Title: Landesverein Sächsischer Heimatschutz — Mitteilungen Band XI, Heft 4-6
Monatsschrift für Heimatschutz und Denkmalpflege
Editor: Landesverein Sächsischer Heimatschutz
Release date: September 17, 2022 [eBook #69001]
Language: German
Original publication: Germany: Landesverein Sächsischer Heimatschutz
Credits: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net
Anmerkungen zur Transkription
Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter Text ist so ausgezeichnet. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist so markiert.
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Landesverein Sächsischer Heimatschutz
Dresden
Monatsschrift für Heimatschutz und Denkmalpflege
Band XI
Inhalt: Die kursächsischen Postmeilensäulen beim 200jährigen Bestehen – Heimatschutzgedanken in Gottfried Kellers Dichtungen – Die Kirche zu den »Vierzehn Nothelfern« auf der »Kahlenhöhe« bei Reichstädt – Um Juchhöh und Windberg – Wanderbilder aus den Grenzgebieten der Oberlausitz und Nordböhmens – Volkslieder der sächsischen Oberlausitz – Nochmals »Pflanzt Nußbäume« – Über das Vorkommen der Weidenmeise in unserm Vaterlande – Die Berankung von Gebäudeschauseiten – Zur Geschichte des Heimatschutzes – Zur Einschmelzungsfrage alter Kirchenglocken
Einzelpreis dieses Heftes M. 30.–, Bezugspreis für einen Band (aus 12 Nummern bestehend) M. 60.–, für Behörden und Büchereien M. 50.–. Mitglieder erhalten die Mitteilungen kostenlos, Mindestjahresbeitrag M. 50.–, freiwillige Einschätzung erbeten
Geschäftsstelle: Dresden-A., Schießgasse 24
Dresden 1922
Täglich liest man, daß Zeitungen und Zeitschriften infolge der hohen Herstellungskosten eingehen, die sich weder durch Bezugsgebühren noch durch Ankündigungen decken lassen. Wenn der Landesverein Sächsischer Heimatschutz bisher seine »Mitteilungen« im Friedensumfange mit Friedensausstattung herausgeben konnte, so verdankt er dies der Opferwilligkeit seiner Mitglieder, die ihm dies durch hohe Beiträge ermöglichten.
In den letzten Wochen sind die Herstellungskosten für unsere »Mitteilungen« um 150 bis 200 v. H. gestiegen, so daß wir in banger Sorge sind, ob es möglich ist, sie weiter erscheinen zu lassen.
Es dürfte unseren Mitgliedern und Freunden interessant sein, zu erfahren, was heute ein Heft der »Mitteilungen« in 22 000 Auflage kostet:
Textpapier | 75 000 | M. |
Umschlagpapier | 5 000 | " |
Druckstöcke | 40 000 | " |
Druckkosten | 50 000 | " |
Briefumschläge | 15 000 | " |
Postgelder | 40 000 | " |
225 000 | M. |
In diesen Zahlen sind noch nicht inbegriffen die Honorare und unser Geschäftsaufwand.
Wir geben jährlich vier Hefte heraus,
so daß uns diese vier Hefte jährlich 900 000 M. kosten.
Das ist der heutige Preis, in acht Tagen ist er wieder gestiegen, in vierzehn Tagen weiter und schwindelnde Zahlen werden wir am Ende des Jahres sehen.
Nicht verschweigen möchten wir, daß eine sächsische Firma, die nicht genannt sein will, uns zu diesen Kosten unserer Veröffentlichungen jährlich 100 000 M. in dankenswerter Weise stiftet, so daß sich der jährliche Gesamtaufwand auf 800 000 M. erniedrigt.
Aus diesen Zahlen bitten wir unsere geehrten Mitglieder und Freunde zu ersehen, welche schweren Kämpfe ums Dasein unsere Bewegung führt. Wenn wir bis heute durchkamen, so war es der zähe, unbeugsame Wille: »Durchhalten« und das tiefsinnige stolze Wort »Dennoch«.
Wie lange es noch gehen wird, wissen wir nicht. Müssen wir die Herausgabe unserer Veröffentlichungen einstellen, dann ist unser Verein eine Kirche ohne Glocke. Wir werden weiter arbeiten und weiter kämpfen, aber wir können von den Schönheiten unserer Heimat nichts mehr berichten, können sie nicht mehr in Bildern zeigen, weil uns das Organ fehlt.
In schwerer Zeit, in düsteren Stunden richten wir an unsere Mitglieder die aufrichtige und herzliche Bitte,
uns einen in ihr Ermessen gestellten Sonderbeitrag zur Erhaltung der Heimatschutzmitteilungen
freundlichst zu gewähren,
der unabhängig von den Mitgliedsbeiträgen gezahlt und verbucht werden soll. Wir hoffen, daß diese Bitte nicht ungehört verhallen wird. Gebe jeder nach seiner wirtschaftlichen Lage. Wenn uns von seiten der Großindustrie reiche Unterstützungen zuteil würden, ähnlich dem hier angeführten Fall, dann wird es uns vielleicht gelingen, die sächsischen Heimatschutzmitteilungen, die seit 1908 erscheinen und viele tausende unserer Mitglieder und Freunde erfreuten, weiter zu erhalten zum Besten unseres Heimatlandes!
Dresden, im Juni 1922
Landesverein Sächsischer Heimatschutz
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Die Mitteilungen des Vereins werden in Bänden zu 12 Nummern herausgegeben
Abgeschlossen am 1. März 1922
Von Dr. Kuhfahl, Dresden
Der plötzliche Aufschwung, den die mechanischen Hilfsmittel für Personenverkehr und Warenbeförderung sowie für den Gedankenaustausch während der letzten fünfzig Jahre durch allerlei technische Entdeckungen erfahren haben, läßt uns heutzutage schon fast vergessen, daß vordem gerade im Verkehrswesen die denkbar primitivsten Verhältnisse herrschten. Abgesehen von der Seeschiffahrt war vor dem Ausbau des Eisenbahnnetzes von einer wirklichen Verkehrsorganisation, die dem zeitweilig recht hohen Kulturstand auf anderen Gebieten entsprochen hätte, nirgends die Rede, obwohl eine zeitgemäße Einführung von Straßenbau und Pferdepost natürlich längst in weitestem Umfang möglich gewesen wäre.
In Deutschland fehlten infolge der kleinstaatlichen Zersplitterung die künstlichen Wasserwege und großen Straßenzüge fast vollständig, und noch über Goethes Zeiten hinaus wurden die Freuden des Reisens zumeist durch Unbequemlichkeiten und Entbehrungen, Ärger und Überteuerung mehr als aufgehoben. Den wenigsten Zeitgenossen kam freilich zum Bewußtsein, daß dies eigentlich auch anders sein[70] könnte. Gegenüber der allgemeinen Teilnahmlosigkeit vermochte also nur eine besonders weitreichende allmächtige Faust, wie sie Napoleon besaß, den Ausbau größerer Chausseen zu erzwingen.
Wer heute durch einen kurzen Ruf des Haustelephons seinen Kraftwagen binnen wenigen Minuten vorfahren läßt und dann Hunderte von Kilometern auf glatten Straßen im bequemen Polstersitz rasch und sicher durcheilt, oder wer – in bescheidenerer Weise – die Massenbeförderungsmittel von Eisenbahnen und Flußdampfern benutzt, vermag sich wohl kaum noch eine wirkliche Vorstellung davon zu machen, welch ein Entschluß oder welche Vorbereitung und Ausrüstung noch in Großvaters Zeiten zu einer einzigen solchen Fernfahrt gehört hätte. In weit höherem Maße gilt das natürlich für die früheren Jahrhunderte, in denen wirkliche Kunststraßen ein unbekannter Begriff waren.
Alle älteren Reisebeschreibungen gehen entweder mit stillschweigendem Fatalismus über das Unvermeidliche ganz hinweg oder nehmen gerade damit einen breiteren Raum ein, als dem Zweck einer Vergnügungsfahrt eigentlich entsprechen sollte. Körperliche Beschwerden durch harten Sitz und schlechtgefederte Karossen, durch holprige Wege und endlose Fahrdauer, durch Kälte und Wind, Staub und Hitze verknüpften sich mit dem tausendfachen Ärger über unpünktliche, ungeschickte, betrunkene und grobe Fuhrknechte, über Erpressungs- und Prellversuche, über Paßkontrolle und Wegegelder. Vielfach kam auch noch die Angst vor der Unsicherheit des platten Landes und das geringe Verständnis hinzu, dem der Fremde gegenüber der Wichtigtuerei der Ortsbehörden zumeist begegnete.
Der Reiseverkehr hielt sich deshalb selbst bei den wohlhabenden Kreisen in allerbescheidensten Grenzen. An solchen Stellen jedoch, wo der Verkehr über Land eine wirtschaftliche Lebensnotwendigkeit war, mußten die Besserungsmaßregeln mit der Entwicklung des Verkehrs trotz alledem Schritt zu halten suchen. Es nimmt infolgedessen nicht wunder, daß der Leipziger Rat zur Förderung des Meß- und Handelsverkehrs weit über seine Kompetenz als Stadtverwaltungsbehörde hinaus zu allererst und in weitschauendster Weise den Gedanken eines geregelten Postfuhrwesens in die Tat umsetzte. Unterstützt von der Großhandelswelt ganz Deutschlands gelang es schon am Ende des vierzehnten Jahrhunderts für Briefbeförderung ziemlich geregelte Reit- und Läuferposten bis nach Hamburg, Augsburg, Nürnberg, Wien, Cölln (Berlin) und anderen Handelsplätzen einzuführen. Sehr bald wurde der Dienst auch über die Reichsgrenzen, besonders nach Italien und den Niederlanden ausgebaut, so daß vor dem Beginn der dreißigjährigen Kriegswirren bereits ein mustergültiger Botendienst in Leipzig zusammenlief, von dem viele Teile des deutschen Reiches gleichfalls Vorteile bezogen.
Die Beziehungen, die zwischen den unzähligen großen und kleinen Fürstenhöfen bestanden, lenkten die Aufmerksamkeit intelligenterer Machthaber sehr bald auf die neue Einrichtung. Im Kurfürstentum Sachsen verdichtete sich dieses Interesse sogar so weit, daß seit 1500 Versuche zum Betrieb einer eigenen Hofpost gemacht und statt dieses verunglückten Unternehmens im Jahre 1613 die mustergültige Leipziger Ratspost mit einem kurfürstlichen Postmeister besetzt, d. h. nach heutigem Sprachgebrauch kurzerhand verstaatlicht wurde.
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Die andauernde Geldverlegenheit der Fürstenhöfe brachte es dann natürlich auch sehr bald mit sich, daß das Postregal, genau wie jeder andere Staatsbesitz, allerwärts verpfändet oder verpachtet wurde. Die italienische Familie der Taxis aus Bergamo machte sich dies seit dem sechzehnten Jahrhundert zunutze und brachte nach und nach den größten Teil des europäischen Brief- und Fahrpostverkehrs so sicher in ihre Hand, daß ihre allerletzten Privilegien wohl erst durch die Revolution von 1919 beseitigt worden sein dürften. Das Haus Thurn und Taxis verdankt seinen Vorfahren neben reichen Besitztümern in allen Ländern die Erhebung in Adels-, Grafen- und Fürstenstand, es hat sich aber auch den Dank Europas verdient, denn ohne seine zielbewußte private Geschäftsgewandheit wären Verkehrsbeziehungen zwischen den machtlosen, widerstrebenden Staatsgebilden von damals kaum möglich gewesen. Freilich mußten auch diese Bemühungen in einer gewissen Halbheit stecken bleiben, solange der Ausbau großer Verbindungswege noch nicht zu den Aufgaben des Kulturstaates gerechnet, sondern der Einzelsorge anliegender Gemeinden überlassen wurde.
Im Kurfürstentum Sachsen fanden die Anläufe zum Hof- und Staatspostbetrieb, die auf 1500 zurückgehen, eine außergewöhnliche Förderung durch August den Starken (1694–1733).
Trotz des geschichtlichen Zerrbildes, das der Film neuerdings von ihm für den Sensationsbedarf des Kinos zusammengestückelt hat, ist diesem glanzvollen und ideenreichen Fürsten eine ganze Anzahl großzügiger Pläne zu danken, die er zumeist ganz persönlich mit sicherem Blick aufgriff und mit zielbewußter Energie verfolgte.
Sein schönheitsliebender Sinn umkleidete dabei in eigenartiger und höchstpersönlicher Weise die Erscheinungen des alltäglichen Lebens mit künstlerischen Formen. Weit über die heutigen grünweißen Grenzpfähle hinaus finden wir deshalb noch jetzt neben den monumentalen Schauplätzen seiner prunkvollen Hofhaltung, neben den beredten Zeugnissen seiner Liebe und seines unvertilglichen Hasses, auch eine ganze Anzahl Schöpfungen, die fast aus dem Geiste neuzeitlicher gemeinnütziger Ideen geboren erscheinen.
Das Postwesen, dessen Nutzen und Bedeutung er bei seinen verschiedenen Besuchen auf der Leipziger Messe selbst kennen gelernt hatte und für den regen Verkehr mit befreundeten Höfen selber andauernd in Anspruch nahm, gab ihm Anlaß zu einer Reihe von Staatserlassen, denen seine Landeskinder zwar samt und sonders mit sorgenvollem Kopfschütteln und ehrerbietigstem Protest begegneten, die ihre Probe aber doch vor dem Urteil der Geschichte glänzend bestanden haben. Trotz des Heerestrosses und der goldenen Prunkkarossen, die seinen Reisezug bildeten, durchschaute er mit scharfem Blick die ganze Jämmerlichkeit des Verkehres von Stadt zu Stadt. In einer Zeit, die weder Straßen noch Wegweiser noch Landkarten kannte, wird auch die mündliche Auskunft durch das Landvolk im allgemeinen nicht weit über die eigene Flur hinausgereicht haben. Neben Förderung des Straßenbaues, Beaufsichtigung des Vorspanndienstes und Festlegung der Posttaxen schuf er deshalb den Plan, nach dem Vorbild römischer Cäsaren, in sämtlichen[72] Städten seiner Kurlande und vor all ihren Toren wappengeschmückte Säulen zu erbauen, auf denen die Wegrichtung und Entfernung der Hauptorte in Meilen oder Wegstunden einzuzeichnen wären. An den Poststraßen selbst sollten sodann von Viertel- zu Viertelmeile kleinere Merkzeichen aufgestellt werden, die über das nächste Ziel Auskunft gaben und die Entfernungen kenntlich machten.
Die künstlerischen Entwürfe zu diesen Distanzsäulen und Meilenzeichen stammten von der Hand des schönheitsliebenden Fürsten selber. Die Vorliebe für den schlanken, nadelartigen Obelisken, den wir bei seinen Jagdzeichen und Marksteinen in kleinem Ausmaß z. B. noch heute als Bezeichnung von Flußübergängen oder in Riesengröße als Richtpunkte seiner Zeithainer Truppenschau in der Landschaft antreffen, zeigt sich in mehrfacher Wiederholung auch bei der Handzeichnung der Poststeine.
Die Distanzsäulen trugen auf quadratischer Grundlage einen mehrfach profilierten Sockel und darüber einen abgestumpften Obelisken, dessen Oberteil mit dem plastisch ausgehauenen kursächsischen und königlich-polnischen Wappen versehen war. Neben den schwarzgetönten Inschriften half farbiger Anstrich der Wappenschilder und Vergoldung der darüber schwebenden Krone das künstlerische Bild vervollständigen.
Zur Bezeichnung der ganzen Meile sollte jeweilig ein schlanker Obelisk auf einfacherem Unterbau, für die halbe Meile eine hermenartige Säule von eigenartiger Gestalt und für die Viertelmeile eine breite profilierte Steinplatte gesetzt werden.
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Da das Kurfürstentum Sachsen vor zweihundert Jahren von der Saale bis in die Odergegend und vom Erzgebirge bis vor die Tore Berlins reichte, so mußte die praktische Durchführung des Planes von vornherein mit erheblichen Schwierigkeiten rechnen. Insbesondere war das weitverzweigte Gebiet nicht von einem Steinbruch und nicht von einer Steinmetzwerkstatt aus mit gleichartigen Stücken zu versorgen, denn für solche Lieferungen fehlte ja gerade die Verkehrsmöglichkeit, der die neue Postschöpfung dienen sollte.
Zur Wahrung der nötigen Einheitlichkeit und zur Durchführung im einzelnen ließ der Kurfürst seine bildlichen Entwürfe in Kupferstich vervielfältigen (vgl. Abb. 1) und die nötigen Anweisungen für den Aufbau in Gestalt einer »Mäurerinstruktion« und anderer Befehle ergehen. Gleichwohl war er sich von vornherein bewußt, daß mit solchem Schreibwerk allein nichts auszurichten sein würde. Er suchte deshalb sofort einen organisatorisch begabten Kopf, der ringsum im Lande die erforderlichen Maßnahmen persönlich treffen sollte, und er fand ihn in der Person des Pfarrers Friedrich Adam Zürner von Skassa bei Großenhain.
Dieser unermüdliche, praktische und fleißige Mann hat nicht nur jahrzehntelang alle Landesteile für Vermessungszwecke, Besichtigungen oder Verhandlungen[74] selbst bereist und nahezu jeden Bauplatz der Postsäulen selbst ausgewählt, sondern obendrein die hunderte von Befehlen, Berichten und Erlassen eigenhändig niedergeschrieben. Sogar die Entwürfe für die Entfernungstabellen der Distanzsäulen stammen aus seiner eigenen Feder (vgl. Abb. 2).
Die Aktenbündel, die er über jede einzelne Stadt anlegen ließ, geben uns noch heute ein getreues Bild dieses opferfreudigen Schaffens. Wir finden dreißig Faszikel im Dresdner Hauptstaatsarchiv[1], während diejenigen Bände, die aus abgetretenen Gebietsteilen der Provinzen Sachsen, Schlesien und Mark Brandenburg stammen, nach 1806 an die Archive von Berlin und Magdeburg abgegeben worden sind.
Die ganze Riesenhaftigkeit der Aufgabe, der dieser einzelne Mann unter werktätiger Beihilfe seines Fürsten mehr als zwanzig Jahre des Lebens gewidmet hat, wird erst dann in vollem Umfang ersichtlich, wenn man jene Zeitverhältnisse in ihrem Urzustande bedenkt.
Vom Fernverkehr für Handel oder höfische Zwecke gab es nur spärliche Anfänge. An eine Einteilung der Postfahrten und an geordnetes Vorspannwesen war nicht zu denken. Der Straßenbau von Ort zu Ort beruhte zumeist auf der kümmerlichen Gelegenheitsarbeit erpreßter bäuerlicher Frohnden. Landkarten, Stadtpläne, Vermessungsergebnisse, Entfernungstabellen oder ähnliche schriftliche Vorarbeiten, die wenigstens bei der allgemeinen Verteilung und Beschriftung der Postsäulen als Unterlage hätten dienen können, fehlten vollständig. Das ganze Werk mußte also überall von Zürner selbst mit den allereinfachsten Feststellungen, Vermessungen und Besichtigungsarbeiten begonnen werden.
Weiterhin war die Beschaffung von vielen Hunderten kunstvoll ausgeführter Steinsäulen durchaus keine einfache und vor allen Dingen keine billige Sache. Die wenigsten Postsäulen durften aus den am Orte gefundenen Gestein von einem beliebigen Handwerker gehauen werden. Der kurfürstliche Landes- und Grenzkommissarius Zürner, der unausgesetzt im Lande umherreiste, hatte vielmehr Auftrag, sich allerwärts über die Beschaffenheit des Gesteins zu erkundigen, zuverlässigen Steinmetzen nach Möglichkeit eine ganze Anzahl der Säulen in Auftrag zu geben und alle Maßnahmen für größtmöglichste Haltbarkeit, modellgerechte Ausführung und richtige Aufstellung zu treffen. Trotzdem hat das heranwachsende Werk natürlich mancherlei Unterschiede in der Bildhauerarbeit sowie grobe Mängel bei der Gründung oder Auswahl der Steine gezeigt, so daß Zürner viele Revisionsreisen unternehmen und umgefallene Stücke wieder aufsetzen lassen mußte, während nach seinem Tode der Verfall ziemlich schnell um sich griff. An Abweichungen von der Bauvorschrift treffen wir beispielsweise in Delitzsch einen Distanzobelisken, der in seiner Überschlankheit um mindestens zwei Ellen höher sein dürfte, als die Werkzeichnung verlangt (vgl. Abb. 3); auch der Rochlitzer Obelisk zeigt nicht das vorgeschriebene sächsisch-polnische Doppelwappen, sondern nur ein gekröntes Schild mit der sächsischen Raute.
Der geldliche Aufwand, den eine so prunkvolle, arbeitsreiche Idee zu ihrer Durchführung erfordert, erscheint selbst in damaliger Zeit nichts weniger als gering.[75] Für einen Souverän, wie August der Starke, lagen die Dinge in finanzieller Beziehung aber trotzdem sehr einfach. Seine Kassen waren leer. Die Kosten für die »allergnädigst verliehenen Distanzsäulen« mußte also jede Stadt aus ihrem Säckel bestreiten und für die Meilensäulen am Wege mußten die anliegenden Gemeinden und Grundherren Sorge tragen.
Die Stürme des Dreißigjährigen Krieges hatten nun gerade den sächsischen Landen, die ursprünglich zu den wohlhabendsten gehörten, auch die schwersten Wunden geschlagen. Durch Heeresfolge, Einlager, Hunger, Brand und Seuche war Stadt und Land entvölkert. Der Reichtum erzgebirgischen Silbersegens und mannigfachen Hausfleißes war dahin. Neue Einnahmen blieben aus.
Umgekehrt waren die durch die Postzeichen auferlegten Lasten ursprünglich recht hoch bemessen, denn ohne Rücksicht auf die Größe der Städte oder den Umfang ihres Verkehrs hatte Zürner anfangs durchaus nach der Idee des Kurfürsten verfahren und für jeden Stadtausgang eine große Säule bestimmt. Dadurch wurden kleine und große Orte ganz ungleich belastet, denn z. B. hatte die Residenz Dresden und der reiche Handelssitz Leipzig nur vier Tore und die Städtchen Grimma und Marienberg ihrer fünf. Die Preise der Distanzsäulen schwanken nach den aktenmäßigen Rechnungen zwischen 12 und 80 Talern für das Stück, wobei neben der Steinmetzarbeit auch die Höhe der notwendigen Beförderungskosten ins Gewicht fiel. Wetterfeste Hausteine in diesen stattlichen Größen waren oft sehr weit herzuholen und oftmals weigerten sich die Bauern überhaupt, ihre Pferde für solche Riesenlasten herzugeben. Bei der Beschwerlichkeit der Landfuhren wählte der Rat von Hayn (Großenhain) für seine drei Säulen deshalb den billigeren Wasserweg von Pirna bis Merschwitz.
Da der Stadtsäckel in damaliger Zeit auf solche außergewöhnliche Ausgaben nirgends eingerichtet war, blieb nichts übrig, wie die Beträge als Kopfsteuer auf die Bewohner umzulegen. Erklärlicherweise mag dann allerdings die Begeisterung der gehorsamen Untertanen für kostspielige fürstliche Launen nicht gerade groß gewesen sein und so stoßen wir in den Akten nicht nur allerwärts auf allgemeinen Widerstand, sondern vielfach auf Mahnerlasse, wonach »Unkosten halber eine Repartition unter der Bürgerschaft gemacht, auch die Widerspenstigen zu Erlegung des ihnen zugeteilten Quanti behörig und da nötig durch gebührende Zwangsmittel angehalten werden mögen.«
Angesichts dieser Finanznöte beginnen all die vielen »Acta die allergnädigst anbefohlene Anschaffung und Aufrichtung derer steinern Postsäulen« mit einer beweglichen Klage über die Armut der Bürger und die Erschöpfung des gemeinen Fiskus. Die Stadt bäte deshalb, statt mehrerer Distanzsäulen vor ihren verschiedenen Toren nur eine einzige auf dem Markte setzen zu dürfen. Näher hätte ja wohl der Ausweg gelegen, daß der Kurfürst den Bau auf Staatskosten bewilligen möge, aber diesen Vorschlag hat nur die Stadt Freiberg für ihre fünf Torsäulen gewagt. Tatsächlich wurde ihrerseits im Juni 1723 auch durchgesetzt, daß »die Unkosten so auf diese Säulen erfordert werden, ungeachtet der gemeine Fiskus sehr erschöpft ist, dennoch vorigo noch daraus entnommen und die Bürger und Einwohner mit keiner Anlage beschwert werden.« Die dutzendweise wiederkehrenden Bitten um[76] Beschränkung des Aufwands und um Bewilligung einer Marktsäule lassen die Vermutung aufkommen, daß Zürner hier vielleicht selber den guten Geist der Städte gespielt und ihnen den Vermittelungsvorschlag, den der Kurfürst in jedem Einzelfall selbst entscheiden wollte, etwa nahe gelegt hat. Nur wenige der allerkleinsten Stadtgemeinden, wie z. B. Rabenau, das damals weder Post- noch Straßenverbindung hatte, dürften ganz um die neue landesherrliche Verfügung herumgekommen sein.
Bereits die Jahreszahlen an den erhaltenen Postzeichen, die von 1722–1735 schwanken, deuten daraufhin, daß die Aufstellung der Postzeichen vielfach recht lange verschleppt worden ist. Der ungeduldige Kurfürst, der seine Lieblingsideen gern umgehend ausgeführt sah, erließ geharnischte Befehle im allgemeinen und Einzelverfügungen in Menge, aber allzuviel fruchteten solche papiernen Ergüsse[77] damals nicht und ohne die Unermüdlichkeit des Kommissarius Zürner und dessen persönliche Revisionsfahrten wären wahrscheinlich noch weit mehr Säulen unausgeführt geblieben.
Die jahrelangen Verzögerungen, die dann trotzdem eingetreten sind, lassen sich vielfach an der Hand der Akten durch wortreiche Entschuldigungsschreiben der Bürgermeister oder durch Streik von Fuhrleuten und »Meurern« erklären, die für die vom Kurfürsten festgesetzten Löhne nicht arbeiten wollten. Mit der Ablenkung, die der Kurfürst durch seine außenpolitischen Aufgaben erlebte, mag nach und nach[78] wohl der ganze Plan bei ihm etwas in Vergessenheit geraten und auch von dem alternden Landeskommissarius Zürner nicht mehr mit der gewohnten Energie betrieben worden sein. Die Akten enden vielfach ohne bestimmten Abschluß, und die großen Lücken, die draußen an den Straßen tatsächlich verblieben sind, deuten darauf hin, daß die Ausführung des großangelegten Werkes gar nicht vollständig zu Ende gebracht, sondern nach und nach ins Stocken geraten ist.
Von den weitreichenden Plänen des prunkliebenden Fürsten und dem mühevollen Lebenswerk seines getreuen Landesgeographen sind nur höchst kümmerliche Reste auf unsere Zeiten gekommen. Allerdings deuten die wiederholten kurfürstlichen Mahnerlasse und die endlosen persönlichen Bemühungen Friedrich Zürners daraufhin, daß manche der anbefohlenen Säulen sowohl in den Städten wie an den Straßen unausgeführt geblieben ist. Genau feststellen läßt sich dies allerdings nicht, denn die vorhandenen Akten, deren Zahl auch gar nicht vollständig ist, geben über die wirkliche Aufstellung nur ganz vereinzelt durch eingeheftete Kostenrechnungen einen Anhalt; andere zeitgenössische Beweisstücke, wie Karten, Pläne und Bilder, auf denen die vorhandenen Säulen eingezeichnet sein könnten, bleiben erst recht eine Seltenheit. In jedem Falle müssen wir aber als sicher annehmen, daß das System nicht einmal zu Lebzeiten August des Starken in geplanter Weise ausgebaut gewesen ist, daß es schon kurz nach der Errichtung vielfachen Zerstörungen ausgesetzt war und dann dem baldigen Vergessen anheimfiel. In der Aktensammlung zu Dresden finden sich zwei Hefte »Gegen Vergreifung und Bosheit so darwider geübt werden« und »Für Strafe, so sich dran vergreifen oder selbige deformirt«. Auch Zürner hat vielfach über Einzelfälle von Beschädigung zu berichten und besondere Mühe mit der Ausbesserung gehabt.
Zum natürlichen Verfall der kleinen Steinmäler durch Witterungseinflüsse oder mangelhafte Bauart gesellte sich die bewußte Zerstörung durch menschliche Bosheit oder Unverstand der Behörden. Über beträchtliche Lücken lesen wir schon in einer gedruckten Festschrift, die nach hundert Jahren erschien. Ein begeisterter Verehrer der alten Denkzeichen, Dr. F. L. Becher in Chemnitz, widmet ihnen 1821 zur hundertjährigen Jubelfeier einen schwulstigen, phrasenreichen Nachruf und beklagt bereits damals, daß viele von ihnen umgefallen oder zerbrochen, eingesunken oder verwachsen seien.
Der Oberreitsche Landesatlas, der um die Wende des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts als Ergebnis der ersten wirklichen Landesvermessung vom Obersten Oberreit und seinen Gehilfen bearbeitet wurde, verzeichnet die Meilenzeichen nur an einigen Straßen und erwähnt die Distanzsäulen der Städte überhaupt nicht. Infolgedessen trägt auch diese nachträgliche Beurkundung nur wenig zur Klärung des anfänglichen Zustandes bei.
Dagegen lassen die dreißig Aktenhefte des Dresdner Staatsarchivs ohne weiteres erkennen, daß der Kurfürst selbst bereits seine ursprünglichen Absichten stark zurückschrauben mußte. Die Besetzung aller Straßentore mit den großen Distanzsäulen[79] war nämlich nur in wenigen wohlhabenden Städten wie Leipzig, Chemnitz, Freiberg und Dresden zu erzielen, während alle kleineren Orte sich günstigstenfalls zur Aufstellung einer Marktsäule bereit finden ließen. Selbst darüber zogen sich aber die Verhandlungen in die Länge, und jahrzehntelange Verzögerungen waren die Folge.
Von kleineren Städten dürften bloß sehr wenige mehr als eine Distanzsäule angeschafft haben. Beispielsweise finden wir in der Stadt Geithain noch heute zwei Straßenzüge durch Distanzsäulen geschmückt. Ebenso sind die Parkeinfahrten der Schlösser Lichtenwalde bei Chemnitz und Moritzburg bei Dresden von solchen Obeliskenpaaren flankiert. Da die Akten über diese Stücke ebenso über Penig und andere Städte keinen Aufschluß geben, so bietet auch die Zählung der Stadtsäulen nach diesen urkundlichen Unterlagen keine sichere Gewähr. Nur durch eine oberflächliche Schätzung könnte man annehmen, daß neben den achtunddreißig Distanzsäulen, die heute laut des beigefügten Verzeichnisses A noch auf sächsischem Staatsgebiet stehen, dereinst noch mindestens fünfzig bis sechzig andere vorhanden gewesen sein dürften. In den abgetretenen Teilen der preußischen Provinzen Sachsen, Schlesien und Mark Brandenburg, wo die Wege nach Warschau den sächsischen Polenkönig naturgemäß am meisten interessierten, wird das Zahlenverhältnis ähnlich sein, wiewohl die Siedlungen dort räumlich weiter auseinanderliegen und große Städte, die mehrere Distanzsäulen gehabt haben könnten, fast ganz fehlen. Man begegnet ihnen daselbst in großen und kleinen Provinzorten mit sechzehn gut erhaltenen Stücken. Wieweit dazu die in preußischen Besitz genommenen Akten einen Schluß auf verlorengegangene Steine zulassen, vermag ich nicht zu beurteilen, da mir ein persönlicher Besuch der Archive von Berlin und Magdeburg aus erklärlichen Gründen leider nicht mehr möglich ist.
Nebenbei wäre vielleicht noch an die Möglichkeit zu denken, daß auch Warschauer Archive aus der Zeit des sächsischen Königtums einige Unterlagen über die Straßenbezeichnung enthielten oder daß sogar auf polnischem Boden Postzeichen noch in ähnlicher Weise vorhanden wären, wie innerhalb unserer Reichsgrenzen. Ich habe deshalb während des Krieges von der Westfront her bei unseren polnischen Besatzungsbehörden angefragt, aber vom Generalgouvernement Warschau durch die mit Kunstschutz und archivalischen Studien beauftragte Stelle nach längerer Zeit den Bescheid erhalten, daß bei Durchsuchung der Staatsarchive und bei Umschau in den Städten nichts über die Postmeilensäulen aufgefunden worden sei. –
Alles in allen kann man annehmen, daß auf Grund der augusteischen Befehle vor zwei Jahrhunderten etwa hundert solcher Distanzsäulen in sächsischen Landen aufgestellt worden sind und den ersten bescheidenen Schritt dazu gebildet haben, die mittelalterlichen Verkehrsverhältnisse in Deutschland etwas zu bessern. Bei allem Widerstand, den die verarmten Gemeinden der Sache lediglich aus finanziellen Gründen entgegensetzten, darf man den großen und bleibenden Nutzen für die Allgemeinheit nicht verkennen. Heutigentags bedeutet die sorgsame Erhaltung der Obelisken und ihrer Inschriften zwar lediglich einen Akt kulturhistorischer Pietät, bis zum völligen Ausbau des Eisenbahnnetzes nach 1870 besaßen jedoch ihre[80] dutzendfältigen Entfernungsangaben in Wegstunden oder Meilen allerwärts auch noch praktische Bedeutung. Der Verfasser der Jubiläumsschrift für 1821 bringt diesen Gedanken in folgender Weise zum Ausdruck:
»Wer oft genug Reisende aus dem Auslande an diesen wohltätigen Straßensäulen weilen, die Ortsentfernungen lesen und fröhlich in ihre Schreibtafeln eintragen sah, der freute sich gewiß recht patriotisch dieser ehezeitlichen Veranstaltungen und ihres Nutzens für die gesamte Klasse von Pilgrimen, die ihrer Heimat entfremdet, jeder freundlichen, auch stummen Zurechtweisung bedürftig sind.«
Während dieser verbliebene Teil der Distanzsäulen uns mit seinen fünfzig bis sechzig Stücken immerhin noch ein anschauliches Bild der Vergangenheit vermittelt, ist die Zerstörung der Meilenzeichen an den Landstraßen bis auf einige klägliche Trümmer vorgeschritten. Von den vielen, vielen Hunderten kleiner Kunstwerke, die früher den Wanderer in regelmäßigem Wechsel schon fernher sein Fortschreiten[81] ankündigten, steht nicht einmal mehr ein volles Dutzend am alten Fleck und selbst diese wenigen Reste sind teilweise zertrümmert oder grob beschädigt.
Sieht man sich nach den Urhebern dieses Zerstörungswerkes um oder forscht man nach den Beweggründen, so fehlt es zwar an sicheren Angaben und Beweisen, ein Blick auf die Karte sagt aber mehr, wie jede wörtliche Anklage. Überall da,[82] wo der neuere Staatsstraßenbau den alten Postwegen genau folgte, ist jede Spur der Zürnerschen Meileneinteilung restlos verschwunden und nur die nüchterne, moderne Wegmarke nach Meilen- oder Kilometersystem vorhanden. Anderseits begegnen wir den wenigen verbliebenen Meilensäulen aus augusteischer Zeit gerade an denjenigen alten Postlinien, mit denen sich der ingenieurmäßige Straßenbau bisher nie zu befassen hatte, weil der Verkehr frühzeitig nach geeigneteren Wegen abgeschwenkt war.
Leider ist dieser zweite Fall aber bei weitem der seltenere, denn in den ebenen Teilen der alten Kurlande hat sich die Verbindung von Ort zu Ort natürlich ebenso sehr an die altgewohnten gradlinigen Straßenzüge gehalten, wie im Gebirge, wo die Geländegestalt für die Nahverbindungen auch nicht viel Auswahl bietet. Infolgedessen sind eigentlich nur wirkliche Fernverbindungen, wie die Leipzig-Dresdner oder die Dresden-Prager Handelsstraßen mehrfach über andere Postorte geleitet und dadurch verschoben worden.
So hat der alte Postgang zwischen Leipzig und der Elbe bei Schieritz-Meißen zwischen der nördlichen Linie über Wurzen-Oschatz und einer südlichen über Grimma zeitweilig auch zwischenliegende Verbindungsstrecken benutzt. Infolgedessen findet sich die allereinzige Halbmeilensäule, die überhaupt unbeschädigt auf unsere Tage gekommen ist und wohl augenscheinlich am ursprünglichen Platze steht, mitten im Wermsdorfer Forstrevier an einem alten längst verwachsenen Waldwege.
Der Prager Handelsweg dagegen folgte südlich von Dohna den dörflichen Verbindungswegen über die Höhen, während die neuere Kunststraße auf der Sohle des Müglitztales mit all dessen Windungen, aber ohne verlorene Steigung, zur Paßhöhe am Mückentürmchen hinaufführt.
Die wenigen Meilenobelisken und Viertelmeilsteine sind ganz vereinzelt im Lande zu suchen. Einige, wie z. B. die Platten von Klaffenbach, Dohna und Dippoldiswalde dürften an ihren jetzigen Platz verschleppt worden sein, denn durch den oberen Ortsteil von Klaffenbach bei Chemnitz ist überhaupt keine Poststraße gelaufen und bei den beiden erzgebirgischen Städtchen zeigt der Oberreitsche Landesatlas die Meßpunkte der Meilenviertel an ganz anderen Stellen.
Auch sonst steht nur ein einziger Stein von allen an einer ausgebauten Kunststraße, und diese Viertelmeilplatte von Steinbach bei Johanngeorgenstadt habe ich selber im Frühjahr 1914 vom Schotterhaufen gerettet.
Auf eine Kette von nicht weniger als fünf guterhaltenen Stücken stoßen wir schließlich an der einstigen Prager Poststraße, die über die erzgebirgischen Höhenrücken von Dohna nach Börnersdorf verlief und gegenwärtig nur noch der Verbindung von Dorf zu Dorf dient. Dem ausgebesserten Viertelsteine in Dohna folgt ein Meilenobelisk bei Köttwitz (vgl. Abb. 4.) Dann treffen wir in richtigen Abständen auf zwei weitere Viertelmarken in Börnersdorf und am Haarthewald (vgl. Abb. 5), sowie nochmals auf die ganze Meile bei Breitenau. Zu diesem Straßensystem hat noch ein Halbmeilenstein nordöstlich der Fürstenwalder Kirche gezählt. Einige Sandsteinstücke, die ich dort im Jahre 1912 am westlichen Straßenrand vorfand, mögen davon herstammen. Im Abstand einer weiteren Viertelmeile beim Haferfeldwald zeigt der Oberreitsche Atlas (Blatt Altenberg) kurz vor der[83] Landesgrenze nochmals einen Viertelmeilenstein; es ist mir bisher aber nicht gelungen, seinen Verbleib zu ermitteln.
Auch ohne dieses siebente Stück gestattet das Beispiel dieser alten Bergstraße, zusammen mit dem sonstigen Befund inner- und außerhalb Sachsens jedoch zwei ziemlich sichere Schlußfolgerungen: die Meilensteine aller drei Größen haben inner- und außerhalb der Ortschaften von der Bevölkerung sicherlich nichts zu leiden gehabt, sondern sind hie und da, wie Einzäunungen, Blumenschmuck und Ausbesserungen z. B. in Ballendorf, Crandorf und Börnersdorf zeigen, sogar auch ohne staatliche Mitwirkung und ohne Belehrung durch den Heimatschutz gepflegt worden. Die vorhandenen Lücken dürften also wohl zumeist dem natürlichen Verfall und der ungenügenden Gründung der hochragenden Formen zuzuschreiben sein. Ihre vollständige Vernichtung im Bereich späterer Kunststraßen ist dagegen wohl ausschließlich auf die Bauleiter aller Grade zurückzuführen. Wenn diese irgendwo und irgendwann einmal soviel geschichtlichen Sinn oder künstlerische Erkenntnis aufgebracht hätten, um den Wert der alten Postzeichen zu ermessen, dann müßten die kleinen Merksteine ja gerade an den von Staats wegen ausgebauten Kunststraßen besonders sorgsam behandelt worden sein. Unter all den Hunderten zeugt aber nicht ein einziges Beispiel für solche Überlegung. Unser sächsisches Landschaftsbild, das beim Fehlen katholischer Andachtszeichen ohnehin manchen poetischen Anklang entbehrt, ist also im Laufe des vorigen Jahrhunderts durch diesen beispiellosen Unverstand der Staatsbeamten noch der einzigen Werke von Straßenkunst beraubt worden.
Über die einstige Zahl und die Verbreitung der Meilenzeichen vermögen wir uns heutzutage fast noch schwerer ein Bild zu machen als bei den großen Stadtsäulen.
August der Starke hatte von vornherein den Wunsch, alle Poststraßen damit auszustatten. Die Akten enthalten jedoch kein Verzeichnis der zu behandelnden Straßen und schweigen sich merkwürdigerweise auch darüber aus, welche Verbindungswege um 1822 überhaupt als Poststraßen angesehen wurden. So finden wir denn manche Landstraße im Aktenheft der Nachbarstadt aufgenommen, z. B. bei Grünhayn, oder es wurde ein besonderes Schriftstück für den Bezirk angelegt, z. B. Dippoldiswalde Stadt und Amt. Ein vollständiges Verzeichnis der ganzen, halben und Viertelmeilenzeichen geben die Akten mit genauer Ortsbezeichnung für die Straße von Lützen bis zum Leipziger Peterstor. Bei Pätzold finden wir weitere acht Hauptstraßen mit ihrer genauen Besetzung aufgezählt.
Aus dem Schriftwechsel mit Zürner, aus den von ihm aufgestellten Tabellen oder aus Besichtigungsergebnissen, über die manche Akten berichten, ersehen wir dann, daß die Straßensäulen bei den Vorbereitungsarbeiten numeriert wurden. Nach welchen Grundsätzen dabei verfahren wurde, ist nicht ersichtlich, denn an der Straße von Chemnitz über Annaberg nach Karlsbad wird in dem Grünhayner Faszikel ein Meilenzeichen Nr. 52, sowie an der Straße Schneeberg-Annaberg ein solches mit Nr. 57 erwähnt, obwohl keine dieser kurzen Entfernungen mit solchen Mengen zu rechnen braucht.
Auf die Vollständigkeit dieser handschriftlichen Unterlagen ist also kein Verlaß. Leichter dürfte aus den neunhundert Karten und Plänen, die Zürner während seiner Straßenvermessung gezeichnet hat, ein Überblick zu gewinnen sein. Aber[86] auch diese sprechen höchstens für die Absicht und beweisen nicht allzuviel für die wirkliche Aufstellung. Seltsamerweise gibt die große Zürnersche Postcharte von 1730 an den besonders kenntlich gemachten Postrouten nicht eine einzige Distanz- oder Meilensäule wieder, wohl aber finden wir sie kurz vorher bei Schramm als Titelkupfer auf einem Dresdner Festungsplan. Spätere Kartenwerke bieten trotz ihrer Lückenhaftigkeit eher einen Anhalt. Auf den fünfzehn Hauptblättern des Oberreitschen Atlasses z. B. ist der Bestand nach hundert Jahren teilweise eingetragen. Grundsätzlich fehlen auch hier sämtliche Distanzsäulen im Bereich der Städte. Ferner erscheinen ganze Straßenzüge, an denen sich noch heute Meilenzeichen finden, ohne diese, und bei denjenigen Landstraßen, an denen die Vermessung durch die Bezeichnung ¼ M., ½ M., 1/1 M. oder ¼ St., ½ St., 1/1 St. an sich mit auf der Karte vermerkt wurde, ist ihre Reihe doch höchst lückenhaft. Wenn dieser Mangel sich einerseits durch eingetretene Verluste erklärt, bleibt anderseits die zwiefache kartographische Behandlung der ganzen Sache ziemlich unverständlich. So sind manche Provinzstraßen, z. B. Löbau-Neugersdorf, mit sechs entsprechenden Meilenabschnitten genau bedacht, während der wichtigste Handels- und Reiseweg Leipzig-Dresden auf dem Blatt Oschatz kein einziges Postzeichen erwähnt. Erklärlich wird der Unterschied aber dann, wenn man die Entstehungsjahre der einzelnen Oberreitschen Kartenblätter beachtet. Bis 1840 sind die Meilenzeichen durchgängig aufgenommen; sie fehlen dagegen vollständig auf den späteren Ausgaben. So weist das Blatt Dresden von 1830 noch über sechzig Stück nach, während Leipzig von 1839 bereits nicht ein einziges enthält. Auch hierdurch wird die frühere Behauptung erwiesen, daß der Kunststraßenbau mit der Zerstörung zusammenhängt, denn dort war eben schon die alte Poststraße durch den staatlichen Chausseebau ersetzt und die Herren Straßenbauer hatten in der Natur draußen mit den alten Steinen gründlich aufgeräumt. Auf Blatt Zwickau von 1850 sucht man gleichfalls fast vergeblich, wogegen das benachbarte Blatt Chemnitz von 1830 an den Straßen bei Marienberg, Schlettau, Annaberg, Wolkenstein, Lengefeld, Reifland und Freyberg die Vermessungszeichen noch sehr reichlich und vollständig aufweist.
Der gegenwärtige Bestand legt uns trotz seiner Dürftigkeit noch ungelöste Fragen vor. So z. B. kann man sich selbst unter Zuhilfenahme alter Verkehrskarten und Kursbücher nicht erklären, wie das Dörfchen Ballendorf zwischen Grimma und Lausigk zu einer Meilensäule gekommen ist, die dort heute in einem Obstgarten am Nebenwege südlich der Kirche steht. Sie macht äußerlich durch ihre unbeschädigten Formen durchaus den Eindruck, als habe sie stets hier gestanden.
Nach alledem bleibt man also auch für die Meilensteine an den Straßen nur darauf angewiesen, aus dem unvollständigen und unsicheren Bild, das die Akten, die älteren Kartenwerke und die verbliebenen Reste gemeinschaftlich zu bieten vermögen, sich selbst durch freie Schätzung einen Begriff von der einstigen Gesamtzahl zu machen. Dabei erscheint es wohl nicht zu hochgegriffen, wenn man innerhalb Sachsens zu der angenommenen Zahl von neunzig Distanzsäulen das zehnfache an Meilenzeichen rechnet. Ob dieses Verhältnis auch außerhalb das richtige ist, erscheint mir trotz der größeren Entfernungen zweifelhaft. Einmal war das Straßennetz dort nicht[87] so dicht als im Stammlande, und zweitens dürfte die Bezeichnung infolge Steinmangels wohl gar nicht viel ausgebaut worden sein. Im ganzen weiten Norden ist nämlich meines Wissens neben den Distanzsäulen nicht eine Meilen- und nicht eine Halbmeilensäule, sondern nur ein schwerbeschädigter Viertelstein in Rüdingsdorf, Kreis Luckau, erhalten; er trägt nur den Namenszug August des Starken und keine Jahreszahl. –
Der allgemeine Zweck dieser kursächsischen Postzeichen hätte es wohl nahegelegt, in Verbindung mit dieser Schilderung auf einer eignen Karte die alten Postkurse sowie den einstigen und den heutigen Bestand der Steinmäler darzustellen. Abgesehen vom Kostenaufwand verspricht jedoch eine solche Übersicht keinerlei Vollständigkeit und noch viel weniger ein wirkliches Verkehrsbild. Zur Ergänzung der textlichen Darstellung mögen infolgedessen die beigegebenen tabellarischen Verzeichnisse dienen. Da sie keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, so wird jede Nachricht über den Verbleib eines Postzeichens, das hier noch nicht aufgeführt ist, dankbar entgegengenommen.
Über eine ganze Reihe von Postzeichen, die nachweislich einst vorhanden gewesen, aber im Laufe der beiden Jahrhunderte verschwunden sind, finden sich in den Zürnerschen Akten, in alten Stadtrechnungen oder auf Kupferstichen und Gemälden verschiedene Anhaltepunkte. Zur Ergänzung der Bestandslisten A, a, b, c sei deshalb eine Reihe von ihnen hier mit angeführt.
In Dresden haben nach der Titelkarte bei Schramm von 1726 vier Distanzsäulen vor dem Festungsring an der Leipziger, Bautzner, Pirnaer und Wilsdruffer Landstraße gestanden. Sie sind ebenso wie die anschließenden Meilensäulen seit langem spurlos verschwunden.
Zur Nachsuche wegen einer Meilensäule hat der Dresdner Rat im Sommer 1919 Gelegenheit gegeben. Ein Rohrmeister des städtischen Gaswerks glaubte sich zu erinnern, bei Ausschachtungsarbeiten im Straßenkörper der Bodenbacher Straße zwischen Landgraben und Liebstädter Straße etwa ein Meter tief eine gut erhaltene Meilensäule mit Posthorn und Entfernungsangaben gesehen zu haben. Nachgrabungen, die an mehreren von ihm bezeichneten Stellen vorgenommen wurden, haben jedoch keinen Erfolg gehabt[2].
Das Peterstor, Hallesche und Ranstädter Tor in Leipzig ist seit 1724 mit je einer, und das Grimmaische Tor mit zwei Distanzsäulen ausgestattet gewesen. Als Verfertiger werden die Steinmetzen Johann Adam Hamm, Gottlieb Kretschmar und Peter Hennicke genannt[3]. Der Stadtplan von 1749 zeigt die entsprechenden Plätze. Die Säule vor dem Peterstor finden wir auf einem Bilde der Esplanade, jetzt Königsplatz, in dem Werk Saxonia, Museum für Sächsische Vaterlandskunde von Dr. Sommer, Dresden 1835, Band IV, Seite 61.
Vier große Säulen hat seit 1724 ferner die Stadt Zwickau besessen und noch im Jahre 1845 wird die eine vor dem Tränktor an der Paradiesbrücke und[88] eine zweite vorm Frauentor an der heutigen Bahnhofstraße bezeugt[4]. Heute fehlt dagegen auch von ihnen jede Spur.
Gleichfalls im Jahre 1724 hat die Stadt Oschatz vor dem Brüder-, Altoschatzer und Hospitaltore Distanzsäulen gesetzt und die Kosten durch Anlagen aufgebracht[5]. Auch hier ist keiner der drei Obelisken erhalten. Dagegen zeigt das Denkmal vor der Hauptwache am Markt meiner Erinnerung nach genau die gleichen Formen und Abmessungen der Distanzsäulen, so daß man wohl auf die Vermutung kommen kann, hier sei eines der alten Stücke in aufgearbeiteter Gestalt später einem andern Zwecke dienstbar gemacht worden.
Über einen heftigen Streit zwischen Zürner und dem Stadtrat wegen der Distanzsäule, lesen wir im Aktenstück und im Stadtarchiv von Wurzen. Die Distanzsäule auf dem Rondell ist tatsächlich bis 1892 vorhanden gewesen[6].
Neben den vielen Städten und Städtchen hatte August der Starke auch den beiden Klöstern Marienstern bei Kamenz und Mariental bei Ostritz aufgegeben, eine Distanzsäule vor ihre Einfahrt zu setzen, damit sie sich durch dies künstlerische Schmuckstück von den ärmlichen Dörfern unterscheiden möchten. Auf meine Anfrage hat man kürzlich liebenswürdigerweise in den Klosterarchiven nachgesucht, aber an keiner der beiden Stellen einen Anhalt dafür gefunden, ob eine solche Distanzsäule wirklich gesetzt worden oder wie die Sache sonst ausgegangen ist.
Etwas rätselhaft mutet dem Forscher die Tatsache an, daß das kleine Dörfchen Krakau bei Königsbrück sich einer wohlerhaltenen Distanzsäule (vgl. Abb. 7) erfreut. Dort geht selbst heute noch keine größere Straße vorüber und nur die Erinnerung an die polnischen Reisen, die den Kurfürsten über die Gräflich Brühlschen Besitzungen nordwärts von Dresden führten, lassen vielleicht sein besonderes Interesse an diesem Zwischengelände erklärlich erscheinen.
Einem sonderbaren Schicksal war schließlich die Distanzsäule von Wilsdruff verfallen (vgl. Abb. 8). Der Straßenbaufiskus hat sie 1860 an ihrem Platz auf dem Markte weggenommen und für 60 Taler an den Rittergutsbesitzer auf Nieder-Reinsberg bei Nossen, Herrn von Schönberg, verkauft. Sie ist seitdem auf einem Hügel mitten in dem Rittergutsflur aufgestellt und hat augenscheinlich durch die Witterung viel gelitten. Im Jahre 1919 erinnerte sich die Stadt ihres alten Besitzstückes; die heutige Rittergutsherrschaft der Schönberg war auch entgegenkommenderweise zu kostenloser Rückgabe bereit, dagegen konnte dem Stadtsäckel in unsern schweren Zeiten der verhältnismäßig hohe Aufwand für Beförderung und Neuaufstellung nicht zugemutet werden. Die alte verwitterte Säule, die in ihrem Gefüge vielleicht durch den Abbruch noch mehr gelitten haben würde, verbleibt also an ihrem Platz auf einsamem Felde.
Einer irrtümlichen Anschauung von den Postzeichen dürfte die Erwähnung einer Meilensäule im Dresdner Vorort Kaditz entspringen, die bis 1903 an der Ecke der Radebeuler und Dresdner Straße gestanden haben soll[7]. Wahrscheinlich[89] hat es sich hier nur um einen der meterhohen Wegweisersteine gehandelt, die auch anderwärts an Kunststraßen vorkommen, denn die augusteische Poststraße hat das Dorf seiner Zeit gar nicht berührt und nach der Titelkarte in Schramms Schilderung von 1724 ist die Entfernung östlich von Kaditz richtigerweise mit einer Halbmeilensäule bezeichnet.
Fälschlicherweise werden zur Straßenbezeichnung Augusts des Starken in der Literatur mehrfach auch die Säulen von Altdöbern und Lübben in der Mark gerechnet. Die erstere zeigt eine durchaus abweichende Gestalt ohne das sächsisch-polnische Wappen und die andere ist laut Inschrift bereits 1720 auf Veranlassung des Herzogs Moritz Wilhelm von Merseburg errichtet worden.
Aufklärung war mir bisher nicht möglich für zwei Meilenzeichen, von denen das eine an der Straße von Neustadt (Sa.) nach Rumburg (Böhmen) etwa zwanzig Minuten von Langburkersdorf entfernt stehen und das andere an der Straße von Hartmannsgrün i. V. nach Waldkirchen vorhanden gewesen sein soll.
Ein schlanker Obelisk wurde mir ferner an der Kunststraße Freiberg-Großhartmannsdorf in der Nähe des Freiwaldes westlich der Straße beim Wasser gemeldet, ohne daß ich bisher Näheres feststellen konnte.
Unaufgeklärt mußte ich schließlich auch die Frage einer Meilensäule an der Chemnitz-Zschopauer Kunststraße beim Dorfe Gornau lassen. In der Zeitschrift Das Automobilwesen, 1905, Seite 834, fand ich auf einem photographischen Bildnis des Rennfahrers Oskar Günther, das ihn im Kraftwagen bei Gornau zeigt, eine Meilensäule zufällig am Straßenrand mit aufgenommen. Durch briefliche Mitteilung zweier Herren, die durch meine früheren Veröffentlichungen auf die Postzeichen aufmerksam geworden waren, erhielt ich die Säule noch doppelt bestätigt. Sie soll auf »Altenhainer Flur« »am Straßenkreuz nach Weißbach und Dittersdorf«, nach anderer Meldung »im Walde zwischen Gornau und Chemnitz« stehen. Demgegenüber hat mir im Sommer 1919 der Ortspfleger des Heimatschutzes, den ich um Bestätigung und nähere Angaben ersuchte, geschrieben, daß dort keine Säule zu finden sei. Auch von der Amtshauptmannschaft ist auf eine allgemeine Rundfrage vom Jahre 1917 nichts davon erwähnt worden. Der Oberreitsche Atlas, Blatt Chemnitz, zeigt 1835 eine Säule in der Gegend, so daß sie entweder erst nach der photographischen Aufnahme des Automobils zerstört worden ist oder vielleicht doch noch unbeachtet am Platze steht.
Um die Erhaltung der Postsäulen bemühen sich heutzutage in erster Linie die staatlichen Stellen für Denkmalpflege und der Landesverein Sächsischer Heimatschutz; das große Inventarisationswerk von Steche und Gurlitt, dessen zahlreiche Bände um die Jahrhundertwende erschienen, führt bereits eine Anzahl der Postzeichen mit auf, und die Mitteilungen des Landesvereins und der Sächsischen Volkskunde haben mehrfach ergänzende Bemerkungen gebracht.
Neben dieser allgemeinen Fürsorge hat aber erfreulicherweise an vielen Orten auch das Interesse der Bewohnerschaft sich dem Einzelstück zugewendet. In und[90] außerhalb Sachsens sind seit altersher besonders die wappengezierten Distanzobelisken als besonderer Kunstbesitz gepflegt und nach Art eines Denkmals mit Promenadenanlagen oder architektonischer Umgebung in Verbindung gebracht worden. Gerade kleine Städtchen, wie zum Beispiel Bärenstein bei Glashütte oder Wittichenau im Preußischen, die über keine anderen Kunstwerke an der Straße verfügen, haben sich des eigenartigen Erbstücks aus Sachsens Vorzeit mit doppelter Fürsorge angenommen.
Manche Säule hat dabei infolge von Straßenregulierungen einen andern Platz erhalten und ist sorgsam wieder aufgestellt worden. So ist der Radeburger Distanzobelisk vom Markt an die Friedhofstraße versetzt worden und diejenigen von Frohburg, Mügeln und Pirna stehen sogar schon am dritten Platz. Eine weitere Distanzsäule, die wir in Pirna am Elbtor auf dem großen Gemälde Canalettos (Nr. 627 der Dresdner Staatsgalerie) abgebildet finden, ist dagegen spurlos verschwunden.
Abgesehen von kleinen Ausbesserungen beobachten wir auch Ergänzungen zerbrochener Steine, zum Beispiel in Neustadt an der Distanzsäule oder am Viertelmeilenstein von Dohna. An anderer Stelle, wie in Dippoldiswalde und Klaffenbach, ist die Platte eines Viertelmeilensteines und im Zeithainer Truppenlager kürzlich das Hauptstück einer Halbmeilensäule ohne neuere Zutat aufgestellt worden (Abb. 6). Zufällig erfuhr ich, daß ein Denkstein mit Posthorn und Namenszug A. R., auf den im übrigen die Beschreibung der Halbmeilensäule paßte, weit draußen an der früheren Kröbelner Straße auf dem Truppenübungsplatz liege; noch vor den Revolutionswirren gelang es durch Briefwechsel mit der Kommandantur das seltene Stück ausfindig zu machen und im Lager zu bergen. Es wurde später an der Planitzstraße im Kiefernwald von neuem aufgestellt und bildet mit dem besser erhaltenen Wermsdorfer Stück den einzigen Rest dieser hermenartigen Halbmeilensteine.
Eine Erneuerung des farbigen Anstrichs oder eine Bemalung und Vergoldung der gekrönten Wappenschilder haben viele Distanzsäulen erhalten; besonders eigenartig nimmt sich das bunte Wappenstück dann an den roten Porphyrsteinen der Rochlitzer Gegend aus.
Nicht alle solche späteren Eingriffe zeugen von wirklicher Sachkunde. So wurden beispielsweise die beiden Freiberger und die Altenberger Distanzsäulen zweifellos durch nachträgliche Einmeißelungen verunstaltet, während die langen Listen der alten Ortsentfernungen, die anderwärts noch völlig lesbar dastehen, hier wohl teilweise geglättet wurden. Das staatliche Denkmalpflegamt sucht deshalb heute solche willkürliche Veränderungen zu verhindern und bei geplanten Erneuerungsarbeiten durch sachverständigen Rat mitzuwirken.
Auch diese literarische Zusammenstellung, die sich neben archivalischen Studien auf jahrelange Wanderfahrten und persönliche Besichtigungen stützt und zur Anlegung einer photographischen Bildersammlung führte, möge dazu beitragen, das Interesse an dem zweihundertjährigen Kunstbesitz unsrer engeren Heimat zu verbreiten und diesen eigenartigen Denksteinen einer glanzvollen Fürstenzeit noch einen recht langen Bestand zu sichern.
[91]
1. Altenberg [1722], an der Hauptstraße, gegenüber dem alten Amtshof. Sächsische Volkskunde 1902, S. 256. Schmidt, Kursächsische Streifzüge, Band IV, S. 301.
2. Bärenstein [1734], bei Glashütte am Markt. Literatur wie bei Nr. 1.
3. Berggießhübel [1727], am Straßenkreuz. Sächsische Volkskunde 1902, S. 312.
4. Dohna [1731], an der Lesche- und Antonstraße. Sächsische Volkskunde 1902, S. 312. Über Berg und Tal, Band VII, 1902 bis 1905, S. 125 und S. 131 (vollständige Inschrift).
5. Elstra. Gurlitt, S. 40. Bruchstück mit wohlerhaltenem Wappen, vorläufig im Rathaus aufbewahrt.
6. Elterlein [1729], an der Gabelung der Zwönitzer und Grünhainer Straße, westlich des Marktes.
7. Freiberg I [1723]. Einmündung der Annaberger und Chemnitzer Straße. Literatur wie bei Nr. 1 und 3.
8. Freiberg II [1723], an der Hauptpost.
9. Frohburg [1722]. Ursprünglich auf dem Markt, dann auf dem Bismarckplatz, jetzt am Stadteingang vom Bahnhof her.
10. Geithain I [1727], an der Hauptstraße im Ostteil der Stadt. Rochlitzer Porphyr.
11. Geithain II [1727], am Westausgang an der Straßengabel Borna-Frohburg. Rochlitzer Porphyr.
12. Geringswalde [1727], am Westrand des Teiches. Rochlitzer Porphyr.
13. Geyer [1730], am Markt.
14. Glashütte, am Straßenkreuz beim Bahnhof. Literatur wie bei Nr. 3.
15. Gottleuba [1731], auf dem Markt. Literatur wie bei Nr. 3.
16. Hilbersdorf-Chemnitz, an der Frankenberger Straße.
17. Johanngeorgenstadt, auf dem Markt.
17 a. Jöhstadt, auf dem Markt. Abbildung in Mitteilungen des Sächsischer Heimatschutz, 1922, Heft 1–3, S. 54.
18. Kamenz [1725], über dem Eisenbahntunnel. Literatur wie bei Nr. 1. Abbildung in Sachsenkalender 1922, am 9. Februar.
19. Königstein, an der Dresdner Straße. 1921 neu bemalt. Über Berg und Tal, Band VII, S. 174.
20. Krakau [1732] bei Königsbrück, auf Zürners Karten Cracau. Mitten im Dorf am Gasthaus zum grünen Baum.
21. Leisnig [1723], auf dem Lindenplatz. Rochlitzer Porphyr. Gurlitt, Heft 25, S. 152. Sächsische Volkskunde 1903, Heft 2, S. 63.
22. Lichtenwalde bei Chemnitz I.
23. Lichtenwalde II, beiderseits der Schloßeinfahrt.
24. Marienberg, vor dem Zschopauer Tore. Sächsische Volkskunde 1902, S. 288; Müller im Archiv für Post und Telegraphie 1909.
25. Moritzburg I [1730]. Abbildung in Mitteilungen Sächsischer Heimatschutz, 1922, Heft 1–3, S. 33.
26. Moritzburg II [1730], beiderseits der Schloßeinfahrt am Teiche.
27. Mügeln. Früher im Ratskellergarten hinter dem Deutschen Haus. Seit 1895 an der Leisniger Straße und Schützenwiese.
28. Neustadt [1729], auf dem Promenadenplatz am Bahnhof. Spitze ist ergänzt. Sächsische Volkskunde 1902, S. 312.
29. Nieder-Reinsberg bei Nossen. Nördlich auf der Steinrücke, mitten im Felde. Früher auf dem Markt von Wilsdruff. Am 25. 1. 1864 von der Kgl. Straßenkommission an Rittergutsbesitzer von Schönberg verkauft. 1920 scheiterten Verhandlungen beim Stadtrat zu Wilsdruff wegen der Wiederaufstellung an der Kostenfrage, obwohl der Besitzer die Säule kostenlos zurückgeben wollte.
30. Oberwiesenthal [1730], auf dem Markt. Sächsische Volkskunde 1902, S. 288.
31. Olbernhau, Literatur wie bei Nr. 29.
32. Penig, an der Chemnitzer Straße. Rochlitzer Porphyr.
33. Pirna [1722], früher Breite Straße, jetzt Reitbahnstraße. Sächsische Volkskunde 1902, S. 256 und 312.
34. Pulsnitz [1725], am Wettinplatz. Literatur wie bei Nr. 28; Störzner: Was die Heimat erzählt. Leipzig 1905. (Vollständige Inschrift).
35. Radeburg [1728], früher am Markt. Jetzt am Straßenkreuz östlich des Friedhofs. Literatur wie bei Nr. 28.
36. Reinsberg bei Nossen, an der Straße nach Krummhennersdorf.
37. Rochlitz, an der Schloßstraße. Rochlitzer Porphyr. Mit großem sächsischen Rautenwappen.
38. Strehla, beim Nordausgang der Stadt, an der Paußnitzer Straße.
39. Zwönitz [1727], am Markt. Aus Greifensteiner Granit und Chemnitzer Sandstein. 1787 und 1884 erneuert. Unsere Heimat 1903 bis 1904, S. 157; Glück auf 1884, Heft 12, S. 180.
40. Amtitz [1732] bei Guben. Ledât im Archiv für Post und Telegraphie, Band 40, S. 399.
41. Belgern [1730] an der Elbe, am Markt gegenüber der Rolandfigur. Sandstein. Literatur wie bei Nr. 40.
42. Belzig [1725] (Mark). Literatur wie bei Nr. 40.
43. Brück [1730] (Mark). Literatur wie bei Nr. 40.
44. Delitzsch [1730], am Roßplatz. Ungewöhnlich hoher schlanker Obelisk. Literatur wie bei Nr. 40.
45. Elsterwerda [1738], an der Kirche. Literatur wie bei Nr. 40; Schmidt: Kursächsische Streifzüge Band IV, S. 301.
46. Golßen bei Lübben. Rochlitzer Porphyr. Sächsische Volkskunde 1903, S. 96.
47. Görlitz [1725], auf dem Töpferberg. Schlesische Heimatblätter, S. 403.
48. Guben.
49. Hoyerswerda [1730], früher auf dem Markt, jetzt in der Promenade an der Bahnhofstraße als Bismarcksäule bezeichnet. Literatur wie bei Nr. 47.
50. Kirchhain [1736], an der Hauptstraße beim Südeingang. Literatur wie bei Nr. 40.
51. Lauban [1725], am Amtsgericht. 1872 ausgebessert. Sandstein. Literatur wie bei Nr. 40 und 47.
52. Liebenau bei Frankfurt an der Oder.
53. Lieberose [1735], vor dem Mühlentor. Literatur wie bei Nr. 40.
54. Lübbenau [1740], an der Vorstadt Hauptstraße. Sandstein. Ortsnamen ohne Entfernungsangaben. Literatur wie bei Nr. 40. Schmidt: Kursächsische Streifzüge, Band II, S. 92.
55. Mühlberg [1730] an der Elbe, an der Straße nach Burxdorf. Literatur wie bei Nr. 40.
56. Niemegk [1736] bei Potsdam. Literatur wie bei Nr. 40.
57. Ullersdorf am Queis. Literatur wie bei Nr. 40.
58. Wittichenau [1732], auf dem Marktplatz. Literatur wie bei Nr. 40. Schlesische Heimatblätter, S. 404. Vollständige Inschriften.
59. Ballendorf [1722] bei Bad Lausigk, Meilenobelisk, an der Nebenstraße südlich der Kirche im Obstgarten. Sandstein.
60. Bischofswerda, Mittelstück mit Ortsangaben einer Distanzsäule von 1724. Im Hermannstift aufbewahrt.
61. Börnersdorf [1732], Viertelmeilenstein. An der Dorfstraße. Sächsische Volkskunde 1902, S. 312.
62. Breitenau [1732], Meilenobelisk. 400 Meter südlich des Ortes an der Straße nach Fürstenwalde. Literatur wie bei Nr. 61.
63. Breitenau [1732], Viertelmeilenstein. Am Nordeingang des Haarthewalds an der Straße nach Fürstenwalde.
64. Crandorf [1725] bei Schwarzenberg. Meilenobelisk. An der Straße nach Erla. Nördlich der Kirche. Inschrift: Schwarzenberg-Grünhain 2 St. Stollberg 5 St. ¾. 1725. Posthorn.
65. Dippoldiswalde, Viertelmeilenstein an der Altenberger Straße. Wahrscheinlich verschleppt, da der Oberreitsche Atlas östlich bei der Stadt eine Halbstundensäule zeigt. Literatur wie bei Nr. 61.
66. Dohna, Viertelmeilenstein. An der Weesensteiner Straße, nach 1910 neu aufgestellt und ergänzt.
67. Klaffenbach [1723], Viertelmeilenstein, Bruchstück. Die Platte ist neben dem als Bonifaziuskreuz bezeichneten Sühnekreuz niedergelegt. Sie ist sicherlich verschleppt.
68. Köttewitz [1730], Meilenobelisk an der Straße Köttewitz–Eulmühle. Inschrift: Nach Töplitz 8½ St. 1730 Posthorn Dresden 4 St. Literatur: Sächsische Volkskunde 1902, S. 312 bis 315; Ruge in Über Berg und Tal, Band VII, 1902 bis 1905, S. 131.
69. Oberwiesenthal, Meilenobelisk, Oberteil zweieinhalb Meter lang ohne Sockel. An der alten Straße zum neuen Haus, hundert Meter unterhalb der neuen Kunststraße.
70. Reichenbach i. V. [1725], Meilenobelisk. An der alten Poststraße von Schneeberg und Kirchberg, jetzt Feldweg. Akten I des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz über alte Steinkreuze. Abbildung in Mitteilungen des Sächsischen Heimatschutz, 1922, Heft 1–3, S. 34.
71. Reifland [1723], Meilenobelisk an der Straße zum Eisenbahn-Haltepunkt Rauenstein-Lengefeld, beim ersten Gut. Inschrift: 3 St. 3/8 n. Wolkenstein 5 St. 3/8 n. Freyberg 6 St. n. Annaberg.
72. Reitzenhain, Viertelmeilenstein. Sächsische Volkskunde 1902, S. 288.
73. Röhrsdorf bei Chemnitz. Viertelmeilenstein an der Wasserschänke.
74. Rüdingsdorf, Provinz Sachsen, Kreis Luckau. Viertelmeilenstein, Bruchstück an der Kunststraße. Photographie des Landratsamts Nr. 878 von 1919.
75. Schwoosdorf, Viertelmeilenstein. Bruchstück an der alten Poststraße Kamenz-Königsbrück am Berghang kurz vor Schwoosdorf. Gurlitt, S. 329.
76. Steinbach [1725], Viertelmeilenstein. Bruchstück. Sandstein. An der Kunststraße Eibenstock-Johanngeorgenstadt, am Wegkreuz bei Kilometer 29,4. Beim Straßenbau 1914 neu aufgestellt.
77. Wermsdorfer Staats-Forstrevier, Halbmeilensäule (einziges unbeschädigtes Stück, das obendrein noch am alten Platz der früheren Poststraße steht). Auf Forstabt. 10.
78. Wermsdorfer Staats-Forstrevier, Viertelmeilenstein. Akten des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz, betreffs Kulturdenkmäler. Auf Forstabt. 25.
79. Zeithainer Truppenübungsplatz [1722], Halbmeilensäule. Bruchstück aus Sandstein. Früher auf dem Artillerieschießplatz beim zerstörten Dorfe Gohrisch, fünfzig Meter nördlich des Wegkreuzes der Kröbelner Straße. 1919 durch den Kommandant, Major Kruse, an der Planitzstraße vor dem alten Kommandanturgebäude im Waldpark des einstigen Offizierkasinos aufgestellt und mit Ölfarbe graugrün gestrichen. Inschrift: Hayn 4 St. 3/8 Posthorn 1722. Rückseite: Loßdorf 3 St. Posthorn 1722.
Acta betr. die allergnädigst anbefohlene Anschaffung und Aufrichtung derer steinern Postsäulen
Unter Rep. XXXI liegen im Hauptstaatsarchiv Dresden zusammen 83 Faszikel. Dazu zählen außer den im Distanzsäulenverzeichnis A 1 bis 38 einzeln angegebenen Nummern noch folgende 55 Orte, an denen heute keine Säule vorhanden ist: Dippoldiswalde, Döbeln, Dresden, Elsterberg, Frauenstein, Frankenberg, Gräfenhainichen, Grimma, Grünhain, Grillenburg, Herzogswalde, Hohnstein, Hein, Hainichen, Hartha, Königsbrück, Leipzig, Lommatzsch, Lausnitz, Lauterbach, Lengefeld, Löbau, Mutzschen, Kloster Marienstern, Kloster Marienthal, Mittweida, Meißen, Nossen, Öderan, Ölsnitz, Oschatz, Roßwein, Reichenbach, Radeberg, Schwarzenberg, Schmiedeberg, Sachsenburg, Schneeberg, Stollberg, Stolpen, Schöneck, Sayda, Wurzen, Wilsdruff, Wolkenstein, Waldheim, Zschopau, Zöblitz, Zittau, Zwickau.
Ferner sind 1815 nach der Teilung der Kurlande noch weitere 55 Faszikel an die preußischen Provinzial Archive Magdeburg und Berlin ausgeliefert worden. Dazu zählen die Städte im Distanzsäulenverzeichnis A 40 bis 57, sowie noch folgende 35 Orte oder Ämter, die heute keine Säule mehr aufweisen: Dobrilugk, Düben, Dommitzsch, Herzberg, Jessen, Kemberg, Liebenwerda, Luckau, Lausnitz, Lauterstein, Merseburg, Neustadt a. O., Neukirchen, Naumburg a. Qu., Ortrand, Pforta, Ruhland, Schlieben, Schilda, Sonnewalde, Suhl, Senftenberg, Schweinitz, Tannstädt, Torgau, Tautenburg, Voigtsberg, Witten, Weyda, Weißenfels, Zahna, Ziegenrück, Zabeltitz, Zeitz.
Codex Augusteus von 1724, I, 1947, 1951, 2541 (steinerne an Stelle der hölzernen Armensäulen zu setzen), 1955, 1956, 2541, 2543 (Beschleunigung unter Strafandrohung verlangt), 2542 (gegen Vergreifung und Bosheit, so darwider geübt werden), 1958, 2544 (Strafe so sich daran vergreifen und solche deformiert).
Schramm: Von denen Wege-Weisern, Armen-, und Meilensäulen. Wittenberg 1726 (400 Seiten und Abbildungen).
Dr. F. L. Becher: Die Hundertjährige Jubelfeier der Sächsischen Distanz- und Postsäulen, im Jahre 1822, sammt einer Geschichte derselben. Chemnitz 1821 (54 S.).
Dr. P. G. Müller im Archiv für Post und Telegraphie 1909, S. 365. Die Kursächsischen Post- und Meilensäulen.
[95]
Ledât ebenda 1912, S. 393. Alte Meilen- und Postsäulen im Reichspostgebiete.
Christian Lehmann: Historischer Schauplatz deren natürlichen Merkwürdigkeiten in dem Meißnischen Obererzgebirge. Leipzig 1699, S. 151.
Schäfer: Geschichte des sächsischen Postwesens. Dresden 1879, S. 186.
S. Ruge: Die alten Meilensäulen. In: Über Berg und Tal, Band VII (1902 bis 1905), S. 174.
Dr. Bschorner in den Mitteilungen für Sächsische Volkskunde 1902, S. 312 bis 315.
Aug. Schumanns vollständiges Staats-, Post- und Zeitungs-Lexikon von Sachsen. Zwickau im Verlag der Gebrüder Schumann 1824, Band XI, S. 173. (Notiz über Zürner.)
L. Schmidt: Kurfürst August der Starke als Geograph. 1898.
Dr. Kuhfahl: Die kursächsischen Postmeilensäulen. Dresdner Anzeiger vom 16. März 1919.
Veredarius: Das Buch von der Reichspost, S. 110. Allgemeine Deutsche Biographie, Band 45, S. 511. (Über Zürner.)
Aug. Böhland: Schicksale der Oberlausitz und ihrer Hauptstadt Budissin. 1831, S. 203. (Kurze Erwähnung der Postsäulenidee Augusts des Starken.)
Dr. E. Herzog: Chronik der Kreisstadt Zwickau 1845, II. Teil, Jahresgeschichte, S. 592 ff. (Bericht über vier Distanzsäulen und die Meilensäulen des Weichbildes.)
Carl Sam. Hoffmann: Historische Beschreibung der Stadt, des Amtes und der Diöcese Oschatz 1813, S. 171. (Erwähnung der drei Distanzsäulen von 1724).
Max Engelmann: Die Wegmesser des Kurfürsten August von Sachsen. In den Mitteilungen aus den Sächsischen Kunstsammlungen, Jahrgang VI, S. 11.
Fickert: Das Landstraßenwesen im Kr. Sachsen bis um das Jahr 1800. Im Archiv für Post und Telegraphie 1913 (Nr. 13 und 14) S. 37. (Kurze Erwähnung der Postsäulen.)
F. G. Leonhardi: Handbuch für Reisende durch die Sächsischen Lande, 1796.
K. Wertheim: Reise durch Kursachsen 1793 bis 1794.
Johann Eschert: Post Secretarius in Leipzig. Chur. Sächs. Post Cours, in welchem enthalten, wie alle reutend und fahrende Ordinar Posten in der berühmten Handelsstadt Leipzig 1703.
D. E. Schmidt: Auf der alten Leipziger Poststraße. In Kursächsische Streifzüge 1912, Band IV, S. 287, 288 ff.
Dr. A. Pätzold, Halle 1916: Die Entwicklung des Sächsischen Straßenwesens von 1763–1831.
Saxonia: Museum für Sächsische Vaterlandsfreunde von Dr. Sommer. Dresden 1835, Band IV, S. 61. Abbildung der Esplanade in Leipzig (jetzt Königsplatz) mit Distanzsäule.
Gemälde von Canaletto in der Dresdner Staatsgalerie:
Kupferstich Vue de Nossen près de Meissen von Carl Aug. Richter (Kupferstichkabinett Dresden) zeigt gegenüber dem Nossener Schloß am rechten Muldenufer eine Halbmeilensäule.
Neue Chur-Sächsische Post Charte von Magister Ad. Fr. Zürner. Erste Auflage gegen 1700, zwei spätere Auflagen bis 1730. Postwege und Postorte aber nirgends Postsäulen.
Atlas Saxonicus von Schlenk, 1775 (keine Postsäulen).
Geographische Delineation der Gegend zwischen Dresden und Meißen nebst den dabey befindlichen Postsäulen. Titelblatt in Schramms Buch von denen Wege-Weisern, Armen- und Meilensäulen 1726.
Müllers Postkarte von 1824. (Keine Postsäule.)
Oberreitscher Landesatlas 1821 bis 1850. Postmeilensäulen an den Straßen sind in den älteren Blättern Freyberg, Stolpen, Altenberg, Chemnitz, Zittau, Schwarzenberg, Großenhain, Dresden lückenhaft aufgenommen, in den übrigen aber nicht verzeichnet.
Joh. Hernleben: Pässe des Erzgebirges, Berlin 1911.
Abbildungen 1–8 nach Photographien von Dr. Kuhfahl.
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[1] Siehe das angefügte Literaturverzeichnis B, a.
[2] Akten des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz Nr. 941.
[3] Gurlitt, Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Königreichs Sachsen, Band Leipzig, S. 393.
[4] Dr. Emil Herzog, Chronik der Kreisstadt Zwickau, II. Teil, Jahresgeschichte, Seite 592.
[5] Historische Beschreibung der Stadt Oschatz von Carl Samuel Hoffmann, 1843, Seite 171.
[6] Schmidt, Kursächsische Streifzüge B 4, Seite 298 ff.
[7] Über Berg und Tal, VII. Bd. 1902–1905, Seite 174.
Th. Leuschner, Dresden-Loschwitz
Lange vor uns hat Gottfried Keller die Gedanken des Heimatschutzes empfunden. Ob und wie er als erster Staatsschreiber des Kantons Zürich in dieser Richtung hin gewirkt hat, wissen wir nicht, das soll auch hier nicht untersucht werden. Aber in einigen seiner Dichtungen weist er darauf hin, die Schönheit und die Eigenart der Heimat nicht zu zerstören. Und wie das Keller sagt, das ist für uns das Reizvolle.
Was er in seinen Erzählungen darüber eingeflochten hat, ist nicht ein bloßer Einfall von ungefähr. Es ist ihm damit ernst, und diese Gedanken haben ihn immer bewegt. Wir dürfen dieser Liebe nach einem Selbstzeugnis über sein künstlerisches Arbeiten versichert sein. In einem Briefe vom 28. Februar 1877 an W. Hemsen, der von ihm einen Beitrag zu seinem bei Spemann erscheinenden Jahrbuch »Kunst und Leben. Ein neuer Almanach für das deutsche Haus« gewünscht hatte, bekennt er: »So geringfügig meine Erfindungen sind, so sind es eben solche, d. h. sie beruhen jedesmal auf einem spontan entstandenen inneren Gesicht (wenn diese banale Phrase erlaubt ist) und sind daher nicht von äußeren Wünschen abhängig. Es sind immer Sachen, die mir von langer Hand oder in Verbindung mit einer ganzen Gruppe vorschweben; am seltensten stößt mir ein Motiv auf, welches für sich allein ausgeführt werden kann.«
Wir lesen uns zuerst in den Roman »Martin Salander« ein. Martin Salander ist heute heimgekommen. Über sieben Jahre lang war er von den Seinigen weg gewesen, um das an seinen betrügerischen Freund Wohlwend verlorene Geld drüben in der neuen Welt rascher als im heimatlichen Münsterberg wieder zu erwerben. Während dieser Zeit hat seine Frau Marie in der kleinen Sommerwirtschaft und Fremdenpension zur Kreuzhalde den Unterhalt für sich und die drei Kinder kümmerlich bestritten. Es ist hier nicht der Platz, den Gang der Erzählung zu verfolgen. Sie gehen schlafen, sie betreten das Zimmer, wo Frau Marie das Lager ihres Mannes schon seit Monaten bereit gehalten hat.
»… Aber ich wollte schon ein paarmal fragen,« fuhr er fort, aus dem offenen Fenster auf das mondhelle Umgelände hinausdeutend. »Wo sind denn nur die vielen schönen Bäume hingeraten, die sonst vor und neben dem Hause standen? Hat sie der Eigentümer abschlagen lassen und verkauft, der Tor? Das war ja ein Kapital für die Wirtschaft!«
»Man hat ihm das Land weggenommen oder eigentlich ihn gezwungen, Bauplätze daraus zu machen, da einige andere Landbesitzer den Bau einer unnötigen Straße durchgesetzt haben. Nun ist sie da, jedes schattige Grün verschwunden und der Boden in eine Sand- und Kiesfläche verwandelt; aber kein Mensch kommt, die Baustellen zu verkaufen. Und seit die guten Bäume dahin sind, ist auch mein Erwerb dahin!«
»Das sind ja wahre Lumpen, die sich selbst das Klima verhunzen …«
Eine Reihe von Jahren später! Salanders Töchter Netti und Setti haben sich mit den Zwillingsbrüdern Isidor und Julian Weidelich, den Söhnen der Gärtnersleute aus dem Zeisig, verheiratet. Diese sind Landschreiber und Mitglieder[97] des Großrates. Keller hat sie mit einer Fülle kleinster Einzelheiten als eitle, schlaue Streber und Narren gezeichnet, die habsüchtig ihre Amtsgewalten mißbrauchen und zuletzt auf viele Jahre hinaus ins Zuchthaus kommen. »Es ist nichts mit ihnen. Sie haben keine Seelen,« klagt Setti ihren Eltern, als diese sich auf ihrem Landhause zum Lautenspiel nach ihr umschauen. Mit gutem Bedacht hat Keller unter die häßlichen Wesensfarben der beiden Brüder auch die Lieblosigkeit und Gleichgültigkeit gegen die heimatliche Umgebung gemischt. Isidor begleitet seine Schwiegereltern und seine Frau, als diese zum Besuch auf dem Lindenberg, wo Netti und Julian wohnen, vom Lautenspiel fortgehen.
Auf dem Hofe bewunderte Salander wieder das Buchenwäldchen und die dahinter emporragenden Wipfelmassen des größeren Forstes, eine Umgebung die nicht mit Geld zu bezahlen sei.
»O ja, es macht sich nett!« sagte der Schwiegersohn. »Nur wird es nicht mehr so lange stehen bleiben, als es schon steht. Der Wald gehört der Gemeinde Unterlaub und soll in ein paar Jahren geschlagen werden; die Holzhändler sind schon dahinter her. Da werd’ ich unsere Buchen auch daran geben, es geht in einem zu und sie tragen ein schönes Geld ein!«
»Sind Sie bei Trost?« rief Salander. »Ihre Buchen schützen ja allein Haus und Garten samt der Wiese vor den Schlamm- und Schuttmassen, die der abgeholzte Berg herunterwälzen wird!«
»Das ist mir Wurst!« erwiderte der jugendliche Notar in nachlässigem Tone. »Dann zieht man weg und verkauft den ganzen Schwindel! Es ist ja langweilig, immer am gleichen Ort zu hocken.«
Salander dachte sein Teil und gab keine Antwort. Frau Setti ließ während Isidors Mitteilung ein paar Worte des Erstaunens hören und verriet so, daß sie von dem bevorstehenden Holzschlage noch gar nichts wußte, was ein neues Anzeichen von des Mannes Lebensart war. Sie schwieg daher auch und sagte nur noch: »Adieu, du schönes Lautenspiel!«
»Woher heißt es eigentlich hier im Lautenspiel?« fragte die hinzutretende Mutter. »Das mag der Henker wissen, ich könnt’ es nicht sagen! In den Grundbüchern heißt es nur: Haus und Hofstatt genannt im Lautenspiel, und ebenso in meinem Kaufschuldbrief,« erklärte Isidor.
»Hast du denn nicht gehört, was sie in der Gegend davon erzählen?« fragte Frau Setti. »Nein, ich habe gar nie danach gefragt! Woher soll es denn kommen? Woher heißt es denn bei uns im Zeisig und im roten Mann? Von irgend einer Dummheit!«
Und nun erzählt Frau Setti zur Erklärung des Flurnamens die alte Geschichte vom geizigen Junker und seinen sechs schönen Töchtern.
Was erleben die Salandrischen dann auf dem Lindenberg? Julian kommt aus dem Wald zurück.
Er schüttelte die Weidtasche auf den Tisch aus und über dreißig arme Vögel mit verdrehten Hälschen und erloschenen Guckaugen, Drosseln, Buchfinken, Lerchen, Krammetsvögel und wie sie alle hießen, lagen als stille Leute da und streckten die starren Beine und gekrümmten Krällchen von sich.
»Sie werden sehen, Mama, die Dinger schmecken Ihnen wie Marzipan, wenn sie mürb und gut geraten sind! Ich will aber selbst zusehen! Hat’s etwas Speck in der Küche, Frau?«
»Bitte, Herr Sohn, beeilen Sie sich nicht!« sagte Frau Salander, »wir essen jedenfalls nicht mit, mein Mann und ich, wir sind vollkommen satt und wollen noch mit dem letzten Zuge fort!«
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»Aber, Meister Julian,« schaltete Martin dazwischen, »wissen Sie denn nicht, daß die Jagd auf Singvögel verboten ist? Sie, als Mitglied des Großen Rates?«
»Herr Vater, ich habe nicht gejagt, sondern das Garn gespannt, und da sind allerdings ein paar Finklein dazwischen gekommen, die nicht geladen waren. Übrigens wird sich wohl kein Wächter des Waldes an mich machen!« …
In der Novelle »Das verlorene Lachen« ist Jukundus der Träger von Kellers Naturschutzbestrebungen.
Mit der Verheiratung hatte er verabredetermaßen die militärische Laufbahn als Berufssache wieder aufgegeben, wegen der fortwährenden Abwesenheit, die sie mit sich brachte. Um sich aber dafür einen ehrbaren Erwerb und eine geordnete Tätigkeit zu sichern, hatte er ein Handelsgeschäft errichtet, welches sich auf den Holzreichtum der Stadtgemeinde und der umgebenden Landschaft gründete. Zu den großen Allmenden, die von der allemannischen Bodenteilung herrührten, waren später noch die Waldungen von Burg und Stift gekommen, an deren Mauern die Stadt sich angebaut hatte.
Diese hatte bisher die Quellen ihrer Behaglichkeit geschont und auch aus bürgerlichem Stolz erhalten, wie sie ihre reichen Trinkgeschirre und den alten Wein im Stadtkeller sorgfältig erhielt. Allein durch irgendeine Spalte war die Verlockung und die Gewinnsucht endlich hereingeschlüpft und es wandelte ungesehen schon der Tod durch die weiten Waldeshallen, schlich längs den Waldsäumen hin und klopfte mit seinen Knochenfingern an die glatten Stämme. Als daher eben um diese Zeit Jukundus auftrat, um das Bau- und Brennholz anzukaufen und auszuführen, kam sein Geschäft alsobald in Schwung; denn die Seldwyler zogen die Vermittlung des ihnen wohlbekannten ehrlichen Mitbürgers dem Andringen der fremden Händler, durch die das Unheil eingeschlichen war, vor.
Jetzt begannen die hundertjährigen Hochwaldbestände zu fallen und auch sofort dem Strich der Hagelwetter den Durchlaß auf die Weinberge und Fluren zu öffnen. Allein sie waren auch einmal jung und niedrig gewesen oder schon mehrmals vielleicht, und sie konnten wieder alt und hoch werden. Doch als die Axt auch an die jüngeren Wälder geriet, für das zuströmende Geld immer schönere Zwecke erfunden und die Berghänge dafür immer kahler wurden, fing es den Jukundus innerlich an zu frieren, da er von Jugend auf ein großer Freund und Liebhaber des Waldes gewesen war. Während er an dem Handel einen ordentlichen Gewinn machte, begann er sich desselben mehr und mehr zu schämen; er erschien sich als ein Feind und Verwüster aller grünen Zier und Freude, wurde unlustig und oft traurig und vertraute sich seiner Frau an, da sie sein frohes Lächeln, das zu dem ihrigen wie ein Zwillingsgeschwister war, fast seltener werden sah und ihn ängstlich befragte. Sie dachte aber, die Dinge würden mit oder ohne den Mann ihren Lauf gehen und wahrscheinlich nur noch schlimmer, und sie war nur darauf bedacht, ihn bald aus eigenen Kräften wohlhabend und unabhängig zu wissen, um auch von dieser Seite her stolz auf ihn sein zu können. Sie bestärkte daher den Mann nicht in seiner Unlust, sondern ermunterte ihn vielmehr zum Ausharren und er fuhr dann so fort.
Da wurde an einer schief und spitz sich hinziehenden Berglehne, welche der Wolfhartsgeeren hieß, ein schönes Stück Mittelwald geschlagen. Aus demselben hatte von jeher eine gewaltige Laubkuppel geragt, welche eine wohl tausendjährige Eiche war, die Wolfhartsgeeren-Eiche genannt. In älteren Urkunden aber besaß sie als Merk- und Wahrzeichen noch andre Namen, die darauf hinwiesen, daß einst ihr junger Wipfel noch in germanischen Morgenlüften gebadet hatte. Wie nun der Wald um sie niedergelegt war, weil man den mächtigen Baum für den besonderen Verkauf aufsparte, stellte die Eiche ein Monument dar, wie kein Fürst der Erde und kein Volk es mit allen Schätzen hätte errichten oder auch nur versetzen[99] können. Wohl zehn Fuß im Durchmesser betrug der untere Stamm und die wagrecht liegenden Verästungen, welche in weiter Ferne wie zartes Reisig auf den Äther gezeichnet schienen, waren in der Nähe selbst gleich mächtigen Bäumen. Meilenweit erblickte man das schöne Baumdenkmal und viele kamen herbei, es in der Nähe zu sehen.
Als man nun gewärtigte, welcher Käufer den höchsten Preis dafür bieten würde, erbarmte sich Jukundus des Baumes und suchte ihn zu retten. Er stellte vor, wie gut es dem Gemeinwesen anstehen würde, solche Zeugen der Vergangenheit als Landesschmuck bestehen zu lassen und ihnen auf allgemeine Kosten Luft und Tau und die Spanne Erdreich ferner zu gönnen; wie die verhältnismäßig kleine Summe des Erlöses nicht in Betracht kommen könne gegenüber dem unersetzlichen inneren Wert einer solchen Zierde. Allein er fand kein Gehör; gerade die Gesundheit des alten Riesen sollte ihm sein Leben kosten, weil es hieß, jetzt sei die rechte Zeit, den höchsten Betrag zu erzielen; wenn der Stamm einmal erkrankt sei, sinke der Wert sofort um vieles. Jukundus wandte sich an die Regierung, indem er die Erhaltung einzelner schöner Bäume, wo solche sich finden mögen, als einen allgemeinen Grundsatz belieben wollte. Es wurde erwidert, der Staat besitze wohl für Millionen Waldungen und könne diese nach Gutdünken vermehren, allein er besitze nicht einen Taler und nicht die kleinste Befugnis, einen schlagfähigen Baum auf Gemeindeboden anzukaufen und stehen zu lassen.
Er sah wohl, daß man überall nicht zugänglich war für seinen Gedanken und daß er sich nur als Geschäftsmann bloßstellte und heimlich belächelt wurde. Da kaufte er selbst die Eiche und das Stück Boden, auf welchem sie stund, säuberte den Boden und stellte eine Bank unter den Baum, unter dem es eine schöne Fernsicht gab, und jedermann lobte ihn nun für seine Tat und ließ sich den Anblick gefallen. Aber von diesem Augenblick an suchte auch jedermann, ihn zu benutzen und zu übervorteilen, wie einen großen Herrn, der keine Schonung bedürfe.
Seine Frau Justine tut das Gegenteil im Verein mit dem Pfarrer des Ortes, der als ein »beifallsdurstiger Wohlredner und Schwätzer«, wie er sich später selbst nennt, vorübergehend einen schlechten Einfluß auf seine Gemeinde ausgeübt hat.
Die Kirche zu Schwanau war noch ein paar Jahrhunderte vor der Reformation erbaut worden und jetzt in dem schmucklosen Zustande, wie der Bildersturm und die streng geistige Gesinnung sie gelassen. Seit Jahrhunderten war das altertümliche graue Bauwerk außen mit Efeu und wilden Reben übersponnen, innen aber hell geweißt, und durch die hellen Fenster, die immer klar gehalten wurden, flutete das Licht des Himmels ungehindert über die Gemeinde hin. Kein Bildwerk war mehr zu sehen, als etwa die eingemauerten Grabsteine früherer Geschlechter, und das Wort des Predigers allein waltete ohne alle sinnliche Beihilfe in dem hellen, einfachen und doch ehrwürdigen Raume. Die Gemeinde hatte sich seit drei Jahrhunderten für stark genug gehalten, allen äußeren Sinnenschmuck zu verschmähen, um das innere geistige Bildwerk der Erlösungsgeschichte um so eifriger anbeten zu können. Jetzt, da auch dieses gefallen vor dem rauhen Wehen der Zeit, mußte der äußere Schmuck wieder herbei, um den Tabernakel des Unbestimmten zieren zu helfen …
Das sonnige, vom Sommergrün und den hereinnickenden Blumen eingefaßte Weiß der Wände hatte zuerst einem bunten Anstrich gotischer Verzierung von dazu unkundiger Hand weichen müssen. Die Gewölbefelder der Decke wurden blau bemalt und mit goldenen Sternen besät. Dann wurde für bemalte Fenster gesammelt, und bald waren die lichten Bogen mit schwächlichen Evangelisten- und Apostelgestalten ausgefüllt, welche mit ihren großen, schwachgefärbten, modernen Flächen keine tiefe Glut, sondern nur einen kränklichen Dunstschein hervorzubringen vermochten.
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Dann mußte wieder ein gedeckter Altartisch und ein Altarbild her, damit der unmerkliche Kreislauf des Bilderdienstes wieder beginnen könne mit dem »ästhetischen Reizmittel«, um unfehlbar dereinst bei dem wundertätigen, blut- oder tränenschwitzenden Figurenwerk, ja bei dem Götzenbild schlechtweg zu endigen, um künftige Reformen nicht ohne Gegenstand zu lassen.
Endlich wurden die Abendmahlkelche von weißem Ahornholze, die weißen, reinlichen Brotteller und die zinnernen Weinkannen verbannt und silberne Kelche, Platten und Schenkkrüge vergabt bei jedem Familienereignis in reichen Häusern …
Schon waren alle Künste, selbst die Bildhauerei mit einigen übermalten Gipsfiguren, vertreten, ausgenommen die Musik, welche daher eiligst herbeigeholt wurde. Weil zu einem Orgelwerk die Mittel noch nicht beisammen waren, stiftete einer einen trompetenähnlichen Quiekkasten; ein gemischter Chor studierte kurzerhand alte katholische Meßstücke ein, die man der erhöhten Feierlichkeit wegen und weil niemand den Text verstehen konnte, lateinisch sang. –
Was für ein fröhlicher, liebenswerter Geselle ist der abgesetzte Schulmeister Wilhelm in der Novelle »Die mißbrauchten Liebesbriefe«, der da oben in dem Rebhäuschen des Tuchscherers haust und als erbauliches Gegengewicht für die Erdenschwere seiner Hände Arbeit in Wald und Flur herumstreift, um dann mit allerhand schönen, seltsamen Dingen die Wände und die Decke seines Stübchens zu schmücken.
Nur nichts Lebendiges heimste er ein; je schöner und seltener ein Schmetterling war, den er flattern sah, und es gab auf diesen Höhen deren mehrere Arten, desto andächtiger ließ er ihn fliegen. Denn, sagte er sich, weiß ich, ob der arme Kerl sich schon vermählt hat? Und wenn das nicht wäre, wie abscheulich, die Stammtafel eines so schönen, unschuldigen Tieres, welches eine Zierde des Landes ist und eine Freude den Augen, mit einem Zug auszulöschen! Abzutun, ab und tot, das Geschlecht einer zarten, fliegenden Blume, die sich durch so viele Jahrtausende hindurch von Anbeginn erhalten hat und welche vielleicht die letzte ihres Geschlechtes in der ganzen Gegend sein könnte! Denn wer zählt die Feinde und Gefahren, die ihr auflauern?
Das Gegenstück hierzu ist die Erzieherin in der Novellenreihe »Das Sinngedicht«. Daß Keller selbst in dem reichen und so bunten Strauße dieser Liebesgeschichten dem – wenigstens hier so entfernten – Gedanken des Naturschutzes eine Gestalt gibt, spricht wohl dafür, wie sehr ihm Vergewaltigung der Natur verhaßt war. Ganz am Schluß erzählt Lucie ihr Jugendleben und -lieben und kommt dabei auf die Umgebung zu sprechen, die ihr der oft auf langen Reisen befindliche Vater gegeben hat.
Die Erzieherin dagegen verwendete alle ihre Tage mit dem Vermehren und Ordnen einer Käfersammlung. Sie stand mit Gelehrten und Naturalienhändlern in Verbindung und sandte fortwährend Schachteln fort. Denn sie verstand auf zahlreichen Ausflügen den letzten Käfer aus seinem Hinterhalt zu ziehen, und hatte eine seltene Art, die gerade in einem Gehölz unsrer Gegend zu finden war, nahezu ausverkauft. Ich kann mich des Namens dieses ausgerotteten Käferstammes nicht mehr entsinnen. Am betrübtesten darüber war ein insektenkundiger Herr Oberlehrer, welcher der handelslustigen Dame den Ort nachgewiesen hatte und sich daher der Mitschuld an dem naturwissenschaftlichen Raubverfahren, wie er es nannte, anklagte. –
In dem großen, vierteiligen Roman »Der grüne Heinrich« findet sich kein Heimatschutzgedanke. Seltsam? Nein. Der Roman ist Kellers Erstlingsdichtung.[101] Sie ist durchtränkt und gesättigt von persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen, von Stimmungen und Träumen. Er erzählt so oft und so viel von der Heimat: von Berg und Tal, von Haus und Hof, von Wald und Feld, von Verwandten und Fremden. Er schildert in der Erinnerung, wie sie war, als er mit ihr lebte. Und er hat die Heimat gesehen in aller Freude am goldnen Überfluß, eben in aller Freude der Jugend. Das Alter nur sieht prüfend hinein in die sichtbare Welt und möchte sie schön und treu erhalten und auch so weiter fortgebildet wissen.
Von A. Klengel
Abseits vom Fremdenverkehr steht auf der sogenannten »Kahlen Höhe« zwischen Reichstädt und Sadisdorf bei Dippoldiswalde die Gruftkapelle der Majoratsherrschaft von Schönberg auf Reichstädt. Das inmitten eines kleinen Hains gelegene schmucke Bauwerk ist neueren Ursprungs; wie die Inschriften besagen, haben dort erst zwei Glieder des uralten Adelsgeschlechts die ewige Ruhe gefunden, der 1902 verstorbene Majoratserbe Rudolf Utz von Schönberg und seine ihm im Jahre 1915 in den Tod gefolgte Mutter Cypriane von Schönberg.
Das kleine Mausoleum steht auf durch Jahrhunderte geweihtem Boden, denn die Inschrift eines in der Nähe errichteten Denksteins berichtet folgendes:
Kahlehöhenkirche.
Zum Gedächtnis an das Jahrhunderte lang hier gestandene und im Jahre 1872 abgebrochene Kahlehöhen-Kirchlein zu den 14 Nothhelfern errichtete dieses Denkmal im Jahre 1874 die Kirchengemeinde Reichstädt.
Wohl selten gibt es wieder eine Stätte in unserm Vaterlande, an der stimmungsvolle, schlichte landschaftliche Schönheit, stiller Gottesfriede und uralte Sage uns so wunderbar umwehen, wie hier auf der sonnigen Höhe, wo einst das Kirchlein »Zu den Vierzehn Nothelfern« gestanden hat. Die Bezeichnung Kapelle, die man mehrfach im Schrifttum findet, ist nicht zutreffend, wir haben es mit einer regelrechten Pfarrkirche zu tun, von der sogar noch Kirchenbücher vorhanden sind.[102] Der von ihr in katholischer Zeit geführte Name: »Zu den Vierzehn Nothelfern« verschwand nach der Reformation; sie wurde »Kahlehöhenkirche« – im Volksmunde kurzweg »Kallikirche« – genannt. Ihre Gründungszeit liegt im Dunkel des Mittelalters verborgen; bereits im Jahre 1320 wird sie als eine »Den Vierzehn Nothelfern« geweihte Wallfahrtskirche erwähnt. Als die vierzehn Nothelfer gelten Jesus, die zwölf Apostel und der Schutzheilige des Bergbaues, St. Nikolaus; nach letzterem waren auch die alte Kirche im nahen Dippoldiswalde und die Kapelle in der Dippoldiswaldaer Heide benannt. In diesem Jahre war Nikolaus von Henkendorf Geistlicher an der Kahlehöhenkirche. Es sind noch Urkunden vorhanden, welche berichten, daß er einst auf Befehl des Papstes dem Abte von Ossegg Hilfe leisten mußte, als dieser von einigen vornehmen Schuldnern belagert und hart bedrängt wurde. Daraus ergibt sich vielleicht, daß der jeweilige Priester der Kirche zugleich weltlicher Gutsherr war, der über Land und Leute zu gebieten hatte.
Die in der Kirche aufgestellten Bilder der vierzehn Nothelfer sollen aus Silber gefertigt gewesen sein. Nach der Sage wurden sie im Siebenjährigen Kriege geraubt. Eine andere Überlieferung berichtet, sie seien aus Holz geschnitzt und versilbert gewesen. Man habe sie nach der Reformation auf dem Kirchenboden aufbewahrt, von wo sie von böhmischen Leuten entwendet und nach der Klosterkirche zu Ossegg[103] gebracht worden seien. Nach eingezogenen Erkundigungen befinden sie sich jedoch dort nicht.
Die Kirche soll durch die von den Wallfahrern gespendeten Geschenke sehr reich geworden sein; als nach der Reformation aber die Wallfahrer ausblieben und im niederen Teile des Dorfes Reichstädt eine bequemer erreichbare evangelische Kirche erbaut wurde, vereinsamte das auf der Höhe, abseits vom Dorfe gelegene Kirchlein. Eines Tages verschwand der letzte Meßpriester unter Mitnahme des aufgehäuften Vermögens, der Heiligenbilder und der heiligen Geräte. Im Dreißigjährigen Kriege wurde die verödete Kirche völlig ausgeraubt, namentlich fiel alles Holzwerk der Plünderung zum Opfer. Im Jahre 1640 soll ein Mädchen aus Reichstädt, als es vor schwedischen Soldaten in die verlassene Kirche flüchtete und in einem Loch an der Stelle des einstigen Altars nach einem Versteck suchte, achthundertzwanzig Dukaten gefunden haben.
Später wurde die Kirche wieder für gottesdienstliche Zwecke ausgestattet; bis zu ihrem Abbruch fand alljährlich noch mehrmals Gottesdienst darin statt. Wegen eingetretener Baufälligkeit und da die Ausbesserung hohe Kosten verursacht hätte, beschloß man den Abbruch des uralten Wahrzeichens, der denn auch im Jahre 1872 vor sich ging. Um diese Zeit waren noch Reste des die Kirche umgebenden Friedhofs vorhanden.
Aus den Steinen der Kirche wurde der Tanzsaal des Gasthofes zu Sadisdorf erbaut. Die Bevölkerung sah die Verwendung des geweihten Mauerwerks für solche profane Zwecke als großen Frevel an. Bei der Einweihung des Saales fiel eine Tänzerin und brach dabei ein Bein. Später schlug der Blitz ein- oder mehrmals in den Tanzsaal ein, wobei schließlich der ganze Gasthof eingeäschert wurde. Das Volk glaubte an die Strafe des Himmels für die begangene Entweihung des Heiligtums. Ob man beim später erfolgten Wiederaufbau des Gasthofes die Steine von der alten Kahlehöhenkirche abermals mit verwendete, ist unbekannt; der Volksglaube behauptet, man habe es unterlassen, da dem Gasthof und seinen Gästen in der Folgezeit kein Unglück mehr zugestoßen sei.
Es sind nur wenige, zum Teil recht mangelhafte Bilder des uralten Kirchleins vorhanden. Die alte Sächsische Kirchengalerie versagt. Am besten dürfte die Kirche in beistehender Zeichnung wiedergegeben sein, die nach einer Abbildung in der als Fundgrube für die Heimatgeschichte wohlbekannten, handschriftlich hergestellten Zeitschrift »Bergblumen 1885« angefertigt wurde. Es wird vermutet, daß die ursprüngliche Zeichnung vom Herausgeber noch nach der Natur aufgenommen ist. Erwähnt mag noch sein, daß Auszüge aus den Kirchenbüchern der Kahlehöhenkirche im Magazin für Sächsische Geschichte vom Jahre 1787 abgedruckt sind. –
Ein sonniger Herbsttag ging zur Neige, als ich im kleinen Hain auf dem Fleckchen geweihter Erde stand, das durch Jahrhunderte das Kirchlein »Zu den vierzehn Nothelfern« getragen hat. Die letzten Sonnenstrahlen vergolden die Zinnen der Gruftkapelle, nur ein einzelnes Vogelstimmchen und das leise Rauschen der Blätter im Abendwinde unterbrechen das Schweigen, das wie ein Glorienschein auf dieser Stätte der Vergessenheit ruht. Ich weiß nicht, ob der Dichter hier gestanden hat, als er die Worte aussprach:
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Schwerlich aber gibt es eine andere Stelle in unserer Heimat, die trefflicher dazu geeignet wäre, diesen Gedanken in uns aufkommen zu lassen, wie der geweihte Boden, auf dem ich jetzt im Abendsonnenglanze stehe.
Von Karl Berger, Leipzig
Aufnahmen von Georg Marschner, Dresden
Die schönste Freude ist doch die Vorfreude; die reinste zumindest. Und das schönste, zarteste vom Frühling ist der Vorfrühling, scheint mir. Und die Vorfreude am Vorfrühling, das ist jene seltsame, bestrickende Wanderlust, jenes Heimweh nach Feld und Wald draußen vor der Großstadt, nach der heimatlichen Natur, die unser Mutterland ist und bleibt, – mögen wir es auch in den hastenden, unfrohen großen Städten mit ihrer lauten Lustigkeit verraten – so wie der Staat unser Vaterland ist und bleibt. Und das sind wohl die unglücklichsten Waisen, die ihr Mutterland oder ihr Vaterland oder gar beides verloren haben. Deshalb wollen wir heute einen Weg weisen, den wir 1921 an einem Sonntage, an dem vier Wochen nach Wintersonnenwende die Sonne schon so boticellihaft lichtes Hellblau und Himmelsgold allum streute, so daß hier und da schon eine Kornelkirsche vorwitzig ihre safranfarbenen kleinen Blütendolden öffnete, aus der Stadt hinausgewandert sind, und zwar gerade dort, wo weite Fabrikvorstädte ihren Bewohnern den Verlust des Mutterlandes vorzulügen suchen und damit ihnen manchmal so leicht auch das Vaterland verleiden.
Hinter Löbtau steigt der Weg westwärts über Wölfnitz rasch an nach der Hochfläche zu, auf der 1745 die Kesselsdorfer Schlacht vom alten Dessauer gegen die Sachsen gewonnen wurde, die dort die letzte Stellung vor ihrer Landeshauptstadt zu halten versuchten. In einer guten Viertelstunde liegt die Stadt schon tief unter uns. Mit den Tönen der großen Glocken der Kirchen der Altstadt elbwärts drunten im Grunde klingen die der helleren munteren Geläute von Niedergorbitz und Oberpesterwitz zusammen, indes wir an stattlichen Wirtschaftsgebäuden vorbei dem Herrenhaus von Roßthal zuschreiten.
»Glückauf« grüßt die Inschrift von dem vielleicht etwas zu monumentalen Sandsteinumbau des kunstvoll zierlichen schmiedeeisernen Rokokotores herab, das ebenso wie mehrere andere ähnliche Gittertore mit dem feinen Stilgefühl seiner Entstehungszeit so glücklich in die Achse der Zufahrtsstraßen gelegt ist. »Glückauf«, ein froher Gruß auch für den Wanderer am Morgen und eine Anspielung auf den Besitzer, den Freiherrn von Burgk, den Eigentümer der bekannten Steinkohlenschächte. Sein Wappen prangt an dem Giebel über dem einen der beiden Erker, die[105] mit ihren kunstvollen deutschen Renaissanceformen die Front des Hauses geschickt gliedern. Die reichen Schmuckformen der Balustraden, Zinnen und zumal der säulenreichen Unterbauten erinnern ein wenig an die fröhlichen und strotzenden Formen des Heidelberger Schlosses und zeigen, wie feinfühlig der Oberlandbaumeister C. M. Haenel schon 1858/59 die Renaissanceformen wieder tatsächlich neu zu beleben wußte, die dann Jahrzehnte lang leider bald so blutleer oder so voll hohlem Pathos an Mietskasernen und Geschäftsbauten kopiert wurden.
Am Haupteingange befindet sich auf einer Rokokokartusche ein Wappen mit den Initialen v. N. Es ist das Wappen des Geheimrats von Nimptsch, der 1763 Direktor der Porzellanmanufaktur geworden war, hier auf dem Gute seiner Gemahlin, einer geborenen von Haustrin, seinen Lebensabend zubrachte und 1772 eine »Poetische Beschreibung der Zufriedenheit und angenehmen Ruhe auf einem Landgut« veröffentlichte. Sie erzählt mancherlei von den bescheidenen Freuden eines derartigen Herrensitzes auf dem Lande: von Vexierspiegeln und Grotten, von dem »guten Prospekt« und von Wasserkünsten. Viel davon wurde, nachdem Roßthal schon nach der Schlacht von 1745 völlig ausgeplündert worden war, in der Schlacht bei Dresden 1813 zerstört, als Murat die Stellung der Verbündeten zwischen Döltzschen und Gorbitz, das heißt ihren linken, mit der Front nach Osten gerichteten Flügel durch eine Umgehung vom Zschonergrunde her unhaltbar machte und Roßthal so zwischen die feindlichen Feuer geriet. Jetzt erinnert natürlich nichts an den stattlichen, vorzüglich gehaltenen Baulichkeiten des Rittergutes mehr an jene Zeiten der Zerstörung. Ein Bild tiefen ländlichen Friedens ruht es, umsäumt[106] von breitästigen Obstbäumen, so nahe dem lärmenden Plauenschen Grunde, der schon seit Menschenaltern die gleiche sanfte Lieblichkeit eingebüßt hat, die uns nur noch die alten Stiche der Pulvermühle, der Villa Kosel und mancher »pittoresken« Felspartie am Ufer der Weißeritz überliefern.
Hier oben aber, abseits der Heerstraße der Industriemächte, da ist alles noch fast wie vor fünfzig oder hundert Jahren. Wie ein Motiv aus Ludwig Richters Skizzenbuche mutet die mit so bewundernswerter anspruchsloser Sicherheit der Maße und Farben am Kreuzweg errichtete Obstbude aus Fachwerk an. Und wie vornehm und trotzdem lieblich liegt drüben das gotisierende Schloß der Grafen Luckner auf Altfranken auf dem sanften Höhenzuge mit seinen vielen Pappeln und Schonungen.
Unterdes sind wir langsam noch höher gestiegen. Weit liegt das Land nun um uns: nordwärts bis nach der Lößnitz reichbebauten milden Hängen, westwärts ins hügelige Bauernland um Braunsdorf und Kesselsdorf und südwärts hinab in den Grund und hinüber zu der langgestreckten Pyramide des Windberges (vgl. Abb. 1). Neu-Nimptsch heißt die Siedelung, an der unser Weg entlang führt.[107] Kleine Häuschen sind es, so wie wir sie jetzt vor der Stadt wieder zu errichten bestrebt sind. Diese hier hat wohl jener Geheimrat von Nimptsch Ende des achtzehnten Jahrhunderts errichtet. Und auch sich selbst baute er an der höchsten Stelle ein Lusthaus, das »Schlössel des Barons« nennen es die Leute, eines jener feinen, kleinen Herrenhäuser ähnlich »Antons« gegenüber dem Waldschlößchen (Abb. 2). Der ganze Berg heißt »Jochhöhe«, aber weil er so lustig ins Land schaut, nennt das Volk ihn mit schalkhaftem, sicherem Humor einfach »die Juchhöh«. Daß es übrigens auch ernsthaftes Raten und Taten auf diesen Dörfern gibt, beweist der Anschlag des Gemeindevorstandes, wonach Rauchen und Zuspätkommen in den Gemeinderatssitzungen[108] (Neu-Nimptsch gehört zu Roßthal) verboten ist. Wir denken bei dieser Proklamation wehmütig daran, wie unendlich weit etwa Groß-Berlin in seiner politischen Reife mit seinen Stinkbomben und Tätlichkeiten in parlamentarischen Sitzungen derartigen Hinterwäldlern voraus ist.
Und ähnliche Gedanken über Stadt und Land beschleichen uns, nun wir rasch vorwärts schreitend den Grund in Freital kreuzen mit den protzigen Kitschöldrucken und den vielen Näschereien in jedem zweiten Laden, und anderseits den unschönen Plakaten an allen Ecken.
Freilich auch jeder einzelne Landwirt sollte gerade in seinem Interesse in Sachsen ganz besonders bereit sein, die Not so weiter anderer Kreise verständnisvoll und freiwillig zu lindern, nicht durch Almosen, aber durch werktätige Hilfe, vermittelnden Takt und auch durch wirksame Warnung einzelner skrupelloser Berufsgenossen. Die Früchte werden auch dabei nicht ausbleiben. Und der Landmann weiß, daß die Früchte nicht die schlechtesten sind, die am langsamsten reifen.
Nun haben wir Freital durchquert und steigen langsam auf der Südseite des Tales bergan. Am Huthause von Groß-Burgk vorbei kommen wir bald an das Schloß. Schon im Mittelalter saßen hier Herren von Burgk (Borgk, Borc; Boragh heißt Tannen- oder Fichtenhain). Im sechzehnten Jahrhundert folgte die Familie von Zentsch, im achtzehnten die Familie Seiler-Dathe; 1822 wurde deren Haupt Friedrich August als Freiherr Dathe von Burgk in den Adelsstand erhoben. Die Familie, der außerdem unter anderem noch wie erwähnt Roßthal und ferner das Schloß Schönfeld bei Großenhain gehört, ist durch den Kohlenbergbau so reich begütert. Im Orte nimmt man davon übrigens wenig wahr, da die Schächte jenseits von Höhenzügen südwestlich liegen. (Vgl. aber das Denkmal Abb. 3.)
Das Schloß selbst ist gleichfalls ein echter ländlicher Herrensitz, dem man anmerkt, daß er organisch und bodenständig entstanden ist. Verspielte und kapriziöse Putten und Rokokoherrschaften, wohl aus Knöffels Zeit (um 1780), blicken von den Pfeilern der Parkmauer. Urnen, Bosketts, alte efeuumsponnene Bäume, deren tiefhängende Zweige einen stillen Weiher streifen, vereinen sich mit dem seltsam vielgiebligen Schlosse mit seinen charakteristisch stilisierten Kaminköpfen und einem raffiniert geschickt in all diese alte, leise, ein wenig holländische Beschaulichkeit hineinkomponierten Papagei zu einem Bilde, wie es so echt selbst – ein Monumentalfilm nicht wiederzugeben vermag.
Am Mausoleum Friedrich Augusts von Burgk auf stiller Vorhöhe und an Bergknappenhäusern, zuletzt an einem Waldwärterhause mit dem Holzbrunnen auf der Wiese unterm Berge vorbei, führt durch Buchen (Abb. 4) ein steiler Zickzackweg die etwa zweihundert Meter Steigung zum Windberg hinauf. Der Blick von seiner Höhe, insbesondere von dem so wuchtig und richtig in die Landschaft gestellten König-Albert-Denkmal aus, ist unerwartet mannigfach und eigenartig, besonders durch den unvermittelten Gegensatz von rein industriellen Gegenden und weitem, stillem Land, etwa über Tharandt oder nach Kipsdorf und Frauenstein zu. Den Abstieg nach Deuben nehme man aber auch am Tage nicht abseits der Wege, denn der Steilabhang[109] nach Westen zu ist zum Teil von alten Bergwerksgängen durchzogen, die dichtes Laub manchmal völlig überdeckt. Bei Dunkelheit oder Schnee zumal würde es dem Wanderer leicht schlechter ergehen können, als Görge dem Fiedler, der im Windberge den Zwergen einst zum Tanz aufspielen mußte und dafür die ersten Kohlen erhielt, die sich ihm – wir können es so gut verstehen – in Gold verwandelten.
Die Mittagstunde ist unterdes herangekommen. Danach wandern wir noch von Deuben über Hainsberg-Coßmannsdorf auf Pfaden, die jeder selbst sich suchen mag, auf jene friedvolle Hochfläche hinauf, auf der, wie auf einer Insel von einigen Kilometern Durchmesser, fast allenthalben von tiefeingeschnittenen Tälern umgeben, ein stilles Bauerndorf so zeitlos um sein feinbehelmtes Gotteshaus sich lagert, wie[110] nur irgendwo in Franken oder Schwaben. Wir treten still in die Kirche mit ihrer seit zwei Jahrhunderten fast unversehrten, ganz einheitlichen Ausstattung. Nur siebzehn Pastoren hat sie in fast vierhundert Jahren gehabt. Und der kluge Totengräber, der mit viel richtigem Gefühl die alten Heiligenfiguren aus katholischer Zeit seiner Kirche aus dem lehrreichen Museum im Großen Garten zurückwünscht, hat wohl auf dem Friedhofe allein mit der eindrucksvollen dichten einen Reihe Lebensbäumen ringsum nicht allzuviel zu tun, die Toten so tief unter die Erde zu betten, wie sie sich im Leben über sie erhoben haben. Ja früher, als noch nicht Coßmannsdorf eigene Parochie war, da gab es für den Totenbettmeister mehr zu schaffen, zumal als 1869 die vierhundert Bergknappen in den Windberg zur letzten Schicht gefahren waren und so mancher von den Verunglückten im Lederwams auch hier oben in Somsdorf seine Ruhe fand.
Aber allmählich weht der Abendwind kühler von Westen, wo schon die zackige Linie des Tharandter Forstes schwarz gegen den im letzten Abendschein grell gelben Himmel steht. Noch eine kurze Rast im behäbigen Erblehngericht von 1695 und eine halbe Stunde sanftes Abwärtsschreiten über die Hochfläche erst, dann am Berghange, in dessen hohen Fichten schon die Käuzchen sich ernst und leidenschaftlich suchen, dann nimmt uns mit einbrechender Mondnacht das anheimelnde Gewirr der alten stillen Straßen des leise einschlummernden Tharandt auf.
Vom Architekten Professor Richard Michel, Görlitz
Das mächtig aufsteigende Werk des genialen Friedrich Schinkel, die Westfront der Johanniskirche, im Rücken lassend, entlang der engen Weberstraße, vorüber an einigen der besten alten bürgerlichen Prachtbauten des »Zittauer Barocks« und an der mittelalterlichen, ehedem unter freundlich rotem Ziegeldach dreinschauenden »Weberkirche«, durch die »Webervorstadt« und »Alte Burggasse« wandernd, gelangt man bald hinter der einstmaligen Burgmühle auf »Altzittaus Gründungsstätte« mit dem Burgberg und dem Burgteich.
Schutzdämme mit kraftvoll aufragenden knorrigen deutschen Eichen umsäumen Matten und Gehege in der zwischen Mandau und Burgmühlgraben gelegenen Umgebung dieses historischen Winkels, der im Laufe der letzten Jahrzehnte zu einer anziehenden Hainanlage ausgebildet worden ist.
»Hier entstand Zittau«
so lautet die Inschrift des Denksteins auf dem Burghügel zur Kennzeichnung der[111] Stelle, auf welcher im dreizehnten Jahrhundert wahrscheinlich die erste Schutz- und Wehrstätte burgartig angelegt wurde.
Vom vorderen Burgdamm, nächst der Mandau, zeigt sich dem Auge ein schönes Landschaftsbild, das die geschlossene Kette des Iser-, Jeschken- und Lausitzer Gebirges mit feiner Linie segmentförmig als Hintergrund säumt. Tafelfichte, Jeschken, Hochwald und Lausche treten klar in den ihnen eigenen Formen hervor.
Im Mittelgrund, hinter dem Mandauufergelände mit den aufsteigenden Wiesenhängen erhebt sich links die Olbersdorfer, rechts die Hörnitzer Kirche, dazwischen, hinter entfernter liegenden Geländewellen der weißleuchtende Turm der Bertsdorfer Kirche, als ein seit altersher dem Wanderer entgegenwinkendes, weithin sichtbares Wahrzeichen.
Vom westlichen Dammende, welches eine mächtige alte Eiche schützt und schirmt – eine Reckin ihrer Edelart, – um deren Fuß ihres etwa 1,75 Meter im Durchmesser starken Stammes eine holzgezimmerte Bank den Wanderer zur Rast einladet, führt der Weg weiter am Mühlgraben-Stauwehr vorüber über die steinerne Mandaubrücke nach Hörnitz. Hier, das durch ein Turmpaar flankierte, giebelreiche, massig gedrungene Althörnitzer Schloß. Ein vom kunstsinnigen Zittauer Bürgermeister Hartig 1651–1654 errichtetes Baudenkmal hervorragender Art der deutschen Spätrenaissance, das sich auszeichnet durch Verhältniskunst und wuchtende Massenwirkung, wie solche hier besonders die Südseite zeigt.
Beim Anschauen des gesamten Schloßbereiches mit dem Park und Gutshofe versenken sich die Gedanken in die alte Bauweise, in das Großzügige des Baugeistes vergangener Geschlechter, unter welchen die Gestaltung solcher einheitlicher Baugruppen in der Landschaft, mit den Elementen dieser, so durchgeführt werden konnte.
Großartig eindrucksvoll wirkt beispielsweise das durch wunderlich verzweigtes Geäst und feines graugrün schillerndes Laub der mächtigen Kronen zweier Silberpappeln gezierte Einfahrtstor des Schloßguthofes.
Dem Baugeist einer hundert Jahre späteren Zeit verdankt das unweit entfernte ehemalige Neuhörnitzer Schloß, das der Zittauer Kaufmann Gottfried Hering 1751 errichten ließ, seine gute Gestaltung.
Der zwischen beiden schloßherrlichen Anlagen liegende, Alt- und Neuhörnitz trennende wohl älteste Ortsteil »Wall« genannt, gleicht der Anlage einer Wasserburg kleinsten Maßstabes. Ein noch teilweise vorhandener, durch Quellwasser gespeister Wassergraben umgibt eine auf kleiner Insel liegende Wohnstätte. Die in unmittelbarer Nähe rundherum errichteten alten kleinen Fachwerkhäuschen ergänzen die eigenartige Anlage, deren Entstehung mutmaßlich mit der der Zittauer Burgbergwarte erfolgt sein mag in grauer Vorzeit.
Von der von Hörnitz nach Bertsdorf ansteigenden, über einen Geländesattel führenden Landstraße sieht man, nah und fern, rundum in eine liebliche, wechselreich geformte Landschaft – ein Mosaik von zahlreichen Ortschaften des östlichsten Sachsenlandes mit dem schönen Stadtbild Zittaus.
Über dem Sattel, an der Straßensenkung, beginnt einladend der Anfang der hier versteckt in der Dorfbachmulde eingebetteten Ortschaft Bertsdorf, die sich in[112] der Richtung zur Lausche, welche zwischen den Höhen des Jonsberges und Breitenberges den Hintergrund füllt, hinzieht, und allmählich im Gelände hervortretend, hinaufführt bis an den Fuß des Pocheberges.
Zu beiden Seiten des klar dahinrieselnden Dorfbaches und der Straße, sowie an und auf Wiesenhängen bauen sich mannigfach in alter Bauart die Wohnstätten des Häuslers, Webers, Handwerkers, Kleinbauern und die Gebäudemassen ansehnlicher Gutshöfe auf, mit verschiedenartigen, alterhaltenen Gefach-, Ständer-, Riegel-, Bretterwerk und Umgebinden, mit großflächigen, nur durch Dachluken und die Esse belebten Stroh- und Ziegeldächern, an deren Traufen vielerseits die Holzrinne sich zeigt. Steinerne Haustürstöcke mit manchem eigenen Schmuck und sonstigem Überbleibsel guter, sinniger Kleinkunst ausgestattet, sowie die im Pfarrhause gut erhalten gebliebene alte Bemalung einer Holzdecke, legen Zeugnis ab vom Können der vormals volkskünstlerisch tätig gewesenen Kräfte.
Über den Bach sich wölbende alte Quadersteinbrücken verleihen ihrer Umgebung idyllisch-malerische Reize. Die schiefwinklige Straßenbrückenanlage am Kirchgeländefuße mit zinnenartiger Brustwehrkrone, die einzelnen oberlausitzer Brücken solcher Art eigentümlich ist, möge als ein nachahmenswertes Beispiel besonders erwähnt sein. An dieser Steinbrücke ist eingemeißelt die Jahreszahl 1812.
Abseits vom Großindustrieleben atmet man hier gut bäuerliche Luft. Noch ist der Ort verschont geblieben von groben baulichen Verunstaltungen hochbaulicher Art. Bäuerlich-landbürgerlicher Sinn waltet und schafft hier vom Sonnenauf- bis Sonnenuntergang nicht Arbeitszeitgesetzen, sondern dem Zeitweiser der Natur gehorchend.
Mitten im Ort – frei und hoch über dem Bett des Baches – steht die Kirche auf uralter, zur Verehrung göttlicher Allmacht geweihter Stätte, umgeben von ihrem umwehrten Kirchhofe, dessen grünberankte Mauern alte Denkmalskunst bergen.
Sie ist nicht als Werk einer »Ichkunst«, als ein Fremdkörper in die Umgebung »hineingesetzt«, sondern wächst in ihrer schlichten, maßvollen Bauart aus[113] ihr heraus[9], als ein weiß verputzter, unter rotem Ziegeldach geschützter Bau mit markigem Turm, dessen ebenso bedachte Kuppelhaube bekrönt wird durch die grün und weiß gestrichene, formenreichere, offene Laterne, Haubenspitze und Wetterfahne mit der die Bauzeit kündenden Jahreszahl 1674.
So bildet auch hier die Kirche mit dem benachbarten alten Pfarrhause, den Bauernhäusern, Gartengehegen, dem Dorfbach, Strauch- und Baumbestand und der Straße eines jener uns lieben Dorfbilder, wie solche sich allerwärts in unseren sauberen oberlausitzer Ortschaften der erfreulichen Anschauung darbieten.
Die Bauanlage der, an Stelle eines durch Blitzschlag eingeäscherten Gotteshauses, um 1675 erbauten Kirche, übte vorbildlichen Einfluß aus auf die Gestaltung der später erbauten Kirchen in den benachbarten Ortschaften Hainewalde, Spitzkunnersdorf, Niederoderwitz und Eibau.
Das meisterliche Werk ist der verkörperte Ausdruck des Widerwillens gegen eine kleinliche Zerklüftung der Baumasse – ist ein Werk großzügiger Geschlossenheit, ein Beispiel, sprechend für die schlichte Eigenart des kernigen oberlausitzer Landbürgers, der nichtssagenden Äußerlichkeiten abgeneigt, solche Einfachheit schätzt, hegt und liebt.
Im Gegensatz zu dem fast nüchternen Äußeren, verbirgt sich hinter diesem das mit sicherem Können und edlem Geschmack gestaltete, mit Altar, Kanzel, Orgel und Lichtkronen kunstvoll ausgestattete Innere, dessen feierlich ruhige Gesamtwirkung durch eine erneuerte, sehr feinsinnige Farbengebung in weiß, grün und gold wohltuend gesteigert wird. Ein würde- und eindrucksvolles Ganzes ist es – ein anziehendes Herz der Kirchgemeinde.
Das Innere solcher schönen Landkirchen sollte man, wie es bei katholischen Kirchen meist üblich ist, durch Offenhalten einer Pforte in eine gesteigerte, lebensvolle Verbindung bringen, nicht nur für Glieder der Gemeinde, sondern auch für von fremdher kommende Freunde der Natur und Kunst, zum Erleben frei erwählter Ruhe- oder Weihestunden.
Deshalb möchten dem Wunsche derer, die vom Alltagsleben abgesondert, in frischfreier Natur auf friedvoller Stätte ein Kircheninneres betreten wollen – zum weilen und ruhen – keine Schranken entgegenstehen.
Sollte nicht so manches Glied der Gemeinde – wenn der rechte Zeitpunkt hierzu gekommen – das Verlangen haben, auch im Alltagsgewand den Raum der Kirche zu betreten, zum Verbringen einer stillen Stunde, zum Nachsinnen – zur eigenen Erbauung des inneren Menschen? – zur Wachrufung sich vernebelnder Erinnerungen? – – –
Es ändern die Zeiten die Wohnstätten, das Dorf und seine Bewohner, – Häuser alter Urahnen und Ahnen lassen sie verschwinden. –
[114]
Hier und da birgt das altehrwürdige Gotteshaus die hohen Werte urväterlicher Schaffenslust und kunstfröhlicher Gestaltungskraft. Diese Werte und ihre Entstehungszeiten sprechen zu uns in einer so treuherzigen, wahren Art, daß wir vermeinen mit Urahnen und Ahnen wieder verbunden zu sein. Ihre stumme Sprache bedingt eine feierliche Ruhe, um all die lieben Erinnerungen ernster und freudiger Art auslösen zu können für so manchen, dessen Werdegang von der Taufe bis ins hohe Alter mit dieser Stätte, diesem Raum, in enger Verbindung gestanden hat. – – –
Je nach Herzens- und Gemütsstimmung dürfte jenen und anderen die unverschlossene Gotteshalle Anlaß bieten, eine besondere Feierstunde in ihr zu erleben.
Und wenn zur rechten Abendstunde aus dem offenen Kirchenherzen der Orgel entströmende volkstümliche Weisen dringen könnten, hinab in den Ort, weit in das Land – – – – – so manches Menschenkind würde – bewußt oder unbewußt – dann solcher Töne lauschen oder angeregt durch deren Macht, mitsingen, – sein Sinnen aufwärts lenken, himmelan.
Nachsatz. Die einfache, schöne Bertsdorfer Gotteshausanlage, deren spitzbogige Maßwerkfenster als Nachklänge des Mittelalters in romantische Harmonie treten mit dem barocken Einschlag der Altar- und Kanzelformung, und deren Urheberschaft wahrscheinlich zu danken ist dem genialen, vielseitig tätig gewesenen Dresdner kurfürstlichen Hofarchitekten Wolf Caspar von Klengel, erhebt dieses Werk zu einem Bindeglied der Reihe hochbedeutender Bauschöpfungen jener Zeit, die unter Klengels Leitung zur Ausführung kamen, beziehentlich begonnen wurden.
Diese Bauepoche, während welcher unter anderen die erste Anlage des Großen Gartens und der Bau des darin gelegenen prächtigen Lustschlosses erfolgte, zeitigt im letzten Viertel des siebzehnten Jahrhunderts den Anfang zu den baukünstlerischen Großtaten in Dresden und diejenige Baukultur in der Oberlausitz, der wir die bedeutenden Werke des »Zittauer Barocks« in der Hausbau- und Denkmalkunst verdanken und die fortlebte bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts.
Mit dem Beginn einer einsetzenden schulmäßigen Ausbildung Bauberufener in fernliegenden Großstädten, verlor die örtliche altmeisterliche Kunstübung ihre Kraft und Eigenheit, bis sie schließlich unterging in den Wellen neuer Zeit- und Kunstströmungen, welche zu neuem Leben erweckten die »klassischen Künste«, in deren strengem Geiste nach Friedrich Schinkels Plänen als Umbau errichtet und vollendet wurde die 1837 geweihte
St. Johanniskirche in Zittau.
Von der Bertsdorfer Kirche führen strahlenförmig Straßen-, Feld- und Waldwege in die Ortschaften, Waldungen und auf die Höhen des nahen Zittauer Gebirges. Ein aussichtsreicher, prächtige Blicke in das sich um Zittau weitende[116] Landschaftsbild gewährender Weg, führt am idyllisch gelegenen Hungerbrunnen vorüber, zur Leipaer Straße und durch die Katzenkerbe nach Oybin. Auf der Höhe, hinter der Katzenkerbe, entfaltet sich ein überraschend schönes Gegenbild. Es zeigt das den Oybiner Kessel rahmende Gebirge mit dem Hochwald und den im Mittelgrunde aufgetürmten Sandstein-Quaderberg Oybin.
Vielbesungene, sagenumwobene Ruinen krönen das Kleinod des Gebirges. In ganz eigener Schönheit, von Waldesgründen umgeben, liegt es, friedvoll eingebettet, vor des Wanderers Augen.
Doch am eindruckvollsten sind die Durchblicke, die aus Waldestiefen die hochthronenden, waldumsäumten Ruinen im Morgen- oder Abendglanz erscheinen lassen.
Anmerkung: Baugeschichtliche Daten nach: Gurlitt, Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler Sachsens. 29. Heft. Amtshauptmannschaft Zittau.
[8] Nr. 1 siehe Heft 11/12, Band V, 1916, Seite 347. Nr. 2 und 3 siehe Heft 4/6, Band VIII, 1919, Seite 75. Nr. 4 siehe Heft 1/3, Band IX, Seite 13.
[9] Vergleiche Band IX, Heft 1–3, Seite 13, Wanderbild 4. – Die Wieser Kirche unweit Seidenberg O.-L. – Hierbei sei bemerkt, daß der böhmische Grenzort nicht Wiesa, sondern Wiese heißt.
[10] Der Klosterbau erfolgte im Zeitraume 1366–1384, dient seiner Zweckbestimmung bis 1559, in welchem Jahre der letzte Mönch das Kloster verläßt, wird 1577 durch Blitzschlag und Brand zur Ruine.
Von Friedrich Sieber, Krostau bei Schirgiswalde
Vor einigen Jahren habe ich versucht, in einer Anzahl Ortschaften der Sächsischen Oberlausitz den noch vorhandenen Schatz an Volksliedern festzustellen. Ich bin nicht als Wandervogel durchs Land gezogen, der mit glücklicher Hand da ein Liedlein fing, dort ein anderes. Als geborener »Edelroller« war ich in den Ortschaften meist beruflich tätig. Mit Alter und Jugend sang ich. Mancherlei Beobachtungen habe ich dabei anstellen können.
Es ist deutlich wahrnehmbar, daß der Schatz der von Ohr zu Ohr überlieferten Lieder rasch im Abnehmen begriffen ist. Die Jugend kennt etwa nur noch die knappe Hälfte der Lieder, die in gleichen Ortschaften dem Alter vertraut sind. Dieses ungefähre Zahlenverhältnis gilt vor allem für bäuerliche Siedelungen. In rein industriell tätigen Gebieten ist die Liedüberlieferung viel mangelhafter. Nicht so ungünstig ist sie meiner Beobachtung nach in Ortschaften, die zwar überwiegend mit Industriearbeitern bevölkert sind, die aber auswärts zur Fabrik gehen. Seßhaftigkeit in vererbten Häuschen und gemeinsamer Fabrikweg können die Tatsache erklären.
[117]
Wer singt in den Dörfern die Volkslieder? Stellen sie ein Erbgut dar, allen Bewohnern einer Landschaft gleicherweise vertraut? Nein, die Zeiten der Gebundenheit aller an überlieferte Volkswerte sind auch in der Oberlausitz im Entschwinden. Das Volkslied hat sich aus breiter Öffentlichkeit zurückgezogen. Die größte Anzahl der Männer beachtet es kaum. Frauen sind seine Hüterinnen geworden. In überwiegender Weise ist es ein ganz bestimmter Typus der Frau des Volkes, die das überlieferte Volkslied hegt. Sie ist intellektuell gut veranlagt, sie hat Charaktereigenschaften, die sie zur Hausfrau und Mutter vorzüglich befähigen, sie ist stimmbegabt und meist mit sicherem musikalischen Gehör ausgestattet. Die Stuben, in denen von den Ahnen überlieferte Lieder gesungen werden, sind meistens blank und glänzend. In polnischen Wirtschaften habe ich fast nie alte Lieder singen hören. Bei gemeinsamer Winterarbeit (Federnschleißen) oder an weichen Sommerabenden auf der Bank vor dem Hause, da tritt das Volkslied aus seiner Verborgenheit. Die oben geschilderten Frauen sind die Vorsängerinnen, sie können Text und Melodie. Unter ihrer sichern Führung tauchen Bruchstücke in anderen auf, zagend fallen sie ein, und die getragenen Weisen lassen vergangene Welten wiedererstehen.
Doch ehe wir die Lieder einer Betrachtung unterziehen, die hier als Volkslieder bezeichnet werden, wollen wir uns über den Umfang des Begriffs verständigen. Ich habe in meine Sammelarbeit nicht mit einbezogen:
1. Lieder, die durch Schulpflege lebendig bleiben oder geblieben sind;
2. Lieder, die zum Sangesschatz der Gesangvereine gehören;
3. Lieder, die durch Wandervögel und ähnliche Bewegungen wieder in Umlauf gekommen sind;
4. Selbstverständlich alle modernen Schlager, mit denen gegenwärtig der allergrößte Teil der Sangeslust bestritten wird.
Die Lieder, die abgesehen von den in eins bis vier aufgezählten Arten noch im Volke lebendig sind, die allein wollen wir einer näheren Prüfung unterziehen. Ich habe ein reichliches halbes Hundert derartiger Lieder aufgezeichnet. Ich will einige von denen mitteilen, die meines Wissens nach noch nicht in Sammlungen veröffentlicht sind.
Am zahlreichsten ist das Liebeslied vertreten. Unter ihnen ist die Ich-Form häufig. Da singt ein Mädchen:
(Wittgendorf bei Zittau.)
Das folgende Lied bricht an der spannendsten Stelle ab. Eine andre, mit der ersten gar nicht zusammenhängende Erzählung beginnt. Dadurch wird eine geradezu ausgezeichnete Wirkung erzielt:
[118]
(Friedersdorf bei Zittau.)
Auch das Motiv, das in dem bekannten schwäbischen Lied: Jetzt gang i ans Brünnele, behandelt wird, fehlt unsern heimischen Liedern nicht. Meinem Empfinden nach ist es in mindestens ebenbürtiger Form dargestellt.
(Dittelsdorf, Friedersdorf bei Zittau.)
Ein Totenlied, rührend in seiner tiefempfundenen Schlichtheit, lautet folgendermaßen:
(Wittgendorf.)
Eine Totenklage ist auch das Lied, das in dem bekannten Volksliederbande der Blauen Bücher (Karl Robert, Langenwiesche: Von Rosen ein Krentzelein) unter der Überschrift: »Der Trauernde« (21.–30. Tausend, S. 96) abgedruckt ist. Die von mir aufgezeichnete Lesart ist ausführlicher, verrät aber in einigen dialektischen Wendungen noch den süddeutschen Ursprung.
[119]
Die alte Weisheit des Nibelungenliedes: als ie diu liebe leide z’aller jungeste gît, wird lebendig in dem Abschiedsgespräch zwischen einem Burschen, der wandern will, und seinem Mädchen:
(Wittgendorf.)
Häufig wird in den Liebesliedern die Ich-Form aufgegeben. Der Liebesstoff wird balladenartig behandelt. Als ein Übergang zu dieser Form kann folgendes Lied angesehen werden:
(Friedersdorf.)
In vielen Liedern treten dramatische und epische Bestandteile neben den lyrischen stärker hervor. Mehr oder weniger reine Balladen entstehen. Dazu gehört das schon von Herder im Elsaß aufgezeichnete Lied vom Grafen: »Ich stand auf hohem Berge«, das mit geringen Abweichungen in der ganzen Lausitz verbreitet ist, ferner das Lied: »Es war einst eine Jüdin«,[120] das in etwas umgestalteter Weise den Stoff der Königskinder behandelt und nach der Weise des Grafenliedes gesungen wird. Eine andre Ballade, die mit dem so sehr beliebten Anfang anhebt: »Es stand ein’ Lind’ im tiefen Tal, ist oben breit und unten schmal«, an den sich aber wenigstens drei verschiedene Lieder anschließen, die inhaltlich kaum etwas Gemeinsames haben, enthält einen schönen Liebesgruß, der schon seit dem Ruodlieb (1030) eine beliebte Gedichtform darstellt. Das Mädchen schickt mit dem Boten an ihren Liebsten, der sie vermeintlich verlassen hat, folgende Wünsche:
Eine stark abweichende Lesart der Ballade ist bei Uhland enthalten (Nr. 116). Das alte Balladenmotiv des verwundeten Burschen, der in den Armen der Geliebten stirbt, wird behandelt in dem auch anderwärts aufgezeichneten Liede: »Es wollt’ ein Mädchen früh aufsteh’n«, dessen dunkle Melodie in hervorragender Weise dem schwermütigen Stoff angepaßt ist. Knapp, rasch fortschreitend ist die Ballade vom Soldaten, der aus dem Kriege zurückkehrt:
(Schönbach bei Löbau.)
Es ist ganz zweifellos, daß dem erwähnten Heereszuge nach Österreich ein bestimmtes historisches Ereignis zugrunde liegt. In manchen Liedern tritt das Historische stark hervor. Die Ballade wird zum historischen oder politischen Lied. Ich habe in der Lausitz noch lebendig gefunden das Lied über den Feldzug Napoleons I. nach Rußland: »Napoleon, du Schustergeselle«, weiterhin ein Lied, das den Krieg von 1870 zum Hintergrund hat: »Im Städtchen zu Baden da steht ein Haus«, das aber dem bekannten Sedanliede: »Bei Sedan auf den Höhen«, an Wert nachsteht. Das Interessanteste dieser Gattung ist das über einen großen Teil Europas verbreitete Marlboroughlied, durch dessen Wortprägung und Wortbindung gedämpft der vornehme Glanz hochadligen Hintergrundes leuchtet. Dieses Marlboroughlied hat in der Oberlausitz ein eigenartiges Schicksal gehabt. Der Eingang: »Marlborough zog zum Kriege«, hat sich eine kühne volksethymologische Umdeutung gefallen lassen müssen. Was war dem biedern Lausitzer, der sangeslustigen Dorfdirne, der stolze Britenherzog Marlborough? Und so begann der Lausitzer[121] das Lied: »Mein Bruder zog zum Kriege«. Nun konnte nicht mehr Madame in die Höhe steigen, um nach den Vermißten Ausschau zu halten, der zu Ostern kommen wollte, sondern die Schwester tut es. Nun kommt nicht mehr der Page, der die Trauerbotschaft bringt, der höfisch und fein spricht:
Drei Burschen kommen gezogen, von Blute rot, Mitkämpfer sind sie gewesen. Anspruchslos und schlicht sprechen sie:
Durch alle diese folgerichtigen Änderungen ist die Handlung der Ballade aus der großen Welt in den engen Kreis des Volkes verpflanzt worden, ohne etwas von ihrer Tragik zu verlieren.
Aber nicht nur harte politische Tatsachen haben im Volkslied ihren Niederschlag gefunden. Viele von ihnen sind vom kulturhistorischen Gesichtspunkt aus aufs höchste belehrend. Vor allem fesselt den Literarhistoriker manch seltsames Lied, das unter dem Namen Volkslied durchschlüpfen will, weil es vom Volke gesungen wird. Das echte Volkslied, das wurzelhaft dem Volke entwachsen ist, zeigt eigentümliche Merkmale, die ihm einen wundersamen, unnachahmlichen Zauber verleihen. Das Volk, das solche Lieder hervorbringt, ist gleichsam eine ungeheure, sich selbst unbewußte Individualität, von einer mächtigen Lebensform beherrscht, die in seinen Gestaltungen nach Ausdruck ringt. Je näher wir der neueren Zeit rücken, desto fühlbarer zerbricht der Kosmos Volk. Gruppen und Einzelwesen entreißen sich seinem magischen Banne. Neben die Dichtung des Gesamtvolkes tritt die Dichtung der schöpferischen Persönlichkeit. Aber in allen gesunden Zeiten besteht eine starke, untergründige Verbindung zwischen Volk und Persönlichkeit. Beide hängen zusammen wie Mutter und ungestümes Kind. Eins steigert das Wesen des andern. Wieder eine solche reine Verschränkung zwischen Volk und Einzelwesen entstehen zu sehen, ist unser aller Sehnsucht; denn seit Beginn der neuesten Zeit ist die Lebensform Volk in Millionen Atome zersplittert. Jedes Glied der einstigen Gemeinschaft hat das Recht betontester Einzelexistenz an sich gerissen. Die Folge dieses Vorgangs ist auf künstlerischem Gebiet die Zerstäubung jedes Stilgefühls. In Zeiten tiefer Bindungen wird der Mensch in einen Stil hineingeboren, dessen Träger das Gesamtvolk ist. Nach Zertrümmerung des tragenden Mutterschoßes wird Stil zu einer Aufgabe, die jeder im individuellen Leben in zuchtvoller Arbeit lösen muß. Da dies aber nur wenig Begnadeten möglich ist, bleibt die Masse der Glieder eines Volkes in lebengestaltender Hinsicht im Chaos. Der Instinkt für angemessene Form ist verloren gegangen. Wahllos ist die Masse jedem Einfluß hingegeben. Daß dies nicht erst ein Entwicklungsergebnis der unmittelbaren Gegenwart ist, beweisen eine Anzahl Lieder, die deutliche Spuren flüchtiger Literaturmoden an sich tragen, die der bewertende Beurteiler mit gutem Gewissen als minderwertig bezeichnen kann. Drei Einflüsse dieser Art sind in einer Anzahl der von mir gesammelten Lieder deutlich wahrnehmbar. Zum ersten sind es die Schauerromane, die an der Wende des neunzehnten Jahrhunderts sich außerordentlicher Beliebtheit erfreuten. Besonders häufig sind die Schauer des Kirchhofs verwendet worden. Dort finden wir während der »süßen« Geisterstunde den Liebhaber, dessen Mädchen starb. An der Kirchhofsmauer rauscht es. Eine weiße Gestalt naht, still und sanft, voller Trauer. Wilhelmine ist es. Flehend bittet der Liebhaber, ihn mitzunehmen in ihre Totenkammer. Aber allein entschwindet sie ihm. Nicht nur Stoff und Behandlungsart verraten die Entstehungszeit dieses Liedes. Wer sich einmal die lehrreiche Mühe machte, die Vornamen unsrer Vorfahren zusammenzustellen, wird finden, daß Wilhelmine eine ganze Zeit hindurch im ersten Teil des neunzehnten Jahrhunderts ein ausgesprochener Modename war. Noch ein andres Schauerlied möge Erwähnung finden. Es erzählt, wie ein Schlossergesell’ nach jahrelanger Wanderschaft zu seinen Eltern, die ein Gasthaus haben, zurückkehrt. Der Bursche gibt sich nur seiner Schwester zu erkennen. Um Mitternacht ermordet der Vater, von Neugier und Habsucht getrieben, den unbekannten Fremdling. Dies Lied ordnet sich wichtigen literarhistorischen Zusammenhängen ein. Es behandelt einen ganz ähnlichen Stoff, wie die Tragödie[122] Fatal curiosity des Engländers George Lillo, die zum Ausgangspunkt der Schicksalstragödie wurde, die mit Hilfe des entfesselten Geisterchors, durch entsetzliche Bluttaten und Verbrechen, Schauer und Entsetzen erregen wollte.
Um dieselbe Zeit, als in Deutschland die Schicksalstragödien blühten, waren die tugend- und rührsamen Familiengeschichten des Feldpredigers August Heinrich Julius Lafontaine in Mode. War er doch sogar ein Lieblingsschriftsteller der Königin Luise. Auch dieser Einfluß ist in einigen Liedern deutlich nachzuweisen (z. B.: Steh ich hier am eisern Gitter).
Mit diesen beiden Einflüssen hat auch die dritte der damals herrschenden Moden ihren Niederschlag in Liedern gefunden. Es ist die nach dem Erscheinen des Götz von Berlichingen wildwuchernde Ritterromantik. Deutschland wurde von Ritterdramen und Ritterromanen überschwemmt. Welche köstlichen unfreiwilligen Parodien entstanden, mag eine Probe zeigen:
(Krostau.)
Doch nicht mit diesen Tönen wollen wir eine Abhandlung über Volkslieder der Sächsischen Oberlausitz schließen. Das soll eine kurze Betrachtung mundartlicher Dichtungen tun. Mundartliche Lieder, die über den Interessenkreis eines bestimmten Dorfes (Beziehungen auf bestimmte Personen und Vorkommnisse) hinausgehen, sind nicht zu zahlreich. Ihr gemeinsames Merkmal besteht darin, daß sie fast ausnahmslos Scherzlieder sind. Da werden die üblichen Berufe einer scherzhaften Prüfung unterzogen. – Die besorgte Mutter schlägt der Tochter aus jedem Berufe »Einen« vor. Aber das Töchterchen ist wählerisch. An jedem hat sie auszusetzen:
Doch endlich hat sie den rechten gefunden:
(Naundorf bei Gaußig.)
Anspruchsloser ist eine andre Dorfschöne:
(Goldbach.)
Aber was sich hinter der holden Hülle der Schönen verbirgt, das kommt erst nach der Ehe zum Vorschein. Das kann uns der unglückliche kleine Mann erzählen:
(Naundorf.)
Ein andres Lied erzählt in neckischer Weise die Geschichte von der Bauersfrau, die dem Pfäfflein einen Hirsebrei mit einem halben Schock Eiern kocht, während der Bauer im Holze ist.
Ich muß gestehen, daß es mir nicht ganz unbedenklich erscheint, daß der Lausitzer mundartlich nur Scherzlieder kennt. Empfindet er seine Mundart selbst als komisch? Der Spaßmacher spricht Mundart. Oder ist sein innerstes Wesen überwiegend aufs Komische gerichtet, für Tragisches schwer zugänglich? Das glaube ich nicht. Vielleicht ist er zu verschlossen und zu unbeholfen, um seine tiefsten Empfindungen dem Worte anzuvertrauen.
Wenn wir im Vorangegangenen die Texte der Volkslieder einer Prüfung unterzogen haben, so müssen wir uns dabei bewußt bleiben, den unwesentlichen Liedteil betrachtet zu haben. Der Träger des Volksliedes ist die Melodie. Das wird dem Sammler oft in eindringlicher Weise deutlich. Die meisten seiner Gewährsleute können ihm das Lied nicht aufsagen, sondern nur vorsingen. Mit der Melodie stellt sich der Text ein. Ganz dürftige Texte sind um ihrer Melodie willen beliebt, während wertvolle Texte, wenn sie unsanglich sind, vernachlässigt werden. Im allgemeinen kann jedoch behauptet werden, daß Text und Melodie zu einer stilvollen Einheit verschmolzen sind. Text und Melodie offenbaren eine einfache, natürliche, undifferenzierte Empfindungsweise. Vor allem die Melodie bringt meist in hervorragender Weise typische Empfindungszustände, wie Ausgelassenheit, Freude, Lust, behagliche Zufriedenheit, Trauer, Schmerz zum Ausdruck. Gerade in dieser typisierenden Darstellung von Seelenzuständen liegt ein wesentlicher Grund der allgemeinen Beliebtheit des Volksliedes.
[124]
Von B. Voigtländer
Den Ausführungen Klengels in Heft 10 bis 12 des vorigen Jahrganges unsrer Mitteilungen wird jeder Natur- und Heimatfreund zustimmen; der Nußbaum ist tatsächlich nicht nur ein wertvoller Nutzbaum, sondern er befriedigt auch unser Schönheitsgefühl durch seinen hohen Schmuckwert. Da wir jetzt gezwungen sind, das Größtmöglichste aus unserem Boden herauszuwirtschaften, möchte ich noch auf einen anderen, weniger bekannten Nußbaum hinweisen, der wegen seiner hervorragenden Eigenschaften die gleiche Beachtung verdient, wie der bei uns zumeist angepflanzte gewöhnliche oder Walnußbaum, Juglans regia.
Es ist der amerikanische oder schwarze Nußbaum, Juglans nigra; er übertrifft in Schnellwüchsigkeit und Schmuckwert den Walnußbaum, ist für unser Klima genügend hart und stellt keine höheren Ansprüche an die Bodenbeschaffenheit. Seine Schnellwüchsigkeit ist in dendrologischen Werken und Fachzeitschriften wiederholt dargelegt worden, außerdem bin ich in der Lage, ein treffliches Beispiel dafür aus eigener Anschauung anzugeben. Der Tharandter Forstgarten besitzt je einen, vor etwa dreißig Jahren gepflanzten Baum beider Arten. Während nun Juglans nigra in Brusthöhe bereits einen Umfang von ungefähr einen Meter hat, mißt Juglans regia erst gegen siebzig Zentimeter. Hierzu kommt noch, daß ersterer gegen fünfzig Meter hoch wird, während der letztere selten eine Höhe über zwanzig bis fünfundzwanzig Meter erreicht. An Holzzuwachs übertrifft also der schwarze Nußbaum den Walnußbaum ganz erheblich.
Juglans nigra hat eine schmälere Krone als Juglans regia, seine schmäleren Blätter stehen nicht so dicht, lassen also mehr Sonnenlicht durch die Krone. Die Anpflanzung wird sich also namentlich dann empfehlen, wenn die pflanzliche Umgebung des Baumes durch zu tiefen Schatten, wie ihn der Walnußbaum meist gibt, ungünstig beeinflußt würde. Einen Mangel hat der Baum allerdings; seine Früchte sind nicht so wertvoll wie die des Walnußbaumes. Da Schale und Kernhaus sehr dickwandig sind, bleibt für den Inhalt nicht viel Raum; der Kern bleibt klein und wird zudem wegen seines starken Ölgehaltes sehr leicht ranzig. Dieser Nachteil will mir aber nicht als ausschlaggebend erscheinen, da ich die Früchte des Walnußbaumes nicht als Nahrungsmittel, sondern nur als Naschgelegenheit ansprechen möchte. Meines Erachtens wiegt der hohe Wert, den der schwarze Nußbaum[125] als Nutzholzerzeuger hat, den Mangel der Früchte mehr als doppelt auf. Das Holz des amerikanischen Nußbaumes wird in Zukunft noch mehr begehrt werden als schon jetzt, weil es ein sehr wertvoller Stoff für die Herstellung von Flugzeug-Propellern ist.
Auch in bezug auf Anpflanzung und Pflege ist die amerikanische Nuß nicht anspruchsvoller als die gewöhnliche Walnuß. Am besten fährt man, wenn man den Baum nicht pflanzt, sondern die Nüsse an Ort und Stelle legt. Die beste Zeit dafür ist der Herbst; man erreicht dadurch, daß ungefähr achtzig vom Hundert zum Keimen kommen, während bei der Frühjahrssaat nur bei etwa sieben vom Hundert ein Erfolg eintritt.
Ist man gezwungen, einen amerikanischen Nußbaum zu verpflanzen, so achte man darauf, daß das sehr fleischige und leicht eintrocknende Wurzelwerk vollständig erhalten bleibt, auch setze man es nicht unnötig lange der Luft und Sonne aus, sondern pflanze den Baum sofort wieder ein. Dies gilt übrigens für beide Nußbaumarten. Beachtet man diese Hauptregel, so wird man kaum Verluste zu beklagen haben.
Es könnte noch die Frage auftauchen, ob nicht etwa das Vaterlandsgefühl verletzt würde, wenn man amerikanische Nußbäume zahlreich anpflanzte. Dem ist aber entgegenzuhalten, daß der Walnußbaum in unsrer engeren Heimat von Haus aus auch nicht bodenständig ist. Dem Dresdner Heimatfreunde bietet sich Gelegenheit, einen sehr großen amerikanischen Nußbaum an der Villa 78 an der Schnorrstraße zu bewundern. Er ist wahrscheinlich der größte derartige Baum von Dresden und der weiteren Umgebung.
[11] Da Juglans nigra wegen des prächtigen Wuchses trefflich geeignet ist, das Landschaftsbild verschönern zu helfen, kann die Anpflanzung nur empfohlen werden. Die Frucht ist zwar weniger wertvoll, um so gesuchter ist aber das Holz. Vor dem Kriege wurde es in großen Mengen eingeführt, um zur Herstellung von Gehäusen elektrischer und photographischer Apparate verwendet zu werden. Es würde ein Dienst am Vaterlande sein, wenn es gelänge, durch eigene Erzeugung die Einfuhr einzuschränken. Der Baum würde in erster Linie zur Holznutzung in Frage kommen; die Fruchtgewinnung stünde erst an zweiter Stelle. Da, wie bereits erwähnt, die Frucht des schwarzen Nußbaumes weniger wertvoll ist als die des Walnußbaumes, eignete er sich vielleicht gut zur Anpflanzung an abgelegeneren und schwerer zu überwachenden Orten, denen man, wegen des zu erwartenden Fruchtdiebstahls und der daraus regelmäßig entstehenden Beschädigung der Bäume, Walnußbäume nicht anvertrauen will.
A. Klengel.
Von Rich. Schlegel
Was für ein Vogel ist das? wird mancher Leser fragen, dem auf seinen Wanderungen Kohl-, Blau-, Sumpf- und Schwanzmeisen im Waldesgrün liebe Weggenossen waren und durch ihr lebhaftes Wesen im Gezweig, am Nistkästchen des Gartens oder am winterlichen Futterplatz oftmals seine Aufmerksamkeit lebhaft fesselten. Im vogelstimmenärmeren, schweigsamen Nadelwalde begegneten uns zuweilen auch im Verbande der zutraulichen kleinen Vogelknirpse Goldhähnchen, Tannen- und Haubenmeisen als charakteristische Erscheinungen, aber die Weidenmeise? Ich will den Schleier, der sie dem Nichtornithologen verbirgt, ein wenig lüften, einen kurzen Blick auf die Geschicke ihrer Vergangenheit werfen und sie dem Naturfreunde und Wanderern im Hügel- und Berglande soweit vorstellen, damit auch er sie kennenlernt und unsere Lücken in der Kenntnis ihrer vaterländischen Verbreitung mit zu schließen in die Lage versetzt wird.
Unser großer Chr. L. Brehm, der vielbefehdete Artzersplitterer, der mit scharfem Blick seinen Zeitgenossen weit vorausgeeilt, war es, der dem Studium des[126] Vogelkleides in seiner Veränderlichkeit sein bestes Können widmete, aber, und das war sein Fehler, geographische und individuelle Veränderlichkeit nicht scharf auseinanderhielt. So konnte, um nur ein Beispiel anzuführen, seine Dorfhaubenlerche, Galerita cristata pagorum, gleichzeitig »bei Leipzig, Klagenfurth, Lübs in Mecklenburg und in Ungarn« auftreten. Unser Altmeister war es, der auch die Weidenmeise wie den kurzkralligen Gartenbaumläufer als ausgezeichnete Arten erkannte und erstere in der Isis 1828 beziehentlich im Handbuch der Naturgeschichte aller Vögel Deutschlands 1831 unter den Namen Parus salicarius, die Weidenmeise, in die ornithologische Wissenschaft einführte. Nach ihm lebt der Vogel »besonders an den mit Weiden besetzten Bach-, Fluß- und Teichufern«. Mir wenigstens will es scheinen, als habe Vater Brehm außer acht gelassen, daß die bezeichneten Aufenthaltsgebiete nur von angrenzenden Nadelholzschonungen aus, und zwar gern besucht, aber als ständiger und Brutaufenthalt kaum gewählt worden sein dürften. Wenn man als Ideal erstreben muß, daß im Namen des Tieres in dieser oder jener Hinsicht eine kurze Diagnose liege, dann erscheint mir der Name, wenigstens für vaterländische oder andere mitteldeutsche Verhältnisse, soweit ich sie kenne, nicht besonders glücklich gewählt zu sein. Er mag für manche Gegenden – nach Kleinschmidt auch für die Rheingegend – zutreffend sein, im Niederungsgebiete des Vaterlandes aber wird man in Weidenpflanzungen oder an Bach- und Flußufern vergeblich nach unsrer Meise Umschau halten. Da man die »neuen Arten« Vater Brehms mit Mißtrauen betrachtete und feinere morphologische und biologische Unterschiede wenig Geneigtheit und Verständnis fanden, hielt man es nicht der Mühe für wert, der neuen Art weitere Aufmerksamkeit und kritische Prüfung zuteil werden zu lassen. Erst den Forschungen der letzten Jahrzehnte, insbesondere den ausgezeichneten, erschöpfenden Arbeiten eines O. Kleinschmidt blieb es vorbehalten, den Vogel dem Interesse des Fachornithologen näher zu rücken und ihm zu einer glänzenden Auferstehung zu verhelfen, ihn mit der Zeit aber auch in eine Menge mehr oder minder leicht unterscheidbare geographische oder klimatische Rassen zu spalten. Seit das Rad ins Rollen kam, haben die Fachgenossen ausnahmslos gerade diesem interessanten Vogel, dem »winzigen ornithologischen Edelwilde«, wie es Kleinschmidt einmal voll Begeisterung nennt, ihre ungeteilteste Aufmerksamkeit und fleißige Feder gewidmet. So ist heute, dem Fachornithologen, dem Systematiker und Biologen gleichwichtig, die Weidenmeise eine bekannte und ausnahmslos anerkannte Art, deren Schriftentum, gesammelt, dicke Bände füllen würde. Aber auch im Kreise der Vogelkundigen, wollen wir sie trotzdem nennen, dürfte doch mancher Fachgenosse sitzen, dem das Freileben, die Kenntnis der Art überhaupt, ein Buch mit sieben Siegeln blieb. Was mag der Grund hierfür sein? Man hielt Sumpf- und Weidenmeise für ein und dieselbe Art. Ich darf wohl unsere Sumpfmeise Parus palustris communis Bald. im grauen Röckchen, mit dem glänzend tiefschwarzen und sich über den Nacken herabziehenden Scheitelfleck und den weißen Wangen als bekannten Vogel voraussetzen. Dieser Art nun sieht unsere Weidenmeise außerordentlich ähnlich, aber die Kopfplatte ist glanzlos und mattschwarz, mit einem Stich ins Bräunliche und weich im Ton. Der Schwanz (Stoß) ist deutlich und tiefer gestuft, die weißen Wangen mehr sich abhebend und weiter seitwärts ziehend. Die Schwingen zweiter Ordnung sind mit[127] breiten grauen Säumen ausgestattet, auf dem zusammengelegten Flügel einen deutlichen schmalen Längsfleck bildend. Das sind nur die am meisten hervortretenden Artunterschiede. Wer »Glanz-« und »Mattkopfmeise«, die Vertreter zweier morphologisch und biologisch streng geschiedener, ausgezeichneter Formengruppen nur einmal nebeneinander verglichen, der wird sich schwerlich jemals wieder in der Bestimmung eines Stückes irren können. Aber im Freileben, im Dunkel oder Zwielicht des Gezweiges, im hastigen Vorwärtseilen der flüchtigen, von Strichunruhe ergriffenen oder den Blick des Beobachters scheuenden Vögel sind die Kennzeichen auch dem geschulten Auge nicht immer einwandfrei erkennbar. Da hilft nun allein schon der Lockton über alle Zweifel hinweg. Die Sumpfmeise sagt: tje tje, in der Erregung wohl auch h’tje dededede. Die Weidenmeise ruft ein, auch dem stimmlich weniger geschulten Beobachter sofort auffallendes gezogenes und gepreßtes däh – dähdähdäh oder spizidähdähdäh. Dieser Laut ist es immer, der mein ohne dies schon zu hastig pulsierendes Ornithologenblut in noch raschere Wallung versetzt, da er mir immer die sicherste Gewähr dafür bietet, daß ich meinen gesuchten Freund in sicherer Nähe weiß.
Im Interesse einer geneigten Mitarbeit zum Zwecke der Festlegung weiterer vaterländischer Örtlichkeiten, wo die mattköpfige Meise heimatet, will ich noch in aller Kürze der als Aufenthalt bevorzugten Geländeart und bereits bekannten Fundorte gedenken. Ich kann mich dabei um so kürzer fassen, als ich hierüber, sowie über weitere Resultate meiner letztmaligen Erzgebirgsstreife, die ich ausschließlich für diesen Zweck unternahm, in einer ornithologischen Fachzeitung ausführlicher berichten werde. Sicher ist unsere Meise, eine borealalpine Art, vom Hügellande bis zur Kammhöhe der sächsischen Gebirgszüge herauf, falls geeignete pflanzliche Formationen vorhanden, eine gewiß nicht seltene, aber immer nur mehr einzeln und zerstreut auftretende Art, die an Nadelholzformationen, beziehentlich Mischwald gebunden zu sein scheint. Ob Kiefernschonungen allein eine besondere Anziehungskraft auf sie auszuüben vermögen, wie ein befreundeter vaterländischer Forscher anzunehmen geneigt ist, glaube ich nicht. Soweit ich den »Bayrischen Wald« kenne, war dies, bei gänzlichem Zurücktreten der Kiefer, hier ebenfalls nicht der Fall. Das Innere geschlossener und gleichgearteter, besonders dichter, ungegliederter und zusammenhängender Wälder meidet sie; das muß sie schon ihres Namens wegen! Wo sich die Ränder solcher Bestände aber lichten und in einzelne Baumgruppen verschiedenen Alters oder verschiedener artlicher Zusammensetzung nach freiem Gelände hin auflösen, das mit Buschwerk umrahmt ist, Laubbäume einzeln oder in Reihen bietet und des Wassers nicht entbehrt, da darf man schon nach unserm Vogel Erfolg versprechende Aus- und Umschau halten. Mittelhohe lichte Schonungen und deren Ränder, gleichviel ob auf ebenem, hügeligem Gelände oder steilem Hang, mit Laubholz- oder Buschwerkstreifen, mit anschließenden oder eingreifenden Ufern und Rändern, Wiesen- und Feldkulturflächen, also recht wechselvolles Gelände, wie es Strecken mit Bauerwäldern verschiedener pflanzlicher und pfleglicher Beschaffenheit und verschiedenen Alters zeigen, scheinen unserm Vogel am meisten zuzusagen. Wenn die Erlkönigmeise, wie sie Kleinschmidt in einer Monographie auch nennt, die Aufmerksamkeit des Menschen auf sich gerichtet sieht, dann weiß sie sich meisterhaft[128] nach den schützenden Schonungen hin oder in die hohen Kronen zu drücken. Hier hören wir wohl fortgesetzt oder auch mit längeren Unterbrechungen ihre Lockrufe, aber immer versteht es der Vogel ausgezeichnet, sich vor dem nach ihm ausspähenden Augen zu verbergen. Dabei ist die Eigenart seines Wesens immer Unbeständigkeit und Unrast. Wenn man ihn einmal aus den Augen verloren, und das geschieht nur zu oft bei einsetzender Schweigsamkeit und im Verbande mit Goldhähnchen und anderem Meisenvolk, dann kann man sich stundenlang im Suchen üben, findet aber den Vogel nach dem Locktone immer wieder an bestimmten Stellen, wo man mit ihm bereits einmal zusammentraf. Das sind immer Feierstunden eigener Art für mich, wenn ich, mit mir und der Natur ganz allein im schweigsamen Waldesdunkel, fern vom Treiben einer entsittlichten Welt, am Born der Gottesnatur aus vollen Zügen schlürfen und an ihren Geschöpfen erlauschen darf, was mir daheim am Arbeitstisch das Buch versagt. –
Wie die zwei Stücke der Dresdner Landessammlung beweisen, wurde die Weidenmeise 1903 erstmalig für Sachsen nachgewiesen, und zwar für die Gegend von Königsbrück. 1916 bis 1918 stellte ich ihr Vorkommen mehrmalig für die Umgebung von Hohenstein-Ernsttal fest. 1918 konnte sie ferner Heyder bei Rochlitz und Oederan beobachten. Nach Heyder wies Mayhoff die Weidenmeise an drei verschiedenen Stellen der sächsischen Lausitz nach. 1917 fanden sie Uttendörfer und Kramer um Herrnhut und Niederoderwitz. 1919 machten Schelcher und Stresemann darauf aufmerksam, daß unsere Meise in den Wäldern um Aue und Schneeberg keine allzuseltene Erscheinung sei. Während der Michaeliswoche 1921 folgte ich zunächst den Pfaden Stresemanns und fand die Angaben beider Forscher für die genannten Orte in jeder Hinsicht bestätigt. Als weitere Orte ihres Vorkommens konnte ich, kammwärts wandernd, das Floßgrabengebiet bei Albernau und Auerhammer meinen Aufzeichnungen einfügen. Im Filzteichgebiet und den Wäldern vor Hundshübel und Burkhardtsgrün konnte ich keinerlei Erfolge buchen. Nach zweitägigem Suchen in den Wäldern zwischen Elterlein und Scheibenberg, sowie in dem Waldbestande des Berges selbst, traf ich unsern »Mattkopf« auch hier wieder an. Wie ein Blick auf die Karte Sachsens lehrt, klaffen noch weite Lücken in der Kenntnis der Verbreitung der Weidenmeise auf vaterländischem Boden. Ich möchte am Schlusse meiner kurzen Ausführungen wandersfrohen Naturfreunden die Bitte ans Herz legen, bei gegebenen Gelegenheiten dem interessanten Vertreter vaterländischer Tierbesiedlung ihre Aufmerksamkeit nicht zu versagen, gewonnene Resultate zu veröffentlichen oder dem Verfasser zum Zwecke einer Gesamtbearbeitung zu überlassen. Ich darf heute schon die Versicherung geben, daß eine diesbezügliche kleine Mühe und Unbequemlichkeit sicher und reichlich die schönsten Früchte zeitigen werden.
Die Berankung von Gebäudeschauseiten stellt eine freundliche Zutat der Bauwerke dar, die deshalb überall großen Beifall findet, weil sie alten unansehnlichen Gebäudemauern und schmucklosen Hauswänden ein schönes Aussehen verleiht. Der letzterwähnte Umstand wird ja einstimmig anerkannt, dagegen ist man über den praktischen Wert ganz verschiedener[129] Meinung. Während nämlich von einer Seite behauptet wird, durch die Berankung werde dem Bauwerk Feuchtigkeit zugeführt, behauptet die andere Partei das Gegenteil, das heißt die Feuchtigkeit würde dem Bauwerk durch die Wurzeln der klimmenden Pflanzen entzogen. Je nach Lage des Falles können beide Parteien im Recht oder auch im Unrecht sein. Praktisch betrachtet wird ein Bauwerk, das an sich infolge unsachgemäßer Ausführung Feuchtigkeit besitzt, durch die Berankung niemals trocken werden. Anderseits kann aber auch in ein sonst gut trockenes Bauwerk durch die Berankung niemals Feuchtigkeit hineingetragen werden. – Die Behauptung, Kletterpflanzen tragen Feuchtigkeit in das Bauwerk, ist nur dann zutreffend, wenn es sich um Mauerwerk aus minderwertigem Mörtel und aus wenig gebrannten Ziegeln handelt beziehungsweise wenn der Putz auf seiner Oberfläche Spalten und Risse aufweist. In letztere dringen nämlich die Wurzeln ein und führen zuweilen eine Zerstörung des Putzes herbei. Bei sachgemäß ausgeführtem, aus guten festen Baustoffen bestehendem Mauerwerk hat die Berankung stets günstige Erfolge gezeitigt. Denn Efeu und andere Schlinggewächse wuchern schon seit Jahrhunderten an den Gebäuden empor, und nur selten sind Klagen laut geworden, die den Efeu als nachteilig bezeichnen. Gerade die Efeublätter legen sich schuppen- beziehungsweise dachziegelartig dergestalt übereinander, daß Regen und Schnee ohne weiteres an das Bauwerk überhaupt nicht gelangen können. Erreicht die Feuchtigkeit aber trotzdem das Mauerwerk, so wird sie vom Efeu sehr bald wieder herausgezogen. – Wer besonders vorsichtig sein will, kann bei vorhandenen, älteren, gut ausgetrockneten Bauwerken die Nord- und Ostseite nur mit solchen Pflanzen beranken, die eine weniger dichte Hülle darstellen; die West- und Südseite dagegen kann bedingungslos eine dichte Berankung, unmittelbar am Erdboden beginnend, erhalten. Bei neuen Gebäuden empfiehlt es sich, zunächst eine Berankung der Süd- und Westfront vorzunehmen. Erst später, d. h. nach gründlicher Austrocknung, kann man die nördliche und östliche Seite beranken, und zwar in der Weise, daß die Belaubung etwa vierzig bis sechzig Zentimeter über dem Erdreich beginnt, damit die Sonne und die Luft ungehinderten Zutritt zu den Fundamenten des Gebäudes erhalten.
Zu den bei uns am meisten in Betracht kommenden Rankengewächsen gehört Efeu, wilder Wein, Glyzina, Waldrebe (Klematis), Ampelopsis-Veitchi, Ampelopsis-Engelmanni, Pfeifenkraut (Aristolochia), rankende Rosen, Rosen von Jericho (Lunicera) und Hopfen.
Der Wanduntergrund, d. h. also der Putz beziehungsweise die Fugen müssen recht widerstandsfähig sein, damit den Wurzeln nicht die Möglichkeit zum Eindringen gegeben wird. Als Wandputz eignen sich feste Putzmassen mit Quarz- oder Porphyrzusatz, hellfarbiger Edelsteinputz wie Terrasit und dergleichen. Efeu bevorzugt übrigens den Kalk als Nährboden, was ja bei seiner Abstammung aus der immergrünen Zone des Mittelmeergebietes leicht verständlich erscheint.
Neben Efeu und wildem Wein verdient der Selbstklimmer Ampelopsis-Veitchi insofern besondere Beachtung, als sich bei diesem niemals abstehende Zweige entwickeln, vielmehr greifen dieselben mitsamt den Blättern immer dachziegelartig übereinander und beschützen somit das Gebäude gegen die Unbilden der Witterung. Die Blätter fallen allerdings im Herbst ab, so daß die Wände nur mit dem Gerüst der jungen Triebe bedeckt sind.
Efeu gedeiht an der nördlichen Hauswand vortrefflich und stellt auch an die Bodenbeschaffenheit keine besonderen Ansprüche. Bei den alten Lehmhäusern kann man oft beobachten, wie gerade der Efeu den Gebäudewänden und dem Dache einen Schutz und dem Ganzen ein freundliches, heimisches Aussehen verleiht. Efeu bietet nicht nur dem Wind und Wetter einen bedeutenden Widerstand, sondern auch der Wärme und Kälte und sorgt somit für eine genügende Trockenhaltung der Wände. Dadurch, daß die Efeublätter von der Sonne stark erwärmt werden und diese von den Blättern aufgesaugte Wärme nach oben steigt, sich also auch den Wänden mitteilt, werden letztere trocken und warm gehalten. Wenn eine hell gestrichene oder geputzte Wand im Sommer die Wärme zurückwirft, im Winter aber die Kälte und Feuchtigkeit an sich zieht, so tritt auch hier wieder der Efeu vermittelnd ein, indem er einen wohltätigen Einfluß auf die Mauern ausübt, damit diese nicht dem vorzeitigen Verfalle anheimfallen. Die im Erdreich befindliche Feuchtigkeit, die sich unter gewöhnlichen Umständen den Fundamentmauern mitteilen würde, saugt der Efeu, der zu seiner Entwicklung selbst viel Wasser benötigt, auf.
Wenn nun hier für die Berankung der Gebäudewandflächen eingetreten wird, so soll damit nicht gesagt sein, daß dies für jedes Haus ohne Ausnahme geschehen soll. Ein altes Sprichwort[130] sagt: »Allzuviel ist ungesund.« So auch hier. Bei weniger schönen Bauwerken ist die Berankung deshalb sehr am Platze, weil die häßlichen Bauteile auf diese Weise den Blicken entzogen werden, wodurch das Bauwerk an Ansehen gewinnt. Dagegen wäre die Berankung schöner Architekturteile, wie Ornamente, Pfeiler, Jahreszahlen, Schriften und dergleichen eine ganz verfehlte Maßnahme, von der unbedingt abzuraten ist. – Für die Berankung kommen nicht nur Wohnhäuser in Betracht, sondern auch die kahlen Wandflächen von Scheunen, Schuppen, Fabrikgebäuden und Ställen können auf diese Weise eine ganz bedeutende Verschönerung erfahren.
Natürlich bringt die Gebäudeberankung auch Nachteile mit sich, die nicht verschwiegen werden dürfen. So kommt es nicht selten vor, daß sich in dem dichten Gestrüpp und Blätterwerk das Ungeziefer, wie Fliegen, Mücken, Spinnen, Mäuse, Spatzen und dergleichen einnistet, was mitunter für die Bewohner insofern eine üble Plage bedeutet, als diese Tiere sehr leicht in die Wohn- und Vorratsräume eindringen können. Durch sachgemäße Vorkehrungen lassen sich indes derartige Übelstände wirksam verhüten beziehungsweise vermindern.
Eine andere Verschönerung der Gebäudeflächen, mit der gleichzeitig ein guter Nutzen verbunden ist, läßt sich durch Anlage von Spalierobst erzielen. Als Spalierbäume kommen Apfel-, Birnen-, Pfirsich- und Aprikosenbäume in Betracht. Die Früchte der Spalierobstbäume sind schöner und schmackhafter als diejenigen der freistehenden Bäume. Seitdem man allgemein die hohe volkswirtschaftliche Bedeutung des Spalierobstbaues erkannte, hat derselbe in den letzten Jahren eine gewaltige Erweiterung erfahren. Es ist festgestellt, das ein Quadratmeter Spalierobst jährlich eine ansehnliche Summe Nutzen abwirft. Die Befürchtung, daß die Wurzeln der Spalierbäume schädlich für das Fundamentmauerwerk sind, ist deshalb grundlos, weil sich dieselben nicht nach den Fundamenten zu, sondern in entgegengesetzter Richtung entwickeln. Deshalb können auch gutgepflegte Hausspaliere weder dem Bauwerk noch den Bewohnern irgendwelchen Schaden zufügen. Da nun bei der Besprengung der Bäume das Wasser in die Mauer eindringt, so empfiehlt es sich, letztere besonders zu schützen, was unterhalb des Erdreiches durch Bestreichen mit Gudron und oberhalb mittels hellfarbigen Pixols oder dergleichen erfolgen kann. – Die Spaliergestelle bestehen aus tunlichst senkrecht angeordneten, gehobelten und gefasten Latten, deren Entfernung untereinander etwa dreißig Zentimeter beträgt. Das ganze Gestell soll man möglichst abnehmbar einrichten und so anbringen, daß es etwa zehn Zentimeter von der Wand entfernt ist. Die Anordnung von wagerechten Spalierlatten ist nach Möglichkeit einzuschränken, weil auf deren oberer Fläche die herabfallenden Blätter liegenbleiben und bei dem Hinzutreten von Regen sich feuchte Stellen bilden, welch letztere immerhin schädlich auf das Bauwerk einwirken können.
(Aus dem Zentralblatt für das Deutsche Baugewerbe.)
Von Carl Berger
Es dürfte die Leser dieser Zeitschrift interessieren, daß die Heimatschutzbewegung sich schon eines beträchtlichen Alters erfreut. Erhaltene Dokumente aus dem vierten und fünften Jahrhundert nach Christo geben uns davon Kunde. Die Kaiser Spätroms nahmen sich der in Verfall begriffenen Prachtbauten des antiken Roms in rühmenster Weise an und suchten dem Verfall derselben Einhalt zu gebieten und wenn der Erfolg auch nicht ihren Wünschen entsprach, so ist dies wesentlich darauf zurückzuführen, daß die entstehende kirchliche Macht in Rom die in Verfall begriffenen Tempel und Bauten der Vorfahren als billiges und bequemes Baumaterial zur Erbauung von Basiliken für den neuen Staatsglauben verwandte. Der unten wiedergegebene Erlaß des Kaisers Majorianus 458 nach Christo mag dem Leser ein Bild geben über die Heimatschutzbestrebungen der damaligen Zeit.
»Wir, Regierer der Staaten, wollen dem Unwesen ein Ende machen, welches schon lange unsere Abscheu erregt, da ihm gestattet wird, das Antlitz der ehrwürdigen Stadt zu entstellen. Wir wissen, daß hie und da öffentliche Gebäude mit sträflicher Gewähr der Obrigkeit zerstört werden. Während man vorgibt, daß ihre Steine für öffentliche Werke nötig seien, wirft man die herrlichen Gefüge der alten Gebäude auseinander und zerstört[131] das Große, um irgendwo Kleines herzustellen. Daraus erwächst schon der Mißbrauch, daß selbst, wer ein Privathaus baut, sich unterfängt, mit Gunst der städtischen Richter das nötige Material von öffentlichen Orten zu nehmen und fortzutragen, da doch, was den Städten zum Glanze gereicht, vielmehr von der Liebe der Bürger sollte durch Wiederherstellung erhalten werden. Deshalb befehlen wir durch ein allgemeines Gesetz, daß alle Gebäude, welche von den Alten zum öffentlichen Nutzen und Schmuck errichtet worden sind, seien es Tempel oder andere Monumente, von niemandem dürfen zerstört noch angetastet werden. Welcher Richter dies zuläßt, soll um fünfzig Pfund Goldes gestraft werden; welcher Gerichtsdiener und Numerarius seinen Befehlen gehorsamt und ihm nicht Widerstand leistet, dem sollen nach erlittener Peitschung auch die Hände abgehauen werden, weil sie die Denkmäler der Alten, statt sie zu schützen, verunglimpft haben. Aus den Orten, die etwas durch ungültige Erschleichung an sich gebracht haben, darf man nichts veräußern, sondern wir gebieten, daß alles wieder dem Staate zurückgegeben werde; wir ordnen die Wiederherstellung des Entfremdeten an und heben für die Folgezeit die licentia competendi auf. Sollte aber irgend etwas entweder wegen des Baues eines öffentlichen Werkes, oder wegen des verzweifelten Gebrauches der Reparation abzutragen nötig sein, so soll der erlauchte und ehrwürdige Senat davon gehörig Kenntnis nehmen, damit, wenn er solches nach reiflicher Erwägung für nötig befunden hat, dieser Fall unsrer gnädigen Einsicht vorgelegt werde. Denn was auf keine Weise wiederhergestellt werden kann, soll wenigstens zum Schmuck irgendeines andern öffentlichen Gebäudes verwendet werden.«
F. Gregorovius zur Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter. Bd. 1, S. 218. Leg. Novell. Liber. Am Ende des Cod. Theod. Tit. VI, 1, De aedil. publ. Das Edikt ist datiert VI Idus Jul. Ravennae unter dem Konsulat der Kaiser Leo und Majorianus anno 458 und gerichtet an den Präfect. Prät. Aemilianus.
Schon frühere Kaiser hatten ähnliche Edikte erlassen müssen; so Valens und Valentinio anno 376, Theodosius, Honorius und Arcadius.
Von C. Pfau
Nach der verhängnisvollen Beschlagnahme von Kirchenglocken während des unseligen Weltkrieges ist unsern Kirchfahrten in der Regel je nur eine Glocke verblieben. Das Geläut war unvollständig geworden und mußte oder muß ergänzt, unter Umständen auch ganz neu geschaffen werden. Bei den einschlägigen Vornahmen wird nicht selten vonseiten der Kirchenvorstände bei der vorgesetzten Behörde um die Erlaubnis eingekommen, die letzte noch vorhandene Glocke veräußern, einschmelzen zu dürfen, um einen Beitrag zu den Kosten für ein völlig neues Geläute zu erhalten. Man strebt also in diesem Fall nicht die Wiederherstellung des alten Geläutes an, will der Kirche vielmehr eine durchaus neue Glockensprache geben, die nicht mehr an das frühere Geläute erinnert; die Tonfrage soll die letzte überkommene Glocke dem Untergang weihen.
Es ist ohne weiteres zuzugeben, daß nicht jedes alte Geläute hervorragend schön war; mitunter verfügte eine Glocke sogar über einen ziemlich blechernen, töpfernen Klang oder gellte sonst mißtönig. Dieser Übelstand war aber schon bei der Beschlagnahme durchgängig tunlichst berücksichtigt worden, denn man hat die Glocken nach sorgfältiger Auswahl eingezogen, die mit sehr störenden Klangfehlern in erster Linie, weshalb in unsern Gotteshäusern jetzt wohl schwerlich noch eine vorhanden ist, deren Ton von der Allgemeinheit unangenehm empfunden wird. Nur der sachkundige Musikverständige mit seinem geschulten, feinfühligen Ohr findet auf Grund eingehender Untersuchung an so mancher Kirchenglocke hinsichtlich ihres Tones noch einen geringen Mangel, den bisher, vielleicht schon seit vielen Jahrhunderten kaum jemand in der Gemeinde herausgefühlt hat. Es fragt sich deshalb, ob in einem solchen Fall das Prüfungsergebnis des Tonkünstlers einen durchaus zwingenden Grund enthält, die Glocke aus der Kirche zu entfernen.
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Die Heimatsglocken sind von Dichtern viel besungen worden und werden auch künftig so gefeiert werden. In fast allen unsern Kirchen, zumal auf den Dörfern, stellen diese ehernen Werke mit die ehrwürdigsten Denkmäler der Vergangenheit dar, denn manche besitzen ein Alter bis etwa 600 Jahre, und wenn auch andere um Jahrhunderte jünger sind, so überliefern sie doch durch ihre Aufschriften, Wappen und dergleichen getreulich ein Stück Ortsgeschichte, Heimatkunde; ihr Ton gehört der Heimat eigentümlich. Sie haben den jetzigen Angehörigen der Kirchfahrt und ihren Vorfahren seit langen Zeiten geklungen bei der Taufe, der Konfirmation, der Trauung, der Bestattung, sie haben zum Gottesdienst, zum Abendmahl gerufen, sie haben ihre Stimme über die stillen Fluren in allerlei Not und Gefahr erklingen lassen. Der Eingeborene der Heimat ist vertraut mit der metallnen Sprache seiner Glocke, die er liebt, die ihm in der Fremde nachklingt. Darum muß es auch als eine ernste ethische Pflicht des Heimatschutzes, wenn dieser nicht nur auf dem Papier stehen will, erscheinen, die Glocke tunlichst zu erhalten; eine vernichtete Heimatglocke bedeutet den Verlust eines alten Heimatszeugnisses, das in seiner echten Art nie wieder zu ersetzen ist, und wenn die Gefahr der Einschmelzung droht, so sollte sich jeder Ortseingesessene des hohen Werts seiner Glocke recht bewußt sein und danach handeln, so daß sie möglichst erhalten bleibt. Die Genehmigung zur Einschmelzung wird behördlicherseits nur bei Stücken von besonders hohem wissenschaftlichen oder künstlerischem Wert verweigert; damit soll aber nicht gesagt sein, daß man den heimatkundlichen Wert völlig unbeachtet lassen müsse. Eine fernerhin erhaltene alte Glocke wird unsern Nachkommen gewissermaßen mit zu einem Denkmal auf die Drangsale des verflossenen Kriegs, denen sie unter ihren Schwestern allein glücklich entronnen ist.
Ein unbedeutender Tonfehler, den ihr ein gewiegter Musiker schuld gibt, kann schwerlich allein ausschlaggebend für den Untergang des Werkes werden. Man muß auch ihre Vorzüge berücksichtigen. Wollte der Tonkünstler in dieser Angelegenheit ausschließlich auf die Entfernung der Glocke dringen und mit seinem Urteil einflußreiche Personen, die über das Schicksal des fraglichen Stückes zu bestimmen haben, bestechen, so ließe sich mit Fug und Recht entgegenhalten, daß ein solches Gebaren in Kirchenangelegenheiten zu merkwürdigen Folgen führen dürfte. Was dem einen recht ist, ist dem andern billig. In und an unsern Kirchen gibt es unendlich viel, an dem der Architekt, der Raumkünstler, der Kunsthandwerker Fehler, mitunter sehr starke, findet; diese Herren müßten dann auch verlangen können, daß alles dies nicht Mangelfreie weggebracht und ersetzt werden möchte, falls eine Glocke aus dem angegebenen geringfügigen Grund für immer verschwinden muß. Schwerlich wird sich aber jemals eine Gemeinde bereit finden, all derartigen Wünschen und Ansuchen nachzukommen; man nimmt im Gegenteil nur zu oft wahr, daß noch heutzutage bei sogenannten Kirchenrestaurationen so manches in die Kirche gebracht wird, was gar nicht zu ihrer Stimmung paßt, z. B. gewisse Fußbodenfliesen einer Art, die eher in den Durchgang eines Bahnhofes oder in ein Waschhaus gehören.
Es wäre nur zu wünschen, daß man die alte, letzterhaltene Glocke wieder dem neuen Geläut tunlichst einfügte; die zwei neuen Glocken ließen sich im Ton wohl meist der überlieferten so anpassen, daß für die allgemeine Gemeinde ein befriedigender Gesamtklang erzielt würde. Wird dieser Weg beschritten, so können künftige Geschlechter unsrer Zeit wenigstens nicht den Vorwurf einer Glockenstürmerei machen, da man schon hinsichtlich der Reformation nur zu oft die Bilderstürmerei tadelt. Wir möchten nicht dazu beitragen, die wenigen uns überlieferten kirchlichen Altertümer, die Werke unsrer Altvordern, ohne dringendste Not noch zu vermindern. Hat die Schöpfung eines alten Meisters einen kleinen Fehler, so kann dies noch kein Anlaß sein, sie ohne weiteres zu beseitigen. Der Mangel gehört mit zur Eigenart; daß ehrwürdige Glocken nicht immer genau im Ton getroffen sind, bildet eine Sonderheit in der Geschichte der Glockenkunde, die wir auch für die Zukunft an erhaltenen Werken nachweisen und belegen können müssen. Wollte man nur ganz einwandfreie Glocken bewahren, so könnte man später meinen, die alten Gießer hätten überhaupt keinen Fehler begangen. Hat eine Glocke zur Zufriedenheit der Kirchfahrt trotz eines nunmehr entdeckten Mängelchens schon jahrhundertelang ihren Dienst verrichtet, so kann sie auch weiterhin ihre Stimme erschallen lassen.
Für die Schriftleitung des Textes verantwortlich: Werner Schmidt – Druck: Lehmannsche Buchdruckerei
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gedankenloses Ausgraben von Pflanzen,
rücksichtsloses Abreißen von Zweigen,
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