Title: Die letzten zwanzig Jahre deutscher Litteraturgeschichte 1880–1900
Author: Emil Thomas
Release date: January 9, 2021 [eBook #64245]
Language: German
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Die letzten zwanzig
Jahre deutscher
Litteraturgeschichte.
Im Abriß dargestellt
von Emil Thomas.
2., durchgesehene Auflage.
(4. bis 8. Tausend.)
Leipzig 1900
Verlag von Walther Fiedler.
Es sind in neuester Zeit vielfach Versuche einer Darstellung der Litteratur der letzten Jahre unternommen worden[1] und es war dies umsomehr von nöten, als unsere besten Litteraturgeschichten im Stich lassen, sobald die Litteratur der letzten Jahrzehnte in Frage kommt. Selbst Vogt und Kochs Litteraturgeschichte, die im vorigen Jahre zur Ausgabe gelangte, ein sonst tüchtiges und zuverlässiges Werk, macht vor der modernen Litteratur Halt und behandelt die Zeit von dem Auftreten der »Jüngsten« an in einer wahrhaft stiefmütterlichen Weise, die zu dem Ganzen in keinem Verhältnis steht und deutlich erkennen läßt, wie wenig die Verfasser über die moderne Litteratur unterrichtet sind. Wenn man nun auch zugeben muß, daß es mit Schwierigkeiten verbunden ist, klar und übersichtlich eine Periode darzustellen, in der noch alles Leben[6] und Bewegung ist, die noch nicht einmal äußerlich zu einem gewissen Abschluß gelangt ist, so erscheint es doch nicht angängig, aus einer zeitlich nicht begrenzten Litteraturgeschichte die moderne Litteratur auszuschließen oder sie in ungenügender Weise zur Darstellung zu bringen. Denn nichts liegt dem Interesse näher, als was uns zeitlich naheliegt, und es ist sehr wohl möglich, zeitgenössische Schriftsteller und ihre vorliegenden Werke zu beurteilen, auch auf die Gefahr hin, daß durch spätere Schöpfungen neue charakteristische Züge in das Bild Aufnahme finden müssen. Darstellen läßt sich also die Litteraturperiode der letzten Jahre – fraglich ist nur, ob der Bericht über dieselbe, 10 oder 20 Jahre später, nicht derartige Korrekturen erfahren wird, daß Urteil und Anschauung der Gegenwart dadurch für die spätere Zeit vollständig entwertet werden. Strömungen und Unterströmungen auf litterarischem Gebiete sind für denjenigen, der mitten in der darzustellenden Periode steht, nur schwer erkennbar, und auch das Urteil des vorurteilslosen Beobachters wird von der Parteien Haß und Gunst verwirrt, besonders in einer Zeit, die an Stelle der litterarischen Persönlichkeiten litterarische Schulen setzt und durch Schlagworte zu ersetzen sucht, was ihr an litterarischem Verständnis abgeht.
[1] Neben den Studien zur neueren Litteratur, die Professor Erich Schmidt, Adolf Stern und Franz Muncker veröffentlichten, sind vor allem das Buch B. Litzmann's über das deutsche Drama der Gegenwart, sowie Alfred Bieses Lyrische Dichtung und neuere deutsche Lyriker, Wolff's Geschichte der deutschen Litteratur in der Gegenwart, Adolf Bartels, Die deutsche Dichtung der Gegenwart, Edgar Steiger, Das Werden des neuen Dramas, und Richard M. Meyers Geschichte der deutschen Litteratur im 19. Jahrhundert, zu nennen.
Wir sagten, daß in 10 oder 20 Jahren das jetzt abgegebene Urteil über unsere moderne Litteratur eine Wandlung erfahren wird, und je weiter wir uns von der Gegenwart entfernen, destomehr wird die zeitgenössische Kritik von der späterer Zeiten sich als unterschiedlich erweisen. Sie wird ruhiger, objektiver ausfallen, aber sie braucht darum nicht »richtiger« zu sein, denn der Wert[7] eines Buches darf nicht nur danach bemessen werden, daß es noch kommenden Geschlechtern etwas zu sagen hat, er kann auch darin bestehen, daß es, allein für seine Zeit geschrieben, auch nur dieser nützt. Da wir aber die Litteraturgeschichte aus der Kulturgeschichte ausscheiden und ihr eine selbständige Stellung – ob mit Recht oder Unrecht, sei dahingestellt – angewiesen haben, so werden in ihr alle diejenigen Werke zu kurz kommen, die allein für ihre Zeit berechnet und nur diese fördernd, nicht künstlerischen Gehalt oder genügendes Interesse für die Zukunft mitbringen. Noch ein weiterer Grund kommt hinzu, um die Aufgabe der Litteraturgeschichte zu erschweren: der, daß niemand, und sei er noch so belesen, in der Lage sein wird, ohne Anleihen bei anderen zu machen, ein Urteil über die Litteratur, selbst eines so begrenzten Zeitraumes, wie es der von 1880–1900 ist, abgeben zu können. Denn um festzustellen, welcher Dichter und welches Werk in diese Litteraturgeschichte aufzunehmen wären, müßte, unter der Voraussetzung einer Befähigung, über alles urteilen zu können, ein eingehendes Studium aller in dem betreffenden Zeitraum erschienener Werke vorausgehen. Denn wie könnte jemand, der nicht das ganze Gebiet beherrscht, wissen, ob er nicht das Wichtigste übersehen, ob ihm nicht gerade das entgangen, auf das das meiste Gewicht zu legen wäre? Wäre er allein in der Lage, auch nur über eine beschränkte Anzahl Werke ein Urteil abzugeben, sie litterarisch zu werten, und könnte dies immer unter Ausschaltung alles Persönlichen geschehen? Könnte er sich ganz dem Einflusse entziehen, den auch ein minder gutes Buch ausüben kann, das ihm persönlich mehr als den anderen zu sagen hat oder das in[8] einer Stimmung zur Hand genommen wurde, die es für ihn in einem besonderen Lichte erscheinen ließ? Und wird derselbe Autor, der, 30 Jahre alt, ein Werk kritisiert, mit 40 Jahren noch dasselbe Urteil über das Werk abgeben? Ein persönliches Gepräge kann eine Litteraturgeschichte nur in einzelnen Zügen tragen und auch diese müssen mit Vorsicht gegeben und durch die Urteile sachverständiger Kritiker wenigstens kontrolliert werden. Gerade weil selbst ein eng begrenztes Gebiet zu beherrschen unmöglich ist, kann der Autor einer Litteraturgeschichte kaum etwas anderes sein als ein Kompilator, der die abgegebenen Urteile in litteraturgeschichtlichen und verwandten Büchern und Zeitschriften abzuwägen, zu kontrollieren und aus ihnen das Facit zu ziehen hat. Er wird nie, und wenn er seinen Namen noch so fett auf das Titelblatt schreibt, ganz aus Persönlichem heraus eine Litteraturgeschichte schreiben und sagen können: so denke ich über alle jene Werke, zu denen ich in dem und dem Verhältnis stehe.
Allerdings soll eine Litteraturgeschichte in ihrer Gesamtheit mehr sein, als ein Sammelsurium von Urteilen, die Hinz und Kunz über Bücher und Autoren abgeben und die Müller oder Schulze dann »kontrollieren« und »abwägen«: eine Litteraturgeschichte muß vor allem auf die geistigen Strömungen das Hauptgewicht legen, sie muß, wenn sie Wert besitzen soll, uns zeigen, wie sich diese in dem Kopfe des Verfassers darstellen, der bei einer Geschichte mehr auf den geistigen Zusammenhang, auf die typischen Erscheinungen, als auf ihre Repräsentanten zu achten hat. Die Geschichtsschreibung, die nur die »Haupt- und Staatsaktionen« kannte und darstellte, hat sich überlebt, die politische Geschichte von ehemals ist[9] der Kulturgeschichte gewichen, die versuchen muß, uns aus der Zeit heraus die Erscheinungen zu erklären und verständlich zu machen. Von der Litteraturgeschichte muß aber noch mehr gefordert werden. Vor allem ist ihre Aufgabe, reinlich zu scheiden zwischen dem, was Mode, Reklame und Marktschreierei, gute Freunde und getreue Nachbarn aus einem Autor gemacht haben, und dem, was ihm an wirklichem Verdienste, nach seinem Können, zukommt. Sie hat sich mit den schlechten Autoren, die den litterarischen Geschmack einer Zeit wesentlich beeinflussen, ebenso abzufinden wie mit den guten, hat auch der besonderen Beeinflussung älterer Werke und Autoren, die für eine Zeit wieder lebendig geworden sind, zu gedenken, sie muß – und das nicht zuletzt – auch gutzumachen suchen, was an einem Autor gesündigt wurde, dessen Talent sich mit jedem der durch Verlegerreklame und Cliquenwirtschaft bekannt gewordenen »Jungen« und Modernen messen kann, der aber den Fehler beging, nur seine Bücher und nicht auch seine Freunde und Vettern für sich reden zu lassen.
Es bedarf wohl einer Erklärung, warum der vorliegende Abriß der deutschen Litteraturgeschichte der Gegenwart mit dem Jahre 1880 und nicht, wie dies sonst üblich, mit dem Tode Goethes (1832) oder dem Ausbruche des deutsch-französischen Krieges (1870) beginnt.
Das eine wie das andere Jahr kommt für die Litteratur wenig in Betracht. Der Tod Goethes, wie der Ausbruch des Krieges waren rein äußere Umstände: der erstere beendete nicht das goldene Zeitalter unserer[10] Litteratur, das mit dem Erscheinen des ersten Teils von Faust sein Ende erreichte, und der letztere leitete keine neue Epoche unserer Litteratur ein. Wenn es auch gefährlich ist, den Beginn einer neuen Litteraturperiode durch ein bestimmtes Jahr festzulegen, so haben doch, nach unserem Dafürhalten, die 80er Jahre mehr Berechtigung, als Ausgangspunkt bei der Darstellung der modernen Litteratur angenommen zu werden, als das Jahr 1870, das nicht einmal auf einem litterarischen Gebiete – der Kriegslyrik – neue Blüten trieb, sondern nur politisch von Bedeutung ist. Nimmt man ein bestimmtes Jahr zum Ausgangspunkt an, so entsteht die Frage, inwieweit sich ein Zurückgreifen auf die vorhergehenden Jahre zum besseren Verständnisse des angesetzten Jahres notwendig macht. Litterarische Erscheinungen wie Freytag und Spielhagen – um Beispiele aus der modernen Litteratur anzuführen – hatten ihren Vorläufer in Gutzkow, wie Heyse's Schaffen schließlich auf Goethe zurückführt. Und noch eine andere Schwierigkeit erwächst dem Litterarhistoriker bei der Darstellung eines bestimmten, engbegrenzten Zeitraumes. Heyses, Spielhagens und Freytags litterarische Bedeutung und Erfolge – um bei den einmal Genannten zu bleiben – gehören einer vergangenen Periode an, sie waren es nicht, die der neueren Litteratur den Stempel aufdrückten und auch ihr eigenes litterarisches Charakterbild erhielt durch ihre späteren Schöpfungen keine neuen Züge. Das trifft selbst bei einem Autor wie Spielhagen zu, der sich wie kaum ein anderer unter den Alten bemüht hat, die neue Zeit zu verstehen und mit ihr zu paktieren, aber doch immer der alte Spielhagen der 70er Jahre blieb.
Die älteren Dichter sind daher in dem vorliegenden Abriß nur stiefmütterlich behandelt worden, eine Taktik, die auch darauf zurückzuführen ist, daß es nicht schwer hält, sich über sie anderenorts zu informieren. Wir wollten vor allem den geringen Raum, der uns zur Verfügung steht – das Werkchen ist ein etwas erweiterter Abdruck aus dem »Buchhändler-Kalender für 1900« – benutzen, um auf die »neuesten und allerneuesten« Dichter aufmerksam zu machen. Daß wir auch hier nur Einzelbilder und Einzelerscheinungen herausgreifen konnten und auf eine Darstellung der Entwickelung der neuesten Litteratur verzichten mußten, findet gleichfalls seine Erklärung in der uns auferlegten räumlichen Beschränkung. Sie verführte auch, im Gegensatze zu unserer Anschauung, daß eine Litteraturgeschichte nicht nur die schöngeistigen Schriften, sondern das gesamte Geistesleben zu umfassen hat, soweit es seinen Ausdruck in der Litteratur findet und nicht rein fachwissenschaftlicher Natur ist, zu einer ausschließlichen Berücksichtigung der Belletristik, so daß man Namen wie: Büchner, Eduard v. Hartmann, Friedrich Nietzsche, Schopenhauer, Stirner, Gregorovius, Treitschke, Sybel, Ranke, Mommsen, Schäffle, Ihering, Erich Schmidt, Paul de Lagarde, Karl Hillebrand, Victor Hehn, Herman Grimm, Otto Gildemeister, Bamberger, Fürst Bismarck, Richard Wagner u. a., in den »Charakteristiken« nicht begegnen wird, so sehr sie Anspruch auf Aufnahme in eine moderne Litteraturgeschichte haben. Dagegen wird man es in einer speciell für Buchhändler, Litteraten etc. bestimmten Litteraturgeschichte gerechtfertigt finden, daß wir nicht sowohl den Versuch einer Charakteristik der litterarischen und verwandten Blätter[12] unternommen, als auch auf den Anteil hingewiesen haben, der dem Verlagsbuchhandel an der Entwicklung unserer Litteratur zukommt.
Was die in den »Charakteristiken« angeführten Dichter betrifft, so wird gewiß schon im kommenden Jahrzehnt eine ganze Reihe in der Versenkung verschwinden und anderen Platz machen müssen, die jetzt bescheiden bei Seite stehen, unbeachtet von der Kritik und dem großen Publikum. Ihr Ruhm wird dauernder sein als der unserer litterarischen Tagesgrößen, wenn auch eine Litteraturgeschichte so geringen Umfangs und mit so bescheidenen Aufgaben wie die vorliegende, nur vorsichtig für einzelne von ihnen eintreten kann. Denn auf die Freude, gerade den Könnern ohne Anhang in der Presse und im Publikum zu ihrem Rechte zu verhelfen, muß der Verfasser eines Werkchens verzichten, das seiner ganzen Anlage nach nur für die Gegenwart berechnet, keine Umwertung der jetzigen litterarischen Werte vornehmen kann, sondern allein den Zweck verfolgt, über die bekannteren Schriftsteller und ihre Werke ein paar orientierende Notizen zu geben, mit denen sich die Benutzer besser im litterarischen Leben zurechtfinden können.
Leipzig, März 1900.
Emil Thomas.
Seite | |
Vorwort | 5 |
Überblick | 18 |
Charakteristiken: Die Romanciers der alten Schule | 29 |
Gustav Freytag. – Friedrich Spielhagen. – Berthold Auerbach. – Luise von François. | |
Die großen Novellisten der 70er und 80er Jahre | 32 |
Conrad Ferd. Meyer. – Gottfried Keller. – Theodor Storm. – Paul Heyse. | |
Die Formtalente der alten Schule | 35 |
Emanuel Geibel. – Friedr. v. Bodenstedt. – Adolf Friedr. Graf v. Schack. – Rob. Hamerling. – Albert Moeser. – Heinr. Vierordt. | |
Lyriker und Epiker der 70er und 80er Jahre | 37 |
Julius Grosse. – Martin Greif. – Joh. Georg Fischer. – Friedr. Wilh. Weber. – Friedrich Theod. Vischer. – Wilh. Jordan. – Hermann Lingg. – Stephan Milow. – Ludwig Eichrodt. – Hermann Allmers. – Robert Waldmüller. – Rudolf Bunge. – Adolf Brieger. – Heinrich Bulthaupt. – Julius Rodenberg. – Karl Weitbrecht. – Eduard Paulus. – Isolde Kurz. | |
Die neuzeitlichen Romantiker | 43 |
Otto Roquette. – Oskar von Redwitz. – Heinrich Steinhausen. – Wilhelm Hertz. | |
Die Dichter mit dem Erdgeruch | 44 |
Klaus Groth. – Ludwig Anzengruber. – Theod. Herrmann Pantenius. – Peter Rosegger. – Karl Stieler.[14] – Hermann von Schmid. – Maximilian Schmidt. – Ludwig Ganghofer. – Arthur Achleitner. – Johann Meyer. – Joh. Heinr. Fehrs. – Timm Kröger. – Heinr. Hansjakob. – Hermine Villinger. – Clara Viebig. – Adolf Bartels. – Charlotte Niese. – Ilse Frapan. – August Sperl. – Heinrich Sohnrey. | |
Die Kulturnovellisten | 49 |
Wilhelm Heinrich Riehl. – Karl Emil Franzos. – Leopold Kompert. – Leopold von Sacher-Masoch. | |
Die Dichter-Archäologen | 50 |
Georg Ebers. – Felix Dahn. – Ernst Eckstein. – George Taylor. – Oskar Linke. | |
Die Dramatiker der alten Schule | 52 |
Rudolf v. Gottschall. – Hans Herrig. – Arthur Fitger. – Heinrich Kruse. – Albert Lindner. | |
Die sogenannten Lustspieldichter | 53 |
Oskar Blumenthal. – Hugo Lubliner. – Gustav von Moser. – Adolf L'Arronge. | |
Die Übergangstalente | 54 |
Hans Hopfen. – Wilhelmine von Hillern. – Karl v. Heigel. – Karl Frenzel. – Adolf Stern. – Ferdinand von Saar. – Heinrich von Reder. | |
Vaganten und Spielmänner | 56 |
Josef Victor von Scheffel. – Rudolf Baumbach. – Julius Wolff. | |
Die Goldschnittlyriker der 80er Jahre | 57 |
Karl Gerok. – Julius Sturm. – Albert Traeger. – Emil Rittershaus. | |
Die Beschaulichen | 58 |
Wilhelm Raabe. – Wilhelm Busch. – Hans Hoffmann. – Heinrich Seidel. – Victor Blüthgen. | |
Die Behaglichen | 60 |
Julius Stinde. – Johannes Trojan. – Julius Lohmeyer. – Edwin Bormann. – Georg Bötticher. – Hans Arnold. | |
Die Dichter der Dekadenz[15] | 61 |
Dranmor. – Eduard Grisebach. – Emil Prinz von Schönaich-Carolath. – Hieronymus Lorm. – Alberta von Puttkamer. – Ada Christen. | |
Die Marlitt und ihre Schule | 63 |
E. Marlitt. – W. Heimburg. – E. Werner. – Marie Bernhard. – Nataly von Eschstruth. | |
Die »Jüngstdeutschen« und ihre Vorkämpfer | 64 |
Karl Bleibtreu. – Michael Georg Conrad. – Hermann Conradi. – Konrad Alberti. – Heinrich Hart. – Julius Hart. – Hermann Heiberg. – Max Kretzer. – Wilhelm Walloth. – Wilhelm Arent. – Wolfgang Kirchbach. | |
Socialistische Lyriker | 67 |
Arno Holz. – Karl Henckell. – Maurice Reinhold Stern. – John Henry Mackay. – Bruno Wille. | |
Die Nationalen | 69 |
Adolf Pichler. – Karl Pröll. – Fritz Lienhard. – Anton Ohorn. – Anton Aug. Naaff. – Ottomar Beta. – Adolf Graf v. Westarp. – E. Bauer. – Carl Kerstan. | |
Die großen neuzeitlichen Erzähler | 71 |
Theodor Fontane. – Wilhelm Jensen. – Marie von Ebner-Eschenbach. – Adolf Wilbrandt. – Richard Voß. | |
Realistische Erzähler | 73 |
Ernst von Wolzogen. – Konrad Telmann. – Alexander von Roberts. – Georg v. Ompteda. – Wilhelm v. Polenz. – Ad. Schmitthenner. – Karl v. Perfall. – Anton v. Perfall. – Oscar Mysing. – Richard Nordhausen. – J. J. David. – Felix Hollaender. – Heinz Tovote. | |
Die Unterhaltungstalente | 77 |
Ernst Wichert. – August Niemann. – Gerhardt von Amyntor. – Otto v. Leixner. – Fritz Mauthner. – Theophil Zolling. – Rudolf Stratz. – Hans Land. – Wilh. Wolters. – Franz v. Königsbrun-Schaup. – Fedor von Zobeltitz. – Hanns von Zobeltitz. –[16] Ida Boy-Ed. – A. v. d. Elbe. – Claire Glümer. – Sophie Junghans. – Luise Westkirch. | |
Romanciers des High-life | 81 |
Rudolf Lindau. – Ossip Schubin. – Baron Carl Torresani. – Johannes Richard zur Megede. – Bertha von Suttner. | |
Die Feuilletonisten | 82 |
Paul Lindau. – Max Nordau. – Julius Langbehn. – Emil Peschkau. – Balduin Groller. – Ferdinand Groß. – Hermann Bahr. – Maximilian Harden. | |
Die Industriellen | 84 |
Gregor Samarow. – Alfr. Friedmann. | |
Die dramatischen Hauptmänner | 85 |
Ernst von Wildenbruch. – Gerhart Hauptmann. – Hermann Sudermann. | |
Die kleineren Dramatiker der Neuzeit | 88 |
Max Halbe. – Ludwig Fulda. – Arthur Schnitzler. – Josef Lauff. – Felix Philippi. – Max Dreyer. – Josef Ruederer. – Caesar Flaischlen. – Otto Erich Hartleben. – Philipp Langmann. – Ernst Rosmer. – Georg Hirschfeld. | |
Tendenzfreie Lyriker der jüngsten Zeit | 91 |
Detlev von Liliencron. – Gustav Falke. – Carl Busse. – Ludwig Jacobowski. – Richard Zoozmann. – Reinhold Fuchs. – Jeannot Emil Freiherr v. Grotthuß. – Ricarda Huch. – Alfred Beetschen. – Hans Bethge. – Anna Ritter. – Johanna Ambrosius. – Ludwig Palmer. – Gustav Renner. | |
Philosophische und polemische Dichter | 94 |
Ferdinand Avenarius. – Wilhelm Weigand. – Otto Ernst. – Carl Spitteler. – Josef Viktor Widmann. – Christian Wagner. – Wilhelm Bölsche. – Walther Siegfried. – Benno Rüttenauer. | |
Die Amazonen des Geistes | 97 |
Marie Eugenie delle Grazie. – Helene Böhlau. – Anna[17] Croissant-Rust. – Maria Janitschek. – Emil Marriot. – Hermione von Preuschen. – Lou Andreas-Salomé. – Gabriele Reuter. – Anselm Heine. – Hans von Kahlenberg. – Elsa Asenijeff. | |
»Artisten«, Symbolisten und Unverstandene | 99 |
Johannes Schlaf. – Otto Julius Bierbaum. – Franz Evers. – Stanislaw Przybyszewski. – Richard Dehmel. – Frank Wedekind. – Wilhelm von Scholz. – Felix Dörmann. – Hugo v. Hofmannsthal. – Hugo Salus. – Peter Altenberg. – Stephan George. – Alfred Mombert. – Paul Scheerbart. | |
Nationale Jungösterreicher | 103 |
Arthur von Wallpach. – Franz Herold. – Hermann Hango. – Josef Kitir. – Oskar Weilhart. – Franz Adamus. – Emil Ertl. – Heinrich v. Schullern. – Hanns Weber-Lutkow. – Hugo Greinz. | |
Zur Charakteristik litterarischer und verwandter Blätter | 106 |
Der Verlagsbuchhandel und sein Anteil an der Litteratur der Gegenwart | 118 |
Register der in den »Charakteristiken« angeführten Namen | 133 |
Der deutsch-französische Krieg 1870/71 erfüllte das Sehnen der Nation nach Einheit und Macht unter einem neuen deutschen Kaisertum: eine neue Litteratur brachte er nicht. Selbst die Kriegslyrik trieb nur wenig neue Blüten; Schlag auf Schlag war draußen in Frankreich erfolgt, und ehe man Zeit fand, den jungen Ruhm dichterisch zu verherrlichen, war der Friede geschlossen. Was sehnsüchtig die Besten der Nation herbeigewünscht, war in Erfüllung gegangen, aber nach dem jahrzehntelangen Warten stand man zu plötzlich am Ziel, um die Wandlung begreifen zu können. In den Kabinetten war der Krieg beschlossen worden, die Volksseele hatte wenig Teil an ihm. Auch die Errichtung des deutschen Kaisertums war mehr ein Akt der Diplomatie, als der Ausfluß jenes Sehnens, das im Volke lebte und dessen Erfüllung man kaum noch erhoffte, als sie schon eingetreten war. Die wenigen großen Dichter, die wir um jene Zeit besaßen, waren in ihrer Entwicklung bereits abgeschlossen, als Bismarck Deutschland in den Sattel hob. Paul Heyse war zu sehr Künstler, Ästhetiker, als daß von ihm eine nationale Kunst ihren Ausgang nehmen konnte. Seine Sehnsucht ging mehr nach dem sonnigen Italien oder[19] dem schönheitstrunkenen Hellas, als nach dem neuen Deutschen Reiche. Berthold Auerbach hatte sein Bestes schon geleistet und Gustav Freytags altfränkisch-philiströse Kunst fand sich ebensowenig im neuen Deutschland zurecht, wie Friedrich Spielhagens politisches Glaubensbekenntnis. Die beiden Schweizer Gottfried Keller und Conrad Ferd. Meyer standen zu weit ab vom Deutschen Reiche, um wirklichen Einfluß auf sein nationales Leben zu gewinnen. So verklang das Lied vom »Grünen Heinrich« in der Ferne und erst viel später wurde seine Melodie wieder gehört. Conrad Ferd. Meyers feinciselierte Kunst war nie Volkskunst, ihr Einfluß blieb auch später auf Litteraten- und Künstlerkreise beschränkt. Das Volk trug kein Verlangen nach Kunst; was es suchte, war Unterhaltung – Genuß. Die Milliarden kamen ins Land und ein toller Taumel erfaßte alle Kreise: wer früher Wasser getrunken, berauschte sich jetzt in Champagner. Die Gründerperiode war angebrochen, das Gold übte seine Zauberkraft, alles in seinen Bann ziehend und alle anderen als vitale Interessen ertötend. Oskar Blumenthal und Paul Lindau, Namen, die heute schon vom litterarischen Schauplatz verschwunden sind, feierten ihre Triumphe, und das eroberte Paris war es, das seine litterarischen Schatzkammern öffnete und dem neuen Reich auch die »neue Kunst« gab. Sie war auch danach und ihrer Vertreter würdig. Die beiden Litteraturpäpste an der Spree waren aus dem Journalismus hervorgegangen. Beide suchten mit Pamphleten schlimmster Sorte ihr Ansehen zu begründen. Den »Allerlei Ungezogenheiten« des »blutigen Oscar« traten die »Litterarischen Rücksichtslosigkeiten« Lindaus ebenbürtig zur Seite. Alles, was in Deutschland[20] einen Namen besaß, verfiel ihnen und wurde mit Spott und Hohn überschüttet. Paris war die Parole. Hatte das kriegerische Frankreich keine Lorbeeren gepflückt, so fielen sie jetzt dem künstlerischen Frankreich überreich in den Schoß. Selbst vor dem Kriege war die Abhängigkeit von unseren westlichen Nachbarn nicht so groß wie nach der Wiedergeburt Deutschlands, das sich erst auf seine Machtstellung besinnen mußte. Irregeleitet von falschen Propheten, die ihre Lehrjahre in Paris durchgemacht hatten, wußte das Volk nichts Besseres, als der leichtgeschürzten gallischen Muse zuzujubeln und ihre Kinder für den Inbegriff des Schönen und Wahren hinzustellen.
Die Zeiten des Kulturkampfes waren der Entwickelung der deutschen Dichtung wenig günstig, die Handvoll wirklicher Poeten, die Deutschland besaß, ging unverstanden ihre Wege und viel später erst fand sie Anerkennung. Die Gründerperiode hatte bald abgewirtschaftet, der Krach kam, der Champagnerrausch verflog und nur der Katzenjammer blieb zurück. Damals wurde Schopenhauer Mode. Sein Schüler Grisebach sang seine Tannhäuserlieder, die die Stimmung des Volkes widerspiegeln, das von Genuß zu Genuß taumelt, bis ihm erwachend der Ekel kommt. Eine Zeit der Nüchternheit und Niedergeschlagenheit folgte den tollen Jahren, eine Zeit, in der die Litteratur auf die Zuneigung der höheren Töchter angewiesen war. Die Poesie flüchtete in die Gelehrtenstuben und drapierte sich malerisch mit griechischen und ägyptischen Gewändern, um sich ein besonderes Air zu geben. Es waren die Erntejahre der Dahn und Ebers. In ihrem Gefolge erschienen die Scheffel, Wolff[21] und Baumbach und ließen ihre Spielmannsweisen ertönen. Die Romantik hat den Deutschen immer im Blute gesteckt und sie sollte auch im neuen Deutschen Reiche nicht zu kurz kommen. Was ihre Vertreter an gutem Geschmack noch übrig ließen, das richteten die Gartenlaube-Talente vom Schlage der Marlitt zu Grunde. Wohl hatte Storm bereits seine schönsten Lieder gesungen, Wilh. Raabe, Anzengruber und Rosegger waren bei der Arbeit und andere kleinere Talente ihnen gefolgt, aber was vermochten sie gegen die Protegés der höheren Töchter in einer Zeit, die die Kunst nur als angenehme Zugabe zum Leben betrachtete und keine Dichter haben wollte?
In dieser Zeit des Niederganges erstand dem litterarischen Deutschland ein Retter in einer Gruppe junger Schriftsteller, die dem allmählichen Versanden der Litteratur nicht länger teilnahmslos zusehen wollte. Sie empfand tief die Mißachtung, die man dem einheimischen Schrifttum entgegegenbrachte, eine Mißachtung, an der nicht sowohl das Publikum als auch die Litteratur selbst schuld war. Die erste Streitschrift »Kritische Waffengänge«, die der »neuen Litteratur« die Wege bahnen sollte, ging von den Gebrüdern Hart aus.
In einem einleitenden Aufsatze: »Wozu, wogegen, wofür?« entwickeln sie ihr Programm: Sie wollen aufräumen mit dem eklektischen Dilettantismus, der sich breit macht, mit dem um sich fressenden Kastratentum der Kritik. Sie wollen Platz machen für bessere und edlere Geister, weil sie nicht an einen Niedergang der Litteratur glauben können und wollen.
»Hinweg also mit der schmarotzenden Mittelmäßigkeit, hinweg alle Greisenhaftigkeit und alle Blasiertheit,[22] hinweg das verlogene Recensententum, hinweg mit der Gleichgiltigkeit und hinweg mit allem sonstigen Geröll und Gerümpel. Reißen wir die jungen Geister los aus dem Banne, der sie umfängt, machen wir ihnen Lust und Mut, sagen wir ihnen, daß das Heil nicht aus Ägypten und Hellas kommt, sondern daß sie schaffen müssen aus der germanischen Volksseele heraus, daß wir einer echt nationalen Dichtung bedürfen, nicht dem Stoffe nach, sondern dem Geiste, daß es wieder anzuknüpfen gilt an den jungen Goethe und seine Zeit, und daß wir keine weitere Formenglätte brauchen, sondern mehr Tiefe, mehr Glut, mehr Größe.«
Und nun kommen die kritischen Abschlachtungen. Im ersten Heft muß der Dramatiker Heinrich Kruse herhalten, im zweiten wird Paul Lindau vorgenommen. Ihm folgen Hugo Bürger (Hugo Lubliner) und Albert Träger. Das vierte Heft enthält eine Beleuchtung des »Deutschen Theater« L'Arronges; im fünften wird Graf Schack gelobt und zum Schluß Spielhagen und dem deutschen Roman der Gegenwart näher oder besser zu nahe getreten. – Den »Kritischen Waffengängen« folgte die Arent'sche Anthologie »Moderne Dichtercharaktere«, der sich Karl Bleibtreu mit seiner Broschüre: »Revolution der Litteratur« anschloß. Um den »Jungen« ein Organ zu schaffen, in dem sie ihre Meinungen ungeschminkt zum Ausdruck bringen konnten, gründete M. G. Conrad in Gemeinschaft mit Bleibtreu »Die Gesellschaft«. Sie wurde bald der Mittelpunkt einer Anzahl junger Schriftsteller, unter denen sich neben den Herausgebern Hermann Conradi, Wilhelm Walloth, Konrad Alberti bemerkbar machten.
Wie bei jeder neuen Kunstrichtung schoß man auch hier über das Ziel hinaus, und in dem Bestreben, alles[23] Bestehende über den Haufen zu werfen oder doch zu reformieren, wurde man ungerecht und was noch schlimmer war, roh. Dazu kam, daß man an Stelle der alten Kunst zwar ein neues Programm, aber keine neue Kunst setzen konnte. Auch da mußte Frankreich aushelfen. Der den Deutschen verwandte Meister Zola zog die Jüngsten in seinen Bann, und wie helle Fanfarenstöße klang sein Name in das Lager der »Alten«. Wahrheit und Natur waren die Schlagworte, mit denen man der Romantik zu Leibe ging. Die Großstadt mit ihrer Pracht und ihrem Elend wurde entdeckt, die Kellnerinnen und Dirnen in die Litteratur eingeführt und die vielgliedrige sociale Frage der Belletristik einverleibt. Aber dem großen Wollen entsprach nur ein geringes Können. Bleibtreu suchte den Satz zu erweisen, das Genie sei der Fleiß, und schrieb unermüdlich Band auf Band, M. G. Conrad schuf seine Münchener Großstadt-Romane nach Zola'schem Recept, Konrad Alberti wählte sich Berlin zum Schauplatz seiner socialen Romane und Hermann Conradi stammelte brünstige Lieder und »Phrasen«. Daneben sangen Arno Holz und Karl Henckell ihre Proletarierlieder, bei denen Geibel und Herwegh Pate gestanden, Liliencron sattelte seinen Pegasus zu den »Adjutantenritten« und Hermann Heiberg schrieb seinen »Apotheker Heinrich«.
So beachtenswert auch einzelne Leistungen waren, so wenig konnte das Gesamtbild befriedigen. Die neuen Stoffe besaß man wohl, aber die Künstler fehlten, sie zu gestalten. Auch sonst kam noch manches hinzu, was wenig geeignet war, der neuen Kunst Anhänger zuzuführen. Ästhetisch feiner empfindende Naturen fühlten sich abgestoßen von dem Gebahren der Jüngstdeutschen,[24] die den weichen Künstlerschlapphut der Münchener Schule ostentativ mit der Ballonmütze des Proletariers vertauschten und in der Art sich zu geben vieles zu wünschen übrig ließen. Die Unzulänglichkeit in der Bewältigung der neuen Stoffe führte wieder zu einer Anlehnung an das Ausland. Dank den »Gründer«-Übeln übersah man Dichter wie Otto Ludwig und vor allem Friedrich Hebbel, die zwar noch keine socialistische und Kellnerinnen-Litteratur geschaffen, aber den natürlichen Übergang von der alten zur neuen nationalen Kunst darstellen. Ibsen und Tolstoi, denen sich Strindberg, Björnson, Dostojewskij u. a. zugesellten, wurden vielmehr neben Zola die großen Vorbilder, denen die Jüngstdeutschen nacheiferten. An Ibsen bewunderte man die Kühnheit, mit der er an alle ererbten Institutionen und Anschauungen herantrat und ihre Fäulnis und Verderbtheit aufdeckte. Und daneben lag in dem »Wunderbaren«, auf das der große Prophet des Nordens hinwies, ein eigener Zauber, der ebenso gefangen nahm, wie die Lehre von dem Erbarmen mit dem Elend der Gegenwart, die Tolstoi verkündete. Ibsen besonders hat das große Publikum mit dem Denken und Empfinden der Modernen vertraut gemacht: die Hunderttausende von Exemplaren, die Reclam von seinen Stücken in die Welt sandte, predigten das neue Evangelium der Kunst. Neben ihm aber war ein anderer Prophet aufgetreten, der über Stirner noch hinausgehend, die Philosophie des Egoismus predigte und das »robuste Gewissen« verherrlichte: Friedrich Nietzsche. Der Sklavenmoral des Christentums setzte er die Herrenmoral des »Uebermenschen« gegenüber und wenn er auch kein System auf- und ausgebaut hat,[25] so hat seine Lehre doch den stärksten Einfluß auf die jüngste Dichtergeneration ausgeübt, die sich an seinen großen Worten berauschte und das von ihm verherrlichte Übermenschentum für sich zu pachten suchte.[2]
[2] Die Gebrüder Hart hatten in ihren »Kritischen Waffengängen« die Forderung aufgestellt: die deutschen Dichter müßten »aus der germanischen Volksseele heraus schaffen«; ihre modernen Mitstürmer aber vermochten, wie oben ausgeführt, die Stoffe, die in der deutschen Volksseele lebten, weder zu erfassen, noch zu gestalten. Sie verfielen vielmehr der krassesten Ausländerei und befriedigten ihren germanischen Litteraturdrang dadurch, daß sie gehorsam zu den Füßen der Franzosen, Russen und Norweger saßen. Gegen diese Versumpfung der »litterarischen Revolution« und »Moderne« trat eine Bewegung auf, die das »Nationale« wieder in den Vordergrund zu schieben und eine »Heimatkunst« zu schaffen suchte. Politisch schloß sie sich an die Deutschbewegung in Österreich und den russischen Ostseeprovinzen an und fand ihren stärksten Ausdruck in dem von Erwin Bauer gegründeten »Zwanzigsten Jahrhundert«, zu dessen Mitarbeitern Karl Pröll, Adolf Graf Westarp, Fritz Lienhard, Oskar Linke, Jeannot Emil von Grotthuß u. a. gehörten. Diese »nationale« Litteratur-Bewegung verfiel jedoch sehr bald dem politischen Antisemitismus und verlor dadurch den Einfluß auf die deutsche Jugend ebenso rasch, wie sie ihn gewonnen hatte. Erst in den letzten Jahren sind diese Bestrebungen, wenn auch in etwas veränderter Form, von Ferdinand Avenarius, Adolf Bartels, Fritz Lienhard u. a. im »Kunstwart« und neuerdings in der »Heimat« wieder erfolgreich aufgenommen worden.
War es um die Litteratur im allgemeinen schon schlecht bestellt, so hatte das deutsche Theater im besonderen unter dem Tiefstand des litterarischen Interesses und des herrschenden Geschmacks zu leiden. Erst Richard Wagners Schöpfung des musikalischen Dramas erinnerte daran,[26] daß die Bühne anderen Zwecken zu dienen habe als der Darstellung französischer Possen und Zoten. Seine Dramen ließen die Vergangenheit wieder aufleben, in seinen stolzen Reckengestalten und heldenmütigen Frauen zeigte der Dichter-Komponist wieder Ideale, an die der Glaube längst abhanden gekommen. Aber Wagners Bedeutung liegt mehr auf musikalischem als dichterischem Gebiete und auf die große Menge hat seine Kunst kaum Einfluß gewonnen. Zudem waren die Wagnerianer, die heute eine Welt darstellen, damals wenig mehr als eine kleine Fanatikergemeinde. Von der jüngeren Generation war Wildenbruch der erste, der sich die Bühne mit seinen Stücken eroberte, in denen er dramatisch das Ergebnis der neuen Gestaltung Deutschlands zu ziehen suchte. Er schuf eigenartige Charakterbilder aus der brandenburg-preußischen Geschichte und das Schillersche Pathos, das er anschlug, gewann ihm die Gunst des Publikums im Fluge. Das eigentliche Drama der Gegenwart aber, das seinen Stoff dem modernen socialen Leben entnimmt, brachte der neuen Zeit zuerst Sudermann in seiner »Ehre«. Sie leitete eine neue Epoche unseres Litteraturlebens ein, nicht ihres künstlerischen Gehaltes wegen, sondern durch die Anteilnahme an dem dichterischen Schaffen unserer Tage, die sie in den Kreisen des Publikums weckte. Auf die unbestrittenen Erfolge Sudermanns folgten die lärmenden Kundgebungen, mit denen man die ersten Schöpfungen Hauptmanns empfing, die noch ganz unter dem Einflusse Ibsens standen. Andere jüngere Talente, wie Halbe, Fulda, Hartleben schlossen sich an. Durch sie und die späteren Triumphe Hauptmanns wurde die Bühne dem Naturalismus dauernd gewonnen: die Jüngsten[27] hatten gesiegt, wenn auch auf einem anderen Plane als dem zuerst ins Auge gefaßten. Ihr Augenmerk war ursprünglich auf die Regeneration des Romans gerichtet, dem sie neue Stoffgebiete zu erschließen suchten. In Wirklichkeit war es nur die Technik, die eine Umgestaltung erfuhr, denn auch die Dichter der alten Schule, Spielhagen, Heyse, um nur zwei der noch lebenden zu nennen, hatten aus ihrer Zeit geschöpft und versucht, ein Bild derselben zu geben.
Das unbestrittene Verdienst der neuen Schule ist die stärkere Anteilnahme der Litteratur am Leben der Gegenwart, dessen Erscheinungen sie festzuhalten und künstlerisch zu gestalten sucht. Schon beginnt das Interesse für den romanischen Süden dem Zug nach dem germanischen Norden zu weichen und an Stelle der »Internationalität« sucht man wieder die volkstümlichen Grundlagen unserer Kunst auf: die Heimat und ihre Vergangenheit. Diese Errungenschaften der letzten Jahre werden durch die blutlose Nervenpoesie der Symbolisten, Neurotiker, Esoteriker und wie die neuen Kunstjünger alle heißen, kaum gefährdet werden, das bloße Spielen mit Inhalt und Form, das »halbe heimliche Empfinden« wird Menschen mit ganzem gesunden Empfinden schwerlich in seinen Bann ziehen. Denn wenn man auch von dem echten Dichter verlangt, daß er die ganze Empfindungsklaviatur beherrscht, also auch die »schwarzen Tasten«, die »halben Töne« kennt, so darf doch nicht vergessen werden, daß diese immer nur den Wert haben, die Gefühls- und Gedankenwelt des Dichters zu besserem, stärkerem Ausdruck zu bringen. Denn auf diese, nicht auf die Technik kommt es an, so sehr auch die letztere die Absichten des Dichters zu unterstützen vermag. Verheißungsvoll[28] für das Gedeihen unserer Litteratur ist die Rückkehr vom Ausland und seinen Vorbildern zur Heimat, zu Goethe und die Annäherung an die Kunstprinzipien der Vergangenheit: nur in dem Kompromiß des Alten mit dem Neuen kann für die nächste Zukunft das Heil der deutschen Dichtung erblickt werden.
Gustav Freytag, geb. am 13. Juli 1816 zu Kreuzburg, gest. am 30. April 1895, wird als der Dichter des deutschen Bürgertums gefeiert. Selbst durch die besten Werke, die er geschaffen, geht ein leiser philiströser Zug, den er vielleicht seiner Stellung als Privatdocent in Breslau verdankt. Fast allen Büchern Freytags sieht man an, daß ihr Verfasser Kulturhistoriker ist, der sein Material gewissenhaft zusammenträgt, ehe er an die Ausarbeitung eines Werkes geht. Fr., ein ausgesprochenes Erzählertalent, begann seine litterarische Laufbahn als Lyriker und Dramatiker. Sein erstes Stück führte den Titel »Die Brautfahrt«, ihm folgten die Gedichte: »In Breslau«, die Schauspiele »Die Valentine« und »Graf Waldemar«. Im Jahre 1848 übernahm er in Gemeinschaft mit dem Litterarhistoriker Julian Schmidt die Redaktion der »Grenzboten«, die er durch fast 25 Jahre fortführte. Seiner Beschäftigung mit Politik und Presse verdankt das nicht gerade tiefgehende Lustspiel: »Die Journalisten« seine Entstehung, das einen großen und dauernden Erfolg errang, der seinem nächsten, der Gegenwart abgewandten Drama: »Die Fabier« nicht beschieden war. 1855 entstand das Hohelied des deutschen Kaufmannes: der Roman »Soll und Haben«, nach dem Recept geschrieben, das Julian Schmidt aufgestellt hatte: »Der Roman soll[30] das Volk da suchen, wo es in seiner Tüchtigkeit zu finden ist: nämlich bei der Arbeit«. Das nächste Werk: »Die verlorene Handschrift« spielt in Professorenkreisen und gewann ihm die Herzen der akademischen Jugend. Seine kulturhistorischen Forschungen legte F. in den »Bildern aus der deutschen Vergangenheit« nieder. Acht Jahre hat er dann an den »Ahnen«, einer Art historischen Familienromans, geschrieben, von dem jedes Jahr einen neuen Band brachte. 1. »Ingo«, 2. »Ingraban«, 3. »Das Nest der Zaunkönige«, 4. »Die Brüder vom deutschen Hause«, 5. »Marcus König«, 6. »Der Rittmeister von Alt-Rosen«, 7. »Der Freierkorporal bei Markgraf Albrecht«, 8. »Aus einer kleinen Stadt«. Das ganze Werk, dessen Schauplatz nach Thüringen verlegt ist, sollte die Wandlungen des deutschen Volkes darstellen: mit jedem Bande geht es mehr der Gegenwart entgegen, bis die Sammlung, mit dem Jahre 350 beginnend, mit einer Erzählung aus dem 19. Jahrhundert ihren Abschluß erreicht. Eine »Technik des Dramas«, die ihn als feinen Kenner der dramatischen Praxis zeigt, verdient noch Erwähnung, sowie eine Lebensbeschreibung Karl Mathys' und die mit geteilten Empfindungen aufgenommene Schrift: »Der Kronprinz und die deutsche Kaiserkrone«. Sein Leben und Schaffen beschrieb der Dichter selbst in den »Erinnerungen aus meinem Leben.«
Friedrich Spielhagen, geb. 24. Febr. 1829 in Magdeburg, ist der Dichter der Reaktion, jener Zeit, die dem tollen Jahre folgte; seine Romane suchen vor allem die Erscheinungen der Zeit, die socialen Kämpfe, den Sturm und Drang der letzten 50 Jahre festzuhalten und dem Leser verständlich zu machen. Sp. hatte bereits[31] das 30. Jahr überschritten, als sein erster großer Roman »Problematische Naturen« erschien, der seinen litterarischen Ruf begründete. Sein zweiter großer Roman »Die von Hohenstein«, hat als Hintergrund das Jahr 1848, ihm schlossen sich »In Reih und Glied« und »Hammer und Amboß« an. Von weiteren Werken Spielhagens, die fast alle tendenziös gefärbt sind, nennen wir noch: »Hans und Grete«, »Unter Tannen«, »Die Dorfkokette«, »Deutsche Pioniere«, »Allzeit voran«, »Was die Schwalbe sang«, »Ultimo«, »Sturmflut«, »Das Skelett im Hause«, »Platt Land«, »Quisisana«, »Angela«, »Uhlenhaus«, »An der Heilquelle«, »Was will das werden?«, »Noblesse oblige«, »Ein neuer Pharao«, »Sonntagskind«, »Stumme des Himmels«, »Susi«, »Selbstgerecht«, »Zum Zeitvertreib«, »Faustulus«. Auch als dramatischer und lyrischer Dichter hat sich Spielhagen, wenngleich mit geringem äußeren Erfolge versucht. Von seinen Schriften, deren Gesamtausgabe in vorläufig 22 Bänden erscheint, verdienen noch Erwähnung: »Beiträge zur Theorie und Technik des Romans«, »Aus meiner Studienmappe«, sowie der 1899 erschienene Band: »Neue Beiträge zur Theorie und Technik der Epik und Dramatik«, besonders aber seine Autobiographie: »Finder und Erfinder. Erinnerungen aus meinem Leben.« – Spielhagen ist in der Reaktion der 50er und 60er Jahre stecken geblieben: er verstand die neue Zeit nicht mehr und suchte in seine neuen Romane noch die alten Ideale hineinzutragen. Auch das antiquierte Motiv von der Liebe eines mit allen Vorzügen des Geistes und Herzens ausgestatteten Bürgerlichen zu einer Adeligen, das in fast allen Werken wiederkehrt und eine heimliche Vorliebe[32] Sp.'s für den Adel erkennen läßt, vermochte auf die Dauer nicht mehr zu fesseln, und so sehr sich auch Spielhagen, mehr als jeder andere der »Alten« bemühte, in die »Moderne« hineinzuwachsen: er verstand sie nicht, so wenig wie er verstanden wurde.
Berthold Auerbach, geb. am 28. Febr. 1812 zu Nordstetten, gest. am 8. Febr. 1882 zu Cannes in Frankreich, wurde durch seine »Schwarzwälder Dorfgeschichten« berühmt. Wenn A. auch nicht wie Rosegger, Anzengruber u. a. in das Wesen des Volkscharakters eingedrungen ist – es als Jude auch gar nicht konnte, – so hat er doch das Verdienst, einer der ersten gewesen zu sein, die die Dorfgeschichte wieder zu Ehren gebracht haben. Zu seinen besten Novellen, die allerdings auch von Schönfärberei nicht frei sind, zählen: »Barfüßle«, »Joseph im Schnee« und »Edelweiß«. Mit den großangelegten Werken »Auf der Höhe«, »Das Landhaus am Rhein« und »Waldfried« betrat A. das Gebiet des liberalen Tendenzromans.
Luise von François, geb. am 27. Juni 1817 in Herzberg, gest. am 26. Sept. 1893, eine der talentiertesten Romanschriftstellerinnen, erwarb sich ihre litterarische Stellung durch den historischen Roman: »Die letzte Reckenburgerin«, dem sich »Frau Erdmuthens Zwillingssöhne«, »Stufenjahre eines Glücklichen« u. a. anschlossen.
Conrad Ferdinand Meyer, geb. am 12. Oktober 1825 in Zürich, gest. am 28. November 1898, ist der Meister der historischen Novelle, ein Dichter, der zwar nicht Gemeingut[33] des deutschen Volkes werden wird, der aber den Kenner mit seiner fein ciselierten Goldschmiedearbeit immer entzücken wird. M.'s Novellen haben meist das Reformationszeitalter oder die Renaissancezeit als Hintergrund. Seine dichterische Laufbahn begann er mit dem Epos »Huttens letzte Tage«, ihm schlossen sich »Jürg Jenatsch«, »Hochzeit des Mönchs«, »Der Heilige«, »Versuchung des Pescara«, »Angela Borgia« u. a. an.
Gottfried Keller, geb. am 19. Juli 1819 in Glattfelden bei Zürich, gest. am 15. Juli 1890, neben Conr. Ferd. Meyer die bedeutendste schweizerische Dichtererscheinung der letzten Litteraturperiode, trat zuerst mit »Gedichten« und dem autobiographischen Meisterwerk »Der grüne Heinrich« vor die Öffentlichkeit, der erst 20 Jahre nach seinem Erscheinen die verdiente Würdigung fand und oft mit Goethes »Wilhelm Meister« verglichen wurde. Das Reifste und Schönste seiner Kunst bot K. in seinem nächsten Werk, der Novellensammlung: »Die Leute von Seldwyla«, der 1872 die »Sieben Legenden« folgten. Kulturbilder aus Zürichs Vergangenheit enthalten die »Züricher Novellen« und ebenso spielt der Roman »Martin Salander« auf schweizerischem Boden. Lebendige Phantasie, vermischt mit einem Zug ins Hausbackene, Kleinstädtische und ein liebenswürdiger, goldener Humor bilden die Grundzüge seines dichterischen Schaffens. K.'s Domäne ist die Novelle, und wie sehr er diese meisterte, hat kein Geringerer als Paul Heyse anerkannt, als er ihn den Shakespeare der Novelle nannte.
Theodor Storm, geb. am 14. Sept. 1817 in Husum, gest. am 4. Juli 1888, folgte den Spuren Goethescher Lyrik. Ihn zeichnet ein feiner Natursinn und echtes[34] tiefes Empfinden aus, so daß seine Lyrik vorbildlich für die besten dichterischen Talente unter den Modernen geworden ist. Stifter und Eichendorff, vielleicht noch Mörike, mögen sein Schaffen am stärksten beeinflußt haben. Neben der Lyrik (»Gedichte«) ist es besonders die Novelle, der Storm seine Thätigkeit zuwandte und für deren Entwicklung und Ausbau er das Meiste beigetragen hat. Als die besten novellistischen Erzeugnisse gelten Storms »Immensee«, »Von jenseits des Meeres«, »Vor Zeiten«, »Ein stiller Musikant«, »Psyche«, »Am Nachbarhause links«, »Der Schimmelreiter«.
Paul Heyse, geb. am 15. März 1830 in Berlin, wurde als Jüngling von Geibel dem König Maximilian mit den Worten vorgestellt: »Ein junger Goethe, Majestät!« Er ist ein moderner Dichter, wenn es auch eine Zeitlang zum guten Ton gehörte, ihn als abgethan zu betrachten. H. weiß immer etwas zu sagen und hat moderne Probleme lange vor der »neuen Schule« behandelt, von der ihn nur technische Fragen scheiden. Ein guter Schilderer menschlichen Innenlebens, wenns nicht zu tief nach »innen« geht, bekundet er in seinen Novellen und Romanen, von denen viele auf italienischem Boden spielen, eine Vorliebe für die Verirrungen des Weibes, namentlich der Frau von 40 Jahren. Eine vornehme, edle Sprache zeichnet alle seine Werke aus, er ist der Dichter der Schönheit und der Leidenschaft, wenn auch der Künstler mehr als der Mensch an ihnen Anteil hat. Von seinen Novellen und Romanen, die fast durchwegs moderne Menschen zu Helden haben, die sich über Gesetz und Sitte erheben, um der Stimme ihres Herzens zu folgen, seien hier nur angeführt: »Novellen« von 1855,[35] 1858, 1859, 1862, »Meeraner Novellen«, »Troubadour-Novellen«, »Kinder der Welt«, »Im Paradiese«, »Roman der Stiftsdame«, »Merlin«, »Über allen Gipfeln«. Auch seine dramatische (»Ludwig der Bayer«, »Graf Königsmark«, »Elfriede«, »Alcibiades«, besonders aber »Hans Lange«) und lyrische Produktion (»Gedichte«, »Neue Gedichte und Jugendlieder«) verdient Erwähnung.
Emanuel Geibel, geb. am 17. Oktober 1815 in Lübeck, gest. am 6. April 1884, war ein dichterisches Talent von großer Formgewandtheit, jedoch ohne besondere individuelle Prägung, wofür als Beweis gelten mag, daß seine »Gedichte« und »Neue Gedichte« mehr als hundert Auflagen erlebten. Den beiden ersten Gedichtbänden, deren Grundpfeiler deutsche Zucht und Art bilden, schlossen sich: »Gedichte und Gedenkblätter«, »Heroldsrufe«, »Klassisches Liederbuch«, »Romancero der Spanier und Portugiesen« (m. d. Grafen Schack) und »Spätherbstblätter« an, unterbrochen von der dramatischen Produktion G.'s (»Brunhild«, »Sophonisbe«). Die Kriegslyrik von 1870/71 hat ihm einige hübsche Gedichte zu verdanken. War G. auch keine eigenartige dichterische Persönlichkeit, so hat er doch eine Menge Nachahmer und Nachbeter gefunden.
Friedrich von Bodenstedt, geb. am 22. April 1819 in Peine (Hannover), gest. am 2. April 1892, wurde durch den Erfolg der »Lieder des Mirza Schaffy«, die man lange für Übersetzungen aus dem Orientalischen hielt, während es in Wirklichkeit eigene Fabrikate der B.'schen Muse sind, berühmt. Erfolgreich waren auch die Lieder[36] »Aus dem Nachlaß des Mirza Schaffy«, während die anderen Dichtungen B.'s nur wenig von sich reden machten. Außer einer Reihe wissenschaftlicher Werke von zweifelhaftem Werte und meist recht gewandter Übersetzungen veröffentlichte B., den seine Zeitgenossen stark überschätzten: »Erinnerungen aus meinem Leben«.
Adolf Friedrich Graf von Schack, geb. am 2. Aug. 1815 zu Brüsewitz bei Schwerin als Sprosse eines alten Freiherrngeschlechtes, gest. am 14. April 1894, studierte Rechtswissenschaft und wandte sich dann der diplomatischen Carrière zu. Schack hat sich nicht nur als Dichter – er war ein hervorragend formalistisches Talent, ohne starke Individualität – sondern vor allem als Übersetzer und Litterarhistoriker einen Namen gemacht. Seine »Geschichte der dramatischen Litteratur und Kunst in Spanien« gilt noch heute als das bedeutendste Werk über diesen Gegenstand. Als Lyriker wurde er von Platen, als Epiker von Byron beeinflußt. Seine Romane in Versen: »Durch alle Wetter«, »Ebenbürtig« u. a. enthalten zahlreiche Schönheiten, ohne doch einen vollen künstlerischen Eindruck zu hinterlassen. Zu seinen interessantesten Werken zählt die Selbstbiographie: »Ein halbes Jahrhundert«. Auch auf dramatischem Gebiete hat sich der Dichter versucht, ohne jedoch auf der Bühne festen Fuß fassen zu können.
Robert Hamerling, geb. am 24. März 1830 zu Kirchberg am Walde in Niederösterreich, gest. am 13. Juli 1889, hat eine verschiedenartige Beurteilung nicht nur als Mensch, was hier wenig interessiert, sondern auch als Dichter erfahren. Während die einen in ihm nur den in Farbenrausch schwelgenden Erotiker sehen, ziehen die[37] anderen die genialsten Dichter der Weltlitteratur zum Vergleiche mit ihm heran. Sicher ist, daß die beiden großangelegten Epen: »Ahasver in Rom« und »Der König von Sion« farbenprächtige Schilderungen aufweisen, die ein ungewöhnliches Talent bekunden. Eine treffliche Leistung ist auch das satirische Epos »Homunculus«. Weniger Erfolg als seine Epen war seinen lyrischen Gedichtsammlungen: »Sinnen und Minnen« und »Blätter im Winde«, wie auch der fünfaktigen Tragödie »Danton und Robespierre« beschieden. Sein Leben beschrieb H. in den »Stationen meiner Lebenspilgerschaft«.
Albert Möser, geb. am 7. Mai 1835 in Göttingen, gest. am 27. Febr. 1900, ist als Dichter von Platen und Hamerling (vergl. M., Meine Beziehungen zu Robert Hamerling etc.) beeinflußt. (»Gedichte«, »Nacht und Sterne«, »Idyllen«, »Aus der Mansarde« etc.). Als Übersetzer der Dichtungen Pol de Monts war er ein Vermittler zwischen niederdeutschem und hochdeutschem Wesen.
Heinrich Vierordt, geb. am 1. Okt. 1855 in Karlsruhe, machte als Balladendichter, der vielfach den Volkston glücklich getroffen hat, von sich reden. Er schrieb »Gedichte«, »Lieder und Balladen«, »Neue Balladen«, »Akanthusblätter« (Dichtungen aus Italien und Griechenland) und »Vaterlandsgesänge«, die sich durch farbenprächtige Schilderungen und poetischen Schwung auszeichnen.
Julius Grosse, geb. am 25. April 1828 in Erfurt, ist einer der fruchtbarsten deutschen Dichter, der sich[38] auf dem Gebiete der Lyrik, des Romans und des Dramas gleich sicher zu bewegen verstand. Besondere Erwähnung von seinen Werken, die sich durch feine Entwicklung der Seelenzustände und Charaktere auszeichnen, verdienen die Dramen: »Der letzte Grieche«, »Gudrun«, »Judith«, »Tiberius«, von den epischen Dichtungen: »Das Mädchen von Capri« und »Gundel vom Königssee«. Originelle Schöpfungen sind auch sein Roman: »Der getreue Eckart« und seine Lebenserinnerungen »Ursachen und Wirkungen«.
Martin Greif (eigentlich Hermann Frey), geb. am 18. Juni 1839 in Speyer, ist der Meister des einfachen Volksliedes, dessen Ton er wie wenige trifft. Seinen Ruhm begründeten die bereits wiederholt aufgelegten »Gedichte«. Seine Dramen (»Heinrich der Löwe«, »Ludwig der Bayer«, »Francesca von Rimini«) werden das Schicksal der Uhlandschen Dramen teilen.
Johann Georg Fischer, geb. am 25. Okt. 1816 zu Großsüßen, gest. am 6. Mai 1897, gehört der schwäbischen Dichterschule an, deren Merkmale er trägt, und ist in seinem dichterischen Schaffen eine Goethe verwandte Natur. Mit 38 Jahren veröffentlichte er seine ersten »Gedichte«, denen noch drei weitere Sammlungen, zuletzt – 1896 – »Mit 80 Jahren« folgten. Wie alle Schwaben hat auch er an dem politischen Leben seiner Zeit teilgenommen, wenn auch nicht in dem Maße wie Uhland. Seine Dramen »Saul«, »Friedrich II.«, »Florian Geyer« und »Kaiser Maximilian von Mexiko« werden geschätzt, ohne jedoch bühnenfähig zu sein.
Friedrich Wilhelm Weber, geb. am 26. Dez. 1813 in dem Orte Alhausen bei Driburg in Westfalen, gest.[39] am 5. April 1894, studierte Medizin und trat im Herbst 1878 mit dem lyrisch-epischen Gedicht: »Dreizehnlinden« vor die Öffentlichkeit, das ihn mit einem Schlage zum gefeiertsten katholischen Dichter machte. Außer »Dreizehnlinden«, von dem mehr als 70 Auflagen erschienen, sind noch seine Dichtung »Goliath«, sowie die Sammlungen »Gedichte«, »Marienblumen« und »Herbstblätter« zu nennen.
Friedrich Theodor Vischer, geb. am 30. Juni 1807 in Ludwigsburg, gest. am 14. Sept. 1887, bethätigte sich auf lyrischem Gebiet durch seine 1882 erschienene Sammlung »Lyrische Gänge« und auf epischem durch den eigenartigen humoristischen Roman »Auch Einer«. Viel Aufsehen erregte die Parodie auf den 2. Teil des Faust, die er unter dem Titel: »Faust. Der Tragödie dritter Teil. Von Deutobold Symbolizetti Allegoriowitsch Mystifizinsky« herausgab.
Wilhelm Jordan, geb. am 8. Febr. 1819 zu Insterburg, wurde bekannt durch sein Doppelepos »Die Nibelunge«, für die er selbst als wandernder Rhapsode eine Propaganda machte, die ihm zu einem starken buchhändlerischen Erfolge verhalf. J. übersetzte ferner die Edda, Sophokles, Homer, Ilias und Odyssee und gab eine große Anzahl eigener Dichtungen, Romane (»Die Sebalds«, »Zwei Wiegen«) und Theaterstücke heraus, von denen die Lustspiele »Durchs Ohr«, »Tausch enttäuscht« und »Sein Zwillingsbruder« sich als die erfolgreichsten erwiesen. Seine Lebensauffassung spiegelt sich am besten in dem dramatischen Werk »Demiurgos« wider.
Hermann Lingg, geb. am 22. Januar 1820 in Lindau, faßte durch Geibels Freundschaft festen Fuß in der Münchener Dichterschule. Sein Hauptwerk ist das[40] großangelegte farbenprächtige Epos »Die Völkerwanderung«. Außerdem besitzen wir von ihm eine Reihe Dramen und Gedichte. Sein Leben und Schaffen beschrieb L. in dem 1. Bande der »Zeitgenössischen Selbstbiographien« (»Meine Lebensreise«).
Stephan Milow (Pseudon. für Stephan von Millenkovics), geb. am 9. März 1836 in Orsova, verdankt seine litterarische Stellung besonders seinen lyrischen Gedichten (»Gesammelte Gedichte«). Bemerkenswert sind noch die Novellenbände »Wie Herzen lieben« und »Höhen und Tiefen«.
Ludwig Eichrodt, geb. am 2. Febr. 1827 in Durlach in Baden, gest. 1892, ein Jugendgenosse Scheffels, dichtete eine Anzahl humoristischer Lieder, die besonders in studentischen Kreisen Anklang fanden (»Gesammelte Dichtungen«).
Hermann Allmers, geb. am 11. Februar 1821 zu Rechtenfleth, gab das »Marschenbuch« heraus, das im Stile der Riehlschen kulturhistorischen Novellen Bilder aus dem Leben der friesischen Marschenbauern enthält. »Dichtungen« und »Römische Schlendertage« schlossen sich an.
Robert Waldmüller (Pseudon. für Ed. Duboc), geb. am 17. Sept. 1822 in Hamburg, versuchte sich auf fast allen dichterischen Gebieten und hat sich auch als Übersetzer bekannt gemacht. Von seinen Romanen sind »Somosierra« und »Don Adone«, von seinen Gedichtsammlungen »Klänge aus der Fremde« und »Liebesstürme« die bekanntesten.
Rudolf Bunge, geb. am 27. März 1836 in Koethen, als Improvisator und liebenswürdiger Gesellschafter in allen litterarischen Kreisen geschätzt, errang seine größten[41] Kassenerfolge mit dem Libretto zum »Trompeter von Säckingen«. Dichterisch höher steht die 5-aktige Tragödie »Der Herzog von Kurland«, das den Verlust von Straßburg und dem Elsaß behandelt. In seiner Gedichtsammlung »Heimat und Fremde« singt er von Lenz und Liebe, von deutschen Frauen, deutscher Treue, deutschem Wein und dem angestammten Herrscherhaus, das seine vielseitige litterarische Thätigkeit durch Verleihung von Titeln und Orden anerkannte.
Adolf Brieger, geb. am 12. Okt. 1832 in Greifswald, ein in den »weitesten Kreisen« unbekannter Dichter, veröffentlichte erst 1870 in Hexametern das kleine antikisierende Epos »Krösus und Adrastus«, 1885 aber, in die unmittelbare Vergangenheit greifend »König Humbert in Neapel«. Modern ist auch: »Stirb und werde«. Seine »Ausgewählten Gedichte« (1895) geben innerlich Erlebtes, meist an das Naturbild als Symbol (im Goethe'schen Sinne) anknüpfend. Zuletzt erschien: »Verirrt und heimgefunden«, zwei aus dem Leben der Gegenwart genommene Versnovellen.
Heinrich Bulthaupt, geb. am 26. Okt. 1849 in Bremen, zeigt sich in der Lyrik dem Schweizer Conrad Ferd. Meyer verwandt (»Durch Frost und Gluten«), versuchte sich auch wiederholt im Drama (»Der verlorene Sohn«, »Viktoria« u. a.), ohne jedoch große Bühnenerfolge zu erzielen. Dagegen erlebte seine »Dramaturgie der Klassiker« wiederholt neue Auflagen und gilt für das beste neuzeitliche Werk auf diesem Gebiete.
Julius Rodenberg (Pseudon. für Levy aus Rodenberg) geb. am 26. Juni 1831 in Rodenberg (Kurhessen), der Begründer und Leiter der »Deutschen Rundschau«, schrieb Gedichte, Romane und Reisebeschreibungen (»Berliner[42] Bilder«), die ihn als liebenswürdigen Poeten zeigen, der sich gern in die Erinnerung an die so ungleich bessere und vollkommenere Vergangenheit versenkt. (Vergl. auch R.'s »Erinnerungen aus der Jugendzeit«.)
Karl Weitbrecht, geb. am 8. Dez. 1847 in Neuhengstett, ist nach Form und Inhalt einer der bedeutendsten schwäbischen Epiker. Von seinen Büchern seien hier genannt: »Liederbuch«, »Sonnenwende«, die Novellensammlung »Verirrte Leute«, und der satirische Roman: »Phaläna. Die Leiden eines Buches«. Ein besonderes Verdienst hat sich W. in Gemeinschaft mit seinem Bruder Richard um die Pflege der Dialektdichtung erworben. (»Gschichta-n aus'm Schwôbaland« [1877] und: »Nohmôl Schwôbagschichta« [1882]).
Eduard Paulus, geb. am 18. Okt. 1837 in Stuttgart, besitzt unter den schwäbischen Dichtern der Gegenwart das stärkste lyrische Talent. Ein liebenswürdiger Humor, der auch oft satirisch gefärbt ist, zeichnet seine in der Form tadellosen Gedichte (»Gesammelte Dichtungen«) aus. 1897 ließ er »Arabesken« und im Vorjahre ein Epos in 12 Gesängen »Tillmann Riemschneider. Ein Künstlerleben« folgen, das wiederum Zeugnis von der starken lyrischen Begabung P.'s ablegt. Neben einem kecken, übermütigen Humor macht sich, namentlich in seinen letzten Schöpfungen, eine wehmütige Grundstimmung bemerkbar.
Isolde Kurz, geb. am 21. Dez. 1853 in Stuttgart, ein C. F. Meyer verwandtes Talent, hat nur wenige Bände (»Gedichte«, »Phantasien« und »Märchen«, »Florentiner Novellen«, »Italienische Erzählungen«) publiziert, aber[43] das Wenige trägt den Stempel durchgebildeter Meisterschaft und ungewöhnlicher Fabulierkunst.
Otto Roquette, geb. am 19. April 1824 in Krotoschin, gest. am 18. März 1896, gab eine Reihe von Dramen, Märchen und Romanen heraus, unter denen »Waldmeisters Brautfahrt« den größten Erfolg davontrug. Seine »Gedichte« erlebten mehrere Auflagen; als sein bester Roman gilt: »Buchstabierbuch der Leidenschaft«. Die nach seinem Tode herausgegebene Erzählung: »Die Reise ins Blaue«, mit verwässerter Eichendorffscher Romantik, ist nur geeignet, dem Ansehen des Dichters, der jetzt schon zu den halb Vergessenen gehört, zu schaden.
Oskar von Redwitz, geb. am 28. Juni 1823 in Lichtenau bei Ansbach, gest. am 6. Juli 1891, erregte zuerst durch sein lyrisches Epos: »Amaranth«, Aufsehen. Von seinen Dramen fanden »Philippine Welser«, »Der Zunftmeister von Nürnberg« und »Doge von Venedig« eine ebenso unverdient freundliche Aufnahme, wie sein Roman »Hermann Stark« und das patriotische »Lied vom neuen Deutschen Reich«.
Heinrich Steinhausen, geb. am 27. Juli 1836 in Sorau, trug seinen größten Erfolg mit »Irmela«, einer stimmungsvollen Geschichte aus alter Zeit davon. Seinen Werken, von denen wir noch den »Korrektor«, »Herr Moffs kauft sein Buch« und »Heinrich Zwiesels Ängste« anführen, fehlt es, trotz des vorwiegend religiösen Grundtons, nicht an heiteren Episoden.
Wilhelm Hertz, geb. am 24. Sept. 1835 in Stuttgart, ein Schüler Uhlands, machte sich durch seine sprachwissenschaftlichen[44] Werke und seine »Gedichte«, in denen er sich jedoch nur als reines Formtalent erwies, einen Namen. Seine bekanntesten Epen sind »Hugdietrichs Brautfahrt«, »Tristan und Isolde« und »Bruder Rausch«.
Klaus Groth, geb. am 24. April 1819 in Heide in Holstein, gest. 1899, stand im Mittelpunkt der plattdeutschen Bewegung. Er brachte diese bisher nur von Improvisatoren zu Possenreißereien benutzte Sprache wieder durch die Herausgabe seines »Quickborn« zu Ehren. Und wenn auch Reuter, der Humorist, mit seinen realistischen Darstellungen des Lebens mehr Erfolg errang als der Lyriker Groth, so gebührt diesem doch ein nicht minder großes Verdienst um die Erhaltung des Plattdeutschen. Sein Hauptwerk, der »Quickborn«, dessen Hintergrund die Plätze und Gassen eines vor einem Jahrzehnt noch kleinen und abgelegenen Fleckchen der Norderdithmarschen-Heide bilden, enthält Familienbilder, Lieder, Balladencyklen, Humoristisches etc.
Ludwig Anzengruber, geb. am 29. Nov. 1839 in Wien, gest. 1899, war ursprünglich Schauspieler, später mangels anderer Beschäftigung Beamter. A.'s Dramen, die stellenweise tendenziös gefärbt sind, behandeln religiöse und sociale Themata und spielen fast ausschließlich in Bauernkreisen. Sein erstes Stück: »Der Pfarrer von Kirchfeld« errang einen vollen Erfolg, der auch seinen späteren Dramen: »Der Meineidbauer«, »Die Kreuzelschreiber«, »Der Gewissenswurm«, »Der ledige Hof«, »Das vierte Gebot« treu blieb. Von den genannten Stücken haben[45] »Der Gewissenswurm« und »Das vierte Gebot« die meiste Anerkennung gefunden. Von den Erzählungen A.'s steht der großangelegte Roman »Der Schandfleck« an erster Stelle.
Theodor Herrmann Pantenius, geb. am 22. Okt. 1843 in Mitau, Redakteur des »Daheim«, gehört zu den weniger bekannten Romanciers. Von seinen Romanen, deren Stoff meist seiner kurländischen Heimat entnommen ist, gelten als beste »Wilhelm Wolfschildt« und »Allein und frei«; sein in Livland spielender Roman »Die von Kelles« zählt zu den besten Schöpfungen der deutschen Litteratur.
Peter Rosegger, geb. am 31. Juli 1843 in Krieglach in Steiermark, erlernte zuerst das Schneiderhandwerk und wurde von dem Herausgeber der »Grazer Tagespost«, Albert Swoboda, für die Litteratur entdeckt. R. ist ein Autor von großer Gestaltungskraft und Phantasie, der sich seine Heimat, die steirischen Alpen, zur Domäne erkoren hat. Obwohl er der Tendenz nach Idealist ist, sind seine Schilderungen des Bauernlebens doch durchaus realistisch. Aus der Zahl seiner Werke – Rosegger ist einer der produktivsten Schriftsteller, der gewissenhaft jedes Jahr seine 2, 3 Bände liefert –, heben wir hervor: »Die Schriften des Waldschulmeisters«, »Heidepeters Gabriel«, »Dorfsünden«, »Der Gottsucher«, »Neue Waldgeschichten«, »Höhenfeuer«, »Jakob der Letzte«, »Martin der Mann«, »Der Waldvogel«, »Das ewige Licht«, »Erdsegen«.
Karl Stieler, geb. am 15. Dez. 1842 in München, gest. 1885, der Dichter frischer, fröhlicher »Hochlandslieder«, machte den Krieg 70/71 mit und schrieb »Durch Krieg[46] zum Frieden 1870/1«. Von seinen oberbayrischen Gedichtsammlungen, die auch in Norddeutschland weite Verbreitung fanden, nennen wir: »Bergbleameln«, »Habts a Schneid!?«, »Hochlandslieder«, »Neue Hochlandslieder«, »Um Sunnawend«, »Weil's mi freut!«
Hermann von Schmid, geb. am 13. März 1815 in Weizenkirchen (Österreich), gest. 1880, wurde durch seine bayrischen Dorfgeschichten bekannt. Von seinen historischen Werken hat der vierbändige Roman »Der Kanzler von Tirol« die meiste Beachtung gefunden.
Maximilian Schmidt, geb. am 25. Febr. 1832 in Eschlkam, wählte als Hintergrund seiner Erzählungen den Bayrischen und Böhmer Wald. Seine Werke zeichnen sich durch volkstümliche Darstellung, hübsche Naturschilderungen und treffende Charakteristik aus. (»Gesammelte Werke« 1884 u. ff.)
Ludwig Ganghofer, geb. am 7. Juli 1855 in Kaufbeuren, verlegt den Schauplatz seiner Romane und Schauspiele meist in das bayerische Hochgebirge. Von seinen konventionell-volkstümlichen dramatischen Arbeiten fanden besonders »Der Herrgottsschnitzer von Oberammergau« und »Der Prozeßhansl« Anerkennung, obwohl seine »Jagerleut« die Verwandtschaft mit dem »Salontiroler« nicht verleugnen können. Zu seinen besten Romanen und Novellen, in denen die Natur meist symbolisch verwertet wird, zählen »Hochlandsgeschichten«, »Der Klosterjäger«, »Die Martinsklause«, »Der laufende Berg«.
Arthur Achleitner, geb. am 16. Aug. 1858 in Straubing, machte sich durch seine Schilderungen aus dem Wild- und Waidmannsleben der Hochgebirge bekannt. (»Geschichten aus den Bergen«, »Grüne Brüche«,[47] »Grenzerleut'«, »Der Stier von Salzburg«, »Der Hirsch von Eßlingen« u. a.)
Johann Meyer, geb. am 5. Jan. 1829 in Wilster in Holstein, veröffentliche plattdeutsche Erzählungen und Schwänke, »Dithmarscher Gedichte« und hochdeutsche »Lyrische Gedichte«, die ein eigenartiges poetisches Talent bekunden.
Joh. Heinrich Fehrs, geb. am 10. April 1838 in Mühlenbarbeck, begann mit Epen (»Krieg und Hütte«, »Eigene Wege«) und schloß daran plattdeutsche Erzählungen und Gedichte. (»Lütt Hinerk«, »Allerhand Slag Lüd«.)
Timm Kröger, geb. am 29. Nov. 1844 in Haale (Holstein), debütierte mit dem Novellenband: »Eine stille Welt«, der Bilder und Geschichten aus Moor und Heide enthält, die sich durch feinsinnige Naturbetrachtungen auszeichnen. Ein kleines Meisterwerk ist sein psychologischer Roman »Der Schulmeister von Handewitt«, der in 2. Auflage unter dem Titel: »Schuld?« erschien.
Heinrich Hansjakob, geb. am 19. Aug. 1837 in Haslach in Baden, ist ein Meister der Dorfgeschichte, der zwar in seinen Schriften den katholischen Priester nicht verleugnet, dies aber durch einen urwüchsigen Humor und echtes Empfinden vergessen läßt. (»Aus meiner Jugendzeit«, »Aus meiner Studienzeit«, »Wilde Kirschen«, »Schneeballen«.)
Hermine Villinger, geb. am 6. Febr. 1849 in Karlsruhe, legte den Schwerpunkt ihres litterarischen Schaffens auf die Dorfgeschichte. »Aus dem Kleinleben«, »Unter Bauern«, »Kleine Lebensbilder«, »Aus dem Badener Land« u. a. enthalten reizende, humorvolle Genrebilder aus dem badischen »Ländle«.
Clara Viebig (Mädchenname von Clara Cohn), geb. in Trier, entnimmt den Stoff ihrer oft graß naturalistischen Werke mit Vorliebe dem Gebiete der Eifel. Sie debütierte 1897 mit der Novellensammlung »Kinder der Eifel«, denen weitere Novellen (»Vor Tau und Tag«), die Romane »Dilettanten des Lebens«, »Es lebe die Kunst!« und »Das Weiberdorf« folgten, die jedoch künstlerisch nicht auf der Höhe ihrer ersten Publikation stehen. Eine ihrer Eifelgeschichten lieferte den Stoff zu ihrem Drama »Barbara Holzer«. Ihr neuestes Bühnenwerk »Pharisäer« spielt im Posenschen.
Adolf Bartels, geb. am 15. Nov. 1862 in Wesselburen, erwarb sich als Litterarhistoriker der Kunstwart-Schule einen Namen. Seine historischen Romane »Die Dithmarscher« und »Dietrich Sebrandt« sind vom streng geschichtlichen Standpunkt aus geschrieben.
Charlotte Niese, geb. am 7. Juni 1854 in Burg auf Fehmarn, gewann durch ihre schleswig-holsteinischen Geschichten (»Aus dänischer Zeit«, »Geschichten aus Holstein«, »Auf der Heide«) die Gunst des Lesepublikums, so daß man über ihre Schwäche, die Socialdemokratie in Romanen zu bekämpfen, hinwegsieht.
Ilse Frapan (Pseudon. für Ilse Levien), geb. am 3. Febr. 1852 in Hamburg, ist ein starkes dichterisches Talent, dem auch der Humor nicht fremd ist. Sie gab heraus: »Bescheidene Liebesgeschichten«, »Zwischen Elbe und Alster«, »Enge Welt«, »Zu Wasser und zu Lande«, »Querköpfe«, »Flügel auf«, »In der Stille«, sowie einen Band »Vischer-Erinnerungen«.
August Sperl, geb. am 5. Aug. 1862 in Fürth, machte sich durch »Die Fahrt nach der alten Urkunde«,[49] sowie durch den historischen Roman: »Die Söhne des Herrn Budiwoj«, der König Ottokars Glück und Ende und das Erstehen des habsburgischen Königshauses behandelt, bekannt. In dem Epos »Fridtjof Nansen« schilderte er mit Glück die Nordlandsfahrt des modernen Fridtjof.
Heinrich Sohnrey, geb. am 19. Juni 1859 in Jühnde bei Göttingen, Herausgeber von »Das Land«, zeigt eine gewisse Verwandtschaft mit dem früh verstorbenen Heinrich Schaumberger, und gilt als einer der besten Vertreter der Dorfgeschichte. (»Die Leute aus der Lindenhütte«, »Der Bruderhof.«)
Wilhelm Heinrich Riehl, geb. am 6. Mai 1823 zu Biebrich a. Rh., gest. 1897, war Professor der Kulturgeschichte in München und einer der geistvollsten kulturhistorischen Schriftsteller, in dessen Werken der Belletrist ebenso zu Worte kommt wie der Wissenschaftler. Von seinen Schriften, die eine Fülle von Anregung und Belehrung bieten, verdienen die »Kulturhistorischen Novellen«, »Geschichten aus alter Zeit«, »Kulturstudien aus drei Jahrhunderten«, sowie der Roman »Ein ganzer Mann« besondere Erwähnung.
Karl Emil Franzos, geb. am 25. Okt. 1848 in Czortkow in Podolien, Herausgeber der »Deutschen Dichtung«, entdeckte »Halbasien« (den Südosten von Europa) für die Litteratur und verlegte dorthin den Schauplatz seiner ersten Kulturromane (»Aus Halbasien«, »Die Juden von Barnow«, »Junge Liebe«, »Stille Geschichten«, »Moschko von Parma«, »Ein Kampf ums[50] Recht«, »Der Präsident«). Seine späteren Romane und Novellen begegneten nicht mehr dem gleichen Interesse.
Leopold Kompert, geb. am 15. Mai 1822 zu Münchengrätz, gest. 1886, gilt neben Karl Emil Franzos als der kenntnisreichste Schilderer des jüdischen Volkslebens. (»Aus dem Ghetto«, »Geschichten einer Gasse« u. a.)
Leopold von Sacher-Masoch, geb. am 27. Januar 1837 in Lemberg, gest. 1895, als Litterat ein Pendant zum Marquis de Sade, besaß von Natur aus eine bedeutende Begabung, die jedoch in der Sucht nach der Darstellung erotisch-perverser Probleme in die Brüche ging. So besitzen seine Romane nicht viel mehr als pathologisches Interesse (Masochismus).
Georg Ebers, geb. am 1. März 1837 in Berlin, gest. am 7. August 1898, berühmter Ägyptologe, war einer der beliebtesten Autoren der letzten Jahrzehnte. Seine Romane entrollen meist Kulturbilder aus dem Pharaonenlande oder aus dem deutschen Mittelalter. Ebers war der Hauptvertreter des geschichtlichen Romans, wenngleich ihm der Vorwurf nicht erspart geblieben ist, daß die meisten seiner Gestalten nichts als moderne Wesen in historischer Drapierung sind. Eröffnet wurde die dichterische Thätigkeit E.'s mit dem Roman: »Eine ägyptische Königstochter«. Fast jeder Epoche der ägyptischen Geschichte ist er in einem Romane gerecht geworden. (»Uarda«, »Homo sum«, »Der Kaiser«, »Die Nilbraut« u. a.) Unterbrochen wurde der Cyklus der ägyptischen Romane durch »Die Frau Bürgermeisterin« und »Ein Wort«. Seit 1889 wandte sich E. fast ausschließlich[51] der Schilderung deutschen Lebens der Vorzeit zu: »Die Gred«, »Im Schmiedefeuer«, »Im blauen Hecht«, »Barbara Blomberg«. E. war trotz aller Anfeindung eine Dichternatur, die oftmals durch das Professorentum erstickt wurde, aber in einzelnen Zügen in jedem seiner Werke zutage tritt.
Felix Dahn, geb. am 9. Febr. 1834 in Hamburg, Professor und Dichter zugleich, wenn auch das erstere mehr als das letztere, schrieb eine Reihe Romane aus der Zeit der Völkerwanderung und der altnordischen Heiden- und Heldenzeit, unter denen »Ein Kampf um Rom« der erfolgreichste, »Julian der Abtrünnige« der beste ist. Von seinen Dramen verdienen »König Roderich« und »Rüdeger von Bechlaren« genannt zu werden. Durch umfangreiche Produktion von Gelegenheitsgedichten (nicht solcher im Goethe'schen Sinne) hat D. viel dazu beigetragen seinen Ruf als Dichter zu schädigen.
Ernst Eckstein, geb. am 6. Febr. 1845 in Gießen, kommt hauptsächlich als Unterhaltungsschriftsteller in Betracht, obgleich er später auch den Versuch gemacht hat, sich den realistischen Schriftstellern zuzugesellen. (»Prusias«, »Die Claudier«, »Nero«, »Dombrowsky«, »Familie Hartwig« u. a.) Einen großen buchhändlerischen Erfolg erzielte seine kleine Gymnasialhumoreske: »Der Besuch im Carcer«.
George Taylor (Pseudon. für Adolf Hausrath), geb. am 13. Jan. 1837, Professor an der Universität Heidelberg, geht in den Fußtapfen Georg Ebers', wenn auch seine archäologischen Romane (»Antionus«, »Klitia«, »Jetta«, »Pater Maternus«, »Unter dem Katalpenbaum«)[52] mehr dichterische Fähigkeiten aufweisen als die seines Vorbildes.
Oskar Linke, geb. am 15. Juli 1854 in Berlin, berührt sich mit den Dichter-Archäologen. Äußerst vielseitig und dabei ein Meister der Form, läßt er seine erzählenden Dichtungen oft im klassischen Altertum, das er ausgezeichnet kennt und durchdringt, spielen. Seine Weltanschauung ist eine freie. (»Blumen des Lebens«, »Jesus Christus«, »Mylesische Märchen«, »Chrysothemis erzählt« u. a.)
Rudolf von Gottschall, geb. am 30. Sept. 1823 in Breslau, ein Jungdeutscher und Freiheitsänger der vormärzlichen Zeit, ist einer der vielseitigsten und fruchtbarsten Dichter, der sich auf allen Gebieten der Dichtkunst und Schriftstellerei umgesehen hat und seit einem Menschenalter den Mittelpunkt des schöngeistigen Lebens in Leipzig bildet. Als Bühnenschriftsteller ist G. wiederholt hervorgetreten: »Mazeppa«, »Katharina Howard«, »Pitt und Fox«, »Der Spion von Rheinsberg«, »Rahab« u. a. Von seinen Romanen, in denen er die Bahnen Gutzkows wandelt, ist »Im Banne des schwarzen Adlers« der erfolgreichste gewesen. Vielfache Anerkennung fanden auch seine litterarhistorischen Arbeiten (»Deutsche Nationallitteratur in der ersten Hälfte des 19. Jahrh.«, »Poetik« etc.), in denen die »Moderne« allerdings nicht immer glimpflich wegkommt, obwohl G. immer bestrebt war, mit dem Zeitgeist rege Fühlung zu behalten. Sein Leben bis zur Verheiratung schildert die Autobiographie »Aus meiner Jugend«.
Hans Herrig, geb. am 10. Dez. 1845 in Braunschweig, gest. 1892, schrieb »Mären und Geschichten« und wurde besonders durch sein »Lutherfestspiel« bekannt, dem eine Reihe dramatischer Arbeiten(»Kaiser Friedrich der Rotbart«, »Konradin« u. a.) vorausgegangen war.
Arthur Fitger, geb. am 4. Okt. 1840 in Delmenhorst, erwählte die Malerei als Hauptberuf und errang seine dichterischen Lorbeeren mit dem Trauerspiel: »Die Hexe«, dem er andere dramatische Gaben folgen ließ. Als Lyriker machte sich F. durch die Sammlungen »Fahrendes Volk« und »Winternächte« bekannt.
Heinrich Kruse, geb. am 15. Dez. 1815 in Stralsund, schrieb im Stile der alten Kunstüberlieferung eine Reihe von Dramen, unter denen »Die Gräfin«, »König Erich«, »Brutus«, »Nero« zu nennen sind. K. ist ferner Verfasser von »Seegeschichten« und »Gedichten«.
Albert Lindner, geb. am 24. April 1831 in Sulza, gest. 1888, wurde mehr durch sein tragisches Geschick (er starb im Wahnsinn) als durch seine Dramen bekannt, von denen nach seinem Tode »Die Bluthochzeit« wiederholt aufgeführt wurde. Seine Prosaerzählungen, von denen mehrere das Frauenleben in ernsten und heiteren Episoden behandeln, blieben fast unbeachtet.
Oskar Blumenthal, geb. am 13. März 1852 in Berlin, schrieb Schwänke ohne künstlerischen Wert, teils allein, teils in Kompagnie, die nur für das Publikum, nicht für die Litteraturgeschichte in Betracht kommen.
Hugo Lubliner (Pseudon. Hugo Bürger), geb. am 22. April 1846 in Breslau, ist einer der Mitbegründer[54] des deutschen Konversationslustspiels aus den siebziger Jahren, ein treuer Helfershelfer der Lindau, Blumenthal, Kadelburg, in dem Bestreben, dem deutschen Lustspiel mit französischem Esprit und französischer Technik aufzuhelfen.
Gustav von Moser, geb. am 11. Mai 1825 in Spandau, schrieb Lustspiele, teils selbständig, teils in Verbindung mit anderen. Zu seinen erfolgreichsten Stücken, die noch jetzt sich auf dem Theater erhalten haben, gehören: »Das Stiftungsfest«, »Der Veilchenfresser«, »Ultimo«, »Krieg im Frieden«, »Reif-Reiflingen«.
Adolf L'Arronge, geb. am 8. März 1838 in Hamburg, ist ein litterarischer Sprosse der Birchpfeiffer und Kotzebues und dadurch einer der erfolgreichsten Lustspielschreiber der Gegenwart. (»Mein Leopold«, »Hasemanns Töchter«, »Dr. Klaus«, »Lolos Vater« u. a.).
Hans Hopfen, geb. am 3. Jan. 1835 in München, einer der besten Vertreter des humoristischen Romans, zeichnet sich durch eine gesunde Sinnlichkeit aus, die namentlich in seinen Gedichten und Balladen zum Ausdruck kommt. Echt volkstümliche, humorverklärte Figuren schuf er in seinen Romanen »Der alte Praktikant«, »Mein Onkel Don Juan«, »Die Heirat des Herrn von Waldenberg«, sowie in der Novellensammlung »Kleine Leute« und den »Geschichten« und »Neuen Geschichten des Herrn Majors«, während er sich in einigen Romanen (»Verdorben zu Paris«, »Glänzendes Elend« u. a.) als Dekadent giebt.
Wilhelmine von Hillern, geb. am 11. März 1836 in München als Tochter der bekannten Birch-Pfeiffer,[55] entlehnte den Stoff ihrer realistisch gefärbten Romane dem bayrischen Volksleben. Ihr bekanntester Roman: »Die Geyer-Wally« erlebte mehrere Auflagen und fand auch als Drama freundliche Aufnahme.
Karl von Heigel, geb. am 25. März 1835 zu München, wandte sich der Unterhaltungslitteratur zu und schrieb Novellen, Romane und Dramen. Seine spätere Produktion (»Der Weg zum Himmel«, »Roman einer Stadt«, »Der Herr Stationschef« u. a.) steht unter dem Einfluß des Realismus.
Karl Frenzel, geb. am 6. Dez. 1827 in Berlin, weiteren Kreisen bekannt als Kritiker der Nationalzeitung, verdient seinen Platz in der Litteratur durch seine Romane, Novellen und wissenschaftlichen Schriften, die Gelehrsamkeit mit seiner Lebensbeobachtung verbinden, und deren Stoffe meist der Zeit des Rococos, dem 18. Jahrhundert, entnommen sind (»Melusine«, »Papst Ganganelli«, »Im goldenen Zeitalter«, »Renaissance und Rokoko«, »Des Lebens Ueberdruß«, »Dunst«, »Schönheit«, »Wahrheit«, »Frauenrecht«).
Adolf Stern, geb. am 14. Juni 1835 in Leipzig, lebt jetzt als Professor für Litteraturgeschichte am Polytechnikum in Dresden. St. ist Epiker und Novellist (»Jerusalem«, »Gutenberg«, »Aus dem 18. Jahrhundert«, »Die letzten Humanisten«) und wiederholt als feinsinniger Litterarhistoriker hervorgetreten.
Ferdinand von Saar, geb. am 30. Sept. 1833 in Wien, ist keine scharf ausgeprägte Dichternatur. Seine Erfolge verdankt er den »Gedichten« und den Novellensammlungen (»Novellen aus Österreich«, »Herbstreigen« u. a.), die ihm den Namen eines Walter Scott der[56] Novelle eingetragen haben. Seine Dramen (»Heinrich IV.«, »Die beiden De Witt«, »Eine Wohlthat«) konnten sich nicht auf der Bühne behaupten.
Heinrich von Reder, geb. am 19. März 1824 in Mellrichstadt, begann seine litterarische Laufbahn mit »Soldatenliedern von zwei deutschen Offizieren«. Seine Hauptwerke, die »Federzeichnungen« und das »Lyrische Skizzenbuch«, tragen realistisches Gepräge.
Josef Victor von Scheffel, geb. am 26. Febr. 1826 in Karlsruhe, gest. am 9. April 1886, ist besonders der Lieblingsdichter der akademischen Jugend, der er eine große Zahl sangbarer Lieder schenkte, aus denen ein unverwüstlicher, feuchtfröhlicher Humor spricht. Sein lyrisch-episches Werk: »Der Trompeter von Säckingen«, das 1854 erschien, fand begeisterte Aufnahme. Weit bedeutender als dieses ist jedoch sein »Ekkehard«, ein trotz alles gelehrten Beiwerks und der fleißigen Quellenstudien von echter Poesie durchdrungenes Werk, das man als den besten kulturhistorischen Roman der letzten Jahrzehnte bezeichnen kann. Von Sch.'s weiteren Werken verdienen noch genannt zu werden: »Frau Aventiure«, »Gaudeamus« und »Bergpsalmen«.
Rudolf Baumbach, geb. am 28. Sept. 1840 in Kranichfeld in Thüringen, ist einer der »liebenswürdigen« Dichter, der Naturbursche unter den Poeten. Seine lyrischen Gedichte, die sich durch Natürlichkeit und Frische auszeichnen und vielfach zu Volksliedern geworden sind, erschienen in verschiedenen Sammlungen: »Lieder eines fahrenden Gesellen«, »Mein Frühjahr«, »Von der Landstraße«,[57] »Krug und Tintenfaß« u. a. Außerdem besitzen wir von ihm Märchen und Epen, die ebenfalls in weitere Kreise gedrungen sind.
Julius Wolff, geb. am 16. Sept. 1834 in Quedlinburg, gehört zu den »Erfolgreichen« der 70er und 80er Jahre. Seine erste Veröffentlichung waren Gedichte »Aus dem Felde«. Einen durchschlagenden Erfolg errang er mit seinen Epen »Der Rattenfänger von Hameln«, »Der wilde Jäger«, »Der Tannhäuser«, »Lurlei« u. a., deren künstlerischer Gehalt zwar nicht hervorragend ist, die aber das große Publikum immer durch ihre Sentimentalität und Rührseligkeit entzücken werden. Der Beifall, den seine Epen fanden, übertrug sich auch auf seine Romane »Recht der Hagestolze«, »Der Sülfmeister«, »Das schwarze Weib«.
Karl Gerok, geb. am 30. Januar 1815 in Vaihingen in Württemberg, starb als Prälat in Stuttgart 1890. Seine Liedersammlungen »Palmblätter«, »Neue Palmblätter«, »Pfingstrosen«, »Eichenblätter«, »Deutsche Ostern«, die ein liebenswürdiger Humor durchzieht, sind vorzugsweise geistlicher Natur und fanden große Verbreitung.
Julius Sturm, geb. am 21. Juli 1816 zu Köstritz, gest. 1896, war einer der fruchtbarsten Liederdichter. Die Natur seiner Dichtungen, die eine innige, aber nicht kopfhängerische Frömmigkeit auszeichnet, wird durch die Titel seiner Sammlungen: »Gott grüße Dich«, »Immergrün«, »Fromme Lieder«, »In Freud und Leid« charakterisiert.
Albert Traeger, geb. am 12. Juni 1830 in Augsburg, ist als Dichter in den Kreisen der Liebhaber von Gartenlaube-Poesie bekannt geworden, hat sich jedoch außer einigen Lustspielen und Novellen nur einen Gedichtband zu schulden kommen lassen.
Emil Rittershaus, geb. am 3. April 1834 in Barmen, gest. daselbst 1897, gab sich in seinen meist zuerst in der Gartenlaube veröffentlichten Gedichten als Sänger frischer, fröhlicher Lieder, die Wein und Liebe, Vaterland und Gartenlaube verherrlichen.
Wilhelm Raabe, geb. am 8. Sept. 1831 in Eschhausen, früher Buchhändler, nimmt unter den deutschen Humoristen den ersten Rang ein und gilt seit 30 Jahren als einer der eigenartigsten Charakterköpfe der deutschen Litteratur. Ein goldener Humor, der an Dickens erinnert, durchzieht seine Schriften, die er meist in ein altertümelndes Gewand kleidet oder im Chronikstil abfaßt. »Zwei oder drei Zeilen in einer Chronik, eine halbe Seite in der Geschichte für den Forscher« genügen ihm, um eine Erzählung darauf aufzubauen. R. beschäftigt Geist und Herz seiner Leser in gleicher Weise und seine Bücher, in einem etwas krausen Stile geschrieben, rühren die Seele bis zum Grunde auf. Bei alledem ist er einer der am wenigsten erfolgreichen Autoren geblieben, trotz des großen Gehalts und der Zahl seiner Schriften, von denen wir hier nur die nachstehenden registrieren: »Die Akten des Vogelsangs«, »Die Chronik der Sperlingsgasse«, »Gesammelte Erzählungen«, 3 Bde., »Horacker«, »Der Hungerpastor«,[59] »Der Schüdderump«, »Unseres Herrgotts Kanzlei«, »Alte Nester«, »Wunnigel«, »Horn von Wanza«.
Wilhelm Busch, geb. am 15. April 1832 in Wiedensahl bei Stadthagen, ist der bedeutendste zeitgenössische komische Humorist und Zeichner, wenngleich seine Wirksamkeit hauptsächlich in die 60er und 70er Jahre fällt. Seine Schriften (»Max und Moritz«, »Hans Huckebein«, »Der heilige Antonius«, »Die fromme Helene«, »Herr und Frau Knopp« u. a.) erlangten eine ungeheuere Verbreitung. Seine letzten Werkchen: »Eduards Traum« und »Der Schmetterling« sind symbolische Prosamärchen, die den Idealismus ironisieren.
Hans Hoffmann, geb. am 27. Juli 1848 in Stettin, zählt zu den besten Novellisten der Gegenwart. (»Von Frühling zu Frühling«, »Geschichten aus Hinterpommern«, »Ostseemärchen«, »Allerlei Gelehrte«, »Aus der Sommerfrische«.) Auch als Romanschriftsteller ist H. wiederholt hervorgetreten und hat sich auf diesem Gebiet als ein feinsinniger Dichter erwiesen, dem die seltene Gabe des Humors wie wenigen zu Gebote steht. (»Der eiserne Rittmeister«, »Landsturm«.) Ein echt nationales, von historischem Geiste getragenes Werk ist sein großer 3bändiger Roman: »Wider den Kurfürsten«.
Heinrich Seidel, geb. am 25. Juni 1842 in Perlin, wurde Ingenieur, dann Schriftsteller in Berlin. Er ist der Dichter der kleinen behaglichen Lebensverhältnisse; seine Poesie und seine Ideale haben einen philiströsen Zug und es sind fast immer dieselben Mittel (Pastorenhaus, Fliederbüsche, Tabakspfeife und schüchterne Liebhaber), mit denen er in seinen Lebrecht Hühnchen-Geschichten operiert. (»Aus der Heimat«, »Vorstadtgeschichten«,[60] »Lebrecht Hühnchen u. a. Geschichten«, »Neues von Lebrecht Hühnchen u. a. Sonderlingen«, »Lebrecht Hühnchen als Großvater«, »Gesammelte Gedichte« u. a.) S's. Autobiographie führt den Titel »Von Perlin nach Berlin«.
Victor Blüthgen, geb. am 4. Januar 1844 in Zörbig, ein liebenswürdiger, feinsinniger Dichter, schrieb Gedichte (vor allem Kinderreime), Novellen und Humoresken (»Henzi u. a. Humoresken«, »Badekuren«, »Amoretten« etc.) Von seinen Romanen sind »Der Friedensstörer«, »Aus gährender Zeit«, und »Der Preuße« zu nennen.
Julius Stinde, geb. am 28. Aug. 1841 in Kirch-Nüchel in Holstein, führte die »Frau Buchholz«, den Typus des Berliner Spießbürgertums, in die Litteratur ein und wurde durch zahlreiche Auflagen seiner Werke dafür belohnt. Von seinen weiteren Schriften fanden noch die »Waldnovellen« und »Pienchens Brautfahrt« größere Verbreitung.
Johannes Trojan, geb. am 14. August 1837 in Danzig, Redakteur des Kladderadatsch, schrieb hübsche, humorvolle Kinderlieder und eine Anzahl ansprechender Gedichte: »Scherzgedichte«, »Für gewöhnliche Leute«, »Das Wustrower Königsschießen u. a. Humoresken«.
Julius Lohmeyer, geb. am 6. Okt. 1835 in Neisse, machte sich als Jugendschriftsteller einen Namen, ohne jedoch auf diesem Gebiete viel mehr als guten Willen und einen bescheidenen liebenswürdigen Humor mitzubringen. (»Gedichte eines Optimisten«, »Die Bescheidenen«, »Humoresken« u. a.)
Edwin Bormann, geb. am 14. April 1851 in Leipzig, machte sich als sächsischer Humorist in seinem engeren Vaterlande einen Namen (»Mei Leipzig low' ich mir«, »Herr Engemann«, »Schelmenlieder« u. a.) So gut einige ältere Dialektdichtungen B.'s sind, so flach und schal ist die Mehrzahl seiner jüngsten fabrikmäßig hergestellten Poesien. Seinen humoristischen Werken nicht beizuzählen, nach Ansicht B.'s vielmehr durchaus ernsthaft zu nehmen, sind »Das Shakespeare-Geheimnis« und die im Anschlusse daran erschienenen Schriften, in denen der Nachweis geführt werden soll, daß Shakespeare nicht Shakespeare, sondern Francis Bacon ist.
Georg Bötticher, geb. am 20. Mai 1849 in Jena, ein feinsinnigerer und vielseitigerer Humorist als Bormann, schrieb in Gemeinschaft mit Victor Blüthgen »Schüler-Novellen«, und selbständig zahlreiche humoristische Schriften, von denen viele durch die »Fliegenden Blätter« und die »Reclam-Bibliothek« weiteren Kreisen bekannt geworden sind. (»Schnurrige Kerle«, »Schilda, Verse eines Kleinstädters«, »Allotria, humoristische Geschichte«, »Neue Allotria«, »Bunte Reihe« u. a.)
Hans Arnold (Pseudon. für Frau Babette von Bülow), geb. am 20. Sept. 1850 in Warmbrunn, schildert in ihren Novellen und Erzählungen mit Vorliebe in humoristischer Weise die kleinen Verdrießlichkeiten und Unannehmlichkeiten des Lebens. Ihre Werke besonders anzuführen, erübrigt sich: sie amüsieren und werden vergessen.
Dranmor, mit seinem eigentlichen Namen Ferdinand von Schmid, geb. am 22. Juni 1823 in Muri bei[62] Bern, gest. 1888, wanderte nach Brasilien aus und wurde weiteren Kreisen durch seine »Gesammelten Dichtungen« bekannt, die neben lyrischen Gedichten Balladen und Epen aus dem südamerikanischen Leben in düsterer, pessimistischer Färbung enthalten.
Eduard Grisebach, geb. am 9. Okt. 1845, gab den »Neuen Tannhäuser« und »Tannhäuser in Rom« heraus, leichtgeschürzte Poesien, die viel Anerkennung fanden. G. hat sich ferner als Bibliophile und Herausgeber der Werke Schopenhauers u. a. verdient gemacht.
Emil Prinz von Schönaich-Carolath, geb. am 8. April 1852 zu Breslau, lieferte in seinen Dichtungen den Beweis, daß jemand Prinz und doch ein großer Dichter, Zigeuner und Weltmann zugleich sein kann. Wenn auch die Schöpfungen dieses modernen Byron (»Lieder an eine Verlorene«, »Tauwasser«, »Dichtungen«, »Geschichten aus Moll« u. a. m.) von Koketterie und Salon-Zigeunertum nicht frei sind, so kommen ihm doch an Größe und Leidenschaft nur wenige der Modernen gleich.
Hieronymus Lorm (Pseudon. für Heinrich Landesmann), geb. am 9. Aug. 1821 in Nikolsburg, seit seinem Jünglingsalter taub und erblindet, schrieb Romane und Novellen und that sich besonders als pessimistischer Lyriker hervor (»Am Kamin«, »Gedichte«, »Nachsommer« u. a.). In seinen philosophischen Schriften unternahm er, wenn auch mit wenig Glück, wiederholt den Versuch, eine allgemein-verständliche Erörterung des Lebensproblems zu geben.
Alberta von Puttkamer, geb. am 5. Mai 1849 in Glogau, debütierte mit dem Schauspiel »Kaiser Otto III.«, dem sie »Dichtungen«, »Accorde und Gesänge«, »Offenbarungen«[63] und »Aus Vergangenheiten« folgen ließ, in denen sich ein glühendes Verlangen nach erträumtem Glück, Trauer und Sehnsucht nach verlorenem ausspricht.
Ada Christen (Pseudon. für Christiane Breden, geb. am 6. März 1844 in Wien, ist eine Dichterin stark realistischen Gepräges, in deren Gedichten (»Lieder einer Verlorenen«, »Aus der Tiefe«) sich das seelische Unbefriedigtsein des Weibes ausspricht.
[3] Paul Lindau siehe unter »Feuilletonisten«.
E. Marlitt (Pseudon. für Eugenie John, geb. am 5. Dez. 1825 in Arnstadt in Thüringen, gest. 1887, wurde viel verlästert von den Modernen, aber viel geliebt von dem Publikum der Gartenlaube, das ihre Romane »Goldelse«, »Das Geheimnis der alten Mamsell«, »Das Heideprinzeßchen« u. a. nicht las, sondern verschlang.
W. Heimburg (Pseudon. für Bertha Behrens), geb. am 7. Sept. 1850 in Thale am Harz, ist ein Gartenlaube-Talent, das sich in wenig oder nichts von der Marlitt unterscheidet. Ihre Produktion wird schon durch die Titel ihrer Werke charakterisiert: »Aus dem Leben einer alten Freundin«, »Lumpenmüllers Lieschen«, »Ein armes Mädchen«, »Herzenskrisen«, »Trotzige Herzen« u. s. w.
E. Werner (Pseudon. für Elisabeth Bürstenbinder), geb. am 25. Nov. 1838 in Berlin, gehört zu denjenigen Schriftstellerinnen, die ein Motiv so lange variieren, bis es sich zu »Gesammelten Werken« ausgewachsen hat. (»Ein Held der Feder«, »Am Altar«, »Gesprengte Fesseln«, »St. Michael« u. a.)
Marie Bernhard, geb. am 7. Nov. 1852 in Königsberg i. Pr., widmete sich der Schriftstellerei im Genre der Gartenlaube (»Forstmeister Reichardt«, »Im Strom der Zeit«, »In Treue fest«, »Schule des Lebens«, »Unweiblich« u. a.)
Nataly von Eschstruth (Mädchenname der jetzigen Frau v. Knobelsdorff-Brenkenhoff), geb. am 17. Mai 1860 in Hofgeismar, wurde vom Deutschen Schriftsteller-Verband als die »beliebteste« Erzählerin proklamiert und ist bemüht, durch die Quantität zu ersetzen, was ihr an Qualität fehlt. Ihre »Werke« stehen noch unter denen der Marlitt, Heimburg etc.
Karl Bleibtreu, geb. am 13. Januar 1859 in Berlin, schrieb mehr Bände als er Jahre zählt und ist einer der großen Woller und kleinen Könner. Vielseitig veranlagt und ein geistreicher, witziger Kopf, irrlichtelierte er von einem Gebiete zu dem andern, ohne über Ansätze hinauszukommen und ohne Fähigkeit zur Konzentration und – Bescheidenheit. Ist Feuer in seinen Werken, so ist es sicher Brillantfeuer, das keine Wärme giebt und dessen Abbrennen teilnahmlos läßt. Von seinen zahlreichen Werken nennen wir nur »Dies irae, Erinnerungen eines französischen Offiziers«; die Aufzählung seiner dramatischen, lyrischen und epischen Produktion, wie seiner Glaubensbekenntnisse, müssen wir uns Raummangels wegen versagen. Die Broschüre: »Die Revolution der Litteratur«, die zum ersten Mal dem großen Publikum Kenntnis von[65] den Absichten der »Jungen« gab, hat ein gewisses litterarhistorisches Interesse.
Michael Georg Conrad, geb. am 5. April 1846 zu Gnodstadt in Franken, eine eigenartig und scharf ausgeprägte Dichternatur mit einer ausgesprochenen Neigung zu politischer Bethätigung, gab in Gemeinschaft mit Karl Bleibtreu die »Gesellschaft« heraus, die er ganz in den Dienst der modernen Ideen stellte. Seine von Zola und einem jahrelangen Aufenthalt in Paris beeinflußten Romane: »Was die Isar rauscht«, »Die klugen Jungfrauen«, »Die Beichte des Narren«, »In purpurner Finsternis« u. a. sind nicht frei von Kraftmeierei und Übertreibungen.
Hermann Conradi, geb. am 12. Juni 1862 in Jeßnitz, gest. am 8. März 1890, eins der Häupter der Stürmer und Dränger, schrieb »Brutalitäten«, »Lieder eines Sünders« und die Romane: »Phrasen« und »Adam Mensch«, Werke, die von Brutalitäten, Phrasen, Menschlichem und Allzumenschlichem strotzen, und nur als documents humains von einigem Interesse sind.
Konrad Alberti (recte Konrad Sittenfeld), geb. am 9. Juli 1862 in Breslau, schrieb eine Reihe von Romanen, Novellen und Dramen im Stile der Jüngstdeutschen, unter denen die Romane »Wer ist der Stärkere?« und »Die Alten und die Jungen« die bedeutendsten sind. Seine spätere Produktion wandte sich dem Unterhaltungsroman zu und entbehrt jeder Eigenart. (»Die Rose von Hildesheim«, »Die schöne Theotaki« u. a.)
Heinrich Hart, geb. am 30. Dez. 1855 in Wesel, Kritiker der »Täglichen Rundschau«, gab in Gemeinschaft mit seinem Bruder die »Kritischen Waffengänge« heraus, durch die sie den Modernen, mit denen sie in ihrem[66] dichterischen Schaffen sonst wenig Gemeinsames haben, nahetraten. Das hervorragendste Werk H.'s ist das Epos »Das Lied der Menschheit«.
Julius Hart, geb. am 9. April 1859 in Münster, Bruder des vorigen, schrieb teils selbständig, teils in Gemeinschaft mit seinem Bruder eine Reihe kritischer und dichterischer Werke, von denen wir die Gedichtsammlung »Sansara«, das Schauspiel »Sumpf«, die Prosadichtung »Sehnsucht« und das zweibändige, populär geschriebene Werk: »Geschichte der Weltlitteratur« hervorheben.
Hermann Heiberg, geb. am 17. Nov. 1840 in Schleswig, Herausgeber der Halbmonatsschrift »Niedersachsen«, stand ursprünglich mit den Modernen in engster Fühlung, glitt jedoch später ganz in das Fahrwasser der Unterhaltungslitteratur. Zu seinen bekanntesten Werken sind die »Plaudereien mit der Herzogin von Seeland«, »Apotheker Heinrich« und »Eine vornehme Frau« zu zählen, die sämtlich seiner ersten Schaffensperiode angehören.
Max Kretzer, geb. am 7. Juni 1854 in Posen, arbeitete sich vom Fabrikarbeiter zum Schriftsteller empor. Seine Romane, die stark realistisch gefärbt sind und ihm den Namen: der deutsche Zola eintrugen, spielen meist in den Arbeiterkreisen der Reichshauptstadt, die er vorzüglich kennt und zu portraitieren versteht. (»Meister Timpe«, »Der Millionenbauer«, »Die gute Tochter« u. a.) Mit seinem letzten Roman: »Das Gesicht Christi« ging er vom Realismus zum Symbolismus über.
Wilhelm Walloth, geb. am 6. Okt. 1856 zu Darmstadt, kämpfte in den Reihen der Modernen an erster Stelle. Seine Romane aus dem Rom des Niederganges[67] »Oktavia«, »Paris der Mime«, »Ovid«, »Dämon des Neides«, denen jede Konzentration fehlt, hielten nicht, was er früher versprochen. Mit seinem neuesten Roman: »Im Banne der Hypnose« erregte er statt Sensation Langeweile. Seine Dramen: »Marino Falieri«, »Johann von Schwaben« sind reich an schönen Einzelheiten, aber als Ganzes betrachtet verfehlt.
Wilhelm Arent, geb. am 7. März 1864 in Berlin, spielte früher auf der Bühne, später in der litterarischen Bewegung der 80er Jahre eine Rolle und war Mitherausgeber der »Modernen Dichtercharaktere«. Seine Poesie (mehr als 30 Bände!) ist überreich an Stimmung, aber form- und gedanken-, ja sinnlos.
Wolfgang Kirchbach, geb. am 18. Sept. 1857 zu London, schloß sich nur locker der »Moderne« an und ist immer mehr seinen eigenen oft sonderlichen Ideen nachgegangen. (»Ausgewählte Gedichte«, »Lebensbuch«, »Das Leben auf der Walze«.) Seine Dramen »Des Sonnenreiches Untergang«, »Gordon Pascha« fanden nur geteilte Aufnahme.
Arno Holz, geb. am 26. April 1863 in Rastenburg, ist allem Anschein nach ein Talent, das eine große Zukunft vor sich hat. Sein »Buch der Zeit« schlug neue, eigenartige Töne an und ließ H., der ursprünglich als Geibelianer auftrat, als den berufensten socialistischen Lyriker erscheinen. Aus seiner Verbindung mit Johannes Schlaf gingen die Novellen: »Papa Hamlet« und das naturalistische Drama: »Familie Selicke« hervor. Sein Drama »Socialaristokraten« fiel gänzlich ab und die neue[68] Dichtkunst, die er im »Phantasus« predigt und für die er bereits eine »Revolution in der Lyrik« in Szene setzte, hat ihm nur mitleidiges Lächeln und Achselzucken eingebracht, obwohl sie sich schon durch ihre Einfachheit vorteilhaft vor anderen »Methoden« auszeichnet.
Karl Henckell, geb. am 17. April 1864 in Hannover, gab mit Arent die »Modernen Dichtercharaktere« heraus und stand mit seinen »Strophen« und »Amselrufen«, die sich durch Glätte und Formgewandtheit auszeichnen, an der Spitze der socialistischen Lyriker.
Maurice Reinhold von Stern, geb. am 3. April 1859 in Reval, hat eine außerordentlich bewegte Vergangenheit hinter sich, die ihn nach Deutschland, Amerika und der Schweiz führte. (Nach dem Zusammenbruch seiner Buchhandlung in Zürich postalisch und polizeilich nicht zu ermitteln.) In seinen »Proletarierliedern«, »Ausgewählten Gedichten« u. a. finden sich neben Naturbildern von Glanz und Stimmung, Plattes und Geschmackloses. Sein autobiographischer Roman »Walther Wendrich« zeigt seine Unfähigkeit, einen Stoff zu meistern und dichterisch zu gestalten. Großes auf kleines übertragen, gilt von ihm das Wort Goethes über Grabbe: »Er wußte sich selbst nicht zu zähmen, darum zerrann ihm sein Leben wie sein Dichten«.
John Henry Mackay, geb. am 6. Febr. 1864 in Greenock in Schottland, ist ein Dichter mit revolutionären und salonanarchistischen Tendenzen, in dessen Werken Denker, Dichter und Politiker in gleicher Weise zu Worte kommen (»Kinder des Hochlands«, »Arma parata fero«, »Sturm«, »Wiedergeburt«, »Gesammelte Dichtungen«, das Kulturgemälde: »Die Anarchisten« u. a.).
Bruno Wille, geb. am 6. Febr. 1860 in Magdeburg, zeigt sich in seinen Gedichten und philosophischen Schriften als freier unabhängiger Denker, der, vom Socialismus ausgehend, den Weg zum Individualismus findet. (»Einsiedelkunst aus der Kiefernhaide« u. a.)
Adolf Pichler, geb. am 4. Sept. 1819, ist der älteste Tiroler Dichter: sein Leben und seine Werke reichen von der »Franzosenzeit« bis zur Gegenwart. Ein Gelehrter und von allseitiger Bildung, weiß er doch wahrhaft volkstümlich zu erzählen (»Allerlei Geschichten aus Tirol«, »Letzte Alpenrosen«, »Aus den Tiroler Bergen« u. a.). Er hat ferner als Lyriker »Hymnen« geschrieben, »Spätfrüchte« und »Marksteine«. Unter den Vorkämpfern einer liberalen Weltanschauung, aber milde und versöhnlich, steht er in vorderster Reihe.
Karl Pröll, geb. in Graz 1840, bekannt als journalistischer Vorkämpfer des Deutschtums in Böhmen, lebt seit vielen Jahren als Schriftsteller in Berlin, von wo er neben zahllosen politischen Schriften seine Lieder »Sturmvögel«, »Vergessene deutsche Brüder« u. s. w. und seine prächtigen Sammlungen von Skizzen und Novellen »Moderner Todtentanz«, Bd. 1–5, »Vogelbeeren«, »Spreu im Winde« etc. veröffentlichte.
Fritz Lienhard, geb. am 4. Okt. 1865 in Rothbach i/Els., war von 1893–1895 Redakteur des »Zwanzigsten Jahrhunderts« und Anfang 1900 auf kurze Zeit Herausgeber der »Heimat«. Bedeutend sind seine »Lieder eines Elsässers«, sein Wanderbuch »Wasgaufahrten« und besonders seine Dramen »Naphtali«, »Weltrevolution«,[70] »Till Eulenspiegel«. In seiner schriftstellerischen und journalistischen Thätigkeit sucht er der »Heimatkunst«, dem Nationalen in Dichtung und Leben, den Weg zu ebnen.
Anton Ohorn, geb. am 22. Juli 1846 in Theresienstadt, schrieb zahlreiche Romane, Erzählungen und Novellen, von denen das meiste Aufsehen die nationale Erzählung »Das deutsche Lied« gemacht hat.
Anton August Naaff, geb. am 28. Nov. 1850 in Weitentrebetitsch, Herausgeber der »Lyra« in Wien, veröffentlichte die Liedersammlungen im Volkstone: »Aus dem Dornbusch«, »Gartheil und Krauseminz«, »Der Sonn' entgegen«, »Gerda« u. a.
Ottomar Beta (eigentlich Bettziech), geb. am 7. Febr. 1845 in Berlin, wurde in England erzogen. B. veröffentlichte außer zahlreichen nationalökonomischen, socialpolitischen und politischen Schriften mehrere Dramen und Romane, von denen das Trauerspiel »David Rizzio«, das Lustspiel »Altmodisch und Modern«, das Schauspiel »Nichts halb!« und besonders das Lustspiel »Feurige Kohlen« Anerkennung fanden. Seine Novellen und Romane »Schmollis, ein Hundeleben«, »Unter Unkraut«, »Peregrine«, »Die Rache ist mein« u. s. w. verraten ein bemerkenswertes Erzählertalent. Beachtung verdient auch das satirische Epos »Barbarossa's Botschaft«.
Adolf Graf von Westarp, geb. am 21. April 1851 in Breslau, erregte Aufsehen durch sein Buch »Fürst Bismarck und das deutsche Volk«, sowie durch sein Lied »An den Kaiser« (nach Bismarcks Entlassung). W. ist ein ebenso eigenartiger wie talentvoller Lyriker. (»Deutsche Lieder«, »Idyllen und Elegieen aus den bayrischen Bergen«.)
Erwin Bauer, geb. am 9. Jan. 1857 auf dem Gute Techelfer bei Dorpat in Livland, begründete in Reval die »Nordische Rundschau«, 1890 in Berlin »Das zwanzigste Jahrhundert«. Außer einigen Dramen gab B., dessen Talent frühzeitig von der Politik beschlagnahmt wurde, die Novellensammlungen »Aus dem Zarenlande« und »Einfache Geschichten«, sowie die Erzählung »Der Selbstmord des Leutnants Mergenthin« heraus. Sein bestes Werk ist der in Rußland spielende Roman »Aut Caesar, aut nihil«.
Carl Kerstan, geb. am 22. Okt. 1847 in Prag, machte sich als Historienmaler einen Namen. Sein philosophischer Roman in 3 Bänden »Sapaere aude« gehört zu den besten unserer Litteratur und verdiente mehr Beachtung, als er gefunden.
Theodor Fontane, geb. am 30. Dez. 1819 in Neuruppin, gest. am 20. Sept. 1898, war wie Sudermann und Ibsen ursprünglich Apotheker. Eine Reise nach England weckte sein dichterisches Talent, so daß er sich bald ganz der Schriftstellerei widmete. F. ist besonders der Dichter des Preußentums oder im engeren Sinne der Mark, Berlins. Er schrieb die Romane »Irrungen, Wirrungen«, »Stine«, »Quitt«, »Frau Jenny Treibel«, »Effi Briest« u. a., die zu den besten der neuzeitlichen Erzählungslitteratur zu rechnen sind. Schon seit den vierziger Jahren zählte F. zu den bedeutendsten Balladendichtern und Schilderern der Mark Brandenburg. Seine »Wanderungen durch die Mark Brandenburg« sind Landschaftsbilder von entzückender Anmut, sinniger Feinheit und zugleich[72] von frappierender Treue. Tüchtige litterarische Leistungen sind außerdem seine Darstellungen der drei Kriege 1864, 1866 und 1870, die wiederholt aufgelegt wurden. Mit zwei Bänden Erinnerungen aus seinem Leben: »Meine Kinderjahre« und »Von Zwanzig bis Dreißig«, schloß er seine dichterische Thätigkeit ab.
Wilhelm Jensen, geb. am 15. Febr. 1837 in Heiligenhafen, ist einer der eigenartigsten und markantesten Erzähler. Er ist der Dichter des Meeres und der Heide und alle Stimmen, die er ihnen abgelauscht, klingen in seinen Werken wieder. So ungleich auch die einzelnen Werke J.'s untereinander sind, allen gemeinsam ist die melodische, wunderbare Sprache und eine weiche, stillverträumte Stimmung, die über ihnen liegt und den Leser gefangen nimmt. J. ist ein ungemein produktiver Dichter, der sich jedes Jahr mit zwei, drei Bänden einstellt. Von seinen Werken seien genannt: »Die braune Erica«, »Karin von Schweden«, »Tagebuch aus Grönland«, »Aus den Tagen der Hansa«, »Jenseits des Wassers«, »Luv und Lee«, »Sehnsucht«. Auch als Lyriker ist J. wiederholt hervorgetreten und darf wohl den Anspruch erheben, als solcher neben Keller, Meyer und Storm genannt zu werden. (Gesammelte Gedichte: »Vom Morgen zum Abend«.)
Marie von Ebner-Eschenbach, geb. am 13. Sept. 1830 in Zdislavic in Mähren, ist gegenwärtig die bedeutendste lebende deutsch-österreichische Schriftstellerin. Sie ist eine Meisterin des künstlerischen Realismus, den sie so sicher wie die besten Meister der Erzählungskunst beherrscht. (»Bozena«, »Dorf- und Schloßgeschichten«, »Zwei Komtessen«, »Das Gemeindekind«, »Rittmeister Brand« u. a.)
Adolf Wilbrandt, geb. am 24. Aug. 1837 in Rostock, gab zuerst ein Werk über Heinrich von Kleist heraus, dem er eine Reihe von Dramen: »Arria und Messalina«, »Gracchus«, »Kriemhild«, »Graf Hammerstein«, »Die Tochter des Herrn Fabricius«, »Der Meister von Palmyra« u. a. folgen ließ, unter denen das letztgenannte das bedeutendste ist. In den letzten Jahren hat sich W. fast ganz dem Zeitromane zugewandt (»Hermann Ifinger«, »Die Osterinsel«, »Vater Robinson« u. a.). W. ist eine der vornehmsten Erscheinungen unter den Schriftstellern der Gegenwart und sowohl der Schiller- als auch der Grillparzerpreis sind ihm zugefallen.
Richard Voß, geb. am 2. Febr. 1851 in Neugrape in Pommern, ist eine reiche phantasievolle und starke Dichternatur, die sich leider nicht zur künstlerischen Vollendung durchringen konnte. Ein nervöser, dämonischer Zug geht durch alle seine Romane und Dramen, die bald in Deutschland, bald in Italien, im Mittelalter oder in der Neuzeit spielen. Eine zerrissene, unbefriedigte Natur, vermögen auch seine Schöpfungen nicht zu befriedigen, von denen die meisten den Leser narkotisieren oder peinigen. Seine erfolgreichsten Dramen sind »Schuldig«, »Alexandra«, und »Eva«; von seinen Novellen und Romanen sind »Römische Dorfgeschichten«, »Mönch von Berchtesgaden«, »Villa Falconieri«, »Unter den Borgia«, die bekanntesten.
Ernst von Wolzogen, geb. am 23. April 1855 in Breslau, ist einer der ungleichmäßig schaffenden Dichter. Seine Tragikomödie: »Das Lumpengesindel« ist noch[74] immer sein bestes Werk. Einst erhoffte man vieles von dem Talent dieses fabulierenden Freiherrn, der die schöne Gabe des Humors besitzt und es versteht, seine Personen treffend zu charakterisieren, doch produziert er seit langem nur Unterhaltungslitteratur, wenn auch im besseren Sinne. Seine besten Romane sind »Die Kinder der Excellenz« (auch als Lustspiel bearbeitet), »Die tolle Komteß«, »Die Entgleisten«, »Der Kraftmayr«.
Konrad Telmann (recte Zitelmann), geb. 1854, gest. 1897, wurde durch körperliches Leiden zur Aufgabe seines Berufes gezwungen und lebte seit Jahren in Rom. T. hat eine außerordentlich große Anzahl von Werken hinterlassen und eine rastlose Thätigkeit entfaltet, die seiner Kunst nicht immer zum Vorteil gereichte. Er ist ein Übergangskünstler, der sich Friedrich Spielhagen zum Vorbild nahm und über ihn hinaus den realistischen Roman auszubauen und mit neuen, meist »interessanten« und exotischen Zügen auszustaffieren suchte. Zu seinen besten Romanen, von denen viele in der zweiten Heimat des Dichters, in Italien, spielen, zählen: »Vox populi«, »Unterm Strohdach«, »Unter römischem Himmel«, »Unter den Dolomiten«, »Götter und Götzen«, »Vom Stamme der Skariden«.
Alexander Baron von Roberts, geb. am 23. Aug. 1845 in Luxemburg, gest. 1896, zählte zu den besten Unterhaltungsschriftstellern, besonders in den Romanen, die das Militärleben zum Gegenstand haben. (»Es und Anderes«, »Götzendienst«, »Lou«, »Die schöne Helena«, »Schwiegertöchter« u. a.) Sein Drama »Satisfaktion« ging mehrfach mit Erfolg über die Bühne.
Georg von Ompteda, geb. am 29. März 1863 in Hannover, veröffentlichte (teilweise unter dem Pseudonym Georg Egestorff) »Von der Lebensstraße u. a. Gedichte«, sowie die Romane »Drohnen«, »Unter uns Junggesellen«, »Sylvester von Geyer« u. a., deren Stoff er vorzugsweise der deutschen Armee entnahm. Als Übersetzer machte er sich durch die Übertragung der Werke Guy de Maupassants bekannt.
Wilhelm von Polenz, geb. am 14. Januar 1861 in Ober-Cunewalde, debütierte mit dem Roman »Sühne« und ließ diesem dramatische und novellistische Arbeiten, sowie die Romane »Der Pfarrer von Breitendorf«, »Der Büttnerbauer«, »Der Grabenhäger« und »Wald« folgen, in denen er hauptsächlich brennende Zeitfragen des gutsherrlichen und bäuerischen Besitzstandes behandelt.
Adolf Schmitthenner, geb. am 24. Mai 1854 in Neckarbischofsheim, schrieb den Roman »Psyche« und »Novellen«, die eigenartige, fast »gewagte« Probleme zu lösen suchen und sich durch feine Seelenmalerei auszeichnen.
Karl von Perfall, geb. am 24. März 1851 in Landsberg a/Lech, behandelt in seinen Romanen gern moderne Probleme, ohne jedoch dem Naturalismus große Konzessionen zu machen. (»Vornehme Geister«, »Die Langsteiner«, »Die fromme Witwe«, »Sein Recht«.)
Anton von Perfall, geb. am 11. Dez. 1853 in Landsberg a/Lech, hat sich besonders durch seine Jagdgeschichten bekannt gemacht. Seine Romane »Die Krone«, »Sein Dämon«, »Die Sonne« tragen zum Teil realistisches Gepräge.
Oscar Mysing, geb. am 1. Nov. 1867 in Bremen, schrieb seine ersten Romane und Novellen, die zum größten[76] Teile erotischer Natur sind (»Überreif«, »Moderne Liebe«), unter dem Pseudonym Otto Mora und ging später zur Familienblattlitteratur über. (»Die Bildungsmüden«, »Verfolgte Phantasie«, »Nach der Sündflut«, »Beresina«.)
Richard Nordhausen, geb. am 31. Januar 1868 in Berlin, war zuerst politisch thätig und schrieb dann eine Reihe Epen (»Joß Fritz der Landstreicher«, »Vestigia Leonis«, »Sonnenwende«), die sich durch farbenprächtige Schilderungen, glühende Leidenschaft und große Plastik auszeichnen. Mit dem Roman: »Die rote Tinktur« betrat N. die Pfade der Unterhaltungslitteratur.
J. J. David, geb. am 6. Febr. 1859 in Weißkirchen, schrieb Schauspiele, Gedichte, Erzählungen u. a., die ein eigenartiges, etwas widerborstiges Talent verraten. In seinen Werken »Höferecht«, »Blut«, »Hagars Sohn«, »Gedichte«, »Probleme«, »Ein Regentag« u. a. schildert er mit Vorliebe Menschen, die auf die Schattenseite des Lebens zu stehen kamen.
Felix Hollaender, geb. am 1. November 1867 in Leobschütz, debütierte mit dem Roman »Jesus und Judas«, denen sich die Berliner Romane: »Ellin Röte« und »Sturmwind im Westen« anschlossen. Mit Hans Land schrieb er »Die heilige Ehe«.
Heinz Tovote, geb. am 12. April 1861 in Hannover, suchte die Bahnen Maupassants zu wandeln, ohne jedoch auch nur annähernd sein Vorbild zu erreichen, mit dem er nur hinsichtlich der Pikanterie verglichen werden kann. Seine Romane und Novellen aus der Berliner Demimonde: »Im Liebesrausch«, »Fallobst«, »Frühlingssturm«, »Ich«, »Mutter«, »Das Ende vom Liede«, »Die rote Laterne« u. a. erlebten viele Auflagen.
Ernst Wichert, geb. am 11. März 1831 in Insterburg, verfaßte zahlreiche Lustspiele, von denen »Der Narr des Glücks«, »Als Verlobte empfehlen sich« und »Ein Schritt vom Wege« sich noch auf der Bühne erhalten haben. W. ist außerdem Verfasser vieler Romane und Novellen: »Litauische Geschichten«, »Heinrich von Plauen«, »Hohe Gönner«, »Anderer Leute Kinder«, »Vom alten Schlage«, »Der große Kurfürst in Preußen«, u. a., von denen der letztgenannte, ein historischer Roman größeren Stils, besonders hervorgehoben zu werden verdient. W., der bis 1896 dem Richterstande angehörte, schrieb seine Selbstbiographie 1899 unter dem Titel: »Richter und Dichter«.
August Niemann, geb. am 27. Juni 1839 in Hannover, früher Hauptmann, führte sich mit einer Geschichte des französischen Feldzuges 1870/71 in die Litteratur ein. Sein bedeutendster Roman »Bakchen und Thyrsosträger«, zieht gegen die materialistische Weltanschauung zu Felde. In Buchhändlerkreisen fand besonders der Roman »Eulen und Krebse«, das »Soll und Haben« des Buchhändlers, Beachtung.
Gerhardt von Amyntor (Pseudon. für Dagobert von Gerhardt), geb. am 12. Juli 1831 in Liegnitz, war Offizier und wandte sich dann der Litteratur zu. Von seinen Werken, in denen sich oft ein Hang zum Übersinnlich-Mystischen und zur Behandlung philosophischer und religiöser Themata bemerkbar macht, ist der Roman »Gerke Suteminne« das bedeutendste. Die »Hypochondrischen Plaudereien«, sowie die Gegenschrift zur Tolstoi'schen Kreutzer-Sonate: »Die Cismoll-Sonate« sind etwas hausbacken,[78] aber erfüllt von echt vaterländischem Geiste, der allezeit und unentwegt für deutsche Frauen, deutsche Treue, Gott und Religion eintritt. Interessante Lebenserinnerungen legte A. in dem Werke: »Das Skizzenbuch meines Lebens« nieder.
Otto von Leixner, geb. am 24. April 1847 in Saar, bis vor kurzem Redakteur der »Deutschen Romanzeitung«, schrieb im Sinne derselben eine Reihe Romane, Aphorismen und Plaudereien, von denen die »Ästhetischen Studien für die Frauenwelt«, »Laienpredigten für das deutsche Haus«, »Aus meinem Zettelkasten«, und der Roman: »Also sprach Zarathustras Sohn« am bemerkenswertesten sind. Seine »Geschichte der deutschen Litteratur«, der nur feuilletonistischer Wert beizumessen ist, erlebte vier Auflagen.
Fritz Mauthner, geb. am 22. November 1849 in Horzitz, einer der einflußreichsten Kritiker der Reichshauptstadt, zeigte seine Begabung besonders in den in parodistischer Form auftretenden Kritiken: »Nach berühmten Mustern« u. a. Mit seinen modern aufgeputzten Romanen aus dem Altertum »Xantippe« und »Hypatia«, sowie »Der letzte Deutsche von Blatna«, »Die Geisterseher«, »Die bunte Reihe« u. a. machte sich M. als Romancier einen Namen.
Theophil Zolling, geb. am 30. Dezember 1849 in Scafati, Herausgeber der »Gegenwart«, zählt zu den besten Sittenschilderern Berlins. Von seinen das hauptstädtische Leben behandelnden Romanen: »Der Klatsch«, »Frau Minne«, »Kulissengeister«, »Die Million«, »Bismarcks Nachfolger« erregte namentlich der letztere einiges Aufsehen.
Rudolf Stratz, geb. am 6. Dez. 1864 in Heidelberg, wandte sich dem Zeitroman zu und schrieb: »Unter den Linden«, »Belladonna«, »Die kleine Elten«, »Der weiße Tod«, »Montblanc«, den Novellenband »Buch der Liebe«, sowie einige Schauspiele. Sein Roman aus dem Bauernkrieg von 1525, »Der arme Konrad« und das Drama: »Jörg Trugenhoffen«, eine Konkurrenz des »Florian Geyer« von Hauptmann, beruhen auf tüchtigen Quellenstudien und geben ein anschauliches Bild der damaligen Zeit.
Hans Land (Pseudon. für Hugo Landsberger), geb. am 25. August 1861 in Berlin, Herausgeber der Wochenschrift »Das neue Jahrhundert« (Berlin), schrieb realistisch gefärbte Romane (»Der neue Gott«, »Um das Weib« u. a.), sowie in Gemeinschaft mit Felix Hollaender das sociale Drama »Die heilige Ehe«.
Wilhelm Wolters, geb. am 8. November 1852 in Dresden, ist durch seine Romane: »Sterbliche Götter«, »Helene Pawlowna« und Erzählungen (»Indian Summer«, »Ach wenn du wärst mein eigen!«), besonders aber durch seine erfolgreiche dramatische Produktion (»Tragische Konflikte« etc.) dem größeren Publikum bekannt geworden.
Franz von Königsbrun-Schaup, geb. am 22. Februar 1857 in Cilli, schuf und befestigte seine litterarische Stellung durch die beiden Romane: »Die Bogumilen« und »Hundstagszauber«, die ihn als feinsinnigen Erzähler erkennen lassen. Künstlerisch weniger hoch stehen seine »Gedichte« und »Märchen«, und der mit Wolters zusammen geschriebene Schwank: »Der Hochzeitstag«, wird auf litterarischen Wert wohl überhaupt keinen Anspruch erheben.
Fedor von Zobeltitz, geb. am 5. Okt. 1857 in Spiegelberg, gehört zu unseren besten Unterhaltungsschriftstellern. Von seinen letzten Romanen erregte besonders »Der gemordete Wald« Interesse. Um die deutsche Bibliophilie hat sich Z. durch Herausgabe der »Zeitschrift für Bücherfreunde« verdient gemacht.
Hanns von Zobeltitz, geb. am 9. Sept. 1853 in Spiegelberg, schrieb eine Reihe Unterhaltungsromane im Stile des »Daheim« und der »Velhagen und Klasing'schen Monatshefte«, deren Redakteur Z. ist.
Ida Boy-Ed, geb. am 17. April 1852 in Bergedorf, eine der begabtesten Schriftstellerinnen der alten Schule, veröffentlichte eine große Zahl von Romanen, von denen »Die Schwestern«, »Abgründe des Lebens«, »Fanny Förster« und »Aus Tantalus' Geschlecht« den meisten Anklang fanden.
A. v. der Elbe (Pseudon. für Auguste von der Decken), geb. am 30. Nov. 1828 in Bleckede, setzte die »Chronica eines fahrenden Schülers von Clemens Brentano« fort und wandte sich vorzugsweise historischen Stoffen zu (»Lüneburger Geschichten«, »Brausejahre«, »Apollonia von Celle«, »Die jüngeren Prinzen«, »Der Seekönig« u. a.).
Claire Glümer, geb. am 18. Okt. 1825 in Blankenburg, führte sich mit Novellen und Skizzen in die Litteratur ein. (»Düstere Nächte«, »Aus der Bretagne«, »Junge Herzen«.)
Sophie Junghans, geb. am 3. Dez. 1845 in Kassel, ist Verfasserin einer Reihe von Unterhaltungsromanen, von denen »Der Bergrat«, »Ein Kaufmann«, »Lore Fay«, »Schwertlilie« und »Um das Glück« die bekanntesten sind.
Luise Westkirch, geb. am 8. Juli 1858 in Amsterdam, behandelte in ihren Romanen und Novellen mit männlicher Kraft und Rücksichtslosigkeit sociale Probleme der Gegenwart: »Aus dem Hexenkessel der Zeit«, »Die Streber«, »Los von der Scholle« u. a.
Rudolf Lindau, geb. am 10. Okt. 1830 in Gardelegen, hatte durch seinen diplomatischen Beruf Gelegenheit, die halbe Welt kennen zu lernen. Er ist Weltmann großen Stils und in Paris und London ebenso zu Hause wie in Peking und San Francisco. L. verfaßte mehrere größere Romane, die in den Kreisen der internationalen Gesellschaft spielen (»Robert Ashton«, »Gute Gesellschaft« u. a.) und gab Beschreibungen seiner umfassenden Reisen heraus (»China und Japan« u. a.).
Ossip Schubin, mit ihrem eigentlichen Namen Lolo Kirschner, geb. am 17. Juni 1854 in Prag, läßt ihre Romane zumeist in den Kreisen des internationalen high life, besonders der österreichischen Adels- und Offizierskreise, spielen. Ihrem ersten Roman »Ehre« folgten »Schuldig«, »Unter uns«, »Gräfin Erikas Lehr- und Wanderjahre«, »Gebrochene Flügel«, »Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht« u. a. S. schreibt fesselnd und interessant, doch haben ihre Romane etwas skizzenhaftes und der Stil ist oft salopp oder gesucht.
Baron Carl Torresani, geb. am 19. April 1846 in Mailand, war österreichischer Kavallerieoffizier, bewirtschaftete einige Zeit sein Gut als Ökonom und widmete sich dann der Bildhauerei. Seine Romane, in denen er sich ganz als Österreicher giebt, spielen teils in den Kreisen[82] der österreichischen Armee, teils in denen der internationalen Gesellschaft, für deren charakteristische Merkmale er einen scharfen Blick besitzt. »Aus der schönen wilden Lieutenantszeit«, »Schwarzgelbe Reitergeschichten«, »Mit tausend Masten«, »Auf gerettetem Kahn«, »Die Juckerkomtesse«, »Der beschleunigte Fall«, »Aus drei Weltstädten« u. a. Seiner Selbstbiographie gab er den Titel: »Von der Wasser- bis zur Feuertaufe. Werde- und Lehrjahre e. österreichischen Offiziers«.
Johannes Richard zur Megede, geb. am 8. Sept. 1864 in Sagan, trat erst als reifer Mann mit einer Reihe von Romanen vor die Öffentlichkeit. »Kismet«, »Unter Zigeunern«, »Quitt«, »Von zarter Hand«, die in den exklusiven Adelskreisen spielen und den Verfasser als einen scharfen Beobachter, der einen sicheren Blick für das Charakteristische besitzt, erkennen lassen.
Bertha von Suttner, geb. am 9. Juni 1843 in Prag, errang ihren größten Erfolg mit dem Tendenzroman: »Die Waffen nieder«, der für die Weltfriedensidee Propaganda macht. Von ihren übrigen Werken, die sehr ungleich im Werte sind, verdienen noch »Inventarium einer Seele« und »Das Maschinenzeitalter« genannt zu werden.
Paul Lindau, geb. am 3. Juni 1839 in Magdeburg, machte sich als Kritiker einen Namen, den er als produktiver Dichter rasch wieder einbüßte. Auch in seinen Romanen, die meist in Berlin W spielen und starken haut-gout aufweisen, ist er der Feuilletonist von ehemals geblieben, der nichts anderes als Eisenbahnlektüre geschrieben.
Max Nordau (Pseudon. für Südfeld), geb. am 29. Juli 1849 in Budapest, errang seinen größten Erfolg mit den von Alltagsweisheit triefenden »Konventionellen Lügen der Kulturmenschheit«. Als Verfasser von »Entartung« scheint er an Paradoxomanie zu leiden oder sie zu heucheln.
Julius Langbehn hat mit seinem Buche »Rembrandt als Erzieher« einen beispiellosen Erfolg gehabt, weil es »die Menschen zu verwirren weiß«. Seine »40 Lieder eines Deutschen« zeigen die ganze dichterische Unfähigkeit L.'s, dessen phantastisches und konfuses Erstlingswerk eine geraume Zeit im Mittelpunkt aller litterarischen Diskussionen stand.
Emil Peschkau, geb. am 19. Febr. 1856 in Wien, gab eine Reihe von Skizzen, Epigrammen, Novellen und Romanen heraus, die ein hübsches Talent auf humoristischem und satirischem Gebiete erkennen lassen.
Balduin Groller, geb. am 5. Sept. 1848 in Arad, gilt als der geistreiche Plauderer, der aus nichts eine schnurrige Geschichte zusammendrechselt. (»Wenn man jung ist«, »Zehn Geschichten«, »In den Tag hinein« u. a.)
Ferdinand Groß, geb. am 8. April 1849 in Wien, schrieb zahlreiche Skizzen, Novellen und Romane, die den liebenswürdigen Plauderer und Feuilletonisten der Wiener Schule erkennen lassen. (»Blätter im Winde«, »Litterarische Modelle«, »Zum Nachtisch«, »In Lachen und Lächeln«.)
Hermann Bahr, geb. am 19. Juli 1863 zu Linz, kann als der Typus eines Journalisten gelten, der in allen Sätteln reitet, in Rom und Madrid zu Hause ist und überall sein Weanertum mitbringt. Ein geistreicher, talentierter Kopf, der sich gern die Bühne erobern möchte,[84] aber auch als Schriftsteller immer Journalist bleibt. Er schrieb Romane, litteraturgeschichtliche Abhandlungen und Theaterstücke, von denen »Die neuen Menschen«, »Die Mutter«, »Tschaperl« und »Der Athlet« die bemerkenswertesten sind.
Maximilian Harden (recte Witkowski), geb. am 20. Okt. 1861 in Berlin, Herausgeber der »Zukunft«, einer der gewandtesten und vielseitigsten Journalisten, veröffentlichte seine kritischen Aufsätze unter dem Titel: »Apostata« und »Theater und Litteratur«. (Vergl. Zur Charakteristik litterar. und verwandter Blätter.)
[4] Diese Rubrik, die ihrer Natur nach die umfangreichste des ganzen Werkchens darstellen müßte, wurde auf Veranlassung des Verlegers »als unerheblich« (?!) auf das »unbedingt Notwendige« beschränkt.
Gregor Samarow (Pseudon. für Oskar Meding), geb. am 11. April 1829 in Königsberg i. Pr., kultivierte besonders den sensationell gefärbten Zeitroman (»Scepter und Kronen«, »Europäische Minen und Gegenminen«, »Zwei Kaiserkronen« und Dutzend andere).
Dr. Alfred Friedmann, geb. am 26. Okt. 1845 in Frankfurt a. M., »ist seit 27 Jahren auf allen Gebieten erfolgreich thätig, seine Romane standen in der »Köln. Ztg.«, in »Westermanns Monatsheften«, »Nord und Süd«, »Berliner Tageblatt« etc., seine Gedichte in 3 Bänden gesammelt, standen überall. Zahlreiche Feuilletons trugen ihm Briefe bis aus Ostindien ein, Heyse, Geibel, Bodenstedt, Lingg etc. schrieben über den Dichter und waren ihm befreundet. F. war Redakteur in Wien,[85] ist es in Berlin, reiste zu Kongressen und wurde von Reclam in 7 Bänden von je 8 Auflagen à 5000 Exemplare verlegt«.[5]
[5] Unverkürzt nach den eigenen Angaben des Dichters.
Ernst von Wildenbruch, geb. in Beirut am 3. Febr. 1845, ist einer der erfolgreichsten Dramatiker der Gegenwart, seiner Artung nach mehr den Älteren, denen Schiller noch keine abgethane Größe ist, als den Modernen zuzuzählen. Wird auch bei ihm die Charakteristik sehr oft durch die Rhetorik ersetzt, so ist er doch unerreicht in der Schaffung wirkungsvoller Scenen. Von seinen erfolgreichsten Stücken der ersten Zeit führen wir an »Die Karolinger«, »Harold«, »Der Mennonit«, »Väter und Söhne«. Später entnahm W. hauptsächlich den Stoff seiner Dramen, in denen sich der Hurrahpatriotismus auf Kosten des dichterischen Gehalts breit macht, der Geschichte der Hohenzollern (»Die Quitzows«, »Der Generalfeldoberst«, »Der neue Herr«, »Heinrich und Heinrichs Geschlecht«). Den Einfluß Sudermanns zeigt das realistische Stück »Die Haubenlerche«. Neben dem Dramatiker W. feierte der Erzähler Triumphe (»Humoresken«, »Der Astronom«, »Eifernde Liebe«, »Schwester-Seele« u. a.). W.'s dichterisches Können findet den stärksten Ausdruck in seinen Kindergeschichten: »Das edle Blut«, »Kinderthränen«.
Gerhart Hauptmann, geb. am 15. Nov. 1862 in Salzbrunn, hat sich in verschiedenen Berufen versucht,[86] bevor er den Dichter in sich entdeckte. Durch Arno Holz wurde er dem konsequenten Naturalismus gewonnen; sein erstes Stück: »Vor Sonnenaufgang« steht ganz unter dem Einflusse ausländischer Vorbilder, vor allem Ibsens. Nicht höher sind die nächsten Dramen: »Das Friedensfest« und »Einsame Menschen« zu werten. Erst das sociale Drama »Die Weber«, das ein Bild von der Lage des deutschen Arbeiters in der letzten Vergangenheit giebt, brachte ihm den ersehnten Erfolg, der durch die beiden nächsten Stücke »College Crampton« und »Der Biberpelz«, die hauptsächlich Charakterstudien sind, in denen sich eine humoristische, stark mit Satire vermischte Ader offenbart, noch mehr befestigt wurde. Die nun folgende Traumdichtung »Hannele« zeigt den Dichter im Lager der Symbolisten. Im »Florian Geyer« sucht er mit vergeblichem Bemühen das historische Drama zu meistern. Den Mißerfolg des letzteren Stücks, das alles andere, nur nicht historisch ist, glich H. mit der »Versunkenen Glocke« aus, die auf allen großen Theatern den Ruhm des Dichters kündete, der durch sein nächstes Stück »Fuhrmann Henschel« zu einem unbestrittenen wurde. Ein Mißerfolg war seiner letzten Schöpfung, »einer unbesorgten Laune Kind«: »Schluck und Jau, Spiel zu Scherz und Schimpf mit 5 Unterbrechungen«, die er noch bezeichnender Erlösungen hätte benamsen können, beschieden. Sie beweist aufs neue, welch' großer Dichter Shakespeare war, von dem sich H. zu dem Stücke »anregen« ließ. H. ist in erster Linie novellistisches Talent, (vgl. auch »Bahnwärter Thiel«), ein scharfer Beobachter und ein Meister der Kleinmalerei. Seine dichterische Entwicklung ist sprungweise vor sich gegangen,[87] er hat sich auf allen Gebieten versucht, ehe er das Rechte fand, das ihn aus einem psychologischen Destillateur zum Dichter machte.
Hermann Sudermann, geb. am 30. Sept. 1857 in Matziken in Ostpreußen, ergriff zuerst wie Ibsen – mit dem er sonst keine Berührungspunkte hat – den Apothekerberuf, studierte dann in Königsberg und Berlin Geschichte und Sprachen und wandte sich später ganz der Litteratur zu. Ursprünglich als Romanschriftsteller thätig, errang er seinen ersten glänzenden Erfolg mit dem Schauspiel »Ehre«, das über sämtliche deutsche und ausländische Bühnen ging. Ein starkes theatralisches Talent, hat er es immer verstanden, Konzessionen an die große Menge zu machen. Er kennt sein Publikum und weiß, was er ihm vorzusetzen hat, daher findet er selten den Mut einer Tendenz. Ein trostloser Pessimismus geht durch seine Stücke, in denen er das Faule und Morsche mit besonderer Vorliebe behandelt, ohne jedoch den Weg zu einer besseren Zukunft auch nur anzudeuten. Über den Mangel an dichterischem Gehalt täuscht er hinweg durch eine brillante Technik und eine feine Witterung für die modernsten Probleme. Seine Kunst ist keine innerliche, sie läßt eine selbständige Weltanschauung vermissen. Das tritt nicht nur in seinem ersten Stück, sondern auch in seinen späteren Schöpfungen: »Sodoms Ende«, »Heimat«, »Schmetterlingsschlacht«, »Morituri«, »Das Glück im Winkel«, »Johannes«, »Die drei Reiherfedern« zu Tage. Über dem Dramatiker wird häufig der Romancier Sudermann vergessen, der uns mit einer Reihe spannend geschriebener Romane und Novellen: »Im Zwielicht«, »Frau Sorge«, »Geschwister«, »Der Katzensteg«,[88] »Jolandes Hochzeit«, »Es war« beschenkt hat, unter denen »Frau Sorge« obenan steht.
Max Halbe, geb. am 4. Okt. 1865 in Guettland bei Danzig, errang einen durchschlagenden Erfolg mit dem Stücke: »Jugend«, der ihn für kurze Zeit in die Reihe der ersten Dramatiker stellte. Es gelang ihm jedoch nicht, mit seinen späteren Stücken »Der Amerikafahrer«, »Lebenswende«, »Mutter Erde«, »Das tausendjährige Reich«, von denen das letztgenannte ein bedeutsamer Ansatz zum modern-historischen Drama ist, diese Stellung zu behaupten, so sehr sie auch Zeugnis von seinem ernsten künstlerischen Streben ablegen. H.'s Kunst wurzelt in seiner heimatlichen westpreußischen Erde und hat ihre stärksten Seiten in lyrischen Feinheiten. Von starkem dichterischen Gehalt ist seine Dorfgeschichte »Frau Meseck«.
Ludwig Fulda, geb. am 15. Juli 1862 in Frankfurt a/M., erweckte bei dem Erscheinen der Schauspiele »Das verlorene Paradies« und »Talisman« große Hoffnungen, die jedoch nicht verwirklicht wurden, da sich seine Muse immer mehr zu Roderich Benedix hingezogen fühlte. F. ist ein geistreicher, formgewandter Causeurpoet, seine Stücke hübsch gedrechselte Salonware, ohne großen Gehalt, aber amüsant und auf Massenerfolg hin geschrieben (»Die Kameraden«, »Robinsons Eiland«, »Der Sohn des Kalifen«, »Jugendfreunde«, »Schlaraffenland«). Bemerkenswertes leistete F., der über große Formgewandtheit und sprachliches Talent verfügt, auf dem Gebiete des Epigramms und der Spruchdichtung, sowie als Übersetzer (Molière, Rostand).
Arthur Schnitzler, geb. am 15. Mai 1862 in Wien, hatte bedeutende Bühnenerfolge mit seinen Schauspielen »Anatol«, »Märchen«, »Liebelei«, »Freiwild«. Er ist der Liebespsychologe der Halbwelt, ein Dichter der tändelnden, leichten, freien Liebe, der »kleinen süßen Mädels«, wie sie Wien kennt. Seine Männer sind echte Lebemänner, die skrupellos ihrem Vergnügen nachgehen und es dort suchen, »wo man lächelnd den ersten Kuß empfängt und mit sehr sanfter Rührung scheidet«.
Josef Lauff, geb. am 16. Nov. 1855 in Köln, begann seine litterarische Laufbahn mit epischen Gedichten (»Jan van Calker«, »Der Helfensteiner«, »Die Overstolzin«, »Klaus Störtebecker« u. a.) und wandte sich dann unter kaiserlicher Protektion dem Drama zu (»Der Burggraf«, »Der Eisenzahn«). In seinen Epen ist er ein verwässerter Julius Wolff, in seinen Dramen ein verwässerter Wildenbruch.
Felix Philippi, geb. am 5. Aug. 1851 in Berlin, wandte sich fast ausschließlich der dramatischen Produktion zu (»Daniela«, »Wohlthäter der Menschheit«, »Wer war's?«, »Das Erbe«, »Der goldene Käfig« u. a.). Seine letzten Stücke, die meist sensationellen Hofgeschichten oder politischen Vorkommnissen ihre Entstehung verdanken, wurden beifälliger vom Publikum als von der Kritik aufgenommen.
Max Dreyer, geb. am 25. Sept. 1862 in Rostock, führte sich vor ein paar Jahren mit dem Drama »Eine« verheißungsvoll in die Litteratur ein, schuf jedoch bald Stücke (»In Behandlung«, »Großmama«, »Hans«, »Der Probekandidat«), an denen der klug rechnende Verstand mehr Anteil hat, als das künstlerische Gewissen.[90] Sie sind weniger Dichtungen als Rechenexempel, deren Richtigkeit allerdings durch den Erfolg bestätigt wird.
Josef Ruederer, geb. am 15. Okt. 1861 in München, schuf in seinem Erstlingsromane: »Ein Verrückter. Kampf und Ende eines Lehrers« prächtige Gestalten und in der »Fahnenweihe« eine lebendige Sittenkomödie. Seine neuesten Veröffentlichungen: der Novellenband »Tragödien« und »Wallfahrer-, Maler- und Mördergeschichten« stehen nicht ganz auf gleicher Höhe.
Caesar Flaischlen, geb. am 12. Mai 1864 in Stuttgart, Redakteur des »Pan«, ist ein sprödes und nicht sehr ergiebiges Dichtertalent, das stets die »Moderne« auf sich einwirken ließ. Seine Dramen: »Toni Stürmer« und »Martin Lehnhardt, ein Kampf um Gott« stehen ganz unter dem Einflusse Strindbergs.
Otto Erich Hartleben, geb. am 3. Juni 1864 in Clausthal, ist der Ironiker unter den Modernen, der bei Maupassant in die Schule gegangen ist und mit liebenswürdigem Humor seine Geschichten und Schnurren, die er vorsorglich meist irgend einem Philister in den Mund legt, zu erzählen weiß (»Die Geschichte vom abgerissenen Knopf«, »Vom gastfreien Pastor«, »Der römische Maler«). Als Dramatiker ist er Thesendichter (»Ein Ehrenwort«, »Die Erziehung zur Ehe«, »Ein wahrhaft guter Mensch« u. a.).
Philipp Langmann, geb. am 5. Febr. 1862 in Brünn, errang einen großen und verdienten Erfolg mit seinem socialen Arbeiterdrama »Bartel Turaser«, der seiner späteren dramatischen Produktion (»Die vier Gewinner«, »Gertrud Antleß«) ebenso verdienter Weise versagt blieb. Seine ganz in impressionistischem Stile geschriebenen[91] »Realistischen Erzählungen« und »Ein junger Mann von 1895 und andere Novellen« sind bedeutungslos. Hübsche stimmungsvolle Bilder enthält dagegen sein neuester Novellenband »Verflogene Rufe«.
Ernst Rosmer (recte Frau Elsa Bernstein) schrieb »Wir Drei«, »Dämmerung«, »Königskinder«, sowie den Novellenband »Madonna«, in denen sie den Spuren Gerhart Hauptmanns folgt.
Georg Hirschfeld, geb. am 17. Febr. 1873 in Berlin, schuf seine Schauspiele aus dem engen Kreise seiner (jüdischen) Familie heraus. »Zu Hause«, »Die Mutter« und »Agnes Jordan« errangen daher bei dem Berliner Premièrenpublikum freundliche Erfolge.
Detlev von Liliencron, geb. am 3. Juni 1844 in Kiel, war Offizier und wandte sich erst im reifen Mannesalter der Litteratur zu. Seine litterarische Stellung verdankt er hauptsächlich seinen Gedichten, in denen er sich als durchwegs subjektiver Dichter zeigt, dessen Werke den Stempel der Ursprünglichkeit und des Selbsterlebten tragen. (»Adjutantenritte«, »Gedichte«, »Der Haidegänger«, »Neue Gedichte«, »Ausgewählte Gedichte«, »Kämpfe und Ziele«.) Die Form seiner Werke ist nicht immer einwandfrei, weil oft ein burschikoses Sichgehenlassen hervortritt, aber die Unmittelbarkeit seiner Empfindungsdarstellung und die Frische seiner Gedanken vermögen wohl für diese Fehler zu entschädigen. Sein bester Roman ist »Breide Hummelsbüttel«, der in den Kreisen des holsteinischen Landadels spielt. Viel Lob ernteten auch seine Novellensammlungen: »Eine Sommerschlacht«,[92] »Kriegsnovellen«, »Unter flatternden Fahnen« und sein neuester Roman: »Mit dem linken Ellenbogen.«
Gustav Falke, geb. am 11. Januar 1853 in Lübeck, steht hinsichtlich der Begabung Detlev v. Liliencron am nächsten. Obwohl seine Lyrik viel Formales enthält, hat er doch die Mittel, die höchsten und reinsten Wirkungen zu erzielen und den Leser in seine Stimmungen hineinzuzwingen. Gedichte: »Mynheer der Tod und andere Gedichte«, »Tanz und Andacht«, »Zwischen zwei Nächten«, »Neue Fahrt«, »Mit dem Leben«. Seinem stark realistisch gefärbten Hamburger Roman »Landen und Stranden« ließ er vor kurzem den psychologischen Roman eines fin-de-siècle-Menschen: »Der Mann im Nebel« folgen.
Carl Busse, geb. am 12. Nov. 1872 zu Lindenstadt in Posen, lenkte schon als Schüler die Aufmerksamkeit litterarischer Kreise auf sein dichterisches Schaffen. In seinen »Gedichten« und »Neuen Gedichten«, die in der Form von größter Reinheit sind, ist alles Farbe, Glanz und Stimmung. Seine Romane und Novellen entbehren der Charakteristik, während seine litteraturgeschichtlichen Untersuchungen feine Bemerkungen und treffende Urteile aufweisen.
Ludwig Jacobowski, geb. am 21. Januar 1868 in Strelno, Herausgeber der »Gesellschaft«, ist einer der fleißigsten und begabtesten der jüngeren Dichtergeneration. Seine Gedichte (»Aus bewegten Stunden«, »Funken«, »Aus Tag und Traum«, »Leuchtende Tage«), zeigen ein eigenartiges Gepräge, das auch in seinen Romanen »Werther der Jude«, »Loki« und der Novellensammlung »Und Satan lachte« zu Tage tritt.
Richard Zoozmann, geb. am 13. März 1863 in Berlin, mehr Dilettant als Dichter, gab eine ganze Reihe von Gedichtsammlungen heraus, von denen hier »Minneborn«, »Lieder, Romanzen und Balladen«, »Neue Dichtungen«, »Aus Herz und Welt«, »Aus allen Zonen« genannt sein mögen.
Reinhold Fuchs, geb. am 8. Juni 1858 in Leipzig, ist gleich ausgezeichnet als Lyriker wie als Epiker. Die Versnovellen »Strandgut« und »Herzenskämpfe«, drei Erzählungen in Versen, sind »goldene Früchte in silbernen Schalen« und brauchten den Vergleich mit Tennyson nicht zu scheuen.
Jeannot Emil Freiherr von Grotthuß, geb. am 5. April 1865 in Riga, Chefredakteur des »Türmer«, zeigt sich in seinen auch formell einwandfreien Gedichten »Gottsuchers Wanderlieder«, sowie in der Erzählung: »Der Segen der Sünde« als ein überzeugungstreuer Christ.
Ricarda Huch (recte Frau Ricarda Ceconi), geb. am 16. Juli 1864 zu Porte Alegre, bekundete in ihren im Denken und Fühlen modernen »Gedichten«, sowie in dem Roman »Erinnerungen von Ludolf Urslen dem Jüngeren« ein starkes poetisches Talent.
Alfred Beetschen, geb. am 8. Okt. 1864 in Aarau, ist ein feinsinniger, liebenswürdiger Dichter, dem auch Witz und Satire nicht fremd sind. Seine »Gedichte«, die er 1898 herausgab, spiegeln fast durchweg Selbsterlebtes und -empfundenes wider. Ein hübsches wenn auch nicht gerade bedeutendes novellistisches Talent spricht aus den »Flegeljahren der Liebe«.
Hans Bethge, geb. am 9. Januar 1876 in Dessau, der Jüngsten einer in der Litteratur, debütierte mit dem[94] Skizzenbuche »Syrinx«, dem er Gedichte: »Die stillen Inseln« folgen ließ, in denen sich eine frische, fröhliche Jugend ausspricht, die aber dank des Storm'schen Vorbildes künstlerisch nicht auf Abwege gerät. Er ist ein Moderner und doch »unmodern«, weil er noch Ideale hat.
Anna Ritter, geb. am 23. Febr. 1865 in Coburg, gab 1898 »Gedichte« heraus, die die leidenschaftliche hingebende Liebe des Weibes in formvollendeten Versen zum Ausdruck bringen.
Johanna Ambrosius (recte Johanna Voigt), geb. am 3. August 1854 in Lengwethen, führte sich als »arme Bäuerin« in die Litteratur ein und verdankte dieser Darstellung einen großen buchhändlerischen Erfolg ihrer »Gedichte«.
Ludwig Palmer brauchte kaum als »Arbeiter« gleichsam entschuldigend in die Litteratur eingeführt zu werden. Ein großer Teil seiner »Lieder eines Arbeiters« sind, bei tiefem Gefühlsgehalt, in der Form tadellos.
Gustav Renner, geb. am 17. Oktober 1866 in Freiburg in Schl., war ursprünglich Buchbinder und ging dann zur Kunstmalerei über. Seine »Gedichte« erregten Aufsehen und wurden von der Kritik ebenso günstig aufgenommen, wie die »Neuen Gedichte«, die eher eine Steigerung als eine Abnahme seines dichterischen Könnens verraten.
Ferdinand Avenarius, geb. am 20. Dez. 1856 in Berlin, zeigt sich in seinen Gedichtsammlungen als objektiver Lyriker, der oft statt Empfindungen Grundsätze zum Ausdruck bringt. (»Wandern und Werden«, »Lebe«[95] und das lyrische Epos: »Die Kinder von Wohldorf«.) Als Herausgeber des »Kunstwart« hat er auf unser litterarisches und künstlerisches Leben vielfach Einfluß gewonnen.
Otto Ernst (Pseudon. für Otto Ernst Schmidt), geb. am 7. Okt. 1862 in Ottensen bei Hamburg, von Beruf Lehrer, ist eine kampfesfrohe, polemische Natur, die sich gern gegen das Althergebrachte wendet und auch in der Litteratur oft den Herrn Lehrer spielt. (Gesammelte Essays aus Litteratur, Pädagogik und öffentlichem Leben unter dem Titel: »Offenes Visier«, »Buch der Hoffnung«.) Seine besten Werke sind die Novellensammlung »Aus verborgenen Tiefen«, die »Karthäusergeschichten« und die humoristischen Skizzen: »Ein frohes Farbenspiel«. Das Ende 1899 erschienene Schauspiel: »Die Jugend von heute« ist trotz stellenweise treffender Satire ein verfehlter Versuch zu einer »deutschen Komödie«.
Wilhelm Weigand, geb. am 13. März 1862 in Gissigheim, gab sich als geistvoller Essayist in seinen litteraturgeschichtlichen Schriften. Außer dem Roman: »Die Frankenthaler« und einer Reihe dramatischer Schriften »Die Renaissance« (Dramencyklus) u. a. gab er »Dramatische Gedichte«, »Sommer« (Neue Gedichte) u. a. heraus.
Carl Spitteler (Pseudon. Felix Tandem), geb. am 24. April 1845 in Luzern, der bedeutendste lebende Dichter der Schweiz, debütierte mit der Dichtung »Prometheus und Epimetheus«, der er die Gedichtsammlung »Schmetterlinge« und »Balladen« folgen ließ. Als geistreicher Causeur zeigt er sich in den »Lachenden Wahrheiten«.
Josef Viktor Widmann, geb. am 20. Febr. 1842 in Nennowitz i. M., bekannt als litterarischer Kritiker des »Berner Bund«, begann seine Laufbahn mit Dramen und Epen, die stark philosophisch angehaucht sind. Von seinen letzten Werken wurde das Epos »Maikäfer-Komödie«, das sich durch liebenswürdigen Humor auszeichnet und viele satirische Spitzen und Anspielungen enthält, beifällig aufgenommen.
Christian Wagner, geb. am 5. August 1835 in Warmbrunn, lebt als Bauer in seinem Geburtsorte. Er ist ein tüchtiger Botaniker und weiß in seinen prosaisch-poetischen Naturbetrachtungen die charakteristischen Eigentümlichkeiten der Blumen zu kleinen Märchen auszugestalten. (»Märchenerzähler, Bramine und Seher« [in 2. Aufl. unter dem Titel: »Sonntagsgänge«], »Balladen und Blumenlieder«, »Weihegeschenke«, »Neue Dichtungen«.) Seine buddhistisch-brahmanistische Weltanschauung legte er in seinem letzten Werke »Mein Glaube« nieder.
Wilhelm Bölsche, geb. am 2. Jan. 1861 in Köln, hat sich durch seine auf naturwissenschaftlicher Grundlage aufgebauten Schriften über die moderne Dichtung und Wissenschaft einen Namen gemacht. Als sein reifstes und bestes Werk gilt der Roman: »Die Mittagsgöttin«.
Walther Siegfried, geb. am 20. März 1858 in Zofingen (Schweiz), errang mit seinem Künstlerroman »Tino Moralt«, der sich durch feine Seelenmalerei auszeichnet, einen vollen Erfolg. Auf nicht ganz gleicher Stufe stehen seine späteren Werke: »Fermont« und »Um der Heimat willen«.
Benno Rüttenauer, geb. am 2. Febr. 1855 in Oberwittstadt, machte sich durch gediegene litterarische Essays bekannt. Die alte gute Kunstüberlieferung suchte[97] er, im Gegensatz zur modernen Schule, in seinen Romanen und Novellen (»Unmoderne Geschichten«, »Zwei Rassen«) wieder zur Geltung zu bringen.
Marie Eugenie delle Grazie, geb. am 14. Aug. 1864 in Unter-Weißkirchen, veröffentlichte Gedichte und Epen, von denen das moderne großangelegte Epos »Robespierre« das bekannteste ist.
Helene Böhlau (Mädchenname der Frau al Raschid Bey), geb. am 22. Nov. 1859 in Weimar als Tochter des dortigen Hofbuchhändlers Herm. B., gelangte früh durch diese ›Verbindung‹ in die »Deutsche Rundschau« und zur Anerkennung. Als ihre besten Werke sind die »Ratsmädel-Geschichten« und »Der Rangierbahnhof« anzusehen. Ihr neuester Roman »Halbtier«, der viel Staub aufwirbelte, gehört der hysterischen weiblichen Anklagelitteratur an.
Anna Croissant-Rust, geb. am 10. Dez. 1860 in Dürkheim a/H., ist die Naturalistin par excellence in der deutschen Litteratur. (»Feierabend und andere Münchner Geschichten«, »Lebensstücke«, »Der standhafte Zinnsoldat«, »Der Kakadu und die Prinzessin auf der Erbse«.)
Maria Janitschek, geb. am 23. Juli 1860 in Mödling, ist ein starkes, dichterisches Talent, das eine besondere Vorliebe für absonderliche und krankhafte fin-de-siècle-Menschen bekundet. Mit Laura Marholm steht sie an der Spitze der weiblichen Emanzipationsgegner und giebt ihren Gedanken über das moderne Weib rückhaltlosen Eindruck. (»Gesammelte Gedichte«, »Raoul und Irene«, »Aus der Schmiede des Lebens«, »Vom Weibe«, »Ins Leben verirrt«.)
Emil Marriot (Pseudon. für Emilie Mataja), geb. am 20. Nov. 1855 in Wien, gehört der realistischen Schule an. In ihren stark katholisch gefärbten Werken »Geistlicher Tod«, »Die Unzufriedenen«, »Caritas«, »Der Heiratsmarkt« u. a. kämpft sie mit Vorliebe für die Frauenemancipation.
Hermione von Preuschen, geb. am 7. August 1857 in Darmstadt, die Gattin Konrad Telmanns, versuchte sich als Dichterin und Malerin, ohne jedoch trotz aller Sensationsbestrebungen und Effekthascherei zu reüssieren (»Regina Vitae«, »Tollkraut«, »Via Passionis« u. a.).
Lou Andreas-Salomé, ist eine der gehaltvollsten und tiefsinnigsten Erzählerinnen, auf deren künstlerischen Werdegang die Nietzsche'sche Philosophie großen Einfluß gewann. Ihre Stärke liegt vor allem in der Zergliederung des Menschencharakters, der Analyse der geheimsten Seelenregungen. (»Ruth«, »Aus fremder Seele«, »Fenitschka«.)
Gabriele Reuter, geb. am 8. Februar 1859 in Alexandrien, errang einen vollen Erfolg mit ihrem viel von dem eigenen Denken und Fühlen verratenden Roman: »Aus guter Familie«, der die Leidensgeschichte eines jungen Mädchens enthält, das an der Erziehungslüge zu Grunde geht. 1896 folgte ein Novellenband: »Der Lebenskünstler«. Anfang 1900 ein neuer Roman: »Frau Bürgelin und ihre Söhne«.
Anselm Heine (Pseudon. für Selma Heine), geb. am 18. Juni 1855 in Bonn, gewann mit ihren Novellensammlungen: »Drei Novellen« und »Unterwegs« die Gunst des Publikums und der Kritik.
Hans von Kahlenberg (Pseudon. für Helene von Monbart), geb. am 23. Febr. 1870 in Heiligenstadt, zeichnete sich in ihren Werken »Ein Narr«, »Die Jungen«, »Die Familie von Barchewitz« und dem Briefwechsel »Nixchen« durch eine Erotik aus, die die Wahl eines Pseudonyms zur unbedingten Notwendigkeit machte.
Elsa Asenijeff (Pseudon. für Elsa Nestoroff), eine aus slavischer Abstammung geborene Wienerin, greift in ihren mit philosophischen Anschauungen durchtränkten Schriften, die an Offenheit nichts zu wünschen übrig lassen, vorzugsweise das »Ewig-Männliche« an. (»Ist das die Liebe?«, »Aufruhr der Weiber«, »Sehnsucht.«)
Johannes Schlaf, geb. am 21. Juni 1862 in Querfurt, ging vom Naturalismus aus (»Papa Hamlet«, »Familie Selicke« [in Gemeinschaft mit Arno Holz], »Meister Olze«) und wandte sich dann dem Symbolismus zu (»Frühling«, »Sommertod«, »Gertrud«). Von seiner Romantrilogie, die den Entwicklungsprozeß eines »Neumenschen« hamletschen Gepräges zeigen soll, ist bisher nur der 1. Band unter dem Titel: »Das dritte Reich«, ein Berliner Roman, erschienen. Sch.'s Produktion nach seiner Emancipation von Arno Holz zeigt, daß er dichterisch der bedeutendere der beiden war, wenn ihm auch das Kraftvoll-Männliche abgeht und ein weicher, verträumter Zug über seinen Werken liegt.
Otto Julius Bierbaum, geb. am 28. Juni 1865 in Grünberg, redigierte eine Zeitlang die »Freie Bühne«, die er in die »Neue Deutsche Rundschau« umtaufte, gab[100] den »Modernen Musenalmanach« heraus, gründete mit dem Halbpariser Julius Meier-Gräfe den »Pan« und ist gegenwärtig Mitherausgeber der »Insel«. B. warf sich zum Herold der Symbolisten auf, mit denen er eine Versicherungsgesellschaft auf gegenseitige Hochachtung und Anerkennung gründete, schrieb »Erlebte Gedichte«, »Studentenbeichten«, »Nemt Frouwe disen Kranz«, »Pankrazius Graunzer«, »Stilpe«, »Das schöne Mädchen von Pao« u. a., und giebt mit Vorliebe seinen Bierulk für Humor aus. Der Originalität wegen sieht er sich gern im Mittelalter, wenn nötig auch im Auslande, nach Gewändern um, seine Figuren damit zu behängen und ihnen auf diese Weise ein »charakteristisches Gepräge« zu geben, das ihnen sonst abgehen würde.
Franz Evers, geb. am 10. Juli 1871 in Winsen, erweckte mit seinen ersten Gedichtsammlungen »Symphonie« und »Fundamente« Hoffnungen, verlor sich jedoch später ganz in die Irrgänge der Mystik (»Hohe Lieder«, »Maria«, »Paradiese«), aus denen er bisher noch keinen Ausweg gefunden hat.
Stanislaw Przybyszewski, geb. am 7. Mai 1868 in Lojewo (Prov. Posen) sucht in seinen Schriften den Beweis von der Verwandtschaft des Genies mit dem Irrsinn zu erbringen, oder ist wenigstens bestrebt, beide so mit einander zu verquicken, daß es dem Leser schwer fällt, in dem einen das andere und in dem anderen das eine herauszufinden. Seine dämonisch-verrückt-genialen Dichtungen peinigen den Leser geradezu mit der Darstellung all' der wirklichen und eingebildeten Schmerzen einer zerfaserten fin-de-siècle-Seele. Für Gleichgesinnte, die erfahren wollen, wie schwer sich der[101] moderne Mensch das Leben machen kann und wie sehr er leidet, wie nicht minder für Irrenärzte, sind die P.'schen Werke (»Homo sapiens«, »De profundis«, »Satans Kinder«, »In diesem Erdenthal der Thränen«) eine pathologische Goldgrube.
Richard Dehmel, geb. den 18. November 1863 zu Wendisch-Hermsdorf, ist einer der vielumstrittensten und einflußreichsten Litteraten der Gegenwart, der, selbst ein Grübler, es verstanden hat, unklare Köpfe durch seine lyrischen Stammeleien noch unklarer zu machen. Neben den barocksten und verworrensten Gedichten gelingt ihm hin und wieder ein sehr gutes. Wir besitzen von ihm die Gedichtsammlungen »Erlösungen«, »Aber die Liebe«, »Lebensblätter«, »Weib und Welt«, ein Drama: »Der Mitmensch« und das Tanzspiel: »Luzifer.«
Frank Wedekind, geb. am 24. Juli 1864 in Hannover, hat sich mit Vorliebe auf dem Gebiete des Dramas oder richtiger des Schwankes bewegt. Er ist der Litteratur-Clown par excellence, dessen tolle Sprünge und Capriolen leider nicht für den Mangel an jeder Handlung in seinen »Dramen«, die Groteskes und Tragisches in kunterbunter Mischung enthalten, entschädigen können. (»Die junge Welt«, »Der Erdgeist«, »Der Liebestrank« u. a.). Um seine litterarische Art und Stellung noch präziser zu kennzeichnen, sei daran erinnert, daß er einer der Hauptmitarbeiter des »Simplizissimus« war.
Wilhelm von Scholz, geb. am 15. Juli 1874 in Berlin, ist Verfasser von Gedichten (»Frühlingsfahrt«, »Hohenklingen«), die eine Neigung zu altdeutsch-romantischer Mystik bekunden, wie auch zweier Dramen oder richtiger lyrischer Gedichte in dramatischer Form (»Der[102] Gast«, »Der Besiegte«), denen dieselben Merkmale anhaften.
Felix Dörmann (Pseudon. für Felix Biedermann), geb. am 29. Mai 1870 in Wien, liebte frühzeitig »die hektischen schlanken Narzissen, alles was krank und faul und wund«. Dieser Geschmacksrichtung entsprechen seine Gedichtsammlungen »Neurotica«, »Sensationen« und die Sittenkomödie »Ledige Leute«, in denen er sich als krampfhafter Dekadent erweist.
Hugo von Hofmannsthal, geb. am 1. Febr. 1874 in Wien, schrieb formschöne, feincisilierte, wenn auch dem Leben abgewandte Dichtungen. Seine Begabung ist hauptsächlich formalistischer und stilistischer Natur und seine Dramen (»Der Thor und der Tod«, »Der Abenteurer«, »Die Hochzeit der Sobeïde«), deren Stoffe zumeist der Märchenwelt entnommen sind, erinnern in vielem an D'Annunzio's letzte Werke. Als eine Bereicherung unserer Bühne sind sie nicht anzusehen.
Hugo Salus, geb. am 3. Aug. 1866 in Böhm.-Leipa, machte sich zuerst durch Gedichte im »Simplizissimus« und der »Jugend« bekannt, in denen schwere Gedanken mit übermütiger Schelmerei, fin-de-siècle-tum mit altdeutscher Romantik in buntem Reigen vorüberziehen. (»Gedichte«, »Neue Gedichte«, »Ehefrühling«.)
Peter Altenberg, geb. am 9. März 1862 in Wien, machte mit einer Sammlung von Stimmungsbildern: »Wie ich es sehe« in Litteratenkreisen Aufsehen. Sie ist ebenso wie »Aschantee« ganz im impressionistischen Stile geschrieben, der sehr bequemerweise nur Andeutungen giebt und es dem Leser überläßt, sie weiter auszuführen.
Stephan George, geb. 1868 in Bingen a. Rhein, schrieb »Hymnen, Pilgerfahrten, Algabal«, »Die Bücher der Hirten und Preisgedichte, der Sagen und Sänge und der hängenden Gärten«, denen sich 1898 »Das Jahr der Seele«, 1899 »Der Teppich des Lebens und die Lieder von Traum und Tod« anschlossen. Seine Dichtungen – ihrem »Wert« entsprechend meist auf das feinste Büttenpapier gedruckt – sind oft nicht weniger verworren als die Titel, unter denen er sie herausgab.
Alfred Mombert kann denjenigen jüngstdeutschen Lyrikern zugezählt werden, deren überreizte, krankhafte Phantasie sich jeden Stoffes, jeder Empfindung bemächtigt, um ihnen dichterischen Ausdruck zu geben. Sein Gedichtband: »Die Schöpfung« läßt nicht klar erkennen, ob es sich um einen langatmigen Scherz oder um Phantasien eines geistig Gestörten handelt.
Paul Scheerbart, geb. am 8. Jan. 1863 in Danzig, früher »Bureauchef im Verlag deutscher Phantasten«, ist einer der seltsamsten Käuze in der neuzeitlichen Litteratur, der neben phantastischen Einfällen eine gute Dosis Blödsinn in seinen Schriften ablagert (»Tarub, Bagdads berühmte Köchin«, »Der Tod der Barmekiden« u. a.).
Arthur von Wallpach, geb. am 6. März 1866 in Vintl (Tirol), Schriftleiter des »Scherer«, veröffentlichte »Im Sommersturm« und »Sonnenlieder«, ernste formvollendete Dichtungen, die von nationalem Bewußtsein beseelt sind.
Franz Herold, geb. am 15. Febr. 1854 in Böhmisch-Leipa, gab heraus »Wachsen und Werden«, »Spuren«,[104] »Fremde und Vaterland«, meistens Gedankendichtungen, denen er eine ansprechende Form zu geben versteht.
Hermann Hango, geb. am 16. Mai 1861 in Wien, verfaßte: »Zum Licht«, »Neue Gedichte«, »Faust und Prometheus«, »Nausikaa« (Trauerspiel), die sich durch schöne Form und Gedanken auszeichnen.
Josef Kitir, geb. am 11. Febr. 1867 in Aspang in Niederösterreich, Herausgeber der »Poetischen Flugblätter«, hat die Gabe, Ereignisse des alltäglichen Lebens mit großer dichterischer Stimmung zu schildern. K. veröffentlichte »Leben und Stimmung«, »Lyrische Radierungen«.
Oskar Weilhart (Pseudon. für Oskar Gerzer), geb. am 26. September 1868 in Mattighafen, schrieb mit seinem Bruder Josef Hafner eine Reihe von Dramen: (»Keine Sühne«, »Der Frauenkongreß«, »Brotlose Kunst«), die trotz mancher dramatischer Unbeholfenheiten das Ringen ehrlichen Könnens mit großen Stoffen beweisen.
Franz Adamus, geb. am 15. Okt. 1867 in Auschwitz, wurde durch sein in den schlesischen Bergwerksdistrikten spielendes Drama: »Familie Wawroch« bekannt, in welchem er mit gutem Gelingen den gesunden Realismus aus den Anfängen der modernen Litteraturentwickelung wieder auf die Bühne bringt.
Emil Ertl, geb. am 11. März 1860 in Wien, hat sich durch seine Novellen »Opfer der Zeit«, »Miß Grant«, »Die Perlenschnur« u. a. als feinsinniger Erzähler einen guten Namen errungen.
Heinrich von Schullern, geb. am 17. April 1865 in Innsbruck, wurde durch seine Skizzen (»Helldunkel«) bekannt, in denen man Stil, Grazie und Esprit, oft auch nicht immer gut verteilte satirische Spitzen findet. In[105] seinem stellenweise stark polemisierenden Roman »Im Vormärz der Liebe« schildert er die Geschichte einer zur Lebenserkenntnis gelangenden Jugend.
Hanns Weber-Lutkow (Pseudon. für Dr. Hanns Pokorny), geb. am 27. September 1861 in Lemberg, veröffentlichte zahlreiche Skizzen und kritische Arbeiten und entrollte in seinen »Schlummernden Seelen« ergreifende Bilder aus dem Fühlen und Leben des niederen Volkes in Kleinrußland.
Hugo Greinz, geb. am 3. Juni 1873 in Innsbruck, Herausgeber des »Kyffhäuser«, gilt als kritischer Vorkämpfer für die Idee einer von der Großstadt unabhängigen österreichischen Provinzlitteratur. Seine Novellen »Küsse« stehen unter Jacobsen'schem Einflusse. Mit Heinrich von Schullern gab er 1898 den modernen Musenalmanach »Jung-Tirol« heraus.
An der Spitze unserer Revuen und litterarischen Zeitschriften marschiert noch immer die von Julius Rodenberg gegründete und geleitete »Deutsche Rundschau«, der in Inhalt und Ausstattung die »Revue des deux Mondes« als Vorbild gedient hat. Erreichte sie auch nicht die Verbreitung und den Einfluß ihrer französischen Schwester, so hat sie doch alle Eigenschaften, die sie als ein vornehmes Organ im besten Sinne charakterisieren, das die Lobsprüche, welche ihm anläßlich des 25jährigen Bestehens, im November 1899, gewidmet wurden, durchaus verdient. In gewissem Abstande folgen »Nord und Süd«, herausgegeben von Paul Lindau, und die »Deutsche Revue«, von denen sich die letztere in neuester Zeit besonders durch ihre zahlreichen und umfangreichen Bismarckpublikationen hervorgethan hat.
Mehr dem Gebiet und dem Geiste der »Gartenlaube«, des »Daheims« u. s. w. nähern sich »Westermann's Monatshefte«, eine sehr konservativ gehaltene Zeitschrift, und »Velhagen und Klasings Monatshefte«, die dem litterarischen Schaffen unserer Tage, besonders dem der Tagesgrößen, aufmerksame Beachtung schenken und das Publikum gern einen Blick in die litterarischen[107] Werkstätten thun lassen. Nicht für das große Publikum berechnet ist die »Neue Deutsche Rundschau«, die aus der »Freien Bühne« hervorging, eine der »freiesten« Monatsschriften, in der sich oft die wagehalsigsten Geschichtchen im Stile der Allermodernsten finden. Sie hat den Erfolg Hauptmanns und seine litterarische Stellung mit begründen helfen und uns mit einer Reihe Ausländer, namentlich nordischer Schriftsteller, bekannt gemacht, die ohne dieses Organ schwerlich in Deutschland zu Gehör gekommen wäre. Die »Neue Deutsche Rundschau« hat in den 90er Jahren im Litteraturleben fast dieselbe Stellung eingenommen, wie im vorausgegangenen Jahrzehnt »Die Gesellschaft«. Als die Sturm- und Drangperiode der 80er Jahre inauguriert wurde, scharten sich die neuen Streiter, alles was in Litteratur machte und revoltierte, aber keinen Verleger finden konnte, um das Banner der »Gesellschaft«, an deren Spitze M. G. Conrad und Karl Bleibtreu standen. Wie die Mitarbeiter der »Neuen Deutschen Rundschau« in S. Fischer, Berlin, so fanden die Jüngsten der »Gesellschaft« in Wilhelm Friedrich, Leipzig, ihren Verleger. Als die Bewegung, deren Bedeutung man nicht unterschätzen darf, wenngleich ihre Haupthelden viel gethan haben, sich um allen Kredit zu bringen, in ein ruhigeres Fahrwasser glitt, als man das Geschrei von der Wolle sonderte, da sank auch die »Gesellschaft« von Stufe zu Stufe, trieb sich, ohne festen Fuß fassen zu können, bei allen Verlegern umher und ist jetzt endlich im Verlage von E. Pierson, Dresden, vor Anker gegangen. Sie büßt nun ihre litterarische Vergangenheit, und es wird der energischen, zielbewußten Leitung des jetzigen Redakteurs,[108] Dr. Ludwig Jacobowskis, bedürfen, sie in litterarischen Kreisen wieder »gesellschafts«fähig zu machen.
Mehr auf politischem als litterarischem Gebiete liegt die Bedeutung der »Grenzboten« und der »Preußischen Jahrbücher«. Ihre Glanzperioden gehören der Vergangenheit an, und namentlich die erstere, die früher auch in Österreich eine Rolle spielte, ist jetzt nur der Schatten von ehedem, als noch Gustav Freytag auf dem Redaktionssessel saß. Als gut geleitete, angesehene Zeitschriften sind noch die Zolling'sche »Gegenwart« und die »Nation«, das Organ des freisinnigen Abgeordneten Dr. Barth, zu nennen. Den gleichen Rang, nur mit stärkerer Betonung des politischen Teiles, nehmen in Österreich »Die Zeit« und die von Dr. Rudolf Lothar geleitete »Wage« ein. Zu ihnen hat sich seit April 1899 »Der Kyffhäuser«, eine von Hugo Greinz geleitete Monatsschrift, gesellt, die ihre Hilfe und Unterstützung den bedrohten nationalgesinnten Deutschen leiht. Von geringer Bedeutung und wohl nur in Litteratenkreisen begehrt, ist die »Wiener Rundschau«, eine von Constantin Christomanos und Felix Rappaport geleitete Halbmonatsschrift, die einen starken Zug nach Mystik und Symbolismus à la Strindberg und Maeterlinck bekundet.
Eine Ausnahmestellung nimmt der »Simplizissimus« ein, der ebenso wie die Münchener »Jugend« nur bedingungsweise in diese Übersicht gehört. Die »Jugend« hat sich nicht so ungebärdig gezeigt, wie das Langensche Blatt, obwohl sie schon durch ihren Titel ein größeres Recht auf Ungebundenheit herleiten könnte. Manch hübsche Zeichnung und manch guter Beitrag ist in ihren Spalten erschienen, und der frische,[109] fröhliche Zug, der durch das Ganze geht, haben ihr, trotz manches Minderguten, das man schon der »Jugend« zu gute halten mußte, viele Freunde und Anhänger geschaffen. Anders der »Simplizissimus«, der seiner Zeit mit dem Anspruche auftrat, ein deutsches Familienblatt zu sein, in seinen Spalten die politischen und socialen Verhältnisse in humoristischer und satirischer Form widerzuspiegeln und lachend die Wahrheit zu sagen. Selten ist zwischen einem Programm und seiner Ausführung ein so großes Mißverhältnis eingetreten, wie dies beim »Simplizissimus« der Fall ist, selten ist das Wort Humor so falsch verstanden und interpretiert worden, wie bei dieser Zeitschrift. Die Mitarbeiter, die sich um die Fahne des neuen Blattes sammelten, sind fast sämtlich bei den Franzosen in die Schule gegangen und haben dort alles, was deutsch an ihnen war, weit hinter sich gelassen. »Die deutsche Sprak ist eine zu arme Sprak, eine plumpe Sprak« und das deutsche Wesen ein zu schwerfälliges, zu gründliches, als daß man es für ein Blatt hätte brauchen können, das in erster Linie auf starke Effekte berechnet war. Eine »Gartenlaube« oder ein »Daheim« hätte die Zeitschrift nicht zu werden brauchen, aber noch weniger das, was sie geworden ist: ein in deutscher Sprache geschriebenes französisches Skandal-Boulevardblatt. Was dem Blatte vor allem fehlt, ist der sittliche Ernst, den man auch aus Witz und Humor herausfühlen muß und der uns sagt, daß die Absicht des Zeichners wie des Dichters, trotz der stark aufgetragenen Farben, eine gute war, daß sie nicht nur auf Skandal und Effekthascherei ausgegangen ist. Daß dieses Gefühl in uns nicht aufkommt, dafür[110] sorgen die fast in jeder Nummer enthaltenen echt französischen Cochonnerien, die, man mag mit noch so viel gutem Willen versuchen, in sie etwas hineinzulegen, nichts anderes bleiben als »Caviar« für Lebemänner im Sinne des Herrn Grimm in Budapest[6]. – Vom »Simplizissimus« zur »Zukunft« ist trotz der großen Verschiedenheit der inneren und äußeren Gestaltung beider Blätter kein allzuweiter Schritt: sie begegnen sich in der destruktiven Tendenz, die gegen alles Bestehende gerichtet ist und ihre Freude nur am Negieren und Verreißen hat. Wo der »Simplizissimus« grob und derb zugreift, da finden wir die »Zukunft« und ihren Herausgeber in stiller Minierarbeit thätig. Harden ist zweifellos ein begabter und tüchtiger Journalist mit einem Stich ins Exotische und einer feinen Witterung für das Aktuelle. Er geht selten gerade aufs Ziel los, aber er versteht es, in Gleichnissen, Bildern und Allegorien sein Ziel sicher zu treffen. Dabei besitzt er eine erstaunliche Bekanntschaft mit Büchern, die außer ihm kein Mensch kennt, oder vielleicht richtiger, die Gabe, seine gesamten Kenntnisse in jedem einzelnen Artikel in kursfähige, kleine Münze umzusetzen. Er ist ein Mann nach dem Herzen des Staatsanwalts, der schon wiederholt verlangend die Arme nach ihm ausgestreckt hat, ein Mann, dem der Erfolg und der Effekt über alles gehen, der sich in Gegensatz zur herrschenden Partei schon aus Freude an der Opposition überhaupt stellen würde.[111] Maximilian Harden ist aber noch mehr. Er ist vor allem der Geschäftsmann par excellence, der sein Publikum kennt und weiß, was er ihm vorzusetzen hat. Er vertritt das monarchische Prinzip, aber er mag den Kaiser nicht, er ist für Verfassung, aber sie paßt ihm nicht, er ist ein glühender Verehrer Bismarck's, aber er wäre es kaum, wenn Bismarck noch amtiert hätte, als seine Zeitschrift zu erscheinen begann. Auf diese Weise sammelte er die Partei jener um sich, die, wenngleich gute Monarchisten, mit den bestehenden Verhältnissen unzufrieden sind, jene vor allem, die es als nicht in den Kreis der Herrscherpflichten fallend erachten, wenn ein Kaiser nicht nur ein guter Regent, sondern auch ein guter Redner sein will. – Völlig bedeutungslos ist die von Dr. Wrede herausgegebene »Kritik« geblieben, die ursprünglich als Konkurrenz der »Zukunft« gegründet wurde. Trotz aller polemischen Versuche Wredes, die oft komisch genug ausfielen, hat sich die »Kritik« nie mit dieser ganz aus Persönlichem heraus geschaffenen Zeitschrift auch nur entfernt messen können. Harden ist auch als Journalist Schriftsteller und ein geistreicher Kopf, während sich Wrede von den Brosamen nährt, die von des Reichen Tische fallen.
[6] In den gegen Ende 1899 gegründeten Zeitschriften »Münchhausen« (inzwischen wieder eingegangen) und »Satyr«, von denen die letztere auch schon wiederholt konfisziert wurde, hat der »Simplizissimus« bereits würdige Nachfolger gefunden.
Zu unseren bestgeleiteten Zeitschriften gehört der von Jeannot Emil Freiherrn von Grotthuß herausgegebene »Türmer«, der den Untertitel: Monatsschrift für Gemüt und Geist führt. »Der Türmer« will die Sehenden zu Schauenden machen, »umsaust von Schlagworten, von Parteien und Schulen umhergezerrt, will er den stillen Winkel bieten, wo ein jeder nach dem harten Tagewerk in Feierabendstimmung die Flut der Erscheinungen des[112] socialen und künstlerischen Lebens erörtern und verarbeiten kann«. Diesem Programm hat der »Türmer« mit Erfolg gerecht zu werden versucht. Er ist kein Organ für Freidenker, wie sich das bei dem Herausgeber und dem lyrisch-religiös angehauchten Verlage von Greiner & Pfeiffer, Stuttgart, von selbst versteht, und es ist nur zu wünschen, daß er nicht im Laufe der Zeit in eine kirchlich-reaktionäre Strömung gerät, die ihn aus dem jetzigen Interessentenkreis hinaus in die enge Stube des Pfarrhauses trägt. – Einen vornehmen Anstrich hat sich auch die von Karl Emil Franzos herausgegebene »Deutsche Dichtung« bewahrt, ohne daß man ihr jedoch einen besonderen Einfluß auf unser Geistesleben zugestehen könnte. – Zu erwähnen wären hier noch zwei politisch-litterarische Zeitschriften, die vor Jahresfrist gleichzeitig unter dem vielverheißenden Titel: »Das neue Jahrhundert«, die eine in Köln, die andere in Berlin, erschienen, sowie die von August Scherl herausgegebene »Woche«, auf die die Tendenzen des »Berliner Lokalanzeigers« – eine gesinnungstüchtige Parteilosigkeit – litterarisch-künstlerisch gefärbt, übertragen wurden. Die Auflage der »Woche« ist infolgedessen binnen kurzem auf über 400 000 gestiegen.
Sieht man von einigen kleineren Blättern ab, von denen man nicht weiß, ob sie bei Ausgabe dieses Werkchens noch existieren werden, so bleiben von jenen Zeitschriften, die man in den Katalogen als »Revuen für Kunst, Wissenschaft und öffentliches Leben« aufgeführt findet, die große Kunstzeitschrift »Pan«, einsam in stolzer Höhe thronend, für das Kunstverständnis und den Geldbeutel aller jener zu hoch, für die sie ins Leben gerufen wurde, und die im Oktober 1899 gegründete Zeitschrift »Die Insel« übrig. »Pan« hat[113] die Erwartungen, die sich an sein Erscheinen knüpften, in keiner Weise erfüllt, er ist – ohne jede feste, zielbewußte Redaktion – so unverständlich und geheimnisvoll geblieben, wie sein Ahn, der große »Pan«, und wohl nur der Opferwilligkeit einiger Bankiers und sonstiger wohlsituierter Leute, die ihr künstlerisches Interesse durch Hergabe einiger Goldfüchse zu bethätigen suchen, ist es zu danken, daß er – wenn auch fast unter Ausschluß der Öffentlichkeit – noch erscheint. – »Die Insel«, herausgegeben von Otto Julius Bierbaum, A. W. Heymel und R. A. Schröder, von der jetzt 4 Hefte vorliegen, scheint sich nach Ausstattung, Inhalt und Preis – Jahresabonnement 36 Mk. – mehr an die Liebhaber und Sammler, als an die wirklichen Litteratur- und Kunstfreunde zu wenden. Die litterarischen Beiträge sind ohne jede Bedeutung, einzelne direkt albern, der »Bilderschmuck« primitiv wie der einer Kinderfibel und die Druckschrift so verschnörkelt und entartet, daß nur Leute, die über viel Zeit verfügen, als Leser in Frage kommen können. Alles in allem: schade um das schöne Papier.
Zwei Zeitschriften nicht rein litterarischer Art, aber für Kunstfreunde von besonderem Interesse sind die »Zeitschrift für Bücherfreunde« und »Bühne und Welt«. Die erstere hat sich die Aufgabe gestellt, alles in ihren Kreis zu ziehen, was für Bibliophilen besonderes Interesse hat. Ist auch diese Gemeinde in Deutschland gegenüber ihrer Verbreitung in anderen Ländern, besonders in Frankreich und England, noch eine bescheidene, so scheint es dieser Zeitschrift doch gelungen zu sein, festen Fuß zu fassen. Noch jüngeren Datums ist »Bühne der Welt«, die anfangs tastend und schwankend ihren Weg suchend, nach kaum[114] Jahresfrist sich zu einer unserer vornehmsten Revuen aufgeschwungen hat, in deren Spalten sich das Kunstleben unserer Tage getreulich widerspiegelt. Sie kann sowohl denen zur Lektüre empfohlen werden, die unsere Bühnenkünstler »bei der Arbeit« und zu Hause sehen wollen, als auch dem Kreis derer, die sich für die dramatische Produktion der Gegenwart interessieren.
Übergehend zu den rein litterarischen Zeitschriften wären vorerst noch der »Kunstwart«, der den Untertitel »Rundschau über Dichtung, Theater, Musik und bildende Künste« führt, die »Deutsche Zeitschrift« (Fortsetzung des »Kynast«), Monatschrift für Politik und Volkswirtschaft, Kultur und Kunst, und die »Heimat« (Neue Folge des »Boten für die deutsche Litteratur«) zu nennen. Der »Kunstwart« hat vor Jahresfrist eine vollständige Umgestaltung erfahren, die nicht nur eine Änderung des äußeren Gewandes, sondern vor allem eine bedeutende Vermehrung des Textes unter gleichzeitiger Beigabe von Kunst- und Musikbeilagen herbeiführte. Sein Herausgeber Ferdinand Avenarius besitzt in künstlerischen Dingen ein feinsinniges Urteil, das er auch bei der Wahl seiner Mitarbeiter, zu denen Adolf Bartels, Oscar Bie, Schultze-Naumburg u. a. zählen, bekundet. So ist der »Kunstwart« eine unserer gediegensten künstlerischen Zeitschriften, trotz aller Vielseitigkeit von Einseitigkeit im Urteil nicht freizusprechen, aber ehrlich und vornehm geleitet. – Die von Ernst Wachler herausgegebene »Deutsche Zeitschrift« bezweckt vorzugsweise die Pflege und Förderung unserer National- und Kulturinteressen im Geiste der Politik des Fürsten Bismarck. Gleich der »Heimat«, deren Gründung Ende 1899 erfolgte, sucht sie Kunst und Dichtung von[115] der Ausländerei freizumachen und nationalen Zielen zuzuführen.
Von den rein litterarischen Blättern stand das »Magazin für die in- und ausländische Litteratur« jahrelang an der Spitze, und es verdiente diese Stellung noch anfangs der achtziger Jahre, als Wilhelm Friedrich, Leipzig, noch Verleger des Blattes war, das seinen Ursprung bis auf das Jahr von Goethes Tode zurückführt. Seinem alten Programm, eine Übersicht über die Litteratur aller Länder und Völker zu geben, ist es ganz untreu geworden, eine redaktionelle Leitung, trotzdem oder weil? drei Herausgeber (Rudolph Steiner, Otto Erich Hartleben und Moritz Zitter) vorhanden sind, ist kaum noch wahrzunehmen; das »Magazin für Litteratur«, wie es sich jetzt nennt, bringt Artikel aus allen möglichen Gebieten kunterbunt durcheinander ohne jede Bezugnahme zu seinem Titel. Seit Wilhelm Friedrich, Leipzig, den Verlag des Blattes nicht mehr führt, ist es fast immer »unterwegs« auf der Suche nach einem Verleger gewesen. Hin und wieder ist ein neues, wenn auch schwächliches Reis dem alten Stamme aufgepfropft worden, ohne daß die Lebenssäfte des Blattes durch diese Okulation gewonnen hätten; auch die Beigabe der »Dramaturgischen Blätter« konnte dem steten Sinken des »Magazins« keinen Einhalt thun. Ob jetzt das Blatt im Verlage von S. Cronbach, Berlin, eine Heimstätte gefunden oder ob auch dieser nur eine Durchgangsstation bedeutet, vermögen wir nicht zu entscheiden.
An die Stelle des »Magazins«, was Einfluß und Bedeutung anlangt, sind die »Internationalen Litteraturberichte« (Herausgeber Emil Thomas) getreten, die auch der Abonnentenzahl nach die anderen Litteraturblätter weit hinter sich[116] lassen. Sie haben sich die Aufgabe gestellt, alles in ihren Kreis zu ziehen, was an litterarischen Bestrebungen im In- und Auslande in Erscheinung tritt und es in Artikeln, Übersichten, Einzelbesprechungen etc. festzuhalten. Eine Konkurrenz ist ihnen durch das im Verlage von F. Fontane & Co., Berlin, erscheinende »Litterarische Echo« erstanden, das gut geleitet ist und eine Fülle von Notizen bringt, unter denen die Übersichtlichkeit etwas leidet. Ob und inwieweit sich für die Dauer die ständige Berücksichtigung kleinerer Litteratur- und Sprachgebiete, wie des Polnischen, Czechischen u. s. w., für die in Deutschland nur ein ganz bescheidener Interessentenkreis vorhanden ist, empfiehlt, wird der Herausgeber, z. Z. Dr. Ettlinger, bald herausfinden. – Eine besondere Erwähnung, wenngleich infolge ihres unregelmäßigen Erscheinens kaum noch als Zeitschrift aufzufassen, verdienen die »Jahresberichte für deutsche Litteraturgeschichte«, die in übersichtlich geordneten und zusammenhängenden Abschnitten zeigen wollen, welche Bücher, Aufsätze, Artikel und Kritiken auf dem Gebiete der jüngsten Geisteswissenschaft erscheinen, und was sie Neues und Wertvolles enthalten. – Fast ganz auf wissenschaftliche Kreise und Bibliotheken beschränkt war das 1850 von dem hervorragenden Leipziger Germanisten Prof. Friedr. Zarncke gegründete »Litterarische Centralblatt«, das lange darauf verzichtend, eine Übersicht der deutschen Litteratur zu geben, fast ausschließlich Rezensionen einzelner Werke brachte und es dem Einzelnen überließ, aus diesen Bruchstücken sich das Gesamtbild der Litteratur zusammenzusetzen. Erst seit Januar 1900 erscheint eine Beilage zum »Centralblatt«, die vor allem größere zusammenfassende kritische Übersichten der verschiedenen Gattungen dichterischer[117] Werke und orientierende Aufsätze allgemeinen Inhalts enthält.
Dem »Litterarischen Centralblatt« verwandt sind »Euphorion«, die »Deutsche Litteraturzeitung«, das »Allgemeine Litteraturblatt« (das früher unter dem Titel »Österreichisches Litteraturblatt« erschien), die »Zeitschrift für vergleichende Litteraturgeschichte« und die vor kurzem von Dr. Erich Bischoff gegründete »Zeitschrift für wissenschaftliche Kritik und Antikritik«. Sie sind alle auf einen kleinen Kreis beschränkt und ein wirklicher Einfluß auf unser Litteraturleben ist ihnen kaum zuzusprechen. Die »Blätter für litterarische Unterhaltung«, eine sehr alte und angesehene Zeitschrift, ist seit Januar 1899 aus den Reihen der Litteraturzeitungen verschwunden; selbst der Klang der Weltfirma F. A. Brockhaus, Leipzig, war nicht stark genug, um sie am Einschlafen zu behindern. – An der Spitze der katholischen Litteratur stehen der »Litterarische Handweiser« und die »Deutsche Rundschau für das katholische Deutschland«, beide – sehr oft zum Schaden einer objektiven Kritik, – bemüht, litterarische Interessen mit religiösen Fragen zu verquicken.
Von der Aufzählung der Winkel- und Cliquenblättchen, die ein kärgliches Dasein fristen, um – nachdem Drucker und Verleger um einige Erfahrungen reicher und ein paar Hundertmarkscheine ärmer – wieder in den Orkus zu versinken, wollen wir Abstand nehmen: der Litteratur nützen sie so wenig wie ihren Herausgebern, die da hofften, durch sie eine litterarische Position oder pekuniäre Vorteile zu erlangen.
Die Cotta, Goeschen, Brockhaus und wie die bedeutenden Buchhändler alle heißen, sind tot, und an Stelle der großen, von weitausschauenden, scharf ausgeprägten Persönlichkeiten getragenen Verlagsgeschäfte, die bestimmenden Einfluß auf die Litteratur ausübten, sind zwar nicht minder große, aber desto unpersönlichere Aktiengesellschaften getreten, die zum weitaus größten Teil den litterarischen Markt beherrschen. Für diese Geschäfte handelt es sich nicht so sehr um die Förderung des Schrifttums durch den Verlag guter Litteratur, sondern in erster Linie um die Erzielung hoher Dividenden, zu deren Erhalt weniger Wert auf die litterarische Bedeutung eines Buches, als auf seine Gangbarkeit zu legen ist. Gerade das Fehlen jedes persönlichen Moments und das ausschließliche Werten eines Werkes nach seiner Absatzfähigkeit, für die ein Anhalt in dem Namen des Autors, hin und wieder auch in dem behandelten Stoffe oder einer momentan herrschenden Strömung liegt, läßt fast alle großen Verlagsfirmen aus einem großen Aufsatz scheiden, der von der Anteilnahme des Verlagsbuchhandels an unserem modernen Schrifttum sprechen soll. Nichtsdestoweniger stehen diese Firmen in erster Reihe, nicht zuletzt durch die großen mit einem enormen Kapitalaufwand[119] gegründeten Familienblätter, durch die sie auf die Geschmacksrichtung und das Urteil des großen Publikums den bedeutendsten Einfluß ausüben. »Über Land und Meer«, »Buch für Alle«, »Zur guten Stunde«, »Moderne Kunst«, »Daheim«, »Gartenlaube«, »Vom Fels zum Meer«, »Für alle Welt« u. s. w. sind Unternehmungen, die das Lesebedürfnis von Hunderttausenden befriedigen, neben den Tagesblättern den größten Teil der litterarischen Produktion an sich reißen und den Wünschen ihres Publikums entsprechend beeinflussen und zustutzen.
Der Buchverlag ist für den Schriftsteller wie für den Verleger in den meisten Fällen nicht mehr lohnend genug und der vom Ertrage seiner Feder lebende Autor gezwungen, Konzessionen zu machen, sein künstlerisches Gewissen auszuschalten und das zu produzieren, was der Moloch, das große Publikum, am liebsten verschlingt: leicht verdauliche Unterhaltungsware. Gerade in der letzten Zeit sind aus den Kreisen der Schriftsteller Stimmen laut geworden, die auf den verderblichen Einfluß hinwiesen, dem ihre eigene Produktion unterworfen ist, seit man sie in die Zwangsjacke der Familienlitteratur gesteckt hat. Das Publikum hat an diesen Zuständen sicher mehr Schuld als die Verleger und Redaktionen der Zeitschriften, die nicht mit dem gebildeten Geschmack einer kleinen Gemeinde, sondern mit dem rechnen müssen, was Hunderttausenden gefällt. Um keine Abonnenten zu verlieren und sie der Konkurrenz in die Arme zu treiben, müssen sie, deren Unternehmungen auf Massenabsatz angewiesen sind, geben, was das große Publikum verlangt, müssen – im Gegensatz zu der Aufgabe eines wahren Familienblattes – verzichten, bildend und veredelnd auf den Geschmack des Volkes zu[120] wirken. Was immer auf dem Gebiete der Litteratur bezw. der Ästhetik seit der politischen Wiedergeburt Deutschlands geleistet wurde: das große Publikum ist davon unberührt geblieben; ja es betrachtet noch heute die Litteratur nicht anders als eine angenehme Spielerei für müßige Stunden. Nur die eine Forderung: die nach mehr Wirklichkeitssinn, nach einer stärkeren Betonung des Lebens und seine Erscheinungen in der Litteratur hat – vielleicht mehr unbewußt, mehr vom Leben und seinen Forderungen selbst beeinflußt – auch im Publikum Anerkennung gefunden. In Bezug auf künstlerisches Verständnis sind keinerlei Fortschritte zu verzeichnen und die Existenzbedingungen des Buchhandels, in dem sich immer mehr eine rein kaufmännische Auffassung des Berufes geltend macht, sind nicht derart, um sich den Luxus gestatten zu können, in künstlerischer Hinsicht erzieherisch auf das Publikum zu wirken.
Der deutsche Buchhandel früherer Zeiten hat für Litteratur und Wissenschaft viel gethan und manches Werk, das weder die Unterstützung einer Regierung, noch einer Akademie oder eines Instituts gefunden hat, verdankt ihm allein sein Erscheinen. Nicht aus Liebe zum Geld, sondern aus Liebe zur Litteratur und Wissenschaft wurden Werke publiziert, für die kein Kaufmann, kein Geschäftsmann eine Hand gerührt hätte. So schrieb noch 1839 ein Gelehrter: »Der deutsche Buchhandel hat von jeher bewiesen, daß er seine eigentümliche Stellung in den nachbarlichen Grenzen der Intelligenz und Industrie zu würdigen wisse. Man prüfe die neuesten Kataloge und entscheide dann, ob jener ehrenhafte Grundsatz: einen Teil des Gewinnes, den die Muse dem häuslichen Altar beschieden, der Muse selber zu opfern, nicht bis auf unsere Zeit herab sich fortgesetzt[121] habe.« Der Anteil, den der Verlagsbuchhandel an dem Wachstum unserer Litteratur, insonderheit an der deutschen Wissenschaft hat, ist sicher ein nicht geringer, aber er ist in den letzten Jahren, seitdem das Großkapital seinen Einzug im Buchhandel gehalten hat, bedeutend zurückgegangen. Die Aktionäre unserer großen Verlagsanstalten legen auf hohe Dividenden bei weitem mehr Gewicht als auf den Ruhmestitel Förderer der Litteratur und Kunst zu sein. Wirft man heute einen Blick in Kataloge, so wird man bei näherem Zusehen finden, daß das litterarische Interesse dem merkantilen gewichen ist, daß alljährlich Tausende von Schriften erscheinen, die nicht in der Absicht, eine Bereicherung unserer Litteratur, sondern eine solche des verlegerischen Geldbeutels herbeizuführen, publiziert wurden. War früher das jüdische Element hauptsächlich im Antiquariats- und Ramschbuchhandel thätig, so hat es sich in neuerer Zeit in hervorragender Weise des Verlagsbuchhhandels als Spekulationsobjekt bemächtigt, und neben angesehenen Firmen, die sich in jüdischen Händen befinden, ist eine ganze Reihe jüdischer Verleger aufgetaucht, die das Buch als Ware ausschließlich als Ware ansieht und demgemäß behandelt. Daß die Litteratur der Neuzeit so wenig Förderung seitens des Buchhandels findet, hat nicht sowohl seinen Grund in der materialistischen Anschauung, die in dem Buche nur ein Handelsobjekt sieht, aus dem so viel als möglich Kapital zu schlagen ist, sondern zum guten Teil auch in dem Mangel an Urteil, der viele Verleger von heutzutage nur nach dem greifen läßt, was sich durch einen klangvollen Namen oder eine hübsche Etikette auszeichnet. Andere wieder sind so im Banne der Moderne, daß sie sich für jedes Werk begeistern,[122] das modern um jeden Preis, selbst um den des guten Geschmacks, erscheinen will, mag es künstlerisch auch noch so unbedeutend sein. An dieser Verständnislosigkeit in künstlerischen Fragen ist nicht zuletzt die Stellung schuld, auf die im Laufe der Zeit die Litteraturblätter und die Revuen mit litterarischem Anstrich herabgedrückt worden sind.
Union, Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart, und Bong & Co., Berlin, werden, was die Höhe des Umsatzes anbetrifft, an die Spitze des Verlagsbuchhandels gestellt werden müssen, obwohl der Schwerpunkt dieser Geschäfte weniger im Buch- als im Zeitschriften-Verlag zu suchen ist. Der Hauptaktionär der Union, in der der große Spemann'sche Verlag mit den Kürschner'schen Unternehmungen aufging, ist Geheimrat Kröner, der Inhaber, bezw. Mitinhaber von A. G. Liebeskind, der J. G. Cottaschen Buchhandlung, Ernst Keil's Nachf., Leipzig u. a. Fast ebenbürtig steht der Union das ehemalige Hallberger'sche Geschäft, jetzt Deutsche Verlagsanstalt, gegenüber, das im verflossenen Jahre sein 50jähriges Jubiläum feiern konnte. Der aus diesem Anlaß herausgegebene Katalog umfaßt ca. 250 Seiten und giebt ein anschauliches Bild von dem Wachstum und der Bedeutung dieses Geschäfts, das sich allerdings in den letzten Jahren – namentlich seit Gründung der Zeitschrift »Aus fremden Zungen« – vorzugsweise der Übersetzungslitteratur zugewandt hat, so daß es wenig Autoren von Klang und Namen, gleichviel ob Engländer, Franzosen, Italiener, Spanier, Russen oder Schweden, giebt, die nicht mit einem oder mehreren Werken in der Deutschen Verlagsanstalt vertreten sind. Als bedeutendster Konkurrent[123] des Zeitschriftenverlags der Union und Deutschen Verlagsanstalt, bezw. der Zeitschriften: »Vom Fels zum Meer«, »Buch für Alle« und »Über Land und Meer« trat Ende der 80er Jahre Richard Bong auf, ein Mann, der sich aus kleinen Verhältnissen emporarbeitend, »der Leiter höchste Staffel rasch erstieg« und in den Zeitschriften »Moderne Kunst«, »Zur guten Stunde« und »Für Alle Welt« Unternehmungen schuf, in denen er besonderes Gewicht auf den Farbendruck legte, mit dem er erfolgreich gegen den Holzschnitt der Stuttgarter Blätter zu Felde zog. Ob und inwieweit geschäftliche Manipulationen, insbesondere die höhere Rabattierung seiner Zeitschriften zu diesem Erfolge beitrugen, dürfte an dieser Stelle wenig interessieren. Der Buchverlag der Firma – meist Romane, die in ihren Zeitschriften zum Abdruck gelangten – ist ohne besonderes charakteristisches Gepräge.
Das alte Verlagsgeschäft von F. A. Brockhaus, Leipzig, hat sich in den letzten Jahren neben der Pflege des Konversationslexikons, das jetzt in 14. bezw. 15. Auflage vorliegt, fast ausschließlich auf das Gebiet der Reisebeschreibungen geworfen. Den Reisen Stanleys und Wißmanns in Afrika folgten Nansens »In Nacht und Eis«, Landors »Auf verbotenen Wegen in Tibet« und neuerdings die Reisen Sven Hedins in Asien, alles Werke, die eine ungeahnte Verbreitung erlangten. Vom Buchverlag fast ganz zurückgezogen hat sich die Firma Breitkopf & Härtel, Leipzig, die den Schwerpunkt ihres Geschäftes auf den Musikverlag legte. Dagegen entwickelt das Bibliographische Institut, Leipzig, eine fast unheimliche Rührigkeit. Seine Spezialität liegt in den Sammelwerken, an deren Spitze Meyers Konversationslexikon steht; ihm[124] schließen sich umfangreiche Publikationen an, wie die Klassiker-Ausgaben, Meyers Volksbücher, Sprachführer, Reisebücher, Allgemeine Naturkunde, Allgemeine Länderkunde, Sammlung illustrierter Litteraturgeschichten, Bilder-Atlanten zur Geographie und Naturgeschichte u. s. w., meist Unternehmen, die der Initiative der Geschäftsinhaber entsprungen sind. Die erwähnten Meyer'schen Volksbücher, die erst neuerdings wieder von sich reden machen, haben nicht entfernt die Bedeutung der Reclam'schen Universalbibliothek erlangt, von der jetzt mehr als 4000 Bändchen vorliegen: sie bilden den Grundstock des Verlags von Philipp Reclam jr., Leipzig, der mit ihnen in die Reihe der ersten Verleger trat. Überraschend kam den Meisten der vor einigen Jahren erfolgte Ankauf der Familienzeitschrift »Universum«, durch Reclam, die er seither zu einer Blüte geführt hat, die sie im früheren Hauschild'schen Verlage nicht erreichen konnte. Den 20 Pfennig-Heften Reclams und den 10 Pfennig-Volksbüchern Meyers stellte Otto Hendel, Halle, seine Bibliothek der Weltlitteratur à Heft 25 Pfennig gegenüber, die, obwohl in größerem Format und besserer Ausstattung, dem Unternehmen Reclams doch kaum wesentlichen Abbruch machen konnte.
Weder Otto Hendel, Halle, noch Hermann Hillgers Verlag, Berlin, den ich hier nur nenne, da auch er oder richtiger Professor Kürschner, nach dem Muster der Reclam-Bändchen einen »Bücherschatz« herausgegeben hat, der wenigstens numerisch schon zu großer Entwickelung gelangt ist, gehören an diese Stelle, die vielmehr den großen wissenschaftlichen oder belletristischen Verlagsanstalten zukommt. Von den letzteren sind hier zu nennen: J. G. Cotta'sche Buchhandlung, Nachf., Stuttgart, die Verlegerin[125] der »Gedanken und Erinnerungen des Fürsten Bismarck«, die Sudermann, Fulda, Wilbrandt u. a. zu ihren Autoren zählt und auch wissenschaftliche, besonders historische Werke auf den Markt bringt. Der Hauch der Klassizität, der den alten Verlag noch aus der Goethe- und Schillerzeit umwehte, hat sich allerdings sehr verflüchtigt: er befaßt sich nur noch mit Werken, die »gehen«. Ein ähnliches Urteil läßt sich über den ehemaligen Stuttgarter G. J. Goeschen'schen Verlag fällen, mit dem die Dichterfürsten gleichfalls in Verbindung standen und der in den letzten Jahren, besonders seit seiner Übersiedelung nach Leipzig, sich mehr »praktischen« Verlagsbestrebungen (Sammlung Goeschen u. s. w.) zugewandt hat. – Auf praktischem Gebiet bewegt sich jetzt auch, abgesehen von dem Verlage der »Illustrierten Zeitung« und der Pflege des Holzschnitts, J. J. Weber, Leipzig (Katechismen u. s. w.).
Von großen wissenschaftlichen Verlagshäusern, die sich besonderen Spezialitäten zugewandt haben, verdienen genannt zu werden: B. G. Teubner, Leipzig (Pädagogik, altklassische Sprachwissenschaft), Weidmann'sche Buchhandlung, Berlin (Klassische Philologie, Pädagogik, Litteraturgeschichte, Rechtswissenschaft), Paul Parey, Berlin (Landwirtschaft, Gartenbau), Mittler & Sohn, Berlin (Militärwissenschaften), Wilhelm Engelmann, Leipzig (Naturwissenschaften), Friedrich Vieweg & Sohn, Braunschweig (Physik, Chemie, Mathematik), Hirschwald'sche Buchhandlung, Berlin (Medizin), J. C. B. Mohr, Tübingen (Protestantische Theologie, Rechtswissenschaft, Geschichte, Philosophie), Duncker & Humblot, Leipzig (Socialwissenschaft, Geschichte, Rechtswissenschaft, Naturwissenschaft), Gustav Fischer, Jena (Medizin, Socialwissenschaft, Rechtswissenschaft), Julius[126] Springer, Berlin (Pharmazeutik, Forst- und Jagdwissenschaft, Rechtswissenschaft, Geschichte), F. C. W. Vogel, Leipzig (Medizin), Karl J. Trübner, Straßburg i. Els. und O. R. Reisland, Leipzig (Germanische und romanische Philologie), Emil Felber, Berlin und Eduard Avenarius, Leipzig (Litteraturgeschichte), Gothaische Verlagsanstalt vorm. F. A. Perthes, Gotha (Geschichte, Protestant. Theologie), R. Oldenbourg, München (Geschichte, Rechtswissenschaft, Pädagogik), sowie die großen rechtswissenschaftlichen Verlagsanstalten: Carl Heymann, J. Guttentag, G. m. b. H., Frz. Vahlen, Berlin, Ferd. Enke, Stuttgart und Veit & Co., Leipzig. Die Langenscheidt'sche Buchhandlung (Professor G. Langenscheidt), Berlin, die mit ihren für das Selbststudium des Englischen und Französischen berechneten Unterrichtsbriefen einen ungeheuren Erfolg hatte, darf, da sich diese, sowie die ausgezeichneten Lexika, auf wissenschaftlicher Grundlage aufbauen, Anspruch erheben, hier mitgenannt zu werden. Daß sie in den letzten Jahren Werke größeren Umfanges nicht mehr publizierte, mag seinen Grund in den Vorbereitungen haben, die sich zur Herausgabe der italienischen und spanischen Selbstunterrichtsbriefe notwendig machen. Halb wissenschaftlicher, halb belletristischer Natur, aber immer ernst und vornehm, ist der Verlag von S. Hirzel, Leipzig, dessen Belletristen Wissenschaftler und dessen Wissenschaftler Belletristen sind. Auf der Grenzscheide steht auch der Verlag von Alfred Schall, Berlin (vorm. Schall & Grund), der neben einer Reihe populärwissenschaftlicher Werke über Länder- und Völkerkunde, Heere und Flotten einen großen belletristischen Verlag pflegt. Bekannt ist besonders das Verlagshaus durch den »Verein der Bücherfreunde« geworden, der[127] in seiner Blütezeit einen »Mitglieder«bestand von 12 000 zählte.
Von großen belletristischen Verlagshäusern ist in erster Linie Gebr. Paetel (Verlag der »Deutschen Rundschau«), Berlin, zu nennen, deren Verlagsfirma eine ausreichende Gewähr für die Güte der von ihr verlegten Bücher giebt. In dem 280 Seiten umfassenden Verlagskatalog, der über die Thätigkeit der Firma in den Jahren 1837–1895, die sich neben der Belletristik auch auf die Gebiete der Geschichte, Kulturgeschichte, Völkerkunde, Litteratur- und Militärwissenschaft erstreckt, berichtet, findet sich eine Fülle wertvoller Bücher, zumeist von Mitarbeitern der »Deutschen Rundschau«, die es von jeher verstanden hat, tüchtige Kräfte heranzuziehen. Eine ähnliche Stellung nimmt der Verlag von Bonz & Co., Stuttgart, und Fr. Wilhelm Grunow, Leipzig, ein, obwohl der letztere durch den Verlag der »Grenzboten« und der »Buschschen Tagebücher« sich die Sympathien vieler Kreise verscherzt hat. Nur Verleger zweier Autoren, die aber ein paar hundert aufwiegen, ist L. Staackmann, Leipzig, dem Rosegger und Spielhagen ihre Werke übergeben. – Ein besonderes Gepräge trägt, sowohl die Art der Verlagsartikel, als auch ihre Ausstattung anlangend, der Verlag von A. G. Liebeskind, hinter dem eine markante und eigenartige, vielleicht auch eigenwillige Persönlichkeit stand, die dem Ganzen ihre Physiognomie lieh. Ob sie der Verlag nach dem Tode L.'s noch beibehalten wird – er ist inzwischen nach Stuttgart übergesiedelt und in Händen des Geheimrat Kröner – bleibt abzuwarten. Das große Verlagshaus Velhagen & Klasing, Bielefeld, das sich durch den Verlag des stark religiös angehauchten[128] »Daheim« einen Weltruf erwarb, hat sich neuerdings dem Gebiet der Geschichte und Kunstgeschichte (Monographien zur Kunstgeschichte. – Monographien zur Weltgeschichte) noch intensiver zugewandt. Es findet seinen Partner in dem katholischen Verlag der Firma J. P. Bachem, Köln a. Rh. (»Kölnische Volkszeitung«), deren Katalog eine große Anzahl Werke katholischer Tendenz aufweist. Ausschließlich Werke katholischer Richtung wissenschaftlicher und belletristischer Natur verlegen auch Ferd. Schöningh, Paderborn, der den Dichter der »Dreizehnlinden« zu seinen Autoren zählt, und die B. Herder'sche Verlagsbuchhandlung, Freiburg i. Br., eins der bedeutendsten Verlagsgeschäfte, das auch im Auslande sich große Absatzquellen erschlossen hat.
Hauptsächlich belletristischen Verlag, aber ohne besondere Eigenart pflegen Otto Jancke, Berlin (Verlag der »Romanzeitung«), Schles. Buchdruckerei und Verlagsanstalt, Breslau (Verlag von »Nord und Süd«, »Unterwegs und daheim«), Carl Reißner, Dresden, Paul List, Leipzig, Heinrich Minden, Dresden, Hermann Costenoble, Jena, J. Bensheimer, Mannheim, Albert Ahn, Köln a. Rh., und E. Pierson, Dresden, von denen die beiden letztgenannten auch vielfach als bloße Kommissionsverleger auftreten. – Mehr dem Gebiet der Buchfabrikation nähert sich der Verlag von Greiner & Pfeiffer, Stuttgart, durch seine für das große Publikum berechneten Anthologien, deren Ausstattung von der »Moderne« noch unberührt geblieben ist. Erst durch den Verlag des »Türmers« ist die Firma in die Reihe der für die Litteratur in Betracht kommenden Verleger getreten, obwohl die genannte Zeitschrift nichts weniger als »modern« im landläufigen[129] Sinne des Wortes ist. – Fast ausschließlich auf Übersetzungen beschränkt sich der Stuttgarter Verlag von J. Engelhorn, dessen Romanbibliothek ihrer Wohlfeilheit wegen einen ungeheuren Absatz zu verzeichnen hat. Die Zahl deutscher Autoren, die sich an diesem Unternehmen beteiligt, ist eine äußerst bescheidene, und wird wohl nur dann vermehrt, wenn der Romanbibliothek frisches Blut und erhöhtes Interesse zugeführt werden soll.
Mehr litterarisches Gepräge tragen der Verlag der Besserschen Buchhandlung, Berlin, Verlegerin Paul Heyse's, und Fr. Bahn, Schwerin. Als ein äußerst rühriger Verleger, der sich namentlich um die Einführung amerikanischer Litteratur in Deutschland besondere Verdienste erworben hat (Sternbanner-Serie), aber auch auf den Verlag guter deutscher Romane nicht verzichtet, gilt Robert Lutz, Stuttgart. Zu den Verlegern modernen Schlages übergehend, ist neben Freund & Jeckel, Berlin, und Fontane & Co., Berlin, die ebensogut noch zur vorhergehenden Gruppe gerechnet werden können, an erster Stelle S. Fischer, Berlin, zu nennen. Auch er ist wie Pierson, Dresden, und Ahn, Köln, bis zu einem gewissen Grade Kommissionsverleger, selbst seinen ersten Autoren, wie Hauptmann, gegenüber. Der bierfidele Otto Erich Hartleben, der Halbpariser Hermann Bahr, der jugendliche Georg Hirschfeld, die Berliner Felix Hollaender und Hans Land haben ihre Werke bei S. Fischer verlegt, der die Hauptmann-Gemeinde und alles, was nach »Moderne« aussieht, durch seine »Neue Deutsche Rundschau«, die ehemalige »Freie Bühne«, um sich zu scharen wußte. Fast noch ungeberdiger als dieser Verlag geben sich Schuster & Löffler, Berlin. Manch gutes Buch findet[130] sich in dem Verlagskatalog der erst seit 4 Jahre bestehenden Firma, aber es fehlt auch der direkte Schund nicht, oder wenn das besser klingt, jene Litteratur, die nach dem Grundsatze l'art pour l'art geschrieben, kein vernünftiger Mensch, vor allem nicht das sogenannte Publikum liest, die sich aber in Litteratenkreisen großer Beliebtheit erfreut. Schuster & Löffler haben vielfach neue Bahnen eingeschlagen, aber es waren nicht immer die rechten. Ein Buch kann modern, sehr modern sein und braucht doch nichts zu taugen! Dieser Unterschied ist ihnen leider nicht immer zum Bewußtsein gekommen. Ähnlichen Tendenzen wie Schuster & Löffler huldigt auch Vita, Deutsches Verlagshaus, Berlin, wenngleich dieses bei weitem mehr Konzessionen an das Publikum macht. Neue Wege, soweit namentlich die Ausstattung in Frage kommt, ist auch der Verlag von Fischer & Franke, Berlin, gegangen, der von allen seinen Mitbewerbern wohl das meiste Geschick gezeigt hat, Inhalt und Ausstattung seiner Verlagsartikel mit einander in Einklang zu bringen. In die Reihe der modernen Verleger hat sich auch G. Bondi, Berlin, gestellt, durch den Halbes Werke und das große Schlenther'sche Unternehmen zur Ausgabe gelangen.
Albert Langen, München, der Verleger des »Simplizissimus«, hat ein paar Jahre in Paris zugebracht, und man kann ihm das Zeugnis nicht versagen, daß er dort manches gelernt hat und bestrebt ist, immer etwas Originelles zu bringen, seinem Verlage ein charakteristisches Gepräge zu geben. Auf den Umschlägen seiner Bücher hat die Moderne schon wahre Orgien gefeiert: da sind Zeichnungen, so mystisch und dunkel, in denen gar nichts liegt, so daß man sich gemüßigt fühlt, selbst alles hineinzulegen;[131] Frauen und Männer werden dargestellt, denen das Laster oder die Schwindsucht auf dem Gesicht geschrieben stehen, und das alles in jenen fließenden Linien, hingeworfen ohne Saft und Kraft – dazwischen einmal ein Mädchenkopf, so fein und künstlerisch, daß man sich verwundert fragt, wie der in diese Gesellschaft kommen konnte. Dann stelle man sich den »Simplizissimus« vor, ein »deutsches Blatt«, an dem nichts, aber auch gar nichts deutsch ist, ein Blatt, bestimmt, »die Kunst dem Volke zu vermitteln«. Man muß schon 10 Jahre in Paris oder bei den Wilden gelebt haben, um zu glauben, daß man ein solches Programm mit einer Zeitschrift vom Schlage des »Simplizissimus« durchführen kann. Nur wenig deutschen Namen begegnet man in seinem Verlagskataloge und auch diese haben einen fremden Klang; dagegen finden Ausländer: Franzosen, Russen, Skandinavier u. s. w. bei ihm bereitwilligst Unterkommen. – Durch eine ultramoderne Ausstattung hat sich auch der kleine Verlag von Joh. Sassenbach, Berlin, in Litteratenkreisen einen Namen gemacht. Er ist Verleger von Arno Holz und seiner Schule, die die Preisfrage: Wie kann jedermann innerhalb 24 Stunden lyrischer Dichter werden? mit einer verblüffenden Sicherheit und einer Naivetät, wie sie sonst nur den wirklichen Dichtern eigen ist, gelöst haben. Diese neueste Schule hat sich um Sassenbach gesammelt, der für die Allerjüngsten das zu werden verspricht, was für die Jungen der 80er Jahre Wilhelm Friedrich, Leipzig, war, der an das neue Evangelium und an die Mission der Bleibtreu, M. G. Conrad, Alberti, Walloth, Conradi, wie an seinen Herrgott glaubte. Und heute, nachdem kaum 10 Jahre ins Land gezogen sind?[132] Wo ehemals die Mistbeete des Realismus standen, da blühen jetzt stille, bleiche »Lotosblüten«. Wilhelm Friedrich, der jetzt hauptsächlich Theosophie verlegt, ist immer mit der Zeit gegangen oder hat versucht, ihr vorauszugehen.
Als ein »Verlag für moderne Bestrebungen in Litteratur, Socialwissenschaft und Naturwissenschaft« hat sich Eugen Diederichs, Leipzig, eingeführt, und wenn auch bei ihm der Moderne hin und wieder Rücksprache mit dem Geschäftsmann nimmt, so ist er doch immer bestrebt gewesen, namentlich hinsichtlich der Buchausstattung die alten Gleise zu verlassen und neue Bahnen zu wandeln. – Berührungspunkte mit dem Verlage von Eugen Diederichs weist Georg Heinr. Meyers Verlag, Berlin, auf, der sich besonders als Pflegevater der deutsch-österreichischen Schriftsteller bewährt. Freilich sind die praktischen Erfahrungen, die er und mit ihm andere an dem österreichischen Verlage gemacht haben, wenig ermutigend: verdient hat er an keinem Buche aus Österreich, und selbst die Verlagskosten sind durch die wenigsten gedeckt worden. Durch die Gründung der »Heimat« ist sein Verlag der Mittelpunkt jener Bestrebungen geworden, die die »Heimatkunst« in den Vordergrund des litterarischen Interesses zu stellen suchen.
Druck von Paul Dünnhaupt in Cöthen (Anhalt).
Weitere Anmerkungen zur Transkription
Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ansonsten wurden unterschiedliche Schreibweisen des Originals beibehalten.
Korrekturen:
S. 25: herausschaffen → heraus schaffen
aus der germanischen Volksseele heraus schaffen
S. 34: 1890 → 1830
Paul Heyse, geb. am 15. März 1830 in Berlin
S. 67: hinter → vor
eine große Zukunft vor sich hat
S. 75. 24. 1854 → 24. Mai 1854
Adolf Schmitthenner, geb. am 24. Mai 1854
S. 113: verschnöckelt → verschnörkelt
Druckschrift so verschnörkelt und entartet