The Project Gutenberg eBook of Harzheimat: Das Heimatbuch eines Malers This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Harzheimat: Das Heimatbuch eines Malers Author: Reinecke-Altenau Release date: June 12, 2021 [eBook #65600] Language: German Credits: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK HARZHEIMAT: DAS HEIMATBUCH EINES MALERS *** Anmerkungen zur Transkription Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter Text ist _so ausgezeichnet_. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist ~so markiert~. Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des Buches. Reinecke-Altenau Harzheimat Das Heimatbuch eines Malers [Illustration] 1924 Verlag von F. A. Lattmann, Goslar am Harz Erstes und zweites Tausend [Illustration] Harzheimat Alles Gute, Schöne, Heilige umschließt mir dein Name, du liebe Harzheimat im Wiesengrund! Wenn ich dich nenne, tue ich es mit der Ehrfurcht, mit der man eine Mutter nennt: Denn ich bin dein Kind. Was das Leben aus mir schuf, ist deinem Schoße entsprossen. Aller guten Kräfte Urquell ist die Heimat. Wenn mein Schaffen sich mit dir verknüpft, nenne es Liebe, nenne es Dank. Ich bin dein Kind geblieben, du Bergstädtlein im Grünen, und will nichts anderes sein. Dein Kind wie einst, das mit großen Augen die Wunder deiner Wälder in die Seele trank und dem du dich ins Herz grubst so tief und fest, daß ein ewiges Heimweh in ihm brennen blieb. -- Als ich Jüngling war, war dies Heimweh ein schmerzvolles Zerren. Dem Manne ist es stilles Feiertagsgeläut, das aus einem fernen verlorenen Paradiese herüberschwingt. Bergblumen blühen dort, und Waldvögel singen. Auf grüne Wiesen schauen blaue Berge herab. Und über allem ist ein weiches Zusammenklingen von Fichtenrauschen und Bachgeplätscher. Das bist du, Paradiesgarten meiner Jugend, Harzheimat! Als ich noch Bubenhosen trug, lagst du ein wenig hinterm Berge. Als wenn die Zeit in dir ihren Schritt verhalten hätte. Im Zwiebelturm der Kirche tackte noch das gleiche Uhrwerk, das schon in den Tagen von Richter und Rat die Stunden schlug. Und an dem verwitterten Zifferblatt drehte sich immer noch der eine Zeiger, mit dem sich nur die Alten zurechtfanden. Die Zeit weiß ich freilich nicht mehr, in der nur Saumpfade und grundtiefe Waldwege von draußen her zu dir führten, auf denen Eseltreiber das Brotkorn vom Lande heraufbrachten. Diese alte Zeit war dahin. Als der letzte jener Zunft gehörige Esel das Mißgeschick hatte, an einem Dämmerabend für einen Hirsch gehalten und von einem Wilddieb jämmerlich zuschanden geschossen zu werden, war längst eine neue angebrochen. Aber hinterm Berge lagst du immer noch. Ach, wärest du dort geblieben, Harzheimat! Das Hinterwäldlertum stand gut zu deinem Gesicht. Ein rechtes Bergmädel bist du gewesen, das zwischen Wiese und Wald aufgewachsen war und in stillen Augen stille Träume spann. Das laute Leben jenseits der Berge paßte nicht in deinen Frieden hinein. Du trugst kein Verlangen nach ihm. Die Leute in dir fanden ihr Genüge darin, zweimal in der Woche durch den Briefträger Nachricht von draußen zu erhalten oder im Wochenblättchen vom großen und kleinen Geschehen in der Welt zu lesen. Und wenn Handwerksburschen oder Wandersleute Neuigkeiten mitbrachten und Säcke voll Lügen, war das alles Evangelium für dich. Dann wurdest du größer und aufgeklärter und tastetest hinaus in die Fremde. Ein Postillon blies lustige Weisen. Ich kenne ihre Melodie noch: Hab’ dir was mitgebracht, Hab’ dir was mitgebracht, Sollst du mal sehn ... Und zweimal am Tage fuhr die gelbe Postkutsche in gemächlicher Juckelfahrt zwei Meilen Landstraße hinunter und herauf. Im Sommer brachte sie viele fremde Menschen mit, die teilhaben wollten an dem Frieden deiner Berge. Und da, Harzheimat, tatest du geschämig. Du ließest dich frisieren für die Fremden und ahntest nicht, wieviel Schönes und Frisches und Eigenes diese Frisur an deinem Bergmädelgesicht verdarb und wieviel Urwüchsiges und Echtes deinem Gewand genommen ward. Aber das eine konnte dir alle Ungeschicklichkeit nicht verderben: dein Herz. Jenes goldfündige Herz, schwerblütig und treu, das immer dasselbe geblieben war seit jener Zeit, wo der erste Rauch aus deinen Holzhauer- und Bergmannshütten im Urwalddunkel verwehte. Es wohnte harte Arbeit in dir und viel Armseligkeit. Feste waren selten. Es gab nicht wie heute jede Woche Tanzmusik. Dennoch glomm unter jedem Dach ein Fünklein Glücklichsein und Frohsinn. Das eben spann sich ab in einem geruhsamen Auf und Nieder, in dem stillen Gleichmaß, wie sich im Schacht die Fahrkunst aufwärts und abwärts bewegt. Als man aber den Schienenweg in den Basalt deiner Berge sprengte, kam Unrast in das Tal. Und als dann noch mit Prahlen und Keifen die Hexe Politik den Weg über die Harzhöhen auch zu dir fand und Haß und Feindschaft spie, da ward dein Herz ein anderes. Die Eintracht brach auseinander, und Glück und Frieden flohen erschrocken in die Wälder. Dein Glück, Harzheimat, dein Friede! Aber des Nachts, wenn in der Bergluft Sterne blänkern, verschlafene Brunnen an den Straßen plätschern und über dem Holz die Eule ruft, kehren sie heimlich zurück. Das ist die Stunde, in der du mir am liebsten bist. Des Nachtwächters Tritt verhallt in stillen Gassen. Er ruft nicht mehr wie früher die Stunden: Hört ihr Herren und laßt euch sagen ... Sein Horn ist verstummt. Und in der Neujahrsnacht wars so schön, wenn er sein Lied sang: Ach, wie laufen doch die Jahre. Die Welt ist nüchterner geworden. Stumm macht er seine Runde. Seine Gestalt taucht unter im Grau der Nacht. Und mir ist, als ob mit ihm ein Stück alter Zeit irrend durch die Straßen tappt, das verlorene Herz zu suchen. [Illustration] Der Gottesacker am Berg Verfallene Gräberreihen ziehen sich den Hang hinan. Der Totengräber, der sie schuf, hat längst seine letzte Schicht verfahren. Und die Hände, die sich einstmals liebend um diese Hügel mühten, haben sich lange schon zum Ewigkeitsschlummer gefaltet, wer weiß wo. Der alte Gottesacker am Berg ist eine Stätte des Verlassenseins geworden, der Pflege des Herrgotts anvertraut. Hier ruhen unsere Urgroßväter und Großväter aus von der Wallfahrt im Harzheimatland. Eine stillgewordene Berggemeinde. Ihre Zeit ist abgetan. Das ist das stille Leid, das über diesen Hügeln liegt und das alles Bergblumenblühen nicht zu bannen vermag. Auf schiefen Kreuzen und zerbröckelnden Schiefertafeln verwittern die Namen versunkener Geschlechter, verblassen fromme Sprüche. Über die Gräber wächst der Rasen. Langsam ebnet er Hügel um Hügel und breitet über Not und Tod Vergessensein. Erde zu Erde. Es ist kein Friedhof voll Prunk und Pracht. Schlicht und herbe, wie das Leben der Bergstadtleute dahinfloß, ist auch ihre letzte Ruhestatt. Und Prunk und Pracht hätten nicht hergepaßt an diesen Blumenhang, auf dem jedes Grab und jedes Totenmal wie zufällig aus einer Bergwiese hervorgewachsen zu sein scheint. Als habe sich jeder ein Plätzchen gesucht, das ihm gefiel: der eine unter Bergwohlverleih und Hirschzunge, der andere unter Margeritten und Glockenblumen, der dritte unter Tausendgüldenkraut und Thymian und Bärwurz. Da schlafen müdegewordene Holzhauer, denen in knöcherigen Händen die Axt zu schwer ward. Hier hat der Reitende Förster sein letztes Ruhebett im Grünen gefunden. Die Fichte über seinem Grab rauscht ihm Grüße hernieder von Wald und Wild, und am Hubertusmorgen wehts durch ihre Äste wie verlorenes Halali aus Hannoverschem Jägerhorn. Dort ging der Fuhrherr zur Ruhe. Wenn über die Bergstraße ein Langholzwagen bollert, Peitschenknall an der Waldwand drüben das Echo weckt und an den Kummeten und Zäumen der Pferde die Messingbeschläge klingeln, mag des Schläfers totes Herz unterm Leinenkittel zucken. Former und Schmelzer rasten von hartheißer Arbeit am Schmelzofen und träumen dem Silberblick der Ewigkeit entgegen. Zerstampft vom Pochwerk Leben sagten hier Pochjunge und Pochsteiger der Erde Valet. Mit stummem Glückauf begrüßen sich Bergmann und Königlicher Bergrat beim großen Feierabend, der unter der Erde sie alle gleichmacht, die vom Leder und die von der Feder. Wenn die Morgensonne früh über die Waldhöhen guckt, gilt ihr erster Strahlengruß den Toten im Gottesacker am Berg. Dann sprüht Tauperlengefunkel zwischen den Gräbern. In Trauereschen und Lebensbäumen blänkern lang verweinte Tränen. Spinnennetze, die zwischen Wiesenschwingel und Knäuelgras ihr Seidengewebe ausspannen, werden zu kostbarem Filigran. Rostige Kreuze flackern wie braunrotes Gold in den Himmel hinein. Goldbronzerestchen, die sich kümmerlich an verwitterten Inschriften festhielten, schimmern im Sonnenschein, als wollten sie verlöschendes Erinnern an einen Toten lebendig machen. Um die Totenmale fließt stille Verklärung. Vergessene Seelchen huschen hervor. Sie hocken rings auf Hügeln und verfallenen Einfassungen. Mit weiten Träumeraugen schauen sie auf die Bergstadt hernieder, die Heimat im Tal, die eine andere ward. Da pfeift von fernher der Morgenzug. Eine Sirene zerreißt die Morgenstille und ruft heulend zur Frühschicht. Die Seelchen huschen erschrocken hinab und schütteln die Köpfe ob der neuen Zeit. Glockenblumen läuten über den Hang, und in armseligem Rosengerank singt eine Grasmücke ihre Litanei: Ruhn in Frieden alle Seelen. Das Glockenhaus [Illustration] Im Glockenhaus hatte alles seinen heimlichen Zauber: Der Stufengang am Wiesenhang hinauf, die knarrende Bretterstiege, das uralte Glockengebälk, die Glocken, der Geruch alten Holzes, der fröhliche Ausguck durch die Schalluken. Man konnte mit dem Fingerknöchel an die Glocken klopfen und lange lauschen auf das schwingende, singende Summen im Metall. Man konnte den Läutejungen in seiner Würde bewundern. Man konnte auf den Lukenbrüstungen reiten und lustig herunterspringen in Blumenwiesen hinein. Zu schön war es im Glockenhaus! Irgendwo in einer Spinnwebecke da oben blieb mir ein Krümchen Jugendglück hangen. So oft ich die Glocken höre oder das Glockenhaus sehe, huscht ein Gedanke hinauf, dies Glücklein aufzuwecken aus staubigem Winkel. Dann will es wieder froh wie einst zum Fenster hinausturnen oder hinaufklettern ins Glockengebälk bis unter die Schindeln. Und ist ganz voll Seligkeit, wenn ihm der Läutejunge die Gunst erweist, nach dem Läuten dreimal die Betglocke anschlagen zu dürfen. Das Glockenhaus ist kein wolkenstürmender Bau. Nur ein Spitzlein auf einem Berg. Und es ist nichts an ihm, das anspruchsvoll wäre oder über das Maß des Zweckmäßigen hinausginge. Man könnte es arg nüchtern nennen. Aber es hat seinen eigenen Stolz. Wie ein Wartturm guckt es auf die Bergstadt hernieder. Zu seinen Füßen muß sich die Kirche ducken: Die Herrin zu Füßen des Dieners. Aber das Glockenhaus ist darum nicht hochmütig. Es hält mit dem Kirchturm gute Nachbarschaft. Seit Jahrhunderten haben sie sich guten Morgen und gute Nacht geboten. Sie sind einander so nahe, daß eins dem andern in die Fenster gucken kann. Keins hat vor dem andern eine Heimlichkeit zu verbergen. Der Kirchturm kennt jede Bretterplanke am Glockenhaus und sieht die Roststreifen unter jedem Nagel. Das Glockenhaus weiß genau, wieviel Schieferplatten den Zwiebelbauch des Kirchturms beschuppen. Wenn der Wind nicht ein unterhaltsames Liedlein von einem zum andern hinüberpfeift, haben sie sich nicht viel zu erzählen. Sie sind aneinander gewöhnt und alt geworden und reden nicht unnütz. Dann guckt das Glockenhaus verschlafen zu, wie sich am Kirchturm langsam die goldenen Zeiger über das Zifferblatt drehen. Oder es horcht auf, wenn’s im Gehwerk drüben knarrt und die Hämmer quietschend zum Stundenschlag ausholen. In blinden Gucklochscheiben blinzelt die Sonne. Auf Messingknauf und Wetterfahne machen die Stare Kapriolen. Das Glockenhaus lächelt. Und dann schaut es ein wenig in die Kirche hinein. Die Sonne malt Goldstreifen über Bänke und Gestühl. Das rote Altartuch leuchtet. Man sieht die Stille in der Kirche. Nebenan im Pfarrhaus hat die Frau Pastorin die Betten zum Sonnen ausgelegt. Der Herr Pastor hat sein Hauskäppel aufgesetzt. Er sitzt im Studierstübchen und schreibt. Die Wolken aus seiner langen Pfeife weben duftigen Tüll vor das Fenster. Manchmal steckt er die kurze an. Dann steigt er in den Hof hinab und hackt Holz. Oder schlendert behaglich durch den Garten, ein Feierstündlein zu halten und nach Himbeeren und Salat zu sehen. Gehen Bergstadtmenschen vorüber, ist ein freundliches Grüßen und Wiedergrüßen. Im Nachbargarten flattert Wäsche. Irgendwo hängt ein Mütterchen die Käsehorte neben der Hintertür auf und legt säuberlich die weichen weißen Käse zum Trocknen auseinander. Das Glockenhaus hat viel Kurzweil an solcherlei kleinen und beschaulichen Dingen. Es ist nichts Aufgeregtes im Bergstädtchen. Frauen gehen mit der Mehlbutte zum Backhaus. Oder haben die Kiepe aufgehuckt, um darin die Einkäufe für die Woche zu bergen. Oder holen in klappernden Eimern Wasser vom Bottich. Sie schwatzen und stehen und gehen ihrer Wege. Männer begegnen sich und tippen mit dem Finger oder dem Pfeifenmundstück ein Glückauf an die Mütze. Manchmal bringen Wanderer Unrast mit. Vor Zeiten waren Wandersleute seltene Gäste im Bergstädtchen. Jetzt aber kommen sie in Trupps und in Horden. Sie singen Wanderfrohsinn durch die Straßen oder johlen. Das Glockenhaus hat sich an alles gewöhnt. Aber ein bedenklicher Knacks ging doch durch sein Gebälk, als zum ersten Male eine fremde Knabenschar zum Takt eines politischen Haßliedes durch die Bergstadt zog. Der Einpeitscher ging nebenher. In den Augen der Knaben war nichts von Wanderlust. Als ob ihre Seelen mit Gift geätzt wären. Der Einpeitscher wußte das. Aber dies Gift war sein Lebensinteresse. Wandern und Politik, Politik und Knaben: Das hatte das Glockenhaus noch nicht erlebt, solange es denken konnte. Und es schüttelte den Kopf ob der Wirrnis solcher Zeit. Stiller noch als der Sommer ging vor Zeiten der Winter durch die Harzheimatberge. Das Bergstädtchen tat einen langen Winterschlaf. Und das Glockenhaus schlief mit. Sie wachten erst auf, wenn zu Fastnacht die Bergleute und Hüttenleute mit Musik zur Kirche zogen und aus allen Häusern der Duft von heißem Schmalz und Öl und von frischgebackenen Fastnachtskrappeln durch die Straßen strich und bis hinauf auf den Glockenberg wehte. Die Wiesenhänge ringsum waren unberührte Reine, durch die der Fuchs seine Schnürfährte zog. Aber dann kamen die langen Bretter in die Berge. Mit dem Winterschlaf wollte es nichts mehr werden. Die Bergstadtfrauen schlugen die Hände über dem Kopf zusammen, als sie ihre Geschlechtsgenossinnen aus der Großstadt in Männerhosen einherstolzieren sahen. Und das Glockenhaus hat verwundert dreingeschaut ob der vielen bunten Wolljacken in den Straßen unten. Nun sind ihm auch das vertraute Bilder geworden. Auf allen Hängen zerfurchen Männlein und Weiblein den Schnee und treiben Sport mit den Brettern oder mit dem Kostüm. Das Glockenhaus hat helle Augen für Zünftiges und Unzünftiges. Drüben am Sprunghügel hupfen die Bergstadtbuben. Das Klappen der Schneeschuhe beim Aufsprung tönt bis zum Glockenberg herüber. Das bunte Winterleben geht fort, bis Wind und Regen den Schnee auch aus den höchsten Schneisen des Bergwaldes fortleckten. Die Schneeschuhläufer stellen die Bretter in die Ecke. Für eine Weile sind die Bergstadtleute unter sich. Dann hat das Glockenhaus nicht viel zu gucken. Das Leben im Bergstädtchen geht wieder seinen gemessenen Gang. Frauen schwatzen. Männer begegnen sich. Fuhrwerke bollern. Manchmal kommt ein Leierkastenmann. Und die Kinder rufen hinter ihm her: Orgel -- orgel -- nort -- nort -- nort, Meine Orgel ist kaputt. Oder es kommen wandernde Musikanten, die Braker, trätern ihren Vers und fangen in ihren Trompeten und Bombardons die Geldstücke auf, die ihnen aus den Fenstern zugeworfen werden. Oder fahrende Leute mit bunten Wagen kommen, mit denen ein Stück Romantik in die Ereignislosigkeit des Bergstädtchens hineinrollt. Manchmal geht der Ausrufer durch die Straßen, ein obrigkeitliches Dekretlein auszurufen oder eine Tanzmusik anzukündigen. Der Wind zerpflückt die Worte. Das Häusel auf dem Glockenberg ist auch nicht begierig auf derlei Sachen. Es wundert sich nur, daß der Ausrufer nicht mehr den langen und blankknöpfigen Büttelrock trägt wie in alten Zeiten. Damals sah er viel würdevoller aus. Die Bergstadtjungens, die auf verbotenen Wegen ruschelten, hatten Angst vor ihm. Nun steckt er in schlichtem, bürgerlichem Röcklein. Aller Respekt ist dahin. Von der Würde seines Amtes zeugt nichts mehr als eine abgeschabte Aktentasche und die Klingel. Er versteht sie meisterlich zu schwingen. Aber trotz aller Meisterschaft will aus der Amtsschelle nur ein dürres Bimbim heraus. Wie könnte es auch anders sein. Dem Glockenhaus ist es schon lieber, wenn ihm an jedem Sommertag die Kuhherde mit melodischerem Geläut aufwartet. Wenn der Kuhhirt getutet hat, ist auf allen Straßen im Bergstädtchen ein unruhiges Gequirle. Es ordnet sich gemach zum Zuge und strebt ins Freie. Auf blanken Fellen glänzt die Sonne. Glockenbügel malen grüne Striche in den rotbraunen Zug. Nach den Kühen läutet die Kälberherde hinaus. Ziegen und Schafe tappeln hinterdrein. Das Glockenhaus gibt den Tieren das Geleite nach draußen und macht einen Morgenspaziergang in die Umwelt. Es sieht die Landstraßen im Tal sich schlingen und drehen und sich auf Bergeshöh verlieren, Wiesenpfade sich verlaufen im Irgendwo des Gehölzes. An Waldsäumen und Fichtenkämmen tastet sich sein Blick hinauf zu blauen Höhen und Wolken. Aus Wälderdunkel, darin hier und dort sich das Rauchfähnlein eines Holzhauerfeuers in die Luft kräuselt, gleitet sein Auge gemach wieder hinab in lichtes Wiesengrün. Von weit draußen grüßen Forsthäuser her. Bäche blänkern daran vorüber. Und da ist auch der Mühlengraben, der mitblänkern will. Fischen nicht die Jungens schon wieder Elritzen in ihm? Und dort schmiegt sich die Mühle ans Bergstädtchen. Wenn das Tor zum Mühlenrade offensteht und die Sonne in den Radschacht scheint, blitzt silbernes Geglitzer bis zum Glockenhaus hinauf. Das ist von seinem Morgenausflug aus den Bergen heimgekehrt ins Bergnest. Unten in der Schule ist Pause. Die Jugend quirlt auf dem Schulhof durcheinander. Das Glockenhaus freut sich an dem Gebalge der Jungen und an dem Ringelreihen der Mädchen. Es kennt sie alle von der Stunde an, in der zum ersten Male der Wald über ihre Wiege hinrauschte. Sie wachsen unter seinen Augen heran und durchjauchzen eine frohe Bergjugend zwischen Wiesen und Wäldern und Bächen. Aus Mädeln und Buben werden große Menschen. Das Leben greift nach ihnen. Es packt sie nicht alle mit sanften Händen an. Die Mädel schlüpfen unter im warmen Nest einer Häuslichkeit. Die andern gehen harter Hantierung nach. Das Glockenhaus begleitet sie auf allen Wegen, auf denen sie ihr Brot suchen. Es gibt ihnen ein herzhaftes Glückauf mit, wenn sie sich rüsten zu saurer Schicht im Schacht. Es ist mit ihnen, wenn sie Axt und Säge auf die Schulter nehmen oder mit Holzkarren und Kiepen steile Hohlwege hinaufanken, im Bergwald untertauchen und heimkehren mit schwankender Last. Es schaut ihnen zu, wenn sie auf den Wiesen rings sich mühen, das Heu zu bergen und in schweren Bündeln hangab zu schleppen. Seit Jahrhunderten sind ihm alle Bilder mühseliger Bergmenschenarbeit vertraut. Geschlechter sind gekommen und gegangen. Die Arbeit voll Sorge und Plage ist immer die gleiche geblieben. Und sie wird für alle immer die gleiche bleiben, solange die Tanne grünt und Erz wächst und bis auf die Stunde, in der die Mühseligen ihren Lauf im Tal beschließen. Dann ist der große Feierabend gekommen. Sie falten die müden Hände. Man trägt sie hinaus zu denen, die vor ihnen den gleichen Pilgerpfad der Mühe und Arbeit wandelten. Dann schaut ihnen das Glockenhaus mit großen Augen nach. Unter seinem Spitzdach haben sich die Schalluken geöffnet. Lebewohl! rufen die Glocken. Und bis in fernes Bergesblau schwingt ihre Klage: Droben bringt man sie zu Grabe, Die sich freuten in dem Tal ... Der Klang verhallt. Im Glockenhaus bleibt ein Sinnen zurück. Im Wald drüben, der hinter dem Kirchturm einen samtgrünen Hintergrund malt, jagen Kreuzschnäbel durch die Wipfel. Die Graudrossel singt. Bergwiesen blühen. Die Bäche spinnen ihr Plätscherlied in Ewigkeiten fort. Die Heimat lebt. Menschen sterben. -- Der Wandel der Zeiten hat auch den Weg ins Glockenhaus gefunden. Es gehen keine Läutejungen mehr hinauf ins Glockenhaus. Das Läuten ward ein Amt. Das Geschlecht der Läutejungen ist ausgestorben. Es schnitzt keiner mehr seinen Namen ins Gebälk. Und reitet auch keiner mehr auf der Brüstung der Luken und läßt seine Beine baumeln zwischen Himmel und Erde. Sie läuten auch nicht mehr dreimal am Tage. Es ist mancherlei anders geworden im Glockenhaus. Die große Glocke holte der Krieg. Sie ward zu Metall zerschlagen. Ihr Klang zerklirrte und starb. Verwaist blieb die kleine zurück. Wie ein Armesünderglöcklein verrichtete sie in den Jahren des Krieges ihren Dienst. Verzagt klangs vom Glockenberg herab. Die kleine Glocke ward zum Symbol der Armut und Not. ~IM ERSTEN JAHR ANNO 1693 CHURFUERSTLICHE REGIRUNG ERNESTI AUG HERTZOGEN ZU BRAUNSCH U LUENEB BISCHOF ZU OSNEBRUG & IST DISE KLOCK GEGOSSEN V NICOLAUS GREVEN IN HANNOVER.~ Sie sah während ihres Erdendaseins Kampf, Elend und Hungersnot. Unter ihren Augen haben die Horden Belsunces und Vaubecourts im Bergstädtchen geplündert. Aber alles das und die Kriege nachher waren kleine Begebenheiten gegenüber dem Jammer des großen Krieges. Und als das Glöcklein den Frieden in die Berge rief, klangs wie ein Erlösungsschrei aus tiefster Not. Wußte nicht, daß sein Friedensgeläut der Grabgesang des Vaterlandes sein sollte. Wußte auch nicht, daß bald hernach sein eigenes Stündlein schlug: Es kamen neue Glocken, -- stählerner Ersatz. Man hängte sie in das alte Gestühl. Die kleine Bronzeglocke ward herabgenommen. Sie fand einen neuen Platz abseits. Es brauchte keiner darüber zu schreiben: Abgetan! Man sah es dem Platz an. Gräme Dich nicht, du Glöcklein. Das ist neue Zeit. Viel Altes, Gutes, Echtes ist in die Ecke gedrückt und hat dem Neuen weichen müssen gleich dir. Glücklich, wer in sich das Bewußtsein seines Wertes bewahrt und den Glauben an sich nicht verliert! Wenn die Stahlglocken läuten, kann das Bronzeglöcklein im Verbannungswinkel nicht an gegen das stählerne Bellen. Es wird überschrien. Ein feines Stimmchen abseits singt sein Lied für sich: Bellt nur, ihr Aufdringlichen, die ihr mich verdrängtet! Ersatz seid ihr und unecht. Euer Maul ist groß. Ihr wollt mich überschreien. Wer seinen Unwert verdecken will, schreit. Eure Stimme ist unedel. Ihr wollt etwas scheinen, wozu ihr nicht geboren seid. Stahl ist Krieg. Ihr taugt nicht zum Gottesdienst. Kinder einer zweifelhaften Zeit seid ihr, die manches über den Haufen warf, was sie bereuen wird. Doch, es sind noch Menschen im Bergstädtchen, die Sinn behielten für echte Werte und das Alte ehren. Sie lieben mich. Sie horchen auf meine Stimme. Ich läutete ihren Ahnen und Urahnen, die im Gottesacker am Berg schlafen. Ich bin die alte Zeit, in der nur das Wahre, Echte, Erzene galt! Schreit nur: Diese Wahrheit tötet ihr nicht! So singt die kleine Bronzeglocke im Winkel, und es ist ein richtiges Zänklein ins Glockenhaus gekommen. Aber es soll euch nicht gelten, ihr Bergstadtleute. Aus dem Glockenhaus weht kein Hader zu euch hinab. Die alte Glocke ist verständig. Sie weiß, daß sie das Opfer der Not und der Elendszeit ward. Sie weiß auch, daß nirgends in der Welt diese Zeit drückender war als in euren Bergen, auf denen wohl die Tanne grünt, aber kein Brotkorn wächst. Sie will nicht rechten. Nur manchmal muß sie ihr Herz ausschütten. Und ich sage euch: es ist heilsam, dann und wann ihrer Stimme zu lauschen und darüber nachzudenken, was sie zu erzählen hat. Wenn es ein Großes zu beläuten gilt, wird der Zwist im Glockenhaus schweigen. Und immer einig werden die drei ungleichen Schwestern sein in dem Gebet: Holder Friede, süße Eintracht Weilet, weilet Freundlich über dieser Stadt! Und ein Bergstadtkind in der Ferne betet mit. [Illustration] Kinderland Die breitkronigen Ahorne und Eschen, die mein Kinderland beschatteten, sind fort. Das Geld für ihr Holz war fremden Menschen wertvoller als die grüne Laubpracht und der Vogelsang darinnen. Von ihren Wipfeln flöteten die Stare Jahr um Jahr den ersten Frühlingsgruß ins Bergstädtchen hinein. Nirgends sangen Fliegenschnäpper und Schwarzplättel lustiger als hier. Wenn die Finken schlugen, wars wie ein Konzert in grün verhangener Halle. Am Ahornhang blühten die allerschönsten Veilchen, -- o, wie sie Frühling dufteten! -- und schönere Schneckenhäuser gab es nirgendwo. Nun ist von der rauschenden Baumherrlichkeit nichts geblieben als ein paar Wurzelstümpfe. Wie letztes Lebenwollen kümmern Jungtriebe daraus hervor, an denen die Ziegen rupfen. Wenn ich den Kirchenbrink hinansteige, ist mir der Weg ohne die Bäume fremd. Meine Augen suchen etwas. Und wenn sie dann ins Kahle, Leere schauen, tropft es schwer von meinem Herzen. Ein Stück meiner Jugend hat hier gegrünt. Bäume können zu Freunden werden, denen man nachtrauert. Schattenlos senkt sich der Hang zum Bach hinab. Es ist, als ob er blinzeln muß, sich nicht an die Helle über ihm gewöhnen kann und auch er die Alten vermißt. Als sie noch ihr Laubdach über ihm wölbten, war sein Wasser ein Wechselspiel von grünen Widerscheinen. Um Kiesel und Geröll rieselte ein smaragdenes Mosaik. Bachstelzen wippten darüber hin. Alle Vögel aus der Nachbarschaft kamen zum Trinken hierher. In trockenen Sommern holten sich die Schwalben von dort den Schlamm zum Nesterbauen. Es war ein heimliches Paradies. Brennesseln wucherten den Hang hinauf. Schöllkraut blühte rings, und zur Herbstzeit war es lustig, im Springkraut zu waten. Just an dieser Stelle entfloh der Bach für eine kurze Weile den steinernen Mauern, die ihn bei seinem Lauf durch das Bergstädtchen im Zaume hielten. Denn zu Zeiten konnte er ein ungestümer Geselle sein, der mit Rauschen und Reißen daherstürzte und steinepolterndes Unheil ins Tal wälzte. Zumeist freilich war er ein friedfertiges Bergbächlein, das sein Blänkerwasser pladdernd hinabführte, Wiesen grüßte von Bäumen, Brücken und Häusern schnörkelige Bildlein malte und allen, die es hören wollten, von Berg und Bruch und Urwald erzählte, die ihn geboren. Er hatte auch einen richtigen Namen, der in jedem Erdkundebuch und auf jeder Landkarte steht. Aber die Bergstadtleute nannten ihn nie mit seinem Taufnamen und sagten einfach: die Flut. Auf der Flutmauer, die sich dem Ahornhang anschloß und zum Grundstück des Vaterhauses gehörte, grünte in fröhlicher Ungebundenheit ein Himbeerwäldlein. Dort hatte der Zaunkönig seine Heimlichkeit. Und jedes Jahr knixten von der Gartenplanke hinter den Himbeeren zehn putzige braune Bällchen mit keck emporgerichteten Schwänzen in die Welt hinaus. Ich hätte das Geburtsschloß der jungen Zaunkönige gern gesehen. Aber eine Scheu hielt mich zurück. Es wäre mir als Sünde vorgekommen, ihr heimliches Glück mit meinen Blicken zu stören. Ich bin nie mitgegangen, wenn mir Kameraden ein Vogelnest zeigen wollten. Als ich zum allerersten Male ein Nest aus der Nähe sah, war mir das ein heiliges Erlebnis, bei dem mir das Herz pochte. Wenn in der Flut eine Wasserratte schnupperte oder gar ein Iltis über die Steine hopste, wurde im Zaunkönigreich Feuer und Mordio gezetert: zerrr, zerrr zerrrzerrrzerrr! Dann wußten alle Vögel, daß ein feindliches Etwas den Frieden im Flutwinkel stören wollte. Sogleich war Frau Wippstert, die graue Bachstelze, zur Stelle. Sie hielt einen Augenblick inne im Wippen und gab den Warnruf weiter: Zuip-tütütüt, zuip-tütütüt! Mit hastigem und ängstlichem pink-pink-pink-pink flog der Fink herzu, und hß-taktak, hß-taktaktak, lumpenpack! warnte das Rotschwänzel. Dieb? dieb? fragte lakonisch der Fliegenschnäpper, der in aller Aufregung die Ruhe bewahrte. Dann richtete sich auch die gelbe Bachstelze in ihrem Nest auf, legte den Kopf schief und äugte verwundert zur Flut hinab. Ihr Nest hatte sie an unserm Stall. Wenn sie an Regentagen an den Stallfenstern nach Fliegen und Spinnen jagte, hätte sie den Kühen und Pferden im Stall zuschauen können, wenn nicht die Fensterscheiben grün und blau und blind gewesen wären. Unser Stall! Mir zieht der Duft von Heu und Häcksel durch die Nase. Ich spüre den Geruch von warmem Pferdeschinn, der an Kummeten und Zäumen klebt. Ich denke an heimliche Balkenwinkelei, an Stollen, Schächte, Räuberhöhlen und Burgverließe im Heu. Vom Hühnerwiemen flattern bunte Federn herab. Mäuse kraspeln im Futterkasten. Ich fühle ihr sammetenes Fell in der Hand und lasse sie laufen, weil ihre Knopfäugelchen bitten. In den Fensterwinkeln blaken Spinneweben. Fliegen, Heumotten und Heusamen fingen sich darin. Schwarze Spinnen liegen auf der Lauer. Sie gucken kaum mit dem Kopf aus ihren Höhlen wie die mißtrauischen Ratten, die ihr Loch unter der Krippe haben. Über Krippen und Heuraufen klettern meine Gedanken durch die Futterluken in den Heuboden hinauf. Als ich noch Wachstuchschürzen trug, war er mir ein Ort heimlicher Schauer. Wißt ihr noch, Anna und Johanne, wie sich der Hosenmatz an euren Rock geklammert und sich vor dem Schatten gefürchtet hat, den die Stallaterne über das Heu warf? Nach dem Füttern mußte er den Kuhschwanz halten, wenn ihr beim Melken saßet. Aber ihr machtet ihm die Arbeit leicht und wußtet ihm die schönsten Märchen zu erzählen. War es nicht der Däumling, der im Bauch der Kühe immerfort seinen Reim rief: Schtripp, schtrapp, schtrull, Is der Emmer noch net vull? Die Erinnerung an viele liebe Tiere kommt mir. Pferde, Kühe, Kälber, Schafe, Kaninchen und Meerschweinchen hopsen mir durch die Gedanken. Hat keines seinen Platz in meinem Herzen verloren. Ich rufe sie bei Namen. Sie spitzen die Ohren und horchen. Dann erkennen sie mich. Eins nach dem andern kommt in froher Eilfertigkeit, mir die Hand zu lecken. Aus ihren Augen strahlt Freuen und Dankbarsein. Sie schmiegen sich an mich. Ich fühle den warmen Hauch ihrer Nüstern, das Kitzeln der Spürhaare. Ich streichle sie wie einst ... Wie einst ... Unter meinen Händen zerrinnt ihr Bild und sinkt in die dunklen Tiefen zurück, daraus es Träume auferweckten. In die gleiche dunkle Tiefe, darin Jugend und Kinderzeit untergingen. Ist nichts von allem geblieben als das bittersüße Tröpflein Eswareinmal, das heiß am Herzen brennt. Ich schließe die Stalltür. Sie trägt tausend Spuren von Flitzbogen- und Armbrustpfeilen und Pusterohrbolzen. Geradeso wie die Bretterplanken der Laube am Gartenhang. An ihren vier Ecken grünten Ahornbäume. Es ließ sich wunderschön auf das Laubendach klettern und im Ahorngezweig herumturnen. Dort hingen im Winter die Speckschwarten und Schweinepötzel für die Meisen. Und in der Laube war der Futterplatz für Finken und Goldammern. Im Frühjahr schnitzten wir dort unsere Pfeifen aus Quitschenruten. Wenn sich die Rinde nicht lösen wollte, half beim Klopfen ein Zauberspruch: Ra-ra bi-ba, Wutte nich gera’n, Schmiet eck deck in Graben, Halet deck die Raben, Kimmt de ule Hesse, Mit den schtumpen Messe, Bein af, Kopp af, Alles, wat dran sitt, Mot af -- af gahn. Die Laube konnte durch die Hoftür in unsern Hof gucken. Zwischen Garten und Hof floß die Flut. An dem Geländer der alten Knüppelbrücke, die sich über die Flut legt, hat der Knabe oft gelehnt und dem Rätsel nachgesonnen, woher das Wasser kommt, das Tag und Nacht, Wochen, Monate, Jahre unter der Brücke talab fließt und sich nie erschöpft. Bis sich ihm das Geheimnis auftat: Irgendwo auf Bergeshöhn mußte ein furchtbar großer Turm stehen. Der war bis obenhin gefüllt mit Wasser. Unten war eine Öffnung, die der liebe Gott groß und klein stellen konnte wie der Müller das Mühlenwehr. Meistens ließ er nur wenig Wasser durch, damit es nicht zu schnell alle werden sollte. Wenn der Turm leer zu werden drohte, bestellte er einen Regen, der den Turm wieder auffüllte. Manchmal verrechnete er sich. Dann ging der Turm über, und das Wasser schoß heulend und brausend die Flut hinab. Die Abflußgosse unseres Bottiches kleckerte wie ein winziges Wasserstrählchen dazu. Der Eisenbottich auf dem Hof ist fort. Er wurde altes Eisen. Das Eisen stand hoch im Preis. Der Lumpensammler holte ihn. Fremden Menschen konnte er nicht sein, was er mir war. Wenn aus den beiden Wasserpfosten das Wasser in seinen Rostbauch plörrte, war es wie Quellenmusik in einem Waldtal. Und wenn Eimer auf seinen Rand gestülpt wurden, kam aus dem Eisen läutendes Klingen. Unten auf dem Grunde schwammen meine Forellen. Die Pferde schlürften Wohlbehagen aus ihm. Vorbei. Das Vaterhaus ist fremde Stätte geworden. Es springen im Hof keine Hunde mehr an mir hinauf. Und die Pferde, deren Hufe über das Steinpflaster klappern, sind -- Pferde. Es singt mir keine Schwalbe mehr das Morgenlied. Ich hänge keine Starkasten mehr auf. Und wieviel Rotschwänzel in meinem Kinderland nisten, weiß ich nicht. Mein Fuß geht an den lieben Stätten vorbei. Und das Herz blutet. [Illustration] Das Bergkind Jürgen Traumelin wußte nicht, wie fest die Harzheimat in sein Herz gewachsen war. Er wußte nicht, wie seine Seele am Fichtenwald hing, an Bächen und Wiesen und an allen Bergdingen, an denen sich seine Kinderzeit abspann. Es war stille, unbewußte Liebe. Ein Feuerlein, das sich aus sich selbst erhielt und in der Brust glühte wie eine Selbstverständlichkeit. Jedem Bergkind gibt der Herrgott ein solches Feuerlein mit. Bei wenigen verflackert’s. Die meisten tragen es mit sich herum und denken nicht darüber nach, woher die Wärme kommt, die so wohlig das Herz umschlägt. Und bei vielen wird’s zur verzehrenden Flamme, wenn man ihre Wurzel herauszieht aus dem Boden, der ihre Heimat ist. Das alles wußte Jürgen Traumelin nicht. Aber es sollte sein Schicksal sein, daß er es zur Genüge erfuhr. Eines Tages war der Traum der Jugend zu Ende. Man brachte den Bergjungen in die Fremde. Jürgen Traumelin zog seinen Konfirmationsanzug an, aus dem er längst herausgewachsen war, und sagte der Heimat Ade. Es war kein herzhafter Gruß. Etwas Neues lockte. Und doch wollte das Alte nicht loslassen. So begann die Reise mit Hangen und Bangen. Ein wenig Neugier prickelte in der Brust. Aber in der Kehle saß ein würgender Knoten. Wenn die Postkutsche doch nicht so unbarmherzig schnell talwärts führe! Als wenn sie es eilig hätte, nur fortzukommen von der Harzheimat. Geht doch langsam, ihr Traber! Eines Bergjungen Seele ist nicht so flink wie eure Beine. Sie weilt noch in den Bergen, woher das Wasser kommt, das euren Weg begleitet, streift in Tann und Dickicht, derweilen ihr bereits ins Flachland trappelt ... Sie stiegen in den Zug. Die Maschine pfiff. Warum guckst du nicht fröhlich drein, Jürgen Traumelin? Heute machst du deine erste große Fahrt in die Fremde und deine Fahrt ins Leben dazu! Er konnte nicht fröhlich sein. Hätte aber auch nicht sagen können, welche zwiespältigen Geister in ihm stritten. Eine stumpfe Ergebung kam über ihn. Nur still sein, nicht antworten brauchen und träumen, -- träumen. Wenn doch nicht dieser Knoten im Halse säße und das trockene Schlucken nicht wäre! Der Zug rollte an den Harzheimatbergen vorüber. Sie wurden kleiner und verloren sich im Blau der Ferne. In Traumelins Seele verloren sie sich nicht. Buchenwälder huschten vorüber, Kornfeldbreiten, Dörfer und Menschen. Dem Bergkind sagte die neue Welt nichts. Seine Gedanken tasteten sich in Wiesentäler und Fichtengründe zurück. Kaum, daß ihn ein fremder Vogel draußen, den er daheim nie sah, aus seinen Bergträumen riß. Dann waren sie in der fremden Stadt, in der Jürgen Traumelin hochgelahrter Schüler werden sollte. Puh, -- diese Stadt! Haus an Haus, eng, steinern, frostig. Nirgends ein Gäßlein zum Durchlugen, kein Garten an den Straßen und keine Lauben mit Rotschwänzelnestern. Und in den Höfen keine Holzbansen. Keine Stalltüren, aus denen braune Kühe traten. Und die Menschen gingen aneinander vorbei. Es bot keiner dem andern guten Tag oder ein freundliches Glückauf. Und grüßte kein Berg in die Straßen hinab. Ein paar Hügel lagen rings. Aber sie waren fern und fremd und nicht mit Stadt und Menschen verwachsen. Ihre Hänge waren zerrissen, geflickt, parzelliert. Und nirgends bot sich ein Wiesenplan, an dem das Auge hätte ausruhen können. Die Wiesen in dem breiten Flußtal, in das sich die Stadt hingelagert hatte, waren lustlose Eintönigkeit. Wieviel lichter und lustiger war das alles daheim! Und der große Fluß! Ach ja, er war größer als alle Harzbächlein zusammen. Aber sein Wasser kroch grau und träge dahin. Es konnte nicht rauschen und brausen und platschen und plantschen, kein Berglied jauchzen und fröhliche Hopser machen. Und man sah keine Forellen darin und keine Sonnenkräusel über blanke Steine rieseln. Wie langweilig der graue Fluß war! Und wie Traumelin über die Eisenbrücke schritt und hinabsah in die trübe Flut, schien ihm das Wasser wie ein Spiegel der Zukunft. Die fremde Stadt war ihm Enttäuschung geworden. Ein Schauder kroch ihm aus ihr entgegen. Und das Gefühl des Naturkindes sagte ihm, daß sie ihm immer fremd bleiben würde. Wo keine klaren Wasser fließen, findet ein Bergjunge keine Heimstatt. Würgt nicht schon wieder der Knoten im Halse, Jürgen Traumelin? Ein langer Seufzer ging ihm aus der Brust. Und seine Gedanken flogen heimwärts, ein Heilkräutlein zu pflücken gegen die grausame Ernüchterung. Die Erinnerung begann goldene Bogen zu bauen. Dann war der Bergjunge allein unter fremden Menschen. Zum ersten Male in seinem Leben. Er teilte seine Behausung mit ein paar Altersgenossen, die das gleiche Ziel in die Stadt führte. Wo seid ihr her? Und sie nannten ihre Dörfer. Ach, ihr Flachlandkinder! Ihr habt alle keine Harzheimat mit Bergen und Fichtenwäldern und Bächen und Blumenwiesen! Habt ihr schon Hirsche gesehen? Oder schon Forellen gefangen? Wißt ihr, wie Zeisige singen, oder könnt ihr pfeifen wie der Dompfaff? Sie lachten über ihn. Und als er zu Bett ging, wußte er, daß ihm diese Menschen, die das Schicksal ihm zu Weggenossen bestimmte, fremd bleiben würden wie die fremde Stadt. Wie frisch die Bettwäsche roch, die ihm die Mutter sorglich mitgab! Genau wie daheim, wenn die Betten neu überzogen waren. Wie daheim ... Hupp, machten seine Gedanken. Und fort waren sie ins Harzheimatland. Was mögen sie um diese Stunde zu Hause tun? In der Stube ist ein wohliges Ausruhen vom Tagwerk. Gewiß sitzen sie um den Tisch und denken an den, der heute in die Fremde zog. Am warmen Ofen räkelt sich der Wolf und knurrt im Traum ... Das Katzengretel schnurrt im Stiefelkasten ... Im Kuhstall draußen ruft das braune Herschel. Im Pferdestall wird der Futterkasten zugeklappt. Tränkeimer klirren. Vater füttert die Pferde ab ... Gestern hast du es noch getan, Jürgen Traumelin! ... Ob der Bläß nicht wartet, daß du ihm einen Leckerbissen reichst? Und der Rappe es nicht vermißt, daß du ihm den Hals streichelst und in Schopf und Mähne kraust? -- Nun löscht Vater die Laterne aus. Der Stalltürriegel knarrt ... Müde Schritte im Hof ... Ein Heimattraum gab Jürgen das Geleit durch die erste Nacht in der Fremde. Er wachte früh auf. Singt denn keine Schwalbe auf dem Fensterflügel? Und plätschert im Hof kein Brunnen? Ach nein. Es ist alles still. Und es grüßt kein Wiesenhang ins Kammerfenster hinein. Kein Ahorn sagt guten Morgen und kein Eschenbaum und keine Bergstraße. Der neue Tag ging mit neuen Enttäuschungen auf. In grauer Trübseligkeit machte sich Jürgen auf den Schulweg. Er pilgerte ihn wie einer, der den Galgen ragen sieht. Wirf ab alles, was dich an die Heimat kettet, Wildling vom Berg! Und deine Jugend wirf hinter dich! Auf den Kathedern sitzen sie und warten und wetzen das Messer. Sie werden dich hacken und hobeln und werden dich schaben, dich stutzen und säuberlich solange an dir herumschneiden, bis dein rotes Blut saftlos sein wird. Dann hockte er in der Schule. Diese Schule, -- puh! Den Bergjungen schüttelte es. Als er heimkehrte, war sein Leben um ein paar Moralpredigten reicher geworden und das Säcklein seiner Enttäuschungen zum Überquellen voll. In der Schule lachten sie über seine Sprache. Harzer Roller! hänselten sie und feixten, wenn auf seiner Zunge harte Laute weich und weiche hart wurden und das ü zum i oder das ö zum e. Seine Lehrer mäkelten an ihm herum. Es ging ihnen nicht schnell genug, daß er die Sprache der Harzheimat abtat und ihr aalglattes Hochdeutsch redete. Als wenn sich alle gegen ihn verschworen hätten. Es war nichts, das ihm die Fremde hätte lieb machen können. Wie der weite Flachlandhimmel drückt! Kommt doch heran, ihr Berge, und stützt ihn, daß er nicht einfalle! Und recken sich nirgends ein paar Fichten in die Wolken? Ach nein, Jürgen Traumelin. Der Wald hier ist nicht dein Heimatwald. Es ist kein dunkelgrünes Hangauf und Hangab und kein fröhliches Weiterwellen Berg an Berg. Jedes Berglein hier ist abgemessen, steigt an, fällt ab und hört auf. Und an jedem Wald kannst du die Grenzpfähle stecken sehen. Es gibt kein Träumen in meilenlangem Fichtenduster. Der Buchenwald ist kahl und nicht für Traumelins geschaffen. Kein traulicher Waldwinkel lädt dich zu Gast. Und findest kein verschlafenes Flecklein Weltferne, kein Erlenbruch, in dem die Spechte hacken, keinen Rauschebach und keinen Bergquell. Er wollte ein Stück Heimat suchen und suchte vergebens. Eine Scholle Erde nur, auf der er sich heimisch fühlen, die er liebkosen könnte und mit den Händen streicheln und der er hätte sagen können: Du bist wie meine Heimat! Du bist geheiligtes Land. Es ward ihm keines beschert. Heimatlos und doch unendlich heimathungrig irrte seine Seele durch Wolken und Weiten, ihre Ruhestatt zu finden daheim. Träume wurden Zauberinnen. Im Sonnengold der Erinnerung wandelte sich die ferne Harzheimat zum Zaubergarten, über dem strahlend der Maientag der Berge leuchtete. Und Wiese und Wald darin waren voll Sirenengesang. Jedes Fichtenrauschen ward ein Locken: Kehr wieder, Bergbube! Komm doch! zwitscherten die Vögel. Und die Bergblumen nickten: Kehr um! Wir warten auf dich! plätscherten die Bäche. O, fühlst du nicht, wie wir auf dich warten! Tausend Bilder stürmten in des Heimwehkranken Seele, süß, betörend, verführerisch. Und blieb doch keine Frohheit in ihr zurück. Furchtbare Dämonen krallten sich in sie hinein, zogen, zerrten, rissen. Blutsauger waren sie und verführerische Gaukler. Sie spielten mit dem Bergjungenherzen ein grausames Spiel, wirbelten das verzagte Ding in goldene Himmel und ließen es abstürzen in Höllenschlünde. In einsamen Stunden flüchtete der Knabe auf seine Kammer. Ach, einmal nur hinschauen in die Richtung, wo die Heimat liegt. Drüben muß es sein. Wenn doch nur ein einziges blaues Berglein hersähe! Aber eine schwarze Wolke lag vor dem Paradies. Und so war es Traumelins Schicksal, den bitteren Kelch Heimweh auszutrinken bis auf die Neige. Sein Leben war Qual. Jeder Heimatgedanke riß eine Wunde durch sein Herz. An einem grauen Tag saß Jürgen Traumelin auf seinem Bettrand wie so oft. Seine Augen verloren sich in der Ferne. Heimliche Glocken läuteten irgendwo. Die Stimmen der Heimat lockten und sangen. Sie hatten ihre bestrickendsten Saiten aufgespannt. Da geschah das Wunder, daß dies Singen ihm nicht zum Schmerz wurde, sondern daß es heimlich in ihm mitzusingen begann. Die schwarze Wolke auf seinem Gemüt war ein wenig zur Seite gerutscht. Irgendwo lachte ein Sonnenstrählchen. Es war, als ob nach langer Zeit ein Glück leise ans Herz zu tippen wagte. Und als Traumelin die Treppe hinabstieg, flüsterte es über seine Lippen: Ich komme! Und es begab sich, daß zu dieser Stunde das Knäuel im Halse hinabzugleiten begann. Unten zählte er seine Heller. Es war das Geld, für das er sich eine bunte Mütze hatte kaufen sollen. Es reichte just. Dann schrieb er ein Zettelchen. Ein paar heimwehkranke Worte standen drauf. Die andern sollten wissen, was ihn forttrieb. Auf heimlichen Wegen erreichte er den Bahnhof. Gott sei Dank, es hatte ihn keiner gesehen. Und kam keiner, ihn zurückzuhalten. Als er im Zuge saß, der ihn der Heimat nähertragen sollte, war zum ersten Male ein richtiges Aufatmen in ihm. Die Kette um seine Seele sprang. Der Kampf schwieg. Es kam eine Müdigkeit über ihn, die ihm Erlösung ward. Jürgen Traumelin auf Heimatpilgerfahrt! Zwei Tage und eine Nacht hat er gehungert und gefroren. Herbstnebel umwehten ihn. Zwischen Fichten und Felsen pfiff der Wind. Er grüßte sie als freundliche Boten der Heimat. Mit leichtbeschwingter Seele schritt er aus. An einem Bergbach kniete er nieder und trank. Einmal wieder Bergwasser schlürfen zu können, war einer seiner heimlichsten und heißesten Wünsche gewesen. Nun war er in Erfüllung gegangen. Seid umarmt, Berge und Wälder, Harzheimat! Als Jürgen Traumelin am zweiten Abend unter sich im Tal die Lichter der Bergstadt sah, stieg er beglückt hinab. Im Glockenhaus läutete es sieben. Es war der Willkommengruß, den die Harzheimat dem heimkehrenden Fremdepilger bot. [Illustration] Der Kirchenbrink Der Sonntagmorgen hatte für mich seine eigene Feierlichkeit. Ich durfte meine Stulpenstiefel anziehen. Es gab in der ganzen Welt nichts so Schönes wie meine Stulpenstiefel! Und zum Kaffee kaufte die Mutter Salzkuchen. Für Salzkuchen hätte ich meine Seligkeit eingetauscht. In der Küche bruzzelte ein Braten. Der Duft zog verlockend durch das ganze Haus, in dem es nie so stille zuging wie an diesem Morgen. Aber das Schönste war doch, auf der Lehne des alten Ledersofas zu hocken und zuzuschauen, wenn den Kirchenbrink hinauf die Bergstadtleute zur Kirche pilgerten. Der Kirchenbrink war mein Freund. Es machte Spaß, vier, fünf Stufen auf einmal herunterzuspringen und am Geländer herabzurutschen. Blumen nickten von rechts und links über die alten Steintritte. Durch die Zaunlatten guckten Kälberkropf und Bärenklau. Man konnte prächtige Spritzen daraus machen. Und die roten und weißen Taubnesseln, die am Kirchenbrink blühten, hatten den süßesten Honig. Des Alltags lag er still und verlassen da. Er konnte die Leute zählen, die auf ihm von der Bergstraße herabkamen oder zu der Bergstraße hinaufgingen. Am Sonntag aber ist er voll Leben gewesen. Alte Mütterchen mit Hauben und Bändern trippeln behutsam die Stufen hinan. Die eine Hand hält das Geländer fest. Die andere umschließt sorglich das Gesangbuch, damit der Pfennig für den Klingebeutel nicht herausfällt und Taschentuch und Brillenfutteral nicht davon abrutschen. Invaliden im Abendmahlsrock steigen hinterdrein, die lahmen Füße bedachtsam von Tritt zu Tritt setzend. Jungens und Mädels hüpfen an ihnen vorbei. Bürgersleute tragen Zylinder, Feiertagsmiene und Goldschnittgesangbuch mit gemessener Würde treppan, vereinigen sich oben mit der Schar derjenigen, die die Straße am Berg herunterkommen und verschwinden in der Kirchentür. Stieg viel alte Gläubigkeit und Frommheit den Kirchenbrink hinauf, den Tag des Herrn würdig zu weihen. Es stieg auch viel Gram und Kummer und grüblerisches Gottsuchertum hinauf, in der Kirchenstille Trost und Vergessen zu finden oder den Unbekannten zu ergründen, der die Tanne grünen und Erz wachsen läßt. War viel altes Gold unter abgeschabten Wämsern. Wenn das Sonntagsgeläut des Glockenhauses in den Bergen verhallt war, tat der Kirchenjunge die Tür zu. Feierlich scholl das Orgelvorspiel durch die Morgenstille. Der Sonntagsfrieden des Bergstädtchens war nie fühlbarer als in diesem Augenblick. Das Orgelspiel klang aus der geschlossenen Kirche wie eine ferne Engelsmusik. Sie machte mir Gotteshaus und Gottesdienst zu einem Mysterium, zu dem der Kirchenbrink der geheimnisvolle Zugang war. Als der Knirps es unternahm, das Geheimnis zu ergründen, schwirrten seine Gedanken bedenklich abseits. Von meinem allerersten Kirchgang ist mir nur die Erinnerung an drei merkwürdige Dinge geblieben. Das eine war ein schwarzer Mann. Er hatte ein weißes Bäffchen um und stand auf einem grünen und goldenen Balkon. Von dort aus sprach er irgendetwas vom lieben Gott. Die andere Merkwürdigkeit war ein Mensch mit einem Hauskäppel. Der ging zwischen den Bänken umher und hielt den Leuten einen klingelnden Sammetbeutel unter die Nase. Das größte Wunder jedoch war der Taufengel. Er schwebte von der Decke hernieder und hielt in den Händen ein Taufbecken. Ich aber verstand seine Sendung nicht. Verstohlen fragte ich meine Mutter, was denn eine »Biermamsell« in der Kirche solle. So hatte mir das Gotteshaus sein Rätsel nicht erklärt. Und als ich hernach den Kirchenbrink hinabstieg, blieb hinter mir das gleiche Geheimnis, das es vordem gewesen. Osterfeuer Am Osterheiligabend hat kein Bergstadtjunge Zeit, Abendbrot zu essen. Der Geruch verbrannter Fichtenhecke und brennenden Fichtenharzes prickelt ihm in der Nase. Das Osterfeuer wird angesteckt. Da bleibt für unwichtige Dinge nicht Muße. Jeder hegt zudem in sich die Überzeugung, daß ohne ihn das Osterfeuer nicht brennen und die ganze Herrlichkeit nur halb so schön sein würde, wenn seine Fackel nicht dabei wäre. Neben Ruscheln und Schneeschuhlaufen hat er nicht vergessen, frühzeitig genug seine Osterfackel herzurichten. Der Vater hat das Fichtenstämmlein aufgespalten und zersplissen, damit die Fackel ein gutes Feuer gibt. Sie steht schon lange zum Trocknen am Herd. Sie ist auch schon beim Bäcker gewesen. Der hat sie, nachdem Brot und Kuchen fertig waren, in den Backofen geschoben. Nun ist sie ausgedörrt bis aufs Mark und ist braun und schwarz geworden. Die Rinde will schon abblättern, -- hei, wird das ein Geflacker werden! Wenn sich auf den Wiesen die ersten dunklen Stellen zeigen, der Schnee weggeht und die Berge scheckig werden, schleppen die Bergstadtjungens die Fichtenhecke für ihr Osterfeuer zusammen. Unermüdlich ziehen sie in den Bergwald und bis in die entferntesten Hauungen, ihr Bündlein Hecke zu holen. Das »Heckeschleppen« ist für jeden Harzheimatjungen Ehrenpflicht. Jeder hat den Ehrgeiz, seinem Ortsteil den Ruhm des schönsten und größten Osterfeuers erringen zu helfen. So entsteht zwischen den oberländischen und unterländischen Buben ein Wettstreit, der friedlicher abgeht, als wenn sie mit wehenden Fahnen und Holzsäbeln gegeneinander zu Felde ziehen und grimme Schlachten schlagen. [Illustration] Am Ostersonnabend wird die Fichtenhecke kunstvoll um den Osterbaum getürmt. Es ist ein erwartungsfrohes Treiben auf dem Osterfeuerplatz. Keiner denkt früher an zu Hause, bis es Zeit wird, die Fackel zu holen. Osterfeuer im Harzheimatland! In den Straßen des Bergstädtchens liegt die kühle Dämmerung des Vorfrühlingsabends. Aus Eisschollen und Schneeresten und winterkalter Erde dampft Nebel. Der Ostervollmond guckt über die Berge. Durch die Gassen zieht ein Duft wie von tausend Weihnachtsbäumen. -- Ihr Armen im Flachland! Und wenn ihr noch soviel Strohbündel und Teertonnen und Pech zuhauf türmt, euer Osterfeuer wird immer ein stinkendes Räuchlein bleiben. In den Bergen aber ist’s reine Opferflamme, in der nichts brennt, denn das der Fichtenwald hergegeben hätte. Braune und gelbe Rauchschwaden quellen aus dem Heckenaltar. Sie ballen sich zu wogenden Wolken und wachsen wie eine unendliche Säule in den Nachthimmel. Prasselnd fressen sich Flammen durch Harz und Fichtennadeln und lecken hinauf in den Osterbaum. Feurige Lohe knattert durch seine Äste, wirft einen Feuerschein auf Rauch und Menschen und zerstiebt in sprühenden Funken. Mit Feuer und Rauch wird der Winter von dannen gejagt. Das Rasen der Flammen ist Erlösungsjauchzen. Um das Feuer her schwenken die Harzheimatkinder ihre Fackel, rufen Fitfaat! und ziehen rauschende Flackerfeuerkreise um ihre Köpfe. Über der Bergwiese tanzen tausend Irrlichter. Der Frühlingsnachthimmel malt sein Schwarzblau hinter dies Bild der Frühlingsfreude, die in Großen und Kleinen lebt und bei jedem neuen Osterfeuer neu lebendig wird. Osterfeuer sind Freudenfeuer, mit denen die Menschen den Sieg des Lenzes über den Winter feiern. Dem Bergmenschen aber, der die Faust des Winters am härtesten spürt, sind sie Dankesopfer. [Illustration] [Illustration] Das Fest zwischen Ostern und Pfingsten Wenn zwischen Ostern und Pfingsten die Lerchen das erste Grün aus dem fahlen Lederhosengelb der Bergwiesen hervorgetrillert haben, putzt der Kuhhirt sein Koppels. Und die Bergstadtleute feiern einen hohen Festtag. Der steht nicht im Kalender. Er wird auch nicht von der Kanzel herab verkündet. Und in der Mitternacht vorher rührt sich im Glockenhaus kein Glockenstrang, ihn gebührend einzuläuten. Und doch hätte er beides verdient. Denn dieser Sonntag, an dem nach langer Wintersnot die Kühe zum ersten Male wieder auf die Bergweide gehen, ist wie eine Bannlöse. Unten im Land ist mit Vogelsang und Apfelbaumblühen längst der Frühling eingezogen. Er will auch hinauf ins Harzheimatland. Aber der Winter hat alle Täler verklüftet und treibt ihn mit Schneeschauern zurück. Graue Wochen lang geht ein Kämpfen hin und her. Die Schneewehen an den Hängen wollen nicht kleiner werden. Auf den Straßen kleben schmutzige Eisschollen. Regen und Schnee platschen durcheinander. Durch die Wälder rauscht der Sturm. Das Flöten der Drossel, die den Frühling rufen will, wird von seinem Rasen übertönt. Die Bäche tosen. Die Luft ist erfüllt mit aufgeregtem Gebrause. Es ist nicht Winter, es ist nicht Frühjahr. Das ist der Bergstadtleute böseste Zeit. Niemand sehnt sich mehr nach dem Frühling als sie. Keiner begrüßt ihn dankbarer. Wenn aber die Kühe wieder auf die Weide treiben, ist ihnen das wie die frohe Botschaft: Der Lenz ist da, nun muß sich alles wenden. Oft genug freilich prasselts mit Hagelschauern hinein in diese Frühlingshoffnung. Aber der Bann ist gebrochen. Ein Aufatmen geht durch die Menschen. Es ist ein Freuen in ihnen, das niemand kennt und keiner mit Namen nennen kann. Doch jeder fühlt es. Und diese Freude leuchtet in jungen und alten Augen, guckt aus allen Fenstern und wartet in allen Gassen, daß das Horn des Kuhhirten zum ersten Male tutet. Keine Frühlingsschalmei kann schöner klingen! Dann tun sich die Stalltüren auf. Ketten fallen klirrend nieder. Die Kühe werden losgebunden. Ihr Fell ist blank gestriegelt. Bunte Bänder flattern an den Hörnern als festfroher Schmuck. Manchem Mütterlein, das nur ein paar kümmerliche Morgen Pachtwiese ernten kann, rutscht mit dem Ruf des Hirtenhorns eine Sorge vom Herzen. Der Heuboden hat ein arges Loch bekommen. Dem Bergmenschen ist sein Vieh nicht Inventar. Er lebt mit seinen Tieren und sieht ihre Not nicht nur mit den Augen. Er fühlt sie im Herzen mit. Und so begrüßt er das erste Frühlingsgrün an den Hängen wie eine Gottesgabe, die die Berge ihm darreichen für seine Tiere. Froh und kümmernisbefreit läßt er sie nun hinaus: Kumm, Resel, Orschel, Herschel, Liesel, -- kumm! Die Braunen treten zaudernd über die Schwelle. Sie können noch nicht daran glauben, daß sie die Kette nicht mehr an der Krippe festhält. Und das Taglicht blendet nach dem langen Stalldämmer. Wieder ein zaghafter Schritt. Nun stehen sie draußen und gucken und wundern sich. Dann geht ihnen ein Erinnern auf an die goldene Freiheit in den Bergen. In übermütigen Sprüngen und Kapriolen hopsen sie davon. Sie schlagen aus in wilder Freude, als wollten sie die Winterfesseln weit von sich schleudern. Die Temperamentvollsten geben ihr Freiheitsbehagen mit den Hörnern kund. Es ist ein Raufen und Stoßen bald hier, bald dort. Bis der Hirtenhund Ordnung schafft oder die Peitsche eines Jungen über die Kämpfenden hinknallt. Klitsch--klatsch--paatsch! -- Das Peitschenknallen gehört zu diesem Festtag wie die Herde selbst. Das wäre kein Bergjunge, der sich nicht wochenlang im Peitschenschlagen geübt und der nicht den Ehrgeiz hätte, die beste, schlankste »Schwippe« zu haben für diesen Tag, auf den sich alle freuen. Manche Bicktanne wandelt sich zum Peitschenstiel. Die Kaufleute können nicht genug Klappschnüre schaffen, und der Sattler muß die Riemen bündelweis schneiden. Wenn dann der große Tag da ist, wird die Schwippe geschmückt mit der Schwester schönstem Haarband, -- und ein Knallen geht los auf allen Gassen. Klitsch--klatsch--paatsch! hallen die Berge wider. Klitsch--klatsch--paatsch! kommt’s im Echo von den Hauswänden. Der kleinste Knirps ist mit heiligstem Eifer dabei. Selbst die Alten können es nicht verwinden, noch einmal die alte Kunst zu üben. Und es wird erst ruhig im Städtchen, wenn die Herde heimwärts zieht und die Stalltüren sich wieder schlossen. Unfug, sagst du? -- Nein, auch das Peitschenknallen ist eine Äußerung der Frühlingsfreude. Wie soll ich’s nennen? Wenn du’s als Bergjunge nicht gefühlt hast, du wirst’s als Nörgler nicht erjagen. [Illustration] Johannistag Tripp -- trapp -- Käsenapp, Heute ist Johannistag! Die Erinnerung an unsere Johannistage kräuselt mir durch den Sinn wie ein Gerank aus bunten und schönen Dingen. Fichtengirlanden schlingen sich lustig durcheinander. In ihrem Grün glühen Pappelrosen. Fliedertrauben quellen daraus hervor, und Nachtviolen tupfen blaurote Punkte hinein. Eierschalenkränze baumeln im Wind. Verlockend streicht um Johannisbaum und Ringelreihen der Duft warmer Blätterkuchen. Lieder klingen. Die Luft ist voll Sonne und Freude und das Herz voll Kinderseligkeit. Ich fühle weiche Mädchenhände in den meinen, spüre in der Nase den Geruch von frischgestärkten weißen Sonntagskleidern und Haarpomade. Haarschleifen flattern. Zöpfe wippen. Alle diese verführerischen Dinge erregen in der Jungenbrust das harmlose Räuschlein ersten Verliebtseins. Der schüchterne Bergbube mausert sich zum Ritter. Irgendwo im Johannistagsreigen glüht ihm ein heimliches Flämmchen, dem alle Lieder gelten. Glück wird Singelseligkeit: Wo treff’ ich meinen Schäfer an, Wo werd’ ich ihn wohl finden, Der mir mein Herz erleichtern kann? Wohl unter einer Linden? Unter einem grünen Busche, Da ich meinen Schäfer suche, Unter einer Linden, Da werd’ ich ihn schon finden. Ein Mädel steht unterm Baum. Es winkt schüchtern einen Knaben aus dem Reigen zu sich herein: Herr Schäfer, Sie bleiben stillestehn, Mir däucht, ich sollt Sie kennen, Warum woll’n Sie so von mir gehn Und sich so von mir trennen? Ei, so will ich mich zu Sie (!) wenden, Fassen Sie an beiden Händen, Und Sie werden desgleichen Und mir ein Küßlein reichen! Leider geschah das nun nicht. Unsere Alten waren glücklicher daran. Bei ihnen gehörte das Küssen zum Johannistag wie der Johannisbaum und die Johannislieder. Aber trotzdem klang es fröhlich weiter: O wie glücklich ist die Stund’, Da ich meinen Schäfer fund! Nun stand der Schäfer im Kreis. Seine Schäferin war indes in den Reigen zurückgetreten. Und das Schäferlied wiederholte sich in der Umkehrung: Wo treff’ ich meine Schäferin an, Wo werd’ ich sie wohl finden, Die mir mein Herz erleichtern kann? ... Bis eine neue Weise im Kreis erscholl: Ich bin ein lustiger Weidemann, Ich suche mir ein Revier. Ein Hirschlein, das ich schießen kann, Ein hübsches munteres Tier. Es gibt der munteren Tier’ so viel, Der Jäger nimmt sich eines zum Ziel: Puhf! Der Schuß, der ist geschehen, Man muß das Wild besehen! Das Lied vom Hirschlein setzte sich fort: Jagt mir doch das Hirschlein aus der Weide! Du und du bist meines Herzens Freude. Wechselt mir die spanischen Pistolen, Daß ich kann mein’ Schatz bald wieder holen! Ei, so komm doch her, mein Kind, Weil ich dich jetzt wiederfind’. Treu um Treu und liebe mich, Und vergiß das Küßlein nicht! Das war freilich wieder eine Mahnung mit schwachem Ergebnis. Für uns Arme und Nüchterne blieb’s bei der Entsagung: In dem schönen Rosengarten Eine Dame zu erwarten, Die mir schenket einen Kuß, Die mir schenket einen Kuß. Und was nützte das Klagelied: O Jammer, Jammer! höret zu, Was ich euch sagen werde. Ich hab’ verloren meinen Schatz, Der mich so treu geliebet hat. Macht auf, macht auf die Gartentür, Ob ich ihn hier nicht finde! Und daß das Mädel winkte: Schau her, schau her, hier ist mein Mann, Hier fall ich ihm zu Füßen. Und der mich einst geliebet hat, Den werd ich einstmals küssen. Nun steh ich wieder auf zu dir Und mache einen Diener für! Aber fort doch mit den ewigen Herzensdingen! Es fuhr ein Bauer ins Holz, Es fuhr ein Bauer ins Holz, Es fuhr ein Bauer ins Kermesholz, Ki--ka--Kermesholz, Es fuhr ein Bauer ins Holz. Der Bauer nahm sich ein Weib, Der Bauer nahm sich ein Weib, Der Bauer nahm sich ein Kermesweib, Ki--ka--Kermesweib, Der Bauer nahm sich ein Weib. Das Weib nahm sich ein Kind, -- Das Kind nahm sich ’ne Magd, -- Die Magd nahm sich ’en Knecht, -- Ki--ka--Kermesknecht! Der Bauer schied von dem Weib, Das Weib schied von dem Kind, -- Das Kind schied von der Magd, -- Die Magd schied von dem Knecht. Das Ki--ka--Kermeslied war lustig. Wir haben es mit Begeisterung und Inbrunst gesungen. Es bildete eine fröhliche Abwechslung in den Johannistagsliedern und den vielen Volksliedern, die in den Singereigen eingeflochten wurden. Wir schöpften aus unerschöpflichem Born und sangen unverdrossen, bis der Abend kam und wir müde in unsere Kissen krochen. Dann zog die ganze Johannistagsherrlichkeit noch einmal wie ein bunter Traum durch die Kammer. Das ausgestopfte Männlein, das steif und stumm unter dem Johannisbaum gesessen hatte und dem aus Knopflöchern und Handschuhen die Sägespäne quollen, ward zum Kobold. Es hockte auf der Bettstelle. Es hockte auf dem Deckbett. Es spukte in allen Winkeln und trieb seinen Mummenschanz in des Schläfers heißem Köpfchen, darin ein sonderbarer Leierkasten zu dudeln begann: Orgel, orgel nort--nort--nort, Wo treff’ ich meinen Schäfer an, Ki--ka Schäfer an. In dem schönen Rosengarten, Es grüne die Tanne, es wachse das Erz, Ki--ka--Kermesholz, Wenn ich den Wanderer frage, O Jammer, Jammer höre zu, Im schönsten Wiesengrunde, Ki--ka--Kermesweib, Die mir schenket einen Kuß, Ki--ka--Kuß. Glück auf, ihr Bergleut’ jung und alt, Ich bin ein lustiger Weidemann, Wenn schwarze Kittel scharenweis, Guten Abend, Gute Nacht ... So schwirrt es in wirrem Kunterbunt durcheinander. Über dem Bette wächst der Johannisbaum empor und wächst hinauf bis in den Himmel. Ein Paradies öffnet sich darüber. Das ist voll Glück und Seligkeit. Pappelrosenkränze und Heckengirlanden schlingen sich um goldene Pfeiler. Hexenhäusel aus lauter Blätterkuchen und warmen Waffeln bauen sich auf. Sterne leuchten, tausend Sterne. Aber einer ist der hellste. Und wie der Träumer näher zuschaut, wird der Stern zu einem nickelnen Zwanzigpfennigstück, das er glückselig in den Händen hält. Er lächelt im Traum. Wie reich er war, als ihm der Schullehrer heute morgen das blanke Zweigroschenstück gab! Zwei Groschen eigenes Geld, o zwei Groschen! Ihr gütigen Stifter, die ihr lange im Grabe ruht! Das Strahlen in den Augen der Harzheimatkinder hat euch Dank in die Ewigkeit hinübergelächelt. Die Zwanzigpfennigstücke sind die Zinsen eures Kapitals gewesen. Eure Güte aber konnte sich nicht schöner verzinsen als mit diesem Glückslächeln auf Buben- und Mädelgesichtern und mit jener Johannistagsfreude, die ihre Backen rot malt und die noch über ihre Augen huscht, wenn sie abends müde in ihre Betten schlüpfen. [Illustration] Die Waldschenke Möchtest Du nicht mit mir schnell hinüber über das Gatter und hinunter ins Häusel? Oder möchtest Du Dich nicht auch hier niederlegen am Rande des Holzes und zwischen Fingerhüten und Ehrenpreis träumen, Stunden verträumen, Tage, Wochen? Alles in diesem Waldwiesenwinkel ist freundliches Winken: Hier ists gut sein! Welche Zauberdinge sinds, die so eindringlich locken? Ein Flecklein Lichtgrün im Tannenduster, Vogelstimmen im Wald, zwischen Blumen ein Plauderbach, -- und weltferne Stille. Mitten in allem ein rotes Dach, unter Bäumen ein paar Holzbänke, eine Laube im Gärtchen ... Wer könnte vorüberwandern! Ist kaum ein halbes hundert Jahre her, da war dies Tal erfüllt vom Lärm der Arbeit. Der Bach plantschte über Wasserräder. Pochstempel stampften einen harten Daktylus in die Waldstille: _Paff_ -- paffpaff, _paff_ -- paffpaff. Unter ihrem Schlag barst Erzgestein zu Kies und Staub. Aus allen Hütten kam Poltern und Rumoren. Das Echo polterte mit. Pochjungen hantierten an Waschherden und eilten geschäftig auf und ab. Blutjunge Knaben, die das Leben hier allzufrüh in ein eisernes Joch spannte. Blaukittelige Fuhrleute schrien. Angetan mit weißem Kittel und hohen lehmfarbenen Gamaschen stolzierten Königlich Privilegierte Fuhrherren einher, ihre zahlreichen Fuhrwerke musternd. Knarrend fuhren Erzhielen talaus, talein. [Illustration] Nun ist das geschäftige Bild verschwunden. Die Pochwerke sind fort. Es blieb kein Stein auf dem andern. Fichten grünen über ihrer Stätte. In den Schlammlöchern wachsen Schilf und Schachtelhalm. Natur nimmt langsam das Ihrige zurück. Der Stampftakt der Stempel ist verstummt. Das Zechenhäusel, -- die Waldschenke, -- ist der letzte Zeuge jener Zeit. In dem Stüblein, wo sich heuer der Gast erquickt, hielten vor Zeiten die Pochjungen ihre Betstunde vor der Schicht. Sie sangen ein frommes Lied. Der alte Vorbeter las ein Gebet. Die Arbeit begann mit Gottes Segen. Kinder im Joch --, Gottes Segen? Wenn ich am Gatter liege und träume, ziehen in langer Wallfahrt bleiche Knaben durch das Tal. Eine stumme Anklage gegen eine grausame Zeit. Die Stille im Wald ist wie das Ausruhen vieler Bergmenschengeschlechter, denen harte Arbeit an diesem Ort Blut und Jugend nahm. [Illustration] Der Gnadenlöhner Sein Hauskäppel ist fadenscheinig geworden. Die bunten Blumen darin sind ausgefädelt und haben die Farbe verloren. Silberne Strähnen quellen unter dem Käppel hervor. Jede Bewegung des Alten ist gemessene Ruhe. Wenn er das Fenster öffnet und den Pfeifenkopf ausklopft, aus dem Tabakskasten dann eine armselige Mischung von Tabak und Kirsch- und Huflattichblättern in den Kopf stopft, das alles geschieht mit der gleichen Bedachtsamkeit, mit der er hinterher zu Zunder und Feuerstein und Stahl greift, Funken schlägt und langsam zu paffen beginnt. Ist nichts, das ihn zur Eile triebe oder ein Wellengekräusel verursachte auf dem abgeklärten Spiegel seiner Seele. Er steht über den Dingen. Und das Leben -- ach das Leben! Er hat abgerechnet mit ihm. Das Leben zieht draußen vorbei. Es geht mit Axt und Säge ins Holz. Fährt an zur Schicht in der Grube. Rollt auf Bauholzwagen straßab. Wetzt auf den Bergwiesen die Sensen ... Wann begann doch seins? Der Alte sinnt. Seine Gedanken spinnen einen langen Weg zurück. Es ist kein sanfter und weich gepolsterter Wiesenpfad, den sie wandeln. Sie müssen einen steilen Bergstieg hinab, über Steingebröckel und spitze Klippen und Schlackenhalden, durch Hohlwege und schwarzen Wald. Tief unten, wo der Weg beginnt, liegt im Talesgrund ein grünes Paradies voll Lust und Vogelsang: seine Kinderzeit. Ein Nebel breitet sich darüber. Zu früh hat er draus fortgemußt. Über kaum erblühte Blumen fiel Reif mitten im Frühling. Sie sind ungepflückt gestorben. Kein Traum macht sie wieder lebendig. Zehn Jahre war er alt. Des Vaters Taglohn reichte nicht für die Familie. Zwei Taler zehn Mariengroschen in der Woche, -- du lieber Gott! Und der Himten Herrenkorn war bald verzehrt. Blieb keine Wahl: die Kinder mußten mit ins Joch. Bergmannsjungen mußten Bergleute, Hüttenmannsjungen wieder Hüttenleute werden. Das war ungeschriebenes Gesetz im Harzheimatland. Zu beiden Berufen bildete das Pochwerk die Vorbereitungsstätte. Wurde aber keiner im »Pucherig« aufgenommen, der nicht zehn Jahre alt war ... Es kam auch keiner hinein, der sein Vaterunser nicht konnte und die zehn Gebote und das Einmaleins. Wer sich in solcherlei Dingen des Kopfes und des Herzens zur Zufriedenheit des Obersteigers auswies, der erst war würdig, staatlicher Pochjunge zu werden. Es waren bescheidene Rühmlein mit dieser Würde verbunden. Die Pochjungen brauchten nur Sonnabends zur Schule. Zu Fastlahm, dem Dankfest der Bergleute, durften sie mit Grubenkittel und Schachthut und Hinterleder beim Kirchgang den Großen vorangehen. Zum Johannistag steckte ihnen die Mutter Sirupsbranntwein in den Brotbeutel. Sie setzten mit dem ersten Anfahrtstage ihren Fuß auf die oberste Sprosse der Leiter, die zu Silber und Blei in den Berg hinabführt. Der Weg bis dahin freilich war weit. Ruhm und Ehre heischten harten Tribut. Und zuvörderst stand die Leiter noch im Pochwerk. Mit dem Morgengrauen begann die Fron. Der Vorbeter im Zechenhaus konnte die Müdigkeit aus Kinderaugen nicht herausbeten. Wurden während der Arbeit die Kräfte schlaff oder wollte der Pochjunge Kind sein, wies ihn der Vogelpols des Steigers, die Klopfpeitsche, ins Joch zurück. Zwölf Stunden Scharwerken, Schmalzbrot im Brotbeutel, elf Pfennige Taglohn ... Sie schleppten ihre müden Glieder nach Haus. An Blumenblühen und Vogelsang und Sonne und allem vorbei, was Kinderherzen erfreut. Wem harte Faust im Nacken sitzt, dem stirbt die Jugend rasch. Das Pochwerk zerstampft Stein und Erz und Kinderherzen. Und hinter Schlackenkarren und Erzhunden wird der Mensch nicht jünger. Was übrigbleibt an Lebenskraft, nimmt bei dem einen der Schacht, dörrt bei dem andern der Schmelzofen aus. Des Alten Weg führte nicht über Sonnenhalden. Nun ist er über den Berg. Die Sonne freilich ging derweilen jenseits hinab. Just ein Fünklein warmen Abendscheins kann er noch erhaschen. Im Antlitz des sinkenden Lichts stößt er den Stecken in die Erde. Ein müder Pilgersmann. Sein Ränzel ward auf der langen Bergfahrt leer. Er muß den Leibriemen enger schnallen. Blieb nichts im Sack als ein Stück Gnadenbrot und armselige Habe: ein Päcklein Tabak, eine Scheibenbüchse, die sein Arm nicht mehr halten kann, eine Harzzither, darauf die Saiten zersprangen ... [Illustration] Aber der Alte hat sich weise in sein Los gefügt. Grübeln und Grämen bringen verlorene Jugend nicht wieder. Er will beschaulich genießen, was ihm von Licht und Tag noch übrigbleibt. Er weiß: Wenn die Sonne fort ist, wird sich hinter ihr das schwarze Schachtloch Ewigkeit auftun. Dann wird er am Ziel sein. Bis dahin bewahre Gott uns allen ein fröhliches Herz! Wenn der Gnadenlöhner solcherlei Gedanken spinnt, ist in seinen Augen fernes Feierabendleuchten voll Güte und Milde. Und in seinem Blick ist jener Friede, der mit der Welt und allen Alltagsdingen darin abgerechnet hat und bereit ist, das Ergebnis dieser Rechnung dem Herrgott vorzulegen: Das Leben hat mir nichts geschenkt. Ich habe meine Pflicht getan. Glückauf, Alter Mann! [Illustration] Um die Bergstadt verstreut liegen seltsame Gesteinshalden. Auf den Wiesen einzelne, die meisten im Walde versteckt. Es sind die letzten Reste uralter Gruben. Der Fremdling übersieht sie zumeist. Selten, daß sich einer wundert, woher so unvermittelt an einer Waldlehne oder einem Wiesenhang ein ebener Plan entsteht, der aus dem Berg herauszukommen scheint, sich vorschiebt und wieder jäh in den Hang hinabstürzt. Der Bergmensch aber weiß, daß er hier auf einem Stücklein Boden steht, das durch die Arbeit der Väter geheiligt ist. Vor langen Jahren haben sie hier nach Silber und Blei geschürft. Hoffnungsvolle Namen gaben sie ihren Gruben. Aber diese erwiesen sich nicht allezeit als Goldene Rose oder Schatzkammer, waren nicht immer Silberlilie und Treuer Friederich; blinkten auch nicht auf die Dauer wie eine Engelskrone oder der Morgenstern. Und die Gnade Gottes und Gottes Segen waren ihnen nicht allen beschieden. Nicht überall lohnte die Ausbeute. Die Zubuße war größer denn der Gewinn. Dann versuchten die Alten ihr Glück an anderer Stelle. Das Gebirge reichte weit. Erz wuchs in jedem Berg. Sie gruben in den Oberschichten des Gesteins. Sie stiegen viele Lachter tief in die Erde hinab. -- Alle diese Gruben sind vergessen. In den Chroniken des Harzheimatlandes heißen sie in ihrer Gesamtheit: Der Alte Mann. Der Alte Mann waren aber auch die ersten Bergknappen, die die Hoffnung auf blinkenden Segen in die Harzberge lockte. Sie brachten ein regsames Getriebe in den stillen Wald Hercynia. Der Schwarze Tod entriß ihnen Schlägel und Eisen. Krieg und Not verschüttete die Gruben. Die nachfolgenden Geschlechter gingen mit frischem Hoffen ans Werk. Sie gruben, wurden fündig, teuften ab und begruben wieder. Manche leuchtende Silberader schlug man an. Viele blanke Taler wurden geprägt, von denen Seine Hochfürstliche Gnaden, der Herzog von Braunschweig und Lüneburg, den Zehnten in sein Säckel taten. Dann traf man beim Weiterbauen auf taubes Gestein. Oder Wasser und Widerwärtigkeiten geboten Feierabend. Die Gewerkschaft nahm ihr Gezäh und wanderte weiter. Die alten Gruben blieben vergessen liegen. So liegen sie heute noch. Stollen und Schächte stürzten ein. Das wertlose Gestein aber, das aus ihnen zu Tage gefördert wurde, lagert an der alten Stätte wie ehedem. Jahrhunderte sind seither über die Halden hinweggegangen. Moos und Gras haben sie zugedeckt. Wälder wuchsen darauf. Wälder wurden gefällt und wuchsen wieder. Und von den Menschen, die einst diese »Hallen« aufstürzten, blieb im Harzheimatland nichts als ihre Sprache, die hart ist wie Fäustelschlag. Und eins noch hinterließen sie: den Mut eines zähen Tiefenbezwingertums. Ihre Nachfahren sind ein furchtloses Bergmannsgeschlecht geblieben, das stolz ist auf einen Beruf, der geliebt und verstanden sein will und von dem sie singen: Gott hat uns einst die Gnad’ gegeben, Daß wir vom edlen Bergwerk leben ... Wenn ich auf verfallener Halle stehe, beginnt alte Zeit zu erzählen. Dort muß der Stollen gewesen sein. Eine verwaschene Runse am Hang, die unvermittelt abbricht. Die Schachtstangen, die ihn einst stützten, sind morsch zusammengeknickt und vergangen. Das Erdreich stürzte nach. Das Loch im Berg tat sich zu. Das Stollenwässerchen suchte sich einen Weg und blieb als Bergquell zurück. Über die Runse wuchs Moos. Fichtennadeln stäubten hernieder. Rippenfarn und Weidenröschen siedelten sich an. Wind wehte Tannzapfensamen herbei. Lustig sproß ein Fichtenhorst empor und überdeckte das bloßliegende Gestein. Die schartige Wunde am Berg verheilte zur Narbe. Und auch über die Steinhalden wuchs der Wald. Moos und Tannennadeln wieder polsterten das Gerümpel aus. Fichten krallten ihre Wurzeln tief hinein. Wo am Steilhang der Halle ein Regensturz das neue Erdreich wegwusch oder ein Hirsch seine Fährte durch die Oberschicht drückte, schimmern graue und weiße Steine her. Das Berg, heißt es der Bergmann. Kalkspat, Schieferspat, sagt der Gelehrte. Die Bergkinder aber suchen an solchen Stellen nach einem Glänzlein Kupferkies oder Zinkblende und sind glücklich, »Goldsteine« gefunden zu haben. Um die Halden schleicht der Fuchs. Über Pfifferlingen und Reizkern wölben sich Fichten. Junge, in denen das Rotkehlchen singt, alte, in deren Zweiggewirr Eichhörnel hupfen. Die Arbeit des Alten Mannes hat ein Waldidyll übersponnen. Manchmal streicht in dunklen Nächten der Bergmönch hier vorbei. Sein silbernes Geleucht blitzt durch das Holz. Am St. Barbaratage aber läutet heimlich dort ein Schachtglöcklein. Wer Märchenohren hat, der hört es ... So oft ich an solcher Stätte weile, muß ich still sein. Mir ist, als täte sich der Berg auf. Weit hinten im schwarzen Loch des Stollens sehe ich Grubenlichter flackern. Hämmer sausen auf Handbohrer hinab. Eisen klingt auf Eisen den harten Takt der Arbeit vor Ort. Spitzhacken knirschen sich in das Gestein. Polternd gehen felsige Wände nieder. An den Seiten des Stollens sickert Wasser herab, perlt in klingenden Silbertropfen von der Decke und kommt als Bächlein zu Tage. Auf der Stollensohle bilden Bretter einen ebenen Weg. Schiebkarren rollen darauf aus der Tiefe hervor. Urväter begrüßen mich mit geisterhaftem Glückauf. Auf Schachthut und Hinterleder und Grubenkittel klebt feuchter Schmutz. Sie schieben den schweren Karren auf die Halde hinaus. Bollernd stürzt das Gestein den Hang hinab ... Glückauf, Alter Mann! Deine Hände sind voll Schwielen. Der Berg hat dich bleich gemacht. Deine Augen blicken ernst. Harte Arbeit grub harte Falten in dein Gesicht. Bergmannsarbeit ist immer Last gewesen. Dem Knappen von heute hat die Neuzeit hilfreiche Handhaben gegeben. Ihr jedoch waret auf euch selbst gestellt. Ihr wußtet nichts von Bohrmaschinen und Preßluft. Jedes Loch in Felsenwand mußte die Eisenkraft eurer Hände und Arme ertrotzen. Euch trug keine Fahrkunst hinab in Schachtes Tiefen. Für euch gabs nur den Sprossenweg der Leiter, die Fahrt, auf denen eure müden Beine aufwärts und abwärts stiegen viele Lachter. Euer Beutelchen Schwarzpulver war schwach. Es sorgte dafür, daß der Arbeit genug übrigblieb. Dynamit und Donarit schaffen euren Nachfahren reinere Tafel. Und was ihr fördertet, nahm euch keine leicht dahingleitende Feldbahn ab. Euch blieb nichts, als das Sielen über die Schulter zu schlagen und den Karren in die Hand zu nehmen oder die Faust um den Griff des Göpels zu spannen, der ächzend den Erzeimer emporwand. Kein Förderseil, bewegt durch die Kraft einer Maschine und gebändigt durch einen Hebeldruck, glitt hinab in die Tiefe. Unten glühte kein elektrischer Faden. Kein Karbidlicht warf grellen Schein auf marmorne Erzadern. Zu eurer Arbeit leuchtete nichts als das schwelende Flämmchen eurer Unschlittlampe. Das armselige Geleucht ist ein Bild eures Lebens gewesen. Nun seid ihr lange eingefahren zur letzten Schicht. Ob ihr den Bergmannstod starbt tief unter der Erd’ und man euch im weißen Sarg nach Hause trug, ob eure bergsüchtige Lunge auf dem Strohsack verröchelte, -- wer weiß, wo ihr euren Feierabend fandet. Über eure Schächte ging die Zeit. Erde deckt Mühsal und Last. Erde deckt alles Hoffen auf Goldene Rose und Silberlilie. Aber die Gnade Gottes mag mit euch sein. Und der Morgenstern möge euch leuchten wie ein gleißender Anbruch im Schacht. Reicht mir die Schwielenfaust: Glückauf, Alter Mann! Mein Gruß ist Hochachtung und Ehrfurcht. [Illustration] Schpinne Weiß der Himmel, wie sich der gute Alte diesen Spitznamen erworben hat! Die Spitznamen im Bergstädtchen sind nicht immer Liebkosungen. Sie verlieren zwar mit der Zeit Sinn und Ätze. Kein Mensch denkt sich etwas dabei. Aber sie bleiben an ihrem Träger haften wie Vogelleim und erben sich fort auf Kindeskind. Wenn einer damals in der Bergstadt nach Herrn Karl Riese gefragt hätte, wäre er lange irre gegangen. Und die Bergstadtleute hätten die Gegenfrage gestellt: Welchen Riesen meinen sie, den, den, den oder den? Fünfe, sechse, hätten sie hergezählt und an jeden ehrsamen Namen Riese ein Anhängsel mit Eigenprägung gehängt, das sie alle säuberlich auseinanderhielt. Hätte darum der Fremdling gefragt: Wo wohnt der Riesen-Schpinne? dann würde das eine eindeutige Frage gewesen sein, die über den Gesuchten keinen Zweifel übrigließ. Und jedes Kind auf der Gasse wäre mit dem Bescheid zur Hand gewesen: Beim Bruch-Guste! Das war nun freilich auch noch keine klare Ortsbezeichnung. Aber der Bruch-Guste ihr Haus war leicht zu finden. Von der Straße im Tal zweigt sich ein Gäßchen ab. Es hupft mit einer klapprigen Holzbrücke über einen Bach und will hinauf zur Straße am Berg. Das Gäßchen muß aber einen Winkel machen. Denn just hinter der Brücke steht ihm das Haus von der Bruch-Guste im Wege. Das steht dort ganz allein und betrachtet aus seiner Zurückgezogenheit mit stillem Schmunzeln die Hinterseiten der Häuser auf der anderen Seite des Baches. Mit einem Auge kann es gerade noch durch die Gasse zur Straße gucken. Neben dem Steintritt mit der hölzernen Bank läßt ein Brünnlein sein Kristallwasser in einen uralten Eichentubben pladdern. Dies Haus gehörte der Bruch-Guste. Dem Zufall, daß es an einer bruchigen Wiese stand, verdankte seine Eigentümerin ihren Beinamen. In dem Haus am Bruch trieb die gute Frau Guste eine fleißige Milchwirtschaft. Es roch dort immer nach Buttermilch und Molken. Wenn die auf die Diele führende Stalltür offen stand, wehte warmer Stalldunst dazwischen. Dieser Mischduft gehört in meiner Erinnerung untrennbar mit jenem Haus zusammen, in dem eine Treppe hoch mein Freund Riesen-Karel, genannt Schpinne, zur Miete wohnte. Seine Stube war, wie die meisten Bergmannsstuben im Bergstädtchen, halb Gebrauchszimmer, halb unantastbare kalte Pracht. Die Alltagshälfte lag im warmen Bereich des Ofens. Im Ofenwinkel stand das schwarze Waschbecken aus Gußeisen. In dieser Ecke geschah nach vollendeter Schicht die gründliche Reinigung vom Schmutz der Grubenarbeit. Dann wurde das gestreifte flanellene Arbeitshemd an den Ofen gehängt und mit Feierabendshemd und Kamisol vertauscht. Auf der anderen Seite des Ofens, wo der Eßtisch seinen Platz hatte, wartete währenddem schon der Kaffee mit der eingebrockten Semmel. Zum Eßtisch gehörten zwei Bretterstühle. Die paar Rohrstühle in der guten Stubenhälfte wären für den Eßtisch zu schade gewesen. Überhaupt diese Sonntagshälfte! Die Mutter Riesen hielt auf peinlichste Ordnung in ihrem Schmuckkästlein. Es war kein Fältchen in der Kommodendecke. Die Kalkspat- und Zinkblendedrusen darauf und die Glaskugeln hatten immer den gleichen Platz. Die Lichtbildständer auf dem runden Sofatisch mußten ihre Füße immer genau in dieselbe Stelle der Damastdecke drücken. Und die Mutter Riesen hätte nicht schlafen können, wäre nicht der Kattunüberzug über dem Sofa nach jedem Feierabendschläfchen des Alten erst wieder säuberlich glattgezupft worden. Zwischen ein paar Sechser- und Achtergeweihen an der Wand tackte eine Schwarzwälderuhr. Der Schatten ihres Messingpendels tupfte an den Kerbschnittrahmen eines vergilbten Soldatenbildes, an dem eigentlich nur noch ein roter Uniformkragen und zwei schwarze Augenpunkte deutlich geblieben waren. Das war das Rekrutenbild meines alten Freundes. 70 ist er mit nach Frankreich gewesen. Auch Anno 66 hat er mitgemußt. Aber die Preußenkugeln hörte er nicht pfeifen. Sein Marsch nach Langensalza fand frühzeitig ein Ende. Wenn er damals für sein Hannoverland keine Lorbeeren pflücken konnte, blieb er ihm doch im Herzen treu. Zuweilen versuchte er mit invaliden Knochen noch einmal einen preußischen Parademarsch. Aber seine Gedanken verloren sich dabei zurück in seine Soldatenzeit unter dem blinden König. Da ging es lustig zu, wenn in den Heidemanövern die »Attolerie« mit »grasgriene Äppel« schoß, -- wahrhaftigen Gott! Des Alten Augen leuchteten. Und wie lautgewordenes Erinnern summte die alte hannoversche Soldatenweise durch seinen Bart: »O Hannes, wat ’en Haut!« Wenn die Rede auf 66 kam, grollte er. Es blieb kein gutes Haar an den Preußen. Als der Urheber des Unglücks aber galt für ihn unumstößlich der General Manteuffel. »Wenn dar verfluchte Manteiffel net gekumme wär!« Um Langensalza wob er eine strahlende Gloriole. Der Ort hatte etwas Heiliges für ihn, von dem er nur in Verehrung sprach. Aber immer und immer wieder flackerte in seine Welfenandacht der Name Manteuffel hinein wie ein rotes Tuch, das seinen Haß herausforderte. Da mochte er ein anderes und wirkliches rotes Tuch lieber. Das war sein Scheibenweiserrock. Der Alte bekleidete bei der Schützenbruderschaft den löblichen Posten eines Scheibenweisers. Wenn er Sonntag nachmittags den roten Rock angezogen hatte und die weiße Hose dazu, sah er prächtig aus. Zur Uniform gehörte eine schwarzsamtene Parforcejagdmütze. Und wenn der Alte noch lange Lackstiefel getragen hätte, hätte man ihn für einen richtigen Parforcereiter halten können. Die krummen Beine freilich und der Struppelbart wollten nicht recht zu der stolzen Tracht taugen. Aber diese Umstände taten meiner Bewunderung für meinen Freund keinen Abbruch. Es war immer ein kleiner Festzug, wenn im Sommer die beiden Scheibenweiser Sonntag für Sonntag die funkelnagelneuen Scheiben vom Tischler holten und im Trommeltakt des Schützentambours zu den Scheibenständen zogen. Abseits von jedem Stand lag ein Steinhäusel für die Scheibenweiser. Wenn die Scheiben befestigt und Pflockkasten und Nummerntafeln an Ort und Stelle gebracht waren, verkrochen sich die Scheibenweiser in ihrem steinernen Unterschlupf wie Mauerspinnen. Manchmal durfte ich mit ins Scheibenweiserhäusel. Diese Gunst machte mich stolz und glücklich. Kinder schöpfen ihr Glücklichsein aus bescheidenen Dingen. Wenn ich mich in der Erinnerung zu meinem rotrockigen Freund ins Scheibenweiserhäusel zurückversetze, wirds mir warm ums Herz. Ein Spürlein Glück blieb hangen. So muß es echt gewesen sein. Und ich kam mir sehr wichtig vor, wenn ich dem Alten einen Holzpflock, eine Nummerntafel zureichen durfte. Wenn ein Schuß fehlgegangen war, winkte er pfiffig ab. Konnte er aber eine 20 anhängen, schwenkte er mit einer Großartigkeit ohnegleichen seine Mütze. Tupp-tupp-tupp wurde schnell das Loch zugeklopft. Dann gings im Laufschritt zurück ins Häusel. Hinter den krummen Beinen wehte der Rockschoß wie eine rote Fahne. Als diese Beine zum Laufen zu alt und der Atem zu kurz geworden waren, zog mein Freund die Scheibenweisermontur aus und verschlief seine Sonntagnachmittage daheim auf dem Kanapee. Des Alltags aber war er der unermüdliche Schaffer in meinem Vaterhause. Es war nichts in Hof und Haus, an dem seine Hand nicht half. Und was er schuf, schuf er mit der Treue und Verläßlichkeit der Alten. Sein eigenstes Reich war unser Holzhof. Ich sehe ihn noch mitten zwischen Bergen geschnittener Scheite. Ich höre bei jedem Niedersausen der Axt oder des eisernen Fäustels ein hechelndes »hach, hach!« Und höre das knatternde Auseinanderbersten knorriger Stuken. Ein gottverdammter Fluch folgt, wenn die Keile nicht anziehen wollen und sich festbeißen in widerspenstigen Wurzelknorren. Von Zeit zu Zeit wendete er den Kopf zur Seite. Prtsch! gings dann. Das Priemen war des Alten einzige Leidenschaft. Das »Priemelbichsel« in seiner Westentasche, das so harzig war wie die Weste selbst, bildete sein Heiligtum. Er hätte es nicht missen können. Wenn er in die Westentasche griff, das einstige Pomadenbüchslein hervorzog und mühsam ein Endchen von der schwarzen Rolle abbiß, ging ein Behagen über sein Gesicht. »Wos muß der Mensch han!« Prtsch! Eher konnte er schon auf den Branntweinbuddel verzichten, den er heimlich in der Holzbanse versteckte. Von Zeit zu Zeit, wenn die Kehle zu trocken war vom Holzstaub, -- und Holzhacker haben gemeinhin trockene Kehlen, -- tat er einen geschämigen Schluck. Er vermißte den Nordhäuser nicht. Aber alle Vierteljahr einmal wurde der Alte schwach. Dann blitzten die kleinen schwarzen Augen noch feuriger unter dem Schirm seiner Baschlikmütze her. Das waren die Stunden, wo der Alte gern einmal wieder Parademarsch machte und sein Herz wieder jung wurde ... Dies gute, treue Herz, das so lebensfrisch klopfte in der invaliden Bergmannsbrust: »Junge, ich, -- ich schterb noch lange net!« Und ist doch bald gestorben. Als ich von seinem Tod erfuhr, war ich in der Fremde. Die Nachricht zerriß etwas in mir. Das blutete und schmerzte. Ich floh die Enge gleichgültiger Menschen. Auf einer Waldhöhe fand ich mich wieder. Einsamkeit war um mich her. In duftblauer Ferne weit hinten lagen die Harzheimatberge. In der Stunde, wo sie meinen alten Freund zu Grabe trugen, habe ich seinen Namen in die Rinde einer Wetterbuche geschnitzt ... Fremder ist mir die Fremde nur noch einmal gewesen: als man im Maienmond darauf auch meinen Vater begraben hatte. [Illustration] [Illustration] Der Jagder Lasterhafte Zungen reden ihm nach, er habe die Namen seiner dreizehn Kinder nicht gewußt. Aber er wußte, daß sie alle einen gottgesegneten Hunger hatten. Und noch besser wußte er, daß es ein Kunststück war, mit einem Bergmannstaglohn dreizehn hungrige Mäulchen sattzukriegen. Bei Kartoffeln und Salz und trockenem Brot werden die Wangen schmal. Es müßte dem Jagder kein Herz unter dem Kamisol geschlagen haben, wenn er nicht in sechsundzwanzig Kinderaugen den Hunger hätte flackern sehen. Aber er sah es gut genug. Und wenn er deshalb zu Zeiten seinen alten Vorderlader unter dem Heu hervorsuchte, Pulverhorn und Zündhütchen in den Brotbeutel steckte und auf verschwiegenen Pfaden in den Bergwald stieg, wars nicht die Jagdleidenschaft allein, die ihn hinaustrieb. Hunger tut weh. Es gehen im Bergstädtchen viele Geschichten um vom Jagder. Es hat sich um ihn ein krauser Kranz von Wahrheit und Dichtung und voll abenteuerlicher Romantik gewunden. Aber eins wissen alle Histörchen zu berichten: Daß er seinen Schild, wenn es auch ein unrechtmäßig geführter war, rein hielt. Er war keiner von jenen Aasjägern, die mit gehacktem Blei das Alttier vom Kalbe wegschossen und mit Wilpertfleisch Wucher und Schacher trieben. Er hätte auch den Finger nicht krumm gekriegt, wenn ihm ein hochbeschlagenes Muttertier vor die Flinte gekommen wäre. Denn er nahm neben Pulver und Blei sein Herz mit in den Bergwald. Er wußte jeden Wechsel im Revier. Kein Rudel war ihm fremd. Und knurrte der Magen zu sehr oder puckerte das Blut zu arg: er ging selten auf vergebliche Pürschen. Sein Vorderlader war von grausam großem Kaliber. Wenn er Dampf machte, ging ein Donnern über die Berge. Und wenn seine Bleikugel saß, saß sie gut und erlöste ihr Opfer rasch. Oder sie verprallte an irgendeiner Klippe, klatschte in irgendeine Fichte und tat keiner Kreatur ein Leid. Der Wald war des Jagders Kirche und Fleischkammer. Wenn Sonntags die Glocken läuteten, erreichte ihn ihr Klingen sicher irgendwo auf Bergeshöhen, wo er seine Waldandacht hielt auf seine Art. Nicht immer mit der gespannten Büchse, aber stets mit dem hellen, freien Auge des Naturmenschen, dessen Gott in Waldesmitten wohnt. Zeisige singen die Liturgie, Wald und Weite halten die Predigt. Und der Jagder ließ sie zu sich sprechen. Es war nicht jederzeit Hingabe und Genießen in dem wohlgepolsterten Kirchenstuhl des guten Gewissens. Denn nicht alle Sonntagmorgen gingen die Förster unten im Bergstädtlein zum Frühschoppen. Ja ja, die Grünen! Der Jagder gehörte nicht zu den Rabiaten. Er suchte im Guten mit ihnen auszukommen. Die Leute sagen, es sei sogar ein recht gemütliches Verhältnis zwischen ihm und den Förstern gewesen. Dennoch soll man sein Schicksal nicht herausfordern. So hielt es der Jagder als für das Klügste, im Revier weder Berufenen noch Unberufenen unter die Augen zu kommen. Wenn auf irgendeinem Waldwege, in irgendeiner Schneise das allerletzte Restlein eines Tabakwölkchens hängen geblieben war, stieg ihm ein unbehaglicher Verdacht in die Nase. Er wurde mißtrauisch wie der Fuchs, dem auf verbotenen Raubzügen die Witterung eines Menschen in den Windfang weht und der nun seine Vorsicht verdoppelt. Es wäre schade um den schönen Vorderlader! Sie haben ihn so manches Mal vergeblich gesucht ... War es nicht genug, daß sie ihm daheim so und so oft in die Kochtöpfe geguckt, Boden und Keller durchsucht und manche Spießerkeule mit fortgenommen haben? Wenn sie an seinem Häusel vorbeigingen, schnupperten sie, obs im niederwehenden Schornsteinrauch nicht nach Wilpertbraten duftete. Es war ein ewiges Mißtrauen zwischen ihnen. Und so konnten sie sich trotz aller Freundschaft eigentlich gegenseitig nicht gut riechen, der Jagder und die Grünen. Als sie es ihm zu bunt machten, vergrub er das Pökelfaß mit dem gesalzenen Wildfleisch säuberlich unter dem Moos eines Dickichts draußen im Walde. So fanden sie nichts mehr bei ihm. Aber das Pulver blieb trocken. Der Stutzen rostete nicht. Er prahlte nicht mit seiner Passion. Er machte auch keinen Hehl daraus. Sein Sonntagsstaat und Stolz war eine grüne Jägerjoppe mit Hirschhornknöpfen und der Schützenhut mit dem Birkhahnspiel hintendrauf. Es lebe, was auf Erden stolziert in grüner Tracht ... Die Fensterläden seines Hauses, das sie im Bergstädtchen heute noch das Jagderhaus heißen, waren mit bunten Jagdbildern bemalt. Wenn ich als Junge am Jagderhaus vorüber mußte, waren diese Bilder mein ganzes Entzücken. Ich kenne sie alle noch: Den Schützen mit Bergmannskittel und Schachthut, der einen schwarzen Bart hatte wie der Jagder selbst, den Schweißhund, den flüchtenden Zwölfer (ha, der Stolz!), den Auerhahn. Jeder Fensterladen hatte sein Bild, und eins war immer schöner als das andere. Die Leute sagen, der Jagder habe die Grünen damit ärgern wollen. Ich glaubs aber nicht. Der eine freut sich an einem roten Schlips, der andere an einem armseligen Öldruck. Warum soll der Jagder nicht seine Freude an seinen Fensterläden gehabt haben? Sie waren sogar ein Stückchen Kunst, und ihr Ursprung war eine Liebe. (Wenns auch eine verbotene war.) Nun haben sie ihn lange begraben. Sie betten die Toten so, daß ihr Antlitz gegen Morgen gewendet ist. Von dorther grüßt den toten Jagder der Bergforst aus blauer Höhe. Es war sein liebstes Revier. Nichts Schöneres hätte er sich wünschen können, als den ewigen Schlaf zu schlafen im Angesicht dieser trotzigen Urwelt, der sein Herz gehörte. Auf dem Hai, das just über die Wälder der Vorberge herschaut, starb sein Enkel den Wilderertod. [Illustration] [Illustration] Leimhus Der Leimhus führte seinen Namen mit Fug und Recht: Auf seiner Hose klebte ein zäher Überzug von Vogelleim. Er hielt auf Reinlichkeit. Es wäre nun aber lächerlich gewesen, zum Vogelstellen Seife und Handtuch mitzunehmen oder das Taschentuch, wenn er eins besessen hätte, zu solchen Zwecken zu mißbrauchen. Weil es jedoch unbehaglich war, mit zusammengeklebten Fingern hantieren zu müssen, wischte er die leimbeschmutzten Hände an der Hose ab. Vogelleim trocknet schlecht. Dieser Umstand bedingte einen häufigen Wechsel der Wischstellen. Die Hände fühlten schon den Platz heraus, der jeweils am Hosenboden oder Hosenbein am trockensten war. So bildete sich mit der Zeit eine Pechhaut von bewundernswerter Gleichmäßigkeit auf der Hose. Und durch solcherart Imprägnierung bekam sie unschätzbare Eigenschaften. Sie zerriß nie, war undurchlässig für Luft und Zug, konnte stehen und glänzte wie Leder. Dies berühmte Beinkleid gab seinem Träger seinen ebenso berühmten Namen. Leimhus war der zünftige Vogelsteller. Er übte diesen dunklen und nicht unter dem Schutz des Gesetzes stehenden Beruf hauptamtlich aus. Wenn er ein Aushängeschild nötig gehabt hätte, hätte es folgendermaßen aussehen müssen: ~C. LEIMHUS~ ~Vogelstellerei und Vogelhandlung. Erstklassige Waldvögel, nur prima Sänger. Besichtigung frei!~ Ein solches Schild hätte aber zuviel ausgeplaudert. So blieb es klüglicherweise ungemalt. Leimhus hatte seine Mietsstube im Jagderhaus. Der Wildschütz und der Vogelsteller paßten gut zueinander in diesem Krähennest, in dem man noch weniger als anderswo Veranlassung hatte, sich gegenseitig die Augen auszuhacken. Das Jagderhaus ist das allerletzte und allerhöchste Häusel im Bergstädtchen. Daß Leimhus gerade dort seine Behausung auftat, hat er nicht des Himmels Fügung allein überlassen. Hier oben war er mit des Herrgotts Vogelgarten in engster Fühlung. Wiesen guckten zum Fenster herein. Dazwischen eingestreut lagen Kartoffeläcker, auf denen es sich im Herbst wunderschön Stieglitzen und Hänflinge stellen ließ. Ganz nahe rauschte der Wald. Man konnte das Zeisigsingen dort, den Schlag der Finken und das Jiffen ziehender Kreuzschnäbel im Jagderhaus hören. So saß der Leimhus mitten im Revier. Und das Schönste an seiner Behausung war, daß sie sich herrlich schnell und ohne allzu heiße Sohlen erreichen ließ, wenn irgendwo auf grüner Flur die Helmspitze des Landjägers blänkerte und die Luft nicht sauber war. Er hatte die schwärzesten Erfahrungen mit den Hütern der Ordnung gemacht. Gendarm und Förster waren seine geschworenen Feinde. Er ging ihnen aus dem Wege wie eine Katze, der böse Buben den Schwanz geklemmt haben. Beim Vogelstellen hatte er seine liebe Not, auf Stellbusch und Leimruten zu achten und gleichzeitig Umschau zu halten nach Störenfrieden in hellgrüner oder dunkelgrüner Uniform. Sie hetzten ihn. Sie nahmen ihm die Lockvögel fort. Sie waren Schuld daran, daß er mit grausamer Regelmäßigkeit Jahr um Jahr vor das Schöffengericht mußte »wegen unerlaubten Vogelstellens im Rückfalle«. Dann sahen ihn die Bergstadtleute für ein paar Wochen nicht. Es blieb aber nicht immer bei Wochen. Als er damals einen harmlosen Quäker als Nachtigall verkaufte, kams schlimmer. Der Amtsrichter zeigte keinerlei Verständnis für Leimhusens Großzügigkeit und diktierte ihm im Namen des Gesetzes einen langen Urlaub von Leimbüchsel und Jagderhaus. Des alten Sünders schwarzes Gewissen ward durch die aufgezwungene Muße nicht weißer. Als er heimkehrte, legte er sich auf die Kunstfertigkeit, aus wertlosen Zeisigweibchen gutbezahlte Zeisigmännchen zu machen. Dieser Gedanke war so großartig wie einträglich. Seine Ausführung erreichte er auf einfachste Weise: er träufelte ein wenig Leinöl auf die Unterseite einer Bratpfanne, verrieb das Öl mit dem an der Pfanne haftenden Ruß und strich mit der Fingerspitze der Zeisigsie ein kunstgerechtes schwarzes Plättchen über den Kopf. Durch diesen Schmuck ihrer männlichen Artgenossen lernten freilich die Zeisigweibchen das Singen noch lange nicht. Aber sie gaben ihren Besitzer einer angenehmen Täuschung hin. Nun ist jedoch ein Zeisig ein ehrliches Waldkind. Er läßt sich auf die Dauer nicht mit fremden Federn schmücken. So hielt das künstliche Plättchen längstens bis zur nächsten Mauserung. Es wuchs wieder ein bescheidenes graues Grün über die Stirn des Zeisigweibchens. Manchem Käufer ging alsdann ein ahnungsvolles Lichtlein auf. Die Gutgläubigen freilich haben das Leimhusensche Kunststück nicht begriffen. Es war auf längere Sicht bemessen und immerhin dauerhafter als ein anderes, das er mit einer Gimpelsie anstellte. Die Gimpelsie sollte ein Gimpelhahn werden. Leimhus malte ihr eine wunderschöne kardinalrote Brust an. Der Herrgott im Paradies hätte es nicht besser machen können. Der Käufer der Dompfäffin aber war unbarmherzig genug, den Vogel eines Tages im Regen stehen zu lassen. Der Regen wusch den roten Kardinal wieder grau. Die Kunstfertigkeit ging zuschanden, -- und des Leimhus Sündenbündel war voll. Hinterher hat er nur wieder zu Pinsel und Farbtopf gegriffen, wenn er daheim in seiner Stube hockte und Vogelhäusel anstrich. Seine Stube war eine lebendige Vogelhecke voll Flispern und Flattern. In ihr gediehen außer acht Menschlein ein halbes hundert Waldvögel. Tat man die Tür auf, blaffte dem Eintretenden ein greifbar dicker Dunst entgegen. Einen Augenblick blieb man im Zweifel, ob man zuerst über die Luft staunen oder aber den Lärm bewundern sollte, der mit gleicher Ungeheuerlichkeit aus Leimhusens Bude drang. Das war ein Gedüdel und Trätschen, Zwitschern, Pfeifen, Flöten, als wenn alle Vögel des Bergwaldes zum Wettbewerb angetreten seien. Und war doch weiter nichts als Verzweiflung, Sehnsucht und Leid. Eine menschliche Unterhaltung konnte in dem wirren Durcheinander nur auf geräuschvolle Weise geschehen. Wer draußen vorüberging und das Prahlen und Belfern in der Vogelbude hörte, mochte meinen, es entlüde sich dort ein häusliches Gewitter. Das war durchaus nicht immer der Fall. Es ist nicht leicht, sich harmlos zu unterhalten, wenn fünfzig Vogelkehlen dareinreden. Alle die Stimmen, die dort aus Drahtkäfigen und Holzbauern sich ein Wörtlein mitzusprechen erlaubten, konnten sich hören lassen. Es waren nicht die Schlechtesten, die Leimhus in Kost und Unterkunft behielt. Jeder Waldsänger, der unter seine Botmäßigkeit geriet, wurde auf Herz und Nieren geprüft. Leimhus führte über seine Gäste ungeschrieben Buch. Eine Art Wertliste, in der jeder nach Kunst und Gaben seinen Platz angewiesen bekam. Wer auf dieser Wertliste zu unterst stand, stand auf der Verkaufsliste sicherlich zu oberst. Dies Verfahren wich zwar erheblich von ehrsamen Geschäftsgrundsätzen ab. Aber Vogelsteller haben ihre eigene Moral, und Leimhus hatte die allereigenste. Er machte es umgekehrt wie die Schuster, die die schlechtesten Stiefel für sich behalten. Zu seiner Ehrenrettung soll jedoch gesagt sein, daß es leichter ist, mit Bedacht ein paar gute Stiefel herzurichten, als es dem Zufall überlassen zu müssen, ob einem gute oder schlechte Vögel auf die Leimrute flattern. Mit dem Wörtlein gut oder schlecht waren Leimhusens Urteile indes nicht abgeschlossen. Seine Ohren hörten unendlich fein und waren strenge Kritiker. Der Außenstehende hatte Mühe, in die Mysterien des Vogelsangs einzudringen und all die kniffligen Unterschiede zu begreifen, die der Vogelsteller beachtete. Wenn dem Laien aus Baumesgrün herab ein Fink zujubelt, freut er sich darüber und sagt: Hört doch den Finken an! -- weil er gemeinhin nur eine Art von Finken kennt. Leimhus dagegen hätte sogleich die Ohren gespitzt. Und sogleich wäre auch das Finklein säuberlich in die ihm gebührende Rangordnung eingefügt worden. Denn bei Leimhus hatte die Gattung Buchfink im Gegensatz zu allen Naturforschern der Welt mindestens sechs Unterarten. Er schied sie reinlich danach auseinander, ob ihnen der Herrgott einen Schlag mehr oder weniger, grober, feiner, heller, dunkler, dünner oder voller in das Kehlköpflein gelegt hatte. Da war zunächst der König unter den Finken, der Reiterjakzieher oder Reiterfexier. Er führte auch den stolzen Namen Rollreiter. Sein Schlag war Schmettern und Rollen: zizizirrrrrreiterjakjakjakzirkel! Er konnte die Finkennarren im Harzheimatland um die Ruhe bringen. Um seinetwillen vergaßen sie Essen, Trinken und Schlafen. Dem Rollreiter folgte in der Rangordnung der kleine Weide. Er trug sein Verslein zierlich und manierlich vor: widdewiddewiddedadadaweitakel! Dann kam der grobe Weide: üüüschorschorweitakel! Und der Buschgefärr: zizizibuschgefärr! Diese vier waren in den Augen des Vogelstellers der Beachtung wert. Was dann aber aus der Gattung Fink etwa noch sang: ziziziquatschmarakel! oder: latschlatschlatschzwetschenkern! oder: üsüsüsjebzwiakel! oder: ziziziweinzieher! -- das alles war minderwertig und kam unter die anrüchige Rubrik: Latscher. Auch die Kreuzschnäbel waren nicht alle in die gleiche Gesangsschule gegangen: Ripp-ripp-ripp! machte der Ripper, ein helles Kliff-kliff-kliff! der Kliffer. Der beste Lockvogel unter ihnen war der Klitscher: Klitsch-klitsch-klitsch! In solcher Art war alles, was an Finken und Grünitzern, Zeisigen, Rotkehlchen, Hänflingen, Stieglitzen, Gimpeln, Zwunschen, Quäkern, Zetschern und Lessigen in Leimhusens Vogelbude hing, nach Klasse und Rasse und Rassigkeit wohlgeordnet und unterschieden. Ihrer Wertordnung entsprechend war auch das Verhältnis, das Leimhus zu jedem einzelnen seiner Pflegebefohlenen einnahm. Wenn er die Futtertüten aus der Ecke holte und mit zerbeultem Zinnlöffel dem einen Mohn, dem anderen Rübsamen ins Näpfchen schüttete, hatte er für alle ein Wörtlein bei der Hand. Diese einseitig geführte Zwiesprache war nicht immer freundlich. Manchmal lag eine Art rauher Herzlichkeit darin, sprang auch wohl ein Fünklein Seele hinein. Sie wurde um so wärmer, je mehr der kleine Sänger das Wohlwollen seines Brotherrn besaß. Kumm, Hansel! Host schien gesunga. -- Un du, Kläner, host gestern fein gelockt, -- heite kriegste än Happen meh’! -- Na, du nacketer Zessig? Singe witte net, oder frassen immerzu. -- Wos saht denn nu äner zu dissen Haneflig! Hot wieder dos ganse teire Futter verorzt. Wart, Jerrich, dich will ich Moses larna! Heite gitts nischt! So ließ er Sonne scheinen über die Gerechten und Donner poltern über die Ungerechten. Nach dem Füttern ward die bunte Schar nach draußen gehängt. Dann bekam jedes Fenster eine Umrahmung voll Farbe und Musik und hüpfenden Lebens. Sie verrieten die »Firma«. Leimhus brauchte ein Aushängeschild wirklich nicht. Ein werbenderes hätte sich auch schlecht denken lassen. Man sah nicht nur, daß es im Jagderhaus zweifellos Vögel zu kaufen gab. Gelegentlich konnte der Vorübergehende, wenn auch nicht sehr augenfällig, bemerken, daß der Vogelsteller auf Ergänzung seines Bestandes bedacht war. Hier und dort staken wie harmlose Zierate Leimruten an den Käfigen. Das war freilich nur geringfügiger Nebenbetrieb. Leimhusens hohe Zeit kam, wenn im Herbst die Vögel zu ziehen begannen. Das Herannahen des Vogelzuges war sozusagen zu riechen, -- das heißt, wenn einer in der Nähe des Jagderhauses wohnte. Zu pünktlicher Zeit traf Leimhus seine Vorbereitungen. Auf seinem Herd bruzzelte ein Eisentopf voll Leinöl. Das stinkende Räuchlein, das sich darüber bildete und zu Schornstein und Hintertür hinausstrebte, war schlechterdings von keiner Nase unbemerkt zu lassen. Dann schnupperten die Nachbarsleute, und über ihr Gesicht ging ein verständnisinniges Lächeln. Leimhus indes stand vor dem Herd und rührte und probierte und kochte so lange, bis das dünne Öl zum zähen Vogelleim zusammengeschmurgelt war. Er entnahm ihm mit einem Span eine Probe, prüfte sie sachgemäß zwischen zwei Fingern und verwahrte den klebrigen Klumpen im Leimbüchsel. Mit dem Leimkochen aber waren die Vorbereitungen zum Vogelfangen nicht erschöpft. Der Leimrutenvorrat mußte ergänzt werden. Dünne Salweidenruten wurden geholt, geschält und angespitzt, damit sie sich in die Dietle stecken ließen. Die Dietle waren Endchen von Himbeerzweigen, die wegen ihres weichen Marks als Hülse dienten und das Verbindungsstück zwischen Leimrute und Dorre herstellten. Dorre, so hieß der Stellbusch und war weiter nichts als ein dürres Buchen- oder Weidenbüschlein. Aber die Dorre war sperrig und verräterisch. Viel einfacher und unauffälliger war die Klatte. Eine Klatte sah ganz harmlos aus: [Illustration] Aber wenn sie aufgestellt und verbrämt war, ward sie zum Teufelswerkzeug: [Illustration] Wenn die Zugzeit begann, war Leimhus wohl vorbereitet. Früh, wenn im Bergstädtchen noch alles schlief, stand er auf und nahm Witterung. Schwamm Nebel über Wald und Wiesen und wehte der Wind aus Westen, schmunzelte er. Die Aussichten waren günstig. Er tappte in die Vogelbude zurück. Auch dort schlief noch alles. Nur der Kernbeißer war wach und warnte mit mißtrauischem hsp! hsp! Unsanft wurden die Lockvögel vom Nagel genommen und in Rucksack, Handkoffer oder sonst ein wenig verräterisches Behältnis getan. Ehe der Morgen graute, standen Lockvögel und Stellbüsche an ihrem Ort. Leimhus verzog sich in den Hintergrund. Im Aufstellen der Fanggeräte war er kein Pfuscher. Er verfügte über das nötige Pfündlein Erfahrung und wußte, daß Zeisige, Kreuzschnäbel und Dompfaffen nicht auf die niedrigstehende Dorre flogen. Deshalb wurden Klatte oder Dorre an eine Stange gebunden und hoch aufgerichtet. (Doch nicht zu hoch, die Feldpolizei hatte gute Augen!) Stieglitze und Hänflinge dagegen flogen gern zur Erde. Für sie blieb das Stellbüschlein, wohl gespickt mit Leimruten, am Boden stehen. Der Lockvogel stand daneben. Er sang sich das Leid und die Sehnsucht nach Freiheit aus der Brust. Sein Ruf ward vielen seiner Genossen zum Verderben. Was an Leimhusens Leimruten hing, war ihm verfallen. Die Gefangenen wurden herabgenommen und in den Brotbeutel gesteckt. Damit war ihr Los entschieden: ade Wald, Sonne, Freiheit! Fortan spann sich ihr Leben ab auf zwei armseligen Sprunghölzchen. Ein enger Käfig voll Schmutz und Ungeziefer war ihre Welt. Die Schwingen, fröhlichen Flug gewohnt durch Luft und Wälderweite, flatterten sich am Käfiggitter blutig. Das Gefangensein wurde langsame und grausame Hinmarterung. Viele freilich zogen das bessere Los und starben, ehe sie noch der Vogelsteller daheim aus dem Brotbeutel nahm. Ungezählt viele, die der Herrgott schuf dem Wald zur Lust und _allen_ Menschen zur Freude. Sie wurden Opfer der Tücken eines Herzlosen. Ob die kleinen Toten ihn nicht wie eine furchtbare Anklage umschwirrt haben, als auch dem Leimhus sein Stündchen schlug? Ob das Gewissen lebendig wurde, als das Leben sterben wollte? Irgendwo in der Fremde ist er verkommen. Unstät, heimatlos. Im Bergstädtchen wußte keiner, wo er geblieben war. Saß er im Gefängnis? Zog er mit der Vogelkiepe durchs Land? Derweilen sie sich noch die Köpfe zerbrachen, pilgerte seine Seele dunkle Pfade, die nicht heimkehren ins Jagderhaus. Er drehte keine Leimruten mehr auf. Nahm auch keine mehr zwischen seine Zähne und zog mit dem Schuhriemen den Leim wieder von den Ruten. Seine Lippen spitzten sich nicht mehr zum Lockpfiff. Als er vor die Himmelpforte kam, hat ihn der Herrgott jämmerlich an beiden Ohren gezaust. [Illustration] Der Sünderwinkel Der liebe Gott kann nicht gegen sein gütiges Herz. Er müßte ja sonst nicht der liebe Gott sein. Und so kam Leimhus trotz seines umfangreichen Sündenregisters schließlich doch in den Himmel. Aber der Himmelsvater mochte ihn nicht gerade im Allerheiligsten behalten. Er ließ ihm abseits ein Plätzlein anweisen, das für den alten Sünder würdig genug erschien. Leimhus kam in die Ecke, wo Frevler ähnlichen Schlages der Läuterung unterzogen wurden und warten mußten, bis sie zu richtigen Engeln wurden. Damit hatte es bei vielen sehr lange Weile. Gewissermaßen als Sündenspiegel war über der Pforte zu jenem schwarzen Winkel ein Schildlein angebracht. Und darauf stand zu lesen: Fischefangen und Vogelstelln Verdarb schon manchen Junggeselln. Es waren aber nicht nur Vogelsteller und Forellenstecher dort. Holzdiebe, Finkenblender, Dohnensteller und Wildschützen machten die Runde voll. Und es traf sich, daß der Leimhus viele bekannte Gesichter aus dem Harzheimatland dort wiedersah. Als ob der Herrgott eigens für die oberharzischen Sünder einen besonderen Raum geschaffen hätte. Das war auch so. Und damit hatte es folgende Bewandtnis: Der liebe Gott hatte sie zuerst alle recht schief und böse angeguckt, als sie oben um Einlaß baten. Aber da er einsah, daß er eigentlich selbst Schuld war an ihren Vergehen, indem er sie unten auf der Erde in ein so verführerisches Stücklein Natur setzte, in welchem allenthalben die Hirsche springen und Vögel singen und der Wald wächst und in den Bächen die Forellen schnappen, -- indem der Himmelsvater solcherlei Betrachtungen anstellte, drückte er ein Auge zu und hieß sie eintreten. Er argwöhnte jedoch, sich mit den genannten Menschenkindern sozusagen Läuse in den Pelz zu setzen. Und da er ihren verderblichen Einfluß auf die übrigen Himmelsbewohner fürchtete, schuf er jene Ecke für die Waldsünder aus dem Harzheimatland. Daß gemeinhin nur solche Landsleute in diesem Winkel aufgenommen wurden, hätte einer nicht nur aus dem bedenklichen Eingangsschild schließen können. Wenn er genau zusah, konnte er unter dem Spruch noch ein handschriftlich hinzugefügtes Sprüchlein entdecken. Das hieß folgendermaßen: Es krine die Danne, Es waxe das Aehrz, Gott schenke Uns alle Ein frehliges Hertz. Der liebe Gott hatte zuerst wieder über diese Schmiererei schelten wollen. Doch dann lächelte er. Und er dachte: Ein feines Sprüchlein haben sie sich ausgesucht. Es liegt Heimatstolz und Heimatliebe darin. Sie ehren die Gaben, die du ihrer Heimat zudachtest. Und sie bitten um das Beste, das du Menschen schenken kannst: ein fröhliches Herz. Welche Lebensweisheit! Nicht Gut und Geld wünschen sie. Sie sind zufrieden mit dem Segen ihrer Berge und finden ihr Glück in der Fröhlichkeit des Herzens. So dachte der liebe Gott und ließ das Sprüchlein bestehen. Und da er kein Kleinigkeitskrämer ist und nur das Herz ansieht, stieß er sich auch nicht an der mangelhaften Rechtschreibung. Der den Wahlspruch einstmals in einer Heimwehstunde hinkritzelte, hatte zu seinen Lebzeiten nur alle Sonnabende die Pochjungenschule besuchen können und wußte mit der Spitzhacke besser Bescheid denn mit der Feder. Er wollte kein Kunstwerk malen: nur seine Liebe ausschütten, wie sie in der Sprache der Heimat über seine Lippen kam. Der Sünderwinkel war vom Herrgott nicht als Verdammungsort gedacht. Er sollte eine Läuterungsklause sein. Nicht alle, die hier ihren Platz angewiesen bekamen, blieben darin. Nur die Hartgesottensten waren seßhaft. Da die Ecke aber nie leer wurde, tuschelte man im ganzen Himmel, jeder geborene Oberharzer müsse zu seinen Lebzeiten entweder Wildschütz, Holzfrevler, Fischdieb oder Vogelsteller gewesen sein. Manche alles das zusammen. Leimhus hoffte, im Sünderwinkel auch seinen alten Hausgenossen Jagder anzutreffen. Aber der Jagder befand sich bereits in einer geweihteren Ecke, die dem Allerheiligsten schon näher lag. Er hatte dort mit vielen anderen Invaliden, die einstmals als Zeichen Schlägel und Eisen oder die Wolfsangel führten, ein geruhsames Feierabendstüblein inne. [Illustration] So mußte sich Leimhus in dem übriggebliebenen Kreis umtun. Er hielt sich zu denen, die auf der Erde selten das Vaterunser gebetet haben und denen trotz ihres jetzigen himmlischen Aufenthalts immer noch kein Heiligenschein wachsen wollte. Man sollte es nicht für möglich halten, welch’ stattliche Zahl alter Knaben dort sitzen geblieben waren. Ein Schuster hockte dort, der vor Zeiten das traurige Geschäft des Finkenblendens im Bergstädtchen zu besorgen hatte. Sogar ein paar Schnapphähne aus dem Dreißigjährigen Kriege räkelten sich da noch herum. Sie wollten Angehörige des ehrsamen Fähnleins der Harzschützen gewesen sein, hatten aber in ihrem Heimatland genotzüchtigt und gebrandschatzt wie die Tillyschen selbst. Das hat ihnen der Herrgott arg ins Kerbholz geschnitten. Denn wer seine Heimat nicht lieb hat oder ihr gar Schaden zufügt, verdient keine Gnade. Dieser anrüchigen Runde also ward Leimhus zugewiesen. Glickauf, sagte er und trat ein. Als er das anzügliche Schild über dem Sünderwinkelspförtlein gelesen hatte, vermutete er, an den richtigen Ort geraten zu sein. Dennoch fragte er verlegen: Kumm ich hier racht? Dr liewe Gott hot mich hierhar beordert. Ich hääß Leimhus. Net von Rachts wahng. Aber mich hahnse unten su getääft. Herrejeses! Do is ju dr Leimhus! -- riefs ihm aus der Runde entgegen. Kumm mant rein. Dis is die Bucht for die Ewerharzer. Du host grod noch drinne gefahlt! Ober dos Vugelbauer loß mant draußen. Zessing un Haneflige warn in Himmel net geschtellt! Un ahch käne Gimpels rut ahngeschtrichen! stichelte einer. Jetzt erst bemerkte Leimhus, daß er richtig noch einen Käfig in der Hand hielt. Er stellte ihn an der Pforte nieder und ward, ehe er die vielen Bekannten mit Handschlag begrüßen konnte, am Eingang von einem eisgrauen Männlein zurückgehalten. Das war ein Stadtschreiber gewesen. Der veruntreute vor langer Zeit im Bergstädtchen Witwengelder. Dieser schändlichen Sünde wegen hatte er schon mehrere Menschenalter lang ruhelos auf Erden umgehen müssen. Die Bergstadtleute erzählten sich gruselige Geschichten von ihm. Nun aber bekleidete er seit ein paar hundert Jahren den Posten eines Pförtners im Sünderwinkel. Er zählte auch zu denen, denen es nicht gelang, eine Stufe im Himmel höherzurücken. Zu seinen Obliegenheiten gehörte es, das Wer und Woher aller derer zu buchen, die in den Sünderwinkel verdammt wurden. Leimhus gab auf alle Fragen rechtschaffen Antwort. Als der Stadtschreiber aber fragte: Vorstrafen? da hatte Leimhus leider nicht so viel Finger an den Händen, um die richtige Zahl nennen zu können. Das Stadtschreiberlein mit dem weiten Gewissen merkte die Verlegenheit des Sünders, steckte den Federkiel hinter die Ohren und ließ den Neuankömmling eintreten, ohne alle Spalten in seinem Lebensbuch vorschriftsmäßig auszufüllen. So zog Leimhus beglückt ein in das Gefilde der Halbseligen, froh, endlich zur Ruhe gekommen zu sein. Es war peinlich gewesen, mit schwarzer Seele zwischen allen Heiligen und Seligen hindurch den Weg in diese Ecke suchen zu müssen. Und ausgerechnet mußte er auch den Vogelkäfig in der Hand behalten haben! Nun verstand er erst, weshalb die Engelsbuben so hinter ihm hergekichert hatten. Er argwöhnte nichts hinter diesem Lachen, weil er ganz in Gedanken und Träumen versunken war. Während er auf verschlungenen Himmelspfaden dahinschlenderte, hatte er nämlich Betrachtungen darüber angestellt, von welcher Art von Vögeln die Engel alle ihre Flügel hergeliehen hätten. Mit wehmütiger Freude erkannte er Finken- und Stieglitzenflügel, solche von Drosseln, Krammetsvögeln, Kreuzschnäbeln, Zeisigen und Bachstelzen. Er sah Hägerflügel, Ringeltaubenflügel, Bussardflügel und Flügel vom Taubenkrümmer. Die Engelsbuben trugen meist Zaunkönigsflügel oder grüne und blaue vom Blaumüllerle. Just als Leimhus ein paar wunderschöne Seidenschwanzfittiche bewundern wollte, war er am Ziel seiner Pilgerfahrt. Er wurde in der neuen Umgebung schnell warm. Die Geistesverwandten sonderten sich ab und hockten zusammen. Es waren alle diejenigen, denen es in den Augen flackert und die man im Harzheimatland »Fatzen« oder »schlachter Dingerich« zu benennen pflegte. Es begann eine kurzweilige Unterhaltung unter ihnen. Sie tauschten ihre Erinnerungen aus. Jeder hatte davon ein mehr oder minder volles und mehr oder minder schwarzes Sündenköfferlein bei der Hand. Man kann nicht sagen, daß es himmlische Reden gewesen wären, die da geführt wurden. Um jedoch nicht ungebührlich zu erscheinen, geschah jede Unterhaltung im Flüsterton. Und wenn sie lachten oder feixten, steckten sie aus dem gleichen Grunde die Köpfe unter den Tisch. Das taten sie nun recht häufig, wie es von verstockten Sündern nicht anders zu erwarten ist. Sie hatten ihre erdenhafte Art noch nicht abgestreift. Der alte Adam in ihnen kehrte sich immer wieder heraus. Dann flogen ihre Gedanken ins Harzheimatland hinab. Ach, wenn sie hätten hinterherspringen können! Die himmlischen Ambrosiawölklein wandelten sich ihnen zu Harz- und Fichtennadeldüften. Sie zogen sie in durstigen Zügen ein. Das Bergmenschenblut wurde warm. Ihre Augen blitzten, und jeder erzählte von seinen erlaubten oder unerlaubten irdischen Abenteuern, prahlte mit Streichen und Schabernäcken, Boshaftigkeiten, Schlechtigkeiten, Tücken und just mit allem, was auf der Erde nicht hätte laut werden dürfen, geschweige denn im Himmel. Sie logen, daß sich im Harzheimatwald die Fichten bogen. Einem Trumpf folgte immer ein noch besserer. Der Herrgott hatte schon die Richtigen in den Sünderwinkel geschickt! Schließlich war die Reihe an Leimhus, aus dem Kistlein seiner Erinnerungen auszupacken. Vom Vogelstellen im allgemeinen zu hören, war seinen Himmelskumpanen zu langweilig. Sie hatten diese Kunst mehr oder weniger alle geübt. Sie wollten es auch nicht glauben, daß Leimhus an einem Morgen zweihundert Zetscher gefangen und acht Tage weiter nichts als Zetscher gegessen habe. Er schlug seine Zuhörer erst wieder in Bann, als er vom Finkenfang erzählte. Härt zu, begann er. Nun hatten aber viele der Sünderwinkelsleute schandbarerweise ihre oberharzische Sprache verlernt. Zudem wird im Himmel gemeinhin nur Hochdeutsch gesprochen, weil das nicht so grob klingt. Und so fuhr Leimhus fort: Hört zu! (Das ö fiel ihm sehr schwer!) Was Ihr alles vorgebracht habt, ist schön. Ich glaube Euch aber nur die Hälfte. Ihr meint, Finkenfangen wäre eine leichte Sache. Ihr irrt Euch. Jedenfalls ist es leichter, einer Wittfrau sechs Meter Holz zu stehlen oder den Schießer in der Grube um ein Paket Dynamitpatronen zu betrügen. Und mit Dynamit zu fischen, ist eine Gemeinheit und keine Kunst. Schwerer ist es schon, dem Oberförster die Forellen vor der Haustür wegzufangen. Ist aber auch kein Kunststück. Und ein Stück Wilpert schießen und hinterher drei Meineide schwören, auch nicht. Wenn aber einer im Wald einen guten Finken ausgemacht hat und ganz genau diesen bestimmten Finken und keinen beliebigen andern auf die Leimrute bringt, -- ich sage Euch, wer das fertigbringt, der kann was. Und nun begann Leimhus vom »Finkenstandern« und von den Finessen des Finkenfangs zu erzählen. Er mußte dabei notwendigerweise von einigen teuflischen Tierquälereien berichten. Aber er kam mit seiner Erzählung nicht zu Ende. Man war im Sünderwinkel belauscht worden. Dem Leimhus blieb das Wort im Munde stecken: der himmlische Ordnungshüter trat herein. Der Finkensteller verbarg das Gesicht. Ausgerechnet er mußte wieder als Sündenbock entlarvt werden. Als wenn ihn das Mißgeschick auch im Himmel verfolgte! Er war froh, nicht die allerschlechtesten Schlechtigkeiten ausgekramt zu haben. Eine Strafverfügung kam allerdings doch: Der weiland Vogelsteller Leimhus wird verurteilt, zur Sühnung sündiger Taten und behufs endlicher Besserung bis auf Widerruf wie ein Lockfink an einen Pfahl gebunden zu werden. Seitdem ists im Sünderwinkel sehr still und sittsam geworden. Und mit dem Finkenfang im Harzheimatland ists auch nichts mehr. Die Vogelsteller fürchten, im Himmel Leimhusens Verdammnis teilen zu müssen. -- Die Finken aber singen seither viel lustiger. [Illustration] [Illustration] Die Bergbachkönigin Es muß einer schon Märchenaugen haben, wenn er ihr heimliches Krönlein sehen will. Aber soviel sieht jeder doch, daß sie ein königliches Kleid anhat: welcher Fisch im Bergbach auf und ab hat so schöne rote und orangegelbe Punkte auf dem Schuppenleib! Und so himmelblaue Ringe! -- Das Rotfederle schmückt sich zum Hochzeitszug wohl mit roten Brustflossen und das Elritzel hat einen silbernen Bauch. Der Rotzkopf mit dem dicken Kopf und dem breiten Maul hat außer den goldenen Augen eigentlich nichts an Schönem, womit er prunken könnte, und der stille Schlammbeißer im Mühlengraben auch nicht viel: an die Schönheit der Bergbachkönigin reicht keines heran. Als noch der Dottersack an ihr baumelte, war sie ein unbeholfenes Forellenkind, das mucksstill in der Uferhöhle eines Murmelwässerleins lag. Es war dunkel in dieser Kinderstube. Das bißchen Tageslicht, das sich dort hinein verlor, mußte sich durch Fichtendämmerung und einen Vorhang von herabhängenden welken Wurmfarnwedeln und Rispensträhnen hindurchstehlen. Das Wurzelgewirr einer Fichte griff tief in die Höhle hinab und krallte mit hundert Fingern Kiesel und Geröll fest. Das gab schützenden Halt, wenn die Schneewasser kamen und das Dotterkindchen mitnehmen wollten. Seine Mutter hatte die Kinderstube mit Klugheit und Fürsorge ausgesucht. Als das Nesthäkchen einen langen dunklen Winter lang so in der Höhle gelegen hatte und Wurmfarn und Rispen wieder grün wurden, fiel sein unbehilflicher Dottersack ab. Mit diesem Ereignis begann ihr Leben. Sie war ein flinkes Forellenprinzeßlein geworden, das flugs auszog, sich die Welt zu besehen. Es war lustig, sich zwischen Steinen und Geröll zu tummeln. Oder im ruhigen Wasser zu stehen, sich von Sonnengeflimmer überfluten zu lassen und nach winzigen Mücken zu schnappen! Und das hatte sie schnell gelernt. Aber sie brachte nicht nur den richtigen Forellenhunger aus der Kinderstube mit. Sie kam bald hinter alle die kleinen Schliche und Kniffe, die eine Forelle kennen muß. Sie merkte, daß unruhige Wasser schlechte Sicht nach oben gewähren und den Flossen viel Arbeit machen. Sie war schon eingeweiht darin, daß ein sich bewegendes Etwas am Bach selten etwas Gutes bedeutete und man gut tat, sich zu verstecken. Sie wußte, daß Steine wohl Schutz boten, die Uferhöhle aber besseren gewährte. Sie konnte sich im Falle der Not auch schon richtig drücken, an einen Stein klemmen oder in eine Felsspalte und mit gekrümmtem Schwanz unbeweglich verharren, als ob sie ein zufälliges Stück vom Bachboden oder ein Bröcklein Tannenast war. Aber auch das wußte sie bald, daß der allerletzte Ausweg aus aller Bedrängnis immer der lebendige Strudel war, in den kein Harzjunge, kein Eisvogel und keine Wasseramsel hinabschauen konnte. Sie hat sie alle kennengelernt und ihretwegen Reißaus genommen hundertmal bachauf und bachab. Ein paar Sommer lang ist das Prinzeßlein dem Quellwässerchen treu geblieben. Dann wurde es größer. Der Hunger wuchs auch, und es zog hinab zum rauschenden Wildbach. In einem schwarzen Wasserloch fand es ein herrliches Jagdrevier. Das Wurzeldach einer Wetterfichte schattete darüber. Und so tief war die Höhle darunter, daß auch der längste Arm eines Wildfischers nicht hineinreichen konnte. In dem Loch kam das Bergwasser zur Ruhe, hielt einen Augenblick inne, um Atem zu schöpfen vor der rastlosen Weiterfahrt. Dort wuchs das Prinzeßlein zur Königin heran. Sie verbarg sich unter dem Wurzeldach, lauernd, ob nicht das Wasser eine zappelnde Fliege hertrüge, eine Spinne, einen ringelnden Wurm, ein verunglücktes Waldkäferlein oder gar einen vorwitzigen Frosch. Ratsch -- ratsch gings dann, das Wasser schlug einen schnellen, gurgelnden Wirbel, und die Buntgefleckte stand wieder am alten Platze, als sei nichts geschehen. Im November, als im Bergwald der Brunftschrei des Rothirsches verhallt war, kam ihr die Wanderlust ins Blut, und eine geheimnisvolle Macht trieb sie talauf in junge Gewässer. Ein Wandergespan gesellte sich zu ihr, der der gleichen Naturstimme folgte und bachauf zog. Es war ein glatter Forellenkavalier. Er umschwärmte und umwarb sie. Da merkte die Bergbachkönigin, daß sie verliebt war. Und sie verlebten heimliche Liebesnächte unter Steinen und in Uferhöhlen. -- In einer schwarzen Nacht stand sie allein im ruhigen Wasser, verlassen von ihrem Galan. Über dem Bergwald wälzten sich Schneewolken. Da irrte ein Lichtschimmer am Bach herauf. Die Bergbachkönigin hielt neugierig still. Sie sah nicht die finsteren Schleichgestalten hinter dem Licht, ahnte nicht ihr Verhängnis. Ein Stich fuhr ihr schneidend in den Rücken. Ihr Leib krümmte sich, mit letzter Kraft schlug der Schwanz. Sie wollte fliehen. Aber zu fest saß die Gabel des Wildfischers ... Der hob die Zappelnde heraus. Ihr Krönlein fiel klingend ins Wasser. Die Bergbachkönigin war Fischfleisch in roher Hand. [Illustration] [Illustration] Herrgottsplätzlein Es gibt stille Gründe im Bergwald, die sich der Herrgott als Lieblingsplätzchen zum Rasthalten ausgesucht hat. Die Vögel dort singen viel heimlicher. Die Quellen schwätzen leiser als anderswo. Der Wind überm Wald verhält dort den Atem. Ein Menschenkind mit einem Gottsucherherzen fühlt solche Herrgottsplätze. Wenn aber einer, der kein Gottsucherherz hat, an solchen Ort kommt, den zupfen Englein leis am Rockzipfel, daß er nicht vorübergehen möchte. Manch einer hört auf die stillen Mahner und hat in der Andacht des Waldes den Herrgott gefunden. Mehr aber gehen vorüber. Für sie ist der Wald Holz. Ihr Herz ist nichts anderes. Es gibt viele Herrgottsplätzlein im Harzheimatland. Aber eins weiß ich, das ist das schönste von allen. Kennt ihr den Waldteich im Tale Irgendwo? Eigentlich ist’s nur ein Tümpelchen, der Rest von einem Teich, dem man vor hundert Jahren oder mehr den Damm durchstach. Wenn der Eisvogel, der an seinen Ufern nach Elritzen und Forellen fischt, fünfzehn, zwanzig Flügelschläge tut, ist er drüber hinweg. Größer ist das Waldteichlein nicht. Braucht’s auch nicht zu sein, denn seine Kleinheit gehört zu seinem heimlichen Zauber. Fichten haben es mit Grün umsponnen und haben sich so dicht herzugedrängt, daß kaum ein Streifen Rasen übrigblieb für ein paar Fingerhüte und Erdbeeren. So wurde aus dem Teich ein weltvergessenes Waldmärchen. Ein grünlockiges Dornröschen, das mit offenem Träumerauge einen tiefen, süßen Schlaf schläft in den Armen des Waldes. Es wird kein Märchenprinz kommen, es aufzuwecken. Es wird erst aufwachen, wenn der Förster die Fichten ringsum mit seinem Messer anritzt und hinterher Holzhauersägen und -äxte die Waldstille verjagen. Dann ist’s aus mit der Märchenherrlichkeit. Wald-Dornröschen verliert sein Krönlein und flieht und kommt nicht eher zurück, bis neuer Wald wachsen will. -- Aber noch steht ja der alte. Wenn über Mittag ein Weilchen die Sonne über seine Wipfel lugt, küßt sie heimlich den Waldteich. Sie guckt nur mit einem Auge ins Waldtal hinab, als ob sie die grüne Dämmerung im Dornröschenstübchen nicht fortschrecken wolle. Das Waldteichlein merkt das, fühlt auch den heimlichen Kuß und lächelt. Wenn aber Schatten über dem Tal lagern und nur an den Gipfelquirlen der Fichten noch Sonnengold flackert, wird das Lächeln des Teiches zu Sehnsucht. Und nachts, wenn Sterne in ihm ihre Zeit verträumen, wird sein Auge ein tiefgründiges Rätsel. Es ist ein großes Schweigen um den Waldteich herum. Sein Leben ist still wie Wasserspinnenspiel und wie das Leuchten der Wasserhahnenfußblüten auf seinem Spiegel. Er weiß nichts vom Lärm jenseits der Wälder. Hast und Unrast von da draußen drangen nie hinab in den Einsiedlerfrieden seiner verlassenen Schlucht. Er hört nur das Fichtenrauschen über ihm, das leise Sirren im Schilf, das Wehen in Lattichblättern. Und in stillen Nächten, wenn von den Bäumen rings klingende Tauperlen in den Teich tropfen und das Reh heimlich zur Tränke wechselt, hält er verschwiegene Zwiesprache mit dem Quellchen, das ihm unter Kresse und Baldrian seine Wasser zuführt. Zeisig und Goldhähnchen singen ihm stille Morgenlieder, und abends, wenn warmer Waldwind durch den Talgrund weht und die Drossel schlafen ging, läuten die Unken mit silbernen Glocken. Hast du einmal in stiller Waldnacht gelauscht, wenn geheimnisvoll aus dem Dunkel die feinen, ein wenig stumpf gestimmten Silberglocken zu läuten beginnen? Es vergeht dir der Atem vor Freude! Klünk -- klunk -- klunk -- klünk -- unk -- klunk -- klünk --. Ein Glöcklein beginnt, zaghaft, lockend. Eins antwortet, viele folgen, und bald läutet es in zauberischem Chor. Das ist das Ave des Waldteichleins, wo der Herrgott am liebsten Rast hält. -- Warum denke ich oft an dich, du Teich im Waldesgrunde? Wenn doch des Menschen Seele ein so friedlich Ding wäre wie du! Voll Ruhe und voll Träumen, klar, rein, wunschlos. Und wenn jede in Feierstunden ihr heimliches Silbergeläut hätte! [Illustration] Alte Steinbrücken Geht mir doch fort mit ~T~-Trägern und Betonkleisterei! Baut eure Betonbrücken über Kanäle, wo sie als Kunsterzeugnis zum Kunsterzeugnis taugen. Sooft ihr aber eine Betonbrücke über einen Harzbach legt, möge euch das schlechte Gewissen zwacken, ihr Gotteslästerer und Naturverschandeler! Könnt ihr euch zu einem Bergwasser voll Leben einen betrüblicheren Gegensatz denken als solchen langweiligen Betonbatzen? Seht euch die Steinbrücken der Alten an. Es schmiegt sich alles in die Umgebung hinein. Die Brücke wächst aus dem Bach heraus. Das Steingebröckel des Flußbettes ist zu einem Bogen gebändigt. Ist kein Stein darin frisiert und mathematisch zurechtgestutzt. Die Vielfältigkeit des Baches lebt lustig in der Brücke weiter. Sie ist ein Teil von ihm geworden. Es ist nichts Fremdes, Störendes, Langweiliges in die Landschaft gekommen. Alles ist so einfach und kunstlos, und doch sind diese Steinbrücken Kunstwerke und Meisterstücke der Alten ... Heute bauen sie Betonbrücken. Beton ist billiger, geht schneller und erfüllt denselben Zweck. Zivilisation hat viel Kultur erdrosselt. Was wissen Pfennigfuchser und Bürokraten von dem goldenen Gesetz des Handwerks, das neben dem Zweckmäßigen das Bodenständige, Echte und Schöne fordert! Das Schöne ... Du lieber Gott, schicke doch endlich deinen Geist hernieder. Gib den Berufenen Einsicht und ein wenig Sinn für die Schönheit des Harzheimatlandes. Laß sie die Bergbäche, -- deine lustigen Kinder! -- nicht mit Betonklötzen verschandeln. Tue ein Wunder, und laß alle Zementsäcke, die sie an ein Harzbächlein schleppen, steinhart und unbrauchbar werden. Schlag alle Betonbrücken zusammen! Die steinernen aber behüte noch tausend Jahr. [Illustration] Die braune Einsamkeit Sieben Monde beißt sich der Hochharzwinter da oben fest. In dreien führen Regen, Nebel und Wind die Herrschaft. Was überbleibt vom Lauf des Jahres, ist nicht immer Sonnenschein und Wärme. So ist das Gesicht des Moores ernst geworden. In Not und Bedrängnis hat es das Freuen verlernt. Wenn es lächeln will, wird nicht mehr daraus wie ein müdes, verschüchtertes Augenblinzeln. Die lichte Unendlichkeit des Himmels über ihm ist Schwermut. Seine Bläue stirbt in schwarzen Wasserlöchern. Zwischen Fichten und Sümpfen hockt die Einsamkeit. Hier oben ist ihr Antlitz ein anderes als in den Quellengründen des Bergwaldes. Stille wird zur Melancholie, Schweigen zum Schauern. Dieses Grauen der Öde scheucht die Menschen zurück. Das Moor hat wenig Freunde. Der Weidmann pirscht dem Rotwild nach. Auf heimlichen Wechseln schleicht der Wilderer durch Bruch und Dickicht. Wenn die Heidelbeeren blau werden, ist die Gimpelbrut flügge. Dann kommt mit den Beerengängern der Vogelsteller herauf. Manchmal verliert sich ein Waldläufer nach hier, dem es auf geraden Wanderpfaden zu langweilig ist. Aussichtspunktmenschen und Modewanderer holen sich nasse Füße und bleiben fort. Gott sei Dank. Ihnen geht der Zauber dieser Urwelt nicht auf. Die melancholische Großartigkeit der Öde ist nichts für Salonseelchen. Es ist kein ausgelassener Farbenjauchzer im Moor. Jeder Ton der braunen Einsamkeit wirkt herb wie der Geruch, der rings aus Torfmoospolstern dampft. Selbst wenn die Heide blüht, ist’s nur wie verzagtes Leuchtenwollen, Fröhlichseinwollen, das sich nicht durchringt zu befreiender Herzhaftigkeit. Die Seidenköpfe des Wollgrases nicken im Winde: spar die Müh, spar die Müh! Und auch wenn der Herbst Birkengold und Quitschenkarmin über das Moor flackern läßt und im Heidelbeerkraut ein Gesprühe von Gelb und Rot und Lichtgrün entzündet, zur erlösenden Freude wirds nicht: Das Moor kann nicht lächeln. Still wie die Farben ist das Leben im Moor. Es ist, als ob auf allen Vogelstimmen die Schwermut der Öde lastet. Da ist kein Jubeln und lustiges Geschwatze. Sie würden die Harmonie der Einsamkeit stören. Der Herrgott läßt nichts aus dem Rahmen fallen. Zur Blütenpracht des Apfelbaums paßt Stieglitzengeflister. Hier oben ist kein Platz für Flitter und Firlefanz. Der Zippe Lied ist auf Moll gestimmt. Melancholisch flötet der Dompfaff. Und wenn der Baumpieper singt, ist’s immer die gleiche verhaltene Weise. Unvermittelt bricht sie ab. Der Sänger wagt es nicht, sein Herz auszujubeln. Etwas Unerlöstes ist über allem im Moor, Leidvolles, Entsagendes. Aber alles gehört ins Bild hinein. [Illustration] Das Krüglein Freude, das ihm beschieden ward, ist nur bescheiden. Und was der Herrgott ihm an Schönheit mitgab, ist still und unaufdringlich. Es muß sie einer suchen. Wenn aber ein rechter Waldläufer kommt, der Auge und Ohr auftut und sein Herz mit hinausnimmt und ein Feinschmecker ist im Naturgenießen, der wird in der Armseligkeit des Moores viel von diesem heimlichen Reichtum finden. Ihm wird das Rosenglockengeläut der Moosbeere zum Erlebnis. Zwergbirke und Brockenmyrte sind ihm Entdeckungen, zu denen er sich entzückt niederbeugt. Im Moorwasser wandelt sich Himmelsblau zu einem Braunviolett voll feiner Farbigkeit. Alles ist von eigener Art und eigenem Klang. Das große Schweigen wird der Offenbarungen voll. Des Herrgotts verschwiegenste Wunder sind die köstlichsten. [Illustration] Bruchbergwinter Du bist ewig schön, mein Bruchberg! Stürme umtoben dich. Zyklone wollen deine Forsten zerknittern. Du trotzt ihnen mit der Ruhe des Titanen. Und mit immer gleicher Gelassenheit schaust du hernieder ins Harzheimatland. Schön bist du, wenn der Lenzwind durch deine Wildnis harft, im fahlen Morgengrauen der Auerhahn seinen Liebesruf über das Hochmoor schickt und zwischen Wipfelrauschen und Schneewassergeriesel irgendwo die Zippe ihr Frühlingslied flötet. Schön bist du, wenn über deinem Wäldermeer flimmernde Sommerluft zittert und blau, endlos blau die Fernen zu deinen Füßen liegen. Würzdüfte atmen durch das Gehölz. Deine Fichtenhallen sind voll Finkenschlag. Und draußen am Moor, wo rosenfarbene Knabenkräuter im Torfmoos blühen, singt sich der Baumpieper sein Sommerglück vom Herzen. In heimlichen Gründen hütet das Alttier sein Kalb. Fingerhut läßt Purpurglocken über die Waldblößen leuchten, und zwischen Wald und Weite schwebt gelassenen Fluges der Habicht. Wie liebe ich deine Sommertage voll Blau und Grün! Und schön bist du, wenn Herbstnebel dich mit Dampf umhüllen und deine Fichten und Felsen sich wie Riesen in graue Wolken recken; wenn Borstengras und Quitsche sich herbstlich färben und in reiffrostigen Oktobernächten Hirschschrei durch Hai und Hochwald hallt. Aber am schönsten bist du doch, wenn dich Schnee und Rauhreif eingesponnen haben. Dann bist du ein Gottestempel geworden. Ein Märchenland voll Schönheit ohnegleichen hat in dir sich aufgetan. Schneefahrt durch deine Hänge ist Andacht. Wie groß und herrlich ist die Stille, die in der Wintereinsamkeit deiner verschneiten Höhe träumt! Alles Laute ist dir fremd. Du bist schweigsam, wie alles Ewige stille ist. Dein Antlitz ist voll Ernst und voll herber Melancholie. Das Dunkel deiner Wälder kann sich lastend auf die Seele legen. Aber der Winter breitet über das Düster eine lichte Verklärung. Das bang Bedrückende weicht. Deine Ruhe wird Wohltat, Gottesfriede. Wie köstlich fern liegt das Leben! Tief unten verdämmert die Welt in silbernem Duft. Was in der Tiefe den Alltag bewegt, nichts von allem dringt hinauf in den Frieden dieser weißen Einsamkeit, in der der Herrgott wohnt. Des Bergwalds Leben ist zur Ruhe gegangen. Das Hochwild wechselte zu Tal. Wenn nicht eine Marderfährte durch den Schnee tupfte und da und dort das Geläuf der Auerhenne, es könnte scheinen, als sei alles Geschöpf hier oben gestorben. Die Fichten schlafen. Das Goldhähnchen im Geäst wagt nur ein leises, leises Silbersingen, daß es ihre Ruhe nicht störe. Ihr Schlaf ist tief und fest. Sie beugen sich unter schwerer Bürde und stehen da wie betende Büßer, die schicksalsergeben auf Erlösung harren. Wie nickende Träumer, die von Lenz und Drosselflöten träumen. Es ist eine große Stille im Wald. Manchmal rüttelt ein Windstoß an den Wipfeln. Dann rauscht es über die Bäume hin wie klagendes Sehnen: Wann kommst Du wieder, schöner Frühling? ... Es verklingt mit einem leidvollen Mollakkord, leise, schmerzlich, und wieder schläft der Wald. Sein Schlafgewand ist weiß und rein. Jedes Fichtennädelchen, jedes Rindengeschuppe und Flechtengekräusel ist mit Glitzersternchen umsponnen. Es geht ein heimliches Flimmern durch den Wald, das seinen Ernst lichter macht. Aber nirgends ist eine aufdringliche Helle. Wie in einem Dom ist’s. Er baut sich auf aus Silber und Marmor. Durch grünviolette Scheiben fließt zartfarbenes Dämmerlicht in seine Säulenhallen. Wenn die Sonne hineinschaut, sprüht in Smaragden und Rubinen ein Festgeleucht. Dann ist Feiertag im Dom. Alle Kerzen sind angezündet. Der Wald betet. [Illustration] Bleibe stehen, o Wanderer, und bete mit. Verhalte den Atem, daß du die Andacht nicht störst. Laß deine Schneeschuhe langsam gleiten, daß ihr Knirschen nicht die Stille zerreißt. Fühlst du das Pochen des Blutes in der Brust? Bleibe stehen. Und so du ein Gottsucher bist, wird dir der Wald von silbernen Altären herab eine Bergpredigt halten, die du nicht vergißt. Harre aus bis zum feierlichen Amen. Dann wirst du beglückt von dannen ziehen. Und wirst die Fäuste ballen, wenn Johler und Schreier vorüberfahren, die mit ihrem Lärm den Gottesfrieden schänden. Aber laß die Horden. Wem _dieser_ Wald nicht die Lippen stumm und die Augen weit macht, der sei dir zu erbärmlich. Laß sie, und fahre aus dem Kirchendämmer des Gehölzes hinaus und hinauf aufs freie Moor. Über dir wölbt sich Berghimmelunendlichkeit. Bäume und Bäumchen sind zu Boden gedrückt. Rauhreif hat sie verhext. Buckelige Kobolde hocken da. Es schnarchen ungeschlachte Riesen, kauern schlafende Moorhexen, schlummern vermummelte Prinzen und Prinzessinnen. Feuersprühende Drachen schnauben, greuliche Saurier recken sich, -- Gott sei Dank, daß sie starr wurden, just als sie zum Sprung ausholten. Wenn du Märchenaugen hast und zu glücklicher Stunde hier oben weilst, wird dir auch die Bruchbergkönigin erscheinen. Sie kommt auf einem weißen Hirsch aus dem Walde hergeritten. Über ihren Schultern hängt kostbarer Hermelin. Ein silbernes Krönlein strahlt auf ihrem Blondgelock. Sie reitet schweigend über das Moor. Die Bäume neigen sich vor ihr. Sie nickt ihnen einen milden Gruß zu. In ihren Blauaugen spiegelt sich die weiße Welt. Nun ist sie vorbei. Du stehst noch und starrst und hältst den Atem an, möchtest vor ihrer Schönheit in die Knie sinken, ihr die Hände küssen oder gar den Mund, und denkst an den Edelknaben und Schön-Rohtraut oder an Tom, den Reimer ... Aber sie ist längst vorbei. Du suchst ihre Spur vergebens. Doch du merkst, daß sie dich verzaubert hat. Heimliche Sehnsucht bleibt in dir brennen. Ewig wirds dich zurückziehen in das Reich der schönen Königinne. Die Sonne will versinken. Ihr letztes Leuchten streift über die Kämme der Berge. Es malt strahlende Säume um die Fichten, taucht die Wanderer ein in tiefes Orange und überzieht den Brocken drüben mit rotem Gold. Jedes Vorwärtsgleiten der Schneeschuhe ist funkelndes Gesprühe. Nun ist der Sonne Gutenachtkuß verhaucht. In den Fenstern des Brockenhauses verlischt ein müdes Blinzeln. Dann ist auch für die Höhen die blaue Stunde gekommen, die Wälder und Täler längst erfüllte. Himmel und Schnee werden eins. Es ist Zeit, zur Hütte heimzukehren. Um die Dämmerstunde wachen die Berggespenster auf. Lebe wohl, du schöner Wald! [Illustration] Die Skihütte Sie liegt verschlafen im Bergwald. Es ist nur eine kleine Gemeinde, die den verlorenen Pirschsteig zu ihr zu finden weiß. Im Sommer kommen ein paar Holzhauer hinauf. Sie bleiben nicht lange. Ein paar Tage weht das blaue, fichtennadelduftende Rauchfähnlein ihres Lagerfeuers um die Hütte. Dann ziehen sie wieder hinab. Und manchmal kehrt zu kurzer Rast der Förster bei ihr ein. Stille Gäste, die vom Bergwald das Schweigen lernten wie die Hütte selbst. Sie hat keinen großen Namen. Und das ist gut. Ihr Zauber ist ihre Verborgenheit, ihre Schönheit die Einsamkeit. Der Bergwald umschmiegt sie mit Dunkel und hütet sie wie ein Berggeheimnis. Sie ist mit ihm verwachsen. Sie lebt sein verschwiegenes Leben mit ihm und kennt alle seine heimlichen Regungen. Mit leisem Tritt umschleicht der Marder ihr Gemäuer. Im Holze bellt der Fuchs. Waldmäuslein rascheln im Grase: die Hütte vernimmts. Sie hört der Zippe schwermütige Melodien, den Lockruf des Schwarzspechtes, des Auerhahns klatschenden Flügelschlag. Fink und Meise und Goldhähnchen halten gute Nachbarschaft mit ihr. Und wenn die Quitschen vor ihrer Tür zu leuchtenden Korallen werden, kommen Krammetsvogel, Weindrossel und Dompfaff zu festlichem Schmaus. Dann wird’s Herbst. Der Wind im Wald singt in rauheren Tönen. Schneegänse ziehen über die Höhe. Im Forste schreit der Hirsch. Wenn er Winter wittert, führt er sein Rudel talab. Dann wird’s still um die Hütte. Die Fichten triefen von Regen und Nebel. Die Flechtenbärte an den Zweigen und Stämmen hängen in trübseligen Strähnen herab. Und trübselig guckt die Hütte drein. Über den Wald hin braust das Sturmlied des Windes. Wenn er es zu arg meint, rackelt es unwirsch an den Fensterläden der Hütte. Sie gähnt und träumt von warmen Sommernächten und Eulenruf und Unkenläuten im Wald. Wenn die weißen Flocken vom Himmel wirbeln, geht ein heimlicher Zauberer durch den Bergwald. Der hat seinen Zauberstab auch über das Hüttlein geschwungen. Alle Traurigkeit ist aus seinem Gesicht geflohen. Wie freundlich es dreinschaut! Flugs hat es das schwarze Teerdach mit einer Glitzerdecke zugedeckt. Der Schornstein bekommt eine frischgeweißte Halskrause und das Blechdeckelchen auf dem Rauchrohr ein blitzsauberes Hütchen. Auf jede Türangel, jeden Balkenvorsprung wird ein Häuflein Schnee gestreut. Die Hütte versteht es, sich festlich zu schmücken. Sie will dem Bergwald nicht nachstehen. Sie hat frohen Besuch zu erwarten. Die Skiläufer kommen. Ihnen zu Ehren muß alles wohl gerüstet sein. Schnell wird noch der Hexenmeister Wind bestellt. Er pustet mit säuberlichem Gewehe einen strahlenden Marmorhof um die Hütte. Nun ist alles wohlbereit und zum Empfang hergerichtet. Die Gäste mit den langen Brettern lassen nicht lange auf sich warten. Kommt nicht dort vom Fichtenhang schon der erste her? Ein Einsamer ist’s. Mit schönem Schwung hält er vor der Hütte. Er schnallt die Bretter ab und steckt den Hüttenschlüssel in das rostige Schloß. Das Knarren des Riegels scheint ihm Musik zu sein. Er lächelt. -- Durch die offene Tür fällt blendende Helle in die dunkle Heimlichkeit des Hüttenraums. Das Hüttenmäuslein fährt erschreckt zusammen und weiß vor Entsetzen nicht, wohin es soll. Der einsame Skiläufer tritt den Schnee von seinen Füßen. Die Hütte gibt das Echo seiner Tritte zurück. Das ist ihr Willkommengruß. Er wirft den Rucksack ab und stößt die Fensterläden auf. Wie stille ist der weiße Wald, wie stille die Hütte! Und diese große Stille rings wirkt wie eine erlösende Entspannung auf den Hüttengast. Er setzt sich, muß ein Weilchen die Augen schließen. Und wieder lächelt in seinem Gesicht ein Glück. Wie bei einem, der nach Hast und Unrast den Frieden gefunden hat, den ihm der Alltag nicht gab. In der Hütte fand schon mancher seinen Frieden. Nun prasselt es lustig im Hüttenofen. Im Topfe brodelt Schneewasser. Das Hüttenbrünnlein schläft unter Eis und Schnee. Teeduft weht über das flackernde Talglicht hin und mischt sich mit blauen Tabakwölkchen. Die Hütte beherbergt einen frohen Menschen. Er reckt sich in behaglicher Ungebundenheit, qualmt sein Pfeifchen und träumt. Wo träumt sich’s schöner als hier? Und wo läßt sich’s besser schlafen als nachher auf harter Hüttenpritsche! Gemach verlöscht das Feuer im Ofen. Verglühende Scheite bersten. Das Hüttenmäuslein wagt sich wieder hervor. Warmgewordene Balken knacken. Von draußen klingt wie fernes, leises Rauschen das Lied des Windes überm Wald ... [Illustration] [Illustration] Druck F. A. Lattmann in Goslar am Harz Weitere von Reinecke-Altenau geschmückte Bücher unseres Verlages: Vom grünen Rauschen Ein Buch vom Oberharz von Bernh. Flemes mit Zeichnungen von Reinecke-Altenau Preis karton. 1.50 M., gebd. 2 M. Ein wahrhaft deutsches Buch, das in seiner Art nicht seinesgleichen hat. Ein echter Poet hat in diesem feinsinnigen Wandernotizbuch das Wesen des Oberharzes dargestellt. Dem Dichter, der Verborgenes und Wesentliches zart und fest umspannt, gesellt sich der gleichgesinnte hannoversche Künstler Reinecke-Altenau prächtig ergänzend bei mit seinen der Natur abgelauschten Stimmungsbildern, die in ihrer Echtheit den Harzcharakter wiedergeben, wie er sich in den Dichtungen offenbart. So entstand ein bisher nicht dagewesenes Buch vom Oberharz, reich an Empfinden und Schönheit. Strom und Hügel Ein Buch vom Weserbergland von Bernh. Flemes mit Zeichnungen von Reinecke-Altenau Preis karton. 2 M., gebd. 2.75 M. Das Weserbergland mit seinem Formenreichtum der Höhen und Täler, seinen köstlichen Baudenkmälern in Städten und Flecken ist wenigen Kennern nur vertraut. Unter ihnen steht der Verfasser unsres neuen Buches, der auch der Autor des erfolgreichen Oberharzbuches »Vom grünen Rauschen« ist, an erster Stelle. Er hat sein Heimatland in vielen Jahren bis in die letzten Winkel durchwandert; er hat die Gabe des besonderen, nur ihm eigenen Ausdrucks für diese seine Heimatliebe, für die besondere Seele dieser Landschaft. Der hannoversche Künstler Reinecke-Altenau erweist sich hier wiederum als ein guter Geselle des Dichters, indem er in feinsinniger Weise dessen Werk ergänzt. Verlag F. A. Lattmann, Goslar am Harz Weitere Anmerkungen zur Transkription Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht. *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK HARZHEIMAT: DAS HEIMATBUCH EINES MALERS *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. 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START: FULL LICENSE THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK To protect the Project Gutenberg™ mission of promoting the free distribution of electronic works, by using or distributing this work (or any other work associated in any way with the phrase “Project Gutenberg”), you agree to comply with all the terms of the Full Project Gutenberg™ License available with this file or online at www.gutenberg.org/license. Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg™ electronic works 1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg™ electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to and accept all the terms of this license and intellectual property (trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy all copies of Project Gutenberg™ electronic works in your possession. 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It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg™ and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state’s laws. The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation’s website and official page at www.gutenberg.org/contact Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine-readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. 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