Title: Landesverein Sächsischer Heimatschutz — Mitteilungen Band XIII, Heft 1-2
Monatsschrift für Heimatschutz und Denkmalpflege
Author: Landesverein Sächsischer Heimatschutz
Release date: September 23, 2023 [eBook #71704]
Language: German
Original publication: Dresden: Landesverein Sächsischer Heimatschutz
Credits: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net
Anmerkungen zur Transkription
Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter Text ist so ausgezeichnet. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist so markiert.
Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des Buches.
Landesverein Sächsischer Heimatschutz Dresden
Monatsschrift für Heimatschutz, Volkskunde und Denkmalpflege
Band XIII
Inhalt: Die sächsische Pflanzenschutzverordnung vom 23. Mai 1923 – Das Seifersdorfer Tal und der Garten zu Machern – Das Bautzener Corvinusdenkmal in Gefahr – Oschatz – Aus der Tätigkeit des Landesamtes für Denkmalpflege – Die Eibe auf dem Löbauer Berg – Zur Geschichte der Starmeste
Einzelpreis dieses Heftes 2 Goldmark
Geschäftsstelle: Dresden-A., Schießgasse 24
Dresden 1924
Wir übermitteln anbei die ersten beiden Nummern unserer diesjährigen Mitteilungen in einem Heft. Unsere Mitglieder werden daraus ersehen, daß wir wieder zu der besten Friedensausstattung übergegangen sind, damit die vielen Bilder, die wir immer bringen, in der einwandfreiesten Wiedergabe erscheinen. Wir entsprechen somit den vielen Wünschen, die dieserhalb an uns ergangen sind; wir bedauern nur, daß dieses Heft solange hinausgeschoben werden mußte.
In der Inflationszeit des vergangenen Jahres war es nicht möglich, die zahlreichen photographischen Aufnahmen, die zu unseren Heften besonders angefertigt werden, zu machen, und in diesem Jahre setzte das Frühjahr so spät ein, daß es erst jetzt möglich ist, die Hefte herauszubringen. Die beiden nächsten Hefte (3/4, 5/6) behandeln mit je 64 Seiten die Lößnitz und das östliche Erzgebirge und sind bereits im Druck. Sie werden kurz nach diesem Hefte erscheinen.
Wir werden, wie wir bereits in dem letzten Hefte des vergangenen Jahres ankündigten, in diesem Jahre 12 Nummern unserer Mitteilungen in 6 Heften mit 400 Seiten und ungefähr 250 Abbildungen herausbringen. Im nächsten Jahre hoffen wir zum monatlichen Erscheinen der Hefte überzugehen, sofern uns unsere Mitglieder, wie bisher, die Treue halten und uns tatkräftigst unterstützen.
Diesem Hefte fügen wir 1 Anmeldeliste bei und bitten, für unseren Verein neue Mitglieder zu werben. Bedenke ein jeder, daß, wenn er nur 1 Mitglied uns zuführt, sich die Mitgliederzahl unseres Vereins verdoppelt, d. h. von 30 000 auf 60 000 ansteigen würde.
Die Genugtuung, eine Bewegung zu unterstützen, die dem Schönsten und Erhabensten gilt, unserer Heimat, sollte allein alle Freunde des sächsischen Volkes, alle Freunde der sächsischen Heimat – und wer ist das nicht – veranlassen, unserem Verein beizutreten und teilzunehmen an unseren Vorträgen, an alledem, was wir veranstalten, um den großen Schatz, den wir besitzen, unsere Heimat und ihre Schönheiten in Natur, Kultur und Kunst weiterhin zu erhalten, zu schützen und zu pflegen.
Der monatliche Mitgliedsbeitrag beträgt 1.– M.; er kann aber stillschweigend bis auf 50 Pfg. bei den vielen, die heute nicht in der Lage sind, diese Summe aufzubringen, ermäßigt werden. Es bedarf dieserhalb keiner Rückäußerung und keiner Rückfrage, doch wünschen wir, daß alle die, die dazu in der Lage sind, uns monatlich 1.– M. zu spenden, dies tun, damit unsere Bewegung weiter fortschreiten kann, damit sich unsere Arbeiten weiter ausdehnen können auf die Erhaltung von so vielen gefährdeten Bau-, Kultur- und Naturdenkmälern. Vergessen wir nicht, daß viele Erhaltungsmaßnahmen, die bisher durch den Staat bezahlt werden konnten, heute den großen gemeinnützigen kulturellen Verbänden überlassen bleiben müssen, da der Staat lange Zeit nicht mehr in der Lage sein wird, so wie früher, alle die Aufgaben unterstützend zu fördern, die wir unter dem Namen Bau-, Denkmal- und Naturdenkmalpflege zusammenfassen.
Wir bitten, bei Erhalt dieses Heftes uns, wenn irgend möglich, soweit dies noch nicht geschehen ist, den monatlichen Beitrag für einige Monate auf unser Postscheckkonto Dresden 15835 zu überweisen und im Sinne dieser Zeilen für uns, für die sächsische Heimat, zu wirken.
Für alle Unterstützung, die uns geboten wird, für alle Liebe, die uns zuteil wird, sagen wir im voraus heißen, herzlichen Dank.
Mit deutschem Gruß
Landesverein Sächsischer Heimatschutz
Die Mitteilungen des Vereins werden in Bänden zu 12 Nummern herausgegeben
Abgeschlossen am 31. Januar 1924
§ 1. Die in der Anlage bezeichneten Pflanzenarten werden geschützt. Der Schutz erstreckt sich auf das ganze Jahr.
§ 2. Es ist verboten, die geschützten Pflanzen zu entfernen oder zu beschädigen, insbesondere sie auszugraben, auszureißen, abzupflücken oder abzuschneiden. Dieses Verbot hat keine Geltung gegenüber dem Nutzungsberechtigten.
§ 3. Verboten ist ferner das Feilhalten, der Verkauf und die sonstige Veräußerung sowie der Ankauf der geschützten Pflanzen, soweit es sich nicht um Erzeugnisse des Gartenbaues handelt.
§ 4. Wer geschützte Pflanzen, die im Garten gezogen worden sind, feilhält oder verkauft, muß im Besitz eines schriftlichen Ausweises der Ortspolizeibehörde über den Erwerb sein. Der Ausweis hat auch die Zeit des Erwerbes anzugeben.
§ 5. Übertretungen dieser Vorschriften werden mit Geldstrafe bis zu dreißigtausend Mark[1] oder mit Haft bestraft. (Min. Vo. v. 23. 5. 1923 – 102 I C –, Sächs. Staatsztg. v. 25. 5. 1923 Beil. zu Nr. 119.)
[1] An deren Stelle tritt Geldstrafe bis zu 150 Goldmark nach § 27, Absatz 2, Ziffer 2 des Strafgesetzbuchs in der Fassung der Verordnung über Vermögensstrafen vom 6. Februar 1924 (RGBl. I, S. 44).
Mit dieser Verordnung ist dankenswerterweise einem Antrag unsres Vereins entsprochen worden. Sie bedeutet für unsre Heimatschutzbewegung einen Fortschritt, der gewiß von allen, die der Heimat mit treuer Liebe zugetan sind, mit Freuden begrüßt wird. Freilich, die Auswahl der Pflanzen, auf die sich der Schutz erstreckt, wird schwerlich die uneingeschränkte Billigung aller Beurteiler finden. Manche Pflanze wird man vermissen, manche möchte man vielleicht aus dem Verzeichnis gestrichen sehen. Das Urteil des Einzelnen über die Schutzbedürftigkeit wird eben bestimmt durch seine besondere Kenntnis der Pflanzenwelt, durch die in seinem innern Verhältnis zur Natur begründete Vorliebe für einzelne Gewächse und durch seine besonderen Beobachtungen und Erfahrungen auf dem Gebiete des Pflanzenschutzes. Aber alle werden doch darin einer Meinung sein, daß uns mit der Verordnung ein neues wirksames Mittel zur Ausübung des Pflanzenschutzes gegeben ist.
Die Abteilung für Naturschutz, deren Vorschläge vom Ministerium des Innern angenommen worden sind, hätte gern den Kreis der zu schützenden Pflanzen weiter gezogen, hat aber doch die vom Ministerium dagegen geltend gemachten Bedenken als begründet anerkennen müssen. Innerhalb der Grenzen, die ihr somit gesteckt waren, hat sie sich bemüht, die Auswahl unter Berücksichtigung aller Pflanzengebiete des Landes so zu treffen, daß solche Pflanzen unter Schutz gestellt werden, die als Naturdenkmäler oder aus Gründen der Erhaltung landschaftlicher Schönheit geschont werden müssen und die andrerseits wegen auffallender Farben und Formen in besonderm Maße der Gefahr ausgesetzt sind, ausgerottet oder in ihrem Bestande geschwächt oder aus Bezirken ihres Verbreitungsgebiets verdrängt zu werden.
Es könnte auffallen, daß sich unter den geschützten Pflanzen zwei Stauden befinden, die in reichen, prächtigen Beständen eine Hauptzierde der Matten und Triften des Gebirges bilden und sich dort voraussichtlich auch behaupten werden: Trollblume und Arnika. Wer es aber mit angesehen hat, wie eine gewisse Art von Ausflüglern plündernd gerade in diese Bestände eingreift und dabei auch sonst noch Verwüstungen anrichtet, wird beiden Pflanzen ein Recht auf Schutz gern zugestehen.
Manche von den aufgeführten Gewächsen sind – wenn auch in weit voneinander getrennten Standorten – über das ganze Land hin verbreitet. So das Geschlecht der Enziane. Es hat im Lungenenzian einen Vertreter, der mit seinen[3] tiefblauen Blütenkelchen, oft in schöner Zusammenstimmung mit den rosafarbenen Blütentrauben der Moorheide, moorigen Flächen des nordöstlichen Tieflands zum Schmucke dient, ist aber auch auf Wiesenhängen an Basaltbergen auf dem Kamme des Gebirges vertreten, wo sich der bescheiden auftretende stumpfblättrige Enzian unter die bunte Gesellschaft der Bergkräuter mischt. Hier entfalten auch noch mannigfache Arten des Knabenkrautes, das in manchen Gegenden, wo es ehedem eine häufige Erscheinung bildete, schon ganz aus dem farbigen Teppich der Wiesen getilgt ist, den vollen Reiz ihrer zierlichen Blütenstände. Die Verbreitungsgebiete des Leberblümchens, der Kuhschellen und des Märzbechers haben im Laufe der Zeit starke Einbuße erlitten; der Seidelbast, der als kleines Blütenwunder im noch unbelaubten Frühlingswalde die Augen auf sich lenkt, wird immer seltener; der Türkenbund, neben der Feuerlilie der stolzeste Vertreter unter den wildwachsenden Liliengewächsen des Landes, fehlt an vielen Stellen, wo er noch vor einigen Jahrzehnten anzutreffen war. Die weiße Teichrose fällt hie und da der Ausbeutung für Zwecke der Kranzbinderei zum Opfer. Andre Pflanzen haben sich nur auf wenigen, räumlich beschränkten Standorten behaupten können und sind schon deshalb in besonderm Maße schutzbedürftig. Das Vorkommen der Schneeheide ist auf wenige Stellen im südwestlichen Vogtland beschränkt, die »Alpenrose der Sächsischen Schweiz«, der Sumpfporst, kommt außerhalb des Sandsteingebirges nur noch selten vor, das ausdauernde Silberblatt siedelt hie und da noch in feuchten Wäldern des mittleren Berglandes, der stattliche Alpenlattich ist ein nicht häufiger Bewohner des oberen Berglands, die Wiesenschwertlilie mit ihren schöngeformten hellblauen, violett geäderten Blüten hat nur wenig Standorte, die kuglige Rapunzel hat sich noch auf trocknen Wiesen des östlichen Erzgebirges und des nordwestlichen Tieflands gehalten.
Die Durchführung der Schutzverordnung erfordert aber die tätige Mithilfe aller Naturfreunde. An unsre Vereinsmitglieder ergeht deshalb die herzliche und dringende Bitte, ihre Mitwirkung nicht zu versagen. Eine dankbare Rolle ist es ja nicht, den freiwilligen Naturschutzmann zu spielen. Mancher kann ein Lied von den Freuden und Annehmlichkeiten einer Betätigung im Dienste des Naturschutzes singen. Aber künftig darf man sich auf die Schutzverordnung berufen, und damit läßt sich schon eher etwas ausrichten gegenüber Naturfrevlern. Hierbei sei des beachtenswerten Vorschlags gedacht, freiwillige Helfer mit Ausweisen oder mit Abzeichen zu versehen, die sie als Beauftragte des Vereins kenntlich machen. Auch die Bildung von Pflegschaften wäre zu erwägen, die Pflanzenstandorte im Wechseldienst überwachen. Vielleicht regen diese Hinweise dazu an, weitere Vorschläge zur Durchführung der Verordnung bekanntzugeben.
Vor allem aber ist es Aufgabe der Erziehungsgemeinschaften jeder Art und der Wandervereinigungen Jugendlicher, den Pflanzenschutz in ihren Arbeitsplan aufzunehmen. Ist doch die Erziehung zur Pflichterfüllung gegenüber der Naturwesen ein wichtiges Stück der Erziehung überhaupt, eine Aufgabe, deren Vernachlässigung nicht ohne nachteilige Folgen für die Gemütsbildung bleiben kann. Darum: Jede Schule ein Mittelpunkt für den Pflanzenschutz im Heimatbezirk! Jede Wandervereinigung Jugendlicher eine Naturschutztruppe!
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Und nicht zuletzt wird es eine Aufgabe der Zeitungen und der Zeitschriften sein, die Behörde bei der Durchführung des Pflanzenschutzes zu unterstützen. Sie haben bisher schon ihre Pflicht redlich erfüllt. Nun aber muß dafür gesorgt werden, daß die Schutzverordnung allgemein bekannt und auch im Gedächtnis behalten wird. Jahraus, jahrein muß namentlich in den Zeiten, wo die geschützten Pflanzen in Blüte stehen, nachdrücklich auf sie hingewiesen werden. Den Provinzblättern fällt die besondere Aufgabe zu, sich der Pflanzen anzunehmen, die für ihren Leserkreis in Frage kommen.
Zu den Voraussetzungen für die Durchführung der Schutzverordnung gehört nun freilich auch die Herstellung und die Verbreitung von Tafeln mit guten farbigen Abbildungen der geschützten Pflanzen. Die oft ausgesprochene Befürchtung, die Tafeln könnten geradezu als Anreiz zum Sammeln der geschützten Pflanzen dienen, halten wir für nicht begründet. Allerdings müssen die Tafeln mehr bieten als Pflanzenbilder und Pflanzennamen, ein Hinweis auf die Strafbestimmungen der Schutzverordnung und ein kräftiger Aufruf zum Pflanzenschutz darf darauf nicht fehlen.
Man hätte jedoch nicht viel gewonnen, wenn nun die nicht unter Schutz gestellten Pflanzen schutzlos Verwüstungen preisgegeben wären. Schutz der gesamten Pflanzenwelt, soweit sie nach den Grundsätzen des Heimatschutzes schutzbedürftig ist, bleibt ein Hauptarbeitsfeld unsrer Naturschutzbestrebungen. Die Schutzverordnung leistet dabei wertvollen Dienst, weil sie den Gedanken des Pflanzenschutzes überhaupt einmal in wirksamer Weise gegenüber der Allgemeinheit zur Geltung bringt. Insofern reicht ihre Bedeutung über den unmittelbaren praktischen Wert hinaus. Aber – das sei nochmals gesagt – die Hauptarbeit muß auf dem Felde der Erziehung geleistet werden, das Wort im weitesten Sinne genommen. Hier sind noch große Aufgaben zu lösen. »Noch viel Verdienst ist da. Auf, habt es nur!«
J. G. Sieber.
Anmerkung: Die geschützten Pflanzen sind in bunten Abbildungen, die die Firma Nenke & Ostermaier, Dresden-A., anfertigte, in diesem Hefte zerstreut. Die Bilder selbst können in ganzen Bogen, die aufgezogen werden können, durch uns bezogen werden. (Kaufpreis aller achtzehn Bilder fünf Mark.)
Zwei Beispiele aus Sachsens Gartengeschichte
zur Zeit der Sentimentalität und Romantik
Von Dr.-Ing. Hugo Koch
Erklärung
Der landschaftliche Garten kam über den Kanal zu uns herüber – daher der Name: englischer Gartenstil. Schon früh empfand der Engländer den Zwang der Etikette, die der französische Garten entwickelt hatte. Der höfische Prunk, die ganze durch Ludwig XIV. zur Herrschaft gekommene Gesellschaftsform sagte ihm wenig zu. So kam es, daß der französische Garten schon früh Gegner fand. Bereits 1624, noch bevor der Gartenstil eines Lenôtre zur Entfaltung kam, begann Francis Bacon in seiner Schrift: »Essay on the gardens« die geschnittenen Hecken und Figuren, die Wasserkünste und Wasserarchitekturen des altfranzösischen Gartens[5] zu verwerfen. Nach ihm trat Sir William Temple gegen den herrschenden Geschmack unmittelbar auf. Miltons »Verlorenes Paradies« wirkte aufklärend. Der Graf von Shaftesbury brachte dem Begriff der künstlerischen Wahrheit eine neue Vertiefung. Eine wirkliche Kritik des französischen Gartens vom Standpunkt der Naturliebe aus begann Anfang des achtzehnten Jahrhunderts. Pope, der Dichter, und Addison, der Philosoph, wirkten durch Schriften. Mit dem ihm zur Verfügung stehenden witzigen Spott überschüttet Pope zunächst die »Gartenschneider«. In einem Katalog eines Gärtners preist er an: »Adam und Eva in Taxus, Adam ein wenig beschädigt durch den Fall des Baumes der Erkenntnis im letzten großen Sturm; Eva und die Schlange, kraftvoll wachsend; St. Georg in Buchs, sein Arm noch kaum lang genug, doch wird er im nächsten April in der Verfassung sein, den Drachen zu töten; ein grüner Drache aus gleichem Material, einstweilen mit einem Schwanz aus kriechendem Efeu (NB. Diese beiden können nur zusammen verkauft werden). Verschiedene hervorragende Dichter in Lorbeer, etwas ausgeglichen, können für einen Heller losgeschlagen werden. Eine Sau von frischem Grün, die aber zu einem Stachelschwein aufgeschossen ist, da sie letzte Woche in regnerischem Wetter vergessen war u. a. m.«
Die Anregungen der Dichter und Philosophen setzte in die Tat um William Kent (gestorben 1748), Landschaftsmaler, Baumeister und Gartenkünstler zugleich. Er wollte im Garten die Natur natürlich, doch nicht als Naturausschnitt, sondern als verdichtetes Gesamtbild der englischen Landschaft wiedergeben mit dem Grundsatz: »Die Natur verabscheut die gerade Linie.« Die große Ausdehnung seiner Parkschöpfungen kam ihm dabei zustatten. Immerhin bedurfte er zur Verstärkung der Stimmungen seiner Naturbilder menschliche Werke, Tempel und Einsiedeleien. Die Tempel wurden zunächst dem Geisteszug der Zeit folgend in antiken Formen erbaut, die Einsiedeleien möglichst natürlich und primitiv. Seine Nachfolger kamen, da dem Garten ein rechtes Gesellschaftsprogramm fehlte, bald zur Handwerksmanier, bis der Architekt William Chambers dem Garten eine neue Richtung gab, indem er auf die Stimmungsszenerien des chinesischen Gartens hinwies. Er erzielte damit weniger in England als vielmehr im übrigen Europa – vor allem in Deutschland – eine überraschende Wirkung.
Man hatte bei uns – in Sonderheit auch in Sachsen – von jeher der chinesischen Kunst – vor allem dem Porzellan – eine große Vorliebe entgegengebracht. Die Kunst des chinesischen Gartens sah man in der Schaffung von vielen kleinen kontrastreichen Bildern, welche durch einen malerisch gedachten, an sich zwecklosen Bau ihre Bedeutung erhielten. Das hatte viel Verwandtes mit dem Garten, wie ihn die Rokokozeit entwickelt hatte, in welchem gleichfalls die Sucht nach dem Wechsel, das System der Gegensätze, das Entscheidende wurde, nur daß hier die zahlreichen Einzelbilder, welche man für das intime gesellschaftliche Leben bedurfte, stets nach architektonischen Grundsätzen aufgebaut und Wechsel- und Gegensatzwirkungen durch architektonische Formensprache erreicht wurden. Nunmehr sollte der Garten nicht mehr im Gegensatz zur freien Natur stehen oder eine den menschlichen Lebensbedürfnissen angepaßte Natur darstellen, sondern wahre Natur. Das verwischte die Bedürfnisforderungen früherer Tage und brachte als Ersatz die[6] Neigung auf, den Gartenszenen Beziehung zu sentimentalen Gedanken, zu dichterischen Stimmungen zu geben. Damit kam man, ohne sich wohl recht Rechenschaft abzulegen, wiederum zu idealisierter Natur. Das Ideal freilich schwankte. Zu den chinesischen Einflüssen traten neue. Der Drang nach Naturerkenntnis war noch im Steigen begriffen. Der Begriff der romantischen Schönheit in der Natur begann sich zu klären. Macphersons wunderbarer Versuch, aus dem Volkstum heraus dichterisch neu zu schaffen und schließlich Rousseaus hinreißender Ausdruck weckten das Gefühl für das Wildromantische und Furchtbare, für das Erhabene in der Natur. Es war jedoch nicht möglich, die große Natur in dem verhältnismäßig kleinen Garten wiederzugeben, geschweige denn zu höherer Wirkung zu bringen, so wendete man sich mehr dem Äußerlichen zu und pflegte vor allem den empfindsamen Geist.
Die Sentimentalität, die Zwillingsschwester der Naturschwärmerei fand Eingang. Nun kam das Strohdach zu Ehren, das Bauernhaus – die Milchwirtschaft, die Einsiedelei als bescheiden gezimmerte Hütte im dunklen Grün der Bäume, die künstliche Ruine, zumeist in gotischen Formen, also in den Formen der alten verfallenen heimischen Bauweise, wohl aber auch in klassischem Stil. Der Kampf der Gotik mit dem Klassizismus, der Kampf germanischer und römischer Kunstauffassung, der die Folgezeit erfüllte, begann im Garten sich zuerst auszusprechen.
Deutschland hat, von England beeinflußt, eine ähnliche Entwicklung durchgemacht und Sachsen, das jederzeit in seinen Gartenschöpfungen durch die starken Impulse, die von August dem Starken ausgegangen waren, hervorragendes geschaffen hat, stand auch jetzt nicht zurück. Seine politische Ohnmacht, in die es Brühls Politik geführt hatte, die große Armut, die über das Land kam, war in manchem den neuen Gartengedanken förderlich. Der Geist des Kleinen, Beschränkten, die Sehnsucht nach einer besseren Welt, kurz die Sentimentalität brachte eine Entwicklung, die ihre selbständigen Blüten getrieben hat.
Der Anreiz ging auch hier von den Dichtern und Philosophen aus. Weiße wendet sich gegen Lenôtreschen Stil und dessen Ideale, wenn er singt:
Tief wirkte der biedere Gellert mit seiner bescheidenen, in sich gekehrten Frömmigkeit. Andere Töne schlägt Salomon Geßner an mit seinen elegischen Hirtendichtungen. »Zu kühner Mensch,« ruft Geßner aus, »was überwindest du[7] dich, die Natur durch weiter nachahmende Künste zu schmücken … Mir gefällt die ländliche Wiese und der verwilderte Hain.« Er war mehr Landschaftsmaler als Dichter. Zahlreiche Kupferwerke der »idealischen wie der Naturmalerei« von Meinert, Stieglitz, Klinsky, Veith, Günther, Darnstedt, Senft, den beiden Wiziani und anderen erscheinen. In den Reisebeschreibungen findet die Naturschilderung Eingang. Der Name »Sächsische Schweiz« tritt auf und die Gründe um Dresden und im übrigen Sachsenlande finden begeisterte Schilderer. Der Aesthetiker Sulzer spricht in seinem »Versuch einiger moralischer Betrachtungen über die Werke der Natur« von »unserem Pope« und weist in seiner »Allgemeinen Theorie der schönen Künste« 1778 auf die chinesischen Vorbilder hin. In den Architekturausstellungen der Akademie 1771/72 treten in den Entwürfen von Krubsacius und seiner Schüler beide Gartenstile auf. Im selben Geist wirkte die Zweiganstalt der Akademie in Leipzig unter Oeser und Dauthe. In Oeser, der mit Winckelmann eng befreundet war, findet die Antike einen begeisterten Anhänger – manche Denkmale in sächsischen Gärten geben davon Zeugnis. Das bedeutsame fünfbändige Werk »Theorie der Gartenkunst« (1779 bis 1785) von dem Kieler Professor Christian Cajus Hirschfeld, ist durchdrungen von den Ideen des neuen Stiles und dürfte in Sachsen besondere Beachtung gefunden haben, als es zahlreiche Entwürfe zu Gartenarchitekturen enthält von den sächsischen Künstlern: Weinlig und Schuricht.
Der strenge klassische Geist, vermischt mit sentimentalen Empfindungen, der Sinn für Natürlichkeit, für einfache mit Schindeln und Stroh bedeckte Hütten und der Geist der Romantik in Gestalt einer alten verfallenen Ritterburg spricht aus Schuricht’s Entwürfen, die er Hirschfelds Theorie beifügte. Charakteristisch ist der plastische Schmuck. Nun werden die Kindergenien, die man in der vorausgegangenen Epoche Amoretten nannte, die Genien mit der Fackel, die weinenden Grazien, die trauernden Nymphen oder Dryaden, Psyche selbst, der Schmetterling als Psyche, endlich Blumenkränze, Festons und Inschriften, Ausdrucksmittel der Empfindung. Sie schmücken die verschiedenen Tempelformen und ebenso die Obelisken, Pyramiden, Säulen, Sarkophage, die Eingang in den Garten finden zur Verschönerung und Vertiefung der einzelnen Szenen, als Denkmale von Helden, Gelehrten und Dichtern. Die Totenurne spielt auf einmal eine merkwürdige Rolle in der Plastik. Wir finden sie überall in der Gartenarchitektur verwendet, ohne daß sie irgendwie eine andre Begründung hätte, als die allgemeine Stimmung der Zeit zum Ausdruck zu bringen.
Zur Charakteristik wollen wir aus der großen Zahl von Gartenschöpfungen aus dieser Zeit, die alle mehr oder weniger ausführlich in meiner »Sächsischen Gartenkunst« (Verlag Deutsche Bauzeitung, Berlin) behandelt sind, zwei markante Beispiele herausgreifen. Das »Seifersdorfer Tal« und den Garten zu Machern, beide noch nahezu in altem Zustand erhalten und durch Literaturquellen uns so überliefert, daß wir uns ein klares Bild von den Schöpfungen und vor allem auch von dem Geist, aus dem heraus sie entstanden, schaffen können. Die Abbildungen sind mit freundlicher Genehmigung des Verlags ebenfalls meinem Buche entnommen.
Das Seifersdorfer Tal. »Ich sah das Tal in einer Sommernacht. Über dem Eingang in die Tiefe wölbten sich die Äste der hohen Buchen und Ulmen.[9] Das Geheimnis wohnte unter ihrem Schatten. Der Mond ging auf; und die gemeine Welt verschwand. In der Stille leuchtete durch die finstere Wölbung des Waldes die Erinnerung an schöne Phantasien. Ich erstieg die Höhe, und vor mir lag jene arabische Landschaft des Ariost. Der Morgen rief mich in das dichterische Tal zurück. Ich sah hier Dantes Begeisterung; ich hörte Petrakas Klage, ich verstand dein Herz, freundlicher York! Ja du wohnst hier mit deiner schönen Schwärmerei in der Hütte zum guten Moritz, und in jener Einsiedelei an der waldigen Bekränzung des Röderstromes.« So berichtet Hasse, in »Dresden und die umliegende Gegend«, 1804. Mit solchem Geist der Empfindsamkeit muß man das Tal zu durchwandern suchen, dann wird lebendig, was jene Zeit in ihm fand und erlebte. Wir benutzen zur Charakterisierung des Zeitgefühles die Abhandlung von W. G. Becker. Das Seifersdorfer Tal mit vierzig Kupfern von J. A. Arnstedt, Leipzig 1792. »Hohe Schönheit wird durch untergeordnete gehoben«, erklärt Becker, »und Kontraste dienen ihr zum Rahmen. Dieses bewunderungswürdige Gemälde der Natur ist nur ein Ganzes, insofern es unzählige Bilder vereinigt, die durch unbegreifliche Anordnung des Furchtbaren und Reizenden, des Erhabenen und Einfachen, des Lebhaften und Ruhigen untereinander verbunden, wieder ebensoviele vollkommene Gemälde darstellen, als einzelne Szenen im allumfassenden Ganzen.«[10] Das Tal entstand von 1781 an unter dem Einfluß der Gräfin Christiane (Tina) von Brühl in der Nähe des Städtchens Radeberg »da zieht sich eine Viertelstunde vom Dorfe gegen Süden, von Liegau nach Grünberg zu, einundeinehalbe Stunde lang ein gefälliges Tal, durch welches die Räder (Röder) sich windet, ziemlich bewachsene Berge, die nur hie und da, durch Mannigfaltigkeit das Auge zu vergnügen, in nackter Blöße sich zeigen, und ihre schönen malerischen Felspartien dem Auge zur Bewunderung darstellen, bilden, etwas breiter, bald enger, das liebliche Tal, das grünende Wiesen zu Teppichen hat, und Bäume und Gebüsch von mancherlei Art zu angenehmer Verzierung und zur Beschattung des Wanderers, sowie der schleichenden Räder und ihrer Bewohner.«
»Den ersten Gedanken zu dieser Verschönerung gab eine feierliche Szene häuslichen Glücks. Die Gräfin weihte darin ihrem Gemahl einen Tempel, zu ländlichen Freuden bestimmt. Solcher Veranlassung dankte das Tal die ersten Anlagen, welche bald mit anderen Gegenständen angenehmer und wehmütiger Erinnerung vermehrt wurden. Endlich verband man damit, nach einem geschmackvollen Plan, auch andere Gegenstände, und suchte sowohl den Verstand als auch das Herz zu beschäftigen.[11] Überall leuchtete der Geist, das Gefühl der Besitzer hervor. Ungeachtet der biedere Graf an allen diesen Anlagen nicht geringen Teil hat, so ist es doch vorzüglich seine geistvolle Gemahlin, welche die meisten romantischen Gemälde des Tales geschaffen, daher es denn von einigen den Namen Tina-Tal erhalten. Auch der verdienstvolle Sohn Graf Carl hat nicht wenig der Szenen gepflegt.« Man folgte hierbei dem Grundsatz: »Der Geschmack im englischen Garten sei einfach und edel, wie die Natur selbst, weder gesucht noch geputzt, bloß durch Gegenstände des Nachdenkens und der Empfindung gehoben.« Sie bestanden in Denkmälern, Tempeln und Hütten. Sie erinnern an in der Ferne ruhende Tote, an Musen und Grazien, an Freundschaft und Gastlichkeit, an die Pfleger des Tales, das gräfliche Ehepaar, wie an die Sänger des Tales, den Komponisten Naumann und den Dichter Neumann. Die Großen am Weimarschen Hofe sind noch ohne Einfluß auf dieses Leben, in dem Gellertscher Geist noch vorherrscht. Zur Vertiefung und Deutung der beabsichtigten Stimmungen treten Inschriften hinzu.
Auf dem Lageplan (Abb. 1) gibt eine Erklärung über die Lage und Bezeichnung der verschiedenen Szenerien Aufschluß. Wir greifen zur Charakteristik die durch Abbildungen einigermaßen verdeutlichten Szenen heraus.
»Hermanns Denkmal« (Abb. 2). Eine schmale steinerne Treppe führt zu einem ehrwürdigen Eichbaum, an dem früher als Insignien Schild, Schwert und Lanze aufgehängt waren. Davor bilden zusammengefügte Felsstücke einen Altar mit einem altdeutschen Aschenkrug. Auf einem Findling steht die Inschrift: Hermann / dem Befreier Deutschlands. Der »Tempel der Musen mit Wielands Büste« (Abb. 3) aus Naturholz erbaut trug die Inschrift: »Hier weihen sie ihrem Liebling unverwelkliche Kränze von Grazien gewunden.« Er ist heute verschwunden. Dagegen hat sich »Lauras Denkmal« (Abb. 4) erhalten, welches dichter Fichtenwald umgibt. Auf einem Bruchsteinunterbau steht ein quadratischer Sockel mit einem Säulenstumpf. Das Medaillon daran trägt die Inschrift »Laura« mit Beziehung auf die Geliebte Petrarcas. Nicht weit davon befand sich eine Nachahmung der Hütte des Petrarca bei Vaucluse. Sie war von rohen Steinen erbaut und mit Schilf gedeckt. Vor der Hütte sprudelte ein gefaßter Quell, welcher an die Quelle von Vaucluse erinnern sollte, bei der Petrarca viele seiner Klagegesänge dichtete. Davon und von der Hütte sind heute nur noch Mauerreste vorhanden. Nördlich davon hat sich das »Denkmal des Herzogs Leopold von Braunschweig« sehr gut erhalten (Abb. 5 a und b). Auf einem rechteckigen Unterbau ruht ein steinerner Sarkophag mit der Aufschrift:
Zur Versinnbildlichung des Spruches dient das darüber befindliche Relief, ein nach der Sonne fliegender Adler. Auf dem Sarkophag steht eine Vase mit Medaillonbildnis und der Inschrift: »Prinz Leopold von Braunschweig«. Mit Bezug auf den von Goethe besungenen Tod des Herzogs (27. April 1785) bei einer Hochflut der Oder ist wohl der Platz des Denkmals unmittelbar am breitesten Teil der Röder[13] gewählt und Becker berichtet, das Denkmal ruhe auf Felsstücken, aus welchen Wasser hervorquillt.
Auf einer lachenden, mit Erlen eingefaßten Wiese stand ein im »griechischen Stil« erbauter Tempel, vier dorische Säulen trugen das Gebälk mit der Inschrift: »Tempel dem Andenken guter Menschen gewidmet« (Abb. 6). Das Innere dieses Tempels war in sanfter Rosenfarbe gemalt. Rauchgefäße und Medaillons auf stahlgrünem Grunde zierten die Wände. Ein leichter Feston von weißen Rosen verband die Medaillons, welche an himmelblauen Bändern aufgehängt schienen. Die Hinterwand des Tempels hatte zwei Türen, die auf Rollen gingen und geöffnet eine reizende Aussicht gewährten. Vor dem Tempel stand auf einer Wiese der »Altar der Tugend« und »nur diejenigen, welche der Tugend opfern, können in diesem Tempel aufgenommen werden.« Ein Postament mit Fuß- und Kopfgesims, an einer Seite ein Kranz mit Rosen, darüber eine Schleife, bezeichnet »Der Tugend« ist davon heute noch erhalten.
Ein Fußpfad, auf der einen Seite mit Rosen, auf der andern mit Dornen eingefaßt, führte zur »Hütte der Einsamkeit« (Abb. 7), aus Moos und Schilf erbaut, mit einer Inschrift aus der Messiade:
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Nicht weit davon befand sich unter einem Schilfdach »Der Betstuhl des Einsiedlers« und Lorenzos Grab.
In einer natürlichen Felsennische wurde der Freundschaft ein Denkmal errichtet. Es ist heute erneuert (Abb. 8). An eine »gotische Vase«, die in ihrer Form freilich davon nichts erkennen läßt, ist eine Platte gelehnt mit der Aufschrift: »Der gotischen Freundschaft.« Die Inschrift:
war früher an der Felswand angebracht.
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Unter alten Bäumen, auf einem Steinhügel finden wir weiter heute noch ein rundes Postament von Sandstein mit der Inschrift: »Den Sängern des Tales« (Abb. 9) und »Naumann und Neumann«, mit Beziehung darauf, daß Kapellmeister Naumann ein vom Kriegssekretär Neumann im Seifersdorfer Tal gedichtetes Lied in Musik setzte. In einem kleinen Vorhof mit Moosbank las man früher die Inschrift:
Wenige Überreste von Mauerwerk mit einer kleinen, etwa im Halbkreis vorgelagerten Terrasse bezeichnen den Platz, wo früher in einem ländlichen Gärtchen die Hütte Adelaidens, der Hirtin der Alpen gestanden hat, aus rohen Baumstämmen gezimmert und mit »gotischen Fenstern« versehen. Aus der Mitte des Daches ragte eine Buche heraus, »die den Anblick der Hütte noch reizender machte.« Aus dem einen Fenster der Hütte erblickte man jenseits des Wassers auf einem Rasenhügel eine Urne, mit der Inschrift: »Dorestan victime l’amour,« in bezug auf Adelaidens Geliebten. Nicht weit davon, in einer der reizendsten Gegenden des Tales, stellt ein leichtes »Hüttchen der Hirtin der Alpen« (Abb. 10) Adelaidens Ruheplatz vor. Er gewährte Ausblick nach dem Denkmal ihres Geliebten. Heut ist an diese Stelle Herders Büste versetzt worden (Abb. 11) mit der Inschrift: »Des Menschen Leben beschränkt ein enger Raum, / ein engerer beschränkt seinen Sinn, / sein Herz der engste. / Um sich her zu sehen, zu ordnen, was man kann, / unschuldig zu genießen, was uns die Vorsicht gönnt. / Und dankbar froh hinweg zu gehen: / das ist des Menschen Lebensgeschichte. / Nicht Idee, es ist Gefühl.« Der Sockel, auf dem es steht, trägt noch die Inschrift: »A Dorestan«, als Überrest seines Denkmals.
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Mitten auf blumiger Wiese hatte man den Tempel des Amor errichtet (Abb. 12). »Keine Brücke führte zu ihm hinüber, um von dem Gebiete des kleinen gefährlichen Gottes entfernt zu bleiben.« Die heute noch gut erhaltene Figur des Amor (Abb. 13), in jeder Hand eine Sanduhr haltend, stand in der Mitte des Tempels. Auf einer Sandsteintafel ist noch zu lesen:
Wenn wir diese Denkmäler, von denen wir einige wenige herausgriffen, kritisch betrachten, so müssen wir feststellen, daß man von Kunstwerken allgemein nicht sprechen kann. Wir dürfen sie nicht auf ihre äußerliche Form, sondern müssen sie auf ihren Stimmungswert, in dem sie die Zeitgenossen schufen, betrachten und finden dann das Seifersdorfer Tal als eines der charakteristischsten Kulturdenkmale jener Zeit. »Du siehst,« sagt Hasse, »überall den Charakter des Naiven und Unschuldigen; du hörst den lieblichen Idyllenton; du wandelst unsichtbar von guten Menschen umgeben. Hast du Lorenzos Stimmung, so kannst du hier tagelang[19] schwärmen.« Doch melden sich auch in der Entstehungszeit des Tales schon kritische Stimmen, denn Hasse fährt fort: »In Seyfersdorf spricht, so vielfach auch die Anlagen sind, nur eine ruhige, etwas schwärmerische Empfindung zu deinem Herzen. Die Idee des Einfachen scheint die einzige Regel der ganzen Anlage zu seyn; daher bemerkst du Mangel an Abwechselung. Die vielen Tempelchen und Hütten haben etwas Eintöniges, und die Entfernung alles Kunstgepränges giebt hier und da der Dekoration etwas Kleinliches. Will man kunstrichterlich absprechen, so läßt sich freilich Seyffersdorf mit Wörlitz nicht vergleichen. Hier ist mit edler Pracht die Kunst der Alten und Neuern vereinigt.«
Der Park zu Wörlitz hatte auf ganz Deutschland einen großen Einfluß ausgeübt und naturgemäß auch auf das benachbarte Sachsen. Racknitz schildert das mit folgenden Worten: »Unerwartet trat in Deutschland aus dem Zustand der bloßen Natur eine Anlage hervor, die allgemeinen Beifall fand und dem Geschmack eine bessere Richtung gab. Diese Anlage ist das Schloß und der Garten zu Wörlitz.« Herzog Franz von Dessau schuf sie in den Jahren 1769 bis 1773. Als Gartenkünstler stand ihm Johann Friedrich Eyserbeck zur Seite. Die Natur bot einen, schon an sich reich gestalteten See, dessen Buchten vermehrt wurden und den Kanäle mit kleineren Wasserstücken vereinten. Die im Bogen den Park umziehenden Schutzdämme bieten eine schöne Promenade mit weitem Blick ins Land. Hinzu treten Hügel und künstliche Felsen, sowie freie Plätze, die Raum boten für Stimmungsarchitekturen im Sinne von Hirschfeld. Hier konnte sich der Geist der Empfindsamkeit, wie wir ihn im Seifersdorfer Tal als beherrschend fanden, entfalten.[20] Im ganzen aber überwog doch der Sinn für künstlerische Gestaltung, das Streben nach größeren Landschaftsbildern, und architektonisch durchgebildete Bauwerke führten zu einer Schöpfung, die mit Recht großes Aufsehen erregte und großen Einfluß auf die deutsche Gartengestaltung fand.
Das charakteristischste Beispiel für diese künstlerischen Ziele in Sachsens Gartengeschichte liefert wohl der Park zu Machern bei Wurzen, der in nahezu alter Form auf uns heute überkommen ist. Die grundlegenden Gedanken dürften vom Besitzer selbst ausgegangen sein. Der Graf Carl Heinrich August von Lindenau beschäftigte sich seit dem Jahre 1760 mit der Planung. Ihm standen zur Seite der Kondukteur J. F. Lange in Leipzig und später der preußische Bauinspektor E. W. Glasewald. Jeder schrieb ein Buch über den Garten zu Machern. 1796 erschien das von Lange mit einem Gartengrundriß (Abb. 14), woraus wir schließen, daß er bis zu dieser Zeit im Garten tätig war und wohl vor allem den Gartenplan schuf. 1799 gab Glasewald die »Beschreibung des Gartens zu Machern« heraus mit den genauen Plänen seiner Bauten.
Den Hauptreiz gibt Machern wie auch dem Wörlitzer Park das Wasser. Es ist beachtenswert, daß die großen Teiche klare Grundformen behalten und nicht, wie wir in späteren Zeiten vielfach verfolgen, durch Einbuchtungen, Inseln und Inselchen in ihrer Wirkung verkleinert werden. Der Zusammenschluß des Wassers zu einem einheitlichen Ganzen ist freilich nicht so gelungen wie in Wörlitz. Die Einzelteile treten in geringe Beziehung zueinander und ebenso fügen sich die »englischen Dreiecke« peinlich unvermittelt ein. Sie beherbergen nun die Stimmungsszenerien,[21] wie wir sie im Seifersdorfer Tal fanden. Doch ist auch hierin ein größerer Zug zu spüren. Einige Beispiele mögen das an Hand der Bilder klar legen.
Die zur Erinnerung an den Aufenthalt König Friedrich Wilhelms II. von Preußen am 10. Juli 1792 »Wilhelmsruhe« bezeichnete Anlage ist auch heute noch gut erhalten (Abb. 15). Eine Treppe aus Bruchsteinen führt hinab zu einem großen Platz, den an der einen Seite eine Felswand durch eine sanfte Biegung amphitheatralisch einschließt. Sie dient einer aus rohen Steinplatten errichteten Bank zu Lehne. Vor dieser steht ein steinerner Tisch. »Eine lachende Aussicht über eine Wiese entzückt um so mehr, weil wir sie nicht vermuteten. Im Vordergrund bildet eine Eiche und eine Birke mit ihren hängenden Ästen eine malerische Gruppe.«
Nach Osten führt der Weg zu einer Schweizer Hütte, »welche man gewöhnlich das Bauernhaus nennt« (Abb. 16). Glasewald stellt den Bau im Grundriß, Schnitt und in der Ansicht dar und sagt darüber: »Mitten auf dem vorspringenden Strohdach erhebt sich ein Türmchen mit einer Glocke. Die äußeren Wände sind mit Rohr begleitet und inwendig ist eine einzige einfache Stube und eine Kammer, Vorplatz und Treppe. Beide Zimmer sind tapeziert, und zwar stellen die Decken Holzwerk, die Seitenwände aber Quadersteine vor, aus deren Fugen Efeu hervorwächst, die Fußböden sind mit Steinplatten belegt. Vor dem Hause findet sich unter dem Schutz des überhängenden Daches eine Ruhebank und ihr gegenüber stehen vier majestätische Eichen, unter welchen einfache Sitze angebracht sind. Unsre Einbildungskraft läßt die friedlichen Bewohner dieser Hütte hier ausruhen. Sie haben einen sanften Abhang hinunter, die liebliche Wiese im Auge, auf welche ihr[22] Vieh weidet und in einiger Entfernung die Landstraße. Rechts im Gebüsch liegt eine Kegelbahn, wo sich oft der Besitzer mit seinen Freunden vergnügt.« Sie ist jetzt verschwunden, das Bauernhaus aber in nahezu alter Gestalt erhalten.
An der nördlichen Seite des Baues windet sich der Weg den Berg hinan. Zur Linken erhebt sich im Gebüsch ein mächtiger Pyramidenbau, der schon auf Langes Plan abgebildet ist, bei Glasewald aber fehlt, und daher auch wohl nicht von ihm herrührt. Es ist eine stattliche Steinpyramide, vor die sich ein dorischer Giebelbau legt (Abb. 17). Den großen Innenraum überdeckt ein Kreuzgewölbe. Die an den Seitenwänden befindlichen Nischen sind mit Urnen und Tränenkrügen besetzt. »In diesem Tempel der Erinnerung seiner Entschlafenen pflegt der Graf mit seiner Familie zu speisen – hier feiert er seine Familienfeste.« Auf der nördlichen Seite befindet sich der Eingang zur Gruft, in der sich der Besitzer beisetzen lassen wollte, was aber nicht geschah. Der Bau ist noch heute gut erhalten.
Zur Rechten der Steinpyramide liegt ein altes verfallenes Schloß, dessen Turm weit über die höchsten Eichen emporsteigt (Abb. 18). Vor dieser »alten Ritterburg«, die heute noch gut erhalten ist, steht ein steinerner Tisch mit der Inschrift: »Thylow von Lindenaw 1242«. In einer künstlich gemauerten Felswand dient ein gotischer, wie in den Felsen gehauener Bogen als Eingang zur Burg. Die begleitenden Säulen haben keinen Fuß, »damit sie durch die Zeit eingesunken erscheinen«. Der Felsen ist zum Teil verwittert, überwachsen, »wodurch die Täuschung des Altertums vollendet wird«. Man tritt zuerst in eine Grotte, die nach gotischer Art ebenfalls in den Felsen gehauen erscheint, mit altgotischen Bänken als Ruhesitze[23] der Knappen und Wächter der Burg. Das Gewölbe schließt ein altes Gittertor von einem nur schwach von oben erleuchteten Gang ab, an dessen Ende ein aus Stein gehauener betender Ritter steht. Der »schauerliche Eindruck« wurde früher noch dadurch erhöht, daß beim Eintritt »das eiserne Gittertor von selbst schnell und mit einem Geprassel aufsprang, so daß die Wände furchtbar wiederhallten.« Der Turm besitzt drei Stockwerke, im zweiten Stockwerk liegt der Rittersaal mit dreifach gekuppelten Spitzbogenfenstern mit schönen Glasmalereien. Der Bau der äußeren Turmmauer wurde nach Lange 1795 beendet. Unsre Abbildungen geben Glasewalds Entwurf (Abb. 19) und eine alte Zeichnung wieder.
Von den erhaltenen Bauwerken ist vor allem noch der Tempel der Hygiea zu nennen, den Glasewald ebenfalls entworfen und in seinem Buche dargestellt hat (Abb. 20). Zu beiden Seiten des Tempels stehen in kleineren Nischen zwei Vasen, »die im Dunkeln durch die darin angezündeten Lampen ein sanftes Licht verbreiten und dem Ganzen eine mystische Feierlichkeit geben.«
Wir erkennen aus dieser Schilderung, daß auch hier wie im Seifersdorfer Tal Architektur und Plastik die Grundstimmung der einzelnen Gartenteile ergeben.[24] Das Pyramidengrab, die Ruine einer alten Ritterburg, ein Amor, der aus einer Laube, oder eine Nymphe, die aus dunkler Grotte lauscht, eine Köhlerhütte an abgeschiedenem Platz und anderes bestimmen den Charakter. Die Architekturen sind hier reifer durchgebildet und der Stil der Stimmung angepaßt, die sie auslösen sollen. Dazu war nötig, wie es Glasewald ausspricht, darauf zu achten, daß sie nicht auf einmal zu überschauen sind. Dies Prinzip geht klar aus dem alten Grundplan hervor. Der leitende Gedanke ist, den Garten in Einzelteile zu zerlegen, darauf sind die Gehölzpflanzungen zugeschnitten. So treten die Bäume zu dichten, für sich abgeschlossene Gruppen zusammen, ganz ähnlich wie im regelmäßigen Stil, nur sind hier die Wege in krummen Linien gezogen. Die Zusammensetzung der Gehölzpflanzungen ist eine durchaus gemischte, künstlerische Ziele sind schwer erkennbar. Die Zeit hat die Gegensätze, die in den Anpflanzungen gesucht wurden, verwischt, sicher nur zum Vorteil der Anlage. Mit ihrem schönen alten Baumwuchs, den großen beherrschenden Teichen, und den die Stimmung alter Zeit am klarsten überliefernden Bauwerken gehört sie heute zu den schönsten und kunstgeschichtlich wertvollsten Gärten Sachsens aus dieser Zeit.
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Von Museumsdirektor Dr. Biehl
Das Denkmal des Königs Mathias Corvinus von Ungarn am Bautzener Schloßturm (von 1486), das mit Recht als eine der großartigsten Schöpfungen spätgotischer Bildnerei in Mitteldeutschland gilt, ist durch Verwitterung und durch die Folgen mangelhafter Restaurierungsversuche früherer Zeiten in seinem Bestand schwer gefährdet. (Abb. 1.)
Da unter dem Druck der gegenwärtigen trostlosen Verhältnisse leider keine öffentlichen Mittel für seine Wiederherstellung aufgewendet werden können, obwohl die zuständigen Behörden regstes Interesse dafür an den Tag gelegt haben, so sei der Versuch gestattet, im Leserkreise der Heimatschutz-Mitteilungen für eine Hilfsaktion von privater Seite zu werben. Vielleicht ist die Hoffnung nicht zu kühn, daß dem bedrohten Kunstwerke durch das tatkräftige Eingreifen sächsischer Kunstfreunde Hilfe gebracht werden kann. Ich halte es deshalb für nützlich, an dieser Stelle etwas näher auf den jetzigen Zustand des Denkmals einzugehen und einige Vorschläge zu seiner dringend wünschenswerten Instandsetzung zu machen.
Schon eine flüchtige Betrachtung vom Erdboden aus läßt erkennen, daß das Denkmal vielerlei Schäden aufweist. Eine eingehende Untersuchung aus nächster Nähe ergibt, daß das ursprüngliche Sandsteinmaterial an zahlreichen Stellen (insbesondere an Traufstellen) stark zermürbt ist. Die schlimmsten Schäden befinden sich an der rechten Hand und im Haar des Corvinus, an der linken Hand des rechten Engels und an verschiedenen Gewandfalten sämtlicher drei Figuren. Die szeptertragende Faust des Königs ist derart krank, daß leiseste Berührung genügt, um Sandsteinteilchen zum Abbröckeln zu bringen. Die linke Hand des rechten Engels ist durch einen tiefen Sprung bereits teilweise vom Handgelenk getrennt. Es steht zu befürchten, daß schon eine der nächsten Frost- und Tauperioden sie zum Herabfallen bringen wird. Sodann sind die Simse über der Thronnische schwer mitgenommen. Die rechte Ecke des Hauptgesimses über den Säulenkapitellen löst sich in allmählich herabrieselnde Sandkörnchen auf.
Die Ergänzungen, die zu Restaurierungszwecken 1895 gelegentlich der ungarischen Millenniumsfeier aus Draht und Zement am Denkmal vorgenommen wurden, haben sich als nicht haltbar erwiesen. Insbesondere ist das damals ergänzte Szepter des Corvinus wieder auseinander gesprungen, es wird nur noch durch den im Innern befindlichen Draht notdürftig in seiner Lage gehalten. Der Draht liegt stellenweise offen zu Tage und ist stark von Rost zerfressen. Den gleichen Verfall zeigen die Ausbesserungen am Rankenwerk der Gesimskehlen über und unter der Nische und am Kapitell des rechten Nischensäulchens. Kleinere Zementergänzungen, z. B. an Nase und Kinn des Königs, beginnen sich wieder loszulösen. Außerdem ist anzunehmen, daß sich unter der Ölfarbenhaut, welche das ganze Denkmal überzieht und die Feinheiten der Oberflächenbehandlung völlig verdeckt, noch weitere Schäden verbergen. Ohne Zweifel bedarf das Denkmal baldigster gründlicher Restaurierung. Möglicherweise können schon die Einwirkungen des letzten strengen Winters kaum wieder gut gemacht werden. (Abb. 2 und 3.)
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Zunächst scheint es mir geboten, den schädlichen und störenden Ölfarbenanstrich zu entfernen. Das kostbare Werk wird erst dann zu seiner vollen Wirkung gelangen. Natürlich dürfte das Denkmal nicht ohne weiteres im ganzen abgelaugt werden, da bei einem derartigen Vorgehen erfahrungsgemäß auch etwaige noch vorhandene Spuren der ursprünglichen farbigen Fassung vertilgt werden.
Daß das Denkmal ehemals polychrom behandelt war, daran ist kaum zu zweifeln. Um aber Art und Umfang der Originalbemalung festzustellen, dürfte sich[27] zunächst einmal der Versuch nötig machen, die Ölfarbenhaut auf trockenem Wege – durch Abklopfen, Abschaben und Abziehen – wenigstens stellenweise zu entfernen. Sollten sich durch glückliche Umstände größere Reste der alten Polychromie erhalten haben, so würde es sich empfehlen, nur die vorhandenen Farben aufzufrischen, unter Umständen stellenweise zu übergehen und einige Retouchen und Tönungen vorzunehmen. Jedenfalls sollte dann nicht ohne weiteres ein völlig neuer, naturalistischer Farbenüberzug über das Denkmal gelegt werden. In dieser Hinsicht hat man schlimme Erfahrungen bei der Restaurierung der berühmten Naumburger Stifterfiguren und der »Paradies-Skulpturen« am Freiburger Münster gemacht. Beide Werke sind nach sachverständigem Urteil infolge zu starker moderner Bemalung für den künstlerischen Genuß heute so gut wie verloren (vergleiche Max Sauerlandt, Deutsche Plastik des Mittelalters, K. R. Langewiesche, Düsseldorf und Leipzig 1911, Seite 11).
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Als Beispiel besonders gut gelungener Wiederherstellung einer ehemals polychromen gotischen Skulptur, die auch durch einen monotonen Ölfarbenanstrich entstellt worden war, möchte ich die kürzlich vollendete Freilegung der vielgenannten »Nürnberger Madonna« im Germanischen Nationalmuseum anführen. Man begnügte sich dabei mit Recht, die alte Fassung so gut wie möglich unter den späteren Ölfarbenschichten hervorzuholen, ohne die in der Fassung vorhandenen Schäden durch Neubemalung ganz zu verdecken. Allerdings ist zuzugeben, daß die Aufgabe bei der Nürnberger Statue eine ungleich leichtere war, da es sich dort um Holz als Material und nicht um zerbröckelnden Sandstein, wie beim Corvinusdenkmal, handelt. Immerhin dürfte es sich lohnen, das Nürnberger Beispiel fruchtbringend zu verwerten. (Vergleiche Bericht von E. H. Zimmermann im Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums 1921, Seite 3 bis 7 mit Abbildungen).
Weiterhin muß mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß am Corvinusdenkmal unter dem Ölfarbenanstrich überhaupt keine Spuren der alten farbigen Fassung mehr vorhanden sind und daß der Sandstein bereits von innen heraus so weit verwittert ist, daß er nach Abnahme der deckenden Ölfarbenhaut völlig zerfällt. Bei verschiedenen Skulpturen des Dresdner Zwingers war dies leider der Fall. Unter diesen Umständen würde es sich fragen, ob man mit der Abnahme des Ölfarbenanstriches weitergeht. Dies dürfte meiner Ansicht nach nur dann geschehen, wenn man auf Grund der neuesten Erfahrungen im Restaurierungswesen mit Sicherheit imstande wäre, den kranken Stein durch Imprägnieren mit einem Steinerhaltungsmittel neue Festigkeit und Kohärenz zu verleihen.
Jedenfalls wäre es sehr zu bedauern, wenn man nach Entfernung des Ölfarbenanstrichs genötigt wäre, integrierende Bestandteile der Figuren durch sogenannte Führungen, das heißt durch so gut wie möglich nachgearbeitete und eingepaßte Sandsteinstücke zu ergänzen. Man muß sich darüber klar sein, daß dann schließlich nur noch eine moderne Kopie an Stelle des unwiederbringlich verlorenen Originals treten würde. Dieser Gedanke ist unerträglich bei der Bedeutung, die dem Corvinusdenkmal als einer der seltenen spätgotischen Monumentalskulpturen mit notorischer Porträtähnlichkeit zukommt. Es sei in diesem Zusammenhang an die urkundlich beglaubigte Tatsache erinnert, daß das Modell der Statue dreimal nach Budapest geschickt werden mußte, um dem König Gelegenheit zu geben, die Ähnlichkeit nachprüfen und verstärken zu lassen. (Vergleiche Manlius in Hoffmanns scriptores rerum lusaticarum, 1719, lib. VI, cap. 115 pag. 394.)
Sollte es nicht möglich sein, die Figuren des Denkmals im originalen Zustand an der jetzigen Stelle zu erhalten, so wäre es wohl das Richtigste, sie in das Bautzener Museum zu überführen und am Schloßturm wetterbeständige, getreue Kopien anzubringen.
Die baldige Herstellung von Gips- oder Kunststeinabgüssen nach den Figuren des Corvinusdenkmals erscheint auf alle Fälle als eine der vordringlichsten Aufgaben Bautzener Denkmalpflege. Noch wünschenswerter wäre natürlich die Anfertigung guter Kopien in hartem (etwa Postaer) Sandstein durch einen zu dieser Arbeit geschickten Bildhauer.
Bei einer Restaurierung des Denkmals möchten sodann der vollen künstlerischen Wirkung halber die heute leeren Rahmenfelder zu beiden Seiten der Thronnische[29] wieder entsprechend gefüllt werden. Aus alten Abbildungen wissen wir, daß sich auf diesen Flächen ehemals plastische Wappen der von König Mathias beherrschten Länder befanden. Als Quelle hierfür kommen in erster Linie die »Lausitzischen Merkwürdigkeiten« Samuel Großers vom Jahre 1714 in Betracht. Großer bringt nach Seite 152 (des ersten Teiles) einen Kupferstich, der zur Rechten des Königs drei und zu seiner Linken vier übereinandergereihte, in gotischen Ranken aufgehängte Wappen zeigt. Die Beschreibung dazu lautet: »Um und um sind die Wapen der Königreiche Ungarn, Kroatien, Dalmatien, Böhmen, wie auch der Hertzogthümer Österreich, Schlesien, Steyer, Mähren, Lausitz.«
Johann Benedikt Carpzow (Ehrentempel der Oberlausitz, 1719, Seite 244/45) bestätigt die Angaben Großers unter Berufung auf eine Beschreibung Benjamin Leubers (Descriptio arcis Ortenburg cap. VII pag. 76) und fügt noch hinzu, daß sämtliche Wappen »aus guten Stein« gehauen seien.
Unter Zugrundelegung des Großerschen Stiches gibt Fritz Rauda in seinen Untersuchungen über »die mittelalterliche Baukunst Bautzens« (Görlitz, 1905) eine Rekonstruktion des Denkmals.
Auch Cornelius Gurlitt greift in seiner beschreibenden Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler Sachsens (33. Heft: Bautzen, 1909) auf Großer zurück, irrt aber offenbar, wenn er auf Seite 186 angibt, daß sich im Giebelfelde die Wappen des Königreichs Ungarn und ein solches mit dem Reichsadler (sic!) befinden, und[30] daß die schmäleren Felder seitlich vom Mittelteil die Wappen der übrigen Provinzen des Reiches (Kroatien, Dalmatien, Österreich, Schlesien, Steiermark, Mähren und Lausitz) enthalten hätten.
Die beiden heute noch vorhandenen Wappen unter der Stephanskrone im Giebelfeld sind als die Wappen von Ungarn, Dalmatien, Böhmen und Mähren anzusprechen.
Die seitlich der Thronnische aufgehängten Wappen trugen nach dem Großerschen Kupferstich folgende Bilder:
Zur Rechten des Königs,
Zur Linken des Königs,
Daß die Wappendarstellungen des Großerschen Kupferstiches im einzelnen genau sind, kann mit Fug bezweifelt werden, da auch die noch erhaltenen Teile des Denkmals bei ihm willkürlich abgeändert und in die Formensprache des Barock übersetzt erscheinen.
Im besonderen erregt die asymmetrische Verteilung der seitlichen Wappen durch den Kupferstecher Bedenken, zumal da das oberste Wappen zur Linken des Königs unorganisch in das Gesims des Seitenfeldes einschneidet. Es ist zu beachten, daß diese Anomalie auf dem (allerdings ziemlich undeutlichen) kleinen Holzschnitt der Manlius-Ausgabe von 1719 vermieden wurde. Im Text erwähnt Manlius übrigens zehn Wappen statt neun.
Aller Wahrscheinlichkeit nach wird für den ursprünglichen Entwurf des Denkmals und zumal für die Anordnung der Wappenschilde das große Staatssiegel des Königs maßgebend gewesen sein, welches Wilhelm Fraknói in seinem Buch über Mathias Corvinus, Freiburg 1891, auf Seite 59 abbildet. Dort wird die Mittelnische mit dem thronenden König von schmäleren Feldern mit je drei übereinander aufgehängten Länderwappen flankiert.
Die Verwendung von Siegeln als Vorbilder für Werke der Großplastik ist nichts Ungewöhnliches. Ich erinnere an das Denkmal Ludwigs des Bayern im Nürnberger Ratssaal, das nachweisbar auf das Siegel eines Handelsprivilegs vom Jahre 1332 zurückgeht. (Vgl. Mummenhof, Das Rathaus in Nürnberg, 1891, S. 35.)
Daneben kommt für die Feststellung der in Bautzen fehlenden Wappenschilde auch noch das große Sandsteinwappen des Mathias vom Jahre 1488 über der Freitreppe des Rathauses zu Görlitz in Betracht, wo oben im gevierten Hauptschild[31] die Wappen von Ungarn, Böhmen, der Lausitz und von Mähren und an der Unterseite des Tragbalkens nochmals auf kleineren Einzelschilden die Wappen von Ungarn, Galizien, Österreich und Schlesien erscheinen. (Vgl. Lutsch, Schlesische Kunstdenkmäler 1903, Spalte 105/06 des Textbandes.)
Für eine zeitgemäße Wiederherstellung der verstümmelten Krabben und der schwer beschädigten Kreuzblume am Giebel des Bautzener Denkmals wäre auch die stilverwandte prachtvolle Tür mit dem Wappen des Corvinus im Obergeschoß des Breslauer Rathauses zum Vergleich heranzuziehen. (Abb. bei Lutsch a. a. O. Tafel 50.)
Betont muß werden, daß die Ergänzung der fehlenden Teile nicht in sklavischer Nachahmung alter Formen, sondern in einer Ausdrucksweise erfolgen möchte, die modernem Kunstempfinden entspricht. In der Formensprache der Gotik kann sich ein heutiger Künstler kaum noch überzeugend ausdrücken. Die Gefahr, in öde Manier zu verfallen, ist dabei schwer zu vermeiden. Es dürfte genügen, wenn Altes und Neues harmonisch aufeinander abgestimmt wird, ohne daß das Neue versuchte, alt zu erscheinen.
Zum Schluß sei nochmals der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß diese Zeilen dazu beitragen möchten, dem bedrohten Denkmal opferwillige Helfer erstehen zu lassen. Der Untergang des seltenen spätgotischen Monumentalwerkes – das vermutlich auf den Breslauer Bildschnitzer und Maler Hans Olmützer (tätig um 1483 bis 1518) zurückgeht – würde für Bautzen und die ganze Lausitz einen völlig unersetzlichen Verlust bedeuten.
[32]
Kulturgeschichtliches Städtebild von G. Vödisch
Aufnahmen von Georg Marschner, Dresden und Hermann Kočzyk, Oschatz
Als Wahrzeichen des sächsischen Tief- und Hügellandes zwischen Elbe und Mulde gilt der Kollm, und jeder Oschatzer fügt mit Stolz hinzu: und die weithin sichtbaren gotischen Türme der St. Ägidienkirche. Wer sie sah, wird sich ihrer gefreut haben und der schmucken, freundlichen Stadt, die sie hoch überragen. Man sieht der Stadt mit ihren breiten, regelmäßigen Hauptstraßen ihr ehrwürdiges Alter nicht an, und doch sind über tausend Jahre verflossen, seit sie entstanden ist. Trotz der Anlage neuer Zugänge und mancherlei Umbauten hat sich aber die innere Stadt ein altertümliches Gepräge bewahrt und birgt viele Kunstdenkmäler der Gotik und Renaissance. Reste der alten Stadtmauer, des Stadtgrabens und zweier mächtigen Türme im Zwinger aus den Jahren 1377 und 1479, sowie der zu prächtigen Promenaden mit breiten Gängen von Linden und Kastanien umgewandelte Wallgraben erinnern daran, daß Oschatz ehemals wohlbefestigt war.
Das schöne, eigenartige Städtebild, das sich dem Beschauer vom Neumarkt aus bietet, wird allgemein gerühmt. Der alte Brunnen ist 1589 vom Steinmetz Gregor Richter aus Leipzig nach dem Vorbild des goldnen Brunnens daselbst gebaut worden. Die krönende Brunnenfigur, ein Löwe, hält einen Schild mit dem Stadtwappen in der Tatze. Das Rathaus, durch den Brand von 1842 teilweise zerstört, wurde nach dem Plane des großen Baumeisters Semper wieder aufgebaut und hebt sich mit seinem Renaissancegiebel scharf vom blauen Himmel ab. Hinter der von Linden beschatteten ehemaligen Hauptwache der Ulanen erheben sich die zwei mächtigen Türme der Stadtkirche.
Der Stolz der Bürger des Mittelalters war ja neben einer hohen Kirche ein prächtiges Rat- oder Kaufhaus. Dieses Rathaus am Markte wurde 1537 bis 1546 erbaut. Den Neubau unterstützte Herzog Georg der Bärtige sehr wesentlich; darum finden sich an der prächtigen Freitreppe die Rundbilder dieses Fürsten und seiner Gemahlin Barbara nebst allen Wappen seiner Länder. Darunter ist auch das polnische Wappen, seine Gemahlin war eine Tochter des Polenkönigs Kasimir IV.[34] An die Glanzzeit der Stadt Oschatz erinnert auch die Ratsstube. Die Lage der Stadt an einer uralten, belebten Heer- und Stapelstraße, der Hohenstraße, begünstigte eine rasche, wirtschaftliche Entwicklung und rief ein gewisses Kulturbedürfnis hervor, das sich auch in der schönen Ausgestaltung der Innenräume zeigte. Die Ratsstube wurde jedenfalls bei dem großen Brande 1616, der die Stadt bis auf fünfundzwanzig Häuser zerstörte, stark beschädigt. Die Jahreszahl 1619 an der Vertäfelung weist auf eine Erneuerung hin. Der stimmungsvolle Raum zeigt reichen Ornamentschmuck; die geschnitzten Deckbalken sind bunt bemalt und vergoldet. Kunstvolle, durchbrochene Tür- und Schrankbeschläge auf roter Unterlage zeigen die Freude am farbigen Schimmer. Ihrem Stile nach gehört die Stube in die Zeit der Hochrenaissance. Die elliptisch geschlungenen Schneckenornamente über der mit dem Stadtwappen gezierten Eingangstür zeigen schon den Übergang zum Barockstil. Die Stadt führt als Wappen den schwarzen meißnischen Löwen auf goldnem Schild mit drei roten Sternen. Die Markgrafen von Meißen trugen Oschatz zunächst als Lehen vom Stifte Naumburg, weshalb die Sterne beigefügt sind. 1884 bis 1885 wurde die Stube unter Steches Leitung stilgerecht erneuert. »Die Ratssessionsstube ist von um so höherem künstlerischen Wert, als nur wenige derartige altehrwürdige Räume in unsrem Vaterland erhalten sind.« Eine Tür führt in das feuerfeste Ratsarchiv, wo neben anderen seltenen Urkunden und Briefen von Luther, Melanchthon, Spalatin, Justus Jonas auch eine Handschrift auf Pergament in Großfolio in gotischen Buchstaben vom ältesten und berühmtesten deutschen Rechtsbuche, dem Sachsenspiegel, aufbewahrt wird. Die Handschrift stammt aus dem Jahre 1382.
Im Torbogen des Rathauses hängen die Brüderköpfe. Sie befanden sich früher am Stadthof, dem Marstall, in der Brüderstraße. Man hielt sie fälschlich für die Köpfe von Friedrich dem Freidigen und Diezmann. Im Laufe der Zeit wurden sie zum Wahrzeichen der Stadt erhoben. Der Rat der Stadt übte die Gerichtsbarkeit aus. Davon zeugt ein Stein, der sich über der Tür des unterirdischen Gefängnisses im Rathause befand und auch im Schwibbogen angebracht ist. Das Gefängnis nannte man nach einer Inschrift dieses Steines »den schwarzen Sack«. Die Inschrift, eine Stelle aus der Vulgata, lautet:
ESAIE 50 · PONAM · SACCV̅ · OPERIMENTV̅ · EORVM · 1538
= Jesaias 50. Ich (kleide den Himmel mit Dunkel und) mache seine Decke als einen Sack. Gegenüber hängen die steinernen Flaschen. Sie stammen aus dem Jahre 1526 und wurden am Pranger zänkischen Weibern zur Strafe an den Hals gehangen. In den rechts vom Eingange liegenden Korbpranger, auch Narrenhäuschen genannt, wurden Feld- und Gartendiebe gesteckt. Dieses käfigartige Gefängnis wurde 1532 angelegt. Am Eingange links steht der Prangerstein mit dem Halseisen. Von Gebäuden am Neumarkte ist noch das Gasthaus zum Stern historisch merkwürdig. Hier kehrte Dienstag nach Miseric. Dom. im Jahre 1548 Philippus Melanchthon ein. Das Eckhaus an der Hospitalstraße trägt noch die Inschrift »Zum Großen Christoph«, nach einem Bilde, das früher das Haus zierte und darstellte, wie Christophorus das Christkind durch den Fluß trägt. Das alte[35] Amthaus, erkenntlich an dem zierlichen Giebel, wurde vom Kurfürsten Johann Georg I. nach dem Brande von 1616 erbaut.
Das Gasthaus zum Schwan, wohl eins der ältesten Gebäude mit gewaltigen Mauern und Türen mit Spitzbogen, war früher das Absteigequartier der Landesherrschaft, als noch die Poststraße durch Oschatz führte. An einem Eckstein steht die Jahreszahl 1591. Am Altmarkte blieb bei dem großen Brande von 1616 das Gasthaus zum weißen Roß als erstes von fünfundzwanzig Häusern stehen. In einem Unterziehbalken der altertümlichen Gaststube ist die Jahreszahl 1564 eingeschnitten. Am 19. April 1813 stieg im Gasthaus zum Löwen Goethe auf seiner Reise von Leipzig nach Teplitz ab. In der Zeit zwischen dem Mittagessen und der Weiterreise um drei Uhr dichtete er die Parodie: »Gewohnt, getan!« Sie beginnt: »Ich habe geliebt, nun lieb’ ich erst recht!«
Die schöne St. Ägidienkirche wurde nach dem Entwurfe des berühmten Nürnberger Baumeisters Heideloff im gotischen Stile 1846 bis 1849 erbaut, da sie durch den großen Stadtbrand im Jahre 1842 fast bis auf die Mauern zerstört worden war. Die durchbrochenen kunstvollen Türme haben eine Höhe von fünfundsiebzig Metern. Auch die innere Einrichtung des Gotteshauses ist nach Heideloffs Angaben im gotischen Stil ausgeführt, wie der prächtige Altar und die Kanzel, Gestühle und Emporen zeigen. Der Triumphbogen ist durch Professor Hermann aus Berlin mit einem herrlichen Freskogemälde, der Bergpredigt, geschmückt worden. Nach dem Entwurfe des Direktors der Dresdner Gemäldegalerie, Julius Hübner, sind die fünf Fenster des Altarchores mit farbenprächtigen Glasmalereien verziert. Die äußeren Fenster stellen Jesus im Tempel und die Segnung der Kindlein dar. Professor Ludwig Otto in Dresden malte zwei Fenster im Schiff. Das Lutherfenster mit dem Reformator, zur Rechten ein römischer Kardinal, zur Linken Kurfürst Friedrich der Weise. Das zweite Fenster zeigt den lehrenden Apostel Paulus, umgeben von zwei römischen Kriegern.
Das schöne Gewölbe der Kloster- oder Marienkirche blieb unversehrt, als die Hussiten 1429 um Weihnachten die ganze Stadt und das Minoritenkloster mit Feuer verwüsteten. Im Jahre 1903 entdeckte man beim Umbau des Archidiakonats in der St. Elisabethkapelle Freskomalereien, deren Entstehung um das Jahr 1410 fällt. Der Stifter der Kapelle ist Nikolaus Homut, ein Oschatzer, der Domherr in Wurzen war. Von den Bildern sind die Verkündigung der Geburt Jesu, Petrus und Paulus, St. Nikolaus und der Stifter Homut am trefflichsten in den alten Farben erhalten. In der gotischen Gottesackerkirche, die 1587 geweiht wurde, ist der gotische Flügelaltar kunstgeschichtlich bemerkenswert.
Trotz der Verheerungen durch große Brände und Kriege ist Oschatz nicht arm an Kunstdenkmälern vergangener Zeiten. Ein Rundgang durch die Stadt bietet namentlich in den älteren Teilen recht prächtige Kleinstadtbilder, man sieht auch alte Bürgerhäuser mit Rundbogentoren und muschelbedeckten Sitzen, schön geschnitzte Haustüren und allerlei Inschriften.
Zur Hebung des geschichtlichen Sinnes und des Interesses für die heimischen Kunstwerke der Vorfahren hat der Verein für Orts- und Volkskunde erfolgreich gewirkt. Durch Forschen und Sammeln, durch Bild und Schrift sucht er die[36] städtischen und vaterländischen Geschichtsquellen zu erschließen und dafür zu sorgen, daß die Zeugen der denkwürdigen Vergangenheit der Stadt Oschatz und der engeren Heimat der Mit- und Nachwelt erhalten bleiben. In der Sammlung, die übersichtlich geordnet in zwei großen Zimmern des alten Schulgebäudes Platz gefunden hat, wird der Besucher noch viele Erinnerungen aus alter Zeit der Stadt Oschatz und seiner Umgebung finden, denn sie enthält in ihren vier Abteilungen: Urgeschichte, Volkskunde, Ortsgeschichte und Innungswesen viele interessante und wertvolle Altertümer. An dem Gebäude ist eine Bronzetafel angebracht mit den Bildnissen der Komponisten M. Carl Gottlieb Hering, Konrektor in Oschatz und dessen Sohn Karl Eduard Hering (geb. 13. Mai 1807 in Oschatz). Die Klavierschule des ersteren (gedruckt bei Oldecop in Oschatz) erwarb ihm einen klangvollen Namen in der Musikwelt ganz Europas, denn sie wurde in Frankreich, in der Schweiz, in Österreich und in Dänemark nachgedruckt. Er ist auch der Komponist mehrerer zu wahren Volksliedern gewordenen Kinderliedern. Das Weihnachtslied »Morgen, Kinder, wird’s was geben«, sowie »Hopp, hopp, hopp, Pferdchen lauf Galopp«, werden noch heute von der Kinderwelt gern gesungen.
K. E. Hering, der als Domorganist und Musiklehrer am Landständischen Seminar in Bautzen wirkte, machte sich verdient durch Veranstaltung unentgeltlicher Volkskirchenkonzerte. Beim Lausitzer Musikfest 1865 erhielt sein tiefempfundenes Abendlied den Preis. Von seinen sangbaren Männerchören ist besonders das große Chorwerk »Die Weihnachtsnähe« zu nennen.
Die Musik pflegte man schon im frühen Mittelalter, denn zur Unterstützung des Choral- und Meßgesanges bestand eine Kalandbrüderschaft. Zur Zeit der Reformation entstand daraus die Kantorei. Nachweislich ist die Oschatzer eine der ältesten, sie wurde vom Superintendent Buchner 1540 aus dem alten Kaland gebildet und pflegte an Festen die mehrstimmige Figuralmusik mit großem Fleiß. Ihre Auflösung erfolgte 1857, infolge der Kriegs- und Zeitverhältnisse war das musikalische Streben verlorengegangen. Schon 1818 hatte man sich entschlossen, die geistliche Figuralmusik auf sich beruhen zu lassen. Der lustige Kantoreischmaus war die Hauptsache, auch die Motette während der Mittagstafel fiel weg, denn man machte, wie es im Kantoreialbum heißt, »vielfach die Erfahrung, daß die Tischgesellschaft die Vorträge des Aufwärters höher als die des Kantors, die Braten den Kantaten, das Schlingen dem Singen vorzog«.
Von gleichzeitigen Schriftstellern wird den Bürgern das Lob des Fleißes, der Betriebsamkeit und des lebendigen Eifers für das Kirchen- und Schulwesen erteilt. Der Bürgerstand in Oschatz war im sechzehnten Jahrhundert hoch entwickelt und geistig regsam. Die Lesefertigkeit muß allgemein verbreitet gewesen sein; denn der Rat ließ die landesherrlichen Verordnungen an eine Tafel heften und die Statuten der Stadt aushängen, damit sie jedermann lesen könne. 1540 wird im Visitationsbuch Oschatz höchlichst belobt als »Eyne volkreiche Comun, daselbst Eyn fein Volk ist«.
Dem Bildungsbedürfnis entsprach eine in dieser Zeit blühende lateinische Stadtschule mit tüchtigen Lehrern, die oft einen ehrenvollen Ruf nach auswärts erhielten. Ein ehemaliger Zögling der Oschatzer Schule war Joh. Rhenius, der Verfasser des Donat, einer lateinischen Sprachlehre, die als geschätztes Schulbuch[37] sehr lange verwendet wurde. Der berühmte Professor der Geschichte Böhme in Leipzig legte den Grund zur Wissenschaft in dieser Schule, und Professor Eichstädt in Jena, ein Mitarbeiter Goethes, war ein Oschatzer Kind.
Oschatz gehört aber auch zu den wenigen Städten, die schon im vierzehnten Jahrhundert eine Schule hatten, vielleicht war sie als Pfarrschule noch älter. Zur Zeit der Reformation wurde die Jungfrauen- oder Maidlinschule aufgerichtet, die in der Elisabethkapelle, später in der am schönen Renaissancetor kenntlichen Kirchnerwohnung ihre Schulstube hatte.
Der ursprüngliche Name der Stadt ist ozzec = Holzhau, von drjewo = Holz und sec = Hau. So steht er auf dem ersten dreieckigen Stadtgerichtssiegel, das einer Urkunde vom Jahre 1253 angehängt ist. Die Schreibung des Stadtnamens unterlag den verschiedensten Veränderungen. Der Stadtchronist Hoffmann führt zwanzig an. 1346 wurde zum ersten Male und seit 1594 stets Oschatz geschrieben. Die Bildung dieser Form schreibt man den eingewanderten flämischen Tuch- und Leinewebern zu, die, wie der Chronist Hoffmann berichtet, nach niederdeutscher Weise das e wie a sprachen.
Die Stadt stand bis zu Kaiser Heinrich IV. unter kaiserlicher Oberhoheit. Eine Urkunde vom 31. März 1065, nach der dieser Kaiser dem Bischof Eberhard von Naumburg zwei Städte, Grimma an der Mulde und Oschatz im Gau Daleminzi schenkt, hat sich als eine grobe Fälschung des dreizehnten Jahrhunderts erwiesen. Das Stift Naumburg wollte die Lehnshoheit über diese Städte gegenüber den Markgrafen von Meißen dadurch begründen. Damals gingen viele kaiserliche Güter und Rechte auf diese Weise verloren; denn der Kaiser war erst vierzehn Jahre[38] alt, aber schon für volljährig erklärt. Es ist zwar eine echte Urkunde, die in der kaiserlichen Kanzlei 1060 bis 1064 ausgestellt wurde, aber nur die Schenkung eines Dorfes Teitzig an der Mulde betraf. Auf der Rückseite des Dokumentes vergaß man den Namen zu tilgen, und so ließ sich die Fälschung erweisen. Die Urkunden der Stadt reichen bis ins dreizehnte Jahrhundert. Die Stadtgeschichte hat aber einen schweren, wie es scheint, unersetzlichen Verlust erlitten durch Abhandenkommen des ältesten Stadtbuches. Oschatz konnte sich rühmen, das älteste sächsische Stadtbuch zu besitzen. Der erwähnte Chronist Hoffmann hat es noch zu seiner wertvollen Chronik von Oschatz und der noch vorhandenen handschriftlichen Urkundensammlung benutzt. Es war 1321 angelegt und enthielt ältere Einträge von 1317 an. Dieses Stadtbuch ist seit seiner Benutzung durch Hoffmann 1813 und Hasche 1817 vollständig verschollen. Alle Versuche, diese für die Geschichte der sächsischen Städtebücher höchst wichtige Handschrift aufzufinden, sind bis jetzt gescheitert. Schon 1589 wird sie von Petrus Albinus als oschizense chronicon manuscriptum in seiner Meißnischen Land- und Bergchronica erwähnt. Das erhaltene zweite Stadtbuch gehört zu den reichhaltigsten sächsischen Städtebüchern. Es schließt sich unmittelbar an das erste an und reicht von 1467 bis 1500.
In Oschatz erscheint seit 1300 ein Rulico scriptor, seit 1317 ein Albertus scriptor, es sind die frühesten mit Namen bekannten Stadtschreiber unsres Landes.
Wechselvoll waren auch die Geschicke der Stadt im Laufe der Jahrhunderte seit ihrer Entstehung.
Nach Unterwerfung der Daleminzier gründete Heinrich I. an wichtigen Flußübergängen zur Sicherung seiner Herrschaft Burgen. Der Bezirk um jede Burg wurde von einem Burggrafen verwaltet. Oschatz war ein solcher Burgwartbezirk, und nach örtlicher Überlieferung krönte eine Burg die Anhöhe am rechten Döllnitzufer, wo eine uralte Straße nach Grimma zu durch eine Furt der Döllnitz führte. Zur Ansiedlung war das sumpfige Gelände, der hintere Brühl, schon wegen der vielen Überschwemmungen nicht geeignet. Als später döllnitzabwärts aus denselben Gründen ein besserer Übergang über die Döllnitz hergestellt und die Straße verlegt wurde, entstand der Ort ozzec, in dem später der markgräfliche Vogt wohnte, auf den das Burgwartsrecht überging. Hier lag die sorbische Siedlung Praschwitz, die im ältesten Stadtbuche auch Bratitz genannt wird. Der Chronist Hoffmann deutet den Namen als einen Ort, wo die Daleminzier ihre Götter um Rat fragten, wenn sie eine wichtige Unternehmung vorhatten. Die Feldflur Praschwitz gehört heute größtenteils der Kirche, das ganze Stadtgebiet liegt in dieser Mark. Die Unterstadt wird durch den langgestreckten Altmarkt gebildet, der wohl der Ausgangspunkt der Besiedlung gewesen ist. Er war bereits vorhanden, ehe die mehr planmäßige Oberstadt mit dem Neumarkt und den ihn umgebenden regelmäßigen Straßen erfolgte. So geht Oschatz auf eine doppelte Anlage zurück, die jedoch eine rechtliche Einheit bildeten und innerhalb des Mauerrings lagen. Aus der hohen Lage und der ringartigen Geschlossenheit des Gebietes an der Kirche schließt man auf eine burgartige Befestigung dieses Teils. Hier liegt außer der Kirche auch das alte Rathaus, der spätere Schleinitzer Hof, der dann als Siegelhaus der Tuchmacher diente. Die schweren Tonnengewölbe und mächtigen Mauern weisen auf das frühe[39] Mittelalter hin. Mit dem Burgwartbezirk fiel auch der Sprengel des Erzpriesters zusammen, der hier ebenfalls seine Wohnung hatte. Die Kirche von Oschatz war erst die einzige des ganzen Sprengels, zu der sich alle Ortschaften hielten, bis für sie eigene Kapellen oder Pfarrkirchen gestiftet wurden. Der geistliche Sprengel umfaßte elf deutsche Ortschaften und zweiundzwanzig sorbische Niederlassungen.
Das Schicksal der Stadt war eng mit dem des angestammten Wettiner Fürstenhauses verknüpft. Die Bürger trugen Leid und Freud, Not und Tod mit den Fürsten. Diese aber erwiesen ihnen viele Wohltaten und widmeten der Stadt ihre besondere Fürsorge. Von Krieg, Teuerung, Pest und Brand, aber auch von frohen Festen und frommer Sitte weiß die Geschichte zu berichten.
Die Befestigung mit Mauern, Toren und Türmen verdankt die Stadt Otto dem Reichen, so daß die Franziskanermönche 1228 von Heinrich dem Erlauchten die Erlaubnis erhalten konnten »ihr Kloster nahe an die Stadtmauer zu erbauen«. »Vestung« wird die Stadt zum ersten Male 1312 in einer Urkunde genannt, in der Friedrich der Freidige den Markgrafen zu Brandenburg zweiunddreißigtausend[40] Mark Silber zu zahlen verspricht und darum mehrere Orte, darunter auch Oschatz verpfändet. Der Markgraf war den Brandenburgern bei Großenhain in die Hände gefallen und saß in Tangermünde als Gefangener. Friedrich der Freidige förderte den Bau der Kirche durch Verehrung von Reliquien, die Anlaß zu vielen Wallfahrten gaben, wodurch der Stadt große Einnahmen erwuchsen. König Adolph von Nassau eroberte sein Land, Oschatz mußte sich dessen Statthalter, dem Grafen Heinrich von Nassau ergeben. Der geflüchtete Markgraf tauchte wieder auf, als Adolph gegen Albrecht von Österreich zog. Der Statthalter fiel mit seiner zahlreichen[41] Begleitung auf dem Ritt von Döbeln nach Oschatz im großen Forst bei Oschatz dem Waffenbruder Friedrichs, dem Ritter Ullrich von Maltitz in die Hände. Er mußte sich durch Auslieferung mehrerer fester Städte lösen, darunter war auch Oschatz.
Die fortwährenden Geldnöte der Fürsten benutzte die Stadt und brachte nach und nach gar manche Rechte und Freiheiten an sich.
So verstattete Wilhelm I. den Bürgern von allen Wagen, die durch Oschatz fuhren, Pflastergeleite und Wagengeld zu nehmen. Er erlaubte ihnen auch einen Jahrmarkt am St. Ägidiustage und belehnte sie mit Zöllen. Um der Stadt nach der Zerstörung durch die Hussiten wieder aufzuhelfen, gestattete ihnen der Kurfürst Friedrich der Sanftmütige, den Fastenmarkt abzuhalten. Wegen der Erbteilung mit seinem Bruder Wilhelm kam es zu dem verheerenden Bruderkriege. Die wilden, böhmischen Söldner Wilhelms hausten in dem emporgeblühten Oschatz übel und verbrannten hundert Häuser. Doch erholte sich die Stadt schnell von allem Unglück. Unter Ernst und Albert erhielt sie erblich die Obergerichte gegen Pacht, und die Verbindung zwischen Amt und Rat wurde gelöst. Die Stadt übte nun selbst die niedere und obere Gerichtsbarkeit über Hals und Hand aus. Georg der Bärtige hatte eine besondere Vorliebe für Oschatz. Die Stadt nannte er seinen[42] Schatz – seine Schatzkammer, denn sie half ihm oft mit Geldvorschüssen aus. Der Einführung der Reformation setzte er großen Widerstand entgegen und ließ an den Kirchtüren den Befehl anschlagen, daß sich niemand zu Luthers Lehre wende. Die Bürger ließen aber ihre Söhne in Wittenberg studieren, viele nahmen in den nahen Kirchen des Kurfürstentums das Abendmahl, auch der Rat hing der neuen Lehre an. Da sagte der Herzog von Oschatz: »Er hätte diese Stadt allzeit gut katholisch befunden, auch vor seinen Schatz gehalten. Nun aber Luther sie aufgewiegelt, wäre es ihm leid, daß soviele Leute mit ihm in die Hölle fahren sollten!« Mehrere Familien wurden vom Herzog stadt- und landesverwiesen. An diese ist gerichtet: »Dr. Martin Luthers Trostbrieff an die Christen aus Oschatz, die von Herzog Georgen des Evangelii willen verjagt worden. d. d. 20. Jan. 1533.« Geistliche und Lehrer ließ der Herzog ins Gefängnis setzen, doch breitete sich die neue Lehre immer mehr aus. Heinrich der Fromme führte dann in Oschatz die Reformation durch. Bei Aufhebung des Klosters erhielt es die Stadt mit der Klosterkirche und vier Mönchshölzern vom Kurfürsten Moritz gegen eine geringe Kaufsumme. Sein Vogt Jobst Riegel in Oschatz meldete ihm die Besetzung Wurzens durch den Kurfürsten Johann Friedrich dem Großmütigen, das beiden Fürsten gemeinsam gehörte. Da bot sich den Bürgern ein großartiges kriegerisches Bild, denn der Herzog Moritz musterte zehntausend Mann Fußvolk und fünfhundert Reiter auf der Viehweide und zog gegen den Kurfürsten, der bei Grimma stand. Durch Philipp von Hessen kam ein Vergleich zustande. Scherzweise wird der unblutige Zwist der »Fladenkrieg« genannt, da die Krieger nun zum Osterfest in Ruhe ihre Osterfladen verzehren konnten.
Im schmalkaldischen Kriege hatte sich die Stadt ohne Not dem Marschall des Kurfürsten, Heinrich von Schönberg, ergeben, der vor Oschatz mit dreihundert Reitern erschienen war. Moritz bedrohte deshalb die Oschatzer mit Leibesstrafen und Schleifung der Stadt, wenn sie ihre Stadt nicht besser bewahren würden. In einem Schreiben an seine Städte stellte er das Benehmen der Oschatzer als böses Beispiel hin. Bei Verlust von Leben und Gut verbot er, sich auf schlichtes Berennen und Drohen zu ergeben. Die Bürger von Oschatz mußten die vom Kurfürsten aufgelegte Steuer an Moritz abliefern, obwohl der Marschall drei Geiseln mitgenommen hatte. Da erschien der Kurprinz mit seinem Heerhaufen, mit allerlei Sturmgerät und schwerem Geschütz und belagerte die Stadt. Über fünf Wochen wehrten sich die Bürger wacker, dann mußten sie sich ergeben. Die Stadt sollte sechstausend Gulden Brandschatzung zahlen, doch auf Fürbitte des Superintendenten Buchner, der den Kurprinzen von Torgau her kannte, wurde die Summe auf die Hälfte ermäßigt und die Geiseln kamen frei, ein Bürger war in der Gefangenschaft gestorben. Am Hospitaltore wurde eine fünfunddreißig Pfund schwere Geschützkugel ausgegraben, die wahrscheinlich aus der Zeit dieser Belagerung stammt.
Die Stadt hatte schöne Einnahmen, besonders nach dem ihr Christian I. das Hauptgeleite verschrieben hatte. Damals stand die Tuch- und Leineweberei und Bierbrauerei in großer Blüte. In einem Jahre wurden über viertausend Tuche hergestellt. Es war die fünftgrößte Stadt im Lande und zählte dreitausendfünfhundert Einwohner. 1616 aber zerstörte ein großer Brand die Stadt mit Kirche und Rathaus, vierhundertvierundvierzig Häuser lagen in Asche. Der Kurfürst[43] Johann Georg I. erließ den Bürgern die Steuern und schenkte der Stadt tausend Gulden und viertausend Stämme zum Bau der Häuser. Bald begann der verhängnisvolle Dreißigjährige Krieg. Von Schweden und Kaiserlichen wurde die Stadt gebrandschatzt und ausgeplündert, die Stadtgüter wurden verwüstet und das Vieh weggetrieben. Von den fünfhundertvierundvierzig Häusern waren dreihundertsechsundzwanzig zerstört und fünfzig hatten keine Wirte. Das Elend erreichte den Gipfel, als wiederholt die Pest ausbrach und zweitausend Personen dahinraffte. So geriet die einst blühende Stadt gänzlich in Verfall, der Wohlstand war aufs tiefste erschüttert, ja sie kam durch den Wiederaufbau der städtischen Gebäude und durch die Kriegslasten[44] in so bedeutende Schulden, daß der Konkurs ausbrach, trotzdem die Stadtgüter veräußert wurden.
Im Siebenjährigen Kriege wurde die Stadt vollends ausgesogen. Sie sollte Lieferungen leisten und Kontributionen zahlen, obwohl Handel und Verkehr stockte. Als sie neuntausend Taler schuldig war, aber nicht imstande zu zahlen, da büßten der Rat und die wohlhabendsten Bürger im Arrest, nur ein Strohlager war ihnen gestattet. Endlich machte der Hubertusburger Friede diesen Sorgen ein Ende.
Der Kurfürst berief einen Landtag, um dem verheerten Lande zu helfen. Oschatz erhielt die Erlaubnis zu einem Wollmarkte, der den Erwartungen jedoch nicht entsprach. Auch zwei Bataillone des Infanterie-Regiments Prinz Max wurden nach Oschatz in Garnison gelegt, die 1790 bei der Unterdrückung der Bauernunruhen gegen die Gutsherrschaften in der Oschatzer Gegend tätig waren.
Während der Napoleonischen Kriege hatte Oschatz viel zu leiden unter dem Druck der französischen Einquartierung, lag es ja an der Heeresstraße Leipzig–Dresden, auf der gewaltige Truppenmassen hin- und hermarschierten. So ist es kein Wunder, daß die Bürger verarmten und die Stadt gänzlich herunterkam. Als 1839 die Leipzig–Dresdner Eisenbahn eröffnet wurde, legte sie den Fracht- und Postverkehr vollends lahm. 1842 war für die Stadt das Schreckens- und Trauerjahr. Ein gewaltiger Brand zerstörte die Stadt gänzlich. Das Unglück erregte allgemeine Teilnahme. Doch verloren die Bürger den Mut nicht. Bald blühte neues Leben aus Schutt und Asche empor. Unter großen Opfern (die den Stolz der Bürger nach solchem Schicksal begreiflich erscheinen lassen) wurden die herrlichen Türme der Stadtkirche, das Rathaus und die Bürgerhäuser wieder aufgebaut. Doch lagen die Erwerbsverhältnisse so sehr danieder, daß im Landtage beantragt wurde, Oschatz aus der Klasse der Mittelstädte in die der Kleinstädte zu versetzen. Diese Angelegenheit erregte das größte Aufsehen in ganz Sachsen. Man glaubte nicht, daß die Stadt durch die Eröffnung der Eisenbahn und den Brand so gelitten habe. Der Landtagsabgeordnete Sommer forderte die Regierung auf, für die Stadt einzutreten, außer einem Almosen von fünfhundert Talern habe sie in ihrer größten Not nichts erhalten. Man versprach der Stadt eine Garnison, Aufhelfung der Tuchmanufaktur und das Bezirksgericht. Auf Anregung des Gewerbevereins wurde Oschatz später wieder in die Reihe der Mittelstädte zurückversetzt. Da in der Stadt die Bedingungen zur Weiterentwicklung vorhanden waren und die Versprechungen der Regierung zumeist erfüllt wurden, erholte sich die Stadt allmählich, doch ist sie in bezug auf Einwohnerzahl und Gewerbebetrieb von vielen Städten Sachsens überholt worden. Von den früher so zahlreichen Gerbereien sind nur noch zwei in Betrieb. Die Bierbrauerei hat ganz aufgehört (ehemals war das Oschatzer Bier auf der ganzen Hohenstraße rühmlichst bekannt, was schon Petrus Albinus in seiner Meißnischen Chronik erwähnt). Die einst so blühende Tuchmacherei ist ganz eingegangen, und die letzte Tuchfabrik wurde im Weltkriege stillgelegt. Auch die Hauptindustriezweige der Stadt, die Filz- und Schuhwarenfabrikation, die Wagenfabrikation und die Erzeugung von Woll-, Häkel- und Filetwaren haben im Weltkrieg stark gelitten. Die Not der schweren Zeit teilt Oschatz mit allen andren Städten, Wohnungsnot, Erwerbslosigkeit, riesenhafte Schuldenlast, Aufhören der Bautätigkeit.
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Aus der Entwicklung der Stadt sehen wir, wie die Alten mit neuem Mut und neuen Mitteln tatkräftig zu neuen Fortschritten trotz alles Unglücks kamen. Die Geschichte der Stadt gibt uns so ein tiefes Verständnis ihrer Gegenwart und den festen Willen für die Zukunft in Gemeinsinn und Opferwilligkeit unsern Vorfahren nicht nachzustehen und das Aufblühen der Stadt mit allen Kräften zu fördern.
Wegen der bequemen Eisenbahnverbindung durch die Hauptlinie Leipzig–Dresden und seiner gastfreundlichen Bürgerschaft wird Oschatz von Verbänden und Vereinen gern als Tagungsort gewählt. Auch viele Fremde besuchen die freundliche, gartenreiche Stadt mit ihren schönen Schmuckplätzen, die der Verschönerungsverein nebst dem prächtigen Stadtpark mit tatkräftiger Unterstützung der städtischen Körperschaften anlegte.
Im Stadtpark wechseln große Rasenplätze, von bunten Blumenbeeten und schönen Baumgruppen geziert, mit Laub- und Nadelholzwald ab. Die Sträucher und Wege zeugen von einer sorgfältigen Pflege der Parkanlagen. Inmitten des Parkes liegt auf einer Anhöhe das Restaurant »Zum Weinberg« mit schattigem Garten. Von hier aus genießt man einen prächtigen Blick auf das Döllnitztal und auf die Stadt. In der Ferne erhebt sich inmitten dunkler Wälder der Kollm, der wegen seiner umfangreichen Aussicht von nah und fern besucht wird.
Auf dem Friedhofe des Dorfes Kollm steht eine zehn Meter im Umfang messende, wohl tausendjährige Linde, wo die Markgrafen von Meißen 1185 bis 1259 ihre Landdinge abhielten. In einer Urkunde von 1200 unter Dietrich dem[46] Bedrängten heißt es: »dise ding sind geschehen in unserm ubirsten palas zu colmitz«. Das untere Palatium war gewiß das nach Oschatz zu liegende wüste Schloß Osterland. Nach den Ruinen ist es ein gewaltiger Bau gewesen, den nur ein mächtiger Fürst errichten konnte. Der innere Hof ist vierhundertzwanzig Quadratmeter groß. Im Grundriß mißt die Burg fünfundvierzig mal fünfunddreißig Meter, der Vorbau achtzehn mal zehn Meter. Die Ausgrabungen, die noch nicht beendet sind, haben ergeben, daß das Schloß weit größer ist, als Preusker und andere annahmen. Unter den Funden, die in der ortskundlichen Sammlung zusammengestellt sind, ist, neben Brakteaten Dietrichs des Bedrängten und Heinrichs des Erlauchten und anderem mehr, ein Brakteatstempel des letzteren Fürsten wohl der wichtigste. In Deutschland sind bis jetzt nur neun Stück bekannt. Wegen Mangel an Urkunden ist die Geschichte des Schlosses in Dunkel gehüllt. 1387 wird es aber schon »wüstes Steinhaus« genannt.
Vom Aussichtsturm des Kollm, dem Albertturm, erblickt man nach Osten zu im dunklen Wald diese Ruine. Weiterhin sieht man die Türme von Oschatz, Riesa, die Elbe bei Gohlis, Strehla mit Kirche und Schloß. Nördlich liegt die Dahlener und Sitzenrodaer Heide und Torgau. Nach Westen ist außer den Hohburger Bergen und Wurzen auch Leipzig mit dem Völkerschlachtdenkmal sichtbar. In der Wermsdorfer Heide liegen in der Nähe des Horstsees die Schlösser Wermsdorf und Hubertusburg. Im Süden erhebt sich der Rochlitzer Berg und das Schloß Augustusburg, südöstlich wie ein dünner Stift die Halsbrücker Esse. In weiter Ferne begrenzt das Erzgebirge den Gesichtskreis.
In der wohlangebauten Ebene und im welligen Hügelland, das man vom Kollm übersehen kann, liegen oft in stattlichen Parks über dreißig Rittergüter und Herrensitze, meist ehemalige Wasserburgen, oft adligen Geschlechtern gehörig, deren Vorfahren zum Landding nach den überall sichtbaren Kollm ritten, der das Oschatzer Land beherrscht.
Es soll nicht mit groben Händen an dem Teuersten und Heiligsten gerührt werden, was ihr auf Erden besitzet. Von dem, was ihr von eurer Heimat wißt und was ihr von ihr haltet, soll kein Stücklein weggenommen werden; es soll nichts an ihr genörgelt und geschulmeistert werden.
(Prof. Woerl, München.)
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Von Denkmalpfleger Dr. Bachmann
Im Januarheft des Jahres 1922 konnte Verfasser dieser Zeilen eine kurze Übersicht über die Betätigung des Landesamtes in den Kriegs- und Nachkriegsjahren geben. Die Hoffnung, daß die Zeiten sich bessern würden, daß die Gefahr des Verfalls und der Abwanderung des im Lande verstreuten Kunstbesitzes allmählich wesenlos werden würde, hat sich leider inzwischen nicht erfüllt. Schärfer als je steht die staatliche Denkmalpflege im Kampfe gegen widrige Umstände. Auch ständig durchgeführte Überwachung und Hinweis auf die erlassenen Kunstschutzverordnungen hat nicht immer verhindern können, daß seitens der Besitzer eigenmächtige Handlungen vorkamen, die rückgängig zu machen zu teilweise recht unliebsamen Erfahrungen für jene führten.
Besonders viel gesündigt wurde und wird noch heute in bezug auf den reichen Schatz mittelalterlicher Kirchenglocken, den Sachsen mit Stolz sein eigen nennen kann. Es ist tief betrüblich zu beobachten, wie leichten Herzens sich manche Kirchgemeinden von ihren alten Kirchenglocken trennen, die, nachdem sie die Stürme des Dreißigjährigen, des Siebenjährigen und des Freiheitskrieges glücklich überdauert haben, heute der Geschäftstüchtigkeit mancher Glockengießerfirmen zum Opfer fallen. Da Verbote und Ermahnungen oft fruchtlos waren, mußte in einigen Fällen mit dem Nachdruck der Strafgesetzesparagraphen vorgegangen werden. Als Beispiel nur, welch unersetzliche Werte hier in Frage stehen, sei hier auf die prachtvolle Glocke der Kirchgemeinde Elstertrebnitz hingewiesen, die jetzt eine Zierde des Dresdner Kunstgewerbemuseums bildet, nachdem sie bereits heimatlos geworden und in nächste Nähe der Schmelzöfen der Firma Schilling und Lattermann in Apolda gelangt war. Das selten schöne Stück trägt auf seinem Mantel zwei durch Frische der Zeichnung und Lebendigkeit der Darstellung gleichermaßen ausgezeichnete Bildnisgruppen, den heiligen Martin zu Pferd, dem auf der Gegenseite eine Kreuzigungsgruppe entspricht. Die Darstellungen erinnern an frühe Holzschnitte des fünfzehnten Jahrhunderts und vorzüglich hat es der Künstler des Glockenschmuckes, der sich, ein seltener Fall, als »Nicolaus Eisenberg aus Leipzig« selbst nennt, verstanden, dem spröden Material echtempfundene Linienwirkung abzugewinnen. Neben dem Künstlernamen wird uns auch das Herstellungsjahr »1460« genannt. Wenn wohl etwas für die innere Berechtigung der Bestrebungen von Heimatschutz und Denkmalpflege spricht, dann sind es solche Fälle krasser Nichtachtung gegenüber angestammtem Heimatgut.
Schlimmer ist es heute zumeist um die Kirchengebäude selbst bestellt und immer mehr häufen sich beim Landesamte die Unterstützungsgesuche gerade für unsere schönsten und wertvollsten Dome. Die dem Amt zur Verfügung stehenden Mittel sind aber leider solchen Anforderungen gegenüber gänzlich unzureichend. Sollen darum nun wirklich unsre stolzesten Gotteshäuser, die bedeutsamsten Schöpfungen vergangener Jahrhunderte einem langsamen, aber sicheren Verfall entgegengehen?! Aus Leipzig, Freiberg, Wurzen, Pegau, Meißen, Zwickau und anderen Orten kommen die Hilferufe, ja selbst die Meisterschöpfung Georg Bährs,[48] die Frauenkirche zu Dresden erscheint gefährdet. Aufrufe an die Opferfreudigkeit wohlhabender Kreise finden erfahrungsgemäß in solchen Fällen wenig Echo, und das »noblesse oblige« hat heute wenig Kurs. Hier wird es der Anspannung aller Kräfte, der Mitwirkung aller gebildeten Kreise und der Körperschaften aller Arten bedürfen, um nur das schlimmste abzuwenden. Durch Warenlotterien, wie sie der Heimatschutz schon so manches Mal in solchen Fällen durchführte, kann gleichfalls vieles erreicht werden. Alle Bemühungen aber werden unzureichend sein, wenn es nicht denen, die sich in unsrer jetzigen Verfallszeit einen ungebeugten Idealismus und tapferen Optimismus gewahrt haben, gelingt, in ständig durchgeführter Kleinarbeit das öffentliche Gewissen und das Verständnis für unsre Kulturschätze wachzurufen und wachzuhalten.
In einer großen Anzahl von Fällen konnte das Landesamt auch in den vergangenen zwei Jahren gefährdete kleinere Kunstdenkmäler durch staatliche Beihilfen erhalten helfen, zumeist Stücke alter kirchlicher Kunst, und erfreulich war es zu sehen, daß gerade kleine, leistungsschwache Kirchgemeinden die Opfer nicht scheuten, die ihnen selbst aus diesen Erhaltungsarbeiten erwuchsen. Nur wenige Beispiele aus diesem reichen Betätigungsgebiet mögen genannt werden.
Hart am Rande der Erzgebirgsgrenze liegt das kleine Holzarbeiterdorf Deutschneudorf bei Olbernhau. Die malerische Kirche ist eine Gründung böhmischer Exulanten und hat sich aus dieser Zeit eine Reihe kleiner Denkmäler bewahrt, die nunmehr, dank dem tatkräftigen Zugreifen des Pfarrers Ostermuth, eine Auferstehung erlebt haben, und die nun wieder eine Zierde des Gotteshauses bilden. Da die Mittel für eine noch geplante Heldenehrung nicht ausreichten, wurde vom Landesamt ein großer holzgeschnitzter Barockengel zur Verfügung gestellt, zu dem von Paul Rößlers Künstlerhand eine in einfach-edlen Linien gehaltene Ehrentafel komponiert wurde. So kam eine anspruchslos schöne Kriegerehrung zustande die gerade hier, in einer Gegend alter Holzschnitztradition ihre besondere innere Berechtigung hat.
Aus der kleinen Dorfkirche zu Steinsdorf im Vogtlande wurde auf Veranlassung des Landesamtes ein Flügelaltar in die staatlichen Werkstätten eingeliefert, der als früheste bisher bekannte Originalarbeit des Zwickauer Bildschnitzers Peter Bräuer, eines Schülers von Riemenschneider, sich erwies, und der nach der Bezeichnung im Jahre 1497 geschaffen wurde. Der Altar war in der Barockzeit in schlechtester Weise übermalt worden, die Gesichter der Heiligen durch aufgemalte Bärte und anderes völlig entstellt. Nach der Reinigung erst kamen die schönen Formen der alten Schnitzerei wieder voll zur Geltung, wie der hier beigegebene prachtvoll lebendige Kopf eines Bischofs (Abb. 1) bezeugen mag. Die Kirche enthält auch aus der Barockzeit manches ansprechende Denkmal bester Volkskunst, wie dies der hier wiedergegebene schöne holzgeschnitzte Taufständer (Abb. 2) ausweisen kann.
Dem gleichen Meister Peter Bräuer muß auch ein Flügelaltar aus der Stadtkirche zu Glauchau zugeschrieben werden, der in den Werkstätten des Landesamtes aus starkem Verfall gerettet wurde. Es ist einer jener sächsischen Sippenaltäre, die zwar künstlerisch nicht eben übermäßig hochstehend, aber doch als[51] Ganzes volkstümlich liebenswürdig empfunden sind. Das Mittelstück zeigt uns die Gestalten der heiligen Anna und der Maria mit dem spielenden Jesuskind. Die Kirche selbst wurde im vergangenen Jahr im Innern durch Kunstmaler Karl Schulz in farbig und monumental gleich gut gelungener Form völlig erneuert.
Karl Schulz verdanken wir auch die teilweise farbige Erneuerung der schönen alten Dorfkirche zu Leubnitz bei Dresden. Hier hätte es das Landesamt allerdings lieber gesehen, wenn der Kirchenvorstand seine Fürsorge auch der prachtvollen alten Felderdecke und den wertvollen alten Emporenmalereien zugewendet hätte, da diese Teile besonders erhaltungswert sind und zu ihrem Schutze unbedingt in absehbarer Zeit etwas geschehen muß.
Eine weitere wichtige Aufgabe erwuchs dem Landesamte mit den Erneuerungsarbeiten in der alten Nicolaikirche zu Meißen. Dies hochwertvolle frühgotische Gotteshaus wird zur Zeit unter Leitung der staatlichen Porzellanmanufaktur als Kriegergedächtniskirche ausgebaut und hat nur in dieser neuen Bestimmung vor dem völligen Verfall gerettet werden können. Die Kriegerehrung selbst wird nach Entwürfen und Modellen des Meißner Künstlers Professor Boerner rein in Porzellan hergestellt werden und ein erster Versuch sein, das wertvolle Rohmaterial in monumentalen Ausmaßen auszuformen. Die im Jahre 1867 in der Apsis der Kirche unter dem Wandputz gefundenen Freskogemälde gehören zu den ältesten in Sachsen überhaupt noch vorhandenen Freskomalereien und dürften im Anfang des dreizehnten Jahrhunderts entstanden sein. Von einer Verkündigungsgruppe, einer Geburt Christi und einer heilige Dreikönigsdarstellung sind größere zusammenhängende Teile erhalten geblieben, die in ihrer edlen Formensprache und dem feierlich strengen Faltenwurf der Gewänder noch heute eindrucksvoll auf jeden Beschauer wirken, in voller Schönheit der Linien und Farben jedoch erst jetzt nach der überaus glücklich gelungenen Konservierung und Reinigung in Erscheinung treten. Karl Schulz hat auch diese schwierige Arbeit in schonendster und sachverständiger Weise durchgeführt. Wird erst noch die schon seit langem in Arbeit befindliche Porzellanschöpfung den Abschluß des Ganzen bilden, so wird die Stadt Meißen um ein Kunstdenkmal reicher werden, das in der ganzen Welt nicht seinesgleichen hat.
Die Friedhofskapelle St. Nicolai in der Stadt Colditz ist ein altes romanisches Bauwerk, das bis in das zwölfte Jahrhundert zurückreichen dürfte. Die Kirche konnte neuerdings, dank opferfreudiger Stiftungen, durch Professor Oswin Hempel durchgreifend erneuert und zur Kriegergedächtniskirche ebenfalls umgewandelt werden. Das kräftige romanische Rundbogentor an der nördlichen Langseite, das in der Achse der von der Stadt heranführenden, baumbepflanzten Allee gelegen ist, wurde durch ein monumentales Reliefbild in Stein nach einem Entwurfe des Dresdner Bildhauers Artur Lange bekrönt (Abb. 3), und der Versuch, hier wertvolle alte Formen mit solchen unsrer Zeit und modernen Empfindens zu vereinen, muß als durchaus glücklich gelungen bezeichnet werden. Professor Paul Rößler hat für die Fenster zu Seiten dieser Tür zwei farbenleuchtende Glasgemälde geschaffen, die dem bisher ganz schmucklosen Innenraume nunmehr das bestimmende Gepräge geben. Der einfache Altaraufsatz wurde durch das Landesamt erneuert.
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Die schöne gotische Michaeliskirche zu Bautzen, die wendisch-evangelische Pfarrkirche, die zusammen mit der alten Wasserkunst eines der malerischsten Bilder der Stadt noch heute bildet (Abb. 4), besaß einen hohen Barockaltar vom Jahre 1693, der im Jahre 1892 leider entfernt wurde, um einem der geschmacklosen »neugotischen« Aufsätze dieser Zeit Platz zu machen. Gleichzeitig wurde der ganze malerisch reizvolle Innenraum in schlimmster Weise »modernisiert«. Professor Oswin Hempel erhielt dann nach Kriegsende von der Kirchgemeinde den Auftrag, eine Kriegerehrung im Chor der Kirche zu schaffen. Bei dieser Gelegenheit nahm das Landesamt für Denkmalpflege die schon früher von Cornelius Gurlitt gegebene[53] Anregung der Wiederverwendung des wertvollen Barockaltares auf. Die Planung ist inzwischen in ausgezeichnet gelungener Form ausgeführt worden und der Kirche damit wenigstens ein Teil ihres ehemaligen Stimmungsreizes zurückgegeben worden.
Zu beiden Seiten des Altarplatzes sind unter den Emporen architektonisch straffgegliederte, aber doch in Einzelheiten ornamental bewegte Nischen eingebaut worden, deren Rückwände die edelgeformten Tafeln mit den Namen der Gefallenen tragen (Abb. 5). Eine hölzerne Wandverkleidung in vornehm-ruhigen Linien umzieht von den Nischen auslaufend den ganzen Kirchenchor als Heizkörperverkleidung sowohl, wie als Sockel für den mächtig aufstrebenden Altaraufsatz. Holzbildhauer Winde junior in Dresden hat die Schnitzarbeiten geschaffen, durch die Werkstätten des Landesamtes wurden der hohe Altar und der prachtvolle alte Taufstein aufgefrischt und neu aufgestellt.
Durchgreifend neugestaltet im Innern wurde unter Leitung des Landesamtes und auf Veranlassung des Besitzers die Grabkapelle in der stattlichen Kirche des Dorfes Kürbitz im Vogtlande. Die Herrschaft von Feilitzsch hat seit dem Mittelalter das Patronat der Kirche bis heute innegehabt. Die Kirche, ehemals dem Orden der Deutschritter zugehörig, wurde an Stelle einer älteren im Jahre 1624 von Urban, Caspar von Feilitzsch neu errichtet und konnte sich eine beträchtliche Zahl wertvollster[54] Kunstdenkmäler bis heute bewahren. Zu den schönsten derselben gehören die in der Grabkapelle der Stifterfamilie befindlichen Grabdenkmäler und Epitaphe, die nunmehr teils an Ort und Stelle und teils in den Werkstätten des Landesamtes erneuert wurden.
Von wertvollen sächsischen Dorfkirchen wurden in der Berichtszeit besonders zwei, die zu Dittmannsdorf bei Flöha und die zu Burkhardswalde bei Meißen umfassend erneuert, beide unter Professor Paul Rößlers bewährter künstlerischer Oberleitung, in trefflicher Anlehnung und Einfühlung in den gegebenen Rahmen. Während in Burkhardswalde die Arbeiten noch nicht zum Abschluß gekommen sind, ist es in Dittmannsdorf der Opferwilligkeit des Patronatsherrn, Fabrikant Sieler aus Chemnitz, zu danken, daß die Erneuerung völlig durchgeführt werden konnte. Die Neuausmalung folgte hier in pietätvollster Form allen erhaltenen alten[55] Farbspuren, und alle vorhandenen Kunstdenkmäler und Reste von solchen fanden Neuaufstellung und Wiederverwendung (Abb. 6). So kann die kleine Dorfkirche, die durch einen aus dem Jahre 1492 stammenden, sehr wertvollen Flügelaltar besonders bekannt geworden ist, als Musterbeispiel zeitgemäßer Denkmalpflege heute angesprochen werden.
Die Stadtkirche zu Klingenthal im Vogtlande ist eine der in Sachsen nicht allzuhäufigen Zentralkirchen, die den Einfluß Georg Bährs, des Erbauers der Dresdner Frauenkirche in der Grundrißanlage erkennen lassen. Das bisher ziemlich reizlose Innere des Bauwerkes wurde im Jahre 1922 durch Kunstmaler Otto Lange wirkungsvoll ausgemalt.
Eine der schönsten Dorfkirchen des mittleren Erzgebirges, die kleine, malerisch gelegene Kirche zu Mittweida-Markersbach ist schon vor dem Kriege unter Leitung des Landesamtes erneuert worden (Abb. 7). Sie erscheint mit dem Schmucke ihrer kräftig bunten Felderdecke, mit den Emporen, auf denen die ganze biblische Geschichte dargestellt ist, als echter Vertreter bester sächsischer Volkskunst, wie er so unberührt kaum sonst in Sachsen sich erhalten hat. Ein alter, aus katholischer Zeit stammender Marienaltar, zu dem dereinst die Andächtigen von weither wallfahrten, war bisher unbeachtet in einer Dachkammer liegengeblieben. Er ist jetzt in den Werkstätten des Landesamtes erneuert worden und wird in kurzem wieder als neuer Schmuck der Kirche aufgestellt werden. Kein Freund unsrer Heimat und alter sächsischer Volkskunst mag aber versäumen, der von Pfarrer Worm mit vorbildlicher Liebe gepflegten kleinen Kirche einen Besuch abzustatten, wenn ihn der Weg einmal in diese Gegend des Fichtelberges führt. Er wird für einen kleinen Umweg auf das reichlichste belohnt werden.
Von sächsischen Burgen sind es zwei ganz besonders, denen das Landesamt in der Berichtszeit seine Fürsorge zuwenden konnte. Die jedem Erzgebirgswanderer wohlbekannte stattliche Burg Scharfenstein (Abb. 8) wurde am 2. Juli 1921 leider von einer Feuersbrunst zerstört, der mit Ausnahme des hohen Rundturmes und des Wittwenflügels gerade die architektonisch bedeutsamen Hauptgebäude mit den reichgegliederten gotischen Giebeln zum Opfer fielen. Während des Brandes noch erschienen unter den später angebrachten, von Hitze und Flammen weggesprengten Schalungen prächtige bunte Balkendecken der gotischen Zeit, aber nur, um wenig später gleichfalls ein Opfer des rasenden Elementes zu werden. Die sofort begonnenen Wiederaufbauarbeiten leitete Bodo Ebhardt, und heute steht die schöne Burg wenigstens im äußerlich vertrauten, alten Umriß auf ihrer Bergeshöhe, während das Innere naturgemäß neuzeitlichen Anforderungen angepaßt wurde.
Eine der größten Burgen Sachsens, die Augustusburg ist lange Zeit hindurch ein rechtes Stiefkind der Pflege heimatlicher Kunstdenkmäler gewesen. So werden gewiß bisher nur wenige Besucher des Schlosses die alten Hasenmalereien haben würdigen können, mit denen Meister Heinrich Göding im Jahre 1572 das sogenannte Hasenhaus auf besonderen Wunsch des Kurfürsten August ausmalte. Sind diese Bilder auch nicht gerade als Dokumente hohen künstlerischen Könnens anzusprechen, so sind sie doch wertvolle Traditionen des Gefühlslebens ihrer Entstehungszeit. Sie blieben ungepflegt und verfielen mehr und mehr, bis ganz neuerdings der neugegründete Museumsverein »Erzgebirgsschau« unter der tatkräftigen Leitung des Schuldirektors Heinicke in Augustusburg sich die oberen Räume des Hasenhauses vom Staate abtreten und für seine Museumszwecke vorrichten ließ. Heute nun stellt sich der Hasensaal mit seinen Nebenräumen den Besuchern der Burg in völlig gewandelter Form vor Augen (Abb. 9). Schmuck und sauber sind Wände, Gewölbe und Fußböden und lustig spielen die Hasen in ihren verschiedenen Verkleidungen und Verrichtungen auf den Türsimsen, Kaminen und Wandnischen, von der Hand des Kunstmalers Karl Schulz im Auftrag des Landesamtes sorgsam und wirkungsvoll aufgefrischt. Jetzt erst kann der Beschauer sich wieder ein Bild davon machen, wie es zu Zeiten des Vaters August und der Mutter Anna etwa auf der Augustusburg gewesen sein mag, als in den mächtigen, reich im Renaissancestil umrahmten Kaminen die Eichenknüppel loderten und durch die architektonisch festlich umrahmten Türen Herren und Damen des kurfürstlichen Hofes aus- und eingingen. Noch bleibt der gänzlich verwahrloste ehemalige Fürstensaal liegen, aber auch er soll in Bälde nach dem Willen der Museumsgründer seine Auferstehung feiern. Möge das neue Museum auf seinen weiteren Wegen stets so erfolgreich fortschreiten, wie seine Entstehung in Deutschlands schwerster Zeit durchgesetzt wurde.
Auch von einigen anderen Museen ist trotz der Not unsrer Tage Erfreuliches zu melden. So ist die Umgestaltung des Ortsmuseums der Stadt Zittau zu einem[59] vorläufigen, glücklichen Abschluß gekommen, nachdem die Räume im alten Franziskanerkloster, vor allem das Refektorium im Erdgeschoß und der ehemalige schöne Bibliothekssaal im zweiten Stock durchgreifend erneuert wurden. Ganz besonders stolz kann auch die Stadt Plauen im Vogtlande auf das in den letzten Jahren geleistete sein. Ihr neues Ortsmuseum ist als mustergültige Schöpfung zu begrüßen, dank dem Opfersinn der städtischen Behörden und einzelner Stifter. Der weiter geplante Ausbau wird das »Vogtländische Kreismuseum« zweifellos in die Reihe der führenden Ortsmuseen Sachsens stellen, dank vor allem des als Rahmen gegebenen Gößmannschen Hauses mit seinen schönen Räumen. Auch der Neubau des Plauener Rathauses ist nunmehr nach Stadtbaurat Goettes Plänen und unter seiner Oberleitung in hartem Kampfe mit allen widrigen Zeitumständen glücklich und eindrucksvoll beendet worden. Besondere Teilnahme wurde dabei dem alten Rathause zuteil, dessen hohe Giebelseite in monumentaler Schönheit den Marktplatz beherrscht, im farbenfrohen Schmucke der alten Kunstuhr, die der Stadtrat nach Paul Rößlers Angaben durch die Werkstätten des Landesamtes wiederherstellen ließ (Abb. 10).
Schwierig hat sich für manch anderes der kleinen Ortsmuseen im Lande die Lage nach dem Kriege gestaltet. Viele wurden durch die Wohnungsnot obdachlos, andere wieder haben aus Mangel an Mitteln und Interesse schließen müssen, sehr zum Schaden natürlich der nun irgendwo pfleglos aufgestapelten Kunstgegenstände, die nunmehr Rost und Holzwurm schutzlos ausgeliefert sind. Bei solcher[60] Lage der Dinge kann kleinen Museen nur geraten werden, ihre wertvollsten Kunstdenkmäler vorläufig einmal an benachbarte große Stadtmuseen leihweise abzugeben bis auf bessere, kommende Zeiten, bei Gegenständen kirchlicher Kunst aber möglichst die Wiederaufstellung am Ursprungsort anzustreben. Das wird zumeist heute, wo das Verständnis für solche Dinge gewachsen ist, leichter durchzuführen sein als in früherer Zeit. Die Landesberatungsstelle für Ortsmuseen, die dem Landesamte angegliedert ist, steht in solchen Fällen stets mit Rat und Hilfe zur Verfügung.
Postmeilensäulen konnten in der Berichtszeit mehrere ausgebessert werden, so in Königstein, Pegau, Elterlein, Frankenberg, Radeburg und Öderan. In allen diesen Fällen hat das Landesamt beratend und mit Beihilfen bei der Erhaltung der wertvollen Stücke mitgewirkt.
Ein rechtes Sorgenkind der staatlichen Denkmalpflege ist der Zwinger in Dresden geworden. Durchweg in Sandstein erbaut, sind seine reichbelebten Gliederungen, seine empfindlichen Einzelheiten dem Großstadtklima nicht gewachsen geblieben. Dazu kommt noch, daß die Erbauer, wie die genauen Untersuchungen bei den jetzigen Erneuerungsarbeiten immer wieder erkennen lassen, recht leichtsinnige, man ist versucht zu sagen gewissenlose Unternehmer waren. Wenn hierbei auch vieles der schlechten Erhaltung auf Kosten möglichst schneller Ausführung zu setzen sein wird, König August wird gewiß unermüdlich seinen Architekten auf Vollendung gedrängt haben, so ist damit doch kaum zu entschuldigen, daß riesige Sandsteinblöcke von vielen Zentnern Gewicht nur durch ein paar kurze Eisenstifte verankert waren, daß hinter den glänzenden Schauseiten aller nur denkbarer Bauschutt, Holzstücke und dergleichen als Hinterfüllung vermauert wurden. Ein zufälliger kleiner Erdstoß würde sicherlich in den letzten Jahren genügt haben, große Teile der unersetzlich wertvollen Anlage zum Einsturz zu bringen. Man hatte schon 1880 in bester Absicht begonnen, verwitterte Teile des Schmuckes an Figuren, Vasen und Profilen in Zement zu ergänzen und dann das ganze Gebäude mit einer »Schutzschicht« von Ölfarbe überzogen. Heute wissen wir, daß gerade diese Maßregeln den weiteren Verfall beschleunigt, statt zum stehen gebracht haben.
Die Kommission zur Erhaltung der Kunstdenkmäler kam im Jahre 1898 nach Gehör einer Reihe gutachtlicher Äußerungen, auch solcher aus dem Ausland zu dem Beschluß, »daß weder eine Verwendung von Zement, noch ein anderes Material als nur lediglich bester witterungsbeständiger Sandstein bei Renovationen in Frage kommen solle.« Nach diesem Grundsatz ist in den nun folgenden Jahren verfahren worden, zumal in den letzten beiden Jahren, wo sich die dringende Notwendigkeit ergab, vor allem den herrlichen Wallpavillon vor völligem Ruin zu erretten. Die Kosten für diese Arbeiten bildeten allerdings eine denkbar schwere Belastung für den Staat, selbst wenn man berücksichtigt, daß damit einer ganzen Anzahl von Steinmetzen und Bauarbeitern produktive Tätigkeit gegeben werden konnte. Es wurden dabei sorgfältigst alle verwitterten Teile ausgespitzt und gefährdete Figuren ganz oder teilweise ergänzt, alles unter Leitung des Landbauamtes I und der künstlerischen Oberaufsicht des Dresdner Bildhauers Georg Wrba. Vor allem wurden die alten Ölfarbenanstriche durch Ablaugen überall entfernt, so daß der uneingeweihte Beschauer wohl glauben kann, gänzlich neues Mauerwerk vor sich zu sehen (Abb. 11).
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Noch bleibt freilich unendlich vieles am Zwinger ungetan und schon im Gutachten der staatlichen Kommission von 1898 wurde z. B. auf den ruinösen Zustand des schönen »Nymphenbades« besonders hingewiesen. Wir können so nur hoffen, daß Sachsens Wirtschaftslage sich bald wieder genügend kräftigen möge, um das begonnene Erneuerungswerk an einem der bedeutendsten Kunstdenkmäler Deutschlands glücklich fortführen zu können.
Das mit dem Landesamt für Denkmalpflege verbundene Archiv hat in den vergangenen beiden Jahren sein reiches Material beträchtlich erweitern können, vor allem durch Überweisung von annähernd zweitausend alten Bauplänen aus den staatlichen Bauämtern, wo diese für den unmittelbaren Dienstbetrieb nicht mehr benötigt werden. Der gesamte wertvolle Bestand an Plänen, Abbildungen, Negativen usw. wird zur Zeit genau katalogisiert und damit nunmehr der Wissenschaft und der Öffentlichkeit in bester Form zugänglich gemacht. Es sei hierbei noch ausdrücklich bemerkt, daß die Sammlungen des Landesamtes in Dresden-N., Niedergraben 5, jedem Besucher offen stehen und daß Photobilder von Dresdner und sonstigen sächsischen Bauten nach Maßgabe des vorhandenen Negativmaterials auf Wunsch von dort bezogen werden können.
Die Neuinventarisation der sächsischen Bau- und Kunstdenkmäler, ein Hauptzweig der Tätigkeit des Landesamtes konnte, wenn auch in beschränktem Umfang im Sommer dieses Jahres mit Stadt und Bezirk Pirna wieder aufgenommen werden. Diese umfassende Arbeit dient nicht nur als Grundlage kunstwissenschaftlicher Forschung und Erkenntnis überhaupt, sondern hauptsächlich auch der Überwachung des staatlich geschützten Kunstbesitzes, soweit er sich in Händen der Orts- und Kirchgemeinden befindet. Daß aber gerade hier eine dauernde Kontrolle mehr als je erforderlich ist, hat die Erfahrung des Landesamtes in der Nachkriegszeit mit besonderer Deutlichkeit erkennen lassen. Gerade hierbei ist aber das Landesamt auch auf die Mitwirkung aller Freunde der Heimatschutzbewegung angewiesen und jederzeit besonders dankbar für zweckdienliche Mitteilungen über die im Lande verstreuten Kunstschätze. Sind wir doch alle kommenden Geschlechtern gegenüber verantwortlich für das von den Vätern ererbte Kulturgut, gleichgültig ob es sich um hochragende Dome und stolze Burgen, oder um den schlichten Abendmahlskelch und Zinnleuchter in einer stillen Dorfkirche handelt.
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Die Eibe auf dem Löbauer Berge. Der basaltne Rothstein ist als Standort einer Anzahl bodeneigener Eiben oder Taxusbäume bekannt. Nur wenige wissen aber davon, daß auch auf dem Löbauer Berg eine stattliche Eibe – ob an ihrem jetzigen Standorte von jeher vorhanden oder dahin verpflanzt, entzieht sich unsrer Kenntnis – zu finden ist. Sie steht an dem westlichen Stufenaufgange nach der ältesten Bergwirtschaft, dem sogenannten Berghäuschen, und zwar am letzten Treppenabsatz unweit der gegenwärtig zu Wohnzwecken benutzten Gebäudeteile der Wirtschaft. Der Baum, dessen Höhe zurzeit ungefähr zwölf Meter beträgt, ist am Anfange der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts in seiner Krone verstutzt worden, als zu dieser Zeit auf genanntes Haus ein Stockwerk aufgesetzt und zu einer Gaststube eingerichtet wurde. Es geschah dies mit Rücksicht auf die Aussicht, die durch den Wipfel der Eibe verdeckt wurde. An Höhe und Stärke übertrifft dieselbe die älteste Rothsteineibe ganz bedeutend, die nur gegen sechs Meter hoch ist. Der Stammumfang unsers Baumes, der sicher als mehrhundertjährig zu bezeichnen ist, beträgt dicht über dem Erdboden neunzig Zentimeter, ein schlanker gerader Wuchs zeichnet ihn aus. Leider krankt der schöne Baum in einigen Ästen seiner Krone, braunes Nadelgezweig unterbricht das dunkle Grün seines Hauptes. Schuld daran sind vielleicht die unmittelbare Nähe der Treppenstufen oder die erwähnte Verstutzung oder die inzwischen hochgewachsenen Eschen wenig unterhalb seines Standortes. Es ist vom Standpunkte des Naturschutzes entschieden zu begrüßen, daß die letztgenannten Bäume seitens der städtischen Forstverwaltung demnächst gefällt werden sollen. Es wären aber auch noch weitere Maßnahmen zum Schutze dieses Naturdenkmales, als welches unsre Eibe zweifellos bezeichnet werden darf, zu empfehlen. Denn das ist wohl anzunehmen, daß die Eibe auf dem Löbauer Berge dereinst wie auf dem Rothstein mit zu des Berges ursprünglicher Bewaldung gehört hat, als deren letzter Rest nun unser Baum anzusehen ist. Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang eine Bemerkung des städtischen Försters in einem »Kulturanschlage« vom Jahre 1816, nach welcher damals in der Bergwaldung Eiben »ausgesät« werden sollten.
O. Schöne.
Herr Studiendirektor Dr. Neubner in Bautzen ist so freundlich, mir zu meinem Aufsatz in unsern Mitteilungen XII, S. 248, folgende wertvolle und willkommene Ergänzung zukommen zu lassen. Bei Nathanael Gotfried Leske »Reise durch Sachsen in Rücksicht der Naturgeschichte und Ökonomie«, Leipzig 1785, S. 31, findet sich folgende Bemerkung über die Landschaft von Königsbrück: »Hier sahe ich auch, daß man die Stare hegte, und ihnen an die Linden kleine hölzerne Gehäuse, die man hier Starmezen nent, anhing, worein sie nisten und die Eier ausbrüten. Dieses geschieht vorzüglich deswegen, weil die Stare die Raupen fressen, und folglich durch Verminderung derselben für die Cultur des Obstes nützlich sind. Gewiß eine nachahmungswürdige Gewohnheit!« Das Buch ist dem Kurfürsten Friedrich August gewidmet, auf dessen Anregung hin der Verfasser die Reise unternommen hat. So haben die Königsbrücker Anspruch auf den Ruhm, im damaligen kursächsischen Land, oder wenigstens in der Lausitz, die ersten gewesen zu sein, die diese Art des Vogelschutzes in der Erkenntnis geübt haben, wie nützlich der Star durch die Vertilgung von Schädlingen in den Obstgärten wird. Auf seiner ganzen Reise, die Leske über Muskau, Görlitz, Lauban, Zittau, Herrnhut ausdehnte, hat er sonst nirgends Starmesten angetroffen; er erwähnt wenigstens trotz seiner bis ins kleinste gehenden Berichterstattung niemals wieder eine solche Beobachtung.
Martin Braeß.
Für die Schriftleitung des Textes verantwortlich: Werner Schmidt – Druck: Lehmannsche Buchdruckerei
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Weitere Anmerkungen zur Transkription
Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Unterschiedliche Schreibweisen insbesondere bei Namen wurden beibehalten. Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht.
Die Farbtafeln wurden alle an das Ende des Kapitels der Pflanzenschutzverordnung verschoben.
Korrekturen:
S. 24: aus → und
und den die Stimmung alter Zeit am klarsten