Weizen herstellte, wie sie von den verschiedenen Absatzgebieten gewünscht wurden.
Das Weizenstroh ist zwar kurz, aber doch wertvoll und wird meist zu Häcksel verschnitten. Eine auf sehr schlechtem Boden in Toskana gezogene Sorte liefert in ihren dünnen, festen Halmen das Material zu den geschätzten florentiner Strohhüten.
Von echten Weizenarten sind noch der Zwerg- oder Binkelweizen (Triticum compactum) und seine vorgeschichtliche Varietät, der Kugelweizen (Triticum compactum globiforme) zu nennen. Letzterer wurde bereits in neolithischen Stationen in Bosnien, Ungarn, Oberitalien und Süddeutschland gefunden und dehnte dann sein Gebiet im Laufe der Bronzezeit bis nach Dänemark aus. Ersterer wurde, wie verschiedene Funde beweisen, in der Schweiz von der jüngeren Steinzeit bis in die römische Epoche ununterbrochen kultiviert. In der Westschweiz baut man stellenweise den Zwergweizen heute noch an, während der Kugelweizen sich in Schweden und Norwegen bis in die Gegenwart erhielt und dort noch ziemlich verbreitet ist. Der welsche Weizen (Triticum turgidum) wurde bis jetzt nur in vorgeschichtlichen Fundstellen Oberitaliens und der Schweiz gefunden, hat aber nie in Europa eine größere Bedeutung erlangt.
Viel wichtiger als diese mehr historisches Interesse beanspruchenden Weizenarten sind die bespelzten Weizensorten, der Spelt, Emmer und[S. 21] Einkorn. Unter ihnen ist der Spelt oder Dinkelweizen (Triticum spelta) weitaus der wichtigste. Olivier will ihn nebst Weizen 1807 in Mesopotamien wildwachsend angetroffen haben. Doch wurde er zu keiner Zeit weder in Babylonien, noch Ägypten angebaut. Auch im Sanskrit, im Indischen und Persischen fehlt ein Name für ihn, während seine europäischen Namen auf eine alte Kultur im östlichen Europa hindeuten. Heute wird er vorzugsweise nur noch in Süddeutschland und der Schweiz, dann in Südtirol und Nordspanien in größerem Umfange angebaut. Aber auch hier, wie auch in Italien und Frankreich, wo er früher viel angepflanzt wurde, ist er mehr und mehr auf den Aussterbeetat gesetzt worden. Besonders sind es die alamannischen Stämme, die noch aus alter Gewohnheit an der früher von ihnen als „Korn“ bezeichneten Getreideart hängen. Seine Ähre gleicht derjenigen des gemeinen Weizens in allen wesentlichen Punkten, abgesehen davon, daß die Ährchen etwas weitläufiger an der Spindel verteilt sind. Nur insofern ist ein durchgreifender Unterschied zu konstatieren, als die Ährenspindel bei der Reife, als ursprüngliches Merkmal aller darin nicht durch Kultur verbesserter Getreidearten, noch zerbrechlich ist und die Körner bei der Reife von den Spelzen eingeschlossen bleiben und auch beim Dreschen nicht wie beim Weizen ausfallen. Um das Speltkorn aus der Umhüllung herauszuschälen, ist ein eigener Mahlprozeß, das sogenannte Schälen oder Gerben erforderlich, das in den Mühlen in besonderen Gängen, den „Gerbgängen“, vorgenommen wird.
In der Kultur hat der Spelt immerhin gewisse Vorzüge vor dem gemeinen Weizen, indem er geringe Ansprüche an Boden und Klima macht und seine Körner vor dem Raube durch die Sperlinge und andere Vögel gesichert sind, die oft große Teile der Weizenfelder verwüsten. Auch die Festigkeit des Halmes ist beim Spelt eine höhere als beim Weizen, so daß schwerer Gewitterregen das Getreide nicht so leicht knickt und zu Boden schlägt. Wo aber ein guter Boden und ausreichende Sommerwärme zur Verfügung stehen, da übertrifft bei rationeller Kultur der Ertrag des Weizens denjenigen des Speltes beträchtlich, und das mag wohl der Grund sein, weshalb der Anbau des Speltes auch in den Gebieten, wo er alteingesessen ist, mehr und mehr zurückgeht.
Das Speltkorn liefert ein gelbliches Brotmehl, das im allgemeinen weniger geschätzt wird als das Weizenmehl. Als Handelsware trifft man vielfach, besonders in Süddeutschland, den Speltgrieß an, der als Einlage zu Suppen sehr beliebt ist. Zu demselben Zwecke wird der[S. 22] gleichfalls vom Spelt gewonnene Grünkern verwendet, der die noch unreifen Körner darstellt, die aus den gedörrten, unreifen Ähren durch Schälen gewonnen werden.
Die Heimat des Speltes ist vermutlich Südosteuropa, d. h. Südrußland oder Westasien, jedenfalls ein Land mit kurzen Wintern und heißen Sommern. Er ist ein typisches Wintergetreide, das im Herbst gesät und im Frühsommer geerntet wird; als Sommerfrucht kommt er kaum je zur Aussaat. Schon daß er eine solche Winterfrucht ist, beweist seine Herkunft aus dem russisch-asiatischen Steppengebiet. Dort wird das Getreide stets im Herbst gesät und im Frühjahr geerntet; auf diese Weise entgeht es der alles versengenden sommerlichen Hitze. Denselben Entwicklungsgang haben dort viele Gewächse, die ihn auch nach ihrer Einwanderung in Gegenden ohne Sommerdürre wie die unserige bewahrt haben, so die Trespenarten und andere Gräser, die bei uns im September keimen, über Winter wachsen solange es nicht zu kalt ist, jedenfalls nicht vom Froste groß leiden, im Juli ihre Früchte reifen lassen und dann absterben. Diese Tatsache gibt uns einen willkommenen Fingerzeig, weshalb und woher Winterfrucht in Gegenden wie bei uns aufkam, wo sonst nur Sommerfrucht zu gedeihen und also auch heimisch zu sein vermag. So hat auch das mittelländische Getreide, wie Volkart zuerst darauf hinwies, bei seiner Wanderung nach Norden als Kulturpflanze die Aussaat im Herbste beibehalten. Aus dem Wintergetreide entstanden dann in hohen Lagen, die erst später besiedelt wurden, nach und nach auch Sommergetreideformen; es ist dies ein Prozeß, den wir übrigens noch heute beim Roggen zu verfolgen vermögen.
A. de Candolle und Buschan geben das südöstliche Europa als die Heimat der Speltkultur an, von wo aus sie nach Mittel- und Südeuropa eingeführt worden wäre. Dies ist vom pflanzenbiologischen Standpunkte aus sehr wohl möglich; ist doch, wie Hoops hervorhebt, auch der Roggen, ebenfalls ursprünglich eine Winterfrucht, zweifellos in diesen Gegenden zu Hause. Volkart dagegen meint, der Spelt sei ursprünglich mediterraner Herkunft; dies wohl mit Unrecht. Auch der namhafte Straßburger Botaniker H. Graf zu Solms-Laubach, der die Heimat des Speltes wie die der anderen Hauptkulturformen des Weizenstammes nach Zentralasien verlegt, dürfte im Irrtum sein, schon aus dem Grunde, daß dieses Getreide, soweit wir bis jetzt wissen, weder in früherer noch in neuerer Zeit in Zentral- und Ostasien kultiviert wurde. Weit eher noch dürfte Westasien, diese uralte Wiege der menschlichen Kultur, der wir so viele pflanzliche und tierische Erwerbungen, wie auch[S. 23] technische und geistige Kulturgüter zu verdanken haben, als Heimat des Speltes in Frage kommen.
Schon im ältesten Ägypten wurde neben Weizen und Gerste auch Spelt gepflanzt. Die alten Ägypter nannten ihn bôti und unterschieden von ihm eine weiße und eine rote Sorte. Der Grieche Theophrast im vierten vorchristlichen Jahrhundert nennt Spelt das alexandrinische Korn, und der Römer Plinius im 1. Jahrhundert n. Chr. bemerkt, das aus ihm bereitete Mehl sei feiner und weißer als gewöhnliches Weizenmehl, obwohl es nach der Angabe seines Zeitgenossen, des griechischen Arztes Dioskurides aus Kilikien, weniger Nährwert als Weizenbrot besitze und leichter austrockne. In Ägypten selbst galt allerdings Speltmehl für geringwertiger als Weizenmehl, denn nur das letztere ward zu den Opferbroten verwendet.
In Europa war der Spelt schon zur Bronzezeit nördlich der Alpen bekannt und wurde von den an den Seeufern ansässigen Pfahlbauern der frühen Metallzeit in ihren Hackfeldern am Lande angebaut. Ist nun diese Tatsache durch Funde unwiderleglich bewiesen, so ist anzunehmen, daß er damals sicher auch in Südfrankreich kultiviert wurde; denn die alte Völkerverkehrsstraße vom Mittelmeer nach der Westschweiz, wo wir die verkohlten Speltkörner in den Überresten der Pfahlbauten der Bronzezeit finden, führte das Rhonetal aufwärts. Wahrscheinlich war aber der Spelt zur Bronzezeit schon im ganzen Mittelmeergebiet heimisch und dürften mit der Zeit Spuren einer solchen prähistorischen Speltkultur auch bei Ausgrabungen in Italien zum Vorschein kommen. Jedenfalls haben ihn später besonders die Römer als altgewohntes Getreide kultiviert und ihn in der Folge innerhalb des ganzen von ihnen beherrschten Reiches populär gemacht. Sie, die in der ältesten Zeit ausschließlich von Spelt lebten und auch noch in späterer Zeit als äußerst konservativ im Kulte dessen Körner, gewöhnlich geröstet, mit Salz ihren Göttern als gebräuchlichstes Opfer darbrachten, waren die Hauptträger der Speltkultur. Plinius bezeichnet ihn als die gemeinste Kornfrucht Italiens und sagt, daß er in den Hülsen aufbewahrt werde, da er sich nicht gut aus ihnen dreschen lasse. Varro, der fruchtbarste und bedeutendste Gelehrte Roms (116–27 v. Chr.) gibt an, daß, wenn man den in den Ähren aufbewahrten Spelt zu verspeisen beabsichtige, man ihn im Winter vom Speicher hole, in Holzmörsern zur Enthülsung stampfe und dann röste.
Dieses von ihnen als far bezeichnete Getreide, das bei den Griechen, die es kaum anpflanzten, zeiá oder zeá hieß, eine Bezeichnung, die[S. 24] übrigens heute als Genusname dem aus Amerika zu uns gekommenen Mais verliehen wurde, brachten die Römer nach Gallien, Germanien und Britannien und empfahlen es den dortigen Völkern zum Anbau. Das deutsche Dinkelgebiet hält sich genau innerhalb der Grenzen des alten römischen Reiches. Ihre Nachfolger in der Hochschätzung des Speltbaues waren dann später die Alamannen, die nach dem Verlassen ihrer ostelbischen Heimat beim Einwandern ins römische Dekumatenland ihn dort kennen lernten. Sie nannten dieses Getreide, das auch in solchem Boden noch gedieh, in welchem der Weizen keinen guten Ertrag mehr gab, spelta, ein Wort, das dann den Römern im Laufe des 3. und 4. Jahrhunderts durch den Getreidehandel mit jenen geläufig wurde. Seit jener Zeit ist bis auf den heutigen Tag die Speltkultur in Deutschland vorzugsweise eine Eigentümlichkeit des schwäbischen Stammes geblieben, an der dieser mit großer Zähigkeit festhielt, bis in neuerer Zeit die Verdrängung desselben durch den profitableren Weizen auch hier nach und nach überhand nahm.
Noch ältere Bestandteile unseres Getreidebaues, die aber in noch weit geringerem Grade als der Spelt kultiviert werden, sind die uns schon bei den neolithischen Pfahlbauern Mitteleuropas vor 4000 bis 5000 Jahren begegnenden Emmer und Einkorn. Erstere, mit dem Spelt sehr nahe verwandte Weizenart (Triticum dicoccum) hat gleichfalls eine zerbrechliche Ährenspindel und am Korn festsitzende Spelzen. Während aber beim Spelt die Ährchen besonders locker an der Spindel befestigt sind, stehen sie beim Emmer vielmehr dicht gedrängt. Wie beim Emmer ist auch beim Einkorn (Triticum monococcum) die zweizeilig ährchentragende Ähre stets begrannt; für gewöhnlich entwickelt sich aber in jedem Ährchen nur eine einzige reife Frucht.
Obschon diese Getreidearten von allen am genügsamsten sind und mit überaus magerem Boden und rauher Lage vorlieb nehmen, werden sie aber wegen ihres noch geringeren Ertrages heute bei uns in geringerem Umfange als selbst der Spelt angepflanzt. In Deutschland sind sie fast nur in Schwaben und Thüringen anzutreffen. Dagegen stehen sie in Gebirgsgegenden Südeuropas, besonders in Spanien, Frankreich, Italien, Serbien, ebenso in Kleinasien, Ägypten, Abessinien und Arabien immer noch in Ehren. In Europa werden ihre Samenkörner wie diejenigen des Speltes zur Gewinnung von Grünkern, Grieß und Stärkemehl benutzt.
Das war in vorgeschichtlicher Zeit anders. Da war man noch nicht so verwöhnt und anspruchsvoll wie heute und baute auch diese[S. 25] weniger ergiebigen Getreidearten gerne. Von der neolithischen Zeit, besonders aber von der Bronzezeit an, wurden sie nicht nur in Vorderasien und Ägypten, sondern auch in den Mittelmeerländern und in Mitteleuropa kultiviert. In Ägypten findet sich besonders der Emmer (altägyptisch emrai genannt) in den Grabbeigaben der ältesten Pharaonendynastien und noch in der fünften Dynastie, die auf die Zeit der großen Pyramidenerbauer folgte (2700–2550), wurden vielfach die Leichen in Spreu von Emmer gelegt und die Grabkammer damit aufgefüllt. In den Trümmern von Hissarlik-Troja fand Schliemann unter den verkohlten Vegetabilien das Einkorn so massenhaft aufgespeichert, daß es damals als Brotgetreide zweifellos die erste Stelle muß eingenommen haben. Auch in Syrien und Palästina bildete es einst ein sehr wichtiges Getreide. Es ist das im Alten Testament mehrfach erwähnte Kussémet, aus dem einst die Juden und ihre syrischen Nachbarn, wie später die Araber ihr Brot bereiteten. Nach Indien scheint seine Kultur niemals vorgedrungen zu sein.
Eine wilde Stammform kennen wir bis jetzt nur von letzterem, dem Einkorn, die in Mesopotamien, in Syrien am Antilibanon, in Kappadocien, in Kleinasien und im Taurusgebiet, aber auch in Griechenland und Serbien in wildem Zustande in der Form von Triticum aegilopoides gefunden wird.
Zeitlich ebenso früh wie der Weizen wurde von den Steinzeitvölkern die Gerste (Hordeum vulgare) angepflanzt, die die Hauptnährfrucht der Indogermanen war und bei ihnen wenigstens in das 4. vorchristliche Jahrtausend zurückreicht. In Europa scheint sie die älteste überhaupt angepflanzte Getreideart gewesen zu sein, die in der frühneolithischen Zeit ausschließlich angebaut wurde, bis schließlich von Osten her aus Asien auch der Weizen hinzukam, den wir dann in der späteren neolithischen Zeit neben der älteren Gerste als Brotfrucht antreffen. Die Kulturgerste stammt von der von den Kaukasusländern bis Persien und Beludschistan einerseits und Mesopotamien andererseits verbreiteten wilden Gerste (Hordeum spontaneum) ab. Diese steht der zweizeiligen Gerste am nächsten und unterscheidet sich von ihr fast nur durch die brüchige Spindel der Ähre, die der Mensch mit der Zeit durch entsprechende Kulturauslese in eine zum Zwecke der leichteren Ernte notwendige zähe Spindel umwandelte. Bei dieser Kornfrucht sind im Gegensatz zum Weizen und Roggen, bei welchen jeder Absatz der Ährenspindel nur ein einziges Ährchen trägt, stets drei Ährchen nebeneinander gestellt, um welche die Hüllspelzen eine Art Manschette bilden. Sind nun sämtliche Ährchen voll ausgebildet, so erhält man sechs Reihen derselben, die sich entweder deutlich voneinander abheben, dann haben wir die sechszeilige Gerste vor uns, oder von denen nur die Mittelzeile deutlich hervortritt, während die Nebenzeilen ineinander fließen, wie bei der gemeinen, auch vierzeiligen Gerste. Bleiben dagegen die seitlichen Ährchen unentwickelt, so resultiert die zweizeilige Gerste.
Von einer zweizeiligen Urform haben sich die vier- und sechszeiligen Gerstearten schon in sehr früher vorgeschichtlicher Zeit ausgebildet; denn[S. 27] letztere treten uns nicht bloß in den neolithischen Pfahlbauten Mitteleuropas, sondern auch in den Grabbeigaben der ältesten ägyptischen Dynastien aus dem vierten vorchristlichen Jahrtausend entgegen. Ja, die sechszeilige Gerste war, in der Abart H. pyramidatum mit pyramidenförmig zugespitzten Ähren, im ganzen Altertum bis in junge historische Zeiten hinein die gewöhnlichste Kulturart, während die vierzeilige erst in neuerer Zeit wenigstens in Europa größere Bedeutung erlangte. Heute ist letztere wohl hier die verbreitetste Saatgerste.
Neben dem allerdings viel häufiger angepflanzten Weizen finden wir auch die Gerste, im Altägyptischen ati genannt und in einer weißen und roten Sorte unterschieden, im Niltal schon zur Zeit der ältesten Dynastien kultiviert. Doch scheint sich hier namentlich die arme Bevölkerung damit ernährt zu haben und daraus hergestelltes Brot oder Brei ihren Toten ins Grab mitgegeben zu haben. In den ungebrannten, nur an der Sonne getrockneten Backsteinen der Stufenpyramide von Daschur aus dem Ende des vierten vorchristlichen Jahrtausends fanden sich außer langgeschnittenem Stroh, Unkraut und den Blättern mehrerer Sumpfpflanzen Überreste der vierzeiligen und sechszeiligen Gerste neben solchen von Weizen. Als Beigabe aus Gräbern des alten Reiches kam in Sakkara eine Schale mit zertrümmerten Gerstenähren, im Gräberfeld von Theben dagegen erhärtete Breiklumpen von grob zerriebenen Gerstenkörnern zutage. Auch in Wandmalereien finden wir Ähren dargestellt, die in äußerst schematischer Weise den Charakter der Gerstenähre zeigen.
Weiter nördlich und westlich finden wir in den neolithischen Fundplätzen Kleinasiens und Süd- bis Mitteleuropas neben verkohlten Überresten des Zwergweizens auch solche von Gerste, deren Körner durch außerordentliche Kleinheit ausgezeichnet sind. Eine schon etwas großkörnige Gerstenart finden wir in den schweizerischen Pfahlbauten, in denen neben dem kleinen Pfahlbauweizen die kurze sechszeilige Gerste nach den Untersuchungen von Oswald Heer weitaus das häufigste Getreide war. Neben ihr wurde auch die dichte sechszeilige und die zweizeilige Gerste angepflanzt, aber sehr viel seltener als die kurze sechszeilige Gerste, die als das eigentliche Pfahlbaugetreide bezeichnet werden kann. Jedenfalls nahm sie den weitaus größten Raum in den primitiv genug mit der Holzhacke in gerodeten Waldlichtungen angelegten und niemals gedüngten Hackfeldern der Pfahlbauern ein, die, sobald ihr Ertrag durch Erschöpfung des Bodens nachließ, verlassen wurden, um auf frisch gerodetem, jungfräulichem Boden durch neue ersetzt zu werden.
Auch in den Überresten der jüngeren Steinzeit Nordeuropas wie in denjenigen der ganzen Bronze- und Eisenzeit finden wir die Gerste durch ganz Mitteleuropa von Ungarn bis Frankreich recht häufig. Besonders im Norden hat sie sich in der Folge so gut eingebürgert, daß sie beispielsweise in Schweden bis tief ins 15. Jahrhundert hinein überhaupt das einzige dort angebaute Getreide war, während Roggen und Weizen bis in die Mitte jenes Jahrhunderts als für jene Gegenden neue und ungewöhnliche Getreidearten bezeichnet wurden. Kürzlich fand man, wie schon früher wiederholt, in der Fundschicht einer dem 5. oder 6. Jahrhundert n. Chr. angehörenden Ansiedlung in der schwedischen Provinz Östergötland einen kleinen halbkugeligen verkohlten Gegenstand, der sich bei genauerer Untersuchung als ein grobgemahlenes, mit Steinsplitterchen des Mahlsteines vermischtes vorgeschichtliches Gerstenbrot erwies.
Meist läßt sich allerdings an den vorgeschichtlichen Gerstenkörnern nicht sicher bestimmen, welcher Art von Gerste sie angehören, und auch die Schriftsteller des Altertums sprechen sich in der Regel nicht deutlich genug über die Verschiedenheit der Gerstensorten aus. Stets ist es die kurze sechszeilige Gerste, das Hauptgetreide der Pfahlbauern, welche wir neben dem Weizen deutlich erkennbar auf den griechischen Münzen abgebildet finden. Sie ist es, die wir auf den ältesten, nur auf einer Seite geprägten Münzen aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. (Münzen der griechischen Stadt Metapontion am Meerbusen von Tarent in Unteritalien) in Form einer prächtig ausgeführten, langen, begrannten Ähre als das Symbol der pólis, des städtischen Gemeinwesens, abgebildet finden. Ein Vierdrachmenstück einer andern griechischen Stadt, nämlich Leontinon auf Sizilien, aus dem fünften vorchristlichen Jahrhundert zeigt um einen Löwenkopf herum vier einzelne Körner derselben Getreideart. Zwei Münzen aus Skotussa und Methydrion in Thessalien geben Abbildungen eines einzelnen Ährchens des grannenlosen Winterweizens wieder, während ein Obolos von Orchomenos in Böotien ein einzelnes Weizenkorn derjenigen Abart des gemeinen Weizens zeigt, welche gegenwärtig als englischer Weizen bezeichnet und heute noch vorzugsweise in den Mittelmeerländern angebaut wird.
Auf einer zweiten Münze von Metapontion aus späterer Zeit als die erstgenannte, sitzt auf der dichtgedrängten kurzen Ähre der sechszeiligen Gerste eine Wanderheuschrecke, auf der Rückseite aber ist Apollon mit dem Lorbeerzweig, der die Gerstenfelder vor der furchtbaren Heuschreckenplage bewahrende Gott, dargestellt. Auf einer[S. 29] anderen Münze aus dieser unteritalischen Stadt ist neben der Gerstenähre eine Zwergmaus auf einem Gerstenblatte dargestellt und auf der Rückseite Ceres, die Beschützerin der Gerstenfelder vor der Mäuseplage, in deren Haar die Ähren derselben Gerstenart geflochten sind. „Selbst in diese kleinen Ähren, wie in die fast ebenso kleinen auf campanischen Münzen — neben dem Pferdekopf —“ sagt der verstorbene Züricher Botaniker Oswald Heer 1865, in einer Arbeit über die Pflanzen der Pfahlbauten, „wußte der Künstler den Charakter der heiligen (kurzen, sechszeiligen) Gerste zu legen, während auf modernen Münzen, so denen der französischen Republik von 1848, kein Mensch zu unterscheiden vermag, ob Gerste, oder Weizen, oder Roggen dargestellt sein soll.“ Auf einer andern Münze von Metapontion ist der Sperling, dieser stete Begleiter des Getreides, auf einer weiteren die Getreidemücke neben der Gerstenähre deutlich erkennbar abgebildet. Daraus können wir schließen, daß das Getreide schon damals unter denselben tierischen Feinden wie heute zu leiden hatte. Wenn nun auch aus den metapontischen Münzen nicht zu entscheiden ist, welche Art von Gerste gemeint sei, so zeigen uns diejenigen von Leontinon nach der Gestalt der einzelnen Körner, daß wir es hier mit der kleinen, kurzen, sechszeiligen Gerste zu tun haben, wie sie schon von den neolithischen Pfahlbauern angebaut wurde, die also der Urtypus der heiligen, auf den altgriechischen Silbermünzen dargestellten Gerste ist.
Die Griechen der homerischen Zeit, zu Ende des vorletzten Jahrtausends v. Chr., übten schon längst den Anbau dieser Gerste neben demjenigen von Weizen aus. In der Ilias und Odyssee ist neben dem Weizen (pyrós) vielfach von der Gerste (kri), bei den späteren Griechen krithé genannt, die Rede, die fast stets den schmückenden Beinamen „die weiße“ (leukón) trägt. So werden in beiden Epen die Pferde mit Gerste und ólyra, das ist eine Art Spelt, gefüttert. Dioskurides sagt uns nämlich in seiner Arzneimittellehre, daß die ólyra zu derselben Pflanzenart wie der Spelt (zeiá) gehöre, aber etwas weniger als dieser nähre. Auch aus ihm werde Brot gebacken. Der eigentliche Spelt (zeiá) kommt nicht in der Ilias, sondern nur in der jüngeren Odyssee vor. Als der Atride Agamemnon, dem Sohn des Odysseus, Telemachos, bei seinem Besuche in Mykene als übliches Gastgeschenk Pferde schenken wollte, sagt dieser zu ihm: O Sohn des Atreus, willst du mir ein Geschenk machen, so möge dies klein und wertvoll sein. Die Rosse, die du mir schenken willst, möchte ich lieber nicht annehmen. Sie bleiben besser bei dir, denn du herrschest über weite Gefilde, wo[S. 30] viel Klee wächst und Weizen, Spelt (zeiá) und weiße Gerste; Ithaka dagegen ist (weil gebirgig) nicht für Rosse passend, dagegen für Ziegen.
In der Ilias wird „auf der Tenne die weiße Gerste leicht von den Füßen der darüber getriebenen Ochsen ausgedroschen“, und im ganzen griechischen Altertum galt die „weiße Gerste“ als besser als die „rötliche Gerste“, wie schon Theophrast unterscheidet. Und der griechische Arzt Dioskurides im 1. Jahrhundert n. Chr. sagt: „Die Gerste ist am besten, wenn sie weiß und rein ist. Sie enthält zwar weniger Nahrungsstoff als der Weizen, doch ernährt ein aus gerösteter Gerste gekochter Trank (ptisánē, woraus bei den Römern z. B. Plinius tisana, und daraus unsere Bezeichnung Tisane nicht nur für eine Gerstenabkochung, sondern für jede durch Abkochen von Arzneistoffen hergestellte Flüssigkeit wurde) doch stark, weil sich beim Kochen viele Teile der Gerste ablösen. Man braucht übrigens die Gerste (auch als Arznei) in verschiedenen Zubereitungen innerlich und äußerlich.“
Im ganzen Altertum war vornehmlich geröstete Gerste ein außerordentlich wichtiges und verbreitetes Nahrungsmittel; ja sie dürfte überhaupt eine der frühesten, wenn nicht die früheste Zubereitungsart des Getreides zur Nahrung des Menschen darstellen, von der wir Kunde haben. So hat schon der vorhin genannte Züricher Botaniker Oswald Heer zu Anfang der 1860er Jahre bei der wissenschaftlichen Untersuchung der aus den schweizerischen Pfahlbauten herrührenden Getreideüberreste festgestellt, daß in der neolithischen und noch zur Metallzeit aus der Gerste keinerlei Brot hergestellt wurde, sondern daß dieses so überaus häufig kultivierte Getreide, das, wie gesagt, die wichtigste pflanzliche Nahrung jener vorgeschichtlichen Mitteleuropäer bildete, stets nur geröstet gegessen worden sein muß. Erst durch das Rösten wurden die Grannen und Hülsen der Gerste so brüchig, daß sie leicht entfernt werden konnten. Dies ließ sich auf keine andere Weise bewerkstelligen. Das ist auch der Grund, weshalb die geröstete Gerste noch im ganzen Altertum eine so überaus wichtige Rolle spielte, und, als sie die Menschen nicht mehr aßen, sie dieselbe nach altgeheiligter Sitte noch ihren Verstorbenen in die unterirdische Behausung als Totenspeise mitgaben und den Göttern opferten.
Während also die Gerste von den Pfahlbauern stets geröstet gegessen wurde, verfertigten sie aus den übrigen Getreidearten Brei und flaches, nur 1,5–2,5 cm hohes, fladenartiges Brot, und zwar außer Weizen- auch Hirsebrot, welch letzterem meist auch zerquetschte Weizenkörner mit Leinsamen zur Erhöhung des Wohlgeschmacks beigemischt[S. 31] wurden. Diese rundlichen Brotfladen der Pfahlbauern, von denen sich mehrere Überreste bis auf unsere Tage erhielten, sind auf der oberen Seite ganz unregelmäßig runzelig, auf der unteren Seite dagegen, wo sie auf dem heißgemachten Stein auflagen, glatt und hohl. Die sonst kaum zu schälende Gerste aber wurde durch Rösten genießbar gemacht und so gegessen; aus ihr verfertigte man keinerlei Brot, sonst hätte man Überreste davon finden müssen. Auch die ältesten Ägypter aßen die Gerste geröstet und gaben sie geröstet ihren Toten zu deren Speisung im Geisterlande mit, wie uns zahlreiche Gräberfunde kundtun. Auch bei den alten Juden spielte die geröstete Gerste, kali, d. h. Geröstetes genannt, eine sehr wichtige Rolle neben dem aus Weizen und Spelt gebackenen Brot, das auch bei ihnen gebräuchlich war. Die uns allen von Jugend auf bekannte, idyllische Geschichte der Moabiterin Ruth, die nach dem Tode ihres Mannes nach Bethlehem (d. h. Brotstadt) kam und durch ihre Verheiratung mit Boas die Stammutter des Davidschen Hauses wurde, spielt zur Zeit „da die Gerstenernte anfing.“ Auch ihr wurde wie den anderen an der Einheimsung der Ernte Beteiligten kali, also geröstete Gerste verabreicht. Der junge David, der seines Vaters Herden weidete, brachte seinen im Felde lagernden Brüdern Brot aus gerösteter Gerste (kali), und auch dem vor Absalon fliehenden David, wird außer Weizen, Gerste, Mehl, Saubohnen und Linsen, geröstete Gerste (kali), gebracht, und auch von den Linsen wird ausdrücklich gesagt, daß sie geröstet gewesen seien.
Auch bei den Griechen der homerischen Zeit spielte die geröstete Gerste, von ihnen álphiton genannt, eine wichtige Rolle und wurde, wie in der Odyssee geschildert wird, in ledernen Schläuchen (meist aus Ziegenfell) statt des Brotes auf die Reise mitgenommen. Auch Odysseus Sohn Telemachos befiehlt, als er seine weite Reise nach Mykene antreten will, der Dienerin Eurykleia (der „weithin Berühmten“) 20 Maß alphiton, d. h. von den Hüllen befreite und grob gemahlene, geröstete Gerste in wohlgenähte Lederschläuche zu tun, um sie zur Wegzehrung für sich und seine Begleiter mitnehmen zu können. Stets wird in der Odyssee beim feierlichen Opfer geröstete Gerste auf das zu schlachtende Rind oder sonstiges Opfertier als Opfer an die Gottheit gestreut, und als die Gefährten des Odysseus auf den Rat des Eurylochos frevelhafterweise einige dem Sonnengotte gehörige Rinder schlachten und den Göttern als Opfer darbringen wollten und es ihnen dazu an „weißer Gerste“ gebrach, so bestreuten sie dieselben wenigstens mit Eichenblättern. Als Nestor einen Ochsen schlachten wollte, brachte Aretos in einem Becken[S. 32] Weihwasser herbei und hielt in der anderen Hand ein Körbchen mit gerösteter Gerste. Da nahte auch Thrasymedes mit einer scharfen Axt in den Händen, um den Ochsen niederzuschlagen, und so begann der alte Nestor die feierliche Handlung, indem er seine Hände wusch und geröstete Gerste auf das Tier streute.
Noch in viel späterer Zeit bildete geröstete Gerste auch bei den Griechen eine wichtige Nahrung des Menschen. So bestand noch in der klassischen Zeit in Athen eine vom berühmten Gesetzgeber der Athener, Solon (639–559 v. Chr.), einem der sieben Weisen, erlassene Verordnung, wonach jede junge Frau bei ihrer Verheiratung ein phrýgetron genanntes Gefäß zum Rösten der Gerste in den jungen Hausstand mitzubringen hatte. Und als die Griechen sich nach und nach von dieser altertümlichen Nahrung emanzipierten, durfte geröstete Gerste wenigstens bei keinem Opfer fehlen. In den Traditionen des uralten Kultes der Demeter (soviel als Gē-mḗtēr, d. h. „Mutter Erde“ als Hervorbringerin der Brotfrucht) auf Kreta wie in Eleusis bei Athen galt die Gerste als das „älteste Korn“ und „geröstete Gerste“ als die einst von den Ahnen gegessene wichtigste Speise aus dem Pflanzenreiche als die unerläßliche Grundlage im Opferritual. Dabei wurde die meist schwach geröstete Gerste, zwischen den Mahlsteinen enthülst und grob zerkleinert, mit Wasser angerührt und allein oder mit Zutat von Leinsamen oder Olivenöl gegessen.
Noch der 79 n. Chr. beim Vesuvausbruch, der Pompeji und Herculaneum verschüttete, als Befehlshaber der beim Kap Misenum, bei der gleichnamigen Stadt stationierten Flotte umgekommene ältere Plinius sagt in seiner Naturgeschichte: „Schrot (grobes Mehl) von gerösteter Gerste (polenta) ziehen die Griechen dem aus anderem Getreide hergestellten Schrote vor. Sie übergießen die Gerste mit Wasser, trocknen sie eine Nacht hindurch, rösten sie am folgenden Tage und schroten (frangere, d. h. brechen) sie auf der Mühle. Manche rösten die Gerste stärker, besprengen sie dann nochmals mit Wasser und trocknen sie wieder, bevor sie dieselbe auf die Mühle bringen. Zu 20 Pfund Gerste werden 3 Pfund Leinsamen, ½ Pfund Koriander und ein acetabulum (ein kleines, auf dem Ständer mit Essig und Öl stehendes Salzschälchen) voll Salz genommen. Das alles wird geröstet und in der Mühle mit der Gerste vermengt. — In Italien wird die Gerste nicht angefeuchtet, nur geröstet und dann zu feinem Mehl (farina, im französischen farine noch erhalten) gemahlen (molere); man gibt ihr dieselben Zusätze und fügt noch Rispenhirse (milium) bei. Die Alten aßen Gerstenbrot; jetzt dient[S. 33] es fast nur noch zu Viehfutter; dagegen wird eine Gerstenabkochung (tisana) für stärkend und heilsam gehalten. Der berühmte Arzt Hippokrates (460 v. Chr. auf der Insel Kos geboren, bereiste Griechenland, Kleinasien, Skythien, starb 364 in Larissa in Thessalien, führte die Geheimnisse der Ärzteschule der Asklepiaden ins Leben ein, begründete die Lehre von den Krisen und die Diätetik) hat dieser Gerstenabkochung ein eigenes Buch (Schriftrolle) gewidmet.“
Wie bei den Griechen und Römern war ihrem ganzen Stamme, den ältesten Indogermanen, die Gerste das „Korn“ schlechthin, dessen einzelne Körner bei ihnen das kleinste Gewicht und Längenmaß bildeten. Wäre der Weizen damals deren Hauptkornart gewesen, so wäre das Weizenkorn und nicht das Gerstenkorn zu einem solchen Zwecke herangezogen worden. Nur bei einem Zweige derselben, bei den Römern, wurde die Gerste sehr frühzeitig aus ihrer Rolle als Hauptnahrungsmittel durch den von ihnen far genannten Spelt verdrängt, und so diente bei ihnen tatsächlich das Speltkorn als Maßeinheit. Doch wurde bei ihnen neben dem Spelt auch noch in späterer Zeit die zweizeilige Gerste als Sommerfrucht, die sechszeilige Gerste dagegen als Winterkorn gebaut. Die zweizeilige Gerste preist schon der römische Ackerbauschriftsteller Columella im ersten christlichen Jahrhundert wegen ihres Gewichts und der Weiße ihres Mehls. Heute ist sie in einer großkörnigen Sorte die am meisten kultivierte Sommergerste Mitteleuropas und Englands. In den gebirgigen Gegenden Oberbayerns und der Schweiz geht sie mit dem Roggen bis zur obersten Grenze des Getreidebaus.
Irgendwo in Vorderasien ist die wild wachsende Gerste nicht nur zur Kulturpflanze mit festerer Spindel, sondern auch mit größeren, mehlreicheren Körnern und so allmählich ausgiebigerem Ertrage gezüchtet worden und drang mit der Zeit von ihrer ältesten Anbaustätte, wo wir sie jedenfalls schon vor mehr als 10000 Jahren als angepflanzt annehmen dürfen, wie zu den Neolithikern der Mittelmeerländer, so auch östlich nach China, wo sie uns auch schon sehr frühe, nämlich zu Beginn des dritten vorchristlichen Jahrtausends, entgegentritt.
Die Gerste erfordert für einen erfolgreichen Anbau einen ziemlich guten Boden; hingegen macht sie in bezug auf die Sommerwärme nur geringe Ansprüche und durchläuft ihren Entwicklungsgang von der Keimung bis zur Kornreife in verhältnismäßig kurzer Zeit. Eine mittlere Sommertemperatur von 8°C. genügt schon, um sie zur Reife zu bringen. So geht ihr Anbau wie derjenige des Roggens bis zum[S. 34] Nordkap und in den Alpen bis gegen 2000 m über Meer. Sie gedeiht noch im nördlichen Schottland, auf den Orkney- und Faröerinseln, am Weißen Meer wie in Nordamerika und Australien. In Nordeuropa mit Einschluß des nördlichen Deutschlands, wo nach den neuesten Forschungen die Urheimat der Indogermanen gelegen haben muß, ist sie von den ältesten Zeiten bis in die Gegenwart die Hauptbrotfrucht geblieben, so daß sie dort noch heute als „Korn“ schlechthin bezeichnet wird.
In diesen nördlichen Ländern mit kurzem Sommer wird hauptsächlich die vierzeilige Gerste als Sommerfrucht angebaut, da sie ihre Vegetationszeit auf 90 Tage einzuschränken vermag. In Mitteleuropa und der Schweiz dagegen wird die ertragreichere zweizeilige Gerste jener in der Regel vorgezogen. Doch steht die produzierte Gerstenmenge fast in allen Ländern hinter der Weizenmenge zurück; deshalb wird nur in den nordischen Gebieten: Dänemark, Schweden, Norwegen und Finnland aus klimatischen Gründen mehr Gerste als Weizen gebaut. Auf den britischen Inseln ist der Ertrag der beiden Getreidearten annähernd gleich. Die Hauptmasse der Gerstenproduktion kommt aus Rußland, an zweiter Stelle müssen Deutschland und Österreich-Ungarn genannt werden, die ungefähr gleiche Mengen davon hervorbringen. Von außereuropäischen Ländern kommen als Gerstenproduzenten namentlich Nordamerika, Algerien und Ägypten in Betracht. Auch in Chile und Australien wird ziemlich viel Gerste gebaut. In wärmeren Gegenden, namentlich in Japan, pflanzt man eine nackte Gerste, deren Früchte nicht von den Spelzen umschlossen werden. Sie ist ein wichtiger Bestandteil der dort als Würze zum Reis genossenen Shojusauce; zu dem Zwecke wird sie mit zerquetschten Sojabohnen vermengt und die Masse, wie wir später kennen lernen werden, durch Hinzufügen eines bestimmten Pilzes gären gelassen.
Obschon das Mehl der Gerste zum Brotbacken weniger geeignet ist als Weizen- und Roggenmehl, wird in den nördlichen Ländern wie Schottland, Dänemark und Skandinavien dennoch das Brot meist daraus bereitet. Bei uns in Mitteleuropa kommt der Gerste die größte Wichtigkeit für die Malzgewinnung zur Bierbrauerei, sowie zur Herstellung von Malzzucker und Malzextrakt zu. Man läßt zu diesem Zwecke die Früchte durch Befeuchten mit Wasser keimen, bis sie etwa ein 5 mm langes Würzelchen getrieben haben, wobei sich die Masse durch den dabei entwickelten Lebensprozeß stark erwärmt. Ist durch die Mitwirkung eines in den Samenkörnern enthaltenen, als Diastase[S. 35] bezeichneten Fermentes bei der Keimung ein großer Teil der unlöslichen Stärke in löslichen Zucker umgewandelt, so wird die Keimung durch starkes Erhitzen (Dörren) unterbrochen, das Malz zur Extraktion des Zuckers gekocht und diese Lösung zur Bierbereitung weiterhin in alkoholische Gärung gebracht. Ein Zusatz von Hopfen gibt dann der Flüssigkeit den bittern Geschmack. Außerdem wird die Gerste durch Abschälen zu Grütze, Grieß und Graupen verarbeitet. Ferner dient sie als beliebtes Futtermittel für das Federvieh, und geschrotet als Kraft- oder Mastfutter für größere Haustiere. In Südeuropa werden auch die Pferde mit Gerste gefüttert.
So alt der Anbau von Weizen und Gerste in Asien und Europa ist, so jungen Datums ist hier die Kultur von Roggen und Hafer. Diese beiden Getreidearten haben weder die alten Babylonier, Ägypter, Inder und Chinesen, noch die homerischen Griechen gekannt. Selbst die Griechen der klassischen Zeit und die Römer haben deren Anbau als Feldfrucht noch nicht geübt. Diese beiden Nährfrüchte, die in der Gegenwart bei uns eine so große Bedeutung erlangt haben, sind, wie auch die Bluthirse im Süden Osteuropas, von den Slawen zuerst als Feldfrucht angepflanzt und veredelt worden, und zwar zu einer Zeit, als sich bereits die griechischen und römischen Stämme von der arischen Gesamtfamilie, zu der auch die Slawen gehörten, getrennt und im Süden Europas gesonderte Wohnstätten bezogen hatten. Nur die germanischen Stämme, welche länger wie jene mit den Slawen in Berührung blieben, nahmen von diesen frühzeitig den Bau der beiden neuen Getreidearten an.
Unter den angestammten Getreidearten der Alten Welt ist der Roggen (Secale cereale) mit dem Hafer entschieden der jüngste. Er kann in Mitteleuropa erst in der Übergangsperiode von der Bronze- zur Eisenzeit nachgewiesen werden. Den Pfahlbauten der Schweiz fehlte er noch gänzlich, während er hier zur Römerzeit angebaut wurde, wie mehrfache Funde und Angaben der Schriftsteller beweisen. In Dänemark tritt er in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten auf; doch findet er sich am allerhäufigsten in den frühmittelalterlichen slawischen Niederlassungen. Die Slawen brachten ihn den finnischen und germanischen Stämmen, bei denen er, die ältere Gerste überholend, vielfach das Hauptbrotgetreide, das „Korn“ schlechthin, wurde.
Die Heimat des Roggens ist in der sarmatischen Ebene in Südrußland zu suchen, von wo aus sein Anbau nach Norden zu den eben genannten Volksstämmen, sowie westwärts nach Thrakien gelangte.[S. 36] Zuerst erwähnt ihn der ältere Plinius (23 n. Chr. in Como geboren und 79 als Befehlshaber der Flotte bei Misenum beim Vesuvausbruch umgekommen) als die Hauptbrotfrucht der keltischen Bevölkerung der Poebene; doch hat dem vornehmen Römer das kräftige, daraus bereitete Brot, das „Schwarzbrot“, so wenig als den verweichlichten Kulturnationen unserer Zeit behagt. Er schreibt in seiner Naturgeschichte: „Der Roggen (secale), den die Tauriner am Fuße der Alpen asia nennen, ist das geringste Getreide, kann nur zur Stillung des Hungers dienen, gibt übrigens viele Körner, hat einen dünnen Halm und liefert ein dunkles, schweres Mehl. Um diesen Geschmack zu verbessern, mischt man ihm Spelt bei; aber dennoch ist er dem Magen im höchsten Grade zuwider. Er wächst in jedem Boden, trägt etwa hundertfältig und schont den Boden“ — was übrigens durchaus nicht der Fall ist. Auch der griechische Arzt Galenos (131–200 n. Chr.), der uns das zweite bekannte Zeugnis über den Roggen überliefert hat, kann sich mit ihm durchaus nicht befreunden. Er sagt über ihn in seiner Schrift von den Eigenschaften der Speisen: „Auf vielen Äckern Thrakiens und Makedoniens habe ich eine Getreideart gesehen, die der Granne und dem ganzen Äußeren nach unserer asiatischen típhē (wahrscheinlich Einkorn) ähnlich war. Ich fragte die Leute nach dem Namen, und sie antworteten, die ganze Pflanze wie auch der bloße Samen heiße bríza. Das daraus bereitete Brot riecht unangenehm und ist schwarz.“ So wenig nun auch das Roggenbrot bei den Gebildeten jener Zeit Anklang fand, so scheint sich doch die Roggenkultur damals südwärts ausgedehnt zu haben; denn in einem diokletianischen Erlaß aus dem Beginne des 4. Jahrhunderts wird der Roggen unter den Getreidepflanzen an dritter Stelle gleich hinter Weizen und Gerste genannt.
In Oberitalien und den Alpengegenden wird er heute noch ziemlich viel gepflanzt; doch ist sein Hauptverbreitungsgebiet Deutschland und Westrußland, wo er das „Korn“ schlechthin genannt wird. In diesen Ländern ist das schwarze Roggenbrot ein Hauptnahrungsmittel der Landbevölkerung. Ist es auch etwas weniger nahrhaft als das aus Weizenmehl hergestellte Weißbrot, so ist es dafür schmackhafter und hält sich viel länger weich und genießbar als letzteres, das leicht austrocknet und dadurch seinen Wohlgeschmack verliert. Enthält der Weizen 64 Prozent Stärkemehl und gegen 13 Prozent Eiweißstoffe, so enthält das Roggenkorn nur 60 Prozent Stärkemehl und 11 Prozent Eiweiß. Außer zum Brotbacken wird der Roggen noch zum Brannt[S. 37]weinbrennen verwendet. Die Kleie, welche beim Mahlen des Roggenkorns als Abfall zurückbleibt, dient, wie auch das ganze geschrotene Korn, als Viehfutter; außerdem wird der Roggen als voluminöse Halmfrucht oft vor seiner Reife als Grünfutter geschnitten und an das Vieh verfüttert. Das Stroh findet als Häcksel und zur Einstreu für das Vieh, beim Dachdecken und in der Papierfabrikation, ebenso zur Herstellung von Strohmatten, Flaschenmuffen und ähnlichen Gebrauchsgegenständen Verwendung.
Der Roggen stellt weit geringere Ansprüche an die Güte des Ackerbodens und ist auch mit einer geringeren Sommerwärme zufrieden als der Weizen. In Skandinavien gedeiht der Roggen selbst noch am Nordkap, und in den Alpen steigt er so hoch hinauf als die höchsten Felder reichen. So findet er sich bei Findelen im Kanton Wallis noch bei 2075 m und bei Lü im Münstertal bei 1900 m Höhe neben der Gerste angebaut. Er wird sowohl einjährig als Sommerroggen, als auch zweijährig als Winterroggen angebaut, indem man die Saat frühzeitig im Herbst anpflanzt und den Keimlingen dadurch Zeit zu reichlicher Bestockung gewährt. Die Roggenähre ist in ihrer Zusammensetzung derjenigen des Weizens sehr ähnlich, doch hüllen die beiden viel kleineren Hüllspelzen nicht wie dort das ganze Ährchen ein. In jedem Ährchen entwickeln sich nur zwei Blüten, so daß die reifen Körner in der Ähre in vier Längsreihen angeordnet sind.
Als einziger Rispenträger unter unseren Getreidegräsern kann der Hafer (Avena sativa) nicht leicht mit einer anderen Getreideart verwechselt werden. Er stammt höchst wahrscheinlich vom Flughafer (Avena fatua) ab, den noch die Römer nur als unbrauchbares Feldunkraut kannten. Als Kulturform unterscheidet er sich von der wilden Stammform hauptsächlich dadurch, daß, abgesehen von den größeren Körnern, die Spindel der Ährchen nicht mehr so brüchig ist und die Früchte deshalb nicht so leicht abfallen. Diese Veredelung wurde gleichfalls durch zielbewußte Kulturauslese erreicht, und zwar vermutlich in Südostrußland, in der kaspisch-kaukasischen Ebene oder in dem daran angrenzenden turkestanischen Tiefland. Von hier drang er schon in vorgeschichtlicher Zeit westwärts, wo wir ihn nördlich der Alpen in den schweizerischen Pfahlbauten und in etwa gleichzeitigen Landansiedelungen Deutschlands schon zur Bronzezeit antreffen. Hier lernten ihn später die Römer als menschliches Nahrungsmittel kennen. Sie staunten über das „barbarische Brotkorn“ der Germanen, wie sie es nannten; denn sie sahen in dem Kulturhafer nur den ihnen als lästiges Acker[S. 38]unkraut bekannten Flughafer, den sie höchstens als Viehfutter und Arzneimittel gelten ließen.
Die Griechen der homerischen Zeit kannten den Hafer noch nicht. Der erste griechische Schriftsteller, der ihn erwähnt, ist der Arzt Dieuches aus dem Anfang des 4. Jahrhunderts v. Chr., der sagt, man könne aus dessen Körnern einen Brei kochen, der leichter verdaulich als der gewöhnlich genossene Gerstenbrei sei. Der ausgezeichnete griechische Botaniker Theophrastos (371–286 v. Chr.) kennt ihn nur als ein Ackerunkraut, ebenso der ältere Cato (234–149 v. Chr.), der in seiner Schrift über den Landbau sagt, man müsse den Hafer beim Hacken und Jäten des Getreides als lästiges Unkraut ausreißen. Auch die römischen Dichter Vergil (70–19 v. Chr.) und Ovid (43 vor bis 17 nach Chr.) kennen ihn nur als solches. Ersterer sagt in einer seiner Eklogen, d. h. ausgewählten Gedichte: „Meine Felder liegen öde; da, wo ich Gerste gesät, wächst der unglückselige Taumellolch (lolium) und unfruchtbarer Hafer (sterilis avena)!“ Und in seiner Georgika, einem Gedicht über den Landbau, klagt er: „Gar mancher sät zu früh, seine Saat verdirbt und sein Feld trägt dann nichts als unnützen Hafer (vana avena).“
Erst der römische Ackerbauschriftsteller Columella aus Spanien im 1. Jahrhundert n. Chr. spricht von seiner Verwendung als Viehfutter: „Hafer wird gesät, um grün oder als Heu verfüttert zu werden; man läßt auch welchen stehen, um wieder Samen zu bekommen.“ Sein Zeitgenosse Plinius (23–79 n. Chr.) meint: „Der Hafer (avena) ist ein unter dem Getreide vorkommendes Unkraut und entsteht durch Entarten der Gerste. Die germanischen Völker säen ihn und essen keinen anderen Brei als Haferbrei.“ Der 131 n. Chr. in Pergamon in Kleinasien geborene griechische Arzt Claudios Galenos, der zuerst in seiner Vaterstadt und dann in Rom, wo er um 200 starb, die Heilkunst ausübte, schreibt über den brómos, was man bisher mit Hafer übersetzte, da Plinius an einer Stelle die eßbaren Samen einer Getreideart so bezeichnet, das aber wahrscheinlicher eine Wickenart bedeutet, da Galenos ihn ausdrücklich als Hülsenfrucht bezeichnet: „Der brómos wird in großer Menge in Asien angebaut, besonders in Mysien, das über Pergamon liegt. Er dient als Futter für das Zugvieh; von Menschen wird nur zur Zeit von Hungersnot daraus gebackenes Brot gegessen. Außer einer Hungersnot wird er nur selten, und dann in Wasser gekocht und mit süßem Wein oder eingekochtem Most oder Honigwasser gegessen. Er gibt nicht gar viel Nahrung und das aus[S. 39] ihm bereitete Brot schmeckt nicht angenehm, bekommt aber gut.“ Wenn wir nun auch diese Notiz nicht für den Hafer verwenden können, so ist uns doch aus späterer Zeit der Anbau von Hafer als Viehfutter wenigstens im oströmischen Reiche verbürgt. Als solcher erscheint er zwar noch nicht als Getreide für den Menschen, wohl aber unter den Futterkräutern fürs Vieh im bereits erwähnten Erlaß des Kaisers Diokletian (239–313) und der Kirchenvater Hieronymus (340–420) sagt an einer Stelle, der Hafer werde wie die Wicke von den weidenden Tieren gefressen. So dient er auch heute noch in Norditalien wie in Griechenland nur als Grünfutter, während als Pferdefutter allgemein Gerste benutzt wird.
Das eigentliche Kulturgebiet des Hafers als Getreidefrucht des Menschen ist das Europa nördlich der Alpen, so weit es nicht zu kalt für ihn wird. Bezüglich seiner Ansprüche an die Beschaffenheit des Ackerbodens ist er genügsamer als alle übrigen Getreidearten. Er kann ebensogut auf geringem Sandboden, als auf schwerem Tonboden oder auf Moorboden angebaut werden. Trotzdem ist seine geographische Verbreitung nicht so groß als diejenige von Weizen und Gerste, weil sein Anbau ein wärmeres Klima erfordert und er sich langsamer als jene entwickelt. Im Norden erreicht seine Kultur den 70. Breitengrad nicht und in den Alpen steigt er nicht über 1670 m Meeres[S. 40]höhe. Man baut ihn als Sommergetreide mit früher Aussaat. Er leidet wie die übrigen Getreidearten vornehmlich durch den Flugbrand, der in nassen Jahren große Verheerungen anrichtet.
Den meisten Hafer produzieren die Vereinigten Staaten von Nordamerika, dann folgen Rußland und Deutschland mit Mengen, welche die Weizenproduktion der betreffenden Länder noch weit übersteigen. Auch Frankreich und Österreich liefern beträchtliche Mengen. Im Verhältnis zur Größe des bebauten Landes ist die Haferproduktion in den nordischen Ländern: Schweden, Norwegen, Dänemark, Schottland und Kanada besonders groß; in Schweden liefert z. B. der Hafer mehr als die Hälfte alles überhaupt gewonnenen Getreides. Dort und in Norwegen wird aus ihm ein trockenes, jahrelang haltbares Fladengebäck, das Fladbrot — eine Art Zwieback — verfertigt, das als Volksnahrung eine große Rolle spielt. Auch in Schottland bäckt man aus dem Hafermehl harte, ungesäuerte Kuchen. Das nationale Frühstücksessen der Schotten, Iren und vieler Engländer aber ist die mit Milch gekochte Hafergrütze, der porridge, der vor dem Aufkommen des Kaffees auch bei uns in Süddeutschland und der Schweiz als „Habermus“ als solches figurierte und neuerdings sich glücklicherweise immer mehr als äußerst rationelles erstes tägliches Essen einbürgert. Sonst wird der Hafer zu Schleimsuppen, Grütze, Grieß und Brei verwandt, besonders aber an Pferde verfüttert. Haferstroh dient wie dasjenige der übrigen Getreidearten in der Landwirtschaft als Streu und wird zu Häcksel verschnitten.
Weiter sind die Hirsearten wichtige Getreidegräser. Diese ein- bis zweiblütigen Rispengräser sind leicht daran zu erkennen, daß die Deck- und Vorspelze hart und häufig glänzend sind. Eine der größten der gegen 500 bekannten Arten ist die Rispenhirse (Panicum miliaceum), deren Stammform bisher unbekannt ist. Jedenfalls ist sie irgendwo in Zentralasien zur Kulturpflanze erhoben worden und hat von da schon sehr frühe ihren Eroberungszug über die ganze Alte Welt angetreten. So gelangte sie schon in der neolithischen Zeit nach Mitteleuropa und wurde hier von den Stämmen der jüngeren Steinzeit neben Gerste und Weizen angepflanzt. In den neolithischen Pfahlbauten der Schweiz finden wir die Hirsekörner so verquetscht und zu brotähnlichen Massen verknetet, daß eine Bestimmung der Art nach den Körnern unmöglich ist. Auch aus den antiken Schriftstellern werden wir nicht klug, welche Hirseart von den von ihnen beschriebenen fremden Völkern verzehrt wurde. Im ganzen scheint die Rispenhirse darunter verstanden[S. 41] worden zu sein: doch ist daneben damals schon in Mitteleuropa eine zweite Art nachweisbar. Es ist dies die Kolbenhirse (Panicum italicum), deren Stammform als Panicum viride, ein durch die gemäßigte Zone der alten Welt verbreitetes Unkraut bildet. Sie unterscheidet sich von der kultivierten Form nur durch geringere Größe und das spontane Abfallen der Fruchtähren bei der Reife. Auch diese Wildhirse scheint in Innerasien zuerst als Getreide in die Pflege des Menschen genommen worden zu sein und hat sich früh nach allen Richtungen verbreitet. Schon ums Jahr 2800 v. Chr. treffen wir sie neben Weizen, Gerste, Reis und Sojabohne in China angebaut. Noch früher muß sie in Nordindien kultiviert worden sein, wo sie die Arier bei ihrer Einwanderung als die gewöhnliche Brotfrucht der Eingeborenen überall angebaut fanden. Doch verschmähten sie selbst zunächst dieses Korn, das ihnen minderwertig erschien. Wie im Sanskrit treffen wir eine Bezeichnung für sie im Altägyptischen, doch ist ihre Kultur weder im Niltal, noch in Mesopotamien zu größerer Bedeutung gelangt, da hier offenbar schon ältere Getreidearten so gut eingebürgert waren, daß sie sie nicht aus ihrer herrschenden Stellung zu verdrängen vermochte. Dagegen war sie von jeher bei den Negern in Afrika das Hauptgetreide. Wie der spätere Plinius, sagt der um 25 n. Chr. verstorbene weitgereiste griechische Geograph Strabon aus Amasia im Pontusgebiet: „In Äthiopien leben die Leute (Neger) von Rispenhirse (kénchros) und von Gerste (krithḗ) und machen aus beiden ihren Trank.“ Auch bei den Steppenvölkern Südrußlands war die Hirse die wichtigste Nährfrucht. So sagt derselbe Autor: „Das Tal des ins Schwarze Meer fließenden Thermodon ist feucht, mit frischem Grün bedeckt, ernährt Herden von Rindern und Pferden und die meisten Felder sind mit Kolbenhirse (élymos) und Rispenhirse (kénchros) bestellt. Noch nie haben die Leute in diesem Tale Hungersnot erlebt.“ Auch im Hochlande von Armenien fanden[S. 42] die Griechen im Jahre 400 v. Chr. auf ihrem Rückzuge nach der unglücklichen Schlacht von Kunaxa laut dem Berichte ihres Führers Xenophon, der ihn in seiner Anabasis beschrieb, die Kolbenhirse (élymos) als Hauptgetreide angepflanzt.
Die ältesten Griechen bauten die Hirse nicht an. Nirgends wird sie in den homerischen Epen erwähnt. Von den griechischen Schriftstellern nennt sie zuerst Hesiod im achten vorchristlichen Jahrhundert, aber an einer wahrscheinlich später eingeschobenen Stelle. Erst den späteren Griechen war sie wohlbekannt, sowohl die Rispenhirse kénchros, als auch die Kolbenhirse élymos oder melínē. Der griechische Pflanzenkundige Theophrast (390–286 v. Chr.) erwähnt beide als Getreide (sítos) und sagt, daß man sie im Sommer säe. Besonders die Spartaner werden uns als Hirseesser bezeichnet; auch in Athen war der Hirsebrei ein gewöhnliches Gericht. Doch urteilt der aus Anazarbos in Kilikien gebürtige griechische Arzt Dioskurides um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. in seiner Arzneimittellehre: „Die Rispenhirse (kénchros) hat, wenn sie in Brot verwandelt wird, weniger Nährkraft als anderes Getreide. Als Brei wird sie arzneilich gebraucht, auch legt man sie geröstet in Säckchen auf schmerzende Stellen. — Die Kolbenhirse (élymos) heißt auch melínē; sie ist ein der Rispenhirse ähnliches Getreide, wird ebenso zu Speise und Arznei gebraucht, hat aber weniger Nährkraft als jene.“
Eine etwas größere Rolle als in Griechenland, wo sie im ganzen nur geringe Bedeutung erlangte, spielte die Hirse bei den Volksstämmen Italiens. Auch bei ihnen wurden beide Arten gepflanzt, die Rispenhirse als milium und die Kolbenhirse als panicum. Letzterer Name hängt mit panis = Brot zusammen und beweist, daß das Mehl der Kolbenhirse, wie schon bei den neolithischen Pfahlbauern, vorzugsweise zu fladenartigem, nicht getriebenem Brot verbacken wurde, während man aus dem gemahlenen Korn der Rispenhirse mit Vorliebe einen in der Regel nur mit Wasser, ausnahmsweise mit Milch gekochten Brei herstellte. In seiner Naturgeschichte sagt Plinius: „Die Rispenhirse (milium) gedeiht vorzüglich in Kampanien, man kocht dort aus ihr einen weißen Brei (puls) und bäckt aus ihr ein recht süßes Brot. Die sarmatischen Völker (Nomadenvölker im Norden des Schwarzen Meeres, ein Teil der Skythen) leben vorzugsweise von solchem Hirsebrei, mischen auch rohes Mehl mit Pferdemilch oder mit Blut aus den Schenkeladern des Pferdes und essen es so. Die Neger kennen keine andere Feldfrucht als Rispenhirse und Gerste. — Die Kolbenhirse (panicum)[S. 43] ist in ganz Gallien gebräuchlich; in Italien pflanzt man sie in der Landschaft, die der Po durchfließt, und mischt (gemahlene) Saubohnen hinzu, ohne welche man dort überhaupt nichts zubereitet. Die pontischen Völker (besonders in Kaukasien und dem nördlichen Kleinasien) ziehen die Kolbenhirse jeder anderen Speise vor.“ Auch die iberischen Volksstämme bauten ihn mit Vorliebe an. So sagt der überaus gelehrte Marcus Terentius Varro (116–27 v. Chr.) in seiner Schrift über den Landbau: „In den Erdgruben, die man in Spanien zur Aufbewahrung des Getreides anlegt, hält sich die Rispenhirse (milium) mehr als 100 Jahre lang gut.“ Und der aus Spanien stammende Ackerbauschriftsteller Columella im 1. Jahrhundert n. Chr. schreibt: „Zum Getreide kann man auch die Kolbenhirse (panicum) und die Rispenhirse (milium) rechnen. Sie verlangen einen leichten, lockeren Boden und gedeihen selbst auf magerem Sand, wenn er nur feucht ist und Regen darauf fällt; trockenen und tonigen Boden scheuen sie. Vor dem Frühjahr darf man sie nicht säen, weil sie die Wärme lieben; die beste Zeit der Aussaat ist Ende März. Die Aussaat ist an sich wohlfeil, weil man dem Maß nach nicht viel streut; später macht sich aber ein oftmaliges Behacken und Jäten nötig. Die Ernte geschieht, bevor die Samen ausfallen, indem man die Samenrispen (spicae) mit der Hand abpflückt. Man hängt sie alsdann in die Sonne, trocknet sie, hebt sie dann auf dem Kornboden auf, und so halten sie sich länger als anderes Getreide. Aus der Rispenhirse bereitet man Brot, das sich gut essen läßt, solange es noch warm ist. Die Kolbenhirse wird durch Stampfen (in Holzmörsern) von der Schale befreit und gibt dann, besonders mit Milch gekocht, einen Brei, der nicht übel schmeckt. Die Rispenhirse kann ebenso zu Brei gekocht werden.“
Trotzdem die Hirse bei den Volksstämmen Italiens gebaut wurde, trat sie, gleich der Gerste, vor dem Spelt und später dem Weizen zurück. Nur wenn die letzteren nicht gut gerieten, war man über jene mindergeschätzten, aber ausgiebigeren Getreidearten froh. Speziell in der Poebene und im südlichen Gallien wurden sie noch lange von den dort wohnenden keltischen Stämmen bevorzugt. Als Cäsar die Hafenstadt Massalia (das heutige Marseille) belagerte, ernährten sich die Einwohner mit alter Hirse und verdorbener Gerste, die sie für derartige Zeiten der Not aufgespeichert hatten. In ähnlicher Weise wurden noch zu Anfang des 6. nachchristlichen Jahrhunderts während einer Hungersnot zu Pavia und Tortona große Mengen von Hirse aus den städtischen Magazinen zu sehr niedrigen Preisen an das Volk abgegeben,[S. 44] ein Beweis dafür, daß der Hirsebau sich im keltischen Oberitalien auch unter römischer und gotischer Herrschaft behauptete.
Bis ins 18. Jahrhundert hinein war der Hirsebau in Mitteleuropa ziemlich verbreitet, und bei unseren Vorfahren bildete der Hirsebrei neben dem Hafermus die tägliche Morgenkost, die seither durch Kaffee und Brot verdrängt wurde. Nur in Nordchina, Zentralasien und Südrußland bildet diese Körnerfrucht heute noch eine der wichtigsten Getreidearten, die als Brei und Kuchen von jedermann täglich genossen wird. Vom Kaspischen Meer bis zur Donaumündung ist die Hirse sogar die Hauptnährfrucht, und bis vor 50 Jahren war es in Südrußland allgemein geübte Sitte, den Toten außer Brot und Branntwein einen Topf voll Hirsebrei mit ins Grab zu geben.
Tiefer nach Afrika hinein drang der Anbau dieser nordischen Hirsearten niemals vor, da hier verschiedene einheimische Hirsearten bereits große Bedeutung erlangt hatten. Unter ihnen ist vor allem die Negerhirse (Pennisetum spicatum) zu nennen, deren Heimat das tropische Afrika ist. Von hier aus drang sie früh nach Ägypten und teilweise auch Palästina vor, wo sie schon im Alten Testament als duchn genannt wird, eine Bezeichnung, die heute noch bei den Arabern gebräuchlich ist, während die Neger sie gewöhnlich mavele nennen. Sie wird 2 m hoch und bildet walzenförmige Fruchtstände von über 30 cm Länge und bis 4 cm Dicke, in denen die Körner sich dichtgedrängt finden. Das daraus gewonnene feine Mehl wird, mit Wasser angemacht, zu einer wohlschmeckenden Grütze gekocht, die in vielen Gegenden Afrikas die Hauptnahrung der Eingeborenenbevölkerung bildet.
Allerdings ist in diesem Kontinente eine andere Hirseart noch viel beliebter und deshalb verbreiteter. Es ist dies die Mohrenhirse oder das Neger- bzw. Kafferkorn (Andropogon sorghum), von den Arabern durra, von den Negern jedoch meist mtamma genannt. Von ihr gibt es eine Menge Varietäten, die 2–7 m hoch werden, bis 1 m lange und 7–10 cm breite Blätter treiben und schließlich eine mehr oder weniger gedrängte endständige Rispe hervorbringen, an denen die 4–5 mm langen und 3–4 mm breiten Früchte sitzen. Bei der wilden Urform, dem aleppischen Bartgrase (Andropogon halepense), die über die wärmeren Gebiete der ganzen Erde verbreitet ist und in manchen Gegenden an Wasserläufen große Dickichte bildet, fallen die die Ährenpaare tragenden Ästchen des Blütenstandes nach der Fruchtreife ab, während sie bei den Kulturformen stets erhalten bleiben. Auch werden die Früchte der wilden Form ganz und gar von den Hüll[S. 45]spelzen umhüllt, während dies nur bei einer einzigen, noch wenig durch Kulturauslese veränderten Kulturform der Fall ist. Die zahlreichen Kulturvarietäten unterscheiden sich nun durch Gestalt, Größe und Farbe der Hüllspelzen, die von Schneeweiß zu Gelb, Rot, Braun und Schwarz wechseln, wie auch durch die Gestaltung der Rispe, die bald weitschweifig und flatterig wie bei der Stammform ist, bald mehr oder weniger gedrängte, elliptische bis kugelige Kolben bildet.
Die Mohrenhirse nimmt mit trockenem, magerem Boden vorlieb und eignet sich deshalb besser als irgend eine andere Pflanze zum Anbau in solchen tropischen und halbtropischen Gegenden, wo auf eine kürzere Regenzeit eine langanhaltende Trockenzeit folgt. Deshalb bildet sie nicht nur in Afrika, wo sie heimisch ist und zuerst in Kultur genommen worden zu sein scheint, sondern auch in Indien und China die Hauptbrotfrucht, die in zahlreichen Spielarten gezogen wird. Aus ihrer Heimat Afrika gelangte sie schon zur Zeit der ältesten Dynastien um die Mitte des 4. vorchristlichen Jahrtausends nach Ägypten, wo sie neben den älteren hier eingeführten Getreidearten als boti ziemlich häufig gepflanzt wurde; wenigstens wird ihre Frucht ziemlich häufig unter den Grabbeigaben gefunden, auch ist sie mehrfach deutlich erkennbar an den Wänden der Grabkammern abgebildet worden. So findet sich auf einem Wandgemälde im Grabe des Amenembe eine Ernteszene der Mohrenhirse dargestellt. Die mannshohen, unten hellgrün und oben gelb mit rotem, kolbenförmigen Fruchtstand gemalten Halme werden dabei aus dem Boden gezogen, in Garben gebunden und nach der Tenne getragen, wo sie vermittelst einer Hechel von ihren Körnern befreit werden.
Später drang die Mohrenhirse auch nach Westasien vor, ohne daß wir allerdings geschichtliche Dokumente dafür besäßen. Noch heute wird sie wie in Oberägypten, so in Palästina und Vorderasien ziemlich häufig angebaut. In der Folge kam sie auch nach Indien, wo[S. 46] sie um die Wende der christlichen Zeitrechnung bereits bekannt war, doch fehlt ein Sanskritname für sie. Nach China soll sie angeblich im 4. Jahrhundert nach Chr. als „Hirse aus dem Lande Shu“ eingeführt worden sein. Heute nährt sich ein großer Teil der ¾ Milliarden Einwohner Indiens und Chinas vorzugsweise von dieser Hirseart statt von Reis, wie man gewöhnlich annimmt.
In ihrer alten Heimat Afrika ist sie, wie schon der Name Mohrenhirse oder Kafferkorn besagt, die weitaus wichtigste Getreidefrucht geblieben, aus welcher nicht nur fladenartiges Brot und Brei, sondern auch ein als merissa bezeichnetes, sehr beliebtes Bier hergestellt wird. Zu dem Zwecke werden die Körner der Mohrenhirse zuerst in Wasser aufgeweicht, sodann vorübergehend in die Erde vergraben, um das Keimen derselben zu bewirken. Ist dies erreicht, so werden sie zu einem groben Mehl zerstampft, in einem irdenen Topf gekocht und die durch Filtration daraus gewonnene klare, zuckerhaltige Flüssigkeit in Kalabassen einer langsamen Gärung unterzogen. Nach 1–2 Tagen ist das leicht berauschende Getränk fertig.
Die ältesten Griechen und Römer haben die Mohrenhirse nicht gekannt. Der erste römische Autor, der uns von ihr berichtet, ist der 79 n. Chr. beim Vesuvausbruch umgekommene ältere Plinius, der in seiner Naturgeschichte schreibt: „Vor etwa zehn Jahren ist in Italien eine aus Indien stammende Hirseart (milium) eingeführt worden, welche dunkelfarbig und großkörnig ist und einen rohrartigen Halm hat. Sie wird bis sieben Fuß hoch. Ihre Blütenrispe wird Mähne (phoba) genannt; sie gibt von allen Getreidearten den höchsten Ertrag, von einem einzigen Halme 3 Sextarien (= 1,54 Liter).“ Trotz ihres außerordentlichen Ertrages fand sie aber in Italien damals nicht recht Eingang, wahrscheinlich weil das dem Roggen ähnliche, schwärzliche Mehl den verwöhnten Römern nicht behagte. Kein späterer Autor spricht mehr von ihr, so daß wir annehmen müssen, daß sie bald wieder völlig aus Italien verschwand. Erst durch die Araber wurde sie wieder in die Mittelmeerländer eingeführt. So erwähnt sie aus Italien zuerst wieder Petrus de Crescentiis ums Jahr 1300 unter dem Namen milica. Doch diente sie damals vorzugsweise als Viehfutter und nur in Teuerungszeiten wurde das daraus gewonnene Mehl mit anderem gemischt genossen.
Einzig der Umstand, daß diese Getreideart sieben Monate zu ihrer Entwicklung bedarf, hat es bewirkt, daß diese sonst so wertvolle, ertragreiche Körnerfrucht nicht weiter nordwärts in Europa Verbreitung[S. 47] fand. Ihre Nordgrenze findet sie hier in Südtirol, wo sie unter dem Namen Sirch gepflanzt wird. Hier scheint aber diese Getreideart früher allgemeiner angepflanzt worden zu sein, da bis vor kurzem der Grundzins in diesem Korn bezahlt werden mußte. Von hier kommen auch meist die abgeernteten und vermittelst metallener Kämme entkörnten Fruchtrispen, die man bei uns sehr viel zur Anfertigung von Besen und groben Bürsten, die man fälschlicherweise als Reisbesen oder Reisbürsten bezeichnet, benutzt.
In der Neuzeit hat sich die Mohrenhirse weitherum, so weit das Klima warm genug für sie ist, verbreitet. Auch in Nordamerika wurde sie im 19. Jahrhundert vielfach angepflanzt, erwies sich aber empfindlicher gegen nasse Kälte und bedarf einer höheren Sommerwärme zur Reifung ihrer Samen als der dort einheimische Mais. Sie wird wie dieser, nur noch enger gepflanzt, außerdem müssen die betreffenden Felder öfter gejätet werden, da die jungen Pflänzchen der Mohrenhirse sich langsamer als diejenigen des Maises entwickeln, weshalb sie in größerer Gefahr sind, vom Unkraut unterdrückt zu werden. Später treiben sie nach dem Abschneiden ein zweites Mal Halme, wodurch es möglich wird, nach einer Grünfutterernte eine Körnerernte zu gewinnen, vorausgesetzt natürlich, daß die klimatischen Verhältnisse es gestatten.
Eine ebenfalls aus Afrika stammende Abart der Mohrenhirse ist die Zuckerhirse (Andropogon saccharatus), die höher wird als jene und eine weitschweifige Rispe besitzt. Auch sie wird weitherum in Afrika und anderen Tropenländern ihrer Samen wegen angebaut, die indessen nicht so gut schmecken wie diejenigen der Mohrenhirse. Dafür enthalten ihre Stengel ziemlich viel Zucker, der sich daraus gewinnen läßt. In den weniger heißen Ländern, wo sie ihre Früchte nicht mehr reifen läßt, dient sie als nahrhafte Futterpflanze. Auch sie gelangte aus ihrer zentralafrikanischen Heimat frühe nach Ägypten und Vorderasien und von da nach China, wo sie heute noch als Kao-liang, d. h. große Hirse, eine weite Verbreitung besitzt. In letzterem Lande wird sie erst zu Beginn der christlichen Zeitrechnung erwähnt, hat sich aber dadurch die besondere Gunst der Bevölkerung erworben, daß sich aus dem von ihr ausgepreßten Zuckersafte, der dort niemals zur Zuckergewinnung benutzt wird, ein beliebtes alkoholhaltiges Getränk herstellen läßt. Besonders in der Mandschurei ist dieser Kao-liang das gewöhnliche Korn und wird dort in sehr ausgedehntem Maße gepflanzt. In den Berichten aus dem japanisch-russischen Krieg konnte man genug von diesen hohen Kao-liangkulturen lesen, die den Soldaten gute Deckung[S. 48] und willkommene Fourage bot. Zur Gewinnung von Zucker wird dieses Getreidegras neuerdings auch in Nordamerika in größerem Maßstab angepflanzt.
Gleicherweise afrikanischen Ursprungs und hier seit sehr alter Zeit als Getreide angepflanzt ist die Negerhirse (Pennisetum spicatum) — nicht mit der Mohrenhirse zu verwechseln.
Diese 1–2 m hohe Hirseart mit 8–10 cm langer und 2–4 cm dicker, kolbiger Fruchtrispe spielt heute noch in ihrer Heimat als Nährfrucht eine große Rolle und ist bei den Negerstämmen Zentralafrikas ein Hauptgegenstand des Hackbaues. Im letzten vorgeschichtlichen Jahrtausend muß sie auch nach Ägypten und von da später weiter nach Vorderasien gekommen sein; denn zu Beginn des sechsten vorchristlichen Jahrtausends erwähnt sie der jüdische Prophet Hesekiel unter dem Namen dochan als eine Getreideart Babyloniens, aus der man Brot bereite. Dieser Ausdruck hat sich bis heute in der arabischen Bezeichnung duchn für Negerhirse erhalten. Sie wird ebenfalls im Orient, besonders in Südarabien und in Indien angebaut, und aus ihren Samen stellen die Araber ihren Kuskus genannten Fruchtbrei her, der, wenn möglich, mit Hammelfett oder Hammelfleisch gekocht wird und so beliebt ist, wie anderwärts der damit gekochte Reis.
In höheren Gebirgslagen Abessiniens heimisch und daselbst im großen unter dem Namen Tef angebaut, ist eine Art von Liebesgras, Eragrostis abessinica, die nur 0,5 m hoch wird. Die sehr kleinen, kaum hirsekorngroßen, aber sehr zahlreichen Samen liefern der gesamten Bevölkerung Abessiniens das allgemeinste und beliebteste Brot, das gewöhnlich in eine gepfefferte Fleischsauce getaucht oder mit Erbsenbrei, sonst auch nur mit Salz, Pfeffer und Butter gegessen wird. Dieses Getreide wurde nach den zahlreichen auf uns gekommenen Überresten einst im alten Ägypten häufig angebaut, wird aber dort nicht mehr gepflanzt. Heute wird es nur noch in Abessinien bis zu 2200 m über Meer in verschiedenen weißen, grünen und roten Spielarten kultiviert. Die Ernte geschieht schon 3–4 Monate nach der Aussaat, was ein großer Vorzug dieser Brotfrucht ist.
Endlich ist noch eine rasenartig wachsende, durchschnittlich 1 m hoch werdende Getreideart zu erwähnen, der Korakan (Eleusine coracana), der in Indien seine Heimat hat, aber heute außer dort besonders auch im tropischen Afrika bei den Negervölkern als uimbi sehr viel zur Gewinnung von Brot und Bier angepflanzt wird. Auch von ihr gibt es eine Menge von Kulturformen, die sich in den verschiedenen Gegen[S. 49]den ihres Kulturgebietes ausbildeten. In Ostafrika wird sie in höheren Lagen, oft mit größerer Sorgfalt als es sonst zu geschehen pflegt, in wohlbewässerten Feldern angebaut.
Außer den bisher betrachteten Grasarten, die bekanntlich alle monokotyl sind, hat auch eine dikotyle Pflanze aus der nächsten Verwandtschaft der Knöteriche, der Buchweizen (Fagopyrum esculentum), ein naher Verwandter von Sauerampfer und Rhabarber, einige Bedeutung als Getreidefrucht erlangt. Mit zwei anderen Polygonumarten, deren Kultur auf Zentralasien beschränkt blieb, hat er seine Heimat in der nördlichen Mongolei und Mandschurei, dann um den Amur- und Baikalsee herum, wo er heute noch wild gefunden wird. Er ist ein einjähriges, bis 60 cm hoch werdendes Kraut, mit gestielten, herzförmigen Blättern, weißen oder rötlichen Blüten und dreikantigen, glänzendbraunen Nüßchen, die den Bucheckern ähnlich sind und deshalb diesem Getreide den Namen Buchweizen verschafften. Er ist höchst anspruchslos in bezug auf den Boden und wächst noch im magersten Sande. Dann hat er entsprechend seiner asiatischen Heimat mit kurzen, warmen Sommern und langen, kalten Wintern eine kurze Vegetationsperiode und empfiehlt sich durch seine schmackhaften Früchte, während die Blüten eine gute Bienenweide liefern.
Als Kornfrucht wird der Buchweizen besonders in Rußland viel angepflanzt und daraus Grütze und Kuchen bereitet. Wer je jenes Land bereist hat, dem werden die besonders zu Festzeiten in gewaltigen Mengen verspeisten blini, d. h. Pfannkuchen aus Buchweizenmehl, aufgefallen sein, die in recht viel Butter dünn wie Papierblätter oder auch dicker gebacken werden. Mit saurer Sahne und ausgelassener Butter[S. 50] vorgesetzt, bilden sie einen Leckerbissen hocheleganter Diners wie der einfachsten Bauernkost. Wer es vermag, leistet sich als Zukost dazu geräucherten Lachs und Kaviar.
Wie in ganz Rußland, so hängt heute noch auch in Norddeutschland der gemeine Mann von alters her an seiner Grütze aus Buchweizen, dessen Körner als Mastfutter denselben Wert wie Gerste und als Pferdefutter einen größeren als Hafer besitzen. Da die Buchweizenkörner mit einer sehr harten Schale umgeben sind, so müssen sie immer zuerst geschrotet werden, bevor sie als Futter dienen. Gemahlen werden sie, meist mit Weizenmehl vermischt, zu Brot verbacken. Auch als Grünfutter wird der Buchweizen angebaut und dient sehr häufig als Gründünger.
Im nördlichen China und in Japan wird er viel angebaut, erst seit kurzem auch in Nordindien und auf Ceylon. Die alten Kulturvölker in Vorderasien und am Mittelmeer kannten ihn nicht. Erst zu Ausgang des Mittelalters kam er nach Europa. Seine früheste Erwähnung findet sich im Zinsregister des mecklenburgischen Dorfes Gadebusch (bekannt durch den Heldentod des Dichters Theodor Körner) vom Jahre 1436, und 1546 gab Hieronymus Bock eine genaue Beschreibung der damals noch nicht allgemein in Deutschland bekannten Pflanze. In Süddeutschland nennt man ihn gewöhnlich Heidekorn, d. h. ein von den Heiden gekommenes Getreide. Ein anderer deutscher Name ist Taterkorn, was so viel bedeutet als Brotfrucht der Tataren. Jedenfalls haben diese den Buchweizen nach Rußland übermittelt und hat Viktor Hehn Unrecht, wenn er das seltsame, aus Nordindien stammende und erst im Jahre 1417 in Mitteleuropa auftauchende Wandervolk der Zigeuner, das ums Jahr 1000 aus seiner ursprünglichen Heimat zunächst nach Persien und Armenien auswanderte, dann längere Zeit in Ländern griechischer Zunge, und zwar wahrscheinlich Kleinasien, umherzog, in diesen Tatern erblickt. Da diese ruhelos umherschweifenden Stämme keinen Ackerbau treiben, so können sie auch unmöglich Verbreiter einer besonderen Kornart gewesen sein, das zudem in ihrer ursprünglichen Heimat ganz unbekannt war.
Während der Buchweizen im Norden über Rußland nach Deutschland kam, scheinen ihn die Franzosen erst durch die Vermittlung der Araber (Sarazenen) erhalten zu haben, da sie ihn als blé sarasin bezeichnen. Die ums Jahr 1225 unter dem Drucke der Mongolen aus Zentralasien nach Vorderasien ausgewanderten Türken werden diese Kornfrucht nach Armenien gebracht haben, von wo aus sie bei der[S. 51] Ausdehnung der Türkenherrschaft nach Kleinasien und in die Länder am östlichen Mittelmeer gelangte. Durch die im späteren Mittelalter als Seeräuber das ganze Mittelmeer unsicher machenden Araber, die gewöhnlich als Sarazenen bezeichnet wurden, scheint der Buchweizen an die Gestade des westlichen Mittelmeers verbreitet worden zu sein; daher rührt wohl die französische Bezeichnung her. Zu Ende des 16. Jahrhunderts bildete er schon ein ziemlich allgemeines Nahrungsmittel der Armen in manchen Gegenden Frankreichs. Im 18. Jahrhundert wurde er durch ganz Europa und seit dem 19. auch in Nordamerika kultiviert. Wie in Norddeutschland und bei den Slawen ist er in manchen Tälern der Ostalpen eine beliebte Brotfrucht, so besonders in Tirol, wo er Plent heißt (aus dem Italienischen polenta) und das aus seinem nahrhaften Mehl hergestellte Gericht Sterz genannt wird.
Kräftiger, dauerhafter und im Ertrag sicherer, wenn auch mit weniger ausgiebigem, dickschaligem und nicht so wohlschmeckendem Korn, das zudem auch leichter bei der Reife ausfällt, ist der aus Sibirien stammende tatarische Buchweizen (Fagopyrum tataricum). Er besitzt wie der gemeine Buchweizen saftige, ästige, meist rotgefärbte Stengel mit herzförmigen, gestielten Blättern, aber in schlaffe Trauben geordnete grünliche Blüten und an den Kanten buchtig gezähnte Nüßchen. Deutsche Botaniker brachten ihn im 18. Jahrhundert aus Sibirien, wo er schon lange kultiviert wird, nach St. Petersburg, von wo aus er über Europa verbreitet wurde. Da er aber ein bitteres und schwärzeres Mehl als der gemeine Buchweizen liefert, wird er meistens nur zu Grünfutter verwendet.
So wichtig die bisher von uns betrachteten Grasarten als Körnerfrüchte für die Existenz des Menschen waren, so kann doch keine dieser Nährpflanzen es an Bedeutung und weiter Verbreitung mit dem Reis (Oryza sativa) aufnehmen, von dem reichlich die Hälfte aller Menschen, d. h. etwa 750 Millionen, mehr oder weniger lebt. Vor allem sind es die Asiaten, die vorzugsweise oder fast ausschließlich von ihm leben, indem sie seine in kochendem Wasser erweichten Körner fast ohne Zutat, mit fettem Hammelfleisch als Pilau in Vorderasien, oder mit allerlei scharfen Gewürzen und Fisch- oder Hühnerfleisch in Süd- und Ostasien, verzehren. Aus gemahlenem Reis werden in Indien die verschiedensten Speisen, auch Brot, zubereitet. In Ostasien, besonders in Japan, werden die drei täglichen Mahlzeiten nach dem Worte für gekochten Reis als Morgen-, Mittag- und Abendreis bezeichnet. In Japan setzen arme Gebirgsbewohner, die sich mit Buchweizen, Gerste und Weizen begnügen müssen, wenigstens Greisen, Kindern und Kranken Reis als Speise vor. Während in China, Korea und Japan der Reis die hauptsächlichste Körnerfrucht ist, heißt er in Indien und Hinterindien das Getreide schlechtweg.
Im tropischen Australien, durch ganz Südasien bis nach Westafrika kommt in sumpfigen Gebieten, selbst in Gegenden, wo der Mensch ihn nicht anbaut und auch nie angebaut hat, so daß ein Verwildern ausgeschlossen ist, der wilde Reis vor, der sich nur darin vom langbegrannten Kulturreis unterscheidet, daß seine Früchte nach dem Reifen abfallen, eine Eigenschaft, die fast alle wilden Getreidearten im Gegensatz zu den Kulturformen besitzen. Im oberen Niltale, wo er nach Schweinfurth die Gewässer massenhaft bedeckt, werden die von den Eingeborenen hochgeschätzten Früchte des wilden Reises aus dem[S. 53] Wasser geschöpft, um als willkommene Speise zu dienen. Auch sonst überall werden seine abfallenden Früchte von den auf der Stufe der Sammler lebenden Naturvölkern regelmäßig gesammelt und nach leichter Röstung im Feuer, wodurch der mehlige Inhalt der Körner aufquillt und so der Verdauung leichter zugänglich gemacht wird, als beliebte Zukost zur tierischen Nahrung gegessen. Ganz in derselben Weise wird in Nordamerika der in seichten Gewässern, wie am Ufer der Seen und Ströme der Nordweststaaten der Union und im südlichen Kanada wildwachsende Tuscarora- oder Wasserreis (Zizania aquatica), der 2–2,5 m hoch wird und eine beliebte Nahrung für die Fische und Wasservögel bildet, auch von den Indianern gesammelt und verspeist. Doch ist die Pflanze nicht wie der Reis durch Veredlung zur Kulturpflanze erhoben worden, obwohl sie dieselben guten Eigenschaften wie jener aufweist.
Welches Volk den Reis zuerst in seine Pflege nahm und durch zielbewußte Kulturauslese die große Brüchigkeit seiner Ährenspindel beseitigte, so daß die Frucht am Halme geerntet zu werden vermochte, das können wir nicht mehr feststellen. Nur das eine wissen wir, daß diese bedeutsame Kulturtat irgendwo in Südasien geschah, und zwar wahrscheinlich in Hinterindien. In Südchina finden wir dieses Getreide zuerst in größerem Maßstabe angebaut. Schon im Jahre 2800 v. Chr. hat nach dem altchinesischen Werke Schu-King der bereits erwähnte Kaiser Schen-nung die fünf heiligen Erntegewächse, außer Hirse, Weizen, Gerste und Sojabohnen auch den Reis als eines der wichtigsten Nahrungsmittel des Menschen beim Frühjahrsfeste selbst gepflanzt, um durch diese feierliche Handlung dem Volke die Wichtigkeit des Anbaues derselben vor Augen zu führen. Im Jahre 2356 v. Chr. ließ dann der Kaiser Jao am Jang-tse-Kiang ausgedehnte Bewässerungsanlagen zur Erleichterung der Reiskultur anlegen und regelte durch bestimmte Gesetze die Verteilung der Einkünfte von den Reisfeldern. Von China gelangte der Reisbau früh schon nach Korea und Japan, wie er von Hinterindien aus nach Indien gebracht wurde, um von da auch nach den Sundainseln und Philippinen, wie auch nach Ceylon zu wandern. Auf der Insel Java soll der Legende zufolge der Reis bereits im Jahre 1084 v. Chr. angepflanzt worden sein. Aus Indien kam die Reiskultur während der ersten Hälfte des letzten vorchristlichen Jahrtausends nach Persien, von da westwärts in die durch ihren Wasserreichtum zu seinem Anbau sehr geeignete Euphratniederung und erst spät in die Länder am Mittelmeer. Auf dieser Wanderung veränderte[S. 54] sich die indische Sanskritbezeichnung dieser Nährfrucht vrîhi in brizi der iranischen Sprachen, und, aus dem Altpersischen entstellt, erhielten die Griechen ihre Benennung óryza, aus dem sich dann die verschiedenen neusprachlichen Benennungen, auch das deutsche Reis, herausbildeten.
Die alten Babylonier und Ägypter kannten dieses südasiatische Getreide so wenig als die Juden des Alten Testaments. Erst durch die Feldzüge Alexanders des Großen trat es in den Gesichtskreis der Kulturvölker am Mittelmeer, nachdem manche weitgereiste Griechen, wie beispielsweise Herodot, schon vorher unbestimmte Kunde von einer in Indien wachsenden Pflanze erhalten hatten, deren Körner von der Größe eines Hirsekorns in einer Hülse stecken, mit der letzteren gekocht und so gegessen werden. Die erste sichere Nachricht über den Reis verdanken wir Aristobulos, einem Begleiter Alexanders des Großen auf seinen Heerzügen in Asien von 334–324 v. Chr., der im hohen Alter eine Geschichte des ruhmreichen Königs und seiner Feldzüge, verbunden mit einer Naturschilderung der von jenem durchzogenen Länder verfaßte. Seine Schrift ist uns nicht erhalten; aber der zur Zeit Cäsars und Augustus’ lebende griechische Geschichtschreiber Diodoros aus Sizilien, daher Siculus genannt, teilt uns folgenden Passus daraus mit: „Aristobulos sagt, der Reis (óryza) stehe in Indien auf Beeten, die eingedämmt und mit Wasser bedeckt sind. Die Höhe dieser Pflanze betrage vier Ellen; sie trage viele Ähren und viele Körner, reife zur Zeit, da die Plejaden untergehen und werde wie der Spelt durch Stampfen enthülst. Er wachse auch in Baktriana, Babylonien, Susis und im unteren Syrien.“ Also nicht bloß in Indien, sondern auch schon am oberen Oxus und in Vorderasien wurde im 4. Jahrhundert v. Chr. diese wasserliebende Getreidepflanze kultiviert. Auch des Aristobulos Zeitgenosse Theophrast (390–286), der von Teilnehmern am berühmten Alexanderzuge diesbezügliche Mitteilung erhielt, beschreibt uns die Nährpflanze ganz richtig: „Die Indier bauen den sogenannten Reis (óryzon) in Menge an und kochen daraus Brei (hépsaina). An sich sieht er dem Spelt (zeiá) ähnlich, enthülst aber den Graupen (chóndros). Er ist leicht verdaulich (éupeptos). Die Pflanze sieht dem Taumellolch (aíra) ähnlich, muß lange Zeit hindurch im Wasser stehen, bildet aber keine Ähre, sondern eine Rispe wie die Rispenhirse (kénchros) und die Kolbenhirse (élymos).“ Selbst sein, wie auch vordem Alexanders des Großen Lehrer, Aristoteles, der ein Jahr nach des letzteren unerwarteten Tod in Babylon, nämlich 322 in Chalkis auf Euböa[S. 55] starb, also von dem 327 erfolgten Eindringen seines vormaligen Zöglings in Indien noch Kenntnis erhalten hatte, berichtet in seiner Tiergeschichte von einem aus Reis gewonnenen Wein, indem er sagt: „Wenn die Elefanten von einem eisernen Geschoß verwundet sind, so gibt man ihnen Öl zu trinken; wollen sie dieses nicht, so gibt man ihnen eine abgekochte Mischung von Öl und Reiswein (oínos orýzas, also nach unserem Sprachgebrauch Arrak).“ Später erwähnt solchen auch Strabon. Er sagt nämlich: „Die Indier sind sehr mäßig, trinken nur bei Festen Wein, und dieser ist aus Reis gemacht statt aus Gerste. Ihre Hauptspeise ist Reisbrei.“ Dieser Geschichtschreiber berichtet auch bei der Erzählung der Kämpfe zwischen Eumenes und Seleukos, daß ersterer wegen Getreidemangels seine Truppen in der persischen Hochebene mit Reis, Sesam und Datteln ernährt habe, mit welchen Produkten jene Gegend reich gesegnet sei!
Der ums Jahr 200 n. Chr. in Alexandrien und Rom lebende griechische Grammatiker Athenaios aus Naukratis in Ägypten schreibt in seinen 15 Büchern Deipnosophistai, die wichtige Nachrichten über Leben, Sitte, Kunst und Wissenschaft der alten Griechen enthalten, daß Megasthenes, der unter dem 281 von Ptolemaios Keraunos ermordeten König Seleukos Nikator von Syrien Agent und als solcher in Indien gewesen war, in seinem von Indien handelnden Buche berichtet, daß dort bei Gastmählern einem jeden ein Tischchen vorgesetzt werde. Auf dieses werde eine goldene (tatsächlich wie Gold aussehende Messingschüssel) Schüssel mit gekochtem Reis gestellt und dazu noch allerlei gute Gaben gereicht. Von der dazu damals schon gebräuchlichen scharfen Currysauce berichtet er uns nicht, obschon er wohl selbst an solchem Mahle teilgenommen hat.
Sehr merkwürdig ist, daß, nachdem die Griechen eine solche richtige Vorstellung der Reispflanze gehabt hatten, der gelehrte Römer Plinius der Ältere (23–79 n. Chr.) eine solch falsche Beschreibung derselben, die nach ihm fleischige Blätter haben soll, in seiner Naturgeschichte liefern konnte. Bei den Griechen und Römern war der Reis eine für die bürgerliche Küche durchaus ungebräuchliche Speise, obschon er in späterer Zeit, um die Wende der christlichen Zeitrechnung, infolge der regen Handelsverbindungen mit dem Osten zu recht billigem Preise zu haben war. Rät doch der Dichter Horaz (65–8 v. Chr.) in einer seiner Satiren einem Geizigen: „Ist dein Magen leer, so fülle ihn noch mit einem Reisbrei (ptisanarium oryzae, d. h. Abkochung von Reis), der nicht teuer ist; für acht As (etwa 32 Pfennig) bekommst[S. 56] du eine Portion, mit der du den Bauch gehörig füllen kannst.“ Selbst bei den nach fremdländischen Erzeugnissen begierigen Reichen fand er keinen rechten Beifall. Er wurde vielmehr von den griechischen Ärzten, die zwar selbst keine sehr hohe Meinung von seiner Verdaulichkeit und seinem Nährwerte hatten, hauptsächlich als Krankenspeise verordnet. So nennt ihn Dioskurides im 1. Jahrhundert n. Chr. mäßig nahrhaft, und Galenos im 2. Jahrhundert n. Chr. als schwerer verdaulich als Graupen (chóndros), dabei weniger nahrhaft und nicht so wohlschmeckend wie diese.
Wie im Altertum blieb der Reis das ganze Mittelalter hindurch erst recht eine Luxusnahrung der südeuropäischen Bevölkerung, die auch nur spärlich als Leckerei in die Länder nördlich der Alpen gelangte, wo diese Kornfrucht bis in unsere Zeit bei der großen Menge, namentlich bei der ländlichen Bevölkerung, einen nur bei Krankheit oder als Festspeise mit Milch, Mandeln und Zucker verspeisten Luxusartikel bildete. Auch haben weder die Römer, noch die Byzantiner je den Versuch gemacht, die Reispflanze im Abendlande selbst zu kultivieren. Dies taten erst die Araber, die ihn zu Ende des 7. Jahrhunderts, als sie erobernd nach Westen bis an die Gestade des Atlantischen Ozeans vordrangen und den unterjochten Ländern ihre Kultur aufzwangen, aus Syrien nach Ägypten und ganz Nordafrika, und im 8. Jahrhundert auch nach Spanien und Sizilien brachten. Bei ihrem Bestreben, die von ihnen gewonnenen Länder nach dem Abbilde derer, aus denen sie kamen, einzurichten, führten sie überall, wohin sie erobernd gelangten, die Reiskultur als diejenige ihres Lieblingskornes ein. Überall legten sie Kanäle und Rieselfelder zur Anpflanzung dieser Sumpfpflanze an und verhandelten den Überschuß ihrer Ernten an die umwohnenden christlichen Völker.
Nach der Eroberung der maurischen Königreiche, deren letzten Rest, Granada, Ferdinand V., der Katholische, von Aragon im Jahre der Entdeckung Amerikas, 1492, gewann, gingen die ausgedehnten arabischen Reisfelder in den Besitz des letzteren über. Und da glücklicherweise keine religiösen Bedenken die Fortsetzung der Werke der Ungläubigen verboten, wurde von der christlichen Bevölkerung Spaniens auch der muhammedanische Reisbau übernommen. Und als zu Anfang des 16. Jahrhunderts sich die spanische Macht in Neapel und bald auch in Oberitalien festsetzte, wurde der Anbau des Reises auch dahin verbracht und bald ebenfalls nach Südfrankreich ausgedehnt; um so mehr, als er einträglicher war als die bisher hier gebaute ge[S. 57]wöhnliche Körnerfrucht. Bloß das dadurch bedingte Überhandnehmen des Sumpffiebers, der Malaria, ließ in der Folge mehr und mehr eine Einschränkung seines Anbaus durch die Obrigkeit aufkommen. So durften die Reisfelder nicht zu nahe bei den menschlichen Wohnungen sein.
Ziemlich spät erst gelangte die Reiskultur nach Nordamerika. Als erster erhielt im Jahre 1647 der englische Gouverneur des Staates Virginia, Sir William Berkeley, aus seiner Heimat einen halben Bushel, d. h. 18 Liter Reissaat, die 16 Bushel, d. h. 576 Liter guten Reis lieferten; jedoch währte es bis zum Jahre 1694, bis die Reiskultur in Nordamerika als wirklich eingeführt gelten konnte. In diesem Jahre lief ein holländisches Schiff, von Madagaskar kommend, den Hafen von Charleston in Südkarolina an. Bei dieser Gelegenheit machte der Kapitän dem Gouverneur Thomas Smith einen Besuch und schenkte ihm auf dessen Bitte einen kleinen Sack Reissaat, den er zufällig an Bord hatte. Smith wollte versuchen, auf einem sumpfigen Stück Land, das ihm gehörte, den Reis anzupflanzen; und dieser Versuch fiel glänzend aus. Er war der erste Anfang der blühenden Reiskultur in Südkarolina, das heute noch das Renommee besitzt, den besten Reis zu pflanzen. Allerdings stammt heute ein großer Teil dessen, was als Karolinareis im Handel verkauft wird, aus Java. Schon im Jahre 1724 wurden etwa 18000 Faß Reis aus dem Staate Karolina ausgeführt, doch blieben hier auch später Mais und Weizen das wichtigste Nahrungskorn der Bevölkerung, während er in Asien fast das ausschließliche Nahrungsmittel der Reis bauenden Bevölkerung bildet. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts kam die Reiskultur auch nach Brasilien, wo die Pflanze in der Folge teilweise verwilderte.
Heute wird der Reis in allen Weltteilen gebaut, soweit die sommerliche Hitze wenigstens vier Monate andauert und 29°C. erreicht, wenn auch immer noch Südasien den Löwenanteil an seinem Anbau aufweist und drei Viertel allen im Welthandel vorkommenden Reises von Bengalen und Burma geliefert werden. Das Anbaugebiet, das nur von einigen Ländern genau bekannt ist, kann man für die ganze Erde auf etwa 700000 qkm abschätzen, eine Jahresernte auf 120 Milliarden kg und deren Wert auf 6000 Millionen Mark veranschlagen. Davon erntet Britisch-Ostindien jährlich 25 Milliarden kg, von denen es 1700 Millionen kg jährlich exportiert. Auf Java beträgt die Produktion etwa 3 Milliarden kg; Kochinchina führt etwa 700 Millionen kg und Siam 500 Millionen kg aus. Japan erntet etwa 3 Milliarden kg, die Ver[S. 58]einigten Staaten dagegen nur 64 Millionen kg, wovon 10 Millionen kg als Karolinareis zur Ausfuhr gelangen. In Europa wird in der Poebene etwa 1 Milliarde kg Reis von 200000 Hektaren geerntet, dann kommt Spanien mit 20000 und Portugal mit 4000 Hektaren Reisland. Auch in Griechenland wird etwas Reis gebaut, und sogar im Rhonetal in Frankreich. Doch ist diese Kultur nur von geringer Bedeutung.
Infolge der mehrtausendjährigen Kultur in den verschiedensten Klimaten und Nährböden hat der Reis zahllose Varietäten gebildet, die sich gar nicht überblicken lassen. Im Museum von Kalkutta findet man nicht weniger als 1104 verschiedene Sorten Reis, die in Britisch-Indien kultiviert werden; außerdem figurieren dort noch weitere 300 verschiedene Arten Reis aus anderen Gegenden. Auf Ceylon allein sollen 161 verschiedene Arten Reis angepflanzt werden, und in Hinterindien, China und Japan sollen mehr als 1400 Sorten desselben existieren. Alle diese Arten sind aber nur Kulturvarietäten einer einzigen botanischen Spezies, die von den Gelehrten eben Oryza sativa genannt wird.
Bei der edelsten Sorte desselben bleiben die einzelnen Körner nach dem Dämpfen getrennt und verkleben nicht, im Gegensatz zu dem außer Stärkemehl einen hohen Gehalt an Amylodextrin besitzenden Klebreis, dessen längliche, durch hellrote Farbe ausgezeichneten Körner beim Garwerden zusammenkleben und bald in Brei übergehen. Doch kommt diese letztere Sorte kaum je zu uns und wird dann vorzugsweise zu Backwerk verwendet. Was wir als Reiskleister essen, ist nur der in der Küche durch falsche Zubereitung verdorbene gute, nicht klebende Reis. Um dieses herrliche Nahrungsmittel mit Genuß essen zu können, muß es in der richtigen Weise zubereitet werden, was folgendermaßen geschieht: Nach gründlicher Waschung wird die betreffende Menge Reis mit reichlich Wasser aufs Feuer gesetzt und darin gekocht, bis er gar ist, d. h. man nimmt von Zeit zu Zeit einzelne Körner desselben heraus und sucht sie zwischen den Fingern zu zerdrücken. Sobald dies geschehen kann, wird das Wasser abgegossen, der Reis gut durcheinander gemischt und der betreffende Topf mit dem Deckel geschlossen, um den Inhalt noch durch den heißen Dampf gar werden zu lassen. Solchermaßen zubereiteter Reis wird nie klebrig oder gar kleisterig und ist erst das, was die Reiskenner unter gut zubereitetem Reis bezeichnen, der als Bestandteil der indisch-holländischen Reistafel oder nach indischer Art nur mit Fleisch und Curry versetzt gegessen wird und eine Delikatesse ersten Ranges ist, die[S. 59] einem den Speichel im Mund zusammenfließen macht, wenn man nur daran denkt.
Alle Reisarten, mögen sie von zwergigen oder hochwachsenden Sorten stammen, begrannte und grannenlose Früchte mit kleinen oder großen Körnern tragen, früh oder spät reifen, weiße, gelbe, rote, braune oder schwarze, behaarte oder unbehaarte Früchte mit weichen oder harten Körnern erzeugen, verlangen wenigstens eine periodische Bewässerung, welche die Reiskultur treibenden Gegenden so stark versumpft und in ihnen die Entstehung von Wechselfieber begünstigt, daß diese Körnerfrucht beispielsweise in Italien nur in größerer Entfernung von bewohnten Ortschaften gebaut werden darf.
Schon an den Nährsalzen der Frucht erkennt man, daß der Reis von einer Wasserpflanze stammt, die sich im Gegensatz zu den übrigen Körner- oder gar Knollenfrüchten dem Leben auf dem Lande durchaus noch nicht angepaßt hat. Wie alle Tiere, sind auch alle Pflanzen, die einst in frühester Urzeit dem Meere als dem Ursprung alles Lebens entstiegen und sich, von Luft statt Wasser umgeben und in Licht gebadet, dem Leben am Lande anpaßten, ursprünglich, der salzigen Flut, in der sie einst lebten, entsprechend, sehr kochsalz- und dadurch natronreich. Die Pflanzen haben sich nun als sehr viel früher dem Leben am Lande angepaßte und durch ihre Assimilation überhaupt erst den Tieren die Existenz daselbst ermöglichende Lebewesen sehr viel mehr von ihrer natronreichen Urheimat, dem Meere, emanzipiert und das Natron in ihren Geweben durch das Alkalimetall des Erdbodens, das Kali, ersetzt, und zwar um so weitgehender, je landfester sie wurden. Nun ist der Reis das kaliärmste und dadurch das für die Nieren reizloseste Nahrungsmittel, das wir kennen, das besonders allen Nierenkranken nicht warm genug kann anempfohlen werden. Milch enthält schon 5mal, Mehlspeisen 6mal, Erbsen 12mal, Rindfleisch 19mal, Bohnen 21mal und Kartoffeln gar 26–28mal mehr Kalisalze als der Reis.
Trotz dieses großen Vorzuges spielt aber der Reis leider in unserer Ernährung nicht die Rolle, die ihm gemäß seiner großen Leichtverdaulichkeit und Nahrhaftigkeit zukommen sollte. In letzter Zeit ist zwar darin eine erhebliche Besserung eingetreten; denn noch vor hundert Jahren galt der Reis als Luxusartikel, den man höchstens etwa bei festlichen Anlässen zu einer süßen Platte verwendete. Damals war der jährliche Verbrauch nicht mehr als 100 g pro Kopf der Bevölkerung Deutschlands, während er heute doch wenigstens auf 2,5 kg jährlich für jeden Einwohner dieses Reiches gestiegen ist. Aber das ist wahr[S. 60]haftig nicht viel, im Vergleich mit der Unmenge von Kartoffeln, die die Deutschen genießen. Der Engländer, der die Kartoffeln auch nicht verschmäht, ißt dreimal mehr Reis als der Deutsche. Deutschland führt jährlich Reis im Werte von 40–50 Millionen Mark ein, davon verzehrt es aber nur für 30 Millionen Mark; der Rest wandert, meist als Reisstärke, wieder nach dem Ausland.
Der Kulturreis ist wie alle Getreidearten eine einjährige Pflanze, die auf einem durchschnittlich 1,2 m hohen, nicht sehr kräftigen, hohlen Halme mit verhältnismäßig breiten, 30 cm langen, am Rande etwas scharfen und an der Basis bewimperten Blättern eine endständige, überhängende Rispe mit einblütigen Ährchen und 30–60, ja sogar 100 und mehr Samenkörner entwickelt. Aus praktischen Gründen unterscheidet man Wasser- und Bergreis, die abweichende Anforderungen an den Boden stellen. Beide verlangen zu ihrer Entwicklung eine Wärme, wie sie nur in der heißen Zone und in den wärmeren Gegenden der gemäßigten Zone gefunden wird. Nur in Gegenden, in denen es ununterbrochen 4 Monate hindurch heiß ist, gedeiht der Wasserreis, der zwar viel Bodenfeuchtigkeit, aber keine allzugroße Luftfeuchtigkeit verlangt. Überall da, wo in den Tropen während 10 Monaten eine ziemlich gleichmäßige Temperatur herrscht, können 2 Jahresernten von demselben Felde eingeheimst werden. Der Bergreis verträgt eine kühlere Temperatur als der sonst ertragreichere und ausschließlich in den Welthandel gelangende Wasserreis. Daher sehen wir in Südasien sein Anbaugebiet im Gebirge aufwärtssteigend da beginnen, wo dasjenige des letzteren aufhört. Es ist dies bei einer Erhebung von 1000 m der Fall. Von da bis zu 1600 m Höhe liefert er sichere Erträge; denn sein Anbau wird in die warme Jahreszeit verlegt und seine Entwicklung nimmt im Gegensatz zum Wasserreis, der meist 5 bis 6 Monate zur Vollendung seines Wachstums bedarf, nur 4 Monate in Anspruch. Unter 1000 m würde der Bergreis zwar auch noch[S. 61] gedeihen, aber bei vorhandenen Wachstumsbedingungen wird der Wasserreis vorgezogen, der mehr und bessere Frucht gibt.
Ein leichter, etwas sandiger Boden in ebener Lage ist dem Bergreis am förderlichsten, während der Wasserreis tonigen Boden mit schwach sandiger Krume vorzieht. Ein Reisfeld darf nicht die geringste Beschattung, weder von Bergen, noch Bäumen haben, sondern muß tagsüber dem vollen Sonnenschein ausgesetzt sein. Da aller Reis in künstlich unter Wasser gesetzten Feldern angepflanzt werden muß, legt man die Reisfelder im gebirgigen Gelände terrassenförmig übereinander an, indem man sie von oben herab der Reihe nach berieselt und durch Dämme von etwa 60 cm Höhe mit Durchstichen voneinander trennt. Diese in Indonesien als Sawahs bezeichneten Reisfelder, die oft bis zu großer Höhe ins Gebirge hinaufsteigen und zu oberst künstliche Teiche, die sie speisen, tragen, folgen den Konturen der Berge und verleihen dadurch der tropischen Landschaft, in der sonst das Wirken des Menschen gegenüber der Fülle der Vegetation vollkommen verschwindet, ein bestimmtes, als Zeichen menschlicher Tätigkeit angenehm berührendes Gepräge.
Infolge dieser starken Bewässerungsnotwendigkeit wird manchenorts, namentlich in China und Japan, aber auch in Südungarn und Italien, mit dem Reisbau zugleich Fischzucht verbunden, wobei die Fische, gewöhnlich Karpfen, sich dadurch nützlich erweisen, daß sie die den jungen Reispflanzen schädlichen Insektenlarven, Würmer und Schnecken wegfressen. Müssen dann später die Reisfelder trocken gelegt werden, so finden diese Fische ihre Zuflucht in den tiefen Abzugsgräben, die zu diesem Zweck in den Reisfeldern angelegt sind.
Nachdem die übrigens gut zu düngenden Felder bewässert sind, setzt man die jungen Reispflanzen, die man vorher in einem Saatbeete gezogen hat und etwa 30–40 Tage wachsen ließ, auf sie in gewissen Abständen über. Sind die Stecklinge festgewachsen, so wird wieder Wasser ins Feld geleitet und damit fortgefahren, bis die Pflanzen anfangen gelb zu werden; dann läßt man das Wasser ab, um das Reifwerden der Körner zu befördern.
Beginnt der Reis reif zu werden, so gilt es die meist gewaltigen Scharen von diebischen Reisvögeln und andere Körnerfresser, die sich hungrig hinter das ihnen willkommene Futter hermachen wollen, durch allerlei Scheuchapparate zu vertreiben. Ist er reif geworden, so werden die Fruchtrispen kurz abgeschnitten und getrocknet, dann — soweit er nicht verkauft wird — in Scheunen aufbewahrt, aus welchen die[S. 62] Frauen den täglichen Bedarf holen und dreschen, d. h. gewöhnlich in hölzernen Mörsern mit Holzkeulen stampfen, bis die Körner sich aus den Spelzen lösen. Die leeren Ähren und das Stroh werden dann mit der Hand entfernt und die enthülsten Körner auf einen Korbteller geschüttet und geworfelt, wobei sich im Winde die Spreu von den Körnern scheidet. Zuletzt wird der Reis zur Entfernung des ihn noch umgebenden Silberhäutchens geschält, d. h. nochmals gestampft, was von den wechselweise zustoßenden Frauen im Takte geschieht. Bei allen diesen Manipulationen werden in den verschiedenen Ländern die verschiedensten Gebräuche beobachtet, da dem Asiaten der Reis ein heiliges Gewächs ist, bei dessen Behandlung alles leichtsinnige Lachen und Schwatzen verboten ist. Nach Europa gelangt der Reis meist noch in den Hülsen; als solcher heißt er in Südasien paddy, in Amerika dagegen rough rice, d. h. rauher Reis. Bei uns wird er dann in besonderen Mühlen geschält und außerdem poliert, indem die Körner in einen Zylinder geschüttet werden, in welchem sich eine mit Wolle überzogene Rolle rasch dreht; dabei wird durch einen kleinen Zusatz von Öl der gewünschte appetitliche Glanz zu erhöhen gesucht.
Vermöge seiner vorhin hervorgehobenen großen Leichtverdaulichkeit in Verbindung mit hohem Nährwert ist der Reis besonders für die Bewohner der Tropen, die leicht an Verdauungsstörungen und Leberleiden erkranken, von der größten Bedeutung. Deshalb fühlen sie sich auch bei dieser Kost so überaus wohl und genießen täglich gewaltige Portionen davon, nämlich ungefähr 1 kg, indem sie ihn mit Zugabe von Gemüse, allerlei scharfen Gewürzen und kleinen Mengen tierischer Nahrung, besonders getrockneten Fischen genießen. Trotzdem sie jahraus, jahrein täglich dreimal denselben Reis, auf dieselbe Weise bereitet, genießen, entleidet er ihnen niemals.
Aber auch alkoholische Getränke wissen sie aus ihm zu bereiten, indem sie ihn zuerst zwölf Stunden in Wasser aufweichen, dann die Körner kochen bis sie weich geworden sind, sie abkühlen und durch Hinzufügen einer Hefe in alkoholische Gärung kommen lassen. Das so gewonnene, leicht an Sherry erinnernde berauschende Getränk, das die Japaner sake nennen, wird in Fässer gefüllt, die ihrerseits wieder in einer Strohhülle stecken. Das gewöhnlich 13 Prozent Alkohol enthaltende Getränk gelangt in glasierten Ton- oder Porzellanflaschen in den Handel und wird heiß aus winzigen Porzellantäßchen, und zwar beim Beginn der Mahlzeit, getrunken. Auf ähnliche Weise erlangen die Chinesen aus Reis, der mit verschiedenen Gewürzen versetzt wurde,[S. 63] einen samschu genannten Branntwein, der etwa 36 Prozent Alkohol enthält. In Ostindien dient gemälzter Reis zur Herstellung von Arrak, der sonst aus Melasse bei der Gewinnung des Rohrzuckers, mancherorts, wie in Goa, auch aus Palmensaft gemacht wird. Die Abfälle vom Polieren des Reises, bestehend aus zerbrochenen Körnern und Schalenresten, wie auch der auf dem Schiffstransport durch das Meerwasser zu Schaden gekommene Reis, der als Nahrungsmittel nicht mehr zu verwenden ist, wird zu Stärkemehl verarbeitet. Solches Reismehl, das reicher an Fett ist als der geschälte Reis, ist ein sehr gutes Futter- und Mastmittel für Rindvieh. Die meiste Reisstärke dient aber als Appretur, um Baumwollstoffe schwerer und haltbarer erscheinen zu lassen, und geht auf diese Weise wiederum nach Indien, das den Reis lieferte, zurück. Endlich ist auch das Reisstroh ein sehr wertvolles Produkt, welches namentlich in der Papierfabrikation und in der Korb- und Hutflechterei eine vielfache Verwendung findet.
Eine andere Grasart, die als Getreide für den Menschen eine ungemein große Bedeutung erlangt hat, ist der Mais (Zea mais). Sie ist die einzige Körnerfrucht, mit der uns der amerikanische Kontinent beschenkt hat. Nirgends mehr wird sie in wildem Zustande angetroffen; doch ist es höchst wahrscheinlich, daß sie ursprünglich in Mexiko heimisch war und dort zuerst von uns unbekannten, zu höherer Gesittung gelangten Indianerstämmen in Zucht und Pflege genommen wurde; hat uns doch dieses Land neuerdings eine zweite, wildwachsende Art der Gattung geliefert.
Bei der Entdeckung Amerikas fanden die Spanier diese für die dortige Bevölkerung wichtigste Nährfrucht überall im Lande, soweit es das Klima zuließ, in Kultur. Alle Indianersprachen hatten eine Bezeichnung für sie, und speziell die Inselkaraiben, die Tainos, mit denen es Kolumbus und die Spanier zuerst zu tun hatten und die sie dann durch schonungslose Ausbeutung und strengen Frondienst auf den von ihnen angelegten Gütern im Laufe von etwa 50 Jahren zum Aussterben brachten, nannten sie mahiz, ein Ausdruck, den dann die Spanier annahmen und später mit der Nutzpflanze in den europäischen Sprachgebrauch einführten. Bei allen Indianerstämmen, von den Inkas Perus bis zu den Moundbuilders in Nordamerika östlich vom Mississippi wurde der Mais als Hauptnahrungsmittel nebst Bohnen, Kürbis und Tabak in verschiedenen Varietäten gepflanzt. Und wie seine Samenkörner den Lebenden als wichtigstes Nahrungsmittel dienten, so wurden sie den Toten als Wegzehrung in ihre unterirdischen[S. 64] Behausungen mitgegeben. Im alten Mexiko hieß die Göttin des Ackerbaus Cinteutl nach der Bezeichnung für Mais cintli und erhielt, wie die Demeter bei den Griechen, oder Ceres bei den Römern, die ersten Fruchtkolben der Maisernte als Weihegabe. Zur Entfernung der harten Schalen kochten die Azteken Mexikos die Maiskörner zuerst mit Ätzkalk, um sie dann auf dem dreibeinigen Mahlstein mit einer steinernen Walze zu zerreiben und die Masse, mit Wasser zu einem steifen Brei angemacht, in runden Fladen (altmexikanisch tlaxcalli, spanisch tortilla) auf flachen Tontellern über dem Feuer zu backen. An Knollenfrüchten wurden Batate, Mandioka und Yams gebaut, während der spanische Pfeffer (Capsicum) das beliebteste Gewürz bildete. Ähnlich war es im alten Peru. In den Tempeln von Cusco, der Hauptstadt des peruanischen Reiches der Inka, bereiteten die Sonnenjungfrauen das Maisbrot für die Opfer, wie die Frauen in den Haushaltungen es für ihre Familienangehörigen bereiteten. Außer den Kartoffeln, die im Lande selbst aus Wildlingen zur Kulturpflanze erhoben wurden, war auch hier der Mais die Hauptnahrung der Bevölkerung. Die Ketschua, die Träger der Inkakultur, hatten ihn aus ihrer Urheimat im Norden, dem Gebiete von Quito, mitgebracht. In den tropischen Anden gedieh er noch sehr gut in 1900 m Höhe und fand sich auch an dem Titicacasee im Süden Perus bis 3900 m und mehr Höhe angepflanzt.
In Europa wurde der Mais zuerst in spanischen Gärten zu Anfang des 16. Jahrhunderts gesät und kam dann bald auch als Rarität in manche Gärten Mitteleuropas, ohne daß man wußte, daß die Pflanze aus der Neuen Welt stamme. Zuerst wird die Pflanze in dem 1537 in Basel erschienenen lateinischen Pflanzenwerke des Ruellius: De natura stirpium als aus Griechenland oder Asien gekommenes „türkisches Getreide“ genannt; aber die erste genauere Beschreibung derselben findet sich in dem 1543 in Basel gedruckten deutschen Kräuterbuche des Tübinger Botanikers Leonhard Fuchs. Auch nach ihm ist der Mais aus der Türkei gekommen, wächst gerne und war damals schon in Deutschland ganz gemein. Erst spätere Autoren, wie der Nürnberger Joh. Joachim Camerarius in seinem 1590 in Frankfurt a. M. erschienenen Kräuterbuch und der Regensburger Apotheker J. Wilhelm Weinmann in seinem vierbändigen, von 1737–1745 herausgegebenen Pflanzenatlas sprechen mit Text die Ansicht aus, der Mais stamme aus Amerika. „Dieses Korn“, so schreibt der Erstgenannte, „wird unbillich Türkisch genannt; denn es wächst nicht in Asia in der[S. 65] Türkei, sondern in India, so gegen Mitternacht liegt, von dannen man es zu uns gebracht und gewehnet. Die Indianer nennen dies Korn in ihrer Sprache Maiz. Sie machen Gruben mit dem Pfahl und werfen 4–5 Körner hinein und machen es wieder zu, um es vor den Papageien zu schützen. Die Samen werden vorher in Wasser gequellt. In wenigen Tagen schießt es auf und ist in vier Monaten zeitig.“ Camerarius kennt bereits vier Sorten desselben, darunter die buntscheckige.
Erst im 17. Jahrhundert gelangte der Mais aus den Gärten, wo er mehr als Zier-, denn als Nutzpflanze gehalten wurde, auf die Felder und wurde hier auch in Europa als Getreidefrucht gezogen. Besonders waren es die Venezianer, die ihn überall auf ihren Handelsreisen im Orient verbreiteten. Der jetzt noch gebräuchliche Name „türkischer Weizen“ soll wohl nur andeuten, daß der Mais aus weiter Ferne zu uns gekommen sei, wie die englische Bezeichnung turkey für den ebenfalls aus Mexiko zuerst nach Europa gelangten Truthahn. In den Pyrenäen heißt er spanisches Korn und die Türken nennen ihn ägyptisches Korn, die Deutschen aber Welschkorn. Durch die regen Handelsbeziehungen der Europäer mit Asien gelangte dann der Mais schon während der im Jahre 1644 zu Ende gegangenen Mingdynastie zu Anfang des 17. Jahrhunderts nach China und bald darauf auch nach Japan. Heute wird er in ausgedehntem Maße in Afrika bei den verschiedensten Negerstämmen angebaut und ist wie in den Tropen und Subtropen, so auch in alle Länder mit gemäßigtem Klima vorgedrungen, so daß man sagen kann, daß er nächst dem Reis die größte Anzahl Menschen ernährt und als Riesenmais und Bandmais, d. h. einer Abart mit weißgestreiften Blättern, auch als Zierpflanze bei den Kulturvölkern der Erde Eingang gefunden hat.
Der Mais, wie er uns heute in gegen 60 Varietäten entgegentritt, ist ohne Zweifel eine schon erheblich veränderte Kulturform, von der sich die Urform vermutlich durch verzweigte weibliche Blütenstände unterschied. Als solche Rückschläge in die alte Form kommen auch heute noch gelegentlich fingerartig geteilte Kolben vor. Er ist eine Riesenform unter den Gräsern, die eine Höhe von 5–6 m erreichen kann und mit großen, bis fast 2 m langen und 10 cm breiten Blättern versehen ist. Je nördlicher er angebaut werden soll, um so niedriger zur Reife gelangende Sorten muß man wählen, wenn man Korn von ihm zu ernten beabsichtigt. Bei uns reift er meist nur in den wärmeren Jahren seine Früchte; doch lohnt sein Anbau gleichwohl als nahrhaftes[S. 66] Grünfutter. Dafür eignet sich auch noch für Mittel- und Norddeutschland der große badische Mais von 2–2,5 m Höhe. In Oberitalien, Ungarn, Südfrankreich und Spanien ist er wie im wärmeren Amerika fast das wichtigste Volksnahrungsmittel geworden, indem aus seinem Mehle durch Kochen mit Wasser eine in Italien als Polenta, an der unteren Donau jedoch als Mamaliga bezeichnete Art Pudding hergestellt wird, von dem sich Hunderttausende von Bauern und Arbeitern Tag für Tag ernähren. Ist aber das Maismehl durch Feuchtwerden verdorben, indem sich ein bestimmter Pilz darin angesiedelt hat, so wirkt die aus solchem hergestellte Polenta giftig, so daß dann häufig Massenerkrankungen entstehen. Diese in Italien als Pellagra bezeichnete Vergiftung, deren Symptome übrigens der durch den Genuß verdorbener Kicher- und Platterbsen erzeugten, in Südeuropa und Nordafrika heimischen Erkrankung ähneln, nimmt einen chronischen Verlauf mit alljährlichen, meist im Frühjahr erfolgenden Nachschüben. Sie beginnt mit heftigen Magen- und Darmstörungen und einem eigentümlichen Ausschlag, bei welchem die Haut sich rötet, anschwillt und schließlich in Fetzen abgeht. Später treten dann Nervenlähmungen und Verbiegungen der Gelenke als Folge einer Rückenmarkserkrankung auf, desgleichen allgemeine Ernährungsstörungen, geistige Verwirrung und schließlich geht der davon Betroffene an Entkräftung zugrunde. Wegen dieses tückischen „Maidismus“, der gelegentlich auch an Tieren, besonders an Pferden, beobachtet wird, ist die Aufbewahrung der Maiskörner an einem trockenen, gut gelüfteten Orte und die Verwendung unverdorbenen Mehles für die Ernährung des Volkes von größter Bedeutung.
Für Tiere, namentlich das Federvieh, aber auch für Rinder und Schweine, die gemästet werden sollen, gibt es kein besseres Nahrungsmittel als den Mais, der noch mehr nährende Bestandteile als andere Getreidearten, Weizen eingeschlossen, enthält. Es ist nur schade, daß die Keime ein Öl enthalten, das dem Maismehl einen wenig angenehmen Geschmack verleiht. Es kommt vor, daß selbst Pferde nach einiger Zeit einen Widerwillen gegen Mais zeigen, namentlich wenn er ihnen als Mehl vorgesetzt wird. Die aufgeweichten und geschroteten Körner scheinen aber den Tieren weniger schnell zu widerstreben.
Aber auch für den Menschen ist der Mais wegen seiner Leichtverdaulichkeit besonders in Form des Maizena, eines fein gemahlenen und entfetteten Maismehles, von größter Bedeutung und eignet sich besonders für die Ernährung von Kindern, Schwachen und Rekonvaleszenten. Nur für das Brotbacken ist er ungeeignet, da er nicht aufgeht, sondern eine kompakte Masse bleibt. Wird ihm jedoch 25 Prozent Weizenmehl hinzugesetzt, so verliert er diesen Fehler. Aus einer solchen Mischung gebackenes Brot ist besonders in der Türkei sehr beliebt.
In den Vereinigten Staaten ißt man die jungen, unreifen Fruchtkolben, geröstet oder in Salzwasser abgekocht, als schmackhaftes Gemüse, oder die noch weichen Maiskörner werden, mit Streuzucker und Zimt oder einem anderen Gewürz versetzt und zu Törtchen oder Kuchen verbacken, verzehrt. Auch anderwärts werden die unreifen Früchte auf verschiedene Weise zubereitet, auch eingemacht. Die Eingeborenen Südamerikas stellen dagegen auf äußerst primitive Weise aus reifen Maiskörnern ein als chicha (sprich tschitscha) bezeichnetes gegorenes Getränk dar, das einst überall beliebt war, heute sich aber nur noch in Bolivien besonderer Wertschätzung erfreut. Allerdings ist seine Bereitung wie diejenige der Kawa der Südseeinsulaner keine für uns Europäer sehr appetitliche, so daß man es begreift, daß mit dem Kulturfortschritt, der auch in Südamerika seinen Einzug hält, dieses altväterliche Getränk an Beliebtheit zusehends einbüßt. Es wird nämlich in der Weise hergestellt, daß Frauen — selten Männer — die weichgekochten Maiskörner kauen und dann in einen Behälter speien, worin der Speichel, mit warmem Wasser verdünnt, das Stärkemehl des Mais in Dextrin und Zucker verwandelt, deren Lösung durch die allgegenwärtigen Hefepilze schließlich in alkoholische Gärung übergeführt wird. So war es noch bis vor kurzem üblich, daß, wie man bei uns einem Gaste ein Glas Limonade oder Wein vorsetzt, der Indianer dem[S. 68] bei ihm Einkehr haltenden Fremdling einen Krug chicha mascada, d. h. selbstgekaute chicha anbot, um ihm seine Freundschaft zu beweisen. In Mexiko wird die chicha etwas appetitlicher aus Gerstenwasser und Maismehl unter Zusatz von Ananasscheiben, welches man zusammen gären läßt, Zucker, Nelken und Zimt bereitet.
Die unreifen Maisstengel sind so reich an Zucker, daß man diesen daraus fabrikmäßig zu gewinnen versucht hat. In Mexiko bereitet man durch Gärung des zuckerreichen Saftes ein als pulque de mahiz bezeichnetes berauschendes Getränk. Man entkörnt die Maiskolben von Hand, im großen aber durch besondere Maschinen und benutzt die Spindeln als Brennstoff. In Afrika dienen letztere wie bei uns das Klosetpapier und aus den Körnern wird mit Vorliebe ein süßes, schwach alkoholhaltiges Bier bereitet. Bei uns wird der Mais vielfach zu Stärkemehl und Spiritus verarbeitet. Wenn die Körner nicht zu Mehl vermahlen und in Brei- oder Kuchenform gegessen werden, so läßt man sie im Wasser aufquellen und ißt sie geröstet, wobei sie aufspringen. Dermaßen behandelt und mit Zucker bestreut, genießt man sie in Menge besonders auch in den muhammedanischen Ländern. Die Hüllen der Fruchtkolben dienen zum Polstern und Flechten und liefern ein wertvolles Material zur Papierbereitung. In vielen Gegenden Amerikas dient auch ein daraus herausgeschnittenes zartes Stück unmittelbar als Zigarettenumhüllung. Die Malaien kochen diese Häutchen in einer Zuckerlösung und bringen sie getrocknet als Zigarettenpapier in den Handel.
Die Maiskultur bleibt sich überall ziemlich gleich und ist sehr einfach, da man nach der Aussaat im wesentlichen nur dafür Sorge zu tragen hat, daß das Unkraut nicht zu sehr überhand nimmt. Nachdem der Boden gedüngt und tüchtig umgepflügt ist, werden in einem Abstande von 25–40 kg Löcher in den Boden gemacht, mit je 3 bis 5 Samenkörnern belegt und wiederum geschlossen. Der Mais wächst dann heran und bedarf bis zur Reife 3½–4 Monate. Gegen das Ende der Vegetationsperiode bildet sich dann oben an dem mit Zuckersaft gefüllten, nicht hohlen Stengel ein Büschel männlicher Blüten, deren in großer Menge gebildete leichte Pollen ausstäuben und durch den Wind auf die in den Achseln der Blätter verborgenen, einzig ihre klebrigen Narben herausstreckenden weiblichen Blüten übertragen werden. Nach der Befruchtung verwendet die Pflanze allen in ihr angesammelten Zuckersaft, um die Samen mit Nährstoffen für den Keimling zu füllen, und schließlich stirbt sie völlig ausgesogen ab. Sie wird dann meist als Brennmaterial verwendet, wobei die so er[S. 69]langte Asche zur Düngung des Bodens dient. In den nichttropischen Ländern, wo das Vieh nachts in die Ställe getrieben wird, benutzt der Landmann den vertrockneten Mais auch als Streu für das Vieh. Sonst bilden die Blätter und Halme (auch getrocknet) ein geschätztes Viehfutter und die Scheiden der Kolben finden nach der Ernte für die Papierfabrikation und als Zigarettenhüllen usw. vielfache Verwendung. Man unterwirft sie auch einem einfachen Hechelprozesse und benutzt die isolierten Fasern als Polstermaterial u. dgl.
Infolge seines überaus kräftigen und ausgiebigen Wachstums, welches ihn gegen äußere Einflüsse widerstandsfähig macht, wird der Mais von relativ wenigen Schädlingen angegriffen. Am bekanntesten unter denselben ist der Maisbrand, der aber selten eine wirklich bedrohliche Form annimmt. Junge Maispflanzen tötet er, ältere schwächt er und regt die von ihm befallenen Stellen des Stengels zu kropfigen Anschwellungen an. Weniger bekannt ist die bisher nur auf Java beobachtete Lijer-Krankheit, welche die jungen Pflanzen befällt und tötet und wegen ihres epidemischen Charakters gefährlicher ist als die anderen Krankheitsformen des Maises. Der Erreger dieser Krankheit ist ein Peronospora-Pilz, dessen Sporen durch den Wind von Maisfeld zu Maisfeld getragen werden und so rasch ausgedehnte Maiskulturen zum Absterben bringen. Bekanntlich sind es auch Peronospora-Arten, die den von den Landwirten so gefürchteten „falschen Mehltau“ der Reben und eine der schlimmsten Kartoffelkrankheiten hervorrufen, wobei die von ihnen befallenen Blätter zuerst wie Schimmel aussehende Flecken bekommen, die sich rasch ausdehnen und das Blattgewebe zerstören, so daß die Blätter sich bräunen.
Auch wenn der Mais geerntet ist, sind seine Samenkörner allerlei Schädlingen ausgesetzt. Besonders suchen sie kleine Kornwürmer heim, die in vier Arten vorkommen und durch ihre riesige Vermehrung ungeheuren Schaden anrichten können. Die Weibchen legen bis 6000 Eier, von denen jedes auf ein Maiskorn geklebt wird. Nach 4–5 Tagen kriecht daraus eine winzige Larve hervor, die sich in das Innere hineinbohrt, um den Inhalt in etwa 14 Tagen zu verzehren. Dann puppt sie sich ein und wird zum geflügelten Insekt, um nach der Paarung ihren Kreislauf in derselben Weise zu vollenden. Am besten werden diese schädlichen Insekten durch fortwährendes Umschaufeln des Maises verscheucht. In den Schiffsräumen wird der Mais mit dem giftigen Claytongas desinfiziert, mit welchem auch die Ratten und das andere Ungeziefer getötet werden.
Der größte Teil des geernteten Maises wird in den Produktionsländern selbst verbraucht. Erst in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts begannen die Vereinigten Staaten von Nordamerika und die Republiken Südamerikas, besonders Argentinien, ihn in zunehmendem Maße nach Europa zu exportieren, wo er heute, obschon nahrhafter, um ein Drittel billiger als Weizen zu haben ist. Deshalb wird vielfach das Weizenmehl mit dem billigeren Maismehl „verfälscht“. Obschon das Maismehl zur Hälfte aus reinem Stärkemehl besteht, eignet es sich wegen seiner graugelben Farbe doch nicht zur Stärkefabrikation. Doch gewinnt man aus den zum Keimen gebrachten Samen das zu etwa 20 Prozent in ihnen enthaltene hellgelbe, nicht leicht ranzig werdende Maisöl, das nur teilweise zur Vermengung mit den teueren Sorten von Tafelöl, der Hauptsache nach jedoch in den Seifen- und Farbenfabriken verwendet wird. Im vergangenen Jahr wurden nicht weniger als 160000 Hektoliter desselben produziert. Die bei der Auspressung des Öls zurückbleibenden Kuchen finden großen Absatz als Viehfutter. Daneben wird das verzuckerte Stärkemehl des Maises, wenn auch bisher nur in beschränktem Maße, zur Spiritusfabrikation verwendet, wobei als Nebenprodukt ebenfalls etwas Maisöl gewonnen wird.
In Argentinien nahm im vorletzten Jahre die Maiskultur gegen drei Millionen Hektare in Anspruch und die Ernte wurde auf 3500 Millionen kg geschätzt, während die Weizenernte 4500 Millionen kg betrug. In Nordamerika macht die Maisernte nicht weniger als 75000 Millionen kg aus. Die mit Mais bebaute Fläche beträgt in den Vereinigten Staaten nicht weniger als 40 Millionen Hektar gegen 18 Millionen Hektar Weizen und 74 Millionen Hektar gesamtes Getreideland. Der Hauptsitz der Maiskultur, die natürlich im großen mit Maschinen der verschiedensten Art betrieben wird, liegt in dem flachen, fruchtbaren Staate Kansas, das von zahlreichen, in den Mississippi mündenden Flüssen und von verschiedenen miteinander konkurrierenden Eisenbahnen durchzogen wird. Dadurch besitzt jener Staat billige Transportwege nach der als Hauptstapelplatz dafür dienenden Hafenstadt New Orleans.
Wie in Spanien, Italien, Griechenland und den Balkanstaaten bildet auch in zahlreichen Gegenden Afrikas der Mais eines der Hauptnahrungsmittel der Eingeborenen. In den deutschen Kolonien wird er nur in Togo und Ostafrika seit längerem angebaut. Togo führte im Jahre 1907 20 Millionen kg im Werte von 1199000 Mark[S. 71] aus, während Ostafrika nur für 21000 Mark exportierte. In der Regel wird er hier überall zweimal geerntet. Nach Kamerun, Südwestafrika und den Südseeinseln ist er erst in neuerer Zeit gelangt, doch bürgert er sich auch hier schon ein. Die Regierung sucht möglichst solche Spielarten einzuführen, die sich dem Klima und Boden anpassen und sichere Ernten liefern.
Seinen Hauptbedarf an Mais bezieht Deutschland heute aus Nordamerika, nämlich für 50397000 Mark, sodann aus Argentinien für 22951000 Mark. Die gesamte Maiseinfuhr Deutschlands im Jahre 1906 hatte einen Wert von 112,7 Millionen Mark.
Noch viel mehr als die Getreidearten, die verhältnismäßig rasch ihre Vegetationsperiode vollenden und nach der Ernte den Menschen wieder frei geben, binden ihn die Obstbäume an die Scholle. Diese wachsen langsam und müssen lange gezogen, getränkt und vor Beschädigungen durch den Sturm und Angriffe wilder Tiere beschützt werden, bis sie — dann aber auch jährlich ganze Menschenalter hindurch — eßbare Früchte liefern. Deshalb vermochte der vorgeschichtliche Mensch erst nachdem er sein unstetes Leben ganz aufgegeben und für mehr oder weniger dauernd festen Wohnsitz bezogen hatte, auch die für ihn wahrscheinlich die älteste Nahrung spendenden Fruchtbäume in Kulturpflege zu nehmen und ihre Früchte nach und nach durch zielbewußte Auslese der besten Sorten zur Nachzucht zu vervollkommnen.
Schon die Mitteleuropäer der jüngeren Steinzeit hatten außer verschiedenen Getreidearten wenigstens eine Art von Obstbäumen in Kulturpflege. Es waren dies Apfelbäume (Pirus malus), deren kleine, fast nur aus Kerngehäuse mit wenig, wohl noch recht säuerlichem Fruchtfleisch bestehenden Früchte sich verkohlt in den Überresten der meist durch Brand untergegangenen Pfahldörfer am Rand der Schweizer Seen vorfanden. Dank der konservierenden Moorerde, in der sie 5000 Jahre und mehr lagen, sind sie noch so vorzüglich erhalten, daß wir über diese älteste bei uns kultivierte Obstsorte recht gut unterrichtet sind. Es war ein überaus kleinfrüchtiger, noch sehr wenig durch Domestikation verbesserter Apfel, der neben dem Holzapfel des Waldes in ziemlichen Mengen geerntet wurde und mit den Haselnüssen und den Getreidearten als Vorrat für den Winter diente. Seltener ganz, meist halbiert müssen die Früchte an der Sonne gedörrt worden sein, um sie als willkommene Zukost zum Brot zu genießen.
Dieser noch kaum durch Kultur veredelte kleine Apfel der neolithischen Pfahlbauten war aber nicht etwa ein Abkömmling unseres wilden, sogenannten Holzapfels, der sich durch völlige Kahlheit der Blätter von allen Kulturformen unterscheidet, sondern gleichfalls wie die übrigen Kulturgüter jener Menschen ein Import aus Westasien. Und zwar scheinen vorzugsweise zwei Arten von Wildlingen durch Zuchtwahl und Kreuzung zur Bildung der ältest nachweisbaren Äpfelsorten beigetragen zu haben, nämlich einerseits der Strauchapfel (Pirus pumila) dem man noch häufig im Kaukasus und den südlichen Altaigebirgen wild wachsend begegnet, und andererseits eine Form aus Vorderasien, die auch noch in Kleinasien vorkommt, der filzigblätterige Apfel (Pirus dasyphylla). Dieser letztere gilt speziell als die Stammpflanze unserer Reinetten. Als weitere wichtige Stammeltern unserer heute zu so ansehnlicher Größe gediehenen und mit vorzüglichem, süßem bis saurem Fruchtfleisch versehen, auch wegen ihrer Haltbarkeit sehr geschätzten Speiseäpfel kommen noch der glattblätterige Apfel (Pirus silvestris) aus Westasien und der pflaumenblätterige Apfel (Pirus prunifolia) aus Mittelasien in Betracht. Letzterer, der in Nordchina, Südsibirien und der Tatarei seine Heimat hat und durch seine gelben bis blutroten Früchte ausgezeichnet ist, gilt als Stammform des Astrachaner Apfels und des russischen Eisapfels.
Der Kulturapfel, von dem heute über 600 verschiedene Arten bekannt sind, bildet in seiner ältesten Heimat Westasien gelegentlich kleine Wälder. Diese erstrecken sich nördlich von Kleinasien bis nach Zentralasien hinein. Er gedeiht nur in einem mäßig warmen Klima und konnte deshalb nicht allzuweit südlich vordringen. In kühleren Lagen Syriens gedeiht er noch, aber kaum mehr in Ägypten. So hat er im Lande der Pharaonen keinerlei Rolle gespielt und findet sich nirgends unter den Obstarten abgebildet, auch haben sich keinerlei Überreste von ihm in Gräbern gefunden. In den Hieroglyphentexten kommt nun einige Male das Wort dappich für eine Frucht vor, die man nur als Apfel deuten kann, um so mehr als der Apfel im Hebräischen tappuch und im Arabischen taffach heißt. Nun muß der Apfelbaum zur Zeit der 19. Dynastie (1350–1205 v. Chr.), also im neuen Reiche von Syrien her nach Ägypten eingeführt worden sein; denn Tempelinschriften in Theben tun uns kund, daß König Ramses II. (1292–1225), dessen wohlerhaltene Mumie sich im Museum von Bulak bei Kairo befindet, Apfelbäume in seinen Gärten im Delta pflanzen ließ. Und noch von Ramses III. der 20. Dynastie (1198–1167 v. Chr.) erfahren wir, daß[S. 74] er den Priestern des großen Ammontempels in Theben nicht weniger als 848 Körbe voll Äpfel als Opfergabe überreichen ließ. Aber was die königlichen Gärtner zustande brachten, das konnte nicht dem gemeinen Volke gelingen. Und so blieb der Apfelbaum dem ägyptischen Volke bis auf den heutigen Tag ein Fremdling, da er dort infolge der andauernden übergroßen Wärme keine Früchte mehr zeitigt.
Aus denselben Gründen ist der Apfelbaum auch den Bewohnern Palästinas mehr oder weniger fremd geblieben. Auch dort scheint er früher, so lange das Klima infolge der reicheren Bewaldung kühler war, in den höheren Lagen gut gediehen und auch Frucht getragen zu haben, wie wir verschiedenen Stellen des Alten Testaments entnehmen können. Aber mit dem Wärmer- und Trockenerwerden des Klimas war sein Schicksal in diesem Lande besiegelt. Dagegen sagten ihm die klimatischen Verhältnisse des gebirgigen Armenien und Kleinasien gut zu und so gedieh er hier vortrefflich und verbreitete sich über das ganze Land. Von Kleinasien her gelangte er schon gegen das Ende des vorletzten Jahrtausends v. Chr. nach Griechenland, wo er ziemlich viel kultiviert wurde. Nicht bloß in den homerischen Epen wird er erwähnt, sondern seine als mḗlon bezeichnete Frucht spielt auch im Mythos eine gewisse Rolle. So galt der aus dem Orient — angeblich Indien — über Kleinasien nach Griechenland gekommene Gott des Natursegens, Dionysos, wie als Schöpfer des Weinstocks, so auch als derjenige des Apfelbaums, den er der Liebesgöttin Aphrodite schenkte. Dadurch wurde der Apfel zum Sinnbilde der Liebe. Aphrodite ihrerseits schenkte drei goldene Äpfel dem Hippomenes, mit denen dieser die schnellfüßige Atalante zum Weibe gewann. Eris aber erregte durch den goldenen Apfel, den sie an der Hochzeit des Peleus und der Thetis unter die Gäste warf, die Eifersucht der drei ersten Göttinnen, woher der Ausdruck Erisapfel im Sinne von Zankapfel stammt. Eine ähnliche Rolle spielte der Apfel in der bekannten Geschichte, in welcher Paris, der Sohn des trojanischen Königs Priamos, unter denselben drei Göttinnen die Wahl zu treffen hatte und ihn als Siegespreis der Schönsten derselben, Aphrodite, darbot. Die goldenen Äpfel der Hesperiden aber hatte Gäa, die Mutter Erde, der Hera bei der Vermählung derselben mit Zeus als Symbol der Fruchtbarkeit geschenkt. Herakles holte sie im Lande der Hyperboräer, wo sie von drei der Hesperiden und vom hundertköpfigen Drachen Ladon bewacht wurden.
Eine noch weitere Verbreitung als bei den Griechen fand die Kultur des Apfelbaums bei den Römern, die die Frucht in Anlehnung[S. 75] an das griechische mḗlon malum nannten. Schon der ältere Cato (234–149 v. Chr.) meldet uns in seiner Schrift über den Landbau, daß die Apfelbäume in Pflanzschulen gesät und später gepfropft würden. Um die Mitte des ersten christlichen Jahrhunderts sagt der ältere Plinius in seiner Naturgeschichte: „Es gibt sehr viele Sorten Äpfel, die man alle mit verschiedenen Namen bezeichnet, und manche haben den Mann, der sie erzeugte, andere ihre Heimat berühmt gemacht. Die sogenannten appianischen Äpfel hat ein Mann namens Appius, aus der Familie des Appius Claudius (der 312 v. Chr. Zensor war und die berühmte, von Rom nach Capua führende, später bis Brundisium, dem heutigen Brindisi, verlängerte, nach ihm benannte Straße anlegte) dadurch erzeugt, daß er Äpfel auf Quittenstämme pfropfte. Sie haben den Geruch der Quitten. Es gibt auch Äpfel, die blutrot sind, was davon herrührt, daß sie auf einen Maulbeerstamm gepfropft wurden. (Natürlich sind diese Erklärungen falsch.) Im allgemeinen röten sich die Äpfel auf der Sonnenseite. Aus allen Apfelsorten bereitet man Wein. Die wilden Äpfel haben einen sauern Geschmack und jeder saure Apfel ist imstande, durch seine Säure die Schärfe eines Schwertes stumpf zu machen.“
Auch sein Zeitgenosse, der aus Spanien nach Rom gekommene Ackerbauschriftsteller Columella sagt: „Es gibt sehr verschiedene Sorten Äpfel; sie schmecken gut und befördern die Gesundheit.“ Und der aus Pergamon gebürtige griechische Arzt Claudios Galenos (131–200 n. Chr.) meint: „Unreife Äpfel sind zwar durchaus schädlich, reife dagegen roh, gebraten und gekocht sehr gesund.“ Sie wurden gerne als Wintervorrat aufbewahrt. Wie man dies zu tun habe, darüber schreibt der überaus gelehrte und fruchtbare römische Schriftsteller Marcus Terentius Varro (116–27 v. Chr.) in seiner Schrift über den Landbau: „Die dauerhaften Apfelsorten wie beide Quittensorten (die Birnen- und Apfelquitten) müssen an einem trockenen, kühlen Orte auf Spreu liegend aufbewahrt werden. Beim Bau der Obstkammer (oporotheca, von den Griechen entlehnt) muß von vornherein dafür besorgt sein, daß ihre Fenster nach Norden stehen und daß der (kühle) Nordwind Einlaß habe; jedoch müssen die Fenster für gewöhnlich mit Läden geschlossen sein, weil allzuviel Wind das Obst austrocknet und welk macht. Man gibt auch der Decke, den Wänden, dem Boden einen marmorartigen Überzug (von Stuck), damit sie desto kühler sind. Manche richten die Obstkammer so ein, daß sie darin speisen, und sich dabei an der Pracht der dort lagernden Früchte ergötzen können. Es gibt freilich Leute in[S. 76] Rom, die das Obst kaufen, statt es selbst zu ziehen, und schmücken damit ihre Obstkammer; das sollte man nicht nachahmen. Die Äpfel legt man in der Obstkammer auf Bretter oder auf Stroh oder auf Wollflocken, die Granatäpfel in Fässer, die mit Sand gefüllt sind, die Quitten werden schwebend aufgehängt, Birnen werden in (durch Kochen) eingedickten Weinmost gelegt; Spierlingsfrüchte (sorbum von Sorbus domestica) und Birnen werden auch zerschnitten und an der Sonne getrocknet, die ersteren halten sich auch an jedem trockenen Orte lange frisch. Rüben werden in Senf, Walnüsse in Sand gelegt.“
Der ältere Cato (234–149 v. Chr.) verlangt von der Wirtschafterin, die das Hauswesen im Landhause (villa) besorgt und für alle Bewohner derselben kocht, sie müsse viele Hühner und Eier im Vorrat halten. „Ferner muß sie getrocknete Birnen, Spierlingsfrüchte, Feigen, getrocknete Weinbeeren, in eingedicktem Most liegende Spierlingsfrüchte, auch Birnen und Trauben in Fässern, ebenso Quitten vorrätig haben. Sie muß Trauben haben, die in Weinmost, in Krügen und in der Erde aufbewahrt werden. Außerdem muß sie frische pränestische Nüsse im Krug unter der Erde, scantianische Äpfel in Fässern und andere Obstarten, die man aufzubewahren pflegt, auch wilde, haben.“ Außerdem verlangt er von ihr, sie müsse die Kunst Mehl und Schrot, die damals noch von jeder Haushaltung selbst hergestellt wurden, zu machen verstehen, dürfe keine Schwätzerin sein und sich mit den Nachbarinnen umhertreiben, auch ohne Befehl des Hausherrn oder der Hausfrau nicht opfern, solle reinlich sein und auch die Villa rein halten, täglich, bevor sie zu Bett gehe, den Herd reinigen, an Festen den Herd bekränzen und an diesen Tagen dem Hausgotte opfern.
Von den in der späteren Kaiserzeit unterschiedenen 29 Äpfelsorten gediehen die berühmtesten bei der Stadt Abella in Kampanien, die jedenfalls hier eine sehr alte, schon von den Kelten betriebene Äpfelkultur besaß; denn ihren Namen wird sie von der keltischen Bezeichnung aball für Äpfel erhalten haben. Der römische Ackerbauschriftsteller Palladius im 4. Jahrhundert n. Chr. sagt von den Apfelbäumen: „Es gibt deren viele Sorten, und es wäre zu weitläufig, sie aufzuzählen. Sie lieben einen kräftigen, fetten Boden, der nicht durch Bewässerung, sondern von Natur feucht ist; besteht er aber aus trockenem Sand oder Ton, so tut die Bewässerung gut. An kalten Orten setzt man sie auf die Südseite der Berge. Man braucht die Erde um sie weder durch Ackern, noch durch Graben aufzulockern; daher passen sie gut auf Wiesen. Mist verlangen sie zwar nicht, nehmen ihn aber gerne[S. 77] an, auch kann er mit Asche gemischt sein. Beim Beschneiden nimmt man am besten nur was trocken oder falsch gewachsen ist weg. Der Apfelbaum dauert nicht so viele Jahre wie der Birnbaum. Läßt er seine Äpfel vor der Zeit der Reife fallen, so spaltet man eine Wurzel und keilt einen Stein in den Spalt (natürlich ist dies Unsinn). Hängen die Äpfel in zu großer Zahl am Baum, so nimmt man die schlechtesten weg (damit sich die anderen umso schöner entwickeln). Die Zeit der Veredlung ist der Februar und März. Apfelreiser gedeihen auf Apfel- und Birnbäumen, Weißdorn, Pflaume, Spierling, Pfirsich, Platane, Pappel, Weide. — Die Äpfel, welche aufbewahrt werden sollen, müssen sorgfältig ausgelesen werden. Man legt sie an einem dunkeln, windfreien Orte in abgesonderten Haufen auf Stroh und teilt die Haufen oft. Manche schließen sie auch in ausgepichte große Tonkrüge, deren Deckel mit Gips verstrichen wird, oder hüllen sie in Ton oder bestreichen nur die Stiele mit Ton, oder legen sie auf Hürden, die mit Spreu belegt sind, oder decken sie von oben mit Stroh. Die sogenannten Kugeläpfel kann man ohne weiteres ein ganzes Jahr aufbewahren. Manche Leute senken auch die in gut ausgepichten und verpichten Gefäßen befindlichen Äpfel unter Wasser. Andere nehmen die Äpfel einzeln vom Baum, tauchen ihre Stiele in siedendes Pech, legen sie reihenweise auf die Gestelle und decken sie mit Nußblättern. Viele legen sie zwischen Sägespäne von Pappel- oder Tannenholz. Es ist bekannt, daß man die Äpfel so legen muß, daß der Stiel unten ist, und daß man sie nicht eher anrühren darf, als bis man sie braucht. Auch Wein und Essig wird aus Äpfeln wie Birnen gemacht.“
Die von ihnen in Italien angepflanzten besseren Äpfelsorten brachten die Römer mit den übrigen von ihnen verbreiteten Obstsorten auch über die Alpen nach Gallien und Germanien. Hier gab es zwar bereits kultivierte Äpfel, aber doch noch nicht so feine Arten, wie sie die Römer aus Italien mitbrachten, auch kannte man noch nicht die von jenen geübten Methoden der Veredelung des Obstes durch Pfropfen. In allen von den Römern beeinflußten romanischen und germanischen Sprachen führen sowohl die Obstarten als auch die Ausdrücke für ihre Veredelung (wie impfen, aus dem lateinischen impu(t)are) ausnahmslos Namen, die aus dem Lateinischen entlehnt sind. Nur ein Obstname, nämlich derjenige des Apfels, ist in den Sprachen Mitteleuropas nicht aus dem Lateinischen entlehnt, sondern altes Erbgut der hier ansässigen Stämme. Er lautet althochdeutsch apful, nordisch appel, urkeltisch aball, altslawisch jabluko. Es ist deshalb anzunehmen, daß der Apfel,[S. 78] die einzige Obstart, für die sich beim Eindringen der römischen Obstkultur in den ersten Jahrhunderten nach Christus der altangestammte Name in Germanien behauptete, hier schon in einer seit der Pfahlbauzeit erhalten gebliebenen kultivierten, wenn auch minderwertigen Art bekannt war, die sich allerdings ganz wesentlich vom römischen Apfel unterschied. Er spielte in der Mythologie der alten Deutschen eine nicht unbedeutende Rolle, indem er nach altgermanischer Vorstellung als Symbol der Mutterbrust und der nährenden Liebe galt. In der nordischen Mythologie sind Äpfel die Speise der Asen, des mächtigsten Göttergeschlechts, das von den Riesen seinen Ursprung nahm. Iduna war ihre Bewahrerin und sie besaßen die Kraft, den zu verjüngen, der sie aß.
Überall da, wo nun die Römer nördlich der Alpen ihre Militärstationen gründeten und Märkte anlegten, machten sie bald auch Versuche mit der Anpflanzung südlicher Obstsorten, die ihnen für ihre gewohnte bessere Lebensführung unentbehrlich waren. So wissen wir aus der Naturgeschichte des älteren Plinius (23–79 n. Chr.), daß die Belgier schon zu seiner Zeit eine besondere kernlose Art von Äpfeln zogen. Im 6. Jahrhundert bedankt sich der romanisierte Franke Venantius Fortunatus bei seinem Freunde und Landsmann Gregor von Tours (eigentlich Georgius Florentius geheißen, um 540 in Clermont-Ferrand geboren, von 573–594 Bischof von Tours) in einem uns erhaltenen poetischen Billett für Äpfel und Apfelpfropfreiser, die dieser ihm gesandt hatte. In Karls des Großen Capitulare de villis vel curtis imperii, d. h. seinen Verordnungen über die Einrichtung und Bewirtschaftung der königlichen Domänen aus dem Jahre 812, durch die er auf sein Volk vorbildlich wirken wollte und die für uns das wichtigste Dokument der frühmittelalterlichen Garten- und Obstkultur sind, werden frühe und späte, säuerliche und süße Sorten, auch Daueräpfel unter den damals gebräuchlichen Bezeichnungen wie Gosmaringer, Geroldinger, Crevedeller und Sperauker genannt. Diese Bezeichnungen stammen meist von Orten Süddeutschlands, wo innerhalb des Dekumatenlandes sehr früh die von den Römern eingeführte Apfelkultur in Blüte kam und wertvolle, aus dem Süden stammende, Sorten kultiviert wurden.
Ein ausgedehnter Raum sollte in den Meierhöfen zum Aufbewahren von Obstsorten verschiedenster Art, besonders von Äpfeln, eingerichtet sein. Als ein Obstgarten erscheint in der altsächsischen Dichtung vom Heliand der Garten Getsemane. In ihm, den man sich[S. 79] möglichst ungepflegt als einen mit Obstbäumen bestandenen Rasenplatz vorzustellen hat, gab die Bauerndirne ihrem Geliebten ein Stelldichein und fanden bei festlichen Anlässen die Lustbarkeiten statt. Den in ihm befindlichen Obstbäumen wurde meist nur geringe oder gar keine Pflege zuteil. Vorbildlich in der Obstkultur gingen vor allem die Klöster den Bauern mit gutem Beispiel voran; denn im frühen Mittelalter waren sie ganz besonders die Heger und Pfleger der von den Römern übernommenen Kulturgüter, und wenn die Mönche auf ihren stetigen Wanderungen eine neue Sorte entdeckten, so brachten sie dieselbe mit in ihr Kloster. Und aus dem Klostergarten gelangten später Pfropfreiser davon in die Gärten der benachbarten Dörfer. So berichtet uns der Geschichtschreiber des Klosters Morimund, daß die Brüder, die auszogen, um eine neue Kolonie zu gründen, Samen und Pflänzlinge von allen Sorten für den Garten des neu zu gründenden Klosters mitnahmen. Die Mönche, welche nach Altenkampen im Kölnischen gingen, nahmen die graue Reinette mit, welche im Bassigny um Morimund häufig war. Von Altenkampen verpflanzten sie andere Mönche desselben Ordens nach Walkenried, von dort nach Pforte, von Pforte nach Leubus in Schlesien, von wo sie sich durch ganz Schlesien verbreitete. So ist auch der Borsdorfer Apfel ein Produkt der Cistersiensermönche von Pforte, den sie mit südländischen Pfropfreisern auf dem für Obst- und Weinpflanzungen besonders geeigneten Ackerhofe zu Borsendorf bei Dornburg an der Saale gezogen hatten. In demselben Pforte wird zuerst im Jahre 1271 ein Obstgärtner als magister pomi erwähnt. So verbreiteten sich durch die segensreiche Kulturtätigkeit dieser Mönche diese edleren Obstsorten, die sie auch auf die Wildstämme der umliegenden Bauernhöfe pfropften. Bald drang so statt der wilden Kirschen, sauren Holzäpfel und Schlehen wohlschmeckendes Obst als weitergeleitetes altes Erbe des römischen Kulturvolkes auch in die entlegensten Gaue Germaniens vor.
Was seither die vorzugsweise von Laien fortgeführte Veredelung aus dieser westasiatischen Obstart gemacht hat, ist genugsam bekannt, so daß wir nicht näher darauf einzugehen brauchen. Es genüge, hier zu bemerken, daß nicht nur in ganz Europa, sondern auch in Nordamerika, besonders Kalifornien, die Apfelkultur sich zu ganz außerordentlicher Blüte entfaltet hat, so daß in einem Jahre schon über eine Milliarde Kilogramm frischen Obstes von dort allein nach England eingeführt wurde. Auch getrocknet, mit Zucker als Kompott oder zu Mus eingekocht gelangen die Äpfel heute überall in den Handel, und[S. 80] aus ihnen wird auch an vielen Orten ein angenehm säuerlicher, schwach alkoholhaltiger Trank als sogenannter Äpfelwein hergestellt.
Fast ebenso viele Formen wie von den Kulturäpfeln gibt es von den kultivierten Birnen (Pirus communis), deren Stammeltern ebenfalls aus Westasien zu uns gelangten. Besonders waren es die orientalische herzblätterige Birne (Pirus cordata) und die persische Birne (Pirus persica), die miteinander und später auch mit unserer einheimischen Holzbirne gekreuzt wurden und zu zahlreichen Varietäten Anlaß gaben. Daher kommt es denn auch, daß weder die Äpfel- noch die Birnensorten samenbeständig sind. Durch die Aussaat entstehen fast stets nur Bäume mit ganz minderwertigen Früchten. Um nun die gewünschten edlen Früchte zu erhalten, muß der Wildling veredelt werden, d. h. man schneidet den oberen Teil desselben ab und schiebt in die Wundfläche zwischen Rinde und Holz einen Zweig der guten Sorte, ein „Edelreis“. Nachdem die betreffende Wundstelle gut verbunden und durch Aufstreichen von Baumwachs luftdicht abgeschlossen ist, verwächst der Wildling mit dem Edelreis; jener übernimmt die Ernährung des letzteren, das nun austreibt und eine neue Krone bildet.
Die Kultur der Birne ist wie diejenige des Apfels schon aus klimatischen Gründen Syrien und Ägypten fremd, dagegen in Persien und Armenien eine uralte. Über Kleinasien gelangte sie schon ebensofrüh als diejenige des Apfels nach Griechenland, wo die Birne bei Homer ónchnē, vom großen Pflanzenkundigen Theophrast daneben auch ápios und bei den Griechen später ausschließlich ápios genannt wurde. Außer der Insel Thasos war besonders auch der Peloponnes durch den Reichtum an Birnen bekannt. Ja, nach der Angabe des um 200 n. Chr. in Alexandrien lebenden Athenaios führte diese Halbinsel aus diesem Grunde auch den Beinamen Apia, d. h. Birnenland. Nach Italien müssen nach dem Funde des bronzezeitlichen Pfahlbaus von Baradello schon die aus dem Norden des Balkans dahin wandernden Stämme des vorletzten Jahrtausends v. Chr. den Birnbaum gebracht haben. In der Folge nahm sein Anbau in Italien, wo die Birne pirum genannt wurde, immer größere Ausdehnung an. In seiner Schrift über den Landbau sagt der ältere Cato (234–149 v. Chr.): „Es gibt eine Menge Birnensorten, so die volemische, anicianische, sementivische, tarentinische (von den Griechen aus Tarent übernommen), Most- und Kürbisbirne und andere. Sie werden gepflanzt und gepfropft.“ 200 Jahre später schreibt Plinius in seiner Naturgeschichte:[S. 81] „Es gibt eine sehr große Menge von Birnensorten. Roh sind sie sämtlich selbst für ganz gesunde Leute schwer verdaulich und werden daher Kranken verboten. Auch die Waldbirne wird getrocknet, um sie als Arznei zu gebrauchen.“ Sein Zeitgenosse, der griechische Arzt Dioskurides, meint: „Alle Birnen (ápios), und es gibt deren viele Sorten, haben zusammenziehende Kräfte. Verzehrt man rohe Birnen nüchtern, so schaden sie leicht. Aus Birnen macht man Birnenwein, wie man auch welchen aus Quitten, Spierlingen und Johannisbrot macht. Alle diese Weine haben etwas Zusammenziehendes und sind gesund.“ Nach dem ebenfalls um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. lebenden, aus Spanien nach Rom gekommenen Ackerbauschriftsteller Columella wurden aus noch nicht ganz reifen Birnen und Äpfeln an der Sonne gedörrte Schnitze hergestellt, die nebst getrockneten Feigen einen sehr wichtigen Teil der Nahrung der ländlichen Bevölkerung bildeten. Zur Mostgewinnung pflanzte man besondere Mostbirnen, und feinere Birnen wurden in eingekochtem Most konserviert. Palladius im 4. Jahrhundert rät, die Birnbäume 30 Fuß auseinanderzusetzen, die Erde aufzulockern und feucht zu halten, auch einmal jährlich zu düngen. „Zweckmäßiger als aus Samen ist es, sie durch Pfropfen von Wildstämmen zu gewinnen, und zwar pfropft man sie auf wilde Birnbäume, Apfelbäume und, wie einige angeben, auch auf Mandel- und Granatbäume, Quitten und Eschen (griechische Schriftsteller fügen dieser Liste die Maulbeerbäume hinzu und sagen, daß die darauf gewachsenen Birnen rot werden). Will man Birnen lange aufbewahren, so sucht man mit der Hand gepflückte, ganz unbeschädigte, noch nicht völlig reife aus, tut sie in ein ausgepichtes Gefäß, befestigt darauf den Deckel ganz dicht, legt es so um, daß der Deckel nach unten kommt und vergräbt es an einer Stelle, um die jahraus, jahrein Wasser fließt. Man hebt auch Birnen in Spreu und Getreide auf.“
Neben der als ápios bezeichneten Kulturbirne wurden von den Griechen die als áchras bezeichneten wilden Birnen gelegentlich noch gesammelt und gegessen. In der Urzeit muß dies eine regelmäßige Nahrung der Griechenstämme gewesen sein, wie das uralte Fest der Achraden bei den Argivern beweist, und wie das aus dem Holz des wilden Birnbaums geschnitzte Herabild zu Tiryns auf den wilden Birnbaum als ersten Nährbaum der Tiryntier hinweist. Je weiter wir in der Menschheitsgeschichte zurückgehen, desto ausschließlicher finden wir den wilden Birnbaum mit seinen herben, wenig zum Genusse verlockenden Früchten als Nahrungsspender. So wurden zur[S. 82] jüngeren Steinzeit, wie uns die Funde in den Kulturschichten der Pfahlbaustationen von Wangen und Robenhausen in der Schweiz beweisen, neben wilden Äpfeln auch wilde Birnen gesammelt und, in Schnitze geschnitten und an der Sonne gedörrt, als Wintervorrat aufgehoben. Die saftige Kulturbirne aber fehlte bis ins erste Jahrhundert unserer Zeitrechnung in Mitteleuropa durchaus. Sie gelangte im Gegensatz zum Apfel, der sich hier bereits seit dem Ende des dritten vorchristlichen Jahrtausends kultiviert vorfand, erst durch die Römer der Kaiserzeit in die Länder nördlich der Alpen. Zwar wurden Samenkerne dieser Obstarten nicht im Wegwurf der römischen Militärstationen gefunden, was bei der Kleinheit und Vergänglichkeit derselben einigermaßen begreiflich ist. Wohl aber fanden sich die viel größeren und sehr harten Steinkerne der bald zu besprechenden Pflaumen, Mirabellen, Kirschpflaumen, Süß- und Sauerkirschen, Pfirsiche und Aprikosen und die Schalen der Walnüsse und großen Haselnüsse, nicht bloß in den ausgemauerten, sondern vornehmlich in den zahlreichen mit Holz ausgekleideten Schachtbrunnen der Saalburg bei Homburg, die nachweislich schon von den Römern selbst im 2. Jahrhundert n. Chr. durch ausgemauerte Brunnen ersetzt und zugeschüttet wurden. Hier lagen sie in einer Schlammschicht 5–10 m unter der Oberfläche. Daß sie etwa erst in späteren Jahrhunderten in die Brunnen geworfen sein könnten, ist unter diesen Umständen völlig ausgeschlossen, ganz abgesehen davon, daß das Kastell unter Gallienus (260–268 n. Chr.) definitiv an die Germanen verloren und von jenen eingeäschert und zerstört wurde und seither keine menschliche Niederlassung mehr hier vorhanden war. Erst einige Jahrhunderte später ist dann die Kulturbirne von den Germanen in Pflege genommen worden, worauf die Bildung von althochdeutsch pira, später bira aus dem lateinischen pirum deutet.
In dem aus dem Jahre 812 datierenden Verzeichnis der auf den Gütern Karls des Großen zu haltenden Obstbäume figurieren neben den pomarii, den Apfelbäumen, auch die pirarii, von denen ebenfalls mehrere Sorten erwähnt werden, so süßere, frühreife und spätreife. Und der im Jahre 849 verstorbene fränkische Mönch Walahfrid Strabo, ein großer Gartenfreund, der es trotz seiner edlen Abkunft nicht verschmähte, durch tüchtiges Zugreifen, wie er selbst sagt, sich die Hände schwielig zu machen und zu bräunen, hat in einem lateinischen Gedichte „über die Pflege der Gärten“ beschrieben, wie er in seinem Garten im Juli Pfirsiche und im August Feigen, Pflaumen, Nüsse und[S. 83] große volemische Birnen pflücke, von denen eine die ganze Hand ausfüllt. Zu den von den Römern übernommenen Birnensorten sind dann durch die Bemühungen der Klöster und später auch der Laien zahlreiche neue hinzugekommen. So zählt Valerius Cordus in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts mehr als 50 in Mitteldeutschland kultivierte Sorten auf, die sich inzwischen, besonders durch die Bemühungen belgischer Obstzüchter, ganz wesentlich vermehrt haben.
Vom Obstbau der alten Kulturvölker haben wir nur eine geringe Kenntnis, da ihre Schriftsteller von solch allgemein bekannten Dingen keine Aufzeichnungen hinterließen. In Ägypten und Babylonien hat das Kernobst keinerlei Rolle gespielt, wohl aber in dem durch seine Höhenlage kühleren Persien, in welchem Lande schon zu den Zeiten des älteren Kyros (um 550 v. Chr.) die Straßen, welche von der Hauptstadt nach den Provinzen führten, mit Obstbäumen als nützlichen Schattenspendern bepflanzt waren. Schon damals hatten die persischen Großkönige die Gepflogenheit, bei feierlichen Anlässen Obstbäume mit eigener Hand zu pflanzen, — beides Sitten, die sich bis auf unsere Zeit erhalten haben.
Schon sehr frühe drang der Obstbau aus Vorderasien über Kleinasien zu den Griechen und später zu den Römern, die sich seiner mit Liebe annahmen. Schon bei Homer finden wir die zwischen den Krautgärten gelegenen Obstgärten der Vornehmen erwähnt, die in der Regel von älteren Familienangehörigen besorgt wurden. So finden wir in der Odyssee die Obhut der Obstbäume vorzugsweise Greisen anvertraut, die niedergebückt im Garten pflanzten, gruben und beschnitten. So hat sich auch der greise Laertes, Odysseus Vater, in seine Gärten zurückgezogen, und sein Genosse hierin war der gealterte Sklave Dolios, den einst Penelope von ihres Vaters Hause in dasjenige ihres Gatten Odysseus mit hinübergebracht hatte.
Der Baumgarten des Altertums war wie der Rebberg durch eine Mauer, einen Graben oder einen Zaun, später auch durch eine lebende Hecke als Privateigentum abgegrenzt. Wer nun diese Grenze nicht respektierte, machte sich eines frevelhaften Einbruchs in fremdes Eigentum schuldig. Wie schwer solche Vergehen bisweilen geahndet wurden, beweist uns die von dem griechischen Geschichtsschreiber Apollodoros berichtete Episode des Herrschers von Kalydon auf Kreta Oineus (d. h. Winzer), der seinen eigenen Sohn Toxeus (d. h. den Schützen) tötete, weil dieser es frevelhaft gewagt hatte, den Graben, der seinen Weinberg umschloß, zu überspringen.
Nach der Schilderung in der Odyssee trug Laertes bei seinen Arbeiten im Obstgarten zum Schutz seiner Beine vor Beschädigungen durch die Dornen ein Paar alter Beinschienen aus Leder und dazu einen geflickten Rock. Der Garten war von einer Dornenhecke umgeben und enthielt wohlgepflegte Apfel-, Birn-, Feigen- und Ölbäume. Ein hoher Birnbaum fiel besonders auf; unter ihm stand Odysseus nach seiner Heimkehr, eine Weile mit der Rührung kämpfend, da er seinen Vater in der Ferne beobachtet. Und als er sich ihm zu erkennen gibt, erinnert er ihn an die Zeit der Kindheit, als er ihm einst 13 Birnbäume, 10 Äpfelbäume, 40 Feigenbäume und 50 Weinstöcke zu eigener Nutznießung schenkte.
Die alten Römer nannten ihre Obstgärten nach den vorzugsweise darin kultivierten Apfelbäumen pomarium, während sie den Lustgarten hortus, den Blumengarten floralium und den Küchengarten mit den Gemüsen hortus pinguis oder rusticus, d. h. den fetten oder ländlichen Garten nannten. In den großen Obstgärten der Reichen waren zugleich Magazine zum Aufbewahren von Obst, wie auch daran sich anschließende bescheidene Wohnungen für die Gärtnerdienst tuenden Sklaven vorhanden. Sonst wissen wir sehr wenig von ihnen, nur so viel, daß in ihnen, wie wir bald sehen werden, schon eine ganze Menge aus dem Osten importierter Fruchtbäume gediehen.
Im Mittelalter waren, wie gesagt, die Klöster die Träger und Überlieferer der altrömischen Kultur und ihrer Erzeugnisse. Sie haben sich ein besonderes Verdienst um die Erhaltung und Ausbreitung der von den Römern eingeführten Nutzpflanzen, besonders der aus dem Süden importierten Obstbäume erworben. Selbstverständlich waren die Klostergärten ebenso eingefriedigt wie diejenigen der Bauern. In einem Weistum vom Jahre 1500 wird sogar vorgeschrieben, daß der aus senkrechten Stöcken mit dazwischen geflochtenen Ruten oder schräg aufgerichteten Brettern, von denen immer mehrere durch einen senkrechten Pfahl gehalten wurden, hergestellte Zaun mannshoch sein solle. Was dann noch an Hühnern und sonstigem Geflügel hinübersteige, das dürfe der Bauer totschlagen. Nach den uns erhaltenen Zeichnungen aber ist seine Höhe für gewöhnlich nicht mehr als 1 m gewesen.
In diesen Gärten wurde nicht sehr streng zwischen Gemüse- und Obstgarten unterschieden. Oftmals wird erwähnt, daß Bäume im Kohlgarten gestanden haben. War ein besonderer Baum- oder Obstgarten vorhanden, so waren darin nur wenige Sorten vertreten, und[S. 85] zwar meist Äpfel und Birnen, seltener Steinobst oder gar Nüsse. Noch der römische Geschichtsschreiber Tacitus (54–117 n. Chr.) hielt in seiner ethnographischen Schilderung Germaniens dieses Land für schon zu kalt zum Obstbau, nur für Getreidebau geeignet. Die Einwohner desselben, so schrieb er, nährten sich von ganz einfachen Speisen wie wilden Äpfeln und Beeren, frischem Wildbret und saurer Milch.
Diese Lebensweise hat sich im Laufe des Mittelalters, als auch Germanien das Erbe der altrömischen Kultur antrat, gründlich geändert. Deutschland war nicht zu rauh für die Obstzucht; die Obstbäume gediehen vielmehr ganz gut, soweit sie das gegenüber den Mittelmeerländern viel rauhere Klima ertrugen. Und den Anstoß zu diesem Wechsel legten die Römer selbst durch ihre Kolonisation, die die Schätze an wertvollen Nutzpflanzen, die ihr Land durch den Import aus dem Morgenlande aufwies, über den eisumgürteten Grenzwall der Alpen hinüber in die durch ihren Reichtum an Wäldern und Sümpfen ausgezeichneten und dadurch für die Römer zunächst nur abschreckenden Länder des Nordens brachten. Auch Italien selbst war einst ein solch armes Waldland gewesen, als es von den Italikern besiedelt wurde. Und als es durch Rodung und nachfolgenden Ackerbau schon einigermaßen kultiviert war, erschien es den älteren Griechen als ein Land, das im Vergleich schon mit ihrem eigenen und noch viel mehr mit dem an Kultur viel weiter fortgeschrittenen Orient einen nordischen, primitiven Charakter trug und dessen Produktion in noch ziemlich später Zeit vorwiegend in Holz, Vieh und Getreide bestand. Noch der im Jahre 286 v. Chr. in Athen verstorbene Schüler des Aristoteles, Theophrastos von der Insel Lesbos, der Begründer der antiken Pflanzenkunde, der eine uns noch erhaltene „Naturgeschichte der Gewächse“ schrieb, rechnet Italien zu den wenigen Ländern am Mittelmeer, wo noch Schiffsbauholz vorkommt. Und als der prunkliebende König Hieron II. von Syrakus, der im Jahre 269 v. Chr. nach einem entscheidenden Siege über die sogenannten Mamertiner in seiner Vaterstadt zur Herrschaft gelangte, die er als tüchtiger Regent und Bundesgenosse der Römer bis zu seinem Tode im Jahre 215 ausübte, sich ein riesiges Getreideschiff baute, so fand sich nach dem Berichte des um 200 n. Chr. in Alexandrien und Rom lebenden griechischen Grammatikers Athenaios aus Naukratis in Ägypten nur im brettischen Gebirge in Italien ein Baum, der als Hauptmast dienen konnte. Es war dies im heutigen, aus Laricio-Kiefern bestehenden Nilawalde, der aber damals auch mit Eichen oder Buchen untermischt gewesen sein[S. 86] muß, da ein Sauhirt, der seine Herde zur Eichel- oder Bucheckernmast in den Wald trieb, der Auffinder dieser damals schon bemerkenswerten Rarität war.
Von ungeheuren, unwirtlichen Wäldern auf der italischen Halbinsel hören wir auch durch die römische Überlieferung. Den ciminischen Wald beim heutigen Viterbo nördlich von Rom beschreibt der römische Geschichtsschreiber Livius (59 v. bis 17 n. Chr.) unter dem Jahre 308 v. Chr., also nach der Zeit Alexanders des Großen, als so schrecklich, wie nur die später von den Römern betretenen Wälder Germaniens. Von einem ähnlichen Grauen vor diesem entsetzlichen Waldgebiete muß auch der im 2. Jahrhundert n. Chr. lebende römische Geschichtsschreiber Florus erfaßt gewesen sein, der wie Livius eine Geschichte Roms von der Gründung der Stadt bis zu Kaiser Augustus schrieb. Er berichtet, daß damals der Prätor C. Manlius zu Anfang des von 218–201 v. Chr. dauernden zweiten punischen Krieges zum Entsatze des von den Bojern, einem teils in Oberitalien, teils zwischen Alpen und Donau seßhaften keltischen Volksstamme, bedrängten Mutina (dem heutigen Modena) herbeirückte, sein Heer in den unwegsamen Wäldern fast aufgerieben wurde. Noch schlimmer erging es nach demselben Autor dem Prätor L. Postumius in dem litanischen Wald, aus welchem von seinem ganzen Heere nur wenige Mann den Ausweg fanden.
Und dieses Waldland Italien, das ursprünglich außer Haselnüssen, Holzäpfeln, Schlehen, Holzbirnen, Eicheln, Bucheckern und Waldbeeren keinerlei eßbare Früchte trug, schildert uns der im Jahre 116 v. Chr. geborene und 27 v. Chr. verstorbene bedeutendste Gelehrte Roms, Marcus Terentius Varro, es sei dermaßen mit aus dem Morgenlande eingeführten Fruchtbäumen besät, daß es wie ein großer Obstgarten erscheine! Edle Äpfel und Birnen, Quitten und Mandeln, Kirschen, Pflaumen, Pfirsiche, Feigen, Granaten, Oliven, Maulbeeren, Kastanien, Walnüsse, Pistazien wurden zur römischen Kaiserzeit in Menge auf jener einst aller eßbaren edleren Früchte mangelnden Halbinsel gezogen.
Die Vermittler dieser Umwandlung, von deren Reichtum in der Folge ganz Europa bis auf unsere Tage solch großen Nutzen zog, bildeten Sklaven und Freigelassene aus Syrien, Kilikien und den verschiedenen Ländern Kleinasiens. Nach den glücklich durchgeführten asiatischen Kriegen, die eine Fülle Kriegsgefangener auf den römischen Markt brachten, wimmelte Italien von ihnen lange vor dem großen römischen Sittenmaler Juvenalis (47–130 n. Chr.), der sich in einer[S. 87] Satire beklagt, es sei so weit gekommen, daß der syrische Fluß Orontes sich in den Tiber ergieße. Er meint damit: Rom und seine Umgebung sei dermaßen von Syriern überschwemmt, daß man sich an den Orontes versetzt glauben könne. Diese syrischen Sklaven waren durch Arbeitsamkeit, Ausdauer und Ergebenheit gegen ihre Herren ausgezeichnet. Schon der römische Komödiendichter Plautus (254–184 v. Chr.) nennt sie das allergeduldigste Geschlecht der Menschen. Dem Kriegshandwerke abgeneigt, waren sie als Träger einer überaus alten Kultur aufs beste vertraut mit dem Aufziehen und Pflegen von Pflanzen, besonders Obstbäumen, die sie durch sachkundige Beschneidung und Düngung zu ergiebigster Fruchtbildung veranlaßten. Aufs beste verstanden sie sich auf das Veredeln, dessen Methoden uns schon von altgriechischen Autoren eingehend geschildert werden, von den späteren römischen Schriftstellern über Obstbau nicht zu reden, die sich sehr eingehend über diese Materie aussprechen. Sagt doch bereits der ältere Plinius (23–79 n. Chr.): „In der Veredelung der Bäume haben die Menschen schon längst das Höchste erreicht“, bemerkt aber dazu, daß man eine Sünde begehen würde, alles auf gut Glück durcheinander veredeln zu wollen; „denn Dornsträucher (spina) darf man nicht pfropfen, weil sich sonst die Blitze nicht leicht sühnen lassen und jeder Blitzschlag mit zwei-, drei- oder vierfacher Gewalt einschlägt, wenn man zwei-, drei- oder vierfach veredelt hat.“ An einer anderen Stelle meint derselbe Plinius: „Auf die Veredelung (inserere, d. h. einsäen) mag wohl die Natur selbst den Menschen aufmerksam gemacht haben, indem durch Vögel oder Winde öfter Samen auf Bäume gebracht werden und auf diesen gedeihen. So habe ich z. B. einen Kirschbaum auf einer Weide, eine Platane auf einem Lorbeer, einen Lorbeer auf einem Kirschbaum und allerlei der Art gesehen. Auch Kerne, die von Dohlen als Vorrat in Ritzen alter Mauern gesteckt werden, geben Veranlassung zu dergleichen Erscheinungen.“ — Das Okulieren (inoculatio) besteht darin, daß man von einem Baume ein Auge mit etwas Rinde abschneidet und in einen anderen Baum einsetzt, von dem man ein eben solches Stück Rinde weggeschnitten hat, Vergil (70–19 v. Chr.) lehrt auch, in dem Knoten, auf dem eine Knospe sitzt, ein Loch zu machen und eine fremde Knospe in dieses zu setzen. Beim Pfropfen (insitio) schneidet man den Stamm mit der Säge durch, glättet die Wunde mit der Hippe (dem gekrümmten Rebmesser), schiebt das Pfropfreis zwischen Holz und Rinde, wie es von altersher geschieht, oder spaltet den Stamm und setzt die Reiser in den Spalt. Nach Cato (234–149 v. Chr.) soll man die Wunde[S. 88] „mit einer Mischung von Ton, Kreide, Sand und Kuhmist verstreichen.“
Ein ungenannter Grieche der klassischen Zeit schreibt in den Geoponika, einer ums Jahr 912 n. Chr. veranstalteten Sammlung von Auszügen aus guten alten griechischen Schriften über Land- und Gartenwirtschaft: „Es sind drei Arten der Veredelung (enkentrismós von kéntron Gerte, Reis, also zu deutsch Reiseinfügung) im Gebrauch. Veredelt man so, daß man den Stamm durchschneidet, von der Wunde aus einen Keil zwischen Rinde und Holz treibt und in die so entstandene Höhlung das Reis (énthema) einfügt, so nennt man dieses Verfahren emphyllismós (von phýllon Blatt). Spaltet man aber den Stamm, nachdem er quer durchschnitten ist, in der Mitte und setzt das Reis in den Spalt ein, so heißt dieses Verfahren insbesondere enkentrismós.
In beiden Fällen der Veredelung muß man rasch zu Werke gehen, damit weder die Wunde des Stammes, noch das Reis austrocknet. Die Reiser, welche man einsetzt, müssen zweijährig sein und die Dicke eines kleinen Fingers haben und sich in zwei oder drei Enden teilen; die einjährigen wachsen zwar leicht an, sind aber unfruchtbar. (Im Mittelalter dagegen verwendete man gleich heute, wie beifolgender alter Holzschnitt zeigt, stets einjährige Edelreiser, die natürlich vollkommen fruchtbar sind. Man schneidet sie im Winter, in der Zeit der Knospenruhe, ab und bewahrt sie meist in feuchtem Sand, damit sie nicht zu stark eintrocknen, und pfropft damit beim Trieb im Frühjahr.) Die Reiser werden zehn oder mehr Tage vor der Veredelung von ihrem Baume geschnitten und in einem gut zugedeckten Topfe aufbewahrt, damit sie nicht zu sehr eintrocknen. Die Knospen müssen an ihnen noch geschlossen sein, an dem zu veredelnden Baume aber eben aufbrechen wollen, wenn man die Reiser einsetzt, und eben deswegen müssen die Reiser schon vorher abgeschnitten sein. Es zeigt auch die Erfahrung, daß sie weit leichter anwachsen, wenn sie nicht mehr frisch sind. Der Grund dieser Erscheinung ist darin zu suchen, daß sie in ganz frischem Zustande, weil voll Saft, auch dicker sind; würde man sie so einsetzen, so würden sie in der ersten Zeit, ehe sie anwachsen, noch schwinden, wodurch Ritze entstehen würden, in welche die Luft eindringen kann. — Werden Reiser in die Ferne verschickt, so tut man sie in einen Topf, dessen Boden mit feuchtem Ton bedeckt ist. Man steckt sie in den Ton, schließt den Topf und verstreicht gut alle Fugen am Deckel.“
Die Technik des Pfropfens war bei den alten Griechen und Römern zu einer in der Jetztzeit kaum wieder erreichten Virtuosität ausgebildet. Man glaubte damals, soweit man sich nicht durch abergläubische Erwägungen, von denen Plinius eine erwähnt, bestimmen ließ, jedes beliebige Reis auf jeden beliebigen Baum pfropfen zu können, und erreichte damit auch in der Tat Erstaunliches. So will derselbe Plinius einen Baum gesehen haben, der an seinen verschiedenen Ästen mehrere Äpfel- und Birnensorten, Granaten, Feigen, Weintrauben, Oliven und Nüsse zugleich trug; doch soll er nicht lange gelebt haben. Schon beim römischen Dichter Vergilius Maro (70–19 v. Chr.) trägt die Platane Äpfel, die Esche Birnen, der Erdbeerbaum Nüsse und die Ulme Eicheln, und bei Palladius, um 380 n. Chr., ist in seinem Buche über den Landbau kein Baum, von dem nicht ausgesagt würde, er könne die und die fremden Früchte zu tragen gezwungen werden.
Über diese Virtuosität, die Natur zu vergewaltigen und zu mißbrauchen, wie er sich ausdrückt, entsetzte sich zwar mancher, wie der biedere Plinius, als über einen den Zorn der Götter wachrufenden[S. 90] Frevel. So aberwitzig auch solche Künsteleien erscheinen mochten, so hatten sie doch das Gute, die Mannigfaltigkeit und Vollkommenheit der einst in Italien fremden, nun aber durch die regen Verbindungen mit dem an Fruchtbaumsorten so reichen Orient hier eingebürgerten Früchte immer weiter zu steigern. Wenn die römischen Aristokraten nach Ablauf ihres Jahres aus Syrien oder einer anderen der an der Ostgrenze des Reiches gelegenen Provinzen heimkehrten und manche angenehme Frucht, die dort auf ihre Tafel gekommen war, nach Italien und auf ihre Villen zu versetzen wünschten, so hatten sie in ihren syrischen, kleinasiatischen und persischen Sklaven außerordentlich erfahrene und geschickte Gärtner, die ihnen beim Großziehen und Veredeln der mitgebrachten Pflanzenschätze behilflich waren und zur Belohnung dafür die goldene Freiheit oder wenigstens eine gnädige, milde Behandlung erwarten durften.
So hat der Orient, dem wir die Gewinnung der meisten Fruchtsorten, die Kaprifikation der Feige, die Füllung der Rosen, Violen und anderer Blumen und die Hochzuchten zahlreicher Gemüsearten verdanken, durch seine infolge Kriegsunglückes in den letzten vorchristlichen Jahrhunderten nach dem Herrenlande Italien verbrachten gartenkundigen Einwohner diese ihre neue Heimat aufs weitgehendste mit neuen gärtnerischen Zuchtprodukten befruchtet. Und aus Italien brachten die Römer die ihnen zu Hause liebgewordenen Fruchtarten in ihre nördlichen und westlichen Provinzen, die sie damit beschenkten, indem sie dieselben dort anpflanzten und heimisch werden ließen. So war es mit den verschiedenen Äpfel- und Birnensorten, wie noch mit so mancher anderen Fruchtart, mit der wir uns im folgenden zu beschäftigen haben, der Fall.
Welchen Fortschritt die Kultur dieser beiden so wichtigen Fruchtbäume im Altertum gemacht hat, lehrt uns folgende von F. Unger aufgestellte Zusammenstellung, die wir allerdings nicht belegen. So kannten
Theophrast (um 300 v. Chr.) | von | Äpfeln | 2, | Birnen | 3 | Sorten, |
Cato d. ältere (um 160 v. Chr.) | „ | „ | 7, | „ | 6 | „ |
Plinius d. ältere (um 70 n. Chr.) | „ | „ | 36, | „ | 41 | „ |
Palladius (um 380 n. Chr.) | „ | „ | 37, | „ | 56 | „ |
Diese sind dann in der Folge um mehr als das Dreißigfache vermehrt worden, so daß man gegenwärtig von jeder Art über 1500 Spielarten zählt, die sich durch Größe, Gestalt, Farbe, Konsistenz, Geschmack und Zeit der Reife oft außerordentlich voneinander unterscheiden.
Zu den durch die Vermittlung der Römer dem Europa nördlich der Alpen verschafften Obstbäumen des Orients gehört auch die mit den Äpfeln nahe verwandte Quitte (Cydonia vulgaris), die heute noch in den Wäldern des nördlichen Persien beim Kaspischen Meer, südlich vom Kaukasus in Armenien und Kleinasien wildwachsend mit kleinen, unscheinbaren, gelben Früchten gefunden wird. In ihrer Heimat ist sie schon im zweiten vorchristlichen Jahrtausend von einem uns unbekannten Volke in Pflege genommen und zu einer großfrüchtigen Kultursorte umgewandelt worden. Dem babylonisch-ägyptischen Kulturkreise blieb auch dieser Obstbaum fremd, schon weil er als die Kühle liebender Gebirgsbaum die anhaltende Wärme der Niederungen nicht ertrug. Schon zu Beginn des letzten christlichen Jahrtausends muß er westwärts gewandert und in Kleinasien gepflanzt worden sein. Seine früheste urkundliche Erwähnung findet er bei dem aus Lydien gebürtigen griechischen Dichter Alkman ums Jahr 650 v. Chr. Dann nennt ihn ums Jahr 600 v. Chr. der griechische Dichter Stesichoros aus Sizilien in seinem Stücke Helena und 50 Jahre später der durch Schillers Ballade uns allen wohlbekannte Dichter Ibykos aus Rhegion in Unteritalien. Also war diese Frucht und der sie hervorbringende Baum schon im 7. vorchristlichen Jahrhundert den Griechen allgemein bekannt. Sie bezeichneten ihn als mḗlon kydṓnion, d. h. kydonischen Apfel (woher der noch heute geltende botanische Gattungsname Cydonia herrührt), weil sie ihn zunächst aus dem Gebiete der Kydonen an der Nordwestküste Kretas bezogen. Dahin war er einst von der karischen Südküste Kleinasiens als ein der Liebesgöttin heiliger Fruchtbaum gelangt. Als dann die Griechen den Fruchtbaum in Pflege nahmen, weihten sie seine von ihnen meist nur als „goldene Äpfel“ bezeichneten Früchte gleichfalls ihrer Liebesgöttin Aphrodite und benutzten sie als Geschenk bei Liebesspielen und als bräutliche Gabe. Bei der Hochzeit trug die Griechin der alten Zeit die der Liebesgöttin geweihte Quitte als Unterpfand einer glücklichen Ehe in der Hand und brachte sie ihrem Gatten als Zeichen dafür, daß sie sich nunmehr dem Dienste der Aphrodite weihe, ins Haus, eine Sitte, die der berühmte, zu den sieben Weisen gerechnete Gesetzgeber der Athener, Solon (639 bis 559 v. Chr.), zum offiziellen Hochzeitsritus erhob und die sich in Attika im Laufe der Jahrhunderte durch allen Wechsel der Zeiten bis auf den heutigen Tag erhielt.
Die schön gelbe Frucht, die sich wegen ihrer Herbe roh nicht genießen ließ, die aber mit Honig eingekocht eine von ihnen als Delika[S. 92]tesse geschätzte, aromatisch duftende, feinschmeckende, mēlo- oder kydōnomḗli genannte süße Speise lieferte, haben die Griechen schon im Altertume sehr geschätzt. Die Hippokratiker bedienten sich ihrer als Arznei gegen Durchfall. Gleichwohl scheint Viktor Hehn im Irrtum zu sein, wenn er die goldenen Äpfel der griechischen Sage nicht als idealisierte Äpfel, sondern als Quitten auffaßt, was ihm dann andere kritiklos nachsprachen. Von den griechischen Kolonien Unteritaliens gelangte dann die Quitte auch zu den Römern, die aus dem griechischen mḗlon kydṓnion, d. h. kydonischer Apfel, malum cotoneum machten, ein Ausdruck, aus welchem dann später das althochdeutsche Kutina und schließlich das neuhochdeutsche Quitte hervorging, während die Früchte heute noch im Italienischen mela cotogna heißen. Der aus Spanien nach Rom gekommene Ackerbauschriftsteller Columella zählt drei Sorten Quitten (cydonium) auf, nämlich struthium, chrysomelinum und musteum, letzteres offenbar eine Mostquitte. Nach ihm kennt Plinius um 75 n. Chr. schon sechs Sorten, die nicht nur als Genuß-, sondern auch als Heilmittel verwendet wurden, nämlich eine goldgelbe, gefurchte, chrysomelum genannte, eine ausgezeichnet riechende weiße einheimische, eine ebenfalls geschätzte neapolitanische, eine strutheum genannte kleinere und noch wohlriechendere Spätsorte und eine musteum (d. h. Mostquitte) genannte Frühsorte. Unter ihnen sind sowohl Äpfel- als Birnenquitten zu verstehen, die schon Cato ums Jahr 150 v. Chr. unterschied. Zur letzten von ihm erwähnten Sorte bemerkt Plinius: „Die mulvianische Quitte ist dadurch entstanden, daß die gewöhnliche Quitte (cotoneum) auf strutheum gepfropft wurde. Sie ist die einzige Sorte, welche roh gegessen werden kann. Alle Quittensorten sieht man jetzt in den Empfangszimmern der Männer aufgestellt und vor die Bildsäulen der Nachtgottheiten gelegt. In den Zäunen wachsen auch kleine, wilde Quitten von vortrefflichem Geruch.“ Sein Zeitgenosse, der aus Kilikien gebürtige, in Rom tätige griechische Arzt Dioskurides meint: „Die Quitten bekommen dem Magen gut, sind gekocht milder als roh. Um Quittenwein zu machen, welcher kydonítēs und mēlítēs heißt, läßt man zerstoßene Quitten 30 Tage lang in Most und seiht diesen dann durch. Um mēlomḗli, auch kydōnomḗli genannt, zu bekommen, legt man Quitten, denen die Kerne genommen sind, in Honig. Um dem Olivenöl den angenehmen Geruch der Quitten zu geben, legt man Quitten so lange hinein, bis der Zweck erreicht ist.“
Schon der Grieche Theophrast im 4. vorchristlichen Jahrhundert wußte, daß „wie aus den Samen der Kulturbirne (ápios) die elende[S. 93] wilde Birne (áchras) und aus dem Samen des edlen Apfels eine schlechte, saure Sorte gezogen werde, so zieht man aus der edlen Quitte (strúthion) die wilde Quitte (kydṓnion).“ Und Palladius im 4. Jahrhundert n. Chr. sagt, daß man die Quitten durch Pfropfen vermehre: „Die Quittenbäume (cydonius) lieben einen kühlen, feuchten Standort. Man pfropft am besten Quitten auf Quitten. Aber auf diesem Baume gedeihen auch Pfropfreiser von Granaten, Spierlingen und allen apfelähnlichen Früchten, welche sogar dadurch verbessert werden. Man hebt die geernteten reifen Quitten auf verschiedene Art auf, und will man sie in Honig legen, so zerschneidet man sie vorher mit einem Messer aus Rohr oder Elfenbein in vier Stücke.“
Mit den übrigen Obstarten brachten die Römer auch den Quittenbaum in die nördlichen Provinzen des Reichs, wo er sich auch nach dem Untergange der Römerherrschaft erhielt, so daß er im Inventare der Gärten Karls des Großen aus dem Jahre 812 als cotoniarius figuriert. Bei der heiligen Hildegard, Äbtissin von Rupertsberg bei Bingen (1098–1197), wird er als quotanus, beim Dominikaner Albertus Magnus, Graf von Bollstädt, einem der größten Gelehrten des Mittelalters (1193–1280), als coctanus oder citonius erwähnt. Da aber seine Früchte nur mit Honig oder später Zucker eingemacht genießbar sind, hat er beim Volke keine besonders große Bedeutung erlangt. In Italien werden übrigens noch jetzt wie zur Zeit des Plinius reife Quitten in den Zimmern aufgestellt, um diese mit deren angenehmem Duft zu erfüllen.
Durch die Vermittlung der Phönikier, die diesen Fruchtbaum überall in den von ihnen gegründeten Kolonien anpflanzten, erhielten die alten Griechen den Granatapfel (Punica granatum). Dieser ist in ganz Vorderasien, vom nordwestlichen Indien über Persien bis Kleinasien, zu Hause, erscheint im wilden Zustande stets strauchartig und besitzt nur kleine Früchte, die erst durch Kulturauslese zu Faustgröße gediehen. Durch seine feuerroten Blüten und seine rotwangigen, kernreichen Früchte mit säuerlichem Fruchtfleisch mußte er frühe schon die Aufmerksamkeit des Menschen auf sich ziehen, der ihn dann in seine Pflege nahm und ihn in Beziehungen zu seinem Hauptgotte, dem Sonnengotte, brachte. Als Kultpflanze spielte er im syrisch-phönikischen Gottesdienste eine wichtige Rolle und verbreitete sich über das Gebiet der Westsemiten, bei denen er rimmôn genannt wurde, als ahrmani nach Ägypten, wo wir ihm im neuen Reiche zuerst begegnen. Die älteste Erwähnung desselben finden wir an der Wand der Grab[S. 94]kammer des Schreibers Anna, der unter Thutmosis I. (1547–1501 v. Chr.) starb. Hier wird er unter den Bäumen des Totengartens erwähnt, unter denen der Geist des Verstorbenen wandelnd gedacht war. Da jener Fürst Thutmosis den ersten Feldzug nach Syrien unternahm, scheint die Granate als Folge desselben nach dem Niltale gekommen zu sein. Die älteste Darstellung des Granatbaums stammt aus der Zeit des erfolglosen Reformators der ägyptischen Staatsreligion Amenhotep IV. am Ende der 18. Dynastie (1375–1358 v. Chr.) in einem Grabe bei seiner damaligen Residenz, dem heutigen Teil el Amarna nördlich von Theben, während die ältesten Granatfrüchte unter den Totenbeigaben eines Grabes der 20. Dynastie zur Zeit Ramses IV. (1167–1148 v. Chr.) aus der Totenstadt von Theben gefunden wurden. Diese Granatäpfel sind kleiner und einfacher gebaut als die heutigen. Während nämlich letztere meist 6–8 Fruchtfächer besitzen, haben die ersteren deren nur 4–6. In späterer Zeit finden wir diesen Fruchtbaum auch auf Wandgemälden und seine Früchte unter den Opfergaben ziemlich häufig abgebildet. Aus seinen schön roten Blüten flocht man Girlanden, mit denen man die mumifizierten Toten schmückte, und aus seinem säuerlichen Fruchtfleisch stellte man eine Art Limonade her, die in den altägyptischen Texten als schedech-it erwähnt wird. Diese Frucht war so beliebt, daß sich die Juden auf ihrer Wüstenwanderung unter Moses, wie uns im Pentateuch berichtet wird, nach den Granatäpfeln und Weintrauben Ägyptens zurücksehnten. Und als sie sich ums Jahr 1250 v. Chr. Kanaan erobert und im Lande häuslich niedergelassen hatten, wandten sie den im Lande schon längst angebauten Granatbäumen große Sorgfalt zu; denn auch in ihrem Kulte spielte bald die Blüte und die Frucht des Granatbaums eine bedeutungsvolle Rolle. Ihre Priester mußten nämlich, wenn sie ins Heiligtum eintraten, ein Kleid anhaben, an dessen Saum Granatäpfel hingen. Auch der zu Beginn des letzten vorchristlichen Jahrtausends unter ungeheurem Aufwand an Geld gebaute salomonische Tempel barg in seinen zahlreichen Verzierungen häufig das Granatapfelmotiv, und speziell die Säulen trugen Kapitäle in Form von aufgeschichteten vergoldeten Granatäpfeln. Was die praktische Verwendung der säuerlichen bis süßen Früchte anbetrifft, so wurden sie auch bei den Juden außer als Speise in frischem Zustande zur Herstellung eines durstlöschenden Saftes verwendet. So gab es im alten Palästina eine Ortschaft Gath-rimmôn, was „Kelter des Granatapfels“ bedeutet. Bekannt ist ihre Rolle in dem um 800 v. Chr. entstandenen Hohen Liede, wo es in Kap. 6, 6[S. 95] von der Geliebten heißt: „Deine Wangen sind wie ein Ritz am Granatapfel zwischen deinen Zöpfen“ und in Vers 10: „Ich ging hinab in den Nußgarten, zu schauen die Sträucher am Bach, nachzusehen, ob der Weinstock blühete, ob die Granatbäume grüneten,“ oder ebendort 4, 13: „Dein Gewächs ist wie ein Lustgarten von Granatbäumen mit edlen Früchten.“
Auch in ganz Vorderasien muß der Granatapfel und ein aus seinem sauersüßen Fruchtsafte hergestellter Trank beliebtes Genußmittel gewesen, was uns die Stelle von Herodot verrät, daß der Perserkönig Dareios I. (Sohn des Hystaspes, Großneffe des Kyros, der nach Kambyses kinderlosem Absterben und der Ermordung des falschen Smerdis 521 v. Chr. den Thron bestieg, bekanntlich 490 den Zug zur Unterjochung Griechenlands unternahm, die an dem Siege der Griechen unter Miltiades bei Marathon scheiterte, und 485 starb) diese Frucht nicht missen mochte.
Von Kleinasien aus, und zwar speziell aus Karien, kam der Granatapfel ebenfalls in Verbindung mit religiösen Anschauungen zu den Griechen, denen sein Kernreichtum ein Sinnbild der Fruchtbarkeit war, weshalb sie ihn den chthonischen Gottheiten Demeter (= Gḗ mḗtēr, d. h. Mutter Erde) und Persephone weihten. Schon zu homerischer Zeit scheint man den Granatbaum gekannt zu haben, da in der Odyssee neben Birn- und Apfelbäumen auch Granatbäume (jonisch roiḗ) in den Gärten des Alkinoos und Laertes erwähnt werden. Der berühmteste Arzt des Altertums, Hippokrates (460–364 v. Chr.), empfiehlt den Saft des Granatapfels, in Attika roá genannt, als Labetrunk für Kranke, besonders Fiebernde, und der Schüler des Aristoteles, Theophrast im 4. vorchristlichen Jahrhundert, schreibt, daß die Granatblüte auch gefüllt vorkomme, so daß sich ihre Masse wie bei einer gefüllten Rose ausbreitet. Über 400 Jahre später sagt Dioskurides: „Der Granatapfel (roá) schmeckt gut, ist gesund, gibt aber sehr wenig Nahrung.“
Da die Römer diese Frucht nicht nach dem Griechischen nannten, sondern als punischen Apfel (malum punicum) oder Granatapfel (malum granatum, woraus das italienische melogranato oder granato entstand) bezeichneten, muß die Bekanntschaft derselben durch die Punier, d. h. Karthager, vermittelt worden sein, doch werden sie den Baum selbst wohl zweifellos durch die Griechen Kampaniens erhalten haben. Noch Plinius sagt: „Bei Karthago wachsen die besten Granatäpfel; es gibt davon verschiedene Sorten. Ihr Genuß bekommt nicht sonderlich gut. Die einzelnen Teile des Baumes gebraucht man als[S. 96] Heilmittel.“ Und der ums Jahr 120 n. Chr. verstorbene witzige Epigrammdichter Martialis schrieb einem Freunde bei Zusendung eines Körbchens mit diesen Früchten: „Du erhältst keine kernlosen afrikanischen Granaten, sondern inländische Früchte aus meinem Garten.“ Trotzdem das Klima von Mittelitalien den Anbau des die Wärme liebenden Granatbaumes nicht gerade günstig war, wurde er hier gepflanzt; doch wurden die viel süßeren nordafrikanischen Sorten, die einst von den Phönikiern aus Syrien eingeführt worden waren, den ziemlich saueren einheimischen Sorten bei weitem vorgezogen. So besitzen wir noch ein Zeugnis aus der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts, worin Flavianus Myrmecius in einem kleinen Gedichte seinen Freund Rufus Festus Avienus bittet, er möchte ihm, wenn sein Schiff aus Afrika komme, einige dort gewachsene süße Granatäpfel senden. Sein eigener Garten trüge zwar auch solche, aber sie seien sauer und herb und nicht den nektargleichen Früchten zu vergleichen, wie sie die warme Sonne Afrikas hervorbringe.
Wie bei den Griechen, die ihnen den Granatbaum übermittelten, erhielt er auch bei den Römern eine gewisse sakrale Bedeutung. So trug nach altem römischen Opferritual die das Abbild der römischen Matrone aus der Urzeit darstellende Gattin des Oberpriesters auf dem Haupte einen Granatbaumzweig, dessen Enden mit einem weißen Wollfaden verknüpft waren, wie das Haupt ihres Mannes mit einem Ölzweig geschmückt war.
Die aus der karthagischen Zeit übernommenen Granatbaumanpflanzungen kultivierten die Römer in ihrer Provinz Afrika weiter und zogen eine sehr süße, blutrote, scheinbar kernlose, d. h. sehr weichkernige Sorte, die den Vandalen, die im Jahre 429 von Spanien aus unter Geiserich nach Nordafrika einfielen und 439 hier ein ausgedehntes Reich gründeten, besonders gemundet zu haben scheint. Auch die Araber ließen sich seine Kultur angelegen sein und brachten ihn, als sie nach dem Siege von Xeres de la Frontera 711 Südspanien besetzten, dahin. Hier wurde diese Frucht in der Folge viel gezogen und die im 10. Jahrhundert von den Mauren gegründete Stadt Granada erhielt von der Granate, deren Abbild dann auch ins Stadtwappen überging, ihren Namen. Sonst ist die arabische Bezeichnung der Frucht roma.
In den altbyzantinischen Geweben, die dann das Abendland nachahmte, spielt das Granatapfelmuster eine große Rolle. Gern pflanzte man dort wie im ganzen Abendlande den Strauch mit den hübschen[S. 97] Blüten in Kübel und stellte ihn zur Einfassung von Treppen und zur Verzierung von Altanen auf. Von dem spätgriechischen Namen der Blüte, balaústion — wohl auch einem orientalischen Fremdwort — hat sich das italienische balaustro und davon balaustrata gebildet, woraus unser Balustrade entstand. Vom säuerlichen, rotgefärbten Fruchtsafte stellt man die Grenadine her, jenen Sirup, der mit Wasser verdünnt auf sehr angenehme Weise den Durst löscht. Heute haben aber die Zitrone und die Orange dem Granatapfel den Platz geraubt, den er bei den Alten einnahm. Doch noch jetzt verknüpft das Volk in Griechenland, wo man die Pflanze häufig verwildert antrifft, mit der Frucht die Vorstellung reichen Segens und der unzählbaren Menge, und die feuerrote Blüte ist als Geschenk ein Zeichen feuriger Liebe. Im Mittelalter aber diente allgemein wie in Südeuropa, so auch bei uns eine Abkochung der Frucht als Fiebermittel, bis die Chinarinde im 16. Jahrhundert aufkam und dieses ältere Mittel verdrängte.
Auch die Mispel (Mespilus germanica) stammt aus dem Orient, und zwar ist sie in Nordpersien zu Hause. Dieser Baum, dessen wenig schmackhafte Früchte nur im überreifen, teigigen Zustande genießbar sind und sich im allgemeinen in unserer verwöhnten Zeit keines besonderen Ansehens erfreuen, kam frühzeitig nach Griechenland, wo er schon von dem ums Jahr 700 v. Chr. auf der Insel Paros lebenden Dichter Archilochos und später von Theophrastos aus Lesbos (390 bis 286 v. Chr.) unter dem Namen méspilon erwähnt wird. In Italien war er nach Plinius noch zur Zeit Catos, der im Jahre 149 v. Chr. starb, unbekannt, gelangte aber nach dem makedonischen Kriege aus Makedonien unter seinem griechischen Namen dahin. Plinius spricht mehrfach vom mespilus, und Palladius im 4. Jahrhundert nach Chr. sagt: „Die Mispeln gedeihen an warmen Orten gut, aber auch an kalten. Man zieht sie aus Stecklingen, welche im März oder November in gut bearbeiteten und gedüngten Boden eingesetzt werden. Der Baum wächst sehr langsam. Man pfropft die Mispel im Februar auf Mispel- oder Birn- oder Apfelstämmchen; dabei nimmt man das Reis von der Mitte des Stammes, denn von der Spitze genommen taugt es nichts. Immer muß in den Spalt gepfropft werden, denn beim Propfen in die Rinde gedeiht es nicht. Die Früchte nimmt man vom Baume, ehe sie eßbar sind, denn sie bleiben auch am Baume sehr lange hart. Man verwahrt sie in ausgepichten Töpfen oder hängt sie einzeln auf, oder legt sie in eingedickten Most; auch legt man sie so in Spreu, daß sie sich nicht berühren.“
Daß die Römer den Mispelbaum im südlichen Gallien bereits vorfanden, beweist, daß er vermutlich von der griechischen Kolonie Massalia aus in das Gebiet der Rhone gebracht wurde. Durch die Römer wurde er auch in ihren nordischen Militärstationen angesiedelt. Im Mittelalter wurde er in Frankreich und Deutschland so häufig angepflanzt, daß er heute vielerorts verwildert auftritt, so daß noch Carl von Linné, der ihm den Beinamen des „Deutschen“ gab, glaubte, er sei in Deutschland von jeher heimisch gewesen. Auch er gehört als mespilarius zu den Bäumen, die im Capitulare de villis und in zwei Garteninventaren aus der Zeit Karls des Großen aus dem Anfange des 9. Jahrhunderts vorgeschrieben werden.
Viel besser als die „deutsche Mispel“ schmeckt die seit kaum hundert Jahren in die Mittelmeerländer eingeführte japanische Mispel (Eriobotrya japonica), deren gelbe, angenehm säuerliche Früchte von den Franzosen kurz nèfles, d. h. Mispeln, genannt werden. Wer an der Riviera oder in Algerien gereist ist, dem sind die im ersten Frühjahre als erstes Obst reifenden Früchte, wie auch der dichtbelaubte Baum mit seinen großen, oben glänzenden und unten dicht wollfilzigen, lederartigen Blättern sehr wohl bekannt. Obschon wenig haltbar, gelangen die Früchte, seit wir durch gute Zugsverbindungen nach der Durchtunnelung der Alpen dem Süden gleichsam näher sind, immer häufiger zu uns und werden jetzt regelmäßig in den Früchtehandlungen zum Kaufe angeboten. Diesen Bürger Ostasiens brachte Sir Joseph Banks im Jahre 1778 aus Japan zuerst nach England, von wo er bald in die ihm mehr zusagenden, weil wärmeren Länder am Mittelmeer gelangte. Doch gedeiht er noch ganz gut an dem vor rauhen Winden geschützten Nordufer des Genfersees. Auch in Chile wurde er zu Beginn des vorigen Jahrhunderts eingeführt. Er hat sich dort so gut eingebürgert, daß seine Früchte in jenem Lande wie in den Mittelmeerländern zum gemeinsten Obste gehören.
Noch unschmackhafter als die faden Mispeln sind die gleichfalls erst, wenn sie durch längeres Hängen am Baume teigig geworden sind, genießbaren, mehligen Früchte des Spierlings (Sorbus domestica), der Kulturform der Eberesche (Sorbus aucuparia), die aber gleichwohl schon im Altertum gerne gegessen wurden. Die sie liefernden Bäume wurden schon von den alten Griechen und Römern kultiviert. Der griechische Pflanzenkenner Theophrast im 4. Jahrhundert v. Chr. beschreibt ausführlich den von ihm oía genannten Spierlingsbaum und sagt: „Manche Spierlingsbäume tragen runde, andere längliche Früchte,[S. 99] die sich auch durch den Geschmack unterscheiden; im ganzen sind die runden wohlriechender und süßer. Sie sind leicht dem Wurmstich ausgesetzt, wie auch die Bäume selbst, die am besten an kalten, feuchten Stellen gedeihen.“ Palladius im 4. Jahrhundert sagt. „Die Spierlingsbäume (sorbus) werden im April gepfropft, und zwar auf andere Spierlingsbäume, auf Quitten und auf Weißdorn. Man hebt die Früchte in irdenen, gut geschlossenen Gefäßen auf, die man an einem trockenen, sonnigen Orte in die Erde gräbt; auch zerschneidet man sie in Stücke und dörrt diese an der Sonne. Diese Schnitzchen kocht man dann, wenn sie gegessen werden sollen. Man hängt ferner die Früchte einzeln an einem schattigen, trockenen Orte auf, soll auch Wein und Essig aus ihnen gemacht werden.“ Nördlich der Alpen werden die Spierlingsbäume zuerst im Capitulare de villis Karls des Großen von 812 und im Entwurf des St. Galler Klostergartens vom Jahre 820 erwähnt. Seine im Hochsommer in großen Trauben reifenden scharlachroten bis gelben Beeren, die besonders von den Drosseln begierig gefressen werden, dienen, wie auch diejenigen des Elsenbeerbaumes (Sorbus torminalis), vielfach zur Herstellung eines würzig schmeckenden, starken Schnapses, der besonders gegen Durchfall getrunken wird. Der Baum, der sie liefert, ist ursprünglich in Südeuropa zu Hause und verdankt seine Überführung nach dem Norden ebenfalls den Römern. Im Mittelalter wurde er wie die Mispel häufig kultiviert. In Süddeutschland und Frankreich wird er noch jetzt vielfach als Obstbaum gezogen, doch hat hier seine Kultur nie größere Bedeutung erlangt, so wenig als diejenige des Weißdorns (Crataegus oxyacantha), dessen als Rotdorn bezeichnete rotblühende Form als prächtiger Baum überall gezüchtet wird. Seine roten, wenig fleischigen, als Mehlbeeren bezeichneten Früchte werden von den anspruchslosen Kindern gern gegessen. Bloß einige neuerdings bei uns eingeführte amerikanische Arten, wie Crataegus coccinea haben saftigere, auch von den Erwachsenen gern genossene Früchte von der Größe einer Kirsche, die auch wegen ihrer prächtigen, lebhaft roten Farbe ein Schmuck des Baumes sind. Immerhin ist dieser bei uns einheimische Strauch, der häufig in Wäldern der Gebirgsgegenden wild vorkommt, insofern für die Obstbaumzucht von Bedeutung, als er als Unterlage zum Aufpfropfen edler Birnensorten dient. Aber auch die leuchtend roten Scheinfrüchte der einheimischen wilden und verwilderten Rosen, die Hagebutten, bieten in ihrem fleischig gewordenen Blütenboden nach Entfernung der ihn innen bedeckenden kleinen, weichen Haare und der eingeschlossenen[S. 100] einsamigen, nußähnlichen Früchtchen mit Zucker gekocht ein durch seinen Wohlgeschmack ausgezeichnetes Fruchtmus, das, als „Buttenmost“ bezeichnet, geradezu einen Leckerbissen bildet, dessen einfache Abkunft man ihm gar nicht anmerken würde. Aber auch roh bilden sie, wenn ein Frost über sie gegangen ist und sie infolgedessen einen süßen Geschmack erlangt haben, eine noch heute von den Kindern gern gegessene Speise. Schon die Pfahlbauern müssen sie gesammelt und gegessen haben; denn man fand die Samenkerne der Hundsrose in größerer Menge in den spätneolithischen Pfahlbauten von Robenhausen und Moosseedorf.
Zur Pfahlbauzeit war man ja in bezug auf die pflanzliche Nahrung sehr wenig wählerisch, so hat man außer den Hagebutten auch die schwarzen Holunder- und Attichbeeren (von Sambucus nigra und S. ebulus), dann die Wasser- und Buchnüsse, die Mehl- und anderen Beeren wie Erdbeeren, Himbeeren, Brombeeren, Heidel- und Preißelbeeren, die Haselnüsse, Holzäpfel und Holzbirnen, Schlehen und Wildkirschen gesammelt und gegessen. Reste von der Kornelkirsche (Cornus mas) sind nicht unter jenem Wegwurfe gefunden worden, so daß der Strauch, der sich im Frühjahr über und über mit gelben Blüten bedeckt und später schön kirschrote, glänzende Steinfrüchte von pflaumenähnlicher Gestalt, nur bedeutend kleiner und von säuerlichem Geschmack, reifen läßt, damals noch nicht nördlich der Alpen vorkam. In den Pfahlbautenresten von Castione bei Parma in Oberitalien sind seine Fruchtsteine dagegen zahlreich gefunden worden. Im ganzen Altertum wurden seine Früchte gegessen. In der Ilias und Odyssee werden sie als kranía erwähnt, auch Theophrast spricht von ihnen. Da man im Altertume aus den geraden Stämmchen Lanzenschäfte machte, nennt der römische Dichter Vergil die Kornelle (cornus) gut zum Krieg. Plinius unterscheidet männliche und weibliche Sträucher und findet nur das Holz der ersteren zu Lanzenschäften geeignet, da es zu den härtesten Holzarten gehöre; das des weiblichen aber sei schwammig. Was für eine Pflanze er unter der letzteren Bezeichnung meint, läßt sich allerdings nicht sagen. Er sagt: „Die Kornelkirschen werden zur Speise gezogen und der griechische Arzt Dioskurides empfiehlt sie zum Einmachen.“ Wie solche Konserven bei den alten Römern hergestellt wurden, teilt uns sein Zeitgenosse Columella mit. Er sagt in seinem Buche über den Landbau: „Die Kornelkirschen, welche wie Oliven gegessen werden, die Nagelpflaumen (eine gewisse Sorte der Kulturpflaume), Haferpflaumen (auch Krieche von Prunus insititia, stammt[S. 101] wahrscheinlich aus dem Orient, ist dornig und einem Schlehenbaume ähnlich, trägt ebensolche, nur doppelt so große Früchte je nach den Kultursorten von dunkelblauer, rötlicher, gelber oder grüner Farbe und säuerlichem Fruchtfleisch, weshalb sie schon im Altertum in Südeuropa häufig angepflanzt wurde) und die verschiedenen Sorten von Birnen und Pflaumen werden in folgender Weise eingemacht. Man sammelt sie, wenn sie weder überreif, noch allzu unreif sind. Sie werden einen Tag lang im Schatten getrocknet und dann mit einer Mischung von gleichviel Essig und eingedicktem Most übergossen. Es ist auch etwas Salz beizufügen, damit keine Würmchen oder andere Tierchen in der Masse entstehen. Noch besser ist es übrigens ⅔ eingedickten Most und nur ⅓ Essig zu nehmen. Die Birnen sammelt man, wenn sie der Reife nahe sind, untersucht sie genau, ob sie keine Fehler oder Würmer haben, legt sie in einen irdenen, ausgepichten Topf, gießt aus halb eingetrockneten Trauben bereiteten Wein oder eingedickten Most darüber, so daß der Topf voll und jede Birne mit der Flüssigkeit bedeckt ist, verschließt den Topf mit einem Deckel und verstreicht den Ritz mit Gips. Übrigens können die Birnen wie die Äpfel auch in Honig aufbewahrt werden. Ich rate wenigstens so viele in Honig zu legen, daß sie für Fälle vorrätig sind, in denen sie Kranken nützlich sein können. Mit anders eingemachten darf man sie jedoch nicht mischen, sonst verdirbt eines das andere. Sonst werden Äpfel und Birnen von recht süßem Geschmack, die aber noch nicht ganz reif sein dürfen, mit einem aus Rohr oder Knochen verfertigten Messer zerschnitten und an die Sonne gelegt, bis sie eintrocknen. Hat man recht viel solcher gedörrter Äpfel- und Birnenschnitzchen in Vorrat, so sind sie nebst getrockneten Feigen ein sehr wichtiger Teil der ländlichen Nahrung für den Winter.“ In Rußland werden die Kornelkirschen viel gegessen und auch mit Zucker eingemacht. Auch bei den Türken bilden sie eine beliebte Speise und werden unter dem griechischen Namen krania überall auf den Straßen von Konstantinopel, Smyrna usw. von Händlern ausgeboten. Mit Wasser verdünnt bildet ihr Saft ein angenehmes, Scherbet (vom arabischen scharab für Trank) genanntes Getränk. Ebenso werden die süßen pflaumengroßen Früchte von Prunus ursina, eines bedornten baumartigen Strauchs Vorderasiens, der besonders am Antilibanon in Menge wild wächst, wie auch diejenigen des kleinen, ganz der Erde angepreßten Gebirgsstrauchs Prunus prostrata, sehr gerne gesammelt und gegessen.
Eine weit größere Rolle als diese doch recht bescheidenen, kaum[S. 102] kultivierten Früchte spielen die zu den Rosenblütlern gehörenden Kirschen und Pflaumen. Diese sind in den edlen Kultursorten erst in geschichtlicher Zeit nach Südeuropa und von da über die Alpen nach Norden gelangt. Die vorgeschichtlichen Europäer kannten als Steinobst einzig die herben, wenig schmackhaften Früchte der Vogelkirsche (Prunus avium), der Traubenkirsche (Prunus padus) und Schlehe (Prunus spinosa). Reste von ihnen sind in den neolithischen Pfahlbauten der Schweiz, Italiens und Österreichs und in den verschiedensten bronzezeitlichen Stationen Mitteleuropas gefunden worden. Auch die primitiveren Völker des Altertums sammelten sie noch, um sich ihrer als Speise zu bedienen. Bei manchen Volksstämmen erfreute sich die Traubenkirsche besonderer Beliebtheit. So berichtet uns der griechische Geschichtsschreiber Herodot (484 v. Chr. in Halikarnassos geboren und um 424 zu Thurii in Unteritalien gestorben) von den Argippäern, „plattnasigen Leuten mit langem Kinn, die nördlich von den Skythen am Fuße hoher Berge wohnen und eine eigene Sprache reden“, — man hat in ihnen wohl mit Recht die Vorfahren der heutigen Baschkiren am Südende des Uralgebirges vermutet — daß sie von den Früchten eines póntikon genannten feigenbaumgroßen Baumes leben, der saubohnengroße, kernhaltige Früchte besitzt. „Die Argippäer schlagen die reifen Früchte in Tücher, pressen eine dicke, schwarze Flüssigkeit heraus, welche aschy heißt. Diese genießen sie ohne Beimischung oder mit Milch. Aus den Trebern machen sie Kuchen, welche ihre Speise sind.“ Dieses von Herodot beschriebene Verfahren traf der deutsche Forscher Adolf Ermann, wie er in seiner Reisebeschreibung durch Sibirien berichtet, noch bei den heutigen Baschkiren, in deren Sprache sich merkwürdigerweise noch derselbe Name für den Traubenkirschsaft wie vor mehr als 2000 Jahren, nämlich atschui, findet. Daraus dürfen wir mit Recht schließen, daß Herodot unter dem póntikon den Traubenkirschbaum verstand.
Auch die Früchte der in ganz Mittel- und Südeuropa wildwachsend angetroffenen Schlehe (Prunus spinosa) wurden trotz ihres herben Geschmacks, der erst nachdem Frost auf sie eingewirkt hat etwas angenehmer säuerlich wird, von den unverwöhnten Gaumen der Menschen der Stein- und frühen Metallzeit gegessen und teilweise ein Mus daraus gemacht, wie uns der ältere Cato aus der ersten Hälfte des 2. vorchristlichen Jahrhunderts von den Römern berichtet. Noch die später heilig gesprochene Äbtissin Hildegard, Vorsteherin des Klosters Rupertsberg bei Bingen (1098–1197), führt die Schlehe unter den[S. 103] Obstbäumen ihrer Zeit an. Bis in die Neuzeit hinein war Schlehenmus eine auf dem Lande beliebte Zukost zu Brot, auch wurde daraus eine Art Schnaps gebrannt. In der Moldau-Wallachei werden die Schlehen roh gegessen und auch getrocknet für den Winter aufbewahrt. Mit Traubenmost zusammengestampft geben sie den roten, mandelartig schmeckenden Schlehenwein.
Die heutige Kulturform der Süßkirsche (Prunus avium) ist zweifellos im nördlichen Kleinasien von einer dortigen Art Vogelkirsche gezüchtet worden. Der römische Naturkundige Plinius der Ältere berichtet um die Mitte des 1. christlichen Jahrhunderts, daß die Kirsche ihren Namen kérasos von der gleichnamigen Stadt an der Südküste des Schwarzen Meeres zwischen Sinope und Trapezunt erhielt, die im Jahre 68 v. Chr. durch den römischen Feldherrn Lucius Licinius Lucullus zerstört wurde. Dieser durch seinen Tafelluxus und seine Schlemmerei sprichwörtlich gewordene vornehme Römer habe von dorther im Jahre 64 v. Chr. den Kirschbaum bei seinem Triumph in Rom aufgeführt und so nach Italien verpflanzt. Die Stelle in seiner Naturgeschichte lautet wörtlich folgendermaßen: „Ehe Lucius Lucullus den Mithridates besiegt hatte, wuchsen in Italien keine Kirschbäume (cerasus). Im Jahre 680 nach Roms Erbauung brachte er den ersten aus dem Pontusgebiet nach Italien, und er hat sich in weniger als 120 Jahren bis Britannien verbreitet.“ Merkwürdigerweise erwähnt aber der griechische Geschichtschreiber Plutarchos (50–120 n. Chr.) diese Tatsache in seinem „Leben des Lucullus“ mit keinem Wort. Jedenfalls hat es schon lange vor Lucullus kleine Süßkirschen in Italien gegeben, nur hat dieser Römer eine besonders edle Sorte aus dem von ihm verwalteten Kleinasien mitgebracht, wie auch Servius in einer Erläuterung zu Vergils Georgica zur Tat des Lucullus hinzufügt: „Übrigens wuchsen in Italien schon vor der Zeit des Lucullus Kirschen, aber harte.“ Jedenfalls müssen, wie schon aus der griechischen Benennung dieser Frucht hervorgeht, zu des Lucullus Zeit um die sinopische Kolonie Kerasos Edelkirschen von besonderer Güte kultiviert worden sein, denn zweifellos erhielt jene kleinasiatische Stadt ihren Namen von den in großer Zahl um sie herum angepflanzten Edelkirschbäumen und nicht umgekehrt die Kirsche ihren Namen von jener Stadt, wie die alten Autoren sagen. Übrigens sollen nach Koch die Bewohner der pontischen Gebirge noch heute die Süßkirsche mit dem Namen kirash bezeichnen. Derselbe Autor weist auch auf eine Mitteilung des griechischen Arztes Dioskurides aus der Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr.[S. 104] hin, wonach der pontische „Kerasia“-Baum Gummi ausschwitze, eine Erscheinung, die ausschließlich der Süßkirsche und niemals der Sauerkirsche zukommt. Dieser Kirschgummi soll nach den Angaben dieses griechischen Arztes „ein gutes Mittel gegen den Husten und überhaupt gesund sein“.
Auf kleinasiatischem Boden, am Idagebirge und bei Milet, scheint man veredelte Süßkirschen schon zur Zeit des Königs Lysimachos gekannt zu haben, der 361–281 v. Chr. lebte, nach dem Tode Alexanders des Großen als einer von dessen Feldherrn Thrakien zu einer selbständigen Satrapie erhob und sich 306 mit den übrigen Diadochen den Königstitel beilegte. Ja, schon Theophrastos und sein Zeitgenosse Diphilos von Siphnos aus dem Ende des 4. vorchristlichen Jahrhunderts beschreiben den Kirschbaum als einen in Griechenland bekannten und angebauten Fruchtbaum. Ersterer sagt, man erkenne den Baum schon von weitem, er sei im ganzen nicht sehr reich an Ästen, habe weiße, der Birnenblüte ähnliche Blüten und rote Früchte so groß wie Saubohnen. Er wachse mit Linden zusammen vorzüglich an Gewässern und schwitze einen Gummi aus. Daß Theophrast ihn so ausführlich beschreibt, beweist, daß er für die meisten seiner Landsleute noch etwas Neues war.
Bei dem regen Verkehr der Griechen untereinander konnte es nicht ausbleiben, daß der edle Süßkirschbaum früh in die griechischen Kolonien nach Sizilien und Unteritalien gelangte. Doch wurde er von hier erst verhältnismäßig spät an die Römer abgegeben. So nennt noch der ältere Cato, der im Jahre 149 v. Chr. gestorbene unversöhnliche Gegner Karthagos, in seinen Schriften über den Landbau die Kirsche als Kulturgewächs überhaupt nicht, und der im Jahre 27 v. Chr. gestorbene Varro, einer der gelehrtesten Männer Roms, gedenkt ihrer nur ein einziges Mal, indem er sagt, daß der Kirschbaum (cerasus) zur Zeit des kürzesten Tages gepfropft werde. Servius bezeugt, daß in Italien schon vor der im Jahre 64 v. Chr. erfolgten Heimkehr des Lucullus aus Kleinasien, wo er als Statthalter amtete, Kirschbäume gewachsen seien, aber nur solche mit kleinen, harten Früchten. Demnach scheint also der Feinschmecker Lucullus nur eine besonders großfrüchtige und wohlschmeckende Kulturform der Süßkirsche in Mittelitalien angesiedelt zu haben. Von hier aus verbreitete sich der Obstbaum durch die Vermittlung der Römer nach Norden, so daß er also nach Plinius schon 120 Jahre nach jener Kulturtat des reichen Lucullus bis nach Britannien vorgedrungen war. Derselbe Plinius sagt fernerhin: „Es[S. 105] werden verschiedene Sorten Kirschen gezogen, gute auch in Belgien und am Rhein. Kürzlich ist durch Pfropfen auf Lorbeer eine Sorte geschaffen worden, die laurea heißt, herb, aber nicht unangenehm schmeckt. Der Kirschbaum liebt einen kühlen Standort, seine Früchte reifen früh, man trocknet sie auch an der Sonne oder bewahrt sie wie Oliven in Fässern auf. In Ägypten ist es ihm zu warm, so daß dort der Kirschbaum selbst bei der größten Sorgfalt nicht gedeiht.“ Und der römische Ackerbauschriftsteller Palladius im 4. Jahrhundert n. Chr. schreibt: „Der Kirschbaum liebt einen kalten Standort, an einem warmen bleibt er klein, einen heißen erträgt er gar nicht. Er liebt Berge und Hügel. Junge wilde Kirschstämmchen versetzt man im Oktober oder November in den Garten und veredelt sie anfangs Januar. Man sät auch die Früchte und aus diesen kommen die Bäumchen äußerst schnell. Ich habe auch selbst erlebt, daß Kirschzweige, die ich als Stützen in Weingärten gesteckt hatte, schnell zu Bäumen heranwuchsen. Ich habe es am besten befunden, zwischen Rinde und Holz zu pfropfen. Man pfropft Kirschreiser auf Kirschbäume, Pflaumenbäume, Platanen; andere sagen auch, man könne sie auf Pappeln pfropfen. Der Kirschbaum steht gern einzeln, liebt das Behacken, verdirbt aber durch Mist. Martialis sagt, wenn man Kirschen (cerasum) ohne Kern habe wolle, so müsse man den Baum auf 2 Fuß zurückschneiden, dann bis zur Wurzel spalten, das Mark ganz herauskratzen, beide Teile zusammenbinden und die Wunde mit Mist verstreichen. Nach Jahresfrist ist die Wunde fest verwachsen. Nun wird der Stamm mit Reisern, die noch keine Frucht getragen, gepfropft, und diese tragen dann, wie Martialis versichert, kernlose Früchte. (Dies ist natürlich Unsinn!) Kirschen werden nur aufbewahrt, wenn sie an der Sonne getrocknet sind.“ Der römische Arzt Celsus meint: „Die Kirsche ist dem Magen gesund,“ und sein griechischer Kollege Dioskurides sagt: „Der Genuß frischer Kirschen (kerásion) hat andere Wirkung als der getrockneter.“
Als aus dem Pontusgebiet, einer Gebirgsgegend mit kalten Wintern stammend, fühlte sich dieser Fruchtbaum nördlich der Alpen offenbar besonders wohl und zeitigte hier besonders wohlschmeckende Früchte, die zudem den großen Vorzug besaßen, zu einer Zeit zu reifen, da die übrigen Obstarten noch im Rückstande waren. In dem gleichmäßig milden Italien hatte er eben diese für ihn günstigsten Verhältnisse nicht gefunden.
Jedenfalls haben sich unter den verschiedenen Kirschenarten, die von den römischen Schriftstellern der Kaiserzeit erwähnt werden, auch[S. 106] saure Sorten befunden; denn auf zwei Wandgemälden in Pompeji sollen nach dem Urteil gewiegter Kenner auch Darstellungen von Sauerkirschen abgebildet sein. Weiterhin hat man, was noch viel mehr besagen will, in dem Schachtbrunnen des befestigten Lagers der Saalburg bei Homburg vor der Höhe unzweideutige Kerne der Sauerkirsche gefunden. Der sie liefernde Baum, die Sauerkirsche (Prunus cerasus), dürfte in Transkaukasien, wo er heute noch wildwachsend angetroffen wird und wo auch die Süßkirsche besonders üppig gedeiht, heimisch sein. Er scheint eine Abart der Vogelkirsche von geringerer Größe und im Gegensatz zu jener, die unterseits behaarte Blätter besitzt, mit völlig kahlen Blättern zu sein, die auch viel leichter als jene Wurzelschößlinge treibt. Diese Sauerkirsche kam etwas später als die Süßkirsche zu den Griechen und Römern. Deren Einführung muß durchaus unbemerkt vor sich gegangen sein; wenigstens erfahren wir nichts darüber von den Schriftstellern des Altertums, die sonst alles Neue gewissenhaft anzuführen pflegen. Süße und sauere Arten haben wir uns jedenfalls auch unter den verschiedenerlei Sorten von Kirschbäumen (ceresarii) zu denken, die im Capitulare de villis Karls des Großen angeführt werden. Im Laufe des Mittelalters hat sich die Kirschenzucht in Mitteleuropa intensiv entwickelt und spielt heute für viele Gegenden eine bedeutende Rolle, indem die Früchte, soweit sie nicht frisch gegessen werden, zur Bereitung einer trefflichen Konfitüre und eines starken Schnapses, des Kirschwassers, in England cherry brandy geheißen, benutzt werden.
Mit der Frucht übernahmen die alten Deutschen auch die Bezeichnung der Römer dafür; denn das deutsche Wort Kirsche ist so gut wie das französische cerise und das englische cherry vom lateinischen cerasus abzuleiten. Zuerst hieß die Frucht Kerasbeere, dann Kersbeere, Kerschbeere und schließlich einfach Kersche oder Kirsche. Noch vielfach wird in Norddeutschland das aus dem Kersbeere entstandene Kesber oder Kesper dafür gebraucht. Die Bezeichnung Wissel dagegen, aus dem unser Weichsel wurde, scheint der alte vorrömische Name der Deutschen für die einheimische Vogelkirsche zu sein, der dann speziell auf die Sauerkirsche übertragen wurde. Die Felsenkirsche oder der echte Weichsel (Prunus mahaleb) mit kleinen, blauschwarzen, bitterlichen Früchten stammt aus Südosteuropa und dem Orient. Mahaleb ist die ursprüngliche arabische Bezeichnung des Gewächses, das erst im 16. Jahrhundert nach Westeuropa kam und namentlich in Frankreich rasch Verbreitung fand. Wegen des wahr[S. 107]scheinlich durch einen Gehalt an Kumarin hervorgebrachten Wohlgeruchs seines Holzes und namentlich seiner Rinde wird es zur Parfümierung von allerlei Spezereien gebraucht, besonders aber zur Herstellung von wohlriechenden Pfeifenrohren verwendet, indem namentlich im Elsaß und um Baden bei Wien die Kultur des Weichsels, dessen Stockausschläge benützt werden, im großen Maßstabe getrieben wird.
Dem deutschen Schlehe, althochdeutsch slêha, entspricht das slawische sliva in der Bedeutung von Pflaume, wie dem französischen crèque das deutsche Krieche und das niederdeutsche Kreke nachgebildet sind. Weit edler als die Schlehe ist die Pflaume, die bereits von den Griechen der älteren Zeit als Obst gekannt und geschätzt war unter der Bezeichnung kokkýmēlon (deren erste Hälfte wahrscheinlich ein orientalisches Wort ist und kaum Kuckuck bedeutet). In einer der Idyllen des aus Syrakus gebürtigen griechischen Dichters Theokrit, die ums Jahr 280 v. Chr. verfaßt wurde, wird die Ankunft der Geliebten so süß genannt wie der Frühling im Gegensatz zum Winter und die Pflaume im Gegensatz zur Schlehe (brábylon). Der Begründer der Botanik Theophrast im 4. vorchristlichen Jahrhundert spricht vom Pflaumenbaum und vom Gummi, der aus ihm quillt und vielfach ärztliche Verwendung fand. Neben der Bezeichnung kokkýmēlon kennt er auch den Namen prúmnon, unter welchem die Pflaume von den Griechen zu den Römern gelangte, welche daraus prunum machten. Der berühmte, 131 n. Chr. in Pergamon geborene und um 200 in Rom verstorbene griechische Arzt Claudius Galenos berichtet, daß die Frucht des Pflaumenbaums (kokkymḗlea) in Asien prúmnon heiße. Der Pflaumenbaum (Prunus insititia) wächst in Südeuropa und durch Kleinasien bis zum Kaspischen Meere wild und wurde, wie die Kulturschichten der neolithischen und bronzezeitlichen Pfahlbauniederlassungen der Schweiz, Oberitaliens und Österreichs beweisen, schon in früher vorgeschichtlicher Zeit durch die regen Handelsbeziehungen mit dem Süden in Mitteleuropa eingeführt, wo der Baum dann später, der menschlichen Aufsicht entwachsen, verwilderte. Die großfrüchtige Kulturpflaume aber ist gleich der Kirsche in den Ländern südlich vom Schwarzen Meer, in Armenien und Transkaukasien, aus der dort heimischen Wildpflaume gezüchtet worden, während die größere Zwetsche (Prunus domestica) im Kaukasus und nördlichen Persien heimisch ist. Die Kultur dieser Steinobstarten kam etwa im 5. vorchristlichen Jahrhundert und diejenige der Pflaume etwas später nach Syrien, wo sie besonders um die Stadt Damaskus in später als besonders wohl[S. 108]schmeckend gerühmten Arten kultiviert wurde. Das Wort Zwetsche soll nach Schmeller aus dem griechischen damáskenon entstellt sein, eine Deutung, die jedenfalls falsch ist. Zu Beginn des 3. vorchristlichen Jahrhunderts, d. h. nach Eröffnung des Orients durch Alexander den Großen, kamen diese Steinobstarten nach Griechenland und über die süditalischen griechischen Pflanzstädte etwa zu Anfang des 2. vorchristlichen Jahrhunderts unter dem griechischen Namen prúmnon zu den Römern. Der ältere Cato (234–149 v. Chr.) nennt in seiner Schrift über den Landbau den Pflaumenbaum nur einmal als einen in seiner römischen Heimat wenig bekannten Obstbaum. Plinius dagegen behauptet, daß alle Pflaumenarten erst nach Cato in Mittelitalien eingebürgert worden seien. Jedenfalls wurden sie erst im augusteischen Zeitalter in den Gärten der Römer häufiger gepflanzt, nachdem besonders die Krieche, d. h. die runde, schwarzbraune Pflaume und die gelbe Mirabelle durch die Kriegszüge des Pompejus in Westasien den Römern bekannt geworden waren. Sie schätzten diese Früchte so, daß sie nach Plinius schon in der zweiten Hälfte des 1. christlichen Jahrhunderts in den Gärten der vornehmen Römer in großer Menge und zahlreichen Spielarten gezogen wurden. Dieser Autor sagt in seiner Naturgeschichte: „Es gibt eine ungeheure Schar von Pflaumen, bunte, schwarze, weiße und solche, die man Gerstenpflaumen nennt, weil sie mit der Gerste reifen. Eine andere, ebenso gefärbte Sorte, welche später reift und größer wird, heißt Eselspflaume, weil sie sehr wohlfeil ist. Es gibt auch Pflaumen von Onyxfarbe, aber beliebter sind die wachsgelben und purpurroten, von den ausländischen die wegen ihres Wohlgeruchs geschätzte armenische (unter letzterer ist zweifellos die Aprikose verstanden).“ Die mit der Obstkultur vertrauten syrischen und kleinasiatischen Sklaven veredelten auch diese Frucht immer mehr und pfropften die edle Pflaume sogar auf den wilden Schlehdorn. So berichtet der Dichter Horaz (65–8 v. Chr.), daß bei seinem Landhause Pflaumen auf Dornen wüchsen, und Plinius meldet: „Merkwürdig sind die auf Walnußbäume gepfropften Pflaumen; sie sehen aus wie Nüsse, schmecken aber wie Pflaumen und heißen Nußpflaumen (nuciprunum). In Bätica (der nach dem Bätisflusse genannten, Südspanien umfassenden altrömischen Provinz) pfropft man Pflaumen auf Apfelbäume und auf Mandelbäume. Der Kern der letztgenannten ist wie ein Mandelkern. Als beste Art gilt die Damaszenerpflaume; dieses Erzeugnis Syriens, das seinen Namen von Damaskus hat, wächst auch seit langer Zeit in Italien, wo sie jedoch[S. 109] einen größeren Kern und weniger Fleisch hat, auch beim Trocknen keine Runzeln bekommt, weil ihr die heimische Sonne fehlt.“ Nach dem griechischen Arzt Claudios Galenos aus Pergamon (131–200 n. Chr.) ist die spanische Pflaume die beste nach der Damaszener, und Palladius im 4. Jahrhundert n. Chr. gibt an, daß die Pflaume im Januar am besten auf Pflaume gepfropft werde; man könne sie auch auf Pfirsich-, Mandel- und Apfelbäume pfropfen, aber die Früchte verlören dabei an Güte. „Die Pflaumen werden auf Hürden an der Sonne getrocknet, auch taucht man frisch gepflückte Pflaumen in siedendes Meer- oder Salzwasser und trocknet sie dann entweder in einem Backofen oder an der Sonne.“ Der erwähnte Galenos sagt: „Die Pflaumen (kokkýmēlon) werden fast alle bei der Reife süß, geben nicht viel Nahrung, können im Vorrat getrocknet werden.“ Dioskurides meint, daß die Pflaumen dem Magen nicht sehr gut bekommen, am besten noch die getrockneten Damaszener Pflaumen.
Gleich den übrigen Obstarten haben die Römer auch die Pflaumen und Zwetschen nördlich von den Alpen angesiedelt. Diese Einführung der dort vorher unbekannten Fruchtbäume nach dem Norden haben die Funde aus den Schachtbrunnen der Saalburg und aus einem spätrömischen Pfahlbau bei Fulda in Form von Steinkernen dieser Obstarten bestätigt. Wie aus dem griechischen prúmnon das prunum der Römer entstand, so ging aus dem Pluralis des Lateinischen pruna das althochdeutsche pfruma und aus diesem schließlich pflume, Pflaume hervor. Im Capitulare de villis Karls des Großen aus dem Jahre 812 werden prunarii diversi generis, d. h. Pflaumenbäume verschiedener Sorten erwähnt, worunter wohl nicht bloß Pflaumen-, sondern auch Zwetschenbäume in mehreren Spielarten zu verstehen sind.
Die großfrüchtige Zwetsche, die in Turkestan und im südlichen Altaigebirge ihre Heimat hat, kam erst mit den Turkvölkern nach dem Abendlande. Erst vor 400 Jahren wurde sie durch die massenhafte Einfuhr der getrockneten Früchte aus Ungarn und Mähren, wohin sie von der Türkei aus bald gelangte, bei uns bekannt. Auch die von der in Turkestan und Vorderasien heimischen und in Persien angebauten Kirschpflaume (Prunus cerasifera) stammende Mirabelle — die Myrobalane der älteren Botaniker — kam erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in Mitteleuropa in Aufnahme. In Europa wird die großfrüchtige Türkenzwetsche seit längerer Zeit besonders an der unteren Donau im großen gezogen. Dort begegnet man, besonders in Bosnien, ganzen Wäldern von Zwetschenbäumen,[S. 110] deren Früchte im Herbst 4–6 Wochen hindurch die Hauptnahrung der Bevölkerung bilden und in gedörrtem Zustande massenhaft nach Europa und anderwärts ausgeführt werden. Von dem überreichen Ertrag wird auch ein beliebter Branntwein, Sliwowitza genannt (von sliva, verwandt mit Schlehe, Zwetsche), hergestellt, der in Unmengen im Lande selbst konsumiert und auch exportiert wird.
Im Laufe des Mittelalters ist in dem durch seine Obstbaumzucht hervorragenden Frankreich außer anderen saftigen, süßen Spielarten auch die Reineclaude hervorgegangen, die einer nicht festgestellten französischen Königin zu Ehren diesen Namen erhielt, wie heute noch neue Varietäten von Obst oder Blumen gerne nach vornehmen Damen genannt werden. Von Europa sind dann die verschiedenen Pflaumen- und Zwetschenarten nach Nordamerika eingeführt worden, wo sie sich rasch einbürgerten. Gleich allen anderen Obstarten werden sie besonders in Kalifornien im großen gezüchtet und in eisgekühlten Eisenbahnwagen überallhin durch die Vereinigten Staaten versandt, wo sie willige Abnehmer finden.
Edle Früchte hat der Mensch ferner in der armenischen Pflaume oder der Aprikose (Prunus armeniaca) und der persischen Pflaume oder dem Pfirsich (Prunus persica) — früher nach Linné Amygdalus persica, d. h. persische Mandel genannt — gewonnen. Beide Fruchtbäume stammen aus dem Innern Asiens noch jenseits des Kirschen- und Pflaumenlandes, und zwar die Aprikose aus dem östlichen Turkestan, der Dsungarei, der südlichen Mandschurei und Nordchina und der Pfirsich (chinesisch tao) aus Mittelchina, wo in den Gebirgen der Provinzen Schen-si und Kan-su eine als Prunus davidiana bezeichnete sehr nahestehende Art mit kleinen Früchten, die vielleicht die Stammpflanze des Kulturpfirsichs ist, heute noch wildwachsend angetroffen wird. Das Volk, das beide Fruchtarten zuerst in seine Pflege nahm, sind die Chinesen. Aus den Berichten in den chinesischen Annalen wissen wir, daß ihr Anbau in verschiedenen Varietäten bis ins 3. vorchristliche Jahrtausend zurückreicht. Nur sehr langsam verbreitete sich ihre Kultur west- und südwärts. Weder im Sanskrit noch im Hebräischen existiert ein Name für diese Früchte. Den Ägyptern wurden beide erst in der griechisch-römischen Periode bekannt.
Wie die Forschungen des Sinologen Bretschneider die bis dahin in Kleinasien gesuchte Heimat von Aprikose und Pfirsich nach Ostasien verlegten, so haben sie uns auch einen Einblick in die Wanderung dieser beiden Steinobstarten nach Westen verschafft. Wir wissen jetzt[S. 111] aus chinesischen Annalen, daß im Jahre 128 v. Chr. der kühne chinesische General Tschang-kiën bis zu den Ländern am Oxus und Jaxartes vordrang. Seit diesem denkwürdigen Zuge entspann sich zwischen den Chinesen und dem Volke der Ansi, in denen man mit großer Wahrscheinlichkeit die Parther vermutet, ein lebhafter Handelsverkehr, der das ganze letzte Jahrhundert v. Chr. andauerte. Dieser muß das Verbreitungsgebiet der beiden Obstsorten westwärts ausgedehnt haben. Und die Ansi ihrerseits besorgten den Austausch der aus China kommenden Waren mit den angrenzenden Distrikten Vorderasiens, mit Persien und Mesopotamien. Aus Persien gelangte dann der Pfirsichbaum und aus Armenien der Aprikosenbaum nach der Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr., als die römische Kaisermacht sich nach dem Untergange des Königs Mithridates im Jahre 63 Armeniens und bald darauf auch Persiens bemächtigte, zuerst nach dem Lande der Sieger, Italien. Hier nahmen nun die vorhin erwähnten syrischen Sklaven der vornehmen Römer diese beiden neuen Fruchtbäume in Pflege, und bald wurden sie auch nach Griechenland und in die übrigen Provinzen des römischen Reiches gebracht.
Dieser ihrer Geschichte gemäß weiß kein römischer Schriftsteller weder der ausgehenden Republik, noch des augusteischen Zeitalters irgend etwas vom Pfirsich. Erst auf einem Wandgemälde der im Jahre 79 n. Chr. durch den bekannten Vulkanausbruch verschütteten Stadt Pompeji findet sich eine bildliche Darstellung dieser Frucht, und der bei jener Katastrophe als Befehlshaber der beim Kap Misenum stationierten römischen Flotte umgekommene ältere Plinius berichtet, daß zu seiner Zeit eine einzelne Frucht des Pfirsich (persica), der weder in Italien, noch in Kleinasien und Griechenland heimisch, sondern aus Persien nach Italien gebracht worden sei, mit 300 Sesterzien, das sind nach unserem Gelde etwa 45 Mark, bezahlt wurde, so selten und kostbar war sie damals noch. Man nannte sie nach dem Orte ihrer Herkunft persica mala, d. h. persische Äpfel, auch persica allein, die Aprikosen dagegen armeniaca mala, d. h. armenische Äpfel. Aus dem persica der Römer hat sich dann später das pesca der Italiener, das pêche der Franzosen und das Pfirsich der Deutschen gebildet. Die armeniaca dagegen wurden später von den Römern in Anlehnung an ihre Benennung im Griechischen prēkókkion, die wir bei Dioskurides und Galen finden, meist als praecoqua bezeichnet, eine Benennung, die uns Palladius im 4. Jahrhundert n. Chr. noch anführt, indem er berichtet, daß die sogenannten Aprikosen im Januar auf Pflaumen ge[S. 112]pfropft werden. Und zwar haben die Römer, wie uns Galen belehrt, eine bessere Aprikosensorte mit der Bezeichnung praecoquum versehen, während sie der geringeren die Benennung armeniacum beließen. Aus dem praecoquum der Römer haben dann die Araber, die bei ihrem Siegeszuge über Syrien und Nordafrika den Fruchtbaum kennen lernten, ihr albarkuk (wobei al der Artikel ist) gebildet, und diesen übernahmen dann die Italiener als sie in Sizilien und Unteritalien mit der sarazenischen Kultur in Berührung kamen und den Fruchtbaum von dorther kennen lernten. Wie die Italiener aus dem arabischen albarkuk ihr albercocco bildeten, formten die Spanier, die die Bezeichnung mit der Frucht den Mauren entlehnten, ihr albaricoque, woraus das französische abricot und aus diesem wiederum das deutsche Aprikose wurde.
Der griechische Arzt Galenos meint, der Pfirsich sei dem Magen nicht sehr zuträglich, verdaue sich aber besser, wenn man ihn vor als nach der Mahlzeit esse. Ein Jahrhundert vor ihm erklärten Dioskurides: „Der Pfirsich ist eine gesunde Speise, wenn er gehörig reif ist,“ und Plinius: „Der Pfirsich bekommt einem besser als die Pflaume und das meiste andere Obst. Bei der Pfirsichsorte, die man duracinum (aus dem Griechischen dōrakinón laut Geoponika) nennt, geht das Fleisch nicht vom Kern.“ Diese allein läßt sich nach Palladius „auf verschiedene Weise eine Zeit lang aufbewahren.“ Bei den gewöhnlichen Sorten war dies nicht möglich; denn Gargilius Martialis klagt: „Man hat auf mancherlei Weise versucht, Pfirsiche lange aufzubewahren, aber vergeblich.“ Nach Palladius im 4. Jahrhundert n. Chr. kann man Pfirsichbäume aus Kernen ziehen, die im November oder Januar mit der Spitze nach unten in tief gegrabene Beete, je zwei Fuß voneinander gelegt werden, oder auf Wildlinge pfropfen, und zwar auf Pfirsiche, Mandeln, Pflaumen und Aprikosen. „Am besten werden die Früchte an warmen Stellen, auf sandigem, feuchtem Boden. Wachsen die Bäume an kalten und windigen Stellen, so gehen sie ein, wenn sie nicht vor Kälte und Wind geschützt werden. Im Herbst wird die Erde um die Bäume aufgehackt und sie werden mit ihren eigenen Blättern gedüngt. Um große Früchte zu bekommen, begießt man den Baum zur Blütezeit 3 Tage lang mit Ziegenmilch.“
Wie rasch diese geschätzten Obstsorten durch die Römer nordwärts der Alpen gebracht wurden beweist die Tatsache, daß bereits zu Columellas Zeit gegen das Ende des 1. christlichen Jahrhunderts eine besondere gallische Pfirsichsorte bekannt war. In den ältesten Schacht[S. 113]brunnen der Römer auf der Saalburg sind, wie bereits erwähnt, sowohl Aprikosen- wie Pfirsichkerne gefunden worden. Auch im Pfahlwerk des Fuldatales aus spätrömischer Zeit kamen 25 Pfirsichsteine zum Vorschein; wie Vonderau berichtet, wurde ein Teil derselben einer Kulturschicht entnommen, die auch mehrere Bruchstücke der glänzend-roten terra sigillata enthielten. Pater de la Croix entdeckte beim Dorfe Sanxay in Poitou einen kleinen Pfirsichkern in einer Mauer, die aus dem 2.–4. Jahrhundert n. Chr. stammen soll. Ein anderer Fund wurde aus dem Pfahlwerk von Paladru im Departement Isère aus der Merowingerzeit gemacht. Unter den persicarii diversi generis, d. h. Pfirsichbäumen verschiedener Art, die wir im Verzeichnis der Obstbäume aus den Gärten Karls des Großen 812 erwähnt finden, werden sich jedenfalls auch Aprikosen befunden haben, welche im Mittelalter teils zu den Pfirsichen, teils zu den Pflaumen gerechnet wurden. Noch Albertus Magnus (geb. 1193 in Schwaben, gest. 1280 in Köln), einer der größten Gelehrten des Mittelalters, nennt den Pfirsich prunum persicum und die Aprikose prunum armeniacum, und die Botaniker des 16. Jahrhunderts sahen die Aprikose meist als eine Pfirsichsorte an.
Heute blüht die Kultur der Pfirsiche und Aprikosen außer um Paris, wo besonders diejenigen von Montreuil berühmt sind, besonders im südlichen Nordamerika, speziell in Kalifornien, das ganze Bahnzüge davon frisch oder getrocknet nach den östlichen Vereinigten Staaten versendet. Ebenso in Südamerika, speziell in Argentinien, wohin diese Obstbäume durch die Jesuiten gelangten, werden sie im großen gezogen. Jetzt finden wir in der Nähe der alten Niederlassungen der Spanier reiche Bestände völlig wildwachsender Bäume, die von den Argentiniern nicht bloß ihrer Früchte, sondern auch ihres Holzes wegen geschätzt werden. Oft findet sich der rasch wachsende Baum mitten in den sonst baumlosen Pampas des Holzes wegen kultiviert.
Auch in Chile spielen sie neben dem übrigen von Europa dorthin importierten Obst eine große Rolle. Prof. Otto Bürger schreibt darüber in seinem Buche: Acht Lehr- und Wanderjahre in Chile: „In der Vorkordillere bilden Pfirsiche, süße und saure Kirschen — cerezos und guindos — fruchtbeladene Haine. Nach der chilenischen Weihnacht beginnt die Zeit ihrer Reife. Da sind die Verkaufsstände voll Kirschen, duraznos und priscos (verschiedene Sorten Pfirsiche), ciruelas (Pflaumen) und Frühbirnen. Was umschließt allein das Wort durazno für eine Fülle von Früchten, die sich durch Größe, Form, Farbe, Glätte, Flaum, früheres oder späteres Reifen voneinander unterscheiden und dem[S. 114]entsprechend verschiedene Namen im Volke führen. Der Pfirsich oder durazno (offenkundig aus dem lateinischen duracinum abzuleiten) ist seit der Eroberung in Chile heimisch (1541 wurden die nördlichsten Provinzen durch die Spanier erobert, nachdem Diego de Almagro 1536 von Peru aus zuerst dorthin vorgedrungen war) und war schon um die Mitte des 18. Jahrhunderts der gemeinste Obstbaum. Eine grünlichgelbe Sorte mit roten Wangen, bei welcher der Kern freiliegt, wird prisco genannt. Die duraznos werden in Menge getrocknet und dann, wenn es — wie meistens — mit dem Kern geschieht, als huesillos oder ohne ihn als orejones bezeichnet und vom Volke mit mote (gekochten Weizen- oder Maiskörnern) gegessen. Die ciruelas (Pflaumen) und damascos (Aprikosen) sind ebenfalls schon lange in Chile heimisch und gedeihen wie die duraznos am besten in Mittelchile, während die Feigenbäume — las higueras —, die im Dezember die größeren und saftigeren brevas und im Herbste die kleineren und süßen higos liefern, im Norden sogar noch besser vorwärts kommen. Die getrockneten Feigen sind die der zweiten Ernte. Unter tunas versteht man die Früchte eines ursprünglich auf den Antillen beheimateten Kaktus (Opuntia tuna). Die nisperas, d. h. Mispeln, sind die gelblichen, rundlichen Früchte eines japanischen Baumes (Eriobotrya japonica), die in ihren vollständigen, traubigen Fruchtständen gebrochen werden. Sie haben einen säuerlichen Geschmack und sind ein wenig das Aschenbrödel unter ihren Genossen. Der Spanier hat einen Spruch:
Außerdem gibt es bräunlichgrüne Lucumafrüchte von der Größe eines Apfels von einem aus Peru stammenden dichtbelaubten Sapotaceenbaume (Lucuma obovata). Weiter gibt es in Chile eine wilde Art (L. valparadisea), welche die feuchten und schattigen Schluchten der Provinzen Aconcagua und Valparaiso bewohnt, deren viel kleinere Früchte wohl süß, aber zugleich adstringierend schmecken und darum nicht gegessen werden. Birnen und Äpfel liefert der Süden, vom Rio Biobio ab, in wahren Prachtexemplaren; es gibt Birnen von einer Größe und süßen Saftigkeit und Äpfel der verschiedensten Sorten von einer Feinheit und Reinheit der Zeichnung und des Aromas, die unseren besten nicht nachstehen. Aus gewissen Sorten wird seit alters[S. 115] Äpfelwein — chicha de manzana — in vorzüglicher Qualität hergestellt, dessen Fabrikation von den Deutschen der Provinz Valdivia ausgedehnt und vervollkommnet wurde.
Und was gibt es noch? Vor allem Trauben, schwarze und gold-grüne, die ebenfalls wie die Wassermelonen mit rotem Fleisch — sandias — und die gelben Melonen zu den Artikeln des Massenkonsums gezählt werden dürfen, so beliebt und billig sind sie, dann Orangen — las neranjas —, die aber erst im September am wohlschmeckendsten werden, saure und süße Limonen, Mandeln, Walnüsse und avellanos, die chinesische Haselnuß, die schwere Menge, und dann noch etwas echt Chilenisches, piñones, die Samen der Araukarie des Südens. Ferner die einheimische und europäische Erdbeere, die aus Brasilien oder Peru eingeführte Ananas und Banane, platanos genannt, die chirimoya (Anona cherimolia), eine Frucht von ganz apartem, wunderbarem Aroma, und die palta (Persea gratissima), welche den Lorbeergewächsen zugehört. Diese reifen in den gegen das Meer hin offenen, warmen und feuchten, gegen die trockenen, eisigen Winde der Hochkordillere geschützten Chacras Quillótas.“
Welche Fülle von herrlichem Obst hat also nicht die Alte Welt der Neuen zu ihren zahlreichen einheimischen Produkten hinzugegeben, die auch sehr schätzenswert sind! Wir werden im folgenden Abschnitte einige der wichtigsten unter denselben kennen lernen. Sonst sind außer den Guajaven (Psidium pyriferum) mit birnförmigen und dem nahe verwandten Psidium pomiferum mit kugeligen, pflaumen- bis apfelgroßen Früchten vom Ansehen der Orangen, unter deren lederartiger Schale ein nach innen schön rosenrot gefärbtes, zartes Fruchtfleisch von Erd- und Himbeergeschmack sich findet, die eirunde und über faustgroße westindische Anchojebirne (von Grias cauliflora) zu nennen. Unsere Kirschen vertreten im warmen Südamerika die vorzüglich in Guiana heimische Pitanga (von Eugenia michelii) und die Jabuticaba (von Eugenia cauliflora). Die Frucht der letzteren von der Größe unserer Herzkirsche hat unter der zarten, schwarzen Haut ein weißes, weiches, sehr saftiges Fleisch mit 2–3 Kernen. Sie steht an Geschmack unseren Kirschen nach, reift in Brasilien am Ende des Winters (September und Oktober) und ist doppelt geschätzt, da sie zu der Zeit die einzige Frucht bildet, welche frisch zu haben ist. Eine andere Frucht von der Größe und Form unserer Pflaumen sind die Ibametara-Arten (von Spondias myrobalanus) u. a., die in Westindien und dem nördlichen Südamerika wildwachsen und hier überall, wie auch anderwärts in den Tropen,[S. 116] wohin alle diese Fruchtbäume verbracht wurden, vom Menschen angepflanzt werden, weil er ihre wohlschmeckenden, süßen Früchte überaus schätzt, Mus daraus bereitet und allerlei Getränke davon macht.
Kehren wir nach diesem kurzen Abstecher nach Südamerika in unsere Heimat zurück, so ist in bezug auf die Kultur der Pfirsiche und Aprikosen zu bemerken, daß sie bei uns nur in südlichen Gegenden oder an sonniger, geschützter Lage gut gedeihen, aber als Hochstämme wohlschmeckendere Früchte denn als Spalierbäume liefern. Mit Vorliebe zieht man sie in den ebenfalls sonnige Lage beanspruchenden Weingärten; aber auch in den wärmeren Obstgärten gedeihen sie gut. Besonders die sattroten, direkt dem Stamm aufsitzenden, vor den Blättern erscheinenden Blüten des Pfirsichs verleihen durch ihre hübsche Färbung zwischen dem weißen Blust des übrigen Kernobstes und den rosafarben angehauchten Apfelblüten einem gemischten Obstgarten ein höchst eigenartiges, manchmal geradezu bezauberndes Gepräge.
Im Gegensatz zum Pfirsich, dessen saftige äußere Fruchtschale gegessen wird, ißt man bei der verwandten Mandel (Amygdalus communis) den Samenkern, der in einer süßen und bitteren Abart vorkommt. Diejenigen der letzteren Sorte enthalten in erheblicher Menge die giftige Blausäure und sind deshalb, in größerer Menge genossen, auch dem Menschen schädlich, während sie kleinen Tieren sicheren Tod bringen. Sie dienen vorzugsweise zum Würzen der Speisen. Die süßen Mandeln dagegen werden ihres Ölgehaltes wegen gegessen und allerlei Gebäck und Mehlspeisen zugesetzt. Unter der samtig behaarten äußeren Haut, welche zur Zeit der Reife in einem Längsspalt aufspringt, befinden sich die in der Regel sehr harten, festen Schalen. Man kultiviert aber auch Formen mit brüchigen Schalen, die Knack- oder Krachmandeln, deren Samen wie Nüsse gegessen werden. Die Fruchtknoten aller Kirsch-, Pflaumen- und Mandelarten, die bekanntlich mit dem Kernobst in die Familie der Rosazeen gehören, enthalten zwei Samenanlagen, von denen aber in der Regel nur eine zur Ausbildung gelangt; entwickeln sich aber in den Knackmandeln beide, so entstehen solche Exemplare, die als „Vielliebchen“ dienen.
Der Mandelbaum wächst in Afghanistan, Turkestan, Persien wild und kommt auch hier mit bittern und süßen Samen vor. Indien und Ostasien ist er ursprünglich fremd; dort hat man auch keine einheimische Bezeichnung für ihn. In den Schriften des Sanskrit wird er nicht erwähnt, ebensowenig in der älteren chinesischen Literatur. Erst in chinesischen Werken des 10. oder 11. Jahrhunderts wird er angeführt,[S. 117] und zwar als „Baum aus den Ländern der Muhammedaner“. Er scheint also durch die Handelsbeziehungen der Chinesen mit Baktrien als Tausch gegen Aprikose und Pfirsich von dort her nach China gelangt zu sein. Auch in den vorgeschichtlichen Niederlassungen Südeuropas hat man nirgends Spuren von Mandeln gefunden. Aber in Persien begegnen wir diesem Fruchtbaum sehr früh. Von dort gelangte er schon vor der Mitte des letzten vorgeschichtlichen Jahrtausends nach Syrien und Kleinasien und von da vor dem Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. nach Griechenland. Seine Frucht wird als naxía amygdálē, d. h. Mandel von Naxos — einer Insel der Cycladen, welche, weil in der Mitte zwischen dem südlichen Kleinasien und Griechenland liegend, eine natürliche Zwischenstation beim Übergang von Kleinasien nach Griechenland bildet — zuerst von Phrynichos, einem Dichter der älteren attischen Komödie und Zeitgenossen des Aristophanes im 5. Jahrhundert v. Chr. erwähnt. Bei den attischen Komödiendichtern des 4. vorchristlichen Jahrhunderts ist seine Frucht als amygdálē schlechthin schon ganz gewöhnlich. Von den Griechen lernten dann die Römer den Fruchtbaum kennen. Noch gegen die Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. kennt Cato in Italien die Mandeln nur als fremde Importware unter der Bezeichnung „griechische Nüsse“, als Beweis dafür, daß die Römer diese Früchte durch Vermittlung der Griechen Unteritaliens erhalten hatten. Erst bei Columella, einem römischen Ackerbauschriftsteller des 1. Jahrhunderts n. Chr., ist der Mandelbaum unter der griechischen Bezeichnung amygdala auch in Mittelitalien heimisch, während seine Früchte immer noch griechische Nüsse heißen. Die Bezeichnung amygdala amara und dulcia, d. h. bittere und süße Mandeln, treten uns zum erstenmal in der „Zusammenstellung der gebräuchlichsten Medikamente“ des Scribonius Largus entgegen, die noch vor der Mitte des 1. christlichen Jahrhunderts verfaßt wurde. Seither ist die Pflanze in ganz Italien eingebürgert, und aus dem griechisch-lateinischen amygdale ist im Laufe der Jahrhunderte das italienische mandorle und daraus unser Mandel geworden. In allen Gärten stehen in Italien die Mandelbäumchen im Februar und März im Schmucke ihrer schneeigen Blüten, bevor noch die Blätter hervorgekommen sind. Ihre Früchte sind nicht bloß eine beliebte Volksnahrung, sondern man gewinnt heute auch aus ihnen ein als sehr mild geschätztes Öl, aus den bittern dagegen das in der Parfümerie Verwendung findende Bittermandelöl und ein bei Husten reizmilderndes blausäurehaltiges Wasser, das übrigens gleicherweise auch aus den Kirschlorbeerblättern bereitet wird.
Nördlich der Alpen ist der Mandelbaum, soweit er in den klimatisch milderen Gegenden noch zu gedeihen vermag, erst in nachrömischer Zeit naturalisiert worden. Bei den Ausgrabungen des römischen Militärlagers der Saalburg bei Homburg vor der Höhe hat man keine Spur von Mandeln gefunden, und der Fund einer Mandelschale in dem wahrscheinlich spätrömischen Pfahlwerk im Tale der Fulda nördlich des Mains wird von den maßgebenden Forschern mit einem Fragezeichen registriert. Der althochdeutsche Name mandulae hat zwar gegenüber dem gelehrten angelsächsischen amigdal einen entschieden volkstümlichen Anstrich, er kann aber wegen des unverschobenen d frühestens im 8. Jahrhundert aufgenommen worden sein. Im Capitulare de villis Karls des Großen vom Jahre 812 und in dem nach dem Muster desselben abgefaßten Entwurfe zum St. Galler Klostergarten vom Jahre 820 werden unter den zu pflanzenden Bäumen auch amandalarii, d. h. Mandelbäume aufgeführt, aber in den Inventaren der kaiserlichen Gärten vom Jahre 812 fehlen sie.
Der Mandelbaum, der in bezug auf Kälte noch empfindlicher ist als der Pfirsichbaum, scheint also auch in der Karolingerzeit nur ausnahmsweise und wohl nur in einigen besonders warmen Landesteilen gezogen worden zu sein. Obwohl er gegenwärtig am Oberrhein und in der Rheinpfalz recht gut gedeiht und seine Früchte reift, so pflegen wir doch auch heute noch die Mandel zu den Südfrüchten zu zählen. Ähnlich war es im Mittelalter. Die Mandeln, welche damals in Deutschland konsumiert und zu medizinischen Zwecken verwendet wurden, stammten wohl größtenteils, wie heute noch, aus Italien. Die Bewohner Nordfrankreichs dagegen scheinen ihren Bedarf an Mandeln außer aus den südlichen Teilen des eigenen Landes namentlich aus Spanien bezogen zu haben, wie die Geschichte des altfranzösischen Namens almande vermuten läßt.
Die nahe Verwandtschaft zwischen Mandel und Pfirsich spricht sich auch darin aus, daß beide sehr leicht gekreuzt werden können und auch dann noch reichlich Früchte tragen. Wie der Pfirsich seine rosenroten, treibt auch die Mandel ihre weißen Blüten vor der Entfaltung der Blätter, damit diese um so ausgiebiger von den Bienen befruchtet werden. Wie in den Mittelmeerländern wird auch im Süden der Vereinigten Staaten, besonders in Kalifornien, die Mandelkultur manchenorts im großen getrieben.
In den lichten Wäldern Transkaukasiens und Armeniens ist die wegen ihrer süßen, saftigen Trauben so geschätzte Weinrebe (Vitis[S. 119] vinifera) zu Hause, wo sie heute noch wild, wenn auch mit kleinen und wenig schmackhaften, etwas herben Früchten gefunden wird. Als Schlingpflanze rankt sie sich wie bei uns die Waldrebe von Baum zu Baum und klettert in die Wipfelregion ans Licht empor. Hier ist sie wohl zuerst durch Kulturauslese veredelt und zur Kulturpflanze mit großen, süßen Früchten gemacht worden. Doch ist Westasien nicht die ausschließliche Heimat dieser Waldliane. Ihr Vorkommen reicht von hier ostwärts bis in das gemäßigte Mittelasien hinein und westwärts über ganz Südeuropa und einen Teil Mitteleuropas. Doch wurde sie hier nirgends kultiviert, sondern, wie Funde aus Südfrankreich, der Schweiz und Norditalien beweisen, wurden ihre Früchte schon zur Steinzeit gelegentlich vom Menschen gesammelt und gegessen, wo wir dann zur Seltenheit einmal ihre harten Samen unter dem Speiseabfall seiner Niederlassungen finden. Immerhin sind manche Angaben über das Wildvorkommen der Rebe in Süd- und Mitteleuropa mit Vorsicht aufzunehmen, da diese Kulturpflanze in den Weinbau treibenden Ländern leicht verwildert und dann als dort heimisch angesehen wird. So ist es sehr zweifelhaft, ob die in Baden und im Elsaß gefundenen angeblich wilden Reben wirklich ursprünglich wild wachsend oder nicht bloß seit der Einführung des Weinstocks in diesen Gegenden verwildert sind, was immerhin das wahrscheinlichste sein dürfte, da sonst wilde Reben in Deutschland außerhalb der Weinbauregion noch nicht nachgewiesen werden konnten.
Der heute über die ganze Welt ausgedehnte Rebbau hat seinen Ursprung in den Ländern südlich des Kaukasus und des Kaspisees genommen, wo die wilde Rebe ganz besonders üppig gedeiht und den Menschen geradezu zu ihrer Domestikation auffordert. Von Armenien kam er im 4. vorchristlichen Jahrtausend nach Babylonien, Syrien und Palästina und läßt sich von der 5. Dynastie, d. h. seit 2700 v. Chr. an auch in Ägypten nachweisen. Über Kleinasien und Griechenland wanderte er dann, wie wir später bei der Besprechung des Weinbaus eingehender sehen werden, nach Italien und von da nördlich der Alpen zu den gallischen und rätischen Stämmen und zuletzt zu den Germanen.
Alle Ausdrücke dieser Völker, die auf den Weinbau Bezug haben, sind dem Lateinischen entnommen von vindemia (franz. vendange) Wingert oder Weinlese bis mustum (franz. moût) Most und vinum (franz. vin) Wein.
Sehr zahlreich sind die Anweisungen der antiken Ackerbauschrift[S. 120]steller über die beste Art des Rebbaus. Schon der im 8. Jahrhundert v. Chr. lebende griechische Dichter Hesiod singt: „Wenn der Frühling beginnt und die Schwalbe kommen will, dann mache dich ans Beschneiden der Weinstöcke (oínē),“ und „wenn der Orion und der Sirius bis zur Mitte des Himmels steigen, dann ist die Zeit da, in der du die Trauben abschneiden und nach Hause bringen mußt.“ Varro und Columella berichten eingehend über die Anlage des Weingartens (vinea) und die Behandlung der Rebe (vitis). Letzterer meint: „Die Zahl der verschiedenen Weinsorten ist so zahllos wie die Sandkörner der libyschen Wüste; denn jede Gegend und fast jeder kleine Ort hat seine besonderen Sorten und für diese besondere Namen. Manche haben auch ihren Namen geändert, indem sie anderswohin versetzt wurden; manche haben in ihrer neuen Heimat ihre Eigentümlichkeit verloren, so daß sie der Ursorte gar nicht mehr ähnlich sind. Ganz richtig haben schon Cato und nach ihm Celsus gesagt, man solle nur Weinsorten pflanzen, die in gutem Rufe stehen, und solle sie nur in dem Falle behalten, daß sie sich als gut bewähren. Für einen recht günstigen Standort müssen wir recht edle Sorten wählen, für einen ungünstigen aber solche, die große Mengen von Trauben zu geben pflegen.“
Wie von jeher die Orientalen, so waren auch die alten Griechen und Römer große Liebhaber der Traube, die von ihnen als die edelste der Früchte gepriesen wurde. Um solche möglichst lange essen zu können, wurde sie frisch oder gedörrt und auf die mannigfaltigste Weise konserviert aufbewahrt. Verschiedene solche Verfahren beschreibt Columella. Von seinen zahlreichen Angaben über die Aufbewahrung von Trauben wollen wir hier einige anführen: „Um Trauben (uva) ein Jahr lang frisch zu erhalten, verpicht man ihren Stiel sogleich, wenn man sie vom Stocke geschnitten hat. Dann füllt man ein neues irdenes Gefäß mit recht trockener Spreu, die man durch Sieben vom Staube gereinigt hat, und legt die Trauben darauf. Alsdann bedeckt man das Gefäß mit einem andern, verpicht die Fuge mit Lehm, der mit Spreu vermischt ist, stellt das Gefäß auf ein recht trockenes Gestell und bedeckt es mit trockener Spreu. Eine andere Art, Trauben frisch zu erhalten, ist folgende: In einen großen Tonkrug (dolium) wird eingedickter Most gegossen, über diesen werden Stöcke in die Quere eingeklemmt, die jedoch den Most nicht berühren dürfen. Auf diese Stöcke werden neue irdene Schüsseln gesetzt und in diese die Trauben so gelegt, daß sie einander nicht berühren. Dann werden die Deckel auf die Schüsseln gelegt und verstrichen. Nächstdem setzt[S. 121] man neue Stöcke über den Schüsseln ein und auf diese neue Schüsseln, und fährt so fort, bis das ganze Faß voll ist. Endlich setzt man den Deckel auf, der gut gepicht und inwendig tüchtig mit eingedicktem Most bestrichen wird, worauf man die Fugen noch mit Asche verklebt. Andere tun eingedickten Most in das Tongefäß, stemmen Stöcke hinein, hängen die Trauben an die Stöcke, so daß sie den Most nicht berühren, legen den Deckel auf und verstreichen ihn. Andere legen Trauben schichtweise in Gerstenkleie, oder Sägemehl von Pappeln oder Tannen, oder Gipsmehl. Mein Onkel Marcus Columella (zu Gades in Spanien) tat die Trauben in große Tonkrüge, die in- und auswendig stark gepicht waren; sie durften einander nicht berühren und von jeder war der Stiel in siedendes Pech getaucht. War der Deckel aufgelegt und die Fuge mit Gips verstrichen, so wurde auch der Gips noch tüchtig gepicht, so daß durchaus keine Feuchtigkeit eindringen konnte. Nun wurden die Krüge in Quell- oder Brunnenwasser gestellt und so mit einem Gewichte beschwert, daß sie ganz unter der Oberfläche blieben. Auf solche Weise halten sich die Trauben vortrefflich, müssen aber, wenn sie herausgenommen sind, gleich gegessen werden, weil sie sonst sauer werden. Als allgemeine Regel muß noch die aufgestellt werden, daß man Äpfel und Trauben nicht an demselben Orte aufbewahren darf, ja daß der Geruch der Äpfel nicht einmal aus einiger Entfernung die Trauben erreichen darf, denn er verdirbt sie.“
Häufig wurden auch Traubenbeeren und ganze Trauben an der Sonne getrocknet (uva passa) und dann in Töpfen aufbewahrt. Vielfache Verwendung fand in der griechischen und römischen Küche auch der durch Kochen eingedickte Traubenmost (defrutum), wie auch der aus sauer gewordenem Wein hergestellte Essig (acetum).
Alle diese Produkte hat schon vorher der Orient gekannt und benützt. So sind von der Traube gelöste, getrocknete Weinbeeren seit der Zeit der Pyramidenerbauer, d. h. seit dem Beginne des 3. vorchristlichen Jahrtausends, häufig als Wegzehrung den Toten mitgegeben worden und finden sich teilweise so gut in den altägyptischen Gräbern erhalten, daß sich der Zucker darin noch nachweisen läßt.
Wie die Rebenkultur heute in Mitteleuropa betrieben wird, ist genugsam bekannt, so daß wir nicht näher darauf einzugehen brauchen. Es genüge hier zu bemerken, daß der Weinstock einer sorgfältigen Pflege bedarf, viel Sonne und einen kalkreichen, steinigen, d. h. viel Wärme verschluckenden Boden verlangt. Aber wenn auch alle diese Bedingungen erfüllt sind, ist die Rebe, wie die Erfahrung gelehrt hat,[S. 122] nur dann wirklich ertragreich und liefert wertvolle Trauben, wenn sie richtig geschnitten wird. Die Fortpflanzung geschieht durch Stecklinge, die meist mit drei Augen, d. h. Knospen zur Verwendung gelangen. Das unterste derselben wird in die Erde gesteckt; die beiden andern treiben aus und geben je nach der Kraft des Triebes mehr oder weniger lange Schosse, die man im Herbst zurückschneidet, und zwar den oberen so, daß 8–9 Augen bleiben, die anderen aber viel weiter zurück, so daß nur zwei Augen bleiben. Jenes Reis ist das Tragholz für das nächste Jahr; denn die an ihm befindlichen Augen entwickeln Triebe, welche nach dem 4. oder 5. Blatte Blüten erzeugen. Man läßt an diesen Trieben nur eine bestimmte Zahl Blätter stehen, nach dem 2. oder 3. oberhalb der letzten Blütentraube bricht man den Schoß ab, um nicht unnütz Nährstoffe nach dem fernerhin nicht weiter brauchbaren Triebe gelangen zu lassen. Hat das Tragholz, der sogenannte Schenkel, abgetragen, so schneidet man dasselbe mit dem hakenförmig gekrümmten Rebmesser ab, das die Römer der Kaiserzeit in Gallien und in den von den Legionären aus Gallien und Hispanien am linken Rheinufer gepflanzten Rebbergen schon in gleicher Weise besaßen wie wir heute noch, die wir ja einst die ganze Rebkultur mit allen Geräten und diesbezüglichen Bezeichnungen von jenen übernahmen.
Während das Tragholz im Sommer seine Früchte an den Seitentrieben zeitigte, entwickelte der oben erwähnte, kurz auf zwei Knospen zurückgeschnittene „Zapfen“ aus demselben wieder zwei lange Triebe, die man bis zum Herbste auswachsen läßt. Sie können eine sehr beträchtliche Länge erreichen und bringen Blätter und in den Achseln derselben Knospen hervor. Von ihnen treiben in demselben Jahre alle, ausgenommen die obersten, in Form von schwachen Zweigen aus, die „Geize“ genannt werden. Da diese im ersten Jahre überhaupt nicht zum Blühen kommen, und auch im zweiten Jahre, wenn sie zu Tragholz werden, auch nur schwächlich blühen würden, schneidet sie der Weinbauer weg, läßt ihnen aber meist 2–3 Blätter. Diesen letzteren kommt nämlich eine doppelte Bedeutung zu. Es entsteht nämlich neben dem Geize eine zweite Knospe, die sich als eine Achselknospe aus dem untersten Schuppenblatte äußerst kräftig entwickelt und einerseits zu ihrer Ernährung der beiden Blätter des bei ihr stehenden Geizes bedarf, andererseits aber auch leicht zum Austreiben käme, wenn man den Geiz bis zum Grunde entfernen würde.
Im Herbst wird nun wieder an den beiden Schossen des Zapfens der Schnitt in der Weise ausgeführt, daß der obere mit 8–10 Augen[S. 123] zum Schenkel wird und im nächsten Jahre das Tragholz liefert; die untere wird dagegen abermals zum Zapfen. An den in den Treibhäusern gezogenen Reben schneidet man das Tragholz viel weiter zurück, so daß an dem bis zu 15 Jahren tragfähigen Haupttrieb seitlich knorrige Stümpfe stehen bleiben, aus denen dann eine neue Tragrebe gezogen wird. Hier läßt man meist auch nur zwei Trauben zur Ausbildung gelangen. Durch Auspflücken der zu reichlichen Beerenanlagen bringt man es dahin, daß die bleibenden zuweilen eine ganz außergewöhnliche Größe erreichen. So hat man in England durch die sorgfältigste Pflege und reichliche Düngung Trauben von über 7,5 kg Schwere mit pflaumengroßen Früchten gezogen, die jedenfalls diejenigen, die die Kundschafter der Juden aus dem Lande Kanaan brachten, noch weit übertreffen.
Noch jetzt ist jenes den Israeliten bei ihrem Zuge durch die Wüste gelobte Land, Palästina, ein vorzügliches Weinland, wo die Kultur der Rebe heute noch wohl in derselben Weise wie vor 4000 Jahren betrieben wird. Die Weinberge sind meist auf hügeligem Gelände angelegt, weil die terrassenförmig aufsteigenden Hänge dem Weinbau günstig sind und dieses Terrain sich weniger für Getreidebau eignet. Doch ist auch viel flaches Gebiet mit Reben bepflanzt und zahlreiche Namen von Ortschaften, die heute keinen Rebbau mehr haben, weisen darauf hin, daß dies früher, vor der dem Wein feindseligen muhammedanischen Invasion noch der Fall war. Zum Schutze gegen Menschen und Tiere, unter welch letzteren besonders die Füchse zu nennen sind, die sich bei der Traubenreife als ungebetene Gäste zum Schmause einstellen, werden die Weinberge im Orient mit 1–2 m hohen trockenen Steinmauern, die noch mit Dornen bewehrt sein können, oder mit lebenden Hecken von dem aus Amerika eingewanderten Feigenkaktus umgeben. Mitten darin baut man aus losen, unbehauenen Steinen einen 5–6 m hohen Turm, der oben eine von Laubwerk oder Matten beschattete Hütte trägt, wo der Weinbauer bei der Traubenreife sein Lager aufschlägt, um den Weinberg, den er von hier aus gut zu übersehen vermag, Tag und Nacht zu überwachen. Da diese Hütten häufig erneuert werden müssen, so erscheinen sie schon einem Hiob (27, 18) als Bild der Vergänglichkeit.
In den Weinbergen Palästinas werden nicht nur Reben, sondern auch andere Fruchtträger, wie Feigen-, Aprikosen-, Pfirsich- Apfel-, Birn-, Mandel-, Quitten- und Granatbäume gepflanzt, deren Früchte verführerisch locken. Da bleibt dem Fellachen, d. h. Bauern, bei der[S. 124] diebischen Natur seiner Volksgenossen nichts anderes übrig, als diese Schätze sorgfältig zu bewachen; denn was er nicht hütet, erntet er auch nicht. Schon die unreifen Trauben und Früchte überhaupt liebt der Morgenländer wie unsere Kinder sehr, indem er sie entweder roh oder mit Essig und reichlich Olivenöl angemacht als Salat ißt. So zieht der Winzer bei der Fruchtreife mit Sack und Pack in die Weinbergshütte hinaus, um hier mit seiner Familie so lange zu hausen — das Kleinvieh bringt er in den kühlen Nächten im dunkeln Raum des Wachtturmes unter dem Turmabschluß, wo er Wache hält, unter —, bis alles aufgegessen oder verkauft ist.
Bei der Neuanlage eines Rebbergs werden die Stecklinge als etwa 1,3 m lange Ruten gewöhnlich Ende Februar in 50 cm tiefe und 20 cm breite Gruben in 2–4 m allseitiger Entfernung versenkt. Eine solche Neupflanzung trägt dann im dritten Jahre die ersten Trauben. In manchen Gegenden, besonders in der Ebene, läßt man die Reben am Boden liegen, in andern zieht man sie aufrecht an Fruchtbäumen irgend welcher Art oder an Pfählen in die Höhe. Schon im Februar wird der Rebberg, nachdem die Erde durch mehrmaligen Regenfall genügend erweicht ist, mit dem schon von den Vorfahren vor einigen tausend Jahren gebrauchten primitiven hölzernen Hakenpflug gepflügt oder, wo dieser nicht hinkommen kann, mit der Hacke gelockert und die Reben bis auf wenige kurze Ruten mit kräftigen Augen beschnitten. Im Laufe des Frühjahrs wird das Land noch zwei- bis dreimal zur Beseitigung des Unkrauts und zur Auflockerung des Bodens gepflügt oder behackt. Nach vollendeter Traubenblüte entwickelt sich dann üppiges Laubwerk und es treiben bis 3 m lange Schößlinge, deren Spitzen nach Bedarf entfernt werden.
Die Trauben, die in der Ebene schon im Juni, im Gebirge erst im Juli zu reifen beginnen, erlangen nach ihrer Reife eine Länge von zwei Spannen und ein Gewicht von 1,5 kg mit großen, feinhäutigen, saftigen Beeren. Sie werden, weil den Einwohnern als rechtgläubigen Muhammedanern der Genuß des Weines verboten ist, entweder an Ort und Stelle gegessen oder auf den nächsten Markt zum Verkaufe gebracht, wo sie nicht mehr als höchstens 8 Pfennige das Kilogramm kosten. Mancherorts wird der Überschuß zu Rosinen, Traubenhonig und Traubenkuchen verarbeitet, um als solche in den Handel gebracht zu werden; die Beeren mancher nichtreifender Sorten dagegen werden zur Herstellung einer süßen Limonade, wie sie sonst aus Zitronensaft bereitet wird, verwendet.
Die zu Rosinen bestimmten Trauben werden korbweise in ein Gefäß mit geklärtem Laugenwasser, dem etwas Öl beigegeben ist, getaucht und auf einem geebneten Dörrplatz im Weinberg oder auf Matten ausgebreitet 10–15 Tage lang zum Dörren der Sonnenhitze ausgesetzt. Die Benetzung mit Lauge und Öl hat den Zweck, daß die Rosinen schön weich und von der Sonne nicht allzusehr verbrannt werden, sie zugleich auch einen gewissen Glanz erhalten. Zuletzt werden sie von den Stielen abgelesen und nach der Größe sortiert.
Der Traubenhonig wird in der Weise gewonnen, daß der ausgepreßte Traubensaft mit einer weichen Kalksteinmasse vermischt, umgerührt und über Nacht stehen gelassen wird. Dabei verbindet sich die Weinsäure mit dem Kalk zu einer unlöslichen Verbindung und wird bei diesem Vorgange zugleich der aus Pektin bestehende, die Lösung trübende Pflanzenschleim niedergeschlagen. Der so durch den Kalk geklärte und in seiner Herbe gemilderte Saft wird dann abgeschöpft und bis zu Sirupdicke eingekocht. 100 Teile Trauben geben etwas mehr als 20 Teile Traubenhonig, der sehr gern als Zukost zum Brot verspeist wird und pro Kilogramm nur 20–30 Pfennige kostet.
Die Traubenkuchen werden teilweise ähnlich wie der Traubenhonig bereitet. Den durch den kohlensauren Kalk der Kalksteinmasse abgeklärte und von der Säure befreite Traubensaft läßt man etwas einkochen und rührt Mehl oder Gries und hernach Pinien- oder Kiefernsamen hinein. Der so entstandene dicke Brei wird auf Tücher gestrichen, an der Sonne getrocknet, um als dünne Fladen abgenommen und verspeist zu werden. 1 kg kostet in Palästina etwa 1.50 bis 1.80 Mark.
Auch die christlichen Araber produzieren wenig Wein, um so mehr aber die in Palästina niedergelassenen Europäer, besonders die als höchst wertvolle Erwerbung des Landes daselbst ihre Kolonien gründenden Templer, die meist aus dem Schwabenlande stammen und das solide deutsche Bauerntum nach dem Morgenlande verpflanzten. Der Palästinawein ist ein sehr kräftiges Getränk von etwas herbem Geschmack. Weinkeltern (vom lat. calcatura), wie sie die Kanaaniter und Israeliten hatten und wie man sie noch in manchen Weinbergen sieht, werden nicht mehr benutzt. Es waren dies zwei in Felsen gehauene Becken, von denen das größere, in welchem die Trauben mit den Füßen ausgetreten wurden, etwa 4 m auf jeder Seite mißt. Dasselbe wurde gelegentlich auch zum Ausdreschen von Getreide benützt. Sein flacher Boden neigt nach einer Ecke, wo eine Rinne es mit dem kleineren, tiefer liegenden Becken zur Aufnahme des Mostes (aus dem[S. 126] lateinischen mustum) verbindet. Von da aus wurde dieser in mit nach innen gekehrtem Fell gebildete und mit Harz oder Pech verstrichene Schläuche aus Tierhaut gefaßt, oder man goß ihn, wie die christlichen Araber noch immer tun, in irdene Gefäße und leerte ihn nach der Gärung mit Zurücklassung der Hefe in andere Gefäße. Der Araber, der alles Süße liebt, zeigt eine Vorliebe für süßen und starken Wein, den er aus Trauben keltert, die 14 Tage lang schön ausgebreitet in der Sonne lagen. Der daraus gepreßte Saft ist süß, zugleich aber stark berauschend. Wenn die Araber Weinmost lange aufbewahren wollen, so pflegen sie ihn zu kochen und dann erst in Tonkrüge zu füllen, in die oben am Halse etwas Olivenöl als Verschluß hinzugefügt wird. Das Weinbereitungsgeschäft vollzieht sich im Morgenlande noch rascher als im Abendlande, da die zerdrückten Trauben schon nach 6–12 Stunden in Gärung übergehen und also nicht lange stehen bleiben dürfen.
Weitere aus Asien zu uns gelangte Fruchtbäume sind die mit den Ulmen-, Nessel- und Feigengewächsen verwandten Maulbeerbäume. Lange vor dem aus Ostasien stammenden weißen ist der westasiatische schwarze Maulbeerbaum (Morus nigra) ins Mittelmeergebiet und von da aus nach Mitteleuropa eingeführt worden. Seine ursprüngliche Heimat deckt sich mit derjenigen der Kulturrebe und erstreckt sich vom Gebirgsland von Armenien bis gegen Persien. Er erschien zu Ende des 6. vorchristlichen Jahrhunderts in Griechenland und von da ein Jahrhundert später auch in Italien. Schon der Dichter Aeschylos, der im Jahre 456 v. Chr. in Sizilien starb, spricht in zweien seiner Tragödien von môra (plur. von môron), die später auf Maulbeeren bezogen wurden, aber im gewöhnlichen Sprachgebrauch Brombeeren heißen. Im Volksgebrauch sind nämlich die Maulbeeren wegen ihrer Gestalt und Färbung zunächst als Brombeeren bezeichnet worden. Dem diese Früchte tragenden Baum aber gaben die Griechen, weil er völlig verschieden von der Brombeerstaude war, den Namen sykáminos. Dies war aber eigentlich ihre Bezeichnung für die Sykomore oder den Maulbeerfeigenbaum (Ficus sycomorus), der ursprünglich in Ägypten zu Hause war, aber früh in Westasien von Palästina, Syrien und Cypern bis nach Karien und die Insel Rhodos angepflanzt wurde. Die Griechen lernten ihn dort auf ihren Handelsfahrten kennen und bildeten aus dem syrischen Namen der Früchte schikmim, einem Pluralis, mit Anlehnung an die griechische Bezeichnung für Feige sýkos ihr sykáminos als Namen für den Baum.
Als nun der Maulbeerbaum bei seinem Vordringen nach Westen zu den Griechen der kleinasiatischen Küste gelangte, nannten sie ihn wegen der Ähnlichkeit der Blätter und seiner ganzen Gestalt mit der Sykomore eben auch sykáminos. Nicht nur in der Naturgeschichte der Pflanzen des Theophrastos (390–286 v. Chr.), sondern noch bei späteren Schriftstellern werden beide Bäume mit demselben Worte bezeichnet. Der zur Zeit Cäsars und Augustus lebende griechische Geschichtschreiber Diodoros aus Sizilien unterschied zuerst die beiden Fruchtbäume, indem er erklärte, es gebe zwei Arten sykáminos: die eine trage brombeer-, die andere feigenähnliche Früchte. Zum Unterschiede von der eigentlichen Brombeere (môron) nannte man die Früchte der brombeerfrüchtigen sykáminos sykómōron. So entstand der jüngere Name des Maulbeerbaums sykómoros, welcher bald als vollkommen gleichbedeutend mit sykáminos gebraucht und auch auf den ägyptischen sykáminos, den Maulbeerfeigenbaum, ausgedehnt ward, der davon heute noch Sykomore heißt. Das gemeine Volk aber blieb bei der Bezeichnung môron (Brombeere) für Maulbeere und unter diesem Namen kam die Frucht von den Griechen Unteritaliens zu den Römern, die den Namen um so williger annahmen, als morum auch bei ihnen die von den Griechen übernommene Benennung der Brombeere war. Später drang auch das Wort sycomorus ein, das für Maulbeere und Brombeere gleicherweise gebraucht wurde; da unterschied man die Maulbeere als Baumbrombeere von der gewöhnlichen oder Waldbrombeere. Auch im Lateinischen des Mittelalters hieß der Baum morus und die Frucht morum (plur. mora). Unter diesem Namen wird er im Capitulare de villis und in den beiden Garteninventaren Karls des Großen aus dem Jahre 812 und im Entwurf zum St. Galler Klostergarten aus dem Jahre 820 unter den anzupflanzenden Obstbäumen angeführt.
Der Maulbeerbaum erreicht eine ansehnliche Größe und trägt ein dunkles Laub, das im Frühling spät hervorbricht. Daher bezeichnet ihn Plinius im 1. christlichen Jahrhundert als den weisesten unter den Bäumen, der sich erst hervorwage, wenn kein Frühlingsfrost mehr zu fürchten sei. Die süßsäuerlichen, dunkelroten Beeren munden erst, wenn sie völlig reif sind, und müssen dann rasch verzehrt werden, da ihr Saft leicht in saure Gärung übergeht. Man pflückt sie daher im Süden frühmorgens und genießt oder verkauft sie, ehe die Hitze des Tages sie verdorben hat, heute noch wie in alter Zeit, da der römische Dichter Horaz im augusteischen Zeitalter solches in einem Gedichte aus[S. 128]sprach. Mit ihrem roten Safte bemalten sich üppige Weiber und lose Männer beim Mummenschanz die Wangen und färbten vielfach auch ihren Wein dunkelrot. Der als Zeitgenosse des Horaz um die Wende der christlichen Zeitrechnung lebende, im Jahre 17 n. Chr. in der Verbannung in der Stadt Tomi in der heutigen Dobrudscha am Westrande des Schwarzen Meeres verstorbene römische Dichter Ovid erzählt uns im vierten Buche seiner Metamorphosen, woher die rote Farbe der Maulbeeren stamme, nämlich vom Blute des Pyramus, als dieser sich wegen seiner von einem Löwen getötet geglaubten Geliebten Thisbe unter dem Maulbeerbaume den Tod gab. Es ist dies eine durchaus kleinasiatische, auch bei anderen Pflanzen mit rotsaftigen Früchten wiederkehrende Sage, die diesmal in Babylonien vor sich gegangen sein soll, wohl als Erinnerung an die Herkunft des Baumes aus dem fernen Osten.
Plinius sagt vom Maulbeerbaum: „Die Gärtnerkunst hat an diesem Baum nicht viel ausgerichtet, auch durch Veredeln nicht; doch zeigen sich die Früchte an Größe verschieden.“ Nach Athenaios um 200 n. Chr. labten sich an letzteren besonders die Kinder. In der Geoponika, einer wahrscheinlich ums Jahr 912 n. Chr. veranstalteten Sammlung von Auszügen aus alten griechischen Schriften über Land- und Gartenwirtschaft, wird gesagt, daß man die Maulbeere auf Kastanie, Speiseeiche, Apfel- und wilden Birnbaum, auf Terpentin-Pistazie, Ulme und Silberpappel pfropfe; in letzterem Falle würden die Maulbeerfrüchte weiß.
Der weiße Maulbeerbaum (Morus alba) war dem Altertum und dem Mittelalter vollkommen fremd; denn erst im 15. Jahrhundert gelangte dieser im zentralen und östlichen Asien heimische Baum von kleinerem Wuchse, glatteren und zarteren Blättern als sein Schwesterbaum, die schwarze Maulbeere, und süßen, etwas faden, weißen Früchten mit der Einführung der ostasiatischen Seidenraupenkultur aus China nach Südeuropa. Diesem Insekte behagen die viel rauheren und gröberen Blätter des schwarzen Maulbeerbaumes nicht, und so führte man mit seiner Zucht auch den ostasiatischen weißen Maulbeerbaum bei uns ein. Überall in Norditalien und Südfrankreich, wo die Seidenraupenzucht in großem Maßstabe betrieben wird, treffen wir diesen Baum in langen Reihen angepflanzt an, um ihn seiner Blätter zu berauben, die jenem Tiere verfüttert werden, damit es daraus groß werden und schließlich seine Seidenhülle bei der Verpuppung spinnen könne. In Deutschland bemühte sich besonders Friedrich der Große[S. 129] um die gewinnbringende Zucht desselben und damit um die Anpflanzung des weißen Maulbeerbaums, dessen Laub das einzige Futter ist, das den Seidenraupen gereicht werden kann. Doch hatte er dabei nur geringen Erfolg, da das Klima zu rauh für das Gedeihen jener Tiere ist.
Nahe verwandt mit dem Maulbeerbaum ist, wie wir übrigens schon aus der Ähnlichkeit der Maulbeeren und Maulbeerfeigen schließen können, der Feigenbaum (Ficus carica), der sehr gern wild in Felsspalten wächst und von Nordwestindien bis in die Mittelmeerländer vorkommt. Verwildert begegnet man ihm hier überall sehr häufig, aber wahrhaft wildwachsend fand ihn Th. Kotschy an den Ufern des nördlichen Euphrat. Der Stamm ist strauch- bis baumartig, kann bei einem Durchmesser von 40–50 cm bis 10 m hoch werden. Das Holz ist leicht und porös und hat ein schwammiges Mark wie dasjenige des Holunders. Der Bast, die Blätter und Früchte sind mit Milchgefäßen versehen. Die Frucht ist eine Scheinfrucht von grünlicher, purpurroter, brauner oder fast schwarzer Farbe, innen fleischig, gelb bis rot und besteht aus dem fleischig gewordenen, urnenartig vertieften Fruchtboden, auf welchem — von außen unsichtbar — die winzigen Blüten und später die sehr kleinen Samen sitzen. In Südeuropa gibt ein völlig ausgewachsener Feigenbaum jährlich etwa 100 kg frische Feigen, die im getrockneten Zustande etwa 30 kg schwer sind. Diese bilden in den südlichen Ländern ein Hauptnahrungsmittel für Menschen und Tiere und werden frisch und gedörrt als gesundes Obst gegessen. Infolge der mehrtausendjährigen Kultur gibt es eine große Menge von Varietäten. Alle werden am besten durch Stecklinge fortgepflanzt, durch Samen nur dann, wenn neue Spielarten gewonnen werden sollen.
Der Feigenbaum verlangt nasse Winter mit nur 2° C. Kälte und trockene Sommer mit bis zu 55° C. in der Sonne, eine gegen Nord- und Ostwinde geschützte Lage und sandigen Humusboden mit kalkigem Untergrund. Da nur die jungen Zweige Früchte hervorbringen, werden die Spitzen der jungen Triebe abgekneift, wenn sie etwa 12 cm lang sind, damit sie im nächsten Jahre reichlich tragen. Ist die junge Pflanze 3 m hoch geworden, so spitzt man sie ein, um ihr Wachstum in die Breite zu veranlassen. Wächst ein Zweig zu üppig ins Holz, so drückt man seine Spitze gegen das Ende hin mit dem Finger so zusammen, daß die weiche, saftige Substanz dem Drucke nachgibt, wodurch das Längenwachstum aufhört und der Saft in die Teile zurückgeht, in denen er notwendig ist. Dadurch und durch das Biegen der Zweige in Bogen, die Spitze nach abwärts, werden diese Teile sehr[S. 130] fruchtbar. Im Frühjahr müssen die Bäume gedüngt werden; dabei werden sie bis über 100 Jahre alt.
Irgendwo im semitischen Westasien ist der Feigenbaum in grauer Vorzeit in Kulturpflege genommen worden, und zwar soll nach der Lautgestalt der semitischen Bezeichnungen tinu für Feigenbaum und balasu für Feige nach Lagarde im Wohngebiet des Bachrâstammes im südöstlichen Arabien die engere Heimat der Kulturfeige sein, eine Annahme, die der Straßburger Botaniker Graf H. von Solms-Laubach auch aus naturgeschichtlichen Gründen für glaubhaft hält. Schon sehr früh wurde der Feigenbaum in Syrien und Palästina heimisch und ließ hier eine Fülle süßer Früchte reifen, die den Bewohnern eine wichtige Nahrung lieferten. Das Alte Testament erwähnt ihn oft, namentlich in Verbindung mit dem Weinstock. So bedeutete bei den Juden Palästinas die Redensart: unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen, so viel als ein ruhiges, friedliches Dasein genießen.
Als die Herrscher Ägyptens im mittleren Reich zu Beginn der 12. Dynastie (2000–1788 v. Chr.) in regere Verbindung mit Syrien traten, gelangte der Feigenbaum von dort nach dem Niltal, wo wir seine Darstellung in einem Grabe eben jener 12. Dynastie in Beni Hassan antreffen. Dort ist unter anderem eine Feigenernte dargestellt. Auf einem niederen, seine Zweige weit ausstreckenden Feigenbaum, dessen gelappte, blaugrüne Blätter sehr deutlich erkennbar wieder gegeben sind, sehen wir drei durch ihre Körperfarbe als Hundsaffen (Cynocephalus ursinus), die im uralten Ägypten besondere Verehrung genossen, charakterisierte Affen, die sich die Feigen schmecken lassen, während unter dem Baume ein Mann damit beschäftigt ist, die braungelben Feigen von den Zweigen zu pflücken und sie in einen aus Papyrus geflochtenen viereckigen Korb zu legen. Ein anderer ist eben im Begriff seinen mit Tragriemen versehenen, ganz mit Feigen gefüllten Korb vom Boden aufzuheben, um ihn von dannen zu tragen. Unter den Opferspenden und als Grabbeigabe werden die Feigen nur selten angetroffen, doch waren sie im Niltal eine wichtige Medizin und wurde aus ihnen eine Art Wein hergestellt. Sie hießen im Ägyptischen dab und der sie liefernde Feigenbaum nuhi net dab, d. h. Feigensykomore. Auch bei den Juden wurden übrigens die Feigen, die eine wichtige Volksnahrung bildeten, medizinisch verwendet. So wird uns berichtet, daß Hiskias, der König von Juda, der von 728–697 regierte und den Jahvekult wiederherstellte, 701 von den Assyrern unter Sanherib hart bedrängt, einen lebensgefährlichen Karbunkel bekam und von diesem[S. 131] durch den Propheten Jesaias geheilt wurde, indem er durch ein Feigenpflaster die Geschwulst zum Aufbrechen brachte. Noch Plinius berichtet, daß in Wein gesottene Feigen das beste Mittel zum Reifwerdenlassen von Karbunkeln und Furunkeln seien.
Von Syrien verbreitete sich die Feigenkultur früh nach Kleinasien, wo später besonders in Karien eine so gute Sorte gezogen wurde, daß diese in Menge exportiert wurde. Auch in Lydien galten die Feigen neben dem Wein so sehr als die ersten Güter des Lebens, daß nach Herodot diejenigen, die dem Könige Kroisos (Crösus) den Zug gegen den Perser Kyros abrieten, sich darauf beriefen, jene Menschen tränken nicht einmal Wein, sondern Wasser, und hätten auch keine Feigen zur Nahrung. Das homerische Zeitalter Griechenlands zu Ende des 2. vorchristlichen Jahrtausends kannte die westasiatische Feige noch nicht. An den wenigen Stellen, an denen vom Feigenbaum die Rede ist, handelt es sich unverkennbar um den als erineós bezeichneten wilden Feigenbaum, der schon in vorhistorischer Zeit über das ganze Mittelmeergebiet verbreitet war. So berichtet die Ilias von einem großen wilden Feigenbaum, der vor Troja stand, und die Odyssee von einem solchen, der über dem Strudel der Charybdis (bei Messina) sich erhob. Noch in augusteischer Zeit berichtet der um 25 n. Chr. verstorbene, aus Amasia in Pontos gebürtige griechische Geograph Strabon, daß zu seiner Zeit bei Troja, wo der Simoïs und Skamander zusammenfließen, eine rauhe, mit wilden Feigenbäumen besetzte Stelle sei, und damals noch der vom Dichter Homeros erwähnte wilde Feigenbaum (erineós) gezeigt werde. Nur in einer offenkundig ganz späten Stelle der an sich gegenüber der Ilias ziemlich jüngeren Odyssee wird der süße Feigenbaum (sykéē glykerḗ) als neben anderen Fruchtbäumen im[S. 132] Garten des Phäakenkönigs Alkinoos stehend erwähnt. Diese Stelle wird allgemein als ein Einschiebsel aus späterer Zeit aufgefaßt. Die Forschung hat sicher festgestellt, daß die Griechen an der kleinasiatischen Küste erst im 9. Jahrhundert v. Chr. mit dem von ihnen als sykḗ bezeichneten Feigenbaume mit eßbaren Feigen, sýkoi genannt, von Osten her bekannt wurden. Der im 8. Jahrhundert in Böotien lebende Dichter Hesiod kennt diesen edlen Feigenbaum noch nicht; erst Archilochos ums Jahr 700 v. Chr. erwähnt Feigen als Erzeugnis seiner Heimatinsel Paros. In Attika soll die Personifikation der Frucht hervorbringenden mütterlichen Erde, Demeter (eigentlich Gē mḗtēr) den Feigenbaum als Geschenk dem Phytalos, der sie gastlich aufnahm, aus der Erde haben hervorsprießen lassen, wie bei anderer Gelegenheit Athene den Ölbaum. Der griechische Geschichtschreiber Pausanias berichtet in seiner zwischen 160 und 180 n. Chr. verfaßten Reisebeschreibung durch Griechenland, er habe noch die Inschrift auf dem Grabe des Heroen gelesen, die folgendermaßen lautete:
Wein und Feigen wurden in Griechenland bald allgemeines Lebensbedürfnis, das arm und reich gleichermaßen zum täglichen Mahle verlangte. Wohl jeder Athener war, wie es Plato von sich aussagt, philósykos, d. h. ein Feigenfreund. Neben Sikyon, der Gurkenstadt im Peloponnes, nahe der Meerenge von Korinth, rühmte sich die Landschaft Attika der besten Feigen; und wie stolz gerade die Athener auf dieses Produkt ihrer Kulturen waren, lehrt die von einem aus ihrem Kreise erfundene Sage, der mächtige Perserkönig Xerxes habe sich nach seiner Niederlage gegen die griechische Flotte bei Salamis im Jahre 480 v. Chr. bei jeder Mittagstafel durch ihm vorgesetzte attische Feigen daran erinnern lassen, daß er das Land, in welchem sie wüchsen, noch nicht sein nenne und jene Früchte, statt sie sich von den Einwohnern als seinen Untertanen steuern zu lassen, als ausländische Ware kaufen müsse.
Mit der griechischen Kolonisation gelangte der Feigenbaum schon früh auch nach Sizilien und Unteritalien. Von hier aus wurden dann die Bewohner Mittelitaliens mit ihm bekannt und aus dem griechischen sýkos wurde das lateinische ficus. Ja, er findet sich sogar in die Sage von der Gründung Roms verflochten, indem die ausgesetzten Zwillinge,[S. 133] Romulus und Remus, von der Wölfin unter dem ruminalischen (von rumen, Zitze) Feigenbaum sollen gesäugt worden sein. Es ist ganz derselbe Zug der Sage, der den den Juden der späteren Zeit ganz unentbehrlichen Feigenbaum in den Garten Eden, das Paradies, versetzen ließ.
Noch zur Zeit des Kaisers Tiberius wurden nach Plinius wie heute edle Feigenarten direkt von Syrien nach Italien verpflanzt. Besonders beliebt in Rom waren nach ihm die kaunischen, die überall auf den Straßen der Weltstadt von fahrenden Obsthändlern ausgerufen wurden. Diese kaunischen Feigen haben einmal dem Marcus Crassus, als er gegen die Parther zu Felde ziehen und an Bord des Schiffes gehen wollte, Verderben prophezeit, indem ein Feigenverkäufer kaunische Feigen mit dem Geschrei: cavneas ausbot, worin die Worte cave ne eas „hüte dich zu gehen!“ lagen. Es war dies im Jahre 53 v. Chr., als der wegen seines ungeheuren Reichtums von 30 Millionen Mark mit dem Beinamen dives, d. h. der Reiche belegte Triumvir (neben Cäsar und Pompejus) sich als Prokonsul nach Syrien begab, um die Parther zu bekriegen, wobei er bei Carrhae besiegt und dann hinterlistig getötet wurde.
Derselbe Plinius berichtet, daß die Feigen so groß wie Birnen werden, und daß man zu seiner Zeit nicht weniger als 29 verschiedene Sorten derselben unterschieden habe, die in Italien angepflanzt wurden; doch seien die besten Eßfeigen von den Römern aus Kleinasien und Nordafrika bezogen worden. „Wo es Feigen von vorzüglicher Güte gibt,“ sagt er, „da trocknet man sie an der Sonne und bewahrt sie in Kästchen auf. Die Insel Ebusus (jetzt Iviza, die größte der Pityusen- oder Fichteninseln bei den spanischen Balearen) liefert ausgezeichnete Ware, auch das Land der Marruciner (in Latium). Wo sie in größerer Menge vorhanden sind, füllt man große Fässer damit, wie in Asien; in der afrikanischen Stadt Ruspina füllt man sie in kleinere. Getrocknete Feigen werden statt Brot gegessen. Der Genuß frischer Feigen dagegen ist der Gesundheit nicht zuträglich.“ Außer als beliebte Volksnahrung, die sie überall im Süden bis auf den heutigen Tag geblieben sind, verwandte man sie auch zur Essigbereitung. Der aus Gades (dem heutigen Cadix) in Spanien gebürtige römische Ackerbauschriftsteller Columella im 1. Jahrhundert n. Chr. rühmt solchen besonders. Er schreibt: „Es gibt Gegenden, die Mangel an Wein und also auch an Essig haben. In solchen muß man die Feigen so reif als möglich sammeln, namentlich, wenn schon Regen eingetreten ist und sie von selbst vom Baume fallen. Man tut sie in große Töpfe[S. 134] und läßt sie da gären. Ist die Gärung so weit vorgeschritten, daß die Feigen sauer geworden sind, wird alle Flüssigkeit, die nun aus Essig besteht, sorgsam geseiht und in ausgepichte, wohlriechende Gefäße gegossen. Solcher Essig ist ausgezeichnet gut und scharf, und wird nie trübe und schimmelig, wenn er nicht an einem feuchten Orte steht.“
Wie Plinius, meint auch sein Zeitgenosse, der aus Kilikien gebürtige griechische Arzt Dioskurides: „Frische Feigen sind, wenn auch reif, dem Magen schädlich, erregen Ausschlag und Schweiß, beschwichtigen Durst und Hitze. Trocken sind sie nahrhaft, erwärmen auch, erregen Durst, bekommen dem Magen gut.“ Die reifen Früchte müssen gleich nach dem Abpflücken gegessen werden und dürfen nicht viel mit den Fingern gedrückt werden; daher soll nach Plinius der ältere Cato, der im Jahre 149 v. Chr. verstorbene unversöhnliche Gegner des wieder aufblühenden Karthago, im römischen Senat eine frühreife (praecox) Feige aus Karthago vorgewiesen und gesagt haben: „Ich frage euch, wann glaubt ihr, daß diese Frucht vom Baume gebrochen wurde?“ Wie nun alle sie als frisch anerkannten, fuhr er fort: „So wisset denn, daß sie vorgestern in Karthago gepflückt wurde; so nahe an unseren Mauern haben wir den Feind, daher stimme ich für die Vernichtung desselben.“ Als er diese Worte gesprochen — fährt Plinius fort — ward der Krieg gegen Karthago beschlossen, welcher mit der Zerstörung jener Stadt endete. Jedenfalls wird jenes fanatisch die gefürchtete Rivalin Roms hassende Original, das als Zensor die altrömische Sittenstrenge und Einfachheit der Lebensweise aufrecht zu erhalten bestrebt war, eine unreif in Karthago gepflückte und erst unterwegs durch Liegen zum Reifen gebrachte Frucht in der Kurie vorgezeigt haben, um die Kriegserklärung durchzudrücken.
Gemäß der volkstümlichen Ansicht, die Dioskurides und Plinius vertreten, daß nämlich frische Feigen der Gesundheit nicht zuträglich seien, wohl aber getrocknete, wurden tatsächlich auch vorzugsweise getrocknete Feigen gegessen. Nach Columella wurden sie in der Sonne gedörrt und, in gut gepichte, weite Tonkrüge festgetreten und unten und oben mit Fenchel bestreut, gut verschlossen an einem trockenen Orte aufbewahrt. So erhielten sie sich sehr lange gut. „Andere suchen die saftigsten frischen Feigen aus, teilen sie mit einem aus Rohr verfertigten Messer oder mit den Fingern, lassen sie an der Sonne einschrumpfen und kneten sie dann zur Mittagszeit, wenn sie von der Sonne durchwärmt sind, nach Sitte der Afrikaner und Spanier zu Kuchen zusammen, die Sterne, Blumen oder Brote darstellen, trocknen[S. 135] sie dann vollends in der Sonne und legen sie endlich in Gefäße.“ Welche Mengen dieser getrockneten Feigen gelegentlich von einzelnen verzehrt wurden, läßt uns der Geschichtschreiber Julius Capitolinus ahnen, wenn er schreibt: „Clodius Albinus, welcher von dem in Gallien stehenden römischen Heere zum Kaiser ausgerufen wurde (als Gegenkaiser des Septimius Severus, von dem er alsbald 196 n. Chr. bei Lyon geschlagen wurde, wobei er umkam), war, wie Cordus in seinem Werke erzählt, so gefräßig, daß man es kaum für möglich halten sollte. So z. B. verzehrte er nüchtern 500 getrocknete Feigen von der Sorte, welche die Griechen kallistruthia nennen, oder 100 kampanische Pfirsiche oder 10 hostiensische Melonen oder 20 Pfund lavikanische Trauben oder 100 Feigendrosseln oder 400 Austern.“
Der gelehrte Varro (116–27 v. Chr.) schreibt: „Die Samen der Feigen sind so klein, daß kaum Pflänzchen aus ihnen entstehen können. Man pflanzt daher in der Baumschule (seminarium) lieber junge Reiser von Feigenbäumen, als daß man Samen sät. Letzteren wendet man nur an, wenn man keine frischen Reiser haben kann, wie z. B. dann, wenn man sich ausländische Feigensorten will über das Meer kommen lassen. In diesem Falle werden reife Feigen an Bindfäden gebunden, getrocknet, verschickt und so in die Erde gelegt. Auf diese Weise sind die Feigensorten, welche jenseits des Meeres heimisch sind, nach Italien gekommen.“ Nach einem griechischen Schriftsteller der Geoponika wurde die Feige auch auf Maulbeerbäume und Platanen gepfropft, und zwar nicht bloß wie andere Bäume im Frühjahr, sondern auch im Sommer bis zur Wintersonnenwende. Columella schreibt: „Den Feigenbaum darf man bei Kälte nicht pflanzen. Er liebt sonnige, steinige und felsige Stellen. Er gedeiht schnell, wenn man ihn in eine weite Grube setzt. Alle Feigensorten werden, obgleich sie sich durch Geschmack und Ansehn unterscheiden, auf einerlei Weise gepflanzt. An kalte Standorte, die im Herbste wasserreich sind, bringt man Frühsorten, damit die Ernte vor eintretendem Regen eingebracht werden kann. An warme Stellen pflanzt man Spätsorten. Will man eine Frühsorte künstlich in eine Spätsorte verwandeln, so bricht man die ersten Früchte, wenn sie noch klein sind, ab, worauf der Baum andere treibt, welche dann erst im Winter reifen. Zuweilen ist es nützlich, den Feigenbäumen, wenn das Laub bei ihnen hervorbricht, die Spitzen abzuschneiden und hierdurch die Fruchtbarkeit zu steigern. Jedenfalls bekommt es dem Baume sehr gut, wenn man ihm zur Zeit, da die Blätter treiben, mit rotem Ton nebst dem Preßrückstand von Oliven[S. 136] und Menschenkot, so weit seine Wurzeln reichen, begießt. Dadurch werden die Feigen größer, fleischiger, besser.“
Schon in der römischen Kaiserzeit kamen die Feigen von der karischen Küste Kleinasiens als eine besonders vorzügliche Sorte unter dem Namen caricae nach Rom, obschon auch in Italien ganz gute Sorten wuchsen. Feigen nebst Datteln und Honig bot man am Neujahrstage den Göttern als Opfer und den Freunden als Geschenk dar. Schon im Altertum wurde der Feigenbaum in Spanien und Nordafrika, wie auch im südlichen Frankreich angepflanzt. Heute reicht sein Kulturgebiet von der Bretagne bis zum Kap der guten Hoffnung. Nach China gelangte er erst nach dem 8. Jahrhundert, in der Neuzeit nach Australien und bald nach der Entdeckung des neuen Weltteils auch nach Amerika, wo er heute besonders in Kalifornien im großen gezogen wird. In den eigentlichen Tropen wächst der Feigenbaum zwar ganz gut, wenigstens da, wo das Klima nicht zu feucht ist, jedoch erreichen seine Früchte daselbst nirgends dieselbe Vollkommenheit wie in den Subtropen.
Der Feigenbaum wird selten höher als 6 m. Überall im Orient wird er meist in Gärten gezogen, die höchstens einigemal gehackt oder umgepflügt werden. Man vermehrt ihn dort durch Ableger. Will man von einem Baum eine andere Sorte Feigen erzielen, so schneidet man den Stamm unmittelbar am Boden ab und vollzieht die Veredelung durch Einsenken von Pfropfreisern in je einen Spalt. Die Edeltriebe können schon im ersten Jahre über mannshoch werden und sogar einige Früchte tragen. Zuerst kommen die Frühfeigen, die im April noch unreif mit Salz als Delikatesse verspeist werden. Im Mai treiben die Sommerfeigen, die Anfang Juni reifen und als schöne, große, grünhäutige, sehr saftige Erstlinge auf den Markt kommen. Von Ende Juli bis November reifen die verschiedenen anderen Sorten in ununterbrochener Reihenfolge, bis im Dezember, wenn schon alle Blätter durch die Winterstürme weggefegt sind, die letzten Spätfeigen gepflückt werden. Ein guter Teil der Feigen wird in Palästina frisch verzehrt, ein bedeutend größerer aber an der Sonne getrocknet. Wenn die Feigen eines Baumes infolge des welk gewordenen Stieles schlaff herabhängen, so schüttelt man den Baum, liest die abgefallenen Früchte zusammen und breitet sie auf der Erde aus, um sie etliche Tage an der Sonne trocknen zu lassen. Zur Aufbewahrung für den Winter werden sie in weithalsige Tonkrüge fest zusammengepreßt, damit die Luft keinen Zutritt habe und sie sich weich und gut erhalten. Ge[S. 137]trocknete Feigen werden auch vermöge ihres reichen Zuckergehaltes zur Schnapsfabrikation verwendet. In Gegenden, in denen die Sonnenwärme nicht zum Dörren der Feigen genügt, werden sie in besonderen Öfen getrocknet und gelangen dann in Kisten verpackt zum Versand. Die sehr große, weißlichgelbe Smyrnafeige läßt sich sehr gut dörren und gibt im Jahre zwei Ernten. Von ihr werden jährlich 35 Millionen kg im Werte von 6,5 Millionen Mark ausgeführt. Viele Sorten eignen sich jedoch nicht zum Trocknen und müssen roh verzehrt werden. Besonders im Sommer halten sie sich nicht lange, sondern gehen bald in Gärung über und sind dann an ihrem säuerlichen Geschmack erkenntlich. Man bewahre sie deshalb auch getrocknet an einem möglichst kühlen Ort auf, lasse sie in fester Verpackung und schütze sie vor dem Zutritt der Luft. Der weiße Staub, der an der Oberfläche getrockneter Feigen zu bemerken ist, rührt von ausgetretenem Traubenzucker her. In manchen Gegenden Italiens überstreut man die Feigen mit Kastanienmehl, wodurch ihnen Feuchtigkeit, aber auch Zucker entzogen wird. Vielfach wird auch Mus aus den Feigen gemacht. In Spanien macht man daraus einen Käse, dem man geschälte Mandeln, Haselnüsse, Pinien- und Pistaziennüsse, feine Kräuter und Gewürze zusetzt. Getrocknet und braun geröstet liefern sie den Feigenkaffee.
Die Eßfeigenbäume sind die nur Fruchtblüten enthaltenden weiblichen Feigenstöcke, während die nichtkultivierten männlichen Stöcke die nichteßbaren Bocksfeigen liefern. Letztere hießen im Altertum bei den Griechen erinón, bei den Römern caprificus und dienten damals schon zur Befruchtung der in der Kultur zu eßbaren Früchten ausgebildeten Früchte der weiblichen Pflanze. Diesen Vorgang nennt man Kaprifikation. Damit hat es folgende Bewandtnis: Die als Bocksfeigen bezeichneten Früchte der nicht durch Kultur veredelten männlichen Feigenbäume stellen Urnen dar, die bloß an der Mündung männliche Pollenblüten, sonst aber ausschließlich sogenannte Gallenblüten tragen. Letztere sind von einer winzigen Inquiline oder Gallwespe, der Feigenwespe (Blastophaga grossorum) mit dem Legestachel angebohrte und mit je einem Ei belegte Fruchtblüten, deren Fruchtknoten zur Galle wird, indem die weiße, fußlose Larve des Insekts die ganze Samenanlage zu ihrem Wachstume verbraucht. Wenn die kleinen Wespen herangewachsen sind, verlassen sie die Gallen. Und zwar schlüpfen die flügellosen Männchen zuerst aus, indem sie durch Zerbeißen der sie beherbergenden Galle ein Loch in ihrer Kinderwiege zum Ausschlüpfen[S. 138] herstellen. Später tun dies auch die beflügelten Weibchen, die alsbald von den Männchen noch in der Urne der Bocksfeige befruchtet werden. Nun streben sie in die Weite. Indem sie zu diesem Zwecke zur Urnenmündung emporklettern, beladen sie sich am ganzen Körper mit dem Blütenstaub der dort gelegenen Pollenblüten, den sie beim Aufsuchen neuer Urnen an die Narben der der Befruchtung harrenden Fruchtblüten abstreifen. Sie suchen nämlich ausschließlich diejenigen Urnen auf, die sich in einem jüngeren Entwicklungsstadium befinden, um dort ihre Eier in die Fruchtknoten zu legen. In die normalen Fruchtblüten der gewöhnlichen Feige können diese Wespen keine Eier legen, da ihr Legestachel zu kurz ist, um bis an die Fruchtknotenhöhle hinabgestoßen zu werden. Die dort hineingesenkten Eier bleiben in einer für ihre Weiterentwicklung ungünstigen Stelle des Griffels liegen und gehen zugrunde. Der dabei auf die Narben gebrachte Pollen aber befruchtet diese Blüten, während der auf die Gallenblüten gelangte wirkungslos bleibt, da deren Narben mehr oder weniger verkümmert sind. Diese letzteren dagegen besitzen einen kurzen Griffel und sind zur Aufnahme des Insekteneies vorzüglich geeignet. Sie bringen nun auch die jungen Wespen hervor, welche jeweilen die Befruchtung der Feigen zu übernehmen haben.
Die Kaprifikation der Feige wird in der Weise vorgenommen, daß man vom männlichen wilden Feigenbaume Zweige mit Feigen oder einzelne Feigen abschneidet und sie oben in kultivierte weibliche Feigenbäume hineinhängt. Aus den bald verwelkenden wilden Feigen sind dann die Gallwespen gezwungen, auszukriechen und die zahmen Feigen aufzusuchen und zu befruchten. Diese Kaprifikation ist eine Erfindung der Semiten Arabiens und Syriens, die diese Methode mit der Feigenkultur weiter verbreiteten, um dem Abfallen der weiblichen Eßfeigen infolge Nichtbefruchtung zu wehren. So wurde sie auch von den alten Griechen geübt. Schon der Vater der griechischen Geschicht[S. 139]schreibung Herodot erwähnt sie im 5. vorchristlichen Jahrhundert. Drei Generationen später schreibt der treffliche Pflanzenkenner Theophrastos in seiner Pflanzenkunde darüber: „Dem Abfallen der Früchte des Feigenbaumes (sykḗ) beugt man durch die Kaprifikation (erinasmós) vor. Man hängt nämlich, wenn es geregnet hat, an den zahmen Baum wilde Feigen, Bocksfeigen (erineós), aus denen Gallwespen (psḗn) hervorkommen, welche in die zahmen Feigen von deren Außenende aus hineinkriechen. Daß eine Frucht kaprifiziert ist, erkennt man daran, daß sie rot, bunt und derb wird, während die nichtkaprifizierte weiß und kraftlos ist. Übrigens fallen die Feigen ohne Kaprifikation nicht überall ab; in Italien z. B. sollen sie hängen bleiben und deshalb wird dort jenes künstliche Mittel nicht angewendet. Auch in den nördlichen Gegenden und auf magerem Boden Griechenlands soll die Kaprifikation nicht nötig sein, wie bei Phylakos im Gebiet von Megara und in manchen Gegenden bei Korinth. Auch bei Wind, namentlich bei Nordwind, fallen die Feigen leichter ab, besonders wenn sie in großer Menge vorhanden sind, desgleichen werfen Frühsorten leichter ab als späte, weshalb man letztere nicht kaprifiziert.“
Einen Sinn hat die Kaprifikation in der Gegenwart nur dann, wenn man keimfähige Samen zur Vermehrung der Feigenbäume zu erhalten begehrt. Da aber die Feigenbäume heute nicht mehr aus Samen, sondern aus Stecklingen gezogen werden, ist die Kaprifikation eigentlich überflüssig; denn im Laufe der Zeit und durch die Kultur begünstigt, hat die Feige die Eigenschaft erworben, auch ohne Bestäubung durch die Wespen saftig und süß zu werden. Doch wird sie gleichwohl an den meisten Orten, namentlich in Unteritalien, Sizilien, Griechenland und den griechischen Inseln, Kleinasien, Syrien, Tripolis, Algier, Südspanien und Portugal noch immer ausgeführt, indem man glaubt, daß sie das Abfallen der unreifen Feigen verhindere und eine frühere Reife herbeiführe, sowie daß ein kaprifizierter Baum sehr viel mehr Feigen trage, als ein nichtkaprifizierter. Die Kaprifikation unterbleibt dagegen in Nord- und Mittelitalien, Tirol, Sardinien, Südfrankreich, Nordspanien, Portugal, Ägypten, auf den Kanaren und den Azoren. Diese eigentümliche Befruchtungsart durch speziell angepaßte kleine Wespen finden wir übrigens bei allen Ficusarten, deren die Tropen eine Fülle oft sehr großer, baumartiger Formen beherbergen. Aber nur noch die Sykomore — von den alten Griechen so, d. h. Feigenmaulbeerbaum genannt — wird in Ägypten, wo ihre Früchte seit uralter Zeit ein beliebtes Volksnahrungsmittel sind, kaprifiziert.
Die Sykomore (Ficus sycomorus), der Maulbeerfeigenbaum, ist ein 13–16 m hoher Baum Afrikas mit dickem Stamm und immergrünen, fast herzförmig eirunden Blättern. Seine walnußgroßen, gelblichen Früchte von angenehm süßem und gewürzhaftem, maulbeerähnlichem Geschmack treten in Büscheln oft zu Hunderten unmittelbar aus dem Stamm und werden von Menschen und Tieren sehr gerne gegessen. Um vollkommen reif zu werden, sticht oder ritzt man sie einige Tage vor der Reife an, wobei ein bitter schmeckender Saft abfließt. Der Baum liebt feuchten Boden und wächst deshalb mit Vorliebe am Wasser. Das weiche, schwer verwesliche Holz war im Niltal das wichtigste einheimische Werkholz, das zu allerlei Geräten, besonders aber zur Herstellung der Mumiensärge diente.
Infolge des mannigfachen Nutzens, den sie gewährte, begreifen wir die Hochachtung, welche die Sykomore im alten Ägypten als der Isis und Hathor, den Göttinnen der Fruchtbarkeit und Liebe, geweihter Baum genoß. Sie hieß altägyptisch nuhi und galt als Typus eines Baumes, nach welchem andere neu eingeführte genannt wurden, z. B. der Feigenbaum: die Feigensykomore, der Weihrauchbaum: die Weihrauchsykomore, die Terpentinpistazie: die Harzsykomore usw. Nicht bloß aß das Volk seit den ältesten nachweisbaren Zeiten gerne seine gewöhnlich als „Eselsfeigen“ bezeichneten Früchte, sondern opferte diese mit Vorliebe den Toten. Den Ägyptern des alten Reiches war der Reichtum des Nillandes an Sykomoren ein besonderer Stolz und sie fügten meist dem Namen ihres Landes „Kem“, was „Schwarze Erde“, d. h. fruchtbares Schwemmland des Nils, im Gegensatz zur sterilen gelben Wüste bedeutet, zur Kennzeichnung der kultivierten, baumtragenden Niederung, das Deutbild eines Baumes bei; und zwar war es die Sykomore, nach welcher sie ihre Heimat auch das „Land des Nuhibaumes“ nannten, etwa wie sich ein Teil Deutschlands das „Land der Eichen“ nennen kann. In ihrem Schatten lebten die Lebenden und aßen ihre Früchte, die auch den Toten die liebste Opfergabe war, so daß sich ganze Körbe davon getrocknet in den Grabkammern fanden. Zweige und Blätter derselben dienten zum Schmucke der Mumien, die in Särgen aus Sykomorenholz ruhten. Und nicht nur stand als „Baum des Lebens“ nach dem Totenbuch der alten Ägypter eine Sykomore am Eingang zum Reiche der Seelen, sondern im Laube dieser Bäume dachte man sich die Geister der Verstorbenen mit Vorliebe hausend. Darum ist es nach dem Zeugnis so vieler Steleninschriften der heißeste Wunsch des Abgeschiedenen, unter einer Sykomore zu wohnen. Des[S. 141]halb pflegte man diese Bäume in eigenen Grabgärtchen, die wenn möglich von Wasser aus dem Nilstrom umflossen waren, zu pflanzen. Noch zur Zeit der 18. und 19. Dynastie, d. h. im neuen Reiche (von 1550 bis 1200 v. Chr.), wünscht sich der Tote in stehender Formel: „Möge meine Seele (ka) sitzen auf den Zweigen des Grabgartens, den ich mir bereitet habe; möge ich mich erfrischen tagtäglich unter meiner Sykomore.“ So war einst dem anspruchloseren Bewohner des Landes die Sykomore auch im Diesseits ein „Baum des Lebens“, zugleich Obdach gegen die sengende Hitze des Mittags und Nahrungsspenderin. Erst in späterer Zeit nahm ihre Wertschätzung gegenüber anderen Fruchtspendern ab und ihre Früchte, die Eselsfeigen, galten jüngeren Geschlechtern für weniger schmackhaft. Dem gibt der jüdische Prophet Amos im 8. vorchristlichen Jahrhundert Ausdruck, indem er zu König Amazia sagt, daß jene Früchte nur noch die dürftige Nahrung der Kuhhirten bilden: „Ich bin kein Prophet, noch eines Propheten Sohn, sondern ich bin ein Kuhhirt, der Maulbeerfeigen ablieset.“ Auch bei den übrigen Völkern des Altertums waren die Eselsfeigen wenig geschätzt. So schreibt der griechische Geschichtschreiber Strabon: „In Ägypten gibt es einen Maulbeerbaum (sykáminos), dessen Frucht sykómōron heißt; sie ist einer Feige ähnlich, schmeckt aber nicht sonderlich gut.“ Und Dioskurides beschreibt ihn, wie schon 300 Jahre vor ihm Theophrast, sehr ausführlich: „Der ägyptische Maulbeerbaum (sykáminos), der, wie dessen Frucht, auch sykómōron heißt, ist ein großer Baum, dem Feigenbaum ähnlich, sehr saftreich, hat dem Maulbeerbaum (mōréa) ähnliche Blätter und trägt drei- bis viermal des Jahres Früchte, die aus dem Stamme selbst kommen. Sie sind denen des wilden Feigenbaums ähnlich, haben aber keine Kerne und werden nur reif, wenn man sie mit den Fingernägeln ritzt oder mit eisernen Nägeln kratzt. Die meisten Bäume dieser Art wachsen in Karien, auch auf Rhodos, überhaupt an Orten, welche arm an Weizen sind; sie geben dort einigen Schutz gegen Hungersnot. Die Frucht gibt übrigens nur wenig Nahrung. Die Rinde des Baumes verwundet man absichtlich, fängt den ausfließenden Milchsaft mit einem Badeschwamm (spóngos) oder mit Wolle auf, trocknet ihn und braucht ihn innerlich und äußerlich zu Heilzwecken.“
Wie das gemeine Volk im Niltal seit alters gerne die Sykomorenfrüchte, trotz ihres etwas faden Geschmackes ißt, so schmausen südlicher wohnende Eingeborenenstämme Afrikas die Früchte nahe verwandter Arten. So wächst beispielsweise in Ostafrika eine besondere Maulbeerfeigenart, die Ficus capensis, deren Früchte in allen Ortschaften der[S. 142] Landschaft Usambara auf den Markt kommen, aber an Wohlgeschmack diejenigen der echten Sykomore lange nicht erreichen. Übrigens findet man auch in Südpersien zwei wilde Feigenarten (Ficus persica und Ficus iohannis) mit haselnußgroßen, eßbaren Früchten, die von den anspruchslosen Eingeborenen gerne gegessen werden.
Wie der süßfrüchtige Feigenbaum ist auch der edle Ölbaum (Olea europaea) ein Gewächs des südlichen Vorderasiens, das in dieser seiner eigentlichen Heimat von den dort wohnenden semitischen Volksstämmen früh veredelt und durch Kulturauslese zu lohnendem Fruchtertrage an dem für alle vorzugsweise von fettarmer Pflanzenkost, besonders Getreide, lebenden Menschen so wertvollen Öle gebracht wurde. Die älteste Öl liefernde Kulturpflanze der Menschheit scheint der Sesam (Sesamum indicum) gewesen zu sein, ein heute noch von Westafrika bis Japan in umfangreichem Maße angebautes einjähriges Kraut mit schön hellrot gefärbten, an den Fingerhut gemahnenden Blüten, das Indien zu seiner Heimat hat. Hier wurde es zur Kulturpflanze erhoben und gelangte von da schon sehr früh nach Babylonien, wo im Altertume alles Öl aus Sesam bereitet wurde. In den erst später zu höherer Kultur gelangten Ländern am Mittelmeer ist diese ältere Ölpflanze durch den jüngeren Ölbaum verdrängt worden, der im nördlichen, nahe dem Meere gelegenen Syrien oder Kilikien von den dort wohnenden Stämmen, vermutlich aus der engeren Verwandtschaft der Chethiter, schon im 3. vorchristlichen Jahrtausend zur Kulturpflanze erhoben wurde. Die wildwachsende Form mit kleinen, nur mit einem sehr dünnen Fruchtfleisch umgebenen Früchten findet sich seltener als Baum, meist als Strauch durch ganz Westasien und wurde schon in vorgeschichtlicher Zeit durch Vögel, die seine Früchte verzehrten, durch das ganze Mittelmeergebiet verbreitet. Noch heute tritt er uns überall bis zu den Azoren und Kanaren in den Macchien als Oleaster entgegen. Wie die Feige gedeiht auch der zur wertvollen Kulturpflanze erhobene edle Ölbaum am besten auf Kalkboden in nicht zu großer Entfernung vom Meere. Schon sehr früh hat er sich über ganz Syrien verbreitet. Jedenfalls war er überall in Kanaan angepflanzt, als die Juden ums Jahr 1250 das Land eroberten, und ihre späteren Herrscher, besonders David und Salomo, beförderten dessen Anbau in jeder Weise. Das aus den Oliven gewonnene Öl wurde von den Juden in der mannigfaltigsten Weise verwendet: zum Schmälzen der Mehlspeisen, zum Opfer, zum Brennen in der Lampe und zum Salben des Haupthaares und Körpers überhaupt. Es galt auch als wert[S. 143]volles Tausch- und Zahlmittel. So erfahren wir, daß König Salomo, der von 993 bis 953 v. Chr. regierte, die am Tempelbau beschäftigten phönikischen Arbeiter teilweise mit Olivenöl entlohnte. Den Überschuß ihrer Ölproduktion verkauften die Juden nach den Zeugnissen der Bibel an die Phönikier und nach dem reichen, stark bevölkerten Ägypten, das allerdings schon längst eigene Ölbaumkulturen besaß. Der Begründer der Botanik, Theophrastos im 4. vorchristlichen Jahrhundert, berichtet von ausgedehntem Olivenbau in der Thebais, vermutlich den Oasen der libyschen Wüste, wo der Baum heute noch vielfach gepflanzt wird, sagt aber, daß auch das übrige Ägypten ein an Ölbäumen reiches Land sei. Da sie aber einen trockenen Boden lieben, gedeihen diese aber hier nur soweit, als die Überschwemmung von seiten des Niles fehlt. Aus demselben Grunde fehlte der Ölbaum auch in den Niederungen von Euphrat und Tigris, wo als Fettspender ausschließlich die Sesampflanze angebaut wurde.
Über Kleinasien gelangte der Ölbaum in der ersten Hälfte des 2. vorchristlichen Jahrtausends zu den Griechenstämmen am Ägäischen Meer. Während noch Hehn bestritt, daß in homerischer Zeit der Ölbaum in Griechenland selbst angebaut wurde, und annahm, daß alles Olivenöl, das damals vornehmlich zum Salben des Körpers von den Griechen gebraucht wurde, als Importware durch die Phönikier aus Syrien gebracht worden sei, wissen wir heute mit Sicherheit, daß der Ölbaum schon in mykenischer Zeit um die Mitte des vorletzten Jahrtausends v. Chr. in Griechenland selbst angebaut wurde. Nicht nur hat man auf mehreren bildlichen Darstellungen aus jener Zeit unverkennbare Darstellungen von Ölbäumen und in verschiedenen der Paläste Kretas und auf der Insel Thera steinerne Ölmühlen aus mykenischer Zeit gefunden, sondern in den Königsgräbern von Mykene fanden sich auch eine Anzahl Olivenkerne. Also muß der Baum damals schon im Lande selbst kultiviert worden sein und haben seine Früchte als Speise gedient.
Was in den homerischen Epen als phönikischer Import angeführt wird, war nicht sowohl reines, als parfümiertes Olivenöl, mit dem die Helden nach dem Bade von den Mägden eingerieben wurden. Mit solch duftendem Öle salbten sich nach Homer nicht nur die Menschen, sondern auch die unsterblichen Götter, so Hera, die sich dem Zeus angenehm machen wollte. In der Schatzkammer des Odysseus wie des Telemachos lag neben Gold, Silber, Erz, Kleider und Wein auch Olivenöl (élaion). Wie Telemachos nach dem Bade mit Öl gesalbt[S. 144] und mit schönen Kleidern angetan wurde, „daß er aussah wie ein unsterblicher Gott“, salbte Patroklos auch die Mähne seiner Streitrosse, wenn sie gewaschen worden waren, mit Olivenöl. Desgleichen tat Achilleus mit den Mähnen seiner Pferde, die als Söhne des Windgottes Zephyr unsterblich waren. Und wie die liebreizende Aphrodite nach Homer auf Cypern, dem Orte ihrer besonderen Verehrung, von den Chariten mit ambrosischem Öle gesalbt wurde, dessen Duft, wenn es bewegt wurde, Himmel und Erde durchdrang, so salbte sie damit auch den Leichnam ihres von Achilleus gefällten Lieblings Hektor. Mit ihm reinigte Athene gleicherweise das gramerfüllte Gesicht von Odysseus treuer Gattin Penelope während des Schlafes, damit es bei ihr, die sich in Trauer um ihren verschollenen Gemahl weder gewaschen noch gesalbt hatte, mit der unsterblichen Schönheit leuchte, die die schönbekränzte Liebesgöttin umgibt, wenn sie damit gesalbt zum lieblichen Reigen der Chariten geht. Aber nicht nur das Olivenöl, auch das Holz des Ölbaums, und zwar des elaíē genannten Kulturbaums, spielt in den homerischen Epen eine nicht unbedeutende Rolle. Nicht nur standen im Garten des Phäakenkönigs Alkinoos reichlich Frucht tragende Ölbäume, sondern aus Olivenholz waren die Keule des Kyklopen Polyphem, der Stiel der Streitaxt des Peisandros und das Bettgestell, das sich Odysseus in seiner Heimat Ithaka eigenhändig gezimmert hatte, angefertigt.
Um so merkwürdiger muß es uns erscheinen, daß Herodot berichtet, der Ölbaum sei erst zur Zeit des attischen Gesetzgebers Solon (639–559 v. Chr.) nach dem griechischen Festlande gebracht worden. Damals kann nicht der Kulturölbaum an sich, sondern nur eine höher gezüchtete Abart mit größeren Früchten nach Hellas gekommen sein. In der Tat weisen die in mykenischen Fundschichten zutage getretenen Steinkerne auf eine noch recht kleinfrüchtige Olivenart hin. Nach der attischen Sage soll Athene selbst dem Könige Theseus auf der Burg den Ölbaum geschaffen haben, und nach der Erzählung der Bewohner von Elis soll ihn Herakles von den Hyperboräern im äußersten Nordwesten dorthin gebracht haben. In zahlreichen griechischen Mythen ist vom Ölbaum die Rede, und mit Zweigen von ihm bekränzte man nach uralter Sitte die Sieger der Wettkämpfe in Olympia. Mit Vorliebe nahm man sie von den Bäumen in den heiligen Bezirken, die teilweise ein sehr hohes Alter aufwiesen. So stand auch auf dem Marktplatze der Stadt Megara, westlich von Athen, ein uralter Ölbaum, dessen Jugend bis in die Heroenzeit hinaufgereicht haben soll.[S. 145] Von solchen als heilig und unverletzlich gehaltenen Ölbäumen ist auch in Athen die Rede. So waren im Garten der Akademie solche der Athene geweihte und daher unantastbare Ölbäume, die von dem alten, durch die Stadtgöttin selbst auf der Akropolis einst hervorgezauberten und später nach der Verbrennung durch die Perser im Jahre 481 v. Chr. durch Wurzelschößlinge verjüngten Baume stammten und das Öl lieferten, von dem ein Krug voll beim gymnischen Agon während des großen, von Peisistratos um 540 v. Chr. gestifteten Panathenäenfestes den Siegespreis bildete.
Über die Erschaffung des Ölbaums auf der Akropolis in Athen berichtet uns ein ungenannter griechischer Autor, jedenfalls ein Athener, in den Geoponika, dessen 9. Buch ausschließlich vom Ölbaume und seinen Früchten handelt: „Anfänglich war die Erde ganz mit Wasser bedeckt. Da tauchte zuerst Attika aus dem großen Meere hervor, und es entstand ein Streit zwischen dem (Meergott) Poseidon und (der aus dem Haupte des Zeus entsprungenen) Athene, nach wessen Namen die da zu gründende Stadt benannt werden sollte. Zeus entschied, sie sollte dem gehören, der ihr das beste Geschenk gäbe. Poseidon gab der Stadt einen Hafen und Schiffswerften, Minerva aber schuf auf der Burg einen an Blüten und Früchten reichen Ölbaum, bekränzte sich mit dessen Zweigen, ward als Siegerin erklärt und nach ihrem Namen wurde die Stadt Athen genannt. Infolge dieser Begebenheit werden die Sieger in öffentlichen Wettkämpfen mit Ölzweigen bekränzt. Übrigens hat sich noch gefunden, daß ein Ölblatt auch anderweitig gute Dienste leisten kann; schreibt man nämlich darauf Athēná und bindet es um den Kopf, so vergeht das Kopfweh.“
Schon zu Beginn des 6. vorchristlichen Jahrhunderts hatte der weise Gesetzgeber Solon, der einer der sieben Weisen war, eingehende Bestimmungen über den Oliven- und Feigenbau in Attika erlassen. Nach ihm hat besonders Peisistratos sich den Anbau des nützlichen Ölbaumes auf der kahlen und damals schon durch Entwaldung baumlosen Landschaft Attikas angelegen sein lassen. Und als die Griechen ihre Kolonisation nach Westen ausdehnten, nahmen sie selbstverständlich den Anbau des Olivenbaums so gut als denjenigen des Weinstocks und des Feigenbaums als für sie unentbehrliche Nutzpflanzen mit sich. So bedeckten sich im Laufe des 7. und 6. vorchristlichen Jahrhunderts die Gestade Siziliens und Süditaliens mit jenen Pflanzen. Plinius sagt, daß nach Fenestella (der unter der Regierung des Kaisers Tiberius, die von 14–37 n. Chr. währte, lebte) es zur Zeit des Lucius[S. 146] Tarquinius Priscus (des 5. römischen Königs, eines Etruskers, der von 616–578 regierte) in Italien, Spanien und Afrika noch keine kultivierten Ölbäume gegeben habe. Erst unter der Regierung von dessen Sohn Lucius Tarquinius Superbus (der seinen Schwager Servius Tullius stürzte, um von 534–510 zu regieren) sei der erste Ölbaum nach Latium gekommen. Von da verbreitete er sich dann allmählich nach Norden bis an den Südabfall der Alpen, soweit ihm das Klima überhaupt vorzudringen gestattete. Diese Periode des Aufblühens des römischen Gemeinwesens war eine Zeit des lebhaftesten Verkehrs mit den griechischen Ansiedelungen Campaniens. Daß nun Griechen die Vermittler der Ölbaumkultur bei den Römern waren, beweisen schon die lateinischen Bezeichnungen oliva und oleum (Öl), die dem Griechischen elaíā und élaion entlehnt sind, wie übrigens auch sämtliche auf die Ölbereitung bezüglichen Ausdrücke. Schon im 1. Jahrhundert v. Chr. war Italien bis auf die Gegend nördlich vom Apennin, deren Klima bis heute keinen Ölbau duldet, so reich an Ölbäumen, daß es damals hierin allen übrigen Ländern am Mittelmeer den Rang ablief.
Der aus Spanien nach Rom gekommene römische Ackerbauschriftsteller Columella schreibt in seinem Buche über den Landbau: „Von allen Bäumen ist der Ölbaum dem Range nach der erste und erfordert dennoch den geringsten Aufwand. Für gewöhnlich trägt er nur ein Jahr ums andere, aber sein Fruchtertrag verdoppelt sich, wenn man ihn gut pflegt; andererseits bringt er doch auch dann einigen Nutzen, wenn man ihn viele Jahre hindurch vernachlässigt, und läßt sich durch bessere Pflege innerhalb Jahresfrist wieder in guten Stand bringen. Es gibt viele Olivensorten und im allgemeinen gilt bei ihnen die Regel, daß die großen besser zum Verspeisen, die kleinen dagegen besser zur Gewinnung von Öl sind. Große Hitze und große Kälte ist allen Sorten schädlich. Man pflanzt daher in heißen Gegenden diese Bäume am besten an nach Norden gelegenen Abhängen, in kälteren aber gegen Süden. Tiefe Täler und hohe Berge passen nicht für sie, sondern mäßige Hügel, wie man sie im Sabinerlande und im ganzen südlichen Spanien antrifft.“ Dann gibt er ausführliche Anleitung über die Anlage von Ölbaumpflanzungen (olivetum), auf die wir hier nicht näher eintreten wollen.
Columellas Zeitgenosse Plinius berichtet, daß im 505. Jahre Roms (249 v. Chr.) unter dem Konsulat des Appius Claudius und Lucius Iunius 2 Pfund Olivenöl 10 Asse (über 5 Mark) kosteten, daß im Jahre 74 v. Chr. dagegen 10 Pfund Olivenöl bloß 1 As (etwa[S. 147] 47 Pfennige) zu stehen kam, und 22 Jahre später unter des Gnäus Pompejus drittem Konsulat Italien einen solchen Überfluß daran besaß, daß noch welches in die Provinzen ausgeführt werden konnte. Dazu bemerkt er: „Zur Zeit des Hesiodus (im 8. Jahrhundert v. Chr.) muß man es mit der Olivenzucht (in Griechenland) noch nicht weit gebracht haben; denn er behauptet, niemand habe damals von seinen Ölbaumpflanzungen Nutzen gehabt. Jetzt aber besitzt man für diese Bäume eigene Baumschulen und erntet schon zwei Jahre, nachdem man sie aus ihnen herausgenommen hat, Früchte. Es gibt verschiedene Sorten von Oliven. Vergil nennt sie orchites, radius und posia. Die Olivenernte folgt auf die Traubenernte und die Behandlung des Öles ist anfangs schwieriger als diejenige des Mostes. Je reifer die Olive (bacca, d. h. Beere), desto fetter ist ihr Saft, aber desto schlechter schmeckt er. Die Zeit, in der Güte und Menge des Öls am besten in ihr vereinigt sind, zu der man sie also am liebsten erntet, ist die, da sie anfangen sich dunkel zu färben, da die Römer sie drupa, die Griechen drypetis nennen. Die frühreifen Olivensorten erntet man gleich nach Beginn des Herbstes; die dickschaligen läßt man bis zum März hängen, und mehrere von diesen fangen nicht einmal vor dem 8. Februar an, eine dunkle Farbe zu bekommen. Vom Baume genommene Oliven darf man nicht lange stehen lassen, da jeder Verzug die Ölmasse in ihnen vermindert, dagegen die Schleimmasse vermehrt. Frisches Öl ist zum Verspeisen am besten; wenn es über ein Jahr alt ist, schmeckt es schlecht, was beim Weine nicht der Fall ist. Außer dem Öl gewinnt man den Ölabgang (amurca), der zum Düngen der Ölbäume, zum Einölen der Krüge, zum Tränken der Tenne, auf welcher gedroschen werden soll, zum Bestreichen des Getreidespeichers, um Holzwürmer und anderes Ungeziefer abzuhalten, und als Heilmittel gut ist.“
Welche Bedeutung dem Olivenöl nicht bloß als Nahrungs- und Beleuchtungsmittel, sondern vor allem auch zur Körperpflege bei den Völkern des Altertums zukam, beweist der Ausspruch desselben Plinius, der sagt: „Es gibt zwei Flüssigkeiten, welche dem menschlichen Körper sehr willkommen sind; innerlich der Wein und äußerlich das Olivenöl; beide stammen von Bäumen, aber der Wein ist jedenfalls entbehrlicher als das Öl.“ Der griechische Philosoph Demokritos aus Abdera in Thrakien (460–360 v. Chr.), der die Torheiten der Menschen belächelte und das höchste Glück der Menschen in völlige Seelenruhe setzte, erwiderte auf die Frage, wie man gesund bleiben und seine Tage[S. 148] verlängern könne, mit der diätetischen Regel: „Innerlich Honig, äußerlich Olivenöl.“ An einer anderen Stelle, an der er die Bedeutung der Öleinreibung bespricht, meint Plinius: „Das Olivenöl hat die Eigenschaft, in die Haut eingerieben den Körper zu erwärmen, gegen Kälte zu schützen und die Hitze des Kopfes zu kühlen. Bei den Griechen steht auf den für die Gymnastik bestimmten Plätzen Öl, mit dem sich jeder umsonst salben darf. Auch der römische Staat erweist dem Ölbaum hohe Ehre, indem sich die Ritterscharen am 15. Juli mit dessen Zweigen bekränzen, was auch die siegreichen Feldherrn bei Ovationen tun.“
Wie schon in Griechenland ein Kranz aus Ölzweigen die höchste Auszeichnung des bei den Wettkämpfen siegenden Volksgenossen war, so trugen auch bei den Römern die im Felde gewesenen Diener lorbeergeschmückter Feldherrn einen Kranz von Ölzweigen. Der Ölzweig war den Alten überhaupt das Sinnbild des Friedens, und Besiegte, die um Frieden zu bitten kamen, trugen Ölzweige in den Händen. Dies wurde dann weiter auf den Frieden einer höheren Welt übertragen, wenn die frisch aufgenommenen Mitglieder der samothrakischen Mysterien Ölzweige trugen, oder wenn auf den Grabsteinen der ältesten Christen eine Taube mit dem Ölzweig im Schnabel dargestellt wurde. Im Altertum müssen die Ölbäume nur auf einem beschränkten Umkreis um die Ortschaften angepflanzt worden sein, was aus dem lateinischen Sprichwort hervorgeht: extra oleas vagari, d. h. über die Ölbäume hinausschweifen, im Sinne von zu weit gehen, übers Ziel schießen.
Bei der großen Bedeutung des Olivenöls für die antike Welt, kann es uns nicht wundern, daß von den Regierenden außer Brotkorn auch Öl dem Proletariat der Stadt Rom umsonst gespendet wurde. So berichtet uns Aelius Spartianus im Leben des Kaisers Septimius Severus, daß dieser bei seinem Tode im Jahre 211 einen Getreidevorrat in der Hauptstadt hinterließ, durch den der Bedarf auf sieben Jahre gedeckt war, so daß täglich 75000 Scheffel (modius) verausgabt werden konnten — es ist dies eine Menge, die reichlich zur Ernährung von 600000 Menschen hinreichte, so viele müssen also damals in Rom vom kaiserlichen Getreide gelebt haben —, „von Olivenöl aber hinterließ er so ungeheure Vorräte, daß sie auf fünf Jahre nicht bloß den Bedarf der Stadt Rom, sondern für ganz Italien genügten“. Bei der gewaltigen Produktion von Olivenöl ist es daher begreiflich, daß zur römischen Kaiserzeit ziemlich große Mengen desselben, außer[S. 149] aus Italien, auch aus Istrien und Dalmatien in die nördlich davon gelegenen Länder ausgeführt und daselbst gegen Vieh, Häute und Sklaven ausgetauscht wurden. Von Massalia, dem heutigen Marseille, aus, wohin die Griechen den Ölbaum schon im Jahre 680 v. Chr. mit dem Weinstocke verpflanzt hatten, rückte die Kultur dieser Nutzpflanzen in die durch ein warmes Klima und Kalkboden besonders für den Ölbaum geeignete Provence vor, wo die Ölbaumkultur bei der Eroberung durch die Römer bereits ausgedehnte Verbreitung besaß. Unter der Römerherrschaft wurde sie über das ganze südliche Gallien verbreitet. Im 7. Jahrhundert wird schon das Baumöl von Burdigala (Bordeaux) erwähnt.
Von dem Ertrage der Ölbaumpflanzungen, die sich der ganzen ligurischen Küste entlang erhoben, wurden die Volksstämme des Hinterlandes, wie der griechische Geschichtschreiber Strabon sagte, gegen Vieh, Häute und Honig mit dem zum Brennen der Öllampen nötigen Öle versorgt. Es als Fett zum Kochen zu benutzen, damit konnten sie sich zunächst so wenig befreunden, wie die übrigen Barbaren, auch die Griechen und Römer, als sie zuerst damit bekannt gemacht wurden. Auch konnte es nicht fehlen, daß die Küstengebiete Spaniens, soweit sie sich zum Anbau des Ölbaumes eignen, zur Zeit der römischen Herrschaft Ölbaumpflanzungen erhielten, die bis heute so gedeihen, als wären sie von jeher dort heimisch gewesen. Ebenso wurden die windgeschützten sonnigen Abhänge der norditalienischen Seen mit diesem nützlichen Fruchtbaume aus dem nördlichen Syrien bepflanzt, der auch ganz Nordafrika besiedelte und seit dem 15. Jahrhundert auf den Kanarischen Inseln, seit dem 16. Jahrhundert am Kap, ebenso in Mexiko und Peru, wohin ihn 1560 Antonio Ribero brachte, angebaut wird. Bald wurde er auch in Chile und Kalifornien, das heute gewaltige Ölbaumplantagen aufweist, wie auch in Australien heimisch. Er wird heute in etwa 40 Kulturvarietäten angepflanzt, die aber leicht in die Urform zurückschlagen. An der Nordgrenze seines Verbreitungsgebietes leidet er leicht durch Frost in kalten Wintern.
Die ganze Erscheinung des Ölbaumes mit den schmalen, oben mattgrünen, unten silberiggrau schimmernden Blättern auf knorrigem Stamme deutet auf seine Herkunft aus einem Klima mit längeren Perioden von Trockenheit. Im wilden Zustande, als Oleaster, ist er strauchartig mit verdornten Zweigspitzen und bildet undurchdringliche Dickichte, während er durch Kultur zu einem 6–8 m hohen, dornlosen Baume wird, der ein Alter bis zu 1000 Jahren erreicht. Er verlangt[S. 150] einen trockenen, vor Wind geschützten Kalkboden und muß vom zweiten Jahre an reichlich mit stickstoffhaltigem Dünger versehen werden. Die Vermehrung geschieht am zuverlässigsten durch Samen, woraus Wildlinge hervorgehen, die wie die ebenfalls zur Vermehrung benutzten Stecklinge und Wurzelauswüchse im zweiten Jahre durch Pfropfen oder Okulieren veredelt werden müssen. Am vorteilhaftesten ist die Niederstammzucht, wobei durch regelmäßiges Abkneifen der Zweigspitzen und Auslichten der erschöpften Tragzweige das Austreiben junger Fruchtzweige veranlaßt werden muß. Die Tragbarkeit beginnt mit dem 7. Jahre, wird mit dem 10. Jahre lohnend und erhält sich vom 40. bis zum 100. Jahr auf der Höhe.
Im Mai oder Juni ist der Ölbaum über und über mit lieblich duftenden, kleinen, gelblichweißen Blüten bedeckt, die an diejenigen unseres Hartriegels (Ligustrum vulgare) erinnern, der auch in Wirklichkeit ein naher Verwandter desselben ist. Die Frucht ist eine 4 cm lange, pflaumenartige, dunkelviolette bis schwarze Steinbeere, die vom November bis Ende Januar geerntet wird, und zwar beträgt die durchschnittliche Ernte eines vollkräftigen Baumes zwischen 70 und 75 kg Früchte, die in ihrem grünlichweißen Fruchtfleisch zwischen 30 und 50 Prozent Öl enthalten. Das ursprünglichste Verfahren bei der Olivenernte besteht darin, daß Männer auf die Bäume steigen und die Oliven mit Stangen hinunterschlagen, die dann von Frauen und Kindern am Boden gesammelt werden, wobei auch die schon früher abgefallenen überreifen oder faulenden mit den guten zusammen kommen. Begreiflicherweise ist das daraus gepreßte Öl nicht von besonders guter Qualität. Will man feines Olivenöl gewinnen, so muß man die Oliven einzeln vom Baume pflücken und alle minderwertigen beseitigen, auch die Pressung möglichst beschleunigen, bevor diese irgendwelche Veränderung erfahren haben. Das allerfeinste Öl gewinnt man bei schwacher Pressung, wenn die Steinkerne der Früchte unzerdrückt bleiben. Es ist dies das „Jungfernöl“, dessen geschätzteste Sorte aus Nizza und Lucca in Oberitalien kommt. Doch wird im Großbetriebe kaum je so verfahren, sondern die Pressung gleich bis zum Zermalmen der Kerne gesteigert. Der so gewonnene Brei gelangt in Säcke, die kalt gepreßt werden. Das abfließende Öl ist die nächstbeste Qualität, das Provenceröl, so genannt, weil es am meisten in der Provence gewonnen wird. Aus den Rückständen und den weniger guten Früchten macht man unter Anwendung von Wärme das weniger gute, geringwertigere Baumöl, welches als Brennöl und besonders zur Herstellung milder[S. 151] Seifen — speziell der Marseillerseife — Verwendung findet. Heute wird das Olivenöl vielfach durch den Zusatz von Erdnußöl verfälscht, das neuerdings in großer Menge besonders nach Frankreich eingeführt wird.
Als Nahrungs- und Heilmittel, wie auch in der Technik zum Ölen und zur Herstellung von Seife, ebenso zur Salbung und letzten Ölung der Katholiken spielt das Olivenöl eine bedeutende Rolle. Obschon Südfrankreich etwa 26 Millionen kg davon hervorbringt und das übrige Frankreich aus anderen Pflanzen über 80 Millionen kg Öl erzeugt, deckt es damit seinen eigenen Bedarf noch nicht. Es führt deshalb noch reichlich Olivenöl aus Süditalien ein. So soll das meiste Provenceöl aus Apulien stammen. Es wird von Bari aus nach Nizza verschifft, wo es als Provenceöl verkauft wird. Italien produziert 1,6 Millionen Hektoliter Olivenöl im Werte von 200 Millionen Franken und führt davon für 70 Millionen Franken aus. Spanien produziert 10,6 Millionen kg Olivenöl und führt für etwa 12 Millionen Mark aus. Griechenland erntet etwa 122 Millionen kg Oliven und führt für etwa 3 Millionen Mark aus. Algier besitzt etwa 4 Millionen Ölbäume, und Tunis verschifft durchschnittlich 3,5 Millionen kg Olivenöl im Jahre. Syrien erzeugt etwa 7 Millionen kg Olivenöl.
Wie seit dem frühesten Altertum, so ist heute noch der Ölbaum der nützlichste Baum, ja geradezu das Wahrzeichen Syriens und Palästinas. Fast jedes Dorf ist von einem Ölbaumhain umgeben, dessen Bäume außer gelegentlichem Ausputzen der Zweige und Umpflügen des Landes, um Atmungsluft leichter zu den Wurzeln gelangen zu lassen, keinerlei Pflege bedarf. Unverwüstlich leben sie weiter und tragen jährlich ihre Früchte, die den größten Reichtum des Landes bilden. Der Fellache, d. h. Landmann, sagt: Der Weinstock sei eine sitt, eine zärtliche Dame und verlange Pflege und Aufmerksamkeit, der Feigenbaum sei eine fellacha, eine abgehärtete Bäuerin, die schon bei wenig sorgfältiger Behandlung gedeihe, der Ölbaum sei aber eine bedauije, ein auch in der Wildnis und bei absoluter Vernachlässigung noch arbeitsames Beduinenweib.
Der Ölbaum bedarf zu seinem Gedeihen einzig nur ein von anderen Kulturen freies Land; er duldet nicht, daß man Weinreben oder Feigenbäume dazwischen pflanzt. Diese Unduldsamkeit des Ölbaumes erklärt uns, weshalb in der Bibel stets Weinstock und Feigenbaum, aber nie Weinstock und Ölbaum nebeneinander genannt sind. Wie unsere Obstarten wird er aus Wildlingen veredelt, aber nicht durch Pfropfreiser,[S. 152] wie noch zur Zeit des Apostels Paulus, sondern durch Okulieren. Selten zieht man die jungen Wildlinge aus Samen, da es bei ihrem äußerst langsamen Wachstume zu lange ginge, bis sie veredelungsfähig wären, und auch veredelt würden sie Jahre hindurch unansehnliche Bäumchen bleiben. Es werden vielmehr die um den knorrigen Wurzelstock der alten Bäume drängenden Schößlinge, deren frische Jugendkraft dem alttestamentlichen Psalmendichter zu dem Bilde Veranlassung gibt: „Deine Kinder sind wie Ölzweige um den Tisch herum,“ als Ableger verwendet. Sobald sie einigermaßen erstarkt sind, werden sie zur Zeit der Olivenblüte okuliert. Man schneidet am Wildling ein rechteckiges Stück Rinde aus, überträgt ein von einem fingerdicken Edelreis genommenes gleichgroßes Stück mit guten Augen auf den Ausschnitt und verbindet die Veredelung auf eine Dauer von 12 Tagen mit Bast.
War die Veredelung von Erfolg begleitet, so löst man die veredelten Stämmchen vermittelst einer Axt derart vom Mutterbaume los, daß man ihnen ein klotzartiges Stück des Wurzelstocks beläßt. Hierauf schneidet man ihre Edeltriebe ziemlich nahe der Verbindungsstelle ab, weil sie im ersten Jahre, da sie selbständig Wurzel fassen, nicht genügend Saft hätten, diese Triebe weiter zu entwickeln, und versetzt sie. Bereits vom dritten Jahre an kann ein solcher Baum Früchte tragen. Will man einen schon großen, wilden oder halbzahmen Ölbaum veredeln, so bringt man an jedem Ast in Mannshöhe eine Veredelung an und trennt oberhalb derselben in Form eines Ringes die Rinde bis auf das Holz los, damit sich die Säfte des Baumes mehr dem Edelreise zuwenden. Im Herbst werden dann nach der Ernte die Äste an der geringelten Stelle mit dem Beil abgeschlagen; sie abzusägen würde, wie die Fellachen sagen, dem Baume schaden.
Der Olivenertrag ist nur jedes zweite Jahr ein reichlicher, wobei ein großer Baum etwa 120 kg Oliven ergibt, aus denen 25 Liter Öl gewonnen werden kann. Bei der Ernte werden sehr viele Oliven roh verspeist, andere eingemacht und der Rest zur Gewinnung von Öl verwendet, wobei das beste und feinste Öl aus den unreifen Oliven gewonnen wird. Je fleischiger nämlich die Olive wird, desto weniger und geringer ist das Öl, das sie gibt. Die zur Ölbereitung bestimmten Beeren werden zunächst auf dem flachen Dache oder am Boden ausgebreitet und dann einige Zeit aufgehäuft, „damit sie“, wie der Fellache sagt, „in Gärung geraten“. Hierauf kommen sie in die Ölpresse, die aus einem wagrechten, kreisrunden Stein mit tellerartiger Vertiefung besteht, in welcher ein aufrecht stehender Mühlstein durch ein Maultier[S. 153] oder einige Männer im Kreise bewegt wird. Nachdem die Oliven von diesem Steine zu Brei zermalmt sind, werden sie in einer der Weinkelter ähnlichen Presse ausgepreßt, wobei das Öl in eine kleine, auszementierte Zisterne läuft und aus dieser in Lederschläuche oder große irdene Gefäße gefüllt wird. Ärmere Leute schütten die Oliven wie in der Vorzeit in die Mulde eines Felsens und zerdrücken sie mit einem walzenförmigen Stein. Die zermalmten Früchte werden in einem Kessel mit siedendem Wasser übergossen, worauf das Öl oben zu schwimmen kommt und abgeschöpft wird. Dieses Öl dient als Nahrung, als geschätzte Arznei, als Brennmaterial zur Erhellung der Hütten während der langen Winternächte und zum Salben des ganzen Körpers, wovon die Leute stark und kräftig zu werden glauben.
Wie in allen Gegenden, in welchen der Ölbaum gedeiht, kann man sich auch in Palästina eine Mahlzeit ohne Oliven kaum denken. Sie werden meist in der Weise konserviert, daß man sie, nachdem ihr Fruchtfleisch durch leichtes Klopfen mit einem Stein aufgerissen wurde, in Salzwasser legt, oder man verbringt sie in große Strohkörbe, streut Salz darauf, fügt zur Würze Zweige der Raute bei, bedeckt sie mit Steinen, vermischt sie nach zehn Tagen mit Olivenöl und genießt sie, auf solche Weise haltbar gemacht, das ganze Jahr hindurch. Dergleichen Oliven und Olivenöl, das sich heute noch wie vor 3000 Jahren bei der Witwe zu Sarepta im Kruge der ärmsten Bäuerin findet, sind mit Weizenbrot, in Zeiten der Teuerung auch Gersten- und Durrabrot, die Hauptnahrungsmittel der Bevölkerung. Das Olivenöl vertritt bei den Bauern ganz die Stelle des Schmalzes und der Butter, die nur die nomadisierenden herdenbesitzenden Beduinen gebrauchen, und wenn der Landmann, der Fellache, seinen frisch aus dem Ofen kommenden Brotfladen in etwas Öl eintauchen kann, so gilt ihm das als Leckerbissen. Alle Orientalen, die es sich leisten können, lieben es, nicht bloß ihre Salate und Gemüse, sondern überhaupt sämtliche Speisen förmlich in Öl schwimmend zu genießen.
Aus dem gelben, im Innern dunkel geaderten und gefleckten Holz, das angenehm nach Öl duftet und eine hübsche Politur annimmt, werden in manchen Gegenden Palästinas, besonders in Betlehem, allerlei hübsche Gebrauchsgegenstände angefertigt, die von den Fremden gerne als Andenken gekauft werden.
Ein aus alten Stämmen schwitzendes, vanilleartig riechendes Gummiharz dient in Italien zum Räuchern. Auch die Früchte des amerikanischen Ölbaums (Olea americana) in Carolina und Florida[S. 154] werden in ihrer Heimat gegessen. Das überaus harte Holz der alten Bäume wird dort als devil-wood vielfach bearbeitet. Seine Blüten sind beinahe so wohlriechend wie diejenigen des in China, Cochinchina und Japan wachsenden wohlriechenden Ölbaums (Olea fragrans), eines etwa 2 m hoch werdenden immergrünen Strauchs, dessen Blüten zur Parfümierung des chinesischen Tees, wie ihn der Abendländer liebt, benutzt wird.
Mit den im vorigen Abschnitte aufgezählten Fruchtbäumen ist das Verzeichnis der der alten Kulturwelt geschenkten Gaben der Ceres noch lange nicht erschöpft. Man denke zunächst nur an die große Schar von köstliche Frucht tragenden Palmen, denen im Haushalte des Menschen die allergrößte Bedeutung zukommt. Schon durch ihre äußere Erscheinung bestimmen sie vielerorts den Charakter der Landschaft; denn in den Tropen erreichen sie vielfach eine gewaltige Größe und genießen infolge ihrer ungemein großen Nützlichkeit eine hohe Verehrung, ja mancherorts geradezu göttliche Ehre.
In Europa gibt es gegenwärtig nur eine einzige wildwachsende Palme, die ganz unscheinbar ist und auch dem Menschen nur geringen Nutzen gewährt. Es ist dies die Zwergpalme (Chamaerops humilis), welche in Südspanien, in Süditalien und in Griechenland an heißen, trockenen Standorten Gestrüppe bildet. Besonders häufig aber ist sie im trockenen, warmen Nordafrika, wo sie den europäischen Kolonisten das größte Hindernis bei der Urbarmachung des Bodens bildet, indem ihre über 1 m tief eindringenden Wurzeln darin ein undurchdringliches, kaum zu beseitigendes Geflecht bilden, deren Ausrodung überaus mühevoll und kostspielig ist. Ihr Stamm ist so niedrig, daß er oft kaum über die Erde emporragt; er trägt eine Krone von fächerförmigen Blättern, an deren Achseln die mit gelben, zweihäusigen Blüten besetzten Blütenstände hervortreten. Die weiblichen erzeugen einsamige Beeren, die eine gewisse Ähnlichkeit mit Oliven aufweisen.
Die früher als lästiges Unkraut betrachtete Palme hat sich als Nutzpflanze erwiesen, indem aus den Fasern ihrer Blätter Polstermaterial für Matratzen und Kissen gewonnen wird, das gegenüber den Pferdehaaren den Vorzug besitzt, 75 Prozent billiger zu sein und nicht von[S. 156] Insekten angegriffen zu werden. Der Verkaufspreis der Rohblätter am Gewinnungsorte in Algerien, wo die Pflanze am häufigsten ausgebeutet wird, beträgt 2 Mark pro Zentner, und da ein fleißiger Mann 4 Zentner in einem Tage schneiden kann, so verdient er einen guten Taglohn. Dies gilt in bezug auf die öffentlichen Ländereien Algeriens, wo die Blätter der Zwergpalme von eingewanderten Spaniern, die gleichzeitig Spartgras schneiden, und von Arabern abgeerntet werden, während die Frauen und Kinder sie hecheln. Solche gehechelte Blätter gelten 8–9 Mark pro Zentner und kommen seit 1845 in zunehmendem Maße als „vegetabilisches Pferdehaar“ nach Europa, besonders Frankreich, in den Handel. Außerdem werden die Blätter neuerdings auch zur Papierfabrikation benutzt.
Von dieser Zwergpalme erhielt die kleine Insel Palmaria bei Spezia ihren Namen, da sie von ihr einst förmlich überwuchert war. Schon der treffliche griechische Botaniker Theophrastos (350–286 v. Chr.) unterschied sie deutlich von der Dattelpalme, obschon sie denselben Namen trug. Er sagt, sie wachse häufig auf Kreta, aber noch mehr auf Sizilien und aus ihren breiten Blättern würden Körbe und Matten geflochten. Noch heute ist dies der Fall, außerdem verfertigt man Kehrbesen aus ihnen, dreht Stricke daraus und ißt gelegentlich die jungen Gipfeltriebe, Wurzeln und Früchte. Von dieser wenig schmackhaften Kost ernährten sich nach dem Berichte des Cicero (106–43 v. Chr.) in seiner zweiten Rede gegen Verres die Matrosen der an der Küste Siziliens von ihrem Führer verlassenen Flotte. In einer Satire des römischen Dichters Horaz (65–8 v. Chr.) ist von aus Blättern dieser Palme verfertigten Kehrbesen die Rede, mit denen die Mosaikfußböden gereinigt würden, und der zu Gades in Spanien geborene römische Ackerbauschriftsteller Columella im 1. Jahrhundert n. Chr. spricht von daraus verfertigten Palmmatten, mit denen sein Onkel zu Gades (Cadix) in der das südliche Spanien umfassenden Provinz Baetica während der größten Sommerhitze seine Weinreben bedecke.
Die erste größere Palme, die uns an der Riviera durch ihre zierliche Erscheinung erfreut, ist die Dattelpalme (Phoenix dactylifera), die hier als weit nach Norden vorgeschobener Vorposten des sonnenreichen Südens erscheint und auch niemals Früchte zeitigt. Durch ganz Nordafrika von Marokko und den Kanaren bis Syrien, Persien und Arabien ist sie der heutigen muhammedanischen Bevölkerung eine zum Lebensunterhalt völlig unentbehrliche Fruchtpflanze, deren zierliche Kronen von Fiederblättern überall, wo sie auftauchen, die menschlichen[S. 157] Ansiedelungen ankündigen. Ihre süßen, sehr wohlschmeckenden und nahrhaften Früchte bilden das tägliche Brot und zugleich den wichtigsten Handelsartikel der Araber, die sich ihren Anbau sehr angelegen sein lassen. Sie gedeiht am besten zwischen dem 19. und 35.° nördlicher Breite, und bedarf nach Norden zu einer mittleren Jahreswärme von 21–23°, um genießbare Früchte zu zeitigen. Sie verlangt Sandboden mit Grundwasser zu ihrem guten Gedeihen und will ihren Blätterschopf in der Sonnenglut baden. Kein Sturm bricht oder entwurzelt sie, da ihr Stamm von den verflochtenen Fasern der Blattstiele umgeben wird und ihre zahlreichen, sehr tief reichenden, zähen Wurzeln sie überaus fest im Boden verankern. Ihr 20–30 m, in einzelnen Fällen sogar 40 m hoher Stamm trägt einen Schopf von 40 bis 80 Stück 2–3, ja 4 m langer, graugrüner Fiederblätter, die das Licht durchlassen, so daß an ihrem Fuße noch Gemüse und kleinere Fruchtbäume gedeihen. Zudem spenden sie willkommene Kühlung, indem die Blätter, je stärker sie von der Sonne bestrahlt werden, um so mehr Wasser verdunsten lassen, wobei Wärme gebunden wird. Meist bildet sich in jedem Jahr nur ein neues Blatt, während ein altes abstirbt; dies fällt nicht ab, wird aber bei den in Kultur befindlichen Bäumen von Menschenhand entfernt.
Die einzelnen Exemplare der Dattelpalme sind männlich oder weiblich und bringen ihre Fruchtorgane in großen Rispen hervor. Jede Rispe enthält beim männlichen Baum etwa 12000 Blüten, beim weiblichen dagegen 100–200 Fruchtansätze. Dabei überträgt die Luftströmung den Pollen von den hängenden Rispen des männlichen auf die Blütenstände des weiblichen Baumes. Die Getrenntgeschlechtlichkeit dieser Pflanze, deren weibliche Individuen die Datteln hervorbringen, war bereits den alten Babyloniern, Ägyptern und Griechen bekannt, und sie wußten sehr gut, daß Gruppen von vereinzelt stehenden weiblichen Bäumen nur dann Frucht ansetzen, wenn stäubende männliche Blütenrispen in ihre Kronen aufgehängt werden.
Derselbe Prozeß der Auslese und Kultur, der aus einem Wildling den edlen Ölbaum schuf, hat auch in Südwestasien in vorgeschichtlicher Zeit die Dattelpalme geschaffen. Als die Stammpflanze derselben gilt die wilde Dattelpalme (Phoenix silvestris), die noch heute in Iran und dem wüstenhaften Vorderindien weit verbreitet gefunden wird, aber kaum eßbare, kleine, herbe Früchte liefert. Als Ursprungsland der Dattelkultur wird meist Südarabien angesehen, doch ist die älteste für uns nachweisbare Stätte der Anpflanzung des veredelten Baumes[S. 158] Babylonien, das Tiefland des Euphrat und Tigris, zu einer Zeit bevor noch die semitische Einwanderung hier stattfand, die diesen Fruchtbaum als höchst kostbares Kulturgut mit andern solchen Kulturgütern übernahm. Schon die Siedelungen des altbabylonischen Volkes von Sumer und Akkad waren, wie heute noch diejenigen der Araber, im Schatten der Dattelpalmen errichtet. Ein uns erhaltener babylonischer Hymnus zählt uns 360 Arten — eine mystische astrologische Zahl, die bei diesen abergläubigen Menschen eine große Rolle spielte — von Nutzen dieses Baumes auf, der bei den Assyrern, wie uns verschiedene Basreliefs auf Alabaster beweisen, geradezu als heilig verehrt wurde. Der älteste griechische Geschichtschreiber, Herodot, der ums Jahr 460 v. Chr. Babylonien selbst bereiste, berichtet in seiner Geschichte des Orients und Griechenlands, daß die Dattelpalme der einzige Baum sei, der in den Ebenen Babyloniens gepflanzt werde und dort in ganzen Hainen wachse. „Man sieht dort weder Ölbäume, noch Reben, noch Feigenbäume. Nur Dattelpalmen wachsen überall und tragen Früchte, aus welchen man Speisen, Wein und honigsüßen Saft gewinnt. Die Leute pflegen ihre Palmen sehr gut und binden die Blütenrispen der männlichen Bäume in die Krone der weiblichen, fruchttragenden, damit die Gallwespe (psēn) von jenen auf diese übergehe und sie zur Reife bringe. Geschieht dies nicht, so fallen die Früchte ab. Es tragen nämlich die männlichen Dattelbäume in ihren Rispen Gallwespen wie die Feigenbäume.“ Diese Behauptung, die kein anderer Schriftsteller des Altertums wiederholt, war natürlich unrichtig, indem dies geschieht, damit der Wind die Befruchtung vornehme. Er schloß nur aus der in seiner Heimat am Feigenbaum geübten Sitte auf diese ihm sonst unerklärliche babylonische Gepflogenheit, die später der große Schüler des Aristoteles, Theophrastos (390–286), ganz richtig erklärt, indem er bemerkt, daß man dies tue, um den Blütenstaub sicher auf die weiblichen Blüten gelangen zu lassen.
Herodot berichtet weiter: „Meistens führen sie (die Babylonier) Krüge von Palmwein darauf“ — nämlich auf ihren runden, gepichten Fahrzeugen, auf denen sie den Euphrat hinunter nach Babylon fahren. Eingehender berichtet uns der griechische Geschichtschreiber Xenophon, ein Schüler des Sokrates (440–355 v. Chr.), über die von ihm in Babylonien beobachteten Dattelpalmen. Als er im Jahre 400 die zehntausend Mann griechischer Truppen, die dem jüngeren Kyros gegen dessen Bruder Artaxerxes Mnemon zu Hilfe gezogen waren, nach der unglücklichen Schlacht bei Kunaxa über das armenische Hochland nach der Südküste des Schwarzen Meeres und von da weiter nach Byzanz[S. 159] führte, baute er, um die breiten, brückenlosen Kanäle zu passieren, Brücken aus Palmstämmen und quartierte dann seine Leute in Dörfern ein, in denen großer Vorrat von Getreide, Dattelwein und Dattelessig war. „Die Datteln selbst, welche dem Gesinde gegeben wurden, waren so wie diejenigen, welche man in Griechenland sieht; diejenigen aber, die für die Herrschaft bestimmt waren, besaßen eine wundervolle Schönheit und Größe. Der Farbe nach waren sie dem Bernstein gleich. Auch wurden sie getrocknet zum Verspeisen aufbewahrt. Aß man die getrockneten zum Trank, so schmeckten sie zwar süß, bewirkten aber Kopfweh. Dort aßen die Soldaten auch zum erstenmal das Hirn der Dattelpalme (enképhalon tu phoínikos). Sie bewunderten das Aussehen und den eigentümlich angenehmen Geschmack dieser Speise; aber sie bewirkte ebenfalls starkes Kopfweh. Übrigens stirbt jede Palme ab, wenn ihr das Gehirn genommen wird.“ Und an einer anderen Stelle schreibt er: „Sie (die Soldaten) fuhren dann auf ihnen (den wasserdicht zusammengenähten und mit Heu ausgestopften Fellen, die ihnen als Fahrzeuge dienten) hinüber (über den Euphrat) und holten sich aus der Stadt (Charmande) aus Datteln hergestellten Palmwein und Hirsebrot, dergleichen in der Gegend im Überfluß zu haben war.“
Auch der ältere Plinius sagt um die Mitte des 1. christlichen Jahrhunderts, daß nicht nur der aus den in Wasser eingeweichten Datteln gepreßte Dattelwein, sondern auch die frischen Datteln Kopfweh verursachen, getrocknet weniger. Die Dattelpalme sei nach dem Weinstock und Ölbaum der edelste Baum; man unterscheide viele Sorten, von denen die sogenannten königlichen Datteln zu Babylon die berühmtesten seien. Im Süden seien auch die Syagren (d. h. Wildschweindatteln) und Margariden berühmt; letztere seien kurz, rund und weiß, weshalb sie auch ihren Namen von der Perle (margarita) erhalten hätten. Nach diesen seien die Sandaliden (d. h. Sandalendatteln) und Karyoten (d. h. Nußdatteln)[1] die geschätztesten. Vorzugsweise sei Judäa durch seine Dattelpalmen berühmt. Ihr Hauptwert bestehe in dem fetten Safte mit weinartigem, süßem Honiggeschmack. Die weniger saftigen dortigen Datteln heißen Nikolaen;[2] sie seien ungemein groß,[S. 160] so daß vier davon zusammen die Länge einer Elle ausmachen. Weniger ansehnlich, aber im Geschmack fast ebensogut wie die Karyoten seien die Adelphiden (d. h. Geschwisterdatteln), während die dritte hierher gehörige Art, die Pateten (d. h. zertreten aussehenden Datteln), zu viel Saft haben, weswegen sie noch am Baume platzen und dann wie zertreten aussehen. Eine mehr trockene Sorte seien die langen, schlanken Daktylen (die den eigentlichen Dattelnamen tragen); „diese, die wir den Göttern weihen, nennen die Juden, welche sich durch Verachtung der Götter auszeichnen, Chydäen (d. h. Ausschuß).“
Daß dieser edle Fruchtbaum schon sehr früh von Babylonien nach Syrien und Palästina gelangte, kann uns nicht überraschen. Allerdings gedieh er in letzterem Lande in den höheren Lagen nicht mehr recht, so daß er im Alten Testament keine nennenswerte Rolle als Fruchtbaum spielte. Noch David, der zweite König von Israel, der Jerusalem zur Residenz erhob und nach Sauls Fall 40 Jahre lang (1033–993 v. Chr.) den Thron von Juda behauptete, zählt die Dattelpalme nicht unter den Bäumen auf, die man in den Gärten pflanzen solle. Aber in den Ebenen und an der Küste Syriens gedieh sie vortrefflich und war bald ein durchaus unentbehrlicher Fruchtbaum, den auf ihren Küstenfahrten zu verbreiten sich die schiffahrtkundigen Phönikier angelegen sein ließen. Sie brachten ihn zuerst bei der Aussendung von Kolonien nach Nordafrika, wo das von ihnen gegründete und später mit Rom rivalisierende Karthago die Dattelpalme als Wappenbild auf ihre Münzen schlug.
Durch die regen Verbindungen mit Syrien und Babylonien gelangte die Dattelpalme schon zu Ende des 3. vorchristlichen Jahrtausends, etwa gleichzeitig mit dem Feigenbaum, nach Ägypten, wo sie uns in den Darstellungen an den Wänden der Gräber der 12. Dynastie, also zu Beginn des mittleren Reiches unter der Bezeichnung bunnu oder phunnu zum erstenmal als offenbar nicht mehr seltener Fruchtbaum entgegentritt. So sehen wir in einer hübschen Darstellung des Grabes Nr. 2 zu Beni Hassan, wie erwachsene Bäume dieser Art gefällt werden, was wohl nicht der Fall gewesen wäre, wenn dies eine[S. 161] kostbare Neueinführung gewesen wäre. In der Folge war die Dattelpalme ein in Ägypten viel angepflanzter und neben der Dumpalme häufig dargestellter Baum, dessen Früchte zahlreich unter den Totenbeigaben gefunden werden. Aus den Stengeln der Fiederblätter — altägyptisch bai genannt — stellte man Stöcke, Käfige und leichte Stühle her, während die Fiedern selbst — altägyptisch utu — zum Flechten von Matten, Körben, Sandalen und dergleichen mehr dienten. Von den altägyptischen Ärzten wurden den Kranken häufig Datteln zum Abführen verordnet.
Neben der Dattelpalme wurde von den alten Ägyptern auch ein dem Sonnengotte Ra geheiligter, besonders in der Sonnenstadt Heliopolis verehrter adlerähnlicher Vogel, der sich alle 500 Jahre selbst verbrennen und aus der Asche verjüngt auferstehen sollte, ebenfalls bunnu oder phunnu genannt. Nun besteht zweifellos zwischen diesen beiden gleichgenannten Dingen irgend eine nicht mehr zu ergründende sagenhafte Beziehung, die den Griechen durch Vermittlung phönikischer Handelsleute zu Gehör kam. So nannten sie diesen mythischen Vogel und die Dattelpalme aus phunnu verändert phoínix und gaben den semitischen Kaufleuten von der Küste Syriens selbst diese Bezeichnung, während später die Römer diesem Handelsvolke den sichtlich aus bunnu abgeleiteten Namen puni oder poeni gaben.
Dem homerischen Zeitalter war die Dattelpalme noch durchaus fremd. Erst an einer Stelle der Odyssee, die nicht früher als aus dem 9. vorchristlichen Jahrhundert stammen dürfte, wird in Worten höchster Bewunderung von einer heiligen Palme auf der Insel Delos gesprochen, mit der der vielgewanderte Dulder Odysseus die schlanke Tochter des Königs der Phäaken, Nausikaa, vergleicht, die ihn nach seinem Schiffbruch, als er nackt und ohne irgend welche Habe von den Wogen ans Land geworfen wurde, freundlich aufnahm und zu ihrem Vater Alkinoos geleitete. Es war das die einzige Palme, die er auf seinen weiten Wanderungen sah; ja, er sagt von ihr, daß sonst nirgends auf Erden ein solcher Baum wachse, als nur dort: „denn nicht trägt ein solches Gewächs sonst irgend die Erde.“
Wenn schon die zierliche Gestalt des nicht Frucht tragenden Baumes im Abendlande solches Entzücken erregte, so wird man begreifen, daß im Morgenlande selbst, wo der Baum durch seine wohlschmeckenden, nahrhaften Früchte dem Menschen ganz unentbehrlich ist, er als Inbegriff der durch große Nützlichkeit hervorgehobenen Schönheit von den Dichtern in den schönsten Bildern besungen wird. Wer denkt da nicht[S. 162] an die Stelle im Hohen Lied des Alten Testaments, dem einzigen uns erhaltenen, ums Jahr 800 v. Chr. entstandenen und ganz mit Unrecht dem König Salomo zugeschriebenen Erzeugnis der weltlichen Lyrik der Hebräer, da der Sänger seine Geliebte in begeisterten Worten beschreibt und von ihr sagt: „Dein Wuchs gleicht der Palme und deine Brüste den Datteltrauben“, dann an den Gebrauch der Israeliten und Vorderasiaten überhaupt, ihre Töchter mit Vorliebe tamar, d. h. Dattelpalme zu heißen.
Die athenische Sage berichtet, daß ihr mythischer König Theseus nach der Überwindung des Minotaurus auf seiner Heimfahrt von Kreta auf Delos gelandet sei und mit seinen Genossen zu Ehren des dort verehrten Gottes Apollon ein Kampfspiel aufgeführt habe. Die Sieger seien dann mit Zweigen jener berühmten Palme geschmückt worden, und seither sei der Palmwedel das Symbol des Siegers und der Siegesfreude. Schon in der Mitte des 7. vorchristlichen Jahrhunderts stiftete der Tyrann Kypselos, der Herrscher der auf phönikischen Ursprung zurückgehenden Stadt Korinth, eine eherne Palme als Weihgeschenk für den delphischen Apollon, wie später auch die Athener nach ihrem Doppelsiege über die Perser am Flusse Eurymedon im Jahre 466 v. Chr. Endlich prägten Ephesus und andere Griechenstädte, so auf Kreta und Euböa, Palmen auf ihre Münzen.
Von den Griechen kam die Dattelpalme zu den Römern, die vorher bloß die auf heißen Standorten Siziliens und Unteritaliens wachsende Zwergpalme (Chamaerops humilis) gekannt hatten. Auch bei ihnen war der Palmwedel das Abzeichen und der Preis des Siegers in den öffentlichen Spielen wie bei den Triumphzügen, und mit ihm bestickten sie als ganz besondere Auszeichnung die tunica palmata, das kurzärmelige, wollige Unterkleid, das die Männer unter der Toga trugen. Die ersten Dattelpalmen auf italienischem Boden pflanzten die unteritalischen Griechen um die dem Apollon geweihten Tempel und von ihnen drangen sie mit der Zeit zu den Römern vor, von denen der Geschichtschreiber Livius das erste Exemplar aus dem Jahre 291 v. Chr. aus dem Hain des Apollo in der Hafenstadt Antium in Italien erwähnt. Aber erst im letzten vorchristlichen Jahrhundert kamen die Früchte dieses Baumes als Handelsartikel durch die Vermittlung der Griechen häufiger zu den Römern unter der dem semitischen Worte dafür dachel entlehnten griechischen Bezeichnung dáktyloi, woraus das lateinische dactyli und zuletzt unser deutsches Wort Dattel wurde. Daß nun die Griechen aus dem von den Phönikiern gehörten Wort dachel[S. 163] dáktyloi machten, mag wohl auf einer Ideenverbindung mit dem Worte Finger, was dáktylos eigentlich bedeutete, beruhen, da diese Früchte entfernt fingerförmige Gestalt besitzen.
Da die Dattelpalme auf europäischem Boden keine süße Frucht trägt, sind mit dem Untergang der antiken Welt auch die anmutigen hier gepflanzten Exemplare, weil keine Früchte tragend, als nutzlos zugrunde gegangen. Die Araber dagegen verbreiteten dieses ihr heimatliches Gewächs überall hin, wo sie ihren Fuß setzten. So soll der Kalif Abdurrahman I. um das Jahr 756 in einem Garten bei Cordova mit eigener Hand die erste Dattelpalme auf spanischem Boden gesetzt haben, von der alle übrigen in Spanien abstammen sollen. Oft soll er sie in sehnsüchtiger Erinnerung an die arabische Heimat betrachtet haben. Die Sarazenen brachten den Baum wiederum nach Sizilien und Süditalien, wo sich seiner in der Folge die Christen bemächtigten, um die Blattwedel am Palmsonntage weihen zu lassen und das Jahr über als Schmuck in ihren Wohnungen aufzubewahren. Dieser Sitte verdankt Italien seinen größten Palmenhain, der sich bei Bordighera zwischen San Remo und Ventimiglia unter fast 44° nördlicher Breite befindet. Eßbare Früchte liefern sie natürlich hier nicht, dafür aber müssen sie ihre Blattwedel opfern. Die Einwohner dieses Städtchens haben das durch Gewohnheit geheiligte Vorrecht, zum Osterfest Palmen nach Rom zu liefern, und diese Industrie schuf mit der Zeit die über 4000 Stämme zählende Palmenanpflanzung. Dieses Vorrecht verlieh Papst Sixtus V. im Jahre 1586 der Familie Bresca als Belohnung dafür, daß ein Glied dieser Familie, ein Schiffskapitän, in jenem Jahre, während der Aufstellung des unter Kaiser Caligula 39 n. Chr. aus Heliopolis in Ägypten nach Rom gebrachten und damals den vatikanischen Zirkus schmückenden Obelisken auf dem Platz von St. Peter in Rom, als die trockenen Taue zu versagen drohten, durch den rechtzeitigen Ruf: „Wasser auf die Taue!“ dem die Aufstellung besorgenden Baumeister Fontana aus schwerer Verlegenheit half.
Den Palmwedel hat die christliche Kirche, wie so viele andere Symbole der Bildersprache des Orients entnommen. Wie Palmenwedel bei den Festen des Osiris in Ägypten, beim feierlichen Einzuge der Könige in Jerusalem prangten, die Sieger in Olympia schmückten und die Festgewänder römischer Imperatoren zierten, so bedient sich ihrer heute noch die katholische Kirche in Erinnerung an den Einzug des Christus (d. h. Messias) in die jüdische Hauptstadt. Bei der Feier des Palmsonntags sollen sie nicht bloß ein Zeichen des Sieges des[S. 164] Urhebers des Christentums, sondern zugleich ein Bild himmlischer Reinheit sein, deren Beispiel jener gab. Damit nun die Palmwedel möglichst farblos weiß bleiben, d. h. sich ohne Ausbildung des Blattgrüns entwickeln, werden die Kronen vom Hochsommer an fest zusammengebunden, so daß die innersten Blätter, vom Licht unberührt, vergeilen. Der Reisende, der um diese Zeit die Riviera di Ponente besucht, sieht dann die Palmwipfel in Form von riesigen Kugeln und begreift anfangs nicht, was diese Verstümmelung des schönen Baumes bezweckt. Im Dunkeln gehalten, werden solche Wedel auch schlank und lang. An ihren Enden laufen sie spitz aus und bleiben biegsam und weich, so daß sie leicht in beliebige Formen geflochten werden können.
Aber auch das ältere Judentum benutzt noch die Palmwedel in Verbindung von Myrte und Bachweide zum Feststrauß für das Laubhüttenfest, das ursprünglich ein Erntefest war. Es verlor aber nach der Zerstreuung der Juden, die sich in der Fremde dem Handel zuwandten, diese seine Bedeutung und behielt nur die andere geschichtliche bei, eine Erinnerung an den göttlichen Schutz während der Wüstenwanderung zu sein, als ihre Vorfahren unter Mose in Hütten aus Palmzweigen wohnten. Die Bestandteile dieses, bei jenem im Oktober gefeierten Feste zur Aufstellung gelangenden Straußes mußten gewisse Bedingungen erfüllen, so auch der Palmwedel, der für die Juden grün bleiben muß. Der Schopf zu diesem Zwecke gehaltener Palmen wird in Bordighera weniger stark zusammengebunden, so daß auch die jüngeren Blätter etwas Licht erhalten und ergrünen können. Sie bleiben zugleich kürzer, schließen mit stumpfer Spitze ab und werden härter als diejenigen für die Katholiken.
Früher trug auch die Umgegend des kalabrischen Reggio und von Palermo auf Sizilien ganze Palmenwaldungen, die aber als Nachlaß der ungläubigen Sarazenen von den Christen zerstört wurden. Einzig in Südspanien, bei Elche, befindet sich noch ein aus mohammedanischer Zeit herrührender Palmenwald von etwa 60 000 Stämmen, der nicht nur Blätter für fromme Gläubige liefert, sondern auch genießbare Früchte zeitigt. An der Riviera wird neuerdings sehr häufig neben der Dattelpalme die ihr sehr ähnliche kanarische Phönix gepflanzt, von ihr nur durch gedrängteren, üppigeren Wuchs und kräftigere Blattentwicklung verschieden. Ihre Blätter werden gleichfalls häufig zu der an der Riviera blühenden Palmenflechterei benutzt.
In den Oasen Nordafrikas und Westasiens ist die Dattelpalme das wichtigste Kulturgewächs, ohne welches der Mensch hier nicht[S. 165] existieren könnte. Hier treibt sie ihre Wurzeln sehr tief in den Boden, bis die wasserführende Schicht erreicht ist, so daß sie ohne künstliche Bewässerung üppig gedeiht. Alles an ihr wird von den armen Oasenbewohnern verwertet. Die Früchte sind das fast ausschließliche Nahrungsmittel, das roh, getrocknet oder gekocht täglich mehrmals gegessen wird. In Körbe gepreßt oder in Sand gegraben, können sie bis zwei Jahre aufbewahrt werden und verderben selbst in der brennendsten Sonnenhitze nicht. Deshalb bilden Datteln auf den Karawanenreisen ein unentbehrliches Proviantmittel. Der Stamm der Dattelpalme liefert die Pfosten der Häuser, die Gerüste zu den Ziehbrunnen, die Bretter zu Türen und das Werkzeugmaterial überhaupt. Die Blätter dienen zur Bedachung der Hütten, die Rippen zur Einzäunung der Grundstücke wie auch zu Wanderstäben; ihre Fiedern werden zu Sandalen und Körben geflochten. Aus dem Fasergewebe der Blattansätze werden sehr haltbare Stricke gedreht, die besonders widerstandsfähig gegen Salzwasser sind und deshalb vielfach in der Schiffahrt Verwendung finden; die Herzblätter der Stammspitze liefern den wohlschmeckenden Palmkohl und durch Anzapfen des Stammes erhält man einen zuckerhaltigen Saft, der vergoren einen berauschenden Wein liefert. Meist aber wird solcher Dattelwein durch Gärenlassen von mit Wasser verdünntem Dattelhonig gewonnen, der durch Auspressen der frischen Datteln erhalten wird.
Die Fortpflanzung der Dattelpalme geschieht bisweilen durch die Fruchtkerne, in denen das Nährgewebe für den Embryo in Form von hornartig hartem Holzstoff angehäuft ist, das dann durch Fermente gelöst und in Zucker verwandelt wird, um dem jungen Pflänzchen zum Wachstume zu dienen. Am häufigsten aber wird dieser Fruchtbaum durch Schößlinge vermehrt, die man im Herbste aus der unmittelbaren Nähe des Mutterbaumes ausgräbt, verpflanzt und etwa drei Monate lang begießt, von wo an sie sich selbst erhalten können. Nach sechs bis acht Jahren beginnen diese die ersten Blüten zu treiben, aber erst vom 20. Jahre an liefern sie volle Erträge, die bis zum 70. oder 80. Jahre andauern. Von da an wird der Ertrag geringer, und etwa im Alter von 100 Jahren sterben die Bäume ab.
Stets werden die weiblichen Dattelpalmen in der Weise befruchtet, daß man in ihre Rispen Teile eines stäubenden männlichen Blütenstandes befestigt oder darüber schüttelt, damit der Pollen in reichen Mengen auf erstere hinunterfalle. In einem Fruchtstande gelangen meist über hundert Beeren zur Entwicklung, die dann im Herbste geerntet werden, doch nicht gleichzeitig. Man pflückt nämlich diejenigen,[S. 166] die als Vorrat aufbewahrt werden sollen, vor ihrer völligen Reife, um sie an der Sonne ausreifen, zugleich aber auch trocken und fest werden zu lassen. Die am Baume völlig reif gewordenen ißt man vorweg. Als Durchschnittsernte rechnet man auf einen Baum einen Jahresertrag von 50 kg, die an Ort und Stelle etwa drei Mark wert sind.
Endlich hat die Dattelpalme auch in der Kunst eine wichtige Rolle gespielt. Bei den alten Babyloniern gab ihr Stamm den Anlaß zur Entstehung der später aus Stein nachgebildeten runden Säule, während ihr Wipfel das in der babylonischen und assyrischen Kunst so beliebte Motiv der Palmette gab, welches dann die Griechen aus dem Orient übernahmen. In Ägypten dagegen wurden die Säulen aus Papyrus und Lotus nachgeahmt; dadurch entstand die kanelierte Säule, die die Griechen von dorther übernahmen und in ihrer dorischen und korinthischen Säule weiter bildeten. Da sie ihnen aber nüchtern vorkam, wurde sie mit den Blättern des im Mittelmeergebiet in mehreren Arten verbreiteten Acanthus gekrönt, wodurch das korinthische Kapitäl entstand. Die Voluten des ionischen Kapitäls dagegen sind wahrscheinlich den gewundenen Gehäusen der Tonnenschnecken (Dolium) nachgebildet. So hat die Dattelpalme den weitgehendsten Einfluß auf die allgemeine Kultur des in ihrem Bereiche lebenden Volkes ausgeübt.
Die im tropischen Afrika einheimische und namentlich an den Flußufern sehr verbreitete Ukindu- oder wilde Dattelpalme (Phoenix reclinata) liefert ungenießbare, holzigtrockene Früchte, doch werden die Fiedern der Blätter zu Flechtereien aller Art benutzt. Wichtiger als sie ist die indische Dattel-Zuckerpalme (Phoenix silvestris), die nur 9 bis 13 m hoch wird und eine dichte, halbkugelige Krone aus 3 bis 5 m langen Fiederblättern trägt. Sie wird in ihrer Heimat, besonders in Bengalen, seit unvordenklicher Zeit zur Gewinnung von Palmenzucker kultiviert. Ende Oktober entfernt man an ihr die unteren Blätter, die zum Flechten von Matten und Säcken für die Zuckerverpackung oder als Brennmaterial dienen, und macht einige Tage später an jener entblößten Stelle einen Einschnitt in den Stamm, in welchen man ein gespaltenes Bambusröhrchen einsetzt, das den aus der Wunde rieselnden süßen Saft in ein Gefäß leitet. Der Saft fließt besonders nachts, und zwar um so stärker, je kühler sie ist. Früh morgens geht der Eigentümer mit seinen Gehilfen von Baum zu Baum, um den Saft zu sammeln und sofort an Ort und Stelle zu einem gur genannten Sirup zu kochen. Dieser wird meist verkauft und von[S. 167] besonderen Zuckerkochern zu Palmenzucker eingedickt. Wenn der Saftfluß nach etwa acht Tagen erschöpft ist, so läßt man die Wunde zuheilen und versucht eine Woche später an einer anderen Stelle nach vorhergehendem Schälen des Stammes weiteren Saft zu gewinnen. Ein vollkräftiger Baum kann während der Erntezeit in 50 Nächten abgezapft werden und liefert 240 Sihr (= 100 Liter) süßen Saft, aus denen 24 Sihr (= 10 Liter) Sirup eingekocht wird. Die Bäume werden aus Samen auf gutgedüngtem Boden gezogen und werden nach Ablauf des fünften Lebensjahres zum erstenmal angezapft. Die erste Ernte beträgt nur die Hälfte des Ertrags eines vollkräftigen Baums. Durchschnittlich beträgt die Erntefähigkeit 40, unter besonders günstigen Verhältnissen 45 bis 50 Jahre.
Ganz außerordentliche Wichtigkeit kommt der Königin der Palmen, der Kokospalme (Cocos nucifera) zu, die überall in den Tropen in der Nähe der Küsten schon seit sehr langer Zeit eine geradezu unentbehrliche Nutzpflanze bildet. Da die übrigen 28 Arten der Palmengattung Cocos im Küstengebiet von Mittelamerika heimisch sind, muß auch sie, die man nirgends mehr wild findet, von dorther stammen, wie zuerst Martius vermutete. Sie hat sich teils durch den Menschen, der sie überall mit sich nahm, teils durch die Meeresströmungen über den ganzen Tropengürtel verbreitet. Als ausgeprägte Strandpflanze, von der man sagt, daß sie nur soweit gedeiht, als der Seewind sie erreicht, sind nämlich ihre mächtigen, undeutlich dreikantigen Früchte auf lange andauernden Transport durch die salzige Flut eingerichtet. Zu diesem Zwecke haben sie eine 2 Finger dicke, außerordentlich zähe und dauerhafte Faserhülle, die als Schwimmkörper dient; außerdem ist der Keimling in eine steinharte Schale eingeschlossen, welche auch nach allfälliger Auflösung der äußeren Faserhülle den zarten Keimling vor der schädlichen Einwirkung des scharfen Meerwassers abhält. Dieser Umstand erklärt es, weshalb die zierliche Palme, deren wehende Blätterkronen einen der schönsten und charakteristischen Züge der tropischen Landschaft bilden, sich auch ohne Zutun des Menschen als vielfach einzigen Vertreter der Baumvegetation auf allen Koralleninseln der Südsee angesiedelt hat.
Ursprünglich ist die Kokospflanze eine ausschließliche Küstenpflanze. Erst durch den Menschen wurde sie auch fern von der Küste angesiedelt. Da, wo sie ihre Wurzeln ins Grundwasser tauchen kann, das auch salzig sein darf, gedeiht sie nämlich auch fern von der Salzflut. So hat man sie neuerdings nicht bloß in Indien und auf Ceylon, sondern[S. 168] auch in Ostafrika bis 500 km vom Meere entfernt angesiedelt. Und sie kommt hier so gut als an der Küste fort. Sie wird gewöhnlich nur etwa 20 m hoch, kann aber gelegentlich 25 bis 30 m Höhe erreichen. Auf ihrem von den vorherrschenden Winden meist etwas gekrümmten, schlanken, geringelten Stamm von 30 bis 60 cm Durchmesser erhebt sich eine Krone von 10–12 bis 5 m langen, gefiederten Blättern, deren unterseits rinnenförmig ausgehöhlter Stiel am Grunde von einem zähen, braunen Geflecht umgeben ist. Aus den Achseln der untersten Blätter kommen die bis 1 m langen, zusammengedrückten Blütenscheiden hervor, welche lange, vielfach verzweigte Kolben mit gelben männlichen und grünen weiblichen Blüten umschließen. Aus letzteren gehen die 29 : 26 cm messenden, blaß aschgrauen bis rötlichen Früchte hervor, die fast ein Jahr zu ihrer Reife brauchen. Ein jeder Fruchtkolben, deren mehrere gleichzeitig am Baume zu sehen sind, trägt 10 bis 30 Nüsse. So reifen das Jahr über an einem Baume günstigenfalls bis 150 Nüsse; doch rechnet man durchschnittlich nur auf einen Jahresertrag von 60 bis 80 Nüssen per Baum in vier bis fünf Ernten. Die junge Nuß ist mit einer milchigen Flüssigkeit, der Kokosmilch, erfüllt, die einen süßlichen, etwas zusammenziehenden Geschmack besitzt und frisch ein angenehmes, kühlendes Getränk bildet. Bei der Reife verdichtet sich diese milchige Flüssigkeit in den äußeren Partien zu einem festen, weißen Kern, der neben Eiweißstoffen besonders reichlich Fett enthält. In der Höhlung dieses festen Teiles des Nährgewebes findet sich aber auch nach der Reife noch ein flüssiger Teil als Milch, welche später bei der Keimung zuerst zur Verwendung gelangt. Der kleine Keimling liegt im festen Nährgewebe unterhalb des Keimlochs des nicht fehlgeschlagenen Fruchtknotenfaches.
In einem zusammenhängenden, dichten Besiedelungsgebiet wächst die Kokospalme besonders in ganz Südasien, der indischen und polynesischen Inselwelt in dichten Hainen und befriedigt die meisten Lebensbedürfnisse der Eingeborenen, deren Existenz sich ohne sie gar nicht mehr denken ließe. Keine andere Nutzpflanze läßt sich an vielseitiger Verwendung auch nur annähernd mit ihr vergleichen. Von ihr sagt ein indisches Sprichwort, daß sie 999 Nutzanwendungen gewähre und die 1000. sei überhaupt noch nicht gefunden. Aus der Rinde der Kokospalme gewinnt man den Kokosgummi, womit sich die Bewohner von Tahiti und anderer Inseln der Südsee die Haare bestreichen, um ihnen Halt zu geben. In Indien werden die äußeren, gerbstoffhaltigen Teile des Stammes zum Gerben benutzt. Der vom 35. Jahre an[S. 169] stark verholzende Stamm dient als oft einziges Nutzholz zum Bauen und zur Herstellung der Möbel und verschiedensten Geräte. Zur Anfertigung feiner Möbel wird er besonders viel nach England ausgeführt. Die Blätter benutzt man zum Dachdecken, sowie zu Matten und anderen Geflechten, wie besonders Hüten und Regenschirmen, die Blütenscheiden und alten, ausgetrockneten Blätter zusammengerollt zu Fackeln, die Mittelrippe zu Kämmen, die zusammengebundenen Blätter zu Besen. Das junge Mark unter der Endknospe, das einen süßen, an Haselnuß erinnernden Geschmack besitzt, wird wie die ganz jungen Blätter als Gemüse, sogenannten Palmkohl, gegessen. Das Fasernetz am Grunde der Blätter, noch mehr aber die faserige Hülle der Früchte dient zu unverwüstlichen Tauen, Stricken und Geflechten, besonders Matten, Teppichen und Läufern, aber auch zu Besen, Pinseln und Bürsten. Aus den noch geschlossenen Blütenscheiden wird durch Umschnürung mit jungen Kokosblättern und Anschneiden der Toddy genannte Palmwein und aus diesem durch Destillation Arrak, durch Einkochen ein Sirup und endlich ein sehr angenehm schmeckender brauner Zucker, der Palmzucker (tschakara, mit dem Sanskritworte sackara, von dem unser Zucker abstammt, zusammenhängend), von dem über 110 Millionen kg jährlich produziert werden, gewonnen. Der dünnmilchige Saft besonders der unreifen Früchte dient als überaus angenehmes, erfrischendes Getränk, während der wie Haselnuß schmeckende weiße Kern roh verspeist oder zerrieben dem Curry und anderen Speisen hinzugefügt wird, auch preßt man aus ihm das zu 68 Prozent in ihm enthaltene Öl in Form eines weißen, dem Schweineschmalz ähnlichen, bloß etwas unangenehm riechenden Fettes, das zum Schmälzen der Speisen, als Brenn- und Salböl dient, zu welch letzterem Zwecke es vielfach mit Sandelholz parfümiert wird. Besonders aber dient es wie das afrikanische Palmöl zur Herstellung von Kerzen und Seifen. Kokosseife ist besonders bei Seeleuten sehr beliebt, da sie die einzige ist, die auch im Meerwasser schäumt. 15 Nüsse geben durchschnittlich 2 Liter Kokosnußfett. Die Preßrückstände geben ein wertvolles Viehfutter. Die harte Schale liefert Gefäße und Löffel und wird in Europa zu allerlei Drechslerwaren, namentlich Knöpfen, verarbeitet.
Welch ungeheure Werte der Mensch der Kokospalme verdankt, kann man sich einigermaßen vorstellen, wenn man bedenkt, daß einzig die Insel Ceylon, auf der die Europäer erst seit etwa 30 Jahren systematisch größere Anpflanzungen dieser Palme vornahmen, aus ihren wenigstens 30 Millionen Kokosbäumen jährlich einen Ertrag von rund[S. 170] 325 Millionen Mark bezieht, während der Reis einen solchen von 112 Millionen Mark, der neuerdings im großen Maßstabe gepflanzte Tee aber einen solchen von 100 Millionen Mark liefert. Deshalb wird die Kokospalme auch in allen tropischen Kolonien Deutschlands in Menge kultiviert. Die größten und wertvollsten Bestände besitzen die Südseeinseln, wo sich neben den Kokoshainen der Eingeborenen auch große, von Europäern angelegte Kokosplantagen befinden. In Afrika wird sie in den Küstenstrichen fast nur von den Eingeborenen kultiviert. Trotzdem haben die deutschen Kolonien im Jahre 1906 für 6¼ Millionen Mark der als Kopra bezeichneten getrockneten Kokosnuß exportiert. Da die Gesamteinfuhr Deutschlands an Kopra in demselben Jahre 16,9 Millionen Mark betrug, so ergibt sich, daß dieses Land jetzt schon mehr als ein Drittel seines Koprabedarfes aus seinen Kolonien zu decken vermag.
Die Eingeborenen der Tropen pflanzen die Kokospalme gern in und um ihre Dörfer an, meist nur in kleineren Beständen, seltener als größere Pflanzungen. Diese werden in der Regel von den Europäern angelegt. Die Kultur der Kokospalme ist eine höchst einfache. Die Vermehrung geschieht ausschließlich durch die Früchte, welche man nach der Ernte noch 3–4 Wochen lang ausreifen und ankeimen läßt, bevor man sie zur Aussaat verwendet. Wenn der Keimling etwa 2 cm aus der Frucht herausragt, werden die Nüsse ihrer Länge nach in Furchen eines aus sandiger, reich mit Salz oder Asche gedüngter Erde bestehenden Saatbeetes gelegt und lose mit Erde bedeckt. Nach 7 bis 9 Monaten werden die jungen Palmen an ihren definitiven Bestimmungsort gebracht, wobei man sie etwa 7 m auseinander pflanzt. Doch müssen sie noch längere Zeit bei allzu großer Hitze beschattet, gegen das weidende Vieh beschützt und regelmäßig mit Holzasche gedüngt werden. Nach dem ersten Jahre fangen die Blätter an gefiedert zu werden, d. h. sie verlieren ihre für das Jugendstadium charakteristische zusammenhängende Form. Am Ende des zweiten Jahres haben sie am Grunde einen Durchmesser von 8 cm. Im dritten Jahre nimmt der Fuß der Krone die Gestalt eines Hufeisens an und der Stamm beginnt sich über die Erde zu erheben. Im vierten Jahre hat er 12 und im fünften Jahre 24 Blätter. In den folgenden Jahren setzt er noch weitere 12 Blätter an, damit ist seine Krone vollständig. Nun wendet sich das Wachstum mehr auf den Umfang der Pflanze. Vom siebenten oder achten Jahre an beginnt die Palme zu blühen und das ganze Jahr hindurch Früchte zu zeitigen. Die volle Tragfähigkeit tritt[S. 171] aber meist erst im zwölften Jahre ein und dauert bis zum sechzigsten bis achtzigsten Jahre, dann nimmt der Ertrag ab, so daß der Baum schließlich umgehauen und durch eine junge Kokos ersetzt wird. Doch kann der Baum ein Alter von 90–100 Jahren erreichen.
In bezug auf den Boden ist die Kokospalme nicht besonders wählerisch, wenn sie nur genug Wasser, am liebsten brackiges hat. Am besten sagt ihr ein tiefgründiger, humusreicher Lehm zu. Außer Wind, der ihr überall an der Küste in reichem Maße zuteil wird, verlangt sie vor allem reichen Sonnenschein. Luft und Licht sind zwei ihrer wichtigsten Lebensbedingungen. Im Schatten verkümmert sie; daher finden wir niemals Kokospalmen im geschlossenen Hochwalde. Im Halbschatten wächst sie mangelhaft, bildet nur einen ganz dünnen Stamm und die wenigen Früchte, die sie hier hervorbringt, sind klein und unansehnlich.
Begreiflicherweise war dieses Tropengewächs, das sehr früh die Gestade Indiens besiedelte, den älteren Kulturvölkern am Mittelmeer unbekannt. Die erste Beschreibung von ihm gab unter den Griechen der pflanzenkundige Aristotelesschüler Theophrast (390–286 v. Chr.) in seiner Naturgeschichte der Gewächse nach dem Bericht, den er über die Kokospalme durch Begleiter Alexanders des Großen auf dessen Zuge nach Indien erhalten. Er nannte sie kúki. Der ägyptische Großkaufmann Kosmas aus Alexandrien, der ums Jahr 550 mit seinem Begleiter Menas auf einer Handelsreise bis Südafrika und Indien gelangte und später als Mönch seine Reise beschrieb, sah in den Küstengebieten Indiens, der von ihm Taprobane genannten Insel Ceylon und auf den Malediven, die er besuchte, in Menge die von ihm argéllion genannte Kokospalme; es ist dies das nargil der Perser und Araber, das aus dem indischen narikela stammt. Er sagt, daß man den von ihr gewonnenen süßen, in alkoholische Gärung übergehenden Saft konchusúra nenne. Nach ihm hat der weitgereiste Venezianer Marco Polo mit seinem Vater Niccolò und seinem Oheim Maffeo Polo 1293 und 1294 auf seiner Heimreise von China über Indonesien und Indien die Kokospalme häufig gesehen und in seinem während der Gefangenschaft bei den Genuesen diktierten Bericht beschrieben. Er nennt sie nur den „Palmbaum mit den indischen Nüssen“. Der Name Kokosnuß wurde erst nach des Portugiesen Magelhaens’ Fahrten, der als erster Europäer die nach ihm benannte Meerenge zwischen Patagonien durchfuhr und im November 1520 in den Stillen Ozean gelangte, um am 27. April 1521 in einem Gefecht[S. 172] auf der Marianeninsel Matan umzukommen, bei den Seeleuten bekannt. Nach Garcias und Klöden soll er daher stammen, daß die portugiesischen Seeleute sie infolge der Ähnlichkeit der drei Keimlöcher der inneren Frucht mit den beiden Augen und der Nase einer Meerkatze (macoco) coco nannten. Die Erforscher der malaiischen Inselwelt Rumphius und Thunberg im 17. Jahrhundert nannten die Kokospalme nach der Bezeichnung der Amboinesen Kulapa-Baum. Da sie im Sanskrit Indiens als narikela vorkommt, muß sie dort schon vor 3–4000 Jahren bekannt gewesen sein. An der Malabarküste wird sie als tenga, d. h. Südfrucht bezeichnet, weil sie von Süden her, speziell aus Ceylon, dort eingeführt wurde. Auf Tahiti heißt sie ari, wie sie auch von manchen Malaienstämmen genannt wird. Jedenfalls hat sich diese von Martius als „wandelnde Seeuferpalme“ bezeichnete Kulturpflanze, die unfruchtbar bleibt, wenn sie nicht vom Menschen gepflegt wird, zunächst durch die Meeresströmungen, dann durch den Menschen von der pazifischen Küste Mittelamerikas zuerst über ganz Ozeanien und dann die südasiatische Inselwelt verbreitet und wurde erst nach der Entdeckung Amerikas im Bereiche des Atlantischen Ozeans, in Westafrika, an den Küsten Brasiliens und im Gebiete ganz Westindiens angesiedelt. Dagegen fanden die ersten Spanier, die von Mexiko nach der Küste des Stillen Ozeans hinabstiegen, sie reichlich auf der Westküste Mexikos wie ganz Mittelamerikas angepflanzt. Neu-Kaledonien ist die südlichste Insel, an deren Nordküste die Kokospalme noch gedeiht. Ihre nördlichste Verbreitung aber hat sie auf den Sandwich-Inseln, beinahe unter dem Wendekreis des Krebses, gefunden, wo sie aber infolge ungenügender Sonnenwärme nur spärlich Früchte hervorbringt. Dort genossen in vorchristlicher Zeit nur die Männer die Früchte, die den Weibern tabu waren und nicht einmal von ihnen berührt werden durften, bis einmal eine mutige Häuptlingsfrau, von ihrem Manne gegen die Rache der Priester beschützt, dieses altgeheiligte Verbot übertrat und, da sie von den Göttern für diesen Frevel nicht bestraft wurde, ihrem Geschlecht das Recht zum Genuß der herrlichen Früchte verschaffte.
Eine besonders für Westafrika sehr wichtige Palme ist die Ölpalme (Elaeis guineensis), deren Vorkommen auf das tropische Afrika beschränkt ist. Von der Westküste, wo sie sich in einem breiten Streifen vom Gambia- bis zum Kuanzafluß findet, dringt sie nordöstlich bis zum Albertsee und südöstlich bis zum Nordende des Nyassasees vor. Sie kommt also auch im ganzen Kongobecken vor, wird aber im[S. 173] wilden Zustande nur verhältnismäßig selten angetroffen. Die einzige außer ihr noch vorhandene Elaeis-Art, Elaeis melanococca, die gleichfalls rote, zur Gewinnung von Öl benützte Früchte besitzt, hat ihre Heimat im tropischen Amerika, wo sie um Bahia, an der Mündung des Amazonenstroms, in Guiana, Venezuela und auf dem Isthmus von Panama wild wächst. Deshalb vermutet man, daß auch die westafrikanische Ölpalme im Dorado der Palmen, dem nördlichen Südamerika und Mittelamerika, ihre ursprüngliche Heimat hat, von der sie schon im Tertiär auf der damals noch bestehenden Landbrücke nach Westafrika gelangte.
Die westafrikanische Ölpalme ist ein sehr schönes Gewächs, gedeiht aber nur dort, wo ein feuchtes, heißes Klima herrscht. Nur unter den natürlichen Lebensbedingungen, im Walde, erreicht sie ihre normale Höhe von 20 m, in der Kultur aber wird sie meist bloß 10–15 m hoch. Ihr tief geringelter, mannsstarker Stamm schwillt vielfach über dem Boden etwas an und ist unter den natürlichen Verhältnissen im obersten Teil meist noch mit den Resten abgestorbener Blattstiele bedeckt. In der Entfernung dieser, damit die Palme zum Herunterholen der reifen Früchte bestiegen werden könne, beschränkt sich in der Regel die ganze Pflege seitens der Eingeborenen. Die schöne Blattkrone besteht aus 20–25 Wedeln bis zu 7 m Länge mit etwa 1 m langen Fiedern, die sich aber schlecht zum Flechten eignen. In den Blattachseln des Wipfels brechen die mit kätzchenartig angeordneten Blüten reichlich besetzten Blütenstände hervor, die, wie bei den meisten Palmen, getrennten Geschlechts sind, jedoch in der nämlichen Krone, nicht auf verschiedenen Individuen sich entwickeln. Eine Palme bringt während des Jahres durchschnittlich drei bis vier der massigen, nicht herabhängenden Fruchtstände zur Reife. Sieben Monate nach der Blüte reifen die Früchte heran. 600–800, ja bis 1500 an der Zahl finden sie sich an einer riesigen, meist 20–30, gelegentlich bis 50 kg schweren Traube, durch kurze Stacheln voneinander getrennt. Sie sitzen sehr fest und sind wegen ihres gedrängten Wachstums unregelmäßig abgeplattet und erscheinen fett glänzend, von hochgelber bis zinnoberroter Farbe. Am Oberteile sind sie braunschwarz angelaufen. Zu äußerst bestehen sie aus einer dünnen Lage eines fettreichen, faserigen Fleisches, das eine dickschalige, steinharte, mit einem bläulich weißen Kerne versehene Nuß umschließt. Etwa ein Drittel des Gewichtes der Fruchtstände wird von den Früchten selbst gebildet. Deren ölhaltiges Fruchtfleisch bildet eine Lieblingsnahrung der Affen und Papageien, aber[S. 174] auch des Menschen, der es roh oder noch häufiger gekocht in Form der bei den Negern sehr beliebten Palmölsuppe verzehrt. Besonders aber gewinnt er daraus das für ihn so wichtige Palmöl, das ihm als Fettzusatz zu seiner an Fett sonst so armen Pflanzenkost, außerdem aber zur Beleuchtung, zum Einreiben des Körpers und als Arznei dient.
Zur Ölgewinnung wird der ganze Fruchtstand der Ölpalme abgehauen, sobald die Palmnüsse reif sind. Dann werden die einzelnen Früchte ausgebrochen und deren äußeres Fleisch durch Kochen in Wasser oder durch Liegenlassen an der Sonne erweicht. Darauf werden sie in Mörsern gestampft, wobei sich das Fleisch vom Kern löst und zugleich das im Fruchtfleisch enthaltene Öl heraustritt. Dieses schön orangerote, wohlschmeckende Palmöl wird zum geringeren Teil von den Eingeborenen selbst im Haushalt verwendet, zum größeren Teil jedoch an die europäischen Faktoreien verkauft. Im tropischen Westafrika, wo die Ölpalme manchenorts ausgedehnte Wälder bildet, wird es in solchen Mengen erzeugt, daß es gegenwärtig den wichtigsten Handelsartikel dieser Gegenden bildet.
Aus den nach der Ölgewinnung übrigbleibenden bräunlichen, harten Kernen wird das weiße Palmkernöl gewonnen, das sogar noch feiner und wertvoller als das Palmöl ist. Dies wird von den Eingeborenen auf sehr primitive Weise durch Aufklopfen der Kerne und Auspressen des Samens gewonnen. Der weitaus größte Teil der Kerne gelangt aber in die Faktoreien, um nach Europa gesandt zu werden, wo die Ölgewinnung aus diesen vermittelst eigens dafür konstruierter Maschinen geschieht. Die Abfälle bei der Ölbereitung, Palmkuchen genannt, geben ein ausgezeichnetes Viehfutter.
Der Nutzen der Ölpalme beschränkt sich aber nicht bloß auf die ölreichen Früchte. Sie liefert nämlich außerdem in ihren stattlichen Wedeln das Material zur Umzäunung von Gehöften und zu größeren Fischereianlagen, sowie paarweise zur Herstellung leichter und zäher Tragkörbe. Die starken Blattrippen dienen als geschätztes Material für den Hausbau und zur Herstellung von Palisaden, aus den Fiederblättern werden Körbe und viele andere Geräte geflochten und aus den Rippen gute Besen hergestellt. Die außerordentlich festen Gefäßbündel der Wedelstiele vertreten die Stelle von Darmsaiten bei den Musikinstrumenten der Eingeborenen. Endlich wird aus der Ölpalme der bei den Eingeborenen so beliebte, frischem Äpfelmost ähnliche, anfangs süße, bald aber durch Hefegärung stark alkoholhaltige und dann[S. 175] berauschende Palmwein gewonnen. Zur Erlangung kleinerer Mengen davon schneidet man die männlichen Blütenstände ab, zu derjenigen größerer Mengen jedoch wird die Palme mit axtartigen Werkzeugen gefällt, indem man damit das ganze Wurzelwerk durchhaut. Nachdem die Stämme 1–2 Wochen am Boden gelegen haben, schneidet man ihnen mit dem Buchmesser die Wedel ab und höhlt da, wo das Mark in das Herzblatt ausläuft, von oben aus ein ziemlich großes Loch in den Stamm, das mit einer kleinen Öffnung bis auf die untere Seite desselben durchgeführt wird. Durch dieses Loch wird eine dünne Holzröhre gesteckt, durch welche der Saft tropfenweise in einen untergestellten Topf abläuft. Durch Schneiden und Brennen wird das Loch täglich etwas erweitert, ein Vorgang, den die Neger als das „Rufen des Palmweins“ bezeichnen. In den ersten 16 Tagen fließt der süßeste Saft aus, dann wird der Ausfluß stärker, aber das Produkt ist wässeriger. Nach höchstens 30 Tagen ist der Saftreichtum des Stammes erschöpft. Dieser Palmwein wird von den Eingeborenen dem von der Kokospalme gewonnenen vielfach vorgezogen.
Bei dem großen Nutzen der Ölpalme für den Menschen kann es uns nicht wundern, daß der dem Neger so unentbehrliche Fruchtbaum im 18. Jahrhundert durch westafrikanische Negersklaven nach Westindien gebracht wurde, wo er in ähnlicher Weise wie in seiner Heimat kultiviert wird. Am besten gedeiht er im lockeren Buschwald, wo auch die Fruchtstände am größten werden. Sonst wächst er auch willig auf trockenem und leichtem, wie auf feuchtem und schwerem Boden. Entweder werden zuerst Stecklinge aus reifen Früchten gezogen und dann in Abständen von etwa 2 m verpflanzt, oder die Früchte werden gleich in entsprechenden Entfernungen in den Boden gesteckt. Der Baum braucht bis zur vollen Entwicklung etwa 10 Jahre; dann fängt er an zu blühen und Früchte zu tragen, was wenigstens bis zum 60. Jahre andauert. Da jedes Jahr 3–7 Früchtbündel zur Reife gelangen, kann man im Durchschnitt bei geregelter Kultur wohl auf 50 kg Früchte pro Baum rechnen. Da nun 250 kg frischer Früchte 24,5 kg Öl im Fruchtfleisch und 32 kg Kerne liefern, die ihrerseits etwa 15 kg Kernöl abgeben können, so besteht also fast ⅙ des Fruchtgewichtes aus Öl. Da aber dieses nicht restlos aus ihnen gewonnen werden kann, so ist die wirkliche Ausbeute eine bedeutend geringere und beträgt oft nicht einmal die Hälfte des tatsächlich Vorhandenen. So gewinnt der Neger mit seinen unvollkommenen Verfahren aus 50 kg Früchten, die also die mittlere Jahresernte einer Palme darstellen, bloß[S. 176] 2,94 kg Öl und 3,84 kg Kerne. Die Fruchtfleischrückstände enthalten noch sehr viel brauchbares Fett, das durch kräftigeres Pressen leicht zu gewinnen wäre.
So lange die Ölpalmen jung sind, müssen sie namentlich gegen die Glut der regelmäßig am Ende der Trockenzeit von den Negern angefachten Steppenbrände geschützt werden. Haben sie aber eine gewisse Höhe erreicht, so ertragen sie, ohne Schaden zu erleiden, sowohl die Umschließung durch andere, sie überragende Gewächse, als auch monatelange Überschwemmung ihres Standortes und die auflodernden Flammen der Grasbrände.
Im Zentrum der Palmenentwicklung, dem Waldgebiet des nördlichen Südamerika, ist die Weinpalme (Raphia vinifera) heimisch, die außerdem in Brasilien und Westafrika verbreitet ist. Der Stamm erreicht bloß 5–10 m Höhe, besitzt aber bis 15 m lange Blätter mit gewaltigen, oft über 2 m langen Fiedern. Durch Abschneiden der sich entwickelnden Blütenkolben werden große Mengen eines zuckerigen Saftes gewonnen, der durch alkoholische Gärung einen ebenfalls viel genossenen Palmwein liefert; dieser soll aber an Güte dem von anderen Palmen gewonnenen nicht gleichkommen. In Südasien und Indonesien werden verschiedene andere Palmen als Weinpalmen bezeichnet, da sie ebenfalls zur Bereitung von Palmwein benutzt werden.
Andere Palmengattungen liefern in ihren steinharten, weißen Früchten einen wertvollen Ersatz für das durch die zunehmende Ausrottung der Elefanten und die allmählich sich vermindernde Mammutelfenbeingewinnung in Nordsibirien immer seltener und kostbarer werdende Elfenbein. Es sind dies die von verschiedenen Palmenarten stammenden, als „vegetabilisches Elfenbein“ auf den Markt gelangenden Steinnüsse. Zuerst erlangten als solches die Nüsse der südamerikanischen Steinnußpalme (Phytelephas macrocarpa) Bedeutung, die seit dem Jahre 1826 in zunehmender Menge in der Kulturwelt Verwendung finden und deshalb einen der wichtigsten Handelsartikel des Staates Kolumbia bilden. In ihrer Heimat, den Wäldern am Magdalenenstrom und dessen Zuflüssen, werden sie von den Eingeborenen schon seit uralter Zeit zu allerlei Schnitzereien verwendet. Zwei Spanier, Ruiz und Pavon, machten bereits in einem 1798 erschienenen Werke die wissenschaftliche Welt auf diese Palme und ihre Nüsse aufmerksam und gaben ihr den bis heute in Geltung gebliebenen lateinischen Namen Phytelephas macrocarpa, der die großfrüchtige Pflanzenelfenbeinpalme bedeutet.
Die Steinnußpalme ist auf Südamerika beschränkt, liebt feuchte[S. 177] Standorte und steigt den Flußläufen entlang aus den Niederungen bis zu 1000 m Höhe. Sie wächst meist in Gruppen, selten in größeren Beständen. Der höchstens 6 m hohe Stamm ist teils von seinem eigenen Gewicht, teils von den Luftwurzeln auf den Boden gedrückt. Darin und in ihrem ganzen übrigen Aussehen gleicht sie auffallend der vorhin erwähnten südamerikanischen Ölpalme (Elaeis melanococca). Bei der nahe mit ihr verwandten Steinnußpalme mit etwas kleineren Früchten (Phytelephas microcarpa) ist die Stammbildung fast ganz unterdrückt, so daß sie sich mit ihrem Wipfel nur wenig über den Boden erhebt.
Die Bäume sind getrennt geschlechtig, und zwar sind die männlichen Exemplare stärker und aufrechter als die weiblichen. In den Achseln der riesigen Blätter entwickeln sich die Blütenstände, welche an den weiblichen Palmen über kopfgroße, kugelige Sammelfrüchte bilden, die aus je sechs oder mehr eng aneinander gepreßten, holzigen Einzelfrüchten mit höckeriger Oberfläche bestehen, die wiederum vier bis sechs hornige Samen in besonderen Fächern aufweisen. In diesen 20–60 g schweren, etwa hühnereigroßen Samen, den Steinnüssen, liegt von einer schwarzbraunen Schale umgeben der weiße, sehr harte Kern, bestehend aus einem von dickwandigen Steinzellen mit reichlich Eiweiß und Öl im Innern gebildeten Nährgewebe, das selbst nach 24stündigem Liegen im Wasser nicht wesentlich erweicht. Beim Keimen aber sieht man diese steinharte Masse plötzlich weich werden, indem dabei Fermente ausgeschieden werden, die dem Keimling den wie beim Dattelkern sehr harten Reservevorrat lösen und ihn in Form von Traubenzucker für dessen Wachstum zugänglich machen. In diesem Stadium läßt sich ein angenehm schmeckendes, süßes Getränk aus ihnen gewinnen, das als solches, oder erst gegoren, von den Eingeborenen genossen wird. Diese Keimung der Samen erfolgt, wie Kulturversuche ergaben, sehr leicht an feuchten Orten der Tropen, so daß für die Anzucht der Steinnußpalme keinerlei Vorrichtungen wie Saatbeete erforderlich sind.
Diese Palmnüsse bilden den wichtigsten Handelsartikel für die am Meerbusen von Mexiko gelegenen Teile Südamerikas, und zwar sind naturgemäß diejenigen Sorten am geschätztesten, deren Inneres dem echten Elfenbein in Farbe und Tönung am nächsten kommt. Besonders trifft dies bei der Sorte „Savanilla“ zu, deren gelblicher Kern gebrauchtem Elfenbein auffallend ähnelt. Sie werden auf der Drehbank bearbeitet und besonders in der Beinknopfindustrie in ungeheuren Mengen verbraucht. Da sie sich gut färben lassen, verfertigt man auch künstliche Korallen, Türkise usw. daraus. Die Abfälle werden zur[S. 178] Darstellung von Pflanzenalbumen, einem speziell für Färbereizwecke dienenden Eiweiß, leider aber auch zur Verfälschung von gepulverten Gewürzen, die kaffeebraune Steinschale gepulvert zur weiteren Verschlechterung von Kaffeesurrogaten verwendet.
Seit dem Jahre 1876 werden in zunehmendem Maße auch Steinnüsse aus Polynesien unter der Bezeichnung Tahitinüsse bei uns eingeführt, die genau dieselben Eigenschaften wie die südamerikanischen besitzen, sich aber infolge ihrer ansehnlicheren Größe noch besser verwenden lassen. Wie sich später herausstellte, stammen sie nicht von den Tahiti- oder Gesellschaftsinseln, sondern von den weiter im Westen gelegenen Karolinen, Salomons- und Fidschiinseln von drei verschiedenen Arten der Palmengattung Coelococcus, die auf den genannten Inseln in größeren Beständen gedeihen und einen recht ansehnlichen Export herbeigeführt haben. Im Gegensatz zu den südamerikanischen Steinnüssen enthalten sie innerhalb der Steinzellen Kriställchen von oxalsaurem Kalk in der Öl- und Eiweißschicht eingebettet, bedürfen daher zu ihrer Bearbeitung eines besonders gehärteten Stahls. Sie dienen ebenfalls vorzugsweise der Knopffabrikation; jährlich werden etwa 13 Millionen kg derselben gegenüber 38 Millionen kg südamerikanischer Steinnüsse über Hamburg eingeführt.
Von großer Bedeutung für sämtliche Südasiaten und Indonesier ist die ursprünglich in Südasien heimische Arekapalme (Areca catechu), die wegen ihrer diesen Menschen als Genußmittel unentbehrlichen Nüsse in den Tropen daselbst häufig angepflanzt wird. Es ist dies eine wunderbar zierliche Palme von 10–20 m Höhe mit dünnem, kerzengeradem, weißem Stamm und einer Krone von dunkelgrünen Fiederblättern, deren einzelne Fiedern etwas nach aufwärts gebogen sind, und leicht vom Winde bewegt werden, so daß die bilderreiche indische Dichtung diese Palme mit einem von der Gottheit in die Erde geschossenen Pfeile vergleicht, dessen Kielfedern noch vom Fluge erzittern. Viele Europäer bezeichnen sie als die anmutigste aller asiatischen Palmen, ja manche als die schönste der Palmen überhaupt. Das Wichtigste und Wertvollste an ihr sind die an einem nahezu 0,5 m langen Kolben erzeugten, im reifen Zustande orangefarbenen Früchte von der Größe kleiner Hühnereier, die unter einer glatten Außenhaut eine dicke, faserige Mittelschicht und unter dieser eine gelbliche, dünne Schale besitzen, an welcher der Same fest angewachsen ist. Letzterer ist sehr hart und enthält ein weißes, von fast bis zum Zentrum eindringenden schwarzen Platten durchzogenes Nährgewebe, das sehr reich an einem[S. 179] Katechu genannten Gerbstoff ist, der als solcher daraus gewonnen und in großen Mengen ausgeführt wird. Noch viel wichtiger aber ist ihr Gebrauch als Genußmittel der Eingeborenen. Die Nuß ist nämlich ein wesentlicher Bestandteil des „Betels“, der in ganz Süd- und Ostasien mit Leidenschaft von jedermann gekaut wird. Man wickelt zu diesem Zwecke ein Stückchen derselben in das Blatt des Betelpfeffers (Piper betel) ein, fügt etwas gelöschten Kalk, dann Gambir und eventuell Gewürze wie beispielsweise Kardamomen hinzu und kaut dies wie die Arbeiter und Matrosen bei uns den Priemchentabak. Durch den Reiz dieses Gemisches werden große Mengen eines roten Speichels ausgeschieden, der Zahnfleisch und Zähne rot färbt und jene Betelkauer zu Virtuosen des Spuckens gemacht hat, die darin höchstens durch die gumkauenden Yankees übertroffen werden.
Die Arekapalme gedeiht sowohl in Meereshöhe, wo sie häufig im Verein mit der Kokospalme gezüchtet wird, als auch in größeren Erhebungen, wenn auch selten über 1000 m über Meer. Sie ist seit unvordenklicher Zeit über ganz Südasien verbreitet und, da sie im wilden Zustande nicht mehr vorzukommen scheint, ist es unmöglich, mit absoluter Sicherheit ihre engere Heimat festzustellen. Doch kann kaum ein Zweifel darüber bestehen, daß dies die Sundainseln sind. Zur Gewinnung der ihnen geradezu unentbehrlichen Arekanüsse wird sie von den Eingeborenen jeweilen in nur wenigen Exemplaren um ihre Wohnungen gepflanzt. Die Früchte fallen erst nach der Vollreife von den Fruchtzapfen ab. Unter besonders günstigen Umständen beträgt die Jahresproduktion einer Palme 800 Früchte, doch können durchschnittlich nicht mehr als 250–300 angenommen werden. Die Tragbarkeit beginnt im fünften und endet gewöhnlich im dreißigsten Jahre. Ausgedehnte Arekapalmenplantagen gibt es auf Ceylon, das außer seinem eigenen großen Verbrauch etwa 13 Millionen kg davon jährlich ausführt, dann besonders in Nordindien und auf der Halbinsel Malakka. Neuerdings wird sie auch auf den Philippinen, in Neuguinea, ganz Indonesien und Ostafrika für den Export angepflanzt; denn für mehrere hundert Millionen Menschen ist ihr Genuß zum Kauen ein geradezu unentbehrliches Reizmittel, dem sie so wenig als die Gewohnheitsraucher dem Tabak entsagen würden.
Die Betelnüsse werden gepflückt, bevor sie vollständig reif sind, in dem Zustande nämlich, in welchem die unter der faserigen Hülle liegende Schale noch nicht ganz verhärtet ist. Für die Beurteilung ihrer Güte ist die Größe durchaus nicht maßgebend, sondern nur das Aussehen[S. 180] des aufgeschnittenen Kerns. Wenn der weiche, markige Teil, der den härteren roten Teil durchsetzt, eine bläuliche Schattierung besitzt und der rote, gerbstoffhaltige Teil tiefrot ist, wird die Nuß für erste Qualität erklärt. Wenn aber der markige Teil weiß ist und zu sehr vorherrscht, was der Fall ist, wenn sie zu reif geworden ist, so besitzt sie dann nicht mehr den gewünschten, stark zusammenziehenden Geschmack und wird daher als geringwertig betrachtet. Meist werden die Nüsse, nachdem sie von ihrer faserigen Hülle befreit wurden, mit einem scharfen Messer halbiert und an der Sonne getrocknet. Manchmal werden die Halbstücke vor dem Trocknen gekocht. Am geschätztesten ist der Artikel, wenn er in folgender Weise hergestellt wurde. Die — also unreif — geernteten Nüsse werden enthülst und in wenig Wasser gekocht. Dabei entsteht eine rote, dicke, gallertige Brühe, die eingedampft und getrocknet wird. Sie dient zum Einreiben der Nüsse, nachdem dieselben in Stücke geschnitten und an der Sonne getrocknet wurden. Die Stücke werden dadurch glänzend schwarz und in dieser Zubereitung als eine Delikatesse ersten Ranges betrachtet. Auch ungeschnitten werden die Nüsse zuweilen getrocknet, im übrigen aber nach demselben Verfahren behandelt. Der Verbrauch an den Produktionsorten der Nüsse geschieht häufig ohne jede Zubereitung oder nach einem kurzen Einweichen in heißem Wasser.
Die Kultur der Betelpalme erfolgt wie diejenige der Kokospalme. Oft werden beide Palmen durcheinander auf demselben Grundstücke angebaut. Die frischen Nüsse von bester Beschaffenheit werden in Saatbeeten in Abständen von 20–30 cm zum Keimen gebracht. Wenn sie 1–1½ Jahre alt sind, werden sie in der Hauptregenzeit auf ein Feld 3 m auseinander ausgepflanzt, in welchem vorher Bananenstauden als Schattenspender wachsen gelassen wurden. Später ist den Arekapalmen die volle Sonnenbestrahlung sehr dienlich und man pflanzt sie sogar häufig als Schattenspender für Kakao, Betelpfeffer und andere Nutzpflanzen. Wenn auch ihre Krone voll der Sonne ausgesetzt sein soll, so liebt sie doch einen Boden, der durch Beschattung frisch und kühl erhalten wird. In Anbaugebieten dieser Palme mit langen Trockenzeiten ist eine mehrmalige gründliche Bewässerung der Arekaanpflanzung während der Trockenzeit nötig.
Als Nahrungspflanze sehr wichtig für die Bewohner der Molukken und von Neuguinea sind die verschiedenen ostindischen Sagopalmen, die im Innern des Stammes eine große Menge Stärkemehl als Reservevorrat aufspeichern, um am Ende ihres Lebens den mächtigen Blütenstand aufzubauen und die Früchte reifen zu lassen. Die wich[S. 181]tigste derselben ist die gesellig wachsende, 8–12 m Höhe bei einem Durchmesser von 0,6–1,5 m erreichende echte Sagopalme (Metroxylon rumphii, nach dem 1627 in Hanau geborenen und 1702 gestorbenen Rumphius benannt, der lange auf der Insel Amboina lebte und diese Palme zuerst beschrieb). Sie treibt im Alter von 10–12, ausnahmsweise auch 15 Jahren, schwachrötliche Blüten in großer Menge an einer gewaltigen, die Palme überragenden, endständigen, vielfach verzweigten Blütenrispe. Je mehr die Früchte ihrer Reife entgegengehen, desto mehr schwindet natürlich das Stärkemehl aus dem Stammkern, da es ja zur Fruchtbildung verwandt wird. Sobald die pflaumengroßen, von einem gelbbraunen, glänzenden Schuppenpanzer umgebenen trockenen Früchte reif sind, ist der Stärkevorrat erschöpft, doch lebt der Baum noch einige Jahre weiter und stirbt im 20. bis spätestens 25. Lebensjahre.
Ganz ähnlich verhält es sich mit der ihr nahe verwandten Metroxylon sagus, die im Gegensatz zu der vorgenannten keine Dornen an den den Blattstiel umgebenden Blattscheiden trägt. Diese unbewehrte Sagopalme, wie man sie im Gegensatz zur vorgenannten dornigen nennen könnte, birgt weniger und geringwertigeres Stärkemehl. Während erstere mehr auf den Molukken und in Neuguinea wächst und neuerdings auch, seitdem eine größere Nachfrage nach Sago vorhanden ist, anderwärts angepflanzt wird, wird die dornige Sagopalme mehr im westlichen Teil des malaiischen Archipels, namentlich auf Borneo, Sumatra und Java, wild und kultiviert angetroffen und liefert weitaus den größten Teil des von Singapur aus in den Welthandel gelangenden Sagos.
Kurz bevor nun die Sagopalmen zu blühen beginnen, werden sie etwa im 9. oder 10. Jahre zur Gewinnung des in ihnen in reicher Menge angesammelten körnigen Stärkemehls gefällt und in 2–3 m lange Blöcke zersägt, die sich leicht aufspalten lassen. Der dadurch freigelegte, ziemlich feste Kern wird in großen Schollen losgebrochen und diese werden in einem Troge zu grobem Mehl zerstampft. Dieses Mehl wird nun zur Ausscheidung der Fasern mit Wasser vermischt und durch ein Sieb in einen andern Trog gegossen. Nachdem sich das Stärkemehl auf dem Boden niedergeschlagen hat und das Wasser abgelassen wurde, wird es in den ersten Trog zurückgeschaufelt, mit Wasser vermischt und nochmals durch das Sieb getrieben. Dieses Verfahren wird ein drittes und manchmal noch ein viertes Mal wiederholt. Dann ist die Reinigung vollzogen und das Stärkemehl für den[S. 182] Gebrauch für die Eingeborenen fertig, die sich fladenartige, dünne Brote daraus herstellen und sie als Zukost zu ihren Fischen oder anderer tierischer Kost essen.
Zur Herstellung des Sagos — das Wort stammt aus dem Malaiischen und heißt eigentlich sagu, was „eßbares Mehl“ ohne nähere Bezeichnung der Herkunft bedeutet — wird das sich nach dem Schlämmen absetzende Mehl, wenn halb getrocknet, zerstoßen und durch ruckweises Hin- und Herschütteln in einem Tuche, das an zwei von der Decke des Schuppens, in dem die Zubereitung stattfindet, herabhängenden Seilen befestigt ist, zu kleinen, als „Perlen“ bezeichneten Kügelchen geformt. Die diese Arbeit verrichtenden Leute müssen besonders geschickt sein, da von der Art des Schüttelns die Größe der Sagokügelchen abhängt. Diese werden dann durch Siebe mit verschiedenen Maschen gesondert, in heißen Schalen unter beständigem Rühren schwach geröstet und dann, auf großen Öfen ausgebreitet, bei mäßiger Hitze vollständig getrocknet. Der Sagoertrag eines einzelnen Baumes schwankt je nach der Gründlichkeit der Gewinnung — meist ist sie eine sehr oberflächliche — zwischen 200 und 350 kg. Die Gesamtmenge des jährlich von Singapur aus in den Handel gebrachten Sagos wird auf 50 Millionen kg berechnet. Noch weit mehr konsumieren die Eingeborenen, die zum großen Teil davon leben.
Die Sagopalme wird besonders in sumpfigen Talgründen, den Wasserläufen entlang, angepflanzt. Eine kräftige Sagopalme erzeugt 300–400 kg Stärkemehl. Dabei erneuert sich die Anlage von selbst, indem man von jedem Baum, nachdem er gefällt ist, einen Schößling treiben läßt, der seine Stelle einnimmt. Dieser ist meist nach 8 bis 10 Jahren schlagreif und verlangt keinerlei Pflege. Die ersten Sagoproben brachte der weitgereiste Venezianer Marco Polo (1256–1323) 1295 nach Venedig. Aber erst durch die Portugiesen kam die Ware seit dem 16. Jahrhundert in den Handel. Da man aber in neuerer Zeit fand, daß Sago nur ein reines Stärkemehl ist, so bereitet man aus dem Stärkemehl der Kartoffel deutschen Sago, der denselben Nährwert besitzt. Jetzt wird die Sagopalme außer in ihrer Heimat noch an vielen Orten der Tropen, besonders auch in Westindien, kultiviert. In derselben Weise werden auch verschiedene Verwandte des echten Sagobaumes ausgebeutet. Ein minderwertiges, nicht in den Handel gelangendes Sago gewinnt man übrigens auch aus dem Marke der kürzeren, plumpen Stämme verschiedener Farnpalmen, deren einfach gefiederte, große, lederartige Blätter an Stelle der eigent[S. 183]lichen Palmenwedel unter dem Namen Palmenzweige bei Leichenfeierlichkeiten verwendet werden.
Eine der berühmtesten Palmen ist die 20–25 m hohe fächerblättrige ostindische Talipotpalme (Corypha umbraculifera), die in den feuchtesten Strichen Ceylons und des Festlandes wächst und zur leichteren Wasserverdunstung gewaltige Blätter von 7–8 m Länge und 5–6 m Breite entwickelt. Unter einem solchen Blatte können zehn Personen mit Leichtigkeit Platz und Schutz finden. So ist es nicht zu verwundern, daß die Eingeborenen sich aus ihr sehr zweckmäßige Sonnen- und Regenschirme herstellen, die sich die Vornehmen unter ihnen, besonders die Häuptlinge, von ihren Dienern über den Kopf halten lassen. Auch zum Decken der Häuser werden sie benutzt, während die Blattknospen als Palmkohl gegessen werden und man aus dem Stamm eine geringe Sorte Sago gewinnt. Jahrzehnte hindurch sammelt diese Palme das nötige Nährmaterial, um am Ende ihres Lebens den außerordentlich mächtigen, Tausende von weißen Blüten tragenden, reich verzweigten Blütenstand hervorzubringen und dann, nach der Fruchtbildung, abzusterben. Auf die in Längsstreifen gespaltenen Blätter ritzen die Inder und Singhalesen mit eisernen Griffeln ihre Schrift ein. Alle heiligen Schriften der Buddhisten Ceylons bestehen aus solchem Schreibmaterial, das zu Büchern aufeinandergelegt und durch Schnüre zusammengefaßt wird. Die Blattfasern dienen zu Stricken usw. Das weiche Holz des Stammes wird kaum benutzt, dagegen dient das innere Mark besonders in Zeiten der Not zur Gewinnung von Sago. Ähnlich, nur noch vielseitiger, ist die Verwendung der nahe verwandten Gebangpalme (Corypha gebanga) der Sundainseln. Eine andere Verwandte, die ebenfalls in Vorder- und Hinterindien heimische Kitulpalme (Caryota urens) liefert namentlich Fasern und durch Ausschneiden der sich zum Auftrieb bereitenden Blütenstände einen süßen Saft in solcher Menge — bis über 50 Liter in 24 Stunden —, daß nicht nur Palmwein, sondern durch Eindampfen auch bräunlicher Palmzucker (tschakara) daraus gewonnen wird.
Zur Palmweingewinnung von etwas geringerer Güte dient auch eine andere Fächerpalme, die überall im feuchtwarmen Gebiete des tropischen Afrika als Delebpalme und in Südasien und der asiatischen Inselwelt in einer wenig verschiedenen Abart als Palmyrapalme (Borassus flabellifer) gedeiht. Die stattliche, durchschnittlich 20 m Höhe erreichende Palme ist in ihrer afrikanischen Abart dadurch ausgezeichnet, daß der Stamm in seinem oberen Teile bauchig ange[S. 184]schwollen ist, was bei der südasiatischen Form durchaus fehlt, indem der Stamm der letzteren durchwegs zylindrisch ist und sich nach oben hin etwas verjüngt. Sie ist wie die meisten Palmen von der größten Nützlichkeit für die Eingeborenen, die alles an ihr benutzen. Neben der Kokospalme ist sie, die von den Malaien lontar genannt wird und durch die ganze indonesische Inselwelt bis Neuguinea vorkommt, die Hauptnutzpalme besonders Ostindiens, und ein uraltes indisches Lobgedicht auf sie zählt nicht weniger als 801 Nutzanwendungen von ihr auf. Sie ist für Ostindien deshalb so bedeutsam, weil sie dem Menschen gerade dann einen bedeutenden Teil seiner Nahrung liefert, wenn Reis und andere Lebensmittel hoch im Preise stehen, die Produkte der Palmyrapalme aber billig sind, da sie umsonst aus den Wäldern gewonnen werden können. Sie wird auch eigens zur Nahrung kultiviert und die jungen Keime werden als wohlschmeckendes Gemüse (Palmkohl) gern gegessen. Aus dem Marke gewinnt man Sago. Die kokosnußähnlichen Früchte von der Größe eines Kinderkopfes dienen Menschen und Vieh zur Nahrung. Sie werden roh und geröstet gegessen und sind für Millionen Inder eine Hauptnahrung.
Durch das Abschneiden der noch von den Scheiden umgebenen jungen Kolben der männlichen Bäume wird der Toddy genannte Palmwein gewonnen. Man beginnt von der Spitze her von diesen Kolben dünne Scheiben abzuschneiden; dabei tritt ungefähr acht Tage nach dem ersten Schnitt das Ausfließen des Saftes ein, welches so lange anhält, bis der ganze Kolben weggeschnitten ist, was vier bis sechs Monate dauert. Man kann daraus entnehmen, welche große Mengen süßen Palmsaftes auf diese Weise gewonnen werden. Durch Einkochen desselben und Behandeln mit Kalk wird brauner Palmzucker, von den Eingeborenen tschakara genannt, hergestellt.
In den jungen, noch nicht reifen Früchten ist das Nährgewebe der Samen gallertartig weich und wohlschmeckend. Das harte, hornartige Nährgewebe der reifen Frucht ist ebenfalls eßbar, wenn es durch Fermentwirkung bei der Keimung weich geworden ist. Zu diesem Zwecke läßt man die Samen ankeimen, indem man sie in lockere Erde gräbt. Meist jedoch wird der keimende Samen seiner Entwicklung zum Keimpflänzchen überlassen; wenn dieses dann die Größe einer kräftigen Mohrrübe erreicht hat, liefert es in verschiedener Zubereitung eine schmackhafte Speise. Namentlich die inneren, zarteren Teile des Keimpflänzchens, das sogenannte Herz, werden wegen ihrer zarten Beschaf[S. 185]fenheit zum Essen bevorzugt. Die jungen, weißlichen Blätter dienen als Schreibmaterial, während die älteren grünen Blätter in ähnlicher Weise wie diejenigen der Fächerpalmen zu Matten, Körben, Säcken, Hüten, Fächern und zur Bedeckung der Hütten benutzt werden. Das durch seine Härte und Dauerhaftigkeit, besonders seine Widerstandskraft gegen die sonst kaum eine pflanzliche Substanz verschonenden Termiten ausgezeichnete Holz älterer Bäume dient zum Hausbau und wird als Tischlerholz zu allen nur erdenkbaren Gegenständen verarbeitet. Aus den dunkelfarbigen Rindenschichten älterer Bäume werden in Europa Spazierstöcke und mancherlei Drechslerwaren verfertigt. Das Holz jüngerer Bäume dagegen, das nur in den äußeren Teilen des Stammes sehr hart ist, wird, nachdem man den weichen inneren Teil entfernt hat, zu Wasserröhren, Dachrinnen usw. benutzt. Die Blattscheiden endlich liefern einen sehr wertvollen Faserstoff, der als Borassus- oder Palmyrapiassave in den Handel kommt.
Auch bei der in den Wäldern Ostafrikas, Ostindiens und Indonesiens bis zu den Molukken heimischen echten Zuckerpalme (Arenga saccharifera), in Malabar Gomutipalme genannt, die 16–19 m hoch wird und 6,5–8 m lange Blätter treibt, besteht der Hauptnutzen im süßen, durch Abschneiden der jungen Blütenkolben, selten durch Einschnitte in den Stamm in Menge gewonnenen Saft, den man zur Herstellung eines stark berauschenden Palmweins, noch häufiger aber durch Einkochen zur Gewinnung eines dunkeln Palmzuckers benutzt. Aus dem Mark bereitet man eine Art Sago. Zwischen dem Ursprung der Blattstiele stehen roßhaardicke schwarze Fasern, die als Gomutifasern oder Ejuh in den Handel gelangen und zur Herstellung von Schnüren, Segeln, Ankertauen und Besen verwendet werden. Ihre mit Zucker eingemachten unreifen Früchte gelten in Cochinchina als Leckerbissen, aber das saftige Fleisch der reifen Steinfrüchte ist so brennend, daß die Lippen davon anschwellen. Auch das rote Fruchtfleisch der kastaniengroßen Früchte der vorhin erwähnten, bis 16 m hohen ostindischen Kitulpalme (Caryota urens), mit bis 6,5 m langen doppeltgefiederten Blättern, kann wegen des heftigen Brennens, das sie im Munde verursachen, in reifem Zustande nicht genossen werden.
Außerordentlich beliebt bei den Malaien und in wenigen Dörfern Javas, Sumatras und Borneos fehlend, ist die Salakpalme (Zalacca edulis), eine stammlose, buschige Palme mit großen, stacheligen Fiederblättern. Die Blätter dienen zum Dachdecken, und die mit einem braunroten Schuppenpanzer umgebenen eiförmigen Früchte bergen drei[S. 186] von einer weichen, weißen Fruchtmasse eingehüllte Samen. Deren angenehm säuerliches, etwas zusammenhängendes Fruchtfleisch wird roh, mit Zucker oder gekocht gegessen. Oft bezahlen die Malaien dafür sehr hohe Preise.
Eine niedrige Schirmpalme, welche vielfach als Topfpflanze bei uns kultiviert wird, ist die in China heimische und früh nach der Insel Bourbon verpflanzte Livistona chinensis, deren Früchte, die Latanenäpfel, unter der dünnen sich leicht ablösenden Schale ein schmackhaftes Fleisch enthalten.
Eine der Hauptnahrungspflanzen der süd- und mittelamerikanischen Indianer ist die bei einer Stammdicke von 13–21 cm 25–29 m hoch werdende Pupunhapalme (Guilelmia speciosa) mit 2–2,3 m langen Blättern. Deren Früchte bilden gekocht und geröstet eine sehr wichtige Speise der Eingeborenen, weshalb sie den Baum um ihre Hütten anpflanzen. Aus den Samen wird auch Palmöl gewonnen. Dieser Fruchtbaum der tropischen Waldgebiete Amerikas steht schon so lange in der Kultur des Menschen, daß er nur noch durch Schößlinge fortgepflanzt werden kann.
Gleicherweise liefern die Früchte der auf dem Gebiet von Britisch-Honduras große Wälder bildenden Cohunepalme (Attalea cohune) das dem Kokosnußöl bei weitem vorgezogene Cohuneöl, das bei 24°C. gerinnt. Diese schöne Palme bringt nur eine Ernte im Jahre hervor, gewöhnlich aus 700–800 Früchten bestehend. Wenn die Früchte von den Bäumen gefallen sind, werden sie gesammelt und in sehr roher Weise zur Ölgewinnung benutzt. Ihre sehr harten Schalen werden mit einem Stein aufgeschlagen und die Kerne in einen hölzernen Mörser geworfen, in dem sie zerstoßen werden. Die dabei entstehende Masse wird in Kesseln gekocht und das an die Oberfläche kommende Öl abgeschöpft. In unreifem Zustande enthalten die Früchte eine kühle, angenehm schmeckende Flüssigkeit, die sehr abführend wirkt. Hat sich diese Flüssigkeit zu einem weichem Kern verdichtet, so wird derselbe zerstoßen, mit wenig warmem Wasser übergossen und durch ein Tuch geseiht. Die erhaltene milchige Flüssigkeit dient zur Vermischung mit Kaffee und zur Herstellung einiger Gerichte. Aus dem süßen Safte der Palme wird ein weinartiges Getränk bereitet. Die bis 9 m langen Blätter mit 1 m langen Fiedern dienen zur Bedachung der Hütten.
Auch aus den eßbaren Früchten der brasilischen Alfonsia oleifera und noch mehr aus denjenigen der westindischen Macahubapalme (Acrocomia sclerocarpa) wird ein sehr wohlriechendes Öl gewonnen,[S. 187] das vielfach zur Fabrikation von feinen Toilettenseifen Verwendung findet. Letztere Palme ist 6–12 m hoch; ihr Stamm verdickt sich am Grunde etwas und wird von 3–5 m langen, lebhaft grünen Blättern gekrönt, die mit braunen Stacheln bewehrt sind. Die kugeligen, olivengrünen Früchte von der Größe einer Aprikose enthalten einen sehr harten Kern, der eine schöne Politur annimmt und deshalb vielfach von den Negern zu Schmucksachen verarbeitet wird. Um das Öl zu erhalten, werden die Samen leicht geröstet und in einer Mühle zu Brei zerrieben. Derselbe wird schwach erwärmt, zu einem Viertel seines Gewichts mit kochendem Wasser vermischt und in einen Sack gebracht, der zwischen zwei erwärmten Eisenplatten gepreßt wird. Das erhaltene Öl reinigt man, indem man es kocht und filtriert. Nach dieser Behandlung hat es die Beschaffenheit von Butter, ist goldgelb gefärbt, riecht veilchenähnlich und besitzt einen süßlichen Geschmack. Es dient meist als Speisefett und kommt auch nach Europa. In verschlossenen Gefäßen läßt es sich lange aufbewahren. Der Luft ausgesetzt, verliert es bald seine schöne gelbe Farbe und sein angenehmes Aroma.
In sumpfigen Niederungen des Amazonenstroms und sonst in Brasilien wächst die bis 30 m hohe Assaipalme (Euterpe oleracea), die schlehenartige Früchte zeitigt. Diese werden, wenn reif, in irdene Töpfe gelegt und mit warmem Wasser übergossen, das bald eine purpurne Färbung annimmt. Nach einer Stunde wird der größte Teil des Wassers abgegossen, etwas kaltes Wasser hinzugefügt und das inzwischen weich gewordene Fruchtfleisch mit den Händen zerdrückt. Sind die grünlichen Steine entfernt, so wird die rahmartige Flüssigkeit durch ein Sieb getrieben und ist zum Genusse fertig. Als assai wird es überall in den Ortschaften von Straßenverkäufern feilgeboten. Außerdem werden die Blattknospen aus dem Innern der Blattscheiden gekocht als Gemüse oder roh als Salat (Palmkohl) feingeschnitten und mit Öl und Essig gemischt gegessen. Die Stämme dienen häufig zu Pfählen und Palisaden.
Weiter ist die brasilische Wein- oder Mostpalme (Oenocarpus bacaba), die in ihrer Heimat überall um die Wohnungen der Eingeborenen angepflanzt wird, von Wichtigkeit, da die gekochten und gepreßten Früchte viel süßes Öl zum Küchengebrauche und zum Brennen und außerdem ein beliebtes weinartiges, von den Indianern bakaba genanntes Getränk liefern. An Nützlichkeit wird sie noch von der in Nordbrasilien und im Orinokogebiet heimischen Moritzpalme — nach dem 1665 gestorbenen Prinzen Moritz von Nassau, einem Beförderer[S. 188] der Botanik so genannt — (Mauritia vinifera) übertroffen, deren bis über 32 m hoher und 0,3–0,6 m dicker Stamm innen schwammig-weich ist und eine Art Sago liefert, der in Scheiben geschnitten eine brotähnliche Speise gibt. Fleisch und Kern der hühnereigroßen Früchte werden gegessen, der durch Abschneiden der unentwickelten Blütenscheiden gewonnene süße Saft liefert den betäubenden Palmwein der Guaraniindianer, während die Oberhaut der Blätter vortreffliche Schnüre und Netze gibt und der äußere Teil des Stammes als Nutzholz dient. Nach Alexander von Humboldt ernährt diese Palme ausschließlich die im Mündungsgebiet des Orinoko lebenden wilden Stämme der Guarani, welche sich Hängematten aus den Blattstielen machen und dieselben zwischen den Stämmen ausspannen, um in der Regenzeit, wenn das Mündungsgebiet des Flusses weithin überschwemmt ist, ganz auf diesen Bäumen zu leben.
Nicht weniger nützlich ist für die Eingeborenen Chiles die chilenische Palme (Jubaea spectabilis), die einzige Palme Chiles und die südlichste Amerikas, die auf ein kleines Gebiet der Küstenkordillere vom Meeresstrand bis 800 m Höhe beschränkt ist. Sie erreicht 25 bis 28 m Höhe bei einem Stammdurchmesser von 1–2 m. Diese dickste aller Palmen der Erde besitzt eine Krone von 50–60 2,5 m langen Fiederblättern. Sie blüht erst in einem Alter von 60 Jahren, und zwar fällt der Beginn der Blütezeit in den Oktober, den chilenischen Frühling. Dann platzt die Hülle, die den Blütenstand einschließt, mit lautem Knall. Der darin geborgene fleischige Blütenkolben entfaltet gegen hundert Zweige, die zugleich mit männlichen und weiblichen strohgelben, etwas rötlichen Blüten besetzt sind. Aus den weiblichen entwickeln sich walnußgroße, apfelgelbe Steinfrüchte, deren den Kern umhüllendes Fruchtfleisch an den Geschmack der Mispel erinnert. Die Samenkerne, coquitos genannt, von denen ein einziger Baum in einem guten Jahr 10000 zur Reife bringt, dienen als Ersatz für Mandeln und sind namentlich in Peru sehr begehrt. Wie von allen Palmen werden auch von ihr alle Teile ausgenutzt. Aus den Fasern des Stammes wird eine zur Bedachung der Häuser geeignete Pappe gemacht, aus den Fiedern der Blätter verfertigt man Körbe und Flechtwerk aller Art, oder zerschleißt sie zu Polsterungsmaterial, die Mittelrippen werden nach Europa exportiert und dort zu Spazierstöcken verarbeitet, aus dem Stamme jedoch, wobei die Palme geopfert wird, gewinnt man den zu Konfitüren der häuslichen Küche unentbehrlichen Palmenhonig (miel de palma). Bestellt man in einem Restaurant[S. 189] Chiles beispielsweise einen Pfannkuchen, so fragt der Kellner, der ihn serviert: „mit Zucker oder Palmenhonig?“ Der Chilene zieht letzteren vor, der sich alsdann aus der angebohrten Blechbüchse in dünnem, aber zähem gelbbraunen Strahl auf das Gebäck ergießt. Zur Gewinnung dieses Palmenhonigs werden die in Mittelchile noch in größeren Beständen wachsenden Palmen bevor der Frühlingstrieb erfolgt in der Weise an der Wurzel gefällt, daß sie noch durch einen Teil des Stammes mit dem Erdreich in Verbindung bleiben. Dann wird das oberste Stammende nach Entfernung der Krone gekappt und ein Gefäß darunter gestellt. Während des 6–8 Monate andauernden Ausflusses von süßem Saft liefert sie insgesamt 300–400 Liter desselben. Dabei muß nur von Zeit zu Zeit für eine neue Schnittfläche gesorgt werden, da sich die alte mit der Zeit verstopft. Der Saft wird dann auf Sirupdicke eingekocht. Eine Palme liefert 60–100 Liter Honig.
Im Innern Afrikas ist die äthiopische Fächerpalme (Borassus aethiopum), deren Stamm im zweiten Drittel angeschwollen ist, häufig und wird auch teilweise von den Negern angepflanzt, da ihre kopfgroßen, 2–2,5 kg schweren Nüsse ihnen allgemein zur Nahrung dienen und teilweise so wichtig sind wie die Datteln den Arabern. Auch die Triebe der jungen Sämlinge werden roh gegessen.
Verwandt mit ihr und der Deleb- beziehungsweise Palmyrapalme (Borassus flabellifer) ist die im Westgebiet des Indischen Ozeans heimische Seychellenpalme (Lodoicea seychellarum). Sie selbst ist noch nicht sehr lange bekannt, während ihre bis 40 cm langen und 10 bis 13 kg schweren, vortrefflich zum Schwimmen über weite Meeresstrecken eingerichteten, seltsam zweilappigen Früchte, deren Nährgewebe wie dasjenige der Kokosnüsse schmeckt und gerne verspeist wird, schon im Mittelalter in Indien und Hinterindien bekannt waren. Aus unbekannter Ferne fand man sie bisweilen am Strande der Küste Vorderindiens oder der vorgelagerten Inselgruppe der Malediven angeschwemmt. Kein Mensch wußte zu sagen, woher diese merkwürdigen Gebilde kamen, und so bildete sich die Sage aus, daß sie als eine Zauberfrucht am Grunde des Meeres wüchsen. Deshalb nannte man sie Meerkokosnüsse oder Wundernüsse Salomos, auch maledivische Nüsse, weil sie zumeist von den Malediven nach dem indischen Festland in den Handel kamen. Auf den Malediven mußte jede solche entdeckte Nuß als Eigentum des Fürsten bei Todesstrafe sofort diesem gebracht werden, der sie dann verschenkte oder verkaufte. Ihrer großen Seltenheit und geheimnisvollen Herkunft entsprechend galt sie als ganz außer[S. 190]ordentlich wertvoll und man schrieb ihr die wunderbarsten Wirkungen zu. Besonders die Malaien ließen sich daraus kostbare, wundertätige Trinkgefäße schnitzen. 1602 brachte der holländische Admiral Hermanson zuerst eine solche Nuß, die er von einem indischen Fürsten geschenkt erhalten hatte, nach Europa, wo ihr dieselben wunderbaren Kräfte wie in Indien zugeschrieben wurden. Kaiser Rudolf II. (1552–1612) bezahlte für einen daraus geschnitzten Becher, der als zauberkräftiger Talisman galt und heute noch in der Schatzkammer des Kaiserhauses in Wien aufbewahrt wird, nicht weniger als 4000 Goldgulden (im heutigen Werte von über 12000 Mark), eine für die damalige Zeit ganz ungeheure Summe. Erst im Jahre 1769 wurde gelegentlich einer vom Herzog von Praslin angeordneten Untersuchung der Seychellengruppe auf einer winzig kleinen, nach Praslin benannten Insel die Mutterpflanze in Gestalt der bis 40 m hohen Palme mit 7 m langen und 4 m breiten Blattwedeln gefunden, und 1770 brachte ein unternehmender französischer Kauffahrer diese Meernüsse in Menge nach Kalkutta, wo er sehr gute Geschäfte damit machte. Später kamen sie vielfach als Kuriosität in europäische Sammlungen. Daß die Mutterpflanze getrenntgeschlechtig ist und nicht in dichten Beständen, sondern zwischen den übrigen Urwaldbäumen zerstreut wächst, trägt nicht wenig dazu bei, daß ihre Vermehrung nur überaus langsam fortschreitet. Zudem brauchen die Früchte nicht weniger als sieben Jahre zum Reifen. Erst ein Jahr nach dem Pflanzen derselben erscheint der Keimling, der oft mehrere Meter unter der Bodenoberfläche dahinkriecht, bis er nach oben hervorbricht. Bis ein Baum Blüten trägt, vergehen 30–40 Jahre.
In Oberägypten häufig ist die 8–9,5 m hoch werdende Dumpalme (Hyphaene thebaica), eine der wenigen Palmen, deren Stamm[S. 191] sich 3 bis 4mal gabelt. Sie kommt in verschiedenen Arten in ganz Afrika vor. Die etwa die Größe und Form einer Birne erreichenden bräunlichgelben, völlig glatten Früchte besitzen um die harten Samen ein süßes, wohlschmeckendes Fruchtfleisch, das besonders die Affen und Elefanten, aber auch die Menschen sehr lieben. In manchen Gegenden, so beispielsweise im Ambolande, bilden die Früchte dieser „Pfefferkuchenpalmen“ ein sehr wichtiges Nahrungsmittel. Auch in Ägypten gelangen sie heute noch wie zur Zeit der ältesten Dynastien zum Verkauf. Die alten Ägypter aßen sie mit Vorliebe und gaben sie ihren Toten als Wegzehrung mit. So finden wir sie häufig als Grabbeigaben, besonders der 12. Dynastie seit dem Beginne des vorletzten Jahrtausends v. Chr. Die Dumpalme hieß bei den Ägyptern mama und deren Früchte kuku. Aus den Blättern wurden Sandalen hergestellt, deren sich mehrere erhielten, so eine im Museum in Florenz.
Eine neuerdings auch bei uns eingeführte, äußerst wertvolle Tropenfrucht sind die Bananen oder Paradiesfeigen, auch Pisang genannt. Diese mit den Liliengewächsen verwandten Pflanzen stellen die Riesen unter den Stauden dar, indem ihr krautiger, nach außen ausschließlich von dicken Blattscheiden gebildeter Stamm 6 bis zu 10 m Höhe erreicht. Nur wenn die Pflanzen als Abschluß ihres Daseins zur Blüte gelangen, durchwächst dann im Innern ein solider Körper als sogenannter Krautstamm den Stengel. Die außerordentlich großen, 3–4 m langen und 60–90 cm breiten, saftig grünen Blätter besitzen eine sehr starke Mittelrippe, von der sich parallele Seitennerven abzweigen, zwischen denen sie der Wind oft arg zerschlitzt.
Die Bananenstaude bringt nur ein Fruchtbüschel hervor, das aber mit seinen Früchten 30–50 kg schwer wird und 60–100, bei einigen Abarten bis 300 Einzelfrüchte enthält. Nachdem die Frucht gereift ist, stirbt die Pflanze ab. Die Blüten brechen nach Beendigung des Größenwachstums der Pflanze hervor und sitzen an einem bis 1,5 m langen, meist hängenden Kolben, und zwar in 12–16 Ringen von je 15–20 fruchtbaren weiblichen Blüten, von denen jede mit einem großen, roten, blauen oder violetten Deckblatte umgeben ist. Diejenigen der oberen Scheiden, die am weitesten herabhängen, sind männlich und fallen nach dem Verblühen samt den Blätterscheiden ab, während der Achsenteil, an dem sie befestigt waren, erhalten bleibt und auch später noch weit über den reifen Fruchtstand hinausragt. Dann folgen einige unfruchtbare Zwitterblüten und darunter erst die fruchtbaren weiblichen, die nach der Befruchtung die 20–30 cm langen und 5–8 cm dicken,[S. 192] schön gelb bis rot gefärbten, sechskantigen, nicht aufspringenden Früchte hervorgehen lassen. Diese gurkenförmig länglichen, sichelförmig gekrümmten, ursprünglich dreifächerigen, weichen Beeren weisen bei sämtlichen kultivierten Sorten als Zeichen einer uralten Kultur, bei der alles Gewicht auf die möglichst reiche Entwicklung des Fruchtfleisches gelegt wurde, keinerlei Samen mehr auf, so daß diese Kulturpflanze sich nur noch durch Stecklinge fortpflanzt. Bei der wildwachsenden südasiatischen Stammpflanze sind sie gedrückt kugelig, während sie bei den kultivierten Arten zugunsten des Fruchtfleisches unterdrückt wurden und nur noch als dunkle Punkte zu erkennen sind. Die Bananenfrüchte schmecken, wie sich ein jeder von uns wohl selbst zu überzeugen vermochte, wie mehlige, sehr aromatische Birnen und besitzen einen außerordentlich hohen Nährwert.
Mit der vollständigen Entwicklung der Blüte hat das Wachstum der Banane sein Ende erreicht, mit der Reife der Früchte stirbt der Schaft und wird vom Menschen umgehauen, entwickelt aber neue Nebensprossen. Die Lebensdauer beträgt je nach Boden, Klima und Eigenschaft der Spielart 9 Monate bis 3 Jahre, ist aber unter günstigen Lebensverhältnissen meist nicht länger als 12–14 Monate. Beträgt sie unter dem Äquator 9 Monate, so nimmt dieser Zeitraum in demselben Verhältnisse zu, je weiter vom Äquator entfernt die Kultur dieser Obstpflanze getrieben wird.
Der gemeine Pisang (Musa paradisiaca) hat einen schlankeren Wuchs, schmalere Blätter und längere, aber weniger schmackhafte Früchte als der Bananenpisang oder die eigentliche Banane (Musa sapientum). Von beiden Arten gibt es sehr viele Varietäten (in Amerika allein 440), neben Obstbananen auch solche, die sich nur zum Kochen und Backen eignen. Man nennt diese Mehlbananen. Aus ihnen, die roh ein herbes Fruchtfleisch aufweisen und nur gekocht schmecken, kann ein Mehl erhalten werden, daß in einigen Gegenden Afrikas, z. B. am Albert Edward Nyansa, ein wichtiges Nahrungsmittel bildet. Anderswo wird aus den unreifen Bananen ein Mehl bereitet, aus dem man Bananenbrot bäckt. In manchen Gebieten Afrikas ernährt sich die Bevölkerung beinahe ausschließlich von Bananen, und auch in Mittel- und Südamerika wie auch auf den Südseeinseln bilden sie roh, geröstet oder gekocht die Hauptnahrung des Menschen. Aus dem Safte der sehr zuckerhaltigen Obstbanane wird auch ein sehr angenehmes, kühlendes Getränk von weinartigem Geschmack hergestellt, das frisch süß und moussierend schmeckt,[S. 193] bei längerem Stehen jedoch säuerlich wird und durch alkoholische Gärung stark berauschend wirkt. Um diesen Bananenwein noch stärker und gehaltreicher zu machen, wird ihm vielfach, so in Ostafrika, geröstetes Kafferkorn oder Durra (Andropogon sorghum) mit Wasser beigefügt. Das Herz, d. h. das Mark des Stammes und die jungen Schosse dienen in der mannigfaltigsten Zubereitung als beliebte Speise, die saftigen Blattscheiden und der noch nicht erhärtete Wurzelstock werden von den Negern gegessen und aus dem Schafte der Blätter, der als Wasserreservoir dient, kann ein trinkbares Wasser herausgepreßt werden. Im Süden Chinas werden die Blüten zu einem geschätzten Salat verwendet. Die großen Blätter dienen zum Decken der Hütten, zu Sonnenschirmen, als Teller zum Auftragen der Speisen und dergleichen. Einige Male langsam durch die Glut eines gelinden Feuers hin- und hergezogen, werden sie weich und geschmeidig wie Papier und dienen dann als ein vorzügliches, wasserdichtes Packmaterial, in denen man beispielsweise die Tabake von Manila versendet. Die Blattscheiden enthalten Fasern, die seit den ältesten Zeiten zu Matten, Stricken und anderem Flechtwerk, sowie zu Geweben und zu Zunder verwendet werden. Aus dem Schafte aber wird eine Art Hanf bereitet, der auf den Philippinen von der dort zur Gewinnung des sogenannten Manilahanfes in ausgedehntem Maßstabe gepflanzten Faserbanane (Musa textilis), in Vorderindien und in Ozeanien, auch von Musa sapientum, auf den Antillen, in Guiana und Angola von Musa paradisiaca und in Neusüdwales auf der vor kurzer Zeit aus Abessinien dort eingeführten Musa ensete gewonnen wird.
Da nun der Schaft der Banane nach der Bildung der Früchte allmählich abstirbt, keimfähige Samen aber nicht ausgebildet werden, so beruht die Erhaltung und Vermehrung der Art allein auf der Tätigkeit des Wurzelstocks, der sich durch die reichliche Entwicklung von Seitensprossen, sogenannten Schößlingen, auszeichnet. Hat eine Banane Frucht getragen, so wird sie meist über der Wurzel abgehauen, um das Mark derselben zum Essen zu verwenden. Von den während der Entwicklung des Schaftes, bis die Fruchtbildung sich vollzogen hatte, unterdrückten Schößlingen läßt man gewöhnlich nur zwei gegen das Ende der Fruktifikation des Hauptstammes zur Weiterentwicklung gelangen und schlägt dann den schwächeren mit dem ausgedienten Haupttrieb ab. Die Vermehrung der Bananen erfolgt ausschließlich durch solche Schößlinge, welche man in der Nähe ihrer Basis von der Mutterpflanze abschneidet und in mit altem, gerottetem Mist gedüngte, etwa[S. 194] 30 cm tiefe und ebenso breite Pflanzlöcher steckt, wo sie so weit mit Erde bedeckt werden, daß nur etwa 5 cm des Schößlings frei herausragt.
Die Banane stellt eine der schönsten und anmutigsten Pflanzenformen dar, die neben den Palmen das Hauptmotiv jeder vom Menschen bewohnten Tropenlandschaft bildet und überall um die Hütten der Eingeborenen gepflanzt wird. Als ursprüngliche Küstenpflanze liebt sie die von der Seeluft erreichte Niederung. Nicht als ob sie nur in der Nähe des Meeres fortkäme; sie erreicht aber da ihre üppigste Entwicklung. Außer Wärme und Feuchtigkeit, die um so größer sein müssen, je höher die betreffende Spielart wird, verlangt sie einen geschützten Standort; denn ihr schlimmster Feind ist der Wind, der ihre großen Blätter bis auf die Mittelrippe in lauter schmale Streifen spaltet. Wenn nun dieser Vorgang immer wieder, bei allen sich neu entwickelnden Blättern wiederholt wird, so büßt die Staude sehr an der Fähigkeit ein, Früchte zu erzeugen und verliert sie schließlich ganz. Wird ihr solcher Schaden in erheblichem Maße vor der Blüte zuteil, so treibt sie überhaupt keine Blüte; hat sich bereits ein Fruchtbündel angesetzt, so reift es unvollkommen aus. Auch wird sie leicht vom Sturme geknickt. Deshalb müssen da, wo nicht Bodenerhebungen Schutz gewähren, tiefwurzelnde Bäume als Windbrecher gepflanzt werden. Der Boden muß reich an Nährsalzen sein, und zwar sagt feuchter, tiefgründiger und humusreicher Lehmboden der Pflanze am besten zu. Deshalb findet sich die Banane vorzugsweise an den Flußläufen angepflanzt, wo sie zugleich die für sie nötige Bodenfeuchtigkeit findet. In solcher Weise kultiviert, liefert sie zwölf Monate nach dem Setzen eines Schößlings eine Fruchttraube von 30–40 kg Gewicht, die gelegentlich auch, wie gesagt, auf 50 kg steigen kann.
Die Kultur der Banane ist sehr einfach. Man pflanzt die Schößlinge 2 m weit auseinander, am liebsten am Rande von sumpfigen Wassern. Ungefähr 8 Monate nach der Anpflanzung erscheint ein dunkelvioletter Knoten an dem Punkt, wo sich die obersten Blätter trennen. Bald tritt er frei aus seiner Umgebung hervor, an einem langen Stiele hängend, der sich beugt unter dem Gewichte der inzwischen entwickelten, die Form eines zugespitzten Eies aufweisenden Blütenhülle. Kaum zur vollen Größe ausgebildet, öffnet sich ein Blatt dieses Blütenkolbens und rollt sich bis zur Basis zurück, indem es eine Reihe von 5–6 Blüten dem Blicke freilegt. Danach entfalten sich die übrigen Blätter der Blütenhülle eins nach dem andern, bis schließlich 20–30 Blütenbündelchen aufgedeckt sind, die alle an dem[S. 195] einen Stiele hängen. Wenn die Blätter der Blütenhülle verwelken und abfallen, beginnen die Fruchtknoten zu schwellen, und von da bis zu ihrer Reife vergehen 3–4 Monate. In dieser Zeit wendet sich die Nahrungszufuhr der Pflanze auf die zahlreichen Früchte, deren Haupternte vom Januar bis Mai stattfindet. Da aber die Banane bereits lange vor der Blüte, wenn sie erst einige Meter hoch ist, neue Schößlinge aus ihrem Wurzelstocke hervortrieb, von denen man allerdings in geordneten Plantagen nur zwei stehen läßt, damit nicht ein undurchdringlicher Wald entstehe, und diese später blühen und Früchte zeitigen, so kommt es, daß man immer Blüten und Früchte auf einer Bananenpflanzung findet. Einzig in den Gegenden, in denen eine längere Trockenzeit herrscht, läßt die Fruchtreife in dieser Zeit nach, so daß manchenorts die Tropenbewohner, die sich fast ausschließlich von ihr ernähren, bisweilen kurze Zeit ohne Bananen sind, da sich diese fleischigen Früchte nicht längere Zeit aufbewahren lassen, selbst wenn man sie noch grün abschneidet. Weil sie leicht verderben und auch viele Liebhaber unter der Tierwelt besitzen, so besonders Affen, dann unter den Vögeln namentlich die prächtig gefärbten, bis 50 cm langen Bananenfresser (Musophagae) und verwandte Arten, dann Eichhörnchen, Fledermäuse, verschiedene Insekten und andere, werden die Früchte vor der völligen Reife, wenn sie noch grüngelb sind, geerntet und die Fruchttrauben unter Dach zur vollständigen Reife gebracht. Dabei färbt sich die äußere Fruchtschale der Banane goldgelb, des gemeinen Pisang purpurrot bis schwarz, wobei das Fruchtfleisch mehr und mehr erweicht und sich die Stärke desselben ganz in Zucker verwandelt. Es gibt keine andere Pflanze, die auf so kleinem Raum mehr Nahrungsstoff bietet als die Banane, die auf derselben Grundfläche 3½mal mehr Nahrungsstoff als die Kartoffel und 15mal mehr als der Weizen liefert. Dabei erneuern sich die Stauden, die nur kurze Wurzeln besitzen, weshalb sie einzeln stehend leicht vom Sturme zu Boden geworfen werden, aus dem Wurzelstock 60–80mal. In der glühenden Sonnenhitze und bei der größten Trockenheit beschatten und befeuchten sie den Boden selbst und bewirken durch die bedeutende nächtliche Wärmeausstrahlung ihrer riesigen Blätter ein Sinken der Temperatur um 5°C., so daß sich infolgedessen der Wasserdunst der Atmosphäre auf ihnen verdichtet, in großen Tropfen zusammenfließt, am Schafte niedersickert und die Erde rings um die Wurzeln anfeuchtet, als ob sie begossen sei. Nur den einen Nachteil hat sie, eben als Folge ihrer außerordentlichen Leistungsfähigkeit, daß sie den Boden in hohem Maße[S. 196] aussaugt. Deshalb schlägt man die Pflanze nach der Ernte ihrer Fruchttraube nieder, zerschneidet sie in Stücke und düngt damit den stehengebliebenen Wurzelstock mit den neuen Töchterpflanzen.
Die Banane ist wohl eine der ältesten Fruchtpflanzen, die der innerhalb der Tropenzone aus der Tierheit hervorgegangene Mensch in seine Pflege nahm, da sie sehr rasch wuchs und ihm mühelos in kürzester Zeit reichen Ertrag brachte. Ihre Heimat ist die südostasiatische Inselwelt, von wo aus sie ihrer vorzüglichen Früchte wegen vom Menschen schon in vorgeschichtlicher Zeit fast über die ganze Tropenwelt verbreitet wurde. Jedenfalls wurde sie bei der Entdeckung Amerikas wenigstens auf der Westseite dieses Kontinents, besonders in Mittelamerika und Peru, angepflanzt gefunden, was bei der gelegentlichen Verschlagung malaiischer Schiffe an dieses Gestade schließlich auch kein Wunder ist. Der Peruaner Garcilasso de la Vega, ein Nachkomme der Inkas, der in den Jahren 1530–1568 lebte, sagt in seinen spanisch geschriebenen Commentarios reales ausdrücklich, daß zur Zeit der Inkas in den gemäßigten Regionen der Mais, die Quinoapflanze, die Kartoffel, und in den heißen die Bananen den Hauptbestandteil der Nahrung der Eingeborenen ausmachten. Noch andere Autoren führt Alexander von Humboldt in seinem französisch geschriebenen Buche „Neuspanien“ an und sagt selbst, daß an den Ufern südamerikanischer Ströme bei Indianerstämmen, die in keinerlei Beziehungen mit europäischen Niederlassungen gestanden haben, neben den Maniok- auch Bananenpflanzungen anzutreffen gewesen seien. Auch hat der amerikanische Geschichtsforscher Prescott alte Werke oder Handschriften gesehen, denen zufolge die Bewohner von Tumbez an der Küste von Peru dem dort 1531 landenden Pizarro Bananen als Gastgeschenk brachten. Wenn nun auch nach diesen allerdings nicht absolut beweisenden Zeugnissen die Banane in Amerika vor der Invasion der Spanier höchstens an der Westküste jenes Kontinents zu finden war, so hat sie zur Zeit der Entdeckung Amerikas sicher in Westindien und im nordöstlichen Südamerika gefehlt. Dort wurde sie sehr früh von den Portugiesen eingeführt, und zwar war es der Pater Thomas de Berlengas, der sie im Jahre 1516 von den Kanarischen Inseln nach San Domingo brachte, von wo sie auf die übrigen Antillen und später auch nach Brasilien gelangte, so daß sie jetzt allenthalben zu finden und auch verwildert ist.
Von der südostasiatischen Inselwelt verbreitete sich die Banane nach allen Seiten und wurde schon längst auch im Indusgebiet an[S. 197]gepflanzt, als die Griechen im Heere Alexanders des Großen im Jahre 327 v. Chr. das Pandschab durchzogen. Obschon deren Früchte dort allgemein als Volksnahrung dienten, hielt sie Alexander für ungesund und verbot sie seinen Soldaten zu essen. Später erwähnt Plinius die Banane unter dem Namen pola, doch wird ihre Frucht wegen ihrer großen Verderblichkeit kaum je in den Bereich der Mittelmeerländer gekommen sein. Dieses pola des Plinius ist das Sanskritwort pala, das Frucht bedeutet, aus dem auch das Wort Banane hervorging, während pisang die malaiische Bezeichnung ist. Musa wurde dann die Pflanzengattung von Linné nach der arabischen Bezeichnung muz für die Pflanze, die sich schon im 13. Jahrhundert bei Ibn Baithar findet, genannt, und zwar Musa sapientum, weil die indischen Weisen (sapientes) von den Früchten lebten und Musa paradisiaca, weil sie im Paradiese stand. Später hieß man sie auch Paradiesfeige oder Adamsapfel, weil sie nicht nur feigenartig schmeckt, sondern weil sie auch für den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen im Paradiese, von dem Eva dem Adam zu essen gab, gehalten wurde.
Überall in den Tropen sind die Bananenfrüchte ein sehr wichtiger Handelsartikel, der nach und nach für die ganze Kulturwelt von Bedeutung geworden ist; denn durch die rasch fahrenden Schiffe der Gegenwart ist dieses kostbare Erzeugnis der Tropen auch den Bewohnern der klimatisch gemäßigten Länder zugänglich gemacht worden. Besonders wird sie in großen Mengen aus Mittelamerika nach den so obstfreundlichen Vereinigten Staaten eingeführt. So sind von Nordamerikanern, speziell Minor C. Keith in Costarica, allein 15000 Hektar Land mit Musa bepflanzt worden, aus denen im Jahre 1908 über 15 Millionen Bündel Bananenfrüchte von durchschnittlich 30 kg Gewicht im Wert von beinahe 20 Millionen Mark geerntet und nach den Vereinigten Staaten eingeführt wurden. Bei ihrer geringen Haltbarkeit müssen sie, sobald sie reif sind, in mit Kühlvorrichtungen versehenen Schiffen und Eisenbahnen rasch spediert werden und schmecken dann unendlich viel besser als die unreifen Früchte, die wir bisher aus Westindien erhielten. So sind sie in allen Schichten der Bevölkerung der Vereinigten Staaten zu einem eigentlichen Volksnahrungsmittel geworden, ein Beispiel, das in Europa Nachahmung verdiente, da sie eine vortrefflich bekömmliche und wohlschmeckende Nahrung bilden. Um den Schwierigkeiten des Transportes aus dem Wege zu gehen, wurden sie in England zuerst getrocknet eingeführt. Seitdem aber die[S. 198] Transportverhältnisse sich gebessert haben und man gelernt hat, diese Früchte fast reif zu uns zu bringen, gelangen sie in immer größerer Menge frisch nach Europa und finden hier immer mehr Anklang, so daß sie im Begriffe sind, sich zu einem Welthandelsartikel wie die Orangen aufzuschwingen. Hat doch Deutschland allein in den sieben ersten Monaten des Jahres 1909 78 Millionen kg davon eingeführt.
Bei uns wird die südchinesische Zwergpalme (Musa cavendishi), wie auch die kleinbleibende Musa coccinea in Warmhäusern kultiviert und als Zimmerpflanze gehalten. Sie, wie auch die größte aller Bananensorten, die Musa ensete aus Abessinien mit roten Blattstielen und Hauptnerven, werden gleichfalls im Sommer auf Rasenrabatten allein oder mit anderen Blattpflanzen, besonders Ricinus und Canna zusammen angepflanzt. Diese enzeht der Abessinier ist die größte aller Krautpflanzen überhaupt. Eine fünfjährige Pflanze im Palmenhause zu Kew bei London hatte schon über 10 m Höhe und unten am Schaft 2 m Umfang erreicht und besaß 6,5 m lange und 1 m breite Blätter. Wegen dieser letzteren scheinen die alten Ägypter bereits die Pflanze als Viehfutter kultiviert zu haben; denn es ist eine altägyptische Darstellung bekannt, in welcher Nilpferde eine Bananenpflanzung verwüsten. Durch Einschnitte in den mächtigen Schaft fließt ein köstlich schmeckender Saft aus, der von den Abessiniern, mit Milch und etwas Butter vermischt, sehr gerne gegessen wird. Das Innere des Schaftes, wie auch die Schößlinge geben gekocht ein gutes Gemüse, das von vielen ostafrikanischen Volksstämmen als wichtigste pflanzliche Nahrung genossen wird. In ihrer Heimat trägt auch sie reichlich Früchte, die wie alle anderen Bananensorten mit Vorliebe auch von den Affen gegessen werden. Plündernd fallen sie in die Pflanzungen des Menschen ein und schaden hauptsächlich dadurch, daß sie mehr verwüsten als fressen. Auch den Maisfeldern sind sie sehr gefährlich, indem sie beim Plündern der Maiskolben von Staude zu Staude springen und natürlich jedesmal die Staude abbrechen. Die Abessinier sind, weil sie keine Schrotgewehre zur Einschüchterung dieser frechen Diebe besitzen, dieser Landplage gegenüber fast machtlos. Sie behelfen sich damit, daß sie wie anderwärts die Bananentrauben abschneiden, bevor sie reif sind, sie aber zum Nachreifen in die Erde vergraben; denn von dort stehlen sie die Affen nicht.
Eine andere, in Treibhäusern nicht selten angetroffene Art ist der auf Madagaskar heimische „Baum der Reisenden“ (Ravenala madagascariensis), der auf einem ebenfalls bis 10 m hohen, blattlosen[S. 199] Stamm einen Schopf großer, zweizeilig gestellter, im Gegensatz zu den eigentlichen Bananen gestielter Blätter trägt. Seinen Namen hat er daher, daß die Reisenden auf jener großen, Afrika benachbarten Insel die Blattstiele mit ihren hohlen Wanderstöcken anstechen, um das herausfließende schmackhafte Wasser zu trinken.
Wahrscheinlich auf der Halbinsel Malakka heimisch und von da im gesamten tropischen Asien und auf der malaiischen Inselwelt kultiviert, ist als eine der köstlichsten Tropenfrüchte die Mangostane (Garcinia mangostana) zu erwähnen. Sie wächst an einem 20–25 m hohen Baume mit dicken, dunkelgrünen Blättern und ist eine fast kugelige Frucht von 5–7 cm Durchmesser, welche innerhalb einer dicken, weinroten Schale ein schneeweißes, weiches, sehr süßes und aromatisches Fruchtfleisch enthält, in welchem die Samen eingebettet sind. Das Fleisch ist als Mantel des Samens zu deuten.
Angenehm säuerliche Früchte von etwa 1 kg Gewicht, deren Saft sowohl zur Würze an Speisen getan, als auch zu kühlenden Getränken benutzt wird, besitzt die nahe Verwandte der Mangostane, Garcinia pedunculata, ein gegen 20 m hoher Baum in Bengalen. Die getrockneten Früchte pflegt man mit Vorliebe auf Seereisen mitzunehmen.
In Hinterindien, Südchina und dem malaiischen Archipel heimisch sind die Jambosen oder Rosenäpfel, auch Malaienäpfel genannt, die auf 6–12 m hohen, immergrünen Bäumen aus der Familie der Myrtengewächse wachsen. Jambosa malaccensis trägt apfelgroße runde, rote, Jambosa vulgaris dagegen, die noch auf den ostindischen Inseln wildwachsend angetroffen wird, blaßgelbe, rosenrot angehauchte birnförmige, rosenartig riechende Beerenfrüchte von der Konsistenz des Apfels, die in einer weiten Höhle einen olivengroßen Kern bergen. Beide werden ihres Wohlgeschmacks wegen in allen Tropengegenden, besonders den Sandwich- und Fidschiinseln, neuerdings auch in Brasilien, auf den Antillen und auf Madeira kultiviert. Ihre in Zucker eingemachten, weinsäuerlich riechenden Blüten werden bei fieberhaften Krankheiten verabreicht.
Ähnliche birnförmige, wohlschmeckende Früchte wie letztgenannte Art liefert die ebenfalls in Südindien heimische Jambosa macapa, die auch anderwärts, so besonders auf Mauritius, in mehreren Abarten kultiviert wird. Dasselbe ist mit der in Südchina zur Kulturpflanze erhobenen Jambolifera pedunculata der Fall, deren schwarze, süße Früchte einen nicht unwichtigen Handelsartikel bilden.
In Südasien, besonders Indonesien, werden ebenfalls häufig San[S. 200]doricum indicum wegen ihrer kleinen, orangeähnlichen Früchte und Dillenia serrata und D. elliptica wegen ihrer über apfelgroßen, sauersüßen, schleimigen Früchte, wie auch Erioglossum edule und Lansium domesticum wegen ihrer Steinfrüchte angebaut. Besonders angenehm schmeckt auch der große Molukkenapfel (von Xanthochrymus dulcis und X. pictorius).
Ebenfalls in Südasien heimisch und von da über die ganze Tropenwelt verbreitet ist der 10–15 m hohe Mangobaum (Mangifera indica) mit lederartigen, länglichen, ganzrandigen Blättern und wohlriechenden, kleinen, weißen Blüten, deren nierenförmige, außen grüne bis gelbe, in einem rötlichgelben, saftreichen, sauersüßen Fruchtfleisch einen einzigen großen harten Samen umschließenden, ei- bis faustgroßen Früchte, die Mangos, von vielen Europäern als die edelste der Tropenfrüchte erklärt werden. Manche Kulturformen liefern noch größere Früchte, die bis 1 kg schwer werden. Sie schmecken sehr süß, aromatisch und durch ihren Gehalt an Zitronensäure erfrischend säuerlich. Allen Sorten ist aber ein mehr oder weniger ausgesprochener Geschmack nach Terpentin eigen, welcher manchem den Genuß verleidet. Damit sich dieser verliere legt man die geschälte Frucht einige Zeit in Wasser. Auch die Samen werden geröstet gegessen und schmecken dann wie Kastanien. Der Mangobaum, der in Südindien und Ceylon noch wild gefunden wird, aber als solcher nur kleine Früchte zeitigt, ist heute in vielen Varietäten über die ganze Tropenwelt verbreitet und wird in einer besonders wohlschmeckenden Sorte auch in Brasilien kultiviert.
In Südasien heimisch, aber ebenfalls im ganzen Tropengürtel vielfach kultiviert, ist der indische Mandelbaum (Terminalia catappa), ein großer Baum mit mächtiger Laubentwicklung mit abwechselnd gestellten, gegen das Ende der Zweige zusammengehäuften, ganzrandigen, gestielten Blättern, welche am Anfange der Trockenzeit schön rot werden, später aber abfallen. Aus den in ährenartigen Infloreszenzen stehenden kleinen, sitzenden Blüten entwickeln sich außen etwas fleischige, in der Mitte zusammengedrückte Steinfrüchte, die in dem sehr harten Stein einen wie Mandeln schmeckenden, länglich eirunden Samen einschließen, der eine beliebte Speise bildet.
Ebenso geschätzt ist der gleichfalls über die gesamten Tropen verbreitete, wahrscheinlich in Ostindien heimische Gombo oder Ochro (Hibiscus esculentus), eine baumartige Malvacee, deren wohlschmeckende junge Früchte, besonders gekocht, sehr beliebt sind. Ähnlich verhält es sich mit dem sehr nahe damit verwandten Moschushibiscus (Hibis[S. 201]cus moschatus), der ebenfalls in den heißesten Gebieten Ostindiens heimisch ist und von da aus die weiteste Verbreitung fand. Seine Samen besitzen einen zarten Bisamgeruch, der sie auch für die Parfümerie Verwendung finden ließ.
Einen, als die Europäer erschienen, in ganz Indonesien von Sumatra bis zu den Markesasinseln angebauten Fruchtbaum stellt der Brotfruchtbaum (Artocarpus incisa) dar, der zu den Maulbeergewächsen gehört. Es ist dies ein 13–17 m hoher, einen zähen, fadenziehenden Milchsaft führender, einhäusiger Baum, mit 33–50 cm dickem Stamm und bis 1 m langen, oft 50 cm breiten, derben, tiefeingeschnittenen Blättern. Diese sind an den Schößlingen oft ganzrandig, an den Sprossen und stärkeren Zweigen dagegen nur zwei- bis dreilappig, während sie sonst bis neun Lappen aufweisen. Sie sind oben dunkelgrün, von gelblichen Nerven durchzogen, fast ganz glatt, unten rauh, bleicher gefärbt und mit hervortretenden Rippen. Beim Welken durchlaufen sie die ganze Farbenreihe zwischen dunklem Grün und brennendem Rot. Das eine Ende ist oft noch samtgrün, während die Mitte goldgelb leuchtet und das andere Ende purpurn oder scharlachrot strahlt. Die männlichen Blütenstände sind kätzchenartig gestellt und entspringen von den jungen Zweigen, während die weiblichen eirund sind und aus den älteren Zweigen hervorgehen. Die Frucht ist eine über kopfgroße, bis 2 kg schwere Scheinfrucht mit einem saftigen, nahrhaften Fleisch, in der als Zeichen sehr langer Kultur meist keine Samen mehr zur Ausbildung gelangen. In Scheiben geschnitten und mit oder ohne Fett gebacken, schmecken sie wie die besten Kartoffeln. Auch die Samen, falls welche vorhanden sind, ißt man in heißer Asche geröstet wie Kastanien. Man zieht aber diejenigen Kulturvarietäten, die keine Samen mehr erzeugen, den anderen vor, weil ihre Fruchtstände saftiger sind und einen höheren Nährwert besitzen. Die Südseeinsulaner ernähren sich zum größten Teile von den Früchten dieser Pflanze, von der zwei bis drei Bäume für den ganzen Unterhalt eines Menschen genügen sollen. Die Heimat des Brotfruchtbaums scheint in Java und den Sundainseln zu liegen, wo der deutsche Naturforscher in holländischen Diensten Rumphius (1627–1702) eine anscheinend wilde Form desselben angetroffen haben soll.
Der Brotfruchtbaum wird nur auf ungeschlechtlichem Wege durch Schößlinge künstlich vermehrt. Er gedeiht im geeigneten Klima in jedem Boden, selbst in solchem, der zu keiner anderen Kultur benutzt werden kann. Der Baum bleibt 60 bis 70 Jahre lang tragbar; dabei[S. 202] währt die Ernte 9 Monate lang, nämlich von November bis Juli, und ist so außerordentlich ausgiebig, daß, wie der Weltumsegler James Cook (1728–1779) sich ausspricht, „einer, der in seinem Leben 10 Brotfruchtbäume gepflanzt hat, seine Pflicht gegen sein eigenes und sein nachfolgendes Geschlecht ebenso vollständig und reichlich erfüllt hat, als ein Einwohner unseres rauhen Himmelstrichs, der sein ganzes Leben hindurch während der Kälte des Winters gepflügt, in der Sommerhitze geerntet und nicht nur seine jetzige Haushaltung mit Brot versorgt, sondern auch seinen Kindern etwas an barem Geld kümmerlich erspart hat.“ Das roh nicht eßbare, mehlige Fleisch der halbreifen, grünen Früchte wird geröstet, zu Brot verbacken und als Mus gegessen. Das Backen geschieht in heißer Asche oder auf heißen Steinen, seltener in Öfen. Dabei wird das Innere der Früchte beim Braten weiß und weich wie Brotkrume, muß indessen gleich gegessen werden, da es nach 24 Stunden musig und fad wird. Nur in Scheiben geschnitten und getrocknet hält sich die Frucht zwei Jahre, kann so den Schiffszwieback ersetzen und wird auch von den Spaniern als solcher gebraucht. Die Schiffsmannschaften ziehen diese Nahrung dem Brote vor. Auf den Südseeinseln benutzt man die unreife Brotfrucht auch zur Herstellung eines sehr schmackhaften Muses, indem man sie nur wenig röstet, dann von der Schale befreit, das Fruchtfleisch in kaltes Wasser bringt und darauf zu Brei quirlt. Eine sehr schmackhafte Speise bereitet man ferner aus der geöffneten unreifen Brotfrucht, indem man ihr die Rinde und das Kernhaus nimmt und sie in einem Mörser tüchtig stampft. Dann gießt man darauf die aus dem saftigen Kern einer reifen Kokosnuß durch Versieben entstandene dicke Milch, die man durch kleine, aus feinen Kokosfasern geflochtene Beutel preßt. Von den Europäern wird die unreife Brotfrucht meist in dünne Scheiben geschnitten, in Butter oder sonstigem Fett gebacken gegessen, was eine sehr feine Speise gibt, die, wie mir eine Jugenderinnerung sagt, in bezug auf den Geschmack an knusperig gebratene Kartoffeln erinnert.
Ist die Mehrzahl der Brotfrüchte reif geworden, so findet die Haupternte statt. Die reifen Früchte sind goldgelb, weich, inwendig breiig, von widerlich süßem Geruch und Geschmack. Dieser Brei gilt als ungesund und wird kaum gegessen. Dagegen verwendet man die feste Rinde und das Kerngehäuse der geernteten Früchte, indem man sie in Holzmörsern zu einer teigigen Masse zusammenstampft, die man in mahe genannten Laiben, sorgfältig in Blätter und Bast gehüllt, jahrelang an einem kühlen Orte aufbewahren kann, wobei sie durch[S. 203] längeres Lagern noch an Güte gewinnen. Die Südseeinsulaner backen daraus nach Bedarf, nachdem sie den Teig haben gären lassen, Kuchen von bernsteingelber Farbe und etwas herbem, aber durchaus nicht unangenehmem Geschmack, der feinem Weizenbrot oder — nach Anson — gebratenen Kartoffeln ähnlich sein soll. Mit dem Saft von Orangen getränkt, soll das Brot süß wie Apfelkuchen schmecken. Auch kann man den Brotfruchtteig wie Pudding zubereiten. Von dieser aufbewahrten Brotmasse nähren sich die Insulaner von August bis Oktober, während welcher Zeit der Brotfruchtbaum keine Früchte trägt.
Außer den Früchten liefert der Brotfruchtbaum noch andere nützliche Produkte, so die Rinde zum Gerben und Färben, den Bast junger Zweige zur Herstellung von tapa oder Rindenstoff, den Milchsaft zur Herstellung von Vogelleim und Kitt; ein durch Einschnitte in den Stamm gewonnenes Harz (das dammar selo der Malaien) kommt wie Kopallack zur Herstellung von Firnis in den Handel. Das gelbe Holz benutzt man zum Häuserbau, zur Gewinnung von Booten und Holzgeräten. Die Blätter verwendet man wie starkes Papier zum Einwickeln von Gegenständen und Aufbewahren von Lebensmitteln. Die halbverwelkten, bunten Blätter werden von den Eingeborenen an der Mittelrippe aufgeschlitzt und als Kopfbedeckung benutzt; sonst dienen sie auch als Tischtücher, Teller und Servietten. Im tropischen Amerika wird der echte Brotfruchtbaum wegen seiner schönen Belaubung mehr als Alleebaum, denn als Fruchtbaum gepflanzt.
Der erste Bericht vom Brotfruchtbaum datiert aus dem Jahre 1697 von dem englischen Seefahrer William Dampier (1652–1715), der ihn in Menge auf den Marianen oder Ladronen, d. h. Diebesinseln — jetzt bekanntlich deutsche Kolonie — angepflanzt fand. Genauere Nachrichten über diesen so nützlichen Fruchtbaum verdanken wir dem Reiseberichte des deutschen Naturforschers Joh. Reinhold Forster (1729 bis 1798), der mit seinem Vater den Kapitän James Cook auf seiner zweiten Reise um die Welt von 1772 bis 1775 begleitete und später bis zu seinem Tode als Botanikprofessor in Halle tätig war. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts brachte Sonnerat den Brotfruchtbaum nach der Insel Mauritius. Später wollte König Georg III., der 22jährig 1760 auf den englischen Thron gelangte, den er bis zu seinem Tode 1820 behauptete, auf Wunsch der englischen Kolonisten in Amerika ihn in Westindien einführen. In seinem Auftrage gelang es nun dem englischen Kapitän Bligh (sprich Blei) 774 junge Brotfruchtbäume einzuschiffen; allein die Expedition wurde durch eine Meuterei der Mann[S. 204]schaft vereitelt. Erst die zweite Expedition war von Erfolg begleitet. Von 1150 jungen Brotfruchtpflanzen überstand ein großer Teil die Reise. 550 derselben wurden im Januar 1793 in St. Vincent gelandet, die übrigen — außer fünf für den Garten von Kew bei London bestimmten — kamen nach Jamaika. Die Hoffnung, durch die Brotfruchtbäume ein neues Nahrungsmittel für die Sklaven in Amerika zu erhalten, verwirklichte sich aber nur sehr unvollständig; denn jene zogen der Brotfrucht die besser schmeckende Banane vor, die roh zu genießen ist, sich ebenso leicht anpflanzen läßt und eher Früchte trägt. Auch dem Südseeinsulaner ist es nicht angenehm, daß er die Brotfrucht erst noch zubereiten muß, ehe er sie essen kann. „Daher träumt er sich“ — sagt Forster — „auch in seinem Paradiese eine Brotfrucht, die keiner Zubereitung bedarf und frisch vom Baume weg gegessen werden kann.“ Bei der Geburt eines Kindes pflanzt er einen Brotfruchtbaum, der für das Kind allein bestimmt ist.
Auf dem indischen Festland, auf welches die Brotfrucht schon sehr früh verpflanzt wurde, ist außer dem weichhaarigen Brotfruchtbaum (Artocarpus pubescens) mit ebenfalls eßbaren Früchten, die noch weit größere und äußerst wohlschmeckende Früchte reifen lassende Verwandte, der nach der indischen Bezeichnung tschaka für die Frucht als Tschakfruchtbaum (Artocarpus integrifolia) zu Hause. Seine großen Blätter sind ganzrandig und die bis 40 kg schweren Tschakfrüchte von ebenfalls grüner Farbe besitzen innen ein außerordentlich aromatisch schmeckendes, gelbes Fruchtfleisch, das Menschen und Tiere mit Leidenschaft essen. Besonders die Rinder riechen die Früchte von weitem und eilen herbei, um sich der von ihnen so geliebten Speise zu bemächtigen; doch gönnt ihnen der Mensch gewöhnlich nur die Schale. Der schon sehr lange domestizierte, in ganz Südindien, Ceylon und Indonesien anzutreffende Baum scheint seine eigentliche Heimat an der Malabarküste zu haben, wo er manchenorts noch wildwachsend angetroffen wird. Im Jahre 1782 wurde er nach Jamaika, bald hernach nach Brasilien und an die verschiedensten Orte der Tropen verpflanzt, wo er überall wegen seiner aromatischen Früchte geschätzt wird.
Vielleicht noch mehr als sie geschätzt, sowohl von den Europäern als auch ganz besonders von den Eingeborenen, wird die im malaiischen Archipel und auf der Halbinsel Malakka heimische, jetzt aber auch vielfach in ganz Süd- und Südostasien kultivierte Durianfrucht. Auch sie wird über kopfgroß, ist mit derben, kegelförmigen Stacheln besetzt[S. 205] und wird so schwer, daß der Aufenthalt unter dem hochwipfligen Baum zur Zeit der Fruchtreife geradezu lebensgefährlich ist. Teils deswegen, teils auch weil den reifen Früchten von den gefräßigen Flughunden als Lieblingsnahrung sehr nachgestellt wird, nimmt man sie meist vor der vollsten Reife ab. Der Geschmack des weichen inneren Fleisches der fünfklappigen Kapsel ist der einer stark mit Fruchtäther gewürzten süßen Eierkreme, die geradezu berückend wirkt. Dabei hat sie aber leider einen Beigeschmack und vor allem einen Duft, der zwischen faulen Eiern und sehr stark riechenden Zwiebeln schwankt. Deshalb können sich viele Europäer nicht dazu entschließen, sie auch nur zu versuchen. Jedenfalls ist der Genuß des Durians wegen des unangenehmen Geruchs in guter Gesellschaft verpönt und es darf demselben in den Hotels, wie auch in den Geschäftsräumen der Kaufleute nur in einem besonderen Raume nachgegangen werden. Der die Durianfrüchte liefernde Baum (Durio zibethinus) gehört zu den Malvengewächsen und stellt einen hohen Baum mit länglichen, ganzrandigen, lederigen Blättern dar. Sein Hauptverbreitungsgebiet ist das südliche Asien mit Einschluß von Indonesien.
Mit dem Durian verwandt ist der durch seine massige Größe, besonders des Stammes, der bis zu 10 m Durchmesser erreicht, ausgezeichnete, in den Steppen Mittelafrikas häufig vorkommende Affenbrotbaum (Adansonia digitata). Seine sehr großen, einen Umfang von 60 cm erreichenden weißen Blüten werden durch die den Kolibris ähnlichen Nektarinen oder Honigvögel im Fluge bestäubt, die emsig die Blumen besuchen, um den von ihnen gespendeten Honig zu naschen und die sich daran gütlich tuenden kleinen Insekten zu haschen. Die Früchte sind oben dicke und unten dünnere gurkenartige Körper, von oft mehr als 40 cm Länge und 10 cm Dicke, die unter der hellen Schale, in einem säuerlichen Marke große, schwarze Samen enthalten. Beide sind eßbar und werden von den Negerstämmen verzehrt, die auch den Bast des Stammes seit uralter Zeit als wichtiges Bindematerial, namentlich auch zur Anfertigung von Stricken und dünnen Seilen, benutzen. In neuerer Zeit gelangt derselbe in größeren Mengen in den europäischen Handel und dient vielfach auch zur Herstellung eines dem alten Büttenpapiere ähnlichen Papieres.
Noch beliebter als das Mark seiner Früchte ist dasjenige einer australischen Art (Adansonia gregorii), welche der Sauregurkenbaum genannt wird. Da zur Zeit der völligen Fruchtreife in der Trockenzeit die Blätter der Affenbrotbäume abgefallen sind, so bieten sie mit ihren[S. 206] an sehr langen Stielen hängenden Früchten einen überaus merkwürdigen Anblick dar.
Ebenso große, gleichfalls mit einem säuerlichen Fruchtfleisch erfüllte, an 2–2,5 m langen Stielen herabhängende Früchte besitzt der im tropischen Westafrika bis zum Seengebiet verbreitete Leberwurst- oder Fetischbaum (Kigelia africana), dessen in langen Trauben herabhängende, sehr große, hellrötliche Blüten ebenfalls von den Honigvögeln besucht und befruchtet werden. Seine Früchte dienen außer zu Zauber mancherlei Art mit Vorliebe als Opfergaben an die als Fetische verehrten Seelen der Verstorbenen; daher der Name Fetischbaum. Östlich vom Seengebiet wird er nicht mehr im wilden Zustande aufgefunden. Hier vertritt ihn die verwandte Kigelia aethiopica.
An der feuchtheißen Westküste des tropischen Afrika, von Oberguinea (Sierra Leone) bis zur Kongomündung, wächst in den Küstenurwäldern und landeinwärts bis 360 km von der Küste der Kolabaum (Cola acuminata). Es ist dies ein 10–18 m hohes Gewächs mit glänzenden, lederartigen Blättern und getrenntgeschlechtigen, gelben Blüten, die in Rispen wie beim Kakao oft unmittelbar aus dem Stamm oder aus älteren Zweigen entstehen. Nach der Befruchtung bilden sich aus ihnen die aus 4–6 Kapseln bestehenden Früchte, die sternförmig um den Fruchtstiel angeordnet sind. Jede Kapsel enthält bis zu sechs fast kastaniengroße, etwa 30 g schwere rötlich-braune Samen. Letztere schmecken stark bitter, besitzen aber einen Gehalt von 2,4 Prozent Koffein und 0,023 Prozent Theobromin, wodurch sie anregend auf das Nervensystem und die Muskulatur bei Ermüdung wirken. Deshalb werden sie eifrig von den Negern gesammelt und gekaut, wie die Peruaner zu demselben Zwecke die Blätter der Kokapflanze kauen. Auf ihren langen, oft Monate dauernden Handelsreisen durch schwach bevölkerte Gebiete würden die Eingeborenen ohne den Genuß der Kolanüsse nicht auskommen, der ihnen für lange Zeit das Gefühl von Hunger und Durst unterdrückt und sie zugleich vor Ermüdung schützt.
Wegen dieser seiner hochgeschätzten Früchte wird der Kolabaum, wie auch ein Verwandter, Cola macrocarpa, seit langem von den Negern angepflanzt und werden seine Früchte, die Kola- oder Gurunüsse, als gesuchter Handelsartikel weithin durch ganz Zentral- und Nordafrika in Tausch gebracht. Denn außer den anregenden und die Müdigkeit beseitigenden Stoffen enthalten sie in beträchtlicher Menge auch wirkliche Nährstoffe, wie Eiweiß, Stärkemehl und Zucker. Den größten Kolahandel betreibt das Hinterland der Goldküste, vor allem[S. 207] die Landschaft Gondja. Von hier aus gelangen die Kolanüsse vor allem nach dem Sudan, jedoch selten oder gar nicht nach Europa. In Deutsch-Togo und Kamerun sind neuerdings auch von Europäern Kolapflanzungen angelegt worden und die Ausfuhr der Kolanüsse, die im Jahre 1907 in Kamerun schon einen Wert von 21000 Mark darstellte, dürfte in der Zukunft bedeutend steigen, da sie in der Heilkunde eine zunehmende Wichtigkeit erlangt haben. Man stellt daraus Kolapillen, Kolapastillen, Kolawein, dann Tinkturen, Extrakte und Liköre her, die bei Nervenschwäche und in der Rekonvaleszenz von Krankheit gute Dienste leisten, auch für Sportsleute bei anstrengenden Kraftleistungen unentbehrlich sind. Deshalb wird neuerdings die Einführung der Kolapräparate als Stärkungsmittel bei der Armee zur Erlangung höchster Marschleistungen versucht. Am besten wird die gemahlene Nuß dem Kakao beigemischt und mit Gewürzen aller Art und Zucker zu einer Kolaschokolade verarbeitet. Auf diese Weise bekommt man ein Anregungs- und Stärkungsmittel, das zugleich ein Nahrungsmittel ersten Ranges darstellt, da es unmöglich ist, in konzentrierterer Form als in ihr Nährstoffe auf engstem Raume darzubieten. Als Kaffee-Ersatz eignen sich die Kolanüsse trotz ihres hohen Koffeingehaltes, der sogar höher als selbst beim Kaffee ist, nicht, da beim Rösten derselben etwa die Hälfte des Koffeins verloren geht.
Durch Negersklaven ist der Kolabaum zu Anfang des vorigen Jahrhunderts auch nach Amerika verpflanzt worden. Dort wird er jetzt, besonders auf den Antillen, vielfach und mit gutem Erfolge auch von den Weißen angebaut. Der Baum liefert vom 8.–10. Jahre an volle Erträge, bestehend in etwa 4000 Nüssen jährlich. Auf dieser Höhe des Ertrages hält er sich bis zum 50. Jahre. Westindische Pflanzer sind der Ansicht, daß, wenn der Preis der Kolanüsse nur die Hälfte des Kaffeepreises erreichen würde, die Kolapflanzungen einträglicher als die Kaffeeplantagen wären.
Ein anderer großer Baum des tropischen Westafrika, die Intsia africana, liefert über 20 cm lange scharlachrote, bohnenartige Hülsen, deren fleischige Samenmäntel namentlich von den Eingeborenen gerne gegessen werden. Eine weitere baumartige Leguminose des tropischen Afrika, die heute in der gesamten Tropenwelt kultiviert wird und sich daselbst auch vielfach verwildert vorfindet, ist die Tamarinde (Tamarindus indica), die gleichfalls Hülsen, und zwar von 14 cm Länge, mit angenehm säuerlichem Fruchtfleisch entwickelt. Dieses letztere ist sehr erquickend und leicht verdaulich, wirkt aber schwach abführend und[S. 208] wird daher auch als Arzneimittel — meist in Form von Pastillen — verwendet. In Ostindien werden auch die übrigens wenig schmackhaften Samen besonders in Zeiten der Not geröstet oder gekocht gegessen.
Aus seiner engeren Heimat in Zentralafrika im Gebiet des oberen Nil gelangte der Tamarindenbaum schon sehr früh ins obere Niltal und wurde auch unter dem Namen nutem, was „Schotenbaum“ im allgemeinen bedeutet, von den alten Ägyptern kultiviert. Sein Fruchtmus wurde nach dem Papyrus Ebers bereits als Abführmittel verwendet. Eine größere Bedeutung erlangte er in Ostindien, wohin er in früher Vorzeit kam und als geschätzter Frucht- und Schattenspender willkommen geheißen wurde. Von dorther lernten die Araber seine Früchte kennen und gaben ihm den Namen, den er in Europa besitzt; denn die arabischen Ärzte machten das daraus hergestellte Fruchtmus als leichtes, angenehmes Abführmittel zuerst im Abendlande unter der Bezeichnung Tamarinde bekannt. Letzteres stammt aus dem Arabischen und ist aus tamr (hebräisch tamar) Dattelpalme und hindi indisch entstanden, bedeutet also indische Dattel, offenbar infolge der Ähnlichkeit des Fruchtmuses beider Pflanzen. Sie muß schon sehr früh nach Indien gekommen sein und wurde dort als Schattenbaum in der Nähe der Häuser und den Straßen entlang kultiviert, da sie schon in der alten Sanskritliteratur mehrere Namen besitzt. Die Griechen und Römer kannten die Tamarinde und deren Mus noch nicht. Als Amerika entdeckt wurde, folgte sie der Völkerwanderung nach dem neuen Erdteil und wurde namentlich in Westindien willkommen geheißen. Später verbreitete sie sich über die Südseeinseln, wo sie zwar nicht überall, aber doch auf den größeren Eilanden hier und da zu finden ist. Sie fehlt nur in wenigen tropischen Gegenden, und zwar solchen, die weitab vom großen Verkehr liegen, wie Neuguinea und im Innern Brasiliens. Überall ist sie der beliebteste Alleebaum, der außer den Früchten, die gedörrt oder in Form von Mus besonders aus Ost- und Westindien, wie auch Ekuador in den Handel kommen, auch durch sein schweres Holz sehr nützlich ist. Infolge seiner schönen Maserung und Farbe ist es für Möbel sehr geschätzt, dient aber auch zur Herstellung von allerlei Werkzeugen und Stampfmörsern für Reis und Ölfrüchte. In Form von Holzkohle ist es ein vorzügliches Rohmaterial für Schießpulver. Die Tamarinde wird aus Samen gezogen und wächst auf jedem Boden, ausgenommen sumpfigem.
Im tropischen Westafrika heimisch ist der 10–20 m große, durch eine sehr reiche Fruchtentwicklung ausgezeichnete Akeebaum (Blighia[S. 209] sapida), dort Amejichian genannt. Auf einem Sklavenschiffe nach Amerika gebracht, hat sich der Baum auf den westindischen Inseln und in Venezuela unter dem Namen akee sehr verbreitet und wird heute seiner Früchte wegen in großem Maße kultiviert; diese stellen mandelartige, aber fast zur Hälfte von einem dicken, weißen Samenmantel umgebene Bohnen dar. Zu dreien liegen sie in einer dreifächerigen, an ihrer Spitze dreiklappig aufspringenden Kapsel. Ihr Samenmantel ist von äußerstem Wohlgeschmack und wird im tropischen Amerika an Stelle von Eierspeisen aufgetischt.
Aus der Familie der Ebenholzgewächse liefern eine ganze Reihe von Arten der Gattung der Götterpflaumenbäume (Diospyros) in den Tropen der alten und neuen Welt geschätzte Früchte und werden deshalb vielfach angebaut. Der bekannteste darunter ist der in Japan heimische Kakibaum (Diospyros kaki), dessen orangengroße, prächtig gelb oder rötlich gefärbte, angenehm süß schmeckende Beerenfrüchte das wichtigste Obst in Japan und China darstellen. Neuerdings werden sie vielfach auch in Italien angepflanzt, wo sie noch an den oberitalienischen Seen gedeihen. Von dort gelangen sie als beliebtes Obst in unsere Südfruchthandlungen. Wegen ihres reichen Gehaltes an Gerbstoff dürfen sie nicht mit eisernen Messern geschnitten werden. Derselbe bedingt die Verwendung ihres Saftes in Ostasien zum Dauerhaftmachen von Netzen und Fischereigerät, von Packpapier und Anstrichfarben.
Außer diesen Götterpflaumen ist in Ostasien auch der die chinesischen oder japanischen Haselnüsse liefernde Litschibaum (Litchi chinensis) ein wichtiger Obstspender, der seiner äußerst angenehm schmeckenden Nüsse wegen in vielen Varietäten kultiviert wird. Er ist ein etwa 6 m hoher Baum aus der Familie der Sapindazeen oder Seifenbaumgewächse mit zwei- bis dreijochig gefiederten, lanzettlichen, oben glatten Blättern, gestielten Blüten in Rispen und 4 cm dicken, eiförmigen, rotbraunen, mit zahlreichen annähernd sechseckigen Schilden bedeckten Früchten, die in der Mitte je eine kurze Erhabenheit tragen. Der braune Same ist vom saftreichen Samenmantel umhüllt. Der ursprünglich in China und auf den Philippinen heimische Baum wird nicht nur in ganz Ostasien, sondern auch in Westindien und anderen Tropengebieten kultiviert.
Im nördlichen Südamerika heimisch, wo sie noch zahlreich in einer Form mit kleineren Früchten wildwachsend in den Küstengebieten angetroffen wird, und von da noch vor der Entdeckung des neuen[S. 210] Weltteils überall im tropischen Amerika angepflanzt, so daß sich zahlreiche Kulturvarietäten ausbildeten, ist die Ananas (Ananassa sativa). Sie wird je nach den Sorten 0,5–1,25 m hoch und entwickelt Früchte von 2–12 und sogar 15 kg Gewicht, letzteres aber nur bei sehr sorgfältiger Kultur; wird diese vernachlässigt, so sinkt das Gewicht von 2 auf 1 kg und von 12 auf 5 kg und noch weniger. Die Farbe der Früchte ist purpur-, scharlach- oder schwarzrot, gelb, grün oder weiß in den verschiedensten Schattierungen. Aus einer Rosette von 0,3–0,8 m langen, steifen, gezähnten Blättern wächst ein kurzer Fruchtstengel heraus, der in einen Blütenzapfen endigt und daher nur eine Frucht trägt. Aus ihrem brasilianischen Namen nana bildeten die Portugiesen die Bezeichnung Ananas, während die Spanier sie wegen der Ähnlichkeit der Frucht mit einem Pinienzapfen pinas nannten. Christoph Kolumbus lernte sie auf seiner zweiten Reise im Jahre 1493 auf der westindischen Insel Guadeloupe kennen. Alle Schriftsteller, die zuerst über Amerika schrieben, erwähnen sie; so gibt der Spanier Hernandez de Oviedo in seiner 1535 erschienenen Naturgeschichte Indiens die erste Beschreibung und Abbildung der Pflanze und sagt, daß sie in den warmen Gegenden von Tahiti und Mexiko wachse, und Geronimo Benzone meint in seiner 1568 erschienenen Geschichte der Neuen Welt, keine Frucht auf Gottes Erdboden könne angenehmer sein als sie. Bei den Azteken hieß sie matzatli. Die erste Ananas kam im Jahre 1514 nach Spanien. Als man einmal eine solche Karl V. zu kosten geben wollte, mißtraute er der Sache und wollte die Frucht durchaus nicht kosten. Im Jahre 1592 kam die Pflanze nach Bengalen, bald darauf nach Südchina. Schon vorher war sie durch die Portugiesen nach Java gelangt, wo sie 1599 bereits eingebürgert war und von da aus gelegentlich auch nach Europa gebracht wurde. Heute ist sie über die ganze Tropenwelt verbreitet.
Die ersten Kulturversuche in Europa in Treibhäusern schlugen fehl, bis zu Ende des 16. Jahrhunderts der holländische Kaufmann Le Cour im Gewächshause seines Gartens zu Driehock bei Leiden die ersten eßbaren Früchte erzielte. In Deutschland gewann Kaltschmidt in Breslau 1703 die erste reife Frucht. Bald hernach hat sie in diesem Lande Wilh. Weinmann in Wort und Bild beschrieben und populär gemacht, so daß sie in der Folge mehrfach auch bei uns ihre überaus aromatischen Früchte reifte, die roh mit Zucker genossen oder zu Bowlen verwendet sehr geschätzt werden. Ihr Saft, der in den Tropen vielfach auch zu Wein und Branntwein verarbeitet wird, enthält ein sehr[S. 211] wirksames, Bromelin genanntes Ferment, das bei 40–50°C. Fleisch löst und es in ein haltbares Pepton verwandelt. Deshalb benützen die Neger Westindiens den Ananassaft gegen Diphtherie, wie die Amerikaner und nach ihnen die Europäer den Saft der Früchte des gleich zu besprechenden Melonenbaums zu demselben Zwecke anwandten.
Die Früchte der wilden Ananas sind viel kleiner und bedeutend weniger schmackhaft als die äußerst aromatischen kultivierten, die über 15 Prozent Zucker enthalten und als Zeichen einer sehr alten Kultur meist keine Samen mehr bilden. Nur eine weiße verwilderte Art in Ostindien entwickelt in ihren Früchten noch welchen. Sie wird in mehreren bezüglich Gestalt, Größe, Farbe und Geschmack der Früchte verschiedenen Spielarten gezogen, von denen bei der Entdeckung Amerikas bereits drei vorhanden waren. In Brasilien gedeiht sie am besten. In Peru wird aus ihrem Safte ein sehr wohlschmeckendes weinartiges Getränk bereitet. Die Vermehrung erfolgt nur auf vegetativem Wege entweder durch Schößlinge des ausdauernden Wurzelstocks oder noch besser durch den aus der fleischigen Fruchtachse vorsichtig herausgedrehten Blätterschopf, den man einfach kurz vor der Regenzeit in den gut gedüngten Boden steckt, worauf die Frucht nach einem Jahre geerntet werden kann. Merkwürdigerweise geben die als Stecklinge gepflanzten Blätterschöpfe der Früchte viel gewürzreichere und süßere Früchte als die aus den Wurzelstöcken entstandenen Sprosse. Nur wenn letztere frühzeitig von der Mutterpflanze losgelöst und sorgfältig angepflanzt werden, tragen sie ebenfalls gute Früchte. Die Blätter enthalten ein sehr feines und festes, als Pitafaser bezeichnetes Gespinnstmaterial, derentwegen die Pflanze jetzt ebenfalls umfangreich kultiviert wird, und zwar besonders in Westindien und den Bahamainseln, die Millionen von Früchten nach Nordamerika und Europa auf den Markt bringen. Da sie aber unreif gepflückt werden müssen, um den Transport möglich zu machen, so haben sie bei uns lange nicht das feine Aroma, das ihnen nur dann zukommt, wenn sie vollreif geerntet werden können.
Eine weitere, ebenfalls für das gesamte Tropengebiet von der größten Bedeutung gewordene Obstpflanze des tropischen Amerikas ist der Papai oder Melonenbaum (Carica papaya), ein naher Verwandter der Passionsblumengewächse, den die Karaiben Westindiens ababai nannten. Vor der Ankunft der Europäer wurde er in Brasilien, auf den Antillen und besonders in Mexiko angepflanzt. Es ist[S. 212] dies ein getrennt geschlechtlicher, 6–9 m hoher, schlanker, unverzweigter, fast staudenartiger Baum, der ungemein schnell aus den Samen schießt, das ganze Jahr hindurch blüht und Früchte trägt, aber schon im vierten Jahre abstirbt. Der Stamm, dessen Holzkörper von einem gelben, bitteren Milchsaft strotzt, trägt an der Spitze einen Schopf langgestielter, handförmig gelappter Blätter. Zwischen diesen letzteren sind die männlichen oder weiblichen halbfingerlangen, weißen Blüten angebracht, von denen letztere nach der Befruchtung einfächerige, vielsamige, fleischige Beeren von Form und Größe einer Melone hervorbringen, die wegen ihres wohlschmeckenden, zuckerreichen Fruchtfleisches so beliebt sind, daß der Baum kurze Zeit nach der Entdeckung Amerikas über das ganze Tropengebiet verbreitet wurde. Das 2 cm dicke, fast butterartige, etwas mehlige, rotgelbe, wohlschmeckende Fruchtfleisch bildet eine Höhlung, deren innere Wand von zahlreichen braunen oder braun-grünen Samen ausgekleidet wird, die wegen ihres starken Kressengeschmacks vor dem Genusse der Früchte entfernt werden müssen. Doch sind letztere heute durch Kulturauslese so weit verbessert worden, daß die besseren Sorten vollständig samenlos geworden sind. Man ißt sie roh mit Zucker, auch gekocht und eingemacht; die unreifen Früchte werden wie bei uns die Gurken mit Salz und Essig eingemacht oder in Stücke geschnitten wie Gemüse zubereitet. Der nicht bloß in den Früchten, sondern auch in allen übrigen Teilen der Pflanze, besonders den Blättern, enthaltene Milchsaft besitzt zu 50 Prozent ein pepsinartiges Ferment, das Eiweiß verdaut. Es ist dies das Papain, das in neuerer Zeit statt Pepsin bei Verdauungsschwäche gegeben wird, wie es eine Zeitlang bei Diphtherie zur Auflösung der Membranen durch Bepinselung damit benützt wurde. Überall dort, wo die Pflanze kultiviert wird, besonders in ihrer Heimat, dem tropischem Amerika, setzt man frisch geschlachtetem und sonst zähem Fleisch etwas Blätter oder Milchsaft des Melonenbaums beim Kochen hinzu, wodurch es alsbald weich und leicht verdaulich wird.
Wie bei vielen Kulturpflanzen ist auch die Stammpflanze des Melonenbaums nicht bekannt. Sehr wahrscheinlich ist diese Nutzpflanze ein Kreuzungsprodukt mehrerer Arten, die in den feuchten Gebirgstälern des nördlichen Südamerikas und Mittelamerikas wild vorkommen. Es gibt dort noch manche Formen, deren Früchte sogar ein bei weitem feineres Aroma als diejenigen des gewöhnlichen Melonenbaums besitzen. Dahin gehört z. B. die köstliche Chamburu der tieferen Lagen der Anden von Ekuador. Von Brasilien bis Westindien ist der als[S. 213] Mamão bezeichnete Melonenbaum ein sehr geschätzter Obstbaum, der von den Indianern und zugewanderten Weißen und Schwarzen wie die Banane neben ihren Häusern gezogen wird. Seine Übertragung nach Ostindien und der malaiischen Inselwelt durch die Portugiesen muß schon im 16. Jahrhundert erfolgt sein; bereits im Jahre 1626 kamen Samen von ihm aus Ostindien nach Neapel. Seine weitere Verbreitung über die ganze Tropenwelt der Erde erfolgte in den beiden letzten Jahrhunderten.
Im tropischen Südamerika wie auch im gegenüberliegenden Teile Westafrikas sind die gelben, roten oder schwarzen Icacopflaumen (von Chrysobalanus icaco) heimisch, die sowohl frisch, als eingemacht trotz ihres etwas herben Beigeschmackes gerne von den Eingeborenen und ansässigen Weißen gegessen werden. In Westindien hat der 19 bis 22 m hohe, zu den Guttiferen gehörende Mammeibaum (Mammea americana) mit breit ausladender Krone seine Heimat, der wegen seiner wohlschmeckenden, über faustgroßen, rötlichgelben Früchte ebenfalls seinen Weg über das Tropengebiet beider Hemisphären fand. Sie, die meist Mammeiäpfel genannt werden, obschon sie mit den Äpfeln nichts zu tun haben, enthalten in einer dicken, bitter schmeckenden Rinde ein goldgelbes, den Aprikosen ähnlich schmeckendes Fleisch und werden deshalb überall, wo der Baum angepflanzt wird, roh oder als Marmelade gerne gegessen.
Ebenfalls in Westindien und im nördlichen Südamerika heimisch ist die Sapotazee Lucuma mammosa, ein Milchsaft führender Baum, der eiförmige, an Geschmack den Bergamottbirnen ähnliche Früchte reifen läßt, die als Mammeizapote oder surinamsche Mispeln, in Peru als Lucuma, in ganz Mittel- und Südamerika, wo der Baum häufig angepflanzt wird, viel gegessen werden. Ein in denselben Gegenden wild wachsender und auch häufig angebauter Baum ist der ihm sehr nahe verwandte Breiapfelbaum (Achras sapota), in seiner Heimat Zapota, von den Spaniern dagegen nispero, d. h. Mispel genannt, der eine der bevorzugtesten Tropenfrüchte liefert, deren süßes, weiches Fleisch von sehr angenehmem Geschmacke ist. Deshalb wird er auch sonst in den heißesten Landstrichen der Erde allgemein kultiviert. Besondere Wertschätzung genießen die 4 cm dicken Früchte bei den Brasiliern, die aus ihm ein sehr wohlschmeckendes Mus bereiten, das auch exportiert wird. Da die Fledermäuse sehr lüstern über sie herfallen, wenn sie zu reifen beginnen, werden sie meist schon vor der Reife abgenommen, um sie auf dem Lager nachreifen zu lassen.
Derselben Familie der milchsaftführenden Sapotazeen, von denen uns Artgenossen der malaiischen Inselwelt das wertvolle Guttapercha liefern, gehört der Sternapfelbaum (Chrysophyllum cainito) an, dessen purpurrote, glatte, runde, süße Früchte ein von den Antillen über das tropische Amerika und die übrige heiße Zone verbreitete Delikatesse bilden. Der Lieferant dieses wohlschmeckenden Obstes ist ein schöner Baum von 9–12 m Höhe mit großen, auf der Unterseite goldglänzenden Blättern (daher auch der Name Goldblattbaum) und kleinen purpurroten Blüten. Nicht minder beliebt ist der gleichfalls in Westindien heimische Marmeladeapfel (Vitellaria mammosa). Nahe Verwandte haben sehr ölreiche Samen wie beispielsweise der westafrikanische Butterbaum (Butyrospermum parkii), der die später zu besprechende Schibutter liefert.
Ebenfalls in Westindien heimisch ist der Acajoubaum (Anacardium occidentale), der auch nach Brasilien und Westafrika verbreitet wurde und besonders im Kongogebiet vielfach angepflanzt wird. Der ziemlich hohe, mit umgekehrt eiförmigen Blättern bedeckte Baum erzeugt Früchte, welche großen Bohnen gleichen. Sie sind dadurch ungemein auffällig, daß ihr Stiel zur Zeit der Reife mächtig anschwillt und einen etwa 8 cm langen, birnförmigen, fleischigen Körper bildet, der süßsäuerlich schmeckt und als erfrischendes Obst gerne gegessen wird. Die eigentliche Früchte kommen unter dem Namen „amerikanische Elefantenläuse“ in den Handel. Sie enthalten einen sehr ölreichen, geröstet eßbaren Samen, der aber von einer Schale umschlossen wird, die in zahlreichen Höhlungen ein äußerst scharfes, an der Luft schwarz werdendes Öl enthält. Von diesem auf der äußeren Haut leicht Entzündungen und Blasen erzeugenden Reizstoffe macht man in der Tierarzneikunde Gebrauch.
Zu den Myrtengewächsen gehört die ursprünglich ebenfalls im tropischen Amerika heimische und von da über den ganzen Tropengürtel verbreitete Guajave (Psidium guajava), deren bald birn-, bald mehr apfelförmige, beerenartige, grüne oder gelbe Früchte von Pfirsichgröße mit einem goldgelben bis rosenroten, süßsäuerlichen, angenehm schmeckenden Fruchtfleisch erfüllt sind und sehr gerne teils roh, teils gekocht als Kompott oder Marmelade gegessen werden. Auch wird ein sehr geschätztes Gelee von ihnen gewonnen. Besonders eignet sich dazu die Schale und das Innere der Frucht, das mit etwas lästigen kleinen Kernen, wie bei den Johannisbeeren, erfüllt ist. Überall in den Städten Südamerikas kauft man als dulce eingekochtes Guajavenmus, das, in[S. 215] kleine Blechkisten gefüllt, allenthalben auf den Straßen der Städte feilgeboten wird.
Dieselbe Heimat wie die Guajaven haben die mit den Magnolien nahe verwandten Gewürz- oder Zimtäpfel (Anona squamosa), die bis 2 kg schwer werden und ein starkes, gewürziges Aroma besitzen. Obschon sie einen stark zusammenziehenden Terpentingeschmack aufweisen, an den sich der europäische Gaumen erst gewöhnen muß, steht dieses Obst doch überall in hoher Gunst und wird etwa auch einmal in unseren Delikateßläden angeboten.
In die Familie der Lorbeergewächse endlich gehört ein hoher Fruchtbaum mit schönen Lorbeerblättern, Persea gratissima, der ursprünglich gleichfalls im tropischen Amerika heimisch war und besonders von den alten Mexikanern kultiviert wurde, jetzt aber überall in den Tropen gezogen wird und selbst noch in Südspanien aushält. Die olivengrüne, birnförmige Frucht erreicht eine Länge von 10 cm und enthält ein weißes, sehr stark aromatisches, zucker- und fettreiches Fruchtfleisch, das man allein, oder mit Kognak oder Sherry übergossen, sehr gerne genießt. Bei den Mexikanern hieß die Frucht ahuaca oder aguacate, daraus machte man Avagatobirne, endlich Advokaten- und sogar Alligatorbirne. An diesem Beispiel sieht man wie merkwürdige Verballhornisierungen einheimischer Bezeichnungen entstehen, wenn fremde Zungen sie sich zurecht legen.
Endlich sei noch als wichtiger Fruchtbaum Indonesiens und Polynesiens der von den Kanaken auf Hawai (Sandwichinseln) ohia, von den Malaien Sumatras dagegen jambo genannte Baum mit apfelartigen Früchten (Metrosideros polymorpha) genannt.
Selbstverständlich gibt es außer den genannten Obstarten noch eine Menge anderer, denen aber keine so große Bedeutung zukommt wie diesen. Doch wird diese kurze Aufzählung der wichtigsten Tropenfrüchte genügen, um zu zeigen, welche Fülle herrlicher Früchte das das Pflanzenleben in hohem Maße begünstigende Sonnenlicht innerhalb der Wendekreise hervorbringt. Wie überaus ärmlich ist dagegen die ursprünglich in Europa heimische Fruchtvegetation, bevor sie durch den Import aus Westasien in unvergleichlicher Weise bereichert wurde. Unser Kontinent mit seinem niederschlagsreichen, mit Nebel und Winterkälte reichlich bedachten Waldklima besaß in der Vorzeit außer den Beerenfrüchten der Waldlichtungen wie Erdbeere, Brombeere, Himbeere, Heidelbeere, Preiselbeere und Moosbeere, welch letztere in Sümpfen und Torfmooren wächst, nur Holzapfel und Holzbirne, Schlehe und Vogelbeere, die faden Früchte[S. 216] von Weiß- und Rotdorn, die Vogelkirschen und Haselnüsse. Auch das waldbedeckte Italien und Griechenland, in das die Viehzucht und Ackerbau treibenden Stämme der Italiker und Hellenen einzogen, barg durchaus nicht mehr als diese hier aufgezählten ärmlichen Fruchtarten. Alles andere, ohne das wir uns diese sonst klimatisch so bevorzugten Landstriche gar nicht vorstellen können, hat noch vor dreitausend Jahren und weniger jenen Gegenden vollkommen gefehlt. Da erntete man nicht bloß zum Genusse der als Haustiere in eingehegten Plätzen um die Hütten der Menschen gehaltenen Schweine, sondern auch für die Menschen die eiweißreichen, aber herben Eicheln und die ölreichen Bucheckern, die man zerrieben und mit Wasser angemacht zu Brot und Fladen buk.
Niemand würde glauben, daß die Edelkastanien und Walnüsse, die heute als selbstverständliche Produkte des warmen Südeuropas angesehen werden, auch hier erst verhältnismäßig spät eingebürgerte Fremdlinge sind. Wie die großen Haselnüsse als pontische Nüsse, gelangten auch die Kastanien und Walnüsse als persische oder königliche Nüsse, weil sie aus Lydien, also einer Gegend stammten, die dem persischen Könige untertan war, nach Griechenland. Und als diese überseeischen Schalenfrüchte, die in Säcken auf den Markt, z. B. von Athen, gelangten, schon längst hier eingebürgert waren, schwankte noch ihre Benennung so sehr, daß der populäre Name „Zeus-Eichel“, Diós bálanos, der in Griechenland meist die Kastanie bezeichnete, in der entsprechenden lateinischen Form juglans (Jovis glans = Jupiterseichel) die Bedeutung Walnuß erhielt.
In ihrer nördlicheren Urheimat bezeichneten die Griechen mit dem Worte bálanos, wie die Römer mit glans, die einst auch dem Menschen zur Nahrung dienende Eichel, von der noch der einer hochkultivierten Zeit angehörende Plinius in seiner Naturgeschichte sagt: „Eicheln machen den Reichtum vieler Völker aus. Bei Getreidemangel werden sie getrocknet, gemahlen und zu Brot verbacken; in Spanien werden auch Eicheln zum Nachtisch aufgetragen. In Asche gebraten schmecken sie besser.“ Damit sind jedenfalls die Früchte der in Italien und auf der Iberischen Halbinsel wachsenden Speiseeiche (Quercus esculus) gemeint, während in Griechenland die Knoppereiche (Quercus aegilops) eine für anspruchslose Menschen eßbare und noch jetzt vom Landvolk gegessene Eichel hervorbringt. In der älteren Zeit wurden diese Eicheln nicht nur in Zeiten des Getreidemangels, sondern regelmäßig gegessen. So sagt der aus Askra in Böotien gebürtige griechische Dichter Hesiod[S. 217] im 8. Jahrhundert v. Chr.: „Wo gerechte Menschen wohnen, da ist Hungersnot unbekannt. Ihnen geben die Götter reichlichen Unterhalt, Eichen (drýs), die mit Eicheln (bálanos) beladen sind, Honig, Schafe.“ Und Herodot im 5. vorchristlichen Jahrhundert schreibt in seiner Geschichte: „Nach dem Tode des (um 820 v. Chr. lebenden Königssohns, der Sparta Gesetze gab und es dann verließ, ohne je wieder dahin zurückzukehren) Lykurgos wurden die Spartaner bald mächtig, bekamen Lust zu Eroberungen und fragten in Delphi an, ob sie wohl Arkadien (nördlich von Lakonien, dessen Hauptstadt Sparta war) erobern könnten. Die Pythia antwortete: ‚In Arkadien wohnen viel eichelverzehrende Männer, die werden euch zurückschlagen.‘“
Als die Griechenstämme in Hellas einwanderten, übertrugen sie begreiflicherweise das alte Wort bálanos (Eichel) auf verschiedene neue Früchte, unter denen sich auch die wilde Edelkastanie (Castanea esculenta) befand. Dieser Baum ist in einer kleinfrüchtigen Form in ganz Südeuropa heimisch und tritt uns auch weiter nördlich schon in vorgeschichtlicher Zeit entgegen. So finden wir sein Holz in Norditalien bei der Herstellung der bronzezeitlichen Pfahlbauten und Terramaren verwendet, und in den verkohlten Überresten der Terramaren der ältesten Eisenzeit aus dem Beginne des letzten vorchristlichen Jahrtausends ließen sich seine Früchte ebenfalls nachweisen. Auch auf der Iberischen Halbinsel reicht der Nachweis des Vorkommens von Kastanien bis in die Übergangszeit von der Stein- zur Bronzezeit zurück. Da nun die Früchte dieses Wildlings von den alten Griechen so wenig als von der heutigen Bevölkerung Griechenlands gegessen wurden, empfanden sie auch keinerlei Bedürfnis, diese Früchte mit besonderem Namen zu belegen. Erst als großfrüchtige ausländische Sorten in Griechenland aufkamen, mußte man unterscheidende Bezeichnungen für sie schaffen. Dabei behalf man sich damit, daß man sie zunächst einfach nach den Ländern ihrer Herkunft benannte.
Noch der hochgebildete Xenophon, ein Schüler des Sokrates, kannte keinen Namen für diese Früchte, als sie ihm im Hochlande von Armenien zuerst unter die Augen kamen. Als er im Jahre 400 v. Chr. die zehntausend Mann griechischer Soldtruppen, die dem jüngeren Kyros gegen dessen Bruder Artaxerxes Mnemon zu Hilfe gezogen waren, nach der unglücklichen Schlacht bei Kunaxa über das armenische Hochland zum Schwarzen Meere und von da nach Byzanz zurückführte, fand er im Lande der Mosynoiken bei Trapezunt „unter den Dächern der Häuser große Vorräte von breiten Nüssen, welche durchaus keinen[S. 218] Einschnitt hatten. Diese Früchte bildeten das wichtigste Nahrungsmittel der Einwohner und wurden teils gekocht, teils zu Brot verbacken.“ Daß Xenophon bei der Umschreibung der Kastanien als „breite Nüsse ohne Ritze“ an die Walnüsse zum Vergleiche gedacht hat, ist offenkundig. Merkwürdig aber bleibt unter allen Umständen die Tatsache, daß er kein besonderes Wort für diese ihm fremdartig vorkommenden Früchte anzugeben weiß.
Nach dem trefflichen Pflanzenkundigen Theophrast (390–286 v. Chr.) scheint die einheimische Benennung der Kastanie Zeus-Eichel (Diós bálanos) gewesen zu sein. Und als großfrüchtige Kastanien aus den Ländern am Südrande des Schwarzen Meeres nach Griechenland importiert wurden, erhielten sie die Bezeichnung Eicheln oder Nüsse aus Herakleia, Sinope oder Paphlagonien, oder auch sardische Eicheln, nach Sardes, der Hauptstadt von Lydien. Letztere Bezeichnung gebraucht beispielsweise der aus Sinope stammende, als Dichter der neuattischen Komödie im 3. vorchristlichen Jahrhundert in Athen lebende Diphilos, der sagt: „Die Eicheln von Sardes sind sehr nahrhaft und gesund, doch schwer zu verdauen, namentlich in rohem Zustande“. Sein Zeitgenosse Nikander bezeichnet sie zum erstenmal mit dem Namen, der ihnen später haften bleiben sollte; er nennt sie nämlich „kastanische Nüsse“, doch wußte niemand später anzugeben, wo das Land Kastanis liege. Heute wissen wir, daß diese Bezeichnung gar nicht auf eine geographische, sondern auf eine sprachliche Benennung zurückgeht, die dem Kastanienbaum im Armenischen zukam. Kaskeni bedeutet nämlich im Armenischen Kastanienbaum und kask Kastanie. Aus ersterem entstand dann die griechische Bezeichnung „kastanische Nuß“ (kastanaikón káryon) und später mit Weglassung des Wortes Nuß einfach kastánaion oder kástanon. Letztere Bezeichnung treffen wir beispielsweise in dem Buche des Atheners Mnesitheos, der nach dem um 200 n. Chr. lebenden Athenaios sagt: „Die Kastanien (kástanon) heißen auch euböische Nüsse; sie sind schwer zu verdauen, machen aber diejenigen, die sie gut verdauen können, fett. Übrigens sind sie gleich anderen Nüssen gekocht oder geröstet eine viel gesündere Speise als roh.“
Mit der Frucht übernahmen auch die Römer die Bezeichnung derselben von den Griechen. Wann nun dieser Fruchtbaum nach Italien kam, läßt sich nicht mehr sagen. Wahrscheinlich hat ihn der römische Komödiendichter Plautus (254–184 v. Chr.), der die griechischen Stücke des eben erwähnten Diphilos und seines älteren Rivalen Menandros (342–290 v. Chr.) nachahmte, gekannt. Er spricht nämlich an einer[S. 219] Stelle von einem das Dach beschattenden Baum, der eine „weiche Nuß“ (mollescam nucem) trage. Nun kann darunter sowohl eine weichschalige, als eine weich zu essende Nuß verstanden sein. Allem nach scheint aber ersteres das wahrscheinlichere zu sein, so daß wir also darunter wohl die Kastanie zu verstehen haben. Aber bei dem Mangel eines feststehenden Namens kann wohl von einer allgemeinen Kultur dieser Bäume in Italien vor dem Beginn des 2. vorchristlichen Jahrhunderts keine Rede sein. Noch der ältere Cato (234–149 v. Chr.), der als Zensor die altrömische Einfachheit in der Lebensweise und Sittenstrenge aufrechterhalten wissen wollte, erwähnt in seiner sonst alle[S. 220] in Italien angepflanzten Bäume anführenden Schrift über den Landbau die Kastanien so wenig als Walnüsse und Mandeln, nur die von den Griechenstädten Süditaliens nach Kampanien versetzten großen Haselnüsse, die den Griechen aus dem Pontusgebiet zugekommen waren.
Erst zu Ende der Republik tritt uns der Baum und die Frucht als zweifellos in Italien heimisch entgegen. Unter der von den Griechen übernommenen Bezeichnung „kastanische Nuß“ (castanea nux oder kurz castanea) erwähnt sie zuerst der römische Dichter Vergil (70–19 v. Chr.), indem er an einer Stelle seiner Eklogen sagt „Ich will dir Kastanien (castanea nux) und wachsgelbe Pflaumen (prunum) geben“ und an einer andern: „Wir haben schmackhaftes Obst, auch weiche Kastanien und Vorrat von Käse.“ Dann nennt der Dichter Ovid (43 vor bis 7 n. Chr.) diese Frucht, indem er von seiner Geliebten Amaryllis sagt: „sie liebte Kastanien und Nüsse“.
Der ältere Plinius (23–79 n. Chr.) sagt in seiner Naturgeschichte: „Auch die Kastanien (castanea) werden Nüsse (nux) genannt, obschon es passender wäre, sie Eicheln (glans) zu nennen. Sie sind mit Stacheln besetzt, wozu sich bei den Eicheln nur der Ansatz findet. Obgleich sie die Natur unter ihrer Stachelschale versteckt hat, sind sie doch sehr häufig. Zuweilen stecken in einer einzigen Schale drei Kerne. Die Haut, welche zwischen Schale und Kern liegt, verschlechtert, wie bei den Nüssen, den Geschmack. Man verspeist sie lieber geröstet als roh. Sie werden auch gemahlen und können dann ein Brot geben. Ursprünglich sind sie in Sardes heimisch, und deswegen nennen sie die Griechen auch sardische Eicheln; denn Zeus-Eicheln sind sie erst später genannt worden, als sie durch gute Pflege veredelt waren. Jetzt gibt es mehrere Arten von Kastanien; die tarentinischen sind flach, die sogenannte balanitis ist runder, die pura geht leicht aus der Schale, die salariana ist flach, die corelliana ist gut, ebenso die von ihr gezogene eterejana, doch stellt nur ihre rote Schale sie über die dreikantigen, gemeinen schwarzen, welche auch Kochkastanien (coctiva) heißen. Die besten Kastanien wachsen um Tarent und Neapel. Bei den geringen Kastaniensorten zieht sich die Schale bis in den Kern; sie sind daher schwer verdaulich und dienen nur zu Schweinefutter.“
Sein Zeitgenosse, der griechische Arzt Dioskurides, sagt in seiner Arzneilehre: „Die Kastanie hat verschiedene Namen: sardische Eichel, lópimon, kástanon, auch móton, Zeus-Eichel. Sie sind der Wirkung nach den eßbaren Früchten der Eichenbäume ähnlich; besonders haben die Häute zwischen Schale und Fleisch zusammenziehende Eigenschaften.[S. 221]“ Zur Erklärung der Bezeichnungen corellianische und eterejanische Kastanien schreibt derselbe Autor an einer andern Stelle: „Als eine Merkwürdigkeit mag hier folgendes erwähnt werden: Der römische Ritter Corellius, aus Ateste gebürtig, veredelte einmal im Neapolitanischen einen Kastanienbaum mit dessen eigenem Reise, und aus diesem erwuchs eine vortreffliche Kastaniensorte, die noch jetzt nach jenem Ritter die corellianische heißt. Später veredelte sein Freigelassener namens Eterejus diese Kastanie wieder, und nun zeigte sich der Unterschied, daß die corellianische reichlichere, die eterejanische aber bessere Früchte trug.“
In den Geoponika sagt ein griechischer Autor, daß die (schwarze) Maulbeere auf Kastanie (kástanon) und Speiseeiche (phagós von phageín, essen) gepfropft werde. Und der zur Zeit Cäsars und Augustus’ lebende griechische Geschichtschreiber Diodoros aus Sizilien, daher Siculus zubenannt, schreibt in seinem Geschichtswerk: „In Arabien wird gediegenes Gold in Stücken gefunden, welche die Größe einer Kastanie (káryon kastanaikón) haben“, und an einer andern Stelle: „Im Lande der Ichthyophagen (d. h. Fischesser, bei den Alten zwei Völker, in Gedrosien und Arabien) wachsen viele Ölbäume, deren Frucht einer Kastanie ähnlich ist.“ Der aus Spanien gebürtige römische Ackerbauschriftsteller Columella im 1. Jahrhundert n. Chr. sagt: „Der Kastanienbaum (castanea) ist der Steineiche (robur) ähnlich und deswegen zu Pfählen für den Weinstock sehr brauchbar. Die Frucht (nux, d. h. Nuß) wird im Herbst in zweimal gegrabenen Boden gesät und keimt rasch. Neben jede steckt man einen kurzen Rohrstab, um beim Jäten zu wissen, wo sie liegt. Sobald die Stämmchen zweijährig sind, verpflanzt man so viele, daß die bleibenden je zwei Fuß auseinanderstehen, damit sie einander nicht schaden. Die Samen werden deswegen dichter gelegt, weil sie durch verschiedene Zufälle am Keimen verhindert werden können, z. B. durch Trockenheit oder ein Übermaß von Nässe, durch Mäuse und Maulwürfe.“ Und Palladius sagt im 4. Jahrhundert n. Chr.: „Versetzt man Kastanienbäumchen (castanea), die irgendwo von selber gewachsen sind, so gedeihen die so schlecht, daß man oft zwei Jahre lang nicht weiß, ob sie am Leben bleiben oder nicht. Besser als im November werden die Kastanien im Februar gesät, nachdem man sie zuerst, im Schatten getrocknet und 30 Tage mit Flußsand bedeckt hat stehen lassen und dann durch Werfen in kaltes Wasser geprüft hat, welche untersinken und somit gut sind und welche schwimmen und damit bekunden, daß sie krank sind. Wenn sie zweijährig sind, werden die jungen Bäumchen versetzt. Wenn sie an[S. 222]gewachsen sind, pfropft man sie, und zwar, wie ich selbst probiert, im Monat März oder April in die Rinde; doch kann man sie auch okulieren. Man pfropft Kastanien auf Kastanien oder Weiden (salix). Doch reift in letzterem Falle die Frucht später und schmeckt weniger angenehm. Man hebt die Kastanien in Hürden auf, doch so, daß sie nicht aufeinander liegen, oder man legt sie so einzeln in Kies, daß sie sich nicht berühren, oder man tut sie in neue irdene Töpfe und vergräbt diese an einem ziemlich trockenen Orte, oder man bewahrt sie in Körben auf, die luftdicht mit Lehm bestrichen sind, oder unter feiner Gerstenspreu, oder in Behältern, die dicht aus Binsen geflochten sind.“
Mit den gleich zu besprechenden Walnüssen kamen auch die Kastanien in der römischen Kaiserzeit über die Alpen und daraus wurden in den römischen Kolonien von den sich hier ansiedelnden Veteranen die betreffenden Fruchtbäume gezogen. So fanden sich in den älteren, später von den Soldaten selbst mit allerlei Wegwurf zugeschütteten Brunnen des römischen Kastells auf der Saalburg zahlreiche Walnußschalen, und bei Ausgrabungen in Mainz stieß man wiederholt auf Kastanien, welche von der Beliebtheit dieser beiden Fruchtarten bei den Römern Kunde geben. Venantius Fortunatus, der Freund und Landsmann des fränkischen Bischofs Gregor von Tours in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts n. Chr. sandte seiner Freundin Radegunde ein Körbchen mit Kastanien, das von einem poetischen, uns noch im Wortlaut erhaltenen Billette begleitet war, worin er ihr als ländliche Gabe molles (d. h. weiche) castaneas, „die der Baum auf dem Felde trug“ anbietet. Später verordnete Karl der Große die Anpflanzung von castanearios in den kaiserlichen Krongütern. Nach England kam dieser Baum erst am Anfang des 16. Jahrhunderts.
Die eßbare Kastanie geht weniger weit nach Norden als der Nußbaum. In warmen Lagen Deutschlands, wie am Rhein, wurde er aber schon in den ersten Jahrhunderten n. Chr. eingebürgert. Teilweise ist er hier verwildert und hat sich so gut eingelebt, daß er beispielsweise auf den Bergen um Heidelberg herum und an der Bergstraße geradezu zu einem Charakterbaum der Landschaft wurde. Weder zur Römerzeit noch auch später drang er nach Norddeutschland vor, wo es ihm zu rauh ist und er keine Früchte mehr zeitigt, so daß er höchstens als Zierbaum gehalten werden kann. Deshalb fehlt auch sein Name gänzlich in den Orts- und Flurnamen Mittel- und Norddeutschlands. Nur in Italien, Südfrankreich, Spanien, Korsika, Sardinien usw. bildet der edle Kastanienbaum ganze Waldungen. So[S. 223] sehr sind seit der Römerzeit seine schmackhaften Früchte in diesen Gebieten zur Volksnahrung geworden, daß man in Frankreich die Trägheit der Korsen ihren Kastanien zuschrieb. In der Tat genügt einer korsischen Familie der Besitz von zwei Dutzend Kastanienbäumen und einer das ganze Jahr hindurch im Freien weidenden Ziegenherde, um alle ihre Bedürfnisse zu decken.
Nach der Eroberung Teneriffes durch die Spanier am Ende des 15. Jahrhunderts wurde der Kastanienbaum auch auf diese Insel verpflanzt. Auch hier bildet er ausgedehnte Waldungen und gedeiht so üppig wie in seiner Heimat, dem nördlichen Kleinasien, wo Wutzer auf seiner Orientreise nicht nur gewaltige Bäume der großen Haselnußart, sondern auch Platanen und Kastanien sah, deren Größe ihn in Erstaunen versetzte.
Die Früchte einer in Nordamerika vorkommenden Spielart des Kastanienbaums finden dieselbe Verwendung wie diejenigen der altweltlichen. Auch werden dort die der Castanea pumila, der Chincapin, gegessen. Ebenso hat China in der Castanea chinensis und Indonesien in der Castanea argentea und Castanea tungurrut einen Ersatz für unsere Eßkastanie. Übrigens gibt es in den Tropen der ganzen Erde verschiedene Bäume, die den Kastanien an Wohlgeschmack gleichkommende Früchte besitzen, die sowohl roh als geröstet gegessen werden. Unter ihnen ist der wichtigste Bombax malabaricum, ein ungeheurer Baum Ostindiens mit süßen, angenehm schmeckenden Samen. Auch die mehlreichen Samen von Carolinea princeps in Guiana und dem übrigen nördlichen Südamerika und von Carolinea insignis auf den Antillen schmecken geröstet wie Kastanien und werden, wie die jungen Blätter und Blumen als Gemüse gern verspeist. Ähnlich schmecken die süßen Samen von Melicocca bijuga und Cupania tomentosa in Westindien. Ausgezeichnet süß, kastanienartig schmecken auch die Samen des westafrikanischen Baumes Blighia sapida, die samt dem fleischigen, sie umgebenden Mantel gekocht und gebraten gern gegessen werden. Durch Negersklaven wurde der Baum auch nach Westindien gebracht, wo er öfter kultiviert angetroffen wird. Dasselbe ist bei Laurus chloroxylon in Brasilien und bei Sloanea dentata im nördlichen Südamerika der Fall. Auch der durch seine kindskopfgroßen Früchte ausgezeichnete Topfbaum (Lecythis ollaria) des tropischen Amerika ist seiner kastanienartigen Samen wegen beliebt und wird, wie auch mehrere andere Lecythis-Arten mit ähnlichen Samen, häufig angepflanzt. Endlich ist noch der australische Baum Castanospermum australe zu nennen,[S. 224] dessen aus der Hülse gelösten kastaniengroßen Samen wie Kastanien verspeist werden.
Vom nordwestlichen Himalaja, Beludschistan und Afghanistan, wo er nach Atchison von 2200 bis 2800 m Höhe gefunden wird, über Nordpersien bis nach Kleinasien ist der Walnußbaum (Juglans regia) heimisch, der überall in seiner Heimat in größeren Beständen im Gebirge wächst und den Anwohnern in seinen Nüssen eine willkommene Nahrung spendet. Zu den Griechen kamen sie gleich den Kastanien unter der Bezeichnung persische oder königliche Nüsse (aus dem bereits mitgeteilten Grunde, weil dort im persischen Kleinasien ein König herrschte) oder als sinopische Nüsse (káryon), weil sie auch von der Hafenstadt Sinope am Südrande des Schwarzen Meeres in größeren Mengen nach Griechenland gebracht wurden. Dem Namen nach sind sie also für uns nicht von den Kastanien unterscheidbar. Wie die Kastanie wurde sie von den Griechen auch Diós bálanos, d. h. Zeus-Eichel genannt, unter welcher Bezeichnung sie dann später durch Vermittlung der Griechen Süditaliens zu den Römern kam, welche sie in derselben Weise juglans (zusammengezogen aus Jovis glans, d. h. Jupiterseichel) nannten. Ihre ölreichen Kerne scheinen sich bei den Griechen keiner besonderen Wertschätzung erfreut zu haben; denn der griechische Arzt Dioskurides im 1. Jahrhundert n. Chr. schreibt: „Die königlichen Nüsse (káryon basilikón), welche bisweilen auch persische Nüsse genannt werden, sind schwer zu verdauen, schaden dem Magen, erzeugen Galle, machen Kopfweh, sind namentlich bei Husten zu vermeiden. Dagegen ist ihr Genuß Nüchternen, welche Erbrechen bewirken wollen, nützlich. Mit Feigen und Raute vermischt gibt man sie als Vorbeugungsmittel gegen Gift, vertreibt mit ihnen, wenn man sie in Menge verzehrt, die Bandwürmer, benutzt sie noch sonst innerlich und äußerlich, setzt auch die verkohlten Schalen und Kerne einigen äußerlich anzuwendenden Mitteln bei. Aus den zerstampften Nüssen preßt man Öl. Übrigens bekommen frische dem Magen weit besser als alte.“ Sonst schweigen sich die griechischen Autoren über den Walnußbaum aus. Wir wissen nur, daß die lakedämonischen Jungfrauen zur Zeit des Einsammelns der Nüsse (plur. kárya) ein danach Kárya genanntes Fest zu Ehren der Artemis karyátis feierten, und daß deshalb karyatízein den bei diesem Feste abgehaltenen Tanz tanzen bedeutete. Danach heißen Karyatiden die an einem solchen Nußfeste tanzenden Jungfrauen, die ein attischer Bildhauer als Gebälkträgerinnen — auch einfach Koren, d. h. Mädchen genannt — an der Südhalle des Erechtheions[S. 225] auf der Akropolis in Athen in für alle Zeiten vorbildlicher Weise darstellte.
Geschätzter als bei den Griechen waren die Walnüsse bei den Römern, die den Walnußbaum ziemlich häufig angepflanzt zu haben scheinen. Der überaus gelehrte Marcus Terentius Varro (116–27 v. Chr.) schreibt über die Walnuß: „Diese herrliche, große Frucht heißt glans, weil sie in ihrer grünen Schale einer Eichel (glans) ähnlich sieht; juglans heißt sie von Jupiter (Stamm Jov) und glans. Sie heißt auch Nuß (nux), weil sie den Körper schwarz färbt, wie die Nacht (nox) die Luft.“ An einer anderen Stelle sagt er: „Hat man Walnüsse (nux juglans), Datteln (palmula) und sabiner Feigen (ficus) eingemacht, so schmecken sie um so besser, je eher man sie verzehrt; denn die Dattel wird durch das Alter blaß, die Feige morsch, die Walnuß trocken.“ Er hält aber dafür, daß die Nußbäume ihrer Umgebung schädlich seien: „Neben einem Eichenwald gedeiht der Ölbaum schlecht, neben Kohl (olus) der Weinstock, der sich sogar von jenem wegneigt; auch die Walnußbäume (juglans) machen rings um sich her das Erdreich unfruchtbar.“
Der berühmte Redner Cicero, der im Jahre 43 v. Chr. ermordet wurde, sagt an einer Stelle seiner nach seinem Landgute Tuskulanum bei der altlatinischen Stadt Tusculum im Sabinergebirge benannten Schrift: „Der syrakusanische Tyrann Dionysius (der ältere, 431–367 v. Chr.) war so mißtrauisch, daß er sich vor dem Rasiermesser fürchtete und sich den Bart von seinen Töchtern mit glühenden Walnußschalen wegbrennen ließ.“ Der 79 n. Chr. beim Vesuvausbruch umgekommene Plinius meint wie Varro: „Der Schatten der Walnußbäume ist von großem und schädlichem Einfluß, tötet gleich dem der Pinien, Rot- und Weißtannen alle anderen Pflanzen, verursacht sogar dem Menschen Kopfweh.“ Und von seinen Früchten sagt er: „Die Walnüsse (nux juglans) haben keinen großen Wert, obgleich ihr Gebrauch bei Hochzeitsfeierlichkeiten eingeführt ist. Die Natur hat diese Frucht dadurch ausgezeichnet, daß sie den in einer holzigen Schale liegenden Kern noch in eine weiche Schale einschloß. Daß sie von den Königen Persiens stammt, beweist der Umstand, daß sie bei den Griechen königliche Nüsse (s. vor. Stelle bei seinem Zeitgenossen Dioskurides) heißen; auch nennt man jetzt noch die beste Sorte persicon und basilicon. Kopfnuß (káryon) heißt eine Sorte wahrscheinlich deswegen, weil sie durch ihren starken Geruch Kopfweh verursacht. Die gerbstoffreiche grüne Schale wird zum Färben der Wolle benutzt, die ganz jungen Nüsse[S. 226] dienen zum Braunfärben der Haare. Im Alter werden die Walnüsse ölig. Die Sorten unterscheiden sich nur nach der Schale, welche fest oder zerbrechlich, dünn oder dick, in Fächer geteilt oder einfach ist. Die Schale zerfällt in zwei Teile, der Kern selbst ist durch Zwischenhäute vierteilig.“
Auch andere, besonders griechische Schriftsteller sprechen von der Sitte, die sich bis heute in Griechenland erhielt, im Augenblicke da die Neuvermählte das hochzeitliche Gemach betrat, Nüsse unter die Gäste und Kinder zu streuen, damit Zeus-Jupiter, nach welchem die Nüsse hießen, der jungen Frau Fruchtbarkeit schenken möge. So fordert der römische Dichter Vergil (70–19 v. Chr.) in einer seiner Eklogen auf: „Streuet Nüsse (nuces) dem Hochzeitspaar aus!“ Auch Ovid (43 v. bis 7 nach Chr.) spricht an zwei Stellen von Walnüssen, das eine Mal, da er von seiner Geliebten Amaryllis (Pseudonym, nach der Bezeichnung der schönen, von Vergil in seinen Hirtengedichten besungenen Hirtin oder Nymphe gleichen Namens, der die „Glänzende“ bedeutet) sagt: sie liebte Kastanien und Nüsse, und das andere Mal, da er von derselben meldet: ihr fehlten weder Nüsse noch Mandeln. Palladius im 4. Jahrhundert n. Chr. sagt von der Kultur des Walnußbaumes: „Die nux juglans liebt feuchte, kühle, steinige Höhen, kommt aber auch an wärmeren vor. Man zieht sie aus an der Sonne getrockneten Nüssen, die in der Weise gepflanzt werden, daß man einen Stein oder Backstein unter sie legt, damit sie keine einfache Pfahlwurzel, sondern geteilte Wurzeln treiben. Die Bäumchen sollen alle 2 bis 3 Jahre versetzt werden, dadurch gedeihen sie besser. Die Wurzeln dürfen dabei nicht beschnitten werden; man bestreicht sie aber mit Rindermist, streut auch Asche in die Grube. Man macht die Gruben recht tief und auch weit voneinander entfernt, weil ein Walnußbaum selbst dem anderen durch seine Traufe schadet. Man lockert die Erde rings um den Stamm zuweilen auf, damit dieser im Alter nicht so leicht hohl wird. Ist er aber doch hohl geworden, so haut man ihn von einer Seite bis zur Höhlung auf, damit Sonne und Wind eindringen und die Fäulnis hemmen können. Werden die Nüsse zu hart oder knotig, so muß man einen Schnitt rings in der Rinde machen, um die schlechten Säfte abzuführen. Andere schneiden in diesem Fall die Wurzelspitze ab, oder bohren ein Loch in die Wurzel und schlagen einen Pflock von Buchsbaumholz hinein. Will man gemeine Walnüsse in die tarentinische Sorte (mit weicher Schale) verwandeln, so steckt man nur den von der harten Schale befreiten fleischigen Kern, wickelt ihn aber zuvor zum[S. 227] Schutz gegen Ameisen in Wolle. Will man einen schon tragenden Baum in einen tarentinischen verwandeln, so begießt man ihn ein ganzes Jahr lang monatlich dreimal mit Lauge. Die Reife der Nuß erkennt man daran, daß sich ihre äußere Schale ablöst. Ihre Aufbewahrung geschieht entweder unter Spreu oder Sand oder trockenen Walnußblättern oder in einem Kasten von Walnußholz oder zwischen Küchenzwiebeln, denen sie zugleich den scharfen Geschmack benehmen. Man kann nach Angabe vieler Gärtner Walnußreiser im Februar auf Erdbeerbäume (arbutus) pfropfen, am besten in den Stamm, ebenso auf Pflaumen- oder auf Walnußbäume.“ Dem fügt ein griechischer Autor in der Geoponika bei: „Pfropfreiser des Walnußbaumes (káryon) wachsen nicht leicht an, jedoch gelingt die Veredlung, wenn man sich nicht gleich abschrecken läßt und sorgfältig zu Werke geht. Einige Gärtner heben 2- und 3jährige Walnußbäumchen aus, pfropfen die Wurzeln und setzen sie wieder ein.“
Mit den Kastanien brachten die Römer auch die Walnüsse über die Alpen und pflanzten sie um ihre Militärstationen. So fanden sich auch im Wegwurf der Saalburg zerbrochene Schalen von Walnüssen, die dort einst von den Legionären oder deren Angehörigen verspeist wurden. So scheint der Walnußbaum zuerst um die römischen Kastelle gewachsen zu sein, um im Laufe von Jahrhunderten von da weiter ins Land hinauszugelangen. So sind Ortsnamen, die mit Nuß- zusammenhängen, in der Rheingegend schon in den ältesten auf uns gekommenen Urkunden nachweisbar, so der Flecken Nußloch bei Heidelberg, der zuerst im Jahre 776 und das Dorf Nußbaum bei Bretten in Baden, das zum ersten Male im Jahre 883/884 belegt ist. Dazu kommen später Nußdorf (erster Beleg 1134), Nußbach bei Oberkirch (1196), Nußbach bei Triberg (1284) und Nußbaum bei Mosbach (1335). Daß der Baum in Gallien besonders intensiv kultiviert wurde beweist der spätlateinische Name nux gallica, dessen Reflex wir im deutschen Walnuß und im englischen walnut haben. Die Anpflanzung des Nußbaums wird sowohl im Capitulare de villis wie in den beiden uns erhaltenen Garteninventaren Karls des Großen aus dem Beginne des 9. Jahrhunderts angeordnet. In der Hünenburg bei Rinteln an der Weser aus dem 10. bis 11. Jahrhundert n. Chr. wurden Stücke von Walnußschalen gefunden. Heute hat sich der Nußbaum überallhin, wo es ihm nicht zu kalt ist, verbreitet und wird seiner ölreichen Nüsse, die ein sehr gutes Tafelöl liefern, und seines sehr gesuchten Holzes wegen viel gepflanzt.
Die Haselnuß (Corylus avellana) ist fast in ganz Europa und in Vorderasien heimisch. Hier war sie schon den Menschen der Steinzeit ein beliebtes Nahrungsmittel und wir finden ihre zerbrochenen Schalen im Wegwurfe der Pfahlbauern der jüngeren Stein- und der Bronzezeit. An einzelnen Fundstellen finden sie sich zu ganzen Schichten angehäuft. Erst die Griechen und hernach die Römer haben außer der einheimischen wilden Art auch schon größere und feinere, kultivierte Arten gekannt, so die lombardische oder Lambertsnuß (Corylus tubulosa) und die türkische Haselnuß (Corylus colurna). Der Erzeuger der ersteren ist ein stattlicher Strauch, derjenige der letzteren dagegen ein Baum, der in seinem Vaterlande, im Pontusgebiet bis Armenien, ganze Wälder bildet. Beide kamen aus dem nördlichen Kleinasien über die Städte am Pontus als kárya póntika, d. h. pontische Nüsse, nach Griechenland, von wo sie in die griechischen Kolonien Siziliens und Unteritaliens gelangten. Hier wurden sie mit besonderer Vorliebe kultiviert, so daß die bei der Stadt Abella in Campanien wachsende Haselnuß — welche der beiden vorhin genannten groß-kernigen Sorten es war, ist nicht entschieden — als nux abellana von den Römern, die deren Kultur von den Griechen übernahmen, besonders geschätzt wurde.
Durch die Römer wurden diese pontischen Haselnußrassen gleichzeitig mit Walnuß und Kastanie in ihren transalpinen Provinzen eingeführt. So fand man im Wegwurf in den Brunnen des römischen Feldlagers der Saalburg nicht nur zahlreiche Schalen der gewöhnlichen Haselnuß, sondern auch der großen Lamberts- und türkischen Haselnüsse. Auf Grund dieser Funde dürfen wir annehmen, daß die avellanarii, d. h. die Haselnußstauden, die in den Gärten Karls des Großen gezogen wurden, nicht sowohl einheimische, wilde, die ja sonst gar nicht besonders angeführt worden wären, als vielmehr die lambertsche oder die türkische Haselnuß waren. Im 16. Jahrhundert wurden dann echte türkische Haselnüsse durch Valerius Cordus, der sie von einem ungarischen Gesandten in Konstantinopel erhielt, direkt bei uns eingeführt und in Gärten Mitteleuropas kultiviert. Allerdings erreicht sein Erzeuger bei uns lange nicht die stattliche Größe, die er in seiner Heimat in den Pontusländern aufweist.
Solche haselnußartige Samen bieten sehr zahlreiche Pflanzen aller möglichen Länder, unter denen wir nur die chilenische, brasilische, westindische und nordamerikanische Haselnuß, die Waldmandel Westindiens und verschiedener Waldbäume des nördlichen Südamerika mit teilweise[S. 229] mandelartigem Aussehen nennen wollen. Die brasilischen Nüsse, von den Einheimischen juvias genannt, sind vierkantige, braune Samen von der Größe einer Walnuß mit ölreichem Kern, der wie Mandeln schmeckt. Der sie hervorbringende stattliche Baum (Bertholletia excelsa) wächst überall in den Wäldern von Guiana, Venezuela und Nordbrasilien und wird zur Zeit der Samenreife stets von den Indianern aufgesucht, die diese wohlschmeckenden Nüsse sehr lieben und viele Wochen hindurch davon leben. Leider werden sie bald ranzig und lassen sich deshalb nicht längere Zeit aufbewahren. Außerdem gibt es in denselben Gebieten einen souari genannten hohen Baum (Caryocar butyrosum) und in Ekuador einen nahen Verwandten desselben, den pequi-Baum (Caryocar amygdaliferum), die den Mandeln ähnliche ölreiche Samen aufweisen.
Von geringerer Bedeutung, aber für uns wichtiger sind die Pistaziennüsse und das Johannisbrot, die wir ebenfalls aus dem warmen Süden erhalten. Ihre Erzeuger, die Pistazie und der Johannisbrotbaum, ohne die wir uns die alten Kulturländer am Mittelmeer nicht mehr vorstellen können, sind ebensowenig wie die früher betrachteten Fruchtbäume hier heimisch, sondern erst in geschichtlicher Zeit vom Menschen dort angesiedelt worden. Die echte Pistazie (Pistacia vera) hat ihre Heimat im südlichen Kaukasus, in Mesopotamien und Syrien, wo sie stellenweise noch wild wachsend in größeren Beständen angetroffen wird. Sie ist ein 6–9 m hoher Baum mit unpaarig gefiederten, abfallenden Blättern, kurzen Blütenrispen und eiförmig länglichen, 2,5–4 cm großen Steinfrüchten. Diese besitzen einen dünnen Überzug von grünem, rot angehauchtem Fleisch und darunter unter holziger Schale angenehm mandelartig schmeckende, haselnußgroße, länglich dreikantige, grüne Kerne, die Pistazienmandeln oder syrischen Nüßchen (ital. pistacchi), die im Orient roh gegessen und zu allerlei Backwerk, auch zur Gewinnung von Öl verwendet werden, das aber leicht ranzig wird. Früher dienten sie auch als Heilmittel; jetzt werden sie nur noch in der Küche, von Zuckerbäckern und Metzgern zum Würzen der feineren Würste verwendet.
In Babylonien ist die Pistazienkultur uralt und schon damals werden die Früchte wie heute noch in Syrien und Ägypten eine Lieblingsnäscherei der vornehmen Haremsdamen gewesen sein. Sie hießen im Assyrischen butnu und als botnim kamen sie nach Syrien und Palästina, wo sie zur Zeit der jüdischen Erzväter bekannt waren. Als die Brüder Josephs, von der Hungersnot gedrängt, zum zweitenmal[S. 230] nach Ägypten zogen, nahmen sie als Geschenke an den Minister des Pharao, in dem sie ihren Bruder nicht vermuteten, unter den erlesenen Landesfrüchten auch Pistazien mit. Von da an hat man keine Nachricht mehr vom Vorhandensein dieses Fruchtbaums in Syrien, bis nach der Erschließung Vorderasiens durch den Zug Alexanders des Großen ums Jahr 330 v. Chr. die Griechen Kunde von ihm erhielten. So berichtet Theophrast, der Schüler des Aristoteles: „In Indien wächst ein Baum, der der Terebinthe ähnlich ist, dessen Früchte aber wie Mandeln sind. Er soll auch in Baktrien wachsen; die Früchte sollen besser als Mandeln schmecken und werden deshalb dort lieber gebraucht als diese.“ Dieser Autor kennt noch keinerlei Namen für diese Frucht. Ein solcher erscheint erst hundert Jahre später, zu Ende des 3. vorchristlichen Jahrhunderts beim griechischen Dichter Nikander, der schreibt: „Am wild brausenden indischen Strome Choaspes — es ist dies der Fluß von Susa — tragen die Äste der Pistazien (pistákia) Früchte gleich Mandeln.“ Den Namen pistákion, d. h. Pistazie nennt wiederum hundert Jahre später der aus Apamea in Syrien gebürtige Geschichtschreiber Poseidonios. Er sagt, daß in Arabien und Syrien die sogenannte Pistazie wachse, deren grünliche Kerne zwar den Pinienkernen an Geschmack nachstehen, aber einen angenehmen Duft haben. In der Folge wird der Pistazienbaum mehrfach von medizinischen Schriftstellern erwähnt, so vom griechischen Arzte Dioskurides, der um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. eine reichhaltige Arzneimittellehre verfaßte und darin über dessen Früchte schreibt: „Die Pistaziennüsse (pistákion), welche in Syrien wachsen, sind den Piniennüssen (stróbilos) ähnlich und bekommen dem Magen gut.“ Ähnlich schreibt der im Jahre 131 n. Chr. in Pergamon geborene und ums Jahr 200 in Rom verstorbene berühmte Arzt Galenos: „Die Pistaziennüsse (pistákion) wachsen bei Alexandria in Ägypten, aber noch weit häufiger bei der Stadt Berrhoea in Syrien. Sie geben wenig Nahrung, sind aber gesund.“
Plinius nennt unter den Bäumen Syriens den, „der die bekannten Pistaziennüsse (pistacium) trägt“ und berichtet, daß ihn der Römer Lucius Vitellius — nicht zu verwechseln mit dem nachmaligen Kaiser Aulus Vitellius —, der zur Zeit des Tiberius zwischen den Jahren 20 und 30 n. Chr. Legat in Syrien war und von dorther allerlei Gartenfrüchte und Obstbäume auf sein Landgut bei der Stadt Alba in Mittelitalien verpflanzte, nach Italien, und Flaccus Pompejus, ein römischer Ritter, der mit Vitellius Kriegsdienste tat, nach Spanien brachte. In[S. 231] Mittelitalien wird aber jedenfalls das Klima zu rauh für den empfindlichen medisch-persischen Baum gewesen sein; denn noch in Kalabrien und auf Sizilien, wo ihn in der Folge die Römer akklimatisierten, liefert er weniger schmackhafte Früchte als in seiner orientalischen Heimat.
Auch in Sizilien und Sardinien wuchs der Baum, von dem gewöhnlich Edelreiser auf die im Mittelmeergebiet überall heimische Terpentinpistazie gepfropft wurden. Noch im 4. Jahrhundert n. Chr. berichtet uns Palladius, der selbst Güter auf der Insel Sardinien besaß, vom Anbau dieses Fruchtbaumes. Aber die Kultur desselben muß in den Stürmen, die die Völkerwanderung über Italien brachte, vollständig außer Gebrauch gekommen sein, und es blieb den Arabern vorbehalten, mit so manchen anderen asiatischen Kulturpflanzen wie Dattelpalme, Mohrhirse, Safran und Zitrone auch die Pistazie wieder an dafür geeigneten Orten am Mittelmeer, das sie ja um die Wende des 1. christlichen Jahrtausends völlig beherrschten, angesiedelt zu haben. Seitdem sie die Pistazie wiederum in Sizilien und Süditalien anpflanzten, blieb der Fruchtbaum bis auf den heutigen Tag in der Kultur der sie in der Herrschaft ablösenden Christen, die die Früchte gerne aßen und in der Küche verwandten. Am häufigsten trifft man bei uns die sizilischen Pistazien; die tunesischen sind wegen ihrer schönen grünen Farbe besonders geschätzt, während diejenigen Aleppos sehr groß und gelb sind.
Wie der Pistazienbaum wurde auch der Johannisbrotbaum oder Caroubier (Ceratonia siliqua) erst durch die Araber in den wärmeren Gegenden am Mittelmeer als Spender eines billigen Volksnahrungsmittels angesiedelt. Dieser heute namentlich in den östlichen Mittelmeerländern weit verbreitete Hülsenfrüchtler stellt einen nicht sehr hohen, breitausladenden, schattenreichen Baum dar mit paarig gefiederten, lederartigen Blättern. Sein bevorzugter Standort sind die sonnendurchwärmten, felsigen Halden in der Nähe des Meeres, die vor dem kalten Nordwind geschützt sind; denn dieses sonnenverwöhnte Kind Vorderasiens liebt diesen durchaus nicht. Hier wächst er langsam, trägt erst nach zwanzig Jahren, dauert aber jahrhundertelang aus. Seine flachen, hornartig gekrümmten Schoten mit süßem, nahrhaftem Fruchtfleisch, das innen glänzend dunkle, bohnenartige Samen birgt, werden nicht nur mit Vorliebe von Schweinen, Pferden und Eseln, sondern auch vom Menschen roh und geröstet oder gebacken überall im Orient gegessen. Auch auf unsern Jahrmärkten erscheint das[S. 232] Johannisbrot als geschätzter Leckerbissen mit der Süßholzwurzel und den schwarzen Lakritzenstangen. Lakritz ist aus dem griechischen glykyrrhíza, d. h. Süßwurzel zusammengezogen, und erfreut hier besonders die Kinder. Aus den als Karuben bezeichneten Fruchthülsen — das Wort stammt aus dem arabischen charrûb — wird auch ein süßer, honigähnlicher Saft gepreßt, der als keratomeli, d. h. Hörnchenhonig im Morgenlande sehr beliebt ist. Nach ihrer hörnchenartig gekrümmten Form nannten die alten Griechen, die den Baum selbst nicht kannten, sondern nur die aus dem Orient eingeführten Früchte gelegentlich auf dem Markt kauften, die Johannisbrotschoten kerátia oder kerōnia, d. h. Hörnchen und glaubten irrtümlicherweise, sie kämen aus Ägypten. Erst der Schüler von Aristoteles, Theophrastos (390–286 v. Chr.), versichert mit Nachdruck, sie kämen nicht von dorther, sondern aus Syrien und Ionien; denn zu seiner Zeit war der Karubenbaum bis Knidos im südwestlichen Kleinasien und bis zur Insel Rhodos im Ägäischen Meere vorgedrungen. Auch Strabon, der ums Jahr 25 n. Chr. verstorbene griechische Geograph aus der kleinasiatischen Stadt Amasia südlich vom Schwarzen Meer, sagt, er wachse nicht in Ägypten, sondern zugleich mit der Dattelpalme in Äthiopien, wo er in Menge gedeihe.
Seine eigentliche Heimat hat der Johannisbrotbaum in Syrien, wo er mit anderen Fruchtbäumen und Nutzpflanzen vermutlich vom uralten Volke der Chetiter in Kultur genommen und veredelt wurde. Einst, wie jetzt, bildeten seine süßen Schoten dort und in Palästina eine gemeine Speise. Johannes der Täufer soll sich während seines Aufenthalts in der Wüste damit genährt haben, weshalb sie überhaupt den Namen Johannisbrot erhielten. Noch den Reisenden neuerer Zeit wird der angebliche Baum gezeigt, von dessen Früchten der Vorläufer des Messias sein Leben während der Zurückgezogenheit in der Wüste gefristet haben soll. Im Gleichnis vom verlorenen Sohn, das im 15. Kapitel des Evangeliums nach Lukas berichtet wird, begehrt der verlorene Sohn, der zum Schweinehirten herabgesunken ist, seinen Hunger mit den Hörnchen (im Urtext apó tón keratión, fälschlich von Luther, der die wahre Bedeutung dieses Wortes nicht kannte, mit Treber übersetzt), die die Schweine fraßen, zu stillen, aber niemand gab sie ihm. Diese Hörnchen sind nichts anderes als das Johannisbrot.
Auch die alten Ägypter kannten das Johannisbrot, das unter dem Namen dscharudsch oder garuta, d. h. Schote, aus Syrien zu ihnen gebracht wurde. Man aß es hier trocken oder eingekocht und[S. 233] bereitete daraus einen tarruku genannten süßen Trank. Auch als Medizin wurde es viel angewandt. Unter den Totenbeigaben sind in Kahun aus Gräbern der 12. Dynastie im mittleren Reich (2000–1788 v. Chr.) Reste von Schoten des Johannisbrotbaumes, samt Fruchtkernen, ebenso in solchen des ägyptisch-griechischen Gräberfeldes von Hawara im Fajûm gefunden worden. Nach Unger findet sich Johannisbrot auch auf einer altägyptischen Darstellung von Totenspeisen in einem Grabe der 12. Dynastie abgebildet. Später wurde der Fruchtbaum in Ägypten selbst angepflanzt. So fand Kotschy in einem Sarkophag neben einer Mumie einen Stock, der sich bei mikroskopischer Untersuchung als vom Johannisbrotbaum herrührend erwies.
Die alten Griechen haben diesen Fruchtbaum noch nicht in ihrem Lande gezogen. Sie brachten seine Früchte als Rückfracht aus dem Orient mit und vermittelten ihre Kenntnis auch den Römern, die sie zunächst als siliquae graecae, d. h. griechische Schoten, bezeichneten. Später werden sie vielfach als syrische Schoten bezeichnet, als man erkannte, daß sie aus Syrien stammten und nur durch die Griechen übermittelt wurden. Dioskurides und Galenos rühmen diese Schoten als Speise durchaus nicht. Ersterer sagt: „Das frische Johannisbrot (kerátion) bekommt, wenn es genossen wird, schlecht; das getrocknete schmeckt besser, besonders, wenn die Schalen und Kerne nicht mitgegessen werden.“ Und letzterer meint: „Das Johannisbrot (kerátion) ist keine gesunde Speise, kommt aus dem Morgenland, sollte aber nicht von dort geholt werden.“ Also war noch zur Zeit des Arztes Galenos gegen Ende des 2. nachchristlichen Jahrhunderts das Johannisbrot durchaus nur Gegenstand der Einfuhr aus dem Orient und erst im 4. Jahrhundert lehrt Palladius, der Verfasser eines noch im Mittelalter viel benutzten Werkes über den Landbau, ausführlich wie der Baum gepflanzt und veredelt werden soll, so daß man annehmen muß, daß er damals auch in Italien selbst wuchs. Immerhin könnte diese Stelle ein späteres Einschiebsel sein, da sie in einigen Handschriften fehlt und der fleißige Benutzer des Palladius, Petrus Crescentius, über den Baum schweigt. Wenn er nun auch damals jedenfalls in beschränkter Zahl in Italien selbst kultiviert wurde, so war doch diese Produktion ohne größere Bedeutung.
Erst die Araber nahmen die mehr oder weniger verschwundene Kultur dieses Fruchtbaumes wieder auf und verbreiteten ihn in Sizilien, Süditalien, Spanien, wie in ganz Nordafrika im Bereiche ihrer Herrschaft. Ihre Bezeichnung Charruben für die Früchte ist ins Italienische[S. 234] carruba, ins Spanische garroba — oder mit dem arabischen Artikel al davor als algarroba — ins Portugiesische alfarroba und ins Französische caroube übergegangen, was an sich schon mit Sicherheit beweist, daß sie diesen Ländern die Kenntnis dieser Frucht vermittelten. Sie ihrerseits hatten von den Griechen die als kerátia bezeichneten Bohnen der Johannisbrotschoten, die sich durch eine auffallend übereinstimmende Größe auszeichnen, als Gewichtseinheit angenommen und dies dem Abendlande übermittelt. So dient uns heute noch das von ihnen als kleinstes Gewicht angenommene Karat, d. h. eben die nach dem griechischen kerátion bezeichnete Johannisbrotbohne als Gewichtseinheit für Gold, Diamanten und alle Juwelen überhaupt, wie in Persien das Weizenkorn gändum als kleinste Gewichtseinheit dient, und die nächst höhere die Kichererbse nukhûd ist. Dabei ist 1 nukhûd = 4 gändum.
Seitdem die Araber den Johannisbrotbaum überallhin an den Gestaden des Mittelmeers, soweit er gedeihen kann, angesiedelt haben, pflanzt man ihn gerne auch als Schattenbaum zur Straßeneinfassung und inmitten der Felder. Soll der Baum aber nicht bloß Schatten gewähren, sondern auch reichlich Früchte tragen, so muß er von Zeit zu Zeit beschnitten werden wie der Weinstock und der Ölbaum. Die nördliche Grenze seiner Verbreitung fällt ungefähr mit derjenigen der Orangen und Zitronen zusammen. In Kleinasien und Syrien wird er als Fruchtspender so geschätzt, daß er geradezu göttliche Verehrung bei Muhammedanern und Christen genießt. Er ist dem heiligen Georg geweiht, dem sagenhaften kappadozischen Prinzen, der unter Diokletian (regierte von 284–313 n. Chr.) als Märtyrer gestorben sein soll, nachdem er einst einen Lindwurm besiegt hatte, der ein Mädchen zu verschlingen drohte. Schon die Kreuzfahrer führten diesen streitbaren Heiligen symbolisch in ihrem Panier und seither ist er der Schutzheilige aller Berittenen. In Griechenland und im Orient überhaupt sind Georgskapellen unter Johannisbrotbäumen häufig.
Wie bei allen Kulturgewächsen haben sich auch bei ihm die verschiedensten Varietäten gebildet, die sich durch Form, Größe, geringere oder größere Süßigkeit und Haltbarkeit der Schoten unterscheiden. Doch gilt im allgemeinen, daß je wärmer das Klima ist, in welchem er wächst, er um so mehr Zucker in seinen Schoten zu entwickeln vermag und um so süßer der aus ihnen ausgepreßte Honig wird. In letzterem Falle werden die Preßrückstände den Schweinen vorgeworfen. Auch das harte Holz wird geschätzt und die tanninhaltige Rinde dient[S. 235] zum Gerben. Vom Orient aus wird das Johannisbrot bis tief nach Rußland hinein und in die nordischen Länder exportiert, wo es als billiger Leckerbissen auf keinem Volksmarkte fehlt.
Eine eßbare, wohlschmeckende Kernfrucht bietet auch der in ganz Indonesien, besonders den Molukken wild wachsende und auch angepflanzte Katappabaum (Terminalia catappa). Die Frucht, deretwegen der Baum auch sonst in den Tropen, besonders auf den Antillen kultiviert wird, hat Ähnlichkeit mit der Walnuß und enthält einen bis zwei mandelartige Kerne. Ähnliche Samen bieten verschiedene andere Terminaliaarten in Südindien, Ozeanien und Südamerika. Gleicherweise werden auf den Inseln der Südsee die Kerne der Früchte von Inocarpus edulis, Sterculia balanghas und St. foetida als fast tägliche Speise gegessen. Ebenso finden die ölreichen Samen zahlreicher Nadelholzgewächse als Speise der Menschen Verwendung, so diejenigen verschiedener Kiefern und Fichten, wie der Zirbelkiefer (Pinus cembra), der Fichte der Norfolkinsel östlich von Australien, der als Ziergewächs bei uns in Töpfen gezogenen Araucaria excelsa und der südamerikanischen Araukarie (Araucaria imbricata). Dieser von den Indianern als pehuén bezeichnete Nadelbaum ist diözisch, d. h. weist männliche und weibliche Exemplare auf und bildet auf Sandboden lichte Bestände, die entfernt an unsere Kiefernwälder erinnern. Sein Stamm bildet eine mächtige Säule von bis zu 60 m Höhe, ist unten kahl und trägt oben einen schirmartigen Wipfel, dessen herunterhängende Äste an den Spitzen wieder nach aufwärts streben. Die Fruchtzapfen benötigen zwei Jahre zur Reife und enthalten 100 bis 200 mehlige, ähnlich wie Kastanien schmeckende Samen, die im Februar und März reifen. Um diese von den Spaniern, die sie ebenfalls sehr lieben, piñones genannten, doppelt mandelgroßen Nüsse zu erlangen, unternehmen die Indianer zur Zeit der Reife große Wanderungen. Diese pflanzliche Speise ist für sie um so wichtiger, je weiter sie von den Weißen entfernt wohnen und je schwerer sie sich von jenen die gewöhnlichen Getreidearten durch Tausch gegen Wildpret und Felle verschaffen können. Ein einziger Zapfen genügt für einen Indianer zur Ernährung für einen Tag, wenn er noch etwas Fleisch zu sich nimmt. Durch ihren reichen Ölgehalt sind sie nicht sehr leicht verdaulich und lassen sich auch nicht längere Zeit hindurch aufbewahren. Doch bereiten die Eingeborenen daraus ein Gebäck, das sich lange Zeit erhält. So können sie die von ihnen sehr geschätzten Samen aufs weitgehendste ausnützen.
In den Mittelmeerländern finden besonders die Piniennüsse, gewöhnlich Pignolen genannt, zahlreiche Liebhaber und kommen dort überall in den Handel. Der Nüsse und des Holzes wegen wird die Pinie auch in Südtirol kultiviert. Die Pinienzapfen reifen erst im vierten Jahre. Zur Gewinnung der Nüsse werden besondere Sorten mit sehr dünner, zerbrechlicher Schale gezogen, entsprechend den als Butternüsse bezeichneten, weichschaligen Walnüssen und den weichschaligen Bruchmandeln. So gewährt der berühmte Pinienwald bei Ravenna, die Pineta, den Bewohnern reichlichen Gewinn durch die überallhin nach Italien verschickten Samen, trotzdem die Bestände durch den kalten Winter 1879–80 und durch einen Waldbrand stark gelitten haben. Sie sind ziemlich groß, schmecken wie Mandeln und werden roh zu allerlei Speisen und in Zucker eingemacht gegessen, auch zur Darstellung eines fetten süßen Öles benutzt. Sie bilden auch für Griechenland, besonders den Peloponnes, einen nicht unwichtigen Ausfuhrartikel. Schon der Grieche Athenaios (um 200 n. Chr.) in Alexandrien erwähnt die Ausfuhr der Piniennüsse von dort nach Ägypten. Dioskurides sagt von ihnen: „Die Samen der Pinien (pítys) und Kiefern (peúkē) werden pityís genannt. Sie befördern die Verdauung und erwärmen etwas, sind auch für sich oder mit Honig gegen Husten und Brustübel nützlich.“ Sein Zeitgenosse Plinius unterscheidet 4 Sorten der Piniennüsse (pinea nux), deren eine, „die tarentinische, eine so dünne Schale besitzt, daß man sie zwischen den Fingern zerbrechen kann. Sie werden deshalb oft schon am Baume von den Vögeln gefressen.“ Er bemerkt, daß die Tauriner (die jetzigen Piemontesen) die von der Schwarzkiefer (pinaster = Pinus laricio) stammenden Samen, in Honig gekocht, als treffliches Mittel gegen den Husten in den Handel bringen und meint ferner: „Die Pinienkerne stillen den Durst und helfen gegen Magensäure und Nierenleiden, heilen auch, mit Wasser gekocht, das Blutspucken. Mit Wein oder einer Abkochung von Datteln getrunken, führen sie die Galle ab. Gegen heftigeren Magenschmerz und Nierenübel mischt man Gurkensamen und Portulaksaft hinzu.“ Palladius um 380 n. Chr. sagt: „Die Pinienzapfen können reif oder überreif von den Bäumen genommen werden, doch muß es geschehen, bevor sich die Zapfen öffnen. Die Kerne lassen sich nur dann aufbewahren, wenn sie gut gereinigt und getrocknet sind.“ Diese Bemerkung ist ganz richtig. Nur aus den Zapfen genommen und sorgfältig getrocknet lassen sie sich einige Zeit aufbewahren.
[1] Letztere bezeichnet der berühmte griechische Arzt Claudius Galenos (geb. 131 n. Chr. in Pergamon, praktizierte daselbst, dann in Rom, wo er ums Jahr 200 starb) als weich, saftig, süß; von ihnen wachsen die besten Sorten in Syrien bei Jericho.
[2] Diesen Namen erklärt uns später der ums Jahr 200 n. Chr. in Alexandrien und Rom lebende griechische Grammatiker Athenaios aus Naukratis in Ägypten im 14. Buch seines Werkes, Deipnosophistai, indem er schreibt: „Die Datteln, welche jetzt den Namen Nikolaen tragen und aus Syrien kommen, haben diesen Namen dem Kaiser Augustus zu verdanken. Er aß sie nämlich außerordentlich gern, und sie wurden ihm von seinem Freunde Nikolaos, der aus Damaskus stammte, regelmäßig zugeschickt. Dieser Nikolaos war ein stoischer Philosoph und schrieb ein dickes Geschichtswerk.“
Unter der Bezeichnung agrumi faßt der Italiener die verschiedenen Vertreter der Gattung Citrus, also die Zitronen, Orangen, Mandarinen usw. zusammen. Die Kultur dieser in seinem Lande und neuerdings auch bei uns so beliebten Früchte scheint uns untrennbar mit dem Begriffe Italien oder Spanien zu sein. Seit Goethe in seinem Mignonlied der Sehnsucht des Nordländers nach den sonnigen südlichen Gestaden so treffenden Ausdruck gegeben hat, können wir uns das glückliche warme Mittelmeergebiet nicht vorstellen ohne das satte Grün dieser Fruchtbäume, ohne den würzigen Blütenduft der Zitronen und das prächtige Gleißen der schimmernden „Goldorangen“. Dem ist aber nicht immer so gewesen. Es sind vielmehr noch keine tausend Jahre verstrichen, seitdem die ersten Vertreter dieser Produkte ostasiatischer Kultur dem Fruchtbaumbestande Südeuropas durch die damals das Mittelmeer beherrschenden Araber einverleibt wurden.
Das Altertum hat diese Früchte durchaus nicht gekannt. Wohl kennen die römischen Schriftsteller das Wort citrus, mit dem sie aber einen ganz anderen Begriff als wir verbanden. Die Bedeutung dieses Wortes verstehen wir erst, wenn wir daran erinnert werden, daß sie dasselbe wie so unendlich viele andere Kulturgüter und deren Bezeichnungen den in bezug auf Gesittung weiter als sie fortgeschrittenen Griechen verdankten. Citrus ist das romanisierte kédros der Griechen, das mit dem Namen Zeder zusammenhängt. Darunter verstanden die Römer wie die Griechen, von denen sie Wort und Begriff übernahmen, das duftende, den Würmern widerstehende Holz verschiedener Nadelhölzer, besonders Zedern-, Wacholder- und Lebensbaumarten, das zur Herstellung von mottensicheren Truhen zur Aufbewahrung der ja vorzugsweise aus Wolle hergestellten Kleider diente. Für die Römer der Kaiserzeit war es wohl in erster Linie das schön gemaserte, wohlriechende[S. 238] weil öl- und harzdurchtränkte Holz der nordafrikanischen Zypressenart Callitris quadrivalvis — die Produzentin des echten Sandarakharzes —, welche, weil durch ihren starken Duft vor Motten schützend, zur Fabrikation von solchen Kleiderkisten — Schränke kannte man damals noch nicht — diente.
Von den Griechen hatten sie vernommen, daß auch die starkduftenden, im übrigen aber nicht eßbaren Früchte eines aus dem Orient bezogenen Baumes vortrefflich zur Abwehr von Motten in den Kleiderkisten seien. Es waren dies eiförmige, über faustgroße grüne bis gelbe Früchte mit einer überaus dicken, reich mit ätherischen Ölen durchsetzten, feinhöckerigen Schale, die wir im Deutschen als Zedraten oder Zitronatzitronen bezeichnen, weil aus ihren würzigen, dicken Schalen durch Kochen in Zucker das Zitronat hergestellt wird. Die Zedraten, von den Italienern cedro genannt, sind weit größer als unsere bekannten Zitronen und erreichen in runden, bis stark in die Länge gezogenen Formen oft die Größe eines Menschenkopfes. Ihr Fruchtfleisch enthält einen mäßig sauren Saft — jedenfalls bedeutend weniger als bei der Zitrone — dem durch den Gehalt an Zitronensäure fäulniswidrige Eigenschaften innewohnen.
Diese Zedraten waren schon den alten Ägyptern als kitri und den Hebräern zur Zeit des Moses als hadar bekannt. Der Baum scheint zur Zeit der 18. Dynastie (1580–1350 v. Chr.) aus Südasien nach dem Niltal gekommen zu sein, wo ihn später die Griechen kennen lernten. Bei den letzteren galt die wenig schmackhafte, säuerliche Frucht der Zedrate nicht nur als gutes Mittel um, in die Kleiderkisten gelegt, die Motten davon fernzuhalten, sondern geradezu als ein äußerst wirksames Gegengift. Nach ihrem Dafürhalten konnte, wer immer davon aß, in den nächsten darauffolgenden Stunden nicht vergiftet werden.
So empfahl der um 200 n. Chr. in Alexandrien und Rom lebende griechische Grammatiker Athenaios aus Naukratis in Ägypten als bestes Schutzmittel gegen Vergiftung eine in Honig gekochte Zedrate zu essen. Wer morgens früh ein halbes Glas des daraus gepreßten Saftes genieße, dem können den ganzen Tag über Gifte nichts anhaben. In seiner 15 Bücher umfassenden Schrift „Deipnosophistai“, die wichtige Nachrichten über Leben, Sitte, Kunst und Wissenschaft der alten Griechen enthalten, schreibt er: „Daß der Kedrosapfel (kedrómēlos) ein Mittel gegen Gift ist, weiß ich von meinem Landsmann, welcher Statthalter von Ägypten war. Er hatte einige Verbrecher dazu ver[S. 239]urteilt, in dem zu Tierkämpfen bestimmten (Amphi-)Theater von wilden Tieren getötet zu werden. Als diese dahin geführt wurden, gab ihnen unterwegs eine mitleidige Frau einen Kedrosapfel, den sie zufällig bei sich hatte. Die Leute aßen ihn, wurden gleich darauf den wilden Bestien vorgeworfen und auch von Aspisschlangen gebissen, litten aber gar nicht. Der Statthalter wunderte sich nicht wenig darüber; und, wie er erfuhr, daß sie einen Kedrosapfel gegessen, ließ er am folgenden Tage dem einen eine solche Frucht geben, dem anderen nicht. Jener blieb gesund, dieser aber starb vom Schlangenbiß auf der Stelle. Dieser Versuch wurde öfters, und immer mit demselben Erfolg wiederholt.“ Diese Aspis der Griechen und Römer war, nebenbei bemerkt, die Ara, d. h. Aufgerichtete der alten Ägypter, gräzisiert als „Uräus“-schlange bezeichnet, die man als Sinnbild der Erhabenheit zu beiden Seiten der Sonnenkugel des Gottes Ra über dem Portal der altägyptischen Tempel eingemeißelt findet und deren Nachbildung der Pharao als zierendes Abzeichen seiner Hoheit und Herrschergewalt an seinem Diadem über der Stirne trug. Diese bis 2,25 m lange ägyptische Brillenschlange (Naja haje) ist noch größer als ihre südasiatische Verwandte und wird von jeher in Ägypten sehr gefürchtet. Wie heute noch die Gaukler auf den Straßen vor allem Volke die so überaus gefürchtete, in Ledersäcken verwahrte „Haje“ vorführen, so produzierten sich mit ihr schon Moses und Aaron vor dem Pharao. Sie war es auch, mit der sich die berühmte Buhlerin Kleopatra, Königin von Ägypten und nacheinander die Geliebte von Julius Cäsar und Marcus Antonius, nach des letzteren Selbstmord nach der verlorenen Seeschlacht von Aktium im Jahre 30 v. Chr. tötete, um nicht von ihrem ihren Gunstbezeugungen unzugänglichen Überwinder Octavianus Augustus im Triumph in Rom vorgeführt zu werden. Bevor dieses so viele Männer mit ihren Verführungskünsten bestrickende Weib in den Tod ging, ließ sie ihre vertrautesten Dienerinnen von solchen Schlangen beißen, um zu sehen, welchen Effekt der gefährliche Biß auf sie haben werde.
Der Zedratbaum (Citrus decumana), dessen oft fast nur aus Schale bestehenden, bis 6 kg schweren Früchte eines saftigen Fruchtfleisches in der Regel entbehren, ist ein 3–5 m hoher Baum mit stumpfen, dunkelgrünen Blättern, die an breitgeflügeltem Stiele sitzen, und weißen, wohlriechenden Blüten. Seine Heimat ist höchstwahrscheinlich im malaiischen Archipel zu suchen, wo er heute noch in zahlreichen Spielarten, auch solchen mit saftigem, säuerlichsüßem bis süßem Frucht[S. 240]fleisch kultiviert wird. Schon früh kam er nach Indien, Hinterindien und China, in welch letzterem Lande er schon zu Beginn des letzten vorchristlichen Jahrtausends unter dem Namen yu gepflanzt wurde. Von Indien aus gelangte er nach der Mitte des letzten vorchristlichen Jahrtausends nach Medien und Persien, wo ihn die Griechen auf dem berühmten Zuge Alexanders des Großen ins Innere Asiens von 334 bis 324 v. Chr., der ihnen überhaupt eine Fülle neuer Naturprodukte aus dem Pflanzenreiche vermittelte, kennen lernten. Der pflanzenkundige Theophrastos (390–286 v. Chr.), nach Alexander selbst Schüler des großen Aristoteles, beschreibt diesen Baum, den er jedenfalls nur von der Beschreibung der Teilnehmer am Alexanderzuge kannte und nicht selbst sah, in seiner Pflanzengeschichte folgendermaßen: „Medien und Persien erzeugt unter anderen eigentümlichen Gewächsen auch den medischen oder persischen Apfel (mḗlon). Das Blatt dieses Baumes sieht fast genau so aus wie das der Andráchlē (Arbutus andrachne), auch hat der Baum Dornen wie der Birnbaum (ápios) und der Weißdorn (oxyákanthos); sie sind glatt, sehr spitzig und stark. Der Apfel wird nicht gegessen, allein er hat, so wie auch das Blatt des Baumes, einen sehr angenehmen Geruch; und der Apfel schützt Kleider, zwischen die er gelegt wird, vor Motten. Auch dient er als Arznei. Der Baum, der am besten auf lockerem, feuchtem Erdreich gedeiht, hat das ganze Jahr hindurch Früchte. Während man reife abnimmt, sind auch unreife und Blüten daran vorhanden.“
Von den Griechen erhielten die Römer die Kenntnisse vom medischen Apfel. Der römische Dichter Vergil (70–19 v. Chr.) nennt ihn in Italien zuerst als „goldenen“ oder „Glücksapfel“. Er sagt von ihm in seiner Georgica: „In Medien wächst der Glücksapfel (felix malum), dessen Saft den jämmerlichen, lang anhaltenden Geschmack hat, aber ein herrliches Mittel gegen verschlucktes Gift ist. Der Baum selbst hat eine gewaltige Größe, sieht dem Lorbeer sehr ähnlich, riecht aber ganz anders. Die Blätter werden von keinem Winde abgerissen; auch die Blüte trotzt dem Sturm. Der Meder nimmt sie in den Mund, um dem Atem Wohlgeruch zu geben, und Greise stärken mit ihr die schwach werdende Brust.“ Man glaubte, wie verschiedene griechische Schriftsteller der römischen Kaiserzeit berichten, in ihnen die Äpfel der Hesperiden vor sich zu haben. Es waren dies der Sage nach die Töchter des Atlas und der Hesperis, die mit dem Drachen Ladon die „goldenen Äpfel“ der Hera im Garten der Götter im äußersten Westen des Okeanos bewachten, die dann der berühmte Heros Herakles auf Geheiß[S. 241] des delphischen Gottes Apollon im Dienste des Königs Eurystheus von Mykenä holte.
Der gelehrte ältere Plinius (23–79 n. Chr.) schreibt in seiner Naturgeschichte über ihn: „Aus dem Ausland stammt der medische Apfelbaum, den man auch cedrus nennt; er trägt Früchte, die man gegen Gifte braucht. Als Speise genießt man sie nicht, aber sie riechen vortrefflich, und auch die dem Erdbeerbaum (unedo) gleichenden Blätter, zwischen denen Dornen stehen, riechen. Dieser Geruch teilt sich Kleidern, zwischen welche man die Früchte legt, mit und schützt gegen Mottenfraß. Der Baum hat jederzeit Früchte, reife und unreife zugleich. Man hat diese Bäume, weil sie so ausgezeichnete Arznei liefern, in irdene Töpfe, welche Luftlöcher haben, gepflanzt und sie in andere Länder zu versetzen gesucht; denn jung gedeihen sie bis jetzt nur in Medien und Persien.“ An einer anderen Stelle nennt er die Frucht Citrusapfel (malum citreum) und den Baum citrea, spricht auch von Citrusöl (oleum citreum), das von den Vornehmen bereits als Parfüm gebraucht wurde.
Sein Zeitgenosse, der aus Anazarbos in Kilikien gebürtige, um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. in Rom praktizierende griechische Arzt Dioskurides schreibt in seinem Buche über Arzneiwissenschaft: „Allgemein bekannt ist der medische oder persische Apfel, auch kedrómēlon, von den Römern kítrion (= citreum) genannt. Der Baum hat das ganze Jahr hindurch Früchte, und diese sind länglich, runzlig, goldfarbig und haben einen starken, aber angenehmen Geruch. Die Samen sind denen der Birne ähnlich. Man legt die Früchte in Wein und braucht dann diesen gegen Gifte. Auch kocht man sie, und spült sich mit der Abkochung den Mund aus, um ihn wohlriechend zu machen. Legt man die Früchte in Kleiderkisten, so sollen keine Motten hineinkommen.“ Und der im Jahre 131 n. Chr. in Pergamon geborene und um 200 in Rom verstorbene griechische Arzt Galenos sagt: „Der auch kítrion genannte medische Apfel besteht aus drei Teilen: dem sauren, der in der Mitte liegt, dem fleischigen, der den sauren umgibt, und der wohlriechenden, gewürzhaften Schale. Wird letztere in Menge genossen, so ist sie schwer zu verdauen; kleingerieben und in geringer Menge stärkt sie dagegen die Verdauung. Das saure, nicht eßbare Mittelstück legt man in Essig, um diesen zu verstärken. Die fleischige Masse, die weder sauer noch scharf ist, wird mit Essig und Fischsauce (garum) gegessen.“
Der bereits erwähnte Athenaios (um 200 n. Chr.) sagt: „Aus den Komikern ersieht man, daß der Kedrosapfelbaum aus Asien nach Griechen[S. 242]land versetzt wurde“ und an anderer Stelle: „Zur Zeit des Theophrast und bis auf die Zeit unserer Großväter hat kein Mensch Kedrosäpfel gegessen; sie wurden dagegen in Kleiderschränke gelegt.“ Zu seiner Zeit wurde der, wie Plinius meldet, in Kübel aus gebranntem Ton in Medien gepflanzte Zedratbaum wie zur Zeit Ludwigs XIV. und seiner Nachahmer die Orangenbäume zur Zierde der Villen vornehmer Römer in deren Alleen aufgestellt. Bald lernte man ihn aber auch im Lande selbst ziehen. So beschreibt uns der Grieche Florentinus ums Jahr 218 n. Chr. die Kultur der von ihm kítria genannten Bäume ganz in der Art der heute noch in Italien betriebenen Agrumen, und fügt hinzu, daß reiche Leute sie auch in freiem Lande an nach Süden gerichteten Wänden pflanzen und sie im Winter zudecken, da sie vom Froste leicht eingehen. „Die Früchte werden schwarz, wenn man Reiser des kítrion-Baumes auf Apfelbäume, rot dagegen, wenn man sie auf (schwarze) Maulbeerbäume pfropft; auch lassen sie sich auf Granatbäume pfropfen.“
Fast zweihundert Jahre später gibt uns der noch im Mittelalter viel gelesene römische Ackerbauschriftsteller Palladius ums Jahr 380 n. Chr. ausführliche Kunde über die Kultur des Zedratbaums, dessen Früchte teilweise schon einen süßen Saft in ihrem inneren Fruchtfleisch entwickelt hatten. Er schreibt: „Im Monat März nimmt man die Vermehrung des Citrusbaums (citri arboris) vor, und zwar auf vier verschiedene Arten, nämlich durch Samen, Äste, Stecklinge und Keulen. (Hier folgen die näheren Angaben über das Vorgehen dabei, die uns nicht interessieren.) Man pfropft ihn auch an warmen Stellen im April, an kalten im Mai nicht in die Rinde, sondern in den Stamm selbst, den man über der Wurzel spaltet. Man kann auch Zedratreiser, wie einige behaupten, auf Birn- und Maulbeerbäume pfropfen, aber man muß dann das Propfreis dadurch schützen, daß man ein Körbchen oder Töpfchen darüber stülpt.
Der Citrusbaum liebt einen lockeren Boden, ein warmes Klima und fortwährende Nässe. Am liebsten steht er an warmen, bewässerten, dem Meere nahe gelegenen Stellen. Will man’s aber erzwingen, daß er in einem kalten Klima wachsen soll, so muß er von Winden geschützt und auf der Südseite stehen, muß auch den Winter über eine Umhüllung von Stroh bekommen. Man glaubt, daß er auch besser gedeiht, wenn in seiner Nähe Flaschenkürbisse (cucurbita) gepflanzt werden, deren Sprosse man auch verbrennt, um eine dem Citrusbaum förderliche Asche zu bekommen. Um größere Früchte zu erzielen, gräbt[S. 243] man die Erde um den Baum fleißig um. Man darf aber an ihm, außer dürren Ästen, fast nie etwas abschneiden.
Martialis sagt, der Citrusbaum habe in Assyrien immerfort Früchte; dieselbe Erfahrung habe ich in meinen in Sardinien und bei Neapel gelegenen Gütern gemacht. Dort sind Boden und Luft lau und genügend feucht. An den auf diesen Gütern stehenden Bäumen hängen immer unreife Früchte, wenn reife abgenommen werden, und Blüten, während die unreifen Früchte wachsen. Man sagt, das Mark der Citrusfrucht werde süß, wenn man die zu pflanzenden Kerne drei Tage lang in Honigwasser oder in Schafsmilch, was noch besser ist, aufweicht. Manche bohren im Monat Februar unten in den Stamm ein schiefes Loch, das aber auf der andern Seite nicht herauskommen darf. Aus diesem lassen sie Saft fließen, bis die Früchte sich bilden, dann füllen sie das Loch mit Lehm aus und behaupten, durch dieses Verfahren werde die Mitte der Citrusfrucht süß. — Die reife Frucht hält sich am Baume hängend fast das ganze Jahr, und jedenfalls besser, als wenn man sie in Gefäße legt. Will man sie pflücken und nachher längere Zeit aufbewahren, so nimmt man sie in einer mondlosen Nacht in der Weise ab, daß noch ein beblättertes Zweigstück bleibt, und legt jede so, daß sie die andern nicht berührt. Manche Leute legen auch jede Citrusfrucht einzeln in ein besonderes Gefäß, verstreichen den Deckel mit Gips und stellen die Gefäße an einen schattigen Ort. Die meisten aber heben sie in Zederspänen (besonders Spänen von Wacholder und Lebensbäumen) oder in Häckerling oder Spreu auf.“
Was für Künsteleien die von den reichen Römern als Gärtner in ihren Landhäusern mit Vorliebe gehaltenen syrischen Sklaven, die sich mit der Pflege dieser empfindlichen Importbäume abgaben, gelegentlich an solchen Früchten vornahmen, darüber berichtet uns Julius Africanus, ein zur Zeit des Kaisers Alexander Severus (222–235 n. Chr.) lebender Christ, der sagt: „Um zu bewirken, daß eine Citrusfrucht, ein Apfel, eine Birne, ein Granatapfel usw. die Gestalt eines Tieres oder sonst eines beliebigen Gegenstandes annehme, so umschließt man sie, wenn sie die Hälfte ihres Wachstums erreicht haben, mit einer entsprechenden, aus Gips oder Lehm geformten, in zwei Hälften geschnittenen, getrockneten und in letzterem Falle im Töpferofen gebrannten Form.“
In den Wirren der Völkerwanderung ging dieser nutzlose Luxusbaum der Römer, mit dem die germanischen Stämme nichts anzufangen[S. 244] wußten, in Italien unter, wurde aber im späteren Mittelalter wieder aus dem Orient hier eingeführt. Heute wird er wieder ziemlich viel unter dem Namen cedro in Italien kultiviert, um aus dem Wertvollsten an den Früchten, der dicken, würzigen Schale, durch Einkochen in Zucker das Zitronat zu gewinnen, das einen für die Konditoreien begehrten Handelsartikel bildet. Auch ein für die Parfümerien verwendbares ätherisches Öl läßt sich daraus gewinnen. Noch mehr als in Italien wird aber der Zedratbaum im westlichen Mittelmeergebiet und auf den Azoren angepflanzt, obschon man neuerdings die Schalen einiger fruchtbarerer Spielarten der Zitrone, oder besser gesagt Limone, vielfach zur Herstellung von Zitronat verwendet.
Diese Zedrat-Zitronen, die eigentlich allein den Namen Zitronen verdienen und tatsächlich auch bei den meisten Völkern diesen Namen führen — nur die Deutschen und Franzosen nennen die Limonen Zitronen — variieren außerordentlich in ihrer Form und viele Abänderungen sind durch Pfropfen und Veredeln fixiert worden. So bekommt man neben stark in die Länge gezogenen auch fast runde Zedraten zu sehen. Manche Sorten erreichen eine gewaltige Größe und ein Gewicht von bis 10 kg. Eine solche besonders große, rundliche, durch stark höckerige Schale und feinen Wohlgeruch ausgezeichnete Zedrate mit sehr saurem Fruchtfleisch wird als Adams- oder Paradiesapfel bezeichnet, weil sie im Mittelalter allgemein von Juden und Christen für die verbotene Frucht des Paradieses gehalten wurde. Ganz abgesehen davon, daß sich Adam, wenn wir seine Existenz zugeben, sehr wohl gehütet haben würde, in eine solche saure, unschmackhafte Frucht zu beißen, da er wohl bessere im Garten Eden zur Verfügung hatte, wissen wir heute bestimmt, daß der hebräische Mythus unter dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen zweifellos die Dattelpalme verstand, die einer der ältesten Fruchtbäume Babyloniens war, wo die Juden, von den babylonischen Semiten beeinflußt, ihre Schöpfungssagen ausbildeten. Und weil die auf fabelhafte Fruchtbarkeit des Paradieses hinweisende großfrüchtige Zedrate heute noch neben dem Palmblatt und allerlei Zweigen beim Laubhüttenfest — ursprünglich einem Erntefest — der Juden Verwendung findet, wird sie vielfach aus Korfu, Palästina und Marokko, wo sie die Araber mit Vorliebe anpflanzen, bei uns eingeführt und kann bei vorgeschriebener Form einen sehr hohen Geldwert erlangen. Die lithauische Jüdin Pauline Wengeroff schreibt im 1. Band ihrer „Memoiren einer Großmutter — Bilder aus der Kulturgeschichte der Juden Rußlands im 19. Jahr[S. 245]hundert“ über diese von ihr als Eßrog bezeichnete Frucht bei der Beschreibung des Versöhnungstages, des am 10. des Monats Tischri (September oder Oktober) gefeierten Fest- und Fasttages der Juden: „Mein Vater ging gleich von der Synagoge fort, um einen Eßrog (zitronenähnliche Frucht) und einen Lulow (Palmenblatt) zu kaufen; und frohgelaunt kehrte er heim, wenn es ihm gelang, einen völlig fehlerfreien Eßrog — einen sogenannten ‚Mibuder‘ — zu finden. Ein solches Stück kostete im Jahre 1838 5–6 Rubel, da zu jener Zeit der Transport der Früchte aus Palästina, wo sie nur in geringer Zahl wuchsen, mit viel Schwierigkeiten und Gefahren verbunden war. Nichtsdestoweniger erhielt jeder der jungen Männer unseres Hauses je einen Eßrog für sich. Eine jede dieser wohlriechenden, prächtigen Früchte wurde sorgfältig in weichen Hanf gebettet und in einem Silbergefäß aufbewahrt. Diese Früchte werden im Verlaufe der acht Feiertage des Laubhüttenfestes (Sukkoth) beim Morgengebet benützt. Die Palmenblätter, Myrten und Weidenzweige, die der Vorschrift gemäß dazu gehören, standen in einem großen, mit Wasser gefüllten irdenen Krug. Und im Hause wurde es wieder hell und heiter. Man aß, trank, lachte, plauderte nach Herzenslust.“
Manche andere Spielarten dieser großen Zedrate werden auch nur gezüchtet, um ihre riesigen Früchte zur Schau zu stellen, wozu sie sich schon deshalb besonders eignen, weil sie sich länger halten als alle übrigen Früchte der Gattung Citrus. Eine chinesische, den Europäern übrigens wegen des faserigen Fleisches wenig mundende Varietät bildet in ihrer Heimat einen Leckerbissen, den die Chinesen selbst in fremden Ländern nicht missen mögen, weshalb diese Früchte überallhin, wo jene sich niederlassen, nach Kalifornien, Hawai usw. exportiert werden. Die Chinesen schälen die innere, weiße, widerlich bitter schmeckende Schale mit größter Sorgfalt ab, um zum rötlichen, süßlich-sauren Fruchtfleisch zu gelangen, das sie nicht nur roh, sondern auch in Form von Mus und Gelee essen. Aus dem Saft bereiten sie ein erfrischendes Getränk und die Schalen kandieren sie, ähnlich wie wir dies mit den Pomeranzenschalen tun. Übrigens gibt es einige Spielarten, die auch dem Europäer sehr wohl schmecken; vor allem gilt dies von der Pompelmuse von Batavia, einer wirklich köstlichen Frucht, die in Indonesien häufig gezogen wird.
Der Baum, der die leuchtend gelben Zitronen zeitigt, die die Italiener und Engländer mit Recht mit ihrem geschichtlichen Namen als Limonen bezeichnen, war den Mittelmeervölkern des Altertums[S. 246] durchaus unbekannt, bis ihn die Araber im Laufe des 10. Jahrhunderts in Palästina und Ägypten, sowie in ganz Nordafrika ansiedelten. Im 11. Jahrhundert wurde er durch sie in Spanien, bald darauf auch in dem von ihnen eroberten Sizilien angepflanzt, wo der Italiener Falcando im Jahre 1260 besonders um Palermo herum diesen bevorzugten Schützling der Araber in Menge kultiviert fand. Denn dieses Volk, dem der Koran den Genuß alkoholhaltiger Getränke verbot, suchte sich am sauren, angenehm erfrischenden und den Durst löschenden Safte der von ihnen als limûn bezeichneten Zitronen, den sie mit gezuckertem Wasser vermischt als bevorzugtes Getränk vor der Einführung des Kaffees tranken, schadlos zu halten. Sie selbst hatten die Frucht eben als limûn von den Persern erhalten, die wiederum sie aus Indien unter dem dort gebräuchlichen Namen limu entlehnt hatten. Von den Arabern lernten die Italiener die Frucht als limone und den daraus bereiteten beliebten Trank als limonata kennen, woraus wir Deutsche unsere Limonade bildeten. Kreuzfahrer und Handelsleute der italienischen Seestädte, vorzugsweise Venedig, Pisa und Genua, brachten die Limone zuerst nach Europa, wo sie nördlich der Alpen nicht unter dieser jüngeren Bezeichnung, sondern der älteren, die auf der Bekanntschaft mit dem Zedrat-Citrus fußte, bekannt wurde. Auch hier lernte man, als dann die Frucht häufiger aus Italien dahin kam, wie im Orient den sauren Saft derselben und die aromatisch duftende, an wohlriechendem ätherischen Öl reiche Schale als angenehme Beigabe zu vielen Speisen schätzen und sie auch in Verbindung mit dem zu gleicher Zeit bekannt werdenden Zucker zu Limonaden und Bowlen verwenden. Auch als Medikament fand sie weithin Verbreitung; ist doch ihr saurer Saft stark fäulnishemmend und demnach sehr günstig bei allen Leiden, die mit Darmfäulnis zusammenhängen, wie ihr saurer Saft die beim Fieber erhöhte Alkalescenz des Blutes herabsetzt.
Die Heimat des Zitronenbaumes (Citrus medica var. limonum) ist das östliche Südasien von den mittleren Tälern am Südfuße des Himalaja über Nordbirma nach dem südlichen China und Cochinchina. Noch heute wird er von Gurwal bis Sikkim, in den Kasia- und Garrobergen wild wachsend in oft größeren Beständen gefunden. Zur weit größere und edlere Früchte zeitigenden Kulturpflanze wurde er wohl in Cochinchina erhoben, von wo er allmählich nach China und Japan verpflanzt wurde. Über Indien gelangte er etwa im 8. Jahrhundert n. Chr. nach Persien in den Machtbereich der Araber, die ihn[S. 247] dort kennen lernten und allmählich in dem ganzen von ihnen eroberten Gebiete ansiedelten. Von ihnen lernten die Kreuzfahrer den Baum und dessen Früchte in Syrien und Palästina kennen. Von solchen aus dem Morgenlande heimkehrenden Kreuzfahrern ist er gegen das Ende des 11. Jahrhunderts an der Riviera angesiedelt worden. Aber einen größeren Aufschwung nahm dessen Kultur erst vom 14. Jahrhundert an, bis sie im 17. Jahrhundert durch das Populärwerden der Limonade in Europa erst volle Bedeutung erlangte. Ums Jahr 1655, da der 1602 in Pescina in den Abruzzen (Süditalien) geborene Kardinal Jules Mazarin (eigentlich Mazarini, gestorben 1661) das Staatsruder Frankreichs führte, traten in Paris, wie zuvor in Italien, die ersten Limonadiers auf, um dort, wie bald hernach in den übrigen größeren Städten Europas eine ähnliche Rolle wie die sie darin später ablösenden Cafetiers zu spielen.
Der Zitronenbaum ist ein strauchartiger kleiner Baum, der selten über 5 m Höhe hinausgeht, sehr empfindlich ist und schattige Standorte bevorzugt. An sonnigen Standorten wächst er nur, wenn er sehr viel Wasser zur Verfügung hat. Sein glattberindeter, aus einem sehr feinen, gelben Holze bestehender Stamm trägt eine lichte Krone glänzend grüner, kahler Blätter, die im Gegensatz zu denjenigen des Zedrat- und Orangenbaums einen ungeflügelten Blattstiel besitzen. Die weißen, außen etwas rötlich angelaufenen Blüten duften sehr stark und sind wohlriechender, aber nicht so haftend als die ganz weißen der Orange. Die uns allen von Jugend auf genugsam bekannten eiförmigen gelben Früchte mit saftigem, saurem Fruchtfleisch werden zum Export noch grün gepflückt, in einem „Fermentierhaus“ 2–3 Wochen lang bei einer Temperatur von etwa 50°C. nachreifen gelassen, wobei die Schale dünn und gelb wird, und dann noch längere Zeit bei niedriger Temperatur gehalten, wonach sie sehr lange haltbar sind. Aus den minder schönen und guten Früchten wird an deren Produktionsort der in Küche und Haushaltung, weil gesunder als Weinessig, immer häufiger Anwendung findende Zitronensaft gepreßt, der sich im Fruchtfleisch in strahlenmäßig angeordneten, wasserhellen kleinen Beutelchen befindet, während aus den Schalen das angenehm duftende Zitronen- oder Limonenöl gewonnen wird, indem durch einen Nadelapparat die es umschließenden Ölbehälter angestochen werden. Aus den Schalen der unreifen Zitronen dagegen stellt man das Petitgrainöl her. Diese Substanzen kommen wie die Zitrone selbst in bedeutenden Mengen in den Handel, so daß sie eine sehr wichtige Einnahmequelle der Zitronen[S. 248]kultur treibenden Einwohner Südeuropas bilden. Die wichtigsten Produktionsorte für Europa sind außer dem Dorado hierfür, Sizilien, das allein jährlich über eine Milliarde dieser Früchte exportiert, die Riviera di Ponente westlich von Genua, dann Spanien, Portugal und Nordafrika. Dieselbe Rolle spielen für das Gebiet der Vereinigten Staaten Florida und Kalifornien, die heute immense Zitronenkulturen in Plantagenbetrieb aufweisen.
Man macht heute ausgedehnten Gebrauch vom sauren Safte der Zitronen, der schon im Kräuterbuch des kurfürstlich pfälzischen Leibarztes Tabernämontanus nicht bloß „als wider die innerliche Faulung und das Gifft sehr gut und kräftig“ gepriesen, sondern auch „gegen alle Traurigkeit und Schwermüthigkeit des Hertzens und die Melancholey“ angelegentlich empfohlen wird. Nach ihm widerstehe die Schale der Frucht wie die Rinde dem Gift, daher solle man sie zur Zeit der Pest „im Munde halten, auch einen Rauch damit machen“. Jedenfalls wirkt der Zitronensaft, wie bereits bemerkt, antiseptisch, d. h. die Fäulnis im Magen-Darmkanal herabsetzend und bei Mundfäule heilend. Daher ist er in Verbindung mit dem Genusse frischer Gemüse das wirksamste Vorbeugungs- und Bekämpfungsmittel des Skorbuts oder Scharbocks, der vormals den Seefahrern zur Zeit der Segelschiffe auf ihren lange währenden Meeresfahrten gewaltig zusetzte und bis zur Gegenwart der größte Feind der Polarfahrer war. Bei allen Marinen der Erde besteht die Vorschrift, der Mannschaft bei längerer Seefahrt Zitronen zum Genusse von deren Saft zu verabreichen, weshalb wir diese südasiatische Frucht im eisernen Bestand aller Schiffsvorräte finden.
Auch die Symbolik hat sich mannigfach der Zitrone bemächtigt. Das Aromatische, Erquickende und Belebende dieser Frucht hat sie vielfach auch zum Sinnbild des Lebens, zum Abzeichen des Schutzes gegen alle dem Leben feindlichen Einflüsse überhaupt gemacht. Daher schützt auch die Zitrone nach altem Glauben, wie die etwas minder saure Zedrate, nicht bloß gegen Gift, sondern auch vor Verzauberung und allen schädlichen Einwirkungen der Geisterwelt auf Menschen und Tiere. Daher rührt ihre mannigfache Verwendung als Gegenzauber beim gemeinen Volke im Süden her und die damit zusammenhängende Sitte, daß die Leichenträger bei Begräbnissen eine Zitrone in der Hand halten, wie auch einst die den Scheiterhaufen besteigenden indischen Witwen diese Frucht als Abwehr der finsteren Mächte mit sich auf ihrem Todesgange trugen. Diese fürchterliche Sitte der Witwenverbrennung ist jetzt glücklicherweise durch ein streng von den Engländern[S. 249] gehandhabtes Gesetz verboten. Sie war übrigens der Ausfluß der absurden Lehre vom Karma, die ihrerseits eine Folge der Wiederverkörperungslehre ist. Nach ihr ist eine jede Witwe schuld an dem Tode ihres Gatten durch eine schwere Sünde, die sie in einem früheren Leben begangen hat. Deshalb wird, selbst wenn sie ein Kind sein sollte, das noch gar nicht mit dem ihr einst von den Eltern angetrauten Manne zusammengelebt hat, jede Witwe in Indien von den Angehörigen, die über den von ihr verursachten Todesfall in der Familie aufs äußerste erzürnt sind, ihres Schmuckes beraubt, muß zeit ihres Lebens in Trauergewandung gehen, wird verachtet und oft genug mißhandelt. Man gönnt ihr kein freundliches Wort mehr und Wiederverheiratung ist vollständig ausgeschlossen. Unter diesen Umständen war es kein Wunder, daß viele Witwen den freiwilligen, ihr als großes Verdienst angerechneten Tod durch Verbrennung mit der Leiche des Gatten dem freudlosen, überaus leidvollen Leben, dem sie entgegensahen, vorzogen.
Eine Varietät der echten Limone oder Zitrone ist die süße Limone oder Lumie mit süßem Fruchtfleisch, die hauptsächlich als Zierfrucht und ihres ätherischen Öles wegen kultiviert wird. Ausschließlich in den Tropen und nicht mehr im Mittelmeergebiet wächst die Limonelle oder Zitronelle, ein kleines, schmächtiges Bäumchen mit zierlichen, sehr sauren, meist rundlichen Früchten, die eine glatte, grüne, bei der Reife gelblich werdende dünne Schale besitzen. Im malaiischen Archipel und in vielen anderen tropischen Gegenden ersetzen sie die Zitronen und werden besonders in Westindien viel zur Herstellung von Limonellensaft im großen kultiviert.
Für uns noch viel wichtiger als die Zitrone, die mehr in der Küche Verwendung findet, ist die Orange, die für Mitteleuropa und die nördlichen Vereinigten Staaten bald eine der wichtigsten Obstarten bildet, da sie seit den besseren Eisenbahnverbindungen in solchen Mengen und zu einem so billigen Preise eingeführt wird, daß selbst der Ärmste sich den Genuß dieser Frucht um einen geringen Preis leisten kann. Sie ist für uns um so wertvoller, da sie gerade im Winter, wenn das übrige Obst, soweit es nicht konserviert zu werden vermag, selten ist, geerntet wird und überall zu haben ist. Diese süße Varietät der Orange bezeichnet man gewöhnlich als Apfelsine, die bittere dagegen, die nicht zu uns kommt, Pomeranze. Die zunächst nur für die viel früher als die süße bei uns bekannt gewordene bittere Abart aufgekommene Bezeichnung Orange, die nach der charakteristischen ziegelroten Färbung der Früchte dann auch eine Farbenbezeichnung wurde, ist auf das Sanskritwort[S. 250] nagrunga zurückzuführen, mit dem die alten Inder diese rotschimmernde Frucht bezeichneten. Von ihnen erhielten die Perser den Baum mit dem indischen Namen narungschi und gaben ihn an die Araber weiter, die daraus das Wort naranschi bildeten. Daraus formten die Byzantiner nerantzi, die Italiener naranci und später mit abgeschliffenem n aranci, arangi und endlich die Franzosen orange. Aus dem italienischen aranci bildete das mittelalterliche Latein das Wort aurantium mit Bezugnahme auf den hineinspielenden Begriff aurum, Gold, wegen der wie Gold gleißenden Früchte. Die botanischen Schriftsteller des 16. und 17. Jahrhunderts bezeichneten die Früchte als poma aurantia, woraus das deutsche Pomeranze und das polnische pomarancza hervorging.
Die chinesische Abstammung der verlockend gefärbten süßen Abart gibt sich sehr deutlich in dem deutschen Worte Apfelsine zu erkennen, was Apfel von Sina, d. h. China bedeutet. Und in der Tat gelangte die süße Orange erst im Jahre 1548 aus Südchina durch die Vermittlung der Portugiesen nach Portugal und von da nach Spanien und in die übrigen Mittelmeerländer. Noch weist die italienische Bezeichnung derselben portogallo deutlich auf diese ihre Herkunft über Portugal hin.
Daß die Portugiesen die Vermittler dieser und anderer chinesischer Fruchtbäume waren, hängt ganz einfach damit zusammen, daß sie eben zuerst jenes Land betraten und sich in einen Tauschhandel mit den Bewohnern einließen. Das erste europäische Schiff, das in China, und zwar im Jahre 1517 landete, war ein portugiesisches und die Portugiesen waren es, die bereits 1557 die erste Niederlassung von Europäern in China gründeten. Es ist dies Macao, ein befestigter Ort auf einer Insel an der Mündung des Perlflusses in Südchina, welches der Hauptstapelplatz des Handels mit China war, bis vor kaum mehr als 50 Jahren die englische Niederlassung Hongkong es dann weit überflügelte.
Wie der Apfelsinenbaum sich von Portugal aus an den Küsten des Mittelmeeres bis tief nach Westasien hinein ausbreitete, um neben dem Zitronenbaum in warmen, windgeschützten Lagen gepflanzt zu werden, da die Frucht bald allgemeinen Beifall fand, so brachten ihn Portugiesen und Spanier in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts auch nach Amerika, wo er in den tropischen und subtropischen Gegenden wunderbar gedieh und mit der Zeit überallhin in der Neuen Welt verbreitet wurde.
Die ursprüngliche Heimat des Orangenbaums (Citrus aurantium s. vulgaris), ist das Gebirgsland südlich vom Himalaja über Birma nach Südchina und Cochinchina, also dieselben Gegenden, die wir als die Heimat des Zitronenbaumes angeführt haben. Wie der Zitronenbaum wurde er wohl in Südchina zuerst in Kultur genommen und veredelt. Er bildet stattlichere Bäume als jener, aber seine Blätter haben an den Blattstielen herzförmige Flügel und seine rein weißen Blüten duften weniger angenehm als diejenigen des Zitronenbaums.
Wie der Zitronenbaum die mannigfaltigsten, in bezug auf Gestalt, Farbe, Größe und Geschmack der Früchte abweichenden Kultursorten hervorgebracht hat, ja, in der Limetta, die besonders an der ostafrikanischen Küste vielfach angepflanzt wird, eine süßfrüchtige Art besitzt, so hat sich auch der Orangenbaum in zahllose samenbeständige Kulturvarietäten aufgelöst, von denen wir hier nur die süße, die wir in allen Fruchtläden zu Gesicht bekommen, und die bittere besprechen wollen.
Die süße Abart (Citrus aurantium chinense s. dulcis) besitzt schwach blaßgrüne, wenig aromatische Blätter. Die kugelige Frucht ist orangefarbig, selten gelb und enthält unter einer meist dünnen Schale ein schwach säuerliches, wohlschmeckendes, in den hochkultivierten Sorten bereits kernlos gewordenes Fruchtfleisch. Der Baum ist wie die anderen Citrusarten empfindlich gegen kalte Winde, deshalb zieht man ihn wie den Zitronenbaum, mit dem er dieselben Gegenden als für den Anbau geeignet teilt, soweit er solchen Winden ausgesetzt ist, in Reihen, die durch dichte Hecken eng nebeneinander gepflanzter Zypressen geschützt werden. Diese hohen Zypressenhecken fallen einem jeden auf, der durch die Provence oder Algier reist.
Von Genua bis Marseille findet man ihn an den geschützten Lagen angepflanzt, dann besonders in Sizilien, Spanien, Portugal, Nordafrika; in Nordamerika besitzen besonders Kalifornien und Florida gewaltige Orangengärten. Erst in Sizilien und von da weiter südlich erreicht er die Größe unseres Apfelbaums und liefert dann, gut gehalten, 600–800 Früchte jährlich, während ein ausgewachsener Zitronenbaum bei voller Kraftentfaltung sogar 1000–1100 Früchte in demselben Zeitraum liefert. Man rechnet nach Theobald Fischer in den berühmten Zitronen- und Orangengärten in der Conca d’oro bei Palermo einen durchschnittlichen jährlichen Rohgewinn von 3000 Lire vom Hektar. Was das besagen will, geht daraus hervor, daß die einträglichsten Gemüse- und Fruchtgärten bei Paris es nur zu einem jährlichen Rohgewinn von 2500–2700 Franken auf den Hektar[S. 252] bringen. Dies ist allerdings nicht zu vergleichen mit dem Ertrage der Südfrüchte in Kalifornien, wo der Morgen, also etwas mehr als ¼ Hektar bis 4000 Mark einträgt und eine 5 Morgen umfassende Erdbeer- oder Obstplantage ein Einkommen von 7–10000 Mark abwirft. Allerdings ist der Geldwert drüben bedeutend geringer als bei uns, so daß wir einen entsprechenden Abzug machen müssen, um diese Verhältnisse auf die unsrigen zu übertragen.
Es gibt eine Unzahl von Apfelsinensorten, von denen aber nur einige wenige zu uns gelangen, worunter außer der gewöhnlichen die immer beliebter werdende Blutapfelsine (var. sanguinea) mit blutrot gestreiftem oder ganz blutrotem, süßem Fruchtfleisch, ebenso die doppelfrüchtige Orange, bei der jede Frucht in ihrem oberen Teile sozusagen noch eine zweite enthält, ferner auch die violette Orange, deren Blätter, Blüten und unreifen Früchte teilweise violett überhaucht sind und welche, wie die kleine buchsbaumblättrige Orange nur als Zierbaum gezüchtet wird. Die gleichfalls meist nur als Zierstrauch dienende myrtenblättrige Orange besitzt mispelgroße Früchte, die zuweilen auch wie die chinesische Bigaradie eingemacht werden.
Viel länger im Mittelmeergebiet bekannt als die, wie gesagt, erst im Jahre 1548 direkt von China nach Portugal eingewanderte süße Art, ist die bittere, die stets im Mittelalter unter den poma aurantia verstanden war. Die Äste und Zweige des Baumes sind mit Dornen besetzt, die Blätter sind dick, tief dunkelgrün und riechen sehr aromatisch; sie bilden die offizinellen Orangenblätter, die zur Herstellung eines wohlschmeckenden Tees Verwendung finden. Aus ihnen und den jungen Trieben wird ebenso wie aus den unreifen Früchten das als essence de petit grain bezeichnete ätherische Öl gewonnen. Besonders reich an dem Glykosid Hesperidin sind die jungen Früchte, die ebenfalls als Aurantia immatura offizinell sind, d. h. in den Apotheken und Drogerien gehalten werden. Aus den relativ großen, weißen, an Wohlgeruch diejenigen des Apfelsinenbaums übertreffenden Blüten wird in großen Mengen das ebenfalls für die Parfümerie wichtige Nafa- oder Neroliöl — auch Orangenöl genannt —, ebenso das Orangenwasser gewonnen. Die kugeligen, tief orangeroten Früchte enthalten ein bittersaures Fruchtfleisch, dessen Saft wie derjenige der Zitrone zur Herstellung von Limonade dient, besonders aber zur Bereitung der berühmten Orangenmarmelade benutzt wird. Zu diesem Zwecke werden jährlich viele Schiffsladungen Sevillaorangen nach der schottischen Stadt Dundee, wo dieses Genußmittel hauptsächlich bereitet wird, importiert.[S. 253] Die sehr dicke, rauhe Schale von tiefer Orangefarbe kommt als kandierte Pomeranzen- oder bittere Orangenschale oder auch einfach getrocknet in den Handel. Sie ist die offizinelle Pomeranzenschale und enthält bis zu 2,4 Prozent das angenehm riechende, aber bittere Bigaradieöl. Sie wird vorzugsweise zur Bereitung von Likören (Pomeranzenlikören, Curaçao, Kurfürstlichem Magenbitter aus Danzig usw.), zur Würze von Weinen (Bischofessenz) und allerlei Konfitüren benutzt. Da der Stamm des bitterfrüchtigen Orangenbaums sich als besonders widerstandsfähig erwiesen hat, so benutzt man ihn auch häufig als Unterlage, um auf ihn andere, weniger widerstandsfähige Citrusarten aufzupfropfen. Eine Varietät des Pomeranzenbaums ist die chinesische Bitterorange oder Bigaradie, die kleiner als die Sevillaorange und fast kugelrund ist und häufig in Sirup eingemacht wird, zumal in Frankreich, wo sie als bigaradier chinois in allen Delikatessenhandlungen der Großstädte zu finden ist.
Aus seiner südostasiatischen frühesten Kultur gelangte der bittere Pomeranzenbaum sowohl nach Hinterindien und den Sundainseln, als über Indien nach Persien. Seit dem Ende des 9. christlichen Jahrhunderts ist er in Arabien nachweisbar. Die Araber verbreiteten ihn dann im 10. Jahrhundert nach Afrika und Spanien. Im Jahre 1002 finden wir ihn auch in dem damals von den Arabern (Sarazenen) besetzten Sizilien frisch eingeführt, wo er auch heute noch einen wesentlichen Bestandteil der Agrumenplantagen bildet. Die Kreuzfahrer sahen ihn in Syrien und Palästina und haben ihn wahrscheinlich mit dem Zitronenbaum an die Riviera gebracht.
In China und Japan wird die japanische Zwergorange, kumquat oder kinkan genannt, viel kultiviert. Es ist dies ein niedriger, gegen Frost empfindlicher Strauch mit kleinen, schmalen Blättern, winzigen Blüten und etwas über kirschgroßen, von einer sehr aromatischen Schale bedeckten säuerlichen Früchten, die namentlich von Kindern, auch roh, gegessen werden. Meist werden sie aber in Sirup eingemacht und gelten als Delikatesse. In neuerer Zeit werden sie in dieser Zubereitung auch exportiert. In Ostindien werden die Früchte einer anderen Citrusart, marmelo genannt, häufig gegessen und ebenfalls besonders gerne mit Zucker eingekocht. Von ihnen rührt unsere Bezeichnung Marmelade her. Aus den höchst aromatischen Fruchtschalen der erst seit dem Ende des 17. Jahrhunderts bekannten Bergamotte (Citrus bergamea) mit blaßgelben Früchten und angenehm säuerlichem Fleisch, das aber für gewöhnlich nicht gegessen wird, gewinnt man das für[S. 254] die Parfümerien und die Apotheken sehr wichtige Bergamottöl, während die sehr kleinen Früchte der myrtenblätterigen Abart (Citrus myrtifolia) in Zucker eingekocht die beliebten „Chinois“ bilden. Wie für alle Agrumen, ist auch für diese Sizilien der Hauptproduktionsort, das über 100000 kg Bergamottöl und fast ebensoviel aus Pomeranzen gewonnenes Portugalöl (vom italienischen portogallo für die bitterfrüchtige Pomeranze) jährlich exportiert. Das Bergamottöl ist ein dünnflüssiges, angenehm riechendes, bitter schmeckendes ätherisches Öl, welches bei längerem Stehen einen gelben, festen Bodensatz, den Bergamottölkampfer, ausscheidet.
In Cochinchina und Südchina ist auch die Mandarine (Citrus nobilis) zu Hause, wo sie seit Urzeiten unter dem Namen kan kultiviert wird. Sie ist heute noch in China und in Japan, in welch letzterem Lande sie mikan genannt wird, die vorzugsweise angebaute Orange, die hier den Winter über in großer Menge und sehr billig zum Verkauf kommt. Der Mandarinenbaum ist in allen Teilen kleiner als der Apfelsinenbaum und durch einen buschigeren Wuchs ausgezeichnet. Die lanzettlichen, schwach gekerbten Blättchen sitzen an kurzen, kaum geflügelten Blattstielen. Die in Büscheln stehenden weißen Blüten liefern die bekannten, an den Polen abgeflachten, kleinen, orangeroten, süßen Früchte, die jetzt ebenfalls Gegenstand bedeutenden Exportes aus Italien und Spanien geworden sind. Der Mandarinenbaum gedeiht an der Riviera sogar besser als der Apfelsinenbaum. Wie gegen Frost, ist er auch gegen heiße, trockene Winde empfindlich, die hier vollkommen fehlen. Aus seiner ostasiatischen Heimat gelangte er ziemlich früh nach den Sundainseln, wo er viel angebaut wird. Erst im Jahre 1828 ist er in Südeuropa und 1848 in San Remo an der Riviera eingeführt worden. Wegen des feinen, aber nicht jedermann zusagenden Geschmacks hat die Kultur der Mandarine im Mittelmeergebiet in den letzten 30 Jahren einen ganz außerordentlich großen Umfang angenommen und hat besonders im westlichen Mittelmeergebiet, in Spanien, Algier, Malta, sowie auch noch in der Provence und in Ligurien Fuß gefaßt.
Ohne weiter auf verschiedene andere, namentlich in Ostindien kultivierte Citrusarten mit oft ziemlich großen Früchten einzugehen, die meist Varietäten der Zitrone sind, wollen wir hier noch einer durch Veredelung festgehaltenen monströsen Zitronenform gedenken, welche in Indien hervorging und als buddhafingerige Zitrone beim dortigen Volke zu allerlei abergläubigen Vorstellungen Veranlassung gab. Diese,[S. 255] auch in manchen Gärten der Riviera gezogene Art ist eigentlich nichts anderes als eine erblich gewordene Mißbildung, wie z. B. der Blumenkohl und unter den Haustieren Mopse, Dachshunde usw. Sie beruht darauf, daß die einzelnen Fruchtfächer statt zu einer runden Frucht vereinigt zu bleiben, an ihren Enden frei hervorwachsen. Dadurch bekommt die Frucht fünf Fortsätze, die entfernt an die vorgestreckten Finger einer Hand erinnern.
Noch merkwürdiger ist die ebenfalls bisweilen in den Gärten der ligurischen Küste angetroffene Bizzarria, ein Citrusbaum, der zugleich Orangen und Zitronen trägt, aber auch solche, welche die Mitte zwischen jenen beiden Fruchtarten einhalten und solche, an welchen einzelne Fächer das Aussehen von Orangen, andere wiederum dasjenige von Zitronen besitzen. Ihre Entstehung ist bis jetzt nicht endgültig aufgeklärt worden. Die einen halten sie für Bastarde, während andere meinen, sie seien bei der Veredelung durch zufällige Vermischung der Eigenschaften der Unterlage und des aufgepfropften Edelreises entstanden. Sonst weisen die Bastarde im allgemeinen wohl eine Verschmelzung der elterlichen Eigenschaften, aber kein getrenntes Nebeneinander derselben wie in diesem Falle bei der Bizzarria auf. Andererseits lehrt die Erfahrung, die wir täglich bei der Veredelung unserer Obstbäume, der Rosen und sonstigen Gewächse machen, daß die Unterlage ohne allen Einfluß auf das Edelreis bleibt, daß beide vielmehr ihre besonderen Eigenschaften unvermischt beibehalten.
Nun gibt es aber einen richtigen Bastard zwischen Orange und Zitrone, die man als süße Zitrone oder Limette bezeichnet. Sie hat kleine weiße Blüten, eine rundliche bis eiförmige Frucht und geflügelte Blattstiele. Das süßliche, etwas aromatische Fruchtfleisch wird roh oder gekocht gegessen und auch zum Einmachen verwendet. Da aber die Frucht weder die vollen Eigenschaften der Zitrone, noch diejenigen der Orange besitzt, hat sie keinen besonderen Wert und findet sich deshalb nur selten angebaut.
Das Hackfeld, der Vorläufer des Ackerfeldes, auf dem die Körnerfrüchte als Hauptnahrungsmittel aus dem Pflanzenreiche gezogen wurden, ist so alt als die menschliche Kultur überhaupt; denn das ist ja das Kennzeichen der letzteren, daß sich in ihr der Mensch freigemacht hat von den Zufälligkeiten der Jagd und vorsorgend Nährfrüchte für kommende schmale Tage zieht. Viel jünger als das Hackfeld ist der als Garten bezeichnete eingehegte Teil des in Kultur genommenen Bodens, der die Gemüse genannten Nahrungspflanzen umschließt. Zum Begriff Garten gehört nun durchaus nicht der Begriff des Zierlichen, den er erst erlangte, als er zum Ziergarten wurde, sondern es ist das schlichte, eingehegte Pflanzland beim Hause, im Gegensatz zum offenen Acker. Das Wort steht begrifflich in enger Beziehung zum gotischen gairdan umgürten, einhegen. Dies Pflanzland in nächster Nähe des Hauses lag mit diesem zusammen in einer Umzäunung, deshalb wurde bei den Germanen der Völkerwanderungszeit ein Diebstahl aus demselben als Einbruch in eingehegtes Gut schwerer bestraft als ein solcher aus dem Acker.
Vom Gemüsegarten des Altertums ist uns im ganzen nur wenig bekannt; doch lernen wir in einer auf uns gekommenen Schilderung die in ihm gepflanzten Kräuter kennen. Es ist diejenige des Gärtchens eines einfachen römischen Landmannes zur Zeit des Augustus, worin der Dichter Vergil (78–19 v. Chr.), der berühmte Verfasser der Äneis, in einem bukolischen, moretum, d. h. „Mörsergericht“ benannten Gedicht sagt:
Ein griechischer Autor unbekannten Namens, in der Geoponika genannten, ums Jahr 912 n. Chr. veranstalteten Sammlung von Auszügen aus guten, alten Schriften über die Land- und Gartenwirtschaft gibt uns wenigstens über die Anschauungen der Alten in betreff des Gemüsebaues einen Begriff. Die Stelle ist wichtig genug, um hier wörtlich angeführt zu werden. Er sagt: „Die Gärtnerei ist für das menschliche Leben von der größten Wichtigkeit. Wer Gemüsegärtnerei treibt, hat darauf zu sehen, daß der Samen gut, der Boden passend, Wasser und Mist vorhanden sind. Aus gutem Samen zieht man gute Pflanzen; passender, fruchtbarer Boden gibt Gedeihen; Wasser gibt dem Gemüse seine gehörige Größe; der Mist macht die Erde mürbe, so daß sie das Wasser leichter aufnimmt und den Wurzeln mitteilt.
Zur Gärtnerei eignet sich vorzugsweise eine Erde, die weder sehr rauh ist, noch im Sommer große Risse bekommt. Reiner Ton, der im Winter fest zusammenfriert, im Sommer aber ganz austrocknet, tötet entweder das in ihm Gepflanzte oder macht es schwach und dünn. Ein solches Erdreich kann man kaum durch Beimischung von Dünger auflockern. Durch die Sprünge, die es beim Eintrocknen im Sommer bekommt, wird es vollends unbrauchbar. Ein allzurauher (sandiger) Boden kann weder die Pflanzen ernähren, noch Wasser behalten. Um die Erde zu probieren, wäscht man sie mit Wasser und hält sie für gut, wenn sie vielen, lockeren Schlamm als Bodensatz gibt, dagegen für schlecht, wenn sie sich wie Wachs kneten läßt.
Den besten Dünger für Gemüse gibt jedenfalls die Asche; sie ist von Natur warm und tötet die Erdflöhe, Würmer und ähnliche Tierchen. An Güte folgt dann der Taubenmist, der ebenfalls die kleinen Tiere tötet und in geringer Menge dasselbe leistet, was eine große Menge andern Mistes. Manche ziehen den Eselsmist dem Taubenmist vor und behaupten, er mache die Gemüse süßer. Ausgezeichnet gut ist jedenfalls auch der Ziegenmist. Fehlt es an den eben besprochenen Mistarten, so kann man auch andern brauchen; jedoch soll er, wenn möglich, nicht frisch sein, weil er dann Gewürm erzeugt. Hat er ein Jahr gelegen und wurde er dabei oft gewendet, so ist er gut.“
Dann gibt er ausführliche Anleitung zur Bearbeitung des Bodens und zum Anlegen der Gartenbeete, die Palladius im 4. Jahrhundert n. Chr. 12 Fuß lang und 6 Fuß breit zu machen empfiehlt. Letzterer Autor sagt: um trockenen Boden regelmäßig bewässern zu können, umgebe man die Beete mit schmalen Dämmen, die so eingerichtet sind, daß man von oben her Wasser in sie einfließen lassen kann, das dann auf andere Beete weiterfließt, sobald man den Damm unten öffnet. „Jede Aussaat soll bei zunehmendem Mond, jede Ernte bei abnehmendem gemacht werden.“ Noch mehr als heute spielte im Altertum der Aberglaube in der Bewirtschaftung der Güter eine große Rolle. So rät Palladius gegen Nebel und Rost den Garten durch Erzeugen von Rauch mit schwelendem Unkraut zu schützen. „Um den Hagel abzuwehren, droht man dem Himmel mit blutigen Beilen, oder umgibt den ganzen Garten mit Zaunrüben, oder schlägt eine Eule mit ausgebreiteten Flügeln an, oder bestreicht die eisernen Gartenwerkzeuge mit Bärenfett. Manche mischen auch Bärenfett mit Öl und bestreichen damit die Sicheln und Hippen (gekrümmten Gartenmesser), wenn sie damit schneiden wollen. Das muß ganz geheim gemacht werden, soll aber dann so wirksam sein, daß dann kein Nebel und kein einziges Tier mehr schadet; bleibt die Anwendung des Mittels nicht geheim, so verliert es augenblicklich seine ganze Kraft. Ganze Weinberge schützt man gegen Hagel, indem man in deren Mitte das Fell eines kleinen Seehunds über einen kleinen Weinstock deckt. Alle Samen sollen in Gärten und Feldern vor jedem Unheil sicher sein, wenn man sie vor der Aussaat mit dem Saft der Wurzeln der Springgurke tränkt. Ebensogut geschützt dagegen sollen sie sein, wenn man den Schädel einer Stute oder Eselin im Garten oder im Felde aufstellt. Ein solcher Schädel soll Segen über alles bringen, was er anguckt.“ Dasselbe Mittel wird auch in der Geoponika als probat für das Gedeihen der Gartengewächse empfohlen, wie auch das Beimengen von geschnittenem Wegdorn oder zerriebenem getrockneten Bockshornklee (griechischem Heu) in das Wasser, mit dem man begießt.
In ähnlicher Weise wie im Altertum wurde der frühmittelalterliche Gemüsegarten gemäß den sehr geschätzten und von den Schreibkundigen abgeschriebenen Anleitungen der alten Autoren besorgt. Auch die Anlage desselben hatte man von den Römern übernommen, und zwar waren es vor allem die Klöster, die den Völkern Mitteleuropas dieses alte Kulturerbe übermittelten. Besonders waren es die Benediktinermönche, die eine große Anzahl von den Römern übernommener Kultur[S. 259]pflanzen über die Alpen brachten und im 8. und 9. Jahrhundert einen geregelten Gartenbau in Deutschland einführten. Solche Benediktinermönche befanden sich auch am Hofe Karls des Großen, dieses gewaltigen Mannes, der neben seinen sonstigen bedeutenden Leistungen noch Zeit fand, den Garten und seine Kultur zu fördern. In seinem berühmten Capitulare de villis, einer Ordnung für die Einrichtung der kaiserlichen Domänen, vom Jahre 812, schrieb er genau vor, welche Pflanzen auf seinen Hofgütern zu halten seien, so daß wir uns ein ziemlich gutes Bild davon machen können, wie es damals in diesen Gärten aussah, um so mehr, als auch zwei Inventaraufnahmen seiner Hofgüter Asnapium und Treola erhalten sind. Danach wuchsen in ihnen außer Apfel-, Birn-, Kirsch-, Pflaumen-, Quitten-, Mispel-, Pfirsich-, Aprikosen-, Vogelbeer- und Maulbeerbäumen und Gebüschen von großen welschen Haselnüssen allerlei Gewürzkräuter und Gemüse wie Kohl, Mohrrüben, Saubohnen, Kohlrabi, Zwiebeln, Knoblauch, Schnittlauch, Petersilie, Kerbel, Melde, Bohnenkraut, Dill, Wiesen- und Gartenkümmel, Koriander, Thymian, Minze, Fenchel, Kresse, Lattich, Endivie, Erbsen, Melonen, Gurken, Koloquinten, Mohn, Sellerie, Senf, Anis, aber auch eine Menge heute nicht mehr gebräuchlicher Heilkräuter, wie Fieberwurz, Haselwurz, Flöhkraut, Schlangenwurz, Raute, Sadebaum, Frauenminze, Malve, Griechisch Heu, Springwurz, Poley, Rosmarin, Meerzwiebel, Hauswurz, Salbei, Allermannsharnisch, Liebstöckel, Meisterwurz und dergleichen mehr. Blumen, die hier gezogen wurden, wie Rose, Lilie, Nelke, blaue Schwertlilie, Akelei, Goldlack, Krokus und Päonie verdankten das zunächst nicht der Freude an ihrer Schönheit, sondern der schon ihrem Dufte, mehr aber noch ihren zerquetschten Blumenblättern beigelegten Heilwirkung, wie auch der Krapp seines Färbevermögens wegen gezogen wurde.
Aus dem Jahre 830 besitzen wir den allerdings nicht zur Ausführung gelangten Bauriß des schon damals bedeutenden Klosters von St. Gallen. In ihm werden drei Arten von Gärten unterschieden, nämlich Obst-, Gemüse- und Arzneikräutergarten. Der Obst- oder Baumgarten diente zugleich als Begräbnisplatz. Er ist als ein großes, mit Mauern umgebenes viereckiges Feld gezeichnet, das auf der Seite der Klausur mit einem einzigen Eingange versehen ist. Die fünf Reihen Gräber gruppierten sich symmetrisch um das Kreuz in der Mitte und beherbergten zwischen sich 15 Bäume. Wichtiger war der Gemüsegarten, der wohl zuerst angelegt wurde, da die Mönche schon wegen der Forderung vegetabilischer Kost zum Gemüsebau verpflichtet[S. 260] waren. Er lag südlich vom Baumgarten und bildete ein in zweimal neun Parzellen eingeteiltes Rechteck, in welchem 18 verschiedene Gemüsearten gezogen wurden. Viel kleiner war der sich daran anschließende Arzneikräutergarten mit 16 kleinen Beeten, der neben dem Spital für kranke Brüder lag, in welchem sich der als Arzt amtende Klosterbruder aufhielt.
Gehen wir nach dieser kurzen Übersicht über die nachweislich für uns ältesten Gärten zu den ältesten in Europa kultivierten Gemüsen über, so ist zunächst festzustellen, daß schon die spätneolithischen Pfahlbauern an den Ufern der Schweizer Seen vor 4000 Jahren nach einzelnen Samenfunden die Erbse in einer auffallend kleinen Form, ebenso Pastinak und Mohrrüben pflanzten. Dazu kamen in der Bronzezeit die Linse in einer kleinkörnigen Form, die sich zu Beginn der Eisenzeit auch in Norddeutschland nachweisen läßt, und später die Saubohne.
Beginnen wir eine eingehendere Würdigung der einzelnen Gemüsearten mit der Gartenerbse (Pisum sativum), deren Bekanntschaft in Mitteleuropa eine schon sehr alte ist, wie auch die hier altererbte Benennung beweist. Erbse kommt vom althochdeutschen araweiz, das mittelhochdeutsch erweiz lautet und zum neuhochdeutschen Erbse wurde. Von den Germanenstämmen haben einzig die Angelsachsen den einheimischen Namen earfe auf die Wicke übertragen und dafür das lateinische Lehnwort pise (von pisum), neuenglisch pea für die Erbse eingeführt. Die alten Griechen bezeichneten dieses Gemüse, das sie allerdings nicht sehr viel angepflanzt zu haben scheinen, in früherer Zeit als órobos, in späterer jedoch meist als písos oder píson, woraus dann die Römer, als sie die Nutzpflanze von ihnen kennen lernten, pisum machten. Dieses Gemüse muß schon in früher Zeit in Italien populär gewesen sein, sonst hätte nicht das plebejische römische Geschlecht der Calpurnier, aus welcher der große, aus altpatrizischem Geschlechte stammende Julius Cäsar (100–44 v. Chr.) seine Frau Calpurnia nahm, den Beinamen der Pisonen erhalten; denn solche volkstümliche Beinamen können nur einer dem Volke altbekannten Speise oder Feldfrucht entnommen worden sein.
Zur Zeit des Theophrastos im 4. vorchristlichen Jahrhundert wurde diese Pflanze überall in Griechenland angebaut. Ihre Kultur muß hier wie in der Schweiz schon sehr alt sein, denn man hat verkohlte kleine Samen von ihr schon in der mykenischen Niederlassung von Hissarlik, dem alten Troja, gefunden. Auch im alten Ägypten wurde[S. 261] sie bereits angepflanzt und muß nach den zahlreichen Funden von als Totenspeise mitgegebenen Samen in Gräbern des mittleren Reiches, besonders der 12. Dynastie (2000–1788 v. Chr.), wie auch der der griechisch-römischen Periode angehörenden Nekropole von Hawara im Fajûm eine beliebte Speise gewesen sein. Der ägyptische Name ist uns nicht überliefert worden, wohl aber der koptische, der ti-lakonte lautet und auf eine Einwanderung aus Westasien nach dem Niltal hinweist.
Die Heimat dieser Kulturpflanze ist unbekannt, da sie nirgends mehr in wildem Zustande gefunden wird. Manche Botaniker vermuten, daß sie eine Kulturform der grauen Erbse (Pisum arvense) sei, die durch eckige, braun und graugrün gescheckte Samen ausgezeichnet ist. Diese letzteren wurden weder in Pfahlbauten, noch in alten Gräbern gefunden, doch will sie Unger in einem luftgetrockneten Backstein der aus der Zeit der 5. Dynastie (um 2700 v. Chr.) stammenden Stufenpyramide von Daschur gefunden haben. Sie wird im Orient und in Europa kultiviert und findet sich wildwachsend in Hecken und Gebirgswäldern Nord- und Mittelitaliens; in Griechenland und Syrien kommt sie außerhalb der Kulturen nur verwildert vor. Da die wenigen aus Fundstellen der neolithischen, Bronze- und Eisenperiode stammenden Erbsen, wie Buschan gezeigt hat, eine allmähliche Größenzunahme erkennen lassen, je jüngeren Alters sie sind, so ist es in der Tat höchst wahrscheinlich, daß die Gartenerbse von der grauen Erbse (Pisum arvense) abstammt.
In Griechenland wurde die Erbse sicher schon zur Zeit Homers angebaut. Von Norditalien kam sie früh schon nach der Schweiz, wo sie zur Bronzezeit ziemlich häufig um die Pfahlbauansiedelungen angepflanzt und ihre Samen, wie wir aus den verkohlten Überresten ersehen, als Vorrat für den Winter gesammelt wurden. Für Deutschland ist ihre Kultur mit Sicherheit erst aus der Hallstattzeit zwischen 750 und 400 v. Chr. nachgewiesen worden. Sie ist gegen Kälte und Trockenheit empfindlich und dürfte ihre engere Heimat in Südeuropa haben, von wo aus sie in der großkörnigeren Kulturform erst zu Beginn des Mittelalters nach Mittel- und Nordeuropa gelangte. In den Verordnungen Karls des Großen, über die in seinen Krongütern zu haltenden Pflanzen aus dem Jahre 812 wird sie als pisum mauriscum zum Anbau empfohlen. Als die Angeln und Sachsen vom Unterlauf von Weser und Elbe im 5. Jahrhundert — zuerst der Sage nach unter Hengist und Horsa im Jahre 449 — nach England übersetzten und sich dieses Land nach wiederholten Einwanderungen unterwarfen, war[S. 262] ihnen die Erbse noch völlig unbekannt, weshalb sie später, als sie damit bekannt wurden, das lateinische Lehnwort dafür übernahmen. Bei Beginn der literarischen Überlieferung war sie in den altnordischen Ländern bereits eingebürgert und wird im Jahre 1273 unter den Früchten genannt, von denen dem Herkommen gemäß Zehnten an die Geistlichkeit zu entrichten sind. Doch aß man von ihnen stets nur die ausgereiften, getrockneten Samenkörner. Das Verspeisen der noch unreifen grünen Körner, wie dies bei uns Sitte ist, scheint erst zu Anfang des 17. Jahrhunderts von Holland aus verbreitet worden zu sein. Fuller, der 1660 die Gärten von Surrey im südöstlichen England beschrieb, bemerkt, daß man grüne Erbsen kaum anderswo her als aus Holland bekommen könne. Noch um die Mitte des 17. Jahrhunderts galten junge, grüne Erbsen in Frankreich als ein teuerer Leckerbissen der Vornehmen. So erzählt man vom Vater des großen Condé, daß er ums Jahr 1645 über hundert alte Franken für einen Litron, d. h. 8⁄10 Liter dieses zarten Gemüses bezahlt habe. In einer 1665 aufgeführten Komödie betitelt: La comédie des coteaux ou des friands marquis erklärt eine der Hauptpersonen, daß ihre Mittel ihr erst dann grüne Erbsen zu essen erlauben, wenn dieselben nicht teuerer als für 100 Franken das Litron zu haben sein werden. Zu demselben Preise handelte sie Heinrich I. von Bourbon, Prinz von Condé (geb. 1552, focht mit Heinrich von Navarra an der Spitze der Hugenotten, starb schon am 5. März 1588 vermutlich von seiner Gattin vergiftet), der Vater des als Feldherrn berühmten großen Condé, auf dem Markte für sich selbst ein. Noch zu Colberts Zeiten, der 1683 starb, waren sie so teuer, daß in seiner 1695 erschienenen Biographie erzählt wird, Feinschmecker hätten das Vergnügen, ein Litron junge Erbsen zu essen, mit nicht weniger als 200 Franken erkauft. Im Jahre 1696 schrieb Frau von Maintenon (eigentlich Françoise d’Aubigné, zuerst Erzieherin der königlichen Kinder, dann die Geliebte und zuletzt, 1685 heimlich getraut, die Gemahlin Ludwigs XIV.) in einem Briefe: „Hinsichtlich der grünen Erbsen ist alles beim Alten. Seit vier Tagen sind unsere Prinzen bloß auf dreierlei Dinge erpicht: sie wollen erstens grüne Erbsen essen, dann freuen sie sich, welche gegessen zu haben und möchten fernerhin am liebsten beständig welche essen.“ In einem andern Briefe von ihr heißt es: „Das Erbsenthema dauert immer noch an; die Ungeduld und das Vergnügen, sie zu verzehren, die Unersättlichkeit immer noch mehr davon zu begehren, das sind die Hauptpunkte, über die der Hof seit vier Tagen verhandelt.“ Noch um die[S. 263] Mitte des 18. Jahrhunderts ließ die Marquise de Pompadour — ursprünglich Jeanne Antoinette Poisson —, die 1745 am Pariser Hofe erschien, um dann die Mätresse Ludwigs XV. (1715–1774) zu werden und sich bei ihm unentbehrlich zu machen, mehrfach durch den Polizeileutnant von Paris alle jungen, grünen Erbsen der Hauptstadt aufkaufen, um damit als kostbarem Leckerbissen den König bewirten zu können. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden sie ein so billiges Gemüse, daß sich alle Kreise der Bevölkerung dessen Genuß zu leisten vermochten.
Die Erbsen gedeihen fast in jedem nahrhaften, nicht frisch gedüngten Boden, jedoch muß jedes Jahr mit dem Platze gewechselt werden. Sonst lieben sie eine freie sonnige Lage und lockeres Erdreich. Im Gegensatz zu den eigentlichen Erbsen, deren reife Samenkörner ausschließlich gegessen werden, nennt man diejenigen Formen, von denen nur die unreifen, grünen Samen verzehrt werden, Ausmach- oder Pahlerbsen, während von den Zuckererbsen die ganz jungen, zuckerreichen Hülsen verspeist werden. Beide zerfallen in hohe Formen, die mit Stecken gestützt werden müssen, und in niedrig bleibende Formen, die solches nicht nötig haben, da sie bloß 20–30 cm hoch werden. Die Lupinenerbsen sind durch sehr große, nahe beieinander stehende und dadurch viereckig gepreßte Samen ausgezeichnet. Einheimische afrikanische Erbsen von einiger Bedeutung sind die ägyptische und die abessinische Erbse (P. jomardi und P. abessinicum), die in ganz Nordostafrika vielfach kultiviert werden.
Schon in homerischer Zeit haben die Griechen die Kichererbse (Cicer arietinum) unter dem Namen erébinthos angepflanzt. Dieses Wort steht nun in sprachlichem Zusammenhang mit dem althochdeutschen araweiz (Erbse), weshalb manche Autoren wie V. Hehn diese griechische Bezeichnung für die Erbse in Anspruch nehmen, was aber jedenfalls unrichtig ist, da schon der bedeutendste Botaniker Altgriechenlands, Theophrast (390–286 v. Chr.), die Bezeichnung erébinthos bestimmt für die Kichererbse und nicht für die gemeine Gartenerbse, die er órobos nennt, braucht. Wegen der Ähnlichkeit ihrer am Ende etwas umgebogenen Schoten mit einem Widdergehörn hieß sie später bei ihnen vielfach nur kríos, was Widder bedeutet. Unter dieser Bezeichnung gelangte sie zur Kenntnis der Römer, so daß der römische Ackerbauschriftsteller Columella im 1. Jahrhundert n. Chr. sie als cicer bezeichnet, quod arietinum vocatur, d. h. die Kichererbse, welche auch die „Widderkopfähnliche“ genannt wird. Plinius sagt, sie habe etwas[S. 264] Saftiges an sich und es gebe von ihr nach Größe, Farbe, Gestalt und Geschmack der Samenkörner verschiedene Sorten. Ihre Hülsen seien im Gegensatz zu den langen der übrigen Hülsenfrüchte rund. Der griechische Arzt Galenos im 2. Jahrhundert n. Chr. sagt: „Die reifen Kichererbsen (erébinthos) sind schwer zu schroten. Bei vielen Völkern werden sie gekocht vom Menschen verzehrt; sie blähen, sind aber sehr nahrhaft. Manche Leute essen sie auch, so lange sie noch jung und grün sind, was auch bei den Saubohnen der Fall ist.“
Die Römer scheinen die Kichererbsen durch die süditalischen Griechen kennen gelernt zu haben; denn ihre Bezeichnung dafür, nämlich cicer, ist zweifellos aus dem griechischen kríos hervorgegangen, und hat sich in wenig veränderter Form in allen romanischen Sprachen bis auf den heutigen Tag erhalten. Ihre Heimat scheint südlich vom Kaukasus, in Armenien und Persien zu suchen zu sein, von wo aus sie sich einerseits nach Indien, wo wir sie sehr früh unter der Sanskritbezeichnung chennuka treffen, andererseits nach Syrien und Ägypten verbreitete, ohne indessen in diesen Ländern eine größere Bedeutung für die Volksernährung zu erlangen. Wahrscheinlich hat der Prophet Jesaias, der seit 740 v. Chr. zu Jerusalem wirkte, unter der Bezeichnung ketsech diese Hülsenfrucht verstanden. In homerischer Zeit war sie als erébinthos ein Volksnahrungsmittel wie aus einer Stelle im 13. Buche der Ilias hervorgeht, wo sie neben der Saubohne genannt wird. Helenos, der Sohn des Königs Priamos von Troja, hatte auf den Atriden Menelaos, König von Sparta, Bruder des Agamemnon, des Fürsten des goldreichen Mykene, und Gatte der Helena, die Paris, ein anderer Sohn des Priamos ihm entführt hatte, wodurch überhaupt der Feldzug der Griechen gegen die Feste Troja veranlaßt wurde, einen Pfeil abgeschossen, der aber von der Rüstung des Helden absprang, „wie auf weiter Tenne im Wehen des Windes die dunkeln Saubohnen (kýamos) und Kichererbsen (erébinthos) von der Wurfschaufel springend fliegen“.
Durch das ganze Altertum wurde die Kichererbse in den östlichen Mittelmeerländern in ziemlicher Menge angebaut und war wie in Vorderasien und Ägypten, so auch in Italien recht populär; leitet sich doch der Familienname des bekannten römischen Redners zu Ende der Republik Cicero (106–43 v. Chr.) von ihr ab. Wie Zwiebeln und Linsen in Athen, bildeten Zwiebeln und Kichererbsen im alten Italien die frugale Mahlzeit der ärmeren Volksklasse wie der römische Dichter Horaz (65–8 v. Chr.) in einer seiner Satiren sagt; daher wurden auch[S. 265] bei den seit dem Jahre 173 v. Chr. alljährlich vom 28. April bis 3. Mai durch ausgelassene mimische Aufführungen und Zirkusspiele gefeierten Feste der altitalischen Göttin der Blumen und des Frühlings Flora, das zum erstenmal 238 v. Chr. als Floralien in größerem Maßstabe aber in unregelmäßigen Intervallen gefeiert wurde, Saubohnen und Kichererbsen unter das Volk ausgestreut, das sie mit Gelächter aufzufangen suchte. Noch heute wird diese Fruchtpflanze in Italien viel angebaut und ihre Samen werden als beliebte Volksspeise gegessen, ebenso in Spanien, wo die Garbanzos das tägliche Gericht der niederen und mittleren Volksklassen bilden. Auch in Südfrankreich, Griechenland, ganz Nordafrika bis Ägypten, Ostindien und China werden sie viel angebaut in Varietäten mit schwarzen, roten, gelben und weißgelben Samen. Sie verlangen einen warmen, kräftigen, sandigen Boden und gedeihen noch gut in Gegenden, wo Bohnen, Erbsen und Linsen vertrocknen. In Deutschland werden sie — und zwar gedeiht hier am besten die schwarzsamige Art — hin und wieder als Kaffeesurrogat angebaut, auch eignen sie sich gut zum Mästen des Federviehs. Das Kraut wird von den Pferden gerne gefressen. Da ihr das Klima nicht warm genug ist, fristet sie aber bei uns nur ein kümmerliches Dasein.
Besser dagegen wächst hier die als deutsche Kichererbse oder Kicherling, auch weiße Erve bezeichnete, aus Südeuropa stammende Saatplatterbse (Lathyrus sativus), die noch heute vielfach als nahrhaftes Grünfutter gepflanzt wird, und deren Samen unreif und reif wie Erbsen gegessen werden, aber weniger wohlschmeckend als diese sind. Die Griechen nannten sie láthyros und die Römer cicercula. Theophrast sagt von ihr, sie leide leicht durch Würmer, und Columella rät, sie, die der Erbse (pisum) ähnle, im Januar oder Februar zu säen, und zwar auf guten Boden bei feuchtem Himmel. Sie sauge von allen Hülsenfrüchten (legumina) den Boden am wenigsten aus, entspreche aber selten der Erwartung, die man auf sie setze, weil ihr zur Blütezeit Trockenheit und Südwind schaden, und diese träten gerade oft dann ein, wenn sie in Blüte stehe. Heute noch wird sie im gebirgigen Griechenland als lathuri und in Italien als cicerchia zur Gewinnung der etwas bitteren Samen als Speise für die Menschen angebaut. Ihr sehr nahe stehen die wie diese in den Mittelmeerländern teilweise noch wildwachsend angetroffene Kicherplatterbse (Lathyrus cicera), die cicera der alten Römer mit rotvioletten Blüten und die Ocherplatterbse (Lathyrus ochrus), die óchros der Griechen und ervilia der Römer mit gelben Blüten, die heute noch in Südeuropa[S. 266] fürs Vieh, seltener zur Gewinnung der Samen als Speise des Menschen angepflanzt werden, weil sie bitter und schwer verdaulich sind. Letztere heißt in Italien araco nero.
Kaum mehr angebaut wird die in den östlichen Mittelmeerländern heimische Erdplatterbse (Lathyrus amphicarpus), deren Blüten nach der Befruchtung negativ heliotropisch werden und sich wie die der Erdnuß in den Boden bohren, um hier zu reifen. Theophrast und Plinius erwähnen sie als Kulturpflanze unter der Bezeichnung arachnida. Ihr nahe verwandt ist die als Saubrot oder Erdeichel bezeichnete Lathyrus tuberosus, die an den Wurzeln haselnußgroße, außen schwarze, innen weiße Knollen entwickelt, die süßlich schmecken, besonders nach dem Kochen in Salzwasser wohlschmeckend wie Kastanien sind und einen nach Rosen duftenden flüchtigen Stoff enthalten. Sie sind besonders bei den Tataren als Speise beliebt. Die Schweine wühlen mit Vorliebe nach ihnen, da sie dieselben leidenschaftlich gerne essen. Die Knollen von Lathyrus montanus, die ähnlich schmecken, dienen in Hochschottland als sehr beliebte Nahrung. Man trocknet sie, um sie als Proviant auf die Reise mitzunehmen, und bereitet aus ihnen mit Hilfe von Wasser und Hefe ein wohlschmeckendes geistiges Getränk.
Von weiteren für den Menschen heute noch gelegentlich in Betracht kommenden Hülsenfrüchten ist die im östlichen Mittelmeergebiet heimische weiße Lupine (Lupinus albus) mit weißen Blüten und gelbweißen Samen zu nennen. Sie wurde im Altertum in Westasien, Ägypten und den Mittelmeerländern nicht bloß als Grünfutter angepflanzt, sondern deren Samen dienten auch ohne Teuerung als geschätzte Nahrung und Arznei für Menschen und Tiere. Von Theophrast im 4. vorchristlichen Jahrhundert an erwähnen sie alle sich mit Agrikultur beschäftigenden Autoren und loben sie teilweise wegen ihres Wohlgeschmacks und ihrer großen Nahrhaftigkeit. Von den Griechen erhielten sie die Römer, die sie anbauten, um sie teils als Gründünger zu benutzen, teils die mehlreichen, aber bittern Samen als Speise zu ernten. Sie wird heute noch in Italien, wie im Orient kultiviert. Im 16. Jahrhundert baute man sie am Rhein und im 18. Jahrhundert in Sachsen als Feigen- oder Wolfsbohne an. Besonders zum Gründüngen ist sie wertvoll, das Vieh aber verschmäht sowohl Blattwerk, als Samen derselben. Die gemeine Gartenlupine (Lupinus hirsutus) mit blauen oder purpurroten, auch fleischfarbenen Blüten, die an allen Teilen weichhaarig ist, ist im Mittelmeergebiet zu Hause und wurde[S. 267] bereits von den alten Griechen kultiviert, deren Samen den ärmeren Volksgenossen als Nahrung dienten, wie heute noch die an Kultur am weitesten zurückgebliebenen Bewohner des Peloponnes, die die unzugänglichsten Landschaften Griechenlands bewohnenden Mainoten, die ihre Häuser festungartig ohne Fenster errichten und in ausgedehntem Maße der Blutrache huldigen, sie zur Gewinnung der Samen als Speise anpflanzen. Sonst dient sie meist nur noch als Viehfutter, da das Vieh Kraut und Samen der Gartenlupine eifrig frißt.
Ebenso häufig wird die gleichfalls aus den Mittelmeerländern stammende sizilische oder richtiger ägyptische Lupine oder Wolfsbohne (Lupinus termis) in Südeuropa angebaut, die ebenfalls ziemlich weichhaarig ist, weiße Blüten mit blauen Schiffchen hat und Samen hervorbringt, welche denen der weißen Lupine gleichen, aber größer und eckiger sind. Sie wurde besonders im alten Ägypten angebaut, wo die Samen als Volksnahrung dienten und mit Vorliebe den Toten als Speise in ihre unterirdische Behausung mitgegeben wurden. Von den Ägyptern erhielten sie die Griechen, die sie als térmos bezeichneten, eine Benennung, die aus Ägypten stammt und sich im arabischen termus bis auf den heutigen Tag erhielt. Tatsächlich essen die Fellachen Ägyptens noch heute gern ihre in Salzwasser gekochten und geschälten Samen. Auch in Italien findet man sie noch ziemlich oft angepflanzt. Von dort kam sie zu uns, wo sie zwar noch reiche Futtermassen gibt, aber ihre Samen nicht mehr oder spät zur Reife bringt. Das Vieh liebt sie in hohem Maße.
Ihr gegenüber bevorzugten die Kulturvölker des Altertums die Futterwicke (Vicia sativa), die sie nicht ausschließlich als Grünfutter, wie wir, sondern gelegentlich auch noch als Speise für den Menschen anpflanzten. Diese heute noch in den Mittelmeerländern wild angetroffene Futterpflanze hieß bei den Griechen bíkion und bei den Römern vicia. Columella schreibt über sie: „Die Wicke wird, wenn sie grün verfüttert werden soll, um die Herbst-Nachtgleiche gesät; baut man sie aber der Samen wegen, so wird die Aussaat im Januar vorgenommen. Man kann sie auf ungepflügten Boden säen, besser aber ist es, vorher zu pflügen. Man sät morgens, jedoch nicht eher als bis der Tau verschwunden ist; auch darf man nicht mehr säen, als was an demselben Tage unter den Boden gebracht werden kann. Die geringste nächtliche Feuchtigkeit verdirbt sie.“ Der griechische Arzt Galenos im 2. Jahrhundert n. Chr. sagt von ihr: „Die Wicke wird als Viehfutter gebraucht, doch in Hungersnot auch von Menschen, besonders wenn[S. 268] sie noch jung ist, gegessen, gibt aber eine schlechte Speise. Bei uns heißt sie nur bíkion, bei den Attikern auch árakos.“ Heute heißt sie in Griechenland bíkos. Daß die Wicke als Nahrung für den Menschen schon früh auch in Palästina — wie wohl allgemein in Westasien und Ägypten — angebaut wurde, zeigt uns die Stelle beim Propheten Jesaias, der seit 740 v. Chr. in Jerusalem wirkte. Da wird in Kap. 28, 27 vom Ackermann gesagt, er säe Wicken aus wie Weizen, Gerste oder Spelt und schlage nach der Ernte die Körner derselben mit einem Stecken aus, um sie zur Speise zu gewinnen.
Der Wicke sehr nahestehend ist die nach der altrömischen Bezeichnung dafür ervum als Erve bezeichnete Vicia ervilia, die noch heute allgemein in Griechenland unter dem Namen orobi oder robi als Futter für das Rindvieh gepflanzt wird. Dieser Name zeigt noch deutlich seine Abstammung aus dem altgriechischen órobos für Erbse. Sie diente einst auch dem Menschen als Nahrung. Von ihr unterschied bereits der pflanzenkundige Theophrast im 4. vorchristlichen Jahrhundert einige Sorten nach Farbe und Geschmack der Samen. Der griechische Arzt Dioskurides schreibt um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr., da sie nur noch in Zeiten der Teuerung als menschliche Nahrung diente, von ihr: „Die Erve (órobos) ist allgemein bekannt; ihr Genuß schadet dem Menschen, mästet aber das Rindvieh.“ Sein Zeitgenosse Columella aus dem südlichen Spanien meint: „Die Erve (ervum) bedarf einen mageren Boden, der auch nicht feucht sein darf; sie wächst sonst zu üppig und verdirbt. Man kann sie im Januar und Februar säen. Wird sie im März gesät, so soll sie dann ein schädliches Futter für die Kühe geben.“ Palladius im 4. Jahrhundert n. Chr., der Verfasser eines noch im Mittelalter vielbenutzten Werkes über den Landbau, behauptet sogar, die im März gesäte Erve (ervum) mache das Rindvieh toll. Diese lateinische Bezeichnung ervum hängt zweifellos wie das griechische órobos sprachlich mit dem althochdeutschen araweiz, aus dem dann unser Wort Erbse hervorging, zusammen.
Wie die Lupine, Wicke und Erve ist auch die Linse (Ervum lens) eine uralte Kulturpflanze, die im östlichen Mittelmeergebiet heimisch ist und hier sehr früh schon in die menschliche Pflege gelangte und dahin veredelt wurde, daß sie größere Samen produzierte. In Syrien und Ägypten wird sie seit grauer Vorzeit vom Menschen angepflanzt. So fanden sich zu einem Brei gekochte, aber noch teilweise deutlich als solche erkennbare Linsen in Tonnäpfchen neben grobgemahlener, gerösteter Gerste mehrfach unter den Grabbeigaben des mittleren Reiches,[S. 269] speziell der 12. Dynastie (2000–1788 v. Chr.) in einer noch heute in Ägypten kultivierten kleinsamigen Abart. Ferner tritt uns die Linse in altägyptischen Inschriften entgegen, so auch auf dem berühmten Gemälde aus dem Grabe Ramses III. der 20. Dynastie (1198–1167 v. Chr.) in Theben, das uns einen Blick in die königliche Bäckerei tun läßt. Dort bemerken wir unter anderem auch einen Diener, der vor dem Kessel hockt und für die Bäcker Linsen kocht. Die Linsen befinden sich in zwei neben ihm stehenden Körbchen. Noch in den späteren Zeiten der römischen Herrschaft trieben die Ägypter im Delta, namentlich in Pelusium an einer der Nilmündungen, einen lebhaften Handel mit Linsen, die auf Segelschiffen weithin über die Küsten des östlichen Mittelmeeres verfrachtet wurden. Noch in der Kaiserzeit wurden viel Linsen nebst Getreide zur Fütterung der Proletariermassen der Hauptstadt nach Italien gebracht. So wissen wir, daß das mächtige Transportschiff, das im Jahre 39 n. Chr., zur Zeit des Kaisers Caligula (regierte von 37–41 n. Chr.), den ungeheuer schweren, 25,5 m langen Obelisken von der Fassade des Tempels des Sonnengottes Re in Heliopolis nach Rom brachte, als Ballast 120000 Scheffel Linsen aus Ägypten mitbrachte. Dieser gewaltige Monolith aus Syenit mit heute unkenntlich gewordenen Hieroglyphen wurde damals im vatikanischen Zirkus aufgestellt. Noch steht auf seinem Sockel die Widmung an Augustus und Tiberius zu lesen. Unter Papst Sixtus V. wurde er dann 1586 von seinem alten Standort bei der Sakristei von St. Peter unter gewaltigen Schwierigkeiten in die Mitte der Ellipse des Platzes vor der Peterskirche aufgestellt und dabei festgestellt, daß das Gewicht dieses Kolosses 963537 römische Pfund beträgt. Übrigens beweist die ganz unägyptische, dagegen sehr stark semitisch anmutende ägyptische Bezeichnung arshana für Linsen, daß diese Samenpflanze Ägypten ursprünglich fremd war und aus Westasien ins Niltal gelangt sein muß.
Auch bei den alten Juden dienten die Linsen bereits im 2. vorchristlichen Jahrtausend als sehr beliebte Speise, wie die uns allen von Jugend auf bekannte Geschichte Esaus, d. h. des Behaarten, beweist, der als Sohn Isaaks und der Rebekka um ein Linsengericht sein Erstgeburtsrecht an seinen nach ihm geborenen Zwillingsbruder Jakob verkaufte. In dieser Erzählung des Alten Testaments wird die Farbe des Linsengerichtes als rot bezeichnet, was darauf hinweist, daß jene Samen vor dem Kochen nach gehörigem Aufweichen in Wasser enthülst wurden, ein Brauch, der jetzt noch in Ägypten üblich ist und[S. 270] ihnen eine rosenrote Farbe verleiht. Als David, der als zweiter König von Israel nach Sauls Fall von 1033 v. Chr. 40 Jahre lang, bis 993 den Thron von Juda behauptete, vor seinem aufrührerischen Sohne Absalom in die Wüste östlich vom Jordan floh, da brachten seine Freunde ihm und seinen Begleitern Weizen, Gerste, Mehl, geröstete Ähren, Saubohnen, Linsen, Grütze, Honig, Butter, Käse, Schafe und Rinder, „denn sie dachten, das Volk werde hungrig, müde und durstig sein in der Wüste“. Und als die Philister sich versammelten, um gegen David zu ziehen, da „versammelten sie sich zu einer Rotte und war daselbst ein Stück Acker voll Linsen. Da trat Samna, der Sohn Hagas, des Harariters, mitten auf das Stück und schlug die Philister und Gott gab ein großes Heil.“ Die hebräische Bezeichnung adaschim für Linsen hat sich übrigens im arabischen adas oder ads bis auf den heutigen Tag erhalten.
Da sie leichter verdaulich und zudem nahrhafter als die Erbsen sind, wurden sie wie in ganz Vorderasien und im Nilland auch in Kleinasien angepflanzt und als Volksnahrungsmittel gegessen. Dazu wurden sie meist mit Öl und Knoblauch gekocht; bisweilen wurde auch in Zeiten der Not eine Art Brot daraus gebacken. Reste derselben kleinsamigen Abart der Linse wie in Ägypten fanden sich auch in der zweituntersten spätneolithischen Schicht von Troja, dem heutigen Hissarlik, dann in den bronzezeitlichen Ansiedelungen Ungarns, Norditaliens und der Schweiz. Auch aus Fundstätten der Eisenperiode sind Überreste von Linsen mehrfach zutage gefördert worden. Das vergleichende Studium all dieser Funde führte nun Buschan zu dem Ergebnis, daß alle vorgeschichtlichen Linsen weit kleiner sind, als die jetzt gebauten. Dabei ist es ziemlich sicher, daß die kultivierte Linse von der auf einigen Plätzen von Kleinasien bis Afghanistan häufig anzutreffenden Feldlinse (Lens schnittspahni) abstammt.
Nach den Angaben der Schriftsteller des Altertums war die Linse von alters her ein Nahrungsmittel besonders der ärmeren Volksklassen; in Zeiten der Not wurde ihr Mehl mit Gerstenmehl vermischt zu Brot verbacken. Ihrer großen Bedeutung als Volksnahrungsmittel entsprechend war ihr Anbau ein sehr ausgedehnter. Noch zur Römerzeit bildete sie einen wichtigen Exportartikel des Landes. Auch die Griechen der älteren Zeit bauten sie unter dem Namen phakós viel an und bezeichneten das daraus bereitete Gericht phakḗ, doch aß sie seit der Mitte des 5. vorchristlichen Jahrhunderts in Athen nur noch das niedere Volk. Der Begüterte und Gebildete enthielt sich jedoch dieser[S. 271] gemeinen Nährfrucht. In einer Komödie des attischen Dichters Aristophanes (geb. um 455 v. Chr., trat 427 zuerst als Dichter auf und starb 387) heißt es von einem Athener: „jetzt, da er reich geworden ist, mag er keine Linsen mehr, während er früher, da er noch arm war, aß was ihm vorkam.“ Und beim Lustspieldichter Phenecrates aus Athen, der um 440 bis 415 v. Chr. dramatisch tätig war, ruft eine Person in einem Stücke: „Nur keine Linsen! — Wer Linsen ißt, riecht aus dem Munde.“ Die Römer nannten sie lens, was darauf hindeutet, daß sie diese Nährfrucht schon vor ihrer Bekanntschaft mit den Griechen kannten, und bezogen sie während der Kaiserzeit, wie wir bereits sahen, in großen Mengen aus Ägypten. Der ältere Cato (234 bis 149 v. Chr.) lehrt in seinem Buche über die Landwirtschaft, wie man Linsen zu säen habe und wie man sie am besten mit Essig zubereite. Auch bei den Totenmählern setzte man im alten Italien wie dem Verstorbenen, so auch den Lebenden Linsen und Salz als geschätzte Speise vor. Durch die Vermittlung der Römer lernten dann die Völker nördlich der Alpen, wie schon die hier heute noch gebräuchlichen Bezeichnungen dafür beweisen, diese ihnen bis dahin unbekannte Nährfrucht kennen.
Wie einst im Altertum sind die Linsen heute noch den Beduinen Palästinas, Mesopotamiens und Arabiens ein sehr wichtiges Nahrungsmittel, weshalb sie außer in Westasien auch in ganz Nordostafrika viel angebaut werden. Im Hochlande von Abessinien wird übrigens eine besondere Varietät unserer Linse in verschiedenen Sorten kultiviert und dient als beliebtes Volksnahrungsmittel.
Die einzige in vorgeschichtlicher Zeit in Mittel- und Nordeuropa angepflanzte Bohne ist die große oder Saubohne, auch Puffbohne genannt (Vicia faba major und minor) mit schwarzgefleckten weißen Blüten, die heute in zahlreichen Varietäten kultiviert wird. Es war dies die Bohne der alten Germanen, der kýamos der Griechen, die faba der Römer, nach der das berühmte Patriziergeschlecht der Fabier genannt wurde, dessen Mitglieder, 306 an der Zahl, im Jahre 477 v. Chr. im Kampf gegen die Bewohner von Veji bis auf einen einzigen, in Rom zurückgebliebenen Knaben fielen. Allerdings besaß die Bohne bei den Völkern des Altertums nicht solche Verbreitung und Beliebtheit wie Erbse und Linse; aber bei manchen Völkern stand sie in um so höherem Ansehen. Bei den Hebräern war die Saubohne nach dem Zeugnisse der Bibel schon ums Jahr 1000 v. Chr. als Volksnahrungsmittel bekannt und beliebt. Auch die alten Ägypter aßen sie. So[S. 272] haben sich in einem Grabe des mittleren Reiches aus der 12. Dynastie (2000–1788 v. Chr.) in der Totenstadt von Theben einige, gegenüber der heutigen etwas kleinere Samen der Saubohne als Totenbeigabe gefunden. Immerhin erlangte diese Nährfrucht keinerlei Bedeutung für das Land, so daß wir die an sich falsche Behauptung des griechischen Geschichtschreibers Herodot (484–424 v. Chr.), der ja selbst in Ägypten und Babylonien war und dem wir ein Urteil in dieser Sache zuerkennen dürfen, einigermaßen begreifen. Er schreibt nämlich: „Saubohnen pflanzt man aber nicht in Ägypten, und die herauskommen, ißt man nicht so (wie bei uns — also roh, so lange die Samen noch unreif sind), noch speist man sie gekocht. Die Priester ertragen nicht einmal ihren Anblick.“ Als Grund der Verpönung mutmaßt Herodot die starken Blähungen, die sie verursachen. Der griechische Schriftsteller Plutarch (50–120 n. Chr.) dagegen sagt, die Saubohnen seien den ägyptischen Priestern verboten, weil sie zu stark nähren. Das ist natürlich eine falsche Annahme dieses Autoren. Wir werden bald erkennen, was der wirkliche Grund dieser Speiseentsagung war.
Bei den Griechenstämmen dagegen spielten die Saubohnen schon seit den ältesten Zeiten eine nicht unwichtige Rolle als Nahrungsmittel. So werden schon in der Ilias kýamoi melanochrōes, d. h. schwarzsamige Bohnen, die nichts anderes als Saubohnen waren, als Speise der Helden erwähnt, und in den Trümmern von Troja sind reichliche verkohlte Vorräte von Saubohnen gefunden worden, die heute noch nach Schliemann eine der gewöhnlichsten Ackerfrüchte der Troas bilden. In Griechenland und noch mehr in Italien war sie von jeher bis heute ein sehr beliebtes Volksnahrungsmittel. Auf griechischem Boden tritt sie uns vorgeschichtlich in einem bronzezeitlichen Fund aus Heraklea auf Kreta entgegen. In Oberitalien ist sie sogar aus dem Ende der neolithischen Zeit vor etwa 4000 Jahren nachgewiesen. Nördlich der Alpen läßt sie sich, wie die Funde der Pfahlbauten des Bieler, Neuenburger und Murtner Sees beweisen, erst in der Bronzezeit zwischen 1800 und 1500 v. Chr., und in Norddeutschland erst zu Beginn der als Hallstattperiode bezeichneten ersten Eisenzeit nach 750 v. Chr. nachweisen. Im europäischen Norden haben wir Funde von Saubohnen bis jetzt erst aus der Völkerwanderungszeit, doch beweist der gemeingermanische Bohnenname — althochdeutsch bôna —, der nur dem Gotischen fehlt, daß ihr Anbau bis in die vorgeschichtliche Zeit zurückreicht. Jedenfalls kannten sie die Angeln und Sachsen vor ihrer Auswanderung nach England, wie die angelsächsische Bezeichnung bean,[S. 273] altnordisch bon, althochdeutsch bôna, mittelhochdeutsch bone für das neuhochdeutsche Wort Bohne beweist. Wenn freilich der ältere Plinius, der von 45–52 n. Chr. in der römischen Reiterei in Germanien diente und unter den Kaisern Nero und Vespasian mehrere hohe Zivil- und Militärämter bekleidete, in seiner Naturgeschichte berichtet, die römischen Soldaten hätten die Nordseeinsel Burcana (vielleicht das heutige Borkum) wegen der Menge der dort angeblich wild wachsenden Bohnen Fabaria genannt, und wenn derselbe Autor an einer anderen Stelle eine weitere Nordseeinsel mit dem augenscheinlich germanischen Namen Baunonia „Bohneninsel“ erwähnt, so ist unter diesen wildwachsenden fabae oder Bohnen nach de Candolle, Buchenau und Krause nicht die Saubohne, sondern eine Erbsenart, Pisum maritimum, zu verstehen, die heute noch massenhaft auf den Dünen der Nordseeinseln wild wächst.
Nach den eingehenden Untersuchungen von Buschan lassen sich unter den seit der Bronzezeit kultivierten vorgeschichtlichen Bohnen wenigstens zwei Abarten unterscheiden, nämlich eine kleinere, rundliche, die den östlichen Fundstätten: Kleinasien, Griechenland, Ungarn und Schweiz eigen ist, und eine längere, flache, die in Spanien, Südfrankreich und Deutschland ausschließlich gefunden wird. In Oberitalien scheinen beide zusammenzutreffen. Wahrscheinlich sind sie von entgegengesetzten Richtungen ausgegangen, die kleinere, rundliche vom Orient und die lange, flache von Westen. De Candolle hat diesen doppelten Ursprung vermutet und seine Ansicht ist durch Buschans Untersuchungen bestätigt und ergänzt worden. Die Heimat der ersteren ist in Südkaspien, diejenige der letzteren dagegen in Spanien und Nordafrika zu suchen. Beide Abarten, die unserer Sau- und Pferdebohne entsprechen, sind nahe Verwandte der wilden Wicke, und zwar dürfte die Stammart der Form mit längeren, flachen Bohnen Vicia narbonensis sein, eine in den Mittelmeerländern und in Westasien bis nach dem Kaukasus, Nordpersien und Mesopotamien hin wild wachsende Wickenart, die schon im Altertum kultiviert wurde. Heute noch wird diese als schwarze Ackerbohne bezeichnete Art in Frankreich und Italien, aber auch bei uns in leichtem Boden als Viehfutter angebaut und gibt in mildem Klima einen reichen Ertrag an Körnern.
Die schwarzen Flecken in den weißen Blüten der Saubohne galten im Altertum als Schriftzeichen des Todes; demgemäß galt die Pflanze als Symbol des Todes. Deshalb durften die ägyptischen Priester keine Saubohnen essen, während das Volk solche, im Altägyptischen arschan genannt, aß. Auch der 580 v. Chr. in Samos geborene große griechische[S. 274] Philosoph Pythagoras der 529 nach Kroton in Unteritalien übersiedelte, um der Gewaltherrschaft des Tyrannen Polykrates von Samos zu entgehen, und hier einen später weit verbreiteten, durch die ägyptische Geheimlehre weitgehend beeinflußten Bund stiftete, der ethische und politische Zwecke verfolgte, verbot seinen Schülern den Genuß von Saubohnen. Sonst wurden solche vornehmlich bei Totenmählern und Trauerfesten als Speise aufgetragen. Auf dem heiligen Wege von Athen nach Eleusis stand ein dem Bohnengott Kyamites geweihter Tempel, in welchem das zu den dem Dienste der unterirdischen Mächte und des Unsterblichkeitsglaubens gewidmeten Mysterien ausziehende Volk dem mit dem Tod in Zusammenhang gebrachten Gotte Saubohnen als Todessymbole opferte. Auch im alten Italien brachte man den Unterirdischen Bohnenopfer dar, so warf der Hausvater an dem am 9., 11. und 13. Mai gefeierten Feste der Lemurien zur Versöhnung der als schreckhafte, übelwollende Spukgeister gedachten Lemuren oder bösen Geister Verstorbener nachts schwarze Saubohnen über den Kopf hinter sich, um sich und die Seinigen von deren Macht zu lösen; und am 21. April, an welchem Tage der Sage nach die Stadt Rom gegründet worden sein soll, besprengte man am Feste der altitalischen Hirtengöttin Pales — deren Name, nebenbei bemerkt, dem Worte palatium auf dem palatinischen Hügel zugrunde liegt, woraus dann unsere Bezeichnung Palast hervorging —, den Palilien, den Boden mit einem in Wasser getauchten Lorbeerzweige, entzündete darauf ein Feuer mit Bohnenstroh und sprang zur Entsühnung darüber, trieb auch seine Herdentiere hindurch, um sie im kommenden Jahre vor Erkrankung und allem Bösen zu schützen. In Athen dienten weiße und schwarze Bohnen, die als Ja und Nein galten, zur Abstimmung.
Auch bei anderen Völkern Europas, besonders bei den Germanen und Slawen, wurden Saubohnen speziell zu Totenopfern gebraucht. Die verschiedenen, auf die Saubohnen bezüglichen Zeugnisse der Inder, Griechen, Römer, Germanen und Slawen hat nun L. von Schröder eingehend geprüft und kam dabei zum sichergestellten Ergebnis, daß die Saubohnen schon in der indogermanischen Urzeit als Speise für die Lebenden und dann auch als Opfer für die Geister der Abgeschiedenen bekannt und beliebt waren. Während sich dieser uralte Gebrauch bei den meisten indogermanischen Stämmen mehr oder weniger verwischte, blieb er besonders bei den in sakralen Dingen so überaus konservativen Römern in der altertümlichen Form als nächtlicherweile mit abgewandtem Gesicht dargebrachtes Opfer an die Geister der Ver[S. 275]storbenen erhalten. Das altertümliche ist hier eben die scheue Abwehr dieser gefürchteten Geister. Aber über die Indogermanen hinaus muß dieses Bohnenopfer an die Totengeister in der Urzeit in der Alten Welt weit verbreitet gewesen sein; denn auch die Ägypter und Vorderasiaten übten solches einst, und daher rührt die Scheu der Lebenden, besonders wenn sie priesterliche Funktionen ausübten, diese mehr und mehr als Totenspeise geltende Frucht zu essen. Weil sie den Toten geopfert wurde, galt sie eben vielen als unrein und ungeeignet als Speise der Lebenden.
Bei den Indogermanen Südeuropas blieb die Saubohne aber auch für die Lebenden späterhin die wichtige Speise, die sie den Vorfahren jener Stämme seit grauer Vorzeit gewesen war. Zahlreiche Stellen aus den Schriften des Altertums sprechen von ihr als geschätztem Nahrungsmittel für Menschen und Tiere. Schon in Homers Ilias werden sie wie die Kichererbsen auf der Tenne durch Worfeln gereinigt. Nach dem römischen Ackerbauschriftsteller Columella im 1. Jahrhundert n. Chr. wurden sie von Mitte November bis Ende Dezember auf recht fettem oder gut gedüngtem Boden, am besten im Tale nach vorhergehendem Pflügen, wie das Getreide gesät und dann geeggt, damit sie recht tief zu liegen kamen. Er meint: „Die Saubohnen (fabae) erschöpfen das Land nicht so sehr wie manche andere Frucht; jedenfalls gedeiht aber das Getreide auf einem Acker, der brach gelegen hat, besser, als auf einem, der jene Hülsenfrucht (siliqua) getragen hat. Das Ausdreschen der Bohnen macht keine Schwierigkeit. Man legt eine mäßige Anzahl von aufgelösten Bündeln an das eine Ende der Tenne, vier bis fünf Leute treiben die Bündel mit den Füßen allmählich bis ans andere Ende und schlagen sie dabei mit Stöcken. Sind sie ans Ende gelangt, so legen sie das ausgedroschene Bohnenstroh auf einen Haufen; die Bohnen selbst liegen auf der Tenne, und über diese werden auch die übrigen Bündel hingetrieben und ausgedroschen. Um dann die Bohnen noch von der Spreu zu sondern, bringt man sie auf einen Haufen, wirft sie mit der Worfschaufel (aus Holz) weit weg, wobei die Spreu eher niederfällt und sich dabei absondert.“ Wenig später als Columella schreibt der ältere Plinius in seiner Naturgeschichte: „Unter den Hülsenfrüchten nimmt die Saubohne (faba) den ersten Rang ein. Das aus ihnen gewonnene Mehl heißt lomentum und vergrößert das Gewicht anderer Mehlsorten, was auch die übrigen Hülsenfrüchte tun. Die Saubohne wird vielfach für Menschen und Vieh als Nahrung gebraucht und deswegen in den Handel gebracht. Bei den meisten Völkern wird[S. 276] sie unter das Getreide, besonders die Kolbenhirse, gemischt. Nach alter Sitte wird auch Saubohnenbrei bei Opfern verwendet. Übrigens glaubt man, daß der Genuß der Saubohnen die Sinne abstumpft und Schlaflosigkeit verursacht. Aus diesem Grunde hat Pythagoras ihren Genuß verboten, oder, wie andere meinen, weil er glaubte, in ihnen stäken die Seelen Verstorbener. Jedenfalls braucht man sie um dieses Glaubens willen bei Leichenfeierlichkeiten (zum Totenschmause). Varro gibt an, der Priester der Schutzgottheiten esse erstens deswegen keine Saubohnen, weil Seelen in ihnen stecken, und zweitens, weil auf ihren Blüten Trauerbuchstaben stehen. Es gilt übrigens als ein gutes Vorzeichen, wenn man vom Felde eine Saubohne mit nach Hause bringt; deshalb wird sie auch referiva genannt. Bei Versteigerungen steckt man sie ebenfalls zu sich, um einen guten Kauf zu machen. Jedenfalls ist sie die einzige Feldfrucht, welche sich bei zunehmendem Monde wieder füllt, wenn sie hohl genagt ist. (Natürlich auch ein Aberglaube, der daran trotz ihrer hohen Bildung so reichen Römer!) In Seewasser oder anderem gesalzenen Wasser kann man sie nicht weich kochen. Man sät sie entweder im Herbste, oder im Frühling; doch glauben die meisten Leute, die Herbstsaat gebe Hülsen und Stengel, die das Vieh lieber frißt. Während der Blütezeit ist ihr reichliche Bewässerung zuträglich, nachher aber nicht. In Mazedonien und Thessalien pflügt man sie, sobald sie zu blühen begonnen hat, zur Düngung unter.“ Der um 150 n. Chr. lebende römische Schriftsteller Gellius sagt: „Der römische flamen dialis (Oberpriester des Jupiter) darf weder eine Ziege, noch rohes Fleisch, noch Efeu, noch Saubohnen berühren, noch auch deren Namen aussprechen.“ Der griechische Arzt Dioskurides, im 1. Jahrhundert n. Chr., behauptet von der Saubohne (kýamos), sie sei jung oder alt schwer zu essen, blähe, mache schweren Atem und störe den Schlaf. Doch bekomme sie besser, wenn man das erste Wasser beim Kochen weggieße. Das Mehl der Bohne werde äußerlich als Heilmittel aufgelegt. Auch sein Volksgenosse und Kollege Galenos im 2. Jahrhundert n. Chr. urteilt über sie, sie blähe, man möge sie zubereiten wie man wolle. Man gebe sie als Brei gekocht oder gebacken vornehmlich den Gladiatoren zu essen, da sie viel Fleisch ansetze, das aber nicht fest, sondern mehr schwammig sei. Junge, grüne Saubohnen essen manche Leute roh oder kochen sie mit Zusatz von Fett. Auch als Pferdefutter waren sie neben der Gerste sehr beliebt. So schreibt Columella: „Sind gesunde Pferde mager, so kommen sie schneller durch gerösteten Weizen als durch Gerste zu Kräften. Auch gibt man ihnen[S. 277] Wein zu trinken. Später geht man allmählich von dieser Fütterung ab und gewöhnt sie an Saubohnen und reine Gerste.“
Trotz ihrer blähenden Wirkung war die Saubohne auch bei den Kelten und Iberiern als Nährfrucht sehr verbreitet. Von der keltischen Bevölkerung der Poebene sagt Plinius, daß sie, wie die übrigen Gallier, zum Mehle der Kolbenhirse (panicum) stets auch Saubohnenmehl mischten. Überhaupt werde dort nichts ohne Beigabe von Saubohnenmehl bereitet. Diese Vorliebe hat sich lange erhalten. Auch die Germanen nahmen später diese Nährfrucht von ihren Nachbarn an. So ist ihr Anbau durch das im 5. Jahrhundert in mittelalterlichem Latein aufgezeichnete Volksrecht der salischen Franken und durch das Breviarium und das Capitulare de villis Karls des Großen vom Jahre 812 genugsam bezeugt. Da in letzterem von fabae majores, d. h. größeren Saubohnen die Rede ist, so waren damals offenbar neben diesen auch die kleineren in Kultur, letztere vielleicht nur als Viehfutter, wie heute noch. Die größere Art aber, die eigentliche Saubohne, dient noch jetzt in ganz Südeuropa als beliebtes Volksnahrungsmittel und ihre unreifen Samen werden gern roh mit Brot verspeist. Vom frühen Mittelalter an bildeten sie mit den Erbsen und Linsen recht eigentlich eine Hauptnahrung weiter Kreise der Bevölkerung Mitteleuropas. Alle drei Hülsenfrüchte wurden in der christlichen Zeit mit der Einführung strenger Fasttage als gebräuchlichste Fastenspeise besonders häufig kultiviert.
Im Morgenlande dagegen waren die Saubohnen früh in Mißkredit geraten. So vermieden es die alten Ägypter schon im letzten vorchristlichen Jahrtausend, Saubohnen als nach ihrer Ansicht unreine Speise zu essen. Sie zogen deren Samenkörnern diejenigen der in den Teichen massenhaft gezogenen, aus dem fernen Indien zu ihnen gelangten blaublühenden Lotosblume (Nelumbium speciosum) vor, die lange Zeit allgemein als Nahrung dienten, so daß sie die Griechen und Römer geradezu als ägyptische Bohnen (fabae aegyptiacae) bezeichneten. Als aber die sie liefernde Pflanze eine immer größere Rolle im Kultus spielte und damit zu einer heiligen gestempelt wurde, verboten die Priester auch dem gemeinen Volke den Genuß dieser Speise, die sie selbst wegen der Heiligkeit, die von ihnen der Erzeugerin der Samen beigemessen wurde, schon längst mieden. Dieses Verbot war um so leichter durchzuführen, als die alten Ägypter in den Samen der bereits erwähnten Wolfsbohne (Lupinus termis) — arabisch termus — eine kräftige, heute noch im Niltal vielfach angepflanzte Nahrung besaßen. Später wurden dann in jenem Lande als wichtige Körnerfrucht die im[S. 278] tropischen Afrika heimische Bohnenart mit schwarzgenabelten Samen, Dolichos melanophthalmos, eingeführt.
Die alten Griechen dagegen lernten durch den Zug Alexanders des Großen nach Indien im Jahre 327 v. Chr. eine damit verwandte niedere Bohnenart kennen, von der sie Samen in ihre Heimat mitbrachten. Es ist dies die heute noch in Ostindien im großen angebaute Dolichos biflorus, deren junge Hülsen und reife Samen als beliebte Nahrung für Menschen und Tiere dienen. Ihre Blüten sind violett oder weiß, die Samen dunkel gefärbt und werden nur von der vornehmsten Kaste der Brahmanen als für sie, die Göttersöhne, unpassende Speise verschmäht. Der ausgezeichnete Pflanzenkenner Theophrast, der nach Alexander dem Großen Schüler des Aristoteles war, erwähnt sie unter der Bezeichnung dólichos. Er schreibt über sie in seiner Pflanzengeschichte: „Die dólichos ist eine Hülsenfrucht; sie steigt hoch an Stangen empor und trägt dann Früchte. Fehlt die Stange, so mißrät sie und überzieht sich mit Mehltau.“ Der griechische Arzt Dioskurides um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. dagegen nennt sie phasíolos und sagt von ihr, sie sei schwer zu verdauen, blähe, mache einen schweren Atem. Grün gekocht bekomme sie besser. Als phasiolus tritt sie uns bei Plinius entgegen, der in seiner Naturgeschichte angibt, man esse von ihr die grünen Hülsen mit den Samen. Man könne sie in jedes beliebige Land von Mitte Oktober bis Anfang November säen. Sind sie reif, so müssen sie bald geerntet werden, da sonst die Samen leicht ausfallen und dann verloren gehen. Sein Zeitgenosse Columella nennt sie faseolus und sagt, man säe sie zur Zeit, da die Hirse geerntet werde, wenn nämlich die Hülsen jung vom Menschen gegessen werden sollen. „Sollen aber reife Samen gezogen werden, so sät man sie erst Ende Oktober oder Anfang November. — Wenn man Salat einmacht, so legt man auch ganze grüne Bohnen (mit der Hülse: faseolus viridis integer) dazwischen; sie müssen vorher einen Tag und eine Nacht in Salzwasser geweicht und dann wieder etwas getrocknet sein.“ Mit den Römern, die sie ziemlich häufig gegessen zu haben scheinen, gelangte sie auch in die Länder nördlich der Alpen, wo sie aber nicht gedeihen konnte, da es ihr hier zu kalt war. Wenn wir daher im Capitulare de villis Karls des Großen vom Jahre 812 neben den fabae majores, den Saubohnen, die uns von gleichzeitigen Geschichtschreibern als beliebte Speise der Franken hingestellt werden, als weiteres Gemüse den faseolus erwähnt finden, so kann dies kaum eine der durch ihr Wärmebedürfnis ausgezeichneten Dolichosarten, wie sie noch in Italien[S. 279] gedieh, gewesen sein, sondern war nach Körnicke vermutlich die rotblühende Felderbse (Pisum arvense), von der wir sahen, daß sie schon im Altertum in den Mittelmeerländern kultiviert wurde. Jedenfalls steht fest, daß der Name phaseolus im Mittelalter auf die Erbse übertragen wurde. Die Bezeichnung fasol (und das davon herrührende faseln) war in Oberdeutschland bis zum Bekanntwerden der amerikanischen Gartenbohne, ja noch bis ins 17. Jahrhundert hinein der allgemein angewandte volkstümliche Name für Erbsen. Vom 16. Jahrhundert ging er dann auf die damals neu eingeführte Gartenbohne über, begünstigt vom zufälligen Gleichklang des amerikanischen Wortes frisol für letztere, woraus das spanische frijol für Saubohne und fajol für Gartenbohne und daraus endlich das neuhochdeutsche Fisole stammt.
Unsere gemeine Gartenbohne oder Fisole — italienisch fagiolo und neugriechisch fasulia — auch Schminkbohne genannt, weil das Mehl ihrer Samen die Haut glättet und deshalb als ein Bestandteil der weißen Schminke benutzt wurde (Phaseolus vulgaris), die in 70 Spielarten windend als Stangen-, Speck-, Kugel-, Eier- und Negerbohnen, oder nicht windend als Busch-, Zwerg-, Zucker- oder Frühbohnen auf dem Felde und im Garten der grünen, unreifen Hülsen und reifen Samen halber kultiviert wird, stammt mit der von den Peruanern ebenfalls als Gemüsefrucht gezogenen Feuerbohne (Phaseolus multiflorus) aus Südamerika und verdrängte nach ihrer Einführung durch die Spanier mit ihren ertragreicheren und härteren, weißen Samen bald die schwarzsamige Dolichosbohne Ostindiens aus Südeuropa. Diese heute bei uns allgemein verbreiteten neuweltlichen Gartenbohnen hat man nicht nur in Südamerika, in den Gräbern des Totenfeldes von Ancon in Peru, sondern auch in Nordamerika als Grabbeigabe in vorgeschichtlichen Gräbern gefunden, als Beweis dafür, daß dieses Gemüse schon lange vor der Entdeckung Amerikas durch die Europäer aus seiner südamerikanischen Heimat, wo sie zur Kulturpflanze erhoben wurde, durch den ganzen Kontinent, und zwar in mehreren Spielarten, die wir heute noch kultivieren, bis weit nach Norden verbreitet worden war. Die großen botanischen Werke aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts unterscheiden sehr wohl zwischen amerikanischen und ägyptischen, d. h. also Dolichosbohnen. Der französische Arzt und Botaniker Clusius (Charles de l’Ecluse, geb. 1525 zu Arras, war von 1571–1587 kaiserlicher Gartendirektor in Wien unter Maximilian II. und von 1593 an Professor der Botanik[S. 280] in Leiden in den Niederlanden, wo er 1609 starb) sah die weißsamige Gartenbohne zuerst 1564 bei Gelegenheit einer naturwissenschaftlichen Reise in Spanien und kurz darauf die Feuerbohne mit grellroten Blüten und schmutzig rot oder violett und schwarz marmorierten Samen in einem Kloster zu Lissabon. Dort erhielt er auch Bohnensamen aus Brasilien zum Geschenk. Diesen brachte er nach seiner Heimat Frankreich mit und ließ ihn hier wachsen. Die daraus erzielten Samen schenkte er an seine Freunde weiter, die sie wiederum in ihren Gärten pflanzten. So verbreiteten sich diese „welschen“ oder „Stangenbohnen“ in den verschiedensten Arten immer weiter unter dem Volke und wurden zu dem unentbehrlichen Gemüse, das sie heute sind; doch ging die Kunde der Einführung der ersteren aus der Neuen Welt später verloren, bis erst im 18. Jahrhundert diese Tatsache aufs neue erkannt wurde. So war der Regensburger Apotheker J. Weinmann einer der ersten, der in seinem vierbändigen, von 1737–1745 herausgegebenen, in Kupfer gestochenen Pflanzenatlas mit erläuterndem Text die Ansicht äußert, daß die Gartenbohnen wie der Mais aus Amerika stamme. Er unterscheidet diese als amerikanische und brasilische Bohnen sehr wohl von den vor der Entdeckung Amerikas einzig in Europa gepflanzten ägyptischen Bohnen der Gattung Dolichos.
Schon im 17. Jahrhundert waren diese amerikanischen Gartenbohnen so volkstümlich, daß ihre Samen zu dem von den niederländischen Malern mit Vorliebe dargestellten Bohnenfeste benutzt wurden. Dieses am 5. Januar gefeierte „Bohnenkönigsfest“, in Frankreich unter der Bezeichnung „Le roi boit“ bekannt, war ein Nachklang an die römischen Saturnalien, einem der ältesten und volkstümlichsten italischen Feste, das in Rom am 17. Dezember zu Ehren Saturns, des altitalischen Gottes der Saaten und der Fruchtbarkeit überhaupt, gefeiert wurde. Dieses unter den römischen Kaisern auf eine volle Woche ausgedehnte Fest bedeutete eine sinnbildliche Rückkehr zu jenen glücklichen Zeiten, da unter der Regierung des als Herrscher von Latium gedachten Gottes, den man dem griechischen Gotte Chronos gleichstellte, nur Friede und Freude, allgemeine Freiheit und Gleichheit unter den Menschen geherrscht haben sollen. Daher wurden die Saturnalien mit ausgelassenem Jubel und allgemeinem Schmausen begangen, an dem auch die Sklaven Anteil hatten. Sie saßen mit ihren Herrn zu Tische und wurden von diesen zuerst bedient, genossen überhaupt unbeschränkte Freiheit. Man beschenkte sich gegenseitig mit allerhand Geschenken, besonders mit Wachskerzen und kleinen Tonfiguren, wie sie die Kinder[S. 281] als Spielzeug gebrauchten, eine Sitte, deren Nachhall in der christlichen Weihnachtsfeier nicht zu verkennen ist.
Auch in der römischen Armee wurde das Fest, aber in ihrer Weise gefeiert. Durchs Los wurde ein König für die Festzeit bestimmt, dem sich alle zu fügen hatten. Seine unbeschränkte Macht hatte aber bald ein Ende, indem er am Ende der Saturnalien als Sühnopfer geschlachtet wurde. Ein Zeichen, wie brutal diese Berufssoldaten, die ja für Straßenbau und andere Werke der Kultur in den Provinzen zweifellos sehr große Verdienste sich erwarben, im tiefsten Grunde waren. Später wurde meist ein Verbrecher mit dieser zweifelhaften Würde bekleidet, indem man ihm einige Tage vor der Hinrichtung diese letzte Freude gewährte. Und als das römische Weltreich in den Wirren der Völkerwanderung zugrunde gegangen war, hatte sich in Frankreich, England, in den Niederlanden und am Rhein dieser aus der Zeit der römischen Besatzung stammende, ursprünglich ernsthafte Brauch als scherzhaftes Volksfest erhalten. Es fand am 5. Januar statt und der König des Tages wurde in jeder Familie in der Weise gewählt, daß ein Königskuchen verspeist wurde, in welchem eine Bohne hineingebacken war; wer diese in seinem Stücke fand, war König und wählte sich eine Königin und einen Hofstaat, der ihn auf alle erdenkliche Weise bedienen mußte. So oft der König trank, mußte der ganze Kreis rufen: Der König trinkt! weshalb eben dieses Fest in Frankreich nur „le roi boit“ genannt wurde. Wer den Ruf unterließ, der mußte „zur Strafe trinken“, wie man sich in Studentenkreisen ausdrückt „in die Kanne steigen“, oder etwas zahlen oder ein Pfand geben, das nachher ausgelost wurde und damit wiederum Gelegenheit zu neuen Lachereien und ausgelassenen Scherzen gab. Bei dieser burlesken Feier wurde auch das berühmte, bisher allerdings in einem zuverlässigen alten Texte noch nicht aufgefundene „Bohnenlied“ gesungen, das mit Zweideutigkeiten so gepfeffert war, daß heute noch das Sprichwort von einer allzustarken Zumutung sagt, es gehe noch über das Bohnenlied. Daß solche ausgelassene häusliche Szenen die derben, naturalistischen niederländischen Maler zur Wiedergabe reizten, ist ja sehr wohl begreiflich. So haben flämische wie holländische Maler, Katholiken wie Protestanten, wie Jakob Jordaens, die beiden David Teniers, Jan Steen, Gabriel Metsu und wie sie alle heißen, mit innerlichstem Vergnügen dieses lachende, mutwillige Fest geschildert. Außer den Niederlanden kannten auch das von deutschen Franken durchsetzte Nordfrankreich sowie England die Sitte sogut wie in Deutschland die[S. 282] Rheingegend. „Diser Brauch der Künigreich, darinn auch viel Buoberei geschicht, ist fürnehmlich gmein am Reinstrom“, sagt im 16. Jahrhundert der bekannte süddeutsche, lange im Elsaß lebende Sittenschilderer Sebastian Franck, der 1542 in Basel starb.
Eine noch weit wichtigere Rolle, als bei uns die aus Südamerika eingeführten Gartenbohnen, spielt in ganz Ostasien die Sojabohne (Glycine hispida) als eine überaus wichtige Kulturpflanze. Von den vier in Asien und Afrika wachsenden Glycinearten kommt die wahrscheinlich ihre Stammform bildende Art in China, Japan und den Amurländern wild vor. Als solche ist sie viel kleiner und weniger verzweigt als die Kulturpflanze, die sich in vielen Varietäten in weiter Verbreitung in Asien, besonders in China und Japan vorfindet. Sie ist eine einjährige Pflanze mit 0,5–1 m hohem, etwas windendem Stengel, langgestielten, dreizähligen Blättern, die wie Stengel und Zweige dicht rotbraun behaart sind, kurzgestielten Blütenträubchen mit kleinen, unscheinbaren, blaßvioletten Blüten und sichelförmig gekrümmten, trockenhäutigen, rötlich behaarten Hülsen mit 2–5 Samen. Sie braucht zu ihrer Entwicklung viel Licht und hochgradige Wärme und gedeiht außer in den Tropen nur in den Subtropen als Sommergewächs. Für eine ergiebige Kultur verlangt sie trockenen, tiefgründigen, an mineralischen Nährstoffen reichen Boden. Ein großer Vorzug derselben besteht in einer bedeutenden Anpassungsfähigkeit an Boden und Klima, in der Immunität gegen Schmarotzerpilze und nie versiegender Fruchtbarkeit. Bei uns in Mitteleuropa hat sie begreiflicherweise keine befriedigenden Resultate gegeben, da ihre Vegetationszeit selbst im warmen Klima 130 Tage beträgt und daher die Samen hier nicht mehr reifen. Diese letzteren sind rundlich, länglich oder nierenförmig, gelblich, braunrot, grünlich oder schwarz. Ihr Nährwert ist gegenüber den übrigen Hülsenfrüchten ein sehr hoher und durch hohen Fettgehalt ausgezeichnet. In dem so überaus volkreichen China lebt ein großer Teil der Bevölkerung von Sojagerichten, auch dient sie vielfach zur Gewinnung von Speiseöl. Hier ist die Kultur der Sojabohne bereits seit 4700 Jahren nachzuweisen, indem Kaiser Schen-nung ums Jahr 2800 v. Chr. solche neben den damals gebräuchlichen vier Getreidearten: Reis, Gerste, Weizen und Hirse beim Frühlingsfeste zur Aufmunterung des Volkes höchst eigenhändig pflanzte. Wie in China wird auch in Japan, das ebensowenig Tiermilch produziert und deshalb keine Butter besitzt, der aus ihnen gewonnene fettige Brei zum Schmelzen der Speisen benutzt und die sehr eiweißreichen Sojagerichte dienen in diesem Lande bis[S. 283] zu einem gewissen Grade als Ersatz des nur selten gegessenen Fleisches. Besonders wertvoll sind die Sojabohnen den Japanern zur Herstellung der von ihnen als große Delikatesse geschätzten Sojasauce Shoju, die nicht nur in ganz Ost- und Südasien sehr beliebt ist, sondern auch in Europa mehr und mehr Anerkennung findet; dient sie doch in erster Linie zur Bereitung der berühmten englischen Worcestersauce, die ja in vielen vornehmen Haushaltungen auch des Kontinentes gebraucht wird. Um die Shojusauce zu bereiten werden gleiche Teile Sojabohnen und Weizen genommen und 1–3 Teile Wasser hinzugefügt. Die Bohnen werden halbgar gekocht, der Weizen geröstet und gemahlen, darauf wird alles gründlich vermengt und etwas gedämpfter Reis mit Kulturen des Schimmelpilzes Aspergillus oryzae dazu getan. Das Ganze wird in Holzkästen drei Tage lang einer Temperatur von +25°C. ausgesetzt, wobei sich die Masse vollständig mit Schimmel bedeckt. Hierauf wird sie mit Hinzugabe von 1–6 Teilen Kochsalz in große Holzkübel getan, worin sie längerer Gärung bei möglichst niedriger Temperatur überlassen wird. Der anfangs dicke, graue Brei wird wiederholt umgerührt, wobei er allmählich flüssiger wird und schließlich eine braune Farbe annimmt. Die Gärung dauert 2–5 Jahre und das Produkt ist um so feiner, je länger sie bestanden hat. Neben dem ziemlich dicken, tiefbraunen Shoju, von dem man wegen seiner Stärke nur sehr wenig nehmen darf, wird in Japan noch ein anderes Sojapräparat, ein weniger durchgreifend vergorener Brei, der Miso, viel verwendet. Ebenfalls als Würzmittel dient der aus einem wässerigen Auszuge der gekochten Sojabohnen durch Kochsalz gefällte Tofu. Daneben werden verschiedene andere Präparate aus dieser Bohnenfrucht in Verbindung mit Salz und meist auch gekochtem Reis von allen Schichten der Bevölkerung Japans in großer Menge gegessen. Sehr beliebt und durch Händler überall auf den Straßen der japanischen Städte feilgeboten sind besonders süße Kuchen aus Sojabohnenmehl und ein aus gekochten und zerquetschten Sojabohnen durch Gärung infolge Stehenlassens im Keller erzeugter, mit Shojusauce gewürzter Käse. In Österreich dagegen werden die Sojabohnen als beliebtes Kaffeesurrogat benutzt.
Die wichtigste Bohnenart Ostindiens ist die Mungobohne (Phaseolus mungo), deren junge Sprossen ebenfalls rotbraun behaart sind. Die sehr kleine, 4–5 cm lange Hülse enthält 10–15 grasgrüne Samen, die kaum ein Drittel so groß wie Erbsen sind und einen deutlichen Nabel aufweisen. Sie ist im Lande selbst heimisch und wächst im[S. 284] Himalaja bei etwa 2000 m Höhe wild. Die ansehnliche Zahl von Spielarten und das Vorhandensein von drei verschiedenen indischen Namen für sie beweisen mit Sicherheit, daß diese Nährfrucht schon sehr lange in jenem Lande gebaut wird. Sehr früh kam sie nach Ägypten und in die Länder am oberen Nil, später auch nach Ostafrika, wo sie ebenfalls sehr geschätzt und wie unsere Gartenbohnen zubereitet wird. Sonst ist die hauptsächlich in Afrika gepflanzte Bohne die hochwindende Helmbohne (Dolichos lablab) mit sehr langgestielten Blütentrauben, die nach dem Verblühen noch weiter wachsen. Die kahle, ziemlich flachgedrückte Hülse enthält 2–5 bohnengroße Samen, deren weißer Nabel fast die ganze Längsseite derselben einnimmt und durch seine Form an die Raupen früherer Soldatenhelme, wie sie namentlich in Bayern getragen wurden, erinnert. Ursprünglich im tropischen Afrika heimisch, wird diese Pflanze jetzt der jungen Hülsen und schwarzen oder braunen Samen wegen überall in den Tropen und Subtropen als eine der wichtigsten Gemüsepflanzen in vielen Varietäten kultiviert. Ebenfalls afrikanischen Ursprungs scheint die nirgends mehr wild angetroffene Lubiabohne (Dolichos lubia) zu sein, die schon lange in der Nilgegend, ebenso in Syrien, Persien und Indien angebaut wird. Im alten Ägypten war sie noch nicht bekannt; jedenfalls hat sie sich erst im Laufe der letzten zwei Jahrtausende nach Vorder- und Südasien verbreitet. Gleicherweise ist der gelbblühende indische Bohnenstrauch (Cajanus indicus), der namentlich in Ostindien, aber auch in Italien und Südamerika fleißig kultiviert wird, in Afrika heimisch. Er findet sich im tropischen Teile des Kontinents bis nach Oberägypten hin wild, und wird heute noch in Nubien und dem ägyptischen Sudan der Samen wegen angebaut, die nach Form und Größe unseren Erbsen gleichen, aber nicht so wohlschmeckend und zudem schwer verdaulich sind. Dieser Schmetterlingsblütler muß bereits im alten Ägypten angebaut worden sein, da man unter den vorhin mehrfach genannten Gräberfunden des mittleren Reiches in Theben aus der Zeit der 12. Dynastie (2000–1788 v. Chr.) auch einen Samen von ihm fand.
Die mondförmige Bohne (Phaseolus lunatus) dagegen, die heute in Afrika fast überall zwischen den Wendekreisen angebaut wird und sich neuerdings über Indien nach China verbreitet hat, stammt zweifellos aus Südamerika, wo sie ausschließlich in Zentralbrasilien und in der Region des Amazonenstromes wild gefunden wird. Ihre Samen finden sich mehrfach unter den Grabbeigaben des Totenfeldes von Ancon in Peru. Schon vor der Ankunft der Europäer hatte sich[S. 285] diese Bohnenart in einer durch die Kultur großfrüchtig gewordenen Form durch ganz Süd- und Zentralamerika verbreitet und scheint dann durch portugiesische Sklavenhändler zuerst nach der Guineaküste gebracht worden zu sein, von wo aus sie sich mit der Zeit über ganz Afrika und später auch Süd- und Ostasien verbreitete. Erst vor wenigen Jahrzehnten ist endlich die mit 30–40 cm langen, hellgrünen Hülsen ausgestattete Riesenbohne (Phaseolus sesquipedalis), die ein ausgezeichnetes Gemüse liefert, aus ihrer Heimat, dem tropischen Amerika, nach Südasien und Südeuropa gebracht worden, wo sie sich zunehmender Beliebtheit erfreut.
Im warmen Afrika heimisch, wo sie in Nubien, Kordofan, Sennar und Abessinien wildwachsend angetroffen wird, ist der heute vielfach zwischen den Wendekreisen, auch in der Türkei und in Griechenland, besonders aber in Ostindien als Gemüsepflanze angebaute eßbare Eibisch (Hibiscus esculentus) oder die Gombobohne, auch ochro, von den Arabern bamia, im Sudan weka genannt. Sie hat gelbe Blüten und wird medizinisch wie unser Eibisch verwendet. Die ganz jungen Früchte werden wie Kapern eingemacht, die alten bis 8 cm langen fünfkantigen Samenkapseln dagegen werden unreif als wohlschmeckende und nahrhafte Speise ganz gekocht oder man benutzt dazu nur die unreifen, bohnenförmigen, grauen Samen, die viel Schleim enthalten und teilweise den Speisen hinzugesetzt werden. Die reifen Bohnen dagegen verwendet man zu einem beliebten, warm getrunkenen, wie Kaffee bereiteten und deshalb auch als Gombokaffee bezeichneten Getränk. Sie werden gebrannt, zerstoßen und mit heißem Wasser ausgezogen; die dadurch entstandene kaffeeartige Brühe besitzt einen sehr angenehmen, gewürzhaften Geschmack und wirkt nicht nervenerregend wie der arabische Kaffee. Die Kultur der Pflanze ist in Ägypten eine sehr alte und findet sich bereits in einem Grabe der 12. Dynastie (2000–1877 v. Chr.) in Beni Hassan dargestellt. In von der Darstellung der Rebenkulturen abweichenden Laubengängen, die dicht mit den rankenden Schossen der Pflanze überzogen sind, sind drei Arbeiter mit dem Abpflücken der charakteristisch dargestellten Schoten beschäftigt. Einer derselben, der hockt, da ihm der niedere Bogengang nicht erlaubt sich aufzurichten, wirft die Früchte in einen hohen Korb mit durchbrochenem Geflecht. Der daneben in einem höheren Bogen ganz aufrecht stehende zweite Arbeiter trägt in seiner Linken einen kleinen, viereckigen, an zwei Schnüren getragenen Korb und langt mit der Rechten nach den Früchten in das Gerank hinein.[S. 286] Der dritte bückt sich, um Nachsuche in den Stauden zu halten, während ein vierter Arbeiter in zwei großen, an einer Stange über der Schulter getragenen Körben die gepflückten Früchte wegträgt.
Im Mittelalter hat der arabische Gelehrte Abdul Abbas Enabati, der 1216 Ägypten bereiste, den Gombo gut beschrieben, ebenso der Venezianer Prosper Alpino (1553–1617), der ihn nach einem Aufenthalt in Ägypten in seinem Werk über ägyptische Pflanzen genau abbildete und als Bamia moschata beschrieb. Ein naher Verwandter desselben ist der Bisameibisch (Hibiscus abelmoschus), der ebenfalls in Ägypten wie überall in den Tropen, auch in Amerika, kultiviert wird. Es ist ein 2–3 m hoher, in Ostindien heimischer Strauch mit großen, gelben, im Grunde dunkelroten Blüten. Seine erbsengroßen, nierenförmigen, schwarzbraunen, in frischem Zustande stark nach Bisam (Moschus) riechenden und bitterlich schmeckenden Samen mit erhabenen braunen Rippen, die Bisam- oder Abelmoschuskörner, dienten früher als krampfstillendes Mittel; jetzt werden sie nur noch zu Parfümerien, besonders zur Herstellung des wohlriechenden zyprischen Haarpuders verwendet. Früher benutzte man sie auch, namentlich in Frankreich, zur Anfertigung von Rosenkränzen. Die Stengel dieses, wie besonders auch des zu diesem Zwecke in Indien gepflanzten Hibiscus tetraphyllus liefern juteartige Bastfasern, die als Bandakaifasern in den Handel gelangen und in Nordamerika auch zur Papierfabrikation benutzt werden.
Unter den Doldenblütlern sind Pastinak und Mohrrübe die ältesten Gemüsepflanzen, deren durch Kultur fleischig gewordene Wurzeln, wie wir sahen, schon vor mehr als 4000 Jahren von den neolithischen Pfahlbauern an den Ufern der Schweizerseen gegessen wurden. Allerdings mögen sie in jener Frühzeit noch recht bescheidene Speise dem hungernden Menschen, der sie in Kultur nahm, geboten haben; denn diese allenthalben in Europa und Nordasien wild wachsenden Pflanzen haben von Natur aus eine magere, dünne Pfahlwurzel, da eine fleischige für sie zwecklos ist. Sie sind einjährige Pflanzen, die blühen und Frucht tragen wollen. Selbst durch reichliche Ernährung und sorgfältige Pflege sind sie nicht dazu zu bringen, fleischige Wurzeln zu bilden; das tun sie nur dann, wenn man sie nicht in einem Jahre ihre Vegetationszeit vollenden läßt, so daß sie gezwungen werden zur Beendigung ihres Daseins, das in der Fruchtbildung gipfelt, für das nächste Jahr Nahrungsstoffe aufzuspeichern. Hierdurch erst schwellen die Wurzeln an und geben eine schmackhafte Kost ab. Diesen Prozeß[S. 287] hat man mehrfach künstlich studiert, so unter den ersten der gelehrte französische Landwirt Vilmorins vom Jahre 1832 an. Er mochte es anstellen wie er wollte, durch kein Mittel konnte er von ihm ausgesäte wilde Mohrrüben zur Verdickung ihrer Wurzel durch Aufspeichern von Reservenahrungsstoffen bringen. Erst als er sie gegen Ende Juni zum drittenmal säte, zu einer Zeit also, da die Pflanzen statt der ihnen sonst zu Gebote stehenden acht Monate nur deren zwei zu ihrem Wachstume zur Verfügung hatten, bildeten nicht alle, aber einige wenige Exemplare Reservespeicher durch Anschwellung ihrer sonst dünnen Pfahlwurzeln, um im kommenden Jahre ihren in der Fruchtbildung gipfelnden Vegetationsprozeß zu Ende zu führen. Auf diese Weise hat die Pflanze, die nur ein Jahr leben sollte, aber nicht vergehen wollte ohne Frucht getrieben zu haben, sich die Möglichkeit geschaffen, doppelt so lange zu leben. Diese paar sorgsam überwinterten Möhren beendeten ihren Vegetationsprozeß im nächsten Jahre, und unter den von ihnen erzielten Sämlingen erwies sich etwa ein Fünftel als getreue Erbinnen der mütterlichen Fähigkeiten. Die schönsten, dickwurzeligsten unter ihnen wurden ausgesucht, um zur Vermehrung verwendet zu werden. Schon in der vierten Generation war die Gewohnheit, im ersten Jahre keine Frucht zu treiben, bei der Mehrzahl der Nachkommen vorherrschend. Noch einige Generationen weiter, und der Prozentsatz der Pflanzen, die nach alter Sitte im ersten Jahre blühten, war fast gleich Null, und aus der wilden Möhre war eine Gemüsepflanze geworden, die als zweijährige in allen Fällen reichen Reservestoff in ihrer dick und fleischig gewordenen Wurzel aufspeicherte.
Was in der Gegenwart das zielbewußte Experiment, das hat in der Vergangenheit gelegentlich der Zufall gezeitigt. So sind vielfach aus unschmackhaften Wildlingen vor Tausenden von Jahren schmackhafte Gemüsepflanzen geworden. Unter ihnen hat der in manchen Gegenden angebaute Pastinak (Pastinaca sativa) eine weiße, der weißen Varietät der gelben Rübe sehr ähnliche Wurzel. Durch ihren scharfen Geruch und stark aromatischen Geschmack kann sie aber leicht von dieser unterschieden werden. Ihre Stammform ist eine bei uns auf feuchten Wiesen und an Flußufern häufig wild vorkommende einjährige Pflanze mit gelben, stark aromatisch riechenden Blüten. Bei der zweijährigen Kulturform, die 30–90 cm hoch wird, ist die Wurzel wie die der gelben Rübe zu bedeutender Mächtigkeit gebracht worden. Sie kommt bei uns nur vereinzelt auf den Markt und spielt fast mehr die Rolle eines Gewürzes, als die eines selbständigen Gemüses, wie[S. 288] etwa die Petersilie. Sie gedeiht am besten in tiefgründigem, lehmigem Boden und wurde wie bei den Pfahlbauern der späteren neolithischen und Bronzezeit auch bei den alten Ägyptern, die sie makmakchai nannten, angebaut; ebenso bei den Griechen, die sie elaphobóskon, d. h. Hirschfraß nannten. Diese eigentümliche Bezeichnung erklärt uns der um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. lebende griechische Arzt Dioskurides, indem er in seinem Arzneibuch schreibt: „Der Pastinak ist eine Doldenpflanze mit zwei Finger breiten, sehr langen, zurückgebogenen und etwas rauhen Blättern. Der Stamm hat mehrere Äste, die Dolden tragen, welche denen des Dills ähnlich sind, gelbliche Blüten und Samen wie sie der Dill hat. Die Wurzel ist etwa drei Finger breit lang, einen Finger dick, weiß, süß, eßbar. Auch der junge, zarte Stamm wird als Gemüse gegessen. Man sagt, die Hirsche fräßen die Pastinakwurzel als Schutzmittel gegen Schlangenbiß und gibt deshalb zu gleichem Zwecke auch den Menschen die Samen in Wein.“ Sein Zeitgenosse, der ältere Plinius, nennt auch das elaphoboscon, daneben aber auch pastinaca, von dem er zwei Arten erwähnt. Auch im Mittelalter wurde der Pastinak in Süd- und Mitteleuropa angepflanzt. Noch vor hundert Jahren spielte er bei uns eine ziemlich große Rolle als Gemüsepflanze, bis er durch den Anbau der Kartoffel mehr und mehr eingeschränkt und in vielen Gegenden von jener völlig verdrängt wurde, obschon er einige Vorteile vor der so häufig gepflanzten Mohrrübe gewährt. Er liefert nämlich auf geeignetem Boden höhere Erträge nahrhafteren Futters, seine Kultur ist leichter und sie ist widerstandsfähiger gegen die Kälte und erträgt sogar im Freien unsere strengen Winter. Die feineren Sorten werden nur für die Küche gebaut und müssen frostfrei überwintert werden. Die Samen wurden früher medizinisch benutzt. Eine nahe verwandte zweijährige Art, Pastinaka sekakul, die in Syrien und Ägypten heimisch ist, wird sehr viel im Orient als wohlschmeckendes Wurzelgemüse angepflanzt.
Die Mohrrübe oder Möhre, auch gelbe Rübe genannt (Daucus carota), stammt von einem bei uns auf trockenen Wiesen und an Wegrändern häufig angetroffenen einjährigen Wildling, dessen dünne, fadenförmige Wurzel von schwach aromatischem Geruch in der Kultur zu einer dicken, fleischigen Pfahlwurzel wurde. Sie ist eine zweijährige, 30–60 cm hoch werdende Doldenpflanze, die in jedem gut zubereiteten, dungkräftigen Boden, wenn er locker ist und eine sonnige Lage aufweist, gedeiht. Bei Mangel an Kalksalzen im Boden sinkt der Zuckergehalt, der bei der Speisemöhre durchschnittlich 1,58 Prozent be[S. 289]trägt. Bei den Futtermöhren kommt es hauptsächlich auf großen Ertrag an. Als Speisemöhren dienen die mit zarterer, zuckerreicher, aus Weiß rot oder gelb gewordener fleischiger Wurzel, die sich bei den Frankfurter Möhren allmählich zuspitzt, während sie bei den Pariser und Holländer Möhren, die wir Karotten nennen, kurz und unten rundlich abgestumpft ist und in ein feines Würzelchen ausläuft. Mit Trockenfutter gemengt, sind die Mohrrüben ein sehr gedeihliches Futter für alle Haustiere und eignen sich auch für die Mästung; auch das Kraut wird von den Rindern gern gefressen. Der gelbrote Farbstoff heißt Karotin. Aus dem Safte bereitet man einen Sirup, wie das süße Wurzelfleisch auch zu Kuchen verwendet wird. Geröstet dient es als Kaffeesurrogat. Die Mohrrübe wurde wie die gewöhnliche oder weiße Rübe nicht nur von den Griechen und Römern, sondern auch von den germanischen Völkern vor ihrem Bekanntwerden mit der römischen Kultur unter dem althochdeutschen Namen morha angebaut und gern gegessen. Allerdings mögen die von ihnen kultivierten Sorten keine besonderen Vorzüge vor denen anderer Völker gehabt haben. Wenn nun Plinius berichtet, daß sich der Kaiser Tiberius, der von 14–37 n. Chr. regierte, seine Mohrrüben alljährlich von Germanien kommen ließ und der Rettich in Germanien die Größe „neugeborener Kinder“ erreichte, so ist nicht etwa an einheimische Möhren und Rettiche zu denken, die von den Germanen selbst kultiviert worden wären, sondern handelt es sich dabei jedenfalls um eingeführte römische Sorten, die in den Militärkolonien am Rhein gezogen wurden und unter dem kühleren Himmel Germaniens besonders gut gediehen. Karl der Große empfahl sie als carruca seinen Franken zur Kultur und ließ sie auf seinen Gütern bauen. Erst im Mittelalter ist dann diese Gemüsepflanze in Mitteleuropa recht heimisch geworden und wurde in großem Maße angepflanzt. Schon am Anfang des 17. Jahrhunderts hatte man eine weiße und gelbe Varietät, und seither sind zahlreiche neue Arten gezüchtet worden.
Ebenso beliebt wie die Möhre war bei den alten Römern die Zuckerwurzel (Sium sisarum), die zu derselben Familie der Umbelliferen wie jene gehört und in Ostasien, speziell China, einheimisch sein soll. Jedenfalls gelangte sie von Asien zuerst nach den Mittelmeerländern, wo sie im Altertum ziemlich häufig angebaut worden zu sein scheint. Die Griechen nannten sie sísaron und die Römer, die sie von jenen durch deren unteritalische Kolonien kennen lernten, siser. Der griechische Arzt Dioskurides sagt um die Mitte des 1. Jahrhunderts[S. 290] n. Chr.: „Die Zuckerwurzel (sísaron) ist allgemein bekannt. Die Wurzel schmeckt gekocht gut, bekommt dem Magen vortrefflich und vermehrt den Appetit.“ Ein Zeitgenosse, der Römer Columella, rät die Zuckerwurzel (siser) im August auf tief umgegrabenen, gedüngten Boden zu säen und so wenig als möglich zu versetzen, damit sie besser wachse. Und Plinius sagt in seiner Naturgeschichte: „Die Zuckerwurzel (siser) hat Kaiser Tiberius dadurch zu Ehren gebracht, daß er sie alle Jahre aus Germanien kommen ließ. Gelduba heißt ein am Rhein gelegenes Kastell, bei dem die Zuckerwurzel in bester Sorte wächst. Man ersieht daraus, daß sie sich für kalte Länder eignet. Im Inneren der Wurzel befindet sich ein Strang, den man bei gekochten herauszieht, der aber immer noch einen großen Teil seiner Bitterkeit zurückläßt, die man jedoch durch Honig dämpft und so in Wohlgeschmack verwandelt.“ Die infolge des großen Zuckerreichtums von 4,5 Prozent sehr süße und zugleich gewürzhaft schmeckende Wurzel wird heute noch als sisaro in Italien, wie auch bei uns als schmackhaftes, nahrhaftes und leicht verdauliches Gemüse angepflanzt. Sehr nahe mit ihr verwandt ist die ausschließlich in China als Gemüse und geschätzte Arznei angepflanzte Ninsiwurzel (Siser ninsing), die früher als „indianische Kraftwurzel“ auch bei uns offizinell war und für das beste Surrogat der kostbaren chinesischen Ginsengwurzel (von der Umbellifere Panax ginseng) galt, die in den Gebirgen ihrer Heimat wächst und bei den Chinesen als eine der geschätztesten Arzneipflanzen gilt und deshalb von Linné Panax, d. h. Allheilkraut genannt wurde. Die Chinesen verwenden sie gegen Nervenschwäche, Erschöpfung und Schwächezustände aller Art; deshalb wird sie von ihnen auch allen Arzneien als Panazee zugesetzt. 1610 kam sie unter dem Namen Pentsao durch die Holländer nach Europa und wurde auch hier häufig angewandt. Am meisten geschätzt wird der Ginseng der Tartarei.
Der mit den Kohlarten, den Rüben und dem Senf nahe verwandte Rettich (Raphanus sativus) ist, in gleicher Weise wie Pastinak, Möhre und Zuckerwurzel aus einheimischen Wildlingen hervorgingen, aus dem als Ackerunkraut bei uns häufigen Hederich (Raphanus raphanistrum) hervorgegangen. Außer seiner fleischigen Wurzel ist er von ihm eigentlich nur durch die gleichmäßig verlaufende, glatte Hülse ausgezeichnet, die beim Hederich noch perlschnurartig eingeschnürt ist. Diese Pflanze mit violetten Blüten und walzenrunden Hülsen mit braunschwarzen, runden Samen ist wahrscheinlich in Westasien zwischen dem armenischen Hochland und Syrien zur Kulturpflanze erhoben[S. 291] worden und wird seit dem Altertum im ganzen Mittelmeergebiet in mehreren Varietäten kultiviert. Er gedeiht besonders gut auf gedüngtem, kalkhaltigem Boden und bedarf ziemlicher Wärme und reichlicher Wasserzufuhr. Auf dem mit ihm bepflanzten Lande wechselt man meist mit Salat und Sellerie ab.
Vom Gartenrettich (Raphanus sativus rapiferus) mit großer, weißfleischiger, außen verschieden, weiß bis gelb und braun, rötlich oder violett gefärbter Knollenwurzel von meist scharfem Geschmack unterscheidet man zweijährigen Winter- und einjährigen Sommerrettich. Der erstere bildet die ursprüngliche Art, die erst im nächstfolgenden Frühjahr zum Samentragen angepflanzt wird, wobei die in der Wurzel aufgespeicherten Nährstoffe zur Blüten- und Samenbildung aufgebraucht werden. Er hält sich auch den ganzen Winter hindurch, während der aus ihm hervorgegangene Sommerrettich schon um Weihnachten den Geschmack verliert. Die Wurzel verdankt ihren scharfen Geschmack einem schwefelhaltigen ätherischen Öle.
Weil er den Appetit und die Verdauung anregt, wurde der Gartenrettich schon von den alten Ägyptern, die ihn nun nannten, angepflanzt. Der älteste griechische Geschichtschreiber, Herodot von Halikarnassos, im dorischen Teil der kleinasiatischen Küste zwischen Milet und Rhodos (484–424 v. Chr.), der Ägypten und Vorderasien bereiste, meldet uns, daß Rettiche neben Zwiebelgewächsen als Beikost den Fronarbeitern beim Bau der Pyramide des Cheops (Chufu, um 2900 v. Chr.) in großer Menge verabreicht wurden, wie noch zu seiner Zeit daran zu lesen gewesen sei. Und der römische Naturkundige, der ältere Plinius (23–79 n. Chr.), schreibt in seiner Naturgeschichte: „In Ägypten wird der Rettich sehr geschätzt, weil man aus den Samen ein reichliches Öl gewinnt. Wenn es die Umstände irgend gestatten, säen die Ägypter lieber Rettiche als andere Früchte; denn sie ziehen davon mehr Gewinn als vom Getreide und geben weniger Abgaben davon.“ Auf den altägyptischen Denkmälern des mittleren Reiches, so in verschiedenen Gräbern der 12. Dynastie (2000–1788 v. Chr.) von Beni Hassan, finden wir ihn abgebildet, entweder beblättert — so in einem Korb mit Zwiebeln — oder unbeblättert. Letzteres ist bei einer Darstellung an den Wänden des Tempels von Karnak der Fall, wo wir zwei deutlich als solche charakterisierte Rettichwurzelknollen zwischen anderen Opfergaben abgebildet finden.
Bei den Griechen und Römern war dieses Knollengewächs als Zukost zu Brot oder Fladen sehr beliebt. Die Griechen nannten ihn[S. 292] raphanís und die Römer armoracea, welch letztere Bezeichnung später irrtümlicherweise von den älteren deutschen Botanikern auf den den Alten nicht bekannten Meerrettich bezogen und deshalb diesem verliehen wurde. Er wurde in mehreren Sorten in den Gärten gezogen. Schon der griechische Pflanzenkundige Theophrast unterschied in der zweiten Hälfte des 4. vorchristlichen Jahrhunderts vier Rettichsorten. Der korinthische wachse am stärksten und bilde seine Wurzelknollen über der Erde, statt wie die übrigen in derselben. Der liothasische, auch thrakische genannt, sei am unempfindlichsten gegen die Winterkälte. Der böotische aber schmecke am besten, er sei rund; der kleonäische dagegen lang ausgezogen. Je glatter die Blätter, desto lieblicher, je rauher aber, desto schärfer sei der Geschmack dieses Wurzelgemüses. Wie der römische Naturforscher Plinius (23–79 n. Chr.), so sagt auch der griechische Arzt Dioskurides (131–200 n. Chr.), daß die Wurzelknolle des Rettichs mit Salz oder Essig verspeist werde, und daß arme Leute auch das Kraut als Gemüse kochen. Nach Plinius soll der Rettichwurzel durch das Kochen die Schärfe genommen werden. So werde sie milder und könne wie Kohlrüben (napus) gegessen werden. Sein Saft, der ja noch heute mit Zucker gegen Husten genommen wird, sei für die Brust heilsam. Im Tempel zu Delphi habe man dem Apollo einen Rettich von Gold, eine Runkelrübe von Silber und eine Rübe von Blei als Weihgeschenk dargebracht. „Daraus sieht man, daß unser Feldherr Manius Curius nicht in Delphi geboren ist, denn er saß, wie die Jahrbücher erzählen, an seinem Herde und war damit beschäftigt, Rüben zu braten, als Gesandte der Samniten kamen und ihm Gold boten, das er aber zurückwies.“ Derselbe Autor sagt, der Grieche Moschion habe ein besonderes Werk über den Rettich geschrieben. Er soll im Winter am gesündesten zu essen sein und stoße weniger auf, wenn man hinterher reife Oliven esse. Der Weinstock scheue sich vor dem Rettich und ziehe sich vor ihm zurück, wenn er neben ihm stehe. Daß die Völker nördlich der Alpen den Rettich von den Römern kennen lernten, beweist schon das deutsche Radi und Radieschen wie Rettich, ebenso das französische radis und englische radish, das vom lateinischen radix (Wurzel), der vulgär-römischen Bezeichnung dieser Wurzelknolle, herrührt. Erst seit dem Mittelalter, da Karl der Große sie auf seinen Gütern anpflanzen ließ, hat sie bei den Germanen und später auch bei den Slawen weitere Verbreitung gefunden.
Außer dem Gartenrettich kannten die Kulturvölker am Mittelmeer wohl bereits im Altertum die Radieschen (Raphanus sativus radicula)[S. 293] oder Monatsrettiche mit kleiner, kugeliger oder rübenförmiger Knollenwurzel und roter, violetter oder weißer Schale. Sie sind einjährig und werden in mehreren Varietäten in Glashäusern, in Mistbeeten oder im Freien gepflanzt. Diese stammen nicht vom einheimischen Hederich, sondern von einer anderen, in Westasien wildwachsenden Art. Aus Zentralasien dagegen stammt der Ölrettich (Raphanus sativus oleiferus) mit kleiner, holziger Wurzel, aber ölreichen Samen, der der Stammform am nächsten steht und besonders in China angepflanzt wird. Er liefert als Sommerfrucht fast denselben Ertrag wie der Winterraps, nur erfordert die Kultur mehr Umsicht als diejenige des Rübsens, ist aber sicherer. Das von ihm gewonnene Öl ist nicht ganz so gut wie Rüböl; das Stroh ist härter als Rübsenstroh, aber die Schoten sind als Viehfutter nahrhafter als jenes. Von solcher Verwendung der Rettiche im alten Ägypten war bereits die Rede. Ein ostasiatischer Ölrettich ist der in Japan heimische geschwänzte Rettich (Rhaphanus caudatus), der dort wegen seiner langen, genießbaren und sehr wohlschmeckenden Samenschoten im großen angebaut wird und teilweise auch schon in unseren Gärten Eingang gefunden hat.
Ein ähnliches, schwefelhaltiges, ätherisches Öl wie die Rettiche besitzt der Meerrettich (Cochlearia armoracea), eine mit den Rettichen sehr nahe verwandte, ausdauernde Kruzifere. Sie liebt Lehmboden, wird 60–90 cm hoch, trägt weiße Blüten und elliptische Schötchen; doch reifen an der Kulturform fast niemals Früchte. Sie wird wegen des unterirdischen Wurzelstocks gezogen, der bei der wilden Stammform wie auch bei der wiederum verwilderten Form nur dünn und holzig ist, während er bei der Kulturform dick und fleischig wurde, und ist in Ost- und Südrußland heimisch, wird aber verwildert durch ganz Europa und neuerdings auch in Nordamerika an Flußufern gefunden. Auf ihrer Wanderung nach Westen hat sie ihren russischen Namen Chren weithin bewahrt; so findet er sich in allen slawischen Sprachen wieder. Auch in Wien ist der Kren genannte Meerrettich gerade so populär wie die saure Gurke in Berlin. Im westlichen Frankreich pflegte man ihn früher moutarde des allemands zu nennen. Früher benutzte man ihn auch arzneilich. Sein deutscher Name Meerrettich hat mit dem Meer durchaus nichts zu tun und sollte Mährrettich, in der Bedeutung von Pferderettich, geschrieben werden. Jedenfalls ist seine Ableitung durch Verballhornung aus der mittellateinischen botanischen Bezeichnung armoracea, wie sie von manchen Botanikern erklärt wird, durchaus falsch.
Von den Römern haben die Mitteleuropäer die weiße Rübe, auch Stoppelrübe — weil sie meist im Herbst auf den Stoppeln gebaut wird — oder Turnips genannt (Brassica rapa rapifera), kennen gelernt. Dabei wurde aus dem lateinischen rapa das althochdeutsche raba und ruoba. Sie ging aus der wilden Rübe hervor, deren ursprünglich spindelförmige, dünne Wurzel durch Kultur fleischig wurde und eine mächtige Entfaltung erlangte, und bildete schon bei den Römern neben der menschlichen Nahrung ein wichtiges Viehfutter. Sie wurde nach Columella, dem in Gades in Spanien geborenen römischen Ackerbauschriftsteller im 1. Jahrhundert n. Chr., zweimal im Jahr, und zwar zu denselben Zeiten wie der Rettich, am besten aber im August, gesät. Er sagt, sie gebe dem Menschen und dem Vieh Nahrung und werde besonders in Gallien in bedeutender Menge als Viehfutter angebaut. Er gibt genau an, wie sie in Salz eingemacht werden soll. Doch die beiden Ärzte Galenos und Dioskurides sind, wie wir heute noch, der Ansicht, daß sie sehr wenig nahrhaft sei und blähe. Ersterer sagt, man müsse sie zweimal kochen, wenn sie einem gut bekommen soll. Karl der Große empfahl sie den Franken zum Anbau. Bei allen Germanenstämmen spielte sie das ganze Mittelalter hindurch eine wichtige Rolle neben dem als krût, d. h. Kraut bezeichneten, ebenfalls mit Vorliebe in Salz eingemachten Kohl. So neckt der Begründer der höfischen Dorfpoesie, der Minnesänger Neidhart von Reuenthal, der zwischen 1210 und 1240 dichtete, in einem uns erhaltenen Poem seine bäuerliche Geliebte mit ihrer Vorliebe für Rüben. Mit ihrem Kraut klein gehackt, gedämpft und mit Speck gekocht, waren sie als rüebekrût ein gebräuchliches Klosteressen. Eine besonders wohlschmeckende Abart mit verhältnismäßig langer, aber dünn bleibender Wurzel bilden die Teltower oder märkischen Rüben, so genannt nach der Stadt Teltow in der Mark Brandenburg, in deren Umgebung sie zuerst im großen gezüchtet wurden und die noch heute Berlin und das Land weithin mit ihren Erzeugnissen versorgt.
Von den Kulturvölkern des Altertums wurde auch die Runkelrübe (beta), von uns auch Rübenmangold genannt (Beta vulgaris), nicht nur vom Vieh, sondern auch von den Menschen gern gegessen. Sie ist im Mittelmeergebiet und in Westasien heimisch und wurde, wie aus einer Abbildung in einem Grabe der 12. Dynastie (2000–1788 v. Chr.) von Beni Hassan bei Theben hervorgeht, in Ägypten schon zur Zeit des mittleren Reiches kultiviert. Da sehen wir einen Mann im Lendenschurz, wie ihn alle Arbeiter im Niltal damals trugen, ein[S. 295] großes, knolliges Gewächs in Gestalt einer Runkelrübe zu einem Bündel von askalonischen Zwiebeln auf ein großes Tragbrett legen. Heute noch wird sie in mehreren Varietäten im Niltal kultiviert. Auch die Griechen und Römer bauten sie als Gemüse an. Plinius sagt, man säe sie im Frühling und Herbst und esse sie mit Linsen und Saubohnen, setze auch, um ihren matten Geschmack zu verbessern, Senf hinzu. Die Ärzte hätten übrigens die Meinung aufgestellt, sie sei weniger zuträglich als Kohl, und manche wollten sie nicht essen und behaupteten, sie seien eine Speise, die nur Starken gut bekomme. Sie wachse meist als aus der Erde hervorragende Rübe und sei um so schöner, je breiter sie werde. Man könne sie dadurch breit machen, daß man etwas Schweres auf sie legt, sobald sie anfängt sich zu färben. In günstigem Boden wie bei Circeji könne sie zwei Fuß breit werden.
Die zweijährige Pflanze stammt bestimmt von einer an den Küsten Europas bis nach der Nordsee verbreiteten Meldenart mit dünner Pfahlwurzel, Beta maritima, und bildet im ersten Jahr die Rübe aus, die im September oder Oktober reift. Nur etwa 1 Prozent der Pflanzen entwickelt wie die wilde Form schon im ersten Jahr einen Stengel, treibt Blüten und reift den Samen, und zwar wird dieser Rückfall in frühere Zustände nachgewiesenermaßen durch die Nachtfröste des Frühjahrs ausgelöst. Die zur Samenzucht auserlesenen Rüben werden im zweiten Jahre wieder ausgepflanzt, aber auch unter diesen kommen Abweichungen vor, Trotzer, die im zweiten Jahre noch nicht blühen und ein drittes Jahr leben möchten. Die meist aus dem Boden hervorwachsenden Rüben gedeihen noch überall, wo Wintergetreide gebaut werden kann. Die gewöhnlichste Vorfrucht vor ihrem Anbau ist gedüngtes Wintergetreide oder Gerste, die Nachfrucht Sommergetreide oder Hülsenfrüchte. Die eiweißreichsten Formen sind die Futterrunkelrüben, die zuckerreichsten, deren Zuckergehalt man bis 10 und 18 Prozent getrieben hat, sind die zur Rübenzuckerfabrikation verwendeten Zuckerrüben und die mit dünner Schale, zartem Fleisch und purpurrotem Saft versehenen Salatrunkeln oder roten Rüben, in Süddeutschland Rahnen genannt, werden als Salatpflanzen kultiviert, um gekocht und in Essig eingelegt oder frisch als Suppe — in Norddeutschland als Betensuppe, in Rußland als Borschtsch — gegessen zu werden. In bezug auf Nährwert stehen die Runkelrüben zu weißen Rüben wie 9 : 16, zu Kohlrüben wie 11 : 9 und zu Kartoffeln wie 40–46 : 20.
Mit anderen kräftigen Futterarten zusammen geben sie ein vortreff[S. 296]liches Mastfutter, haben aber leider wie alle hochkultivierten Nutzpflanzen unter zahlreichen tierischen und namentlich pflanzlichen Feinden zu leiden. Bei den Zuckerrüben tritt z. B. häufig ein als Rübenmüdigkeit bezeichneter plötzlicher Stillstand im Wachstum ein, der dadurch hervorgerufen wird, daß ein kleiner Fadenwurm, das Rübenälchen (Heterodera schachtii und H. radicicola) an den Wurzelfasern der Rüben saugt. Man bekämpft diese Krankheit durch mehrmaligen Anbau von Fangpflanzen wie Rübsen und Raps, die man nach etwa vier Wochen, sobald sich die Einwanderung der Fadenwürmer mikroskopisch nachweisen läßt, durch Herauspflügen zerstört, wobei dann die Würmchen zum größten Teil absterben.
Die Runkelrübe wird auch als Mangold oder römischer Spinat (Beta cicla) auf Blattsubstanz kultiviert; dabei hat sie eine kaum fleischige Wurzel, aber stärker entwickelte Blattstiele von grünweißer, gelber oder roter Farbe. Man genießt die Blätter als Spinat und die fleischigen Blattstiele und mittelsten Blattrippen gedämpft und an Süßbuttersauce wie Spargel. Schon die alten Griechen bauten ihn, wie jetzt die Perser und Inder, als Gemüse an. Der attische Lustspieldichter Aristophanes (455–387 v. Chr.) wirft dem großen Euripides vor, seine Mutter sei eine Gemüsehändlerin gewesen und habe Mangold auf den Markt gebracht. Die Römer kannten zwei Abarten davon. Karl der Große empfahl auf seinen Gütern den Anbau von beta’s. Von da an verbreitete sich die Kultur des Mangolds nach und nach durch ganz Europa und gelangte im 17. Jahrhundert auch nach Nordamerika.
Durch eine ganz außerordentliche Fülle von Kulturformen, nämlich etwa 120, ist der Gartenkohl (Brassica oleracea) ausgezeichnet, dessen Stammpflanze, der Saatkohl, auf den felsigen Küsten Europas vom Strande Norditaliens bis nach Helgoland und der dänischen Insel Laland, auch im südlichen England und Irland wild wächst. Schon in vorgeschichtlicher Zeit ist dieser Wildling von irgend welchen Küstenbewohnern Europas angepflanzt und durch Kulturauslese zur Kulturpflanze erhoben worden, wie die Stämme im Innern die Melde (Chenopodium) anpflanzten, so daß schon zur jüngsten Steinzeit nicht bloß die Blätter, sondern auch die Samen derselben, die nach dem Botaniker Oswald Heer zu den häufigsten Vorkommnissen im neolithischen Pfahlbau von Robenhausen gehören, gegessen wurden. Letzteres geschieht auch heute noch zu Zeiten von Hungersnot in Südrußland als Ersatz für das fehlende Brot, indem die Samen, zu einem Teig verbacken, gegessen werden.
Die ältesten Ägypter haben den Kohl nicht gekannt. Erst die Griechen, die sich seit dem 6. vorchristlichen Jahrhundert in einigen Küstenstädten zu Handelszwecken niedergelassen hatten, brachten ihn ins Land, wo er unter der griechischen Bezeichnung krámbē hie und da angebaut wurde. So finden wir Überreste von ihm unter den Totenbeigaben der griechisch-römischen Nekropole von Hawara im Fajûm. Die Griechen scheinen den Kohl so hoch wie die Rüben geschätzt zu haben. Theophrast im 4. vorchristlichen Jahrhundert unterscheidet drei Arten von Kohl: den krausblätterigen, den glattblätterigen und den wilden, und der vier Jahrhunderte nach ihm lebende griechische Arzt Dioskurides aus Kilikien sagt: „Der Kohl ist gesünder, wenn er nur warm gemacht, als wenn er eigentlich gekocht oder gar zweimal gekocht wird. Er wird auch als Arznei zu mancherlei Kuren verwendet.“
In noch höherem Ansehen als bei den Griechen stand der Kohl bei den Römern, bei denen er brassica hieß. Auch sie scheinen ihn wie die Griechen mit Vorliebe roh gegessen zu haben. Schon der ältere Cato (234–149 v. Chr.), der unversöhnliche Gegner des wiederaufblühenden Karthago, preist ihn geradezu als das beste Gemüse. Er sagt von ihm: „Der Kohl ist das allerbeste Gemüse. Iß ihn roh oder gekocht. Willst du ihn roh essen, so tauche ihn in Essig; dann ist er der Verdauung förderlich und gesund. Etwas Kohl mit Essig vor der Mahlzeit und wieder etwas nach der Mahlzeit genossen, tut wohl. Gekochter Kohl dient mit Zusätzen vielfach als Arznei. Als Speise für Kranke wird er erst eine Zeitlang in Wasser gelegt, dann darin in einem Topfe tüchtig gekocht. Darauf wird das Wasser abgegossen, Olivenöl, etwas Salz, Kreuzkümmel und Mehl hinzugetan und wieder tüchtig gekocht.“ Mit diesem Kohlgemüse behandelte er, wie jeder andere pater familias — unter der Familie wurden bei den alten Römern nicht bloß die Angehörigen, sondern auch das aus leibeigenen Sklaven bestehende Gesinde verstanden — der guten, alten Zeit die Seinigen in Krankheitsfällen.
Der aus Spanien um die Mitte des 1. christlichen Jahrhunderts nach Rom gezogene Ackerbauschriftsteller Columella zählt den Kohl mit dem Salat, der Kresse, der Zuckerwurzel, dem Pastinak, der Artischocke und den Küchenkräutern Koriander, Kerbel, Dill zu den Gemüsen, die sowohl im Herbst als im Frühjahr gesät werden können. Besser aber sei es, dies im Frühjahr, und zwar im Februar zu tun. „Hat die junge Kohlpflanze Blätter getrieben und soll versetzt werden, so bestreicht man ihre Wurzel mit flüssigem Mist und legt drei Streifen[S. 298] von Seetang darum, ehe man sie einpflanzt. Dadurch wird bewirkt, daß später die Blätter beim Kochen, auch ohne Zusatz von Soda, grün bleiben. In kalten Gegenden und in solchen, in denen es oft regnet, verpflanzt man den Kohl am besten um die Mitte von April. Ist die Pflanze eingesetzt und hat Wurzel gefaßt, so wächst sie um so kräftiger und bildet um so größere Blätter und Sprosse, je öfter man sie behackt und bedüngt.“
Man schnitt vom Kohl den ganzen Sommer und Herbst über die Blätter ab, um sie, roh oder gekocht, als Speise zu genießen. Als besonders wohlschmeckend und zart galten nach Plinius (23–73 n. Chr.) die jungen Sprosse. Dieser Gelehrte ist in seiner Naturgeschichte ungehalten darüber, daß die Genußsucht unter seinen Landsleuten immer weitere Kreise erfaßt habe und sie sich nicht mit den Speisen der biedern, tapfern Vorfahren, vor allem auch mit dem Kohl, den jene mit Vorliebe gegessen hätten, begnügen wollen. Er schreibt darüber: „Der Kohl, den die Griechen nicht sonderlich schätzen, spielte bei den Römern eine sehr bedeutende Rolle, und dessen medizinische Eigenschaften hielt Cato für sehr wichtig. Man sät, pflanzt und schneidet ihn das ganze Jahr. Nach dem Frühjahrsschnitt treibt er gleich wieder und diese Triebe sind noch wohlschmeckender und zarter als die Blätter. — Dem Schwelger Apicius und dem von ihm verleiteten Prinzen Drusus (dem jüngeren Bruder des Kaisers Tiberius, geboren 38 v. Chr., unterwarf im Jahre 15 v. Chr. Rätien, drang in drei Feldzügen in den Jahren 12–9 v. Chr. vom Rhein her tief nach Germanien ein und starb auf dem Rückzug infolge eines Sturzes vom Pferd) schmeckte der Kohl nicht und deshalb bekam er Vorwürfe von seinem Vater Tiberius Claudius Nero.“
Plinius, der uns solches berichtet, fährt dann fort: „Statt sich mit der einfachen Lebensweise unserer Vorfahren zu begnügen und sich aus den eigenen Gemüsegärten die für den Unterhalt nötige Speise zu holen, hält man es jetzt für klüger, mit Gefahr des Schiffbruchs und des Ertrinkens in die Tiefe des Meeres zu tauchen, um dort Austern aufzusuchen, Geflügel jenseits des verrufenen Phasisflusses zu holen (jetzt Rioni genannter Fluß in dem durch die Giftmischerin Medea berüchtigten Kolchis, nach dem die giftige Herbstzeitlose Colchicum genannt wurde, während die hier gemeinten Vögel die von dort bezogenen, nach dem Phasisflusse als phasiani sc. galli, d. h. Hühner von Phasis, genannten Fasanen sind) und anderes Geflügel (nämlich Perlhühner, von den Römern numidae aves, d. h. numidische Vögel ge[S. 299]nannt) aus Numidien (etwa dem heutigen Algerien entsprechendes Königreich, das seit 49 v. Chr. römische Provinz war) und von den Gräbern der Neger, oder mit Raubtieren zu kämpfen und sich von Bestien fressen zu lassen, die man zur Speise für andere Leute fangen wollte (bezieht sich wohl auf die Bären, deren Fleisch auch die Römer gern aßen). In unserer Zeit hat die Schwelgerei alles aufs äußerste gesteigert: Der Reiche will bessere Früchte essen als der Arme, er will Weine trinken, die wuchsen, ehe er lebte, er will von vielen Feldfrüchten nur das Mark genießen, er will anderes Brot essen als das Volk, und das Getreide wird in allen Schichten der Gesellschaft, bis zum ganz gemeinen Mann hinab, verschieden zubereitet. Auch in Gemüsen macht man einen Unterschied, selbst in solchen, die man für ein As (Kupfergeld im Werte von 4 Pfennigen) kauft. Mancher Stengelkohl (caulis) wird jetzt so groß gezogen, daß ihn der Mittelstand nicht gebrauchen kann, weil er für seinen Tisch zu groß ist. Den Spargel (corruda) läßt die Natur wild wachsen, damit ihn jeder nach Belieben stechen kann. Jetzt aber stellt man künstlich gezogenen Spargel (asparagus) zur Schau und in Ravenna wiegen drei Stück davon zusammen ein Pfund. Solche Ungeheuer werden für den Bauch gezogen! Wollte jemand dem Vieh verbieten, Disteln zu fressen, so klänge das sonderbar; es gibt aber Disteln (gemeint sind die Artischocken), deren Genuß sich für arme Leute von selbst verbietet, weil sie zu teuer sind. Selbst im Wasser liegt ein Unterschied. Der Reiche trinkt im Sommer Schnee oder Eis und läßt sich Dinge wohl schmecken, die den Gebirgen lästig sind.“
Von den verschiedenen, im alten Rom verzehrten Kohlsorten erwähnt Plinius den Tritianer oder Stengelkohl, der stets bis zur Spitze mit Erde behäufelt wurde, so daß sich am Strunk keine Blätter bildeten. Weil man von ihm nur die zarten, weißen Stengel aß, hieß diese Sorte insbesondere caulis (d. h. Stengel). Beim Cumaner schlossen die Blätter den Strunk ein und es bildete sich ein breiter Kopf; besonders große Köpfe (caput) bildete der aus dem aricischen Tale stammende Lacuturrische, so genannt, weil dort ein See mit einem Turm am Ufer steht. Der Aricische wuchs nicht hoch und hatte zahlreiche, zarte Blätter; man hielt diese Sorte für die beste, weil sie neben jedem Blatte besondere Sprosse ausbildete. Schlanker war der Pompejaner, dessen Blätter schmäler waren und lockerer standen. Einen dünnen Strunk und große Blätter von scharfem Geschmack besaß der Bruttische, während diejenigen des Sabellischen wunderlich kraus[S. 300] waren. Die an der Meeresküste wachsende Kohlart halmyridion (wohl der Meerkohl Crambe maritima) aber wurde besonders auf lange Meeresreisen mitgenommen, weil er sich, in leere Ölkrüge möglichst luftdicht eingepreßt, sehr lange grün erhielt. Alle diese Sorten Kohl wurden nach Plinius durch einen Reif viel wohlschmeckender.
Sauerkraut haben die alten Römer und Griechen noch nicht gekannt. Bei ihnen konservierte man den Kohl auf andere Weise. Des Plinius Zeitgenosse Columella berichtet uns darüber folgendes: „Gegen die Zeit der Weinernte macht man verschiedene Kräuter ein, wie Portulak und später Kohl, den einige auch zahme battis nennen. Diese Kräuter werden sorgfältig gereinigt und im Schatten ausgebreitet. Am dritten Tage wird Salz auf den Boden der Tonkrüge, in denen sie aufbewahrt werden sollen, gestreut, dann wird jedes der genannten Kräuter für sich hineingelegt, Essig darüber gegossen und Salz aufgestreut. Salzlake darf man für diese Kräuter nicht in Anwendung bringen.“
So wenig als die Gartenmelde ist der Kohl von den germanischen Stämmen des Altertums angepflanzt worden, sondern sie lernten ihn von den Römern kennen, wobei sie aus dem lateinischen caulis, d. h. Stengel, ihre Bezeichnung Kohl für ihn bildeten. Besonders durch die Vermittlung der Klostergärten ist dieses Gemüse im frühen Mittelalter in den Ländern nördlich der Alpen populär gemacht worden, wobei von den verschiedenen von den Römern übernommenen Kulturvarietäten des Kohls besonders auch der Kopfkohl, althochdeutsch chapuz — vom mittellateinischen caputium (Kopf), mittelhochdeutsch kabez und neuhochdeutsch kabis — viel angebaut wurde. Das ganze Mittelalter hindurch war er ein äußerst beliebtes Volksgericht, was schon dadurch bezeugt wird, daß nach altem Brauch die Pflanzplätze für Gemüse einfach nach der vorzugsweise angebauten Krautart Kohlgärten hießen. Ein Calendarium des 14. Jahrhunderts sagt, Kohl essen dürfe man das ganze Jahr, nur im Dezember nicht, und ein Samländer, dem die preußischen Ordensritter ihre Burg zu Balga zeigten und der sie dort Kohl essen sah, riet seinen Landsleuten, die Ritter nicht anzugreifen; denn wer könne einem Volke widerstehen, das so genügsam sei und Gras als Speise verwende.
Die von uns heute besonders angepflanzten Kohlsorten sind: 1. der Blattkohl, der der Stammform am nächsten steht, mit flacher, von ausgebreiteten Blättern gebildeter, selten etwas aufgerichteter Rosette an hohem Stengel; 2. der Winterkohl mit hohem Stengel und flachen, mehr oder weniger zerschlitzten, krausen Blättern, die sich nicht[S. 301] zu einem Kopfe schließen; 3. der Rosenkohl, der dem vorigen an Wuchs ähnlich ist und ebenfalls einen hohen Stengel bildet, an dessen Spitze sich ein halbgeschlossener Kopf mit blasigen Blättern befindet; aus den Achseln der unteren Blätter aber, die beizeiten abgestoßen werden, wachsen zu kleinen, dicht geschlossenen Köpfchen werdende Seitenknospen hervor, die zu Winterbeginn ein feines Gemüse abgeben. Vielfach werden die ausgerissenen Stengel mit Wurzelballen an einem frostfreien Orte, mit Laub bedeckt, aufbewahrt, damit die „Rosen“ bleicher und zarter werden; 4. der Wirsing mit blasigen, krausen Blättern, die sich zu einem Kopfe schließen. Diese Abart heißt auch Welschkohl, weil sie zuerst in Südeuropa kultiviert wurde und von dort wahrscheinlich erst im 17. Jahrhundert mit andern Gemüsen bei uns eingeführt wurde; 5. der Kopfkohl oder Kabis, schlechthin als Kraut bezeichnet, mit ebenfalls gedrängtem Wuchs, an dem nur die äußeren Blätter locker auseinander treten, während die nun meist völlig glatt gewordenen inneren einen festgeschlossenen Kopf bilden. Man unterscheidet Früh- und Spätkraut, wie auch Weiß- und Rotkraut, bei welch letzterem die gleichfalls zu einem runden Kopfe geschlossenen Blätter durch einen intensiven Farbstoff rot bis violett gefärbt sind. Während der Rotkohl dünn gehobelt als Gemüse gekocht und als Salat mit Essig und Öl, Salz, Pfeffer und Senf roh gegessen wird, wird der Weißkohl, wie auch das Filderkraut mit länglichem, weißem Kopfe, gehobelt und, mit Salz und Dill oder Wacholderbeeren bestreut, in Tonnen eingelegt, wobei sich eine durch den Milchsäurebazillus eingeleitete Gärung vollzieht und Sauerkraut entsteht. Dieses mit Recht als Nationalspeise der Deutschen bezeichnete Gericht kam erst im Mittelalter als eine Entlehnung von den Slawen, die heute noch die Hauptsauerkrautesser sind, zu den Deutschen, die es bis heute noch nicht recht an die Franzosen weiterzugeben vermochten. Wie der römische Ackerbauschriftsteller Columella im 1. Jahrhundert n. Chr. angibt, machten die Römer zwar auch Kohl ein, aber in ganzen Köpfen mit Salz überstreut und Essig übergossen. Diese als compositum — woraus dann das mittelhochdeutsche kumpost hervorging bezeichnete Kohlkonserve wurde als römisches Erbe in den Klöstern des frühen Mittelalters hergestellt, fand aber keinen Eingang beim Volke. Erst das slawische Verfahren der Sauerkrautbereitung hat dann wenigstens in Deutschland allgemeine Verbreitung gefunden.
Während wir das Sauerkraut nur als Gemüse zu Kartoffeln oder Erbsen mit Schweinefleisch essen, verzehren es die Russen häufig in der[S. 302] Suppe. Es ist ein Bestandteil der zwei russischen Nationalsuppen, Borschtsch und Schtschi genannt. Beides sind mit einem Stück gekochtem Rindfleisch und viel Gemüse hergestellte Fleischbrühen. Erstere enthält außer Weißkohl hauptsächlich rote Rüben und Tomaten, die sie ganz rot färben, letztere dagegen vorzugsweise Spinat oder Sauerampfer, die ihr eine grüne Farbe verleihen. Zu beiden wird in verhältnismäßig großen Töpfen säuerlicher Rahm genossen. Überhaupt ist der Kohl in der verschiedensten Zubereitung ein Hauptnahrungsmittel der niederen Bevölkerung Rußlands wie bei uns die Kartoffel, und wird in gewaltigen Mengen angepflanzt. Auch das Militär pflanzt seinen eigenen Kohl; jede Truppeneinheit bekommt ihr besonderes Kulturfeld, und diejenige Kompagnie, die den besten Kohl erzielt hat, wird vom Kommando ausgezeichnet.
Alles Kraut, auch das Sauerkraut, will nach schon altrömischer Gewohnheit reichlich mit Fett, Speck oder Schmalz gekocht sein. Wie einst in Italien und dann im Mittelalter bei uns sind heute noch Kohlsuppen und Kohlgemüse durch ganz Europa in fast allen Gesellschaftskreisen beliebt. Er ist auch ein Bestandteil des englischen Nationalgerichtes, joint genannt, das in der Weise hergestellt wird, daß man in derselben Pfanne Kartoffeln mit Spinat und Kohl ohne Butter, aber mit Schaffleisch ohne Salzbeigabe kocht.
Weiter haben wir 6. den Kohlrabi, bei dem auf Kosten und unter ziemlicher Unterdrückung der Blattbildung sämtliche Nährstoffe sich im stark verdickten, fleischigen Stengel ansammeln. Dadurch ist der anfangs dünne Strunk zu einem fleischigen, grünen, weißen oder rotvioletten Knollen angeschwollen, aus dem dann die Blätter entspringen. Wie beim Früh- und Spätkraut gibt es auch bei ihm eine im Herbst gesäte frühe Sorte, welche aber weniger fein ist als die späte, im Frühjahr gesäte. Dieser wird als geschätztes Gemüse gekocht, dem man die zarteren Blätter beifügt; 7. der Blumenkohl, dessen Blütenstand zu einer fleischigen Masse entartet ist und weitaus das feinste Gemüse aus der Kohlsippe liefert. Neuerdings wird er massenhaft aus Italien, wo seine Kultur in der neueren Zeit sehr schwungvoll betrieben wird, zur Winterszeit bei uns eingeführt; 8. der Spargelkohl, mit seinem italienischen Namen auch Broccoli genannt. Er wurde, wie schon aus dem Namen hervorgeht, aus dem Süden bei uns eingeführt.
In West- und Südeuropa werden noch verschiedene andere Kohlarten kultiviert, so der durch starke Verlängerung des Stengels hervor[S. 303]gegangene Baum- oder Riesenkohl, eine Abart, welche Mannshöhe erreicht und hauptsächlich als Futtergemüse angebaut wird. Von ihm werden jeweilen nur die Blätter abgebrochen und als beliebtes Gemüse auch für den Menschen gekocht. In Portugal bilden seine Blätter eine Hauptspeise der Bevölkerung, und auf der englischen Kanalinsel Jersey, wo diese Kohlsorte 4–5,5 m hoch wird, macht man aus seinen Stengeln, die sonst, getrocknet, höchstens als Brennmaterial Verwendung finden, seit etwa 40 Jahren Spazierstöcke, die als Spezialität der Insel gerne von den Fremden als Andenken mitgenommen werden. Auch im ganzen Morgenland bis Persien und Abessinien wird allerlei Kohl zum Teil in solch hohen Formen gepflanzt und von den Eingeborenen gerne roh, mit Knoblauch oder Zwiebeln und Brot gegessen.
In ihrer Verwandtschaft zu den Kohlgemüsen am nächsten stehend, aber von einer anderen, gleichfalls wie der wilde Kohl im nordwestlichen Deutschland noch teilweise wild, sonst aber allenthalben verwildert vorkommenden Stammpflanze, dem Raps (Brassica napus) sich ableitend, den wir unter den ölliefernden Pflanzen kennen lernen werden, ist die als Kohlrübe oder Erdkohlrabi (Brassica napobrassica) bekannte Rübe, deren gelbe Varietät ein beliebtes Speisegemüse bildet, während die weiße meist nur als Viehfutter benutzt wird. Diese Rübe mit ihren bis kindskopfgroß anschwellenden Wurzelknollen ist wohl die anspruchsloseste von allen Gemüsesorten, da sie in äußerst exponierter Lage und in jedem Boden, in welchem andere Kohlarten unmöglich mehr fortkommen, noch gut gedeiht.
Je primitiver der Kulturzustand eines Volkes ist, um so größer ist die Auswahl der wildwachsenden Kräuter, deren saftige, grüne Blätter gesammelt und, anfänglich roh, später, mit der Erfindung von Kochgeschirren, in denen Wasser zum Sieden gebracht werden konnte, auch gedämpft und mit Salz versetzt und so schmackhafter gemacht, verspeist wurden. Um sich das mühsame Suchen nach dergleichen Speise, wie auch nach eßbaren Wurzeln und Samen der verschiedensten Pflanzen zu erleichtern, war es sehr naheliegend, daß hier und dort eine um ihre eigene Ernährung und diejenige ihrer Kinder besorgte Frau, zu deren Hauptbeschäftigung das Suchen von pflanzlicher Speise gehörte, an nur ihr bekannten, leicht erreichbaren Orten solche durch Aussaat anpflanzte und so den ersten Grund zum Hackbau legte. Durch Auswahl der kräftigsten und die gewünschten Eigenschaften vorzugsweise aufweisenden Exemplare zur jeweiligen Vermehrung durch Samen ergab sich dann von selbst eine Kulturauslese, welche nach und[S. 304] nach zur Rassenverbesserung führte. Wenn wir nun, wie vorhin erwähnt, solche Mengen von Meldesamen in der über 4000 Jahre alten Kulturschicht des spätneolithischen Pfahlbaues von Robenhausen im Kanton Zürich finden, so dürfen wir wohl den naheliegenden Schluß daraus ziehen, daß das meiste desselben, wenn nicht aller, aus kultivierter Melde und nicht von wildwachsender gesammelt wurde, da ja jene Leute einen ausgedehnten Hackbau am Lande, in der Nähe ihrer Pfahlbauansiedelungen, betrieben und verschiedene Getreidearten und Lein, nebst Mohn, Erbse, Pastinak und Möhre pflanzten, zu denen in der Bronzezeit die uns später in einer etwas ergiebigeren Art mit größeren Samen bei den Kelten entgegentretende Zwergsaubohne und kleine Feldlinse, beide damals noch mit äußerst kleinen Samen, hinzukamen.
Jedenfalls ist seit Urzeiten neben anderen saftigen Kräutern auch die Brennessel (Urtica urens und dioica) gesammelt und als Gemüse verspeist worden, wie dies heute noch manchenorts auch bei uns geschieht. So sagt schon der berühmte griechische Arzt Hippokrates (460 bis 364 v. Chr.): „Die Nessel (knídion) gehört zu denjenigen Stoffen, die den Leib reinigen.“ Theophrast im 4. Jahrhundert v. Chr. sagt: „Will man Nesseln essen, so brüht man sie vorher ab.“ Der römische Dichter Horaz (65–8 v. Chr.) schreibt in einer seiner Episteln: „Man kann ganz einfach von Kräutern (herba) und Nesseln (urtica) leben.“ Meist wurden sie gepfeffert genossen, wofür der unter Tiberius lebende römische Feinschmecker M. Gabius Apicius in seinem berühmten Kochbuch folgendes Rezept gab: „Man siede Nesseln, seihe das Wasser ab, zerkleinere sie fein mit dem Wiegemesser und dämpfe das Gewiegte auf heißer Asche mit Olivenöl, füge Fischsülze (garum) und gestoßenen Pfeffer hinzu, verrühre die Mischung mit Zusatz von Eiern und bestreue das Gericht mit Pfeffer.“ Plinius berichtet, daß die Brennessel zur Blutreinigung genossen werde: „Die jungen Frühjahrstriebe gewähren eine nicht unangenehme Nahrung, auf deren Gebrauch manche Leute gewissenhaft halten, weil sie glauben, dadurch für das ganze Jahr jede Krankheit abhalten zu können. Die Wurzel der Nessel bewirkt auch, daß Fleisch, mit dem sie gekocht wird, zarter wird. Die Nessel dient in sehr verschiedener Weise zu Heilzwecken, worüber namentlich der (griechische) Naturforscher Phanias geschrieben hat. Ihr Samen muß zur Erntezeit gesammelt werden, und man bezieht den besten von Alexandria.“ Nesselsamen mit Pfeffer gekocht wurde nach Ovids ars amandi von manchen Leuten als Aphrodisiakum genommen, auch[S. 305] wurde daraus, wie Plinius berichtet, Öl gewonnen. Der 87 v. Chr. in Verona geborene und 57 in Rom gestorbene römische Dichter Catull schreibt in einem seiner kleinen Gedichte: „Ich habe einen tüchtigen Schnupfen und Husten gehabt und mich mit Basilie (ocimum) und Nessel kuriert.“ Der griechische Arzt Galenos dagegen (geb. 131 n. Chr. in Pergamon, praktizierte daselbst und dann in Rom, wo er um 200 starb) meint: „Die Brennessel hat nur geringe Kräfte, wird aber von Leuten gegessen, die Hunger haben, und bekommt ihnen gut.“
Noch im Mittelalter wurden die Blätter und Samen des wilden Senfes, wie auch des Sauerampfers (Rumex acetosa) bei uns gesammelt und gegessen, wie wir heute noch die zarten, jungen Blätter des Löwenzahns (Taraxacum officinale) sammeln, um sie wie Spinat gekocht oder als Salat angemacht zu verspeisen. Durch Kultur ist aus dem wilden Sauerampfer eine langblätterige Varietät als spanischer Spinat und eine breitblätterige Varietät als französischer Spinat oder Oseille hervorgegangen. Wurzel, Kraut und Früchte des Sauerampfers wurden früher arzneilich verwendet, und heute noch dienen die viel oxalsaures Kali enthaltenden Blätter als Zutat zu Suppen und Gemüsen, wie auch als Salat. In den Klostergärten des Mittelalters wurde der an grasreichen gedüngten Stellen der Alpweiden gefundene Alpensauerampfer (Rumex alpinus) kultiviert, um den fleischigen, verzweigten Wurzelstock als Rhabarbersurrogat zu benutzen. Als englischen Spinat oder Gartenampfer wird besonders in England die 2 m hohe, zweijährige Ampferart Rumex patientia angebaut, die in Mittel- und Südeuropa wild wächst. Unser Spinat oder Binetsch (Spinacia oleracea) ist eine Meldenart, die im wilden Zustande nicht mehr gefunden wird, doch, wie ihre nächsten Verwandten, aus dem Hochlande von Iran stammen dürfte. Den Griechen und Römern war sie unbekannt. Die Kultur des Spinats scheint am Ende des Altertums unter dem Namen ispany in Persien aufgekommen zu sein und gelangte dann einesteils als isfany nach Indien und unter dem chinesischen Namen „persisches Kraut“ bis in die Mandschurei, anderenteils als isfanâdsch zu den Arabern, die ihn zuerst nach Europa, und zwar nach Spanien brachten, von wo er sich als französisch épinards, englisch spinage, hochdeutsch Spinat und süddeutsch Binetsch weiter nach Norden verbreitete. Jedenfalls war er bei uns noch im 16. Jahrhundert neu und wenig bekannt. Man kultiviert ihn als im Frühjahr gepflanzten Sommerspinat mit länglicheirunden Blättern und ungehörnten Früchten, und als Winterspinat, der im Herbst gesät und im Frühjahr geschnitten[S. 306] wird, mit spießförmigen, zweizähnigen Blättern und Früchten mit 2–4 stachelartigen Hörnchen. Ersterer wird bevorzugt, weil er weniger leicht in Samen schießt. Die Blätter liefern gedämpft und gehackt ein sehr zartes, blutbildendes Gemüse, das gerne als Fastenspeise genossen wird. Zu diesem Zwecke füllt man in Griechenland Gebäck mit Spinat und einigen Gewürzkräutern, und in Frankreich verbäckt man den Samen zu Brot.
Als neuseeländischer Spinat wird seit dem Jahre 1772 auch in Europa eine dem Portulak verwandte, in Neuseeland, Australien und den Norfolkinseln heimische, 1 m hohe ästige Eiskrautart (Tetragonia expansa) mit eirunden Blättern, gelblichgrünen Blüten und vierhörnigen, fest sitzenden Früchten kultiviert, die schon länger auch in Südamerika und Japan gepflanzt wird. Als Nährpflanze viel wichtiger ist der Peruspinat oder die Reismelde (Chenopodium quinoa), eine unserem gemeinen Unkraut, der weißen Melde ähnliche, mehlig bestäubte, gegen 1 m hohe Pflanze mit ovalen und eckigen Blättern, in sehr ästigen Rispen vereinigten Blüten und gelblichweißen Samen. Wegen letzteren, die in Wasser oder Milch abgekocht, in Breiform oder auch zu Mehl gestampft und dann geröstet als ein schmackhaftes und tägliches Nahrungsmittel an Stelle des Getreides im westlichen Südamerika von Chile bis Mexiko gegessen werden, wird diese in Chile und Peru noch in einer Höhe von 4000 m über Meer, wo Roggen und Gerste nicht mehr gedeihen, angepflanzte Meldenart als das Hauptnahrungsmittel neben den Kartoffeln geschätzt. Auch die Blätter geben, wie bei uns Spinat und Gartenampfer, ein gutes Gemüse. Alexander von Humboldt, der von 1799–1804 mit Bonpland Süd- und Mittelamerika bereiste, gab die ersten Nachrichten über diese Kulturpflanze, deren Spielart mit weißen Samen als die ergiebigste gilt und zum Anbau auch für Norddeutschland paßt. Als Erdbeerspinat wird die aus Südeuropa stammende Blattmelde (Chenopodium foliosum) teils ihrer wie Spinat benutzten Blätter, teils der zahlreichen, hochroten, erdbeerähnlichen, aber fade schmeckenden Früchte wegen kultiviert. Die Beeren geben eine wenig haltbare Farbe. In der Walachei schminken sich die Bauernweiber mit ihnen. Wie die weiße und grüne Melde, deren Blätter auch bei uns in manchen Gegenden als Gemüse gesammelt und, wie Spinat gekocht, gegessen werden, Kulturpflanzen Ostindiens sind, so wird auch bei uns die im nördlichen Europa bis Sibirien heimische, schon bei den Alten als Speise verzehrte Gartenmelde oder wilder Spinat (Atriplex hortense) mit herzförmig-drei[S. 307]eckigen, gezähnten, roten Blättern stellenweise, so besonders in Frankreich als arroche, angebaut. Von ihrer strauchartigen Verwandten, der an den europäischen Küsten wachsenden Portulakmelde (Atriplex portulacoides), werden die jungen Sprosse wie Kapern eingemacht, während die säuerlichsalzigen Blätter und zarten Stengel der in Südeuropa heimischen Meermelde (Atriplex halimus) in England und Holland als Salat gegessen werden. Die jungen Sprosse ersetzen in Portugal den Spargel.
Seit sehr langer Zeit werden die fleischigen Blätter des über Asien, Europa und Afrika verbreiteten und längst auch in die Neue Welt verpflanzten Portulaks (Portulaca oleracea) — bei den Griechen andráchnē, bei den Römern portulaca genannt — roh als Salat angemacht oder gekocht als Gemüse gegessen. Nach Columella wurden sie wie der späte Kohl gegen die Zeit der Weinernte mit Salz und Essig eingemacht. Sonst waren der Lattich (lactuca) und die Endivie (intubum) die Hauptsalatkräuter der Römer, indem sie aus ihnen mit Zuhilfenahme von Fleischbrühe, Olivenöl, Zwiebeln, Honig und Essig ihren nach dem Essig (acetum) als acetarium bezeichneten Salat herstellten. Im Mittelalter genoß man mit Salz, Essig und Öl angemachten Salat vorzugsweise aus Lauch, Zwiebeln, Boretsch, Pfefferminze und Petersilie. Heute werden die verschiedensten Blattgemüse und Wurzeln dazu verwendet. Salat kommt vom italienischen salato gesalzen, woraus zunächst das französische salade und daraus erst unser deutsches Salat wurde. Essig, Öl, Salz, Pfeffer und Senf sind die Hauptingredienzien dazu, und zwar mische man das Öl vor dem Essig mit den Blättern, damit der Saft infolge der fettigen Umhüllung ganz in den pflanzlichen Teilen bleibe und das Fett den Salat durchdringen könne. Ein altes Sprichwort sagt, der Salat solle von einem Verschwender mit Öl, von einem Geizhals mit Essig, von einem Weisen mit Gewürzen und Salz versehen und von einem Narren gemischt werden, dann werde er recht sein. Die Römer der Kaiserzeit pflegten ihr Abendessen mit Salat zu beginnen, während ihre Vorfahren zur Zeit der Republik es mit ihm zu beschließen pflegten. Dazu wurde gewöhnlich Lattich genommen, der im Rufe stand, den Schlaf zu befördern. Der Geschichtschreiber Flavius Vopiscus berichtet uns von dem im Jahre 275 75jährig vom Senate gewählten und schon im folgenden Jahre auf einem Zuge gegen die Goten in Kleinasien von den Soldaten ermordeten Kaiser Marcus Claudius Tacitus, er habe sehr mäßig getrunken und gespeist, aber viel Salat gegessen, um sich[S. 308] einen recht sanften Schlaf zu verschaffen. Desgleichen berichtet Suetonius vom Kaiser Augustus, daß er, wenn er durstig war und doch kein Getränk zu sich nehmen wollte, ein Stückchen Gurke oder von einer Lattichstaude in den Mund nahm, um daran zu kauen. Einmal soll ihm die Klugheit seines Arztes Musa das Leben gerettet haben, indem er ihm Salat verordnete, den ihm der vorige Arzt Gajus Ämilius aus allzugroßer Ängstlichkeit verboten hatte. Nach dieser Aufsehen erregenden Heilung des Staatsoberhauptes stieg das Ansehen des Salates, wie Plinius uns berichtet, in Rom so hoch, daß man sogar die Erfindung machte, ihn in mit Essig versetztem Honig aufzubewahren, bis es wieder frischen gab.
Durch die Römer kam dann der Salat in die Länder nördlich der Alpen und wurde hier in der Folge sowohl in den Klostergärten, als auf den Edelhöfen gepflanzt. Zuerst wird der Salat auf deutschem Gebiet in Ekkehards Benediktionen aus dem Kloster St. Gallen, später dann auch als Gericht höherer weltlicher Kreise erwähnt, allerdings mit dem Hinzufügen, daß solche Speise auf die Dauer für Kraft und Aussehen unvorteilhaft sei. Erst im 15. Jahrhundert wurde sein Genuß, besonders in der Form von Lattich, in Mitteleuropa gemein, und zwar in der von Italien her gebräuchlichen Weise, ihn, außer mit Essig zu versetzen, mit Öl einzufetten. Genießt doch heute noch der Italiener mit Vorliebe auch andere grüne Gemüse mit Öl übergossen.
Der Gartenlattich (Lactuca sativa) stammt von dem im gemäßigten und südlichen Europa und in Westasien wachsenden wilden Lattich (Lactuca scariola) und wurde schon im frühen Altertum als Salatpflanze gezogen, so von den Persern zur Zeit des Königs Kambyses, des Sohnes von Kyros, der diesem 529 v. Chr. folgte, 525 Ägypten eroberte und 522 auf dem Rückzuge nach Persien starb. Die alten Griechen nannten ihn trídax und bauten ihn in wenigstens drei Sorten an, die Römer hießen ihn nach dem Milchsaft lac lactuca und pflanzten hauptsächlich vier Sorten: den cäcilianischen Salat mit grünen bis roten, krausen Blättern, den kappadozischen mit bleichen, kammförmig eingeschnittenen, dicken Blättern, den weißen, sehr krausblätterigen aus der Provinz Bätica (dem südlichen Spanien, nach dem Flusse Bätis so genannt) und aus der Nähe der Stadt Gades (dem heutigen Cadix) und den zyprischen rötlichweißen mit glatten, sehr zarten Blättern. Columella, der uns diese aufzählt, berichtet uns zugleich, daß sie in der hier angegebenen Reihenfolge von Januar bis April in gut gedüngten Boden gesät würden, reichlich Wasser erhielten und durch Auflegen[S. 309] einer Scherbe auf den Wipfelsproß am Aufschießen verhindert und gezwungen würden, mehr in die Breite als in die Höhe zu wachsen.
Aus den frühmittelalterlichen Klostergärten und den Gärten der Vornehmen, besonders des mächtigen Frankenkönigs Karl, dem späteren Kaiser, ging der Gartenlattich mit den anderen von den Römern übernommenen Gemüsearten in die Gärten Mittel- und schließlich auch Nordeuropas über und aus dem lateinischen lactuca wurde das französische laitue, das deutsche Lattich und das englische lettuce. Und mit diesem Salatkraut wurde auch sein alter Begleiter, der Boretsch (Borrago officinalis) übernommen, der fortan keinem Gemüsegarten fehlte. Diese aus Südeuropa und Kleinasien stammende Pflanze mit borstenhaarigen Blättern, gewöhnlich dunkelblauen, in manchen Varietäten aber himmelblauen, blaßroten und weißen Blüten war schon im Altertum außer als Bienenweide auch als Heilmittel für mancherlei Krankheit geschätzt, und schon die alten Griechen und Römer fanden, daß ihre Blätter und Blüten, fein gewiegt, dem Lattichsalat einen feinen, gurkenähnlichen Geschmack verleihen. Aus diesem Grunde ist sie bis auf den heutigen Tag im ländlichen Garten in Ehren geblieben.
Heute unterscheiden wir drei Hauptarten von Lattich: 1. den Schnittsalat mit hell- oder dunkelgrünen, rotgefleckten oder dunkelroten Blättern in offener Rosette, die man allmählich von innen nach außen absticht. 2. den Bindsalat oder römischen Salat mit länglichen, aufrechten, eine geschlossene Rosette bildenden Blättern, die man zusammenbindet, um die inneren zu bleichen. Mit Recht findet der als laitue bezeichnete französische Bindsalat durch die ganze Kulturwelt rasche Verbreitung. 3. den Kopfsalat mit breiten, blasig aufgetriebenen, kopfförmig zusammenschließenden Blättern; dieser wird am häufigsten gebaut und unter Strohmatten überwintert. Alle diese Salatarten, die heute noch in Südeuropa die Lieblingsspeise des gemeinen Mannes bilden, haben sich heute über die ganze Erde verbreitet. Nach China gelangte der Lattich ums Jahr 600 n. Chr. aus dem Westen.
In derselben Weise wie der Salat wurde von den Griechen und Römern die Endivie angepflanzt und, wie Plinius uns berichtet, über den Winter in Krügen eingemacht und später gekocht, als ob sie frisch sei. Früher nahm man an, daß sie aus Indien stamme, doch wissen wir jetzt, daß sie von der im Mittelmeergebiet wild wachsenden Cichorium divaricatum gewonnen wurde. Die Endivie (Cichorium endivia) wird besonders in der krausen Varietät häufig als Salatpflanze in den Gemüsegärten kultiviert. Die breitblätterige Abart[S. 310] kommt dagegen unter dem Namen Eskariol auf den Markt. Bei beiden werden wie beim Bindsalat die eine lockere Rosette bildenden und meist zu einem Kopf zusammenschließenden Blätter gewöhnlich zusammengebunden, um durch Lichtentzug gebleicht zu werden. Dadurch schmecken sie ungemein zart; aber selbst die feinste Pariser chicorée ist immer noch härter als Kopfsalat.
Bei den Alten galt die überall in den Mittelmeerländern wildwachsende Endivie, mit Essig vermischt gegessen, als dem Magen gesund und allerlei Übel heilend. Plinius berichtet, daß die wildwachsende Endivie in Ägypten cichorium, die zahme dagegen, die kleiner und saftiger sei, seris heiße. Die Magier behaupten, wer sich mit dem Saft einer ganzen Zichorie und Olivenöl einreibe, der werde anmutiger und erreiche seine Wünsche leichter. Deshalb nennen manche die Pflanze auch chreston (d. h. brauchbar), andere pankration (d. h. alles beherrschend), die wildwachsende heiße auch hedypnois (d. h. süßen Schlaf bewirkend). Nach dem gelehrten Varro (116–27 v. Chr.) wurde die Endivie für die Gänse gesät, die aber nicht darauf getrieben wurden, weil sie die Blätter teils zertreten, teils so viel von ihnen fressen würden, daß sie stürben. Man schneide deswegen die Blätter selbst für die Tiere ab und gebe ihnen ihre richtige Portion davon. Und Palladius im 4. christlichen Jahrhundert gibt an, daß man sie im Monat Oktober säe; sie liebe einen lockeren, feuchten Boden und man weise ihr ein ebenes Beet an, damit die Wurzeln nicht durch Regengüsse entblößt würden.
Sehr viel bitterer als die Endivie ist die gemeine Zichorie oder Wegwart (Cichorium intybus), eine, im Gegensatz zu jener einjährigen, ausdauernde Pflanze mit kurzgestielten, blauen Blüten. Sie findet sich wild in ganz Mittel- und Südeuropa, Nordafrika und dem gemäßigten Asien, wurde aber, da sie häufig an Wegen und auf Feldern auftritt, vielfach vom Menschen über die Grenzen ihres ursprünglichen Vaterlandes hinaus verbreitet. Die jungen Blätter wurden schon von den Griechen und Römern teils von wildwachsenden, teils aber auch schon kultivierten Pflanzen als Gemüse und Salat benutzt. Columella sagt um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr., daß sie, die er intybum nennt, dem übersättigten Gaumen behage. Auch sein Zeitgenosse, der ältere Plinius, spricht mehrfach von ihr und empfiehlt sie als gesunde Speise. Heute pflanzt man zu diesem Zwecke den Brüsseler Witloof und den französischen Kapuzinerbart, deren Wurzeln, in einem dunkeln Keller in Pferdedünger eingepflanzt, farblose, äußerst zarte Blätter[S. 311] treiben, die als Salat gegessen werden. Die lange, möhrenförmige, ungemein bitter schmeckende Wurzel wird arzneilich benutzt und bildet, mit Zucker eingemacht, die Hindläufte der Konditoren; namentlich aber hat sie im letzten Jahrhundert als Kaffeesurrogat eine ungemein große Bedeutung erlangt. Deshalb wird die Zichorie in Frankreich, Belgien, Holland, Mittel- und Süddeutschland, Böhmen, Ungarn und Rußland im großen angebaut. Die kultivierte Wurzel ist stärker als die wild gewachsene, fleischig, mit verhältnismäßig breiter Rinde und erreicht ein Gewicht von 200–400 g. Ende September, wenn die untersten Blätter gelb werden und abzusterben beginnen, werden die Wurzeln, die frisch auch als Beigabe zu Viehfutter verwendet werden, um den Stoffwechsel anzuregen, geerntet, gewaschen, zerschnitten, getrocknet, dann in eisernen Trommeln geröstet und gemahlen. Ein Zusatz von 1–5 Prozent Sesam- oder Erdnußöl beim Rösten verbessert den Geschmack. Das Zichorienmehl wird zuletzt in Dampftrommeln feucht gemacht, in Pakete verpackt und kommt als Zichorienkaffee in den Handel. Sein Aroma erinnert entfernt an den Kaffee, doch entbehrt er natürlich der auf das Nervensystem anregend wirkenden Bestandteile und wirkt bei anhaltender Benutzung nachteilig auf die Verdauung. Er wird vielfach mit Runkelrübenpreßlingen, Ziegelmehl, Ocker und Ton verfälscht. Schon um die Mitte des 18. Jahrhunderts röstete man in Haushaltungen am Nordrande des Harzes Zichorienwurzeln, um sie als Kaffeesurrogat zu benutzen; um 1790 begannen Braunschweiger und Magdeburger Kaufleute dieses Präparat für den Handel herzustellen. Es vermochte sich dann besonders während der Kontinentalsperre bei der ärmeren Bevölkerung einzubürgern, so daß immer mehr Fabriken errichtet wurden. Gegenwärtig besitzt das Deutsche Reich über 100 und Europa 450 Zichorienfabriken. Deutschland liefert für rund 9 Millionen Mark Rohstoffe und für 18 Millionen Mark Fabrikate von Zichorie.
Als weitere Salatkräuter sind die Kressearten zu nennen, die teilweise schon von den alten Griechen und Römern angepflanzt und, wie der griechische Arzt Dioskurides um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. berichtet, mit Wasser, Salz und Milch gegessen wurden. Besonders die Gartenkresse (Lepidium sativum), die von Südeuropa und Nordafrika bis Indien heimisch ist, wurde, wie heute noch, so schon im Altertum in Ägypten kultiviert. Doch dürfte ihr Anbau dort nicht erheblich über das 2. Jahrhundert v. Chr. hinausgehen. Den alten Alexandrinern galt sie als leckeres, gewürzhaftes Gemüse, das als[S. 312] Salat gegessen wurde. Auch von den Griechen der späteren Zeit wurde sie geschätzt. Von den Römern wurde sie nasturcium, d. h. Nasenquäler genannt, weil ihre Schärfe bis in die Nase hinein verspürt werde. Sie scheint im östlichen Mittelmeergebiet, vielleicht in Kleinasien, zur Kulturpflanze erhoben worden zu sein und wird heute bei uns häufig kultiviert, um als Salat und Beilage zu Fleisch und Gemüse zu dienen. Dabei hat sie den Vorzug, außerordentlich rasch zu wachsen; auch wirken ihre jungen Triebe anregend auf Appetit und Verdauung. Früher wurde sie auch medizinisch benutzt, wie ihre Verwandte, das Pfefferkraut (Lepidium latifolium), die am Meeresstrand und an Salinen in Europa, Mittelasien und Nordafrika wächst. Auch sie wird seit dem Mittelalter in Gärten kultiviert, um die pfefferartig scharf brennenden Blätter zu Saucen verwenden zu können. Die in Quellen, Bächen und Gräben mit schlammigem Grund in ganz Europa, Nord- und Ostasien heimische, auch nach Nordamerika übergeführte Brunnenkresse (Nasturtium officinale) wird bei uns vielfach kultiviert, um ihre durch den Gehalt an einem ätherischen Öle rettichartig scharf schmeckenden Blätter als Salat zu essen. Sie verlangt reines, leicht strömendes Wasser und wird vom Oktober bis April geerntet. Später hört die Ausbeute auf, da dann die Blütenbildung beginnt, in deren Verlauf die Blätter steif und ungenießbar werden. Sie galt seit den ältesten Zeiten als heilkräftig und stand daher als Zugemüse in hohem Ansehen. So erwähnt sie schon die heilige Hildegard, Äbtissin des Klosters Rupertsberg bei Bingen, als brunnencrassum besonders als Mittel gegen Fieber. Heute wird sie im großen gezogen und gelangt in Menge auf den Markt, und zwar sind die Hauptproduktionsorte Dreienbrunnen bei Erfurt und die Umgegend von Paris. Um aber als Salat gegessen zu werden, soll sie mit Zitronensäure statt Essig angemacht werden, da der Essig ihren charakteristischen Geschmack beeinträchtigt. Endlich wird auch die aus Südamerika eingeführte Kapuzinerkresse (Tropaeolum majus), weil ähnlich scharf schmeckend, als Salat gegessen, während ihre Blütenknospen und unreifen Früchte, in Salz und Essig eingelegt, wie Kapern Verwendung finden.
Eine beliebte Salatpflanze ist ferner der Feldsalat oder das Rapünzchen (Valerianella oliteria), das in ganz Mittel- und Südeuropa als Ackerunkraut wächst, aber, um zartere Pflänzchen zu bekommen, auch im Gemüsegarten kultiviert wird, wo sie größer, kahler wird und sich durch Selbstbesamung fortpflanzt. Sie gehört der den Korbblütlern nahestehenden Familie der Baldriangewächse an und wird[S. 313] im ersten Frühjahr gesammelt und auf den Markt gebracht. Dann der Sellerie oder Eppich (Apium graveolens), dessen Stammpflanze mit kleinen, etwas knollig verdickten Wurzeln fast in ganz Europa, Westasien und Nordafrika an feuchten Orten in der Nähe der salzhaltigen Meeresküste wild wächst. Bei den Griechen hieß er sélinon, bei den Römern dagegen apium. Schon in Homers Odyssee wird erzählt, daß auf der Insel der Kalypso die Wiesen mit Veilchen und Sellerie bedeckt gewesen seien, so schön, daß sie selbst den Göttern wohlgefielen. Mit Kränzen aus wildem Sellerie pflegten die Griechen ihre Grabmäler zu schmücken und solchen auch bei den Leichenschmäusen zu verzehren. Nach Plinius stimmten Chrysippos und Dionysios darin überein, daß es unrecht sei, den Sellerie an Speisen zu tun, da er nur zum Leichenschmaus gehöre. Er war den Göttern der Unterwelt geweiht und bezeichnete im griechischen Volksglauben Trauer und Tränen. Der griechische Geschichtschreiber Plutarch (50–120 n. Chr.) erzählt uns in seiner Biographie des korinthischen Feldherrn Timoleon, der 343 v. Chr. die Stadt Syrakus von ihrem Tyrannen Dionysios dem Jüngeren befreite und 340 die Karthager am Flusse Krimissos besiegte, daß ihm einst mit seinem Heere Maulesel begegnet seien, die mit Sellerie beladen gewesen seien. Das hielten die Soldaten für eine üble Vorbedeutung, weil es Sitte war, die Denkmäler der Toten mit Sellerie zu bekränzen. Plinius aber berichtet, daß man dem Sellerie in Achaja die Ehre erweise, mit ihm diejenigen zu bekränzen, die in den heiligen Spielen zu Nemea gesiegt haben. Auch bei den alten Römern galt er durch griechischen Einfluß als Sinnbild des Todes und der Trauer. So hieß die Redensart apio indiget, es gibt nur noch Eppich für ihn, so viel als es steht schlimm mit ihm, er ist dem Tode nahe. Bei den heutigen Griechen dagegen gilt er als glückbringend und wird nebst Knoblauch und Zwiebeln in den Zimmern aufgehängt.
Während der wilde Sellerie widerlich durchdringend riecht und eine fast ungenießbar bittere Wurzel besitzt, ist ihr Geschmack beim kultivierten Sellerie bedeutend gemildert. Das hohe Alter seiner Kultur erklärt uns das Vorhandensein der so verschiedenen Kulturvarietäten. So pflanzt man Krautsellerie mit langgestielten, aufrecht stehenden Blättern und kleiner Wurzel, Bleich- oder Stengelsellerie mit fleischigen, zarten Blattstielen und Knollensellerie mit kurzgestielten Blättern und großer, rundlicher Wurzel, welche als Küchengewürz und Salat mit Essig und Öl gegessen wird. In Zucker eingemacht, liefert sie mit Weißwein ein der Ananasbowle täuschend ähnliches Getränk.[S. 314] Sie wirkt reizend auf die harnabsondernden Organe und gilt als sexuell reizendes Mittel.
Die Petersilie (Petroselinum sativum) ist eine zweijährige Umbellifere der Mittelmeerländer, die vom Arzte Dioskurides unter dem Namen petrosélinon, d. h. Felsensellerie, als eine wildwachsende Heilpflanze erwähnt wird, die dann auch die Römer unter derselben Bezeichnung als Medikament verwendeten. Ob sie schon im Altertum angebaut wurde, ist uns nicht bekannt; doch wird dies aus der römischen Kaiserzeit wohl anzunehmen sein. Erst im Capitulare de villis Karls des Großen vom Jahre 812 wird sie bestimmt unter den anzubauenden Pflanzen erwähnt. Im 16. Jahrhundert wurde sie im Garten von Olivier de Serres gezogen. Die englischen Gärtner erhielten sie nach dem Berichte eines Zeitgenossen im Jahre 1548. Obgleich ihre Kultur weder ein hohes Alter aufweist, noch von besonderer Wichtigkeit ist, so hat sie sich doch bereits in zwei Rassen gespalten, eine Form mit krausen Blättern, die als Suppengewürze dienen, und eine andere, deren fleischige Wurzel gegessen wird.
Aus dem gemäßigten Westasien scheint der Gartenkörbel (Scandix cerefolium) zu stammen, den die älteren griechischen Autoren nicht erwähnen, gleichwohl aber gekannt haben müssen. Um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. wird sie als Gemüsepflanze von Dioskurides und Plinius unter der Bezeichnung cerefolium genannt. Sie wurde angepflanzt und muß schon im 2. Jahrhundert v. Chr. von den Griechen zu den Römern gelangt sein, um dann zunächst zu den Romanen zu gelangen, die sie heute noch cerfeuil nennen. Viel wichtiger als sie war einst das heute ganz aus unserem Gemüsegarten verschwundene Myrrhenkraut (Smyrnium olus-atrum), von der schon der Aristotelesschüler Theophrastos als einer wichtigen medizinischen Pflanze unter dem Namen hipposélinon, d. h. Pferdesellerie spricht. Drei Jahrhunderte später sagt Dioskurides von ihr, daß man ihre Blätter und Wurzeln als Speise benütze. Als olus antrum wurde sie von den Römern kultiviert, als olisatum befahl sie Karl der Große auf seinen Meierhöfen anzupflanzen. Später wurde diese in den Mittelmeerländern wildwachsend angetroffene Pflanze auch bei den Italienern des Mittelalters als macerone angebaut. Noch zu Ende des 18. Jahrhunderts kannte man in Frankreich und England die Überlieferung, daß diese Pflanze einst in den Gemüsegärten gehalten wurde, später aber wird sie nicht mehr erwähnt.
Ein von den älteren Griechen als köstlichste Beigabe jeder Speise[S. 315] gehaltene Würzpflanze, die zugleich, noch mehr als alle vorgenannten Kräuter, für eine kostbare Medizin galt, die alle Gifte aufhebe, die bösartigsten Wunden heile, Blinde sehend und Greise jung mache, war das Silphium, griechisch sílphion. Es war eine in der nordafrikanischen Landschaft Kyrene wildwachsende Doldenpflanze, deren etwas knoblauchartig riechende Blätter und junge Sprosse als feinstes Gemüse in ganzen Schiffsladungen nach Griechenland gebracht wurden. Sie bildete den Reichtum des Landes von Kyrene, der ihren Bewohnern großen Wohlstand brachte und als wichtigstes Landesprodukt auf den dortigen Münzen abgebildet wurde. Der Silphionhandel ist uns auch auf der berühmten Arkesilasschale im Cabinet des Médailles der Nationalbibliothek in Paris abgebildet. Auf ihr sitzt an Deck eines Schiffes, das bald absegeln und die kostbare Ware in die Fremde tragen soll, Arkesilas, der König von Kyrene, auf einem Klappsessel, auf dem bärtigen Kopfe einen spitzen Strohhut mit aufgebogenen Rändern und mit einem langen, weißen Chiton und einem schwarzrot gestreiften Himation bekleidet, dessen Bordüre eingewebte Stickerei trägt. Zu Füßen des Königs, unter dem Sessel, liegt, um das Land Afrika anzudeuten, ein Panther. Der König hält das Szepter in der Rechten und weist mit der Linken nach der Wage, auf der das Silphion abgewogen wird, das in Binsensäcken verpackt ist. Ein Mann scheint dem Könige zu melden: Es besteht Gleichgewicht. Die große Wage ist an einer Rahe aufgehängt. Ein als Silphiumarbeiter bezeichneter Mann legt das Silphium zurecht. Neben ihm stehen zwei Korbträger, von denen einer sich umwendet und den König frägt: Soll ich wegnehmen? Er fürchtet offenbar zu gut gewogen zu haben. Darunter sehen wir unbärtige Matrosen unter der Aufsicht eines Wächters die mit Silphium gefüllten Binsensäcke im Schiffsraum aufeinander legen. Sogar die Jahreszeit der Handlung ist sehr sinnig angedeutet. Es ist Spätherbst; denn über dem Schiffe sehen wir Zugvögel dahinziehen, von denen sich einige, von der langen Meerfahrt erschöpft, auf dem Takelwerk des Schiffes niederlassen wollen, aber von einem zahmen Affen wenig liebenswürdig verscheucht werden.
Alle Teile der kostbaren Silphionpflanze wurden von den danach lüsternen Griechen verwendet. Die jungen Blütenschäfte wurden sowohl roh als gekocht als Salat und Gemüse gegessen; der Stengel galt als hochfeine Delikatesse, während die Blätter als Gemüse gekocht wurden. Der eingedickte Saft von Stengel und Wurzel wurde als sehr geschätztes Gewürz und Allheilmittel fast mit Gold aufgewogen; er bildete das[S. 316] kostbare laserpitium der Römer. Schon unter dem Kaiser Nero verschwand diese Pflanze mit ihren so geschätzten Produkten völlig aus dem Handel, und trotz eingehenden Forschungen konnte bis heute nicht ermittelt werden, welche Pflanze eigentlich unter dem Silphion der Alten zu verstehen sei. Vielleicht, daß man später einmal in einem entlegenen Gebiete des Innern von Barka in Tripolis diese spurlos verschwundene, und nicht in Kultur genommene Silphionpflanze der Alten findet. Ihr sehr ähnlich, aber nicht mit ihr identisch, ist die Teufelsdreckpflanze oder der Stinkasant (Ferula asa foetida), der seit Alexanders des Großen Zug nach Persien und Indien als „persisches Silphion“ bekannt war und in gleicher Weise wie das seit dem 7. vorchristlichen Jahrhundert verwendete echte afrikanische Silphion von den Griechen und Römern benutzt wurde. Heute noch werden die einzelnen Teile der Pflanze wie einst diejenigen der kyrenischen Art teils roh als Salat, teils gekocht als Gemüse, speziell als Beigabe zu Fleisch, der eingedickte Saft aber als Allheilmittel verwendet. Im Gegensatz zum echten Silphion, das als wohlriechend bezeichnet wird, riecht das persische widrig knoblauchartig. Von Persien bis China dient der Stinkasant als hochgeschätzte Arznei und sein eingedickter Milchsaft kommt noch heute in großer Menge als wertvolles Heilmittel zu uns nach Europa und in alle Kulturländer der Erde. Über ihn und seine Geschichte soll im Abschnitt über Heilpflanzen Genaueres mitgeteilt werden.
Eine bei fast allen Völkern der Alten Welt seit grauer Vorzeit überaus beliebte Würze und Zukost zur faden Brotnahrung sind die meist im Innern Asiens heimischen Laucharten, deren scharfe Zwiebeln von den ihre Herden hütenden Nomaden eifrig gesucht und als Delikatesse gegessen werden. Sehr frühe sind diese zentralasiatischen Zwiebelgewächse als geschätztes Zugemüse in die alten Kulturländer Vorderasiens und am Nil eingeführt worden. Soweit wir es zurückverfolgen können, waren Zwiebeln und Knoblauch Bestandteile der allgemeinen Volksnahrung Ägyptens. Sie galten sogar im Lande als heilig, so daß man bei ihnen schwur und die Priester und Frommen aus Scheu sie nicht einmal zu berühren wagten. Während ihrer Wüstenwanderung sehnten sich die Israeliten nach den Lauchgewächsen des Niltals, wie 4. Mose 5, 11 gesagt wird: „Wir gedenken der Fische, die wir in Ägypten umsonst aßen, und der Aggurmelonen, Wassermelonen (battichim, von Luther irrtümlich mit Pfeben, d. h. Kürbisse übersetzt), Lauch, Zwiebeln und Knoblauch.“ Diese alle wurden im Niltal in Menge gepflanzt und von den Ägyptern gerne gegessen, wenn wir[S. 317] auch, wie Wildemann zuerst schlagend nachwies, von der Wahrheit der Herodotschen Angabe abstrahieren müssen, wonach beim Bau der großen Pyramide des Cheops (um 2900 v. Chr.), wie auf derselben noch zu seiner Zeit mit Hieroglyphen soll verzeichnet gewesen sein, allein für die Rettich-, Zwiebel- und Knoblauchkost der Fronarbeiter 1600 Silbertalente, d. h. über 7,5 Millionen Mark aufgewendet worden seien.
Schon zur Zeit der ältesten ägyptischen Dynastie, die mit der Thronbesteigung des Menes 3400 v. Chr. beginnt, waren die Zwiebeln und Knoblauch im Pharaonenlande viel kultivierte Pflanzen, deren große Wertschätzung als gesunde, schmackhafte Speise die ihr im ganzen Lande gespendete Verehrung genugsam erklärt. Zwiebeln in überreicher Menge gehörten in Ägypten zu den gebräuchlichsten Opfergaben. So finden wir sie — altägyptisch hudsch und badschar genannt, welch letzteres mit dem hebräischen besel (Plural besalim) zusammenhängt, aus welch letzterem sich dann das arabische basal bildete — mit dem nicht minder geschätzten Knoblauch, altägyptisch schagin, und der Schalotte auf den Darstellungen an den Wänden der Totenkammern schon des alten Reiches, teils in Füllhörnern steckend, teils in Bündeln frei auf den Opfertischen liegend, teils zu glockenartigen Gebilden zusammengebunden, sehr deutlich abgebildet. Die Zwiebeln in solcher Glockenform den Göttern zu spenden war vielleicht ein Vorrecht der durch das Tragen des Leopardenfells ausgezeichneten Priesterkaste. Einen solchen opfernden Priester erblicken wir auf einem Grabgemälde des mittleren Reiches in der Totenstadt Theben. Derselbe hält in seiner linken das Weihrauchbecken und bringt mit seiner Rechten das Trankopfer dar, indem er aus einem Gefäße geweihten Wein auf die unter der Zwiebelglocke liegenden Früchte spendet. Der Genuß von Zwiebeln und Knoblauch war zwar den Priestern selbst verboten, weil sie, wie der griechische Schriftsteller Plutarch (50–120 n. Chr.) meint, den Durst reizen. Als eigene Erklärung der Priester führt Plutarch dagegen an, daß die Enthaltung vom Genusse der Zwiebelgewächse deshalb bei ihnen geschehe, weil die Pflanze bei abnehmendem Monde wachse. Seiner persönlichen Meinung gibt er Ausdruck, indem er hinzufügt: „In der Tat schickt sich die Zwiebel weder für fastende Büßer, noch für die, welche fröhliche Feste begehen: den ersteren erweckt sie Begierden und den letzteren lockt sie Tränen ins Auge“. Doch galten die Zwiebeln wie die übrigen Lauchgewächse den Alten als gesunde Speise und heilsam, weil sie, wie Plinius erklärt, „die Verdauung befördern und Winde in Bewegung setzen“. Dieser Autor kennt die[S. 318] Zwiebel ausschließlich als Kulturgewächs; denn er sagt ausdrücklich in seiner Naturgeschichte: „Wilde Zwiebeln gibt es nicht.“ Wie in Assyrien, Babylonien und ganz Vorderasien wurden die Zwiebeln in verschiedenen Kulturrassen seit den ältesten nachweisbaren Zeiten auch in Ägypten kultiviert und vom Volke roh und gekocht in Menge gegessen. In einem Grabe des mittleren Reiches in der Totenstadt von Theben finden wir auf einem Gemälde die Zwiebelernte geschildert. Ein Gärtner zieht diese ansehnlichen Knollengewächse aus den quadratischen Gemüsebeeten, in denen sie kultiviert wurden, aus, um sie zu je vieren in Bündel zu binden. So brachte man sie in Körben auf den Markt. Auf einem Relief in Sakkara trägt eine, vermutlich aus dem Gemüsegarten heimkehrende dienende Frau einen Korb mit Artischocken auf dem Kopfe und drei sehr langblättrige Zwiebeln über die Schulter geschlagen.
Diese ägyptischen Zwiebel- und Knoblaucharten, die heute noch in Menge im Niltal wie im ganzen Morgenland gegessen werden, halten keinen Vergleich mit den unsrigen, viel schärfer beißenden aus, so daß wir sehr wohl die Sehnsucht der in der Wüste hungernden und durstenden Juden nach dieser schmackhaften, saftigen Speise begreifen können. Wie vor Jahrtausenden kommen sie noch jetzt in Menge auf den Markt und können um geringes Geld selbst von den Ärmsten gekauft werden, um als meist roh genossene Zukost zum Brote zu dienen. Die ägyptischen Zwiebeln sind schneeweiß, besitzen namentlich jung äußerst zarte Häute, sind ungemein mild und besitzen durchaus nicht die Schärfe und den beißenden Geschmack, der unsere Zwiebelarten kennzeichnet. Auch der dortige Knoblauch ist sehr mild schmeckend. Schon Plinius rühmt den lieblichen, süßen Geschmack, den er in Ägypten und Palästina besitze. Wie die Zwiebel fand er bei den alten Ägyptern in zahlreichen Krankheitsfällen, selbst bei Zahnschmerzen, Verwendung.
Auch in späterer Zeit waren die Zwiebelgewächse in Vorderasien höchst wichtige und beliebte Gemüse. So wird uns von griechischen Schriftstellern berichtet, daß am persischen Hofe in Susa der Verbrauch von Zwiebeln und Knoblauch an der Tafel des Großkönigs und seines[S. 319] Gesindes ein gewaltiger war. So soll außer Kümmel, Silphion und anderen Würzen ein Talent Gewicht (26,2 kg) Knoblauch und ein halbes Talent Zwiebeln, letztere von der scharfen Art, als tägliches Bedürfnis des Hofes angesetzt gewesen sein. Das hohe Alter der Zwiebeln als Würzmittel bei den Völkern am Mittelmeer wird auch durch Homer bezeugt, der sie schon unter dem Namen krómmyon kennt. In der Ilias heißen sie Beiessen zum Mischtrank, den die schönlockige Hekamede dem durstig aus der Schlacht heimgekehrten Nestor bereitet, und dieser Held läßt (im 11. Gesange) seinen Gästen einen Tisch vorsetzen, auf dem sich neben frischem Honig und Brot „aus heiligem Mehl“ eine eherne Schüssel mit Zwiebeln (krómmyon) befand, „die zum Trunke trefflich munden“. Dabei stand ein mit Wein gefüllter Krug, in welchen noch Ziegenkäse auf einem Reibeisen gerieben und weißes Mehl darein gestreut war. In der Odyssee trägt der weit gereiste Odysseus eine prächtige Tunika „fein wie das Häutchen um die trockene Zwiebel“. Ebenso alt oder vielleicht noch älter als diese homerischen Stellen ist vermutlich der Name einer einst megarischen Ortschaft Krommyon, der jedenfalls von der dort in besonderer Menge oder Güte angebauten Zwiebel abzuleiten ist. In ganz Griechenland, wie später in Italien, waren die Zwiebelgewächse eine sehr beliebte Volksnahrung; aber mit der steigenden Bildung schlug bei den höheren Ständen die Vorliebe dafür in ihr Gegenteil um, und Zwiebel- und Knoblauchgeruch verriet den Mann aus dem niedrigen Volke. Wie der Lustspieldichter Aristophanes (455–387 v. Chr.) das bäuerliche Zwiebelessen geißelt, so verwünscht der feinfühlende Horaz (65–8 v. Chr.) den Knoblauch, den man künftig Verbrechern statt des Schierlings geben möge! Vermöge ihres durchdringenden Geruches und scharfen Geschmackes schrieb man den Zwiebelgewächsen im allgemeinen auch abergläubische Heilkraft zu, besonders die Fähigkeit, bösen Zauber zu brechen. Schon in der Odyssee wird die von den Menschen schwer, von den Göttern aber leicht zu grabende Pflanze móly mit schwarzer Knollenwurzel und milchweißer Blüte erwähnt, die dem Odysseus von Hermes zum Schutze[S. 320] gegen den Zauber der Kirke gegeben wurde. Damit ist jedenfalls Allium nigrum gemeint.
Die Sommerzwiebel oder gemeine Zwiebel (Allium cepa) ist in wildem Zustande nicht mehr bekannt; doch sind neuerdings durch kleinere Dolden ausgezeichnete Wildlinge in Zentralasien gefunden worden, die mit der Stammpflanze sehr nahe verwandt, ja vielleicht mit ihr identisch sein dürften. Jedenfalls ist das innere Asien ihre Heimat, von wo sie sich schon früh allseitig verbreitete. So wird sie im Chinesischen durch einen einzigen Buchstaben (tsung) bezeichnet, was nach Bretschneider auf ein sehr altes Vorkommen bei jenem Volke hinweist und sehr wahrscheinlich macht, daß diese Pflanze in den einst von ihnen vor ihrer im 3. Jahrtausend v. Chr. vor sich gegangenen Wanderung nach Osten innegehabten Ursitzen in Oasen am Südrande des Tarimbeckens zwischen Chotan und Lop-nor einheimisch war. Das Sanskrit kennt für die Zwiebel die drei Namen: palandu, latarka und sukandaka, was auf Invasion der Würzpflanze auf verschiedenen Wegen nach Altindien spricht. Wie von alters her wird die Zwiebel heute noch in ganz Asien in zahlreichen Varietäten mit runden, plattrunden oder birnförmigen Knollen angepflanzt. In bezug auf Geschmack gibt es alle Abschattierungen von sehr scharfen bis ganz milden Sorten. Schon bei den Mittelmeervölkern des Altertums wurden milde, süße und scharfe, herbe Zwiebeln unterschieden. Erstere, die noch jetzt hauptsächlich im Orient gezogen werden, lassen sich gut roh essen ohne irgendwie die Tränendrüsen zu reizen. Sie dienten auch den Kulturvölkern am Mittelmeer vorzugsweise als Volksnahrungsmittel, das bei den Griechen und Römern in besonderen Abteilungen des Gemüsegartens, bei ersteren krommyónes (vom griechischen krómmyon, Zwiebel), bei letzteren cepinae (vom lateinischen cepa, Zwiebel) genannt, gepflanzt wurde. Besondere fliegende Händler (griechisch krommyopóles, lateinisch ceparii) boten in den Straßen der Städte diese Ware feil und fanden guten Absatz. Schon der pflanzenkundige Theophrast im 4. vorchristlichen Jahrhundert unterschied mehrere Zwiebelarten, die er wie seine Zeitgenossen nach den Orten, von wo aus sie in den Handel kamen, benannte, so sardische, knidische, samothrakische, sethamische und askalonische Zwiebeln. Nach ihm war besonders die Insel Kimolos, nördlich von Melos, das uns die berühmte Venus von Milo im Louvre in Paris bescherte, durch ihre Zwiebelkulturen berühmt und erhielt daher den Beinamen Krommyúsa, d. h. Zwiebelinsel.
Nicht minder beliebt als in Griechenland waren die Zwiebeln auf[S. 321] der italischen Halbinsel, wo die Römer ausgedehnte Zwiebelgärten besaßen. Als geschätzte Speise siedelten sie dieses Küchengemüse auch in ihren Provinzen an. So brachten sie die Zwiebel als cepa zu Beginn der christlichen Zeitrechnung auch in die Länder nördlich der Alpen, speziell Germanien. Hier wurde sie aber erst zu Beginn des Mittelalters beim Volke gebräuchlicher unter dem Namen Zwiebel oder Bolle, was beides aus dem spätlateinischen cepulla (Diminutivum von cepa), wie das italienische cipolla, entstand. Allerdings schätzten die Deutschen dieses Gewächs viel weniger als die Romaioi im oströmischen Reiche, bei denen beispielsweise an der kaiserlichen Tafel in Byzanz der Zwiebelverbrauch so stark war, daß der langobardische Bischof Liudprand von Cremona in Oberitalien, der Gesandte des Deutschen Kaisers Ottos des Großen am Hofe Königs Nikephoros II. (963–969), sich daran stieß. „Der Beherrscher der Griechen“, sagt er in seinem Gesandtschaftsbericht vom Jahre 968, „trägt langes Haar, Schleppkleider, weite Ärmel und eine Weiberhaube..., nährt sich von Knoblauch, Zwiebeln und Lauch und säuft Badewasser (d. h. mit Wasser verdünnten resinierten, d. h. geharzten Wein)“. Und ein anderes Mal: „Er befahl mir zu seiner Mahlzeit zu kommen, die tüchtig nach Zwiebeln und Knoblauch duftete und mit (Oliven-) Öl und Fischlake besudelt war.“ Um dieselbe Zeit machte freilich ein Morgenländer, der Araber Ibn Hauqual, der die Hauptstadt von Sizilien, Palermo, besuchte, den Einwohnern dieser Stadt den Vorwurf, daß sie morgens und abends rohe Zwiebeln äßen, wodurch ihr Gehirn verstört und ihre Sinne abgestumpft würden. Man sehe das an ihrem Benehmen und an ihrem Aussehen. Sie trinken lieber stehendes als laufendes Wasser, scheuen sich vor keiner stinkenden Speise, sind schmutzig am Leibe, ihre Häuser sind unrein, in den prächtigsten Wohnungen laufen die Hühner herum usw.
Auch im Abendland werden eine Menge von Kulturvarietäten der Zwiebel angepflanzt. Die bemerkenswertesten darunter sind die gewaltig große, rötliche bis weiße, fast kugelige Madeirazwiebel von mildem, süßem Geschmack, aber im Winter nicht haltbar und nur in wärmeren Gegenden ihre volle Größe erreichend, und die leider ebenfalls nicht haltbare Bellegarde von ovaler Form, oft von 50 cm Umfang und 1,5 kg Gewicht, mit feinem, süßem Fleisch. In der ganzen Kulturwelt werden die Zwiebeln als Küchengewürz benutzt, in Süd- und Osteuropa dagegen roh oder geröstet wie Obst oder Gemüse gegessen. Sie enthalten ein schwefelhaltiges ätherisches Öl und wirken dadurch in Übermaß reizend auf den Magen, erzeugen übelriechende[S. 322] Atmung und Ausdünstung. Die Vermehrung geschieht durch die sogenannten Steckzwiebeln, kleine Zwiebelchen, die sich nach der Aussaat im ersten Jahre bilden und, im zweiten Jahre ausgesetzt, die küchenfähige Zwiebel liefern. In Essig eingemacht kommen sie unter dem Namen Perlzwiebeln in den Handel.
Im ganzen milder als diese zweijährige gemeine oder Sommerzwiebel schmeckt die ausdauernde Winterzwiebel oder der Röhrenlauch (Allium fistulosum) mit mehreren länglichen, nebeneinander stehenden Zwiebeln, sonst der vorigen ähnlich. Sie stammt aus dem südlichen Sibirien, vom Altai bis nach Daurien, und kam erst am Ausgang des Mittelalters über Rußland nach Europa. Im 16. Jahrhundert gab Dodoens eine wenig kenntliche Abbildung von ihr. Weil sie sich sehr stark vermehrt und winters im freien Lande aushält, wird sie in Gärten häufig kultiviert; doch benutzt man meist nur die Blätter als Küchengewürz und zum Füttern von jungen Truthühnern.
Die Schalotte (Allium ascalonicum) — deutsch auch Aschlauch — hat ihren Namen von der Stadt Ascalon, wo sie früher viel gebaut wurde und von wo aus sie durch Kreuzritter nach Europa gebracht wurde. Sie wird nirgends mehr wild gefunden und scheint eine mit der gemeinen Zwiebel verwandte Form zu sein, die schon im Altertum in Syrien, Palästina und Kleinasien gepflanzt wurde. Die vorderasiatischen Semiten waren von jeher wie heute noch die Juden große Zwiebelfreunde und pflanzten und aßen sie in Menge. Ammianus Marcellinus erzählt uns aus dem Leben des Kaisers Marcus Aurelius, daß, als er auf einer Reise nach Ägypten im Jahre 175 n. Chr. durch Palästina kam, ihm der Gestank und Lärm der Juden so lästig wurde, daß er schmerzlich ausgerufen haben soll: „O Markomannen, Quaden und Sarmaten (es sind dies Stämme, die er vor kurzem besiegt hatte), habe ich doch noch schlimmere Leute als ihr seid gefunden!“ — Noch heute werden die Zwiebelgewächse von den Israeliten, wie auch von den Orientalen und Russen sehr geschätzt. Die Schalotten haben pfriemenförmige und nicht aufgeblasene Blätter wie die vorigen, sind ausdauernd und werden, da bei uns der Same nicht reift, durch Brutzwiebeln fortgepflanzt. Die Zwiebeln mit äußeren braungelben und inneren violetten Hüllen schmecken milder und feiner als die gewöhnlichen Zwiebeln und werden als besseres Küchengewürz benutzt. Um sie ein Jahr lang zu erhalten, dörrt man sie über dem Ofen.
Der Porree oder die Welschzwiebel (Allium porrum) mit weißer, rundlicher Zwiebel, fast ohne Nebenzwiebeln und hellpurpurroten, statt[S. 323] wie bei der Schalotte violetten Blüten, ist eine Kulturform des im Mittelmeer heimischen Allium ampeloprasum, welche Art als Sommerporree gepflanzt wird und pikanter als der gemeine Porree schmeckt. Wie Zwiebeln und Knoblauch wurde der Porree schon im Altertum in Gärten kultiviert und besonders im Orient sehr geschätzt. Die alten Ägypter nannten ihn edsche und auch im Alten Testament wird er mehrfach erwähnt. Bei den Griechen hieß er prasiás, bei den Römern dagegen porrum und hatte nach Plinius bei letzteren besonders dadurch ein hohes Ansehen erlangt, daß ihn Kaiser Nero seiner Stimme wegen in jedem Monat an bestimmten Tagen mit Öl aß und dabei gar nichts anderes, nicht einmal Brot, genoß. Derselbe Autor meldet, daß der römische Ritter Mela, als er wegen schlechter Verwaltung seiner Provinz vor den Kaiser Tiberius gefordert wurde, sich in der Verzweiflung damit vergiftete, daß er soviel Porreesaft trank als drei Silberdenare wiegen. Er sei dann auf der Stelle und ohne Schmerzen gestorben. Sonst galt der Porree den Alten — nach Dioskurides am besten gekocht, wobei das Wasser zweimal abgegossen wurde, und dann in kaltes Wasser gelegt — als schleimlösendes Mittel bei Husten und wurde nach Columella, mit Öl und Gersten- oder Weizenmehl vermischt, zu demselben Zwecke dem Rindvieh gegeben. Der bissige Epigrammendichter Martial (40–120 n. Chr.), der aus seiner spanischen Heimatstadt Bilbilis zur Zeit Neros nach Rom kam und Schmeichler und Günstling der auf jenen folgenden Kaiser war, rät einem Freunde: „Hast du stinkenden Porree gegessen, so schließe wenigstens den Mund, wenn du jemand küssen willst.“
Wichtiger als er ist der Knoblauch (Allium sativum), der in der Dsungarei in Zentralasien heimisch ist und, wie wir bereits feststellten, schon bei den ältesten Babyloniern und Ägyptern gepflanzt wurde. Er ist ausdauernd, hat breitlineale, flache Blätter und eine Blütendolde, in der zwischen zahlreichen Zwiebelchen wenige weißlichrosenrote Blüten stehen, die keinen Samen entwickeln. Er kommt bei uns verwildert vor und wird wie die vorigen am besten in sandigem Boden kultiviert. Mit den Zwiebeln wurde er schon im hohen Altertume bei den alten Kulturvölkern Vorderasiens und in Ägypten angebaut. Im Sanskrit hieß er mahuschuda, bei den Juden schumin, bei den Griechen skórodon, bei den Römern allium, das dann in die verschiedenen Sprachen lateinischen Ursprungs überging, z. B. italienisch aglio, französisch ail. Die Mitteleuropäer kannten ihn schon bevor die Römer ihre Kultur über die Alpen brachten. Lauch ist ein gemeingermanisches Wort, das[S. 324] vornehmlich Knoblauch bezeichnet, der den Germanenstämmen eine beliebte Würze bildete. Beklagt sich doch schon der byzantinische Gesandte Sidonius Apollinaris über den üblen Geruch des germanischen Volkes der Burgunder vom vielen Lauch- und Zwiebelnessen. Nach Plinius wurde er viel als Arznei angewandt, besonders auf dem Lande. Esse man ihn ungekocht, so gebe er dem Atem einen sehr unangenehmen Geruch. Der Schriftsteller Menandros behaupte zwar, man könne dem Munde den Knoblauchgeruch nehmen, wenn man geröstete Runkelrüben hernach kaue. Um ihn und die Küchenzwiebel lange aufzubewahren, befeuchte man sie mit lauem Salzwasser oder hänge sie eine Zeitlang zum Dörren über glühenden Kohlen auf; manche höben den Knoblauch auch in Spreu auf. Auf den Feldern wachse wilder Knoblauch, den man alum nenne. Man koche ihn und werfe ihn aus, wo Vögel der Saat Schaden zufügen; diejenigen, welche davon fräßen, würden alsbald betäubt, so daß man sie mit Händen greifen und unschädlich machen könne.
Schon im Altertum aß das gemeine Volk in den Mittelmeerländern wie noch heute gern den Knoblauch, der bei den Griechen und Römern in besonderen, griechisch skorodṓnes, lateinisch alliinae genannten Abteilungen des Gemüsegartens gepflanzt und durch ambulante Knoblauchhändler (griechisch skorodopṓles, lateinisch alliarii) verkauft wurde. Noch in unseren Tagen lebt der arme Grieche oft wochenlang vom Genusse des Knoblauchs. Die Geizigen gaben ihren Sklaven Knoblauch zu essen, wie uns die Schriftsteller mehrfach berichten, und eine skorodálmē genannte Brühe aus Knoblauch und Salz gehörte zu den altgriechischen Volksgerichten. So beliebt er aber beim ungebildeten, armen Volke war, so sehr wurde er wegen seines starken Duftes von den gebildeten, vornehmen Kreisen verabscheut und sein Geruch von ihnen durchaus verpönt. Allium olet, der Knoblauch stinkt, war eine Redensart, mit der ihn diese Kreise besonders im reichen Rom abweisend kennzeichneten. In einer Komödie des lateinischen Dichters Plautus (254–184 v. Chr.) wird ein Mann aus dem Volke mit dem Ausruf angeschnauzt: „Mensch, schere dich zum Teufel, du stinkst nach Knoblauch!“ Und Marcus Terentius Varro, der fruchtbarste und bedeutendste Gelehrte Roms (116–27 v. Chr.) sagt in einer seiner Schriften: „Unsere Väter und Urgroßväter waren recht brave Leute, obgleich ihre Worte einen derben Knoblauch- und Zwiebelgeruch hatten.“ Feinfühlige Römer der späteren Zeit entsetzten sich ob dieses plebejischen Genußmittels; so läßt der Dichter Horaz (65–8 v. Chr.)[S. 325] in einer seiner Epoden seinen Gönner Maecenas, den Freund des Kaisers Augustus, der ihm sein Landgut Sabinum schenkte, wissen: „Du hast mich, mein verehrter Gönner, Maecenas, mit einem Futter bewirtet, das giftiger ist als Schierling und tödlicher als Vipernblut; du hast mir Knoblauch zu essen gegeben, dieses Teufelszeug, das die harten Eingeweide der Schnitter vielleicht verdauen können, das aber in meinem Leibe wie ein wütendes Ungeheuer tobt, dieses Teufelsgift, mit dem Medea einst den Jason so gräßlich beschmierte, daß selbst die feuerschnaubenden Stiere sich nicht an ihn wagten. Wart, verehrter Gönner, wenn du dir wieder so ein Knoblauchspäßchen mit mir erlaubst, so werde ich meinerseits dir alles mögliche Unheil an den Hals wünschen.“
Heute sind nur noch die Juden, wie auch die Russen und Türken besondere Freunde des Knoblauchs, der sonst wegen seiner widerwärtigen, lange anhaltenden Ausdünstung auch bei den Kulturvölkern des Abendlandes in Verruf erklärt ist. Er wird in verschiedenen Varietäten kultiviert, von denen der spanische Lauch und der Schlangenlauch die feinsten sind. Letzterer liefert die Perlzwiebeln oder Rockambolen (aus dem italienischen rocambole), die stets nur durch Zwiebelbrut fortgepflanzt werden können. Wie der Knoblauch wird auch der in Südeuropa wild wachsende Sandlauch (Allium scorodoprasum) kultiviert und als Küchengewürz verwendet. Die Italiener nennen ihn agliporro. Der auch von uns vielfach benutzte Schnittlauch (Allium schoenoprasum) mit kleinen, weißen, länglichen, in Büscheln beisammenstehenden Zwiebeln, einen Rasen bildenden hohlen Blättern und wenig höheren Blütenschäften von rotvioletten Blüten wächst auf Gebirgswiesen in ganz Europa bis nach dem südlichen Schweden, in Sibirien bis nach Kamtschatka und auch in Nordamerika, da aber nur in der Nähe der kanadischen Seen. Nach De Candolle steht die in den Alpen vorkommende Form der angebauten am nächsten. Von den Alten wurde sie nicht angepflanzt, höchstens etwa auf freiem Felde gesammelt und als Medizin oder Küchengewürz verwendet. Erst im Mittelalter wurde sie zur Kulturpflanze erhoben und wird heute auch in Norditalien als erba cipollina gezogen. Die kleinen, dichtgedrängten Zwiebelchen setzen einen umfangreichen Wurzelstock zusammen, dessen röhrenförmige Blätter man wegen ihres angenehm würzigen Geschmacks abschneidet, um sie als Würze in die Suppe zu tun oder dem Salat beizufügen. Nicht zu tief abgeschnitten, wachsen sie bald wieder nach und bilden daher ein sehr dankbares Gartengewächs.
Schon von den alten Ägyptern, Griechen und Römern wurde der Spargel (Asparagus officinalis) als geschätzte Gemüsepflanze gezogen. Diese Pflanze, die von Spanien bis zur Dsungarei und vom Mittelmeer bis Norwegen besonders an Flußufern wild wächst, treibt im Frühjahr aus dem Wurzelstock fleischige, saftige, weißliche oder blaßrote bis grünliche Sprosse, Pfeifen genannt. Diese verlängern sich über der Erde in den reich verzweigten, grünen, bis 1,5 m hohen glatten Stengel, an welchem im Herbste zahlreiche rote Beeren erscheinen. Nachdem man anfänglich nur die saftigen Sprosse des wildwachsenden Spargels gesammelt, wurde diese Pflanze früh aus der Wildnis in die Gärten übernommen und durch Kultur veredelt. Dabei suchte man auf künstlichem Wege durch Behäufeln mit Erde oder tiefes Setzen der Pflanzen die so bleich bleibenden jungen Sproßspitzen möglichst lang und fleischig zu erhalten und stach sie mit eigenen Spaten ab, sobald sie die Oberfläche des Bodens erreichten. So treffen wir den Kulturspargel bereits unter den Opfergaben im Grabe der Stufenpyramide von Sakkara aus der 5. Dynastie (2750–2625 v. Chr.) abgebildet. Da liegen auf einem Tische neben Feigen, Flaschenkürbissen und länglichen gerippten Aggurmelonen dreifach gebundene Spargelbündel, damit der Verstorbene, der sie im Leben gern aß, auch im Tode nicht entbehre. Auf einer anderen Darstellung sind sogar die Blattschüppchen des sonst blattgrünfreien, weißen Sprosses mit hellgrüner Farbe angedeutet.
Bei den Griechen hieß der Spargel aspáragos, d. h. der nicht Gesäte, weil man ihn damals schon durch Stecklinge in den Gärten fortpflanzte. Das ungebildete Volk in Griechenland glaubte nach dem Berichte des Dioskurides durch Tragen eines Spargelsprosses als Amulett unerwünschten Kindersegen fernhalten zu können; auch wurde er bei mancherlei Krankheit als Heilmittel eingenommen. In seiner Schrift über den Landbau gibt uns der ältere Cato (234–149 v. Chr.)[S. 327] ausführliche Mitteilungen über seinen Anbau und rät als besten Dung für ihn den Schafmist, da anderer Mist Unkraut erzeuge. Daß er so eingehend über ihn spricht, beweist, daß diese von den wohllebenden Griechen Unteritaliens eingeführte Kultur damals bei den Römern noch neu war. Noch um die Mitte des 1. christlichen Jahrhunderts wurde nach Plinius und Columella der wildwachsende Spargel, weil als Arznei wirksamer als der gezähmte, gesammelt. Plinius sagt, den Spargel (corruda) lasse die Natur wild wachsen, damit ihn jeder nach Belieben stechen könne; jetzt aber stelle man künstlich gezogenen Spargel (asparagus) zur Schau, von welchem der in Ravenna gezogene „gemästete“ so dick werde, daß drei Stück zusammen ein Pfund wiegen (was für das Stück 115 g ausmacht). Sein Genuß solle dem Magen wohltun; auch genieße man ihn bei Bauchweh mit einem Zusatz von römischem oder Kreuzkümmel (cuminum), oder koche ihn mit Wein. Suetonius berichtet uns, daß der Kaiser Augustus, wenn er sagen wollte, es müsse etwas schnell fertig werden, er den Ausdruck zu gebrauchen pflegte: „schneller als Spargel beim Kochen gar wird“. Wie diese Spargeln der Römer ausgesehen haben, das lehren uns verschiedene Küchengegenstände darstellende Wandgemälde in Pompeji, auf denen man solche in Bündel zusammengebunden neben Zwiebeln, Rettichen, Rüben und einer Art kleiner Kürbisse abgebildet findet. In Böotien pflegten einst Neuvermählte mit Kränzen aus Spargelkraut geschmückt zu werden, wohl um anzudeuten, daß das Rohe durch Kultur verfeinert werde, wie die Ehe und die Familie die Sitten der Völker veredle.
Wie schon das aus dem lateinischen asparagus abgeleitete Wort Spargel beweist, haben die Römer den Spargelbau nach Gallien und Germanien gebracht. Aber wegen seiner anspruchsvollen Kultur konnte er hier kein allgemein gebräuchliches Gemüse werden, sondern blieb ein Luxusgemüse der Vornehmen. Erst im 10. Jahrhundert hören wir überhaupt wieder etwas vom Anbau des Edelspargels in Mitteleuropa. Doch begann er erst im 16. Jahrhundert hier als Leckerei aufzukommen. So schreibt der deutsche Geistliche Hieronymus Bock (nach der damaligen Sitte der Gelehrten in Tragus latinisiert, 1498 bis 1554) in seinem 1539 erschienenen „New Kreutterbuch“ vom Spargel als eines „gemeinen Sallats (einer mit Salz angemachten Speise) der Walen (Welschen) und Hispanier, der nunmehr auch, wie andere Leckerbißlein ins Teutschland kommen ist, ein lieblich Speis für die Leckermäuler“. Sein Schüler Tabernaemontanus (nach seinem Geburtsort[S. 328] Bergzabern so genannt, starb 1590 als Leibarzt des Pfalzgrafen Johann Kasimir bei Rhein in Heidelberg) gibt in seinem erst nach seinem Tode 1613 herausgegebenen Kräuterbuch, auf Cato gestützt, Kulturanweisungen des Spargels, von dem er berichtet, daß er „im Rheingau bei Weynhagen um denen feuchten Wiesen so überflüssig gezogen wurde, datz mann ihn zur Spais genugsam bekommen könnte“. Er schreibt seinem Genusse heilkräftige Wirkung auf die Nieren zu und beruft sich dabei als Gewährsmann auf Serenus Sammonicus, den Leibarzt des römischen Kaisers Caracalla (Sohn des Septimius Severus, bestieg 211 23jährig mit seinem Bruder Geta, den er im Jahre darauf ermorden ließ, den Thron und wurde 217 auf Anstiften des Macrinus bei Edessa selbst ermordet), der Spargelköpfe in Wein bei Erkrankung der Nieren empfohlen habe. Weil sie harntreibend wirken empfahl sie auch der Arzt Becher 1663 in seinem Parnassus medicinae als Stärkungsmittel der Nieren, das sich auch für Leber und Milz nützlich erweise.
Erst in der Neuzeit hat der Spargel als geschätztes feineres Gemüse in weiteren Kreisen Verbreitung gefunden, und zwar nahmen zuerst einige Städte am Mittellauf des Rheins, besonders Mainz, wo er heute noch sehr viel und in besonderer Güte gezogen wird, seine Kultur auf. Von da an drang sein Anbau ostwärts durch ganz Deutschland, so daß er hier heute überall auch auf den Tisch der bürgerlichen Kreise gelangt, während er früher nur den Vornehmen erreichbar war. Er wird in großen Plantagen in mehreren Varietäten gepflanzt, und zwar am ausgedehntesten um Braunschweig, Erfurt, Berlin, Lübeck, Ulm und Argenteuil bei Paris, wo teilweise auch Riesenformen, die denjenigen von Ravenna in römischer Zeit durchaus ebenbürtig sind, gezogen werden. Um Erfurt herum sind weit über 2000 ha Land der Spargelkultur gewidmet. Da nun ein Hektar durchschnittlich mit 25000 Pflanzen besetzt ist, von denen jede einzelne ¼–½ kg Stangen liefert, so kann man sich einigermaßen vorstellen, um welche Mengen dieses zarten, wohlschmeckenden Gemüses es sich hier handelt. Dabei bezahlt der Importeur genannte Zwischenhändler 25–50 Mark, später wohl auch nur 15 Mark für 50 kg. Und er verkauft sie wieder zu einem solchen Preise, daß auch der Minderbemittelte sich gelegentlich diesen Leckerbissen verschaffen kann.
Ein lockerer, durchlässiger, gut gedüngter Boden eignet sich am besten zur Spargelkultur. Das Saatgut wird in Zwischenräumen von 30–35 cm gestreut, um den Wurzeln Spielraum zu lassen. Die Zwischen[S. 329]räume werden mit Kompost ausgefüllt. Nach 3–4 Wochen erscheinen die jungen Keime. Nun werden die Schwächlinge unter ihnen ausgerodet und nur die als „Klauen“ bezeichneten kräftigen Keimlinge, die starke Wurzeln ansetzen, weiter gepflegt und mit gelegentlichen Düngergüssen gespeist. Nach drei Jahren kann die erste, bescheidene Ernte gehalten werden, die bis 25 Jahre hindurch alle Frühjahre wiederholt wird, wenn aus den Klauen die „Pfeifen“ genannten jungen Sprosse ausbrechen und dem Lichte entgegenstreben. Beim wilden Spargel, der nur wenige Zentimeter unter der Erdoberfläche wurzelt, sind natürlich die Pfeifen dementsprechend kurz. Beim kultivierten jedoch sitzt die Wurzel tiefer in der Erde, auch wurde noch ein Erdhügel über sie geschichtet, der sich als Wall — denn eine Wurzel liegt neben der anderen in kurzen Abständen — lang hinzieht, so daß die ganze Plantage aus Wällen und dazwischen gelegenen Gräben besteht. So muß der junge Sproß erst einen langen Weg durch das Erdreich zurücklegen, ehe er das Licht der Sonne erblickt. Doch dazu läßt es der Züchter gar nicht kommen. Er sticht ihn ab, bevor er zutage tritt. Denn nur solange der Sproß in der Erde steckt, besitzt er eine zarte, weiße Farbe. Sobald die Sonne ihn trifft, wird er violett und grün. Darum gehen die Spargelstecher morgens vor Sonnenaufgang hinaus aufs Feld und spähen sorgsam nach den feinen Rissen im Boden, die bekunden, daß hier ein Sproß durchbrechen will. Dann graben sie ihn sorgfältig aus und schneiden oder brechen ihn dicht an der Klaue ab. Der gestochene Spargel wird dann gewaschen und in ausgemauerten Erdgruben aufbewahrt, wenn nicht gleich verpackt und auf den Markt gebracht. Statt wie früher nur einige Wochen, dauert die Stechzeit heute volle zwei Monate. Sehr viel Spargeln werden von den Konservenfabriken, von denen Braunschweig allein über 30 mit mehr als 3000 Arbeitern zählt, verarbeitet, indem sie, zuerst geschält und einige Minuten in Wasser gekocht, in Büchsen mit schwach gesalzenem Wasser übergossen, eingelötet und darin noch anderthalb Stunden in kochendes Wasser gelegt werden. So halten sie sich jahrelang und schmecken auch dem verwöhntesten Gaumen wie frische. So kann man sie das ganze Jahr über zu so billigem Preise kaufen, daß heute die noch in den 1870er Jahren mit großem Gewinn betriebene Spargeltreiberei in Mistbeeten zwecklos geworden ist und nur noch aus alter Gewohnheit von einigen Herrschaftsgärtnern betrieben wird.
Die Spargelliebhaber, die ihn als Salat oder mit dicken Saucen vorziehen, sind in der Minderheit. Die meisten lieben das Gericht,[S. 330] wenn es in Salzwasser gekocht und mit brauner Butter übergossen wird, so wie es schon John Gray im 17. Jahrhundert seinen Landsleuten, den Engländern, empfahl: „Die Sprosse oder jungen Keime des Spargels, leicht gekocht und mit Butter angerichtet, empfehlen sich dem Gaumen durch köstlichen Geschmack und werden im Frühjahr unter den Speisen hochgeschätzt.“ Doch, wenn auch in der Zubereitung des Spargels die Ansichten zumeist ungeteilt sind, so gehen sie doch bei der Beurteilung der einzelnen Qualitäten wesentlich auseinander. Denn nicht alle Völker lieben gleich uns die weißen Spargelköpfe. In Frankreich, in Italien und auch in Süddeutschland bevorzugt man den Spargel, dessen Köpfe schon von der Sonne grün oder violett gefärbt wurden, da diese mehr Asparagin angesammelt haben und einen strengeren Geschmack besitzen. Neuerdings beginnen diese „französischen Spargelspitzen“, wie sie von Argenteuil aus in Menge nach Paris und den anderen großen Städten ausgeführt werden, sich auch bei uns einzubürgern.
Bekanntlich verleiht der Spargel dem in größerer Menge abgesonderten Harn einen eigentümlichen, an Veilchen erinnernden Geruch. Das feine, zarte Laubwerk, aus welchem im Juli kleine, gelblichweiße Blüten hervorschauen, um im Herbst erbsengroße, rote Beeren hervorgehen zu lassen, dient zur Garnierung von Sträußen. Aus den kleinen, schwarzen Samen, die für den Spargelzüchter als Aussaatgut von Wert sind, wurde zur Zeit der von Napoleon I. im Jahre 1806 zur Schädigung des englischen Handels verhängten Kontinentalsperre ein Kaffeesurrogat hergestellt, das aber keinen besonders guten Geschmack gehabt haben muß; denn man ging rasch nach der Aufhebung der Sperre wieder zur anregenden Kaffeebohne zurück. Übrigens werden im Mittelmeergebiet auch die ersten zarten Triebe mehrerer anderer Arten wie diejenigen des gemeinen Spargels benutzt.
Ein Genußmittel mehr der Reichen ist bei uns auch die Artischocke (Cynara scolymus), nach dem italienischen articiocco von uns so genannt. Dieses ausdauernde, 1 m hohe Distelgewächs mit violetten Blüten und großen, unterseits weißfilzigen Blättern stammt aus Nordafrika. Nach dem griechischen, um 200 n. Chr. in Alexandria lebenden Grammatiker Athenaios hatten die Soldaten des ägyptischen Königs Ptolemaios Euergetes I., der von 247–221 regierte, in Libyen eine Menge wilder kýnara gefunden und sich damit ernährt. Jener König, der ein Schüler des großen Philosophen Aristarch war, sagt im zweiten Buche seiner Schriften: „In der Gegend von Berenice in Libyen ist[S. 331] der Fluß Lethon, in dessen Umgebung die bunte Distel (kínara) — eine Art wilde Artischocke — sehr häufig wächst. Alle Soldaten, die ich bei mir hatte, sammelten sie, reinigten sie von den Stacheln, verzehrten sie und boten auch mir davon an.“
Schon im alten Ägypten wurde sie häufig angepflanzt und findet sich in der verschiedensten Weise an den Wänden der Grabkammern abgebildet. In seinem Buch über „die Pflanzen im alten Ägypten“ schreibt Franz Wönig: „Auf den Opfertischen, Fruchttabuletts und in den Gemüsekörben fehlt der längliche, runde Blütenkopf der Artischocke nur selten. Ich habe mir von altägyptischen Monumenten bisher 35 verschiedene Modifikationen derselben kopieren können. Sie tritt ebenso oft in der sorgsamsten Ausführung, wie im flüchtigen Umriß auf. Auf farbigen Darstellungen erscheint der Kopf der Artischocke dunkelgrün oder lebhaft grün koloriert; mehrfach sind auch die einzelnen Hüllblätter noch besonders umrandet.“ Auch sehr große Formen müssen bereits damals im Niltal gepflanzt worden sein, was uns des um 25 n. Chr. verstorbenen griechischen Geographen Strabon Mitteilung, daß die Artischocken in Maurusea (Nordafrika) zwölf Ellen hoch und zwei Handbreiten dick werden, einigermaßen begreiflich erscheinen läßt; denn unter günstigen Kulturbedingungen erreicht die Pflanze tatsächlich eine gewaltige Größe und Stärke.
Als skólymos kannten sie die Griechen und später als carduus auch die Römer. Plinius nennt die Artischocke ausdrücklich eine Speisepflanze der orientalischen Völker. Und durch Vermittelung des Handels mit Ägypten muß dieses Gemüse auch zuerst nach Griechenland gelangt sein, wo es neben der schon früher von ihnen als Gemüse benutzten und kýnara genannten bunten Distel (Scolymus maculatus) angepflanzt wurde. Daß diese Überführung der Artischocke von Ägypten nach Griechenland bereits vor dem 8. vorchristlichen Jahrhundert erfolgte, beweist jenes überaus anmutige Gedicht des im 8. Jahrhundert v. Chr. lebenden, aus Askra in Böotien gebürtigen griechischen Dichters Hesiod, worin es heißt: „Sobald die Zeit der[S. 332] Getreideernte da ist, wetze die Sicheln, wecke das Gesinde, verlaß die schattigen Sitze und den Morgenschlaf. Eile, die Getreidefrucht nach Hause zu schaffen, damit es dir nicht an Nahrung zum Lebensunterhalte fehle. Steh frühe auf! denn die Morgenröte nimmt nur ein Drittel der Arbeit in Anspruch. Die Morgenröte fördert jede Arbeit. Wenn die Artischocke (skólymos) blüht, die Zikade auf den Bäumen ihren schwirrenden Gesang ertönen läßt, die Zeit des arbeitsvollen Sommers da ist, die Hitze Kopf, Glieder und Leib austrocknet, dann setze dich in eine schattige Höhle, labe dich an Wein von Naxos, den du mit klarem Quellwasser mischest, an Maza (d. h. einem aus in Wasser gekochtem Gerstenschrot oder Weizenmehl hergestelltem Brei), Milch und gebratenem Rindfleisch und befiehl den Knechten, die heilige Frucht der Demeter (d. h. Mutter Erde) auf der gut geebneten Tenne im Luftzuge zu dreschen. Die ausgedroschenen und geworfelten Körner miß sorgfältig ab und verwahre sie gut.“ Es müssen die Artischocken, von denen hier die Rede ist, kultivierte Exemplare gewesen sein; denn nach dem Begründer der Botanik, Theophrast, im 4. vorchristlichen Jahrhundert, ist die von ihm als kaktos bezeichnete wilde Verwandte der Artischocke nur in Sizilien und nicht in Griechenland zu finden.
Bei den Römern der Kaiserzeit bildeten die Artischocken eine Speise der Reichen, für deren Zubereitung der unter Tiberius (der von 14 bis 37 n. Chr. regierte) lebende römische Feinschmecker Apicius, der Verfasser eines einst von den Vornehmen viel gebrauchten Kochbuches, so viel Rezepte gab, daß er damit den Unwillen der weniger materiell angelegten gebildeten Zeitgenossen hervorrief. Nach Plinius, der uns solches überliefert hat, zog man dieses feine Gemüse besonders bei Karthago in Nordafrika und Corduba (dem jetzigen Cordoba) in Südspanien, wobei man auf einem kleinen Felde für 6000 Sesterzien (etwa 900 Mark) Artischocken gewinnen konnte. Zugleich berichtete er uns, daß sie in einer Mischung von Wasser und Honig mit Silphium und Kreuzkümmel konserviert werden. Die fleischigen Hüllkelchblätter und den Blütenboden der vor ihrer Entfaltung geernteten Blüten empfiehlt auch der berühmte griechische Arzt Galenos in Rom in der zweiten Hälfte des 2. christlichen Jahrhunderts, mit Koriander, Wein, Olivenöl und der berühmten Fischsauce garum angemacht, zu essen. Der Römer Palladius um 380 n. Chr., der Verfasser eines noch im Mittelalter vielfach benutzten Werkes über den Landbau, empfiehlt den Samen der Artischocke (carduus) im Februar oder März bei zunehmendem[S. 333] Mond in ein schon vorbereitetes Beet, je einen halben Fuß voneinander, mit der Spitze nach oben, nur bis zum ersten Fingergelenk in die Erde zu stecken, nachdem man sie zuvor drei Tage lang mit Lorbeeröl, Nardenöl, Opobalsamum (Mekkabalsam), Rosensaft und Mastixöl befeuchtet und getrocknet habe. Durch letzteres Verfahren erhielten sie den Wohlgeschmack der angewandten Mittel. Diese Pflanze liebe einen gedüngten, lockeren Boden, sei aber in einem festen sicherer gegen Maulwürfe und andere feindliche Tiere geschützt. Jedes Jahr trenne man die jungen Triebe vom alten Stock und lasse ihnen dabei etwas Wurzel. Die Blütenköpfe, deren Samen man zur Aussaat sammeln wolle, müsse man mit einer Decke versehen, damit Sonne und Regen die Samen nicht verderben; auch müsse man solchen Pflanzen alle jungen Triebe nehmen, damit die zur Ausbildung kommenden Blütenköpfe recht groß würden.
Während des Mittelalters haben die Völker Europas die Artischocke als Gemüse nicht gekannt, während sie innerhalb des Bereiches der Araberherrschaft kultiviert wurde. Sie kam dann mit den Sarazenen nach Sizilien und Spanien. Von Süditalien drang sie um 1466 nach Florenz, 1473 nach Venedig, zu Anfang des 15. Jahrhunderts nach Frankreich und später auch nach England vor. Heute wird diese Gemüsepflanze in mehreren Varietäten kultiviert, und zwar am besten aus im Januar in Töpfen gesäten Samen. Die an ihrer Basis samt dem Blütenboden durch Kultur fleischig gewordenen Hüllblätter bilden namentlich in Frankreich, wo die artichaut eine große Rolle spielt, in Fleischbrühe gekocht oder in Öl gesotten ein geschätztes Gemüse. Auch sind sie in Italien wie in den übrigen Mittelmeerländern ein beliebtes Gericht, das überall zu billigem Preise zu haben ist und geradezu als ein Volksnahrungsmittel bezeichnet werden darf.
Eine sehr nahe Verwandte der echten Artischocke ist die Cardone oder spanische Artischocke (Cynara cardunculus), die in Marokko und den Küsten des östlichen Mittelmeerbeckens heimisch ist und dort von den Arabern zur Kulturpflanze erhoben wurde. Sie ist der vorigen sehr ähnlich, nur höher im Stengel und mit kleinen Blütenköpfen. Von ihr werden die Herzblätter und markigen Stengel- und Blattstielteile in verschiedener Zubereitung genossen. Um recht bleich und zart zu werden, wird die Pflanze drei Wochen vor der Ernte mit Stroh umwickelt und möglichst hoch behäufelt, so daß nur die Spitze derselben hervorschaut. Dies geschieht im September. Die Kultur der Cardone kam noch später als diejenige der Artischocke nach Mitteleuropa, welch[S. 334] letztere im 16. Jahrhundert von Italien aus zuerst bei den Vornehmen aufkam und sich mit der Zeit auch die Bürgerkreise eroberte.
Ebenso jungen Datums ist die Kultur der Schwarzwurzel (Scorzonera hispanica), deren wissenschaftlicher botanischer Name auf eine Herkunft von Spanien hindeutet. Sie wächst wild in ganz Süd- und Mitteleuropa bis zum Kaukasus, wird 60–90 cm hoch, hat schmale Blätter und goldgelbe Blüten. Ihre außen schwarze und innen weiße, von Milchsaft wie die ganze Pflanze durchzogene Wurzel wurde früher arzneilich benutzt, dient jedoch in der Gegenwart, im Herbste des ersten oder zweiten Jahres herausgenommen, als schmackhaftes Gemüse. Wegen ihrer geringen Ausgiebigkeit wird sie vorzugsweise von den wohlhabenden Städtern konsumiert und ist auf dem Lande wenig bekannt. In Gegenden, wo die Kultur des weißfrüchtigen Maulbeerbaums Schwierigkeiten bereitet, werden die Blätter als Ersatzfutter für die Seidenraupen verwendet.
Gleichfalls erst seit der Neuzeit werden bei uns mehrere Kulturformen des Rhabarbers (Rheum undulatum und rhaponticum) der starken, saftigen Blattstiele wegen als Küchengewächs angebaut und bilden, besonders im April und Mai, wenn das Obst selten und teuer ist, einen einträglichen Marktartikel. Von ihrer Oberhaut befreit bilden die an der Basis roten Stengel, in Scheiben geschnitten und mit Zucker gekocht, eine angenehm säuerliche Speise, die als Kompott oder Kuchen gegessen wird, auch zur Füllung von Pasteten dient. Besonders in England und Frankreich wird der Rhabarber in vielen Spielarten angebaut und dient in ersterem Lande, wie auch in Schlesien, zur Weinbereitung. Vielfach hält man ihn auch bloß seiner schönen, großen Blätter wegen als Zierpflanze in Anlagen, ohne die Stengel zu verwerten.
In Nordindien, in den Landschaften am Fuße des Himalaja, ist die gemeine Gurke (Cucumis sativus) heimisch, wo sie noch in ähnlichen, aber bitterfrüchtigen Formen wildwachsend gefunden wird. Diese seit wenigstens 3000 Jahren in Indien angebaute Pflanze wurde erst im 2. Jahrhundert v. Chr., als Schan-kien von seiner Gesandtschaftsreise nach Baktrien zurückgekehrt war, in China eingeführt. Weit früher gelangte sie nach Westasien und in die Länder am Mittelmeer. In Ägypten läßt sie sich unter dem Namen schupi schon in Grabbeigaben des mittleren Reiches (12. Dynastie, 2000–1788 v. Chr.) in der Nekropole von Kahun bei Theben und dem der griechisch-römischen Zeit angehörenden Gräberfelde von Hawara im Fajûm nachweisen.[S. 335] Die Griechen der homerischen Zeit kannten sie noch nicht; denn sie gelangte erst ums Jahr 600 v. Chr. von Kleinasien nach Hellas, wo sie allerdings bald weite Verbreitung fand. So veränderte das bei Korinth gelegene Städtchen Mekone, d. h. Mohnstadt, seiner großen Gurkenanpflanzungen wegen seinen Namen, der noch im 8. vorchristlichen Jahrhundert, zu des Dichters Hesiod Zeit, der allein gebräuchliche war, nach der griechischen Bezeichnung für Gurke síkyos in Sikyon, d. h. Gurkenstadt. Auch bei den Römern, die die Gurken von den süditalischen Griechen erhielten, war diese Gartenfrucht sehr beliebt. Plinius und Columella geben an, daß sie, wenn sie an feuchten Orten gepflanzt würden, keiner Pflege bedürfen. In Italien wüchsen grüne, sehr kleine Arten, in den Provinzen dagegen sehr große, wachsgelbe und dunkelfarbige. Sie suchten das Wasser auf, flöhen dagegen das Öl. Kaiser Tiberius habe täglich Gurken (cucumis) gegessen; für ihn wurden sie in gutgedüngten, in Glimmer gedeckten, auf Rädern fahrbaren Behältern gezogen, die den Winter über bei sonnigem Wetter ins Freie, bei Kälte aber in ein gewärmtes Haus gezogen wurden. Auf den Gedanken, heizbare Kästen zu bauen, verfielen die kaiserlichen Hofgärtner noch nicht. Die weniger wohlhabenden Römer mußten sich mit konservierten Gurken begnügen. Zu diesem Zwecke legten sie dieselben in Heu, Sand oder Salzwasser, worin sie sich nach Plinius fast bis zum Erscheinen der neuen hielten. Diese Gurken des Altertums waren eine größere, jetzt nicht mehr gebaute Art, die gedämpft mit Beigabe von Essig, Senf, Kümmel, Sellerie und Pfeffer, aber auch in Honig eingemacht gegessen wurde. In seinen zehn Büchern über Kochkunst (de re coquinaria) gibt uns Apicius verschiedene Rezepte zu deren Zubereitung.
Die heute von uns kultivierten Gurken kamen erst im frühen Mittelalter von Byzanz aus, wo sie mit einem persisch-aramäischen Wort als anguria bezeichnet wurden, als agurka zu den Slawen, die heute noch leidenschaftliche Verehrer der Gurken sind, und unter der Bezeichnung Gurken im 17. Jahrhundert zu den Deutschen. Schon vor 200 Jahren wußten die Lausitzer Wenden auch ohne Mistbeete die schönsten Gurken zu ziehen und heute ist der Spreewald die Gurkenkammer von Berlin, wo man nach slawischer Sitte in Salzwasser eingelegte „saure Gurken“ oder in Essig, Meerrettichstückchen, Pfeffer und Senf eingemachte „Essig- oder Senfgurken“ als billiges Volksnahrungsmittel überall zu essen bekommt. Erstere schmecken durch Milchsäuregärung, wobei die in Salzwasser von richtiger Be[S. 336]schaffenheit sich entwickelnden Milchsäurebazillen aus dem Zucker der Gurke Milchsäure bilden, sauer, ohne daß auch nur ein Tropfen Essig dazukommt. Heute sind die Gurken als äußerst beliebtes Salatgemüse über alle Weltteile, soweit Europäer sich angesiedelt haben, verbreitet. Von den zahlreichen, durch die Kultur entstandenen Spielarten wird nur die Feldgurke im großen kultiviert. Sie verlangt warme, sonnige Lage, einen gut gedüngten, humusreichen, lockeren, gleichmäßig feuchten Boden. Zur Aussaat nimmt man 3–4jährigen Samen. Man bestellt die Beete im April und sät, wenn die Nachtfröste vorbei sind. Die Haupternte findet im August statt, wobei man vom Hektar etwa 100000 Stück erntet. Die Hauptproduktionsgebiete sind Holland, das schon im April ganze Schiffsladungen von in Treibhäusern gezogenen Gurken nach England sendet, dann Böhmen, Mähren, Ungarn, Rußland, in Deutschland der Spreewald, dessen Hauptort Lübbenau allein jährlich 2 Millionen Stück produziert, Erfurt, Quedlinburg, Naumburg und Ulm. Meist werden die unreifen Früchte, welche im Orient wohlschmeckender sind und daselbst roh und ungeschält zur Speise dienen, als Salat und auf mancherlei Weise eingemacht gegessen.
Nach den Funden und Darstellungen auf den Denkmälern wurde im alten Ägypten schon unter den ersten Dynastien die ägyptische Gurke oder Aggurmelone (Cucumis chate) mit großer, länglicher Frucht, die noch jetzt im Morgenlande allgemein kultiviert und frisch verzehrt wird, neben der Wassermelone und dem Flaschenkürbis kultiviert. Diese ägyptische Gurke, die außer in Südasien auch im tropischen Afrika heimisch ist, wo sie von vielen Reisenden gesammelt wurde, ist eine der wilden Stammform der Melone (Cucumis melo) sehr nahestehende, ja vielleicht sogar mit ihr identische Art, die nach Schweinfurth von den Ägyptern selbst zur Kulturpflanze erhoben wurde. Sie hieß altägyptisch kadi, woraus die Araber katta und die Botaniker in Anlehnung an das Arabische chate machten. Als die Israeliten unter Moses’ Führung hungrig und durstig durch die wasserlose Wüste der Sinaihalbinsel wanderten, gedachten sie sehnsüchtig der guten in Ägypten genossenen Verpflegung, indem es im 4. Buch Moses 11, 5 heißt: „Wir gedenken der Fische, die wir in Ägypten umsonst aßen, und der bischûim und battichim (von Luther fälschlicherweise mit Kürbis und Pfeben, d. h. Feldkürbis übersetzt, heißt aber tatsächlich Aggurmelonen und Wassermelonen), Lauch, Zwiebeln und Knoblauch.“ Diese beiden so überaus saftige Früchte hervorbringenden Kürbisarten haben wir dem Weltteile Afrika zu verdanken, und im alten Ägypten haben sie[S. 337] ihre erste sorgfältige Zucht durch Kulturauslese erfahren. Wie sie heute noch ein köstliches, hochgeschätztes Erzeugnis des Niltales bilden, muß es schon zur Zeit der Pyramidenerbauer ein solches gewesen sein. Bald nach der Überschwemmung des dem heißen, trockenen Lande eigentlich das Leben spendenden und deshalb mit Recht einst göttlich verehrten Nils schießen die Aggurmelonen und Wassermelonen in Ägypten üppig empor und entwickeln ihre Früchte ungemein schnell, weshalb sie von den Frucht- und Gemüsehändlern der ägyptischen Städte mit dem Rufe feilgeboten werden: „Zart und frisch, und hat sich in der Nacht gestreckt!“ Auf den Denkmälern des alten Ägyptens treten uns diese Melonen als häufig angepflanzte und überall gern gegessene Früchte sehr häufig entgegen, teils grün, teils gelb gemalt und vielfach braun oder rot umrissen, bisweilen auch die Rippen durch braune Linien angedeutet. Sie fehlen selten unter den Opfergaben und den bei Gesellschaften zur Erfrischung gespendeten Speisen, welche die Diener auf Servierbrettern herumbieten, damit sich jedermann nach Belieben davon bediene. Ihr Laub gehört zu den pflanzlichen Resten in den Totenkammern, die zur einstigen Schmückung des Sarkophags dienten.
Die Aggurmelone, die bereits der in Padua als Botanikprofessor wirkende und 1617 verstorbene Prosper Alpino in seinem 1592–1640 erschienenen Buche unter dem heute noch gebräuchlichen Namen chate erwähnt — er sah sie bei seinem Aufenthalte im Niltale selbst dort wachsen —, wird in Ägypten reif und unreif gegessen. Ihre länglichen, bis 40 cm langen, gerippten Früchte sind grüner, weicher, süßer und verdaulicher als diejenigen der gemeinen Gurke. Wenn sie auch nach Aussehen und Geschmack der Gurke ähneln, so sind doch die Blätter und Blüten nicht wie bei dieser, sondern wie bei der Melone, die ja eine sehr nahe Abart derselben ist, gebildet.
Wie die Aggur- und Wassermelone war auch die eigentliche Melone (Cucumis melo) den Griechen der homerischen wie auch der klassischen Zeit vollkommen fremd. Von keinem griechischen Schriftsteller wird deren honiggleiche Süßigkeit — dient doch eingekochter Melonensaft heute noch im Orient an Stelle des Zuckers zur Herstellung von Limonaden und allerlei süßem Gebäck —, deren herrlicher Duft und der köstliche Wohlgeschmack ihres goldgelben bis zartweißen Fleisches hervorgehoben. Auch die römischen Schriftsteller wissen nichts von einer solchen Frucht zu melden, die doch in einem Lande, in dem so viele Feinschmecker lebten und in welchem alle irgendwie geschätzten Früchte[S. 338] von den Dichtern besungen wurden, einmal hätte erwähnt werden müssen. Wenn auch unsere süße Melone sicher fehlte, so lehren uns doch einige Mosaikbilder und Wandgemälde aus den im Jahre 79 n. Chr. verschütteten Städten Herkulanum und Pompeji und einige Stellen bei Autoren, die von einem eßbaren Kürbisgewächs handeln, daß ein solches, das griechisch pépōn oder mēlopépōn und lateinisch pepo oder melopepo genannt wurde, damals existiert haben muß. Schon der große Hippokrates (460–364 v. Chr.) erwähnt in seiner Schrift über die Diät den pépōn und nach ihm Plinius, Dioskurides und Galenos, aber kein Schriftsteller rühmt sie als angenehm zu essen. Auch der griechische Grammatiker Athenaios aus Naukratis in Ägypten, der um 200 n. Chr. in Alexandrien und Rom lebte, spricht in seinen Deipnosophistae, die wichtige Nachrichten über Leben, Sitte, Kunst und Wissenschaft der alten Griechen enthalten, von ihr, weiß aber nichts besonders Rühmenswertes von der von ihm als Gurkenart bezeichneten síkyos pépōn zu berichten. Auch Palladius gegen das Ende des 4. Jahrhunderts spricht von einer melo, deren Kerne im März zwei Fuß voneinander in gutbearbeitetes, vorzugsweise sandiges Erdreich gelegt werden. „Vor dem Legen werden die Samen drei Tage lang in Meth oder Milch geweicht, dann erst getrocknet. Hierdurch bekommen die Früchte einen lieblichen Geschmack. Wohlriechend werden sie, wenn sie viele Tage lang zwischen trockenen Rosenblättern gelegen haben.“
Erst im 5. Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung wird von den antiken Schriftstellern eine kurzweg nach dem griechischen mḗlon, d. h. Apfel oder Quitte als melo bezeichnete Gartenfrucht erwähnt, die wie Pfirsiche zu den Delicien, d. h. Köstlichkeiten gerechnet wurde. Damals erst ist die süße oder Zuckermelone, die weder Ägypten, noch die Mittelmeerländer vorher gekannt hatten, ebenfalls aus Westasien in das Abendland gekommen. Nach Westasien scheint sie aus Indien gelangt zu sein; denn in letzterem Lande wird eine in bezug auf Blätter und Blüten mit der kultivierten Melone durchaus übereinstimmende Pflanze gefunden, deren Früchte meist nur die Größe einer Pflaume, nur ausnahmsweise diejenige einer Orange erreichen. Oft besitzen sie einen ausgesprochenen Geschmack und Geruch nach Melonen, oft aber sind sie ganz geruchlos und schmecken fade. Aus ihrer nordindischen Heimat gelangte sie etwa zu Beginn der christlichen Zeitrechnung westwärts nach Afghanistan und Turkestan, wo sie erst ihre höchste Vollkommenheit erreichte. Aus den Landschaften Turkestans kam sie dann im 8. christlichen Jahrhundert zu den Chinesen. Da nun diese seit[S. 339] dem 2. Jahrhundert v. Chr., wie wir durch die Gesandtschaft von Schang-kien wissen, mit dem alten Baktrien und Sogdiana in Verkehrsbeziehungen standen, muß ihre Kultur vorher auf die südlichen Oasen von Buchara beschränkt gewesen sein. Der weitgereiste Venezianer Marco Polo, der sich von 1271–1295 in Zentral- und Ostasien aufhielt, sagt von der Landschaft am Amu-darja (dem Oxus der Alten) um die Stadt Balch, daß dort die besten Melonen der Welt wachsen. Man schneide sie rundherum in Streifen, lasse sie an der Sonne trocknen und halte sie dann als Handelsware überall im Lande feil. So gedörrt seien sie süßer als Honig. Dasselbe rühmt der arabische Reisende Ibn Batuta, der von 1340–1350 Zentralasien und China bereiste, von den Melonen von Charism, und der ungarische Orientalist Hermann Vambéry, der von 1863–1869 als Derwisch verkleidet Persien und das Turkmenenland bereiste, von denjenigen von Chiwa. Letzterer schreibt in seinem Buche: „Reisen in Zentralasien“: „Für Melonen hat Chiwa keinen Rivalen, nicht nur in Asien, sondern in der ganzen Welt. Kein Europäer kann sich einen Begriff machen vom süßen, würzigen Wohlgeschmack dieser köstlichen Frucht. Sie schmilzt im Munde, und mit Brot gegessen ist sie die lieblichste und erquicklichste Speise, die die Natur bietet.“ Auch Persien ist, wie alle Reisenden, die dieses Land besuchten, einstimmig versichern, ein vorzügliches Melonenland, in welchem die feinsten Sorten gezogen und in Unmengen auf den Markt gebracht werden. Es gibt dort eine große Zahl von Varietäten, die oft von Dorf zu Dorf wechseln; darunter einige von weitverbreitetem Ruhme, so süß, daß die Perser darüber lachen, wenn man ihnen erzählt, daß man in Europa die Melonen mit Zucker esse. Der berühmte Ägyptologe Heinrich Brugsch Pascha, der 1883 Prinz Friedrich Karl von Preußen auf dessen Orientreise begleitete und zweimal als Gesandtschaftsattaché Persien bereiste, rühmt mit begeisterten Worten die Güte der überall in Persien zum Kaufe angebotenen Melonen, deren vorzügliches Gedeihen er ganz wesentlich der kräftigen Düngung mit Taubenmist zuschreibt. Überall im Orient sieht man in den Ortschaften die aus mit der Mündung nach außen gekehrten Tonkrügen aufgebauten Taubentürme, deren Bewohner als heilige Tiere vor den Moscheen gefüttert werden und als einzigen Nutzen dem Menschen ihren Mist gewähren, den dieser auch gerne als für ihn wertvolle Gabe in Empfang nimmt, um ihn regelmäßig seinen Melonenkulturen zuzuführen.
Die Wassermelone (Citrullus vulgaris), im südlichen Rußland[S. 340] Arbuse oder nach der Benennung der heutigen Griechen angúrion auch Angurie genannt, ist im südlichen und mittleren tropischen Afrika heimisch, wo die saftigen Früchte den Menschen und Tieren in trockenen Gebieten als Labsal dienen. In ihrer Heimat überzieht die Pflanze oft weithin die öden Länderstrecken, doch sind ihre ziemlich kleinen Früchte bei sonst gleichem Aussehen der Stöcke das eine Mal sehr bitter, das andere Mal ganz angenehm schmeckend. Selbst die Eingeborenen, die sich ihrer als Nahrung bedienen, können nach Livingstone diese Eigenschaft nicht nach äußeren Merkmalen feststellen, sondern schlagen die Früchte erst mit einer Hacke an, um dann zu untersuchen, ob der Saft des Fruchtfleisches angenehm oder bitter schmeckt. Dieser Wildling hat durch Kulturpflege die großfrüchtige, saftige Wassermelone aus sich hervorgehen lassen, die niemals mehr bittere Eigenschaften zeigt. Sie kam sehr früh schon ins Niltal und wurde, wie verschiedene Abbildungen an den Wänden der Grabkammern beweisen, von den alten Ägyptern kultiviert, die sie banti nannten. Die Juden sehnten sich auf ihrer Wüstenwanderung nach ihnen, die sie abattichim nannten. Schon damals muß sie in Syrien, Arabien und selbst Indien, wo sie den Sanskritnamen chaya-pula führte, angebaut worden sein. Die alten Griechen und Römer scheinen sie nicht gekannt zu haben, da sie nirgends von den alten Autoren erwähnt wird. Dagegen fand sie in Westasien weite Verbreitung. Aus Turkestan, wo sie im frühen Mittelalter neben der Melone viel angepflanzt worden sein muß, gelangte sie erst im 10. Jahrhundert n. Chr. nach China unter der Bezeichnung sikua, was nach Bretschneider Melone des Westens bedeutet. Die Araber, die sie in Anlehnung an das hebräische abattichim battich nannten, verbreiteten sie über ganz Nordafrika bis nach Spanien, wo sie seither als batteca, woraus dann das französische pastèque wurde, sehr viel, wie auch in ganz Südeuropa bis nach Rußland hinein angebaut wird und im Sommer überall eine Hauptnahrung der ärmeren Volksklassen bildet. Wer kennt nicht die köstlichen Gemälde des spanischen Malers Bartolomé Estéban Murillo (1618–1682) mit den verlumpten Sevillaner Gassenjungen, die sich neben der Weintraube die Wassermelone, von der sie sich gierig große Stücke in den Mund schieben, schmecken lassen. Von Spanien kam sie sehr bald nach Westindien und dem Festland von Amerika, wo sie jetzt von Chile bis in die Vereinigten Staaten in großem Umfange angebaut wird. Allerdings gelangt sie hier wie anderwärts nur in den warmen Gebieten zu ihrer Vollkommenheit. Schon bei uns ist es ihr zu kalt. Die 10–15 [S. 341]kg schweren, fast kugeligen, dunkel- oder gellgrünen, in letzterem Falle weißlich gefleckten Früchte haben zu äußerst ein ungenießbares, härtliches, weißes und darunter ein weiches, saftiges, süßes, dunkel- bis hellrotes, seltener gelbes oder weißes Fleisch, worin die schwarzen, gelben oder roten Samen liegen. In ganz Südeuropa und im Orient dienen sie roh als beliebte Volksnahrung; härtere Arten werden gekocht und, mit Mehl vermischt, gebacken genossen. Im Orient und in allen wärmeren Ländern werden ihre Früchte, obschon den Melonen an delikatem Geschmack weit nachstehend, recht süß und wohlschmeckend, so daß sie sehr beliebt sind. Aus der Krim werden sie in einer etwas faden, aber außerordentlich saftigen Abart überallhin transportiert und unter dem Namen „Arbusen“ spottbillig verkauft, so daß jedermann sich im Herbst ihren Genuß leisten kann. Bei den Tataren und Kleinrussen, bei denen sie als Steppenpflanze besonders gut gedeiht, werden sie zu allen Mahlzeiten gegessen, indem ihr überaus saftiges Fleisch statt des Wassers zum Brote geschlürft wird. Auch aus ihrem Safte kann, wie aus demjenigen der süßen Melone, Zucker gewonnen werden.
Bei ihrer großen Beliebtheit ist es sehr begreiflich, daß die Spanier sie früh nach der Neuen Welt verpflanzten. In Peru und Chile, welch letzteres im Norden schon 1541 von den Spaniern besetzt wurde, gedeihen diese Früchte ausgezeichnet und sind eine wichtige Volksnahrung geworden. So schreibt Prof. Otto Bürger in seinem Buche: Acht Lehr- und Wanderjahre in Chile: „Von Januar bis März steht das Land im Zeichen der Sandias und Melonen. Namentlich die Sandias, die Wassermelonen mit dem roten Fleisch (Citrullus vulgaris), die auch in Südeuropa so begehrt vom Volke sind, bilden für den Chilenen, ob hoch oder niedrig, das Schönste des Jahres. Das gewöhnliche Volk und insbesondere der Róto (d. i. der Zerlumpte, die Kaste der armen Tagelöhner, in der das indianische Blut noch am reinsten pulsiert und die die beharrlichsten Trunkenbolde der Welt umfaßt), nährt sich in jener Zeit von kaum etwas anderem. In den volkreichen Stadtvierteln entstehen zu dieser Zeit besondere Baracken, in denen tagtäglich ganze Wagenladungen an primitiven Tischen verzehrt werden. Das Stück kostet 15–50 Centavos (= 25,5–85 Pfennige), aber die teuersten besitzen eine kolossale Größe und können von einem nicht bezwungen werden. Billiger sind die gelben Melonen (Cucumis melo), welche dem Ausländer mehr zusagen, und die er au naturel oder mit Zucker ißt, während sie der bessere Chilene am leckersten mit Pfeffer und Salz findet.“
Außer der als pépōn bezeichneten Aggurmelone oder ägyptischen Gurke haben die alten Griechen noch eine andere, als kolokýntē oder síkya indikḗ, d. h. indische Gurke bezeichnete Cucurbitazee gepflanzt, deren kleine, wenig schmackhafte Früchte nur gekocht oder gebraten gegessen wurden. Meist wird diese Frucht als Kürbis übersetzt, was indessen durchaus unrichtig ist. Auch konnte sie nicht die Koloquinte oder Bittergurke (Citrullus colocynthis) bedeuten, die im Orient und in Nordafrika einheimisch ist, in Masse auf den trockenen Abhängen wild wächst und einst den Straußen als Futter diente. Ihre faustgroße, runde Frucht ist sehr bitter und wirkt abführend, wird aber gleichwohl von den armen Tuaregstämmen in der Sahara, geröstet und auf den Handmühlen vermahlen, verzehrt. Ähnlich ist die Wirkung der im Orient heimischen Prophetengurke (Citrullus prophetarum), so genannt, weil ihr bitteres Mus dem Propheten Elias, mit Zusatz von geröstetem Mehl, als Speise gedient haben soll.
Der einzige Kürbis, den die Alten kannten, war der Flaschenkürbis (Lagenaria vulgaris), dessen Frucht in den Kulturen die verschiedenartigsten Formen zeigt und durch die Härte seiner Schale ausgezeichnet ist, so daß sie getrocknet und ausgehöhlt als natürlicher Wasserbehälter benutzt werden kann. Charakteristisch für sie ist auch die bei Kürbissen ziemlich seltene weiße Blüte. Ihr Fruchtfleisch ist meist bitter, manchmal geradezu giftig, doch ist es bei einigen Varietäten auch süß und schmackhaft. Seine Heimat hat der Flaschenkürbis im mittleren Vorderindien, wo er heute noch in den feuchten Wäldern von Malabar wildwachsend gefunden wird. Ebenso hat man ihn auf den Molukken, in Abessinien und Ostafrika wild in Felsengebieten entdeckt. Von diesen beiden Regionen der alten Welt hat sich die Pflanze mit ursprünglich durchaus bitterem Fruchtfleisch über alle Tropengebiete und gemäßigten Länder mit genügender Sommerwärme ausgebreitet. Daß schon im Sanskrit der gemeine Flaschenkürbis als ulavu von einer andern, kututumbi genannten bitteren Art unterschieden wird, spricht für das hohe Alter seiner Kultur. Im 1. Jahrhundert n. Chr. wird seiner in einem chinesischen Werke von Tschong-tschi-tschu Erwähnung getan. In Ägypten tritt er uns verhältnismäßig spät, nämlich erst im mittleren Reich zur Zeit der 12. Dynastie (2000–1788 v. Chr.) entgegen, indem sich seine Frucht, auch mehrfach ausgehöhlt als Behälter, unter den Totenbeigaben vorfand. Doch hat seine Kultur dort, im Gegensatz zur Aggur- und Wassermelone, keine große Bedeutung erlangt. Den älteren Griechen war der Flaschenkürbis[S. 343] vollkommen fremd, ebenso den Römern zur Zeit der Republik. Erst zur römischen Kaiserzeit im 1. Jahrhundert n. Chr. beschreibt der römische, aus Spanien gebürtige Ackerbauschriftsteller Columella verschiedene seiner Fruchtformen, welche als Behälter für Flüssigkeiten aller Art, besonders Milch und Honig, und als Trinkgefäß verwendet werden konnten, daneben aber auch den Jungen als eine Art Schwimmblase zur Erlernung des Schwimmens dienten. Nach ihm spricht der 79 n. Chr. beim Vesuvausbruch umgekommene Plinius von ihr als einer gurkenähnlichen Pflanze, die er cucurbita nennt. Er schreibt in seiner Naturgeschichte darüber: „Den Gurken sind die Flaschenkürbisse (cucurbita) ähnlich; wie jene scheuen sie die Kälte, lieben feuchten Boden und Mist. Sie kriechen wie die Gurken mit ihren rankenden Sprossen an rauhen Wänden hinauf bis aufs Dach, klettern überhaupt gern in die Höhe, können sich aber nicht selbst tragen. Ihr Wachstum ist sehr rasch, und man benutzt sie, um Zimmer mit ihnen auszukleiden oder Lauben mit ihnen zu decken. Man hat zwei Sorten: bei der ersteren hängt die schwere Frucht an einem dünnen Stiele, die letztere jedoch kriecht an der Erde hin. Wie den Gurken gibt man auch den Flaschenkürbissen allerlei Gestalten, vornehmlich in geflochtenen Formen, in die man die jungen Früchte steckt. Sie nehmen dann beim Wachsen die Gestalt der Form an und diese stellt gewöhnlich eine gewundene Schlange vor. Läßt man sie freihängen, so hat man sie schon 9 Fuß lang werden sehen. Ihre Anwendung ist verschieden. Beim Verspeisen wird die Schale fortgeworfen. Sie gelten übrigens für eine gesunde und leichte Speise. Die Kerne, welche an beiden Enden der Frucht liegen, geben lange Früchte, die in der Mitte liegenden runde. (Natürlich ist dies eine unsinnige Behauptung, wie Plinius deren nicht selten aufstellt.) Man trocknet die Kerne im Schatten, weicht sie aber, wenn man sie pflanzen will, zuerst in Wasser auf. Die längsten und dünnsten Früchte hat man zum Verspeisen am liebsten. Diejenigen Flaschenkürbisse, deren Samen man zur Aussaat gebrauchen will, schneidet man gewöhnlich erst mit Eintritt des Winters ab, trocknet sie dann im Rauch und gebraucht sie, um in ihrem hohlen Innern Sämereien, Wein und dergleichen aufzubewahren. Man hat auch ein Verfahren erfunden, nach welchem man die Flaschenkürbisse wie Gurken zum Verspeisen aufbewahren kann, so daß sie sich fast bis zu der Zeit halten, da es wieder frische gibt. Die Aufbewahrung geschieht in Salzbrühe. Man soll sie auch an einem schattigen Orte in einer Grube, deren Boden mit Sand bedeckt ist, aufbewahren können,[S. 344] indem man sie von oben mit trockenem Heu und dann mit Erde zudeckt.“
In der Folge wurde der Flaschenkürbis überall in Südeuropa häufig angepflanzt und fand nach der Entdeckung Amerikas auch im neuen Kontinent, wohin ihn die Spanier zuerst brachten, überall willige Aufnahme und rasche Verbreitung unter den Eingeborenen. Da man ihn auch in manchen peruanischen Gräbern fand, glaubten einige Forscher, er sei in Amerika zu Hause gewesen, was heute sicher als unrichtig festgestellt wurde. Samen des Flaschenkürbisses stammen in Südamerika stets nur aus Gräbern, die jüngeren Datums als das Jahr 1500 sind; denn manche Gräberfelder wurden noch lange nach der Ankunft der Europäer auf diesem Kontinente weiter benutzt.
Als Behälter zur Aufnahme von Flüssigkeiten ist jedenfalls die getrocknete und ausgehöhlte Kürbisschale, die man gewöhnlich als Kalabasse bezeichnet, uralt. Jedenfalls haben wir in ihr die Urform des Gefäßes zu erblicken, die erst in sehr viel späterer Zeit vom Menschen in gebranntem Ton nachgeahmt wurde. Wie nun der Flaschenkürbis in der alten Welt dem Menschen einen natürlichen Behälter darbot, benutzte der Mensch der neuen Welt zu demselben Zwecke außer den getrockneten hohlen Schalen der einheimischen Kürbisse, von denen alsbald zu reden sein wird, auch die ähnlich beschaffenen Früchte des in Mittelamerika heimischen Kalabassenbaums (Crescentia cucurbitana), der in fünf verschiedenen Arten vorkommt. Allgemein in Westindien, Südamerika und neuerdings auch in Westafrika kultiviert wird die 6–9 m hohe Crescentia cujete mit gebüschelten, lanzettförmigen Blättern, grünlichen, gelb und rot gescheckten Blüten und großen, rundlichen, 30 cm im Durchmesser haltenden Früchten, die in einer grünen, holzigen Rinde ein schwammig-saftiges, säuerlich-süßes Mark mit den Samen beherbergen. Dieses Mark wird in Amerika arzneilich benützt, aus der Fruchtschale, der eigentlichen Kalabasse, verfertigt man oft mit Schnitzereien verzierte Gefäße, Schalen, Löffel usw. Das Holz dagegen dient in der Möbeltischlerei.
Wie der Flaschenkürbis in Südasien heimisch ist eine andere in ihren Früchten technisch wichtige Kürbisart, nämlich der Schwammkürbis (Luffa cylindrica), der heute im ganzen Tropengebiet kultiviert wird, auch nach Amerika gebracht wurde und dort verwilderte. Die ziemlich großen, länglichen, glatten Früchte können besonders unreif wie die Blätter gekocht genossen werden; wichtiger aber ist das in den reifen Früchten erhärtende, stark ausgebildete Gefäßbündelnetz, das[S. 345] den vegetabilischen oder Luffaschwamm liefert. In Wasser erweichend dient er statt des tierischen Schwammes zum Reinigen und Frottieren der Haut, dann zu Schuhsohlen, Badepantoffeln, Mützen, Körbchen, Sattelunterlagen, Bilderrahmen und kommt zum Teil aus Ägypten, besonders aber aus Japan in den Handel. Die unreifen Früchte der gleicherweise in Südasien heimischen Luffa acutangula, deren Kultur sich heute über die ganzen Tropen erstreckt, werden wie Gurken gegessen, die Wurzeln und Samen dagegen als Abführmittel benutzt.
Sämtliche echten Kürbisse dagegen sind in der Neuen Welt heimisch und haben sich erst seit deren Entdeckung durch die Europäer, also seit dem 16. Jahrhundert, über die Alte Welt verbreitet. Alle zehn bekannten Arten sind im warmen Amerika, nördlich bis Kalifornien, zu Hause, doch sind mehrere, so namentlich die drei einjährigen Arten, im wilden Zustande noch nicht aufgefunden worden. Daß sie schon lange in der Kultur des Menschen stehen, beweist die Tatsache, daß Samenkerne verschiedener Arten als Totenbeigaben auf dem vorkolumbischen altperuanischen Gräberfelde von Ancon gefunden wurden. Auch wurden in ganz Amerika schon lange vor der Ankunft der Europäer verschiedene Kürbisarten von den Indianern angebaut, die den dahin gelangenden Weißen, wie auch den Botanikern in Europa, die sie später kennen lernten, vollkommen neu waren. Dies wird uns von Acosta und anderen Spaniern von Peru und Mittelamerika, von späteren Einwanderern auch von Nordamerika bezeugt. Bis zum Lande der Huronen an den kanadischen Seen gab es Kürbisse. Von den letzteren berichtet uns ein französischer Reisender des 16. Jahrhunderts, daß sie in Menge „les citrouilles du pays“ anpflanzten. Ein anderer gleichzeitiger Schriftsteller nennt die „citrouilles“ des südlichen Kanada süß und verschieden von denjenigen Europas. Sie seien so groß wie unsere Melonen und ihr Fleisch sei so gelb wie Safran.
Der gemeine Kürbis (Cucurbita pepo) hat seine Heimat in Mexiko und Texas, von wo aus er durch die Spanier sehr bald nach der Entdeckung der Neuen Welt nach Spanien gebracht wurde, um sich von da rasch ostwärts über Südeuropa zu verbreiten. Gleichzeitig mit dem Mais und dem spanischen Pfeffer oder der Paprikapflanze finden wir ihn als Novität in dem 1543 in Basel gedruckten Kräuterbuch des Leonhard Fuchs sehr gut dargestellt mit zwei- bis dreiteiligen Ranken und rotgelben Blüten. In Analogie mit dem als „türkisch[S. 346] Korn“ — was wohl so viel als von weither gekommen heißen soll — bezeichneten Mais benennt dieser Autor den Kürbis als „türkisch Cucumer, auch Meer-Cucumer oder Zuccomarin“ und versichert, „daß er vor kurtzen jaren erst zu uns gebracht worden, was man aus seinen Namen wohl mag abnehmen“. Im Laufe des 16. Jahrhunderts hat sich dann diese Gartenfrucht rasch bei uns eingebürgert, teils wegen ihres eßbaren Fruchtfleisches, teils aber auch der schmackhaften Fruchtkerne wegen, auf welche nach einer Bemerkung von M. Lobelius aus dem Jahre 1576 die Bauern sehr erpicht waren. Die einjährige Pflanze mit liegenden, bis 10 m langen Stengeln, dottergelben, einzelstehenden Blüten und kugeligen, oft sehr großen Früchten mit weißem oder gelbem, genießbarem Fleisch wird in vielen Varietäten kultiviert. Sie gedeiht, wo der Mais gedeiht, und liefert bei gutem Anbau bis 60000 kg vom Hektar. Jede Pflanze soll nur acht Früchte zur Reife bringen; sobald sie vier Nebenranken getrieben hat, bricht man die Spitze der Hauptranke ab und nach dem Fruchtansatz auch diejenigen der Nebenranken. In ganz Südeuropa dienen die Früchte auf die mannigfaltigste Weise zubereitet der ärmeren Volksklasse als geschätzter Zusatz zur Brotnahrung, sie bilden ferner ein vortreffliches Mastfutter für Schweine, auch wird aus ihnen Branntwein gewonnen. Aus den Samen läßt sich ein feines Speiseöl pressen. Zur Herstellung von Kompott eignen sich besonders der Markkürbis und der nichtrankende virginische Kürbis. Zum Verspeisen sind auch der silbergraue, der melonengelbe, der Astrachan- und Ohiokürbis zu empfehlen. Der besonders in Südasien viel gepflanzte Moschuskürbis hat wohlschmeckende, melonenähnliche Früchte, deren Fleisch nach Moschus duftet und schmeckt. Sehr zahlreich sind die Zierkürbisse, von denen etwa zu nennen sind: der Türkenbundkürbis, mit grün, gelb und rot gestreiften Früchten, der nichtrankende Pastetenkürbis, auch Bischofsmütze genannt, mit flacher, am Stiel gewölbter, gelber, grüner und orange mit weiß gestreifter Frucht, dann der Mantelsackkürbis mit dunkelgrüner, am Ende sackartig aufgetriebener Frucht, dessen Samen mit solchen von anderen Arten in den altperuanischen Gräbern von Ancon gefunden wurden, und viele andere Formen wie Apfel-, Birnen-, Zitronen-, Glocken-, Warzenkürbis. Die weitaus größten Früchte besitzt der Riesenkürbis. Sie werden 20–100 kg schwer, sind kugelig, plattgedrückt oder gerippt und haben ein feineres, wohlschmeckenderes Fleisch als die eigentlichen Zierkürbisse, deren Fleisch nicht gegessen wird.
Endlich hat uns Südamerika auch zwei als wertvolle Bereicherungen unseres Gemüsegartens gepflanzte Nachtschattenarten geliefert, nämlich den Liebesapfel oder die Tomate und die Eierpflanze oder Aubergine. Der Liebesapfel (Lycopersicum esculentum) mit übelriechenden, behaarten Blättern, gelben Blüten, glänzend roten, gelbroten, gelben oder weißen Früchten, heißt mit einer amerikanischen Bezeichnung Tomate. Der große Baseler Botaniker Kaspar Bauhin (1560–1624) bezeichnet die Art 1596 als Tumatle Americanorum, und die ersten von den Botanikern des 16. Jahrhunderts ihr beigelegten Namen wie „peruanischer Apfel“ lassen vermuten, daß man sie aus Peru erhalten hatte. Jedenfalls wurde sie auf dem südamerikanischen Festlande von den Eingeborenen früher angebaut als auf den Antillen. Die Ausgangsform war eine ganz kleinblütige Art mit kirschgroßen Früchten, die im Küstengebiet Perus heute noch wild wachsend angetroffen wird. Heute wird die einjährige Pflanze in der ganzen Kulturwelt, besonders in den englischen Kolonien, in Indien, dann in Süd- und Mitteleuropa in vielen Varietäten angebaut und liefert in ihren Früchten ein wohlschmeckendes und zuträgliches Gemüse, das auch gerne roh als Salat gegessen wird. Um Neapel und Rom sieht man ganze Felder mit dieser Frucht bepflanzt. Den Namen Liebesapfel verdankt sie dem Glauben, daß die so schön gefärbte Frucht zärtliche Gefühle erwecke.
Die Eierpflanze (Solanum melongena), von den Franzosen aubergine genannt, mit 60 cm hohem, krautartigem Stengel, eirunden Blättern und lilafarbigen, großen Blüten trägt ovale bis längliche, dunkelviolette, gelbe oder weiße Früchte, denen man durch kochendes Wasser das in ihnen enthaltene Narkotische entzieht. In Spanien, Südfrankreich, Italien, der Wallachei und im Orient werden sie häufig auf Feldern zum Küchengebrauche gezogen. Bei uns verwendet man sie vorzugsweise als Zutat an Saucen, Suppen, Ragouts usw.; auch werden sie vielfach gedünstet gegessen.
Ein naher Verwandter, Solanum quitoense, ein bis 2 m hoher Halbstrauch aus Peru, trägt genießbare Früchte von der Größe und Farbe einer kleinen Orange, die im ganzen westlichen Südamerika als Obst beliebt sind und auch zur Herstellung von kühlenden Getränken dienen. Weil sie vielfach um Quito, die Hauptstadt von Ekuador kultiviert werden, nennt man sie meist Orangen von Quito. Neuerdings werden sie auch in England gezogen.
Von Solanum anthropophagorum endlich, der Tomate der[S. 348] Kannibalen, einem auf den Fidschiinseln kultivierten, etwa 1,5 m hohen Halbstrauch, wurden die tomatenähnlichen Beeren als Würze zu den einstigen Menschenopferschmäusen gegessen, weshalb man diese Pflanze auch bei jeder Bure, d. h. einem Opferplatz, wohin die Körper der Erschlagenen gebracht wurden, um dort verzehrt zu werden, in kleinen Anpflanzungen regelmäßig zog. Heute, da der Menschenfraß auf jenen Inseln abgeschafft ist, dient sie als beliebte Würze zu allerlei Tierfleisch. In gleicher Weise werden verschiedene andere Nachtschattenarten ihrer genießbaren Früchte wegen in den Tropen kultiviert, so Solanum aethiopicum in Afrika, Solanum edule in Guinea, Solanum macrocarpum auf Mauritius und Madagaskar.
Endlich wäre noch die derselben Familie der Nachtschatten angehörende Juden- oder Blasenkirsche (Physalis alkekengi) zu nennen, die aus dem Laubwalde Europas als Zier- und Nutzpflanze in die Gärten übernommen wurde. Sie hat schmutzigweiße Blüten und kirschgroße, glänzendrote Beeren, die von dem nach dem Verblühen sich stark vergrößernden und zur Zeit der Fruchtreife als Schauapparat ebenfalls lebhaft rot gefärbten Kelch tutenförmig umschlossen werden. Während das Kraut giftig ist, sind die süßlich sauren Früchte eßbar. Sehr viel wohlschmeckender aber als sie sind die in ihrer Heimat roh oder eingemacht eine sehr beliebte Speise bildenden Früchte der peruanischen Verwandten, Physalis edulis, die jetzt in den tropischen und subtropischen Gärten allgemein kultiviert wird. Ihre als Ananaskirschen bezeichneten Früchte werden bisweilen auch zu uns gebracht und in den Delikateßläden feilgehalten.
Außer den mancherlei Früchten waren wohl die stärkemehlreichen Wurzelknollen, die keine Gifte oder sonst schädliche Stoffe enthielten, die vom Menschen zur Stillung seines Hungers am meisten gesuchten Pflanzenteile. Am Feuer geröstet, waren sie sehr wohl geeignet, seinen stets regen Hunger zu stillen. Daß dabei die Menschen der Urzeit keine Kostverächter waren und viele Wurzelknollen und andere Teile von Pflanzen aßen, die wir heute zu essen verschmähen, das ist ganz selbstverständlich. So verzehrten die Pfahlbauern Mitteleuropas zur späteren Stein- und Bronzezeit nicht bloß die mehlreichen Früchte der Wassernüsse (Trapa natans), deren Schalen wir in ihren Speiseabfällen finden, sondern wohl auch deren fleischige Wurzeln, die heute noch viele Liebhaber unter den Naturvölkern finden. So werden sie, wie die nach Kastanien schmeckenden Nüsse, geröstet, in Menge selbst von den Bewohnern Kaschmirs, und in einer nahe verwandten Art (Trapa bicornis) von den Chinesen, die sie in besonderen Teichen kultivieren, als Speise namentlich der ärmeren Volksklasse gegessen.
Den alten Ägyptern dienten zu demselben Zwecke die Wurzelknollen der Papyrusstaude und verschiedener Seerosen. Man aß sie roh, geröstet oder gekocht und verwendete sie, zu Brei zerstoßen, wie die alten Schriftsteller berichten, insbesondere zur Ernährung der Kinder, die noch keine gröbere Kost ertragen konnten. An der in ihrer Gestalt und Farbe unserer weißen Seerose ähnlichen ägyptischen Lotospflanze (Nymphaea lotus) und deren Schwester, der himmelblauen Seerose (Nymphaea coerulea), war aber nicht bloß der knollige Wurzelstock, dessen angenehm süßlicher Geschmack gerühmt wird, als Speise geschätzt, sondern auch die kleinen braunen, eiweißhaltigen Samen, die in einer fächerreichen, kugeligen Frucht von[S. 350] schmutziggrüner Farbe liegen. Die Lotospflanze hieß bei den alten Ägyptern suschin, im Hebräischen — daraus entlehnt — schuschan, eine Bezeichnung, welche später auf die weiße Lilie überging und uns in dem Namen Susanna erhalten ist. Noch heute heißt die weiße Lilie im Arabischen susan. Auch bei den ältesten Griechen wurde die weiße Lotos als Lilie (leírion) bezeichnet. Der älteste griechische Geschichtschreiber, Herodot, der um 460 v. Chr. selbst in Ägypten war, berichtet darüber: „Die Früchte der Lotospflanze (lōtós) aber schneiden sie (die Ägypter) ab und trocknen sie an der Sonne. Hierauf zerstoßen sie die darin befindlichen Körner, welche dem Mohn ähnlich sind, und bereiten sich mit Hilfe des Feuers Brot daraus. Auch die Wurzel ist eßbar und schmeckt nicht übel; sie ist rundlich und von der Größe einer Quitte.“ Nach ihm berichtet der große, pflanzenkundige Schüler des Aristoteles, Theophrast (390–286 v. Chr.): „Der Lotos wächst in Ägypten auf den Feldern, wenn sie der Nil überschwemmt. Ihre weiße Blüte schließt sich bei Sonnenuntergang und verbirgt die Frucht; bei Sonnenaufgang aber tritt sie wieder über das Wasser und öffnet sich. Dies wiederholt sie bis die Frucht reif ist und die Blumenblätter abgefallen sind. Die Frucht ist so groß wie der größte Mohnkopf und ebenso in Fächer geteilt. In dieser liegt der Same dicht und sieht so aus wie Hirsekorn (kénchros). Die Ägypter legen die reifen Früchte in Haufen zusammen und lassen sie liegen, bis die Schale gefault ist, worauf die Samen herausgenommen werden. Diese trocknet man, zerstampft sie und bäckt Brot daraus. Die Wurzel des Lotos heißt kórsion, ist rund, so wie eine Quitte, hat eine schwärzliche Rinde wie die Kastanie. Das Innere ist weiß; gekocht oder gebraten wird es wie Eidotter gegessen und ist sehr wohlschmeckend. Man kann sie auch roh essen.“
Als dann um 500 v. Chr. von Persien her der rosenrot blühende indische Lotos (Nelumbium speciosum) im Niltal eingeführt und kultiviert wurde, haben die Ägypter auch dessen olivenkerngroße, braune, in Vertiefungen der der Brause einer Gießkanne ähnelnden Frucht steckenden Samen und die mehlreichen Wurzelknollen gern gegessen. Der vorhin erwähnte Herodot meint sie, wenn er sagt: „Neben dem Lotos haben die Ägypter auch noch andere im Wasser wachsende Lilien, deren Frucht einer Wespenwabe gleicht, worin Samen, so groß wie Olivenkerne, in Menge sitzen; man ißt sie frisch und gedörrt.“ Diese Samen waren die kýamoi aigýptioi oder fabae aegyptiacae, d. h. ägyptischen Saubohnen der griechischen und römischen Schriftsteller des[S. 351] Altertums, die eine sehr beliebte Volksnahrung der alten Ägypter bildeten und nur von den Priestern gemieden wurden, da die sie erzeugende Pflanze in den Kult aufgenommen war und als heilig galt. Von dieser Pflanze, der heiligen padma der Inder, die noch heute in ihrer Heimat Südasien, besonders aber in China und Japan der mehlreichen Wurzelknolle und der wohlschmeckenden Samen wegen in stehenden Gewässern viel gezogen wird, schreibt Theophrast in seiner Pflanzenkunde: „Die kýamos wächst in Sümpfen und stehenden Gewässern Ägyptens. Ihre Stämme werden bis vier Ellen lang, sind fingersdick, krustenlos, haben aber inwendig Scheidewände, welche quer durchgehen. Auf den Stämmen stehen die Fruchtköpfe, die wie runde Wespennester aussehen und in jeder Vertiefung eine etwas hervorragende saubohnenähnliche Frucht tragen. Es sind in jeder Frucht gewöhnlich 30 Bohnen enthalten. Die Blume ist doppelt so groß wie eine Mohnblume und tief rosa gefärbt. Die Frucht steht über der Wasserfläche. Neben den Früchten kommen große Blätter hervor, wie breitkrempige Hüte; ihre Stiele sehen aus wie die der Früchte. Die Wurzel ist dicker als die des dicksten Schilfes und hat ebensolche Scheidewände wie der Stamm. Sie wird roh, gekocht und geröstet verzehrt. Die Pflanze wächst häufig wild, wird aber auch gesät, indem man deren Samen in Ton wickelt und mit diesem ins Wasser senkt. Wo die Pflanze einmal steht, da dauert sie sehr lange aus. Die Wurzel ist stark, der Schilfwurzel ähnlich, aber dornig. Deswegen vermeidet sie das Krokodil, weil es fürchtet, seine Augen an den Dornen zu verletzen. Die Pflanze wächst auch in Syrien und Kilikien, trägt dort aber keine reifen Früchte. Sie wächst auch bei Torone in Chalchidike in einem mäßig großen See und in diesem bringt sie ihre Frucht zur Reife.“ Später schreiben der aus Kilikien gebürtige griechische Arzt Dioskurides um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. und der um 200 n. Chr. in Alexandria und Rom lebende, aus Naukratis in Ägypten stammende griechische Grammatiker Athenaios, daß der kýamos aigýptios in Ägypten in reicher Fülle wachse, sich aber auch in Asien und Kilikien in stehenden Gewässern finde. Die eßbaren Samen würden auch kibórion genannt, während die Wurzel kolokásia genannt und ebenfalls gegessen werde.
Schon bei den ältesten Griechenstämmen war die durch unbestimmte Berichte aus Ägypten beeinflußte Sage von den Lotophagen, d. h. Lotosessern, sehr verbreitet. Läßt doch schon Homer in der Odyssee seinen Helden Odysseus zu den Lotophagen, worunter wohl zweifelsohne[S. 352] die Ägypter zu verstehen sind, gelangen und erzählt in phantasiereicher Weise von der seltsamen Wirkung der Frucht:
Nun kann aber dieser honigsüße Lotos Homers nicht die Frucht der ägyptischen Lotosblume, die keineswegs süß ist, gewesen sein, sondern war vermutlich diejenige des dem Judendorn nahe verwandten Zizyphus lotos, eines dort und in anderen Ländern am Mittelmeer wachsenden Strauches mit längeren Dornen und größeren Früchten, die ein gelblichweißes, mehliges Fruchtfleisch von schleimigem, sehr süßem, an Datteln erinnerndem Geschmack besitzen und heute noch im Orient, wo der Strauch wild wächst, gern von der einheimischen Bevölkerung gegessen werden.
Der Papyrus (Cyperus papyrus) — altägyptisch ha — ist ein niemals in schnellfließenden, tiefen Gewässern, sondern im seichten Wasser der Strombuchten, am Rande der Seen und in Sümpfen wachsende, bis 5 m hohe Grasart des tropischen Afrika, die einst in ganz Ägypten sehr häufig war, heute aber nur noch in Nubien und den Ländern am Oberlaufe des Nils wildwachsend in ausgedehnten Beständen angetroffen wird. Ihre fleischige Grundachse ist ein Hauptnahrungsmittel der Flußpferde, die sie mit ihren kräftigen, weit vorstehenden Schneidezähnen leicht aus dem schlammigen Boden heben, um sie schmatzend zu verzehren. Ihrem Beispiel folgten die Menschen. Wie heute noch die Stämme im oberen Nilgebiet, so haben schon die alten Ägypter die saftige, mehlreiche, aromatisch schmeckende Grundachse der Papyruspflanze, die erst im Alter verholzt, roh und gekocht als beliebte, billige Speise gegessen. Auch das untere Ende des saftreichen dreikantigen[S. 353] Stengels wurde von ihnen, weil infolge des reichen Zuckergehaltes süß schmeckend, gern wie anderwärts das Zuckerrohr gekaut, um den Saft auszusaugen. Schon der Vater der griechischen Geschichtschreibung, Herodot (484 v. Chr. in der kleinasiatischen Stadt Halikarnaß geboren, bereiste Ägypten und Babylonien, war seit 456 wieder in Griechenland, ging dann 443 nach der griechischen Pflanzstadt Thurii in Süditalien, wo er um 424 verstarb) schreibt: „Die Bewohner des ägyptischen Marschlandes reißen den Papyrus (býblos), der alljährlich nachwächst, aus dem Schlamm, schneiden das Obere ab, um es sonst zu verwenden; das ellenlange Wurzelstück dagegen essen oder verkaufen sie. Soll es recht gut schmecken, so wird es zuvor in einem heißen Ofen geröstet und dann erst gegessen.“ Eine ausführliche Beschreibung der Pflanze und ihres Nutzens gibt uns der pflanzenkundige Theophrast (390–286 v. Chr.), der von ihr sagt: „In Ägypten kommen zahlreiche Wasserpflanzen vor; dieselben sind im allgemeinen süß und eßbar. Der pápyros wächst nicht in tiefem Wasser, sondern nur etwa 2 Ellen oder auch weniger tief. An Dicke kommt die Wurzel der Handwurzel eines starken Mannes gleich und dabei wird sie über 10 Ellen lang. Sie tritt über den Boden hervor, schickt seitlich viele dünne Wurzeln nach unten, nach oben aber dreikantige, bis 4 Ellen hoch wachsende Stengel, die man insbesondere pápyros heißt. Solche Stengel treibt die Wurzel überall in Menge. Diese sind zu vielerlei brauchbar. Man macht aus ihnen Fahrzeuge, und aus dem Baste (bíblos) werden Segel, Matten, Seile, Kleider und viele andere Dinge geflochten. Im Ausland ist das daraus gewonnene Papier (ta bíblia) allgemein bekannt. Für die Eingeborenen ist aber die Nahrung, die sie aus dem pápyros ziehen, am wichtigsten. Sie kauen ihn roh, gekocht und geröstet, verschlucken den Saft und speien das übrige aus. Die (älteren) Wurzeln dienen statt Holz zum Brennen und zum Verfertigen von allerlei Geräten.“ Fast dreihundert Jahre später schrieb der aus Sizilien gebürtige griechische Geschichtschreiber Diodor, da er vom häuslichen Leben und der Kinderpflege der Ägypter handelte, daß den Eltern unglaublich wenig Kosten für die Ernährung der Kinder erwachsen, „denn sie kochen ihnen die nächste beste einfache Speise; auch geben sie ihnen von der Papyrusstaude den untern Teil zu essen, soweit man ihn im Feuer rösten kann... Daher kostet ein Kind seinen Eltern, wenn es erwachsen ist, im ganzen nicht über 20 Drachmen“ (etwa 12 Mark).
Ein naher Verwandter des Papyrus ist das eßbare Cypergras (Cyperus esculentus), auch Erdmandel genannt, deren Knollen man[S. 354] auch bisweilen mit anderen Pflanzenresten in den altägyptischen Sarkophagen als beliebte Totenspeise findet. So fand man welche in Gräbern des mittleren Reiches (2160–1788 v. Chr.) in Der el bahri bei Theben. Die im Berliner ägyptischen Museum aufbewahrten sollen nach A. Braun rundlicher und kleiner sein, als die heutigentags in Ägypten kultivierten. Die Pflanze hieß bei den alten Ägyptern gaiu und die Wurzelknolle schabin. Der erste Grieche, der die Pflanze erwähnt, ist Theophrast. Er sagt von ihr: „Die malinathállē wächst in der Nähe der Flüsse Ägyptens auf sandigem Boden, ist rund von Gestalt, an Größe der Mispel gleich, ohne Kern und ohne Schale. Aus dieser Masse kommen Blätter wie beim Zypergras hervor. Die Leute sammeln die Knollen und kochen sie in Gerstenbier; auf diese Weise werden sie sehr süß. Sie werden auch allgemein zum Nachtisch gegessen.“ In ähnlicher Weise drückt sich der ältere Plinius (23–79 n. Chr.) aus: „In Ägypten wächst das anthalion; es hat die Größe und Rundung einer Mispel, weder Kern noch Schale, aber Blätter wie Zypergras. Es wird gegessen, nachdem es durch Feuer zubereitet ist.“ Noch heute ist die Erdmandel oder Chufa eine für die Völker Nordafrikas sehr wichtige und deshalb allgemein angebaute Nährpflanze, deren Knollen überall in den Basaren, auch in Ägypten und im Orient als hab el asis, d. h. vorzügliche Knolle, zu kaufen sind. Aus letzteren bereiten die Araber ein sehr süßes, wohlschmeckendes Getränk, scherbet genannt (vom Arabischen schariba = trinken abzuleiten). Überall, wo die Araber einst herrschten, wurde die Pflanze häufig angebaut, so auch in Sizilien und Süditalien, und neuerdings wird sie wegen des süßen Geschmacks ihrer nahrhaften Wurzelknolle auch in Süddeutschland und Österreich kultiviert. Vielfach trifft man sie auch in Südasien und sogar in Amerika an. Die stärkemehl-, öl- und zuckerreichen Wurzelknollen von ausgezeichnetem mandelartigem Geschmack werden vielfach in den Handel gebracht und dienen zur Gewinnung eines als Speiseöl sehr geschätzten Öles. Da die Pflanze auch längere Trockenzeiten mit Leichtigkeit zu überstehen vermag, so bilden ihre Knollen, die roh und gekocht in der verschiedensten Zubereitung gegessen werden, in dem trockeneren Südafrika eines der wichtigeren Nahrungsmittel, weshalb die Erdmandel in vielen Teilen Afrikas, u. a. auch in Deutsch-Südwestafrika, angebaut wird.
Auch die nahrhaften Wurzeln verschiedener anderer Pflanzen wurden und werden manchenorts vom Menschen gegessen. So bildeten die mehlhaltigen Wurzelstöcke gewisser Farnkräuter die fast aus[S. 355]schließliche Pflanzennahrung der Maori Neuseelands vor ihrer Entdeckung durch die Europäer. Sie waren um 1300 n. Chr. von Norden her auf dieses Eiland eingewandert und bewohnten ausschließlich die Nordinsel, sich hier vorzugsweise vom Fischfang und der Jagd ernährend. Noch als der berühmte Seefahrer James Cook den Südwinter 1773 bei ihnen verbrachte, hatten sie daran und am Fleische der gewaltigen, flügellosen Vögel, die in zahlreichen Arten jene Insel bewohnten, genügend zu essen; als aber letztere zu Beginn des 19. Jahrhunderts ausgerottet wurden und die Eingeborenenbevölkerung sich so weit vermehrt hatte, daß die Fleischnahrung als notwendige Zukost zur eiweißarmen Wurzelnahrung im Innern, wo kein Fischfang möglich war, mangelte, da begannen die Maori notgedrungen, sich gegenseitig aufzufressen, bis die Europäer durch Einführung der Schweine als Eiweißnahrung und der Kartoffeln an Stelle der viel geringwertigeren Farnwurzeln als Pflanzenkost der chronischen auf dieser übervölkerten Insel herrschenden und zu den Gräueln des Kannibalismus führenden Hungersnot ein Ende machten, worauf der Menschenfraß von selbst aufhörte. Heute noch dienen allerlei Farnwurzeln, namentlich von Pteris aquilina, im Himalaja und in Japan zur Ernährung des Menschen.
Noch häufiger aber werden andere stärkemehlhaltige Wurzelstöcke als Nahrung benutzt, so vor allem diejenigen der in der ganzen Inselwelt des Stillen Ozeans und Südasiens heimischen Tahitipfeilwurz (Tacca pinnatifida), auf Tahiti und den benachbarten Inseln pia genannt. Diese niedrige, ausdauernde Staude wird hier überall, wie auch in Queensland, dem malaiischen Archipel, Indien, Südchina und der Ostküste von Afrika um Sansibar herum wegen ihrer stärkemehlreichen Wurzelknollen kultiviert, obgleich dieselben eine Schärfe besitzen, welche selbst durch mehrmaliges Auswaschen nicht vollständig entfernt werden kann. Von den Europäern wird sie deshalb gewöhnlich mit Essig gegessen, der die Schärfe unterdrückt. In China und Cochinchina dienen auch die gekochten Blattstiele zur Nahrung. Von dieser Pflanzenknolle wird ein sehr geschätztes Stärkemehl gewonnen, das als ostindisches Arrowroot, d. h. Wurzelmehl, in den Handel gelangt, meist aber an Ort und Stelle verbraucht wird. Neuerdings wird diese Pfeilwurz mit bestem Erfolg auch im Kamerungebiete und in Deutsch-Südwestafrika angebaut und zur Gewinnung von Stärkemehl benutzt, das vielfach auch von den Fidschi-, Samoa- und Sandwichinseln, wie auch von Neuguinea in den Handel kommt.
Sonst wird das Arrowroot des Handels meist aus Wurzelstöcken verschiedener im tropischen Südamerika heimischer Pflanzen aus der Familie der Marantazeen, einer Art Gewürzlilien, gewonnen. Dieses Wurzelmehl gewannen die Indianer schon lange vor ihrer Bekanntschaft mit den Europäern und nannten es aruruta (von aru Mehl und ruta Wurzel), woraus die Engländer irreführenderweise ihr arrowroot machten, was also „Wurzelmehl“ und nicht „Pfeilwurz“ bedeutet, wie man glauben könnte. Das beste Stärkemehl liefert Maranta arundinacea, eine 2–3 m hohe Staude mit geradem, schlankem Stengel, langen, ovallanzettlichen, unterseits etwas behaarten Blättern, kleinen weißen Blüten, die in kurzen Ähren an den verzweigten Blütenständen erscheinen und welchen Kapselfrüchte von der Größe der Johannisbeeren folgen. Der fleischige Wurzelstock verzweigt sich im Boden; seine einzelnen Glieder, „Finger“ genannt, werden 25 bis 45 cm lang, sind weiß und müssen zur Zeit des Absterbens der Stengel, wenn sie am stärkereichsten sind, geerntet werden. Wenn der Wurzelstock jung ist, enthält er nur 7–8 Prozent Stärkemehl, dann wächst der Gehalt allmählich und erreicht im 10.–12. Monat, je nach der Gunst des Klimas, 25–26 Prozent. Die abgeschnittenen Stauden dienen als Gründüngung, während die mit Hacken ausgegrabenen Wurzelstöcke geschält, gewaschen, zwischen Walzen zerquetscht und die Stärkemehlkörnchen auf feinen Sieben ausgeschlämmt werden. Darauf folgt die Trocknung in großen, flachen Kupferpfannen, in welche die Stärke mit neusilbernen Schöpflöffeln übertragen wird, und darauf das Verpacken in Fässer oder noch besser in Zinnkisten. Aus ihrer Heimat im tropischen Südamerika war die Pfeilwurz vor der Ankunft der Europäer überall in Westindien verbreitet und wird schon lange auch in Ostindien, Afrika und Australien im großen kultiviert. Besonders in Süd- und Westafrika hat sich ihr Anbau in neuerer Zeit sehr gehoben. Natal führt davon jährlich bis zu 300000 kg aus, wovon das kg im Großhandel etwa 1 Mark kostet. Solches Arrowroot wird in Westindien auch von Calathea allouya gewonnen, einer Pflanze mit rundlichen, kleinen Knollen, die wie die Maranta von den Eingeborenen Guianas und Westindiens häufig als Knollenpflanze bei den Häusern angebaut wird. Dann wird aus verschiedenen Cannaarten, die mit Maranta nahe verwandt sind und wie diese kultiviert werden, Arrowroot gewonnen, das unter dem Beinamen Tulema (verdorben aus tous les mois) bekannt ist, Canna discolor aus Mittelamerika soll wenig, aber eine sehr gute Sorte geben, die in Trinidad[S. 357] unter dem Namen Cannaroot in den Handel kommt. Während die verschiedensten südamerikanischen Cannaarten, so namentlich C. gigantea aus Brasilien und C. paniculata aus Peru, zur Stärkemehlgewinnung angepflanzt werden, wird nur die ebenfalls in Peru heimische Canna edulis in Süd- und Mittelamerika, wie seit langer Zeit auch im östlichen Australien für den Export im großen angebaut. In ihrer Heimat Peru heißt sie adeira und werden ihre Knollen wie bei uns die Kartoffeln gegessen. Sie ist außerordentlich zähe und genügsam an den Boden und wird im Gegensatz zur weißen Arrowrootpflanze (Maranta arundinacea mit der weißen Blüte), weil sie scharlachrote Blüten und dunkelpurpurfarbene Früchte besitzt, die rote Arrowrootpflanze genannt. In Queensland hat sie infolge ihrer leichteren Erntebereitung, trotzdem ihr Produkt weit geringere Preise erzielt, die Marantakultur schon fast ganz verdrängt. Sonst kommt die meiste Cannastärke von St. Kitts in Westindien nach London auf den Markt.
Andere nennenswerte Arrowrootquellen sind einige Ingwerarten Ostindiens aus der Gattung Curcuma, deren eine die als Gewürz gebrauchte Gelbwurz liefert; die beste Sorte liefert Curcuma angustifolia. Das daraus gewonnene Stärkemehl wird meist auf den indischen Basaren unter einheimischen Namen verkauft und kommt kaum in den europäischen Handel, doch soll es vielfach zur Verfälschung des echten Arrowroots aus Maranta arundinacea gebraucht werden. In Westindien dient zu der seltener vorkommenden Verfälschung derselben eine ihr ähnlich sehende Stärke, die von verschiedenen Cycadeen oder Palmfarnen, besonders Zamia tenuis, furfuracea und pumila, gewonnen wird. Dem gleichen Zwecke dienen die im Tieflande Mexikos wachsenden großen Samen des Palmfarns Dioon edule. In Chile ist Astroemeria pallida eine Arrowrootquelle; das gewonnene Produkt dient aber nur dem einheimischen Verbrauch.
Eine als Nahrungsmittel außerordentlich wichtige Knollenfrucht liefert die südamerikanische Wolfsmilchart Manihot utilissima. Dieses Wurzelgewächs wird in Westindien und den Vereinigten Staaten Cassava, in Zentralamerika, Kolumbien, Venezuela, Peru, Ekuador und Bolivien Yuca, in Brasilien, Argentinien und Paraguay aber Mandioca genannt. Und als Maniok wird es auch von den Europäern in Amerika gewöhnlich bezeichnet, während es die in Westafrika, wo es früh durch südamerikanische Sklavenhändler eingeführt wurde, lebenden Weißen als Cassada oder Stockyams bezeichnen. Besonders an der Küste Westafrikas, wo es die Eweer Agbeli nennen,[S. 358] wird es neben dem ebenfalls aus Südamerika eingeführten Mais als Hauptbrotfrucht gepflanzt. Man unterscheidet in seiner Heimat bittern und süßen Maniok; der letztere wird als Manihot aipi bezeichnet, ist mehr in Südbrasilien, Paraguay und Nordargentinien zu Hause, hat lange Staubbeutel und ungeflügelte, nur etwas eckige Kapseln, während ersterer dagegen mehr aus Nordbrasilien, Guiana und Westindien stammt und kurze Staubbeutel und breitgeflügelte Kapseln besitzt. Obschon der süße Maniok, namentlich in kühleren Gegenden, besser gedeiht als der bittere, auch in bezug auf den Boden weniger anspruchsvoll ist und kürzere Zeit, nämlich 8–10 Monate, zur Reife gebraucht, wird er weniger als der bittere angebaut, der reicheren Ertrag geben soll und dessen Knollen sich im Boden auch besser halten sollen als die süßen. Sie sind größer als letztere und nicht weißlich, sondern dunkel gefärbt. Die Pflanze gehört zu den halbholzigen Sträuchern, der weißliche, spröde Stengel ist mit dickem Mark gefüllt, mehrfach verästelt und wird 1,5–2 m, unter günstigen Verhältnissen sogar 3 m hoch. Er ist schwach mit bläulichgrünen, drei- bis siebenlappigen Blättern besetzt und trägt rispiggestellte unscheinbare Blüten männlichen und weiblichen Geschlechts, aus welch letzteren Kapselfrüchte hervorgehen. Die fleischigen Wurzeln stehen in Büscheln beisammen und bilden den Dahlien- oder Georginenknollen ähnliche, nur bedeutend größere und schwerere, außen meist rotbraun, innen dagegen gelbweiß wie die Kartoffel gefärbte, fingerförmig auseinanderstehende Knollen mit derber Schale. Meist erreichen sie nur 30–45 cm Länge, können aber auch bis 70 cm Länge und ein Gewicht von 4–5 kg erlangen. Sie enthalten gleich dem Strauche einen äußerst giftigen Milchsaft, der schon wenige Minuten nach dem Genuß den Tod herbeiführt. Durch Unkenntnis dieser Verhältnisse bei der ihnen bis dahin unbekannten Knollenfrucht gingen zahlreiche der schwarzen, aus Ostafrika mitgenommenen Suaheliträger auf dem letzten großen Zuge Stanleys kongoaufwärts zum Entsatze von Emin Pascha an Vergiftung zugrunde. Glücklicherweise läßt sich aber das Gift, das aus Blausäure besteht, schon teilweise durch sorgfältiges und wiederholtes Auswaschen, vollständig aber durch Rösten und Kochen entfernen. Die Hitze verflüchtigt es so schnell, daß dünne Wurzelschnitten, einige Stunden an der Sonne getrocknet, dem Vieh als Futter verabreicht werden können, und sogar, falls sie völlig trocken sind, auch vom Menschen gegessen werden dürfen. Vor ihrer Zubereitung raspelt und zerreibt man die Knollen, preßt die Masse aus, wäscht sie wiederholt im Wasser aus und drückt sie schließ[S. 359]lich durch ein Bambusrohrgeflecht. Das dabei Zurückbleibende ist das Mandiocamehl, in Südamerika meist nur farinha, d. h. Mehl genannt, das, zu Brot oder Kuchen gebacken oder mit Wasser zu Brei verrührt, in einem großen Teile Südamerikas für die ärmere Bevölkerung das ist, was die Kartoffel für Irland. Aus dem durch das Bambusgeflecht abgelaufenen Wasser schlägt sich reines Stärkemehl nieder, das als Tapioka (aus dem tipiok der Indianer entstanden), Manioksago oder brasilianisches Arrowroot in den Handel gelangt und als Kindermehl oder zu feinem Backwerk verwendet wird. Damit sich das Mandiocamehl leichter zu Brot backen läßt, wird es in Amerika vielfach mit Weizenmehl vermischt. Als Würze zu den etwas fade schmeckenden Maniokklößen oder dem Tapiokabrei genießt man vielfach den mit Pfeffer gekochten frischen Milchsaft der Pflanze, und sogar die Blätter werden gekocht als Gemüse gegessen. Da die Kultur des Manioks eine äußerst einfache ist, die Pflanze selbst mit geringem Boden vorlieb nimmt und bei geringer Arbeit einen hohen Ertrag liefert, so ist es kein Wunder, daß sie sich aus ihrem Stammland Brasilien, wo sieben verschiedene Arten derselben angebaut werden, über ganz Südamerika, Mexiko und die Antillen schon vor der Ankunft der Europäer verbreitet hatte. Im 16. Jahrhundert kam sie durch die Portugiesen nach Westafrika, wo sie sich mit der Zeit weithin verbreitete; später ward sie auch nach Asien gebracht und wird da stellenweise angebaut, so besonders auf der Halbinsel Malakka. Doch nimmt heute noch Brasilien weitaus die erste Stelle in bezug auf den Export von Tapioka ein. Hat doch dieses Land eine Jahresausfuhr von 15 Millionen kg im Wert von über einer Million Mark, nach ihm kommt Singapur mit 12,4 Millionen kg. Die deutschen Kolonialgebiete in Westafrika produzieren fast nur für den Eigenbedarf, weil von seiten der Europäer bis jetzt keine Nachfrage nach diesem Artikel besteht. Doch hat Togo immerhin im Jahre 1906 schon 250000 kg im Werte von fast 22000 Mark ausgeführt. Die Kultur ist so überaus einfach und ergiebig, daß sie selbst dem arbeitsscheuen Neger einleuchtet und sich von selbst bis nach Westafrika quer durch den Kontinent ausbreitete. Sowohl in Deutsch-Ostafrika als auch namentlich im portugiesischen Teile spielt sie heute eine große Rolle. Der Maniok, der von den Deutschen Westafrikas im Gegensatz zum eigentlichen, wie wir gleich sehen werden, rankenden Yams auch als Stockyams bezeichnet wird, gedeiht am besten auf trockenem Sandboden, während er bei zu großer Feuchtigkeit, z. B. im Gebirge, durch starken Giftgehalt ausgezeichnet ist und[S. 360] dann mit der größten Vorsicht durch die vorhin genannten Maßnahmen entgiftet werden muß.
In seiner Heimat Brasilien, wie in Afrika und auf Malakka, wird der Maniok in der denkbar einfachsten Weise angepflanzt, indem man ein Stück Urwald mit Axt und Feuer lichtet und den Grund behackt. In Abständen, die mit Rücksicht auf die Größe des sich entwickelnden Strauches durchschnittlich 1,5–2 m betragen, werden etwa 30 cm lange Stengelstücke, an denen in ausgiebigster Weise Knospen angelegt sind, die in der folgenden Vegetationsperiode zur Entwicklung gelangt wären, bis nahezu zur Hälfte schräg in den Boden gesteckt. Schon nach 2 bis 3 Wochen bemerkt man das Austreiben der Knospen, welche sich dann sehr schnell entwickeln, so daß bereits nach sieben Monaten, während welcher nur ein- bis zweimal zur Beseitigung des gröbsten Unkrauts gehackt zu werden braucht, die Ernte der Knollen beginnen und infolge der stetigen Entwicklung neuer Knollen mehrere Monate fast ununterbrochen fortgesetzt werden kann. Dabei müssen die Knollen, die sich an der Luft nicht gut halten, bis zu ihrem Verbrauche im Boden belassen werden, worin sie sich ausgezeichnet konservieren. In Westafrika wird der Maniok in ausgedehnten, meist sorgsam gehegten Feldern bei den Negerdörfern gebaut, indem um jede Pflanze ein Erdhaufen zusammengeharkt wird, welcher infolge der Belaubung der über Mannesgröße erreichenden Stauden meist frei von Unkraut bleibt. Dabei kann man auf einen Ernteertrag von 5 kg Knollen pro Pflanze rechnen mit einem Mehlertrag von etwa 33 Prozent. Die anfänglich leeren Abstände benützt man vielfach zum Anbau schnellwachsender Pflanzen wie Mais oder Bergreis und legt häufig Mischkulturen von Maniok und Bananen an. Auch der Maniok hat seine Feinde, von denen namentlich Raupen mitunter in größeren Mengen an die Pflanze herangehen. Bedeutend mehr wird aber die durch einen Fadenpilz hervorgerufene Kräuselkrankheit der jungen Triebe gefürchtet. Einfallende Schwärme von Wanderheuschrecken können durch Abfressen des für sie trotz der Giftigkeit unschädlichen Laubes großen Schaden anrichten, ebenso Wildschweine und in Amerika Agutis durch Wegfressen der Knollen trotz ihrer Bitterkeit. Die Blätter fallen vielfach auch Hirschen und Antilopen zum Opfer.
Eine andere uralte Kulturpflanze des tropischen Amerika ist die Batate oder süße Kartoffel (Ipomaea batatas), die durchaus nicht mit der gemeinen Kartoffel verwandt ist, sondern ein Windengewächs mit eßbaren Wurzelknollen ist. Wegen der großen Ähnlichkeit der[S. 361] letzteren mit den Kartoffelknollen in Verbindung mit deren ausgesprochen süßem Geschmack wurden sie als süße Kartoffeln bezeichnet. Die Pflanze ist ausdauernd, sie hat aus einer Wurzel mehrere lange, auf dem Boden kriechende Stengel, langgestielte, breite, tiefeingeschnittene Blätter, zu 3–4 an einem ebenfalls langen Stiele aus den Blattwinkeln hervorbrechende große, purpurrote, rötliche oder weiße Trichterblüten und entwickelt mehrere lange, walzen- oder spindelförmige, spitz zulaufende, außen purpurrote, weiße oder gescheckte, inwendig aber weiße, weiche mehlreiche Wurzelknollen, die im allgemeinen nur ein Gewicht von 1–2 kg erreichen; doch sind solche von 6 kg keine Seltenheit, und auf Java soll man sogar Knollen von 25 kg gezogen haben. Obschon die Pflanze noch nirgends im wilden Zustande angetroffen wurde, so ist doch höchst wahrscheinlich Brasilien ihre engere Heimat, da dort verwandte wilde Ipomaea-Arten angetroffen werden, deren Knollen gleichfalls gegessen werden können. Seit den ältesten Zeiten wird sie durch das ganze tropische Amerika von Paraguay und Peru, in welch letzterem Lande sie apichu genannt wird und nach den Gräberfunden von Ancon schon von den vorgeschichtlichen Indianerstämmen angepflanzt wurde, bis Mexiko und den Antillen kultiviert, und zwar in einer großen Zahl von Kulturvarietäten, die indessen nicht durchweg beständig zu sein scheinen. Sie wurde im Jahre 1519 in Europa be[S. 362]kannt, indem Pigafetta über ihre Kultur in Brasilien berichtete. Bald darauf wurde sie in Spanien eingeführt und von dort und den Kanaren kam sie noch vor der Kartoffel nach England. Wegen ihrer großen Vorzüge als Nährfrucht verbreitete sie sich sehr rasch über die Alte Welt und fand sich schon im 17. Jahrhundert in ausgedehntem Maße in Ostasien, besonders China, angepflanzt. Man baut sie gegenwärtig außer sehr allgemein in Amerika, wo sie sich den ganzen Süden der Vereinigten Staaten erobert hat, in Nordafrika, Ostindien, China, Japan und dem malaiischen Archipel an. Selbst in Südeuropa hat man sie einzubürgern versucht; doch ist es ihr hier nicht warm genug, so daß sie nicht recht zu gedeihen vermag.
Die Kultur der Batate, deren Namen die Engländer als die ihnen von den beiden Knollengewächsen zuerst bekannt gewordene als potatoe auf die Kartoffel übertrugen, erfordert in den warmen Ländern sehr wenig Arbeit. Sie wächst in jedem Boden, ist aber für ausgiebige Düngung dankbar. Man steckt die Saatknollen, oder falls man Stecklinge erhalten kann, meist diese in Abständen von 1 m in den Boden, nachdem der Boden durch Hacken gelockert und das Unkraut als Gründüngung untergegraben ist. Die beste Pflanzzeit ist in den Tropen die zweite Regenzeit oder, falls nur eine existiert, die zweite Hälfte derselben; doch pflanzt man meist während der ganzen Regenzeit, um stets frische Süßkartoffeln zu haben. Meist setzt man sie als Zwischenfrucht auf Feldern, die zum zweiten Male Mais tragen. Und zwar wählt man die Zeit, da der Mais schon 30–40 cm hoch ist und als Schattenpflanze für die jungen Bataten dienen kann. Nach zwei Monaten wird der Mais geerntet, nach fünf Monaten aber die Bataten entweder ohne Zwischenfrucht, oder man sät noch einmal Mais dazwischen. Andere Zwischenfrüchte, wie z. B. Bananen, wählt man jetzt nicht mehr oder nur selten. Dadurch, daß die Stengel der Bataten auf dem Erdboden kriechen und mit zahlreichen Blättern versehen sind, unterdrücken sie die Entwicklung von Unkräutern. Man braucht also nicht zu hacken, sondern kann den Boden fest lassen, wodurch auch die Ausbildung großer und mehr runder Knollen begünstigt wird. Bei der Ernte, welche etwa Anfang April beginnt, werden die Knollen für den jedesmaligen Bedarf oder in gewissen, meist nicht sehr großen Quantitäten mit möglichster Schonung der Pflanze herausgenommen. Diese setzt dann fortwährend neue Knollen an, so daß die Felder oft erst nach zwei bis drei Jahren erneuert werden. Nachher aber werden die Blätter kleiner und die Knollen bleiben aus, so daß[S. 363] die Kulturen frisch angelegt werden müssen. Die Ernte soll man möglichst nur bei trockenem Wetter vornehmen. In vielen Fällen heben die Knollen zur Zeit der Ernte, da das Laub gelb zu werden beginnt, die Erde empor und lassen sich leicht auffinden und mit der Hacke ausgraben. Der Wert der durch einen großen Reichtum an Stärkemehl und Milchsaft ausgezeichneten Knollen wird durch ihre geringe Haltbarkeit beeinträchtigt, zumal in einem feuchten Klima. Vor allem müssen sie in einem trockenen, luftigen Raum aufbewahrt werden. Zu diesem Zwecke baut man gutgedeckte Scheuern, worin sie aufgehängt oder, wie es die Neger meist machen, lose aufeinander geschichtet werden. Man ißt sie aber meist bald nach der Ernte und bereitet sie in derselben Weise wie die Kartoffeln zu, indem man sie in Butter geröstet und als Puree oder Salat zubereitet ißt. Sie sind sehr bekömmlich und nahrhaft, zart und von angenehmem, süßem Geschmack, sind leichter verdaulich, stehen aber für unser Empfinden in bezug auf Wohlgeschmack weit hinter den Kartoffeln zurück. Im Ofen getrocknet oder in Zucker eingelegt, lassen sie sich auch konservieren; auch benutzt man sie zur Gewinnung eines berauschenden Getränkes, das in Westindien mobby, bei den Portugiesen aber marmoda heißt. Die von Würmern angefressenen, die leicht faulen, und die unreifen Knollen können als Viehfutter verwendet werden. Als ebensolches dienen auch die Blätter und Stengel; erstere werden bisweilen auch solange sie jung sind wie Spinat gekocht vom Menschen gegessen, schmecken aber nicht sehr gut.
Unter der Bezeichnung Yams oder Igname werden seit uralter Zeit verschiedene kletternde Knollenpflanzen aus der Gattung Dioscorea (nach dem griechischen Arzte Dioskurides im 1. Jahrhundert n. Chr. so genannt) im tropischen Amerika, in Afrika und Asien kultiviert, deren wilde Stammformen meist nicht mehr zu finden sind. Von den zahllosen Formen sind Dioscorea batatas, sativa und alata die wichtigsten. Unter ihnen hat die erstgenannte mit Sicherheit in China und dem indo-malaiischen Gebiet ihre Heimat; hier wird sie in den ältesten auf uns gekommenen Schriften mit einheimischen Namen erwähnt. Ferner hat sich herausgestellt, daß der in Südamerika für sie gebräuchliche Name Igname, der sich mit dem Gewächs weithin verbreitet hat und beinahe ebenso oft gebraucht wird als die Bezeichnung Yams, aus Westafrika stammt und wahrscheinlich mit der Frucht durch Sklaven dahin gelangte. Alle Yamsarten sind windende Pflanzen mit bis 6 m langem, dünnem, hartem, vielfach noch mit Dornen ausgestattetem Stengel, spiral darum herumlaufenden herzförmigen Blättern, getrennt[S. 364] geschlechtigen, unscheinbaren grünen, der Johannisbeertraube ähnlichen Blüten, harten, herzförmigen, ungenießbaren Früchten, 0,5–1 m und mehr langen, bis 10 kg schweren fleischigen Knollen mit dunkler Rinde und mehlreichem Inhalt. Bei vielen sind letztere stark bitter oder geradezu giftig, in welch letzterem Falle sie einen ekelhaften Geruch beim Kochen von sich geben. Durch Wässern und längeres Kochen werden aber diese Stoffe vollständig beseitigt, so daß sie dann eine sehr wohlschmeckende Speise abgeben, die an Nährwert der Kartoffel gleichkommt. Sie werden geschält, zerschnitten, weich gekocht, in Holzmörsern zerstampft und der so entstandene dicke Brei mit Pfeffer und Öl gewürzt verzehrt.
Der Yams verlangt einen guten, durchlässigen, humusreichen Boden, weshalb er meist auf früherem Waldboden kultiviert wird, und ein feuchtwarmes Klima. Als Saatgut dienen kleine Knollen, die vielfach nicht unterirdisch, sondern an den Blattwinkeln entstehen. Solche überirdische Knollen werden besonders von einigen afrikanischen Yamssorten erzeugt, die speziell in Abessinien kultiviert werden und überhaupt keine unterirdischen Knollen bilden. Je größer die gepflanzten Knollen oder Knollenstücke sind, um so kräftigere Schößlinge treiben sie aus und um so mehr Frucht setzen sie an. In Abständen von 1 m häufelt man die Erde zu kleinen Hügelchen auf, pflanzt die Knollen dort ein und steckt gleichzeitig bei jeder eine Stange, die zwar nicht die Höhe, aber die Stärke einer Hopfenstange haben muß. Sobald die Ranken einige Fuß lang sind, bindet man sie wie Bohnenranken an. Im übrigen besteht die Pflege in mehrmaligem Jäten des Unkrauts und Auflockern des Bodens, außerdem in wiederholtem Anhäufeln nach Bedarf um die sich bildenden Knollen herum. Eine Zwischenfrucht ist nicht zu empfehlen, höchstens etwa Mais oder Bataten, wobei dann aber selbstverständlich größere Abstände nötig sind.
Im ganzen wird der Yams von den Kolonisten nur selten feldbaumäßig wie von den Eingeborenen angepflanzt, sondern nur zum Hausgebrauch in Gärten den Zäunen entlang, oder zur Belaubung von Veranden gleich den Zierkürbissen gezogen. Nach 9–11 Monaten sind die Knollen reif, was man am Welken der Stengel merkt; man wartet aber, bis die Stengel völlig abgestorben sind und ihre sämtlichen Nährstoffe in die Knollen geschafft haben. Der Durchschnittsertrag darf auf 2–4 kg per Pflanze gerechnet werden, was bei Abständen von 1 m 20–40000 kg pro Hektar ergibt. Hat man schwächliche oder kleine Knollen zur Aussaat benutzt, so braucht man mehrere Jahre zum Erzielen von großen Knollen; da muß man mit 1 kg schweren Knollen zufrieden sein. Mittelstarke Saatknollen geben Ernteknollen von 2–5 kg. Riesenknollen von 15–18 kg sind ausnahmslos das Produkt des Wachstums mehrerer Jahre. Auf den Fidschiinseln, wo die Yamskultur durch die Eingeborenen in hoher Blüte steht, versteht man Knollen von 1,8 m Länge und 50 kg Gewicht zu erzielen. Die Leute dort geben an, daß man zur Erzielung von so großen Knollen einen harten, nicht bearbeiteten Boden brauche; auch bereitet man den Pflanzen durch untergelegte Steine einen künstlichen Widerstand und pflegt dabei zu sagen, der Yams müsse sich erst ärgern, um seine ganze Kraft zu zeigen. Auch die Eingeborenen von Neuguinea vermögen Riesenknollen von 40 kg Gewicht zu erzielen.
In ganz Westafrika ist der Yams neben dem Maniok eine der wichtigsten Nährpflanzen, ja geradezu die Kartoffel der Eingeborenen und der dort lebenden Europäer. An der Küste gedeiht er nicht so gut wie im Binnenlande; hier ist neben Mais der Cassava oder Stockyams genannte Maniok die Hauptknollenfrucht, während die Knollen des gewöhnlichen Yams in großen Mengen aus dem Innern eingeführt werden. Im Binnenlande, in welchem der Yams zu Hause ist, wächst er dort am besten, wo am Fuß der sanft ansteigenden Gebirgszüge und in den Tälern sich ein guter, lockerer Humusboden abgelagert hat. Schon im Monat Februar, zur Zeit des Harmattan und am liebsten nach dem Grasbrand, der den Boden mit seiner fruchtbaren Asche düngt, begibt sich der schwarze Yamsbauer in den Busch, um sich entweder auf dem eigenen Land oder dem seiner Familie oder seines Stammes den Platz für die anzulegende Pflanzung herzurichten, indem er mit seinem Buschmesser den Boden vom niedrigen Gestrüpp, Buschwerk und Gras, falls der Brand letztere noch nicht vernichtet hat, säubert. Palmen und größere Laubbäume bleiben als wohltuende[S. 366] Schattenspender stehen, außerdem leitet er die rasch wachsenden Yamslianen durch Palmrippen zu diesen Bäumen, an denen sie dann ähnlich wie der Hopfen hoch hinaufranken. Zu dichte Baumgruppen lichtet der Neger dadurch, daß er den einen oder andern Baum unten über der Erde am Stamm abbrennt. Dadurch stirbt er ab, wird dürr und liefert im kommenden Jahr gutes Brennholz für die Küche. Das abgehauene und rasch dürr gewordene Gestrüpp wird nun auf Haufen gebracht und an Ort und Stelle verbrannt. Dann werden in 1–1,5 m Abständen mit der Hacke rundliche Erdhaufen in der Größe unserer Ameisenhügel gemacht und in jeden solchen mit der Hand eine kleine Yamsknolle mit 1–2 Triebaugen gepflanzt. Leicht mit Erde zugedeckt, treibt sie schon nach 2–3 Wochen eine armlange Ranke, die nun einen Pfahl erhält. Ist ein Baum in der Nähe, so erhält die Yamsranke nur eine Palmrippe der Ölpalme, die zwar im Boden rasch morsch wird, aber nur dazu dienen soll, sie auf den benachbarten Baum zu leiten. Die übrigen Pflanzen erhalten im Busch gehauene, unten zugespitzte und in den Boden gesteckte Pfähle wie unsere Bohnenstangen. Nun hat der Yamsbauer während der folgenden 6–8 Monate bis zur Ernte den Boden mit der kurzen Hacke zu lockern und vom Unkraut freizuhalten. Ist das Yamsfeld weit entfernt, so baut sich der Neger dabei eine kleine Hütte, in der er mit den Seinigen haust. Für die jungen Söhne pflanzt der Vater gewöhnlich eine Reihe von 20 bis 30 Yamsstöcken, deren Ertrag sie für sich verkaufen dürfen. Auch die Frau bekommt 2–3 Reihen, etwa 60–80 Yamspflanzen, über deren Ertrag sie frei verfügen kann. Ist der Mann gut zu ihr, so darf sie zwischen den einzelnen Yamsreihen Tomaten, Fetri oder Kaschokeln, Pfeffer und Zwiebeln pflanzen. Zu Anfang Oktober schneidet der Neger die Yamsranke am Kopfe der Knolle in der Weise ab, daß noch eine dünne Scheibe an ihr hängen bleibt, und pflanzt sie in denselben Hügel etwas abseits gleichsam noch einmal. Die ausgewachsenen, armdicken, 30–50 cm langen und bis 10 und 12,5 kg schweren, reifen Knollen werden vorläufig noch im Boden belassen und nach Bedarf daraus entnommen. Bringt der Neger mehrere Lasten Yams nach Hause, so werden die einzelnen Stücke an einer schattigen, kühlen Ecke im Hof in die Erde gegraben, damit sie frisch bleiben, und nach Bedarf in der Küche verbraucht. Die wieder gepflanzte Ranke setzt bei günstiger Witterung 3, 4 und mehr kleine, etwas verkrüppelte Knollen, teta genannt, an. Diese Knollen sind nach 6 bis höchstens 8 Wochen reif und bilden die Saatfrucht für das nächste Jahr. Ende November,[S. 367] wenn die Ranken dürr geworden sind, werden die großen und kleinen Knollen geerntet. Diese Yamsernte ist der willkommene Anlaß zu einem fröhlichen mit Schmaus, Trinkgelagen aus Palmwein und Tanz gefeierten Fest. Für die westafrikanischen Neger, die wir hier besonders im Auge haben, ist es zugleich das Neujahrsfest. Lautes Freudengeschrei ertönt überall auf den Feldern und in den Dörfern. Am Morgen opfern die Priester den Fetischen, in denen sie die Geister ihrer Verstorbenen hausend wähnen, Yams mit Palmöl gemischt. Man beschenkt sich gegenseitig mit Yams, und das Lieblingsgericht der Neger, der „Fufu“, wird in großen Mengen aus der Frucht hergestellt und verzehrt. Zu diesem Zwecke werden die Yamsknollen von den Weibern auf denen sonst alle Arbeit ruht, geschält, zerkleinert und gekocht, um dann zuletzt in einem mörserartig ausgehöhlten Holzblock mit Holzstampfern zu Brei gestampft zu werden. Dieser Brei wird dann in Form eines brotleibähnlichen Klumpens aufgetischt und, da er etwas fade schmeckt, mit Palmöl- und Pfeffersuppe, die daneben gestellt werden, gewürzt gegessen. Der Hausherr bekommt mit seinen Söhnen eine besondere Schüssel, die Hausfrau mit ihren Töchtern desgleichen. Beim Essen trennt jeder mit Zeige- und Mittelfinger ein Stück des Brotbreies ab, drückt mit dem Daumen eine Vertiefung hinein und fährt mit dem Stück durch die daneben stehende scharfe Sauce, um bei dieser Prozedur möglichst viel davon in der eingedrückten Höhlung aufzufangen. Schnell, ohne lange gekaut zu werden, wird der Bissen hinuntergeschluckt. Was der Neger täglich an Yams gebraucht, holt er sich jeweilen vom Felde. Sobald aber die Ranken dürr geworden sind, werden die Yamsknollen ausgegraben und in das auf der Plantage aus dünnen Pfählen mit quer daran festgebundenen Palmrippen errichtete und mit Palmblättern gedeckte Yamshaus gebracht, wo sie möglichst trocken aufbewahrt werden müssen. An den vier Innenwänden des überaus luftigen Yamshauses wird jede Knolle vermittelst Schlingpflanzen festgebunden und hält sich so 6–8 Monate, gröbere Sorten sogar 10–12 Monate lang, da die Luft beständig Zutritt hat. Diese Eigenschaft ist von großer Bedeutung, da er die einzige Frucht bildet, die im Lande aufbewahrt werden kann. Mais, der zweimal im Jahre geerntet wird, ist schon nach kurzer Zeit vom Kornwurm angegriffen, und die Wurzelknolle des Maniok oder Stockyams hält sich ausgegraben höchstens drei Tage. Missionar Fies hat die Namen von 42 Yamssorten aus Togo notiert und sagt, es gebe noch weitere, denen aber keine große Bedeutung zukomme. Ist die Yamsernte gut[S. 368] ausgefallen, so verkauft der Yamsbauer von den Früchten an die Küstenneger oder auch an die Europäer, die ihn ebenfalls gerne essen; denn der Handel mit dem verhältnismäßig hoch im Preise stehenden Yams ist recht einträglich und dürfte in der wirtschaftlichen Entwicklung der hier gelegenen deutschen Kolonien, besonders von Togo, eine wichtige Stellung einnehmen.
Neben dem Yams spielen die Knollen eines in Polynesien Taro, in Westafrika aber Dinde genannten Aronsstabgewächses mit der lateinischen Bezeichnung Colocasia antiquorum, eine sehr wichtige Rolle. Während der Regenzeit und der ersten Hälfte der Trockenzeit ist er für die Polynesier und an der Küste lebenden Neger Westafrikas sogar die wichtigste Feldfrucht. Auch im malaiischen Archipel, in Ostasien bis Japan, in Indien, Südarabien, Ägypten und Ostafrika ist die Tarokultur recht verbreitet, wenn sie auch fast nirgends als Hauptkultur betrieben wird. Ebenso ist sie durch den Einfluß der Araber[S. 369] nach Algerien und Südspanien gelangt, doch spielt sie hier, wie auf den Kanaren, in Westafrika und in Amerika eine sehr untergeordnete Rolle. Der Taro ist eine mehrjährige Pflanze mit langgestielten, breiten Blättern in Herzform, einem kolbenförmigen, von einer großen Scheide umgebenen Blütenstand von etwa 15 cm Länge und einer bis kopfgroßen, rundlichen Wurzelknolle, neben welcher sich am Wurzelhalse noch kleine Tochterknollen entwickeln. Je nach den verschiedenen Arten, die sich schon äußerlich an der verschiedenen, grünen oder violetten Färbung der Blattrippen und Stengel unterscheiden lassen, sind die Knollen außen weiß, gelblich, rötlich oder violett, innen aber stets weiß und recht stärkereich. Sie enthalten 2,5 Prozent Eiweiß und 15 Prozent Stärke. Roh können sie nicht gegessen werden, da sie einen scharfen Stoff enthalten, der aber schon beim Kochen und Rösten in Asche oder auf heißen Steinen, welch letzteres Verfahren fast ausschließlich in der Südsee geübt wird, verschwindet. Man genießt sie in der verschiedensten Zubereitung wie unsere Kartoffeln, besonders auch in Form von Taroschnitten geröstet, und ißt auch die Blätter, nachdem man die starken Rippen von ihnen entfernt hat, gekocht als Gemüse.
Die Heimat des Taro ist Südasien, speziell Indien, von wo aus sich die Nutzpflanze allseitig verbreitete, soweit der Mensch sie in Pflege nahm. In China wird sie etwa seit dem 1. Jahrhundert n. Chr. erwähnt. Die ersten europäischen Seefahrer trafen ihre Kultur bereits in Japan und in ganz Ozeanien, bis zum nördlichen Teile Neuseelands vor. Bei den Kulturvölkern Westasiens und des Mittelmeergebiets ist die Pflanze im Altertum nicht heimisch geworden, nur im Niltal wurde sie etwa seit der Mitte des letzten vorchristlichen Jahrtausends gepflanzt, wie uns Theophrast berichtet. Die Beschreibung von Dioskurides und Plinius um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. einer ägyptischen Knollenpflanze, dürfte sich eher auf den indischen Lotos als auf sie beziehen. Aber im Mittelalter wurde sie unter der arabischen Bezeichnung kolkâs, woraus dann von den abendländischen Gelehrten, insbesondere vom Venezianer Prosper Alpino, der eine Reise nach Ägypten ausführte, wonach er ein Buch über „ägyptische Pflanzen“ schrieb, und als Professor der Botanik in Padua 1617 starb, die Bezeichnung colocasia entstand, im Niltal häufig gepflanzt und breitete sich damals über Nubien und Sennar nach Afrika aus.
Die Kultur des Taro ist derjenigen des Yams ähnlich, nur daß man natürlich, da sie keine Kletterpflanze ist, keiner Stangen bedarf.[S. 370] Am besten eignet sich dazu sandiger Lehm, der recht feucht sein und durch fleißiges Behacken locker gehalten werden muß. Das Wärmebedürfnis der Pflanze ist kein besonders großes, vielmehr verlangt sie außer reichlicher Wasserzufuhr Schatten, den man ihr meist durch Dazwischenpflanzen von Bananen zuteil werden läßt. Andererseits benutzt man sie wiederum vielfach und mit Erfolg zur Beschattung junger Kaffee- und Kakaopflanzen. Die Vermehrung geschieht entweder durch die Tochterknollen, die aber viel Zeit zur Entwicklung brauchen, oder zweckmäßiger durch den oberen Teil der Knollen früherer Ernten, die in Abständen von etwa 1 m gepflanzt werden. Die Güte und Zartheit des beim Kochen eine gelbliche Farbe annehmenden und einen etwas schleimigen, jedoch nicht unangenehmen Geschmack aufweisenden Fleisches der 0,5–2 kg schweren Knollen hängt neben der Sorte, der Feuchtigkeit und dem Boden, von der Sorgfalt der Bearbeitung ab. Namentlich muß das Feld von Unkraut rein gehalten werden. Schon nach zwei Monaten sind die ersten Knollen genießbar, nach fünf bis sechs Monaten haben die frühreifen Sorten bereits ihre definitive Größe erreicht, die anderen werden nach acht bis zwölf Monaten geerntet; länger darf man nicht warten, da sonst die Knolle wieder austreibt. Die gleichfalls gut brauchbaren Tochterknollen kann man aber schon vorher mit Vorsicht ausgraben, ohne die Pflanze zu schädigen. Nur in Gegenden mit ausgeprägter Trockenzeit welken die Blätter vollständig; man muß sich deshalb die Zeit des Auspflanzens merken, um die Erntezeit nicht zu verpassen. Ein großer Vorteil ist, daß die Knolle sich im Boden wenigstens einige Monate hindurch hält, so daß man ernten kann je nach Bedarf; auch ist die Zahl der Tochterknollen in gutem Boden eine sehr reiche, was die Vermehrung sehr erleichtert. Nur einen Nachteil besitzt der Taro, daß er nämlich in bezug auf Boden und Klima wählerisch ist und bedeutend weniger Ertrag gibt als die meisten anderen, für den Anbau zur Verfügung stehenden Knollengewächse.
Außer dem Taro werden übrigens in Ostasien und Polynesien noch eine Reihe anderer Aronsstabgewächse wegen ihrer mehlhaltigen Knollen angebaut, so z. B. die 1 m hohe Alocasia macrorhiza mit noch größeren Blättern, deren Knolle aber dem Taro an Güte nachsteht und zudem einen außerordentlich scharfen, giftigen Saft enthält. Zur Entfernung desselben muß sie lange eingeweicht und unter Erneuerung des Wassers gekocht werden. Ferner werden in denselben Gegenden hier und da Arten der Gattung Amorphophallus kultiviert,[S. 371] die aus einer mächtigen, oft über 15 kg schweren Knolle nur ein einziges, bis 3 m hohes, riesiges, mehrfach gelapptes Blatt erzeugen, nach dessen Absterben dann ein ebenfalls sehr großer, kolbiger, mit dunkelvioletter Scheide umgebener Blütenstand hervortreibt, der in der Vollblüte einen ekelhaften Aasgeruch verbreitet. Die Schärfe der Knollen muß ebenfalls durch mehrfaches Auswässern und längeres Kochen zerstört werden. In Japan wird besonders Alocasia rivieri kultiviert, aus deren Knollen die Japaner ein konniyak genanntes Stärkemehl gewinnen. Auf den Molukken wird zuweilen die auch in wildem Zustande sehr gemeine Alocasia campanulata gepflanzt. Andere Arten werden in Vorderindien und Afrika benutzt, freilich aber nicht kultiviert.
Den Taro vertreten im tropischen Amerika seit alter Zeit andere Aronsstabgewächse der Gattung Xanthosoma, die in Westindien Taya, in Brasilien dagegen Mangareto genannt werden. Wie der Maniok und andere amerikanische Nutzpflanzen sind sie dann durch die Portugiesen schon sehr früh nach Westafrika übergeführt worden, wo sie in manchen Gegenden der Küste, z. B. in Kamerun, noch heute eine weit größere Rolle spielen als der Taro. Von den asiatischen Arten unterscheiden sich die Pflanzen leicht durch den milchigen Saft, während er beim Taro durchsichtig ist. Die wichtigste Art ist Xanthosoma sagittifolium, die wegen ihrer weißen, ganz angenehm, wenn auch weniger gut als die Kartoffel schmeckenden mehligen Knollen Mangareto branco, d. h. weiße Mangareto genannt wird. Die apfelgroße, als sehr schmackhaft geltende Hauptknolle wird von einer Anzahl nur nußgroßer Tochterknollen umgeben, die besser als die größeren schmecken. Die violette Taya hat violette Blattstiele und grünviolette Blätter; eine andere Sorte wird Bananentaya genannt. Die Touca besitzt viel kleinere und mehr graugrüne Blätter; ihre besonders wohlschmeckenden Knollen sind innen gelb und behalten die Farbe auch beim Kochen. Auch von diesen Pflanzen ißt man die gekochten Blätter als Gemüse.
Ein anderes amerikanisches Knollengewächs, das mühelos reiche Ernten liefert, ist eine Kürbisart, die schon die Azteken in Mexiko kultivierten. Sie nannten sie chayotli, was „stacheliger Kürbis“ heißt. Daraus wurde ihre heutige mexikanische Bezeichnung Chayote. Ihre Verbreitung nach Westindien, wo sie Chocho genannt wird, wurde durch die Tatsache begünstigt, daß sie außer den mehlreichen Wurzelknollen, die oft 10 kg schwer werden und äußerlich wie im Geschmack der Yamswurzel gleichen, nur im frischen Zustande ein bitteres, ab[S. 372]führendes, durch Kochen in Wasser leicht zu beseitigendes Prinzip enthalten, 10–15 cm lange, rauhhaarige, bleichgrüne oder gelblichweiße Früchte liefern, welche große, eßbare Samen enthalten. Letztere können roh kaum genossen werden, schmecken auch gekocht recht fade, doch lassen sich aus ihnen durch Hinzufügen von Zucker und Zitronensaft ausgezeichnete Marmeladen und Fruchtspeisen herstellen. Sie vertragen auch gut den Export, nur muß man sich vor Verletzung derselben hüten, da sie dann alsbald zu faulen beginnen. Gute Sorten haben etwa Nußgeschmack und sind viel mehliger als der Kürbis oder die Gurke. In Algier und auf Réunion hat man sie als Gemüseobstpflanze eingeführt, auch findet man sie jetzt vielfach in Ostindien angepflanzt. Wo sie sehr häufig ist, wie in Westindien, dient die Frucht auch als Schweinefutter, aber wohl nirgends in so ausgedehntem Maße wie in Jamaika, wo diese Pflanze eigens zum Zwecke der Schweinemast angebaut wird. Die jungen, noch nicht beblätterten Sprosse werden in Mexiko als Spargel gegessen und sollen ähnlich wie dieser schmecken. In Paris und anderswo wird das leichte Fasergewebe der Pflanze zur Herstellung von Damenhüten verwendet. Die Kultur erfolgt wie bei einem gewöhnlichen Kürbis in sandiger Erde in Abständen von 1 m in der einen und von 3 m in der andern Richtung durch Pflanzen der der Frucht entnommenen Samen. Wenn nicht geduldet wird, daß das Unkraut den Boden überwuchert, wachsen die Pflanzen außerordentlich schnell und liefern noch in demselben Jahre eine Ernte ihrer großen, grünen, stacheligen Früchte. Im nächsten Jahre kann eine Aberntung von Wurzelknollen stattfinden; diese erzeugt nämlich Nachkommen, die abgelöst werden können, ohne daß die Lebenstätigkeit der Pflanze gestört wird. Zugleich kann abermals eine Ernte von Früchten stattfinden. Diese Doppelernten können noch sechs bis sieben Jahre wiederholt werden, wenigstens in Gegenden, wo kein Frost auftritt. Nach Ablauf dieser Zeit ist aber die Pflanze erschöpft und muß durch Stecken eines Sämlings neu gepflanzt werden. Da sie keinerlei Kulturarbeit erfordert und sich innerhalb der heißen Zone leicht an Boden und Klima anpaßt, verdient sie als äußerst nützliches Tropengewächs allgemeine Beachtung und weitere Verbreitung.
Das weitaus nützlichste Kulturgewächs aber, das der an Pflanzen mit eßbaren Wurzelknollen so reiche Kontinent Amerika den Ländern mit gemäßigtem Klima, so vor allem auch Europa schenkte, ist die Kartoffel (Solanum tuberosum). Bedenken wir, daß allein Deutsch[S. 373]land jährlich etwa 30 Milliarden kg Kartoffeln erzeugt und zum weitaus größten Teil als Nährfrucht verbraucht, ferner daß in diesem Lande ein volles Achtel des Ackerlandes auf den Anbau dieser Knollenfrucht verwendet wird, so kann man schon daraus ermessen, welche ungemein große Bedeutung dieser Amerikanerin allenthalben, wo Europäer sich niedergelassen haben, zukommt. Sie stammt aus den gemäßigten Gegenden des westlichen Südamerika, dem Gebiete der Anden von Chile und Peru, und wurde daselbst seit ältester Zeit von den Eingeborenen als Nahrungsmittel verwendet und im Laufe vieler Jahrhunderte durch Kulturauslese zu der hochgezüchteten Knollenfrucht, wie sie den Europäern bei der Entdeckung des Inkareiches entgegentrat, entwickelt. Ihr Wert beruht ausschließlich in den stärkemehlreichen Knollen, die keine Wurzelanschwellungen, sondern zu Reservestoffspeichern verdickte unterirdische Stengel analog den Ausläufern der Erdbeerpflanze sind und wie die übrigen Teile der Pflanze namentlich dicht unter der Haut den Giftstoff Solanin enthalten, der allerdings bei den Kultursorten ein sehr unbedeutender ist und leicht durch Kochen beseitigt wird. Immerhin sind auch bei uns schon Vergiftungsfälle vorgekommen, so namentlich, wenn zu junge, unzeitige Knollen mit der Schale gegessen wurden. Die Blätter erzeugen das Stärkemehl, das in den unterirdischen, verdickten Stengeln aufgespeichert wird. Im Gegensatz zu diesen blaß bleibenden Trieben unter der Erde ergrünen die oberirdischen Triebe und erzeugen außer den dunkelgrünen Blättern, welche mit Hilfe der Energie der Sonnenstrahlen die Kohlensäure der Luft zerlegen, den Sauerstoff ausatmen und den Kohlenstoff zurückbehalten, um ihn in Verbindung mit den Bestandteilen des Wassers zum Aufbau der Stärkemehlkörnchen zu verwenden, an ihrem Gipfel Dolden von weißen, rötlichen oder violetten Blüten, je nachdem die Knollen weiße, rötliche oder violette Schalen bilden. Die Frucht ist die bekannte grüne, zuweilen weißliche, etwas über kirschgroße Beere, die viele Samen enthält. Die Zucht aus Samen ist zur Bildung neuer Formen durch Kreuzung von einer gewissen Bedeutung; doch wird sie für die Vermehrung der Pflanze nicht verwendet, da die Knollen der daraus gezogenen Kartoffeln, wie diejenigen der wild wachsenden Arten höchstens pflaumengroß werden. Letztere sind erst durch langjährige Kultur dazu gebracht worden, viel größere Knollen zu erzeugen, die man dann auf vegetativem Wege vermehrt.
So wird die Kartoffel lediglich durch Knollen vermehrt, die, sobald sie über eine bestimmte Größe hinausgehen, unbeschadet der Wachstums[S. 374]möglichkeit in Stücke geschnitten werden können, an denen dann die daran befindlichen Augen austreiben. Durch die Boden-, weniger durch die Klimaverschiedenheit nimmt die Kartoffel unter auffallender Vergrößerung mannigfaltigste Form, Farbe und Beschaffenheit an und ändert sich der Ertrag und der Stärkemehlgehalt ihrer Knollen. Sie gedeiht am besten in einem tiefgründigen, lockeren, etwas sandigen Boden in warmer, sonniger Lage; in feuchtem Lehmboden oder in nassem Moorboden verringert sich sowohl der Ertrag an Knollen, als auch ihr Stärkemehlgehalt ganz bedeutend. Die Saatknollen wählt man im Herbst aus und lagert sie sorgfältig. Im Frühjahr setzt man sie in Reihen. Die Triebe entwickeln sich nun kranzförmig rings um die Mutterknolle und werden in der Weise angehäufelt, daß in die Mitte derselben Erde gebracht wird, so daß die unbedeckt bleibenden beblätterten Stengel sich sternförmig nach außen niederbiegen und bei mehrmaligem Anhäufeln ein flacher Erdhügel entsteht, in welchem sich die jungen Knollen ausbilden. Die frühesten Sorten werden schon Mitte Juli reif, doch erfolgt die Haupternte erst im September und Oktober, nachdem das Kraut abgedorrt ist. Das Ausnehmen geschieht mit Hacke und Forke (vom lateinischen furca, Gabel), oder mit dem Pfluge. Die großen Ansprüche, welche die Aussaat und die Ernte der Kartoffeln an die menschliche Arbeitskraft stellen, haben neuerdings zur Erfindung von besonderen Maschinen zum Legen und Ausgraben der Knollenfrüchte geführt. Zur Erzielung gesunder und sehr großer Kartoffeln sollte jede Saatknolle einen Wachsraum von 1 qm erhalten; doch begnügt man sich meist mit einem bedeutend kleineren Raum. Durchschnittlich erntet man pro Hektar 13000–18000 kg, doch können die Erträge unter günstigen Umständen auf 20000–40000 steigen. Die Knollen sollen in trockenen, kühlen Kellern aufbewahrt werden. Gleich nach der Ernte reifen sie noch nach, wobei sie Kohlensäure abgeben und Wärme entwickeln, wie alle Lebewesen überhaupt beim Lebensprozesse. Bald nimmt dann die Lebenstätigkeit ab und ruht fast völlig, bis sie im Frühjahr neu erwacht. Dies geschieht um so später, je kühler und trockener sie lagern. Sie halten deshalb im Frühjahr auf einem luftigen Boden viel länger ohne zu keimen als im Keller, und wenn sie auch einschrumpfen, so werden sie durch Legen ins Wasser leicht wieder glatt. In den austreibenden Keimen findet sich besonders der Giftstoff Solanin, so daß diese sorgfältig vor dem Genusse der Knollen entfernt werden müssen. Bis zum Frühjahr verlieren sie etwa 10–12 Prozent ihres Gewichtes durch Atmung. Bei[S. 375] starken Kältegraden tritt ein Erfrieren der Kartoffeln ein, wobei das Leben der Knollen getötet wird und sie nach dem Auftauen infolge der Desorganisation sehr rasch faulen. Bei geringen Kältegraden, schon bei +2–3°C., tritt ein Süßwerden der Kartoffeln ein, was oft auch Erfrieren genannt wird. Die Ursache liegt darin, daß bei derartigen Temperaturen die Knollen den aus dem Stärkemehl sich bildenden Zucker nicht veratmen können und ihn aufspeichern. Bewahrt man solche süßgewordene Kartoffeln mehrere Tage bei Temperaturen von 10–16°C. auf, so verliert sich dieser unangenehme Geschmack infolge Verbrennens des angesammelten Zuckers. Wird eine Kartoffel gekocht, deren Reservevorrat noch intakt ist, dann quellen die in ihr enthaltenen Stärkekörner durch Wasseraufnahme stark auf, drücken mit großer Kraft gegen die Wände der Zellen, in denen sie eingeschlossen sind, und bewirken dadurch, daß die Gänge und Spalten zwischen den einzelnen Zellen und die Zellen selbst aufgerissen werden bis zu ihrer völligen Trennung. Zu junge Knollen und solche, aus denen im Frühjahr das Stärkemehl teilweise wieder verschwunden ist, indem es zur Ernährung der austreibenden Knospen verwendet wurde, werden begreiflicherweise nicht mehr „mehlig“.
Die Kartoffel wird jetzt überall auf der bewohnten Erde kultiviert, wo es ihr nicht zu warm oder zu kalt ist. In Europa geht sie bis zum 70° nördlicher Breite und in Deutschland bis zu 1000 m Meereshöhe; im Kanton Bern findet sie sich noch bei 1400 m und im Kanton Wallis am Simplon mit der Saubohne sogar bis zu 2000 m über Meer angebaut. Die gegen 3000 kultivierten Spielarten werden nach der Form in runde oder Lärchenkartoffeln, spitze oder Hornkartoffeln und lange oder Nierenkartoffeln, nach der Reifezeit in frühe, mittelfrühe und späte Kartoffeln, endlich nach der Verwendung in Speise-, Futter- und Brennkartoffeln eingeteilt. Letztere werden vorzugsweise zur Bereitung von Spiritus verwendet. Sie enthalten 9–25, im Mittel 18 Prozent Stärkemehl neben bloß 0,6–4,4, durchschnittlich 2,0 Prozent Eiweißstoffen und rund 1 Prozent Gummi und Salzen, besonders viel Kalisalzen. Indem nun diese Kalisalze nach dem Essen von Kartoffeln ins Blut gelangen, entziehen sie der Chlornatrium-, d. h. Kochsalzlösung des Blutes teilweise das Natron, das sich mit dem Kali als dem stärkeren Alkali verbindet und als für den Körper nicht weiter verwendbarer Stoff durch die Nieren ausgeschieden wird. Dieser Kochsalzverlust muß nun durch Einnahme dieser Verbindung gedeckt werden; deshalb schmeckt uns die Kartoffel nur mit Salz und mit ge[S. 376]salzenen Speisen wie Heringen, die gleichzeitig das ihr fehlende Eiweiß enthalten. Jedenfalls ist die Kartoffel weniger nahrhaft als das Getreide, weil in ihr das Stärkemehl mit einer weit geringeren Menge Eiweiß als in jenen verbunden ist. Unmöglich können wir mit ihr allein auskommen, sondern müssen Fett durch Schmälzen und etwas Eiweiß in Form von Hülsenfrüchten, Brot oder Fleisch dazu genießen. Dann ist sie eine sehr gute Speise, die wir auch tatsächlich nicht mehr missen möchten.
Diese Knollenfrucht wurde zuerst von den Indianern der chilenischen Anden in Pflege genommen und nach und nach durch Kulturauslese zur großknolligen, nahrhaften Nutzpflanze erhoben. Die noch jetzt zwar nicht mehr auf dem Festlande, wohl aber auf der chilenischen Insel Chiloe an steilen, felsigen, meist in der Nähe der Seeküste in gemäßigter Lage wildwachsend angetroffene Kartoffelpflanze bringt nur kleine, unschmackhafte, wässerige Knollen hervor und hat immer weiße, und zwar im Gegensatz zur kultivierten, wohlriechende Blüten. Im alten Kulturreiche der Inkas, das außer Peru auch Chile und Ekuador umfaßte, wurde diese Nährfrucht, die, nach der Zahl der schon damals vorhandenen Spielarten zu urteilen, schon seit Jahrtausenden in Kultur gestanden haben muß, überall angepflanzt, als der vormalige Schweinehirt, dann Soldat Francisco Pizarro mit einem Häuflein von Glücksrittern wie er selbst, die Uneinigkeit im Hause der „Sonnensöhne“ klug benutzend, durch Treulosigkeit, Verrat und unerhörte Grausamkeit das Land im Jahre 1533 einnahm, um dann 1541 63jährig von seines Genossen Almagros Sohn ermordet zu werden. Zuerst finden wir die Kartoffel in einer im Jahre 1553 in Sevilla gedruckten Chronik Perus von Petrus Ciça als trüffelartige Frucht erwähnt. Bald nach 1560 brachten die Spanier sie in ihre Heimat nach Spanien, von wo aus sie nach Italien gelangte. Hier nannte man sie nach ihrer Ähnlichkeit mit der Trüffel tartufulo, d. h. Trüffel, woraus dann die Deutschen, als sie von Italien her mit dem Knollengewächs bekannt wurden, ihre zu Anfang des 17. Jahrhunderts noch allgemein gebräuchliche Bezeichnung Tartuffel bildeten, das später in Kartoffel umgeändert wurde. Der Erneuerer der Botanik Clusius (eigentlich Charles de l’Ecluse, 1526 in Arras geboren, war von 1573–1587 Hofbotaniker in Wien und von 1593 bis zu seinem 1609 erfolgten Tode Professor der Pflanzenkunde in Leiden in Holland), schreibt in seinem 1609 erschienenen Buch über ausländische Pflanzen, dieses Knollengewächs sei in Italien sehr gemein; man genieße die als tartufoli bezeichneten[S. 377] Knollen wie die Rüben und den Pastinak zum Fleisch, füttere aber damit vorzugsweise die Schweine. Die ersten Kartoffeln erhielt jener Gelehrte zu Anfang des Jahres 1588 von einem Freunde aus Belgien zugesandt. Damals war sie aber, durch die spanische Herrschaft eingeführt, teilweise schon in Burgund in Kultur.
Unabhängig von der Einführung durch die Spanier in die iberische Halbinsel, von wo sie sich dann nach Italien und dem übrigen Südeuropa verbreitete, gelangte die Kartoffel nach England. Und zwar herrschte im 18. und teilweise noch im 19. Jahrhundert bei den Gelehrten allgemein die Ansicht, daß sie zuerst durch den Engländer Franz Drake nach England eingeführt worden sei, von wo aus sie dann ihren Siegeszug nach dem europäischen Kontinent angetreten habe. Deshalb wurde diesem verdienten Manne 1853 ein Denkmal in der badischen Stadt Offenburg gesetzt. Diese Annahme hat sich bei genauerer Untersuchung als durchaus unrichtig erwiesen. Diesem Manne kommt nur das Verdienst zu, die Batate oder süße Kartoffel nach Europa gebracht zu haben, wo es ihr allerdings nur im Süden warm genug war, um zu gedeihen. So verbreitete sie sich bald über die heißen Gegenden der Alten Welt, ohne den Völkern Europas einen nennenswerten Nutzen zu bringen. Die Kartoffel dagegen gelangte zuerst auf britisches Gebiet durch den Sklavenhändler Hawkins, der sie bald nach 1565 aus Peru nach Irland brachte. Sie fand aber in jenem Lande, das heute diese Knollenfrucht vor allen anderen der Erde konsumiert, zunächst noch keine Beachtung. Im Jahre 1584 wurde sie durch den Schiffskapitän Walter Raleigh aus Virginien abermals nach Irland gebracht, wo er sie zunächst auf seinem Gute Yonghal pflanzte; von dort aus kam sie nach Lancashire in England. Dann soll Thomas Herriott 1586 ebenfalls Kartoffelknollen aus Virginien nach England gebracht haben. Doch ist hierzu zu bemerken, daß die Kartoffel in Virginien selbst im 16. Jahrhundert noch nicht kultiviert wurde, sondern vermutlich auf dem Handelswege, wenn nicht durch Raub auf einem Flibustierzuge in den Besitz der dort niedergelassenen Engländer gelangte, um von diesen den Schiffskapitänen nach Europa mitgegeben zu werden. Durch Franz Drake erhielt der Botaniker Gerard außer Bataten auch einige Saatkartoffeln, die er 1596 in seinem Garten in London anpflanzte. 1610 brachte Walter Raleigh abermals Kartoffeln aus Nordamerika nach seiner Heimatinsel Irland. Hier aber fand sie immer noch keine Aufnahme beim Volke, bis die Royal Society 1663 ihren Anbau durch alle möglichen Mittel zu befördern suchte, um der hier[S. 378] infolge von Mißernten des Getreides immer wieder auftretenden Hungersnot zu steuern. Trotz allen Bemühungen von Privaten und gemeinnützigen Gesellschaften, diese Nährfrucht im Lande einzuführen, wurde die Kartoffel in England erst um die Mitte des 18. Jahrhunderts allgemeiner bekannt.
In Deutschland wurde die Kartoffel zuerst 1588 als Kuriosität in den kaiserlichen Gärten von Frankfurt am Main und Wien durch den bereits genannten Clusius unter der Bezeichnung Papas peruvianorum gepflanzt. Erst der von einem Hugenotten aus Amiens in der Picardie stammende, 1560 in Basel geborene und hier 1624 als Stadtarzt und Professor für Anatomie und Botanik verstorbene Kaspar Bauhin gab ihr im Jahre 1590 den ihr bis auf den heutigen Tag verbliebenen wissenschaftlichen Namen Solanum tuberosum. In Frankreich kam die Kartoffel als große ausländische Rarität 1616 auf die königliche Tafel, ein Jahr nachdem der 1601 als Sohn Heinrichs IV. und der Maria von Medici geborene Ludwig XIII. unter Vormundschaft seiner Mutter die Regierung seines Reiches angetreten hatte, als sein Vater dem Anschlage des Mörders Ravaillac erlegen war. Um 1630 scheint sie zuerst in Lothringen und im Lyonnais angebaut worden zu sein; aber das ganze 16. Jahrhundert hindurch wurde sie nur versuchsweise angepflanzt und spielte als Nährmittel noch keinerlei Rollen. Noch unter Ludwig XIV. (1638 geboren, regierte seit seines Vaters Tod am 14. Mai 1643, zuerst unter Vormundschaft seiner Mutter Anna von Österreich und des Ministers Jules Mazarin, dann nach des letzteren Tode 1661 selbständig bis zu seinem 1715 erfolgten Tode, sein Reich in völliger Zerrüttung hinterlassend) war sie nur ein Leckerbissen der Vornehmen, von dem das gemeine Volk nichts wissen mochte. Um sie nun bei der konservativ an ihrem Hirse- und Haferbrei nebst Weizen- und Roggenbrot hängenden Landbevölkerung einzuführen, soll ein findiger Apotheker folgende List angewandt haben. Er versah mit Kartoffeln bestellte Felder mit Warnungstafeln, auf denen allen, die es wagen sollten, die kostbaren Feldfrüchte zu stehlen, empfindliche Strafen angedroht wurden. Durch diesen Kunstgriff soll dann erzielt worden sein, was durch einfache Empfehlung nicht erreicht werden konnte. Die Bauern der Umgegend stahlen die verbotene Frucht und lernten sie so kennen. Der König — es soll Ludwig XV. gewesen sein —, die Königin und die Höflinge sollen sogar eine Zeitlang die Kartoffelblüte im Knopfloche getragen haben, um diese Knollenfrucht bei den Untertanen beliebt zu machen. Aber trotz allem Liebeswerben beharrten[S. 379] die französischen Bauern bei der Ablehnung der Kartoffel. Erst durch Parmentier, der sie in Deutschland kennen gelernt hatte, fand sie bald nach 1770 zunächst im Osten des Landes weitere Verbreitung. Als der Engländer Arthur Young kurz vor der großen Revolution von 1791 das Land bereiste, war sie in weiten Gebieten, namentlich in Westfrankreich, eine noch fast unbekannte Nährfrucht, und unter hundert Bauern, meint er, hätten sich gewiß neunundneunzig geweigert, sie auf irgendwelche Weise zubereitet auch nur in den Mund zu nehmen. Hier wie anderswo trugen erst die Hungersnöte von 1793 und 1817 zur Überwindung des Vorurteils gegen die Amerikanerin das ihrige bei, so daß sich die Bevölkerung nach und nach entschloß, sie bei sich einzuführen.
In Deutschland trugen die Nöte des Dreißigjährigen Krieges viel zur Einführung der Kartoffel bei, so daß sie hier früher als in Frankreich sich allgemeinerer Anerkennung erfreute. Schon um die Mitte des 17. Jahrhunderts wurde sie in Baden, Franken, Sachsen, Braunschweig und Westfalen gebaut. Friedrich II., der Große, der von 1740 bis 1786 regierte, verbreitete durch Gewaltmaßregeln den Anbau der schon 1738 in Preußen eingeführten Kartoffel in Pommern und Schlesien. Im Siebenjährigen Krieg, den er im Bunde mit England gegen Österreich, Rußland, Frankreich, Schweden, Sachsen und die Mehrzahl der deutschen Reichsstände von 1756–1763 führte, zeigte sich dann der Nutzen der Einführung dieser Mehlfrucht, ohne welche die Not und das Elend im Mißjahr 1770 noch viel größer geworden wären. Aber auch in Deutschland begann erst nach Abschaffung der reinen Brache ums Jahr 1780 ihr Anbau im großen. Als nach den Befreiungskriegen die wohlfeile Zeit anbrach, begann man sie in umfangreichem Maße auch als Viehfutter und zur Spiritusbrennerei zu verwenden. Um 1726 kam sie nach Schweden, um 1730 wurde sie bei Bern kultiviert und um 1760 war sie in den meisten Ländern eine bekannte Frucht, die von 1770 an größere Verbreitung in Böhmen und Ungarn fand. Nach Böhmen war sie von Brandenburg aus gekommen, weshalb sie in jenem Lande heute noch Bramborg heißt. Aber erst im 19. Jahrhundert wurde sie die beliebte und geradezu unentbehrliche Speise, als welche sie uns heute entgegentritt. Auch die russische Regierung wollte nicht zurückbleiben und ermunterte das Volk zu deren Anbau durch das Aussetzen von Prämien. In Griechenland verbreitete sich der Kartoffelbau erst, als der zum Könige des Landes ernannte Prinz Otto von Bayern 1833 mit bayerischen Truppen in Nauplia[S. 380] landete und die Verwaltung des Landes nach abendländischem Muster organisierte. Die Engländer verpflanzten sie in alle ihre Kolonien; schließlich fand sie auch im nördlichen China Aufnahme. Heute ist sie über die ganze Kulturwelt verbreitet und schätzt man die Produktion in Europa und den Vereinigten Staaten auf etwa 200 Milliarden kg, was eine ganz respektable Zahl bedeutet.
Mit dem allgemeineren Anbau der Kartoffel stellten sich aber auch verschiedene Krankheiten, wie sie mit Vorliebe die Kulturgewächse heimsuchen, ein. So verursachte von 1845–1850 die von einem Schmarotzerpilze aus der Familie der Peronosporeen (Phytophthora infestans) hervorgerufene Kartoffelkrankheit verheerende Epidemien in ganz Mitteleuropa. Vereinzelt war sie schon seit 1830, nach ihrer Einschleppung aus Amerika, in Deutschland beobachtet worden, doch erst seit dem regenreichen Sommer 1845, der zu ihrer Entwicklung sehr günstig war,[S. 381] fand sie allgemeine Verbreitung. Seit dieser Zeit ist sie nie mehr ganz verschwunden; doch ist die Wirkung des Pilzes offenbar in den letzten Jahrzehnten eine schwächere geworden und verursacht nur noch in sehr nassen Sommern größeren Schaden. Durch Infektion der Knollen verursacht sie die Knollenfäule, die sich nur durch Verwendung gesunder Knollen als Saatgut verhüten läßt. In neuerer Zeit hat man mehrfach widerstandsfähigere Sorten mit dickeren Schalen gezüchtet, die von der Krankheit weniger zu leiden haben. Von tierischen Feinden schaden der Kartoffel namentlich Engerling, der Drahtwurm, die Raupen der Nonne und Saateule, wie auch des Totenkopfes, endlich der nach seiner Heimat, den Tälern des Koloradoflusses im nordamerikanischen Felsengebirge, als Koloradokäfer bezeichnete Blattkäfer Doryphora decemlineata, der zuerst die Kartoffelernten der westlichen Staaten Nordamerikas Jahre hindurch dermaßen vernichtete, daß man in vielen Distrikten den Anbau der Kartoffeln ganz aufgab. Unaufhaltsam schritt der Koloradokäfer seit 1859 nach dem Osten der Union vor, überall permanente Kolonien gründend, und trat 1877 in der Nähe von Mühlheim am Rhein und bei Torgau in Schlesien auf, ohne daß ermittelt werden konnte, wie er dorthin gelangt war, obschon die meisten Staaten Europas versucht hatten, durch ein im Frühjahr 1875 erlassenes Verbot der Einfuhr amerikanischer Kartoffeln sich den lästigen Schmarotzer vom Leibe zu halten. Dank dem sofortigen energischen Eingreifen der[S. 382] preußischen Regierung vermochte die Gefahr in der Folge abgewendet zu werden, wenn der Koloradokäfer auch 1888 nochmals bei Torgau, wo man ihn vernichtet wähnte, in größerem Maße auftrat.
Von anderen südamerikanischen Nachtschattenarten mit knolligen Reservestoffspeichern ist noch die Sumpfkartoffel (Solanum commersoni) zu erwähnen, die in Argentinien und Uruguay heimisch ist und am La Plata häufig neben der Kartoffel gezogen wird, da sie mancherlei Vorzüge vor jener besitzt. Am besten gedeiht sie in schwerem, nassem Lehmboden, wobei das gelbe, bisweilen grünliche Fleisch seine ursprüngliche Bitterkeit mehr und mehr verliert. Als die Europäer nach Südamerika vordrangen, war sie die in Brasilien, wo die Kartoffel völlig unbekannt war, allein kultivierte Knollenfrucht aus der Familie der Nachtschattengewächse. Später wurde sie hier durch die eigentliche Kartoffel völlig zurückgedrängt. Auch in Europa hat sie sich bis jetzt nicht einzubürgern vermocht. So werden besonders in Frankreich fortgesetzt Versuche zu ihrer Akklimatisation gemacht, doch hat es bis jetzt nicht glücken wollen, sie hier zur Reife zu bringen. Im Jahre 1901 tauchte dort plötzlich in der Kultur des Gutsbesitzers Labergerie in Verrières (Dep. Vienne) eine sehr ertragreiche und gegen die gewöhnliche Kartoffelkrankheit widerstandsfähige Varietät mit violettem Fruchtfleisch auf. Außerdem zeichnete sie sich dadurch aus, daß sie auch in den Blattachseln sehr große Luftknollen erzeugte, die bis 21 cm lang, 8 cm breit und 850 g schwer wurden. Fünf an einem Bächlein gepflanzte Stöcke gaben 10 kg Knollen, ein anderer deren 2,5 kg, darunter eine gegliederte Knolle von 1 kg Gewicht. Allerdings zeigte diese vielversprechende violette Abart zahlreiche Rückschläge in den gelben Urtypus. In Deutschland und Österreich waren die Ergebnisse hauptsächlich wegen des Ausbleibens der Reife noch weniger günstige; doch dürfte diese Kartoffel in einem warmen Klima vielversprechend sein. Zudem ist sie leicht durch Kultur auf fruchtbarem Boden dahin zu bringen, daß ihr Fruchtfleisch seine Bitterkeit verliert.
Die Indianer der Anden von Peru und Bolivia, denen wir die für die Kulturwelt so überaus wichtige Kartoffelkultur verdanken, bauen außer der Kartoffel eine Reihe anderer Knollengewächse an, von denen dem einen oder anderen vermutlich eine größere Zukunft beschieden sein mag. Unter ihnen ist die von den Peruanern Oca genannte Oxalis tuberosa die wichtigste. Diese Verwandte des Sauerklees hat große, gelbe, in langgestielten Dolden stehende Blüten mit am Rande gekerbten Blumenblättern und je nach der Sorte längliche oder runde,[S. 383] bis 7 cm lange, im allgemeinen unter Hühnereigröße bleibende außen weiße, gelbe, rosafarbene oder rotviolette Knollen, die 10–12 Prozent Stärkemehl enthalten, sich leicht kochen lassen und auch gut schmecken, aber 6–10 Tage der Sonnenwärme ausgesetzt werden müssen, um den ihnen sonst innewohnenden säuerlichen Geschmack zu verlieren. Bei längerem Aussetzen an die Sonne verlieren die Knollen einen Teil des Saftes und bekommen einen deutlich süßen Geschmack. Durch Frost und Mazerieren in stehendem Wasser bereiten sich die Peruaner eine Art Käse, Caya genannt, der trotz seines ekelhaften, faulendem Fleisch ähnlichen Geruches von den Eingeborenen sehr geschätzt wird. Die Vermehrung geschieht durch Knollen, die man in Abständen von einem Meter einlegt; die Ernte erfolgt im Herbst, wenn das Kraut durch Frost zerstört ist. Die Knollen lassen sich an einem kühlen Ort oder in trockenem Sand gut aufbewahren; auch kann man sie den Winter über in der Erde lassen. Ihre Zubereitung geschieht wie bei der Kartoffel; meist werden sie geschält und etwa 20 Minuten in Wasser gekocht mit Zusatz von etwas Soda, die ihnen eine schöne Bernsteinfarbe gibt. Mit Pfeffer und Salz geben sie ein angenehm schmeckendes, leicht verdauliches Gericht. Der Hauptvorzug der Oca vor der Kartoffel besteht in ihrer Ergiebigkeit, die dadurch außerordentlich gesteigert werden kann, daß man sie anhäufelt. Die Blätter und Spitzen der Schößlinge können wie Sauerampfer als Gemüse gekocht oder als Salat genossen werden. Sie ist seit längerer Zeit in Mittelfrankreich eingeführt. Eine andere, aus Mexiko stammende vielblätterige Sauerkleeart (Oxalis esculenta) hat rübenförmige Knollen von 10–20 cm Länge und 2–5 cm Dicke. In Wasser mit Salz gekocht sollen sie ähnlich wie gelbe Rüben schmecken; auch lassen sich die Blüten als Salat und die Blätter wie Sauerampfer verwenden. Beide Arten verdienen es, in den Bergregionen der Tropen angebaut zu werden.
Auf der Hochebene der Anden Perus wird auch eine als Maca bezeichnete Art Kapuzinerkresse (Tropaeolum tuberosum) ihrer kastanienförmigen Knollen wegen gepflanzt. Frisch soll sie wässerig und von fadem Geschmack sein, doch wird sie von den Eingeborenen gerne gegessen und deshalb viel angebaut. Ähnlich wie die Oca kann man auch sie durch Besonnung und nachheriges Gefrierenlassen zum Süßwerden, zur Einschrumpfung und zu jahrelanger Haltbarkeit bringen. Ebenso werden in Chile die Knollen einiger Arten der Gattung Tropaeolum von den Eingeborenen gegessen und teilweise angebaut. Wichtiger als diese ist der Ulluco (Ullucus tuberosus), eine Meldenart mit[S. 384] zarthäutigen, je nach der Varietät außen weiß, rosa, rötlich, gelb, violett, innen dagegen gelb bis grünlich gefärbten, länglichen oder runden Knollen, die etwas kleiner sind als Kartoffeln. Die kletternden, überall Wurzeln bildenden Stengel tragen langgestielte, herzförmige, glänzend-grüne, dicke Blätter. Es gibt unter ihnen schlechtere und bessere Sorten; letztere werden sehr gerühmt, schmecken aber in Wasser gekocht etwas fade, weshalb man sie mit Pfeffer ißt. Auf solche Weise gewürzt munden sie sehr und sollen an Güte den Ocas gleichkommen, sollen aber schwerer verdaulich sein und sich frisch nur zwei Monate halten. Besonnt aber und dem Frost ausgesetzt, sollen sie sich wie die vorigen über ein Jahr aufbewahren lassen. Außerdem läßt sich das Kraut wie Spinat benutzen. Die Ernte findet im Spätherbst statt, wenn das Kraut abgestorben ist, und zwar ist die Ergiebigkeit eine ganz außerordentliche. So hat man beispielsweise aus fünf ausgepflanzten Knollen in Gent und in Riga nicht weniger als 2000 allerdings meist ziemlich kleine Knollen erzielt.
In weit tieferen Lagen als die vorgenannten Knollengewächse gedeiht in den Bergen von Venezuela und Kolumbien ein als Arracacha bezeichnetes Doldengewächs mit fast einem halben Meter langen, dreiteilig gespaltenen Blättern und gelblichen oder dunkelvioletten Blüten. Die Güte und der Nährwert der Knolle wird vielfach von den Reisenden gerühmt. Sie wird wie die Kartoffel verwendet, auch Stärkemehl und ein alkoholisches Getränk wird daraus gewonnen; doch wird die Pflanze kaum je außerhalb ihrer Heimat angetroffen, da sie sich nicht sehr leicht akklimatisiert. Eine dieser als Arracacia xanthorhiza genannten Umbellifere nahe verwandte Art, Arracacia moschata wird in Mexiko in ähnlicher Weise benutzt und ziemlich häufig angepflanzt. Auch sie dürfte vor allen Dingen für solche Gebirgsgegenden in den Tropen in Betracht kommen, wo die Kartoffel wegen zu großer Feuchtigkeit schlecht gedeiht, während die vorher besprochenen Knollengewächse in besonders hohen und trockenen Gebirgsgegenden der Tropen versucht werden sollten.
Im östlichen Nordamerika dagegen ist ein anderes Knollengewächs heimisch, das sich sehr wohl zum Anbau in kälteren Gegenden eignet und auch in Mitteleuropa reiche Erträge liefert. Es ist dies der Erdapfel oder Topinambur (Helianthus tuberosus), ein im Staate Indiana wildwachsend gefundener Verwandter unserer Sonnenblume (Helianthus annuus), der schon von den Indianern im Gebiet der heutigen Vereinigten Staaten und von Kanada angepflanzt wurde.[S. 385] Er hat einen 2,5–3,8 m hohen, blattreichen Stengel und gelbe, 8 bis 10 cm im Durchmesser haltende Blütenköpfe, die bei uns nur in warmen Herbsten zur Entwicklung gelangen. Zuerst kam er 1617 nach England und ein Jahr später durch Lescarbot nach Frankreich, wo man ihn bald darauf als topinambaux zu verkaufen anfing. Die Wilden aber nannten ihn, wie letzterer Autor in seiner histoire de la nouvelle France erzählt, chiqiuebi. Der erste Europäer, der in Nordostamerika die Bekanntschaft der ovalen, außen rötlichen, innen aber weißen, spitz zulaufenden Knollen bei den Indianern machte, war der Engländer Champlain, der im Jahre 1603 berichtet, daß die Eingeborenen diese den Geschmack von Artischocken besitzenden Wurzeln anbauen. Auch der Name Topinambur scheint aus der Sprache eines nordamerikanischen Indianerstammes herzurühren. Die Pflanze gedeiht noch im schlechtesten Boden und ist winterhart; ihr Ertrag kommt im allgemeinen demjenigen der Kartoffel ziemlich nahe, dabei ist sie viel einfacher und billiger zu pflanzen. In nahrhaftem Boden setzt eine Pflanze 4–5 kg sehr nahrhafter, nach dem Kochen in Wasser angenehm süßlich schmeckender Knollen an. Diese können im November geerntet und den Winter über in trockenem Sand aufbewahrt werden; oder man kann sie auch im Boden belassen und nach Bedarf herausnehmen, in welchem Falle sie mit Stroh bedeckt werden, damit die Erde zur leichteren Entnahme frostfrei bleibe. Trotz der großen Vorzüge hat die Pflanze, nachdem sie kurz nach dem 1648 zu Ende gegangenen Dreißigjährigen Krieg nach Deutschland eingeführt wurde, nur vorübergehend für den Menschen Bedeutung als Nährpflanze erlangt und wurde im Laufe des 18. Jahrhunderts durch die Kartoffel verdrängt. Noch dient sie in manchen Gegenden dem Menschen zur Speise, doch wird sie bei uns fast nur noch als Viehfutter und zur Spiritusgewinnung angepflanzt, obschon ihre Wurzelknollen einen sehr angenehmen Artischockengeschmack besitzen und sehr nahrhaft sind. In neuester Zeit bindet man den Flugsand mit Vorliebe mit Topinambur.
Weit größere Bedeutung als er scheint eine andere nahe Verwandte aus dem südlichen Nordamerika erlangen zu wollen. Es ist dies der Helianthi, in seiner Heimat meist Salsifis genannt, ein Kreuzungsprodukt von Helianthus doronicoides und decapetalus, das eine Pflanze von 3,5 m Höhe mit dunkelgrünem Laub und goldgelben Blütenköpfchen darstellt. Das Kraut gibt ein vorzügliches Grünfutter und die saftigen, verdickten Wurzeln bilden ein sehr schmackhaftes, leichtverdauliches und dabei sehr nahrhaftes Gemüse, das mit der Zeit noch große[S. 386] Bedeutung erlangen wird. Der Ertrag ist sehr bedeutend, indem eine einzige Pflanze bis 9,5 kg Wurzelknollen ergibt. Ein Hektar Land mit Helianthi bepflanzt bringt wenigstens 100000 kg Knollen, also um die Hälfte mehr, als wenn die Fläche mit Kartoffeln bepflanzt worden wäre. Man pflanzt ihn von November bis Ende April in irgendwelchen gedüngten Boden. Ein einmaliges Behacken und Behäufeln genügt. Gegen Mitte November beginnt die Ernte, sobald die Stengel vertrocknet sind. Man kann aber auch die Knollen an Ort und Stelle im Boden lassen, die Büschel abschneiden und die Oberfläche mit einer guten Schicht Stroh bedecken, damit der Frost das Herausnehmen der Knollen nicht erschwere. Die Pflanze widersteht der größten Hitze wie der größten Kälte Nordamerikas und ist berufen, nicht als Ersatz der Kartoffel, wohl aber als wichtiges, billiges Wintergemüse eine ungemein bedeutende Rolle zu spielen. Sind die Knollen des Helianthi gegen das Frühjahr hin geschrumpft, so genügt es, sie einige Stunden ins Wasser zu legen, damit sie Aussehen und Geschmack von frischen erhalten.
Dem östlichen Nordamerika, von Kanada bis Virginien, gehört eine dem Topinambur ähnliche Knollenwurzel von Apios tuberosa an. Dieselbe soll wie Artischocken schmecken und wird stellenweise angepflanzt und als Speise gegessen. Desgleichen finden ihre Samen Verwendung. Für die Westküste Nordamerikas jenseits des Felsengebirges dient die mehlreiche Wurzel von Lupinus littoralis denselben Zwecken. Am meisten wird sie von den Bewohnern des Staates Kolumbia als Nahrung benutzt. Eine dritte Leguminose, die Batatenbohne (Stizolobium tuberosum) auf den Antillen, zeichnet sich durch eine kindskopfgroße Knollenwurzel, eine vierte, die Rübenbohne (Pachyrhizus angulatus) auf den Philippinen und Molukken, durch eine dicke, rübenartig schmeckende Wurzel aus. Sie ist im ganzen tropischen Asien bekannt und wird teilweise angebaut. Von der Batatenbohne dienen auch die Samen dem Menschen zur Nahrung.
Im Orient werden die großen Zwiebeln von Crocus edulis, zur Zeit, da sie eben zu treiben beginnen, gern gegessen und kommen in Menge auf den Markt. In ähnlicher Weise wird in der Türkei die Zwiebel des Safrans roh oder gekocht verzehrt. Als Gemüsepflanze kommt für uns Europäer neuerdings auch der in China und Japan heimische Knollenziest (Stachys tuberifera) in Betracht, der ebenfalls sehr nahrhafte Wurzelknollen bildet, die kastanienähnlich schmecken und sehr leicht verdaulich sind, so daß sie sich besonders für Leute mit[S. 387] schwacher Verdauung eignen. Die Pflanze wurde 1887 zuerst in Crosnes in Frankreich eingeführt, gedeiht mit Leichtigkeit in einem durchlässigen, nahrhaften Boden und leidet nicht durch Frost. Nach dem Absterben des Krautes können die Knollen geerntet werden, doch läßt man sie gewöhnlich bis zum Gebrauch im Boden, da sie sich außerhalb der Erde nicht lange halten. Ihr Geschmack ist sehr fein; mit Vorliebe werden sie wie die vorigen mit holländischer Sauce zubereitet.
Berühmt durch äußersten Wohlgeschmack sind manche unterirdische Knollenbildungen bei Pilzen. Von den in Europa wachsenden sind die Trüffeln die geschätztesten. Es sind dies die unter der Erde sich bildenden fleischigen Fruchtkörper einiger Pilze aus der Familie der Tuberazeen, deren als Mycel bezeichnetes feines Geflecht von weißen Fäden sich spinnwebeartig im Waldboden ausbreitet und nach Art der Mykorrhiza in Symbiose mit den Wurzeln der verschiedensten Waldbäume lebt. Vorzüglich gedeihen diese Pilze im humusreichen, kalkhaltigen Boden um Eichen, Hain- und Rotbuchen, Kastanien und Haselnußsträucher. Wird der Waldbestand abgeholzt, so verschwinden auch die Trüffeln; wenn aber der Boden wieder mit Gehölz bewachsen ist, so erscheinen sie alsbald aufs neue. Von den etwa 50 Arten in Europa ist die in den Laubwäldern, besonders Eichenwaldungen, Südfrankreichs und Italiens, selten auch in der Rheingegend vorkommende schwarze Trüffel (Tuber melanosporum) mit dunkelbrauner Oberfläche und schwärzlichen Adern besser als die außen gleichgefärbte, innen aber mit schwärzlichgrauen Adern durchzogene Tuber brumale, die bis zu 1 kg schwer und dann über faustgroß wird. Die meisten in den Handel kommenden Trüffeln haben die Größe einer mittleren Kartoffel oder einer welschen Nuß, sind kugelig und mit zahlreichen Wärzchen besetzt. Sie zeigen die Härte einer Kartoffel und sind außen schwarzrötlich, innen dagegen hell- oder dunkelviolett gefärbt. Am geschätztesten sind die von Périgueux in Südfrankreich versandten sogenannten Périgordtrüffeln, die man durch zu diesem Zwecke abgerichtete Hunde oder Schweine, die dem aromatischen Geruch des Fruchtkörpers des Trüffelpilzes nachgehen und den Erdboden an den Stellen, wo sich solche finden, aufzuwühlen beginnen, aufsucht. Übrigens gibt es in Frankreich auch viele geübte Trüffelsucher, die ohne weitere Hilfsmittel das Vorhandensein von Trüffeln an gewissen Veränderungen, kleinen Spalten oder dergleichen, der Bodenoberfläche erkennen. Sie liegen 2 bis 10 cm tief und geben den spezifischen Geruch von sich,[S. 388] um allerlei Insekten und Würmer herbeizulocken, die die winzigen Sporen, mit denen sie sich beim Fressen an der Trüffel besudeln und die sie auch in ihrem Kote von sich geben, zu verbreiten haben.
Bei der in Südfrankreich betriebenen Trüffelkultur handelt es sich nicht um die Aufzucht aus den Sporen, die bis vor kurzem nicht gelingen wollte, sondern um Verbreitung und reichlichere Entwicklung bereits im Boden befindlicher Mycelien durch die von ihnen bewohnten Wurzeln lebender Bäume, besonders Eichen. Bei Aufzucht von solchen Sämlingen aus Trüffelrevieren lassen sich schon nach zehn Jahren reichliche Trüffelernten gewinnen. Erst in jüngster Zeit hat man regelrechte Trüffelkulturen zustande gebracht, indem man die in Laboratorien zum Keimen gebrachten Sporen der Trüffel mit Rübenschnitzeln oder zerkleinerten Eicheln vermischte und die darin erzielten Mycelien, d. h. Pilzfäden, mit der Beigabe von Rüben oder Eicheln in jungen Eichenwäldern sorgfältig in den Boden eingrub, damit der Pilz die Symbiose mit dem Wurzelgeflecht der Bäume eingehe. Solche Kulturen lassen schon nach 4 bis 5 Jahren die erste ausgiebige Trüffelernte gewinnen. Der französische Trüffelhandel datiert seit dem Jahre 1770 und erstreckt sich jetzt nicht bloß über Süd-, sondern auch Mittelfrankreich. Am meisten dieses von den Feinschmeckern überaus hochgeschätzten Leckerbissens erzeugt die Provence. Besonders berühmt sind die Trüffelkulturen am Fuße des Mont Ventoux im Departement Vaucluse, der bei allen Gebildeten durch die Schilderung bekannt ist, die der berühmte italienische Dichter Francesco Petrarca von seiner im Jahre 1336 mit seinem Bruder Gerardo unter großen Schwierigkeiten und ohne Führer unternommenen Besteigung gab, als die Freude an pittoresker Naturbetrachtung zum erstenmal bei den Menschen des Abendlandes zum Durchbruch gelangte. Die Abhänge dieses Berges wurden seit 1858 neu mit Eichen aufgeforstet, die nun eine reiche Trüffelernte abwerfen. Seither kommt in der Stadt Apt im Departe[S. 389]ment Vaucluse jeden Winter eine Trüffelernte von 15000 kg zu Markt. Der Ertrag dieser Knollenart für ganz Frankreich läßt sich auch nicht annähernd abschätzen, doch muß er ein ganz gewaltiger sein, wenn man bedenkt, daß die Ausfuhr dieses Landes sich auf mehr als 1,5 Millionen kg im Werte von etwa 35 Millionen Franken jährlich beziffert.
Das Trüffelsammeln, das heute berufsmäßig betrieben wird, war früher ein Sport, dem viele große Herren mit Leidenschaft oblagen. Damals beherrschten die vornehmen Dilettanten das Feld, das heute einen lohnenden Beruf für viele bildet. Der Herzog Victor Amadeus II. von Savoyen (1675–1730), der im Frieden von Utrecht 1713 außer dem Königstitel die Insel Sizilien bekam, die er dann 1720 gegen die Insel Sardinien vertauschte, hatte eine besondere Vorliebe für die Trüffel„jagd“, wie sie von den Franzosen gern genannt wird. Sein Sohn Karl Amadeus III., der von 1730 bis 1773 das Land regierte, teilte diese Vorliebe und hielt sich ganze Meuten von Trüffelhunden und erfahrenen Jagdgehilfen, mit denen er alljährlich mehrmals große Trüffeljagden abhielt. Mit Vorliebe wurden solche den Gästen zu Ehren abgehalten. Auch der Herzog von Cumberland war ein passionierter Trüffeljäger, gleich Ludwig XV. und vielen deutschen und polnischen Königen. Zu diesem Zwecke wurden an den Höfen des 18. Jahrhunderts stets sorgfältig abgerichtete Trüffelhunde gehalten, deren erste Exemplare ums Jahr 1720 von Burgund nach Deutschland kamen.
In Deutschland kommt die schwarze Trüffel nur im wärmeren Südwesten, besonders im Rheintal vor. Hier könnte sie mit Erfolg gezüchtet werden, wodurch viel deutsches Geld, das für französische[S. 390] Trüffeln außer Land geht, im Lande behalten werden könnte. Außer den beiden genannten berühmtesten Trüffelarten werden aber noch verschiedene andere gegessen, so die weiße italienische Trüffel (Tuber magnatum) mit hellbrauner, glatter Oberfläche und starkem knoblauchartigem Geruch, dann Tuber aestivum und T. mesentericum, deren Fruchtfleisch mit hellbraunen Adern durchzogen ist, ferner die sogenannte Holztrüffel (Tuber excavatum und T. rufum), die alle am häufigsten in Frankreich und in Italien, doch auch stellenweise in Deutschland vorkommen. Eine der wichtigsten Arten für letzteres Land ist die sogenannte weiße deutsche Trüffel (Choiromyces maeandriformis) mit etwa faustgroßen, außen blaßbraunen, innen weißen, mit wenigen dunkeln Adern durchzogenen Knollen. Sie findet sich besonders in Schlesien und Böhmen, außerdem in Oberitalien und England. Volkswirtschaftlich von großer Bedeutung sind zwei in den Mittelmeerländern vorkommende Arten, Terfezia leonis und T. boudieri, die schon von den Römern sehr geschätzt wurden und von ihnen in großer Menge aus Nordafrika und später auch aus Syrien bezogen wurden. Hier überall schmarotzen diese Pilze an den Wurzeln von Helianthemumarten. Von der nordafrikanischen Bezeichnung terfez für sie ist nicht nur die wissenschaftliche Bezeichnung Terfezia, sondern wahrscheinlich auch die italienische Benennung tartufi und daraus unser Trüffel wie auch Kartoffel (aus dem Italienischen tartufoli) abzuleiten. Diese Trüffelarten besitzen ein sehr angenehmes Aroma und galten bei den Alten wie alle Trüffeln überhaupt als die Sinnlichkeit anregendes Mittel. Sie wurden damals schon gebraten oder mit Rotwein gekocht und mit Olivenöl genossen, auch als Bestandteil von Pasteten, oder als Zusatz zu Fleischspeisen, Brühen, Suppen usw. verwendet. An den Rändern der Sahara kommen diese letztgenannten Arten in solchen Mengen vor und werden von der Eingeborenenbevölkerung, besonders in Algerien, in derartigen Quantitäten gesammelt, daß sie für jene fast ebenso wichtig ist als die Kartoffeln für uns. Die Trüffeln müssen in luftigen Räumen aufbewahrt werden und kommen in Fässern verpackt oder als Konserven oder in Wein gekocht und dann in Öl eingemacht in den Handel. Frische Trüffeln halten sich im Erd- oder Sandbett in guten Kellern bis 14 Tage und länger.
Den Trüffeln schließen sich naturgemäß, obschon sie keine unterirdischen Knollen, sondern oberirdische Fruchtkörper in Form von Hüten bilden, die verschiedenen andern eßbaren Pilze an, die im Gegensatz zum grünen Gemüse verhältnismäßig sehr reich an Eiweiß[S. 391] sind, so daß man sie mit Recht als das Fleisch des Waldes bezeichnet hat. Durch ihre Schmackhaftigkeit und ihr angenehmes Aroma haben sie von jeher ihre Liebhaber besonders bei den Feinschmeckern gefunden, wenn sich auch die große Menge des Volkes, aus Angst sich zu vergiften, bis jetzt, sehr mit Unrecht, ablehnend dagegen verhielt; denn es sind an wirklich giftigen Pilzen noch sehr wenig Menschen gestorben. Diejenigen, die davon krank wurden, wurden es dadurch, daß sie im Übermaß alte, bereits in Zersetzung übergegangene Pilze aßen. Solche nachteilige Folgen können aber auch von andern überständigen und in zu großen Mengen gegessenen Speisen hervorgerufen werden.
Die Pilze verdienen es in der Tat, ein Volksnahrungsmittel zu werden, da sie nicht nur herrlich schmecken, sondern auch recht nahrhaft sind. Wenn sie auch zu neun Zehnteln aus Wasser bestehen, so ist doch ein Viertel des verbleibenden Restes für den Menschen ausnutzbares Eiweiß, so daß sie bei den steigenden Lebensmittelpreisen und der zunehmenden Fleischteuerung gerade für die weniger Bemittelten einen willkommenen Ersatz des Fleisches bilden. 1 kg frische Pilze enthält etwa ebensoviel ausnutzbares Eiweiß als 100 g frisches Fleisch. Und zwar sind junge Pilze nach den Untersuchungen von Kohlrausch und Lösecke eiweißreicher als alte. So beträgt der Eiweißgehalt des getrockneten Hutes junger Pilze nach Margiewicz beim Steinpilz 44,99 Prozent, beim Birkenröhrling 43,90, beim Rothautröhrling 40,91, beim Butterröhrling 40,74, beim Filzröhrling 39,85, beim echten Reizker 38,12, beim Hallimasch 28,16, beim echten Gelbling 27,77 Prozent. Zudem besitzen sie außer etwas Fett und Kohlehydraten einen reichen Gehalt an Nährsalzen, besonders phosphorsauren und Kaliverbindungen, so beim getrockneten Steinpilz, als dem nährsalzreichsten, 19 Prozent, während im besten Ochsenfleisch nur 17 Prozent davon enthalten sind. In frischem Zustande beträgt der Nährsalzgehalt durchschnittlich ½–2 Prozent. Auf die Trockensubstanz berechnet enthält an Nährsalzen der Steinpilz also 19 Prozent, der Pflaumenrößling 15, der Nelkenschwindling 10,75, die Spitzmorchel 9,0, der echte Gelbling 8,19, der Butterröhrling 6,38, der Traubenziegenbart 6,23, der Kuhröhrling 6,0, das Schafeuter 2,8 Prozent. Bei diesem Nährwert lohnt es sich schon der Mühe, die zahlreichen eßbaren Pilze, die der Wald umsonst bietet, und die der Mensch aus Unkenntnis und Trägheit darin verfaulen läßt, zu sammeln, wobei das Suchen dieser Pflanzen an sich schon Körper und Geist günstig beeinflußt. Welche Freude bietet nicht eine solche Exkursion für alt und jung, welcher Jubel[S. 392] schallt da nicht durch Wald und Feld, wenn sich die verschiedensten Pilze an den dem Kenner wohlbekannten Standorten finden, und wie schmecken zu Hause diese Schwämme, die man selbst gesucht hat, weit besser als Markthallenware! Zudem lassen sie sich durch Trocknen oder Sterilisieren oder Einmachen in Essig konservieren und so jederzeit als schmackhafte Würze und Beilage verwenden. Um die eßbaren von den giftigen Pilzen zu unterscheiden, gibt es zahlreiche Pilzbüchlein mit schön kolorierten Tafeln, unter denen das vom Kaiserlichen Gesundheitsamte in Berlin herausgegebene Pilzmerkblatt, das zur Orientierung vollkommen genügt, schon für 10 Pfennige zu haben ist. Hauptsächlich sollte es die Schule übernehmen, auf Ausflügen die Jugend mit den eßbaren und nichteßbaren Pilzen bekanntzumachen. So würde die übertriebene Furcht vor giftigen Pilzen durch Aufklärung weiterer Volksmassen am ehesten zu beheben sein; denn es gibt glücklicherweise nur verhältnismäßig wenig giftige Pilze, und diese sind zudem von der Natur als solche deutlich gekennzeichnet, so daß man sie mit einiger Übung leicht und untrüglich als solche herausfinden kann. Die Hauptsache aber bleibt stets, daß die Pilze frisch und in mehr jugendlichem Zustande gepflückt als Speise verwendet werden, da alte, verdorbene Exemplare von eßbaren Sorten vielfach ebenso schädlich als die eigentlich giftigen sind. Fast alle Pilzvergiftungen lassen sich darauf zurückführen, daß solche verdorbene Pilze verspeist wurden. Und wer im Volke sie nicht selbst essen mag, der sammle und verkaufe sie und kaufe sich mit dem daraus erworbenen Gelde eine ihm besser zusagende Speise. Die Armen ernähren sich auch nicht mit Erdbeerschnitten, obgleich die Erdbeeren im Walde umsonst zu haben sind.
Der geschätzteste der eßbaren Hutpilze und der einzige unter ihnen, der im großen Maßstabe künstlich gezüchtet wird, ist der Feldblätterschwamm oder Brachpilz (Agaricus campestris), besser unter dem französischen Namen Champignon bekannt. Er findet sich vom Mai bis Oktober auf sandigen Waldwiesen und auf Weideplätzen, in gedüngten Feldern und Obstgärten, in Weingärten und an Waldrändern in Europa, Asien, Nordamerika und Nordafrika und bildet bis 10 cm breite, weiße bis bräunliche fleischige Hüte. Eine besonders aromatische Varietät wird vielfach in Kellern und andern dunkeln Räumen mit möglichst gleichmäßiger Temperatur gezogen. Bei der Anlage solcher Kulturen bringt man nicht zu alte käufliche Champignonbrutziegel aus Pferde- und Kuhmist mit etwas Gartenerde, die mit den Myzelien des Brachpilzes durchwachsen sind, in Beete von frischem, strohfreiem, durch[S. 393] vorherige Behandlung nicht mehr gärungsfähigem Pferdemist, die nach 3–4 Wochen etwa 3 cm hoch mit lockerer, sandiger Erde bedeckt werden. Die Brutbeete werden durch öfteres Begießen feucht gehalten. Dabei durchwuchert das Pilzfadengeflecht rasch das gesamte Nährsubstrat und schreitet dann, nachdem es ihm seine Nährstoffe entzogen hat, zur Bildung der Fruchtkörper. Wenn letztere nach 7–8 Wochen hervorbrechen, werden sie, bevor sich der Hut zu sehr in die Breite entwickelt hat, an der Stielbasis mit einem Messer abgeschnitten und auf den Markt gebracht. Läßt der Ertrag nach einigen Wochen nach, so werden neue Beete angelegt. Besonders um Paris herum wird die Champignonkultur in den zahllosen unterirdischen Steinbrüchen mit ihrer gleichmäßigen Wärme im großen betrieben und bildet für zahllose einfache Leute eine lohnende Beschäftigung, die auch in Deutschland mit aller Energie betrieben werden sollte; denn dieser vortreffliche Speisepilz wird in der feinen Küche sehr viel verwendet und der aus ihm bereitete Extrakt bildet ein vorzügliches Würzmittel für Suppen und Saucen. Schon die römischen Feinschmecker schätzten seinen delikaten Geschmack sehr und Kaiser Nero, dem es gewiß nicht an guten Bissen fehlte, soll ihn sogar als Götterspeise bezeichnet haben. Bis in unsere Zeit gab es Gourmets, besonders französische, die diesen beliebten Pilz gern eigenhändig sammelten und zubereiteten. Franzosen waren es auch, die den Champignon in deutsche Küchen einführten, namentlich vornehme Emigranten, die, auf den Broterwerb angewiesen, sich in der Fremde nicht selten der in ihrer Heimat hochkultivierten Kochkunst widmeten und dadurch mitunter ein Vermögen erwarben. Die einfachste Art der Zubereitung ist, ihn in frischer Butter zu dünsten und mit ein wenig Zitronensaft zu beträufeln. Manche Leute behaupten, daß sein Aroma angenehmer hervortrete, wenn man statt Butter Ochsenmark verwende. Auch in Ausbackteig gebacken schmeckt er nicht übel, und wohl kaum ein anderer Pilz findet so viel Verwendung wie er zu Saucen, Ragouts und Frikassees.
Neben dem Champignon wird der Steinpilz (Boletus edulis), in Frankreich cèpe genannt, sehr geschätzt und kommt getrocknet in Schnitzen und als Ölkonserve in den Handel. Ihn durch Aussäen von Sporen auf Stellen im Walde zu übertragen, wo er bisher fehlte, ist nicht gelungen, wohl aber bei der Nußkraterelle (Craterellus nucleatus), die im Aroma nur der Perigordtrüffel nachsteht. In Japan wird ein außerordentlich schmackhafter Pilz (Agaricus shitake) in großen Massen gezüchtet, indem seine Kultur für ganze Distrikte des japanischen[S. 394] Waldes die einzige Art der Forstbenutzung bildet. Nach dem Laubfall werden jüngere Stämme und armdicke Äste verschiedener Laubholzarten gefällt, etwa 100 Tage im Walde liegen gelassen und dann in meterlange Stöcke zersägt, die mit tiefen Einschnitten versehen werden. Die an den Pilzkulturplätzen stets gegenwärtigen Sporen des Schitakepilzes nisten sich in diese Wundstellen ein, das sich entwickelnde Pilzmyzel verwandelt das Holz in eine weißliche, brüchige Masse und schon im Herbst des ersten Jahres, besonders aber im zweiten und in den folgenden vier Jahren nach der Infektion brechen teils aus der Rinde, teils aus der Schnittwunde die Pilze hervor, die merkwürdigerweise je größer, desto besser und teuerer sind. Prof. Mayr hat versucht, den Schitakepilz bei uns einzuführen. Dabei zeigte es sich, daß Buche, Hainbuche und Birke sich am besten zur Aufzucht desselben eignen, daß jedoch die jungen Kulturen sehr unter den einheimischen Pilzen, die sich an denselben Stellen ansiedeln, und unter Schneckenfraß zu leiden haben. Doch sollen die Versuche fortgesetzt werden. Jedenfalls wäre der Pilz geeignet, im Regenwalde der tropischen und subtropischen Kolonien am Holze der wertlosen Baumarten, die doch nur das Wachstum der wertvollen behindern, gezüchtet zu werden.
Schon die Römer der Kaiserzeit schätzten die Trüffel, die sie tuber nannten, wie auch die verschiedenen anderen Speisepilze. Am höchsten stand in ihrer Wertschätzung der in den Wäldern von ganz Italien heimische und heute noch beim Volke als Speise beliebte Kaiserling (Agaricus caesareus), den sie boletus nannten. Er sieht dem Fliegenschwamm ähnlich, weshalb verhängnisvolle Verwechslungen vorkommen können. Plinius schreibt in seiner Naturgeschichte, daß er, wie auch die Steinpilze (suillus), zu seiner Zeit bei den Vornehmen in Mode kam. Beide wachsen um die Wurzeln von Eichen, und zwar wachsen die besten an denen der Stieleiche; „die unter Steineichen, Zypressen und Pinien aber sind schädlich. Man ißt sie auf gut Glück und sie bilden jedenfalls eine vortreffliche Speise, doch sind sie auch schon zu entsetzlichen Verbrechen benutzt worden. So ist der Kaiser Tiberius Claudius durch Gift ums Leben gekommen, das seine (zweite) Gemahlin Agrippina unter ein Gericht Kaiserschwämme gemischt hatte.“ Der Geschichtschreiber Suetonius (70–140 n. Chr.), der Geheimschreiber des Kaisers Hadrian, sagt in seiner Biographie des 52 n. Chr. erst 43 Jahre alt vergifteten Kaisers Claudius, dieser sei sehr gierig nach diesen Schwämmen gewesen. Und in der Biographie Neros bemerkt er dazu: „Wenn auch Kaiser Nero nicht an der Vergiftung seines Stiefvaters Claudius geradezu schuld gewesen ist, so hat er doch jeden[S. 395]falls darum gewußt: Das leugnete er auch gar nicht und nannte die Kaiserlinge (boletus) — denn in diesen war das Gift dem Claudius beigebracht worden — eine Speise für Götter.“ Und derselbe Autor sagt in seiner Biographie des Tiberius: „Kaiser Tiberius gab dem Asellius Sabinus 200000 Sesterzien (etwa 30000 Mark) für einen Dialog, worin der Kaiserling, die Feigendrossel, die gewöhnliche Drossel und die Auster (als die feinsten Leckerbissen) um den Vorrang stritten.“ Der Satiriker Martial (40–120 n. Chr.) erwähnt in seinen Gedichten öfter den Kaiserling. In einem Epigramm sagt er: „Ich begreife wahrhaftig nicht, Poeticus, wie du mich zu Tische laden und dabei so grob sein kannst, mir Mießmuscheln, an denen ich mir die Lippen zerschneide, Steinpilze (suillus), die für die Schweine gehören, und eine im Käfig krepierte Elster vorzusetzen, während du deinen Bauch mit gemästeten Austern, Kaiserlingen und zarten Turteltauben anfüllst.“ In einem andern ruft er aus: „Bist du denn verrückt, Caecilianus, daß du dich allein hinsetzest und Kaiserlinge vor aller Welt issest (ohne mich zu solchem Mahle einzuladen)? — Du bist ein gefräßiges Leckermaul und ich wünsche dir einen Kaiserling in den Hals, wie ihn Kaiser Claudius gegessen hat.“ Und in einem seiner Xenien meint er von einem Schlemmer: „Silber, Gold und kostbare Kleider entbehrt das Leckermaul leicht, aber Kaiserlinge wahrhaftig nicht.“
Der griechische Arzt Claudios Galenos (131–200 n. Chr.) bezeichnet in seiner Schrift über die Eigenschaften der Nahrungsmittel die Kaiserlinge, die auf allerlei Weise gewürzt gegessen werden, als geschmacklos, aber jedenfalls als die unschädlichste Sorte Pilze: „Nach ihnen folgen dem Range nach die Champignons (amanítai). Der Sicherheit wegen sollte man andere Pilze gar nicht anrühren, denn es sind schon viele Leute durch sie vergiftet worden. Ich kenne sogar jemand, der nach dem reichlichen Genuß nicht gehörig gekochter Kaiserlinge (bōlítēs), die doch für ganz unschädlich gelten, schwere Zufälle, Ohnmacht und kalten Schweiß bekam, und sich nicht eher erholte, als bis er die Schwämme ausgespien hatte.“ Plinius empfiehlt an dritter Stelle die Steinpilze (Boletus edulis), von den Römern suillus, d. h. Schweinepilz genannt. „Diese aber“, fährt er fort, „werden am leichtesten zu Vergiftungsversuchen gebraucht. So sind vor kurzer Zeit ganze Familien und ganze Tischgesellschaften damit ums Leben gekommen, so Annaeus Serenus, Oberst bei der Garde Neros, so Tribunen und Zenturionen. Wie ist es möglich, daß jemand sich nach einer so gefährlichen Speise kann gelüsten lassen?
Manche haben die Pilze nach den Bäumen, bei denen sie wachsen,[S. 396] als eßbar oder giftig unterscheiden wollen; aber diese Unterscheidung kann denen nicht helfen, die von fremden Leuten gesammelte Pilze kaufen. Alle giftigen Pilze sehen bläulich aus, und sie sind für um so giftiger zu halten, je ähnlicher der Saft des Baumes, bei dem er gewachsen, dem des Feigenbaumes (also milchig) ist.
In manchen Fällen können Pilze auch als Heilmittel gebraucht werden. So hält Glaucias die Kaiserlinge für magenstärkend. Die Steinpilze werden, mit einer Binse durchstochen, aufgehängt und getrocknet; so kommen sie von Bithynien aus in den Handel. Sie werden gegessen um rheumatische Entzündungen des Unterleibs zu heilen, dienen auch äußerlich gegen Fehler der Haut.
Ich will ferner noch einige allgemeine Bemerkungen über die Zubereitung der Pilze geben, weil sie der einzige Leckerbissen sind, den die vornehmen Leute eigenhändig zubereiten, wobei sie im voraus in Erwartung des bevorstehenden Genusses ganz selig sind, und die Pilze mit Elektron- (Silber und Gold gemischt) oder Silbermessern zerschneiden.
Schädlich sind diejenigen Pilze, die beim Kochen härter werden; solche werden unschädlich, wenn man sie mit Zusatz von Soda tüchtig durchkocht. Auch dadurch schützt man sich vor Vergiftung durch sie, daß man sie mit Fleisch oder mit Birnenstielen kocht. Auch Birnen, welche gleich nach den Pilzen gegessen werden, sind nützlich; ferner ist Essig ein Mittel, das ihrem Gifte entgegenwirkt.“
Der Arzt Galenos rät gegen Pilzvergiftung Wermut oder Raute mit Essig zu trinken und fährt fort: „Asklepiades gibt bei Pilzvergiftung rohen Rettich in Menge zu essen und ungemischten Wein dazu zu trinken. Ich aber habe in Mysien einen Mann kennen gelernt, der denjenigen, die an Pilzvergiftung litten, Hühnermist eingab, und ich habe dann selbst Versuche mit diesem Mittel angestellt, indem ich den Mist fein zerrieb und in mit Wasser oder Honig gemischten Essig tat. Die Patienten bekamen alsbald, nachdem sie die Mischung getrunken hatten, Erbrechen und genasen sodann. Dabei ist zu beachten, daß der Mist von freigehenden Hühnern weit wirksamer ist als derjenige von eingesperrten.“
Auch die Trüffeln fanden bei den alten Griechen und Römern ihre Liebhaber. So sagt Plinius von den Trüffeln (tuber), die Martial in einem Epigramm an Wohlgeschmack nur den Kaiserlingen nachstehen läßt: „Sie sollen nach heftigen, im Herbst eintretenden Regengüssen und Gewittern entstehen. Ihre Entstehung und die Tatsache, daß sie ganz ohne Wurzel wachsen, berechtigen, sie zu den wunderbaren Dingen zu[S. 397] rechnen. Sie liegen ganz in der Erde ohne mit ihr in irgend einem Zusammenhang zu stehen und ohne sie emporzutreiben. Sie haben eine eigentümliche Rinde und finden sich meist in trockenem, sandigen Boden unter Gebüsch. Sie erreichen die Größe einer Quitte und die Schwere eines Pfundes. Es gibt zwei Arten derselben: eine sandige, welche den Zähnen schadet, und eine reine. Übrigens unterscheidet man sie nach ihrer braunroten oder schwarzen und inwendig weißen Farbe. Am höchsten werden die afrikanischen geschätzt. Wie sie entstehen, und ob sie Leben haben, weiß man nicht, wohl aber, daß sie zuletzt verfaulen. Dem gewesenen Praetor Lartius Licinius, der zu Carthago in Spanien (dem heutigen Cartagena) die Rechtspflege verwaltete, ist es, wie ich weiß, vor wenigen Jahren passiert, daß er auf einen Denar, der in eine Trüffel eingewachsen war, so biß, daß sich seine Vorderzähne schief bogen, woraus man auf die Art und Weise, wie die Erde sich zu Trüffeln ballt, schließen kann. Als sicher kann man es jedenfalls ansehen, daß sie entstehen, aber auch als sicher, daß man sie nicht anpflanzen kann.
Den Trüffeln ähnlich ist das Misy in der Provinz Cyrenaika (dem heutigen Barka in Tripolis); es zeichnet sich durch lieblichen Geruch und Geschmack aus, ist aber fleischiger; auch ist ihnen in Thracien das iton und in Griechenland das geranion ähnlich. — Bei Mytilenä soll es nun Trüffeln geben, wenn Trüffelsamen durch Überschwemmung von Tiarä, wo sie sehr häufig sind, herabkommt. In Kleinasien finden sich die beliebtesten zu Lampsacus und Alopekonnesus, in Griechenland um Elis.“
Endlich sagt der griechische Arzt Galenos, der einer der gesuchtesten Ärzte Roms war und zur Zeit des Septimius Severus daselbst starb: „Die Trüffel (hýdron) muß man zu den Wurzeln oder Knollen zählen. Sie haben an sich wenig Geschmack, werden mit Gewürz gegessen, und sind unschädlich.“
Wie in Europa, so finden übrigens auch überall anderwärts verschiedene Pilze als geschätzte Nahrung des Menschen Verwendung, unter denen wir wegen seiner außergewöhnlichen Größe nur den als indian potatoe bezeichneten Riesenpilz Lycoperdon solidum erwähnen wollen, der überall in den Südstaaten der nordamerikanischen Union auf eben abgeholztem Waldboden erscheint. Er erreicht ein Gewicht von 8–15 kg und wurde von den Indianern gern verzehrt. Ebenso lebten einst die in die Wälder flüchtenden Negersklaven fast gänzlich von ihm.
Wie die Pilze sind auch viele Arten von Seetang eine vom Menschen gern gegessene, von der Natur gespendete Speise. So werden eine ganze Anzahl derselben an den verschiedenen Küsten teils roh, teils gekocht gegessen. Manche derselben enthalten außer knorpligem Schleim auch ziemliche Mengen von Stärkemehl und Zucker. Ebenso verhält es sich mit manchen Flechten, unter denen die Mannaflechte (Lecanora esculenta) die bekannteste ist. Sie wächst vorzugsweise in den Steppen von Südrußland bis Zentralasien in großer Menge auf sonst von Vegetation völlig entblößtem, lehmigem Boden oder nacktem Fels, locker mit der Unterlage, auf der sie haftet, verbunden, ohne von ihr Feuchtigkeit, sondern nur einige Nährsalze zu verlangen. Sie wird daher durch Winde, die ja in diesen Steppen eine außerordentliche Gewalt annehmen, leicht losgerissen, in Vertiefungen angesammelt, oder durch heftige Stürme auch wohl in weitere Entfernungen getragen, wo sie dann das höchst merkwürdige Phänomen des Mannaregens hervorbringt, das in Kleinasien und Persien zu verschiedenen Malen und auch an anderen Orten beobachtet wurde. Diese meist in haselnußgroßen Stücken gefundene Flechte enthält außer Stärkemehl und Inulin über 23 Prozent Gallerte und wird von den armen Steppenvölkern, vermahlen und zu Brot gebacken, gern gegessen. Sie wurde fälschlicherweise von Ehrenberg für das Manna der Bibel erklärt, das wir unter den Zuckerarten kennen lernen werden.
Überall im Norden wird auch die als „isländisches Moos“ bezeichnete Renntierflechte (Cetraria islandica) als ein nach Entfernung des ihr anhaftenden Bitterstoffes durchaus nicht zu verschmähende Nahrung nicht nur für die Renntiere, die sich hauptsächlich von ihr ernähren, sondern auch für den Menschen gegessen und teilweise ebenfalls zu Brot verbacken. In den zirkumpolaren Gegenden, wo es mit der pflanzlichen Nahrung sehr übel bestellt ist, nimmt der hungrige Mensch dankbar solche Nahrung entgegen. Und wenn Eskimos ein Renntier erlegt haben, ist ihnen der mit dieser Flechte erfüllte Renntiermagen ein sehr geschätzter Leckerbissen, dessen Inhalt sie sorgfältig sammeln, um ihn mit Blut vermischt für festliche Anlässe aufzubewahren, bei denen er dann nur mit Herbeiziehung der allerbesten Freunde als eine Leckerei ohnegleichen gegessen wird. Doch muß man schon ein genügsames Kind der Arktis sein, um an einem solchen Kompott ein so großes Wohlgefallen zu haben.
Hinsichtlich ihres Vermögens der Arbeitsleistung und Wärmebildung im Körper stehen die Fette hoch über den Eiweißkörpern und Kohlehydraten, d. h. den Stärkemehl und Zucker enthaltenden Nahrungsstoffen. Beträgt der Verbrennungswert dieser letzteren, sowohl der Eiweißkörper als der Kohlehydrate, 4,1 Wärmeeinheiten pro g, so beläuft sich dieser Betrag beim Fett auf 9,3 Wärmeeinheiten pro g. Bei dieser mehr als doppelten Nährkraft ist es kein Wunder, daß namentlich der in einem kalten Klima lebende Mensch, der reichlich durch Ausstrahlung verloren gehende Wärme zu ersetzen hat, mit Vorliebe fettreiche Speisen verzehrt, die er, solange er auf der Jägerstufe lebte, in den Fettablagerungen der von ihm erbeuteten Tiere fand. Noch heute klingt es in den Sagen aller Nordvölker durch, welch große Bedeutung dem Nierenfett und dem Knochenmark als vielbegehrtem Leckerbissen der Vorzeit zukam. Als der Mensch sich zum Viehzüchter erhob, konnte er dieses instinktive Bedürfnis nach Fett im fetten Fleische und dem Speck, später auch in der aus der Milch gewonnenen Butter seiner Herdentiere befriedigen.
Erst als er zum Hackbau sich erhob und infolgedessen notgedrungen an die von ihm bearbeitete Scholle gebunden war, suchte er seinen Fettbedarf aus dem Pflanzenreiche zu decken. Dieser war ein besonders großer, da die mehlreichen Samen und Wurzelknollen, wie auch die grünen von ihm verspeisten Pflanzenteile in der Regel auffallend arm an Fett sind. Deshalb war er darauf angewiesen, seine Mehlspeisen zu schmälzen; nur so schmeckten sie ihm. Wie heute noch unsere Landbevölkerung ihre Schmarren und Knödel in Schmalz oder Butter bäckt und Butter oder fetten Käse zum Brote genießt, so suchte die Hackbäuerin der Urzeit unter den Pflanzen ihrer Umgebung instinktiv nach solchen, die Fett in ihren Samen enthielten. Diese zer[S. 400]quetschte sie und genoß sie als solche; auf einer höheren Stufe jedoch preßte sie das Fett aus ihnen aus und benutzte es zum Schmälzen ihrer aus dem Mehl der verschiedenen Getreidearten bereiteten Fladen und Breie. Um solche Fettspender stets zur Hand und in größerer Menge zu haben, nahm sie solche in Hegung und vermehrte dann durch Kulturauslese den Ertrag an dem gewünschten Rohstoff.
Einer der ältesten Ölspender der Menschheit ist der Sesam (Sesamum indicum), der seit sehr langer Zeit in Südasien, speziell Indien, im großen kultiviert wird. Seine Heimat ist nach A. de Candolle das östliche tropische Asien, insbesondere Indonesien, wo er heute noch, beispielsweise auf Java, wild angetroffen wird. Der Berliner Botaniker Ascherson dagegen hält unter Berücksichtigung der pflanzengeographischen Ermittlungen Afrika für die Heimat der Sesampflanze, da von den 12 Arten der Gattung Sesamum nicht weniger als 10 diesem Erdteile angehören. Trotzdem scheint uns letztere Annahme wenig wahrscheinlich. Jedenfalls läßt sich für uns ihre Kultur zuerst in Indien nachweisen, wo der Engländer Watt in Behar und im nordwestlichen Himalaja eine der Sesampflanze sehr nahestehende wilde Art fand. Schon vor 3500 Jahren drang die Sesamkultur aus Indien in die Euphratländer, wo nach Herodots Zeugnis alles Öl aus Sesamsamen gewonnen wurde. Er schreibt darüber: „In Assyrien (und Babylonien) hat man kein Olivenöl, dagegen gebraucht man dort das Öl, das man vom Sesam (sḗsamon) gewinnt, der dort baumhoch wird.“ Nach Ägypten kam die Kultur des Sesams erst während der Mitte des letzten vorchristlichen Jahrtausends, wo ihn Theophrastos (390–286 v. Chr.) zuerst erwähnt. Früher war er im Niltal vollständig unbekannt und wird weder im Kult, noch auf den Denkmälern der alten Ägypter erwähnt; auch finden sich in den Grabbeigaben keinerlei Spuren von ihm. Auch das Alte Testament kennt ihn durchaus nicht, was doch der Fall sein müßte, wenn ihn die Juden vor ihrem Auszuge in Ägypten kennen gelernt hätten. Auch nach China kam er erst zu Beginn der christlichen Zeitrechnung; wenigstens wird erst in einem Buche des 5. Jahrhunderts seiner Erwähnung getan. Er heißt dort chi-ma, während er im Sanskrit tila, im Indischen gingils, im Malaiischen widjin und im semitischen Vorderasien simsim hieß, woraus dann die Griechen sḗsamon machten. Die alten Ägypter scheinen die Pflanze ake genannt zu haben, während sie die Samen derselben schemschem hießen. Letzteres ist also die ägyptisierte semitische Bezeichnung; demnach müssen es Semiten gewesen sein, die diese Kultur[S. 401]pflanze in Ägypten einführten. Wie diese uralte Kulturpflanze in der indischen Kultur eine wichtige Rolle spielt, so tat sie es auch im frühen Mittelalter bei den Arabern, die sie semsem nannten. Welche bedeutende Rolle sie bei jenen spielte, bekunden schon die Märchen aus Tausend und Einer Nacht, wo das Wort Sesam als semsem einen Zauberspruch zum Öffnen von Türen bildet.
Heute bildet der Sesam eine sehr wichtige Nutzpflanze für China, Japan, ganz Süd- und Vorderasien, Ost- und Westafrika und neuerdings sogar Amerika; denn er hat sich fast das ganze Gebiet der Tropen und Halbtropen erobert. Er ist ein einjähriges, aufrechtes Kraut mit ungeteilten Blättern und einzeln in den Blattachseln stehenden, rachenförmigen, hellroten Blüten. Ein blühendes Sesamfeld gewährt einen sehr hübschen Anblick. Die reife Frucht ist eine längliche, stumpf-vierkantige Kapsel, welche von der Spitze nach der Basis aufspringt und in jedem Fache eine Anzahl etwa 3 mm langer und 1,5 mm breiter, zu beiden Seiten abgeplatteter Samen von braunschwarzer, rötlicher oder gelblicher Farbe trägt. Nach diesen Farbendifferenzen des Samens, die als Beweis uralter Kulturvarietäten ins ferne Altertum zurückgehen, unterscheidet man eine dunkle und eine helle Sesamsaat. Letztere gibt ein besseres, erstere aber ein reichlicheres Öl von gelber Farbe, fast ohne Geruch und von angenehm süßem Geschmack, das die vorzügliche Eigenschaft besitzt, nicht leicht ranzig zu werden. Da die Samen außer größeren Mengen Eiweiß durchschnittlich 56,8 Prozent Öl besitzen, ist ihr Nährwert ein sehr großer, so daß sie in Form von Mehl oder als daraus gewonnenes Öl und selbst als Ölkuchen die tägliche Nahrung für die große Mehrzahl der indischen Bevölkerung bilden.
Der Sesam gedeiht am besten in möglichst gleichmäßig warmem Klima auf leichtem, lehmig-sandigem Boden. Sein Anbau erfordert keine große Mühe und bringt in der Regel reiche Erträge. Die ganze Kultur der Pflanze liegt in den Händen der Eingeborenen, die ihn vorzugsweise als Brotkorn für ihren eigenen Bedarf bauen und nur aus dem Überschuß des Ertrages Öl pressen, das sie meist verkaufen. Eine vorzügliche Sorte baut man in Ägypten und Palästina an, wo aus Sesammehl die berühmte Fastenspeise chalba, eine Art mit Zitronat und Honig versetzter Kuchen, bereitet wird. Die grob zerstoßenen Samen dienen auch zur Herstellung eines nahrhaften Breies, der selbst Europäern mundet, und das gewöhnliche Brot, wie auch alle Kuchen, werden mit den ganzen Samen bestreut, so wie man bei uns den Mohn- oder Kümmelsamen verwendet. Meist jedoch wird auch hier das in ihnen enthaltene Öl ausgepreßt und im Haushalt als Speiseöl und zur Beleuchtung verwendet, während die Preßkuchen Menschen und Tieren als Nahrung dienen.
Das Sesamöl ist von süßlichem, sehr angenehmem Geschmack, völlig geruchlos und wird erst nach langer Zeit durch Aufnahme von Sauerstoff aus der Luft ranzig. Da die Sesamsamen durchschnittlich 56 Prozent desselben enthalten, ist der Ertrag daran ein sehr reichlicher. Doch schwankt bei ihnen wie bei allen hier zur Besprechung gelangenden andern Fettlieferanten der Fettgehalt je nach Klima und Kulturmethode; auch ist die Ausbeute an Öl je nach der Gewinnungsmethode verschieden. Stets werden die Samen zuerst in Stampfen oder neuerdings zwischen Walzen zerquetscht und unter Zusatz von Wasser auf Filtergängen gemahlen, um die Zellen, die das Öl enthalten, zu zerreißen. Aus den tropischen oder subtropischen Produktionsländern gelangt der als Überschuß der Ernte verkaufte Sesam meist als Samen nach Europa, und zwar hauptsächlich nach Marseille, wo erst das Öl in großen Pressen gewonnen wird, um dann bei der Kunstbutterbereitung, bei der Seifenfabrikation und zum Verschneiden des Olivenöls Verwendung zu finden. Die Rückstände, welche außer Fett noch 36 Prozent Eiweiß enthalten, liefern ein sehr wertvolles Viehfutter. Ostindien führt jährlich gegen 200 Millionen kg Sesamsamen und 13,5 Millionen kg Sesamöl aus; Ost- und Westafrika exportiert etwa halb soviel. Deutschlands Sesameinfuhr beträgt jährlich etwa 615 Millionen kg im Werte von 15 Millionen Mark.
In Indien, wie in ganz Südasien und Ozeanien stehen seit alter Zeit die 67 Prozent Fett enthaltenden Kokosnüsse als beliebtes[S. 403] Speisefett im Gebrauch. Das ölreiche, weiße Nährgewebe derselben ist für die Eingeborenen ein wichtiges Nahrungsmittel, das feingerieben den verschiedensten Mehlspeisen zugesetzt wird. Außerdem stellt es einen wichtigen Handelsartikel dar, das sich seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts den europäischen Weltmarkt erobert hat. Hierzu wird es an der Sonne getrocknet und heißt dann Kopra. Als solches kommt es nach Europa, wo es in großen Kesseln erwärmt wird; das dabei ausgeschmolzene Fett sammelt sich oben an und wird abgeschöpft. Es ist schön weiß und schmeckt milde, hat aber einen unangenehmen Geruch, wird auch leicht ranzig. Die moderne Technik hat es aber zustande gebracht, das Kokosnußfett von seinen unangenehm riechenden Bestandteilen zu befreien und ein Fett in den Handel zu bringen, das als sehr geschätzter, billiger und sehr haltbarer Ersatz für tierische Fette unter dem Namen Kunerol, Palmin usw. sich mit Recht einer zunehmenden Verwendung als Speisefett an Stelle oder gemischt mit Milchbutter erfreut. Der weitaus größte Teil des Kokosnußfetts wird aber zur Herstellung von Kerzen und Seifen verbraucht. Weil Kokosseife die einzige ist, die auch im salzigen Meerwasser schäumt, ist sie besonders bei den Seeleuten sehr beliebt. Die Gesamteinfuhr Deutschlands an Kopra beträgt gegenwärtig etwa 18 Millionen Mark, wovon es jetzt schon über ein Drittel aus seinen Kolonien decken kann. Weitaus am meisten liefert Samoa im Werte von gegen 3 Millionen Mark. Aus 7000 Früchten erhält man 1000 kg Kopra. Das Zerschneiden und Trocknen der Kokoskerne wurde zuerst von den Franzosen in Ostafrika praktiziert und dann von einer Hamburger Firma auch auf den Südseeinseln eingeführt.
Für den europäischen Markt war früher und ist heute noch das Olivenöl das wichtigste Speise- und Brennfett. Aus den am besten mit der Hand abgenommenen Oliven, die 56–70 Prozent Fett enthalten, wird bei schwacher Pressung in der Kälte das gelbliche, süße, feine Speiseöl gewonnen, während man bei stärkerem Druck und warmer Pressung das gewöhnliche Öl gewinnt, das vielfach als Lampenöl Verwendung findet, besonders aber bei der Seifenfabrikation benutzt wird. Dem guten Olivenöl der Provence verdankt die Marseiller Seife ihren guten Ruf, von der nach beiläufiger Schätzung jährlich 600000 Zentner gewonnen werden. Die Preßrückstände werden schließlich noch mit Wasser ausgekocht, wodurch allerdings nur geringwertige Ölsorten gewonnen werden, die höchstens als Maschinenöl dienen können. Sie sind trübe und werden in Knochenkohlefiltern ge[S. 404]klärt. Aber selbst aus ihren Rückständen läßt sich durch langsame Zersetzung in halb mit Wasser gefüllten Zisternen, wobei sich alles noch vorhandene Öl auf der Oberfläche der fürchterlich riechenden Flüssigkeit sammelt und abgeschöpft wird, ein noch für Fabriken verwendbares Öl gewinnen. Solches Öl ist auch das Tournantöl, das in der Türkischrotfärberei eine große Rolle spielt.
Noch wichtiger als die bisher genannten Öle ist das Palmöl, das aus dem Fruchtfleisch der Ölpalme (Elaeis guineensis) gewonnen wird. Es kann geradezu als das wichtigste aller Fettstoffe aus dem Pflanzenreiche gelten, von dem Deutschland jährlich für gegen 40 Millionen Mark einführt. Es dient hauptsächlich zur Seifen- und Kerzenfabrikation, wird aber auch zur Herstellung von Kunstbutter verwendet. Die Preßrückstände bilden ein beliebtes Viehfutter, aber auch ein Verfälschungsmittel für Gewürze, namentlich für Pfeffer.
Die Heimat der Ölpalme ist, wie wir sahen, das tropische Westafrika, wo sie manchenorts weit sich erstreckende Wälder bildet. Eigentlich angebaut wird sie selten; in der Regel beschränken sich die Eingeborenen darauf, vor Beginn der Regenzeit die überflüssigen Wedel mit dem Buschmesser zu entfernen und die ganze Krone durch Ausbrennen von Ungeziefer zu reinigen. Sie haben dann nur zu ernten, aus den Palmnüssen das Fruchtfleisch auszubrechen, dasselbe durch Kochen in Wasser oder Liegenlassen in der Sonne zu erweichen und in Mörsern zu zerstampfen, wobei das Öl heraustritt. Dasselbe ist orangegelb, hat einen angenehmen Geschmack, riecht leicht nach Veilchenwurzel und hat bei Zimmertemperatur Butterkonsistenz. Den Negern dient es allgemein als Speisefett; doch wird es mit der Zeit weiß und ranzig. Den Überschuß ihres Öles und die Palmkerne verkaufen sie an die Europäer, die aus den letzteren in Europa vermittelst eigens dazu konstruierter Maschinen das Palmkernöl gewinnen, das noch wertvoller als das Palmöl aus dem Fruchtfleische der Palmnüsse ist.
In Westafrika ist auch die Schibutter beliebt, die aus den Samen des im Sudan heimischen Schibaums (Butyrospermum parkii) gewonnen wird. Hier findet sich der etwa 9 m hohe, zu den Sapotazeen gehörende Baum von der Tracht eines Apfelbaums vorzugsweise an trockenen und steinigen Orten von Senegambien bis zu den Ufern des Nils, meist im lichten Buschwald. Der Stamm ist rauh, reich verästelt und hat eine breite, aber nicht dichte Krone. Die langgestielten, ovalen, etwas lederigen, in der Jugend mit rostfarbenem Filz bedeckten Blätter sind büschelartig an den Enden der dicken Zweige[S. 405] zusammengedrängt. Die Blüten sind kurzgestielt und haben ebenfalls einen rostfarbenen Filzbelag. Die Früchte sind eirunde, einsamige, grüne Beeren, deren äußere Schicht von einem weichen, wohlschmeckenden, gelben Fleische gebildet wird, das die Eingeborenen gerne essen. Darunter liegt ein glänzendbrauner Samen von Taubeneigröße ohne Nährgewebe, aber mit ölreichen, fleischigen Kotyledonen (Samenlappen), die die Schibutter liefern. Diese ist ein hellgrünliches Fett von angenehmem Geruch und Geschmack, das nicht leicht ranzig wird und von den Eingeborenen zum Backen und Kochen, zum Einreiben des Körpers, zum Brennen in den Lampen usw. gebraucht wird. In der europäischen Industrie dient sie zur Herstellung von Kerzen und Seife. Hierzu ist sie so geeignet als das Palmöl, vor dem sie noch den Vorzug hat, daß sie nicht gebleicht zu werden braucht.
In den deutschen Kolonien Togo und Kamerun kommt der Schibaum überall in den Steppen wild vor. Die Neger bauen ihn kaum an, weil die wilden Bestände ihrem Bedarf vollständig genügen. Weil der Baum vorzugsweise im Innern vorkommt und der Transport an die Küste durch Träger viel zu teuer ist, lohnt sich der Absatz an die europäischen Faktoreien in den meisten Fällen schlecht. Mit den besseren Transportmitteln und der stärkeren Nachfrage würde sich auch das Angebot an Schinüssen steigern. Auch würde der Anbau des Baumes den Eingeborenen keine Schwierigkeit machen, zumal er mit dem schlechtesten Boden vorlieb nimmt und sehr geringer Feuchtigkeit bedarf. Aus Togo werden etwa für 30000 Mark Schifrüchte jährlich ausgeführt. Obwohl die Schibutter den Vorzug hat, sich auch bei der Berührung mit Luft lange zu halten, ohne ranzig zu werden, so eignet sie sich weniger für den Handel als die reifen Früchte. Aus diesen gewinnen die Eingeborenen das Fett, indem sie die Samen nach Entfernung der Schale in Wasser kochen und dann zerstampfen. Das sich an der Oberfläche sammelnde Öl wird abgeschöpft und erkalten gelassen.
Ähnlich wie die Früchte des Schibutterbaumes werden diejenigen eines im westafrikanischen Urwald wachsenden, ansehnlichen, 30–40 m hohen, von den Duallas in Kamerun nyabi genannten Baumes, den wir auf beifolgender Tafel gefällt vorführen, verwendet. Derselbe besitzt eine dicke Borke ähnlich der Eiche, darunter eine Milchsaft führende Schicht, und ein außerordentlich hartes, rötliches Holz ähnlich dem Mahagoni, nur noch feinporiger, das gerne als Werkholz benutzt wird, obschon der bei der Bearbeitung desselben entwickelte Holzstaub die Schleimhäute stark reizt. Die apfelgroßen, grünen Beerenfrüchte ent[S. 406]halten drei kastanienartige, nur länglichere Samenkerne, die bei der Reife in einem schleimigbreiigen Fruchtfleische liegen. Bei der während der Regenzeit erfolgenden Reife sammeln die Neger die abgefallenen Früchte, kochen sie in Wasser weich, drücken sie nach dem Erkalten mit den Händen aus und sieden das so entstandene Mus dann nochmals, wonach sie das weiße, gänseschmalzartige Fett abschöpfen. Trotz seinem etwas eigentümlichen Beigeschmack wird es von den Eingeborenen so gerne wie Palmöl als Speise zu ihrer sonst fettarmen Pflanzenkost gegessen.
Als weiteren Fettspender besitzt das tropische Westafrika den Butterfruchtbaum (Pentadesma butyraceum). Es ist dies ein hoher Baum mit gegenständigen, großen, länglicheirunden Blättern, großen, roten, einzelstehenden Blüten, aus denen fleischige Früchte von der Größe kleiner Melonen hervorgehen. In ihnen liegen 4 cm lange und 3 cm dicke rote Samen, aus deren fleischigen Kotyledonen die Eingeborenen ein gelbes Fett gewinnen, das sie als Zusatz zu ihrem fufu genannten Brei aus stärkemehlhaltigen Knollen sehr lieben.
Fernerhin wachsen dort einige baumartige Sapotazeen mit gestielten, lederartigen Blättern und eirunden Früchten, die als Illipenüsse von den Negern gesammelt werden, um aus den ölreichen, fleischigen Kotyledonen ein ebenfalls geschätztes Speisefett zu gewinnen. Ebenso finden sich dort baumartige Euphorbiazeen mit großen, langgestielten Blättern und Steinfrüchten, die als Osangilenüsse aus dem Kamerungebiet in den Handel kommen. Aus diesen, die von den Deutschen als Kerzennüsse bezeichnet werden, gewinnt man gleichfalls durch Kochen der Samen mit fleischigen, ölreichen Samenlappen ein als Speisefett geschätztes Öl.
In den Küstenregionen des tropischen Westafrika, aber auch im Innern, wächst stellenweise in größeren Mengen der zu den Leguminosen gehörende Owalabaum (Pentaclethra macrophylla) mit gelblichweißen Blüten und 60–80 cm langen und 10 cm breiten Hülsen, deren verholzte Klappen sich bei der Reife oft plötzlich und mit großer Gewalt zurückrollen, so daß die 8–10 Samen mitunter weit fortgeschleudert werden. Letztere sind 8 cm lang, 5 cm breit und 1 cm dick. Sie haben eine glänzende holzige Samenschale, die sie befähigt, wenn sie von den an der Küste befindlichen Bäumen aus ins Meer fallen, unbeschadet der Keimkraft weite Reisen mit den Meeresströmungen zu machen. So hat man an der norwegischen Küste wiederholt solche und andere Hülsen tropischer Leguminosen angeschwemmt gefunden, die[S. 407] noch vollkommen entwicklungsfähig waren. Die dicken Kotyledonen sind sehr ölreich, enthalten außerdem über 30 Prozent Stickstoff, sind also stickstoffreicher als unsere Hülsenfrüchte. Das daraus gepreßte Öl eignet sich sehr gut für die Kerzen- und Seifenindustrie, und die Preßrückstände liefern ein vorzügliches Viehfutter. Die Eingeborenen benutzen sie als geschätztes Nahrungsmittel, das sie teils roh, teils gekocht, teils zu einem sehr nahrhaften Brot gebacken genießen.
Nicht minder beliebt ist das Dika-Brot, das besonders die Gabunneger gerne essen. Es wird durch Einwirkung eines milden Feuers aus den ebenfalls sehr ölreichen Samen des Dikabaumes (Irvingia gabunensis) hergestellt. Es ist dies ein bis 30 m hoher, breit ausladender Baum des tropischen Westafrika mit langen Zweigen, welche erst nach den Enden zu reichlicher verästelt sind und große lederartige Blätter tragen. Die Frucht ist eine grüne, eirunde, ziemlich große Steinfrucht mit saftigem Fruchtfleisch, in welchem die sehr eiweiß- und ölreichen Samen stecken.
Große ölreiche Samen haben auch die bis 30 m hohen Karapabäume (Carapa guianensis), die die Küsten des tropischen Westafrika, aber auch Guianas und der Karaiben bewohnen. Ihre Frucht ist eine 10 cm dicke, fünffächerige, kugelige, holzige, in jedem Fache 6–8 kantige, kastaniengroße, braune Samen enthaltende Kapsel, welche sich mit fünf Klappen öffnet. Die rundlichen Samen enthalten eine braune, holzige Schale, welche sie befähigt, durch die Meeresströmungen getrieben, unbeschadet der Keimkraft, weite Seereisen zu machen. In ihren fleischigen Kotyledonen enthalten sie zu 60 Prozent ein für die Industrie sehr wertvolles Öl, das Karapaöl, dessen große Bitterkeit indessen eine Verwendung desselben bei der Bereitung von Speisen ausschließt; doch ist es für die Seifenfabrikation sehr gut geeignet. Gleichfalls in Guiana, wie auf den Antillen und an der westafrikanischen Küste wächst Carapa procera, das ein ähnliches bitteres Öl liefert, das von den Negern hauptsächlich zu dem Zwecke gewonnen wird, um ihre Körper zum Schutze gegen Insekten damit einzuschmieren. Carapa moluccensis in Südasien dagegen liefert ein Öl, das in der Seifenfabrikation verwendet wird. In Indien und Ceylon betrachten die Eingeborenen dieses Öl als ein gutes Mittel gegen Rheumatismus. Wie das westafrikanische Karapaöl dient dasjenige der Samen eines eben dort heimischen rankenden Strauches Omphalea diandra, die bis zu 65 Prozent eines bernsteinfarbenen Öles enthalten, den Negern zu mannigfacher Verwendung.
Ein anderer Fettspender, der im tropischen Afrika weit verbreitet ist und namentlich im Gebiet des oberen Niger und in Sierra Leone seit längerer Zeit, in Togo dagegen erst neuerdings von den Eingeborenen gepflanzt wird, ist Polygala butyracea, ein Strauch von mehr als 1 m Höhe mit rutenförmigen, behaarten Stengeln und langen, schmalen, kurzbehaarten Blättern. Endständig entwickeln sich aus den Blütentrauben Kapselfrüchte mit länglichen Samen, die 18 Prozent eines bräunlichgelben, butterartigen Fettes enthalten, das einen angenehmen, nußartigen Geschmack besitzt und die Speisen, denen es zugesetzt wird, trefflich würzt.
Ostafrika besitzt einen Ölspender im Fettbaum (Allanblackia stuhlmanni), einem von den Eingeborenen mkani genannten, über 20 m hohen Baum mit lederartigen, glänzenden Blättern und 30 cm langen goldgelben Früchten, von denen eine einzige 0,5 kg Fett liefert. Da dasselbe sich für die Kerzen- und Seifenfabrikation wohl eignet, dürfte dieser Baum einige Bedeutung erlangen, sobald bessere Verbindungen mit dem Innern hergestellt sein werden.
Wichtiger noch ist für das tropische Ostafrika eine riesige Schlingpflanze, die sich an den Bäumen des Urwaldes emporrankt. Es ist dies der Kouëme oder Talerkürbis (Telfairia pedata). Er bringt 30–50 cm lange und 15–20 cm breite, gelbe, gurkenartige Früchte hervor, die unter einer faserigen Hülle eine erhebliche Zahl von in Längsreihen angeordneten, dunkelbraunen, fast talergroßen, runden, auf beiden Seiten abgeplatteten Samen bergen. Ihr Geschmack ist ein angenehmer, mandelartiger; deshalb bilden sie in ähnlicher Weise wie bei uns die Mandeln eine beliebte Speise, die roh, geröstet oder gekocht von den Negern gegessen wird. Aber sie enthalten nicht bloß 59 Prozent eines schmackhaften, leicht verdaulichen Fettes, sondern auch viel Eiweiß, bilden also ein wertvolles Nahrungsmittel, das einst in größeren Mengen ausgeführt werden wird, sobald die Eingeborenen sie häufiger pflanzen und die Samen regelmäßig auf den Markt bringen werden. Zur Zeit scheitert ihre Einführung in die europäische Industrie daran, daß es noch keine Maschine zum Schälen der Samen gibt; und wiederum können Schälmaschinen erst dann gebaut werden, wenn eine größere, dauernde Anfuhr nach Europa gesichert ist. Übrigens existiert auch in Togo eine verwandte Kürbisart mit ähnlichen Früchten.
Südasien besitzt einen trefflichen Fettspender in der der Mangostane verwandten Garcinia indica, einem Baum mit hängenden Zweigen, dunkelgrünen Blättern, apfelgroßen Früchten mit purpurrotem Frucht[S. 409]fleisch und nieren- oder halbmondförmigen Samen, aus denen man die Kokumbutter gewinnt, ein talgartiges, weißes, brüchiges Fett von schwachem, nicht unangenehmem Geruch, das bei 35°C. schmilzt, bei 24°C. erstarrt und zur Verfälschung der Schibutter, in England auch zur Bereitung von Pomade dient. Ferner im indischen Butterbaum (Illipe butyracea), einem etwa 16 m hohen Baum mit behaarten, verkehrt eiförmigen Blättern, hängenden, blaßgelben Blüten und länglichen Beerenfrüchten. Er ist im Himalaja heimisch und wächst in Ostindien auf Anhöhen. Seine Samen liefern die Fulwabutter, ein talgartiges, angenehm riechendes und schmeckendes, weißes Fett, das zur Herstellung von Seife, als Brennmaterial und auch zu medizinischen Zwecken verwendet wird. Vor allem aber wird es von den Eingeborenen als Speisefett geschätzt, das sich selbst im heißen Klima Indiens monatelang unverändert erhält. Deshalb wird es im Lande selbst völlig verbraucht, so daß es nicht im Handel erscheint. Auch die Preßkuchen dienen dem Menschen als Nahrung. Der Saft der Blüten wird auf Zucker verarbeitet.
Auch die Samen von Illipe malabrorum, dem Gallertbaum auf Malabar und Ceylon, liefern ein grünlichgelbes Speiseöl, das nicht leicht ranzig wird. Seine weißen, fleischigen Blüten und die gelblichen, dichtbehaarten, kugeligen Früchte werden gegessen. Der Mahdukabaum (Illipe latifolia) liefert in seinen Samen ein als Mahwabutter bezeichnetes Fett, das als Brenn- und Speiseöl, zur Herstellung von Seife usw. verwendet wird. Die Preßkuchen dienen zur Betäubung der Fische. Dieser Fettspender ist ein mäßig hoher Baum mit gelben, wohlriechenden Blüten und mit 5 cm langen, eiförmigen, braunen Früchten, der im gebirgigen Ostindien, besonders in Bengalen, wächst. Seine Blüten verwelken nicht nach der Befruchtung, werden vielmehr fleischig und speichern reichlich Zucker in den Blumenblättern auf, um erst nach dem Fruchtansatz abzufallen. Sie schmecken wie Rosinen, werden getrocknet und bilden eine wichtige Nahrung der Eingeborenen. Ein Baum liefert bis 150 kg der süßen Blüten. Sie sind um so mehr geschätzt, als sie mit großer Regelmäßigkeit auftreten und deshalb bei Mißernten eine wichtige Ersatzspeise bilden. Man verarbeitet sie auch auf Branntwein, der in Gudscherat und in Bengalen in großer Menge verbraucht wird, frisch den Europäern aber verderblich sein soll.
Den hier aufgezählten südasiatischen Fetten ähnlich ist in Südamerika das gelbliche, frisch nach Muskatnußbutter riechende, aber bald ranzig werdende Virolafett, das in der Kulturwelt zur Kerzen-[S. 410] und Seifenfabrikation dient. Unendlich viel wichtiger als Fettspender ist aber nicht nur für diesen Erdteil, sondern überhaupt die zur Familie der Leguminosen gehörende Erdnuß (Arachis hypogaea), deren Heimat Südamerika, und zwar speziell Brasilien ist, von wo sie sich noch vor dem Eintreffen der Weißen über das ganze tropische Amerika verbreitete, nach der Entdeckung des Erdteils durch Kolumbus bereits im 16. Jahrhundert nach Westafrika gelangte und sich bald über den Tropengürtel der Erde ausdehnte. Der Spanier Oviedo, der sich von 1513–1524 auf der Insel Kuba aufhielt, nennt sie zuerst in seiner Chronik von Indien (also Amerika) vom Jahre 1547. Er sagt von der Erdnuß, daß sie in den Gärten der Indianer gemein sei und von ihnen mani genannt werde, ein Name, den sie übrigens auch jetzt noch dort führt. Ausführlicher beschreibt sie der spanische Arzt Nikolaus Monardes (1493–1578) in seinem erst nach seinem Tode 1579 in Antwerpen gedruckten Werke über Indien. Er sagt darin, daß in Peru eine merkwürdige Frucht ohne Wurzel und Stengel in der Erde wachse gleich der Trüffel. Sie besitze mehrere Kerne, die, wenn die Früchte trocken seien, in ihnen klappern wie die Mandel in ihrem Gehäuse. Die Erdnuß bildet ein einjähriges, niedriges, sich am Boden ausbreitendes Kraut, das mit magerem, selbst sandigem Boden zufrieden ist, der aber durchaus einen bestimmten, wenn auch nicht sehr bedeutenden Kalkgehalt besitzen muß. Bei völligem Mangel an Kalk bringt nämlich die Erdnuß, wie eingehende Versuche unwiderlegbar bewiesen, ihre Früchte nicht zu voller und ausgiebiger Entwicklung.
Von dieser Nutzpflanze, die eine uralte Kulturform der in Brasilien nicht seltenen Arachis prostrata zu bilden scheint, unterscheidet man zwei Formen, welche aber nicht selten ineinander übergehen, nämlich eine niederliegende und weniger behaarte, die vorzugsweise in Afrika kultiviert wird, und eine aufrechte, etwas mehr behaarte, die vornehmlich in Asien gepflanzt wird. Nach diesen ihren Hauptkulturgebieten bezeichnet man sie auch als Arachis africana und A. asiatica.
Dieses in den größten Kulturformen bis 50 cm hoch werdende Kraut von ausgebreitetem Wuchs mit behaarten Stengeln und Blättern trägt eine Pfahlwurzel, welche an ihrem unteren Teile zahlreiche Nebenwurzeln entwickelt. Diese sind meist mit Bakteroidenknöllchen gespickt, jenen kleinen symbiontischen Laboratorien, in denen mit Hilfe der von der Pflanze herbeigelockten und in der Wurzel angesiedelten Stickstoffbakterien der sonst dem Gewächs unzugängliche Stickstoff der Luft zu salpeter- und salpetrigsauren Salzen gebunden wird. Auf diese Weise[S. 411] kann sich die Pflanze, wie die übrigen Leguminosen, die alle diese Lebensgemeinschaft mit bestimmten, mit dieser Fähigkeit der Stickstoffbindung ausgestatteten winzigen Bodenbakterien eingegangen sind, selbst in dem an gebundenem Stickstoff ärmsten Boden ansiedeln und darin vortrefflich gedeihen. Die Blätter sind abwechselnd gestellt und tragen nur zwei Paare länglicheiförmiger Fiederblättchen. Aus den Blattachseln entspringen kurze Ähren von 2–3 ziemlich großen, gelben Schmetterlingsblüten. Nach deren Verblühen infolge eingetretener Befruchtung streckt sich die bis dahin kaum entwickelte Blütenachse allmählich zu einem 5–20 cm langen, an seinem Ende den Fruchtknoten tragenden Stiel, wird, während er, so lange er die Blüte trug, positiv heliotropisch war, d. h. dem Sonnenlichte zustrebte, damit die die Befruchtung vollziehenden Insekten die Blüten leicht finden konnten, auf einmal negativ heliotropisch, d. h. flieht das Licht und bohrt sich mehr und mehr in die Erde ein, wo die Samen vor den Angriffen lüsterner Tiere geschützt heranreifen. Die Frucht ist eine mit einem Netz von stärkeren Längs- und schwächeren Querrippen bedeckte, ziemlich dickwandige Hülse, die 1–4, meist jedoch 2 bohnengroße, ölige, süße Samen mit dünner, spröder, weißlicher, rötlicher oder bräunlicher Schale umschließt. In ihnen fehlt zwar das Nährgewebe, doch ist der Nährstoffvorrat der jungen Pflanze in den dicken, fleischigen Kotyledonen aufgespeichert. Ihr großer Gehalt an Fett, Eiweißstoffen, Stärkemehl und Zucker (zusammen 80–85 Prozent des Gewichtes) verleiht den Samen einen sehr großen Nährwert, weshalb sie überall in den Tropen[S. 412] als Nahrungsmittel von den Eingeborenen sehr geschätzt werden. Sie werden von ihnen geröstet, gekocht oder gemahlen und gebacken gegessen.
Diese von allen Menschenstämmen heißer Landstriche fleißig kultivierte Nutzpflanze gedeiht als echte Tropenpflanze innerhalb des Tropengürtels weitaus am ergiebigsten, kann aber auch noch in den Subtropen gebaut werden. Sie gedeiht auch ohne große Feuchtigkeit auf sandigem Boden. Das Pflanzen findet kurz vor oder bei Beginn der Regenzeit statt und ist sehr einfach. Man macht nämlich in bestimmten Abständen kleine Löcher in den Boden und legt in jedes zwei Samen. Nach 10–12 Tagen erscheinen dann die jungen Keimlinge, die bald zu buschigen Pflanzen aufwachsen. Der Raum zwischen den jungen Erdnußpflänzchen muß in der Folge durch Jäten von Unkraut freigehalten werden. Bei der Ernte, die in der Regel am Ende der auf die Regenzeit folgenden Trockenperiode stattfindet, wenn sämtliche Blätter abgestorben sind, wird der Boden leicht mit der Hacke oder einem anderen Gerät gelockert und die mehr oder weniger vertrockneten Reste mit den anhängenden Früchten vorsichtig ausgehoben. Diese bleiben nun zum Trocknen 14 Tage am Boden liegen; dann erst werden sie abgepflückt und verwendet oder in entsprechender Verpackung nach Europa gesendet.
In neuerer Zeit werden die Erdnüsse, welche 38–55 Prozent eines dem Olivenöl ähnlichen und demselben fast gleichwertigen fetten Öles enthalten, zur Darstellung des Erdnußöles in großen Mengen auch nach Europa gebracht, und zwar meist nach Marseille, wenig nach Deutschland. Dort wird das Öl fabrikmäßig aus ihnen gewonnen. In erster Linie dient es zur Seifebereitung; daneben findet ein großer Teil als Speiseöl und bei der Schokoladefabrikation Verwendung, meist mit Olivenöl vermischt, dessen etwas herber Geschmack durch das milde Erdnußöl gemildert wird. Dieses gemischte Speiseöl kommt unter dem Namen Oliven- oder Tafelöl in den Handel. In der Regel werden die Erdnüsse dreimal ausgepreßt. Die erste Pressung liefert das feinste Tafelöl, die zweite Öl zur Seifenbereitung, die dritte Schmieröl. Die eiweiß- und stärkemehlreichen Rückstände werden zu sogenannten Erdnußkuchen geformt und in gleicher Weise wie die Kokosnuß-, Sesamkuchen usw. als außerordentlich nahrhaftes Viehfutter in der Landwirtschaft verwendet. Auch das Erdnußstroh wird vom Vieh sehr gern gefressen. Für die Menschen aber sind in den Hülsen geröstete Erdnüsse ein beliebter Leckerbissen, nach welchem besonders[S. 413] die Kinder sehr lüstern sind. Wie in Nordamerika, wo sie peanuts heißen, werden sie auch bei uns in zunehmendem Maße verzehrt. Außerdem finden sie, gemahlen und mit Zucker und Gewürzen versetzt, zur Herstellung von Biskuits und Suppen von sehr hohem Nährwert, die in ihrem Geschmack lebhaft an Bohnensuppe erinnern, vielfache Verwendung. Auch würden sie sich sehr zur Vermischung mit Schokolade eignen.
Seinen Bedarf an Erdnüssen deckt der europäische Großhandel zum weitaus größten Teil aus Westafrika, wo sie an der Küste vom Senegal bis zum Kunene überall in ziemlicher Menge angepflanzt werden. Und zwar liegt die gesamte Erdnußkultur bemerkenswerterweise in den Händen der Eingeborenen, ist also ein Erzeugnis freiwilliger und selbständiger Negerarbeit. Diese Leute sind also doch nicht ganz so faul, wie sie in der Regel von den Europäern gescholten werden. Schon im Jahre 1902 betrug die westafrikanische Ausfuhr an Erdnüssen 160 Millionen kg im Werte von 21,5 Millionen Mark. Daran beteiligt sich in erster Linie Senegambien, wo die französische Kolonialregierung diesem Erzeugnisse verstärkte Aufmerksamkeit zuwendet. In diesem Lande, das nach Dr. Westermann schon im Jahre 1837 670000 kg ausführte, betrug die Erdnußausfuhr im Jahre 1897 76 Millionen kg im Werte von etwa 15 Millionen Mark. Sierra Leone verschifft jährlich 30000 kg, Oberguinea etwa 10 Millionen kg (1840: 1200 kg). In Togo, Kamerun und Deutsch-Ostafrika, wo der Anbau der Erdnuß seit langem bekannt ist und ebenfalls ausschließlich von den Eingeborenen geübt wird, beträgt die Ausfuhr zusammen jetzt schon etwa 3 Millionen kg im Werte von etwa 400000 Mark. Sie wird aber mit den Jahren bedeutend steigen, da die Kultur dieser Nutzpflanze wegen der geringen Anbauschwierigkeiten und der großen Ergiebigkeit auch hier einen gewaltigen Aufschwung zu nehmen beginnt.
Eine weitere ölreiche Hülsenfrucht, die ihre Samen ebenfalls erst in der Erde reifen läßt, ist die Erderbse (Voandzia subterranea). Es ist dies ein im tropischen Afrika in umfangreichem Maße angebautes einjähriges Kraut, das außer einer Pfahlwurzel weithin auf dem Boden kriechende Verzweigungen des Stengels entwickelt. Es trägt kleeartige dreiteilige Blätter und kurzgestielte einzelne Blüten, die nach der Befruchtung sich dem Boden zuwenden und sich durch eine drehende Bewegung der Blütenachse, unterstützt von rückwärts gerichteten steifen Borsten, in denselben hineinbohren. Die in der Erde reifenden Früchte sind kurze Hülsen mit in der Regel nur einem Samen, der länglich-[S. 414]kugelig, dunkelbraun oder gelblich, größer als eine Erbse ist und reichlich Öl enthält. Besonders in Ostafrika, wo die Heimat der Pflanze zu suchen ist, werden die Früchte gerne gegessen, kommen aber nicht in nennenswerten Mengen zum Export.
Afrika ist auch das Ursprungsland der Rizinusstaude (Ricinus communis), die an mehreren Orten, wie im Ambolande, am Kilimandjaro, in Abessinien und Kordofan wildwachsend angetroffen wird und stellenweise größere Bestände bildet. Diese wegen ihrer schönen Erscheinung bei uns öfter in Gärten als Zierpflanze gezogene große, einjährige Staude wird in Europa nur 2–2,5 m hoch, während sie in ihrer Heimat bis 12 m Höhe erreicht. Ihre großen, handförmig gelappten Blätter dienen in Bengalen als Futter des großen Eria-Seidenspinners (Saturnia cynthia), der dort zur Gewinnung einer allerdings gelben Seide gezogen wird. Die 16 Varietäten, die es von ihr gibt, weisen auf eine uralte Kultur im Schwarzen Erdteil hin; und tatsächlich haben schon die ältesten Ägypter sie angepflanzt. Sie hieß bei ihnen dekam und der Same kiki. Die alten Griechen nannten aber die Pflanze selbst kiki und sagten, daß die Ägypter daraus ein Brennöl herstellen. Schon Herodot im 5. vorchristlichen Jahrhundert schreibt, daß die Ägypter den Wunderbaum (sillikýprion), den sie kiki nennen, anpflanzen. „Dieser trägt seine übelriechenden Früchte sehr reichlich. Sie werden gesammelt, zerstampft, gepreßt, oder geröstet und dann gekocht. So fließt das Öl aus, das ebenso gut wie Olivenöl in der Lampe brennt, aber stark rußt.“ Der 400 Jahre später lebende griechische Geograph Strabon sagt: „In Ägypten wird der kiki auf Feldern angebaut. Er liefert Öl, das fast überall den Bauern zum Brennen und ärmeren Leuten, sowohl Männern als Weibern, zum Salben dient.“ Und der griechische Arzt Dioskurides im 1. Jahrhundert n. Chr. meint, das Kikiöl tauge nicht als Speise, wohl aber als Brennöl und zum Herstellen von Pflastern.
Zur Gewinnung von Brennöl hat sich die Pflanze vom Niltal über Westasien nach Indien verbreitet. Bei den alten Juden hieß sie kikajon, wie wir aus der Stelle beim Propheten Jonas lesen, der unter Jerobeam II. von Israel, dem Sohn und Nachfolger des Joas (regierte von 790–749 v. Chr.), von Jahve den Auftrag erhielt, dem gottlosen Ninive den Untergang anzudrohen, wenn es sich nicht bessere. Und als sich die Bewohner tatsächlich zu Gott wandten und verschont blieben, ging Jonas verdrossen aus der Stadt hinaus, „setzte sich gegen Morgen der Stadt und machte sich daselbst eine Hütte; in deren Schatten setzte er sich, bis er sähe, was der Stadt widerfahren würde. Gott der Herr aber verschaffte ihm einen kikajon (von Luther fälschlich mit Kürbis übersetzt) — also eine Rizinusstaude —, der wuchs über Jonas, daß er Schatten gab über sein Haupt. Und Jonas freute sich[S. 416] sehr über den kikajon; aber der Herr sandte des Morgens, da die Morgenröte anbrach, einen Wurm, der stach den kikajon, daß er verdorrete.“
Heute wird die Rizinusstaude außer in Westafrika besonders in Süd- und Ostasien, wie auch in Amerika in großer Menge zur Ölgewinnung angebaut. Man sät sie meist als Zwischenfrucht zu Beginn der Regenzeit und schneidet am Ende der Trockenzeit die Rispen, kurz bevor sich die Fruchtkapseln öffnen, ab, um sie an der Sonne zu trocknen. Dabei öffnen sie sich von selbst und lassen die ziemlich großen, meist glänzendgrauen, mitunter auch schwarzen oder rotbraunen Samen herausfallen. Diese sind innen weiß, öligfleischig, talgweich, enthalten 52–55 Prozent des durch Pressung gewonnenen gelblichen, dickflüssigen Rizinus- oder Kastoröls, das bekanntlich ein mildes Abführmittel ist, aber gleichwohl von den Chinesen vielfach als Speiseöl benutzt wird. In Südasien wird es meist als Brennöl gebraucht, da es ein helles, weißes Licht gibt. Sonst wird es vielfach zur Herstellung von Kerzen und Seifen verwendet. Leider wird es an der Luft leicht ranzig, so daß in Europa die Samen eingeführt werden, aus denen hier erst das Öl gepreßt wird. Da aber die Rückstände das Ricin, ein äußerst heftiges, das Blut zur Gerinnung bringendes Gift enthalten, sind sie trotz ihres hohen Nährwertes als Viehfutter ungeeignet.
Noch viel schärfer reizend wirkt auf die Darmschleimhaut das Krotonöl, das aus den Früchten von Croton tiglium, einem nur 4 bis 6 m hohen, in Indien heimischen Baum aus der Familie der Wolfsmilchgewächse gewonnen wird. In seiner Heimat wird er als Schattenspender für Kaffee-, Kakao-, Vanille- und Kardamompflanzen oder zur Bildung von Hecken, die von allen Tieren streng gemieden werden, angebaut. Von dem zähflüssigen gelben Öl genügt ein Tropfen zur ausgiebigen Darmentleerung und, ebensoviel auf die Haut gebracht, bewirkt Blasen. Ebenfalls, wenn auch schwächer abführend, ist das tiefgelbe, zähflüssige Purgiernußöl, das von den Samen der im nördlichen Südamerika heimischen Jatropha curcas stammt. Als Heckenpflanze oder Stützpflanze für Vanille und Pfeffer wird der Strauch jetzt in fast allen, tropischen Ländern gezüchtet, am ausgedehntesten wohl auf den Kapverdischen Inseln, die jährlich bis 5 Millionen kg Samen nach Europa ausführen, um hier das Öl zu pressen, das ein vorzügliches Brennöl ist und auch als Schmieröl und in der Seifenfabrikation befriedigt.
Ein Öl, das zunehmende Bedeutung in der Industrie erlangt hat[S. 417] und von dem Deutschland jährlich, zumeist aus Amerika, für 25 bis 30 Millionen Mark einführt, ist das Baumwollsamenöl, das in China und in Mittelasien schon seit Jahrhunderten in sehr primitiven Mühlen gewonnen wird. Aus ägyptischem Baumwollsamen gepreßtes Öl wurde zuerst 1852 versuchsweise auf den europäischen Markt gebracht. Bis man auf diese neue Verwendungsmöglichkeit aufmerksam wurde, bildeten die Samen der Baumwollarten bei der Gewinnung des Spinnstoffes ein Nebenprodukt, das lange Zeit als lästiger, wertloser Abfall angesehen und als solcher verbrannt oder in den nächsten Fluß geschüttet wurde. So hat der Mississippi Millionen Zentner davon in den Atlantischen Ozean getragen. Heute ist dieses lästige Abfallsprodukt ein so wertvoller Rohstoff geworden, daß die Samenernte und das daraus gewonnene Öl noch lukrativer sind als die Baumwollernte selbst. Von einem 1 Hektar großen Baumwollfeld kann man etwa 1000 kg Samen ernten, und da diese 20–25 Prozent fettes Öl enthalten, so ist deren Ausbeute sehr beträchtlich. Die Baumwollsamen werden in Ölmühlen gemahlen und das daraus gewonnene Öl dient hauptsächlich zur Herstellung von Kunstbutter und Seife. Es ist dickflüssig, trübe, von brauner bis schwarzbrauner Farbe, gereinigt dagegen hellgelb und von angenehmem nußartigem Geschmack. Es findet namentlich in Nordamerika als Speiseöl, aber auch zur Verfälschung anderer wertvoller Speiseöle Verwendung. Das in den Vereinigten Staaten unter dem Namen Olivenöl verkaufte Tafelöl besteht zu 90 Prozent aus Baumwollsamenöl. Die Preßrückstände, die man heute schalen- und haarefrei herzustellen vermag, bilden ein sehr wertvolles Kraftfutter für das Vieh.
Im Gegensatz zu den anfänglich besprochenen Fettstoffen, die nicht trocknende Öle darstellen, sind die beiden letztgenannten, das Rizinus- und Baumwollsamenöl, trocknende Öle, welche infolge des Besitzes von Olëinsäure an der Luft zu einem durchsichtigen, harzartigen Körper eintrocknen. Zu solchen gehören ferner das Lein-, Leindotter-, Mohn-, Hanf-, Raps-, Rübsen-, Sonnenblumensamen-, Haselnuß-, Walnuß-, Kürbissamenöl u. a. m.
Die älteste in Europa nachweisbare, Fett liefernde Kulturpflanze ist der Lein oder Flachs, den schon die neolithischen Pfahlbauern nicht bloß zur Gewinnung eines Faserstoffes, sondern vor allem auch zum Verspeisen der ölreichen Samen anpflanzten, wie sie dies gleicherweise mit dem Mohn taten, dessen Samen sich ebenfalls in ihrer Hinterlassenschaft im moorigen Schlamm der seither größtenteils verlandeten[S. 418] Seen an den Stellen vorfand, die einst Pfahlbauansiedelungen trugen. Er wurde teils allein, teils mit anderen Körnerfrüchten zusammen in Form von Brei oder Fladen verspeist. So fand man in der Hinterlassenschaft des neolithischen Pfahlbaues von Robenhausen im Kanton Zürich eine Art Flachskuchen in Form einer aus Flachssamen zusammengesetzten dünnen Scheibe, außerdem Reste eines Hirsebrotes, dem einzelne Weizenkörner und Flachssamen beigemengt sind. Heute noch wird in Indien der Lein nur seiner ölreichen Samen wegen angebaut, während seine Fasern keine Verwendung finden; auch in Abessinien dient der Lein ausschließlich als Speisepflanze. Noch im Altertum aßen die Mittelmeervölker seine Samen regelmäßig; deshalb finden wir sie unter den Totenspeisen der Ägypter aus dem alten und mittleren Reiche, also bis zur Mitte des vorletzten christlichen Jahrtausends. Ebenso finden wir sie bei den alten Griechen zeitig als beliebte Speise neben den Mohn- und Sesamkörnern; und zwar wurden sie mit Vorliebe als Beimischung zu Hirsebrot verwandt oder für sich als Brei, oftmals mit Honig vermengt, genossen. Urkundlich erwähnt sie zuerst in solcher Zubereitung im 7. vorchristlichen Jahrhundert der Dichter Alkman aus der Stadt Sardes in Kleinasien, der von süßen Kuchen, aus Mohn-, Lein- und Sesamsamen spricht. Der griechische Geschichtschreiber Thukydides berichtet, daß in dem 431–404 v. Chr. zwischen der dorisch-spartanischen und der ionisch-attischen Bundesgenossenschaft geführten sogenannten peloponnesischen Kriege, der die Macht Athens brach, gleichzeitig aber ganz Griechenland schwächte, Taucher der von den Athenern belagerten Inselstadt Sphakteria unter dem Wasser in Schläuchen Mohnsaat in Honig und zerstoßene Leinsaat als willkommene Speise zuführten. Auch in dem nördlich vom Po gelegenen Oberitalien gab es nach Plinius um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. bei den dort wohnenden keltischen Stämmen eine sehr süße ländliche Speise aus Leinsaat, die aber damals nur noch bei Opfern Verwendung fand, von den Lebenden aber nicht mehr gegessen wurde.
Während heute die meisten Länder den Lein als Gespinstpflanze bauen, wird er außer in Indien und Abessinien nur noch in Ägypten und Rußland vornehmlich der ölhaltigen Samen wegen kultiviert. Nur die guten, ausgereiften Samen dienen in diesen Ländern zur Aussaat; die minder guten oder unreifen dagegen werden zur Gewinnung eines als pflanzliches Speisefett sehr geschätzten Öles benutzt, mit dem man in jenen Gegenden wie auch manchenorts in Europa, z. B. in Böhmen, Schlesien, Thüringen und wohl auch Brandenburg, das landes[S. 419]übliche Gebäck schmälzt. Die Fruchtkapseln der Leinpflanzen enthalten je zehn eiförmige, glatte, bräunliche Samen, die 31–35 Prozent eines aus indischen Produkten hellgelben, aus nördlicheren dagegen bräunlichgelben Öles bergen, das durch kaltes Pressen in feinerer Qualität als Speiseöl, durch warmes Pressen dagegen in geringerer Qualität als Industrieöl gewonnen wird. Doch müssen die Samen vorher 2 bis 6 Monate lagern, da das Öl sonst trübe und schleimig wird. Das meist goldgelbe, dickflüssige, etwas scharf, aber sonst angenehm schmeckende und riechende Öl wird an der Luft durch Sauerstoffaufnahme leicht ranzig, heller und trocknet ein. Bis auf 290°C. erhitzt, wird es zäher, trocknet leichter ein und liefert den Firnis, der als schützender Überzug auf Holz und Eisen gebraucht wird. Ganz besonders wird er mit Mennige verrieben zum konservierenden Anstrich aller Eisenkonstruktionen an Brücken, Häusern, Einhegungen usw. verwendet, da er mit jener eine äußerst fest haftende, lange vor Rost schützende Vereinigung eingeht. Auf diesen ersten Überzug wird dann in der Regel graue Ölfarbe aufgetragen. Auf höhere Temperatur gebracht wird es noch konsistenter und als Buchdruckerfirnis brauchbar. Auch zu wasserdichten Stoffen, besonders zu Linoleum, wird es verwendet. Mit Schwefel zusammengeschmolzen, liefert es eine plastische, erhärtende, aber brüchige Masse, die zur Verfälschung und als sehr schlechter Ersatz für Kautschuk auf den Markt gelangt. Die frischen Leinsamen werden bekanntlich in der Apotheke geführt, weil sie in Wasser gekocht, wie die Quittensamen und andere, große Mengen Schleim aus der obersten Samenschale abgeben, welcher zu Umschlägen und als Breikissen gebraucht wird. Die nach dem Pressen zurückbleibenden Reste endlich bilden als Lein- oder Ölkuchen ein vorzügliches Viehfutter.
Bis zum Mittelalter hat man die Samen dieser Ölpflanze zerquetscht und gegessen. Erst nach der Zeit der Kreuzzüge begann man das Öl als solches zu gewinnen und zu verwenden. Vorher hatte man in Deutschland alles zu ritualen und Speisezwecken verwendete Öl für Kirchen und Klöster in Form von Olivenöl aus dem Süden, aus den romanischen Ländern als vielbegehrten Handelsartikel eingeführt. Dieser Import hörte dann auf, und da das einheimische Öl billig zu stehen kam, fand es bald ausgedehnte Verwendung. Dabei wurde seit dem 13. Jahrhundert neben dem Leinsamen auch der 51–55 Prozent Öl enthaltende Mohnsamen als Fettspender gezogen, um aus letzterem das mâgöl zu gewinnen. Denn mâgo oder mâg hieß althochdeutsch der Gartenmohn, den schon Karl der Große[S. 420] in den Verordnungen für seine Landgüter anzupflanzen befahl. Auch der fränkische Mönch Walahfried Strabo empfahl um die Mitte des 9. Jahrhunderts dessen Anbau in einem uns erhaltenen lateinischen Gedicht, weil den Körnern schlafbringende Kraft innewohne. Zur Gewinnung der ölreichen Samen haben schon die neolithischen Pfahlbauern eine der Stammpflanze des Gartenmohns sehr nahe stehende Mohnart in ziemlicher Menge angebaut. Dies beweist uns die große Menge von Mohnkörnern, die sich in manchen ihrer einstigen Niederlassungen vorfanden. So kam in Robenhausen, wo wir selbst schon vor 20 Jahren Ausgrabungen beiwohnten, außer zahlreichen vereinzelten Sämchen ein Mohnkopf und ein ganzer Kuchen aus verkohlten Mohnsamen zum Vorschein, der aus Tausenden kleiner, zu einer Masse zusammengebackener Sämchen besteht. Es scheinen also schon damals die Samen in Form von Mohnkuchen gegessen worden zu sein. Aber ein Öl daraus zu pressen, verstand man damals wie noch lange später nicht. Erst nach den Kreuzzügen kam solches in Mitteleuropa auf, und im späteren Mittelalter trat dann die Erzeugung von Öl aus Mohnsamen so sehr in den Vordergrund, daß man die Pflanze selbst mâgöl nannte.
Heute ist in den weiten Gebieten, in denen Opium gewonnen wird, der Mohnsamen ein wichtiges Nebenprodukt, und zwar gibt der weiße Mohnsamen feineres Öl, während der blauschwarze einen reicheren Ertrag daran liefert. Man gewinnt aus ihnen 60–80 Prozent eines dünnflüssigen, klaren Öles. Und zwar finden auch hier zwei Pressungen statt. Das erstemal wird der Samen kalt gepreßt. Dadurch gewinnt man ein blaßgelbes Öl von angenehmem Geschmack und Geruch, das den großen Vorteil hat, schwer ranzig zu werden; deshalb findet es vorzugsweise als Speiseöl Verwendung. Bei der zweiten warmen Pressung erhält man das dunkelgefärbte sogenannte rote Mohnöl, das unangenehm nach Leim riecht und einen kratzenden Geschmack besitzt, weshalb man es nur industriell verwendet. Besonders dient es zur Seifenfabrikation, aber auch zur Herstellung von Firnis und Malerfarben, da es ebenfalls an der Luft mit der Zeit eintrocknet. Zur Bereitung feiner Ölfarben benutzt man lieber das Öl der 40 bis 70 Prozent davon enthaltenden Walnußkerne, das ohne rissig zu werden trocknet. Auch als Speiseöl ist letzteres vortrefflich und fand früher auch als Brennöl Verwendung, da es ein schönes, helles Licht liefert. In derselben Weise werden bisweilen auch die 60 Prozent Fett enthaltenden Haselnüsse zur Ölgewinnung gepreßt. Soweit der[S. 421] Haschisch im Orient als betäubendes Genußmittel Verwendung fand, verzehrte man auch die 31–33 Prozent Öl enthaltenden Samen des ihn liefernden Hanfes als willkommene pflanzliche Fettspeise. Erst sehr viel später fanden die zähen Fasern der Stengel dieser Pflanze zu allerlei Gespinsten Verwendung, zu welchem Zwecke ausschließlich der mittelasiatische Hanf aus dem Morgenlande in Europa eingeführt wurde. Zuerst bauten ihn hier nach dem Berichte des griechischen Geschichtschreibers Herodot die Skythen, aber noch nicht zur Verwendung des Faserstoffs, wie ausdrücklich bemerkt wird, sondern als Genußmittel an, um sich durch Verbrennen der Hanfsamen auf im Feuer heiß gemachten Steinen in niederen, allseitig geschlossenen Zelten aus Wollfilzdecken mit einem tragenden Gerüst aus Holzstangen zu betäuben. Die ölreichen Samen jedoch werden sie kaum gegessen haben, da sie wohl aus der Milch ihrer Herdentiere Butter gewannen, die sie zur Schmälzung ihrer Mehlgerichte verwendeten.
Viel wichtigere Ölpflanzen sind bei uns Raps und Rübsen, die heute fast in ganz Europa, besonders aber in Frankreich und Belgien viel angepflanzt werden. Sie treten uns geschichtlich erst spät, und zwar zuerst um Erfurt herum angebaut, entgegen, breiteten sich dann aber auch am weitesten aus, da sie sich vorzüglich zum Brennen am Docht eigneten. Aus diesem Grunde hielt man sie in der Vorzeit, bevor das Petroleum als Beleuchtungsmittel aufkam, in hohen Ehren. Das Rapsöl ist dickflüssiger als das olivenbraune Rüböl. Heute dienen sie weniger als Brenn-, denn als Schmieröle, werden aber auch der Kunstbutter zugesetzt, um sie salbenförmig, streichfähig zu machen. Bei dem ungeheuren Bedarf der Seifen- und Schmierölindustrie genügen aber die europäischen Kulturen nicht, vielmehr werden aus Ostindien große Mengen davon importiert. Der Raps ist eine gelbe Kohlrübe, auch Erdrübe genannt, die, weil man sie in Blüten schießen läßt, nur eine dünne und holzige Pfahlwurzel hat; der Rübsen ist die dem Raps entsprechende Form der weißen Rübe. Beide werden in zwei Formen gezogen, als im Herbste gesäte und im folgenden Sommer zur Reife gelangende Winterform und eine andere, im Frühjahr gesäte, die noch in demselben Jahre ihren Vegetationszyklus vollendet. Dabei ist die Winterform ölreicher als die Sommerform. So enthält der Sommerraps 35 Prozent, der Sommerrübsen 34 Prozent Öl, während der Winterraps 37–39 Prozent und der Winterrübsen 35–38 Prozent desselben aufweist. Die Kultur dieser Fettspender ist in vorgeschichtlicher Zeit von um die Nord- und Ostsee wohnenden[S. 422] Völkern vorgenommen worden und hat sich im vorletzten vorgeschichtlichen Jahrtausend nach Westasien und im letzten vorgeschichtlichen nach Ostasien verbreitet.
Ein anderer als Fettspender wichtiger Kreuzblütler ist der Flachs- oder Leindotter (Camelina sativa), eine 0,3–1 m hohe einjährige Pflanze mit kleinen, gelben Blüten und länglichen, dottergelben, sehr kleinen Samen, die 27–31 Prozent Fett enthalten. Diese im gemäßigten Europa wie in Nordasien heimische Pflanze wird besonders in Belgien, in den Niederlanden und in Süddeutschland als Ölpflanze angebaut. Sie ist in ihrem Ertrage sicherer als der Sommerraps und der Sommerrübsen und wird gern angebaut, wenn der Winterraps infolge zu intensiver Kälte zugrunde ging. Dagegen saugt sie den Boden stärker aus und ist weniger einträglich als jener. Das hellgelbe, fast geruch- und geschmacklose aus den Samen gewonnene Öl dient als Speiseöl und zur Seifenfabrikation; nur wird es leicht ranzig.
Die weißen, grauen, gelben bis schwarzen Samen der aus Mexiko stammenden Sonnenblume enthalten etwa 32 Prozent klares, blaßgelbes, geruchloses, angenehm schmeckendes Öl, das sich gut als Speiseöl verwenden läßt, meist jedoch der Seifen- und Firnisfabrikation dient. Als die Europäer in das atlantische Gebiet Nordamerikas gelangten, fanden sie außer Mais, das als Hauptnährfrucht diente, Bohnen, Kürbis, Tabak auch Sonnenblumen von den Indianern angepflanzt, deren Samen man röstete und zu Mehl zerrieb. Bald nach der Entdeckung Amerikas gelangte die Sonnenblume nach Europa und verbreitete sich allmählich bis Südasien. Heute stammt das meiste in den Handel gelangende Sonnenblumensamenöl aus Ungarn, Italien, dem südlichen Rußland und Indien.
Selbst die Bucheckern, die 15–28 Prozent Fett enthaltenden Früchte der Rotbuche, werden in Thüringen, Hannover, am Rhein und in Frankreich gepreßt und das hellgelbe, klare, mild schmeckende, fast geruchlose Bucheckernöl daraus gewonnen. Kalt gepreßt liefert es ein gutes Speiseöl und dient zur Fälschung des Mandelöls; heiß gepreßt dagegen ist es bräunlich, dient als Brennöl und zur Seifenbereitung, wobei es weiche, gelbliche, später grünlich werdende Seifen liefert. Die Preßrückstände können nur an Schweine und Wiederkäuer, nicht aber an Pferde verfüttert werden, da sie das giftige Cholin enthalten, gegen das die ersteren unempfindlich sind, das aber Pferden schädlich wird.
Reiche Buchensamenjahre, wie sie alle 8–10 Jahre vorkommen,[S. 423] liefern unendliche Massen dieser köstlichen, billigsten Ölfrucht, die man meist nutzlos im Walde verfaulen läßt, statt sie auszunützen. Am ausgiebigsten sammelt man die Bucheckern durch Anschlagen stärkerer Äste mit einem hölzernen Hammer, wobei die herabfallenden Früchte in untergelegte Tücher aufgefangen werden. Die Herstellungskosten für einen Liter Bucheckernöl, das als Back- und Salatöl meist allen anderen Schmälzmitteln vorgezogen wird, stellen sich insgesamt auf höchstens 40 Pfennige. Die Aufbewahrung desselben geschieht am besten in großen, gut verschlossenen Steinkrügen; auch empfiehlt es sich, dasselbe nach Verlauf eines halben Jahres nochmals abzudampfen. Derart behandelt hält es sich wenigstens drei Jahre lang ohne zu verderben.
Die Früchte des zum Färben dienenden Saflors (Carthamus tinctorius), die 20 bis 30 Prozent eines sich besonders als Brennöl eignenden Öles enthalten, und die der Nigersaat (Guizotia abessinica), einer Pflanze des tropischen Afrika, die 40–50 Prozent enthalten, werden ebenfalls auf fettes Öl verarbeitet. Das Nigersaatöl erinnert durch den Geschmack an Nußöl und findet besonders in Ostindien, wo man den Wert dieses Öles schon lange schätzen gelernt hat, bei der Zubereitung von Speisen vielfach Verwendung. Die Nigersaat gedeiht sehr leicht auf jedem Boden und liefert schon vier Monate nach der Aussaat reife Samen. Die Pflanze ist eine bis 1,5 m hohe, an ihren oberen Teilen rauhhaarige, unten dagegen fast kahle Komposite mit gegenständigen, schmalen, gezähnten Blättern und gelben Blüten, die nach der Befruchtung durch Insekten etwa 5 mm lange und 3 mm breite, glänzendschwarze Samen liefern. Da sie sehr eiweißreich sind, geben die Preßrückstände ein außerordentlich nahrhaftes und deshalb gesuchtes Futter. In ihrer Heimat, dem tropischen Afrika, hat dieser wichtige Fettspender nicht die verdiente Kultur gefunden. Nur in Abessinien baut man ihn in umfangreicherem Maße an. Besonders hat aber Ostindien den Wert dieser Ölpflanze erkannt und kultiviert sie in Menge. Neuerdings sollte ihr in Ostafrika, wo sie heimisch ist, vermehrte Aufmerksamkeit geschenkt werden, da sie in ihren Samen einen wertvollen, viel nach Europa eingeführten Handelsartikel bildet.
Aus den Samen von Bactris minor wird auf Trinidad und Jamaika ein gelbliches Fett mit Veilchenaroma und süßem Geschmack, die Macajabutter, gewonnen und allgemein als Speisefett verwendet. Sehr ergiebig sind die Samen von Litsea sebifera, deren Fett der Kerzenfabrikation dient. Die Früchte eines einzigen Baumes geben[S. 424] genügend Material zur Herstellung von 500 Kerzen. Das Rettichöl wird in China wie das Sesamöl zur Bereitung der schwarzen Tusche zum Schreiben verwendet; das Senföl dagegen, das zu 22–29 Prozent in den Senfsamen enthalten ist, dient in Indien als ausgezeichnetes Brennöl. Heute wird der Senf in Indien nicht mehr als Gewürzpflanze, sondern fast nur noch zur Gewinnung dieses Öls kultiviert.
Ein sehr feines, geruch- und farbloses, süßliches Öl ist dasjenige von Moringa oleifera, das Behenöl, das für die Parfümerie und Uhrenmacherei sehr geschätzt wird. Ebenfalls für die Kosmetik von Bedeutung ist das Mandelöl, zu dessen Bereitung man süße und bittere Mandeln mischt; doch enthalten die bitteren Mandeln weniger Öl, nämlich nur 43–48 Prozent, als die süßen, die 50–55 Prozent davon aufweisen. Da sie aber außerdem über 24 Prozent Eiweißkörper besitzen, so liefern die nach der Pressung zurückbleibenden Preßkuchen ein sehr gutes Viehfutter. Das Mandelöl ist hellgelb, geruchlos, angenehm schmeckend, dünnflüssiger als Olivenöl, wird aber leicht ranzig. Es kommt mit Mohn-, Nuß-, Pfirsichkern- und Aprikosenkernöl verfälscht in den Handel. Letztere beiden Öle werden auch an und für sich von Südfrankreich aus als „süßes Mandelöl“ verkauft. Echtes Mandelöl, das in der Parfümerie und zur Fabrikation der sehr festen Mandelseife verwendet wird, stammt fast nur aus England.
In den bitteren Mandeln ist das Mandelöl an das Amygdalin gebunden, einen Körper, der ihnen den bitteren Geschmack verleiht. Außerdem ist darin ein Ferment, Emulsin genannt, enthalten, welches beim Verreiben der bitteren Mandeln mit Wasser das Amygdalin in Traubenzucker, Bittermandelöl und Blausäure spaltet. Da nun etwa 0,8 Prozent der Verbindung Bittermandelöl-Blausäure in den bitteren Mandeln enthalten ist, so ist es begreiflich, daß bittere Mandeln eine giftige Wirkung äußern. Ein Dutzend derselben kann bei Erwachsenen schon schwere Vergiftungen hervorrufen. Das Bittermandelöl wird in der Likörfabrikation und Medizin, am häufigsten aber zum Parfümieren billiger Seifen, z. B. der Kokosnußseifen, verwendet. Allerdings hat hier der Mensch tätig eingegriffen und es der Natur gleichgetan, indem er im synthetisch aus Benzol und Salpetersäure hergestellten Nitrobenzol, auch Mirbanöl genannt, einen vollständigen Ersatz für das Bittermandelöl als Parfümeriemittel schuf. Deshalb ist letzteres in der gewerblichen Verwendung fast völlig durch das künstliche Produkt[S. 425] verdrängt worden. Aus den süßen Mandeln dagegen wird die für kosmetische Zwecke geschätzte Mandelkleie hergestellt.
Ebenfalls in der Parfümerie, Pharmazie und Seifenfabrikation viel verwendet wird die aus den Kakaobohnen gewonnene Kakaobutter, die zu 52 Prozent in diesen enthalten ist. Sie wird in der Weise aus ihnen ausgezogen, daß die gerösteten und geschälten Bohnen auf etwa 80°C. erwärmt, in Zwilchsäcke gepackt und das Öl dann zwischen warmen Preßplatten ausgequetscht und hernach filtriert wird. Es ist weißlich, von mildem, angenehmem Geschmack und Geruch nach Kakao und wird schwer ranzig. In gleicher Weise wird das Fett der Muskatnüsse, die Muskatbutter, aus den zurückgestellten, kleinen, schadhaften, feingemahlenen Nüssen durch Auspressen in erwärmtem Zustande gewonnen. Die talgartige, rötlichbraune Masse wird dann in Metallgefäßen erstarren gelassen und kommt in kleinen Würfeln in den Handel. Sie riecht angenehm nach Muskatnuß und dient besonders der Parfümfabrikation.
Zur Kerzenfabrikation dient der chinesische Talg, das weiße bis grünliche Fett der Samen des chinesischen Talgbaumes (Sapium sebiferum), von welchem diese ganz umhüllt sind. Dieser Baum ist eine kahle, in China und Japan heimische Euphorbiazee, die in diesen Ländern seit alter Zeit kultiviert wird. Er wurde aber auch nach Ostindien und allen wärmeren Ländern beider Erdhälften verpflanzt und gedeiht meist sehr gut. Die in den Monaten November und Dezember gesammelten Samen werden in große, mit Löchern versehene Holzzylinder gebracht und mit heißem Wasserdampf behandelt, wobei der Talg abfließt, um nach dem Erstarren noch einmal geschmolzen und filtriert zu werden. Er bildet erstarrt mattweiße, brüchige Stücke, die in mächtigen Platten von 40–50 kg Gewicht in den Handel gelangen und vornehmlich in der Kerzenfabrikation Verwendung finden. Die zurückgebliebenen Samen, deren Nährgewebe sehr ölreich ist, werden in Steinmörsern zerstampft, mit Wasser erhitzt und gepreßt, wobei ein von den Chinesen fing-yu genanntes flüssiges Fett erhalten wird, das man zur Firnisfabrikation und als Brennöl benützt.
Diesem chinesischen Talg ähnlich ist der in Ostindien durch Auskochen der gerösteten und gemahlenen Samen der Vateria indica gewonnene Vateriatalg, der zuerst gelblich, später aber farblos ist, ganz angenehm schmeckt und riecht und in England zur Kerzenfabrikation dient.
Sehr verbreitet ist im Pflanzenreich die Ausscheidung eines Über[S. 426]zuges von Wachs an Organen, besonders Blättern, bei denen die Verdunstung herabgesetzt werden soll. Auch an Früchten ist gelegentlich dieser Wachsüberzug zu finden, man denke nur an den leichten Wachsüberzug unserer Pflaumen und Zwetschen, der sie wie bereift erscheinen läßt. Allerdings ist in der Regel die Wachsausscheidung eine viel zu geringe, als daß sie sich ausbeuten und technisch verwerten ließe. Nur ganz ausnahmsweise ist dies der Fall, so bei der in Nordamerika heimischen Wachsgagel (Myrica cerifera). Es ist dies eine unserer, auf den norddeutschen Heiden weit verbreiteten, stark riechenden Gagel (Myrica gale) verwandte Art, deren erbsengroße, braune Früchte von einer schneeweißen Wachskruste bedeckt sind. Kocht man die Beeren in Wasser, so sinken sie unter und das Wachs sammelt sich an der Oberfläche der Flüssigkeit als fettige Masse an, wird abgeschöpft und in flachen Schüsseln erkalten gelassen. Ein Strauch gibt 10–15 kg Beeren mit etwa 25 Prozent dieses als Myrica- oder Myrtenwachs bezeichneten vegetabilischen Wachses. Es ist härter als Bienenwachs, geschmacklos, von schwachem Balsamgeruch und wurde von den Indianern in Menge verzehrt. Jetzt dient dieses Myrtlewachs, wie es die Amerikaner nennen, zur Anfertigung von Kerzen, die nach dem Auslöschen einen angenehmen Geruch verbreiten. Diesem ähnlich ist das von Myrica carolinensis in Nordamerika, von Myrica carcassana in Neugranada und Myrica quercifolia, M. cordifolia und M. laciniata am Kap der Guten Hoffnung durch ebenfalls Auskochen mit Wasser gewonnene grünliche, sehr schwach balsamisch riechende vegetabilische Wachs, das wie Bienenwachs benutzt und mit diesem vermengt verwendet wird.
Auf dieselbe Art wird in China und Japan das sogenannte Japanwachs aus den Beeren des von Japan längs der Ostküste Asiens bis in den Himalaja verbreiteten Wachs-Sumachs (Rhus succedanea) gewonnen und ebenfalls meist zu Kerzen verarbeitet. Auch die Beeren von Rhus vernicifera und silvestris werden in gleicher Weise durch Auskochen und Pressen zur Gewinnung von Wachs verarbeitet. Dieses ist blaßgelb, nach längerem Liegen außen dunkelgelb bis bräunlich mit schneeweißem Anflug. Es ist das für den Handel weitaus wichtigste Pflanzenwachs, das seit dem Jahre 1854 in großen Mengen in Form zentnerschwerer Blöcke oder Scheiben nach Europa und Amerika gelangt. Von ihm werden in London allein jährlich mehr als 200000 kg umgesetzt. Es hat die Eigentümlichkeit, beim Einschmelzen bis 30 Prozent Wasser aufzunehmen, es wird daher auch[S. 427] oft mit Wasser verfälscht. In Japan wird es als Ersatz für tierischen Talg und Bienenwachs, auch zum Aufpolieren von gedrechselten Gegenständen aus Holz, bei uns dagegen hauptsächlich für Wachsstreichhölzchen und Wachskerzen, überhaupt als Zusatz zu Bienenwachs verwendet; es ist nämlich nur halb so teuer wie dieses. Ein naher Verwandter des Wachs-Sumachs ist übrigens der giftige Firnis-Sumach (Rhus vernicifera), ein hoher Baum, aus dessen Stamm durch Einschnitte der Firnis gewonnen wird, mit Hilfe dessen die Japaner ihren so vortrefflichen, unverwüstlichen Lack herstellen, der in einem späteren Abschnitte eingehender besprochen werden soll.
Außerordentlich reich an einem wachsartigen Harz sind manche Balanophoren, fleischige Wurzelschmarotzer der Tropen von staudenartiger Tracht, die, weil sie des Blattgrüns und größerer Blätter völlig entbehren, eher an Pilze als an hoch organisierte Gewächse erinnern. Die getrockneten Pflanzen brennen angezündet mit leuchtender Flamme, deshalb werden sie beispielsweise in Südamerika als siejas auf den Märkten verkauft und an kirchlichen Feiertagen wie Kerzen verbrannt. Auf Java zerstößt man solche frische Balanophoren zu Brei und bestreicht mit dieser Paste dünne Bambusstäbchen, welche als Taschenkerzchen dienen.
Technisch wichtiger ist das Wachs der Wachspalme (Ceroxylon andicola), die auf den Anden Südamerikas in den Staaten Columbien, Ekuador und Neugranada in 2000–3000 m Höhe wächst. Sie besitzt einen bis 75 m hohen, geringelten Stamm von mehr als 30 cm Durchmesser, der in der halben Höhe anschwillt und von unten bis oben von einer etwa 6 mm starken Schicht blaßgelben, spröden Wachses bedeckt ist, das ihm ein marmorartiges Aussehen verleiht. Obschon es zu ⅖ mit Harz vermischt ist, wird es ziemlich wie Bienenwachs benutzt und neuerdings in großer Menge in die verschiedenen Kulturländer, auch nach Europa, eingeführt. Die gefiederten Blätter werden 6–7,5 m lang und sind oben dunkelgrün, unten silberweiß. Das Wachs, das einen namhaften Handelsartikel bildet, gewinnt man durch Abschaben der gefällten Stämme, von denen jeder etwa 12 kg liefert. Mit Talg zusammengeschmolzen gibt es eine gute Kerzenmasse, die aber gelb ist, weil dieses Baumwachs nicht gebleicht werden kann. Das Holz ist sehr dauerhaft und wird besonders als Bauholz geschätzt. Mit den Blättern deckt man, wie mit denjenigen der meisten anderen Palmenarten, Dächer und benutzt sie zu allerlei Flechtwerk.
Ebenfalls in Südamerika, aber im östlichsten Zipfel dieses Kon[S. 428]tinents, nämlich in den brasilischen Provinzen Ceara, Pernambuco und Rio Grande besonders an Flußufern heimisch, ist die gleichfalls Wachs liefernde Karnaubapalme (Copernicia cerifera). Es ist dies ein 12–15 m hoher Baum, dessen blaugrüne, bereifte, bis 2 m langen Blätter eine kugelrunde Krone bilden. Auf feuchtgründigem Boden bildet er oft ansehnliche Bestände. Sein Holz ist sehr dauerhaft und wird als Nutzholz verwendet, während die Blätter zu Bedachung der Hütten und als Flechtmaterial dienen, auch einen starken Faserstoff zur Herstellung der in jedem Hause statt der Betten gebräuchlichen Hängematten, von Stricken usw. liefern. Die jüngeren derselben, die als Viehfutter verwendet werden können, liefern ein strohgelbes Wachs, das beide Blattflächen bedeckt. An der Oberseite der Blätter ist die Wachsschicht dicker und sitzt loser, so daß sie sich beim Schütteln der Blätter in Form kleiner Schuppen ablöst, an der Unterseite jedoch ist sie dünner und sitzt fester, so daß man das betreffende Wachs nur durch Abschaben gewinnen kann. Wenn die jungen Fächerblätter sich eben auszubreiten beginnen, schneidet man sie vorsichtig ab, trocknet sie und klopft sie so lange mit einem Stock, bis die Wachsschichten vollständig abgefallen sind. Das so erhaltene grauweiße Pulver wird dann über einem freien Feuer zusammengeschmolzen oder mit wenig Wasser in einem Topfe gekocht. Nach einer anderen Methode taucht man die Blätter in heißes Wasser und sammelt das auf der Oberfläche sich abscheidende flüssige Wachs, um es in tönerne Formen zu gießen, in denen es zu etwa 2 kg schweren Kuchen erstarrt. Dieses rohe Karnauba-Wachs ist schmutzig gelblichgrün, stellenweise bräunlich, hart, spröde, geschmacklos und wird — früher ausschließlich in Europa, jetzt meist schon in Brasilien — gereinigt und ist dann von blaßgrünlich-gelber Farbe, dichtem Gefüge und sehr schwach aromatischem Geruch. Es wird seit dem Jahre 1852 in zunehmendem Maße auch nach Europa ausgeführt, um hier zur Herstellung von Siegellack, Kerzen, weichen Firnissen, als Schuhmacherwachs und zum Glänzendmachen des Sohlleders verwendet zu werden. Es läßt sich so wenig als das Wachs der Wachspalme künstlich bleichen, doch wird ihm seine Sprödigkeit durch Beimengung von Talg oder Bienenwachs genommen. Viele Menschen beschäftigen sich ausschließlich mit der Gewinnung desselben. Jährlich werden etwa 2 Millionen kg exportiert und fast ebensoviel im Lande selbst verbraucht. Aus den trockenen Blättern flicht man Matten, die violetten, haselnußgroßen, bitteren Früchte werden roh oder gekocht von den Indianern gegessen und deren geröstete und[S. 429] gemahlene Kerne geben ein nahrhaftes Getränk als Ersatz des Kaffees. Aus dem Marke des Stammes gewinnt man ein schmackhaftes Mehl und die Blattknospen geben einen trefflichen Palmkohl.
Außer als Nahrung haben die verschiedenen Fettkörper im Laufe der Kulturentwicklung der Menschheit besonders zur Gewinnung von Seife und Beleuchtungsmaterial eine große Bedeutung gewonnen. Die Seife ist eine keltische Erfindung, bestehend aus einer Mischung von Fett mit Asche, später mit Aschenlauge, und stellt chemisch betrachtet ein Salz dar, in welchem alkalische Basen mit Fettsäuren verbunden sind. Von den Alkalien werden sowohl Kali als Natron verwendet; zuerst benutzte man sie zusammen, später aber, als man beide voneinander zu scheiden vermochte, getrennt, wobei die Kaliseifen als eine weiche, schmierige Masse, die Natronseifen jedoch in harter Form gewonnen wurden. Die keltische Bezeichnung für die Seife ist saipo, ein Wort, das im Deutschen sich als Seife erhielt. Unter der Bezeichnung sapo gelangte sie zu den Römern, die vorher, wie alle antiken Völker, außer gefaultem Urin oder gewissen, Saponine oder Seifenstoff enthaltenden Pflanzenabkochungen vor allem die Holzasche als natürliche Soda zum Waschen benutzt hatten. Nach Plinius bereiteten die Gallier feste und flüssige Seife aus Ziegentalg und Buchenasche und benutzten sie als äußerliche Arznei und Haarverschönerungsmittel. Erst Galenos (131–200 n. Chr.) spricht von der deutschen Seife, die als Reinigungsmittel benutzt werde. Durch die Verwendung von gebranntem Kalk bei der Herstellung der Aschenlauge wurden dann später bessere Seifen erzielt. Nachdem die Seifensiederei aus einem in jedem Haushalt für sich hergestellten Geschäft in den gewerblichen Betrieb übergegangen war, scheint sie sich jahrhundertelang durch das ganze Mittelalter hindurch ohne besondere Fortschritte erhalten zu haben. Schon im 9. Jahrhundert hatte Massalia, das heutige Marseille, einen bedeutenden Seifenhandel, und zwar diente dort vorzugsweise das Olivenöl als Fett bei der Seifenbereitung. Ihm verdankt die Marseillerseife bis auf den heutigen Tag ihren guten Ruf. Im 15. Jahrhundert lag der Seifenhandel besonders in den Händen Venedigs, und im 17. Jahrhundert hatten Savona, Genua neben Marseille die Führung darin. Eine mächtige Förderung erhielt die Seifenindustrie seitdem der französische Chemiker Chevreul die Natur der Fette und mithin das Wesen des Verseifungsprozesses kennen gelehrt, andererseits die Entwicklung der Sodaindustrie einen mächtigen Anstoß zur Verbesserung des Verfahrens der Seifengewinnung gegeben hatte.[S. 430] Gegenwärtig wird aus Liverpool allein mehr Seife jährlich ausgeführt als vor der Begründung der Sodaindustrie aus sämtlichen Häfen Großbritanniens zusammengenommen. Weiterhin wurde die Seifenindustrie durch die Einführung von Palmöl, Kokosöl, südamerikanischem und australischem Tiertalg und nordamerikanischem Fichtenharz begünstigt. Das Kokosöl gestattete die Herstellung der Leimseifen; es kam um 1830 zuerst nach Deutschland und Douglas bereitete aus ihm auf kaltem Wege die erste Kokosnußöl-Sodaseife für medizinische Zwecke. Heute führt Deutschland rund 1,8 Millionen kg Seife ein und 10 Millionen kg Seife aus. Was es selbst verbraucht, ist nicht anzugeben, doch stellt dies eine sehr große Menge dieses heute völlig unentbehrlichen Reinigungsmittels dar.
Wie die Seifenbestandteile, das Öl und die Holzaschenlauge, so entstammt auch alles Beleuchtungsmaterial direkt oder indirekt dem Pflanzenreiche. Der älteste Lichtspender ist das flackernde Holz des Herdfeuers, das seinen warmen Schein schon dem unstet nach tierischer Beute umherschweifenden Höhlenbewohner der Urzeit, wie dem durch Feldbau und Viehzucht ansässig gewordenen Neolithiker in seiner bescheidenen Behausung erstrahlen ließ. Ihm folgte auf einer späteren Stufe als spezifiziertes Beleuchtungsmittel der schräg in einen Ständer aus unverbrennlichem Material, am besten aus Metall, sobald solches bekannt und zu haben war, gesteckte Kienspan; denn schon sehr früh wird der Mensch die Beobachtung gemacht haben, daß Holz um so leichter und mit um so größerer Flamme brennt, je harzreicher es ist. Deshalb suchte er bei den Nadelhölzern die harzreichsten Teile, das Wurzelwerk, zur Beleuchtung zu erlangen. Die Kulturvölker des Altertums benutzten daneben auch mit Pech und Wachs getränkte Flachsschnüre, und in späterer Zeit in Pech getauchte oder mit Wachs überzogene getrocknete Binsen oder Streifen von dürrem Papyrusmark. Auch Schilfrohr, dessen Höhlung mit Fett ausgegossen war, diente als Vorläufer der Kerze. Diese selbst scheint erst in der römischen Kaiserzeit als candela — das sich im französischen chandelle erhielt — aufgekommen zu sein und wurde schon damals sowohl aus Wachs, als aus Talg hergestellt und demnach als cerea (von cera = Wachs) oder sebacea (aus sebum = Talg) unterschieden. Man stellte sie in der Weise her, daß man dürre Binsenstengel oder Streifen von Papyrusmark, später auch Flachsfäden als Docht so oft in geschmolzenes Fett oder Wachs tauchte, bis die Fetthülle im Verhältnis zum Kern eine ansehnliche Dicke erreicht hatte. Besonders bei Leichen[S. 431]begängnissen wurden bei den vornehmen Griechen und Römern der späteren Zeit große Kerzen in den Dimensionen unserer Kirchenlichter getragen, während im Haushalte besonders bei festlichen Anlässen kleinere gebraucht wurden, die man in Leuchter der verschiedensten Konstruktionen steckte. War der Lichtträger sehr hoch, damit die dareingesteckten Kerzen weithin leuchteten, so hieß er (nach candela = Kerze) candelabrum.
In Deutschland wurde die Talgkerze erst im 9. Jahrhundert bekannt und begann hier allmählich den bis dahin üblichen Kienspan zu verdrängen. Wachskerzen dagegen kamen erst im 14. Jahrhundert in Gebrauch, waren aber auch an Höfen reicher Fürsten immer noch etwas Kostbares, mit dem man sehr sparsam umging. Im Laufe des 15. Jahrhunderts erst wurde der Gebrauch von Wachskerzen durch die katholische Kirche immer mehr gesteigert und dehnte sich im 16. Jahrhundert ins Fabelhafte aus; so wurde beispielsweise zu Luthers Zeiten allein in der Schloßkirche zu Wittenberg etwa 36000 Pfund Wachskerzen im Jahre als Opferspenden verbrannt. Dieser mit dem Kult in Zusammenhang stehende Luxus blieb aber auf die Gotteshäuser beschränkt; denn die Bürger und Bauern begnügten sich in ihren Häusern mit den viel billigeren Talglichtern, deren Herstellung die Hausfrau immer noch selbst besorgte. Im November, wenn die Feldarbeit beendet war, begann wie für den Mann die Drescharbeit in der Tenne, so für die Frau die Zeit des „Lichtstippens“. Durch wiederholtes Eintauchen des aus Leinen und später Baumwolle angefertigten Dochtes in geschmolzenen Talg wurden die Lichter auf die gewöhnliche Dicke gebracht. Erst seit dem 17. Jahrhundert wurden die Unschlittkerzen auf der Form gegossen, und zwar dünnere für die Werktage und dickere für die Feiertage.
Zu Anfang des 19. Jahrhunderts begann man den Talg durch Entfernung der Ölsäure vermittelst Pressen härter zu machen und ihm das öligschmierige Aussehen zu nehmen. 1823 erschienen die wichtigen Untersuchungen über die Fette tierischen Ursprungs des französischen Chemikers Chevreul, denen zufolge zwei Jahre später Cambacérès, der zuerst die geflochtenen und außerdem chemisch mit Schwefelsäure zubereiteten Dochte in Anwendung brachte, Kerzen aus Fettsäuren herzustellen versuchte; doch waren diese braun, fühlten sich immer noch fettig an und verbreiteten einen unangenehmen Geruch. Die ersten einigermaßen brauchbaren Kerzen brachte ein Herr von Milly in Paris auf. Er war vormals Kammerherr Karls X. gewesen, hatte aber durch[S. 432] die Julirevolution und die danach folgende Abdankung des Königs 1830 seinen Posten verloren; deshalb errichtete er, um sich eine neue Existenz zu gründen, zu Paris eine kleine Fabrik zur Herstellung von Kerzen. Die erste Entdeckung, die er machte, bezeichnete schon einen sehr erheblichen Fortschritt. An Stelle der kaustischen Soda, die Chevreul und sein Teilhaber Gay-Lussac zur Verseifung der Fette seit 1825 angewandt hatten, benutzte er dazu den Ätzkalk und erhielt dadurch eine Kalkseife, aus der die Fettsäuren zur Herstellung von Kerzen sich mit Hilfe der Schwefelsäure leicht abscheiden ließen. Durch anfänglich kalte, im Verlaufe jedoch gesteigerte und zuletzt warme Pressungen waren die bei gewöhnlicher Temperatur festen Fettsäuren leicht von der Olëinsäure zu trennen. Die aus den festen Fettsäuren, der Palmitin- und Stearinsäure (vom griechischen stéar = Fett), die in der ersten Zeit als eine einzige betrachtet und ihrer perlmutterartig glänzenden Krystalle wegen (nach dem lateinischen margarita = Perle) Margarinsäure genannt wurden, bis man auch sie voneinander zu scheiden vermochte, bereiteten Kerzen hatten jedoch den einen Übelstand, daß der Masse ein kleiner Rest Kalk beigemengt blieb, der sich beim Verbrennen in den Docht sog und dessen Porosität verringerte. Auch darin schaffte Milly Abhilfe, indem er den Docht statt wie nach Cambacérès mit Schwefelsäure mit Borsäure tränkte, welche alle Aschenbestandteile zu winzigen, glasartigen Kügelchen zusammenschmilzt. Ebenso begegnete er dem für die Kerzenfabrikation fatalen Bestreben der nunmehr vorzugsweise zur Herstellung von Kerzen verwendeten Stearinsäure zu kristallisieren und infolgedessen im Innern der Formen Hohlräume zu bilden. Man hatte zwar in der arsenigen Säure schon ein Mittel gegen diesen Umstand in Anwendung gebracht, doch war dasselbe zu gesundheitsgefährlich, um sich auf die Dauer im Gebrauch halten zu können.
Milly fand zuerst, daß ein geringer Zusatz von Wachs zur Stearinsäure eine gleichmäßige und durchgängig zusammenhängende Masse gebe. Späterhin entdeckte er, daß die Stearinsäure nur kristallisiert, wenn sie in sehr dünnflüssigem Zustande in die Formen gegossen wird, daß sie aber ein völlig gleichmäßiges Gefüge erhält, wenn sie bei einer Temperatur verarbeitet wird, die dem Schmelzpunkte so nahe liegt, daß die Masse eben nur fließend erhalten wird.
Solchergestalt verbesserte Stearinkerzen brachte Milly 1834 unter dem Namen bougies de l’étoile in den Handel, doch waren sie in der ersten Zeit ihres hohen Preises wegen mehr ein Luxusgegenstand[S. 433] für Reiche als ein volkstümlicher Beleuchtungsartikel. Um sie zu einem Gegenstand allgemeinen häuslichen Verbrauchs zu machen, bedurfte man weiterer Verbesserungen in der Methode der Stearinfabrikation. Den wesentlichsten Vorteil zog man aus der Entdeckung, daß die flüssige Olëinsäure ein sehr wertvolles Material für die Seifenfabrikation sei, das das Olivenöl sogar in vielen seiner Eigenschaften zu ersetzen imstande ist. Durch Höherwertung des einen Bestandteils mußten aber die anderen sich billiger gestalten, und diese wirtschaftliche Tatsache kam der Stearinsäure zugute. Auch konnte man jetzt im festen Material dem geflochtenen Docht eine so starke Drehung geben, daß sich die Spitze desselben fortwährend nach außen drehte und so an der Peripherie der Flamme stets genug Sauerstoff zur Verbrennung zu Asche fand. Im Jahre 1839 gab es allein in Paris neun Fabriken, die solche neue, immer höheren Ansprüchen genügende Kerzen herstellten. Andere Länder blieben nicht zurück, und ganz besonders gelangte diese neue Industrie in Österreich zu großer Bedeutung.
Als Beleuchtungsmittel noch viel gebräuchlicher als die Kerzen waren seit dem frühesten Altertum die Lampen, in denen zuerst tierisches, später auch pflanzliches Fett vermittelst eines aus einem Holzsplitter oder noch besser aus irgend welchen getrockneten Pflanzenfasern bestehenden Dochts verbrannt wurde. Die älteste Lampe war ein ausgehöhlter Stein, und erst nach Erfindung der Töpferkunst eine aus Ton gebrannte, zuerst offene und später, zum Schutze gegen das Ausschütten und das Hineingelangen von Verunreinigungen mehr oder weniger geschlossene kleine Schüssel. Solche Lampen, in denen besser als fester tierischer Talg nach der Erlangung von ölspendenden Kulturpflanzen flüssiges fettes Öl verbrannt wurde, besaßen schon die ältesten Ägypter und Assyrer. Meist waren sie aus Ton gebrannt, seltener aus Metall und nur ausnahmsweise aus Alabaster oder Glas hergestellt. Sie bestanden aus einem runden oder ovalen Ölbehälter mit einer meist in der Mitte gelegenen Öffnung zum Eingießen des Öles, einer oder mehreren vorspringenden Tüllen für den Docht an der einen und einem Griff oder Henkel an der anderen Seite. Von den ein[S. 434]fachsten bis zu den kunstvollsten, kostbarsten Formen waren alle Übergänge vorhanden, darunter außer kleinen auch große, die bis zu 12 und mehr Flammen nebeneinander brennen lassen konnten. Sie hingen an Ketten oder standen wie die Kerzen auf einem bei den Römern ebenfalls candelabrum genannten Träger. Aus der römischen Kaiserzeit haben uns, abgesehen von den Funden in Pompeji, besonders die Gräber eine reiche Ausbeute an Lampen geliefert, da es Sitte war, den Toten Lampen mitzugeben, die eigens zu diesem Zwecke fabriziert wurden und nicht zu praktischem Gebrauch geeignet waren.
Die ersten Christen verzierten ihre Lampen mit christlichen Emblemen, wie dem Christusmonogramm, dem Lamm, der Taube oder dem ein Lamm auf seinem Rücken tragenden guten Hirten. Aus den beim Katakombenkultus gebrauchten Lampen zum Aufhängen vermittelst Kette an der Decke oder einem Holz- oder Metallarm entwickelte sich die während des ganzen Mittelalters gebrauchte Hängelampe, die sowohl für Kultuszwecke in christlichen Kirchen und muhammedanischen Moscheen, als auch für Profanzwecke überall im Gebrauche stand. Das übliche Öl, das darin verbrannt wurde, war in Europa meist Rüböl und der Docht ein massiver Runddocht, während der Flachdocht erst 1783 durch Leger in Paris, der hohle Docht 1789 durch den in Genf geborenen Techniker Argand in London aufkam. Letzterer war auch der Erfinder des nach ihm benannten Brenners mit doppeltem Luftzug, indem er den bis dahin über der Flamme angebrachten blechernen Zugzylinder durch einen gläsernen ersetzte.
Eine vollständige Umwälzung in der Lampenfabrikation brachte die Einführung des Petroleums hervor, für die Silliman in den Vereinigten Staaten 1855 die erste Lampe konstruiert haben soll. Zwar hatte man schon im Altertum gelegentlich Erdöl in Lampen gebrannt. So berichten Dioskurides und Plinius um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. vom Erdöl von Agrigent auf Sizilien, das als „sizilisches Öl“ in Lampen gebrannt wurde. Auch das Erdöl der „Pechquelle“ bei Bechelbronn im Unterelsaß, die schon 1498 erwähnt wird, soll im 16. Jahrhundert zum Brennen in Ampeln benutzt worden sein. Im 19. Jahrhundert diente das zu Amiano unweit Parma gefundene Erdöl zur Beleuchtung einiger italienischer Städte, namentlich Genuas. Seit uralter Zeit betrachtete man die mancherorts aus dem Boden hervorsickernde brennbare Flüssigkeit mit heiliger Scheu und benutzte sie als geschätzte Medizin. Die heiligen Feuer der Erdölgegend von Baku waren den Anhängern Zoroasters ein Gegenstand[S. 435] religiöser Verehrung und sind es ihren Nachkommen, den Parsen, bis auf den heutigen Tag geblieben. Weil ihre Priester an den Orten, wo das „ewige Feuer“ brannte, die Versöhnung mit Gott vermittelten, nannte man sie nephtar, d. h. Versöhnungsorte, wovon sich der Name Naphtha für Petroleum oder Erdöl ableitet. Erst vom Jahre 1859 an datiert der Beginn der Petroleumbenutzung in weiteren Kreisen, zuerst der Vereinigten Staaten, dann auch Europas und der ganzen Kulturwelt. 20 Jahre später wurde die Petroleumlampe durch die Konstruktion der Glühlampe von Edison entthront, die ganz wesentlich zur Verbreitung des elektrischen Lichtes in den Haushaltungen beitrug.
Der älteste Süßstoff der Menschheit war der in hohlen Bäumen oder Felsklüften von wilden Bienen gesammelte Honig. Erst sehr viel später lernte der Mensch die mancherlei süßen Säfte, die das Pflanzenreich hervorbringt, für sich verwenden. So wird er schon sehr früh gelegentlich der Verletzung eines aufschießenden Triebes irgend einer Palme beobachtet haben, daß nach einer solchen die Pflanze den zum Aufbau des jungen Pflanzenleibes nötigen Nährsaft in Menge aus der Wunde hervorträufeln läßt. Dieser schmeckt durch den darin enthaltenen Traubenzucker süß und kann, durch Verdampfen des Wassers in einem Gefäß eingedickt, als eine bräunliche, krümelige Masse oder, durch Alkoholgärung in leicht schäumenden Most verwandelt, als eine Art Wein genossen werden. Fast alle Palmen haben einen solchen süßen Saft, den sie bei Verletzung des aufschießenden Triebes in Menge spenden. So liefert eine einzige auf solche Weise behandelte Kokospalme im Jahre mehr als 250 Liter Palmensaft, der ein Fünftel seines Gewichts Zucker enthält. Eingedickt liefert er einen vortrefflich mundenden, als schakara bezeichneten Palmzucker. Nächst der Kokospalme ist die indische Dattelzuckerpalme eine für die Zuckergewinnung besonders geschätzte Palmenart. Von ihr sollen jährlich über 65 Millionen kg Zucker gewonnen werden, der meist in Indien selbst konsumiert wird.
Eine natürliche Zuckerart, die statt Traubenzucker Mannit enthält, ist das Manna, das den bei ihrer Wanderung durch die Wüste zu verhungern drohenden Juden vom Himmel herabgefallen sein soll. Als für sie unerwartete Himmelsgabe fanden sie es an einem Sommermorgen, als ihr Hunger aufs höchste gestiegen war, unter den Tamariskenbüschen, welche in den Tälern des Sinai, die sie durchzogen, heute noch in Menge wachsen. Diese etwa 7 m hoch werdende Manna[S. 437]tamariske (Tamarix mannifera) produziert diesen Süßstoff spontan nach dem Stiche einer bestimmten kleinen Schildlaus (Coccus manniparus). Diese Tamariskenart ist eine nahe Verwandte der fränkischen Tamariske, welche aber nur am Sinai und im Steinigen Arabien, wo sie ganze Wälder bildet, jene glänzendweißen, honigsüßen Tropfen in der heißesten Zeit, im Juni und Juli, von den von der betreffenden Schildlaus angestochenen Zweigen herabträufeln läßt. Nur vor Aufgang der Sonne aufgelesen sind sie von der Kühle der Nacht noch in festem Zustand und werden seit Urzeiten von den umwohnenden Araberstämmen in lederne Schläuche gesammelt und müssen dann sofort an einem kühlen Ort aufbewahrt werden. Die Araber, welche sie als man bezeichnen, woraus die Juden das Wort manna bildeten, sammeln davon am Sinai jährlich etwa 250 kg und verzehren sie als ihren bevorzugten Leckerbissen mit Brot. Sie sagen, er sei süßer als Honig und geben ihn kaum je an Fremde ab. Nun sammeln auch die Mönche des St. Katharinenklosters am Sinai davon in lederne Schläuche und benutzen es als willkommenen Süßstoff teils selbst, teils verkaufen sie es für teures Geld an die gläubigen Pilger, die den Sinai mit dem Serbal, dem Berge der Gesetzgebung, besuchen.
Im Orient und im Mittelmeergebiet wächst noch ein anderer natürlicher Zuckerspender. Es ist dies die Manna- oder Blütenesche (Fraxinus ornus), deren bis armdicke Zweige durch den Stich der Mannazikade, am häufigsten aber durch täglich wiederholte Kreuzschnitte oder mehrfache, schief aufsteigende Einschnitte bis ins Holz angezapft werden, wonach ein bräunlicher Saft hervorträufelt, der schon nach wenigen Stunden durch Verdunstung zu einer weißlichen, kristallinischen Masse von sehr süßem Geschmack erhärtet. Es ist dies der Mannazucker, der heute noch namentlich in Sizilien und Kalabrien in Kulturgärten gewonnen wird und in den Handel kommt, seitdem die Araber, die im Jahre 827 Besitz von jener Insel ergriffen, den Eingeborenen jene natürliche Zuckergewinnung durch Einschnitte auch an der gewöhnlichen Esche (Fraxinus excelsior) lehrten. Die beste Sorte ist das Röhrenmanna, das von den dünneren Zweigen gewonnen wird, während das von älteren Zweigen gesammelte Manna weniger rein ist. Es besteht bis zu 60 Prozent aus Mannit, einem zuckerähnlichen Körper, der kein Kohlehydrat ist und sich von den echten Zuckerarten durch mehr Wasserstoff und die Unfähigkeit, in alkoholische Gärung zu kommen, unterscheidet. Einen ähnlichen natürlichen Zuckerspender, dessen Erzeugnis von den Eingeborenen gerne gesammelt und[S. 438] gegessen wird, bildet der australische Manna- oder Zuckergummibaum (Eucalyptus mannifera), aus dessen Rinde und Blättern Tröpfchen eines mannaartigen Saftes in reichlicher Menge hervorquellen. Dieses Manna ist etwas schleimig, weniger süß als die echte Manna der arabischen Tamariske und gelinde abführend. Es kommt in manchen Gegenden in den Handel.
Obschon außer diesen noch sehr zahlreiche Pflanzensäfte zuckerhaltig sind und manchenorts zur Gewinnung von Zucker verwendet werden, kommen nur wenige für den Betrieb im großen in Betracht. So hat man in Nordamerika, und zwar in Louisiana schon zu Ende des 18. Jahrhunderts begonnen, aus dem Safte des wildwachsenden Zuckerahorns (Acer saccharinum) Zucker zu gewinnen, und in Europa liefert der Spitzahorn und Silberahorn ebenfalls Zuckersaft, der namentlich früher in größeren Mengen gewonnen und auf Zucker verarbeitet wurde. Zu diesem Zwecke bohrt man Ende Januar und im Februar 30–45 cm über der Erde an mehreren Stellen schräg aufwärts gerichtete Bohrlöcher von 4 cm Tiefe in den Stamm und steckt Röhrchen hinein, die den Saft in untergestellte Gefäße leiten. Der Ausfluß des Saftes dauert für jeden Stamm fünf Tage, dann vernarbt die Wunde. Nach vielen Versuchen ist diese Operation ohne erkennbaren Nachteil für den Baum und kann bis Mitte März, bis sich die Blätter entwickeln, ausgeübt werden. Der so erhaltene Saft ist wasserklar und enthält bis 5 Prozent Zucker, so daß aus 20 kg Saft bis 1 kg Rohzucker gewonnen werden kann. In Amerika gibt ein Baum etwa 2,5–3 kg Zucker. In Ungarn lieferten 200 Bäume 39 kg sehr schönen Rohzucker und dazu noch Sirup im Wert von etwa 12 kg Rohzucker. Als der Rübenzucker noch nicht aufgekommen war, spielte diese Zuckergewinnung eine wichtige Rolle. So erreichte die Ahornzuckerproduktion der Vereinigten Staaten Nordamerikas im Jahre 1840 gegen 18 Millionen kg, nahm aber seither bedeutend ab. In Kanada beträgt die Jahresproduktion immer noch 3–3,5 Millionen kg und für das gesamte Nordamerika 5 Millionen kg — meist aus dem Steinahorn, im Westen auch aus dem Weichahorn. Diese Bäume, die 30–40 m hoch werden, gedeihen am besten auf fruchtbarem Ackerboden, sind meist durch den Wald in Gruppen zerstreut, seltener bilden sie geschlossene Waldungen. Im Vorfrühling, zur Zeit der kalten Nächte und der allmählich wärmer werdenden Tage, dem sogenannten „Zuckerwetter“, beginnt der Saft in den Bäumen zu steigen. Um diese Zeit trifft man die Vorbereitungen zur Zuckerernte.[S. 439] Mit den nötigen Geräten beladen rücken die Zuckersieder zu zweien oder dreien in die Wälder. Der eine bohrt die Bäume an und schafft immer frischen Saft herbei, den der andere in einem großen Kessel einkocht. Ist ein Dritter vorhanden, so besorgt der die kleinen Handreichungen, schafft die nötigen Lebensmittel herbei und kocht. Nach zwei bis drei Monaten kehren sie wieder zurück, häufig mit einem Ergebnis von 750–1000 kg Zucker, der, auf so kunstlose Art gewonnen, braun ist, aber durch geringe Beimengungen von Apfelsäure einen so angenehmen Geschmack aufweist, daß er höher geschätzt wird als der gewöhnliche weiße Zucker, den man übrigens durch Raffinieren sehr leicht aus ihm gewinnen kann.
In Frankreich stellte man zur Zeit der Kontinentalsperre aus dem ausgepreßten Safte des Mais Zucker her, wie einst in den Nordstaaten Amerikas vor dem Bürgerkriege aus demjenigen des Sorghum oder der Mohrenhirse (Andropogon sorghum), einer Art Bartgras. Durch den aus dem letzteren gewonnenen Zucker wollte man dem aus dem Zuckerrohr der Südstaaten hergestellten Konkurrenz machen und damit der Sklaverei selbst einen Stoß versetzen. Man gewinnt daraus in der Tat einen vortrefflichen Sirup und die Rückstände bilden ein ausgezeichnetes Viehfutter; bloß die Gewinnung eines kristallisierten Zuckers stößt auf Schwierigkeiten. Erst nach vollendeter Reife der Samen kann man fast zwei Drittel des etwa 9 Prozent des Saftes betragenden Zuckergehalts in kristallisiertem Zustand gewinnen. Doch ist dann der Stengel schon stark verholzt und muß gebrüht werden, um als Viehfutter dienen zu können.
Viel rationeller ist es, den Saft des dem Sorghum nahe verwandten Zuckerrohrs und der Zuckerhirse zur Gewinnung von Zucker zu verarbeiten. Das taten denn auch seit wenigstens der Mitte des letzten vorchristlichen Jahrhunderts die Hindus in Indien, wo die griechischen Begleiter Alexanders des Großen nach dem Überschreiten des Indus im Jahre 327 v. Chr. im Pandschab, d. h. Fünfstromland, wie gemeldet wird, als erste Europäer „an festem Honig sich labten, der nicht von Bienen stammte“. Immerhin kann diese gelbbraune Substanz auch Palmenzucker gewesen sein. Jedenfalls ist dies die früheste Nachricht, die wir von einer durch Eindampfen von süßen Pflanzensäften gewonnenen Zuckerart besitzen. Der Schüler des bedeutenden Lehrers Alexanders des Großen, Aristoteles, und nach dessen Tod im Jahre 322 Haupt der peripatetischen Schule, zugleich der erste namhafte Botaniker, Theophrastos (390–286 v. Chr.), be[S. 440]richtet als erster von einem „süßen Salz, das sich in Indien von selbst aus einer rohrartigen Pflanze erzeuge“. Damit kann nur der Rohrzucker gemeint sein. Nach ihm ist von den Schriftstellern des Altertums, die das Zuckerrohr erwähnen, der bedeutendste Gelehrte Roms, Marcus Terentius Varro (116–27 v. Chr.), zu nennen, der schreibt: „In Indien wächst ein Rohr von mittlerer Baumhöhe, aus dessen zähen Wurzeln man einen Saft preßt, der dem Honig an Süßigkeit gleichsteht.“ Dann berichtet der Erzieher und Leiter des jugendlichen Nero, Lucius Annaeus Seneca (2–65 n. Chr.), in seiner 84. Epistel: „In Indien soll in den Blättern einer Rohrart ein Honig gefunden werden, der entweder vom Taue jenes Himmels, oder aus dem süßen Safte des Rohres stammt.“ Der um 25 n. Chr. verstorbene griechische Geograph Strabon aus Amasia in Pontos meldet: „Megasthenes spricht von einem in Indien wachsenden großen Rohr, welches süß ist, und er glaubt, diese Süßigkeit sei die Folge der Sonnenhitze, welche den Saft der dortigen Pflanzen einkoche. Er spricht auch von einem Rohr, das ohne Zutun der Bienen Honig gibt.“ Der um die Mitte des 1. christlichen Jahrhunderts lebende griechische Arzt Dioskurides aus Anazarbos in Kilikien erwähnt in seiner reichhaltigen Arzneimittellehre: „Eine Art Honig, die man sáccharon nennt, findet sich in Indien und dem Glücklichen Arabien auf Rohr. Die Masse sieht aus und kaut sich zwischen den Zähnen wie Salz. Sie löst sich in Wasser auf und ist dem Magen, der Blase und den Nieren gesund.“ Sein Zeitgenosse, der ältere Plinius, sagt: „Das beste sáccharon erzeugt Indien; es kommt aber auch in Arabien vor. Es ist eine Art Honig, der sich in einer Rohrart sammelt, weiß wie Gummi ist, zwischen den Zähnen bricht, höchstens in Stücken von Haselnußgröße vorkommt und nur als Arznei dient.“ Der große Arzt Claudios Galenos (geb. 131 in Pergamon, praktizierte daselbst, dann in Rom, wo er ums Jahr 200 verstarb) meint: „Das sogenannte sacchar, das aus Indien und dem Glücklichen Arabien gebracht wird, ist, wie man sagt, eine sich an Rohr findende verhärtete Masse, eine Art Honig, doch nicht so süß wie unser Honig, hat jedoch ungefähr dieselben arzneilichen Eigenschaften, bekommt aber dem Magen besser.“ Endlich schreibt der griechische Kriegsschriftsteller Aelianus, der unter Trajan, der von 98–117 regierte, lebte: „Das eigentliche Getränk der indischen Elefanten ist Wasser; die für den Krieg bestimmten bekommen aber Wein, der nicht aus Trauben, sondern aus Reis und einem Rohr bereitet ist.“
Alle diese auf uns gekommenen Mitteilungen des Altertums über[S. 441] den indischen Rohrzucker, denen der Vollständigkeit wegen noch die Angabe des zu Beginn des 2. christlichen Jahrhunderts lebenden Arztes Gallus hinzuzufügen ist, daß man das indische Salz als kostbare Medizin bei Krankheiten verwende, lassen mit großer Deutlichkeit erkennen, daß der indische Rohrzucker noch in der römischen Kaiserzeit sehr selten und deshalb teuer war, wohl als Arznei, aber keineswegs als alltäglich gebrauchter Süßstoff Verwendung fand. Als solcher diente das alte Süßungsmittel, der Honig, der noch das ganze Mittelalter hindurch bis in die Neuzeit bei uns den gewöhnlichen Süßstoff zur Bereitung von Kuchen und süßen Getränken bildete. Alle altertümlichen Gebäckarten, wie Pfeffer- und Lebkuchen, Leckerli und Honigbrötchen enthalten stets Honig statt Zucker.
Das Zuckerrohr (Saccharum officinale) ist eine unserem Schilfrohr sehr ähnliche Grasart, deren Heimat Südasien, speziell die heiße Niederung von Bengalen ist, jenes von den Schmelzwässern des Himalaja reich bewässerte Land, das wegen seiner unerschöpflichen Fruchtbarkeit von jeher als der Garten Indiens gepriesen wurde. Hier wurde das Zuckerrohr ursprünglich, wie später in China, auf den Philippinen und den Südseeinseln, als Nahrungspflanze gezogen und erst nachträglich bloß zur Gewinnung des aus ihm gepreßten süßen Saftes im großen kultiviert, und zwar ausschließlich durch Stecklinge, so daß die Pflanze im Laufe der mehr als 3000 Jahre, während welcher sie auf ungeschlechtlichem Wege vermehrt wird, die Fähigkeit, Samen hervorzubringen, ganz eingebüßt hat.
Aus Nordindien kam das Zuckerrohr gegen das Ende des 3. Jahrhunderts n. Chr. nach China, und zwar im Jahre 286 als Tribut des Königreichs Funam in Indien. Ein von 627–650 n. Chr. herrschender chinesischer Kaiser entsandte dann einen Gelehrten nach der indischen Provinz Behar, um dort die Zuckerfabrikation zu studieren. Zweihundert Jahre später als nach China drang die Kultur des Zuckerrohrs nach Südpersien und Arabien vor. In Persien wurde die indische Bezeichnung schakara (im altindischen Sanskrit noch sarkura) in schakar, im Arabischen in sukkar, als welches es sich mit dem zu a abgekürzten arabischen Artikel al als azucar im Spanischen und Portugiesischen erhielt, während es im Englischen zu sugar, im Italienischen zu zucchero, im Deutschen zu Zucker und im Französischen zu sucre wurde. Das griechische sáccharon, das als saccharum ins Lateinische überging, steht dem persisch-indischen schakara noch näher.
Im 6. Jahrhundert n. Chr. war der Anbau des Zuckerrohrs von seinem Ursprungsherde Indien westlich bis Gondisapur am persischen Meerbusen vorgedrungen, wohin sich die Nestorianer geflüchtet hatten, als das Konzil zu Ephesus im Jahre 431 ihre Lehre, wonach zwischen der göttlichen und menschlichen Natur in Christus scharf zu unterscheiden sei, für ketzerisch erklärt und ihr Haupt, den Patriarchen Nestorius von Byzanz, abgesetzt und verbannt hatte. Sie führten dem Orient die Keime klassischliterarischer und wissenschaftlich medizinischer Bildung zu, namentlich auch die Anfangsgründe chemischer Kenntnisse. Die durch rege Schiffahrt unterhaltenen Beziehungen der Stadt Gondisapur zu Indien bewirkten zugleich, daß sich der Einfluß der indischen Arzneilehre dort geltend machte und eine Akademie erblühte, die nicht nur die Traditionen der griechischen Medizin und Naturwissenschaften in sich aufnahm, sondern dieselben auch, mit den indischen Kenntnissen befruchtet, wesentlich förderte. Hier wurde allem Anscheine nach die Kunst der Zuckerraffinerie erfunden, wie der persische Name „kand“ für den gereinigten Zucker — in unserer Bezeichnung Zuckerkandel beziehungsweise Kandiszucker noch zu erkennen — vermuten läßt.
In der Folge waren es die Araber, welche das Zuckerrohr in größeren Mengen pflanzten, um Zucker daraus zu gewinnen. So soll der Kalif Mostadi ben Villa von Bagdad bei den prunkvollen Festlichkeiten zu Ehren seiner Vermählung im Jahre 1087 einen so großen Tafelaufsatz aus Konfekt haben herstellen lassen, daß zu seinem Aufbau 5000 kg Zucker nötig waren. Wenn auch dieser Bericht zweifellos eine von der blühenden orientalischen Phantasie diktierte Übertreibung darstellt, so kann doch schlechterdings nicht bezweifelt werden, daß die Araber den Zucker schon in beträchtlicher Menge gewonnen haben müssen. Bei ihnen lernten ihn die Abendländer auf ihren Kreuzzügen im Morgenlande kennen. So meldet uns der Mönch Albertus Aquensis, daß die Kreuzfahrer im Gelobten Lande aus Mangel an anderen Nahrungsmitteln „süßes, honigreiches Schilfrohr“, das sie da und dort im Lande der Ungläubigen angepflanzt fanden, also Zuckerrohr gekaut hätten, um dessen Saft zu schlürfen. Nach Venedig gelangte der erste Zucker im Jahre 996 aus Alexandrien. Dort soll er später aus seinem rohen Zustand, wie ihn die Araber lieferten, in die heute noch gebräuchliche Kegelform des Zuckerhutes gebracht worden sein. Durch die Vermittlung der venezianischen Kaufleute wurde er dann nach der Zeit der Kreuzzüge auch im Abendlande bekannt; aber auch hier fand er wie einst im Morgenlande vorzugsweise nur ärztliche Verwendung[S. 443] als kostbares Heil- und Stärkungsmittel. Ja er war noch zu Ende des 17. Jahrhunderts so teuer, daß man sich in Deutschland nur in den vornehmsten Haushaltungen seiner bediente.
Das Zuckerrohr selbst brachten die Araber im 8. Jahrhundert nach Ägypten (766 wuchs es schon bei Assuan in Oberägypten), ganz Nordafrika und sogar (714) nach Spanien und im 9. Jahrhundert nach Zypern, Rhodus, Kreta, Malta, Sizilien und Kalabrien. In Sizilien blieb dessen Kultur auch nach der Vertreibung der Araber bestehen. So schenkte König Wilhelm II. von Sizilien dem Kloster St. Benedikt bei Palermo im Jahre 1166 eine — jedenfalls von den Arabern eingerichtete — Mühle zum Zerquetschen des Zuckerrohrs mit Privilegien, Arbeitern und Zubehör. In Venedig, das in sehr regen Handelsbeziehungen mit dem muhammedanischen Orient stand, lassen sich bereits im Jahre 1150 Zuckerbäcker nachweisen. Die drei wichtigsten Produktionsländer des Zuckers im Mittelalter waren Syrien, Ägypten und Zypern, von wo ihn die Handelsschiffe der Venezianer holten, um ihn den Völkern Mitteleuropas zu vermitteln. Die Bedeutung dieser Länder schwand erst als Vasco da Gama im Jahre 1498 den direkten Weg nach Ostindien um das Kap der Guten Hoffnung fand und der Zwischenhandel mit indischem Zucker und den mancherlei im Abendlande so überaus beliebten Gewürzen in die Hände der Portugiesen fiel. Damit war der dominierende handelspolitische Einfluß Venedigs und damit seine Seemacht für immer gebrochen; an Stelle des Mittelmeeres wurde der Atlantische Ozean der Schauplatz des Weltverkehrs.
Der portugiesische Prinz Heinrich der Seefahrer ließ das Zuckerrohr im Jahre 1420 nach der damals neu entdeckten Insel Madeira schaffen; von da gelangte es bald nach den Kanaren, wo in der Folge eine besonders feine Sorte Zucker erzeugt wurde. Daher rührt die Bezeichnung Kanarienzucker für die feinste Sorte. Von den kanarischen Inseln verbrachte Kolumbus das Zuckerrohr auf seiner ersten Reise 1490, die mit der Entdeckung des neuen Weltteils gekrönt wurde, nach San Domingo, wo er es auf seiner zweiten Reise im Jahre 1495 gut gedeihend antraf. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts wurde es nach den übrigen westindischen Inseln, 1531 durch die Jesuiten zugleich mit den dasselbe anbauenden Negern nach Brasilien und 1553 durch Cortez nach Mexiko verbracht, wo die Eingeborenen bereits aus Mais Zucker zu gewinnen verstanden. Im ganzen tropischen Amerika, besonders auf den westindischen Inseln, gedieh es in der Folge so gut,[S. 444] daß diese Länder, schon von 1570 an, eine solche Menge Zucker auf den Weltmarkt brachten, daß Sizilien seine Zuckerproduktion ums Jahr 1580 einzustellen begann, da es gegen die überseeische Produktion in Amerika nicht mehr anzukämpfen vermochte. Selbst Ostindien konnte nicht mehr mithalten und mußte seine Zuckerproduktion verkleinern, da sein Zucker für Europa zu teuer zu stehen kam. Diese gewaltige Zuckerproduktion, womit es alle Konkurrenten aus dem Felde schlug, war Amerika nur durch die beständige Zufuhr von Negersklaven aus Afrika ermöglicht, die hier als billiges Arbeitsmaterial auf den Plantagen verwendet wurden. Länder, die zu dieser Kultur freie Arbeiter anstellen mußten, konnten mit jenem Lande nicht konkurrieren.
Obschon alles heute gebaute Zuckerrohr von derselben Art abstammen muß, sind im Laufe der Zeit unter den Einwirkungen des veränderten Bodens und Klimas die mannigfaltigsten, hauptsächlich an Unterschieden der Farbe des Stengels kenntliche Varietäten entstanden, die stets nur durch Stecklinge vermehrt werden, wozu man meist die obersten, ausnahmsweise auch die untersten Glieder mit 2–3 Augen des knotigen, saftreichen, nicht hohlen Stengels verwendet. Daraus erwachsen Pflanzen mit ausdauernden dicken, knotigen, dicht verschlungene Rasen bildenden Wurzeln, 4–5, ganz ausnahmsweise bis 12 Stück 3–4, in seltenen Fällen auch 6 m hoher und 3–5 cm dicker, runder, knotig gegliederter Halme mit einem lockeren, zelligen, saftigen Mark, von einer dichten, festen, glatten und glänzenden Oberhaut bedeckt, die in der Jugend mit einem weißen Reif versehen ist. Oben sind die Halme hellgrün und durchlaufen nach unten zu alle Nuancen durch Purpur bis zum welken Gelb bei der Reife. Die Farbe ist bei den verschiedenen Spielarten bald grün, bald gelb oder violett, bald purpurn oder verschiedenfarbig gestreift. Die mit ihrer Basis an den Knoten den Halm 30 cm hoch scheidenartig umfassenden Blätter sind 1,25–1,3 m lang, 6–7 cm breit, glatt, sehr fein, aber scharf gezähnt mit einer breiten, weißlichen, auf dem Rücken gewölbten Mittelrippe. In dem Maße wie der Halm wächst, dorren die unteren Blätter ab, bis das Rohr zur Ernte reif ist. Dabei hat der Stengel, der allein Verwendung findet, unten eine Dicke von 6 cm und unter Umständen ein Gewicht von 10 kg und darüber erreicht. Er enthält nur bis zu einer gewissen Höhe hinauf Zucker. Gipfel und Blätter bergen zwar auch viel Saft, aber keinen süßen.
Das Zuckerrohr wird schon so lange vom Menschen angepflanzt, daß es wohl gelegentlich verwildert, wie auf einzelnen Inseln des[S. 445] Großen Ozeans, aber nirgends mehr wild angetroffen wird. Am besten gedeiht es in einem feuchtwarmen Klima mit verhältnismäßig hoher Bodenfeuchtigkeit, die man zum Teil auch durch künstliche Bewässerung erreichen kann. Der Boden muß, wie eingehende Versuche ergaben, neben den Silikaten des Aluminiums und Kaliums namentlich Kalk enthalten, der bei Fehlen durch Düngung, z. B. von Gips, ersetzt werden muß. In solchen tief umgegrabenen, jungfräulichen oder gut gedüngten Boden werden die Stecklinge in 1–1,25 m voneinander abstehenden Rinnen in 60–65 cm Abstand beinahe horizontal eingesteckt. Fällt nur spärlicher Regen, so müssen sie sorgfältig begossen werden; ist dagegen ein Überschuß von Feuchtigkeit vorhanden, so muß dieser durch die Rinnen abgeleitet werden, damit dem Verfaulen der Stecklinge vorgebeugt werde. Die Wurzeln beginnen sich rasch zu entwickeln und bald schießt der erste Stengel empor; erst wenn dieser eine Höhe von 50 cm erreicht hat, entwickeln sich noch 4–5 oder mehr Seitenstengel, die aber an Stärke hinter dem Hauptstengel zurückstehen.
Die Zuckerrohrpflanzung muß während des ersten Wachstums des Rohrs durch Jäten des üppig wuchernden Unkrauts und durch Behäufeln der Pflanze, um sie vor dem Austrocknen zu schützen, sorgfältig gepflegt werden, bis die Blätter der Pflanze so hoch geworden sind, daß sie genug Schatten werfen, um damit das Unkraut unterdrücken zu können. Dann ist das Jäten nicht mehr nötig. Werden die Pflanzen größer, so nimmt man ihnen ihre untersten Blätter, damit die Sonne bis zum Stengel dringe und einen möglichst großen Zuckergehalt in ihm bewirken könne, dann aber auch, um diese abgebrochenen, großen Blätter horizontal auf den Boden unter die Pflanzen zu legen, damit wenn sie sich neigen sollten, ihre Knoten nicht Wurzel schlagen können, wodurch das Rohr an Zuckergehalt bedeutend verlieren würde. Nach etwa acht Monaten haben die Rohrstengel ihre volle Größe erreicht. Von da an muß das Wetter möglichst trocken sein, damit sich reichlich Zucker in den Stengeln ansammle.
Die Ernte beginnt vor der Blütezeit, wenn sich das Rohr und die mittleren stehen gebliebenen Blätter desselben gelb zu färben beginnen. Die Blüten würden nach etwa zehn Monaten in Form von 60 cm langen, buschartigen, aus sehr zahlreichen Einzelblütchen bestehenden Rispen nur bei einigen wenigen kultivierten Zuckerrohrsorten zum Vorschein kommen. Die meisten Sorten blühen aber überhaupt nicht mehr, da aus technischen Gründen durch Jahrhunderte hindurch das[S. 446] Rohr vor der Ausbildung der Blüte abgehauen wurde und sich die Pflanze so allmählich daran gewöhnte, diese überhaupt nicht mehr zu bilden. Noch viel seltener bringt sie Früchte hervor; diese sind vielmehr wie die Keimung derselben erst in jüngster Zeit beobachtet worden.
Beginnen die mittleren Blätter zu welken und schwellen die unteren, besonders viel Zucker enthaltenden Stengelglieder von dem in ihnen angehäuften Safte an, so wird das Zuckerrohr abgehauen. In Abteilungen verteilt streifen die Arbeiter erst die Blätter von den Stengeln ab und hauen dann mit großen, im romanischen Amerika machete genannten Buschmessern das Rohr an der Wurzel ab, während andere die noch unreifen Spitzen desselben abschneiden. Dann werden die Stengel, zu Bündeln vereinigt, auf Maultierkarren nach dem Zuckerhause gebracht, wo sie zuerst gewogen und der Zuckergehalt in ihnen bestimmt wird, damit der Fabrikant berechnen könne, wieviel kristallisierbaren Zucker sie liefern werden. Die Stengel des Zuckerrohrs enthalten nämlich gegen 90 Prozent Saft und in diesen 18–20 Teile Rohrzucker. Von diesem letzteren werden indessen höchstens 8–10 Prozent gewonnen, beinahe die Hälfte desselben geht bei der mangelhaften Gewinnungsmethode verloren, gegen 6 Prozent bleiben allein im Rohr zurück.
In der Fabrik werden die Zuckerrohrstengel zunächst zwischen zwei kannelierten Stahlwalzen — früher bediente man sich dabei hölzerner Walzen — zerquetscht und vermittelst hydraulischer Pressen[S. 447] der Saft ausgedrückt. Dieser letztere gelangt dann in mehrere, etwas tiefer liegende offene Pfannen, in denen er durch Verdampfen des Wassers zu Sirupkonsistenz eingedickt wird. Weil er wegen seines Eiweißgehaltes leicht in Gärung übergeht und dann sauer wird, versetzt man ihn in der Pfanne sofort mit etwas gelöschtem Kalk (2 kg auf 360 Liter Saft). Während des starken Kochens steigen alle Unreinigkeiten mit dem geronnenen Eiweiß als Schaum an die Oberfläche und werden mit großen, flachen Kellen abgeschöpft. Ist der Saft so weit eingedickt, daß er beim Abtröpfeln Fäden zieht, so wird er so rasch als möglich in hölzerne Kühltröge geschöpft, wo er schnell zum braunen Rohzucker, Muscovado genannt, auskristallisiert. Im Filtrierzimmer stehen große Fässer mit fein durchlöchertem Boden auf einem Gerüst über einem Bassin. In diese Fässer wird nun die konzentrierte Rohzuckerlösung gebracht und einige Zeit stehen gelassen. Dabei scheidet sich der Zucker kristallinisch als bräunliche, krümelige Masse aus, und der nicht kristallisierbare Teil wird zuletzt als bräunlicher Sirup, Melasse genannt, ablaufen gelassen. Nun hat man die Erfahrung gemacht, daß je länger die Rohrzuckerlösung der Luft ausgesetzt bleibt, um so weniger Zucker sich in Kristallform ausscheidet und um so mehr flüssig bleibender Sirup sich bildet. Daher kam man auf die Neuerung, den Zuckersaft in luftleer gepumpten Pfannen, sogenannten Vakuumpfannen einzudicken. So bildet sich nur noch wenig Melasse, die dann durch Zentrifugieren aus dem krümelig auskristalli[S. 448]sierten Rohzucker entfernt wird. Erfrorene und unreif geerntete Rohre geben viel Melasse. Aus dieser Melasse, die auch beim Vakuumverfahren immer noch meist über fünf Prozent des gesamten gewonnenen Zuckers beträgt, wird, soweit er nicht als solcher in den Handel gelangt, um in den ärmeren Haushaltungen an Stelle von Honig verwendet zu werden, durch Verdünnen mit Wasser und Vergärenlassen Rum gebrannt. Wird der Rohrzucker durch Sieden und Läutern in mit feuchtem Ton bedeckten Gefäßen noch mehr gereinigt, so heißt er Kassonade, Farin oder Farinzucker, auch Mehl- oder Puderzucker.
Dieser Zucker wird nun meist erst in Europa in besonderen Zuckerraffinerien noch weiter geläutert und gereinigt und in weißen Hutzucker verwandelt. Die erste Raffination ergibt den Lumpenzucker und die zweite den Melis, so genannt nach der Insel Melita-Malta, wo die Araber einst Zuckerraffinerien besaßen und diese Methode übten. Der feinste gereinigte Zucker heißt Raffinade oder Feinzucker, dessen beste Sorte der nach den gleichnamigen, einst durch ihre Zuckerkultur ausgezeichneten Inseln genannte Kanarienzucker ist. Kandiszucker, der nach dem persischen Worte kand für gereinigten Zucker so genannte kristallisierte Zucker, wird dadurch erzeugt, daß man in eine stark eingedickte Zuckerlösung, in welcher noch kein Zucker zur Ausscheidung gelangte, Fäden hineinhängt, an denen der Zucker in vielseitigen Prismen auskristallisiert. Da man beim Sieden des Zuckers sehr viel Heizmaterial verbraucht, so verwendet man dazu die als Bagasse bezeichneten trockenen, holzigen Fasern des Zuckerrohrs, die nach der Auspressung des Saftes als Abfall zurückbleiben.
Die gesamte Rohrzuckerfabrikation der Welt wird auf 5 Milliarden kg geschätzt, von denen Westindien und danach Niederländisch-Indien und Hawai das meiste liefern. Es würde uns nun zu weit führen, hier aufzuzählen, zu welch großer Bedeutung der Zucker, besonders nach der Einführung von Kaffee, Tee und Schokolade, in der Kulturwelt gelangt ist und wie er auch bei der Herstellung der mancherlei Gebäcke nach und nach den früher hierfür ausschließlich verwendeten Honig verdrängte. Noch im 17. Jahrhundert war er so teuer, daß alle weniger Bemittelten sich mit Honig oder der als Abfall bei der Zuckerraffinerie gewonnenen Melasse begnügen mußten. Da er sich nun nicht bloß als Genußmittel, sondern als Nahrungsmittel von hohem Nährwert erwies, den sich verschaffen zu können alle Volksschichten anstrebten, mußte es von unseren Voreltern als eine große[S. 449] Kalamität empfunden werden, als zu Beginn des vorigen Jahrhunderts durch die von Napoleon I. aufgebrachte Kontinentalsperre alle Handelsverbindungen Englands und seiner Kolonien mit dem europäischen Festlande lahmgelegt wurden und dadurch die Einfuhr von Kolonialzucker ganz außerordentlich eingeschränkt wurde. Mit den übrigen Kolonialwaren wurde der Zucker so teuer, daß ein Pfund desselben 4 Mark kostete. Da suchte man notgedrungen aus einheimischen zuckerhaltigen Pflanzen diesen Stoff zu gewinnen. Von diesen erwies sich in der Folge die Runkelrübe als das geeignetste Ausgangsmaterial, auf deren Zuckergehalt zuerst der Chemiker Marggraf in Berlin im Jahre 1747 aufmerksam gemacht hatte. Allerdings gewann er aus den Rüben nur etwa 6 Prozent Zucker. Nach vielen vergeblichen Versuchen, diesen Zuckergehalt der Rüben im großen auszubeuten, gelang es erst in den 1820er Jahren, die Rübenzuckerindustrie mit günstigem Erfolge zu betreiben und aus dem Safte der Runkelrüben, die bald zu eigentlichen Zuckerrüben veredelt wurden, einen Zucker von untadelhafter Beschaffenheit zu gewinnen.
Den Grund zu dieser Neuerung legte im Jahre 1801 Marggrafs Schüler Friedrich Karl Achard, der mit Unterstützung des Königs Friedrich Wilhelms III. von Preußen, welcher die Bedeutung der einheimischen Zuckererzeugung erkannt hatte, auf dem Gute Kunern bei Breslau in Niederschlesien zuerst Runkelrüben zur Zuckergewinnung pflanzte und eine Zuckerrübenfabrik errichtete, nachdem er schon 1796 auf seinem Gute Kaulsdorf bei Berlin Rübenzucker hergestellt hatte. Doch betrug die Ausbeute an Zucker zunächst nur 2–3 Prozent und die Fabrikation hatte auch sonst mit den größten Schwierigkeiten zu kämpfen. Zu Hilfe kam ihr nun die durch die Kontinentalsperre hervorgerufene Zuckerteuerung. Ihr Verursacher, Kaiser Napoleon I., hatte selbst einen Preis von einer Million Franken für die gelungene Darstellung von Zucker aus inländischen Pflanzen ausgesetzt. Durch diese doppelte Aussicht gereizt und durch den ungeheuren Eingangszoll auf Rohrzucker begünstigt, der diesen, den man doch nicht entbehren mochte, ganz fabelhaft verteuerte, lernte man trotz der geringen Ausbeute doch nach und nach Nutzen ziehen. Von ganz wesentlichem Einflusse wurde dabei die Entdeckung der günstigen Wirkung, welche der Zusatz von Knochenkohle bei der Behandlung des Zuckersaftes auszuüben vermag. Die französische Regierung, die selbst im Besitze von Kolonien war, welche Rohrzucker, wenn auch in mäßigen Mengen, erzeugten, kam freilich in Verlegenheit, ob sie hinsichtlich der Zucker[S. 450]fabrikation die Kolonien gegen das Mutterland oder das Mutterland gegen die Kolonien schützen solle. Zuletzt aber behielt auch bei ihr die Verpflichtung zum Schutze der einheimischen Rübenzuckerindustrie die Oberhand und diese hat ihr die Begünstigung auch reichlich vergolten. So wurde Frankreich neben Deutschland das erste Land, in welchem die Runkelrübe zur Zuckergewinnung angepflanzt wurde. Seit dem Jahre 1811 besaß es eine ansehnliche Zahl von Rübenzuckerfabriken, besonders nachdem Delessert das Darstellungsverfahren von Zucker aus dem Rübensafte vervollkommnet hatte. Aber nach Aufhebung der Kontinentalsperre gingen auch hier wie in Deutschland die meisten Rübenzuckerfabriken ein.
Erst vom Jahre 1820 datiert der neue Aufschwung und der schließlich großartige Erfolg der Rübenzuckerindustrie, so daß heute in ganz Europa von den Ufern der Garonne bis zum Ural zahlreiche Rübenzuckerfabriken bestehen und selbst England angefangen hat, Rübenzucker herzustellen, obschon gerade dieses Land alle Ursache hätte, dem Zucker seiner Kolonien keine Konkurrenz zu machen. Seit dem Jahre 1850 bis heute hat sich die Rübenzuckerindustrie mehr als verdreißigfacht, so daß Mitteleuropa, speziell Deutschland, nicht bloß seinen eigenen Bedarf deckt, sondern noch viel Zucker auszuführen vermag. Dabei liefert der Rübenzucker ein Produkt, das dem besten Rohrzucker an Güte nicht im mindesten nachsteht, und zwar benötigt man zur Herstellung von 1 Zentner Rohzucker durchschnittlich 12,5 Zentner Zuckerrüben. Es ist dies eine heute durch Zucht spezialisierte, d. h. in bezug auf Zuckergehalt bedeutend angereicherte Runkelrübe, welche am besten auf gründlich gepflügtem und fleißig geeggtem, fettem, lehmigem Boden gedeiht, der tüchtig gedüngt werden muß, da die Rüben demselben reichlich Nährsalze entziehen. Im März wird die Zuckerrübe ausgesät. Bald kommen die jungen Pflanzen zum Vorschein. Mehrmals muß nun zuerst von Hand, dann mit der Hacke gejätet, dabei auch die zu eng stehenden Pflänzchen ausgedünnt werden. Wenn die Rübe eine bestimmte Größe erreicht hat, wird sie ein- oder zweimal behäufelt, wobei derjenige Teil der Pfahlwurzel, der über die Erde hervorragt, mit Erde bedeckt wird. Man hat nämlich durch zahlreiche Versuche festgestellt, daß das Licht umgekehrt wie bei den Stengeln des Zuckerrohrs nachteilig für die Zuckerbildung in der fleischigen Pfahlwurzel der Runkelrübe ist. Diese nimmt nach und nach an Umfang zu und in demselben Maße wächst auch ihr Zuckergehalt, der schließlich durch Kultur und fortwährende Auslese der[S. 451] süßesten Sorten von ursprünglich 6 auf 14, ja sogar 18 und 20 Prozent stieg.
Gewöhnlich läßt man die Rüben nur mäßig groß werden. Sobald der Zuckergehalt in ihrer Wurzel seinen Höhepunkt erreicht hat, werden sie aus dem Boden gepflügt. Dann werden an ihnen die Blätter und die Krone ausgeschnitten, damit die Zuckerrüben später nicht in den Speichern weiterwachsen können, da dadurch ihr Zuckergehalt bald erschöpft werden würde. Die Blätter werden meist auf dem Felde zurückgelassen, um als Dünger zu dienen; nur in Jahren, in denen das Futter knapp ist, werden sie als Viehfutter benutzt, obschon ihr Nährwert nur ein geringer ist.
So zubereitet werden die Rüben auf dem Felde zu großen Haufen aufgestapelt und mit Stroh und Erde bedeckt. Aus diesen Reservevorräten holt man so viel in die Fabrik, als verarbeitet werden kann. Zuerst werden die Rüben in einem Röhrenkomplex in fließendem Wasser gereinigt, dann durch eine Maschine in einem zylindrischen Kasten in kleine Stücke geschnitten und zu Brei zerrieben, der durch etwas Wasser ausgelaugt und schließlich, in Tücher von grober Wolle eingeschlagen, durch eine hydraulische Presse ausgedrückt wird. Der Saft wird dann auf verschiedene Weise, zuletzt durch Passieren eines Filters mit Knochenkohle, gereinigt und im Vakuumapparat vermittelst Dampf in luftverdünnten Kesseln eingekocht. Ungefähr 85 Prozent von dem darin eingedickten Saft besteht dann aus Zucker, der durch Zentrifugieren von der Melasse getrennt wird.
Der so gewonnene Zucker ist pulverförmig und muß gereinigt werden. Zu diesem Zweck wird er von neuem in Wasser gelöst und, mit Knochenkohle und Ochsenblut vermischt, in großen Kesseln gekocht. So raffiniert wird der flüssige Zucker in Formen gegossen, in welchen eine langsame Kristallisation stattfindet. Zuletzt werden die Formen in die Schwitzkammern gebracht und die Melasse aus ihnen entleert; schließlich gewinnt man reinen Zucker in Form von Kegeln oder Würfeln. Der Preßrückstand der Zuckerrüben, die Preßlinge, dienen als Viehfutter.
Die Rübenzuckerindustrie ist für unsere Landwirtschaft von allergrößter Bedeutung geworden, weil durch sie dem Boden die höchste Rente abgewonnen wird; sie hat auch einen starken Export namentlich nach den Vereinigten Staaten hervorgerufen, der dem Lande viel Geld einbringt. In Deutschland bestanden im Jahre 1908 358 Rübenzuckerfabriken, die gegen 13000 Millionen kg Zuckerrüben verarbeiteten[S. 452] und daraus 2135 Millionen kg Rohzucker gewannen. Damit steht dieses Land in der Produktion des Rübenzuckers obenan. Ihm folgen der Reihe nach Rußland mit 1470 Millionen kg, Österreich mit 1345 Millionen kg, Frankreich mit 760 Millionen kg, Belgien mit 285 Millionen kg und endlich die Niederlande mit 180 Millionen kg. Die Zuckerproduktion der ganzen Welt im Betrage von etwa 11 Milliarden kg besteht zur größeren Hälfte — etwa 6 Milliarden kg — aus Rübenzucker und zur kleineren — 5 Milliarden kg — aus Rohrzucker. Letzterer wird besonders auf Kuba, der Perle der Antillen, gepflanzt, das im Jahre 1906/07 allein 1486 Millionen kg Zucker aus Zuckerrohr produzierte. Java erzeugte im Jahre 1905 1039 Millionen kg; der Süden der Vereinigten Staaten im gleichen Jahre 342000 kg und Hawai 370 Millionen kg. Weitere wichtige Erzeugungsländer für Rohrzucker sind Mauritius, Ägypten, die Philippinen und Portoriko mit je 100–200 Millionen kg Produktion; ferner China und Indien, deren Ertrag sich jedoch nicht sicher bestimmen läßt, da sie fast ausschließlich für den eigenen bedeutenden Konsum arbeiten.
Da das Zuckerrohr wie alle aus Stecklingen oder Pfropfreisern auf vegetativem Wege vermehrten Pflanzen im Laufe der Zeit an Widerstandskraft gegen äußere, schädliche Einflüsse eingebüßt hat, so ist man bestrebt, es auch auf generativem Wege fortzupflanzen, um dadurch weiterer Entartung desselben vorzubeugen. Zu diesem Zwecke erforschte man genau, welche Kultursorten noch nicht so weit entartet sind und noch normale Blüten entwickeln; dabei fanden sich bei keiner mehr normale Verhältnisse. Selbst beim zucker- und blütenreichen Cheribonrohr von Java waren die Pollenkörner zum größten Teile vertrocknet, also völlig untauglich zur Bestäubung. Da benützte man zur Befruchtung dieser noch nicht völlig in bezug auf Geschlechtsorgane degenerierten Kultursorte den Pollen von zwei wilden Arten, dem Saccharum ciliatum und dem Kassurrohr und erzielte damit kräftige Keimlinge, die teilweise noch eine weit größere Höhe erreichten als ihre Muttervarietäten. Sie waren recht zuckerreich und wurden dann in der gewöhnlichen Weise vegetativ fortgepflanzt, wobei sich die Mehrzahl derselben sehr gut hielt. Daraus lassen sich gewiß mit der Zeit gute, neue Kulturvarietäten entwickeln.
Vor allem waren diese auf geschlechtlichem Wege erzeugten Zuckerrohrarten absolut frei von der in Java als Sereh bezeichneten und sehr gefürchteten Krankheit, die sich darin äußert, daß das Rohr niedrig bleibt und keine großen Halme mehr treibt, dafür zahlreiche Seiten[S. 453]triebe erzeugt, wodurch es einer Grassorte mit wohlriechender Wurzel, dort sereh genannt (Andropogon schoenanthus) sehr ähnelt, schließlich verkümmert und abstirbt. Diese Krankheit ist nicht auf irgend welche infektiöse Keime zurückzuführen, sondern ist eine erbliche Entartungserscheinung, die von Jahr zu Jahr stärker wird, wenn die Stecklinge serehkranken Rohren entnommen werden. Dagegen hilft am besten die Kultur von aus Samenpflanzen gezogenen Stecklingen.
Von tierischen Schädlingen sind in Amerika besonders der Zuckerrohrkäfer, dann der Zuckerrohrwickler, dessen Raupe sich ebenfalls in das Zuckerrohr einbohrt, zwei Ameisenarten und die Zuckerschildlaus einigermaßen gefürchtet. Außerdem werden die mannigfachsten Pilzkrankheiten am Zuckerrohr beobachtet, so der Brand, der rote und Blattrost, die Ananas- und Dongkellankrankheit, die Gelbflecken-, Rotflecken-, Ring-, Augen- und Blattfleckenkrankheit der Blätter und verschiedene andere, auf die wir hier nicht näher eingehen können.
Es liegt in der menschlichen Natur das instinktive Bedürfnis, gewisse Stoffe in sich aufzunehmen, die weder als Kraftquelle dienen, noch als Ersatzmittel für verbrauchte Körperbestandteile eine Bedeutung haben, wohl aber eine angenehm anregende Wirkung auf das Nervensystem ausüben und etwa vorhandene Müdigkeit oder geistige Trägheit rasch beseitigen. Durch diese Eigenschaften sind sie dem Menschen fast ebenso unentbehrlich wie die Nahrungsstoffe geworden, mit denen er den stetigen Stoffverlust beim Lebensprozesse ersetzt. Unter diesen Genußmitteln ist, abgesehen vom Alkohol, der leider durch die ihm innewohnende Verleitung zur Unmäßigkeit eine überaus verhängnisvolle Rolle spielt, der vom Chemiker als dreifach methyliertes Xanthin bezeichnete Körper, eine stickstofffreie, kristallisierbare Verbindung, die man als Koffeïn bezeichnet, die weitaus wichtigste.
Diesen durch keine besonderen Merkmale gekennzeichneten Stoff hat der Mensch mit wunderbarem Scharfsinn überall in der ihn umgebenden Pflanzenwelt herauszufinden vermocht, so die Araber in der Kaffeebohne, die Chinesen im Tee, die Neger West- und Zentralafrikas in der bitteren Kolanuß und im Mus der Dodoa, die Südafrikaner im Buschtee, den Blättern einer Cyclopiaart, die Eingeborenen Südamerikas im Mate oder Paraguaytee, der von den Blättern der paraguayschen Stechpalme gewonnen wird, und in den Samen einer Guarana genannten brasilianischen Schlingpflanze, endlich die Indianer Mittelamerikas im Kakao und diejenigen Nordamerikas im Apalachentee, der aus den Blättern mehrerer Stechpalmenarten, die um den mexikanischen Meerbusen wachsen, gewonnen wird. Diese Erscheinung ist um so auffallender, als das Koffein sich weder durch seinen Geruch, noch durch seinen Geschmack irgendwie verraten kann, ebensowenig als das zweifach methylierte Xanthin, das außer dem Koffeïn im Tee[S. 455] als Theophyllin und im Kakao und in der Kolanuß als Theobromin vorhanden ist.
In der Auffindung all dieser koffeïn- und theobrominhaltigen Genußmittel offenbart sich ein erstaunlicher Scharfsinn der Naturvölker. Das allermerkwürdigste ist aber, daß es dem Menschen gelang, alle solche die Nerven anregenden und das Müdigkeitsgefühl beseitigenden Substanzen enthaltende Pflanzen in der Natur aufzufinden, und zwar in jeder Pflanze wiederum den an diesen Alkaloiden reichsten Teil herauszubekommen und nur diesen zu verwenden!
In den betreffenden Samen oder Blättern ist das Koffeïn, wie auch die übrigen verwandten Stoffe, eine Art für die Pflanze nicht weiter benutzbarer Ausscheidung, ein dem Harnstoff verwandtes Endprodukt des Stoffwechsels, ähnlich wie die Purinkörper im Tierleibe, die hier zu oft höchst bunter Färbung des Körpers, wie z. B. im mannigfachen Gefieder der Vögel und in den Zeichnungen der Schmetterlinge und Käfer Verwendung finden. Und zwar sind diese Stoffe in den betreffenden Pflanzen in gerbsaurer, daher zunächst bitter schmeckender Verbindung vorhanden.
Würdigen wir zunächst das bei uns weitaus populärste Genußmittel aus dieser Gruppe, den Kaffee, ohne den die Kulturmenschen der Gegenwart sich das Leben gar nicht mehr vorstellen könnten. Wie ist eigentlich der Mensch auf den Genuß dieses Getränkes verfallen? Niemand vermag uns da eine zutreffende Antwort zu geben.
In einer zu Ende des 17. Jahrhunderts in Rom geschriebenen Abhandlung über den Kaffee berichtet uns der Italiener Fausto Naironi, daß im Jahre 1440 ein Hirte aus dem Gallastamme in der Gebirgslandschaft Kaffa im südlichen Abessinien, wo die Kaffeestaude dichte, buschartige Bestände bildet, den Mönchen des benachbarten abessinischen Klosters voller Erstaunen erzählt habe, daß seine Herde, statt wie gewöhnlich zu schlafen, die ganze Nacht hindurch erregt herumgesprungen sei, worauf die Mönche, welche der Ansicht waren, diese Erscheinung ließe sich nur dadurch erklären, daß die Tiere ein besonders anregendes Kraut gefressen hätten, bald feststellten, daß auf dem Platze, wo die Herde geweidet hatte, eine große Anzahl von Sträuchern kürzlich ihrer Blätter und Früchte beraubt worden waren. Sie sollen dann einige Früchte dieser Sträucher, die nichts anderes waren als Kaffeesträucher, gepflückt und an sich selbst die anregende Wirkung verspürt haben, so daß sich von dieser Zeit an diejenigen Mönche, welche die Nacht im Gebet verbringen mußten, mit dem Getränk, das sie durch[S. 456] Abkochen der Früchte bereiteten, den Schlaf vertrieben. Dann soll diese Entdeckung in weitere Kreise gedrungen und zur Kenntnis von ein paar arabischen Kaufleuten gelangt sein, die sich sofort daran machten, dieses so wichtige Produkt auszubeuten.
Anders als diese abessinische Sage — denn mit einer solchen, der dazu noch alle Anzeichen höchster Unwahrscheinlichkeit anhaftet, haben wir es zu tun — lautet die Legende, die die Araber über die Entdeckung der anregenden Wirkung der Kaffeepflanze erzählen. Diese ist dem orientalischen Geschmacke entsprechend mit solchen phantastischen Wundern ausgeschmückt, daß es nicht der Mühe lohnt, näher darauf einzugehen. Auch sie schreibt in letzter Linie Hirten die Entdeckung der eigentümlich anregenden und den Schlaf verscheuchenden Wirkung der Produkte des Kaffeestrauches zu.
Dem mag nun sein, wie ihm will, jedenfalls sind die Beeren des in Afrika heimischen und dort in mehreren Arten noch wildwachsend angetroffenen Kaffeestrauches im abessinischen Hochlande zuerst wegen ihrer anregenden Wirkung auf das Nervensystem vom Menschen benutzt worden. Bei den regen Handelsverbindungen mit Südarabien konnte es nicht fehlen, daß das Genußmittel zu Anfang des 16. Jahrhunderts dorthin gelangte, und zwar zuerst 1507 nach Aden und bald darauf auch nach Mekka. Ein von Aden gebürtiger Mufti, d. h. Rechtsgelehrter, Dhabani — so erzählt der zu Anfang des 15. Jahrhunderts lebende Rechtsgelehrte Scheik Abd-elkader Ansari — sah auf einer Reise nach Adjam an der Westküste des Roten Meeres seine Landsleute Kaffee trinken, versuchte den Trank selbst und erfuhr dabei, daß er wach erhält und den Schlaf vertreibt. Von diesem neuen Genußmittel brachte er Bohnen in seine Heimat mit und verbreitete nach seiner Rückkehr den daraus bereiteten Trank unter den Derwischen, einer Art Mönchen, zur besseren Abhaltung der vorgeschriebenen Gebetstunden. Der Genuß dieses Anregungsmittels griff aber bald um sich; denn er war der hier ansässigen muhammedanischen Bevölkerung um so willkommener, als ihr den Lehren des Korans zufolge der Genuß geistiger Getränke verboten war. Allein wie alles Neue, so fand auch der Kaffee seine Gegner. Als im Jahre 1511 ein neuer Statthalter, Khair Beg, nach Mekka kam, der den aus den Kaffeebohnen bereiteten braunen Trank noch nicht kannte, und die heiteren Kaffeegelage in den Höfen und unter den schattigen Säulenhallen der Moscheen sah, ließ er die Leute, die diesen ihm unbekannten Trank schlürften, auseinandertreiben. Dieses Getränk schien ihm, weil auf[S. 457]regend, gegen die Satzungen des Korans zu verstoßen, und so berief er eine Versammlung von Gelehrten, die über die Zulässigkeit seines Genusses entscheiden sollten. Ihr präsidierten zwei Ärzte, die Gebrüder Hakim Ani, und diese erklärten den Kaffee für „kalt und trocken“ und deshalb verwerflich. Ihnen schloß sich die Mehrzahl der Versammlung an, und so ward der Genuß von Kaffee verboten und die Niederlagen desselben zerstört. Es wurde damals behauptet, daß die Gesichter aller Kaffeetrinker einst am Tage des Gerichts noch schwärzer erscheinen würden, als der Kaffeetopf, aus dem sie das Gift getrunken. Wer immer des Genusses von Kaffee überführt wurde, den ließ man, rückwärts auf einem Esel reitend und dem Spott der Menge preisgegeben, durch die Straßen von Mekka führen. Der Statthalter berichtete über diese seine Verordnung an den Sultan von Kairo als seinem Vorgesetzten, der diese Verordnung guthieß. Aber da der Kaffee hier beim gemeinen Volke wie bei den Gelehrten bereits Eingang gefunden hatte, mußte das Dekret bald von ihm zurückgenommen und durften die Kaffeeschenken in Mekka wieder eröffnet werden. Ja der neue Statthalter, selbst ein eifriger Verehrer des Kaffees, scheute sich nicht, denselben öffentlich in Gesellschaft seiner Gäste zu trinken. Diesem Beispiele folgten bald auch andere ansehnliche Personen.
Durch die in der muhammedanischen Welt vorgeschriebenen Wallfahrten nach Mekka wurde der Kaffee bald in Ägypten und Syrien bekannt. So lernte Sultan Selim I., der in den Jahren 1516 und 1517 Syrien, Palästina und Ägypten eroberte, hier den Kaffee kennen. Doch ging es bis zum Jahre 1554, bis zwei Kaufleute, Hakim von Aleppo und Schems von Damaskus, die ersten Kaffeehäuser in Konstantinopel errichteten. Das Geschäft scheint sehr gut gegangen zu sein; denn schon nach drei Jahren kehrte Schems als reicher Mann nach Damaskus zurück. Und der wohltätige Einfluß, den das äthiopische Getränk auf die Geistestätigkeit der es Genießenden ausübte, hatte zur Folge, daß alle möglichen Leute, besonders Gelehrte und Beamte, selbst Paschas, in den Kaffeehäusern, die sich bald vermehrten, zusammenströmten, so daß diese bald Mittelpunkte des geselligen Lebens wurden und als solche mektâb-i-irfân, d. h. Schulen der Gebildeten, genannt wurden. Ja, die muhammedanischen Priester fingen an sich zu beklagen, daß die Moscheen immer weniger, dafür aber die Kaffeehäuser immer mehr besucht würden. Sie erklärten, daß die Kaffeehäuser für das Heil der Seele noch verderblicher seien als die Wirtshäuser. In einer Eingabe an den Mufti gaben sie an, der Kaffee sei[S. 458] eine Art Kohle, und solche zu essen habe der Prophet im Koran verboten. Und tatsächlich wurde der Kaffee unter Sultan Murad II. verboten. Aber man wußte sich zu helfen und trank ihn hinter verschlossenen Türen weiter, bis ein neuer Mufti nach Konstantinopel kam und erklärte, der Kaffee sei keine Kohle, deshalb könne er von jedem Muselmann getrunken werden. Infolgedessen wurden die Kaffeehäuser wieder eröffnet und mehrten sich bald dermaßen, daß der Großvezier sie als einträgliche Steuerobjekte auffaßte. So mußte jeder Kaffeewirt täglich 1 Zechine (venezianisches Goldstück im Werte von etwa 16 Mark) Steuer bezahlen und durfte gleichwohl nicht mehr als 1 Asper (= 15 Pfennigen) für eine Tasse Kaffee verlangen. Der Großvezier Köprili ließ während der Minderjährigkeit Muhammeds IV. die Kaffeehäuser aufs neue schließen, als er sich überzeugt hatte, daß in ihnen zu viel politisiert wurde. Aber trotz dieser Maßregel nahm der nun einmal populär gewordene Kaffeeverbrauch in Konstantinopel nicht ab, da man dieses Getränk überall auf den Plätzen und in den Straßen feilbot. Als Köprilis Nachfolger ans Ruder kam, ließ er die Kaffeehäuser unbehelligt. Aber aus der arabischen Literatur jener Zeit, die ebensoviel Spott- als Lobgedichte auf den Kaffee enthält, kann man deutlich erkennen, mit welch fortwährenden Kämpfen seine Verbreitung allenthalben in muhammedanischen Ländern errungen wurde.
Die erste Kunde von diesem braunen, das Nervensystem anregenden Getränk brachte, soviel wir wissen, der den Orient bereisende Augsburger Arzt Leonhard Rauwolf nach Deutschland. Er hatte ihn im Jahre 1573 in einem Kaffeehaus in Aleppo kennen gelernt und berichtete darüber in seinem 1582 erschienenen Reisewerke, betitelt „Raiß in die Morgenländer“ folgendes: „Die Türken haben in Halepo ein gut Getränke, welliches sie hoch halten, Chaube von ihnen genannt, das ist gar nahe wie Dinten so schwarz und ist in gebresten, sonderlich des Magens, gar dienstlich. Dieses pflegens am Morgen fru, auch an offenen Orten, vor jedem manigulich, ohne alles Abschuchen (Abscheu) zu trinken, aus jrdenen und Porzellanischen tiefen Schälein so warm als sie’s könnden erleiden, setzend offt an, thond aber kleinen trinklein und lassens gleich weitter, wie sie neben einander im Kreiß sitzen, herumbgehen. Dieser Trank ist bei Ihnen sehr gemain.“
Die erste Beschreibung der Kaffeepflanze gab dem Abendlande der gelehrte Arzt und Botaniker Prosper Alpino, Professor zu Padua, in seinem 1592 erschienenen lateinischen Buche über die Pflanzen Ägyptens. Er hatte nämlich bei seinem Aufenthalte zum Studium der Flora des[S. 459] Niltals im Garten eines vornehmen Türken in Kairo einen Kaffeestrauch gesehen. Er bezeichnete den Strauch als arbor Bon cum fructu suo Buna. Rauwolf hatte den Strauch als Bunnu und Bellus, der 1596 Samen der Kaffeepflanze an Clusius gesandt hatte, als Bunca bezeichnet. Nun muß der Name bunnu oder ein diesem ähnlicher die ursprüngliche Bezeichnung der Kaffeepflanze gewesen sein, die die Abessinier heute noch bun nennen. Auch die Araber bezeichnen mit bun sowohl die Kaffeepflanze als die Kaffeebohne, während sie den aus den gerösteten Kaffeebohnen hergestellten Trank kahweh (sprich kachweh) nennen. Dieses alte arabische Wort ist nach dem Orientalisten A. Mez ursprünglich die Bezeichnung für Wein, die dann auf den neuen Trank übertragen wurde. Aus dieser arabischen Benennung ist unser Wort Kaffee entstanden, das durchaus nicht von Kaffa, der abessinischen Provinz als der Heimat des Kaffees, abzuleiten ist. Schon der vorhin genannte Paduaner Botaniker Prosper Alpino, der auch eine allerdings recht unvollkommene Abbildung der Kaffeepflanze veröffentlichte, gab an, daß aus den Früchten ein caova genanntes Getränk bereitet werde, das anregend auf die Geistestätigkeit und die Phantasie wirke. Auch Bellus spricht in seinem Briefe an Clusius 1596, daß die Ägypter aus den Samen des Kaffees, die sie zuerst über Feuer rösten und dann in einem Holzmörser fein zerstoßen, das braune Getränk cave bereiten, und 1615 schrieb der Italiener Pietro della Valle seinen Verwandten in der Heimat von diesem von ihm als kawhe bezeichneten neuen Getränk, es sei von schwarzer Farbe, wirke im Sommer kühlend, im Winter dagegen erwärmend.
Abgesehen vom türkischen, also noch durchaus zum Orient gehörenden Konstantinopel, war die durch ihren immer noch regen Handel mit dem muhammedanischen Morgenlande in Verbindung stehende Stadt Venedig der erste abendländische Ort, in welchem Kaffee getrunken wurde. Es war dies im Jahre 1624. Doch kamen erst 1642 größere Mengen dieses Genußmittels nach Venedig, und 1645 wurde daselbst das erste Kaffeehaus errichtet. Aber erst zu Ende des 17. Jahrhunderts kam das den Muhammedanern entlehnte Getränk in den Städten Italiens wenigstens bei den Vornehmen, die ihn zu bezahlen vermochten, in Mode und wurden die Kaffeehäuser in Italien zahlreicher. Nach Frankreich kam der Kaffee im Jahre 1644, und zwar nach Marseille, wo 1659 das erste Kaffeehaus errichtet wurde. Auch in England führte sich der Kaffee rasch ein; 1650 bestand schon ein Kaffeehaus in Oxford, und 1652 eines in London. In Paris ließ der Gelehrte[S. 460] Thevenot im Jahre 1658, kurz nach seiner Rückkehr aus dem Orient, zum erstenmal bei einem Diner seinen Gästen Kaffee als Nachtischgetränk vorsetzen; aber das fremdartige Getränk mundete ihnen nicht, so daß eine Wiederholung des Versuches unterblieb. Erst zu Ende der sechziger Jahre des 17. Jahrhunderts, unter Ludwig XIV., wurde das Kaffeetrinken in Paris in den Kreisen der Vornehmen durch Soliman Aga, den Gesandten Muhammeds III., einigermaßen populär. Le Grand d’Aussy berichtet, daß jener Türke seinen Gästen den Kaffee nach orientalischer Sitte servieren ließ. Es reichten ihn leibeigene Diener in glänzenden Porzellantassen auf goldbefransten Servietten. Die fremdartige Einrichtung der Zimmer, das Sitzen auf Diwans oder Teppichen am Boden, die mit Hilfe eines Dolmetschers geführte Unterhaltung interessierte besonders die Damen noch mehr als der gereichte Kaffee. Überall wurde in Hofkreisen davon gesprochen, und schließlich gingen alle Vornehmen zu dem interessanten Türken, um seine merkwürdige Wohnung und seinen braunen Trank kennen zu lernen. Jeder, der etwas auf sich hielt, wollte von letzterem gekostet haben.
In Paris eröffnete im Jahre 1670 ein Armenier namens Pascal, der im Dienste eines türkischen Arztes gestanden hatte, auf dem Quai de l’Ecole das erste Pariser Kaffeehaus, das nach dem darin feilgebotenen Getränke Café genannt wurde. Es war eine „boutique“ nach Art der orientalischen, ohne irgend welche gefällige Ausstattung. Deshalb gefiel es dem feineren Publikum, das damals allein Kaffee zu trinken begann, durchaus nicht, und der Armenier machte recht schlechte Geschäfte. Den Grund des Mißerfolges erkannte richtig der Sizilianer Francesco Procopio, der sich in Paris durch die Einführung des Gefrorenen einen Namen gemacht hatte. Er richtete gegenüber der alten Comédie française eine Schankwirtschaft ein, in welcher er außer Kaffee auch Tee, Schokolade, Eis und verschiedene Liköre feilbot. Und da sein Lokal hübsch ausgestattet und gefällig dekoriert war, fehlte es ihm bald nicht an Gästen. Seine Erfolge ermutigten andere, solche Erfrischungsorte zu eröffnen, so daß Paris schon im Jahre 1676 eine große Zahl solcher Cafés aufwies.
Da der Kaffeegenuß der um sich greifenden Trunksucht zu steuern schien, begünstigte ihn Ludwig XIV. so sehr er konnte. Doch war er noch so teuer, daß er nur für die Wohlhabenden erschwinglich war. So kostete damals das Pfund Kaffeebohnen 140 alte Franken, und die Tasse 2 Sous und 5 Deniers; dafür kann das Getränk freilich nicht sehr stark gewesen sein, wenn der Kaffeeschenk auf seine Rech[S. 461]nung kommen wollte. Auch galt sein Genuß nicht als ganz ungefährlich; die Marquise de Sévigné rät darum ihrer Tochter, der Gräfin Grignan, in einem Briefe aus dem Jahre 1680, dem Kaffee etwas Milch zuzusetzen, „um seine Schädlichkeit zu mildern“. Im Jahre 1674 reichten die Frauen in London eine Petition gegen den Kaffee als gesundheitsschädliche Neuerung ein, und 1675 ließ Karl II. aus politischen Gründen die Kaffeehäuser, die sich sehr rasch vermehrten und zu Sammelplätzen der Vornehmen, Gelehrten und Politiker wurden, als „Brutstätten der Revolution“ in seinem ganzen Reiche polizeilich schließen. Doch mußte er sein Verbot schon nach wenigen Tagen zurückziehen, da er es nicht auf eine Revolte der zahlreichen Liebhaber des Kaffees ankommen lassen wollte. Englische Spottgedichte aus jener Zeit nennen den Kaffee einen „Kienrußsirup, schwarzes Türkenblut, eine ekelerregende Abkochung aus alten Schuhen und Stiefeln“ usw., vermochten aber mit allem Lächerlichmachen nicht, seinen weiteren Siegeslauf durch die Welt aufzuhalten.
Im Jahre 1680 ward das erste Kaffeehaus im Haag und 1683, nach der Entsetzung von Wien, das erste solche in Österreichs Hauptstadt errichtet. Hier war es ein gewisser Kolschitzky, dem als Belohnung für den Mut, mit dem er sich als Türke verkleidet durch den Belagerungsring hindurchgeschlichen hatte, um der durch Kara Mustapha aufs äußerste bedrängten Stadt vom Nahen des Ersatzheeres unter Herzog Karl von Lothringen Kunde zu bringen, die im verlassenen türkischen Lager gefundenen Säcke mit Kaffee überlassen wurden, damit er den braunen Trank bereite und ihn den Liebhabern desselben ausschenke.
Nach Deutschland kam der Kaffee von Holland und Frankreich her um 1670. Am Hofe des Großen Kurfürsten war er im Jahre 1675 im Gebrauch. Das erste deutsche Kaffeehaus wurde 1679 in Hamburg von einem englischen Kaufmann errichtet. Ihm folgten Leipzig 1684, Nürnberg und Regensburg 1686, Köln 1687, Stuttgart 1712, Augsburg 1713 und Berlin 1721. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts war der Kaffeegenuß an allen deutschen Höfen und bei der wohlhabenden Bevölkerung ziemlich allgemein verbreitet und die Kaffeebohnen bildeten einen wichtigen Handelsartikel für Hamburg und Bremen. Aber auch in Europa ging die Einführung des Kaffees nicht ohne Widerstand vor sich. Besonders die Ärzte bekämpften vielfach seinen Genuß der gesundheitschädlichen Wirkungen wegen und verbreiteten besonders die von Alpino aus dem Orient mitgebrachte[S. 462] irrtümliche Ansicht, daß der Kaffee Unfruchtbarkeit im Gefolge habe. Die Volkswirtschaftler eiferten in jener Blütezeit des Merkantilismus dagegen, daß große Summen für den teuren Kaffee ins Ausland gingen. Deshalb wurde sein Genuß vielfach durch die Regierungen verboten oder durch hohe Zölle und Steuern nur für die Bemittelten möglich gemacht. In Schweden wurde er im Jahre 1750 und in Hessen-Darmstadt 1766 gänzlich verboten. Auch Friedrich der Große versuchte vergeblich seinen Verbrauch einzuschränken. In dem Bestreben, Preußen wirtschaftlich abzuschließen und das Geld im Lande zu behalten, hatte er besonders die damals noch teueren Kolonialwaren mit hohen Zöllen belegt und suchte sie zu monopolisieren. Am liebsten hätte er den Kaffee ganz verboten; das Landvolk sollte sich nicht an ihn gewöhnen, „denn das ist mit die Absicht“, antwortete er auf eine Beschwerde, „daß nicht so viel Geld für Kaffee aus dem Lande gehen soll. Übrigens sind Seine Majestät höchstselbst in der Jugend mit Biersuppe erzogen worden. Mithin können die Leute ebensogut mit Biersuppe erzogen werden. Das ist viel gesünder als der Kaffee.“
Wenn Friedrich der Große auch nicht so weit ging wie Landgraf Friedrich von Hessen, der den Kaffee in seinem Lande bei 100 Talern Strafe verbot, so wollte er die Sucht seiner Untertanen nach diesem Genußmittel in andere Bahnen lenken. Zu diesem Zwecke wurden Marggraf und einige andere Chemiker beauftragt, an Stelle des damals meist nur in gebranntem Zustande von den Holländern bezogenen Kaffees Surrogate zu schaffen, was zur Entstehung von Eichelkaffee, von Kaffee aus Gerste und Roggen, ja selbst aus Rüben und Roßkastanien führte. Erst später, nämlich um das Jahr 1790, kam der Zichorienkaffee auf, nachdem man zuvor die gerösteten Wurzeln der Möhren, der Rüben und des Löwenzahns als Kaffeesurrogate verwendet hatte. Aber alle diese Kaffeeersatzmittel erfreuten sich durchaus nicht des Beifalls des Publikums, so daß dieses nach wie vor lieber den sehr teueren echten Kaffee, der ihm die gewünschte anregende Wirkung verschaffte, zu kaufen begehrte. Als der König sah, daß er den Leuten den Kaffee nicht verbieten könne, so wollte er wenigstens zugunsten des Fiskus ein gutes Geschäft damit machen. So führte er im Jahre 1781 ein Kaffeemonopol in Preußen ein, das die dem Bürgerstande angehörenden Konsumenten zwang, den gebrannten Kaffee vom Staat, und zwar 24 Lot (= 408 g) zum Preise von einem Taler, d. h. sechsmal so teuer als früher zu kaufen. Nur Adelige, Beamte und Geistliche konnten Brennscheine erhalten, die[S. 463] ihnen erlaubten, den billigeren rohen Bohnenkaffee zu kaufen und ihn selbst zu brennen.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts hat sich der Kaffee die ganze Kulturwelt erobert und ist an Stelle der alten Breie von Hirse oder Hafer und dicken Suppen zum eigentlichen Frühstücksgetränk geworden. Besonders in Deutschland, das seiner Einführung so viel Widerstand entgegensetzte, hat er geradezu eine Kulturmission erzielt, indem er ganz wesentlich dazu beitrug, die noch bis zum Ende des 17. Jahrhunderts allgemein gebräuchliche Unsitte, zu allen Tageszeiten Wein und Bier in großen Mengen zu trinken, allmählich verdrängte und damit unwillkürlich verfeinernd auf die Sitten der Bevölkerung einwirkte. Wir alle wissen, daß der schwarze Trank die Nerventätigkeit und das Denken anregt, das Unbehagen der Müdigkeit beseitigt und durch den ganzen Körper ein wohliges Gefühl des Angeregtseins verbreitet. Außer dem Koffeïn, das von 0,9–1,5 Prozent darin enthalten ist, wovon aber beim Rösten mehr als die Hälfte verloren geht, haben wir im Kaffee einige Prozente eines flüchtigen sogenannten empyreumatischen Öles, Koffeon genannt, das sich durch das Rösten in den Bohnen entwickelt. Genießt man dieses abdestillierte Öl in Substanz, so entstehen Schweiß, Schlaflosigkeit und heftige Blutwallungen. Dieses Öl gibt dem Kaffee sein Aroma, das aber durch die Beimischung eines in den feineren Sorten etwas reichlicher vorhandenen zweiten Öles modifiziert wird. Dazu gesellen sich Kaffeesäure, ziemlich viel Eiweiß, etwas Zucker und eine Gerbsäure von besonderer Art, welche mit Eisenlösung einen grünlichen statt wie sonst einen blauen Niederschlag gibt, dann etwas Fett und Pflanzenschleim.
Guter Kaffee muß nicht nur vollständig reif gepflückt werden, sondern auch nachher noch im grünen Stadium den nötigen Reifungsprozeß durchmachen, wodurch er erst den köstlichen Wohlgeschmack und das herrliche Aroma gewinnt, das der Kulturmensch an ihm schätzt. Nicht genügend durch Lagern gereifter Kaffee schmeckt rauh und gehaltlos. Um nun das unserem Geruchs- und Geschmackssinn so angenehme flüchtige Öl und andere Zersetzungsprodukte der Bohnen zu gewinnen, röstet man den Kaffee nach vorherigem, kurzem Abspülen der Bohnen in Wasser, wobei man sich auch davon überzeugen kann, ob sie gefärbt waren, am besten in kugelartigen verschlossenen Gefäßen, wobei die Bohnen unablässig in Bewegung gehalten werden müssen. Dabei soll jede Bohne durch und durch, aber doch nicht zu stark geröstet werden. Das Rösten ist zu beenden, wenn die Bohnen plötzlich aufschwellen,[S. 464] braunrot werden und zu glänzen beginnen. Dann setzt man ihnen etwas Zucker zu, der von der Hitze sofort schmilzt und sie mit einer das Aroma besser bewahrenden Karamelhülle umgibt. Der Röstprozeß darf nun durchaus nicht zu lange fortgesetzt werden. Bloß braunrot gerösteter Kaffee enthält mehr Aroma als solcher, der kastanienbraun gefärbt oder gar durch Verkohlen schwarzbraun geworden. Je länger das Rösten fortgesetzt wird, um so mehr verlieren die Bohnen an Gewicht, nehmen dafür aber an Größe zu. So verliert z. B. braunroter Kaffee 15 Prozent an Gewicht und nimmt 30 Prozent an Größe zu; schwarzbraun gebrannter verliert dagegen 25 Prozent an Gewicht, gewinnt dagegen 50 Prozent an Umfang. Nach dem Brennen soll der Kaffee durch Ausschütten auf eine kalte Platte rasch abgekühlt werden, da um so mehr Aroma verloren geht und dabei ein unangenehmer Beigeschmack entsteht, je länger die Bohnen ihre hohe Temperatur behalten. Dann wird er fein gemahlen, wodurch das Ausziehen der löslichen Stoffe mit kochendem Wasser erleichtert wird.
Die gebrannte Bohne ist außerordentlich empfindlich gegen alles sie Berührende und muß am besten in metallenen oder gläsernen Gefäßen aufbewahrt werden. Man soll nur kleine Mengen aufs mal, dafür aber recht oft rösten, da frisch gebrannter Kaffee das beste Getränk liefert und außerdem das fette Öl in den zu lange aufbewahrten gerösteten Bohnen leicht ranzig wird. Auch ist das Wasser, das zur Herstellung des Kaffeeaufgusses verwendet wird, von großer Bedeutung. Je weniger es erdige Bestandteile, vor allem Kalk, und dafür doppeltkohlensaures Natron enthält, um so mehr löst es die Bestandteile des Kaffees und nimmt sie in sich auf. Deshalb sind Badeorte mit Mineralwasser, z. B. Karlsbad, wegen ihres vorzüglichen Kaffees berühmt. Dasselbe läßt sich erreichen, wenn man dem Wasser vor dem Aufgießen etwa eine Messerspitze voll doppeltkohlensaures Natron zusetzt. Auch das Kochen des Kaffees muß vermieden werden, da er dabei den größten Teil seines Aromas verliert.
Um einen möglichst wohlschmeckenden Kaffee zu erzeugen, ist vor allem auch die größte Sauberkeit bei der Zubereitung ein Haupterfordernis. Besser als Filter aus Blech, die den Geschmack des durchlaufenden heißen Wassers durch die Berührung mit Eisen sehr leicht verderben, sind solche aus Porzellan, Email oder Flanell zu verwenden. Das Wasser darf nicht mehr als 70°C. Wärme haben, da dann das feinste Aroma erzielt wird und die weniger feinen Elemente des Kaffees ungelöst bleiben. Am besten ist es, auf den im Filter befindlichen zu[S. 465]sammengedrückten, gemahlenen Kaffee zunächst eine kleine Menge heißen Wassers zu schütten und etwas ziehen zu lassen. Eine größere Menge würde die Löcher des Filters leicht verstopfen. Nachher gießt man das übrige Wasser nach. Den Trank selbst genießt man mit Milch und Zucker nach Belieben versetzt, am besten gleich nach seiner Herstellung, warm. In einer Tasse Kaffee, die aus etwa 8 g Kaffeebohnen bereitet wurde, findet sich dann 0,1 g Koffeïn. Gestützt auf diese Feststellung läßt sich jeder Kaffee leicht auf seine Güte prüfen. Dies tat kürzlich Dr. Strunk in Berlin und stellte dabei fest, daß man den besten und stärksten Kaffee in den erstklassigen Hotels erhält, denn in diesen wies die Tasse einen Gehalt von durchschnittlich 0,11 Koffeïn auf, geht also noch über den Durchschnitt hinaus. Sogenannter Mokkakaffee enthielt sogar 0,12 Koffeïn. Demgegenüber wird ein sehr dünner Kaffee in der Berliner Volksküche verabreicht; dieser enthält nämlich bloß 0,01 Koffeïn. Nicht viel besser ist der in den Studentenwohnungen verabreichte; derselbe weist durchschnittlich 0,02 Koffeïn auf. Er stellt also in bezug auf Koffeïnwirkung ein höchst unschuldiges Getränk dar, das fürwahr keinerlei Schädigung auf das Nervensystem ausüben dürfte.
Der Kaffee regt, wie wir alle durch vielfache eigene Erfahrung wissen, in hohem Maße das Nervensystem an, beseitigt die Müdigkeit, belebt die Gedanken und Vorstellungen und beschleunigt die Blutzirkulation. Auch kalt ist dünner Kaffee bei anstrengenden Touren und bei der Feldarbeit sehr angenehm und erhöht die körperliche Leistungsfähigkeit im Gegensatz zu den geistigen Getränken, die vielmehr erschlaffend wirken. Nur für nervöse, reizbare, leicht an Herzklopfen und Schlaflosigkeit leidende Personen ist er nicht zu empfehlen; auch wirkt ein Übermaß desselben schädlich selbst für Gesunde. In solchen Fällen ist der neuerdings in den Handel gelangende koffeïnfreie Kaffee oder irgend eins der zahlreichen beim Volke beliebten Kaffeesurrogate zu empfehlen.
Von den etwa 30 in Afrika wildwachsenden Arten des Kaffeestrauches kommen nur zwei für die Kultur im großen in Betracht, nämlich der sogenannte echte oder arabische Kaffee (Coffea arabica), der aus dem südlichen Abessinien stammt, und der Liberiakaffee (Coffea liberica) — so genannt nach dem Staate Liberia, wo er wild wächst — aus Westafrika. Der letztere ist derber, größer und breitästiger als der arabische Kaffeestrauch. Er ist im Gegensatz zu ersterem, der eine Gebirgspflanze darstellt und als solche bergige Lagen bevor[S. 466]zugt, eine Tieflandpflanze, die in ihrer Heimat nicht höher als 140 m über den Meeresspiegel steigt und ein feuchtwarmes Klima, sowie einen leichten, etwas sandigen Boden liebt. Bis vor etwa 40 Jahren wurde ausschließlich der arabische Kaffeestrauch kultiviert; da er aber der später noch zu besprechenden Kaffeeblattkrankheit in hohem Maße ausgesetzt ist, wurde seither auch der dagegen und anderen Parasiten gegenüber viel weniger empfindliche liberische Kaffeestrauch besonders in den asiatischen und afrikanischen Produktionsländern angebaut.
Der arabische oder echte Kaffeebaum ist ein heute noch von Abessinien und der Küste von Mozambique bis zum Victoriasee und bis Angola wildwachsend angetroffener immergrüner Strauch von 5–6, selten 8 oder 9 m Höhe. Der schlanke Stamm ist mit grünlichgrauer, glatter Rinde bedeckt und trägt viele dünne, wagerecht oder leicht abwärts geneigte Zweige, die kurzgestielte, 6–10 cm lange und 3–4 cm breite, länglich eiförmige, zugespitzte, glatte, oben glänzend dunkelgrüne, unten blaßgrüne Blätter besitzen, aus deren Achseln 4–16 kurzgestielte, sehr rasch verblühende, in Aussehen und Geruch den Jasminblüten ähnliche weiße Blüten hervorbrechen und schließlich kirschengroße Steinfrüchte mit schleimigem, süßem Fruchtfleisch zeitigen. Die Blütezeit des arabischen Kaffeestrauches zieht sich durch drei Monate hindurch, während der an der afrikanischen Westküste, besonders in Liberia heimische, bis zu 16 m hochwerdende, großblätterige liberische Kaffeestrauch fast das ganze Jahr hindurch blüht. Der letztere eignet sich also seiner Herkunft nach viel besser für Niederungen bis höchstens 200 m Seehöhe, wobei ihm das feuchte und warme Klima der Küsten besonders zusagt, während ersterer als eine Gebirgspflanze erst in Höhen, die über 200 m über dem Meeresspiegel liegen, gedeiht.
Der Kaffeestrauch verlangt zu seinem Gedeihen einen guten, fruchtbaren Boden und eine gleichmäßige Wärme und Feuchtigkeit, viel Luft und Licht, in heißen Gegenden aber genügend Schatten, Schutz gegen Wind und sorgfältige Reinhaltung des Bodens von Unkraut. Zuerst zieht man junge Pflänzchen in Samenbeeten. Wenn diese etwa zweijährig sind, setzt man sie auf die eigentlichen Felder aus, die in tieferen Lagen Schattenbäume enthalten müssen, da ihnen hier die direkte Sonnenbestrahlung schädlich ist. In höheren Lagen, bis 1500 m, können solche fehlen. Im dritten oder vierten Jahr beginnen die Pflanzen Blüten und Früchte zu tragen, liefern aber erst vom sechsten oder achten Jahre an vollen Ertrag daran, der nach 20–30 Jahren zurückzugehen pflegt; dann müssen die Sträucher durch neu angepflanzte er[S. 467]setzt werden. Ein Strauch liefert 2–3, nur ganz ausnahmsweise 5 oder gar 6 kg handelsreinen Kaffee.
Die Früchte des arabischen Kaffees sind erst dunkelgrüne, dann gelbe, später dunkelkarmoisinrote, rundlich eiförmige Beeren von der Größe kleiner Kirschen, während diejenigen des Liberiakaffees im reifen Zustande blauschwarz und doppelt so groß als jene sind. In ihnen liegen um ein saftiges, süßes Fruchtfleisch zwei von einer pergamentartigen, glatten, strohfarbenen Hülle und darunter noch von einem silberfarbigen Häutchen umgebene, innen flache und nach außen gewölbte Samen, deren gelblichweißes Nährgewebe hornartig hart ist und keinerlei Stärke enthält. Es kommt aber auch vor, daß gelegentlich nur eine Bohne zur Entwicklung gelangt, die dann nicht innen abgeflacht, sondern vollkommen rund und etwas größer als die gewöhnlichen Bohnen ist. Es sind das die sogenannten männlichen Bohnen oder Perlbohnen, die sorgfältig ausgesondert werden, weil sie höher im Preise stehen als die gewöhnlichen Doppelbohnen. Als Perlkaffee bilden sie überhaupt die teuerste Sorte Kaffee, die in den Handel gelangt, obschon diese ihre hohe Bewertung nur ein Vorurteil ist.
Die Ernte darf erst nach der vollständigen Reife der Früchte vorgenommen werden und muß mit großer Sorgfalt geschehen, da nicht sämtliche Früchte zu gleicher Zeit das Reifestadium erreichen, beim Liberiakaffeebaum auch Blüten geschont werden müssen. Nach Eintritt der Reife lassen die Araber die Früchte an den Bäumen, bis sie von selbst abfallen oder leicht zu schütteln sind. Dieser Behandlungsweise werden die vortrefflichen Eigenschaften des nach dem Ausfuhrhafen im südlichen Arabien als Mokka bezeichneten Kaffees zugeschrieben. Doch, was wir als Mokkakaffee genießen, ist meist eine auserlesene brasilianische Sorte mit eigentümlich ellipsoiden Bohnen. Diesen brasilianischen Kaffee sammelt man auch durch Schütteln des Baumes über einem weißen Laken, um sie vor Schmutz, Sand und dergleichen zu schützen. In Gegenden jedoch, wo es viel regnet, wie auf Java, ist dieses Verfahren nicht möglich, da das Fleisch der Früchte schnell fault und die Früchte durch einen kräftigen Regenfall zu Boden geschlagen werden. Deshalb sammelt man sie dort sobald sie einigermaßen reif sind und verarbeitet sie weiter. In Ostindien gelten diejenigen Kaffeebohnen als die besten, die aus dem Kote von Schleichkatzen und Schakalen gesammelt werden, was allerdings begreiflich ist, da diese Tiere nur die reifsten Beeren fressen und deshalb die von ihnen unverdaut abgehenden Samen von besonderer Güte sind.
Früher trocknete man die abgelesenen Früchte auf der Erde und zerbrach die äußeren Hüllen in Holzmörsern durch Handarbeit oder in einer Art Mühle in Tierbetrieb, was auch jetzt noch teilweise geschieht. In neuester Zeit und auf fortgeschrittenen Betrieben werden die Früchte, um die Kaffeebohnen von dem sie einhüllenden Fleische zu befreien, unmittelbar nach dem Pflücken in Maschinen zerquetscht und auf ein Sieb gebracht, dessen Maschen gerade groß genug sind, um die Bohnen durchzulassen, das Fruchtfleisch aber zurückzubehalten. Das letztere findet als Dünger Verwendung. Die noch mit der Pergamenthülle bedeckten Bohnen dagegen werden in den Gärraum gebracht, wo die an ihnen haftenden Fruchtfleischreste einen Fäulnisprozeß durchmachen, worauf sie sich durch Waschen leicht entfernen lassen. Nach dem Waschen trocknet man sie an der Sonne, nach dem älteren System auf gemauerten Tennen, nach dem neueren jedoch in großen, flachen Karren auf niedrigen Rädern, die, auf Schienen laufend, des Nachts oder bei schlechtem Wetter in einen langen Schuppen gerollt werden. Die Farbe der Bohnen wird nur durch ihren Feuchtigkeitsgehalt bedingt. So sind die blauen Bohnen feuchter als die grünen und die grünen wiederum feuchter als die gelben, während ein langsames Trocknen bei feuchter Witterung dem Kaffee eine bleierne Farbe verleiht.
Bei dem trockenen Verfahren werden die Bohnen gleich nach dem Pflücken durch Ausbreitung am Boden vermittelst der Sonnenwärme getrocknet, bis man beim Umrühren der Früchte die Bohnen in ihren Hüllen rasseln hört. Dann bringt man sie in Speicher, wo man sie beliebig lange aufbewahren kann. Zur Entfernung der Pergamenthülle werden sie dann, wie der auf nassem Wege vom Fruchtfleisch befreite Kaffee, in Mörsern mit langen hölzernen Stampfern, in der Regel aber in Maschinen bearbeitet. Auf solche Weise von den Hülsen befreit, werden sie nach der Größe sortiert und poliert. Der Reinertrag an verkaufsfertigen Bohnen beträgt durchschnittlich ein Fünftel des Gewichts der frischen Früchte.
Neben der Hauptblüte des Kaffeebaumes gibt es eine Vor- und Nachblüte, die aber weniger von Bedeutung sind; so handelt es sich gleichwohl um eine Haupterntezeit, die auf Java alle 4–6 Monate stattfindet. Doch wird auch hier in zunehmendem Maße der weniger empfindliche und rascher wachsende liberische Kaffeestrauch, der stets Blüten und Früchte nebeneinander trägt und deshalb eine periodische Ernte vollkommen ausschließt, gepflanzt. Zur Aussaat werden jeweilen die schönsten und größten Beeren ausgesucht, die von in der Fülle[S. 469] ihrer Kraft stehenden Bäumen stammen, d. h. nicht zu jung und nicht zu alt sind. Da der Same des Kaffees seine Keimkraft schnell verliert, bedient man sich, um ihn in fern abliegende Gegenden zu verpflanzen, besser nicht der Samen, sondern junger Pflänzchen, die in kleinen, mit Glas gedeckten Kisten an Deck mit größter Behutsamkeit transportiert werden müssen. Beim Anpflanzen werden sie gleich wie die aus Sämlingen an Ort und Stelle gezogenen jungen Pflanzen unter dem Schutz von Schattenbäumen groß gezogen. Häufig werden zwischen den Kaffeesträuchern, so lange diese noch jung sind, auch andere Pflanzen angebaut, so in Brasilien Mais und Bohnen, die gleichzeitig dazu bestimmt sind, die allzugrell scheinende Sonne abzuhalten. Sobald jedoch die Kaffeepflanzen groß geworden sind und anfangen Früchte zu tragen, müssen diese Zwischenpflanzen entfernt werden, da sie dann den Ertrag verringern. Zwischen den Kaffeebäumen muß das rasch emporwuchernde Unkraut regelmäßig entfernt werden, was bei Großbetrieben durch besondere Maschinen geschieht. Dann muß die Plantage auch gedüngt werden; besonders ist eine Zufuhr von Phosphor vonnöten. Je tiefgründiger der Boden, um so mehr können sich die Pfahlwurzeln entwickeln und um so älter werden die Bäumchen. Als Gebirgspflanze gedeiht der arabische Kaffeestrauch am besten in Tälern oder an Abhängen, wo er vor Winden geschützt ist. Am besten sagen ihm Temperaturen zu, die zwischen 15 und 25°C. schwanken, und Regenmengen zwischen 220 und 330 cm im Jahr.
Aus Abessinien ist der echte Kaffeestrauch zuerst nach dem südlichen Arabien gelangt, wo seine Kultur beschränkt blieb, bis auf Veranlassung des Bürgermeisters von Amsterdam, Nikolas Witsen, Direktor der holländischen Handelskompagnie, der Gouverneur von Batavia, van Hoorn, im Jahre 1650 einige Kaffeebäumchen von Mekka nach Batavia auf der Insel Java bringen ließ, die aber infolge einer Überschwemmung wieder eingingen. Keinen besseren Erfolg hatte die Sendung des holländischen Kommandanten von Malabar, Adrian van Ommeren, vom Jahre 1696. Kurz darauf gelang es Hendrik Zwaardekron diese Nutzpflanze dort einzubürgern. Sie wurde in großen Plantagen angepflanzt, von deren Ertrag bald auch die Muhammedaner Westasiens mit diesem Genußmittel versorgt werden konnten. Später wurde die Kaffeekultur von den Holländern auch auf die anderen Sundainseln und auf Ceylon ausgedehnt. Im Jahre 1710 wurden von Batavia aus mehr als hundert junge Kaffeebäumchen nach Amsterdam gesandt, wo sie im Treibhaus des Botanischen Gartens[S. 470] Unterkunft fanden. Eines derselben erhielt im Jahre 1713 Ludwig XIV. durch den Direktor des Amsterdamer Gartens Namens Pancras. Er ließ es im Garten von Marly bei Paris sorgsam aufziehen, und nach ihm veröffentlichte dann der Botanikprofessor am Jardin du roi in Paris, Antoine de Jussieu, in den Mémoires de l’Academie des sciences eine genaue Beschreibung der Pflanze. Ein anderes Exemplar gelangte von Amsterdam nach Surinam, wo dann die Holländer die Kaffeekultur erfolgreich einzubürgern vermochten.
Von der einen Kaffeepflanze in Marly wurden Samen erzielt, die junge Pflänzchen ergaben, von denen der vorgenannte Antoine de Jussieu dem Schiffskapitän de Clieu d’Erchigny im Jahre 1721 drei Exemplare mitgab, um sie nach der Insel Martinique zu bringen. Infolge großen Wassermangels auf der langen Reise, die den Offizier zwang, die ihm zugewiesene Wasserration zum größten Teile zur Erhaltung seiner Pfleglinge zu verwenden und selbst Durst zu leiden, brachte er nur ein Exemplar lebend an den Bestimmungsort. Hier angepflanzt, mußte es beständig von Sklaven bewacht werden, damit es nicht gestohlen werde. Es gedieh vorzüglich und wurde die Stammpflanze aller westindischen Kaffeebäume, deren Kultur sich in der Folge rasch über das tropische Amerika verbreitete.
Im Jahre 1725 pflanzte de la Motte-Aigron, der Gouverneur von Cayenne, daselbst das erste Kaffeepflänzchen, das er sich verstohlenerweise bei seinem Aufenthalt in Surinam zu verschaffen gewußt hatte. Von dort her gelangte die Pflanze 1740 nach Brasilien. Im Jahre 1730 wurde die erste Kaffeeplantage auf Guadeloupe und durch Nicholas Lewes desgleichen auf Jamaika angelegt. Gegen das Ende des 18. Jahrhunderts wurden in Sumatra die ersten Anbauversuche gemacht, die aber erst von 1819 an, als die Insel unter holländische Herrschaft kam, Erfolg hatten. 1822 begann der Kaffeebau auf Celebes und 1832 in Costarica, und zwar an letzterem Orte durch den deutschen Kaufmann Wallerstein. Endlich kam der Kaffeebau 1892 auch nach Deutsch-Ostafrika, wo er heute besonders in der Landschaft Usambara blüht. Auch in Kamerun sind neuerdings größere Anpflanzungen von Liberiakaffee gemacht worden.
Der westindische Kaffee, der im 18. Jahrhundert, als er sich mit dem Javakaffee in den Welthandel teilte, in hoher Blüte stand, ging im 19. Jahrhundert infolge der Abschaffung der Sklaverei und fortwährender politischer Umwälzungen so sehr zurück, daß man an seiner Stelle Tabak und Zuckerrohr bevorzugte. In der Mitte des 19. Jahr[S. 471]hunderts lebte sein Anbau jedoch in Mexiko und namentlich in Brasilien auf, in welch letzterem Lande er allerdings schon seit 1808 für den Welthandel zunehmende Bedeutung erlangt hatte. Früher noch kam er in Ostindien auf, wo besonders Ceylon reiche Kaffeeplantagen besaß, bis im Jahre 1869 dort zuerst die durch einen Rostpilz, Hemileia vastatrix, hervorgerufene gefürchtetste Blattfleckenkrankheit des arabischen Kaffeebaums ausbrach, die im Jahre 1875 dort und auf dem indischen Festlande einen so verderblichen Charakter annahm, daß in der Folge die Kaffeekultur in diesen Ländern fast ganz aufgegeben werden mußte und durch den Anbau von Tee verdrängt wurde, soweit sie nicht durch die Kultur des durch größere Samen ausgezeichneten, infolge seiner größeren Robustheit mehr Widerstandskraft gegen den Pilz aufweisenden Liberiakaffees ersetzt wurde. Dieser Pilz, der sich dann auch in den Kaffeegärten Deutsch-Ostafrikas zeigte, hat dem Kaffeebau auf Ceylon bis zum Jahre 1880, also in zehn Jahren, einen Schaden von über 300 Millionen Mark verursacht und viele vorher vermögliche Pflanzer ruiniert.
Dieser so verhängnisvolle Krankheitserreger, gegen den bis jetzt kein sicheres Bekämpfungsmittel gefunden wurde, erzeugt ½–¾ cm große orangegelbe Flecken an der Unterseite der Blätter der von ihm befallenen Pflanze, indem sich hier aus den Spaltöffnungen des Blattes[S. 472] zahlreiche Dauersporen in Büscheln hervordrängen, die abfallen und allseitig ausstäuben. Sie sind so ungemein leicht, daß der leiseste Lufthauch sie überallhin auf andere Blätter trägt, wo sie keimen und, in das Zellgefüge der Blätter eindringend, die Krankheit verbreiten. Der ganze Entwicklungsprozeß dauert nicht länger als einen Monat, wodurch sich die schnelle Verbreitung der Seuche erklärt. Wenn viele Blätter zu gleicher Zeit von der Krankheit befallen werden und abfallen, so geht der Baum ein. In jedem Falle wird er aber durch diese Infektion so stark in seinem Allgemeinbefinden angegriffen, daß er mehrere Jahre hindurch einen ganz geringen Ertrag liefert. Bordeauxbrühe und Tabakwasser töten zwar die Sporen der Hemileia, aber gegen das Umsichgreifen der Seuche schützt nur ein Radikalmittel wie die Vernichtung aller von der Krankheit befallener Sträucher. Besonders in Java, wo die Krankheit im Jahre 1876 zuerst auftrat, um dann 1882 auf der ganzen Insel zu wüten, half man sich dadurch, daß man die zarte arabische Kaffeepflanze durch die bedeutend kräftigere Liberiakaffeepflanze ersetzte. Neuerdings wird dort wiederum erstere als eine feinere Bohnensorte liefernde Pflanze vorgezogen, indem man sie auf junge Sämlinge von Liberiakaffee pfropft, was recht gute Resultate liefert, indem so der arabische Kaffeestrauch größere Widerstandskraft gegen die Infektion erlangt.
Die gewaltige Verbreitung, welche dieser Pilz in den 1870er Jahren erreichte, ist namentlich darauf zurückzuführen, daß er von einer Abart der arabischen Kaffeepflanze, der Coffea travancorensis, die er zuerst befiel, auf Coffea arabica überging und in der letzteren eine neue, ihm zusagende Nährpflanze fand, in der er sich, von dem zu seiner Entwicklung außerordentlich geeigneten feuchtwarmen Klima begünstigt, in der ausgiebigsten Weise ausbreitete. Dies hat man in ähnlicher Weise auch an anderen Rostpilzen beobachtet, daß ein Übergang von der einen Pflanzenart auf eine andere nahe verwandte, besonders wenn diese durch längere Kultur verzärtelt war, einem solchen Krankheitspilz besondere Bösartigkeit verlieh, so daß er eine bis dahin unbekannte Ausdehnung erlangte und eine in hohem Maße zerstörende Wirkung ausübte. Da die Ansteckung mit der Hemileia in den ersten Stadien nur sehr schwach zu erkennen ist, sollten für den Plantagenbetrieb niemals junge Pflänzchen von auswärts bezogen werden, sondern zur Anpflanzung sollten jeweilen nur in Bordeauxbrühe desinfizierte Samen verwendet werden, bei denen man eine Garantie hat, daß die Übertragung des Schädlings ausgeschlossen ist.
In Ostafrika haben sich die Larven eines Bockkäfers, Herpetophyas fasciatus, als Schädlinge der Kaffeebäumchen erwiesen, in Westafrika dagegen speziell beim Liberiakaffee ein Borkenkäfer, Apate franciscea. In Südamerika entstehen an den Kaffeesträuchern vielfach Wurzelknoten durch die Invasion winziger Würmchen. Doch ist der dadurch erwachsene Schaden bisher kein sehr großer gewesen. Endlich hat eine Mottenlarve, Cemiostoma coffeellum, in einigen Teilen Amerikas wie auf der Insel San Domingo und in Brasilien große Verheerungen angerichtet.
Die Republik Costarica führt den Kaffeebaum als Wappenschild.
Der Kaffeeverbrauch der Erde ist in beständigem Steigen begriffen. Weitaus am meisten Kaffee wird in Amerika erzeugt und getrunken. Von der jährlich auf der ganzen Erde hervorgebrachten Menge von gegen einer Milliarde kg Kaffeebohnen erzeugt Brasilien gegen 700 Millionen kg und das übrige Südamerika, namentlich Venezuela und Kolumbia, gegen 60 Millionen kg. Zentralamerika baut ebenfalls viel Kaffee an und seine Produktion beläuft sich auf etwa 100 Millionen kg. Gegenüber dieser Kaffeeproduktion Amerikas ist die in Ostindien und Java geerntete Kaffeemenge eine verschwindend kleine; sie beläuft sich nämlich auf nur etwa 40 Millionen kg. Erzeugt nun Amerika den meisten Kaffee, so liefert Abessinien, die Heimat dieser Kulturpflanze, immer noch den besten Kaffee. Dieses äthiopische Produkt wird nach der Somaliküste gebracht und dort von indischen Händlern aufgekauft. Aus der Landschaft Yemen in Südarabien stammt der arabische Kaffee, von seinem früheren Exporthafen auch Mokka genannt, der aber leider nicht zu uns kommt, da er in Persien, Vorderasien und Ägypten aufgebraucht wird. Unser gewöhnlicher „Mokka“ ist nichts als ausgesuchter kleinbohniger Java- oder Ceylonkaffee, welche Produktionsorte mit Celebes, das den rötlichgelben großbohnigen Menadokaffee liefert, den besten zu uns gelangenden Kaffee erzeugen. In Frankreich wird besonders der von Manila exportierte ausgezeichnete Kaffee der Philippinen verbraucht. Hinter diesen südasiatischen Kaffeesorten steht der brasilianische und an Qualität rangieren in letzter Linie derjenige von Venezuela und Haiti. Meist zieht man hellgefärbte Sorten den dunkeln vor. Großbohnige, in Größe und Farbe gleichmäßige Sorten geben im allgemeinen die beste Garantie für völlige Reife, sorgfältige Behandlung und Sortierung.
Nach den Vereinigten Staaten, die jährlich gegen 500 Millionen kg Kaffee verbrauchen, kommt Deutschland, das im letzten Jahre 189 Mil[S. 474]lionen kg Kaffee im Werte von 162 Millionen Mark einführte. Auf die Zahl der Einwohner berechnet verbraucht Holland weitaus am meisten Kaffee, nämlich 5,8 kg pro Jahr und Kopf der Bevölkerung. Ihm folgen die Vereinigten Staaten von Nordamerika mit 5,75 kg, Deutschland mit 3,12 kg, die Schweiz mit 2,98 kg, Frankreich mit 1,38 kg, England mit 0,45 kg und endlich Rußland mit 0,10 kg. Der Kaffeekonsum der beiden letztgenannten Länder ist nur deshalb so klein, weil dort an seiner Stelle um so mehr Tee getrunken wird.
Zum Schluß sei noch erwähnt, daß Afrika außer dem Kaffeestrauch noch eine andere anregende Nutzpflanze besitzt. Es ist dies der Katstrauch (Catha edulis), ein dem Pfaffenhütchen (Evonymus europaeus) sehr nahe verwandter Strauch aus der Familie der Spindelbaumgewächse, der von Abessinien bis zum Kaplande in gebirgigen Gegenden verbreitet ist und unter anderem auch in Arabien kultiviert wird. Der Gebrauch der Blätter des Katstrauchs als Genußmittel ist in Arabien und Abessinien älter als derjenige der Kaffeebohnen. Sie werden gekaut und frisch oder häufiger getrocknet zur Herstellung eines mit Honig versüßten Aufgusses wie diejenigen des chinesischen Tees benutzt. Auch sie enthalten eine das Nervensystem anregende Substanz, das Celastrin, das ebenfalls dazu dient, körperlich und geistig anzuregen, die Müdigkeit und den Schlaf zu verscheuchen; im Übermaß aber soll es betäubend wirken. Nach Europa gelangt dieses Genußmittel durchaus nicht, da hier Kaffee und Tee vollkommen eingebürgert sind und dieses dagegen nicht aufzukommen vermag. Der Reisende Dr. Roth sagt von ihm: „Die Sitte des Katkauens, die ich in Yemen kennen lernte, gehört zu den einladendsten, der sich der Araber beim Frühstück, zum Mittagessen und selbst in den heitern Nächten hingibt. Man zieht zu letzterem Zwecke die kultivierte Pflanze der wildwachsenden weit vor. Es wird bei den Wohlhabenderen damit viel Luxus getrieben, und so wie man bei uns dem Fremden eine Tasse Tee oder Kaffee anbietet, wird derselbe dort mit den grünen Zweigbündeln des Kat beehrt. Die im Zimmer der Vornehmen umherliegenden entblätterten Zweige sind der Maßstab der Wohlhabenheit und der Gastfreundschaft.“ Im Aufguß mit heißem Wasser genossen, schmecken und wirken die Katblätter ähnlich wie chinesischer Tee, der uns im nächsten Abschnitt beschäftigen soll.
Wie der Kaffee ostafrikanischen Ursprungs, so ist der Tee ostasiatischer Herkunft, und zwar verdanken wir seine Verwendung als Genußmittel dem uralten Volke der Chinesen, das ihn nach dem Berichte alter Chroniken im 3. Jahrhundert unserer Zeitrechnung aus dem Süden erhalten haben soll. Aber erst zu Beginn des 9. Jahrhunderts n. Chr. kam der Teegenuß in China mehr in Aufnahme. Nach Japan wurde er durch einige Priester eingeführt, die ihn in China kennen gelernt hatten; aber erst im 15. Jahrhundert erreichte er in diesem Lande einen größeren Umfang.
Der Teestrauch, dessen dunkelgrüne, lederartige, glänzende Blätter den Ostasiaten den ihnen unentbehrlichen, das Nervensystem anregenden Trank spenden, gehört mit der ihm sehr nahe verwandten Camellia zu den den Myrtengewächsen nahestehenden Ternströmiaceen (nach dem Schweden C. Ternström so genannt, der China durchforschen wollte, aber vor Erreichung seines Zweckes 1745 starb). Er hat seine Heimat im gebirgigen südlichen Asien, wo er außer auf der südchinesischen Insel Hainan in Assam und den südlich davon gelegenen Bergländern noch heute im wilden Zustande gefunden wird. Die Gattung Thea umfaßt 16 in Hinterindien, China und Japan wild wachsende Arten, die man in Eutheen mit gestielten, nickenden Blüten und nicht abfallenden Kelchblättern und Camellien mit ungestielten, aufrechten Blüten und abfallenden Kelchblättern einteilt. Zu letzteren gehört die Thea japonica, die als Zierpflanze bekannte und beliebte Camellie, zu ersteren dagegen die Thea chinensis, deren Blätter uns den chinesischen Tee liefern. Sie kommt in zweierlei Arten vor, die Thea chinensis im engeren Sinne, die, sich selbst überlassen, etwa 7–10 m Höhe erreicht, als Kulturgewächs jedoch zum bequemeren Einsammeln der Blätter kaum 1,5–2 m hoch gehalten wird, und die 10–15 [S. 476]m hohe Thea assamica, die fast doppelt so große, schneller reifende Blätter wie jene besitzt und weniger zur Bildung von Blüten neigt, die — statt wie beim chinesischen Teestrauch zu 2–5 Stück — einzeln aus den Blattwinkeln hervorbrechen. Letztere beansprucht wärmere Lagen und fruchtbareren Boden und verhält sich zum chinesischen Teestrauch wie der liberische Kaffeebaum zum echten arabischen. Beide Pflanzenarten und die davon abgeleiteten Kreuzungsprodukte, deren Blätter aber oft an Aroma minderwertig sind, gedeihen in verschiedenen Klimaten und auf verschiedenem Boden üppig und überdauern sogar ziemlich kalte Winter, vorausgesetzt, daß sie warme Sommer haben, in denen sie ihre Blättermasse reichlich zu entwickeln vermögen. Frost können sie nicht ertragen und haben auch von der Trockenheit zu leiden. Am besten sagt ihnen ein mäßig warmes, feuchtes Klima auf subtropischen Inseln und Küsten, näher am Äquator dagegen in kühlerer Berglage in 1000–2000 m Höhe zu.
Die beiden Teearten sind buschig verzweigte, immergrüne Sträucher mit wechselständigen, kurz gestielten, lanzettförmigen, gekerbten Blättern, die wie die jüngsten Zweigspitzen nur in ihrer Jugend zum Wärmeschutz seidig weiß behaart sind, während sie im entwickelten Zustande kahl und lederartig erscheinen. Aus den Achseln der Blätter treten beim Assamtee einzeln, beim chinesischen aber zu zweien bis fünfen, etwa den Umfang eines Markstücks erreichende, schwach nach Jasmin riechende, weiße Blüten hervor. Die kleinen Kelchblätter wie die Blumenblätter sind in der Sechszahl vorhanden. Die über zweihundert Staubfäden sind am Grunde verwachsen und der behaarte Fruchtknoten umschließt in jedem der Fächer zwei hängende Samenanlagen. Die Frucht ist eine runde, gelbbraun punktierte, dünnwandige, holzige Kapsel, die in drei aufspringenden Fächern je einen kirschkerngroßen, glänzend braunen Samen mit gelblicher Keimgrube birgt.
Der Teestrauch gedeiht am besten in einem feuchtwarmen Klima in sonniger Lage; deshalb werden die Teegärten mit Vorliebe an nach Süden gerichteten Abhängen angelegt, weil sich dann kein Wasser an den Wurzeln der Pflanzen ansammeln kann, was ihrem Wachstum schaden würde. Sie bedürfen keiner Schattenbäume und gedeihen am besten auf lockerem, festem Boden. Nachdem das Erdreich, auf welchem eine Teeplantage angelegt werden soll, durch Pflügen oder Umgraben und Eggen gehörig bearbeitet worden ist, wird es sofort bepflanzt. Ist der Boden sehr mager, so muß er zuvor gedüngt werden, damit er reichen Ertrag liefere; auch muß er ziemlich viel Kalk enthalten. In[S. 477] ihm wird nun die Teepflanze in der Regel durch etwa einjährige Samen, die man in Reihen 1,25 m voneinander entfernt zu zweien oder zu dreien in den Boden legt, gewonnen. Der Samen keimt unter günstigen Umständen nach fünf bis sechs Wochen und ein paar Wochen später kann man schon Pflanzen von 10 cm Höhe haben. Weniger empfehlenswert ist die Anzucht in besonderen Saatbeeten, da die Wurzeln der jungen Pflänzchen außerordentlich empfindlich sind und beim Überführen in die definitiven Standorte fast immer leiden, wodurch nicht unerhebliche Ausfälle entstehen. Dabei legt man, um den Boden auszunützen, in den ersten zwei oder drei Jahren Zwischenpflanzungen, am besten von Mais, an, welche auch für genügende Beschattung der jungen Teepflanzen sorgen.
Weil es dem Teestrauch ein Bedürfnis ist, dem Wind freien Durchtritt zu gewähren, läßt man zwischen den einzelnen Exemplaren einen gewissen Abstand; auch läßt man ihn nicht hoch aufschießen, sondern beschneidet ihn immer wieder rücksichtslos, wie wir dies mit unseren Hecken tun, damit er reichlich Seitenschosse erzeuge und zum dichten Busch werde. Wenn der Teestrauch drei Jahre alt geworden ist, kann mit dem Pflücken der Blätter begonnen werden. Gewöhnlich erntet man dieselben in China dreimal im Jahre. Zuerst, Anfang März bis Mitte April, unmittelbar vor der Regenzeit, pflückt man die ersten Frühlingsblätter, aus denen der feinste Tee gewonnen wird. Nach der Regenzeit, Ende Mai oder Anfang Juni, folgt die zweite, die sogenannte große Ernte, die qualitativ die bedeutendste ist und zum großen Teil ins Ausland gesendet wird, aber an Feinheit des Aromas der ersten Ernte nachsteht. Die dritte Ernte, Ende Juli oder Anfangs August, ist wegen der groben, wenig aromatischen Blätter recht minderwertig und wird daher in vielen Gegenden gänzlich unterlassen, da die Erhaltung der betreffenden Blätter für das Gedeihen des Strauches und somit auch für die Güte der ersten Ernte des nächsten Jahres von großer Bedeutung ist.
In der Regenzeit wird alles Pflücken der Blätter vermieden, weil es für die Qualität des Tees nachteilig ist, solche zu pflücken, die vom Regen naß sind; der Tee schmeckt nämlich dann flau. Auch das Äußere des Tees wird durch die Feuchtigkeit benachteiligt, da feuchte Blätter sich bei der Bearbeitung zu mehreren zusammenzurollen pflegen und dann nur mit großer Mühe auseinandergebracht werden können. Früh morgens, wenn der Tau der Nacht verdunstet ist, beginnt man mit dem Pflücken der Blätter und fährt damit fort, bis man eine zur[S. 478] betreffenden Tagesverarbeitung genügende Menge hat. Dabei müssen die Blätter vor ihrer vollen Entwicklung geerntet werden, wenn sie eben im Begriffe sind, die Blattflächen auseinanderzurollen.
Wenn auch der Teestrauch bereits im Alter von drei bis fünf Jahren beginnt, Erträge zu liefern, so erhält man erst vom zehnten Jahre an Vollernten von 1 kg und mehr jährlich pro Strauch. Aber um diese Zeit werden die Blätter oft schon groß und minderwertig, so daß man sich, wie bei der Kultur der Rebe, damit behilft, den Strauch stark bis auf einen oder wenige Zweige zu beschneiden, damit sich reichlich junge Schosse bilden. Aber die Blätter dieser letzteren erreichen nie die Güte, welche die ersten besaßen, so daß man es vorzieht, die Bäumchen bereits nach dem zehnten Jahre zu entfernen und neue Aussaaten vorzunehmen, wie dies z. B. auf Ceylon überall zu geschehen pflegt.
Je jünger und zarter die geernteten Blätter sind, desto besseren Tee liefern sie; doch ist erst in den ganz ausgewachsenen Blättern der Höchstgehalt an Teeïn, das mit dem Koffeïn identisch ist, und den übrigen, dem Tee seinen Wert verleihenden Substanzen, erreicht. Diese sind im mittleren Blattgewebe enthalten. Auf einen Hektar Teepflanzung rechnet man durchschnittlich eine Ernte von 3000 kg Teeblättern jährlich. Aber auf den besten Teepflanzungen erntet man bis 10000 kg pro Jahr. Beim Pflücken der Blätter, das meist Frauen und Kinder besorgen, wird peinlichste Sauberkeit beobachtet. Die Pflückerinnen müssen täglich baden und sich getrockneter Fische und anderer stark riechender Speisen enthalten. Ja, die feinste Sorte aus den zartesten Blättern der ersten Ernte, die in China den Kaiser- oder Blumentee liefern, der kaum je in den Handel gelangt und vom Hofe selbst, der ihn mit 600 Mark das kg bezahlt, aufgekauft wird, pflückt man sogar mit Handschuhen. Damit beide Hände frei bleiben, tragen die Pflückerinnen an einer Schnur um den Hals gehängt ein Körbchen auf der Brust, ziehen mit der Linken einen Zweig an sich und brechen mit der Rechten die Blätter am Stiel ab. Eine Person vermag täglich 6–7 kg Blätter einzusammeln, die dann nach der Zubereitung zu Tee 75 Prozent ihres Gewichts verlieren, so daß also 4 kg frische Blätter 1 kg Tee liefern.
Je nach der weiteren Bearbeitung erhält man nun zwei ganz verschiedene Sorten, den schwarzen und den grünen Tee, die durchaus nicht, wie man früher glaubte, von verschiedenen Pflanzen, sondern von derselben stammen, nur durch verschiedene Behandlung der Blätter[S. 479] erzielt werden. Der grüne Tee, wie ihn die Ostasiaten lieben, weil er infolge weit geringerer Zersetzung kräftiger auf die Nerven als der von uns bevorzugte schwarze Tee wirkt, wird in der Weise gewonnen, daß die Blätter unmittelbar nach dem Einbringen „gedämpft“ werden, damit sie ihre Farbe behalten, und schließlich eine Röstung erfahren. Zu diesem Zwecke werden sie in Hürden aus Bambusstäben über Kessel mit dampfendem Wasser gehalten oder in tiefen Pfannen bei starker Hitze in ihrem eigenen Safte gedämpft, wobei sie unausgesetzt mit Stöcken rasch umgerührt werden, bis sie beginnen rote Ränder zu zeigen. Dann werden sie wie beim schwarzen Tee, nur in schnellerer Aufeinanderfolge, mit den Händen gerollt und über Feuer geröstet. Durch dieses rasche Trocknen wird dem Gerbstoff in den Blättern keine Zeit zum Oxydieren gelassen, während gleichzeitig auch einer späteren chemischen Zersetzung in der Masse vorgebeugt wird. Zum Schluß werden sie, nachdem man ihnen noch die gewünschte blaugrüne Farbe, die nicht jeder Tee annimmt, durch Bestäuben mit einer Mischung von Indigo, Curcuma und Gips verliehen hat, vermittelst Sieben sortiert und die Ware nach nochmaligem Rösten noch warm in mit Stanniol gefütterte Kisten verpackt.
Der schwarze Tee, der weitaus die Hauptmenge des Fabrikats ausmacht, da er vorzugsweise zum Export gelangt, wird ganz anders behandelt. Zunächst läßt man die Blätter auf flachen Bambushürden 24 Stunden und länger welken, wobei die Blätter unter allerlei chemischen Veränderungen, die vorzugsweise in einem Freiwerden des Teeïns aus seiner gerbsauren Verbindung und in einer Zunahme von löslichen Stickstoffverbindungen bestehen, etwa 20–28 Prozent ihres Gewichtes verlieren. Durch dieses Welken werden die Blätter zugleich für die weitere Bearbeitung geeigneter gemacht. Da sie gerollt werden sollen, wird dadurch das Austreten des Saftes bei jenem Prozesse vermindert und bewirkt, daß sie sich später leichter rollen lassen und dabei weniger leicht zerbrechen. Unmittelbar nach dem Welken werden die Blätter 20–30 Minuten lang auf Rolltischen mit den Händen gerollt. Die so entstandenen Ballen werden auseinander gelöst, auf geflochtenen Tellern ausgebreitet und mit feuchten Tüchern bedeckt, um das Austrocknen zu verhüten und die Temperatur in der leicht gärenden Masse niedrig zu halten. Diese Gärung findet durch ausschließlich im Teeblatte selbst enthaltene Fermente statt, wobei durch das Freiwerden eines ätherischen Öles das Aroma entsteht. Nach zwei bis drei Stunden ist dieser Prozeß abgelaufen und dann hat sich die Blattmasse rotbraun[S. 480] verfärbt. Nun werden die Blätter nochmals gerollt und danach getrocknet. Dieser letztere Prozeß soll möglichst zuerst in der Sonne und dann in Trockenmaschinen bei 100°C. geschehen. Danach folgt das durch Frauen besorgte Verlesen oder das Sortieren durch Maschinen. Schließlich wird der Tee nochmals in offenen Sieben über hellem Kohlenfeuer gut getrocknet und erwärmt, um die absolute Luftfeuchtigkeit in der Verpackung, welche beim Transport zur Schimmelbildung führen würde, zu vermindern, sorgfältig in große, innen mit Stanniol ausgekleidete Kisten verpackt und dann verlötet, damit er sein feines Aroma möglichst unverändert behalte. Wie bei der Verpackung ist auch bei der Aufbewahrung des Tees darauf zu achten, daß nicht riechende Stoffe in der Nähe sind und die Ware nicht der Luft, dem Lichte und der Feuchtigkeit ausgesetzt ist. Übrigens wird nur den besseren Teesorten eine solch sorgfältige Behandlung zuteil. Für den Verbrauch im Inlande werden die geringwertigen Blätter einfach an der Sonne getrocknet und mit gefurchten Steinen gerollt. Der so gewonnene Tee hat ein angenehmes Aroma, eine rötliche Farbe und einen süßlichen Geschmack, hält sich aber nicht lang.
China erzeugt sowohl schwarzen wie grünen Tee in großen Mengen, während Japan nur grünen, Ceylon und Java nur schwarzen, Indien nur wenig grünen Tee (für die mittelasiatischen Länder) produziert und nach Europa und Amerika fast nur schwarzen Tee verschifft. Die besseren Sorten des bei uns wenig beliebten grünen chinesischen Tees — von den Chinesen Lo-tscha genannt — sind: der Kaiser- oder Blumentee, der aus etwas größeren Blättern der ersten Ernte zu ziemlich großen Körnchen gerollt wird; er wird vom kaiserlichen Hofhalt, den Mandarinen und reichen Chinesen verbraucht. Dann der Chu-tscha oder Perltee, der aus den Blättern der Knospen der ersten Ernte zu ganz feinen Körnern gerollt wird; er wird aus Ning-po und Schang-hai besonders nach den Vereinigten Staaten und Marokko ausgeführt, wo vielfach wie in Ostasien der grüne chinesische Tee dem schwarzen bevorzugt wird. Drittens der Hei-son, d. h. blühender Frühling, der aus den gekräuselten Blättern der ersten Ernte gerollt und in zwei Qualitäten hergestellt wird. Aus den Abfällen dieser Sorten wird endlich ein Twan-kai genannter Ausschußtee hergestellt.
Der schwarze Tee Chinas wird in die beiden Gruppen Oolong und Bohea geschieden. Oolong bedeutet grüner Drache; dieser Name rührt daher, weil er von vielen gelblichgrünen Blättern durchsetzt ist. Die Oolongs geben einen kräftigeren Aufguß von mehr gelber Farbe[S. 481] als die Boheas, die wirklichen schwarzen Teesorten Chinas, die einen dunklen, schwächeren Aufguß geben. Sie werden in fünf Sorten geschieden: Die feinste Sorte wird von den Engländern caper, von den Chinesen aber He-chu-tscha, d. h. schwarzer Perlentee, genannt. Sie ist rötlichschwarz, glänzend und besteht aus zu Perlen gerollten Blättern und gibt einen dunkelrötlichen Aufguß von reichem Aroma. Dann folgt als noch sehr feine Qualität der Peko (eigentlich pak-ho, d. h. weißer Flaum), der aus den zarten, gegen die Spitze hin mit weißen, seidigen Haaren bedeckten Knospenblättern und frisch entfalteten Blättern meist der ersten Ernte hergestellt wird. Die reichlich bei der Herstellung dieses Tees abfallenden Haare geben mit behaarten jungen Knospenteilen und älteren Blättern vermengt die Pekoblüten. Der Souchong (eigentlich sou-tschong, d. i. kleine Sorte) wird aus den kleinen Knospenblättern der zweiten Ernte gebildet, während der Pouchong (pau-tschong, d. h. gefaltete Sorte) aus den gefalteten mittelgroßen Blättern der zweiten Ernte besteht. Der viel Zeit für die Zubereitung erfordernde Congou (eigentlich kong-fo, d. h. mühevolle Sorte) — von den Chinesen meist nur hung-tscha, d. h. roter Tee genannt — besteht aus den 3–8 cm langen, 1–3 cm breiten Blättern der zweiten Ernte. Von ihm werden noch zwei besondere Sorten unterschieden, nämlich der Karawanentee, der meist nach Rußland exportiert wird, und der Kaisow-Congou mit kleinen, feingekräuselten Blättern, der vielfach von Kennern für die beste aller Teesorten angesehen wird.
Da in Japan die Ernte fast ununterbrochen stattfindet, treten in dem vom grünen chinesischen und indischen weit an Güte übertroffenen japanischen Tee keine so wesentlichen Unterschiede in der Zusammensetzung je nach den einzelnen Ernten wie in China hervor. Nichtsdestoweniger unterscheidet man Peko, welcher die kleinsten, Souchong, welcher die mittleren, und Congou, welcher die größten Blätter enthält. In seinen feinsten Sorten Uji, Kioto und Ogura wird der japanische Tee in der Provinz Yamaschiro erzeugt. Die in den benachbarten Landschaften Omi und Tamba gebauten Teesorten sind geringwertiger, werden aber in den größten Mengen auf den Markt gebracht. Der japanische Tee gibt einen hellfarbigen Aufguß von eigentümlichem, reichem Geschmack und wirkt kräftig auf das Nervensystem.
Wie der Chinese den grünen Tee zur Erzielung der gewünschten schönen blaßgrünen Farbe färbt, so parfümiert er sowohl den grünen, als auch den schwarzen Tee durch vorübergehenden Zusatz wohlriechender Blumen, um ihn so für den europäischen Konsumenten angenehmer[S. 482] zu gestalten. Die zu letzterem Zwecke am meisten gebrauchten Blüten sind diejenigen von Jasmin, Orangen, Nelken, Rosen, der Gardenie, der wohlriechenden Aglaia, von Illicium amsatum, Magnolia fuscata, Chloranthus conspicuus und besonders diejenigen des wohlriechenden Ölbaums (Olea fragrans); ferner werden die Wurzeln von Iris florentina und das Öl von Bixa orellana dazu verwendet. In Indien und Ceylon ist solches Parfümieren des Tees verpönt. Und in der Tat, wer sich erst an den Geschmack unparfümierten, reinen Tees gewöhnt hat, dem widersteht der apothekenhafte Geschmack dessen, was als chinesischer Tee den Europäern aufgetischt wird.
Neben diesen beiden Hauptsorten, dem grünen und schwarzen Tee, gibt es noch verschiedene andere, so besonders den für die Nomaden der Mongolei, die Tibeter und Mongolenstämme Sibiriens und Rußlands, wie die Kalmücken, zu einem eigentlichen Volksgetränk gewordenen und daher als beliebtestes Tauschmittel dienenden Backstein- oder Ziegeltee. Er wird aus Abfällen geringer Sorten, aus älteren, lederartigen Teeblättern und anderen Blättern, namentlich von Weiden, mit Hilfe von Reiswasser und Serum von Ochsen- und Schafblut zu viereckigen, länglichen Tafeln von gegen 2 kg Gewicht zusammengepreßt und dann in Öfen oder an der Luft getrocknet. Dieser Backsteintee macht auch das schlechteste Wasser der Steppen trinkbar und wird vom Kaiser von China seinen mongolischen Truppen als Sold verabreicht. Er muß beim Gebrauch mit einem Hackmesser auseinandergeschlagen, in einem Holzmörser zerstampft und darauf in Wasser gekocht werden, bis er auseinanderfällt und weich genug ist, um mit Zusatz von meist ranziger Schaf- oder Ziegenbutter und Salz weniger als Getränk, denn eine Art Gemüse, samba genannt, verzehrt zu werden.
Das Teetrinken ist in China und Japan eine in allen Volksschichten gleichmäßig verbreitete Sitte, die mit Kunst zu üben den Knaben und Mädchen durch besondere Lehrer gelehrt wird, wie unsere Kinder etwa Tanzunterricht erhalten. Man brüht den Tee dort in kleinen, irdenen Töpfen an, die desto wertvoller sind, je länger sie im Gebrauche stehen und je mehr Absatz sich im Innern des Gefäßes niedergeschlagen hat. Der Tee wird stets warm in kleinen Täßchen ohne Zucker und Milch getrunken. Bestellt man in jenen Ländern in einem Teehaus, die dort die Rolle unserer Wirtshäuser spielen, Tee, so wird in der Regel kein Teetopf benutzt, sondern der Tee wird einfach in den Tassen abgebrüht, während ein schüsselförmiger durchlochter Deckel verhütet, daß die Blätter beim Trinken in den Mund geraten.
Die vornehmen Chinesen pflegen eine durchlöcherte Kapsel aus Silber oder Gold an einer kleinen Kette aus demselben Metall bei sich zu führen, mit dem sie sich den Tee selbst bereiten, indem sie, falls ihnen die Lust zu einem derartigen Genuß ankommt, die Kapsel mit Tee füllen, und sie einige Minuten in eine Tasse mit heißem Wasser halten.
Während die Chinesen und Japaner einen sehr schwachen Teeaufguß trinken, lieben ihn die Engländer sehr stark und bevorzugen dabei ihren Ceylontee. Weniger stark lieben ihn die Russen, bei denen er ebenfalls zum eigentlichen Nationalgetränk wurde. Die ärmeren Klassen der russischen Bevölkerung trinken den ganzen Tag hindurch Tee, aber sehr stark verdünnt. In jedem Hause brodelt das Wasser im Samowar, einem meist urnenförmig gestalteten, gewöhnlich durch glühende Kohlen geheizten Kessel, dessen Wasser ausschließlich zur Teebereitung verwendet wird. Man nimmt dafür nur wenig Teeblätter und gießt immer wieder heißes Wasser auf die schon ausgelaugten Teeblätter.
In den hohen Gesellschaftskreisen Rußlands wird wohl — mit Ausnahme derjenigen von China und Japan — der beste Tee getrunken, den es gibt, und zwar gewöhnlich ohne Zucker und Milch, dafür aber mit Zusatz von einer Zitronenscheibe oder einigen Tropfen Zitronensaft, wodurch das Aroma verstärkt werden soll. Nur die von Viehzucht lebenden Tataren kochen ihn mit Milch unter Hinzufügen von etwas Salz. Im Norden von Europa, wie in Deutschland und Frankreich, pflegt man vielfach etwas Rum in den Tee zu tun. So dient er vor allem zur Bereitung des Punsches. Das Wort Punsch stammt aus dem Indischen und bedeutet ursprünglich das Zahlwort pandsch, d. h. fünf (z. B. in der wohlbekannten Bezeichnung Pandschab, d. h. Fünfstromland enthalten), weil in dieses Getränk fünf Bestandteile eintreten, nämlich Wasser, Zucker, Tee, Rum und Zitronensaft.
Der von China, Ceylon oder sonstwoher importierte Tee wird stets von den großen europäischen Importfirmen je nach dem Geschmacke der betreffenden Abnehmer und Konsumenten gemischt. Durch eine solche Vermischung verschiedener Sorten wird eine Ergänzung der Eigenschaften derselben bewirkt und kann so besser jede persönliche Geschmacksliebhaberei befriedigt werden, und zwar bei gleichzeitiger Verbilligung infolge des Zusetzens leichter Sorten zu schweren. Durch solche Vermischungen, die von den großen Teeimportfirmen als Geschäftsgeheimnis sorgfältig gehütet werden, erhält das Publikum ein[S. 484] billigeres und zugleich ein ihm besser zusagendes Getränk, als wenn es eine reine Sorte genösse. In letzterem Falle müßte es, um einen wirklich guten Tee zu bekommen, eine feine, teure Qualität verwenden, die es jedoch so zu nehmen hätte, wie sie gerade ist, auch wenn ihr diese oder jene Unvollkommenheit anhaftete. Die Vermischung muß stets bei trockenem Wetter vorgenommen werden, und danach hat der Tee mindestens 10 Tage unberührt zu lagern, bis er seine guten Eigenschaften erlangt hat. Übrigens wird auch der Kaffee in ähnlicher Weise vermischt in den Handel gebracht, wobei jedes größere Geschäft seine bei den Kunden als beliebt erprobte Zusammensetzung vornimmt.
Was den Teekonsum der Völker Europas anbetrifft, so steht England weitaus an der Spitze mit gegen 3 kg pro Jahr und Kopf der Bevölkerung, dann folgen Holland — das daneben noch viel Kaffee verbraucht — mit 0,6 kg und Rußland mit 0,5 kg. Weit weniger als diese verbrauchen die Schweiz, nämlich 100 g, Deutschland 50 g und Frankreich nur 20 g, ebenfalls pro Jahr und Kopf der Bevölkerung. Die Franzosen trinken dafür als Frühstücksgetränk viel Schokolade, die in den letzten Jahrzehnten in Paris geradezu ein Volksgetränk wurde. Doch erfreut sich seit der letzten Weltausstellung auch der Tee in Paris zunehmender Beliebtheit.
Daß dieser letztere zum Lieblingsgetränk so vieler Nationen geworden ist, verdankt er seinem Gehalt an einem ätherischen brenzlichen Öle, das ihm das angenehme Aroma verleiht, und zwei Alkaloiden, die in gleicher Weise wie jenes das Nervensystem angenehm anregen. Das dem Tee seinen spezifischen Geruch verleihende ätherische Öl ist zitronengelb, abscheidbar, erstarrt leicht, schwimmt auf dem Wasser und regt, in reinem Zustande genossen, ungeheuer auf und verursacht in großen Gaben selbst den Tod. Da es aber im grünen Tee nur zu 1 Prozent, im schwarzen sogar nur ½ Prozent enthalten ist und seine Wirkung außerdem durch die Gerbsäure herabgesetzt wird, so wirkt es bei mäßigem Genusse des Tees bloß anregend und belebend auf das Nervensystem, erzeugt aber im Übermaß Aufgeregtheit, Schlaflosigkeit und Eingenommenheit des Kopfes. Ebenso wirkt das mit dem Koffeïn identische Alkaloid Teeïn von bitterem Geschmack, das zu 0,8 bis 4,5 Prozent neben dem ihm sehr nahe verwandten Theophyllin darin enthalten ist. Die Gerbsäure aber, die im Tee zu 10–25 Prozent enthalten ist, verleiht ihm einen herben, zusammenziehenden Geschmack und wirkt leicht stopfend auf die Gedärme. Beim Erkalten des Tee[S. 485]aufgusses bewirkt die Ausscheidung von Gerbsäure eine Trübung desselben. Damit nun der Tee nicht bitter werde, darf das heiße Wasser nicht zu lange mit den Blättern in Berührung bleiben. Nach längstens 10 Minuten sind die erwünschten Bestandteile der Teeblätter extrahiert und dann soll die dieselben bergende Kapsel aus dem Aufguß entfernt werden.
Der angenehme Geschmack des Teeaufgusses wird durch das richtige Verhältnis aller dieser Bestandteile zueinander bestimmt, und dieses Verhältnis hängt ganz davon ab, wie das heiße Wasser verwendet wird. Die Chinesen als die ersten Teekenner der Welt legen so großes Gewicht auf die richtige Zubereitung dieses Getränkes, daß ausführliche wissenschaftliche Werke darüber existieren. Über die Herstellung dieses Getränkes sagt der chinesische Kaiser Kien-long in einem Gedicht: „Setze über ein mäßiges Feuer ein Gefäß mit drei Füßen, dessen Farbe und Form darauf deuten, daß es schon lange im Gebrauch ist. Fülle es mit klarem Wasser von geschmolzenem Schnee. Laß dieses Wasser bis zu dem Grade erwärmt werden, bei welchem der Fisch weiß und der Krebs rot wird. Gieße dieses Wasser in eine Tasse auf feine Blätter einer ausgewählten Teesorte, lasse es etwas stehen, bis die ersten Dämpfe, welche eine dicke Wolke bilden, sich allmählich vermindern und nur leichte Nebel auf der Oberfläche schweben. Trinke alsdann langsam diesen köstlichen Trank, und du wirst kräftig gegen die fünf Sorgen werden, welche gewöhnlich unser Gemüt beunruhigen. Man kann die süße Ruhe, welche man einem so zubereiteten Getränke verdankt, schmecken, fühlen, jedoch nicht beschreiben.“
Um einen guten Tee zu bereiten, muß das zum Anbrühen des Tees zu verwendende Wasser weich sein, d. h. möglichst wenig Kalksalze enthalten. Ist es hart, so muß ihm doppeltkohlensaures Natron, und zwar eine Messerspitze voll pro Liter, zugesetzt werden. Das Wasser soll kochen, aber nur ganz kurze Zeit, da es sonst schal wird. Bereits gekochtes Wasser darf nicht ein zweites Mal gekocht und zum Teeaufguß verwendet werden, da dann alle Gase aus ihm entwichen sind, die das Aroma des Tees gut binden oder festhalten. Die Zubereitung muß in einem Gefäß aus Porzellan oder gebranntem Ton vor sich gehen und darf niemals in einem solchen aus Eisen geschehen, da die Gerbsäure das letztere angreift. Das Gefäß wird vorher erwärmt, indem man es mit ein wenig des eben zu sieden beginnenden Wassers ausspült, bevor man die Teeblätter in einer Aluminium- oder Nickelkapsel hineintut, wenn man nicht vorzieht, das an den in den[S. 486] Handel gelangenden chinesischen und japanischen Teetöpfen befindliche Porzellan- oder Tonfilter zu benutzen, das gleich nach dem Ausschänken der ersten Portion die Blätter zurückhält und aus der Flüssigkeit heraushebt. 5–8 Minuten nach der Hinzufügung des frisch siedenden Wassers wird die Kapsel mit den Teeblättern herausgezogen. Indischer Tee darf nicht länger als 5 Minuten ziehen, da er sonst widerlich bitter schmeckt. Feinschmecker lassen den Tee sogar nur 3 Minuten ziehen, und das ist durchaus genügend, um die wertvollen Bestandteile des Tees aus den Blättern zu extrahieren. Läßt man die Teeblätter zu lange im Aufguß, so wird der Tee durchaus verdorben, indem er sich durch einen Überschuß von Gerbsäure und Gummi dunkel färbt, unangenehm bitter wird und nicht nur an Aroma und Milde, sondern auch an Bekömmlichkeit stark Einbuße erleidet. Durch zu langes Ausziehenlassen der Teeblätter erhält man statt eines wohlschmeckenden, erquickenden Getränkes eine unschmackhafte, durch den reichen Gerbsäuregehalt bittere und den Verdauungsorganen nachteilige Brühe. Richtig zubereiteter Tee darf nicht zu dunkel, sondern muß hellbraun sein mit sanftem, an Rosenduft erinnerndem Aroma. Um diesen würzigen Duft zu kosten, darf er nicht durch Beifügen von Vanille verdeckt werden, was entschieden als eine Geschmacksverirrung zu bezeichnen ist. Die meisten Teeliebhaber trinken dunkeln, meist zu lange an den Blättern gelassenen Tee mit viel Zucker und Milch. Da ihm die brenzlichen, aromatischen Öle des Kaffees, die auf den Magen ungünstig wirken, fehlen, so ist besonders für Personen mit schwachem Magen der Teegenuß entschieden zuträglicher als der Kaffeegenuß. Im übrigen wirkt er ähnlich anregend wie der Kaffeeaufguß auf das Nervensystem, beseitigt die Müdigkeit und üble Laune, bringt ein Gefühl allgemeiner Behaglichkeit und Heiterkeit des Geistes hervor und unterdrückt eine leichte Berauschung und Schläfrigkeit. Die Chinesen sagen von ihm: „Der Tee entfernt das Fett und läßt den Menschen nicht schlafen; er spült Unreinlichkeiten fort, vertreibt Schläfrigkeit, heilt Kopfweh und verhütet es.“
Die Verwendung des Tees als belebendes und anregendes Genußmittel ist in China sehr alt. Eine japanische Sage meldet, daß ein im Jahre 519 von Indien nach China gekommener buddhistischer Priester in frommem Eifer das Gelübde tat, sich des Schlafes zu enthalten, um eine Zeitlang anhaltend zu beten. Da ihn aber der Schlaf dennoch überwältigte, schnitt er sich in heiligem Zorn zur Sühne seine Augenlider ab und warf sie auf die Erde. Da geschah ein Wunder. Aus ihnen[S. 487] erwuchs plötzlich die den Schlaf verscheuchende Teestaude, deren Blätter in ihrer Gestalt und durch einen Besatz von Wimperhaaren die Form der abgeschnittenen Augenlider nachahmen. So sinnig diese Sage auch erscheinen mag, so ist sie schon in der Datierung grundfalsch; denn die Teepflanze ist schon lange vor dem 6. Jahrhundert unserer Zeitrechnung in China als Arznei- und Genußmittel benutzt worden. Bereits im Jahre 2700 v. Chr. erwähnt das Buch Pent-sao den Teestrauch, und 500–600 v. Chr. im „Rya“ desgleichen. Seine Blätter sollen um 150 v. Chr. zuerst zur Herstellung eines als Getränk benutzten Aufgusses verwendet worden sein. Im 4. Jahrhundert n. Chr. hat der Ausleger des letztgenannten Werkes Einzelheiten über die Pflanze und den Gebrauch ihrer Blätter zu Aufgüssen gegeben. Damals soll schon ein chinesischer Minister Tee getrunken haben; aber erst im 6. Jahrhundert verschaffte sich der Tee allgemeinen Eingang und wurde in China Nationalgetränk, angeblich nachdem ein Leibarzt des Kaisers seinem Herrn das Kopfweh damit vertrieben hatte. Jedenfalls war die Pflanze ums Jahr 600 n. Chr. in ganz China als Genußmittel angebaut. Seiner Wertschätzung für dieses Getränk soll der chinesische Kaiser Kien-long dadurch Ausdruck gegeben haben, daß er einen von ihm auf einer Jagdpartie gedichteten Lobgesang auf den Tee auf Porzellantassen schreiben ließ, die er zu kaiserlichen Geschenken verwendete. Im Geschichtsbuche Kiang-mo wird gesagt, der Kaiser Te-tsing habe im 14. Jahre seiner Regierung, d. h. 782 n. Chr., einen Zoll auf Tee gelegt. Gegen das Ende des 9. Jahrhunderts berichtet der arabische Reisende Abuzeid-el-Hazen, daß die Steuer auf Tee eine der hauptsächlichsten Einnahmequellen des Kaisers von China sei.
Im Jahre 810 brachten chinesische Priester den Teestrauch nach Japan, wo seine Blätter bald in derselben Weise wie in China zum beliebten Volksgetränk wurden. Von Ostasien aus verbreitete sich die Sitte des Teetrinkens erst im 15. Jahrhundert nach Mittelasien, wo die Tibeter bald große Liebhaber desselben wurden. Die Araber, die seit dem 9. Jahrhundert in Handelsbeziehungen, hauptsächlich Seidenstoffe betreffend, zu den Chinesen standen, beschrieben den Tee zuerst unter der Bezeichnung tscha. Im Chinesischen bedeutet tschai-yé junges Blatt und daraus zusammengezogen tscha = Tee; dieses wird im Dialekt von Kanton wie tschai ausgesprochen. Dieses Wort ist als tsja in die Sprache der Japaner und als tschai in diejenige der Russen und Portugiesen übergegangen. Die bei den übrigen europäischen Völkern gebrauchten Namen Tee, thé, té, tea und das lateinische[S. 488] thea stammen wahrscheinlich von dem im Dialekte Fo-kiens in Südchina üblichen Worte tia, das in A-moy tai und in Fu-tschan ta lautet. Die älteste in Deutschland nachweisbare Bezeichnung für Tee stammt aus dem Jahre 1657 und lautet herba schac.
Die erste Nachricht vom chinesischen Tee als Genußmittel der Ostasiaten soll ums Jahr 1550 durch einen persischen Kaufmann dem Geographen Ramusio in Venedig zu Ohren gekommen sein. Aber wie falsch die Vorstellung der Abendländer von diesem Genußmittel der Ostasiaten war, beweist die Mitteilung des Italieners Giovanni Botero aus dem Jahre 1590, wonach die Chinesen eine Pflanze anbauten, aus der sie ein angenehmes Getränk preßten, das sie an Stelle des Weines tränken. Damit war natürlich der Tee gemeint, aber seine Gewinnung völlig unrichtig geschildert, als Beweis dafür, daß man über seine Herstellung noch völlig im unklaren war. Der Reisende Maffei erwähnt ihn ebenfalls in seiner lateinisch geschriebenen Historie Indiens vom Jahre 1588; aber erst im Jahre 1610 brachten die Holländer in Bantam von chinesischen Kaufleuten gegen Salbeiblätter eingetauschten Tee mit nach Hause. 1638 erhielt eine russische Gesandtschaft in der Mongolei als Gegengeschenk für etliche Zobelfelle einige Pfund Tee, den sie nach ihrer Rückkehr in Moskau nach chinesischer Sitte zubereiten ließ. Damit fand sie ordentlichen Beifall, so daß sich die Reichen noch mehr dieses neuartigen Genußmittels zu verschaffen suchten.
Im Abendlande war der Portugiese Alvarez Semedo, der sich längere Zeit in Makao aufgehalten hatte, der erste, der 1643 den chinesischen Teestrauch beschrieb und über die Zubereitung der Blätter berichtete. 1658 wurde die Pflanze von Piso in seinem Werke über die Naturgeschichte und Medizin beider Indien deutlich erkennbar abgebildet. Im Jahre 1712 gab dann der berühmte Reisende, Arzt und Naturforscher Kämpfer nicht nur eine gute Zeichnung des Teestrauches, sondern auch eine ausführliche Beschreibung der Teefabrikation in China. 1763 erhielt Carl von Linné durch den schwedischen Schiffskapitän Ekeberg lebende Teepflanzen für den botanischen Garten in Upsala und führte die damals schon gebräuchliche Bezeichnung thea in die wissenschaftliche Nomenklatur ein.
Die erste abendländische Gesellschaft, die dieses neue Genußmittel in Europa einzuführen versuchte, war die holländisch-indische Handelsgesellschaft. Bis zum Jahre 1630 war es ihr auch in ziemlichem Umfange gelungen, den Teegenuß in Holland populär zu machen. Dabei[S. 489] wurde sie ganz wesentlich durch die Lobpreisungen unterstützt, die einige namhafte holländische Ärzte dem daraus bereiteten Getränke zuteil werden ließen. So sollte er die Lebenskraft steigern, das Gedächtnis stärken, alle seelischen Tätigkeiten erhöhen und das Blut in ausgiebigster Weise verdünnen. Gegen Fieber mußte man Dutzende von Tassen desselben trinken, was von sehr guter Wirkung sein sollte.
Von Holland brachten die Lords Albington und Ossiro den Tee im Jahre 1660 zuerst nach England, und ihre Frauen servierten den Gästen dieses neue Getränk und machten es in weiteren Kreisen Londons bekannt. Bald darauf wurde es auch in einigen Londoner Trinkhäusern als fremde Novität ausgeschänkt. Doch war der Tee noch im Jahre 1664 in London etwas so überaus Seltenes, daß die englisch-ostindische Handelsgesellschaft ihrer Königin ein sehr kostbares Geschenk mit zwei Pfund Tee zu machen glaubte. Das Pfund Tee wurde damals in London zum Preise von 65 Livres verkauft, obwohl es in Batavia nur 3–4 Livres kostete. Daraus kann man entnehmen, welch enormen Gewinn die Holländer durch den Import des Tees nach Europa machten.
Trotz dieses hohen Preises und der starken Besteuerung, die auf dem Tee lastete, war das Teetrinken in England ums Jahr 1700 schon allgemein verbreitet, wenn auch gegen diese Neuerung, gleichwie gegen den Genuß von Kaffee und Schokolade von manchen Leuten energisch zu Felde gezogen wurde. So bezeichnete ein französischer Gelehrter, Patin, den Tee als „l’impertinente nouveauté du siècle“, d. h. die unverschämte Neuheit des Jahrhunderts. Nach dem im Jahre 1782 erschienenen Buche von Le Grand d’Aussy über die Geschichte des Privatlebens der Franzosen war nämlich der Tee im Jahre 1636 in Paris bekannt geworden und bald zu Ansehen gelangt, weil ihn der Kanzler Séguier unter seinen besonderen Schutz nahm. In Holland gab man ihm ums Jahr 1670 den Spottnamen „Heuwasser“. Trotz diesen und zahlreichen anderen Angriffen behagte aber doch das neue, zweifellos angenehm schmeckende und anregende Getränk den Vornehmen, die sich dasselbe zu kaufen vermochten, zumal damals auch der Rohrzucker in größerer Menge aus den in den Tropen gelegenen Kolonien in Europa eingeführt wurde und als nötige Würze den Geschmack desselben für die abendländischen Zungen bedeutend verbesserte.
Von Autoren, die den Tee rühmten, sind Molinari 1672, Albino 1684, Pechlin 1684, Blankaert 1686 und Blegna 1697 zu nennen.[S. 490] Der Mann aber, der trotz den zahlreichen Anfeindungen das neue Getränk am nachhaltigsten lobte und am meisten für seine Verbreitung tat, war der im Jahre 1618 zu Alkmar geborene und als Leibarzt des Kurfürsten von Brandenburg im Jahre 1686 verstorbene holländische Arzt Dr. Cornelis Dekker, besser bekannt unter dem Beinamen Bontekoe, der davon herrührte, daß an der elterlichen Wohnung in Alkmar ein mit einer bunten Kuh bemaltes Aushängeschild befestigt war. Dieser danach gewöhnlich als Cornelis Bontekoe bezeichnete Holländer studierte in Leiden und lebte nach beendigtem Studium im Haag, später in Amsterdam, Hamburg und zuletzt in Berlin, wo er als Arzt ständig mit seinen Kollegen in Streit lebte. Nur dem Schutze seines fürstlichen Patienten und Gönners verdankte er seine große Popularität, die auch seinen Werken zuteil wurde. Er war ein Anhänger der Lehre, daß das Blut des Menschen schon zur Vorbeugung, besonders aber bei bereits entstandener Krankheit, verdünnt werden müsse; dazu empfahl er in einer 1667 erschienenen, bald auch ins Französische und Lateinische übersetzten Abhandlung besonders den Genuß von Tee, aber auch von Kaffee und Schokolade. In Deutschland machte er den Tee zuerst ums Jahr 1657 am Hofe des Großen Kurfürsten bekannt. Trotz mancher Übertreibungen und zahlreicher Irrtümer über die Wirkung des Tees, deren sich Bontekoe schuldig machte, ist nicht zu leugnen, daß er mit seiner Propaganda für den Genuß desselben viel Gutes stiftete, sei es auch nur insofern, als ihm das große Verdienst gebührt, als Erster den Kampf gegen den übermäßigen Genuß alkoholhaltiger Getränke, die er durch Tee, Kaffee und Schokolade ersetzt wissen wollte, aufgenommen zu haben. Und obschon Generationen nach ihm dieser Kampf gänzlich ruhte und erst in unserer Zeit mit größerer Energie wieder aufgenommen wurde, ist doch die Arbeit von Cornelis Bontekoe nicht vergeblich gewesen; denn sie legte den Keim zu der glücklicherweise immer weitere Kreise in ihren Bann ziehenden Bewegung, die dahin zielt, geistige Getränke als für das Wohlergehen des einzelnen Menschen wie des ganzen Volkes überaus nachteilige und die größte soziale Gefahr in sich bergende Genußmittel immer mehr zu unterdrücken und durch die viel harmloseren und hygienisch ratsameren Getränke Tee, Kaffee und Schokolade, die durchaus keine so allgemeingefährlichen Gifte wie die alkoholischen Getränke sind, zu ersetzen.
Nach Bontekoe hat der holländische Arzt Dr. Steven Blankaert am nachhaltigsten für die Empfehlung dieses neuen Genußmittels ge[S. 491]wirkt. In seinem 1686 erschienenen Werke über den Gebrauch und Mißbrauch des Tees empfiehlt er dieses Getränk sehr, warnt aber zugleich vor dem Übermaß desselben. Daß nun zunächst kein Mißbrauch mit diesem Genußmittel getrieben wurde, dafür sorgte schon der teure Preis, den man dafür bezahlen mußte, solange er das Monopol der holländisch-indischen Handelsgesellschaft war und zudem vom Fiskus hoch besteuert wurde. Der Tee war so teuer als der Kaffee und deshalb nur für die Wohlhabenden erschwinglich. So steht beispielsweise in einer Verordnung der Stadt Nimwegen in Geldern, daß für jedes Pfund rohe Kaffeebohnen eine Abgabe von 8 Stuiver (etwa 60 Pfennigen), für jedes Pfund gebrannte Bohnen oder Kaffeepulver aber 11 Stuiver und Tee sogar ein Gulden an den Pächter der Akzise zu entrichten sei. Die Wirte der Kaffeehäuser, von denen es schon damals eine ganze Anzahl gab, wurden noch stärker besteuert, indem sie für rohen Kaffee 12 und für gebrannten Kaffee oder Kaffeepulver 16 Stuiver bezahlen mußten. Und damit das geliebte Getränk rein zu haben sei, wurden alle Kaffeehändler und Schenker, die den Kaffee verfälschten, mit einer Strafe von 100 Gulden bedroht. Nach Sonnenuntergang durfte kein Kaffee mehr gebrannt werden und das „Stampfen“ und „Präparieren“ des Kaffees durfte nur im Laden geschehen. Kaffeemühlen kannte man damals noch nicht, die Bohnen wurden wie heute noch bei den Arabern in Mörsern zerstampft, und daher kommt es, daß auch wir noch von Kaffeepulver an Stelle von gemahlenem Kaffee sprechen. Ähnliche Bestimmungen wie für den Kaffee gab es für den Tee.
Die Ausfuhr von Kaffee und Tee wurden durch die Verordnung von denselben Bestimmungen betroffen, wie sie heutzutage für den Export von Spirituosen existieren. Kein Händler durfte Kaffee oder Tee aus dem Distrikt des einen Akzisenpächters in den eines anderen bringen, ohne mit einem Schein des Akzisenpächters, aus dessen Distrikt die Ware ausgeführt wurde, versehen zu sein. Dieser Schein mußte außer dem Namen des Exporteurs einen Vermerk über die Menge des Kaffees oder Tees, eine Angabe, womit die Ware möglicherweise vermischt war, ob der Kaffee gebrannt oder ungebrannt war und schließlich die Angabe des Ortes, nach welchem sie ausgeführt werden sollte, enthalten.
Von der Mitte des 17. Jahrhunderts an wurde der chinesische Tee auch in Deutschland zuerst als herba theae in den Apotheken geführt, so 1657 in der Taxe von Nordhausen, 1662 in derjenigen von Liegnitz, 1662 in derjenigen von Ulm. Im 18. Jahrhundert begannen[S. 492] ihn die vornehmeren Leute als Genußmittel zu trinken und erst vom Beginne des 19. Jahrhunderts an bürgerte er sich hier auch beim Mittelstande ein, erlangte aber bei weitem nicht die Popularität des Kaffees. Noch im Jahre 1815 kostete eine Tasse Tee in Paris 1,25 Franken, während eine Tasse Kakao mit 1 Franken und eine Tasse Kaffee mit 80 Centimes bezahlt wurde. Daraus kann man sich einen Begriff über die damals anderwärts bezahlten Preise machen. Diese hohen Preise wurden aber hauptsächlich dadurch bedingt, daß der Fiskus dieses Genußmittel in weitgehendem Maße besteuerte und zu einer ergiebigen Einnahmequelle machte. Durch dieses ungerechtfertigte Vorgehen wurde beim Volke, das an diesem Genußmittel bald Gefallen fand, viel böses Blut erregt. Manchenorts kam es sogar zu Auflehnungen gegen die Regierung. So führte der Unwille gegen die von England auch den Kolonien auferlegte hohe Teesteuer in Nordamerika zum bekannten Teesturm, bei welchem einige kühne Bostoner Bürger am 26. Februar 1773 eine Ladung von 18000 Pfund englischen Tees ins Meer warfen. Diese Revolte war der Ausgangspunkt der Lostrennung des englischen Nordamerika von seinem Mutterlande und der Bildung der Vereinigten Staaten von Nordamerika. So hat Englands kurzsichtige Krämerpolitik ihm damals seine reichste Kolonie entfremdet und der Tee spielte eine geradezu weltgeschichtliche Rolle, wie sie sonst nur wenigen pflanzlichen Erzeugnissen beschieden war.
Bis zur ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts versah China die ganze Welt mit Tee. Heute noch ist China das Land, das die ausgedehntesten Teegärten der Welt besitzt und im Shan-Lande zwischen Birma und Tonking den besten, am chinesischen Hofe gebrauchten Tee hervorbringt. Den Mittelpunkt der Teeproduktion bildet die nördlich von Jün-nan tief im Innern, am Oberlauf des Jang-tse-kiang oder blauen Flusses gelegene, bergige Provinz Sze-tschwan, wo besonders die große Stadt Tschöng-fu den Export betreibt. Dort gedeiht der Teestrauch zwischen 40° und 27° nördlicher Breite meist in Höhenlagen von 500 m und mehr. Außerdem wird er in den Provinzen Kuan-tung, Fu-kian, Kiang-si, Tschi-kiang und Ngan-hui kultiviert, und zwar entweder in zerstreuten Büschen oder in Reihen zwischen den Feldern, besonders Reisfeldern, auf den mehr oder weniger hohen Dämmen. Den durch Samen fortgepflanzten Tee stutzt man im dritten Jahre auf etwa 60 cm und sammelt von da an die neu entwickelten Blätter, um Tee daraus zu bereiten. Von dort ging die Teeausfuhr nach Europa lange Zeit auf dem Landwege über Kiachta und Maimatschin nach[S. 493] Nischni-Nowgorod und St. Petersburg. Noch heute genießt der russische Karawanentee einen hohen Ruf, da er schon wegen der hohen Spesen des weiten Transportes nur aus Blättern von bester Qualität hergestellt wird. Später ging er größtenteils auf dem Seewege nach Europa, gelangt aber seit der Erbauung der transsibirischen Bahn meist wiederum auf dem Landwege dahin.
In Japan trifft man die besten Teeplantagen von 30° bis 25° nördlicher Breite. Die allerbeste Teesorte in Japan liefert die Landschaft Udsi, westlich von Kioto, in der Nähe des Meeres gelegen. Sie ist ausschließlich für die Familie des Kaisers bestimmt und kommt ebensowenig wie der sogenannte chinesische Kaisertee je in die Hände von Europäern.
In den letzten Jahrzehnten ist die Teekultur in die verschiedensten warmen Länder ausgedehnt worden, so zuerst auf Java, wo sie im Jahre 1826 eingeführt wurde, dann 1827 in Bengalen und 1835 in der sieben Jahre zuvor den Birmesen abgenommenen Provinz Assam am Südfuße des Himalaja. Hier hatte der englische Botaniker Bruce die als Thea assamica bezeichnete wilde Teepflanze entdeckt. Das gab die Veranlassung, daß die Regierung 1835 die ersten Teepflanzungen anlegen ließ, die 1839 an die damals gegründete Assam Tea Company abgetreten wurden. Man kultivierte zunächst die einheimische Pflanze, hatte aber erst vom Jahre 1851 an Erfolg, als man dieses an den Schutz des feuchtwarmen Urwaldes gewöhnte Gewächs, das sich als zu zart für die Kultur in offenen Gärten erwies, mit der chinesischen Teepflanze kreuzte. Damit erzielte man so schöne Kulturen, daß ein wildes Spekulationsfieber ausbrach, das 1865 seinen Höhepunkt erreichte. Noch 1888 lieferte Assam zwei Drittel des in Indien erzeugten Tees. Der Assamteestrauch hat größere, statt 12 bis 22 cm lange, außerdem deutlicher zugespitzte Blätter als der chinesische, die der Textur nach dünner und heller sind. Diese werden reichlicher erzeugt und bleiben auch länger weich als diejenigen des chinesischen Teestrauches. Überhaupt ist dieser Wildling noch nicht so abgehärtet wie der schon so lange in Kultur befindliche chinesische Teestrauch, ist besonders gegen Trockenheit und Frost empfindlicher als dieser. Diese nachteiligen Eigenschaften wurden durch die Kreuzung beider zum größten Teile behoben; doch läßt sich noch kein definitives Urteil über deren Wert fällen.
Bald nach der Einführung des Teeanbaus in Assam wurde er auch in den weiter westlich gelegenen Südabhängen des Himalaja, be[S. 494]sonders um Dardschiling, dann in den Nilgeris oder Blauen Bergen hinter der Malabarküste und endlich auch in Ceylon eingeführt. 1842 begannen die ersten Versuche der Teekultur in Ceylon; aber erst nach 1873 wurde die Kultur in immer größerem Maße eingeführt als Ersatz des durch die Laubkrankheit des arabischen Kaffeestrauchs zugrunde gerichteten Kaffeebaus. Diese gebirgige, für den Anbau des Teestrauches außerordentlich günstig beschaffene Insel brachte dann in kurzer Zeit mehr Tee auf den europäischen Markt als das doppelt so große Java. Übrigens wird auf Ceylon, wie in ganz Indien und auf Java ausschließlich die widerstandskräftigere Kreuzung der Thea chinensis mit der Thea assamica angepflanzt, der einen recht kräftigen und gehaltvollen Tee liefert; doch erreicht dieser nicht das feine Aroma des chinesischen Tees.
Auch in Brasilien wurden schon im Jahre 1810 in der Gegend von Rio de Janeiro Versuche mit der Teekultur angestellt, aber der Anbau in der Folge wieder aufgegeben, da die Blätter dort entschieden von ihrem Aroma einbüßten und zudem die dortige Bevölkerung dem einheimischen, gleichfalls koffeïnhaltigen Mate oder Paraguaytee den Vorzug gab. Im Jahre 1828 ist dann auch in Kalifornien, 1848 in Südkarolina und Tenessee und 1859 in Australien der Tee probeweise angebaut worden; seine Kultur ist dann aber ebenfalls wegen zunehmender Verschlechterung der hier erzeugten Qualität wieder aufgegeben worden. Bessere Resultate erzielte man in Natal und besonders im Kaukasus, wo sich die russische Regierung viel von der Zukunft dieser Kultur verspricht.
Die Gesamtproduktion von Tee läßt sich nicht schätzen, da China und Japan gewaltige Mengen davon selbst verbrauchen. In den Welthandel gelangen jährlich über 2 Milliarden kg, von denen 760 Millionen kg aus China und Japan, 720 Millionen kg aus Britisch-Indien, 560 Millionen kg aus Ceylon und 5,5 Millionen kg aus Java ausgeführt werden. Noch im Jahre 1820 erhielten Europa und Nordamerika zusammen ausschließlich aus China 16 Millionen kg, von denen ¾ auf England entfielen. Heute konsumiert Deutschland jährlich etwa 4 Millionen kg im Werte von beinahe 8 Millionen Mark. Das macht jährlich pro Kopf ⅙ kg Tee. Wichtigere Konsumenten sind Holland mit ½ kg, dann Rußland mit 1 kg und England mit 2–2½ kg Teeverbrauch pro Kopf und Jahr. Hauptteemarkt Europas ist London, dann folgen Hamburg, Bremen, Marseille und Odessa.
Wie seit langer Zeit die Ostasiaten und neuerdings auch Russen[S. 495] und Engländer ihren Tee außerordentlich lieben, so sind die Einwohner von Paraguay, Argentinien, Südbrasilien, Chile, Peru und Bolivia leidenschaftliche Trinker von Mate, den sie den ganzen Tag über genießen. Mate bedeutet das Gefäß, in welchem der Aufguß der betreffenden Blätter getrunken wird, und dieser Name ging schließlich auf das Getränk selbst, sowie auf die dasselbe liefernde Pflanze über. Die Spanier bezeichnen den Matetee als yerba mate und die Portugiesen als erva mate. Beide Wörter stammen vom lateinischen herba Kraut, und yerba oder erva nennt das Volk gemeinhin den Trank, der vom Ärmsten wie vom Reichsten getrunken und dem Gaste als erster Willkomm dargeboten wird. Förmlich — wie nun einmal der Südamerikaner, ob Indianer oder Abkömmling der spanischen Eroberer ist — wird derselbe nie versäumen, dem Hausherrn ein Kompliment bezüglich der Güte seiner yerba zu machen, und die Gespräche über gute oder weniger gute yerba nehmen oft einen beträchtlichen Raum in der sonst einförmigen Unterhaltung dieser caballeros ein.
Der in seiner Wirkung dem chinesischen Tee ähnliche, wenn auch weniger Koffeïn — nämlich nur 0,5 bis 1 Prozent statt wie jener 1,5–3, ja 4 Prozent zu besitzen — und auch weniger ätherisches Öl enthaltende und etwas herb schmeckende Paraguaytee wird von einer großen, Sträucher bis kleine Bäume bildenden Stechpalmenart (Ilex paraguayensis) ohne stachelspitzig gebuchtete Blätter und zahlreichen nahe damit verwandten Arten gewonnen, die von Südbrasilien durch Paraguay und Uruguay bis zu den Kordilleren Argentiniens in gebirgigen Gegenden wild wachsen. Auf einem kurzen Stamm aus sprödem, leicht faulendem Holz befindet sich eine ziemlich dichte, schön gewölbte Krone von 5 cm langen, lanzettlichen, an den Rändern leicht gezackten, immergrünen Blättern. Aus kleinen, weißlichen, im Oktober und November erscheinen[S. 496]den Zwitterblüten, die aber durch Abort auf verschiedenen Pflanzen zweihäusig sich entwickeln, so daß die einen nur weibliche Stempelblüten, die anderen nur männliche Staubgefäßblüten tragen, bilden sich dunkelviolette Kapseln, welche die sehr harten Samenkerne enthalten. Die Matebäume treten einzeln und in Gruppen, untermischt mit subtropischen und tropischen Gewächsen auf. Von den als „mineros“ bezeichneten Arbeitern, vielfach Indianern, werden die wildwachsenden Bäume beschnitten, indem sie erst größere Äste und von diesen die Zweige abhauen, die dann mit den daran befindlichen Blättern durch Ziehen durch ein nicht rauchendes Feuer zum Welken gebracht werden, worauf man sie auf einem hölzernen Gerüst über einem mäßigen Feuer röstet. Dann bleiben sie eine kurze Zeit auf einem Haufen liegen, um zu schwitzen, d. h. fermentieren. Hierauf werden sie nochmals in Schuppen schnell über Feuer getrocknet, bis selbst die Zweige dürr geworden sind. Endlich werden sie auf einer Tenne ausgebreitet, die Blätter abgestreift und in Holzmörsern zerstampft, neuerdings aber in eigenen Yerbamühlen zwischen Walzen zerkleinert und liefern so den in Segeltuchsäcken oder Lederballen in den Handel gelangenden Matetee. Aufgüsse desselben werden nicht nur in den Gegenden, in denen der Strauch vorkommt, sondern auch in Chile, Peru und Bolivia als Nationalgetränk von jedermann täglich genossen. Dies geschieht in der Weise, daß man auf die nie verlöschende Glut des Herdes schnell einige Zweige oder in manchen sehr holzarmen Gegenden trockene Fladen von Lamaexkrementen oder polsterförmige Klumpen einer Llareta genannten Umbellifere legt und darüber ein Gefäß mit Wasser erhitzt. So viel pulverisierte Mateblätter als man zwischen zwei Fingern halten kann, werden in eine mate genannten Kalabasse — eine ausgehöhlte Kürbis[S. 497]schale von eigentümlicher Gestalt — getan, heißes Wasser darauf gegossen und möglichst heiß getrunken, indem man den Aufguß ohne Zuckerzusatz mit einem bombilla genannten, unten blasenförmig erweiterten, rings geschlossenen, siebartig durchbrochenen Röhrchen, meist aus Silber, aufsaugt. Dadurch wird wie beim chinesischen Tee das Nervensystem angenehm angeregt. Fortgesetzter unmäßiger Genuß des Mate soll Magenreizung und Nervenzerrüttung herbeiführen. Gewöhnlich gießt man den ersten Aufguß, der wohl infolge der Zubereitung der Mateblätter am Feuer etwas rauchig schmeckt, nach kurzem Verweilen an den Blättern weg und kann dann durch Nachfüllen mit Wasser dieselbe Portion wenigstens dreimal ausziehen lassen.
Schon die vorgeschichtlichen Peruaner liebten den Mate und gaben ihren Toten als Speise im Geisterreich Mateblätter mit, die sich ziemlich häufig in den Gräbern des Totenfeldes von Ancon in Peru als Grabbeigabe vorfinden. Zur Zeit der spanischen Eroberung war er außer bei den peruanischen Inkastämmen, von denen das Gräberfeld von Ancon herrührt, auch bei den Guaranis und anderen Indianerstämmen in hohem Ansehen. Es ist dies ein Beweis dafür, welch weitreichender Tauschverkehr unter den Indianerstämmen Südamerikas schon lange vor der Ankunft der Europäer bestand; denn der Matestrauch hat seine Heimat nur in den Niederungen im Bereiche des La Platastromes und seine Blätter wurden von dort über die hohen, beschwerlichen Andenpässe nach Peru, Chile und Bolivia auf viele Tausende von Kilometern Entfernung als geschätzte Tauschware transportiert. Zur Zeit der theokratisch-patriarchalischen Jesuitenherrschaft in Paraguay von 1608–1768 übernahmen die weißen Patres von ihren Schützlingen, den Indianern, den Mate, dessen gute Eigenschaften sie bald erkannten, so daß sie ihn dem damals schon in Amerika angebauten Kaffee vorzogen. Sie verstanden es, den Ilexbaum zu pflanzen und besaßen ausgedehnte Kulturen davon, eine Kulturerrungenschaft, die mit ihrer Vertreibung verloren ging. Spätere Anbauversuche schlugen fehl, und erst ganz neuerdings ist es zuerst dem Deutschen Friedrich Neumann auf der Kolonie Nueva Germania in Paraguay gelungen, den Samen, der notorisch seine volle Keimfähigkeit erst erlangt, wenn er einen Vogelmagen passiert hat, keimfähig zu machen, indem er ihn mit Maiskörnern vermischt Hühnern verfütterte. In die humusreiche Walderde ausgestreut, keimten nun die aus den Exkrementen ausgewaschenen Samen, aber die Hühner, deren Magen die Samen passiert hatten, kränkelten davon und starben schließlich. Diese[S. 498] nur einseitig befriedigenden Resultate veranlaßten einen anderen Deutschen namens Jürgens ein zweckmäßigeres Verfahren zur Erzielung keimfähiger Samen zu entdecken. Nach zahlreichen Versuchen fand er, daß die Einwirkung von reiner rauchender Salzsäure während drei Minuten mit nachfolgendem gehörigen Auswaschen der Samen bis der letzte Rest von Säuregeschmack aus dem Waschwasser verschwunden ist, sehr befriedigende Resultate liefert. Die in besonderen Saatkästen ausgesäten Samen beginnen, recht feucht erhalten, nach 1½–2 Monaten zu keimen und werden, wenn sie 30–50 cm hoch geworden sind im Juli und August in Reihen mit 3,5 m Abständen nach allen Richtungen ins Freie gepflanzt. Als Schattenpflanzen benutzt man dazwischen gesäten Mais, bis die Bäumchen erstarkt sind. Im dritten Jahre nach dem Anpflanzen werden die inzwischen 1,5–2 m hoch gewordenen Bäumchen etwas zurückgeschnitten, damit sie mehr Buschform annehmen. Von da an kann man jedes Jahr die allmählich heranwachsenden Bäume etwas auslichten und deren Zweige zur Gewinnung von Mate benutzen. Alle 3 Jahre kann eine ausgiebige Ernte erfolgen.
Da durch den bis jetzt üblichen Raubbau die Bestände wildwachsender Matepflanzen schon bedenklich gelichtet sind, andererseits der Matekonsum in Südamerika von Jahr zu Jahr zunimmt und noch mehr wachsen wird, wenn — wie voraussichtlich — der Mategenuß auch in anderen Ländern als Südamerika allgemein geworden sein wird, so hat die Matekultur eine sehr große Zukunft. Bis jetzt gibt es Matekulturen nur in Nueva Germania in Paraguay und am Rio Pardo in Brasilien, welche 4 Jahre nach dem Umsetzen der Keimlinge eine Ernte von 4–6 kg trockener Yerba pro Strauch ergaben. Eine solche läßt sich alle drei Jahre vornehmen. Die als Yerbales bezeichneten wilden Matebestände Paraguays umfassen etwa 1460000 ha und waren vormals Staatseigentum, bis sie nach dem Kriege von 1864–1869 vom Staate teils verpachtet, teils verkauft wurden. Die Ernte dauert vom Dezember bis August, weil zu dieser Zeit das Laub der Matesträucher am dichtesten ist, und wird, wie gesagt, meist von Indianern unter Aufsicht von weißen Aufsehern vorgenommen. Neuerdings wurde der Matetee, der in Südamerika täglich von über 20 Millionen Menschen genossen wird, und schon im 18. Jahrhundert als Jesuitentee in den Handel gelangte, auch in Nordamerika, England und der Schweiz eingeführt, hat aber hier, obschon er weit billiger ist als der chinesische oder indische Tee und ganz angenehm schmeckt, gleichwohl bisher nur sehr geringen Beifall gefunden. Die Gesamterzeugung von[S. 499] Mate beträgt in Paraguay, Argentinien und Südbrasilien jährlich etwa 100 Millionen kg, die, wenn wir auch nur einen Ausfuhrpreis von 56 Pfennigen pro kg rechnen — tatsächlich beträgt der Preis im Kleinverkauf bis 2,50 Mark pro kg —, einen Gesamtwert von über 56 Millionen Mark repräsentieren. Gegenüber der jährlichen Kaffeeproduktion der Welt von gegen 1000 Millionen kg und von Tee im Betrag von 2000 Millionen kg ist dies ja wenig; doch hat der Mateverbrauch in Südamerika in letzter Zeit riesig zugenommen, denn noch im Jahre 1726 betrug die Mateproduktion erst 625000 kg. Im Jahre 1780 stieg sie bereits auf 2,5 Millionen kg und 1855 auf 7,5 Millionen kg.
Endlich wird noch aus den getrockneten, lederartigen Blättern einer in den Urwäldern der Insel Bourbon als Überpflanze auf Bäumen wachsende Orchidee, Angraecum fragrans, ein als Fahantee bezeichneter Aufguß bereitet, der pur oder mit Zucker versüßt wie Tee getrunken wird. Dieser Tee entbehrt aber durchaus der belebenden Eigenschaften, wie sie chinesischer Tee und Mate besitzen, und ist nur eine unschuldige, aber angenehm zu trinkende Lösung des den Wohlgeruch des Waldmeisters, des Ruchgrases und der Tonkabohne bedingenden Riechstoffes Kumarin, der allerdings in größeren Mengen Kopfschmerzen verursacht. Dieses Genußmittel hat sich nicht über seine engere Heimat verbreitet.
Weitläufig verwandt mit dem Teestrauch ist der zu den Sterculiazeen gehörende Kakaobaum (Theobroma cacao), dessen Heimat das tropische Amerika vom 23° nördlicher bis zum 20° südlicher Breite ist. Lebensbedingung für ihn ist ein warmes, feuchtes Waldklima. Der wilde Kakao, der von Südmexiko bis nach dem Staate Bahia in den Vereinigten Staaten von Brasilien im Urwalde wild gefunden wird, liefert minderwertige, äußerst herbe und bittere Samen in kleineren Früchten als dies bei dem schon von den Indianern in vorgeschichtlicher Zeit in Kultur genommenen, veredelten Baume der Fall ist. Gleichwohl werden sie heute noch von den Indianern gesammelt und auf den Markt gebracht, während sie das sie einhüllende angenehm süßsäuerliche, saftige Fruchtfleisch als willkommene Nahrung selbst genießen.
Der Kakaobaum ist in seinem natürlichen Zustand ein etwa 10 bis 14 m hoch werdender immergrüner Baum von 25–30 cm Stammdurchmesser mit ausgebreiteter Krone. Gewöhnlich läßt man ihn aber nur 3–8 m hoch werden. Die zimtbraune, ziemlich dicke Rinde liegt um einen porösen, leicht rosa gefärbten Holzkörper. Der Stamm trägt eine Menge meist schlanker Äste, an denen die kurzgestielten, länglich ovalen, spitz zulaufenden, 20–35 cm langen Blätter sitzen. Jung sind sie pfirsichrot, werden aber, nachdem sie sich entwickelt haben, glänzend dunkelgrün; an der Unterseite sind sie matter gefärbt und leicht behaart.
Der Baum treibt das ganze Jahr hindurch Blüten und Früchte, die aus dem Stamm und den älteren Zweigen unmittelbar hervorsprießen, was bei der Größe und Schwere der letzteren eine äußerst zweckmäßige, ja notwendige Einrichtung ist, da die schwächeren, dünneren Zweige solcher Belastung nicht gewachsen wären und brechen würden.[S. 501] Die Stellen, an denen sie erscheinen, entsprechen den Blattachseln; nur wird dieser Sachverhalt durch den Abfall der Blätter verwischt.
Die Blüten brechen in Büscheln hervor und sind ziemlich langgestielt. Über fünf rosenroten, lanzettlichen Kelchblättern finden sich ebensoviel kappenförmige, zitronengelbe, rötlich geaderte Blumenblätter. Von den zehn pfirsichroten Staubblättern erzeugen nur fünf Pollen in je vier gesonderten Pollenfächern. Der Fruchtknoten ist fünffächerig und umschließt mehrere zweireihig angelegte Samenanlagen. Die Frucht ist eine kurzgestielte rotgelbe Beere, die einer zugespitzten, von zehn stumpfen Längsrippen durchzogenen, 12–20 cm langen und 6–10 cm dicken Gurke gleicht, welche in einer derben, bald holzig werdenden Schale in einem saftigen, farblosen Fleisch 40–60 blaßrote, in fünf Längsreihen angeordnete mandelförmige, aber dickere Samen umschließt. Sie sind von einer dünnen, wenn trocken brüchigen Samenschale umgeben und bestehen ausschließlich aus dem derbfleischigen Keimlinge, in dessen Kotyledonen das Nährgewebe sich findet. In frischem Zustande schmecken sie, besonders bei der besten Sorte von Soconusko, sehr herb und bitter. Man nimmt ihnen diese übeln Eigenschaften durch eine besondere Zubereitung, von der bald die Rede sein soll.
In den windgeschützten Tälern des tropischen Amerika, deren weicher, humusreicher Boden von großen und kleinen Wasserströmen feucht erhalten wird, trägt der Kakaobaum an den Flußufern das ganze Jahr hindurch Blüten und Früchte nebeneinander. Dort wird er auch mit Vorliebe in der durch Kultur veredelten Form vom Menschen angebaut. Als Waldbaum, der nicht besonders fest im Boden wurzelt, muß er namentlich Schutz vor starken Winden haben, die nicht bloß die Früchte vor ihrer Reife abschlagen, sondern auch die Bäume entwurzeln. So warf auf der Insel Martinique ein Orkan mit einem Stoß alle Kakaobäume der sehr umfangreichen Pflanzungen um. Deshalb errichtet man die Kakaopflanzungen mit Vorliebe in windgeschützten Tälern oder zwischen Waldstreifen als Windbrechern.
Wie der wilde Kakaobaum als Waldbaum gewöhnlich im Schatten größerer Bäume wächst, so muß man auch dem veredelten Kakaobaum in der Kultur Schattenbäume beigeben. So lange er jung ist, dienen meist Bananen als solche, später gibt man ihm in Amerika den Korallenbaum (Erythrina corallodendron) der deshalb von den Spaniern „Mutter des Kakaobaumes“ genannt wird. Dieser ist hierzu auch durch die geringen Ansprüche, die er an den Boden stellt, sehr[S. 502] geeignet. Da nun den Kakaobäumen schon durch die Schattenbäume viel Licht weggenommen wird, darf man nicht zu dicht pflanzen, was zur Folge hat, daß eine Kakaoplantage stets einen bedeutenden Raum beansprucht. Man rechnet vier- bis sechshundert Kakaobäume auf einen Hektar Land.
Es gibt wohl kein landwirtschaftliches Produkt, dessen Kultur mehr Mühe, Ausdauer und Unkosten verursacht, als der Kakao; aber andererseits gibt es auch wenig Produkte, die, wenn sie gut einschlagen, größeren Gewinn bringen, als er, da die Erträge von Jahr zu Jahr verblüffend steigen. Vor allem verlangt der Kakaobaum zu seinem Gedeihen einen lockeren, tiefgründigen, an Kalk und Phosphorsäure reichen Boden, am besten Urwaldboden. Ferner muß ihm eine gleichmäßige Temperatur von 24–28°C. und reichlich Feuchtigkeit zuteil werden, die aber wieder nicht in der Form heftiger Güsse auf ihn fallen darf, weil solche die Früchte beschädigen. Grundwasser muß durchaus vermieden werden, auch sind die tierischen Schädlinge, namentlich die Termiten und Schnecken, von ihm abzuhalten. Sodann muß der Boden reingehalten und das überflüssige Holz abgeschnitten werden.
In solchen für seine Kultur geeigneten Boden wird der Samen der Kakaobäume entweder direkt gesetzt, oder noch besser in weitmaschigen, mit Moos ausgefütterten und Erde gefüllten Binsenkörben ausgesät, die dann später, wenn die jungen Pflänzchen genügend erstarkt sind, direkt in den Boden der Plantagen eingesetzt werden, da die Wurzeln aus ihnen ungehindert in die Erde einzudringen vermögen. Gleichzeitig bieten diese Pflanzkörbe in der ersten Zeit einen sehr wertvollen Schutz gegen die Termiten, die gefährlichsten Feinde der jungen Kakaopflänzchen. Die Sämlinge in Saatbeeten zu ziehen, ist durchaus unratsam, da deren Wurzeln noch empfindlicher gegen äußere Eingriffe als selbst diejenigen der Kaffeebäumchen sind.
Wenn die Sämlinge 8–10 Monate alt geworden sind, werden sie in 3,5–6 m allseitigem Abstand eingepflanzt, während die definitiven Schattenbäume in 12 m Abstand gepflanzt werden. Den jungen Kakaopflanzen spenden zuerst Mais und später Bananen den nötigen Schatten. Wenn sie eine Höhe von etwa 1 m erlangt haben, werden sie beschnitten. Man nimmt ihnen alle Seitenschosse bis auf die drei oder vier obersten, damit sie eine breite Krone ausbilden. Auch beim spätern Wachstum verhindert man das in die Höhe Wachsen derselben, indem man sie nur 3 bis höchstens 8 m hoch werden läßt, damit das Pflücken der Früchte bequemer vor sich gehen könne.
Schon nach vier Jahren trägt der Baum die ersten Blüten und Früchte, aber erst nach zwölf Jahren beginnt er seine ausgiebigste Entwicklung zu erreichen. Von da an nimmt seine Fruchtbarkeit progressiv steigend bis zum 25. oder 30. Jahre zu, um dann langsam abzunehmen; doch kann der Baum bis zu seinem 50. Jahr Früchte tragen. Der Ertrag ist den Jahren nach verschieden, auch wechselt er bei den verschiedenen Bäumen. Alleinstehende Bäume produzieren am stärksten. Sie können 300–400 Früchte tragen, doch rechnet man bei einer größeren Pflanzung durchschnittlich nicht mehr als 25 Früchte pro Baum jährlich, die 1 kg trockenen Kakao ergeben, weil das Trocknen der Bohnen einen Gewichtsverlust von 30–40 Prozent zur Folge hat.
Die, wie gesagt, das ganze Jahr hindurch reifenden Früchte brauchen vom Beginn ihrer Entwicklung bis zu ihrer Vollreife eine Zeit von vier Monaten. Man erntet sie auch das ganze Jahr hindurch, doch finden die Haupternten in Brasilien im Februar und Juli, in Mexiko im März und April, in Westafrika im Oktober und November statt. Die Früchte müssen mit größter Vorsicht teils von Hand, teils durch lange Stöcke, an deren Ende ein Messer befestigt ist, von Stamm und Zweigen gepflückt werden, damit die Blüten der kommenden Ernte dabei nicht Schaden leiden. Die Reife der Früchte verrät sich durch die rotgelbe Farbe und den dumpfen Ton, den sie beim Beklopfen geben als Zeichen dafür, daß sich der Same von seiner Hülle gelöst hat.
Bei der Ernte werden die Früchte zum Nachreifen 3–4 Tage auf einen Haufen gelegt, und zwar am besten in der Faktorei, nicht aber im Freien, wo sie dem Ungeziefer und der Witterung schutzlos preisgegeben sind. Während dieser Zeit soll bereits, begünstigt durch das umgebende Fruchtmus, die Gärung der Bohnen beginnen. Darauf werden sie durch Aufschlagen aufeinander oder auf einen harten Gegenstand „gebrochen“ oder mit einem stumpfen Messer in der Mitte quer aufgeschnitten, wobei aber die mandelförmigen, im frischen Zustande weißen bis rosenroten Samen, eben die Kakaobohnen, nicht zerquetscht oder angeschnitten werden dürfen. Die Haufen leerer Fruchtschalen läßt man in Verwesung übergehen und benützt sie als Düngemittel, da sie nicht unerhebliche Mengen von dem für den Kakaobaum so wichtigen Kalk und von Phosphorsäure enthalten. Auch das Fruchtmus wird unbegreiflicherweise fortgeworfen, trotzdem es sich sehr gut zur Bereitung von Gelees und Likören eignen würde. Benützten doch die[S. 504] Indianer am Orinoko, wie Alexander von Humboldt mitteilt, nur das Fruchtmus und warfen alles übrige, auch die bitteren Kerne fort. Und heute noch verwenden die ärmeren Leute in Amerika die Fruchtschalen des Kakaos zur Herstellung eines ganz angenehm schmeckenden Tees.
Bei der auf niedriger Stufe stehenden Kultur werden die Kakaobohnen einfach getrocknet und zusammengepackt. Derartige Samen, die man im Handel als „ungerotteten“ Kakao bezeichnet, haben einen bitteren, herben Geschmack und sind zur Schokoladebereitung durchaus ungeeignet. Sie finden nur bei der Fabrikation des entölten Kakaos Verwendung. Für die Schokoladefabrikation müssen die Bohnen noch einer weiteren Behandlung unterworfen werden. Zu diesem Zwecke werden sie in Körben nach dem Fermentierhaus gebracht, wo sie auf einem hölzernen, mit Löchern zum Ablaufen des Fruchtsaftes versehenen Boden möglichst luftdicht auf einem Haufen, der alle 12 Stunden durcheinander geschaufelt wird, vergären müssen; es ist dies ein sehr wichtiger Prozeß, von dessen umsichtiger Leitung vor allem die Güte der Ware abhängt. Die Fermentation, bei der es sich höchst wahrscheinlich um eine Milchsäuregärung handelt, soll nämlich in erster Linie den Geschmack der Kakaobohnen verbessern. Nach 3–4 Tagen werden die Bohnen an der Sonne oder bei künstlicher Hitze getrocknet, wobei sie alle Viertelstunden gekehrt werden müssen. Zum Schluß werden sie in großen Trommeln mit fein gemahlener roter Erde herumgedreht, wobei sie behufs einer besseren Konservierung außen an den Schalen rot gefärbt werden. Der innere Teil bleibt von der Färbung unberührt. Durch dieses Färben wird nicht bloß die sehr wichtige völlige Austrocknung der Bohnen begünstigt, sondern erfahrungsgemäß auch das sonst so schnell erfolgende Schimmeln derselben verhindert. Die „gerotteten“ Kakaobohnen sind innen rotbraun, lassen sich durch einen leichten Druck mit dem Finger von der sie umgebenden Schale lösen und zeigen einen angenehmen, ölig milden Geschmack, der mit einem eigentümlichen süßlichen Nachgeschmack verbunden ist. Das volle Aroma erhalten sie aber erst nach einer bestimmten Lagerzeit, so daß der geerntete Kakao in der Regel erst nach einem Jahre verkäuflich wird. Dabei gelangt er teils in Ballen, teils in Fässern in den Handel.
Den meisten Kakao erzeugt Südamerika, und zwar speziell Ekuador, das beinahe ein Drittel der Gesamtproduktion liefert, dann Trinidad, während man in Venezuela, wo die Kakaopflanzungen sehr gut gediehen, in neuester Zeit der Kaffeekultur den Vorzug gab. Mexiko, das die berühmte Soconuscobohne liefert, führt wegen des starken[S. 505] eigenen Gebrauchs wenig Kakao aus. Aus Brasilien kommen mehr minderwertige Sorten, während die besten Sorten aus Carácas und Trinidad in den Handel gelangen. Diese haben beinahe einen doppelt so hohen Wert als die geringeren Sorten von Ekuador und San Thomé. Der Kakao von Surinam steht an Wert ungefähr in der Mitte zwischen jenen. Aus den deutschen Kolonien sind der Samoa- und Neuguineakakao weitaus die besten und werden so hoch bezahlt wie der Carácaskakao, während der Plantagenkakao von Kamerun und Togo ungefähr demjenigen von San Thomé gleichgeschätzt wird. Doch ist dort die Kakaokultur in starkem Aufblühen begriffen und verspricht zu einem der bedeutendsten Produktionsorte für dieses wichtige Kolonialprodukt berufen zu sein. Derjenige der Philippinen, wohin der Baum schon im Jahre 1670 verpflanzt wurde, ist wie derjenige von Ceylon mittlerer Qualität.
Von Kakao kommen jährlich etwa 32 Millionen kg in den Welthandel. Die Gesamtproduktion ist natürlich viel höher, läßt sich aber nicht schätzen, da diese Frucht auch in den Produktionsländern reiche Verwendung findet. Deutschland verbraucht jährlich für über 41 Millionen Mark Kakaobohnen und führt aus seinen Kolonien, besonders Kamerun, dann Samoa und Togo, für gegen 3 Millionen Mark aus; doch glaubt man in den nächsten Jahren das 3- bis 5fache dieser Summe zu erreichen. Hauptmärkte für Kakao sind London, Havre, Amsterdam, Hamburg und Bordeaux.
Der Kakao ist nicht nur ein köstliches Genußmittel, sondern zugleich auch ein sehr wertvolles Nahrungsmittel. Er besteht nämlich zur Hälfte, d. h. 52 Prozent, aus einem mild schmeckenden, butterartigen Fett, der Kakaobutter, die vielfach, um die Verdaulichkeit des Kakaos für schwache Magen zu erhöhen, in hydraulischen Pressen abgepreßt wird, um an die Zuckerbäckereien, Parfümerien und Apotheken abgegeben zu werden. An letzterem Orte wird sie, da sie nur sehr schwer ranzig wird, zu feineren Pomaden, Stuhlzäpfchen und allerlei kosmetischen Mitteln verarbeitet. Außerdem enthält sie 20 Prozent Eiweiß, 10 Prozent Stärkemehl, 6 Prozent Wasser, 1,5 Prozent Zucker, 2 Prozent Zellulose oder Zellstoff, 4 Prozent Kakaofarbstoff, 3 Prozent Nährsalze und 1,5 Prozent Theobromin, d. i. zweifach methyliertes Xanthin, das in seiner Wirkung auf die Muskeln und das Zentralnervensystem etwas weniger anregend als das Koffeïn oder Teeïn, d. h. dreifach methyliertes Xanthin ist. Im Kakao sind auch noch Spuren von Koffeïn zu finden, doch sind die Mengen desselben[S. 506] in den im wärmeren Südamerika zur Bereitung der als Genußmittel sehr beliebten dunkelbraunen Guaranapaste dienenden Samen der Paullinia sorbilis, eines mit rankenden Zweigen kletternden Strauches, neben dem Theobromin sehr viel größer. Zu der leicht belebenden Wirkung des Kakaos trägt auch noch das ätherische Öl bei, das beim Rösten der Bohnen entsteht und dem Kakao sein spezifisches Aroma verleiht.
In den heißen Niederungen des östlichen Mexiko, speziell auf der Halbinsel Yucatan und südlich davon bis nach Guatemala hinein, ist wohl von einem der Mayastämme die wilde Kakaopflanze in Kultur genommen und zur wertvollen Nutzpflanze des Menschen erhoben worden. Wenigstens ist die Bezeichnung cacau ein Mayawort, das dann die benachbarten Stämme Mexikos mit den Früchten und bald auch mit dem Fruchtbaum selbst übernahmen, um ihm weitgehendste Pflege angedeihen zu lassen; denn sie schätzten als für sie vornehmstes Genußmittel neben dem berauschenden Pulque, der nur Männern von einem gewissen Alter an zu trinken gestattet war, in hohem Maße die das Nervensystem anregende Wirkung der Kakaobohne, die sie in der heute noch üblichen Weise rotteten, dann rösteten und fein zerstoßen mit heißem Wasser und Maismehl angerührt als choco latl, d. h. Kakaowasser, genossen. Von diesem Worte stammt unsere Bezeichnung Schokolade ab. Zum Versüßen der etwas bitteren Brühe benutzten sie ausschließlich Honig und versetzten sie außerdem gerne mit allerlei Gewürz, vor allem auch Vanille. Um die Masse zu konservieren, wurden die zerriebenen, gerösteten Kakaobohnen zu Tafeln und Blöcken gepreßt, denen man jeweilen die zur Herstellung des Trankes nötige Menge entnahm. Das geringere Volk, dem dieses Getränk zu teuer war, begnügte sich mit einem Aufguß der Schalen oder dem zerstoßenen Fruchtfleisch der Kakaofrucht mit Maismehl und Pfeffer.
Als der spanische Abenteurer Fernando Cortez, von Velasquez, dem Statthalter von Kuba, mit 11 Schiffen 670 Mann und 14 Geschützen zur Eroberung von Mexiko ausgesandt, im Sommer 1519 in dieses Land eindrang und es für den König von Spanien eroberte, fand er darin eine ausgedehnte Kultur des Kakaobaumes in wohlgepflegten Plantagen vor. Die Eingeborenen betrachteten ihn als eine für sie sehr wichtige Nahrung spendende Pflanze und schrieben ihm und seinen Früchten gleichzeitig auch wundertätige Eigenschaften zu. Ähnlich wie im Mittelalter der Pfeffer in Europa, dienten die Kakaobohnen nicht nur in Mexiko, sondern in ganz Mittelamerika als landläufige Münze, wo[S. 507]bei tausend Stück ungefähr den Wert von 2,80 Mark hatten. Cortez schrieb darüber an Kaiser Karl V.: „Diese Samenkörner sind im ganzen Lande so geschätzt, daß man sie als Münze gebraucht und auf dem Markt und allerorten seine Einkäufe damit bezahlt.“ Auch die Steuern an den Herrscher wurden darin entrichtet. So bezahlte die Stadt Tobasco jährlich 16 Millionen Kakaobohnen an den Kaiser Montezuma, in dessen Staatsschatz bei der Eroberung Mexikos die Spanier nicht weniger als 2½ Millionen Pfund solcher Bohnen vorfanden. Übrigens dienen die Kakaobohnen heute noch in einem großen Teil Südamerikas als landläufige Scheidemünze. Dabei sind 72 Bohnen = 43 Pfennigen.
Eine alte mexikanische Legende erzählt, Quezalcoatl habe aus dem Lande, in welchem die ersten Söhne der Sonne wohnten, den Samen des Kakaobaumes (cacaohoaguahuitl) auf die Erde gebracht, um den Menschen eine angenehme Speise zu verschaffen, die auch von den Göttern geschätzt wurde. Vielleicht hat der Schwede Carl von Linné diese Legende gekannt. Wenn dies aber nicht der Fall war, so war er wenigstens selbst so entzückt von diesem Getränke, daß er die Schokolade 1769 in den „Amoenitates academicae“, d. h. den Akademischen Vergnügungen, eingehend behandelte und dem Kakaobaum den Namen Theobroma, d. h. Götterspeise cacao, gab. Andere seiner gelehrten Zeitgenossen verabscheuten aber aus Vorurteil dieses ihnen unbekannte neue Getränk; ja die Botaniker Clusius (Charles d’Ecluse) und Benzoni fanden dasselbe — wohl weil ohne Zucker genossen — nur für die Schweine genießbar. Der fein gebildete Franzose Le Grand d’Aussy bezeichnete noch im Jahre 1782 die Schokolade als eine recht unschmackhafte Brühe „une bouillie assez dégoutante“.
Die Spanier, welche die Schokolade (chocolatl) am Hofe des Kaisers Montezuma kennen gelernt hatten, brachten die erste Kunde davon nach Europa. In seinen Berichten an Kaiser Karl V. berichtet Cortez, „daß eine einzige Tasse von diesem kostbaren Getränk genüge, um einen Mann auf einem Tagemarsch frisch zu erhalten“. Dieser gewalttätige Mann zwang sie seinen Soldaten, die auf dem Eroberungszuge nach dem Hochlande von Mexiko die größten Strapazen durchzumachen hatten, geradezu auf, und diese lernten dieses Getränk bald schätzen. Schon im Jahre 1520 sandten sie Kakaobohnen zur Herstellung der Schokolade nach dem Mutterlande, hielten aber die Art der Gewinnung derselben geheim. Allgemein bekannt wurde die Fabrikation erst im Jahre 1606 durch den Florentiner Antonio Carletti, der während seines Aufenthaltes auf den westindischen Inseln die Herstellung[S. 508] und den Gebrauch des Kakaos und der Schokolade kennen gelernt hatte. Die Ausfuhr der Kakaobohnen war aber nur der Regierung gestattet, bis im Jahre 1728 König Philipp V. von Spanien das Monopol des Kakaoverkaufs in allen Ländern an eine zu diesem Zwecke gebildete internationale Gesellschaft verkaufte.
Als die Spanier im Jahre 1519 unter Fernando Cortez in Mexiko eindrangen, war der Anbau der Kakaopflanze und der Genuß ihres in Wasser verrührten gerösteten Samenpulvers nicht bloß auf dieses Land beschränkt, sondern auch als eine seit Jahrhunderten betriebene Kultur in ganz Zentralamerika, Kolumbien, Venezuela, Guiana, Ekuador, Peru, dem nördlichen Brasilien und einem Teil der westindischen Inseln verbreitet. Allerdings übernahmen die spanischen Einwanderer zunächst in Mexiko die Sitte des Kakaotrinkens von den Eingeborenen. Bald frönten ihm in ganz Mittelamerika die vornehmen Damen in solcher Weise, daß sie sich dieses Getränk von Dienerinnen sogar in die Kirche nachtragen ließen. Als ein Bischof in Mexiko wagte, gegen diese Unsitte aufzutreten, besuchten die erzürnten Schönen seine Kirche nicht mehr, um ihren Kakao in der Kirche eines weniger strengen Priesters weiter trinken zu können. Durch die mancherlei Beziehungen mit Westindien und Mittelamerika wurde das Kakaotrinken bald auch in Spanien populär. Von jenem Lande, in welchem die ersten europäischen Fabriken zur Verarbeitung der Kakaobohnen entstanden, und das heute noch das am meisten Kakao verzehrende Land Europas ist, kam die als Schokolade bezeichnete gezuckerte Kakaobrühe zuerst an den eng mit Spanien liierten Wiener Hof, von wo aus er 1615 durch Anna von Österreich, die Gemahlin Ludwig XIII., an den Pariser Hof gelangte. Zu einiger Geltung kam sie aber erst im Jahre 1661, unter dem Einfluß von Maria Theresia von Spanien, der Gemahlin Ludwigs XIV., die sich aber — wie die Herzogin von Montpensier in ihren Memoiren angibt — noch versteckte, um ihre Schokolade zu trinken. Der Genuß derselben mußte also damals selbst am Hofe Frankreichs noch als etwas Ungewohntes oder gar Verpöntes angesehen worden sein. Indessen schon 1671 konnte die Freifrau von Sévigné an ihre Tochter, die Gräfin Grignan, schreiben: „Vous ne vous portez pas bien, le chocolat vous remettra.“ Freilich mußte damals die Schokolade als Heilmittel ihre Wirkung versagt haben; denn in einem späteren Briefe wird sie als „source des vapeurs“, d. h. Ursache von Blutandrang gegen den Kopf — et des palpitations (also Herzklopfen) — angegeben.
In Paris erhielt zuerst ein abgedankter Offizier namens Chaillon die alleinige Erlaubnis, Schokolade auszuschänken. Er fand auch guten Zuspruch von der Bürgerschaft, die dieses höfische Getränk gerne kostete. So machte er glänzende Geschäfte und konnte sich schon nach wenigen Jahren in den Ruhestand zurückziehen. Doch ging die Einführung dieses neuen Genußmittels auch in Frankreich nicht ohne Angriffe von den verschiedensten Seiten ab. Zunächst leisteten gewisse Kreise, so besonders die Geistlichen, diesem von ihnen vielfach als „Erzeugnis des Bösen“ bezeichneten neuen Getränk energischen Widerstand. Ja, in einem Schreiben an den Bischof von Cleve im Jahre 1572 bezeichnete der Italiener Benzoni dieses Getränk sogar als „Schweinefutter“. Allmählich aber begannen ihn manche Ärzte gutzuheißen. So verteidigte ein Pariser Arzt, namens Bachot, 1684 vor der dortigen Fakultät eine These, in welcher er gut zubereitete und gesüßte Schokolade als eine der edelsten Erfindungen pries, die weit mehr als Nektar und Ambrosia würdig sei, die Speise der Götter zu bilden. Doch war sie durch ihren hohen Preis zunächst nur ein Genußmittel der Reichen. Erst als im Jahre 1776 unter der Regierung Ludwigs XVI. die erste Schokoladefabrik in Frankreich errichtet wurde, die das Monopol für den Verkauf bekam und ihren Kakao aus den französischen Kolonien bezog, begann der Schokoladekonsum in Frankreich allgemeiner zu werden.
Der vorhin genannte Florentiner Antonio Carletti, der die Schokolade in Westindien kennen gelernt hatte, führte sie ums Jahr 1607 in Italien ein und machte die Verarbeitung der Kakaobohnen in jenem Lande bekannt. Von Italien aus verbreitete sich diese Kenntnis allmählich über ganz Mittel- und Nordeuropa.
Ums Jahr 1625 begann sich die Schokolade in England und annähernd gleichzeitig auch in Holland einzubürgern. Die erste Schokoladefabrik wurde in England im Jahre 1657 errichtet; gleichzeitig entstanden in London auch sogenannte Schokoladehäuser im Stil unserer heutigen Kaffeehäuser. In Deutschland wurde die Schokolade durch das Buch des bereits bei der Besprechung des Tees erwähnten holländischen Leibarztes des Großen Kurfürsten, Dr. Kornelis Bontekoe, betitelt: „Traktat über Gewürz, Tee, Kaffee, Schokolade, 1679“, bekannt. Er brachte ihn zuerst nach Berlin mit. Später verbot dann Friedrich der Große die Einfuhr von Schokolade in ganz Preußen und beauftragte den Chemiker Markgraf, der Ähnliches schon für den Kaffee versucht hatte, ein Surrogat derselben herzustellen, wozu er Linden[S. 510]blüten benutzte. Da aber dieses Ersatzmittel begreiflicherweise sehr wenig Anklang fand, so behauptete sich auch hier in der Folge die Schokolade so gut als Kaffee und Tee, die in Preußen unter Friedrich dem Großen ebenfalls durch Erzeugnisse des eigenen Landes ersetzt werden sollten.
Die erste deutsche Schokoladefabrik wurde vom Fürsten Wilhelm von Schaumburg-Lippe im Jahre 1756 in Steinhude errichtet, und als Arbeiter wurden mit der Verarbeitung der Kakaobohnen vertraute Portugiesen dahin berufen. Seither hat dieses Produkt in allen Kulturländern immer mehr Aufnahme gefunden und sein Konsum wächst zusehends, und zwar wird es nicht mehr nur als Leckerei genossen, sondern bildet wie ursprünglich in Spanien und den Kreolenstaaten Südamerikas mehr und mehr ein nahrhaftes und gesundes Volksgetränk. In Frankreich herrscht in den besser situierten Kreisen bereits allgemein der Brauch, morgens zum Frühstück Schokolade zu trinken, und auch in Deutschland hat dieses wertvolle Geschenk der Tropen durchaus erfolgreich den Kampf mit dem leider nur allzusehr eingebürgerten Bier aufgenommen. Auch hier wird der Genuß der Schokolade als nahrhaftes und wohlschmeckendes Frühstücksgetränk immer allgemeiner. Außerdem wächst überall der Genuß der Speiseschokolade in sehr starkem Maße. Während noch in der Mitte des vorigen Jahrhunderts der Kakaoverbrauch in Deutschland nur etwa 0,5 Millionen kg jährlich betrug, stieg er langsam auf 2 Millionen kg im Jahre 1870, dann auf 5 Millionen kg bis 1890, auf 15 Millionen kg bis 1900 und erreichte in den Jahren 1906 und 1908 bereits je 35 Millionen kg; außerdem wurden an fertigen Präparaten 671200 kg holländisches Kakaopulver und 1061400 kg Schweizer Schokolade eingeführt. Nur Amerika verbraucht mehr Kakao als Deutschland, das allein etwa 200 Kakao- und Schokoladenfabriken besitzt. Zu diesen heute vom Deutschen Reiche verbrauchten 40 Millionen kg lieferten seine tropischen Kolonien erst etwa 2 Millionen kg Kakao im Jahr, während die Weltproduktion an Kakaobohnen, soweit sie in den Handel gelangen, rund 150 Millionen kg beträgt. Da aber die Gesamtkakaoindustrie bereits 145 Millionen kg beansprucht, so ist die Kakaokultur für die tropischen Kolonien, die sich dafür eignen, sehr aussichtsreich.
Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts geschah die Fabrikation der Schokolade ausschließlich durch Handarbeit, indem die gerösteten Bohnen in einem metallenen Mörser zu Pulver zerstoßen und die so erhaltene Masse mit Zucker und mancherlei Gewürz, besonders Vanille, aber[S. 511] vielfach auch Zimt und Nelkenpulver vermischt, zu einem Teig geknetet wurde, den man in irgend einer Form trocknen ließ. Seit im Jahre 1778 der Franzose Doret die erste Maschine zum Mahlen der Kakaobohnen konstruierte, ist die Technik der dafür gebrauchten Maschinen immer mehr verbessert worden. Dabei werden die durch Schütteln in einem Sieb und durch strömende Luft zur Entfernung des Staubes gereinigten Kakaobohnen auf einem zweiten Sieb in drei Gruppen gleicher Größe geschieden, damit sie bei dem nun folgenden Röstprozesse gleichmäßig gar werden, was bei verschiedener Größe derselben nicht zu erreichen wäre, da die kleinen Bohnen dabei vor den großen gar würden.
Das Rösten bezweckt das eigentliche Aroma und den Geschmack der Bohnen hervorzurufen und zugleich das Stärkemehl teilweise in leichter in Wasser lösliches Dextrin zu verwandeln. Ferner werden dadurch die in ihnen enthaltenen Bitterstoffe durch Zersetzung entfernt und außerdem durch das damit verbundene Austrocknen die Schalen leichter lösbar und die Bohnen geeigneter zum Vermahlen gemacht. Dieser Prozeß findet in großen, um ihre Achse rotierenden Trommeln statt, wobei die Temperatur lange nicht so hoch wie beim Brennen der Kaffeebohnen zu sein braucht. Sie darf überhaupt eine solche von 130–140°C. nicht überschreiten; erfahrene Arbeiter wissen am Aussehen der Bohnen genau den richtigen Zeitpunkt zu treffen, wann die Röstung unterbrochen werden muß. Damit kein Aroma verloren gehe und die Samenschalen sich leichter von den Bohnen lösen, müssen die gerösteten Bohnen möglichst schnell aus den Trommeln entfernt und abgekühlt werden, was dadurch geschieht, daß man vermittelst eines Ventilators einen kalten Luftstrom auf die heiße Masse richtet. Dann werden die Kakaobohnen in besonderen Maschinen gebrochen und die leichten Samenhülsen, die etwa 12 Prozent des Samens ausmachen, durch einen Ventilator weggeblasen und dienen als Abfall zur Feuerung.
Die gebrochenen Kakaobohnen werden nun zwischen rotierenden Granit-, oder neuerdings Porzellanwalzen, welche weit besser sind, gemahlen, mit Zucker vermischt und zum Schluß die Gewürze, wie Vanille und verschiedene ätherische Öle zur Aromatisierung beigefügt. Die durch Erwärmen auf 35–40°C. geschmolzene Masse wird zuerst flach gewalzt und in gleiche Teile von gewünschtem Gewicht zerschnitten, die dann mit der Hand in Blechformen hineingedrückt werden. Wenn die Schokoladetafeln völlig erkaltet sind, nimmt man sie aus den Formen und verpackt sie möglichst sorgfältig in Staniol und darüber Papier[S. 512] eingewickelt und versendet sie in Kisten. So, luftdicht verpackt, können sie jahrelang aufbewahrt werden. In jüngster Zeit kommt von der in der Herstellung von fester Eßschokolade für die ganze Kulturwelt tonangebenden Schweiz aus immer mehr die Beigabe von Milch in die Schokoladenmasse, wie sie die Firma Cailler in Broyes in den Freiburger Alpen zuerst einführte, auf. Es ist dies eine äußerst glückliche von zahlreichen anderen Schokoladefabriken sofort aufgegriffene Neuerung, die den Wohlgeschmack und Nährwert der Eßschokolade noch bedeutend erhöht und sie so zart macht, daß sie auf der Zunge förmlich wie Butter zerschmilzt. Auch andere Fett- und Eiweißspender lassen sich in sie verarbeiten; besonders scheint das Erdnußmehl als Beigabe zu Schokolade eine große Zukunft zu haben. Auch Bananenmus ist sehr zweckmäßig. Überhaupt stehen wir erst ganz am Anfang einer rationellen Kakaoverwertung für den menschlichen Konsum und es lassen sich heute alle Kombinationsmöglichkeiten dieses hervorragenden Genußmittels überhaupt noch nicht übersehen.
Das eine ist jedenfalls heute schon ganz sicher, daß die Eßschokolade bei den jetzigen, als billig zu bezeichnenden Preisen in Anbetracht ihres überaus hohen Nährwerts nicht bloß eine Delikatesse oder Leckerei, sondern ein wichtiges Nahrungsmittel darstellt. Sie ist überhaupt das beste Verproviantierungsmittel für die Schule, für Ausflüge und anstrengende Touren aller Art, bei denen Herz und Muskeln ein großes Maß von Arbeit zugemutet wird. Es ist nämlich kaum möglich in anderer Form bei gleich geringem Volumen und Gewicht gleich viel Nahrungsstoff in Verbindung mit einem die Muskeln und das Nervensystem zu erhöhter Arbeitsleistung anregenden Reizmittel, wie solches die Schokolade im Theobromin in angenehmster Form darbietet, mit sich zu führen. Und wem die Süße nicht behagt, der esse dazu, wie dies jedermann tun sollte, Brot und so wird auch ihm die Schokolade vortrefflich munden.
Als Frühstücksgetränk verdient die Schokolade entschieden den Vorzug vor dem bei uns bereits eingebürgerten Kaffee. Früher wurde sie durch Aufkochen von Eßschokolade gewonnen, bis der Holländer C. J. van Houten (1801–1887) ein Verfahren fand, durch Entfernung des überschüssigen Fettes aus den Kakaobohnen ein Kakaopulver herzustellen, aus dem in einfacher Weise ein schmackhaftes, auch für schwache Magen leicht verdauliches Getränk hergestellt zu werden vermochte. Damit sich dieses Kakaopulver nach dem Übergießen mit kochendem Wasser möglichst ohne Satzbildung in der Flüssigkeit ver[S. 513]teile, wurde es nach dem Entfetten mit Alkalien behandelt. Dabei wird bis zu drei Prozent Pottasche in die Masse hineingebracht, was von manchen Ärzten als bedenklich für die Gesundheit beanstandet wird. Doch kann dies jedenfalls nicht sehr schädlich sein, erhöht aber die Annehmlichkeit des Trinkens bedeutend, indem sich ohne diese Beimischung die Masse nur schwer im Wasser verteilt erhalten läßt und rasch einen starken Bodensatz bildet, der durch Umrühren wieder in Suspension gebracht werden müßte.
Eigentliche Ersatzmittel für Schokolade und Kakao sind nicht bekannt geworden, während man für den Kaffee mehrere, und für den Tee viele versucht hat. Neuere Reisende erzählen von einem schokoladeähnlichen Getränk im Innern Afrikas, das besonders im westlichen Sudan allgemein im Gebrauch ist. Man gewinnt es aus dem Mus der zerstoßenen Früchte der dort Dodoa genannten Parkia africana, das man in kleine Kuchen formt und in dieser Gestalt weithin als Tauschobjekt in den Handel bringt; besonders werden sie von der muhammedanischen Bevölkerung des Sudans gern gegessen. Durch Auflösen in heißem Wasser gewinnt man daraus ein angenehm schmeckendes und gleichzeitig anregendes Getränk. Aber diese Kuchen kommen ebensowenig nach Europa als die bereits erwähnte Guaranapaste aus den durch einen Gehalt von 2,6–3 Prozent Koffeïn und daneben etwas Theobromin gleichfalls anregend auf das Nervensystem wirkenden getrockneten Samen von Paullinia cupana, die als brasilianischer Kakao von den Indianern an Stelle des echten Kakaos genossen wird.
Die Guaranapflanze ist ein in Nord- und Westbrasilien und Südvenezuela heimischer Kletterstrauch aus der Familie der Sapindazeen oder Seifenbaumgewächse. Sie wurde zuerst von Alexander von Humboldt und Bonpland auf ihrer berühmten, von 1799–1804 ausgeführten Reise am Orinoko gefunden und 1821 von Knuth beschrieben. Der Strauch ist identisch mit der 1826 vom Botaniker Martius am Amazonenstrom entdeckten Paullinia sorbilis, wird aber nach der älteren Bezeichnung cupana genannt. Guaraná oder uaraná bedeutet in der Tupisprache Schlingpflanze. Diese Bezeichnung übernahmen dann die Europäer von den Indianern und bezeichneten damit den Schlingstrauch und sein Produkt. Die Guaranapflanze klettert ohne Ranken vermöge ihrer spreizenden Äste an den Waldbäumen in die Höhe. Die aus fünf eiförmigen Fiederblättchen bestehenden Blätter sitzen an einem 8 cm langen Stiel. Die unscheinbaren, kleinen, weißen Blüten stehen[S. 514] in den Blattachsen in Rispen und sind kurz gestielt; aus ihnen gehen langgestielte, haselnußgroße, mit drei Klappen aufbrechende Kapselfrüchte hervor, die meist nur einen, fast kugeligen, dunkelbraunen, der Roßkastanie ähnlichen Samen von 1–1,3 cm Durchmesser und 0,5–0,8 g Gewicht bergen. Darin liegt unter einer dünnen Schale der weiße Keimling ohne Nährgewebe, aber mit großen, halbkugeligen, im trockenen Zustande schwer trennbaren, stärkemehlreichen Keimblättern. Neben dieser echten Guaranapflanze gibt es in denselben Gegenden Brasiliens noch zwei andere, ähnliche Guaranaarten, von denen die eine kleinere Blätter und bittere Früchte als die echte hat und nur im Falle der Not von den Indianern gesammelt wird.
Die echte Guaranapflanze wird in manchen Gegenden Brasiliens kultiviert und meist durch Stecklinge, seltener aus Samen gezogen. Man zieht sie an Stützen wie die Weinrebe, nur weiter auseinander. Im 3. oder 4. Jahre trägt sie schon Früchte, und von dieser Zeit an wird sie jährlich in derselben Weise wie die Rebe beschnitten. Im Juli blüht sie und im November werden die Früchte reif. Eine gut behandelte Pflanze trägt über 40 Jahre hindurch durchschnittlich 2 kg Früchte jährlich. Diese werden nach der Ernte zuerst in Wasser gelegt, um die holzige Fruchthülle leichter entfernen zu können. Dann werden die Samen am Feuer getrocknet und sorgfältig geröstet, in großen Holzmörsern mit Stößern aus hartem Holz zerstampft und daraus mit Zusatz von etwas kaltem Wasser ein feiner Teig gemacht, der in Brotlaib- oder Wurstgestalt geformt und erst an der Sonne, hernach am Ofen getrocknet wird. Wenn die Masse ganz fest und fast steinhart geworden ist, wird sie als uaraná in den Handel gebracht. Sie ist braun, von bitterem, etwas zusammenziehendem, schwach säuerlichem Geschmack und riecht ähnlich wie gerösteter Kaffee. Im Innern Brasiliens und im nordwestlichen Bolivien ist die Guaranapaste ein sehr wichtiger Handelsartikel, den man dort in derselben Weise benötigt, wie den Kaffee an der Küste. Dabei ist er sehr billig, indem 1 kg nur 1,50 Mark kostet. Er wird in derselben Weise wie Schokolade mit Wasser bereitet unter Hinzufügen von Zucker nach Bedarf und Neigung. Zuerst wird mit einer Raspel die für den jeweiligen Gebrauch nötige Menge von der Paste abgefeilt und mit einem silbernen Löffel in einen Becher mit Wasser verrührt und dann genossen. Die Eingeborenen können wohl ohne Fleisch und Mehl, niemals aber, vom reichsten Bürger bis zum ärmsten Hirten, ohne den geliebten Uaranátrank sein, der mit Recht von manchen Reisenden als „brasilianischer[S. 515] Kakao“ bezeichnet wird. Vielfach wird die pulverisierte Paste mit Maniokmehl zusammengestampft, zu kleinen Broten geformt und am Feuer gebacken. Mit der Guarana, die wie der Kakao nicht nur ein Genußmittel, sondern vermöge ihres hohen Nährwertes ein Nahrungsmittel ist, vermögen die Indianer längere Zeit zu leben, ohne abzumagern, und sehen dabei so gesund und kräftig aus, als ob sie mit Fleisch genährt würden.
Nach Europa gelangte die Guaranapaste zuerst im Jahre 1817 von Rio de Janeiro aus, indem ein französischer Gesandtschaftsoffizier dieselbe an Cadet nach Paris sandte. 1826 wurde vom Bruder des vorhin erwähnten, Südamerika bereisenden Martius der wirksame Stoff daraus isoliert und als Guaranin bezeichnet; doch erkannte man 1840, daß dieser mit dem Koffeïn identisch ist. Durch den Koffeïngehalt wirkt die Guarana vorzüglich bei Migräne und Neuralgien und wird deshalb in der ganzen Kulturwelt dagegen genommen. Da sie den Blutdruck steigert und damit die Harnabsonderung vermehrt, wirkt sie auch bei Herz- und Nierenleiden günstig. In größeren Dosen übt sie durch ihren reichen Gerbstoffgehalt eine adstringierende Wirkung und wird deshalb wie in ihrer Heimat, so auch bei uns gegen Abführen angewandt. Aus den Früchten ziehen die Indianer einen schönen gelben Farbstoff aus, den sie zum Bemalen des Gesichtes verwenden.
Die meisten Speisen, die der Mensch genießt, sind an sich geschmacklos, da die einzelnen Bestandteile derselben, sowohl das Stärkemehl, als das Eiweiß und Fett an sich keinen Geschmack oder Geruch besitzen. Nun aber ist nicht bloß der liebliche Duft, sondern vor allem der angenehme Geschmack einer Speise für deren Bekömmlichkeit von allergrößter Bedeutung; denn dadurch erst werden die Verdauungssäfte in ausgiebiger Menge zur Absonderung gebracht, so daß diese auch recht verdaut werden kann. Deshalb haben alle Völker der Erde, soweit sie zum Hackbau und zu einem unbesorgteren Lebensgenusse gelangten, allerlei wohlriechende und angenehme oder scharfschmeckende Pflanzen ihrer Umgebung zur Würzung ihrer sonst fade schmeckenden Nahrung verwendet. Je mehr nun die Völker ihre Produkte untereinander austauschten, um so mannigfaltiger wurde die Auswahl derselben. Und gerade die heißen Landstriche der Erde, in denen das Pflanzenwachstum weitaus am energischsten erfolgt und die stärksten Würzen und kräftigsten Gifte und Heilstoffe erzeugt werden, lieferten die wirksamsten derselben. Die hier wohnenden Völker verkauften von ihrem Überfluß an die in klimatisch weniger begünstigten Gegenden Lebenden. So sind wir Europäer auch hierin in erster Linie den Tropen tributpflichtig geworden. Und wenn auch die Zeiten längst dahin sind, in denen man die fremdländischen Gewürze mit Gold und Silber aufwog, und eine ganz unbegreifliche, heute vollständig verschwundene Sucht nach schweren Gewürzen die Völker ergriffen hatte, so sind es doch noch ziemlich bedeutende Summen, die jährlich für fremdländische Gewürze ausgegeben werden. So hat z. B. Deutschland im Jahre 1908 für rund 14 Millionen Mark allerlei Gewürze aus dem Ausland bezogen. Obenan steht unter ihnen noch immer der Pfeffer, von dem für 5661000 Mark bezogen wurde, ferner für 340000 Mark Paprika,[S. 517] so daß also das deutsche Volk für das Pfeffern seiner Speisen gegen 6 Millionen Mark ans Ausland bezahlt hat. Nächst dem Pfeffer kommen die Gewürznelken, von denen Deutschland für 1,5 Millionen kaufte, dann Zimt für 3,5 Millionen Mark und Muskatnüsse für 1,2 Millionen Mark. Trotz des künstlichen Vanillins wurden 90000 kg Vanilleschoten für 1260000 Mark bezogen, ferner aus Südeuropa und Kleinasien 28200 kg Safran, wofür 1692000 Mark bezahlt wurden. Dieses ist weitaus das teuerste aller Gewürze; denn in der Reichsstatistik für das Jahr 1907 wurde ein Kilogramm davon mit 60 Mark bewertet; nächst ihm kommt, wenn auch erst in weitem Abstande, die Vanille, von der das Kilogramm mit 14 Mark bezahlt wurde.
Beginnen wir unsere Betrachtung mit diesem zweifellos feinsten und aromatischsten aller Gewürze, der Vanille, deren Bekanntschaft uns die Spanier nach der Entdeckung der Neuen Welt zuerst vermittelten. In der Literatur Mitteleuropas erwähnt sie zuerst der französische Botaniker Clusius (Charles de l’Ecluse, geb. 1526, von 1593 bis zu seinem 1609 erfolgten Tode Professor der Botanik in Leiden) in einem 1605 erschienenen Werke. Wo er dieses Produkt zuerst kennen lernte, ist nicht ersichtlich, doch muß es durch spanisch-österreichische Vermittlung geschehen sein. Die Spanier lernten die Vanille im Bereiche der Kakaokultur in Mexiko zuerst kennen, wo sie im östlichen Teile des Landes ihre älteste Heimat hat. Wie wir dies heute noch bei der Bereitung des Kakaos tun, würzten die bei ihrer Entdeckung durch die Europäer zu recht hoher Kultur fortgeschrittenen Azteken, die Einwohner Mexikos, ihre Schokolade, chocolatl genannt, mit der von ihnen als tlilxochitl bezeichneten Vanille, während die Spanier in der Folge das einheimische Wort vaynilla, d. h. Schötchen, für dieses ihnen neue Gewürz in Aufnahme brachten. Im Jahre 1510 brachten sie es zum erstenmal nach Europa, und zwar nach Spanien.
Die in den Handel gelangenden Vanilleschoten sind bekanntlich die auf besondere Weise zubereiteten Früchte einer Orchidee, bei denen manche Arten, wie beispielsweise die auf den Alpenwiesen wachsende Männertreu (Nigritella), denselben auf der Anwesenheit des Vanillins beruhenden Duft in den Blüten aufweisen. Von dieser über 7000 Arten umfassenden Familie der Orchideen, die nur in 1,5 Prozent in Europa heimisch sind, dagegen vorzugsweise die feuchten Gebirgstäler des äquatorialen und subtropischen Amerika, wie auch Indiens und Hinterindiens bewohnen und darin, wie beispielsweise in den Anden, bis beinahe[S. 518] 3300 m emporsteigen, sind viele auf der Borke von Bäumen hoch oben auf deren Geäst lebende Epiphyten oder Überpflanzen, die vielfach fälschlich als Schmarotzer bezeichnet werden, was sie durchaus nicht sind, da sie sich selbständig ernähren, ohne je ihre Wirte anzuzapfen.
Die Vanillepflanze (Vanilla planifolia) ist kein solcher „hochgeborener“ Baumbewohner, sondern wie sämtliche bei uns wachsenden Orchideen ein ursprünglich bodenständiger Erdbewohner, der sich an ihm Stütze gewährenden Bäumen und Sträuchern emporrankt, um dann später durch Absterben der Erdwurzeln die Verbindung mit dem Boden zu lösen und eine durch Luftwurzeln aus der Atmosphäre lebende Überpflanze zu werden. Diese Kletterpflanze besitzt einen runden, fingerdicken, sehr lang werdenden, tiefgrünen Stengel, der große, dunkelgrüne, fleischige Blätter und ihnen gegenüber je eine als Haft- und Nährorgan zugleich dienende, blattgrünfreie und deshalb weißliche Luftwurzel, die oft bis zur Erde herabreicht. Aus den Blattwinkeln treten die großen, traubenförmig gestellten, gelblich- bis weißgrünen, in der Mitte etwas aufgeblasenen, wohlriechenden Blüten hervor, die nur einen Tag geöffnet bleiben und nach der Befruchtung durch ein bestimmtes Insekt 20–30 cm lange, dreikantige, mit einer großen Zahl überaus kleiner, schwarzer Samenkörner gefüllte Schotenfrüchte hervorgehen lassen.
Bevor diese völlig reif sind, d. h. wenn die vorher grünen eben gelb zu werden beginnen, werden sie gepflückt oder abgeschnitten. Zu letzterem Zwecke sind die Arbeiter mit einer langstieligen Schere und einem mit Blättern ausgelegten Körbchen versehen. In diesem Zustande sind sie noch geruchlos. Ihr feines Aroma entwickelt sich erst beim Trocknen, das möglichst rasch zu geschehen hat. Bevor sie dieser Prozedur unterworfen werden, taucht man sie einige Sekunden in kochendes Wasser, um die ihnen anhaftenden Insekteneier zu vernichten und die Entwicklung des Wohlgeruchs zu befördern. Hierauf werden die danach tiefbraun gefärbten Früchte zuerst auf Gitterrosten erhitzt, dann an der Sonne getrocknet und noch warm in Blechkasten gelegt, in denen sie völlig austrocknen, wobei sie drei Viertel ihres ursprünglichen Gewichtes verlieren. Darin bleiben sie etwa drei Monate liegen, bis sie ihr volles Aroma entwickelt haben und durch Ausschwitzung mit feinen, weißen Kristallnadeln aus Vanillin bedeckt sind. Dabei werden sie öfter untersucht und diejenigen Schoten, die zu feucht sind und infolgedessen in Gärung übergehen könnten, entfernt. Schließlich bindet man sie in Bündel von je 50 Stück zusammen und bringt[S. 519] diese, in Zinnbüchsen, die etwa 5 kg Vanille enthalten, eingelötet, in den Handel.
Ihren Wert erhalten die Vanilleschoten durch das bis zu 4 Prozent in ihnen enthaltene, äußerst wohlriechende Vanillin, das eines der am häufigsten benutzten feineren Gewürze darstellt. Außer in ihrem Heimatlande Mexiko, wo die Vanille besonders in der Umgebung der Stadt Oaxaca gezogen wird, kultiviert man sie heute an vielen Orten der Tropen. So wurde sie wegen des hohen Preises der Schoten, von denen 1821 1 Pfund 120 Mark und 1860 1 Pfund in Holland 22,50 Mark kostete, von den Holländern 1819 nach Java eingeführt, gedieh dort auch ganz gut, blühte reichlich, brachte aber keine Früchte hervor. Da erkannte der Direktor des Versuchsgartens in Buitenzorg, Theysmann, daß die Schuld nur der mangelnden Befruchtung der Blüten zukomme, da eben an diesem neuen Standorte die bestimmten, in der Heimat die Pollenübertragung vollziehenden Insekten fehlten. Sobald man diesem Mangel durch künstliche Befruchtung der Blüten abhalf, indem man den zu winzigen Kölbchen, den Pollinien, verwachsenen Blütenstaub mit Hilfe von zugespitzten Bambusstäbchen auf die Narbe der Blüten übertrug, hatte man einen vollen Erfolg. Alle Blüten müssen gleich am Morgen, an dem sie aufgegangen sind, befruchtet werden, und zwar kann ein flinker Arbeiter an einem Morgen 1000 Blüten bestäuben. Wenige Tage danach kann man bereits diejenigen Blüten auslichten, die keine Früchte ansetzen. Einen Monat nach der Blütenbefruchtung erreichen die Früchte schon ihre endgültige Größe, bedürfen aber zu ihrer völligen Reife noch weiterer fünf Monate, und zwar werden die der Sonne ausgesetzten Schoten die besten. Die Ernte findet auf der nördlichen Erdhälfte von Dezember bis Februar, auf der südlichen dagegen von Juni bis August statt. Dabei rechnet man im Durchschnitt auf einen Ertrag von 100–200 kg marktfertiger Ware auf den Hektar. Seit Anfang der 1860er Jahre hat man die Vanillekultur besonders intensiv auf den französischen Inseln Réunion und Bourbon betrieben, die heute weitaus am meisten Vanille exportieren, nämlich jährlich etwa 100000 kg. An zweiter Stelle kommen die gebirgigen Seychellen-Inseln, auf denen diese Kulturpflanze im Jahre 1868 eingeführt wurde. Doch lohnt die Kultur dieser Nutzpflanze nicht mehr die Kosten, da der Wert der Vanille im Laufe des vergangenen Jahrhunderts von 240 Mark auf 8–10 Mark für das Kilogramm sank. Zu diesem gewaltigen Preisabschlag trug besonders die neuerdings gelungene künstliche Herstellung des Vanillins bei, das[S. 520] man jetzt im großen aus dem im Kambium (Bastmantel) der Nadelhölzer enthaltenen Glykosid Koniferin gewinnt. Dabei leisten 10 g künstlich erzeugtes Vanillin so viel wie 500 g feinste Bourbonvanille. Dieses Gewürz wird im Haushalt und in der Konditorei viel gebraucht, sollte aber von reizbaren, schwachnervigen Menschen recht mäßig oder gar nicht angewendet werden, da es in größeren Mengen zu stark erregt und erhitzt. So meidet man im heißen Amerika den Genuß der Vanille aus diesen Gründen fast ganz.
Die Vanillekultur ist verhältnismäßig sehr einfach. Sie wird meist in unvollständig gelichteten Wäldern betrieben, in welchen man die jüngeren Bäume als Schattenspender und zugleich Stützen für die kletternde Orchidee stehen läßt. Da der wie bei allen Orchideen sehr kleine Same bei der Kulturpflanze meist nicht mehr keimfähig ist, verwendet man für die Vermehrung derselben meist Stecklinge von 1 m Länge mit 3–4 Blättern, die 15–20 cm tief in die Erde gesteckt und darin möglichst fest gedrückt werden, während die Spitze an einer Stütze befestigt wird. Im dritten Jahre beginnt die Pflanze Früchte zu entwickeln, die man aber zur Schonung der Pflanze nicht alle befruchtet. Dieselben erreichen vom vierten bis zum achten Jahre ihre höchste Vollkommenheit; doch bleibt die Staude bis zum zwanzigsten Jahre tragfähig.
Die Vanillepflanze gedeiht nur in tropischen Gebieten mit möglichst gleichmäßiger Wärme, ohne größere Temperaturschwankungen und ausgiebiger Feuchtigkeit der Luft und des Bodens. Als Waldpflanze erträgt sie keinen Wind, selbst dann, wenn er warm ist, deshalb schützt man sie durch 4–5 m hohe heckenartige Umfriedigungen davor, oder indem man sie im Schatten von Schutzbäumen (meist Banane oder Kalabassenbaum) oder an Spalieren von ansehnlicher Höhe zieht, die ebenfalls den nötigen Schatten gewähren müssen und aus diesem Grunde nicht von Osten nach Westen gezogen werden dürfen. An diesen können nicht nur die Zweige in der zweckentsprechenden Weise auseinander gebreitet werden, sondern lassen sich alle Vorteile erzielen, welche man bei der Kultur solcher kletternder Pflanzen erstrebt. Die in ihrer Heimat im Urwalde wachsende Vanille wird meistens nicht reif, da die Affen eine besondere Vorliebe für diese schmackhaften Schoten haben und dafür sorgen, daß diese nicht in menschliche Hände geraten.
Neuerdings hat man in den deutschen Kolonialgebieten mit bestem Erfolg den Anbau dieser Kulturpflanze eingeführt und wird hier mit[S. 521] der Zeit einen ansehnlichen Teil der gegen 330000 kg betragenden Gesamtproduktion der Erde gewinnen, so daß das Deutsche Reich seinen Bedarf von etwa 41000 kg im Werte von 1 Million Mark daraus zu bestreiten vermag.
Ebenfalls eine an Bäumen emporrankende Kletterpflanze ist die in Südasien heimische Pfefferrebe (Piper nigrum), die sowohl den schwarzen, als auch den weißen Pfeffer liefert. Ihr holziger, bis 2 cm im Durchmesser haltender Stamm steigt an den sich ihm zur Stütze darbietenden Bäumen 6–7 m empor, indem er sich durch Luftwurzeln an sie anklammert. Die herzförmigen, mit langer Träufelspitze versehenen, etwas lederigen Blätter stehen an ziemlich langen Stielen spiralförmig am Stamme. Denselben gegenüber brechen die ährenartigen Blütenstände hervor, die nach der Befruchtung rote, mit einer dünnen Lage von Fruchtfleisch umgebene Beeren liefern. Dieselben enthalten unter einer innen braunroten, mit dem scharfen Piperin, einer gelben öligharzigen Substanz, erfüllten Samenschale, die in einem reichen, mehligen Nährgewebe liegenden, gleichfalls durch jenen scharfen Stoff vor dem Gefressenwerden durch unberufene Tiere geschützten Samen.
Ihre Heimat hat die Pfefferrebe in den Wäldern der Malabarküste, wo sich die Eingeborenen ihrer hübschen roten Früchte jedenfalls schon im zweiten vorchristlichen Jahrtausend zur Würze ihrer an sich etwas faden Reisnahrung bedienten. Denn gerade in den Tropen mit ihrem erschlaffenden, warmen Klima besteht überall das unumgängliche Bedürfnis nach scharfen Gewürzen als Zukost zur an sich wenig die Geschmacksnerven reizenden Kost aus stärkemehlreichen Samen, Früchten oder Wurzelknollen. Schon in den altindischen Epen ist vom Pfeffer die Rede, welcher neben dem Salz als Würze der Speisen bezeichnet wird. Wahrscheinlich bedeutet das Wort Malabar — aus malichabar entstanden — „Pfefferland“; denn im Sanskrit, der ausgestorbenen Sprache Altindiens, ist malicha die ursprüngliche Bezeichnung für den Pfeffer, während bar im Arabischen Land bedeutet. Dieser Name ihres Landes ist übrigens den Eingeborenen von Malabar fremd; sie nennen es vielmehr Malajálam, was Hügelland, oder Kéralam, was Kokosnußland heißt.
Von den Wäldern von Malabar, wo die Eingeborenen die Pfefferrebe an Waldrändern an Stützbäumen oder, der leichteren Ernte wegen, an Spalieren ziehen, hat sich der Anbau dieser Kulturpflanze besonders nach der Halbinsel Malakka und dem benachbarten malaiischen Archipel gewandt. Nicht mehr wie noch im Mittelalter in Indien,[S. 522] sondern hier wird heute der meiste Pfeffer erzeugt. Der Hauptausfuhrhafen dafür ist Singapur. Von den über 30 Millionen kg Pfeffer, die jährlich auf den Weltmarkt gelangen, entfällt reichlich die Hälfte auf Sumatra, an dessen Ostküste besonders dieses so geschätzte Gewürz erzeugt wird. Neuerdings ist die Pfefferkultur auch auf Neuguinea, Westafrika und Westindien ausgedehnt worden.
Sie wird ursprünglich in der Weise betrieben, daß man einen oder mehrere Stecklinge von 30 cm Länge, meist Ranken, am Fuße eines Baumes am Waldsaum oder einer Waldlichtung pflanzt und den gleichen Vorgang bei allen benachbarten Bäumen wiederholt. Neuerdings aber legt man regelrechte Plantagen an, indem man die Stecklinge an 3–4 m hohen Stangen hinaufranken läßt. Schon nach zwei Jahren haben sie rings um die Stütze einen dichten, grünen Mantel gebildet, im dritten beginnen sich die Früchte zu zeigen und im vierten tritt die volle Ertragsfähigkeit ein. Diese erreicht vom siebenten bis neunten Jahre ihre Höhe, indem jede Pflanze bis zu 35 Fruchtähren mit je 20–30 Früchten hervorbringt, so daß die einzelne Pflanze nicht selten 3,5 kg Beeren liefert. Nach 15 Jahren vermindert sich der Ertrag und die Pflanzungen müssen erneuert werden.
Zwischen Blüte- und Fruchtzeit verlaufen jeweilen drei Monate, so daß im Jahre drei Ernten möglich sind. Meist erntet man aber nur zweimal jährlich, zuerst von Dezember bis Februar und dann von Mai bis Juli. Die Ernte nimmt ihren Anfang, wenn sich die Beeren zu röten beginnen und währt mehrere Monate, da nicht alle Beeren gleichzeitig sich röten. Um schwarzen Pfeffer zu erhalten, sammelt man die Beeren vor ihrer Reife, d. h. wenn die untersten Früchte sich zu röten beginnen, läßt sie an der Sonne trocknen und sortiert sie je nach der Größe. Um weißen Pfeffer zu erhalten, läßt man die Beeren völlig reif werden, legt sie 2–3 Tage in Wasser und entfernt dann die durch leichte Gärung weich gewordene äußere Fruchthülle teils durch Reiben zwischen den Händen oder Stampfen mit den Füßen, teils durch kaffeetrommelartige Rotationsapparate, die an mehreren Stellen siebartig durchbrochen sind, um die vom fleischigen Mantel befreiten Fruchtkörner hindurchtreten zu lassen. Gereinigt und je nach ihrem Reifegrad sortiert, werden sie in Ballen verpackt und kommen so in den Handel. Der Pfeffer verdankt seinen scharfen Geschmack einem darin zu 1 Prozent enthaltenen ätherischen Öl und dem bis zu 9 Prozent vorhandenen Piperin, das bei Magenschwäche anregend auf die Absonderung der Verdauungssäfte wirkt.
Die Pfefferrebe ist ein echtes Tropengewächs, das außerhalb des engeren Tropengürtels nirgends gedeiht. Als ursprüngliche Waldpflanze verlangt sie wie die Vanille eine ziemliche Luft- und Bodenfeuchtigkeit nebst Halbschatten. Wo diese Bedingungen erfüllt sind, bietet ihr Anbau keinerlei Schwierigkeiten.
Wie die heutigen Hindus ihn mit Kardamomen, Ingwer, Kurkuma oder Gelbwurzel und anderen Ingredienzen mit Zuhilfenahme von Kokosnußmilch zur Herstellung ihrer als Curry (sprich Körri) bezeichneten scharfen gelben Brühe benützen, mit welcher sie ihren dreimal täglich genossenen gedämpften Reis, dem sie, wenn möglich, etwas getrockneten Fisch zusetzen, würzen, so taten es schon ihre Vorfahren vor 3000 und mehr Jahren. In den Veden finden wir außer der Bezeichnung malicha für den schwarzen Pfeffer auch die Benennung pippali für den bald zu besprechenden langen Pfeffer, der schärfer als jener ist. Da nun die Hindus schon in der ersten Hälfte des letzten vorchristlichen Jahrtausends ihre Fahrten bis zum Persischen Meerbusen und zum Roten Meere ausdehnten, so kann es kein Wunder sein, daß die Kulturvölker des Orients beide Arten schon früh kennen lernten. Zuerst erhielten die Perser dieses Gewürz. Sie übertrugen wohl aus Mißverständnis den indischen Namen pippali für den langen Pfeffer auf den schwarzen Pfeffer, und da sie kein l in ihrer Sprache besitzen, machten sie daraus pippari. Die Griechen, denen sie die Kenntnis und den Gebrauch dieses starken Gewürzes übermittelten, machten daraus péperi, und zwar bezeichneten sie den langen Pfeffer als péperi makrón (d. h. den großen Pfeffer) im Gegensatz zum gewöhnlichen Pfeffer, den sie einfach péperi nannten. Die Römer lernten ihn von den Griechen kennen und machten aus péperi piper, dabei bezeichneten sie den langen Pfeffer als piper longum. Vom lateinischen piper entwickelte sich dann das pepper, pfeffer und poivre der europäischen Sprachen.
Die erste Kenntnis vom Pfeffer erhielten die Griechen durch den dem Abendlande eine neue Welt eröffnenden Siegeszug Alexanders des Großen durch ganz Vorderasien bis nach Indien, das er im Jahre 327 v. Chr. betrat. Nach Besiegung des indischen Königs Poros am Hydaspes (dem heutigen Flusse Dschelam im Pandschab) durchzog der makedonische König das Fünfströmeland (Pandschab), ward aber endlich durch die Unzufriedenheit seines Heeres zur Rückkehr gezwungen, die er zu Lande durch Gedrosien (Beludschistan) bewerkstelligte, während sein Unterfeldherr Nearchos die Flotte nach dem Persischen Meerbusen[S. 524] führte. Die erste genauere Kunde von diesem indischen Gewürz gibt uns der Schüler von Alexanders Lehrer Aristoteles und nach dessen Tod Haupt der peripatetischen Schule in Athen, Theophrastos (gestorben 286 v. Chr.). Dieser vortreffliche Pflanzenkenner unterscheidet bereits schwarzen und langen Pfeffer. Erst der griechische Arzt Dioskurides nennt in seiner reichhaltigen, um die Mitte des ersten christlichen Jahrhunderts verfaßten Arzneimittellehre auch den weißen Pfeffer. Sein Zeitgenosse, der ältere Plinius, teilt uns sogar die damals geltenden Preisnotierungen für die verschiedenen Pfeffersorten mit. Nach ihm kostete der lange Pfeffer, der sich als der schärfste aller Pfefferarten bis weit ins Mittelalter hinein besonderer Wertschätzung erfreute, 15 Denare (= etwa 9 Mark) das Pfund, während der schwarze zu 4 (= 2,40 Mark) und der weiße zu 7 Denaren (= 4,20 Mark) das Pfund zu haben waren. Dem fügt er bei: „Es ist sonderbar, daß sich der Pfeffer (piper) beliebt gemacht hat. Andere Dinge empfehlen sich durch Süßigkeit, wieder andere durch Schönheit; der Pfeffer aber konnte nur durch seinen scharfen Geschmack und dadurch gefallen, daß er aus Indien kommt. Dort wächst er wild; bei uns wird er für Gold und Silber gekauft. Verfälscht wird er mit Wacholderbeeren, die merkwürdigerweise ihm im Geschmack ähneln; auch in bezug auf Gewicht wird er auf mancherlei Weise durch beschwerende Zusätze gefälscht.“
Um Pfeffer, Zimt, Ingwer und die anderen so hochgeschätzten Gewürze Indiens, die zu hohen Preisen guten Absatz fanden, nach dem Römerreiche zu bringen, bestand damals ein reger Handel mit dem gepriesenen Gewürzlande Indien, den zumeist wie in der Vorzeit die Bewohner der Landschaft Jemen in Südarabien, dem „Glücklichen Arabien“ der Alten, als den schon durch die geographische Lage gegebenen Zwischenhändlern übermittelten. Doch fuhren damals die römischen Schiffe mit griechischer Bemannung aus Alexandrien durch den bereits von den alten Pharaonen angelegten Südwasserkanal nicht nur bis zum Stapelplatz Arabia felix, sondern teilweise selbst bis nach Indien. Der um 100 n. Chr. zu Nikomedia in Bithynien geborene und unter Kaiser Marcus Aurelius um 170 verstorbene griechische Schriftsteller Flavius Arrianus, der 136 unter Hadrian Präfekt von Kappadokien war, schreibt: „Nach der Handelsstadt Nelekynda am südwestlichen Ufer Indiens kommen viele Schiffe, weil dort vortrefflicher Pfeffer (péperi) in Menge zu haben ist“, und sein schon ums Jahr 25 n. Chr. verstorbener Landsmann Strabon, der weit in der[S. 525] Welt herumgekommen war, berichtet: „Früher wagten sich kaum zwanzig Schiff aus dem Arabischen Meerbusen (dem Roten Meere) hinaus; jetzt aber segeln große Flotten nach Indien und bis ans äußerste Ende von Äthiopien (Afrika) und bringen die teuersten Waren nach Ägypten, von wo sie wieder nach allen Ländern ausgeführt werden. In Alexandreia ist die Hauptniederlage für jene Waren; denn die Lage dieser Stadt ist für den Handel äußerst günstig.“ Dort unterlag der Pfeffer wie die übrigen Gewürze und Kostbarkeiten Indiens und Äthiopiens — wie wir aus einem Berichte aus dem Jahre 176 n. Chr. wissen — einem römischen Durchgangszoll. Die vornehmen Griechen und Römer der Kaiserzeit benützten ihn als Medizin, wie auch zu allerlei Würze von Speise und Trank. Schon durch seine ferne Heimat und den nicht für jedermann erschwinglichen Preis bildete er eine kostbare Ware, mit deren Anwendung man gerne prunkte. So lernten ihn die deutschen Barbaren kennen und schätzen. Von dem Gotenkönig Alarich wird uns berichtet, daß, als er mit seinem Heere im Jahre 408 Rom belagerte, er sich erst zur Aufhebung der Belagerung verstand, nachdem ihm die Römer 5000 Pfund Gold, 30 000 Pfund Silber, 4000 seidene Kleider, 3000 Pfund Pfeffer und andere Kostbarkeiten entrichtet hatten.
Der erste Abendländer, der die Pfefferpflanze in ihrer Heimat wachsen sah und später beschrieb, war der griechische Großkaufmann Kosmas aus Alexandrien in Ägypten, ein Zeitgenosse des oströmischen Kaisers Justinian I., der sich bekanntlich vom Bauer zum Basileus (König) emporgeschwungen hatte und von 527–565 n. Chr. regierte. Mit einem gewissen Menas hatte dieser Kosmas ums Jahr 540 eine Handelsreise nach Indien und Ostafrika unternommen und später, als er mit jenem, dem Zuge ihrer Zeit folgend, der bösen Welt entsagte, um das engelgleiche Gewand anzuziehen, d. h. Mönch zu werden, schrieb er in seiner Vaterstadt, dem lebenslustigen, reichen Alexandreia, wo er predigend umherzog, einen uns erhaltenen Bericht über seine Reise, der von musterhafter Gewissenhaftigkeit zeugt. Er gibt uns darin eine ausführliche Beschreibung der von den Alten Taprobane genannten Insel Ceylon, „jenseits dem Pfefferlande und indischen Meere“. Nach seiner denkwürdigen Fahrt nach Indien, die damals noch als etwas ganz Außergewöhnliches galt, erhielt dann dieser Mönch Kosmas von seinen Zeitgenossen den Beinamen Indikopleustes, d. h. Indienfahrer.
Nach ihm war der Venezianer Marco Polo der erste Europäer,[S. 526] von dem wir wissen, daß er die indische Pfefferrebe in ihrer Heimat wachsen sah. Er war mit seinem Vater Niccolo und seinem Onkel Maffio Polo, auf deren zweiter ostasiatischen Reise, die 1271 angetreten wurde, nach China gekommen, wo er 17 Jahre blieb, um zuletzt ein hoher chinesischer Beamter zu werden und als solcher das ganze Reich, außer den beiden südlichen Provinzen Kwang-si und Kwan-tung kennen lernte, auch Osttibet, Jün-nan und Nordbirma bereiste. Im Jahre 1292 traten die Poli die Rückreise zu Schiff über Südasien an und besuchten bei dieser Gelegenheit Hinterindien, Borneo, Sumatra, Ceylon, das westliche Vorderindien, den Persischen Meerbusen, Nordpersien, Armenien und Kleinasien. Auf dieser drei Jahre dauernden Rückreise, von der sie 1295 nach Venedig zurückkehrten, lernten sie auch Südasien so gut kennen, daß sie während des ganzen Mittelalters die besten Kenner dieses Kontinents blieben, außer etwa dem Araber Ibn Batûta (1302–1377), der ebenfalls Vorderasien und China besuchte, aber sich nur kurz in diesen Ländern aufhielt. Seinen Reisebericht diktierte Marco Polo 1298 in genuesischer Gefangenschaft, in die er während eines Krieges zwischen Venedig und Genua geraten war. Das Buch wurde in mehrere Sprachen übertragen und war im Abendlande bald so bekannt, daß es zu den gelesensten Schriften des späteren Mittelalters gehörte. Durch die glänzenden Schilderungen des fabelhaften Reichtums und der ungeheuren Ausdehnung der Städte Ostasiens blendete es die Völker des Abendlandes, die gar zu gerne jene vielbeneideten Länder kennen gelernt oder noch lieber für sich gewonnen hätten. Deshalb trugen Marco Polos Berichte über das goldreiche Ostasien und die Gewürzländer Südasiens ganz wesentlich zu der zwei Jahrhunderte später erfolgten Entdeckung Amerikas bei; denn der im Dienste des spanischen Königs Ferdinands V., des Katholischen, am 3. August 1492 vom Hafen Palos mit drei kleinen Caravellen mit 120 Mann Besatzung nach Westen segelnde Genuese Cristophoro Colombi (Kolumbus) wollte nicht einen neuen Weltteil entdecken, sondern das Gewürzland Indien und das goldreiche Zipangu (Japan), den Pfefferstapelplatz Zaiton (Tsi-uen-tschou an der Fokienstraße) und das reiche Quinsay (Hang-tschou-fu) entdecken. Und nicht nur an jenem denkwürdigen 12. Oktober 1492, als er auf der Insel Guanahani (jetzt Watlings Island) landete, sondern bis zu seinem 1526 erfolgten Tode hat Kolumbus dem Glauben gelebt, Indien aufgefunden zu haben, dessen wertvolle Produkte es nun aufzufinden und mit gutem Gewinn in Europa zu verkaufen galt.
Die nächste Folge der Reisen der Poli war die Ausbreitung des Christentums in China, der die in religiöser Beziehung völlig indifferente Mongolendynastie keine Hindernisse in den Weg legte. Erst als 1368 durch die Revolution des echten Chinesentums gegen die mongolische Dynastie der Yuen die usurpatorische mongolische Herrschaft in China zusammenbrach und die christenfeindliche Dynastie der Ming ihre Herrschaft antrat, blieb der Osten Asiens für das Abendland wieder völlig in Dunkel gehüllt. Als einziger Europäer gelangte im 15. Jahrhundert der Italiener Nicolo Conti, ein Venezianer und Kaufmann wie Marco Polo, nach Indien, Ceylon und Birma, und zwar nachdem er seinen christlichen Glauben abgelegt und den Islam angenommen hatte. Infolgedessen vermochte er auch ungestraft Vorderindien zu durchkreuzen, Hinterindien zu besuchen und sich sogar auf Sumatra und Java längere Zeit aufzuhalten. Auch er sah die Pfefferrebe in ihrer Heimat wachsen. Die nächsten Europäer, denen dies wieder beschieden war und die dann den direkten Seeweg nach Indien fanden, waren die Portugiesen, die, wie wir bald sehen werden, unter der Führung des kühnen Seefahrers Vasco da Gama am 23. Mai 1498 in Kalikut an der Malabarküste, mitten im Zentrum der damaligen Pfefferkultur, landeten, um dann den Handel mit diesem über alles geschätzten Gewürz an sich zu reißen.
Den Pfefferhandel in seine Hände zu bekommen, wollte damals etwas heißen, und es war der größten Opfer wert, dieses Monopol den Arabern und Venezianern zu entreißen; denn im Mittelalter steigerte und verallgemeinerte sich der Gebrauch dieses Gewürzes so unsinnig, daß die Krämer wie im alten Rom geradezu piperarii, d. h. Pfefferhändler genannt wurden. In der Bezeichnung Pfeffersäcke, die sich für die Kaufleute bis zur Gegenwart erhielt, liegt noch heute ein Beigeschmack großen Reichtums. Der Pfeffer war das ganze Mittelalter hindurch im ganzen Abendlande ein überaus gesuchter Handelsartikel, mit dem man wie in der römischen Kaiserzeit Speise und Trank, sogar das süße Gebäck, wie beispielsweise die mancherlei Pfefferkuchen, würzte. Das Urteil über eine Mahlzeit hing damals geradezu von der Pfefferbeigabe ab; so lautet eine häufig wiederkehrende Wendung in den mittelalterlichen Beschreibungen von Festmahlzeiten: „Daz ezzen was guot, wile wole gepfefferôt.“ Diese uns heute ganz unbegreifliche Vorliebe für Pfeffer und alle scharfen Gewürze überhaupt kann man sich nur dadurch erklären, daß eben unsere Altvordern wie heute noch die Bauernbevölkerung sehr fette Speisen aßen und die[S. 528] Zugabe der scharfen Gewürze die Verdaulichkeit dieser schweren Speisen durch Reizung der Verdauungsdrüsen förderte.
Wie Zimt, Gewürznelken und Muskatnuß, wie wir bald sehen werden, in der holländischen Geschichte von der allergrößten Bedeutung waren, so spielte der ostindische Pfeffer eine sehr wichtige Rolle in der Geschichte Venedigs während des späteren Mittelalters. Damals war jene Stadt an der Adria der Mittelpunkt des Handels zwischen Europa und Asien und hatte etwa 3000 Kauffahrteischiffe von allerdings meist nur 10–100 und nur ganz ausnahmsweise bis 700 Tonnen (zu 1000 kg) Ladefähigkeit im Mittelmeere schwimmen. Diese segelten teilweise bis nach den Niederlanden, speziell Brügge, das damals neben Augsburg und Nürnberg die wichtigste Handelsstadt nördlich der Alpen war, um die kostbaren Produkte des Morgenlandes dem Abendlande zu vermitteln. Die Marine Venedigs war die größte des Mittelalters und besaß zur Zeit ihrer höchsten Blüte im 14. Jahrhundert 25–30000 Köpfe Bemannung. Nach ihr kam diejenige von Genua, dessen Hauptbedeutung im westlichen Mittelmeer lag. Während Pisas Blüte bereits gegen das Ende des 13. Jahrhunderts zu welken begann, hob sich Florenz allmählich, um dessen Erbe anzutreten. Nachdem es 1421 von Genua die Hafenstadt Livorno gekauft hatte, konnte es als drittwichtigste Seestadt jener Zeit gelten. Namentlich tat sich Florenz in Herstellung von Wollgeweben, Seidenstoffen, Gold- und Silberbrokat hervor. Schon um 1338 gab es in jener Stadt 200 Tuchwebereien, die jährlich 80000 Stück Tuch lieferten. Den Handel unterstützte ein vorzüglich eingerichtetes Bankwesen, das sich über alle wichtigeren mitteleuropäischen Städte ausdehnte.
Solche einheimische Industrie besaß nun Venedig allerdings nicht; es war vor allem Seehafen und vermittelte den Kulturvölkern des Abendlandes die Produkte des Morgenlandes. Unter diesen war der Pfeffer Indiens, den indische Schiffer an die Gestade des Roten Meeres und arabische Karawanen von da den Venezianern an ihre Schiffe in Syrien und Ägypten brachten, weitaus der wichtigste Handelsartikel. Ja, man kann sagen, daß Venedig in erster Linie am Pfeffer, als dem damals begehrtesten Gewürze Indiens, reich geworden ist. Deshalb lag ihm mit besonderer Rücksicht auf dieses Gewürz alles daran, sich das Rote Meer und Ägypten offen zu halten. Unmengen von Pfeffer wurden im fondaco dei tedeschi in Venedig an die Agenten der reichen Handelsherren von Augsburg und Nürnberg verkauft und auf den Rücken von Maultieren über die Alpen nach[S. 529] Deutschland gebracht, wo er geradezu die Bedeutung eines überall gangbaren Zahlmittels erlangte. Im 13. und 14. Jahrhundert nahm er entschieden den ersten Rang unter sämtlichen Gewürzen ein; er stand so hoch im Preise, daß ärmere Leute von dem regelmäßigen Gebrauche desselben absehen mußten und die Bezeichnung „cher comme poivre“ sprichwörtlich wurde. Damals waren einige Pfund Pfeffer ein geradezu fürstliches Geschenk.
Der sehnliche Wunsch, die so begehrten teuren Gewürze Indiens, außer Pfeffer auch Gewürznelken, Zimt, Muskatnuß und Ingwer, auf direktem Wege, ohne den arabischen und venezianischen Zwischenhandel, billiger zu beziehen, trieb die Spanier und Portugiesen in erster Linie dazu an, den direkten Wasserweg nach Ostindien durch Umschiffung Afrikas zu finden. Und als dies dem portugiesischen Kapitän Vasco da Gama als erstem gelang, indem er am 20. Mai 1498 in Kalikut an der Malabarküste landete, um dann im August 1499 nach Lissabon zurückzukehren, brachte er schon damals eine reiche Ladung indischer Gewürze mit heim. Da an der Ware 600 Prozent verdient wurden, brach er 1502 mit 20 Schiffen abermals nach dem Pfefferlande auf. Bei dieser Gelegenheit gründete er Kolonien auf Mosambik und Sofala an der ostafrikanischen Küste und kehrte 1503 mit 13 reich beladenen Schiffen, die mit nicht weniger als 5 Millionen kg Gewürz aus dem Hafen von Kalikut an der Malabarküste ausliefen, nach Portugal zurück. Diese Ladung repräsentierte natürlich einen ungeheuren Wert und brachte den Portugiesen zum großen Ärger der in ihrer Haupteinnahmequelle bedrohten Venezianer ungeheuren Gewinn. Deshalb ward Vasco da Gama 1524 von König Johann III. (inzwischen war Emanuel I., unter dem der Seeweg nach Ostindien gefunden und das portugiesisch-ostindische Kolonialreich begründet, dann im Jahre 1500 durch Cabral auch Brasilien entdeckt und in Besitz genommen worden war, 1521 gestorben) abermals mit 16 Schiffen nach Indien gesandt, kam aber von dieser letzten Reise nicht mehr zurück, indem er am 24. Dezember 1524 55jährig in Kotschin an der Malabarküste starb. Er hat wie kein anderer Portugiese seinem Vaterlande die größten Dienste geleistet und ihm ganz wesentlich zum Höhepunkt seiner Blüte verholfen, den es zu Beginn des 16. Jahrhunderts erklomm. Damals war Lissabon die erste Handelsstadt Europas und verdiente an den indischen Gewürzen riesige Summen. Aber schon unter Johann III. (gestorben 1557) sank das Reich infolge seiner klerikalen Politik (Inquisition, Judenverfolgungen, Einfluß der Jesuiten)[S. 530] und mußte seine Macht und bald auch seine wichtigsten indischen Kolonien an die protestantischen Niederländer abtreten.
Von dem Momente an, da die Gewürze Indiens auf dem Wasserwege direkt nach Europa gebracht wurden, sank nun natürlich die Bedeutung Venedigs als Hauptvermittlerin des Gewürzhandels sehr bald dahin und dafür nahm die Hansa als Zwischenhändlerin der von Portugal eingeführten indischen Gewürze nach Mittel- und Nordeuropa ihren Aufschwung und machte sehr gute Geschäfte, bis die Holländer nach Besetzung der wichtigsten portugiesischen Gewürzländer in Indien diesen Handel für sich in Anspruch nahmen. Da sie die indischen Gewürze als ihr Monopol ansahen und die Preise selbst bestimmten, so erhöhten sie den von den Portugiesen gemachten Gewinn von 600 Prozent auf 1000 Prozent. Ein solch gutes Geschäft ließen sich aber die Engländer nicht entgehen und jagten den Holländern bei der ersten besten Gelegenheit die Pfefferküste ab und verdrängten sie ganz aus Indien.
Merkwürdigerweise war man aber in Europa sehr skeptisch gegen diesen ums Kap der Guten Hoffnung dahin gebrachten Pfeffer gesinnt, wie heute noch die Hausfrauen die natürliche Vanille und andere Rohprodukte dem künstlich hergestellten Vanillin als angeblich besser bevorzugen. Im Jahre 1518 verbot sogar der Rat von Bonn den Verkauf solchen um Afrika herum statt über Alexandrien und Venedig importierten Pfeffers. Nach und nach sah man aber das Unberechtigte solchen Vorurteils ein und benutzte ihn bald ausschließlich, weil er begreiflicherweise bedeutend billiger zu stehen kam als der durch den arabischen Zwischenhandel gegangene venezianische. Trotzdem aber der Pfeffer mit der Zeit sehr billig wurde, nahm mit der Verfeinerung des Geschmackes seine Verwendung mehr und mehr ab und ist heute auf ein Minimum gesunken.
Während des Altertums und Mittelalters waren noch einige andere Pfefferarten bei uns im Gebrauch, so vor allem der schon von den alten Griechen und Römern überaus geschätzte lange Pfeffer (Piper longum), von dem wir bereits berichteten, daß er, weil schärfer, von jenen viel teurer als der weiße und schwarze Pfeffer bezahlt wurde. Aus demselben Grunde, weil schärfer und beißender als der schwarze Pfeffer, ist er auch heute noch in Asien viel beliebter als in Europa. Diese wohl im östlichen Teil des malaiischen Archipels einheimische holzige Kletterpflanze hat länglichovale Blätter und ihre Einzelfrüchte stehen nicht frei an der Spindel wie diejenigen des[S. 531] schwarzen Pfeffers, sondern so dicht gedrängt, daß sie beim Reifen zu einer festen Masse zusammenwachsen. Diese Pfefferart wird auf den malaiischen Inseln, wie auch in Vorderindien viel angebaut. So gesucht sie im Altertume und teilweise noch im Mittelalter im Abendlande war, so gelangt sie jetzt nur ganz ausnahmsweise in den europäischen Handel. Früher waren auch ihre in Indien noch heute viel gebrauchten Wurzelstöcke als „Pfefferwurzeln“ bei uns offizinell. Sie enthalten zahlreiche Ölzellen, welche ihnen einen scharfen, aromatischen Geschmack verleihen.
Auch der einst in Europa als Gewürz viel gebrauchte Cubebenpfeffer ist heute bei uns nur noch als Medikament für Entzündungen der Harnwege und Harnblase in den Apotheken zu finden. Er stammt von einem bis 6 m hohen, rankenden, zweihäusigen Strauch (Piper cubeba), dessen Heimat Südasien, besonders Sumatra, Java und Südborneo ist. Außer hier wird er aber auch in Westindien kultiviert. Und zwar wird er nur selten für sich allein gepflanzt; in der Regel dient er als Zwischenpflanze auf Kaffeeplantagen, wobei er an den Schattenbäumen zu einer recht stattlichen Entwicklung gelangt. Seine Fruchtähren sind etwas länger als diejenigen des schwarzen Pfeffers, die Beeren ungefähr von gleicher Größe, aber die Früchte sitzen anfangs dicht an der Ährenspindel und verschmälern sich erst später an ihrer Basis stielartig. Diese Stiele sind daher nicht wie sonst von der Frucht abgegliedert. Die Früchte, welche einen kampferartigen Geruch besitzen, schmecken weniger scharf, als durchaus gewürzhaft und enthalten sowohl in der mittleren Fruchtschicht als auch in der Samenschale Kristallgruppen von Cubebin, die an der gleichen Stelle auftreten wie das Piperin in der Samenschale von Piper nigrum und longum. Sie wirken in kleinen Dosen wie Pfeffer, regen den Appetit etwas an und befördern die Verdauung, stören aber beide bei länger fortgesetzter Verwendung. Der Name Cubeben stammt aus dem Hindustanischen. Sie waren in der indischen Volksmedizin schon längst in Gebrauch, als der Orient sie auf dem Wege des Handels kennen lernte. Die arabischen Ärzte erwähnen sie als indisches Gewürz. Von ihnen lernte das Abendland diese Droge kennen, die vom 13. Jahrhundert an einen namhaften Handelsartikel für Europa bildete, den vornehmlich die Venezianer und Genuesen ihm vermittelten. Er diente hier aber ausschließlich als ein kostbares Gewürz. Erst zu Anfang des 19. Jahrhunderts lernten englische Offiziere auf Java von den Eingeborenen die vorhin genannte medizinische Anwendung der Cubeben[S. 532] kennen, und seit 1818 bedient man sich ihrer in Europa als Medikament, nachdem sie als Gewürz hier schon längst außer Gebrauch gekommen waren.
Von der größten Bedeutung für die Südasiaten und deshalb in großen Mengen angepflanzt ist der Betelpfeffer (Piper betle). Ursprünglich im malaiischen Archipel zu Hause, hat er sich heute über ganz Indien, Hinterindien und Indonesien verbreitet. Hier werden seine ovalen, brennend gewürzhaft schmeckenden Blätter, die scharfe, die Speichelabsonderung anregende Stoffe enthalten, zum Betelkauen verwendet, dem jedermann, Mann und Frau, alt und jung, frönt. Zu diesem Zwecke wird ein Blatt mit Kalkmilch (aus mit Wasser abgelöschtem gebranntem Kalk) bestrichen und darauf eine dünne, in Wasser gekochte Querscheibe der eiförmigen Arekanuß nebst Catechu oder Gambir gelegt. Das ganze wird zusammengerollt und dient als solches zum Kauen. Durch den Zusatz von Kalkmilch erhält der Speichel eine gelbrote Farbe, welche sich auch den Zähnen der Betelkauer mitteilt. Päckchen von 20–30 solcherweise präparierter und zusammengebundener Betelpfefferblätter werden überall in Südasien zum Verkauf ausgelegt wie bei uns die Zigarren. Der dabei zur Anwendung gelangende Catechu ist ein Extrakt aus dem Holze der Catechuakazie und Gambir eine Abkochung der Blätter und jungen Triebe von Uncaria gambir; beide sind sehr reich an Gerbstoff und wirken zusammenziehend auf die Schleimhaut des Mundes.
Der sogenannte japanische Pfeffer entstammt einem in Japan, Korea und Nordchina heimischen Strauche aus der Familie der Rutazeen (Xantophyllum piperitum), der in zwei Klappen aufspringende Früchte von der Größe des schwarzen Pfeffers hervorbringt, als dessen Ersatz sie dienen. Der auch als Kumba bezeichnete Negerpfeffer stammt von einem im tropischen Westafrika häufigen Baume (Xylopia aethiopica) aus der Familie der Anonazeen. Es sind die schotenartig aussehenden, 4–5 cm langen, kaum 0,5 cm dicken, walzenförmigen, meist etwas gekrümmten, im trockenen Zustande schwarzen Früchte dieses Baumes, die wegen ihrer Schärfe von manchen Negerstämmen mit Vorliebe zum Würzen ihrer Speisen verwendet werden. Andere Arten der Gattung kommen in Ostafrika und Amerika vor und werden dort vielfach auch zum Würzen verwendet. Als Tasmaniapfeffer werden in Tasmanien die Früchte des dort und im südöstlichen Australien im Gebirge wildwachsenden, 3–4 m hohen Strauches Drimys aromatica aus der Familie der Magnoliazeen zum Würzen[S. 533] verwendet, da sie ebenfalls einen beißenden, gewürzhaften Geschmack besitzen.
Viel wichtiger als diese, die nur eine sehr beschränkte lokale Verwendung finden, ist der in Zentralamerika heimische rote spanische Pfeffer, auch Paprika genannt, von Capsicum annuum, der durch die Spanier nach Europa gelangte und daher die Bezeichnung spanischer Pfeffer erhielt. Wie der indische Pfeffer den Hindus und Malaien, so dient er den dortigen Indianern als beliebte Zukost zu ihrer sonst faden Breinahrung. Diese zu deutsch Beißbeere genannte Nachtschattenart hat sich durch lange fortgesetzte Kultur in eine große Menge von Spielarten gespalten, deren aufgeblasene Beerenfrüchte von Rot bis Gelb und Dunkelviolett schwanken. Sie enthalten das scharfe, beißende Capsicin, das vor allem zu Zugpflastern bei Rheumatismus Verwendung findet. Der gelbe spanische Pfeffer (Capsicum luteum), der jetzt besonders in Ostindien gepflanzt wird und als piment de Mozambique in den Handel kommt, liefert die schärfsten Sorten, die für europäische Zungen geradezu ungenießbar sind und bei den nicht an deren Genuß Gewöhnten eine Schwellung von Zunge und Lippen bewirken. Sehr scharf ist auch der rote Cayennepfeffer, von Capsicum crassum, minimum, baccatum usw., deren Früchte getrocknet und zerkleinert, oft noch mit Salz und Weizenmehl vermischt, in den Handel kommen. Der Quittenpfeffer (Capsicum cydoniforme), der pellpepper der Engländer und poivron der Franzosen, erzeugt dagegen saftige Früchte, die fast keine Schärfe besitzen und deshalb roh oder eingemacht wie Obst gegessen werden können. Zwischen beiden Arten liegen zahlreiche Mittelsorten, auf die wir hier nicht näher eingehen können. In Europa wird der Paprika besonders von denjenigen Volksstämmen bevorzugt, die wie z. B. die Serben und Magyaren, gern rohe Gehirne von Kälbern und Schafen verspeisen. Bekannt ist seine Verwendung zum ungarischen Nationalgericht, dem Guljasch, und zu den von den Engländern geliebten mixed pickles und der Worchestersauce.
Ähnlich wie Paprika wird von uns auch mehr als Reizmittel zu dem an sich keinen ausgesprochenen Geschmack besitzenden Fleisch der Senf oder Mostrich genossen, den schon die alten Griechen und Römer in ähnlicher Weise benutzten. Aus der lateinischen Bezeichnung sinapis ist überhaupt das deutsche Senf entstanden, da die Römer seine Bereitung und Anwendung in die Länder nördlich der Alpen brachten. Gotisch heißt er sinap, angelsächsisch senep, althochdeutsch[S. 534] senaf, mittelhochdeutsch senef und neuhochdeutsch senf. Im Capitulare de villis Karls des Großen aus dem Jahre 812 erscheint er als sinape unter den anzubauenden Pflanzen. Im 13. Jahrhundert finden wir das Kraut in England im großen angebaut und dort, wie auf dem europäischen Festland, zur Senfbereitung verwendet. Unser Speisesenf wird von den beiden, den Kohl- und Rübenarten sehr nahe verwandten Kreuzblütlern, dem schwarzen und dem weißen Senf (Sinapis nigra und alba) gewonnen, deren Heimat das südliche Europa, Nordafrika und Westasien ist. In Kleinasien oder Griechenland scheint die wilde Art, welche ursprünglich nur ein Ackerunkraut war, vom Menschen zuerst zur Würze verwendet und später auch angepflanzt worden zu sein. Noch im Mittelalter wurden vom Senfkraut nicht bloß die Samen verwertet, sondern auch die Blätter als Gemüse genossen. Die Griechen nannten die Senfpflanze sínēpi, sínapi oder nápy — dabei ist die Silbe si ein Augmentativum, um die Schärfe des Senfs noch mehr hervorzuheben — gleicherweise die Römer, die sie von ersteren kennen lernten, sinapi. Sie pflanzten sie in ihren Gemüsegärten an. Theophrast im 3. Jahrhundert v. Chr. und Palladius im 4. Jahrhundert n. Chr. geben uns eine Anleitung zu ihrer Kultur und sagen, daß sie im Herbst gesät werde. Columella um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr., der sie auch im Frühjahr zu säen rät, gibt uns das erste Rezept zur Herstellung von Speisesenf. Er sagt: „Den sorgfältig gereinigten Samen läßt man zwei Stunden im Wasser aufweichen und stößt ihn dann, mit den Händen herausgenommen und ausgedrückt, in einem neuen, wohlgereinigten Mörser klein. Darauf zieht man die ganze zerriebene Masse in der Mitte des Mörsers zusammen, drückt sie fest, legt einige glühende Kohlen darauf, gießt mit Soda versetztes Wasser darüber, wodurch der bittere Geschmack beseitigt wird, läßt sodann das Wasser wieder abfließen, gießt weißen scharfen Essig hinzu, rührt die Masse um und seiht sie durch. Die so gewonnene Flüssigkeit ist vorzüglich zum Einmachen der Rüben dienlich.“ Sie wurde aber auch als Würze zu Fleischspeisen genossen. Palladius im 4. Jahrhundert n. Chr. rät, Senfsamen mit Honig, Olivenöl und Essig zu mischen.
Heute wird die Senfpflanze, die der Kaiser Diokletian 301 n. Chr. in einem Edikt anführt, nicht bloß in ganz Europa, sondern auch in Nordamerika und Indien viel angepflanzt. Der schwarze Senf hat eigentlich braune, kleine, kugelige Samen, der weiße dagegen hellfarbige, viel größere, etwa fünfmal so schwere. Dazu kommt noch eine dem[S. 535] schwarzen Senf ähnliche Abart mit besonders scharf schmeckenden Samen, der besonders bei Sarepta am unteren Laufe der Wolga in Südrußland von den dort angesiedelten württembergischen Kolonisten angepflanzt wird und als Sareptasenf bezeichnet wird. Sie kommt bei uns im Handel nur sehr selten vor, dagegen ist das daraus bereitete Senfmehl ein bei uns als „englischer“ oder „russischer“ Senf viel verwendeter Artikel.
Außer Eiweißkörpern und Öl enthalten die Samen des weißen Senfes das kompliziert zusammengesetzte Sinalbin und ein Ferment Myrosin, das die Eigenschaft besitzt, das Sinalbin bei Gegenwart von Wasser chemisch zu zerlegen, so daß neben Zucker und anderen Stoffen daraus das Sinalbinsenföl entsteht, ein geruchloses, gelbes, scharfes Öl, das blasenziehend wirkt, weshalb der weiße Senf pulverisiert zu den lokal starke Hautreize ausübenden Senfpflastern verwendet wird. Die Samen des schwarzen Senfes enthalten ebenfalls Myrosin, wenn auch bedeutend weniger als die des weißen — weshalb es behufs besserer Ausbeute an Senföl zweckmäßig ist, den weißen und schwarzen Senf zu mischen —, dabei aber einen andern, ebenfalls durch Myrosin spaltbaren Körper, aus dem das farblose, gleicherweise auf der Zunge brennende, durchdringend scharf riechende Allylsenföl entsteht.
Die Bereitung des Speisesenfes ist nach den Ländern sehr verschieden. Am meisten wird er wohl in dem alle solche scharfen Würzen liebenden England hergestellt und genossen. Zu diesem Zwecke werden die Senfsamen zerrieben und das zu 30 Prozent in ihnen enthaltene Senföl, das ein vorzügliches Brennöl liefert, abgepreßt. Das Senfmehl wird dann gewöhnlich mit Essig und Zucker angerührt. In Mitteleuropa nahm man im Mittelalter meist jungen Wein, sogenannten Most (aus der lateinischen Bezeichnung mustum hervorgegangen). Aus der Bezeichnung mustum ardeum, d. h. scharfer Most, der in den Klöstern zuerst aufkam, entstand dann das französische moutarde und das norddeutsche Mostrich, während die Westfalen und Rheinländer Mostard und Mostert sagen. Noch der 1590 als Leibarzt des Kurfürsten Johann Kasimir bei Rhein in Heidelberg verstorbene, nach seinem Geburtsort Bergzabern Tabernaemontanus genannte Elsässer Arzt sagt uns in seinem Kräuterbuch, daß der Speisesenf aus zerstoßenen Senfsamen und Most hergestellt werde. Heute sind in England am geschätztesten der weiße Senf von Cambridge und der schwarze von Yorkshire, die in den großen englischen Senffabriken fast ausschließlich zur Verarbeitung gelangen.
Wie Senf wird zur Würzung der Saucen, die besonders den faden Fischspeisen beigegeben werden, auch das Produkt eines anderen Kreuzblütlers verwendet. Es sind dies die Kapern. Sie bestehen aus den noch im Knospenzustande gepflückten und mit Salz in Essig eingemachten Blüten des dornigen Kapernstrauches (Capparis spinosa), die sich später weiß oder rötlich entfaltet hätten. Der bis meterhohe Strauch ist im Mittelmeergebiet heimisch, wo er seine Zweige mit Vorliebe an grell von der Sonne beschienenen Felsen herabhängen läßt. Er wird deshalb der leichteren Erreichbarkeit wegen vielfach in seiner Heimat angepflanzt. Als Surrogat dafür werden häufig die Blütenknospen der aus Südamerika stammenden Kapuzinerkresse (Tropaeolum majus) und des einheimischen Ginsters (Spartium scoparium), ebenso in Norddeutschland die allerdings weniger wohlschmeckenden Blütenknospen der überall an stehenden Gewässern und Quellen häufigen Sumpfdotterblume (Caltha palustris) und die kleineren des im Frühjahr überall häufigen, durch seine gelben Blüten auffallenden Scharbockkrautes (Ficaria ranunculoides) eingemacht und gegessen.
Zu ähnlichem Zwecke dient der ebenfalls schon von den Alten als Würze gebrauchte Lorbeer in seinen aromatisch duftenden Blättern und Früchten. Die an ausgiebigeren Gewürzen arme mittelalterliche Küche bediente sich dazu der Sprosse stark duftender einheimischer Lippenblütler wie Bohnenkraut, Thymian, Salbei, Pfefferminze, Melisse und Majoran, dann des Rosmarins und Lavendels, durch einen reichen Gehalt an ätherischen Ölen reicher Halbsträucher der Felsenheide des Mittelmeergebiets — italienisch machia, französisch maquis genannt — deren blaue beziehungsweise violette Lippenblüten mit den daran haftenden aromatisch riechenden Blättern und Zweigen im Altertum viel zum Winden von Kränzen benutzt wurden, mit denen man die Bildsäulen der Laren, der wohlwollenden, schützenden Geister der abgeschiedenen Vorfahren, schmückte. Deren Bilder wurden ursprünglich am häuslichen Herd in einem besonderen, als lararium bezeichneten Schrein aufbewahrt, später aber wurden diese Schutzgötter des Hauses auch in Gärten und auf Straßen in Hermen verehrt.
Die beiden letztgenannten, durch ein wohlriechendes Öl ausgezeichneten strauchartigen Lippenblütler Rosmarin und Lavendel empfahl schon Karl der Große in seinen Vorschriften zur Bepflanzung der Gärten seiner Landhäuser vom Jahre 812 und trug so wesentlich dazu bei, diese Fremdlinge aus Italien auch nördlich der Alpen heimisch werden[S. 537] zu lassen, wo sie dann keinem besseren Küchengarten des Mittelalters fehlten, so wenig als das ebenso wohlriechende einjährige Kraut Basilikum mit hellgrünen, kleinen Blättern und weißen Lippenblüten mit weit vorgestreckter Unterlippe, das durch die Vermittlung der Muhammedaner aus seiner Heimat Indien nach Europa gelangte und besonders bei den Serben und allen Südslawen überhaupt eine große Rolle im Volksleben spielt. Jedem Leser der serbischen Volkslieder wird es auffallen, welch große Bedeutung dem Kraute Basilikum beigelegt wird.
Noch viel wichtiger als diese heute fast ganz außer Gebrauch gekommenen volkstümlichen Gewürze war für die mittelalterliche Küche der Safran, die aromatisch riechenden, dunkelgelben Narben des im Orient heimischen Crocus sativus, der vornehmeren Verwandten des bescheidenen europäischen Frühlingskrokus (Crocus vernalis). Diese weißblühende, kleine Lilienart ist ein Kind der sich von Kleinasien bis Persien erstreckenden vorderasiatischen Steppe, wo sie zuerst irgendwo ihrer duftenden, leuchtendgelben Narben wegen in menschliche Pflege genommen wurde. Im Orient wurde der Safran seit Urzeiten verwendet und spielte in der ältesten persischen und indischen Medizin wegen seiner stark erregenden Wirkung als Arzneimittel, dann als Gewürz und Färbemittel, eine sehr große Rolle. König Salomo und Homer erwähnen ihn, der berühmte griechische Arzt Hippokrates verwendete ihn und im ganzen Altertum galt er als König der Pflanzen. Für die Morgenländer bildete er einen sehr wichtigen Handelsartikel, mit dem wohl die schiffahrtkundigen Phönikier die Griechen zuerst bekannt machten. Der bedeutendste Pflanzenkenner des Altertums, Theophrastos von Lesbos (390–286 v. Chr.), unterscheidet in seiner uns erhaltenen Pflanzengeschichte sehr wohl den duftenden Crocus sativus des Morgenlandes von dem duftlosen, weißen Frühlingskrokus Attikas und hebt den aus Nordafrika stammenden cyrenäischen Safran als besonders gut hervor. Sonst galt sowohl bei den Griechen, als auch den Römern, zu denen erstere den krókos gebracht hatten, der kilikische aus dem südöstlichen Asien als der edelste.
In seiner Schrift über den Landbau schreibt der aus Spanien nach Rom gekommene Columella um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr.: „Mysien, Lydien, Apulien, Kampanien sind durch ihr herrliches Getreide berühmt; der Tmolus (ein Gebirg Lydiens) und Korykus (eine Hafenstadt Kilikiens) durch Safran (crocus), Judaea und Arabien durch kostbare Wohlgerüche. Übrigens werden jetzt sogar in Rom[S. 538] Zimtkassien- und Weihrauchbäume gezogen, auch sieht man ganze Gärten mit Myrrhen und Safran bestellt. Hierin liegt ein Beweis, daß Italien ein Land ist, in welchem bei gehöriger Pflege die Gewächse fast aller Erdstriche gedeihen können.“ — An einer anderen Stelle sagt dieser Autor: „In den Gärten suchen die Bienen Nahrung an den weißen Lilien, auch pflanzt man für sie (im Februar) Zwiebelknollen von korykischem und sizilischem Safran.“ Sein Zeitgenosse, der aus Kilikien stammende griechische Arzt Dioskurides schreibt: „Der beste Safran (krókos) ist der korykische aus Sizilien, der zweite an Güte ist derjenige, welcher auf dem Olymp in Lykien wächst, der drittbeste kommt aus Aegae in Aeolien; der aus Kyrenaika (östlich von Tripolis) und aus Sizilien ist schwächer, obgleich saftreich und leicht auszupressen; er täuscht daher viele. Zum arzneilichen Gebrauch hat derjenige den Vorzug, der ziemlich lang, frisch und gut gefärbt ist, beim Reiben gut riecht, beim Befeuchten die Hände färbt, nicht verschimmelt ist und etwas scharf schmeckt.“ Er führt dann die verschiedenen Verfälschungen und deren Erkennungszeichen an und sagt, Thessalos behaupte, der Safran sei das einzige wirklich gut riechende Ding. Plinius hält den wild wachsenden Safran für den besten und sagt, in Italien bringe der Safranbau keinen Vorteil. Dann fährt er fort: „Der angepflanzte Safran (crocus) wird breiter, größer, glänzender, ist aber weit schwächer und artet überall aus. Mucianus gibt an, man verpflanze in Lykien den Safran im 7. oder 8. Jahre auf einen bearbeiteten Boden, und so werde der Ausartung vorgebeugt. Zu Kränzen braucht man den Safran nirgends, denn seine Blätter sind fast haardünn. Dagegen ist Safran ein herrlicher Zusatz zu Wein, insbesondere zu süßem. Gerieben dient er dazu, die Theater mit Wohlgeruch zu erfüllen. Die Ernte fällt in die Zeit des kürzesten Tages, und das Trocknen geschieht im Schatten. Man bewahrt ihn in hölzernen Büchsen auf. Er dient als Arznei, hat auch die Eigenschaft, daß man nach seinem Genusse vom Wein nicht trunken werden kann, und daß selbst ein Kranz davon die Berauschung verhindert. Diese Blume hat schon in Homers Zeiten in Ehren gestanden.“
Die Vornehmen des kaiserlichen Rom trieben einen gewaltigen Luxus sowohl mit dem Safran, den sie außer als Arznei auch zur Würze von Speisen und Getränken benutzten, als auch mit den wohlriechenden Blüten des orientalischen Krokus. Wenn schon zur Zeit der Republik der Dichter Lucretius Carus (98–55 v. Chr.) den Gebrauch kennt, die Sitze der Aristokratie im Theater mit wohlriechendem[S. 539] Safranwasser zu besprengen, und nach dem römischen Geschichtschreiber Sallustius Crispus (86–35 v. Chr.) Metellus Pius durch ein Gastmahl gefeiert wurde, bei dem der Speisesaal wie ein Tempel drapiert und der Boden mit duftenden Krokusblüten bestreut war, so ist nicht zu verwundern, daß der Luxus damit zur Kaiserzeit keine Grenzen mehr kannte. So wurden zur Zeit des Kaisers Hadrian, der, nach Trajans Tod im Jahre 117 von seinem Heere in Syrien zum Kaiser ausgerufen, bis 138 regierte, die Statuen im Theater mit duftender Safranessenz gesalbt und sogar hohle Erzstatuen mit feinen Poren dermaßen eingerichtet, daß solches Parfüm daraus nach Belieben hervorquoll. So schreibt Senecas Neffe Lucanus (geb. 39 n. Chr. zu Corduba in Spanien, wurde Quästor und Augur zu Rom und entleibte sich 65, als er wegen Beteiligung an der Pisonischen Verschwörung gegen Nero zum Tode verurteilt wurde) in einem Pharsalia betitelten Gedichtbuch: „In Afrika war ein junger Römer von der Schlange Hämorrhois gebissen worden, da drang aus seiner Haut Blut hervor, gleich wie mit Safran parfümiertes Wasser aus den Poren hervorgepreßt wird, mit denen man künstlich die ganze Oberfläche hohler Bildsäulen durchbohrt hat.“ Und Petronius berichtet in einer seiner Satiren: „Bei einem Gastmahl war die Veranstaltung getroffen, daß aus jedem Kuchen und jedem Obst bei der geringsten Berührung flüssig gemachter Safran floß.“ Damals war der Safrangeruch einer der beliebtesten Parfüms der vornehmen Griechen und Römer. Von Kaiser Hadrian berichtet sein Biograph Aelius Spartianus ferner: „Kaiser Hadrianus teilte zu Ehren seiner Schwiegermutter Gewürze (aroma) unter das Volk aus und ließ zu Ehren (seines Vorgängers im Imperium) des Trajanus (wohlriechenden) Balsam und (in Wasser oder Wein gelösten) Safran die Stufen des Theaters herunterfließen.“ Der Geschichtschreiber Aelius Lampridius schreibt vom Kaiser Heliogabalus, der 218 wie Hadrian in Syrien auf Anstiften seiner Großmutter Julia Maesa von den Legionen 17jährig zum Kaiser ausgerufen wurde und den orgiastischen Dienst seines syrischen Gottes Elagabalus, dessen Oberpriester er zu Emesa war und nach dem er sich nannte (denn eigentlich hieß er Valerius Avitus Bassianus), in Rom einführte, bis er schon 222 von seiner Leibgarde, den Prätorianern ermordet wurde, er habe seine Betten und bei Gastmählern die Polster, auf denen seine Gäste zu Tische lagen, mit Safran wie mit Blumenblättern von Rosen oder Lilien, Veilchen, Hyazinthen und Narzissen füllen lassen und habe nur in Bassins gebadet, dessen Wasser[S. 540] mit wohlriechenden Essenzen, besonders Safran, wohlriechend gemacht worden war.
Außer als Parfüm war der Safran bei den alten Griechen und Römern besonders auch als Medikament geschätzt, das im Rufe stand, gegen die verschiedensten Übel helfen zu können. Wenig Rezepte wurden damals von den Ärzten der Vornehmen, meist Griechen, verschrieben, in denen dieser Bestandteil fehlte. Diesem Beispiele folgten ihre geistigen Erben, die byzantinischen und arabischen Ärzte. Und als durch die Kreuzzüge das Abendland in engere Berührung mit dem ihm an Kultur überlegenen Morgenlande kam, gelangte die hohe Wertschätzung des Safrans als Gewürz und Heilmittel auch dahin. Diese Tatsache beweist schon die im Abendlande geläufig gewordene Bezeichnung Safran, die aus dem arabischen za’fran herrührt — aus zahafaran abgekürzt —, ein Wort, das seinerseits mit dem arabischen asfar gelbsein zusammenhängt.
Wie im Orient, der damals die Erzeugung und den Handel mit Safran ausschließlich in den Händen hatte, wurde der Safran trotz seines überaus hohen Preises auch im Abendlande als ein wichtiges Arzneimittel und eines der hervorragendsten Gewürze überaus geschätzt. Vielfach hieß — wie beispielsweise in Basel — die Zunft der Krämer nach ihrem kostbarsten Handelsartikel im frühen Mittelalter die Zunft zum Safran, und als ihr Gildeabzeichen figuriert die stilisierte dreigespaltene Narbe dieses Liliengewächses, die ihrem Aussehen nach der heraldischen Lilie der Bourbonen in Frankreich sehr nahe kommt. Seitdem die Kreuzfahrer im 11. Jahrhundert die Pflanze nach dem Abendlande brachten, wird sie in Italien und Südfrankreich angebaut. Viel früher noch wurde der Safran in Spanien, wohin die Araber schon im 10. Jahrhundert seine Kultur brachten, angepflanzt. Dieses Land hat das ganze Mittelalter hindurch bis in die Gegenwart fast ganz Europa mit seinem Produkte versorgt und besitzt heute noch besonders in der durch den Ritter Don Quichote als dessen Heimat bei uns bekannt gewordenen Landschaft Mancha, südlich von Madrid, ausgedehnte Safranpflanzungen. Im 15. und 16. Jahrhundert war der Safranbau auch in Mitteleuropa von Belang, ging aber hier mit dem Zurückgehen von dessen Wertschätzung fast ganz ein. Kleinere Mengen davon werden nur noch in Niederösterreich, dann bei Orleans, ziemlich viel dagegen in Südfrankreich gewonnen. Letzteres liefert 2–4000 kg jährlich, während die Produktion von Spanien 45000 kg beträgt.
Die Safrankultur erfolgt in der Weise, daß man die zwiebelartigen Knollen, die übrigens auf der Balkanhalbinsel roh und gebraten als beliebte Speise gegessen werden, in Abständen von 8–10 cm in 20 cm auseinanderstehenden Reihen setzt. Bei der Blüte im Frühling werden die orangeroten Narben meist von Frauen und Kindern gepflückt und noch an demselben Tage über einem leichten Kohlenfeuer getrocknet. Man erhält dadurch ein gesättigt rotbraunes, loses Haufenwerk sich fettig anfühlender Fäden, die stark aromatisch, fast betäubend riechen, gewürzhaft bittersüß schmecken und gekaut den Speichel intensiv gelb färben. Die Masse zieht sehr leicht Feuchtigkeit aus der Luft an und enthält außer Safrangelb von außerordentlichem Färbungsvermögen ein gelbes, dickflüssiges, schweres, ätherisches Öl, das Safranöl, von brennendem Geschmack und dem charakteristischen Safrangeruch. Gegenwärtig schwankt der Preis des Safrans je nach der Ernte zwischen 32 und 160 Mark das kg. Dieser hohe Preis wird erklärlich, wenn man erwägt, daß die Narben von 70000–80000 Blüten gepflückt werden müssen, um 1 kg Safran zu ergeben. Er verlockt aber auch dazu, den Safran zu verfälschen, indem man ihm pulverisierte Blüten des Saflors, der Arnika, der Ringelblume, der Granate, dann gefärbte Kollodiumfäden zufügt und ihn mit Baryt und Gips beschwert. Auch werden bereits extrahierte Narben gefärbt und als ungebrauchte Ware verkauft. Jedenfalls ist es sehr zu raten, ihn nicht in gemahlenem Zustande als Pulver zu kaufen, da dann Verfälschungen leichter zu erkennen sind.
Schon die medizinischen Schriftsteller des Altertums beklagen sich über solche Betrügereien an diesem kostbaren Stoffe. Der ältere Plinius meint, daß überhaupt keine andere Ware so sehr gefälscht werde als gerade er. Deshalb war während des ganzen Mittelalters der Handel mit Safran scharf kontrolliert. So bestand im Jahre 1374 ein besonderes officio dello zafferano zur Überwachung des Safranhandels in Venedig, und in anderen großen Städten waren ähnliche Kontrollstellen vorhanden, so in Augsburg und Nürnberg, wo im 15. Jahrhundert strenge Polizeigesetze diesem Handelsartikel besondere Aufmerksamkeit schenkten. Die Strafe für Safranfälschung bestand darin, daß solche Betrüger lebendig samt ihrer verfälschten Ware verbrannt wurden. Solchen Tod erlitten 1449 Jobst Friedenkem, 1456 Hanns Kölbell und Lienhard Frey, „weil sie gefälschten Safran für gut verkauft“. Die Else Pragerin, die den beiden letztgenannten „darzugeholfen“, wurde lebendig begraben. In demselben Jahre 1456[S. 542] wurden in Zofingen in der Schweiz zwei Bürger wegen Fälschung des Safrans und anderer Gewürze lebendig verbrannt samt einer Frau, welche ihnen dabei behilflich gewesen war. Noch 1499 wurden dem Hannsen Bock in Nürnberg wegen „betrüglicher Arznei“ beide Augen ausgestochen. Später begnügte man sich bei der Verfälschung des Safrans und anderer solcher Drogen damit, diese öffentlich durch den Scharfrichter verbrennen zu lassen und dem Schuldigen eine sehr hohe Geldstrafe aufzuerlegen. Noch ein Erlaß Heinrichs II. von Frankreich (Sohn Franz I. und Claudias, Tochter Ludwigs XII., seit 1533 mit Katharina von Medici vermählt, regierte von 1547 bis zu seinem den 10. Juli 1559 infolge einer Augenverletzung bei einem Tournier erfolgten Tode) bedrohte die Safranfälscher mit energischer körperlicher Züchtigung, und auf dem Reichstage in Augsburg 1551 wurde sogar ein für das ganze Deutsche Reich gültiges Polizeigesetz gegen „geschmierten“ Safran erlassen. Neuerdings wird als billiger Ersatz des echten Safrans der Kapsafran in den Handel gebracht, er besteht aus den getrockneten Blüten einer Skrofulariazee vom Kap, Lyperia crocea, die annähernd Geruch, Geschmack und Färbungsvermögen des Safrans besitzen.
Von weiteren europäischen Gewürzen von größerer Bedeutung, die zugleich eine wichtige Rolle als Arzneimittel spielten, haben wir zunächst den Hopfen (Humulus lupulus) zu nennen, der schon den Griechen und Römern zu Heilzwecken diente. Die Griechen nannten ihn das wildwachsende (ágrion) kléma, die Römer dagegen nach Plinius lupus salictarius, d. h. Weidenwolf, weil er andere Pflanzen umschlingt und ihnen Schaden zufügt. Gebraucht wurden damals schon wie heute hauptsächlich die tannenzapfenähnlichen Fruchtähren, die am Grunde mit goldgelben, körnerartigen Drüschen besetzt sind, welche der Pflanze den eigentümlichen Geruch und den gewürzhaftbittern Geschmack geben. Außer einer geringen Menge einer narkotisch wirkenden Substanz, um dessen Willen der Hopfen in England wie Opium geraucht wurde und noch geraucht wird, enthält das aus den Drüsenkörnern bestehende, getrocknet rötlichgelbe Hopfenmehl der reifen Früchte ein aromatisches Öl, ferner das Hopfenbitter, das dem Biere den bitterlichen Geschmack verleiht und Hopfenharze, welche die Entwicklung der Milchsäurebakterien verhindern, die die Güte des Bieres beeinträchtigen. Zugleich fällen die Gerbstoffe des Hopfens die Eiweißstoffe des Malzes aus der Würze und wirken so konservierend auf das Bier. Aus diesen Gründen wird der Hopfen seit dem frühen Mittelalter dem Biere als Würze zu[S. 543]gesetzt und hat als solche eine sehr große Bedeutung erlangt, so daß er in bedeutendem Maße angebaut wird.
Die ersten europäischen Hopfengärten werden in einer Urkunde Pipins des Kurzen vom Jahre 768 erwähnt. In der Folge legten sich besonders die Klöster auf den Hopfenbau, da sie dieses Würzmittels bei der Bierbereitung bedurften. Erst als das Bierbrauen in die Hände der Bürgerlichen gelangte, pflanzte man auch in Laienkreisen den Hopfen, der bis dahin von den Bauern meist nur von den wilden oder verwilderten, in ganz Europa in Hecken und Gebüschen, besonders an Flußufern wachsenden Exemplaren gesammelt wurde. Im Gegensatz zu diesem wilden Hopfen, der noch häufig zur Fälschung des guten mitbenutzt wird, ist der kultivierte heute durch Kulturauslese sehr viel gehaltreicher geworden, weshalb er allein in den Handel kommt. Da die Hopfenpflanze getrenntgeschlechtig ist, werden selbstverständlich nur weibliche Pflanzen angebaut, deren Fruchtstände dann im Herbste geerntet werden. Der Hopfen ist eine ausdauernde Pflanze, die zumeist 15–20 Jahre aushält, bis sie wiederum frisch aus Samen gezogen wird. Er wird an hohen Stangen oder Drahtgerüsten gezogen, von denen er im Herbste herabgerissen wird, um zu Hause vorsichtig die Früchte abzupflücken, die auf den geräumigen mehrstöckigen Speichern der Hopfenbauern in Horden getrocknet werden, was in 4–5 Tagen geschehen ist. Dabei müssen sie häufig gewendet werden. Unterbleibt dies, so wird der Haufen rot und dadurch minderwertig, oft beinahe ganz wertlos. Die Hopfenfrüchte müssen reichlich gelbes Hopfenmehl aufweisen und ein reines, würziges, knoblauch- oder käseartiges Aroma besitzen. Nach dem Verkauf werden sie gut getrocknet und, vielfach geschwefelt, damit möglichst wenig Luft daran bleibt, in Ballen von[S. 544] 2 m Länge und 0,75 m Breite von 65–100 kg Gewicht zusammengepreßt. Da sich der Hopfen schlecht hält, wird er am besten an einem kühlen Orte in Metallkisten aufbewahrt. Andere Konservierungsmethoden, wie das Besprengen mit Alkohol haben sich nicht bewährt; dagegen werden vielfach, so besonders in Amerika, Hopfenextrakte verwendet. Doch vermögen sie nicht alle Eigenschaften des Hopfens zu ersetzen. Die Stengel des Hopfens werden in nördlichen Ländern zu Stricken, Matten, Säcken und anderen groben Geweben, sonst in der Papierfabrikation, die Blätter als Viehfutter und die jungen Schößlinge als Gemüse verwendet. Von der Welternte des Hopfens von 106,95 Millionen kg im Jahre 1908 entfallen 30 Prozent auf Deutschland, das besonders in Franken, Schwaben, Baden und Elsaß in ausgedehntem Maße Hopfen pflanzt. An zweiter Stelle steht England, doch suchen die Vereinigten Staaten von Nordamerika den alten Kulturländern auch hierin den Vorrang streitig zu machen.
Seit dem Altertum sind verschiedene Arten der Gattung Artemisia, Beifuß, mehr als Arznei, denn als Gewürz bekannt und geschätzt. Artemisía nannten sie die Griechen — von artemḗs gesund — weil sie deren Gebrauch für die Gesundheit förderlich hielten. Unter ihnen war speziell der Wermut (Artemisia absinthium), ein 0,6 bis 1,25 m hohes, stark aromatisch, aber widerlich riechendes, überall an Zäunen und unbebauten Plätzen wachsendes Kraut mit feingefiederten, ursprünglich weißgrauen Blättern und gelben Blüten, sehr beliebt. Die Griechen nannten die Pflanze apsínthion und danach die Römer absinthium. Von ihr schreibt der griechische Arzt Dioskurides: „Das apsínthion (von den Deutschen Wermut genannt, nach werm-uot, d. h. wärmende Wurzel wegen der erhitzenden Eigenschaft dieser Pflanze) ist äußerst bitter, es ist allgemein bekannt. Die beste wächst im Pontosgebiet und in Kappadokien auf dem Taurusgebirge. Sie erwärmt, zieht zusammen, befördert die Verdauung und ist in vielen Fällen ein wichtiges Heilmittel. Man versetzt auch die schwarze Tinte zum Schreiben mit Wermut, weil sich dann die Mäuse nicht daran wagen.“ Und Plinius schreibt in seiner Naturgeschichte: „Es gibt mehrere Arten von Wermut (absinthium, auch apsinthium geschrieben); die sogenannte santonische kommt aus einer Landschaft Galliens (die Santonen waren Kelten und wohnten in Aquitanien), die pontische aus dem Pontus, wo sich (wie er Theophrast nachschreibt) die Schafe damit mästen, aber davon (Theophrast sagt vorsichtig: wie einige sagen, was Plinius wegläßt) die Galle verlieren. Die pontische Wermut ist die beste, weil[S. 545] bitterer als die italische, hat aber ein süßes Mark. Dieses äußerst nützliche Kraut ist allgemein bekannt und zu sehr vielen Heilzwecken im Gebrauch. Es wird auch bei den Latinischen Festen in Rom verwendet, wo vierspännige Wagen am Capitolium um die Wette fahren. Wer da den Sieg errungen hat, trinkt Wermut, wahrscheinlich weil unsere Vorfahren geglaubt haben, Gesundheit sei eine recht ehrenwerte Belohnung.“
Dieses bitterste aller Kräuter mußte nach der uns erhaltenen Verordnung über die auf den Krongütern zu haltenden Nutzpflanzen aus dem Jahre 812 auch in den Gärten der Meierhöfe Karls des Großen angepflanzt werden und spielte das ganze Mittelalter hindurch als wermuota eine wichtige Rolle als Heilmittel. Noch heute ist es als solches beim Volk in hohem Ansehen und wird zu bitterem Tee und Magentropfen, zur Herstellung von Wermutbier und Wermutlikören viel benutzt. Bekannt ist die Liebhaberei der Franzosen zum angeblich erregenden, tatsächlich aber den Magen reizenden Absinth, dessen Herstellung und Verkauf glücklicherweise neuerdings in der Schweiz, wo besonders die Welschen bedeutende Konsumenten desselben waren, verboten wurde.
Im Altertum wurde schon bei den Ägyptern und später bei den Griechen und Römern auch der baumartige Beifuß (Artemisia arborea) angebaut und zur Herstellung von Arzneien aller Art, besonders Wermutwein benutzt. Als der Heilgöttin Isis geweiht, trugen die Priester derselben, wie uns Plinius berichtet, deren Zweige, die er absinthium nennt, bei den öffentlichen Umzügen feierlich vor sich her. Auch in Europa dienen heute noch Wermutzweige, so wie der gemeine Beifuß und andere stark riechende Kräuter zum Weihbunde, d. h. zu den Kräutern, welche in katholischen Kirchen auf Maria-Himmelfahrt oder Maria-Krautweihe (den 15. August) vom Priester geweiht werden. Es ist dies ein direkt durch römische Vermittelung vom Isiskulte herrührender Gebrauch; denn Isis mit dem Horusknäbchen auf dem Arm ist das unmittelbare Vorbild der Gottesmutter Maria mit dem Jesuskinde.
Nicht minder berühmt war seit dem Altertum der halbstrauchartige, in den Mittelmeerländern wild wachsende Eberreis (Artemisia abrotanum), den man häufig zu duftenden Kränzen, besonders aber als Arznei verwendete. Schon Theophrast erwähnt ihn als abrótonon und sagt, er werde zu Kränzen gebraucht, während ihn Dioskurides als Heilmittel nennt und beifügt, er wachse häufig in Kappadokien,[S. 546] dem asiatischen Galatien und in Syrien. Auch wurde er zur Herstellung eines mit ihm und anderen Gewürzen bereiteten (Oliven-) Öls verwendet. Und der aus Spanien im 1. Jahrhundert n. Chr. nach Rom gekommene Ackerbauschriftsteller Columella meint: „Das Bauchweh verliert sich beim Haarvieh, vornehmlich bei Maultieren und Pferden, augenblicklich, wenn es schwimmende Enten sieht (!); als Arznei tut ihm aber ein Trank von zarten Lorbeerblättern und Eberreis (abrotanum) sehr wohl.“ Es wird jetzt noch in den Mittelmeerländern häufig in den Küchengärten angepflanzt und heißt bei den Neugriechen pikróthanos und bei den Italienern abrotano.
Der gemeine Beifuß (Artemisia vulgaris) wird ebenfalls kultiviert, weil sein Kraut als Küchengewürz und die Wurzel als krampfstillendes und schweißtreibendes Mittel dient. Ehemals wurde letztere als Zaubermittel und Vorbeugungsmittel gegen das Ermüden an die Füße gelegt; daher der Name Beifuß. Ein Büschel dieses Krautes hängen die Landleute gerne in den Wohnstuben als „Fliegenkraut“ auf, weil sich die Fliegen abends gern in Menge daran setzen und dann leichter gefangen und getötet werden können. Die unmittelbar vor dem Aufblühen gesammelten Blütenköpfe des in der Kirgisensteppe und südlich davon wild wachsenden, neuerdings aber in zunehmendem Maße angepflanzten Wurmbeifußes (Artemisia cina) liefern eines der bekanntesten Wurmmittel, die zur Abtreibung von Spulwürmern und Pfriemenschwänzen (Oxyuris) dienenden Zitwer- oder Wurmsamen, deren bitterer Extraktivstoff das Santonin bildet, das neuerdings statt der Wurmsamenlatwerge in Zucker- oder Schokoladezeltchen als Wurmmittel gegeben wird.
Noch weiter östlich in Asien, nämlich in der Mongolei heimisch ist der Dragonbeifuß (Artemisia dracunculus), das französische estragon, das als geschätztes Küchengewürz in Mitteleuropa seit alter Zeit kultiviert wird. Die blühenden Stengelspitzen riechen angenehm gewürzhaft, schmecken bitterlich und dienen zur Bereitung des Estragonessigs. Dragon kommt vom lateinischen draco, Drache, Schlange (dracunculus heißt kleiner Drache) und wurde der Pflanze von den mittelalterlichen Ärzten gegeben, weil nach Plinius das Tragen dieser Pflanze vor dem Gebissenwerden durch Giftschlangen schütze.
Ein anderes viel verwendetes einheimisches Gewürz ist der gemeine Kümmel, die getrockneten Früchte der zweijährigen Kümmelpflanze (Carum carvi) aus der Familie der Umbelliferen, die im mittleren und nördlichen Europa bis zur Birkengrenze auf guten, trockenen Wiesen[S. 547] wild wächst. Sie ist die älteste in Europa nachweisbar als Gewürz verwendete Pflanze, da im neolithischen Pfahlbau von Robenhausen aus dem dritten vorchristlichen Jahrtausend verkohlte Samenkörner von ihr zutage traten. Jedenfalls aber wird sie damals noch nicht vom Menschen angepflanzt worden sein, da ihm die Wildlinge genug Samen boten. Doch ist diese Gewürzpflanze in Vorderasien schon sehr früh kultiviert worden, wie wir aus einer Stelle des seit 740 v. Chr. unter den Königen Usias, Jothan, Ahas und Hiskias zu Jerusalem wirkenden Propheten Jesaias in Kap. 28, 25 entnehmen, wo es vom Ackermann heißt: „er streut Wicken und wirft Kümmel, er säet Weizen und Gerste, jegliches, wo er es haben will, und Spelt an seinen Ort,“ und in Vers 27: „denn man drischet die Wicken nicht mit Eggen und läßt auch nicht ein Wagenrad über den Kümmel gehen, sondern die Wicken schlägt man aus mit einem Stabe und den Kümmel mit einem Stecken“.
In größeren Mengen wird der Kümmel seit dem Mittelalter in Holland, bei Halle, Erfurt, Hamburg, Nürnberg, Ostpreußen, Tirol, Norwegen, Schweden, Finnland und Rußland auf Feldern kultiviert. Man sät ihn während der Baumblüte in Reihen auf kalkhaltigen, warmen, trockenen Boden, im Herbst schneidet man das Kraut bis zum Herzblatt ab und verbraucht es als Viehfutter. Im folgenden Jahr blüht der Kümmel im Mai und muß geschnitten werden, sobald die oberste Fruchtdolde zu reifen beginnt und die übrigen noch grüne, aber entwickelte Früchte haben. Man bindet ihn in kleine Bündel und trocknet ihn. Der Same enthält viel ätherisches Öl, schmeckt beißend gewürzhaft und wird den verschiedensten Speisen als Gewürz zugesetzt. Aus ihnen wird durch Destillation auch das ätherische Kümmelöl gewonnen, das in der Branntweinindustrie ausgedehnte Verwendung findet. Den besten Kümmel liefert Holland, der dort schon in fränkischer Zeit kultiviert wurde. Er wird in den mittelalterlichen Arzneibüchern als beliebtes Heilmittel oft genannt; so pries ihn als solches schon im 12. Jahrhundert die heilige Hildegard, Äbtissin des Klosters Rupertsberg bei Bingen, die auch die erste Nachricht von der Verwendung des Hopfens als Bierwürze gab. In den städtischen Spezereitaxen wird Kümmel zuerst 1304 in Brügge, dann in der Mitte des 15. Jahrhunderts in Danzig angeführt. Die Wurzelknollen des in Westdeutschland nicht seltenen knolligen Kümmels (Carum bulbocastanum), auch Erdkastanie genannt, werden manchenorts, besonders in der Walachei und Moldau gegessen.
Statt unseres Kümmels gebrauchten die alten Griechen und Römer als Arznei und Gewürz die Samen des bei ihnen angebauten, in den östlichen Mittelmeerländern wild wachsenden römischen oder Kreuzkümmels (Cuminum cyminum). Dieses heute auf Sizilien und Malta, wie auch in Ostindien häufig angebaute einjährige Doldengewächs mit weißen oder rötlichen Blüten besitzt doppelt so lange Früchte wie diejenigen unseres Kümmels von stark aromatischem, unangenehmem, entfernt an Fenchel erinnerndem Geruch und scharf bitterlichem Geschmack. Sie enthalten ein ätherisches Öl von hellgelber Farbe und durchdringend kümmelartigem Geruch, welches als römisches Kümmelöl bei der Bereitung „magenstärkender“ Liköre verwendet wird.
Im ganzen Altertum war er wie in den Mittelmeerländern heute noch als Küchengewürz und Arznei geschätzt. Er hieß bei den alten Ägyptern tapnen, einem Worte, dem man häufig in dem medizinischen Papyri begegnet. Daneben bedienten sie sich auch einer semitischen Bezeichnung kamnini, die mit dem hebräischen kammôn zusammenhängt. Seine Samen befanden sich mehrfach unter den Totenbeigaben in den altägyptischen Gräbern. Die Griechen nannten ihn kýminon und danach die Römer, die ihn durch jene kennen lernten, cyminum. Dioskurides sagt von ihm: „Das kýminon schmeckt gut, vorzüglich das äthiopische, das Hippokrates (460–364 v. Chr.) das königliche nennt; nach ihm folgt an Güte das ägyptische und dann die übrigen Sorten. Es wächst im asiatischen Galatien, in Kilikien, bei Tarent und an mehreren anderen Orten. Es dient als Gewürz und Heilmittel.“ Theophrast schreibt: „Das kýminon trägt schmale, gestrichelte Samen in reichlicher Menge; es wird für die Küche angepflanzt und dabei vorgeschrieben, daß man bei der Aussaat fluchen und schimpfen soll.“ (Damit wollte man die bösen Geister vertreiben, die dem Wachstume der Saat schaden konnten.) Eine Abart dieses Kümmels nennt Dioskurides káros und fügt hinzu: „er ist ein kleiner, allbekannter Same, der ein gutes Gewürz gibt; auch die Wurzel wird zur Speise gekocht“. Diesen Kümmel nannten die Römer nach den Griechen careum; so sagt Columella: „Das careum dient als Gewürz,“ und Plinius: „Der careum (= Kümmel) stammt aus dem Auslande und hat seinen Namen von seinem Vaterlande Karien. Man benützt ihn vorzugsweise für die Küche; er gedeiht in jedem Boden, der beste kommt jedoch aus Karien und nächstdem aus Phrygien.“
Als Arznei gegen Blähungen und beliebtes Gewürz ist unter den Doldenblütlern ferner der gemeine Fenchel (Foeniculum vulgare) mit[S. 549] ausdauerndem, 1–2 m hohem Stengel zu nennen. Er wächst von den Azoren bis Persien und Kurdistan, von Nordafrika bis Ungarn wild und wird stellenweise in Deutschland, Südfrankreich, Galizien, Rumänien, Indien, China und Japan kultiviert. Die jungen Pflanzen werden auf Saatbeeten gezogen und im Juli versetzt, wie der Kümmel behandelt und im Herbste geschnitten. In kälteren Gegenden werden die Wurzeln für den Winter gedeckt. Die Samen können zwei- bis dreimal geerntet werden. Das Kraut dient als Viehfutter, während die durch das ätherische Fenchelöl angenehm aromatisch riechenden und gewürzhaft süßlich schmeckenden Früchte als Küchengewürz zum Einmachen von Gurken usw., auch als Appetit anregendes Mittel angewendet werden. Mit pulverisierten Sennesblättern und Süßholzwurzeln zusammen bilden sie einen Hauptbestandteil des leicht abführenden „Brustpulvers“. Wie anderswo Kümmel, bäckt man in Thüringen und Tirol Fenchel ins Brot.
Der römische Fenchel ist eine Abart des Foeniculum dulce, die in Südfrankreich, Italien und auf Malta angepflanzt wird. Er schmeckt etwas süßer und milder, sonst wie voriger. Auch die Früchte des in den Mittelmeerländern wildwachsenden beißenden Fenchels (Foeniculum piperitum) werden als Gewürz benutzt.
Seit den ältesten Zeiten diente der Fenchel den Chinesen, Indern, Ägyptern und den Völkern am Mittelmeer als Arznei und Küchengewürz. Als schamari hout findet er sich mehrfach in den medizinischen Papyri angeführt. Auch bei den Griechen und Römern wurde er als Küchengewürz und Arznei verwendet. Schon Theophrast im 4. Jahrhundert v. Chr. erwähnt den Fenchel als márathron und Dioskurides sagt von ihm vier Jahrhunderte später: „Vom Fenchel (márathron) wird das Kraut oder der Samen gegessen, um die Milch zu vermehren. Der letztere bekommt dem Magen gut. Man zieht aus der Pflanze und deren Samen den Saft, um ihn für schwache Augen zu verwenden.“ Noch hundert Jahre später schreibt der Arzt Galenos aus Pergamon: „Der Fenchel (márathron) wächst wild, wird aber auch angesät, und nicht bloß als Gewürz, sondern auch als Speise benutzt, zu welchem Zwecke man die Pflanze fürs ganze Jahr in Essig oder eine Mischung von Essig und Salzwasser legt.“ Wie ein griechischer Schriftsteller in der Geoponika, sagt gleicherweise der aus Spanien stammende Römer Columella: „Beim Einmachen der Oliven dient Fenchelsamen als Gewürz.“ Die Römer nannten ihn foeniculum. Plinius schreibt von ihm: „Die Schlange bekommt im Winter eine neue Haut und streift[S. 550] die alte mit Hilfe des Fenchels (foeniculum) ab. Den Menschen dient der Fenchel als Gewürz, auch wird er zur Stärkung schwacher Augen gebraucht, worauf man durch die Beobachtung gekommen ist, daß ihn die Schlangen zu diesem Zwecke verwenden.“ Und Palladius im 4. Jahrhundert n. Chr. schreibt: „Man sät den Fenchel (foeniculum) im Februar auf einer sonnigen und etwas steinigen Stelle.“ Später erfahren wir, daß Karl der Große dessen Anbau gleich demjenigen der übrigen Doldengewächse mit würzhaft schmeckenden Samen auf seinen Gütern anordnete. Im Mittelalter wurde er allgemein noch mehr als Anis geschätzt.
Dem Fenchel sehr ähnlich ist der gemeine Dill, auch Gurkenkraut genannt (Anethum graveolens), der seit dem Altertume in derselben Weise wie jener verwendet wird. Er findet sich bereits in den altägyptischen Texten als ammisi erwähnt und wurde nach dem medizinischen Papyrus Ebers hauptsächlich gegen Kopfweh verordnet. Er wächst noch heute in Ägypten und in Südeuropa wild. Die Griechen nannten ihn wegen seines starken Geruches ánēthon. Dioskurides sagt, daß man die Dolde und den Samen desselben verwende, um die Verdauung zu verbessern und die Milchabsonderung zu steigern; zu viel und zu oft genossen schwäche er jedoch. Palladius schreibt: „Man sät den Dill (anethum) im Februar. Er verträgt jedes Klima, doch ist ihm das mäßig warme am liebsten. Man darf ihn nicht dicht säen. Manche decken den Samen gar nicht mit Erde, weil sie glauben, kein Vogel gehe daran. Fehlt es an Regen, so begießt man ihn.“ Die Römer brachten dieses Gewürz über die Alpen, und Karl der Große ließ es in seinen Gärten anpflanzen. Seither fehlt es nicht mehr in den Küchengärten Mitteleuropas. Noch heute wird das junge Kraut, besonders aber die Dolden mit den reifen Früchten wegen des kräftigen Geschmacks und Geruchs als Küchengewürz, zum Einmachen von Sauerkraut, Gurken u. dgl. benutzt. Das ätherische Öl wurde früher wie dasjenige des Anis gegen krampfartige Unterleibsbeschwerden angewendet.
Ebenso alt ist in den Mittelmeerländern die Kultur des Korianders (Coriandrum sativum), dessen Früchte ebenfalls erst durch die Römer in Mitteleuropa bekannt wurden. Diese heute noch im Orient, in Südeuropa und auch bei uns hier und da als Sommergewächs angebaute und dann auch verwilderte Gewürzpflanze stammt aus Westasien, wird 30–60 cm hoch und trägt kugelige, braungelbe Früchte, die eigentümlich angenehm und mildaromatisch riechen, mit schwachem, an[S. 551] Wanzen erinnernden Beigeruch, der sich vor der Reife weit stärker, auch am Kraut zeigt. Daher der Name, vom griechischen kóris Wanze, im Deutschen Wanzenkraut lautend. Die Samen dienen als Küchengewürz, zu Backwerk aller Art, Likören und wurden früher auch abführenden Arzneien zugesetzt. Das frische Kraut soll betäubend wirken. Seine Samen wurden von jeher als Gewürz und Arznei verwendet. Sie finden sich schon in altägyptischen Gräbern. Die ärztlichen Papyri nennen den Koriander mehrfach als unschi und erwähnen auch eine asiatische Sorte desselben. Er wurde vielfach als Arznei gebraucht und seine Samen dienten nach den hieroglyphischen Aufzeichnungen dazu, den Wein noch berauschender zu machen. Auch die hebräischen und Sanskritschriften kennen ihn. Theophrast und Dioskurides erwähnen ihn als koríannon; letzterer sagt, man nenne ihn auch kórion, er sei allgemein bekannt und werde äußerlich und innerlich zu Heilzwecken verwendet. Als coriandrum kam er zu den Römern. Plinius schreibt von ihm: „Den Koriander findet man nicht wild; der beste kommt aus Ägypten. Er dient als Arznei, auch rät Marcus Varro (116–27 v. Chr.), Fleisch im Sommer mit Essig, worin sich zerstoßener Koriander und Kreuzkümmel befinden, vor Fäulnis zu schützen.“ Sein Zeitgenosse Columella rät, ihn im Frühjahr und Herbst auf gedüngten Boden zu säen. Karl der Große ließ ihn auf seinen Krongütern anpflanzen, doch finden wir ihn in Mitteleuropa erst wieder im 16. Jahrhundert erwähnt.
Ebenfalls ein einjähriger Doldenblütler ist der ursprünglich in Ägypten, Kleinasien und auf den griechischen Inseln heimische gemeine Anis (Pimpinella anisum), der schon im Altertum kultiviert wurde, um die angenehm, eigentümlich riechenden, süßaromatisch schmeckenden Samen als Gewürz und Arznei zu verwenden. Dioskurides schreibt von ihm: „Der Anis (ánison) ist als Gewürz und Arznei gesund. Der beste ist frisch, voll, ohne Staub, hat einen starken Geruch. Dem kretischen gibt man den Vorzug, ihm zunächst steht der ägyptische.“ Durch die Griechen wurden die Römer damit bekannt gemacht. Plinius sagt von ihm: „Der Anis (anisum) gehört zu den Speisen, welche Pythagoras (aus Samos, siedelte 529 v. Chr. nach Kroton in Unteritalien über, wo er als Gründer und Mittelpunkt des weit verbreiteten pythagoräischen Bundes wirkte) besonders empfohlen hat, und zwar sowohl roh als gekocht. Jedenfalls ist er, grün und getrocknet, an allen Speisen, die gewürzt werden, gut. Er wird auch an die Bodenrinde der Brote getan. Er gibt dem Atem einen guten Geruch, dem[S. 552] Gesicht ein jugendlicheres Ansehen und erleichtert schwere Träume, wenn man ihn so über dem Kopfkissen aufhängt, daß der Schlafende ihn riecht. Er bewirkt auch tüchtige Eßlust; so hat man ihn denn auch wegen seiner vortrefflichen Eigenschaften den Unübertrefflichen (anicatum) genannt.“ Sein Zeitgenosse Columella gibt an: „Ägyptischer Anis dient als Gewürz beim Einmachen der Oliven“, und Palladius im 4. Jahrhundert n. Chr. rät, ihn im Februar oder März auf gut bearbeiteten, gedüngten Boden zu säen. Durch die Römer wurden die Länder nördlich der Alpen mit ihm bekannt. Heute wird er als sehr wichtiges Gewürz fast in allen Erdteilen angebaut, so besonders in Deutschland, Böhmen, Mähren, Rußland, Skandinavien, Holland, Frankreich, Spanien, Bulgarien, Syrien, Indien und Chile. Er wird als Küchengewürz besonders zu Backwerk benutzt und das daraus destillierte Anisöl wird zu Likören, speziell der Anisette, verwendet. In Norddeutschland kocht man häufig Borsdorfer Äpfel mit Anis. Sein Geruch ist den Tauben sehr angenehm, weshalb man sie mit demselben leicht wieder auf den Schlag nach Hause lockt. Im Handel wird der Anissamen zuweilen mit demjenigen des giftigen Schierlings (Conium maculatum), dem sie sehr ähnlich sehen, vermischt, wodurch schon wiederholt Vergiftungsfälle vorkamen.
An Geruch, Geschmack und Wirkung dem gemeinen Anis sehr ähnlich ist der echte Sternanis, der von einem 6–8 m hohen, immergrünen, in China, Japan und den Philippinen heimischen Baum aus der Familie der Magnoliazeen (Illicium anisatum) gewonnen wird. Er wächst vorzugsweise in den hohen Gebirgen von Jün-nan in Südwestchina, wo er auch kultiviert wird und besitzt ziemlich große lederartige Blätter, blaßgrünlichweiße Blüten und sternförmige, matt-graubraune Kapselfrüchte von angenehm süß aromatischem, eigentlich mehr an Fenchel als Anis erinnerndem Geschmack. In ihrer Heimat werden sie schon lange als Heilmittel und Gewürz verwendet und wurden 1588 von Sir Thomas Cavendish von den Philippinen zuerst nach Europa, und zwar nach London gebracht; doch haben sie erst die Holländer als Medikament und bei der Teezubereitung verwendet. Heute bilden sie eine überaus wichtige Droge des Weltmarktes, da sie 5 Prozent des farblosen ätherischen Anisöles enthalten und zu dessen Darstellung benutzt werden. Letzteres ist namentlich für die Likörfabrikation ganz unentbehrlich. Von diesem Baume kommt auch das Holz als Anisholz in den Handel; es wird vielfach von Tischlern und Drechslern verarbeitet. Dem echten Sternanis sehr ähnlich sehen die[S. 553] Früchte des unechten Sternanis aus, die von einem als Illicium religiosum bezeichneten, weil um die buddhistischen Tempel in Japan angebauten und dort Sikimmi genannten, dem echten Sternanisbaume nahe verwandten immergrünen Baume stammen. Sie sind giftig und sind nur daran zu erkennen, daß sie nicht wie jene nach Anis, sondern aromatisch nach Kardamomen oder Kampfer riechen und zuerst sauer, dann bitter schmecken. Bisweilen werden sie zur Verfälschung des echten Sternanis benutzt, wodurch wiederholt Vergiftungsfälle vorkamen.
Neben Anis, Fenchel, Dill, Kümmel und Koriander war im Mittelalter auch die durch einen reichen Gehalt an ätherischen Ölen aromatisch duftende Raute (Ruta graveolens) ein im Abendland sehr beliebtes, in allen Bauerngärten angetroffenes Gewürz. Für Indien sehr wichtig dagegen waren schon im Altertum wie heute die ebenfalls durch einen reichen Gehalt an ätherischem Öl, das ihnen einen kampferartigen Geruch und Geschmack verleiht, äußerst aromatisch schmeckenden Kardamomen, die im Leben des gewürzeliebenden Südasiaten eine wichtige Rolle spielen. Durch den Handel mit Indien wurden die Bewohner Westasiens und schließlich auch die Mittelmeervölker mit ihnen bekannt. Der griechische Arzt Dioskurides schreibt über dieses Gewürz, das den reichen Griechen und Römern vornehmlich als Arznei diente: „Das beste kardámōmon wird über Komagene (nordöstlichste Provinz Syriens, zwischen dem Euphrat und Amanosgebirge), Armenien und dem Bosporus nach Italien gebracht, stammt aber aus Indien und Arabien. Man gibt demjenigen den Vorzug, das nicht leicht bricht, voll und geschlossen ist, einen angreifenden Geruch und einen scharfen, etwas bitteren Geschmack hat. Es erwärmt und dient als Arznei.“ Sein Zeitgenosse Plinius sagt: „Das cardamomum besteht aus länglichrunden Samen und wird in Arabien gesammelt. Man unterscheidet davon drei Arten: eine sehr grüne und fette mit scharfen Kanten, schwer zerreiblich, was man vorzüglich schätzt. Die zweite Art ist rötlichweiß, eine dritte ist kürzer und dunkler gefärbt; noch schlechter ist die gefleckte, leicht zerreibliche, schwach riechende. Der Geruch des echten cardamomum muß demjenigen des costus gleichkommen. Diese Sorte wächst auch in Medien. Das Pfund kostet 3 Denare (= 1.80 Mark).“ Im 6. Jahrhundert n. Chr. erwähnt der römische Arzt Alexander Trallianus die Kardamomen, dann 1154 der weitgereiste Araber Edrisi als Produkt Ceylons; 1259 waren sie in Köln zu haben. 1563 unterscheidet der Portugiese Garcia da Orta eine Malabar- und eine Ceylonsorte. Auch der nach seiner Herkunft[S. 554] von Bergzabern bei Straßburg als Tabernaemontanus bezeichnete Arzt am kurfürstlichen Hofe von Heidelberg führt 1584 die Kardamomen in seinem Arzneibuche an.
Noch heute kommen unter der Bezeichnung Kardamomen die Samen verschiedener Arten ausdauernder Stauden aus der Familie der Scitamineen oder Gewürzlilien in den Handel, um als Arznei, Gewürz und zugleich zur Herstellung von Parfüm zu dienen. Weitaus die wichtigste derselben, die in Deutschland und den anderen Kulturstaaten offizinell ist, stammt von der echten Kardamome (Elatteria cardamomum var. minor), einer in den feuchten Bergwäldern Malabars an der südlichen Westküste Indiens einheimischen Ingwerverwandten mit 2–3 m hohen Stengeln, 40–75 cm langen, lanzettlichen Blättern und knolligen, dichtgeringelten Wurzelstöcken. In den sich nach der Blüte bildenden langen, dreifächerigen, gelben Kapseln finden sich 4 bis 5 mm lange, braune, etwas eckige, rauhe Samen, die ihren würzigen Geschmack einem flüchtigen, frisch in Wasser destilliert farblosen ätherischen Öl, dem Kardamomöl, verdanken. Die Pflanze, die in ihrer Heimat an Stellen abgeforsteter Wälder zahlreich aus dem Boden sprießt, wird besonders in Malabar, aber auch in Ceylon, Cochinchina, Siam, Jamaika, Deutsch-Ostafrika und anderen Orten des engeren Tropengürtels im großen angebaut. Es geschieht dies teils durch Wurzelteilung, teils — was die Regel ist — durch Samen, die in ziemlichen Abständen in lockeren, humusreichen Boden gepflanzt werden. In einem Jahre sind die Pflänzchen 30–40 cm hoch, geben im dritten Jahre die erste kleine und im vierten Jahre eine Vollernte; dabei bleiben sie etwa sechs Jahre tragbar. Vor der völligen Reife, wenn die grünen Kapseln in gelb überzugehen beginnen, werden sie einzeln mit Scheren abgeschnitten und zum Nachreifen zunächst einige Tage in einem Magazin auf Haufen gelegt. Dann trocknet man sie vorsichtig in der Sonne, drischt die Samen heraus und bringt sie zum Versand. Als Durchschnittsertrag rechnet man an den Hauptproduktionsorten in Südwestindien und auf Ceylon 200 kg marktfertige Ware auf das Hektar, ein Ergebnis, das unter günstigen Verhältnissen und bei sorgsamer Pflege oft um die Hälfte und mehr überschritten wird.
Von einer größeren, in Ceylon heimischen Kardamomart (Elatteria cardamomum var. major) werden gelbrote, eckige, rauhe Samen von eigentümlichem, starkem Geruch gewonnen und in kleinen Posten nach England exportiert. In Siam, auf Sumatra, Java und einigen anderen malaiischen Inseln wächst Amomum cardamomum mit vielen[S. 555] keilförmigen Samen in Kapseln, die etwas kleiner als Kirschen sind. Sie werden fast ausschließlich nach Südfrankreich exportiert. Als Bastardkardamom kommen etwas stachlige, kleine Kapseln von Bangkok aus in den Handel; auf Java dagegen ist der Javakardamom heimisch, der von geringer Qualität ist. Besser ist der Nepal- und Bengalkardamom. Wenig gekannt ist der auf Madagaskar an sumpfigen Standorten wachsende schmalblätterige Kardamom. Sehr nahe verwandt damit ist der Kamerunkardamom, der neuerdings nach Hamburg auf den Markt gebracht wird und ein außerordentlich feines, wohlriechendes ätherisches Öl liefert, kaum aber als Gewürz gebraucht wird. Eine andere äußerst aromatische, nicht pfefferartig schmeckende Art ist der abessinische Kardamom, der aber kaum nach Europa gelangt.
Mit schwachem Aroma, aber scharf beißend dagegen ist der Samen der in Westafrika wachsenden Cardamomum malagetta mit rauher, brauner Schale und weißlichem Kern, der als Paradies- oder Guineakörner oder Malagettapfeffer in den Handel kommt. Die Pflanze, die von Oberguinea bis Kamerun wild wächst, wird von den Negern vielfach angebaut, so daß sie einem Distrikte den Namen Pfefferküste eintrug. Sie ist dann von den als Sklaven dahingebrachten Negern auch in Westindien eingeführt worden und wird dort häufig kultiviert. Auch sie besitzt einen krautartigen Stengel mit schmalen, schilfartigen Blättern und einem kurzgestielten Blütenschaft, der am Ende einen Schopf von prächtigen, rosenroten, großen, an unsere Cannablüten erinnernden Blüten trägt. Die Samen dieser Pflanze, die in England häufig dazu verwendet werden, dem Brandy und Whisky einen schärferen Geschmack zu erteilen, wie ihn die mit abgestumpften Geschmacksnerven ausgestatteten Gewohnheitstrinker lieben, sind dem Neger Westafrikas für seinen faden, aus den Wurzelknollen des Yams verfertigten, kleisterartigen Mehlbrei, genannt fufu, ebenso unentbehrlich, wie der schwarze Pfeffer dem Hindu für seine tägliche Reiskost.
Wie die Afrikaner bereiten sich die Inder ihre scharfe Pfeffersauce mit den verschiedensten Zutaten zum schwarzen Pfeffer, so namentlich auch mit der echten oder langen Kurkuma oder Gelbwurzel — auch gelber Ingwer genannt — (Curcuma longa), einer nahen Verwandten der Kardamomen, die im Hindustani Indiens haldi, bei den Arabern dagegen kurkum heißt, woraus sich unsere Bezeichnung Kurkuma bildete. In Indien wird sie vielfach als Arznei, dann als Würze zu fast allen Speisen, besonders aber als wichtiger Bestandteil[S. 556] des berühmten Currypulvers verwendet. Schon im Altertum gelangte sie von dort aus mit den Kardamomen zu den Kulturvölkern am Mittelmeer. Der griechische Arzt Dioskurides sagt von ihr: „Es gibt eine Art Cypergras (kýpeiros), das in Indien wächst, dem Ingwer ähnlich ist, aber beim Kauen safrangelb wird und bitter schmeckt. Streicht man es auf ein behaartes Muttermal, so gehen die Haare daselbst aus.“ Wie im Altertum hat die Kurkuma auch im Mittelalter als Arznei bei den arabischen Ärzten eine gewisse Rolle gespielt. Von Indien aus erstreckte sich damals der Handel mit ihr so weit, als die arabische Herrschaft reichte. Ihre ursprüngliche Heimat ist wahrscheinlich Hinterindien und der malaiische Archipel; doch ist sie sehr früh nach Vorderindien gelangt, wo sie jetzt weit mehr als anderswo kultiviert wird. Hingegen wächst in Vorderindien neben einer Reihe Arten, die keinen Farbstoff enthalten, auch eine Art wild, die einen gelben Farbstoff liefert, der allerdings weit weniger schön ist und nur noch selten benutzt wird, sich aber für manche Zwecke, wie z. B. zur Herstellung eines künstlichen Goldlacks, besser eignet wie die gewöhnliche Kurkuma. Es ist dies die runde Kurkuma (Curcuma aromatica) mit birnförmigem Wurzelstock von 3–5 cm Länge und daran befindlichen fingerdicken Ausläufern, die in Längsschnitten in den Handel gelangt, aber kaum nach Europa kommt.
Von der vorhin genannten echten oder langen Kurkuma — lang genannt, weil sich der im Durchschnitt orangebraune Wurzelstock in eine Anzahl mannsfingerdicker und -langer Seitentriebe verästelt — gibt es mehrere Spielarten, die nach ihren Produktionsländern benannt werden. Die chinesische, die vorzugsweise auf der Insel Formosa erzeugt wird, gilt für die beste, dann folgen an Güte diejenigen von Bengalen und Pegu, die sich beide durch eine intensive Färbung auszeichnen. Auch die Sorte von Madras wird als eine feine Qualität betrachtet, während diejenige von Java wegen ihrer matten Farbe nur geringe Preise erzielt. Als die geringwertigsten gelten diejenigen von Bombay und Scinde. Die Pflanze treibt hohe, mit 30 cm langen, breit lanzettlichen Blättern besetzte Schäfte, die in einen Blütenstand von dichtsitzenden, rahmgelben Blüten enden, die von schön violett gefärbten Schaublättern überragt werden. Da aber in der Kultur seit undenklicher Zeit die Blütentriebe als nutzlose Kraftverschwendung der Pflanze ausgebrochen werden, so hat sie die Fähigkeit, keimbare Früchte zu erzeugen, mit der Zeit ganz eingebüßt, so daß sie jetzt ausschließlich durch Wurzelknollen vermehrt wird. Diese werden in fruchtbaren, von[S. 557] Überschwemmungen verschonten Boden in Abständen von 60 cm nach jeder Richtung im April und Mai gepflanzt und im Dezember geerntet, wobei man als Durchschnittserträgnis 5000 kg vom Hektar annimmt. Die Wurzelstücke werden zunächst in heißes Wasser getaucht, um ihre Keimkraft zu zerstören, dann 3–4 Tage an der Sonne getrocknet und schließlich in Säcke verpackt.
Noch wichtiger und auch bei uns bekannter als sie ist ihr naher Verwandter, der Ingwer (Zingiber officinale), dessen etwa daumendicke und in frischem Zustand fleischige Wurzelstöcke, die 2,2 Prozent eines hellgelben ätherischen Öles und ein brennend schmeckendes Harz enthalten, wegen ihres aromatischen Geruches und feurig gewürzhaften Geschmackes seit den ältesten Zeiten in ihrer Heimat Ostindien als Medizin und Gewürz verwendet werden. Im Sanskrit heißt er sringavera. Früh schon wurde er durch den Handel nach Westen gebracht und gelangte um die Wende der christlichen Zeitrechnung durch das Rote Meer zu den Griechen und Römern, die ihn nach der arabischen Bezeichnung zindschebil, d. h. Wurzel von Zindschi, zingiberi nannten und als kostbares Gewürz und Medikament schätzten. Der griechische Arzt Dioskurides, um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr., sagt in seiner Arzneikunde von ihm: „Der Ingwer (zingíberis) ist ein eigentümliches Gewächs, das im troglodytischen Arabien sehr häufig wächst. Das frische Kraut wird gekocht zu vielen Dingen, wie bei uns die Raute (pḗganon) gebraucht, indem man es zu Tränken und gekochten Speisen mischt. Die Wurzeln sind klein wie beim Cypergras (kýpeiros), weißlich, wohlriechend und von pfefferartigem Geschmack. Man wählt zum Gebrauch die nicht von Würmern zerfressenen Wurzeln. Weil sie leicht verderben, werden sie eingemacht und in irdenen Gefäßen nach Italien gebracht; sie sind dann zum Verspeisen fertig und werden samt ihrer Brühe verbraucht. Der Ingwer erwärmt, befördert die Verdauung, ist dem Magen gesund; er wird auch Gegengiften zugesetzt und hat in seiner Wirkung Ähnlichkeit mit dem Pfeffer.“ Auch Plinius sagt in seiner Naturgeschichte: „Der Ingwer, den man zimpiberi oder zingiberi nennt, hat einen pfefferartigen Geschmack, wächst in Arabien und bei den Troglodyten. Das Pfund kostet 6 Denare (= 3.60 Mark).“
Das Ansehen des Ingwers wuchs im Abendlande noch bedeutend im Laufe des Mittelalters, da er als eine der begehrtesten Spezereien des Levantehandels durch die Vermittlung der Araber und Venezianer auf den europäischen Markt gebracht wurde. Aus Italien kam er[S. 558] im 9. Jahrhundert zuerst nach Deutschland und im 10. Jahrhundert nach England. Scribonius Largus nennt ihn gingiber und die heilige Hildegard von Rupertsberg bei Bingen im 12. Jahrhundert ingeber. Später ist er als imber allgemein bekannt und besonders auch von den Ärzten angewandt. Er war damals als Gewürz und Arznei so angesehen, daß in manchen Städten, wie beispielsweise in Basel, die Gasse der Gewürzkrämer nach ihm als einem der wichtigsten Repräsentanten der von jenen geführten Drogen einfach „Imbergasse“ hieß, eine Bezeichnung, die sich hier bis auf den heutigen Tag erhielt. Immerhin wurde sein übermäßiger Genuß von manchen gerügt. So sagt der württembergische Dichter Bebel (1475–1516) von einem Bürgermädchen: „Wein und Gewürze, Zimt, Pfeffer und Ingwer haben ihr Blut verdorben —“.
Die erste direkte Nachricht über die lebende Pflanze stammt vom weitgereisten Venezianer Marco Polo (1256–1323), der 1295 aus China nach seiner Vaterstadt zurückkehrte und später seine Erlebnisse und Beobachtungen zusammenstellte. Um dieselbe Zeit beschrieb sie ein anderer Italiener, Pegolotti, der 1292 bis nach Indien gelangte. Der Spanier Mendoza brachte den Ingwer zu Anfang des 16. Jahrhunderts nach Westindien, und schon 1547 sollen von dort, speziell von Jamaika, 1,1 Millionen kg exportiert worden sein. 1585 begann die Ausfuhr von San Domingo und 1654 diejenige von Barbados nach Spanien. Noch heute wird er in Westindien im großen angebaut; doch ist sein Hauptproduktionsland nach wie vor seine alte Heimat Ostindien geblieben, wo er in ungeheurem Maße verbraucht wird und an Wichtigkeit als Gewürz dem Pfeffer nur wenig nachsteht. Er gilt dort als beinahe so notwendig als das tägliche Brot, da man glaubt, die innern Organe des menschlichen Körpers könnten ohne seine Mitwirkung ihre Tätigkeit nicht ausüben. Trotz dem ungeheuren eigenen Verbrauche führt Ostindien noch jährlich über 5 Millionen kg Ingwer im Werte von 5 Millionen Mark hauptsächlich nach England und seine Kolonien aus, wo er vorzugsweise zur Herstellung des beliebten ginger-ale, d. h. des Ingwerbieres, verwendet wird. Cochinchina führt jährlich 4 Millionen kg Ingwer aus und China, das selbst sehr viel davon konsumiert, beinahe ebensoviel, und zwar meist mit Zucker eingemacht. Auch Jamaika und Sierra Leone exportieren große Mengen. Auch in Afrika wird er vielfach von den Eingeborenen angebaut und gedeiht vorzüglich.
Der Ingwer verlangt neben ausgiebiger Sonnenwärme vor allem[S. 559] große Luftfeuchtigkeit, kann aber keine allzugroße Nässe des Bodens ertragen. Am besten gedeiht er auf lockerem, sandigem, nahrhaftem Lehmboden. Hier wird er in derselben Weise wie die Kurkuma ausschließlich durch Wurzelstöcke vermehrt, die zu diesem Zwecke in kleine Stücke zerschnitten werden. Jedes mit Augen versehene Stück liefert ein neues Exemplar der 1–2 m hohen Pflanze mit zwei Reihen langer, schilfartiger, schmaler Blätter und kleinen, weißen, rotgestreiften oder gelblichweißen und dann violett gefleckten Blüten, die aber infolge der viele Jahrhunderte umfassenden, ausschließlich auf ungeschlechtigem Wege durch Wurzelknollenableger bewirkten Fortpflanzung die[S. 560] Fähigkeit, keimfähigen Samen hervorzubringen, vollständig eingebüßt haben. Die Saatknollen werden im März in Abständen von 30 cm in den meist gutgedüngten Boden gesteckt und liefern nach 9–10 Monaten, während welcher Zeit sie von Unkraut rein gehalten werden müssen, eine reichliche Ernte, die gleich wie bei den Kartoffeln erfolgt. Sobald die Stengel vollständig verwelkt sind, werden die Wurzelstöcke ausgegraben oder ausgepflügt, gereinigt und in Wasser gründlich gewaschen. Um schwarzen Ingwer zu bereiten, der seine Schale behält, werden sie dann durch Kochen während einer Viertelstunde in Wasser ihrer Keimkraft beraubt und abgetötet, dann in der Sonne vollständig getrocknet und sind so versandfähig. Um aber weißen Ingwer herzustellen, sucht man aus den gewaschenen Wurzelstöcken die schönsten aus und schabt mit einem Messer die dunkle Schale vollständig ab. Dabei werden alle Auswüchse und dunkeln Stellen ausgeschnitten. Nach wiederholtem Waschen in kaltem Wasser werden diese nunmehr weiß aussehenden Ingwerknollen an der Sonne getrocknet, wobei sie, der schützenden Schale beraubt, von selbst absterben. Der gezuckerte Ingwer, eine beliebte Delikatesse, die in steigendem Maße nach Europa importiert wird, wird aus den noch weichen, halbreifen Wurzelstöcken gewonnen, kurz bevor die Blütenstengel austreiben. Diese werden nach sorgfältiger Reinigung in lauwarmem Wasser mit heißem Wasser übergossen und dann so lange gesotten, bis sie leicht mit einer Gabel durchstochen werden können. Dann werden sie einen Tag in kaltes Wasser gelegt, mit einem Messer geschabt, wiederum 2 bis 3 Tage in täglich erneutes frisches Wasser getan und mit kochendem Sirup von 1 kg Zucker auf 2 Liter Wasser zweimal in einem Zwischenraum von 2 Tagen übergossen, dann auf Schüsseln oder Hürden gelegt und wie Zitronat getrocknet und verpackt. In Indien und China kommt diese auf der Zunge etwas beißende Spezerei seit sehr langer Zeit als beliebter Leckerbissen in mit Bambus umflochtenen irdenen Töpfen in den Handel und gelangte wohl in ähnlicher Verpackung schon zur römischen Kaiserzeit — wie wir von Dioskurides erfuhren — nach Italien, wo allerdings nur die Reichen seinem Genusse als sehr teure Arznei frönen konnten.
Eine andere Ingwerart Ostasiens, aus der nach dem als Botanikprofessor 1617 in Padua gestorbenen Italiener Prosper Alpini Alpinia genannten Gattung der Liliazeen ist der Galgant (Alpinia officinarum), dessen bis 1 m langer und bis 2 cm dicker braunroter, angenehm gewürzhaft riechender, aber ingwerartig scharf brennender Wurzelstock in[S. 561] 5–10 cm lange Stücke geschnitten heute noch bei uns als aromatisches Mittel zu Likören, Essig usw. dient. Seine ursprüngliche Heimat scheint an der Süd- und Ostküste der chinesischen Insel Hainan zu liegen, wo die Pflanze einzig wild angetroffen wird; doch wurde sie schon im Altertum außer dort auch auf der gegenüberliegenden Halbinsel Leitschou und den benachbarten Küsten, ebenso in Siam angepflanzt und in ganz China als beliebtes Gewürz verhandelt. Auch in Indien wurde sie neben den vorhin genannten Ingwerarten benutzt und erscheint im Ayur veda Susrutas als kula yoga. Ob die alten Griechen und Römer diese Droge schon kannten, ist höchst fraglich, wennschon einige Forscher — wohl mit Unrecht — vermuten, der Cyperus babylonicus des Plinius sei unser Galgant gewesen. Erst die arabischen Ärzte des früheren Mittelalters, von denen der berühmte Razes (eigentlich Muhammed Ibn Zakkaria ar-Râzi, lebte von 850–923 und stellte unter dem zweiten Kalifen aus dem Stamme der Abbasiden, Mansur in Bagdad, das Gesamtgebiet der Medizin dar), dann der ihm ebenbürtige, etwas jüngere Avicenna (eigentlich Ibn Sina, 980–1037, der Verfasser eines Kanons der Medizin, der wie der 9. Band des Werkes von Râzi bis ins 16. Jahrhundert an den europäischen Hochschulen Gegenstand medizinischer Vorlesungen war), ferner Alkindi und andere den Galgant als geschätztes Heilmittel anführen, machten ihn im Abendlande bekannt. Der arabische Geograph Ibn Khurdadbah im 9. und der sarazenische Reisende Edrisi aus Sizilien im 12. Jahrhundert berichten über seine Einfuhr. Der bis nach Ostasien gedrungene Venezianer Marco Polo, der die erste Kunde von der nach ihm zipangu (verdorben aus dem chinesischen dschi-pon-kwo, d. h. Sonnenursprungsland, oder einfach Dschi-pon, woraus die Japaner Nippon als die gebräuchliche Bezeichnung ihres Landes machten) genannten und als sehr goldreich geschilderten „chinesischen Inselwelt“ Japan nach Europa brachte, schreibt nach seiner 1295 erfolgten Rückkehr in seine Vaterstadt über den Anbau der Pflanze in China. Außer dieser kleineren Galgantsorte kannte er bereits eine größere, aus Java stammende, von Alpinia galanga, mit doppelt so dickem, bis 4 cm starkem, heller gefärbtem und weniger aromatischem Wurzelstock, die im europäischen Handel nur wenig angetroffen wird. Auch der Portugiese Garcia da Orta in Goa erwähnte 1563 diese beiden Sorten, eine kleinere aus China und eine größere aus Java. Ähnliches berichten Acosta und Linschotten. Die erste gute Abbildung veröffentlichte der Deutsche in holländischen Diensten Rumphius im Jahre 1754.
Der von den 4–5-, besser aber 10jährigen Pflanzen gewonnene und an der Luft getrocknete Wurzelstock des Galgants wurde etwa gegen das Ende des 8. Jahrhunderts durch arabische Vermittlung als arzneilich geschätzte Pflanze in Deutschland bekannt. Der um die Mitte des 9. Jahrhunderts lebende Bischof Salomo III. von Konstanz erwähnt in einem Formelbuche den Galgant als calanganum. Die heilige Hildegard, Äbtissin des Klosters Rupertsberg bei Bingen im 12. Jahrhundert, behandelt die galgan benannte Wurzel ausführlich als Heilmittel. Die erste Erwähnung des daraus gewonnenen ätherischen Öles findet sich in der Arzneitaxe der Stadt Frankfurt am Main vom Jahre 1587. Erst 1870 wurde durch den Engländer Fletcher Hancé durch das Auffinden der Stammpflanze der kleinen Sorte die früher allgemein geltende Annahme berichtigt, daß beide Sorten von demselben Gewächs abstammen. Die Bezeichnung Galgant soll nach ihm aus dem chinesischen liang-kiang stammen, was so viel bedeutet als „feiner oder milder Ingwer“. Hieraus wurde die arabische Benennung khulendjan bzw. khalangian und aus letzterem unser galanga.
Neben dem Galgant spielte auch der von den Deutschen als Kostwurz bezeichnete Costus besonders als Magenmittel im Mittelalter eine große Rolle. Die Droge stammt von einer 1,5–2 m hohen Ingwerart Ostindiens (Costus speciosus) mit großen, schönen, rötlichweißen wie mit einem rostfarbigen Reif bestreuten Blüten, deren Wurzelstock aber schärfer und bitterer schmeckt als derjenige des Ingwers. Schon im Altertum wurde er neben dem Ingwer viel als Würze und Medizin in die Kulturländer Vorderasiens und am Mittelmeer gebracht. Schon Theophrast erwähnt ihn unter dem Namen kóstos als Gewürz. Dioskurides sagt: „Der beste kóstos kommt aus Arabien, ist weiß, leicht und riecht stark, aber angenehm. Ihm folgt an Güte der indische, der auch leicht, aber dunkelfarbig ist. Die dritte Sorte ist der syrische, der schwer, buchsbaumgelb und von stechendem Geruch ist. Man gebraucht ihn als Arznei. Er wird auch durch Beimischung der stärksten Wurzeln des Alants von Kommagene (in Syrien) verfälscht.“ In seiner Beschreibung der Umschiffung des Roten Meeres sagt der griechische Schriftsteller Arrianus im 2. Jahrhundert n. Chr., daß von Minnagara am Ausfluß des Indus und der südöstlich davon gelegenen Hafenstadt Barygaza kóstos in den Handel gebracht werde. Im Mittelalter befaßten sich besonders die Araber mit dem Zwischenhandel der in Menge nach Europa gebrachten Droge, die heute für uns nur noch historisches Interesse besitzt.
Heute noch von einiger Bedeutung als Gewürz und Heilmittel ist dagegen die Kalmuswurzel, die in derselben Weise wie der Ingwer kandiert besonders in Persien und Arabien als äußerst beliebtes Konfekt gegessen wird. Seit dem frühen Altertum wird der bitter aromatische Wurzelstock des gegenwärtig überall bei uns an den Ufern der Weiher verwildert angetroffenen Kalmus (Acarus calamus), in derselben Weise wie der Ingwer mit Honig oder später Zucker eingemacht, aus Asien importiert. Die Heimat dieser Wasserpflanze ist nach den neueren Untersuchungen zweifellos Südostasien. Die Kalmuspflanze wird nämlich einzig in Südchina und Hinterindien fruktifizierend angetroffen. Am Fuße des Himalaja und von da an westlich setzt sie keinerlei Früchte mehr an und pflanzt sich nur auf ungeschlechtigem Wege durch Wurzelausläufer fort. Die wohlriechende aromatische Kalmuswurzel ist eines der ältesten Gewürze und Heilmittel der südasiatischen Völker. Unter der Sanskritbezeichnung vacha spielte sie in der altindischen Medizin wie später in derjenigen des Morgenlandes eine große Rolle als die Verdauung beförderndes und die Geschlechtstätigkeit anregendes Mittel. Durch den morgenländischen Zwischenhandel gelangte die Droge als Arznei zu den Babyloniern, Ägyptern, Juden und älteren Griechen, denen allen jedoch die Pflanze selbst, von der sie herrührte, völlig unbekannt blieb. Im alten Ägypten treffen wir die Kalmuswurzel unter der Bezeichnung kanna oder heiliges Rohr, auch phönikisches Rohr, da die Phönikier ihnen auf dem Handelswege diese orientalische Ware geliefert zu haben scheinen. Sie wird in fast allen in den hieroglyphischen Texten uns erhaltenen Parfümrezepten und in zahlreichen Arzneirezepten erwähnt, ebenso gebrauchten sie die Juden unter demselben Namen kanna; so wird sie schon in der von Jahve Mose um 1280 v. Chr. am Sinai gegebenen Vorschrift zum heiligen Salböl erwähnt, das aus den edelsten Myrrhen und Kassie zu 500 Sekel und Zimt und Kalmus zu 250 Sekel in einem Hin Olivenöl vermischt werden sollte. Damit sollte die Bundeslade und sollten alle heiligen Geräte samt der Stiftshütte gesalbt werden.
Noch der große Pflanzenkenner Theophrast sagt zu Beginn des 3. vorchristlichen Jahrhunderts von ihrer Herkunft: „Der Kalmus (kálamos, gleichbedeutend mit Schilf) wächst jenseits des Libanon in einem großen Sumpf und erfüllt, wenn er trocken ist, die Luft mit Wohlgeruch.“ Zu jener Zeit hatten die Griechen bei Gelegenheit von Alexanders des Großen Siegeszug nach dem fernen Osten die damals bereits in Westasien angesiedelte Pflanze kennen gelernt. Der aus[S. 564] Kilikien gebürtige griechische Arzt Dioskurides und der römische Naturforscher Plinius, die beide um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. lebten, kennen näher bei Europa gelegene Fundorte der Pflanze als Syrien. Ersterer weiß einen Standort derselben in Kleinasien und letzterer außer in Galatien auch auf Kreta. Plinius fügt dem hinzu: „Der meiste Kalmus (acoron) wächst in Kolchis, sowohl am Flusse Phasis, als auch überall in den Gewässern. Frisch hat die Wurzel mehr Kraft als alt. Die kretische ist weißer als die pontische. Man schneidet sie in fingerlange Stücke und trocknet sie im Schatten“, und Dioskurides sagt, daß der aromatische kálamos Blätter wie die Schwertlilie (íris) habe und daß der wohlriechende den Magen erwärme und gegen viele innere Leiden gut sei.
Erst ums Jahr 1557 wurde der Kalmus in Mitteleuropa eingeführt. Die erste Beschreibung und Abbildung der Pflanze, die er acorum nannte, gab in einem 1565 erschienenen Buche der italienische Botaniker Pierandrea Matheoli. Dieser hielt sich von 1554–1577 in Prag auf und erhielt eine getrocknete Kalmuspflanze vom Gesandten des deutschen Kaisers Ferdinand I. am türkischen Hofe in Konstantinopel, Ghislenius Busbequius, die dieser in einem großen See bei Nicomedia in Bithynien gesammelt hatte. Bald darauf wurde die Pflanze von dem damals als Hofbotaniker in Wien lebenden Clusius (Charles de l’Ecluse), der sie 1574 aus Konstantinopel lebend erhalten hatte und in der Kaiserstadt an der Donau kultivierte, an die verschiedenen botanischen Gärten Mitteleuropas versandt und verbreitete sich von da aus überallhin, um bald, der menschlichen Pflege sich entziehend, zu verwildern. Im Jahre 1588 gab Camerarius an, daß Acorus erst seit einigen Jahren in die Gärten eingeführt sei, jedoch häufig in Lithauen und den pontischen Ländern wachse. 1611 wird in der dritten Auflage seines Kräuterbuchs von demselben Autor Pontus, Galatien und Kolchien als das Vaterland der Pflanze angegeben. 1590 verpflanzte Kaspar Bauhins Sohn Johann die Kalmuspflanze von Basel nach Montbéliard, und 1591 verbreitete sie Sebitz bei Straßburg. Seitdem die Pflanze in Mitteleuropa gedieh, machte man einen Unterschied zwischen asiatischer und europäischer Kalmuswurzel. Erst am Ende des 17. Jahrhunderts erkannte man, daß die Wurzel der bei uns wachsenden Pflanze der asiatischen gleichwertig sei. Die erste gute Abbildung der Pflanze lieferte Rheede in seinem von 1678 bis 1703 erschienenen Hortus malabaricus. 1697 wird in der Apothekertaxe des Rates von Halberstadt neben dem indischen Kalmus[S. 565] auch der einheimische, und zwar beide zu gleichen Preisen, angeführt. Das ätherische Öl findet sich zuerst 1582 in der Taxe der Stadt Frankfurt am Main erwähnt. Heute findet sich der Kalmus nicht bloß in ganz Europa, sondern auch in Nordamerika, wo er im 18. Jahrhundert eingeführt wurde, wildwachsend und bringt überall seine zwitterigen Blüten, niemals aber Früchte hervor. Diese rasche Verbreitung der Pflanze hängt mit den offizinellen Eigenschaften ihrer Wurzel zusammen, die noch von der heutigen Medizin gewürdigt werden. Sie enthält außer ätherischem Öl einen Bitterstoff und zwei Alkaloide (Calamin und Cholin) und wird außer als Magenmittel auch zur Likörfabrikation verwendet.
Eine sehr viel wichtigere Arzneidroge und sehr geschätztes Gewürz Südasiens, das heute noch eine große Bedeutung für Europa hat, ist der Zimt, der von einer in den Bergwäldern Ceylons heimischen Lorbeerart gewonnen wird. Der Zimtbaum (Cinnamomum ceylanicum) ist ein in der Wildnis, wo er nicht beschnitten wird, 6–10 m Höhe und einen Stammdurchmesser von 45–52 cm erreichender immergrüner Baum von unregelmäßigem Wuchs, dessen knotige Äste sich wagerecht ausbreiten. In den Zimtgärten baut man ihn als 3–4 m hohen Strauch, weil die dünnen Zweige der Sträucher einen feineren Zimt geben als die starken Äste der Bäume. Die glatte Rinde ist außen graubraun, innen gelblichrot; an jungen Schößlingen ist sie manchmal grün oder gelbgefleckt. Die glatten, lederartigen, dunkelgrünen Blätter sind eiförmig, 10–15 cm lang, stumpf zugespitzt und von fünf Hauptadern durchzogen. Bei ihrer Entfaltung sind sie rot[S. 566] angehaucht, färben sich dann gelb, olivengrün und schließlich dunkelgrün. Die in Rispen geordneten Blüten sind außen seidenhaarig, weißlich und innen gelbgrün gefärbt und strömen zur Blütezeit im Januar und Februar einen schwachen, nicht allen Menschen angenehmen Geruch aus. Die Früchte sind einsamige, in reifem Zustande braune Beeren mit einem dünnen Überzug von Fruchtfleisch.
Der Baum ist in allen seinen Teilen nützlich. Aus den Wurzeln kann Kampfer gewonnen werden, das Holz nimmt eine schöne Politur an und wird viel in der Tischlerei verwendet. Aus den Blättern, die wie Gewürznelken schmecken und einen aromatischen Geruch ausströmen, wenn sie zerquetscht worden, wird ein geschätztes Parfüm destilliert; ein weniger beliebtes Parfüm liefern die Blüten. Durch Auskochen kann aus den Früchten Pflanzentalg gewonnen werden. Die Rinde dient als geschätzte Arznei und Gewürz. Aus den Schößlingen endlich werden Spazierstöcke verfertigt.
In seiner Heimat Ceylon wurde der Zimt bis zum Jahre 1770 ausschließlich von wildwachsenden Bäumen gewonnen. Seitdem wird er durch Samen oder Stecklinge in Plantagen kultiviert, die jährlich behackt und sorgfältig von Unkraut freigehalten werden. Dadurch wird eine viel bessere Qualität als die von Wildlingen erzielt; doch eignet sich zu seiner Kultur nur ein 20 km breiter Küstenstreifen im Südwesten der Insel bis zu 500 m Meereshöhe. Die Anbauversuche in anderen Tropengebieten haben vielfach fehlgeschlagen; nur das Kamerungebiet scheint in einer Höhe von 500–1000 m günstige Verhältnisse darzubieten. Am besten geeignet zu seiner Kultur ist sandiger, mit Humus vermischter, kieselsäurereicher Boden; nur auf ihm erzeugt er eine hellfarbige, dünne, aromatische Rinde. Wie anderer, besonders zu fetter und zu nasser Boden, so beeinträchtigt auch zu üppiges, ebenso ein kümmerliches Wachstum die Qualität der Rinde, die dann dunkler, dick und arm an Aroma wird. Meist geschieht der Anbau des rascheren Ertrages wegen durch Stecklinge, die man 3 m weit auseinander in Reihen, zwischen denen Gänge hindurchführen, pflanzt. Den jungen Sträuchern ist eine leichte Beschattung nötig. Haben die Stämmchen nach 3–4 Jahren eine Länge von gegen 3 m erreicht, so werden sie 10–15 cm über dem Boden abgeschnitten. Diese Erstlingsernte steht an Menge erheblich und auch an Güte etwas den folgenden Ernten nach. Aus dem Stumpf treibt nun bald eine ganze Anzahl von Schößlingen aus, von denen man aber nur vier bis sechs sich entwickeln läßt. Nach 1½–2 Jahren werden auch diese geerntet,[S. 567] sobald die grünlichgraue Farbe der Rinde beginnt, einen bräunlichen Ton anzunehmen. Die Arbeiter in den Zimtplantagen haben auch sonst noch allerlei Merkmale, an denen sie den richtigen Zeitpunkt der Ernte erkennen. Zweimal im Jahr, jedesmal nach der Regenzeit, wenn der Saftumlauf in den Zimtbäumen den höchsten Grad erreicht hat, werden die Pflanzungen besichtigt und ihre reifen Schößlinge ausgehauen. In Ceylon sind Mai-Juni und Oktober-November die beiden Erntemonate für Zimt, und zwar wird dem Mai der Vorzug gegeben, weil die Schößlinge dann saftreicher sind und sich infolgedessen leichter schälen lassen.
Mit einem Haumesser bewaffnet durchsuchen die Arbeiter die Zimtpflanzung nach reifen Schößlingen, die ungefähr 1,5 cm Durchmesser besitzen. Bevor solche abgeschlagen werden, ritzt man die Rinde an einer Stelle mit dem Fingernagel, um zu sehen, ob sie sich leicht vom Holz löst. Bleibt die Rinde zäh am Holz hängen, so wird der betreffende Schößling geschont, bis er, wenn möglich, das nächste Mal ein befriedigenderes Resultat liefert, oder, falls dies nicht der Fall und der richtige Zeitpunkt der Ernte überschritten ist, dennoch abgehauen und als alte Rinde in die Destillerie gegeben wird.
Jeder Arbeiter schneidet soviel Stücke ab, als er in einem Bündel zu tragen vermag. Dann werden die abgehauenen Schößlinge in der Plantage selbst von den Blättern und kleinen Zweigen befreit und nach einem Schuppen gebracht, wo sie in der Weise geschält werden, daß in ihre Rinde zwei Längsschnitte an einander gegenüberstehenden Stellen und außerdem in Abständen von 30–50 cm einige Rundschnitte gemacht werden. Mit Hilfe eines kleinen, sichelförmigen Messers, das zwischen Holz und Rinde geschoben wird, geht dann das Schälen leicht von statten. Bleibt die Rinde an einer Stelle hängen, so reibt man sie an der betreffenden Stelle auf der Außenseite mit dem Messerstiel so lange, bis sie sich löst. Mehrere der Rindenstücke werden dann ineinander gesteckt, diese Ruten dann zu dicken Bündeln zusammengeschnürt, diese auf Haufen gelegt und mit Tüchern bedeckt, um wenigstens 24 Stunden so zu verbleiben. Dadurch tritt eine Art Gärung ein, welche das Abschaben der geruch- und geschmacklosen äußeren Rindenschicht oder Borke sehr erleichtert. Dieses Abschaben geschieht vermittelst des vorhin erwähnten gekrümmten Messers. Dabei werden die Rindenstücke mit der Innenseite auf einen glatten Stab gelegt, der eine solche Dicke hat, daß das Rindenstück glatt auf ihm aufliegen kann. Diese Arbeit erfordert viel Geschicklichkeit und[S. 568] Übung; denn, wenn ein Rest von Borke zurückbleibt, gewinnt der Zimt einen bitteren Geschmack. Andererseits dürfen keine Löcher in die Rinde geschabt werden, trotzdem sie oft auf nur ¼ mm Dicke gebracht werden muß. Nachdem die geschabten Stücke oberflächlich getrocknet sind, werden sie zu etwa 1 m langen Ruten zusammengesteckt (lateinisch canella Röhrchen genannt, weshalb der Zimt die Bezeichnung Kaneel erhielt), oben und unten auf die richtige Länge geschnitten, auf Regalen getrocknet, wobei sich die einzelnen Rindenstücke zur Form eines Zylinders zusammenrollen und die Rute einige Festigkeit erhält. Zuletzt wird der Zimt sortiert und zur Verschiffung in ungefähr 45 kg schwere Ballen verpackt. Die minderwertige Rinde und aller Abfall, bisweilen sogar die Blätter, wandern in die Destillerie, um das als Heilmittel wichtige Zimtöl daraus zu gewinnen. In Ceylon, dessen Zimtkulturen fast den gesamten Zimtbedarf der Erde decken, rechnet man auf das Hektar etwa 180 kg marktfertigen Zimt; doch kann dieser Betrag bei sorgfältiger Pflege und Erntebereitung erheblich überschritten werden. Der Ceylonzimt ist weitaus der beste, da der ceylonische Zimtbaum bei der Kultur in anderen Ländern überall ausartet. Der nach dem Verschiffungshafen Tellichery an der Malabarküste genannte südindische Zimt ist auch sehr gut. Zweiter Güte ist der javanische und dritter der amerikanische Zimt aus Französisch-Guiana und Brasilien. Bis jetzt haben die Anbauversuche dieses Gewürzbaumes weder in Kamerun, noch in Deutsch-Ostafrika, wo er ganz gut gedeiht, nennenswerte Erträge gebracht.
Die ceylonischen Zimtgärten nehmen ungefähr 13500 Hektare ein, und liefern jährlich etwa 900000 kg Zimt im Werte von 9 Millionen Mark. Von der Ausfuhr gehen 80–90 Prozent nach England. Cochinchina baut nordwestlich der Stadt Taifu etwa 150000 kg Zimtrinde, die meist die Chinesen an sich ziehen. Im ganzen dürfte die jährliche Ernte echten Zimts 1,5 Millionen kg nicht überschreiten. Feiner Ceylonzimt wird in London durchschnittlich mit 2 Schilling (2 Mark) das Pfund bezahlt, während Zimt anderer Herkunft nur 10 Pence (0,85 Mark) gilt. Kassienzimt ist um vier Fünftel billiger als Ceylonzimt.
Dieser letztere, meist nur Kassia genannt, stammt von verschiedenen, dem echten Zimtbaum sehr ähnlichen, nur etwas größer und kräftiger werdenden Verwandten derselben Gattung Cinnamomum, die in Hinterindien und Südchina wild wachsen und dort, wie auch in Ostindien und dem malaiischen Archipel, neuerdings auch in Süd- und[S. 569] Mittelamerika kultiviert werden. Die häufigst angepflanzte Art ist Cinnamomum cassia. Dieser Baum wird in derselben Weise, nur nicht so sorgfältig wie der echte Zimt kultiviert. Er findet sich außer in Cochinchina besonders in den südchinesischen Provinzen Kuang-si, Kuang-tung und Kuei-tschou angepflanzt. Von hier stammt weitaus der größte Teil der als chinesischer Zimt bezeichneten Kassia, den die Kulturländer verbrauchen. Nächstdem kommt Bengalen und Malabar in Britisch-Indien und Java und Sumatra in Holländisch-Indien. Gute Kassia ist ein billigerer Ersatz des teuren, echten Ceylonzimts und wird häufig unter dessen Namen in den Handel gebracht. Sie ist dicker und kräftiger als Zimt, bricht kürzer, schmeckt beißender und ist ärmer an Aroma. Diese Unterschiede verschwinden um so mehr, je feiner die Kassia und je geringer der Zimt ist. Besonders in gemahlenem Zustand wird Kassia sehr häufig als Zimt verkauft, oder kommt mit Zimt vermischt als reiner Zimt in den Handel. Die Kassiablüten haben einige Ähnlichkeit mit den Gewürznelken, sind nur etwas kleiner. Sie stellen die in der Sonne getrockneten, ganz jungen Früchte des besonders in Südjapan kultivierten Cinnamomum dulce bald nach dem Verblühen der Blüten dar und werden gleicherweise wie die Rinde als Arznei und Gewürze verwendet. Als Zimtnägelein standen sie im Mittelalter hoch im Preise und wurden besonders zur Herstellung des als Hippokras bezeichneten Würzweins benutzt. Die Kultur und Ernte der Zimtkassia ist ganz analog derjenigen des echten Zimts.
Die Kassia wird seit Urzeiten vom alten Kulturvolke der Chinesen als geschätzte Arznei und Würze verwendet. Schon in einem auf den chinesischen Kaiser Schen-nung ums Jahr 2800 v. Chr. zurückgeführten Kräuterbuche wird sie unter dem Namen kwai angeführt, der sich in China unverändert bis heute für Zimt erhalten hat. Sie ist es auch, welche unter dem heute noch gebräuchlichen Namen kasia neben dem echten Zimt schon im frühen Altertum auf dem Seewege an die Küsten des Roten Meeres gebracht und von dort aus an die Kulturvölker im Bereiche des östlichen Mittelmeerbeckens weiter verhandelt wurde. In einem uralten, an der Wand des Laboratoriums des Tempels von Edfu (18. Dynastie 1580–1350 v. Chr.) in Hieroglyphen eingemeißelten Rezept zu heiligem Räucherwerk wird Zimt als kainamaa aufgeführt. Und als die unternehmende Tochter und Erbin des ägyptischen Königs Thutmosis I., Hatschepsut, die mit ihrem Halbbruder Thutmosis II. verheiratet war und nach dessen Tode von 1516–1481 v. Chr. selbständig über Ägypten herrschte, im 9. Jahre ihrer Regie[S. 570]rung eine Expedition von fünf Schiffen nach dem Lande Punt (Südarabien) sandte, brachte diese außer Weihrauch, Gold und Elfenbein auch Zimt in größerer Menge nach der Residenz Theben mit. Da nun im Lande Punt kein Zimt wuchs, müssen ihn indische Handelsschiffe dahin gebracht haben.
Zu Ende des zweiten vorchristlichen Jahrtausends war der Zimt als kostbarer Handelsartikel Vorderasiens auch den Juden und den Phönikiern unter dem Namen kinnamon bekannt. So lesen wir in dem zur Zeit der israelitischen Könige, deren drei erste Saul (1055 bis 1033 v. Chr.), David (1033–993) und Salomo (993–953) waren, verfaßten Pentateuch im 2. Mose 30, 22 u. f. welche Wertschätzung dieses ferne Produkt Indiens bei den ältesten Juden besaß. Dort heißt es: „Und der Herr (Jahve) redete mit Mose (am Sinai um 1280 v. Chr.) und sprach: Nimm zu dir die besten Spezereien 500 (Sekel) und Zimt halb soviel, nämlich 250, und Kalmus auch 250, und Kassia 500 nach dem Sekel des Heiligtums und Öl vom Ölbaum 1 Hin, und mache ein heiliges Salböl nach der Apothekerkunst und salbe damit die Hütte des Stifts und die Lade des Zeugnisses, den Tisch mit all seinem Geräte, den Leuchter mit seinem Geräte, den Räucheraltar, den Brandopferaltar mit all seinem Geräte und das Handfaß mit seinem Fuß; und sollst sie also weihen, daß sie das Allerheiligste seien, denn wer sie anrühren will, der soll geweiht sein. Und sollst mit den Kindern Israels reden und sprechen: Dieses Öl soll mir eine heilige Salbe sein bei euren Nachkommen. Auf Menschen soll es nicht gegossen werden, du sollst auch seinesgleichen nicht machen; denn es ist heilig, darum soll’s euch heilig sein. Wer ein solches (Öl) machet oder einem andern davon gibt, der soll von seinem Volk ausgerottet werden.“
Dann findet sich der Zimt in der den Sprüchen Salomos nachgeahmten „Weisheit Jesu, des Sohnes Sirach“, die ein gelehrter jüdischer Priester von angesehener Lebensstellung ums Jahr 180 v. Chr. in Alexandrien in griechischer Sprache verfaßte, und in der im Jahre 68 auf 69 n. Chr. in Ephesus ebenfalls griechisch abgefaßten Offenbarung des Johannes erwähnt, und zwar in letzterer Schrift dort, wo von den Waren die Rede ist, die die Kaufleute Babylons verkaufen: Silber, Gold, Edelstein, Perlen, Seide, Purpur und Scharlach, Zimt, Weihrauch, Thymian, Salben, Wein, Öl, Weizen, Vieh usw.
Phönikische Kaufleute brachten den Zimt unter der von ihnen dafür gebrauchten Bezeichnung kinnamon zu den Griechen und müssen[S. 571] ihnen dabei recht abenteuerliche Geschichten über dessen Herkunft und Gewinnung erzählt haben; denn gleich der erste griechische Schriftsteller, der diese kostbare, als Gewürz und Arznei gleich hochgeschätzte Droge erwähnt, der Vater der griechischen Geschichtschreibung Herodot (484 bis 424 v. Chr.), der selbst Ägypten, Syrien und Babylonien bereiste, schreibt über ihn: „Die Araber sind nicht imstande anzugeben, in welchem Lande der Zimt (kinnámōmon) wächst, doch vermuten einige, er wachse in den Ländern, in denen Dionysos (der angeblich aus Indien stammende, über Kleinasien nach Griechenland gekommene orientalische Gott des Natursegens und der bei seinen Festen zum Ausdruck kommenden ausgelassenen Lebensfreude) erzogen worden. Große Vögel brächten die Späne herbei, welche die Phönikier kinnámōmon nennen, welchen Namen wir von ihnen entlehnt haben. Die Vögel trügen den Zimt in ihre an unzugängliche Felsen gebauten Nester. Um ihn nun von da zu bekommen, legten die Araber große Stücke Fleisch von krepierten Rindern, Eseln usw. unter die Felsen und versteckten sich dann. Die Vögel trügen die Fleischstücke in ihre Nester und überlüden sich so damit den Magen, daß sie herunterstürzten, worauf der Zimt gesammelt und nach den anderen Ländern hin verhandelt würde.“
Noch Aristoteles (384–322 v. Chr.), seit 343 Lehrer Alexanders des Großen, — sein Vater Nikomachos war in Stagira in Makedonien Leibarzt und Vertrauter des Königs Amyntas II. von Makedonien gewesen — meldet uns solche zu seiner Zeit herum gebotene und geglaubte Märchen, indem er in seiner Naturgeschichte sagt: „Das Zimtvögelchen soll in den Gegenden, wo es heimisch ist, Zimt zusammentragen und sein Nest daraus auf den Zweigen hoher Bäume bauen. Die Bewohner des Landes sollen es von da mit Pfeilen, deren Spitze von Blei ist, herabschießen und so den Zimt gewinnen.“ Sein Schüler Theophrast (390–286 v. Chr.) weiß uns, nachdem inzwischen Alexander der Große seinen Zug nach Indien ausgeführt hatte, schon Positiveres über den Zimt, wie auch über Kassia zu berichten. Er schreibt in seiner Pflanzengeschichte: „Über Zimt (kinnámōmon) und Kassia (kasia) berichtet man folgendes: Beide sollen Sträucher von unbedeutender Höhe, dabei dem Keuschbaum (ágnos, Vitex agnus castus) ähnlich sein und viele holzige Zweige haben. Wenn man den ganzen Zimtbaum fällt, so soll man ihn in fünf Teile teilen. Die jungen Triebe sollen den besten Zimt geben und man schneidet davon Stücke eine Spanne lang oder wenig länger. Was darunter folgt gibt die zweite Sorte und[S. 572] wird kürzer geschnitten; dann folgt die dritte und vierte Sorte. Die letzte Sorte ist der Wurzel am nächsten und die schlechteste; denn da ist wenig Rinde. Überhaupt wird nur die letztere gebraucht, nicht das Holz. Deswegen sind eben die Zweige am besten; denn sie haben die meiste Rinde.
Andere behaupten ebenfalls, es seien Sträucher, aber es gebe eine weiße und schwarze Sorte. Es geht auch die Sage, daß sie in Schluchten wachsen, worin viele Schlangen leben, deren Biß tödlich ist. In diese Schluchten gehe man zum Sammeln des Zimts mit geschützten Händen und Füßen. Das Gewonnene teile man in drei Teile, bestimme den einen für den Sonnengott und entscheide durch das Los, welchen er bekommen solle. Gehen die Leute fort, so soll der dem Sonnengott zuteil gewordene Zimt sogleich verbrennen. Das ist aber natürlich nur Fabel.
Von der Kassia sagt man, sie habe dickere Ruten, deren Rinde man nicht abschälen könne. Deswegen verfahre man, da man auch von ihr nur die Rinde will, folgendermaßen: Man schneidet die Ruten in Stücke, welche zwei Finger lang oder etwas länger sind. Diese näht man in eine frische, abgezogene Tierhaut; dann erzeugten sich aus der Fäulnis der Haut und des Holzes Würmer, die das Holz wegfräßen, die Rinde aber wegen ihres scharfen Geruches und ihrer Bitterkeit nicht anrühren.“
Um 50 v. Chr. berichtet uns der griechische Geschichtschreiber Diodoros aus Sizilien in seinem Geschichtswerk: „In Arabien wachsen Costus, Kassia, Zimt und andere Herrlichkeiten in solcher Menge, daß man dort Dinge, die man bei uns nur sparsam auf die Altäre der Götter legt, zum Heizen der Kochherde verwendet, und daß Dinge, die man anderwärts nur in kleinen Proben sieht, dort als Streu für die Leute gebraucht werden. Namentlich wächst in Arabien der sogenannte Zimt, ein ausgezeichnet nützlicher Stoff, nebst Gummi und wohlriechendem Terpentin in unermeßlichem Überfluß.“
Auch der 25 n. Chr. gestorbene griechische Geograph Strabon, der weite Reisen durch das Römerreich machte, war noch im Wahn befangen, daß das Glückliche Arabien, das doch nur den Zimt und die anderen Gewürze von Indien her bezog, solchen selbst hervorbringe. Er sagt in seinem Geographiebuch: „Im arabischen Gewürzland soll Weihrauch und Myrrhe von Bäumen, Kassia aber von Sträuchern gewonnen werden, die meiste Kassia jedoch, wie manche behaupten, aus Indien. Es wächst in diesem Gewürzland auch Zimt und Narde; den meisten[S. 573] Wein gewinnt man dort von Palmen.“ Und an einer anderen Stelle schreibt er: „Daß der Nil zu der Zeit schwelle, wo das oberhalb Ägyptens liegende Negerland von Platzregen überschwemmt wird, hat man von Leuten erfahren, die im Arabischen Meerbusen bis zum Zimtlande geschifft sind, oder von solchen, die von den Ptolemäern auf die Elefantenjagd ausgesandt wurden.“
Der um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. lebende griechische Arzt Dioskurides zählt verschiedene Sorten Zimt und deren Eigenschaften auf und meint, die beste müsse eigentümlich wohlriechen und scharf, fast beißend und erhitzend schmecken. Er werde als Arznei, als Parfüm für Salben und sonst zu gar mancherlei Zwecken gebraucht. Sein Zeitgenosse Plinius, der 79 n. Chr. beim Vesuvausbruch umkam, war schon besser als seine griechischen Vorgänger unterrichtet. Er schreibt in seiner Naturgeschichte: „Zimt (cinnamomum) und Kassia (casia) trägt Arabien nicht. Übrigens haben die alten Schriftsteller und namentlich Herodot über den Zimt allerlei Fabeln berichtet, so z. B. daß er in der Heimat des Bacchus von unzugänglichen Felsen und Bäumen aus dem Neste des Vogels Phönix teils durch das Gewicht hineingetragenen Fleisches herabgestürzt, teils mit Pfeilen herabgeschossen werde. Ferner müsse man an den dortigen Sümpfen, um die Kassia zu gewinnen, gegen die Krallen gräßlicher Fledermäuse und gegen geflügelte Schlangen kämpfen. Das sind nun lauter Fabeln, durch die man den Preis der Ware zu steigern suchte. Es schließt sich an die genannte Sage noch eine zweite, daß nämlich durch die Hitze der südlichen Sonne auf der ganzen Halbinsel ein unbeschreiblicher Wohlgeruch erzeugt werde, in welchem sich die Würze und Balsamdüfte so vieler Pflanzen vereinten, daß z. B. die Flotte Alexanders des Großen auf hohem Meere die Nähe Arabiens zuerst durch den Geruch entdeckt habe. Lauter Erdichtung! Denn Zimt und Kassia wachsen im Lande derjenigen Neger, welche mit den Troglodyten verwandt sind. Die Troglodyten kaufen den Zimt von ihren Nachbarn und verhandeln ihn weithin übers Meer auf Flößen, welche weder durch Steuerruder gelenkt, noch durch Ruder oder Segel in Bewegung gesetzt, ja nicht einmal durch den Verstand der Menschen regiert werden, sondern nur auf gut Glück drauflos fahren. Sie gehen übrigens Mitte Winters in See, zur Zeit da vorzüglich Südostwinde wehen. Diese treiben sie geradewegs durch die Meerbusen hin, und nach der Fahrt um das Vorgebirge führt sie der Westsüdwest in den Hafen der Gebaniter, welcher Ocilia heißt. So kaufen denn die Gebaniter vorzugsweise den[S. 574] Zimt auf und sagen, die Zimtverkäufer kämen in fünf Jahren kaum einmal und viele von ihnen verunglückten. Für den Zimt tauschen die Troglodyten Glas- und Bronzewaren, Kleider, Spangen und Geschmeide ein.
Der Zimtstrauch wird höchstens 2 Ellen, mindestens aber 1 Hand hoch und sieht wie vertrocknet aus. So lange er grün ist, hat er keinen Wohlgeruch; er hat Blätter wie der Dosten (origanum), steht gerne trocken, wächst bei starkem Regen schlecht, verträgt den Schnitt gut. Er wächst in Ebenen, aber zwischen dichtem Dornengebüsch, so daß man ihm schwer beikommt. Die Ernte wird nur vorgenommen, wenn ein Gott es erlaubt, welchen die Eingeborenen Assabinus nennen, manche aber für den Jupiter halten. Die Erlaubnis zur Ernte gibt der Gott nur gegen ein Opfer von 44 Rindern, Ziegen und Widdern. Vor Aufgang der Sonne und nach deren Untergang darf nicht geschnitten werden. Der Priester des Gottes teilt die Zweige mit einer Lanze, sondert den Anteil des Gottes aus; das übrige verpackt der Kaufmann. Nach anderen Angaben bekommt jener Gott ein Drittel, ein anderes die Sonne, ein Drittel der Kaufmann. Über die drei Teile soll zweimal gelost werden; der Anteil der Sonne soll von selbst in Flammen aufgehen. Am höchsten im Preise stehen die Zweigenden, welche in Stücke von Handlänge geschnitten sind; für geringer gelten die hinter jenen stehenden, kürzer geschnittenen Stücke. Am wenigsten werden die der Wurzel zunächst stehenden Teile geschätzt; denn sie haben am wenigsten Rinde, und gerade in der Rinde liegt der Wert. Das Holz des Zimtstrauchs wird verachtet, weil es scharf und nach Dosten riecht. Man nennt es xylocinnamomum und bezahlt das Pfund mit 10 Denaren (6 Mark).
Manche unterscheiden eine hellere und eine dunklere Sorte von Zimt. Früher gab man ersterer den Vorzug; jetzt gilt die dunkle und sogar die gefleckte für besser. Am sichersten kann man den Zimt für gut erklären, wenn er nicht rauh ist und wenn gegeneinander geriebene Stücke nur langsam zerbröckeln. Weiche oder mit loser Oberhaut überzogene Stücke achtet man gar nicht. Den Preis des Zimts bestimmt einzig der König der Gebaniter. Das Pfund galt sonst 1000 Denare (600 Mark). Jetzt ist er um die Hälfte im Preise gestiegen, weil die Barbaren, wie man erzählt, ganze Wälder abgebrannt haben; aus welchem Grunde weiß man nicht sicher. Es gibt auch Schriftsteller, welche behaupten, daß die Südwinde im Zimtlande so heiß wehen, daß sie im Sommer die Wälder versengen.
Kaiser Vespasian (geb. 9 n. Chr., wurde 69 nach Othos Sturz von seinen Legionen zum Kaiser ausgerufen, bestieg den Thron, nachdem sein Legat Antonius Primus den Kaiser Vitellius gestürzt hatte, schloß 71 den Janustempel, starb 79) ist der erste gewesen, welcher in allen Tempeln des Kapitols und im Friedenstempel in Gold gefaßte Zimtkränze aufhing. Ich habe auch eine sehr schwere Wurzel des Zimtstrauches im Palatinischen Tempel gesehen, den Augusta (dritte Gemahlin des Augustus, 38 v. Chr. von Tiberius Claudius Nero geschieden, übte großen Einfluß auf Augustus aus, sicherte ihrem Sohne Tiberius die Nachfolge durch Wegräumung mehrerer Glieder des julischen Geschlechts, hieß eigentlich Livia Drusilla, erhielt aber 14 n. Chr. im Todesjahre des Augustus den Namen Julia Augusta, d. h. „die erhabene Julia“, starb 29) ihrem Gemahl Augustus erbaut hat. Die Wurzel lag auf einer goldenen Schale. Jahr für Jahr drangen Tropfen aus ihr hervor und verhärteten, bis der Tempel von einer Feuersbrunst verzehrt wurde.“ Weiter berichtet Plinius:
„Auch die Kassia ist ein Strauch, der auf Ebenen neben dem Zimte wächst, auf Bergen aber stärkere Triebe bildet. Die Schale ist dünn, bildet keine eigentliche Rinde und wird um so höher geschätzt, je zarter sie ist, was sich beim Zimt gerade umgekehrt verhält. Der Strauch wird 3 Ellen hoch und hat 3 verschiedene Farben. Schlägt er aus, so ist er einen Fuß hoch weiß, einen halben Fuß höher rot, weiter hinauf dunkelfarbig. Dieser Teil wird am höchsten geschätzt, der rote geringer, der weiße gar nicht. Am wertvollsten ist die frische Kassia, welche einen sanften Geruch und mehr einen brennenden, als allmählich erwärmenden und sanft beißenden Geschmack hat, an Farbe purpurbraun, an Gewicht leicht ist und kurze, nicht zerbrechliche Röhrchen bildet. Man nennt diese Sorte mit einem ausländischen Namen lada, eine andere heißt von ihrem balsamischen Geruch balsamodes; sie ist aber bitter, wird mehr von Ärzten gebraucht, wie die dunkelfarbige zu Salben. Keine andere Ware hat so verschiedene Preise. So kostet das Pfund bester Kassia 50 Denare (30 Mark), geringere nur 5 Denare (3 Mark).“
Neben Zimt und Kassia hat übrigens schon das Altertum aus Indien die wohlriechenden Blätter und wohl auch die Rinde einer von uns als Mutterzimt (Cassia tamala) bezeichneten Kassienart bezogen, die als malabáthron bei den Griechen und Römern als kostbares Parfüm sehr beliebt waren. Aus ihnen wurde auch eine viel begehrte Salbe hergestellt, die an Beliebtheit fast die berühmte indische Nardensalbe erreichte. Der griechische Schriftsteller Arrianus, der im Jahre 136 unter[S. 576] Hadrian Präfekt von Kappadokien war und unter Mark Aurel starb, sagt in seinem Bericht über die Umschiffung des Roten Meeres, daß viele Schiffe nach dem am Südwestufer Indiens gelegenen Handelsplatz Nelecynda fahren, weil dort Pfeffer und malabáthron in Menge und besonderer Güte zu haben seien.
Wie diese kostbaren Gewürze vom Persischen Golf nach Babylonien gelangten, so wurden sie über das Rote Meer und Alexandrien nach den Mittelmeerländern ausgeführt. Und als später die Droge durch die Wirren der Völkerwanderung immer seltener und unerschwinglicher wurde, bedienten sich besonders die Ärzte ihrer als wertvolle Arznei. So ging durch sie das lateinische cinnamomum ins mittelhochdeutsche cinment, weiter Zimmet und schließlich das neuhochdeutsche Zimt über. Ein großer Teil der Ware muß aber zu Beginn des Mittelalters aus China bezogen worden sein, welche Tatsache allein uns den bei den Persern und Arabern üblichen Ausdruck dar Chini (Holz von China) für Zimt und Kassia erklärlich macht. Später nannten die Venezianer und Portugiesen den Zimt wie jede aromatische Rinde canella, welcher Ausdruck dann als canelle ins Französische überging.
Die Zimtwälder um Kolombo auf Ceylon werden erst im Jahre 1340 von dem 1302 in Tanger geborenen, bis China und Südasien vorgedrungenen arabischen Reisenden Ibn Batuta erwähnt, der 1352 auch Timbuktu besuchte und 1377 in Fes starb. Im Jahre 1444 beschrieb der venezianische Kaufmann Nicolo Conto die Zimtbäume der von ihm als Saillana bezeichneten Insel Ceylon, teilte aber nichts über die Ausfuhr des Gewürzes mit. Erst der Portugiese Lorenzo da Almeida, der im Hafen von Point de Galle Schiffe mit Zimt und Elefanten verladen sah, berichtete darüber eingehend im Jahre 1505. Die Portugiesen, die sich an der Küste Ceylons niederließen, legten zunächst auf diesen Handelsartikel keinen großen Wert, wurden aber bald eines anderen belehrt. So unterschied bereits 1536 Garcia da Orta den Zimt von Ceylon von demjenigen der Philippinen und Java; der erstere war damals 40mal teurer als die letzteren, im Jahre 1644 aber nur noch 5mal teurer. Im Jahre 1546 erfahren wir aus einem Briefe des Florentiners Filippo Sassetti an Franzesco I. di Medici, daß die Zweige regelmäßig alle drei Jahre geschält würden. Zur Erlangung von Stockausschlägen wurden die Bäume einfach gekappt. Dies und das Einsammeln der Rinde der wilden Bestände, die vorzugsweise durch eine Drossel vermehrt wurden, welche die reifen Beeren verzehrte und die unverdaulichen Samen in noch völlig keimfähigem Zustande[S. 577] von sich gab, besorgten Angehörige einer besonderen Kaste, die Chalias oder Zimtschäler.
Bis zur Ansiedelung der Portugiesen, die seit 1505 einen regelmäßigen Verkehr mit der Insel unterhielten, war der Zimthandel ein einträgliches Monopol der einheimischen Könige, deren Geschlecht aus Nordindien stammte und seit 543 v. Chr. die Singalesen beherrschte. Als die Portugiesen sich der Küste Ceylons im Jahre 1580 bemächtigten, legten sie den Herrschern im Innern einen Tribut von 125000 kg Zimt auf und versprachen ihnen dafür die Hilfe Portugals. Bald aber machten sie sich so verhaßt, daß der König von Kandy die Holländer gegen sie zu Hilfe rief. Diesen hatte schon Philipp II. den Handel mit Lissabon untersagt; so versuchten sie, sich den Zimt auf direktem Wege zu verschaffen. Im Jahre 1596 kamen die ersten wohlbewaffneten holländischen Handelsschiffe in den Indischen Ozean und 1632 begann die Verdrängung der Portugiesen von Ceylon, die 1658 eine vollständige und dauernde war. Sofort erhoben die Holländer den Zimt zu ihrem ausschließlichen Monopol. Die arme Kaste der Chalias oder Zimtschäler wurde schwer bedrückt. Jedes Mitglied derselben mußte vom 12. Jahre an einen Pingo, d. h. 28 kg Zimtrinde während einer Ernte abliefern und im Laufe der Jahre stieg die Menge sogar auf 303 kg! Die Gegenleistung bestand in Befreiung von Steuern und kleinen Rationen an Reis. Begreiflicherweise suchten die Chalias sich dieser unwürdigen Behandlung durch Flucht in die Berge zu entziehen. Dafür mußten die Zurückbleibenden um so anstrengender arbeiten. Niemand sonst durfte Zimtbäume pflanzen oder Zimt schälen. Jeder Grundbesitzer mußte es dem holländischen Beamten melden, wenn er auf seinem Grund und Boden eine Zimtpflanze entdeckt hatte. Verheimlichung wurde sehr strenge, unter Umständen mit dem Tode bestraft. Die kleinsten Veruntreuungen beim Einsammeln der Rinde brachten Täter wie Hehler unerbittlich den Tod.
Ein Jahrhundert lang zogen die Holländer aus dem Zimtmonopol einen reichen Gewinn, der manchmal 7 Millionen Mark im Jahre überstieg. Die meisten Zimtbäume befanden sich auf dem Gebiete des Königs von Kandy. Wenn dieser aber feindselig auftrat, sank die Einnahme bedeutend und brachte nur etwa 1 Million Mark ein. Um sich nun von den Launen dieses Herrschers unabhängig zu machen, schlug ein Einnehmer des Distrikts Kolombo namens de Koke dem holländischen Gouverneur Falk im Jahre 1765 vor, den Zimtbaum auf eigenem Gebiete zu pflanzen. Anfangs wies der Große Rat in[S. 578] Batavia diesen Vorschlag zurück; doch waren die Vorteile zu verlockend, so daß man sich endlich zu einer Einwilligung verstand. Die Ausführung war indessen nicht leicht. Die Häuptlinge behaupteten, daß kultivierter Zimt minderwertig sei; auf ihr Betreiben hin widersetzten sich dieser Neuerung auch die Eingeborenen. Schließlich drang die holländische Regierung mit ihren Forderungen doch durch, aber die Eingeborenen suchten den Kulturen insgeheim zu schaden, indem sie dieselben mit heißem Wasser begossen oder anderweitig die Pflänzlinge zu ruinieren suchten. Nur drakonische Strenge sicherte das Unternehmen. So wurde jedes Zerstören von jungen Pflanzen mit Abhauen der rechten Hand bestraft. Bald versuchten die Holländer mit etwa 200000 kg Zimtrinde, die sie aus den eigenen Kulturen gewannen, den gesamten europäischen Bedarf zu decken, ohne Bezüge der Ernte aus dem Königreich Kandy im Innern der Insel machen zu müssen. Dabei sorgten sie durch gewaltsame Mittel dafür, daß die hohen Preise dieser Droge nicht etwa durch Überproduktion herabgedrückt wurden. Vor allem beschränkten sie die Kulturbäume auf eine bestimmte Anzahl und ließen in gesegneten Jahren stets einen Teil der zu reichlichen Ernte ins Meer werfen oder verbrennen. Auch im Mutterlande räumte man, um eine Preisdrückerei zu verunmöglichen, im Übermaß sich ansammelnde Vorräte durch Verbrennen hinweg; lieber sollte die Arbeit ganz umsonst gewesen sein, als daß man sich selbst seinen Volksgenossen gegenüber zu einer Verbilligung der Ware herabließ. So berichtet der Franzose Beaumaré, er sei im Juni 1760 Augenzeuge davon gewesen, wie man beim Admiralitätsgebäude in Amsterdam zwei Tage nacheinander — abgesehen von Muskatnuß — für zusammen etwa 16 Millionen Livres Zimt verbrannt habe, was einen köstlichen Wohlgeruch über das ganze Land verbreitete.
Im Kriege mit den Holländern besetzten die nach den Zimtgärten jener lüsternen Engländer 1795 Ceylon, das ihnen 1802 im Frieden von Amiens regelrecht abgetreten wurde. Sie fanden die Zimtkulturen im blühendsten Zustande und nutzten sie als Erben der alten Machthaber in derselben Weise wie jene aus. Die englisch-ostindische Handelsgesellschaft übernahm das höchst einträgliche Monopol und führte es im Sinne der Holländer weiter. Der erste Gouverneur, North, erließ sogar eine Verordnung, durch welche nicht nur Neuanlagen verboten wurden, sondern auch die bereits bestehende Anzahl der Zimtgärten eine Einschränkung erfuhr. 1815 kam nach Beseitigung des bis dahin noch regierenden Eingeborenenfürsten die ganze Insel unter die Admini[S. 579]stration der englischen Krone, die das Zimtmonopol bis 1833 aufrechterhielt, dann aber aufgeben mußte, da der Zimtbaum inzwischen durch die Holländer auf Sumatra, Java und Borneo und durch die Franzosen auf Isle de France (dem heutigen Mauritius), Bourbon und in Cayenne angesiedelt worden war, ohne allerdings dort das vorzügliche Produkt wie in Ceylon zu geben, das heute mit seiner höchst aromatischen Rinde noch immer den Weltmarkt beherrscht. Wenn nun auch die englische Regierung das Zimtmonopol notgedrungen aufheben mußte, so belegte sie dafür den Zimt 1833 mit einem sehr hohen Zoll von 200 Prozent; erst im Jahre 1853 wurde dieser aufgehoben und der Zimtbaum und der Handel mit dessen Rinde freigegeben, worauf sich die Zimtgärten auf der Insel wieder vermehrten. Doch haben neuerdings andere Kulturen den Zimt auf Ceylon zurückgedrängt, so daß China, das schon zu Anfang des vorigen Jahrhunderts durch Anbau von Zimt und Kassia im großen England scharfe Konkurrenz gemacht hatte, jetzt den meisten Zimt liefert.
Erst in der Gegenwart ist diese Droge, die früher in der Arzneikunde und feinen Küche eine sehr viel wichtigere Rolle spielte als heute, billig und damit jedermann zugänglich geworden. Noch im späten Mittelalter war dies nicht der Fall. Es sei hier nur an jene mehrfach von Malern geschilderte Begebenheit erinnert, da Kaiser Karl V., „in dessen Reich die Sonne nicht unterging,“ im Frühling 1530, von Italien zurückkehrend, den in den Grafenstand erhobenen reichen Kaufherrn Jakob Fugger in Augsburg besuchte. Dieser damals reichste Mann Deutschlands hatte dem trotz seines gewaltigen Länderbesitzes und seiner reichen Einnahmen nur zu oft in Geldnöten steckenden Kaiser gegen Schuldschein eine sehr bedeutende Summe geliehen. Als dieser sich bei seinem Besuche entschuldigte, daß er dem Kaufmanne das Geld noch nicht zurückerstattet habe, fröstelte ihn und er begann über den Unterschied des deutschen und italienischen Klimas zu sprechen. Da brachte der reiche Jakob Fugger einige Bündel der überaus kostbaren indischen Zimtrinde herbei, legte sie in den Kamin, des Kaisers Schuldschein darauf und zündete das an. Das war in den Augen der Zeitgenossen nicht nur ein fürstliches Geschenk, sondern die größte Ehre, die er dem Kaiser erweisen konnte; denn damals kostete ein Lot (15 g) Zimt etwa 10 Mark.
Viel mehr geschätzt als heute war im Mittelalter neben Pfeffer und Zimt auch die Muskatnuß, die von einem den Zimtbäumen weitläufig verwandten, 10–15 m hohen, immergrünen, in allen seinen[S. 580] Teilen stark aromatisch riechenden Baume (Myristica fragrans) stammt. Er wuchs ursprünglich wild auf den Bandainseln in den Molukken und einem Kranz darum gelegener kleiner Inseln. Heute existiert er jedoch nur noch als Kulturform. Die sehr große Krone sitzt auf einem bis 70 cm dicken Stamme, dessen schmutzig olivengrüne Rinde und rötliches Mark einen Saft besitzen, der durch Berührung mit der Luft rot wird. Es gibt von ihm männliche und weibliche Bäume, die an den reich verästelten Zweigen bis 10 cm lange, länglicheiförmige, dunkelgrüne, glatte, lederige, kurzgestielte Blätter tragen und aus den Blattwinkeln die unscheinbaren Blüten hervorbrechen lassen. Die männlichen Blüten bilden Rispchen mit einfacher weißer Blütenhülle, während die gelblichen weiblichen einzeln stehen und innerhalb der etwas kleineren, dreizähnigen Hülle einen einfächerigen Fruchtknoten besitzen, der eine einzige Samenanlage umschließt. Die äußerlich einigermaßen einem Pfirsich ähnliche Frucht ist eine kugelige, zuerst grüne, dann leuchtend ockergelbe, hängende Beere von 3–7,5 cm Durchmesser, deren äußeres Fruchtfleisch sich bei der Vollreife spaltet und den fleischigen, in längliche Lappen sich teilenden, karminroten Samenmantel erblicken läßt, der den nußartigen Samen umschließt und, getrocknet, wobei er allerdings seine schöne Farbe einbüßt und goldgelb wird, als Macis oder Muskatblüte in den Handel gelangt. Der darunter liegende nußartige Samen besitzt unter einer dünnen, harten, holzigen Schale einen Kern, der getrocknet die bekannte Muskatnuß bildet, die außer einem ätherischen Öl, dem Muskatnußöl, ein Fett, die Muskatnußbutter ent[S. 581]hält, die ausgepreßt werden kann. Die Muskatnuß zeigt auf ihrer Oberfläche die Furchen, die von den Lappen des Samenmantels hervorgebracht werden, und die marmorierte Zeichnung in ihrem Innern rührt davon her, daß das Nährgewebe des Samens tief zerklüftet ist; und gerade in diesen Klüften befindet sich in einer bräunlichen Substanz das aromatische Muskatnußöl, nebst der Butter, die zusammen 33 Prozent ihres Gewichtes ausmachen. Sie werden durch Pressen der erwärmten Samen in Form einer bräunlichen, stark muskatnußartig riechenden Masse gewonnen, die häufig in den Apotheken Verwendung findet.
Nächst einer gleichmäßigen, hohen Temperatur verlangt der Muskatnußbaum viel Feuchtigkeit im Boden und in der Luft und eine nährstoffreiche, lockere Erde, wie sie der durch Verwitterung von trachytischer Lava und vulkanischem Sande entstandene sandiglehmige, humusreiche Boden seiner Heimat aufweist. Er verleugnet niemals seine Waldbaumnatur, indem er sein ganzes Leben in der wasserdampfgeschwängerten Luft des Urwaldes, oder wenigstens im Schatten von Nachbarbäumen stehen will. Auf den Bandainseln gibt man ihm durchwegs den hohen gemeinen Canarienbaum (Canarium commune) als schattenspendenden Gesellschafter. Dieser ist auf den Molukken heimisch, seine Fruchtkerne werden wie süße Mandeln gegessen und sein Harz dient zur Herstellung von Fackeln. Der Muskatnußbaum wird in von Bananen beschatteten Beeten, die sorgfältig von Unkraut und Ungeziefer rein gehalten werden müssen, aus den Samen gezogen und, wenn er 0,8–1,0 m hoch geworden ist, in Abständen von 6–8 m an seinen bleibenden Standort versetzt, an welchem durch vorheriges Pflanzen jener größeren Schattenbäume für die Abhaltung allzu großen Sonnenbrandes gesorgt wurde. Dabei pflanzt man auf 20 weibliche Bäume, die ja einzig Frucht tragen, einen männlichen, der zu deren Befruchtung dient. Die weitere Pflege und das Beschneiden des Baumes, das nicht allzu ausgiebig erfolgen darf, da er sehr empfindlich gegen Verwundungen ist, geschieht vollständig wie beim Kakaobaum. Bei guter Pflege wird der Muskatnußbaum im achten Jahre tragbar, erreicht aber erst im 14. bis 16. Jahre seine Vollkraft, die er ungefähr 30 Jahre lang bewahrt. Dann geht er seiner Erschöpfung entgegen, deren rascherer oder kürzerer Verlauf von der Behandlung abhängt. Wenn dieselbe mustergültig ist, kann der Baum seine Tragfähigkeit auf 80 und sogar 90 Jahre ausdehnen. Gut gehaltene Bäume liefern mit Leichtigkeit 1500 bis 2000 Nüsse jährlich, doch rechnet man beim Plantagenbau meist nicht[S. 582] mehr als 2,5 kg getrockneter Nüsse und ein Viertel dieses Betrages für Macis.
Von der Blüte bis zur Reife der Früchte vergehen neun Monate. Wenn nun auch das Blühen und Fruchttragen unabhängig von der Jahreszeit beständig vor sich geht, so spricht man gleichwohl von zwei bis drei Erntezeiten im Jahr, weil sich innerhalb derselben die Reife am meisten häuft und man es nicht für lohnend hält, unausgesetzt einzelne reife Früchte zu ernten. Daher läßt man, soweit es angängig ist, die Früchte hängen, bis sie in Massen abgenommen werden können. Dies geschieht, wenn die äußere Schale berstet, im April (beste Qualität), Juli (größte Menge) und November. Zur möglichsten Schonung der tragenden Zweige werden die Früchte mittels langer Bambusstangen, an denen vorn ein Körbchen nebst Haken befestigt ist, gepflückt und zunächst ihres gelben Fruchtfleisches beraubt, was — weil die Hülle geborsten ist — leicht mit den Händen ausgeführt werden kann. Dieses Fruchtfleisch wird von den Eingeborenen gegessen und gelangt eingemacht auch nach Europa; doch wird es in den Plantagen meist weggeworfen. Die von der Macis umgebenen Nüsse werden in Tragkörben nach Hause gebracht, daselbst der rote Samenmantel behutsam abgestreift, an der Sonne getrocknet und dabei mehrfach mit den nackten Füßen platt gestampft, bis er schließlich dünn und gelb erscheint. Die Kerne dagegen werden ein bis zwei Monate lang in einem Trockenhaus, in dessen Mitte ein offenes, rauchendes Feuer unterhalten wird, bei schwacher Hitze getrocknet, indem man sie jeden zweiten oder dritten Tag vermittelst platter Holzrechen umwendet. Wenn sie soweit trocken sind, daß die Nuß in der Schale rasselt, wird letztere mit einem Holzhammer aufgeschlagen und hernach die Muskatnüsse ausgesiebt. Dann werden letztere mit den Händen sortiert, als Schutz gegen Insektenfraß mit gepulvertem Kalk eingerieben und, sorgfältig in Fässern verpackt, in den Handel gebracht. Früher wurden sie von den Holländern extra eine Zeitlang in einem Kalkwasserbad liegen gelassen, um in erster Linie ihre Keimfähigkeit zu zerstören und dadurch eine Weiterverbreitung des Baumes zu verhindern, was wegen des von ihnen ausgeübten Monopols sehr wichtig war. Doch weiß man jetzt, daß diese Maßregel vollständig überflüssig ist und das Trocknen der geschälten Nüsse allein schon genügt, um ihre Keimkraft zu vernichten. Die kleinen und schadhaften Muskatnüsse werden jetzt gleichfalls meist nach Europa exportiert, um in Fabriken gemahlen und, in Säcke gefüllt und in warmem Zustande einer kräftigen Pressung ausgesetzt,[S. 583] das bräunliche, aromatisch riechende Fett abzugeben, das als Muskatnußbutter in den Handel gelangt.
Die alten Griechen und Römer scheinen die Muskatnüsse nicht gekannt zu haben. Eine angebliche Erwähnung durch den griechischen, um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. in Rom lebenden Arzt Dioskurides ist unsicher. Die erste sichere Nachricht von ihnen findet sich beim byzantinischen Arzte Aëtios um die Mitte des 6. Jahrhunderts. Die Araber dagegen kannten sie im 9. Jahrhundert sehr gut, und der gelehrte arabische Arzt Avicenna, eigentlich Ibn Sina aus Bochara (980–1037), der Leibarzt mehrerer Sultane, spricht von ihnen als einer gebräuchlichen indischen Droge. Die später heilig gesprochene Äbtissin Hildegard im Kloster Rupertsberg bei Bingen (1098–1197) berichtet, daß man zu ihrer Zeit die Muskatnüsse als kostbares Gewürz benutzte und sogar davon ins Bier rieb. Diese Sitte blieb das ganze Mittelalter hindurch gebräuchlich. Der byzantinische Hofarzt Joannes Aktuarius in Konstantinopel erwähnt die Muskatnuß zu Ende des 12. Jahrhunderts als nux unguentaria, quam myristicam appellant, d. h. die zur Bereitung von Salben benützte Nuß, welche man myristica (griech. zum Salben gehörig) nennt. Das ganze Mittelalter hindurch genoß man die Muskatnuß, den verschiedensten Speisen beigemischt, als magenstärkendes Mittel. Vielfach diente sie auch zu aromatischen Räucherungen, wie z. B. bei der Krönung Heinrichs VI. im April 1191 in Rom, wo als solche Balsama neben Weihrauch und Ambra auch die myristica genannt wird. Albertus Magnus (1193–1280) schildert Muscata als einen sehr schönen, lorbeerblätterigen Baum Indiens, dessen Blüte die Macis sein sollte. 1158 treffen wir nuces muscatarum aus Alexandrien unter den Handelsartikeln der Genuesen und 1180 befinden sich Muskatnüsse unter den in Akkon im südlichen Syrien eingeführten indischen Spezereien. In einem Festspiel zu Treviso 1214 warf man Muskatnüsse unter die Menge, und 1228 wurde in Marseille auf die Einfuhr derselben und der Macis bereits ein Zoll gelegt. Dieselbe Maßregel wurde 1380 von der Stadt Brügge getroffen, in welcher die Einfuhr dieser Handelsware schon ballenweise erfolgte.
Vom 12. Jahrhundert an werden die nuces moschatae, d. h. nach Moschus riechenden Nüsse, woraus unsere deutsche Bezeichnung Muskatnüsse hervorging, in jeder abendländischen Aufzählung von Heilmitteln und Gewürzen genannt; dabei findet sich vielfach die Bemerkung, daß sie aus Indien eingeführt werden. Bald nach der Entdeckung des Seeweges nach Ostindien um das Kap der Guten Hoffnung durch den[S. 584] portugiesischen Schiffskapitän Vasco da Gama 1498 sahen auch schon die ersten Europäer, und zwar Portugiesen, ums Jahr 1504 die ersten Muskatnußbäume auf den Bandainseln. Dort trieben die einheimischen Fürsten einen schwunghaften Handel mit den in den westlichen Kulturländern vielbegehrten Muskatnüssen. Namentlich waren die Sultane von Ternate und Tidor, zweier kleiner Inseln an der Westküste von Dschilolo in der ostmalaiischen Inselwelt, wegen ihres durch den Handel mit jenen Nüssen erworbenen großen Reichtums und ihrer dadurch bedingten königlichen Prunkentfaltung berühmt. So gibt uns der englische Seefahrer Sir Francis Drake (1540–1596), der bei einer Reise um die Erde 1579, also bereits nach der Vertreibung der Portugiesen, Ternate besuchte, eine eingehende Schilderung der dort entfalteten Pracht. Er schreibt. „Über dem König wurde ein sehr kostbarer Baldachin von getriebener Goldarbeit getragen, und zwölf Lanzenträger waren seine Beschützer. Vom Gürtel bis auf den Boden waren alle Kleider von Gold und prächtig verziert. In seinen Kopfputz waren verschiedene über einen Zoll breite Ringe geflochtenen Goldes eingewebt, was ihm ein fürstliches Aussehen gab und der Form nach einer Krone glich. Um den Hals trug er eine Kette aus gediegenem Gold mit sehr großen Gliedern, zweimal herumgelegt. An seiner Linken blitzten ein Diamant, ein Smaragd, ein Rubin und ein Türkis und an seiner Rechten in einem Ringe ein dicker tadelloser Türkis und in einem anderen viele Diamanten von geringerer Größe.“
Mit Waffengewalt setzten sich nun die Portugiesen zu Beginn des 16. Jahrhunderts auf den solch kostbares Gewürz hervorbringenden Bandainseln fest und erhoben die Erzeugung und den Handel mit dieser Droge zu ihrem Monopol. Fast ein Jahrhundert lang besaßen sie es und übermittelten ausschließlich den Völkern des Abendlandes die so geschätzten Muskatnüsse, Gewürznelken und den Zimt, was ihnen reichen Gewinn brachte. Erst 1605 vertrieben sie die nach dem blutigen Kampfe gegen die spanischen Habsburger als seefahrende Nation erstarkten Holländer von den Gewürzinseln und erhoben den Handel mit den obgenannten Gewürzen zu ihrem ausschließlichen Monopol, das sie mit äußerster Strenge handhabten. Sie beschränkten die Kultur des Muskatnußbaumes auf die Inseln Banda und Amboina, deren Bevölkerung, soweit sie nicht geflüchtet war, zu Sklaven gemacht und ihr Grundbesitz unter die holländischen Ansiedler verteilt wurde. Diese mußten ihr ganzes Gelände mit Muskatnußbäumen bepflanzen und die Ernten zu festgesetzten Preisen an die Regierung, d. h. an die[S. 585] niederländisch-ostindische Kompagnie verkaufen. Diese machte natürlich ausgezeichnete Geschäfte und geriet erst in den 1790er Jahren, als das Monopol durchbrochen war, in Bedrängnis, so daß der holländische Staat selbst jene Gewürzinseln in Regie nahm.
Da nun aber die auf den Molukken zahlreich vorkommenden, teilweise bunt gefiederten Tauben aus der Gattung Myristicivora, d. h. Mußkatnußfresser, sich vorzugsweise von den Früchten des Muskatnußbaums ernähren und dabei nicht selten die reife Frucht mit dem für sie allein verdaulichen Fruchtfleisch verschlucken und mit dem Kote die Nuß mit unverminderter Keimkraft wieder von sich geben, so konnten sie es nicht verhindern, daß hin und wieder auf benachbarten Inseln auf solche Weise verschleppte Muskatnußbäume auftauchten. Wer nun von Eingeborenen das Vorhandensein solcher Bäume auf unerlaubtem Gebiete verheimlichte und durch den Verkauf der Nüsse das von der holländischen Handelsgesellschaft für sich in Anspruch genommene Gewürzmonopol zu durchbrechen versuchte, der wurde erbarmungslos von den holländischen Beamten mit dem Tode bestraft.
Um den Preis nicht zu drücken, sammelte man in Holland ungeheure Vorräte der verschiedenen Gewürze in den Vorratshäusern der holländisch-ostindischen Kompagnie an. Wurden diese mit der Zeit zu groß, so verbrannte man lieber große Mengen davon, als daß man sie billiger ans Volk abgab. So erzählt uns der Holländer Valmont de Bornare, daß er Augenzeuge davon gewesen sei, wie einmal in Amsterdam drei große Schuppen voll Muskatnüsse, von denen jeder hingereicht hätte, mit seinem Inhalt eine Kirche zu füllen, verbrannt wurden. Nach dem Brande habe das müßig zuschauende Volk förmlich in der durch die große Hitze ausgeschmolzenen Muskatnußbutter gewatet. Aber niemand durfte bei schwerer Strafe eine Nuß oder einen Tropfen Öl nehmen. Der Franzose Beaumaré sah noch am 10. Juni 1760 in Amsterdam in der Nähe des Admiralitätsgebäudes für 8 Millionen Livres Muskatnüsse verbrennen, und der Engländer Wilkocks erzählt, wie er durchgereist sei, habe man just bei Middelburg in Zeeland solche Mengen Gewürznelken, Zimt und Muskatnüsse verbrannt, daß die Luft viele Meilen im Umkreise von dem aromatischen Dufte erfüllt gewesen sei.
Von den Bandainseln brachten die Franzosen geheimerweise den Muskatnußbaum zugleich mit dem Gewürznelkenbaum im Jahre 1770 nach Isle de France (dem heutigen Mauritius) und Bourbon und 1773 nach Cayenne. Auf der erstgenannten Insel wurde dann die vom[S. 586] französischen Statthalter Poivre eingeführte Kultur durch den Deutschen Josef Huber bedeutend gehoben. Derselbe hatte nämlich zuerst ermittelt, daß ein einziger männlicher Muskatnußbaum zur Befruchtung von hundert weiblichen vollständig ausreiche. Er ließ deshalb die überflüssigen männlichen Bäume stutzen und Zweige von weiblichen Bäumen auf sie pfropfen, ein Verfahren, an das die Holländer nie gedacht hatten. Im Jahre 1796 nahmen die Engländer den Holländern die für sie als praktische Geschäftsleute so begehrenswerten Molukken ab und siedelten den Baum auf dem damals ebenfalls von ihnen besetzten Sumatra und 1798 auch in Singapur, Penang und Bengalen an. Obschon sie jene Inseln bald wieder ihren früheren Eigentümern zurückgeben mußten, so war doch damit endgültig das so lange eifrig gehütete holländische Monopol durchbrochen, so daß der Preis der Muskatnüsse, von denen das Pfund 1790 noch 20 alte holländische Gulden gekostet hatte, wie auch der übrigen indischen Gewürze nun auf einen für jedermann erschwinglichen Preis sank. Infolge davon wurde ihre bis dahin mehr auf die Apotheken beschränkte Verwendung als Arznei eine allgemeine und fanden sie bald als beliebtes Gewürz selbst der ärmeren Klasse Eingang. Welche große Bedeutung noch vor kaum mehr als drei Menschenaltern wie den übrigen indischen Gewürzen, so speziell der Muskatnuß zugeschrieben wurde, beweist die Tatsache, daß der Arzt Paullini ein 876seitiges Buch über sie und ihre Wirkung auf den Menschen schrieb.
Heute ist die übermäßig hohe Schätzung all dieser Gewürze auf ein sehr bescheidenes Maß zurückgegangen. Der Muskatnuß- wie der Gewürznelkenbaum dürfen zwar auf allen den Holländern gehörenden Inseln angepflanzt werden, aber die Früchte dürfen nur an die holländische Handelsgesellschaft zu einem bestimmten, sehr niedrigen Preise verkauft werden. Dafür stellt die Regierung den holländischen Pflanzern Sträflinge zur Verfügung, die den Plantagenbau und die Ernte besorgen. Außer in ganz Holländisch-Indien wird der Muskatnußbaum heute auch auf der Halbinsel von Malakka, ebenso in beschränktem Maße in Südindien, auf Reunion, in Brasilien, Guiana und Westindien kultiviert. Doch liefern heute noch die Molukken die beste Sorte und bringen damit den Holländern, die nach wie vor den Haupthandel mit diesem Gewürz in Händen haben, viel Geld ein. Zwei Fünftel der gesamten Weltproduktion stammen von den drei kleinen, insgesamt nur 44 qkm großen Inseln Groß-Banda, Neira und Ay, die Pflanzungen von 3000–30000 Muskatnußbäumen auf[S. 587]weisen und jährlich von etwa 400000 tragenden Bäumen durchschnittlich 600000 kg Muskatnüsse und 150000 kg Macis nach Java bringen, von wo aus sie mit noch weiteren 100000 kg dort erzeugter Muskatnüsse in den Handel gelangen. England allein führt aus Malakka und Südindien etwa 400000 kg Muskatnüsse und rund 40000 kg Macis aus. Europa kauft vorzugsweise die Muskatnüsse, Nordamerika dagegen die Macis, die dort höher geschätzt wird.
In neuerer Zeit gelangen noch einige andere Arten von Muskatnüssen als Ersatz der echten in den Handel. So wachsen in den nördlichen Molukken, auf den Inseln Batjan, Tidor und Halmahera, zwei der echten Muskatnuß sehr nahe verwandte Arten (Myristica speciosa und succedanea) wild, deren Nüsse gleichfalls gesammelt werden und billig in den Handel kommen. Diese werden ebensowenig kultiviert als der Onin-Muskatnußbaum (Myristica schefferi), der wild im westlichen, holländischen Teil von Neu-Guinea wächst und sehr wohlriechende Früchte liefert. Wichtiger als diese ist eine andere Muskatnußart, die in nicht unbedeutenden Mengen mit dem Namen lange oder Papua-Muskatnuß auf den Markt gebracht wird. Sie ist länger als die gewöhnliche Muskatnuß und stammt vom silberblätterigen Muskatnußbaum (Myristica argentea), einem ebenfalls im westlichen holländischen Teil von Neu-Guinea wild wachsenden, dem gemeinen Muskatnußbaum sehr nahe verwandten Baume. Dieser wird ebenfalls nicht kultiviert, sondern in wildem Zustande abgeerntet, weshalb es auch möglich ist, seine Früchte billig auf den Markt zu bringen; doch stehen sie den echten Muskatnüssen an Qualität durchaus nach. Leider hat man im deutschen Teile von Neu-Guinea, wo ebenfalls mehrere wilde Muskatnußarten vorkommen, bisher keine einzige dauernd aromatische und daher für den Handel brauchbare Nuß gefunden.
Der Name Muskatnuß wird auch für die Früchte einiger Bäume angewandt, die ganz anderen Pflanzengattungen angehören, so namentlich für die Kalabassen-Muskatnuß von Westafrika, die die Frucht eines zur Familie der Anonazeen gehörenden Baumes, Monodora myristica, eines entfernten Verwandten der echten Muskatnußbäume, bildet und seit dem 18. Jahrhundert auch auf Jamaika kultiviert wird, wohin sie durch westafrikanische Negersklaven gelangte. Von Lorbeergewächsarten stammen die brasilianische, guianische und madagassische Muskatnuß, von Bäumen aus der Familie der Monimiazeen die peruanische und australische Muskatnuß, von Nadel[S. 588]hölzern endlich die nach Terpentin riechende kalifornische und Floridamuskatnuß. Diese teilweise in Form und Struktur ihrer Früchte einige Ähnlichkeit mit der echten Muskatnuß aufweisenden Früchte riechen wohl auch aromatisch, sind aber im übrigen grundverschieden von jener, so daß sie nicht mit ihr konkurrieren können.
Als Fälschungsmittel der echten Macis gelangt von Bombay aus der schön rote, aber durchaus nicht aromatische Samenmantel des Malabarmuskatnußbaums (Myristica malabarica) häufig in den Handel,[S. 589] während die vom silberblätterigen Muskatnußbaum Neu-Guineas stammenden sogenannten Macisschalen zwar wohlriechend, aber unansehnlich braun gefärbt sind und daher sehr niedrig im Preise stehen.
Als letzte der vier von der Kulturwelt des Abendlandes während der vergangenen Jahrhunderte übermäßig geschätzten und infolge davon für die gesamte Handelspolitik jener Zeit höchst bedeutsamen indischen Gewürze sind außer Pfeffer, Zimt und Muskatnüsse auch noch die Gewürznelken zu nennen. Gleich dem Muskatnußbaum ist auch der Gewürznelkenbaum (Caryophyllus aromaticus) ein 10–12 m hoher, immergrüner Baum der Molukken aus der Familie der Myrtengewächse. Sein 30–55 cm dicker Stamm mit glänzender, glatter Rinde spaltet sich schon in 1,3–1,6 m Höhe in einige gleichstarke Äste, die sich reich verzweigen und eine schöne, kegelförmige Krone bilden. Doch läßt man den Baum in den Pflanzungen meist nicht höher als 5 m werden, damit seine Blüten leichter geerntet werden können. Die länglich ovalen, langgestielten Blätter sind lederartig, mit zahlreichen kleinen Öldrüsen versehen, und laufen spitz aus. Die in Trugdolden stehenden Blüten sind klein, aber zahlreich, anfänglich grün, voll entwickelt jedoch karminrot. Auch die Blütenknospen sind rot. Die Früchte sind 2 cm lange und 1 cm breite Beeren von dunkelroter bis dunkelvioletter Farbe, die meist einen, seltener zwei länglichrundliche Samen umschließen. Letztere kommen getrocknet unter der Bezeichnung Gewürznelkenmutter in den Handel. Weit aromatischer als sie sind jedoch die Blütenknospen, die, sobald sie sich hellrot zu färben beginnen, geerntet werden und, getrocknet, die Gewürznelken bilden. Sie bestehen aus einem etwa 1 cm langen, zylindrischen Blütenkelch, der in vier etwas ausgebogenen Zipfeln endet und als halbkugelige Bekrönung die an ihrer Spitze verwachsenen, bei der Blüte als zusammenhängende Kappe abgestoßenen vier Blumenblätter trägt. Nach ihrer nagelförmigen Gestalt nannte man sie im Mittelalter (wie die Nelken) Nägelein, woraus sich dann im Neuhochdeutschen die Bezeichnung Nelke ausbildete. Sie enthalten ein als Nelkenöl bezeichnetes ätherisches Öl, das zu allerlei pharmazeutischen Produkten und zum Mikroskopieren gebraucht wird.
Der Gewürznelkenbaum ist weniger wählerisch in bezug auf den Boden und nimmt auch mit etwas weniger Luft- und Bodenfeuchtigkeit vorlieb als der Muskatnußbaum. Auch genügt ihm eine spärlichere Beschattung als jenem; in späterem Alter bedarf er einer solchen überhaupt nicht mehr. Nur die jungen Pflänzchen müssen vor zu[S. 590] ausgiebiger Sonnenbestrahlung geschützt werden, wozu Bananen und Rizinusstauden dienen. Wie der Muskatnußbaum, so verliert auch er rasch die Keimfähigkeit seines Samens. Daher dürfen zur Aussaat nur ganz frische Samen verwendet werden. An ihrem definitiven Standort werden die in Saatbeeten gewonnenen jungen Bäume auf sehr fruchtbarem Boden 9, auf geringem Boden dagegen 6 m auseinander gepflanzt. Der Boden muß namentlich während der Erntezeit im September von Unkraut gesäubert werden. Da die Nelkenbäume als Waldbäume nicht sehr widerstandsfähig gegen heftige Winde sind, so pflanzt man am Rande der Gewürznelkenplantagen und hin und wieder in Reihen quer durch die Pflanzungen als Windbrecher Kokospalmen und Mangobäume, die beide dieselben Ansprüche an Boden und Klima stellen wie die Gewürznelkenbäume. Ihre erste Ernte geben die Gewürznelkenbäume vom 5. Jahre an und tragen während 10 bis 15 Jahren, wobei man von jedem Baum einen jährlichen Ertrag von 2,5–5 kg getrockneter Nelken rechnen darf. Die Ernte beginnt, sobald sich die Knospen voll entwickelt haben und sich hellrot zu färben beginnen. Die auf leichten Bambusleitern vor dem Aufbrechen mit der Hand gepflückten Blütenknospen werden, auf Matten dünn ausgebreitet, an der Sonne, seltener auf engmaschigen Bambushorden in einem Trockenhaus durch Einwirkung eines schwachen, rauchenden Feuers getrocknet, wobei sie wiederholt umgewendet werden. Dabei nehmen sie eine dunkelbraune Farbe an. Schließlich werden sie gesiebt und gelangen, in Säcke oder Kisten verpackt, in den Handel.
Dem alten Kulturvolke der Chinesen waren die Gewürznelken schon im 3. Jahrhundert v. Chr. bekannt und dienten ihnen teilweise als Kaumittel. In die Mittelmeerländer gelangten sie erst in der römischen Kaiserzeit, und zwar ist Plinius der erste römische Autor, der sie erwähnt. In einem Zolltarif Alexandriens im 2. Jahrhundert n. Chr. werden sie angeführt und von Aëtios, Alexander Trallianus und Paulus Aegineta, griechischen Ärzten des 6. und 7. Jahrhunderts, erwähnt. Sie wurden damals durch malaiische Schiffer nach der von den Griechen und Römern Taprobane genannten Insel Ceylon gebracht und von dort durch indische Kauffahrteifahrer in die Häfen des Roten Meeres verfrachtet, um dann von Alexandrien aus als äußerst kostbare Arznei in den abendländischen Handel zu gelangen.
Von Ceylon und dem Gewürznelkenhandel berichtet als erster Abendländer, der uns einen Bericht über seine Reise dorthin hinterließ, der griechisch-ägyptische Großkaufmann Kosmas Indikopleustes (d. h.[S. 591] der Indienfahrer) aus Alexandrien — ein Zeitgenosse des oströmischen Kaisers Justinianus I. (483–565) —, der mit einem ebenfalls später Mönch gewordenen Genossen die weite Reise machte. Er schreibt darüber: „Taprobane ist eine große Insel im Ozean jenseits des Pfefferlandes (Malabarküste Indiens), welche die Indier Sielediva (richtig Sihaladipa, d. h. Löweninsel, später von den Persern und Arabern in Serendib verdorben), die Hellenen (älteren Griechen) Taprobane nennen. Dort findet man den Edelstein Hyakinthos (d. h. Saphir und Rubin). Diese große Insel, sagen ihre Bewohner, habe 300 Gaudia (= 900 römische Meilen) Länge und ebensoviel Breite. Zwei Könige beherrschen sie, welche sich aber gegenseitig befehden. Einer hat das Land der Hyazinthen (das zentrale Bergland) inne, der andere besitzt den übrigen Teil der Insel, in welchem das emporion (der Handelsplatz) und der Hafen liegen. Dort an dieser Insel sammeln sich viele Schiffe aus ganz Indien und Äthiopien, weil sie in die Mitte der Länder gestellt ist und gleichfalls viele Schiffe nach allen Weltrichtungen entsendet; namentlich aus den dahinterliegenden Gewässern, so von Tzinitza (China) und anderen Stapelplätzen bringen sie Metaxin (Seide), Aloë (Aloëholz zum Räuchern), Gewürznelken und Tzandana (Sandelholz) zum Austausch; auch noch andere Waren jener Gegenden, die sie zu den Völkern des vorderen Meeres bringen, nämlich nach Male (Mahe in Malabar), wo der Pfeffer wächst, und nach Kalliana (bei Bombay), wo Erz gewonnen wird und Sesamholz (?) und was Gewebe zur Kleidung gibt; denn auch diese Stadt ist ein großer Handelsplatz. Auch mit Sind, wo es Moschus, Bibergeil und Narden gibt, verkehrt diese Insel, ebenso mit Persien, dem Glücklichen Arabien und Adule (Zeila in Massaua in der italienischen Kolonie Erythräa am Roten Meer). Von diesen Handelsplätzen tauscht sie wiederum Waren ein, welche sie nach dem hinteren Indien führt, zugleich die Ausfuhr der eigenen Produkte besorgend.“
In Deutschland erwähnt die Gewürznelken zuerst die heilige Hildegard, Äbtissin von Rupertsberg (1098–1179) als nelchin. Der erste Europäer, der die Stammpflanze sah, war der venezianische Reisende Marco Polo, der sie 1272 auf den Sundainseln wachsen sah. Im Mittelalter besorgten die Araber den Zwischenhandel mit den Indern und lieferten die Gewürznelken mit Zimt und Pfeffer den Venezianern, die diese Gewürze ihrerseits wieder den Völkern Europas vermittelten und reichen Gewinn aus diesem Handel zogen. Erst als der Weg nach den Gewürzländern um Afrika herum von den Portu[S. 592]giesen erschlossen war, rissen sie das höchst einträgliche Gewürzmonopol an sich. Wie Spanien etwa 300 Jahre lang, bis zum Beginn des vorigen Jahrhunderts, den Handel mit ihren reich mit Pflanzenschätzen und teilweise auch Gold ausgestatteten amerikanischen Kolonien für sich beanspruchte, taten es gleicherweise ihre Konkurrenten, die Portugiesen, in Ostindien und der malaiischen Inselwelt, die sie 1524 in Beschlag nahmen. Von 1529 an mußten alle aus Ostindien zurückkehrenden Schiffe ihre Rückfracht ausschließlich in der Casa da India in Lissabon löschen und mehr wie einmal ordnete der König, der sich den stolzen Titel „Herr des indischen Handels“ beilegte — wie später sein Nachfolger, die holländisch-ostindische Handelskompagnie — die Vernichtung der kostbaren indischen Gewürze an, wenn deren Vorräte zu sehr anschwollen und die Preise zu drücken drohten. Erst im Jahre 1599 sprengten die inzwischen in der Seefahrt erstarkten Holländer diese von den Portugiesen ausgeübte Ozeansperre. Nach der Eroberung der von den Portugiesen nicht mehr zu haltenden Molukken im Jahre 1621 übernahm die holländisch-ostindische Kompagnie das Gewürzmonopol, das sie bis zum Jahre 1796 zu behaupten vermochte. Während dieser ganzen Zeit bestimmte sie den Preis der vielbegehrten Gewürze. Das äußerst gewinnbringende Monopol wurde, so gut es ging, auch von den Engländern während deren Okkupation von Holländisch-Indien in den Jahren 1796–1802 und 1810–1816 aufrechterhalten. Als dann die Gewürzinseln im letztgenannten Jahre definitiv an Holland zurückfielen, nützte diesen das, wie auch die Zwangskultur, bis 1873 theoretisch festgehaltene Monopol für Gewürznelken und Muskatnuß nur noch wenig. Wie in der Sage der Lindwurm seinen Schatz in der Höhle, so hüteten die Holländer ihre von den zu Sklaven gemachten Eingeborenen kultivierten Gewürznelkenbäume auf den Inseln Amboina und Saparna, nachdem sie alle anderen als die von ihnen dort beaufsichtigten Gewürznelkenbäume auf sämtlichen Inseln der Molukken zerstört hatten. Auf ihren Streifzügen durch die Nachbarinseln, die zu dem Zwecke unternommen wurden, um alle aus durch Vögel oder Menschen verschleppten Samen hervorgegangenen Gewürznelkenbäume zu vernichten, vollführten die rohen von der holländisch-ostindischen Kompagnie dazu angestellten Soldaten die unerhörtesten Grausamkeiten gegen die armen Eingeborenen, die dem Baume fast abgöttische Verehrung erwiesen. Sie nannten ihn einen König unter den Gewürzpflanzen und führten Gewürznelken als wirksames Mittel gegen Zauberei bei sich, was bis auf den heutigen Tag der Fall ist. Ja,[S. 593] Vornehme tragen sie als auszeichnenden Schmuck in Unterlippe, Nase und Ohren.
Das so eifrig von den Holländern gehütete Gewürzmonopol erlitt den ersten Stoß als es 1770 dem französischen Statthalter von Isle de France (dem heutigen Mauritius) Poivre gelang, ungeachtet der auf die Ausführung der Bäume gesetzten Todesstrafe durch eine auf zwei kleinen Schiffen nach deren Erlangung ausgesandte Expedition sich aus Samen kleine Pflänzchen des Gewürznelken- und Muskatnußbaumes zu verschaffen. Die schlauen Franzosen überlisteten die Holländer und vermochten auch mit ihren beiden Schiffen der Verfolgung des ihnen nachgesandten Geschwaders zu entgehen. Sie brachten den Gewürznelkenbaum zuerst nach Isle de France, dann auf die Seychellen, Réunion und Bourbon, von wo er 1773 nach Cayenne und den übrigen westindischen Besitzungen Frankreichs gelangte, wo er gleichfalls gut gedieh. Von der Insel Isle de France, die die Engländer 1810 von den Franzosen eroberten, um sie nach der Bezeichnung der vorher die Insel innehabenden Holländer, die sie nach dem Statthalter der Niederlande Prinz Moritz von Oranien (1567–1625) benannt hatten, wiederum Mauritius zu heißen, verbrachten ihn die Engländer nach der Halbinsel Malakka und den von ihnen vorübergehend besetzten Inseln Java und Sumatra. Auch wurde er auf Sansibar und Pemba, wo die Kultur 1793 durch den Araber Harameh ben Saleh von Mauritius aus eingeführt wurde, und an anderen Orten mit solch gutem Erfolge verpflanzt, daß mit der Zeit die Gewürznelkenproduktion der Molukken ganz in den Hintergrund gedrängt zu werden vermochte. Gegenwärtig ist die wichtigste Bezugsquelle der Gewürznelken Sansibar mit der Nachbarinsel Pemba, obgleich in den 1860er Jahren ein gewaltiger Sturm — eine sonst dort verhältnismäßig selten zu beobachtende Naturerscheinung — fast alle Gewürznelkenbäume zerstörte und auch die Qualität der hier gewonnenen Gewürznelken keineswegs als die beste gilt. Die feinste Sorte liefert immer noch Amboina, deren Menge aber zu gering ist, als daß sie auf dem Weltmarkte eine große Rolle zu spielen vermöchte.
Als Nelkenzimt (Cassia caryophyllata) werden nelkenartig riechende Rinden verschiedener Bäume bezeichnet, so z. B. der indischen Sizygium caryophyllatum, der westindischen Pimenta acris, beides Myrtengewächsen, sowie des brasilianischen Dicypellium caryophyllatum, eines dem Zimt näher verwandten Baumes aus der Familie der Lorbeergewächse. Doch haben diese Rinden nur eine lokale Bedeutung[S. 594] und gelangen kaum in den Welthandel. Dafür aber liefert ein naher Verwandter des Gewürznelkenbaums das Piment (vom mittellateinischen pigmentum Farbstoff) oder den Nelkenpfeffer, dessen Geschmack und Geruch allerdings weniger an Pfeffer als an Gewürznelken erinnert. Feinschmecker wollen erkennen, daß das Piment den Geruch und Geschmack von Gewürznelken, Pfeffer, Zimt, kurz von allen Gewürzen in sich vereinige. Das gab Veranlassung zur Bezeichnung allspice, d. h. Allgewürz, unter welchem Namen ihn die Engländer als ein äußerst beliebtes Gewürz ihrer westindischen Kolonie Jamaika viel verwenden. Die Welt ist darauf angewiesen, ihren Bedarf an Piment von dieser Insel zu beziehen, weshalb man ihn vielfach auch Jamaikapfeffer bezeichnet. Nur dort in seiner engeren Heimat Jamaika und einigen Nachbarinseln erzeugt der Pimentbaum das volle Aroma seiner Früchte. Wild kommt er nur auf Kalksteinhügeln in der Nähe des Meeres vor, wird aber schon lange im großen angepflanzt. Er ist aber so empfindlich für Boden und Klima, daß es nicht einmal gelang, seine Kultur in nennenswertem Umfange auf den nördlichen westindischen Inseln einzuführen.
Der Pimentbaum (Pimenta officinalis) ist ein immergrüner, breitästiger, im Wuchse dem Apfelbaum ähnlicher Baum, der in Westindien häufig zur Anpflanzung von Alleen benutzt wird. Alle Teile des Baumes, besonders die unreifen Früchte, besitzen einen starken, feurigen, aber angenehmen aromatischen Geschmack. Die nahezu weiße Rinde des 10–12 m hohen Baumes, deren äußerste Schicht er alljährlich abwirft, ist ebenso aromatisch wie die 10 cm langen tiefgrünen, glänzenden, länglich ovalen, etwas lederigen Blätter. Aus den Blattwinkeln und Zweigspitzen treten Rispen von zahlreichen, kleinen, weißen, starkduftenden Blüten. In Westindien blühen die Bäume gewöhnlich zweimal im Jahre; aber nur die Blüten, die im April und Mai erscheinen, sind fruchtbar und erzeugen erbsengroße, kugelige, zweisamige Früchte von bei der Reife purpurroter Farbe. Sie enthalten dann ein süßes, kleberiges Fruchtfleisch, aus welchem allerdings das feine Aroma zum größten Teil verschwunden ist, das während ihres unreifen Zustandes so stark hervortrat. Sie werden deshalb unreif grün geerntet, sobald sie die Größe von Pfefferkörnern erlangt haben, und dann an der Sonne oder in Darröfen getrocknet, wobei sie eine gelbbraune Farbe annehmen. Ein vollkräftiger Baum liefert bis zu 60 kg grüner oder 40 kg getrockneter Früchte, die ein dem Gewürznelkenöl sehr ähnliches und auch als Ersatz desselben verwendetes ätherisches Öl enthalten.
Das allgemein als Küchengewürz verwendete Piment wird zuerst von Clusius (Charles de l’Ecluse, 1526 zu Arras in Nordfrankreich geboren und 1609 als Professor der Botanik zu Leiden in den Niederlanden gestorben) erwähnt. Der Pimentbaum wird vorzugsweise auf der Nordseite der Insel Jamaika, neuerdings aber auch in anderen Tropengebieten, so seit dem 17. Jahrhundert in Ostindien kultiviert, doch liefert er, wie gesagt, nur in seiner engeren Heimat die besten, gewürzreichsten Früchte.
Es scheint dem Menschen das tiefgehende Bedürfnis inne zu wohnen, sich bisweilen zu berauschen. Diese eigentümliche Neigung teilt er übrigens mit der Tierwelt, die sich gerne, wo sie nur kann, über sich ihr darbietende alkoholhaltige Getränke hermacht, um sich daran in einen Rauschzustand zu versetzen. Wenn beispielsweise eine Eiche oder sonst ein Baum infolge irgendwelcher Verletzung blutet und der austretende Zuckersaft durch das Hinzutreten der allgegenwärtigen Hefepilze in alkoholische Gärung gerät, so kommen die Hirschkäfer von weit und breit angeflogen und feiern mit solcher Ausdauer ein Gelage, daß sie oft dutzendweise völlig beduselt am Fuße des Baumes herumliegen. An blutenden Birken mit gärendem Safte findet man stets eine Menge von Trauermänteln, Hornissen, Fliegen und anderen Insekten, die durch ihr absonderliches Benehmen erkennen lassen, daß ihnen die gefährliche Flüssigkeit das Unterscheidungsvermögen geraubt hat. Gleicherweise hat man Bienen an wässerigem und dann rasch in alkoholische Gärung übergegangenem Honigtau sich dermaßen berauschen gesehen, daß sie den Heimweg nicht mehr fanden und, betrunken, auf den betreffenden Bäumen übernachteten. Wie Affen kann man bekanntlich auch Pferde und Hunde leicht an geistige Getränke gewöhnen, so daß sie eine förmliche Sucht danach bekommen, und selbst an frei lebenden Säugetieren, wie z. B. an Eichhörnchen, die sich an gegorenem Eichensafte berauschten, lassen sich derartige Neigungen beobachten.
Allerdings war es für den Menschen im Naturzustande äußerst schwierig, sich solche Stoffe zu verschaffen, die ihn in einen derartigen Zustand der Berauschung brachten. Beim zufälligen Genusse giftiger Pflanzen lernte er diesen wohl zuerst kennen und suchte ihn gelegent[S. 597]lich später freiwillig zu erneuern. So ist vielleicht die Tollkirsche einst bei den Steinzeitvölkern Europas in der Weise gebraucht worden, wie heute noch der Fliegenschwamm bei den ostsibirischen Mongolenstämmen. Wenn diese auf niederer Kulturstufe stehenden Menschen ein Fest zu feiern wünschen, so genießen sie eine Abkochung des giftigen Fliegenschwammes, den sie in den Wäldern sammeln und trocknen, um ihn für solche Gelegenheiten aufzubewahren. Dieser bringt sie in einen rauschartigen Zustand, so daß sie taumeln und wie betrunken hinfallen. Den Weibern, die nüchtern bleiben, da sie nichts von diesem Berauschungstranke genießen dürfen, fällt dann die Aufgabe zu, die betreffenden Ehegatten aufzulesen und sie unbeschädigt nach Hause zu bringen, wo sie ihren schweren Rausch ausschlafen können. Um nun diesen mit schweren Träumen und Delirien verbundenen Rauschzustand möglichst lange auszudehnen, trinken jene Leute, aus dem Dusel erwachend, immer wieder ihren eigenen Urin, in dem das Gift aus dem Körper ausgeschieden wird, bis endlich nach mehrtägiger Vergiftung die Ernüchterung erfolgt.
Was für verschiedene Pflanzengifte die ältesten Menschen Europas zu solchem Rausche verwandten, das steht völlig dahin. Nur das eine wissen wir, daß der berauschende Honigtrank mit der Zeit die anderen weniger angenehmen Berauschungsmittel verdrängte und sich in späterer vorgeschichtlicher Zeit allgemeiner Beliebtheit erfreute. Auch hier führte der Zufall zur Entdeckung dieses Betäubungsmittels der Urzeit. Überall sammelt der Mensch auf niederer Kulturstufe mit Vorliebe den leckeren Honig wilder Bienen, den er, weil dessen starke Süße in konzentrierter Form in größerer Menge seinem Geschmacke widerstand, in Wasser verdünnt genoß. Blieb eine solche Honiglösung in einer als Gefäß benützten dürren Kürbisschale oder sonst welchem Naturgefäß einige Tage hindurch stehen, so begann sie durch spontane alkoholische Gärung infolge von Hineingelangen der allgegenwärtigen Hefepilze berauschend zu wirken. Als man diese Erfahrung gemacht hatte, stellte man absichtlich in Wasser stark verdünnten Honig beiseite, um sich daraus das älteste alkoholische Getränk, den Met, als sehr geschätztes Berauschungsmittel zu bereiten.
Diesen Honigtrank liebten schon die Indogermanen, als sie zu Ende der Steinzeit noch als ein Volk in Norddeutschland hausten. Wie im Sanskrit mádhu Honig und Honigtrank bedeutet, so bedeutet im Griechischen méthy der berauschende Trank schlechthin und méthē die Trunkenheit. Im Deutschen benutzen wir dafür das Wort Met, das[S. 598] wie das altslawische medu sowohl Honig als den daraus bereiteten Trank bedeutet. Den ältesten nachweisbaren Germanen war der aus Wildhonig bereitete Met das beliebte Festgetränk, das noch in der Edda als die Menschen und Götter gleicherweise erfreuend häufig genannt wird. In einer der ältesten schriftlichen Aufzeichnungen aus Hellas, dem orphischen Fragment 49, gibt die personifizierte Nacht dem Zeus den Rat, den Vater Kronos, der seinerseits bereits seinen Vater Uranos (d. h. Himmel) entthront und seine sämtlichen Kinder außer Zeus verschlungen hatte, wenn er „honigberauscht“ unter den Eichen liege, zu binden und zu entmannen. Es war also auch bei den Griechen, die schon sehr früh mit dem Wein bekanntgemacht wurden, die Urzeit als mettrinkend gedacht. Und noch in der klassischen Zeit Griechenlands waren die in Südrußland wohnenden Skythen, wie die in Mitteleuropa hausenden Barbaren den Griechen als Mettrinker bekannt. Bei diesen letzteren, die uns später als Germanen entgegentreten, war es bis ins Mittelalter hinein Pflicht des Häuptlings und Fürsten, seine Dienstmannen, wie seine Gäste, reichlich mit diesem beliebten Getränk zu bewirten.
Die Herstellung dieses Nationalgetränkes der Deutschen, wie Europäer der Urzeit überhaupt, war bis in die merowingische Zeit einfach genug. Man sott das Honigwasser, um die spätere Gärung zu beschleunigen, und stellte es dann in offenen Gefäßen zur Ausgärung hin. Von der Merowingerzeit an liebte man es mit würzigen Kräutern, besonders Salbei, zu versetzen und etwas Hefe hinzuzufügen, welch letztere nach erfolgter Wirkung wieder abgeschieden wurde. Erst im 12. Jahrhundert hat dann das höfische Leben das bis dahin noch allgemein herrschende Ansehen des Metes in Mitteleuropa zugunsten von Bier und Wein herabgedrückt, bis derselbe schließlich in ganz Süd- und Mitteldeutschland mit dem Ende des 15. Jahrhunderts völlig außer Gebrauch kam. Nur in Norddeutschland, speziell Westfalen, und in Rußland hat er sich als beliebtes Volksgetränk bis auf unsere Zeit erhalten.
Etwas jüngeren Datums, wenn auch schon sehr lange im Gebrauch, ist das Bier. Wie der aus Wildhonig bereitete Met vorzugsweise das Getränk des Jägers und Viehzüchters war, so war das Bier das Getränk des seßhaften Ackerbauers, das den Besitz von Getreide zu dessen Bereitung voraussetzt. Nach der Ernte und zu sonstigen Festzeiten wurde dann das, was man davon entbehren zu können glaubte, zur Herstellung dieses beliebten Trankes verwendet,[S. 599] das damals noch, wie auch der Met, so schwach an Alkoholgehalt war, daß erst größere Mengen davon berauschend wirkten.
Das Bier wurde in der Weise hergestellt, daß man das Getreide erst einweichte, bis die einzelnen Körner zu keimen begannen und aus dem Stärkemehl derselben durch Fermentwirkung Zucker entstanden war. Dann erst wurden die erweichten Körner auf der Handmühle zerquetscht und an der Sonne oder, wie das Obst, auf einer Hürde über dem Herdfeuer gedörrt, damit bei dem darauffolgenden Kochen kein Brei, sondern ein zuckerreicher Extrakt entstehe. Die durch Kochen ausgezogene Zuckerlösung wurde durch Hinzufügen des hefehaltigen Restes des letztgebrauten Bieres zum größten Teil zu Alkohol vergoren und damit war das Bier zum Trinken fertig.
Altgermanisch nannte man das Getränk alu, was zweifellos mit alan groß, kräftig werden zusammenhängt, indem man ihm, wie dies noch in geschichtlicher Zeit geschah, kräftigende Eigenschaften zuschrieb. Daher heißt das Bier heute noch in Skandinavien und Dänemark Öl, wie in England aus dem angelsächsischen ealu (altsächsisch alo) ale. Bei den Engländern heißt alehouse das Bierhaus. Ein weit jüngerer Name ist bei den Germanenstämmen das althochdeutsche bior, aus dem unsere Bezeichnung Bier sich ableitet, das durchaus nichts mit dem lateinischen bibere trinken zu tun hat, wie manche Etymologen fälschlicherweise heute noch annehmen.
Alle möglichen Getreidearten dienten und dienen heute noch den verschiedenen primitiven Völkern zur Herstellung von Bier, das zum Teil schon vor der Begründung des Ackerbaus aus wildwachsenden Getreidearten und vor der Erfindung der Töpferei durch Erhitzen mit darein geworfenen heißen Steinen bereitet wurde, wie letzteres beispielsweise bei den Letten bis zum Ende des 18. Jahrhunderts noch der Fall war. Erst mit der Zeit traf man hierin eine Auswahl des Besseren und schließlich des Besten. Wie anderswo Hirsebier, so trank man noch im 12. Jahrhundert in Deutschland Hafer-, Weizen- und Gerstenbier. Wo aber schon frühzeitig vorzugsweise oder allein Gerstenbier genannt wird, so ist eben auch nur diese in Europa älteste Anbaufrucht die ursprünglich dazu benützte gewesen. Solchen Gerstentrank brauten schon die ältesten für uns nachweisbaren Ägypter. Sie nannten es haki und ließen zu seiner Herstellung, wie auch wir heute noch tun, die Gerstenkörner keimen und gewannen so aus dem Malz eine Zuckerlösung, die durch Hefegärung einen mäßigen Gehalt an Alkohol aufwies. Jedenfalls tranken sie dieses Erzeugnis gerne neben[S. 600] dem später aufgekommenen Wein. So mahnt der Schreiber Ani (ums Jahr 1000 v. Chr.) seinen Sohn Chunsuhotep nach einem auf uns gekommenen Papyrus: „Versitz nicht im Bierhaus die Zeit, und Übles vom Nächsten darfst du auch im Rausche nicht reden... Leicht fällst du zu Boden und brichst dir die Glieder, und keiner reicht dir die Hand zur Hilfe. Sieh deine Genossen, sie trinken und sagen. Geh heim, der du genug getrunken!...“ In einem in den Papyri Sallier und Anastasi uns erhaltenen Briefwechsel zwischen mehreren Schreibern rügt Kakabu das leichtsinnige Leben seines Kollegen Anana mit folgenden Worten: „Es ist mir gesagt worden, du verlassest das Schrifttum, du sehnst dich nach Lustbarkeiten, du gehest von Kneipe zu Kneipe. Der Biergeruch, wohin führt er? Man meide den Biergeruch, da er die Leute herunterbringt und ihren Geist benachteiligt.“ Trotz aller weiser Mahnungen muß es aber in Ägypten oft recht toll zugegangen sein und mancher schwere Rausch mit nachfolgendem Katzenjammer hat altägyptische Gelage beschlossen; denn gleich dem viel älteren Herodot, der ums Jahr 460 v. Chr. Ägypten bereiste, meldet uns der griechische Geschichtschreiber Diodoros aus Sizilien, der in der zweiten Hälfte des letzten vorchristlichen Jahrhunderts seine „Historische Bibliothek“ in 40 Büchern schrieb, daß das von den Ägyptern aus Gerste gebraute, als zýthos bezeichnete Bier sie so lustig mache, als ob sie Wein getrunken hätten. Und wir finden auch tatsächlich in den bildlichen Darstellungen an den Grabwänden drastische Beispiele für die Wirkung dieses Gerstensaftes. In Beni Hassan sehen wir zwei Sklaven ihren Herrn als „Bierleiche“ davontragen, und eine zweite Leiche folgt hinterher. In einem Wandgemälde des Gräberfeldes von Theben ist eine ägyptische Dame so mit Bier gefüllt, daß sie den Überschuß des aufge[S. 601]nommenen Getränks erbricht. Besonders ausgelassen muß es nach Herodot an den großen Festen zugegangen sein, an denen bis tief in die Nacht zu Ehren der zu feiernden Gottheit getrunken wurde. Die auf uns gekommenen griechischen Papyrusurkunden lehren uns, daß aber auch noch in späterer Zeit, als schon reichlich Wein gekeltert wurde, allenthalben in Ägypten viel Bier gebraut und getrunken wurde. Unter den prunkliebenden Ptolemäerkönigen war die Bierbrauerei sogar ein königliches Monopol, was gewiß nicht der Fall gewesen wäre, wenn der Ertrag aus diesem Gewerbe nicht sehr erklecklich gewesen wäre.
Ebensolche Biertrinker wie die Ägypter waren die nichtarischen Urbewohner Spaniens und Italiens, die Iberer und Ligurer, ebenso die arischen Stämme der Phrygier, Thrakier und Armenier. So sagt der um 25 n. Chr. verstorbene griechische Geograph Strabon: „Die Ligurer wohnen an der Südseite der Alpen, leben großenteils von der Milch ihrer Herden und trinken (bei Festlichkeiten) Gerstenbier (kríthinon póma).“ Ebenso an einer anderen Stelle: „Die Lusitanier (im heutigen Portugal) trinken Bier und nur selten Wein; statt des Öls gebrauchen sie Butter. Bei Trinkgelagen tanzen sie nach dem Takt der Flöte oder Trompete und springen dabei in die Höhe.“ Plinius dagegen sagt: „In Spanien braut man sogar ein Bier, das sich lange hält.“ Viel früher, nämlich schon ums Jahr 700 v. Chr., berichtet uns der Grieche Archilochos, daß die Phrygier und Thrakier aus Gerste und dem Würzkraut konýzē ein als brýton bezeichnetes Bier brauen und trinken. Ein anderer Grieche, Xenophon aus Athen, ein Schüler Platons, der im Jahre 400 v. Chr. als Vierzigjähriger die zehntausend Mann griechische Truppen, welche dem jüngeren Kyros gegen dessen Bruder Artaxerxes Mnemon zu Hilfe gezogen und geschlagen worden waren, durch das gebirgige Armenien ans Schwarze Meer und nach Byzanz führte, um sie von da aus zu Schiff nach Griechenland, ihrer Heimat, befördern zu lassen, berichtet in seinem über jenen strapaziösen Rückzug geschriebenen Bericht, der jedem Griechisch lernenden Schüler bekannten Anábasis, daß seine Leute, vom Karduchischen Gebirge kommend, in Dörfern rasteten, wo sie außer anderen Vorräten auch mit „Gerstenwein“ gefüllte Gefäße fanden. In ihnen habe noch die Gerste herumgeschwommen; zum Trinken aus diesem Gemisch dienten Rohrhalme, durch die man die Flüssigkeit einsog, ohne die darin befindlichen Gerstenkörner in den Mund zu bekommen. Das Getränk sei stark und berauschend gewesen, wenn man es nicht durch Zusatz von Wasser verdünnte; im übrigen aber hätten alle, die sich daran ge[S. 602]wöhnten, diesem den weintrinkenden Griechen sonderbaren Tranke Geschmack abgewonnen.
Auch von den alten Illyriern wird uns gemeldet, daß sie ein als sabaja oder sabajun bezeichnetes Bier tranken, und von den Pannoniern berichtet uns Priscus, als er sie im Jahre 448 n. Chr. gelegentlich einer Gesandtschaftsreise besuchte, daß sie aus Gerste ein als camum bezeichnetes Getränk bereiteten. Den weitaus ältesten Bericht über das Vorkommen von Bier bei den Mitteleuropäern verdanken wir aber dem unternehmenden griechischen Kaufmanne Pytheas aus Massalia, dem heutigen Marseille, der zu Ende des 4. vorchristlichen Jahrhunderts auf seiner Fahrt um die Ostküste Europas nach dem Bernstein liefernden Norddeutschland bis in die Nordsee vordrang und uns von den dort lebenden Stämmen berichtet, daß sie kaum Gartengewächse und Haustiere besäßen, sich aber, außer von Kräutern, Beeren und Wurzeln, von angebauter Hirse nährten, aus der sie ein Getränk brauten, das neben dem aus Honig erzeugten — also dem Met — im Gebrauch sei.
Dann berichtet der griechische Geschichtschreiber Diodoros aus Sizilien von den Germanen, daß sie ein meist aus Gerste gebrautes Bier trinken. Nach ihm sagt der römische Historiker Tacitus in seiner bekannten Schrift über Germanien: „Das Getränk der Germanen wird aus Gerste und anderem Getreide gebraut und ist weinartig. Die am Rheinufer Wohnenden kaufen auch Wein. Sie trinken so gierig, daß man sie ebensogut durch Lieferung berauschender Getränke, wie durch Waffengewalt überwinden kann.“ Schon im Altertum muß die Freude am Bier- wie am älteren Metgenuß allen Germanenstämmen gemeinsam gewesen sein und kein Fest wurde ohne Gelage gefeiert, an welchem diese Getränke reichlich getrunken wurden. So erfreuen sich auch in der Edda alle Götter daran, und der Meergott Ägir ist zugleich auch himmlischer Braumeister in Walhalla. Er besitzt — als Symbolisierung des Meeresbeckens, dessen Gott er ist — einen Riesenkessel und alljährlich einmal ladet er alle Asen zu einer feierlichen Kneiperei ein. Aber in derselben Sammlung von altnordischen Volksliedern, die als ältere Edda im 12. Jahrhundert auf Island vorgenommen und niedergeschrieben wurde, wird doch auch schon vor den schädlichen Folgen des Trinkens solcher berauschender Getränke gewarnt. So stammt aus Odins, des Göttervaters Sprüchen, der Ausspruch, daß zu reichlicher Met- und Biergenuß „der Sterblichen Stamme“ nichts tauge. Vor allzu schlimmen Wirkungen sollte das Legen der „Bierrune“ oder das[S. 603] Tragen der Wurzel des Zauberlauches (Allium victoralis) als Amulett schützen. Damals war das Trinken von Bruderschaft, das nicht mehr wie in der Urzeit mit Blut, sondern nur mit Met oder Bier vorgenommen wurde, eine heilige Handlung, die gegenseitiges Eintreten bis zum Tode bedeutete.
Selbstverständlich war das ganze Altertum und frühe Mittelalter hindurch die Bereitung des Bieres, wie auch des älteren Metes, für die kleinen Haushaltungen der Vorzeit Sache der Hausfrau, die das Kochen und alle übrigen Hausgeschäfte besorgte. Wie der Met war auch das Bier nicht nur Gesellschafts-, sondern auch Opfertrank. Als der heilige Columbanus ums Jahr 600 zu den Alamannen kam, da opferten diese dem Wodan noch regelmäßig Met oder Bier, indem sie ihm den ersten Ausguß weihten und den Rest zu seinen Ehren tranken. Später wurde der Zins an die Kirchen und Klöster vielfach in Form von Bier — in Norddeutschland Met — bezahlt. Der römische Naturforscher Plinius der Ältere berichtet, daß das Bier in Spanien caelia oder cerea, im keltischen Gallien dagegen cervisia genannt und in beiden Ländern aus verschiedenen Getreidearten gebraut werde. Doch scheint es den an den Genuß von Wein gewöhnten Römern nicht gemundet zu haben. Auch Kaiser Julian der Abtrünnige, der es, als er während der Mitte des 4. Jahrhunderts in Gallien weilte, hier versuchte, spottet darüber in einem uns noch erhaltenen Gedicht.
Diese Kelten Galliens haben das Bier, wie auch den auch von ihnen daneben noch häufig getrunkenen Met, zuerst in aus meist eichenen Dauben hergestellten Holzbottichen bereitet und dann in aus demselben Material hergestellten Fässern mit einer kleinen, oberen Öffnung kurze Zeit aufbewahrt und transportiert. Bis dahin waren bei den Römern und Griechen, wie bei den übrigen Kulturvölkern der alten Welt, große Tonkrüge (griechisch píthos, lateinisch dolium) im Gebrauch gewesen, und diese Neuerung nahmen die umwohnenden Völker als sehr zweckmäßig bald an. So treten uns in den Darstellungen der römischen Denkmäler des 3. Jahrhunderts n. Chr. in der Moselgegend Kufe und Holzfaß der Kelten auch für Bereitung, Aufbewahrung und Transport von Wein von seiten der Römer entgegen.
Jedenfalls würde das rohe „Gegorene“, das die Kelten und Germanen in ihren Grubenwohnungen oder sonstigen primitiven Behausungen bis ins Mittelalter hinein tranken, uns heutigen, so überaus verwöhnten Europäern sehr wenig munden; denn, abgesehen von allem anderen, ist die Bierbereitung mit Zusatz von Hopfen als Würze erst[S. 604] nach der Zeit der Völkerwanderung aufgekommen. Zwar war es — wie wir sahen — schon bei manchen der verschiedenen bierbereitenden Völker des Altertums gebräuchlich gewesen, dem Biere noch irgend ein würziges Kraut oder herbe Eichenrinde zur Verbesserung des sonst etwas süßlichen Geschmackes dem einfachen Malzauszuge beizufügen; aber Hopfen befand sich sicher nicht darunter, obschon er damals in ganz Mitteleuropa wildwachsend angetroffen wurde und durch seine aromatisch-bitteren Fruchtähren schon früh auffallen mußte und jedenfalls auch als Heilmittel diente.
Der Zusatz von Hopfen zu Bier, um den Gerstentrank würziger und heilkräftiger, zugleich aber auch haltbarer zu gestalten, verdanken wir nach den eingehenden Untersuchungen von Kobert wohl zuerst finnisch-ugrischen Stämmen. Bei Finnen, Letten und Esthen finden wir bereits in alten Traditionen und Sagen die Kenntnis und Anwendung gehopften Bieres. So wird auch in ihrem Nationalepos Kalewala, das jahrhundertelang durch mündliche Überlieferung erhalten wurde, bis es Lönnrot sammelte und geordnet herausgab, der Hopfen als Bierwürze genannt. Von diesen Stämmen der Ostsee drang die Sitte, das Bier mit Hopfen zu würzen, langsam westlich vor. Zwischen der Zeit des Abzuges der Angeln und Sachsen von der unteren Weser und Elbe nach England im Jahre 449 und dem Aufkommen der Karolinger als Hausmeier im Frankenreiche der Merowinger im 7. Jahrhundert muß dieser Gebrauch nach Westeuropa gelangt sein. Zuerst tritt er uns in nordgallischen Klöstern um die Mitte des 8. Jahrhunderts entgegen, und es klingt wie eine verdunkelte Erinnerung an die Einführung einer solch wichtigen Neuerung, wenn seit dem Mittelalter die Sage ging, daß in der Landschaft Brabant ein König Gambrinus das Würzen des Bieres mit Hopfen erfunden habe. Nun wissen wir aus den mittelalterlichen Urkunden jener Gegend, daß die besonders in den Klöstern amtierenden Bierbrauer mittellateinisch cambarii und ihre Werkstatt, das Brauhaus, camba hieß. Aus diesem cambarius hat die geschäftige Legende einen König Gambrinus gemacht; aber dieser Erfinder des gehopften Bieres trug keine Krone, sondern den geschorenen Scheitel und die wollene Kutte eines Mönchs. Und bei den engen Verbindungen der Klöster untereinander ist es nicht zu verwundern, daß das Hopfenbier mehr und mehr in Aufnahme kam und das weniger schmackhafte und haltbare ungehopfte Bier allmählich verdrängte.
Die erste nachweisbare Erwähnung einer Hopfenpflanzung be[S. 605]findet sich unter der Bezeichnung humularia in einer Schenkung Pippins des Kleinen, des Sohnes Karl Martells und Vaters Karls des Großen, aus dem Jahre seines Todes 768; vierhundert Jahre später war die heilige Hildegard, Äbtissin des Klosters Rupertsberg bei Bingen (1098–1197), der erste Autor, der den Hopfen als würzenden Zusatz zu Bier nennt. Zu ihrer Zeit pflanzte man schon ziemlich Hopfen in Bayern, Franken und Niedersachsen, aber erst im 14. Jahrhundert wurde die Kultur dieser Pflanze in Deutschland von größerer Bedeutung. Während des ganzen Mittelalters trank man in den Klöstern Europas viel Bier in mancherlei Sorten wie Gersten-, Weizen- und Haferbier; das letztere scheint nach den Aufzeichnungen des Klosters St. Gallen im 10. Jahrhundert das gewöhnliche Alltagsgetränk der Mönche gewesen zu sein, und erstere müssen mehr Festgetränke gebildet haben. In den Klöstern, wohin die leibeigenen Bauern den Zehnten ihres Gewinnes an Vieh und Frucht abzugeben hatten, lernte das Volk dieses Getränk kennen und schätzen. So bildeten sich mit der Zeit in Dörfern und Städten öffentliche Bierbrauereien, deren Erzeugnisse teilweise weithin Ruf erlangten.
Neben dem Hopfen dienten damals noch alle möglichen anderen Pflanzenstoffe als Bierwürze, so besonders die Blätter von Esche, Porsch, Rosmarin und Myrte. So zählt das Hausbuch von Colerus aus dem 16. Jahrhundert an „medizinalischen Bieren“ auf: Rosen-, Wermut-, Salbei-, Beifuß-, Polei-, Isop-, Rosmarin-, Wolgemut-, Nelken-, Lavendel-, Lorbeer-, Melissen-, Kirsch-, Haselwurz-, Eichel-, Schlehen-, Himbeeren- und Hirschzungenbier. Auch von einem Honigbier melden uns bereits die Konzilienbeschlüsse von Worms aus dem Jahre 868 und Tribur 895.
Je mehr nun das Trinken des gehopften Bieres aus den Klöstern in die Laienkreise überging und besonders unter der Bürgerschaft der Städte Aufnahme fand, um so mehr suchte die Obrigkeit seine Herstellung zu regeln. So enthalten bereits die Königsurkunden der Merowinger Bestimmungen über Herstellung, Aufbewahrung und Verkauf von Bier. Nach ihnen erließen die Karolinger und die verschiedensten Herrscher des Mittelalters Verordnungen über die Fabrikation und den Ausschank dieses wichtigen Volksgetränkes. In den freien Reichsstädten wirkte jeweilen der Rat in diesem Sinne und schrieb vielfach die dazu zu verwendenden Rohstoffe vor. So ließ beispielsweise eine Verordnung der freien Reichsstadt Nürnberg vom Jahre 1290 einzig den Gebrauch der Gerste zur Bereitung von Bier zu und verbot[S. 606] Dinkel, Weizen, Roggen und Hafer dazu zu nehmen. Im 14. Jahrhundert taten sich die Bierbrauer in den Städten zu Zünften zusammen und wählten den mythischen König Gambrinus von Brabant zu ihrem Schutzpatron.
Während des späteren Mittelalters wurde das Bier wenigstens in Süddeutschland mehr und mehr von dem als vornehmer geltenden Weine verdrängt, bis später das haltbarere, nach besseren Braumethoden bereitete norddeutsche Bier das verlorene Terrain wieder einigermaßen eroberte. So hatte im 16. Jahrhundert das Einbeckerbier, das auch Luther mit Vorliebe trank, einen besonderen Ruf und wurde weithin versandt. Nach ihm wird das heutige Bockbier genannt. Im Jahre 1591 wurde das Münchener Hofbräuhaus eröffnet, und erst vom 17. Jahrhundert an wandte sich die bis dahin Rebbau treibende und Wein trinkende Bevölkerung Bayerns wiederum dem Biere zu. Lagerbier braut man in Deutschland seit dem 13. Jahrhundert. 1492 erfand Christian Mumme in Braunschweig das nach ihm benannte Bier, das später selbst nach Indien exportiert wurde, und 1738 kam die Gose, ein obergäriges Bier, aus dem Dessauischen nach Eutritzsch im Sächsischen. Hier erzeugte eine einzige Brauerei 30000 Hektoliter jährlich und versorgte mit seinem Erzeugnis das benachbarte Leipzig. Im Jahre 1541 wurde in Nürnberg das erste Weißbier gebraut. Sonst war das Weizenbier besonders in England beliebt, das während des ganzen 15. Jahrhunderts von dort viel nach Hamburg ausgeführt wurde. 1526 begann man es in Hamburg selbst zu brauen, ebenso seit 1572 in Berlin, wo es sich zum heutigen Weißbier entwickelte.
In England war die Anwendung des Hopfens beim Brauen von Bier bis ins 15. Jahrhundert verboten. Noch im 17. Jahrhundert erhob die Bevölkerung von London beim Parlament Beschwerde „gegen zwei der größten Übelstände ihrer Zeit“ — gegen den Steinkohlengebrauch, dessen Rauch die Luft verpeste, und gegen den Hopfenzusatz zum Biere, weil dadurch der angenehm süßliche Geschmack dieses Getränkes verdorben werde. Ale und Porter werden in England seit kaum mehr als hundert Jahren gebraut. Ersteres wurde vom Braumeister Harwood erfunden und ist hell, wird wenig gekocht, aber stark gehopft, letzteres dagegen ist dunkel und wird durch langes Kochen aus stark gedörrtem, dunkelm Malz gewonnen, ist daher recht vollmundig. Beide enthalten bis 8 und 9 Prozent Alkohol, während das gewöhnliche Bier nicht mehr als 3 bis höchstens 5 Prozent dieses Stoffes enthält.
Noch heute steht Europa unter den biererzeugenden Erdteilen mit etwa 203 Millionen Hektolitern Jahreserzeugnis weitaus an erster Stelle; dann folgen die Vereinigten Staaten von Nordamerika mit 65 Millionen Hektolitern, Australien mit 2,5 Millionen, Südamerika mit 1,5 Millionen, Asien mit 0,6 Millionen und Afrika mit 0,15 Millionen Hektolitern. Von den europäischen Staaten überragt das Deutsche Reich bei einer jährlichen Produktion von annähernd 74 Millionen Hektolitern Bier — also mehr als einem Drittel der Weltproduktion (!) — die übrigen Staaten bedeutend. Ihm folgen Großbritannien und Irland mit 58 Millionen Hektolitern, Österreich-Ungarn mit 22 Millionen, Belgien mit 16,5 Millionen, Frankreich mit 14,5 Millionen, Rußland mit 6,6 Millionen, Schweden mit 3,3 Millionen, die Schweiz mit 2,6 Millionen, Dänemark und die Niederlande mit je 2,5 Millionen Hektolitern jährlich. Von den 74 Millionen Hektolitern Jahresproduktion des Deutschen Reiches entfallen auf Norddeutschland 47 Millionen, auf Süddeutschland 27 Millionen, davon auf Bayern 18,4 Millionen Hektoliter. Wenn nun auch Deutschland das meiste Bier erzeugt, so konsumiert es gleichwohl nicht am meisten, sondern kommt darin, auf den Kopf der Bevölkerung berechnet, erst an dritter Stelle. Mit einem gewaltigen Vorsprung marschieren Belgien mit 222 Litern, dann England mit 146 Litern Bierverbrauch pro Kopf der Bevölkerung jährlich. Deutschland mit 119 Litern folgen Dänemark mit 93 Litern, die Vereinigten Staaten von Amerika mit 76 Litern, die Schweiz mit 65 Litern, Schweden mit 52 Litern, Österreich-Ungarn mit 41 Litern, Frankreich mit 34 Litern, Norwegen mit 14, Rußland mit 5, Spanien mit 1,3 und Italien mit 1 Liter.
Bei den Völkern des klimatisch gesegneten Mittelmeergebietes hat von jeher der Wein den Vorzug vor dem Biere erhalten, wenn letzteres überhaupt gebräuchlich war und die Bevölkerung nicht etwa noch am altertümlicheren Mete hing. Wie den Syrern und Kleinasiaten galt auch den Griechen der Wein als weitaus das edelste aller gegorenen Getränke. Schon in homerischer Zeit, d. h. vor dem Jahre 1000 v. Chr., stand er bei den Völkern um das Ägäische Meer in allgemeinem Gebrauch und wird als eine natürliche Gabe des Landes vorausgesetzt. Brot, Wein und Kleider waren für die Menschen jener Zeit die drei ersten Lebensbedürfnisse. In der Ilias wird besonders Phrygien durch das kennzeichnende Beiwort ampeloéssa, d. h. das rebenbepflanzte, bezeichnet, und auf dem ehernen runden Schilde des Achilleus soll unter anderem auch eine Weinlese dargestellt gewesen[S. 608] sein. In der Odyssee werden die Gärten des Alkinoos, des Königs der Phäaken, wie auch des Odysseus als durch eine Fülle von Trauben ausgezeichnet geschildert. In seiner Heimat auf der Insel Ithaka besaß letzterer, nach den Mitteilungen im Epos, selbst ausgedehnte Rebberge, von deren Ertrag die Hirten und selbst ihre Unterknechte den Wein tranken. Und als Odysseus nach seinen langen Irrfahrten in seine Heimat zurückkehrte, wurde er von seinem getreuen „göttlichen“ Schweinehirten Eumaios mit Ferkelbraten und Wein bewirtet.
Eine Menge alter Landschafts- und Städtenamen des alten Griechenland sind vom Wein und vom Rebbau abgeleitet oder führen den kennzeichnenden Beinamen der rebenreichen als Beweis dafür, wie populär die Kultur dieser Nutzpflanze in diesem Lande schon in sehr früher Zeit war. Auch in späterer Zeit waren besonders reich an Rebbergen die kleinasiatische Küste des Ägäischen Meeres und das dahinter gelegene Land, besonders Mysien, von wo, wie Herodot berichtet, die Kunst der Weinbereitung in grauer Vorzeit zuerst zu den wilden Thrakern, den Verehrern des Kriegsgottes Ares, gelangte.
Die edle Weinrebe (Vitis vinifera) war ursprünglich nicht in diesen Gegenden heimisch, sondern sie gelangte, wie der Gott des Weines und des Natursegens überhaupt, Dionysos, dem der ferne Orient, ja Indien, die Heimat sein sollte, aus Westasien dahin, wo sie in den ausgedehnten Waldungen zwischen Kaukasus, Ararat und Taurus heute noch wildwachsend gefunden wird. Dort schlingt sie ihre aus einem bis armdick werdenden Stamme hervorsprossenden Zweige lianenartig von Baumkrone zu Baumkrone und läßt ihre im Naturzustande kleinen und etwas herben Trauben reifen, die der Mensch im Laufe der Jahrhunderte durch Kulturauslese größer, saftiger und süßer gestaltete. Dies geschah wohl zuerst irgendwo in ihrer Heimat im Berglande Armenien. Die Bezeichnung Wein, wie auch das lateinische vitis = Rebe scheint zur urindogermanischen Wurzel uei oder ui „sich winden“ zu gehören. Nach S. Schraders einleuchtender Vermutung wurzelt der Name speziell im Armenischen, von wo er sich einerseits zu den Westsemiten, andererseits über Kleinasien zu den Balkanvölkern und von da zu den Griechen verbreitete. So ist aus dem älteren uainio einesteils das semitische jáin und arabische wain, andernteils das phrygische uaina, daraus das griechische oinos und zuletzt das lateinische vinum entstanden, aus welchem dann die verschiedenen heutigen europäischen Bezeichnungen dieses Getränkes hervorgingen.
Wenn wir nun auch offenkundig den indogermanischen Stämmen[S. 609] Vorderasiens die Verbreitung des Namens Wein verdanken, so muß doch die Kultur des Weinstocks älter sein als sie und ist zweifellos einem vorarischen Volke zu verdanken, das aber jedenfalls kein semitisches war. Charakteristischerweise nennt auch die biblische Überlieferung keinen Semiten, sondern den gemeinsamen Ahnherrn der Semiten, Hamiten und Japhetiten als ersten Weinbauern. Es ist dies bekanntlich Noah, der sich nach der großen Flut (Sintflut, d. h. allgemeine Flut) am Fuße des Berges Ararat, unweit des armenischen Hochlandes, niedergelassen haben soll. Hier nahm er den Weinstock in Pflege und trank von dessen vergorenem Safte. „Noah aber fing an, ward ein Bauer und pflanzte Weinberge. Und da er vom Wein trank, ward er trunken und lag in der Hütte nackt.“ Da sah nun sein jüngster Sohn Ham seines Vaters Scham und sprach davon zu seinen beiden Brüdern draußen. „Da nahmen Sem und Japhet ein Gewand, legten es auf ihre beiden Schultern und gingen rücklings hinzu und deckten ihres Vaters Scham zu; und ihr Gesicht war abgewandt, damit sie ihres Vaters Scham nicht sahen. Als nun Noah erwachte von seinem Wein und erfuhr, was ihm sein kleiner Sohn getan hatte, so verfluchte er ihn und sprach: er sei ein Knecht aller Knechte unter seinen Brüdern.“ 1. Mose 9, 20–23. Auch später gehörte der Wein bei seinen Nachkommen zu den Bedürfnissen des Lebens. Als Jakob Isaak segnete, sprach er: „Gott gebe dir vom Tau des Himmels und der Fettigkeit der Erde und Korn und Wein die Fülle.“
Nach ihrer eigenen Geschichtserzählung fanden die Juden den Rebstock als längst eingeführte Kulturpflanze in Palästina vor, als sie ums Jahr 1250 v. Chr. dieses Land eroberten. Es sei hier nur an die Kundschafter erinnert, die Moses aussandte, und die dann mit Trauben von seltener Größe beladen aus dem Lande Kanaan zurückkehrten. Dort heißt es wörtlich: „Und sie kamen bis an den Bach Eskol und schnitten daselbst eine Rebe ab mit einer Traube und ließen sie zwei an einem Stecken tragen, dazu auch Granatäpfel und Feigen.“ 4. Mose 13, 24. Ferner an die Verheißung Jahves, die er seinem Volke durch Mose kundtun ließ: „Denn der Herr, dein Gott, führet dich in ein gutes Land, worinnen Bäche, Brunnen und Seen sind, die an den Bergen und durch Auen fließen, ein Land, da Weizen, Gerste, Weinstöcke, Öl-, Feigen- und Granatbäume darinnen sind, da es Öl und Honig gibt, ein Land, da du Brot genug zu essen hast und dir nichts mangelt.“ 5. Mose 8, 7 u. 8.
Solange sie selbst noch nomadische Viehzüchter waren, hatten sie[S. 610] für Milch und Honig als die für sie begehrenswertesten Nahrungs- und Genußmittel geschwärmt und sich auf ihrem Zuge durch die Wüste einen Wohnsitz gewünscht, der ihnen solche Herrlichkeiten in Fülle böte. Da entdeckten sie in diesem ihnen von ihrem Gotte Jahve durch Moses gelobten Lande die großbeerigen Trauben und die daraus gepreßten Vorräte von Wein, den die älteren unter ihnen von Ägypten her kannten und den sie auf ihrer langen Wüstenwanderung gewiß bitter entbehrt hatten. Sie fuhren nun fort, die eroberten Rebberge zu kultivieren und wiederum selbst, wie einst im Lande Gosen, Wein zu keltern und in großen Tonkrügen mit Ölabschluß oder in Schläuchen aufzubewahren, wie solches sie und ihre Vorfahren schon in Ägypten getan hatten. Denn im Niltale war schon zu Ende des 4. vorchristlichen Jahrtausends neben dem älteren Gerstenbier auch der Wein als Genußmittel bekannt, der, wie die Wandmalereien in den Grüften der Vornehmen jener Zeit bekunden, aus im Lande selbst gezogenen Reben gekeltert wurde. Zwar berichtet der griechische Geschichtschreiber Herodot, der um 460 v. Chr. selbst in Ägypten war, Ägypten besitze keine Weinstöcke und bringe keinen Wein hervor; auch sollte derselbe nach demselben Gewährsmann dort weder getrunken, noch zum Opfer verwendet worden sein. Aber das war zweifellos eine unrichtige Beobachtung des Griechen, der wohl nicht sehr weit im Lande herumkam und dort das gemeine Volk nur Gerstenbier trinken sah.
Die zahllosen Darstellungen an den Grabwänden der altägyptischen Totenstädte und das Bild der Weinrebe, ihrer Kultur und Ernte in den ältesten Monumenten und Papyrustexten tun uns aufs unzweideutigste kund, daß die Rebe bereits zu Beginn des 3. vorchristlichen Jahrtausends in ausgedehntem Maße in Ägypten kultiviert wurde. Die Rebe und die reife Traube hießen im Altägyptischen aruri, der Wein arp, während die unreifen Beeren gangani und die von den Trauben gelesenen und an der Sonne getrockneten Beeren, die auch mit Vorliebe den Toten mitgegeben wurden, ashep genannt wurden. Solche getrocknete Weinbeeren haben sich häufig in den altägyptischen Gräbern gefunden und wurden auch zu Opfern verwendet. Herodot berichtet uns, daß man dem beim Opfer an die Isis verbrannten Stier außer Weihrauch, Myrrhen, Honig und Feigen auch solche getrocknete Weinbeeren in den Bauch tat.
Schon durch eine der ältesten hieroglyphischen Inschriften erfahren wir von Amten, dem Oberjägermeister des Königs Snofru aus der 3. Dynastie (um 2900 v. Chr.), daß er inmitten eines großartigen[S. 611] Parkes einen Weingarten anlegte und daraus sehr viel Wein gewann. Bereits im alten Reiche (2980–2475 v. Chr.) werden nach den Inschriften vier Sorten Wein angeführt und nach Farbe und Ursprungsort als schwarzer, roter, weißer und nördlicher (aus dem Delta) bezeichnet. Aus dem Papyrus Harris I. erfahren wir, daß Ramses III. aus der 20. Dynastie (1200–1090 v. Chr.) nicht nur in Ober- und Unterägypten, sondern auch in den verschiedenen Oasen westlich vom Niltal Weingärten „ohne Zahl“ anlegen ließ, und namentlich dem berühmten Weinberg Ka-en-kêmet, der den ausgedehnten Gartenanlagen des großen Ammontempels in Theben angehörte, seine besondere Fürsorge widmete.
Bis in die Ptolemäerzeit lassen sich die Spuren einer fleißigen Kultur der Weinrebe in Ägypten verfolgen. Die meisten Weingärten lagen im arsinoitischen Nomos (Gau), dem heutigen Fajûm, und im Delta. So waren bei den Griechen und Römern verschiedene Weinsorten aus jenen Gegenden sehr berühmt, so der mareotische, plinthinische, taniotische, sebennitische, selonnytische, ekboladische und der von Koptos und Anthylla. Man zog die Rebe an Spalieren, in Lauben oder an Stangen. In den Wandgemälden sind die Rebstöcke rotbraun, das Laub grün und die Trauben meist dunkelblau, seltener blaßrot oder blaßviolett dargestellt. Auf einem der Gemälde in der Totenstadt Theben begießt einer der Winzer die Stöcke des Weingartens; zwei andere pflücken Trauben, noch andere tragen sie in großen Körben von dannen und ein Knabe verscheucht mit einer Holzklapper die daran zu naschen versuchenden Vögel. — Die Trauben wurden durch Austreten mit den Füßen in Holzkufen gekeltert und der ausgepreßte Saft floß seitlich durch einen mit Hahn verschließbaren Auslauf in die daneben gestellten Bottiche. Um den ausgetretenen Beeren die letzten Saftreste zu entnehmen, tat man sie in grobe Leintücher oder Bastmatten und drehte an den beiden Enden, an denen zur größeren Kraftentfaltung Holzstäbe staken. Der dabei ausfließende Saft wurde in großen, nach unten spitz auslaufenden Tongefäßen aufgefangen. Auf Grabgemälden in Beni Hassan und an andern Orten finden wir sowohl Männer als Frauen mit solchem Auspressen der Beeren beschäftigt. Zuletzt wurde der Most filtriert und in große, oft mehr als 1,5 m hohe Tonkrüge geleert, darin mit Deckeln verschlossen, versiegelt, von den Schreibern notiert und in den Vorratskammern entweder auf besondere Holzgestelle oder den Wänden entlang in langen Reihen nebeneinander aufgestellt. An diesen umfangreichen, teilweise[S. 612] zweihenkeligen Tonkrügen von sehr gefälliger Amphorenform wurde dann zum Schluß die Aufschrift arp, d. h. Wein angebracht. Wo verschiedene Sorten nebeneinander zur Aufbewahrung gelangten, war genau notiert, ob sie abs arp, d. h. Weißwein, tesr arp, d. h. Rotwein oder sonst eine Marke enthielten, damit keine Verwechslung möglich war. Zum täglichen Bedarfe entnahm man ihn durch Ansaugen vermittelst langer Heber und mischte ihn nach Belieben mit andern Weinsorten oder Wasser. So sehen wir auf einer Darstellung der Gräberstadt von Theben einen Schenken vermittelst dreier Heber aus Metall Wein aus drei verschiedenen kleinen Krügen, die auf einem Gestell von drei übereinander gereihten Lagen von je vier Krügen ruhen, entnehmen, um sie in einer auf einem Taburett stehenden flachen, zweihenkeligen Schale zu mischen und den Gästen beim Mahle als Trank zu reichen.
Most und Wein scheinen den alten Ägyptern vortrefflich gemundet zu haben. An einer Wand des großen Tempels zu Edfu ist der König mit einem Becher in der Hand dargestellt und die erläuternde Inschrift lautet: „Man tat Weinbeeren in das Wasser, davon trinkend sprach der König...“ In manchen altägyptischen Gedichten wird der Wein als „Seife der Sorge“ bezeichnet, und im „Liede des Harfners“ aus dem Grabe des altthebanischen Königs Entufe heißt es ermahnend: „Mit strahlendem Gesicht feiere einen frohen Tag und ruhe nicht an ihm; denn niemand nimmt seine Güter mit sich und niemand kehret wieder, der dahingegangen ist.“ Und daß man sich trotz des so weitgehenden Totenkultes die Freude am vollen Lebensgenuß nicht nehmen ließ, das zeigen die häufig zur Darstellung gelangten Trinkgemälde an den Wänden altägyptischer Gräber. Andere weisen die Folgen solcher Trinkgelage auf. So tragen in einem Grabgemälde von Beni Hassan zwei Sklaven ihren sinnlos betrunkenen Herrn an Kopf und Füßen gefaßt von einem Trinkgelage heim. Ihnen folgen drei andere, über deren Köpfen regungslos ausgestreckt der Körper seines Kumpanen liegt. Der erste der Diener hält mit der einen Hand das schwer herabhängende Haupt des Gebieters. Neben Gelagen von Männern der obersten Gesellschaftskreise finden wir auch solche von Damen dargestellt. So führt uns ein Wandgemälde zu El kab in eine mit Lotosblüten geschmückte zahlreiche Damengesellschaft. Der Knabe, welcher die munteren Schönen bedient, reicht einer derselben eine flache, mit Wein gefüllte Trinkschale und spricht: „Trinke bis zum Rausche und feiere einen guten Tag; merke auf die Worte deiner Nachbarin. Werde[S. 613] nicht müde.“ Einer andern Dame braucht diese Aufforderung nicht erst gesagt zu werden. Sie ruft dem kleinen Diener zu: „Reiche mir 18 Becher mit Wein. Siehe, ich sehne mich nach einem Rausche! Die Stätte, an der ich weile, ist von Stroh!“ Aus solchen und andern Äußerungen des ägyptischen Volksgeistes ersieht man, daß man damals selbst an der Stätte des Todes den derben Humor nicht scheute.
Auf einem Grabgemälde der Totenstadt Thebens werden bei einem Gelage mehrere Weinsorten gemischt und wir sehen zur Entnahme des Weines mehrere lange Heber in Funktion, deren einer vom Diener eben an den Mund gesetzt wird, um durch Ansaugen die Luft darin zu verdünnen und den Inhalt eines Kruges zum Herausfließen zu bringen. An den großen Festen zu Ehren der Götter floß der Wein in Strömen, so besonders bei der Techu(d. h. Volltrink)feier und an dem bacchanalischen Bubastisfeste, das man mit großen Opfern, Schwelgereien und sehr ausgelassenen, uns sittenlos vorkommenden Aufführungen beging und an welchem, wie Herodot berichtet, an einem Tage mehr Wein getrunken wurde, als während des ganzen übrigen Jahres zusammengenommen.
In den langen an den Tempelwänden verzeichneten Geschenklisten der Pharaonen bilden unter den liegenden Gütern auch Weinberge und Baumgärten, wie auch Krüge mit Wein eine nicht unbedeutende Rolle. So schenkte nach dem Papyrus Harris Ramses VII. (um 1100 v. Chr.) den Tempeln Ober- und Unterägyptens insgesamt 514 Weinberge und Baumgärten, und während seiner 31jährigen Regierungszeit wurden von ihm 28080 Krüge Wein für die Priester außer 228380 Krügen Rebensaft für die Opferfonds gestiftet. Gaben an Wein nebst Brot, Kuchen und Fleisch von Haustieren, besonders Gänsen, fehlten keinem Opfer, sei es an die Himmlischen, sei es an die Geister vornehmer Verstorbener. Solchen Totenopfern verdanken wir auch die Reste von Weintrauben, die mehrfach in Form von zusammengeschrumpften schwärzlichen Rosinen von holziger Beschaffenheit, teilweise noch mit dem bläulichen Wachsüberzug bedeckt, auf uns gekommen sind. In manchen derselben konnte noch der einst beim Trocknen ausgeschiedene Traubenzucker nachgewiesen werden.
Wie der Weinbau bereits zu Ende des 4. vorchristlichen Jahrtausends aus dem mesopotamischen Hochlande über Mesopotamien und Syrien nach Ägypten gelangt war, so wanderte er etwas später durch ganz Kleinasien, und gelangte schließlich an die Ostküste und auf die Inseln des Ägäischen Meeres, wo er um die Mitte des 2. vorchrist[S. 614]lichen Jahrtausends bereits eingeführt war. Auch die Mykenäer pflanzten schon Reben, wie uns die Traubenkerne beweisen, die in den Ruinen der mykenischen Burgen von Tiryns im Peloponnes und von Troja am Hellespont aus dem 16. und 15. vorchristlichen Jahrhundert gefunden wurden. Immerhin beweist uns ihre auffallende Kleinheit, daß die damals von ihnen gepflanzte Rebe noch recht kleinbeerig und wenig durch Kultur veredelt war. Dasselbe beweisen auch die Reihen mächtiger, von den Griechen pithoi genannter Vorratskrüge aus gebranntem Ton in den Palästen von Knosos und anderer Herrensitze aus mykenischer Zeit auf der Insel Kreta, die außer für Getreide und Öl jedenfalls auch ganz besonders zur Aufbewahrung von Wein gedient haben werden.
Die Kultur der Rebe scheint auf zwei verschiedenen Wegen nach Griechenland gelangt zu sein. Der eine, ältere ging, wie erwähnt, über Kleinasien und Thrakien, von woher die Griechen den Weinbau und den damit zusammenhängenden Dionysoskult erhalten haben wollen. Von solchen Reben an der thrakischen Küste bereiteten Wein tranken nach Homer die Griechen bei der Belagerung Trojas, die ihn nach den Angaben in der Ilias beim Genusse nicht weniger als zwanzigfach mit Wasser verdünnt genossen. Der andere, jüngere Weg führte der Südküste Kleinasiens entlang über die Inseln Kreta, Naxos und Chios, die ebenfalls mit dem Dionysoskult in engerer Verbindung standen, nach dem griechischen Festlande. Auf diesem letzteren scheinen die schiffahrtkundigen Phönikier in erster Linie die Vermittler gewesen zu sein.
Besonders berühmt war im alten Griechenland der pramnische Wein vom Berge Pramne auf der Insel Ikaros und der maroneische von der thrakischen Küste, dann diejenigen der Inseln Lesbos, Kos und Thrasos. Doch würden sie wahrscheinlich unseren Beifall nicht ganz gefunden haben, da man sie nach uralter Sitte durch Zusatz von Harz der Aleppokiefer (Pinus maritima) haltbar zu machen suchte; deshalb bildet ein Tannenzapfen den Knauf des rebenumwundenen Thyrsosstabes, den die Bacchanten am Feste des Gottes Dionysos mit Weinlaub bekränzt schwangen.
Schon bei den Griechen haben sich eine Menge Sitten und Gebräuche an die geselligen, mit Weingelagen einhergehenden Zusammenkünfte geknüpft. Das Präsidium besaß der symposiárchos, der die Sitzung leitete und das Zutrinken bewachte. Den ersten Schluck brachte man dem Weingotte Dionysos selbst dar, den zweiten dem Göttervater Zeus, den dritten der Gesundheit und den vierten dem[S. 615] Götterboten Hermes, dem Herrn der Nacht, dem Spender des Schlafes und der süßen Träume. Dabei bekränzte man sich mit Weinlaub und Rosen und erfreute sich dabei der vollkommensten Redefreiheit, die denn auch bei dem witzigen, geistreichen Volke gehörig ausgenutzt wurde.
Mit der ausgedehnten griechischen Koloniengründung kam der Weinstock und sein Anbau sehr früh auch nach Sizilien und Unteritalien und von da in der Folge zu den damals noch auf Mittelitalien beschränkten Römern, die aus dem Akkusativ des griechischen oínon den Namen vinum für Wein bildeten. Bevor die Römer durch die unteritalischen Griechen mit diesem Getränke bekannt gemacht wurden, kannten sie als Getränk außer Wasser nur die Milch der Herdentiere, welche auch die ältesten uns bekannt gewordenen Opfersatzungen dieses Volkes den Göttern zu opfern geboten. Wenn auch nicht besonders angeführt, wird auch Met bei festlichen Anlässen getrunken worden sein, Bier dagegen fehlte. Während aber noch Romulus den Göttern Milch als das vornehmste Getränk opferte, verbot schon Numa Pompilius, der zweite König von Rom, der von 715–672 v. Chr. geherrscht haben soll, bei den Totenfeiern den Holzstoß, auf dem die Leichen verbrannt wurden, mit dem aus Großgriechenland importierten Wein zu besprengen.
In Unteritalien gedieh die Rebe so üppig, daß schon Herodot im 5. vorchristlichen Jahrhundert diesem Lande die Bezeichnung Oinótria, d. h. Land der Weinpfähle gab, weil hier die Weinstöcke an Pfählen gezogen wurden, im Gegensatz zu den Landschaften, wo sie an Bäumen emporwuchsen, wie in Etrurien und Campanien, dem Gebiete des alten Kulturvolkes der Etrusker oder Tusker, oder ohne Stütze kurz und niedrig gehalten wurden, wie im südlichen Gallien und Spanien, wohin die Rebe vielleicht schon durch die handeltreibenden und ebenfalls noch vor den Griechenstämmen Kolonien gründenden Phönikier gelangte. In Latium, wo die Rebenkultur erst im Jahre 180 v. Chr. soll in Aufnahme gekommen sein, untersagten die früheren römischen Gesetze Frauen überhaupt und Männern vor dem 25. Jahre Wein zu genießen. Später aber war man darin viel nachsichtiger, wie dies bei den Griechen Sitte war. Zu Ende der Republik werden uns in Mittelitalien die Landschaften Campanien und Picenum als besonders weinreich geschildert. Auch in die Gegenden um die Pomündungen muß der Weinstock mit dem griechischen Seeverkehr schon früh gekommen sein, so weit der niedrige, leicht Überschwemmungen ausgesetzte Boden diese Kultur gestattete. Mit Recht verwundert sich der im letzten vor[S. 616]christlichen Jahrhundert in Italien lebende griechische Geograph Strabon über das merkwürdige Zusammentreffen der dortigen Sümpfe mit überaus reichem Weinbau. Tatsächlich war der Wein zur römischen Kaiserzeit in Ravenna wohlfeiler als Wasser, so daß der ums Jahr 102 n. Chr. verstorbene bissige römische Dichter Martialis in einem bekannten Epigramm meinte, er möchte daselbst lieber eine Zisterne mit Wasser als einen Weinberg besitzen, und sich beklagt, ein betrügerischer Schankwirt jener Stadt habe ihm einst reinen Wein, statt den von ihm verlangten mit Wasser vermischten verkauft.
Es galt nämlich sowohl bei den Griechen, als auch bei den Römern der früheren Zeit für unfein und war deshalb verpönt, den Wein, weil ziemlich stark, pur zu trinken. Man verdünnte ihn deshalb stets reichlich mit Wasser. Erst in späterer Zeit, als die Sitten üppiger wurden, begann man vielfach unverdünnten Wein zu trinken. Dabei kühlte man den Wein auf Eis, versetzte ihn gerne mit Gewürzen und fing an nach alten Jahrgängen zu trachten. Bei den prunkvollen Gastmählern der Vornehmen Roms mußte schon acht- bis zehnjähriger Wein aufgetischt werden, um geschätzt zu werden. Aber noch viel älteren, selbst zweihundertjährigen Wein gab es damals. So mundete dem im größten Luxus aufgewachsenen Kaiser Caligula, der von 37 bis 41 n. Chr. regierte, vornehmlich Wein vom Jahre 121 v. Chr., dem besten Jahrgange, den Italien jemals erlebt hatte. Dieser vor allen geschätzte Wein wurde der opimische genannt, weil damals Opimius Konsul war. Es war dies übrigens das verhängnisvolle Jahr, in welchem der letzte der Gracchen, Gajus, wegen der mit seinem Bruder Tiberius veranlaßten Äckerverteilungen zugunsten der ärmeren Bürger, einen gewaltsamen Tod fand. Selbstverständlich war das kein billiger Wein; denn nach dem Berichte des älteren Plinius kam eine Amphore solchen Weines auf mehr als 240000 Mark zu stehen. Da nun die Amphore 20 Liter faßte, so kostete also der Liter dieses berühmten opimischen Weines nicht weniger als 12000 Mark. Ein Genuß, den sich allerdings nur die Allerreichsten der reichen Römer leisten konnten. Daß es aber damals überhaupt so alte Jahrgänge gab, beweist, daß man sich also im Altertum weit besser auf die Konservierung von Wein verstand als im modernen Italien, dessen Weine kaum eine einjährige Aufbewahrung zulassen. Zu solchem Zwecke versetzte man ihn mit dem Harz der Strandkiefer, mit Gips oder Ton, auch Marmor- und Kalkstaub — letzteres, um ihm die Säure zu nehmen —, oder man kochte ihn ein, vielfach mit Zusatz von wohlriechenden Kräutern. Der[S. 617] ältere Plinius rühmt speziell das Anmachen des Weins mit Seewasser als für den Magen besonders heilsam.
Hatte zunächst in der alten Kulturwelt Griechenland lange Zeit hindurch ein Monopol mit seinen Weinen ausgeübt, so übernahm ein solches mit dem Beginne der christlichen Zeitrechnung das durch die römische Weltherrschaft mächtig gewordene Italien. Zur Zeit des älteren Plinius um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. gehörten von den 80 berühmtesten Weinlagen der damaligen Kulturwelt mehr als zwei Drittel der italienischen Halbinsel an, die durch diesen ihren Reichtum den Sieg über die Pflanzenschätze aller Länder davontrug mit alleiniger Ausnahme der Gewürzpflanzenländer. „Es ist aber,“ fährt Plinius fort, „wenn der Weinstock in Blüte steht, kein Duft lieblicher als seiner.“ Der Dichter Horaz, den Maecenas, der Freund des Kaisers Augustus, protegierte und dem er ein Gütchen im Sabinerlande schenkte — woher das Wort Mäcen die Bedeutung von Beschützer und Gönner der Künste und Wissenschaften erhielt —, hat in seinen Gedichten, die von allen gebildeten Römern gelesen wurden, dem Falernerwein vom ager Falernus im nordwestlichen Campanien, dessen vorzüglichste Marke der Massiker war, eine Reklame gemacht, die dem wirklichen Werte des Weines durchaus nicht entsprach. Nach allgemeinem Urteil des Gourmets des alten Rom war der Cäcuber an der Küste besser; doch verschwand er zu ihrem Leidwesen, als Kaiser Nero zwischen Bajä und Ostia einen Kanal graben ließ. Als Tischwein zog Kaiser Augustus allen andern denjenigen von Setia vor, den auch seine Nachfolger auf dem Throne der Cäsaren begünstigten „weil die Erfahrung lehrte, daß man von diesem Wein keine üblen Folgen zu befürchten hat“. Livia dagegen, die Gattin des Augustus, schrieb ihre körperliche Frische, die sie bis zu ihrem 86. Lebensjahre bewahrte, dem Umstande zu, daß sie sich täglich an Pucinerwein erlabte. Man rühmte im alten Rom auch die Vorzüge des Weines von Surrentum (dem heutigen Sorrent bei Neapel); doch erklärte Kaiser Tiberius diesen Wein für einen ganz gemeinen Essig, der seinen Ruf nur der bezahlten Lobpreisung einer Ärzteklique verdanke. Außer dem Surrentiner und Cäcuber erklärte Columella den Massiker und Albaner für die edelsten Weine der damaligen Welt. Der erstere wuchs in der Nähe Neapels, der letztere dagegen in der Nähe Roms. Julius Cäsar soll der erste gewesen sein, der seinen Gästen zu einer Mahlzeit vier verschiedene Weine vorsetzte. Seit jener Zeit wollte jeder reiche Römer einen wohlassortierten Weinkeller besitzen und suchte einer den andern mit feinen Marken zu über[S. 618]bieten, für die teilweise, wie wir beim alten opimischen Wein sahen, fabelhafte Preise bezahlt wurden.
Wie zu Ende der Republik Italien geradezu ein Weinland geworden war, das Wein ausführte, aber Getreide einführte, so gedieh die von kleinasiatischen Griechen schon im 7. vorchristlichen Jahrhundert nach Spanien gebrachte Rebe auch in diesem Lande vortrefflich. Nach Plinius war der hispanische Wein auch in Rom sehr beliebt, ebenso der aus dem südlichen Gallien stammende. Um ihn haltbarer zu machen, pflegte man die Tonkrüge, in denen man ihn aufbewahrte, nach orientalischer und griechischer Sitte in Rauchkammern zu räuchern oder mit Terpentin oder Mastix zu versetzen. Solchem Weine würden wir heute ebenso wenig Geschmack abgewinnen, als solchem der mit Meerwasser versetzt war, wie dies besonders in Kleinasien und Griechenland geschah, ein Verfahren, das Plinius als für den Magen heilsam bezeichnete. Auch die uralte Sitte, den Wein in innen geharzten Ziegenschläuchen zu transportieren, würde kaum unsern Beifall gefunden haben, da er dadurch einen widerlichen, bockigen Beigeschmack erhielt.
In Frankreich, dem heute vorzugsweise Weinbau treibenden Lande, hat um die altgriechische Kolonie Massalia herum, der erste Rebberg gestanden. Hierher brachten, wenn nicht schon die Phönikier, so jedenfalls die Phokäer ums Jahr 600 v. Chr. die Rebe. Jedenfalls war die Art ihres Anbaues, die aus der griechischen Mutterstadt in Kleinasien — etwas nördlich von Smyrna gelegen — mitgebrachte ohne Stützen und Pfähle. Von jener ältesten Pflanzstätte des Weinbaues in Gallien verbreitete sich diese Kultur längs der Küste, zunächst um die befestigten Ansiedelungen herum. Und bald waren die umwohnenden Ligurer auf dieses neue, wohlschmeckende Genußmittel erpicht, das sie im Tauschhandel gegen die Rohprodukte ihres Landes, hauptsächlich um Vieh, Häute und Getreide erstanden. Aber nur die Wohlhabenden konnten sich diesen Luxus gestatten, während die Ärmeren notgedrungen bei ihrem altgewohnten Gerstenbier verblieben.
Von der Küste drang nun der Wein und seine Kultur, wie auch gleichzeitig diejenige des ebenfalls von den Griechen angebauten Ölbaumes, zunächst dem Rhonetal folgend, immer weiter ins Innere Galliens vor, so daß die Römer, die nicht bloß ein Krieger-, sondern auch ein höchst eigennütziges Kaufmannsvolk waren, bald für ihre Ausfuhr an Wein und Öl in jenes Land zu fürchten begannen und den von ihnen besiegten transalpinen Galliern die Enthaltung von Öl- und Weinbau als Friedensbedingung auferlegten. Die Folge davon war,[S. 619] daß immer noch eine starke Einfuhr von italischem Wein über das inzwischen von den Römern unterjochte Massalia stattfand, als nach den Siegen über die Allobroger und Arverner die Gegend zwischen Pyrenäen, Cevennen und Alpen zur römischen Provinz Gallia narbonensis erhoben wurde. Als dann Cäsar um die Mitte des letzten vorchristlichen Jahrhunderts das ganze übrige Gallien bis zur Nordsee und zum Rhein eroberte, drang mit der römischen Kultur auch der Weinbau immer mehr nach Norden und Westen vor.
So war schon zu Ende des 1. christlichen Jahrhunderts nicht nur das südliche Gallien im Gebiete der Rhone und Garonne, sondern auch das nördliche im Bereiche der Saône und Mosel ein eigentliches Weinland mit besonderen Trauben- und Weinsorten, welch letztere nicht nur bei den Germanenstämmen, sondern vielfach auch in Italien selbst Anklang fanden und in ziemlichen Mengen dahin exportiert wurden, obschon sie durch künstliche Behandlung mit Harz zur besseren Haltbarkeit einen nach unseren Begriffen jedenfalls nicht sehr angenehmen Geschmack danach besaßen. Solche anerkannt gute gallische Weine waren nach dem älteren Plinius diejenigen der Gallia narbonensis, die schon Cäsar rühmte, dann diejenigen der Bituriger (die Vorläufer des heutigen Bordeauxweines), der arvernische (der Auvergne) und der bäternanische (von Frontignac).
Um nun den italienischen Weinbau gegen die Konkurrenz hauptsächlich der gallischen Weine zu schützen, erließ Kaiser Domitian, der von 81–96 n. Chr. regierte, eine Verordnung zur Einschränkung der Weinkultur in den Provinzen; zugleich ließ er die Hälfte der gallischen Weinberge zerstören. Erst Kaiser Probus, der von 276–282 die Herrschaft inne hatte, hob im Jahre 280 diese Verfügung für Gallien, Spanien und Britannien auf und ließ in Gallien, Pannonien und Mösien zu den alten zahlreiche neue Rebberge anlegen. Unter Aurelian und den Antoninen wurde die Côte d’or in Westfrankreich mit Reben bepflanzt, woher die Weine jener Gegend noch heute nach den Römern Romané heißen.
Vom 2. nachchristlichen Jahrhundert an war die Moselgegend ein Zentrum des Weinbaus im nördlichen Gallien, das das Erzeugnis seiner Reben in Holzfässern, wie uns verschiedene Abbildungen aus römischen Denkmälern jener Zeit lehren, auf Schiffen und Wagen weithin ausführte. Es war dies gegenüber den sonst von den Römern gebrauchten tönernen Gefäßen, den Dolien und Amphoren, in denen der Wein durch eine Schicht Olivenöl, wie heute noch der Chianti,[S. 620] von der atmosphärischen Luft abgeschlossen wurde, eine wichtige Neuerung, die seinem Transport in entferntere Gegenden sehr zugute kam. Im 4. Jahrhundert entwirft uns der römische Dichter Ausonius von Burdigala (Bordeaux) in seinem Gedichte Mosella ein malerisches Bild von den rebenbepflanzten Hügeln der Moselgegend, die ihn an die Umgebung seiner Heimat Bordeaux erinnern; sie trugen in theaterartig ansteigendem Aufbau bis zum obersten Gipfel hinauf die grünenden Ranken und süßen Früchte. Noch Venantius Fortunatus in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts stellt dem in Wogen rauschenden Rhein die traubenreiche Mosel gegenüber. Von Trier bis Koblenz scheinen damals alle besseren, sonnigen Lagen mit Rebbergen bestanden gewesen zu sein.
Unter den merowingischen Königen, die auf ein gutes und reichliches Weinlager hielten und Naturlieferung von Wein als Steuer forderten, wie uns der fränkische Geschichtschreiber Gregor von Tours (540–594) berichtet — so setzte König Chilperich fest, daß jeder Besitzer von Grund und Boden eine Amphora Weines auf jede aripennis Land gebe —, griff der Weinbau im nördlichen Gallien immer weiter um sich. Seit dem 6. und 7. Jahrhundert haben wir zerstreute Zeugnisse dafür, die mit den Zeiten der Karolinger immer häufiger werden. So meldet Gregor von Tours von Bischöfen, wie z. B. Nicetius von Lyon, und Herzögen, wie Chrodin von Dijon, daß sie mit Anlegen und Verbessern von Weinbergen dem Volke als leuchtendes Beispiel vorangingen. Das salische Gesetz schützte solche bereits durch Strafbestimmungen und setzte für die Winzer, wie für andere kunstfertige unfreie Diener, auch ein höheres Wergeld fest.
Von der Moselgegend erhielten wohl die Germanen zuerst den römischen Wein und damit auch den lateinischen Namen dafür, der althochdeutsch vîn lautet und männlich ist, wie dies hier in Gallien der Fall war, in dessen Sprachgebrauch das Neutrum früh verloren ging. Aber erst nach dem Untergange der Römerherrschaft empfingen sie auch die Rebe und alle Gerätschaften und Bezeichnungen, die die Römer für deren Kultur besessen hatten. Vor allem aber diente ihnen die aus eichenen Dauben hergestellte Kufe (cupa) und das Faß keltischen Ursprungs bei der Weinbereitung. Solche Behälter sind aber, wie die Erfahrung der Weinbauern lehrte, um so besser, je älter sie sind. Frisch hergestellt sind sie nicht gut zu gebrauchen; sie müssen vielmehr zur ausgiebigen Auslaugung der löslichen Bestandteile des Holzes, die dem Wein sehr schlecht bekommen, zunächst ein halbes Dutzend mal[S. 621] mit kaltem Wasser, das man geraume Zeit in ihnen stehen läßt, behandelt und dann ebenso oft mit heißem Wasser ausgebrüht werden. Aber auch dann wird kein guter Edelwein in solchen frischen Fässern aufbewahrt, sondern eine minderwertige Sorte, mit der sich das Holz sättigen kann, wodurch es erst die Fähigkeit verliert, noch irgend welche lösliche Bestandteile an den in ihnen lagernden Wein abzugeben.
Form und Bestandteile, die das von den Kelten Galliens übernommene Faß beim römischen Weinbau an der Mosel besaß, sind ihm später geblieben, als der Weinbau und die Kunst der Weinbereitung in Gärkellern zunächst von den Klöstern übernommen wurde. In ihnen blühte demgemäß auch die Böttcherei. Der unter Abt Gozbert zwischen 816 und 832 angefertigte Grundriß des Klosters von St. Gallen zeigt im Bier- und Weinhaus große und kleine Fässer, die auf starken Balkenlagen liegen, und der 973 verstorbene St. Galler Mönch Ekkehard I., der Verfasser des auf alte deutsche Heldenlieder zurückgehenden, in lateinischen Hexametern geschriebenen Walthariliedes und Onkel des aus Scheffels Roman bekannten Ekkehard II., redet von einem Ordensbruder, der mit geschwungener Axt die Reifen aus Weidenholz vom Fasse lösen wollte. Aber unbequem waren diese alten Fässer insofern, als sie nur eine obere Öffnung zum Ein- und Ausfüllen besaßen. Erst allmählich sah man ein, daß es praktischer sei, auch dem Faßboden an seiner vorderen, unteren Stelle eine kleine Öffnung zum Abfüllen zu geben. Dieses Loch wurde mit einem Holzzapfen geschlossen. Erst im 15. Jahrhundert wurde zum Ablassen eine hölzerne Röhre mit drehbarem Hahn gebräuchlich, eine Vorrichtung, die sich ohne große Änderung bis heute erhielt. Für die Leistungen der Böttcherei im 16. Jahrhundert, um dies hier noch zu erwähnen, reden gewisse Riesenfässer, von denen das 1591 unter Kurfürst Johann Kasimir erbaute große Faß auf der Burg in Heidelberg den größten Ruhm erlangte. Der Kurfürst Karl Ludwig ließ 1664 ein neues Faß aufstellen, das dann Karl Theodor 1751 durch das jetzt noch vorhandene 221726 Liter haltende berühmte Faß ersetzte.
Kehren wir nach dieser kurzen Abschweifung technischer Art zur Einführung des Weinbaus in Deutschland zurück, so muß hier bemerkt werden, daß ein solcher auf deutschem Boden im Rheintal zunächst nur in der Umgebung der römischen Kastelle und späteren Pfalzen von Bingen bis Sinzig am linken Ufer des Stromes betrieben wurde. Gregor von Tours bezeugt uns zum Jahre 589 Weinberge[S. 622] bei Zabern und eine Urkunde von 613 Weinbau um Straßburg. Später berichtet Venantius Fortunatus von ausgedehnten Weinbergen bei Andernach, die auf dem rechten Rheinufer gelegen haben müssen. Der Mönch Regino hebt im Jahre 885 Koblenz, Andernach und Sinzig als Stapelplätze für den einheimischen Wein hervor. Später waren Regensburg, Nürnberg, Bacharach und Köln bedeutende Weinhandelsplätze.
Schon im letzten vorchristlichen Jahrhundert war der Weinbau nach dem Veltlin und Südtirol vorgedrungen. Die dort gekelterten rätischen Weine waren nach dem Dichter Vergil, der ihnen nur den Falerner vorzog, das Lieblingsgetränk des Kaisers Augustus. Kaiser Probus, der von 276–282 regierte, ließ griechische Reben nach Pannonien, Syrmien und in die Südtäler der Karpathen bringen und dort anpflanzen. Von Rätien wanderte die Rebe nach Noricum und Pannonien. In Noricum, südlich der Donaulinie, erbaute sich der heilige Severin im 5. Jahrhundert an einem entlegenen Orte, bei den Weinbergen genannt, eine Zelle, in welcher er als Klausner lebte. Nördlich der Donau sind die ersten Weinberge im 7. Jahrhundert bezeugt. Bis zum 10. Jahrhundert hatten sie in Bayern eine ziemlich große Ausdehnung erlangt. Im Laufe des 8. Jahrhunderts bürgerte[S. 623] sich der Weinbau im württembergischen Unterland um Heilbronn ein, und im 9. Jahrhundert finden wir ihn in Franken um die alte Bischofsstadt Würzburg, ebenso in Böhmen und Mähren verbreitet. Im 10. Jahrhundert war er über Hessen nach Thüringen, wo ihn im Hildesheimischen besonders der kunstsinnige Bischof Bernwart begünstigte, und gegen Ende desselben bis in die Gebiete von Werra, Saale und Unstrut vorgedrungen. Urkunden vom Jahre 973 melden uns an letzteren Orten von Weinbergen. Im 11. Jahrhundert gelangte der Weinbau nach Schlesien, Brandenburg und Pommern und im 12. durch die Ritter des deutschen Ordens sogar nach Holstein und Ostpreußen, wo er allerdings bald wieder als unrentabel aufgegeben wurde.
Erst im 10. und 11. Jahrhundert wurden nach den auf uns gekommenen Urkunden die heute so berühmte Weinsorten liefernden Steilgehänge am rechten Rheinufer zwischen Mainz und Bingen mit Terrassenbau für die Rebenkultur in Angriff genommen. Von solchen darauf gewonnenen Weinen wird besonders der Deidesheimer, Heppenheimer, Rüdesheimer, Asmannshauser und Niersteiner hervorgehoben. Von Elsässerweinen, die im Mittelalter sich in Deutschland besonderer Wertschätzung erfreuten, wird von einem St. Galler Mönche der Sigoltsheimer als stark und anfeuernd gerühmt. In der Förderung des Weinbaus gingen überall die Klöster als Haupterben der altrömischen Kultur den Laienkreisen voran; es geschah dies schon aus dem Grunde, weil sie den Wein zu rituellen Zwecken benutzten. Da sie ihn zum Abendmahle nötig hatten, ließen sie sich dessen Anbau überall, wo sie Fuß faßten, angelegen sein. Ihnen folgten dann zunächst die großen Grundherren, die es vorzogen, den Wein durch ihre Hörigen selbst zu erzeugen, statt ihn wie bisher zu teurem Preise aus Gallien zu beziehen; und erst viel später begannen auch Bürger der Städte wie Bauern, die sich bis dahin an Met und Bier erlabt hatten, sich in geeigneten Lagen eigene Rebberge anzulegen, um bei festlichen Anlässen wie die Vornehmen Wein trinken zu können; denn bis dahin hatten sie schon wegen der hohen Transportkosten nicht daran denken können, es hierin jenen gleich zu tun.
Aber dieses deutsche Eigengewächs war in den meisten Fällen recht herb und sauer, im Gegensatz zum feuerigen, milden, ausländischen Weine. Deshalb pflegte man solches das ganze Mittelalter hindurch durch Zusatz von allerlei würzigen Kräutern trinkbarer zu machen. Als solche aromatische Zusätze nennen uns schon die alt[S. 624]römischen Schriftsteller, so Columella im ersten nachchristlichen Jahrhundert, Wermut, Isop, Stabwurz, Thymian, Fenchel, Polei und Myrte. Im Mittelalter dagegen sind Wermut, Rosmarin, Salbei, Alant, Lavendel, Pimpernell, Fenchel, Pfeffer- und Frauenminze die gebräuchlichsten. Im Jahre 854 rät der Mönch Wandalbertus, Diakon der Benediktinerabtei Prüm in der Eifel, ein Rheinländer von Geburt, in einem kürzlich von ihm aufgefundenen lateinischen Gedicht über den Kreislauf der Jahreszeiten „den herben Wein mit duftigen Kräutern zu versetzen, die die Fluren zu allerlei Arznei hervorsprießen lassen und sich damit im voraus gegen die Giftkräutlein der tückischen Stiefmütter zu sichern“. So hat man das ganze Mittelalter hindurch solchen Kräuterwein als beliebten Gesundheitstrank getrunken. Welche Wertschätzung derselbe genoß, zeigt der Refrain eines einst viel gesungenen mittelalterlichen Trinkliedes, der folgendermaßen lautet:
„Er setzt das gleslein für sein mund, krauseminte, er trank es ausz bisz auf den grund, salveie, poleie, die blümlein an der heiden, krauseminte!“
Seit uralter Zeit war es im Orient, wo man Wohlgerüche auch in Speisen überaus hochschätzte, Sitte gewesen, den Wein mit Würzkräutern und duftigen Blüten zu versetzen. Die gebräuchlichsten solcher Zusätze, um ihn zu parfümieren, waren Mastix und Myrrhen; später fanden besonders Gewürznelken und Pfeffer Verwendung, die wie den römischen Zungen des Altertums, so auch den deutschen des Mittelalters durch ihre Stärke vornehmlich zusagten.
Die vornehmen Römer der Kaiserzeit ließen bei ihren Gastmählern die von ihnen bevorzugten alten Jahrgänge des Falerners und Cäcubers durch Rosenfilter gießen, um ihm den von ihnen so geschätzten Duft nach jenen Blüten zu geben, wie im Orient mit Rosen parfümierter Sirup und andere Süßigkeit von alters her beliebt waren. Und wenn die vornehmen Römer und Griechen bei ihren Gelagen begannen berauscht zu werden, so entblätterten sie den ihr Haupt schmückenden Rosenkranz, um die wohlriechenden Rosenblätter in den Wein zu schütten. Mit den aus Indien bezogenen Gewürzen bereiteten sie den vinum pigmentatum oder claratum. Diese letztere Bezeichnung führte er von der Klärung her, die man ihm zum Schlusse angedeihen ließ, um ihm ein recht appetitliches Aussehen zu geben.
Einen womöglich noch köstlicheren Blütennektar bereiteten sich die Muhammedaner im Scherbet (vom arabischen scharab Trank so genannt), den sie durch Abkochen von Rosen-, Veilchen-, Zitronen- und anderen wohlriechenden Blüten in mit säuerlichem Limonensaft versetztem Zuckerwasser bereiteten. Schon Muhammed hat einen solchen aus Honig und wohlriechenden Blüten hergestellten Trank über alle anderen Genüsse gestellt. Da er seinen Anhängern den Genuß des Weines als entnervend verboten hatte, so hielten sie sich gern an dergleichen aromatische süße Tränke, die bis heute in allen dem Islam verfallenen Ländern in der verschiedensten Weise bereitet werden.
Überall, wo die Muhammedaner sich zu Herren des Landes aufwarfen, konnte naturgemäß ein Produkt nicht mehr gedeihen, dessen Genuß das Gesetz der Eroberer den Gesunden aufs strengste untersagte und nur Kranken in mäßiger Menge als Arznei gestattete. So ging nicht nur in Vorderasien, der Wiege der Rebenzucht und Weinkultur, sondern auch in Nordafrika, Spanien und Sizilien der Weinbau nach dem Eindringen der Araber stark zurück. Manche fanatische Kalifen duldeten seinen Anbau überhaupt nicht. So befahl auch in Spanien Hakim II. den größten Teil der Weinberge auszurotten; bloß etwa ein Drittel derselben ließ er stehen zum Genusse ihrer Früchte als reife Trauben, frisch oder getrocknet, oder zu Traubenhonig eingekocht, was zu genießen der Prophet erlaubt hatte.
Was dem Islam in Spanien nicht ganz gelang, wie die heutigen Malaga- und Xeresweine beweisen, das setzte er im gegenüberliegenden Marokko durch. Die atlantische Küste des letztgenannten Landes war im Altertum ein berühmter und ergiebiger Weinbezirk, dem die Rebe schon von den Phönikiern zugetragen wurde. Dort lag das Vorgebirge Ampelusia, d. h. Rebenkap (das heutige Kap Spartel), und die uralte Stadt Lix, die auf ihren punischen und punisch-römischen Münzen die Traube als Wahrzeichen führte. Noch im frühen Mittelalter, bei der Ankunft der Araber, muß eine blühende Rebenkultur hier bestanden haben, da die an Stelle des alten Lix gegründete muhammedanische Stadt den Namen El Araisch, d. h. zum Weinberg, erhielt. Jetzt trägt das überaus fruchtbare Land infolge der arabischen Herrschaft fast keine Weinpflanzungen mehr; nur unter einigen unabhängig gebliebenen Stämmen der Küste konnte der altgewohnte Trank nicht abgeschafft werden und ist deshalb einiger Rebbau zu finden.
Das heutige Griechenland, das einst vorzügliche Weine produzierte, erzeugt mit wenigen Ausnahmen nur schlechten Wein. Der Ruhm der[S. 626] Weine von Chios, Lesbos und Thasos ist längst dahin, und der nach Harz schmeckende Resinato, über den schon der langobardische Bischof Liutbrant von Cremona auf seiner Gesandtschaftsreise nach Konstantinopel im Jahre 968 klagte, ist ein sehr schlechter Ersatz dafür. Auch die heute daselbst angepflanzten Korinthen — so genannt, weil sie von Korinth aus exportiert werden — scheinen nur eine durch Degeneration entstandene Varietät der Weintraube zu sein. Sie sollen ursprünglich von der Insel Naxos gekommen und nicht vor dem Jahre 1600 in Morea bekannt gewesen sein. Heute sind sie wiederum gänzlich von Naxos verschwunden und werden ausschließlich in Patras, auf Zante und Kephalonia gepflanzt, von wo jährlich etwa 100 Millionen kg ausgeführt werden.
Nur an zwei Punkten hat am Ausgang des Mittelalters die Hand des Menschen den Bezirk der Rebe wirklich erweitert, nämlich auf Madeira und den Kanarischen Inseln. Auf der ersteren Insel ließ schon der portugiesische Prinz Heinrich der Seefahrer am Ende des 15. Jahrhunderts Rebenschößlinge vom Peloponnes und von der Insel Kreta bringen, nach Teneriffe aber verpflanzte der Spanier Alonzo de Lungo gegen das Jahr 1507 Weinstöcke von Madeira. Der dort also aus griechischen Reben gewonnene Wein wurde in der Folge recht berühmt und besonders von den auf weiten Bezirken der Erde angesessenen Engländern gern getrunken, die auch die starken Weine der pyrenäischen Halbinsel, den nach dem Exporthafen Xeres benannten Sherry und den nach dem Einschiffungsorte Oporto geheißenen Portwein bevorzugen, wie sie auch die starken Schnäpse und scharfgewürzten Biere — man denke nur an das Ingwerbier — lieben.
Nach Ungarn waren italienische Reben unter König Stephan im 11. Jahrhundert gelangt. Aus ihnen erwuchs dann der Tokayerwein, der seine volle Berühmtheit allerdings erst vom Ende des 15. Jahrhunderts und besonders seit 1560 erhielt, als man begann Ausbruch aus den dortigen Reben herzustellen. Von diesen ungarischen, wie auch griechischen und syrischen Reben brachten französische Ritter aus den Kreuzzügen Ableger in ihre Heimat mit, um die einheimischen Sorten damit zu veredeln. Denn als zu Beginn des 2. christlichen Jahrtausends das Abendland durch die Kreuzzüge regere Verbindungen mit dem Morgenlande anknüpfte, kam begreiflicherweise die Kenntnis und damit auch die Wertschätzung der von den Christen in Palästina gezogenen starken, edlen Weine nach Europa. Diese wurden bald von den Vornehmen, die sich solch teuren Trunk leisten konnten, bevorzugt,[S. 627] bis schließlich auch diese Gebiete wiederum von den Muhammedanern besetzt wurden, wodurch der morgenländische Weinbau rasch ein Ende nahm. Damit hörte auch der Import der palästinensischen Edelweine nach dem Abendlande auf. Dafür bezog man, solange die muhammedanische Invasion dahin noch nicht stattgefunden hatte, den griechischen Wein, der nach der Gegend von Malvasia auf Morea Malvasier genannt wurde, oder als kipper-, auch ciperwîn von Zypern stammte. Besonders letzterer wurde so sehr geschätzt, daß Gedichte der mystischen Richtung ihn selbst die Seligen im Himmel trinken ließen. Den Charakter eines südlichen Weines trägt auch der aus Ungarn, der unter dem Namen osterwîn nach Deutschland verführt wurde.
Als diese beliebten Süßweine nicht mehr zu bekommen waren, begann die Christenheit als Ersatz dafür die bis dahin üblichen Würzweine mit Honig zu süßen und an Stelle der schwachwürzenden einheimischen Kräuter die starken Gewürze Indiens zu verwenden, die die Venezianer mit ihren Schiffen aus dem Morgenlande, speziell Ägypten, holten und den Abendländern teuer verkauften. Von da brachten Säumer die kostbare Ware über die Alpen nach den reichen deutschen Städten, wo diese Gewürze trotz ihrer hohen Preise rasch Absatz fanden. Man benutzte sie zur Herstellung von allerlei „gepîmenteten wînen“ — aus vina pigmentata verdeutscht — wie die Würzweine damals hießen, deren Feuer dadurch gehoben werden sollte.
Im 14. und 15. Jahrhundert erfreute sich der als clarêt bezeichnete Würzwein besonderer Hochschätzung. In französischen Klöstern war er zuerst aufgekommen und hatte mit der mittellateinischen Benennung claretum — aus vinum claratum, d. h. geklärter Wein — in deutschen Klöstern und dann auch in Laienkreisen gute Aufnahme gefunden. Er wurde in der Weise hergestellt, daß man Pfeffer, Zimt, Gewürznelken, Kardamomen und Ingwer pulverisiert in Beutelchen in den mit Honig versüßten und, war es Weißwein, mit Safran vielfach gefärbten Wein hing und bis zum völligen Ausgelaugtwerden und Abklären darin beließ. So gewann der Trank, wie man hervorhob, die Stärke und den Reiz des Weines, die Würze und den Duft der Spezereien und die Milde und Süße des Honigs. Eine halbe Verdeutschung ist das mittelhochdeutsche clârtrank, während das völlig deutsche Wort lûtertrank eine seit dem 12. Jahrhundert in Deutschland zuerst aufgekommene Art mit Honig gesüßten Würzweins von unbestimmter Zusammensetzung bezeichnete. Lange gingen die beiden Ausdrücke clarêt und lûtertrank nebeneinander für zwei verschiedene Be[S. 628]griffe, obwohl es sich dabei nur um durch die Verschiedenheit der verwendeten Gewürze entstandene Spielarten eines und desselben Stoffes handelte, bis schließlich keine Unterscheidung mehr bei ihnen gemacht werden konnte.
Wahrscheinlich spielte die Farbe des Weines dabei keinerlei Rolle, und Claret wie Lautertrank konnten ebenso von rotem, wie von weißem Weine gemacht werden. Oft erscheint in den Schilderungen der mittelalterlichen Gastmähler der lûtertrank hinter dem wîn genannt, und gleichsam als Steigerung hervorgehoben. Jedenfalls war er oder der clarêt der Ehrentrunk, der bei festlichen Anlässen vornehmen Gästen offiziell reichlich gespendet wurde. Für den gemeinen Mann und für einfache Verhältnisse waren solche Luxusgetränke nicht bestimmt. So verbot beispielsweise der Rat zu Magdeburg im Jahre 1505 bei einfachen Verlöbnissen, ebenso beim Kirchgange der Braut clarêt zu schenken als zu kostbar.
Eine besondere Sorte solchen Würzweins aus Rotwein bildete der Sinopel, der bei manchen Dichtern, wenn auch nicht häufig, erwähnt wird; so z. B. wenn gesagt wird: (sie genossen) „den lûtertrank und daz clarêt, darzuo den roten sinopel“. Im deutschen Epos Parzival wird dieser rote Sinopel im heiligen Gral wie sonst der das Blut Christi versinnbildlichende Rotwein beim Abendmahl der Christen reichlich gespendet. Der Name rührt vom lateinischen cinnabaris, mittellateinisch cinnobris, deutsch Zinnober her von seiner schön hellroten Farbe, die an das von den alten Römern cinnabaris genannte rote Drachenblut von der Insel Sokotra erinnerte. Das Wort hat also nichts mit der von uns Zinnober genannten Quecksilberverbindung zu tun, wie man ohne genaue Kenntnis der Drogenkunde der Völker des Altertums glauben könnte, sondern bezieht sich auf die rote Lösung von Drachenblut, mit der das Getränk Ähnlichkeit hatte. Die daneben angetroffene Form siropel nimmt Bezug auf die Süßigkeit und knüpft an siropel im Sinne von Sirup an, das seinerseits vom arabischen Worte scharab für Trank abzuleiten ist.
Ein anderer ebenfalls aus Rotwein hergestellter Würzwein des Mittelalters war der heute noch mancherorts bei festlichen Anlässen, in Basel z. B. an Sylvester und Neujahr, aufgetischte Hippokras, der seiner vermeintlichen heilkräftigen Wirkung wegen nach dem angesehensten Arzte des Altertums, dem Vater der Heilkunde, Hippokrates so genannt wurde. Der englische Dichter Shakespeare erwähnt ihn mehrfach in seinen Dramen, und noch im 18. Jahrhundert war er auf[S. 629] der französischen Tafel allgemein verbreitet. Auch er ist als hypocras wie der clarêt eine französische Erfindung, obschon der deutsche Arzt Brunfelsz in seinem 1532 erschienenen Spiegel der Arzneikunde erklärt: „Dieser tranck heißt Ipocras, wann Hypocras (gemeint ist natürlich Hippokrates) hat in seer genützt (benutzt), und auch selbst erfunden.“ Man bereitete ihn in der Weise, daß man Rotwein in einer Terrine mit Zucker, Zimt, Pfeffer, Gewürznelken, Muskatblüte, Ingwer und Schnitzen des Reinetteapfels versetzte und diese Mischung einige Tage stehen ließ, dann das Ganze seihte, klärte und in Flaschen abfüllte. Als eine besonders feine Abart kam im 18. Jahrhundert in Frankreich der hypocras parfumé auf, dem außer geriebenen Mandeln besonders Bisam (Moschus) und Ambra zugesetzt wurde. Auch dieser fand in Deutschland bald Aufnahme und ein märkischer Chronist des 16. Jahrhunderts findet ihn „recht anmutig und schleckerhaft“.
Neben dem Hippokras wurden eine Menge medizinische Weine getrunken, die meist nach ihrer Wirkung auf ein bestimmtes Organ oder einen kranken Körperteil benannt wurden. So empfahl ein Gemminger Arzt, mayster Thoman Rüsz, im Jahre 1479 der Gräfin Margarete von Württemberg gegen ihr Milzleiden einen wahrscheinlich von ihm selbst bereiteten Milzwein, dessen Zusammensetzung allerdings in dem uns erhaltenen Briefe nicht angegeben wird. Wir wissen nur aus den Arzneibüchern, daß die mannigfaltigsten Kräuter dazu verwendet wurden, so vornehmlich je nach der beabsichtigten Wirkung Johanniskraut oder Boretsch oder Augentrost, Salbei oder Isop.
Solchen Würzwein trank man wie den Wein überhaupt je nach Geschmack und Bedürfnis warm oder kalt. Ersteren bevorzugte man in Fällen von Krankheit und bei Kälte. So berichtet uns Gregor von Tours vom Jahre 590, daß sich Wächter einer Stadt Frankreichs im Winter an einem offenen Feuer Glühwein bereiteten und sich daran berauschten; und von Ludwig I., dem Frommen, dem dritten Sohne Karls des Großen von seiner dritten Gemahlin Hildegard, berichtet uns sein Biograph, daß er sich noch kurz vor seinem Tode im Jahre 840 bei Mainz einen Schluck warmen Weines zur Stärkung geben ließ.
Die starken und kräftig schmeckenden gewürzten Weine unserer Vorfahren sind heute außer Mode gekommen, bis auf den Glühwein und die verschiedenen Arten von Bowlen. Zu ersterem wird der Wein gewärmt, mit Gewürznelken, Zimt und einem Zitronschnitz versehen, getrunken; bei letzteren verwendet man mit Wasser oder Schwarztee verdünnte gezuckerte Weine, denen durch duftende Früchte wie Erd[S. 630]beeren, Pfirsich, Ananas oder wohlriechende Kräuter wie Waldmeister mit Zusatz von einigen Apfelsinenscheiben (Maitrank) oder Schalen bitterer Pomeranzen (Bischof) ein angenehmes Aroma verliehen wird. In England ist von solchen Getränken besonders der claret cup beliebt, der aus Rotwein besteht, in den man grüne Gurkenscheiben geschnitten hat. Von allgemeiner Wertschätzung ist der Wermutwein, der dadurch gewonnen wird, daß man dem gärenden Moste Wermutkraut zusetzt, wodurch er einen etwas herben Beigeschmack erhält, den viele lieben. Am bekanntesten ist der norditalische Vermut di Torino.
Außer dem Traubenwein, der nur den Wohlhabenden zugänglich war, und auch von diesen nur bei festlichen Anlässen genossen wurde, trank man von alters her durch ganz Europa die verschiedensten Obst- und Beerenweine. Die Äpfel und Birnen, die man nicht frisch oder gedörrt aufzubewahren vermochte, wurden im überreifen, weichen Zustande gekeltert und Most aus ihnen gewonnen, der angenehm schmeckte, durch seinen geringen Alkoholgehalt kaum berauschte und durch seinen Reichtum an Pflanzensäuren, besonders Apfelsäure, angenehm durstlöschend wirkte, was besonders in der Sommerhitze von Vorteil war. Im Notfalle mußten Holzäpfel und Holzbirnen zur Herstellung solchen Trankes dienen; selbst aus den sauren Schlehen gewann man einen wegen seiner heilkräftigen Wirkung beliebten slêhentranc. Der aus Kirschen hergestellte kerswîn und der aus Quitten gewonnene kütenwîn wurden besonders Kranken als Labetrunk gespendet. Reiche Leute taten sich an solchen Obstweinen gütlich, die mit Honig gesüßt und auf verschiedene Weise gewürzt waren.
Schon zur Merowingerzeit war ein Getränk aus zerquetschten wilden Maulbeeren, worunter auch Brombeeren verstanden sind, beliebt, deren Saft in einem gepichten Faß mit Honig und, nach Belieben, mit würzigen Kräutern versetzt wurde. Ein offenbar romanischer Schreiber des 9. Jahrhunderts gibt uns ausführliche Vorschriften über die Zubereitung dieses als vinum moratum oder moraz bezeichneten Getränkes, das sich namentlich in den Klöstern besonderer Beliebtheit erfreute. Anfänglich nur aus Beerensaft bereitet, wurde er dann an den Höfen des Mittelalters in der Weise gewonnen, daß man Maulbeeren beziehungsweise Brombeeren in Wein ansetzte. Auch die Verwendung von Heidel- und Preiselbeeren, wie auch Johannisbeeren für einen gegorenen Haustrunk ist uralt. Schon das Capitulare de villis Karls des Großen aus dem Beginne des 9. Jahrhunderts hat eine sorgfältigere Bereitung des Beerenweins im Auge, wie es auch das[S. 631] Stampfen der Weintrauben mit den nackten Füßen als unappetitlich verbot, was allerdings durchaus fruchtlos blieb, da diese Sitte nach wie vor geübt wurde und sich teilweise bis in die Gegenwart erhielt.
Die Erzeugung von gebranntem Wein kam in Europa erst im 13. Jahrhundert auf, und zwar durch die Vermittlung arabischer Ärzte, die ein Destillat aus Wein und seinen Häuten und Trebern schon seit dem 10. Jahrhundert kannten und als al kehal, d. h. das Feine, Edle — woraus dann unser Wort Alkohol wurde — zu äußerlichem Gebrauche bei Erkrankungen aller Art, besonders bei Gicht, verwendeten. Die Kunst des Brennens gehört dem Orient an, wo sie zuerst im 9. Jahrhundert in Persien, dann auch in Syrien, Kleinasien und den Inseln des griechischen Archipels zur Gewinnung des wohlriechenden ätherischen Rosenöles geübt wurde. Stets haben ja die Morgenländer eine leidenschaftliche Vorliebe für Wohlgerüche gehabt, und da kann es uns nicht wundern, daß sie Mittel und Wege suchten, den Blumenduft zu konzentrieren. Dies gelang ihnen zuerst mit den Rosen, deren Blumenblätter sie mit Wasser angemacht in einem geschlossenen Kessel mit einem schnabelförmigen, langen Abzugsrohr erhitzten, um die Dämpfe mit dem wohlriechenden ätherischen Rosenöl durch Abkühlung in einem andern damit verbundenen Gefäß sich niederschlagen zu lassen. Ein solches Destillat lernte man bald auch aus anderen duftenden Blumen und Pflanzenstoffen aller Art gewinnen, die dann alle als äußere Heilmittel wie auch der Weingeist zum Einreiben gegen mancherlei Krankheit sehr geschätzt waren.
Als dann die Abendländer zur Zeit der späteren Kreuzzüge mit der morgenländischen Methode des Destillierens bekannt wurden und diese Kunst selbständig zu üben begannen, wurden aus sehr zahlreichen Pflanzen alkoholische Wässer für Heilzwecke gebrannt. Diese Kunst übten zunächst Laien, bis die später aufkommenden Apotheker sich ihrer bemächtigten und sie technisch weiter ausbildeten. Sie erst begannen zu Heilzwecken den gebrannten Wein als aqua vitae, d. h. Lebenswasser, in größeren Mengen unter das Publikum zu bringen. Während er vorher nur äußerlich gebraucht wurde, begann man ihn im 14. Jahrhundert den Kranken auch innerlich zu geben. Erst im 15. Jahrhundert begannen ihn auch Gesunde angeblich „zur Erhaltung einer festen Gesundheit“ zu trinken, und zwar „alle Morgen einen Löffel voll“; „wer dies tue“, sagt uns ein Bericht des 16. Jahrhunderts, der „werde nimmer krank“. Leider fand diese Sitte zum Zwecke der Vorbeugung gegen Krankheit nur zu rasch Aufnahme bei den[S. 632] besser Situierten, die sich dieses teure aquavit oder aqua ardens, weil es beim Hinunterschlucken brannte, als Genußmittel leisten konnten. Schon zu Ende des 15. Jahrhunderts und mehr noch im 16. Jahrhundert erließen die Räte mancher Städte, wie z. B. als eine der frühesten Nürnberg 1496, die Verordnung, daß man gebrant wîn weder Feiertags noch Alltags auf Straßen oder vor Häusern feilhalten dürfe. Erst der dreißigjährige Krieg (1618–1648), der so namenloses Elend über Deutschland brachte und zu allgemeiner Sittenverwilderung führte, hat das Schnapstrinken, wie auch das Rauchen, in weiteren Kreisen populär gemacht. Die zügellose Soldateska tat sich damit groß, und in der allgemeinen Not der Zeit begannen Bürgersmann und Bauer diese leidige Sitte nachzuahmen. Dabei fanden sie bald genug Geschmack daran.
Auch in der Folgezeit waren es stets die Kriege mit der sich daran knüpfenden Verrohung und Verwilderung der Sitten, welche wie die Unmäßigkeit im Genusse geistiger Getränke überhaupt, so auch speziell dem Schnapstrinken gewaltigen Vorschub leisteten. So waren es besonders der Siebenjährige Krieg (1756–1763) und danach die napoleonischen Feldzüge, welche diese für das Volkstum überaus verderbliche Unsitte in hohem Maße förderten. Zugleich damit wurden die Verfahren zur Herstellung konzentrierter geistiger Getränke immer mehr vervollkommnet und besonders auch billige Rohmaterialien wie Korn und Kartoffeln zu deren Gewinnung verwendet, wodurch der Preis natürlich mehr und mehr sank, so daß selbst die Ärmsten sich für wenige Pfennige den Genuß von Schnaps gestatten konnten. Die Folge davon war die „Branntweinpest“, die besonders im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts eine bedenkliche Verbreitung fand. Sie veranlaßte die erste antialkoholische Bewegung, welche recht schöne Früchte zu zeitigen begann, als die Revolution von 1848 einsetzte und ihren verdankenswerten Bestrebungen ein vorzeitiges Ende machte.
In der Folge nahm der Mißbrauch geistiger Getränke wieder bedeutend zu und erreichte eine beängstigende Höhe als die moderne Temperenzbewegung einsetzte und den Alkohol in jeder Form als Plasmagift feststellte, das den Einzelnen wie auch seine Nachkommen vom Mutterleibe an zugrunde richtet, die größten sozialen Schäden hervorruft und geradezu den Kulturfortschritt bedroht. Ist es nicht eine geradezu beunruhigende Tatsache, zu vernehmen, daß die Bevölkerung des Deutschen Reiches nicht weniger als drei Milliarden Mark jährlich für den Kauf geistiger Getränke ausgibt. Das macht pro[S. 633] Kopf, selbst die keine geistigen Getränke zu sich nehmenden Säuglinge und Kinder mitgerechnet, 60 Mark jährlich. Es ist dies ein ungeheurer Luxus, der im Begriffe ist, die bedenklichsten Folgen zu zeitigen! Gibt doch das deutsche Volk in demselben Zeitraum eines Jahres nur wenig mehr, nämlich 3060 Millionen Mark, für das wichtigste Lebensmittel, nämlich für Getreide, Brot, Mehl und Backwaren einschließlich der Kartoffeln aus.
Unter diesen 3000 Millionen Mark, die das deutsche Volk jährlich für geistige Getränke ausgibt, fallen fast zwei Drittel auf das Bier. Der Bierkonsum hat durch alle Schichten der Bevölkerung eine solche Ausdehnung erlangt, daß er trotz seines verhältnismäßig schwachen Alkoholgehaltes die schlimmste Geißel des neu angetretenen Jahrhunderts zu werden verspricht. Sein Konsum hat sich in den letzten 40 Jahren bei uns geradezu vervierfacht und beträgt heute schon über 140 Liter auf den Kopf der Bevölkerung jährlich. Davon entfällt mehr als das Doppelte dieser Zahl an jeden Einwohner der eigentlichen Bierländer wie München, wo das Bierherz und die Biernieren sehr gewöhnliche Erscheinungen der Krankenhäuser sind.
Es ist durch sorgfältige statistische Erhebungen nachgewiesen, daß heute im Deutschen Reiche nicht weniger als 1⁄15 des Ackerbodens allein für die Gewinnung der Rohprodukte zur Bereitung alkoholhaltiger Getränke verwendet wird, und daß jeder sechzehnte arbeitsfähige Deutsche für die Erzeugung und den Vertrieb geistiger Getränke arbeitet. Alle diese Leute erhöhen nicht im geringsten den Volkswohlstand, sondern untergraben ihn vielmehr direkt, indem sie unter vorzugsweiser Bereicherung des Großkapitals der Verarmung und geistigen wie körperlichen Zerrüttung der großen Massen des Volkes den denkbar größten Vorschub leisten, die Kranken- und Armenhäuser, die Gefängnisse und Irrenanstalten füllen helfen und eine Unzahl sozialer Übel heraufbeschwören.
Heute trinkt man nicht mehr die leichten, nicht haltbaren Biere, wie dies unsere Vorfahren taten, die höchstens 2 Prozent Alkohol enthalten, sondern solches von durchschnittlich 4,5 Prozent bis zum schweren Exportbier mit 8 Prozent Alkohol. Diese nähern sich sehr dem Wein, der zwischen 9 und 15 Prozent Alkohol enthält, während die mit Branntweinzusatz haltbar gemachten Südweine bis 22 und 24 Prozent Alkoholgehalt steigen können und allmählich zu den Likören führen, die 30 und mehr Prozent daran enthalten. Diese Liköre werden in der verschiedensten Stärke und Zusammensetzung aus entfuseltem[S. 634] Branntwein mit Zusatz von Zucker, der ihm den milden, öligen Charakter verleihen soll, aromatischen Pflanzenextrakten und Wasser in verschiedener Menge hergestellt und, mit den verlockendsten Phantasienamen versehen, zum Kaufe angeboten. Diese führen unmittelbar zu den eigentlichen Schnäpsen, deren schwerste bis zu 70 Prozent Alkohol enthalten und ätzend wie Feuerwasser den Schlund hinabgleiten.
Von dem im Deutschen Reiche erzeugten Branntwein kommen abzüglich des exportierten durchschnittlich etwa 12 Liter auf den Kopf der Bevölkerung. Nicht weniger als 78 Prozent desselben werden aus Kartoffeln, 16 Prozent aus Getreide, 3 Prozent aus Melasse, 2 Prozent aus Wein, Weinhefe und Trebern und nur 1 Prozent aus Obst und Obsttrebern hergestellt. Für die Gewinnung des gemeinen Spiritus, der auch für die technische Verwertung große Bedeutung erlangt hat, ist heute die stärkemehlreiche Kartoffel das wichtigste Rohmaterial, wie sie auch im Speisezettel von uns Mitteleuropäern eine dominierende Rolle spielt.
Da der muhammedanischen Welt der Genuß geistiger Getränke von ihrem Propheten verboten wurde, benützt sie die Trauben, soweit sie dieselben nicht frisch genießt, durch Einkochen von deren süßen Saft zur Herstellung von Sirup und verwendet sie auch getrocknet in Form von Rosinen. In Asien ist die Traubenkultur besonders in Persien verbreitet, wo die einheimische Kischmischtraube, aber auch die südspanische Malagatraube gezogen wird. Dort wird außer dem Schire genannten Traubensirup auch ein von den weniger strenge an den Satzungen Muhammeds hängenden Persern genossener würziger Wein hergestellt, der als Wein von Schiras oft genug von den Dichtern besungen wurde. Außerordentlich alt ist die Rebenkultur auch in Ostasien, wo das sehr früh zu namhafter Kultur emporgestiegene mongolische Volk der Chinesen außer dem jetzt dort einzig noch gebräuchlichen Reisbranntwein schon vor 4000 Jahren den Wein kannte und die heute noch in Nordchina wildwachsende Rebe mit herrlichen Trauben zu dessen Herstellung fleißig anpflanzte. Am Wein labten sich damals nicht nur die Menschen, sondern er diente wie im Orient und bei Griechen und Römern gleicherweise als Opfertrank für die zu ehrende Gottheit. Doch wurde später seine Gewinnung und Benutzung von einsichtsvollen Regenten verboten, und auf ihre strenge Weisung hin mußten die Weingärten unerbittlich ausgerodet werden. Auch als zur Zeit der römischen Kaiser die von Seidenhändlern aus Westasien nach China mitgebrachte Rebe angebaut und Wein daraus zu bereiten ver[S. 635]sucht wurde, untersagte die Regierung dieses Beginnen abermals. So vermochte der Weinbau selbst im nördlichen China, wo er sehr gute Bedingungen fände, bis heute nicht aufzukommen. Doch haben seit 1890 Europäer kalifornische und österreichische Reben in Tschifu in der Provinz Schan-tung eingeführt, und auch die fortschrittlich gesinnte Regierung von Japan hat seit 1880 sehr gut gedeihende Versuchsweinpflanzungen mit französischen, deutschen und österreichischen Reben eingerichtet.
Am Kap der Guten Hoffnung, von wo heute ein vorzüglicher Wein in großen Mengen exportiert wird, begründeten französische Hugenotten im Jahre 1685 den Weinbau. In Nordamerika schlug 1620 ein Versuch, aus der wilden Rebe Virginiens Wein zu bereiten, fehl. So mußte der Wein aus Europa für die Liebhaber desselben in der Neuen Welt eingeführt werden, bis Schweizer Kolonisten ums Jahr 1800 aus der einheimischen Fuchsrebe (Vitis labrusca) einigermaßen trinkbaren Rotwein herstellten. Festen Fuß faßte der Weinbau in den Vereinigten Staaten aber erst seit dem Jahre 1821, als Adlum die der Fuchsrebe nahe verwandte, ebenfalls rotbeerige Catawbarebe vom Flusse Potomac nach Washington brachte. Heute sind sie[S. 636] in vielen Varietäten im Norden der Vereinigten Staaten zur Weinbereitung kultiviert, während im Süden der Union die mehr die Wärme liebende Büffelrebe (Vitis rotundifolia) gezüchtet wird. Da diese amerikanischen Reben noch nicht durch Jahrtausende alte Kultur verzärtelt sind, erweisen sie sich viel widerstandsfähiger gegen die Reblaus, jene bei uns so überaus gefürchtete Wurzellaus des Weinstocks (Phylloxera vastatrix), welche in Frankreich fast sämtliche weinbautreibende Departements heimsuchte und seit ihrem Auftreten im Jahre 1869 bis heute jenem Lande einen Schaden von über 20 Milliarden Franken brachte. In Deutschland trat dieser Schädling zuerst im Jahre 1874 auf, zeigte sich im Jahre 1881 im Ahrtal und hat von da aus dank seiner unglaublichen Fruchtbarkeit — die Nachkommenschaft eines einzigen Tieres beziffert sich nämlich im Laufe eines Sommers nach Millionen — in der Folge auch andere Gebiete ergriffen, so daß man sich zu den strengsten Gegenmaßregeln verpflichtet sah. Vor allem begann man in den von der Reblaus am meisten heimgesuchten Gegenden die dagegen bedeutend widerstandsfähigeren amerikanischen Reben als Unterlagen für die europäischen zu benützen.
In den Vereinigten Staaten, die nun auch die besseren europäischen Rebensorten besitzen, entwickelte sich der Weinbau am günstigsten im Staate Ohio, bis in den letzten Jahren Kalifornien wie in der Anpflanzung sämtlicher Obstarten, so auch im Anbau von Reben den größten Vorsprung gewann. Endlich kam die Rebenkultur im Jahre 1862 auch nach Australien, wo sie heute schon eine ganz erhebliche Ausdehnung besitzt.
Was nun die Weinerzeugung in den verschiedenen Weinbauländern betrifft, so steht Italien mit 52 Millionen Hektolitern jährlichem Ertrag obenan, ihm folgt Frankreich auf dem Fuße nach, dessen Durchschnittsertrag der letzten zehn Jahre 49 Millionen Hektoliter betrug. Im Jahre 1908 hat Frankreich 60 Millionen Hektoliter Wein hervorgebracht. (Außerdem wird in diesem Land eine Milliarde Hektoliter Kunstwein gebraut und konsumieren das Departement du Nord 300 Liter Bier und das Departement Calvados 350 Liter Apfelwein, auf den Kopf der Bevölkerung berechnet.) An dritter Stelle steht Spanien mit einer Produktion von 21 Millionen Hektoliter Wein pro Jahr. In weitem Absatz folgt an vierter Stelle Algerien mit 8,6 Millionen Hektolitern. Nach ihm kommen Portugal mit 4,5 Millionen, Österreich mit 3,5 Millionen, Ungarn mit 3,1 Millionen, Rußland und Rumänien mit je 2,6 Millionen, Bulgarien und Chile mit je 2,1 Mil[S. 637]lionen, Deutschland mit 1,9 Millionen, die Vereinigten Staaten von Nordamerika mit 1,6 Millionen, die Türkei und Cypern mit 1,5 Millionen, Argentinien mit 1,3 Millionen, Griechenland mit 1,5 Millionen und endlich die Schweiz mit 0,9 Millionen Hektolitern als durchschnittlichem Jahresertrag an Wein. Dabei beträgt der mittlere Weinverbrauch auf den Kopf der Bevölkerung in Litern jährlich: in Spanien 115, Griechenland 109,5, Bulgarien 104,2 Portugal 95,6, Italien 95,2, Frankreich 94,4, Schweiz 60,7, Rumänien 51,6, Österreich-Ungarn 22,1, Türkei 20,3, Deutsches Reich 5,7, Rußland 3,3, Belgien 3,2, Holland 2,2, Vereinigte Staaten 1,9, Großbritannien 1,7, Dänemark 1,2, Norwegen 0,9 und Schweden 0,5.
Dieselbe Rolle, die die Rebe als Lieferantin eines berauschenden Getränkes bei den Kulturvölkern der Alten Welt spielt, kommt bei denen der Neuen Welt dem in alkoholische Gärung gebrachten zuckerigen Saft der Agave zu. Wie die Kakteen sind die zu den Amaryllisgewächsen gehörenden Agaven ausschließlich in Amerika zu Hause und wachsen dort in etwa 80 Arten in den regenarmen Steppen im südlichsten Teile Nordamerikas, besonders aber in Mexiko und teilweise noch im Andengebiet Südamerikas. Die wichtigste unter ihnen ist die in Mittel- und im nördlichsten Südamerika heimische Agave americana, in Mexiko maguey, weiter im Süden metl genannt. Bei uns wird sie fälschlicherweise wegen einer gewissen Ähnlichkeit mit der afrikanischen Lilienart Aloë, deren bitteres Harz als Abführmittel vielfach bei allen Kulturvölkern der Erde Verwendung findet, auch Aloë genannt, und zwar im Gegensatz zu jener hundertjährigen Aloë, weil es bei uns viele Jahrzehnte gehen kann, bis sie zur Blüte gelangt und mit der Fruchtreife ihre Vegetationsperiode abschließt, ein Ziel, das sie in ihrer heißen, fast regenlosen Heimat, wo die Sonne das ganze Jahr hindurch mit ungeschwächter Kraft scheint, in wenigen Jahren erreicht. Am kurzen Stamm sitzt eine Rosette von 1–3 m langen, am Grunde oft über 40 cm breiten und bis 30 cm dicken, graugrünen, dorniggezähnten, fleischigen Blättern, deren inneres Gewebe als Nahrungs- und zugleich Wasserreservoir dient. Hat die Pflanze genug Reservematerial erworben und in ihren Blättern aufgespeichert, was in ihrer tropischen Heimat im Alter von 6–10 Jahren, in unsern Gewächshäusern jedoch erst nach 40–60 Jahren der Fall ist, so treibt sie einen an der Basis über armdicken, bis 10 m hohen Blütenschaft, der oben kandelaberartig viele Hunderte von einschließlich der Staubgefäße 12–13 cm langen, gelbgrünen Blüten aufweist.[S. 638] Nach Befruchtung derselben durch bestimmte Immen reifen die dattelartigen Früchte heran, wonach die Pflanze, die dabei all ihre Vorräte erschöpft hat, abstirbt, nachdem sie noch zahlreiche Wurzelschößlinge hervorgetrieben hat, die man auch neben dem Samen zur Vermehrung verwendet.
Die Magueypflanze wurde schon von den alten Mexikanern zur Gewinnung eines berauschenden Getränkes in Plantagen angebaut, wie dies heute noch in jenem Lande geschieht. Sobald sie ihren Blütenschaft zu treiben beginnt, schneidet man ihr die Gipfelknospe heraus und vertieft die Wunde zu einer schüsselförmigen Mulde von 30 bis 50 cm Durchmesser. Diese füllt sich 1–6 Monate lang täglich mit dem für die Blüten- und Fruchtbildung bestimmten zuckerreichen Saft in der Menge von 4–5, ja bei kräftigen Pflanzen 7 Litern im Tag, so daß eine Pflanze nach und nach bis 1100 Liter Zuckersaft liefert. Täglich wird dieser vermittels eines langen, hohlen Kürbisses durch Aufsaugen gesammelt und in lederne Schläuche gefüllt, in denen man ihn vergären läßt. Er liefert dann, auf Flaschen gezogen, ein stark moussierendes, erfrischendes, aber leicht berauschendes Getränk, das in Farbe und Geschmack an Berliner Weißbier erinnert und das Nationalgetränk der Mexikaner bildet, die unglaubliche Mengen davon vertilgen. Bei den alten Azteken hieß er oktli, die heutigen Bewohner Mexikos dagegen nennen ihn Pulque (sprich pulke). Überall im Lande gibt es sogenannte Pulquerias, d. h. Lokale, die ihn frisch aus den Lederschläuchen, in denen er vergor, ausschänken. Es sind meist nur offene Schuppen, die gleichzeitig als Tanzböden dienen, in denen das vom Pulque animierte Volk seine Feste feiert. Aus dem Pulque wird durch Destillation ein als tequila bezeichneter Branntwein gewonnen, während mit Wasser und Zucker vermischter Agavensaft nach kurzer Gärung den leichten, nur wenig berauschenden tepache liefert.
Durch Röstung des zuckerreichen Gewebes der treibenden Knospe und der jungen Blätter und nachherige Gärung erhält man den sehr alkoholreichen mescal. Schon die alten Mexikaner liebten den Pulque leidenschaftlich, aber dessen Genuß war vorsorglich nur bei hohen Festen oder bei harter Arbeit den Männern vom 30. Jahre an gestattet. Die jüngeren Leute und Frauen mußten sich mit dem aus Maismehl mit Zusatz von etwas Honig und teilweise Kakao bereiteten Bier begnügen. Außer dem beliebten Getränk lieferte ihnen die Agave in ihren äußerst zugfesten Fasern, welche die fleischigen Blätter durchziehen und auf höchst einfache Weise gewonnen wurden, Bindfaden und Stricke,[S. 639] wie auch das Rohmaterial für Kleidungsstoffe und Papier. Die saftigen Blätter wurden und werden heute noch als Gemüse gegessen, dienen teilweise auch zum Dachdecken, während die starken Dornen als Nägel oder zu Pfeilspitzen und die dürren Blütenschäfte als Lanzenstangen benutzt wurden. Wie einst, so wird auch die Wurzel heute noch arzneilich verwendet, und zwar besonders gegen die Syphilis, die schon in vorkolumbischer Zeit stark im Lande verbreitet war, wie wir auch aus mexikanischen und peruanischen Gesichtsurnen mit den typischen Erscheinungen der tertiären Lues entnehmen können. Die Begleiter des Kolumbus müssen diese Krankheit nach Europa gebracht haben, wo sie kaum vorhanden war, jedenfalls keine nennenswerten Erscheinungen bot. Kolumbus landete am 15. März 1493 in Südspanien nach der Entdeckung des neuen Weltteils, den er aber bis zu seinem Tode nicht als solchen erkannte, sondern für Indien ansah. Und seine Matrosen verbreiteten alsbald die Krankheit, die, von den laxen Sitten und der mangelhaften Reinlichkeit der damaligen Zeit begünstigt, in den Jahren 1494 und 1495 als neue Krankheit besonders in dem von Karl VIII. von Frankreich geführten Heere stark auftrat und durch die heimkehrende Soldateska eine gewaltige Ausdehnung durch ganz Europa fand, so daß sie von den höchsten bis zu den niedersten Schichten der Gesellschaft zahlreiche Opfer forderte.
Erst lange nach der Lustseuche, nämlich im Jahre 1561, kam auch die Agave durch die Spanier aus Mexiko nach Spanien und von da nach dem übrigen Südeuropa, wo sie sich überall, wie auch durch ganz Nordafrika, so leicht verbreitete, so daß sie heute eine Charakterpflanze der Mittelmeerländer geworden ist. Auch in Mittel- und Nordeuropa wird sie vielfach in großen Kübeln zur Zierde gezogen, muß aber in trockenen, frostfreien Räumen überwintert werden. Aber nicht nur in den Mittelmeerländern, über alle tropischen und subtropischen Gegenden hat sich die Agave verbreitet und wird vorzugsweise als Heckenpflanze und zur Befestigung von Flußsand angebaut. Überall ist sie mit einer anderen Amerikanerin, der Opuntie oder dem Feigenkaktus (Opuntia ficus indica) vergesellschaftet, die beide aus demselben Lande stammen und infolgedessen dieselben Lebensbedürfnisse aufweisen.
Die Opuntien sind wie alle Kakteen amerikanischen Ursprungs und wurden ihrer schmackhaften Früchte wegen schon von den Mexikanern angepflanzt. Mit den Agaven repräsentieren die Kakteen die Sukkulenten, d. h. mit den Nährstoffen auch Wasser, an Schleim gebunden, in ihren Geweben aufspeichernde Pflanzen, wie solche in den[S. 640] trockenen Gegenden der Alten Welt, speziell Südafrikas, die Euphorbiazeen darstellen, die teilweise den Kakteen sehr ähnliche Formen aufweisen.
Die eigentümlichen Gestalten der Kakteen und Agaven erregten bei den im Gefolge des Fernando Cortez im Jahre 1549 670 Mann stark mit 15 Geschützen zur Eroberung des Landes auf die trockene Hochebene von Mexiko hinaufsteigenden Spaniern um so mehr Aufsehen, als sie bis dahin noch keinerlei Art aus der Familie der Sukkulenten gesehen hatten. Schon im Berichte des Mönches Hernandez, der die Eroberung des alten Kulturlandes auf der Hochebene von Anahuac mit der 2282 m über Meer gelegenen Hauptstadt der Azteken, Tenochtitlan — dem heutigen Mexiko — schildert, werden die Opuntien noch mehr als die Agaven mit Ausdrücken des höchsten Erstaunens erwähnt. Auf jener Hochebene, wo diese Kaktusart ihre Heimat hat, unterschied jener Mönch schon neun verschiedene, kultivierte Opuntienarten, von denen die baumartige Feigendistel, auch indischer Feigenbaum genannt (Opuntia ficus indica) mit 50 cm langen und 30 cm breiten Gliedern wegen ihrer wohlschmeckenden Früchte wohl am häufigsten angepflanzt wurde. Sie war damals schon als willkommener Obstspender über ganz Mittel- und Südamerika verbreitet und gelangte in der Folge nach allen warmen Ländern der Erde.
Von den 150 Opuntienarten, die in allen Ländern Amerikas heimisch sind, wo überhaupt Kakteen gedeihen, und zwar meist in gebirgigen Gegenden mit heißem, trockenem Klima vorkommen, ist bald auch die gemeine Fackeldistel (Opuntia vulgaris) mit kürzeren Gliedern und zitronengelben Blüten von den Spaniern aus den südwestlichen Vereinigten Staaten nach den Ländern am Mittelmeer gebracht worden, wo sie jetzt neben der Agave ebenfalls als Charakterpflanze der Landschaft auftritt. Wie jene ist sie, sich selbst überlassen, überall verwildert und überzieht nun mit ihren stacheligen Stengelgliedern die unfruchtbarsten Felswände und Steingründe und bietet in ihren Früchten monatelang ein geschätztes Nahrungs- und Erfrischungsmittel für das Volk wie in ihrer Heimat. Weil sie im Geschmack ähnlich wie Feigen sind, haben sie den Opuntien, die sie erzeugen, die Bezeichnung Feigenkaktus oder indischer Feigenbaum eingetragen. Da sie über und über mit feinen Stacheln mit Widerhaken versehen sind, die sich ungemein leicht bei der leisesten Berührung in Finger und Lippen beziehungsweise Zunge einbohren, müssen sie zuvor sorgfältig geschält werden. Die Stengelglieder frißt das Vieh und die ganze Pflanze dient mit[S. 641] Vorliebe zu Einzäunungen. In ihrer Heimat, den trockensten Gegenden von Nordmexiko und Texas, sind sie als nahrhaftes Futter und Wasserspender für das Vieh ungemein wichtig, so daß sich die Verbindungswege durch die steinigen Wüsten danach richten, wo die meisten Exemplare dieser Pflanzenart wachsen.
In seinem lateinischen Buche über die Gärten Deutschlands vom Jahre 1561 erwähnt der Züricher Naturforscher Konrad Gesner zum erstenmal die Fackeldistel als Bürgerin Europas unter der Bezeichnung ficus indica, d. h. indische Feige. Sie muß damals in Spanien, Nordafrika und Süditalien schon ziemlich häufig gewesen sein und hat sich seither, wie die Agave, nördlich bis Bozen verbreitet. Seit etwa 50 Jahren ist sie besonders in Neusüdwales und Queensland, wohin sie ihrer Früchte wegen wie in die übrigen Länder der Tropen und Subtropen vom Menschen verbracht wurde, dermaßen verwildert, daß sie Tausende von Quadratkilometern Land für die Kulturen des Menschen entzogen und wertlos gemacht hat. Alle Verteidigungsmaßregeln gegen ihr Überwuchern blieben erfolglos.
Neuerdings ist es dem berühmten kalifornischen Pflanzenzüchter Luther Burbank in Santa Rosa, der in seinen kostspieligen Versuchen teilweise durch den in Schottland niedergelassenen einstigen nordamerikanischen Stahlkönig Carnegie finanziell unterstützt wurde, gelungen, eine völlig stachellose, großstengelige und überaus saftige Abart der Opuntie zu züchten, die äußerst leicht durch Ableger sich fortpflanzt — es genügt dazu, einfach ein Stückchen der fleischigen Stengel in den Boden zu stecken, wo es ohne weiteres anwächst — und sowohl durch die Stengelglieder, als auch durch die sehr wohlschmeckenden und nahrhaften feigengroßen Früchte ein geradezu unschätzbar wertvolles Geschenk für alle wasserarmen, wüstenhaften Gegenden, in denen sich der Mensch niederläßt und durch künstliche Berieselung mit Hilfe von durch Dämme gestautem Wasser sich Existenzbedingungen schafft, zu werden verspricht. Im Jahre 1909 ist dieses einzigartige Züchtungsprodukt des „Zauberers von Santa Rosa“ (wie Burbank von seinen Landsleuten mit Vorliebe genannt wird), das so reiche Ernten wie kaum eine andere Pflanze liefert, zum erstenmal in den Handel gelangt. Sein Anbau soll sich nach dem hauptsächlichen Mitarbeiter von Burbank, Dr. Doud, auch im südlichen Deutschland in wärmeren Lagen rentieren. Dabei soll die Pflanze eine Durchschnittsernte von 50000 bis 75000 kg auf den Acre (= 40,5 Ar) ergeben. Die Stengelglieder bilden ein wohlschmeckendes, nahrhaftes Gemüse für Menschen und[S. 642] Tiere, das gekocht und roh, auch als Salat, gegessen werden kann, und die ebenfalls stachellosen, rötlichen Früchte sollen von unvergleichlichem Wohlgeschmack sein.
Wir können die Besprechung dieser für die künftige Besiedelung von Wüstengegenden durch den Menschen eine geradezu unabsehbare Bedeutung aufweisende Opuntie nicht verlassen, ohne hier noch kurz zu erwähnen, daß die Opuntien zuerst unter dem mexikanischen Namen tuna in Spanien bekannt wurden und von da, wie De Candolle meint, von den durch Ferdinand V., den Katholischen, nach der Eroberung des letzten Restes maurischer Herrschaft, nämlich Granadas 1492, vertriebenen Arabern — tatsächlich aber erst später in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts durch die Spanier selbst — nach Nordafrika verbracht wurden, wo sie unter dem Namen „Feigen der Christen“ allgemeine Verbreitung fanden. Die Bezeichnung Opuntia tuna kommt heute einer baumartigen Verwandten der Opuntia ficus indica mit roten Blüten zu, die in Mexiko und in den Anden des nördlichen Südamerika wild wächst und neben der Opuntia pseudotuna mit roten Stengelgliedern und gelben Blüten und dem Nopalkaktus (Nopalea coccinellifera) in Mexiko, der, nebenbei bemerkt, im Wappen dieses Landes figuriert, früher als Weidepflanzen für die einst zur Gewinnung von Karmin, das heute auf chemischem Wege hergestellt wird, gezüchteten Cochenilleschildläuse diente. Dabei zog man besonders solche Arten vor, die keine Stacheln trugen, weil man sich in diesen Gebüschen beim Ablesen der den vormals sehr wichtigen Farbstoff liefernden Tiere ungehinderter bewegen konnte. Besonders blühte die Cochenillekultur zuletzt auf den Kanarischen Inseln, bis ihr durch die Entwicklung der Teerfarbenindustrie ein jähes Ende bereitet wurde. Auch die Früchte der birnförmigen, fleischigen Tunaopuntien sind eßbar und werden in der Heimat der Pflanzen von der Bevölkerung sehr gern verzehrt.
Zum Schluß sind hier der Vollständigkeit wegen noch zwei Arten berauschender Getränke kurz zu erwähnen, denen eine gewisse Bedeutung nicht abzusprechen ist. Das eine ist der in ganz Polynesien, besonders den Samoa-, Sandwich- und Freundschaftsinseln beliebte Kawa, der von der fleischigen Wurzel einer Pfefferart gewonnen wird. Es ist dies der Kawapfeffer (Piper methysticum), ein 2 m hoher Strauch mit langgestielten, eiförmigen Blättern und dicker, fleischiger Wurzel. Aus dieser letzteren wird der betäubende Trank in der Weise gewonnen, daß Frauen und Jungfrauen in Scheiben geschnittene[S. 643] Stücke derselben gehörig zerkauen und in Gefäße spucken, worin die Masse, mit Wasser übergossen, eine kurze Zeit liegen bleibt, bis das Stärkemehl mit Hilfe des diastatischen Speichelferments in Zucker und dieser durch die allgegenwärtigen Hefepilze in Alkohol übergeführt worden ist. Der wichtigste betäubende Stoff darin ist aber ein der Wurzel innewohnender Stoff, der in besonderer Weise auf das Zentralnervensystem einwirkt, indem der Trinker bei ausgiebigem Kawagenuß bei vollem Bewußtsein die Herrschaft über seine Glieder verliert. Der in Polynesien wild wachsende Kawapfeffer wird als geschätztes Genußmittel auch von den Eingeborenen angepflanzt. So hat die deutsche Insel Samoa im vergangenen Jahr nicht bloß ihren eigenen Bedarf gedeckt, sondern auch noch 16900 kg im Werte von 25400 Mark nach den Nachbarinseln auszuführen vermocht.
Wer in Samoa, der Perle der Südsee und wohl dem schönsten Stückchen des ganzen deutschen Kolonialbesitzes reist, der darf überall, wohin er kommt, bei der unbegrenzten Gastfreundschaft der Samoaner der besten Aufnahme gewiß sein. In jedem Dorf ist eine Taupo genannte Ehrenjungfrau vorhanden, der als Repräsentantin des Dorfes die Unterbringung und Bewirtung des Fremden obliegt. Mit untergeschlagenen Beinen läßt sich der Besucher auf den mit Matten belegten Boden der sauberen, offenen Hütte nieder. Die Dorfältesten folgen diesem Beispiel, und es beginnt die zeremonielle Bereitung des Nationalgetränkes. Die Taupo, manchmal zusammen mit anderen Mädchen, speit die durch längeres Kauen zerkleinerte Kawawurzel in eine flache, auf mehreren Füßen ruhende Holzschüssel, gießt aus einer hohlen Kokosnuß Wasser hinzu, läßt das Ganze etwas stehen, zieht zum Schluß den ausgelaugten Brei zur Entfernung der holzigen Bestandteile durch ein Bastsieb und die Bowle ist fertig. Lautes Klatschen des Hausherrn zeigt die Fertigstellung der Kawa an. Die Taupo reicht den Becher mit dem graugrünen, von den einen wie Pfefferminztee, von andern wie Seifenwasser schmeckend angegebenen Getränk dem Gaste, dessen Name verkündet wird und der ihn mit dem samoanischen Prosit „Manuia“ leert und der Taupo zurückgibt. Das Trinkgefäß macht dann die Runde bei allen Anwesenden, genau in der Reihenfolge ihrer Würde und ihres Alters. Während des Rundtranks werden zahlreiche Reden gehalten. Der Gast wird von den hervorragendsten Anwesenden begrüßt. Man dankt ihm in wohlgesetzter Rede für seinen Besuch und bittet um seine Freundschaft. Nach dem Bewillkommnungstrank werden die Speisen aufgetragen: Bananen,[S. 644] Yams, Taro, Fische, Muscheln, Kokosnüsse, Hühner und eventuell Schweine. Alles, auch das Obdach für die Nacht, soll der Gast mit dem Wirte teilen. In derselben Hütte schläft auch die Taupo; aber sie ist Tag und Nacht von zwei älteren Ehrendamen bewacht, die auf ihre Reinheit acht haben. Denn im Gegensatz zu den gewöhnlichen Mädchen Samoas, die sich in ihrem ledigen Stande alles erlauben dürfen, ohne an Ansehen zu verlieren, muß die Taupo unantastbar bleiben, um später die Frau irgend eines angesehenen Häuptlings zu werden. Wie zur Begrüßung des Gastes spielen die Taupo und die Kawa bei allen Festen, Versammlungen und sonstigen offiziellen Anlässen eine höchst wichtige Rolle im samoanischen Leben.
Das andere berauschende Getränk gehört der Geschichte an und spielte einst beim asiatischen Zweige der Indogermanen eine große Rolle. Es ist dies der Somatrank der alten Inder oder der Haoma der alten Perser. Von keinem berauschenden Getränke reichen die Urkunden so weit zurück, keins ist durch seinen Gebrauch in ein so mystisches Dunkel gehüllt und keins ist je höher gepriesen worden, als dieser heilige, nicht nur belebende und beseligende, sondern Menschen und Göttern Kraft und Gesundheit spendende Trank, mit dem auch Indra — in der ältesten Zeit, von der wir hier sprechen, der oberste Gott der Inder, der Schöpfer und Erhalter der Welt, der später zum Haupt der niederen Götter wurde — sich zum Kampfe gegen die Dämonen stärkte. Nach den geschichtlichen Überlieferungen und den Angaben des Sâma-Veda war dieser Somatrank eine Art Met, der aus einer in Gärung gebrachten Honiglösung mit Zusatz von Gersten- oder anderem Mehl und Milch oder Molken hergestellt wurde, wozu höchst sparsam als Würze der Saft einer mit großer Sorgfalt in mondhellen Nächten auf Bergeshöhen gesammelten Staude hinzugefügt wurde. Die blattlosen oder entblätterten Stengel der als Soma-lata bezeichneten Somapflanze wurden dann unter dem Gesange bestimmter Hymnen mit Steinen zerquetscht und ausgepreßt, um den so hochgeschätzten Saft dem Gemisch von Gerstenmehl und Milch in vergorener Honiglösung zu spenden. Sicheres über diese Pflanze wissen wir nur so viel, daß sie auf dem Gebirge wuchs und Milchsaft führte.
Wie hoch die arischen Inder der vorgeschichtlichen Zeit ihren heiligen Somatrank als Labung für Menschen und Götter priesen, mögen folgende Stellen aus dem Sâma-Veda dartun: „Wir jauchzen dir zu, du ausgepreßter Soma, dir, dem gerstengemischten Somatrank! Gar köstlich schmeckend und von Milch strotzend, gehst du erhebend honig[S. 645]süßer Glanzstrahl. Du gehst, o Reiniger, unaufhaltsam strömend für Indra, o Soma, ringsum flutbesprengt. — Den schönen, gottersehnten Trank, in Flut gereinigt und von Männern gepreßt, würzen mit Milch die Kühe. — Wie Vögel sitzen um dich her beim milchgekochten Met, dem süßen, die Indra preisen. Ihm gebührt der milchgemachte Göttertrank. — Wir denken dein, Falbrossiger. (Damit ist Indra gemeint.) Im Opfer gedenke unseres Lobgesangs in des Soma Rausch. — Sprengt ringsum den Soma, das wichtigste Opfer, das wir mit Steinen gepreßt haben. Diesen haben wir, mit Gerste wie mit Milch ihn mischend, versüßt, o Indra, an diesem Feste. — Freue dich des kuhgemischten Trankes!“
Wie er im alten Indien bei keinem Opfer fehlte, so wurde bei den alten Persern kein Gebet gesprochen, ohne ihn genossen zu haben. Von ihm sollten sich die Götter ernähren. Der um 25 n. Chr. verstorbene griechische Geograph Strabon aus Amasia in Pontos berichtet, daß bei jedem Hause in Persien eine Haomapflanzung und in jedem Hause ein Holzmörser mit Keule zum Stampfen und Auspressen des Saftes ein unerläßliches, heiliges Gerät sei, welches gleich dem Feuer und dem Bündel von Myrtenzweigen vor Entweihung geschützt werden müsse. Wie in Indien so geschah auch in Persien die Bereitung des Haomatrankes unter Lobgesängen und liturgischen Gebeten. Der in Rom als Lehrer der Philosophie lebende griechische Schriftsteller Plutarchos (50–120 n. Chr.) beschreibt die Zubereitung des von ihm als Omomi (= Haomi) bezeichneten Getränkes. Nach ihm wurde dazu der Saft einer in Armenien und Medien wachsenden, dem Weinstocke ähnlichen Pflanze mit knotigen Stengeln, Blättern wie Jasmin, Blüten wie Levkoje, traubenförmigen Samen, duftend und von bitterem Geschmack genommen. Vielleicht ist der auf assyrischen Bildwerken, in denen der König mit erhobener Schale ein Trinkopfer darbringt, dargestellte, in seltsam verschlungener Figur den heiligen Baum, die Dattelpalme, umrankende Gewächs, das uns auch anderweitig auf Skulpturen, von geflügelten, adlerköpfigen Gottheiten adorierend umstanden, entgegentritt, nichts anderes als die Haoma der Alten. Und zwar glaubte man bis in die neueste Zeit zwei nahe miteinander verwandte, in Indien und Persien einheimische milchsaftführende Calotropisarten, die noch wildwachsend angetroffen werden, für die heilige Somapflanze ansehen zu dürfen. Kürzlich hat jedoch Joseph Bornmüller festgestellt, daß die indischen Parsen, die die altiranischen Religionsgebräuche bis in die Gegenwart bewahrten, zu ihren gottesdienstlichen Handlungen[S. 646] die auf felsigen Standorten wachsende sehr ästige, blattlose und äußerlich einem Schachtelhalme ähnliche Strauchart Ephedra vulgaris aus Persien beziehen. Man darf also diese als die heilige Haomapflanze der Perser ansehen, die von jeher als identisch mit der Somapflanze der Inder galt. Der aus ihr ausgepreßte Saft, der später zum Gotte Soma erhoben wurde, erhielt später bei den Ariern dieselbe Bedeutung wie der Wein im christlichen Abendmahle.
Übrigens wird noch heute der Saft gewisser Calotropisarten von manchen Stämmen des Sudans dem Hirsebrei zugesetzt, während andererseits manche Tatarenstämme ihren aus Pferde- und Kamelmilch bereiteten Getränken gern narkotische Säfte von Kräutern hinzufügen. Bei den alten Ariern wird eben jenes ältere Genußmittel mit der Zeit durch bessere, jüngere verdrängt worden sein, wodurch es bald in völlige Vergessenheit geriet, bis auf die streng an den Gebräuchen ihrer Vorfahren hängenden Parsen, von denen ja heute noch wie vor Tausenden von Jahren das Feuer als eine Gottheit verehrt wird.
Ähnlich wie die geistigen Getränke, aber noch in weit stärkerem Maße die Gehirntätigkeit in besonderer, vielfach krankhafter Weise beeinflussend wirken andere narkotische Pflanzenstoffe, denen wir nunmehr unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden haben. Bei der ungeheuer wichtigen Rolle, die die hierher gehörenden Drogen spielen, sind die sie erzeugenden Pflanzen von der größten kulturgeschichtlichen und wirtschaftlichen Bedeutung. Denn, wie wir bereits zu Beginn des vorigen Abschnitts sahen, sind die narkotischen Gifte dem Menschen vielfach unersetzliche Genußmittel, die er sich schon auf niedriger Kulturstufe unbedingt zu verschaffen sucht. Kein Volk der Erde ist so armselig und primitiv, daß es nicht im Besitze irgend eines Mittels wäre, dessen Genuß den Geist in einen Rauschzustand zu versetzen vermag. Und zwar ist die Erlangung eines solchen Rauschmittels den Naturvölkern vielfach wichtiger als der Besitz von Nahrung spendenden Pflanzen. So bauen manche von Viehzucht lebende Negerstämme Tabak an, pflanzen aber daneben keinerlei Getreide.
Unter diesen „Sorgenlösern“, die den Menschengeist in künstliche Ekstase, d. h. in einen Zustand des Entrücktseins in andere Welten versetzen, spielt der Haschisch eine sehr wichtige Rolle. Sind doch nicht weniger als etwa 250 Millionen Menschen in Asien und Afrika Haschischesser oder Haschischraucher. Mit Vorliebe wird er in Konfekt genossen, wie ja die Orientalen meist das Süße lieben. Dieser Haschisch besteht aus einer ein ätherisches Öl, Harze und verschiedene Glykoside enthaltenden Ausscheidung der in Ostindien heimischen und von dort sehr früh schon in Persien eingeführten Hanfpflanze (Cannabis indica). Schon bei uns riecht diese mit dem Hopfen aufs engste verwandte, in weiblichen und männlichen Exemplaren auftretende Krautart aromatisch und betäubend. In noch viel höherem Maße ist dies in warmen[S. 648] Gegenden, speziell im heißen Indien der Fall, wo sie allein ein gelblichgrünes, aromatisch riechendes Gummiharz aus den Stengeln und namentlich den Blütenständen ausscheidet. Dieses wird gesammelt, indem Arbeiter, in der Regel nackt, nur ausnahmsweise mit einem Lederanzuge bekleidet, durch die Hanffelder streifen. Dabei klebt ihnen die vom Hanf ausgeschiedene harzige Masse an. Diese wird dann mit stumpfen Messern abgeschabt und zu einem dem Opium ähnlichen Teig zusammengeknetet. Wie dieses wird es in besonderen kleinen Pfeifen geraucht oder als grünliches Extrakt mit allerlei meist parfümierten Kuchen, sogenannten Fröhlichkeitskuchen, und in Form von Konfekt genossen. Die Wirkung des Haschisch ist derjenigen des Tabaks ähnlich, nur viel stärker, indem er rasch betäubt und Delirien erzeugt.
Besonders reich an diesem narkotischen, harzigen Gifte sind die weiblichen Blütenstände, die deshalb auch getrocknet als solche geraucht oder zur Extraktion von Haschisch verwendet werden. Von der Anwendung des getrockneten Krautes, namentlich der weiblichen Blütenstände als den am narkotischen Stoffe reichsten Teilen, zum Rauchen wie Tabak, um eine beglückende Betäubung an sich hervorzurufen, rührt der Name der Droge her; denn haschîsch heißt persisch das Kraut. In Indien unterscheidet man zwei Sorten desselben: bhang[S. 649] oder siddhi, die zur Blütezeit entnommenen, zerkleinerten Blätter, die mit Wasser oder Milch, Zucker nebst schwarzem Pfeffer und anderem Gewürz zu einer grünen Flüssigkeit zerrieben werden, und gânjâ, die getrockneten, jungen, weiblichen Blütentriebe, die, dem Tabak beigemischt, in der Wasserpfeife geraucht werden. Letzterer gilt als viel kräftiger und wird deshalb auch viel teuerer bezahlt. Während von ersterem etwa 30 g für den daran Gewöhnten genommen werden müssen, genügen von letzterem viel kleinere Mengen, um eine ausgiebige Wirkung zu erzielen. In anderen Ländern bindet man die wirksamen Bestandteile an Butter, mischt diese mit Gewürzen und formt aus der Masse Pillen, die als beliebtes hadschi eingenommen werden.
Nächst Indien ist Persien das Hauptland der Erzeugung und des Verbrauches von Haschisch. Hier ist, wie in Indien, die Kultur des Hanfes als Rauschmittel uralt, und die altpersische Sprache bezeichnet die Trunkenheit mit einem Worte (banga), das im Sanskrit Hanf bedeutet. Von Persien drang die Hanfkultur früh schon westwärts vor und gelangte schon um die Mitte des 2. vorgeschichtlichen Jahrtausends nach Südrußland zu den Viehzucht treibenden Skythen. Der im Jahre 484 v. Chr. geborene griechische Geschichtschreiber Herodot nennt uns den Hanf als Betäubungsmittel dieses Volkes. Nach ihm streuten die Skythen, um sich zu betäuben, Hanfkörner auf glühend gemachte Steine, die auf den Boden von kleinen Schwitzbadhütten gebracht worden waren, und atmeten den so entstehenden Qualm ein. Dadurch wurden sie in einen solchen Rausch versetzt, daß sie aus lauter Behagen laut brüllten. Auch bei den Thrakern war sein Gebrauch damals schon üblich; außerdem benutzten sie die Fasern des Hanfstengels, um Stoff daraus zu weben. Beides war den Griechen, die die Pflanze noch nicht kannten, neu. Ebenso bauten die Kelten bereits den Hanf an, um sich seiner sowohl als narkotisches Genußmittel, als auch als Gespinstpflanze zu bedienen. Als der König Hieron II. von Syrakus, der von 269–215 v. Chr. regierte, ein ungeheures Prachtschiff baute, zu dessen Herstellung er aus allen Ländern am Mittelmeer das Beste in seiner Art kommen ließ, wurden Hanf zu Tauen und Pech von den Kelten des unteren Rhonetales im südlichen Gallien bezogen. Also muß die Hanfkultur damals schon bei ihnen in hoher Blüte gestanden haben. Von den römischen Schriftstellern ist der ums Jahr 100 v. Chr. lebende Satiriker Lucilius der erste, der den Hanf als Gespinstpflanze erwähnt und Plinius der ältere (23–79 n. Chr.) berichtet in seiner[S. 650] Naturgeschichte, daß der Hanf um die Ortschaft Reate im Sabinerlande Baumeshöhe erreiche.
Die alten Juden und Ägypter kannten den Hanf noch nicht. Erst die Araber, die sich seiner vorzugsweise als Berauschungsmittel bedienten, brachten dessen Kultur im Nilland, wie in Nordafrika in Blüte. Aber noch am Ende des 18. Jahrhunderts wurde diese Pflanze nur zur Gewinnung von Haschisch gepflanzt, der heute einen sehr großen Teil seiner Anhänger in Afrika zählt. Als neuartige Gespinstpflanze erwähnt den Hanf zum erstenmal in Palästina die jüdische Gesetzessammlung des Mischna.
In geringen Dosen genossen bewirkt der Haschisch ein nicht endenwollendes Lachen, zugleich wird die Phantasie mächtig angeregt und entzückende Bilder ziehen am geistigen Auge vorüber. Die Ideenverkettung wird durch ihn beschleunigt, die Sinneseindrücke werden lebhafter und die Sexualsphäre wird erregt. Etwas größere Dosen rufen ein traumhaftes Glückseligkeitsgefühl hervor, es entsteht ein Gefühl der Körperlosigkeit, der für den Berauschten das Vorhandensein von Raum und Zeit ausschließt. Noch größere Dosen lösen berückende farbige Visionen aus, bewirken aber auch Delirien und Tobsuchtsanfälle. Der Genuß dieses Mittels ist am größten bevor dessen Gebrauch zur Gewohnheit wird. Sobald aber letzteres der Fall wird, stellen sich hochgradige Schädigungen des Nervensystems und aller Körperorgane ein, die eine zunehmende Melancholie mit fortschreitender Verblödung des Geistes und körperlichem Verfall bewirken, bis schließlich der Tod durch Schlaganfall oder Lähmung eintritt. Dieser durch Haschischgenuß hervorgerufene Zustand einer Ekstase spielt bei manchen religiösen Sekten des Morgenlandes eine große Rolle. Am bekanntesten unter ihnen ist die heute nur noch in einigen hundert Familien im Libanongebirge hausende Sekte der Assassinen, die von einem schiitischen Muhammedaner, Hassan aus Chorasan, im Jahre 1090 gegründet wurde, indem er zunächst eine Anzahl persischer Jünglinge um sich sammelte, die er durch Haschischgenuß ihm völlig ergeben und zu willenlosen Werkzeugen seiner fanatischen Ideen machte. Zur Zeit der Kreuzzüge waren die Assassinen als Meuchelmörder von den Christen sehr gefürchtet. Die Burg Kahf im Libanon war die Residenz ihres Häuptlings, des Scheich ul dschebel, d. h. Oberhaupt des Gebirges, von den Europäern nur der „Alte vom Berge“ genannt. In Syrien von den Machthabern namentlich im 12. und 13. Jahrhundert mißbraucht, sanken sie nach und nach zu gewöhnlichen Meuchelmördern herab, die[S. 651] für Geld jedem dienten, so daß seither bei den Romanen assassin so viel als Meuchelmörder bedeutet.
Bei uns sind alkoholhaltige Getränke die häufigsten, aber auch die ärmlichsten Erreger der künstlichen Ekstase. Dazu dient im Orient, dem der Alkohol nach dem Gebote des Propheten Muhammed in jeder Form versagt blieb, außer dem Haschisch auch das Opium. Es ist dies bekanntlich der eingetrocknete Milchsaft des Schlafmohns (Papaver somniferum), der ein Abkömmling des in den Mittelmeerländern, besonders Kleinasien, heimischen Papaver setigerum ist, der sich durch borstig behaarte Kelchblätter und Stengel von der kultivierten Art unterscheidet. Dieser wilden Urform stand, nach der Beschaffenheit der uns erhalten gebliebenen Samenkörner zu urteilen, noch der Mohn sehr nahe, den die neolithischen Pfahlbauern der Schweiz in ihren wenig sorgsam mit der Hacke bearbeiteten kleinen Feldern an den Seeufern pflanzten. Wie andere vorgeschichtliche Völker werden sie sich der Samen vorzugsweise als Ölspender, daneben aber auch noch als Heilmittel zur Betäubung von Schmerzen bedient haben, wie dies heute noch bei der Bauernbevölkerung auf dem Lande geschieht.
Bei den alten Griechen waren die jene Samenkörner bergenden Fruchtkapseln des Mohns die sinnbildlichen Attribute des Schlafgottes Morpheus. Also müssen sie schon früh die betäubende Wirkung dieser Samen und überhaupt der ganzen Pflanze gekannt haben. Doch bauten auch die Griechen der ältesten Zeit den Mohn nicht zur Opiumgewinnung, sondern zur Ernte seiner ölreichen Samen, wie heute noch die mitteleuropäische Bauernbevölkerung, an. Daneben mögen gelegentlich die schmerzlindernden Eigenschaften der verschiedenen Produkte der Pflanze benutzt worden sein; aber das waren große Ausnahmen. Der Mohn war ihnen eine Ölpflanze. Zu diesem Zwecke muß er schon wenigstens im 9. vorchristlichen Jahrhundert von Kleinasien her in Griechenland eingeführt worden sein; denn der im 8. vorchristlichen Jahrhundert in Böotien lebende Dichter Hesiod nennt uns in seiner Theogonie eine Ortschaft Mēkṓne, d. h. Mohnstadt, wohl von der dort besonders intensiv betriebenen Mohnkultur herrührend. Diese unweit von Korinth gelegene Ortschaft wurde dann später infolge ihrer ausgedehnten Gurkenkultur in Sikyon, d. h. Gurkenstadt umgetauft, als welche sie uns in geschichtlicher Zeit entgegentritt.
Es ist bemerkenswert, daß noch Hippokrates von Kos, der von 460–364 v. Chr. lebende größte griechische Arzt, das Opium nicht kannte, wenn er auch den Milchsaft opós der Blätter und Früchte als[S. 652] Linderungsmittel bei Schmerzen anwandte. Auch der Schüler des großen Aristoteles, Theophrastos (390–286 v. Chr.), kannte so wenig als die Hippokratiker das Opium, und wo er von mēkóneion spricht, meint er damit den betäubenden Milchsaft einer Wolfsmilchart (Euphorbia peplus). Erst im 3. vorchristlichen Jahrhundert scheint in Griechenland die Verwendung des durch Ritzen der unreifen Fruchtkapsel des Mohns gewonnenen Milchsafts als Arzneimittel aufgekommen zu sein. Wenigstens sind Diokles von Karystos und Herakleides von Tarent die ersten griechischen Ärzte, von denen berichtet wird, daß sie diese Droge zur Schmerzlinderung anwandten.
Das von der griechischen Bezeichnung dafür, nämlich opós Milchsaft, abgeleitete ópion übernahmen dann die Römer mit der Droge, deren Kenntnis ihnen die bei ihnen ihre Tätigkeit ausübenden griechischen Ärzte vermittelten. Zu Beginn der römischen Kaiserzeit wurde außer in Kleinasien besonders auch in Ägypten, später auch in Spanien und Nordafrika Opium gewonnen, wie wir von den damaligen Schriftstellern vernehmen. Zu Beginn des Mittelalters kam dann das Opium im Abendlande fast ganz außer Gebrauch, während es die arabischen Ärzte noch teilweise anwandten. Dafür wurden Abkochungen der Mohnkapseln, die für weniger gefährlich galten, benutzt. Erst im späteren Mittelalter kam das Opium im Abendlande wieder zur Benutzung, worüber das Nähere im Abschnitt über die Heilpflanzen mitgeteilt werden soll.
Für jetzt genüge die Feststellung der Tatsache, daß, wie schon im Altertum, so noch heute Kleinasien das beste Opium erzeugt. Dort wird die Kultur des Schlafmohns und die Gewinnung des Opiums aus dessen unreifen Fruchtkapseln in folgender Weise betrieben. Die einjährige Pflanze mit den hübschen, weiß bis violett gefärbten Blüten wird nach den Herbstregen in drei Perioden vom September bis März ausgesät, um so den Wechselfällen des Klimas zu begegnen und die Arbeitskräfte während einer längeren Periode auszunützen. Auf dem gut gedüngten Boden wächst die Pflanze rasch heran, erreicht die Höhe von 1 m und erzeugt durch reiche Verästelung 5–30 Blüten. Etwa 6–7 Tage nach dem Abfallen der Blumenblätter bekommen die jungen, grünen Fruchtkapseln einen bläulichweißen Anflug und sind zur Opiumernte recht. Nun muß die Arbeit in 8–10 Tagen vollendet werden, da sie später keinen Milchsaft mehr austreten lassen. Die Opiumgewinnung geschieht in der Weise, daß die grünen Fruchtkapseln in den Nachmittagsstunden mit einem Messer, dessen Klinge[S. 653] bis auf die Spitze mit Bindfaden umwickelt ist, mit mehreren wagrechten Schnitten angeritzt werden. Der dabei aus den Wunden austretende weiße Milchsaft gerinnt rasch an der Luft und nimmt eine gelbrötliche und zuletzt bräunliche Farbe an. Am folgenden Morgen wird er mit dem Messer vorsichtig abgelöst und auf ein Mohnblatt abgestrichen. Ist eine größere Masse beisammen, so knetet man daraus Kuchen von etwa 600 g Gewicht, die man in Mohnblätter einschlägt und im Schatten gut trocknen läßt, damit sie nicht später auf dem Transport faulen. Damit die Opiumbrote nicht zusammenkleben, werden sie durch dazwischen gestreute trockene Rumex- oder Sauerampferfrüchte getrennt. So werden sie in kleine Säcke und diese ihrerseits wieder in Körbe gepackt, die nach Smyrna oder Konstantinopel ausgeführt werden. Durchschnittlich produziert Kleinasien jährlich 400000 kg Opium. Doch unterliegen Erzeugung, Ausfuhr und Preis desselben starken Schwankungen, da der Ertrag der Fruchtkapseln an Milchsaft nach den Jahrgängen sehr ungleich ist. Je reifer die Frucht wird, eine um so geringere Saftmenge liefert sie. Doch hindert das Anschneiden der Milchsaftröhren in den Kapseln, die nach dem Abfallen der Blumenblätter prall gefüllt sind, die Früchte nicht am völligen Reifwerden; sie fallen nur etwas kleiner aus. Die Samen werden dann nach deren Reife geerntet und aus ihnen das Mohnöl als gutes Speisefett gewonnen.
Nach der Frühjahrsernte wird auf demselben Felde nach abermaliger reichlicher Düngung eine zweite Mohnkultur angelegt und im Herbste geerntet, und zwar erzeugt die Herbsternte den größten Teil des Ertrages. Nach Flückiger liefert eine Mohnkapsel in Kleinasien in ein bis drei Schnitten ungefähr 0,02 g Opium. Dabei ist es von Wichtigkeit, die Schnitte nicht zu tief zu machen und die Kapselwandung nicht zu durchschneiden, da sich sonst ein Teil des Milchsaftes ins Innere der Kapsel ergießt und für die Opiumgewinnung verloren geht. Auch würden derart geschädigte Kapseln keine Samen mehr reifen lassen. Zwischen dem Einschneiden, wozu in Persien und Indien besondere Messer mit bis zu fünf Klingen benutzt werden, und dem Sammeln des gebräunten Milchsaftes dürfen nicht mehr als 24 Stunden verstreichen. Die getrockneten Opiumkuchen sehen im Bruche zimtbraun aus, riechen stark narkotisch und schmecken bitter. Vielfach werden sie mit Mohnkapselpulver, Mehl, Aprikosen- und Feigenzusätzen, auch mit verschiedenen Gummiarten verfälscht. Außerdem wird auch besseres mit schlechterem Opium gemischt, um den medizinisch[S. 654] geforderten Morphingehalt von 10–20 Prozent aus dem gewöhnlich mehr davon enthaltenden Opium zu gewinnen.
Auch in Persien wird viel Opium erzeugt, das zum größten Teile im Lande selbst verbraucht wird, und zwar in Kuchen und Konfekt gegessen, nicht wie in China geraucht wird. Von der jährlichen Gesamtproduktion von Opium im Betrage von 23 Millionen kg erzeugt China 14 Millionen kg und Britisch-Ostindien 5,5 Millionen kg. Das Opium und seine Verwendung als Mittel zur Betäubung von Schmerzen und, unabhängig davon, zur Erlangung eines Zustandes von Entrücktsein, gelangte im frühen Mittelalter von Kleinasien nach Osten, wo es die haschischrauchenden Perser und Araber als afiun freudig aufnahmen und im 8. Jahrhundert weiter zu den Hindus gelangen ließen, die diese Droge als wertvolle Bereicherung ihres Arzneischatzes gern entgegennahmen. Durch die Inder, die dann bald auch die Mohnkultur selbst bei sich einführten, gelangte das Opium nach Hinterindien und in die malaiische Inselwelt und von da im Laufe des 10. Jahrhunderts als o-pién oder o-fu-yung nach China, wo es später eine außerordentliche Bedeutung erlangen sollte. Die frühesten Nachrichten über die Versendung indischen Opiums nach China verdanken wir dem Portugiesen Odoardo Barbosa, der bald nach Auffinden des Seeweges nach Ostindien nach Kalikut an der Malabarküste fuhr, um dort die Produkte Indiens an der Quelle einzuhandeln. Im Jahre 1516 berichtete er über die Erlebnisse seiner Reise und bemerkt, daß er außer kleinasiatischem zweierlei Arten indischen Opiums auf dem Markte von Kalikut vorfand. In demselben Jahre 1516 nennt der portugiesische Apotheker Pires Opium aus Cambaia und solches aus Cous, der heutigen Landschaft Kus Bahar im nordöstlichen Bengalen.
Die Sitte, Opium zu rauchen, erhielten die Chinesen aus Formosa, und die Bewohner dieser Insel sollen ihr Opium aus Java bezogen haben. Schon im 11. Jahrhundert soll in China selbst Mohn zur Gewinnung von Opium angebaut worden sein, aber er wurde ausschließlich für medizinische Zwecke verwendet. Im Pen-tsao-kung-mu, einem zwischen 1552 und 1578 verfaßten chinesischen Kräuterbuche, wird die Gewinnung des Opiums und seine Verwendung, aber nur eine solche als Medikament, beschrieben. In den Jahren 1589 und 1615 wird das Opium in chinesischen Arzneitarifen angeführt. Erst gegen das Ende des 17. Jahrhunderts kam das Opiumrauchen in weiteren Kreisen der Bevölkerung in China auf, wogegen 1729 von der Regierung aus ein strenges Verbot erlassen wurde. Trotzdem erlosch diese[S. 655] Unsitte nicht, sondern blühte im geheimen weiter und wurde bald wieder offenkundig betrieben. Die chinesische Regierung, welche die unheilvolle, entnervende Wirkung dieser Leidenschaft sehr wohl erkannte und ihr nach Möglichkeit entgegentrat, verbot in den Jahren 1799 und 1800 das Opiumrauchen abermals im ganzen Reiche aufs strengste und untersagte im Jahre 1820 auch die Einfuhr des Stoffes. Diese Maßregel traf aber in erster Linie die ostindische Handelskompagnie, die Opium in großen Mengen nach China importierte. Um nun den für sie äußerst gewinnbringenden Handel nicht zu verlieren, organisierte sie einen lebhaften Schmuggel dorthin. Die fortgesetzten Reibereien zwischen China, das den Opium nicht zulassen, und England, das um jeden Preis sein einträgliches Geschäft fortsetzen wollte, führten endlich im Jahre 1841 den berüchtigten Opiumkrieg herbei, durch dessen für England siegreiche Beendigung im Jahre 1842 durch den Vertrag von Nan-king China zwar nicht offiziell der Einfuhr des Opiums geöffnet wurde, doch aller von Indien gelieferter Opium in den chinesischen Vertragshäfen zur Einfuhr zugelassen werden mußte.
Infolge zunehmender Feindseligkeiten, die der üppiger als je emporblühende Opiumschmuggel nach China hervorrief, kam es im Jahre 1856 zu weiteren Feindseligkeiten und zu einer Intervention, wonach China 1860 die Einfuhr von Opium in sein Reich völlig freigeben mußte. Seither machten die Engländer mit ihrer Opiumausfuhr von Indien nach China famose Geschäfte, obschon China selbst eine Menge davon erzeugte, so daß allein die Provinzen Sze-tschwan und Yün-nan die Produktion Indiens darin übertreffen sollen. Zu den 14 Millionen kg, die im Lande selbst geerntet werden, liefert Ostindien noch über 5 Millionen kg, dazu noch Persien und Kleinasien, dessen Produkte als kinni, d. h. goldener Kot, besonders geschätzt werden, eine unbestimmte Menge. Das Hauptgebiet der indischen Opiumgewinnung ist Bengalen in Nordindien am Mittellaufe des Ganges um die Städte Bihar und Benares, wo über eine Million Bauern sich mit Mohnbau beschäftigen. Schon unter den muhammedanischen Herrschern Indiens war der Anbau von Mohn zur Gewinnung von Opium ein Monopol derselben, das diesen viel eintrug. Durch den Sieg des englischen Generals Clives bei Plassey im Jahre 1757 kamen die Besitzungen des Großmoguls und damit das Opiummonopol in die Hände der Engländer. Mit dem Jahre 1773 begann dann der indisch-chinesische Opiumhandel der englisch-ostindischen Kompagnie, den[S. 656] vorher die Portugiesen von Goa und die Holländer von Java aus betrieben hatten. Da nun in Indien die Opiumgewinnung heute noch ein Monopol der englischen Regierung ist, sind im ganzen Gebiete englische Beamte angestellt, die sämtliche Vorgänge von der Pflanzung des Mohns bis zur Ablieferung des fertigen Rohprodukts aufs strengste überwachen. Die indischen Bauern sammeln den Milchsaft in irdenen Gefäßen, um ihn an die Faktoreien der Regierung abzuliefern, wo er genau geprüft, durchknetet und zu Kugeln von etwa 15 cm Durchmesser und 1,5 kg Gewicht geformt wird. Diese werden auf Hürden getrocknet und, von einer dicken Hülle von Mohnblumenblättern umgeben, in Kisten verpackt.
Das Opiummonopol soll der Regierung des britischen Indien früher einen Reinertrag von 160 Millionen Mark jährlich gebracht haben. Doch hat diese sich unter dem Druck der öffentlichen Meinung dazu verstehen müssen, ihre Ausfuhr nach China in letzter Zeit immer mehr einzuschränken. Die chinesische Regierung hat nämlich im Jahre 1906 für das ganze Reich ein Gesetz erlassen, wonach von 1916 an kein Opium mehr geraucht oder sonstwie genossen werden darf; nur Männer über 60 Jahren, von denen man annimmt, daß sie dieser Gewohnheit nicht mehr entsagen können, dürfen seinem Genusse bis zu ihrem Tode in gewohnter Weise frönen.
Hier in China hat nämlich der Opiumgenuß allmählich ganz entsetzliche Dimensionen angenommen, so daß dieser kaiserliche Erlaß höchst notwendig war, sollte nicht die ganze Bevölkerung zugrunde gerichtet werden. So berichtet Dr. Thwing, Sekretär des Kongresses, der durch die Initiative des ehemaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten, Theodor Roosevelt, gegen das Laster des Opiumgenusses am 1. Februar 1910 in Shang-hai eröffnet wurde, daß für fünf Provinzen Chinas genauere statistische Angaben vorliegen, wonach in ihnen auf eine Bevölkerung von 58 Millionen Einwohner zwischen 20 und 80 Prozent Opium rauchen und daß das dafür ausgegebene Geld 800 Millionen Mark jährlich überschreitet. Und der englische Pfarrer Gregg berichtet, daß in China jährlich eine halbe Million Menschen infolge Opiumvergiftung zugrunde gehen. In manchen Provinzen dieses gewaltigen Reiches, wie beispielsweise in Yün-nan, huldigt sozusagen jeder Erwachsene, vom Mandarinen und Gelehrten bis hinab zum einfachsten Handwerker und Bauer abends nach getaner Arbeit diesem Genusse. Alle Landleute pflanzen für ihren Bedarf einen kleinen Acker voll Schlafmohn neben ihrem Hause und bereiten sich den Opium selbst.[S. 657] Sie formen davon Kügelchen, die sie in einen Pfeifenkopf mit winziger Höhlung bringen, dann in liegender Stellung mit Hilfe einer glühenden Kohle zur Verdampfung bringen und den Dampf rasch einatmen. So werden die Opiumdämpfe durch die Lungen ins Blut gebracht.
Dem energischen Vorgehen der chinesischen Regierung gegen dieses volkszerrüttende Laster des Opiumrauchens, dem dank dem durch den Opiumkrieg von 1841 China auferlegten Zwang heute noch über 120 Millionen frönen, steht die 1842 festgelegte Klausel des Vertrages von Nang-king mit England entgegen, wonach die ganze von Indien gelieferte Opiumproduktion in den chinesischen Häfen zugelassen werden muß. Nun haben die chinesischen Staatsmänner sich sowohl mit der englisch-indischen Behörde in Kalkutta, als auch mit der englischen Kolonie in Hong-kong, die zumeist das von Indien nach China gelieferte Opium unter die Bewohner des Landes bringt, in Verbindung gesetzt, um eine starke Verminderung der noch immer jährlich gelieferten 46000 Kisten mit diesem Gift gegen Konzessionen auf anderen Gebieten zu erzielen. Hoffentlich gelingt es den chinesischen Staatsmännern bald, den der Engländer unwürdigen Vertrag ganz aufzuheben und damit zu einem schon längst von ihnen erstrebten absoluten Einfuhrverbot zu gelangen.
In neuester Zeit hat die chinesische Regierung in jeder Stadt eine bedeutende Zahl von Opiumkneipen geschlossen, in größeren 1000 bis 7000 solcher. Man hat berechnet, daß auf diese Weise im ganzen Reich gegen 2 Millionen Häusern das Recht des Opiumvertriebes genommen wurde. Ferner ist der Anbau des Mohns in sämtlichen Provinzen Chinas verboten worden. Dies hat für viel kleine Landbesitzer, für die die Opiumkultur die Haupteinnahme bildete, eine schwere Krise herbeigeführt und zahllose Existenzen sind dadurch ruiniert worden. Doch sollen die ausgedehnten, bisher zur Mohnproduktion benutzten Ländereien für den Getreidebau verwendet und damit der angerichtete ökonomische Schaden wieder gut gemacht werden. Endlich ist allen Persönlichkeiten, die irgend welche öffentliche Stellung bekleiden, der Opiumgenuß absolut verboten worden. Dieser Befehl betrifft in jeder Provinz mehr als tausend Funktionäre, die mit ihrer Enthaltsamkeit vorbildlich auf den Rest der Bevölkerung wirken sollen.
Alle diese von jedem rechtlich denkenden Menschen nur zu billigenden Maßnahmen werden von der Regierung mit der größten Strenge durchgeführt, vor allem in der Provinz Pe-tschi-li, in der die Hauptstadt Pe-king liegt. Die erzielten Resultate reden schon heute eine deutliche[S. 658] Sprache; und ist erst einmal der Einfuhr indischen Opiums der Riegel geschoben, so dürften die Tage des Opiummißbrauchs im Reiche der Mitte bald gezählt sein.
Bei den ganz unleugbaren schädlichen Wirkungen des gewohnheitsmäßigen Opiumgenusses auf den menschlichen Organismus wirkt es geradezu lächerlich, wenn jüngst eine von der englischen Regierung in Belang in Bengalen eingesetzte, aus englischen, von der Regierung selbst besoldeten Ärzten bestehende Kommission durch eingehende Studien zu dem Resultat gekommen sein will, daß dieser gewohnheitsmäßige Genuß vielmehr nur gute, die Leistungsfähigkeit der Betreffenden effektiv erhöhende Wirkungen ausübe. Was macht nicht alles dieses christlich sich gebärdende Krämervolk, das ja sonst unbestreitbar große Verdienste um die Kolonisation ausgedehnter Länder der Erde sich erworben hat, um ein gutes Geschäft zu machen und die außerordentlich hohen Gehälter seiner höheren Beamten in Indien bezahlen zu können! Wenn es nur recht verdienen kann, ist es skrupellos bis zum Exzeß. Auf denselben Dampfern bringt es die Missionare und ganze Schiffsladungen von in England hergestellten Götzenbildern nach Indien, und zwingt andererseits Hunderttausende von Eingeborenen in Bengalen das China so verhaßte, schädliche Opium zu erzeugen. Wenn auch Millionen der gelben Zopfträger schmählich daran zugrunde gehen, das läßt die fühllosen Krämerseelen kalt. Wenn nur ein gutes Geschäft für sie dabei abfällt.
Außer in China wird zurzeit wohl in Persien am meisten Opium geraucht. Kaum sind es vierzig Jahre her, daß dieses Laster in jenem Lande Eingang fand, und schon wird es in allen Städten in Menge geraucht, nicht nur im geheimen in den Häusern, sondern öffentlich auf den Basaren und Straßen. Ebenso sehr wie die Männer sind die Frauen dem Opiumgenuß ergeben, dem sie daheim frönen, während ihre kleinen Kinder neben ihnen liegen oder in ihrer Nähe sitzen und spielen. Oft sind schon halbwüchsige Jungen an dieses Gift gewöhnt. Nun hat seit Beginn des Jahres 1910 auch hier die neue Bakhtiari-Regierung den Kampf gegen das Opium aufgenommen, indem Beamte unter militärischer Eskorte ohne vorherige Warnung in die Karawansereien, Kaufläden, Kaffeehäuser usw. eindrangen und die Herausgabe des Opiums erzwangen. Dieses Gift wird nun in allen Ortschaften in besonderen Zentralniederlagen zu einem höheren Preise an solche verkauft, die bis jetzt nicht ohne solches Stimulans sein können und den hohen Preis desselben nicht scheuen. Nach einigen Monaten soll[S. 659] der Preis dafür noch mehr erhöht werden, bis schließlich die Leute gezwungen sind, es als Genußmittel ganz aufzugeben. Allerdings umgehen viele Perser das Rauchverbot einfach dadurch, daß sie das Opium essen, da es so in kleineren Dosen dieselbe Wirkung wie das Opiumrauchen in größeren Dosen ausübt.
Aber auch wir Europäer haben unsere, immer weitere Kreise der Gebildeten erfassende Opiumseuche. Statt dieses Gift zu rauchen, wie die Chinesen, treiben es die diesem Laster frönenden Europäer noch viel raffinierter, indem sie sich seit der Einführung der sogenannten Pravazspritze in die Medizin in den 1870er Jahren das wirksamste Alkaloid dieser Droge, das nach dem griechischen Schlafgotte Morpheus genannte Morphin, in wässeriger Lösung unter die Haut spritzen, von wo es rasch in den Kreislauf gelangt und seine den Betreffenden bald unentbehrliche Giftwirkung ausübt. Dieses Morphin war die erste Pflanzenbase, wissenschaftlich Alkaloid genannt, die vom deutschen Apotheker Sertürner in Hameln (Hannover) 1805 aus dem Opium gewonnen wurde. Zur fabrikmäßigen Morphingewinnung wird bei uns hauptsächlich das über Smyrna verschiffte kleinasiatische Produkt als das morphinreichste und daneben, als ihm sehr nahe kommend, das in Makedonien, wo ebenfalls ausgedehnte Mohnkulturen angelegt sind, gewonnene Opium verarbeitet.
So unschätzbare Dienste dieses in wässeriger Lösung eingespritzte Morphin in der Hand des gewissenhaften Arztes der leidenden Menschheit leistet, so schlimm wird sein gewohnheitsmäßiger Gebrauch bei den an den Genuß dieses Betäubungsmittel Gewöhnten. Mit allen anderen gewohnheitsmäßig genossenen Giften wie Alkohol, Nikotin, Haschisch, Kokain usw. teilt es die verhängnisvolle Eigenschaft, daß der betreffende Organismus sich mit der Zeit daran gewöhnt, weshalb die Dosis zur Erreichung der gewollten Wirkung immer mehr gesteigert werden muß. Dadurch wird der Organismus des Morphin- wie des Opiumsüchtigen immer mehr vergiftet und die Gesundheit vollständig untergraben. Durch dieses Narkotikum wird man scheinbar der irdischen Schwere enthoben, man glaubt zu schweben. Während die Glieder wie gelähmt erscheinen, wird die Denktätigkeit subjektiv erleichtert und angeregt. Traumartig ziehen die wunderbarsten Bilder vor der Seele vorbei; besonders stellen sich buntwechselnde Architekturvisionen ein, bis man schließlich mit schwerem Kopf in elender Verfassung aus der Exstase aufwacht. Dieses Gefühl des Katzenjammers wird am raschesten durch die Einverleibung einer neuen Dose beseitigt. So gelangt man un[S. 660]willkürlich in einen unmäßigen Gebrauch des Giftes, das schließlich den Charakter verdirbt und die Gesundheit vollkommen untergräbt. Die Folgen des Lasters sind völlige Zerrüttung der Verdauung und dadurch bedingte starke Abmagerung, Gliederzittern, Schlaflosigkeit und schließlich Verblödung des Geistes.
Ein Abgehen vom Opium- beziehungsweise Morphingebrauch ist ganz außerordentlich schwierig und nur vermittelst Anstaltsbehandlung mit Erfolg durchzuführen, da bei den an das Gift Gewöhnten jegliche Energie gelähmt ist und die besten Vorsätze, dasselbe zu lassen, vollständig in die Brüche gehen. Zudem muß bei der Entwöhnung von diesem Gifte vor allem eine absolute Enthaltung von allen geistigen Getränken, die ebenfalls den Willen zur Durchführung der Morphinabstinenz lähmen, durchgeführt werden, sonst ist eine Heilung von diesem Laster auch bei der Anstaltsbehandlung nicht möglich, da die Betreffenden zu Hause sofort wieder rückfällig werden. Besonders ausgedehnt ist der Morphinismus in den Kreisen der Ärzte und Apotheker, denen das Mittel jederzeit zu Gebote steht und die deshalb leicht der Verführung zu dessen Gebrauch, der stets in Kürze einen Mißbrauch nach sich zieht, erliegen. Daneben sind es vor allem die Kreise der Intellektuellen in den großen Städten, die der Versuchung unterliegen und vielfach diesem für sie bald unentbehrlichen Laster frönen. Weist doch die Stadt Paris allein über 50000 Morphinisten auf. Da auch bei diesen die beruhigende, anregende und beglückende Wirkung des gewohnheitsmäßig unter die Haut eingespritzten Giftes nur anhält, wenn die Menge regelmäßig um etwas gesteigert wird, so gelangen diese Unglücklichen zu enormen Tagesdosen, die nicht daran Gewöhnten sicheren Tod bringen würden. Infolge ihres Lasters verlieren die Morphinisten alle ihre ethischen Gefühle bald vollständig, betrügen, lügen und stehlen, vorerst bloß, um sich das unentbehrliche, so heiß ersehnte Gift zu verschaffen, dann aber auch sonst aus dabei erworbener Perversität.
Außer dem Morphinismus zieht aber auch das ostasiatische Laster des Opiumrauchens mehr und mehr bei den Europäern ein. Überall, wohin die Chinesen aus ihrer übervölkerten Heimat auswanderten, brachten sie die Unsitte des Opiumrauchens mit, die heute nicht bloß in allen malaiischen Hafenplätzen, sondern auch in Kalifornien häufig angetroffen wird. Aus dem Westen der Union hat sie sich bald über die größeren Städte, besonders die Hafenstädte, verbreitet. Schon im Jahre 1889 zählte Neuyork 10000 Opiumraucher. Von dort drang[S. 661] das Opiumrauchen nach England und die englischen Kolonien vor, wo ihm besonders in den Hafenstädten gefrönt wird. Denn überall sind es in erster Linie die Matrosen, die sich auf ihren Reisen nach dem Osten diese Unsitte in den von Chinesen bevölkerten Städten angewöhnen und zu Hause nicht davon lassen können. In Frankreich gehören dazu vielfach auch Soldaten, die in Tonking dienten. So sind nicht bloß die Hafenstädte, besonders Marseille und Toulon, seit über 25 Jahren in zunehmendem Maße vom Laster des Opiumrauchens verseucht, sondern auch die größeren Städte wie Bordeaux, Lyon und vornehmlich Paris. In Marseille allein soll nach zuverlässiger Quelle täglich für über 1000 Franken Opium von Weißen geraucht werden. Auf diese von den Chinesen übernommene Unsitte hat der englische Romanschriftsteller Charles Dickens zuerst durch einen seiner Romane die Augen der Welt gelenkt.
Neben dem Opiumrauchen ist in ganz Asien und auch in England das Laster des Opiumessens, der sog. Opiophagie, sehr verbreitet, wobei man gewöhnlich die in den Apotheken vorrätig gehaltene Opiumtinktur genießt. Auch von ihr müssen schließlich horrende Mengen eingenommen werden, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Während die einfache Dosis der Opiumtinktur für medizinische Zwecke 15 bis höchstens 20 Tropfen beträgt, gelangt ein Opiumesser mit der Zeit bis zu 8000 Tropfen täglich, was jeden nicht daran Gewöhnten natürlich sofort umbringen würde. So weit brachte es auch der begabte französische Schriftsteller Thomas de Quincey, der 1821 seine Memoiren als „Bekenntnisse eines Opiumessers“ herausgab. Höchst merkwürdig ist es, daß von solchen Opiophagen sehr starke Dosen des äußerst giftigen Sublimats nicht bloß ertragen, sondern auch dem Opium absichtlich zugesetzt werden, wenn dessen Wirkung zu versagen beginnt.
Während die Alte Welt Haschisch und Opium als Mittel einer künstlichen Ekstase benutzte, wandte man in Südamerika schon lange vor der Entdeckung durch die Spanier zu solchem Zwecke die Blätter einer der Leinpflanze sehr nahe verwandten Rotholzart, des Kokastrauches (Erythroxylon coca), an. Schon ums Jahr 1499 erfuhren die Spanier, daß die Indianer des Andengebiets, speziell in Peru, die Blätter dieser Pflanze, teils ohne Zusatz, teils mit dem aus gebrannten Muschelschalen gewonnenen Kalk oder der Asche des als wichtige Nährfrucht angepflanzten Chenopodium quinoa kauten und dadurch in bezug auf ihr Nervensystem angeregt und befähigt wurden, außerordentliche Strapazen bei den beschwerlichen Gängen über das Gebirge zu[S. 662] ertragen. Daß diese Sitte schon recht alt gewesen sein muß, erwiesen die Funde auf dem Gräberfelde von Ancon und anderer Orte in Peru, wo man sehr häufig den in Hockstellung in Säcke eingebundenen Mumien der alten Inkas als Totenbeigabe mitgegebene kleine Umhängetaschen mit Kokablättern findet. Auch berichten die spanischen Geschichtschreiber zur Zeit der Eroberung Perus durch Francisco Pizarro 1532–1533, daß die Inkas bei ihren heiligen Götterfesten sich damit berauschten und auch die Menschen, die sie dabei opferten, teilweise damit betäubten.
Der 1,5 m hoch werdende Kokastrauch wächst wild in hochgelegenen, milden, feuchten Bergwäldern in Peru, Ekuador und besonders Bolivia, wo auch heute die größten Kokagärten, cocales, sich finden. Sie erstrecken sich vorzugsweise an den östlichen Abhängen der Anden in einer Höhe von 1000–2000 m über dem Meer, und reichen heute vom nördlichen Chile über Bolivien bis zur Sierra nevada da Santa Martha in Kolumbien und geben einen jährlichen Ertrag von über 30 Millionen kg, was bei dem geringen Gewichte der getrockneten Blätter eine ungeheure Menge bedeutet. Die Blätter des Kokastrauches sind wechselständig, 5–8 cm lang, 3–4 cm breit, lanzettlich bis eiförmig, ganzrandig, kahl, lederartig, oberseits olivengrün, unterseits gelblich graugrün. Sie besitzen zuerst zarte grünliche, später hornartig und braun werdende Nebenblätter und einen besonders an der Unterseite stark hervortretenden Mittelnerv, zu dessen Seiten zwei zarte Längslinien als Druckmarken der bei der Knospenanlage umgeschlagenen Blattränder verlaufen. Sie riechen und schmecken wie Tee, besitzen aber einen bittern Nachgeschmack. Am höchsten wird die bolivianische Ware geschätzt, dann kommt die peruanische und an dritter Stelle erst diejenige von Ekuador.
Bei der großen Bedeutung, die der Kokastrauch neuerdings für die Medizin erlangt hat, wird er, um so mehr, als er sehr leicht auch in andern Gegenden wächst, in zunehmendem Maße in den verschiedensten Gebieten der Tropen, besonders in einigen Teilen des englischen Kolonialreiches in Indien und auf Ceylon, außerdem auch auf Java kultiviert. Seine Fortpflanzung geschieht am besten durch Samen, die kurz vor der Regenzeit, dem besten Zeitpunkt für die Aussaat, geerntet werden. Die Samen werden auf ein humusreiches, gut durchgearbeitetes Beet gesät, das reichlich bewässert und durch ein Schutzdach aus Matten vor den grellen Sonnenstrahlen beschützt wird. Wenn die Sämlinge 15 cm hoch sind, wird letzteres entfernt. Bei Eintritt[S. 663] der nächsten Regenzeit werden die dann etwa 30–50 cm hohen Pflänzchen auf fetten, etwas trockenen Boden, der häufig durch Hacken gelockert und von Unkraut gereinigt werden muß, in Reihen verpflanzt und Mais dazwischen gesät, um ihnen den nötigen Schatten zu spenden und den Boden feucht zu erhalten. 1½ Jahre nach dem Verpflanzen können zum erstenmal Blätter, die nur etwa zu zwei Dritteln entfernt werden dürfen, geerntet werden. Und zwar pflückt man nur reife Blätter, die man an ihrem Stich ins Gelbliche erkennt. Sie müssen bei trockenem Wetter gesammelt werden, da sie sehr dem Verderben durch Feuchtigkeit ausgesetzt sind. Kommen sie in den Regen, so ist die ganze Ernte verdorben. Alle 2–3 Monate wiederholen sich die Ernten bis zum 40. Jahre. Die geernteten Blätter werden auf einer wärmeaufsaugenden schwarzen Unterlage aus Wolltuch oder Schiefer, die zuvor gehörig von der Sonne durchwärmt wurde, getrocknet und dann in Säcke aus Wolltuch zu Ballen von etwa 25 kg Inhalt fest zusammengestopft, um das Eindringen von Feuchtigkeit zu verhindern. Da die Blätter durch chemische Umsetzungen beim Transport bis zu 50 Prozent ihres Gehaltes an Kokain verlieren, so müssen sie möglichst schnell verschickt und verarbeitet werden. Die Indianer halten die Kokablätter schon nach 5 Monaten für unschmackhaft und nach 7 Monaten für völlig wertlos. Deshalb wird ein großer Teil der Blätter gleich an Ort und Stelle auf Kokain, das höchstens bis zu 1 Prozent in ihnen enthalten ist, verarbeitet. 1 kg Blätter liefern dabei 2 g Kokain.
Die europäischen Ärzte wurden auf dieses das Nervensystem hochgradig anregende Genußmittel, das über 8 Millionen Eingeborener Südamerikas regelmäßig genießen, wobei der durchschnittliche Tagesbedarf an Blättern 60–80 g beträgt, erst aufmerksam gemacht, als die österreichische Weltumseglung der „Navarra“ ansehnliche Mengen dieser Blätter zur Prüfung der darin enthaltenen Stoffe nach Europa brachte. Das darin schon 1855 von Gädicke nachgewiesene, von ihm Erythroxylin und erst 1860 von Nieman Kokain bezeichnete Alkaloid wurde erst 1884 durch Freund und Koller als unempfindlich machendes Mittel in den Arzneischatz eingeführt. Seither datiert auch der Beginn des Mißbrauchs dieses als Arznei unschätzbaren Mittels. Wie es äußerlich, in wässeriger Lösung auf die Schleimhäute gebracht, dieselben sehr bald völlig unempfindlich macht und ein Abblassen derselben durch Zusammenziehung der Blutgefäße bewirkt, regt es innerlich schon in kleinen Mengen die seelischen und motorischen Zentren der Groß[S. 664]hirnrinde an und beschleunigt die Herztätigkeit. Als Mittel zur geistigen und körperlichen Anregung, zur Erzeugung einer künstlichen Ekstase, wozu es von den Europäern wie das Morphin mit der Pravazspritze unter die Haut gebracht wird, um rasch in die Blutzirkulation aufgenommen zu werden, erzeugt es wie die andern, vorhin besprochenen Berauschungsmittel in kurzer Zeit die Sucht nach dem täglichen Gebrauch und zunehmender Steigerung der Dosen. Also ist es völlig ungeeignet etwa als Ersatz des Morphins, wie man es anfangs anwenden zu können glaubte. Zudem treten die schlimmen Folgen noch rascher als bei jenem ein. Die Persönlichkeit des chronischen Kokainisten wird vollständig vernichtet. Er ist zu keiner anhaltenden Arbeit mehr fähig, wird mehr und mehr gedankenschwach und vergeßlich, seine moralischen Gefühle schwinden, Wahnideen stellen sich ein, es tritt Schlaflosigkeit, Abmagerung und zunehmender Verfall des Körpers auf, bis schließlich der Tod an Entkräftung erfolgt. Häufig sind dabei Kokainpsychosen mit dem Gefühle, als ob es unter der Haut von Ungeziefer wimmle, in Verbindung mit erschreckenden Bildern. Da in den letzten Jahren ein zunehmender Mißbrauch mit diesem für Augen-, Nasen- und Kehlkopfheilkunde, wie auch für die in der chirurgischen Praxis äußerst wichtige Infiltrationsanästhesie der Haut bisher unentbehrlichen Alkaloid stattfindet, ist davor von ärztlicher Seite sehr zu warnen. Ebenso vor dem Einnehmen von Äther und Chloroform, die an Stelle des keinen genügenden Reiz mehr auf sie ausübenden Alkohols von manchen Lebemenschen männlichen und weiblichen Geschlechts in den großen Städten eingenommen werden.
Der Tabak als Genußmittel ist bekanntlich amerikanischen Ursprungs. Die Indianer haben diese narkotische Pflanze schon lange vor der Entdeckung Amerikas beinahe in ihrem ganzen Kontinent angebaut, um die getrockneten Blätter derselben auf die verschiedenste Weise als Genußmittel zu gebrauchen. Auf den westindischen Inseln, auf denen Kolumbus zuerst landete, wurden sie fest zusammengerollt in ein dürres Maisblatt gewickelt und am einen Ende angezündet wie Zigarren geraucht. Diese Rauchrolle nannten die Indianer auf Befragen der Spanier tabaco, woher sich der Name Tabak ableitet, der aber später auf das Kraut selbst übertragen wurde.
Die Indianer behaupteten, dieses narkotische Kraut vom großen Geist selbst erhalten zu haben und hielten es für heilig; deshalb kreiste bei ihren Zusammenkünften die Friedenspfeife als ein Symbol des Gottesfriedens, der dann unter ihnen herrschen sollte. Ursprünglich werden die dürren Blätter der Tabakstaude mit anderen getrockneten Kräutern zum Regenzauber gebraucht worden sein, indem man mit den in die Luft geblasenen Rauchwolken befruchtendes Naß für die vor Dürre schmachtende Vegetation, vor allem die nahrungspendenden Anpflanzungen des Menschen aus den dadurch vermeintlich gebildeten Regenwolken zaubern wollte, wie es heute noch die Primitiven in den verschiedensten Ländern tun.
Zu solchem Regenzauber und zu ähnlichen Manipulationen haben auch die Völker der Alten Welt in vorgeschichtlicher und geschichtlicher Zeit die verschiedensten einheimischen Kräuter aus regelrechten, teilweise aus Metall, und zwar meist Bronze, gegossenen und uns in solchem dauerhaften Material erhalten gebliebenen Pfeifen geraucht. Dabei entdeckte man sehr bald, daß der Rauch gewisser Pflanzen eine narkotische Wirkung auf den Menschen ausübe. So betäubten sich bereits[S. 666] die alten Babylonier durch Verbrennen von dürrem Hanf in Becken und Einsaugen des dabei entstehenden Dampfes durch hohles Schilfrohr. Von verschiedenen Barbarenstämmen Europas wird berichtet, daß sie getrockneten Huflattich rauchten oder durch Rohrpfeifen den Rauch des Cypergrases (einer kýpeiros genannten Binsenart) einsogen. Das sollte ihnen nach Apollodoros (um 140 v. Chr.) Kraft und Widerstandsfähigkeit verleihen. Ebenso ließen sich die Priester der alten Gallier und Germanen durch das Einatmen von Dampf von verbranntem Hanf zum Zwecke der Weissagung in Ekstase bringen, wie die Pythia in Delphi durch das Kauen von Lorbeerblättern und das Einatmen betäubender, aus der Erde hervordringender Dämpfe, über die der Dreifuß, auf dem sie saß, gestellt war, gleichfalls in einem Zustande von narkotischer Verzückung den Willen der Gottheit zu ergründen suchte.
Während die Völker der Alten Welt durch das Einatmen solchen Rauches die narkotische Wirkung mancher Kräuter entdeckten, kamen diejenigen der Neuen Welt auf die Entdeckung des Tabakes als Betäubungsmittel. In welcher Gegend Amerikas dies geschah, läßt sich nicht mehr bestimmen; doch scheint der Süden Nordamerikas und Mittelamerika der älteste Herd des Tabakgenusses gewesen zu sein. Von da verbreitete sich derselbe nach Süden und Norden, so daß diese der Alten Welt fehlende narkotische Pflanze lange vor der Ankunft der Europäer von Chile bis Kanada von den Indianern angebaut wurde, um als Zauber- und Genußmittel zu dienen. Einzig im Gebiet des La Platastromes, in Uruguay und Paraguay wurde der Tabak in keinerlei Weise gebraucht. Sonst bedienten sich seiner alle amerikanischen Völker in irgend welcher Form, und zwar meist nur die Männer, denen dieses Genußmittel auf ihren ausgedehnten Kriegs- und Jagdzügen erlaubte, Hunger und Durst längere Zeit als ohne ihn zu ertragen. Bei den zivilisierteren Stämmen, wie den Azteken Mexikos, diente er als verfeinertes Reizmittel, dem sich die Männer nach getaner Arbeit gerne hingaben. Alle feierlichen gottesdienstlichen oder politischen Handlungen gingen bei diesen Völkern stets nur unter dem Genusse von Tabak vor sich. Bei den nordamerikanischen Indianern (von denen wir die beste Kunde haben), waren die Rauchgeräte heilige Geräte, wie das Rauchen selbst eine Kulthandlung war, die bei keiner religiösen Zeremonie fehlen durfte. An die symbolische, aus den Indianergeschichten genugsam bekannte Friedenspfeife wurde bereits erinnert. Und solche heilige Tabakspfeifen oder Calumets haben schon die längst[S. 667] ausgestorbenen Vorläufer der nordamerikanischen Indianer besessen, die Erbauer der gewaltigen Erdwälle und Grabhügel vielfach in Tierform, die in den Tälern des Mississippi und seiner östlichen Nebenflüsse, besonders des Ohio, dann aber auch in den Golfstaaten in besonders dichter Menge gefunden werden und nach denen man sie in der Wissenschaft mit einem englischen Worte als die Moundbuilders bezeichnet. Sie müssen kulturell ziemlich hoch gestanden haben, da sie mit vereinten Kräften vermittelst der höchst primitiven ihnen zu Gebote stehenden Werkzeuge solche teilweise enorme Erdanhäufungen durchführen konnten, deren Tierform mit Sicherheit beweist, daß sie dem heute noch in jenem Kontinente so hoch ausgebildeten Totemismus huldigten. In einem solchen Mound im Ohiotale hat man neben kalt geschmiedeten, d. h. durch Hämmern mit Steinen gewonnenen Werkzeugen und Schmucksachen aus Kupfer nicht weniger als 200 Tabakspfeifen gefunden, weshalb er heute die Bezeichnung pipe-mound führt. Die in ihm, wie auch in anderen solchen Grab- und Kulthügeln gefundenen Pfeifen sind alle, wie auch derjenigen der späteren nordamerikanischen Indianer, aus einem bestimmten, nur an einer einzigen Stelle im Staate Minnesota gefundenen roten Pfeifenstein geschnitzt. Dieser wird nach dem amerikanischen Maler und Ethnographen George Catlin (1796–1874), dem die Siouxindianer als erstem Weißen nach Überwindung großer Schwierigkeiten den Besuch des betreffenden Steinbruchs im Jahre 1832 erlaubten, in der Wissenschaft als Catlinit bezeichnet. Dieser Stein ist dicht, aber nicht sehr hart, so daß er sich mit dem Feuersteinmesser schneiden läßt, und besteht hauptsächlich aus Kieselsäure und Tonerde mit einer Beimischung von Eisen, das ihm die schöne rote Farbe verleiht. Beim Polieren erhält er einen matten Glanz und erscheint dann blutrot. Diese eine Fundstelle des Pfeifensteins war ein geheiligter, neutraler Ort, wo sich die Indianer das nötige Material zur Herstellung ihrer Tabakspfeifen entweder selbst holten oder von befreundeten Stämmen eintauschten. Hier soll einst in grauer Vorzeit der „Große Geist“ die verschiedenen indianischen Völkerschaften versammelt und sie in der Anfertigung der Friedenspfeife unterwiesen haben, welchen Vorgang der amerikanische Dichter Longfellow in seinem „Sang von Hiawatha“ beschrieb und dadurch in weiteren Kreisen bekannt machte. Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts haben sich die Sioux oder Dakotas die Herrschaft über den heiligen Steinbruch angemaßt, den sie noch heute behaupten.
Wie die Moundbuilders und späteren nordamerikanischen Indianer[S. 668] haben auch manche mittelamerikanischen Völker den Tabak aus solchen aus weichem Stein geschnitzten Pfeifen geraucht, so unter den Mayastämmen die Tarasken auf der mexikanischen Halbinsel von Yucatan, in deren Skulpturen an den Tempeln wir diesem heiligen Gerät ebenfalls begegnen. Sonst wurde bei den Mayas der Tabak in die feinen Hüllen der Maiskolben eingewickelt unter der Bezeichnung zicar, woraus dann unsere Bezeichnung Zigarre entstand, geraucht, daneben auch zur Erzielung von Rauschzuständen, in welchen man mit den Abgeschiedenen in Verbindung treten zu können glaubte, gekaut und der mit dem betäubenden Saft versetzte Speichel hinuntergeschluckt. Die südamerikanischen Indianer dagegen kannten die Pfeife nicht, rauchten auch kaum „Zigarren“, bildeten dafür aber das Schnupfen zu wahrer Virtuosität aus. Sie benutzten dazu vielfach überhaupt keinen Tabak, sondern ein wohlriechendes Pulver von unbekannter Zusammensetzung, das sie sich gegenseitig durch hohle Röhrenknochen von Vögeln einbliesen. Auch die Karaibenstämme der großen Antillen, deren Bezeichnungen für Mais, Tabakrolle und Hängematte (mahiz, tabaco und hamaca, aus welch letzterem Wort das englische hammock und das deutsche „Hangmatte“ hervorging) mit den betreffenden Gegenständen in den Sprachschatz der europäischen Völker übergingen, schnupften die zu Pulver zerriebenen Tabakblätter; rauchten sie aber außerdem in Maiskolbenhüllen eingewickelt. In solcher Weise rauchend traf der Genuese Christoforo Colombi, besser unter dem Namen Kolumbus bekannt, die ersten westindischen Indianer auf der Insel Guanahani (heute Watling-Island), als er am 12. Oktober 1492 mit seinen drei mit spanischen Matrosen bemannten Caravellen in Indien, wie er zeitlebens glaubte, landete. Er starb ja bekanntlich ohne die geringste Ahnung davon zu haben, eine neue Welt entdeckt zu haben. Und wie ihm und seinen Begleitern das gefundene Land das ersehnte Gewürzland Indien war, so waren deren Bewohner für sie Indiani, d. h. Indier, woraus die Bezeichnung Indianer hervorging. Diese Indianer aus dem Volke der Aruak, die dort noch nicht von den Karaiben verdrängt worden waren, rauchten sämtlich in die dürren, feinen Hüllen von Maiskolben eingewickelte getrocknete Tabaksblätter und nannten diese Rauchrollen tabaco, eine Bezeichnung, die, wie gesagt, erst nachträglich auf das Rauchkraut selbst überging.
Nach der zweiten Expedition, die Kolumbus nach „Indien“ unternahm, blieb der ihn begleitende Mönch Romano Pane auf Haiti zurück, und von ihm stammt aus dem Jahre 1496 die erste Beschreibung[S. 669] der Tabakpflanze und die Schilderung der Rauchsitten der Indianer. Er erzählt, daß die Indianer die getrockneten Blätter jenes Krautes aufgerollt in den Mund nahmen, an der Spitze anzündeten und den eingezogenen Rauch aus dem Munde bliesen, „um damit die lästigen Moskitos zu vertreiben,“ wie er meinte. Außerdem erfuhr er, daß das Kraut auch als Arznei gegen mancherlei Leiden verwendet werde. Gleich ihm schrieb der Missionar Petrus Martyr in einer im Jahre 1532 erschienenen Schrift der Pflanze auch Heilkräfte zu.
Die Spanier befreundeten sich bald mit der den Indianern abgelauschten Sitte des Rauchens und begannen zuerst auf der Insel San Domingo Tabak zu bauen. Bald folgten die Portugiesen in Brasilien und die Engländer in Virginien ihrem Beispiel. Gonzalo Hernandes de Ovieda y Valdes, der Statthalter von San Domingo, gab die erste genaue Beschreibung der Pflanze; die ersten Samen der Pflanze aber brachte der Spanier Hernandez Boncalo aus Toledo, der von König Philipp II. mit einer Studie über die Pflanzenwelt Amerikas beauftragt war, mit in sein Vaterland, wo, wie Nikolaus Monardes, ein berühmter spanischer Arzt und Botaniker in seinem 1571 zu Sevilla gedruckten Buche über „Indien“ schreibt, die Tabakpflanze wohl ihrer schönen roten Blüten, nicht aber ihrer betäubenden Eigenschaften wegen in einigen Gärten angepflanzt wurde. So ward sie halb als Wunderkraut, halb als Arzneipflanze zuerst in Spanien in Gärten gezogen. An das Rauchen ihrer getrockneten Blätter dachte zunächst noch niemand.
Im Jahre 1560 brachte der französische Gesandte am königlichen Hofe in Lissabon, Jean Nicot de Viblemain aus Lyon, Tabaksamen aus dem Garten des portugiesischen Königs nach Frankreich mit, wo er ihn in seinem eigenen Garten aussäte und daraus wiederum frischen Samen gewann. Gleichzeitig gab er auch welchen an den Hof Franz II. ab, wobei er das daraus hervorwachsende Kraut als gutes Betäubungsmittel gegen Schmerzen aller Art rühmte. Ihm zu Ehren hat dann der französische Botaniker Dalechamps in seiner im Jahre 1586 erschienenen Historia plantarum die Pflanze als herba Nicotiana, d. h. Nicotsches Kraut bezeichnet, und dieser Name hat sich dann in der von Karl von Linné aufgestellten botanischen Bezeichnung Nicotiana tabacum bis auf den heutigen Tag erhalten.
Die Sitte des Tabakrauchens kam erst ums Jahr 1570 durch spanische Matrosen aus Westindien nach Spanien und wurde 1586 durch englische Kolonisten aus Virginien auch nach England eingeführt.[S. 670] Als nämlich der englische Schiffskapitän Walter Raleigh 1584 die zu Ehren der jungfräulichen Königin Elisabeth Virginia genannte Kolonie gründete, fand er das Rauchen, wie den Tabakbau bei den dortigen Eingeborenen allgemein verbreitet. Während der Regierungszeiten Karls IX., Heinrichs III. und Heinrichs IV. (1560–1610) kam dann das Tabakrauchen auch in Frankreich als betäubendes Linderungsmittel besonders bei Zahnschmerzen auf, und zwar wurde das Kraut damals aus einer Rohrpfeife mit Metallknopf geraucht, wie sie Nicot aus Portugal mitgebracht hatte. Erst unter der Regierung Ludwigs XIII. (1610–1643) kam das Rauchen als Selbstzweck, auch ohne als Linderungsmittel bei Schmerzen zu dienen, in Aufnahme, obschon viele Ärzte und Gelehrte gegen diese „abscheuliche“ Unsitte mit allen Mitteln des Spottes zu Felde zogen. Besonders in England wurde diese neue Mode heftig bekämpft, und König Jakob I., Sohn der Maria Stuart, der von 1603–1625 regierte, war selbst ein so heftiger Gegner derselben, daß er eine Schrift unter dem Titel Misokapnos, d. h. Rauchfeind, dagegen verfaßte und zu beweisen versuchte, daß das Tabakrauchen ein wahres Höllenwerk sei: „Erstens,“ sagt er darin, „ist es ein Rauch, und das sind nach dem Worte der Bibel alle Eitelkeiten der Welt. Zweitens ergötzt es die, welche es treiben, gleich andern Lüsten, welche den Menschen unfähig machen ihnen zu entsagen. Drittens macht es trunken und toll im Kopfe; so tun es auch die Eitelkeiten der Welt. Viertens, wer raucht, der sagt, er könne es nicht lassen, er sei wie behext; gerade so ist es mit allen weltlichen Lüsten. Fünftens, das Tabakrauchen ist der Hölle gleich in seinem Wesen; denn es ist ein stinkendes, ekelhaftes Ding.“ Der König schließt mit folgender Ermahnung an das englische Volk: „Wenn endlich, o Bürger, noch Scham in euch ist, so gebt jenen heillosen Gebrauch auf, der der Schande entsprungen, aus Irrtum aufgenommen, durch Torheit verbreitet worden ist, durch den Gottes Zorn gereizt, des Körpers Gesundheit zerstört, das Hauswesen zerrüttet, das Volk im Vaterlande herabgewürdigt und auswärts verächtlich gemacht wird; einen Gebrauch, der unangenehm in der Nase, dem Gehirn nachteilig, den Lungen verderblich und, wenn ich es recht sagen soll, durch die schwarzen Rauchwolken dem Höllendampfe vollkommen gleicht.“
Der Nachfolger Jakobs I., der schließlich vom Parlament hingerichtete König Karl I. (1625–1649), sah die Tabakfrage nüchterner und praktischer an; er wollte dieses Laster, wenn es sich nicht ausrotten ließ, finanziell ausbeuten und machte den Handel damit zum Staats[S. 671]monopol. Er ließ es sich wenig kümmern, ob die Leidenschaft nach diesem neuen Genußmittel, die nahezu sein ganzes Volk ergriffen hatte, sündhaft sei oder nicht — wenn sich nur die Staatskassen, die auch die seinigen waren, füllten!
Gleicherweise wurde auch in Frankreich, wo diese neue Sitte von England aus Fuß zu fassen begann, von der Regierung dagegen agitiert. So scheute man sich anfänglich öffentlich zu rauchen, deshalb entstanden in den wichtigsten Städten Frankreichs, vor allem in Paris, besondere, als tabagies bezeichnete Lokale für die Freunde des Tabakrauchens. Ähnlich war es in den Städten Deutschlands, in denen dieser Name bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts allgemein für öffentliche Lokale gebraucht wurde. Noch bis zum Jahre 1848 wurde das Rauchen auf offener Straße in den meisten Ländern Europas verboten. In Frankreich fand das Rauchen bald solche Verbreitung, daß man sich nicht scheute, diesem Vergnügen auch in der Öffentlichkeit zu huldigen. Und zwar nahm merkwürdigerweise der Bürgerstand und die Bauersame vor dem Adel diese Mode an, so daß es der Staat bald für gut befand, die Einfuhr des Tabaks ebenfalls zu besteuern, was für ihn eine reiche Einnahmequelle wurde. Ludwig XIII. (1610–1643) ließ gegen den Willen seines Leibarztes Tabak unter das Kriegsvolk verteilen, und Ludwig XIV. (1643–1715) befahl sogar während seines Krieges mit Holland im Jahre 1672, daß sich jeder Soldat mit Rauchgerätschaften zu versehen habe. Bei den höheren Ständen Frankreichs konnte sich das Rauchen zunächst nicht recht einbürgern; dafür kam aber bei ihnen das Schnupfen auf, und der Besitz einer kunstvoll verzierten Schnupftabaksdose wurde bald zu einem wichtigen Requisit der Vornehmen, das ihnen allerdings die Bürgerlichen bald genug nachahmten.
Die heute nur noch von manchen älteren Leuten geübte Sitte des Tabakschnupfens verbreitete sich im 18. Jahrhundert durch alle Volksschichten. Sie wurde zuerst in Frankreich unter Franz II. (1559–60), und zwar von Spanien her eingeführt, das zu jener Zeit die erste Schnupftabakfabrik in Europa erhielt, die Frankreich den „Spaniol“ lieferte. Im Jahre 1636 führten spanische Geistliche das Tabakschnupfen in Rom ein, was indessen den Papst Urban III. so erboste, daß er eine Bannbulle gegen diese spanische Unsitte erließ, die erst 1724 aufgehoben wurde. 1657 gab die Republik Venedig die Fabrikation und den Verschleiß des Schnupftabaks auf ihrem Territorialgebiete in Pacht. Das Tabakkauen indessen ist eine europäische Erfindung, die[S. 672] durch die Matrosen aufkam und heute noch unter diesen die meisten Anhänger zählt.
Gegen das Ende des 16. Jahrhunderts war das Rauchen bereits in Spanien, Portugal, England und Holland durchaus populär. Nach Deutschland kam die erste Tabakpflanze als Heilkraut 1565 aus Frankreich durch Occo in Augsburg, und fünf Jahre später, 1570, gelangte sie ebenfalls aus Frankreich nach Holland. Der holländische Arzt Dr. William van der Meer in Delft schrieb ums Jahr 1590, daß er damals in Leiden englische und französische Studenten zuerst habe rauchen gesehen. Sie rauchten den Tabak aus irdenen Pfeifen, trotz der Warnung der ärztlichen Fakultät, daß ihre Gehirne davon schwarz werden würden. Im Anfang des 17. Jahrhunderts begann dann der Gebrauch des Tabaks in den unteren Ständen des holländischen Volkes allgemein zu werden. Das Kraut wurde zunächst in großen Mengen aus Westindien eingeführt, bis man im Jahre 1615 es in Holland selbst zu pflanzen begann. So „trank“ bald jedermann Tabak aus Gipspfeifen; selbst minderjährige Kinder taten es, trotz immer wiederkehrender Proteste besonders der Theologen und Ärzte, die zum größten Teil von diesem „teuflischen Kraute“ nichts wissen wollten. 1617 wurde der erste Tabak in England, 1620 im Elsaß, 1625 in Lothringen und seit der Mitte des 17. Jahrhunderts auch in Deutschland gebaut, und zwar zuerst in Baden, wohin er vom Elsaß her über den Rhein gelangt war.
Nächst Holland war es besonders England, das die Sitte des Rauchens rasch aufnahm. Durch englische Hilfstruppen, welche im Jahre 1620 nach Böhmen marschierten, wurde sie nach Deutschland gebracht, dessen Bevölkerung sich ebenfalls verhältnismäßig rasch damit befreundete, obschon auch hier Staat und Kirche das neue Luxus- und Genußmittel zu bekämpfen suchten. Doch predigten die Moralisten umsonst gegen den „holländischen Rauch“. Besonders dehnte sich dessen Gebrauch in der Pfalz aus, wo 1622 englische und holländische Hilfstruppen sich längere Zeit aufhielten und das Rauchen populär machten. Seit 1659 wurde zuerst zu Suhl im Hennebergischen, dann seit 1679 in der Mark Brandenburg und seit 1697 in der Pfalz und in Hessen Tabak angepflanzt. Im Laufe des Dreißigjährigen Krieges, der von 1618–1648 dauerte, kam dann durch den Einfluß der Soldateska und der verwilderten Sitten das Rauchen in Deutschland allgemeiner auf. Seit jener Zeit half kein Verbot und keine Strafe mehr gegen die überhandnehmende Unsitte. Dabei wurde der Tabakbau immer[S. 673] weiter östlich gebracht, und zwar waren es die Pfälzer, die nach der auf Befehl Ludwigs XIV. durch den französischen General Graf von Mélac 1689 vorgenommenen Verwüstung ihrer Heimat auswanderten und dabei den Tabakbau nach Thüringen, Sachsen und Brandenburg brachten. Die Regierungen erblickten fortan im Tabakbau eine ergiebige Finanzquelle und belegten den Konsum dieses neuen Genußmittels mit hohen Steuern.
Manche Fürsten haben dann in der Folge diesem narkotischen Kraute selbst gehuldigt. So führte der sonst so zeremonielle Kurfürst Friedrich III., seit 1701 König Friedrich I. von Preußen (1688–1713), Tabaksgesellschaften bei Hofe ein und ließ sogar von einem Künstler das Bild einer solchen Zusammenkunft malen, bei welcher seine Gemahlin Sophie Charlotte selbst dem Fürsten die lange holländische Pfeife anzündet. Mit weniger Prunk, aber mehr Behagen widmete sich Friedrich Wilhelm I. (1713–1740) seinem bekannten Tabakskollegium, in welchem beim Bierkrug und bei langen holländischen Tonpfeifen derbe Wachtstubenwitze und dick aufgetragene Schwänke erzählt und belacht wurden. Die lustige Person, eine Art Hofnarr, in diesem Tabakskollegium war jener vom Könige zum Freiherrn und spöttischerweise zum Präsidenten der Akademie der Wissenschaften erhobene gelehrte Charlatan J. P. von Gundling, der sich in der Trunkenheit bei Eimbecker Bier und holländischem Tabak zu vielen derben Späßen mißbrauchen lassen mußte. Sein Nachfolger Friedrich der Große (1740 bis 1786), der daran als Kronprinz auch teilnahm, rauchte zwar nicht, schnupfte aber dafür nach vornehmer französischer Sitte, der er eifrig anhing.
Wie England und Deutschland nahm auch Dänemark den Tabaksgenuß rasch auf, während in der Schweiz die Obrigkeit denselben zunächst, wenn auch umsonst, bekämpfte. Im Jahre 1661 erließ die Stadt Bern strenge Verordnungen gegen den Gebrauch des Tabaks. Auch in der Türkei hatte das Tabakrauchen, das 1605 zuerst in Konstantinopel auskam, anfänglich große Schwierigkeiten zu überwinden, da die Muftis (Rechtsgelehrten) erklärten, dieser neue Gebrauch widerspreche den Vorschriften des Korans. Wer beim Tabakrauchen erwischt wurde, dem bohrte man als abschreckendes Mittel das Pfeifenrohr quer durch die Nase. Doch selbst diese grausame Strafe fruchtete nichts gegen die überhandnehmende Rauchsitte, so daß Sultan Murad IV. im Jahre 1630 bestimmte, daß jeder, der des Tabakrauchens überwiesen werden könne, geköpft werden solle. Dadurch bewirkte er aller[S. 674]dings, daß die geängstigte Bevölkerung sich notgedrungen vom Rauchen abwandte, dafür aber dem nicht verbotenen Schnupfen des Tabaks huldigte. Sobald aber unter seinem Nachfolger das Rauchverbot nicht mehr so streng gehandhabt wurde, kam auch das Rauchen wieder auf und hat sich seither dermaßen bei den Osmanen eingebürgert, daß bald der Türke mit seinem Tschibuk symbolisch auf den Ladenschildern der Tabakverkäufer im Abendlande sich präsentierte. Tabakrauchend und kaffeeschlürfend mit übereinandergeschlagenen Beinen auf seinem Teppich zu sitzen und sich stundenlang dem träumerischen Zustande des Kef hinzugeben, das ist heute das Paradies der Türken auf Erden.
Ähnlich grausam wie in der Türkei ging man in Rußland gegen die neu aufkommende Sitte des Tabakrauchens vor. Zar Feodorowitsch Romanow bestimmte im Jahre 1641, daß, wer auch seiner Untertanen beim Tabakrauchen betroffen werde, ohne weiteres getötet oder ihm wenigstens die Nase abgeschnitten werden solle. Obschon diese strenge Maßregel auch oft genug in die Tat umgesetzt wurde, ließ sich das russische Volk so wenig als das türkische davon abbringen, schließlich doch diese Unsitte anzunehmen. Erst Feodorowitschs Enkel, Peter der Große, dem die Engländer 15000 Pfund Sterling (= 300000 Mark) anboten für die Erlaubnis, den Tabak in Rußland einführen zu dürfen, willigte in diesen wenig rühmlichen Handel ein, obwohl der Tabakverkauf vom russischen Patriarchen verboten war und das Rauchen noch immer von der Kirche als sündhaft und unrein verdammt wurde. Ja, dieser rohe Monarch versprach den Engländern gegen solch reiche Bezahlung, dem Patriarchen selbst das Rauchen beizubringen. Ob ihm solches gelang, wird allerdings nicht berichtet; jedenfalls aber steht die eine Tatsache fest, daß bald auch das heilige Rußland mit Hilfe der profitgierigen Engländer dem Rauchteufel erlag, und heute wird in jenem Lande so gut wie in der Türkei und in der Schweiz von vornehm und gering, selbst von vielen Frauen dieser indianischen Unsitte gehuldigt.
Nach Japan brachten die Portugiesen schon im Jahre 1605 den Tabak, der sich von hier aus ebenso schnell über ganz Ost- und Südasien verbreitete. Obschon auch hier, so in Japan bereits 1612, von der Obrigkeit sehr strenge Gesetze dagegen erlassen wurden, fand die Sitte des Rauchens bald beim Volke Eingang. Ebenso war es unter den europäischen Kolonisten in Nordamerika der Fall, wo noch im Jahre 1650 ein Rauchverbot, allerdings auch hier umsonst, erlassen wurde. Aller Warnung zum Trotz fand das giftige Kraut seine Lieb[S. 675]haber, die sich so an dasselbe gewöhnten, daß sie nicht mehr von ihm lassen konnten. Auch heute noch fällt es dem daran Gewöhnten leichter, den Genuß geistiger Getränke zu lassen, als sich das Rauchen abzugewöhnen. Diese Leidenschaft beherrscht eben den Menschen ganz so wie der gewohnheitsmäßige Genuß anderer narkotischer Mittel wie Opium, Morphin, Kokain und dergleichen.
Es sei hier noch kurz bemerkt, daß bei allen Nationen das Rauchen zuerst aus Pfeifen erfolgte und größtenteils noch heute so geübt wird. Auch in Deutschland hat man im 18. Jahrhundert noch ausschließlich aus Pfeifen geraucht. Nur reiche Leute konnten sich’s leisten, als etwas Seltenes und Kostbares eine aus Holland, England oder Amerika eingeführte Zigarre zu rauchen. Als diese Ausnahmen sich mehrten, kam ein Hamburger, der in Spanien das Zigarrenmachen erlernt hatte, im Jahre 1788 auf den Gedanken, in Hamburg eine Zigarrenfabrik zu errichten. Doch hatte er zunächst keinerlei Erfolg. Er mußte seine Zigarren verschenken, um seine Landsleute auf das Fabrikat aufmerksam zu machen und ihnen die Überzeugung beizubringen, daß auch in Deutschland hergestellte Zigarren gut schmeckten. Als trotz seiner Bemühungen das fremdländische Fabrikat den Vorzug behielt, nahm er seine Zuflucht zu einem Betrug, indem er seine Zigarren nach Kuxhaven sandte, dort auf Schiffe verladen ließ, die aus Amerika kamen, und sie dann als echte amerikanische in Hamburg in Empfang nahm. Als diese nun zu billigen Preisen verkauft wurden, befreundete man sich mit ihnen und rauchte später, als die Sache an den Tag kam, auch das einheimische Fabrikat. So wurde nach und nach das Zigarrenrauchen in Deutschland eingeführt.
Die echte oder gemeine Tabakstaude (Nicotiana tabacum) gehört mit den Petunien, dem Stechapfel, dem Bilsenkraut, der weißen, besonders am Abend stark duftenden Trompetenblume (Datura suaveolens), der Tollkirsche, der Paprikapflanze, der Tomate, der Eierpflanze (franz. aubergine, Solanum melongena), dem Bittersüß und der Kartoffel in die Familie der Nachtschattengewächse, deren Mitglieder meist durch irgend ein Gift vor dem Gefressenwerden durch Tiere geschützt sind. Sie ist ein einjähriges, bis 2 m hoch werdendes, aufrechtes Kraut, das allseitig mit einfachen und drüsigen Haaren besetzt ist. Die frisch unangenehm, betäubend riechenden und scharf bitter schmeckenden Blätter sind länglichoval, ganzrandig und langzugespitzt. Sie sind oben dunkel- und unten hellgrün. Jede Pflanze hat deren etwa 10 bis 20, von denen die untersten bis 50 cm lang und 10–15 cm breit[S. 676] werden. Die mit trichterförmiger, rötlicher Blumenkrone und fünfzähnigem, grünem Kelche versehenen Blüten stehen in Rispen und erzeugen befruchtet eine zweiklappige Kapsel mit zahlreichen, außerordentlich kleinen, eirunden Samen, die außer Eiweißkörpern ziemliche Mengen eines Öles enthalten, das in Südrußland ausgepreßt und zu Beleuchtungszwecken verwendet wird.
Der Stengel der Tabakpflanze ist während der ersten Periode des Wachstums mit einem klebrigen Marke gefüllt und bricht sehr leicht; später wird er holzig und besitzt ein ziemlich großes Widerstandsvermögen gegen Bruch, was für die Kultur von großer Wichtigkeit ist. Der runde Stengel verzweigt sich bei üppigem Wachstum nur oben; zuweilen bilden sich aber für die Kultur sehr lästige Seitenschosse in den Achseln der Blätter, die fast nicht oder nur mit Aufopferung des Blattes, aus dessen Achsel sie entsprangen, zu entfernen sind. Sobald die Pflanze sich ihrer Reife nähert, wird ihre Lebenskraft hauptsächlich dazu verbraucht, Wurzelschosse zu treiben, die alsbald entfernt werden, um die zu erntenden Blätter rascher zur Reife zu bringen und ihnen auch eine heilere Farbe zu verleihen.
Ist die Tabakpflanze auch im wärmeren Amerika heimisch, so kann sie gleichwohl an den meisten Orten der Erde gezogen werden; indessen gibt sie nur in beschränkten Breiten bessere Produkte. Die dicken und schweren Blätter, die sich schon bei uns entwickeln, sind nur minderwertige Ware und die Pflanzen der höheren Breiten sind nicht mehr zum genußreichen Rauchen zu verwenden. Aber auch in viel wärmeren Gegenden gibt der Tabak nicht durchaus gleichwertige Blätter. Den berühmtesten Tabak liefert Kuba, wo indessen, wie überhaupt auf allen westindischen Inseln mit Ausnahme von Portoriko, die Tabakkultur zugunsten der Kultur des Zuckerrohrs mehr und mehr abnimmt. Der berühmte Havannatabak wird auf einer kleinen Strecke der Westküste, der vuelta abaja, d. h. dem „niedrigen Land“ gebaut, das sich in 110 km Länge und 30 km Breite als der beste Tabakboden der Welt zwischen dem Gebirge im Norden und dem Meere im Süden erstreckt. Aller verfügbarer Boden ist hier für die Tabakkultur verwendet, die in Plantagen von etwa 13 Hektar Ausdehnung betrieben wird, auf der 20–30 Mann, Farbige und Weiße, arbeiten. Der Tabak wird während des sogenannten Winters gebaut, da der geringere Regenfall und der verminderte Sonnenschein, sowie die gegen 10° C., gegenüber dem übrigen Teil des Jahres niedrigere Temperatur günstig auf die Entwicklung des Aromas der Tabak[S. 677]blätter, des Ruhms von Havanna, einwirken. Fast der ganze Ertrag wird in den Fabriken von Havanna verarbeitet, die in der Regel jedes Jahr den Ertrag derselben Plantage aufkaufen, wodurch sie in der Lage sind, ein Produkt von möglichst gleicher Qualität zu liefern. Nirgends trifft man so viel verschiedene Sorten Tabak wie in Havanna, wodurch natürlich der Einkauf der Rohtabake sehr erschwert wird. Die am meisten dort geschätzten werden noch ziemlich feucht geraucht, in einem solchen Zustande, daß sie sich um sich selbst drehen und über den Finger biegen lassen, ohne zu brechen. Manche Sorten haben im Fabrikationsorte Havanna selbst einen Preis bis zu zwei Mark und darüber das Stück.
Andere berühmte Lagen sind in Brasilien, in Florida, auf Sumatra, hauptsächlich im Distrikt von Deli und auf Neu-Guinea. Diese Tabake sind besonders deshalb wertvoll, weil sie vorzügliche Deckblätter geben, die dünn und dennoch fest wie Handschuhleder sind. Große Mengen von Tabak werden auch in Mexiko, in den Staaten Maryland, Virginia und Kentucky gebaut, obschon die letzteren, weil zu schwer, nur minderklassig sind. In Europa erzeugt Ungarn große Mengen für den österreichischen Bedarf. Vortrefflich ist auch der auf der Balkanhalbinsel gezogene Tabak, an den sich die kleinasiatischen Sorten anschließen. Hier wird auch eine andere Art, der mit kleineren, runden Blättern und gelbgrünen, kürzeren Blüten versehene sogenannte Bauerntabak (Nicotiana rustica) angebaut, der einen ganz ausgezeichneten dünnblätterigen Tabak liefert; dieser kommt als türkischer Tabak in den Handel und wird nur, sehr fein geschnitten, zu Zigarettentabaken verarbeitet. Besonders in Ägypten nimmt die Zigarettenindustrie in Kairo und Alexandria ständig zu.
Die Tabakpflanze stellt sehr hohe Anforderungen an die Nährkraft des Bodens, indem ihre grünen Teile, besonders die Blätter, ungemein reich an mineralischen Bestandteilen sind; außerdem enthalten sie die starken narkotischen Gifte Nikotin und Nikotianin, auf deren Einverleibung im wesentlichen die Wirkung des Rauchens beruht. Durch jene Gifte wird wohl das Nervensystem etwas beruhigt, das Empfinden und Wollen angeregt, aber als ungünstige Nebenwirkung die Herztätigkeit beschleunigt und der Blutdruck erhöht. Das Schnupfen des Tabaks ruft weit weniger Allgemeinerscheinungen hervor, weil die bald eintretende Verdickung der Nasenschleimhaut die Aufsaugung des Nikotins verhindert.
Der Tabak gehört also mit dem Alkohol zu den zweifellos schäd[S. 678]lichen Genußmitteln. Je besser die Sorte, um so geringer sind die Giftwirkungen, da geringe Tabaksorten reicher an Nikotin zu sein pflegen als die feinen. Dieselbe Beschaffenheit des Bodens und Klimas, die die Bildung dieses Giftes begünstigt, wirkt zugleich ungünstig auf die Entwicklung des Aromas. Deshalb ist eine stark nikotinhaltige Tabakpflanze gleichzeitig weniger aromatisch, wie z. B. die Virginia mit gegen 6 Prozent Nikotin, während ein geringer Nikotingehalt von nur 2 Prozent, wie bei der Havanna, Hand in Hand mit der stärksten Ausbildung des Aromas geht. Je größer der Abstand der Pflanzen untereinander ist, je weniger Blätter ihnen gelassen werden, je höher die Blätter am Stengel sitzen und je später sie gepflückt werden, desto größer ist im allgemeinen ihr Nikotingehalt und desto geringer ihr Aroma. Da nun ein möglichst geringer Nikotingehalt und ein möglichst feines Aroma zu erstreben sind, müssen alle die Zunahme des Nikotins begünstigenden Faktoren vermieden werden. Die Luft soll feucht sein und die Pflanze soll zunächst viel Regen erhalten, bis sich die Blätter zu entwickeln beginnen; dann schaden allerdings starke Regengüsse, indem die Blätter ein geringes Aroma und unerwünscht dicke Blattnerven bekommen, sich auch weniger günstig beim Trocknen und Gären verhalten.
Da stehendes Wasser dem Tabak sehr nachteilig ist, so muß der Boden, auf dem Tabak gepflanzt werden soll, leicht durchlässig sein und darf nicht im Überschwemmungsgebiet der Flüsse liegen. Am geeignetsten ist etwas welliges Terrain. Kalk darf darin nur in geringen Mengen enthalten sein, dagegen ist Kalireichtum günstig, da erfahrungsgemäß die Güte des Tabaks durch einen hohen Gehalt an diesem Alkali bedingt wird. Stickstoff- und Chlorreichtum vermindern die Brennbarkeit des Tabaks und setzen sein Aroma herab. Das Gedeihen eines guten Tabaks ist also unabhängig von Düngungsmitteln, im Gegensatz zu anderen Pflanzen, z. B. Getreide und Gemüse. Ähnlich wie beim Weinbau bedingt die Örtlichkeit zu einem großen Teil den Erfolg. Aber auch in der besten Lage sind nicht alle Blätter einer Tabakpflanze von derselben Güte, sondern die der Mitte des Stengels entnommenen sind, was Brennbarkeit und Aroma anlangt, die besten; deshalb werden sie als „Bestgut“ bezeichnet.
Der erfolgreiche Anbau des Tabaks verlangt große Sorgfalt und Pflege. Die Anzucht im Großbetriebe erfolgt in besonderen Saatbeeten, die sowohl gegen übermäßige Sonnenbestrahlung als auch gegen die heftigen Regengüsse, wie sie bekanntlich in den Tropen häufig sind,[S. 679] geschützt werden müssen. Deshalb bedeckt man sie mit auf Stangen von 1–1,5 m Höhe befestigten schrägen Dächern, die den Durchgang der nötigen Luft nicht behindern. Nach drei Wochen werden die Keimpflänzchen möglichst schnell an ihren definitiven Standort überführt und hier etwa zwei Wochen lang, bis sie erstarkt sind, zum Schutze gegen Witterungseinflüsse mit dütenförmigen Holzmützen bedeckt.
Nach etwa 75 Tagen ist die Pflanze ausgewachsen und wird geerntet, wobei seltener die reifen Blätter, sondern meist die ganzen Pflanzen abgeschnitten, in Bündel gebunden und entweder an der freien Luft oder durch Feuerwärme in Trockenhäusern getrocknet werden. Sie verlieren dabei ihren Stärkegehalt und erlangen die gewünschte braune Farbe. Dann werden die Blätter vom Stengel abgebrochen — wenn sie es nicht schon waren — und dabei zugleich nach ihrer Qualität sortiert, um dann abermals zu Bündeln vereinigt und in geschlossenen Räumen zu großen Haufen, sogenannten Stöcken, aufeinander geschichtet zu werden, die 100–800 Zentner Tabakblätter umfassen. Hier machen sie eine von besonderen Bakterien hervorgerufene Gärung durch, wobei diejenigen aromatischen Verbindungen entstehen, durch welche der fertige Tabak beim Rauchen den angenehmen Geruch und Geschmack erhält, weicher zum Bearbeiten wird und gleichmäßiger gefärbt erscheint. Zugleich wird der Gehalt an dem äußerst giftigen Nikotin um etwa 30 Prozent der ursprünglich vorhandenen Menge desselben herabgesetzt. Dabei tritt in einem feuchten Klima ein „Schwitzen“ genanntes Austreten eines klebrigen Stoffes auf, was in einem trockenen dagegen unterbleibt. Den Beginn der Gärung (Fermentation) erkennt man an einer Wärmezunahme, welche im Innern des Stockes am bedeutendsten ist und daselbst bis 50°C. und mehr steigen kann. Sobald dies eingetreten ist, nimmt man die Bündel auseinander und baut aus ihnen einen neuen Stock auf, in welchem die bisher im Innern befindlichen Bündel an die Außenseiten gelegt werden. Derartige Umlagerungen werden wiederholt vorgenommen, damit jedes Bündel in annähernd gleicher Stärke fermentiert wird.
Ist dies geschehen, so werden die Stöcke je nach Sorten, Klima und Witterungsverhältnissen entweder ganz auseinander genommen, um weiter verarbeitet zu werden, oder abermals in kleineren Partien zusammengelegt, wobei noch eine zweite Fermentation stattfindet. Näheres über die Einzelheiten bei diesem Vorgang findet sich im Abschnitt über die Gärungserreger. Nach der Fermentation werden die Blätter gelüftet, getrocknet und schließlich in Fässer verpackt, um in[S. 680] die Tabakmanufakturen zu gelangen, wo die schlechteren Sorten oft noch zur weiteren Herabsetzung des Nikotingehaltes ausgelaugt und zur Verstärkung des Aromas „gesaucet“, d. h. mit verschiedenen, meist opiumhaltigen Brühen behandelt werden. Für Deutschland ist Bremen ein Haupthandelsort für Tabak. Dort gibt es die größten Tabak- und Zigarrenfabriken Europas.
Während heute überall in den Tabak produzierenden Ländern der rötlich blühende echte oder gemeine Tabak gebaut wird, pflanzt man im Orient, sowie in Nordafrika den nur 1 m Höhe erreichenden, gelblich blühenden Bauern- oder türkischen Tabak (Nicotiana rustica), der in Mexiko seine Heimat hat. Wir sahen bereits, daß er den türkischen oder Latakiatabak liefert. Die Kultur ist dieselbe wie beim echten Tabak, und an ihm werden, gleicherweise wie bei jenem, gelegentlich eine Reihe von durch winzige Spaltpilze hervorgerufene Krankheiten beobachtet, unter denen der sogenannte „Spickel“, sowie der Blattfleckenrost und eine dritte Blattfleckenkrankheit die wichtigsten sind.
Entsprechend dem großen Verbrauch des Tabaks ist sein Anbau ein ganz bedeutender und beträgt auf der ganzen Erde wenigstens 550 Millionen kg, wovon auf die Vereinigten Staaten von Nordamerika 225 Millionen kg, auf Britisch-Ostindien 172 Millionen kg und auf Deutschland 40 Millionen kg entfallen. Außerdem führte Deutschland im Jahre 1906 für 120 Millionen Mark unbearbeitete Tabakblätter ein. Auf den Kopf der Bevölkerung kommen daselbst jährlich fast 2 kg Tabak.
Was nun endlich die Verarbeitung des Tabaks betrifft, so beginnt man beim Rauchtabak mit einer genauen Sortierung der Blätter nach der Farbe, wobei man die Blätter mischt, um die gewünschte Qualität zu bekommen. Darauf werden die Blätter angefeuchtet, um ihnen die nötige Elastizität zu erteilen, und zwischen Walzen gepreßt, auf Rollen gesponnen oder sofort geschnitten. Bei der Zigarrenfabrikation wird zum Innenblatt eine geringere Qualität, zum Deckblatt dagegen eine bessere, vielfach mit hellen Flecken versehene, genommen. Letztere entstehen in der Natur durch Tautropfen, die den Sonnenstrahlen als Brennglas dienen; dem Publikum zuliebe werden sie vielfach auch künstlich durch Einwirkung von Salpetersäure erzeugt. Das Schneiden der Deckblätter erfordert viel Übung und ein gutes Auge, da man trachten muß, aus einem Blatt so viel Deckblätter wie möglich herauszuschneiden. Das Ganze wird dann durch Maschinen gerollt. Danach[S. 681] werden die Zigarren an der Sonne oder am Ofen getrocknet, je nach Farbe und Sauberkeit des Deckblatts sortiert und in Kistchen verpackt.
Die Zigarren müssen an einem trocknen Orte aufbewahrt werden, da sie sonst leicht schimmeln. Im allgemeinen werden sie durch das Aufbewahren besser, erstens, weil sie dabei vollkommen trocken werden, und zweitens, weil in ihnen eine leichte Nachgärung stattfindet. Nach einer bestimmten Zeit verliert aber die Zigarre wieder an Güte, weil sie brüchig wird und das Aroma sich wieder verflüchtigt.
Die früher meist vom Raucher selbst gedrehten Zigaretten werden jetzt meist mit Maschinen hergestellt. Zur Fabrikation des Zigarettenpapiers werden gewöhnlich sehr feine leinene Lumpen verwendet, die sorgfältig gereinigt werden. Statt des Papiers werden manchmal auch die allerfeinsten Tabakblätter als Hülle verwendet. Diese sogenannten Zigarillos haben vor den übrigen Zigaretten den Vorzug, daß bei ihnen der unangenehme Papiergeschmack wegfällt.
Bei der Herstellung von Kautabaken werden die Blätter mit Salz, Sirup, Zucker, Rum, Salmiak, dem Fruchtfleisch der Tamarinde, Anis, Gummi, Dextrin, allerlei ätherischen Ölen usw. versetzt; dem Schnupftabak setzt man meist nur Salmiak und Pottasche zu. Für die Fabrikation des letzteren wählt man die schwärzesten Tabaksorten und von diesen die dicksten und fleischigsten Blätter von nicht zu heller Farbe. Nachdem die Blätter einen Gärungsprozeß von verschieden langer Dauer durchgemacht und die betreffenden Zusätze erhalten haben, werden sie an der Luft getrocknet, geschnitten und fein gestampft oder in Mühlen fein gemahlen. Dann wird der Schnupftabak gesiebt, parfümiert und verpackt.
Die ersten Rauch- und Schnupftabakfabriken in Deutschland entstanden in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die ersten Zigarrenfabriken in Hamburg und Bremen gegen das Ende des 18. und den Beginn des 19. Jahrhunderts. Die Stadt Bremen besaß 1851 bereits 281 Fabriken mit 5300 Arbeitern. In Sachsen entstand die erste Zigarrenfabrik 1825, in Baden 1843. Als in den Jahren 1852 und 1854 Braunschweig und Hannover dem Zollverein beitraten, wurden die hanseatischen Fabriken in das Zollinland verlegt und in Hamburg und Bremen nur noch die besten Sorten hergestellt. Seit der Mitte der 1860er Jahre wurden die Tabakfabriken mehr und mehr aus den großen Städten auf das Land und in die kleineren Städte verlegt.
Begreiflicherweise hat der Fiskus einen so allgemein beliebten Luxusartikel ausgiebig besteuert. So bildet die Tabaksteuer eine bedeutende Einnahmequelle aller Kulturstaaten. Einige Regierungen, wie in Europa Österreich-Ungarn, Frankreich, Italien, Spanien, Portugal, Serbien und Rumänien, haben sich sogar das Monopol auf die Tabakindustrie und den Tabakverkauf reserviert, um auf diese Weise einen möglichst großen Profit aus dem Tabak zu ziehen. In England, Rußland und der Türkei steht der Tabak unter staatlicher Aufsicht; in den übrigen Ländern dagegen ist er frei.
Außer den größeren und kleineren Nutzgewächsen, die jeder zu sehen imstande ist, gibt es solche von mikroskopischer Kleinheit, über deren Vorhandensein, Lebensweise und Bedeutung wir erst seit wenigen Jahrzehnten unterrichtet sind. Schon sehr lange kannte und verwandte man zwar die verschiedenen Gärungen, ohne auch nur die mindeste Ahnung davon zu haben, daß sie durch lebende Wesen, durch dem unbewaffneten Auge unsichtbare winzige, einzeilige Pilze bewirkt werden. Schon im Jahre 1680 hatte zwar der Holländer Leeuwenhoek beim Betrachten von Hefe unter dem kurz vorher vom Middelburger Brillenmacher Zacharias Jansen erfundenen Mikroskop die Hefezellen als winzige Kügelchen erkannt und beschrieben, aber weder er noch andere seiner Zeitgenossen, die dasselbe beobachteten, wußten irgend etwas von einem Zusammenhange dieser winzigen Kügelchen mit der Gärung, die ihnen ein völlig unerklärlicher Prozeß war. Bald hernach, nämlich schon im Jahre 1697 hat zwar als erster der deutsche Chemiker Stahl eine Erklärung des Wesens der Gärung zu geben versucht, indem er dabei in innerer Bewegung begriffene Körperchen annahm, die diese Bewegung dann auf jene Körper übertragen, die dadurch der Gärung unterliegen und durch sie verändert werden.
Mit dem Aufkommen der Wissenschaft der Chemie vermutete man beim Gärungsprozesse einen bis dahin unbekannten chemischen Prozeß, dem man auf die verschiedenste Weise beizukommen versuchte. Das Rätsel ließ sich aber nicht lösen, so sehr man sich auch alle Mühe gab, dahinter zu kommen. Vor allem suchten die hervorragenden Chemiker Frankreichs, so Lavoisier, Dumas und Gay-Lussac, die bei der Gärung erzeugten Zersetzungsprodukte festzustellen, ohne sich über die für sie noch immer unergründliche Ursache derselben weitere Gedanken zu machen. Erst im Jahre 1837 gelang es ganz unabhängig voneinander[S. 684] dem Deutschen Theodor Schwann und dem Franzosen Cagniard-Latour die winzigen, nur bei sehr starker Vergrößerung deutlicher sichtbaren Kügelchen, die schon Leeuwenhoek beobachtet, aber nicht zu deuten gewußt hatte, als einzeilige Lebewesen aus der Pflanzengattung der Pilze festzustellen und in ihnen die Urheber der Gärung zu vermuten. Als dritter im Bunde kam dann noch der Deutsche Kützing hinzu, der seine wesentlichsten Feststellungen schon einige Jahre vorher gemacht hatte, aber seine Beobachtungen erst nach der Veröffentlichung der Arbeiten der beiden vorgenannten Forscher veröffentlichte.
Diese überaus wichtige Entdeckung von der belebten Natur der Hefe wurde von den damals tonangebenden Chemikern, dem Schweden Berzelius und den Deutschen Liebig und Wöhler, nicht nur nicht anerkannt, sondern geradezu ins Lächerliche gezogen. Die Idee, daß lebende Keime und nicht chemische Vorgänge der Gärung zugrunde liegen, wurde von ihnen und von zahlreichen anderen leidenschaftlich bekämpft, bis nach zwanzigjährigem Zweifel an dieser Tatsache der große Louis Pasteur 1857 die Entdeckung Schwanns und seiner beiden Genossen mit aller Sicherheit bestätigte und außer Frage stellte, daß alle Gärungen durch winzige Pilze bedingt werden, deren Lebensprozeß jene chemisch festzustellenden Veränderungen der von ihnen befallenen Massen auslöst, indem die Gärungserreger bestimmte Fermente als chemische Produkte ausscheiden, die dann losgelöst von den Zellen jene Veränderungen bewirken.
Dem Münchener Hygieniker Eduard Buchner gelang es als erstem nicht nur das Ferment der Alkoholgärung in den Hefezellen selbst zu finden, sondern es auch nach Zerstörung der Zellwände vermittelst Zerreibens mit scharfem Sande und nachherigem Auspressen unter hohem Drucke in einer hydraulischen Presse und Filtrieren durch Porzellanfilter, die keine lebende Hefezelle hindurchlassen, zu isolieren und in feste Form zu bringen, in der sie lange Zeit haltbar ist. Er wies auch nach, daß es durch gewisse Gifte, wie beispielsweise Aceton, gelingt, die Hefe mit Vermeidung einer vorhergehenden Schädigung der Zelle zu töten, ohne daß das in der Zelle befindliche Ferment seine Wirksamkeit eingebüßt hätte. Wie er zu zeigen vermochte, geht im allgemeinen das Ferment beim Absterben während des Todeskampfes zugrunde. Nur bei Anwendung von momentan tötenden Giften bleibt das Ferment in voller Wirksamkeit in der Zelle erhalten, so daß sich auch auf diese Weise eine sogenannte „Dauerhefe“ gewinnen läßt, die das Aussehen und die Wirksamkeit der lebenden hat, obschon die[S. 685] Zellen, die sie erzeugten, tot sind und sich nicht mehr wie sonst beim Gärungsprozesse weiter vermehren.
Die Hefepilze gehören seit den grundlegenden Untersuchungen von Reeß im Jahre 1870 zu den Askomyzeten oder Schlauchpilzen, so genannt, weil sie ihre als Endosporen bezeichneten Fruchtkörper in Schläuchen bilden. Diese sind bei den einzelligen, sich für gewöhnlich durch Sprossung vermehrenden und, nur bei Aufhebung der Möglichkeit weiterzuleben, solche Sporen als äußerst widerstandsfähige Dauerzustände hervorbringenden Hefepilzen kurz. Von ihrer Fähigkeit, den Traubenzucker beispielsweise des Mostes in fast genau gleiche Teile von Kohlensäure und Äthylalkohol zu spalten, nennt man sie nach Meyer auch Saccharomyzeten oder Zuckerpilze. Von ihnen gibt es eine Unzahl von Rassen, Varietäten und Spielarten, die wir erst nach Entdeckung des Verfahrens der Reinkultur von Mikroben durch Robert Koch zu Ende der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts durch die überaus mühevollen Untersuchungen des Dänen Emil Christian Hansen unterscheiden lernten. Diese Neuerung ist für die Industrie von der weitgehendsten Bedeutung, weil die verschiedenen Spielarten der Hefe durchaus nicht alle gleich gut und für die Technik zu gebrauchen sind. Seit langem weiß man, daß unter Umständen auch echte Hefen sich als unangenehme und schädliche Gäste beim Gärungsprozesse einfinden können und durch ihre Tätigkeit die Güte des Gärproduktes erheblich beeinträchtigen, ja geradezu verderben[S. 686] können. Infolgedessen hat man vor allem in der Bierbrauerei danach gestrebt, die einmal für gut befundenen Hefen in ihrer Eigenart zu erhalten und sie frei von Verunreinigung durch unerwünschte wilde Hefearten, wie sie sich überall in der Natur vorfinden, weiter zu züchten. Erst durch die Arbeiten von Hansen sind wir in den Stand gesetzt, aus einer einzigen Zelle der guten Hefe eine immer gleichbleibende gute Rasse zu züchten, die mit Sicherheit gute Gärprodukte liefert. Dadurch wurde die ganze Brauindustrie revolutioniert, und auch bei der Weinbereitung und Brennerei fangen Reinhefen an, eine immer größere Rolle zu spielen.
Die Hefepilze, deren für die technische Verwertung beste Sorten wie die Bierhefepilze (Saccharomyces cerevisiae und der etwas kleinere S. ellipsoideus) kugelig bis eirund und nur ausnahmsweise wurstförmig langgestreckt sind wie der Pasteursche Zuckerpilz (Saccharomyces pasteurianus), siedeln sich entweder am Boden der von ihnen zu vergärenden Flüssigkeiten an wie die Unterhefen, oder sie verteilen sich in der ganzen Flüssigkeit, können sich aber auch schließlich unter gewissen Bedingungen als Haut auf der Oberfläche der gärenden Lösung sammeln. Dies geschieht bei den echten Hefen besonders bei reichlicher Luftzufuhr. Es gibt aber einige langgestreckte Schlauchpilze, bei denen diese Wuchsform die Regel ist, wie beispielsweise bei dem sich auf Bier und Wein ansiedelnden Kahmpilz (Saccharomyces mycoderma), der die Gärfähigkeit überhaupt eingebüßt hat und den Zucker der Nährlösung, in der er lebt, direkt in Kohlensäure und Wasser spaltet, wodurch er dem Gärgewerbe schädlich wird.
Da den Hefepilzen als Schmarotzern das Chlorophyll oder Blattgrün fehlt, können sie ihren Körper nicht wie die Pflanzen aus unorganischen Stoffen aufbauen, sondern bedürfen dazu wie die Tiere komplizierter zusammengesetzter, von mit Chlorophyll ausgestatteten Pflanzen im Sonnenlichte aufgebauter „organischer“ Nährstoffe, die sich ihnen in den in der Natur weitverbreiteten Zuckerlösungen darbieten. Diese enthalten daneben stets auch etwas Eiweiß oder Abbauprodukte desselben, sogenannte Aminosäuren, denen sie ihren Stickstoffbedarf entnehmen, und Salze mit Kalium, Magnesium, Eisen, Phosphor und Schwefel, die zu ihrem Gedeihen durchaus erforderlich sind. Daraus folgt, wie Pasteur zuerst feststellte, daß die Hefe in reinen Zuckerlösungen nicht gärt, sondern aus Mangel an stickstoffhaltigen Nahrungsmitteln und Nährsalzen sehr bald zugrunde geht. In einer ihr zusagenden und für ihr Gedeihen erforderlichen Nährlösung müssen aber[S. 687] durchaus alle jene Stoffe enthalten sein, die zum Lebensprozesse der Zellen, zu ihrem Wachstum und ihrer Vermehrung notwendig sind.
Eine besonders wichtige Rolle im Stoffwechsel der Hefepilze und infolgedessen beim Vorgang der Gärung spielt der Sauerstoff, der ja für den Lebensprozeß jeder Zelle und jedes Organismus überhaupt, sei es Pflanze oder Tier, ein völlig unentbehrlicher Stoff ist, da nur er die Oxydation, d. h. die Verbrennung in den Geweben ermöglicht, die die Quelle aller Leistungen in den lebenden Körpern bildet. So verbrennen auch die Hefepilze den ihnen in der Nährlösung dargebotenen Kohlenstoff zu Kohlensäure wie es jeder lebende Organismus tut. Es geht also immer ein Teil des von ihnen zersetzten Zuckers für die Umsetzung in Alkohol verloren und wird damit die Ausbeute der Gärung bis zu einem gewissen Grade beeinträchtigt. Pasteur, dem wir die grundlegenden Untersuchungen über den Lebensprozeß der Hefepilze verdanken, behauptete, daß die Hefe nur dann gäre, wenn ihr die Luft abgeschnitten werde. Bei genügender Zufuhr von Sauerstoff habe die Hefe einen Stoffwechsel wie andere Pilze, indem sie ausschließlich den dargebotenen Zucker verbrenne; sobald aber der Sauerstoff fehle, müsse sie den Zucker, den sie nicht mehr direkt verbrennen kann, durch Gärung, zu der Sauerstoff nicht nötig ist, umsetzen, um ihn zu einer Energiequelle zu gestalten.
Über diese Pasteursche Theorie, wonach die Gärung ein Leben der Hefe ohne Luft sei, wurde lange Zeit hindurch aufs heftigste gestritten, bis man schließlich erkannte, daß diese Annahme falsch war und Hefe bei Anwesenheit von Sauerstoff ebensogut gärt wie bei Abschluß desselben. Daß andererseits der Sauerstoff zum Leben und zur Vermehrung der Hefe absolut nötig sei, darüber hatte schon Pasteur keinen Zweifel gehabt. Von seiner Theorie blieben an Tatsachen nur zwei übrig, nämlich erstens, daß ganz junge Hefe bei reichlichem Luftzutritt tatsächlich schlecht gärt, weil sie sich zu üppig entwickelt, und zweitens, daß auch unter günstigeren Bedingungen bei Luftzutritt die einzelnen Hefezellen etwas weniger Alkohol liefern als bei Abschluß der Luft. Aber andererseits wird die Vermehrung der Zellen durch den Zutritt von Luft so sehr gesteigert, daß trotz dieser verminderten Leistung der Einzelzelle die Gesamtausbeute bei Anwesenheit von Luft besser ist als bei Fehlen derselben.
Nun hat besonders Stoklasa in Prag nachgewiesen, daß die Fähigkeit, bei Luftabschluß alkoholbildende Fermente zu erzeugen, nicht nur verschiedenen Pilzen, speziell Schimmelpilzen aus der Gattung Mucor,[S. 688] die ebenfalls gären, wenn auch schwächer als Hefe, zukommt, sondern sich auch bei Rüben, Kartoffeln usw. nachweisen läßt. Diese Fähigkeit scheint also eine weitverbreitete Eigenschaft der lebenden Substanz zu sein. Dann wäre die einzige Besonderheit der echten Hefepilze nur noch die, daß sie diese Tätigkeit auch bei Anwesenheit von Sauerstoff fortsetzen. Wir dürfen also annehmen, daß diese sich aus Pilzen entwickelten, die die Fähigkeit, gelegentlich auch bei Luftabschluß Zucker zu spalten und Alkohol und Kohlensäure daraus zu bilden, in weitgehendem Maße ausbildeten. Während aber diese Fähigkeit bei allen weniger weit in diesem Prozesse vorgeschrittenen Pilzen, z. B. den Mucorarten, bei Luftanwesenheit verschwand, ging die Anpassung an ein solches Vermögen bei den Hefepilzen so weit, daß die Fähigkeit der Spaltung von Zucker in Alkohol und Kohlensäure auch bei Anwesenheit von Luft weiterbestand.
Die Bedeutung der Gärung für die Hefe selbst ist demnach die, daß sie ihren Energiebedarf ohne Anwesenheit von Sauerstoff decken kann. An Stelle der richtigen Verbrennung der Nährstoffe, wie sie sonst bei allen Lebewesen, besonders den nichtgärenden Pilzen und Tieren, herrscht, tritt hier als Energiequelle die einfache Aufspaltung ohne Sauerstoff. Auf diese Weise rückt Pasteurs Theorie in ein ganz anderes Licht. Die Gärung der Hefe ist zwar nicht an sich ein Leben ohne Luft, wohl aber gewährleistet die Bildung dieses Fermentes der Zelle ein Leben ohne Luft. Das ist zwar etwas sehr Ähnliches, aber es besteht doch der wichtige Unterschied, daß die Hefepilze dieses Mittel auch dann noch anwenden, wenn sie es nicht gerade brauchen, wenn ihnen also Sauerstoff zur Verfügung steht.
Schließlich gehen die Hefepilze in ihrem eigenen Produkte, dem Alkohol, wenn er in einer bestimmten Konzentration in der von ihnen besiedelten Nährlösung gebildet ist, zugrunde. Ihre Empfindlichkeit dagegen ist eine ziemlich große; denn durchschnittlich erlischt die Gärung, sobald der Gehalt an Alkohol 12–15 Prozent erreicht hat. Den geringsten Alkoholgehalt ertragen Obstwein- und Bierhefen, einen mittleren Weinhefen; nur manche Südweinhefen vertragen eine Alkoholanreicherung bis zu 18 Prozent und Brennereihefen bis 20 Prozent; einzig die japanische Sakehefe, die ein starkes Reisbier mit weinigem Charakter erzeugt, soll sogar bei 24 Prozent Alkoholgehalt noch gären. Dieses wechselnde Verhalten der Hefen gegen den von ihnen gebildeten Alkohol zeigt ihre überaus große Veränderlichkeit gegen die verschiedensten Einflüsse, was ihrer technischen Verwendung in hohem[S. 689] Maße zugute kommt. Je nach dem Zwecke, den der Gärtechniker verfolgt, kann er die verschiedenartigsten Hefen in Anwendung bringen; und diese in möglichster Vollkommenheit zu züchten, ist seine vornehmste Aufgabe.
Die beiden wichtigsten Funktionen der Hefe sind die Vermehrung, die mit intensivem Sauerstoffverbrauch einhergeht, und die Gärung. Rasch wachsende Hefen gären schlecht, langsam wachsende dagegen gut. Diesen beiden Endzuständen entsprechen zwei Typen: einerseits die sehr rasch wachsende, wie man sagt „geile“ Lufthefe, die zu Bäckereizwecken verwendet wird. Ihr darin nahe kommt die schnell vergärende Brennereihefe, die aber im Gegensatz zu jener eine hohe Temperatur verlangt. Und andererseits die äußerst langsam wachsende, „faule“, aber sehr ausgiebig vergärende bayerische untergärige Bierhefe, die aber dazu im Gegensatz zur vorigen einer niederen Temperatur bedarf.
Auch gegen den Zuckergehalt ist die Resistenz der verschiedenen Hefearten eine sehr wechselnde. Die meisten können schon bei 40 bis 50 Prozent Zucker nicht mehr vergären, andere, die schwere Süßweine bilden, können noch 60 Prozent und darüber vertragen.
Neben der Zymase, welche die Gärkraft der einzelnen Heferassen bedingt, enthalten alle Hefen noch andere Fermente, die auf verschiedene Kohlehydrate spaltend wirken, mit dem Endziel, sie alle in vergärbaren Zucker zu verwandeln. Bei den meisten sind nur diejenigen Fermente in wirksamer Menge vorhanden, die die höheren Zuckerarten spalten, nämlich die Maltase, die Malzzucker in Traubenzucker, und die Invertase, die Rohrzucker in Traubenzucker und Fruchtzucker überführt. Spärlicher sind die bisher auch weniger eingehend studierten Fermente, die die Dextrine angreifen, und nur bei wenigen sind solche vorhanden, die den Milchzucker einerseits und die Stärke andererseits angreifen. Letztere Eigenschaft kommt besonders der tonkinesischen Hefe zu, die einen Pilz (Amylomyces rouxii) enthält.
Schon lange unterscheidet man in der Praxis der Gärtechnik zwischen wilden Hefen und den Kulturhefen. Solche „wilde Hefen“ sind heute noch in den allermeisten Fällen die Weinhefen. In der Urzeit aber, bevor sich der Mensch weitergehende Erfahrung in der Gärtechnik erworben und besondere Verfahren zur Gewinnung möglichst vollkommener Produkte eingeschlagen hatte, war jede Gärung durch wilde Hefen bedingt. Man überließ einfach die zuckerhaltigen Pflanzensäfte sich selbst; dabei trat dann von selbst durch Ansiedelung und[S. 690] rasches Wachstum von frei herumschwärmenden, wilden Keimen die Gärung ein, die der Mensch nach seinen Wünschen zu leiten und, wenn nötig, zu unterbrechen versuchte.
Die Lebensweise dieser wilden Hefen hat Hansen zuerst an Sacharomyces apiculatus erforscht. Was von ihr gilt, das wird mit geringen Änderungen auch für die anderen Hefearten Geltung haben. Den Sommer hindurch sind überall Hefekeime im Staub vorhanden, die dann vom Wind an verletzte Früchte irgend welcher Art verweht werden, wo sie vortrefflich gedeihen und sich rasch vermehren. Zur Zeit der Fruchtreife im Herbst sind sie besonders in Obst- und Weingärten in ungeheurer Zahl vorhanden und gelangen mit den Früchten in den gekelterten Most, in welchem sie die alkoholische Gärung verursachen. Mit dem Regen und Wind und den herabfallenden, verderbenden Früchten gelangen sie in den Boden, wo man sie bis zu 40 cm Tiefe nachgewiesen hat. Hier überwintern sie, soweit sie als dickhäutige Dauerformen vor dem Eingehen infolge von Kälte und Trockenheit geschützt sind, um mit dem Frühjahre von neuem ihr Dasein an allerlei austretenden Pflanzensäften und faulenden Massen fortzusetzen und mit dem Wind und den zahllosen Insekten auf die sich bildenden Blattmassen und jungen Früchte verschleppt zu werden, wo sie sich nach Möglichkeit, soweit es ihnen gelingt, Nahrung zu erhalten, vermehren und immer weiter ausbreiten, bis sie im Herbst abermals eine Hauptverbreitung erlangt haben.
Aus ihnen hat dann der Mensch unwillkürlich im Laufe der Zeit besondere Kulturrassen entwickelt, indem er mit Vorliebe gute Hefereste zur Fermentierung der neuen zu vergärenden Nährlösung verwandte. So hatten beispielsweise die Braumeister schon lange gemerkt, daß es zweckmäßig ist, die Hefen, die einmal ein gutes Bier geliefert hatten, sich nach Möglichkeit zu erhalten, und die große Geheimniskrämerei, die lange Zeit die Kunst edles Bier zu brauen umgab, beruhte nicht zum mindesten auf solchen alten Rezepten zur Erhaltung des „Zeuges“. Indessen war dies alles reine Empirie, und Fehlschläge blieben dabei nicht aus. So war trotz aller Sorgfalt das Brauen guten Bieres stets eine Sache des Zufalls. Erst durch die planmäßigen Arbeiten Hansens ist dies anders geworden, indem er zuverlässige Verfahren angab, um jeweilen erstklassige Kulturen von Hefe zu erlangen und nach Belieben weiter zu züchten. So ist man imstande, immer gleichmäßig gute Heferassen, ohne Beimischung unerwünschter fremder Elemente oder eine Degeneration befürchten zu müssen, in Anwendung zu ziehen[S. 691] und damit stets sicheren Erfolg zu haben. Und hat man auf diese Weise eine größere Menge einer vollkommen einheitlichen, weil aus einer einzigen Zelle hervorgegangenen Hefe gewonnen, so kann man mit dieser Gewöhnungsversuche an bestimmte, nach besonderen Richtungen abgeänderter Nährböden machen, um damit neue, zu speziellen Zwecken dienende Varietäten zu gewinnen.
Neben dieser „Einzellmethode“, die stets die klassische sein wird, genügt für zahlreiche Zwecke auch ein anderes Verfahren, das man als die „natürliche Reinzucht“ bezeichnet. Es beruht auf der Erfahrungstatsache, daß eine Hefe, die in größerer Menge auf einen ihr gut zusagenden Nährboden und unter günstigen Temperaturverhältnissen eingesät wird, sehr bald alle anderen Organismen in solch energischer Weise überwuchert, daß sie beinahe allein zurückbleibt. So kann man beispielsweise untergärige gute Bierhefe von Beimengungen einerseits obergäriger, andererseits kleiner, wilder Hefen dadurch trennen, daß man bei 8–10°C. gären läßt, unter Bedingungen, die nur der gewünschten Hefe günstige Verhältnisse zum Fortkommen gewähren. So kann man durch Züchten auf mehrere Prozent Alkohol enthaltenden Nährböden aus einem Gemisch von Brennereihefe und Unterhefe die letztere herausschaffen usw.
Wenden wir uns nach dieser allgemeinen Orientierung zu den wichtigsten Nutzanwendungen der Hefegärung, unter denen an erster Stelle die Brotbereitung steht. In der Urzeit wurden die nahrhaften Samen der wilden Grasarten und später diejenigen der aus ihrer Zahl zu immer großkörnigeren Getreidearten gezüchteten Spezies gleich nach dem Sammeln, solange sie noch nicht durch Eintrocknen hart geworden waren, oder wenn dies wie bei den Vorräten der Fall war, nach vorhergehendem kurzen Einweichen in Wasser, roh, oder noch häufiger durch Rösten auf heißen Steinen schmackhafter gemacht, gegessen. Solch geröstetes Getreide hat sich mit dessen natürlicher Würze, dem Salz, im äußerst konservativem Kultus bei manchen Völkern, wie den Römern, als die älteste Art von Opferspeise pflanzlicher Natur an die Gottheit bis in die Spätzeit erhalten.
Als man aber mit dem Aufkommen des Hackbaus in neolithischer Zeit Vorräte von Getreidekörnern anlegte, die stark austrockneten, war es geboten, die hartgewordenen Körner ohne Aufweichen in Wasser zwischen Steinen zu zermalmen. So kamen die immer zweckmäßiger gestaltenen Mahlsteine als die primitivsten Mühlen der Menschheit auf. Anfänglich geschah dieses Mahlen noch äußerst roh und ungenügend;[S. 692] so finden wir in den als Vorläufer des Brotes mit Zuhilfenahme von Wasser bereiteten Fladen der neolithischen Pfahlbauern der Schweiz ohne irgend welche Poren neben abgeriebenen kleinsten Steinpartikeln, die beim Kauen förmlich geknirscht haben müssen, noch halbe und ganze Getreidekörner als Zeichen der sehr lässigen, wenig sorgfältigen Arbeit der solche Speise bereitenden Frauen. Da man nun irdene Gefäße besaß, die man immer besser durch gründlicheres Brennen zu härten verstand, so zog man diesen unschmackhaften, trockenen Fladen bald allgemein den durch Einrühren des grob zerkleinerten Getreidekorns in Wasser hergestellten Mehlbrei vor, der noch zu Anfang der christlichen Zeitrechnung bei unseren germanischen Vorfahren an Stelle des ihnen unbekannten getriebenen Brotes als Hauptnahrungsmittel gegessen wurde. Auch bei den Kulturvölkern des Altertums, so besonders bei den in allem konservativ gesinnten Römern, war er, von ihnen puls genannt, während ihn die Griechen als maza bezeichneten, bis in ihre Blütezeit hinein gebräuchlich. So sagt der ältere Plinius in seiner Naturgeschichte: „Die Römer haben lange Zeit von Brei (puls) und nicht von Brot (panis) gelebt; daher nennt man auch jetzt noch dasjenige, das man zum Brote ißt, pulmentarium. Ein Bissen solchen Breies hieß offa, wie man z. B. aus Ennius (dem von 239 bis 168 v. Chr. lebenden römischen Dichter) ersieht. Noch jetzt wird an Festen, die aus alter Zeit stammen, namentlich an Geburtstagen, solcher Brei bereitet, den man puls fritilla (gebackenen Mehlbrei) nennt.“ An einer anderen Stelle gibt er an, daß man in Kampanien aus gemeiner Hirse (milium) weißen puls und wohlschmeckendes Brot bereite. Und der unter Nero aus Bilbilis in Spanien nach Rom gekommene, um 120 n. Chr. gestorbene Epigrammendichter Martialis, ein Schmeichling und Günstling der Kaiser, schrieb in einem uns erhaltenen Gedichte: „Komm zu mir, lieber Turanius, und nimm vorlieb mit einem Würstchen (botellus), das auf schneeweißem puls (Brei) liegt.“ Auch der römische Geschichtschreiber im 1. Jahrhundert n. Chr. Valerius Maximus versichert: „Die alten Römer lebten sehr mäßig, genossen mehr Brei (puls) als Brot (panis). Von ihnen stammt auch der Gebrauch des Opferschrots, welches aus geröstetem Spelt mit Zusatz von Salz besteht und womit man die (als Opfer verbrannten) Eingeweide bestreut (während das Fleisch von den Opfernden zu Ehren der Gottheit selbst verspeist wurde). Die jungen Hühner (pullus), welche wahrsagen, werden mit puls gefüttert.“ Sonst wurden als Opferkuchen (libum) aus solchem Brei mit Zusatz von einem Ei hergestellte und auf[S. 693] der heißen Herdstelle unter einer Schüssel, wie uns der ältere Cato berichtet, langsam gebackene Fladen hergestellt. Und Plutarch erzählt vom spartanischen Feldherrn Pausanias, der mit Aristeides die Perser bei Platää (479 v. Chr.) besiegte und später (467), des verräterischen Einverständnisses mit ihnen beschuldigt, im Tempel der Athene in Sparta, wohin er sich geflüchtet, durch Hunger umkam, er habe nach der Schlacht bei Platää, wie er die mit Leckerbissen besetzten persischen Tafeln sah, ausgerufen: „Wahrhaftig, die Perser sind merkwürdige Leckermäuler! Sie haben vielerlei und verspüren doch ein Gelüste nach unserem Brei (maza).“
Aus solchem frischen, ungesäuerten Mehlbrei durch Backen auf heißen Steinen oder in der heißen Asche des Herdes hergestellte Fladen bildeten das älteste Brot, dessen Herstellung in das hohe Altertum zurückreicht. Wie bei den neolithischen Pfahlbauern war es, wohl in etwas verfeinerter Form, zur mykenischen Zeit und auch noch bei Homer gebräuchlich. So heißt es in der den homerischen Epen nachgedichteten Aeneis des römischen Dichters Vergilius Maro (70–19 v. Chr.), das Brot habe zuerst als Teller für die Zuspeise gedient und sei dann selbst gegessen worden. Noch heute lebt die ländliche Bevölkerung Vorderasiens, Ägyptens und Abessiniens von derartigem altertümlichem, dichtem Brot, während die in bezug auf Kultur weiter vorgeschrittene städtische Bevölkerung mehr modernes, gesäuertes, getriebenes Brot genießt.
Die Erfindung des viel schmackhafteren und leichter verdaulichen gesäuerten Brotes schreibt man gemeinhin den Ägyptern zu, doch kann sie ebensogut irgendwo in Vorderasien, wo die Rebe kultiviert wurde, gemacht worden sein. Nach den alten Autoren bediente man sich nämlich zum Lockern des Teiges durch Gärung dreitägigen Weinmostes, den man mit Mehl mischte, wodurch die Hefekolonie haltbar gemacht wurde. Besonders Hirse- und Weizenmehl wurde dazu verwendet, wie uns Plinius berichtet. Solcher Gärstoff (fermentum) wurde nach ihm nur zur Zeit der Weinlese bereitet und damit das zu backende Brot fermentiert. Und jedesmal wurde beim Backen ein Stück des mit Hefe versetzten Teiges aufbewahrt, um es das nächste Mal zum Treiben des frischen Teiges zu verwenden. Durch diesen Hefezusatz wird nämlich eine alkoholische Gärung mit Bildung von Kohlensäure bewirkt, das den sonst kleistrigen Kuchen porös und so leichter durchbackbar macht. Heute benutzt man dazu die sogenannten Bierhefen — auch als Preßhefen bezeichnet — die jetzt meist in besonderen Betrieben[S. 694] eigens gezüchtet werden. Es sind schnellwachsende, möglichst gut durchlüftete Hefen, die nur eine geringe Gärkraft besitzen. Diese reine Hefegärung wird vor allem bei der Herstellung des Weißbrotes und der verschiedenen Kuchen verwendet. Dagegen dient zur Bereitung des bäuerlichen Schwarzbrotes der sogenannte Sauerteig, in welchem sich außer der Hefe noch Milchsäurebildner und andere Bakterien finden. Ein besonders wichtiger Pilz der Sauerteiggärung scheint das genauer bekannte Bacterium levans zu sein, das neben Kohlensäure auch Wasserstoff bildet. Auch Essigsäurekeime und unlösliches Eiweiß in lösliche Peptone verwandelnde Bakterien sind im Sauerteige vorhanden. Auch wird durch die gebildeten Säuren der Kleber des Mehles gelöst, wodurch letzteres die Eigenschaft annimmt, sich beim Backen rasch dunkel zu färben, wodurch erst das mit Sauerteig bereitete Brot eine dunklere Farbe als das mit Hefe bereitete erhält.
Der Zweck, den diese Gärungserreger im Teige erfüllen, ist dreierlei Art. Erstens wird durch sie die Stärke zum Teil gespalten und in Zucker verwandelt, der von den Hefen dann teilweise zu Kohlensäure und Alkohol weitergespalten wird, teilweise verbleibt er aber auch unangetastet als solcher und verleiht dem Gebäck einen schwach süßen Geschmack. Zweitens wird durch die Gasbildung der Teig stark aufgelockert, so daß er beim Backen nicht zu einem zähen, schwerverdaulichen Kuchen wird. Und drittens wird speziell dem Schwarzbrote der gewünschte säuerliche Geschmack verliehen. Die spezifischen Erreger der Brotgärung werden in der Praxis immer von einem Teig auf den andern übertragen. Hat dann der „Vorteig“ eine Weile unter dem Einflusse der Gärung gestanden, so wird er mit der Gesamtmenge vermischt und dann tüchtig durchgeknetet. Darin, daß dies sehr sorgfältig und in der richtigen Mengenverteilung geschieht, liegt die Kunst des Bäckers nicht weniger, wie in der richtigen Leitung des Backprozesses, bei welchem die im Teig entstandene Kohlensäure und der Alkohol zu entweichen suchen, dies aber wegen der zähen Beschaffenheit desselben nur langsam und unvollständig tun können, wobei sie ihn stark lockern und ihm eine schwammige Beschaffenheit verleihen. Bei Herstellung eines Brotes von 5 kg entstehen etwa 25 g Alkohol, und Graham hat berechnet, daß allein in London bei der Brotbereitung jährlich etwa 13 Millionen Liter Alkohol in die Luft entweichen. Versuche, denselben zu gewinnen, sind bisher erfolglos geblieben. Frisches Brot enthält noch immer 0,3 und altes noch 0,1 Prozent Alkohol. Durch dieses Treiben vor dem Backen, das bei einer Temperatur zwischen[S. 695] 250 und 300°C vorgenommen wird, wobei nur die Rinde 150–180° warm wird und eine oberflächliche Karamelbildung erfährt, wird das Brot leichter zerkaubar, bietet den Verdauungssäften eine größere Oberfläche zum Angriffe dar und wird infolgedessen auch besser im Darme ausgenutzt als das feste, kleisterartige Nahrungsmittel, das früher vor der Erfindung des Treibens als Brot gegessen wurde.
Der Verlauf der Vorgänge im Innern des Brotes ist beim Backen ungefähr folgender: Bei der zunächst noch immer andauernden Gärung bildet sich bis 42°C. Kohlensäure, welche den Teig auftreibt; dann stirbt die Hefe ab. Etwas längere Zeit bleiben die Bakterien am Leben; aber auch die widerstandsfähigsten derselben, die Milchsäurebakterien, stellen noch vor 75° ihre Tätigkeit ein und gehen bald zugrunde. Alle krankmachenden Bakterien werden nach den Untersuchungen Ballands während des Backens getötet, während der das Schleimigwerden des Brotes bewirkende Bacillus mesentericus vulgaris auch die Backtemperatur überdauert. Durch die Backhitze verliert der Kleber seine Elastizität und die Fähigkeit zu quellen und gibt dadurch dem Brot seine feste Gestalt. Die Stärkekörnchen quellen in der heißen Flüssigkeit, verkleistern dann und bilden lösliche Stärke. Dies ist ungemein wichtig, da die Verdaulichkeit derselben eine ungleich größere ist, als die der rohen Stärke. Ein Teil der Stärke geht bei der Hitze in Dextrin beziehungsweise Gummi über, besonders in der Rinde. Einen diätetisch wichtigen Vorgang beim Backen bildet das Abtöten der Gärungserreger. Würde dies nicht geschehen, so würden sie auch nach Entfernung des Brotes aus dem Ofen ihre Tätigkeit fortsetzen, das Gebäck weiter verändern und selbst nach dessen Genuß im Verdauungskanal des Menschen Gärungserscheinungen hervorrufen.
Um nun die beim Gären entstehenden Verluste an organischer Substanz, die die Mikroorganismen für sich verbrauchen, zu umgehen, hat man sich vielfach bemüht, die Lockerung des Mehlteiges durch Kohlensäure aus mineralischen Salzen zu bewirken. Justus v. Liebig berechnete seinerzeit, daß man bei Vermeidung der Verluste an organischer Substanz in Deutschland täglich allein gegen 200000 Pfund Brot gewinnen könnte. Deshalb schlug er vor, dem Teige kohlensaures Natron und Salzsäure zuzusetzen, deren Mischung Kohlensäure entwickelt. Denselben Zweck verfolgt die Zugabe des Horsford-Liebigschen Backpulvers, das aus saurem phosphorsaurem Kalk und doppeltkohlensaurem Natron mit Stärke vermengt besteht. Zurzeit finden sich[S. 696] eine ganze Reihe von Backpulvern im Handel, bei welchen die Kohlensäurequelle stets dieselbe ist.
Großen Beifall haben diese Neuerungen allerdings nicht gefunden, zum Teil wohl wegen des eigentümlichen Geschmackes, den sie der Backware verleihen, zum Teil auch aus dem Grunde, weil es eine Neuerung war, der das Bäckergewerbe überhaupt recht wenig zugetan ist. Kurz sei noch das Treibeverfahren des englischen Arztes Dauglish erwähnt, der vorschlug, die Kohlensäure, der man zur Auflockerung bedarf, in einem besondern Apparate zu entwickeln, dann in Wasser einzupressen, letzteres in einem geschlossenen Behälter innig mit dem Mehle zu einem Teig zu mengen, diesen portionenweise austreten zu lassen und zu verbacken. Ein Vorzug dieser Methode ist die absolute Sauberkeit; jedoch soll auch die Schmackhaftigkeit eine geringere sein. Dieses aereted bread wird besonders in England hergestellt.
Das Brot ist noch heute, wie bei den alten Kulturvölkern am Mittelmeer vor 2000 und mehr Jahren, bei allen Nationen der gemäßigten Zone neben der Kartoffel das wichtigste Nahrungsmittel für jedermann, für alt und jung, für reich und arm, für hoch und niedrig. Es bildet die Grundlage unserer ganzen Ernährung. Morgens, mittags und abends findet es sich auf dem Tische; es begleitet den Arbeiter bei seinem Tagewerke, das Kind zur Schule, den Reisenden auf seinen Wanderungen. Obgleich täglich genossen, ist es stets in gleichem Maße begehrt und beliebt. Nie entleidet es uns, obschon wir es immer wieder essen. Alle unsere Arbeit gipfelt in der Beschaffung des „täglichen Brotes“ als des notwendigsten Existenzmittels. „Gib uns heute unser tägliches Brot!“ lehrte Christus die Seinen zu Gott beten, und panem et circenses „Brot und Zirkusspiele!“ verlangte der von den Machthabern verwöhnte Pöbel in Rom. Schon Platon, der große Schüler des Sokrates (439–347 v. Chr.), legte seinem Idealstaate die Brotnahrung zugrunde, indem er sagt: „Die Hauptnahrung der Republikaner soll aus Gerstenschrot und Weizenmehl bestehen, welche mit Wasser vermengt gekocht und gebacken werden, so daß ein tüchtiger Brei (máza) und Brot (ártos) entsteht und beides in Körben oder auf reinen Blättern aufgetragen werden kann.“
Der jüdische Erzvater Abraham (um 2000 v. Chr.) kannte durch Gärung getriebenes Brot noch nicht. Seine Nachkommen scheinen es erst in Ägypten kennen gelernt zu haben, wo das Herstellen von Brot aus Hefe und Sauerteig schon lange geübt wurde und, wie uns die alten Grabdenkmäler lehren, vielerlei Brot und Gebäck hergestellt[S. 697] wurde. Nur fiel es den später nach Ägypten gekommenen Griechen, so Herodot und Strabon, auf, daß die Ägypter zwar den Lehm mit den Händen, den Brotteig aber mit den Füßen kneten. Tatsächlich sehen wir auch in einem großen Gemälde im Grabe Ramses’ III. aus der 20. Dynastie (1198–1167 v. Chr.) zu Theben dargestellt, wie einst in der königlichen Hofbäckerei das Brot auf diese Weise mit den Füßen geknetet wurde. Die als er-aeiks, d. h. Brotmacher, bezeichneten Knechte sind eifrig an der Arbeit. Neben einem Korb mit gärendem Teig sind zwei junge Bäckerknechte eben damit beschäftigt, in einem Holztrog die schon gesäuerte Masse mit den Füßen zu kneten. Lustig scheinen sie dabei in der zähen Masse herumzuspringen und, um das Gleichgewicht zu halten, den Schwerpunkt ihres Körpers durch Holzstäbe zu unterstützen. Sonst aber ist auf den bildlichen Darstellungen das Kneten des Brotteiges mit den Füßen die Ausnahme und dasjenige mit den Händen die Regel. Meist geschieht solches in schüsselartigen Körben oder auf flachen, auf dem Tisch oder am Boden befindlichen Steinen. Bisweilen begegnen wir abgeschrägten Knetsteinen, auf denen Teigballen von den davor hockenden Arbeitern hin- und hergerollt werden. Auf einem weiteren Gemälde aus dem Grabe Ramses’ III. tragen Knaben dem Teigformer in Krügen Wasser und Teig herbei und dieser ist eifrig beschäftigt, einem vor ihm auf dem Knetstein des Tisches liegenden Teigballen Gestalt zu geben. Rechts davon schneidet ein Bäckerknecht den gerollten Teig in Streifen, ein anderer bildet Ringel daraus, welche Spiralform aufweisen und unserem Schneckengebäck ähneln. Hinter ihnen reinigt ein Arbeiter den ausgebrannten Backofen von der Asche, während ein anderer Bäckergeselle die garen Brote von der Außenseite eines andern Ofens abnimmt, auf dessen Außenseite noch ein einziger runder Fladen zum Garwerden klebt.
Der altägyptische Backofen war etwa 1 m hoch, aus Lehm gebaut und glich einem auf den Kopf gestellten bodenlosen Steinkruge. In seinem Innern wurde ein Holzfeuer angezündet, dessen Flammen auf dem soeben erwähnten Bilde über den Rand emporschlagen. Wenn er dann hinlänglich erhitzt war, klebte man die flachen Brote außen hin und ließ sie gar backen. Die ärmere Bevölkerung buk ihre Fladenbrote einfach auf erhitzten Steinplatten oder in der heißen Asche. Auf der anschaulichen Darstellung der Hofbäckerei Ramses’ III. ist abgebildet, wie einer der Bäckerjungen die eben geformten runden, gelben Brote in einem flachen Korbe dem Ofen zuträgt und zwei andere bereit sind,[S. 698] ihm die Last abzunehmen; ein vierter bestreut das Gebäck mit einem Gewürz, das vermutlich aus Sesamkörnern besteht. Endlich sehen wir einen Bäckerknecht in einem sehr großen, flachen Korbe das fertiggestellte Brot wegtragen, um es vermutlich dem in Inschriften erwähnten „Wohnungsvorsteher“ zu bringen. Aus der Zeit des Aufenthaltes der Juden in Ägypten — also um 1300 v. Chr. — stammt der in Paris aufbewahrte Papyrus Rollin, in welchem des „Chefs der königlichen Bäckerei“ Erwähnung getan wird, durch welchen allein 114064 Brote in das königliche Magazin geliefert wurden. Derselbe gibt zugleich auch genauen Aufschluß über Ämter und Verpflichtungen der Hofbäcker, über die ihnen gelieferten Mehlmengen und wie sie beim Backen und Brotverteilen vorgehen sollen.
Die altägyptischen Brote waren nicht über daumendicke, runde, ovale, halbkugelige, dreieckige oder stumpfkantig viereckige Fladen mit teilweise erhabenem Rand und mancherlei Verzierung wie Strichen, Punkten, Bogen und Streifen. Letztere wurden, wie aus den Reliefs deutlich hervorgeht, besonders aufgesetzt. Neben den fladenförmigen finden sich ausnahmsweise auch kegelförmige Brote. Auf den Gemälden sind sie weiß (mit Mehl bestreut), hellgelb oder gelbbraun gemalt. Feineres Gebäck wurde auch zu allerlei Figuren, wie Sternchen, Scheiben, Dreiecken, Triangeln, Cymbeln, Blumen, Ochsen, Kühen, Kälbern, Schafen, Gänsen, Fischen usw. geformt; denn Gebäck in Tierform wurde in Ermangelung von Opfertieren von den Armen den Göttern und Verstorbenen dargebracht.
Nach Form und Güte unterschied man eine große Zahl verschiedener Brotsorten, die in den Hieroglypheninschriften gewissenhaft vermerkt wurden. So wird uns darin von Brotsorten das ak, pes, pesen und pesennu genannt. Das ak war in späterer Zeit der ver[S. 699]göttlichten Prinzessin Berenike geweiht, führte einen besonderen Stempel und stand als Geschenk für die Frauen der Priester hoch in Ehren. Eine gewöhnliche Art hieß sens, und das oben erwähnte spiralige Gebäck war unter dem Namen uten-t beliebt. Außer den zahlreichen einheimischen Brotsorten wurden dann besonders im neuen Reich (1580 bis 1205 v. Chr.) auch allerlei Backwerke aus Syrien, Kleinasien und Mesopotamien importiert. So wird in den Inschriften als Speise für die Götter das syrische Kamhbrot genannt; auch das Keleschet- und Arupusabrot waren ausländische Produkte.
Interessante Aufschlüsse über die Brotarten und den gewaltigen Brotkonsum des mit äußerst zahlreichem Gefolge reisenden Pharao liefern auch einige Verproviantierungslisten, die dem Reisemarschall diktiert wurden, wenn sich der königliche Hof auf Reisen begab. So erfahren wir aus dem Briefwechsel des Schreibers Eunana mit seinem früheren Lehrer und Vorgesetzten Kagabu, daß eine Stadt durch den Reisemarschall strenge Order erhielt, für die Durchreise seiner Majestät bereit zu halten: 16000 Stück gute Brote, und zwar in sechs Sorten, 13200 Stück von andern Brotsorten, 4000 Stück Kuchen von allerlei Art usw. usw.
In dem aus der Zeit Ramses’ III. herrührenden großen Festkalender, der an der südlichen Außenwand des Tempels von Medinet-Habu die riesige Fläche von 62 m Länge und 4 m Breite einnimmt, wird bezüglich des Apetfestes ein Extrageschenk für die Priesterschaft erwähnt und genau berechnet, welche Mengen von Aanebnebgebäck, Hakgetränk, süßem und frischem Rak- und Ukgetränk an den Tempel geliefert werden sollen; denn Brot gehörte nicht nur zu den Hauptabgaben an die Tempel, sondern es bildete auch in verschiedener Form und Güte einen Hauptbestandteil der Opfer. Und wo wir auf den bemalten Flächen der Grab- und Tempelwände Gabentische abgebildet finden, sehen wir zwischen dem bunten Allerlei des Dargebotenen die flachen Brote oft in mehrfachen Lagen übereinander abgebildet. Die alten Ägypter verstanden es auch, durch testamentarische Verfügung in Form langer Opferlisten zur Speisung ihres ka (Seele) auch für kommende Zeiten zu sorgen, und es ist geradezu erstaunlich, was für Mengen von Brot, Kuchen, Krügen mit Wein und Bier, Öl, Weihrauch und „Tausenden von allen guten, reinen und süßen Dingen“ ein vornehmer Ägypter als stehende Totengabe für sich beanspruchte. So steht schon in den Gräbern des alten Reichs, während welcher Zeit auch die Lebenden viel bescheidener als zu derjenigen des seine Herrschaft bis weit[S. 700] nach Vorderasien und Äthiopien erstreckenden neuen Reichs lebten, daß sich der Tote für das Leben in den westlichen Gefilden 10 verschiedene Arten Fleisch, 5 Arten Geflügel, 16 Arten von Brot und Kuchen, 5 Arten Wein, 4 Arten Bier, 11 verschiedenerlei Früchte, außerdem alle Arten von Süßigkeiten und viele andere Dinge wünsche.
Auch die alten Kulturvölker des Orients aßen die verschiedensten Sorten von getriebenem oder gesäuertem Brot. Nur an gewissen Festen wurde etwa als Erinnerung an die Vorzeit das damals übliche ungesäuerte Brot verspeist. So untersagte der in einem vornehmen ägyptischen Hause erzogene Jude Moses seinen Volksgenossen, als er sie um 1280 v. Chr. aus Ägypten führte, den Genuß gesäuerten Brotes beim Passahfest, ein Gebot, das bis auf den heutigen Tag von den Angehörigen jenes Volkes befolgt wird. Bei dem mannigfaltigen Verkehr mit dem an Kultur weit älteren Orient kann es uns nicht wundern, daß das getriebene Brot schon sehr früh den Griechen bekannt wurde. In Athen galt der aus dem Morgenlande über Kleinasien und Thrakien mit der Gabe des Weinbaus nach Griechenland gekommene Gott des Natursegens, Dionysos, als der Erfinder des Brotbackens und wurde darob hochgefeiert. An seinem Feste, den Dionysien, wurden ihm zu Ehren große Schaubrote in Prozession herumgetragen. Die Griechen der späteren Zeit scheinen die Kunst des Backens wesentlich verfeinert zu haben. Aus den verschiedenen Getreidearten, besonders aber aus Weizenmehl, stellten sie mit Zuhilfenahme von Öl, Milch, Käse, Wein, Honig und Eiern die mannigfaltigsten Arten von Backwerk her.
Von Griechenland kam dann die Brotbäckerei über die süditalischen Kolonien zu den Römern nach Mittelitalien, die den griechischen Wald- und Weidegott Pan als Erfinder der Kunst des Brotbackens feierten. Nach ihm sollen sie das Brot panis (im italienischen pane und französischen pain bis heute erhalten) genannt haben. Erst im Jahre 170 v. Chr. wurde der Gebrauch des Backofens, dessen sich die Griechen schon lange vorher bedient hatten, in Latium bekannt, während man vorher das neben dem Brei gegessene Brot auf heißgemachten Steinen oder in der heißen Asche zu backen pflegte, und zwar jede Haushaltung für ihren eigenen Bedarf. Damals bildete sich in Rom das Bäckerhandwerk aus, und zwar wurden die Bäcker nach der Tätigkeit des Stampfens des gerösteten Getreides pistores genannt. So schreibt der ältere Plinius in seiner Naturgeschichte: „Bäcker (pistores) hat es in Rom bis zum Kriege gegen Perseus (den König von Make[S. 701]donien, der 168 von Lucius Ämilius Paullus bei Pydna geschlagen wurde und 166 als Gefangener in Alba in Mittelitalien starb), also bis zum Jahre 580 nach Erbauung der Stadt nicht gegeben. Die Römer bereiteten sich ihr Brot selbst, und dies Geschäft lag insbesondere den Weibern ob, was noch jetzt bei den meisten Völkerschaften Sitte ist. Für Leckermäuler pflegten Köche (coqui), die man aus den Garküchen mietete, das Brot zu bereiten. Damals nannte man nur die Leute, die das Getreide stampften, pistores, nicht die Bäcker. Von den von ihnen gebrauchten Werkzeugen sind die aus Pferdehaar geflochtenen Siebe (cribra) in Gallien erfunden, die Mehl- und Staubbeutel (excussoria und pollinaria) aus Leinengewebe in Spanien, die aus Papyrus und Binsen dagegen in Ägypten.“ Weiterhin sagt er: „Es scheint mir überflüssig, die verschiedenen Arten von Brot (panis) ausführlich zu besprechen. Manches davon hat seinen Namen von der Fleischspeise, die man dazu ißt, z. B. das Austerbrot, anderes von seinem Wohlgeschmack, wie das Kuchenbrot, anderes von der Schnelligkeit der Zubereitung, wie das Schnellbrot, oder von der Art, wie es gebacken wird, wie das Ofen- oder Topf- oder Pfannenbrot. Vor nicht gar langer Zeit haben wir auch durch die Parther eine Brotsorte kennen gelernt, welche parthisches oder Wasserbrot genannt wird, weil seine feinen, schwammartigen Höhlungen Wasser einsaugen. Es gibt auch Völker, die Butter in den Brotteig kneten. Den Picentinern verdanken wir das Graupenbrot. Neun Tage läßt man die Graupen (alica) weichen; am zehnten knetet man die Masse mit dem Saft getrockneter Trauben zur Gestalt eines Kuchens und bäckt sie im Backofen (furnus) in Töpfen (ollae), die im Ofen platzen sollen. Solches Graupenbrot verzehrt man nur, nachdem es eingeweicht ist, was gewöhnlich in süßer Milch geschieht. — Als noch Gerstenbrot im Gebrauch war, wurde es durch Zutat von Erbsen und Kichererbsen gesäuert und zwei Pfund davon genügten für fünf halbe Scheffel (modius, dieser war das größte römische Maß für trockene Dinge und maß 8,75 Liter). Jetzt gewinnt man das Gärungsmittel (fermentum) aus dem Brotmehl selbst. Man knetet es nämlich, ehe Salz hinzukommt, kocht es dann wie Brei (puls) ab und läßt es nachher stehen, bis es sauer wird. Noch gewöhnlicher ist es aber, vom jedesmaligen Backen Teig aufzuheben und ihn beim folgenden Backen als Sauerteig zu verwenden.“
Unerschöpflich ist besonders der biedere ältere Cato (234–149 v. Chr.) in der Angabe der verschiedensten Rezepte für Brei, Fladen,[S. 702] Kuchen und Brot aus allen möglichen Ingredienzen, unter denen Eier, Käse, besonders Schafkäse, Honig, Anis, Kreuzkümmel, Mohnsamen und Schmalz oder Olivenöl eine große Rolle spielen. Es würde uns aber zu weit führen näher darauf einzugehen; es genüge hier zu bemerken, daß in Pompeji die Backöfen allemal mit den Mühlen in einem Hause gefunden wurden und wie die unsrigen aus einer stark ummauerten Höhlung bestehen, welche unten wagrecht und eben, oben aber halbkreisförmig gewölbt ist. Auch Brote haben sich noch darin gefunden, die kreisrund, 1 Fuß im Durchmesser, 15 cm hoch sind. Durch vom Mittelpunkt ausstrahlende Schnitte sind sie in acht gleiche Teile geteilt, und tragen vielfach mit einem Stempel den Namen des Bäckers in erhabener Schrift aufgedruckt. Schon zur Zeit von Augustus gab es in Rom über 300 öffentliche Bäckereien; doch stellten damals noch die meisten Haushaltungen ihr Brot selbst her.
Von den nördlicheren Völkern lernten die Gallier zuerst das Brot kennen, das sie als erste mit Bierhefe trieben. Bei den Germanen kam es erst zu Beginn des Mittelalters allgemein in Gebrauch. Vorher genoß man statt seiner einen Brei oder eine zu einer zähen, teigartigen Masse gar gesottene Mischung von Mehl und Wasser oder Milch, die in Stücke gerupft und, in etwas Schmalz oder Butter gebraten, genossen wurde. In Schweden kannte das Volk noch im 16. Jahrhundert kein anderes Brot als ungegorene, dichte, harte Fladen, die aus Wasser und Mehl geknetet und gedörrt waren. Erst seit dem 18. Jahrhundert fand das Weizenbrot in Mitteleuropa außerordentliche Verbreitung. Teigknetmaschinen wurden zuerst 1787 in Wien und Holland probiert, dann kamen sie 1789 in Genua auf; aber weitere Verbreitung fanden sie erst seit 1810, da Lambert in Paris eine brauchbare Konstruktion angab, die später in verbesserter Gestalt durch Fontaine 1839 mit gutem Erfolg angewandt wurde.
In engstem Zusammenhange mit dem Backen des Brotes stand das Brauen des Bieres, wie schon die Tatsache beweist, daß der Mehlbrei, aus dem einst Brot und Bier bereitet wurde, im Althochdeutschen brôt und seine Bereitung briuwan hieß, aus welch letzterem Wort dann brauen wurde. Den einst innigen Zusammenhang beider Tätigkeiten beweist auch der Umstand, daß man heute noch in Nubien, manchen Orts in Ostasien und zum Teil in Rußland das Bier aus zuvor verbackenem Getreide, also Brot, bereitet. Dieses aus einem Brei gerösteter oder verbackener Getreidekörner, der einfach der Gärung durch wilde Hefen überlassen wurde und in dem natürlich auch zahl[S. 703]reiche Bakterien ihr Wesen trieben, gewonnene Urbier, das wir uns süßlichsauer und recht trübe vorzustellen haben, muß für unsere verwöhnten Zungen sehr fade geschmeckt haben, weshalb die verschiedensten Würzen zu seiner Geschmacksverbesserung zu Hilfe genommen wurden. So werden im Sudan und in Kordofan dem aus den Samen der Penicillaria hirsuta, einer Verwandten der Negerhirse, hergestellten Bier Zweige einer scharfen Wolfsmilchart Callotropis procera zugesetzt, wie man in Norddeutschland, Dänemark und Skandinavien noch 1477 durch Zusatz der zerquetschten Beeren von Sumpfmyrte (Myrica gale) und Wacholder das Gruten- oder Gruysenbier bereitete. In Nordamerika erhielt man durch Zusatz der Schößlinge der Schierlingstanne das Sprossenbier. In Island und Irland wurden die Samen der wilden Mohrrübe als Bierwürze benutzt, bis schließlich der Hopfen alle solchen verdrängte und heute in der ganzen Kulturwelt ausschließlich zur Verwendung gelangt.
Wie aus dem mit Wasser verdünnten Honig durch einfaches Stehenlassen mit Hilfe der hineingelangten allgegenwärtigen Hefepilze der Met als das älteste der berauschenden Getränke entstand, so wurden allerlei zuckerhaltige Pflanzensäfte wie Palm-, Agaven- und Obstsaft und von tierischen die Milch auf dieselbe Weise zur Herstellung von berauschenden Getränken, nach denen die Menschheit seit Urzeiten als beliebtes Genußmittel lüstern ist, verwendet. Bald lernte man auch, daß mehlhaltige Stoffe durch Einwirkenlassen von Speichel gärfähig werden und zur Bereitung von Bier dienen können. So hat man jedenfalls schon vor der Einführung des Hackbaus aus mehlhaltigen Samen von allerlei Wildgräsern und später gepflanzten Gräsern, vielfach nach vorhergehendem Aufkochen in Wasser, so lange man keine gebrannten Töpfe besaß mit Hilfe darein geworfener Steine durch sogenanntes Steinkochen, wie solches bei den Letten bis zum Ende des 18. Jahrhunderts und in Kärnten zum Teil heute noch bei der Herstellung von Steinbier üblich ist, durch Kauen im Munde und nachheriges Ausspucken in Gefäße, worin die Masse eine Zeitlang zur Fermentwirkung sich selbst überlassen blieb, die ältesten Bierarten hergestellt. So wird heute noch die Kawa der Südsee aus der Wurzel des Kawapfeffers, das Reisbier auf Formosa, das Maisbier in Peru und Bolivia und ein in Argentinien bei den Eingeborenen beliebtes Bier aus den Früchten einer Leguminose hergestellt. Auch im nördlichen Europa muß einst ein solches Bier bereitet worden sein, wie wir aus der Sage des Gottes Kwasir entnehmen können, den die Asen und Wanen (Fruchtbarkeit[S. 704] spendende vergöttlichte Naturkräfte) bei ihrem Friedensschlusse aus ihrem gemeinsamen Speichel erschufen. Bei dieser recht urwüchsigen Bierbereitung verzuckerte der Speichel das Stärkemehl und lieferte so eine gärungsfähige Zuckerlösung.
Appetitlicher nach unsern Begriffen ist es, worauf man später erst verfiel, das stärkemehlhaltige Getreidekorn keimen zu lassen, wobei der Embryo das Diastase genannte Ferment bildet, um die Stärke in löslichen und damit für ihn assimilierbaren Zucker zu verwandeln. Dieses jüngere Verfahren benützen wir bis auf den heutigen Tag in der Brautechnik. So läßt der Bierbrauer die Gerste, die heute fast ausschließlich zur Verwendung gelangt, keimen, bis sich reichlich Diastase gebildet hat und durch teilweise Umwandlung der Stärke in Zucker das süßschmeckende Malz entstanden ist. Dann wird die Keimung durch Trocknen und Erhitzen unterbrochen, das Malz „gedarrt“. Je nach der Temperatur, die beim Darren zur Anwendung gelangt, nimmt es dabei eine hellgelbe bis dunkelgelbe Farbe an, die nachher für die Farbe des Bieres bestimmend ist, und gleichzeitig bilden sich bei höherem Erhitzen aromatische brenzliche Stoffe, die sogenannten Karamelstoffe, die auch für den Biergeschmack wichtig sind. Die Darrtemperatur kann bei den ganz dunkeln, karamelreichen Bieren, wie z. B. beim Kulmbacher, bis gegen 100°C. betragen.
Dann wird das Malz zerkleinert, und durch Hinzugießen von Wasser werden aus ihm die löslichen Bestandteile mit Einschluß der Diastase herausgezogen, extrahiert wie der technische Ausdruck lautet. Bei auf etwa 50°C. erhöhter Temperatur beginnt nun die Wirkung der Diastase auf die noch unverzuckerte Stärke, welche in Malzzucker und Dextrine übergeführt wird. Bei längerer Einwirkung werden dann auch die Dextrine allmählich angegriffen. Von der Leitung dieses Maischprozesses, bei dem die Diastasewirkung jederzeit durch Aufkochen unterbrochen werden kann, hängt es also ab, ob man ein „vollmundiges“ Bier mit reichlicherem oder ein „weinig schmeckendes“ Bier mit geringerem Dextringehalt haben will. Ersteres lieben wir Deutschen, während die Engländer letzteres bevorzugen. Dementsprechend wird in Deutschland die Maische meist nach dem Kochverfahren hergestellt, d. h. die Masse bald aufgekocht und dann wieder ungekochte neue Maische hinzugefügt, während sie in England überhaupt ohne Aufkochen nur bei höherer Temperatur bereitet wird. Die Maische wird hierauf von den festen Rückständen, den Trebern, befreit und dann noch mit dem Hopfen zusammen einige Stunden gekocht. Nach dem[S. 705] Absieben der Hopfenreste und der ausgeschiedenen Eiweißstoffe wird sie in offenen Kühlschiffen oder neuerdings auch in besonderen Apparaten gekühlt und dann zum Einleiten der Gärung in die Gärbottiche übergeführt. Dieser Prozeß interessiert uns hier hauptsächlich.
Das ältere Verfahren bei der Herstellung von Bier ist die Obergärung, die viel schneller verläuft und keine besondere Kühlhaltung verlangt, dabei also bald trinkbares, billiges Bier liefert, das aber den Nachteil besitzt, nicht so haltbar zu sein und meist durch Infektion mit anderen Pilzen einen säuerlichen Geschmack aufzuweisen. Dieser Gärprozeß, der bei einer Temperatur zwischen 15 und 25°C. erfolgt, wobei die Hefe oben schwimmt und erst nach der Gärung teilweise nach unten sinkt, wie man vom Weißbier her weiß, ist viel schwerer vor Störungen zu schützen, die Qualität des Bieres also nicht leicht gleichmäßig zu erhalten. Die Hauptgärung dauert nur wenige Tage; dann wird die Nachgärung, die noch sehr lebhaft ist, auf den Fässern eingeleitet. Ja bisweilen wird nach alter Vätersitte die ganze Gärung gleich auf dem Faß eingeleitet und beendet.
Da solches Bier nicht leicht gleichmäßig zu erhalten ist und sich außerdem nicht zum längeren Aufbewahren, also zum Lagerbier eignet, ist diese obergärige Methode neuerdings ganz gegenüber der Untergärung, die diese Nachteile nicht besitzt, in den Hintergrund getreten. Diese kann nur im Winter oder in künstlich gekühlten Räumen vor sich gehen, da sie bei einer Temperatur von 5–6°C. verläuft. Bei ihr setzt sich die Hefe, sobald sie nicht mehr durch die entstehende Kohlensäure aufgewirbelt wird, sobald also die Gärung etwas nachläßt, im Gegensatz zu der in der Flüssigkeit schwebend bleibenden Oberhefe fest am Boden des Gefäßes ab. Bei diesem Verfahren, dem alle deutschen Biere mit Ausnahme einiger Spezialitäten, wie beispielsweise das Berliner Weißbier, die Leipziger Gose und das Lichtenhainer Bier, unterworfen werden, wird die Würze, sobald sie auf die erforderliche niedrige Temperatur abgekühlt worden ist, in den Gärbottichen mit Reinzuchthefe in reichlicher Menge — etwa ½ Liter dickflüssiger Hefe auf einen Hektoliter Bier — versetzt und mit Krücken gut durchgerührt. Bei der nun erfolgenden Hauptgärung bedeckt sich die Oberfläche zuerst mit einem feinen und dann mit einem immer dicker werdenden bräunlichen Schaum, der neben Hefezellen aus ausgeschiedenen eiweißartigen und schleimigen Stoffen besteht. Da durch die chemischen Umsetzungen während der Gärung die Temperatur stark steigt, so muß dauernd für gute Kühlung Sorge getragen werden, damit nicht eine Erwärmung über[S. 706] 11° bei dunklen und 9,5° bei hellen Bieren eintritt. Allmählich läßt die stürmische Gärung nach, die Hefe sinkt allmählich zu Boden und damit klärt sich die Flüssigkeit, die nun zur Nachgärung in die Lagerfässer übergepumpt wird. Will man die Nachgärung beschleunigen, so nimmt man viel Hefe mit, dann ist aber das Bier nicht zu langem Lagern geeignet. Im Lagerkeller, dessen Temperatur nur etwa 1°C. betragen soll, ruht nun das „Jungbier“ 3–6 Wochen, wenn es zu baldigem Ausschank bestimmt ist, und mehrere Monate, wenn es als Lager- oder Sommerbier dienen soll. Dabei geht die Gärung langsam weiter ihren Gang, es bildet sich reichlich Kohlensäure, die ihm den angenehm prickelnden Geschmack verleiht, und der anfänglich noch scharfe Vorgeschmack wird in einen immer wohlschmeckenderen umgewandelt, der die Güte des reifen Bieres ausmacht. Mit der Vollendung der Nachgärung ist das Bier völlig klar geworden, indem die Hefe am Boden liegt, und wird, nachdem es zum Überfluß noch filtriert worden, in die Transportfässer gefüllt und zum Verkauf gebracht.
Erst die technische Entwicklung der neuesten Zeit hat dieses gleichmäßig gute, äußerst haltbare untergärige Bier zu brauen ermöglicht, während das früher gebraute Bier sehr ungleich ausfiel, weniger gut schmeckte, auch schwächer alkoholhaltig war und sich nur kurze Zeit hielt, d. h. bald sauer wurde und in Essiggärung verfiel, wenn es nicht durch Kahm-, Schimmel- und Spaltpilze verdarb. So hat sich aus der bescheidenen Bierbrauerei der alten Ägypter, die diese Erfindung ihrem obersten Gott Osiris zuschrieben, meist Gerste zum Mälzen verwandten und an Stelle des ihnen unbekannten Hopfens Safran und andere Pflanzenstoffe als Würze verwandten, im Laufe der Jahrhunderte das kapitalkräftige moderne Braugewerbe entwickelt, das eine enorme Ausdehnung erlangt hat. Welche volkswirtschaftliche Bedeutung die Brauindustrie speziell in Deutschland besitzt kann man ermessen, wenn man bedenkt, daß der Kaufwert der Braumaterialien in diesem Lande bereits im Jahre 1900 etwa 400 Millionen Mark betrug, von denen als nutzbare Abfallstoffe der Landwirtschaft zirka 50 Millionen zurückgegeben wurden. Der Herstellungswert betrug gegen 900 Millionen Mark. Demgegenüber war die Steinkohlenproduktion Deutschlands nur 800 Millionen und waren sämtliche Hüttenerzeugnisse 700 Millionen Mark wert. Die Rübenzuckerindustrie verbraucht sogar nur für 225 Millionen Mark Rüben und liefert etwa für 30 Millionen Mark Material an die Landwirtschaft zurück.
Neben den echten Bieren, die also mit Zusatz von Hopfen gebraut[S. 707] werden, erzeugt man da und dort noch eine Menge dem Urbier nahe stehender säuerlicher Biere, unter denen der Kwaß, das russische Nationalgetränk, in Europa das wichtigste ist. Es wird aus allerlei Getreidearten, aus Mehl, Malz, aber auch aus Brot und Zwieback hergestellt, die zuerst gekocht und dann einer spontanen Milchsäuregärung überlassen werden, der sich eine geringfügige alkoholische Gärung hinzugesellt. Daraus resultiert ein säuerliches, moussierendes Getränk mit einem Alkoholgehalt von weniger als 1 Prozent — während unsere Biere meist etwa 4 Prozent davon enthalten —, das in Unmengen von allen Bevölkerungsschichten Rußlands vertilgt wird. Früher war es viel weiter verbreitet und wurde auch von den Arabern im Mittelalter hergestellt, wofür Kobert, der ihm eine ganze Monographie gewidmet hat, eine Menge Belege vorbringt.
Ihm ähnlich sind die säuerlichen Biere, die wir als Hirsebiere nicht nur bei den Rumänen, sondern bei fast allen afrikanischen Stämmen finden. Häufig findet man in ihnen eine bestimmte Hefe, den Schizosaccharomyces pombe, der seinen letzteren Namen von einer weitverbreiteten Abart dieser Negerbiere führt. Auch an manchen Früchten haften bestimmte Hefearten in Gemeinschaft mit Bakterien, die zur Erzeugung alkoholischer Getränke benutzt werden. So stellt man in England vielfach aus Zuckerwasser und Ingwerwurzel mit Zusatz von gewissen Früchten, die den Hefenpilz Saccharomyces piriformis neben Bakterien enthalten, das moussierende Ingwerbier her.
Von großem Interesse, weil ein bedeutendes Gewerbe darstellend, ist die Herstellung des hellgelben, sherryähnlichen japanischen Nationalgetränks Saké, das heiß in kleinen Porzellanschälchen getrunken wird. Nach seiner Gewinnung aus Reis ist es zu den bierähnlichen Getränken zu rechnen, nach seinem schließlich erzeugten Charakter und seinem hohen Gehalt von 12–18 Prozent Alkohol hat es mehr Verwandtschaft mit den Südweinen. Die Bereitung des Saké ist eine uralte Kunst der Japaner, die sich in vier Teilprozesse gliedert. Zuerst wird die spezielle Hefe, die Koji bereitet, indem gekochter Reis mit sporenhaltigen Kolonien des Reisschimmelpilzes (Aspergyllus oryzae) angesetzt wird, die zu diesem Zwecke in unvollkommener Reinkultur immer weiter gezüchtet werden. Dieser Pilz enthält eine kräftige Diastase, die die Stärke des Reises in gärfähigen Zucker verwandelt, daneben noch andere Schimmelpilze, Bakterien und eine echte Hefe. Dann wird der Moto, die eigentliche Maische, wiederum aus gedämpftem Reis bereitet und ihm die Koji zugeführt. Es tritt nun in[S. 708] der Masse eine Milchsäure- und Alkoholgärung ein. Indem zu diesem Gemisch wieder gekochter Reis und Koji hinzugefügt werden, folgt die Hauptgärung, bis schließlich der Prozeß nach fünf Wochen abgelaufen ist. Nun wird die Flüssigkeit abgepreßt, geklärt und ist zum Konsum fertig. Die Alkoholgärung wird durch wilde Hefen vollzogen. Der ganze Prozeß, der rein empirisch nach alten Rezepten vorgenommen wird, ist noch wenig geklärt, obschon die in Europa gebildeten japanischen Gelehrten auch hier an der Arbeit sind.
Die Bereitung des Weines geht noch in der alten Weise vor sich, wie sie schon im alten Ägypten betrieben wurde, indem man den gekelterten Most durch die an den Weinbeeren selbst sitzenden wilden Hefen gären läßt. Nur ganz schüchtern machen sich Bestrebungen geltend, auch diesen Vorgang durch Hinzufügen von reingezüchteten Hefen edler Abstammung zielbewußt zu leiten. Da der ausgepreßte Traubensaft ein außerordentlich günstiger Nährboden nicht nur für diese Hefe-, sondern auch für die zahllosen darein geratenden Schimmelpilze und Bakterien ist, muß die Hauptarbeit der Weinbereitung darin bestehen, die durch letztere hervorgerufene abnorme Gärung zu verhindern nicht nur durch peinlichste Sauberkeit in allen Dingen, sondern vor allem dadurch, daß man für eine kräftig wachsende Hefe sorgt, die selbst der ärgste Feind jener mit ihr zu konkurrieren versuchender Pilze ist. Durch die kräftige Entwicklung der Weinhefe werden sie rasch überwuchert und in ihrer Entwicklung gehemmt.
Mit Recht vertraut der Winzer im allgemeinen der Güte der an den Traubenbeeren, besonders der durch Insekten oder sonstwie verletzten wuchernden natürlichen Hefepilze, von denen an denselben Trauben auch immer dieselben Rassen vorzugsweise sitzen, so daß man von vornherein auf ein bestimmtes Gärungsprodukt rechnen darf. Um eine kräftige Entwicklung derselben zu erzielen, setzt man bei hoher Temperatur, etwa 28°C. an, und zwar in offenen Bottichen, die gehörig durchlüftet werden. Nach Ablauf der ersten, stürmischen Gärung bringt man den jungen Wein in die Gärfässer, die durch Ventile so verschlossen sind, daß zwar die sich entwickelnde Kohlensäure leicht entweichen, aber keine äußere Luft mit ihren Keimen hinzutreten kann. Die Gärung wird bei 15–20°C. so lange fortgesetzt, bis sich nur noch spärliche Blasen von Kohlensäure entwickeln. Nun beginnt die wichtigste Tätigkeit, die Kellerbehandlung, die den Wein zur Reife bringen soll. Bei ihr muß um so mehr auf peinlichste Sauberkeit Bedacht genommen werden, da nun die Hefe ihr energisches Wachstum[S. 709] eingestellt hat und infolgedessen die Spaltpilze leichter neben ihr aufkommen könnten. Um letzteres zu vermeiden, werden die Fässer nicht bloß gründlich gereinigt, sondern auch durch Verbrennen von Schwefelfäden in ihnen alle Keime zerstört.
In dem in sie übergeführten Wein wird der Zucker sehr langsam weiter gespalten und nur eine sehr geringe Menge bleibt unversehrt. Ein Teil der Kohlensäure bleibt im Wein und gibt ihm seinen prickelnden Geschmack. Vor allem bilden sich aber jetzt langsam die für den Wein charakteristischen Bukettstoffe aus, die die Nase und Zunge des Genießenden besser würdigen können als die Analyse des Chemikers, für den sie infolge ihrer minimalen Menge kaum greifbar sind. So gehen unter dem Einfluß des durch die feinen Poren der Fässer hindurchdringenden Sauerstoffs diese eigentümlichen Umwandlungen vor sich, die den Wein edel und alt machen. Sie erstrecken sich über viele Jahre, bis schließlich der Höhepunkt der Reife erreicht ist; dann aber geht der Wein wieder zurück, er wird überreif und die Bukettstoffe verlieren allmählich ihre Qualität. Wie lange das dauert, hängt von den verschiedensten Umständen ab. Manche Weine sind schon nach wenigen Jahren fertig; andere vertragen die Entwicklung mehrerer Menschenalter und werden immer besser, wie namentlich einige zuckerreiche Südweine, vor allem der Tokayer, bei dessen Herstellung den frischen Trauben möglichst viel getrocknete Beeren derselben Sorte hinzugefügt werden, um ihn recht süß zu bekommen.
Im Fasse senkt sich nun die Hefe nach Aufhören ihrer Vermehrung langsam zu Boden und reißt die noch vorhandenen festen Bestandteile wie Kalksalze, Farbstoffe usw. mit. Durch dieses Absitzen erst erlangt der Wein seine volle Klarheit. Zu diesem Zwecke wird er öfter in frische Fässer umgefüllt, wobei der Bodensatz zurückbleibt. Um diesen Prozeß zu beschleunigen, verwendet man eine Reihe von Mitteln, wie besonders Hausenblase oder Gelatine, die eine Fällung bewirken und so alles im Weine Schwebende zu Boden reißen. Nur Rotweine kann man wegen des Verlustes an Farbstoff nicht auf diese Weise klären; man begnügt sich bei ihnen mit dem Filtrieren.
Ist so unter sorgsamer Pflege und bei Vermeidung der Spaltpilzinvasion der Wein reif geworden, so wird er, wenn er von guter Qualität ist, in Flaschen gezogen und entwickelt sich hier in ähnlicher Weise, aber äußerst langsam weiter. Dieser Prozeß kann durch Steigerung der Temperatur im betreffenden Keller bis auf 40°C. beschleunigt werden. Geringe Weine dagegen vertragen das Altern nicht.
Zur Herstellung der vollmundigen, kräftigen Südweine läßt man die Trauben am Stocke trocknen und dickt dann den daraus erhaltenen Most noch über dem Feuer ein. Dabei brennen sie stets etwas an, was ihnen den sie auszeichnenden leicht brenzlichen Geschmack verleiht, der besonders beim Malaga hervortritt. Beim Portwein wird die Gärung mitten drin durch Zusatz von Alkohol unterbrochen und zur Erhöhung der Farbe noch Holundermark hinzugesetzt. Ganz ähnlich werden die Weine von Madeira, Marsala, von den Kanaren und vom Kap der Guten Hoffnung hergestellt. Andere, wie der Zyperwein, erhalten noch eine Würze von Quittensaft und Gewürzen aller Art und werden dann noch einer Räucherungsprozedur unterworfen. So werden sie schließlich einem Likör ähnlicher als einem Wein.
Die meist zu sauren Obstweine werden wie die sauren Traubenweine gallisiert, d. h. man verzichtet auf die direkte Abstumpfung der überschüssigen Säure, sondern mildert sie durch Zusatz von Zuckerwasser, wobei das Volumen bedeutend erhöht wird. Die Schaumweine, die man fälschlicherweise Sekt nennt, da letzteres historisch wie dem Sinne nach gerade das Gegenteil, nämlich einen schweren, feurigen Südwein bedeutet, werden aus besonders geeigneten leichten, bukettarmen Weinen durch eine spezielle Gärung in der Flasche gewonnen. Zu ihrer Herstellung wird der geklärte, flaschenreife Wein mit reichlich Rohrzucker — 2,5–3 kg per Hektoliter — und bestimmten, sehr kräftigen Hefen zur weiteren Gärung in festverschlossenen Flaschen angesetzt. Sobald sich der Zuckergehalt darin erheblich vermindert hat und der Alkoholgehalt so hoch gestiegen ist, daß die Hefe nicht mehr gären kann, beginnt sie sich abzusetzen, ein Prozeß, der durch Rütteln an der Flasche systematisch gefördert wird, bis schließlich in den umgekehrt aufgestellten Flaschen sich die Hefe auf den Korken ansammelt und der Wein klar wird. Dann wird die Flasche geöffnet und die Hefe herausgeschleudert, wie man sagt „degorgiert“. Nun setzt man ihm den sogenannten Likör, bestehend in feinem Kognak mit Zucker und besonderen, von jeder Fabrik geheim gehaltenen aromatischen Zusätzen zu, verschließt die Flasche wieder und läßt sie noch einige Zeit lagern, bis der Wein völlig reif geworden ist. Die Kraft des Schäumens richtet sich nach der Menge Rohrzucker, und zwar erzeugen 4,5 g davon per Flasche 1 Atmosphäre Druck. Bei guten Schaumweinen beträgt der Druck gewöhnlich 4–5 Atmosphären; mehr wie 8 Atmosphären halten die Flaschen nicht aus.
Die Herstellung der Branntweine war den alten Kulturvölkern[S. 711] durchaus unbekannt. Sie kam erst etwa mit dem 8. Jahrhundert mit dem Aufblühen der chemischen und alchimistischen Wissenschaft unter den Arabern auf, und der Arzt Gabir Ibn Hajjan, in Europa Geber genannt, gilt als der Entdecker des Alkohols, dessen Name ja arabischen Ursprungs ist. Als diese Neuerung im Abendlande bekannt wurde, bemächtigten sich vor allem die Klöster derselben und begannen bald einen schwunghaften Branntweinhandel. Im 14. Jahrhundert war Italien das Hauptexportland des zunächst nur als Medikament verwendeten Schnapses, der aber bald auch als Genußmittel solchen Beifall fand, daß schon ein Jahrhundert später der Steuerfiskus in Deutschland das Getränk mit einer Verbrauchsabgabe belegte. Damals wurde von stärkemehlreichen Früchten fast ausschließlich das Korn zu Branntwein verarbeitet, und zwar bald in solchem Maße, daß die Regierung die Herstellung des Kornschnapses an manchen Orten ganz verbot, weil ein allzugroßer Teil der köstlichen Brotfrucht dadurch ihrem eigentlichen Zweck entzogen wurde. Erst im 18. Jahrhundert kam die Verwendung der Kartoffel als Rohfrucht für die Schnapsbrennerei auf und 1750 soll zu Monsheim in der Pfalz die erste Kartoffelbrennerei errichtet worden sein. Jetzt wird vorzugsweise diese Nährfrucht dazu verwendet, und zwar zur Herstellung von fuselölfreiem Reinspiritus, der dann technisch als solcher verwendet oder mit Beigabe von aromatischen Essenzen zu den mannigfaltigsten Schnäpsen verarbeitet wird.
Die Kartoffeln werden zur Überführung der Stärke in Kleister gekocht und, da sie nur sehr wenig Diastase zur Umwandlung des letzteren in Zucker haben, bei einer möglichst hohen Temperatur von 45–50° C. mit Malz versetzt. Nachdem die Verzuckerung der Stärke stattgefunden hat, setzt man die Maische, wie wir dies bei der Bierbereitung beschrieben haben, zur Gärung an, die bei 25° C. verläuft und nur etwa drei Tage dauern darf. Und zwar verwendet man dazu nicht mehr wie früher Bierhefen, sondern speziell die zu diesem Zwecke in besonderen Anstalten in großen Mengen in Reinkultur gezüchteten obergärigen, stark gelüfteten Brennereihefen. Ist nun durch Gärung der Zucker der Maische zum größten Teil in Alkohol (und Kohlensäure, welche entweicht) übergeführt, so wird das Gemisch im Destillierapparat mit Dampf erhitzt, und der mit Wasserdämpfen und einigen Beimengungen in gasförmigen Zustand übergehende Alkohol wird durch Kühlung wieder zu einer Flüssigkeit verdichtet.
Meist wird in den Brennereien nur ein Rohspiritus dargestellt, der dann zur weiteren Reinigung in die Raffinerien wandert. In[S. 712] diesen wird durch nochmalige Destillation der Äthylalkohol mit nur 4–8 Prozent Wasser als rektifizierter Spiritus gewonnen, wobei die schwerer flüchtigen höheren Alkohole (besonders Amylalkohol), die sogenannten Fuselöle, in der Destillierblase zurückbleiben. Letztere haben einen durchdringenden Geruch und sind sehr giftig. Früher glaubte man, daß sie durch die Tätigkeit irgend welcher Spaltpilze entstehen, und beschrieb sogar einige solche Pilze, welche sie erzeugen sollten. Doch ist neuerdings durch die eingehenden Untersuchungen von F. Ehrlich mit Sicherheit erwiesen worden, daß sie Produkte der Hefen sind und durch Umwandlung aus den Eiweißstoffen der Maische und ihren Abbauprodukten entstehen. Da sie zur Herstellung schwertrocknender Öle und in der Fabrikation künstlicher Riechstoffe verwendet werden, so hat die Industrie selbst ein Interesse daran, sie möglichst vollständig aus dem Weingeist, dessen Wert sie herabsetzen, zu entfernen.
Der reinste rektifizierte Spiritus wird als Weinsprit bezeichnet und wird vor allem in der Likörfabrikation verwendet. Die weniger guten Marken, die aber auch noch so gut wie rein sind, dienen in der Kraftindustrie und werden, da sie einer weit geringeren Steuer als der zu Genußzwecken des Menschen verwendete Spiritus unterliegen, durch Hinzufügen von Holzgeist und Pyridin denaturiert, um ihnen einen widerlichen Geschmack und Geruch zu geben. Welch gewaltige Bedeutung die Brennerei in der Volkswirtschaft besitzt, beweist die Tatsache, daß in Deutschland allein aus 3 Milliarden kg Kartoffeln gegen 4 Millionen Hektoliter Spiritus jährlich erzeugt werden, von denen 2½ Millionen getrunken werden und der Rest zu gewerblichen Zwecken verbraucht wird. Die Branntweinsteuer bringt dem Reiche jährlich 150 Millionen Mark ein, und nur etwa für 6 Millionen Mark kommt zur Ausfuhr. Leider hat die ausgedehnte Verwendung des Weingeistes als Kraftquelle noch keine befriedigende Lösung gefunden, wenn er auch schon in großer Menge bei der Industrie als Beleuchtungsmittel und zum Treiben kleiner Motoren Verwendung findet. Speziell zum Treiben der Automobilmotoren vermag er noch nicht das Benzin zu verdrängen. Hoffentlich aber wird diese Neuerung nicht mehr lange auf sich warten lassen, da es aus volkshygienischen Gründen höchst wünschenswert wäre, wenn der in solchen Massen produzierte Schnaps statt vom Menschen getrunken, dem er ein überaus schlimmer Feind ist, als Kraftquelle eine ausgedehntere Verwendung finden könnte, und so dem Volke nützlich, statt wie bisher verderblich sein würde.
In seiner Sucht nach starken Berauschungsmitteln hat der Mensch,[S. 713] seitdem ihm die Kenntnis der Alkoholdestillation zuteil wurde, aus allen möglichen zuckerigen oder in Zucker überzuführenden Stoffen vermittelst wilder Hefen Alkohol gewonnen und Schnaps daraus gebrannt, so nicht bloß aus Melasse, Roggen und Mais, sondern auch aus Wurzeln wie Enzian, Früchten wie Holunder- und Vogelbeeren, Kirschen und Zwetschen mit Einschluß deren ausgeklopfter Kerne, aus Heferückständen, Trebern, Trestern usw. Unter diesen nehmen vor allem die Getreideschnäpse, der Kornbranntwein, eine wichtige Stellung ein. So wird das angloamerikanische Nationalgetränk, der Whisky in seinen verschiedenen Spielarten bald aus Roggen-, bald aus Gerstenmalz mit Hinzufügung von gekeimtem Mais hergestellt, während der in Ostindien, besonders auf Java bereitete Arrak aus Reis unter Zusatz von Melasse und Palmwein gebrannt wird. In Westindien, speziell Jamaika, wird dagegen aus den bei der Bereitung von Zucker aus Zuckerrohr abfallenden Produkten der Rum bereitet, der seinen eigentümlichen Geschmack dem Vorhandensein von freien Säuren, wie Ameisen- und Buttersäure, und deren Estern verdankt. Als vornehmster aller Branntweine gilt der nach dem Zentrum seiner Bereitung, der westfranzösischen Stadt gleichen Namens, als Cognac bezeichnete Branntwein, der ein Destillat aus Wein, meist Rotwein, ist und nur durch jahrelanges Lagern in Fässern aus bestimmtem Eichenholz seine schöne Farbe und seinen charakteristischen Geschmack erhält. Alle diese Schnäpse zeigen frisch den brennenden Spritgeschmack, der erst durch möglichst langes Liegen im Faß durch bisher noch nicht ganz erforschte chemische Vorgänge den erwünschten zartmilden Geschmack erhält. Meist handelt es sich wohl dabei um Oxydationsprozesse, indem Sauerstoff durch die feinen Poren der Fässer hindurchtritt und die scharf schmeckenden Stoffe in milde verändert. Dafür spricht vor allem, daß man den Vorgang des Alterns durch Imprägnierung mit Sauerstoff beschleunigen kann. Dies ist ein großes kaufmännisches Problem, da gerade durch das lange Lagern die edlen Branntweine sehr verteuert werden. Indessen ist ein wirklich gutes Mittel zum künstlichen Altmachen noch nicht gefunden worden. Besonders lange Zeit brauchen die Branntweine, die man in der Flasche alt werden läßt, weil sie wasserklar gewünscht werden, wie z. B. Kirschwasser; denn aus dem Holz der Fässer nehmen die Destillate stets Farbstoffe auf. Diese Branntweine müssen viele Jahre liegen, bis sie wirklich reif geworden sind.
In der unüberwindlichen Sehnsucht nach berauschenden Getränken sind die Nomadenvölker dazu gekommen, aus der Milch, dem einzigen[S. 714] ihnen zu Gebote stehenden zuckerhaltigen Nährmittel, sich welches zu bereiten. Das bekannteste dieser alkoholischen Getränke aus Milch ist der Kefir, der in den Bergländern des nördlichen Kaukasus seit undenklicher Zeit ein Hauptgenußmittel ist. Er ist ein säuerliches, sehr wohlschmeckendes Getränk mit geringem Alkohol- und größerem Milchsäuregehalt, das wegen seiner Leichtverdaulichkeit jetzt auch in den Kulturländern vielfach hergestellt und als diätetisches Mittel verordnet wird. Die meisten wilden Hefen vermögen nun nicht aus dem Milchzucker die gärungsfähigen Kohlehydrate freizumachen. Nur einige wenige, wie z. B. Saccharomyces fragilis im Käse, sind dazu imstande, und solche in Kultur genommene Arten verwenden die tierzüchtenden Nomaden zu dieser Fermentation. Doch sind dabei stets noch Spaltpilze tätig, die mitgezüchtet werden und noch besser als die Hefen den für letztere meist unangreifbaren Milchzucker spalten und zugleich eine Milchsäuregärung bewirken. So haben wir in dem aus Schaf-, Ziegen- und Kuhmilch hergestellten Kefir, dessen Fermentorganismen in gelben Körnern in den Handel kommen, außer der Kefirhefe (Saccharomyces kefir) zwei Kettenkokken und einen Bazillus, die, der Milch beigemischt und mit derselben in geschlossenen Gefäßen aufbewahrt, in drei Tagen das Getränk entstehen lassen, das „Wonnetrank“ bedeutet, als Zeichen dafür, wie sehr ihn diese kaukasischen Bergstämme lieben.
Ganz ähnlich wird seit uralter Zeit in der südrussischen Steppe von den dort wohnenden Nomaden aus Milch, auch Stutenmilch, der Kumys gewonnen, dessen Name von dem bereits von Xenophon (um 440 v. Chr. in Athen geboren und 355 in der Verbannung aus seiner Vaterstadt in Korinth gestorben) erwähnten Volke der Kumanen stammen soll, von denen es dann 1215 die Tataren bei ihrer Besitzergreifung dieser Länder übernahmen. Jedenfalls war es unter ihnen schon allgemein bekannt, als sie der Gesandte Ludwigs des Heiligen, Wilhelm Rubruck, im Jahre 1253 besuchte. Auch der um 1459 in Nürnberg geborene und 1507 in Lissabon verstorbene Seefahrer und Geograph Martin Behaim, der, nach seiner ersten Entdeckungsreise als Begleiter des Diego Câo 1490 in seine Vaterstadt zurückgekehrt, den noch daselbst verwahrten großen Globus anfertigte, kannte ein Chumis genanntes, bei den Tataren Südrußlands hergestelltes Getränk, das heute gelegentlich auch in der Kulturwelt Verwendung findet. Die Erreger der echten Kumysgärung sind noch unbekannt, stecken aber in den Schläuchen, in denen Kumys gegoren hatte und in die stets wieder Milch zur neuen Fermentation gegossen wird. Das Getränk ist dem Kefir in Geschmack und Wirkung ähnlich.
Die Vereinigung von Hefen mit Bakterien haben wir auch in den säuerlichen, schwach alkoholhaltigen Milchprodukten, der armenischen Nationalspeise Mazun, dem Leben der Ägypter und dem Yoghurt der Bulgaren, was alles „saure Milch“ heißt. Letzterer ist gleicherweise wie der Kefir als geschätztes diätetisches Präparat bei uns beliebt geworden, seitdem einer der Leiter des berühmten Instituts Pasteur in Paris, Prof. Elias Metschnikoff, die Aufmerksamkeit der wissenschaftlichen Welt auf ihn lenkte und ihn geradezu als Mittel zur Verlängerung des menschlichen Lebens erklärte, da die ihn vorzugsweise essende bulgarische Bevölkerung einen auffallend hohen Prozentsatz sehr alter Leute aufweist. In ihm sind nun keine Hefen, wohl aber ein Gemisch von drei Spaltpilzen, einem Ketten-, einem Doppelkokkus und einem als Majabazillus bezeichneten langen Stäbchen von geringer Beweglichkeit als die Gärungserreger nachgewiesen und in Kulturen zur Herstellung dieses die Darmfäulnis herabsetzenden diätetischen Präparates gezüchtet worden.
Endlich haben wir bei den Kalmücken auch einen als Arakà bezeichneten, aus Milch hergestellten Branntwein, der zwar nur einen sehr schwachen Alkoholgehalt, dafür aber einen reichen Gehalt an flüchtigen Fettsäuren bei der Destillation empfängt, so daß er schauderhaft nach ranzigem Fette schmeckt, was aber nicht hindert, daß sich seine Erzeuger mit Wohlbehagen damit berauschen.
Seit uralter Zeit beobachtete man, daß alkoholhaltige Flüssigkeiten bei längerem Stehen an der Luft ihren weinigen Geschmack verlieren und sauer werden. Diese Säure, von den Römern acetum, von den Deutschen danach Essig genannt, benutzte man sehr früh als Würze von Speisen, besonders Salaten. Über die Ursache dieser Veränderung, die man bei der Wein- und Bierbereitung als unliebsame Bildung fürchtete, war man ebenso wie über diejenige der weinigen Gärung vollkommen im unklaren, bis der berühmte Begründer der neueren Chemie, der 1743 in Paris geborene und am 8. Mai 1794 daselbst guillotinierte Lavoisier die Notwendigkeit der Sauerstoffzufuhr bei diesem Prozesse erkannte und ihn folgerichtig als Oxydation des Alkohols zu Essigsäure auffaßte. Erst der Jenaer Professor der Chemie Döbereiner (1780–1849) gab in den 1830er Jahren die genauere Formel desselben an. Als man bald darauf erkannte, daß die Überführung von Alkohol in Essigsäure auch durch fein verteiltes Platin bewirkt werden kann, glaubten die Anhänger der chemischen Theorie der Gärung, vor allem Liebig, die Bildung von Essig sei dadurch als ein rein chemischer Prozeß erwiesen. Dem traten aber die Anhänger der biologischen[S. 716] Auffassung entgegen und es erhob sich derselbe Streit wie bei der Hefegärung. Schließlich blieben auch hier die letzteren Sieger. Wenn nun auch Kützing selbst vor Schwann die Bakterien der Essiggärung gesehen und beschrieben hatte, so verdanken wir doch Pasteur die grundlegenden Arbeiten über deren Eigenschaften und Lebensgewohnheiten und das Vermögen, sie in beinaher Reinkultur zu züchten. Es sind verschiedene Pilze der Gattung Bacterium, die nur in einem Sauerstoff enthaltenden Medium gedeihen, auch organisches, stickstoffhaltiges Material zu ihrer Entwicklung brauchen und dann auf der Decke der zu vergärenden Flüssigkeit ein Geflecht von langen Fäden bilden. Nach der praktischen Bedeutung unterscheidet man vier Hauptgruppen, nämlich die Schnellessigbakterien, die vor allem technische Verwendung finden, dann diejenigen des Weines, des Bieres und der Maische. Außer bei diesen speziellen Essigkeimen finden wir die Fähigkeit, Essigsäure als Nebenprodukt zu bilden, bei sehr zahlreichen anderen Mikroben, so daß sie in geringer Menge bei fast allen Gärungen zu finden ist.
Der eigentliche Vorgang der Essigbildung ist als eine Fermentwirkung erkannt worden. Insofern behielt Liebig in gewissem Sinne mit seiner chemischen Anschauung recht, wie wir dies bei der Alkoholgärung schilderten. Die Gärung ist nicht als ein reiner Lebensprozeß der Bakterien aufzufassen, sondern die lebenden Keime spielen nur eine[S. 717] indirekte Rolle als Erzeuger des Ferments. Den Beweis dafür zu liefern versuchte ebenfalls Buchner, der Entdecker der Zymase, der in den toten Leibern der Essigbakterien ein Ferment auffand, das ganz analog der Zymase, die die Zuckerarten in Alkohol und Kohlensäure spaltet, die Überführung von Alkohol in Essigsäure vollzieht.
Zu einer rationellen Essigfabrikation gehört vor allem die Zufuhr von möglichst viel Luft, deren Sauerstoff den Essigbakterien die Oxydation des Alkohols ermöglicht. Früher stellte man den Essig ausschließlich nach dem von der Natur gegebenen Beispiele aus Bier oder noch häufiger aus Wein dar, wobei sich ein dicker Pelz von Essigsäurebakterien über der Flüssigkeit bildet. Jetzt aber verwendet man dazu den in großen Mengen zur Verfügung stehenden Reinsprit, den man nach dem 1823 von Schützenbach erfundenen Schnellessigverfahren mit Wasser verdünnt in hohen Fässern mit siebartig durchlöchertem Boden sehr langsam über mit Essig durchfeuchtete Buchenholzspäne tropfen läßt. Das oben einfließende Gemisch von etwa 10 Litern Alkohol, 40 Litern gewöhnlichem Essig und 120 Litern Wasser, dem man etwas Mehlauszug oder dergleichen als Nährboden für die Pilze zugesetzt hat, wird dabei oxydiert und fließt als essigreichere Flüssigkeit unten ab, die dann noch ein zweites oder drittes Faß passiert bis sie zu reinem Essig geworden ist. Neuerdings bestrebt man sich, nach dem Vorgange von Henneberg, Reinkulturen von Essigbakterien zur Imprägnierung der Holzspäne zu verwenden.
Volkswirtschaftlich von ziemlicher Bedeutung sind auch die Milchsäurebakterien, die den Milchzucker der Milch in Milchsäure vergären, wobei das Kaseïn, der wichtigste Eiweißstoff der Milch, sich in fester Form ausscheidet. Die Gewinnung der süßen Milch kann aber auch durch das meist aus Kälbermagen gewonnene Labferment bewirkt werden, wobei sofort das Kaseïn in einer Verbindung mit Kalk ausfällt. Bei der sauren Gärung scheidet sich dagegen das Kaseïn in freier Form, nicht an Kalk gebunden, aus. Bei der Gewinnung von Butter aus dem abgeschiedenen Milchfett, dem Rahm, kann man die Vereinigung der Fettkügelchen durch Schütteln erzielen, wobei die sogenannte Süßrahmbutter entsteht, oder man läßt eine milchsaure Gärung des Rahms vorhergehen. Bei letzterem Prozeß, der nicht nur viel leichter als der erstgenannte vonstatten geht, sondern auch eine weit größere Ausbeute liefert und deshalb vorzugsweise angewandt wird, überließ man den Rahm ursprünglich einfach der Gärung durch von selbst hineingekommene Bakterien, wobei die Säuerung meist schon[S. 718] in 18–24 Stunden eintritt; später verwendete man dazu ganz einfach die bazillenhaltige Buttermilch gut geratener Butter, um in einer kleinen Menge Rahm die Gärung in Gang zu bringen. Falls diese gut war, infizierte man mit dieser Kultur, dem „Sauer“, den ganzen Rahm. Als dann aber die Reinzucht von Bakterien im Braugewerbe ihre Triumphe feierte, kam man bald darauf, dieselben Methoden auch beim Buttern zur Anwendung zu bringen und kultivierte eine Reihe von Bakterien aus guten Sauern in sterilisierter Milch, mit denen man vorzügliche Erfolge hatte. Um ein einwandfreies Material zu erlangen, sterilisierte man bald auch den Rahm und erzielte damit unter Anwendung von Reinzuchtmikroben ein hygienisch einwandfreies, von Zufälligkeiten unabhängiges Produkt. Natürlich machte man bei diesen Studien auch allerlei Erfahrungen, so diejenige, daß nicht alle in Reinkultur erhaltenen Milchsäurebakterien der Butter den gewünschten guten Geschmack verleihen, daß es darunter auch solche gibt, die ihr geradezu ein unangenehmes Aroma verleihen. Es sind dies also ganz ähnliche Verhältnisse wie bei der Weingärung, bei der gewisse Bukettstoffe auch auf Rechnung der betreffenden Gärungserreger kommen. Man züchtet nun Reinkulturen mit verschiedenen Aromastoffen, wie sie gerade die Konsumenten verlangen. Doch hat sich neuerdings herausgestellt, daß das Aroma überhaupt nicht bloß vom Ausgangsmaterial und der Milchsäuregärung abhängt, sondern durch die Anwesenheit von manchen anderen Bakterien, vielleicht auch Hefen, bedingt wird, so daß Mischungen solcher die besten Resultate liefern.
Schon in uralter Zeit sind die viehzüchtenden Nomaden auf die Bereitung von Butter und Käse verfallen. So haben die Indier sicher schon um 1500 v. Chr. die Butter gekannt, nicht aber die ältesten Juden, deren chemah einen anderen Stoff darstellen soll. Überhaupt blieb dieses Produkt im ganzen Bereiche der Ölbaumzucht ein fast unbekanntes, nur etwa zu medizinischen Zwecken gewonnenes, das neben dem Olivenöl nicht aufzukommen vermochte. Die nördlich davon hausenden Völker aber schätzten die Butter, mit der sie sich vorzugsweise den Körper eingerieben zu haben scheinen, während ihnen Schmalz und Schmer als gebräuchlichste Beigabe zu den Mehlspeisen dienten. Wie den Römern die Keltiberier und Germanen durch ihre Wertschätzung der Butter auffielen, so waren den Griechen ihre thrakischen Nachbarn und die weiter nördlich als Nomaden umherstreifenden Skythen, welch letztere auch aus der Pferdemilch das begehrte Fett gewannen, als „Butteresser“ merkwürdig. Der weitgereiste griechische Geschichtschreiber[S. 719] Herodot (484–424 v. Chr.) kennt noch keinen besondern Namen für Butter, sondern umschreibt ihn durch das „was sich absetzt“, während sein etwas jüngerer Landsmann, der berühmte Arzt Hippokrates (460 bis 364 v. Chr.), der auch Skythien und Libyen bereiste, hiefür die Bezeichnung bútyron anwendet, die als butyrum zu den Römern und schließlich als Butter zu den Deutschen kam, deren ursprüngliches Wort hiefür anc (im süddeutschen anke noch erhalten) war. Im Mittelalter war die Buttergewinnung namentlich in der Viehzucht treibenden Schweiz ein wichtiges Gewerbe. Aus dem Jahre 1549 ist uns von dem Züricher Konrad Gesner eine ausführliche Beschreibung der schweizerischen Alpwirtschaft erhalten; noch genauere Aufschlüsse gibt uns 1705 sein Landsmann Scheuchzer. Sonst spielte die Butter als Genußmittel noch keinerlei Rolle in Mitteleuropa, da bis ins 16. Jahrhundert ausschließlich Schmalz zum Kochen verwendet wurde. Erst von etwa 1560 an wurde der „Butterschmalz“ in größerer Menge in der Küche benutzt und fand im Laufe des 17. Jahrhunderts im feineren Haushalt mehr und mehr Aufnahme. An Stelle der bis dahin üblichen Morgensuppe traten schon in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Nachahmung der vornehmen französischen Sitte in den reicheren Familien Kakao, Kaffee oder Tee mit feinem Gebäck und Butter, was dann mit der Zeit auch die Bürgerlichen bei sich einführten. Aber erst im 19. Jahrhundert hat sich die mit der Milchwirtschaft zusammenhängende Buttergewinnung über die ganze Erde verbreitet und ist neben der Käsebereitung eines der wichtigsten landwirtschaftlichen Gewerbe, das viele Millionen jährlich umsetzt. Führt doch England allein alle Jahre für 380 Millionen Mark davon ein.
Noch wichtiger ist der Käse, dessen Bereitung die Nachahmung eines Naturvorgangs ist. Indem der primitive Viehzüchter die geronnene Milch, für die er augenblicklich keine Verwendung besaß, nicht verkommen lassen wollte, suchte er den aus ihr gepreßten Käsestoff durch Zugabe von Salz zu konservieren. So finden wir den Käse schon in sehr alten Urkunden erwähnt, ja er scheint im allgemeinen sogar noch älter als die Butter zu sein. Bei Homer spielt er schon eine große Rolle, auch die alten Ägypter und Juden kannten ihn, ebenso die Griechen und Römer. Der römische Ackerbauschriftsteller Columella im 1. Jahrhundert n. Chr. gibt uns eine ausführliche Beschreibung seiner Bereitung, die im wesentlichen nicht von der auch heute noch gebräuchlichen abweicht. Wie er, so unterschied auch der ältere Plinius bereits viele Sorten von Käse (caseus), unter denen die Schaf- und[S. 720] Ziegenkäse bei den Römern die gebräuchlichsten waren. Damals begnügten sich die vornehmen Römer, die „Herren der Welt“ als Feinschmecker schon lange nicht mehr mit den Käsearten, die ihnen die heimische Landwirtschaft bescherte, sondern importierten die wohlschmeckenden Sorten von überall her, besonders aus dem rätischen Alpenlande und aus manchen Gegenden des südlichen und mittleren Frankreich, die noch gegenwärtig durch ihre vorzüglichen Produkte bekannt sind.
Heute ist die Käsebereitung über die ganze Erde verbreitet und der Käse ist ein Großhandelsprodukt geworden, das in manchen delikaten Spezialprodukten geradezu Weltruf wie gewisse Edelweine erlangt hat. Überall, wo viel Milch produziert wird, die infolge erschwerter Abfuhr wie auf den Alpen oder sonst von den Verkehrsstraßen abgelegenen Gegenden nicht anders verwertet werden kann, wird Käse bereitet, und zwar beträgt die Ausbeute von 100 kg Milch 12–15 kg weichen Fettkäses wie Brie oder Camembert, 9–11 kg Weichkäses, 7–9 kg Hartkäses, 5–8 kg halbfetten und 4–6 kg mageren Hartkäses. Viel öfter als die Milch einfach der Säuerung zu überlassen, bringt man sie durch das Labferment zum Gerinnen, wobei die als Parakaseïn bezeichnete Verbindung des Eiweißkörpers Kaseïn mit Kalk ausfällt. Da man es bei der natürlichen Gerinnung der Milch durch die Milchsäurebakterien mit dem Kaseïn zu tun hat, so ist also schon der Grundstoff bei der Bereitung von Sauermilch- und von Labkäse ein verschiedener. Ferner hat man es bei der Käsereifung in der Hand, den Grundstoff noch in anderer Weise verschieden zu gestalten und dadurch nach Belieben Hart- oder Weichkäse zu erzeugen. Läßt man nämlich die Gerinnung durch das Labferment bei niedriger Temperatur langsam vor sich gehen, so schließt die ausfallende Masse noch eine Menge Flüssigkeit ein, wird davon schwammig und bleibt weich. Geschieht dagegen die Labgerinnung sehr rasch, unterstützt von stärkerem Erwärmen, so scheidet sich der Gerinnungskuchen in kompakter Form ab, enthält weniger Flüssigkeit und wird hart. Selbstverständlich gibt es alle Übergänge von den härtesten Käsen wie Parmesan über die mittelharten wie Emmentaler bis zu den allerweichsten wie Brie und Camembert. Ferner ergibt sich natürlicherweise ein Unterschied, ob man den Käse aus Magermilch oder Fettmilch, aus Kuh-, Ziegen- oder Schafmilch herstellt. Aber auch der Verlauf der Entwicklung bei der weiteren Behandlung ist von großem Einfluß. Denn Hartkäse reifen durchaus anders als Weichkäse. Alle diese Momente bringen es mit sich, daß es so viele verschiedene Arten von Käse als Landstriche gibt.[S. 721] Gerade wie beim Wein die Beschaffenheit der Traube den einen, und die Gärung den andern Faktor darstellt, so ist es auch beim Käse; den einen Faktor bildet der Rohkäse, den andern die Mikroben und die Behandlung bei der Reifung.
Daß die Käsereifung ein Gärungsvorgang im weiteren Sinne des Wortes darstellt, hat zuerst der Breslauer Botaniker Ferdinand Cohn erkannt. Seither ist dieser Vorgang eifrig studiert worden, nicht nur aus wissenschaftlichem, sondern vor allem auch aus praktischem Interesse, um durch Reinzüchtung guter Bakterien die Käserei auf rationelle Grundlage zu stellen und die Produzenten vor Mißgriffen und Schäden zu bewahren.
In jedem Käse haben wir eine äußerst komplizierte Anhäufung von Bakterien, die in jedem verschieden sind und sich gegenseitig fördern oder stören können. Sie spalten teilweise das Kaseïn, vergären den Milchzucker in Milchsäure und bilden aus dieser und aus dem Eiweiß Buttersäure und ähnliche fette Säuren. Ferner wird das Fett der Milch gespalten und dabei werden spezifische Geruchs- und Geschmacksstoffe erzeugt, die dem Käse sein spezifisches Aroma verleihen. Außer Bakterien finden sich aber auch noch Hefen und Schimmelpilze im Käse; letztere sind sogar bei der Reifung einiger Käse unentbehrlich; ja, in dem nach einem Dorf im französischen Departement Aveyron im westlichen Südfrankreich als Roquefort bezeichneten berühmten weichen Käse aus Milch von Kurzschwanzschafen werden sie sogar, und zwar eine „edle“ Spielart des grünen Pinselschimmels (Penicillium glaucum), künstlich zugesetzt und vermehren sich darin zu ganzen Nestern, die an ihrer grünlichen Farbe zu erkennen sind.
Bei den Hartkäsen beginnt nach einer unbedeutenden ersten Phase der Eiweißspaltung durch die Fermente zunächst eine allerdings nicht sehr erhebliche Milchsäuregärung. Neben ihr und nach ihrem Ablauf beginnen die eiweißabbauenden, sogenannten peptonisierenden Bakterien ihre Tätigkeit, wobei sie durch die Milchsäure etwas in Schranken gehalten werden, damit nicht eine übermäßige Zerspaltung des Eiweißes und eine richtige Fäulnis durch die echten Fäulnisbakterien eintrete. Diese unter Ausschluß von Sauerstoff vor sich gehende Gärung findet in der ganzen Käsemasse gleichmäßig statt. In den Abbaustoffen des Eiweißes finden wieder andere Bakterien, wie vor allem der Bacillus nobilis, günstige Wachstumsbedingungen und bilden neben Milchsäure die charakteristisch riechende Buttersäure und die anderen Aromastoffe. Ferner siedeln sich Schimmel- und andere Pilze an. So wird durch[S. 722] das Ineinandergreifen der verschiedensten Mikroben eine Umwandlung der geschmacklosen Rohstoffe bewirkt, die schließlich den reifen Käse mit seinem spezifischen Wohlgeschmack hervorgehen lassen.
Anders verläuft die Reifung bei den Weichkäsen. Zugleich mit der Molke enthalten sie viel mehr Milchzucker. Die infolgedessen sehr energisch vor sich gehende Milchsäuregärung verhindert im Innern des Rohkäses die Entwicklung aller anderen Keime. Alle diese Käse bleiben deshalb anfänglich im Innern weiß, unvergoren und sauer, wie der Rohstoff, aus dem sie bereitet werden. Nur von außen beginnen allmählich die peptonisierenden Bakterien ihr Werk; so reift der Käse von außen nach innen, bis er „durch“ ist. Dabei sind Pilze nötig, die die störende Milchsäure verzehren, und dies tun vor allem die Schimmelpilze, die dadurch den eiweißspaltenden und hernach wieder anderen Bakterien Existenzbedingungen schaffen. Schimmelpilze bedürfen aber zu ihrem Gedeihen unbedingt freien Sauerstoffs, und deshalb siedeln sie sich nur außen herum an.
Ein gutes Beispiel für die Beteiligung von Schimmelpilzen an der Reifung von Weichkäse bietet der Briekäse aus der Landschaft Brie im nördlichen Frankreich zwischen Seine und Marne, der immer mit einer dicken Schicht davon überzogen ist. Der Pilz ist ein naher Verwandter des für den vorhin genannten Roquefort maßgebenden grünen Pinselschimmels, nämlich Penicillium album. In der für die Herstellung des nordholländischen runden, innen schön gelben und außen durch Orlean hübsch rotgefärbten Edamer Käses verwandten „langen Wei“, einer fadenziehenden Molke, spielt ein Oidium eine wichtige Rolle. Es stellt diese Flüssigkeit wenn nicht eine Reinkultur, so doch eine sehr gute Kultur eines für die betreffende Käsereifung sehr wichtigen Pilzes dar und bietet eines der wenigen Beispiele einer seit langem geübten absichtlichen Beeinflussung des Reifungsvorganges von Käse. Ein anderes stellt der bereits erwähnte Zusatz von Penicillium glaucum zum Roquefortkäse dar. Um nun dem Schimmelpilz ein von Bakterien ungestörtes Wachstum zu verschaffen, wird der ganze Prozeß anders, vor allem bei sehr niedriger Temperatur, in Felsenhöhlen, durchgeführt, und um dem Pilz den für ihn unentbehrlichen Sauerstoff zuzuführen, wird der Käse mit langen Nadeln durchbohrt und werden so Luftlöcher erzeugt.
Die wissenschaftliche Heranzüchtung reiner Pilzkulturen für die Käsereifung hat diesen alten Praktiken kaum neue an die Seite zu stellen gewußt. Anfänge zu einer systematischen Benutzung edler Käse[S. 723]bakterien sind allerdings bereits gemacht worden, doch begnügt man sich in der Regel, heute wie vor Tausenden von Jahren mit der Gärung, wie sie die natürliche Flora der betreffenden Käse mit sich bringt. Die Bakterien gelangen aus der Luft und durch Verunreinigungen in die Milch und wachsen dann im Käsekeller aus. Dabei bleibt vieles dem Zufall überlassen, so daß es kein Wunder ist, daß auch dem geübten Käser trotz aller aufgewandten Mühe und Sorgfalt manche Reifung mißlingt, wenn sich Bakterien im Käse einnisten, die unerwünschte Gärungen darin bewirken, so daß das Produkt bitter, fleckig, allzu faulig und mit Gasblasen durchsetzt usw. wird. Wenn nun auch die uralte Empirie meist mit überraschender Sicherheit die besten Bedingungen erkannt hat, die solche fast unvermeidliche Nebengärungen auf ein Mindestmaß beschränken, so wird auch das Käsegewerbe einmal dazu gelangen, von sterilen Rohstoffen auszugehen und diesen die spezifischen Keime in Reinkultur zuzusetzen, um stets ein mit Sicherheit tadelloses Produkt zu erzielen, wie wir solches in idealer Weise bei der Bierbrauerei verwirklicht sehen.
Übrigens werden in manchen Gegenden dem Käse auch gewisse aromatisch riechende Kräuter beigemischt und dadurch Kräuterkäse erzeugt. Dies ist besonders in Griechenland und im Orient der Fall, ebenso bei uns in manchen Alpengegenden, so vor allem im Kanton Glarus in der Schweiz, wo durch Beigabe von feinpulverisiertem getrocknetem Bisamhonigklee (Melilotus coerulea), der aus Nordafrika stammt und dort angebaut wird, der nach ihm duftende und durch ihn grünlich gefärbte Schabzieger hergestellt wird, der weithin exportiert wird. Diese Käsesorte muß schon sehr lange dort fabriziert werden; denn sie wird schon im 13. Jahrhundert als gebräuchliches Landesprodukt erwähnt.
Wie nun verschiedene Bakterienarten bei der Reifung des Hartkäses und dazu noch gewisse Schimmelpilze bei derjenigen des Weichkäses eine wichtige Rolle spielen, so tun es andere bei der Erzielung anderer Nahrungsmittel. So haben wir die Kultur eines Schimmelpilzes, des Aspergillus oryzae, bei der Bereitung des japanischen Nationalgetränkes Saké kennen gelernt. Dieser Pilz enthält ein sehr kräftiges diastatisches Ferment, die sogenannte Takadiastase, die Stärke energisch spaltet und in Zucker überführt. Bei der Sakébereitung werden dann die Zuckerstoffe durch Saccharomyceten, die der Kojihefe beigemengt sind, vergoren. Seit alters her aber macht man von demselben Schimmelpilz in Japan noch eine andere, wirtschaftlich minde[S. 724]stens ebenso wichtige Anwendung, nämlich zur Bereitung der dem Japaner unentbehrlichen Würzmittel des Shoju und des Miso, die beide aus den Sojabohnen, einer der Hauptkulturpflanzen Japans gewonnen werden. Da diese Hülsenfrüchte selbst in gekochtem Zustande schwer verdaulich sind, wird durch Beigabe solcher ebenfalls aus ihnen bereiteter Würze die Absonderung der Verdauungssäfte zu ihrer leichteren Bewältigung angeregt. Die Sojasauce Shoju wird, wie wir bereits früher mitteilten, aus halbgar gekochten Sojabohnen mit Beigabe von geröstetem Weizenmehl und Salz in der Weise gewonnen, daß man die auf gedämpftem Reis gezüchteten Kulturen des Aspergillus oryzae hinzufügt. Nachdem der Pilz drei Tage hindurch sich gründlich in dem Gemisch vermehrt und dasselbe ganz durchwuchert hat, wird Salzwasser hinzugegeben und die Masse in großen Holzkübeln bei möglichst geringer Temperatur viele Monate, ja bis zu fünf Jahren, einer Gärung unterworfen, bei der auch verschiedene andere Pilze als der vorhin genannte, so ein milchsäurebildendes Bakterium und ein alkoholbildender Hefepilz (Saccharomyces soya), eine wichtige Rolle spielen. Der Hauptvorgang dabei ist eine weitgehende Aufspaltung sowohl der Kohlehydrate der Samen wie ihrer Eiweißsubstanzen durch die Fermente des Schimmelpilzes. Es finden sich tatsächlich in der schließlich resultierenden, ziemlich dickflüssigen, braunen Shojusauce nur noch die Abbaustoffe der Eiweißkörper, in ähnlicher Weise wie sie im Liebigschen Fleischextrakt vorhanden sind. Sie geben ihm vorzugsweise den aromatischen Geschmack und die die Absonderung der Verdauungssäfte anregende Wirkung der schon durch den sehr hohen Kochsalzgehalt von etwa 15 Prozent sehr starken Würze zu der an sich reizlosen, vorzugsweise aus Reis oder Sojabohnen mit getrockneten Fischen bestehenden Kost der Japaner. Der Verbrauch dieses neuerdings in der ganzen Kulturwelt Eingang findenden und den wichtigsten Bestandteil der berühmten englischen Worcestersauce bildenden Shoju beträgt in Japan rund 6 Liter auf den Kopf der Bevölkerung.
Ebenfalls mit Hilfe der Kojihefe wird der dem Shoju ähnliche Miso aus einem Brei von gekochten Sojabohnen gewonnen; nur ist er ein weniger durchgreifend vergorenes Produkt, das mehr unveränderte Stoffe enthält und ebenfalls in sehr großen Mengen, etwa 30 Millionen kg jährlich, in Japan verbraucht wird. Die in China gleichfalls viel gebrauchte Sojasauce wird in etwas anderer Weise hergestellt. Man benutzt dazu andere Varietäten der Sojabohne, die, gekocht und mit Blättern einer Eibischart (Hibiscus) bedeckt, einige[S. 725] Tage sich selbst überlassen werden, wobei sich dann spontan der als Aspergillus wentii bekannt gewordene Schimmelpilz ansiedelt. Man läßt den Pilz sich nur kurze Zeit in der Masse entwickeln, so daß nur eine sehr oberflächliche Gärung eintritt, kocht dann auf und versetzt sie mit Sternanis und allerlei aromatischen Kräutern. Eine eigentliche Zucht dieses Pilzes findet also nicht statt.
Bei uns und in der ganzen von Europäern beeinflußten Kulturwelt sehr wichtig und deshalb von volkswirtschaftlich großer Bedeutung sind die vornehmlich durch die Milchsäurebakterien hervorgerufenen sauren Gärungen von Futtermitteln und Gemüsen, um sie haltbar zu machen und ihnen gleichzeitig einen bestimmten Wohlgeschmack und größere Verdaulichkeit zu verleihen. Dieses Verfahren der Säuregärung als sehr wirksames und bequemes Konservierungsverfahren für allerlei sonst wenig haltbare Pflanzenprodukte ist von Osten, von den Slawen zu uns nach Mitteleuropa gekommen. Die Slawen ihrerseits lernten sie vermutlich von den Tataren kennen, welche die Milchsäuregärung von der beim Aufbewahren gerinnenden Milch reichlich kennen zu lernen Gelegenheit hatten. Noch heute spielen diese Konservierungsmethoden in Rußland eine ganz andere Rolle in der Wirtschaft als bei uns. Meist sind diese Verfahren noch Eigentum der Hausfrau und dann wissenschaftlich noch wenig untersucht, zum Teil aber wie die Sauerkraut- und Gurkengärung zu großen Industrien geworden und dann etwas besser erforscht.
Ob es sich nun um Gras, Klee oder Rübenschnitzel zum Zwecke von Bereitung von „Sauerfutter“ oder um Einlegen von Kraut, Gurken und anderen Früchten zur Herstellung von Sauerkraut, sauren Gurken usw. handelt, die Hauptsache bleibt immer dieselbe: die Pflanzenteile werden in größeren oder kleineren Stücken, mit oder ohne Wasser, mit oder ohne Kochsalz, gekocht oder roh, fest zusammengepreßt und einer von selbst einsetzenden, ganz oder fast ganz unter Luftabschluß vor sich gehenden Gärung überlassen. Sobald dann die Pflanzenteile, meist infolge von Luftmangel abgestorben sind, beginnen die daran haftenden Bakterien, Hefen, Schimmel- und andere Pilze unabhängig voneinander ihr Werk. Die mannigfaltigsten Zersetzungen, Eiweißzerfall, Gasgärung aus der Zellulose, Alkoholgärung, Buttersäure-, Milchsäure- und andere Gärungen gehen vor sich, bis schließlich wie so häufig, die Milchsäurebakterien in dem Gemisch von winzigen Lebewesen Sieger bleiben und durch zunehmende Bildung von Milchsäure, die dem ganzen Produkt den Stempel der Säuerung aufdrückt,[S. 726] die anderen Organismen zurückdrängen. An diese auf die vielseitige Vorgärung folgende Hauptgärung schließt sich als dritter Akt die Nachgärung an, bei welcher die Milchsäurebildner, zum Teil unter der Wirkung der von ihnen selbst gebildeten Säure zurückgehen und die Hefen, Schimmelpilze und Oidien aufkommen. Alle diese sind Säureverzehrer; als solche bringen sie die Milchsäure langsam zum Schwinden und verleihen außerdem dem Gärgemisch besondere, mehr oder weniger angenehme aromatische Stoffe, die den Geschmack dementsprechend verändern. Geht der Prozeß weiter, so werden durch das Verschwinden der Milchsäure wieder anderen Mikroben günstige Existenzbedingungen geschaffen, und so können eiweißzerstörende Fäulnispilze zur Entwicklung gelangen, die schließlich eine eigentlich faulige Gärung bewirken und so die Konserve völlig für Mensch und Tier ungenießbar machen. Dann geht das Produkt für den Konsum verloren. Sache des Herstellers ist es also, die Vorgänge zu geeigneter Zeit zu unterbrechen und es nicht zu einer eigentlichen Fäulnis kommen zu lassen.
Diese großen Züge des Gärungsprozesses erfahren im ganzen nur unwesentliche Veränderungen durch die mancherlei technischen Abänderungen. Wurde das Leben der Pflanze durch Abkochen getötet, so gehen zwar dabei viele der ihr anhaftenden Keime zugrunde, stets aber bleiben die Sporen der die Milchsäuregärung erregenden Mikroben erhalten, die dann beim späteren Auswachsen rasch eine solche saure Gärung bewirken. Wird viel Kochsalz hinzugesetzt, das den Hauptzweck hat, durch Wasseranziehung den Saft aus den Pflanzenzellen herauszuziehen und diese zur besseren Konservierung zu durchdringen, so wird damit auch gleichzeitig der Erfolg erreicht, daß gewisse Organismen, die diesen Gehalt an Kochsalz nicht ertragen können, ausgeschaltet werden. Wieder andere Bedingungen schafft es, wenn man gar keine oder etwas Luft zuläßt, ob man die Gärung bei sehr hoher oder niedriger Temperatur vor sich gehen läßt, beziehungsweise ob man die starke Selbsterhitzung, die gewöhnlich als ein Zeichen der Gärung eintritt, duldet oder vielmehr für Abkühlung sorgt.
Am besten ist die Gärung des Sauerkrautes studiert. Der zerschnittene Kohl wird roh ohne Wasser, aber mit 0,5–2 Prozent Salz und etwas Gewürzen eingestampft, festgepreßt und so unter Luftabschluß einige Wochen vergoren. Bei der sonst ähnlichen Darstellung des russischen Schtschi wird dagegen die Luft nicht völlig abgeschlossen. Die erste Zersetzung, die sogenannte Schaumgärung, erfolgt vorwiegend durch Hefepilze; dann folgt eine ziemlich reine Milchsäuregärung, bei[S. 727] der sich keine flüchtigen Säuren bilden und die von der Temperatur ziemlich unabhängig ist. Hierauf beginnt, und zwar meistens von außen her, das Abnehmen der Säure unter dem Einfluß der nie fehlenden Kahmpilze der Gattung Mycoderma, die sehr viel Sauerstoff verbrauchen und hier wie anderswo, z. B. beim Wein, leicht eine faulige Zersetzung bewirken. Es muß deshalb ihr Dringen in die Tiefe durch hermetischen Luftabschluß verhindert werden, soll nicht das Sauerkraut ungenießbar werden.
Ähnlich verhält sich der Prozeß bei den sauren Gurken; nur wirken hier bei der starken anfänglichen Schaumgärung auch Mitglieder der artenreichen Gruppe des Bacterium coli (d. h. Dickdarmbakterium, so genannt, weil er als Fäulniserreger im Dickdarm eine große Rolle spielt) mit. Wenn dann nicht bald eine kräftige Milchsäuregärung einsetzt, so werden die Gurken schlaff, schmecken matt und gehen leicht in Fäulnis über. Gegen diese gefürchteten Milchgärungen ist der Zusatz von etwa 4 Prozent Kochsalz ein viel angewandtes Mittel. Auch wird Zufuhr von Traubenzucker empfohlen, um die Milchsäurebildung durch den dem Colibazillus nahe verwandten Milchsäurebazillus recht kräftig in Gang zu bringen.
Auch sonst spielen Gärungserreger bei der Gewinnung der verschiedensten Pflanzenprodukte eine große Rolle. So erhitzt sich nicht ganz trocken eingefahrenes Heu oder Emd durch solche bis zur Selbstentzündung, was schon sehr viele Brände und großen Schaden verursachte. Sehr wichtig ist ihre Tätigkeit bei der Gewinnung der Rohprodukte für die Spinnerei wie Flachs, Hanf, Jute, Manilahanf und ähnliche Stoffe, die gerottet werden müssen, um die einzelnen Bastfasern voneinander zu trennen. Die letztere verbindende Kittsubstanz besteht vorwiegend aus Pektinstoffen, d. h. komplexen Kohlehydraten, ähnlich, aber aus anderen Zuckerarten zusammengesetzt wie die Zellulose oder der Holzstoff der Pflanzenfasern und am nächsten mit den Pflanzenschleimen verwandt. Indem man diese bastliefernden Pflanzen zum Rotten in Bündeln in Teiche oder Gruben mit Wasser versenkt, und mit Steinen beschwert, werden in ihnen zuerst die Eiweißstoffe von den allgegenwärtigen Mikroben aufgezehrt und verfaulen, die Kohlehydrate gehen in Milch- und Buttersäure über usw. In dem Maße als das Nährmaterial für diese Pilze verschwindet, treten sie zurück, um denjenigen Platz zu machen, die, wie die Granulobakter- und Clostridiumarten die für jene unbrauchbaren Pektinstoffe durch ein von ihnen ausgeschiedenes Ferment, die Pektinase, in die entsprechenden Zucker[S. 728]arten spalten und für sich verwenden. Seit dem Jahre 1852 wurde diese Erkenntnis von einigen Technikern ausgesprochen und dann experimentell bestätigt. Seit einigen Jahren suchte man auch Gewinn daraus zu ziehen, indem man Rohzuchten aus den Abfallwässern künstlich den Rotten zusetzte, um die Wirkung zu beschleunigen. Indessen hat die Verwendung wirklicher Reinkulturen, wie solcher des Granulobakter, noch keine besonders günstigen Erfolge gebracht; anscheinend muß eine Art Symbiose mit anderen Mikroben bestehen, die erst gute Resultate beim Rotten erzielt. Man begnügt sich in der Praxis meist damit, die Rotte so zu leiten, daß die Bedingungen für den Granulobakter und die übrigen Pektinvergärer recht günstige werden. Dazu führt man die Gärung bei relativ hoher Temperatur von etwa 25 bis 35°C. durch und wechselt das Wasser öfter, um die Milchsäurebazillen usw. immer wieder zu entfernen. Indem allen anderen Keimen allmählich die Nährstoffe ausgehen, erhält man schließlich eine Reinkultur der Pektinvergärer.
Viel langsamer als diese Wasserrotte geht die Land- oder Taurotte vor sich, bei welcher der Flachs oder andere solche Faserpflanzen auf Wiesen ausgebreitet und der Befeuchtung durch Regen und Tau überlassen bleiben. Bei diesem Vorgange sind es weniger die pektinvergärenden Spaltpilze als höhere Pilze, namentlich Schimmelpilze der Gattung Mucor und Fadenpilze, welche durch Ausscheidung von Pektinase die Pektinstoffe in Zucker auflösen, den sie für sich verbrauchen, dabei aber auch die Zellulose angreifen, also die Fasern selbst beschädigen. Neuerdings ist die moderne Industrie bestrebt, überhaupt die Tätigkeit von Mikroben beim Gewinnen der Faserstoffe auszuschalten und die Pektinstoffe durch erhitzten Wasserdampf oder auch Alkalien zu spalten.
Auch bei der Verarbeitung der Häute zu Leder spielen die verschiedensten Mikroorganismen eine wichtige Rolle. Damit die rohen Häute nicht von den die Eiweißstoffe derselben lösenden Fäulniserregern aufgelöst und verdorben werden, trocknet man sie oder entzieht ihnen das Wasser durch Kochsalz, Glaubersalz oder Gips. Neuerdings sterilisiert man sie auch mit Formalin. Um die solchermaßen getrocknet versandten Häute zu verarbeiten und die Haare aus ihnen zu entfernen, kommen sie in die sogenannten Weichen, wobei die äußerste Schicht von den gewöhnlichsten Fäulniserregern, den Proteusarten, zerstört wird und die Haare ausfallen. Durch Halten der Felle bei niedriger Temperatur, die 12°C. nicht überschreiten soll, sucht man zu[S. 729] verhüten, daß die Fäulnis nicht zu weit greife und die eigentliche Haut verdorben werde. Neuerdings aber ersetzt man diesen etwas gefährlichen Prozeß der Bakterienwirkung durch chemische Mittel, indem man die Häute der Einwirkung von Schwefelalkalien und ähnlichen Enthaarungsmitteln aussetzt.
Die so enthaarten Häute werden dann gewaschen, um den Kalk aus ihnen zu entfernen. Dabei greifen allerlei Bakterien die Plasmasubstanz derselben an, was man bei manchen Häuten, die zu weichem Leder, wie Oberleder, verarbeitet werden sollen, nicht ungern sieht. Bei Kernleder, welchem solches schädlich ist, sucht man, um dem entgegenzuwirken, das Auswaschen durch fleißiges Bewegen der Häute zu beschleunigen und setzt, um den Kalk schneller zu beseitigen, etwas Säure hinzu.
Dann folgt das Beizen, wozu man von alters her die aus Exkrementen von Vögeln oder Hunden bereiteten Mistbeizen benutzt. Manche Naturvölker, wie die Eskimos, verwenden dazu faulenden Urin, den sie zu diesem Zwecke sorgfältig in ihren Hütten sammeln und aufbewahren, was allerdings den Aufenthalt in ihren Behausungen für die Europäer wegen des damit verbundenen üblen Geruches nicht gerade angenehm macht. Solche von Bakterien wimmelnden Mistbeizen dienen vor allem zur Bereitung von weichen und geschmeidigen Ledersorten. Die Bakterien dieser Beizen, unter denen Fäulnispilze und Säurebildner die Hauptrolle spielen, sollen die Plasmasubstanz der Häute auflockern und den Kalk vollständig ausziehen. Nun haben natürlich solche Beizen, ganz abgesehen von ihrem scheußlichen Gestank, noch den großen Übelstand, daß die unkontrollierbaren Bakteriengemenge unter Umständen durch zu weitgehende Wirkung den Häuten schweren Schaden zufügen. Man ist deshalb wie in anderen Gärungsindustrien, so auch in dieser dazu geschritten, sie durch künstlich gezüchtete Nutzbakterien zu ersetzen. Der erste Schritt dazu war die Züchtung der Gesamtkeime des Hundekotes auf künstlichen, mit Fleischbrühe versetzten Nährböden, wobei man wenigstens ein einigermaßen einheitliches, beständiges Mittel in die Hände bekam. Man hat aber weiterhin auch schon eigentliche Reinkulturen erhalten, so eine von einem Bacterium erodiens, die als Erodin in den Handel gelangt und von den Fachleuten günstig beurteilt wird.
Neben der Mistbeize benutzt man bei gewissen Ledersorten, z. B. Handschuhleder, das vornehmlich aus Häuten junger Ziegen bereitet wird, noch die Kleienbeize, in der ebenfalls ein bestimmter Gärungs[S. 730]erreger, der Kleiebazillus, die Hauptrolle spielt. Er erzeugt eine Gasgärung, durch welche die Fasern des Leders gelockert werden. Auch bei dieser Art von Beizung treten oft durch Milchsäure- und Buttersäuregärung Schädigungen der Leder ein, oder es entsteht eine solche durch Fäulnis oder durch eine eigenartige Schleimbildung, die dem Leder dauernd den Glanz raubt und durch den großen Bacillus megatherium verursacht wird. Bisweilen verwendet man kombinierte Beizen, in denen Mist und Kleie gleichzeitig gären; in ihnen spielt der Heubazillus (Bacillus subtilis) eine günstige Rolle.
Ist die Beizung vollendet, so kommen die Häute in die Gerbbrühen, in denen wiederum ausgedehnte Gärprozesse vor sich gehen, da sich darin trotz des reichen Gerbstoffgehaltes alle möglichen Bazillen in sehr lebenskräftiger Verfassung vorfinden. Dabei haben auch die Fäulnisbakterien ihre praktische Bedeutung, indem sie neben der Lockerung des Gefüges der Haut aus den Eiweißkörpern etwas lösliche Stickstoffsubstanzen abspalten, die nun den eigentlichen Gärungsorganismen zur Nahrung dienen können. Neben einer geringen Alkoholgärung durch Hefen bilden sich auch allerlei Säuren, besonders Milch- und Essigsäure, die die Hautfasern zur Schwellung bringen, wobei sie sich besonders reich mit Gerbstoff vollsaugen, also sehr energisch gegerbt werden.
Auch das fertige Leder ist beim Lagern der Wirkung von allerlei Mikroorganismen ausgesetzt, die eine Zerstörung durch Stockflecke oder Vermoderung bewirken. Bei weichen Ledern kommt es zu einem „Dumpfwerden“ oder einer Verschleimung, einem Prozesse, der mit starker Erwärmung verbunden ist und in mäßigen Grenzen absichtlich herbeigeführt wird, weil das Leder dadurch leichter festgestampft werden kann und sich auch besser färben läßt. Natürlich muß dieser Prozeß sorgsam überwacht werden, weil er sonst zu einer weitgehenden Verschleimung des Leders und damit verbundener geringer Haltbarkeit führt.
Auch die für die Veredelung des Tabaks unbedingt notwendige Fermentation der nach der Trocknung auf einen Haufen zusammengepackten Tabakblätter wird durch mehrere hintereinander arbeitende Bakterien, die man isoliert hat, bewirkt. Dabei steigt die Temperatur auf 50°C und mehr und stellt sich in einem feuchten Klima das „Schwitzen“ ein, das aber in einem trockenen unterbleibt. Dabei wird im Haufen zuerst der Sauerstoff verbraucht, es verschwinden der lösliche Zucker und einige Eiweißspaltprodukte, vor allem das Asparagin. [S. 732] Durch chemische Umsetzungen verschwindet dann bei Sauerstoffabschluß auch ein Teil — etwa 30 Prozent — des giftigen Nikotins und entwickeln sich außer Buttersäure (nicht aber Milchsäure) die chemisch noch völlig unbekannten Aromastoffe. Auf die Hauptfermentation folgt teils vor, teils erst nach der Verpackung des Tabaks in Fässer eine langsame Nachgärung, zu deren Einleitung er häufig durch Besprengen mit zuckerhaltigen Saucen vorbereitet wird. Auch der Schnupftabak wird vergoren, wobei die Temperatur so hoch steigt, daß die meisten Mikroben darin absterben. Die dabei stattfindenden chemischen Umsetzungen sind ebensowenig bekannt als diejenigen bei der Reifung des Kautabaks, bei welcher ebenfalls Mikroben tätig sind.
Ganz ungeheuer wichtig sind die Umsetzungen zahlloser Mikroorganismen bei den verschiedensten Prozessen der Landwirtschaft. Der lockere Boden ist bis ziemlich tief hinab mit unvorstellbaren Mengen der verschiedensten Bakterien erfüllt, die sehr zahlreiche Umsetzungen bewirken, wodurch den höheren Pflanzen erst die Existenz ermöglicht wird. Aus Ammoniak und Ammoniumsalzen oxydieren die durch die Ausbildung von herumschwärmenden beweglichen Keimen charakterisierten Nitrosomonaden Nitrite oder salpetrigsaure Salze, die von den unbeweglichen Nitromonaden weiter mit Sauerstoff zu Nitraten oder salpetersauren Salzen verbunden werden, die dann den Pflanzen als Stickstoffquelle dienen. Alle in den Boden gelangenden organischen Substanzen, seien es Ausscheidungen oder Leichen von Tieren und Pflanzen, werden von den verschiedensten Bakterien immer weiter gespalten und schließlich in einfache Verbindungen aufgelöst, die dann von den Pflanzen als ihre Nahrung aufgenommen zu werden vermögen. Neben solchen, die die Umsetzungen des Stickstoffs besorgen, haben wir welche, die den Hauptanteil am Zerfall der Kohlenstoffverbindungen haben und dahin arbeiten, daß die Kohlensäure wieder in den Kreislauf der Natur zurückgegeben wird. Gleichzeitig werden bei diesen Zerfallprozessen die wertvollen Aschenbestandteile, die fest in der organischen Materie gebunden sind, herausgelöst und dadurch als Nährsalze für die Pflanzen verfügbar.
Manche Bakterien, wie beispielsweise das mit den Buttersäurebazillen verwandte Clostridium pasteurianum, das für gewöhnlich anaerob, d. h. ohne des Sauerstoffs der Luft zu bedürfen, lebt, aber auch bei Gegenwart von sauerstoffliebenden Bakterien bei Anwesenheit von Luft fortkommt, assimilieren den freien Stickstoff der Luft und führen ihn in lösliche Verbindungen über. Diese Eigenschaft, die für[S. 733] die Pflanzenwelt mit ihren beschränkten Stickstoffquellen von der größten Bedeutung ist, kommt auch den Fadenpilzen zu, die sich mit grünen Algenzellen zu Flechten vergesellschaften, wie auch den in den Wurzeln der Leguminosen oder Schmetterlingsblütler in Symbiose mit diesen lebenden Knöllchenbakterien. Es kann hier nicht der Ort sein, auf die komplizierten, sich gegenseitig in die Arme arbeitenden Vereinigungen der winzigsten, dem gewöhnlichen Auge vollkommen unsichtbaren Lebewesen miteinander und mit den höheren Pflanzen einzugehen. Ich habe dies an anderer Stelle getan und verweise die sich dafür Interessierenden auf den achten Abschnitt des früher von mir erschienenen Buches: Das Leben der Erde,[3] in welchem im achten Abschnitte, betitelt Pflanzengenossenschaften, von Seite 561–586 diese wichtigen Symbiosen und ihre Bedeutung für den Kreislauf des Stoffes in der Natur eingehend besprochen wurden.
[3] Es ist dies der zweite Band der in demselben Verlage erschienenen vierbändigen gemeinverständlichen Entwicklungsgeschichte des Naturganzen nach den neuesten Forschungsergebnissen: Vom Nebelfleck zum Menschen, betitelt: Das Leben der Erde, mit 380 Abbildungen und 21 Vollbildern, München 1908.
Verlag von Ernst Reinhardt in München
Auf der Weltausstellung 1910 in Brüssel mit dem „Großen Preis“ ausgezeichnet
Vom Nebelfleck
zum Menschen
Eine gemeinverständliche Entwicklungsgeschichte des Naturganzen nach den neuesten Forschungsergebnissen von Dr. Ludwig Reinhardt
4 starke Bände in eleg. Lwd. von zusammen 3000 Seiten
mit über 1600 Illustrationen im Text und gegen 80 Tafeln und Karten
Preis M. 37.50
:: :: :: Jeder Band ist in sich abgeschlossen und einzeln käuflich :: :: ::
Bd. I: Die Geschichte der Erde. Mit 194 Abbildungen im Text, 17 Volltafeln und 3 geologischen Profiltafeln, nebst farbigem Titelbild von A. Marcks. 600 Seiten Gr.–8o. In elegantem Leinwandband Preis M. 8.50. (Erscheint soeben in zweiter verbesserter und vermehrter Auflage.)
Inhaltsverzeichnis:
I. Wie das Weltbild entstand. II. Die Sternenwelt. III. Unser Sonnensystem. IV. Die Erde und der Mond. V. Die Kometen und Meteore. VI. Die Erstarrungsgesteine der Erde. VII. Der Vulkanismus. VIII. Die Schichtgesteine. IX. Die Gebirgsbildung. X. Wasser und Land. XI. Der Kreislauf des Wassers. XII. Die Verwitterung der Erdoberfläche. XIII. Die Abtragung des Festlandes.
Bd. II: Das Leben der Erde. Mit 380 Abbildungen, 21 Tafeln, 2 Stammbäumen und farbigem Titelbild nach Aquarell von Prof. Ernst Haeckel. 650 Seiten Gr.–8o. In elegantem Leinwandband Preis M. 8.50.
Inhaltsverzeichnis:
I. Das Leben und seine Entstehung. II. Die Entfaltung des Lebens. III. Die Erscheinungen des Lebens. IV. Die Funktionen des Lebens. V. Die Entwicklung des Lebens. VI. Die Ausbildung der Tiere. VII. Die Ausbildung der Pflanzen. VIII. Das Ende des Lebens. IX. Der Schutz des Lebens. X. Die Abstammungslehre. XI. Über Symbiose. XII. Vergesellschaftungen von Tieren und Pflanzen. XIII. Pflanzengenossenschaften. XIV. Schmarotzertum.
Bd. III: Die Geschichte des Lebens der Erde. Mit 424 Abbildungen, 18 Tafeln, 7 Stammbäumen und farbigem Titelbild von L. Müller-Mainz. 560 Seiten Gr.–8o. In elegantem Leinwandband. Preis M. 8.50.
Inhaltsverzeichnis:
I. Einführung in die Palaeontologie. II. Die ältesten fossilführenden Ablagerungen. III. Die frühpalaeozoischen Organismen. IV. Die Tierentwicklung während der Silurzeit. V. Die Entfaltung der höchsten Weichtiere. VI. Die ersten Besiedler des Festlandes. VII. Das Aufkommen der Wirbeltiere. VIII. Die Devon- und Kohlenformation. IX. Das Zeitalter der Amphibien. X. Die Triasformation. XI. Die Juraformation. XII. Die Kreideformation. XIII. Die Tertiärformation. XIV. Das Pleistocän.
Bd. IV: Der Mensch zur Eiszeit in Europa und seine Kulturentwicklung bis zum Ende der Steinzeit. 2. stark verbesserte und vermehrte Auflage (3.–7. Tausend). Mit 535 Abbildungen, 20 Volltafeln und farbigem Umschlag von A. Thomann. 950 Seiten Gr.–8o. In elegantem Leinwandband Preis M. 12.—.
Inhaltsverzeichnis:
I. Der Mensch zur Tertiärzeit. II. Die Eiszeit und ihre geologischen Wirkungen. III. Der Mensch während der ersten Zwischeneiszeiten. IV. Der Mensch der letzten Zwischeneiszeit. V. Der Mensch der frühen Nacheiszeit. VI. Die Übergangsperiode von der älteren zur jüngeren Steinzeit. VII. Die jüngere Steinzeit und ihre materiellen Kulturerwerbungen. VIII. Die Germanen als Träger der megalithischen Kultur. IX. Die Entwicklung der geistigen Kultur am Ende der Steinzeit. X. Steinzeitmenschen der Gegenwart. XI. Niederschläge aus alter Zeit in Sitten und Anschauungen der geschichtlichen Europäer.
Urteile der Presse:
Geologisches Zentralblatt: „Unstreitig das Beste, was über diesen Gegenstand vorhanden ist.“
Frankfurter Zeitung: „Das Buch ist das beste allgemeinverständliche Werk, welches unsere Erde und ihre Geschichte behandelt. Seit Neumayrs Zeiten ist keine so sympathische Behandlung des spröden Stoffes mehr erschienen. Besonders Volksbibliotheken werden einen großen Leserkreis mit den Reinhardtschen Büchern anlocken können, und wenn erst das dritte Buch des Verfassers erschienen sein wird, auf welches ich mich schon jetzt freue, dann werden wir eine populäre Entwicklungsgeschichte der Erde und des Lebens besitzen, die für jeden nachdenkenden Menschen eine Quelle des Genusses und der Freude sein wird.“
Die Zeit: „Ein angenehm geschriebenes Werk... eine empfehlenswerte, anschauliche Darstellung, die auch die Lücken unseres Wissens nicht allzusehr verschließt — bekanntlich eine Hauptgefahr für populäre Werke.“
Gaea: „Die vorzügliche wissenschaftliche und doch interessante Form der Darstellung werden demselben zahlreiche Freunde erwerben.“
Allgemeine Zeitung: „Ein die weitesten Kreise interessierender Stoff, fesselnde, leicht verständliche Schreibweise, gepaart mit hohem wissenschaftlichem Ernst und umfassendem Wissen sind die charakteristischen Merkmale des Werkes, mit dem uns Dr. L. Reinhardt beschert hat. Er hat es verstanden, die in zahlreichen Zeitschriften und Monographien zerstreuten Ergebnisse der Forschung zu einem überzeugenden einheitlichen Bilde streng kritisch zu vereinigen.“