The Project Gutenberg eBook of Im Morgenlicht. Kriegs-, Jagd- und Reise-Erlebnisse in Ostafrika This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Im Morgenlicht. Kriegs-, Jagd- und Reise-Erlebnisse in Ostafrika Author: Hans Paasche Release date: November 2, 2020 [eBook #63601] Language: German Credits: Produced by Peter Becker, Reiner Ruf, and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This file was produced from images generously made available by The Internet Archive) *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK IM MORGENLICHT. KRIEGS-, JAGD- UND REISE-ERLEBNISSE IN OSTAFRIKA *** Produced by Peter Becker, Reiner Ruf, and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This file was produced from images generously made available by The Internet Archive) #################################################################### Anmerkungen zur Transkription Der vorliegende Text wurde anhand der 1907 erschienenen Buchausgabe so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr gebräuchliche Schreibweisen sowie Schreibvarianten bleiben gegenüber dem Original unverändert, sofern der Sinn des Texts dadurch nicht beeinträchtigt wird. Fremdsprachliche Zitate wurden nicht geändert. Kopfzeilen, die den Inhalt veranschaulichen, werden hier als Randnotizen dargestellt, welche wiederum an den jeweils relevanten Stellen eingefügt wurden. Die Druckfehlerberichtigung (S. 375) wurde bereits in den Text eingearbeitet. Die Fußnoten finden sich am Ende des jeweiligen Kapitels. Besondere Schriftschnitte wurden mit Hilfe der folgenden Symbole gekennzeichnet: Fettdruck: =Gleichheitszeichen= gesperrt: ~Tilden~ Antiqua: _Unterstriche_ #################################################################### [Illustration: Der Verfasser vor einem Elefanten.] Im Morgenlicht. == Kriegs-, Jagd- und == Reise-Erlebnisse in Ostafrika von Hans Paasche, Oberleutnant zur See. [Illustration] Mit 97 photographischen Aufnahmen des Verfassers. ---- Zweite Auflage. ---- [Illustration] Berlin. Verlag von C. A. Schwetschke und Sohn. 1907. Fräulein ~Wanda Théremin~ hat die Photographien für den Druck vorbereitet. Die Autotypien sind in der Kunstanstalt von ~Carl Schütte~ in Berlin hergestellt. Vorwort. _Coelum, non animum, mutant, qui trans mare currunt._ _(Horaz. Epist. I, 11.)_ Dies Buch schildert meine Erlebnisse in Ostafrika; was ich mit meinen Augen geschaut, mit meinen Ohren gehört habe, will es erzählen. Eigene Erlebnisse: ich habe den Versuch gemieden, in meine Aufzeichnungen hinein zu verbessern, sie zu färben. Hieraus erklärt sich vielleicht, daß meine Schilderungen den Stempel starker Subjektivität tragen. Mit herzlicher Dankbarkeit denke ich an meine Vorbilder, meine Meister und Gönner, auch wenn ich sie nicht mit Namen genannt habe. Und aufrichtig freuen würde es mich, wenn sie sich in meinem Buche wiederfänden. Vielseitig ist unser herrlicher Seemannsberuf. Vielleicht ist das Schönste an ihm, daß mählich, und oft unbewußt, die flüchtigen Eindrücke von Ländern und Völkern und von dem bunten Leben in fremder Welt ein Stück unseres eigenen Seins werden. Man hängt oft fester daran, als es äußerlich scheinen möchte. Ungemein günstige äußere Umstände habe ich gefunden: ich durfte Wanderungen machen, die jetzt, wo die große, stolze Flotte die Kräfte in der Heimat mehr zusammenhält, schon seltener und schwieriger werden; ich war Offizier auf einem kleinen Schiff mit glücklichen dienstlichen Verhältnissen, hatte wohlwollende Vorgesetzte, hatte Kameraden, die an allem Teil nahmen, für den Abwesenden sorgten und eintraten; ich fand freundliches Entgegenkommen beim höchsten Beamten und beim einfachsten Ansiedler; ich fand endlich ein Land voller starker und großer Hoffnungen. Goethe schrieb aus Italien an Herder: „Ich will, solange ich hier bin, die Augen auftun, bescheiden sehen und erwarten, was sich mir in der Seele bilde.“ Nach dieser Lehre zu schauen und zu lernen habe ich mich in Ostafrika bemüht. ~Wilhelmshaven~, im Oktober 1907. =Hans Paasche.= Inhaltsverzeichnis. Seite Vorwort III Zum Indischen Ozean 3 Ost-Indianische Reise im Jahre 1644. -- Von Bremen nach Port Said. -- Bahnfahrt nach Kairo. -- Blick über die Stadt und das Niltal. -- Auf der Cheopspyramide. -- Im Zoologischen Garten. -- Von Suez nach Colombo. -- S. M. S. ‚Bussard‘. -- Ein Ausflug auf Ceylon. -- Nach den Seychellen. -- Bei einem Ansiedler und Naturforscher. -- Auf dem Morn Seychellois. -- Im tropischen Urwald. -- Im Morgenlicht. Daressalam 21 Die alte, stille Zeit. -- Ein Spaziergang. -- In dem Negerviertel. -- Eine Negerkneipe. -- Die Quelle am Simbasital. -- Die Kleidung der Suaheli. -- In der Markthalle. -- Eine Negerin beim Einkauf. -- Das Aquarium. -- Auf den Korallenriffen von Makatumbe. -- Die Meeresfauna. -- Haifische und Schiffshalter. An der Küste 37 Der Schiffsverkehr. -- Gute Häfen. -- Wind und Wetter. -- Fischerei der Eingeborenen. -- Sansibar. -- Völkergemisch. -- Der Deutsche und der Neger. -- Der Handel Sansibars. -- Eine Wagenfahrt. -- Die Klubschamba. -- Eine junge Dame bekämpft die Schiffsetikette. -- Saadani und Bagamoyo. -- Johann Jakob Sturz über Baumwolle. -- Pangani. -- In der Mündung des Pangani. -- Eine aufregende Fahrt. -- Vor Tanga. -- Ein Jagdausflug. -- Löwen. -- Treibjagden auf Löwen. -- Eine Löwin auf der Birsch erlegt. -- Jagd auf Warzenschweine. -- Am Sigi. -- Ein Buschbock im Wasser erlegt. -- Sonnenuntergang in See. -- Die Insel Mafia. -- Die Araber schenken fünf Rinder. -- Ein Ritt durch die Insel. -- Kokospalmen. -- Die Insel Tschole. -- Begräbnis eines Arabers. Der Aufstand 73 S. M. S. ‚Bussard‘ bringt Schutztruppen nach Kilwa. -- Landungsabteilungen. -- Im Mohorrofluß. -- Ankunft in Mohorro. -- Die Entdeckung des Aufstandes. -- Die Haltung der Araber. -- Der erste Angriff. -- Ein Überfall abgeschlagen. -- Die Feuertaufe. -- Ermordung eines Ansiedlers. -- Schwierige Stellung der weißen Soldaten. -- Ein Nachtmarsch. -- Verrat? -- Verlassene Dörfer. -- Brennende Hütten. -- Eilmarsch zum Rufiyi. -- Der Strom als Grenzlinie für den Aufstand. -- Am Rufiyi aufwärts. -- Am Hirusee. -- Verkleideter Askari. -- Panik unter den Trägern. -- Lebensmittel beschlagnahmt. -- Ein Akide. -- Vorposten überrumpelt. -- Gefecht bei Utete. -- Ein Verlust. -- Todesurteil. -- An den heißen Quellen. Gefechte am Rufiyi 104 Ein großes Dorf von Aufständigen zerstört. -- Ein Militärposten am Rufiyi. -- Ein Gnubulle erlegt. -- Herausforderung. -- Verfolgung fliehender Schenzi. -- Über den Fluß. -- Zuverlässige Kundschafter. -- Ein Trupp von über tausend Aufständigen wird zersprengt. -- Mars war uns günstig. -- Bleigeschosse gegen Neger? -- Flußpferde gefährden die Boote. -- Geier auf dem Schlachtfeld. -- Rückmarsch nach Mayenge. -- Ein Gefangener. -- Leutnant Spiegel baut eine Boma. -- In Booten stromab nach Mohorro. -- Hinrichtung von Rädelsführern. Im Aufstandsgebiet 125 Der Bezirksamtmann und ich. -- Abmarsch mit Hauptmann Merker. -- Der erste Schuß auf Elefanten. -- Rettung ertrinkender Neger. -- Hauptmann Fonck im Usaramobezirk. -- Die Neger unterwerfen sich. -- In der Boma bei Mayenge. -- Ausbildung neuer Askari. -- Jagd auf Wasserböcke im Morgennebel. -- Riedböcke und Buschböcke. -- Baumwolle der Neger. -- Zusammentreffen mit meinem Vater. -- Sein Urteil über das Land. Krokodile und Flußpferde 143 Krokodilplage. -- Ein Rekord an erlegten Krokodilen. -- Die Dawa. -- Der Hongo. -- „Du hast getroffen, riechst du es nicht?“ -- Treffer auf große Entfernung. -- Ansitz im Schilf. -- In der Rohrhütte. -- Tierleben auf der Sandbank. -- Flußpferde im Morgennebel photographiert. -- Die Jagd auf Flußpferde. -- Abschießen ganzer Herden. -- Ein Schießerfolg. -- Nutzen und Wert des Flußpferdes. -- Der Geschmack des Wildprets. -- Neger, die kein Schweinefleisch essen. -- Das Schächten erlegter Tiere. -- Aasvögel. -- Geier und Marabu am toten Flußpferd. -- Krokodile angepirscht. -- Vom Flußpferd in die Luft geworfen. -- Ein starker Bulle erlegt. -- Unfälle; Flußpferde greifen die Boote an. -- Die Stimme des Kiboko. -- Tierleben am stillen Weiher. Jagden im Busch 171 Lager am See. -- Birsch auf Riedböcke. -- Farben im Freien. -- Schwarzfersenantilopen. -- Der Dank der Neger für das viele Essen. -- Die Post kommt an. -- Lange, erfolgreiche Schweißsuche. -- Zebras und Hartebeeste beobachtet. -- Platzregen. -- Mein Reittier will nicht mehr. -- Starker Riedbock erlegt. -- Abendbirsch. -- Merkwürdiges Benehmen einer Ricke. -- Ein Löwe am Lager. -- Gewohnheiten der Riedböcke. -- Bemerkenswerte Jagdart. -- Elenantilopen. Büffeljagden 197 Seltenheit des Kaffernbüffels. -- Ein Mißerfolg. -- Der Büffel im Sumpf. -- Schuß vom Baum aus. -- Den Büffel krank geschossen. Ob er dem Jäger gefährlich wird? -- In dichtem Schilfgras sechs Schritt vor dem Stier. -- Der Reiz der Gefahr. -- Der erste Büffel zur Strecke. -- Büffeljagd am Paregebirge. -- Im Urwalddickicht. -- Nach vier Tagen endlich die erste frische Fährte. -- Die Büffel im Walde. -- Ein Büffel in der Wildgrube. -- Wildgruben. -- Fährtensuchen. -- Pirschkunst. -- Büffel im Busch auf acht Schritte angepirscht. -- Ermattung. Elefanten 226 Ein Elefant weckt mich. -- Mein Paradies. -- Nachtwache in den Feldern. -- Gespenster. -- Der erste Elefant zur Strecke. -- Was die Neger vom Elefanten wissen. -- Sieben Elefanten. -- Jagd von der Leiter aus. -- Zweiunddreißig Schüsse auf einen Elefanten. -- Das Heraushauen der Zähne. -- Vom Elefanten verfolgt. -- Ali lobt meinen Mut. -- Studien am Elefantenschädel. -- Elefanten durchschwimmen den Strom. -- Mit der Kamera auf der Elefantenfährte. -- Die „Brücke zur Heimat“. -- Allein mit dem Riesen. -- Pürschzeichen und Fährtenfolge. -- Schlafende Elefanten. -- Jäger und Wild auf demselben Bilde. -- „Der Star“. -- Spaziergang hinter einem Elefanten. -- Rappantilope erlegt. -- Löwen an einem Termitenhügel. -- Die Termiten. -- Der Nyampara und die Arbeiter. -- Geier als Totverweiser. -- Die Poesie des afrikanischen Weidwerks. -- Der Tod. Nashornjagd 269 Übertreibungen. -- Die Gefahr. -- Nashörner in offener Steppe. -- Am einsamen Berge. -- Ein Nashorn kommt vom Wasser. -- Nashorn begegnet einer Zebraherde. -- Gute Schüsse mit der Kamera. -- Ein verwünschter Augenblick. -- Weshalb das Nashorn „annahm“. Am mittleren Rufiyi 281 Unter fremden Negern allein. -- Die Boma wird verlassen. -- Ein mißglückter Überfall. -- Das Lager der Aufständigen. -- Mtanza. -- Die Flüchtlinge; Rückkehr in die Dörfer. -- Vom Lagerleben. -- Schwarze Polizisten. -- Boten. -- Das Eheleben der Schwarzen. -- Der Askariboy. -- Die letzten Matrosen zur Küste gesandt. -- Hausbau. -- „Befestigung“ der Boma. -- Wunden bei den Negern. -- Giftpfeile. -- Schlangen. -- Puffotter. -- Riesenschlange. -- Eine Schlange kriecht in ein Mauseloch. -- Bissige Ameise. -- Sandfloh. -- Wovon wir lebten. -- Hungersnot. -- Der farbige Händler. -- Die Neger wandern aus. -- Mangofrüchte. -- Ein Elefant erlegt als Nahrung. -- Die Neger wollen kein Elefantenfleisch essen. -- Der Acker wird bebaut. -- Die Neger sind dem Inder ausgeliefert. -- Ist der Inder unersetzlich? -- Die Händler im Aufstand. -- Reisen in der Regenzeit. -- Ein Raubzug in die Äcker der Aufständigen. -- Vierzehn Stück Wild für achthundert Menschen. -- Ein Schauri. -- Ein Askari schießt sich selbst ins Bein. -- Die Zeugen. -- Die Askari hatten Krieg gespielt. Ein Streifzug 329 Menschenopfer. -- Böse Nachrichten vom Feinde. -- An den Stromschnellen des Rufiyi. -- Bergsteigen ist unseemännisch. -- Vorbereitungen zum Überfall. -- Der Angriff. -- Das Dorf wird geplündert; die Hütten niedergebrannt. -- Roheiten. -- Wie der Schenzi lebt; Hausrat, Beschäftigung. -- Ein Verwundeter wird nach Mohorro gebracht. -- Die Gefangenen entlaufen. -- Die Strafpredigt des Askari Nyati. -- Tierleben an den Schnellen. -- Einfall der Aufständigen. Rückkehr zur Küste 345 Weihnachtsfeier. -- Datum vergessen. -- Wie der Schenzi den Tag einteilt. -- Überschwemmung. -- Der Alte im Dachgebälk. -- Abrechnung mit Indern. -- Übersetzen. -- In den Schamben der Wakitschi. -- Ein Gefangener tot. -- Mitleid. -- Kudu. -- Die kriegerischen Bergbewohner. -- Flußpferd im Mondschein. -- Gegen den Strom nach Panganya. -- Kranke Träger; ein Samariterdienst. -- Ob man sich ansiedeln soll. -- Trockenzeit und Regenzeit. -- Die Eigentümlichkeit des Stromes. -- Verkehrsaussichten auf der Wasserstraße. -- Umgehungsbahn. -- Stauwehr. -- Viehzucht. -- Kaisers Geburtstag. -- Büffeljagd der Neger. -- Tsetse; Anopheles; Glossina und Boophilus. -- Lederbearbeiten. -- Briefe. -- Diktat. -- Zumessen von Getreide. -- Die Arbeit; Pflicht zu faulenzen. -- Ein Neger vom Leoparden getötet; zwei Leoparden erbeutet. -- Abreise. -- Mattigkeit und Fieber. -- In guter Pflege. -- Mondscheinfahrt stromab. -- Abschiedsfeier. -- Wieder an der Küste. Verzeichnis häufig vorkommender in Deutsch-Ostafrika allgemein gebrauchter Fremdwörter 374 Druckfehlerberichtigung 375 [Illustration: S. M. S. „Bussard“.] Zum Indischen Ozean. Vor mir liegt, in Schweinsleder gebunden, ein altes Buch, das mich nach dem Indischen Ozean begleitet hat: „Johann Jakob Merckleins Ost-Indianische Reise, welche er im Jahre 1644 löblich unternommen und im Jahre 1653 glücklich vollendet samt Johann Sigmund Wurfbains kurtzem Bericht wie eine Reise, so zu Wasser wie zu Lande nach Indien anzustellen sey.“ Das Buch wird bezeichnet als: „Journal alles desjenigen, was sich auf währender neunjährigen Reise im Dienst der vereinigten geoctroyrten niederländischen Ost-Indianischen Compagnie täglich begeben und zugetragen, dabey die Situation und Gelegenheit der Länder und Sitten unterschiedlicher Völker zu besserer Nachricht in etwas berühret worden.“ Aus den getreuen Aufzeichnungen des Chirurgum und Barbirern Mercklein weht ein Hauch ursprünglichster Anschaulichkeit, und Freude an fremden Dingen. Deshalb ist es mir interessant gewesen hineinzusehen, und ich wurde unwillkürlich angeregt, meine Fahrt mit der des Holländers zweihundertfünfzig Jahre früher zu vergleichen. Die Edle Herren Bewinthabere der Compagnie zu Amsterdam ließen im Jahre 1644 zwei Schiffe zurichten, um neue Besatzungen für die Schiffe und Faktoreien in Ostindien hinauszusenden. Das war also ein Ablösungstransport genau wie der unsere, der am 5. Mai 1904 Bremerhaven verließ, um Mannschaften und Material für die im Osten stationierten Schiffe der Kaiserlich Deutschen Marine hinauszubringen; ohne Unterbrechung dampfte der ‚Main‘ die Weser abwärts durch den englischen Kanal und die Biskaya, an der Hispanischen Halbinsel vorbei, bog in die Meerenge von Gibraltar ein und erreichte am elften Tage der Abreise Port Said und die Pforte zum indischen Ozean. Die arme Holländerflottille dagegen: Der ~Walfisch~ -- groß 450 Last, jede zu 3000 Pfund, Kapitän Pieter Dierksoon, Oberkaufmann Herr Nikolaus Overschie, gewesener Direktor in Persia, -- und der ~Salm~, zwei neuerbaute Fluytschiffe. -- Am 8. November verließen sie Amsterdam und konnten, „weil der Wind stetig aus Westen wehete, nicht in das Meer auslaufen bis auf den 30. Dezember“. An den Suezkanal dachte man damals noch nicht; die holländischen Segler mußten ihren Kurs unausgesetzt südlich nehmen, durch den Kalmengürtel der aufsteigenden Luftströme bis zum Kap der Stürme, das im Heimatlande des portugiesischen Entdeckers das Kap Bonae Spei genannt wurde, weil seine Entdeckung gegen Ende des 15. Jahrhunderts die Hoffnung auf den Seeweg nach Ostindien in sich trug. Anfang März hielt sie ein starker Sturm dort fest, an der alten Pforte zum indischen Ozean und dem reichen Osten. Auf der Reede von Batavia wurde nach Verlauf von sieben Monaten am 31. May 1645 geankert, nach einer Seefahrt von 3600 Meilen. -- Den gleichen Punkt etwa erreicht der deutsche Transportdampfer in dreißig Tagen; und gehört nicht zu den schnellsten Schiffen. Sechs Monate später erst empfingen die Herren Bewinthabere in Amsterdam den Brief, der ihnen meldete, daß der ‚Walfisch‘ „in des Generals Residenzstadt Batavia arriviert sey ohne Verlust einiges Menschen durch Scharbuck oder _morbus Scorbuticus_, welches selten auf so langen Reisen geschieht“. Heute steht die Ankunft des Dampfers ‚Main‘ in irgend einem der großen Häfen des fernsten Ozeans noch an demselben Tage in der Weserzeitung. Und doch behielten die Herren in Amsterdam die Leitung in Händen; nur das Tempo der Unternehmungen ist eben schneller geworden. Im Grunde erinnern alle Zustände und Ereignisse der Ostindianischen Compagnie an die heutigen Zustände in den Kolonien. Eine weitgehende Arbeitsteilung ist eingetreten; Handels- und Kriegsmarine sind getrennt; die Umgangsformen der Nationen feiner und empfindlicher geworden; die geräumigen Handelsdampfer tragen keine Kanonen mehr. Handel, Verwaltung und Waffengewalt liegen in verschiedenen Händen, während der Kaufmann des 17. Jahrhunderts alles dies in seiner Person vereinte, die Kapitäne der Schiffe, die Gouverneure, die Verwalter der Faktoreien ernannte und die Waffengewalt unmittelbar für sein Interesse einsetzte. [Sidenote: Im Niltal.] Am 17. Mai 1904 fuhr unser Dampfer zwischen den Molen von Port Said hindurch in den Suezkanal ein, an dem Denkmal Ferdinand von Lesseps vorbei, gab Leinen an Land und machte fest, um Kohlen zu nehmen. Die Agentur des Norddeutschen Lloyd hatte die gefüllten Prähme schon bereitliegen und das farbige Volk der Kohlenträger ging sofort unter viel Geschrei an die Arbeit; eine dicke Staubwolke hob sich in die Luft und verleidete dem Zuschauer den Aufenthalt an Bord. Wer abkömmlich war, verließ deshalb den Dampfer zu einem Abstecher nach Kairo, um erst in Suez das Schiff wieder zu besteigen. Auch ich gehörte zu den Reiselustigen, die in den staubbedeckten Waggons der Schmalspurbahn nach Ismailia Platz nahmen. Die Sonne glühte, aber ein starker Luftzug trug sehr zum Wohlbefinden bei. Zur Linken hatten wir den Suezkanal, zur Rechten die helle Wüstenlandschaft. Wo sich Menschen angesiedelt hatten, ragte wie eine Insel ein Fleckchen bebautes Land heraus; mit Dattelpalmen, Bananenbüschen und bunten Blütenbäumen. Erst der vom Nil hergeleitete Süßwasserkanal hat den Pflanzenwuchs hier ermöglicht. Ein Trupp Menschen mit bepackten Kameelen tauchte auf. In all den kleinen Stationen stiegen Farbige ein und je näher wir von Ismailia dem wunderbaren Kairo kamen, desto vielseitiger wurde das Völkergemisch. Hier ein Araber in bronzefarbenem Gewande mit geradem Halsausschnitt und auffallend langen Ärmeln, deren weit hervortretendes, sauberes Futter auf den zierlichen Händen liegt; er trägt den Turban auf dem Kopf über dem feinen Gesicht. Neben ihm sitzt ein Türke, dessen große Nase und in Falten aufgehängter Mund sehr häßlich wirken. -- Immer ausgedehnter werden die mit Kulturpflanzen bebauten Flächen. Wo das lebenspendende, kräftelösende Wasser hingeleitet ist, wächst dicht und üppig der Weizen hervor; unmittelbar daneben leuchtet der leblose Sand. Kameele und Ziegen begnügen sich mit spärlichem Grün, dann kommen Esel, starke Kühe und Pferde, wo sich die Pflanzen mehren. Es wechseln ab: Weizen, der gerade zur Ernte reif ist, Baumwolle und kniehoher, dichter, weißblühender Klee, als Viehfutter. Gepflügt wird noch mit dem alten Holzhaken, den wir schon auf den Malereien der alten Ägypter finden. In den langen Furchen der sauber gehalten Baumwollfelder glänzt hier und dort Wasser, und Leute sind beschäftigt, das Naß den Pflanzen zuzuleiten. Ochsen mit verbundenen Augen ziehen die Göpelwerke der Schöpfräder und die Trommeln auf den offenen Tennen, wo der Weizen gedroschen wird. Das Korn wird mit der Sichel gemäht. Wo Kühe weiden, sitzen ebensoviel Menschen dabei und sehen zu. Weithin verläuft das fruchtbare Land. In zarter Färbung von der Nachmittagssonne umflutet, erscheinen am Horizont zwei Pyramiden und der Höhenzug über Kairo, gekrönt von einem stolzen Bauwerk: der Moschee Mehemet Alis in der Zitadelle. Durch die belebten Straßen der Stadt bringt uns ein Wagen auf die Höhe. Am Eingang der Zitadelle steht ein Posten der ‚_Occupation armee_‘ mit Bajonett, einen Tropenhelm mit silberner Spitze auf dem Kopfe. Um die hohen, schlanken Minarets kreisen Weihen. In der Moschee werden der von Teppichen bedeckte Boden, die Alabasterwände, die kunstvolle Kanzeltreppe und die an langen Ketten hängenden Lampen gezeigt. Vier mächtige Pfeiler tragen die Kuppel mit ihren bunten Scheiben, die dem Innern des Raumes eine feierliche Beleuchtung geben. Lästig war es, dem ewig schwatzenden Führer zu folgen; der wollte die Neugierde befriedigen und hetzte von einer Sehenswürdigkeit zur andern. Keines Eindrucks konnte man Herr werden; deshalb blieben wir einen Augenblick zurück, um in aller Ruhe das Bild in uns aufzunehmen. Dann standen wir an dem hohen Gitter, das das Plateau der Zitadelle abschließt. [Sidenote: Kairo.] Unter uns lag die große Stadt mit staubfarbenen Gebäuden, mit Türmen und Minarets. Als breites Silberband schimmerte der Nil durch die Reihen der Häuser; einzelne Palmen zierten seine Ufer. In der Ferne begann die Wüste gerade dort, wo die Pyramiden von Gizeh mächtig emporragten. Weiter links am Nil hinauf waren die Pyramiden von Memphis im Dunst des Tals und im letzten Schein der feurig in die Sahara untertauchenden Sonne zu erkennen. Als wir zur Stadt zurückfuhren, zündeten braune Gestalten die wenigen Laternen an; die Fußgänger auf den Straßen mehrten sich; vor den Trinkhallen saßen Männer auf den Trottoirs und rauchten Wasserpfeife. Unter beständigen Zurufen an seine Pferde lenkte der Kutscher unsern Wagen zum Hotel. [Sidenote: Auf der Cheopspyramide] Der nächste Morgen war hell, wie fast das ganze Jahr hindurch in Kairo, als wir über die Nilbrücke nach Gizeh fuhren. Auf dem Wege kamen uns Kameele und Esel entgegen, die hoch und breit mit Grünfutter, Gemüsen, Körben mit Geflügel oder großen Milchgefäßen beladen zum Markte getrieben wurden. Die Sonne stieg höher über die Türme der Stadt und beleuchtete die üppige blütenreiche Pflanzenpracht des Gizeh-Garden. Vom Nil her wird das Wasser in den Garten gepumpt, weil es vom Himmel nicht zu erwarten ist; nun sprudelt es hier und dort aus dem Rasen hervor und überschwemmt die Beete. Der breite von Akazien beschattete Weg biegt nach Westen auf die Pyramiden zu. Wer es nicht gesehen hat, kann sich keinen Begriff machen von dem Eindruck der mächtigen von Menschen aufgetürmten Steinmassen aus der Nähe. Man sagt, die Pyramide liege in dem Mittelpunkt der ganzen bewohnten Erde; der Meridian, der den Platz der Pyramide schneidet, decke mehr Land als irgend ein anderer und auch kein anderer Breitenparallel soviel wie der 30° N. Wie weit solche Betrachtungen von Bedeutung sind, darf man dahin gestellt sein lassen. Wunderbar aber ist es, daß sich an der Cheopspyramide geometrische Proportionen nachweisen lassen, daß der Porphyrkoffer im Innern ein Einheitsmaß darstellt, daß die Richtung der Seiten bei allen Pyramiden den Himmelsrichtungen entsprechen; die Phantasie wird mächtig angeregt, wenn sie in dem Riesenbauwerk verborgene Rätsel sucht. Man war überrascht, als s. Zt. im oberen Teil der Pyramide der leere Sarkophag gefunden wurde. In allen anderen Pyramiden befanden sich die Grabkammern unter der Grundfläche. Keine Inschrift, kein Ornament deutete an, daß je eine Mumie dort gebettet wurde und Herodot berichtet, daß Cheops nicht in der Pyramide begraben sei. Es schien, als habe der Baumeister mit seinem Verzicht auf jede Inschrift den späteren Zeiten sagen wollen, daß über den Sinn der Pyramide kein Zweifel bestehen könne. Der Zugang zum Innern war vermauert und ist erst durch ebenfalls interessante Berechnungen und Überlegungen wieder gefunden worden. Die Pyramide soll 2000 Jahre vor Christi Geburt erbaut sein; Cheops ließ die Tempel schließen, verbot die Opfer und machte es dem Volk zur Aufgabe, dafür an der Pyramide zu arbeiten. Das Bauwerk ist 227 _m_ in jeder der Fronten und war früher 147 _m_ hoch. Mehrere Millionen Tons Steine stecken darin. Die obersten Steine fehlen ebenso wie die glatte Bedeckung, die nur an der Spitze der Chephrenpyramide noch vorhanden ist. Viel bedeutsamer als alle die oben ausgesprochenen Mutmaßungen erscheint die Lage des ungeheuren Monuments am Rande der Libyschen Wüste und des fruchtbaren Niltals. Als die Führer uns von Stein zu Stein hinaufbefördert hatten und ihre zudringliche Bettelei auf Minuten zum Stillstand gebracht war, konnte man von der quadratischen Plattform, die die Spitze der Pyramide bildet, den Rundblick in sich aufnehmen. Die Ostfront neigt sich nach den üppigen Feldern, die der Nil überflutet und der alten Chalifenstadt el Fostat, dem heutigen Kairo. Die Westseite blickt auf die Wüste, auf das unendliche hügelige Sandmeer, in dessen Fluten die Schatten der Wolken schwimmen. Da geht die Pilgerstraße durch das Natrontal an die Küste des Mittelmeers; kaum kann man von einer Straße sprechen. -- -- -- Ins Uferlose führen die Spuren. [Illustration: Die Sphinx.] Auch diese lebensfeindliche Wüste haben der Handel und der Islam überwunden. Von hier aus ist die Lehre Mohameds nach Westen gegangen, bis sie in den Gebirgen Spaniens zurückgeworfen wurde. Die Menschen machte der Koran bedürfnislos und sie fanden in den Kameelen Lasttiere, durch deren Arbeit und Anspruchslosigkeit sogar die Ufer der Wüste verbunden werden konnten. Menschen und immer wieder Menschen! Auch die den mächtigen Strom bändigten und ihren Feldern nutzbar machten, die die Steine zu fast unvergänglichen Bauwerken auftürmten. Ein Volk, das Zeit zu solchen Bauten hatte, die nichts weniger sind, als Nutzbauten, mußte viel Brot besitzen! Größeres kann die moderne Technik leisten. Welche Opfer an Leben aber mag es damals gekostet haben? Noch heute versucht die Natur ihr Veto einzulegen, wenn große Menschenmengen an einem Ort zur Arbeit zusammengebracht werden. Krankheiten und Seuchen brechen aus und nur die wohlorganisierte Arbeit der Ärzte ermöglicht große Unternehmungen. Wie mag es vor 4000 Jahren gewesen sein! Und wieviel Menschen mögen dem ungewohnten Klima, dem Fieber und anderen Krankheiten erlegen sein, die die Menschheit vielleicht jetzt schon überwunden hat! Der Gedanke an solche Zustände erhöht die Bewunderung vor den großen Bauwerken der Alten; unter den heutigen Umständen würde sich eine Ausnützung von Menschen nach dem Muster der alten Machthaber von selbst verbieten. Sind es doch gerade die Leiden der Kulis und der Neger in Zentralafrika gewesen, durch die die Kulturwelt zur Teilnahme an kolonialen Unternehmungen begeistert wurde. Die Ethik der Kulturvölker verbietet eine Ausnutzung der niedriger stehenden Rassen, wenn auch der Neger noch heute so roh und barbarisch ist, daß es ihm nicht zur Unehre gereichte, als Diener des Mächtigeren ausgenützt zu werden. Und welche Kulturarbeit könnte geleistet werden, wenn die ungeheure Überlegenheit, die wir mit unseren Feuerwaffen über die Neger besitzen, genutzt würde, um Bahnen und Wege zu bauen, um Plantagen anzulegen! Eine andere Zeit, hörte ich einmal sagen, hätte im Besitze einer Macht, wie wir sie haben, andere Werte in den Kolonien hervorgebracht, und vielleicht würden dann weniger Aufstände gekommen sein, die zur Vernichtung ganzer Stämme führten, würde schneller durch Erschließung des Landes der Hungersnot, der Schlafkrankheit und anderen verheerenden Übeln entgegengetreten sein. Was Afrika anging, so war die Möglichkeit zu ähnlicher Herrschaft über Menschen noch immer vorhanden. In dem großen Kontinent, dem der Nil entströmt, hat es vor 4000 Jahren wahrscheinlich kaum anders ausgesehen als vor hundert Jahren. Sklaven holte sich Cheops von dort ebenso wie vor einem Menschenalter noch die Araber, und die Kunde von dem Mondland Uniamuezi, aus dem der Nil entspringen sollte, ist jedenfalls diesen ersten Interessen an dem volkreichen Süden zu danken. Soll man einmal fragen, was wohl aus dem Neger geworden wäre, wenn Europa noch mit den Anschauungen des Mittelalters an die Erschließung Afrikas hätte gehen können? Es ist wie ein Zufall in der Weltgeschichte, daß das große, reiche Land solange unbekannt blieb und daß den vernichtenden Sklavenjägern gleich Rächer erstehen konnten. Jetzt stellen sich die kolonisierenden Völker die große Aufgabe, die Kräfte der neuen Länder in einer unserer Ethik entsprechenden Weise zu entwickeln und nutzbar zu machen. Von den Pyramiden ging es auf dem Rücken eines Kameels zur Sphinx und dann zu einem dritten merkwürdigen Bauwerk, dem Tempel der Sphinx. In der Erde vergraben erweckt dieses Gebäude den Anschein, niemals für Außenfassaden, sondern wie der Bau eines Fuchses in die Erde hinein gebaut zu sein. Es ist von Wüstensand erst wieder freigelegt. Glatte, sauber gehauene und polierte Granitquadern bis zu 5½ _m_ lang sind hier mit größter Genauigkeit neben- und übereinander gefügt. Aufrecht stehende Steine bilden Säulen, auf denen andere als Dach ruhen. Stellenweise ist Alabaster benutzt und auf jedes Ornament verzichtet worden: Hier spricht allein das Material durch seine Zusammenfügung, Wucht und Größe. -- [Sidenote: Kairo.] Als ich am Nachmittag mit einigen Kameraden durch die Straßen ging, begegnete uns im Nordviertel der Stadt ein Leichenzug der Fellachen. Voran ging ein Karree alter Männer; ihnen folgten jüngere Männer mit Gesangsheften in arabischer Schrift, dann kamen Kinder mit Blumen, vor dem Sarg, der getragen wurde und mit bunten Tüchern und Blumen geschmückt war. Unter, neben und hinter dem Sarg gingen klagende Frauen, darunter eine, die von Zeit zu Zeit die Arme hob, wobei sie ein Tuch spannte und den Kopf zurückwarf. Ihr Gesicht war mit schwarzblauer Farbe beschmiert. Der Zug bewegte sich unter dem Klange eintöniger Lieder langsam vorwärts. Ein anmutiges Bild bot sich uns am Nil. Langsam glitten Boote mit hohen, spitzen Segeln über das ruhige Wasser. Dattelpalmen standen neben weißen Häusern, darüber der blaue Himmel. Wir gelangten über die Nilbrücke zum zoologischen Garten, der nicht sehr besetzt war. Die wenigen Tiere aber, die dort in üppigem Grün umherstanden, sahen sauber und wohlgepflegt aus, wie der ganze Garten. Die Büsche hingen voller Blüten; an vielen Stellen sahen Hydranten aus dem Boden, mit deren Hilfe den einzelnen Teilen des Gartens Wasser zugeführt werden kann. Wie im Sommer in den nordischen Gärten die Tiere durch Luft und Licht besser gedeihen als im Winter, so machte es sich auch hier vorteilhaft geltend, daß sie andauernd im Freien liegen konnten. Zwischen hohen Fikusbäumen spaziert auf freiem Rasenplatz ein seltsamer Vogel -- der Walkopfstorch --; sein Schnabel ist plump wie ein Kasten. Mit ihm teilen den sonnigen Raum einige Kraniche in lebendig zurechtgeschütteltem Gefieder. Daneben der künstliche Teich mit üppigen Sumpfgewächsen, Uferbäumen, die von ihren Ästen Wurzelfäden zum Wasser hinabsenden und breitblättrigen Wasserpflanzen: eine erdrückende Fülle. Uns fesselten weniger die ausländischen Tiere, die Hirsche aus Europa und Ceylon, die Bären, die nicht auf afrikanischem Boden heimisch sind, sondern die Vertreter der ägyptischen Fauna; sicher wäre es eine vorteilhafte Beschränkung, wenn in solchen Tiergärten, die kaum einer allgemeinen Belehrung dienen können, die Tierwelt des Landes in der ihr eigenen Umgebung und in ihrem Klima möglichst vollständig gezeigt und auf die fremdländischen Vertreter weniger Wert gelegt würde. -- Ein hervorragendes Beispiel der Art ist der große ~Rhodespark~ in ~Kapstadt~. Die wenigen Gazellen aus dem Sudan waren reizend anzusehen. Der Nachmittag sah uns in dem Geschäftsviertel der Stadt Kairo, nachdem wir die Menge der Wagen an uns hatten vorbeifahren lassen, die zum Korso den Weg über die große Nilbrücke nach Gizeh nahmen. Es gehört Kenntnis der Volkstypen dazu, um sich in dem Menschengewirr, das die engen Gassen der Bazars füllt, zurechtzufinden. Mich beschäftigte nur das bunte Bild; die Menschen aller Farben, zwischen den Läden mit Teppichen, Goldarbeiten, Ölkuchen, Anzügen, Metallwaren und Spezereien. Die Eisenbahn brachte uns in unruhiger Nachtfahrt nach ~Suez~. Der Dampfer hatte inzwischen den Kanal passiert und nahm uns auf, um seinen Weg durch das Rote Meer nach ~Colombo~ fortzusetzen. [Sidenote: Auf Ceylon.] Der Hafen von Colombo, auf Ceylon, wird von allen nach Osten gehenden Schiffen angelaufen; meist sogar mit etwas Aufenthalt, so daß die Schönheit der Insel und ihre Fruchtbarkeit sehr bekannt sind. Der kleine Kreuzer Bussard, auf dem ich ein zweijähriges Kommando antrat, lag in dem Hafen. Er kam aus Ostasien und hatte eine schwere Seefahrt hinter sich, derentwegen man ihm einige Wochen Ruhe zu Reparaturen und Erholung gab, ein Umstand, der auch dem neuangekommenen Teil der Besatzung zugute kam. So lernte ich außer der schönen von Palmen geschmückten Stadt auch ~Kandy~ und den botanischen Garten von ~Peredenya~ kennen, und unternahm einen kleinen Jagdausflug, der mich mit dem Charakter der Landschaft vertraut machte. Wundervoll anzusehen ist das Bild des Hafens mit den vielen Schiffen, die hinter der langen Mole geborgen liegen, während die ungeheure Brandung von außen dagegen tobt, himmelhoch aufspritzt und eine breite See hinübergießt, die sich wie ein weißes Spitzentuch über die Mauer legt. Krähen, von den Eingeborenen heilig gehalten, und deshalb geschont, fliegen in Menge von Schiff zu Schiff, sitzen auf den Stagen und an Land in den Bäumen. Merkwürdig genug sind auch die aufdringlichen Singhalesenbengels, die in kleinen Fahrzeugen um die Passagierdampfer herumfahren, nach Geldstücken tauchen und einen erbärmlichen Chorgesang anstimmen. Den Tag über war man meist an Bord beschäftigt; denn nach jedem Besatzungswechsel gibt es viel zu ordnen; der Erste Offizier drängt darauf hin, die Rollen der Mannschaft recht bald einzuüben und den Schiffsdienst in die Reihe zu bringen. -- Aber an den Abenden fuhr man an Land und promenierte mit Kameraden nach dem schön gelegenen Galle face Hotel oder ließ sich von einer Rickschah durch die von üppigen Bäumen eingefaßten Wege dahinfahren. Eine Bahnfahrt in die Berge nach dem hochgelegenen Kandy führte mich durch die wechselnden Landschaftsbilder der Insel. Anfangs die Ebene mit Kokospalmwäldern, unterbrochen durch Reisfelder; die Copra, von Eingeboren geerntet, bildet ein wichtiges Produkt und wird in Colombo selbst verarbeitet. Die ersten Anhöhen kamen, von dichtem Wald bedeckt, Regen strömte hernieder, Wolken verhüllten die Bergkuppen, die Bahn stieg bergauf und zog auf kühn angelegter Trace an steilen Berghängen entlang. Über liebliche Täler ging hier der Blick zu fernen Höhen. An den Hängen hinab floß Wasser über die Terrassen der Reisfelder; Rinder weideten dazwischen. Nach der ägyptischen Baukunst machten die Tempel auf Ceylon geringen Eindruck. Kleinlich; es ist, als ob die Menschen nicht fähig waren, aus der Schönheit der sie umgebenden Natur etwas in ihre Kunst hinüber zu nehmen. Kuriosa sind es: der Zahn Buddhas, der Silberschatz, die abgeschmackten Götzenbilder, die heiligen Schildkröten, der heilige Baum und all der Flitter im Tempel. Desto großartiger ist die Natur und besonders die Palmenwelt in dem geräumigen botanischen Garten von Peredenya. Da stand eine Allee von Fächerpalmen wie das Peristil eines griechischen Tempels. Die Formenfülle der hier vertretenen Palmen berauschte das Auge. Neben der _Lodoicea Seychellarum_, der größten Fächerpalme der Erde, zartgerippte Phönixarten, die Siegelwachspalme mit roten Blattstengeln und die schmückenden Königspalmen. [Sidenote: Ceylon.] Das Orchideenhaus erinnerte mich an die begeisterten Schilderungen eines Freundes, dessen Lieblinge diese schmarotzenden Schönen waren; ich sah hier manche der Wunderblüten, die ich bisher nur von bunten Tafeln her kannte. Muskatnuß und Kokain, Gummilianen und Teeblüten entdeckte man. Ungeheuerlich wirkte das mächtige Bambusgebüsch am fließenden Wasser. Da war jedes Rohr ein dicker Stamm, alle Gräser zusammen bildeten unten einen geschlossenen Zaun, und man konnte sich vorstellen, welche Schwierigkeit es sein mag, in einem Bambuswald vorzudringen, wenn nicht Elefanten uralte Wege offen gehalten haben. Von der Bahn aus hatte ich ein merkwürdiges Tier gesehen: eine Rieseneidechse, die wie ein Krokodil langsam über die Böschung kroch. In Colombo wurde mir gesagt, daß es nicht schwer sei, solche Tiere im Lande anzutreffen, und daß auch die Vogelwelt im Tieflande überaus bunt und vielseitig sei. So machte ich mich eines Tages auf den Weg um unter Führung eines Jägers in der Ebene südlich von Kolombo umherzustreifen; nach mehrstündiger Bahnfahrt verbrachte ich die Nacht in einem englischen Rasthause. Am folgenden Morgen durchwanderten wir frische grüne Wälder. Mein Führer kannte alle die bunten Vögel, die in großer Zahl im Walde flogen. Bald hatte ich eine kleine Kollektion beisammen, und wir hatten bis in die Nacht zu tun, die Ausbeute zu präparieren. Es sind die einzigen Vögel geblieben, die ich im Auslande gesammelt habe. Die Mühe des Präparierens war mir zu groß, wo größere Trophäen lockten; deshalb habe ich in Ostafrika außer Hühnern und Tauben fast keinen Vogel geschossen. Mit der bunten Ausbeute, die jetzt in einem Glasschrank an den ersten bescheidenen Jagdtag am Indischen Ozean erinnert, und mit zwei großen Eidechsen fuhr ich nach Kolombo zurück. Neun Tage waren wir von Ceylon nach den Seychellen unterwegs, ohne ein fremdes Schiff zu sehen; eine rechte Seefahrt war es, auf der man das Land verlernt, nur den Himmel mit den leuchtenden Gestirnen und die dunkle Salzflut um sich sieht. Da kommt man dazu, alte Eindrücke zu verarbeiten und auf neue hungrig zu werden. Daß Meere die Länder trennen und Gegensätze in dieser kleinen Welt erhalten und begünstigt werden, geschieht um uns schauende, genießende Menschen nicht durch langsame Übergänge stumpf zu machen! Am neunten Tage umkreisten Möwen in wachsender Zahl das Schiff und kündeten die Nähe des Landes an. Die Inseln sind grün vom Meeresstrand bis auf die Höhen. Auf einzelnen erkannte man reihenweise gepflanzte Kokospalmen. Die Bergspitzen der größten Insel Mahé stecken in den Wolken. Dichtes Grün klettert in den Schluchten hinauf. Nur einzelne schroffe Wände und große Steinblöcke, die wie Bastionen nach der See hervorspringen, sind kahl; nach dem Fuß der Berge wird der Pflanzenwuchs höher und voller, die Häuser der kleinen Stadt Port Viktoria verschwinden fast darin. Eine weiße Strandlinie setzt das Grün nach dem Wasser hin ab. Ganz unten, wo das Meer die Insel umsäumt, leuchtet aus dem seichten Wasser ein breiter Streifen buntfarbiger Korallen im hellsten Grün und dunklem Violett. Es ist wunderbar, wie hier der Meeresgrund seine Farbenpracht an das fruchtbare Gestade heranschiebt, um den großen und freundlichen Eindruck zu vertiefen. Wir fuhren zu einem Abendspaziergang an Land. Nahe der Mole die weit auf das Riff hinausführt, löschte ein kleines Segelschiff seine Ladung an lebenden Schildkröten. Die Tiere wurden in ein der Mole angebautes Bassin geworfen. Dort sah man die großen Schilde von Zeit zu Zeit auftauchen und den Kopf herausstecken, um Luft zu holen. Ein breiter Weg führt durch den Ort auf einen Sattel an der schmalsten Stelle der langgestreckten Insel. In den Gärten der Eingeborenen wachsen Lemonen, Ananas, Vanille und Mais. Die Kokospalme neigt ihre gefiederte Krone über die braunen Dächer der Hütten, in denen das Feuer zum Abendessen aufflackert. [Sidenote: Auf den Seychellen.] Ein andermal marschierte ich in den erwachenden Morgen hinein, um auf einer Tagestour die Insel kennen zu lernen. Ein guter Fahrweg geht fast rund um die Insel herum; mehrere Verbindungswege über die Höhen. England hat viel Geld dazu geliehen. 130 Inder mußten zum Wegebau eingeführt werden, weil die Kreolen zur Arbeit zu faul sind. Das rührige Vorgehen des Gouvernements in der Schaffung von Verkehrswegen zur Erleichterung der Produktion ist um so mehr hervorzuheben, als die Aussichten für das Land recht gering waren. Die Vanille ist stark im Preise gesunken, seit Kunstprodukte die nicht leicht zu kultivierende Frucht entbehrlich gemacht haben. Die Kopraproduktion aber nimmt an Ausdehnung zu; ihr kommen die neuen Wege besonders zustatten. Zur Linken hatte ich den Strand, zur Rechten den steil ansteigenden Berg. Hier unten drängte sich eine formenreiche Pflanzenwelt: Kokospalmen, Brotfruchtbäume mit den großen, glänzenden und gezackten Blättern, Oleander, der elegante Stamm einer Betelpalme und die großen Fächer der Wandererpalme, -- einer Musacee, -- dann die Menge der Sträucher, Gräser und die starken Schwerter einzelner Agaven, auf der Höhe der den Weg begrenzenden Mauer. Der Morn Seychellois war wolkenfrei. In den zahlreichen Schluchten, in den vom schattigen Laub überdachten steinigen Bachbetten kam in dieser Zeit kein Wasser zu Tal. Haushohe Granitblöcke lagen am Strand, vom Meer umspült. Ein kleiner Kreolenknabe führte mich in einer Schlucht bergan, vorbei an einem Wasserfall, nach Kaskade Estates, der Farm eines Engländers. Der Besitzer war zu Hause und begleitete mich in stundenlangem Spaziergang durch die Anlagen. Eine Menge Nutzpflanzen sah ich zum ersten Male: die Vanille, deren Schoten im Schatten großer Bäume gedeihen: (die Befruchtung der Blüten muß künstlich geschehen, weil der kleine Vogel, der in Amerika den Blütenstaub von Pflanze zu Pflanze trägt, auf den Seychellen nicht lebt.) Auch die hohen Nelkenbäume mit roten Blüten waren mir unbekannt, ebenso der Indigo und eine andere Farbpflanze: der Arnotto, dessen Früchte in rote Farbe gebettet sind, die in Amerika, der Heimat der Pflanze, von den Indianern zum Bemalen der Haut, in Holland zum Färben von Butter und Käse verwandt wird. Eine Menge anderer Pflanzen sah ich noch, die zum Versuch oder nur aus Interesse an der Botanik angebaut waren. Auch über die Tierwelt war mein Gastgeber gut unterrichtet, hatte eine kleine Bibliothek auserlesener Bücher und erklärte mir an seiner Pflanzen- und Schneckensammlung merkwürdige Zusammenhänge. Die Gruppe der Seychellen umfaßt 29 Inseln, die alle nicht weit auseinanderliegen; dennoch sind auffallende Trennungen in der Flora und noch mehr in der Fauna zu finden. Die Lodoicea, die riesige Fächerpalme wächst wild nur auf zwei Inseln: Praslin und Curius island. Ebenso soll es einen Vogel geben, der nur auf Mahé vorkommt, einen andern, der nur auf Praslin und Felicité lebt und alle übrigen 27 Inseln meidet. Wenn das schwer nachzuweisen ist -- abgesehen von der Tiefseeexpedition mit ihrem vorübergehenden Aufenthalt, hat sich ein deutscher Zoologe längere Zeit auf den Seychellen aufgehalten --, so muß man staunen, wenn man in der genau mit Datum und Fundort bezeichneten Konchiliensammlung sieht, daß eine Schnecke, die auf allen Inseln nur mit ganz rundem Gehäuse vorkommt, auf einer einzigen Insel ausschließlich mit einer ausgesprochen scharfen Kante gefunden wird. „Das sind,“ sagte der Pflanzer, „Beobachtungen, an denen sich jeder Naturfreund freuen sollte; die die Größe der Natur erhöhen und an denen wir schlichten Sammler Entdeckerfreuden erleben.“ Er nahm Haeckels „Welträtsel“ -- in englischer Ausgabe -- aus seinem Bücherschrank und sagte, die deutsche Jugend könne sich freuen, daß ihr ein solches Buch gegeben würde, zur Teilnahme an einem großen Kampf. Nach dem Essen saßen wir in bequemen Stühlen auf der Veranda, und mein Gastgeber lockte durch Pfeifen eine große Zahl kleiner Vögel und wilder Tauben heran, die so zahm waren, daß sie aus der Hand fraßen. Auf dem Rückwege nahm ich unter dem Wasserfall ein Bad, dann segelte mich ein alter Neger in seinem Einbaum mit gutem Winde über die Korallenriffe hinweg an Bord zurück. Mir wurde erzählt, daß in den Bergen der Inseln eine ganz besondere Vegetation zu finden sei: der tropische Urwald mit riesigen Bäumen und seltenen Holzarten. Das mochte man kaum glauben, wenn man vom Ankerplatz des Schiffes aus nach den Höhen der Granitfelsen hinaufsah. Die trockenen Reiser, die dort oben sichtbar wurden, wenn die vom Winde bewegten Nebel ein Fenster offen ließen, sollten große tote Bäume sein? Unter Führung schwarzer Holzarbeiter stieg ich eines Morgens hinauf und stand nach vierstündigem Klettern auf dem höchsten Punkt der Insel, dreitausend Fuß über dem Meere. Urwald umgab mich hier; Laubbäume, von denen Tautropfen fielen, große Baumfarren und Moos. Zwischen den lebenden Stämmen standen riesige unbelaubte Eisenholzstämme; seit Jahrzehnten abgestorben trotzte ihr zähes Holz den Einflüssen der Witterung. Über die Wipfel der Bäume hinweg sah ich den Horizont. Insel im Meere! -- Rundum suchte der Blick nach fernem Land; die weite, bewegte Flut trennte mich von der Heimat und von der Fremde. Die Heimat mit ihrem Wissen, Verarbeiten und Erziehen machte mich hungrig nach der Fremde! Und Freude an der fremden, bunten Welt hier draußen lockte mich am frühen Morgen hinaus. Da sah ich das Meer, im Morgenlicht; die erwachende Tierwelt und die Menschen, die die Tagesarbeit vorbereiten. Nicht der satte Mittag, an dem schon der nächste Tag erhofft wird, kann den reinen Genuß geben, den der Morgen dem Lebenden gibt. Dem erwachenden Tag, dem Morgen mit seiner Schönheit, seinem aufklärenden Licht habe ich Freuden und Erfolge in Afrika zu danken. -- Auch was ich an Kulturansätzen sah, in dem Lande, dem meine Hauptaufmerksamkeit galt, war wie ein junges, erwachendes Leben. Endlich war es für mich der erste Versuch frei und selbständig in die Welt zu gehen und die Dinge anzuschauen; ich selbst stand „im Morgenlicht“. -- [Illustration: Die katholische Kirche in Daressalam. Der stolze Bau gibt, in Verbindung mit dem geschmackvoll gebauten Bischofspalast, dem Städtebild sein Gepräge. Besonders vom Hafen aus ist der Blick auf die Stadt schön. Im Vordergrund des Bildes rechts sieht man eine Pandanus mit ihren Stelzwurzeln; die den Ananas äußerlich ähnlichen Früchte werden in Ostafrika angeblich nicht gegessen.] Daressalam. Die Küstenplätze Ostafrikas, ihre Einrichtungen und Anlagen zu beschreiben, habe ich mir nicht zur Aufgabe gemacht. Gute Schilderungen von berufenen finden sich in vielen neuerschienenen Büchern; ich will nur einen kurzen Einblick geben in Dinge, die nicht oft erwähnt zu werden pflegen. [Sidenote: Daressalam.] Als S. M S. Bussard im Sommer 1904 in den Hafen von Daressalam einlief, war es noch das alte Daressalam; wir durften die ganz stille Zeit noch miterleben. Ein Jahr später begann der Bahnbau und brachte Leben in die Stadt. Die Kaufleute hatten zu tun, Unternehmer begannen den Bau der Bahnstrecke, ein Arbeitsmarkt entstand. Der Aufstand kam hinzu, Marinetruppen kamen und gingen; oft lagen drei Kriegsschiffe zugleich im Hafen. Die alte stille Zeit: Da war Daressalam Regierungssitz; für Handel und Verkehr aber nicht mehr als der Ausgangspunkt für die Pugustraße, die eine Tagereise weit ins Land führte. Die Karawanen des Zentralmagazins gingen von hier nach den Innenstationen. Sobald man das Weichbild der Stadt überschritt, kam man in Busch, in Pflanzungen der Eingeborenen. Sehr bezeichnend ist der Ausdruck, den ich aus dem Munde des Herausgebers der Deutsch-Ostafrikanischen Zeitung hörte: „Beim Anblick Daressalams hat man immer das Gefühl: ‚_bado_‘ (‚noch nicht!‘).“ Dieser Ausspruch soll etwa heißen: jeder, der das Land sieht, sagt: „ein reiches, aussichtsvolles Land!“ Immer neue kommen, gehen, erzählen daheim, wie schön es ist, und immer noch läßt der erwartete Unternehmungsgeist auf sich warten. Das ist inzwischen freilich anders geworden: Daß ohne Bahnen kein noch so reiches Land erschlossen werden kann, hat nachgerade jetzt jeder eingesehen und bald wird man vergessen haben, welche Mühe sich das Gouvernement hat geben müssen, um in Deutschland richtige Ansichten über die Kolonie zu verbreiten. Die anerkennenswerten Versuche, durch Wegebau, Begünstigung der Eingeborenenkulturen, -- besonders was Baumwollbau anbetrifft, -- die Produktion zu heben, werden hoffentlich bald von den Folgen des Bahnbaus in Schatten gestellt sein. Wochenlange Reparaturzeit, die das Kriegsschiff dank der zu solcher Leistungsfähigkeit entwickelten Werft der Gouvernementsflottille im Hafen von Daressalam, anstatt in Kapstadt, verbringen konnte, gab uns Gelegenheit, an Land zu wohnen und das Städtchen kennen zu lernen. Vor Wind und Wetter geschützt hatte das Schiff im Hafen, von Daressalam einen angenehmen Aufenthalt. In wenigen Minuten war das Land erreicht und nach kurzem Spaziergang konnte man -- nötigenfalls durch drei Pfiffe -- das Dinghi, (das kleinste Boot des Kriegsschiffs), mit einem Neger der Wache bemannt, querab am Strand haben, um schnell wieder an Bord zu gehen. Der Entschluß, an Land zu gehen, wurde einem daher nicht so schwer, wie an Plätzen, wo das Schiff weit von der Küste auf Reede lag und nur wenige Routineboote den Verkehr mit Land aufrecht hielten. In dem Falle überlegte sich mancher, ob er sich den Unbequemlichkeiten der weiten Bootfahrt aussetzen sollte? Wir Seeoffiziere waren in Daressalam stets in beneidenswerter Lage. Wenn man den Nachmittag nach beendetem Dienst mit Spaziergängen in den Palmenwäldern und in anregendem Verkehr mit den Offizieren, Kaufleuten und Beamten der Stadt verbracht hatte, dann brauchte man nicht in dumpfiger, heißer Stube unter ein Moskitonetz zu kriechen, sondern fuhr in wenigen Minuten auf sein schwimmendes Heim zurück, das von Insekten unbehelligt auf dem Wasser lag. Da fand man seine kleine Kammer vor und schlief bei der größten Hitze und Windstille gleich gut; weil ein kleiner, elektrischer Ventilator frische Luft über das Bett wehte. So konnte man die Vorzüge des Landes genießen, ohne die Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. -- Einige Europäer haben schon daran gedacht, in Hausbooten auf dem Wasser zu wohnen, und den Zolldirektor in eine eifrige Debatte verwickelt über die Frage, ob sie dort Getränke zollfrei genießen dürften. -- Es trieb mich, die Stadt und das Leben in den Straßen zu sehen. Vor Tageslicht stand ich auf. Als ich im Dinghi an Land fuhr, beleuchtete die Sonne warm die weißen Gebäude am Strand; am Zoll ging ich vorbei. Da saß ein schläfriger, schwarzer Matrose und blickte auf die Araberdhaus, die neben der Brücke verankert lagen; dort regte es sich schon; die großen Segel wurden gehißt, kräftige schwarze Seeleute holten an dem Fall; die schweren Takel knarrten, während die Kokosstricke hindurchliefen. Mit dem ersten Morgenwind trieb täglich eine Anzahl der malerischen Fahrzeuge dem Ausgang der Bucht zu. Sie brachten Brennholz vom Rufiyidelta, Kopra von Tschole- (Mafia) oder Baumwolle von Kilwa und Mohorro; auch Gummi aus dem Dondeland, Getreide und Wachs. Ein Boy führte mir das bestellte Reittier vor. Wenige Europäer standen erst unter den Vorbauten der Wohnungen. Ich ritt mitten durch die Negerstadt und sah mit Vergnügen zu, wie ein schreiendes Kind von seiner Mutter gründlich gewaschen wurde. [Illustration: Straße in Daressalam. Häuser der Europäer, aus Korallenstein erbaut. In dem linken Hause befindet sich die Druckerei der Deutsch-Ostafrikanischen Zeitung. Eine ‚Bibi‘ in mit großen Sternen bedruckte Tücher gekleidet, trägt eine Tasse mit Öl in der Hand. Zwei Träger mit Lasten auf Kopf und Schulter; Boys und ein Eselwagen der Gemeindeverwaltung.] Aus den Hütten kamen Negerinnen heraus, die morgens baden, Wasser holen und sich zum Marktgang vorbereiten. Durch die Palmenpflanzungen der Sultansschamba erreichte ich die Ölpalmenquelle. Zwischen großen Abhängen senkt sich das Tal zum Creek hin, der zur Flutzeit vom Meerwasser überschwemmt wird. In dem feuchten Tale stehen ein Dutzend der an der Ostküste seltenen Ölpalmen als dunkle Gruppe. Viele Negermädchen mit Blechtins und irdenen Töpfen waren auf dem Wege dorthin; an der Quelle schöpften sie Wasser in ihre Gefäße. Auf der Straße nach Bagamoyo schritten drei Bibis rüstig aus. Die eine trug ein kleines Kind auf dem Rücken; in der Hand einen Regenschirm. Der Reiseanzug bestand aus sauberen, bunten Tüchern; ein Tuch war um den Kopf gewickelt. Ich fragte wohin sie gingen? „Nach Bagamoyo!“ „In einem Tage?“ „Heute schlafen wir in Mbweni!“[1] -- Sie gingen den Abhang hinab in das Simbasital, in dem viel Mangrovengebüsch steht und an die Überschwemmungen des Meeres zur Flutzeit erinnert. Neger mit Feldfrüchten kamen aus den Schamben und gingen zum Markt. Auf der Karawanenstraße begegneten mir Träger, die in den großen Hütten der Karawanserei übernachtet hatten; Fremdlinge, die das gedrängte Leben der Großstadt fast zu verwirren schien. Sie gingen zum Markt, um sich Essen zu kaufen: Matamamehl, einige Mohogoknollen und für 1 Pesa Fisch, in kleinen Stücken auf Pflanzenfasern gereiht. Im Staube der Straße saßen am Wege kleine Mädchen hinter geschnitzten Holztellern, auf denen fettiges Gebäck und gebratene Fische zum Verkauf lagen. Hier kaufen sich der Boy, der zur Arbeit geht, die Bootsleute und die Hafenarbeiter ihr Frühstück. Dicht dabei war eine regelrechte Eingeborenenkneipe, in der allerdings nur Sodawasser verschenkt wurde. Die Gäste genossen das prickelnde Getränk unmittelbar aus der Flasche. Auch Tische standen da und es wurde Karten gespielt. Hier verkehrten die oberen Zehntausend der Schwarzen, die Lebewelt, Boys, die gerade Geld bekommen hatten, und Askari. -- Daß die Damen keinen Zutritt hatten, ist selbstverständlich. -- Die Mehrzahl der Gäste waren Stutzer mit langem, bis an die Knöchel reichendem Hemd, weißer, gestickter Mütze und dünnem Stöckchen. Mancher trug auch über dem Hemd eine Weste. [Illustration: Die Quelle am Simbasital bei Daressalam. Negerweiber kommen von weither aus der Stadt, um hier gutes Wasser für den Hausgebrauch zu schöpfen. In Tontöpfen und Petroleumtins tragen sie das Wasser auf ihren Köpfen heim. Im Hintergrunde des Bildes sieht man eine Gruppe der an der Ostküste seltenen Ölpalmen (Elaeis).] Durch enge Gäßchen kam ich auf einen sauber gefegten Platz, wie es viele in den Dörfern der Küstenneger gibt: Hütten mit offener Veranda, in der eine Bibi sitzt und Streifen Flechtwerk zu einer Matte zusammennäht. Zäune aus trockenen Palmblättern von grünen Bananen, Papayen und Zuckerrohr überragt; ein Mangobaum, in dessen Schatten ein halbes Dutzend Neger um eine polierte Tischplatte herumsitzen und Karten spielen. Zwischen den Inderläden ritt ich entlang. Mädchen mit Körben auf dem Kopfe für Einkäufe, andere mit einer Flasche oder Tasse, um Öl zu holen. Auch dies wird auf dem Kopfe getragen; denn die Bibi will beide Arme frei haben, weil sie mit ihren nur lose umgeschlagenen Tüchern dauernd zu schaffen hat. An ihrer ganzen Kleidung, die aus zwei dünnen Baumwolltüchern besteht, ist kein Knopf, keine Naht. Auch die Männerkleidung muß erst gesäumt und genäht werden. In offenen kleinen Buden sitzen ein halbes Dutzend fleißige Suaheli an Nähmaschinen, nähen Mützen und säumen Tücher. Ein merkwürdiger Geschmack wird vielfach dabei entfaltet, z. B. Nachahmung von Oberhemden der Europäer mit Manschetten, die ohne Knöpfe getragen werden und bei jeder Arbeit hinderlich sind. Das Nähen ist nach Anschauung der Suaheli eine Arbeit, die nicht schändet und deshalb auch von Männern ausgeführt werden kann, während Feldarbeit, Bereitung des Essens, Wasserholen von dem vornehmen Suaheli den Weibern überlassen wird. An der Markthalle gab ich mein Reittier einem Boy, der es in den Stall brachte. Auf dem Markt war viel zu sehen. Zwischen den Säulen der Halle bewegten sich die Käufer und Käuferinnen. Ich folgte einer Negerin, die einkaufte. Sie nahm ihr Körbchen vom Kopfe und suchte sich eine halbe Kokosnuß aus; sorgfältig und sauber geöffnet lagen die Nüsse da; dann kam sie zu einem Händler, der fein geriebenen Tabak feilhielt. Das Quantum für je ein Pesa war in Papier gewickelt. Sie nahm aus einer Schale eine Probe und wischte den Tabak hinter die Unterlippe, dasselbe wiederholte sie bei dem nächsten Händler. Hier schien es besser zu schmecken; sie zahlte die Kupfermünze und nahm ein Päckchen. Dann wurde mit ähnlicher Sorgfalt ausgewählt: Mohogo, Fisch und anderes. Jede Ware ist in kleine Portionen geteilt. Feilschen ist überflüssig, dennoch ist ein ohrenbetäubendes Reden, Lachen, Zetern und Schreien in der Halle. Askari, schwarze Polizisten, die Goanesenköche der Hotels drängen sich zwischen Leuten aus der Karawanserei und den vielen buntgekleideten Weibern. [Illustration: Phot. aus Daressalam. Negerkinder auf der Straße, beim Essen.] An Früchten liegen dort besonders Bananen, Lemonen, Papayen, Ananas, Zuckerrohr, Mohogo; auch Bohnen und Zwiebeln. Wer sich genauer für die Produkte interessiert, findet viele Dinge, die ihm neu sind. Da werden auch gebleichte Blätter der Phönixpalme (zur Herstellung von Matten) verkauft und Wurzeln, aus denen der Farbstoff zum Färben des Flechtmaterials gewonnen wird. An seltsamen Fischen sieht man: die großen Stachelrochen, mit meterlangen scharfkantigen Schwänzen, Tintenfische und Haie. Das Haifischfleisch gibt einen widerlichen Geruch von sich und kann dem Europäer die Spaziergänge im Eingeborenendorf gründlich verleiden. Der Markt hatte für mich große Anziehungskraft, denn hier konnte ich am leichtesten die Stimmung beobachten, die der Neger empfindet, wenn er in das Volksgedränge kommt, unter die vielen Menschen, die, was sie schnell verdienen, ebenso schnell wieder verzehren, und deren Zufriedenheit beim Anblick der reichlichen Lebensmittel in den Worten zum Ausdruck kommt: „_killa kitu tayari_: es ist alles da“. Jeder Fremde, der Daressalam auf der Durchreise besucht und das Eingeborenenviertel vergleicht mit den Wohnungen der Kaffern in Delagoabay oder der Neger in Mombasa, bekommt denn auch den Eindruck, daß es den Schwarzen im deutschen Gebiet gut geht. Vom Markt aus bog ich in die Straße „Unter den Akazien“. Knallrote Blüten bedeckten die Bäume. Am Ende der langen Baumreihe liegt der Kulturgarten mit dem Hospital; nicht weit davon das Wohnhaus des Gouverneurs in schönen Parkanlagen versteckt, mit der Aussicht auf das Meer. Hart am Strande, hinter einem Kasuarinenwäldchen, ist ein kleines Gebäude halb in das Wasser hinausgebaut: das Aquarium; ein kleiner, aber viel versprechender Anfang, die reiche Fauna des ostafrikanischen Meeres zu zeigen und wissenschaftlich zu erforschen. Hier fand ich den Stabsarzt unsers Kriegsschiffes beschäftigt, die vier Wasserbassins mit frisch gefangenen Fischen zu besetzen und durfte mich auch an dem Anblick einiger großer Langusten erfreuen, die für den Tisch der Offiziermesse bestimmt waren. Da in den nächsten Tagen die Ankunft eines großen Postdampfers von Süden erwartet wurde, sollte das Aquarium zu einer Sehenswürdigkeit für die Passagiere gemacht werden, und eine Fahrt nach den Korallenriffen bei der Leuchtturminsel Makatumbe war nötig, weil dort der Aquariumssammler reiche Ausbeute findet. Jetzt schon lagen in dem ersten Bassin Tintenschnecken wie leblos zwischen Steinen und Sand, durch sonderbare Höcker und Runzeln ihrer Umgebung so angepaßt, daß sie schwer darin zu unterscheiden waren. Zerschnittene Fische, in das Bassin geworfen, brachten schnell Leben in die unförmigen Geschöpfe, die die Bissen mit den Fangarmen ergriffen und zum Munde führten. [Illustration: Im Palmenwald bei Daressalam. Die Palme im Vordergrund zeigt die Einkerbungen, die den Negern als Stufen dienen, um auf die Baumkrone hinaufzusteigen, Palmwein zu zapfen, oder Nüsse abzuschlagen. Alle Palmen, bei denen Anzapfen gestattet ist, sind mit einem _T_ (_tembo_ = Palmwein) gezeichnet. Dunkle, dichtbelaubte Mangobäume stehen zwischen den schlanken Stämmen der Kokospalmen. Rechts sieht man auf dem Bilde einen gemauerten Brunnen mit Auftritt. Der Afrikaner spricht von einer „Palmenschamba“, d. h. Pflanzung, weil es natürliche Kokoswälder dort nicht gibt.] Seesterne, Schlangensterne, Seeigel und Seegurken lagen auf dem Boden des nächsten Bassins; ein Farben- und Formenreichtum, der das Auge entzückte. Urkomisch waren die hier häufigen Kofferfische und die Kugelfische, die sich, aus dem Wasser gehoben, wie ein Ballon aufpumpen und ihre Stachel von sich spreizen. Die Pflege eines Seewasseraquariums erfordert viel Mühe und Sorgfalt, denn nicht alle Fische halten sich in der Gefangenschaft und gewisse Arten kann man nur wenige Stunden im Bassin beobachten, dann sterben sie. Obwohl es nicht schwer ist, neue Tiere zu fangen und auch die schwarzen Fischer häufig Schaustücke mitbringen, kann das Aquarium deshalb nicht immer eine große Sehenswürdigkeit sein. Wer sich jedoch erst einmal dafür interessiert, für den gibt es immer etwas zu sehen. Am nächsten Morgen begleitete ich den Stabsarzt hinaus, um auf den Riffen von Makatumbe für das Aquarium zu sammeln. Der Südwestmonsum wehte und das aus dem Hafen hinauslaufende Wasser förderte die Fahrt unserer kleinen einheimischen Auslegerboote. Wenn der Wind recht stark in das Segel des primitiven Fahrzeugs faßte, konnte man weit zu luvard auslegen und sah dann das klare, grüne Wasser unter sich hindurchschießen. Mit uns verließ eine große Inderdhau die enge Einfahrt, um ihren Kurs nach Sansibar zu nehmen. Der braune Holzkasten mit der plumpen Takelage und den großen Segeln paßte so recht zu dem Palmenstrand im Hintergrund und zu den farbigen Menschen. Nach einer Fahrt von etwa einer halben Stunde landeten wir auf der Leuchtturminsel. Die Boote wurden auf den Sandstrand gezogen; die Neger folgten uns mit Eimern und Glasgefäßen auf die Riffe, die schon fast frei von Wasser waren. Strandläufer und Reiher flogen auf. Große, gehobene Korallenfelsen standen da, von der zur Flutzeit drumherumtobenden Brandung zu fantastischen Formen zurechtgeschlagen. An dem zackigen, scharfkantigen Gestein saßen Austern, die man mit Beilen losschlagen mußte; eine kleine aber wohlschmeckende Art. Viele Krabben liefen über die Steine hin, ihre spinnenähnlichen, von gelenkigen Beinen schnell fortbewegten Körper sahen drollig aus, weil sie nicht vor- oder rückwärts, sondern seitwärts liefen; die Stielaugen und Fühler waren dabei nach oben gerichtet. Die feuchte Oberfläche des Riffs hatte eine braungrüne Farbe. Viele kleine und große Wasserbecken waren von der Flut zurückgeblieben; jedes ein natürliches Aquarium mit großem Reichtum an Lebewesen, die sich vor den glühenden Sonnenstrahlen dorthin geflüchtet hatten, wenn sie nicht in Hohlräumen unter den Steinen die Rückkehr der Flut erwarteten. Hunderte von Einsiedlerkrebsen, die sich kleine Muschelschalen, ein fremdes Kleid, angezogen hatten, spazierten mit ihrem Haus unter den Schutz der Korallensteine und Tangpflanzen. [Illustration: Die Johannesstraße bei Daressalam. Links das Meer, davor einige Pandanen; am Strand ein Fischerboot, das seine Segel zum Trocknen ausgespannt hat. In den Kokospalmen rechts ein Fischerdorf. -- Die Straße ist nach Major Johannes benannt, einem der ältesten Offiziere der Schutztruppe, der die Entwickelung der Kolonie bis heute aktiv miterlebt hat und im Aufstand im Jahre 1905/06 die Operationen der Schutztruppe im Süden der Kolonie leitete.] Wenn man die Steine umdrehte, entfloh aalgleich eine Moräne; vor ihrem scharfen Biß, der wie der Schnitt eines Rasiermessers ins Fleisch dringt, mußte man sich hüten. Blitzschnell wand sie sich über den Boden dahin und war in der nächsten Höhlung verschwunden. Die Unterseite einer umgedrehten Steinplatte ist bunt wie die Palette des Malers. Weichtiere, Schnecken, Brut und Algen in allen erdenklichen Farben, dazu Schlangensterne verschiedener Art, bunte Muscheln und Krebstiere. Ein natürliches Wasserbecken nun gar erst, umschließt eine Welt für sich; wenn kein Wind die Oberfläche kräuselt und die Sonne warm hineinscheint, ist es ein hoher Genuß für den Naturfreund, dem Leben darin zuzusehen. Die zerklüfteten Korallensteine stellen gleichsam die Landschaft dar; Berge, Halbinseln, Grotten erscheinen da, Algen und Tange bilden Wälder, in denen sich Schnecken, Holothurien und Seesterne verbergen, während Fische über die Bäume hinwegfliegen wie Vögel in der Luft. Ostafrikanische Negerin in der Tracht der Küste. Ein mit seltsamen Mustern bedrucktes Baumwolltuch bildet ihr Kleid; es ist über der Brust eingefaltet. Auf dem Nacken liegt eine Messingkette. Um den Hals trägt sie ein Band mit blauen Glasperlen; in jeder Ohrmuschel drei Pfropfen aus zusammengerolltem Papier mit Staniolstreifen durchzogen. Ihr kurzes, krauses Haar ist mehrfach gescheitelt und in getrennten Bahnen geflochten. Mit der linken Hand hat sie hinter dem Rücken den rechten Oberarm angefaßt; durch diese Haltung tritt das Schlüsselbein besonders stark hervor. Die meisten Negerinnen gehen aufrecht und schön, weil schon die Gewohnheit, alle Gegenstände (selbst den zusammengefalteten Sonnenschirm!) auf dem Kopf zu tragen, sie zu guter Haltung erzieht. Leuchtend weiße, wohlgepflegte Zähne sind nach unserm Begriff ihr schönster Schmuck. Die Schönheitspflege der Küstennegerin erstreckt sich sogar auf die Haut und die Fingernägel. [Illustration: Ostafrikanische Negerin in der Tracht der Küste.] Wenn nun der Blick auf einer ganz beschränkten Stelle haftet, regt sich dort eine noch kleinere Welt, deren Gestalten schließlich nur noch mit dem feinen Planktonnetz gefaßt und mit dem Mikroskop erkannt werden können. Während wir noch Eimer und Gläser mit wunderlichem Gewürm anfüllten, zogen Neger einen mehrere Meter langen Hai auf den Strand. Sie hatten ihn mit der Angel gefangen und versprachen sich guten Gewinn auf dem Markt. [Illustration: C. Uhlig. Korallenfelsen bei der Insel Makatumbe.] Ich bestellte mir das große Gebiß, das eine Öffnung von fast ½ _m_ hatte. Der Fisch wurde in Stücke geschnitten, und nur die Wirbelsäule blieb liegen. Die Neger brachten noch einen anderen merkwürdigen Fisch: den Schiffshalter. Er trägt an Stelle der vorderen Rückenflosse eine Haftscheibe, mit der er sich, -- obwohl er selbst sehr gewandt schwimmt, -- um schneller vorwärts zu kommen, an dem Boden der Schiffe oder an großen Fischen festsaugt. Wir legten ihn in eine Holzbalje mit Wasser; er hielt sich an der glatten Innenwand so fest, daß ich ihn nur mit großer Gewalt losreißen konnte. Die Flut kam. Schon warf sich die Brandung höher auf die Riffe; ihr Brausen mahnte uns, schnell zur Insel zurückzugehen, um mit der reichen Beute die Heimfahrt anzutreten. Wir sahen über die Bucht mit ihren grünen Ufern. Hier haben vor dreißig Jahren noch Flußpferde in der See gelebt! Weit in das Meer hinaus sind die großen, plumpen Säugetiere geschwommen. In allen Buchten sind sie heimisch gewesen und von der Küste aus bis nach der Insel Mafia hinübergetrieben, wo sie heute noch zu finden sind. Das ist gewesen. Der Ozean aber birgt ein Leben, das unendliche Gelegenheit zu Beobachtung gibt. Mir scheint, dies Leben ist mit seinem Reichtum an Farben und Formen, mit seiner Vielseitigkeit, seinen Wundern und ungelösten Problemen so recht zur Freude des Menschen da und zeigt ihm unendliche Wege, die sein Wissensdrang noch gehen kann. [1] Spr.: _bueni_. [Illustration: Eine Dhau aus Kilwa auf dem Mohorrofluß.] An der Küste. Die über siebenhundert Kilometer lange Küste Deutsch-Ostafrikas ist reich an guten Häfen für die größten Schiffe, an Creeks und stillen Buchten für den Dhauverkehr und die Fischerei der Eingeborenen. Inseln und Bänke sind dem Festlande vorgelagert und schützen gegen die Dünung des Indischen Ozeans. Dadurch zeichnet sich die Küste aus vor der des südlichen und westlichen Afrikas, die schwer zugänglich ist, und an der sich die Schiffahrt der Eingeborenen nicht hat entwickeln können. Der Küste gegenüber liegen die großen, fruchtbaren Inseln Pemba, Sansibar und Mafia. Die Nähe der Insel Sansibar und das Vorhandensein reichbevölkerter Inselgruppen im Indischen Ozean, die Wind- und Wetterverhältnisse, die den Verkehr mit Indien und Arabien begünstigten: dies alles hat dazu beigetragen, daß hier zu allen Zeiten ein reger Handelsverkehr bestand. Der Segelschiffverkehr an der Küste von Deutsch-Ostafrika steht im Zeichen von regelmäßig alljährlich auftretenden Winden; sieben Monate lang weht bei Sansibar der Südwest-, drei Monate der Nordost-Monsun. In der übrigen Zeit ist der Wind unbestimmt; die beiden regelmäßigen Winde aber sind die Grundlage des Handels zwischen Ostafrika und Indien. Gegen Ende November, wenn der Nordostwind seine volle Stärke erreicht hat, füllt sich der Hafen der schönen Nelkeninsel mit Inderdhaus. Aber auch Mombasa, Daressalam und Mocambique werden von diesen altertümlichen Holzschiffen angelaufen. Die Unsicherheit der Festlandsküste war vor allem Ursache der großen Bedeutung Sansibars; es wurde der Stapelplatz für alle Güter, die aus Ostafrika herauskamen und die Operationsbasis für Unternehmungen nach dem Innern des Kontinents. Zugleich war es der günstigste Platz für den Sklavenmarkt, weil die Insel als fast einziger Produzent der Gewürznelken in der ganzen Welt stets Arbeiter in den Pflanzungen beschäftigen konnte, und Menschenkräfte dort nicht brach zu liegen brauchten. An die Geheimnisse dieses Handels wird erinnert, wer in den Gewässern zwischen den Inseln und dem Festlande tagelang kreuzt, wie wir es mit S. M. S. Bussard taten. Die lieblichen Einfahrten, mit hellgrün schimmernden Korallenbänken, die vielen, kleinen, mit dichtem Busch bestandenen Inseln; die weit ins Land greifenden Creeks, eintönig mit Mangroven geschmückt: das ist der Hintergrund für die Schiffahrt schwarzer Menschen in naturfarbenen, wenig gepflegten Holzkästen mit Baststricken und großen, kühn im Winde geschwellten Segeln über blauer Flut. Die Fischerei wird noch immer selbständig von den Eingeborenen ausgeübt; in selbstgefertigten, schmalen Auslegerbooten; mit Angelschnur und Korbreuse in tiefem Wasser, mit Netzen und Rohrgeflecht in den flachen Buchten, die teilweise zur Ebbezeit trocken fallen. An der Fischerei ist ebenso wie an der Schiffahrt alles althergebracht und der europäische Einfluß hat wenig daran geändert. Der Fischreichtum ist groß; das beweisen die Märkte und die gefüllten Fischerboote, die man auf dem Heimweg zur Stadt antrifft. [Sidenote: Sansibar.] Da wir ein Interesse daran hatten, die deutschen Küstenplätze vor Sansibar zu bevorzugen, ging das Kriegsschiff nur selten nach der Sultansinsel, obschon sie dem Festlande so nahe liegt, daß man von Saadani aus den Mittagsschuß hören kann, der vor dem Palast des Sultans gefeuert wird. Ich persönlich bedauerte, daß wir so selten in Sansibar waren; denn dort ist immer noch eine starke Kolonie deutscher Kaufleute, und die Insel bietet dem Besucher eine Fülle des Sehenswerten. Wohl an keinem Platz der Erde ist ein solches Völkergemisch vertreten, wie dort; wenn auch meist nur in wenigen Vertretern. Die Asiaten sind zur Stelle, vom Japaner bis zum Inder; Bewohner der Seychellen, der Komoren und Madagaskars, Araber, Belutschen und Neger fast aller Volksstämme könnte man nachweisen. Dementsprechend ist, was die Händler in ihren dunklen Läden anzubieten haben. In Sansibar trifft man leider schon freche Neger; in den vom Fremdenverkehr berührten Hafenplätzen können die Schwarzen den bescheidenen Charakter offenbar auf die Dauer nicht behalten. Sehr bald wird man auch in Daressalam und in Tanga von der guten, alten Zeit sprechen, mit ihrer großen Auswahl an anständigen Boys, mit mäßigen Löhnen, die die Neger doch zufrieden machten. Ich weiß nicht, ob der Deutsche fähiger ist als der Engländer, den Eingeborenen zu distanzieren, traue aber dem Deutschen ein sicheres Gefühl für seine Stellungnahme zu; denn dem Deutschen ist die Kolonie nicht nur ein Ort für Gelderwerb, sondern zweite Heimat, die er sich nicht verleiden lassen will; auch nicht durch Verderb der Eingeborenen, und durch Minderung des Rassenprestige. Daher kommt vielleicht auch die sichtbare Abneigung der Deutschen gegen die Missionen, die zum Teil ohne nationales Interesse auf den Neger einwirken, und ihren sehr verschiedenen Aufgaben entsprechend, selten eine gemeinsame Kulturarbeit mit dem Ansiedler betreiben; daher auch der gute Klang des Titels „alter Afrikaner“ und das Mißtrauen gegen jeden, im Verhalten zu den Schwarzen noch nicht gefestigten Neuling. -- Im allgemeinen geht der Handel Sansibars zurück. Die Ladung der Dampfer der Deutschen Ostafrikalinie verteilt sich jetzt auf alle kleinen Küstenplätze, während früher fast der gesamte Handel der Ostküste bis nach Lamu und Somaliland hinauf über Sansibar nach Europa ging. Nach der Nelkenernte riecht die ganze Stadt nach Gewürznelken; am meisten der Zoll, der an der Landungsstelle liegt. Der angenehme Duft empfing auch mich als ich eines Tages mit einem Kameraden an Land ging. Wir machten Einkäufe in den Läden der Hauptstraßen: silberne Kannen, aus Ebenholz geschnitzte Elefanten, Elfenbeinschnitzereien und seidene Decken aus Japan; nahmen einen Wagen und fuhren durch die engen Straßen hinaus nach Mnazi moja, einer breiten Allee, die zu den Sportplätzen der Europäer hinführt. Das Hochwasser füllte die Lagune, die die Stadt von den Negerdörfern trennt. Auf guten, festen Straßen rollte unser Wagen dahin, durch reiche Vegetation: dunkle Mangobäume mit Kokos- und Betelpalmen hinter weißen Gartenmauern. In den Gärten lagen Landhäuser der Inder und Araber; zum Teil verfallen und von Pflanzen überwuchert. Viele Negerweiber in sauberen Tüchern gingen nach dem Ngambo, dem Negerdorfe, zum Tanz; sie hatten nach Landessitte ein großes Tuch um den Kopf gewickelt. Ich fragte einen Neger, der mit zufriedenem Gesichtsausdruck dastand, was seine Arbeit sei? „Ich passe auf eine Schamba auf!“ „Wem gehört die Schamba?“ „Dem Eigentümer.“ „Wer ist der Eigentümer?“ „Ein Araber, Ali Sefru.“ Gegen Abend trafen wir den deutschen Konsul und die Vertreter der Firmen Hansing, O’Swald, die Herren von der Agentur der Ostafrikalinie, der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft und andere Mitglieder des Deutschen Klubs in der sogenannten Klubschamba, einem schattigen Garten mit der Aussicht auf das Meer. Als es dunkel wurde, schrien die kleinen Ohrenmakis rundum in den Bäumen; nur bei scharfer Aufmerksamkeit erkannte man die „Komba“, die eifrige Kerbtierjäger sind und zur Nachtzeit auf Raub ausgehen. Die Wagen brachten uns in die Stadt, wo ich einer Einladung folgte und in einem der malerischen alten Araberhäuser bei deutschen Kaufleuten dinierte. Die Punka, ein großer hängender Fächer, wehte über der Tafel, und wie überall an der Ostküste servierten schneeweiß gekleidete Boys, die barfuß und ohne Geräusch um den Tisch eilten. Nach dem Essen gingen wir in den Klub und saßen hoch oben auf dem Dache beim Whisky-Soda. Man sah den hellerleuchteten Sultanspalast und die vielen Schiffe im Hafen. Der Klub soll früher schwere Sitzungen erlebt haben; jetzt ist das anders geworden. Die Rücksicht auf die ernste Tätigkeit des Tages und auf die Gesundheit mahnt auch die lustigste Gesellschaft zur Nachtruhe, und in Afrika ist man, was Mäßigkeit betrifft, im Kneipen schon ebenso modern wie in Deutschland. Die Natürlichkeit, mit der sich die jungen Kaufleute rechtzeitig empfahlen, empfanden wir sehr angenehm. Am folgenden Abend blieb ich an Bord, weil ich als Piquetoffizier den Tag über mehrere Komplimentierbesuche auf fremden Kriegsschiffen zu machen hatte. Konsuln verschiedener Nationen kamen an Bord, und über vierzig Schuß Salut wurden im Laufe des Tages gefeuert. Auch ein großer Passagierdampfer von Südafrika war eingelaufen. Der Vollmond hob sich über die Türme und Dächer der Stadt und sein Licht trat in Wettstreit mit den elektrischen Bogenlampen des hellerleuchteten Sultanspalastes am Wasser. In der Flut glänzte der silberne Spiegel. Dunkel zeichnete sich davor die Silhouette eines italienischen Kriegsschiffes ab. Die Mannschaft hatte längst Hängematten, da kam eine Dampfbarkasse an Steuerbord längsseit. Eine junge Dame führte das Wort: „Ich will den ersten Offizier sprechen“ rief sie dem Bootsmannsmaaten der Wache zu. Der wachthabende Offizier rückte sich Schärpe und Mütze zurecht, ging auf das Fallrepp und übernahm die Verhandlung mit dem späten Gast persönlich. Sie wollte gerne das Kriegsschiff sehen; der wachthabende Offizier aber verweigerte ihr dies in höflicher Form, da die Schiffsetikette es verbiete, nach sechs Uhr Fremde an Bord zu lassen. „Ach was, Schiffsetikette. Fahren Sie weiter,“ sagte sie schließlich zu dem Bootssteuerer und dann zu dem wachthabenden Offizier und den inzwischen versammelten Matrosen: „Ihr seid ja gar keine rechten Soldaten Kaiser Wilhelms!“ Der Insel Sansibar gegenüber liegt auf dem Festlande die alte Handelsstadt Bagamoyo, der Ausgangspunkt für die Karawanen nach Tabora und Udjiji; nördlich von Bagamoyo, an der Mündung des Wami der kleine Ort Saadani, wo _Dr._ Peters im Jahre 1884 gelandet ist, um Land zu erwerben. Beides sind keine Hafenstädte und ihr Handel geht deshalb gegen den Handel Daressalams und Tangas langsam zurück. Bagamoyo war der Hauptausfuhrplatz für Elfenbein; gerade dieser Artikel wird immer seltener und macht allmählich der Baumwolle, dem Hanf und anderen landwirtschaftlichen Produkten Platz. [Sidenote: Saadani.] Bei Saadani hat das Kolonial-Wirtschaftliche Komitee auf dem ausgedehnten Alluvialland der Wamiebene eine Art Baumwollbau- und Dampfpfluggenossenschaft gegründet, deren Teilnehmer schon 20000 _ha_ in Pacht genommen haben; Dampfmaschinen für die Entkernung der Baumwolle wurden im Jahre 1905 aufgestellt. Uns zeigte Herr Wendt damals die ersten Erfolge; die Mitafifi Baumwolle, (die von der Leipziger Baumwollspinnerei mit 85-86 Pfg. pro ½ _kg_ bewertet wurde), die Schamben der Kommune Saadani und einiger Ansiedler; das gute Vieh: Buckelrinder und Esel. In Saadani ist das erste große Bauwollunternehmen in Deutschostafrika. Der Gedanke, in Kolonien Baumwolle zu bauen, ist vielleicht älter, als man in Deutschland allgemein glauben mag. Jetzt, wo das Interesse dafür so groß ist, sei es erlaubt, auf eine solche frühe Anregung hinzuweisen. Johann Jakob Sturz, einer der rührigsten Vorkämpfer deutscher Überseepolitik, hat schon ein Jahrzehnt bevor Deutschland die ersten Schritte in dieser Richtung tat, an eine Kolonisierung Afrikas gedacht; eine der vielen, anregenden Schriften, die er, unermüdlich anspornend unter den Gebildeten seines Vaterlandes verbreitete, trägt auf dem Umschlag eine Kartenskizze Ostafrikas vom Sambesi bis zum Juba.[2] Wie vieles, was dieser seltene Mann, seiner Zeit vorauseilend, gedacht hat, ist auch dieser Traum zur Wirklichkeit geworden. Freilich anders als er zu hoffen wagte; Sturz schlug vor, ein neutrales Ostafrika zu schaffen, in dem Deutschland gleichberechtigt neben England Handel treiben könne. „Vielleicht schon in zwanzig Jahren“, schrieb er (der immer das größte hoffte), „entwickelt sich dort eine Baumwollkultur, welche die aller anderen Länder zusammengenommen in Schatten stellt; denn Millionen von Händen werden sich ihr widmen, sobald sie nur Abnahme ihres Produktes finden, und wie sollten sie das nicht bei dem sicherlich leicht herzustellenden Transport zur Küste, teils durch bereits weit befahrbare Flüsse, teils durch wohlfeil herzustellende Straßen und Bahnen jeder Art?!“ Nördlich von Saadani liegt die Stadt Pangani an der Mündung des Pangani. Der Pangani kommt vom Kilimandscharo; seine Mündung ist sehr verschieden von der des Wami, des Rufiyi und des Rovuma; er durchbricht an der Küste einen niedrigen Höhenzug und hat nur einen Mündungsarm. Der Bussard ankerte auf Reede etwa zwei Seemeilen von der Stadt entfernt. Es fuhren nur wenige Routineboote, die je nach dem Strom gut oder schlecht vorwärts kamen. Ich besuchte die alte Araberstadt und die Plantage Buschirihof und kam spät am Abend zurück, zum Bezirksamtsgebäude am Ufer des Flusses. Der Bussard sollte am Morgen um drei Uhr nach Saadani in See gehen; ich mußte also unter allen Umständen sofort an Bord fahren. Die Europäer der Stadt waren alle mit den Booten fort, und mir stand kein Ruderboot zur Verfügung. Nach langem Hin- und Hersuchen fand ich endlich eine kleine, offene Dhau mit drei Negern, die mich hinaussegeln wollten. Das Fahrzeug machte keinen guten Eindruck; da es aber stockdunkle Nacht war, sah ich das erst, als ich mit Büchse und Rucksack an Bord gestiegen war und der Anker hochgenommen wurde. Es war kein Wind und das große Segel hing lose an der Raa; als der Anker aus dem Grunde war, trieb das Boot schnell zwischen anderen Fahrzeugen hindurch der Mündung des Stromes entgegen. Ein kurzer Wortwechsel entstand zwischen dem Neger am Steuerruder und den beiden schwarzen Matrosen vorne; ich achtete nicht darauf. Plötzlich aber sprangen die beiden über Bord, schwammen an Land und kletterten an das Ufer. Mein Bootsführer sagte, er könne nicht allein fahren; draußen wehe heftiger Wind und schwere See sei gegenan. Ich entgegnete, er solle die Schot und das Segel, ich würde die Ruderpinne nehmen. Er traute mir oder seinem Fahrzeug nicht und meine Lage war nicht erfreulich. Hinter Ras Muhesa, das sich dunkel zur Rechten erhob, und über Kikogwe stand eine noch dunklere Wolkenwand, und das Rauschen der hohen Brandung zur Linken kam immer näher. Auf weitere Fragen antwortete mein Kapitän nur mit einem „_bismillah_“; und einmal müßten wir ja doch sterben. Dazu hatte ich allerdings noch keine Lust. Noch war die Luft ruhig, das Boot fing an, einer langsamen Wellenbewegung zu folgen und plötzlich straffte ein heftiger Wind das morsche Segel; die Baststricke knarrten und ich fühlte starken Druck auf dem Ruder. In schneller Fahrt, von Wind und Strom getrieben, ging es einer immer wachsenden Dünung entgegen. An Backbord blieb die Brandung zurück, an Steuerbord tauchte die Wracktonne auf, die unter Ras Muhesa liegt und eine Stelle bezeichnet, die zu meiden ist, weil ein gesunkenes Schiff dort liegt. Das Boot stampfte mächtig ein und starke Spritzer kamen über. Der Neger schlug vor, umzukehren und abzuwarten bis der Wind nachlasse. Da war wieder eine Gefahr; denn eine Dhau wie diese wendet nicht, sondern geht vor dem Wind über den andern Bug, was man in der Seemannssprache „halsen“ nennt. Mit nur einem Mann für das große Segel ist es ein gewagtes Stück; man weiß nicht, wo das Segel während des Manövers bleibt und ob nicht die Schot brechen wird, wenn der Wind von der anderen Seite plötzlich hineinfährt. Zudem kannte ich das Material nicht, daß ich in der Hand hatte. [Sidenote: In der Mündung des Pangani.] Mir blieb also nichts übrig, als ein „inshallah“ zu murmeln, das Ruder zu legen und abzuwarten, was vorne der Neger unterdessen in der Dunkelheit fertig bringen würde. Und es gelang; das Segel schlug heftig, aber die Stricke hielten, die Schot stand jetzt an Steuerbord und derselbe Wind trieb uns wieder der Mündung des Stromes zu, bis er hinter dem Kap schwächer wurde und die entgegenwirkende Strömung des Wassers ihm das Gleichgewicht hielt, so daß das Boot zwischen den beiden entgegengesetzt wirkenden Kräften auf einer Stelle lag. Ich war völlig durchnäßt; bald kam rechts die Brandung zu nahe, bald links die Wracktonne; denn ich war jetzt in der nur etwa 150 _m_ breiten Fahrrinne. Ras Muhesa aber blieb in derselben Peilung, trotzdem der Wind voll im Segel stand und das Wasser rauschend an dem Boot vorbeiging. Da sagte ich dem Neger, er solle den Anker werfen, weil wir nicht vorwärtskamen und in Gefahr waren, dem Riff oder dem Wrack zu nahe zu kommen. Er ging nach vorne und warf den eisernen Anker über Bord; der hielt und als wir das Segel festgebunden hatten, lag das Boot auf dem Strome. Nach einer Stunde machte ich einen neuen Versuch, mußte aber wieder umkehren und ankern; denn der Wind hatte noch nicht nachgelassen. Ich schöpfte das übergekommene Wasser aus und hielt mich durch diese Arbeit leidlich warm. Endlich schien der Wind abzuflauen, und ich nahm wieder den Kurs nach See hin. Der Neger hatte noch einmal Einwände, aber ich konnte nicht länger warten. Es war eine aufregende Fahrt. Stockdunkel; nur die Lichter des ‚Bussard‘ in der Ferne. Das alte zerbrechliche Boot stampfte tief in die See ein und füllte sich immer mehr mit Wasser. Der Wind sauste und trieb mir salzige Tropfen ins Gesicht. Aber die Lichter kamen näher; das Kriegsschiff nahm greifbare Gestalt an. Wir waren nur noch zweihundert Meter vom Heck entfernt, als eine heftige Regenböe herniederfuhr und uns das Schiff fast den Blicken entzog. Kein Mensch sah uns von Bord aus, denn Lichter führten wir nicht. „Wirf die Schot rechtzeitig los!“ rief ich dem Neger zu, weil mir der Gedanke kam, wir könnten an dem Schiff vorbeitreiben und es dann aus Sicht verlieren. „Die Schot ist fest, gib mir schnell ein Messer“ antwortete hastig der Schwarze. Ich suchte unter mir, wo der Rucksack im Wasser lag, konnte aber das Messer nicht finden; jetzt bekam ich wirklich einen Schreck. Ich wollte wenigstens bemerkt werden, um eine Leine zu bekommen und rief so laut ich konnte: „Bussard!“ Die Stimme des ersten Offiziers antwortete, der an Deck kam und die Bootsgäste der Wache ans Fallreep schickte. In voller Fahrt hielt ich an der Bordwand entlang. Irgend etwas mußte geschehen und wenn der Mast unter der Backspier abbrechen sollte! Da flatterte plötzlich das Segel lose im Winde. Der Neger hatte mit aller Kraft an dem Tau geholt; die Schot war gebrochen. Eine Leine wurde mir zugeworfen und ich turnte an Bord. Ich konnte von Glück sagen, daß die Fahrt in dem schwachen Boot so gut abgelaufen war. [Sidenote: Tanga.] Am nächsten Tage ankerte S. M. S. ‚Bussard‘ in dem stillen Hafen von Tanga, dem Ausgangspunkt der Usambarabahn. Von Tanga aus machte ich einen Jagdausflug nach dem Sigital. Da der Dienst mich lange an Bord festhielt, verpaßte ich den Zug der Usambarabahn, der nur einmal täglich fährt, und bestellte mir einen Bahnwärterwagen, den mehrere Neger schoben und auf dem ich, mit den Boys und dem Gepäck gegen Abend auf der Station Ngomeni, eintraf. [Illustration: Photographie aus Tanga. Löwenfalle aus Baumstämmen. In der Umzäunung rechts wird eine Ziege angebunden. Wenn der Löwe in den Gang hineingeht, berührt er einen Abzug; die schweren Stämme fallen nieder und erschlagen ihn.] Die Nacht verbrachte ich in Pingoni, auf der Agavenpflanzung eines Herrn Stauffer, an den mich ein Bekannter empfohlen hatte. Herr Stauffer riet mir, am Morgen in der Nähe der Pflanzung auf Rappantilopen zu birschen und erzählte, ein starker Bock sei noch am Nachmittag auf den Rodungen gesehen worden. In dieser Nacht hörte ich zum erstenmal das Heulen von Hyänen. In der Nähe der Küste sind Raubtiere durchaus nicht selten. Besonders Löwen finden sich dort in großer Zahl und in manchen Jahren hört und liest man von einer Raubtierplage, weil Neger zur Nachtzeit aus den Hütten geholt werden. In meiner Zeit aber hörte ich merkwürdigerweise viel öfter von einer Wildschweinplage, weil die Zahl der Löwen stark abnahm, und ich bin in Gegenden gekommen, wo mir gesagt wurde: „Aber schießen Sie bitte meine Löwen nicht!“ In seltenen Fällen wird man Löwen auf der Pirsch oder beim Spazierengehen antreffen; die meisten werden in dem Busch oder den Pflanzungen der Küste durch Treibjagden zur Strecke gebracht. Gerade, als wir einmal nach Tanga kamen, war eine solche Jagd gewesen und unglücklicherweise war ein Feldwebel der Schutztruppe dabei erschossen worden, ohne daß man wußte, wer der Schütze gewesen war. -- Der Löwe war angeschossen in hohem Grase verschwunden und wurde bei der Verfolgung plötzlich in unmittelbarer Nähe des Feldwebels gesehen. Bei dem heftigen Gewehrfeuer der Askari hat ein Geschoß auch den Feldwebel getroffen. -- [Sidenote: Löwenjagd.] Am Morgen nach meiner Ankunft in Pingoni ging ich in Begleitung eines Negerjungen früh hinaus. Die Regenzeit war noch nicht lange vorbei und das Gras war etwa meterhoch und sehr taufeucht. Ich ging auf der rechten Lehne eines schmalen, mit üppigem Grase bestandenen Tals, so daß ich in das unter mir liegende Terrain hineinsehen konnte. Plötzlich sah ich auf etwa neunzig Schritt einen braunen Schimmer in dem grünen Grase; ich blieb stehen und sah durch mein Doppelglas, daß es ein Stück Wild war; ohne Hörner. Ich fragte den Neger: „Was siehst du da?“ „Etwas Rotes“ antwortete er. Jetzt erkannte ich die Luser des Tieres, die für eine Antilope auffallend weit auseinander lagen, und sprach den Kopf, scharf hinsehend, als den einer Löwin an. Sie hatte die Seher auf uns gerichtet, hob den Fang und windete. „Ein Löwe“, sagte ich ganz ruhig; doch der Schwarze fand unsere Lage wohl ungemütlich und sagte: „Wirklich Herr?, wir wollen weglaufen.“ Ich befahl ihm hastig, stehen zu bleiben, hatte die Büchse schon gehoben, entsichert und gestochen und zielte auf den Kopf des Löwen, zwischen die Lichter. Der Stecher meiner Büchse knackt; aber der Schuß geht nicht los. Ich steche noch einmal, ohne abzusetzen. Der Löwe richtet sich vorne etwas auf, so daß rechts von dem Kopfe ein Teil des Rückens sichtbar wird. Unwillkürlich folge ich mit der Büchse sofort nach rechts, der Schuß fällt und der Löwe springt mit gewaltigem Satz aus seinem Lager heraus, die linke hintere Pranke lang nach hinten streckend; die nächsten beiden Sprünge gerade auf mich zu. Nach dem dritten Sprung fällt mein zweiter Schuß und schlägt dicht vor dem Löwen in das Gras hinein; er biegt ab. Der nächste Sprung geht wieder nach links, dann sehe ich es nur noch einmal gelb zwischen den Zweigen schimmern. Ein schmerzvolles Knurren folgte; dann war es still. Ich blieb noch eine Weile stehen und lauschte; zugleich prägte ich mir den Ort genau ein. Dann verbrach ich meinen Stand und pürschte in der alten Richtung weiter. Um zu vermeiden, daß die kranke Löwin von mir Wind bekam, ging ich nicht einmal auf den Anschuß. Im Weitergehen kreuzte ich den Paß des Löwen. Wild sah ich nicht mehr; die Raubtiere hatten offenbar in der letzten Nacht alles verjagt. Zwei Stunden später war ich mit Herrn Stauffer und etwa vierzig speerbewaffneten Negern zur Stelle, erklärte den Anschuß und schickte die Neger im Bogen herum, damit sie das Gebüsch durchtrieben. Ich verbot ihnen, den Löwen, wenn er tot sei, mit den Speeren zu durchstechen (was sie in der Aufregung gerne tun). Als die Schwarzen auf den bezeichneten Platz losgingen, sah ich, wie sich ein Stück Wild über den jenseitigen Hang drückte; vielleicht war es der männliche Löwe, der sich in der Nähe seiner Gattin aufgehalten hatte. Wir gingen zum Anschuß. Wo das Raubtier gelegen hatte, war nichts zu sehen, als der tiefe Eingriff der linken Hinterpranke beim Absprung; kein Schweiß, kein Geschoßaufschlag. Während ich noch suchte, erhob sich ein Geschrei -- es klang so ängstlich, als ob der Löwe jemand angenommen habe. Stauffer und ich liefen dorthin so schnell wir konnten und sahen einige zwanzig Schwarze mit gehobenen Speeren dastehen. Zehn Schritt vor ihnen schimmerte im Grase etwas Gelbes. Ich teilte das Gras auseinander, hob mich auf die Zehen und rief, als ich den Kopf des Löwen erblickte, voller Freude: „er ist tot“! Die Schwarzen begannen einen Höllenlärm. Herr Stauffer beglückwünschte mich zu dem Weidmannsheil und ich steckte einen grünen Bruch in den kleinen Einschuß der Decke. Ein Löwe geschossen! Nie hätte ich es gedacht, daß ich dazu kommen würde. Der Schuß saß hochblatt und war dicht unter der Wirbelsäule durchgegangen. Der Ausschuß war nicht groß, obwohl ich ein ¾ Mantelgeschoß benutzte hatte, eine Geschoßart, die meist große Zerstörung im Wildkörper verursacht. Es wurden Bäume gehauen, um den Löwen daran fest zu binden und nach Hause zu tragen. Ich schärfte die Pranken an der Innenseite so aus, daß die Bastbänder unter der Haut durchgenommen werden konnten und keine Druckstellen auf dem Haarkleid entstanden. Unter dem Gesang der Wanyamwezi bewegte sich unser Zug nach der Pflanzung. [Illustration: Teich bei Kilwa.] Der rote Schweiß tropfte noch lange aus den Schußlöchern und färbte das Gras auf dem Wege. Unter einer großen Bananenstaude wurde nahe bei dem Hause Strecke gemacht. Ich nahm die Maße des Tieres und begann dann sofort die Haut abzudecken. Die ganze Länge der Löwin betrug 2,42 Meter, die Schulterhöhe 1,00 Meter, der Brust- und Leibesumfang 1,03 Meter. Im linken Hinterschenkel saß innen unter der Decke eine alte Bleikugel; in dem rechten befand sich ein altes Geschwür, auf dem Schmeißfliegen schmarotzten; rundherum war das Gewebe infiltriert und oben wallartig verdickt. Der Mageninhalt bestand nur aus einer Handvoll Schweinsborsten und einem kleinen Knochensplitter. In der Wandung saßen Dutzende von weißen Fadenwürmern, die ich einzeln mit der Pinzette herauszog und in Whisky aufbewahrte. Schwierig war das Auslösen der Handknochen. Als die Hand nachher dalag, sah sie aus wie eine Affenhand! Die Krallen drückte ich einzeln nach innen durch und machte mich dann sorgfältig an das Präparieren der Nase und der Ohren. Zuletzt wurde das Fell mit der Innenseite nach oben auf der Erde ausgespannt und mit dünnen Drahtstiften befestigt. Der Kopf kochte unterdessen in einem großen Blechgefäß. Ich fragte die Wanjamwesi, ob sie das Fleisch essen wollten und erhielt als Antwort nur Ausdrücke des Ekels und der Entrüstung; als ich jedoch unter dem Dach der Hütte saß und einige Notizen über meine Jagd aufschrieb, kam der erste Neger vorsichtig hinter einer Banane hervor und schnitt sich das Fettnetz über dem Gescheide ab. Sofort fielen auch die andern darüber hin, rissen sich besonders um das Geräusch und sagten, wie zur Entschuldigung, es sei gute „_dawa_“. Aber auch das übrige Fleisch, der Magen und das Gescheide fanden schnell ihren Weg in die Hütten. Die Suaheli setzten sich im Halbkreis um dieses Bild und lachten aus vollem Halse: „Die Wanjamwesi fressen alles“, sagten sie, „Schweine und Löwen. Alles ist bei ihnen „_dawa_“: das Herz, die Knochen und das Fleisch.“ Am Nachmittage trennte ich mich von meinem Gastgeber, und ritt auf seinem Reittier von dannen. Als ich durch das Dorf niedriger Wanjamwesihütten ritt, riefen mir die Leute ein lautes Lebewohl zu, worin der Dank für den Löwenbraten liegen mochte. Die vier Neger, die mich begleiteten, mußten laufen, um mit dem Esel Schritt zu halten. Durch den Kulumuzi, einen kleinen Fluß, ließ ich mich tragen und den hübschen, weißen Esel hinterher führen; den Fluß überdeckte dunkler, kühler Wald. Bergauf, bergab ging es in leichtem, schnellem Trabe durch hohes Gras, durch niedrigen Buschwald und bewohnte mit Kokospalmen, Bohnen, Mohogo und Negerhirse bebaute Flächen. Die aus dem Felde mit der Hacke arbeitenden Leute sahen auf; meine Begleiter versäumten nicht, ihnen die frohe Nachricht zuzurufen, ich sei der Jäger, der heute früh einen großen Löwen geschossen habe. Wir erreichten einen Ort mit Namen Kikuruni. (Diesen Namen konnte ich in den nächsten Tagen schwer behalten, es schien, als sei mein Gedächtnis nun nachgerade übersättigt mit Zusammenstellungen der wenigen Silben ki und ku, ni und na, aus denen die Kisuahelinamen bestehen.) Ich dachte an die Abendpirsche und freute mich, daß die Sonne noch hoch stand. Blau schimmerten hinter der düsteren, grünen Waldfläche des Sigitals die hohen Berge von Ostusambara, eingerahmt von hochstämmigen Kokospalmen dicht vor mir. Ich schien heute Glück zu haben; der mir empfohlene Führer stellte sich in einem der entgegenkommenden Neger vor und folgte mir sofort. Im Orte strömte das Volk zusammen aus fertigen und halbfertigen Häusern. Ich suchte einen Platz für das Lager aus und ordnete an, daß mein „Reisemarschall“ Hans und die Träger dorthin gewiesen werden sollten. Dann ritt ich noch bis zum Sigi und gab dem Eselboy _rukhsa_[3]. Mein Führer brachte mich zuerst in Stagenwald mit mäßiger Aussicht; hier waren deutliche Spuren, daß die Neger täglich Holz zum Hüttenbau holten; ich befahl, mich in freie Baumsteppe zu führen; die war bald erreicht und hier sah man Fährten von großen Antilopen. Eine Stunde verstrich ohne daß die vorsichtige, lautlose Pürsche durch den Anblick größeren Wildes belebt wurde. Nur eine Herde schnell flüchtender Hundsaffen; endlich -- fünfhundert Meter weit im Winde ein Rudel von drei Wildschweinen, die ruhig einherzogen. [Sidenote: Warzenschweine.] Ich ließ die Neger halten und niederknien und pirschte selbst in kniehohen, zusammengefallenem Grase, das bei jedem Schritt unangenehm knisterte, hinter einem Hügel näher. Es waren nur Schweine; in Ostafrika ein recht gemeines Wild. Doch gibt es nichts Aufregenderes, als diese Art von gewissermaßen blindem Anpürschen. Der Schlachtplan ist beim ersten Blick gemacht und dann das Handeln bestimmt bis zu dem Moment, in dem ich bei jenem Hügel das Wild von neuem zu Gesicht bekomme, wenn es nicht bereits verschwunden ist. Die Erfahrung mahnt zur Vorsicht und Ruhe, der Wunsch, über das Verhalten des Wildes Gewißheit zu erhalten, treibt zur Eile. Deshalb die Aufregung und eine gewisse Anstrengung! Wenn man das Wild beim Anpirschen im Auge behält, dann kann man laufen, wenn es äst, und stehen bleiben, wenn es äugt oder sichert, und kann nötigenfalls auf weite Entfernung schießen. Beim Anpirschen hinter einer Deckung aber ist es zwecklos, stehenzubleiben; denn gerade das laute Weitergehen, kann mit dem Augenblick zusammenfallen, in dem das Wild sichert. Wer sagt mir, ob es nicht dicht vor mir auf den Hügel zieht oder schon weit hinter den nächsten Büschen verschwunden ist? Diese vielen Fragen erregen in dem Jäger eine lebhafte, wohltuende Aufregung. Als ich den Hügel erreichte und an ihm vorbeisah, hatten sich die Tiere in einen lichten Busch eingestellt und brachen dort; sie waren ziemlich dreist und unaufmerksam. Der stärkste stand breit, ich zog den Stecher ab und riß mit Gewalt durch, weil das Schloß, ebenso wie heute früh, dem Stecher nicht folgte. Die Rotte rannte breit nach links; das kranke Stück blieb etwas zurück und brach nach wenigen Sekunden verendet zusammen. Die beiden anderen verhofften einen Augenblick; ich nahm das zweitstärkste Stück aufs Korn und schoß; es zeichnete auf den Schuß sehr merkwürdig und klagte laut. Die Bewegungen, die es machte, glichen denen eines biegsamen Stockes, den man in der Mitte festhält, während die Enden rund schwingen; der Schuß mag kurz weidewund gegangen sein. Leider hielt die Geduld meiner Leute nicht länger, sie stürmten von hinten unter Geschrei und rohem Lachen heran. „Jetzt kommen wir dran“ hörte ich sie rufen. So kam es, daß das kranke Schwein in unregelmäßiger Flucht laut klagend das Weite suchte, ohne daß es mir gelang, noch einen Schuß anzubringen. Auch schnelles Nachlaufen auf erhöhte Stellen gab mir das Tier nicht noch einmal zu Gesicht. Leider konnte ich nicht mehr nachsuchen, weil es Abend wurde. Am nächsten Tage aber wäre es ganz zwecklos gewesen; denn die Hyänen würden das Schwein jedenfalls längst gefunden haben. Ich schickte einen Mann ins Dorf zurück, mit dem Auftrage Träger zu holen, lüftete das erlegte Tier und ging schnell weiter, weil die Sonne längst hinter den Bergen stand. Kurz bevor das Büchsenlicht schwand, bemerkte ich zwei starke Schweine. Ich pürschte mich an, war aber fast froh, daß ich nicht auf Schußweite hinankam, so sehr stand ich unter dem Eindruck der nutzlosen Abschlachterei dieses Wildes, das sich meist so hilflos übertölpeln läßt. Etwa achtzig Leute (zum Teil Kinder) waren ausgezogen um den erlegten Keiler einzubringen. Die Tatsache, daß ich zwei Schweine kurz hintereinander schoß, und daß das eine ganz tolle Sprünge machte, wurde immer wieder erzählt und belacht. Manche Leute grinsten auch wenn sie den Keiler nur ansahen. Der Grund war, daß die Schweine ihre Feinde waren und mit Pfeil und Bogen von den Mohogopflanzungen vertrieben werden mußten. Man tat also der Landwirtschaft einen Gefallen, wenn man sie totschoß. Die Wanjamwesi schnitten das Wildpret in große Fladen, steckten Stöcke hindurch und stellten es an das Feuer. Ich legte mich todmüde in mein kleines Zelt und sagte einem Boy, den ich neu angenommen hatte, er solle das Licht auslöschen; er sah mich ungläubig an und tat es erst auf meinen zweiten Befehl. [Illustration: Borassuspalme.] Draußen erzählte er dem älteren Boy, ich schliefe ohne Licht! „Kein Europäer schläft bei Licht,“ belehrte der ihn, worüber der andere sich sehr wunderte; denn der Neger schläft immer bei Feuer, der Kälte wegen, und weil der Rauch die Insekten verscheucht und das Feuer die Raubtiere fernhält. Gegen zwei Uhr wachte ich auf und hörte draußen ein Gemurmel; ich steckte den Kopf aus dem Zelt und sah die Träger dicht um das Feuer gelagert. „Weshalb schlaft ihr nicht?“ „Wir können nicht, es ist zu kalt,“[4] war die ganz natürliche Antwort. Und in der Tat ist es hart, sich jede halbe Stunde Schlaf durch Auflegen eines neuen Stückes Holz erkaufen zu müssen! Wirklich war es bitter kalt. Im Osten über den düsteren Bäumen leuchteten zwei helle Sterne. Ich zog meine große Jagddecke über mich und fror selber, weil ich die Matratze zu Hause gelassen hatte, um die Bettlast zu erleichtern. Eine halbe Stunde vor dem Morgengrauen ging ich durch den Sigifluß. Das Wasser reichte mir bis unters Knie. Die Kraft der Strömung drängte beim Vorwärtsschreiten den Fuß zur Seite. Hohe Bäume standen auf beiden Ufern. Ein ununterbrochenes Rauschen ertönte von fern und nah, wo der Fluß über Steine lief. Am jenseitigen steilen Ufer stieg ich in die Höhe und kam in gute Pirschgegend. Die Fährten großer Antilopen waren zahlreich. Das Landschaftsbild erinnerte an deutschen Buchenwald; es gab breite Lichtungen mit frischer Äsung, gute Deckung und weite Ausblicke. Bis gegen zehn Uhr, also beinahe fünf Stunden war ich gepirscht ohne ein einziges Stück Wild zu sehen. Ich war durch den Fluß zurückgegangen, ruhte mich unter dem Schatten eines Baumes aus und ließ mir eine der mitgebrachten Kokosnüsse öffnen. Der Anblick der Landschaft vor mir war ganz besonders schön. Hier hatte der Fluß sein Bett in die Felsen eingewaschen, die sich von beiden Seiten vorschieben und ihn zu zahlreichen Windungen zwingen. Aus dem saftigen Grün der Ebene dazwischen ragten einige hohe Borassuspalmen, die großen Fächerpalmen mit kahlem Stamm. [Sidenote: Buschbockjagd am Sigi.] Nachmittags gegen zwei Uhr nahm ich einige zwanzig Wadigo mit und ließ sie durch den Busch gehen, wo ich Wild vermutete. Ein Wasserbock und zwei Buschböcke brachen nach den Seiten aus, ohne daß ich mir über ihre Stärke und Geschlecht klar wurde. Auch einen Leoparden wollten die Leute gesehen haben. Nun ging ich mit den Negern zum Fluß. Mein „Büchsenspanner“, ein alter Kerl ohne Vorderzähne, mit vorzüglichen Augen, schnupfte andauernd Tabak und zog dabei -- wenn er sich ungestört glaubte -- die tollsten Grimassen. Es schien, als habe er Nahrung nicht nötig, wenigstens sah ich ihn an den beiden Tagen, wenn andere aßen, jedesmal nur schnupfen. Unter Mittag saß er mit einigen anderen Alten unter dem Makutidach[5] einer Hütte und rieb braunes Mehl in einer Schüssel. „_Chakula cha pua_“ (Essen für die Nase) nannte er es schmunzelnd. Es war bereits vier Uhr; ich stand auf einer Höhe über dem Flusse. Die Ufer hatten einen breiten Streifen hohes Schilf; dort gingen die Schwarzen mit Geschrei hindurch. Etwa achtzig Schritt unter mir bewegte sich plötzlich das Schilf. „Schieß! ein Buschbock mit großem Gehörn,“ sagte der Alte, der hinter mir stand. Ich sah, wo der Bock sich auf der Stelle drehte, schoß und glaubte ihm den Schuß auf den Stich zu geben. Er stürzte; die Gräser bewegten sich mehrere Sekunden lang ungefähr an derselben Stelle, ohne daß ich noch einmal schießen konnte. Die Schwarzen kamen schreiend näher; die Bewegung im Schilf wurde heftiger und zog sich zum Fluß hin. Dann war wieder alles ruhig. Plötzlich riefen die Treiber: „Der Bock ist in den Fluß gesprungen!“ Ich lief auf eine höher gelegene Stelle und blieb auf einer vorspringenden Felsplatte stehen. Da sah ich etwa hundertundvierzig Meter entfernt im Fluß und schon kurz vor dem jenseitige Ufer den Kopf des Bockes als kleinen Punkt, wie er durchs Wasser zog und nach beiden Seiten einen Wellenstrich hinter sich warf; und ich schoß schnell. Kein Aufschlag war ringsum im Wasser zu sehen; der Kopf tauchte unter. Ich ging zu dem Anschuß; hellroter Schweiß führte von dort bis zu der Stelle, wo der Bock den Fluß angenommen hatte. Alle Schwarzen standen am Fluß; da war guter Rat teuer! Einer wollte nachspringen und tauchen, sagte aber, er dürfte es nicht, der Krokodile wegen, denn er habe gestern ein Rind geschlachtet. Weiter unten floß der Strom über viele Steine. Dort stellte ich zwei Neger auf, die aufpassen sollten, ob der Bock vielleicht mit dem Strome antriebe. Ich war noch nicht zehn Minuten weitergegangen, als ich rufen hörte: „Sie haben ihn gefunden! er ist an den Steinen! Du mußt nochmal schießen; die Krokodile halten ihn fest.“ Ich hielt die Büchse hoch und lief, so schnell ich konnte den steinigen Pfad hinunter an den Fluß. Unsicher war ein grauer Gegenstand, auf den die Schwarzen zeigten, oberhalb eines Steines als der Bock anzusehen, und man konnte erkennen, daß dem Körper eine fremde Bewegung mitgeteilt wurde. Der Neger, der dicht dabei auf einer trockenen Felsplatte im Strome stand, versicherte mir, er sehe ein Krokodil. „Paß auf, ich schieße!“ Unterhalb des Steines tauchte der Kerl unter. Als ich geschossen hatte, trieb der Bock auf den Stein los (ich hatte etwas daneben ins Wasser gehalten). Der Neger griff zu und zog den dunklen Bock ganz zu sich hinauf; da lag er nun. Es war ein erfreulicher Anblick für das Auge eines Jägers: im Rot der untergehenden Sonne der Stein mitten im Fluß, rings umströmt von rauschendem Wasser, darauf lang hingestreckt der Buschbock mit dem wehrhaften, schwarzen Gehörn; daneben die Gestalt des Negers. Halb gehend, halb schwimmend, zogen die Neger den Bock an den Hörnern zum Ufer. Mitten zwischen den Hörnern, zwei Finger breit über dem Atlas war meine zweite Kugel eingedrungen und saß zwischen dem linken Unterkiefer und der Decke. Der erste Schuß hatte den Hals auf der linken Seite handbreit über der Schulter durchschlagen, ohne die Wirbel zu verletzen. Der Ausschuß war stark erweitert; vielleicht schon von den Krokodilen. Als längst die Feuer brannten und die Unterhaltung der Träger verstummte, ging ich zwischen den Palmen hindurch und stand noch lange auf einer Anhöhe, über dem weiten Tal. In Dunkelheit lag es, von wenigen Sternen beschienen. * * * * * Als ich nach Tanga zurückkehrte, waren Herren und Damen zum Nachmittagstee an Bord. Das Löwenfell wurde zum Schmuck aufgehängt, und mehr als einer beglückwünschte mich mit den Worten: „Ich bin soundsoviel Jahre in Afrika und habe noch keinen Löwen gesehen, und Ihnen läuft am zweiten Tage gleich einer in die Flinte.“ Und in der Suahelizeitung „Kiongozi“ erschien acht Tage später ein kurzer Bericht über meine Löwenjagd. * * * * * [Sidenote: Sonnenuntergang in See.] Einige Tage später dampfte der ‚Bussard‘ dem Süden der Kolonie entgegen, als wir, wie gewöhnlich nach dem Abendbrot auf der Hütte saßen. Es war ein prachtvoller Abend. Vom Westen kam goldenes Licht der untergehenden Sonne. Das Land darunter war nur am Dunst zu vermuten. Der Himmel sah kalt aus, weil das Auge in dem unendlichen Blau vergeblich nach Gebilden suchte, die das wärmende Licht auffingen; nur im Osten stand tief eine massige Wolke; das Abendlicht färbte sie rosig rot und die einzelnen Kuppen warfen dunkle Schatten. Die unteren Teile waren unbeleuchtet, und schwächer umrissen, schon in das Blau der Ferne zurückgetreten. Roter Widerschein spiegelte in dem glatten Wasser. Von unten herauf hoben sich die Schleier des Abends, Vorboten der Nacht, und erklommen die Gipfel des vergänglichen Gebirges bis es mit erstarrten Zügen dalag. Jetzt schwand auch im Westen das Gold. Aus der Tiefe des Meeres schien hier die Nacht heraufzukommen. Jedes Blau, das kühnste Violett mit Rot und Gelb gemischt, breitete sich aus und dicht an der Schiffswand zeichnete die Bewegung der Wellen blitzende Linien in die schwarze Flut. * * * * * Bei klarem Wetter näherte sich S. M. S. ‚Bussard‘ von Süden kommend, der Insel Mafia. Von weitem erinnert der Anblick des dunklen Grün über dem weißen Strand und der freundlichen Farbe des Wassers an die pommernsche Ostseeküste; erst aus der Nähe erkennt man, daß die Bäume keine Kiefern sondern Mangroven, Mangos und Kokospalmen sind; flache Bänke sind hier im Westen der Insel vorgelagert und fallen zur Ebbzeit weithin trocken. Die Tirenibucht, in deren hellem Wasser wir den Anker fallen ließen, ist von hohen Palmen umsäumt; ein rechter Ort des Friedens. Selbst der Westwind hat nicht Raum, hohe See aufzubringen; denn das Festland mit dem Mündungsdelta des Rufiyi ist nicht weit. Im Norden der Bucht fehlen die Palmen; die Vegetation geht in Busch über und dann verläuft das Land dem Auge als heller Sandstreifen nach der See hin. Zahllose Wasservögel beleben die zur Ebbzeit trockenen Riffe. An dem steilen Ufer sieht man hellere Stellen, vermutlich Kalkgestein. -- Baumann sagt allerdings, nur im Innern, im nördlichen Teil der Insel, komme Kalkstein vor. -- Im übrigen ist die ganze Insel sandig und hervorragend geeignet zur Anlage von Kokospflanzungen; schon jetzt hat Mafia eine große und stetig wachsende Ausfuhr an Kopra. Die Palmpflanzungen sind zum großen Teil in den Händen von reichen Arabern. Auf den Schamben wird Vieh gehalten, und die Regierung hat ein wachsames Auge auf die Erhaltung und Vermehrung des Viehbestandes, der für die Düngung der Palmen von großer Bedeutung ist. Bei der Nähe der Küstenstädte mit ihrem großen Bedarf an frischem Fleisch und bei den leichten Transportverhältnissen lag die Gefahr vor, daß der Viehbestand der Insel zum Schaden der Pflanzungen vermindert wurde. Deshalb bestand ein Ausfuhrverbot, und nur mit Erlaubnis des Herrn Steiner, der dem Bezirksamt in Tschole vorstand, durften die Araber diesmal dem Kriegsschiff fünf Rinder schenken; als Dank für die Freundlichkeit, mit der ihnen die Matrosen während der Landwirtschaftlichen Ausstellung in Daressalam die Einrichtung des „Manovari“[6] gezeigt hatten. (Die Mannschaft bekommt bestimmte Verpflegungsgelder; Ersparnisse werden ausgezahlt oder zu Vergnügungen ausgegeben. Das weiß jeder an Bord genau und wer der Menage etwas stiftet, ist des Dankes jedes einzelnen gewiß. So wurde auch das Geschenk der Araber entsprechend gewürdigt, um so mehr, als diese baten, wir möchten auch Kokosnüsse nach Bedarf bestellen. -- Die Nüsse wurden von den Matrosen stets sehr gern gegessen und getrunken.) Herr Steiner war mit diesem Verhalten seiner Schutzbefohlenen sehr zufrieden; er benachrichtigte das Kriegsschiff rechtzeitig und riet, die Geschenke anzunehmen. [Sidenote: Auf der Insel Mafia.] Das Landen war in der Tirenibucht nicht einfach; bei Flut konnten die Boote unmittelbar an Land fahren, bei Ebbzeit aber mußte man weit durch das Wasser waten oder sich dem Rücken eines Schwarzen anvertrauen. Doch ein Spaziergang in der wunderbaren Pflanzenwelt der Ufer dürfte auch größere Mühe und Umstände lohnen. Im Wasser gedeiht ein dünner Mangrovengürtel, den eine breite Sandstraße von der üppigen Ufervegetation trennt. Hier glänzen die fein gefiederten Wedel der wilden Phönixpalme, wie an der Mündung des Rufiyi; große und kleine Laubbäume wechseln ab mit Büschen, die eine Fülle duftiger, weißer Schmetterlingsblüten tragen; einzelne Betelpalmen schießen hoch empor und tragen auf dünnem Stamm die künstlerisch ausgebaute Krone. Mit erstaunlichem Eifer haben sich die Pflanzen auch einer am Strande stehenden Ruine bemächtigt. Vor einem halben Menschenalter mag dieses Haus erbaut sein; wer aber nicht weiß, wie schnell unter tropischer Sonne Mauern dem Verfall geweiht sind, wird sich versucht fühlen, die Ruine auf die Portugiesenzeit wohl vierhundert Jahre zurückzuführen und den Bäumen nach europäischem Maßstabe ein hohes Alter zuzutrauen. Die Abendsonne durchleuchtete hier die Blattgewebe der üppigen Bäume, die sich an das verwitterte Baugestein anlehnten. Dicht dabei glitzerten die Sonnenstrahlen in der klaren Salzflut. In den Zweigen der Mangroven hatten sich hunderte von blauen Reihern und kleinen, weißen Kuhreihern zur Nachtruhe niedergelassen. Milane und Schildraben umkreisten die Wipfel der schlanken Kokospalmen. Ein heller Morgen sah mich wieder am Strand, wo ein kleiner weißer Esel mit langen, steifen Ohren auf mich wartete. Er wurde nach arabischer Art gesattelt. Der hübsche Eseljunge, (der offenbar arabisches Blut in den Adern hatte), legte vier weiche Decken auf, zog mit großer Ruhe und Ausdauer jede einzelne sorgfältig hin und her und faltete sie gehörig; dann befestigte er eine weiche Kordel so, daß der fertige Sattel durch den Schwanz des Tieres am vorrutschen gehindert wurde. Nach vorn führte gar kein Geschirr; der fertige Sattel ruhte über dem Kreuz des Tieres. Ein einfacher Strick diente als Zügel; mehr war auch nicht nötig, denn das Tier war gewohnt stets hinter dem Eseljungen herzulaufen; der warf sein weißes Gewand über und setzte sich nach Art der Neger in Trab, indem er Kopf und Oberkörper, besonders beim Anlauf, stark auf dem niedergehenden Fuß hin und her bewegte. Für die Gangart des Tieres war also ganz der Junge maßgebend; ich durfte meine Reitkünste zu Hause lassen und konnte nur durch ein paar auf Kisuaheli zugerufene Worte meinen Willen zum Ausdruck bringen. [Sidenote: Ein Ritt durch die Insel Mafia.] An den Pflanzungen sieht man, daß die Palmen auf der ganzen Insel gedeihen. Ich durchritt sandiges, mit niedrigem Gras bestandenes Hügelland, in dem von Zeit zu Zeit kleine Schamben lagen; ein Dutzend Kokospalmen, ein Garten mit Mohogo, dabei eine kleine Hütte. Das ganze Besitztum sorgfältig gegen Wildschweine eingezäunt. In langen Talsenkungen stand Wasser; hier gedieh eine artenreiche, dichte Sumpfvegetation und blaue Wasserrosen deckten den Wasserspiegel. In der Regenzeit sind diese Täler ganz mit Wasser ausgefüllt. Die Wege zeigten streckenweise Pflege; an den Seiten war eine Reihe niedriger, blaugrauer Agaven gepflanzt. Einmal durchschnitt der Weg übermannshohes Gebüsch von Heidekraut, das zum Teil niedergebrannt war; an einer Stelle, wo ich zum Frühstücken hielt, stand ein merkwürdiger Busch mit glänzenden Blättern; es sah aus, als ob gelbe und rote Blüten nebeneinander auf einem Ast saßen, aber bei näherem Hinsehen konnte man erkennen, daß nur die gelben Blüten, Blüten waren und die roten, alte Kelchblätter, die in ziegelroter Farbe abwechselnd grüne, unreife und schwarze, reife, glänzende Beeren umkränzten. Gewiß eine Merkwürdigkeit; erhöht durch die Tatsache, daß die Kelchblätter, solange sie frische Blüten umschlossen, klein und nur zart gefärbt waren. Nach mehrstündigem Ritt näherte ich mich der Ostseite der Insel. Die Kokospalmen wurden häufiger und bildeten bald regelmäßigen Waldbestand. Die hohen, gleichmäßig starken Stämme erhoben sich aus niedrigem Graswuchs; doch, wie um dem Auge einen festeren Halt zu geben, waren dunkle, volle Mangobäume in diesen einförmigen Wald hineingestreut und trugen wie Weihnachtsbäume, eine Fülle von Früchten an dünnen Fäden. Zwischen den Bäumen lagen die naturbraunen, mit Palmblättern gedeckten Hütten der Menschen; Rinderherden zogen durch den Wald, gefolgt von schneeweißen Kuhreihern, die in Zusammenleben mit Haustier und Mensch ihren Bedarf an Insektennahrung an der Haut der Rinder suchen; ein Umstand, der den Viehzüchtern erwünscht ist. (Die Kuhreiher und Madenhacker werden in Deutsch-Ostafrika durch das Jagdgesetz geschützt, weil angenommen wird, daß sie auch die von den Rindern abfallenden Küstenfieberzecken verzehren. Man ist aber weit davon entfernt, den Nutzen der Vögel zu überschätzen; sie hacken Löcher in die Haut der Rinder und bringen ihnen häßliche Wunden bei. Die Insel Mafia selbst ist vor Seuchengefahr ziemlich sicher und die Vieheinfuhr wird durch Quarantäne sorgfältig überwacht). Auf einem sauber gehaltenen Platze unter hohen Palmen hielt mich der Jumbe der Insel an, ein Araber, der aus einer wohlgebauten Hütte heraustrat. Die hagere Gestalt bekleidete ein langes, weißes Hemd aus dem die zierlichen Glieder und der fein geformte Kopf heraussahen. Über der glatten, weichen Stirnhaut war das Kopftuch zu einem Turban zusammengeschlungen. Die lebhaften, großen Augen glänzten und durch die feinen Lippen leuchteten beim Sprechen weiße Zähne. Vor der Mitte des Leibes stak im Gürtel der fein verzierte, gebogene Dolch in silberner Scheide; an den Füßen trug er weit überstehende Ledersandalen. Er bot mir einen Stuhl an und ließ eine Kokosnuß holen, eine frische, wie er versicherte; ich konnte das nicht bezweifeln, denn ich sah, wie der Junge auf die Palme kletterte und umständlich die beste Nuß auswählte und herunterschlug. Die Auswahl muß, wie mir der Araber erläuterte, erlernt werden. Man unterscheidet Trinknüsse (Madafu) und reife Nüsse zur Kopragewinnung oder zur Aussaat. Die Trinknüsse haben noch nicht viel Fleisch angesetzt und sind, nachdem der Bast durchgehauen ist, leicht zu öffnen. Der Saft macht auf weißen Anzügen braune Flecken, die durch waschen nicht hinausgehen. Bewundernswert ist, wie die Neger die Palmen erklettern. Während wir den Druck der Knie beim Klettern benutzen müssen, gestattet dem Neger sein Körperbau an dem dünnen Stamm einer Palme empor zu gehen, wobei er den Stamm mit den Händen umfassen kann, weil er sehr lange Arme hat. In den Stamm der fruchttragenden Palmen sind, um das Ersteigen zu erleichtern, meist Treppenstufen eingeschnitten. Auf dem sauber gefegten Platze vor dem Hause lagen aufgeschnittene Kokosnüsse zum Trocknen. -- Als ich am Abend wieder vorbeikam, waren sie unter das überstehende Dach der Hütte gelegt, um sie vor dem hier reichlichen Nachttau zu schützen. -- Ich ritt weiter und hatte bald den Blick zwischen Palmen hindurch auf das Meer, auf die große Bucht, deren Südseite die Insel Tschole vorgelagert ist. An den Korallenriffen stand eine hohe Brandung. Zwischen den Riffen hindurch führt die Einfahrt in die Tscholebucht, die bei Hochwasser auch von den kleinen Gouvernementsdampfern angelaufen werden kann. [Illustration: Rinderherde. Kokospalme und Mangobäume.] [Sidenote: Kokospalmen.] In dem weißen Seesand, dicht am Meere, stand eine sechsjährige Kokospflanzung, nach dem Wasser hin durch eine Hecke abgeschlossen. Die Palmen waren gleichmäßig hoch, die Blätter zeigten eine gesunde Farbe. Die Kokospalmen blühen im sechsten Jahre und bringen im siebenten Jahre die erste Ernte. Eine Palme liefert jährlich 75 bis 100 Nüsse, je nach der Bearbeitung und Düngung, die man ihr gibt. Der schlimmste Feind der Palme ist der große Nashornkäfer, dessen Larven von den Eingeborenen eifrig verfolgt werden. Am Strande klopfte ein Mann Bast von Kokosnüssen, um Schiffstaue davon zu machen. Zu dem Zwecke wird die Umhüllung der Nüsse im nassen Sand einige Zeitlang eingegraben, damit die Fleischteile sich von dem eigentlichen Bast lösen, dann wird der Bast ausgeklopft und getrocknet. Das Material ist uns bekannt in der Form von Kokosmatten. Das Tauwerk aus dem Bast muß sehr stark sein, und sieht deshalb plump aus. Mein Esel ging ohne Zögern durch die glitzernde Flut auf das Boot los, das etwa 400 _m_ weit vom Strande entfernt im flachen Wasser lag; ich konnte vom Rücken des Esels in das Boot hineinsteigen. Leider erlaubte der Wind nicht, Segel zu setzen; ich mußte, um mein Ziel, die Insel Tschole zu erreichen, in weitem Bogen um eine, bei Ebbe trocken fallende Landzunge herumrudern lassen. Die Baharias (Matrosen) sangen laut und kamen dadurch über die eintönige, anstrengende Arbeit hinweg. Fast eine halbe Stunde lang sangen sie dieselben Worte. „Bringt mich zu meiner Mutter Faida!“ Die schwarzen Bootsleute können, wenn es nötig ist, acht bis zehn Stunden lang ohne Unterbrechung rudern; kein Weißer könnte das aushalten. Aber merkwürdig: dieselben Leute sind zu anderer Arbeit ungeschickt und nur auf die eine Bewegung des Ruderns trainiert. Man kann wohl annehmen, daß so außerordentliche Anstrengungen ihrer Gesundheit schaden, aber daran denken sie nicht; wenn sie krank werden, sind sie für den Dienst unbrauchbar und verschwinden in der Menge. So sind es immer die kräftigsten und gesundesten aus vielen Negern, die den Dienst gerade tun und die der Weiße um sich sieht. [Sidenote: Tschole.] Nach einstündiger Fahrt landete ich auf der Insel Tschole. Links über den hellen Strand hin gingen viele Menschen und löschten die Ladung einer Dhau. Man hatte das Fahrzeug auf den Strand auflaufen lassen und so war es den Trägern jetzt, bei halbem Wasser ein leichtes, die Ladung zu löschen. Auch ein Rind wurde aus dem Schiff gezerrt und unter Geschrei am Lande entlang getrieben. -- Eine andere Dhau lag dort, dicht besetzt mit Passagieren, und wartete die Flut ab, um nach der Insel hinüberzusegeln. Herr Steiner führte mich in sein schön gelegenes Haus, von dessen Veranda wir die Aussicht auf die Bucht und die Insel Mafia hatten; am jenseitigen Ufer, soweit das Auge sah, standen Palmen, der Reichtum der Insel. Das Haus einer italienischen Handelsgesellschaft schaute freundlich, aber verlassen herüber. Wie so oft, waren auch hier grobe Fehler, nicht die gegebenen Bedingungen an dem Mißlingen des Unternehmens schuld. Die Gesellschaft hatte Geld an Araber und freie Suahelineger verborgt, die keine Palmen besaßen und war dadurch in Schulden geraten. Nun hatte die Gesellschaft das gesegnete Land verlassen; die Schuldner taten Strafarbeit an der Kette. [Illustration: Straße auf Tschole (Mafia). Links ein Araberhaus. Rechts Negerhütten. Kasuarinen und Kokospalmen.] Als wir vom Mittagessen aufstanden, wartete ein Araber im Vorraum. Wir wurden gebeten, einer Begräbnisfeier beizuwohnen. Der reichste Mann der Insel war in der letzten Nacht an Herzschwäche gestorben. Sein Vermögen wurde auf 800000 Mk. geschätzt, wovon eine hohe Erbschaftssteuer der Regierung zugute kommen sollte. Wir gingen durch die breiten, sauberen Straßen, die von zwei Reihen dicht belaubter Akazien beschattet wurden. Die Häuser sind aus Korallenstein gebaut und mit Palmblättern gedeckt. Baumann, in seinem liebevoll dem Neger angepaßten Geschmack, hatte diese geraden Straßen verspottet; wir müssen in dieser Anlage einen Fortschritt sehen, denn mit den dicht belaubten Bäumen wird ebensogut Kühle und Schatten in den Straßen erreicht, als durch die kreuz und quer durcheinander gebauten Hütten oder die engen Straßen, wie sie Sansibar hat. Neger und Araber in großer Menge standen vor dem Hause, in dessen dunklen Eingang wir genötigt wurden. Als ich von der hellen Straße in das Dunkel des Hauses trat, stolperte ich über ein Hindernis, und merkte mit Schrecken, daß es die Leiche war, die man nahe an der Tür aufgebahrt hatte! Aus dem Innern des Hauses erscholl ein eintöniges Klagen vieler Weiberstimmen, das sich steigerte, als die Bahre fortgetragen wurde; die Leiche war mit kostbaren Tüchern überdeckt. Von beiden Seiten drängten sich die Freunde des Verstorbenen hinan, um jeder einmal mitgetragen zu haben. Die Weiber kamen in die Gärten und setzten dort ihr Geschrei fort; den gleichgültigen Gesichtern glaubte man anzusehen, daß hinter der Heulerei keine wirkliche Trauer steckte. Nach arabischer Sitte gehören Frauen nicht in die Moschee, auch nicht auf den Kirchhof. [Sidenote: Araberbegräbnis.] Der Kirchhof war ein Platz an der Straße; einige verfallene Grabmale standen darauf. Zwischen den Gräbern hatte ein mehr materiell als fromm denkender Mann schon wieder mit Erfolg Mohogo gepflanzt. Dicht bei der Moschee war ein etwa drei Meter tiefer Schacht gegraben, an dessen Sohle nach der Seite hin ein Raum ausgehöhlt war, in dem die Leiche gerade hineinpaßte, und der durch ein Brett verschlossen werden konnte. An dem Grabe hielt die Menge. Ein des Korans Kundiger las aus einem alten Buche vor, und die Umstehenden leierten mit stumpfsnnigen Mienen den Refrain. -- Drei Männer sprangen in das Grab, ein Tuch wurde darüber gezogen und unter dem Tuch langsam der Körper des Toten in die Höhlung hineingeschafft. Keiner darf ihn sehen. Dann langte eine Hand mehrmals unter dem Tuche hervor und verlangte nach Erde, wahrscheinlich um das Brett abzustützen. [Illustration: Presuhn. Festungsruinen in Kilwa (Deutsch-Ostafrika). Portugiesen und Araber haben jahrhundertelang um die Küstenplätze Ostafrikas gekämpft. Reste alter Kirchen und Festungen stehen in Mombasa, Kilwa und Mocambique. Das alte Kilwa hatte in seiner Blütezeit über hundert Moscheen; jetzt wohnen nur einige Neger auf der Insel im Beaverhafen, der als Anfangspunkt der Bahn nach Wiedhafen in Aussicht genommen wurde.] Als ich am Abend zurückfuhr, baten mich zwei Araber, mitfahren zu dürfen. Sie kamen vom Begräbnis und sagten mir, daß der Tote mit dem Gesicht nach Mekka in das Grab gelegt würde und der eine fügte hinzu: „Viele Tote liegen schon in allen Ländern um Mekka herum; jeder hat seine Hoffnung!“ Ich mußte denselben Weg zurückreiten, den ich am Vormittag gekommen war; die Dunkelheit brach herein; die Reiher ruhten schon auf den Zweigen der Sumpfbäume. An einem kleinen See, der vom letzten Abendlicht beleuchtet wurde, stieg ich eine Weile ab. Es war ganz still und auch der Seewind war eingeschlafen. Das Schilfgras reichte weit in den See hinein; ein Saum hochstämmiger Kokospalmen stand am anderen Ufer. Im Wasser spiegelten sich die Sterne des Tropenhimmels zwischen düsteren Pflanzen. Quer auf dem Arabersattel sitzend, sah ich noch eine Weile zurück, bis das gewohnte Landschaftsbild mich umgab. Einmal ging es steil bergan, da hielt der Esel und drehte plötzlich um. Ich ließ ihm seinen Willen; er ging einige Schritte zurück und dann seitlich durch das Gebüsch auf einen wenig betretenen Steig. So umging er die Steigung und kam auf den breiten Weg zurück. Das selbständige Handeln des Tieres überraschte mich. Der kleine Bengel, der sich mir angeschlossen hatte, sagte: „Er will nicht fallen, deshalb sucht er sich seinen eigenen Weg!“ „Ein famoses Tier,“ antwortete ich. „Es ist der Esel des Jumben,“ entgegnete der Bengel stolz. Am Strande der Tirenibucht wieder angekommen, machte ich mit langen, brennenden Palmwedeln Feuersignale, die mit den Lampen des Nachtsignalapparates vom Kriegsschiff aus erwidert wurden; ein Ruderboot kam und holte mich an Bord. In der Messe saßen noch mehrere Kameraden und feierten die Ergebnisse einer Perlhuhnjagd, die am Nachmittage stattgefunden hatte. [2] „Der wiedergewonnene Weltteil. Ein neues gemeinsames Indien“. Berlin 1876. Andere Schriften sind: „Kann und soll Deutschland eine Dampferflotte haben und Wie“ (1847). -- „Kann und soll ein Neu-Deutschland werden?“ (1861). -- „Der Fischfang auf hoher See“ (1862). -- „Der Nord- und Ostseekanal durch Holstein, Deutschlands Doppelpforte zu seinen Meeren und zum Weltmeere“ (1864) u. a. m. [3] _Rukhsa_ = du kannst gehen. In Ostafrika gebräuchlicher Ausdruck. [4] „_hatuwezi_: _baridi_.“ [5] Makuti = Palmblatt. [6] Kisuaheli; gebildet aus „_Man of war_“. [Illustration: Askari meiner Truppe. Es sind Neger aus verschiedenen Stämmen: Wasukuma, Wamakua, Wanjamwesi, und sogar Warufiyi aus dem Aufstandsgebiet selbst. Vor der Front steht ein Sudanese, der Betschausch. Die Askari sind in dünne Khakianzüge gekleidet und tragen Lederstiefel und Beinwickel. Als Waffe haben sie das Gewehr Mod. 71 und ein Seitengewehr, das als Bajonett aufgesetzt werden kann.] Der Aufstand. Aufstand? -- Wenige glaubten, daß es ernst war --. „Wir kennen unsere Schwarzen!“ „Spielen einen Stamm gegen den andern aus, wenn es irgendwo losgeht!“ -- „Heute können Sie mit dem Spazierstock durch Afrika gehen!“ „An der Küste vor allem sind Unruhen nicht zu erwarten.“ Die Worte klangen noch im Ohre, da kamen Gerüchte vom Angriff auf eine Ansiedelung und Gefährdung der südlichen Küstenplätze. Und wieder hieß es: „Zwischen Kilwa und Mohorro sitzen die Matumbi, von jeher unzufriedene Gesellen, die sich schon öfter regten; es wird nichts zu bedeuten haben.“ Doch die Nachrichten wurden dringender: Tausende bewaffnete Eingeborene bedrohten die Orte Kilwa und Mohorro; ein Ansiedler wurde ermordet, der zum Schutze einer großen Baumwollpflanzung entsandte Feldwebel mit seiner kleinen Truppe von zweitausend Schwarzen angegriffen. Man durfte sich nicht mehr täuschen, die Sache wurde ernst. Zufällig lag der kleine Kreuzer „Bussard“ im Hafen von Daressalam. Mit seiner Hilfe tat der Gouverneur Graf Goetzen alles, was in seinen Kräften stand, um der Gefahr entgegenzutreten. Die Daressalamer Askari wurden nach Kilwa gebracht; Matrosendetachements sollten zum Schutze von Kilwa und Mohorro gelandet werden. In den Nachmittagsstunden des 3. Augusts betraten viele schwarze Soldaten mit Patronentaschen und Gewehren das Oberdeck des Kriegsschiffs, das in dem stillen Hafen von Daressalam lag. Auf die Soldaten folgten scheue Träger aus dem Innern, die vielleicht zum ersten Male ein Schiff aus der Nähe sahen. Reittiere wurden übergenommen und auf das Vordeck gestellt; alles schon in der Dunkelheit. Abends warf das Schiff von der Boje los und ging durch die enge Ausfahrt in See. Die Fahrrinne war heute durch Lichter gekennzeichnet. -- Um Mitternacht blitzte das Leuchtfeuer von Mafia an Steuerbord auf. Hinter der Insel lag Mohorro, der Rufiyi und das Land, in dem der Aufstand ausgebrochen sein sollte. Der „Bussard“ nahm seinen Kurs südwärts nach der Reede von Kilwa-Kivindje, dem Kilwa, das die Sklavenhändler einst angelegt haben, weil die flache, sanft ins Meer verlaufende Küste mit ihren weiten Sandbänken, dem Platz Schutz gegen die Annäherung der Kriegsschiffe bot. Dort wurde die Schutztruppe am folgenden Nachmittage gelandet und eine Abteilung Matrosen zur Sicherung der Stadt ausgeschifft. Major Johannes ging von Kilwa aus mit der Askaritruppe nach dem Herd der Unruhen vor, während den Landungsabteilungen S. M. S. „Bussard“ die Aufgabe zufiel, die Küstenplätze zu sichern. [Sidenote: Im Mohorrofluß.] Der „Bussard“ ankerte am 5. August vor dem südlichsten Mündungsarm des Rufiyi, nicht weit von dem Ort Samanga, den Aufständige geplündert hatten. Am Abend brachte mich der Zollkreuzer Kingani -- ein kleiner Dampfer des Gouvernements -- in die Utagitemündung des Rufiyi. Ich hatte zweiundzwanzig Matrosen mit und sollte den Ort Mohorro gegen die Aufständigen schützen. Näher kamen die Umrisse der Uferpartien, immer kleiner wurde das Kriegsschiff, bis es durch die ersten, mit Büschen bewachsenen Sandbänke unseren Blicken entzogen wurde; vielleicht hatten wir es für lange Zeit zum letztenmal gesehen! Die Aussicht auf Erlebnisse und der Reiz der Wildnis lockten mich; ich hoffte in dieser Stunde, daß mir ein langer Aufenthalt im Lande bevorstehe. Meine Matrosen werden ebenso gedacht haben; die Seeleute haben ja so selten Gelegenheit, fremde Länder in ihrer wirklichen Schönheit zu genießen und sehen von den großen Kolonien meist nicht mehr als die Strandpromenaden, Klubhäuser und Kneipen der Küstenstädte. In der bevorstehenden Abwechslung sah mancher, den der Drang, die weite Welt kennen zu lernen, zur Marine getrieben hatte, die Erfüllung seiner Jugendträume. Die Phantasie malte Steppen und Wälder des Innern, ferne Berge und Ströme, wilde Menschen und seltene Tiere. Die Nacht brach herein; wir mußten ankern, um nicht auf Untiefen festzufahren. Die Matrosen richteten sich auf dem Deck des kleinen Dampfers und in dem Schleppboot so gut es ging Schlafplätze ein. Ich dachte an meine Aufgabe und las immer wieder den sorgfältig geschriebenen Befehl, den mir der Kommandant, Korvettenkapitän Back selbst gegeben hatte: nur wenn Mohorro wirklich in Gefahr war, sollte ich im Lande bleiben, andernfalls sofort an Bord zurückkehren. An längere kriegerische Tätigkeit glaubte noch niemand; mir fiel ein, was der Erste Offizier zu mir sagte, als ich mir Wäsche und Proviant für acht Tage einpackte: „Wozu schleppen Sie so viel mit, übermorgen sind Sie ja wieder hier.“ Würde er recht behalten? -- Mehr als sechs Monate vergingen, bis ich unser schönes Schiff wiedersah. Leise plätscherte das Wasser des Stromes an der Bordwand des kleinen Dampfers. Von den Ufern mit ihren düsteren, einförmigen Sumpfbäumen war bald nichts mehr zu sehen. Alles schlief an Bord. Kühler Wind wehte die ganze Nacht hindurch und schaffte uns erquickenden Schlaf. Als die Sonne am klaren Himmel aufging, sah sie in lauter frohe Gesichter; jeder erwartete etwas von den nächsten Tagen. Schon die Bootfahrt war ganz dazu angetan, die Stimmung auf der Höhe zu halten. Bei Sonnenaufgang wurde der Anker gelichtet und der Kurs stromauf genommen. In den Mangroven saßen schneeweiße Edelreiher; Graufischer flatterten über dem Wasser, Brachvögel und Strandläufer suchten auf dem schlammigen Boden nach Nahrung und waren durch ihre Farbe kaum von der Umgebung zu unterscheiden. Die auflaufende Strömung förderte unsere Fahrt. Bald machte die einförmige Mangrovenvegetation freundlicheren Landschaftsbildern Platz. Der Fluß wurde schmaler. Sandige Uferböschungen traten hervor, Sträucher, Phönixpalmen; endlich die dunklen, dichtbelaubten Mangobäume und schlanke Kokospalmen als Zeichen menschlicher Kultur. Kleine Dörfer in Feldern mit Kaffernkorn und Mais. Neger standen am Ufer und antworteten „es ist Friede“ wenn man fragte: „Was gibt’s Neues vom Aufstand?“ Affen turnten durch die Äste der Uferbüsche; Perlhühner reckten ihre Hälse; ein Flußpferd steckte prustend seine Nase aus dem Wasser. Gegen Mittag mußte der Dampfer ankern, weil das Wasser zu flach wurde. Wir gingen noch zwei Stunden über Land, durch Felder mit Zuckerrohr, Mohogo, Mais, Bananen und Ananas. [Sidenote: Ankunft in Mohorro.] Als wir den Ort Mohorro erreichten und im Gleichschritt durch die graden Straßen marschierten, kamen Araber, Inder und Neger, malerisch in bunte Tücher gekleidet, vor die Türen ihrer Hütten und Läden. Es war das Bild einer sauberen Negerstadt, in der reges Leben herrscht. Der Bezirksamtmann, Herr Keudel, kam mir an der großen Holzbrücke, die den Fluß überspannt, entgegen und führte mich zu den Gebäuden des Bezirksamts, in denen die Mannschaft untergebracht wurde. [Illustration: Mangrovenwald am Mohorrofluß. Die Mangroven vertragen Salzwasser. Es gibt mehrere Arten; einige geben gutes Bretterholz, andere nur Brennholz und Grubenhölzer. Die Rinde enthält viel Gerbsäure und wird seit einigen Jahren exportiert. Die Wälder an der Rufiyimündung werden von drei Forstbeamten verwaltet. Die Mangrove hat sich wunderbar an die Gezeiten des Meeres angepaßt. Ihre Stelzwurzeln werden zur Flutzeit vom Meerwasser umspült; während der Ebbe sieht man auf ihnen Muscheln, Krabben und Schlammspringer.] Außer dem Bezirksamtmann waren in Mohorro noch sechs Europäer: ein Bezirksamtssekretär, ein Wirtschaftsinspektor, ein Kommunalsekretär, der die Kommunalkasse verwaltete, ein Sanitätssergeant, der zugleich Post- und Telegraph versah, der Unteroffizier der Polizeitruppe und ein Schreiber. Im Bezirk selbst war nur ein Weißer: Herr Wiebusch, der Leiter der Schule für Baumwollbau. Der Bezirksamtmann war erst vor kurzem von einer Reise durch den Bezirk zurückgekehrt und konnte mich über die Verhältnisse im Lande unterrichten. Nach seinen Schilderungen waren weite Teile des fruchtbaren Landes in den Niederungen gut bevölkert und eine reiche Ernte war eingebracht. Der reichliche und täglich bei Spiel und Tanz wiederholte Genuß der berauschenden Getränke, die die Neger aus den gewonnenen Ernteprodukten herstellen, konnte vorübergehend Ursache ihrer feindlichen Haltung sein; es war aber auch nicht ausgeschlossen, daß tieferliegende Gründe eine lange vorbereitete Aufstandsbewegung entfacht hatten, die ähnlich wie in Südwestafrika, plötzlich und unerwartet an allen Ecken losbrechen konnte, um der Fremdherrschaft ein Ende zu machen. So dachte Bezirksamtssekretär Stollowsky, der den Bezirksamtmann während seiner Abwesenheit vertreten hatte. Er hatte den Andeutungen und Erzählungen der Neger über sonderbare, einfältige Mittel, mit denen einheimische Zauberer die Eingeborenen für sich gewannen, besondere Bedeutung beigelegt und nicht geruht, bis die verdächtigen Leute hinter Schloß und Riegel saßen. Das kann wohl ein Verdienst genannt werden; denn wahrscheinlich hat die vorzeitige Entdeckung zu dem mehr lokalen Ausbruch der Unruhen geführt und so ein planmäßiges, verabredetes und allgemeines Vorgehen der Neger gegen die Europäer im nächsten Jahre, vereitelt. Nach der Unterdrückung der Araberaufstände, der Unterwerfung der Wahehe und seitdem die Massaigefahr nüchtern beurteilt wurde, war man von Jahr zu Jahr sorgloser geworden. Kleine Unruhen waren in den Kolonien stets an der Tagesordnung; wurden aber nicht bekannt, denn es bestand der von allen Afrikanern gebilligte Brauch, in solchen Fällen nicht von Aufstand oder Krieg zu sprechen, weil das bei der Schwierigkeit Verhältnisse aus der Ferne zu beurteilen, leicht in der Heimat unnötig Lärm verursacht. Schnell wieder Ordnung schaffen mit allen Mitteln, wenn es eben einmal nicht gelungen war, Ordnung zu halten: das war der Befehl des Gouvernements, der von allen Bezirkschefs verstanden wurde. Einer Kolonie, die stets ruhig aussieht, bewilligt man aber keine Soldaten, und so ging man schon mit der Absicht um, zwei Kompagnien der im Verhältnis zur Größe der Kolonie nicht großen und nicht zu teuren Schutztruppe zu streichen, als der Aufstand ausbrach. Zum Glück war man diesmal den Schwarzen zuvorgekommen; noch hatten sich die Polizeiaskari in gewohnter Weise im Lande bewegen und die gefährlichen Elemente festnehmen können. Kein Widerstand regte sich dabei. Aber bald darauf zeigten die Neger in den Matumbibergen ihren Unwillen über den vom Bezirksamt befohlenen Anbau von Baumwolle, der ihnen lästig war und dessen Nutzen sie noch nicht einsahen; da begannen die Ausschreitungen. [Sidenote: Haltung der Araber.] Von Bedeutung war dabei die Haltung der Araber. Im Mohorrobezirk wohnte eine ganze Anzahl. Sie besaßen gute Pflanzungen in der Umgegend oder betrieben kleine Zuckermühlen, hatten als Arbeiter Sklaven, die bei ihnen wohnten und verpflegt wurden, bezahlten außerdem aber schon Lohnarbeiter. Ihre wirtschaftliche Lage war recht gut, und sie waren nicht in dem Maße den Indern verschuldet, wie ihre Brüder in den reichen Zuckergebieten am Pangani, weil das Bezirksamt hier auf den Wucher der Inder ein Augenmerk hatte. Einige von ihnen waren als Unterbeamte, als Akiden angestellt und hatten als solche Steuern einzutreiben, die Befehle des Bezirksamts bekannt zu geben und etwas Strafgewalt auszuüben. Diese fühlten sich durch ihre Vertrauensstellung eng mit der deutschen Herrschaft verbunden und sahen, daß unter ihr zu leben war. Vielleicht gerade wegen dieser Vertrauensstellung hatte sich das Zerstörungswerk der Aufständischen in den Matumbibergen auch auf den Besitz der Araber erstreckt; jedenfalls konnten es als gutes Zeichen für die Stellung der Araber ansehen, daß der Haß der Neger sich auch gegen diese richtete. Der Bezirksamtmann verließ sich deshalb weiter auf seine farbigen Akiden, die ununterbrochen Boten mit Nachrichten aus dem Lande schickten und die Lage viel ernster darstellten, als sie anfangs beurteilt worden war. Ich wohnte in dem geräumigen Hause des Bezirksamtmanns und bemühte mich, aus den Schilderungen der Boten ein Bild von dem Wesen der Aufstandsbewegung zu bekommen. Es war immer das gleiche: „Schickt schnell Askari, die Schenzi[7] kommen; sie werden unsere Hütten abbrennen, das Getreide wegnehmen und uns töten, wenn wir nicht mitmachen oder fliehen.“ Bald danach kam ein anderer Bote mit der Hiobspost: „Unsere Hütten sind verbrannt, Menschen erschossen; die Schenzis ziehen weiter, viele schließen sich ihnen an.“ Immer näher bei Mohorro mordeten und brannten die Aufständigen, ohne daß ihnen entgegengetreten wurde. Ihre Zahl vergrößerte sich von Tag zu Tag. Noch waren die Stämme auf der Nordseite des Flusses ruhig; bald konnte die Bewegung auch dorthin übergreifen, dann war Mohorro isoliert. Wiederholte Bitten des Bezirksamtmanns an die Schutztruppe, gegen den Rufiyi vorzugehen, blieben erfolglos, weil die Schutztruppe selbst ernsten Widerstand gefunden hatte. In dem Ort Mohorro herrschte deshalb eine sehr gedrückte Stimmung. Sorge um Sicherheit für Leben und Gut verbreitete sich. Man merkte es den Eingeborenen an, daß sie nicht verstanden, weshalb die Europäertruppe untätig blieb; nur zu leicht konnte das als Schwäche und Feigheit ausgelegt werden. Das Vertrauen auf die Macht und den Schutz durch die Soldaten durfte nicht schwinden, wenn Ruhe im Lande geschaffen und erhalten werden sollte. Aber ich durfte ohne besonderen Grund nicht wagen, dem Feinde entgegenzugehen und mußte abwarten bis eine äußere Veranlassung mich dazu zwang, denn mein Befehl sagte nur, ich sollte Mohorro verteidigen. Die Untätigkeit steigerte das Gefühl der Unsicherheit; denn wir wußten vom Feinde fast nichts, und der Angriff auf Mohorro wurde täglich erwartet. Bald wurden von Süden, bald von den Kitschibergen her, Schenzis im Anmarsch gemeldet. Die Telegraphenleitungen waren meistens unterbrochen; der mit der Reparatur beschäftigte Beamte und sein kleines Bedeckungskommando wurden oft hart von Angreifern bedrängt. Auch nachts war scharfe Aufmerksamkeit nötig; denn Niemand konnte sagen, ob das Volk nicht auch in der Dunkelheit angreife. [Sidenote: Der erste Angriff.] Am dritten Tage nach meiner Ankunft häuften sich die bösen Nachrichten aus dem Süden. Flüchtlinge meldeten, daß die Aufständigen anderthalb Stunden von Mohorro entfernt, brannten, plünderten und schössen. Ein Knäuel von Menschen erschien vor dem Bezirksamt; erregte Eingeborene, Araber, Weiber und Kinder schlossen sich den Boten an. Die Aufregung der Leute angesichts der nahen Gefahr gab zu denken. Wenn es so weiter ging, und einer nach dem andern von uns abfiel, konnte man durch Eingeborene aus der nächsten Umgebung überrumpelt werden. Bei den fortwährenden Übergriffen der Aufständigen, die alle nicht zu ihnen übertretenden Leute ausplünderten und töteten, standen die Schwarzen an der Peripherie des Aufstandsgebietes alle vor dem Entschluß, sich dem Aufstand anzuschließen, um ihr Eigentum und die gerade hereingebrachte Ernte zu retten, wenn sie nicht Vertrauen auf den Schutz der Europäer bekommen konnten. Der Entschluß zu marschieren wurde mir sehr schwer, weil mein Befehl ausdrücklich vorschrieb, mich auf die Verteidigung zu beschränken. Jedoch der Telegraph war unterbrochen, Befehle konnte ich mir also nicht einholen, und schnelles Handeln tat not. Mit elf Matrosen und dreißig Askari der Polizeitruppe verließ ich Mohorro. Es blieben genug Soldaten zurück, um das Bezirksamt im Notfall zu schützen. Außerdem war das Maschinengewehr stets gefechtsbereit. -- Schon nach einstündigem Marsch traf ich auf frisch zerstörte Ortschaften; rauchende Trümmer und ganze Haufen glimmender Vorräte, die der Wind in rote Glut setzte. Das waren Anzeichen für die Nähe der Plünderer. Auf einem schmalen Fußpfad ging es vorwärts; durch kniehohes Gras und niedrigen Busch; durch Felder mit Mohogo, abgeerntetem Mais und Negerhirse. Bald trafen wir Aufständige. Ich hatte unter einer Gruppe von Mangobäumen Rast gemacht und eine Patrouille vorausgeschickt, die plötzlich hielt und Meldung zurücksandte, etwa dreißig Schwarze mit Gewehren plünderten ein vor uns liegendes Dorf und seien im Abziehen. So schnell wir auch folgten, erreichten wir die Leute doch nicht und kamen an eine Wasserstelle, aus der offenbar eben getrunken worden war. Wir gingen weiter, in hohen Wald hinein. Kurz darauf knallte es vor uns; blaue Rauchwölkchen stiegen auf; die ersten Kugeln pfiffen an uns vorbei: die Vorposten der Aufständigen hatten uns gesehen. Zu beiden Seiten des Weges marschierten die Matrosen auf und feuerten eine Salve in das vor uns liegende Dickicht; dann lief die ganze Linie vor, und die Neger flohen zwischen den Büschen. Darauf machte ich an der Wasserstelle Mittagsrast und ließ über dem Winde das hohe, trockene Gras anzünden, um freie Übersicht in dem Walde zu bekommen. Ein Askariposten stand auf dem Wege, der weiter in den Wald hinein führte. Hin und wieder fielen noch Schüsse; die Schenzis suchten die Askari an ihrem Auftrage zu hindern. Wir ruhten unter den schattigen Vordächern der Hütten und warteten auf die Rückkehr der ausgesandten Patrouillen. Plötzlich winkte der Posten. Sergeant ~Kühn~ sprang auf und lief zu ihm hin; dann fiel ein Schuß. -- Alle griffen zu den Gewehren. -- Rundum im Busch fielen Schüsse. Die Aufständigen waren offenbar in großer Zahl zurückgekehrt, um uns zu überfallen! Über die ersten Toten ging es hinweg, in den Wald hinein; Matrosen und Askari stürmten in langer Linie vor. -- Noch rauchte der Wald vom Brand; hinein mischten sich die Rauchwölkchen der Gewehre, unsere Kleider wurden von der Asche geschwärzt. -- Zwischen den Büschen bewegten sich dunkle Leiber mit blauen Tüchern um die Hüften, liefen und hielten Gewehre, Speere und Äxte in den Händen. Waffen lagen im Wege und Blutspuren zeigten, daß Verwundete mit den Aufständigen flohen. [Sidenote: Ein Überfall abgeschlagen.] Für die Schenzis gab es kein Standhalten mehr. Wir ließen ihnen nicht Zeit, die Gewehre zum zweiten Male zu laden und folgten bis an das hohe, noch nicht niedergebrannte Gras. Dort ließ ich halten, weil der Zusammenhang der Truppe in dem unübersichtlichen Gelände verloren ging, und wir kein freies Schußfeld mehr hatten. Alle waren vom Laufen erhitzt und fast außer Atem. Dennoch wären meine Matrosen am liebsten gleich weiter gegangen, um das Lager der Schenzis zu suchen. Aber wir mußten an den Rückmarsch denken; es war schon spät. Das war nun der erste Zusammenstoß mit dem Feinde gewesen. Blut war geflossen. Die ersten Toten, von unseren Gewehren erschossen, lagen da. Wunderbar berührte es mich; wer gab uns das Recht, auf Menschen zu schießen? -- Weshalb fielen gerade die und andere entkamen? -- Als wir, müde und durstig den weiten und sonnigen Weg nach Mohorro zurückmarschierten, gingen mir die einzelnen Bilder des erlebten Gefechtes noch einmal durch den Kopf. -- Menschen jagen -- und von Menschen, wie ein Stück Wild gesucht und gejagt werden: Welch tiefen Eindruck machte diese Art der Jagd auf mich! -- Dann noch eins: die Toten! Und es fehlte zum Glück noch das Ergreifendste. Verluste auf der eigenen Seite. -- In der Erinnerung spiegelte sich jetzt alles deutlich: wie mich die Sorge um den Zusammenhang der Truppe beherrschte, welche Einfälle mir kamen; ich sah die schwarzen Teufel, die hinter den Büschen auf mich anlegten --, Rauch und Knall. Das galt mir! -- Das Korn meiner Büchse spielt auf dem Körper eines Menschen, der Schuß fällt -- er stürzt: Ganz ungekannte Eindrücke! Vorwärts! -- Blaue Wölkchen blähen sich plötzlich aus dem Geäst, dann laufen nackte Gestalten mit großem, altmodischem Gewehr und Pulverhorn. Bald bleiben rechts, bald links von mir Schützen stehen, heben die Gewehre und schießen -- zwischen den Büschen brennt das trockene Gras. Dursterregende rauchige Luft atme ich ein. -- Als wir spät abends Mohorro wieder erreichten, war ich froh, das Bezirksamt noch auf dem alten Fleck zu sehen. Wie leicht hätten Aufständige hinter meinem Rücken angreifen können, und es wäre mir dann schwerlich verziehen worden, wenn ein Unglück geschehen wäre. Aber allein das Maschinengewehr, das mitten auf der Straße stand, wirkte Wunder an Respekt bei den Eingeborenen. Keudel hatte ein auserlesenes Abendbrot zurecht machen lassen, und wir feierten die Feuertaufe bei einer Flasche Sekt, die ich vom „Bussard“ mitgebracht hatte. Der Erfolg des Vorstoßes machte sich schon am nächsten Tage bemerkbar. Die benachbarten Jumben (Dorfältesten) kamen mit ihren Leuten und gaben Gewehre ab. Während die Eingeborenen das Bezirksamt bisher mit Klagen über Ausschreitungen der Aufständigen überschüttet hatten, herrschte heute völlige Ruhe. Auch in Mohorro gingen die Europäer unbewaffnet über die Straße; die Spannung, die Tag und Nacht auf allen gelegen hatte, machte einer größeren Zuversicht Platz. Wir hatten angegriffen und dadurch einen gewissen Bann gebrochen. Mittlerweile kam eine genaue Nachricht über die oben erwähnte Ermordung des Ansiedlers Hopfer im Kilwabezirk: Hopfer war krank und ließ sich von seinen Negern zur Küste tragen, während Aufständige ihn verfolgten. Als sie näher kamen, liefen seine Träger davon. Er versteckte sich im Busch; doch sein kleiner Hund schlug an und verriet ihn. Hopfer erschoß mit seinen letzten Patronen mehrere Angreifer und wurde dann mit Äxten erschlagen. In den nächsten Tagen ließ ich rings um die Gebäude der Station Bananen und Buschwerk abhauen, um freies Schußfeld zu bekommen. Um meine Kenntnisse des Kisuaheli zu verbessern, ging ich oft unter die Bevölkerung und wohnte jeder Gerichtssitzung bei. Auch bei den Askari gab es allerlei für mich zu lernen, was mir neu war und bei weiterer Tätigkeit hier helfen konnte. Malereien an der getünchten Wand einer Hütte. Der Kalk ist um die Figuren herum fortgekratzt. Die Figuren stellen dar: einen Schenzi mit Schild, Keule und Speer; einen fieberkranken Mann, der sich von seiner Bibi den Kopf massieren läßt, einen Fisch, eine Antilope, einen Leoparden und einen Askari. Solche Anfänge bildender Kunst sind in Ostafrika sehr selten. [Illustration: (Nach einer Zeichnung des Verfassers.) Malereien an der getünchten Wand einer Hütte.] Schwierig war es, den Matrosen den richtigen Platz neben den anderen Europäern und über den Askari und Eingeborenen zu geben. Daß ich mich selbst durch keinen Burschen bedienen ließ, sondern gleich mehrere Boys annahm, war selbstverständlich; aber bei der Polizeitruppe hatte sogar jeder Askari einen Boy, deshalb gab ich auch den Matrosen Schwarze als Diener; ich wollte den Anschein vermeiden, als stände der Matrose schlechter da als der Askari. Vor allem aber bemühte ich mich, den Matrosen klar zu machen, wie sie ihre Stellung zu den Askari und den Eingeborenen aufzufassen hätten. Die Matrosen konnten jedem Schwarzen Befehle geben, auch dem schwarzen Feldwebel; sollten es aber möglichst vermeiden. Auch sollten sie sich nicht mit den schwarzen Soldaten befreunden. Diese und ähnliche Winke, die den schwierigen Verhältnissen der Unterordnung und dem Rassenprestige Rechnung trugen, wurden verstanden. Zum Lob meiner Unteroffiziere und Matrosen kann ich hier sagen, daß sie den Negern gegenüber eine achtunggebietende Haltung bewahrt haben, ohne gegen ihre Vorgesetzten in der militärischen Form nachzulassen. Und in dieser Form mögen die Eingeborenen oft unsere Macht gesehen haben. Auch den Askari gefiel es wenn sie sahen, daß sogar Weiße, ebenso wie sie, vor dem Vorgesetzten die Hacken zusammenschlagen und das Gewehr zum Präsentiergriff von der Schulter reißen, wenn der Vorgesetzte kommt. Jeden Abend saßen Keudel und ich über der Karte und stellten Vermutungen auf, wie es wohl kommen würde. Die Nachrichten vom Aufstand waren spärlich; entweder besannen sich die Neger, weil so plötzlich Truppen im Lande erschienen waren, oder es bereitete sich etwas vor. Und damit war zu rechnen. [Sidenote: Ein Nachtmarsch.] Ein Jumbe mit Namen ~Burri~ gefiel sich in der Rolle eines Vertrauensmannes und Spions. Er behauptete, mit Sicherheit festgestellt zu haben, daß ein großes Lager der Aufständigen an einem Platze sei, den man in fünf Stunden erreichen könne. Eine so gute Gelegenheit, den Gegner zu fassen, durfte ich nicht vorübergehen lassen und entschloß mich zu einem Marsche in der Nacht, um die Aufständigen womöglich am Morgen zu überraschen. Da der Sergeant inzwischen mit einem Teil der Askari zum Rufiyi geschickt worden war, hatte ich zum Angriff außer zehn Matrosen nur acht Askari zur Verfügung. Eine Anzahl bewaffnete Araber und Neger schlossen sich mir an. In Mohorro blieb der Rest der Matrosen, das Maschinengewehr und einige ganz alte, marschunfähige Polizeiaskari. Bei wundervollem Mondschein setzte sich meine eigenartige Streitmacht um elf Uhr am Abend in Bewegung. Stabsarzt Engeland, der gerade aus Daressalam eingetroffen war, begleitete mich. Die Araber führten. In ihren langen weißen Gewändern, den silbernen, krummen Dolch im Gürtel, das Gewehr geschultert, gingen sie vor mir und suchten mit ihren guten Augen die Schatten der schweigenden Mondnacht zu durchdringen. Besonders vorsichtig gingen sie durch Pflanzungen und kleine Dörfer; jeden Augenblick konnten wir den Vorposten der Aufständigen begegnen. Wenn ich mich umdrehte, sah ich die Reihe der im Gänsemarsch gehenden Truppe sich durch das Gras schlängeln. Die Gestalten der Träger und Askari verschwammen gespensterhaft mit der scheinbar erhellten Umgebung, und das Schweigen, das alle wahrten, erhöhte den Eindruck. Bei jedem Geräusch -- wenn ein Stück Wild in den Feldern lief -- stutzten die Führer und lauschten. Als wir wieder eine kleine Ortschaft passierten, fiel plötzlich seitlich vom Wege ein Schuß. Sofort wurden auf beiden Seiten Neger im Gebüsch gesehen. Immer noch in der Besorgnis, Unschuldige anzuschießen, rief ich zweimal: „Wer ist da? Antwort, wenn Freund des Bezirksamts!“ Lauschend standen wir auf dem breiten Platz, den das helle Mondlicht beschien. Keine Antwort kam. Die Leute an den Flügeln zeigten aufgeregt vor und neben uns in das Gras und behaupteten, viele Leute bewegten sich darin. Um dem Spuk ein Ende zu machen, ließ ich fünf Mann eine Salve in den Busch feuern. Aber nichts regte sich; die Schatten der Büsche flimmerten geisterhaft wie zuvor. Ein Kind schrie in der Ferne. Als wir noch standen und warteten, kam der Betschausch (schwarzer Feldwebel) an mich heran und sagte in geheimnisvollem Tone, die Araber, die mit uns seien, planten Verrat, ich sollte ihre Vorderlader abfeuern lassen, wenn ich nicht Gefahr laufen wollte, daß sie plötzlich ihre Gewehre auf mich richteten. Überrascht sah ich Stabsarzt Engeland an; es konnte etwas Wahres daran sein. War es doch das erstemal, daß die Araber auf unserer Seite und nicht gegen uns kämpften! Als hätte sich Alles verschworen, um meine Geduld zu prüfen, so stürmten die Eindrücke auf mich ein und wollten auch meine Phantasie gefangen nehmen; doch ich behielt zum Glück meine Ruhe. Die Vorderlader konnten uns nicht viel nutzen, richteten vielleicht sogar in unsern Reihen Verwirrung an, deshalb ließ ich sie abfeuern. Da redeten die Araber auf mich ein und baten, ich sollte ihnen nichts Schlechtes zutrauen. Ich wurde ungeduldig und verwünschte die ganzen Gespenstergeschichten; denn das waren sie; befahl auf kein Geräusch mehr zu achten und drängte vorwärts. Da war mit einem Male alles vorbei, was uns vorher beunruhigte; zur Beschämung derer, die fest behauptet hatten, schwarze Gestalten gesehen zu haben. Wir kamen an den Wald und gingen schnell weiter, weil sich starker Aasgeruch in der Gegend verbreitete, wo vorgestern das Gefecht stattgefunden hatte. Unter den Bäumen war es so dunkel, daß es manchmal schwer fiel, den Weg zu finden. Große Euphorbien, Fächerpalmen und dichtbelaubtes Dorngestrüpp ragte in seltsamen Silhouetten zum fahlen Nachthimmel empor. Ein Feuer am Fuß hoher Stämme warf flackerndes Licht in die Baumkronen. Ich sandte eine Patrouille hin, um nachzusehen, ob es ein Vorpostenfeuer sei. Wir warteten auf dem Wege. Aber es war nur ein brennender Baumstamm, der an das Feuer erinnerte, das meine Askari am Tage des ersten Gefechtes angezündet hatten. Als wir das Ende des Waldes erreichten, rieten die Führer zu halten und das Tageslicht abzuwarten; denn die Dörfer der Aufständigen seien dicht vor uns. So legten wir uns denn, wie wir waren, auf dem Wege nieder und schliefen ohne viel Erquickung; es war kalt und der Morgenwind stieß uns mehrmals unfreundlich an. Beim ersten Morgenlicht gingen wir schnell vorwärts; durch Mohogopflanzungen und verlassene Dörfer, deren naturfarbene Strohdächer friedlich aus dem Grün heraussahen. Alle Herdstellen waren kalt; alle Fährten gingen weiter in die Berge hinein. Die Besitzung eines Arabers war stark verwüstet, die Häuser niedergebrannt und das Hausgerät zerschlagen. Der Besitzer, der mit uns ging, wütete und suchte unermüdlich nach Spuren der Aufständigen, um sich zu rächen. Als ich nach mehrstündigem Marsche, ohne einen Feind getroffen zu haben, umkehrte, schwärmten die Araber in die Felder und setzten den roten Hahn auf alle Dächer der weit verstreuten Hütten. Fast ohne Rauch stiegen die Flammen empor; in starkem Gelb und Rot gegen den blauen Himmel. Mit einem Feuerbrand in der Hand ging ein hochgewachsener, schneeweißgekleideter Araber zwischen den Hütten und förderte das Zerstörungswerk. Es war ein Bild aus den Zeiten als die Hand der braunen Söhne Maskats in diesem Lande herrschte. [Sidenote: Bei Mohorro.] Erst gegen Abend erreichten wir müde und verstimmt unsere Quartiere in Mohorro. Der weite Marsch hatte die meisten Matrosen sehr angestrengt; einige waren stundenlang barfuß gegangen, weil ihnen die Füße in den Segeltuchschuhen schmerzten. Die folgenden Ruhetage taten uns gut. Eines Tages kam Hauptmann Merker nach Mohorro. Er hatte, um die Aufständischen zu treffen, in den Matumbibergen schwierige Märsche gemacht. Sein Lager war auch nachts beschossen worden, und er riet uns, für einen Nachtangriff jederzeit gerüstet zu bleiben. Als wir seinen Schilderungen der Vorgänge in den Bergen und bei Samanga noch zuhörten, kam eine Nachricht, die den Bezirksamtmann sehr beunruhigte: auch nördlich vom Rufiyi sollte in den Bergen Neigung zum Aufstand sein. „Wenn Sie schnell hingehen,“ sagte er mir, „können Sie viel retten.“ Da ich inzwischen telegraphisch die Erlaubnis zu kleineren Streifzügen bekommen hatte, zögerte ich nicht. Es galt einen Gewaltmarsch auszuführen; denn schon am nächsten Morgen erwartet der Akide von Kikale den Angriff der Bergbewohner. Meinen Matrosen konnte und wollte ich einen Nachtmarsch nicht wieder zumuten; deshalb ging ich mit Sergeant Kühn und zwölf Askari am Abend voraus. Stabsarzt Engeland sollte am nächsten Tage mit einem Teil der Matrosen nachkommen. Gegen Mitternacht kamen wir an einen breiten Strom, den Rufiyi, und mußten auf Boote warten. Die dunklen Wassermassen, auf denen der fahle Glanz der Sterne zitterte, das leise Rauschen im Schilf und die schweigsame Gruppe der Askari: das alles hatte etwas Geheimnisvolles, fast Geisterhaftes. [Illustration: Boote an einer Fährstelle am Rufiyi.] Auf der Höhe der Uferböschung schlief ich, bis die Boote kamen, die uns übersetzen sollten. Da ließ ein Schuß mich aufspringen und zum Gewehr greifen; doch der Sergeant beruhigte mich: Die Askari brachten die Reittiere durch den Strom und schossen in das Wasser, um die Krokodile zu verscheuchen. Endlich kam auch ich an die Reihe und nahm in dem schwankenden Einbaum Platz, den drei Neger in flachem Wasser mit Stangen, im tiefen Strome mit kleinen Schaufelrudern vorwärts trieben. Als es hell wurde, erreichten wir die waldigen Ufer des Mbumiflusses. Eine Dhau brachte uns auf das andere Ufer, dann ging es eilig vorwärts auf dem Wege nach Kikale. Aber noch war der Ort nicht in Sicht, da kam schon ein Trupp bewaffneter Leute des Akiden, die meldeten, das Gerücht sei unbegründet, sie seien selbst nachts in den Bergen gewesen und hätten nichts Verdächtiges bemerkt. Sie freuten sich, daß ich so schnell zu Hilfe gekommen war. Die Gegend kannte ich von einem früheren Jagdausflug her; trotz der großen Müdigkeit ging ich deshalb etwas vom Wege ab und erlegte für die Küche der Matrosen zwei Warzenschweine, die ich mit Trägern nach Mohorro schickte. Durch Eilboten wurde Stabsarzt Engeland benachrichtigt, umzukehren, der Sergeant und ich aber schliefen bis gegen Abend unter einem Mangobaum; die Anstrengungen der Nacht machten sich geltend. Spät am Abend trafen wir in Mohorro ein. Wenn die beiden letzten, anstrengenden Nachtmärsche auch nicht zu einem Zusammenstoß mit Aufständigen geführt hatten, so waren sie doch nicht vergeblich gewesen; denn sie gaben der noch treuen Bevölkerung die Gewißheit, daß etwas für ihre Sicherheit geschah, und für mich waren sie nützlich, weil ich Land und Leute kennen lernte und sah, was ich mit meiner Truppe unter den gegebenen Verhältnissen leisten konnte. Die Möglichkeit, Streifzüge auszuführen, wurde für mich noch größer, als Leutnant zur See Schröder mit zwölf Mann von S. M. S. Bussard in Mohorro eintraf. Kapitän Back stellte außerdem weitere Verstärkung unter Oberleutnant zur See Wernecke in Aussicht, fügte aber hinzu, daß S. M. S. „Bussard“ zu Landungen an anderen Küstenplätzen bereit sein müsse. Mit Rücksicht darauf meldete ich, die Verstärkung sei nicht mehr nötig und erfuhr später, wie der Kommandant jeden einzelnen Mann brauchte, um die vielen Landungen auszuführen, die in den nächsten Wochen stattfanden. (Dabei ist es vorgekommen, daß sämtliche Offiziere, der Ingenieur und der Zahlmeister an Land waren und der Kommandant mit zwei Maschinisten und dreißig Mann allein an Bord blieb!) [Sidenote: Am Rufiyi aufwärts.] Der Bezirksamtmann war besorgt um die dichtbevölkerten und fruchtbaren Gebiete am Rufiyi. Als die Gerüchte sagten, daß auch die Bewohner der südlich davon gelegenen Kitschiberge sich dem Aufstande anschlössen, schien der Rufiyi bedroht zu sein. Es war eine verlockende Aufgabe, den Strom zur nördlichen Grenzlinie für die von Ort zu Ort fortschreitende Aufstandsbewegung zu machen. Das konnte nur durch einen Marsch den Rufiyi aufwärts geschehen. Von der Schutztruppe war keine Hilfe mehr zu erwarten, nachdem Hauptmann Merker von neuem in den Matumbibergen zu tun bekommen hatte; also blieb nur mir die Aufgabe, von der Keudel und ich jetzt täglich sprachen. Am 15. August verdichteten sich die Meldungen über das Auftreten der Rebellen auf dem Südufer des Rufiyi, und ich entschloß mich, noch an demselben Tage aufzubrechen, um die von Aufständigen besetzten Plätze zu suchen. Auf wenigstens acht Tage Abwesenheit von Mohorro war zu rechnen. Träger wurden bestellt, Lasten mit Proviant gepackt, Zelte, Decken und Kochgeschirr bereit gelegt, und am Nachmittag gegen vier Uhr setzte sich meine Truppe, in Stärke von drei Unteroffizieren, zehn Matrosen und fünfunddreißig Askari in Marsch. Stabsarzt Engeland und ich hatten Reittiere; Sergeant Kühn nahm im Vertrauen auf die guten, von der Kommune angelegten Wege sein Fahrrad mit. Anfangs folgte ich einem Wege, der in westlicher Richtung auf die Kitschiberge zeigte. Durch Wald, an den Teakholzpflanzungen der Kommune vorbei, führte die breite Straße nach einem verlassenen Dorfe, in dem nach dreistündigem Marsche das Nachtlager aufgeschlagen wurde. Eine meiner Hauptsorgen bei dieser ersten größeren Expedition war die Gesundheit der Matrosen. Proviant und Kochgeschirr hatten wir. Wasser durfte nur abgekocht getrunken werden. Schwierig war es nur, die Matrosen in der Nacht gesund unterzubringen. Für zehn Mann waren nur zwei Zelte da. Jeder hatte eine wasserdichte Unterlage zum Schutze gegen die Feuchtigkeit, eine wollene Decke und ein Moskitonetz, das an eingeschlagenen Stöcken befestigt wurde. Ich selbst stellte mein Feldbett, das mir schon auf früheren Jagdausflügen gedient hatte, mit in Stabsarzt Engelands Zelt auf. Kranke konnten mir bei meinen Märschen sehr zur Last fallen, und es mußte mir verdacht werden, wenn ich meine Leute der Fiebergefahr allzusehr aussetzte; deshalb war es nur eine große Beruhigung, einen erfahrenen Arzt bei meiner Truppe zu haben.[8] [Sidenote: Am Hirusee.] Am zweiten Morgen schlugen wir die Richtung auf den Hirusee ein. Die Türen der Hütten, an denen wir vorbeikamen, waren durch starke Stäbe von außen verschlossen, ein Beweis, daß die Menschen in den Wald geflüchtet waren, um sich den Aufständigen anzuschließen. Es ist das alte Verfahren der afrikanischen Völker: im Kriege die Dörfer zu verlassen und wie Tiere in einsamer Wildnis verborgen zu leben. Dem Verfolger bleiben Hütten ohne Vorräte, Ställe ohne Haustiere; und einer großen Truppe wird es dann schwer, sich zu verpflegen. Gegen Mittag rasteten wir auf einer Halbinsel, die sich mit dicht bewaldeten Ufern in den Hirusee hineinschob. Auch hier lagen im Walde verstreut Ansiedelungen, und auf den kleinen Rodungen waren Mohogo und Bohnen gepflanzt; Fischereigerät deutete auf die Beschäftigung der Eingeborenen. Die Hütten waren sehr primitiv aus Erde, Rohr und Gras gebaut, während die dem Flusse und der Küste näher wohnenden Stämme oft recht gute Wohnhäuser bauen; mit Lehmbewurf und Kalkanstrich, mit überstehendem, auf Pfosten ruhenden Makutidach. Aus dem Dunkel einer kleinen Hütte wurde eine alte Frau herausgezogen, die als marschunfähig zurückgelassen worden war. Nur einen Napf mit Bohnen und einen Topf mit Wasser hatte man ihr hingestellt, damit sie nicht zu verhungern brauchte. Unter den Bäumen, nahe an der Spiegelfläche des Wassers lagerten meine Matrosen und Askari. Kleine Feuer wurden angezündet und das Mittagessen bereitet. Die Matrosen kochten den beliebten Hammelkohl, (die beste Fleisch- und Gemüsekonserve, die ich auf allen Reisen kennen lernte). Man kann dies Gericht täglich essen, ohne seiner überdrüssig zu werden, und auch die Matrosen (die an Bord sehr gutes Essen bekommen) waren froh, wenn es Hammelfleisch mit Kohl gab, während ihnen gekochter Reis mit Fleisch von Wasserbock oder Riedbock weniger zusagte. Das aber wurde die Nahrung in den nächsten Tagen, als die Konserven zu Ende gingen; ich mußte mit meiner Büchse für frisches Fleisch sorgen, da die Neger jener Gegend kaum nennenswert Viehzucht treiben und die wenigen vorhandenen Rinder, Ziegen und Schafe vor uns verborgen hielten. [Illustration: Negerhütten in den Kitschibergen.] Unter Mittag fielen am Wege mehrere Schüsse: Die Posten schossen auf zwei Leute, die mit Lasten auf dem Kopf des Weges kamen und, angerufen, sich zur Wehr setzten. Der eine wurde getötet, der andere warf seine Last hin und entkam. Am Nachmittag marschierten wir weiter. Der Sergeant fuhr mit seinem Rade etwas voraus und bemerkte einige Aufständige, die sich in den Maisschamben verproviantierten. Sobald sie uns erblickten, griffen sie zu ihren Waffen und suchten im nahen Gebüsch Deckung; aber drei fielen von unseren Gewehrkugeln getroffen. Die Nähe der Feinde zwang zu besonderer Vorsicht. Als der Abend nahe war, hielt ich in einem Dorfe, das anmutig auf bewaldeter Höhe lag mit der Aussicht auf den Strom und auf die weiten, fast unabsehbaren Grasniederungen seiner Ufer. Um Lärm zu vermeiden, ließ ich keine Zelte aufschlagen, sondern Schlafplätze unter den vorspringenden Dächern der Hütten einrichten. Das Abendessen wurde auf den Herdsteinen im Innern der verlassenen Hütten gekocht. Blutrot ging die Sonne hinter dem Flusse unter. Wir glaubten den Aufständigen nahe zu sein, deshalb stand ich lange mit dem Sergeanten auf dem höchsten Dach des Dorfes und suchte nach dem Schein von Lagerfeuern in der Ferne. Aber nichts Bestimmtes war zu erkennen. Die Neger, Askari wie Träger, schliefen ohne Decken im Freien. Zwei Posten waren ausgestellt. Ein besonders gewandter Askari wurde als Schenzi mit blauem Kanicki verkleidet, bekam einen Speer in die Hand und erhielt den Auftrag, sich unter die Aufständigen zu mischen, um etwas über ihre Absichten und ihren Aufenthalt zu erfahren. Nach einigen Stunden kam er zurück und erzählte, er habe Schenzis getroffen, die zu ihm sagten: „Sieh dich vor, die Europäer haben heute am Rufiyi geschossen.“ Er darauf: „Ich gehe nach Kitschi, da kriegen sie mich nicht!“ Die Aufständigen: „Auch wir gehen nach Kitschi und unsere Frauen und Kinder sind im Wald versteckt.“ Gewiß war das alles Phantasie. Der Askari hatte sich wahrscheinlich eine Zeitlang im Busch verborgen und war dann mit der erdichteten Geschichte zurückgekommen. Unter dem Vordach einer Hütte stand mein Feldbett; im Kreise herum lagen die Askari auf dem Wege, unter einer anderen Hütte die Matrosen. Die Träger schliefen dicht aneinander gedrängt nahe an dem Abhang, von dem aus am wenigsten Gefahr drohte. [Illustration: Eines Tages traf ich in einem verlassenen Negerdorf auffallend zahme Tauben. Die Tiere waren offenbar gewohnt, ihr Futter von Menschenhand zu bekommen, und waren jetzt halb verhungert; sie pickten Maiskörner, die ich über mich streute, aus meinem Hut und fraßen aus der Hand.] [Sidenote: Panik unter den Trägern.] Mitten in der Nacht wurde ich durch plötzliche Schreckensrufe aus vielen Kehlen geweckt. Ein Menschenhaufe drang in das Lager. Ich sprang auf, griff zur Büchse, verwickelte mich in mein Moskitonetz, zerriß es und stand auf dem Platz im ersten Augenblick völlig im Unklaren über das, was vorfiel. Auch die Mannschaften standen plötzlich alle da; die Matrosen und Askari mit ihren Gewehren, und die Träger hinter ihnen Schutz suchend. Aber kein Feind ließ sich blicken und nun wurde der Vorfall als ganz harmlos aufgeklärt: Ein Träger war ausgetreten und wurde, als er aus dem Gebüsch zurückkam, plötzlich von anderen bemerkt, die ihn, aus dem Schlaf erwachend, für einen Feind hielten, aufschrien, davon rannten und alle andern mit sich rissen. Zum Glück hatte niemand geschossen; ein Gewehr war in dem Durcheinander zerbrochen, sonst war kein Unheil geschehen. -- So aber mag der Eindruck sein, wenn ein nächtlicher Überfall die Schläfer aus dem Schlaf emporschreckt! -- Auch als wir am folgenden Tage weiter marschierten, war von den Aufständigen noch nichts zu sehen. Als ich unter Mittag am Fluß lagerte, kam ein Boot mit Lebensmitteln, die uns sehr willkommen waren, weil unsere Vorräte zu Ende gingen. Ich ließ das Boot anhalten und kaufte alles was darin war. Die Bootsleute erzählten, sie seien heute vom Ufer aus beschossen worden; in Utete, vier Stunden stromaufwärts lagerten Aufständige, die jedes Boot anzuhalten versuchten, um später auf das Nordufer übersetzen zu können. [Sidenote: Ein Akide.] Vom Nordufer kam der Akide Melicki, der das niedergebrannte, große Dorf Mayenge verlassen hatte; er brachte eine Ziege, Hühner und Reis. Ihn begleiteten seine beiden Polizisten in phantastischen Kleidern, und andere Neger mit Vorderladern; eine sonderbar aussehende, bunte Truppe. Dieser Akide Melicki hat mich später auf allen meinen Streifzügen stets begleitet, bis friedlichere Zustände eintraten. Er war zwar kein Araber, sondern ein Neger aus den Matumbibergen, aber ein vortrefflicher Nachahmer arabischen Wesens, und dadurch nicht ohne Ansehen bei den Eingeborenen. Sein Wert bestand in der vermittelnden Stellung, die er zwischen mir und den Eingeborenen einnahm. Er sprach die Dialekte der Bergbewohner und Pogoro und kannte jedes Haus in seinem Akidat, weil er die Hüttensteuer einzutreiben hatte. Es ist gewiß bemerkenswert, daß ein Neger es versteht, eine solche Stellung einzunehmen und daß ihn Äußerlichkeiten, wie Kleidung, Schrift und religiöse Übungen dabei unterstützen. Man kann aber von den farbigen Akiden ebensowenig wie von den meisten Arabern erwarten, daß ihn ein Vertrauensposten hindert, seinen eigenen Vorteil dabei wahrzunehmen und Geldgeschäfte damit zu machen; denn dem Neger ist es nicht leicht verständlich, daß jemand Macht besitzen soll, ohne sich durch sie zu bereichern. Und wenn er die Tugend auch beim Europäer sieht, selbst kann er sie nicht üben. Die Akiden haben sich durch Strafgeld bereichert und den Aufstand benutzt, Geld verschwinden zu lassen. [Illustration: Dorfstraße am Rufiyi. Unter dem überstehenden Dache des Hauses links schlief ich einmal, als eine Herde Elefanten in der Nacht zwischen den Häusern hindurchging. Rechts stehen Askari bei Bettstellen, die sie sich zum ausruhen aus den verlassenen Hütten geholt haben. In der Mitte sieht man unsere Reitesel.] Für den nächsten Tag hoffte ich auf einen Handstreich gegen die Schenzis. Die von den Bootsleuten bezeichnete „Boma“ der Aufständigen sollte etwa zwei Stunden von meinem Lagerplatz entfernt sein; das bestätigte mir auch der Akide. Ich selbst wollte um 4 Uhr morgens mit der Hälfte der Truppe so schnell als möglich vorgehen. Stabsarzt Engeland sollte bei Tagesanbruch mit dem Rest der Truppe und mit der Trägerkolonne folgen. So glaubte ich schneller und sicherer an den Feind zu kommen, als wenn ich stets mit dem ganzen Troß marschierte. Außerdem konnte das Lager beim Tageslicht leichter abgebrochen werden als bei Nacht. Pünktlich um 3½ Uhr weckte der Posten, und eine halbe Stunde später verließ ich das Lager mit zwei Unteroffizieren, sieben Matrosen und achtzehn Askari. Der Akide zeigte den Weg. An der Spitze gingen Sergeant Kühn und ich. Wir schlichen durch verlassene Dörfer, drangen in die dunklen Hütten, die leer waren, und prüften jedes Feuer in den Herdsteinen auf sein Alter. Als es hell wurde, gingen wir lange durch niedrigen, offenen Wald und kamen gegen 7 Uhr über eine Anhöhe, die sich in sanftem Abfall zum Rufiyi senkte. Da stieg eine Rauchwolke aus dem Schilf empor; der Akide sagte, das sei der Platz, an dem wir die Schenzis vermuteten. Um ungesehen näher zu kommen, gingen wir seitlich in den Wald und sahen hier plötzlich eine Hütte mit Wachtturm vor uns. Schwacher Rauch stieg daraus empor. Wenn uns die Wächter bemerkten und Lärm schlugen, war der Überfall mißglückt; ich gab deshalb dem Sergeanten einen Wink. Wir liefen auf den Zehen um das Haus herum, drangen leise in die offene Hütte hinein und schlugen die drei Leute, die dort auf Maisvorräten schliefen, mit den Fäusten nieder, ehe sie zu den Waffen greifen konnten; dann wurden sie gefesselt. Die Überraschung dieser Wächter war so groß, daß sie nur unartikulierte Töne wimmerten. Ich teilte nun meine kleine Truppe in drei kleinere Abteilungen, deren eine ich selber führte, die zweite Sergeant Kühn, die dritte der Betschausch. Während ich langsam in gerader Richtung vorging, sollten Sergeant Kühn und der Betschausch von links und rechts das Lager umfassen. Aber trotzdem hier kein Schuß gefallen war und wir keinen Lärm machten, mußten wir schon bemerkt sein; denn als ich über eine niedrige Anhöhe kam, sah ich viele Bewaffnete in der Ebene unruhig hin und her laufen. Um besser sehen zu können, lief ich etwa dreißig Schritt vor, blieb stehen und hob mein Doppelglas. [Sidenote: Gefecht bei Utete.] Da krachten unmittelbar vor mir in dichtem Gras eine Anzahl Schüsse; ein Matrose, der mir gefolgt war, brach neben mir zusammen. Ich riß in der Überraschung mein Gewehrschloß auf und repetierte eine neue Patrone in den Lauf, ohne geschossen zu haben. Dann erst schoß ich einen Schwarzen nieder, der sich aus der Rauchwolke seines Vorderladers erhob, um fortzulaufen. Das alles geschah in wenigen Sekunden. Die Matrosen und Askaris kamen in die Reihe; ein heftiges Feuergefecht entspann sich. Die Schwarzen lagen hinter Bäumen und großen Steinen und drückten sich, nachdem sie abgefeuert hatten, wie tot ins Gras, wenn wir vorbeikamen. Lauter Zuruf von unten sagte uns, daß der Betschausch und die Begleiter des Akiden in unsere Schußrichtung gekommen waren, um die fliehenden Schenzis einzufangen. Da machten die Matrosen von ihren Seitengewehren Gebrauch, um nicht eigene Leute durch Schießen zu gefährden, und drangen mit großem Ungestüm auf die noch standhaltenden Neger ein. Nur kurze Zeit hatte das Gefecht gedauert. Weit unten am jenseitigen Ufer eines Sees sah ich die Aufständigen laufen und verschwinden und sandte ihnen einige Schüsse mit hohem Visier nach. „Wer von uns ist gefallen?“ fragte ich den Feuerwerksmaaten Fuchs. „Matrose Gramkau; er ist tot.“ Ich ging zu dem Platz, an dem er lag. Er war unmittelbar neben mir lautlos ins Gras gesunken; ich hatte nicht Zeit gehabt, mich nach ihm umzusehen. -- Da lag der Tote im Grase zwischen den hohen Steinen, die den Feinden als Deckung gedient hatten. Ein Geschoß war ihm in den Mund gedrungen und hatte die Halswirbel durchschlagen. Ein anderer Schuß hatte den rechten Arm getroffen und die Holzbekleidung des Gewehres zersplittert. Es war ein schmerzlicher Verlust für mich, hier mitten zwischen den zahlreichen Aufständigen einen der wenigen Europäer meiner kleinen Truppe zu verlieren. Ich war erregt und empfand es als ein Verbrechen und Unglück, daß dieser rohe, unebenbürtige Gegner mir einen meiner wertvollen Männer genommen hatte. Der errungene Sieg war teuer erkauft. In dichtem Haufen standen die Leute des Akiden auf dem Wege. Die Askari hatten die Gefangenen in die Mitte genommen, die alle Pulverhörner und Kugeltaschen trugen; sie hatten auf uns geschossen und waren mit schuld an unserem Verlust. Zur Bewachung und zum Transport der Gefangenen fehlten mir die nötigen Mannschaften. Von Feinden umgeben, konnte ich keinen meiner Soldaten entbehren. Es galt, Eindruck auf die Gegner zu machen, um mehr Blutvergießen zu hindern; deshalb beriet ich kurz mit den Unteroffizieren und dem Akiden, ließ die Askari antreten und die Rebellen erschießen. Als sich die Pulverwolke der Gewehrsalve verzogen hatte, lagen die Verurteilten tot am Boden. Wir wandten uns unserm Toten zu; er wurde auf eine Bahre gelegt und zugedeckt. Die Matrosen traten auf der einen, die Askari auf der anderen Seite des Weges an und präsentierten, als die Leiche vorbeigetragen wurde, um unter der Bedeckung von vier Askari nach Mohorro gebracht zu werden. Als Stabsarzt Engeland mit seiner Abteilung eintraf, ließ ich das Dorf plündern. Aus der Hütte eines Jägers wurden mehrere Häute von Wasserböcken angebracht; vielleicht waren gerade die Jäger die guten Schützen der Gegner. Große Mengen Reis lagen in der Wachthütte; sie wurden den Leuten des Akiden gegeben und auf das Nordufer geschafft. Die Wachthütte war sehr geschickt in einem Seitental angelegt, mit der Aussicht auf den Weg, den wir gekommen waren. Eine Leiter führte in den Aufbau, in dem sich die Reste eines Feuers befanden, das die Wächter in der Nacht offenbar unterhalten hatten, um sich zu wärmen. Ich fühlte das Bedürfnis nach Ablenkung. Die Eindrücke des Morgens, das Gefecht, der Tod des Kameraden und die Entschlüsse, die mich zu dem Todesurteil über die Rebellen brachten, packten mich stark. Und immer wieder trat das Gefühl der Verantwortung hervor: würde man einsehen, daß ich Recht tat, dem Feinde in seine Schlupfwinkel zu folgen und immer weiter vorzugehen? Würde man das Opfer verstehen, das der Kampf an diesem Morgen forderte? Da war es mir willkommen, daß der Matrose, der für die Verpflegung sorgte, meldete, unsere Fleischvorräte seien zu Ende. [Sidenote: An den heißen Quellen.] Ich ging mit Sergeant Kühn in den Wald, um wenn möglich einen Wasserbock zu schießen. Mehrere Askari ließ ich zu unserer Bedeckung folgen. Nach kurzem Marsch trafen wir, einem Seitenpfade folgend, auf ein Dornverhau, aus dem bewaffnete Schenzis entsprangen, ohne von ihren Flinten Gebrauch zu machen. Das war nun ein ganz eigenartiges Gefühl: dem Wilde folgend, jederzeit gewärtig zu sein, selbst angeschossen zu werden. Dennoch trennten wir uns, weil sonst auf einen Jagderfolg nicht zu rechnen war, und ich erreichte bald ein offenes, mit kurzem Gras bewachsenes Tal, durch das ein heißer Bach hindurchfloß. Hier ästen zwei starke Wasserböcke. Niedrige Fächerpalmen boten mir Deckung zum anpirschen, und ich erlegte beide Böcke mit schnellen Schüssen, gerade als sie mich bemerkten und in langen Sprüngen flüchtig wurden. Sofort schickte ich nach den Trägern, die aber erst nach Anbruch der Dunkelheit eintrafen. Inzwischen hatte ein Askari mir in dem heißen Quellbache eine Stelle gezeigt, an der früher schon Europäer gebadet haben sollten; während die beiden schwarzen Soldaten Wache hielten, entkleidete ich mich, legte mich lang in den schnell fließenden Bach und ließ das empfindlich heiße Wasser über mich strömen. Ein Wohlbehagen ging durch den ganzen Körper während ich so dalag und die eilenden Wolken über mir sah, deren westliche Wände von der untergehenden Sonne gerötet wurden. „Aber, die noch eben blühten, Ihre Kränze welken sacht, Und die letzten blassen Blüten Fallen in den Schoß der Nacht.“ (Gustav Falke, „Wolken“) [7] Als Schenzi (spr. Schensi) wird von dem auf seine weltmännische Art stolzen Küstenneger der Neger des Innenlandes bezeichnet, stets mit dem Klang: „ungebildeter Bauer“. Im Aufstand war „Schenzi“ die Bezeichnung für „Rebellen“. [8] Sämtliche Marinedetachements führten die Chininprophylaxe durch, wie sie Geheimrat Koch vorschreibt; an jedem siebenten und achten Tage wurde 1 _g_ Chinin genommen. Trotzdem sind fast alle Matrosen krank geworden. Ich selbst habe nur zu Anfang des Aufstands Chinin genommen; später habe ich es unterlassen, weil die Sicherheit beim Schießen an dem folgenden Tage jedesmal litt. Erst als die Regenzeit einsetzte, bekam ich Fieber. [Illustration: Galeriewald am Rufiyi.] Gefechte am Rufiyi. Die Nacht ließ mich das traurige Ereignis des letzten Tages vergessen; am nächsten Morgen waren wir frühzeitig unterwegs, um von neuem in das unbekannte Land zu ziehen und Rebellen aufzuspüren. Ein Graben wurde mit Hilfe eines kleinen Kanoes überschritten. Dann ging es durch dunklen Wald, bis verlassene Hütten auftauchten. Der Akide empfahl, hier Feuer anzulegen, als Strafe für die Aufständigen, und sagte auf mein Bedenken hin, man würde den Feuerschein nicht weit sehen in dem Morgendunst. [Sidenote: Zerstörte Dörfer.] Die Askari rissen trockene Blätter aus der Dachbedeckung, entzündeten sie und hielten den Feuerbrand im Weitergehen unter jedes einzelne Strohdach. Schnell kletterten die Flammen empor und breiteten sich aus. Am Ende des Dorfes machte ich Halt und blickte auf das schauerlich schöne Bild. Zwischen den brennenden Häuserreihen marschierten meine Leute hervor. Die Flammen beleuchteten rundum den Wald und den Dunst der Luft. Sparren krachten und Dächer stürzten ein. Zehn Minuten hinter dem brennenden Dorf war schon nichts mehr von dem Feuerschein zu sehen, weil der Platz im Walde versteckt lag. Als es hell wurde, öffnete sich der Blick auf eine Schilfniederung, in der einzelne kleine Hütten verteilt lagen. Dahinter blickte das Silberband des Stromes hervor. Schamben (Pflanzungen der Neger) waren da und dort zu erkennen; an dem frischen Morgen glaubte man ein weites, fruchtbares Land vor sich zu sehen --. Und dies Land ist auch fruchtbar. Askaripatrouillen gingen von Hütte zu Hütte, während wir auf der Höhe warteten und beobachteten. Schenzis schossen aus dem Schilf, die Askari liefen, schossen wieder und kehrten zurück mit der Meldung, die Verfolgten seien in den Strom gesprungen und entkommen. Als der Wald endete, bot sich mir ein unvergeßlicher Anblick: Da lag eine breite Straße, von Ruinen gesäumt. Die vom Feuer geschwärzten Wände mit hohlen Fensteröffnungen bildeten eine lange Reihe. Mitten auf der Straße stand ein einzelner großer Baum. Selbst die Neger waren einen Augenblick in Anschauen versunken. Der Eindruck des langen Trümmerfeldes war zu groß; ein ungewöhnlich reich bevölkerter Ort war hier verlassen und zerstört. Wo waren die Menschen, die hier noch vor acht Tagen auf der breiten Straße gingen, in der großen Gerichtshalle saßen, an den Inderläden Einkäufe machten und die Felder in der Ebene bestellten? Der Akide wußte Antwort; „_wamehama_“ hieß das Wort, das ich noch oft hören sollte: „sie haben das Weite gesucht.“ „Teils sind sie zu den Aufständigen übergegangen, teils auf das Nordufer geflohen und warten auf deinen Schutz. Bau du eine Boma hier, dann kommen sie wieder und bauen die Hütten auf, die ihnen die Schenzi niederbrannten.“ Ganz gut; es leuchtete mir ein; aber bei der Aussicht, täglich zur Küste zurückgerufen werden zu können, stand ein solcher Plan außer Erwägung. Ich schrieb einen Brief an das Bezirksamt und wies auf die Bedeutung eines Militärpostens am Rufiyi hin, ohne zu ahnen, daß mir selbst in den nächsten Monaten die Aufgabe, die Rufiyilinie zu sichern, zugeteilt werden würde, und daß ich von dem, was der erste Eindruck dieser verwüsteten Gebiete mich lehrte, später noch reichlich Gebrauch machen konnte. Die Straße machte bald eine Biegung und führte weiter in der Richtung auf die Kitschiberge. Das ganze Dorf war auf einem vorgeschobenen Ausläufer der Berge erbaut. Unmittelbar neben den Häusern fiel das Land zu der Ebene ab, die vom Hochwasser alljährlich überschwemmt wird. Noch jetzt stand Altwasser von der letzten Regenzeit in einer von Schilf umgebenen Talmulde und diente offenbar den Dorfbewohnern als Schöpfstelle; denn Brunnen gibt es im ganzen Lande nicht. An der Wegbiegung stand auch das Haus des Akiden und die Schaurihalle. Jetzt war alles nur noch ein Trümmerhaufen. Welch ein Leben muß hier in friedlichen Zeiten herrschen! Aus den Bergen bringen die Neger Gummi, Bergreis und Kafferkorn, um es bei den Indern zu verkaufen und gegen Tücher, Glasperlen, Tabak, Nadeln und Messer einzutauschen. Die Warufiyi, die Leute am Strom, ernten ihre großen üppigen Reis- und Maisfelder ab, hauen Einbäume im Walde und verschicken das Getreide nach der Küste, wo der Inder des Dorfes seinen Gläubiger wohnen hat. In den Händen des Inders sind sie alle, denn der ist ein sehr geschickter Geschäftsmann und versteht es, auf die Neigungen der Eingeborenen einzugehen. In der Ebene standen vereinzelt riesige Borassuspalmen; fern sah man dunkle Gruppen von Mangobäumen und weit, weit dahinter die Berge von Magongo, nördlich vom Rufiyi. Der Akide führte uns durch das Schilf der Ebene zu einem Seitenarm des Stromes. Hier wurden unter schattigen Bäumen die Zelte aufgeschlagen. Das jenseitige Ufer gehörte einer Insel; dorthin hatten sich die Bewohner von Nyamwiki mit ihrem Akiden geflüchtet. Am Nachmittage nahm ich eine Abteilung Askari mit mir und ging in westlicher Richtung. Hier waren die Häuser im Walde nicht niedergebrannt, und da mir von den Eingeborenen versichert wurde, daß die Besitzer sich den Aufständigen angeschlossen hatten, holte ich das Versäumte nach. Dann suchte ich in lichtem Akazienwald nach jagdbarem Wild. Die Askari folgten auf etwa hundert Schritt, denn ich durfte die Vorsicht hier nicht außer acht lassen. [Illustration: Die Rufiyi-Ebene bei Mayenge. Bei den Palmen sieht man Trümmerhaufen, die Reste niedergebrannter Hütten.] [Sidenote: Ein Gnubulle erlegt.] Als ich um einen Busch herumging, standen plötzlich vier Gnubullen auf kurze Entfernung vor mir und ich hatte es leicht, eins der prächtigen, starken Tiere zu erlegen. Es war ein Glück, daß ich nun sofort den Weg zum Lager einschlug, nachdem das Wild zerwirkt und auf die Träger verteilt war, denn bald darauf -- ich saß gerade in der Badewanne -- erschien zwischen den Häusern des Dorfes, die wir genau beobachten konnten, ein Trupp Aufständiger. Mehrere Matrosen und Askari wurden ihnen entgegengeschickt. Da ereignete sich folgende Geschichte, die einem Heldenepos entnommen sein könnte: Weithin sichtbar mit langen Flinten in den Händen stand ein Häuflein schwarzer Kerle auf dem freien vorspringenden Hang zwischen den Häusern. Ein einzelner, hagerer Neger trat vor und rief auf Kisuaheli, laut, wobei er die Vokale der Endsilben in die Länge zog: „Kommt her, wenn ihr Männer seid!“ Ein Matrose aber strich sorgsam sein Gewehr an einen Baum und traf den lötfesten Gesellen so, daß er vornüber auf die Nase fiel. -- Da verschwanden die andern so schnell sie konnten. Der Akide erkannte auch diesen Gefallenen als einen Jäger. Diese schienen die Hauptanführer und die mutigsten Leute zu sein. Am nächsten Morgen griffen die Neger in zwei Haufen an, vermutlich in der Absicht, uns aus dem Lager heraus und in eine Falle zu locken. Doch als sie sahen, daß wir nicht darauf hineinfielen, zogen sie sich schnell zurück. Nun sandte ich Patrouillen aus. Kurz nach Mittagszeit kam ein Askari atemlos zurück; er wurde von dem Posten schon gesehen als er den Abhang von dem Dorfe herunterlief; hinter ihm erschienen bewaffnete Eingeborene. Sofort machte ich mich mit Sergeant Kühn, mehreren Matrosen und Askari auf den Weg. Auf der Höhe des Dorfes überraschten wir einen größeren Trupp mit Gewehren bewaffneter Eingeborener, die sich hinter den Büschen auf mein Lager anschlichen. Als uns die Krieger sahen, warfen sie sich zum Teil ins Gras. Andere blieben mitten auf dem Wege stehen und hoben ihre Flinten. Ein kurzes Gewehrfeuer entspann sich. Hier hörte ich zum ersten Male deutlich das Pfeifen der dicken Eisenkugeln, die mir dicht am Ohr vorbeiflogen. Aber noch unangenehmer klang, als ich schießen wollte, das Gewehr eines meiner Matrosen, der hinter mir stehen geblieben war. Ich drehte mich entrüstet um --. Der Mann versicherte mir später dankbar, er würde den Griff nie vergessen, mit dem ich ihn in die Schützenlinie holte. Als drüben die ersten Treffer einschlugen und ein Neger hinstürzte, liefen die Gegner auseinander und wir mit lautem Hurra hinterher, wodurch auch die im Grase liegenden Rebellen aufgeschreckt wurden und das Weite suchten. [Sidenote: Verfolgung fliehender Schenzis.] Wir folgten den Fliehenden mehrere Stunden weit auf einem breiten Wege, der nach dem Westabhang der Berge führte. Große Dumpalmen standen da; die Früchte waren reif heruntergefallen und von Menschen benagt. Durch wechselnde Landschaftsbilder führte uns der Weg. Oft liefen wir, wenn Gestalten vor uns auftauchten, kamen aber nur noch zweimal zu Schuß. An einem Abhang lag ein Dorf, aus dem sich die Aufständigen entfernten, ehe wir uns auf Schußweite näherten. Die Hütten waren ausgeräumt, ein Beweis, daß auch diese Leute das Kriegsbeil ausgegraben hatten. Nach zweistündiger Verfolgung mußten wir umkehren, weil es spät wurde. Das Dorf mit seinen dicken Strohdächern wurde in Brand gesetzt; auf dem Wege stand auch ein neuangefertigter Einbaum, den man mindestens zehn Kilometer weit zum Wasser hätte schaffen müssen. Als ich am Abend im Lager eintraf, sagte mir Stabsarzt Engeland, daß die Aufständigen von mehreren Seiten gleichzeitig an uns heranzukommen versucht hatten; ich war nur auf eine Abteilung gestoßen; aber mein Angriff fern vom Lager kam ihnen jedenfalls so unerwartet, daß sie den Plan, uns zu überfallen, aufgaben. Am nächsten Tage wurde mir ein Schreiben des Akiden von Kooni[9] gebracht. „Komm schnell,“ schrieb der Araber, „die Schenzis sind am Flusse und wollen zu uns übersetzen. Es sind so viele wie Gras, sie werden uns töten, unsere Häuser verbrennen, wenn du nicht mit Askari kommst, -- schnell! schnell!“ Nun hieß es, einen Entschluß fassen! Sollte ich mich noch weiter von Mohorro entfernen, ohne zu wissen, was hinter mir geschah? -- Gewiß hätte ich keinen Augenblick gezögert, wenn ich der Nachricht bestimmt hätte glauben können. Aber aufs Geratewohl weiter ziehen, weil ein Akide in Furcht vor den Aufständigen eine Meldung schrieb? Ich fragte den Akiden Melicki, ob noch viele große Dörfer, viel Leben und Eigentum dort zu schützen sei und er schilderte mir das Land in den rosigsten Farben. Da entschloß ich mich, dem Feind so schnell als möglich entgegen zu gehen und ihn womöglich zu überraschen, während er mich noch weit entfernt glaubte. Wenn das gelang, konnte es großen Eindruck auf die Schwarzen machen. Am nächsten Morgen schickte ich eine Abteilung zur Aufklärung nach Westen, um sicher zu gehen, daß ich beim Übersetzen über den Strom nicht von herumstreifenden Aufständigen beobachtet würde. Gegen Mittag kamen die Askari zurück und gleichzeitig traf eine Verstärkung ein: der Betschausch und fünf Askari aus Ndundu, so daß ich Ersatz hatte für die mit der Leiche des Matrosen nach Mohoro gesandte Bedeckung. In großen Einbäumen wurde auf das Nordufer übergesetzt. Der Marsch führte uns stundenlang durch eine weite, fruchtbare Ebene mit üppigem, mehrere Meter hohem Schilfgras. Der schwere, tonige Boden zeigte unzählige, beim Austrocknen entstandene Risse. Bei dem Dorfe Panganya standen Baumwollstauden so üppig, wie ich sie nirgendwo bisher gesehen hatte. Alle afrikanischen Getreidearten gediehen hervorragend, von dem großen Schotenstrauch, Barazi[10] genannt, bis zum Reis und den Mohogoknollen. Und immer das Wasser in unmittelbarer Nähe der Felder; ein wahrhaft gesegnetes Ackerland. Gegen Abend erreichten wir das Akidendorf Kooni, aus dem ebenfalls bereits die meisten Bewohner, als erste jedoch die Inder, geflohen waren. Nach einer kurzen Beratung mit dem Akiden und Vernehmung der vorausgesandten Kundschafter entschloß ich mich, unter den großen Mangobäumen vor dem Dorfe zu lagern, um in der Nacht so zeitig aufzubrechen, daß ich kurz nach Tagesanbruch die Aufständigen erreichte. [Sidenote: Zuverlässige Kundschafter.] Der Erfolg war sehr zweifelhaft und hing von der Glaubwürdigkeit der Leute ab. Meine Karten reichten nicht bis in die Gegend, in die ich hineinmarschierte und ich konnte mir nur durch langes Ausfragen vieler, mehr oder weniger erleuchteter Neger ein ungefähres Bild von dem Terrain machen, in dem ich den Zusammenstoß mit der Hauptmacht der Aufständigen zu erwarten hatte. In solcher Lage merkt man erst, wie sehr man durch Karten und Bücher gewohnt ist, sich vorher in eine Gegend hineinzufinden und Dispositionen zu treffen; ich war nach langem Hin- und Herreden soweit, zu wissen, daß ich nichts wußte, und mich dem Zufall anzuvertrauen. Die Lagerfeuer brannten; der Rauch zog in die Kronen der dunklen Bäume hinauf und der Feuerschein erhellte den Umkreis. Am Wege hockten Hunderte von Eingeborenen, die von dem nächsten Tage eine Entscheidung erwarteten. Das schnelle Erscheinen einer Marinetruppe im Lande und die Erfolge der ersten Scharmützel machte sie stutzig. „Wer zu den Aufständigen hält, wird erschossen,“ hieß es, und das Gericht von dem schnellen Urteil über die Rebellen bei Utete besonders, hielt die Schwankenden in Schach. Als es später wurde und die stummen Zuschauer sich durch die Postenkette hindurch in die Nacht zerstreuten, wollte es mir nicht in den Sinn, daß keiner dieser Neger zu den Aufständigen liefe, um sie zu warnen -- um gar eine Falle vorzubereiten, in die ich hineingehen sollte!? In der Nacht kamen Boten mit Meldungen, die immer klarer und zuverlässiger aussahen. Mehrmals wurde ich geweckt. Da standen die Kundschafter mit großen Vorderladern und berichteten: „Es sind ungeheuer viel Feinde. Bei Mtanza sind sie übergesetzt. Jetzt brennen Lagerfeuer im ganzen Walde.“ Um zwei Uhr kam der Akide selbst, ein kleiner, listig aussehender Araber. Er riet, erst um vier Uhr abzumarschieren. Pünktlich um drei Uhr weckte der Posten. Ich nahm mit mir zwei Unteroffiziere, -- Sergeant Kühn und Feuerwerksmaat Fuchs --, vier Matrosen und dreißig Askari. In den nächsten Dörfern, durch die wir in der Dunkelheit gingen, saßen die Menschen dicht gedrängt unter den Vordächern der Hütten und sahen der Truppe nach, die schweigend ihres Weges zog. Dann ging es eine kleine Anhöhe hinauf und auf der Höhe weiter, durch eintönige Buschlandschaft. Es wurde hell, und noch immer war vom Gegner nichts zu sehen. Da kamen die beiden als Schenzi verkleideten Askari, die ich voraus gesandt hatte, in vollem Lauf zurück und meldeten: „Sie kommen; aber es sind sehr viele.“ Eine freudige Spannung ergriff mich: „Schnell alles vom Wege runter,“ war mein erster Gedanke, „damit wir nicht zu früh gesehen werden“; und mehrere hundert Meter seitlich im Walde formierte ich die Schützenlinie. Die Boys, die Reittiere und die Träger blieben im Versteck. Dann ließ ich behutsam in schräger Richtung auf den Weg vorgehen. Der Busch wurde niedriger und lichter, und öffnete sich bald zu weiterer Aussicht, als plötzlich die Aufständigen zu sehen waren, in langer, ununterbrochener Linie im Gänsemarsch daherkommend. Der weiße Kopfputz leuchtete auf der dunklen Stirn; die geschulterten, langen Flinten, die Patronentaschen und das blaue Tuch um die Hüften gaben der Masse ein uniformiertes, kriegerisches Aussehen. In gebückter Haltung kamen wir bis auf etwa sechzig Schritt an die sorglos einhermarschierenden Neger hinan, als die ersten stehen blieben, stutzten, und ihre Gewehre von der Schulter nahmen. Sofort blieb ich stehen, entsicherte mein Gewehr und schoß, ohne einen Befehl zu geben. [Sidenote: Das Gefecht bei Kipo.] In den nächsten Minuten herrschte ohrenbetäubender Lärm. Alle meine Leute schossen; aus etwa dreihundert Gewehren wurde das Feuer von drüben erwidert. In Gräsern und Büschen vor mir, sah ich die plötzliche Bewegung einschlagender Geschosse; -- die Askari schrien laut vor Erregung --. Ich hatte den zweiten Ladestreifen eben in den Kasten meines Gewehres geschoben -- also schon sechs Patronen verfeuert -- als ich vorlief; die ganze Linie folgte und die Spitze der Gegner zerstreute sich. Wo die ersten Toten lagen, blieben wir stehen und nahmen einen Menschenhaufen unter Feuer, der aus dem Dorf auf der Höhe hervordrängte und sich in das Gras verteilte. Der nächste Anlauf brachte uns, fast atemlos, auf die Anhöhe; in wilder Flucht stürzten die Aufständigen vor uns den Abhang hinab. Am Fuße der Anhöhe im hohen Grase bewegten sich Bogenschützen; Verwundete und Leute, die ihre Waffen fortgeworfen hatten, liefen dazwischen. Man sah Anführer, die den Versuch zu machen schienen, ihre Leute zum Widerstand zu bewegen. Es gab kein Halten mehr! -- Alles drängte über eine Brücke und hier war es leicht, mit schnellen Schüssen zu treffen. Ich warf einen kurzen Blick auf meine Leute. Die Unteroffiziere und Matrosen schossen ruhig. Sergeant Kühn hatte die unsichersten der Askari in seine Nähe genommen. Diese führten die Ladegriffe noch so exerziermäßig aus, daß man die „praktische Instruktion“ dazwischen zu hören glaubte. Nun folgte der letzte Anlauf den Abhang hinab, über die Brücke weg in ein abgeerntetes Maisfeld. Die Neger liefen auf die Sandbänke und stürzten sich in den Fluß; die Mehrzahl floh in westlicher Richtung. Waffen, Patronentaschen und sogar den leichten, aus Pflanzenmark hergestellten Kopfputz warfen sie fort, um schneller laufen zu können. Wir waren bis aufs äußerste erschöpft und erhitzt, als ich das Gefecht abbrach. Die Askari drängten sich um mich herum und schüttelten mir in ihrer Erregung minutenlang die Hände. Jeder wußte: Mühe und Anstrengung hatten sich heute belohnt, und die überraschende Niederlage der Aufständigen würde großen Eindruck machen, wenn nicht zum Frieden führen. Als ich antreten ließ, hatte ich die bange Sorge um eigene Verluste, aber es ergab sich zu aller Freude, daß nicht ein einziger fehlte; mit geradezu unglaublichem Glück waren wir durch den Geschoßhagel der Vorderlader hindurchgelaufen. Die Überraschung der Aufständigen, die nicht Zeit hatten, sich ins Gras niederzuwerfen, hatte das ihre dazu getan. Der große Verlust des Gegners aber -- über siebzig Tote lagen allein auf dem Kampfplatz -- mußte als ein Erfolg angesehen werden. Die Schenzi waren mit dem Wahn zu Felde gezogen, daß ihre Waffen treffen würden, und aus unseren Gewehren, durch die Macht der Zauberer, nur Wasser kommen würde. Jetzt waren sie eines anderen belehrt! Ein Neger behauptete, er habe auch hinter uns ferne im Wald schießen hören und ich war etwas besorgt um die Abteilung des Stabsarztes Engeland, die verhältnismäßig schwach war, weil ich in der Zuversicht, den Gegner nur ~vor~ mir zu haben, die meisten Kräfte an mich genommen hatte. Doch bald traf die kleine Kolonne mit den Trägern und Lasten ein und Stabsarzt Engeland freute sich mit mir über den Erfolg des Tages, durch den mein ganzer, auf eigene Verantwortung unternommener Zug eine Rechtfertigung fand. Die Aufständigen waren nämlich auf dem Wege nach Osten gewesen, hätten noch an demselben Tage die Landschaft Kooni erreicht und von dort weiter die gut bevölkerten und reichen Landschaften nach der Küste hin mit in den Aufstand gerissen und verwüstet, wenn ich ihnen nicht begegnet wäre. Auch hatten sie, wie später sicher festgestellt wurde, schon Beziehungen zu Häuptlingen im Usaramobezirk (Daressalam; nördlich vom Rufiyi), die sich nach der Niederlage am 21. August den Fall noch einmal überlegten und ruhig blieben. Nun kam es darauf an, festzuhalten, was durch den schnellen Vormarsch und die entscheidenden Gefechte erreicht worden war. Von der Mündung des Stromes bis nach der Landschaft Kibambawe hin war das Nordufer in einer Linie von etwa 180 _km_ Länge gesichert durch friedliche Neger, die durch unser Vorgehen das Vertrauen auf den Schutz der Regierung behalten hatten. Auf dem Nordufer war daher eine dauernde Botenverbindung mit Mohorro möglich. Das Südufer mußte allerdings allmählich unterworfen werden und das konnte nur geschehen unter Aufsicht eines Militärpostens am Rufiyi. [Sidenote: Die Aufständigen vollständig zersprengt.] Die Aufständigen, die ich am 21. früh bei Kipo traf, waren aus den Kitschi- und Matumbibergen südlich vom Rufiyi vor den Operationen des Majors Johannes ausgewichen. Daß ich sie an einem für ein Gefecht mir so außerordentlich günstigen Platze traf, ist reiner Zufall gewesen. Ich habe das Nordufer später noch genauer kennen gelernt; auf dem ganzen Wege von der Stelle, an der die Aufständigen über den Fluß gesetzt waren, bis nach meinem Ausgangspunkt Kooni hin ist nicht ein Platz, der annähernd den erreichten Erfolg ermöglicht hätte; an jeder anderen Stelle wäre uns höchstens die Spitze des Gegners schußrecht gekommen; die Neger hätten sich in das Gras geworfen und es wäre nicht ohne schwere Verluste auf unserer Seite abgegangen. Bei Kipo aber öffnete sich das Terrain; links floß der Strom, rechts lag ein großer See und die Höhe, die wir beim zweiten Vorlaufen erreichten, beherrschte den schmalen Paß, auf dem der Gegner fliehen mußte. Die völlige Überraschung der Aufständigen kam hinzu, um den Eindruck unseres Erscheinens zu erhöhen. Sie mögen anfangs gedacht haben, daß ihnen ein so kleines Häuflein Soldaten nichts anhaben könnte und daß wir uns durch ihre große Zahl einschüchtern lassen würden; als aber an ihrer Spitze gleich vierzehn der unverwundbaren Krieger hinsanken, verloren sie den Kopf. Hätte es nicht auch anders kommen können? Ich weiß es nicht; aber es ist mir in Erinnerung, daß ich mich im ersten Augenblick, als ich die endlose Reihe der schwarzen Krieger sah, fragte: „Wird diese Masse ins Wanken kommen, oder werden sie sich entschlossen auf uns stürzen?“ Und wahrscheinlich hätte zaudern uns an diesem Tage einen Mißerfolg gebracht. Die Wirkung der Stahlmantelgeschosse aus den 98er Gewehren war viel kleiner als die der Bleigeschosse aus den 71er Gewehren der Askari. Ich habe selbst beobachtet, daß der erste Schwarze, den ich genau aufs Korn nahm, erst beim dritten Schusse fiel; und ich hatte offenbar jedesmal getroffen, denn der Leichnam wies nachher drei verschiedene Schüsse auf! Da man den Angeschossenen doch nur in sehr seltenen Fällen helfen kann, stände nichts im Wege, angefeilte oder Bleispitzengeschosse gegen Aufständige zu verwenden. Die Qualen des Verwundeten werden abgekürzt und vor allen Dingen wird der Gegner schneller kampfunfähig gemacht. Ist doch die Wirkung der Bleigeschosse ebensogroß wie die der angefeilten Geschosse und weshalb soll man sich dieser Wirkung begeben, die man bei den Askarigewehren als vorteilhaft anerkennt? Wenn man Neger schonen will, soll man überhaupt nicht schießen. Etwas ganz anderes ist es, wenn ärztliche Hilfe, Verbandzeug und Krankenpflege vorhanden sind, was bei Eingeborenenaufständen in Afrika nie so ausreichend der Fall sein wird, daß man die Hilfe auch den verwundeten Gegnern zuteil werden lassen kann. Man hat nämlich die Wahl zwischen großen Erfolgen mit geringen Mitteln oder geringen Erfolgen mit einer großen Ausrüstung (die an jeder schnellen Aktion hindert). Das hat sich oft in dem ostafrikanischen Aufstand gezeigt. Und deshalb kann man auch an Verbandzeug usw. nur das Allernotwendigste mitnehmen. (Trotz diesen Erwägungen habe ich nur Vollmantelgeschosse verwendet, schon um Ladehemmungen, die durch angefeilte Geschosse entstehen können, auszuschließen.) Das Mittagessen wurde im Dorfe gekocht; nach kurzer Rast marschierten wir weiter in der Richtung, die der fliehende Feind genommen hatte. Ein schmaler, aber guter Weg führte auf der Höhe des Rückens entlang, der hier steil zum Fluß abfiel. Ziemlich gleichmäßiger Buschwald stand zu beiden Seiten. Mehrmals ging ich vom Wege ab, an den Abhang hinan und genoß den schönen Blick von oben auf den breiten Fluß, die großen Inseln im Strom und die fernen Wälder. Gegen abend gingen wir zum Fluß hinab und erwarteten auf einer weit vorgeschobenen Sandbank die Boote, die der Akide in einem Versteck wußte. Gerade an der Stelle, die wir uns zur Überfahrt ausgesucht hatten, schwammen zwei ungeheure Nilpferde im Wasser herum und die Boote konnten nur durch geschickte Manöver ausweichen. Die Schwarzen sahen immer ängstlich nach den Tieren und ruderten aus Leibeskräften, sobald das Boot in tiefes Wasser kam. Ganz unheimlich aber wurde es erst nach Anbruch der Dunkelheit, als wir nur aus dem Schnaufen und dem unwilligen Brüllen merken konnten, wo sich die Kibokos befanden; wir atmeten erleichtert auf, als sämtliche Menschen, Reittiere und Lasten das Südufer erreicht hatten. Der Proviant für die Europäer war fast zu Ende; drei Tage konnten wir uns allenfalls noch durchschlagen. So war ich denn im Zweifel, ob ich noch einen Zug in die Landschaft Mtanza unternehmen sollte, der mindestens zwei Tage Zeit forderte. Ein farbiger Händler kam und berichtete am nächsten Morgen über die Lage in Mtanza. Er schilderte, in welcher Verfassung die Aufständigen zurückgekommen seien: Hals über Kopf seien sie in die Boote gestürzt, viele Verwundete seien auf Bettstellen getragen worden; sie hätten die Nase voll. Als ich noch überlegte was zu tun sei, kam ein Bote und brachte einen Befehl von Hauptmann Merker aus Mohorro, ich sollte mit meiner Expedition nach dort zurückkehren. Am nächsten Morgen trat ich gerade rechtzeitig aus dem Zelt um zu sehen, wie ein großes Flußpferd aus dem Schilf kam und über die Sandbank hin langsam ins Wasser ging. -- Der Rückmarsch wurde begonnen und gegen Mittag dem gestrigen Gefechtsfeld gegenüber gelagert. [Sidenote: Geier auf dem Schlachtfeld.] Mit vieler Mühe beschaffte mir der Akide ein Boot und ich fuhr hinüber. Zahlreiche Geier und Marabus kreisten in der Luft über den Leichen und saßen auf den Sandbänken. Ein großer Teil der Toten aber war schon in der Nacht fortgetragen und wahrscheinlich begraben worden. Die Leichen sahen entsetzlich aus; die schwarze Pigmentschicht der Haut war geschwunden und durch ein unansehnliches Rot ersetzt. Hyänen und Aasvögel hatten bereits ihre Schuldigkeit getan; die nahe dem Wasser liegenden Kadaver waren den Krokodilen zugefallen. Die Natur sorgt in der Wildnis aufs beste für Reinlichkeit und Ordnung. -- Das Vorkommen von Hyänen und Geiern ist deshalb sehr gewünscht, und in den Bergen, wo sie fehlen, verpesten die Toten monatelang die Umgegend. -- [Sidenote: Ein Gefangener.] Durch ziemlich gleichmäßige, ebene Landschaft erreichten wir gegen Abend ein scheinbar verlassenes Dorf inmitten alter Flußbetten, die zum Teil noch Wasserlachen aufwiesen. Da wir den ganzen Tag über keine Aufständigen gesehen hatten, ließ ich mich, ganz entgegen meiner bisherigen Vorsicht verleiten, auf ein großes Krokodil zu schießen, das uns gewissermaßen den Zugang zum Wasser sperrte. Gleich darauf sagte ein Askari: „Eben ist ein Schenzi da hinten von einem Dach heruntergesprungen.“ -- Infolge meines Schusses natürlich: ich war wütend auf mich selbst! Patrouillen wurden ausgeschickt und schließlich ein Gefangener eingebracht. Die Neger plündern ein brennendes Dorf nach einem Gefecht. Tief im unwirtlichen, wasserarmen Walde versteckt, hatten die aufständigen Wapogoro, die sich nicht unterwerfen wollten, neue Dörfer angelegt. Ich zog mit anderen Eingeborenen, die zu mir hielten, dorthin, vertrieb die Aufständigen und ließ die Hütten plündern und in Brand setzen. Man sieht die Neger mit Beute beladen aus dem Dorfe herauskommen; der Rauch zieht durch den Wald. [Illustration: Die Neger plündern ein brennendes Dorf nach einem Gefecht.] Die Askari meldeten eifrig, es sei alles fertig, um den Schenzi ins Jenseits zu befördern und waren nicht sehr erfreut, als ich dazu keinen Befehl gab; aber jetzt, wo unsere eigene Lage sicher schien, kam eine Exekution nicht mehr in Frage. Es widersprach mir aufs äußerste, diesem wehrlosen ein Leid zu tun, wenn auch die Askari auf die Abzeichen hinwiesen, die der Gefangene trug; das blaue Hüfttuch, die Patronentaschen und die schneeweißen Klötzchen aus Matamamark, die er mit einem Bastfädchen über die glatte, dunkle Haut seines Oberarms gebunden hatte. Vielleicht hatte er sich aus Dummheit dem Aufstand angeschlossen; vielleicht hatte die Uniform der Vaterlandsretter ihn gelockt oder ihm, dem Hinterwäldler, die Kriegstrommel und das sichere Auftreten der waffentragenden Männer ringsum Eindruck gemacht. Nein! Keinem dieser Helden kann man es übel nehmen, wenn sie sich auf die Waffen besinnen, und der Instinkt sie irre führt in dem Glauben, daß ihr gemeinsamer Kampf unbequeme Zustände heben könne. Also sei das unser Grundsatz: Schützen müssen wir uns, gleichgültig ob durch Blutvergießen oder wie -- wenn wir Herren bleiben wollen, wo wir doch nur das Recht des Stärkeren haben und das Vorrecht des Kulturmenschen, der mehr braucht, als das Naturkind (nicht immer auch geben kann und darf) aber Blutvergießen und Rachekrieg nur soweit es die eigene Sicherheit fordert. Wer wird sein Pferd, das für ihn Arbeit tut, erschießen, weil es schlägt? War nicht vielleicht der Strang zu kurz; und die Peitsche sollte helfen? Wir waren nur wenige Stunden von Mayenge entfernt. (Dem großen zerstörten Ort, bei dem ich drei Tage vorher gelagert hatte.) Da ich am nächsten Morgen einen Angriff auf das Dorf unternehmen wollte, in dem, wie ich glaubte, sich inzwischen wieder Aufständige hingezogen haben würden, blieb ich auf der Halbinsel zwischen den Wasserläufen, um den Soldaten Zeit zur Mittagsrast zu geben. Dem Tierfreund kann ich diesen Platz empfehlen; hier ist wirklich gute Gelegenheit, Krokodile zu beobachten. Wo man an einen Tümpel oder Wasserlauf kam, bewegte es sich, und die langen, trägen Echsen ließen sich in die trübe Flut gleiten. Wo sie still, zwischen Pflanzen halb im Morast versunken lagen, waren sie kaum zu sehen; denn ihre Farbe ist an Land und im Wasser gleich gut, um sie mit der Umgebung verschwimmen zu lassen. Die Augen sogar haben dieselbe gelbgrüne Farbe wie der Panzer und es ist unheimlich aus der Nähe die Bewegung der Augen in der trägen Masse plötzlich wahrzunehmen. In den Hütten vergraben wurde viel Reis gefunden, in Boote geschüttet und den treu gebliebenen Negern des Nordufers geschenkt. Zur Beaufsichtigung der Boote blieben mehrere Askari zurück, während der Akide die Expedition nach einer Ansiedelung führte, die in Feldern und Schilf versteckt an fließendem Wasser lag und sich als Lagerplatz für die Nacht eignete; hier wurden die Zelte aufgeschlagen und im Dunkel der Hütten das Abendbrot gekocht. Der Betschausch mit sechs Askari war auf Patrouille ausgesandt und kam nicht wieder; die in dem Dorf zurückgelassene Abteilung sandte Meldung, ein Askari sei von einem explodierten Pulverfaß schwer verletzt worden; ein Matrose litt stark unter Fieber und mußte alle Energie zusammennehmen, um in der Marschordnung zu bleiben: durch diese Zwischenfälle wurden die Aussichten für den kommenden Morgen etwas beeinträchtigt, und ich mußte den Plan aufgeben, um zwei Uhr früh aufzubrechen. Das schadete auch nichts, wie sich herausstellte; denn als wir uns nach mehrstündigem Marsche durch ebenes Schwemmland um acht Uhr am Morgen Mayenge näherten, begegnete uns schon der Betschausch mit seiner Patrouille und meldete, daß keine Aufständigen in weitem Umkreise zu spüren seien; (er hatte am Abend vorher unser verstecktes Lager nicht finden können und war, da ihm mein Plan, bei Tagesanbruch vor Mayenge zu stehen, bekannt war, von selbst dorthin gegangen). Ich lagerte an der alten Stelle und ich erwartete die angekündigte Ankunft des Leutnant Spiegel, um dann den Rückmarsch nach Mohorro anzutreten. Als Spiegel eintraf, erzählte er, daß Hauptmann Merker mit ihm nach Mohorro geeilt sei, weil Gerüchte kamen, ich sei am Rufiyi von Aufständigen eingeschlossen. Leutnant Spiegel begann mit dem Bau einer Boma, während ich zum Rückmarsch rüstete. Trotzdem der Bezirksamtmann, der persönlich böse Erfahrungen mit den Nilpferden gemacht hatte, mir in seinen Briefen mehrmals abriet, in Booten auf dem Strom zu fahren, entschloß ich mich, die Europäer wenigstens alle in den Booten zu befördern, umsomehr, als den Kranken der Marsch doch zu beschwerlich geworden wäre. Den ersten Teil des Weges legte ich selbst jedoch zusammen mit den Askari auf dem Südufer zurück, weil ich feststellen wollte, wie die Ortschaften aussahen, die wir niedergebrannt hatten und ob die Neger daran dachten, zurückzukehren, sich zu unterwerfen und die Häuser wieder aufzubauen. Der Marsch über Land bot nicht viel Neues; überall waren Anzeichen, daß die Aufständigen die Umgegend noch nicht verlassen hatten und in die Felder kamen, um die Reste der Feldfrüchte wegzuholen. Die Leichen waren verschwunden und nichts verriet mehr, daß hier blutige Gefechte stattgefunden hatten. Am verabredeten Ort traf ich mit Stabsarzt Engeland und den Matrosen zusammen, die den Weg in Booten zurückgelegt hatten. Am folgenden Morgen fuhren wir alle in großen, geräumigen Einbäumen stromab und hatten eine an Abwechselung reiche Fahrt; Flußpferdherden wurden passiert, Kuhreiher in Flügen von zwanzig flogen vom Ufer auf, an dem das Boot lautlos entlangglitt; kleine Königsfischer schwirrten tief über das Wasser hin. Am Ufer lagen Krokodile, auf die wir in tödlichem Haß schossen, wenn es irgend Erfolg versprach; über die Resultate wurde Buch geführt. So ging die Zeit schnell hin; die Matrosen sangen hinter uns in den Booten. Um sieben Uhr früh waren wir aufgebrochen und erreichten um acht Uhr am Abend bereits Mohorro; auf dem Landwege hätten wir zu dieser Entfernung mindestens zwei Tage gebraucht. Das Bezirksamtsgebäude in Mohorro hatte Hauptmann Merker unterdessen mit einem Drahtzaun umgeben lassen. Darin wurde nachts auch die Viehherde der Kommune untergebracht. Leutnant zur See Schröder war nach Kilwa kommandiert. [Sidenote: Hinrichtung.] Eine unangenehme Aufgabe harrte meiner: Ich sollte mit Hauptmann Merker ein Kriegsgericht bilden, um vier Anführer der Aufständigen abzuurteilen. Hier, wo man den Gefangenen nicht mehr ansehen konnte, was sie verbrochen hatten, wurde mir das recht schwer. Es schien ein großer Unterschied zu sein, zwischen diesen elenden gefesselten, die von den Askari aus dem Untersuchungsgefängnis gebracht wurden, und den trotzigen Kriegern bei Utete, die auf uns geschossen hatten. Notwehr und Krieg das eine; Justiz das andere. Nach langen Vernehmungen wurden sie zum Tode durch den Strang verurteilt. Wie es meist bei derartigen Gerichtssitzungen der Fall ist, leugneten die Angeklagten alles und wußten von nichts; die Zeugen aber sprachen die schlimmsten Beschuldigungen aus. Beiden darf man nicht glauben, und ist nur wenn die Angeklagten bei der Tat ertappt wurden sicher, gerecht zu urteilen. Als das Urteil bekanntgegeben wurde, blieben die Verurteilten ganz ruhig. Einer aber sagte mit größter Gelassenheit plötzlich: „Laß meinen Nachbar etwas von mir abrücken; er stinkt.“ Der lange vorbereiteten Hinrichtung zusehen zu müssen, war mir anfangs peinlich; um so mehr war ich erstaunt, wie ruhig sich alles vollzog. Ein Haufe von Menschen stand herum. Das Urteil wurde auf Kisuaheli vorgelesen. Die Verurteilten sahen gelassen zu, wie einer nach dem anderen den Wagen mit der Kiste bestieg und den Kopf in die Schlinge steckte. Der Wagen wurde dann weggezogen, und der Körper hing mit dem Kopf in der Schlinge. (Die Ärzte sagen, daß in demselben Augenblick schon die Besinnung schwinde.) Ein Askariposten blieb auf dem Richtplatz, während das Volk auseinander ging. Weiber und Kinder hatten mit gleicher Neugierde dem Schauspiel zugesehen. Bei vielen war ein gewisses Vergnügen an der Szene unverkennbar; wie bei uns im Mittelalter. Etwas aufregender soll die Hinrichtung der Hauptzauberer gewesen sein, die schon vor meiner Ankunft stattgefunden hatte. Der eine hatte gesagt: „Ihr könnt mich dreist aufhängen, ich bleibe doch leben und komme wieder“, und hatte eine Rede an das versammelte Volk gehalten. Als er dann gehenkt wurde, rutschte der Kopf aus der Schlinge; der Verurteilte stieg aber sofort wieder auf den Wagen, um sich den Strick von neuem umlegen zu lassen. An dem Tage war zu fürchten, daß das Volk die Zauberer befreite. [9] Spr. _kǒṓni_. [10] Sprich: _Umbarási_. [Illustration: Aufständige aus den Kitschibergen unterwerfen sich.] Im Aufstandsgebiet. Ich blieb nur einige Tage in Mohorro; als Hauptmann Merker wieder in die Matumbiberge gehen wollte, rüstete ich mich aus, um ihn zum Rufiyi zu begleiten und den Militärposten in Mayenge zu übernehmen. Dem Bezirksamtmann Keudel lag sehr viel daran, daß ich am Rufiyi bliebe und den errungenen Erfolg ausnützte; er gab mir aus den Beständen des Bezirksamts mit, was ich irgend nötig hatte, um selbständige Kriegsexpeditionen auszuführen: Zelte, Feldbetten, Kochgeschirr und die Reittiere der Kommunalverwaltung. Da Leutnant zur See Schroeder inzwischen abgerufen war, um einen anderen Posten zu übernehmen, erbot sich Keudel sogar, für das Matrosendetachement zu sorgen, während ich weg sei. Auf meine Matrosen konnte ich mich verlassen; ich merkte, daß ich nur gute Leute mitbekommen hatte, die stolz waren, wenn man sie unbeaufsichtigt ließ, und wenn sie das Vertrauen, das ich in sie setzte, verdienten. Dadurch war ich in der Lage, hinzugehen, wo ich nötig zu sein glaubte. Während der Bezirksamtmann -- später war es Herr Graß -- mich in Mohorro vertrat, half ich ihm fortan in seinen Geschäften im Bezirk. „Krieg“ und Frieden scharf zu trennen wäre auch falsch gewesen; dieser „Krieg“ war nur eine verschärfte Strafausübung und sollte möglichst schnell zum wirklichen Frieden führen. Ich nahm auf die neue Expedition von dem Bussarddetachement nur einen Unteroffizier und drei Matrosen mit; außer diesen hatte ich nur Askari. Am ersten Tage unseres Marsches überraschte uns nahe bei Mohorro ein seltener Anblick: fünf Elefanten standen zwischen hohen Bäumen und schienen zu ruhen. Die Karawane hielt auf dem Wege; ich ging näher, ohne recht zu wissen, ob ich mich auch zum Schuß entschließen sollte; denn eigentlich war ich auf so hohe Begegnung nicht gefaßt gewesen und traute mir kaum Erfolg zu, nach all dem, was ich aus dem Munde erfahrener Jäger über die Schwierigkeiten eines erfolgreichen Schusses auf Elefanten vernommen hatte. Mir war nur in Erinnerung, man solle von vorn auf den Rüsselansatz und nicht aus zu geringer Entfernung schießen; sonst gehe der Schuß zu steil hoch und verfehle das Gehirn. Mit diesen ziemlich unklaren Vorstellungen ging ich an die Elefanten hinan und fragte mich beim Anblick der Riesenschädel und der großen, glatten, erdfarbenen Flächen vergeblich, wo eigentlich der Rüsselansatz zu suchen sei? [Sidenote: Der erste Schuß auf Elefanten.] Allein, die ganze Expedition wartete auf dem Wege und lange aufhalten durfte ich sie nicht. Die Reittiere schrien laut; so zögerte ich nicht mehr lange, blieb auf etwa hundert Schritte stehen, nahm einen großen Elefanten, der mir die Stirn und beide gewaltigen Zähne zukehrte, aufs Korn und schoß dahin, wo ich mir den Rüsselansatz dachte. Sofort kam Bewegung in die plumpen Tierleiber; in wenigen Sekunden waren sie zwischen Stämmen und Laub in einer großen Staubwolke verschwunden. Ein Mißerfolg! Zu entschuldigen durch die ungewöhnlichen Umstände, unter denen ich zum ersten Male auf das größte Wild der Erde zu Schuß kam. Selbstverständlich ließ ich an die Bäume am Wege Zeichen einhauen und benachrichtigte den Bezirksamtmann, der, leider ohne Erfolg, eingeborene Jäger auf die Fährte des angeschossenen Tieres schickte. Da wieder Nachrichten kamen, das Nordufer sei gefährdet, gingen wir am nächsten Tage auf einem kleinen Waldwege zum Rufiyi und setzten nach dem Orte Ndundu über. Ich ging etwas vorweg, um ein Stück Wild zur Verpflegung zu schießen; sah aber nur ein Warzenschwein, das ich fehlte und einige Riedböcke, die schnell im hohen Grase verschwanden, bevor ich schießen konnte. Nahe beim Strom kamen wir durch ausgedehnte, abgeerntete Reisfelder der Warufiyi. Am folgenden Tage ereignete sich ein kleiner Zwischenfall: ein Boot mit Eingeborenen kenterte, als die Expedition über den Fluß setzte. Sergeant Kühn und Matrose Homfeld sprangen sofort nach und wurden von den ungeschickten Negern unter Wasser gezogen. Ich kam etwas später, aber doch noch rechtzeitig, um dem Sergeanten zum Ufer zu helfen. Es machte auf die Neger einen guten Eindruck, daß sie sahen, wie wir für das Leben derer, die bei uns Dienst taten, uns selbst in Gefahr begaben. Die Gerüchte über Unruhen im Ndundugebiet waren unbegründet; trotzdem war es vielleicht gut, daß wir auf dem Nordufer marschierten, und auch die Eingeborenen dort einmal Soldaten zu sehen bekamen. Am dritten Tage trafen wir in Mayenge ein, wo Leutnant Spiegel inzwischen mit Hilfe der treugebliebenen Neger der Umgegend aus starken Pfählen eine Umzäunung errichtet hatte, die fortan als Boma diente und mit Wohnräumen, Küche und Ställen ausgebaut wurde. Aus Kooni kam Nachricht, daß Hauptmann Fonck von Daressalam eintreffe, vor dem hatten die Eingeborenen, wie ich später merkte, großen Respekt; sein Auftreten im Usaramobezirk, gleich zu Beginn des Aufstandes, rief allgemeine Furcht hervor, so daß es hier nur noch zu lokalen Unruhen kam, die Regierungsrat Boeder mit der Polizeitruppe beendete. Mit Hauptmann Fonck war Stabsarzt Stierling, den ich als einen guten Jäger schon früher kannte. Er schrieb mir einen Brief und bat um Proviant, sie wären so schnell von Daressalam aufgebrochen, daß sie sich nicht mehr hätten ausrüsten können und müßten von Huhn und Mohogo leben. Ich hatte selbst fast nichts; war aber doch in der glücklichen Lage, mit Kleinigkeiten andern eine Freude machen zu können. Nach langen Beratungen über die Anzahl der Askari, die ich zurückbehalten sollte, ging Hauptmann Merker mit seiner Truppe nach Süden in die Kitschi- und Matumbiberge und ich blieb allein mit zwei Unteroffizieren, einem Sanitätsunteroffizier, drei Matrosen und fünfzehn, zum größten Teil kranken Askari in der Boma; es war eine recht kleine Truppe! [Sidenote: Die Kriegssteuer.] So waren mir die Flügel beschnitten und wenn mir nicht neue Askari gesandt wurden, konnte ich meinen Forderungen den Negern gegenüber nicht mit Waffengewalt Nachdruck geben. Aber vorläufig wirkten die Gefechte der letzten Wochen nach; die Neger kamen, gaben Gewehre ab und zahlten die geforderten Strafgelder. Als Bedingung für die Unterwerfung hatte der Gouverneur festgesetzt: Die Aufständigen sollten ihre Waffen abliefern, und jeder erwachsene Mann drei Rupien[11] Kriegssteuer zahlen. Dies ließ ich durch die beiden Akiden an die Jumben bekannt geben, soweit diese Dorfschulzen nicht auch im Busch bei den Aufständigen weilten. In Scharen, oft zu hunderten, kamen die Neger an, und wir hatten alle Hände voll zu tun, das Kupfergeld zu zählen, die Namen der Unterworfenen in eine Liste einzutragen und jedem seinen numerierten Quittungszettel auszustellen; eine sonderbare Tätigkeit. Anfangs waren die Namen nicht zu verstehen, bis man sich an den Klang gewöhnt und sich ihre Schreibung erdacht hatte. Dazu war ein dauerndes Hin- und Herfragen nötig, wobei der Akide oft erklärend dazwischen kommen mußte, während einige Askari das Publikum mit dem Geschick von Straßenpolizisten sortierten. Um den Transport zur Küste zu sparen, ließ ich die Gewehre an Ort und Stelle zerschlagen und in den Strom werfen, wo sie von Fafner, dem großen Krokodil, wohl noch heute bewacht werden, damit sie nicht neuem Frevel dienen. Bald kam die Nachricht, zwanzig Askari seien für mich von Daressalam nach Mohorro in Marsch gesetzt; bis zu ihrer Ankunft müsse ich mich gedulden und, meinem Befehle gemäß, in Mayenge stehen bleiben. Die wenigen Wochen dort erschienen mir wie eine Ewigkeit; als einzige Abwechselung hatte ich die Jagd, die ich schon aus Rücksicht auf Verpflegung meines Kriegslagers eifrig ausüben mußte. [Illustration: Die Boma bei Mayenge. Auf dem geebneten Platze exerzieren die Askari.] Zu besonderer Freude erhielt ich ein Telegramm, das mit dem Namen des Gouverneurs unterzeichnet war: „Spreche Ihnen und Ihren Mannschaften meine Anerkennung und Dank aus.“ Die Boma bewährte sich an ihrem Platze sehr gut; sie lehnte sich auf einer Seite an den Nebenarm des Flusses an, an dem eine Menge Boote bereit lagen zum Übersetzen und um jederzeit nach der Küste zurückkehren zu können. Auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses wohnten die friedlichen Eingeborenen, die uns mit Eiern und Mehl versahen und Träger und Boten stellten, wenn es gefordert wurde -- natürlich alles dies, wie in Friedenszeiten, gegen Bezahlung. -- Arbeit gab es täglich. Ähnlich mag die Gründung einer Station vor sich gehen; ich konnte mir vorstellen, welche Freude es macht, einen Ort zu entwickeln, Anlagen und Wege zu schaffen und das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen. Ein hoher Zaun aus eingerammten Bäumen umgab im Halbkreis den Platz, auf dem die Zelte der Europäer, die Hütten der Askari, die Küchen, der Eselstall und das Hühnerhäuschen verteilt waren. Am Tor befand sich die Wache; dort saßen die Gefangenen, die Tags unter Aufsicht arbeiteten. [Sidenote: Meine Askari.] Vor der Umzäunung wurde ein großer Platz planiert und von Gras gesäubert, um Übersicht zu bekommen. Täglich sah man Sergeant Kühn hier mit den Askari exerzieren und in kurzer Zeit wurde aus zum Teil ganz neu eingestellten Negern eine brauchbare Truppe. Man konnte beobachten, wie das Beispiel einiger alter Sudanesen -- der beste Soldatentypus unter den Negern -- bei meinen Leuten Nachahmung fand. Die Uniform und die Waffen machten aus den unscheinbaren Buschnegern in wenigen Wochen brauchbare Soldaten. Jeder füllte seinen Platz in der Linie aus, wenn es zum Gefecht kam, und oft hatte ich das Gefühl, daß von dem Geist, der in den wenigen geschulten Soldaten meiner Truppe steckte, ohne weiteres dabei etwas in diese Mitkämpfer überging. Das Zutrauen, das in sie gesetzt wurde, machte sie stolz und hob ihre Leistungen. Sie schossen schlecht; aber darauf kam es auch weniger an; wir Europäer und einige der älteren Askari trafen genug. Die übrigen verlängerten die Schützenlinie, stärkten durch Knallen den moralischen Eindruck und griffen herzhaft zu, wenn es galt, Gefangene zu machen. Eines Morgens stand ich um vier Uhr auf, um auf dem Nordufer zu jagen. Früh aufstehen mochte der eine Boy gar nicht; er reichte mir beim Anziehen alle Sachen verkehrt und schlief oft zu meinem Vergnügen während der Arbeit wieder ein. So nießte er mich auch heute plötzlich im Dunkeln an, bekam eine Backpfeife und entschuldigte sich wieder damit, er sei eingeschlafen. [Illustration: Wasserbock vom Rufiyi.] Ich fuhr zwischen dunklen Ufern stromab. Der Vollmond stand noch am Himmel; sein Licht glänzte auf den Blättern der hohen Borassuspalmen und erzeugte einen grellen Lichtstreifen auf der Rundung des Bootes. Bald kamen wir in den breiten Hauptstrom und durchquerten ihn. Der Nebel war so dicht, daß die Ufer nicht zu sehen waren. So kam es auch, daß ich auf dem Nordufer ganz die Richtung verlor und nicht wußte, wohin ich geführt wurde; und das hatte einen besonderen Reiz. Wir gingen zwischen hohen Bananenstauden und durch ein schlafendes Dorf. Ein Haus sah wie das andere aus; der Führer ging auf eine Tür zu, auf die der Schatten des vorspringenden Daches fiel und klopfte: „Hodi“! (anklopfen). Stimme von innen: „nani“ (wer)? Der Führer: „mi, Abdallah“ (ich). Dann wurde ein Stück Holz zur Seite gedrückt und die Tür geöffnet; ein Mann kam heraus und reihte sich in die Marschkolonne ein. Er ging vor mir, wickelte sich das Lendentuch fester und drückte die Oberarme dicht an den Leib, weil es kalt war. Das starke Schilfgras an beiden Seiten des Weges war zum Teil niedergebrannt. Neben uns im Flusse brüllten die Nilpferde, die schon von der Äsung in ihr schützendes Element zurückgekehrt waren. Nach halbstündigem Marsche sagte der Führer: „Wir sind dicht bei der Stelle, an der das Wild äst.“ Der Nebel war noch so dicht, daß man, auch als es allmählich hell wurde, nicht fünfzig Schritt weit sehen konnte. Gegen sechs Uhr ging ich langsam in das taufrische Gras hinein, das zwischen daniederliegenden, trockenen Rohrstengeln als begehrte Weide für das Wild emporsproß. Der Nebel wurde dünner und man konnte auf weitere Entfernungen sehen. Da zeichnete sich in dem Dunst, wie vor einem weißen Tuch, die Gestalt einer Antilope ab: ein Wasserbock ohne Hörner. Das Tier wurde flüchtig; ihm folgten noch andere, die im Nebel nicht zu erkennen waren. Das Gehen in den niedergebrannten, durcheinander liegenden Rohrstengeln wurde sehr beschwerlich, und war den nackten Füßen der Schwarzen eine Qual. [Sidenote: Jagd auf Wasserböcke.] Kurze zeitlang war der Nebel vom Sonnenlicht durchtränkt, dann wurde es plötzlich klar; vierhundert Schritt vor mir stand ein ganzes Rudel Wasserböcke (von den Negern „Grungalla“ genannt). Sie ästen auf einer weiten Grasfläche mit Termitenhügeln und einzelnen Baumgruppen. Fünf stolze Böcke mit hohen, sanft gekrümmten Hörnern waren dabei. Sie hatten uns bemerkt, kamen, als wir uns beobachtend hinter einen Termitenhügel versteckten, schrittweis näher und suchten einen Platz zum Ausgucken. Deutlich zeichnete sich zwischen den Lusern das ebenmäßig gebogene Gehörn in der klaren Morgenluft ab. Das Rudel zog nach links; ich kroch bis zu einem näher liegenden Erdhügel vor und schoß auf etwa zweihundert Meter. [Illustration: Neger vom Rufiyi haben ihre Waffen abgegeben und Kriegssteuer gezahlt. Der Askari im Vordergrunde grüßt „durch Stillstehen mit der Front nach dem Vorgesetzten“. Der Vorgesetzte bin ich; ich stehe nämlich im Boot und photographiere im Vorbeifahren. -- Rechts ist ein Zaun zum Schutz gegen die Krokodile in das Wasser hineingebaut. An Vorsicht gewöhnt, stehen alle Neger zwei Meter vom Wasser entfernt.] Das ganze Rudel wurde flüchtig, der getroffene Bock aber brach in der Flucht zusammen. Ich setzte die Jagd fort, bis ich drei stattliche Böcke zur Strecke hatte, ließ sie aufbrechen und folgte den übrigen Tieren noch einmal, um zu beobachten. Sie waren in hohem Gras zwischen Mangobäumen stehen geblieben. Einige hatten sich niedergetan; ein Schmaltier äste; das Leittier sah nach mir her und erkletterte einen hohen Erdhügel, auf dem es dann wie ein Erzbild stand. Während ich mit dem Doppelglas die Ebene weithin absuchte, sah ich zu nicht geringem Schrecken plötzlich eine lange Reihe Eingeborener mit Gewehren, Mann hinter Mann durch das Schilf ziehen. Der Ombascha beruhigte mich sogleich: Die Leute trugen weiße Hemden und nicht die blauen Lendentücher der Aufständigen, sie hatten also keine bösen Absichten und wollten nur ihre Flinten zur Boma bringen. An der Übersetzstelle holte ich sie ein. Sie kamen unter Führung eines pflichteifrigen Jumben, der mir versicherte, daß nun in seinem Machtbereich keiner mehr ein Gewehr habe. Außer Wasserböcken gab es in der Nähe der Boma: Gnus, Riedböcke, Buschböcke, Hartebeeste, Zwergantilopen und Warzenschweine. Riedböcke -- die dem Rehwild so ähnlich sind -- waren besonders häufig. Reizvoll waren Pürschgänge auf dem Südufer in der Richtung auf die Berge, in dem sich die Feinde aufhielten. Nur wurden die Gänge dadurch erschwert, daß man jedesmal eine kleine Streitmacht im Gefolge haben mußte und sich von dieser nur in sehr offenem Terrain etwas absondern durfte. [Sidenote: Jagd auf Buschböcke.] Da war ein beliebter Weg auf der Höhe eines Ausläufers der Berge mit der Aussicht auf die Ebene, in der viele kleine, mit schwimmenden Pflanzen ganz zugedeckte Teiche lagen. In diesen Teichen hielten sich auch Flußpferde auf, und wenn sich die langen Rücken der Dickhäuter, von Pflanzen wie mit einem Teppich bedeckt, durch das schlammige Bassin schoben, saßen kleine, weiße Kuhreiher und braune Wasserhühner obendrauf. Krokodile schien es hier nicht zu geben. Die Gebüsche rundum zeigten ausgetretene Wechsel der Kiboko; ihnen folgend kam man an die Stellen, wo die, überall nur vereinzelnd vorkommenden und deshalb bei dem Jäger so beliebten Buschböcke gerne lagen. Diese schönen Antilopen bevorzugen Gegenden mit ständigem Wasser. Zahlreich sind sie auch in den Mangrovenwäldern im Mündungsdelta des Rufiyi, wo ich sie in unmittelbarer Nähe menschlicher Wohnungen antraf. Sie entfernen sich, ebenso wie die Riedböcke, nicht weit von ihrem Schlafplatze, wenn sie auf Äsung ziehen. Wenn der Buschbock im Schilf steht, kann er den Kopf so still halten, daß die gewundenen, spitzen Hörner zwischen den vielen hochragenden, spitzen und glänzenden Blättern gar nicht auffallen. Doch ist dies nicht so wunderbar; denn die Antilopenhörner sind oft überhaupt schwer zu erkennen und es gibt Lichtverhältnisse, bei denen sogar die großen, halbmeterlangen Hörner eines freistehenden Wasserbockes auf dreißig Schritt Entfernung übersehen werden; mir ist es wenigstens einmal passiert, daß ich das Gehörn erst bei genauerem Hinsehen entdeckte, weil die glatten Flächen der Hörner zu stark im Licht standen. [Illustration: Ein Riedbock zur Strecke. Ich mußte in dieser Zeit stets eine Bedeckung von Askari mitnehmen, wenn ich auf die Birsch ritt. -- In den Morgenstunden trug ich eine Mütze; wenn die Sonne höher stieg, nahm ich meinen großen Filzhut und der Boy setzte sich meine Mütze auf. (Er hatte seine ‚kofia‘ darunter!)] Eines Morgens sah ich auf dem genannten Wege zwei Stücke Wild hinter einem Hügel verschwinden und sprach das eine als einen Bock an. Da beide hintereinander standen, mußte ich nach dem Kopf schießen, um nicht die Ricke mit zu verletzen. Der Bock stürzte auf den Schuß, kam wieder hoch und verschwand im Schilf; auf dem Anschuß aber lag ein Stück der eigentümlichen Hautzapfen, wie sie die Wiederkäuer im Geäse haben. Ich hatte den Bock also in den Unterkiefer geschossen und die Weidmannspflicht gebot, alles zu tun, um ihn vor grausamem Hungertode zu bewahren. Schnell wurden Ausguckposten auf Bäume und Hügel geschickt und ein Treiben veranstaltet, da die Fährte in dem harten Boden zwischen gebrannten und trockenen Rohrstengeln nicht zu finden war. Als der Bock sich von beiden Seiten umstellt sah, blieb er stehen und wurde von Treibern gesehen, die mich holten; so konnte ich ihm den Fangschuß geben. Drei Stunden hatte dies sorgfältige Weidwerk gedauert; doch die Befriedigung über den Erfolg lohnte jede Mühe. Mehr in den offenen Akazienwäldern hielten sich Gnus und Hartebeeste. Das sind ausgesprochene Herdentiere; die dritten im Bunde sind gewöhnlich Zebra; doch bekam ich sie erst später und weiter westlich am Utungisee zu Gesicht. Die Gnus wurden in dieser Zeit in Herden gesehen, die nach Geschlechtern getrennt waren. Es gingen zusammen: sechs Bullen und über dreißig Kühe und Kälber. Zwischen die letzten Vorläufer der Berge und die eigentlichen, steilansteigenden Höhen war ein langes, stilles Tal geschoben, dessen Wasser mit dem Rufiyi in Verbindung stand. In der Trockenzeit waren an beiden Seiten breite, völlig kahle Uferränder, über die das Wild gehen mußte, wenn es aus dem hohen Uferwald zum Wasser kam. Unzählige Krokodile bewohnten das Gewässer, das malerisch zwischen den Bergen lag. Flußpferde fühlten sich hier ganz sicher und durften unbehelligt gelassen werden, weil sie auch in der Nähe keinen Schaden anrichten konnten. In einem flachen Ausläufer des Sees sah ich Nilgänse mit Jungen. Weiße Reiher, Pelikane, und Störche waren auch hier nur in recht beschränkter Zahl; Flamingos habe ich am Rufiyi gar nicht beobachtet. [Illustration: Wasserbock.] [Sidenote: Baumwolle.] Hinter dem See hatten Eingeborene Baumwollfelder angelegt, denen man ansah, daß die Neger über die neue Kultur noch nicht unterrichtet waren: die Pflanzen waren sehr dicht aufgegangen und dann von den Negern nicht gelichtet worden, so daß sie sich gegenseitig in die Höhe trieben und keine Kapseln ansetzten. Ähnlich verfehlte Anlagen gab es viele in den Bergen. An einigen Stellen standen die Stauden zu dicht, an anderen fehlten sie ganz, und für Reinhaltung von Unkraut war offenbar keine Hacke angerührt worden. Da mußten dann die Erträge fehlen. Die Neger sahen nicht, was ihnen der Baumwollbau nutzen sollte und so ist der Druck, den die Bezirksämter auf die Neger ausübten, um sie zum Anbau von Baumwolle zu zwingen, eine der wenigen, sichtbaren Ursachen des Aufstandes geworden. [Illustration: Gehörn eines Gnubullen.] Bevor private Unternehmer den Aufkauf, die Entkernung und den Versand der Baumwolle in die Hand nahmen, wollte man diese Aufgabe den Kommunen der Bezirke geben, um so den Anbau des wichtigen Ausfuhrartikels zu fördern; die Jumben wurden zum Bezirksamt gerufen, bekamen Saat ausgehändigt und wurden angeleitet, wie sie zu pflanzen sei. Jedes Dorf sollte eine gemeinsame Baumwollpflanzung unterhalten, und der Erlös der Ernte auf die Arbeiter verteilt werden. Auch hierbei ließen sich die Dorfältesten zu Unterschlagungen verleiten, und der Zwang, den sie auf die Arbeiter ausübten, wurde bei dem geringen Erfolg doppelt mit Unwillen aufgenommen. [Sidenote: Mein Vater.] Eines Tages brachte die Post die frohe Nachricht, daß mein Vater in Mohorro eingetroffen sei und versuchen wolle, zu mir zu kommen. Das war eine große Freude. Wenn es schon an sich merkwürdig genug war, daß ich meinen Vater hier draußen sehen sollte, so gewann dies freudige Ereignis noch Bedeutung durch die Umstände, unter denen das Wiedersehen stattfinden sollte. Angeregt durch meine Schilderungen des Landes hatte er, der früher schon in Amerika und Westindien wirtschaftliche Studien getrieben hatte, sich entschlossen, Deutsch-Ostafrika selbst zu sehen, um als Reichstagsabgeordneter ein eigenes Urteil über das Land zu bekommen. Bei seiner Abreise aus Deutschland brach der Aufstand in der Kolonie aus, und nun traf er mich mitten darin. Mir war es lieb, daß ich ihm das Feld meiner Tätigkeit zeigen und ihm die Beruhigung mitgeben konnte, daß die Gefahren und Strapazen, an die man daheim immer zuerst denkt, aus der Nähe gesehen, gar nicht so groß sind. Der Ort Kipei, vier Stunden unterhalb meines Lagers, wurde als Treffpunkt verabredet, und ich ging mit einer kleinen Askaribedeckung dorthin. Als ich über ein abgemähtes Reisfeld ritt, sah ich meinen Vater von der anderen Seite kommen; mit Tropenhelm, in einem Khakianzug und mit einer Pistole an der Seite. Ich sprang aus dem Sattel und lief ihm entgegen. Herr John Booth, ein alter Afrikaner, hatte ihn hierher begleitet und wartete in dem Zeltlager am Flusse auf uns. Zwei Tage blieben wir zusammen. Wir ritten den Fluß hinauf, besuchten die heißen Quellen bei Utete, die Plätze, an denen Gefechte gewesen waren und meine Boma in Mayenge. Was die Fruchtbarkeit des Landes betraf, so fand mein Vater seine Erwartungen schon jetzt weit übertroffen. Er bestätigte, was oft ausgesprochen worden ist, daß man trotz den vielen Schilderungen immer wieder dazu neigt, Begriffe zu verallgemeinern; daß selbst der Gebildete in Deutschland zu leicht irgendeine Nachricht aus Afrika auf alle afrikanischen Kolonien bezieht, und die widersprechenden Beobachtungen mit der Zeit einen gewissen Zweifel an den wirklichen Aussichten des Landes aufkommen lassen. Da hilft dann nur persönliche Anschauung. [Illustration: Ich hatte die große Freude, in der Aufstandszeit meinen Vater zu sehen. Zwei Tage blieben wir zusammen, dann fuhr er stromab zur Küste.] Es ist falsch, zu sagen: „in Afrika“; denn Afrika ist groß und in seinen Teilen zu verschieden. (Oder zu sagen: „der Neger“; gerade dies hört man oft, und es ist noch viel verkehrter, als wenn jemand sagen wollte: „der Europäer“.) Man kann die Landwirtschaft in Deutschland auch nicht beurteilen, wenn man nur die Lüneburger Heide gesehen hat! Gegen Abend des Tages nach unserm Zusammentreffen fuhren wir gemeinsam mehrere Stunden weit stromabwärts und waren noch eine Nacht unter einem Zeltdach zusammen. Am nächsten Morgen mußte mein Vater abreisen; denn der Gouvernementsdampfer erwartete ihn zu bestimmter Stunde in Salale, an der Mündung des Rufiyi. Ich sah ihm noch lange nach, wie er im Boote stand und winkte, bis er weit unten, hinter einer Biegung des Stromes meinen Blicken entzogen wurde. [11] Drei Rupien = vier Mark. [Illustration: Schädel eines von mir erlegten, fast fünf Meter langen Krokodils.] Krokodile und Flußpferde. „Es hat auf der Erde eine Zeit gegeben, in der die Kriechtiere das große Wort führten,“ schrieb Brehm im „Tierleben“ am Anfang des Abschnitts über die Panzerechsen, und an diesen Satz wird erinnert, wer gesehen hat, wie die letzten Vertreter dieser Tiere in gewissen Gegenden Ostafrikas noch heute ein Wort mitsprechen. Die Eingeborenen sind machtlos dem „Leviathan“ gegenüber, wie der Dichter des Alten Testamentes das Nilkrokodil nennt, der auch von ihm sagt: „Wenn du deine Hand an ihn legst, so gedenke, daß ein Streit sei, den du nicht ausführen wirst.“ -- Mit Pfeil und Bogen, mit Speer- und Steinwürfen ist dem Ungeheuer, das durch eine starke Schuppenhaut geschützt wird, allerdings nicht beizukommen. Wohl werden einzelne, von Eingeborenen mit List und großer Mühe erlegt, in Fischnetzen zufällig gefangen oder auch geangelt; doch die Vermehrung ist so stark, daß die Krokodile nur in Gegenden, die der Europäer mit seinen guten, treffsicheren Waffen auf längere Zeit besucht, ganz vernichtet werden. Dem Gewehrgeschoß bietet kein Krokodilpanzer erfolgreich Widerstand; kleine Krokodile kann man sogar mit dem Schrotgewehr schießen. Jeder Europäer, selbst wer nicht Jäger ist, beteiligt sich eifrig an dem Vernichtungskrieg, und auch ich habe, nachdem ich die grauenhafte Gefahr, von Krokodilen gepackt und ersäuft zu werden, selbst in der Nähe gesehen habe, eine Ehre darin gesucht, möglichst viele der schädlichen Räuber auf die Schußliste setzen zu können. Meine ganze Bleispitzenmunition widmete ich dem Schießsport auf Krokodile, und tat es gern, weil unzuverlässige Patronen darunter waren, die Versager gaben, und deshalb zu anderen Zwecken nicht verwandt werden konnten. Die 11/12-Mantelgeschosse mit Bleispitze rissen sehr stark und waren deshalb wirksamer als Vollmantelgeschosse. [Sidenote: Dreihundert Krokodile.] Nahezu dreihundert Krokodile rühme ich mich während des Aufenthalts in Ostafrika ums Leben gebracht zu haben. Es ist das einzige Wild, bei dem man die große Zahl der erlegten Tiere als Erfolg angeben darf, während die Afrikaner einem durchaus nicht Bewunderung zollen und noch weniger erfreut sind, wenn man sagt, man habe z. B. so und soviel Kuhantilopen geschossen. Das Streben des passionierten Jägers geht in Afrika nicht dahin, sich einer großen Strecke rühmen zu können, sondern eine möglichst vielseitige Ausbeute zu haben und Erlebnisse auf alle Arten Hochwild zu suchen. Große Strecken kommen aber doch vor, und reiche Ausbeute an Trophäen läßt sich oft auf die besonderen Umstände bei längeren Expeditionen zurückführen, wo Wild zur Verpflegung der Träger und Soldaten geschossen werden mußte, ist also durchaus nicht immer zu verurteilen. Im Gegensatz dazu erfreut bei Krokodilen die hohe Zahl der vernichteten Tiere, und Rekorde sind im Interesse der Menschen erwünscht. Es soll über zwanzig verschiedene Arten von Krokodilen geben; in Ostafrika haben wir es allein mit dem Nilkrokodil zu tun. Dies bevorzugt Süßwasserseen und Flüsse, kommt nur ausnahmsweise in das Salzwasser des Meeres und ist daher in den Buchten der Küste nur zu finden, wo Flüsse einmünden. Selbst an der Fähre, die den großen Verkehr auf der Karawanenstraße über den Kingani vermittelt, kommen häufig Unglücksfälle durch Krokodile vor, trotzdem hier schon unzählige Europäer den Tieren nachgestellt haben. Große Krokodile sind an der Küste jedoch schon selten, und in den Mündungen des Kingani, des Sigi und Rufiyi habe ich nur kleinere geschossen. Das Vorkommen eines besonders starken Ungetüms regt stets die Jagdlust der nahen Europäer an; denn ein großer Krokodilkopf mit fingerlangen, weißen Zähnen ist eine originelle, leicht zu konservierende Trophäe. Im Aufstand, bei tagelangen Märschen an Flußufern, an Seen und Tümpeln entlang, sind mir unzählige Krokodile zu Gesicht gekommen; sieben Menschen sind in meiner nächsten Nähe von Krokodilen geraubt worden. Nicht von jedem Fall erfährt man; die Neger sind abstoßend gleichgültig gegen geschehenes Unglück. Ein Schutztruppenoffizier erzählte folgendes Erlebnis: Als seine Trägerkarawane durch einen Fluß hindurchging, wurde ein Mann mitten aus der Reihe von einem Krokodil erfaßt und fortgeschleppt; die anderen Träger gingen ruhig weiter, als ob nichts geschehen sei. Der Offizier fragte einen der Neger darüber. Antwort: „Ja mir passiert nichts, ich habe eine gute „_dawa_“.“[12] „Der andere hatte aber doch auch Medizin?“ „Die wird wohl nichts getaugt haben, meine aber ist gut!“ Von den Ägyptern wissen wir, daß sie die Krokodile einbalsamierten, ihnen also eine gewisse göttliche Verehrung zukommen ließen. Allerdings vermutet man, daß sie die Bestien erst selbst töteten und ihnen dann, gewissermaßen zur Versöhnung, die Totenehren erwiesen. Bei den Negern waren die Krokodile gefürchtet aber nicht verehrt. An einer Hütte sah ich über der Tür ein rohes Relief, aus dem Lehm des Wandbewurfs herausgeformt: die Gestalt eines Krokodils darstellend; niemand aber wußte, ob es mehr sein sollte, als ein launiges Kunstwerk, das jemand in einer Mußestunde zurecht geknetet hatte. Obwohl jederzeit Menschen am Rufiyi durch Krokodile geraubt werden können, ohne daß jemand davon erfährt, schieben die Anwohner des Flusses das rätselhafte Verschwinden eines Menschen einer Schlange zu, die im Flusse leben soll, die aber immer ein anderer gesehen haben soll, nie der Vertrauensmann, den man gerade fragt. Wenn die Neger an ein solches Tier glauben, zeigen sie offenbar ein Bedürfnis, die Phantasie zu befriedigen. Der große Wels, der sich tief in den Schlamm verkriecht, und das unheimliche Krokodil genügen meiner Phantasie allerdings durchaus; denn es sind groteske Tiere, und offenbar werfen die Neger die Eigenschaften dieser beiden Flußbewohner zusammen, wenn sie von der ‚Hongo‘ sprechen. [Sidenote: Krokodile.] Als ich, aus Mangel an Streitkräften zu tatenlosem Warten genötigt, wochenlang in meiner Boma bei Mayenge saß, hatte ich reichlich Gelegenheit, Krokodile zu beobachten und zu erlegen. Obwohl fast täglich vom Pallisadenzaun des Lagers aus nach den Tieren geschossen wurde, lagen immer wieder welche da, angelockt durch die Kadaver ihrer Brüder, die ihnen als Nahrung willkommen waren. Die geschossenen Krokodile trieben nicht etwa -- wie man das oft in Reisebeschreibungen ausgesprochen findet -- weit in dem Strom fort, sondern erschienen, ebenso wie andere Kadaver, nach einigen Stunden, an der Oberfläche und wurden dann, meist nicht weit von der Stelle, an der sie geschossen waren, nahe am Ufer mit abgefressenen Füßen gefunden. Wahrscheinlich hatten andere Krokodile sie beim Fressen dort hingeschoben. Auch angeschossene sind durch die Gefräßigkeit ihrer Brüder dem Tode geweiht. Ich habe gesehen, wie ein Krokodil, das durch einen Bauchschuß verwundet war, wild im Wasser umhertobte, während andere von verschiedenen Seiten herzuschwammen und es, gewiß nicht bloß aus Neugierde, verfolgten. Der Geruchsinn soll schlecht sein; dagegen scheint die Tatsache zu sprechen, daß die Krokodile sofort herbeischwimmen, wenn ein Flußpferd verwundet wird, von gesunden Tieren aber gar keine Notiz nehmen. Ich schoß einmal auf ein Flußpferd und wußte nicht, ob ich getroffen hatte, weil ich ziemlich hoch über den Fluß stand und das Geschoß ebensogut in das Wasser eingedrungen sein konnte -- während Geschosse, die aus flachem Winkel fehl gehen, gewöhnlich vom Wasserspiegel absetzen und pfeifend in die Luft weiterfliegen. -- Da sagte ein Neger: „Du hast getroffen, riechst du es nicht?“ In der Tat nahm ich, da wir halb unter Wind standen, deutlich einen süßen Geruch wahr, den die Haut des toten Flußpferdes ausdünstete. Kurz darauf erschienen zwei große Krokodile und schwammen gegen Strom und Wind auf die Schußstelle los. Ob sie nur ihrem Gehör gefolgt waren und vielleicht unter Wasser von dem Todeskampf Laute vernommen hatten, die uns oben ganz entgangen waren? Es ist kaum anzunehmen. [Illustration: Die Krokodile ruhen gerne auf den Uferböschungen dicht am Flusse. Oft habe ich sie quer über den Strom hin geschossen, oft auch in dichtem Schilf bis auf wenige Schritte angepirscht.] Auf der Stelle tödlich sind beim Krokodil nur Kopf- und Herzschüsse; jedoch lähmen auch alle Schüsse, die die Wirbelsäule treffen, das Tier so, daß es nicht mehr weiter kann. Es gehört ein guter Schütze dazu, die kleine Hirnschale zu treffen, die wie ein treibendes Stück Borke auf dem Wasser erscheint. Liegt die lange Panzerechse aber breit auf dem trockenen Ufer, so ist sie, wenigstens in der Horizontalen, kaum zu verfehlen und es kommt nur darauf an, für das niedrige Ziel die Entfernung genau zu schätzen und dann in der Vertikalen ganz sorgfältig abzukommen. Solche Treffer, auf zwei bis dreihundert Meter aus Anschlag im Liegen über den Strom hin, haben mich oft erfreut; das Krokodil zeichnet, wenn es getroffen wird, jedesmal, indem es mit dem geöffneten Rachen schnell um sich haut, und darf in der Schußliste notiert werden, auch wenn es noch die gelbe Flut erreicht. Manchmal sieht man den Schwanz eines geschossenen Krokodils beim Näherkommen noch halb am Strand; das Tier gleitet aber bald in die Tiefe und ist wahrscheinlich tot. Aber wer wagt es, den Zackenkamm anzufassen auf die Gefahr hin, im nächsten Moment mit einem Biß belohnt zu werden; denn die Echse ist sehr wohl imstande, nach der eigenen Schwanzspitze zu beißen. -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- Es war in der Trockenzeit im Monat September und der Strom hatte seinen niedrigsten Wasserstand. Zu beiden Seiten sah man hohe Uferböschungen, von denen das Wasser unaufhörlich Erde abbröckelte, um sie mit sich zu führen und weiter unten wieder abzusetzen. Ältere Sandbänke lagen jetzt trocken und boten, weit in den Strom vorgeschoben, den Krokodilen willkommenen Platz zum Mittagsschlaf. [Sidenote: Ansitz im Schilf.] Auf einer solchen Sandbank stand dichtes, hohes Schilfrohr und der Fluß machte gerade vor dem in sich angeschlossenen Rohrgebüsch eine Biegung, so daß es möglich war, sich mit dem Boote lautlos treibend zu nähern, ohne von der anderen Seite gesehen zu werden. Hier hatte ich aus Sand und Rohrstengeln eine Hütte gebaut, und einen Gang durch das Rohr geschlagen, um unbemerkt hineinzukriechen. Der Platz war besonders geeignet, Krokodile, Flußpferde und Wasservögel zu beobachten. Gegen die Sonne durch ein Flechtwerk geschützt, lag ich oft stundenlang und sah den Tieren zu, die gar nicht merkten, wenn ich von hinten vorsichtig in meine Hütte kroch. An einem stillen, feierlichen Tage war ich gegen zehn Uhr vormittags auf meinem Posten. Kein Wölkchen stand am Himmel und der Wind, der frühmorgens aus Westen wehte, war allmählich eingeschlafen. Zwei kleine Krokodile liegen auf Wurfweite vor mir; mit dem Doppelglas kann ich jede Falte ihrer Haut sehen und sogar die länglichen Augensterne erkennen. Die Tiere liegen ganz auf dem Trockenen; plötzlich erscheint auf etwa zwanzig Schritt die flache Oberfläche eines Krokodilkopfes, in langsamer Bewegung sich dem Ufer nähernd; dahinter taucht der zackige Kamm des langen Schwanzes auf. Vorsichtig bleibt das Tier, bewegungslos dicht am Ufer liegen und hebt sich erst nach geraumer Zeit, langsam aus dem Wasser; beschreibt auf dem Sand einen Halbkreis, läßt sich plötzlich schwer auf den Bauch fallen und sperrt den Rachen weit auf. Da es sich in der Drehung von mir ab und wieder dem Wasser zugewandt hat, kann ich nur einen Teil des Kopfes sehen. Stunden vergehen. Über die Sandbank kommen Nilgänse, die an einer Lagune zur Äsung waren; graue Fischreiher, fleischfarbene Pelikane und weiße Löffler fallen weiter unten ein; dazu setzen sich gelbschnäblige Störche. In meine Nähe scheint nichts mehr zu kommen; da ziele ich denn in aller Ruhe auf den dicken Wanst des Drachenviehs, das in seinem bronzegrünen, schwarz gefleckten Panzerkleide dicht vor mir liegt. Von hinten, etwas seitlich soll ihm mein Geschoß in den Brustkorb dringen und das Herz treffen -- -- -- Rrumms! Blitzschnell fährt es mit dem Kopf vorne hoch und reißt den Rachen, der von spitzen, weißen Zähnen starrt, weit auf, sinkt in sich zusammen, klappt noch zweimal laut mit den Kiefern und verendet. Die beiden anderen Krokodile waren auf den Schuß in das Wasser gestürzt und die Vögel hatten sich in die Luft gehoben. Der Drache ist tot und ich kann ihn in Ruhe betrachten. Die Farbe seiner Haut ist nur oben und an den Seiten dunkel, die Bauchseite zeigt ein feines Elfenbeinweiß. Der Rumpf ist langgestreckt, der Schwanz seitlich als Ruder zusammengedrückt. Auf ihm laufen zwei Kammreihen entlang, die sich am Ende zu einer vereinen. Die Füße stehen nach den Seiten weg. Sie haben vorne fünf, hinten vier Zehen, die durch Schwimmhäute verbunden sind und Krallennägel tragen. Das kleine, grüne Auge wird durch drei Lider geschützt; die Ohröffnungen können durch klappenartige Hautfalten, die Nasenlöcher, die vorne im Oberkiefer liegen, durch Aneinanderdrücken ihrer wulstigen Ränder geschlossen werden, wenn das Tier untertaucht. Da die Gefährlichkeit der Krokodile sehr verschieden ist, kommt es immer wieder vor, daß leichtsinnige Menschen verunglücken; wenn alle Krokodile gefürchtet würden, wäre das nicht der Fall. Da die Hauptnahrung der Tiere in Fischen besteht, gibt es Gewässer, in denen die Krokodile ungefährlich sind, weil sie reichlich Nahrung haben. Man sagt, daß sich in allen Gegenden, die von der Kultur unberührt bleiben, der Bestand an Krokodilen und Fischen das Gleichgewicht halten. Wenn nämlich die Raubtiere überhand nehmen, beginnen sie sich bald, aus Mangel an Nahrung und der lästigen Konkurrenz halber, gegenseitig aufzufressen und dann bekommen die Fische wieder freiere Bahn. Auf Tiere, Wasservögel oder gar Menschen, die zur Tränke kommen, sind die Krokodile demnach nicht angewiesen; doch mag ihnen der Fischfang in manchen Gegenden so schwer fallen, daß sie gerne jedem anderen Bissen auflauern, während sie an anderen Plätzen mehr gesättigt sind. Die Eingeborenen kennen meist die Krokodile in ihrer Nähe recht genau und wissen auch einige Plätze, an denen sie getrost baden können. Selten raubt das Krokodil aus flachem Wasser; denn seine Methode ist, das Opfer mit dem Schwanz ins Wasser zu schlagen, zu packen und zu ersäufen. Dazu ist ihm flaches Wasser nicht günstig. Während die Neger da recht sorglos sind -- vielleicht auch, weil das Herannahen eines Krokodils leichter zu bemerken ist -- vermeiden sie es, an tiefes Wasser hinanzugehen und warnten mich jedesmal, wenn ich es tat. In manchen Gegenden sind die Wasserschöpfstellen an steileren Ufern durch Zäune geschützt, die in das Wasser hinein gehen, oder die Weiber schöpfen vom hohen Ufer aus mit Kalebassen, die an langen Stangen befestigt sind. [Illustration: Trotz den Krokodilen sprangen die Neger über Bord, als das Wasser flacher wurde und zogen das Flußpferd an eine Sandbank. -- Am Boot steht meine Büchse, ein Militärgewehr, dessen Holzbekleidung im Gefecht bei Utete durch einen Schuß zersplittert worden war und das ich mir dann zu einem leichten, handlichen Gewehr zurechtgestutzt hatte.] [Sidenote: Flußpferde photographiert.] Einmal führte mich mein Weg durch das Jagdschonrevier des Kissakibezirks, und ich traf, wo der Mrokafluß in den Rufiyi mündet, im Morgennebel drei Flußpferde, die in dem sumpfigen Uferrande ruhten. Ich nahm die Kamera und ging, von Schilfstauden gedeckt, vorsichtig näher. Der Boden war so weich, daß ich bis an die Knie einsank. Ich zog die Kassette auf, machte die Kamera fertig und trat dann plötzlich hinter dem Schilf hervor, so daß ich auf etwa fünfzig Schritt ganz frei vor den Tieren stand. Ein alter Flußpferdbulle mit plumpem, schwerem Kopf richtete sich mit der Vorderhand auf und sah nach mir her, als ich die erste Aufnahme machte. (Bild Seite 155.) Während ich die Kassette umdrehte und die Kamera zum zweiten Male hob, wurde er nach dem tieferen Wasser hin flüchtig. Auch die übrigen Tiere erhoben sich jetzt jäh aus ihrem Schlafe, und waren in wenigen Sekunden unter dem Wasserspiegel verschwunden. Die Jagd auf Flußpferde ist da uninteressant, wo die Tiere in großer Zahl und vertraut angetroffen werden; denn an solchen Stellen kann ein sicherer Schütze Dutzende in kurzer Zeit schießen. Das ist keine Jagd. Dagegen kann man von Jägerfreuden sprechen, wenn sich jemand mit vieler Zeit und Mühe aus einer großen Herde den größten Bullen heraussucht und ihn zur Strecke bringt; denn ein starker Flußpferdschädel mit hoch aus dem Unterkiefer herausragenden, gebräunten Zähnen, ist eine schöne Trophäe. Sie gewinnt dadurch, daß man erzählen kann, man habe außerdem kein Stück der Herde angeschossen! [Sidenote: Flußpferdjagd.] Großen Reiz hat es auch, in versteckten Teichen nahe der Küste den dort sehr seltenen und ungewöhnlich vorsichtigen, vielleicht sogar gefährlichen Flußpferden nachzustellen. Nicht gerne aber denke ich an zwei Schießereien zurück, zu denen ich mich hergab, weil der Schaden, den die Flußpferde der Landwirtschaft zufügten, die Neger zu berechtigten Klagen veranlaßten: Das auf Flußpferde stehende Schußgeld von 26 Mark für jedes erlegte Tier war gerade aufgehoben worden, weil die Dickhäuter in manchen Gegenden derart überhand genommen hatten, daß sie eingeschränkt werden mußten. Aus einer Landschaft besonders kamen immer wieder Klagen der Neger, die Kibokos schliefen im Wasser neben den Feldern und trampelten nachts auf Äsung in den Saaten umher, so daß kein Halm stehen bleibe. Ich erlaubte deshalb dem Sergeanten, die Tiere abzuschießen. Er kam zurück mit der Meldung, er habe beinahe zwanzig Stück in drei Stunden zur Strecke gebracht. Am nächsten Tage brachten die Eingeborenen, froh über dies Resultat, die abgeschnittenen Schädel, große und kleine, die im Ufersande des Flusses vergraben wurden, damit die Zähne lose würden. Anfangs glaubte ich, der Sergeant habe allzusehr unter den Tieren aufgeräumt; denn acht Tage später kam ich an den Ort der Tat vorbei und sah die vielen, großen Kadaver auf den Sandbänken liegen. Viele Hundert Geier und Marabus standen dabei, und im Wasser schwammen unzählige Krokodile. Lebende Flußpferde aber waren nicht mehr zu sehen. [Illustration: Ein erlegtes Flußpferd wird ans Ufer gewälzt.] Drei Monate später -- ich hatte in der Zwischenzeit kein einziges Flußpferd schießen lassen -- kam ich wieder an der Stelle vorbei und traf zu meinem Erstaunen in der Nähe eines großen Dorfes drei Flußpferdherden von zusammen etwa achtzig Köpfen. Die Neger waren geradezu machtlos gegen diese Tiere und sagten, sie müßten auswandern, wenn ich ihnen nicht helfen könnte. Darum entschloß ich mich, mit Unteroffizier Lauer zusammen einige starke Bullen aus einer der Herden abzuschießen. Wir wählten zwei geeignete Plätze auf der hohen, sandigen Uferböschung und legten uns in Anschlag. Die Herde mußte, wenn sie stromauf entweichen wollte, an mir, stromab an dem Unteroffizier vorbei und über flachere Stellen hinweg, was die Flußpferde vermeiden, wenn Gefahr ist. Weinrot und glänzend erschienen die Körper der plumpen Dickhäuter, wenn sie auftauchten. Wir hatten beide große Übung im Schießen und schossen nur nach dem Gehirn. So brachten die ersten vier Schüsse vier Nilpferde zur Strecke, die auf der Stelle tot waren. Dann bekam die Sache als Schießsport einen gewissen Reiz; denn die Tiere steckten, vorsichtig gemacht, die Köpfe nur auf Sekunden aus dem schützenden Naß, um fauchend Luft zu schnappen und sich umzusehen. Da mußte das Ziel schnell erfaßt und sofort geschossen werden, was um so schwerer war, als wir nur starke Tiere schießen wollten und jedesmal die Frage erst beantworten mußten: ist es ein großer Kopf? Und dann war er bereits wieder auf Minuten verschwunden. Trotzdem hatten wir in kurzer Zeit acht starke Nilpferde getötet. Ein angeschossenes Stück, das aus der Nase schweißte, machte es uns recht schwer, weil es zwischen den gesunden auftauchte; als wir auch dies zur Strecke hatten, hörten wir auf. Kein anderes Tier war angeschossen! Wenn es auch kein Jagderfolg war, der Freude machen konnte, war es jedenfalls ein Schießresultat, mit dem wir uns hätten sehen lassen können. Jetzt schickten wir Boten in die umliegenden Dörfer, und es kamen an dreihundert Eingeborene mit Beilen, Messern und Stricken. Einbäume wurden herbeigeschafft, und die erlegten Tiere mit vereinten Kräften auf die Sandbänke gezogen. Auf den Lärm hin verließen einige der überlebenden Dickhäuter das Schlachtfeld und rannten über die Sandbänke in entferntere Wasserbecken. Wo sie durch flaches Wasser hindurchliefen, spritzte es mit Getöse nach den Seiten. [Illustration: „Ein alter Flußpferdbulle richtete sich auf und sah herüber, als ich hinter dem Schilf hervortrat.“ (Seite 152.)] [Sidenote: Nutzen des Flußpferds.] Leider konnten wir von der Beute nichts verwerten als die Zähne; die Eingeborenen in der Gegend aßen das Fleisch nicht, während andere Negerstämme sich darum reißen. Die Schwarte war so rissig und durchlöchert, daß ich kaum ein gutes Stück fand, aus dem ich Peitschen schneiden konnte. Die Decken der Tiere waren daher für uns wertlos; auch die Händler hatten uns geantwortet, sie kauften keine Flußpferdhaut. (Wie verschieden übrigens die Verhältnisse oft sind, lehrt folgendes Beispiel: Die Inder in Mohorro kauften Wildhäute zu bestimmten Marktpreisen nach Gewicht. Sie nahmen gern Felle von Antilopen, Gnus und Schweinen, wollten mir aber mein Büffelfell nicht abkaufen und nahmen keine Flußpferdhaut. Das hatte ich in Erinnerung, als ich später am Kilimandscharo zwei Büffel schoß; und ich verschenkte die Häute an meine Träger. Kurz darauf wurde ich in Moshi nach den Fellen gefragt und erfuhr, daß sie dort ein ganz besonders gut bezahlter und sehr gesuchter Artikel seien. Dagegen wurden Antilopenhäute dort sehr schlecht bezahlt. Ähnlich ging es mit Nilpferdhaut; am Rufiyi nahm sie der Händler nicht geschenkt; in Daressalam und Sansibar boten die Inder hohen Preis. Das wußte ich nicht, als wir die vielen Tiere schossen und so mußte das wertvolle Material ungenutzt verfaulen.) Es war auch ein Mangel an Erfahrung dabei, wenn ich glaubte, man könne die Tiere nicht nutzen. Das habe ich später bei den Buren gesehen und aus den Erzählungen südafrikanischer Jäger gelernt. Einer, der die Jagd berufsmäßig ausübte, hätte vielleicht großen Gewinn daraus gezogen, wenn er das Fell präparierte, die Knochen klein stampfte zu Düngungszwecken und Leimfabrikation, das Fett zu Seife einkochte und das Fleisch als Hühner- und Hundefutter trocknete. Ein feistes Flußpferd liefert etwa achtzig Pfund Fett, das sehr gut schmeckt und sich in den Tropen zum Braten besser eignet als irgend ein anderes Fett. Die Buren räucherten sogar Speckseiten von Flußpferden. Das Flußpferd hat überhaupt viel Ähnlichkeit mit dem Schwein -- bei den Ägyptern hieß es „Flußschwein“. -- Sein Fleisch kann ich als schmackhaft bezeichnen, wenngleich ich alle Fleischsorten, die ich probierte, vom Elefanten bis zum Steppenhasen, bei der völligen Unkenntnis meines Kochs, gleich schlecht zubereitet bekam. Wenn der Abschuß großer Flußpferdherden noch irgendwo notwendig wird, sollte man ihn Jägern überlassen, die damit Geld verdienen und Nutzen aus den Tieren ziehen können. Insofern bedaure ich, daß wir dort eingegriffen haben. Uns brachte es jedoch in gewisser Beziehung auch einigen Nutzen: Die Eingeborenen sahen die Wirkung unserer Waffen, waren dankbar für die Vernichtung der Tiere im Interesse der Landwirtschaft, und dachten nicht mehr daran, auszuwandern. Es war ärgerlich, daß die Neger kein Flußpferdfleisch essen wollten. Vor zwanzig Jahren nämlich sollen sie es noch gerne gegessen haben. Ihr Vorurteil kommt von den Mohammedanern; die essen kein Fleisch von Tieren, denen nicht die Gurgel abgeschnitten wird, solange sie noch leben. Wahrscheinlich weil eine solche Handlung bei den Dickhäutern nicht auszuführen ist, verzichten die mohammedanischen Neger auf das Fleisch. Wenn ich auch sonst jede Äußerung religiösen Empfindens beim Neger achtete, habe ich diese Angewohnheit lächerlich gemacht, wo ich immer Gelegenheit dazu hatte. Den armen Negern wird mit solch einem Vorurteil kein Gefallen getan, und der Weiße kann in große Verlegenheit kommen, wenn er nichts Anderes als Flußpferd hat, um seine Arbeiter zu verpflegen. Wenn schon der Islam nicht die Religion ist, die diese Neger brauchen, ist überhaupt kein Grund, auf religiöse Gebräuche Rücksicht zu nehmen, die den kulturellen Aufgaben des Europäers geradezu entgegen sind. (Menschenfresserei dulden wir nicht; auch wenn sie aus tiefer Religiösität entspringt; den Massai zeigen wir, daß wir nicht einverstanden sind, wenn sie Vieh rauben, weil ihre Religion sagt, alles Vieh gehöre eigentlich den Massai.) Es ist auch ein Jammer, daß die Küstenneger, seit sie sich Mohammedaner nennen, Schweinefleisch verschmähen; gerade die ärgsten Feinde ihrer Pflanzungen, die so sehr zahlreichen Warzenschweine und Wildschweine werden von ihnen nicht gegessen und sie stellen ihnen nur aus Gründen der Abwehr nach. Und was das schlimmste ist: Selbst in Zeiten der Hungersnot überwinden sie den eingebildeten Ekel nicht und verhungern lieber, als daß sie Schweinefleisch anrühren! Gier und Gefräßigkeit kann man diesen Negern also nicht ohne Einschränkung nachsagen. Die Erklärung für dies Verhalten liegt in folgendem: Es gilt als fein, Suaheli zu sein, und dazu gehört die Nachahmung mohammedanischer Gebräuche. Mancher Neger würde ohne Zögern Schweinefleisch essen, wenn er mit dem Europäer allein wäre. Aber in Gegenwart anderer mag er sich nichts vergeben. So kommt es, daß die Anwesenheit einer vornehm tuenden Clique von „Suahelinegern“ in einer Expedition ansteckend auf alle übrigen Neger wirkt. Wer die Gebräuche nicht mitmacht, wird „Schenzi“ genannt und hört so oft die Bemerkung: „er frißt ja Schweinefleisch“, bis er es auch läßt. Merkwürdig ist, daß dem Neger das Vorbild des Europäers, der doch Schweinefleisch ißt, gar nichts gilt. [Sidenote: Der Schächtschnitt.] Ein anderes Vorurteil, das der Neger sehr zu seinem Schaden von dem „Suaheli“ angenommen hat, ist, daß er nur Fleisch von Tieren ißt, denen die Kehle durchgeschnitten wurde. Bei Haustieren ist das einfach durchzuführen; bei Wild sehr schwer. Und das Schächten des Wildes ist ein Brauch, den der deutsche Jäger nicht erlauben sollte. Es geschieht nämlich auf folgende Art: Sowie ein Stück Wild vom Schuß fällt, stürzen die Schwarzen mit ihren Messern darauf los, biegen ihm den Kopf zurück und schneiden die Kehle durch. Der Anblick des so zugerichteten Tieres ist häßlich; der Kopf hängt nur noch lose am Hals und aus den geöffneten Halsschlagadern spritzt in hohem Strahl der Schweiß hervor, weil das Herz noch in Tätigkeit ist. Jeder erfahrene Jäger weiß, daß es falsch ist, auf ein Stück Wild, das vom Schuß fällt, sofort darauf loszugehen; denn oft kommt das Wild dann in seiner Angst wieder hoch, wird weit flüchtig und kann dem Jäger sogar verloren gehen. In anderen Fällen wird es dem Schützen durch das Aufspringen der Leute unmöglich gemacht, ein zweites Stück des Rudels zu schießen. Wer etwas von Jagd versteht, sollte deshalb gegen den Gebrauch ankämpfen. Es muß den Negern verboten sein, aufzuspringen, und die Jagdbegleiter sind streng anzuhalten, im Grase liegen zu bleiben. Der erste, der an das Wild hinantritt, ist der Schütze; mit fertigem Gewehr: andernfalls kann ihm die Gelegenheit zu einem Fangschuß entgehen, durch den er das Stück bestimmt in seinen Besitz bekommt. Der Sinn des Schächtens ist: „Das Fleisch soll ausbluten“, und wer jedesmal fragt, ob es geschlachtet ist? glaubt damit die Sicherheit zu haben, daß er nie Fleisch von gefallenen Tieren bekommt. Die Neger aber machen eine geistlose Handlung daraus, denn sie schneiden einer Antilope auch noch den Hals durch, wenn sie vierundzwanzig Stunden nach dem Schuß gefunden wird. Schon daraus sieht man, daß man die Neger in solchen Gebräuchen oft nicht ernst zu nehmen braucht. Auch mir versuchten meine Askari und Träger einzureden, das Wild müsse geschlachtet werden. Ich drehte aber sofort den Spieß um und sagte, ich dürfe nicht von geschächtetem Wild essen, deshalb verbiete ich es. „Dann essen wir es nicht.“ „Es ist mir lieber, ihr verhungert, als daß ich hungern muß.“ Anfangs sahen die Strenggläubigen zu, ohne mitzuessen; sie hofften immer noch, ich würde nachgeben und vielleicht erlauben, daß ein besonderes Stück für sie geschlachtet würde. Später siegte der Hunger, und im Verlauf der Expedition sprach kein Mensch mehr davon. Jedem Neuling wurde gesagt: „Der Herr will es nicht.“ Viel schwieriger ist es bei privaten Expeditionen gegen solche Vorurteile anzukämpfen, und ich werde darauf zurückkommen, wenn ich von meiner Jagdreise in die Massaisteppe erzähle. -- * * * * * [Sidenote: Geier und Marabu.] Wenn man von Flußpferdjagden spricht, sind Aasvögel und Krokodile nicht leicht davon zu trennen; sie finden sich schnell ein, und die Stelle, an der ein erlegtes Nilpferd liegt, wird sehr bald zum Schauplatz eines bunten Treibens. Auf die Sandbank gezogen, nicht weit vom acht Meter hohen Schilfrohr lag der Körper eines toten Flußpferdes. Ein langer Schnitt in die Haut hatte den Aasvögeln die Möglichkeit gegeben, mit der Mahlzeit gleich zu beginnen; (sonst müssen sie warten, bis der Körper gänzlich in Fäulnis übergeht, da sie nicht imstande sind, die Haut zu durchschlagen). Wohl hundert Geier saßen herum; einige auf, andere in dem Kadaver. Ein Dutzend Marabu spazierten zwischen den Gruppen der Vögel hindurch. Heiseres Gekrächze kam von dem Schauplatze. Ich lag im Schilf und beobachtete. Ein Geier arbeitete in der vom Wasser durchspülten, faulen Masse. Kopf und Hals verschwanden darin. Ein anderer hatte ein Stück losgerissen, wollte sich dann auf die Seite stehlen, wurde aber von drei Neidern verfolgt. Zwei andere rissen sich mit langen Hälsen um einen Bissen. Der Marabu tat, als wenn er überall Aufsicht ausüben mußte. Gern nimmt er den Geiern Stücke ab. Sein langer, spitzer Schnabel ist mit Recht gefürchtet. Dieser Schnabel eignet sich weit weniger als der gekrümmte des Geiers zum Losreißen von Stücken Fleisch. Selten sieht man daher den Marabu selber am Aas arbeiten; er nutzt die Geier dazu aus. Große Stücke schlingt er auf einmal hinunter; die baumeln dann in dem tief hinabhängenden Kropfbeutel. „Schäbig ist der Marabu“ sagt Busch. Schäbig ist nur das Gefieder seiner Kopf- und Halspartie; reich sein übriges Federkleid. Man meint, er sei ein dürftiger Geselle in einem feinen, stahlblauen Gehrock. Ein knallroter Fleck auf der Haut sitzt hinten im Nacken, wie um zu zeigen, daß ein Vogel auch ohne Federn bunt sein kann. Das Männchen hat weiße Ränder an den Deckfedern der Flügel. Sein Gefieder ist mehr graublau, während das des Weibchens fast schwarz und einfarbig ist. Der frische Wind wehte mir den Aasgeruch in die Nase. (Niemand sage: Pfui, wie unappetitlich! Am ersten Tage, auch am zweiten, ja. Später aber riecht es genau, wie Camembert; es ist Geschmacksache. Die Schwarzen essen z. B. etwas angefaultes Fleisch sehr gerne; auch den Marabu selbst essen sie. Vielleicht ist ihnen diese Fäulnis das, was uns der Alkohol und der Käse). Hoch in den Lüften kreisen zwei weitere Marabu. Hell leuchtet das weiße Gefieder der Brust, das sich bis unter die Flügel fortsetzt. Wie ein Fähnchen flattert der leere Beutel am Halse. Nun heißt’s den besten aussuchen; mit dem Doppelglas natürlich. Es ist nicht leicht; denn der größte Vogel hat oft die kleinsten Federn, oder die Federn sind groß, aber der zarte Flaum ist schon abgenutzt. Außerdem trägt der Marabu die sehr beliebten Federn nicht auf dem Kopfe, wie manche Damen vielleicht denken. Wer da nicht genau hinsieht und aussucht, wird oft unzufrieden sein über seine Beute. -- Da ist einer! Jetzt mit der Büchse im Anschlag warten, bis er mir die Seite zeigt, denn das beste ist, stets einen Flügelknochen mit zu zertrümmern, dann kann der Vogel nicht mehr fortfliegen. Schuß; er liegt. Die andern fliegen auf, setzen sich aber gleich wieder, kommen heran, sperren die Schnäbel auf, was stets Erstaunen, Schrecken, Angst bedeutet und sehen erst mit dem rechten und dann mit dem linken Auge zu mir herüber; ein umständliches Verfahren, zu dem fast alle Vögel gezwungen sind, wenn sie die Absicht haben, stereoskopisch zu sehen. (Die gelehrten Eulen machen eine Ausnahme.) Es ist kein Vogel mehr darunter, der mir gefällt; ich trete aus meinem Versteck, da hebt sich die ganze Schar der Riesenvögel und kreist, wie vom Wirbelwind getrieben, über mir in der Luft. Zwanzig gute Federn hatte der erlegte Marabu. Ich nahm die Federn an mich; der Balg mit seinem schneeweißen Flaum und die großen Flügel wurden von den Askari mit Sorgfalt für die Ngoma[13] in Daressalam präpariert. Das Fleisch bekamen die Eingeborenen. * * * * * Während oben die Vögel an dem Kadaver eines Flußpferdes fressen, tun es im Wasser gleichzeitig die Krokodile. Diese geben sich alle Mühe, die Beute für sich allein zu reservieren und ins tiefe Wasser zu ziehen. Gelingt es ihnen, dann folgen sie dem treibenden Körper. Einem zwölf Fuß langen Krokodil habe ich einmal vom hohen Ufer aus den Garaus gemacht, als es einem toten, treibenden Kiboko folgend, unmittelbar an mir vorbeischwamm, um den aufgedunsenen Kadaver herum sah ich wohl ein Dutzend der langen, grünen Köpfe. Auf den Schuß zeichnete das große Krokodil; die übrigen entfernten sich schnell und näherten sich dem gegenüberliegenden Ufer. Sie verloren entweder die Spur des treibenden Körpers oder waren satt. [Sidenote: Schlafende Krokodile.] In der Nähe des Kadavers ruhen die Krokodile auf Sandbänken prall vollgefressen; oft mit weit geöffnetem Rachen. Da ist es denn ein besonderer Spaß, solch einen Schläfer in guter Deckung auf wenige Schritte anzupürschen. Das gelingt stets, wenn er dicht an einer hohen Böschung liegt. Aber auch auf freiem Sande geht es, wenn kein anderes Krokodil in der Nähe ist und man den Schläfer genau von hinten anschleicht. Wenigstens bin ich auf fünfzehn Schritt hinangekommen -- im ersten Falle sagen wir auf drei Schritt, d. h. eigentlich bis ich unmittelbar über ihm stand. -- Der Schreck der Bestie, wenn man ihr dann einen Knüppel aufs Rückgrat wirft! Wie elektrisiert schnellt sie empor und plauzt ins Wasser. Einmal wollte ich Flußpferde vom Boot aus photographieren. Der Strom hatte nur wenig Wasser. Große Sandbänke lagen trocken, und an vielen Stellen waren tote Buchten oder sogar kleine, abgeschlossene Teiche entstanden. Von einem hohen Felsen aus konnte ich an dieser Stelle die Krokodile zählen; Flußpferde steckten ihre Köpfe tief unter mir aus dem Wasser; Nilgänse, Riesenreiher und Marabu standen am Ufer. Ich ließ zwei Kanoes zusammenbinden und fuhr auf die Flußpferdherden los, um Aufnahmen zu machen. Unteroffizier Lauer saß im linken, ich im rechten Boot. Die erste Herde tauchte unter, bevor ich eine Aufnahme gemacht hatte. Eine andere Herde ruhte am Ufer, dicht hinter einem Felsen. Unser doppeltes Boot trieb langsam an den Büschen entlang und an glatten Steinen vorbei, die allmählich aus dem Wasser emporstiegen. In schneller Fahrt wurde es um einen Felsvorsprung herumgerissen und schoß dann in das seichtere Wasser einer kleinen Bucht hinein, in der kein Strom war. Ein starker Bulle stand ganz auf dem Trockenen, die übrigen fünf Tiere halb im Wasser. Eins hatte seinen Kopf ausruhend auf den Rücken eines anderen Flußpferdes gelegt und hielt uns die breite, borstige Schnauze gerade entgegen. Diesmal glückte es. Ich stand auf einem Feldstuhl, Lauer hielt mich an den Fußgelenken fest. -- Die schwarzen Steuerer durchquerten die Breite der Bucht, und bevor das Boot auf dem anderen Ufer mit sanftem Stoß aufgehalten wurde, hatte ich eine Aufnahme gemacht. Die Herde suchte das tiefere Wasser auf und mußte dicht am Boote vorbei. -- Starke Wellen gingen von den plumpen Tierkörpern aus, schlugen gegen die Bordwand und liefen schäumend über den Sand. Wir waren sehr froh über das wohlgeglückte Manöver; frohlockten aber zu früh! [Sidenote: Vom Flußpferd in die Luft geworfen.] Das Boot trieb wieder auf dem freien Strom und nahm Kurs auf ein einzelnes Flußpferd, das den Kopf von Zeit zu Zeit aus dem Wasser hob; ich wollte schießen. Auf hundert Meter tauchte der Kopf unter. Da ließ ich bremsen, um in der Zeit, die der Dickhäuter unter Wasser zubringt, nicht darüberhinwegzufahren. -- Plötzlich gab es einen starken Stoß -- -- -- ich fand mich im Wasser und tauchte auf: Das Boot, in dem ich gesessen hatte, war zerbrochen, das andere lag auf der Seite. Hinter mir rauschte es, ein großes Nilpferd durchquerte eine flache Stelle im Strom. Mein erster Gedanke war an Gewehr und Kamera; doch bevor ich den Kopf wieder in die gelbe Flut steckte, sah ich nach den Ufern, um mir die Peilung einzuprägen. Wir trieben. -- -- Also erstmal zum Ufer mit allem, was noch oben schwamm! Das Boot wurde auf den Sand gezogen. -- Ein Neger hatte die Ledertasche mit der Kamera und den Kassetten ergriffen; das Wasser strömte heraus! [Illustration: An den Kadavern der Flußpferde schoß ich zwei Marabu mit einer Kugel.] Mein Gewehr fehlte noch. Lauer und ich waren die ersten, die wieder ins Wasser sprangen; keiner von uns dachte an die Krokodile. Die Ruderer tauchten um uns herum; nach wenigen Minuten war auch das Gewehr gefunden. Vermißt wurden nur noch entbehrliche Dinge. Leider mußte ich die Kassetten schnell öffnen und die Platten herausnehmen, denn es war Wasser hineingedrungen; der schwarze Belag blätterte von den Rückwänden ab, dennoch sind alle späteren Aufnahmen gut gelungen. Wir sprachen über den kleinen Unfall, der einen so harmlosen Ausgang hatte. Mein Begleiter sagte, er wisse ganz genau, wie er durch die Luft geflogen sei, ich sei in kürzerem Bogen ins Wasser gerutscht. Es war merkwürdig, daß ich mich auf diesen Augenblick gar nicht besinnen konnte; vielleicht hatte der starke Stoß mir für Bruchteile von Sekunden die Besinnung geraubt. So erklärt sich auch nur, daß ich mein Gewehr losließ. Ich glaube nicht, daß das Flußpferd uns hat annehmen wollen, sondern es hat in so flachem Wasser gestanden, daß das Boot es berühren mußte. Da ist das Tier erschreckt losgesprungen, hat, vielleicht lediglich durch eine kurze Bewegung seines starken Kopfes, das Boot in die Luft geworfen und dann über die nächste Sandbank hin das Weite gesucht. Es ist schwer, das Verhalten eines Tieres richtig zu beurteilen. Ich bin der Ansicht, daß die Tiere im allgemeinen froh sind, wenn man sie in Ruhe läßt, und daß sie nur, wenn man sie plötzlich stört und belästigt, im ersten Unwillen sich ihrer Kraft bewußt werden und auf den Störenfried drauflosrennen. Die Tatsache war aber nicht zu leugnen, daß uns ein Flußpferd in die Luft geworfen hatte, und wir waren froh, den Schreck so billig bezahlt zu haben. Völlig durchnäßt setzten wir die Verfolgung der Flußpferde in dem noch schwimmenden Boote fort. Ich wollte einen starken Bullen schießen und mich dadurch für den Verlust der schönen Aufnahme schadlos halten. Als ein starker Kopf die Augen und die Ohren aus dem Wasser steckte, schoß ich. Der Schuß ging dicht vor den Augen durch den Schädel. Einige Sekunden blieb das Flußpferd unter Wasser, dann sprang es hoch heraus und schweißte stark. Mit geöffnetem Maul erschien es immer wieder an der Oberfläche; es schien unfähig zu sein, in tiefem Wasser aufzutauchen und suchte deshalb die Nähe einer Sandbank, wo es halb aus dem Wasser herausstand und sich um nichts zu kümmern schien. Wahrscheinlich war es vor Schmerz apathisch. Ich ließ gerade auf das Tier zusteuern. Als wir ihm auf Bootslänge nahe waren, erkannte es die Gefahr, wandte sich plötzlich um und fuhr ungestüm auf unser kleines Boot los; ein schneller Schuß ins Gehirn tötete das Flußpferd jedoch auf der Stelle, kurz bevor es das Boot erreichte. Zweifellos hätte das schwer gereizte Tier uns gefährlich werden können. Den abgeschnittenen Kopf trugen acht Neger mit Mühe an einem langen Baum; er mag wohl nahezu vier Zentner gewogen haben. An diesem Tage konnte ich noch ein merkwürdiges Erlebnis aufzeichnen: als wir unter einer etwa zwei Meter hohen, steilen Uferböschung ziemlich geräuschlos entlang fuhren, sprang ein großes Krokodil dicht über das Boot weg ins Wasser. * * * * * Ein andermal schoß ich zusammen mit Herrn Bezirksamtmann Graß eine Flußpferdherde ab, in der einige angriffslustige Bullen waren. Die Bootsunfälle, durch Angriffe der Flußpferde hervorgerufen, waren an dieser Stelle so häufig, daß die Neger sich mit ihren Booten nicht an der Herde vorbeizufahren trauten, wenn nicht ein Askari mitfuhr, (der durch sein Knallen wahrscheinlich nur dazu beitrug, die Tiere noch mehr zu reizen). Der Strom war hier so tief, daß die Tiere entkommen konnten, indem sie weite Strecken unter Wasser zurücklegten. Wir mußten deshalb auf dem Ufer nebenherlaufen, um in einem neuen Versteck schon in Anschlag zu liegen, sobald die Tiere an einer entfernten Stelle wieder auftauchten. [Sidenote: Jagd vom Boot aus.] Oft habe ich Flußpferde mit dem Boot verfolgt und so geschossen. Bei dieser Jagdart müssen die Ruderer genau auf jeden Wink des Schützen achten, weil die Kunst darin liegt, an der richtigen Stelle zu sein, wenn der Kopf des Tieres auftaucht. Dann erscheint die breite, borstige Schnauze manchmal dicht vor dem Boot und wird im Schreck über die so unerwartet nahe Gefahr unter kurzem Prusten wieder unter Wasser gesteckt. Die Begegnungen, die ich bei monatelangem Aufenthalt an Flüssen, Seen und Sümpfen mit Flußpferden und Krokodilen hatte, sind zahlreich und gaben mir viele Beobachtungen. In manchen Gegenden ertönte der tiefe, urkräftige Baß der alten Flußpferdbullen Tag und Nacht. Keine andere Tierstimme hat so ungeheure Macht und Stärke. Aus Seen mit dichtem, üppigen Schilf und schwimmenden Pflanzen dröhnt zur Mittagszeit das Grunzen, von dem man nicht weiß, ob es Groll oder Wohlbehagen ausdrücken soll. Heiß brennt die Sonne auf dem Wasser. Oft habe ich schweigend zugehört, wenn ich am Ufer in einem der tief ausgetretenen Pässe saß, auf denen das Kiboko nachts dem Wasser entsteigt. [Illustration: Schädel eines von mir erlegten Nilpferds. _Dr._ R. Kandt sagt sehr treffend: „Das Gebiß sieht aus, als wäre dem Tier bei der Schöpfung eine handvoll Zähne in jeder Form und Größe in den Rachen geworfen worden, von denen jeder gerade Wurzel faßte, wo und wie er zufällig hinfiel“.] Das Tierleben an solchem stillen Weiher zu beobachten, hat großen Reiz. Der helle, melodische Schrei des weißköpfigen Adlers ertönt aus der Luft. Blütenweiße Edelreiher, Schlangenhalsvögel und graue Fischreiher sitzen auf kahlen Ästen der Uferbäume, die ebenso wie das hohe Rohr mit den zierlich geflochtenen Nestern der gelben Webervögel übersät sind. Da streicht ein Riesenreiher mit kupferrotem, im Bogen zurückgelegten Hals über den See hin und fällt in meiner Nähe ein. Der „Korongo“[14] steht vielleicht eine Stunde lang bewegungslos, bis er plötzlich mit seinem Kopf nach unten fährt und mit einem zweipfündigen Fisch im Schnabel langsam in ganz flaches Wasser schreitet, wo er den noch Zappelnden bedächtig niederlegt. Mit schwirrendem Flug kommt einer der bunten Königsfischer angeflogen und setzt sich auf einen Zweig, dicht vor meiner Nase, so daß ich das farbenprächtige Kleid bewundern kann. Der kleine Räuber ähnelt mit dem großen, starken Schnabel dem Bolzen einer Armbrust. Besonders stark sind die Flußpferde gegen Abend zu vernehmen; wenn eins seine Stimme erhebt, ertönt fast ununterbrochen Antwort aus entfernteren Herden. Es wird noch lange dauern, bis das letzte Kiboko aus den Flüssen Ostafrikas verschwindet; aber die an paradiesische Zeiten erinnernden großen Herden Tag für Tag um sich zu sehen, das mag nicht mehr vielen Jägern beschieden sein. Ob man die Krokodile auch einmal schonen wird und, wie es jetzt in Nordamerika geschehen soll, durch strenge Strafgesetze vor Ausrottung schützen, das glaube ich nicht. Wenigstens scheint es mir zweifelhaft, weil ich noch gelernt habe, diese Tiere als gefährliche Feinde des Menschen zu fürchten. [12] „_Dawa_“, irgend ein Amulett, ein Stück Horn oder Metall, ein Knopf oder Stein, etwas Sand oder Mehl in Blätter, Papier, Tuch eingewickelt, gebunden oder genäht und an einer Schnur am Körper befestigt. Um sich solche „_dawa_“ zu beschaffen, laufen die Leute oft sehr weit zu einem Zauberer, von dem sie gehört haben und zahlen diesem einige Kupfermünzen dafür. Im Aufstand fanden wir bei allen Gefangenen kleine Fläschchen mit Wasser. Meist waren es blaue Gläser, wie sie die Inder zu Schnupftabak verkaufen; das Wasser weihte der Zauberer Hongo, der an den Panganischnellen des Rufiyi wohnte (an einer Stelle, die gleich weit von allen umliegenden Bezirksämtern und Militärstationen entfernt war). Nach seiner Gefangennahme entstand sofort ein neuer Jumbe Hongo, dessen Zauberapotheke uns bei dem Überfall von Nyamwera in die Hände fiel. Der Kriegsruf der Aufständigen war: „_Maji, maji_ = Wasser, Wasser“ und hatte sicher mit den Fläschchen etwas zu tun, die die Krieger bei sich trugen. [13] Ngoma heißt eigentlich „Trommel“ übertragen auch Tanzfest, weil dabei die Trommel geschlagen wird. [14] _korongo_ = eigentlich Storch. [Illustration: Gehörn einer Elenantilope vom Rufiyi.] Jagden im Busch. Im Süden der Warufiyi wohnen die Wapogoro; in kleinen Dörfern und einzelnen Hütten im Busch. Da sie nicht weiter behelligt wurden, kamen sie nicht zur Unterwerfung, bildeten aber eine stete Gefahr für mich; denn mit ihrer Hilfe konnten die Aufständigen leicht Einfälle in die von mir geschützten Gegenden machen. Ich wollte auch die Wapogoro zur Unterwerfung treiben und so einen Stamm nach dem andern dem friedlichen Gebiete anschließen; deshalb zog ich mit dem Unteroffizier und zwanzig Askari in das ziemlich schwach bewohnte Land, in dem auch die Wasserstellen nach Süden immer seltener wurden. Die Eingeborenen zeigten sich feindlich gesinnt, flohen jedoch meist ohne Gegenwehr; ihre Dörfer wurden niedergebrannt und das Getreide weggenommen. Eines Tages lagerte ich am Ende eines langgestreckten Sees und schickte einen Gefangenen zu den Aufständigen, mit der Aufforderung sich zu unterwerfen. Die Ufer des Sees säumte hoher Wald, der in lichten Buschwald überging; an einer Seite war das Ufer unbewaldet, und eine Talmulde mit weiten Grasflächen schloß sich an. Stark ausgetretene Wildwechsel mündeten am Wasser. Vom Lager aus konnten wir im See die Flußpferde beobachten und die Uferpartien überblicken, an denen das Wild zur Tränke kam. Da es bei meinem Hauptlager in Mtanza gar kein Wild gab, wollte ich hier für meine Leute einen Vorrat schießen und hatte Träger genug mitgenommen, um das Fleisch fortzuschaffen. Als ich kurz nach Mittag das Lager in Begleitung des Unteroffiziers, einiger Askari und Träger verließ, waren alle Vorbereitungen für die Nacht getroffen; ein Dornverhau umgab in weitem Bogen die Zelte und war nach dem Wasser zu offen. Die Schwarzen hatten sich kleine Hütten gebaut und hockten im Schatten. Einige badeten in dem flachen Wasser am Ufer des Sees; andere brachten Brennholz. Ein Flußpferd, das sich von der Herde getrennt hatte, war nahe herangekommen und beobachtete neugierig und ängstlich die Vorgänge im Lager. Von Zeit zu Zeit tauchte es unter, und erschien bald danach laut prustend wieder mit dem Kopf über der Wasserfläche. Die Neger freuten sich darüber ebenso wie ich; man konnte sich dem Eindruck nicht entziehen, daß das einzelne Tier für die Sicherheit der ruhig im Hintergrund schlummernden Herde solch Interesse an uns nahm. [Sidenote: Birsch auf Riedböcke.] An dem Rande eines Akazienwaldes pürschte ich entlang und brachte in etwa zwei Fuß hohem, trockenem Grase bald einen Riedbock hoch, der nach mehreren Fluchten verhoffte. Mit einem Hochblattschuß streckte ich ihn im Feuer. Das blanke, starke Gehörn erfreute mich ebenso wie der einwandfreie Schuß; es entsteht stets ein Gefühl von Sicherheit und Befriedigung, wenn der Anfang der Jagd von Erfolg begleitet ist. Ich ging nun quer über die Lichtungen; da wurden mehr Riedböcke flüchtig, die alle trotz der heißen Nachmittagssonne und der Nähe des schattigen Waldes im hellen Sonnenlicht ruhten. [Illustration: Gehörn eines Swallahbocks (Schwarzfersenantilope.)] Hier wurde ich auf einen Umstand aufmerksam, der mir schon öfter aufgefallen war. In der Ferne sah ich einen Gegenstand von rotbrauner Farbe, einem Stück Hochwild täuschend ähnlich, erkannte aber durch das Doppelglas, daß es ein Termitenhügel von matt dunkelbrauner Farbe war. Vor dem Hügel schwankten einige gelbe Gräser, die mit bloßem Auge nicht zu erkennen waren. Sie gaben ihm die rötliche Färbung. Mehrmals sah ich abwechselnd mit bloßem Auge und mit dem Glase hin; der Unterschied war auffallend. Dem unbewaffneten, also auch dem schwächeren Auge vermengen sich wie die Gegenstände, auch ihre Farben und bilden eine neue Gesamtfarbe. Augen verschiedener Sehschärfe werden also oft im Freien die Farben verschieden sehen. Das macht sich am häufigsten bemerkbar, wo Sträucher und Gräser die Gegenstände mannigfach bedecken. Ein Jäger mit scharfen Augen kann also an vielem vorübergehen, was ein anderer nur zu leicht für Wild hält, weil er Umrisse und Farbe anders wahrnimmt, als sie dem Kurzsichtigen erscheinen. Die Landschaft nahm jetzt einen mehr parkartigen Charakter an; Gruppen von Bäumen und Busch wechselten ab mit offenen Grasflächen, über die einzelne Schirmakazien ihre weitausgelegten Äste breiteten. Auf einer Lichtung stand ein Gnubulle, sah uns einen Augenblick verdutzt an und flüchtete in langsamem Galopp. [Sidenote: Schwarzfersenantilopen.] Ein Rudel -- etwa vierzig -- Schwarzfersenantilopen tanzte plötzlich zwischen den Bäumen. Das sah wunderbar aus. Zum ersten Male sah ich die „Swallah“, wie sie von Jägern und Eingeborenen genannt werden. Wie Gummibälle federten die Tiere wohl um das Dreifache ihrer eigenen Größe hoch in die Luft. Ich war entzückt über den Anblick und freute mich über das Bild, das um so schöner wirkte, weil sich die Tiere zwischen den Gruppen der Büsche und Bäume, in die das helle Sonnenlicht hineinfiel, wie zwischen Theaterkulissen bewegten. Die auffallend rote Farbe der Antilopen stand in frischem Gegensatz zu dem hellen Grün der Gräser und Büsche. Die Tiere sprangen nicht einmal alle in derselben Fluchtrichtung, sondern hier und dort schnellte ein Körper hoch über die anderen empor, und es sah aus, als sprängen sie übereinander weg. [Illustration: 1. Buschbock vom Sigi; Ostafrika. 2. Giraffengazelle aus der Massaisteppe. 3. Riedbock vom Pungwe; Südafrika. 4. Kudu vom Kilimandscharo.] Es gelang mir der Herde den Weg abzuschneiden und einem starken Bock, der als letzter folgte, die Kugel zu geben. Er zeichnete auf den Schuß und flüchtete mit dem Rudel; doch folgte ich den frischen Fährten und ließ Leute zu beiden Seiten gehen. Nach beinahe einstündigem, angestrengtem Suchen wurde der Bock nicht weit vom Anschuß verendet gefunden. Mit etwas tiefem Lungenschuß hatte er sich nach zweihundert Schritten von dem Rudel getrennt und sich nach weiteren zweihundert Schritten niedergetan. Da nur wenig Schweiß in der Fährte lag, war es nicht möglich gewesen, dem angeschossenen Tiere in dem von vielen Hufen aufgewühlten Boden zu folgen. Ich bewunderte die Farbe und den Glanz der Decke. Der Rücken ist dunkelrot, an den Seiten wird die Färbung matter bräunlich und geht unten und an der Innenseite der Läufe in reines Weiß über. Kräftige Sprunggelenke und Sehnen an den Läufen befähigen das Tier, solche Sprünge auszuführen, wie ich sie vorher sah. Die Decke liegt locker und beweglich auf der fein ausgeprägten Muskulatur. An den Hinterläufen befinden sich stark entwickelte, schwarze Haarbüschel; das Gehörn ist glänzend schwarz poliert. Da es mittlerweile spät geworden war, schlug ich die Richtung zum Lager ein und traf auf einer Lichtung ein starkes Rudel Wasserböcke, die mich nicht bemerkt hatten. Mehrere saßen im Grase, während zwei Böcke sich gegenseitig verfolgten und dabei den Kopf wie zum Angriff senkten. Junge Swallahböcke ästen zwischen den ersten Büschen am Rande der Lichtung. Als mich die Tiere bemerkten, standen die Wasserböcke und äugten nach mir, so daß ich die schön gezeichneten Köpfe aus der Nähe sehen konnte. Noch ein Rudel Schwarzfersenantilopen wurde flüchtig. Ich schoß zwei Böcke krank, aber es dunkelte; ich mußte die Nachsuche für heute aufgeben, band mein Taschentuch an einen Baum, verbrach den Anschuß und bezeichnete die Stellen, an denen ich das Wild aus dem Auge verloren hatte. Als ich aus dem Walde kam, näherte sich von der andern Seite ein einzelner Neger den Lagerfeuern und wurde von den Posten angerufen. Es war ein häßlicher Mpogoro, er reichte mir einen Giftpfeil als Zeichen der Unterwerfung und kündigte das Erscheinen seiner Brüder für den nächsten Mittag an. „Weshalb kommt ihr nicht heute?“ „Sollen wir Frauen und Kinder allein lassen? Wir müssen erst Hütten im Pori bauen“ war die Antwort. Am Abend fiel leichter Regen; schnell machten sich alle Neger im Lager dabei, ihre Hütten, die sie am Mittag gegen die Sonnenstrahlen erbaut hatten, dicht mit Gras zu bepacken, so daß sie auch Schutz gegen den Regen boten. Der Unteroffizier hatte einen Wasserbock geschossen, ich einen Riedbock und eine Swallah. Als wir die Strecke besichtigten, glaubten wir auf Tage hinaus verproviantiert zu sein; aber schnell verschwand das Fleisch, obwohl kein Mangel an Nahrungsmitteln war; (denn jeder hatte bei der Plünderung der Dörfer reichlich Getreide für sich auf die Seite geschafft). Der sonst oft anspruchslose Neger kann, wenn Überfluß vorhanden ist, unglaubliche Mengen vertilgen! Den Dank für die Gewährung so reichlicher Nahrung gaben uns die Leute nach dem Mahle durch lautes, behagliches Aufstoßen zu erkennen. Das klang so viehisch, daß ich mir unwillkürlich ausmalte, welchen Eindruck es wohl machen würde, wenn Menschen das hörten, die keinen Begriff von dem Gebahren der Neger haben. Gewiß würden viele es als eine Unverschämtheit auffassen, wenn der Neger, während er mit ihnen spricht, plötzlich laut aufstößt! Wie mancher wird da mit einer handgreiflichen Antwort bereit sein! -- Und der Neger würde vielleicht denken, der Europäer hält und versteht nichts von gutem Ton. [Sidenote: Die Post.] Der Abend brachte uns angenehme Erinnerungen an die Heimat. Ein Bote aus Mohorro war angekommen und hatte, sorgfältig in schwarzes Wachstuch verpackt, ein Paket gebracht, von dem Bezirksamtmann, Herrn Graß. Ein ausführlicher Brief von ihm lag dabei, der mich über die Verhältnisse in Mohorro unterrichtete. Als Antwort auf eine Bestellung von Lebensmitteln hieß es: „Auch hier ist alles knapp. Der Dampfer ist noch nicht dagewesen und wir erwarten täglich Lasten von Daressalam.“ Aber Kaffee und mehrere Flaschen Rotwein schickte er mit, und vor allen Dingen die Post. Ein Brief von den Eltern! Doch heute gab es noch mehr. Alte Bekannte benutzten die Gelegenheit, mir zu meinen „Siegen“ Glück zu wünschen; Zeitungsausschnitte und Abbildungen zeigten, daß man meinem Aufenthalt hier ein ganz ungewöhnliches Interesse entgegenbrachte. Stammtischkarten (eine Korona mit Biergläsern und § 11!) muteten mich in dieser Umgebung ganz eigentümlich an; ebenso auch die Kartengrüße sammelnder Mädchen und Knaben, die glaubten, ich könnte ihnen „per Feldpost“ Karten mit Ansichten meines „Kriegslagers“ senden. Wie sonderbar war doch, was von dem Leben der Heimat zu uns in die Wildnis drang! Eine Zeitung mit Neuigkeiten, die längst wertlos sind, Zeitschriften, die in Wort und Bild spiegeln, wie die Ereignisse in Afrika auf die Anschauung in der Heimat wirken und was dort bedeutend erscheint; ein Katalog mit Bildern warmer Kleidungsstücke, deren Anblick allein schon in der schwülen Abendluft eine Beklemmung auf der Brust hervorruft; die „Jugend“, und eine vergessene Rechnung. [Illustration: Hartebeest, männlich (_bubalis lichtensteini_).] Der Koch brachte den langentbehrten Kaffee; der hielt uns wach, und ich erzählte von den beiden Swallahböcken, die ich nicht gefunden hatte, von Nachsuche, von deutscher Jägerei und früheren Jagden, die ich in der Heimat erlebte. Mein Begleiter, der daheim nie etwas von den Dingen gehört hatte, gewann immer mehr Interesse und freute sich darauf, an der Nachsuche am nächsten Morgen teilzunehmen. Die Ankunft der Pogoro war erst für Mittag in Aussicht gestellt. Wir konnten also den ganzen Vormittag jagen und nötigenfalls am Nachmittage weitermarschieren. [Illustration: Hartebeest mit abgebrochenem Horn. (Erlegt bei den Panganischnellen des Rufiyi). Die Bruchstelle bedeckt eine Hornplatte.] [Sidenote: Erfolgreiche Nachsuche.] In der Nacht regnete es stark, so daß ich mir von der Schweißsuche am Morgen nicht viel versprechen konnte. Ich nahm deshalb den größten Teil meiner Träger mit und begann den Busch an der Stelle, an der ich die Böcke geschossen hatte, abzusuchen. In langer Reihe, mit Abständen von zwanzig Schritt, ließ ich die Neger durch den Busch gehen und fand bald den einen, aber erst nach Verlauf einer vollen Stunde den zweiten Bock, gerade, als ich daran dachte, mit einem lauten „Halt“ die Suche einzustellen. Das freute mich um so mehr, als die Neger die Arbeit für ziemlich zwecklos zu halten schienen und ich ihnen beweisen konnte, daß ich getroffen hatte und nicht auf einen Fehlschuß hin die langwierige Nachsuche unternahm. „Schieß doch ein anderes Stück,“ hatte der Ombascha schüchtern gesagt „hier sind ja so viele.“ Merkwürdigerweise waren beide Böcke während der Nacht von Raubtieren nicht berührt worden, und auch die Aasvögel, die sonst oft dem Jäger den Weg zu einem erlegten Stück Wild zeigen, fehlten ganz. [Illustration: Hartebeest, weiblich.] Da wir die Reittiere mitgenommen hatten, entschlossen wir uns zu einer weiteren Pürsche durch den Busch und die Uferpartien des Sees. Aber die Feldflaschen waren vergessen; wir mußten zum Lager schicken und warten. [Sidenote: Zebras und Hartebeeste.] Während die Neger im Schatten ruhten, kletterte ich auf einen Baum und sah in dem hohen Gras zahlreiche Zebras, Hartebeeste, Riedböcke und Wasserböcke. Durch das Gras gedeckt kam ich an ein Rudel Zebras nahe hinan. Die feine Zeichnung dieser schönen Steppenpferde fiel mir heute besonders auf; die Linien und Streifen über die Decke hin, über Kopf, Hals und Mähne gaben ihnen ein samtartiges, geschmücktes Aussehen. Die Zebras waren voll und rund, ganz im Gegensatz zu unseren Reittieren mit ihren eckigen Formen. Lange genoß ich den schönen Anblick. Auf meinem Maultier ließen sie mich sehr nahe kommen und flüchteten dann im Galopp. War das ein Anblick für den Naturfreund und Jäger! Wie die Mähnen federten, die Schwänze flatterten! Dicht drängte sich das Rudel in der Flucht zusammen, und Staub schwebte hinter ihm. Unteroffizier Lauer schoß sein erstes Hartebeest. Der Boy kam mit den Feldflaschen voll kaltem Tee. Ein Imbiß wurde genommen: kalter gekochter Reis und eine Dose Sardinen. Die Natur der uns umgebenden Wälder ist in den Karten treffend mit den Ausdrücken: „lichter Buschwald“, „Parklandschaft“ bezeichnet. Man geht zwischen niederen Büschen im Schatten größerer Bäume. Eindrucksvoll ist der sogenannte Galeriewald, der die Ufer des Sees und die jetzt trockenen Flußbetten säumt. Nach dem Wasser hin bildet er, wie Regenwald, Wände grüner Pflanzenmassen, auch in der Trockenzeit. Im Unterholz finden sich, die Laubbäume umschlingend und verbindend, Lianen mancherlei Art, dazwischen große und kleine Dumpalmen; stellenweise stehen ganze Haine der etwa fünfzehn Meter hohen Palmen beisammen und alte, von Tieren abgenagte Kerne liegen haufenweise auf dem Boden. Dieselben Kerne fand ich häufig auch an Stellen, wo keine Palmen standen, als Reste von Elefantenlosung; denn die Elefanten lieben die Früchte, und auch die Menschen nagen gern die dünne Fleischschicht ab, die den großen Kern umgibt und im Geschmack an Äpfel erinnert. In einer Talsenkung war eine kleine Waldwiese mit einem Teiche. Ich hatte gehofft, hier irgend etwas Besonderes zu finden; doch nur zwei junge Swallahböcke mit handlangem Gehörn spiegelten ihre schlanken Leiber in dem glatten Wasser. Sonst war der Wald wie ausgestorben; wo keine Vögel, keine Affen sind, da kann man auch kein Raubzeug erwarten. Um so lebendiger war es am See. Dutzende von Krokodilen lagen am Ufer, Flußpferde fauchten und trieben sich im Wasser; die Vogelwelt fehlte aber auch hier gänzlich. Im Lager erwarteten mich Boten mit Greuelnachrichten aus fernen Gegenden, und schleuniger Rückmarsch zum Strom schien geboten. Die angekündigten Wapogoro waren noch nicht zu sehen. Sollte ich ihretwegen bleiben? -- Sie konnten ja auch nachkommen! Das Essen war fertig, die Lasten geschnürt, ich wartete bis gegen drei Uhr, dann brach ich auf. Nach kurzem Marsche öffnete der Himmel plötzlich seine Schleusen und ein Regen, wie ich ihn noch nicht gesehen hatte, strömte auf uns und auf den von der Trockenheit zerklüfteten Boden herab; in unglaublich kurzer Zeit stand das Wasser fußhoch. Ich hatte keine Blechkoffer und mußte um meine Sachen und Sammlungen in den Kisten besorgt sein. Aber was half es! Die Sorge war zwecklos und wich bald einer stillen Ergebung in das Schicksal. Wir selbst wurden durchnäßt bis auf die Haut; weiter ging es nicht, damit tröstete ich mich und den Unteroffizier. Ein neues Mißgeschick kam hinzu: Mein Reittier wollte nicht mehr vorwärts. Es war offenbar krank, und schien überhaupt nicht mehr leben zu wollen. Unter Bewachung einiger Askari wurde es im Busch zurückgelassen. Wir haben später nur sein Grab wiedergesehen. Als die Abendsonne noch einmal durch die Wolken brach, wie um nachzusehen, welchen Eindruck die Dusche auf uns gemacht hatte, wurden ihre spärlichen Strahlen noch genutzt, um unsere Sachen schnell zu trocken. Wir befanden uns in einer Ortschaft unterworfener Leute im Busch. Große Feuer wurden angezündet und das Mißvergnügen über die Unbequemlichkeiten der Regenzeit beim Abendbrot vergessen. [Sidenote: Riedböcke.] Ein anderes Mal war ich mit meiner Truppe auf dem Marsche von den Kitschibergen in die Ebene, als mir ein Sprung besonders starker Riedböcke zu Gesicht kam. Das Schießen von Wild auf dem Marsche hält oft unliebsam auf, da man nie weiß, ob nicht eine lange Nachsuche nötig sein wird; deshalb ist es ratsam, in den ersten Marschstunden nichts zu schießen und erst in der Nähe des Marschziels nach einem Braten auszusehen, um auch den Trägern den Weg mit dem Fleisch möglichst zu kürzen. Heute aber ließ ich die Karawane halten, lief den Riedböcken nach und versuchte, da ich nicht viel Zeit opfern wollte, einen Schuß auf etwa 250 Meter mit Visier 300, unten angefaßt. Deutlicher Kugelschlag. -- Das Rudel, flüchtig, wird von dem kranken Bock zurückgehalten -- wie man häufig beobachtet, daß ein krankes, zurückbleibendes Stück die übrigen Tiere veranlaßt, zu warten. Ich laufe schnell nach und sehe den Bock mit einem Schuß kurz Blatt nicht weit von mir flüchtig werden. Um die Jagd abzukürzen, schieße und schieße ich, habe aber nur Vollmantelgeschosse geladen, die im Gegensatz zu angefeilten und Bleispitzengeschossen nur geringe Zerstörung im Wildkörper anrichten und deshalb ruhige, gute Schüsse voraussetzen, wenn sie Erfolg haben sollen. Die Wirkung ist entsprechend gering, wenngleich von den fünf auf das flüchtige Wild abgegebenen Schüssen zwei gut und einer als Streifschuß sitzen. Jetzt tut der Bock sich nieder und bekommt einen Fangschuß durch den Hals. So mittelmäßig diese Hetzjagd war, der Anblick des Gehörns ließ kein Mißvergnügen aufkommen. Das Tier gehörte der größeren in diesem Gebiet vorkommenden Art an. Sein Gehörn war breit ausgelegt und sehr hoch, die Querwulste von feiner Plastik; die Decke war wolliger als die des gelben Riedbocks. Ich habe nur ein Stück dieser Art am Rufiyi geschossen. Am Pungwe in Südafrika erlegte ich später einen ähnlichen Bock. (Abbildung Seite 175.) Den kleineren Bergriedbock, oder grauen Riedbock, der in Südafrika und auf den Hügeln der Massaisteppe so häufig ist, habe ich am Rufiyi nicht angetroffen. Es war noch in der Trockenzeit. Ich befand mich auf dem Rückwege von einem Negerdorfe, in dem ich die wenigen Wapogoro angesiedelt hatte, die sich unter meinen Schutz begeben hatten. Mein Zelt stand an einer sandigen Böschung, die in der Regenzeit das Wasser eines breiten Stromes begrenzt. [Illustration: Gelber Riedbock vom Rufiyi.] Zwei Stunden vor Sonnenuntergang brach ich auf, um auf Riedböcke zu pirschen. Die Abendsonne schien freundlich in das Landschaftsbild; klar zeichneten sich die fernsten Zweige ab; denn ein kurzer Nachmittagsregen hatte die Luft gereinigt. Dicht bei einem kleinen, von allen Seiten zugänglichen Tümpel zogen zwei Riedböcke; äsend und öfters sichernd näherten sie sich einer Bodenfalte, in der sie für kurze Zeit verschwanden. Ich lief schnell bis auf fünfzig Schritt hinan. Die Ricke warf auf und äugte nach mir; ich stand ganz frei vor ihr. Von dem Gelb der Decke hoben sich die dunkeln Lichter, der Grind und die Luserspitzen stark ab. Wohl zwei Minuten äugte das niedliche Gesichtchen nach mir herüber, dann tat die Ricke einen quietschenden Pfiff und sprang ab. Der Bock -- ein Schneider -- hinterher. Für den Pfiff habe ich einen naheliegenden Vergleich: es ist der Ton, den Gummihunde und -puppen von sich geben, die innen hohl sind, ein metallenes Pfeifchen haben und durch schnelles Zusammendrücken musikalisch betätigt werden. Die Riedböcke hatte ich also laufen lassen! Weiter. Als nächstes Wild sah ich Hartebeeste; mochte ich heute nicht. Dann, als die Sonne schon zur Rüste ging, einen Riedbock und drei Ricken in welligem, recht freiem Grasland. Zwei der Ricken gingen voraus, der Bock und ein Schmaltier blieben auf einem Sandrücken stehen. Ich näherte mich vorsichtig bis auf vierzig Schritt und stellte mich so, daß ich gerade über die Gräser einer flachen Kuppe hinwegsehen konnte. Ich bin sehr nahe an dem Wild, der Wind ist aber gut, es wäre die schönste Gelegenheit zu einer Aufnahme, aber leider habe ich die Kamera nicht zur Hand. Darum suche ich mir den Anblick um so genauer einzuprägen und beobachte die Tiere einige Minuten lang: Der Bock erscheint dunkler als die Ricke, sein Hals ist stärker, die ganze Gestalt voller, die Haltung des Kopfes ist steiler, das dunkle Gehörn wirkt aus dieser Nähe als schöner Schmuck. -- Die beiden Tiere äsen friedlich. Endlich entschließe ich mich zum Schuß. Der Bock, auf den Stich getroffen, sinkt lautlos zusammen, Hals und Kopf bleiben aufgerichtet. Nach einigen schwachen Versuchen, sich zu erheben, bleibt er still sitzen, kein Mensch könnte diesem Tiere ansehen, daß es tödlich getroffen ist. Das erstaunlichste aber ist: Selbst die Ricke merkt es nicht, obwohl sie nahe bei dem Bock steht; hat auch den Schuß nicht beachtet. Sie sieht wohl einmal nach dem Gefährten hin, äst dann aber ruhig weiter. Ich gebe dem Bock noch einen Schuß aufs Blatt; er verendet. Dasselbe rätselhafte Verhalten der Ricke! Sie äste noch einige Minuten, hatte dabei offenbar das Bestreben, vorwärts zu gehen und äugte mehrmals nach dem Toten, weil er nicht mitkam. Dann stand sie eine Zeit lang mit erhobenem Kopfe und schien die beiden anderen Ricken zu suchen. Sah sie nicht; denn die standen seit dem ersten Schuß, wie ausgestopft, auf 250 Schritt und äugten herüber. Endlich entfernte sich die kleine Ricke in lässigem Galopp, ohne mich bemerkt zu haben. [Illustration: Warzenschweine; Keiler und Bache. An der Küste sehr häufig und der Landwirtschaft schädlich; für den Jäger ungefährlich. Ungemein häßliche Tiere. Hauptnahrung der Löwen. Wo der Mensch die Löwen ausrottet, werden die Schweine oft zur Landplage.] Den Bock ließ ich bis zur Löwenfalle tragen und brach ihn dort auf. Die Falle hatte ein Askari, dem das besonderes Vergnügen machte, nahe beim Lager aufgestellt und eine kleine Umzäunung gebaut; dahinein wurde der Aufbruch des erlegten Wildes geworfen, nachdem es in weitem Bogen herumgeschleift war, um den Raubtieren Witterung zu geben. Die Sonne war kaum untergegangen, die regenfeuchte Erde verbreitete eine wohltuende Kühle, da kam ein tiefes dumpfes Brüllen aus einem der nächstliegenden Büsche. Der Löwe mußte schon vorher in unserer Nähe gewesen sein und zog jetzt der Witterung nach. Ein zweiter ließ sich nicht weit davon hören. -- Nach einer halben Stunde erklang es aus der Ferne noch einmal. Ich kniete vor dem Dornenzaun meines Lagers, neben mir drei Askari mit ihren Gewehren. Einen Augenblick sahen wir den Löwen in der Nähe der Falle zwischen den Büschen, und glaubten er würde hineingehen. Er tat es leider nicht, wie ich am andern Morgen sah; eine Hyäne war, vielleicht schon bevor die Löwen an dem Platz vorbeikamen, in das Eisen gegangen, hatte es etwa sechzig Schritt weit geschleppt, sich dann befreit, und nur einige Haare und etwas Schweiß zurückgelassen. Riedböcke sind mir stets ein begehrenswertes Wild gewesen, und ich habe selten eine Gelegenheit vorüber gehen lassen, einen guten Bock zu schießen. Fleisch gebrauchte ich für meine Karawane immer; die Jagd hat einen ähnlichen Reiz, wie die Pirsch auf Rehböcke; weil man bei diesen Tieren meist die Möglichkeit hat, den Starken zu suchen; das kleine schwarze Gehörn aber wird ebenso wie Gamsgehörn und Rehkrone in Stunden der Erinnerung Gegenstand langer ästhetischer Betrachtungen. Die Ähnlichkeit des Wildes im Aussehen und Benehmen mit dem heimatlichen Rehwild ist ganz erstaunlich; wo ich jagte besonders konnte ich unter dem Eindruck der Rehbirsch stehen; denn die Riedböcke bevorzugten breite, freie Sandflächen mit wenig Gebüsch und kurzem Gras. Von weit her konnte ich die gelb-rot gefärbten Tiere wahrnehmen. Nie habe ich mehr als sechs Riedböcke an einem Platze zusammen beobachtet, meist einen Bock und eine bis zwei Ricken allein, ähnlich, wie unsere Rehe zusammen leben. Die Riedböcke lieben die Nähe des Wassers, und man kann sicher sein, sie in Grasniederungen, die von Flüssen durchschnitten werden, zu finden. Der Riedbock ist sehr bequem; er legt keine weiten Strecken zurück und ist täglich an derselben Stelle wieder anzutreffen. Ich habe einen einzelnen Bock, den ich an der Stärke seines Gehörns kannte, mehrere Tage hintereinander an einer bestimmten Stelle angebirscht, dann nach Wochen und Monaten wieder dort gesehen. In den Morgenstunden sieht man die Riedböcke in kurzem Grase äsen, doch tun sie sich bald im höheren Grase nieder und verzichten dabei auf Schatten. Ihre Harmlosigkeit ist sehr groß; selbst wenn sie sich aus Verdacht erhoben haben, setzen sie sich sehr bald wieder. Dies Hinsetzen gleicht mehr einem trägen Sichfallenlassen; das Bedürfnis nach Ruhe scheint ungemein stark zu sein; doch wird der Riedbock, plötzlich überrascht, schnell flüchtig. Auch dann ist er mir selten entgangen, wenn ich ihn schießen wollte. Ich hatte eine bemerkenswerte Art der Jagd herausgefunden: Während das Stück in Bewegung war, lief ich ihm nach, um es im Auge zu behalten, und an einem günstigen Platz in Anschlag zu gehen; denn der Bock bleibt sehr bald stehen, stellt sich breit und äugt zurück. Machte er aber nicht Halt, dann brachte ein Schuß über seinen Kopf hin, ihn fast regelmäßig zum Stehen. Der nächste Schuß darf dann freilich nicht lange auf sich warten lassen! Selten habe ich es nötig gehabt, einem hochgebrachten Stück in dichteren Busch zu folgen. Das ist schwierig; die Aufgabe reizte mich aber, als eines Tages ein frischer Regen alle alten Fährten ausgelöscht hatte und die Folge auf einer gesunden Fährte dadurch möglich wurde. Ein starker Bock war von einer breiten Grasfläche gut in den Wind in das Dickicht geflüchtet, wo ich nur Schritt für Schritt auf der Fährte folgen konnte. Nach 300 Metern etwa sprang der Bock hinter einem Busch ab; nach weiteren 500 Metern sehr aufmerksamen Pirschens sah ich seinen Kopf hinter einer kleinen Fächerpalme etwa fünfzehn Schritt vor mir. Mit einem schnellen Schuß streckte ich das Tier. Ich hatte die Stellung ziemlich richtig angesprochen; der Schuß saß hinter der Schulter. Die Riedböcke haben zwischen den Hinterblättern vier beutelartige Vertiefungen von etwa drei Zentimeter Tiefe; Drüsen befinden sich nicht darin. Da ich mir über die Bedeutung dieser Gruben nicht klar wurde, fragte ich auch die Neger danach und bekam eine der häufigen Antworten, aus denen der Weiße schließen muß, daß die Beobachtungsgabe des Negers unzuverlässig ist. „Mit diesen Löchern“ hieß es, „erregen die Tiere beim Laufen die Pfiffe, die ein erschreckter Riedbock gelegentlich von sich gibt!“ Eines Tages pirschte ich mit dem Bezirksamtmann von Mohorro, Herrn Graß. Wir brauchten notwendig Fleisch, deshalb sollten auch schwache Böcke daran glauben. Das erste Stück bemerkte ich und schoß flink, als ich sah, daß es ein Gehörn hatte. Es fiel mit Kreuzschuß, dabei war nichts Besonderes. Aber jetzt kam es drollig: Die nächsten drei Stücke zogen in lichte Flötenakazien, und wieder bemerkte ich die Tiere vor den Schwarzen. Rechtwinklig zur bisherigen Marschrichtung pirschten wir nach, sahen durch die Gläser und suchten nach Gehörnen. So vergingen einige Minuten, da raunte uns ein Neger mit erregter Stimme zu: „Bwana! dort ist Wild, da! da!“ und zeigte in die Richtung auf unsere Riedböcke. Wir dachten mindestens an Löwen und stierten vergeblich suchend ins Gelände. „Ja, seht ihr’s denn nicht?“ sagte in überlegenem Tone der Schwarze. „Meinst du die Riedböcke?“ Wirklich, so war’s! Ich hätte ihn prügeln mögen, daß er unsere Erwartungen vergeblich anspannte! Endlich steht der Starke schußrecht vor einem Busch. Ich schieße; Kugelschlag! Er springt ab; hinter dem Busch aber, vierzig Schritt weiter, schlägt’s mit den Läufen: da liegt ein Spießer! Ich hatte den ersten überschossen und den zweiten getroffen, ohne ihn gesehen zu haben! In beiden Fällen hatte ich zu hoch geschossen, weil ich die Entfernung überschätzte. Ich brachte mehrere Tage in dem unbewohnten Busch im Süden der Landschaft Usaramo zu, um die Zustände dort kennen zu lernen, und Verstecke versprengter Aufständiger, von denen ich Nachricht erhalten hatte, zu suchen. Es war Anfang Oktober, also gegen Ende der Trockenzeit. Der Wald sah winterlich kahl aus, der Boden war steinhart und das Gras, wo es noch nicht niedergebrannt war, völlig dürr. Trotzdem war Wild zu spüren: Zebra, Wasserbock, Elenantilope und einzelne Büffel. Auf ein Rudel Swallah pirschte ich ohne Erfolg, ich bekam keinen der Böcke zu Schuß. Ebenso ging es mir mit zwei fast schwarzen Rappböcken, an denen die ganze Karawane auf fünfzig Schritt vorbeigegangen war, ehe die stolz dastehenden Tiere im Gewirr der Äste gesehen wurden. An einem kleinen, damals fast trockenen Fluß spürte ich auch Löwen und Elefanten, konnte mich aber ihretwegen nicht aufhalten. Nach einigen Tagen traf ich die verlassenen Verstecke der Aufständigen. Obwohl deutliche Anzeichen da waren, daß die Leute erst vor kurzem in den kleinen Tümpeln im Bett des Baches Schlammfische gefangen hatten, war keiner der heimlichen Räuber mehr aufzutreiben; ich mußte das weitere Suchen einstellen, da die mitgeführten Nahrungsmittel zu Ende gingen. Meine Leute verlangten nach Fleisch. Ich schlug abends nach langem Marsch das Lager nahe an einem der wenigen, im schattigen Flußbett versteckten Teiche auf, die von der Regenzeit zurückgeblieben waren, und ging am frühen Morgen pirschen. An die dichte Vegetation des Baches schloß sich lichter, dürrer Steppenwald. Dort suchte ich Wild und hielt mich dabei in der Nähe des Wasserlaufes; aber das einzige Wild, was mir in fünf langen Stunden zu Gesicht kam, waren Hartebeeste, die weit flüchteten. [Sidenote: Elenantilopen.] Als ich im weiten Bogen schon beinahe auf meinen Lagerplatz zurückgelangt war, kam ich an eine Stelle, die mit Fährten geradezu bedeckt war. Elenantilopen! Hufabdrücke, die durch ihre Größe zuerst auf Büffel schließen ließen; alle in einer Richtung und ganz frisch! Eifrig folgte ich der Spur und traf nach zwanzig Minuten die Herde die in langsamer Bewegung vorwärts zog. Ich hieß meine Schwarzen sich niederlegen und pirschte allein vorsichtig weiter, so gut es ging am Rande eines Mimosengehölzes Deckung haltend. Aber es ging eben nicht; denn ich zählte etwa achtzig der großen Hornträger, die in den Büschen zerstreut vorwärts gingen, so daß einige der Tiere mich stets sehen mußten. Auffallend war der Unterschied in der Färbung der Tiere; ein helles Braun herrschte vor, doch einzelne besonders starke Tiere waren gelbgrau; das mußten die Bullen sein. Alle trugen hohe, gedrehte Hörner. Ein prächtiger Anblick! Der vielen Kälber und der Mittagshitze wegen schob sich die Herde nur langsam vorwärts, und ich hatte Gelegenheit, die riesenhaften, als ziemlich selten geltenden Antilopen zu beobachten, die ein Gewicht bis zu zwanzig Zentner erreichen. Da ich Fleisch für meine Leute beschaffen mußte und nach den bisherigen Erkundungen des Tages wenig Aussicht war, anderes Wildbret zu erhalten, entschloß ich mich, ein Stück zu schießen. Die Wahl wurde sehr schwer, da die Herde in ständiger Bewegung war und die Tiere sich durcheinander schoben. Der Entfernung halber kamen überhaupt nur die letzten Stücke in Betracht, und unter ihnen suchte ich nach einem möglichst stattlichen Exemplar der hellgrau gefärbten Tiere, die ich für die Bullen hielt. Da aber die Farbenabstufungen ineinander übergingen, richtete ich mein Augenmerk bald mehr auf die stärksten Tiere und wählte ein abseits gehendes, prächtiges Stück mit hohem Gehörn. Ich kam gut ab und hörte den Aufschlag des Geschosses, aber die Antilope ging mit der Herde beschleunigt ab. Im vollen Lauf folgte ich und sah bald, wie eine einzelne Elenantilope, offenbar krank, langsam der Herde nachzog. Vom schnellen Laufe erregt, blieb ich einen Augenblick stehen, um meine Ruhe wieder zu gewinnen und schoß spitz von hinten auf den Hals; die Antilope brach zusammen. Als ich neben dem gefallenen Wild stand, sah ich mit Schrecken, daß es eine Kuh mit vollem Euter war; alle Freude an dem Jagderfolg schwand. Mißmutig und ziemlich ermattet zog ich meinen Rock aus und legte mich in den spärlichen Schatten einer Akazie, um die Leute mit der Feldflasche und den Messern zu erwarten. Ich hatte, einem erprobten Grundsatz folgend, trotz der sengenden Sonnenglut den ganzen Morgen keinen Tropfen getrunken und war durch das schnelle Laufen stark erhitzt; die Zunge klebte am Gaumen und ich sehnte mich nach einem erfrischenden Trunk. [Illustration: Elenantilope.] [Sidenote: Elenantilope.] Aber der Boy kam ohne die Feldflasche! Ein Askari bot mir Wasser aus der seinen. Ich widerstand der Versuchung; ungekochtes Wasser? Nein, lieber weiter dürsten, als sich einer Dysenteriegefahr aussetzen. Ich saß in schlechter Laune und starrte auf meine Jagdbeute, da fiel mein Blick auf das volle Euter der eben erlegten Antilope. Ich dachte mir, es sei nichts Unappetitliches, einem noch lebenswarmen Tiere die Milch zu nehmen und es interessierte mich auch, den Geschmack kennen zu lernen; sollen doch ähnliche Antilopen bei den alten Ägyptern Haustiere gewesen und wie Milchkühe genutzt worden sein. Ich füllte einen Becher mit der warmen Milch und trank -- es schmeckte genau wie frische Kuhmilch. Während meine Leute das Tier sorgfältig abdeckten und sich über den großen Fleischvorrat freuten, dachte ich daran, ob das Kälbchen wohl eine Pflegemutter finde? Es schien mir sehr unwahrscheinlich. Nur von wenigen Tieren weiß man, daß säugende Mütter sich fremder oder verwaister Kälber annehmen. Vom Elefanten wird es behauptet; bei Flußpferden beobachtete ich einen Fall, bei dem nach Abschuß einer Mutter das etwa zwei Monate alte Junge einige Tage später treibend im Strome gefunden wurde. Vielleicht war kein Weibchen mit ausreichender Nahrung vorhanden gewesen, hier bei der Herde waren aber mehrere Mütter, die die Ernährung hätten übernehmen können. Hoffentlich haben sie sich der armen Waise angenommen. Es ist gut, wenn sich der Jäger über die Folgen seiner Handlung selbst zur Rechenschaft zieht. Auch in diesem Falle konnte ich mich nicht damit entschuldigen, daß es schwierig ist, die Bullen von den Kühen zu unterscheiden; denn der richtige Jäger ~muß~ diese Unterscheidung machen und sie als eine gesteigerte Anforderung betrachten. Die Tatsache, daß es viele nicht können, ändert nichts an dem Unheil, das durch Abschießen stillender Tiere angerichtet wird. Aber auch der beste Jäger hat wohl dem Wilde viel Leid zugefügt und mußte viel Lehrgeld zahlen, bis er es zum waidgerechten Jagen brachte und mit sich zufrieden sein konnte. Ich erinnerte mich an ein Bild, das mir als Jungen von vierzehn Jahren und angehenden Jäger tiefen Eindruck gemacht hat: Auf einsamer Höhe steht ein Hirschkalb bei seiner toten Mutter. „Verwaist“, lautete die Unterschrift. -- -- „Mir sind die Jäger überhaupt unverständlich,“ sagte ein Freund, „sie schießen die Tiere tot und nachher tut es ihnen leid.“ [Illustration: Unteroffizier Lauer sieht sich das Gehörn meines am Rufiyi erlegten Büffels an. Daneben liegen Gehörne von Gnus, Wasserböcken und eine Rappantilope. -- Im Hintergrunde sieht man den Pallisadenzaun, links eine angefangene Hütte, rechts die „Hauptwache“, und den Hund „Moritz“.] Büffeljagden. In Ostafrika gilt das Gehörn eines starken Kaffernbüffels als die schönste Trophäe, die ein Jäger erbeuten kann. Nicht mit Unrecht steht hier der Büffel über dem Löwen; denn ob man einen Löwen antrifft, ist meist Zufall, und die Reviere, in denen man mit der Absicht, Löwen zu schießen, pirschen kann, sind selten. Der Erfolg ist weniger von der eigenen Kunst als vom Glück abhängig. Wer aber heute Büffel jagen will, muß sie suchen, darf keine Mühe und Anstrengung scheuen und kann dann den Erfolg meist dem eigenen Geschick zuschreiben. Wer die entlegenen, schwer zugänglichen Plätze, an denen Büffel stehen, nicht aufsucht und sich von Mißerfolgen abschrecken läßt, wird die heimlichen Rinder der Wildnis nicht zu sehen bekommen. Man unterscheidet mehrere Arten von afrikanischen Büffeln; unter ihnen ist der Kaffernbüffel der stärkste. Ihm nahe steht der abessynische; der westafrikanische Rotbüffel ist kleiner, die Hörner sind kurz, die hellere, gelbbraune Färbung läßt den Ausdruck der Wildheit nicht so stark hervortreten. Den Kaffernbüffel zeichnet seine Seltenheit, seine aus vielen Berichten bekannte Angriffslust und Gefährlichkeit aus, und macht die Jagd auf ihn zu dem reizvollsten Unternehmen, das der Jäger in Ostafrika kennt. Von ihren Büffeljagden erzählen selbst alte Jäger mit großer Wärme und Begeisterung, und ich habe oft gemerkt, daß mein Ansehen als Jäger bedeutend stieg, wenn ich meine starken Büffelgehörne zeigen und wenn ich glaubhaft machen konnte, ich habe sie selbst erbeutet. Nach dem, was ich mit den Büffeln erlebte, verstehe ich auch, daß jeder erfahrene Jäger den Erzählungen von Büffeljagden mit besonderer Neugierde lauscht. Der Büffelstier trägt gewaltige, helmartig auf dem starken Knochenbau des Kopfes aufgesetzte Hörner, die bei alten Bullen eine Breite von 30 Zentimeter und eine Auslage von über 1,20 Meter erreichen und deren Masse sich auf dem Scheitel fast vereinigt. Während diese schützend auf dem Schädel aufgelegte und durch starke Knochenzapfen getragene Hornmasse das Tier befähigt, durch die Wucht seines Ansturms niederzudrücken, was sich ihm in den Weg stellt, und starke Stöße aufzufangen, bilden die nach vorne und oben gebogenen spitzen Hörner eine Waffe, die gefährliche Verletzungen austeilen kann. Die Hörner sind nach hinten geneigt und verlaufen, sich verjüngend, in regelmäßiger Biegung bis zu den Spitzen. Der Anblick des herrlichen Gehörns ruft in dem Jäger den Wunsch wach, den kräftigen Tierkörper einmal zu sehen, der diesen Kopfschmuck als Schild und Waffe vor sich herträgt. [Sidenote: Büffel; Seltenheit.] Leider ist aber der Kaffernbüffel[15] in Ostafrika jetzt ziemlich selten. Während früher ganze Herden der Tiere in den Gebieten zwischen Tana und Rovuma zu finden waren, leben heute nur noch kleine Trupps, die die Rinderpest durch Zufall oder besondere Veranlagung überstanden haben. Ihr Aufenthalt ist nicht mehr in den offenen Steppen, wie in früheren Zeiten, sondern in schwer zugänglichen, von Menschen gemiedenen Schilfniederungen und einsamen, kühlen Wäldern mit guten Weiden und Wasser. Ich hatte Glück mit den Büffeln. Allerdings habe ich den ersten Büffel, ebenso wie seinerzeit den ersten Hirsch, den ersten Elefanten und später auch das erste Nashorn, das ich sah, nicht zur Strecke gebracht. Es war am Rufiyi; ein Abend nach langem Marsche. Ich suchte Wild, um die hungrigen Mägen meiner Askari und Träger zu füllen; traf im hohen Schilfgras alte und neue Büffelfährten, folgte hierhin und dorthin, bis die Sonne dem Horizont nahe war, und blieb endlich auf einer kleinen Anhöhe stehen. -- -- Da sah ich, wie sich aus einem dunklen Etwas, das ich für einen Erdhügel angesehen hatte, ein gekrümmtes Horn erhob. -- -- Ein Büffel auf etwa dreißig Schritt! Die Sonne steht genau über dem Tierkörper und blendet mich, während die Umrisse der regungslos verharrenden Masse in dem Feuer des Lichts verschwimmen, so daß ich auf dem dunklen Tierkörper nichts unterscheiden, und nur aus der Stellung des plötzlich aufgetauchten Horns schließen kann, wo ich die Stirn etwa zu suchen habe. Schnell greife ich nach der Büchse, die ein Schwarzer trägt, und schieße kurz entschlossen auf den Kopf etwas unter die Hörner. Der Büffel wirft sich herum und verschwindet, in hohem Schilfgrase davontobend. Ich folgte der Fährte des kranken Stiers, solange es das Tageslicht erlaubte. Er war im Galopp durch das Schilf gestürmt; an mehreren Stellen fand sich Schweiß. Als ich der Fährte eine halbe Stunde lang nachgegangen war, wurde es dunkel und ich mußte die Jagd abbrechen in der seltsamen Stimmung, die jeder Jäger in der Lage kennt: Grübeln, Hoffnung, Ausfragen aller Leute, die so aussehen, als könnten sie einem Mut zureden, Vorwürfe gegen sich selbst und das ewige „wenn“ und „aber“ auf alle durchlebten Momente der Jagd angewandt; endlich wieder hoffnungsfrohes Ausmalen des Erfolges: wenn wirklich der erste Büffel zur Strecke gebracht wäre! Und der Gedanke an den und jenen Freund, dem man seine Freude mitteilen wird! Aber ich mußte mir sagen, daß die Hoffnung, den Büffel zu finden, gering war; denn ein Kopfschuß hat nur Sinn, wenn er das Gehirn trifft und das Tier gleich umwirft. Bei ruhiger Überlegung wußte ich, daß dieser Büffel für mich verloren war, und in bösen Augenblicken peinigte mich der naheliegende Gedanke, daß mein Schuß dem edlen Tiere Verletzungen am Geäse beigebracht haben konnte, die ihn an der Aufnahme von Nahrung hinderten und zum Hungertode verurteilten, eine Möglichkeit, die schon manchen sicheren Schützen und gewissenhaften Jäger von den Kopfschüssen abgebracht hat. Auf den Kopf habe ich geschossen, weil mir aus Wißmanns und anderer Jäger Schilderungen in Erinnerung war, daß ein Büffel stets annimmt und weil die Entfernung zwischen mir und dem Büffel zu gering war, als daß er, durch einen Blattschuß verwundet, mich nicht mehr hätte erreichen können. -- Ein Kopfschuß, der das Gehirn trifft, tötet jedes Tier auf der Stelle. Es ist mir nicht klar, wie ich den Büffel getroffen habe. Mit einem Blattschuß oder Weidewundschuß hätte ich ihn jedenfalls zur Strecke gebracht. Ich mußte am nächsten Morgen weitermarschieren. Erprobte Eingeborene suchten den kranken Büffel noch tagelang und stellten fest, daß er lebte und die alte Wasserstelle, einen unzugänglichen Sumpf, annahm. Die Leute kannten ihn als den „roten“ Büffel; er sollte ausnahmsweise rötliche Behaarung tragen, was ich bei der Beleuchtung nicht sehen konnte. * * * * * [Sidenote: Ein Mißerfolg.] Daß ich den ersten Büffel nicht hinter die Schulter schoß, konnte ich mir lange nicht verzeihen und mein Wunsch, so edles Wild wieder zu treffen und dann die Scharte auszuwetzen, wurde immer brennender. Wenige Monate später schien er in Erfüllung zu gehen. Als ich wieder einmal in eine Gegend kam, in der ich die ziemlich frische Fährte eines starken Büffels sah, nahm ich meine zwei besten und ausdauerndsten Leute mit und suchte vom frühen Morgen an nach dem heimlichen Wild. Nach rastlosem Marsche durch offenen Busch mit eingestreuten Grasflächen kam ich gegen drei Uhr nachmittags an eine Schilfniederung, warf mich ermüdet im Schatten eines großen Mangobaumes nieder und schickte Sefu, meinen Gewehrträger, in den Baum, um nach Wild auszusehen. Ali, mein zweiter Begleiter, umkreiste die anderen Mangobäume und entdeckte an den von Menschen und Tieren bereits abgeernteten Bäumen noch einige versteckte Früchte. Wenn es doch überall Mangobäume und Kokospalmen gäbe! dachte ich (-- -- dann, muß es allerdings heißen, würden die Neger gar nicht arbeiten!). Der Saft einer Kokosnuß oder das Fleisch einer reifen _embe dodo_, einer großen Mangofrucht, gehören nach anstrengendem Marsch zu den großen Genüssen, die Afrika bietet. Im Schatten eines fruchtbeladenen Mangobaumes ruhend, kann man getrost singen: „Bei einem Wirte wundermild, da bin ich heut zu Gaste.“ Die einzigen Störenfriede waren heute Ameisen, die in reichlicher Anzahl den Boden bedeckten und mich aus dem kühlen Schatten vertreiben zu wollen schienen. Ich dachte gerade, ob ich wohl einen Büffel zur Strecke bringen würde und dann den ersten Mißerfolg auf das heiß begehrte Wild vergessen, als Sefus Stimme hoch oben aus dem Baume erklang: „Ich sehe Wild. -- Vielleicht Wasserbock!“ Wie mich die Meldung des Schwarzen aufspringen ließ! Merkwürdig: ich glaubte nicht an Wasserbock, und war fest überzeugt, es müsse das ersehnte Wild sein. Mit neuem Mut stieg ich selbst auf den hohen Baum und sah durch das Doppelglas einen langen, grauen Wildkörper, der mir für die Entfernung von etwa 1500 Meter sehr groß erschien; das mußte ein Büffel sein! Schnell die Richtung eingeprägt und dann durch hohes Gras drauflos. Als wir noch nicht an der Stelle angelangt waren, die ich mir gemerkt hatte, klettere ich wieder auf einen Baum, dessen schwache Äste soeben meinem Zweck genügten, konnte aber den Büffel nicht mehr an dem alten Platze sehen. Vor mir lag ein Sumpf mit hohem Schilf in einer Ausdehnung von etwa 700 Meter Länge und 300 Meter Breite. An dem jenseitigen Rande des Sumpfes fand ich mit dem Auge die Stelle wieder, an der der Büffel gestanden hatte. Ich überlegte noch, ob ich den Sumpf umgehen und die Fährte aufnehmen sollte; da blickte ich zufällig unter mich und gewahrte den Büffel etwa fünfzig Schritt von mir entfernt, wie er langsam durch das Schilf ging und gerade eine kleine, tiefere Pfanne passierte, in der die Gräser weniger hoch waren. Schnell winke ich dem Sefu, mir die Büchse zu reichen, -- -- das gelingt; und von meinem schwankenden Beobachtungsstand aus gebe ich dem stahlblau aussehenden Tiere einen Schuß hinter die Schulter, gerade als es in höherem Schilf verschwinden will. Gut getroffen macht der Bulle ein paar mächtige Galoppsprünge, und ich sehe an der Bewegung im Schilf, wie weit er geht. -- -- Das ist kaum mehr als 30 Meter vom Anschuß. Nichts regte sich mehr. Meine Neger standen unter dem Baum, reckten die Hälse, konnten aber nicht über das hohe Gras hinweg sehen. Ich reichte die Büchse hinunter -- ein verfluchtes Gefühl, die geladene Büchse an der Mündung fassen zu müssen oder sie in der Lage herauf zu bekommen! -- und stieg selbst von meiner Kanzel. „Nyati!“[16] sagte ich in würdevollem Tone zu meinen beiden Getreuen, denen ich vor Freude je fünfzig Rupie geschenkt hätte, wenn ich sie zur Hand gehabt hätte. Ich war in einem Zustand, wie ein Kind vor der verschlossenen Tür, hinter der der Weihnachtsmann ausgepackt hat. Noch ist das Geschenk nicht mein, aber ich weiß, daß ich es bekomme. -- Nur Geduld! Ich wollte eine Stunde warten, um dem Büffel Zeit zu lassen, sich zu verbluten. [Illustration: Ein kapitaler Kaffernbüffel; das am meisten begehrte Wild in Ostafrika.] Solange es im Schilfe ruhig blieb, war es gewiß, daß er sich schwerkrank nieder getan hatte; darum jetzt ruhig Blut, ~den~ haben wir! So saßen wir zu dritt unter dem kleinen Baume und hingen unseren Gedanken nach, die gemeinsam bei dem Büffel verweilten. Doch dachten meine Schwarzen wohl mehr an den Braten, ich an mein Jagdglück. -- Alles war mir heute günstig gewesen, als Lohn für die Ausdauer: die zufällige Entdeckung des Wildes, mein Entschluß, den kleinen Baum zu besteigen -- an dem wir schon vorbei waren, als ich dachte: besser ist besser --, endlich der Umstand, daß der Büffel gerade die Stelle kreuzte, an der das Gras so niedrig war, daß ich wenigstens den Rücken sehen konnte. Nach etwa zwanzig Minuten wurde den beiden Negern die Zeit des Wartens zu lang und sie schlugen mir vor, nachzusehen, ob der Büffel tot sei. Wider bessere Einsicht ließ ich mich verleiten; die Neugierde gewann auch bei mir die Oberhand. Ich gab die Richtung an. Sefu aber nutzte einen Termitenhügel aus, im Vorbeigehen einen Ausblick zu gewinnen und war noch nicht halb oben, als er sich plötzlich duckte und mich heranwinkte. [Sidenote: Der kranke Stier.] Ich berühre im Vorbeigehen die Blätter einer kleinen Fächerpalme. Da steht fünf Schritt vor mir, also unmittelbar hinter dem Hügel, der Büffel auf, ein mächtiger dunkler Stier! Die Flanke ist rotgefärbt von Schweiß, der Kopf mit den gewaltigen Hörnern vorgestreckt. Ohne Besinnen gebe ich ihm zwei Blattschüsse, während er davonrast. „Gehen wir nach,“ sagten Ali und Sefu zu meiner großen Verwunderung. „Ist der Büffel nicht gefährlich?“ „Ja, wenn einer jagt und seine Bibi wird ihm untreu.“ „Sonst nicht?“ „Nein!“ Dies „nein“ kam so überzeugend heraus, daß auch in mir der letzte Zweifel an der Ungefährlichkeit des Büffels zerstört wurde. Die Fährte war leicht zu verfolgen. Das hohe Gras war an der linken Seite ununterbrochen rot gefärbt und unsere Kleider wurden von dem Blut durchtränkt. Mehrmals wurde der Büffel dicht vor mir flüchtig, ehe ich ihn bemerkt hatte; das Gras war etwa drei Meter hoch. Bei der Windstille hatte es keinen Zweck, lange zu überlegen; jede Folge war ausgesprochener Leichtsinn, denn der Büffel mußte uns wittern. Aber in dem Suchen der Gefahr lag ein so seltener, heute leicht zu erlangender Genuß, daß ich immer wieder in die Nähe des totwunden Stieres ging. Noch zwei Schüsse gab ich ab, doch anstatt aufs Blatt auf die Hinterschenkel, ich konnte nicht ausmachen, wo vorn, wo hinten war; erst als der Büffel weiter stürmte, merkte ich meinen Irrtum. Dann wurde das Gras so dicht, daß ich erst etwa auf sechs Schritt erkennen konnte, wenn der Stier vor mir stand. -- Ich sah die Gräser, die von seinem Atem bewegt wurden, -- -- -- ging noch näher und sah den nassen Grind, - -- die Nüstern, -- -- -- die dunklen Lichter, -- -- -- die gescheitelten Hörner, als er plötzlich unter lautem Krachen des trocknen Grases wild fauchend losbrach. Wir stoben auseinander, erkannten jedoch im nächsten Augenblick, daß er auch diesmal nichts von der Untreue der Bibis wußte, er nahm eine andere Richtung. Ich wollte ihm jetzt den Fangschuß geben und befahl meinem Leichtsinn ein energisches „Halt“!; nutzte wieder einen Baum aus und stand in noch windigerer Position, als ich dem Büffel den letzten Schuß von links hinter die Schulter gab. Er ging nicht mehr weit. Mit einmal begann er mächtig zu brüllen, mit feuchtem, großen Ton, wie nur Rinder es können. Alle halbe Minute ertönte das langgezogene tiefe „Eöh“, das einen ungeheuren, verzweifelten Schmerz auszudrücken schien: Er verendete. Ich ging ganz in seine Nähe und blieb, andächtig lauschend, stehen. Der Wind war mir günstig. Sehen konnte ich nichts; dichtes Rohr sperrte die Aussicht auf wenige Schritte. Endlich noch ein letztes schmerzvolles Brüllen, dann peitschte der Schwanz den Boden und es war still. Ich ging hinzu. [Illustration: Der Nashornhügel am Jipesee. Während bisher Busch und Dornen ein immer gleichmäßiges Bild boten, begann hier eine vielseitige Vegetation. Hyphaenen (Dumpalmen) wurden immer zahlreicher und bildeten in der Ebene ganze Wälder. An den Ufern des Panpani erhob sich schattiger Wald mit Phönixpalmen, Schirmakazien und Affenbrotbäumen. Auf den Hügeln standen Euphorbien und Juniperussträucher. -- Weiße Stellen an den Steinblöcken bezeichneten den Aufenthaltsort von Klippschliefern.] [Sidenote: Der erste Büffel zur Strecke.] Da lag der starke Wildstier mit der prächtigen Zier auf dem breitgestirnten Schädel, mit einem Gesichtsausdruck, in dem Kraft und Selbstbewußtsein zu liegen schienen -- wenn es erlaubt ist, in dem Gesicht der Tiere wie im Menschenantlitz zu lesen. -- Ich habe noch kein Tier gesehen, das im Tode so edel und schön aussah. Als ich in freudiger Bewunderung dastand, fuhren Wolken herauf und mächtiger Donner rollte von den nahen Bergen herüber. Mir war, als sei, was die Natur hier gab, für mich allein gemacht, für mich, den einzigen Weißen in weitem Umkreise. -- -- Freude und Stolz beherrschten mein Empfinden, während ich das Glanzhaar am Halse meines ersten Büffels streichelte. Im August 1906 jagte ich am Paregebirge im Norden Deutsch-Ostafrikas auf Büffel. Von Osten den großen Jipesumpf erreichend, hatte ich gesehen, daß Büffelfährten hier und da meinen Weg kreuzten und erkundigte mich bei den Eingeborenen nach den Gewohnheiten des Wildes. Die bezeichneten die kleine Landschaft Ungueno als den jetzigen Standort der Tiere. Am Jipesumpf schlug ich das Hauptlager auf, nahe an dem großen, dichten Papyrushain, der sich in ungeheurer Ausdehnung an das flache Wasser des Sees anschließt. Hohe Tamarindenbäume säumten das Ufer, in ihren Ästen hingen Bienenkörbe der Eingeborenen. Prächtige, bunte Vögel ruhten auf den Büschen, große Züge von Pelikanen, Reihern und Störchen schwebten in der Luft. Der Blick auf das Paregebirge war von großer Schönheit. Man konnte die Pässe, die in das Hochland führen, erkennen und die Täler vermuten, die Wasser in die Ebene leiten. [Sidenote: Büffeljagd am Paregebirge.] Drei Tage brauchte ich, um in dem weiten, beschwerlichen Gebiet endlich die Wasserstellen aufzufinden, an die sich die Büffel jetzt hielten. Vom ersten Morgengrauen bis in den späten Abend war ich täglich unterwegs, um Fährten zu suchen. Das in Betracht kommende Gebiet war eine mit dichtem, hohen Gras und Gebüsch bewachsene Ebene, die auf drei Seiten von bewaldeten Bergen eingerahmt wurde und nach dem Sumpf hin offen war. Nur Büffel und Nashörner waren zu spüren. Von allen Fährten hieß es „gestern“ oder „vorgestern“ und die Tiere wurden mir von Stunde zu Stunde geisterhafter. Am ersten Tage durchsuchte ich die Ostseite, am zweiten die Westseite der Abhänge. Die Büffel hatten alte, ausgetrocknete Wasserstellen besucht und in schattigem Busch gelagert, in einem Labyrinth von Ästen und Blättern. Da drang das gedämpfte Sonnenlicht hinein und erhellte die verlassenen Schlafplätze. Oft in gebückter Haltung und durch ein Wirrwarr von Dornen, Gras und Ranken schlichen wir vorwärts; ich mußte dem Führer -- Makange hieß er -- zugeben, daß es ein schwieriges und höchst bedenkliches Unternehmen war, in dieser Jahreszeit, bevor die Steppenbrände das Unterholz gelichtet hatten, Büffel zu jagen. Die Aussicht auf Erfolg schien denn auch immer mehr zu schwinden. Aber ich wollte die der Aufgabe gewidmete Zeit nicht umsonst geopfert haben und dachte nicht an Umkehr! [Illustration: An den Ästen großer Bäume hängen die Neger ausgehöhlte Baumstämme als Bienenkörbe auf.] Am zweiten Abend schlief ich in einem kleinen Bergzelte, an der Stelle, wo der Weg nach Moshi den Fußpfad ins Paregebirge kreuzt. Eine einzelne, hohe Dumpalme, mit abgestorbenen Blattstielen seltsam geschmückt, schüttelte neben mir ihr Fächerhaupt. Ganz zart tauchte am Abendhimmel der Schneedom des Kilimandscharo aus den Wolken empor. Ich lag in dem kleinen Ausschnitt, der den Eingang zu dem Zelte bildete und schrieb in mein Tagebuch. Die roten Flackerlichter des von den Negern entfachten Holzfeuers kämpften auf dem Papier mit dem blauen Tageslicht und trugen bald den Sieg davon; die Nacht brach herein. Am Morgen des dritten Tages spürten sich mehrere Nashörner, die am Sumpf zur Tränke gekommen und nach den Abhängen zurückgewechselt waren. Sonst nicht eine frische Fährte von Antilopen oder Raubtieren! Nur ein Zierböckchen stand im Busch und kratzte sich mit dem Hinterlauf am Kopfe! Gegen zehn Uhr am Vormittag fand ich, von Süden kommend, endlich die Fährten der Büffel, an einem Waldbach. Nun kam es mir nur noch darauf an, festzustellen, ob die Herde südlich oder nördlich von diesem Bache stand. „Südlich“ war die Antwort der Leute, die ich in dem Wasserlauf aufwärts schickte; doch sie hatten Unrecht, und nach anstrengendem Absuchen des dichten Busches auf der Südseite fand ich gegen vier Uhr am Nachmittag die Stelle, an der die Herde den Bach nach Norden gekreuzt hatte! Für heute war es zu spät; auf den nächsten Tag aber setzte ich große Hoffnungen, die auch in wunderbarer Weise in Erfüllung gingen. Ich lagerte in dieser Nacht dort, wo der Bach, in dem die Büffel sich spürten, in der Steppe verfloß. Wieder hatte ich nur ein kleines, offenes Zelt mit und schlief ohne Bett und Moskitonetz zu ebener Erde. Das Lagerfeuer wurde mit Sonnenuntergang gelöscht. Meerkatzen in den Bäumen über uns taten sehr verwundert über unsere Anwesenheit; die Frösche quakten unaufhörlich. Wenn sie aber einmal verstummten, dann horchte ich auf, denn dann war Wild in ihre Nähe gekommen. Ich zog schließlich die Decke ganz über den Kopf, um so vor den hier zahlreichen Mücken Schutz zu finden. Es war noch dunkel, als ich am nächsten Morgen das kalte Wasser durchwatete, das meinen Schlafplatz von dem Walde trennte. Ich ging im Bache aufwärts und stellte fest, daß die Büffel ihn heute nicht angenommen hatten, also noch auf der Nordseite standen. Da es wenig Zweck hatte, den Spuren von gestern zu folgen, ging ich aufs Geratewohl in dem dunkeln, von Büffelpfaden durchzogenen Walde vorwärts und war ganz zufällig einer frischen Nashornfährte einige Zeit gefolgt, als nicht weit über mir am Berge das Röhren eines Büffels hörbar wurde. Endlich war ich dem ersehnten Ziel nahe! Ich zog schnell Schuhe mit Gummisohlen an, die zu der im Rucksack mitgeführten nötigsten Ausrüstung gehören, und ging unter Wind auf die Stelle los, von der her ich den seltenen Laut vernommen hatte. Dunkler, ästereicher Wald; der Boden mit vermoderten Blättern bedeckt; zwischendurch Buschpartien mit hellem Licht. Frühnebel strichen über die Baumkronen. [Sidenote: Büffel im Waldesdickicht.] Jetzt knackte ein Ast vor mir; wieder ein Brüllen, kurz abgesetzt. Ich schlich auf einen starken, gefallenen Baum zu, über den hinweg ich gerade in eine Lichtung sehen konnte, als die ganze Büffelherde unter Krachen und Brechen von Ästen in der Dickung vorwärts drängte. Zwischen Blättern und Ästegewirr konnte ich die schwarzen Tierkörper auf Sekunden sehen, wie sie auf etwa dreißig Schritt quer an mir vorbeizogen. Dem Lärm nach konnte ich glauben, sie seien flüchtig. Sofort ging ich mit meinen drei Leuten auf die frische Fährte und sah hier mit Erstaunen, wie die Büffel, ohne Rücksicht auf ihre breiten Hörner, schnurstracks durch das Wirrwarr von Stämmen und Ästen gestoßen waren. Auch konnte man erneut beobachten, wie eine frische Fährte aussieht. Die Hufe waren über gefallene Bäume hinweggerissen, die Rinde frischer Stämme blutete und der Milchsaft von Pflanzen war in den Weg gespritzt. Mit großer Vorsicht folgte ich auf der Fährte und brachte die Büffel, die irgend etwas Verdächtiges merkten, noch dreimal in Bewegung, ohne ihnen nahe genug kommen zu können. Ich wollte bis Mittag warten; dann liegen die Büffel und schlafen. Da ertönte in der Nähe lautes Brüllen, das wiederholte sich und klang gerade so wie das Todesbrüllen des verendenden Büffels am Rufiyi. „Hier jagen Wapare aus den Bergen,“ sagte ich sofort zu dem Führer. „Nein, Herr!“ Nun aber ließen sich menschliche Stimmen vernehmen, die sich durch Laute Zeichen gaben und einer meiner Leute rief: „Seid ruhig, der Weiße will Büffel schießen.“ Als die Angerufenen nicht antworteten, wurde mein Verdacht zur Gewißheit und ich ging weiter, um nachzusehen, was dort los sei. Plötzlich springt der Führer zur Seite und raunt mir hastig zu: „Ein Nashorn, Herr! dort im nächsten Busch!“ [Sidenote: Büffel in einer Fallgrube.] Ich sehe wie sich in einer Vertiefung der dunkle Nacken eines Wildes bewegt, denke an ein Tier in der Suhle, kann aber nichts erkennen, bis ich auf etwa fünf Schritt an den Platz hinangehe. Da hebt sich ein Büffelkopf mit gewaltigen Hörnern aus der Vertiefung. Ich stehe über dem Tiere und schieße von oben in den Rücken. Der Stier versucht, aus der Vertiefung herauszuspringen, ist aber hilflos gefangen und ich erkenne jetzt, was ich hier vor mir habe: Den Büffel in einer von Menschen gegrabenen Wildgrube! Dies seltene Bild sah ich mir nun etwas genauer an; die Grube verengte sich keilförmig nach unten und hatte ungefähr die Länge des Büffels. Der Körper des Tieres war fest eingeklemmt; so sehr der noch lebende Büffel versuchte, vorne hoch zu kommen, er fiel immer wieder zurück. Er war so wehrlos, daß ich ihn an die Hörner fassen konnte. Als das meine Leute von den umstehenden Bäumen aus sahen, kamen sie auch herbei. [Illustration: Mähnenlöwe (in Ostafrika selten; ich überraschte einmal vier Mähnenlöwen an einem geschlagenen Zebra).] Dutzende von frischen, etwa sechs Zentimeter breiten Speerstichen im Hinterteil des Büffels zeigten, auf welche Weise die Fallensteller versucht hatten, das Tier zu töten und erklärten mir auch das schmerzerfüllte Brüllen, das ich vorhin gehört hatte. Ich photographierte den Büffel in der Grube und gab ihm den Fangschuß. [Illustration: Büffelstier, in einer Wildgrube lebend gefangen.] „Ein so schönes, großes Gehörn habe ich noch nie gesehen,“ sagte der Führer, der hoffte, alle Mühe und Arbeit sollte nun zu Ende sein. Als ich ihm aber erklärte, dies sei nicht mein Büffel, ich wollte meinen Büffel ohne Hilfe der Wapare schießen, meldete er mir, er müsse nach Hause, seine Bibi erwarte den Klapperstorch. „Was haben bloß die Weiber immer mit meinen Jagden zu tun?“ dachte ich. Da ich aber schon lange an derartige seltsame Fernwirkungen nicht mehr glaubte, entgegnete ich ihm: „Erst wollen wir noch einen Büffel haben, so lange kann deine Frau noch warten.“ -- Damit mußte er zufrieden sein; denn wie fast immer bei den Negern, war der Grund seines Urlaubsgesuchs erfunden. Ich legte mich auf die Lauer und ließ den Führer die vorhin gehörten Zurufe wiederholen und dadurch die Fallensteller heranlocken. Es gelang, sieben der wild aussehenden, mit Bogen, Keulen, Schwertern, Speeren und Messern bewaffneten Kerle zu fangen, die ich gebunden nach Moschi sandte, wo sie mit mehreren Monaten Kettenarbeit bestraft wurden.[17] Das war ihr Lohn für die Hilfe, die sie mir unbeabsichtigt geleistet hatten. Bei dem Wild ließ ich zwei meiner Leute, die den Kopf abschneiden und das Fleisch zerteilen sollten, was bei der Lage und der Größe des Büffels in der engen Grube keine geringe Arbeit gewesen sein wird. Zum Glück waren mehrere meiner Träger den Schüssen gefolgt, so daß ich die Gefangenen zum Lager schicken und mehr Leute zum Fleischholen bestellen konnte. Ich pirschte weiter und traf auch bald wieder auf die Büffel. Als ich ihnen nahe war, hakte ein Dornzweig an meiner Jacke und schnellte mit Geräusch zurück; die Büffel sausten los. Die Fährte, der ich noch kurze Zeit folgte, führte an Dutzenden von Wildgruben dicht vorbei; leicht hätten noch mehr Büffel da hineinfallen können. [Sidenote: Die Wildgruben.] Die Gruben waren mit großer Sorgfalt und vielem Geschick angelegt, oben etwa 1,10 Meter breit und 3 Meter lang, 2,50 Meter tief, und verengten sich nach unten stark.[18] Auf halber Länge der Grube war in dem harten Tonboden eine achtzig Zentimeter hohe Querwand stehen gelassen, die verhindert, daß der Büffel die Hinterläufe zu weit nach vorne setzt und sich so herausarbeiten kann. Durch sein eigenes Gewicht wird der unglückliche Gefangene hier so in den Schacht gepreßt, daß die Flanken der Atembewegung nicht mehr ausweichen können und die Läufe dicht aneinander liegen, ohne die Sohle der Grube zu erreichen. Über die Fallen sind dünne Stöcke gelegt und darauf trockene Blätter und Gras. [Illustration: Wapare, die ich beim Büffelfang ertappte.] Die Gruben befanden sich in den Wechseln der Büffel. Wenn auch die ausgehobene Erde sorgfältig verdeckt worden war, war es bei Tage nicht schwer, die gefahrdrohenden Stellen zu sehen. Aber die Büffel werden nicht mit den Augen sichern, sondern mit der Nase. Die Wildsteller versuchen außerdem die Herde in schneller Gangart über die Fallen hin zu drücken, so daß die Wahrscheinlichkeit groß ist, daß ein Büffel, dem engen Pfad folgend, hineinstürzt. Da keine Aussicht mehr war, die flüchtige Büffelherde heute noch zu erreichen, ging ich, um Platten zu entwickeln und die Kassetten meiner Kamera neu zu füllen, zu meinem Hauptlager am Jipesumpf zurück. Da kamen Leute und baten mich, gegen Abend einige Krokodile abzuschießen, die es sich an der Schöpfstelle des Dorfes allzu bequem machten. Ich schoß zwei der großen Echsen; ein Neger suchte die Tiere herauszuziehen, kam aber sofort zurück und beklagte sich über die Blutegel, die ihn im Wasser angefallen hätten. Am nächsten Morgen suchte und fand ich bald frische Büffelfährten und folgte ihnen. Wieder fiel der Mangel an jedem anderen Wild auf; nur Büffel und Nashörner waren in dem hohen, trockenen Grase zu spüren, während alte, eingetrocknete Fährten zeigten, daß sich hier zu anderer Jahreszeit Löwen, Leoparden und viele große und kleine Antilopen der verschiedensten Art aufhielten. Sobald das Gras höher wird, verziehen sich, wie es scheint, die schwächeren Wildarten in die offene Steppe, aus Furcht vor den Raubtieren, die sich ihnen im Grase zu leicht nähern können. Nur die wehrhaften Dickhäuter, denen die großen Katzen nichts anhaben, dürfen sich weiter in der Kühle der Wälder aufhalten; wahrscheinlich würden auch die Antilopen und Zebras nicht in die sonnige, heiße Steppe gehen, wenn der Löwe nicht wäre. [Sidenote: Fährtensuchen.] Heute leisteten die drei ausgesuchten Neger, die mich begleiteten, gradezu Bewundernswertes in der Ausdauer und Gewissenhaftigkeit beim Fährtensuchen. Eine besondere Glanzleistung war es, festzustellen, wo die Tiere eine Waldwiese, auf der sie äsend hin und her gezogen waren, verlassen hatten. Da meine Leute zuverlässig arbeiteten, hatte ich nichts weiter zu tun, als mich fertig zu halten für den Augenblick, in dem wir auf die Büffel stoßen würden, und mich nur manchmal zu überzeugen, ob die Fährte, der wir folgten, frisch war. Ohne Hilfe von Negern, allein eine Fährte zu halten, ist sehr ermüdend. Acht Augen sehen mehr als zwei; aber es gilt, sie richtig zu nutzen. Ich möchte sagen: es gibt auch eine Führung der Fährtensucher; und die muß der Schütze übernehmen. Er selbst sieht gerade aus und bleibt auf dem letzten, mit Sicherheit festgestellten Zeichen stehen. Von da aus kann er oft, indem er nur in der Richtung sieht, in der das Wild voraussichtlich gegangen ist, ein entferntes Zeichen sehen, dorthin gehen, seine Leute neu ansetzen und so Zeit und Nervenkraft sparen. In dem dichten Busch gibt es meist nur wenige Durchgänge, die das Wild genommen haben kann, und am wahrscheinlichsten ist es immer, daß es die Hauptrichtung inne gehalten hat; da wird zuerst gesucht. Allmählich bekommt der Jäger große Übung darin, ganz unauffälligen Merkmalen sichere Schlüsse zu entnehmen. Der Strich des Grases z. B. zeigt ihm, wo ein Tier hindurch gegangen ist. -- Ich spreche selbstverständlich nur von trockenem Grase; denn im saftigen Grün kann jeder Laie einer Fährte folgen. -- Besonders wichtig ist es, darauf zu halten, daß niemand zu früh in eine Fährte läuft, von der nicht sicher festgestellt wurde, daß sie die richtige ist; sowie Menschen in der Fährte gegangen sind, wird sie verwischt und unkenntlich. Die besten Aussichten auf erfolgreiche Arbeit hat man mit gewissenhaften Spürnegern, viel Verdruß aber mit solchen, die darauf losgehen und durch ein sicheres Benehmen die übrigen in Unaufmerksamkeit einwiegen. Wenn eine Fährte verloren ist, soll man nicht ausschwärmen lassen, um sie wieder zu finden, sondern befehlen: „Alle stehen bleiben!“ und mit den sachverständigsten zwei Leuten vorsichtig einen Kreis schlagen. Erst wenn das zu keinem Ergebnis führte, kann man die Neger in alle Richtungen schicken, um vielleicht in größerer Entfernung eine Spur wieder zu finden; das ist dann besser als gleich umkehren zu müssen. Ich habe es oft so gemacht: mich ruhig hingesetzt und gegrollt, daß meine Methode nicht ohne weiteres zum Ziele führte und die Neger zu zwei und zwei in verschiedene Richtungen geschickt mit dem Befehl, nach einer halben Stunde wieder zurück zu sein, falls nicht ein Pfiff sie schon vorher riefe. Die Reize einer solchen Fährtenfolge liegen in der Erwartung, jeden Augenblick das Wild zu sehen, für dessen Anwesenheit der Jäger als sicherste Urkunde den Abdruck der Hufe vor sich hat. [Sidenote: Pirschkunst.] Auf Umwegen leitete uns der Weg der Büffel heute an den Abhang des Berges. Immer schwieriger wurde es, ohne Geräusch vorwärts zu dringen, da wir durch verwachsene Schluchten und tief ausgewaschene Täler an steinigen Berghängen entlang geführt wurden. Der alte Makange schlich vor mir. Er drehte sich mehrmals um, hob die kleine Holzkeule, die er in der Hand hielt, bedeutungsvoll und flüsterte: „_Karibu ya kulala!_“ („Sie sind dicht vorm Hinlegen!“) Das sah er aus der trägen Gangart der Tiere. Ich zog die Gummisohlen an, legte die steifen Ledergamaschen ab, zog den Rock aus, machte den Gewehrriemen von der Büchse los, weil er an Büschen hängen bleiben kann und setzte eine kleine Kappe auf, die weniger Geräusch macht als der breitkrempige Filzhut, wenn Blätter daran entlang streifen. Äußerste Vorsicht war jetzt geboten. An einer sandigen Stelle füllte ich mir die Hosentasche mit trockenem Staub und ließ von Zeit zu Zeit etwas davon fallen, um den Wind zu prüfen. In dem dichten, von hohem Grase durchsetzten Busch, durch den die Büffel ihren Weg genommen hatten, war bestenfalls auf zehn Schritt zu sehen. Es war kein Gehen mehr, es war ein Schleichen, ein Sichvorwärtsschlängeln, um jedes Geräusch zu vermeiden. Und dennoch: Wenn ich einmal stehen blieb und die Träger abwartete, die leise gingen und doch zu hören waren, dann hielt ich es für unmöglich, ungehört an die Büffel hinanzukommen; denn allein das Gras, das an den Beinen entlang strich und die trockenen Blätter, die dicht im Wege lagen, machten so viel Geräusch, daß es die ruhenden Büffel hören mußten! Das stundenlange Vorwärtsschleichen und vergebliche Spähen ermüdet und macht schließlich ungeduldig, man vergißt die Vorsicht und geht zu schnell, ein trockener Ast knackt unter dem Fuße, ein Zweig schnellt zu plötzlich in seine Ruhestellung zurück, die Büffel stehen dicht dabei -- -- und alle Anstrengung war umsonst. Wenn man nur ungefähr wüßte, ob die Tiere nahe sind! Ich erwarte die Neger, setze mich hin und lasse mir Frühstück geben. Nein, dieser Busch; wie da bloß ein Büffel durchkommt! -- Man erkennt kaum, daß er es tat; die Zweige schließen sich hinter ihm und die Dornen strecken ihre Äste nach wie vor in den engen Paß. Nur Dickhäuter gehen unbeschadet durch: der Büffel mit seinem starken Kopfschild, und das Nashorn. Welche Ausdauer gehört dazu, unter tropischer Sonne mitten am Tage den Fährten eines Wildes zu folgen, tagelang, mit so geringer Aussicht auf Erfolg; auf flacher Erde irgendwo im Busch zu schlafen; allein mit wenigen Negern. Plötzlich ein Schnaufen, gar nicht weit: die Büffel haben sich verraten! Jetzt weiß ich, daß ich nicht mehr stundenweit zu gehen habe und kann meine ganze Kraft daran setzen, unbemerkt, ungehört die nächsten hundert bis zweihundert Schritte zurückzulegen. So nahe bei den Büffeln zu sein: ein Bewußtsein, das die Lebensgeister freudig aufrüttelt! Zu den nächsten hundert Schritten brauche ich etwa eine Viertelstunde. Bei diesem Pirschen, diesem sich lautlos durch die Büsche drücken sind alle Muskeln und Sinne angespannt. Der Fuß sucht vorsichtig einen neuen Stützpunkt, die Schulter weicht einem Dornenzweige aus, der Kolben der Büchse wird Fuß für Fuß vorgesetzt. Nach langem Warten gibt ein leises Schnaufen von neuem die Richtung an. Der Wind ist gut. Ich erreiche eine drei Meter breite, steinige Schlucht, an deren gegenüberliegender Seite im Dunkel der Büsche eine ungewisse Bewegung spielt. Der Führer mit der Reservebüchse ist hinter mir; er umfaßt vor Furcht zitternd mein Handgelenk und bedeutet mich, stehen zu bleiben. [Sidenote: Büffel auf acht Schritte angepirscht.] Zwei Schritt turne ich noch vorwärts, ohne daß sich ein Steinchen löst oder ein Zweig knackt, hebe mich etwas und sehe den Rücken und das Hinterteil eines ruhenden Büffels, acht Schritt vor mir, wie im Kuhstall! Es ist sehr dunkel unter den Büschen, trotz der hellen Mittagssonne, doch erkenne ich bald auch im Schatten die Enden der Hörner, weit auseinander liegend, und zweifle gar nicht daran, daß ich einen starken Bullen vor mir habe. Ich fühle unsagbare Freude, daß es mir gelang, ein Tier mit so feinen Sinnen auf die geringe Entfernung angepirscht zu haben. Nach einer Weile regt es sich an einer entfernteren Stelle unterhalb im Busch, wo ein anderer Büffel etwas bemerkt zu haben scheint. Mein Wild erhebt sich langsam, ich kann die Umrisse beurteilen, und als es eben auf allen vier Läufen steht, schieße ich schräg von hinten auf den Rumpf. Sofort rollt der Büffel zu Boden. Zweiter, dritter Schuß! Wildbrüllend arbeitet er sich wieder hoch, auf mich zu! Ich weiche nach rechts aus, drücke mich an den Grabenrand und schieße den vierten und fünften Schuß. Mit einem tiefen Röcheln senkt sich der Kopf des vornüber stürzenden Büffels neben mir in den Graben. Ich halte die Mündung der Büchse dem riesigen Tiere auf den Nacken und zerschmettere ihm die Wirbelsäule. Das alles geschah in wenigen Sekunden; die Schüsse folgten aufeinander so schnell, wie man mit großer Übung überhaupt repetieren kann. Der sechste Schuß war hinaus, -- meine Büchse leer. Das Gehörn des Büffels lag etwa ein Meter von meinem Knie entfernt. Ich kniete noch fast an derselben Stelle, an der ich den ersten Schuß abgegeben hatte; die Tatsache machte dem Neger, dem einzigen Zeugen des wilden Vorganges, großen Eindruck. Erst jetzt polterte die Herde der Büffel mit lautem Krachen den Abhang hinunter, ohne daß in dem dichten Gebüsch etwas zu erkennen war. Ich fand dadurch bestätigt, was der Führer vorher wiederholt behauptet hatte: „Wenn die Büffel in der Mittagshitze schlafen, kann man zwei, drei schießen, bevor sich die Herde erhebt!“ (Vorausgesetzt, daß man selbst die Büffel sieht!) Ich betrachtete meine Beute; es war eine Büffelkuh. Die starken Hörner setzten erst an der Seite des Kopfes an, während die Stirnfläche, die beim Stier mit Hornwulsten bedeckt ist, nur Fell trug. Der Schädel mit den Hörnern allein hätte schlecht ausgesehen, ich beschloß deshalb den Kopf mit Fell bis zur Schulter zu präparieren und machte mich mit zwei Leuten an die Arbeit, während Irambe Maridadi zum Lager ging, um Leute zu holen und den Koch und die Boys zu der Lagerstelle von vorgestern hinzubestellen; ich wollte in der Frühe des nächsten Tages noch einmal die Hänge absuchen. Wir arbeiteten drei Stunden lang hart; als die Träger kamen, war die Kopfhaut abgezogen und der Büffel in vierzehn Fleischlasten zerwirkt, auch eine große Menge Fett für die Küche bereit. Das starke Fell aber wurde von den Negern zur Anfertigung von Sandalen begehrt. Der Abend war nahe, als ich mit drei Leuten aufbrach. Die Neger rieten davon ab, den Weg zum kleinen Lager zu nehmen, es sei weiter, als ich glaubte; dennoch blieb ich bei meiner Absicht. Die Dunkelheit brach herein; der beschwerliche Weg durch Dornen, Gestrüpp und Gras wollte kein Ende nehmen. Wie zersetzend wirkte die Müdigkeit auf uns. Die Neger rieten, liegen zu bleiben, wo wir waren. Das wollte ich nicht; die Mückenplage, Kälte, Hunger und Durst trieben mich weiter. Es war stockdunkel. Nur ein schwacher Schimmer ging von dem trockenen Steppengrase aus. Der finstere Busch war weit und nah, eine düstere unbestimmte Masse, mit dem Berg verschwimmend. Die oft gehörten Stimmen der kalten Nacht riefen heute nur: „Ruht!“ Es war, als höhnten sie über unsere Ohnmacht. Hell strahlte die Venus über den Bergkamm; sie war meinen Augen der Leitstern. „Bana, wir werden in Wildgruben fallen!“ sagte der Makange, der vor mir ging. Kurz darauf klang seine Stimme von unten, wie ein Vorwurf zu mir herauf: „Siehst du!“ Und aus einer Grube zu meinen Füßen heraus kletternd, sagte er: „Ja, so ist es, wenn man Nachts hier geht.“ „Das schadet dir doch nichts!“ „Es kann ein Leopard in der Grube sein.“ Ich ging voran und war kaum fünfzig Schritte gegangen, da fühlte ich dünne Zweige unter mir federn und brechen, und mit Wucht fiel ich in eine Grube. Ich blieb eine Weile darin sitzen und rief hinauf: „Es ist sehr schön hier unten!“ Allein der Heiterkeitserfolg blieb diesmal schwach. Voran! Der Busch wurde dichter, fast undurchdringlich. Die Leute blieben stehen; das dichte Gras wollte nicht weichen. Wie Filz waren Zweige und Gräser durcheinander gewachsen; Dornen hielten. Unwillig arbeitete ich mich vorwärts, fast erlahmte meine Kraft. Da drängte sich Umnasi[19] vor mich, und er, der vom frühen Morgen keinen Augenblick ohne Arbeit gewesen war, brach wie ein Stier durch das Dickicht. So durchkreuzten wir eine düstere Waldecke. Da ertönte von ferne das Quaken von Fröschen; das war die Richtung auf unser Lager! Schilfgras, so stark und dicht, daß es dem Körper Widerstand bot, sperrte den Weg; wieder war Umnasi vor mir, sprang hoch, warf sich auf das Gras und drückte die hohen Massen der Halme mit seinem Körpergewicht vor sich nieder; er hielt ein Beil in der Hand und trug auf dem Rücken einen gefüllten Rucksack. Was dieser brave Neger heute leistete, war bewundernswert. Er bahnte uns den Weg, bis ein Feuerschein aus den Büschen zu uns herüberleuchtete. [Sidenote: Ermattung.] So erreichten wir spät in der Nacht todmüde das Lager. Als ich einschlief, hörte ich noch die Unterhaltung der Neger. Alle schimpften auf die niederträchtige Gegend, nur der unverwüstliche Umnasi phantasierte ihnen zum Trotz, er wolle sich hier anbauen und nicht mehr als Träger überall Dienst nehmen, er wolle zum Bezirksamtmann gehen und ihm sagen. „Ich, der Umnasi, bin da, gib mir drei Weiber, ich will jetzt eine Pflanzung anlegen. Und der Bezirksamtmann sagt dann: ‚Gut, Umnasi, das freut mich, hier hast du drei Weiber!‘ -- Dann werde ich hier ein Haus bauen und viel Geld verdienen mit Mais, Mohogo, Reis, Matama, Bohnen, Ziegen -- -- --“ Neues Holz wurde auf das Feuer gelegt. Die Flammen leuchteten auf; ich fiel in tiefen, erquickenden Schlaf. [15] Der Kapbüffel, der eigentliche Kaffernbüffel ist wohl ausgerottet; sein Gehörn unterscheidet sich von dem aller anderen ostafrikanischen Büffel durch kappenartige Fortsätze über der Stirn. [16] Büffel. [17] Der Tierfang in Gruben ist den Eingeborenen verboten, weil eine verständige Ausübung der Jagd, ebenso wie eine Aufrechterhaltung der Schongesetze damit unmöglich ist. [18] Der ausgewachsene Kaffernbüffel ist etwa 2,60 Meter lang und 1,50 Meter hoch. [19] richtig geschrieben: Mnazi = Cocospalme. [Illustration: In Mombasa sah ich einen abnormen Elfenbeinzahn (linker Zahn). Es ist zu bedauern, daß der Schädel zu diesem Zahn fehlt, der Zahn beginnt schon, wo er in der Knochenhöhlung des Oberkiefers sitzt, sich zu winden; der Schädel muß also ganz auffallende Spuren einer schweren Verletzung tragen.] Elefanten. Am 18. Dezember 1905 schrieb ich in mein Tagebuch: „Es ist drei Uhr am Morgen; ich kann -- nein, ich will nicht mehr schlafen. [Sidenote: Ein Elefant an meinem Zelt.] Ich bin geweckt worden; aber anders, als alle anderen Menschen heute geweckt werden: ein Elefant hat mich geweckt. Und dafür danke ich ihm; denn er hat recht, wenn er mir sagt: ‚Du Mensch, du kleiner, dürftiger -- du, einer von denen, die die Welt verändern, die sie öde und leer machen -- merk auf, wenn die Majestäten kommen; denn bald werden sie nicht mehr sein; bald wird nur das Gedächtnis noch an sie erinnern; ihre Herrlichkeit wird vergehen und du, du warst dann einer von denen, die noch berufen waren, von ihrem Glanze zu erzählen.‘“ Ich lag in tiefem Schlaf. Da reißt jemand an den Stangen meines Zeltes. Ich richte mich auf im Bett: wo bin ich? Stockduster. Ich taste nach dem Kopfende meines Feldbettes, wo die Büchse steht, und horche. Da: „Kleng! -- kleng! --“ Irgend jemand vergnügt sich hier mitten in der Nacht damit, eine Konservendose -- ich hatte am Abend eine Dose Pflaumen öffnen lassen -- in gleichmäßigen Zeitabständen auf den Boden zu werfen! „Korrokón!“ „Tjarrr?!“ „Keléle?!“ „Ndófu!“[20] Jetzt mußte ich einige Sekunden überlegen; denn mir war im ersten Augenblick nicht klar, ob ich recht gehört hatte. Dann knöpfte ich leise mein Zelt an der Rückseite auf und ging vorsichtig hinaus. Da stand wirklich an einem großen Baume ein riesiger Elefant, und zwei lange Zähne leuchteten an seinem Kopfe. Der hatte also mit meiner Konservendose gespielt! Der Askari kam heran. „Weshalb jagst du ihn nicht weg?“ „Du hast es verboten!“ Da hatte er recht; aber das war mir denn doch zu viel! Ich bückte mich, hob einen Knüppel auf, ging dicht an den Elefanten hinan und warf ihm das Holz an den Kopf, daß es klappte. Er schnaubte und lief davon. -- * * * * * Das ist vor einer Stunde geschehen und jetzt sitze ich vor dem Zelt, schreibe beim Schein einer Küchenlaterne und warte, daß es hell werde. Eben brüllt ein Löwe. Von dem „Konzert“, von dem andere erzählen, habe ich eigentlich noch nie etwas gehört; auch was ich jetzt höre, klingt nur wie ein grimmiges, mißmutiges und faules Hineinknurren in eine leere Tonne. Hier am Rufiyi scheinen Löwen und Elefanten eingesehen zu haben, daß sie gegen die Stimme des Kiboko nicht ankommen können; auch das Trompeten des Elefanten, das „markerschütternde“, habe ich noch nicht gehört. Elefant, Löwe und Büffel! Gibt es noch ein Revier auf dieser Erde, das wertvolleres Wild beherbergt? Gibt es eine größere Wildnis, als die, die mich hier mit wundervollem Zauber umgibt? Der größte der lebenden Dickhäuter; die starke und gewandte Katze; der wilde Stier: wo dies Kleeblatt noch zu finden ist, da sind paradiesische Zustände. Ich weiß das; weiß, daß ich ein Glück genieße, wie es mir im Leben nicht reiner wieder begegnen wird. Fern von den Menschen; fern von Neid, Haß und Habgier; von den Schmerzen und der Langeweile, die uns tagein, tagaus verfolgen und peinigen. Alles, was in Städten und Dörfern lebt, was gegen Not und Elend kämpft, und mit ungestillter, unverstandener Sehnsucht ringt, liegt hinter den blauen Bergen dort unten. [Sidenote: Glücksgefühl.] Ich bin hereingekommen in ein Paradies, und will es im Innern festhalten und dem Geschick danken, das mir so hohes Glück beschert hat! Ich will mir hier einen Schatz fürs Leben sammeln und nie vergessen, daß ich in dieser Zeit frei von allem Leiden war; jung und stark und gesund in einer Welt, die meinen Neigungen Nahrung gab. An jedem Morgen empfinde ich das von neuem. Wenn die Sonne aufgeht, kommt auch meine Freude wieder. Die Nacht ist ein Warten; Andacht die Morgenstunde; Erfüllung der Tag. Und der Abend ist ein rechter Abend, mit Müdigkeit und Frieden, mit stillem Zurückschauen und ganz zarter Hoffnung auf eine neue Lebenswelle, die der neue Tag bringt. Das nenne ich ein Leben! -- * * * * * Eines Tages kam ich in ein Dorf, dessen Einwohner oft über Wildschaden geklagt hatten. Flußpferde, Schweine und Elefanten seien Nacht für Nacht auf den Feldern, und die Männer müßten beim brennenden Feuer Wache halten, um ihre Felder zu schützen. Als die Sonne unterging, lag ich auf der Uferböschung des Flusses, nahe bei dem Dorfe, und beobachtete ein großes Krokodil, das auf dem andern Ufer schlief. Die rote Abendsonne schien dem Drachenvieh in den weit geöffneten Rachen. Ich überlegte, ob ich das Raubtier durch einen wohlgezielten Schuß ins Jenseits befördern sollte. Da wurde ich auf eine Flußpferdherde aufmerksam, die dicht am Ufer auf die Dunkelheit wartete, um zur Äsung an Land zu steigen; es waren wohl zwanzig Köpfe. Als es dunkel wurde, hoben sich die ersten beiden plumpen Leiber auf das Ufer; dann folgte ein starker Bulle mit weit nach vorn gesenktem Kopfe. Ich gab ihm eine Kugel in das Gehirn; er brach auf der Stelle zusammen. Die Herde drängte in das tiefere Wasser und warf eine hohe Welle vor sich auf; die beiden am Ufer stehenden Tiere stürzten sich von oben in den Fluß und folgten der Herde. Ich band den erlegten Bullen mit Schilf am Ufer fest und ging zu meiner Hütte zurück. Als ich beim Abendbrot saß, brüllte dicht neben mir im Wasser noch ein Flußpferd. Das Dorf, dessen Bewohner mir hier eine kleine, saubere Rasthütte gebaut hatten, lag dicht am Strome. Die Leute waren dem Strome gefolgt, der sein Bett vor einigen Jahren hierher verlegt hatte, und wohnten noch nicht lange an dieser Stelle; noch keiner der angepflanzten Bäume war mehr als drei Jahre alt. Die Neger in diesem Orte waren sehr freundlich zu mir. Sie hockten im Kreise um ein kleines Feuer mitten auf der Dorfstraße und erzählten sich etwas. Ich setzte mich im langen Stuhl in ihre Nähe und hörte zu. Sie klagten, die Flußpferde ließen keinen Halm auf ihren Feldern wenn das Feuer bei den Wachthütten einmal ausgehe. Nach einer Weile trennten sich einige Leute von der Gruppe und sagten, sie müßten in die Schamba gehen, um Wache zu halten. Kurz entschlossen hängte ich meine Büchse um und ging mit ihnen. Das war eine der eigenartigsten Nächte, die ich auf afrikanischem Boden erlebte! Die Klarheit des Himmels, die scheinbar unendliche Masse des hohen Schilfes, in die die Neger barfuß, mit vorsichtigen Tritten hineingingen; das schrille, ohrenbetäubende Zirpen der Zikaden die, wenn wir näher kamen, ganz plötzlich verstummten; die vielen kleinen Hütten auf hohen Pfählen, an denen wir vorbeikamen, und aus denen jedesmal eine Menschenstimme Antwort gab: Das machte auf mich einen so tiefen Eindruck; denn es war ein Stück von der Geschichte des Elefanten, des größten Wildes der Erde. Hier durfte ich noch Zeuge sein, wie halbwilde Menschen um ihre Nahrung mit den Tieren der Vorwelt kämpften; wie die Lebensweise der Dickhäuter das Treiben der Menschen beeinflußte. Und mir schien, als ob die Menschen reger, stärker und besser würden durch den dauernden Kampf. Das waren meine Gedanken, als ich den biegsamen Gestalten der Neger folgte, die mit ihren Sinnen ganz beschäftigt waren, den Weg zu suchen. Der eine Neger ging abseits auf ein Feld. Ich folgte dem anderen und wir stiegen an schwachen Pfählen auf ein Gerüst hinauf, das eine kleine Hütte trug. Nicht weit davon brannte zu ebener Erde ein Feuer und Brennholz lag daneben. Der Schwarze brachte einen Arm voll trockenen Grases und legte es mir unter den Rücken. Ich machte es mir so bequem wie möglich. [Illustration: Schädel eines Elefanten, den ich geschossen habe. Die Zähne sind 221 Zentimeter lang.] Die Pfähle wackelten stark, als der Neger hinunterstieg, um neue Reiser auf das Feuer zu werfen. In der kleinen Hütte war ein starker Negergeruch, den ich in Kauf nehmen mußte. Der Schwarze hockte dicht bei mir, nestelte an seinem Hüfttuch herum, holte Tabak heraus und schob ihn in den Mund und die Nase. Im Schein des Feuers sah ich, daß er große Narben im Gesicht und auf dem Schädel hatte, und er erzählte mir, daß ihn ein Leopard vor mehreren Jahren in der Nacht auf einer Wachthütte besucht habe. Er habe geschlafen, sich plötzlich gepackt gefühlt, um sich gegriffen, den Leoparden mit aller Kraft gefaßt und geschrien; da sei seine Bibi mit Feuer gekommen und habe ihn befreit. Ob der Leopard mehr gebissen oder geschlagen hatte, konnte der Mann mir nicht sagen. Die Zikaden zirpten ununterbrochen. Eine Fledermaus besuchte unseren kleinen Raum und flatterte geisterhaft um das Strohdach. Von Zeit zu Zeit ertönte das mächtige Brüllen der Flußpferde fern und nah; dann hörte man wieder Rufe, Scheuchen und Schlagen von Trommeln rundum in den Feldern. Stunden vergingen -- --. Wenn mir der Kopf niedersank, durchfuhr mich ein Gefühl des Ekels bei dem Geruch, der den Gegenständen in der Hütte anhaftete; ich sah wieder in die Dunkelheit hinaus. [Sidenote: Elefanten in den Feldern.] Stunden vergingen -- --. Mit einmal war ich wieder ganz wach und mein Herz schlug schneller: „Elefanten,“ sagte der Neger leise. „Sie kommen in die Schamba.“ Ich hörte nur ein leises Streichen von Gräsern, ein Schurren, Kluppen, Schnaufen; dumpfe Stöße; aber alles dies so leise, daß nur die Phantasie sich die Nähe der großen Tiere dazu vorstellen konnte. Nichts von dem Trompeten, auf das ich gehofft hatte. Ich horchte lange hinaus in die Nacht und als ich genug gehört hatte, sang der Neger laut und schlug auf eine dumpfe Trommel. Ich ging auf Umwegen zum Dorfe zurück und merkte dabei, daß es unverständig ist, in diesem Lande nachts allein zu gehen; man sieht und hört Gespenster. Gerade der Pirschjäger, und besonders der Europäer, ist gewohnt, seine Augen zu gebrauchen, wenn er ein verdächtiges Geräusch gehört hat. Hier aber ist nachts ein lautes Treiben und hält die Sinne des Wanderers fortgesetzt in Anspannung, ohne daß er etwas sehen kann. Steht da nicht ein Flußpferd? Im Grase raschelt’s; ein fernes Brechen -- -- Elefanten? Man steht und lauscht. Das Geräusch der eigenen Tritte verbietet vorwärts zu gehen, weil man die anderen Geräusche, die man zu beachten gewohnt ist, zu übertönen fürchtet; wenn andere mitgehen, schreitet man aus, ohne Rücksicht auf den Lärm der Tritte, die sich mit denen der anderen verbinden. Am Morgen kamen die Neger, weckten mich und meldeten, die Elefanten hätten die Schamben verlassen und seien nach dem Walde hingewechselt. Eilig brach ich auf, um den Tieren den Weg abzuschneiden. Durch hohes Schilfgras kam ich auf Umwegen in Buschwald. Da fanden die Leute bald die ganz frische Fährte eines Elefanten, dem wir folgten. Kurz darauf prallte der vor mir gehende Neger zurück und sagte. „Ndofu.“[21] Ein großer Elefant stieg dicht vor uns aus einem kleinen Tal und verschwand schnaubend in den Büschen. Er hatte uns gehört. Ich lief nach und sah ihn in ziemlich offenem Gelände stehen, als er sich zu mir umdrehte. Ohne zu zögern ging ich an den völlig freistehenden Riesen bis auf fünfundzwanzig Schritt hinan und schoß zwischen Auge und Ohr, während er seine großen Gehöre abgespreizt hielt, als wollte er mit den riesigen Schallfängern jeden Laut aus der Richtung seines Angreifers auffangen. [Sidenote: Der erste Elefant zur Strecke.] Auf den Schuß tat der Elefant mehrere Schritte vorwärts, brach vorne nieder, so daß die Zähne den Erdboden aufpflügten, legte sich langsam auf die Seite und verendete. Der Eindruck, den dieser Vorgang auf mich machte, war überwältigend. Alles war so schnell gegangen: Das Wahrnehmen des Tieres, der Schuß und die verblüffende Wirkung, daß der große Elefant, der eben noch im Vollbesitz seiner ungeheuren Kräfte war, leblos zusammensank. -- Das war der Tod? Ein Schwarzer sprang auf den toten Elefant los, hielt seinen Vorderlader mit gestreckten Armen vor sich und feuerte ihm die Ladung in den Rücken. Hinter den Büschen ertönte ein dumpfes Trompeten; es klang, als ob Schrecken darin läge. Ich folgte dem Tone und sah drei Elefanten, die in schnellem Trab flüchteten und sich dabei dicht aneinander drängten. Als ich zurückkehrte, warnten die Neger noch immer davor, dem Elefanten zu nahe zu kommen, man könne nicht wissen, ob er wirklich tot sei. Am nächsten Morgen war ich mit der Kamera und neugefüllten Kassetten zur Stelle und photographierte meinen ersten Elefanten. Auf den umstehenden Bäumen saßen Hunderte von Aasvögeln und warteten, bis irgend jemand die Decke des Dickhäuters durchschlagen würde. Der riesige Leib war in den vierundzwanzig Stunden mächtig aufgetrieben, und als er geöffnet wurde, schwoll der Magen wie ein Ballon heraus. Da näherte sich ein Witzbold vorsichtig von der Rückenseite und stach mit seinem Messer kurz in die gespannte Wand. Es gab einen lauten Knall, der Ballon platzte, und der Mageninhalt flog weit herum, zum großen Vergnügen der Zuschauer. Merkwürdig war, daß das Hinterbein des auf der Seite liegenden Elefanten frei in der Luft schwebte und selbst das Gewicht mehrerer Menschen tragen konnte, ohne nach unten gedrückt zu werden. An dem ersten Elefanten gab es noch vieles andere zu sehen: Die Proportionen des Tieres, die Beschaffenheit der Haut (die viel schwächer ist, als die des Flußpferdes), die Größe der Ohren, die Muskulatur des Rüssels und die Form des Greifers (des Rüsselendes, in das die Nasenkanäle münden). Die Neger sprachen über den Elefanten und teilten sich mit, was sie von ihm wußten. „Der ißt keine Kürbisse mehr,“ sagte einer. „Aber sein Freund“ (_ndugu_), ein anderer. „Er schläft nie liegend,“ „er legt sich nie hin, weil er dann nicht wieder aufstehen kann.“ „Er legt die Zähne auf einen Baum, wenn er schlafen will; weil sie schwer sind.“ Sie betrachteten den Rüssel --, „damit greift er sich Mangos,“ „und trinkt Wasser,“ „und gräbt Löcher.“ Ich sah mir an, wie die Zähne herausgehauen wurden. Der linke Zahn war kürzer als der rechte und trug an der Spitze Bruchstellen. Die Schwarzen nannten den linken Zahn „_gumbiro_“, den rechten „_lugori_“ und sagten, mit dem _gumbiro_ arbeite der Elefant, den _lugori_ hätte er bloß zum Schmuck; der sei sein Vermögen (_mali_). Bei allen Elefanten, die ich geschossen und gesehen habe, war der linke Zahn kürzer als der rechte. Der linke war meist stärker und abgenutzt; der rechte endigte in einer langen, glatten Spitze. Oft war der linke Zahn sogar ganz abgebrochen. Die Schwarzen schnitten mit ihren weichen, schlechten Messern die Haut und das Fleisch über den Knochenpartien ab, bis die großen Knochenwulste, in die die Zähne gebettet sind, zutage lagen. Dann wurde der Knochen mit Beilen abgesplittert. Die beiden Zähne saßen sehr fest; es forderte stundenlange Arbeit, sie zu lösen. Der obere Rand jedes Zahnes ist durch eine dünne Hautplatte abgeschlossen, unter der der große, rosarote Nerv liegt. Der ist gut anderthalb Fuß lang und geht nach unten spitz zu wie eine Rübe. Er füllt die Höhlung des Zahnes aus. * * * * * Eines morgens brach ich anderthalb Stunden vor Sonnenaufgang mit wenigen, besonders zuverlässigen Leuten auf, um Elefanten zu suchen, in einer Gegend, in der ich frische Fährten gesehen hatte. Es war noch völlig dunkel, als wir in der Ferne ein Brechen hörten. Das Geräusch entfernte sich langsam. Ich mußte warten, bis es hell wurde. Dann gingen wir suchend an Wassertümpeln entlang, in denen sich hohe Bäume spiegelten. Das erste Licht fiel zwischen Blätter und Gräser hinein. Skarabäen schwirrten in der Luft -- große Käfer, die dem Geruch der Elefantenlosung folgten. -- Plötzlich zeigte ein Neger seitwärts. [Sidenote: Sieben Elefanten.] Zwischen den Zweigen reckte sich der Rüssel eines Elefanten, einer mächtigen Schlange gleich, steil in die Luft. Da kein Wind war, brauchte ich nicht lange zu überlegen, was ich tun sollte; ich ging einfach darauf los und erreichte eine Herde von sieben Elefanten, die zwischen den Büschen ästen und dabei langsam vorwärts gingen. Die Elefanten gingen nur in schnellem Schritt. Trotzdem hatte ich Mühe, ihnen zu folgen. Einmal waren links von mir vier, rechts zwei, und der stärkste, ein Bulle, blieb etwas zurück. Ich lief und wußte, da ich schießen wollte, keinen anderen Rat, als schräg von hinten an den stärksten Bullen hinanzulaufen und seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Es war ein Wagnis; denn ich kannte die Elefantenjagd noch kaum und hatte erst zum fünften Male Elefanten vor mir. Aber es war höchste Zeit, zu handeln; meine Kräfte ließen nach und ich fürchtete, durch das Laufen zu unruhig zu werden zu einem sichern Schuß. Die Gräser wurden niedriger, die Büsche spärlicher und die Elefanten waren bis zu den Kniegelenken hinab zu sehen. Nur noch dreißig Schritt trennten mich von dem Bullen, da wandte er sich zu mir um. Sofort blieb ich stehen und schoß ihm zwei Schuß auf das Ohr; da beeilte sich der Elefant, der Herde zu folgen; er zeigte mir nur sein Hinterteil, so daß ich keinen wirksamen Schuß abgeben konnte, und ich schoß auf den linken Hinterfuß. Die Herde verschwand schnell in dem hohen Grase. Nun wartete ich auf meine Leute und nahm dann die Fährte auf. Ich hielt es für aussichtslos und war in recht gedrückter Stimmung; was nützten die kleinen Tropfen Schweiß, die hie und da an den Blättern gefunden wurden! Wir kamen an einem hohen Baume vorbei und ich kletterte hinauf; da sah ich die Elefantenherde tausend Meter von mir entfernt im Schilf stehen. In dem hohen Schilf hinanzugehen wäre ein bodenloser Leichtsinn gewesen, solange kein Wind wehte. Deshalb beschloß ich, auf den Nachmittagswind zu warten, der regelmäßig aus Osten wehte, und ging bis zu einem einzelnen, großen Baume, der in dem weiten Grasmeere stand, und von dem aus die Herde gut zu sehen war. [Sidenote: Die Jagd mit der Leiter.] Ich schickte Leute weg, die im Busch eine Leiter bauen sollten, und ließ mir Essen und die Kamera holen. Mit der Leiter wollte ich im Schilf an die Herde hinangehen, weil es unmöglich und auch zu gefährlich war, sich der Herde zu ebener Erde zu nähern; man konnte in dem etwa drei Meter hohen, dichten Schilfgrase nicht fünf Schritt weit sehen. Gegen drei Uhr am Nachmittag kam der Wind durch, auf den ich gewartet hatte. Nun ging ich an die Herde hinan, um von der Leiter aus photographische Aufnahmen zu machen. Zwei Neger hielten die Leiter, zwei andere lehnten starke Astgabeln dagegen; dann stieg ich hinauf und sah von oben über das Schilf hin nach den Elefanten aus. Ich machte Aufnahmen auf hundertundzwanzig Meter. -- Der erfahrene Photograph wird wissen, daß fast nichts auf der Platte zu sehen war; nur ein paar kleine Pünktchen; die Entfernung war für eine Kamera ohne Fernobjektiv zu groß! -- Mit vieler Mühe machte ich den angeschossenen Elefanten aus. Ich erkannte ihn daran, daß er sich mit dem Greifer seines Rüssels oft nach den Schußstellen am Kopfe faßte. Die Herde stand in heißem Sonnenlicht. Zweimal schienen die gesunden Tiere Anstalten zu machen, weiter zu gehen (um Schatten zu suchen) kehrten aber jedesmal wieder zu dem kranken Elefanten zurück. Alle klappten mit den großen Ohren, und manchmal hob sich ein gekrümmter Rüssel in die Luft, um zu winden. Auch warfen die Tiere sich glitzernden Sand über den Rücken, so daß ich dachte, sie ständen am Wasser. Endlich ging ich ganz nahe an die Elefanten hinan, um den krank geschossenen Bullen zur Strecke zu bringen. Als wir in hohem Schilfe näher kamen, wuchsen die Schwierigkeiten; denn meine Neger, die die Leiter halten sollten, hörten das Prusten der Elefanten, das Klappen der Gehöre und das Kollern (das bekannte Geräusch, das man bei ruhenden Elefanten so oft vernimmt). Die Schwarzen wurden ängstlich, wollten nicht weiter mitkommen und ich mußte darauf gefaßt sein, daß sie, während ich oben auf der Leiter stand, bei Zeichen von Gefahr loslassen würden, und ich dann mit dem Gewehr ins Schilf fiele. Ich ließ einige Neger auf die Leiter steigen, damit sie sich davon überzeugten, daß die Elefanten ganz ruhig aussahen und keine Gefahr zu ahnen schienen. Wenn ich unten im Schilf stand und die Elefanten nicht sah, hatte ich allerdings selbst ein Gefühl von Unsicherheit. Der kranke Elefant stand günstig und zeigte mir, als ich gegen den Wind näher ging, schräg von vorne die Fläche seines Kopfes. Aber nach welcher Seite würde die Herde nach dem Schuß ausbrechen? Würden die Tiere in Wut kommen und mich suchen? Möglich war das nach den Schauergeschichten, die hier und da erzählt werden. Ich stellte mich oben auf die Leiter und schoß. Der Elefant blieb stehen; die übrigen stürmten davon. Nur mit Mühe brachte ich die Neger dazu, zu bleiben und meine Leiter festzuhalten. Aber die Leiter wackelte jetzt so, daß ich keinen ganz sicheren Schuß abgeben konnte; ich wurde hitzig und schoß abwechselnd auf den Kopf und die Schulter, weil die Schulter ein größeres Ziel bot. Der Elefant blieb wie verzaubert stehen. Auf den zweiunddreißigsten Schuß, einen Kopfschuß, brach er in die Knie zusammen. Ich atmete auf: das war ja wie eine Warnung für später; wenn dieser Elefant nicht den Schuß in den Fuß gehabt hätte, wäre er mir dreißigmal verloren gegangen! Er lag so da, daß er von vorne wie lebend aussah, wenn ich die großen Gehöre nach vorne drücken ließ; ich hätte ein sehr imposantes Bild machen können, wenn meine Platten nicht alle gewesen wären. Am nächsten Tage war ich dabei, als die Zähne ausgeschlagen wurden, und studierte den Kopf des Elefanten und die Wirkung meiner Schüsse. Das Aushauen der Zähne war eine langwierige Arbeit, viel mühsamer als ich gedacht hatte. Die Haut, das Fleisch und die Knochenmassen um die Zähne mußten entfernt werden, und da immer nur wenige Leute gleichzeitig arbeiten konnten, dauerte es über vier Stunden, bis die Zähne zum Transport fertig dalagen. Wenn der Neger einen Elefanten schießt, wartet er so lange, bis die Knochenhaut, die den Zahn umgibt, fault und die Zähne in den Alveolen locker werden, so daß er sie mühelos herausziehen kann. Darauf muß er beinahe vierzehn Tage warten, und wird sich dazu wohl bei dem erlegten Elefanten eine Hütte bauen, um seine kostbare Beute zu bewachen. [Sidenote: Schlechte Schüsse; Enttäuschung.] Nach der Erfahrung mit dem Elefanten, der erst auf den zweiunddreißigsten Schuß fiel, beschloß ich, die Elefantenjagd fortan zu unterlassen; entweder war ich unfähig oder mein Gewehrkaliber reichte für Elefanten nicht aus. Ich hatte keine Lust, Elefanten krank zu schießen und noch weniger, den Vorwurf bodenlosen Leichtsinns zu verdienen; denn Leichtsinn, nicht Mut ist es, wenn jemand sich in Gefahr begibt, ohne sich und seiner Waffe trauen zu können. Einen Monat hindurch fehlte mir auch jede Zeit zur Jagd, dann aber hatte ich eine ganz unerwartete Begegnung mit einem Elefanten und lernte an einem Tage, wie es zu machen sei, einen Elefanten mit einem einzigen Stahlmantelgeschoß zu töten. Ich ging mit zwei Boys auf einem Negerpfad, der in Schlangenlinien durch dichten Busch führte. Hie und da standen üppige Dumpalmen, und hohes Gras neigte sich von beiden Seiten in den Weg. Als wir um einen Palmstrauch bogen, stand plötzlich ein Elefant dicht vor uns. Die Boys liefen weg und auch mir blieb nichts anderes übrig, als zurückzuspringen. [Illustration: Der wilde Elefant, der mich wütend verfolgte, fiel nach dem zehnten Schuß.] Auch der Elefant war erschrocken, hob den Kopf, streckte den Rüssel geradeaus nach vorne und trottete in den Busch. Ich folgte ihm, stieg auf einen Baum, um nicht zuviel Zeit mit dem Suchen der Spur zu verlieren und sah den Elefanten, als er das jenseitige Ufer eines etwa vierhundert Meter breiten Sumpfes hinaufstieg und in die Büsche hineinging. Ohne Zögern sprang ich zu Boden und arbeitete mich durch den Sumpf, erreichte das jenseitige Ufer und stieg die Böschung hinauf: als der Elefant ganz unerwartet wieder vor mir stand. Der einzige Neger, der mit mir war, rief: „_anakuja_“[22] und lief davon. Ich war in einer schwierigen Lage; hinter mir der Sumpf, zehn Schritt vor mir der Elefant. [Illustration: Das Heraushauen der Elfenbeinzähne aus dem Schädel ist eine schwere, langwierige Arbeit. Bei diesem Elefanten wurde die Arbeit durch die Lage des Tieres erleichtert; es war zusammengebrochen ohne auf die Seite zu fallen, und so konnten die Schwarzen an beiden Zähnen gleichzeitig arbeiten. -- An dem Elefanten steht die Leiter, die ich mir schnell hatte zusammenbinden lassen, um über das große Gras hinwegsehen zu können. --] Schnell riß ich das Gewehr hoch und schoß auf den Kopf des Elefanten, repetierte und schoß den zweiten Schuß auf den Rüsselansatz, als der Rüssel schon dicht vor mir war; dann sprang ich schräg nach links an dem Elefanten vorbei, weil ich wußte, daß ich in dem Sumpf verloren gewesen wäre. [Sidenote: Vom Elefanten verfolgt.] Der Elefant war hinter mir, ich hörte die Tritte, sprang völlig aufs Geratewohl zur Seite und schoß den dritten Schuß auf den Kopf des Elefanten. Ich sah über dem Grase nur den Rücken und den Kopf mit den gewaltigen Gehören. Wieder stand der Elefant, hob den Rüssel und stieß einen lauten Ton aus, der so klang, als wenn eine Straßenbahn sich schrill in einer Kurve scheuert. Noch zwei Schuß in fieberhafter Schnelligkeit auf den Gehöreingang! Patronen: Die Taschen sind leer! „Ali!“ „Ali!“ „Risassi!“[23] Der Elefant ist wieder hinter mir. Ich laufe. An einem Busch pralle ich mit Ali zusammen; der wirft den Patronengürtel hin; ich hebe den Gürtel auf, laufe, springe, reiße zwei Ladestreifen aus der Ledertasche, lasse den Gürtel wieder fallen, lade. Ich sehe den Elefanten auf Alis Spur und schieße fünfmal; da bleibt der Elefant stehen, dreht sich im Kreise, schlägt mit dem Rüssel in die Luft, trompetet in wilder Wut und fällt langsam auf die rechte Seite. -- Es ist kein Zweifel, daß dieser Elefant mich angenommen hat. Ich hatte ihn zweimal überrascht, und darüber war er ärgerlich; er mußte mich als seinen Verfolger erkennen, er war gereizt. Er hatte nach meinen ersten Schüssen zweimal die Richtung geändert, muß also wohl andere Absichten gehabt haben, als nur davonzulaufen. Obgleich mir nicht Zeit blieb, an die Gefahr zu denken oder gar Furcht zu empfinden, kann ich doch eins als etwas Unangenehmes schildern: fortlaufen zu müssen, dem Gegner den Rücken zu kehren und das Geräusch seiner Tritte hinter sich zu hören. Erhöht wurde die unangenehme Lage noch dadurch, daß man in dem hohen Grase stellenweise nicht sehen konnte, wohin der Elefant lief. Nach einer Weile erschienen beide Boys wieder auf der Bildfläche. Wenige Schritte von der Stelle, an der der Elefant gefallen war, lag ein alter Elefantenschädel, und ich kam auf den glücklichen Einfall, diesen Schädel neben den Elefanten legen zu lassen, genau zu vergleichen und zu messen, um zu lernen, wohin und wie ich schießen müsse, um das Gehirn zu treffen. Wer sich nämlich auf der grauen Fläche am Kopfe des Elefanten zurechtfinden will, muß den Schädel unter der Decke erkennen und das große Gebilde wie mit Röntgenstrahlen durchschauen. Das lernte ich an diesem Tage und übte mich in den fünf Stunden, die ich bei dem Elefanten und dem Schädel zubrachte, durch dauerndes Vergleichen so, daß ich aus jeder Richtung wußte, wieviel Knochen und Fleischmasse mein Geschoß zu durchschlagen hatte. Ich ließ mir mein Skizzenbuch und Bleistifte holen und machte Zeichnungen des Elefantenschädels in allen verschiedenen Stellungen. Diese Mühe -- es war übrigens eine lehrreiche und nützliche Beschäftigung -- machte sich belohnt, und selten bin ich mit mir selbst zufriedener gewesen als an dem Tage, an dem ich den nächsten Elefanten anpirschte und auf fünfzehn Schritt mit einem einzigen Schuß tötete. Mittlerweile kamen meine Träger und zwei ganz alte Männer, deren Brust- und Rückenhaut in vielen Falten auf dem Körper lag. Sie bauten sich eine kleine Hütte und blieben tagelang bei dem Elefanten, um Fleisch zu essen. Wenn ich eitel wäre, müßte ich aufzeichnen, was Ali im Lager über meinen Mut erzählte, wie ich geschossen hätte, bis der Elefant mich beinahe faßte, wie ich immer wieder stehen geblieben sei um zu schießen. Das „_hakimbii_“ („er läuft nicht weg“) ging von Mund zu Mund, und mir konnte es nur recht sein, wenn die Neger daran glaubten; denn mit einem Feigling gehen sie weder auf die Jagd noch ins Gefecht. Übrigens gewann Alis Schilderung noch bedeutend, als er dagegen vormachte, wie ein anderer Europäer vor Jahren auf eine Riesenentfernung auf Elefanten geschossen habe. Ali markierte den Europäer, ein andrer den Boy des Europäers. Der Europäer legte die Mündung des Gewehres auf die Schulter seines Boy, um sicher zu zielen und ging dabei immer rückwärts, wobei er ängstlich um sich blickte und fragte: „_Nipige? nipige?_“ (Soll ich schießen?) So gewann ich also auf Kosten eines Unbekannten, der mir, wenn er dies lesen sollte, verzeihen möge, daß ich die Schwarzen gewähren ließ und nichts tat, um sein Ansehen wiederherzustellen. * * * * * [Sidenote: Elefanten durchqueren den Strom.] Eines Tages kamen Leute und meldeten, zwei Elefanten seien gegen Morgen durch den Fluß gegangen und ständen jetzt nahe bei einem Dorfe im Busch. Ich ließ ein Maultier satteln und machte mich auf den Weg, um zu sehen, was daran wahr sei. Nach zwei Stunden erreichte ich die Stelle, wo die Elefanten den Strom verlassen hatten. Die Fährten waren deutlich; ringsum sah man, wo das Wasser von den großen Tierleibern herabgetropft war. Es war kein Zweifel, daß die Tiere durch den Strom gekommen waren. Aber wie? geschwommen? „Nein, der Elefant ist (zu) schwer,“ sagten die Neger und behaupteten, er sei ganz unter Wasser gewesen; nur das Rüsselende habe herausgesehen. Ich füge nichts hinzu; es ist in jedem Falle merkwürdig, auch wenn es eine Lüge der Neger sein sollte. Da die Neger sagten, die Elefanten ständen ganz in der Nähe, folgte ich der Fährte. Nach kurzer Zeit -- ich war noch gar nicht darauf gefaßt -- standen plötzlich beide Elefanten vor mir. Sie hatten schlanke, dünne Zähne; es waren Kühe und ich hatte nicht die Absicht sie zu schießen -- wie ich überhaupt nie eine Elefantenkuh geschossen habe. -- Die Neger sagten mir in ihrer eigentümlichen Ausdrucksweise „_shauri yako, lakini mali_“. („Wie du willst; aber die Zähne sind sehr wertvoll!“) Ich ging zum Strome zurück und ließ mir ein Boot holen, nahm eine Bastleine mit einem Stein, fuhr über den Fluß und lotete bis zu achtzehn Fuß Wassertiefe; der Wasserstand war in der Zeit schon ziemlich hoch. Da die Elefanten etwa elf Fuß hoch waren, müssen sie entweder geschwommen sein oder, wie die Neger sagten, wirklich den Rüssel als Luftleitung hochgehalten haben. Leider habe ich selbst nie Elefanten im Strome gesehen. Zu Fuß Elefanten zu folgen, ist eine anstrengende, oft vergebliche Mühe; (zu Pferde wäre es eine Kleinigkeit). Das merkte ich, als ich Elefanten photographieren wollte. Ich mußte dazu an die Plätze gehen, wo die Elefanten bestimmt nachts ästen. Dort blieben aber die Tiere bei Tage nicht, sondern zerstreuten sich in verschiedene, ganz unbestimmte Richtungen und ich mußte ihnen dann folgen, bis gutes Licht zum photographieren war. Die ersten Aufnahmen -- die ich für die allerbesten zu halten Grund hatte -- mißlangen vollständig, weil ich noch nicht dreist genug war und jedesmal zu früh zur Büchse griff, wenn der Elefant mir gefährlich wurde. So war ich eines Morgens einem Elefanten schon in der Dunkelheit gefolgt und ging hinter ihm her, um ihn zu photographieren, sobald es hell genug würde. [Sidenote: Allein mit dem Riesen.] Ich ging ganz alleine; hatte die Büchse in der Hand und die Kamera umgehängt. Meine Leute hatten den Auftrag, mir erst nach Tagesanbruch zu folgen. Ich wollte ganz alleine sein, weil ich dann von niemand gestört wurde und weil es für jemand, der seine Sinne zusammennimmt, bei Jagd auf gefährliches Wild wirklich das Sicherste ist, allein zu gehen; denn viele Leute, viele Fehler. Damit aber die Neger meiner Fährte schnell und sicher folgen konnten, hatte ich mir die Taschen mit Papierschnitzel gefüllt, die ich von Zeit zu Zeit fallen ließ.[24] Diese Vorsichtsmaßregel war sehr wichtig, da ich auch die Gewohnheit hatte, Gegenstände, die mir lästig wurden, abzulegen und in der Fährte liegen zu lassen, damit meine Leute sie mitnähmen, und weil man einen Unfall haben kann, bei dem schnelle Hilfe nötig ist. Der Elefant ging ganz langsam durch den Busch und kam in eine offene Ebene mit kurzem, saftigen Gras. Ich war meist nur vierzig Schritt hinter ihm. Er blieb oft stehen und nahm mit dem Rüssel Gras auf. Dabei krümmte er das untere Ende des Rüssels wie eine Sichel, raffte die Halme zusammen, riß ein Bündel ab und steckte es in den Mund. Über eine Stunde war es schon hell, da machte ich die erste Aufnahme (auf fünfzig Schritt, schräg von hinten). Zum Glück ließ ich die Kassette auf der Erde liegen -- ich band ein Taschentuch daran, deckte Gras über die Kassette um sie vor Sonnenlicht zu schützen und ließ das Taschentuch darunter hervorsehen, damit die Neger, die meiner Fährte folgten, darauf aufmerksam würden. So wurde diese Aufnahme wenigstens gerettet. Ich hatte jetzt nur noch eine Doppelkassette (zwei unbelichtete Platten). Als der Elefant einen ganz sanften Abhang hinanstieg, lief ich nach rechts und photographierte ihn von der Seite. Da sah ich einen anderen Elefanten von links kommen und blieb stehen, um zu beobachten, wann sich die Tiere gegenseitig bemerken würden. Als sie etwa vierzig Schritt voneinander entfernt waren, blieb der Elefant, dem ich folgte, stehen und wartete, bis der andere dicht vor ihm vorübergegangen war. Dann aber drehte er sich ganz ohne Veranlassung plötzlich um, so daß ich genau vor ihm stand, und spreizte beide Ohren. Ich hatte die große Ruhe, jetzt die Kamera zu heben, zu zielen und zu knipsen. Der Schlitzverschluß rollte auffallend laut; der Elefant hob den Rüssel und schnaubte. Er hatte mich bemerkt. Ich stand fünfundzwanzig Schritt vor ihm; was tun? Ich ließ die Kamera ins Gras fallen, hob schnell die Büchse und schoß. Der Elefant brach vorne zusammen und rollte tot auf die Seite. War es ein Gegner? War dies Aug in Auge mit dem Riesen ein Moment, in dem es sich um Leben oder Tod handelte? [Illustration: Der Elefant ging in kurzem Grase. Ich war fünfzig Schritt hinter ihm, als ich die erste Aufnahme machte.] Ich weiß es nicht; jedenfalls gehört es zu den seltensten Erlebnissen, auf Wurfweite in ganz freiem Terrain mit einem wilden Elefanten allein zu sein und von ihm bemerkt zu werden. Leider ist die obenstehende Aufnahme die einzige von den dreien, die gelungen ist. Die beiden anderen, auf die ich mich monatelang freute, habe ich nie wieder gesehen und ich weiß nicht, wodurch die Platten verdorben sind; vielleicht wurden sie beschädigt, als ich die Kamera hinwarf. Ein solcher Verlust ist sehr schwer zu vergessen; denn es gibt keine besseren Beweise für die Wahrheit von Jagderlebnissen, als Photographien, die in die Erlebnisse mitten hinein führen und einen Teil der Aufregung und Gefahr schildern. Photographien sind viel wertvollere Erinnerungen, als die Jagdtrophäen selber! Leider fehlten mir oft Platten, so daß ich manche Gelegenheit, wertvolle Aufnahmen zu machen, vorübergehen lassen mußte. [Sidenote: Pirschzeichen und Fährtenfolge.] Eines Tages aber hatte ich sechs gefüllte Doppelkassetten und war in einer Gegend, in der Elefanten frisch zu spüren waren. Kurz vor Sonnenaufgang gingen zwei Elefanten nahe bei meinem Zelte vorbei. Schnell stand ich auf und bereitete alles vor, um zusammen mit Unteroffizier Lauer die Fährte aufzunehmen, sobald es hell würde. Fünf Stunden lang folgten wir der Fährte in heißem Sonnenbrand, ohne auszuruhen. Je höher die Sonne stieg, um so schwieriger war es, das Alter der Fährte zu bestimmen, was notwendig war, weil oft andere, ältere Fährten dazwischen kamen, denen zu folgen natürlich zwecklos gewesen wäre. Wenn ich zum Beispiel zwei Fährten vergleiche: Ich nehme an, die eine ist von gestern früh, die andere von heute nach Sonnenaufgang. Es ist Trockenzeit; kein Regen; aber nachts fällt Tau. Dann ist die Fährte von gestern früh den ganzen Tag über von der Sonne beschienen worden; die Bruchstellen abgebrochener Blätter und Gräser sind dadurch getrocknet. Danach ist der Nachttau in die Fährte gefallen und hat alles gleichmäßig mit Feuchtigkeit benetzt. Die Fährte von heute früh dagegen ist trocken, weil der Huf des Wildes die Tauschicht durchbrochen und den trockenen Sand von unten heraufgewühlt hat; abgerissene Blätter aber zeigen nasse, also frische Bruchstellen. [Illustration: Ich ging bis auf acht Meter hinan. Der größere Elefant hatte sich hingeworfen und schnarchte.] Das sind die Unterschiede zwischen zwei Fährten von verschiedenem Alter. Je höher aber die Sonne steigt, um so feiner werden diese Unterschiede; denn auch die heute früh abgebrochenen Blattstengel fangen an zu trocknen und der Tau verdunstet. Das macht dann oft viel Kopfzerbrechen. Aber es gibt für den aufmerksamen Fährtensucher auch dann noch viele Merkmale, mit deren Beschreibung ich den deutschen Jäger langweilen würde -- und meine übrigen Leser vielleicht noch mehr. -- (Bald findet man eine Schramme an einem Baum, an einer Stelle, die nach Westen liegt; ist diese Wunde an der Haut des Baumes so frisch, daß man annehmen kann, die Nachmittagssonne des vorigen Tages habe nicht darauf geschienen, so wird man sie mit den Elefanten von heute in Verbindung bringen.) Andere wichtige Merkmale sind: der Zustand der Losung; Wassertropfen und Schlamm an Stellen, wo der Elefant durch einen Sumpf gegangen ist. Aus alledem geht hervor, daß der Jäger, wenn er eine Fährte beurteilen will, an die Witterung der letzten Tage denken muß und daß er die Veränderungen kennen muß, denen eine Fährte unterworfen ist. Wenn man einer Fährte schon meilenweit gefolgt ist, kennt man sie meist schon genau an der Größe und Form der Fußabdrücke, an dem Schrank und der Entfernung der Tritte voneinander, so daß es dadurch wieder etwas leichter wird, Fehler zu vermeiden. Je länger man einer Fährte folgt, um so stärker wird der Wunsch, Erfolg zu haben; es ist so, als ob man viel Kapital in eine Sache gesteckt hat und es nicht ganz verlieren will. Deshalb ist es sehr ärgerlich, wenn man nach fünf Stunden an eine Stelle kommt, wo die Fährten so undeutlich kreuz und quer gehen, daß niemand aus noch ein weiß. So ging es uns heute, und mein Begleiter, der mir sagte, er kenne solche Sachen, wie ich sie hier machte, nur aus dem Lederstrumpf, glaubte nicht an den Erfolg und hatte längst den Mut verloren. Als die exakte Methode (von dem letzten mit Sicherheit beobachteten Fußabdruck den folgenden zu suchen und keinen zu überspringen) zu keinem Resultat führte, ließ ich in größerer Entfernung suchen und da fanden wir die Fährte wieder. Wir kamen aus der Schilfebene in hohen Buschwald mit hartem Boden. Die Fährten der großen, schweren Tiere waren hier wirklich kaum zu sehen; die Schalen einer kleinen Antilope drücken sich im Boden deutlicher ab, als die breiten, weichen Kissen[25], die der Elefant unter den Füßen trägt, und er geht damit so leise, daß man ihn kaum hört. Auf unserm Wege erlebten wir noch einen Zwischenfall: Ich sah auf einem Baume einen Geier sitzen und schickte einen Neger hin, der nachsehen sollte, ob ein Stück Wild dort gefallen sei. Der Neger kam entsetzt zurück und führte uns zu der Leiche eines Mannes, der offenbar erst in der letzten Nacht getötet worden war. Die linke Brust war häßlich zerfleischt. Deutliche Fährtenabdrücke im Staube verrieten den Täter: einen starken Löwen. Später erfuhren wir den Zusammenhang: Der Löwe hatte den Neger in der Nacht aus einer Hütte geholt, die vier Kilometer von dem Platz entfernt war, an dem wir den Toten fanden. Ein Bote benachrichtigte die Neger des Dorfes, die schon, bis an die Zähne bewaffnet, der Fährte des Löwen gefolgt waren, die Verfolgung aber aus Feigheit aufgegeben hatten und sich statt dessen an Pombe betranken. [Sidenote: Bei den Elefanten.] Wir folgten der Fährte der Elefanten weiter und kamen in ein Tal, in dem uns eine scharlachrote Blätterwand schon von weitem auffiel. In Deutschland ist der Herbst die Jahreszeit der bunten Blätter, in Afrika offenbar der Frühling, der Anfang der Regenzeit. Man denke sich die zarte, blutrote Farbe junger Eichentriebe von Baum zu Baum fortgesetzt auf eine weite Strecke hin; darunter das satte Grün junger Gräser: so war das Bild, das wir hier sahen. Sieben und eine halbe Stunde waren wir unterwegs, als wir das rote Tal durchquerten und auf der anderen Seite plötzlich die Elefanten vor uns sahen. Der eine stand mit dem Kopf im dichten Laub eines Baumes, der andere außerhalb im Schatten. In dieser Stellung lohnte es nicht, eine Aufnahme zu machen; deshalb wartete ich geduldig und verabredete mit meinem Begleiter, wie wir es anstellen wollten, heute eine Reihe guter Elefantenbilder zu machen. Ich wollte ohne Gewehr an die Elefanten hinangehen, um zu photographieren, er sollte mit der Büchse bereitstehen, um im Notfalle zu schießen. Wir setzten uns ganz gemütlich hin und frühstückten in der seltenen Nachbarschaft zweier Elefanten mit einer Ruhe, als hätten wir den Erfolg schon in der Tasche. Endlich bewegten sich die Elefanten; der außerhalb des Baumes stehende drängte den anderen zur Seite. Nun hatten sie beide nicht in dem Laub des Baumes Platz und gingen weiter. Da kamen sie in den Sonnenschein und blieben, wie schlaftrunken, schon an dem nächsten, hochstämmigen Baume stehen, der sehr wenig Schatten gab. Das war mir sehr willkommen. Der Wind war gleichmäßig, so daß ich nicht zu fürchten brauchte, bemerkt zu werden. [Sidenote: Photographische Aufnahmen.] Ich ließ meine Büchse an einem Strauch stehen und schlich langsam mit der Kamera dem Elefanten näher. Als ich auf etwa fünfzehn Schritt hinan war, warf sich der rechtsstehende, größere Elefant plötzlich hin und begann laut zu schnarchen. Diesen Augenblick völliger Unbefangenheit benutzte ich, um mich den Tieren auf acht Meter zu nähern; ich stellte die Entfernung an der Kamera ein und machte eine Aufnahme. (Abbildung Seite 251.) Von dem liegenden Elefanten sah ich nur die Wölbung des Leibes; ich hielt deshalb die Kamera hoch über den Kopf, um unter allen Umständen wenigstens eine Spur von dem Schläfer auf der Platte zu bekommen als Beweis, daß der Elefant auch in der Wildnis liegend schläft, wenn er sich sicher fühlt. Auf der Abbildung Seite 251 sieht man denn auch die Wölbung des Leibes und die Säulen die nach rechts liegen. (Der Elefant lag auf der rechten Seite; der Rüssel zu mir her. Dicht vor mir im Grase hörte ich das Schnauben zu meinen Füßen.) Der stehende Elefant hielt Wache. Er schlug sich die Gehöre in gleichmäßigem Takt nach vorn über die Luser, um die Insekten zu verscheuchen und dem Rüssel Wind zuzufächeln. Mit dem Schwanz vertrieb er die Insekten hinten. Auf dem Bilde sieht man die riesigen Gehöre, in denen dicke Blutadern laufen; unter dem linken „Ohrläppchen“ sieht der Elfenbeinzahn hervor. Die Hautfalten sind recht deutlich zu erkennen; dies, ebenso wie die unscharfen Gräser im Vordergrunde sind dem Kenner ein Anhalt dafür, zu beurteilen, wie nahe ich dem Elefanten war. (Seite 251.) Nach einer Zeit von etwa zwanzig Minuten wandte sich der stehende Elefant dem liegenden zu und stieß ihn mit seinen Zähnen an. Darauf erhob sich der Schläfer und war noch nicht ganz hoch, als sich der andere schon träge fallen ließ und mit wahrer Wollust schnarchte. Der große Elefant war so aufgestanden, daß er jetzt breit zu mir stand und es war jetzt ein Wagnis, ihm näher zu gehen, weil ich das Auge des Elefanten genau sah und unter dem Eindruck stand, als ob er mich auch sehen müsse; ich stand zehn Schritt von dem Elefanten, dessen Auge auf mich gerichtet war und redete mir ein, daß dies Auge blind sei. Ich duckte mich nieder und kroch noch einmal zu Lauer zurück, um die belichteten Kassetten abzuliefern und genau zu verabreden, was Lauer tun sollte, wenn der Elefant mich plötzlich bemerkte. Es waren Stunden, die verdienen, geschildert zu werden; denn so dreist mit dem riesigen Wild umzugehen, hieß für uns wenigstens mit Vorurteilen brechen, die sich aus allem, was wir bisher gehört hatten, bei uns eingeprägt hatten. Es hieß auf das eigene Geschick und auf die Dummheit[26] (oder Unaufmerksamkeit) der Elefanten bauen. Aber ein mächtiger Ehrgeiz trieb mich: Der Gedanke diese Bilder später zeigen zu können. Der stehende Elefant faßte mit dem Rüssel Grasbüschel und schlug sich damit unter den Körper. Der Rüssel, die Gehöre, der Schwanz waren dauernd in Bewegung. Der Elefant nahm mit dem Rüssel Erde auf und warf sie sich über den Rücken; dann legte er den Rüssel über den rechten Zahn und wickelte ihn sogar ganz herum. Lauer und ich photographierten uns jetzt gegenseitig, mit der Büchse vor dem Elefanten stehend (siehe das dem Buch vorgeheftete Bild). Es wird wohl das erstemal sein, daß ein Jäger vor einem afrikanischen Elefanten stehend photographiert wurde: daß Wild und Jäger auf derselben Platte gezeigt werden, während der Elefant nichts davon ahnt. Als ich wieder dicht vor dem Elefanten stand, erhob sich plötzlich der zweite, kleinere, und reckte den Kopf und Rüssel hoch in die Luft, -- er gähnte --. Diese merkwürdige Stellung wollte ich festhalten, hob den Apparat schnell und knipste, kam aber einen Augenblick zu spät; denn wie die Abbildung Seite 261 zeigt, hat der Elefant im Moment der Aufnahme den Rüssel bereits nach hinten gelegt, und weil ich mit einem zu kurzen Ruck abknipste, ist das Bild ein wenig „verwackelt“. Die Abbildung Seite 261 ist leider nicht ganz scharf. Die Gehöre des nächststehenden Elefanten sind in Bewegung. Das Auge ist zu erkennen, ebenso der linke Zahn. Von dem zweiten Elefanten, der sich gerade aufrichtet, sieht man nur den linken Zahn hoch oben in der Luft und den nach hinten gebogenen Rüssel. Jetzt standen beide Elefanten Rücken an Rücken, wie die Abbildung Seite 263 zeigt. Als ich meine zwölf Platten belichtet hatte, nahm ich die Büchse zur Hand, ging zur Sicherheit auf etwa dreißig Schritt zurück und wollte versuchen, wann die Elefanten auf mich aufmerksam würden, wenn ich mich absichtlich bemerkbar machte. Wenn ich über den Wind gegangen wäre, hätten sie mich sofort gewittert; darüber war kein Zweifel. Auch war mir klar, daß der Elefant aufmerksam auf mich werden mußte, wenn ich heftige, schnelle Bewegungen gemacht hätte. Wir standen beide vor einem kleinen Busch und fielen nicht allzusehr auf; dennoch ist es merkwürdig, wie spät uns die Elefanten bei den nun folgenden Versuchen wahrnahmen, wie lange es dauerte, bis sie mißtrauisch wurden. Ich pfiff zuerst die Signale einiger Vögel. Jedesmal hielt der uns zunächst stehende Elefant die Gehöre einen Augenblick still, setzte aber das Klappen fort, sobald ich verstummte. Auch den Kehrreim des „Star“ von Oskar Straus hörte sich der Elefant mit stillstehenden Gehören an und beruhigte sich darüber. Als ich das ganze Lied pfiff, drehte er sich halb um, auf mich zu. Einen ganz geringen Verdacht, daß das Pfeifen von einem fremden Vogel herrühre, hatte er schon, und als ich ein anderes Lied anfing, wandte er mir den Kopf ganz zu, spreizte die Gehöre, hob den Rüssel hoch über den Kopf, wie um Wind zu suchen und stieß einen schwachen, trompetenden Ton aus. Dann drehte er sich um, und beide Elefanten gingen. [Sidenote: Spaziergang hinter einem Elefanten.] Nun lief ich hinterdrein und schrie laut, um die Elefanten zu reizen. Anfangs beschleunigten sie ihre Tritte, dann drehten sie sich um und prusteten unwillig. Sofort blieb ich stehen und war still, so daß die Elefanten wieder keinen Anhalt hatten, wo und wer ich war. Sie trabten so schnell davon, daß ich das Spiel aufgeben mußte. Todmüde, aber sehr zufrieden mit dem Erfolg des Tages kamen wir erst gegen neun Uhr am Abend ins Lager. Gewiß hatte ich mehr von meinen Bildern erwartet als ich einige Monate später auf den entwickelten Platten sah (ich entwickelte damals noch nicht selbst im Zelt); aber schon diese Bilder fanden großes Interesse; waren es doch die getreuesten Urkunden für das, was ich erlebt und gesehen hatte. Zum Glück plagte mich damals noch keine Sorge, ob ich die wertvollen, kaum zu ersetzenden Aufnahmen auch heil bis dorthin bringen würde, wo die ersten fertigen Kopien dem Kamerajäger die Beruhigung geben, daß seine Trophäe für alle Zeiten gerettet ist; ich schlief fest und gut nach den Anstrengungen der Fährtenfolge. Am nächsten Morgen lag dicker Nebel über dem Fluß und den weiten Schilfniederungen des Tals. Ich war lange vor Sonnenaufgang unterwegs, um zu pirschen und kam in einen Wald von Mangobäumen, in dem es stark nach faulenden Mangofrüchten und nach Elefantenlosung roch. Ein Neger ging vor mir, er wollte mich an eine Stelle führen, wo ein starker Buschbock sei. Plötzlich bückte er sich, wandte sich um und sagte: „_Eh! bana!_“ Er war mit dem Fuß gegen einen Berg Elefantenlosung gestoßen und hatte gefühlt, daß sie noch warm war. Da ging ich ganz vorsichtig weiter und hörte plötzlich ein lautes Schütteln vor mir in den Bäumen; dann raschelten Dutzende von Früchten durch die Zweige und Blätter hernieder und klatschten auf den Boden: Affen oder Elefanten! Ich blieb stehen. Das Schütteln wiederholte sich etwa alle fünf Minuten. Allmählich wurde es heller und ich sah unter den dunklen Bäumen, zwischen säulenartigen Stämmen einen großen Elefanten stehen. Er ging auf einen starken Baum zu, hob den Kopf, nahm den Stamm zwischen die beiden langen, hellgelben Zähne, legte den Rüssel an dem Stamm entlang senkrecht nach oben und brachte den Baum durch Vor- und Zurückwiegen seines ungeheuren Körpers in Bewegung. Die Früchte prasselten nieder. Der Elefant ging mit kleinen, langsamen Schritten rund um den Baum, nahm mit dem Rüssel die Früchte einzeln auf und steckte sie in den Schlund. Er wiegte sich gemütlich auf den Säulen[27] hin und her; die großen Ohren bewegten sich langsam, wie Segel, die bei Flaute an den Mast schlagen. Er ging zum nächsten Baum und begann dasselbe Geschäft. Dann ging er weiter; ich folgte ihm, auf den Zehen laufend, mit geschultertem Gewehr wie eine Schildwache, so dicht, daß ich die Ausführung der bekannten Wette für möglich hielt, dem Elefanten unbemerkt einen Kreidestrich auf den Hinterschenkel zu machen! Der Elefant ging zwischen hohem Gras auf einem ausgetretenen Wege. Ein kleiner Elefant kam „uns“ auf diesem Wege entgegen. Mein Vordermann blieb stehen, bis der andere mit ihm Kopf an Kopf stand und die Elfenbeinzähne zusammenklappten. Wohl dreißig Sekunden standen sie so, ohne daß einer Lust zeigte auszuweichen. Dann ging mein Elefant weiter und schob den kleinen rückwärts, bis er nach der Seite auswich und nun auf mich zukam. Ich ging vom Wege ab und drückte mich seitlich in das Gras, war aber höchstens zwanzig Schritt weit gegangen, als ich mich niederducken mußte; denn der Elefant war schon zu nahe und ich glaubte, daß er mich sehen und hören müsse, wenn ich weiterging. Der Elefant ging ganz ruhig auf dem Wege; aber als sein Rüssel über die Stelle schlenkerte, wo meine letzte Fährte war, schnaubte er und lief erschreckt nach der andern Seite. Dort verschwand er zwischen den Büschen. Zum Glück hatte der andere Elefant nichts davon gemerkt. Ich folgte ihm wieder und traf nach etwa einer Stunde mit zwei anderen Elefanten zusammen, die beide nur den rechten Zahn hatten. [Sidenote: Rappantilope und Löwen.] Da sah ich plötzlich den Kopf einer Rappantilope hundert Schritt von mir aus dem Grase herüberäugen. Ich hatte noch keine dieser schönen Antilopen geschossen, ließ sofort von dem Elefanten ab und gab der Rappantilope einen Schuß auf den Stich. Deutlich hörte ich den Kugelschlag und der Bock stürmte in rasender Flucht in das Schilf hinein. Ich wußte recht genau, wie er getroffen war und daß er nicht weit gehen würde, wollte aber die Schweißfährte doch erst nach einer Stunde aufnehmen, um den Bock nicht zu verlieren und pirschte deshalb weiter. Ich hatte gerade die Kamera in der Hand, um einen merkwürdigen Termitenhügel zu photographieren und suchte nach einem günstigen Standpunkt im Schilf, als dicht vor mir ein Knurren ertönte und meine Begleiter gleichzeitig mit dem Schreckensruf „_simba_“[28] zurückstürzten. Ich sprang schnell auf den Termitenhügel zu, stieß die Kuppe ab und stellte mich mit der Kamera obendrauf, konnte aber den Löwen nur noch eben im Grase verschwinden sehen. Da raschelte es hinter mir und ein zweiter Löwe suchte in dem dichten Grase das Weite. Pech! hätte ich doch wenigstens schnell zur Büchse gegriffen, aber ich dachte wirklich, ich könnte eine Aufnahme machen! [Illustration: Hinter dem ersten Elefanten richtete sich der zweite auf, hob den Rüssel hoch in die Luft und krümmte ihn nach hinten.] [Illustration: Die beiden Elefanten blieben unter einem hohen Baume stehen, der sehr wenig Schatten bot.] Jetzt krabbelten mir die fleißigen Termiten an den Beinen hoch und zwackten mich und, um bei meinem Ärger Seelenruhe zu heucheln, betrachtete ich die Höhle, die sichtbar geworden war, weil die Kuppe des Hügels fehlte. [Illustration: Gehörn einer Rappantilope.] Wie aus einem Schlot stieg heiße Luft daraus hervor. Die kleinen, dickköpfigen Termiten, in deren Staatswesen Liebe und Arbeit so streng getrennt sind, kamen herauf und brachten aus der dunklen Tiefe neue Erde, um den Schaden auszubessern. Zwischen den Arbeitern standen, wie Schutzleute im Straßengewühl, Aufseher mit großen Kopfzangen, ermunterten die Ankömmlinge, wiesen ihnen die Richtung des Weges an und trieben Säumige, die ihren Baustein schon angeklebt hatten und sich an der frischen Luft verpusten wollten, zu beschleunigter Rückkehr an. Ich zeigte meinen Leuten den „_Nyampara_“ (Aufseher) und die fleißigen Arbeiter -- nicht ohne ein Gefühl der Wehmut, daß auf unseren Plantagen die großen Zangen schon beinahe rudimentär geworden sind. Ich war einer Büffelfährte gefolgt und dabei in die Nähe des Lagers gekommen, und hatte keine Lust, den Rappbock selbst zu suchen: deshalb schickte ich einige Askari und Neger hin. Die kamen gegen Abend wieder und sagten, der Bock sei nicht zu finden und setzten hinzu, ich hätte vorbeigeschossen. Das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen! So mußte ich denn am nächsten Morgen selbst hinaus, erlegte ganz in der Frühe einen Riedbock und einen Buschbock und kam gegen acht Uhr an die Stelle, wo ich die Rappantilope geschossen hatte. Da saßen auch schon Geier auf einem Baume und als ich näher kam, erhoben sich gegen vierzig dieser afrikanischen Totverweiser von einer Stelle, wo mein Bock lag; kaum hundert Meter vom Anschuß: die Neger waren doch einmal wieder überführt worden, daß ich niemand ausschickte, wenn ich nicht getroffen hatte, und daß sie unzuverlässig arbeiteten. Der Bock war nur an den Lichtern, dem Geäse und an anderen leicht zugänglichen Stellen angefressen.[29] Ich hatte jetzt drei sehr verschiedene Antilopen im Lager beisammen: den Buschbock,[30] den Riedbock[31] und die bunte Rappantilope.[32] Die Rappantilope war besonders schön. Der Reichtum an verschiedenen Haarfarben, von schwarz über rotbraun bis weiß, war auffallend. Der Bug und Rücken waren schwarz; Hals, Kopf und Luserspitzen rot, die Luser innen weiß. Die Grundfarbe des Kopfes war schwarz, dazwischen liefen weiße und rote Linien. Der Hals und Rücken waren bis dreiviertel der Körperlänge von einer dunklen Mähne bedeckt. Es gab auch Elefantenjagden, die gar nichts Besonderes boten: ein Schuß aus kurzer Entfernung; der plumpe Riese sinkt zusammen und, wenn er nicht allein war, laufen die übrigen davon. [Sidenote: Die Poesie des afrikanischen Weidwerks.] Über die Landschaft, den Himmel und die Umgebung, in der die Jagden stattfanden, könnte ein deutscher Jäger mit tiefer Empfindung schreiben; und es ist ein Wahn, zu glauben, dem afrikanischen Weidwerk fehle die Poesie. Was ist Poesie beim Weidwerk? Poesie ist etwas rein Subjektives. Der Mensch trägt es hinein in einen Gegenstand; dann ist es darin. Dem Jäger ist das Wild untrennbar von der Umgebung, in der es lebt; dem deutschen Jäger der Rehbock untrennbar vom deutschen Wald. Da er das Ausland nicht kennt, sind für ihn ausländische Tiere nur Zoologika. Hinter Eisenstangen kennt er die großen Elefanten, die trägen Nashörner, die schlanken, großäugigen Giraffen, die plumpen Nilpferde und die vielen Antilopen, (die man unmöglich unterscheiden kann!) und die -- ein verächtliches Achselzucken -- schwarze Hornknüppel auf dem Kopfe tragen. Anschauung fehlt. Und wer von afrikanischen oder indischen Jagden erzählt, darf nicht vergessen, erst die Natur zu schildern, in der das mächtige Leben sich harmonisch entwickelt. Sonst können sich seine Zuhörer nicht von dem Bilde der Menagerie losmachen; denn daher allein stammt ihre Anschauung. Ist ihre Phantasie geschickt in die weiten Steppen hineingelockt, auf die steinigen Hügel oder in die großen Sümpfe, dann werden sie auch mit „regsamem Sinn den tiefen und mächtigen Eindruck empfinden, den die Fülle des Lebens erzeugt“;[33] dann werden sie fühlen, daß ein lebensfroher Mensch sich auch einer fremden Natur angliedern kann, als sei er in ihr groß geworden, dann wird der deutsche Jäger das Vorurteil aufgeben, die Liebe zum Wild beginne unter den deutschen Kiefern. Nein: Weidwerk, genau wie es in der Heimat besteht, beginnt da, wo der Mensch anfängt, die Tiere zu kennen und ihre Gewohnheiten innerhalb der wundervollen Natur zu verstehen. An afrikanischen Jagden interessiert das Publikum nur zweierlei: Die Gefahr (deren Begriff sich in Verbindung mit dem Schwarzwild mühsam im deutschen Wald hält) und ungeheure Strecken (die doch nur zu rechtfertigen sind, wo sie der Jäger als Heger, als Züchter aufzeichnen kann, nicht aber in der Wildnis, wo das paradiesische Leben sich seit Urzeit selbst reguliert, wo jeder zu große Eingriff ein Raub ist und das Wildbret zwecklos verfault). Eins war jedesmal groß: der Tod eines Elefanten. Die letzte Bewegung geht durch den Riesenleib. Kurz danach stoße ich ihn mit dem Fuße an: eine träge, leblose Masse. Ist es nicht das Herrlichste, was ich ihm nahm, das Wunderbarste: das Leben? Unwiederbringlich! Allein mit dem Toten. Hier endet ein uraltes Leben, und weit sehe ich im Geiste die Reihe seiner Ahnen zurück. [20] „Posten!“ „Ja?!“ „Was ist das für ein Lärm?!“ (Man beachte die Klangmalerei, die in dem Wort _kělḗlě_ liegt!) „Elefant!“ [21] Ndofu = Elefant. [22] „Er kommt.“ [23] Risassi = Patronen. [24] Ein Zufall war es, daß die Zeitschrift, die ich zu solchen Zwecken zerschnitt, „Brücke zur Heimat“ hieß. Dies damals neue Blatt bekamen wir jedesmal in vier Exemplaren, und während ich einmal schnippelte, fiel mir ein, daß die Papierschnitzel recht gut eine „Brücke zur Heimat“ werden konnten, wenn ich mich auf ihrer Spur zu meinem Lager zurückfand und so vielleicht Hunger und Durst entging. Wir nannten die sinnreiche Einrichtung der Schnitzeljagd seitdem immer „Brücke zur Heimat“. [25] Von zwei Meter Umfang! [26] Welch plumper Ausdruck! [27] So nennen die Afrikaner sehr schön die Beine des Elefanten, weil „Läufe“ dem Sprachgefühl zu zierlich und zu leicht klingt. [28] _simba_ = Löwe. [29] Verzeihung: angeschnitten. [30] Siehe Bild Seite 175; 1. [31] Seite 175; 3. [32] Seite 265. [33] A. v. Humboldt: Ansichten der Natur. [Illustration: Schädel eines Nashorns, das ich am Paregebirge im August 1906 erlegte.] Nashornjagd. [Sidenote: Nashörner.] Als ich die Elefantenbilder gemacht hatte und gezeigt, daß sich ein sorgfältiger Pirschjäger dem afrikanischen Elefanten ebensogut mit der Kamera wie mit der Büchse nähern kann, fanden sich viele, die sagten: „Ja, aber das Nashorn, das sollten Sie mal vor die Büchse kriegen, da wird Ihnen anders!“ Und es würde mir wahrscheinlich heute noch geantwortet, daß die Hauptbeschäftigung des Nashorns sei, Menschen aufzuspießen, und daß ich mit diesem leibhaftigen Satan zusammenkommen müsse, um zu erfahren, wie einem Kulturmenschen zumute wird, wenn er einem Nashorn „in der Wildnis“ gegenübersteht: wenn ich nicht selbst Nashörnern gegenübergestanden hätte. Berichte nervöser Männer sind an solcher Meinung schuld! Ich freue mich deshalb, daß ich Nashörner geschossen, beobachtet und photographiert habe, und daß außer dem Gorilla, den ich selbst noch für den gefährlichsten Gegner eines Jägers halte, kein Tier der Fauna Afrikas übrig ist, auf das ich nicht gejagt habe und über dessen Verhalten ich nicht selbst in der kurzen mir zu Gebote stehenden Zeit Erfahrungen gesammelt habe. Die Nashörner sind Pflanzenfresser und haben keinen Grund, dem Menschen nach dem Leben zu trachten, solange sie sich nicht belästigt und angegriffen fühlen. Dann allerdings beginnt die Gefahr, für die jeder, der von Jugend auf dem Weidwerk huldigt und Soldat gewesen ist, doch wohl genügend gerüstet sein dürfte! Vergeblich bin ich mit der Kamera dem satten und deshalb menschenscheuen Massailöwen nachgelaufen; ich habe keine Bilder mitbringen können, weil die wenigen Löwen, die ich mit eigenen Augen sah, flüchteten; scheuer waren, als alle anderen Tiere. Aber Nashörner habe ich noch gefunden und photographiert. Und von der erfolgreichsten Pirsch auf diese starken, ungeheuren Dickhäuter will ich erzählen. Während noch vor drei Jahren am Kilimandscharo Nashörner in der offenen Steppe ein geradezu häufiges Wild waren, habe ich lange suchen müssen, bis ich das erste Nashorn in so freiem Terrain traf, daß ich es photographieren konnte. Die Buren haben sich durch den leichten Verdienst locken lassen und haben die Nashörner niedergeknallt, wo sie irgend zu erreichen waren. Meist töteten sie die Tiere nur um die Hörner mitzunehmen. Als ich nach Arusha kam, begegnete mir kurz vor dem Städtchen ein Neger mit fünf Doppelhörnern, die sein „Herr“ erbeutet hatte. Das längste Horn war handlang. Einige waren so klein, daß beide Hörner zusammen noch nicht ein Pfund wogen. Für ein Pfund Horn wird am Kilimandscharo vier Mark gezahlt; für den Preis eines Hasen wird ein solch wertvolles, riesiges Tier getötet! Und alle fünf Nashörner brachten dem glücklichen Schützen vierzig Mark ein; das ist soviel, wie er nach dem Jagdgesetz für jedes einzelne Tier Schußgeld an den Staat zahlen müßte. Aber ich will hier nicht von den Buren sprechen; sonst müßte ich auch ihre großen Vorzüge und alle ihre Fehler nennen und dazu fehlt mir der Raum. Außerdem glaube ich, hätten hundertundzwanzig Deutsche, unter denselben Bedingungen (in derselben wirtschaftlichen Lage) an den Meru gesetzt, nicht anders gehandelt, als die Buren es taten; und wenn jeder einzelne nur soviel geschossen hätte, wie ein reisender Sportsmann schießt, dann wären die Nashörner ja auch schon vernichtet. Die weißen Männer sind den natürlichen Schätzen eines Landes gegenüber nicht besser als jene Horden König Etzels. Darüber wollen wir uns nicht mehr wundern. Und wenn von dreien, die hinausgehen, zweie erzogen sind, so wird der dritte, unerzogene allein imstande sein, zu vernichten. Die andern werden ihm bald helfen, weil ihre Enthaltsamkeit „doch nichts nutzt“. Es war während einer Jagdreise, die ich im Herbst 1906 in die Massaisteppe machte; ich hatte sechzig Neger und keinen Europäer mit mir. An einem einsamen Berge in der Steppe hatte ich mein Lager aufgeschlagen, um ungestört Löwen und Nashörner photographieren zu können. Tagelang war ich vergeblich umhergestreift, ließ aber den Mut nicht sinken, weil ich die Gegend täglich besser kennen lernte; weil Löwen da waren und Nashörner zur Tränke kamen. Eines nachts schlief ich dem Berge gegenüber in einem trockenen Flußbett und erwachte, wie gewöhnlich, kurz vor Sonnenaufgang. Schnell weckte ich die Neger, die mit mir gehen sollten, und ging auf den Berg los. Ich kam zu der ersten Wasserstelle, fand aber dort keine Spuren und ging am Rande der Busch- und Graszone zu der zweiten Wasserstelle. Die roten Böcke,[34] die ich täglich sah, standen wieder nahe beim Wasser. Sollte ich auch heute keinen Erfolg haben? Ich blieb stehen; stumm standen auch meine Neger da. Hoch über mir starrte die Steinkuppe des Berges kalt und unbewölkt in den flimmernden Äther. Die letzten Sterne konnte ich gerade noch sehen, wie sie herabsahen auf erwachende Menschen, auf Tiere, die zur Ruhe gingen. Dann goß die Sonne ihr Licht über die krausen Baumwipfel und traf mich noch nicht, denn ich stand im Schatten des Berges. Es wird ein Tag wie viele andere; der müde Mittag kommt, der Hoffnung und Kraft ganz klein sieht und der Abend, der neue Wünsche weckt für den nächsten Morgen; der nächste, der bringt die Erfüllung! Der Speerträger weckte mich aus meinen Träumen. „Weiter,“ sagte er halb fragend, halb ermunternd. Und als läge alle Schuld des Mißlingens bisher an uns, an mir und meinen Leuten, ermahnte ich sie noch einmal und sagte in ernstem Ton: „Schari, ich trage die Büchse selbst; du trägst nur das Doppelglas und gibst es mir, sobald ich stehen bleibe. Hamiß, du bleibst dicht bei mir mit der Kamera und -- hab keine Angst!“ „Pangani, Muarico, Kinassa und Garehia, ihr haltet die Fährte, wenn wir eine finden. Ihr andern alle bleibt etwas zurück. Keinen Laut! und hinlegen, sobald Wild vor uns ist!“ Die Übersicht wurde weiter. Ich schickte einen Massai in die Ebene; der sollte langsam in derselben Richtung gehen, wie wir, Bäume besteigen und ausgucken, ob Löwen zum Walde gingen oder Nashörner vom Walde in die Ebene. Bald waren wir unterhalb der Stelle, an der ein Bergbach versickert. Muarico zupfte mich am Rock. „Nashorn,“ flüsterte er, „kommt vom Wasser, geht in die Ebene.“ „Nieder,“ winkte ich meinen Leuten; außer Muarico hatte keiner etwas gesehen. Ich drückte mich so schnell, als es ohne Geräusch möglich war, an die Büsche hinan, auf die Muarico zeigte. Der kam nicht mit; er hatte vom letzten Male genug! [Illustration: Das Nashorn stand so, daß ich die Gestalt bis zu den Füßen sehen konnte, fünfzehn Schritt vor mir.] Aber ich fand einen ausgetretenen Wechsel mit der ganz frischen Fährte eines Nashorns, konnte den schmalen, grasfreien Pfad fünfzig Schritt weit hinabsehen und wußte, daß das Tier auf dem Heimweg war. Ich sagte meinen Leuten, daß ich dem Wechsel folgen wollte und daß ich das Nashorn so lange beobachten müsse, bis die Sonne hoch genug sei zum Photographieren. Die Fährte war so deutlich, daß ich, ihr folgend, laufen konnte. Bevor ich die offene Steppe erreichte, sah ich den Massai von unten gelaufen kommen. Er meldete, das Nashorn -- er mußte ja dasselbe Tier gesehen haben -- gehe langsam in die Steppe. „Hat es Wind?“ „Nein.“ [Sidenote: Hinter dem Nashorn.] Ich lief so schnell ich konnte; als ich aus dem Walde kam, sah ich das Tier. Endlich was ich ersehnte: Ein Nashorn, das mich nicht witterte, in offener Steppe; also ganz in meiner Macht. Von mir hing es nun ab, von meiner Kunst, unbemerkt zu bleiben und das Tier nach Herzenslust zu beobachten, wie ich es früher mit dem Elefanten getan hatte. Ich ließ die Leute in weiter Entfernung folgen, damit auch wechselnder Wind dem Tiere nicht Witterung bringen könnte. Alle Umstände waren für meinen Zweck günstig: Die Sonne hatte ich im Rücken, den Wind im Gesicht. Und das schien so zu bleiben; denn der schmale, ausgetretene Wechsel, in dem das Tier ging, behielt die Richtung nach Westen. Ich ging siebzig Schritt hinter dem Nashorn. In dem ganz offenen Terrain sah ich jede Bewegung des Dickhäuters. Er ging durch ein trockenes Flußbett, blieb am anderen Ufer stehen und knabberte Zweige von einem Dornstrauch. Dann ging er weiter und hielt den Kopf gesenkt. Alle zweihundert Schritte blieb er stehen, stellte sich, wie sichernd, halb quer zum Weg und näßte.[35] Eine halbe Stunde ging es so weiter. Grantgazellen, die nahe am Wege standen, äugten neugierig auf den plumpen Gesellen und auf mich, sein Gefolge. Sie flüchteten nicht; wir sahen zu harmlos aus. Von links kam ein Rudel Zebras mit dem Wind; zwölf bunte Steppenpferde. Sie mußten mit dem Nashorn zusammentreffen. Als sie mich auf hundert Schritt hatten, sicherten sie. Das Nashorn ging weiter. Ich mußte folgen; denn ich durfte das Tier nicht aus den Augen verlieren und mußte vermeiden, mit ihm unverhofft nachher wieder zusammen zu treffen. Als ich den Zebras näher kam, wurden sie flüchtig; die trockenen Gräser knisterten und Steinchen gaben peitschenden Klang. Das Nashorn stutzte, hob den Kopf und richtete die beiden Trichterohren nach dem Geräusch hin. Als das Klappern der Hufe hinterm Hügel verklang, stand das Tier noch einen Augenblick bewegungslos, wie um zu überlegen. Es glaubte vor sich die Gefahr, die es selbst nicht wahrgenommen hatte, die aber die Zebras durch das Auge erkannt hatten. Als sich nichts mehr rührte, bog das Nashorn mit rechtsum von seinem Pfad ab und hielt eine westliche Richtung, genau in den Wind.[36] Der Wind wehte mir jetzt gerade ins Gesicht und trug auch den im trockenen Grase stärkeren Schall meiner Tritte hinter mich. Es war beinahe acht Uhr, als die Sonne sich frei über die Wolken hob. [Sidenote: Mit der Kamera bei dem Nashorn.] Ich spannte die Kamera, ging auf mein Ziel los und machte die erste Aufnahme auf fünfundzwanzig Schritt. Während ich die Kassetten wechselte, ließ ich das Tier nicht aus den Augen. Es gehört eine ruhige Hand dazu und auch ein ruhiges Herz, dicht vor einem Stück Wild mit den Ledertaschen, den Kassetten und dem Apparat lautlos zu „arbeiten“, wenn man noch dazu die Büchse umgehängt hat. Ich hatte alle Griffe so in der Übung, daß auch nicht das geringste Klappen hörbar war. Selbst das Spannen des Verschlusses geschah lautlos, indem ich, ähnlich wie man es bei einer Hahnflinte in der Nähe des Wildes macht, beim Spannen den Abzug drückte. Ich ging näher und wartete mit der Kamera im Anschlag, bis das Nashorn den Kopf hob, und die beiden Hörner gut zu sehen waren. Da knipste ich und blieb bewegungslos stehen, weil ein kleiner Vogel, der sich gerade auf die Schulter des Nashorns gesetzt hatte, aufflog, als der Schlitzverschluß rauschte. Das Rhinozeros hielt im Kauen inne und horchte. Nach einigen Sekunden beruhigte es sich wieder und ging langsam weiter. Ich aber hatte in diesem Augenblick die Aufnahme gemacht, die auf Seite 273 wiedergegeben ist. Die muskulöse, kräftige Gestalt des Nashorns kommt darauf gut zum Ausdruck. Auf der Schulter sitzt der kleine Vogel. In dem ungleichmäßigen, niedrigen und trockenen Grase standen einzelne grüne Schlingpflanzen, die das Nashorn aufnahm. Ich war jetzt so nahe, daß ich das Kauen hörte und machte eine Aufnahme schräg von hinten. (Abbildung Seite 283.) An der Umgebung, den Büschen im Hintergrund, kann man sehen, daß dieses Bild kurz nach der Aufnahme Seite 273 gemacht ist. Dann ging ich vorsichtig zu meinen Leuten zurück und holte mir neue Kassetten. Die Neger waren weniger erstaunt als entrüstet über meine Dreistigkeit. „_Haifai bana_,“ sagten sie: „das hat keinen Zweck,“ und Muarico machte ein sehr ernstes Gesicht und sagte, ich würde dabei getötet werden. Als ich mich wieder mit aller Vorsicht in die Nähe des Nashorns gepirscht hatte und ihm folgte, durchquerte ich eine kleine Talmulde mit kniehohem, hellem, ganz trockenem Grase. Das Nashorn stand am Ende des Tales, so daß ich die Gestalt bis zu den Füßen hinab sehen konnte. Noch eine Aufnahme. Da hob das Tier den Kopf und zog unwillig den Wind durch die Nüstern. Ich hatte gerade den linken Fuß angezogen, um ihn vorzusetzen. Wie ein Erzbild stand der Koloß vor mir und horchte gespannt. Ich durfte mich nicht rühren; aber es knisterte unter mir! Sollte der Hund mir gefolgt sein? Nein, mein Fuß machte automatische Schwingungen unter mir, und ich traute mich nicht, ihn in dem trockenen Grase niederzusetzen. Es ist ein verwünschter Augenblick. Windstille: Das Nashorn wird mich hören. -- Da kommen Madenhacker, kleine Vögel, angeflogen, setzen sich auf den Rücken des Nashorns und flattern an den Ohren, picken an der Flanke in einer handgroßen Wunde[37] und fliegen plötzlich mit lautem Gezwitscher nach den nächsten Bäumen; dann kehren sie zurück und beunruhigen das Tier durch ihr Umherflattern. Ich kann nicht daran zweifeln, daß die kleinen Vögel ihren Gastgeber vor einer Gefahr warnen, die er mit seinen Sinnen nicht erkennt. Er fängt auch nicht wieder an zu äsen. Plötzlich wendet er sich ganz mir zu. Ich stehe ohne Deckung; nicht ein Strauch ist zwischen mir und dem Ungetüm. Ich bemerke plötzlich, daß der Wind, der erst immer schwächer wurde, mir leise, aber stetig im Nacken weht, und diese Erkenntnis bringt mir einige Sekunden, in denen in mir der Wunsch, weit weg von hier zu sein, den Reiz der Gefahr zu überwiegen droht. Ich rühre mich nicht. -- Vielleicht wird sich das Nashorn noch einmal beruhigen. Aber nein, der Wind kommt stärker durch: ich bin verraten, ich fühle mich entdeckt! Was wird geschehen? Jetzt zieht das Tier noch einmal laut den Wind durch die Nüstern und tritt unruhig hin und her. Ich bücke mich kurz, lasse die Kamera ins Gras fallen und fasse die Büchse. -- Es ist mir klar, daß ich stehen bleiben muß, um das Tier bis zum letzten Augenblick zu täuschen. An Verstecken war nicht zu denken und kein Baum in der Nähe, auf den ich hätte flüchten können. Das Tier geht einmal nach links, dann nach rechts, es scheint zu äugen, doch seinen Augen nicht zu trauen. („_He dont believe his eyes_,“ sagte der Bur nicht oft so, in reinem Englisch?) Da gibt ihm die Nase Gewißheit; im Galopp stürmt es auf mich los, bei jedem Sprung wild fauchend und prustend. Den Kopf hat es tief gesenkt. [Sidenote: Ein Nashorn erlegt.] Ich gehe ganz ruhig in Anschlag, lasse das wütende Tier nahe herankommen, schieße auf den Kopf und springe im nächsten Augenblick zur Seite. Die Schnelligkeit des Tieres ist so groß, daß es an mir vorbeisaust. Schnell folgen fünf Schüsse hinter die Schulter. Das Nashorn bleibt stehen, dreht sich im Kreise und bricht zusammen. Ein starker Blutstrom floß aus den Nüstern. -- Meine Leute johlten in weiter Ferne; ich sah sie von den Bäumen steigen. Es war zehn Uhr; die Kamera war unversehrt, und ein starker Nashornbulle zur Strecke. Ohne Grund nimmt kein Nashorn den Menschen an. Dies Tier war mit der Nase tief auf dem Erdboden in seiner eigenen Fährte zurückgestürmt. Daraus glaube ich, sein Verhalten erklären zu können: es hat den Störenfried, den es dreimal schon vermutet hatte, vertreiben wollen. Ich hatte den Eindruck, daß das Nashorn, auch wenn ich nicht geschossen hätte, schnurgerade an mir vorbeigestürmt wäre und mir kein Leids getan hätte. Bis zum Mittag kamen fast alle meine Leute. Das Nashorn wurde in viele Fleisch- und Felllasten zerlegt. Am Nachmittage ging ich zu meinem großen Lager am Bergbache zurück und erwartete ungeduldig den Abend, um die seltenen Aufnahmen entwickeln zu können. Am 9. September 1906, abends um acht Uhr, erschienen die Umrisse des plumpen Tiers, das ich noch am Morgen desselben Tages lebend so dicht vor mir hatte, auf der Platte. Ich ließ die Platten, als sie endlich zum Trocknen auf dem Bett lagen, nicht aus den Augen und schrieb in meiner Müdigkeit nur das Datum und die Uhrzeit in mein Tagebuch, als ob dieser schöne Jagderfolg ein historischer Moment sei. Um zwei Uhr in der Nacht packte ich die getrockneten Platten in den Blechkoffer und ging zu Bett. [34] Impallahantilopen. [35] Hier mache ich für alle Fährtensucher die Bemerkung, daß dies Pirschzeichen beim Nashornbullen anders ausfällt als bei anderem männlichen Wild. [36] Es ist anzunehmen, daß die Flucht der Zebras dem Nashorn eine Warnung war; denn die Zebraherde ist vor mir flüchtig geworden, und hätte sich um das Nashorn allein wahrscheinlich gar nicht gekümmert. Das Nashorn merkte also, daß die Zebras beunruhigt waren und schlug deshalb eine andere Richtung ein. [37] Die Wunde ist auf dem Bilde Seite 273 zu sehen. [Illustration: Hohe Mangobäume stehen am Fluß; ihre dunklen Kronen spiegeln sich in dem glatten Wasser. So hoch wie die Elefanten mit dem Rüssel reichen können, sind die Äste der sonst bis zur Erde belaubten Bäume herabgerissen. Die steilen Uferböschungen sind durch Schluchten unterbrochen, in denen Flußpferde und Elefanten zum Wasser gehen.] Am mittleren Rufiyi. Doch wieder zurück in die Aufstandszeit! Einen Monat blieb ich in der kleinen Befestigung am Flusse, ohne daß die Aufständigen versuchten, mich anzugreifen oder nach Norden über den Fluß zu gehen. In den Matumbibergen, die südlich vom Rufiyi liegen, war inzwischen ein Militärposten eingerichtet worden; mehrere Abteilungen der Schutztruppe operierten im Kilwabezirk, der sich nach Süden an den Mohorrobezirk anschließt. Nie kam es zu einer gemeinsamen Aktion, weil die Nachrichten zwischen den Streitkräften zu spärlich waren und man nicht wußte, ob man mit der Anwesenheit einer Truppe an irgend einem Punkte bestimmt rechnen konnte. Nachrichten aus Westen sagten, daß auch im Mahengebezirk Aufstand sei. So war die Lage, als ich eines Tages den Befehl bekam, ich solle die Boma in Mayenge einem Unteroffizier übergeben, zur Küste zurückkehren und die Führung einer in Mohorro eintreffenden Abteilung Marineinfanterie übernehmen. Hiermit schien meine Zeit im Aufstandsgebiet beendet zu sein; ich nahm Abschied von den Unteroffizieren und von dem Platze, der mir inzwischen so vertraut geworden war, und fuhr in einem großen Boote stromab. An vielen wohlbekannten Stellen kam ich vorbei, und war gegen Abend bereits nahe bei dem Orte Ndundu, wohin ich die Matrosen und die Träger mit den Zelten und der Kochlast vorausgesandt hatte. Da erschien auf der Höhe eines Uferhanges in den Büschen ein Neger und hielt einen Brief hoch; „barua“[38] rief er fast atemlos. Das Boot suchte eine Landungsstelle; ich ergriff den Brief. Es war ein Schreiben des Akiden von Kooni, desselben Arabers, dem ich schon oft zuverlässige Meldungen zu danken hatte. Er schrieb, in der Landschaft Mtanza seien die Aufständigen versammelt und bedrohten die Bewohner der umliegenden Dörfer, die ihnen Lebensmittel geben müßten, obwohl sie sich mir unterworfen hätten; sie seien ohne jeden Schutz, ich solle doch schnell zur Hilfe kommen. Dazu schrieb der Unteroffizier aus Mayenge, er bitte mich um Erlaubnis gegen das Lager der Aufständigen vorzugehen, fühle sich aber eigentlich nicht stark genug, da der Gegner, nach den Aussagen von Spähern, durch Wapoporo aus dem Mahengebezirk verstärkt sei. Große Eile sei not; denn die Aufständigen wollten wieder nach dem Nordufer hinübergehen, und noch nie seien die Boten in solcher Aufregung zurückgekommen, wie diesmal. Ich unterbrach die Weiterreise und schickte einen Eilboten nach Mohorro, mit der Mitteilung, daß ich auf meinen Posten zurückkehren müsse. [Illustration: Ich folgte dem Nashorn auf den Fußspitzen, es nahm Schlingpflanzen vom Erdboden auf.] [Illustration: Flußufer in der Nähe von Panganya, dem guten Baumwolland. Der Boden ist ungemein fruchtbar, und kann, wenn es nötig sein sollte, künstlich bewässert werden.] [Sidenote: Allein im Aufstand.] Mein Boot sandte ich nach Ndundu weiter, um der Karawane den Befehl zu bringen, mir sofort zu folgen. Ich selbst ging in Begleitung zweier Neger auf dem Ufer denselben weiten Weg zurück, den ich am Tage so bequem im Boote sitzend gekommen war. Nach siebenstündigem Marsch in der Dunkelheit überfiel mich große Müdigkeit und Hunger, und ich hielt in einer kleinen Ortschaft, um die nachfolgende Karawane abzuwarten. Ich ließ ein großes Feuer anzünden und legte mich daneben, um von den Mücken ungestört schlafen zu können. Aber, gewohnt einen Askariposten in der Nacht im Lager zu sehen, fühlte ich mich heute doch in einer gewissen Unsicherheit, hier mitten im Aufstandsgebiet unter völlig fremden Negern allein; ich schlief nicht, obwohl ich die Augen schloß. Zwei Stunden nach meinem Eintreffen erschien der lange Sudanese Bachid Said; hinter ihm die erwarteten Träger und bald darauf auch die drei Matrosen, die mir vom Bussarddetachement noch geblieben waren. Um drei Uhr am Morgen legte ich mich in mein Feldbett, um noch zwei Stunden zu schlafen. Als ich erwachte, war es noch dunkel; starker Tau lag auf den Kissen und tropfte vom Moskitonetz auf die Bettdecke. Um fünf Uhr wurde der Marsch fortgesetzt. Gegen Mittag erreichte ich die Boma. Der Nachmittag und der Abend gingen hin, mit Fortschaffen der Vorräte und Vorbereitungen für den Abmarsch. Ein großes Boot mit leeren Munitionsgefäßen, Jagdtrophäen und anderen entbehrlichen Dingen wurde stromab nach Ndundu geschickt; (als ich die Sachen später von den Negern zurückforderte, fehlte nicht ein einziges Stück. Das scheint ein gutes Zeugnis für die Ehrlichkeit dieser Neger zu sein). Noch bevor wir aufbrachen, ging der Akide Melicki mit zwei Eingeborenen auf Kundschaft und kam in der Nacht mit der Nachricht zurück, das Südufer werde von Vorposten der Aufständigen bewacht. Nachdem meine ermüdeten Begleiter ausgeruht hatten, wurde die Boma gegen Mittag des folgenden Tages vollständig geräumt; dann setzte die Expedition auf das Nordufer über und marschierte bis gegen Abend in westlicher Richtung weiter. Zum Abendbrot ließ ich zwischen den Mangobäumen von Kooni kurze Zeit halten und dann auf dem hohen Ufer weiter marschieren, bis wir gegen ein Uhr in der Nacht von den Führern zum Fluß hinabgeführt wurden. Die Stelle kannte ich noch nicht; so weit war ich bei dem ersten Streifzug nicht gekommen. Wir durchquerten einen seichten Wasserarm und gingen durch tiefen Sand bis zu einer Düne, an deren Abhang das dunkle Wasser des Flusses entlangfloß. Plätze wie diese sind für ein Lager sehr günstig; wir lagerten wie auf einer Insel, und ein einziger Posten konnte die breite, helle Sandfläche übersehen, die uns vom Walde trennte. Die Feldbetten wurden aufgestellt, wir aßen ein Stück Brot und schliefen bis gegen drei Uhr am Morgen; dann wurden wir Europäer als die letzten über den Fluß auf das feindliche Ufer übergesetzt. Die Führer versicherten mir, wir hätten Zeit genug, um noch vor Tagesanbruch das Lager der Aufständigen zu erreichen. Ich schärfte allen auf das strengste ein, sich still zu verhalten, ging selbst, wie gewöhnlich, an der Spitze und beobachtete die Führer genau, weil ihnen nie ganz zu trauen war. [Sidenote: Ein mißglückter Überfall.] Um auf keinen Fall bemerkt zu werden, verließ ich sofort den ausgetretenen Weg; wir gingen im Gänsemarsch durch Schilf, über freie Sandflächen, auf denen sich Flußpferde jagten, und durch abgeerntete Matamafelder. Unter einem großen Baume brannte ein Feuer; wir gingen auf fünfzig Schritt daran vorbei. Ein Mann erhob sich, nahm ein großes, brennendes Holzscheit, hielt es über den Kopf und sah scharf nach uns herüber. Wir blieben einige Minuten stehen; in der langen Linie der sechzig Menschen hörte man nicht das leiseste Geräusch. Dann gingen wir weiter. Die toten Matamastengel krachten unter unseren Füßen, doch der leuchtende Wächter blieb mit seiner Fackel stehen; er mochte das Geräusch Flußpferden zuschreiben, wenngleich er noch immer zweifelnd und angestrengt herüber starrte. Plötzlich stieß mein Fuß an einen weichen Gegenstand; es war ein mit Kafferkorn gefüllter Sack. Ich fürchtete, daß ein Mann uns bemerkt und den Sack fortgeworfen habe. Besorgt sah ich auch, als wir unaufhörlich weitermaschierten, nach dem östlichen Himmel, der schon heller wurde; die Gräser vor uns traf das erste schwache Licht. Ich drängte vorwärts; denn die Lagerfeuer waren noch nicht zu sehen! Aber die Eile nutzte nicht mehr; der Tag brach herein. Hinter weiten, kahlen Sandflächen mit Schilfinseln standen in der Ferne die Mangobäume, bei denen das Lager der Wapoporo sein sollte. Jetzt merkte ich woran ich war: die Führer hatten Angst gehabt, bei Nacht in die Nähe der Aufständigen zu gehen und hatten uns, weil wir so früh aufgebrochen waren, auf Umwege geführt. Mein Plan war vereitelt; (ich hatte gehofft, die Lagerfeuer in der Dunkelheit zu finden und mich in der Nähe verstecken zu können, um bei Tagesanbruch einen plötzlichen Überfall auszuführen) trotzdem liefen wir weiter, kamen in ein Dorf und auf einen Kreuzweg mit frischen Fußabdrücken im Staub. Als wir dem Wege folgten, fielen aus dem hohen Schilf Schüsse. Wir waren in einer ungünstigen und gefährlichen Stellung und liefen vor, bis wir in freie Flächen kamen, die mit kniehohem, blaublühendem Unkraut dicht bestanden waren. Posten der Aufständigen stiegen von den Bäumen und eine Schar Bewaffneter zog sich hinter einem Hügel in den Busch hinein. Kurz darauf fanden wir das verlassene Lager. Über siebzig Bettstellen standen auf einem Hügel; mehr als hundert Lagerfeuer brannten, und Töpfe mit Essen standen darüber. Auch ein kleines Gehöft dicht bei dem Feldlager zeigte Spuren, daß dort viele Menschen gehaust hatten. Durch die Schuld der Führer war der Überfall mißglückt. Anders wäre es wahrscheinlich gekommen, wenn ich eine Karte von der Gegend gehabt hätte, aus der ich mir selbst eine Anschauung über die Entfernung hätte bilden können, oder wenn der Akide bei mir gewesen wäre, dem ich mehr trauen durfte als den feigen Negern. So war eine gute Gelegenheit, den Aufständigen eine Schlappe beizubringen, verpaßt worden. [Sidenote: In dem verlassenen Lager.] Hier, wie in den umliegenden Dörfern, fanden wir eine ganze Anzahl kleiner Vorratshäuser, die erst in diesem Jahre gebaut zu sein schienen, und mit Matamaähren und anderen Kornfrüchten vollgestopft waren. Nach meiner Schätzung waren in dem verlassenen Lager allein 170 Tons Getreide zusammengeschleppt. Wahrscheinlich hatten die Aufständigen eine gewisse Freude daran gehabt, mit ihren großen Flinten in die Dörfer der Umgegend zu gehen und die Eingeborenen zu zwingen, ihre Ernte zu dem Kriegslager hinzuschaffen. Viele Kürbisse lagen in einer Hütte. Große Tontöpfe mit „Pombe“[39], standen dort und ließen auf das Leben der Krieger schließen; Reste von Hühnern und Tauben zeigten, daß die Räuber es auch an „_kitǒḗo_“, an der nötigen Zukost, nicht hatten fehlen lassen. Vielleicht aber wurde den einst so tapferen das Wohlleben verderblich. Der kriegerische Geist wenigstens schien ihnen etwas abhanden gekommen zu sein; denn sie flohen allzu schnell, als wir ihnen nahe kamen. Den Tag über blieb ich in dem Lager der Aufständigen und erwartete die Trägerkarawane mit den Proviantlasten. Nach den Anstrengungen der Nacht waren wir müde und hungrig; ich aß geröstete Maiskörner und schlief einige Stunden auf einer Negerbettstelle im Schatten eines Palmblattdaches. [Illustration: Negerdorf am mittleren Rufiyi. Hütten mit schattigen Vorhallen; Mangobäume und Zuckerrohr. Die Wege auf dem humosen Alluvialboden sind in der Trockenzeit hart wie eine Tenne.] Patrouillen steckten in der Umgegend die Hütten in Brand und brachten neue Vorräte an Getreide. Von Zeit zu Zeit erschienen in der Ferne Aufständige, um zu kundschaften, und gingen in weitem Bogen um uns herum, bis sie einige Geschosse fliegen hörten und das Weite suchten; der Verlust der großen Vorräte schien ihnen sehr schmerzlich zu sein. Gegen Abend ließ ich als Zeichen für die Karawane ein großes Haus anstecken. Außerdem saßen zwei Neger hoch oben in einem Baum und sahen vergeblich nach den Trägern aus. Als die Flammen und der Rauch in die Baumkrone hineinwehten, ließen sich die beiden Ausguckposten zur Freude aller Zuschauer wie reife Früchte durch die Zweige hindurch zur Erde fallen. Das brennende Haus bot einen wunderschönen Anblick; die roten und gelben Flammen ergriffen das trockne Strohdach; glühende Reste stürzten in das dunkle Innere. Dann brannten die Dachsparren und Pfeiler und brachen der Reihe nach zusammen. Statt der Karawane erschienen von neuem Aufständige und sandten uns aus ihren Vorderladern einige heiße Eisenkugeln herüber. Inzwischen war ringsum das trockene Gras in Brand geraten und eine feurige Linie kroch weiter und weiter in den Busch hinein. Vor dem Feuer sahen wir deutlich die Gestalten von Aufständigen und konnten trotz der späten Stunde ziemlich sichere Schüsse abgeben. Wir hatten uns bereits aus Matten und Türen Lagerstellen für die Nacht gebaut und einen Windschutz errichtet, als die Trägerkolonne endlich ankam. (Erst um vier Uhr am Nachmittag hatte sie den Befehl bekommen, nachzufolgen; die am Morgen entsandten Boten gestanden ein, aus Furcht nicht gegangen zu sein.) Jetzt hatten wir Abendbrot, Zelte und Betten; Hunger, Durst und Müdigkeit waren bald vergessen. [Sidenote: Schutz der Landschaft Mtanza.] Am nächsten Morgen führte der Akide, der inzwischen eingetroffen war, die Expedition durch weite, fruchtbare Flächen nach dem Hauptdorfe der Landschaft Mtanza. Das Dorf wurde, wie die meisten Ortschaften der Gegend, einfach nach dem Dorfschulzen benannt: „_Kwa Jumbe Mgonza_“. (Beim Jumben Gonsa) oder kurz: „_Jumbe Mgonza_“, womit der Ort gemeint ist, dessen Oberhaupt der Jumbe ist. Von jetzt an war Mtanza mein Hauptquartier. Etwa hundert Meter vom Ufer des breiten Stromes entfernt, schlug ich unter einem großen Baume die Zelte auf, ohne zu wissen, daß ich mich auf vier Monate hätte einrichten können. Der Platz entsprach den Anforderungen, die ich bei der augenblicklichen Lage stellen mußte. Rundum wohnte eine zahlreiche Bevölkerung, deren Unterstützung ich brauchte, um meine Expedition zu verpflegen und die Ansiedelung der Aufständigen zu fördern; die Bewohner von Mtanza waren Mitte August durch die nach dem Norden vordringenden Aufständigen mit in die Aufstandsbewegung hineingezogen worden und hatten bei Kipo, wie sie selbst eingestanden, die größten Verluste erlitten, da sie damals als Ortskundige an der Spitze der Aufständigen gingen. Nun trieben sie weiter die Politik, die ihnen als Grundbesitzern die beste schien: sich dem Stärkeren anzuschließen. Auf einem Ritt durch die nahen Dörfer überzeugte ich mich mit Befriedigung, daß hier noch Hab und Gut zu schützen sei; große Vorräte von Getreide lagen in den Häusern. Ich war erstaunt über die Ausdehnung der Schamben und konnte an den zahlreichen, starken Strunken auf den abgeernteten Feldern sehen, wie reich die Ernte gewesen sein mußte. Weiber und Kinder waren nicht in den Dörfern, und als ich gegen Abend zurückritt, waren auch die Männer verschwunden; endlos erschien mir die Reihe der einförmigen Lehmhütten, aus denen kein Laut kam und kein Feuerschein herausfiel. Hinter den Häusern floß der Strom, in dem Flußpferde laut brüllten. Am nächsten Morgen fuhr ich in aller Frühe auf das Nordufer, um zu sehen, wo die Flüchtlinge hausten. Ich fand einen kleinen, malerisch von hohem Wald umgebenen See. Im hellen Sonnenschein ruhten Flußpferde; Krokodile entfernten sich von den Ufern und zeigten dann ihre Köpfe in der Mitte der Wasserfläche. Die Verstecke der Eingeborenen lagen in dichtem Gebüsch, schwer zugänglich und durch Dornen geschützt. Viele Flüchtlinge kampierten auf einer Insel, die vom Wasser des Stromes umspült wurde. In der verflossenen Nacht war dorthin ein Krokodil gekommen und hatte ein kleines Kind geraubt. (Die Neger hatten aus Furcht vor den Aufständigen keine Lagerfeuer gebrannt.) In kleinen Gruppen saßen die Frauen um die Feuer herum. Alles Hausgerät stand dabei; jede Familie hatte Körbe mit Mehl, Matten, geflochtene Teller, Löffel und anderes Holzgerät, das im Negerhaushalt gebraucht wird. Mein Erscheinen im Lager der Flüchtlinge erregte etwas Verlegenheit, wie unverkennbar auf allen Gesichtern zu lesen war. Der Ombascha Chuma nahm eine militärische Haltung an und sagte im Hinblick auf die Leute: „Sie haben bei Kipo gegen uns gekämpft.“ „Du meinst, deshalb fürchten sie uns?“ „Nein, vielleicht sind sie noch feindlich.“ Er sagte das als Mahnung zur Vorsicht und weil er hoffte, ich würde die Neger jetzt noch bestrafen; dafür sind die Askari immer. Ich half einem kleinen Bengel das Mäulchen voll Matamabrei stopfen und sagte dazu scherzhaft: „iß nur tüchtig, damit du stark wirst und später die große Flinte halten kannst, wenn ihr wieder Aufstand machen wollt“. Da lachten die Erwachsenen und wurden zutraulicher. Mehrere Boote begleiteten mich auf das Südufer zurück; die Männer kamen zu meinem Zelt und baten mich, in Mtanza zu bleiben und sie zu schützen. Ich versprach, eine Boma anzulegen, wenn alle in ihre Häuser zurückkehrten, die Äcker bestellten, mir täglich Lebensmittel zum Kauf anboten, und auch Boten- und Trägerdienste zu den in Friedenszeiten üblichen Löhnen übernehmen wollten. Zu alledem waren diese Vertreter der Landschaft gerne bereit. Als ich in der Frühe des nächsten Tages am Ufer badete, standen die Menschen am Fluß, packten ein und aus, und riefen nach Booten. [Illustration: Unterworfene Neger arbeiten auf einer Baumwollpflanzung, um während der Hungersnot Brot zu verdienen.] Der Wald hatte viele beherbergt: Mütter mit kleinen verängstigten Kindern an der Hand und Säuglingen auf dem Rücken. Ich sah die Einbäume hin- und herfahren und wurde nicht müde, den Leuten zuzusehen; lag doch in dem Zutrauen dieser Menschen für mich ein Erfolg: mit Hilfe dieser Neger, die den Wert ihrer Ländereien zu kennen schienen, hoffte ich den Rufiyi bis zu den Panganischnellen hinauf in die Hand zu bekommen. Das ist mir nicht vollständig gelungen; ich scheiterte an der Roheit der Wapogoro, die sich als ganz scheue, hinterlistige Buschbewohner entpuppten; aber die Aufständigen sind wenigstens nicht mehr nach Norden über den Rufiyi gegangen. [Illustration: Am Flusse saßen auf einem umgekehrten Einbaum vier Askarifrauen und warteten auf ihre Männer, die auf dem anderen Ufer patrouillierten.] [Sidenote: Friedensarbeit.] Wochenlang hielt mich friedliche Tätigkeit in Mtanza; rund herum bauten die Askari kleine Hütten, und ich erlaubte ihnen, ihre Weiber heraufkommen zu lassen, weil ich das friedliche Leben in dem Orte betonen wollte; ich gab mir den Eingeborenen gegenüber den Anschein, als ob ich den Aufstand für beendet hielte. Die Zeit, die ich im Lager in Mtanza zubrachte, war für mich sehr wertvoll; ich habe dort einen Einblick in das Tun und Treiben der Schwarzen gehabt. Was nun kam, war Friedensarbeit, die nur selten durch kleine, aber anregende Streifzüge nach Lederstrumpfart unterbrochen wurde. Meine Befehle erlaubten mir nicht, große Kriegszüge zu machen. Dazu war ich auch zu schwach; denn die Linie, die ich mit drei Unteroffizieren, zwei Matrosen und sechsundzwanzig Askari bewachen sollte, war 180 _km_ lang. -- Die Mündung des Rufiyi wurde durch die Seesoldaten in Mohorro gesichert; den Posten zwischen Mtanza und Mohorro mußte ich zeitweilig besetzen; von Mtanza aus war es mir möglich, mit dem Strom in einer Nacht 80 _km_ zurückzulegen, so daß ich die obere Hälfte der gefährdeten Linie selbst schützen konnte. -- Nur dadurch, daß ich über große Strecken hin, friedliche Ansiedelungen ins Leben rief, konnte ich mit meiner kleinen Streitmacht die Aufgabe erfüllen. Die Rebellen standen immer noch unter dem Eindruck der Verluste, die sie zu Beginn des Aufstandes erlitten hatten, und überschätzten meine Macht. Schnell sprach es sich außerdem bei den Negern herum, daß ich jedem Schutz gewährte, der sich unterwarf. Es galt, möglichst bald den alten Einfluß der Regierung wieder herzustellen; um in ihrem Sinne wirken zu können, unterhielt ich deshalb Fühlung mit dem Bezirksamt und bemühte mich, über alle Vorgänge auf beiden Ufern des Stromes Klarheit zu bekommen. Ich fand Eingeborene, die eine Art von Polizeidienst übernahmen und bezahlte sie dafür. (Meine Askari mochte ich zu solchen Aufträgen nicht verwenden; denn sie waren weniger ortskundig, wurden leicht erkannt und dann von vornherein mit Mißtrauen angesehen.) Alle Neger, die das Dorf passierten, ließ ich mir von den Polizisten vorführen. Es waren nicht allzuviele; denn der Verkehr vom Kissakkibezirk war gering und ging zum großen Teil auf dem Nordufer entlang, wo nicht alle Waldwege bewacht werden konnten. [Sidenote: Die Postboten.] Meine Boten brauchten nach Mohorro vier Tage und bekamen für den Weg 1,30 Mk. Ich sah einmal an dem Datum von Telegrammen, daß ein Bote fünf Tage gegangen war anstatt vier; er gebrauchte die Entschuldigung, er habe einmal stundenlang nach einem Boot rufen müssen, um über den Fluß zu setzen. Das durfte ich ihm glauben; denn ich hatte selbst schon Gelegenheit gehabt, beides zu bewundern: die Ausdauer eines Mannes, der übersetzen wollte und nach einem Boot rief und die Dickfelligkeit eines anderen, der am jenseitigen Ufer bei seinem Einbaum hocken blieb. Die Boten bekamen allerlei Nebenaufträge der Askari, und ein oder der andere kleine Soldatenboy begleitete sie. Hierbei liefen klassische Beispiele von unpraktischem Sinn und Dickköpfigkeit unter. [Illustration: Frauen der Askari beim Frisieren. Die ‚_bibi_‘ am weitesten links hat Ziernarben auf dem rechten Arm. Ganz rechts sitzt eine Msukuma mit kurz geschorenem Haar. In der Hütte hockt ein Askariboy am Kochfeuer. Man beachte die Stellung der Füße!] Askari Fataki schickte seiner Bibi ein Tuch mit vier Pishi Reis nach Mohorro; zugleich erhielt der Bote vom Askari Mursat Geld, um vier Pishi Reis in Mohorro zu kaufen und nach Mtanza zu bringen. Beide Aufträge mußten pünktlich ausgeführt werden; der Bote schleppte vier Pishi hinunter und brachte vier andere zurück. Vergeblich versuchte ich, dem Negerhirn einzureden, daß das Resultat dasselbe sei, wenn Fataki dem Mursat seine vier Pishi Reis verkaufe und seiner Gattin das Geld schicke; Fataki glaubt, sein Reis sei besser als der, den seine Bibi in Mohorro bekomme, und Mursat will durchaus Reis aus Mohorro kaufen. Um diesem Eigensinn nachzukommen, muß der Bote zehn Pfund acht Tage lang mit sich schleppen -- (die gleichen Dinge geschehen übrigens in großem Maßstabe im Welthandel; dort sind es Prinzipienfragen, vielleicht auch hier)! Abends nach Eintritt der Dunkelheit gab ich einmal einem Manne den Befehl, einen Brief nach Mohorro zu bringen. „Soll ich etwa allein gehen? es ist Nacht, da müssen zwei gehen!“ ~Müssen~, denn einer allein fürchtet sich; gehen zwei, so fühlt sich jeder durch den anderen geschützt; keiner sperrt die Augen auf, und dann laufen sie einfach los. Wenn ein Bote ankommt -- er trägt den Brief meist in einem gespaltenen Stock eingeklemmt und hält ihn hoch, damit er nicht gegen Büsche streift oder sonst wo Schaden leidet -- so folgen ihm wohl ein Dutzend Bengels. Die Ankunft eines „Barua“ ist für die Schwarzen ein Ereignis; mit dummdreisten Mienen bleiben sie in geziemender Entfernung stehen und beobachten die Wirkung der Nachrichten auf den Leser. Auch versuchen sie, Lohn dafür zu erhalten, daß sie den Boten begleitet haben. Übrigens war die Ankunft eines Briefes und die Ansammlung von Zuhörern stets eine gute Gelegenheit, Gerüchte unter das Volk zu bringen. Ich nutzte das gründlich aus; wenn die Aufständigen von den anderen Truppen so oft Prügel gekriegt hätten, wie ich es verkündete, wären sie wohl beinahe ausgerottet! Die Mittel, mit denen Frieden gestiftet wurde, waren eben mannigfaltiger Art. In Mtanza hatte ich auch Gelegenheit, das Eheleben der Schwarzen kennen zu lernen. [Sidenote: Die Frauen der Askari.] Jeder Askari darf sich nur eine Frau halten. Die für die Wahl einer Lebensgefährtin maßgebenden Gründe sind merkwürdig. Für äußere Schönheit kommen unter anderm vor allem große Ohren in Betracht. Die Ohrmuscheln werden in der Jugend durchlöchert und die Löcher allmählich erweitert, bis drei möglichst große, aus Papier gerollte Pflöcke darin Platz haben. Im übrigen muß sich das Weib, um dem Manne zu gefallen, gut kleiden und frisieren können, darf recht viel Zeit dazu verwenden, muß aber auch für das Essen sorgen; und dazu vor allen Dingen ist Sauberkeit und Sorgfalt notwendig. (Die gewöhnlichen Arbeiten verrichtet der Askariboy, der für sich wieder einen neuen, sehenswerten Teil des Lagerlebens bildet.) [Illustration: Poshoausgabe. Sanitätsunteroffizier Lauer verteilt Getreide an die Askari, die zum Teil in bequemen, häuslichen Kleidern (Baumwolltuch und Hemd) einhergehen. Bei einem Askari erkennt man Flicken, die sorgfältig auf das sehr wenig haltbare Khakizeug aufgenäht sind. Zerrissen oder schmutzige Kleider sind diesen Negern zuwider. Sobald sie von Märschen ins Lager kommen, ziehen sie sich um und beginnen zu waschen und zu nähen.] Mit großer Leichtigkeit werden Ehen geschlossen und aufgelöst. Die Folge davon ist, daß man von den Schwarzen meist den Eindruck hat als ob sie in glücklicher Ehe lebten. Sobald das Verhältnis der Gatten nämlich unerträglich wird, gehen sie auseinander. Dies gilt nur von den freien Suaheliweibern. Dauernder ist die Verbindung wohl, wenn für die Frau eine Kaufsumme gezahlt wurde. (Am Rufiyi zahlte der Mann etwa dreißig Rupie.) Hat die Frau ein Kind, so ist sie mehr wert; denn das Kind kann, wie mir ein Vertrauensmann sagte, später die kleineren Kinder beaufsichtigen, wenn die Mama auf dem Felde arbeitet. [Sidenote: Der Askariboy; Hausbau.] Anforderungen besonderer Art werden an den Askariboy gestellt. Seine Haupttugend ist eine große Begeisterung für den Soldatenberuf, die ihren Grund hat in Abneigung gegen das stille Leben im Heimatdorf. Abenteuerlust und Anspruchslosigkeit und die allen Negern gemeinsame Abneigung gegen regelmäßige Arbeit zeichnet ihn aus. Er bekommt zu essen, was übrig bleibt, hat aber im Kriege manchmal Gelegenheit, recht viel auf die Seite zu bringen. Er bekommt gelegentlich ein Kleidungsstück geschenkt; doch wenn der Tag da ist, an dem er seinen Lohn fordert, wird ihm als Antwort: „Du hast mir einen Teller zerbrochen, hast jeden Tag viel zu viel gegessen und deine Arbeit war miserabel -- ich kann dir keinen Lohn geben!“ Dann sitzt der kleine Kerl noch einen halben Tag in niedergeschlagener Stimmung im Lager und -- sucht sich einen anderen Dienst. Als mehrere Wochen verflossen waren, ohne daß kriegerische Unternehmungen stattfanden, schickte ich die letzten drei Matrosen, die ich bis dahin noch mit mir hatte, zur Küste, weil ich sie nicht unnütz dem Fieber und anderen Krankheiten aussetzen wollte. Die Leute hatten außerdem die Rückkehr an Bord sehr nötig; denn ihre Kleidung war stark mitgenommen. Gleichzeitig sandte ich Sergeant Kühn nach Mayenge, sodaß ich von jetzt an mit Sanitätsunteroffizier Lauer, dem Arzt meiner Expedition, alleine war. Da die Rücksicht auf die Europäer fortfiel, konnte ich jetzt viel weitere Märsche machen als bisher. -- Die Askari sind sehr anspruchslos und man braucht ihretwegen keine große Trägerkolonne mitzunehmen; sie versehen nach anstrengendem Marsche den Wachdienst, gehen Patrouille, beaufsichtigen die Träger, brauchen nur einmal am Tage zu essen (was sie essen ist leicht mitzunehmen) und schlafen zu ebener Erde, ohne Bett, Moskitonetz und Zeltdach. -- Unter den weitstehenden Ästen des großen Baumes, bei dem wir unser Lager aufgeschlagen hatten, ließ ich ein Haus bauen. Ich war überrascht, wie schnell ein Gebäude fertig wurde, das allen Ansprüchen genügte. Jeder Neger ist Baumeister und an Übung fehlt es ihm nicht, da er oft gezwungen ist, neu zu bauen oder auszubessern, was Insekten, Hochwasser oder Feuer zerstören. [Illustration: Mein Haus stand neben einem großen Baum. Rundum bauten sich die Askari und Träger Hütten. (Die senkrechtstehenden Rohrstangen sind bis zu acht Meter lang.)] Eines Tages trommelte der Jumbe das Dorf zusammen. Männer und Knaben kamen und hörten den Befehl: „Ihr werdet jetzt dem Bana Kubwa[40] ein Haus bauen, damit er bei uns bleibt.“ Ein Platz wurde abgesteckt; dann fuhren die Neger mit Beilen auf das Nordufer und brachten aus dem Walde Pfähle und Balken und große Pfeiler, die sich am Ende gabelten und deshalb geeignet waren, das Dachgebälk zu tragen. Es wurden Löcher in die Erde gegraben, um die Pfähle hineinzustellen. -- Bei dieser Arbeit lockert der Neger den Boden mit einem kleinen Stück Holz und hebt die Erde mit der Hand aus, so daß das Loch nicht größer wird, als es sein muß, um den Pfahl aufzunehmen. -- Schon am zweiten Abend stand das Gerippe des Hauses fertig da. Jetzt wurde vom Flusse starkes Rohr geholt und die Dachsparren mit den beinahe armstarken, bis acht Meter langen Stengeln belegt, die die Stelle von Bambusrohr vertraten. Bei dem ganzen Bau wurde kein einziger Nagel oder Zapfen verwandt, sondern alle Verbindungen durch Bastbänder hergestellt, die aus den Blattrippen der Dumpalme geflochten waren. Die horizontal liegenden Balken ruhten in gegabelten Pfeilern. Über die Rohrstengel der Dachbedeckung wurden Blätter einer Fächerpalme gelegt und, ebenso einfach wie geschickt befestigt, indem die Stiele durch einen Einschnitt angekerbt und etwas aufgespalten wurden, so daß ein Haken entstand, der über den Rohrstengel hinüberfaßte. In der Mitte des Hauses blieb eine große Halle frei; auf der einen Seite waren meine Wohnräume, auf der anderen die des Unteroffiziers. Die Wände bestanden aus Fachwerk von Rohrbekleidung mit dazwischen gestopfter, toniger Erde. Die Fensteröffnungen wurden durch Läden aus Rohrstengeln geschlossen; Türen brauchten wir nicht. Rund um das Haus entstanden die Hütten der Askari, die Küche mit der Wohnung für die Boys, der Hühnerstall und ein Eselstall. Später ließ ich um das ganze Lager Wall und Graben ziehen und einen hohen Pallisadenzaun errichten, an dessen Eingang die Wache ein Schutzdach erhielt. [Sidenote: Am Strom.] Bei Sonnenaufgang war ich jeden Morgen am Fluß, um zu baden. Ein Schwimmbad durfte ich freilich nicht nehmen, weil die Krokodile zahlreich waren; ich mußte mich darauf beschränken, mir einige Eimer voll Wasser über den Kopf zu gießen, während ich am Ufer stand. Die Morgenstunde am Strom war für mich stets ein großer Genuß. Es war jedesmal gleich schön, zu sehen, wie der breite Fluß unter die aufgehende Sonne floß. Über die glänzende Flut fuhren Einbäume mit Negern, die im Walde des Nordufers Holz holen oder Honig suchen wollten; aus den Hütten stieg blauer Rauch, der in den dürren Blättern der Palmdächer entlangkroch. Tauben flogen von ihren Nachtquartieren herüber in die Felder. [Illustration: Askarifrauen kommen mit irdenen Töpfen vom Wasser in den Pallisadenzaun der Boma. Manche sind schlank und schön gewachsen; um so auffallender sind dann die langen Arme, die an Menschenaffen erinnern, und die großen, breitgetretenen Füße.] Als in den späteren Monaten die ersten Regenschauer gefallen waren und die Feuchtigkeit der Luft zunahm, lagen morgens oft weiße Nebelmassen über dem Strom. Oft auch schwirrte es über den Schilfinseln von unzähligen Schwalben. Pünktlich um sechs Uhr wurden die Askari geweckt. Dann gingen die Frauen mit großen Töpfen zum Ufer und holten Wasser. Um acht Uhr begann der Dienst, das Exerzieren und die Arbeiten an der Befestigung. Diese Arbeit sollte eigentlich eine Strafe sein, aber die Neger wurden kaum beaufsichtigt und stellten sich dennoch pünktlich zur Arbeit ein, weil sie Essen dafür bekamen. Zum Revierdienst, den Sanitätsunteroffizier Lauer gegen neun Uhr abhielt, kamen immer mehr Eingeborene und verlangten „_dawa_“, wobei sie auf den kranken Körperteil zeigten. Wunden waren bei ihnen gut zu behandeln und heilten schnell. Bei inneren Krankheiten aber konnten die Neger nicht verstehen, daß sie wiederkommen sollten; sie ließen sich einmal Arznei geben und glaubten dann gesund zu sein. Die Askari waren schon verständiger; sie kamen immer wieder, um Chinin zu nehmen, wenn sie Fieber hatten. Schlimm waren die Wunden von Pfeilschüssen. So kam ein Mann, dem die Pfeilspitze mit abgebrochenem Schaft noch in einer häßlich aussehenden Öffnung zwischen den Rippen steckte; die Spitze mit den Widerhaken wurde herausgeschnitten, ohne daß der Neger ein Zeichen von Schmerz von sich gab. Mit Giftpfeilen getroffene Menschen starben, wenn das Gift frisch war, in wenigen Stunden. Um die Wirkung des Pfeilgiftes zu erläutern wurde mir erzählt, ein alter Jäger sei bis dicht an einen Löwen hinangegangen und habe ihm einen Giftpfeil in die Seite geschossen; der Löwe, der vorher noch nicht verwundet war, sei nach mehreren Schritten tot umgefallen; das Gift hatte zufällig eine Ader getroffen, die nach dem Herzen führte. [Sidenote: Schlangen.] Die Eingeborenen mischten das Pfeilgift aus dem Saft von bestimmten Pflanzen und echtem Schlangengift. Bißwunden von Schlangen habe ich nie gesehen. Schlangen waren am Rufiyi nicht gerade häufig, wurden nur aber oft gebracht, weil ich die Negerjungens, die mir halfen, meine Sammlungen von Käfern und Insekten zu vervollständigen, anhielt, mir alles Ungeziefer zu bringen, was auf den Feldern getötet wurde. Ich habe im Laufe der Zeit eine Anzahl Schlangen beobachtet, möchte aber, wenn ich es erzähle, nicht den Eindruck erwecken, als ob die mir selbst unheimlichen Tiere dort eine alltägliche Erscheinung wären. Unser Haus lag an einer Stelle, die besonders reich mit Schlangen gesegnet war. In den Zweigen des großen Baumes konnte man gelegentlich einem Streit zusehen, den kleine schwarzweiße Vögel mit einer silberweißen Schlange führten. Das Reptil ringelte sich träge durch die kleinen Äste der Zweige, während die Vögel unter lautem Gezwitscher um seinen Kopf herum flatterten und sich im Vertrauen auf ihre Gewandtheit dicht bei ihm hinsetzten, um auszuruhen. Am häufigsten waren: eine rotbraune Schlange und die grüne Baumschlange, die besonders, wenn sie auf den Blättern der Bananen liegt, schwer zu sehen ist. Beim Pürschen traf ich einmal in hohem Grase eine der gefährlichen und giftigen Puffottern; sie lag zusammengeringelt auf einer freien Stelle und schlief. Ich schnitt mir einen Stock ab, schlug sie tot und streifte sie; denn die Haut der Puffotter ist bunt gemustert und läßt sich gut zu einem Gürtel verarbeiten. Eine Riesenschlange schoß Unteroffizier Lauer mitten im Buschwald; mit einer anderen hatten wir eine geradezu unglaubliche Begegnung: Wir gingen in hohem Grase auf einem schmalen Pfad; ich voran, hinter mir Lauer. Da ich eifrig nach Wild aussah, achtete ich nur halb auf den Weg. Plötzlich rief mein Begleiter erschrocken: „Herr Oberleutnant!“ Ich drehte mich hastig um und sprang zur Seite, weil er das Gewehr im Anschlag ungefähr auf meine Füße gerichtet hatte. Ich sah, wie ein dicker Ast, über den ich eben hinweggestiegen war, sich bewegte: es war eine Riesenschlange, die quer über den Weg kroch, und von der nur der mittlere Teil des Körpers auf dem Wege zu sehen war, weil das Schwanzende noch auf der einen, der vordere Teil schon auf der anderen Seite des Weges im Schilf verborgen war. Als Lauer schoß, kam auch der Kopf der Schlange aus dem Grase zurück und fuhr mit geöffnetem Rachen dem Schützen entgegen, der schnell zurücksprang. Jetzt schoß ich und traf dicht unter den Kopf; die Schlange verschwand im Grase, und wir fanden sie nicht.[41] Mein Begleiter machte mir nun vor, wie ich den linken Fuß gehoben und etwas weiter als gewöhnlich nach vorne gesetzt hatte, um über den vermeintlichen Baumstamm hinwegzusteigen. Wir waren beide überzeugt, daß uns niemand diese Geschichte glauben würde. Früher habe ich mich einmal über ein Bild in Gordon Cummings „_Lion hunter of South Africa_“ gefreut: Cumming und ‚Kleinboy‘ ziehen am Schwanz einer Schlange, die in einen Steinspalt zu verschwinden droht. Dies ist gar nicht so grob aufgeschnitten, wie man wohl glaubt (Cumming kann es sonst ganz gut!); ich selbst hatte ein Erlebnis, aus dem ich sah, daß seiner Darstellung sehr wohl wirkliche Eindrücke zugrunde gelegen haben mochten. Ich wurde eines Tages gerufen, als eine anderthalb Meter lange, graue Schlange über den Hof meiner Boma kroch. Die Neger hinderten die Schlange mit Stöcken daran, in einem Schlupfwinkel zu verschwinden; plötzlich aber glitt sie mit dem Kopf in ein kleines Mauseloch, das niemand beachtet hatte. Ich sprang schnell hinzu und faßte zum großen Entsetzen der Neger den Schwanz der Schlange mit beiden Händen. Gefahr war nicht dabei, auch wenn die Schlange giftig gewesen wäre; denn das Mauseloch war so eng, daß das schlanke Reptil gerade hineinpaßte, und rückwärts kann keine Schlange kriechen, weil sich dabei die Schuppen abspreizen und es verhindern. So zog ich auch diesmal ohne Erfolg, mußte loslassen, und die Schlange verschwand ganz in der Erde. [Sidenote: Ameisen; Sandflöhe.] Häufig sah man in Mtanza die Schlangen auch in dem Palmstroh der Dachbedeckung des Hauses kriechen und hörte sie nachts wenn sonst alles still war. Es war dann ratsam, nicht barfuß im Dunkeln umherzugehen; denn außer Schlangen soll man Skorpione oder bissige Ameisen immer fürchten, und Sandflöhe, die man beim Barfußgehen unfehlbar bekommt, sind auch lästig. Der Biß der „Siafu“, der angriffslustigen Ameise, ist im Verhältnis zu der Größe und Unschädlichkeit des Insekts von überraschender Wirkung. Man kann sonst sehr ruhige Menschen tanzen sehen, wenn eine Ameise sie auf dem Rücken zwackt. (Menschen, die eine gewisse Zurückhaltung vor der Tür des Zahnarztes nicht leicht überwinden, sollten versuchen, ob sie lernen, sich von einer Ameise freiwillig und aus Wissensdrang kneifen zu lassen.) Der Sandfloh bildet eine Plage hauptsächlich auf den Karawanenstraßen. Auch ich hatte manchmal Sandflöhe in den Zehen und zwar jedesmal, wenn ich bei einer Wasserjagd barfuß gegangen war, wobei mich die kleinen Tiere entweder im Boot oder an den von vielen Negern betretenen Landungsstellen befallen hatten. Zuerst macht sich der Sandfloh dadurch bemerkbar, daß er an der Stelle, wo er sitzt, ein nicht unangenehmes Jucken verursacht. Die Stelle, an der der Plagegeist in der Haut wohnt, rötet sich, und plötzlich kommt einem der Gedanke: es ist ein „_funza_“. Der Boy wird gerufen, und der entfernt das kaum sichtbare, kleine schwarze Pünktchen sorgfältig mit einer Nähnadel. Der Sandfloh stammt aus Südamerika, ist von da vor mehreren Jahrzehnten nach Westafrika eingeschleppt worden und kommt erst seit Mitte der neunziger Jahre in Ostafrika vor. Das befruchtete Weibchen bohrt sich mit Vorliebe in die Haut unter den Fußnägeln ein. Nach einigen Tagen wird der Hinterleib so groß wie eine Erbse, und es gehört dann ein besonderes Geschick dazu, die Eier bei der Nadeloperation sämtlich herauszubekommen. Bei den Negern sieht man oft Verunstaltungen der Füße und Hände infolge von Entzündungen, die aus Sandflohstichen hervorgegangen sind. Ich hatte auf solche Verletzungen ein Augenmerk und sah zufällig eines Tages einen merkwürdigen Fall von Vererbung. Bei einem Mann war die vierte Zehe des rechten Fußes verkrüppelt und hing ohne Kochenverbindung etwas zurückstehend auf der Haut des Fußes. Er sagte, dies sei von Jugend auf so gewesen, und stellte mir seinen Sohn vor, bei dem der vierte Finger der linken Hand, angeblich seit seiner Geburt, verkrüppelt und steif war; das vorderste Gelenk des Fingers schien zu fehlen. Unsere Hauptnahrung in der Aufstandszeit war Reis. Das Mittagsessen bestand gewöhnlich aus gekochtem oder gebratenem Huhn, Reis und Mohogoknollen; zeitweilig aber war an Konserven kein Mangel und dann gab es eingemachtes Gemüse, Würstchen, Sardinen, Hering, Sprotten, Käse und Kompott. Auf die meisten Konserven verzichtet man aber gerne, wenn Hühner, Eier, Bananen und andere Früchte im Lande zu bekommen sind. An die Mohogoknollen hatten wir uns sehr gewöhnt; sie ersetzten uns die Kartoffeln. Meist aßen wir sie zerrieben und in Fett gebraten. Die ersten Kartoffeln, die ich danach vorgesetzt bekam, schmeckten mir fade. Von den Landesprodukten haben wir ferner mit Vorliebe gegessen: grünen Mais, Ananas, Mangos, die leider nur kurze zeitlang zu haben sind und die seltenen Tomaten. Mit Matamamehl habe ich mich nicht befreunden können. Die einheimischen Bohnen schmecken bitter. Sehr ungern entbehrte man Brot aus Weizen- und Roggenmehl, Kaffee und Zucker, und wenn einer dieser Genüsse ausging, fühlten wir es sofort. Auf das Brotbacken verstehen sich die schwarzen Köche gut. Es ist einfacher als man glaubt, und Backöfen sind dazu nicht nötig; ein eiserner Topf mit dem aufgegangenen Teig wird ringsum auf dem Deckel mit glühenden Holzkohlen bepackt, bis das Brot durchgebacken ist. Da konservierte Butter nicht gut schmeckt, ißt man mit Zwiebeln ausgebratenes Schweineschmalz oder Flußpferdfett dazu. Zu hellem Weizenbrot schmeckt auch Jam oder Fruchtgelee. [Sidenote: Teurung.] Sehr bald wurden die Eier in der Umgegend knapp, und wenn die Eingeborenen von weit her ein halbes Dutzend anbrachten, waren sie meist alle schlecht. Die Kornfrüchte stiegen im Preise und schließlich war überhaupt nichts mehr zu bekommen: es hieß einfach: „_njaa_“, „es ist Hungersnot.“ Da wurde ich auf den farbigen Händler aufmerksam, der im Dorfe einen kleinen Laden hatte, und Baumwolltücher, Glasperlen, Salz, Öl und Getreide an die Eingeborenen verkaufte. Ein großes Haus, das neben seinem Laden lag, war, als ich einige Monate vorher zum ersten Male nach Mtanza kam, bis unters Dach mit gefüllten Getreidesäcken vollgepfropft gewesen; jetzt war es leer. Der schlaue Inder hatte das Getreide zur Küste geschafft, und ließ, als die Hungersnot begann, Sack für Sack wieder heraufholen. Er verkaufte denselben Negern, die ihm fünf Monate vorher ~achtzehn~ Pishi Matamakorn für eine Rupie gegeben hatten, jetzt ~ein~ Pishi für denselben Preis. So teuer konnte kein Neger auf die Dauer sein täglich Brot bezahlen. Es war auch unmöglich, die Askari bei diesen Preisen zu verpflegen; für den Askari ist 10 Heller (13 Pfennig) Verpflegungsgeld (täglich) festgesetzt; ich mußte deshalb in Mohorro Getreide bestellen. [Illustration: Am Flußübergang bei Mtanza. Askari, Frauen und Boys.] [Sidenote: Hungersnot.] Die Eingeborenen litten bereits unter der Hungersnot, und man merkte, daß sich die Zahl der Einwohner in den Dörfern lichtete; die Neger gingen in Bezirke, in denen die Not geringer sein sollte. Für die Zurückbleibenden waren die Mangofrüchte eine willkommene Hilfe. Als die Zeit der Reife näher kam, zogen die Neger zu hunderten in die Mangowälder der Umgegend. Alle Mangobäume sind von Menschenhand gepflanzt und bezeichnen deshalb meist die Plätze, an denen Neger gewohnt haben, die aus irgend einem Grunde ausgewandert sind. In der Regel ist Trinkwasser in der Nähe. Die Eingeborenen konnten deshalb in der Zeit der Mangoreife ihre Wohnsitze nach den nahrungspendenden Mangowäldern verlegen und richteten dort im Busch kleine Feldlager ein. Aus Stangen bauten sie kleine Hütten, deckten Gras darüber und legten rundum einen Zaun von Dornzweigen, um sich gegen Raubtiere zu schützen. Das ganze hieß „Boma Porini“: das Lager im Walde. Solche Dornverhaue, mit kleinen Hütten, traf ich oft an, wenn ich in der Umgegend umherstreifte, und da ich selbst kein Verächter der Mangofrüchte war, schlug ich auch wohl mein Zelt unter den schattigen, dunkeln Bäumen auf. Eines Abends saß ich an einem solchen Platze vor meinem Zelte und schrieb. Die hohen, alten Stämme standen ringsum in saftigem Grase; unter den fruchtbeladenen Ästen war das Gras niedergetreten und der Boden mit Kernen und ausgepreßten Schalen der Früchte bedeckt. Ein süßer Geruch erfüllte die Luft. Hoch oben in den Zweigen schüttelten noch immer einige Neger; Frauen und Kinder sammelten die niedergefallenen Früchte in Körbe. Auf dem schmalen Fußpfad, der sich durch das Wäldchen hindurchwand, kamen Dutzende von Negern mit gefüllten Bastsäcken. Kleine, nackte Kinder liefen hinterher; in jeder Hand eine Mango und mit abschreckend angeschwollenen Bäuchen, zu denen die dünnen Beinchen schlecht paßten. Die Mangofrüchte waren schon so reif, daß sie von selbst herabfielen. Ununterbrochen raschelte es in den Blättern und dann schlug eine saftige Frucht auf das Sonnensegel des Zeltes oder gar auf meinem Tisch auf; das wurde so unleidlich, daß ich mich schließlich in das Zelt zurückzog. Ob auch die Löwen jetzt Hungerszeit hatten? In dieser Nacht wenigstens kam der wachhabende Askari, der mein Interesse an den Tieren kannte, an mein Zelt und flüsterte hinein: „_Bwana, simba analia karibu_“ (Herr, der Löwe brüllt in der Nähe). Und ich hörte noch mehrmals die tiefe Stimme des Gefürchteten. Am nächsten Morgen sah ich, daß zwei starke Löwen dicht an meinem Zelt vorbeigegangen waren und fand, als ich den Fährten folgte, ganz in der Nähe die frischen Reste eines Riedbockes: den Kopf und einen Hinterlauf. [Illustration: Bald hatte ich in meinem Lager eine große Sammlung selbsterbeuteter Antilopengehörne. In der Mittagszeit ließ ich sie oft hinauslegen, um die Schädel zu bleichen. Die Hörner wurden mit Petroleum abgerieben, um sie fest zu erhalten und vor Käfern zu schützen, die ihre Eier gern in den Raum zwischen Horn und Knochenzapfen ablegen (die Larven bohren dann große Löcher in die Hornmasse).] Der Mangoreichtum der Umgegend hielt leider nicht allzulange vor; nach mehreren Wochen waren die Bäume abgeerntet, und die hungrigen Menschen mußten sich nach anderen Nahrungsmitteln umsehen. Die Bewohner ganzer Ortschaften vereinigten sich jetzt zu gemeinsamem Fischfang in entlegenen Tümpeln. Andere gruben eßbare Wurzeln im Wald oder sammelten die kümmerlichen Rispen wilder Steppengräser. Ratten wurden in länglichen, aus Bast geflochtenen Röhren gefangen, gebraten und gegessen. Alte, stumpfsinnige Leute füllten sich den Magen mit Schlamm und Gras; ja, ich sah einen Neger, der lebende Ameisen mit der Hand vom Wege aufnahm und in den Mund steckte. Immer öfter kamen die Eingeborenen zu mir und baten, ich sollte ihnen Wild schießen; sie müßten sonst auswandern, wenn sie nicht Hungers sterben wollten. Da beschloß ich eines Tages, den Leuten zu helfen und einen Elefanten zu schießen. Ich wollte zu gleicher Zeit mit einem Vorurteil brechen, das sich seit einigen Jahrzehnten in dieser Gegend eingebürgert hatte: daß Elefantenfleisch nicht eßbar sei. Da ich selbst schon einige der großen Dickhäuter erlegt hatte, nahm ich Unteroffizier Lauer mit, der gerne einen Elefanten schießen wollte, sich aber dazu allein nicht genug Jagderfahrung zutraute. Wir gingen an einen Platz, an dem ich öfter Elefanten gesehen hatte, ohne ihnen etwas zu Leide zu tun. Dort angekommen, waren wir kaum eine Viertelstunde gepürscht, als ein großer Elefant vor uns stand, mit nur einem, jedoch sehr starken Zahn. Ich beschrieb meinem Begleiter am Kopf des Riesen genau die Stelle, auf die er schießen sollte. Er ging bis auf zwanzig Schritt hinan; ich stand hinter ihm, um nötigenfalls mitschießen zu können. Aber es war nicht nötig; Lauer schoß ganz ruhig, und der Elefant brach auf der Stelle zusammen: die Jagd war beendet. [Sidenote: Elefantenfleisch als Nahrung.] Wir gingen zu unsern Zelten und machten es uns bequem. Da kamen, wie wir erwarteten, die Neger, denen ich Fleisch versprochen hatte und fragten, ob ich nicht einige Antilopen schießen wollte? „Nein, erst wenn der Elefant aufgegessen ist.“ „Wir essen kein Elefantenfleisch.“ „Dann habt ihr auch keinen Hunger.“ „Wir sterben vor Hunger, aber Elefant zu essen, ist nicht Sitte.“ Murrend zogen sie von dannen, blieben aber in der Nähe des Lagers. Ich wußte, daß diese Leute sich nur vor einander schämten, von dem Fleisch zu essen; jeder einzelne fürchtete den Spott des anderen. Jetzt kam der Koch und sagte, um uns hineinzulegen, mit unschuldigem Gesicht: „Was soll ich kochen? Fleisch ist nicht da!“ „Hat das Tier, das ich geschossen habe, kein Fleisch?“ „Ja: Elefant!“ sagte er geringschätzig. „Na also; brate das!“ Anfangs ging ein Lächeln und Zähnefletschen durch die Zuschauer; sie waren erstaunt, daß wir Elefantenfleisch essen wollten. Dann sagte einer das Wort: „_mzungu_“, und auf allen Gesichtern lag wieder Ruhe.[42] „Er ist ein Weißer“ soll nämlich heißen: Als weißer Mann kann er tun, was wir nicht tun dürfen. („Weil wir es nicht vertragen oder weil es sich für uns nicht schickt.“) Der Unteroffizier und ich waren die ersten, die von dem Fleisch kosteten. Es war grobfaserig, schmeckte aber als Beefsteak nicht schlecht. Ich befahl auch den Boys, sie sollten davon essen, damit sie den übrigen Negern ein gutes Beispiel gäben. Sie sahen sich gegenseitig mißtrauisch an, um sich zu versichern, daß jeder der andern auch essen würde; keiner wollte der einzige sein. [Sidenote: Die Neger schämen sich.] Schließlich aßen sie; aber einer schämte sich dabei so sehr, daß ihm die Tränen in die Augen traten.[43] Als ich sagte, ich würde alle zwingen, das Fleisch zu essen, griffen sie endlich zu; es schmeckte ihnen, und so entstand eine recht frohe Stimmung. Ich hatte es also doch erreicht, daß die „_dasturi_“, die scheinbar unerbittliche Gewohnheit, ihre steinernen Gesichtszüge zu einem warmen Lächeln verzog; Frauen und Kinder fanden sich bei dem erlegten Elefanten ein und füllten ihre Körbe mit den Fleischstreifen, die ihnen von den Männern zugeworfen wurden. Bald führte ein ausgetretener Weg von der Landstraße (einem Fußweg) durch das Gras nach dem Elefanten hin. Die Schwarzen trockneten das Fleisch und konnten so wochenlang davon leben. In anderen Gegenden Afrikas verhalten sich die Eingeborenen ganz anders, als ich es hier geschildert habe: [Illustration: In der Ebene des Rufiyi. Das starke Schilf zeugt von der Fruchtbarkeit des Bodens. Die Neger sind dabei, es umzuhauen, weil Baumwolle gesät werden soll.] Wenn ein Elefant geschossen ist, verbreitet sich die Kunde davon sehr schnell im Lande und der Andrang der Abnehmer des Fleisches ist so stark, daß sich Parteien bilden, die regelrechte Kämpfe um den Elefanten aufführen. In wenigen Stunden ist von dem etwa achtzig Zentner schweren Koloß nichts übrig, als die Knochen, und oft erinnert ein frisches Grab in der Nähe des Platzes an den Ausgang eines Kampfes, den rohe Menschen in ihrer Gier führten.[44] Als die sogenannte kleine Regenzeit näher kam, begannen die Eingeborenen fleißig an ihren Feldern zu arbeiten; Busch, Sträucher und Schilfgras wurde ausgerodet, auf Haufen geworfen und angezündet. So blieben die Äcker einige Wochen liegen, dann räumten die Frauen auf und bearbeiteten die Fläche mit einer breiten, kurzstieligen Hacke. Da alles auf dem Felde zu tun hatte, wurden die Häuser zugeschlossen. Selbst die kleinen Kinder mußten mit, und meist trugen die Frauen bei der Arbeit noch einen Säugling auf dem Rücken. Die größeren Kinder saßen am Rande des Ackers. Dabei soll es oft vorkommen, daß ein unbewachtes Kind vom Leoparden geraubt wird. Die Landwirtschaft der meisten Neger ist nicht sehr intensiv. Das Land ist fruchtbar und dünn bevölkert, so daß der Neger nach Bedarf neue Flächen unter Kultur nehmen kann, wenn der alte Acker nicht mehr trägt. In der Ebene wird daher derselbe Acker drei oder viermal, in den Bergen höchstens zweimal nacheinander bebaut. Dies richtet sich nach der Güte des Bodens und der Getreideart, die gesät werden soll. Gedüngt wird nicht; außer einigen Ziegen und Schafen haben die Eingeborenen am Rufiyi auch kein Vieh. [Sidenote: Die Feldfrüchte.] Angebaut wird Reis, Mais, Matama und Mohogo. An tieferen Stellen wird vor allem Reis gesät, weil Reis die Nässe gut verträgt und sogar besonders gut gedeiht, wenn er zeitweilig ganz im Wasser steht. An höheren Stellen säen die Neger Mais und Matama. Bei der außergewöhnlich hohen Überschwemmung, die ich im Jahre 1905 miterlebte, verfaulte der Mais, kurz bevor er reifte, auf dem Felde. Dadurch wurde die Hungersnot noch empfindlicher; denn Hunderte von Menschen hatten mit hungrigem Magen auf diese Frucht gewartet. Die anspruchsloseste und am leichtesten anzubauende Frucht ist der Mohogo (Maniok). Ein kleiner Stock, in die Erde gesteckt, entwickelt sich in wenigen Monaten zu einem hohen Busch, der in der Erde zahlreiche, eßbare Knollen bildet. Wie oft haben meine Leute auf weiten Märschen ihren Hunger in einem Mohogofelde gestillt: mit einem kräftigen Ruck wurde der Busch aus der Erde gehoben und, wenn er dabei nicht abbrach, die Knollen abgerissen und geschält und das weiße Fleisch verzehrt. Außer den genannten Früchten werden in der Nähe der Häuser in geringen Mengen angepflanzt: Zuckerrohr, Bananen, Ananas, Tomaten, niedrige und hohe Bohnensträucher und Rizinusstauden; an günstigen Stellen auch Tabak für den eigenen Gebrauch. [Illustration: Nach sechs Wochen kam ich wieder an den Platz, wo ich den Elefanten geschossen hatte; Löwen und Hyänen, Geier und Marabu hatten soweit aufgeräumt, daß fast nur die riesigen Knochen übrig waren, auf denen die Haut in Fetzen hing. Im Haushalt der Natur ging selbst die faule Flüssigkeit, die aus dem Kadaver herauslief, nicht verloren; denn Millionen von Larven wälzten sich darin und dienten kleinen Vögeln zur Nahrung.] In den Getreidefeldern findet man hie und da eine Kürbisstaude, und für den Export werden, auf Anregung der Kommunen, Erdnuß und Baumwolle angepflanzt. Von Geräten für den Ackerbau kennt der Neger nur die Hacke und einen mit einem Stück Eisen beschlagenen Stock zum Jäten von Unkraut; außerdem Messer und Beil zum Roden des Busches. Im Reinhalten der bebauten Äcker von Unkraut habe ich überall großen Fleiß gesehen. Auch der Maniok erfordert diese Mühe; denn das Unkraut gedeiht in dem mit der Hacke gelockerten Boden nach dem Regen üppig. Daß trotz der Menge der Früchte und der Hilfsquellen, die der findige Eingeborene aus den Wäldern an wilden Früchten, Honig und eßbaren Wurzeln hat, die Hungersnot so häufig und verderblich auftritt, hat seine besonderen Ursachen. Vor allem liegt es daran, daß der Neger nicht mehr baut, als er bis zur nächsten Ernte unbedingt nötig hat. Kommt dann aber einmal durch Überschwemmung, Heuschrecken oder Dürre eine Mißernte, so trifft sie ihn völlig unvorbereitet. Als Entschuldigung für diese Sorglosigkeit mag es gelten, daß sich Getreide in den Tropen sehr schwer aufbewahren läßt; der Neger kennt noch keine Mittel und besitzt noch keine Vorkehrungen, um Korn in großen Mengen gegen Feuchtigkeit und tierische Feinde zu schützen. Die Körner werden von Ameisen angefressen, oder, wie der Mais, von einem kleinen Rüsselkäfer angebohrt, so daß sie zum mindesten ihre Keimkraft verlieren. In geringen Mengen konservieren die Eingeborenen Maiskörner, indem sie die an den Kolbenblättern zusammengebundenen Kolben im Dachgebälk der Wohnhütten aufhängen und beständig unter Rauch halten; doch das ist wenig und im allgemeinen verkauft der Neger den Überschuß über den nächsten Bedarf billig an den Inder. Die Regierung förderte den Anbau von Baumwolle und Erdnüssen bei den Eingeborenen und glaubte hiermit einen Weg gefunden zu haben, ihnen zu gesunden Erträgen aus der Landwirtschaft zu verhelfen; denn das sind Produkte, die der Neger leicht konservieren könnte, und die ihm einen Gewinn sichern, weil sie vermutlich nicht durch den Laden des indischen Zwischenhändlers gehen, sondern unmittelbar an die Entkernungsanlagen und Kommunen verkauft werden. Aber wenn der Neger bei einer Mißernte an Kornfrüchten gezwungen ist, seine Nahrungsmittel vom Inder zu beziehen, dann ist er diesem doch wieder ausgeliefert. [Sidenote: Der Inder schädigt den Ackerbau.] Wie wichtig es ist, daß europäische Händler und Unternehmer sich an dem Aufkauf von Körnerfrüchten beteiligen, zeigt folgende, in Ostafrika ganz bekannte Tatsache: Bei einer großen Ernte kaufen die Inder das Getreide zu Spottpreisen von den Eingeborenen, die ja meist bei dem Händler in der Kreide stehen und deshalb an ihn verkaufen müssen. Dieses Getreide wird nun nicht etwa auf den Markt gebracht; der Inder verkauft es vielmehr wieder an die Eingeborenen, sorgt aber dafür, daß der Preis recht hoch wird, dadurch, daß er künstlich Mangel hervorruft. So sollen die indischen Kleinhändler sehr oft an der Hungersnot unmittelbar schuld sein, indem ihre Krämertaktik die Landwirtschaft der Eingeborenen unterbindet! In den Pflanzzeiten verkauft der Inder sehr ungern Sämereien an Eingeborene; allenfalls kann der Neger schlecht keimfähige, verdorbene Ware bekommen und muß dafür einen hohen Preis zahlen. Der schlaue indische Händler kennt eben nur sein Geschäft und hat an dem Lande kein Interesse; wenn er nun großen Vorrat an Getreide hat, sucht er darauf hinzuwirken, daß der Neger wenig erntet, in Not kommt und bei ihm kauft. Alle Inder sollen sich hierin einig sein.[45] Die Folge dieser Handlungsweise ist dann eine Steigerung der Löhne, die den europäischen Unternehmern, den Plantagen, den Kommunen und der Kolonialverwaltung zur Last fällt. In dieser Darstellung scheint eine gehässige Übertreibung zuungunsten der Inder zu liegen; wer aber die Inder gesehen hat, weiß die Wahrheit darin zu finden. Sie sind Handelsleute, wie sie im Buche stehen; bleiche Schmarotzer, für die es in Ostafrika kein Land, keine Scholle, keine Heimat gibt. (Die ackerbautreibende Kaste kommt nicht zu uns, da die britische Regierung ihr die Auswanderung verbietet. Das ist sehr schade.) Selbst wo die Inder sich, wie in Sansibar, in den Grundbesitz der Araber hineingedrängt haben, glaubt man, wenn man sie sieht, den Eindruck der Bodenständigkeit zu vermissen. Unstet sehen sie aus; wie das Geld, das durch ihre Finger geht. Nur die Geldsäcke, das Geld von der schmutzigen Kupfermünze aus der Hand des nackten Waniamwezi bis zum Scheck auf die _Chartered Bank of India_ in der Ebenholztruhe neben harmlosen Bohnen und Kwemenüssen: das ist ihre Heimat. Vielleicht klingt auch das zu heftig; der Gedanke, daß Deutschland eine große Kolonie mit schwerem Geld unter seinen Schutz nimmt, damit Händler fremder Rasse ungeziemenden und dem Lande schädlichen Gewinn daraus ziehen, ist unerquicklich; wir haben selbst fleißige Männer genug, denen der Handelsgewinn aus dem natürlichen Reichtum des Landes zu gönnen wäre, und nur an Orten, deren Klima dem Weißen verderblich wird, ist der Inder nicht immer zu entbehren, zur Vermittelung der Ausfuhr einheimischer Produkte. So sagen die, die an ihrem eigenen Geldbeutel die lästige Konkurrenz des geschmeidigen, bedürfnislosen Inders erfahren haben. Die Firmen, die ihr Geschäft auf den indischen Kleinhändler zugeschnitten haben und die das viel getadelte Kreditsystem stützen, sagen, der Inder hole doch wenigstens etwas aus dem Lande heraus; wenn er ein Geschäft dabei mache, solle man es ihm gönnen. Dafür lebe er jahrelang so einfach. Und dann wird man gefragt: „Wollen Sie sich hinstellen und stundenlang mit einer Bibi um ein Baumwollentuch handeln? Wollen Sie Mais, Matama, Öl und Perlenketten verkaufen? Wollen Sie? Na, also! Der Weiße ist doch dazu zu fein.“ Ich aber dachte mir, daß ich es schon einrichten wollte, und so werden viele denken. [Sidenote: Wahre Kulturarbeit.] Sowie kein Inder im Lande wäre, würde sich kein Arbeitgeber scheuen und kein Ansiedler zu fein sein, einen Laden zu halten, in dem der Neger alles billig bekommt, vom Baumwollentuch bis zur Nähnadel. Jeder dritte Suaheli eignet sich jetzt schon dazu, eine „_duka_“ zu verwalten und täglich Abrechnung zu machen! All die wertvollen Produkte aber: Elfenbein, Gummi, Kopal, Getreide, Baumwolle, Ölfrüchte, Schildpatt, Wachs könnte der Europäer aufkaufen und würde, wenn er es versteht, die Neger anständig zu bezahlen (selbst wo größerer Gewinn dem Naturkinde leicht abzuringen wäre), bald das Vertrauen ganzer Stämme haben, würde viele Arbeiter in seine Nähe locken und eine wahre Kulturarbeit leisten können. So denken viele ihre Lebensaufgabe da draußen; aber die Kunst der Erziehung und des Regierens, die in manchem Ansiedler als eine edle, vielversprechende Kraft steckt und nach Betätigung drängt, wird zu leicht unterdrückt durch die Ungunst der Verhältnisse und setzt sich dann um in Resignation, in Bitterkeit -- ja, leider sogar in Alkohol. Im Jahre 1905, während des Aufstandes, hatte ich Gelegenheit, selbst Beobachtungen über Ernte, Getreideausfuhr, indische Krämertaktik und Hungersnot anzustellen. Der Aufstand begann im August, nachdem überall eine besonders reiche Ernte eingekommen war. Die Inder kauften das Getreide zu Spottpreisen in ungeheuren Quantitäten und verschifften es nach der Küste, sobald die Truppen in der Gegend die Ruhe wieder hergestellt hatten. Überall waren große Vorräte in den Dörfern; aber der Versuch, die Inder zu veranlassen, einen Teil dieser von ihnen erworbenen Vorräte im Lande zu behalten, um für die Truppen und die Eingeborenen später Getreide zur Verfügung zu haben, hatte nur zur ~Folge, daß die Inder ihre Vorräte mit möglichster Beschleunigung zur Küste brachten~, um künstlich einen Mangel herbeizuführen und den Preis zu steigern. Man konnte es ihnen ja gar nicht verdenken; denn ihre Aufgabe ist es ja, in möglichst kurzer Zeit recht viel Geld aus dem Lande zu ziehen und dann nach Indien zurückzugehen. Die Entwickelung des Landes kann ihnen ganz gleichgültig sein. So mußte ich später das wenige Korn, das der Inder Sack für Sack wieder heraufbrachte, achtzehnmal teurer bezahlen, als es drei Monate vorher gekostet hatte. Den Eingeborenen fehlten die Mittel, solche Preise zu zahlen und sie litten furchtbar unter der Hungersnot. Auch eine Expedition des Hauptmanns von Wangenheim, die die Verbindung mit dem hartbedrängten Mahenge herstellen sollte, scheiterte hauptsächlich an dem Nahrungsmangel. Die Träger waren durch Hunger entkräftet und die Expedition mußte umkehren, weil die Flüsse so angeschwollen waren, daß man nicht vorwärts gehen konnte. Ein Europäer ertrank. Der Wildreichtum half über die größte Not hinweg. Es ist kaum glaublich, wie schwierig das Reisen (und also auch der Buschkrieg) in der Regenzeit ist, im Vergleich zur Trockenzeit. Ich sah es immer wieder, daß die Jahreszeit meine ersten Streifzüge, die ich mit den Matrosen machte, ungemein begünstigt hatte. Da waren die Flußübergänge kurz, die Bäume und Sträucher kahl; das Gras lag dürr am Boden und brauchte, wenn man weite Übersicht haben wollte, nur angesteckt zu werden. Mücken gab es fast gar nicht; Nahrung überall. [Sidenote: Regenzeit und Hungersnot.] Anders in der Regenzeit! Ganze Ebenen standen unter Wasser; selbst bei Kipo, wo freies Terrain mich im August so begünstigt hatte, stand jetzt das Gras so hoch und die Büsche waren so dicht belaubt, daß ein Gefecht wie das am 21. August ganz ausgeschlossen gewesen wäre; die Gegend war nicht wieder zu erkennen. In Flußbetten, durch die wir noch im November trockenen Fußes gegangen waren, tobte das Wasser. Dazu kam der Mangel an Nahrungsmitteln, der Hunger. Die Neger können Hungersnot meisterhaft ertragen, weil sie an diese seit Jahrhunderten regelmäßig wiederkehrende Plage gewöhnt sind. Ein gewisser Stumpfsinn, eine fast zufriedene Ergebung in den Zustand wirken so beruhigend auf den Zuschauer, daß ihm der Schrecken gar nicht so nahe geht und er das rechte Mitleid kaum empfindet. Eigentümlich war die Haltung der Neger dem Bezirksamt gegenüber. Die Kommunen haben einen Notstandsfond, aus dem für die Eingeborenen Getreide gekauft wird, ohne daß sie es zu bezahlen brauchen. Sie sollen nur kommen und es sich holen. Das taten die trotzigen Bergbewohner in Matumbi und Kitschi nicht, obwohl sie sich unterworfen hatten; sie zogen es vor, in Massen zu verhungern! Williger waren die Rufiyileute, und ich sagte mir, wenn jemand Hunger litt, dann sollten es nicht die Neger sein, die sich mir unterworfen hatten, sondern die Aufständigen! Deshalb faßte ich den Plan, die Mohogoäcker der Aufständigen in den Bergen abzuernten. [Sidenote: Ein Raubzug.] An einem bestimmten Tage wurden alle freundlichen Neger zur Boma bestellt. Boten gingen an die Jumben, jeder, der mitmachen wollte, sollte sein Messer, einen Sack und für zwei Tage Essen mitbringen. Achthundert Menschen fanden sich zur bestimmten Zeit ein; aber keiner hatte etwas zu essen bei sich. Sie vertrauten alle darauf, daß ich Wild schießen würde. Zwei Tage konnte es dauern, bis wir die ersten Mohogoschamben erreichten, und ob ich Wild bekommen würde, war nicht sicher; ich brach schleunigst auf, weil die Leute immer hungriger wurden. Die Neger wurden in Gruppen zu fünfzig Mann unter die Jumben oder andere Leute, die Autorität (kräftige Arme und ein großes Maul) hatten, verteilt; ich hielt eine Ansprache, in der ich den Plan erläuterte und um Disziplin bat, damit es uns gelinge, recht viel zu fressen einheimsen zu können. Alle waren meiner Meinung und ich ging schnell voraus, fünf Stunden weit. Dann bestimmte ich einen Lagerplatz. Es waren noch zwei Stunden bis zur Dunkelheit. In dieser Zeit wollte ich Wild schießen, soviel ich bekommen könnte und sandte auch Unteroffizier Lauer aus, mit dem Auftrage, Fleisch für das hungrige Volk zu schaffen. Wie ich es gemacht habe, das darf sich der ausmalen, der ähnliche Reviere kennt, der weiß, daß jedes Rudel angepürscht sein will und daß zwischen zwei Schüssen ein Weg liegt zum nächsten Rudel, der zu Fuß zurückgelegt werden muß; den Leser will ich mit der Jagdschilderung nicht ermüden. Kurz: Als es dunkel war, lagen auf der Strecke drei Wasserböcke, zwei Swallah, zwei Riedböcke, eine Kuhantilope und ein Warzenschwein. Lauer hatte drei Kuhantilopen und zwei Wasserböcke geschossen. Also zusammen vierzehn Stück Wild! Und das war für die vielen Menschen noch zu wenig. Todmüde saß ich im Lehnstuhl. Wohl hundert Feuer brannten; an jedem saßen ein halbes Dutzend Neger. Auf dünne Stöcke hatten sie Fleischstücke aufgereiht und ans Feuer gestellt; von Zeit zu Zeit schnitten sie ein Stück ab und steckten es in den Mund. Zwei Weiße und achthundert Neger; war es nicht ein tolles Unternehmen? Wir sahen uns das Bild noch einmal von weitem an: die hellen Feuer, die vielen Gestalten und die Bäume, die von unten beleuchtet wurden; darüber der dunkle Himmel mit kleinen, silbern blinkenden Sternen. Am dritten Tage in der Frühe erreichten wir die ersten Schamben. Das Abernten ging sehr schnell; die hungrigen Leute fielen wie Heuschrecken darüber hin. Große Pflanzungen, in denen der Mohogo so üppig stand, daß Menschen darin nicht zu sehen waren, lagen in kurzer Zeit am Boden. Die Neger schnitten den Mohogo in Scheiben und trockneten ihn an der Sonne. So konnten sie große Mengen mitnehmen. Auch zerstampften sie die Knollen in großen Holzmörsern und trockneten den Brei auf ausgebreiteten Tüchern, bis er weiß wurde, wie Mehl. Die Dörfer hier lagen hoch in den Bergen, wo kein Wasser war; die Brunnen waren oft drei Stunden von den Hütten entfernt. Der Akide sagte, die Frauen dieser Neger seien jeden Morgen sechs Stunden unterwegs, um einen Topf Wasser zu holen. Das Wasser läuft außerdem so spärlich nach, daß nur wer zuerst kommt, gleich einen vollen Topf schöpfen kann; jede will deshalb die erste sein und sie stehen in der Nacht auf, um bei Tagesgrauen am Brunnen zu sein. Wozu ist diese Mühe? Weshalb wollen die Leute nicht in der Nähe des Wassers wohnen, wo der Boden nicht schlechter ist als oben? Aus alter Gewohnheit meiden sie die Wasserstellen, die jeder Räuber zum Lager begehrt. Wie das Wild, das nur auf Minuten und mit scheuer Vorsicht zur Tränke kommt, ja sich ganz vom Wasser entwöhnt, um nicht eine leichte Beute des Löwen zu werden. Wir hatten unsere Not, es so einzurichten, daß wir täglich in die Nähe eines Brunnens kamen. Manchen Negern genügte der Saft, den sie mit den Mohogoknollen aufnahmen, und sie tranken gar kein Wasser. Mit Mohogomehl reich beladen, kehrte die große Räuberbande nach acht Tagen aus den Bergen zurück und zerstreute sich. * * * * * [Sidenote: Ein Schauri.] Ich will auch ein Schauri schildern, das ich abhielt. Die meisten Schauri handelten von Diebstahl und von Schulden; heute aber handelte es sich um etwas anderes: um Mord, fahrlässige Tötung, versuchten Selbstmord, Mißbrauch der Amtsgewalt und anderer Substantiva. Es war nämlich folgendes geschehen: Ein Neger mit Namen Dibagila kam und sagte mit Ruhe: „Die Askari schießen auf Menschen; mein Bruder ist erschossen!“ Ich schickte eine Patrouille aus; die kam nach einer Stunde wieder und brachte auf Bettstellen zwei Verwundete: den Askari Manika und ein Weib. Dem Askari war der rechte Oberschenkel zerschossen; klaffend hing das Muskelfleisch hinunter. Das Weib hatte einen Schuß durch das Fleisch überm rechten Knie. Sanitätsunteroffizier Lauer war in Mayenge, um Sergeant Kühn zu behandeln, der Fieber hatte. Ich ging deshalb selbst an die Verbandkästen und verband die entsetzlichen Wunden, nachdem ich eingedrungene Stofffetzen herausgezogen hatte. Die gleichgültigen Gesichter der Patienten erleichterten mir die Arbeit. Das Weib schimpfte ununterbrochen. Darauf versuchte ich festzustellen, was vorgefallen war. Und nun mußte ich meinen ganzen Spürsinn ins Feld führen, um Wahrheit von Lüge zu trennen. Die beiden Askari sagten, ein Schenzi habe geschossen und mit demselben Schuß den Askari und das Weib getroffen; das Weib, es sei von dem einen Askari angeschossen worden. (Der Dibagila, der nachher Hauptzeuge wurde und alles wußte, stand jetzt noch dabei und schwieg!) Ich überlegte: die Wunde des Askari war so, daß der Schuß aus nächster Nähe abgegeben sein mußte. (Ich hatte schon einmal einen Mann gesehen, der sich selbst erschossen hatte; an die Wunde mußte ich denken.) Das Weib hatte eine gewöhnliche Schußwunde, mit glattem Schußkanal. Ich ließ meinen Esel satteln und ritt, obwohl ich durch einen Dysenterieanfall aufs Äußerste ermattet war, in der Sonnenglut selbst zu dem Tatort, der eine Stunde entfernt war. Die Augenzeugen waren mit. „Da hat der Schenzi gesessen, der geschossen hat. Hier hat der Askari gestanden -- du siehst den Blutfleck, Bana -- und da unten hat dieselbe Kugel die Frau getroffen.“ Aha! Da haben wir die Lüge: also fliegt eine Kugel im rechten Winkel weiter, wenn sie einen Askariknochen trifft! Daß der _Bana kubwa_ sich die Mühe mache, hierherzureiten, daran habt ihr Lügner wohl nicht gedacht? Ich schickte alle anderen Leute weg und ließ mir von dem Dibagila, der offenbar aus Furcht vor den Askari nicht gesprochen hatte, erzählen, wie es gewesen sei. Dibagila hält seine ausgestreckten Arme dicht an den Körper, als ob ein Tuch sie an Bewegung hindere, bewegt die Schultern und den Oberkörper in eigentümlicher Weise und zeigt mit den Kopf in die Richtungen. Seine Stimme ist schneidend, doch tönend; er spricht dramatisch, bisweilen sehr laut: „Es kam einer zu mir, der Salim bin Mtambo, und sagte: ‚Dein Bruder ist am Fluß erschossen, er ist ins Wasser gestürzt! -- baß‘“ -- (Dies ‚baß‘ dient zur Interpunktion beim Sprechen und ist der Erzählung der Schwarzen eigen.) „Ich lief hin. Es war Blut am Boot. Ich sprang ins Wasser, schwamm umher, konnte nichts finden; dann folgte ich den Askari und sagte: ‚Mein Bruder ist erschossen, ich gehe zur Boma und sage es dem _Bana kubwa_.‘ Askari Manika antwortete: ‚Wenn der _Bana kubwa_ erfährt, daß ich deinen Bruder erschoß, läßt er mich aufhängen; ich will sagen, ein Schenzi habe auf mich geschossen und werde mich selbst ins Bein schießen.‘ Er drehte sein Gewehr um, setzte die Mündung auf sein Bein, schoß und fiel hin. Der andere ging dann ins Dorf und schoß auf ein Weib. Ich fragte: Weshalb tust Du das? Er sagte: ‚Ich schieße bloß so!‘“ Am Nachmittag wurden viele Zeugen geladen und Schauri abgehalten. Das heißt eigentlich waren es nur Vernehmungen, denn verurteilen konnte ich den unglücklichen Askari doch nicht, der sich selbst gerichtet hatte. Unter dem großen Baume saßen Hunderte von Negern und hörten zu, was da vorne gelogen wurde. Gelogen wird immer, manchmal empfiehlt es sich aber auch, die Wahrheit zu lügen. Der Richter muß dann nicht denken, daß der Neger die Wahrheit sagt, um die Wahrheit zu sagen, nein, er sagt etwas, weil er für vorteilhaft hält, es zu sagen; zufällig ist es die Wahrheit. Ein Askariboy war in der Kunst, den Mzungu zu belügen (das ist der Inhalt des Schauris) noch nicht gewandt genug und sagte auf jede Frage nur „hapana“ oder „sijui“. Ein anderer Zeuge, ein Pogoro, konnte gar nicht sprechen; trotzdem bekamen die Dolmetscher alles aus ihm heraus, was sie hören wollten. (Ähnlich dachte ich mir den „klugen Hans“, von dem damals gerade in den Zeitungen die Rede war.) Der Pogoro stierte mich an mit Augen, denen man ansah, daß sie mehr von der Glut des nächtlichen Feuers als vom Studium gerötet waren. Er hob das Kinn, wenn die zudringlichen Dolmetscher die Antwort „ja“ von ihm haben wollten. (Er hätte auch mit dem Fuße scharren können.) Nach ihm kamen drei Frauen an die Reihe. Ein bildhübsches Geschöpf war dabei. Sie begleitete ihre Reden mit weichen, schönen Bewegungen. Ein kleines, ahnungsloses Kindchen beschäftigte sich gleichzeitig an ihrer linken Brust. Plötzlich wandten sich alle um: Auf einer Bettstelle wurde der Tote angebracht. Man hatte ihn im Flusse treibend gefunden. Der Schuß war unterm Schlüsselbein durch die rechte Schulter gegangen, Krokodile hatten schon eine Hand abgefressen. Als alle Zeugen geredet hatten, entließ ich die Versammlung. Das ganze Ereignis sah jetzt so aus: Die beiden Askari waren an den Fluß gekommen und wollten nach einer Insel hinüber. Sie sahen einen Mann im Boote und riefen, er solle das Boot herbringen; der hörte nicht. Da schoß der Askari Manika, um ihn aufmerksam zu machen, und traf unglücklicherweise. Der Mann fiel über Bord und wurde nicht mehr gesehen. Die Askari kehrten nach einer Weile um. Leute hatten gesehen, was geschehen war. Der Dibagila folgte den Askari. Da bekam der Askari Manika Angst vor Strafe und schoß sich selbst ins Bein. Der andere schoß, um die Verwirrung noch größer zu machen; sie hatten also einfach Krieg gespielt! -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- [38] barua = Brief. [39] Ein aus Kaffernkorn gebrautes, berauschendes Getränk. [40] „_Bana kubwa_“ wird unterwürfig eigentlich nur der genannt, der etwas zu sagen hat, und den die Weihe des Amtes über andere Europäer erhebt. Da sich aber die Boys unter sich jetzt schon gegenseitig „_bana_“ (Herr) anreden, darf jeder weiße Mann beanspruchen „_bana kubwa_“ (wörtl. hochangesehener Herr, also „Exzellenz“) genannt zu werden, ohne daß man ihm den Vorwurf machen müßte, er leide an Größenwahn. [41] Ich habe später noch zwei Riesenschlangen geschossen. [42] Ähnlich beruhigt sich der Neger über alle Maschinen, die er nicht versteht, und die als fertige Einrichtung aus Deutschland kommen, mit dem Wort „_kazi uleya_“: es ist Europäerarbeit. Die wunderbarsten Instrumente; Grammophone, Kaleidoskope können ihn wohl vergnügen, machen ihm aber kein Kopfzerbrechen. Anders ist es mit Dingen, die er beurteilen zu können glaubt; Körperkraft, Gewandtheit und Geschicklichkeit bewundert er auch beim Europäer. Auch dafür erlebte ich Beispiele: Am Paregebirge zeigten mir meine Träger einmal einen Mann, der auf den Händen lief. Als der Mann sich eine Weile produziert hatte, sagten sie, „das können die Europäer nicht“. Darauf zeigte ich ihnen, daß ich es besser konnte als der Mann, und nun sprachen sie tagelang von nichts anderem. Ebenso bewunderten sie mich, wenn ich über einen breiten Graben sprang oder im Wasser mit ausgestrecktem Körper auf dem Rücken schwamm, was ihnen ganz unerklärlich war. [43] Wie stark die Einbildung auch bei den Negern den Geschmack beeinflußt, zeigt folgendes Beispiel: Ich gab einmal Negern Schokolade zu essen, was sie nicht kannten. Es schmeckte ihnen sehr gut. Einer fragte: „Was ist das, was wir gegessen haben?“ „Schweineblut mit Zucker,“ antwortete ich zum Scherz. Entsetzt wandten sie sich ab. Nachher kamen sie zurück und fragten, ob das wahr sei; einigen sei so übel geworden, daß sie es wieder von sich gegeben hätten. Als ich ihnen versicherte, ich hätte ihnen nur zeigen wollen, wie töricht sie manchmal seien, sagten sie: „Du wolltest uns also nur Ekel machen“ und einer setzte grinsend hinzu, er freue sich, daß er die Schokolade noch im Bauche habe. Übrigens wird im Haushalt der Europäer gern gesehen, daß sich diese Neger von bestimmten Speisen und Getränken fernhalten. Sie verschmähen Alkohol -- ganz im Gegensatz zu dem Neger der Westküste, der guter Abnehmer schlechter Spirituosen ist -- bleiben selbst als Köche und Diener der Messen und Restaurants bei ihrem Reis mit Zukost und nehmen nichts von den Speisen der Europäer. Allenfalls naschen sie von der Butter, die sie sehr lieben, und dagegen schützen sich die findigen Hausfrauen in Daressalam, indem sie vor den Augen der Boys einen Löffel Schweineschmalz in jede neugeöffnete Butterdose hineintun. Wer neu nach Ostafrika kommt und auf Märschen gerne und reichlich ißt, weil sein Appetit gut angeregt wird, wundert sich wohl, daß die Neger den vielen Mahlzeiten zusehen können und selbst nur einmal am Tage essen; die Erklärung dafür geben die Schwarzen selber sehr nett, indem sie dem Europäer schmeichelnd sagen: „Du mußt auch mehr denken und hast mehr Kräfte als wir, deshalb brauchst du andere Nahrung.“ [44] Vgl. Dominik: Kamerun. [45] Vgl. Deutsch-Ostafrikanische Zeitung Juni 1907. Ein Streifzug. Der Aufstand schien in dem Gebiet, in dem ich zu tun hatte, zu Ende zu sein. Tausende von Eingeborenen hatten sich unterworfen, hatten Kriegssteuer gezahlt und Waffen abgegeben und bauten jetzt friedlich ihren Acker. Nur in ganz entfernten Tälern, wohin noch kein Askari gekommen war, spielten die Schenzi noch hartnäckig Krieg. Wie Kinder; wenigstens hörten sich die Schilderungen von Kundschaftern so an. Eine alte Frau, die aus der Gefangenschaft der Schenzi entlaufen war, erzählte, die Krieger hätten sich aus Antilopen- und Zebrafell Schilde gemacht und hätten, da die alten nichts taugten, zu neuen Göttern gebetet. Menschenopfer, unerhört seien gefallen, und im frommen Kreise habe man das Blut einer alten Frau getrunken. Auch sie habe man schlachten wollen, deshalb sei sie davongelaufen und habe fünf Tage lang nur Schlamm gegessen, um sich zu ernähren; denn sie habe auf dem Marsche alle Menschen meiden müssen.[46] Immer öfter regnete es in dieser Zeit. Bald war die große Regenzeit zu erwarten, von der die Neger sagten, sie verändere das Land so, daß das Reisen noch mal so schwer sei wie jetzt; ich hielt es deshalb für gut, noch vorher einige Streifzüge in das Land zu machen und lieh den Kundschaftern willig mein Ohr. Eines Tages saßen wir in dem neuen, fertigen Hause und sahen dem Regen zu, der von dem Palmblattdach niederströmte, als der wachhabende Ombascha vom Pallisadentor her einen bärtigen, alten Neger anbrachte, der einen abgetragenen, völlig durchnäßten Gehrock anhatte. Schlimme Nachrichten brachte der alte Mann: Weit oben am Rufiyi, hinter den Panganischnellen, seien sehr böse Schenzi (_wakali sana_), die von Tag zu Tag wilder würden. Der Zauberer Hongo sei bei ihnen und mache sie unverletzlich; er gebe ihnen Mittel gegen die Geschosse der Askari. Der breitnasige Alte wollte uns den Weg zeigen. Am nächsten Morgen marschierte ich ab. In den ersten Tagen ging es immer an den Fluß entlang; durch Ebenen mit hohem Gras und Mangobäumen, Schamben und Dörfern am Wasser. Weit im Norden tauchte ein Gebirge mit schroffen Höhen auf: die Uluguruberge. In verlassenen Dörfern traf ich mehrmals Wasserböcke, denen das Kraut, das auf dem Ackerboden wuchs, besonders zu schmecken schien. Während in allen friedlichen, mir unterworfenen Dörfern auf einer aus Untermast und Stenge zusammengesetzten Stange ein weißes Tuch wehte, war in den Dörfern, deren Bewohner sich einmütig zum Feinde erklärten, mitten auf dem Platz vor dem Hause des Jumben ein Topf so eingegraben, daß der obere Rand mit dem Erdboden abschnitt. Tagelang sahen wir keinen Menschen; um so mehr Wild: außer Flußpferden und Krokodilen auch Wasserböcke und ganze Herden von Swallahantilopen. Wir kamen an Berge, die der Rufiyi in tiefem Bett durchbrochen hat, verließen jetzt das Ufer des Stromes und stiegen in wunderschöner, wilder Landschaft zwischen Felsen empor. Ich schoß eine Kuhantilope, die sich ein Horn abgestoßen hatte; eine Hornplatte bedeckte die Bruchstelle über dem Knochen. (Abbildung Seite 180.) Der Führer brachte uns zu einem Dorfe an einem Abhang, der sich wieder zum Rufiyi senkte. Unten lagen die Felder der Eingeborenen. Der Fluß strömte über viele Steine und sein Bett verengte sich mehr und mehr. Wir hatten die Schnellen umgangen. [Illustration: Die Panganischnellen des Rufiyi. Der Strom durchbricht hier, um die Ebene zu erreichen, einen steinigen Höhenzug. Wie ein großes Trümmerfeld, von Steinen bedeckt, lag das Bett in der Trockenzeit da; in der Mitte tobte das Wasser in einer tief eingegrabenen, zwanzig Meter breiten Rinne.] [Sidenote: An den Stromschnellen des Rufiyi.] In den Abendstunden ging ich zu den Stromschnellen, die auf mich den Eindruck eines Naturwunders machten, weil ich so sehr an den breiten Strom gewöhnt war, wie er zwischen flachem Schwemmland träge dahinfloß. Hier waren seine Wassermassen wie von einer gewaltigen Hand in ein enges Bett gepreßt und tobten schäumend gegen die blank polierten Steine. Ich stellte mich auf eine Steinplatte, die über das tosende Wasser hinüberreichte und photographierte. Was wäre Menschenkraft in dem Strudel dort unter mir, in der wilden Bewegung! Ich merkte, daß ich in einer furchtbaren Gefahr geschwebt hatte: ich hatte, als ich durch das Diopter meiner Kamera sah, das Bestreben gehabt, etwas zurückzutreten, um einen schönen großen Stein, der vor mir lag, mit auf das Bild zu bekommen. Zum Glück vergaß ich nicht ganz, wo ich stand, und sah mich noch einmal um: nur eines Fußes Breite hätte ich zurückzutreten brauchen um abzustürzen! Wie leicht kann man sich im Eifer vergessen! Das war ein Augenblick, an den ich immer wieder denken muß. (Der Seemann wird überhaupt das Gefühl nicht los, daß die Bergsteigerei „unseemännisch“ sei. Da sind keine sicheren Wanten, kein Pferd und kein Jackstag! Die Steine wackeln und die Grasbüschel reißen aus, wenn man sich daran festhalten will!) Einige Tage später kamen wir an eine Stelle, wo der Weg den Fluß wieder verließ und sich nach einer anderen Richtung wandte. Die Führer sagten, wir hätten einen weiten, wasserlosen Wald vor uns. Deshalb versteckte ich alle entbehrlichen Lasten im Busch und gab den freigewordenen Trägern Wasser zu tragen. Dann folgten wir dem Wege in den Wald hinein. Unsere Führer schienen recht mutig zu sein. Da war der breitnasige Alte, in seinem grauen Gehrock, und ein anderer junger Neger, dessen Eltern die Aufständigen entführt hatten. Wut schien sie zu beseelen. Sie zeigten von selbst eine gewisse Vorsicht und taten überlegen, als ich ihnen sagte, wir müßten betretene Wege meiden, ein einziger Schenzi, der zufällig durch den Wald streifte, könnte unsern Plan vereiteln. Auch vermieden sie, bei Tage über Blößen zu gehen, die von andern Abhängen aus sichtbar waren. Die weiße Farbe meines Maskatesels beunruhigte mich; am liebsten hätte ich ihn mit nassem Lehm eingerieben oder in dichtem Busch zurückgelassen. Als der Wald lichter wurde, machten wir halt. Alle legten sich hin; die Reittiere grasten hinter einem kleinen Hügel. Bei jedem Tier hockte ein Neger und haute ihm mit Zweigen über den Kopf, sowie es anfangen wollte, zu wiehern. Es ist zu verräterisch, dies Wiehern! Und ist der Esel erst einmal dabei, dann dauert es eine halbe Minute lang. Meist sprang das halbe Lager auf, wenn ein Esel nur den ersten, gepreßten Atemzug tat, der das Konzert jedesmal einleitet. Impallahantilopen kamen äsend auf uns zu. Als es dunkel wurde, gingen wir weiter und erreichten eine Höhe, auf der das Zelt leise aufgeschlagen wurde. [Sidenote: Auf Kundschaft in der Nacht.] Ich ging am Abend um acht Uhr mit dem Akiden, dem Betschausch und zwei Führern Patrouille. Es war sehr hell; der Halbmond schien, und Monduntergang war erst um Mitternacht zu erwarten. An einem sandigen Fluß machten wir halt. Die Führer legten sich auf die Erde und horchten; sie behaupteten, Menschen zu hören. Auch ich vernahm in der Ferne ein Stimmengewirr. Plötzlich erhob sich auch dicht vor uns, unterhalb des Flußbettes, lauter, harmloser Gesang, und es schien ratsam, nicht weiter vorzugehen, um nicht bemerkt zu werden. Wir gingen vorsichtig zurück und um zwölf Uhr nach Monduntergang zum zweiten Male in die Richtung auf das Dorf. Nun gelang es mir, die Lage der einzelnen Hütten festzustellen. Es herrschte tiefe Stille. Einige Wachtfeuer brannten. Befriedigt über das Resultat meiner Erkundung kehrte ich um und erklärte dem Unteroffizier meinen Plan: Ich wollte eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang in die Nähe des Dorfes gehen. Bis dahin wollten wir schlafen; doch schon um drei Uhr wachte ich auf, weil ein heftiger Regen auf das Zelttuch niederprasselte und mir kam der Gedanke, den Regen zu benutzen, um unbemerkt an das feindliche Lager hinanzugehen. Schnell ließ ich antreten. Unter der Wolke wurde der Himmel wieder hell; der Regen konnte nicht mehr lange anhalten; doch prasselte er so laut auf die Blätter nieder, daß wir ungehört bis in die Nähe des Dorfes laufen konnten. Den Betschausch schickte ich mit fünf Askari nach einigen Häusern, die abseits im Busch lagen. Fünf andere Askari beauftragte ich, sich an dem Wege, den die fliehenden Feinde voraussichtlich nehmen müßten, zu verstecken. Ich selbst ging mit Unteroffizier Lauer und zwölf Askari unmittelbar auf das Hauptlager los. Außer den Askari hatte ich zehn Träger, besonders flinke Kerle, mit; die sollten Gefangene machen. -- Die Askari können in ihrer Ausrüstung nicht schnell genug laufen. -- Dicht vor den Häusern machten wir halt und legten uns auf dem Wege nieder. Kurz danach hörte der Regen auf. Vorsichtig ließ ich die einzelnen Askari im Busch an das Lager hinankriechen und befahl jedem einzelnen, sich ein günstiges Ziel zu suchen und den ersten Schuß abzuwarten. Wenn jeder geschossen hätte, sollten alle vorstürzen und mitten in das Lager hinein, so daß keiner der Schenzi Zeit habe, sein Gewehr zu spannen. Plötzlich stieß mich Lauer an und zeigte nach hinten. Ungefähr hundert Schritt hinter uns brannte ein Lagerfeuer auf, an dem drei Gestalten saßen! Nur der laute Regen hatte es möglich gemacht, daß wir unbemerkt zwischen die Posten und das Lager kamen. Mir wollte es anfangs nicht in den Sinn, daß die Männer, die dort in so greifbarer Nähe hockten, uns nicht gesehen haben sollten; aber diese Wächter hätten selbst Geräusch von unserer Seite nicht beachtet und geglaubt, es käme von ihren eigenen Leuten. Allmählich wurde es heller; Männer kamen aus den Hütten; andere erhoben sich von Bettstellen, die im Freien um Holzfeuer herum standen. Ich konnte genau sehen, wie sie ihre Gewehre abwischten und mit ihren Pfeilen und einer Bierflasche hantierten.[47] Sie unterhielten sich laut. Lauer, zwei Askari und ich lagen auf dem offenen Wege; als es immer heller wurde und wir uns nicht rühren durften, war das Licht wie ein Verräter; ich hatte das Gefühl, als zeigte jemand auf uns: „Da, da sind sie!“ Und die Spannung wuchs von Minute zu Minute. Die Männer, die hinter uns am Feuer gesessen hatten, waren plötzlich verschwunden; wir wußten nicht, wo sie geblieben waren. Das Feuer brannte noch hell und ein langer Stock stand an dem Baume. Ein Mann verließ das Dorf und ging in die Schamba; aber nicht auf unserm Wege. [Sidenote: Überfall beim Morgengrauen.] Endlich knatterte es in der Ferne; die Neger wurden unruhig, sprangen auf und drängten aus den Hütten heraus. Schnell erhob ich mich und erschoß einen langen Neger, der mir am nächsten stand. Alle Askari waren aufgesprungen und schossen; dann stürmten wir aus den Büschen hinaus, in das Lager hinein. Die Bilder, Eindrücke, kurzen Überlegungen wechselten in den nächsten Minuten so schnell, daß ich sie nicht festhalten konnte und noch weniger beschreiben kann. Die Aufständigen drückten ihre Flinten ab und flohen so schnell sie konnten. Lauer lief nach links; mir folgten drei oder vier Askari. Im Laufen kann man nicht schießen; auch nicht auf kurze Entfernung. Ich muß stehen bleiben und schieße. Dann wieder wild drauflos! Mein Boy Hassani ist dicht hinter mir und hält mir nach jedem Schuß einen neuen Ladestreifen mit fünf Patronen unter die Nase: „_Bana, bana!_“ (Er glaubt, ich hätte verschossen.) Links von mir läuft ein Neger, deutet auf seinen Fuß und ruft: „_Nimekwisha kupigwa._“[48] -- Entsetzlich! -- dann stürzt er, durch die Brust geschossen, vornüber und schlägt mit den Armen um sich. Hinter dem Dorf lag ein weites, abgeerntetes Mohogofeld. Darin liefen die mit Gewehren Bewaffneten und zeigten uns nur den Rücken. Andere, die große Bogen, Köcher und Pfeile trugen, blieben schon hinter den Häusern in niedrigem Gebüsch und hinter bewachsenen Erdhügeln stehen. Giftpfeile schwirrten. Bald wurde dem Gefecht ein Ende gemacht durch die Dreistigkeit meiner Träger, die hinter den Fliehenden herliefen und mit dem _rungu_[49] auf jeden einschlugen, der sich nicht gefangen geben wollte. Obwohl ich die Träger rote Mützen hatte aufsetzen lassen, um sie von den Aufständigen zu unterscheiden, fürchtete man jetzt, in dem Durcheinander eigene Leute anzuschießen. Deshalb kehrte ich zum Dorfe zurück, wohin alle Gefangenen gebracht wurden. Im Dorfe lagen die Leichen der Gefallenen. Es war nicht schön, daß wir jetzt das Dorf plündern mußten; ich wäre gern weggegangen und hätte in meinem Zelte, fern von dem wüsten Bilde von Tod und Zerstörung, ausgeruht und gefrühstückt. Aber wir mußten die Hütten in Brand stecken und dazu war es doch gut, daß sich meine hungrigen Leute, die ich auf den Raub vertröstet hatte, vorher herausholten, was sie an Lebensmitteln finden konnten. Hühner- und Taubeneier wurden angebracht. Töpfe mit Pombe; Mehl, Mais und Reis. Bald waren auch die Askariboys zur Stelle, und nun begann ein Plündern, an dem man die Rohheit dieser Menschen kennen lernen konnte. Lauer und ich achteten darauf, daß wenigstens die Leichen nicht verstümmelt wurden; ich ließ sie aus den Häusern hinaustragen, bevor Feuer angelegt wurde. Mehr konnten wir nicht tun. Schonung der Tiere zu fordern oder auch nur Anstoß zu nehmen an Rohheiten, wäre unnütz gewesen. Die Hühner und Tauben waren von den Häusern nicht wegzutreiben, so sehr waren sie „domestiziert“. Die Neger verfolgten sie; griffen sie. Die Tiere flüchteten unter die Dächer oder flogen auf den Dachfirst; die Verfolger warfen mit Stöcken oder Steinen nach ihnen und ließen sie ruhig weiter leben, wenn Glieder gebrochen waren. „_Chakula tu_,“ „es ist ja nur etwas zu fressen,“ war die Antwort, wenn man schalt. Als die Hütten schon brannten, lief ein Hund, den die Askari gefangen hatten, wieder in eine Hütte zurück, heulte kläglich und verbrannte. (Die knechtische Abhängigkeit von dem Herrn, das blinde Vertrauen zu dem Ernährer, das die Selbständigkeit tötet, muß in allen Geschöpfen außerordentlich leicht zu entwickeln sein. Es ist auch im Sklaven wieder zu finden, ist unwürdig und darf doch nur vorsichtig angetastet werden, wo es einmal besteht, weil es Voraussetzung eines besonderen Lebens geworden ist.) [Sidenote: Wie der Schenzi lebt.] Ich war hier zum erstenmal in einem Orte, an dem die Neger alles zurückgelassen hatten, was sie in Frieden und Krieg gebrauchen. Da standen die Hütten mit allem Hausgerät; die Hühnerställe, der Taubenschlag und die Vorratshäuschen mit Matamakorn. Hacken, Beile und Drillbohrer wurden aus den Hütten gebracht. So konnte ich mir denn ein Bild von dem Leben des Buschnegers machen. Vom Händler kauft er nur Tücher, Salz, Waschblau, Seife und Nähnadeln. Alles andere macht er sich selbst, und hat deshalb auch immer etwas zu tun; er ist gar nicht so faul, wie wir ihn uns denken. Die Feldarbeit ist seine Hauptbeschäftigung; er baut Matamakorn, Bergreis, Mais, Mohogo und Kürbisse. Er wohnt mitten in seinem Felde und beschäftigt sich immer etwas damit; ob er nun Unkraut aushackt, Schädlinge fernhält oder neues Land vorbereitet. Die Zeit der Ernte kann ihm nicht entgehen, denn er kennt jede Staude auf seinem Felde; er lebt mit den Pflanzen, wie der Viehzüchter mit seinem Vieh. Zur täglichen Arbeit gehören Wasser- und Brennholzholen und Essenkochen; am Hausgerät und am Hause selbst ist immer etwas schadhaft. Da müssen neue Töpfe geformt werden, weil die alten zerbrechen; der große Holzmörser, in dem das Getreide zerstampft wird, die Holzteller, Löffel, Bettstellen, Hackenstiele fordern eine geduldige Schnitzarbeit, und der Neger streift tagelang im Wald umher, um passendes Holz zu finden. Da er nämlich vom Tischlerhandwerk nicht viel versteht, die Anwendung von Leim nicht kennt[50] und ungern mit Zapfen und Nute arbeitet, holt er sich am besten alles fertig aus dem Wald oder schnitzt es aus einem einzigen Stück. So entstehen denn die plumpen, törichten Stühle und Bänke, die großen Trommeln und Mörser und auch die riesigen Boote, mit dem „_cheso_“ (einem scharfen Beil mit quergestellter Schneide) ausgehöhlte Bäume; die Pfeiler, Türpfosten, Dachsparren aber liefert der Wald fertig in jeder Größe, und das Geschick des fleißigen Bautischlers besteht nur darin, den Pfosten so auszuwählen, daß die Gabelung an der rechten Stelle sitzt. Gebaut wird immerzu, und wenn Haus, Taubenschlag und Vorratshäuschen fertig sind; wenn der Hof eingezäunt ist, kommen kleine Geisterhüttchen für die Toten an die Reihe. Außer dem Hausgerät fertigt der Neger an: Pfeile, Bogen und Köcher; Fischreusen; Stellnetze zum Absperren der abfließenden Regenbäche und Flechtwerk zu allen möglichen Zwecken: Stricke, Matten, Körbe und Säcke aus Blattrippen kleiner Fächerpalmen; Wildnetze und Tauwerk aus gebleichten Baumfasern. Alles dies ist nicht für die Dauer, und das Leben des Schenzi ist ein ununterbrochener Kampf mit Überschwemmung, Dürre, Wildschaden und Fäulnis; mit Ratten, Käfern und weißen Ameisen (die ihm über dem Kopf das Dach seiner Hütte zu feinstem Sägemehl zerkleinern, wenn er das ewige Feuer ausgehen läßt). Aber mit diesem Kampf und der Sorge erkauft er sich etwas, was die Weisen aller Zeiten ein großes Gut genannt haben: die Einsamkeit, Selbständigkeit und Freiheit. Nicht, daß er ganz ungesellig wäre: nein, abends im Dorfe wird die Trommel gerührt, Pombe getrunken, geraucht und getanzt. „Kurz abgesehen vom Steuerzahlen Läßt sich dies Glück nicht schöner malen, Worauf denn auch der Satz beruht: Wer einsam lebt, der hat es gut.“ Steuer zahlen: Ich kann mir vorstellen, daß diese Neger nicht einsehen wollten, weshalb sie Pombesteuer zahlen sollten, wenn sie ihr Matamakorn gären ließen, um es als Bier zu trinken. Was merkten die von der Macht des Europäers? Alle Jahr einmal kam der Akide und rief: „_Heia!_ bringt Geld her, zahlt eure Hüttensteuer.“ Und weshalb sollten sie kein Wild mehr mit Netzen fangen? Es ist nicht schwer, zu verstehen, daß diese Leute sich dem Aufstand gerne anschlossen und man braucht nicht nach ~Schuld~ zu fragen, wenn man die Ursachen des Aufstandes sucht. Ein Askari war schwer verwundet; er hatte einen Schuß in die Brust bekommen und die Kugel war noch drin. Sanitätsunteroffizier Lauer verband ihn. Es war wenig Hoffnung; aber Lauer sagte, daß es gut werden könne, wenn der Mann mit dem sauberen Verbande schnell nach Mohorro gebracht würde, wo er gute Behandlung habe. Deshalb sandte ich den Betschausch und zehn Askari sofort nach Mtanza, mit dem Auftrage, den Verwundeten so schnell als möglich in einem Boote zur Küste zu schicken. Die Boma in Mtanza mußte schleunigst wieder besetzt werden; denn ich fürchtete, daß die Aufständigen meine Abwesenheit benutzten, um einen Einfall in die friedlichen Gebiete am Rufiyi zu machen. Ich hatte nur noch Unteroffizier Lauer und zehn Askari bei mir und schleppte vierundzwanzig Gefangene mit, darunter neunzehn Weiber, die nicht schnell gehen konnten. [Sidenote: Die Gefangenen befreit.] In der folgenden Nacht lagerte ich, um nicht bemerkt zu werden, ohne Feuer im Busch. Am Morgen erwachte ich, als ein Askari in mein Zelt kam und meldete, die Gefangenen seien weg und alle Askari hinter ihnen her. Erschrocken und entrüstet ging ich aus dem Zelt und fand erst keine Erklärung für das Verhalten der Askari und dafür, daß weder Lauer noch ich etwas gehört hatten. Wir setzten uns auf die Kochkiste und warteten, bis es hell wurde und die Askari einzeln wieder ankamen. Gegen drei Uhr am Morgen hatte der Posten gesehen, daß die Gefangenen, die gebunden neben unserm Zelt lagen, davonliefen. Er hatte schnell die Askari geweckt und die waren sofort aufgesprungen und hinterdrein gelaufen. Nur ein alter Sudanese, der schlecht laufen konnte, blieb und weckte uns, als die Askari schon außer Rufweite waren. Auf wen sollte ich böse sein? Schließlich waren wir zufrieden, daß man uns nicht meuchlings ermordet hatte. Die Gefangenen waren doch alle gebunden gewesen; und jetzt lagen die Fesseln zerschnitten da! Es mußte also wohl jemand im Busch herangekrochen sein, sich zwischen die Gefesselten gelegt und ein Messer von Hand zu Hand gegeben haben! Natürlich machte ich mir Vorwürfe, daß ich im Busch gelagert hatte, anstatt einen freien Platz zu suchen; aber auch das hätte seine Nachteile gehabt! Kurz, die Lehre, die man daraus ziehen kann, war: geht’s gut, dann war alles recht, und auf jede Überlegung, die man vorher machte, ist man stolz; geht’s schief, dann kommen Vorwürfe. Und war nicht die Hälfte von alledem was ich getan hatte im Vertrauen auf Glück unternommen? Als die Askari alle wieder zur Stelle waren und der drollige Askari Nyati[51] als letzter mit finsterem Ernst einen ängstlichen Pogoro anbrachte, mußten wir sogar herzlich lachen; denn der Askari hielt seinem Gefangenen eine Strafpredigt, wobei er alle Stimmregister, die auf einem Kasernenhof gehört werden, der Reihe nach zog. Er machte dabei ein ungemein überlegenes Gesicht und kaute nachlässig an einem Grashalm, während er den Unglücklichen fixierte, der kein Wort davon verstand. Der Schluß der Predigt war das mit geschlossenen Zähnen, wie in Erbitterung gesprochene Wort: „Schuain“.[52] * * * * * [Sidenote: Tierleben an den Schnellen.] Zwei Tage später näherten wir uns wieder den Bergen von Kibambawe. Oft blieb ich stehen und sah voll Genuß auf das Landschaftsbild. Sanft fiel hier das steinige, offene Gelände zu dem Rufiyi ab. Jenseits des Stromes zog sich der Buschwald bis zu den Bergen in weiter Ferne. Der wilde Strom rauschte dort unten über Steine und schlängelte sich wie ein bleifarbenes Band in die Berge hinein, die er durchbrochen hat, um der Tiefebene und dem Ozean zuzueilen. Zwischen den Bäumchen erschien eine Herde Hundsaffen; Paviane, die mit ängstlichen, und doch unverschämten Blicken nach uns herüberäugten. Ich ließ mir die Büchse eines Askari geben und schoß einen der verhaßten Feinde der Landwirtschaft. Darauf wurden die kleinen der Herde flüchtig; die größeren zogen sich nur langsam unter lautem Gezeter zurück. [Illustration: Flußlandschaft am oberen Rufiyi. Ein schlanker, kräftiger Neger stand vorne in dem Einbaum und stieß das Boot mit dem Upondo, einer dünnen Stange vorwärts. Er hob den Upondo nicht nach jedem Stoß aus dem Wasser (wie ich es bisher überall gesehen habe), sondern dreht ihn jedesmal um. Überhaupt schienen mir die Neger hier oben flinker und geschickter zu sein.] Ich ging vom Wege ab und traf in hügeligem und bewaldeten Terrain ein Rudel Swallahantilopen; sie standen malerisch an einem Abhang zwischen hohen Steinen. Ich sah einen starken, roten Bock mit langen Hörnern dabei und schoß ihn; er machte einige Fluchten und brach zusammen. Zwei Träger trugen ihn zum Lager. Das Rudel war im Umsehen zwischen den Felsblöcken verschwunden. Ich folgte dorthin und stieg, durch Klippen gedeckt, auf eine Höhe. Unter mir lag eine kleine, grüne Wiese zwischen Steinabhängen; darin standen auf höchstens fünfzig Schritt etwa zwölf rote, blanke Böcke mit stolzen Gehörnen. Gefesselt von diesem Anblick ließ ich mich von dem Rudel von einem Tal in das andere führen und sah plötzlich den Fluß mit breiten, steinigen Ufern unter mir. Auf den tongrauen, glänzenden Steinplatten standen Impallahantilopen; zwischen ihnen gingen Paviane einher; es war ein seltsames Bild, dies Zusammenleben zweier so verschiedener Tierarten.[53] Am jenseitigen, steilen Ufer hinauf flüchtete ein Rudel Wasserböcke in weiten, kräftigen Sprüngen. Der Fluß durchströmte jetzt in der Trockenzeit ein tiefes, tunnelartiges Bett in der Mitte des gewaltigen Steintals. Eine große Flußpferdherde ruhte unbeweglich in dem Wasser und die Rücken der Tiere sahen aus, wie die Steine in ihrer Umgebung. * * * * * Drei Tage später kam ich in Mtanza an. Die Aufständigen hatten meine Abwesenheit benutzt und waren auf eine Insel eingefallen, hatten geplündert und Weiber geraubt. Zu gleicher Zeit war Bezirksamtmann Graß von Mohorro aufgebrochen; ich traf ihn in Mayenge und wir machten einen Zug in den westlichen Teil der Kitschiberge. Da unsere vertrauenswürdigen Kundschafter, die wir vorausgeschickt hatten, es diesmal mit ihren Landsleuten gut meinten, sahen wir nur verlassene Dörfer. [Illustration: Ein alter Hundsaffe mit starker Mähne; ein Auge und fast alle Zähne fehlten ihm.] [46] Ist das lang auf Deutsch zu schreiben! Anders auf Kisuaheli: man spricht ein paar Stichworte, sieht sich an und versteht sich. Viel neues gibt es ja auch nicht zu sagen; jeder kennt die Gegend, das Leben und was einem alles passieren kann. (Der Mpogoro redet überhaupt nichts und kommt doch durch.) [47] Wahrscheinlich gossen sie frisches Gift auf die Pfeilspitzen; wir fanden die Flasche nach dem Gefecht; es war braune Flüssigkeit darin. [48] Ich bin schon getroffen! [49] _Rungu_ = eine kleine Holzkeule, die manche Träger als Waffe mit sich führen. [50] Vogelleim kennt er natürlich; ich fand hier im Dorfe einen Topf voll! [51] „Büffel.“ [52] „Schwein.“ [53] Tiermaler Wilhelm Kuhnert hat dasselbe an derselben Stelle beobachtet und reizende Skizzen davon mitgebracht. [Illustration: Am Ufer des Rufiyi.] Rückkehr zur Küste. Eines Tages kam ich mit einer müden Truppe nach Mtanza zurück und sagte zu Lauer: „Ich komme so früh, weil ich mit Ihnen den heiligen Abend feiern will.“ „Ich habe gestern schon gefeiert“, antwortete Lauer. Und er hatte recht getan; ich hatte mich verspätet. Aber wir feierten noch einmal: Eine Flasche Rotwein, ein Topf heißen Wassers und einige Sansibarnelken. Dazu mehrere Löffel Zucker. Weihnachten war es trotzdem nicht. Man kann übrigens das Datum leicht vergessen, wenn man im Busch lebt und ein paarmal nicht Tagebuch schreibt. Bald marschiert man morgens, bald abends oder gar in der Nacht. Das Zelt steht an vielen verschiedenen Plätzen, und das zurückrechnende Hirn kann die zugehörigen Tage nicht mehr finden. Oft helfen die Boys oder Askari, oder der Bote, der ein Telegramm bringt, wird gefragt, wieviel Tage er gegangen sei; wie oft er geschlafen habe? Mich hat es nie sehr gekränkt, wenn ich den Irrtum merkte. Es ist ein Zeichen großer Freiheit, wenn man das Datum vergessen darf ohne Schaden davon zu haben. Wie würdig waren auch die Schenzi, die von der Stundenzahl des Tages nichts wußten und die auf die Frage: „Wie lange geht man von hier bis Turuma?“ antworteten: „Wenn du jetzt weggehst, bist du bei Sonnenuntergang da.“ Sie zeigten den Weg, den die Sonne zurücklegt, das war ihre Zeit. Oder sie sagten: „Wenn die Hähne krähen“, und in anderen Gegenden: „Wenn der Tau die Gräser verläßt.“ Glückliches Volk! [Sidenote: Überschwemmung.] Es war jetzt die Zeit, wo sich die ersten großen Regengüsse des Innern am Wasserstand des Stromes bemerkbar machten. Oft war die Wasserfläche mit unzähligen grünen Schwimmpflanzen bedeckt, die sich in den Teichen gebildet hatten und jetzt hinweggespült wurden, wenn sich das steigende Wasser von neuem in die alten Betten ergoß. Wir fuhren in großen Einbäumen stromab und sahen, daß weiter unten eine furchtbare Überschwemmung herrschte. Ganze Landstriche waren schon von den Eingeborenen verlassen; durch die Hütten strömte das Wasser. Zufällig fanden wir noch eine kleine Insel, die noch nicht ganz überschwemmt war, und konnten dort übernachten. Am nächsten Morgen fuhren wir weiter und trieben in schneller Fahrt an einer Hütte vorbei, als unser Bootssteurer hinüberrief: „Vater, bist du noch da?“ Und eine Stimme antwortete: „Ja“. Der Alte saß im Dachgebälk der Hütte, während das Wasser unten hindurchströmte. Als wir fragten, weshalb er nicht auch fliehe, sagte unser Bootssteurer nur: „_mzee_“, was heißen kann, „er ist sehr alt und kann deshalb nicht mehr recht mit“, oder „es lohnt sich für ihn nicht mehr zu fliehen, er ist ja doch nicht mehr viel wert.“ Auf den weiten Wasserflächen war von den Flußpferdherden nichts zu merken. Die Tiere, die in der Trockenzeit auf kleine Teiche und auf den nicht allzubreiten Fluß beschränkt sind, verteilten sich jetzt auf ein großes Gebiet. Die Boma in Mayenge war rings von Wasser umgeben. Das Wasser hatte den Befestigungsgraben so verbreitert, daß ein kleiner Fluß entstanden war, in dem die Boys Wettspiele trieben. [Illustration: Im Anfang des Jahres 1906 war am Rufiyi eine Überschwemmung, wie seit vielen Jahren keine beobachtet wurde; der Mais, auf den die hungrigen Neger warteten, verfaulte auf den Feldern und die Hütten stürzten ein.] Ich hatte das Vergnügen, in Mayenge mit acht indischen Händlern abzurechnen, deren Getreide ich in ihren Läden hatte beschlagnahmen lassen, um es der notleidenden Expedition des Hauptmanns v. Wangenheim entgegenzuschicken. Manji Virji, Ganji Naranji, Emraji Damudal, Kilanjee und andere appetitliche Gesellen kamen; nur einer fehlte; gerade der, von dem behauptet wurde, daß er trotz dem Aufstand am meisten Gummi aus den Bergen einhandelte und den Aufständigen dafür gab, was sie brauchten, um den Krieg fortzusetzen. Ich kann aus dieser für mich und die beiden Unteroffiziere ungemein anstrengenden, schweren Zeit, in der wir abwechselnd an Dysenterie und Fieber litten, erzählen, wie empörend für mich das Bewußtsein war, daß die Inder aus allem, was wir taten, ihren Vorteil zogen. Nahmen wir den Aufständigen ihre Nahrung weg, um sie zur Unterwerfung zu zwingen, dann bekam der Inder den wertvollen Gummi um so billiger -- für ein kleines Quantum Matamakorn. Der Verdacht lag außerdem immer nahe, daß diese Händler mit Pulver und Zündhütchen einen einträglichen Handel trieben. Ich fragte mich in dieser Zeit wiederholt, für wen wir eigentlich das Land haben, für wen wir die Opfer an Leben, Gesundheit und Geld bringen? Es schien mir so, als ob es für diese farbigen Händler sei, die mit treuherzigen Mienen dem Bezirksamt noch meldeten, wieviel Tausende sie durch den Aufstand verloren hätten. (Wahrscheinlich, um betrügerisch Bankerott zu machen und mit dem vielfachen Gewinn in ein anderes Gebiet zu verschwinden, wo sie dann wieder als arme Schlucker auftreten.) Waren wir nicht an allen Ecken und Enden die Betrogenen? Beinahe das Werkzeug der Inder? Macht uns denn Liebe blind gegen diese Leute? Und haben wir keine Ahnung davon, wie weit und wie reich an Schlupfwinkeln das Gebiet ist, in dem sich der Geschäftssinn eines unanständigen, gewissenlosen, vaterlandslosen Händlers bewegt? Ich wünsche anderen, daß sie die Schmach nicht erleben, die ich empfand, als ich mich bei meiner monatelangen Tätigkeit betrogen glaubte. Mein Ärger entlud sich auf den widerspenstigen Inder. Der Unteroffizier sagte mir rechtzeitig, daß dieser selbe Inder den Bezirksamtmann einmal gereizt und eine Ohrfeige dafür bekommen habe. Darauf habe sich der Inder beim Gouvernement beschwert und der Bezirksamtmann habe eine ziemlich hohe Geldstrafe zahlen müssen. Ich nahm mir deshalb vor, dem Inder diese Genugtuung nicht zu gönnen. Als der Mann mit Gewalt geholt worden war, benahm er sich so herausfordernd, daß ich ihn durch die Askari aus dem Lager hinausbefördern ließ und ihm riet, in vierundzwanzig Stunden aus der Gegend zu verschwinden, weil ich ihn für einen gefährlichen Schmuggler hielte. [Illustration: Den Graben, der um das Lager herumgezogen war, hatte das Wasser stark verbreitert; die Boys schwammen darin um die Wette.] [Sidenote: Marsch in der Regenzeit.] Von Mayenge aus wollte ich zu Fuß in die Berge, aber dicht hinter der Boma mußten wir bereits übersetzen. Das nahm zwei Stunden in Anspruch, da die meisten Neger nicht schwimmen konnten und wir nur ein Boot hatten. Ich ließ die Träger vorangehen, bis das Wasser so tief wurde, daß nur die Köpfe heraussahen. Ein drolliges Bild: Über dem Wasserspiegel lauter Köpfe mit Lasten. Zuerst schickte ich zwei Askari und einen Teil der Gewehre hinüber. Der Betschausch und ein anderer Askari versuchten zu schwimmen, ermüdeten aber mitten im Strom, weil jeder einen Gurt mit hundert Patronen umhatte. Auf ihre Hilferufe schwammen Lauer und ich so schnell wir konnten hinzu und halfen ihnen zum Ufer zurück. Man glaubt nicht, wie ungeschickt sich die Leute anstellten! Ich verteilte die Askari im Wasser und ließ das Boot von Hand zu Hand stoßen; nur durch das tiefe Wasser wurde gerudert. Bei jeder Fahrt mußten sich einige Träger an dem schwimmenden Boot festhalten und wurden so hinübergebracht. Am schneidigsten benahmen sich noch die kleinen Askariboys; sie schwammen mit großem Geschick. Alle anderen Leute fielen Lauer und mir zur Last. Die Schwarzen waren sehr erstaunt über unsere Schwimmkünste; besonders bewunderten sie das Schwimmen auf dem Rücken mit anliegenden Armen und ausgestreckten Beinen, und fanden keine Erklärung dafür. Das strömende Wasser und die Furcht vor den Krokodilen verwirrte die Neger; um vorwärts zu kommen, mußten wir in der Hitze alles selbst machen: Lasten im Boot verteilen, das Boot halten, die nassen Kerls hineinheben, Ertrinkenden und Gefährdeten helfen und sogar nach verlorenen Gegenständen tauchen. Es war wirklich ein gräuliches Gefühl, in der gelben, undurchsichtigen Flut zu schwimmen, wo die Gefahr, vom Krokodil gepackt zu werden, so nahe lag! Und es war eigentlich ein Leichtsinn, daß wir uns der Gefahr aussetzten. Die Rohrstengel stachen uns durch das dünne Zeug, die Sonne glühte und die stinkenden Neger mit ihren unschlüssigen Gesichtern konnten einem das letzte bißchen Energie rauben! Trotzdem ging uns der Humor nicht aus, und Lauer wußte es geschickt einzurichten, daß die größten Angsthasen bis zuletzt zurückblieben. Dann wurden sie alle in das Boot gepackt und saßen zitternd darin, während es hinüberfuhr; doch ehe das Boot ganz am andern Ufer war, warfen wir es plötzlich um und die ganze Gesellschaft strampelte in dem flachen Wasser umher. Am Ufer stand ein kleiner Askariboy, der sein Tüchlein vermißte. Er schämte sich sehr und weinte. Zwei Stunden marschierten wir noch, dann mußten wir uns eingestehen, daß wir zu müde waren und lagerten mitten im Buschwald. Am nächsten Morgen gingen wir weiter. Jetzt, nach dem ersten Regen, war der Wald grün und kam mir im Blätterschmuck ganz fremd vor. Gegen das dunkle Laub fielen die hellen Stämme auf, während früher das gelbe Gras, die Stämme und Äste in allzu vielem Licht das Auge blendeten. Die Mangobäume waren abgeerntet. Im Boden sah man nur wenige Wildfährten. Von dem reichlichen Regen der letzten Wochen stand auch auf den Anhöhen Wasser. Auf dem Marsch mußten wir einen See durchwaten, der mitten im Walde lag. Wir zogen die Schuhe aus und gingen auf der anderen Seite barfuß weiter. Leider haben wir das auch in den nächsten Tagen fortgesetzt und die Erfahrung gemacht, daß man erst lernen muß, auf schmalen Pfaden bei Tage und bei Nacht barfuß zu gehen, ohne sich die Füße zu verletzen; angebrochene Fußnägel, schmerzhafte Hautabschürfungen und Dornstiche waren die Folge. Die Aufständigen hatten überall Mohogopflanzungen und wohnten in kleinen Hütten seitab im Walde. Die Dörfer selbst, die mitten in den Pflanzungen lagen, waren verlassen und wurden von den Negern offenbar nur benutzt, so lange sie in den Feldern arbeiteten. An Früchten waren da: Bananen, kleine Bohnen, Mais mit halbreifen Kolben und vor allem Mohogo. Für unsere Abendtafel fand sich auch eine reife Ananas. In den nächsten Tagen ging es über Berge und Täler, von einer Pflanzung zur andern. Selten wurden Menschen angetroffen; einige, die sich zur Wehr setzten, wurden erschossen, andere gefangen genommen. In einem Hause stand ein Topf mit frisch gebratenen Ratten. Daneben ein Sack mit kleinen Früchten, die wie Äpfel schmeckten und einen großen Kern hatten. [Sidenote: In den Schamben von Kitschi.] Wir fanden auch eine kleine Antilope, die im Netz gefangen worden war. Von dem Mohogo, der überall in den Schamben reichlich gedieh, hatten die Aufständigen noch kaum gegessen. Hie und da standen junge Kokospalmen, die auf Befehl des Bezirksamts gepflanzt worden waren. Am zweiten Abend lagerte ich auf einer Höhe in einer großen Mohogopflanzung, deren Fläche sanft zu der Rufiyiebene abfiel. Ich hatte eine weite Aussicht über den Wald, auf die Ebene und den Fluß. Es regnete und ich beschäftigte mich damit, behaglich dem Regen zuzusehen und aufzupassen, daß das Wasser, das von den Zelttüchern abfloß, in Töpfen aufgefangen wurde. Drei gefangene Weiber, die tüchtig zu essen bekamen, lachten und schienen sehr zufrieden zu sein. Auch ein kleines Kind war dreist und zutraulich. Wer kennt aber die Neger aus -- morgen sind sie weggelaufen! Ein alter Mann wurde beim Gummisammeln gefangen genommen. Als er ins Lager kam, fragte ich ihn nach der Stimmung im Lande und auch nach den Ursachen ihrer Unzufriedenheit. Er brachte freimütig alle Klagen vor. Dann wickelte er aus seinem Tuch zwei Gummikugeln und bat mich, ihm Tabak dafür zu geben. Als er den Tabak erhielt, war er nicht zufrieden. Er behauptete, es sei nicht genug und stellte zum großen Ergötzen der Askari, gefangen und gebunden, auf der „Wache“ sitzend, laut Vergleiche an zwischen dem Wert des Gummi und dem des Tabaks. Der Unteroffizier klagte über Unwohlsein, er hatte Dysenterie. Ich selbst war todmüde nach den Anstrengungen des letzten Tages und hatte Kopfschmerzen. In der Nacht entstand Lärm und Schüsse fielen. Ich wickelte mich aus dem Moskitonetz, griff zur Büchse und sah, wie im Dunkeln ein Trupp Menschen aus dem Lager lief. Kurz darauf brachten sie den Gefangenen angeschleppt, der rief. „Mein Anzug!“ Damit meinte er das kleine Baumwolltuch, das er um die Hüften trug. Neben mir stand der Unteroffizier. Ich dachte nicht daran, daß er auch krank war, befahl ihm, nachzusehen, daß der Gefangene besser gebunden wurde und legte mich sofort wieder hin. Der Mann schrie weiter und ich hörte, wie die Askari versuchten, ihn zu beruhigen. Er wimmerte eintönig und die Askari lachten darüber. Allmählich wurde er still und nur die Wache unterhielt sich leise. Am nächsten Morgen wurde mir gemeldet, der Gefangene sei tot. [Sidenote: Die schwarzen Mitbrüder.] An dem Toten war nichts zu erkennen, woraus ich auf die Ursache seines Todes schließen konnte. Sanitätsunteroffizier Lauer war vor Schwäche nicht imstande, den Leichnam zu untersuchen. Hunderte von Ameisen krabbelten über den Körper des Toten. Ich konnte nur feststellen, daß seine schwarzen Brüder ihn recht fest gebunden hatten, um vorzubeugen, daß er noch einmal wegliefe, und ich konnte leider den abscheulichen Verdacht nicht los werden, daß die Wache ihn einfach erstickt habe, damit er Ruhe hielt. Ein Verhör der Posten führte zu nichts; sie sagten, der Mann sei eingeschlafen und gegen Morgen tot gewesen. Das war ein neuer Ärger und wieder eine der traurigen Erfahrungen mit der Gleichgültigkeit und Roheit der Schwarzen, der nur vorgebeugt wird durch den Europäer. Was hatten wir uns eigentlich, während wir so müde und krank waren, bei dem eintönigen Klagen und Wimmern des Gefangenen gedacht? Nichts! Für Verstellung hatte ich es gehalten, um so mehr, als die Askari noch dazu lachten! Aber jetzt kam es mir wieder in Erinnerung; ich legte ihm eine tiefere Bedeutung bei und machte mir Vorwürfe, nicht nachgesehen zu haben. Das zeigt, daß es ganz von uns abhängt, wieweit wir Mitleid empfinden wollen und daß unsere Teilnahme verschieden sein kann, je nachdem, wie wir die Leidensäußerungen, die wir hören, auffassen. Im Wurm, in der Ameise, die zerdrückt wird und sich krümmt, glauben wir kein Bewußtsein suchen zu müssen. Bald im Büffel, der todwund röchelt, auch nicht. Nur wenn der Mensch, der in unseren Tönen klagt, seine Schmerzen schildert, dann ergreift es uns -- wenn wir wollen. Jeder kann mit leiden soviel er will; bis auf Pflanzen und Steine kann er hinabgehen. Aber wissen muß er, ob nicht oft tatkräftiges Handeln mehr Elend aus der Welt schafft als verzehrendes Leid. Ich selbst merkte an meiner Aufregung, daß die Anstrengung der letzten Zeit mich verändert hatte. Am Nachmittage wurden noch mehrere Gefangene gebracht. Die fragten, weshalb wir ihnen Essen gäben, wo sie doch geschlachtet werden sollten? (Das hatten die Zauberer ihnen eingeredet.) Meine Füße schmerzten an mehreren Stellen; trotzdem ging ich gegen Abend mit einer Patrouille in den Wald. Ich ließ mir die Gummilianen zeigen, die wild im Walde wachsen und den Reichtum der Berge bilden. In lichtem Buschwald zog ein Stück Wild über eine Anhöhe. Ein gewaltiger Hirsch. Durch mein Doppelglas erkannte ich auf dem grauen Tierkörper weiße Streifen; es war ein Kudu. Das Tier stand und scheuerte sich mit den hellen Spitzen seiner hohen, gewundenen Hörner in der Flanke. Wie gerne hätte ich dies in Ostafrika seltene Tier verfolgt, aber es ging nicht; die Schenzi waren nahe. Als ich weiterging, fand ich in einem Dorf eine kleine Werkstatt, in der die Schenzi die Feuersteinschlösser ihrer Gewehre zu Hahnschlössern mit Zündhütchen umarbeiteten! Geschickt geschnitzte Gewehrschäfte lagen da; Bohrer, Feilen und anderes Handwerkszeug. Die Lehrer der Völkerkunde sprechen von dem kriegerischen Geist, der die Bewohner der Steppe von den Bewohnern des Fruchtlandes unterscheidet. Auch diese Kitschileute, die in den Bergen wohnen und ihre Feldfrüchte in jedem Jahre auf einem anderen, neugerodeten Land bauen, stehen der Zivilisation ferner als die Rufiyileute und sind deshalb sehr wohl mit den Steppenbewohnern zu vergleichen. Kriegerisch sind sie, während die Ackerbürger am Fluß sehr schnell zur Unterwerfung neigten. Als wir aus den Bergen zurückkamen und die Ebene wieder erreichten, blieb ich noch eine Nacht am Ufer des Flusses, der Boma bei Mayenge gegenüber. Mein Zelt stand auf der Höhe zwischen den Trümmern eines niedergebrannten Dorfes. [Sidenote: Flußpferd im Mondschein.] Der Mond schien, als mir mitten in der Nacht gemeldet wurde, ein großes Flußpferd komme die Dorfstraße herunter. Es war nahe beim Lager und ging hinter einer Häuserwand vorbei, an die ich leise hinanschlich. Das plumpe Tier kam dicht an mir vorbei. Der Mondschein glänzte auf seinem runden Rücken. Es kümmerte sich nicht um mich oder die Zelte. -- Lagerfeuer brannten nicht. -- Am Morgen regnete es in Strömen. Trotzdem lag der Askari Nyati, der Klown, immer noch unter seiner Decke im Freien auf einigen Pfählen und schlief. Als er aufstand, zeigte er den andern, daß er kaum naß geworden wäre, weil er sich unter seiner Decke nicht gerührt habe und das ganze Wasser abgelaufen sei. [Illustration: Großes Kudu aus Usagara.] Auf alten Wegen, die ich aus der Trockenzeit kannte, ging ich pirschen. Überall stand Wasser und das Gras war sehr hoch. Wenn ein Stück Wild aufgejagt wurde, hörte man die Sprünge an dem plätschernden Wasser. Mit Mühe gelang es mir, einen Riedbock zu erlegen. Ich kehrte zum Fluß zurück, fuhr zur Boma hinüber und saß schon am Mittage mit meiner Truppe in einer kleinen Dhau um nach Panganya zu fahren, wo Herr Wiebusch, ein Angestellter des Kolonialwirtschaftlichen Komitees, eine Pflanzung anlegen wollte, wozu er mich um Arbeiter bat. Wir hatten unerhört gegen den Strom anzukämpfen. An einer Stelle wurde der Bug des Schiffes so plötzlich von einer stärkeren Strömung zur Seite gedrückt, daß er das Schilf der Uferböschung unter sich schob. Wir wurden erst wieder flott, als alle ins Wasser sprangen und auf schwimmenden Inseln, bis an die Brust im Wasser stehend, den Bug an einer Leine freiholten. Zum Glück waren unsere Kleiderkisten in demselben Boot und wir konnten uns gleich wieder trockene Sachen anziehen. Mein rechtes Bein war von den entzündeten Wunden so angeschwollen, daß ich in Panganya mehrere Tage liegen mußte. Glücklicherweise ging die Entzündung durch nasse Verbände bald zurück. Herr Wiebusch hatte mehrere hundert Hacken mitgebracht, um Land für Baumwolle vorzubereiten. Es fehlte ihm an Arbeitern. Für Geld hätte er in dieser Zeit auch keine bekommen; da er aber Korn von der Küste heraufbrachte, hatte er in dieser Hungerzeit das beste Zahlungsmittel. Jeden Jumben, der kam und über die Not klagte, schickte ich mit seinen Negern nach der Baumwollpflanzung. Nach einigen Tagen war dort ein reges Leben. Mehrere hundert Neger schwangen die langstieligen Hacken und rodeten das kräftige Schilfgras. Gegen abend kamen sie zur Poschoausgabe. Ich blieb eine ganze Woche bei Herrn Wiebusch. Tagsüber sah ich der Arbeit zu, las und schrieb; abends versammelten wir die „Baumwollschüler“, junge Neger aus allen Teilen der Kolonie, um uns, und ließen Theater spielen, tanzen und singen. Die Verschiedenheit der Tänze und Gesänge war recht auffallend; jeder Stamm fand seine Gesänge ernst und schön und die des Nachbarstammes schon komisch. [Illustration: Überschwemmung in der Schilfniederung der Rufiyiebene. Die Dhau mit den Askari.] [Sidenote: Kranke Träger.] Eines Tages kamen sechzehn kranke Träger an, die von der Expedition des Hauptmanns v. Wangenheim entlassen worden waren. Der Zustand ihrer Wunden war entsetzlich; sie verbreiteten Fäulnisgeruch. Bei den schlechten Verkehrsverhältnissen kamen die Leute, die sich zum Teil nur mit Hilfe von Stöcken langsam fortschleppten nicht schnell genug vorwärts und fürchteten, daß ihr Poscho zu Ende sei, bevor sie Mohorro erreichten. Da konnte ich nun wirklich einmal wohltätig sein! Wangoni waren es, die sicherlich der Expedition gute Dienste geleistet hatten. Sie bekamen Wasser und Seife. Ihre Wunden wurden gewaschen, desinfiziert und mit den geringen Mitteln, die wir noch hatten, verbunden. Dann bekamen die Leute ordentlich zu essen. Schließlich wurde ein großes Boot zum Fluß geschafft, die Leute hineingetragen und Matten darüber gedeckt zum Schutz gegen die Sonne. Als das Boot vom Ufer ablegte und mit dem Strome schnell davon trieb, hatte ich das Gefühl, ein gutes Werk getan zu haben; so kamen die Kranken in einem Tage ans Ziel, während sie sonst an unzähligen Flußläufen vergeblich nach Booten hätten rufen können und wahrscheinlich verhungert wären. Nur einer ist unterwegs gestorben. In dieser Zeit sprachen wir viel über die Landwirtschaft. Die Frage, ob man sich in einem fremden oder besser fernen und neuen Lande ansiedeln soll, ist gewiß schwer zu beantworten. Was sehr dazu reizt, ist der Gedanke, als einer der ersten in ein Gebiet zu kommen, dem vielleicht eine große Entwickelung bevorsteht. Vielleicht! Da beginnt das Zaudern. Man soll sich für ein Gebiet entscheiden. Und wer erst einmal irgendwo angefangen hat, muß bei der Sache bleiben; denn die Jahre tätigen Schaffens, die Zeiten des frischen Unternehmungsgeistes sind kurz, und von Glück kann der sagen, der in dieser Zeit zwar schwer und mit Enttäuschungen gearbeitet hat, aber nicht umsonst seinem Ziele treu blieb. Nun ist Deutsch-Ostafrika ein Land, das jeden, der es mit offenen Augen gesehen hat, lockt; denn die wirtschaftlichen Möglichkeiten sind groß. So auch in dem Gebiet des Rufiyi. Da das Land als ungesund galt, sind zwar die Missionen fern geblieben, die ja sonst in vielen Gegenden die ersten landwirtschaftlichen Versuche gemacht und so den Ansiedler vorgearbeitet haben. Die Erfahrungen mit dem Klima sind deshalb noch gering, sind aber wichtig, weil danach Saat- und Erntezeiten in allen Teilen des Landes verschieden fallen. [Sidenote: Landwirtschaft am Rufiyi.] Das Bezirksamt am Rufiyi und das kolonialwirtschaftliche Komitee machen seit einiger Zeit Versuche. Es kommt jedoch in diesem Gebiet nicht nur darauf an, die Regenzeiten zu wissen, sondern auch die Zeit, den Umfang und die Dauer der großen Überschwemmungen. Ein Hochwasser, wie es im Anfang des Jahres 1906 in den Küstengebieten Ostafrikas war, wird wohl so leicht nicht wieder kommen. (Es war eine nützliche Warnung; sogar die Brücken der Bahn über den Kingani hatte man zu niedrig geplant und der Fehler konnte noch mit geringem Verlust verbessert werden.) Wer sich im Küstengebiet ansiedeln will, muß sich die Gegend seiner Wahl erst zu allen Jahreszeiten ansehen, wenn ihm nicht das Bezirksamt, eine Mission oder ein anderer Ansiedler gleich einen günstigen Platz vorschlagen kann. Auch ich habe einige wunderschöne Plätze in der Trockenzeit für gut gehalten und sah in der Regenzeit, daß sie große Fehler hatten. Solange ein Land nicht gründlich erschlossen ist, kommt es für den Einzelnen darauf an, mit Brückenbauten, Dämmen und schwierigen Wegebauten möglichst zu sparen und eine möglichst billige, dauernde Verbindung mit der Küste zu haben. Hindernisse sind Sümpfe und abflußlose Talmulden, während ständig fließende, schiffbare Gewässer nicht trennen, sondern verbinden. Der Rufiyi wird in wenigen Jahren das Land erschließen, sobald der Dampfer der Kommune Mohorro, der schon bestellt ist, fährt. Dann wird man auch bald von den Eigenschaften des Stromes mehr wissen und die notwendigsten Regulierungen vornehmen können. Jetzt verlegt der Strom sein Bett andauernd, wenn auch die Verschiebung der Sinkstoffe, das Wandern der Sandbänke nach ganz bestimmten Gesetzen vor sich geht. Auf der langen Linie, in der der Rufiyi das niedrige Land durchströmt, wiederholt sich unausgesetzt dieselbe Erscheinung: das strömende Wasser stößt sich an einer Biegung, reißt Erde los und führt sie mit sich fort. Die leichteren Stoffe bleiben im Wasser und sinken erst ganz an der Mündung, wo der Fluß sich in hundert Armen zu einem Delta verbreitet und deshalb langsamer strömt; die schweren Stoffe setzen sich nach kurzer Zeit ab, häufen sich und bilden ein neues Hindernis, eine hohe Sandbank, an der sich der Fluß stößt und die er umgeht. Der Strom läuft deshalb in ununterbrochener Schlangenlinie. Sehen wir uns den Strom an irgendeiner Stelle an: jetzt haben wir rechts das tiefe, schnellfließende Wasser an steilem Ufer, dessen Profil graue Tonschichten und rote, eisenhaltige Erde zeigt. Oben auf der Höhe steht hohes Schilfgras; eine Maispflanzung und große Bananenstauden werden bald herabstürzen. Links ist eine Sandbank und dahinter das höhere, alte Ufer, an dem der Strom aber nur in der Regenzeit entlangfließt. Vierhundert Meter weiter unten bekommt der Strom eine ganz schwache Ablenkung nach links; da haben sich Sinkstoffe abgesetzt und bilden unter dem hohen Ufer neues Land. Der Strom stößt sich hier bald und nimmt seine Richtung auf die hohe, alte Sandbank am linken Ufer, die ein Erzeugnis der Hochwasserzeit ist, unterwühlt sie und trägt ihre Körnchen mit sich bis zu dem nächsten alten Ufer derselben Seite, setzt sie bald wieder ab, stößt sich und wendet sich ärgerlich wieder dem rechten Ufer zu; aber dort beginnt dieselbe Enttäuschung! Dem Talent freie Bahn! seufzt er; zerstört, wo er seine Kraft hinwendet, wird schnell dessen, was er den Ufern nimmt, überdrüssig, läßt es fallen und wird zuletzt ganz flach und breit, wo er das Meer gewinnt. Mehrmals führt ihn sein Lebensweg auch noch im Tiefland an echte, alte Berge hinan, die aus dem Alluvialboden herausragen. Dann wäscht er Steine hervor -- eine Jugenderinnerung. Das ist der Fluß, dessen Unterlauf jetzt schon hundertachtzig Kilometer ins Land hinein schiffbar ist. Seine zerstörende Macht wird bald gebändigt werden und das Wasser wird genutzt werden, um Baumwollfelder zu berieseln. Es scheint sich nämlich schon herauszustellen, daß künstliche Bewässerung für Baumwolle in Ostafrika unentbehrlich ist. [Illustration: Ein Leopard tötete einen Mann und wurde bei der Leiche erlegt.] Man spricht ferner davon, die Berge oberhalb der Landschaft Kibambawe und die oben beschriebenen Schnellen durch eine Bahn zu umgehen, um die große, fruchtbare Mangaebene und ihre schiffbaren Ströme mit dem unteren Rufiyi zu verbinden. [Sidenote: Stauwehr; Viehzucht.] Ja, es wird nur eine Frage der Zeit sein, ob an den Schnellen ein großes Stauwehr gebaut wird, damit die ungeheuren Wassermassen, die sich in der Regenzeit durch das enge Tor wälzen, für das weite, trockene Gebiet südlich des Rufiyi nutzbar gemacht werden. Das im vorigen Kapitel gezeigte Profil des Flußbettes scheint dazu einzuladen, von beiden Seiten auf dem festen Steinfundament an die tiefe Rinne hinanzubauen, um zuletzt die Rinne selbst (als Freiwasser) zu überbrücken. Aber das sind Pläne, die der Zukunft gehören und deren Ausführung viel Geld kostet. Sicher ist, daß man sich nicht mit dem Kulturland am Strom begnügen, sondern durch künstliche Bewässerung größere Landteile nutzbar machen wird. Daß Viehzucht in einzelnen Gebieten möglich ist, beweisen die Herden der Kommune Mohorro und des wirtschaftlichen Komitees. Neben den Äckern wächst außerdem Schilfgras in großen Mengen und kann zu Kompost genommen werden. Die Fruchtfolge ist nach den neuesten Versuchen am günstigsten, wenn jedes Feld zweimal Baumwolle trägt; im zweiten Jahre aber schon gedüngt wird. Im dritten Jahre wird Mais und Klee gesät, im vierten Jahre steht der Klee noch als Viehfutter. Im fünften folgt wieder Baumwolle. Also eine Vierfelderwirtschaft.[54] * * * * * [Sidenote: Kaisers Geburtstag. Notizen.] Wenn ich diesmal nicht selbst den Kalender gewußt hätte, wäre mir Kaisers Geburtstag doch nicht entgangen, denn als ich am 26. Januar eine Patrouille auf zwei Tage wegsandte, fragten die Askari, ob nicht ein Tag genüge, morgen sei ja Festtag (_sikur kun ya bana Kaiser_). An dem Tage bekommt jeder Askari eine Rupie extra. Auch die Plantagenarbeiter mußten mitfeiern. Am Tage wurden Wettspiele gemacht und die ganze Nacht hindurch unausgesetzt die große Trommel geschlagen. Feuer brannten, und in gleichmäßigen Pausen wiederholte sich der Chorgesang der Tänzer und Tänzerinnen. * * * * * Die Neger einiger in der Nähe liegender Dörfer waren auf Büffeljagd ausgegangen. Der Gedanke, eine solche Jagd mitzumachen, war für mich sehr verlockend; leider konnte ich es nicht und ließ mir nur erzählen, wie die Eingeborenen die Büffel jagen. Die Büffel stehen in der Trockenzeit, wenn das Gras der Ebene hart und dürr wird, gern an kleinen Seen und Bächen im Busch; sobald aber der erste Regen das junge Gras hervorlockt, ziehen sie sich in die Niederungen. Dann kommt es oft vor, daß nach großen Regengüssen weite Gebiete vom Strom überschwemmt werden und die Büffel plötzlich, von Wasser rings umgeben, auf einer Insel gefangen sind. Dorthin gehen die Eingeborenen und verleiden den Tieren den Aufenthalt, bis sie das trennende Wasser durchschwimmen. Sofort sind die Neger mit Einbäumen hinter ihnen und verfolgen die Tiere, die im Wasser ungeschickt sind, mit Speerwürfen und Pfeilschüssen. Vor allem junge Tiere fallen ihnen dabei zum Opfer. Die Regierung schützt die Büffel, und es war den Eingeborenen nicht erlaubt, Büffel zu jagen; in der Zeit der Hungersnot aber mußte man ein Auge zudrücken. Die Erhaltung der Menschen war wichtiger als Wildschutz. * * * * * Unser letzter Esel ging ein. Es ist schrecklich, wenn man nicht helfen kann. Tsetsekrankheit natürlich, denn wir sind ja mehrmals in Gegenden gekommen, wo die Fliege gesehen wurde, die die kleinen tierischen Parasiten überträgt. Die Tsetsekrankheit und das Texasfieber sind die großen Hindernisse, die der Viehzucht und dem Transportwesen entgegenstehen. Welch verlockende Kulturaufgaben, diese Feinde zu bekämpfen! Wunderbar ist es, daß bei all den großen Krankheiten ein Insekt die abscheuliche Aufgabe übernommen hat, die kleinen Parasiten dem Blut der Säugetiere einzuimpfen. Und immer nur ein ganz bestimmtes Insekt! Mit einer gewissen Ehrfurcht muß man sie ansehen: die Anopheles, die kleine Mücke, deren Weibchen als Überträger des Malariaparasiten bisher das tropische Afrika gesperrt hat; die _Glossina morsitans_, die die Haustiere des Menschen haßt, und deren Schwester -- durch die Schlafkrankheit -- Zentralafrika entvölkert, in der Zeit, wo die Kulturmenschheit die Hände nach dem volkreichen Uganda ausstreckt, um Arbeiter zu suchen; und endlich die träge, dickleibige Zecke, den Boophilus, der auf den Weideplätzen auf die Rinder wartet, um ihnen Blut zu nehmen und das Texasfieber zu geben. * * * * * Die Kunst, Leder herzustellen, habe ich mir übrigens leichter gedacht, als sie ist. In der Trockenzeit hat sich alles bewährt; die Kistendeckel aus Antilopenfell, die Tasche für den photographischen Apparat, die Hausschuhe aus Wasserbockfell und die Fellteppiche; jetzt fängt es an zu stinken. Und ich habe nun alle die mir unentbehrlich gewordenen Gegenstände in Alaun und Salz gepackt. Die Neger hier können kein Leder bearbeiten. Hätte ich einen Neger von der Westküste hier! Wie lange habe ich probieren müssen, um mir nur haltbare Schuhbänder zu schneiden! Endlich konnte ich es: Buschbockfell in ganz feine Streifen geschnitten, gut gesalzen und gegerbt. * * * * * Briefe! Der Ombascha Chuma gibt mit ein ‚Barua‘, das ein Bote aus Mohorro mitgebracht hat. Ich soll es ihm vorlesen. Von Askari Kisusa, der verwundet im Hospital liegt. Inhalt: „Grüße an Abdallah, der noch eine Rupie von mir bekommt; und ich will von Sefu zwei Rupie; und die Bibi des Mzee schuldet mir noch 18 Pesa für Reis.“ Dann folgen Grüße an alle, die dem Kranken einfielen. Deshalb läßt der Ombascha die Askari antreten, nimmt den Zettel und sagt: „Es ist ein Brief von Kisusa gekommen, er schreibt: Grüße an...“ Jetzt nennt er, vom rechten Flügel anfangend, die Namen einzeln und sieht zwischendurch immer wieder auf den Zettel, als ob er lesen könne. Dann sagt er: „Weg-treti.“ Ich diktierte Briefe an Jumben, die nur arabische Schrift lesen konnten, und ließ mir das Diktierte nachher vorlesen. Dabei kam heraus, daß diese Schreiben einen ganz besonderen Stil hatten. Das Hauptmerkmal war, daß alles mehrmals wiederholt wurde. Aber auch Ausdrücke kamen vor, die besonders auffielen. „Du sollst gut aufpassen,“ hieß: „sieh mit beiden Augen.“ * * * * * Als Hohlmaß für Getreide haben die Neger den Pischi (zu vier Kibaba). Sie stellen das Maß hin und füllen soviel hinein und darauf, als nicht über die Ränder hinunterläuft. Als ich fragte, weshalb sie nicht glatt abstrichen, sagten sie, der Bezirksamtmann hätte das so erlaubt; früher habe man noch ganz anders gemessen: da habe man beide Arme um den Rand gehalten. So sind sie: sie wollen mit dem Bewußtsein vom Markte gehen, für ihr Geld etwas mehr bekommen zu haben, als ihnen zustände; ja, sie hassen, glaube ich, instinktiv das eherne Gesetz, das sich brüstet, gerecht zu sein, wenn es gleichmäßig ist. Mit ihrer Arbeit ist es ähnlich. Sie arbeiten gut, wenn ich anerkenne, was meinem ganzen Wesen noch fremd ist: daß es nicht nur eine Pflicht gibt zu arbeiten, sondern auch eine zu faulenzen. „Sechs Tage sollst du arbeiten und jeden Morgen auf die Minute anfangen.“ Wo? Vielleicht in einem härteren Klima, wo der Boden nicht so willig hergibt, was Menschenhand ihm abringt; hier gibt es andere Gesetze! * * * * * [Sidenote: Leopardenjagd.] Als ich glaubte, wieder marschfähig zu sein, setzte ich die Reise von Panganya nach Mtanza fort, mußte mich aber den letzten Teil des Weges auf einer Kitanda (Bettstelle) tragen lassen, weil die Wunden sich wieder aufscheuerten. Bei der Auswahl der Bettstelle machte ich die Entdeckung, daß an den Stellen, wo die harten Baststricke, mit denen das Gestell bespannt ist, sich kreuzen, oft Läuse wohnen! Ich war kaum im Lager angekommen, hatte gebadet und meine schmerzenden Füße verbunden, als ein Mann gelaufen kam und sagte, sein Bruder sei von einem Leoparden getötet worden. Der Leopard sei noch bei dem Toten! Es war auf dem Nordufer; ich nahm mein Gewehr und Patronen, humpelte zum Boot, fuhr hinüber und ließ mich vorsichtig zu der Stelle führen. Der Schwarze zeigte: „Er ist da.“ Ich sah nichts. Plötzlich sprang ein Leopard ins Gebüsch. Er hatte im Grase bei der Leiche gelegen. Jetzt sah ich den Toten. Er lag unter einem ziemlich starken Baum. Der Hals war zerfleischt. Der Neger sagte, sein Bruder wäre auf den Baum gestiegen, um Honig herabzuholen; der Leopard habe oben in der Krone gesessen und sei ihm ins Genick gesprungen; da sei sein Bruder tot herabgestürzt. Der Leopard würde zurückkommen, ich solle bei dem Toten die Falle stellen. Das tat ich, ging etwa achtzig Schritte ab und blieb an einem Baumstamm sitzen. Nach kaum einer Viertelstunde sah ich den Leoparden plötzlich bei dem Toten. Ich hob behutsam die Büchse und zielte. Da klappte es, das Fangeisen war zugeschlagen. Ich lief hinzu und blieb auf dreißig Schritt stehen. Der Leopard sprang mit der schweren Falle hin und her, fauchte und biß auf die eisernen Bügel. Ich gab ihm einen Blattschuß; er verendete. Zwei Askari kamen auf meinen Schuß herzu, der eine sagte, es wären wohl noch mehr Leoparden da; ein „_chui_“ sei nie alleine. Deshalb stellte ich das Eisen noch einmal, ließ den Leoparden mitnehmen und ging zum Boot zurück, während die Askari auf Anstand blieben. Als ich im Lager ankam, hörte ich schon ihr Schnellfeuer und bald darauf kamen sie mit dem zweiten Leoparden. Beide Leoparden waren männlich. Der geschlagene Mann war gerächt und ich befahl, ihn zu begraben, was die Neger jedoch nicht ohne Schutz einer starken Askaripatrouille tun wollten. Sie hätten ihn auch nicht begraben, wenn ich es nicht befohlen hätte. * * * * * Auch in der Umgegend von Mtanza hatte das Hochwasser die Landschaft verändert. In flachen Tälern, die früher gar nicht auffielen, floß jetzt der Strom in ungeheurer Ausdehnung und schloß Menschen und Tiere auf kleine Inseln ein. Während früher überall leere Boote gelegen hatten, wurde jetzt jeder kleine Einbaum gebraucht, um den schwierigen Verkehr aufrecht zu halten. Das Wasser floß durch die Maisfelder. Viele Enten, Gänse, Reiher und Taucher schwammen auf dem flachen Wasser und flogen in den Abend- und Morgenstunden zu hunderten über der Ebene. Unzählige Holztauben flatterten in allen Feldern. [Sidenote: Abreise.] Während ich zur Abreise rüstete und das Lager auflöste, war ich oft mit der Schrotflinte in den Feldern, um Enten und Tauben zu schießen. Dabei kam ich einmal an eine Hütte, von der aus ein Boot mich über einen tiefen Wasserarm brachte. Der Fährmann warnte mich, als ich die Hände über Bord hielt und sagte, ein ganz gefährliches Krokodil sei in der Nähe; das Tier habe schon viele Menschen geholt; vor kurzem erst seinen Vater und seinen Bruder. Er selbst hatte eine große Wunde von dem Biß des Krokodils, das versucht hatte, ihn aus dem Boot zu ziehen. In der Trockenzeit, sagte er, sei das Tier in einem ganz kleinen Teiche; es sei fast nie zu sehen und richte seit Jahren schon Schaden an. Das war ganz in der Nähe meines Lagers und niemand hatte bisher davon erzählt, weil, wie mir dieser Mann sagte, gegen das Ungetüm doch nichts zu machen sei! Wie schade: zu gerne hätte ich das gefährliche Tier erlegt; doch es war nur in der Trockenzeit möglich. Der Tag der Abreise kam. Das Lager wurde geräumt; das große Haus und die Hütten zwischen den Wellengräben und Pallisaden blieben nun leer zurück. Ein Teil der Leute mußte auf dem Nordufer über Land gehen, weil nicht genug Boote da waren. Die Neger stellten sich beim Rudern so ungeschickt an, daß Lauer und ich selbst die kurzen Ruder nahmen und unter großer Anstrengung mehrmals hin- und herruderten. [Sidenote: Fieber.] Als wir am Nachmittage stromab fuhren, fühlten wir in allen Gliedern große Mattigkeit, gegen die wir energisch anzukämpfen versuchten. Deshalb gingen wir gegen Abend ans Ufer und machten einen Pirschgang bis zur Dunkelheit. Wir schossen zwei Riedböcke und ein Wildschwein und kehrten zu den Booten zurück. Die Mattigkeit nahm zu; der Appetit fehlte. Ich kam zu der Überzeugung, daß ich Malariafieber hatte, und nahm Chinin. Mein Begleiter hatte noch kein Fieber und glaubte deshalb (wie viele, die im Anfang damit verschont blieben), er bekomme es nicht.[55] Er sagte, es könne auch ein Erkältungsfieber sein und nahm kein Chinin. Es ist ein Unglück, wenn die Europäer einer Expedition krank sind. Es ist, als ob die Spannkraft aller Neger sofort nachlasse, wenn der Weiße von einer Krankheit gedemütigt wird. Die Neger verlieren den Glauben an ihn. Bummelei und Ärgernis treten auf und Mißerfolge erhöhen das Leiden des Weißen. Ein Posten schlief auf Wache, so daß ich ihm sein geladenes Gewehr wegnehmen konnte. Die Wache bei den Booten hatte auch nicht aufgepaßt; ein ganzes Boot mit Lasten fehlte am Morgen. Das Marschieren wurde uns an diesen Tagen sehr schwer. Es war kein Wind und die Sonne brannte auf den Sumpf hernieder, während wir meilenweit bis an die Knie im Wasser und durchweichten Boden wateten. Da war es oft, als wollte das Herz seinen Dienst versagen und man hatte den Wunsch, sich lang im Wasser hinzulegen. Mein Begleiter war ganz still; wir konnten uns gegenseitig wenig Mut abgeben. An dem Abend dieses Tages erreichte mein Fieber den Höhepunkt. Mit glühend heißen Schläfen lag ich im Zelt und kühlte mit nassen Tüchern. Die Boys zeigten ihr Mitgefühl dadurch, daß sie nahe bei unseren Zelten die Trommel zum Tanze schlugen. Es war mir eine Qual das zu hören, aber ich fand nicht den Entschluß, es zu verbieten. Ja, es beruhigte mich innerlich geradezu, durch den Lärm an dies trotzige, gedankenlose Leben erinnert zu werden. Glücklicherweise hatten wir das fließende Wasser wieder erreicht und konnten am nächsten Tage die Boote benutzen. Lauer mußte gestützt werden; er nahm immer noch kein Chinin. Mit unglaublicher Schnelligkeit trieben wir an überschwemmten Dörfern vorbei: die Borassuspalmen von Mayenge tauchten aus Nebelschleiern auf. Da lagen die Berge von Kitschi; noch eine Biegung des Stromes, an der die Eingeborenen Nothütten gebaut hatten, dann waren wir in Mayenge. Hier war der kranke Unteroffizier Kuehn gerade von Feldwebel Münch abgelöst. Auch diese Boma wurde geräumt und wir fuhren zwei Stunden weiter stromab zu einer hohen Landzunge, auf der ich einen Platz für das neue Bezirksamt am Rufiyi aussuchen wollte. Die nächsten Nächte wären für uns Kranke schlimm gewesen, wenn nicht Feldwebel Münch mit bewundernswerter Geduld und Sicherheit unsere Pflege übernommen hätte. Er gab uns das Chinin zerstoßen in Oblaten. Ich wurde schnell besser, weil in mir das Gift den Kampf mit den Parasiten schon aufgenommen hatte; bei Lauer aber war das Fieber zu weit vorgeschritten, er war kaum imstande das Chinin hinunterzuschlucken. Er litt sehr, phantasierte und sprach von Schwäche und Sterben; aber Münch ließ sich nicht beirren und sagte ganz ruhig: „Machen Sie doch keine Witze.“ Ich habe oft daran denken müssen, daß solcher Zuspruch besser ist, als hilfloses, sichtbares Mitleid! Trotz seiner Erfahrung mit dem Fieber -- Münch hatte monatelang an Schwarzwasserfieber gelitten -- durften wir uns unserm Pfleger nicht ganz anvertrauen, wenn es möglich war, Mohorro in diesem Zustande zu erreichen. Ich fühlte mich wieder frisch. Ein großes Boot wurde ausgerüstet und am Abend Lauers Bett hineingestellt. Ich lag dahinter im Lehnstuhl; die Askari und Neger folgten in neun anderen Booten. Der Mond war aufgegangen, als die Boote vom Ufer ablegten. Lautlos trieb die kleine Flotte auf dem Strom. Ich zog mein Buch aus der Tasche und schrieb. Elf Uhr. Am Ufer brennt ein Feuer; da übernachten Flußschiffer und schwatzen fröhlich und laut. Es klingt übers Wasser in der stillen Nacht und sie hören unsere Boote nicht, die leise plätschernd nahe bei ihnen vorbeitreiben. Kein Wölkchen ist am Himmel. Die Sterne stehen über mir. Das Mondlicht glänzt auf den Blättern der Büsche. Dahinter erhebt sich der Wald und die Berge. Ein hoher Sandrücken kommt näher; er neigt sich weit über den Strom. Auf der Höhe steht ein plumper Affenbrotbaum. Es ist so still als ob die Natur ihren Atem anhält. Da dröhnt vom Berge herab deutlich durch die Stille eine einzige, tiefe Löwenstimme; ein Ruf an die Nacht, die nur im Schweigen Antwort gibt. „Simba“ flüstert der Neger hinter mir. Schwach saß ich im Lehnstuhl und war erfüllt von den wundervollen Eindrücken, die wie eine Abschiedsfeier auf mich wirkten. Ich dachte zurück an vergangene Bilder, an stille Nächte, in denen der Mond schien. Ich sah auf den Kranken, legte ihm die Kissen zurecht und schloß sein Moskitonetz. Dann streckte ich mich im Boot lang aus und schlief. Manchmal erwachte ich aus festem Schlaf, wenn das Boot auf eine Sandbank auflief und von den Baharias wieder abgeschoben wurde. Einmal stieß das Boot auf einen Baumstamm, der im Wasser lag. Es wurde von der Kraft der Strömung in den Zweigen hochgehoben und schlug quer, sodaß das Wasser, das ihm sonst fördernde Kraft war, plätschernd gegen die Bordwand drängte. Oft dröhnte die tiefe Stimme eines Flußpferdes aus nächster Nähe; ein kurzer Zuruf der Leute, eine gewaltsame Wendung des Bootes, und weiter ging es in gleichmäßiger Ruhe. [Sidenote: Wieder an der Küste.] Gegen vier Uhr am Morgen wurde ich geweckt. Wir waren in Ndundu. Die Neger alarmierten das Dorf. Der Akide kam. Strohfackeln brannten. Aus dem fensterlosen Seitenraum eines Hauses wurden Lasten herausgeschleppt, die ich dem Akiden zum Aufbewahren gesandt hatte. Noch war dunkle Nacht. Aber der Vollmond stand schon tief am Himmel und der Morgen war nahe, als ich weiterfuhr, und die Gruppe der Neger mit ihren Fackeln am Ufer zurückblieb. Ich wußte eine reine Freude vor mir: auf dieser Fahrt das erste Licht des Tages kommen zu sehen. Und es kam. Die Ufer schimmerten im Morgenlicht. Bäume und Hütten nahmen Form und Farben an. Helles Licht breitete sich über das Wasser aus. Wölkchen zogen von der See herüber und unterbrachen die Strahlen. Als es Tag war hörten wir das laute Treiben der Menschen. Die Boote landeten am Ufer von Mosmene, wo Händler ihre Lasten aufgestapelt hatten und fleißige Hände bei der Arbeit waren, Frachten umzuladen. Der Aufstand lag hinter mir; ich war wieder an der Küste. [54] Über die wirtschaftlichen Aussichten in diesen Gebieten findet man Näheres in dem Buche: Hermann Paasche, Deutsch-Ostafrika. Verlag von E. A. Schwetschke und Sohn, und in den Berichten des Kolonialwirtschaftlichen Komitees. [55] Man findet die wunderlichsten Theorien bei Menschen, die kein Fieber bekommen. Einer sagt: er passe auf, daß ihn keine Mücke steche (sehr gut; es ist aber nur ein Teil der Schutzmaßregeln!), ein anderer: er fühle das Fieber kommen und trinke dann eine Flasche Sekt, dann sei er sicher. Wirkliche Konfusion bestand, bevor man das Wesen der Malaria kannte, und in den alten Reisewerken bekommen die Reisenden von starkem Kaffee z. B. Fieber. Es gibt Menschen, die oft Malaria hatten und die immun geworden sind. [Illustration] Verzeichnis häufig vorkommender in Deutsch-Ostafrika allgemein gebrauchter Fremdwörter. Akide = Ältester der farbigen Bevölkerung einer Stadt oder Landschaft. Askari = Soldat der Schutztruppe. Bana (Bwana) = Herr. Barua = Brief. Betschausch = schwarzer Feldwebel. Bibi = Mädchen; Frau. Boma = befestigter Platz, Regierungssitz. Dhau = Segelfahrzeug. Goanesen = Leute aus Goa (Vorderindien); Mischlinge von Portugiesen mit Indern. Jumbe = Dorfältester. Kopra = Fleisch der Kokosnuß. Kiongozi = Führer; Name der in Tanga erscheinenden Suahelizeitung. Kanicki = blaues Baumwolltuch. Kofia = Mütze. Mohogo = Maniok, Gemüsestrauch mit stärkemehlreichen Knollen. Matama = Negerhirse (Setaria). Makuti = Palmblatt. Ngambo = das jenseitige Ufer. Ngoma = Trommel, Tanz. Ombascha = Gefreiter der Schutztruppe. Pesa = Kupfermünze; 64 Pesa = 1 Rupie (jetzt 100 Heller). Poscho = die tägliche Essensration für Askari und Träger. Pori = Busch; das Pori ist der Ort, wo sich die Schenzis dauernd, andere Leute nur vorübergehend aufhalten. Man lagert „Porini“ = wo keine Hütten sind, im unbewohnten Busch. Pischi = ein Hohlmaß für Getreide. Rupie = Silbermünze: deutsche Rupie = 1,34 Mk. Schamba = Pflanzung, Acker. Schensi = der Buschbewohner. Wangoni = Nachkommen der in Deutsch-Ostafrika Mitte des vorigen Jahrhunderts eingewanderten Sulukaffern. Druckfehlerberichtigung. Seite 173. In der Unterschrift des Bildes muß es heißen: Schwarzfersenantilope statt Schwarzharfenantilope. Seite 226. In der Unterschrift des Bildes muß es heißen:... der Zahn beginnt schon, wo er in der Knochenhöhlung des Oberkiefers sitzt, ~sich zu winden~; der Schädel muß also... [Illustration: Die Arbeiterfrage in Ostafrika.] Druck von A. W. Hayn’s Erben, Potsdam. *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK IM MORGENLICHT. KRIEGS-, JAGD- UND REISE-ERLEBNISSE IN OSTAFRIKA *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for an eBook, except by following the terms of the trademark license, including paying royalties for use of the Project Gutenberg trademark. If you do not charge anything for copies of this eBook, complying with the trademark license is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, performances and research. Project Gutenberg eBooks may be modified and printed and given away—you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the trademark license, especially commercial redistribution. START: FULL LICENSE THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK To protect the Project Gutenberg™ mission of promoting the free distribution of electronic works, by using or distributing this work (or any other work associated in any way with the phrase “Project Gutenberg”), you agree to comply with all the terms of the Full Project Gutenberg™ License available with this file or online at www.gutenberg.org/license. Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg™ electronic works 1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg™ electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to and accept all the terms of this license and intellectual property (trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy all copies of Project Gutenberg™ electronic works in your possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project Gutenberg™ electronic work and you do not agree to be bound by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8. 1.B. “Project Gutenberg” is a registered trademark. It may only be used on or associated in any way with an electronic work by people who agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few things that you can do with most Project Gutenberg™ electronic works even without complying with the full terms of this agreement. See paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project Gutenberg™ electronic works if you follow the terms of this agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg™ electronic works. See paragraph 1.E below. 1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation (“the Foundation” or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project Gutenberg™ electronic works. Nearly all the individual works in the collection are in the public domain in the United States. If an individual work is unprotected by copyright law in the United States and you are located in the United States, we do not claim a right to prevent you from copying, distributing, performing, displaying or creating derivative works based on the work as long as all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope that you will support the Project Gutenberg™ mission of promoting free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg™ works in compliance with the terms of this agreement for keeping the Project Gutenberg™ name associated with the work. You can easily comply with the terms of this agreement by keeping this work in the same format with its attached full Project Gutenberg™ License when you share it without charge with others. 1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern what you can do with this work. Copyright laws in most countries are in a constant state of change. If you are outside the United States, check the laws of your country in addition to the terms of this agreement before downloading, copying, displaying, performing, distributing or creating derivative works based on this work or any other Project Gutenberg™ work. The Foundation makes no representations concerning the copyright status of any work in any country other than the United States. 1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg: 1.E.1. The following sentence, with active links to, or other immediate access to, the full Project Gutenberg™ License must appear prominently whenever any copy of a Project Gutenberg™ work (any work on which the phrase “Project Gutenberg” appears, or with which the phrase “Project Gutenberg” is associated) is accessed, displayed, performed, viewed, copied or distributed: This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. 1.E.2. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not contain a notice indicating that it is posted with permission of the copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in the United States without paying any fees or charges. If you are redistributing or providing access to a work with the phrase “Project Gutenberg” associated with or appearing on the work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg™ trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9. 1.E.3. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is posted with the permission of the copyright holder, your use and distribution must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms will be linked to the Project Gutenberg™ License for all works posted with the permission of the copyright holder found at the beginning of this work. 1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg™ License terms from this work, or any files containing a part of this work or any other work associated with Project Gutenberg™. 1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this electronic work, or any part of this electronic work, without prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with active links or immediate access to the full terms of the Project Gutenberg™ License. 1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary, compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any word processing or hypertext form. However, if you provide access to or distribute copies of a Project Gutenberg™ work in a format other than “Plain Vanilla ASCII” or other format used in the official version posted on the official Project Gutenberg™ website (www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon request, of the work in its original “Plain Vanilla ASCII” or other form. Any alternate format must include the full Project Gutenberg™ License as specified in paragraph 1.E.1. 1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying, performing, copying or distributing any Project Gutenberg™ works unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9. 1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing access to or distributing Project Gutenberg™ electronic works provided that: • You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from the use of Project Gutenberg™ works calculated using the method you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed to the owner of the Project Gutenberg™ trademark, but he has agreed to donate royalties under this paragraph to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid within 60 days following each date on which you prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty payments should be clearly marked as such and sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in Section 4, “Information about donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation.” • You provide a full refund of any money paid by a user who notifies you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he does not agree to the terms of the full Project Gutenberg™ License. You must require such a user to return or destroy all copies of the works possessed in a physical medium and discontinue all use of and all access to other copies of Project Gutenberg™ works. • You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the electronic work is discovered and reported to you within 90 days of receipt of the work. • You comply with all other terms of this agreement for free distribution of Project Gutenberg™ works. 1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg™ electronic work or group of works on different terms than are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing from the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the manager of the Project Gutenberg™ trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below. 1.F. 1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread works not protected by U.S. copyright law in creating the Project Gutenberg™ collection. Despite these efforts, Project Gutenberg™ electronic works, and the medium on which they may be stored, may contain “Defects,” such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by your equipment. 1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the “Right of Replacement or Refund” described in paragraph 1.F.3, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project Gutenberg™ trademark, and any other party distributing a Project Gutenberg™ electronic work under this agreement, disclaim all liability to you for damages, costs and expenses, including legal fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH DAMAGE. 1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a written explanation to the person you received the work from. If you received the work on a physical medium, you must return the medium with your written explanation. The person or entity that provided you with the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a refund. If you received the work electronically, the person or entity providing it to you may choose to give you a second opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If the second copy is also defective, you may demand a refund in writing without further opportunities to fix the problem. 1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth in paragraph 1.F.3, this work is provided to you ‘AS-IS’, WITH NO OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE. 1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any provision of this agreement shall not void the remaining provisions. 1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone providing copies of Project Gutenberg™ electronic works in accordance with this agreement, and any volunteers associated with the production, promotion and distribution of Project Gutenberg™ electronic works, harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees, that arise directly or indirectly from any of the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg™ work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any Project Gutenberg™ work, and (c) any Defect you cause. Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg™ Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of electronic works in formats readable by the widest variety of computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg™ and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state’s laws. The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation’s website and official page at www.gutenberg.org/contact Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine-readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit www.gutenberg.org/donate. While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. International donations are gratefully accepted, but we cannot make any statements concerning tax treatment of donations received from outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. Please check the Project Gutenberg web pages for current donation methods and addresses. Donations are accepted in a number of other ways including checks, online payments and credit card donations. To donate, please visit: www.gutenberg.org/donate. Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg™ concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For forty years, he produced and distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg™ eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Most people start at our website which has the main PG search facility: www.gutenberg.org. This website includes information about Project Gutenberg™, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.