The Project Gutenberg eBook of Kurzgefaßte Symbolik der Freimaurerei.

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Title: Kurzgefaßte Symbolik der Freimaurerei.

Author: Otto Henne am Rhyn

Release date: May 11, 2024 [eBook #73599]

Language: German

Original publication: Berlin: Franz Wunder

Credits: Peter Becker and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This transcription was produced from images generously made available by Bayerische Staatsbibliothek / Bavarian State Library.)

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK KURZGEFASSTE SYMBOLIK DER FREIMAUREREI. ***

Anmerkungen zur Transkription

Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1906 so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr verwendete Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert; fremdsprachliche Ausdrücke wurden nicht korrigiert.

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Original-Einband

Kurzgefaßte
Symbolik der Freimaurerei.

Kurzgefaßte
Symbolik der Freimaurerei.

Von

Dr. Otto Henne am Rhyn.

„Wir würden gut tun zu bedenken, daß in unserer Zeit der wachsenden Öffentlichkeit selbst dasjenige, was wir in geschlossener Loge vornehmen, auch der Kenntnis der nicht maurerischen Welt auf die Dauer sich kaum entziehen kann, daß man den größeren Teil unserer Formen, Übungen, Ausdrucksweise bereits kennt, daß dieses kein Unglück, sondern eine Aufforderung ist, unseren Arbeiten einen desto würdigern Charakter zu erhalten und alles dasjenige aus unseren Logen zu entfernen, was einem einsichtigen und unbefangenen Beobachter zweideutig, zwecklos oder kindisch erscheinen muß.“

Prof. Dr. J. J. Hottinger,
erster Großmeister der schweiz.
Großloge Alpina (1844-50).

Signet des Verlegers   Franz Wunder

Berlin
Franz Wunder.

[S. v]

Vorwort.

Dem Wunsche des Verlegers ist dieses kleine Buch entsprungen, das zum ersten Male den Versuch wagt, die Sinnbilder der Freimaurerei systematisch geordnet darzustellen. Zwar ist ihm schon vor mehr als vierzig Jahren das weit ausführlichere „Vergleichende Handbuch der Symbolik der Freimaurerei“ von Dr. Jos. Schauberg in Zürich (1808-1866), 3 Bände, erschienen in Schaffhausen 1861, vorausgegangen. Mit erstaunlicher Gelehrsamkeit ausgestattet, verliert es sich jedoch in haltlose Phantasien über Zusammenhänge der Freimaurerei mit Mythologien und Mysterien des Altertums und ist nicht geordnet, sondern besteht aus unzusammenhängenden Aufsätzen, behält aber trotzdem einen gewissen Wert.

Der Verfasser vorliegender Arbeit hat sich so selbständig als möglich verhalten und war hierdurch genötigt, sich gegen manche eingewurzelte Vorurteile zu[S. vi] wenden, in der Überzeugung, daß der Freimaurerei mit dem Verlangen einer Weiterentwickelung im Geiste der Zeit besser gedient ist, als mit starrem Festhalten an Eigenheiten, die einem längst verflossenen Zeitalter angehören und für die Gegenwart und Zukunft wertlos geworden sind.

St. Gallen, Weihnacht 1906.

Der Verfasser.

[S. vii]

Inhaltsverzeichnis.

 
Seite
Einleitung
Erster Abschnitt. Die Grundlagen der Symbolik (Stärke)
 1. Die Loge
a) Die Örtlichkeit
b) Die Mitglieder
 2. Die Arbeit
a) Die künstlerische Arbeit
b) Die lehrhafte Arbeit
 3. Das Licht
a) Die Vorbereitung des Lichtes
b) Die Erteilung des Lichtes
 4. Die Grade
a) Die alten Grade
b) Die Hochgrade
Zweiter Abschnitt. Die Bestandteile der Symbolik (Schönheit)
 5. Die Zeichen
a) Die Erkennungszeichen
b) Die Not- und Hilfszeichen
 6. Die Zieraten
a) Der Loge
b) Der Brüder
 7. Die Werkzeuge
a) Die Hauptwerkzeuge
b) Die Nebenwerkzeuge
[S. viii]
 8. Die weiteren Sinnbilder
a) Der Vergangenheit
b) Der Gegenwart
c) Der Zukunft
Dritter Abschnitt. Die Höhen der Symbolik (Weisheit)
 9. Die Meister
a) Die M. der Legende
b) Die M. der Wirklichkeit
10. Die Gestirne
a) Die Erde
b) Der Mond
c) Die Sonne
11. Die Welträtsel
a) Der a. B. d. W.
b) Der ewige Osten
12. Die Lehrarten
a) Die englischen Lehrarten
b) Die französischen Hochgradsysteme
c) Die schwedische Lehrart
Nachwort

[S. 1]

Der Bilderschmuck (die Symbolik) der Freimaurerei.
Einleitung.

Symbole oder Sinnbilder sind Merkmale der Zusammengehörigkeit menschlicher Kreise; sie können in Zeichen, Worten, Farben, Bildern, Zahlen oder auch in bestimmten Sätzen und Lehren bestehen. Die erstgenannte Art von Sinnbildern vereinigt unter der Form von Wappen oder ähnlichen Bildern die Mitglieder von Familien, Stämmen, Orten, Ländern u. s. w., unter der von Fahnen die Heere einzelner Staaten zu einem Ganzen. In den Religionen bilden die gemeinsamen Glaubensvorschriften und Kultusgebräuche als Symbole die Bindemittel der sich zu ihnen bekennenden Menschen und bildeten in Zeiten, die eine Gewissensfreiheit noch nicht kannten, sogar Zwangsmittel gegenüber den Bewohnern gewisser Gebiete.

Die Zusammengehörigkeit der Freimaurer kennt irgend welchen Zwang nicht; in unbeschränkter Freiheit eignete sich ihr Bund nach und nach eine nicht[S. 2] leicht zu überblickende große Menge in ihren Kreisen allgemein verständlicher Sinnbilder in Form von Worten, Zeichen, Lehren und Gebräuchen an. Alle diese Symbole haben einen tiefen Sinn, dessen Erfassung und Verständnis das einzige Geheimnis der Freimaurerei bildet. Die Enthüllung dieses Geheimnisses ist nur den im Bunde einheimischen Gemütern möglich, und die Unmöglichkeit es außerhalb desselben zu durchschauen, hat seit der Entstehung des Bundes eine wahre Flut von Spott, Hohn, Mißverständnis, Verleumdung, Haß und Verfolgungssucht gegen die Freimaurerei hervorgerufen.

Mißverständnis ist indessen den freimaurerischen Sinnbildern auch im Bunde selbst nicht erspart geblieben, aber nicht nur ohne allen bösen, sondern durch einen übertriebenen guten Willen. Es hat nämlich gelehrte Brüder gegeben, an denen das 18. und 19. Jahrhundert überreich sind, denen die Sinnbilder des Bundes viel zu einfach waren, die solche vielmehr wegen oberflächlicher Ähnlichkeiten mit solchen oder mit anderen Erscheinungen, die in verschiedenen Völkern und Religionen vorkommen, in eine Verbindung brachten, die bis in die Urzeiten des Menschengeschlechtes hinauf reichte, aber bei nüchterner Betrachtung der geschichtlichen Tatsachen unmöglich aufrecht zu erhalten ist. Wenn zwei oder mehrere menschliche Kreise gewisse Sinnbilder gemein haben oder ähnliche Symbole besitzen, so spricht dies noch lange nicht für ein Fortleben des einen Kreises in einem andern, sondern höchstens für eine Entlehnung von Zeichen, Worten, Lehren und dergleichen. Der verständige Freimaurer wird sich[S. 3] durch solche unhaltbare Phantasiegemälde nicht blenden lassen, sondern unentwegt an der Selbständigkeit des Bundes, wie dieser sich in der Geschichte entwickelt hat, festhalten und sie nach Kräften verteidigen.

Das richtige Verständnis der freimaurerischen Sinnbilder muß jedem Bruder zu allen Tugenden entflammen, die mit der Vernunft vereinbar sind, wie namentlich: Bruderliebe, Freundschaft, Gewissenhaftigkeit, Sittlichkeit, Wohltätigkeit, — mit Bezug auf besondere Verhältnisse: Gehorsam gegen die Gesetze des Landes und Bundes, Treue gegen den Bund, gegen Familie und Vaterland, Verschwiegenheit über die Angelegenheiten des Bundes, — mit Bezug auf sein eigenes Ich: Selbsterkenntnis, Selbstbeherrschung und Selbstveredelung. Der wahre Freimaurer wird weder einem blassen und ungesunden Kosmopolitismus, noch einem selbstsüchtigen Individualismus huldigen, sondern die guten Seiten dieser Richtungen in einem gesunden Patriotismus vereinigen, wie denn der Bund selbst der Hauptlehre in den Sinnbildern nach kosmopolitisch, im Festhalten an der Selbständigkeit der heimischen Organisation patriotisch und in der liebevollen Sorge für die Seinigen individualistisch gerichtet ist.

Mit Bezug auf die philosophischen Richtungen der Zeit ist der Bund ganz entschieden einem düsteren Pessimismus abhold, ohne deshalb den Optimismus soweit zu treiben, daß er gegenwärtige Zustände für keiner Verbesserung bedürftig halten würde. Daraus folgt auch, daß sein Grundzug idealistisch und dem Materialismus abgeneigt ist, ohne aber von seinem[S. 4] Idealismus einen wissenschaftlich berechtigten Rationalismus und einen der Wirklichkeit ihr Recht zugestehenden Realismus auszuschließen.

Im Verhältnis zur Religion ist vor allem festzuhalten, daß die Freimaurerei keine Konfession ist und sich keiner solchen unterwirft, wohl aber gegen eine jede der Tugend günstige duldsam und gerecht ist. Gibt es auch in ihrem Schoße zwei Richtungen, eine christliche und eine humanistische, so sind doch beide darin einig, die Humanität hochzuhalten, die eben in der Beobachtung jener Tugenden besteht, welche die maurerischen Sinnbilder lehren.

Daher ist es auch dem Freimaurerbunde gemeinsam, daß er gegen alle Erscheinungen Front macht, die dem Begriffe der Humanität Hohn sprechen; solche sind: der Egoismus, die Intoleranz, die Habsucht, Streitsucht, Genußsucht und jede Art verbrecherischen Treibens. Er verwirft als Bund jede Gewalttätigkeit, sei es im kleinen als Zweikampf oder Attentate oder im großen als Krieg, den er freilich als Verteidigung des Vaterlandes zugeben muß. Daß er die jetzt im Verschwinden begriffene Sklaverei verabscheut, ist selbstverständlich.

Aus dem allem geht hervor, daß der Freimaurerbund kein „Großes Nichts“ (Grand rien) ist, wie einst behauptet wurde. Denn stets wird er an seinem Wahlspruche festhalten:

Weisheit leite unsern Bau,
Stärke festige ihn,
Schönheit ziere ihn.

[S. 5]

Erster Abschnitt.
Die Grundlagen der Symbolik (Stärke).

1. Die Loge.

Kennst du das Haus? Auf Säulen ruht sein Dach,
es glänzt der Saal, es schimmert das Gemach.
Goethe (Mignon).

a) Die Örtlichkeit.

Die Loge (althochd. loubja, Laube), Werkstätte oder Bauhütte, auch Logenhaus genannt, der Versammlungsort der Brüder zu feierlichen Handlungen, muß vor allem eine gegen das Eindringen Unberufener gesicherte Lage haben. Außer verschiedenen anderen, zu weniger wichtigen Zwecken dienenden Räumen ist der hauptsächlichste der Logensaal, auch Loge im engeren Sinne oder Tempel genannt. Dieser bildet ein rechtwinkliges längliches Viereck (daher die Figur Rechteck für Loge, und Rechteck für Logen), dessen vier Seiten nach den Himmelsgegenden benannt und womöglich auch nach diesen gerichtet sind. Die Schmalseiten heißen Morgen oder Osten (auch Orient) und Abend oder Westen, die Längsseiten Mittag oder Süden und Mitternacht oder Norden. Im Osten befinden sich auf einer Erhöhung über Stufen die Plätze des Vorsitzenden (des Meisters vom Stuhl) und der übrigen[S. 6] Beamten, mit Ausnahme der beiden Vorsteher oder Aufseher, die ihre Plätze im Westen zu beiden Seiten des Eingangs haben (in einigen Systemen der zweite auf der Südseite), während den übrigen Brüdern die beiden Längsseiten eingeräumt sind. Da, wie diese Benennungen zeigen, die Loge die Welt bedeutet, so will die Redensart: des Maurers Wind blase von Osten nach Westen (ursprünglich ein englischer Seemannsausdruck), zweierlei sagen, einmal: die Gesittung und Bildung der Menschheit schreite vom Morgenlande her nach dem Abendlande, und dann: der Geist der Werkstätte gehe vom Sitz des Meisters vom Stuhl aus in der Richtung nach Westen. Für den allgemein anerkannten Vorrang des Orients vor den übrigen Himmelsgegenden spricht auch der Ausdruck: sich orientieren, d. h. sich nach dem Osten richten, nach dem Aufgange der Sonne, und dies tun denn auch die Freimaurer. Im weiteren Sinne aber hat die ganze Loge eine geistige und sittliche Bedeutung für die Brüder; sie ist, wie Rob. Fischer sagt, ihr Vaterhaus, ihre Schule und ihre Arbeitstätte im höheren Sinne.

Es ist Pflicht der Brüder einer Loge, zu sorgen, daß diese gehörig gedeckt sei. Der Ausdruck kommt, wie die meisten in der Maurersprache, vom Bauen. Ein Bau ist erst dann gegen äußere Einflüsse gesichert, wenn er gut gedeckt ist, ein solides Dach hat. Die Sorge für die Deckung ist (nicht in allen Logen) die Aufgabe eines besonderen Beamten, des Ziegeldeckers oder wachhabenden Bruders, was auch in[S. 7] vielen anderen geheimen oder geschlossenen Gesellschaften der Fall ist oder war. Dieser Bruder ist es auch, der die Eintretenden auf ihr Recht dazu prüft und sie, wenn dieses in Ordnung ist, einläßt. Wo diesem Amt nicht besonders besteht, ist es irgend einem anderen Mitgliede der Loge übertragen.

Ist die Loge nicht gehörig gedeckt, d. h. ist, ohne daß sie deshalb nicht gut gebaut wäre, Gefahr oder wenigstens Besorgnis einer Störung oder Belauschung vorhanden, so sagt man, auch wenn Brüder außerhalb der Loge über Bundesangelegenheiten sprechen und ein Uneingeweihter in der Nähe ist, „Es regnet.“ Offenbar ist dies auch wieder eine Anspielung auf ein unsolides Dach, durch das es herein regnet. Weniger ansprechend ist die freilich alte (schon 1737 in einem englischen Ritual vorkommende) Deutung, daß ein ertappter Lauscher unter die Traufe des Hauses gestellt worden sein soll, bis ihm das Wasser bei den Schultern in die Kleider und zu den Schuhen wieder herausgelaufen sei. Schwerlich ist dies wirklich vorgekommen. Bei guter Ordnung ist auch eine solche Maßregel überflüssig.

Die Loge, d. h. der Logensaal, nicht die übrigen Räume des Gebäudes, ist dunkel, ehe Licht angezündet wird; denn sie hat keine Fenster, oder sie sind verdeckt. Dies ist ohne Zweifel nur deshalb so eingerichtet, damit das eine geistige Erleuchtung bedeutende Licht auch eine natürliche Überwindung der Dunkelheit bewirken könne. Es ist daher wohl zu weit hergeholt,[S. 8] wenn auch ansprechend, was Schauberg[1] zur Erklärung dieser Tatsache aufführt. Nach ihm rührt sie daher, daß die älteren Körperschaften, von denen er die Freimaurerei ableitet, ihre Versammlungen in dunkeln Räumen oder gar in Höhlen abhielten. Wirklich wurden die Mysterien des aus Persien zur Römerzeit nach dem Abendlande eingeführten Sonnengottes Mithras in Höhlen gefeiert, deren viele mit seinem Bilde, auch in Deutschland, aufgefunden wurden. Denn die diesem Gotte huldigende, auf dem Gegensatze zwischen Licht und Finsternis beruhende, Religion beruhte auf dem Gedanken, daß das Licht in der Finsternis verborgen sei und aus ihr hervorgehend, sie überwinde. Auch der griechische Zeus wurde in einer Höhle auf Kreta geboren, der Lichtgott Apollon war der Sohn der Nachtgöttin Latona oder Leto, und die Sonne selbst taucht aus der Nacht hervor.

Der Kirchenvater Origenes berichtet nach Celsus, daß in den Mysterien der Mithras-Höhlen der Durchgang der Seele durch die damals angenommenen sieben Planetensphären zum reinen Lichte gelehrt worden sei. Von diesem Gedanken ist aber ein weiter Schritt zu den einfachen Gebräuchen der Freimaurerei und zur Dunkelheit der Loge. Auch im alten Ägypten haben ja die Pharaonen und in Indien Brahmanen und Buddhisten Tempel in Felsen ausgehauen, und so gibt es noch vieles, was mit Hilfe einer kühnen und ausschweifenden Phantasie auf die Logenausstattung und[S. 9] Logengebräuche bezogen werden kann, was aber geschichtlich auf schwachen Füßen steht. Auf die innere Ausstattung der Loge werden wir in dem Abschnitte der „Schönheit“ zu sprechen kommen.

Wie das Versammlungshaus, so nennt sich auch der darin sich zusammenfindende Verein Loge; als solcher entbehrt er jedoch besonderer Sinnbilder.

b) Die Mitglieder.

Die auf rechtmäßige Weise aufgenommenen Freimaurer nennen sich Brüder, weil sie Mitglieder einer wenn auch großen Familie geworden sind. Dieser Gebrauch ist ein alter, ohne daß ihn deshalb die Freimaurer von anderen Vereinigungen entlehnt hätten. Alle engeren Verbände haben gewisse Benennungen für ihre Angehörigen. Die Beamten und Lehrer nennen sich Kollegen, die Studierenden Kommilitonen (die Corpsmitglieder Corpsbrüder), die Offiziere Kameraden, die Sozialdemokraten Genossen und eine ganze Menge von Vereinsmitgliedern ebenfalls Brüder. Die alten Ägypter nannten bei Totenklagen die Verstorbenen Brüder und Schwestern, ebenso die alten Hebräer ihre Glaubensgenossen, so auch die ersten Christen, und die Klosterbewohner nennen sich untereinander ebenso.

Im schriftlichen Verkehr erkennen sich untereinander sonst unbekannte Brüder am Gebrauche von drei Punkten () als Abkürzung maurerischer Ausdrücke nach dem Anfangsbuchstaben. Sie werden deshalb von ihren römischen Feinden mit wohlfeilem Spott die „Dreipunkte-Brüder“ genannt, als ob damit[S. 10] irgend etwas gesagt wäre, während die Spötter doch selbst mit der Dreizahl einen Kultus treiben. Diese ist eben eine alte, heilige Formel, die sich bei allen Völkern und in allen Zeiten findet. Sie beruht auf den sich von selbst ergebenden Teilen der Zeit (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft), einer jeden Handlung (Anfang, Mitte und Ende), des menschlichen Lebens (Geburt, Leben und Tod), des Raumes (Länge, Breite und Höhe oder Tiefe), des Tages (Morgen, Mittag und Abend), des Sonnenstandes, des Mondumlaufes, und zeigt sich auch in den 3 Grundfarben (rot, gelb, blau), den Mischfarben (orange, grün, violett), den Licht- und Schattenformen (weiß, grau, schwarz) u. s. w. Die ägyptischen Hieroglyphen zeigen als Bezeichnung der Gattung eines Dinges dessen Charakter in dreimaligem Bilde eines Zeichens, das diesen ausdrückt, wie sie auch die Mehrzahl durch drei Zeichen ausdrücken.

Diesem unbewußten Zuge der Menschenseele entsprangen auch die ägyptischen, indischen, griechischen, römischen, keltischen, slawischen und germanischen Dreiheiten von Göttern und die christliche Dreieinigkeit, sowie die dreimalige Bekreuzung der frommen Christen. Einen sehr großen oder sehr heiligen Menschen nannte man früher: dreimal groß oder dreimal heilig (so Hermes Trismegistos). Läßt man jemanden hoch leben, so tut man es dreimal. Die Aufforderung zu einer raschen Handlung wird durch den Ruf: 1, 2, 3 begleitet. Namentlich ist aber dies der Fall bei dem Maurergruße. Bei diesem wird die Zahl 3 mit[S. 11] sich selbst vervielfältigt, zu 9, und man schließt seine Briefe an Brüder mit der Formel: in der uns heiligen Zahl (i d u h Z), d. h. mit 3 × 3. Dieselbe Zahl wird auch bei dem Händeklatschen (das bei Nichtmaurern keine bestimmte Form hat) beobachtet, bisweilen aber auch durch langsamere Wiederholung der Zahl 3 beschlossen (auch kommt vor die Form: 3 × 5 + 3). Es dient sowohl zum Willkomm, als zum Abschied und als Beifallszeichen. Auch das Händeklatschen kommt im Altertum vor, so in Ägypten und Babylonien zur Aufmunterung der Arbeiter, Ruderer, Soldaten u. s. w., auch in gewissen Takten, ebenso im Götterdienste.

Die Anwendung der Zahlen 3 und 9 auf ethische und geistige Ideen zeigen bei Griechen und Römern die 3 Grazien (Anmut), die 3 Parzen (Verhängnis), die 3 Furien (Rache), die 3 Richter der Unterwelt (Vergeltung), die 9 Musen (Wissenschaften und Künste), nach denen die 9 Bücher der Geschichte Herodots benannt sind. In neuerer Zeit sind zu erwähnen die 3 Ideen der Wahrheit, Schönheit und Güte, die der französischen Revolution: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, die 3 Berufsfakultäten der Hochschulen (theologische, juristische und medizinische), zu denen erst später die philosophische kam, die 3 Teile der Philosophie nach Hegels und anderen Systemen, die 3 Studienjahre (bei normaler Laufbahn), die 3 Militärdienstjahre und endlich die 3 (idealen) Jahre der Logenarbeit, die der Lehrling als seine Lebensjahre angibt, der Geselle auf 5 und der Meister auf 7 erhöht.[S. 12] Weitere freimaurerische Dreizahlen werden uns noch mehr begegnen.

Hier muß indessen der Vollständigkeit wegen eine solche Dreizahl näher berührt werden, weil sie in unser System der freimaur. Symbolik nicht eingereiht werden kann, da sie durchaus veraltet ist und ihre Teile nach unserer Anordnung in verschiedene Kapitel fallen. Wir meinen die Zusammenstellung der 3 großen und der 3 kleinen Lichter nach dem altenglischen System, während sie in anderen Systemen anders angeordnet werden. Als die 3 großen Lichter gelten danach: Bibel, Winkelmaß und Zirkel, als die 3 kleinen: die Sonne, der Mond und der Meister vom Stuhl. Jene werden als geistig aufzufassende, diese als sinnlich wahrnehmbare unterschieden, ferner jene als beständig, diese als zeitlich und örtlich beschränkt leuchtende Lichter. Es ist leicht ersichtlich, daß diese Zusammenstellung, wenn auch wohlgemeint, doch willkürlich und unlogisch ist. Logischer Weise mußte an der Stelle der Bibel ein weiteres Werkzeug und an jener des M. v. St. ein weiteres Gestirn stehen.

Diese beiden Dreiheiten sind aber auch entbehrlich, und es wird auf sie wenig Gewicht mehr gelegt. Sie sind daher auch an manchen Orten fallen gelassen und, wenn auch kaum auf glückliche Weise, zu ersetzen gesucht worden. So hat eine Loge ein System von 3 großen, 3 mittleren und 3 kleinen Lichtern aufgestellt. Sie heißen: Gott, Mensch und St. Johannislicht (ein etwas sonderbarer Name für den schöpferischen Geist des Menschen); Religion, Moral und Verdienst;[S. 13] Weisheit, Stärke und Schönheit. Solche Triaden könnten leicht noch mehr gefunden werden; aber was ist damit gewonnen? Weiter bringen sie uns nicht. Bleiben wir bei dem, was tatsächlich vorliegt, — bei den wirklich und allgemein anerkannten Symbolen der Freimaurerei, und stellen zusammen:

Lichter:
Gestirne:
Ideen:
Werkzeuge:
Gottheit.
Sonne.
Weisheit.
Hammer.
Gewissen.
Mond.
Stärke.
Winkelmaß.
Menschheit.
Erde.
Schönheit.
Zirkel.

Die nähere Erklärung wird folgen.

Die Bibel und der Meister werden ihren nicht unwürdigen Platz finden.

[1] Schauberg, Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei. Schaffhausen 1861.

[S. 14]

2. Die Arbeit.

Nur der verdient sich Freiheit, wie das Leben,
der täglich sie erobern muß.
Goethe, Faust II.

a) Die künstlerische Arbeit.

Die Freimaurerei ist an sich schon eine Kunst, wenn auch keine solche, deren Äußerungen in Museen aufbewahrt oder der Öffentlichkeit auf Bühnen dargeboten werden könnten, weil sie nicht ohne das Leben in ihren Kreisen zu verstehen sein würden. Sie läßt sich also nicht in das System der schönen Künste einreihen, sondern bildet ein System für sich, das sich aber bescheiden in seine engsten Kreise zurückzieht. Sie hat eine gewisse Ähnlichkeit mit ihrer größte Feindin, der römischen Kirche, deren Übungen ebenfalls künstlerisch sind, ohne festgelegt werden zu können, aber der Öffentlichkeit hingegeben werden, weil sie eben nicht ohne diese den von ihr angestrebten Einfluß aufrecht erhalten könnte. Diesen Einfluß aber verschmäht die Freimaurerei und findet in sich selbst ihr Genügen.

Die künstlerischen Darbietungen der Freimaurerei, allerdings nur für die Brüder bestimmt, haben durchaus[S. 15] einen nach Verwirklichung der Idee des Schönen strebenden Charakter. Ihr Organ sind die feierlichen Versammlungen der Brüder oder die verschiedenen Gattungen von Logen, wie nicht nur die Versammlungsorte und die Brüdervereine, sondern auch deren Versammlungen selbst genannt werden. Sie bewegen sich in reicher Mannigfaltigkeit von den heitersten bis zu den ernstesten Anlässen.

Es ist ungewiß, ob die ersteren, die Tafellogen zum Vorbilde die Agapen oder Liebesmahle der ersten Christen haben. Da ihnen jedoch aller Bezug auf eine bestimmte Glaubensrichtung fehlt, geht ihr Ursprung wohl nicht über die Festmahle unserer Vorgänger, der Steinmetzen und Bauleute zurück. Eher mögen sich bei ihnen durch die dem Bunde beitretenden Gelehrten Anklänge an antike Symposien der bessern Art, bei denen ernste Gespräche nicht fehlten, eingefunden haben. Durch Adelige und Offiziere, die den Logen beitraten, bürgerten sich bei den Tafellogen die zur Freimaurerei nicht passenden, weil deren friedlichem Charakter widerstreitenden kriegerischen Formen und Ausdrücke der Toaste oder Tafelreden ein, von denen, wie zu hoffen ist, sich meist nur noch die Bezeichnung „Feuer“ für ein Lebehoch erhalten haben möchte, die mit Bezug auf geistiges Feuer berechtigt erscheint. Die Tafellogen werden nicht in der dunkeln Loge, sondern im hellen Festsaale abgehalten, und es wird stets darauf gesehen, daß bei ihnen strenges Maß eingehalten wird. Immerhin sind sie ein Ausdruck reiner Freude über das zwanglose brüderliche Beisammensein.[S. 16] Anlaß zu ihnen bieten meist die maurerischen Feste, das Sommerjohannis-, und wo beide Johannes gefeiert werden, auch das Winterjohannisfest, ferner die Jahresfeste der Logengründung, Jubelfeste verdienter Brüder, und namentlich die mit den weiblichen Angehörigen begangenen Schwesternfeste, bei denen die Feier der Liebe, Treue und Anmut zu ihrem gerechten Anspruche kommt.

Ernsterer Natur sind die eigentlichen Arbeitslogen im künstlich erleuchteten Logensaale. Sie dienen, außer den Festanlässen, zu denen die Tafellogen den Abschluß bilden, den Aufnahmen, Beförderungen und wichtigeren Logenangelegenheiten. Ihr Hergang hat für empfängliche Gemüter etwas ungemein Fesselndes und Ergreifendes, so am Anfange der Arbeit, der Hochmittag genannt wird, das Anzünden der Lichter durch die Beamten mit kernhaften Sprüchen, und das kirchlichen Formen nicht nachgedachte Gebet des M. v. St. zum A. B. a. W., und am Ende, das Hochmitternacht heißt, die feierliche Entlassung der Brüder mit herzlichen Wünschen und das ernst stimmende Auslöschen der Lichter. Bei Aufnahmen und Beförderungen dagegen ist der ganze Hergang malerisch und dramatisch gestaltet.

Der ernsteste Anlaß, ja ein erschütternder, zu freimaurerischer Arbeit ist aber die Trauerloge, die dem Andenken an die hingeschiedenen Brüder gilt. Schauberg vergleicht diese Feierlichkeit nach seiner phantasievollen Art mit dem ägyptischen Totengerichte.[S. 17] „Wie hier“, sagt er, „beginnt die Trauerloge mit einer Art Gericht über den Verstorbenen, und erst, nachdem dieser der Ehre einer Trauerloge für würdig erklärt worden, folgt die eigentliche Totenfeier, die in 3 Hauptteile geteilt werden dürfte, nämlich die Trauerrede oder die kurze Schilderung des bürgerlichen und maurerischen Lebens des Dahingeschiedenen, — das Anzünden der Lampe vor dem symbolischen Sarkophage des Verewigten, und dessen Schmücken mit Blumen durch alle anwesenden Brüder in 3 Zügen und Umgängen, worauf die ganze Feierlichkeit mit der Bildung der Bruderkette und der Erteilung des Bruderkusses schließt.“ In England und Amerika wird außerdem noch die öffentliche Bestattung mit maurerischen Gebräuchen und Abzeichen abgehalten.

Eine Beurteilung des Toten bei der Totenfeier ist etwas völlig Selbstverständliches und auch außerhalb der Loge allgemein üblich, und es braucht daher ihr Ursprung nicht aus Ägypten hergeleitet zu werden, wo übrigens das Totengericht lediglich ein jenseitiges war, unter dem Vorsitze des Gottes Osiris über 42 Totenrichtern (wegen der 42 Todsünden nach ägyptischer Anschauung). Es konnte daher eher das christliche Weltgericht aus dem Totengerichte in Ägypten hergeleitet werden, als die Trauerloge, die ebenso lediglich eine ethische Vertiefung und Veredlung der allgemeinen Trauerfeierlichkeiten ist, wie die Tafelloge eine solche anderer Bankette und die Verhandlungsloge eine solche anderer Vereinssitzungen.

Übrigens werden die Trauerlogen, deren erste bekannte erst 1757 in Hamburg gefeiert wurde, meistens[S. 18] nicht für einzelne Brüder, sondern z. B. jährlich für die im Laufe des Jahres verstorbenen Brüder gemeinsam gefeiert, oder auch, wenn kein solcher Fall vorliegt, am Allerseelentage oder einem andern für die hingeschiedenen Brüder überhaupt. Natürlich ist die Trauerloge schwarz ausgeschlagen. Ein herrliches Muster einer Trauerlogenrede ist die 1813 gehaltene Br. Goethes zum Andenken Br. Wielands.

Zum Schmucke aller freimaurerischen Versammlungen wird deren ohnehin künstlerischer Eindruck durch die geistigsten und ergreifendsten aller Künste, durch das Schwesternpaar der Poesie und Musik, erhöht. Dichtungen und Tonwerke begleiten den Maurer von der (maurerischen) Wiege bis zum Grabe, in heiteren, ernsten und ernstesten Darbietungen. In ihrer Verbindung, dem maurerischen Liede, findet die Loge ihre erhebendsten Stunden, zu deren Verschönerung Brüder wie Goethe, Herder, Mozart und viele andere beigetragen haben und auch nicht maurerische Größen dieser Künste ihren Zoll entrichtet haben. Schiller war nicht Freimaurer; aber sein „Lied an die Freude“ ist ein echt maurerisches. Beethoven war es auch nicht; aber seine Symphonien werden maurerisch empfunden. Die Loge duldet keine andere als eine reine und erhebende Dicht- und Tonkunst; alles Gewöhnliche, Platte und Ausgelassene ist von ihr ausgeschlossen. Fast alle Logen haben ihre Liederbücher und halten die beiden alles Leben verschönernden und erhebenden Künste in hohen Ehren. Auch haben alle Logen ihre musikalischen Brüder, die nach Kräften[S. 19] hierzu beitragen, durch Gesang wie durch Instrumentalmusik, oft auch einen besondern Musikdirektor.

Übersicht.
Leitende Idee:
Art der Versammlung:
Kennzeichen:
Schönheit.
Tafelloge.
Edle Heiterkeit.
Weisheit.
Arbeitsloge.
Feierliche
Stimmung.
Stärke.
Trauerloge.
Gedanke an
den Tod.

b) Die lehrhafte Arbeit.

Die Logenversammlungen haben neben dem (ganz oder teilweise) künstlerischen auch vielfach einen lehrhaften Charakter. Allerdings überlassen sie wissenschaftliche Untersuchungen und Forschungen mit Fug und Recht den gelehrten Gesellschaften und den Hochschulen; doch werden vielfach im hellen Logenraum allgemein verständliche Vorträge über verschiedene Gegenstände der Wissenschaft und Angelegenheiten des Lebens gehalten. Man hat daher entweder die Logen überhaupt oder die Versammlungen gewisser höherer Grade verschiedener europäischer Länder im 18. und 19. Jahrhundert oft Akademien genannt, ja neuerlich sogar den Ursprung der Freimaurerei aus den italienischen Akademien des Zeitalters der Renaissance hergeleitet. Dazu hat besonders der Umstand beigetragen, daß in den nach jenem Vorbilde im 17. Jahrhundert in Deutschland und England entstandenen „Kollegien“ und „Sozietäten“ der Pädagog und Philanthrop Joh.[S. 20] Amos Komensky aus Mähren, genannt Comenius (geb. 1592, gest. 1670) eine Rolle spielte, den man seiner ganzen geistigen Richtung nach einen Vorläufer der Freimaurerei nennen darf. Ihm zu Ehren wurde 1891 durch die Bemühungen Br. Ludwig Kellers und anderer gelehrter Brr. und Nichtbrüder in Berlin die Comenius-Gesellschaft gegründet, die sich auch mit Untersuchungen über die Entstehung der Freimaurerei beschäftigt.

Die Freimaurerei hat eine so umfangreiche und zum Teile sehr wertvolle Literatur hervorgebracht, wie sie keine andere Gesellschaft aufzuweisen hat. Daher ist auch ihre Lehre eine sehr ausgedehnte und mannigfaltige, von der dieses kleine Buch einen schwachen Abriß zu geben versucht. Auch diese Lehre hat Schauberg aus Ägypten abgeleitet, von woher sie Pythagoras nach Europa gebracht haben soll. Ohne Zweifel bestehen zwischen dem von diesem großen Philosophen gestifteten Geheimbunde und der Freimaurerei gewisse Ähnlichkeiten, aber auch wesentliche Verschiedenheiten (siehe des Verf. „Buch der Mysterien“). Jener Bund ist auch so früh untergegangen, daß an eine zusammenhängende Überlieferung bis auf neuere Zeiten nicht zu denken ist. Entlehnungen aus früheren Erscheinungen begründen keinen Zusammenhang. Die Freimaurerei erhebt keinen Anspruch darauf, den Stein der Weisen gefunden zu haben oder finden zu wollen; wohl aber hält sie ihre Brüder dazu an, daß jeder in dem Bau, den sie erstrebt, in dem Tempel der Weisheit, Stärke und Schönheit ein brauchbarer Stein zu werden trachte. Die Lehre, die sie erteilt, ist[S. 21] daher in ihrem Hauptteile die der geistigen Baukunst, und wenn diese und die Freimaurerei selbst eine königliche Kunst genannt wird (seit Andersons Konstitutionenbuch von 1723), so geschieht dies, weil das Ziel, das sie anstrebt, die höchste Vervollkommnung des Menschen ist. Dieses Ziel wurde freilich auch von den größten Weisen aller Zeiten und Völker in geringerm oder größerm Maße angestrebt, aber von keiner menschlichen Gesellschaft in dem Maße wie von der Freimaurerei. Hat es auch der Stifter des Christentums sich vorgesetzt, so hat es die Kirche, die sich seine Nachfolgerin nennt, dadurch verdunkelt und hintangehalten, daß sie sein unentbehrlichstes Mittel, die geistige Freiheit nach Kräften durch vorgeschriebene Glaubenssatzungen unterdrückte.

Sind in der Freimaurerei, wenn auch in bescheidenem Maße, die vornehmsten Wissenschaften vertreten, die Philosophie in ihrer Morallehre und Symbolik, die Geschichte in ihrer rührigen Pflege der Geschichte des Bundes und der mit ihm zusammenhängenden Erscheinungen, die Naturwissenschaft in der Ergründung des menschlichen Herzens und seiner Bedürfnisse, so ist gewissermaßen die Mathematik in der von der Loge in ihren Sinnbildern enthaltenen Zahlenlehre vertreten.

Schöpfer der Zahlenlehre ist Pythagoras, nach dessen Lehre „Zahl und Harmonie das Wesen, die bestimmende Macht und das Gesetz der Welt sind, das sittliche und vernünftige Leben des Menschengeistes bestimmen und zusammen die Tugend begründen“, — worin ihm der deutsche Philosoph Br. Krause nachfolgte.

[S. 22]

Die Zahl Eins lehrt die Einheit aller Dinge, die Zahl Zwei ihre zwei Seiten, die tätige und die leidende. Zusammen bilden sie die Drei, die wir bereits (sowie die Neun) betrachtet haben. Die Zahl Vier tritt auf in den Himmelsgegenden, den 4 Elementen, den 4 Jahreszeiten und Änderungen der Tageslänge, den (mit der Nacht) 4 Tageszeiten, den 4 Seiten der Tempel, Gräber und Altäre, den 4 Evangelisten, der Verwandtschaft des Vierecks mit dem Kreise, aus dessen rechtwinkliger Durchschneidung es entsteht, den 4 Temperamenten u. s. w. Fünf ist die Zahl der menschlichen Sinne, der Temperaturstufen (heiß, warm, lau, kühl und kalt), der Finger und Zehen, der Säulenordnungen und Baustile[2], der Vokale u. s. w. Sechs ist die Verdoppelung der heiligen Drei und die Hälfte der heiligen Zwölf. Sieben ist die Zahl der sog. freien Künste und Wissenschaften, die in sehr verschiedener Art aufgezählt werden, z. B. Grammatik, Logik, Rhetorik, Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik oder: Dichtkunst, Musik, Zeichenkunst, Rechenkunst, Geometrie, Astronomie und Baukunst, die Zahl der Sakramente und — der Todsünden, — der Farben des Regenbogens, der Töne einer Tonleiter, der ehemals dafür gehaltenen Planeten (Sonne, Mond, Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn), wie geglaubt wird: der Tage, Monate oder Jahre, in denen ein[S. 23] lebendes Wesen reift, der Wunder des Altertums, der sog. Weisen Griechenlands u. s. w. Zehn ist die Summe von 1, 2, 3 und 4, die der beiderseitigen Finger und Zehen, der maßgebenden Abschnitte im Zahlensystem, der hebräischen, auch bei den Christen geltenden Gebote u. s. w., Zwölf, das Produkt von 3 und 4, die Zahl der Tages- und Nachtstunden, der Mondumläufe im Jahre, der Monate, der Zeichen des Tierkreises, der griechischen und römischen Hauptgötter, der germanischen Asen, der Patriarchen, Propheten und Apostel, der Stämme des Volkes Israel und noch vieler anderer Dinge. Allerdings sind viele dieser Zahlenwerte durch die Wissenschaft beseitigt oder sonst bedeutungslos geworden; aber es handelt sich hier nur um die Kenntnis der Bedeutung, welche die Zahlen stets in der Geschichte des Menschengeistes gehabt haben und um die Mahnung an die Brüder, in allen Lagen des Lebens diejenige Zahl zu beobachten, die von der Stimme des Gewissens als die richtige und wohltätige bezeichnet wird.

Noch mehr als die Arithmetik ist die Geometrie eine mit der Baukunst und daher auch mit der Maurerei in Verbindung stehende Wissenschaft, ja sie wurde von den älteren freimaurerischen Schriftstellern geradezu als die Grundlage und das innerste Wesen der königlichen Kunst bezeichnet und die edelste aller Wissenschaften genannt, weil es ihre Aufgabe ist, die Größenverhältnisse des Weltalls zu messen. Da jedoch die Loge keine Schule oder Gesellschaft zur Pflege der Mathematik an sich ist, so kann die Geometrie für die Freimaurerei nur eine moralische Bedeutung haben, d. h. sie ist[S. 24] ein Ausdruck für das Erfordernis, in allen Dingen das rechte Maß zu halten, die in der Natur bestehende Ordnung auf das sittliche Verhalten des Menschen anzuwenden und nach den Grundsätzen der Schönheit und Regelmäßigkeit am Tempel der Menschheit zu bauen.

Das rechtwinkliche Viereck der Loge ist ein schwacher Ausdruck dieses Erfordernisses und mahnt die Brüder stets, sich auch im Leben rechtwinklich d. h. gerade zu verhalten.

[2] Dorische, ionische, korinthische, etruskische und römische Säule; byzantischer, maurischer, romanischer, gotischer Stil und Renaissance.

[S. 25]

3. Das Licht.

Es werde Licht!Genesis.
Mehr Licht!Br. Goethe.

a) Die Vorbereitung des Lichtes.

Das Licht ist die höchste Idee, nicht nur der Freimaurerei, sondern der Welt überhaupt; es ist die höchste Offenbarung des höchsten Wesens und dessen verständlichste Versinnbildlichung, daher auch mit seiner Schöpfung diejenige der Welt nach der Auffassung des hebräischen Altertums und nach der ältesten aller höher gebildeten Völker ihren Anfang nimmt. Und wenn wir uns daher fragen, welches die größten Lichter der Freimaurerei sind, so fühlen wir im Innersten, daß es nicht bloße Sinnbilder sein können, sondern wirkliche Objekte des Glaubens und Wissens, nämlich:

das Licht über uns, die Gottheit,
das Licht in uns, das Gewissen und
das Licht um uns, die Menschheit,

und ihre Bilder, nicht selbst Lichter, zugleich unentbehrliche Hilfsmittel der Baukunst:

das Sinnbild der Macht, der Hammer,
das der inneren Stimme, das Winkelmaß,
das der denkenden Umgebung, der Zirkel.

[S. 26]

Unseren germanischen Vorfahren war der Hammer der Begleiter des höchsten Gottes, des Donnerers, Donar oder Thor, der persönlich gedachten Allmacht.

Die Benennung „Lichter“ kann auch weiter gefaßt werden, doch ohne Zwang, wenn es sich um wirkliche Lichter handelt, z. B. die Sonne.

Wie Schauberg richtig sagt, sind die Freimaurer Lichtgläubige und Lichtsuchende; das Logenleben ist ein wahrer Lichtdienst und jede Loge ein Tempel des Lichtes. Das höchste Fest der Loge ist daher die Aufnahme eines Suchenden, deren Hauptteil die Erteilung des Lichtes an ihn bildet. Darum nur ist die Loge dunkel, damit durch das Anzünden der Lichter ihr Charakter als Tempel des Lichtes vollkommen zum Bewußtsein der Brüder gelange. Die Loge gleicht daher der Erde, die in der Nacht dunkel ist und mit dem Aufgange der Sonne erhellt wird, die im Winter düster und kalt ist, um bei dem Anbruche des Frühlings mit Licht und Wärme durchdrungen zu werden. Wäre die ganze Menschheit in gleicher Weise des Lichtes bedürftig, so wäre die Loge überflüssig, und ganze Völkerscharen würden am Morgen früh auf lichten Höhen der Sonne zujubeln und deren, wie ihren Schöpfer preisen und am Ende des Winters mit heiligen Gesängen den Einzug des Frühlings begrüßen.

So weilt denn auch der das Licht Suchende und im Einklang damit „hell leuchtend“ ballotierte Kandidat in der dunklen Kammer, in die ihn sein Pate geführt hat, in diesem Abbild der Loge im kleinen, auch Kammer des Nachdenkens genannt, um mit sich zu[S. 27] Rate zu gehen, warum er das Licht suche und was er im Lichte suche und finden werde. Die dunkle Kammer ist ein Abbild des Mutterschoßes und zugleich des Grabes; feuchte Wände umgeben sie und schließen Abbilder des Todes ein; sie gleicht also auch dem Dunkel, von dem wir vor der Geburt und nach dem Tode umhüllt sind.

Man kann auch der Ansicht sein, daß diese düstere Umgebung nicht zweckmäßig sei und dem Suchenden üble Eindrücke verursache; sie war auch in den ersten Zeiten des Daseins der Freimaurerei nicht gebräuchlich und gehört, soviel Sinn sie auch hat, zu dem Theatralischen, mit dem sich der Bund, nicht zu seinem Vorteile, umgeben hat.

Doch, nach dem vorherrschenden Gebrauche wird das Gleichnis der Geburt zum Lichte fortgesetzt. Der vorbereitende Br. erscheint, spricht dem Suchenden freundlich zu, und erklärt ihm, daß der Lichtsuchende dem neugeborenen Kinde gleich sein müsse, das nackt, arm und (geistig) blind in die Welt trete. Diese Prozedur wurde früher maßlos übertrieben; man begnügte sich zuletzt, den Suchenden das Oberkleid ablegen zu lassen und den einen Fuß in einen niedergetretenen Schuh zu hüllen[3], was aber nicht mehr allgemein üblich ist. Dagegen blieb die Abnahme alles beweglichen Metalles (oder der Wertsachen) und das Anlegen der[S. 28] Augenbinde. Beides ist auch ein schönes Zeichen des Vertrauens in die guten Absichten der Brüderschaft.

Eine der schönsten Stellen in den Reden des Heilandes sagt: „Bittet, so wird euch gegeben, suchet, so werdet ihr finden, klopfet an, so wird euch aufgetan.“ Diese Zuversicht ist wahrlich nicht überall so gerechtfertigt und angebracht wie in der Loge. Diese ist geduldig und nachsichtig, und wenn die in der dunkeln Kammer gegebenen Antworten auf die an den Suchenden gerichteten Fragen nur einigermaßen befriedigend sind, so wird ihm und seinen Führern auf ihr Anklopfen in maurerischer Weise (mit 3 starken Schlägen, welche die 3 obigen Verheißungen bedeuten sollen) die Türe des Tempels aufgetan.

Nachdem der Suchende auf die Frage des M. v. St. erklärt hat, was er in der Loge suche, bemerkt ihm der Vorsitzende: wie der Eintritt in den Tempel den Eintritt in das Leben, so bedeuten die Vorgänge in der Loge das Leben selbst. Das Leben sei eine mannigfach bewegte Reise, auf der man sich oft verirren, aber schließlich doch an das erstrebte Ziel gelangen könne. Wie der Mensch auf der Reise des Lebens in vieler Hinsicht geprüft werde, so müsse auch der Lichtsuchende seine Sündhaftigkeit beweisen. Dies geschieht nun durch die drei Reisen, die in jedem Grade auf verschiedene Weise in einem Umgange um die die Mitte des Saales einnehmenden Lichter unter sicherer Führung vollführt werden. Im ersten Grade sind es die Elemente, die der Suchende zu berühren[S. 29] hat, nämlich das Feuer, das Wasser und die Erde, an deren Stelle in einigen Lehrarten die Luft tritt.

Dies wird folgendermaßen erklärt: Der Aufzunehmende hat das Licht gesucht und ist in verzehrendes Feuer geraten. Oft werden strebende Menschen von dem wilden Feuer der Leidenschaften versengt und gehen darin unter. Aber durch weise Vorsicht ist das Feuer zu bändigen und zum wohltätigen Wärmespender umzuwandeln.

Im Wasser erlischt die zügellose Flamme; aber das Wasser der kühlen Selbstsucht erstickt auch die heilige Glut der Begeisterung für Menschenwohl. Die weise Besonnenheit aber drängt die kalten Wogen der Gleichgültigkeit für das Ideal zurück und gestattet den Fluten nur ihre wohltätige Wirkung zum Besten der Gesundheit und Reinlichkeit auch im Seelenleben.

In den Staub der Erde versinken Reichtum, Pracht und Schönheit; aber der fruchtbringende Schoß der Mutter Erde befördert das Samenkorn, das in sie versenkt wird, zu herrlicher Blüte und wohlschmeckender Frucht.

Die Probe der Luft ist uns nicht bekannt und auch in unseren Hilfsmitteln nicht erwähnt.

Diese Gleichnisse können allerdings noch weiter ausgedehnt werden, was uns aber in nebelhafte Fernen führen und — verführen würde.

Die eigentümliche Art der drei sinnbildlichen, einen rechten Winkel bildenden Schritte, die früher nach vollendeten Reisen zum Oriente hin getan werden mußten (ein Überrest aus den alten Handwerksbräuchen), und[S. 30] mehrere andere antiken Kulten nachgeahmte Proben, die jetzt als verwirrend, beängstigend und ermüdend meist aufgegeben sind, versagen wir uns zu erwähnen.

b) Die Erteilung des Lichtes.

Die Prüfungen sind überstanden; der Suchende wird zum Orient geführt und vor den Altar gestellt. Es wird ihm vom Meister mitgeteilt, daß er nach vollendeter Aufnahme nicht mehr zurücktreten könne. Beharrt er auf seiner Absicht, so wird fortgefahren; in dem gewiß höchst seltenen Falle des Verzichtes aber wird er entlassen, wodurch er aber in einen inneren Konflikt kommen kann, etwas erlebt zu haben, was für ihn keine weitere Bedeutung hat und ihn in der Achtung der Brüder herabsetzt. Im ersteren, wahrscheinlichen Falle hat er zu erklären, daß er das neue Gelübde ablegen wolle. Es hat Fälle gegeben, in denen ein Aufgenommener später sein Gelübde brach und sogar sich einer dem Freimaurer-Bunde feindlichen Richtung anschloß.[4] Dies hat er mit seinem Gewissen abzumachen; für den Bund ist er verdorben und gestorben. —

Es folgt die Ablegung des Gelübdes, das im Bunde der Freimaurerei kein solches der Verzichtleistung auf alle irdischen Güter des Lebens ist wie in den Mönchsorden, sondern ein Gelübde der Tat, der Treue und der Verschwiegenheit, soweit diese notwendig[S. 31] ist, um die Interessen des Bundes zu wahren. Es bezieht sich nicht auf die Geschichte und die Organisation des Bundes, auch nicht auf eigentliche der Welt verborgene Geheimnisse, die es ja gar nicht gibt, sondern nur auf die Erkennungszeichen und auf die dem Br. im Vertrauen gemachten Mitteilungen. Die Gebräuche der Loge sind nur insofern geheim zu halten, als Äußerungen darüber mutwillig und zwecklos oder gar böswillig erscheinen. Zu wissenschaftlichen und sonstigen ernsten Zwecken dürfen und sollen sie besprochen werden; was wie dies zur Kenntnis der menschlichen Kultur gehört, kann und darf kein Geheimnis bleiben. Die Wissenschaft kennt diesen Begriff nicht. Unsere Loge zeigt sogar den Tempel jedem würdigen Besucher des Hauses.

Die Form eines Eides hat das Gelübde nicht mehr überall. Auf einen bestimmten Gegenstand braucht es nicht notwendig abgelegt zu werden; wenn doch, so ist dieser ein Sinnbild der Einordnung in den Kreis der Brüderschaft. Die feierliche Aufnahme schließt diesen Vorgang. Sie geschieht bisweilen durch den Bruderkuß, meist aber durch den Handschlag.

Nun ist es Zeit geworden, dem Suchenden die Binde von den Augen zu nehmen und ihn das Licht der Loge schauen zu lassen.

Zu diesem Zwecke wird der neue Br. in die Bruderkette gestellt, die die Hände sämtlicher anwesenden Brr. vereinigt, wodurch die Zusammengehörigkeit Aller versinnbildlicht wird.

Im rektifiz. schott. System findet eine zweimalige[S. 32] Erteilung des Lichtes statt, erst des schwachen und dann des starken. Bei jenem erhellt nur eine aufflackernde und dann erlöschende, einen magischen Eindruck erweckende Flamme, bei diesem aber das volle Licht für den Aufgenommenen den Bruderkreis und die Loge. Meist wird das letztere allein erteilt, und nun erst sieht der neue Br., wo er ist, sieht sich verbunden mit den übrigen Brrn., deren Gesang mit Musikbegleitung ihn als Br. begrüßt.

Er vernimmt nun die Namen der drei Säulen der Loge: Weisheit, Stärke und Schönheit, ihrer Lichter, der Zieraten und Werkzeuge, die der Freimaurerei Höheres bedeuten und die Pflicht der Wohltätigkeit. Noch ist er aber in der Lage nicht, sie zu üben, und ihn ziert eine schöne Beschämung. Es wird ihm daher das Abgenommene zurückgegeben, und er kann sein erstes Almosen in den „Sack der Witwe“ entrichten, wie die Armenkasse genannt wird.

Den Schluß der Aufnahme bildet die Mitteilung von Zeichen, Wort und Griff des I. Grades, der Art des Anklopfens, die Überreichung der maurerischen Bekleidung und Abzeichen, sowie der Handschuhe, auf welcher Dinge Bedeutung an ihrem Orte zurückzukommen ist.

Nun ist der bisher Außenstehende ein Eingeweihter geworden, — doch noch nicht vollständig. Er ist erst Exoteriker, — das Höhere, Esoteriker, wird er erst nach seiner Erhebung zum Meister. Diese beiden Bezeichnungen führten die „außer- und innerhalb des Vorhangs“, der den Meister verhüllte, stehenden, die[S. 33] neu eingetretenen und die vorgeschritteneren Schüler des Pythagoras und anderer griech. Philosophen, und man gebraucht sie auch von den in die Geheimnisse anderer Lehren mehr oder weniger Eingeweihten. Das Exoterische der Freimaurerei besteht in der äußeren Form; es umfaßt die Gebräuche und Sinnbilder und die sittlichen, auf geistige Erhebung abzielenden Lehren der Loge. Esoterisch dagegen ist der tiefere Sinn, der innere Grund der freimaurerischen Übungen und die genaue Kenntnis der Geschichte ihrer Entwicklung.

Man hat sich gefragt, ob Blinde, weil sie das Licht nicht sehen, und Taubstumme, weil sie die Lehren bei der Aufnahme nicht hören und das Gelübde nicht ablegen können, fähig seien, in den Bund aufgenommen zu werden. Es sind aber wiederholt Unglückliche beider Arten aufgenommen worden; denn es wäre offenbar ungerecht, sie wegen dieses Mangels von einem Ziele, dem sie bewußt zustreben, auszuschließen. Die Wissenschaft ist so weit vorgeschritten, daß es Mittel gibt, nicht nur Blinden und Tauben, sondern sogar solchen, die beides sind, alle Kenntnisse zu erschließen. Ebenso unmaurerisch wäre es, Suchenden, die mit irgend welchen anderweitigen, weniger störenden körperlichen Mängeln behaftet sind, die Pforten der Loge nicht öffnen zu wollen. Ihr Licht ist nicht nur ein sichtbares, ihre Lehren sind nicht nur hörbare; beides ist für den Geist bestimmt, der sich über das rein Leibliche zu erheben versteht.

[3] In vielen Religionen durfte oder darf kein Schuh den heiligen Boden des Tempels betreten.

[4] Beispiel der Earl von Ripon, Großmeister der englischen Großloge, der sein Amt niederlegte und sich dem Papsttum unterwarf.

[S. 34]

4. Die Grade.

Wer soll Meister sein?
Der was ersann.
Wer soll Geselle sein?
Der was kann.
Wer soll Lehrling sein?
Jedermann.
Handwerkerspruch.

a) Die alten Grade.

Die drei Grade der Lehrlinge, Gesellen und Meister sind die einzigen, die von der großen Gesamtheit aller Freimaurer übereinstimmend gepflegt und anerkannt werden und auch überall dieselben sind; alle anderen kommen nur vereinzelt vor und stimmen unter sich weder in Zahl noch Namen überein. Diese 3 Grade, auch nach der Farbe ihrer Abzeichen blaue oder nach dem Schutzheiligen der alten Steinmetzen Johannisgrade genannt, sind sehr alt.

Die Werkmaurer und nach ihnen die meisten Handwerker kannten sie von alters her, und die Freimaurer, die sie in der ersten Zeit nach der Entstehung des Bundes nicht übten, wohl weil sie nicht mehr bloß aus Handwerkern (wohl gar nur noch zum geringen Teile) bestanden, nahmen sie aber bald nach der Gründung[S. 35] des Bundes an. Diese Grade sind die Stärke und bilden die Einheit des Bundes; in ihnen liegt die Möglichkeit seines Bestandes, weil das Streben nach Emporsteigen, nach tieferen Erkenntnissen und nach fruchtbarerem Wirken der begabteren Menschenseele angeboren ist. Die Grade haben, wie ihr Name (Stufen) sagt, den Zweck, zu höherer Erkenntnis vorzuschreiten. Es ist sehr zweckmäßig, daß nur ältere, erfahrenere Männer die Leitung eines Bundes in Händen haben, und daß die jüngeren, noch unerfahrenen Brr. sich besserem Wissen fügen lernen, ehe sie ebenfalls die höheren Stufen erreichen. Diese älteren Brr. sind die Meister, die unmittelbar vor dieser Stufe stehenden die Gesellen und die erst noch zu lernen haben, was ein Maurer ist, die Lehrlinge.

Der Stufengang der 3 alten Grade versinnbildlicht das Leben des Menschen, und ihr Charakter läßt sich folgendermaßen kurz kennzeichnen.

Grade:
Lehrling:
Geselle:
Meister:
Lebensabschnitte:
Geburt.
Leben.
Tod.
Werkzeuge:
Zirkel.
Winkelmaß.
Hammer.
Arbeiten:
Roher Stein.
Quaderstein.
Reißbrett.
Tugenden:
Selbsterkenntnis.
Selbstbeherrschung.
Selbstveredlung.
Leitideen:
Schönheit.
Stärke.
Weisheit.
Soziale Ideen:
Brüderlichkeit.
Gleichheit.
Freiheit.
Weltkörper:
Erde.
Mond.
Sonne.
Weltlichter:
Menschheit.
Gewissen.
Gottheit.

[S. 36]

Die Erklärung dieser drei mal drei Dreiheiten ist teils bereits gegeben, teils wird sie hier und weiterhin folgen.

Um Freimaurer, also zunächst Lehrling zu werden muß der Aufnahmesuchende ein „freier Mann von gutem Rufe“, also in selbständiger Stellung und ohne Makel sein. Er ist aber in diesem untersten Grade erst ein Schüler der königl. Kunst und daher in den verschiedenen Systemen den anderen Graden an Rechten mehr oder weniger hintangesetzt, an Pflichten aber gleichgestellt, was ihn antreiben muß, emporzusteigen und seine Gleichberechtigung mit den höheren Stufen zu erringen. Die Zeit, in welcher dies geschehen kann, ist verschieden festgesetzt und hängt auch von den an den Tag gelegten Fähigkeiten und Leistungen des Lehrlings ab. Auch das Alter der Aufnahme und Beförderung ist verschieden, meist aber das der Volljährigkeit, doch können die Söhne von Meistern (Luftons genannt) früher aufgenommen werden. Da der Lehrling neu in den Kreis der Brr. tritt, ist der Zirkel sein Werkzeug, und woran er zu arbeiten hat, wird unter dem Bilde eines rohen Steines dargestellt, an dem er sich zu üben hat, die Rauheiten seines Ich zu ebnen und zu glätten, mit anderen Worten: zur Selbsterkenntnis zu gelangen. Wie seine Aufnahme zeigt, entspricht sie der Geburt des Menschen, daher sein Licht die Menschheit im weiteren, die Brüderlichkeit im engeren Sinne ist. Unter den maurerischen Tugenden ist es die Schönheit im geistigen Sinne, der seine Arbeit gewidmet ist. Unter den uns näher stehenden Weltkörpern ist unsere Erde,[S. 37] die kein Licht gibt, ein Bild des Lehrlings. Im weiteren Sinne sind eigentlich alle Maurer Lehrlinge, da jeder Mensch noch zu lernen hat, daher die allgemeine Versammlung der Brr. Lehrlingsloge heißt.

Der Grad des Gesellen ist seinem Wesen nach eine Mittelstufe, ein Übergang, hat daher in der Loge keine besondere Bedeutung. Es gibt keine Gesellenloge, ausgenommen zum Zwecke der Beförderung eines Lehrlings zum Gesellen, als welcher er keine besonderen Rechte hat, sondern sich auf den Meistergrad vorbereitet. Desto mehr sinnbildliche Bedeutung hat dieser Grad, als dessen besonderes Werkzeug das Winkelmaß und als dessen Arbeit die Herstellung des rohen Steines zu einem kubischen betrachtet wird, d. h. er hat alle Unebenheiten abzustreifen und sich eines rechtwinkligen Verhaltens zu befleißigen, also Selbstbeherrschung zu üben, Stärke an den Tag zu legen und zu diesem Ende das Gewissen als sein Licht zu betrachten. Das Leben in seiner Blüte, das Streben nach Gleichheit ist seine Sphäre. Diese Aufgaben werden in verschiedener Weise versinnbildlicht.

Im rektif. schott. System wird das Hauptgewicht auf die Selbstbeherrschung gelegt; der zur Beförderung zugelassene Geselle sagt sich von eigensüchtigen Gelüsten los; er wirft daher bei seinen Reisen die Zeichen der Habsucht (Goldmünze), der Ruhmsucht (Bronzemedaille) und der Rachsucht (Dolch) von sich. Im englischen System ist die Blüte des Lebens der leitende Gedanke; der Geselle wird daher unter Musik und Blumenkränzen umgeführt. Da er Licht nur empfängt, aber noch kein[S. 38] eigenes, sondern nur entlehntes ausstrahlt, ist er dem Monde zu vergleichen.

Der Meister ist zur Regierung der Loge im Vereine mit der Meisterloge berufen. In allen Dingen hat er das erste Wort, in manchen, sofern der Lehrlingsloge nicht Bestätigung zusteht, auch das letzte. Er sieht auf das Leben zurück und zugleich auf dessen Ende und auf die Unsterblichkeit voraus, daher Selbstveredlung seine Bestimmung ist. Der Hammer als oberstes Werkzeug kommt ihm allein zu; er versinnbildlicht die Macht im Bruderkreise. Die Weisheit, die seine Tugend sein soll, lehrt ihn, der rauher Arbeit nicht mehr bedarf, auf dem Reißbrett zu zeichnen, d. h. den unter ihm stehenden Brrn. ihre Arbeiten anzuweisen und ihnen in allen Dingen voranzuleuchten. Sinnbildlich also kann er, ohne sich selbst zu überschätzen, Freiheit in Anspruch nehmen, die leuchtende Sonne als sein Vorbild und den a. B. a. W. als sein großes Licht zu verehren. In Übereinstimmung mit diesen Zügen hat die Erhebung zum Meister einen hochernsten, ja düsteren Charakter und wird von dem Gedanken an den Tod und der Vorbereitung auf diesen beherrscht, mit der vorwiegenden Rücksicht darauf, daß es ein schönes, ein heldenhaftes Ende des Lebens sein möge, wobei die Hoffnung auf die Unsterblichkeit nicht außer acht gelassen, vielmehr betont wird. Die Verknüpfungen des Meistergrades mit den indischen Brahmanen, den persischen Magiern, den Priestern der ägyptischen und griechischen Mysterien, dem Salomonischen Tempel,[S. 39] den Tempelrittern u. s. w. sind natürlich wohlmeinende, aber grundlose Phantasien. —

b) Die Hochgrade.

Die Entstehung der über den Meistergrad hinausgehenden sog. Hochgrade, die eine den Meistern angeblich noch unbekannte höhere Kenntnis der Freimaurerei bieten sollten, ist mit der Geschichte der Lehrarten (Systeme), die uns weiterhin beschäftigen werden, innig verknüpft. Die Hochgrade haben eine verschiedene Stellung in den germanischen und in den romanischen Ländern. Dort sind sie (allerdings mit Ausnahme des sog. schwedischen Systems) von den alten Graden (soweit sie nämlich überhaupt dort bestehen) getrennt, ohne Einfluß auf sie und eine Sache der Freiwilligkeit, beziehungsweise Eitelkeit. In den romanischen Ländern dagegen beanspruchen sie eine höhere Fortsetzung der Johannisgrade und beherrschen diese vollständig.

Gewissermaßen ein Embryo der Hochgrade sind gewisse Abteilungen des Meistergrades nach den Systemen Feßlers und Schröders, die sich als Engbünde und Erkenntnisstufen bezeichnen, eine gründlichere Kenntnis der freimaurerischen Geschichte und Lehre bezwecken und auch über die Hochgrade anderer Systeme ihre Mitglieder belehren, aber keine Vorrechte vor den übrigen Meistern erstreben.

Die Hochgrade werden auch rote Grade, im Gegensatz zu den blauen, nach der vorherrschenden Farbe ihrer Abzeichen genannt. Was sie bieten, geht durchweg über die Freimaurerei hinaus und stammt aus den[S. 40] traurigen Zeiten ihrer Verirrungen. Den Inhalt ihrer Lehren bilden Entlehnungen, meist entstellte, aus den verschiedensten Religionen und Philosophien und aus einfachen Erdichtungen, die zum Teil von Aberglauben und geschichtlicher Unwissenheit nicht frei sind. Ihre Selbstüberschätzung zeichnet sich am besten durch die Anmaßung, die 3 alten Grade nur als Vorschule für ihren Gallimathias gelten zu lassen. Sie nennen sich „Orden“, nicht Bund.

Wir geben nun ein Verzeichnis aller Grade der beiden am weitesten verbreiteten Hochgradsysteme.

A. Das Schwedische System, in Schweden, Norwegen, Dänemark und Preußen, in jedem dieser Länder von einer Großen Landesloge geleitet, hat folgende Abteilungen.

  I. Die St. Johannisloge mit den 3 Graden: 1. Lehrling. 2. Geselle. 3. Meister.

 II. Die St. Andreas- oder Schottenloge, mit 3 Graden: 4. Andreas-Lehrling.[5] 5. Andreas-Geselle. 6. Andreas-Meister.

III. Die Stewards- (d. h. Verwalter-, mißverständlich Stuarts-) Loge oder das Kapitel (so heißen die Oberbehörden der Hochgrade), mit 4 Graden: 7. Stewardsbrüder. 8. Vertraute Brr. Salomos. 9. St. Johannis-Vertraute. 10. St. Andreas-Vertraute.

IV. oder 11. Grad: Höchsterleuchtete Brr. Architekten[S. 41] (Ritter und Kommandeure vom roten Kreuz), die Regierung des Ordens. Der oberste Beamte nennt sich Vicarius Salomonis oder weisester Ordensmeister.

B. Das Schottische System, an der Spitze der Großlogen (oder Großoriente) von Frankreich, Italien, Spanien, Portugal und der mittel- und südamerikanischen Länder, — neben den Großlogen von Belgien, Ungarn, England, Schottland, Irland und Nordamerika, hat 33 Grade (wir beginnen gleich mit dem vierten):

 4. Geheimer Meister (beschäftigt sich mit dem Tempel Salomos).

 5. Vollkommener Meister (Beschäftigung: Die Bestattung des Baumeisters Hiram in Jerusalem und die Rache für seinen Mord).

 6. Vertrauter Sekretär (weiteres von Hiram).

 7. Vorsteher und Richter (Aufsicht Salomos über den Tempelbau).

 8. Intendant der Gebäude (die Ersetzung des ermordeten Hiram).

 9. Erwählter der Neun (Bestrafung derjenigen, die sich einen Grad unberechtigterweise anmaßen).

10. Erwählter der Fünfzehn (Fortsetzung).

11. Erhabener Auserwählter (die Belohnung der treuen Arbeiter Salomos).

12. Großmeister-Architekt (höhere Regeln der Baukunst).

13. Royal-Arch (königliches Gewölbe; Auslegung des apokryph. Buches Henoch und Astrologie).

[S. 42] 14. Großer schottischer Ritter oder Erhabener Maurer (die Fabel, daß Nachkommen der salomonischen Maurer die Kreuzfahrer unterstützt hätten).

15. Ritter vom Osten (Wiederaufbau des Tempels unter Serubabel).

16. Großfürst von Jerusalem (Fortsetzung).

17. Ritter vom Westen (handelt von den Tempelrittern).

18. Souveräner Fürst vom Rosenkreuz (Verbindung der Freimaurerei mit christlicher Orthodoxie, mit Feier des Abendmahls).

19. Großer Oberpriester oder Erhabener Schotte (grübelt über die Offenbarung des Johannes und baut am Neuen Jerusalem).

20. Großmeister auf Lebenszeit (angebliche Auswanderung der christlichen Maurer unter Titus nach Schottland).

21. Noachit oder Preußischer Ritter (verhandelt nur bei Vollmond ohne anderes Licht und zwar über — die Zerstörung des babylonischen Turmes!)

22. Fürst vom Libanon oder Ritter der königlichen Axt (Fällung der Zedern im Libanon zum Bau der Arche Noahs und der beiden Tempel von Jerusalem).

23. Haupt des Tabernakels (Einsetzung des jüdischen Hohenpriestertums durch Aron).

24. Fürst des Tabernakels (Bau der Stiftshütte).

25. Ritter der ehernen Schlange (aus Anlaß des Schlangendienstes in der Wüste: über die Krankenpflege durch die geistlichen Ritterorden).

26. Fürst der Gnade (über die Bünde Gottes mit den Juden und Christen).

[S. 43]

27. Souveräner Großkommandeur des Tempels (befaßt sich abermals mit den Tempelrittern).

28. Ritter der Sonne (Betrachtung über die Wohltaten Gottes).

29. St. Andreas-Ritter oder Patriarch der Kreuzzüge (bezieht sich angeblich auf die schottisch-stuartistischen Umtriebe).

30. Ritter Kadosch oder Ritter des weißen und schwarzen Adlers (über den Untergang der Tempelritter und Zusammenfassung des ganzen Systems, angeblich mit Bekämpfung des Aberglaubens).

31. Groß-Inquisitor-Kommandeur.

32. Erhabener Fürst des königl. Geheimnisses.

33. Souveräner General-Groß-Inspektor.

Dieser ganze Pomp ist indessen trotz seiner hochtrabenden Namen nur Schein; denn zwei einzige Grade, der 18. und der 30., haben wirkliche Gebräuche; das System hat also tatsächlich mit den 3 alten nur 5 Grade. Die drei obersten beziehen sich bloß auf die Leitung des Ordens.

[5] Nach dem Apostel Andreas, der von Johannes dem Täufer zuerst zu Jesus übergegangen sein soll.

[S. 44]

Zweiter Abschnitt.
Die Bestandteile der Symbolik (Schönheit).

5. Die Zeichen.

Umsonst, daß trocknes Sinnen hier
die heil’gen Zeichen dir erklärt.
Goethe Faust I.

a) Die Erkennungszeichen.

Zeichen zur Erkennung gewisser Eigenschaften von Orten und Personen, zur Mitteilung von Gedanken und zur Aufbewahrung von Dingen verschiedenster Art hatten die Menschen schon seit grauester Urzeit im Gebrauche. Die Tatuierungen bei Völkern geringer Kultur verkündeten den Stamm und die Taten der Leute, auf deren Haut sie eingeätzt waren. Verschiedenfarbige, in Kerben geknüpfte Schnüre hielten im alten Peru die Erinnerung an Tatsachen wach. Krause, Zeichnungen und Malereien an Felsen findet man in allen Erdteilen. Bilder von Gegenständen oder die solche vorstellen sollten, in Ägypten die Hieroglyphen, in Babylonien[S. 45] die Keilzeichen, in China die sonderbaren Silbenzeichen, waren die ältesten Schriften. Diese vereinfachten sich nach und nach, so daß keine Bilder mehr zu erkennen waren. Solche für den Uneingeweihten rätselhafte Zeichen waren die germanischen Runen und sind noch die heute gebräuchlichen Buchstaben aller Sprachen. Zeichen, die nicht zur Gedankenmitteilung dienen, sind die Hausmarken, die das Eigentum an einer Sache, die Künstlerzeichen, die den Verfertiger eines Werkes anzeigen, wohin auch die Steinmetzzeichen an den Arbeiten der Bauleute gehören, sowie die Fabrikzeichen und anderes. Die Logenzeichen erfüllen denselben Zweck, nur daß die Angehörigen sie bloß in den Versammlungen tragen. Die Freimaurerei verfügt aber auch über Erkennungszeichen, die keine Dauer haben und nur zum augenblicklichen Eindruck auf die Sinne des Gesichts, Gehörs und Gefühls bestimmt sind, wie sie schon bei den alten Steinmetzen gebräuchlich waren. Die einfachen dieser Erkennungsmerkmale sind die mit der Hand gegebenen, das Freimaurerzeichen und der Griff oder Händedruck. Die Hand ist überhaupt derjenige Körperteil, der in der Freimaurerei die meiste Anwendung findet. Sie ist das Organ des Schaffens, Gestaltens, Wirkens und Ordnens. Das maurerische Zeichen für das Gesicht besteht in einer Bewegung der Hand am Körper, das für das Gefühl im herzlichen Drucke zweier rechten Brüderhände. Beides verändert sich in gewissem Maße mit dem Übertritt in die oberen Grade. Der Handschlag besiegelt auch außerhalb des Bundes eine Freundschaft,[S. 46] ein Geschäft, einen Vertrag; unter Brrn. ist er ebenfalls eine Bekräftigung der Zusammengehörigkeit. Ja man spricht figürlich von der Hand Gottes, des Schicksals u. s. w. Man bietet die Hand zur Hilfe, ohne daß dies wörtlich gemeint ist. Die offene Hand bedeutet den Frieden, die als Faust geballte den Kampf. Bei den Römern bedeutete Manus die väterliche Gewalt über die Kinder und die des Gatten über die Frau. Noch eine andere Bestimmung hat in der Freimaurerei die Hand, die des Anklopfens, das wieder je nach dem Zwecke und nach dem Grade verschieden ist und das Nahen brüderlichen Besuchs versinnbildlicht.

Umständlicher sind schon die maurerischen Erkennungszeichen für das Gehör, und zwar gibt es da wieder einfachere und verwickeltere. Das einfachere ist das Wort, das ebenfalls mit dem Grade wechselt und unter Umständen buchstabiert wird, um die Eigenschaft als Freimaurer zu beurkunden.

Diese Worte sind alle dem Hebräischen entnommen und haben eine auf das Maurertum übertragene Bedeutung. Wichtiger ist das Wort, das ein Br. als Beteurung oder Versprechen abgibt; es ist so bindend wie irgend eines, das von einem Ehrenmanne gegeben wird, ja noch bindender, weil es unter Brüdern lebt. Ausführlicher sind die als Mittel der Erkennung von Brrn. durch Fragen und Antworten gegebenen Sätze, die den Inhalt der Katechismen aller Grade ausmachen und eine Zusammenfassung aller in diesen erteilten Lehren enthalten. Jedenfalls aber steht über dem Wortlaute der Geist, der durch selbes zum Ausdrucke kommt.

[S. 47]

 
Übersicht:
 
Leitende
Idee
:
der Erkennungs- 
zeichen
:
Soziale
Bedeutung
:
Weisheit.
Wort.
Freiheit.
Schönheit.
Handzeichen.
Gleichheit.
Stärke.
Händedruck.
Brüderlichkeit.

b) Das Not- und Hilfszeichen.

Einzig und allein den Meistern wird ein gewisses Zeichen mitgeteilt, durch das sie in Notfällen von solchen, die es verstehen, Hilfe verlangen können.

Rührende Geschichten werden von Zeit zu Zeit in maurerischen Zeitschriften erzählt, wie dieses Zeichen gewirkt habe und wie schön es sei, so einem Br. helfen zu können! Es liegt dieser Auffassung aber ein Irrtum zu Grunde, der tiefer sitzt als nur im Not- und Hilfszeichen, ein Irrtum, der leider in vielen, wo nicht in den meisten Logen großgezogen wird. Dieser Irrtum besteht darin, daß Freimaurerei und Humanität miteinander verwechselt werden, also Form und Inhalt, gerade wie bei den kirchlich Gläubigen, welche ebenfalls Kirche und Religion verwechseln. Dies bringt die Letzteren dahin, außerhalb ihrer Kirche keine Religion anzuerkennen, so daß sie die Menschen, die nicht ihres Glaubens sind, verachten und sie von Glück und Seligkeit, ja von allen Menschenrechten ausschließen. Gerade so denken und handeln traurigerweise auch die meisten Freimaurer. Alles was die Füße nicht in den r. W. stellt, ist ihnen „profan“. Dieses häßliche und abscheuliche[S. 48] Wort, welches die aufgeblasenste Selbstvergötterung und die empörendste Menschenverachtung bei denen kundgibt, welche die Priester und Apostel der Humanität sein sollen, ist aus unseren Schriften längst verbannt. Wir haben auch dahin zu wirken versucht, daß die deutschen Maurer es überhaupt aufgeben, aber umsonst. Sogar die freisinnigsten Maurerzeitschriften, welche jeden Zopf in der Maurerei unbarmherzig bekämpfen, hängen fortwährend an der Bezeichnung „profan“ für die untergeordnete Menschenklasse, welche die Logen nicht besucht, — mit einem Eifer, der einer besseren Sache würdig wäre. Man sieht daraus, daß diese Maurer die Nichtmaurer gründlich verachten und auf sie mit demselben mitleidigen Hochmut herabsehen, wie die Gläubigen irgend einer Religion auf die Ungläubigen, Ketzer und Schismatiker. Und dies ist wahrlich kein Wunder. Der in den Logen gewöhnlich herrschende Ton erzieht die Brr. förmlich dazu, in den „Aufgenommenen“ eine Art höherer Menschheit anzustaunen. In den meisten freimaurerischen Reden und Vorträgen, die man liest und hört, ist nur von den Pflichten der Brr. gegen Brr. und selten oder nie von denjenigen gegen alle Menschen die Rede. Man hört nur von der Erziehung der Brr. zur Selbsterkenntnis und Selbstveredlung, niemals von derjenigen anderer Menschen. Und so kommt es denn auch, daß in freimaurerischen Kreisen meist allgemein geglaubt wird, der Begriff der Humanität bestehe lediglich in demjenigen der Freimaurerei, diese beide seien identisch oder es gebe keine Humanität außerhalb der Freimaurerei, und die nichtmaurerische Menschheit wisse[S. 49] daher nichts von Humanität. Denn letztere ist eben den hier gemeinten Brrn. nur unter dem Namen der Freimaurerei bekannt und diese haben keine Ahnung, daß sie schon Jahrtausende vor der Existenz des Bundes gelehrt wurde und heutzutage außerhalb desselben viel ausgebildeter ist, viel folgerichtiger und allseitiger geübt wird als innerhalb der Logen. Denn in welcher andern Gesellschaft der zivilisierten Welt werden noch Nichtchristen oder Farbige oder Uneheliche (wie in England) oder Freidenker von der Aufnahme ausgeschlossen? Ja in dem freigesinnten Teile der nichtmaurerischen Welt ist die Humanität bereits eine so selbstverständliche Sache, daß ihrer kaum gedacht wird. Ja sogar ganz dieselben moralischen Lehren, welche die Maurer in Schule und Kirche, wie in nichtmaurerischen Büchern tausend und abertausendmal gehört und gelesen haben, — ganz dieselben einfach menschlichen Regeln, Gebote und Vorschriften halten sie allen Ernstes in der Rechteck für etwas ganz Neues, dem Freimaurerbunde Eigentümliches! Es wäre wirklich unglaublich, wenn es nicht erwiesenermaßen wahr wäre! Mit heiligem Ernste muß man zu hunderten von Malen wiederholen hören, die Rechteck allein sei der heilige Boden, auf welchem sich Männer aller Religionen, Nationen und Stände treffen; man muß es sogar von solchen begeistert ausrufen hören, welche einzelne dieser Menschenklassen vom Bunde ausschließen, — und die große Menge der Brr. denkt nicht daran, daß dasselbe in nichtmaurerischen Gesellschaften in noch viel weitherzigerm Maße der Fall ist!

Und aus diesem dünkelhaften Wahne stammt denn[S. 50] auch das unglückselige Not- und Hilfszeichen. Dasselbe kann und wird niemals einen andern Sinn haben, als daß man nur Brrn. helfen müsse, anderen Menschen aber nicht. Derjenige, der auf das N. u. H. Z. hin helfend eingreift, würde also in demselben Falle nichts tun, d. h. unter Umständen den Betreffenden ruhig zu Grunde gehen lassen, wenn derselbe kein Maurer wäre! Soll das irgend etwas mit Humanität zu tun haben? Steht da der verächtlich behandelte „Profane“ der ohne Zeichen und Ausweis als Mensch hilft, nicht weit höher? Ein Br., der als Soldat den, der das Zeichen macht, schont, den Andern aber niederhaut, — ein Br., der als Lootse ein Schiff mit der dem Zeichen gleichstehenden maurerischen Notflagge[6] (Z. u. W. auf blauem Grunde) rettet, das eines Nichtmaurers aber untergehen läßt, — handelt er aus irgend welchen menschlichen Regungen, aus humanem Pflichtgefühl, und nicht vielmehr aus ungern und zögernd beobachtetem Logengehorsam?

Wir halten daher das N. u. H. Z. für eine ganz inhumane und daher, weil Humanität der Inhalt der freimaurerischen Form ist, auch unmaurerische Erfindung und befürworten die gänzliche Abschaffung dieser ohnehin veralteten und unpraktischen, vor allem aber die Humanität fälschenden und höhnenden Einrichtung.

Ist ein Br. in äußerer persönlicher Gefahr — — und nur diesen Zweck hat das N. und H. Zeichen[S. 51] — so reicht bei sittlich zuverlässigen Menschen der Hilferuf vollkommen aus.

Wir haben nichts mehr beizufügen, als die Hoffnung, die Brr. möchten immer mehr erkennen, daß sie nicht besser sind als andere Menschen, daß niemand das Recht hat, andere als „profan“ zu verachten und daß wir Freimaurer höhere Pflichten und einen höhern Beruf haben, als längst breitgetretene und überall bekannte moralische Lehren immer noch breiter zu treten und zum Überdruß zu wiederholen und uns selbst zu betören, daß damit etwas Verdienstliches geschehe, ohne daß jedoch darin der mindeste Nutzen für irgend jemanden bewirkt wird!

[6] Diese hat indessen noch mehr Berechtigung, indem sie die Nähe von Brüdern anzeigt.

[S. 52]

6. Die Zieraten.

Mit unsern Gunsten, sei’s mit unserm Willen,
der schauen will, was wir verhüllen.
Goethe Faust II.

a) Der Loge.

Unter „Zieraten“ verstehen verschiedene freimaurerische Quellenschriften ziemlich verschiedenes. Im allgemeinen kann angenommen werden, daß unter „Zieraten“ die Ausschmückungsgegenstände der Loge verstanden werden, während man unter „Kleinodien“ die von den einzelnen Brrn. getragenen Verzierungen (Dekorationen, Ornamente) zusammenfaßt. Wir bringen hier beides unter einen Titel, erlauben uns aber, davon dasjenige auszunehmen, was nach unserer Ansicht besser in ein anderes Kapitel fällt, und das um so mehr, als der Name wie gesagt, ohnehin schwankend ist. Meistens ist das, was hier wegfällt, dasjenige, was nach unserer Auffassung eine höhere, ideale und historische Bedeutung hat.

Als Sammelplatz der Logenzieraten, wie auch der nachher zu behandelnden Werkzeuge und Sinnbilder,[S. 53] jedoch in einer nach den Lehrarten verschiedenartigen Anordnung und Zahl, ist der Teppich (Tapis) zu betrachten. In den ersten Zeiten des Bundes wurde in Mitte der Loge, gewissermaßen als ihr verkleinertes Abbild, oder wie man sagte, als solches des Salomonischen Tempels, vor Beginn der Arbeit mit Kohle oder Kreide ein längliches Viereck auf den Boden gezeichnet und nach Beendigung der Arbeit wieder ausgewischt. In der Mitte des 18. Jahrhunderts begann man, um diese mühsame Arbeit zu ersparen, an die Stelle des länglichen Vierecks einen ebenso geformten Teppich zu legen, den man nach den Teppichen der mosaischen Stiftshütte (2. Mos. 26) erklärte. Seit 1761 wurden auf den Teppich je nach dem Geschmacke oder der Lehrart Gegenstände der freimaurerischen Symbolik gemalt, an manchen Orten erst später; hier und da begnügte man sich statt des T. gemalter und zusammengefügter Bretter. Der T. wird auch Lehrlingstafel genannt, weil den Lehrlingen die auf ihm angebrachten Zeichnungen als Sinnbilder von Tugenden und religiösen Ideen erklärt werden.

Das verhältnismäßig junge Alter des T. hat gelehrte Brr., trotz der Verschiedenheit seiner Darstellungen, nicht verhindert, aus diesen tiefe Geheimnisse einer alten Religionslehre herauszulesen. Weil es den Gründern des Bundes, welche insgesamt orthodoxe Christen, und zwar nach englischer Art mit besonderer Vorliebe für das Alte Testament waren, gefiel, den Teppich als Bild des Tempels Salomos zu betrachten, sollte er nach früher allgemein herrschender Ansicht auch aus diesem[S. 54] Bauwerke stammen. Damit aber waren die Brr. M. S. Polak in Amsterdam und Dr. Joh. Leutbecher (1801-1878) in Erlangen noch lange nicht zufrieden. Diese Brr. gehen von den Geheimnissen (Mysterien) einer Urreligion aus, die sich in Indien durch in patriarchalischen Anstalten erzogene Führer ausbildete und von dort aus durch Kolonien nach allen Himmelsgegenden verbreitet wurde, wo dann überall solche Anstalten entstanden, die den Logen ähnlich waren. So kamen sie über Persien und Syrien nach Griechenland und Westeuropa, ja sogar nach Amerika vor dessen Entdeckung, wie auch nach Ägypten und Palästina. Die Fabeln, die in den Schriften der ersten Freimaurer figurieren, werden für bare Münze gehalten und kommen den Teppicherklärern wohl zu statten. So pflanzte sich nach dieser Lehre das, was heute Freimaurerei ist, unter verschiedenen Formen von einer geheimen Gesellschaft auf die andere fort und ist in den heutigen Logengebräuchen ungeachtet mancher Änderungen noch vorhanden. So sieht z. B. Polak den Ursprung der 3 freimaurerischen Reisen in den Reisen Abrahams, Jakobs und Josephs nach Ägypten, wo die Hebräer am rohen Steine gearbeitet und nach Begehung der Wasser-, Feuer- und Gewitterprobe durch Moses die Weihe erhalten haben sollen. An dieser Probe von Konfusion möge es genügen.

Am westlichen Rande des T. befindet sich als Zierrat das sog. musivische (d. h. aus Mosaik bestehende, fälschlich mosaische) Pflaster, das den Vorhof im Tempel Salomos (1. Kön. 6,36) vorstellen und[S. 55] an den Reichtum und die Mannigfaltigkeit der göttlichen Gaben, aber auch an die Wandelbarkeit des menschlichen Glücks erinnern und uns mahnen soll, im Glück demütig und im Unglück stark, allzeit aber hilfreich zu sein gegenüber der Not unserer Brüder.

Das den Osten, Norden und Süden des T. umziehende ineinander geschlungene und mit Fransen gezierte Seil (das an die den Vorhang zum Allerheiligsten im Tempel Salomos dienende Schnur abbilden soll) hat die Bestimmung, alle Brr. zur Ehre Gottes, zur Ausübung der Tugend und zur Wohlfahrt des Menschengeschlechts zu vereinigen und zusammenzuhalten.

Die gezackte Einfassung des T. gilt als Symbol einerseits des die im T. dargestellte Erde umflutenden Weltmeers, anderseits der mannigfaltigen Annehmlichkeiten des Lebens und der im Jenseits zu erhoffenden.

Die Troddeln in den Ecken des T. sollen die vier Haupttugenden der Gerechtigkeit, Mäßigkeit, Standhaftigkeit und Klugheit bedeuten.

Die nur in England auf dem T. abgebildete Jakobsleiter gilt als Sinnbild des Weges zum Himmel. Sie erscheint dort mit 3 Sprossen, während sie nach der Legende vom Traume des flüchtigen Betrügers Jakob, da auf ihr die Engel auf- und abstiegen, deren unzählige haben müßte. An diesen Traum schließt sich der Vertrag Gottes mit Jakob, dem unverdienterweise die noch heute nicht erlangte Weltherrschaft seines Volkes verheißen worden wäre, sofern er (wenn er sich[S. 56] besserte!) die Gebote Gottes getreu erfüllte. Nach dem englischen Ritual ruht die Leiter auf der Bibel, um den Lehrling zu erinnern, daß er nur mit Hilfe der Bibel den Weg zum Himmel finden werde! Die drei Sprossen sollen Glauben, Liebe, Hoffnung bedeuten. Der geistliche Schriftsteller Honorius (um 1100) nahm zehn Stufen (Städte, wie er sie nannte) auf der Himmelsleiter an, die er nach soviel „freien Künsten“ benannte: Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Musik, Geometrie, Astronomie, Physik, Mechanik und Ökonomik (vergl. oben S. 22 die 7 fr. K. u. S. 8 die Ansicht des Celsus vom Mithrasdienste).

Wie im 1. Gr. die Jakobsleiter, so nimmt das engl. System im 2. Gr. die Wendeltreppe aus dem Tempel Salomos (1. Kön. 6,8) als Weg zu Höherem, hier zur Erforschung der Geheimnisse der Wissenschaft an und gibt ihr 3 Stufen (Geburt, Unwissenheit und Lehre) oder 5 (die Ordnungen der Baukunst) oder 7 (nach den Planeten, den Tagen der Woche, den Jahren des Tempelbaues u. s. w.). Die Gesamtheit dieser Stufenzahlen (15) hat ebenfalls sinnbildliche Bedeutung, indem sie bei den in ein Quadrat gestellten 9 Ziffern in jeder Richtung als Summe herauskommt.

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[S. 57]

Zu den Zieraten der Loge zählen wir auch deren Abzeichen. Als Farben der Freimaurerei (in den 3 alten Graden) sind blau (Treue) und weiß (Unschuld) anerkannt. Es kommen auch Farben einzelner Grade und Logen vor, sowie die 4 Farben der Stiftshütte, welche die 4 Elemente bedeuten (weiß die Erde, purpur das Wasser, blau die Luft und scharlach das Feuer). In den Hochgraden spielen noch mehr Farben eine Rolle. Auch freimaurerische Banner oder Fahnen gibt es bei den in Amerika üblichen öffentlichen Aufzügen, in den Hochgraden, in französischen Logen u. s. w., in Deutschland bei Festlichkeiten am Logenhause (blau mit Zirkel und Winkelmaß). Wappen und Siegel haben wohl alle Logen mit einem Sinnbilde oder einer den Namen der Bauhütte ausdrückenden Figur.

b) Der Brüder.

Was die Logenmitglieder außer ihrem gewöhnlichen Anzuge während der Arbeit tragen, wird meist schlechtweg die maurerische Bekleidung genannt. Wenn Schauberg aus diesem Ausdrucke schließt, daß der Schurz, der den wichtigsten und ältesten Teil der maurerischen Bekleidung bildet, ursprünglich die einzige Bekleidung der Menschen gewesen, so ist die Schlußfolgerung überflüssig; man braucht nur die Leute vom Volke auf ägyptischen oder babylonischen Wandbildern (sogar die Könige des Nillandes) und die heutigen Eingeborenen der meisten tropischen Länder anzusehen, um davon überzeugt zu sein. Der Maurerschurz, der seit[S. 58] 1723 bezeugt ist, also wohl schon seit Gründung des Bundes (1717) gebräuchlich war, stammt einfach von den Steinmetzen und ist daher an sich schon ein Nachweis vom wahren Ursprunge der Freimaurerei. Daß er sauberer ist, als jener der Handwerker, hat seinen einfachen Grund im Mangel an rauher Arbeit bei seinem Tragen. Seine weiße Farbe und sein Stoff (Lammfell) bedeuten die Unschuld, mit welcher der Mensch ins Leben tritt (was ja die Aufnahme versinnbildlicht), und die mit den Graden an Umfang zunehmende blaue Verzierung die zunehmende Treue gegen den Bund und seine Grundsätze. Dem pomphaften Wesen der Hochgrade entspricht es, daß diese die Schurze zu einer Art maurerischer Bildergalerie machen.

An manchen Orten gehört auch, oder gehörte früher, aber in den ersten Zeiten des Bundes noch nicht, der aufgesetzte Hut als Zeichen des freien Mannes, wird aber, weil oft lästig, immer mehr weggelassen. Ihn und den Schurz sogar bei der Tafelloge zu tragen, ist eine unnütze, die Heiterkeit störende Quälerei, die, wo sie noch besteht, abgeschafft werden sollte.

Zur maurerischen Bekleidung gehören ferner Bänder, in den alten Graden blaue, an denen die Beamtenabzeichen und die Logenzeichen (diese öfter im Knopfloch) getragen werden; besondere Auszeichnungen fügen Goldstickerei dazu. An Großlogenversammlungen tragen Schurzeinfassungen und Bänder oft die Landesfarbe (in der Schweiz rot und weiß).

Jünger als der Schurz sind die ebenfalls weißen Handschuhe, zum Zeichen, daß die Hände von[S. 59] Schuld rein sein sollen. Außer seinen eigenen erhält der neu Aufgenommene noch ein Paar weiße Frauenhandschuhe, je nach seinem Stande für seine wirkliche oder künftige oder zum Andenken an die hingeschiedene Gattin, womit gezeigt wird, daß die Loge die Ehe hochhält und auch den Schwestern eine gewisse Zugehörigkeit zum Bunde zuerkennt.

Am Sommerjohannisfeste, also in der Zeit der höchsten Blüte des Tageslichtes, einem wahren Lichtfeste, werden den Brüdern frische Rosen ausgeteilt, als Sinnbilder der Jugend, Schönheit, Liebe, Freude und Verschwiegenheit. Diese Bedeutungen hatte die Königin der Blumen schon im Altertum, und schon damals wurde die Zeit des längsten Tages als ein Fest des Sonnengottes gefeiert. Auch der Tag selbst hat seine Bedeutung als derjenige eines Mannes, der einen größeren, den Heiland der Welt, das höchste Licht der Menschheit, verkündet, dessen Geburt, deren Tag unbekannt ist, gerade um ein halbes Jahr früher, an die Stelle derjenigen des Sonnengottes (natales Solis invicti d. h. Geburtstag der unbesiegten Sonne) gesetzt wurde, also in die Zeit, in der die Tage wieder länger werden und eine Zunahme des Lichtes bevorsteht.

Die Rosen waren stets den schönsten Göttinnen geweiht, der ägyptischen Isis, der armenischen Anahita, der griechischen Aphrodite. Diese, den toten Adonis betrauernd, färbt nach der Sage mit ihrem Blute die weiße Rose rot. Adonis selbst, bei den Hebräern Adonai, ist der Herr des Lichtes, den die finstere Zeit[S. 60] tötet und die helle wieder auferweckt. Bei den römischen Festen der Blumengöttin Flora, einer Gestalt der Venus (Aphrodite), trugen die Feiernden Blumen, besonders Rosen. Mit Rosen bekränzte man von der griechischen Zeit bis heute die Gräber, um den Übergang in ein schöneres Leben zu versinnbildlichen und die Friedhöfe (Friedhof ist ein schönes Mißverständnis für Frithof, d. h. eingefriedigter Ort) heißen oft Rosengärten, so auch der Kampfplatz der Nibelungen bei Worms. Maria trat als Rosenbekränzte an die Stelle der abgeschafften Göttinnen.

Als Sinnbild der Verschwiegenheit trugen bei den ägyptischen und griechischen Mysterien (Geheimgötterdiensten) die Neophyten (Neuaufgenommenen) Rosen. Unter einer in einem Kranze aufgehängten Rose (sub rosa) vertrauten sich die Römer und alten Deutschen Geheimnisse an. Das Gebet, das an die Geheimnisse der Religion anknüpft und die dabei dienende Perlenkette wurde „Rosenkranz“ genannt.

Ursprünglich war in den Logen das Tragen eines Degens (oder Schwertes) unbekannt und blieb es auch bis jetzt überall, wo Hochgrade nicht aufkamen und das ältere, das englische System bestehen blieb, so in Deutschland (mit Ausnahme des schwedischen Systems) und in Großbritannien, wohl auch in Nordamerika. In diesen Ländern mußten sogar jene Männer, die nach der Sitte des 18. Jahrhunderts einen Degen trugen, diesen außerhalb der Loge lassen, wie auch heute noch die Offiziere. Schauberg beklagt dies und hält fest, daß die Freimaurer als Kämpfer und Ritter des[S. 61] Lichtes das Schwert tragen sollen. Er begründet dies mit dem Beispiele der alten Götter und Heroen, Könige und Fürsten als Verteidiger ihrer Völker und deren Herden und führt aus, daß das Schwert ein Sinnbild des Lichtes sei.

All dies hat nichts mit dem Tragen einer Waffe in der Loge, die ein friedheiliger Ort ist, zu tun. Angriffe auf die Loge sind ausgeschlossen, und zu einer Verteidigung genügte nicht das Schwert, sondern gehörten auch Übung, Taktik und Schießgewehre. Seitdem und überall wo die Freimaurer nicht mehr Ritter spielen, bedürfen sie des Schwertes nicht. Wir sollen mit dem Geiste kämpfen.

[S. 62]

7. Die Werkzeuge.

Niemand soll und wird es schauen
was einander wir vertraut;
denn aus Schweigen und Vertrauen
ist der Tempel aufgebaut.
Br. Goethe, Logenlieder.

a) Die symbolischen Hauptwerkzeuge.

Das hauptsächlichste sinnbildliche Werkzeug ist in der Freimaurerei nach unserer Auffassung der Hammer, weil er als Zeichen der Macht, nur den vorsitzenden Meistern zukommt. Er war auch, in den Urzeiten der Menschheit aus Stein geformt, das älteste Werkzeug ja schon von der Natur in der geballten Faust am schwingenden Arme vorgebildet. Er war bei den alten Germanen das Abzeichen ihres ältesten Gottes Thor oder Donar und hatte bei ihm dieselbe Bedeutung wie der Donnerkeil in der Hand des griechischen Obergottes Zeus (bei den Römern Jupiter). Der Hammer spielte im Kriege (als Streithammer) sowohl als im Frieden, wo ihn die nützlichen Handwerker führten, seine Rolle, und Schauberg vergleicht die drei hammerführenden Meister, den Meister vom Stuhl und die beiden Aufseher oder Vorsteher mit den Götterdreiheiten[S. 63] der alten Religionen; dieselben vertreten auch die drei Pfeiler der Freimaurerei: Weisheit, Stärke und Schönheit. Der Hammer ist daher das Sinnbild der Macht, und zwar für uns Freimaurer der Macht, Gutes zu tun und Edles zu vollbringen. Man darf ihn daher auch ein Attribut des höchsten Lichtes, des A. B. d. W. nennen; denn er gehört besonders dem Baumeister. Schon vorchristliche Zeit ahnte in dem Demiurgos den einzigen, den allmächtigen Schöpfer. Äußerst zahlreich sind die Beispiele hammerführender Halbgötter und Heroen, wie der Kabiren, der uralten griechischen Werkmeister. Auch christlichen Heiligen wurde der Hammer in die Hand gegeben und der Papst selbst führt ihn, wenn er bei Eröffnung eines Jubiläums an die goldene Pforte der Peterskirche klopft, in die dann eine Öffnung gebrochen wird. Es ist wahrlich nicht zuviel, wenn wir ihm die Spitze der Dreiheit einräumen, die er mit Winkelmaß und Zirkel bildet.

Wie der Hammer den vorsitzenden, so gehören Winkelmaß und Zirkel zusammen den übrigen Meistern, das Winkelmaß allein den Gesellen und der Zirkel allein den Lehrlingen. Das Winkelmaß ist das Zeichen oder Sinnbild des zweiten der drei höchsten Lichter, des Gewissens, dieses Vermittlers zwischen Gottheit und Menschheit. Im alten Ägypten war es Osiris, der Totenrichter, der es trug. Die Pythagoreer hielten es als das Maß des Raumes, der Zeit und der Zahl hoch. Es soll in der Freimaurerei zunächst den Gesellen lehren, das rechte Maß zu halten und die Meßkunst, d. h. Lebenskunst zu erlernen. Seine[S. 64] rechtwinklige Form lehrt den Maurer, alles rechtwinklig, d. h. redlich und gewissenhaft zu betreiben, überhaupt gewissenhaft zu leben, das richtige Maß zwischen Freiheit und Ordnung zu finden, weder in Zuchtlosigkeit, noch in Untertänigkeit zu verfallen. Die Hellenen fanden zuerst das richtige Maß in Kunst und Leben, und bei den alten Deutschen war die „Maße“ die Richtschnur des Verhaltens. Die beiden Arme des Winkels weisen auf Recht und Pflicht hin, die stets in einem rechten Winkel, d. h. im richtigen Verhältnis stehen sollen; denn das Winkelmaß läßt nichts Ungleichmäßiges zu. Es lehrt daher auch das echt maurerische Verhalten unter den Brrn. und berührt sich hierin mit dem Zirkel.

Der Zirkel beschreibt den Kreis und ist daher das Sinnbild eines Kreises von Menschen im allgemeinen und von Brüdern im besonderen. Er wird deshalb zur feierlichen Aufnahme in den Bund und zur Beförderung in die beiden höheren Grade verwendet. Er ist somit ein Sinnbild für die Menschheit, als drittes höchstes Licht, und zugleich für die Brüderschaft. Der von ihm beschriebene Kreis ist die vollkommenste Figur, da er weder Anfang noch Ende hat und überall vom Mittelpunkte gleich weit entfernt ist, daher er auch die Ewigkeit bedeutet. Der Zirkel ist ferner Sinnbild nicht nur einer Gemeinschaft überhaupt, sondern auch einer möglichst vollkommenen tadellosen Gemeinschaft. Wie die beiden Arme des Winkelmaßes, so müssen auch die beiden Schenkel des Zirkels das Gleichgewicht zwischen Recht und Pflicht bedeuten. Da aber[S. 65] der Kreis geschlossen ist, so zeigt er auch, daß Recht und Pflicht ihre angemessenen Grenzen haben.

Endlich ist der Zirkel auch ein Bild der Ordnung im Weltall, in dem sich alle abhängigen Gestirne, Monde und Planeten, im Kreise (genauer in der kreisähnlichen Ellipse) um ihre Richtkörper (Planeten und Sonnen) bewegen, während zudem alle Weltkörper kugelförmig sind, also ihr Durchschnitt wieder einen Kreis (oder eine Ellipse) bildet.

So umfassen Hammer, Winkelmaß und Zirkel gewissermaßen im Bilde die gesamte unsichtbare und sichtbare Welt, die äußere sowohl als die innere des Menschen.

b) Die Nebenwerkzeuge.

Den drei Hauptwerkzeugen entsprechen weitere von untergeordneter Bedeutung, die aber doch in der Freimaurerei Beachtung genießen.

Dem Hammer zunächst steht der Spitzhammer (oder Pickel?), von dem gesagt wird, er werde vom Lehrling geführt, um den rohen Stein zu bearbeiten, d. h. an sich selbst Besserung zu üben. Die nämliche Bestimmung hat der Meißel, aber in etwas höherer Auffassung. Das Gemüt des Menschen wird, wo von ihm die Rede ist, einem ungeschliffenen Diamanten verglichen, dessen leuchtender Kern durch die Arbeit mit dem Meißel zutage treten soll. Es ist damit die Erziehung gemeint, durch welche die verborgenen Tugenden geweckt werden sollen. Der Meißel ist aber auch das[S. 66] Werkzeug des Künstlers, der mit ihm aus einem rohen Block ein wundervolles Werk hervorzaubern kann.

Dem Winkelmaß am nächsten steht das Senkblei. Es dient, vermöge des Gesetzes der Schwere dazu, ein Bauwerk senkrecht aufzuführen, trägt also zu dessen Geradheit und Festigkeit bei, wofür das sittliche Gleichnis sich von selbst ergibt. Das Winkelmaß und das Senkblei bilden in der Logensprache mit der Wasserwage (auch Bleiwage oder Richtscheit genannt) die 3 beweglichen Kleinodien der Loge. Die Wasserwage dient dazu, die Steine aneinander zu fügen, so daß sie eine wagerechte Ebene bilden, sie ist daher ein Sinnbild der Gleichheit, die unter allen Brrn. in Rechten und Pflichten herrschen soll, des moralischen Gleichgewichts unter ihnen. Sie ist das Abzeichen des ersten Aufsehers, wie das Senkblei das des zweiten und das Winkelmaß das des Meisters vom Stuhl.

Dem Zirkel nahe (weil auch dieser zum Messen dient) steht der Maß- oder Zollstab, auch der 24zöllige genannt und als Werkzeug des Lehrlings (neben dem Spitzhammer) bezeichnet. Seine 24 Zolle (also 2 engl. Fuß) bedeuten die 24 Stunden des Tages und der Nacht, die in 4 Teile zu je 6 Stunden eingeteilt sein sollen, nämlich 6 zur Arbeit, 6 zum Gottesdienst, 6 zum Freundes- oder Bruderdienst und 6 zum Schlafe. Natürlich ist das wörtlich zu nehmen unmöglich und soll nur den hohen Wert dieser 4 Beschäftigungen dartun, den Maurer an gute und nützliche Verwendung und Einteilung seiner Zeit mahnen. Die Einteilung des Tages in 24 Stunden war schon[S. 67] den Ägyptern und nach ihnen den Griechen bekannt und ist später allgemein geworden. Das Duodezimalsystem beherrschte auch das Leben der Assyrer und Babylonier, und die Stundenzahl des Tages hängt mit den 12 Monaten des Jahres, deren 3 auf eine der 4 Jahreszeiten kommen, also auch mit den zwölf Sternbildern des Tierkreises zusammen. Eine Teilung des Tages in 4 Teile zu 6 Stunden hat auch das schwedische System; sie werden Wachen genannt und heißen, von 6 Uhr früh an gerechnet, Mittag, Hochmittag, Mitternacht und Hochmitternacht. Die 6 Stunden jeder Wache entsprechen den 6 Werktagen der Woche.

Ein für sich, ohne Dreiheit, bestehendes Werkzeug der Freimaurerei ist die Kelle. Sie wird als Sinnbild der Freimaurerei und der Arbeit im allgemeinen betrachtet und oft als Logenzeichen verwendet. Da sie zum Streichen des Mörtels dient, bedeutet sie festes Zusammenhalten, harmonische Ausbildung der Kräfte und treue Pflichterfüllung. Sie mahnt, ihrem Zwecke gemäß, zur Fernhaltung schädlicher Einflüsse vom Bunde und von den Brüdern. Nach einer Lehrart soll die Kelle des Lehrlings unpoliert, die des Gesellen aber poliert sein, um den Fortschritt dieses Grades in der Ausgleichung der Gegensätze zu bezeichnen.

Als „unbewegliche“ Kleinodien der Loge, richtiger als Arbeitsgebiete der Freimaurer werden bezeichnet: der rohe Stein, das des Lehrlings, der behauene oder kubische Stein, das des Gesellen, und das Reißbrett, das des Meisters. Die Arbeit an rohen Steinen[S. 68] bedeutet die Selbsterkenntnis, die Selbstbeherrschung und die Selbstveredlung. Ihr Zweck ist die Entfernung aller Rauheiten und Unebenheiten des Verstandes, Herzens und Charakters, die Befreiung von Vorurteilen und Irrtümern, das Emporheben zum Schönen, Guten und Wahren; um ein würdiges Glied der Bruderkette und Menschheit zu werden. Geschieht dies, so wird der rohe Stein zum Quaderstein, der sich zur Einfügung in den Bau, in den Tempel der Humanität eignet. Es geht dies nicht nur den Freimaurerlehrling und Gesellen an, sondern den Menschen überhaupt; er bedarf einer solchen Vervollkommnung und wäre er auch Meister. Auch am behauenen Steine ist noch Arbeit notwendig. Es gilt die ausgearbeiteten Flächen noch zu glätten, d. h. in der Selbstzucht Fortschritte zu machen, zur Kenntnis der Künste und Wissenschaften vorzudringen. Meister sein und auf dem Reißbrette arbeiten kann nur, wer, gleich einem geglätteten Steine, sich als fähig erwiesen hat, ein tüchtiger Bestandteil des Baues zu sein. Auf dem Reißbrett entwerfen die Meister „mit dem Maßstabe der Wahrheit, dem Winkelmaß des Rechts und dem Zirkel der Pflicht“ den Plan, dem der Bau folgen muß, um sicher zu stehen und Wohlgefallen hervorzurufen. Wie der A. B. d. W. den Plan zum Weltgebäude entwarf, so soll der Mensch den Plan zu einem wohltätigen und fruchtbaren Leben entwerfen. —

[S. 69]

Übersicht:
Ideale:
Weisheit.
Stärke.
Schönheit.
Grade:
Meister.
Geselle.
Lehrling.
Hauptwerkz.:
Hammer.
Winkelmaß.
Zirkel.
Nebenwerkz.:
Pickel,
Meißel.
Wasserwage,
Senkblei.
Zollstab.
 
geschweifte       Klammer nach unten über drei Spalten
 
Arbeit = Kelle = Maurerei.
 
geschweifte       Klammer nach unten über drei Spalten
Arbeitsfelder:
Reißbrett.
Quaderstein.
Roher Stein.
Tugenden:
Selbstver-
edlung.
Selbstbe-
herrschung.
Selbster-
kenntnis.

[S. 70]

8. Die weiteren Sinnbilder.

Komm, hebe dich zu höhern Sphären!
Wenn er dich ahnet, folgt er nach.
Goethe, Faust II.

Zu höheren Sphären erheben uns jene freimaurerischen Sinnbilder, die nicht bloß Zeichen, Zieraten oder Werkzeuge, wenn auch von noch so sinnvoller und tiefer Bedeutung, sind, sondern Werke, Begriffe und Ideen vertreten, die in der Geschichte und den Idealen der Menschheit begründet sind, die aber tief geahnt und richtig verstanden werden müssen, um den strebenden Menschen zur Nachfolge anzufeuern. Diese Sinnbilder sind nicht der Baukunst, nicht der Freimaurerei selbst entnommen, sondern beruhen teils auf großartigen Tatsachen der Kulturgeschichte, teils auf erhabenen Idealen der Menschheit. Es sind teils längst ihres Zweckes enthobene, wenn auch noch vorhandene, teils noch heute in Kraft und Blüte bestehende, teils endlich hehren Erwartungen künftiger Zeiten entsprechende Erscheinungen oder Gedanken.

[S. 71]

a) Sinnbilder der Vergangenheit.

Vergangenheit ist genau genommen alle Zeit, die bis auf diesen Augenblick verflossen ist. Die Geschichte fliegt aber nicht mit Windeseile wie der flüchtige Augenblick, sondern schreitet langsam und bedächtig vorwärts; daher behält vieles, vielleicht sehr vieles, was im wörtlichen Sinne vergangen ist, für uns seine Gegenwart. Was für diese durchaus vergangen ist, liegt weit hinter uns zurück, Jahrhunderte, ja Jahrtausende. Verschwunden bis auf steinerne Spuren, sind für uns die einst blühenden Reiche am Nil, am Tigris und Euphrat, die einst riesigen und prachtvollen Königsstädte Theben und Memphis, Ninive und Babylon, und ihre, bisher von Sagen und Fabeln überwucherte Geschichte mußte mühsam aus jenen steinernen Spuren ausgegraben und durch die geistvolle Entzifferung der Hieroglyphen und Keilschriften aufgehellt werden. Für die Freimaurerei kommt indessen hier nur Ägypten in Betracht, von dessen steinernen Überresten einige zu Sinnbildern des Bundes geworden sind, denn die kurze Erwähnung des Babylonischen Turmes in einer alten freimaurerischen Schrift hat zu keinem Sinnbild Anlaß geboten. Hingegen ist Ägypten in mehrfacher Hinsicht für unsern Bund von Bedeutung, nicht wegen der Phantasien, welche die Brr. Polak, Leutbecher und Schauberg verleitet haben, den Ursprung unseres Bundes dort oder noch weiter zurück zu suchen, sondern wegen der Ähnlichkeiten, die der Bund mit den Mysterien der ägyptischen Priester darbietet, die jedoch[S. 72] durch Verschiedenheiten zwischen beiden weit überwogen werden.[7]

Unter den Denkmälern des Nillandes, die hier und da in freimaurerischen Logen und Graden Verwendung gefunden haben, sind die ältesten und großartigsten die Pyramiden. Die größten und berühmtesten dieser kolossalen Bauten sind die drei in Giseh bei Kairo zum Himmel ragenden. Sie stammen aus der Zeit der vierten Pharaonendynastie, deren Herrschaft wahrscheinlich um das Jahr 3250 vor Chr. begann. Die größte baute Chufu (griech. Cheops), die zweitgrößte sein Nachfolger Chafra (Chefren), die dritte dessen Nachfolger Menkaure (Mykerinos). Nach diesem geriet der Pyramidenbau bereits in Verfall. Neuerdings will man entdeckt haben, daß diese Denkmäler astronomische Zwecke hatten, indem sie genau nach den Himmelsgegenden gerichtet sind. Anderson, einer der älteren Freimaurer, brachte sie bald nach der Entstehung des Bundes mit diesem in Verbindung, daher ihre Gewalt noch hie und da in Logen Verwendung findet. Sie eignen sich in der Tat zu einem Sinnbild solider in sich festgefügter Stärke des Willens.

Jünger und kunstvoller als die Pyramiden sind die Obelisken (d. h. „kleine Spieße“), vierkantige, langgestreckte, aus einem Stein gehauene, von unten nach oben schmäler werdende und auf dem Gipfel eine kleine Pyramide tragende, zum Schmucke der Tempelhöfe[S. 73] dienende Säulen. Auch diese erscheinen bisweilen als Sinnbilder schönen, harmonisch geordneten Bauens.

Ebenfalls jünger, aber durch Nachbildung des Lebens und bedeutungsvollen Charakter hervorragend sind die Denkmäler des Nillandes und, von dort her eingeführt, auch anderer Länder, die den Namen Sphinx tragen, aber in Ägypten männlich, in Asien und Griechenland und daher auch anderswo weiblich gebildet sind. Ein Männer- oder Frauenkopf mit Brust gleicher Art ruht auf einem bisweilen geflügelten Löwenleibe. In Ägypten bildeten die Sphingen ganze Alleen, die zu den Tempeln führten; das bekannteste und am besten erhaltene, wenn auch stark beschädigte Bild dieser Art ist das bei der zweiten Pyramide ausgegrabene, aus dem Felsengrund gehauene Bild des Gottes Harmachis, einer Gestalt des Sonnengottes. Es war dort Sinnbild der Stärke und Weisheit, wozu in Hellas noch das der Schönheit kam — aber auch des Geheimnisvollen und Rätselhaften. Diesen Charakter hat die Sphinx auch in Europa behalten, wo sie überall weibliche Gestalt hat. Wenn auch nicht gerade als anerkanntes freimaurerisches Symbol, so wird sie doch in Logen, am Eingange solcher, auf Siegeln und Denkmünzen vielfach dargestellt und trägt einen schönen, aber ernsten und geheimnisvoll blickenden Frauenkopf.

Wir verlassen diese Vergangenheit als ein Reich der Mysterien und des Rätsels.

[S. 74]

b) Sinnbilder der Gegenwart.

Die Gegenwart im kulturgeschichtlichen Sinne, d. h. der Inbegriff der Kulturschöpfungen, die für uns jetzt noch Wert und Bedeutung haben, ist wie gesagt kein flüchtiger Augenblick, ja nicht nur die sog. neuere oder neueste Zeit, sondern ein mehr als zweitausendjähriger Zeitraum. Er beginnt mit dem Verfalle jener Reiche, die für uns Vergangenheit sind, weil wir von ihnen keine Kulturschätze bewahrt haben, und mit dem Beginne neuer Ideen, die althergebrachten abergläubigen Vorstellungen zuleibe gingen. Das geschah um die Zeit von 500 vor Chr., als Ägypten und Babylon ihre Selbständigkeit und ihren alten Charakter verloren, und wie auf einen Schlag in den verschiedensten Ländern Geister wie Kongfutse, Buddha, Zarathustra und Pythagoras neue Wege einschlugen und die Götzen der alten Versunkenheit in dumpfen Wahn niederwarfen. Eine Periode von vier bis fünf Jahrtausenden endete, und eine neue begann. Wie lange wird sie dauern?

Etwa ein halbes Jahrtausend vor Christi Geburt ist die Bibel (d. h. vorläufig die Hauptteile des A. T.) in ihrer heutigen Gestalt abgeschlossen worden. Ihre noch heute fortdauernde Hochschätzung berechtigt uns, mit diesem Zeitpunkte die Gegenwart im weitesten Sinne zu beginnen. Allerdings ist diese Hochschätzung nicht immer die gleiche geblieben. In sehr vielen Kreisen zwar wohl; aber in den ebenfalls weiten der unabhängig Denkenden ist die Bibel von „Gottes Wort“, das früher ihre allgemeine Bezeichnung war, zu einer[S. 75] durchaus menschlichen Büchersammlung zurückgegangen. Dazu haben zweierlei Umstände beigetragen, einerseits der Widerspruch gegen den Zwang, mit dem das Ansehen der Bibel den Menschen aufgedrängt wurde (und jeder Zwang erzeugt in nicht sklavischen Seelen Widerspruch), und anderseits die Tätigkeit der historisch-kritischen Wissenschaft im Laufe des 19. Jahrhunderts, deren Träger über jedem Verdacht einer schlimmen Absicht erhaben sind und deren Charakter makellos dasteht. Wem diese Vorgänge Schmerz verursachen, der vergißt, daß die ganze Bibel auch dem Gläubigsten nicht mehr absolute Autorität ist. Für den Christen hat die mosaische Gesetzgebung im 3. bis 5. Buche des Pentateuch schlechterdings nicht mehr Gewicht als für den Juden das Neue Testament. Aber noch mehr! In jüngster Zeit haben die orthodoxesten Theologen und ihr Anhang in vielen Punkten des Bibelglaubens Zugeständnisse an die Kritik gemacht, so daß ihnen Stellen, die mit der Wissenschaft unvereinbar sind, nicht mehr als Wahrheit, sondern nur noch als bildliche Einkleidung religiöser Gefühle erscheinen, — sogar auf katholischer Seite.

Der Begriff der wörtlichen Offenbarung ist ohnehin stets streitig gewesen, und es wird auch auf bibelgläubiger Seite vielfach zugegeben, daß Abschriften, Übersetzungen, streitige Lesarten und Mißverständnisse im Laufe der Zeit viele Änderungen des ursprünglichen Textes herbeigeführt haben. Der Verfasser verwahrt sich übrigens ausdrücklich gegen den Verdacht, als wisse er die Bibel nicht zu schätzen. Von mehreren Teilen[S. 76] ist dies in hohem Maß der Fall, von anderen freilich nicht, und zwar aus guten Gründen.

Religiöse Streitigkeiten sind im Schoße der Freimaurerei ausgeschlossen; da nun aber tatsächlich die Bibel mit der Loge in Zusammenhang gebracht worden ist, war dieser Gegenstand hier nicht zu umgehen.[8]

Und wie verhält es sich nun mit diesem Zusammenhange?

Die Fragestücke 17 und 18 des Lehrlings-Katechismus lauten:

17. Welches sind die 3 großen Lichter der Freimaurerei? — Bibel, Zirkel und Winkelmaß.

18. Wie erklären Sie solches? — Die B. ordnet und richtet unsern Glauben, das W. unsere Handlungen, und der Z. bestimmt unser Verhältnis gegen alle Menschen, insbesondere gegen unsere Brüder.

Diese Fassung und Zusammenstellung ist schlechterdings unhaltbar. B., W. und Z. können unmöglich in ihrer Wirkung zusammengestellt werden; denn die B. hat einen bestimmten Wortinhalt, W. und Z. aber nicht. Es wird nicht genau gesagt werden können, wie unsere Handlungen und unser Verhältnis gegen die Menschen und Brr. beschaffen sein sollen; es ist dies dem Gefühl und Gewissen der Einzelnen zu überlassen. Kommt aber die Bibel dazu, so hat[S. 77] dies ein anderes Gesicht. Die B. sagt genau (Mißverständnisse vorbehalten), was geglaubt werden soll.

Nach den Grundsätzen der Freimaurerei können von den Brüdern gute Handlungen und ein treues Verhältnis zu den Brrn. verlangt werden, ein bestimmter Glaube aber nicht. Der Freimaurer-Bund ist keine Glaubensgenossenschaft, am wenigsten eine solche zur Pflege eines wörtlich festgelegten Glaubens. Es herrscht daher gegenwärtig die Auffassung vor (Handb. der Freimaurerei, Art. Bibel): da die B. mit W. und Z. zusammengestellt und diese beiden der Freimaurerei nur bildlich zugeeignet sein können, so könne auch die B. nur vorwiegend symbolische Bedeutung haben. Sie sei das Sinnbild wahrer Religiosität und Frömmigkeit, einer Religion, in der alle Menschen übereinkommen, wenn sie auch verschiedenen Bekenntnissen angehören. Wenn nun aber weiterhin zugestanden wird, daß der Jude an ihrer Stelle als Sinnbild das bloße A. T., der Mohammedaner den Koran, der Hindu die Vedas u. s. w. setzen könne, was alles entschiedene Glaubensbücher sind, wie ist da derjenige Christ, der den Glauben an viele oder die meisten Teile der B. verloren hat, oder vollends der Freidenker, dem sie nur ein Teil der Weltliteratur ist, gestellt? Es ist damit wieder gesagt, daß eben doch der Freimaurer verpflichtet sei, einen bestimmten religiösen Glauben zu haben. Das ist er aber nicht; sein Gewissen ist seine Religion, und wie diese beschaffen sei, darüber ist er keine Rechenschaft schuldig. Das Ritual unserer Loge verbietet sogar, den Aufzunehmenden bei[S. 78] Angabe seiner Personalien nach seiner Konfession zu fragen. Ein freier Mann von gutem Rufe kann keine schlechte Religion haben, kann auch keinem rohen und frivolen Atheismus huldigen. Wie er sich den A. B. d. W. vorstellt, ist seine eigene Sache. Unsere Loge hat daher auch das Gelübde auf die Bibel aufgegeben und nur ein solches auf Ehre, Tugend und Bruderliebe beibehalten. Daß dagegen eine andere Loge an die Stelle der B. ein weißes Buch, mit der Aufschrift „Gott“ gesetzt hat, entzieht sich unserem Urteil, da es ausschließlich Sache ihrer Brüderschaft ist.

Wir haben oben als höchste Lichter der Freimaurerei, wie es auch unsere Loge getan, die Gottheit, das Gewissen und die Menschheit mit den Sinnbildern des Hammers, des Winkelmaßes und des Zirkels vorgeschlagen. Und die Bibel? Sie soll nicht ignoriert werden. Sie soll ein Sinnbild bleiben, aber nicht das unseres Glaubens, der unabhängig sein soll, sondern das Sinnbild einer kulturgeschichtlichen Periode, derjenigen, in der auch wir leben, aber mit der Hoffnung, daß nach und nach an die Stelle der bisherigen Bibel, die ja neben viel wunderbar Schönem auch viel Schwaches und Anfechtbares enthält, eine neue treten werde, nicht als Organ einer Kirche, sondern der Menschheit, und diese neue Bibel müßte das beste und schönste aus der gesamten Weltliteratur, mit Einschluß des besten und schönsten aus der bisherigen Bibel enthalten,[9] und zwar[S. 79] nicht nur religiöses (das Hohe Lied ist dies ja auch nicht), sofern auch alles was würdig ist, der Menschheit zur Richtschnur zu dienen. —

In den Hochgraden gibt es, wie schon die Titel der schottischen Grade und ihr sog. Arbeitsfeld (oben S. 41 ff.) zeigen, eine Menge Erinnerungen an das A. T., so besonders an die Stiftshütte in der Wüste, die aber von der Rolle, die der Tempel Salomos schon in der älteren Freimaurerei spielt, weit überragt wird, wie überhaupt viel auf den König Salomo bezügliches in den Logen vorkommt. So Salomos Siegel, als Sinnbild der Verschwiegenheit, nach einer Stelle der seinen Namen tragenden Sprüche, die ermahnt, Mund und Zunge zu bewahren. Salomos Siegelring gilt als ein Zaubermittel, sich die Geister dienstbar zu machen und als ein Sinnbild der Weisheit. Salomos Thron kommt im Konstitutionenbuche Andersons als Stuhl des Großmeisters vor. In demselben Buche wird Salomos Tempel als der Ausgangspunkt der Freimaurerei bezeichnet; denn er habe, sagt die altfreimaurerische Sage, unter seinen Aufsehern und Arbeitern die ersten Logen gestiftet und selbst als Großmeister gewirkt, wie der Baumeister Hiram Abif als zugeordneter Großmeister, was natürlich reine Erdichtung ist. Schon im 17. Jahrhundert wurde die Kirche unter dem Bilde des salomonischen Tempels gedacht, und Comenius, der Vorläufer der Freimaurerei, kleidete unter diesem Bilde seine Idee einer allgemein menschlichen (zugleich christlichen) Gesellschaft ein, die jedoch, da es sich um einen israelitischen, von einem Heiden[S. 80] (Hiram aus Tyros) gebauten Tempel handelte, nicht ausschließlich christlich sein konnte, sondern als Vorbild einer konfessionslosen, rein humanen Freimaurerei verstanden sein muß. Die drei Teile des Tempels, der Vorhof, das Innere und das Allerheiligste, konnten als Vorbedeutungen der drei Grade, die länglich viereckige Gestalt des Tempels als Vorbild der Loge gelten, und so gibt es noch viele Analogien, besonders in den Zahlenverhältnissen, so daß es nicht unwahrscheinlich ist, daß die Gründer der ersten Großloge (der von England) den Tempel Salomos als Vorbild für die Loge benutzten.[10]

Der Räucheraltar im Innern des salomonischen Tempels hat ohne Zweifel mit seinen Leuchtern als Vorbild der christlichen Altäre gedient. In der Freimaurerei kommt erst in den Anfängen der sog. schottischen Hochgrade (Mitte des 18. Jahrh.) an Stelle des Tisches des Meisters vom St. (der anfangs ebenfalls nicht vorhanden war) ein Altar vor, der diesen Namen aber erst gegen Ende des 18. Jahrh. allgemein erhielt. Einen gottesdienstlichen Charakter trägt er nicht, wohl aber einen dreiarmigen Leuchter und wo diese gebraucht wird, die Bibel und andere Sinnbilder, und dient zum Gebete und zur Ablegung des Gelübdes. Hier und da breitet sich über ihm ein Baldachin als Sinnbild des Himmels. Hauptsächlich aber bezeichnet[S. 81] er, zu dem 3 Stufen emporführen, den Ort, von dem aus die Loge geleitet wird.

Mit der Bibel und dem Altar bilden die Säulen eine Dreizahl heiliger Dinge in der Loge und kommen selbst wieder in dreierlei Zahl vor.

Eine einzige Säule zeugt von verschwundener Pracht“,[11] d. h. das Bild einer oben abgebrochenen Säule am Altar der Loge im Lehrlingsgrad des rektifizierten Systems, mit der Inschrift „Adhuc stat“ (noch steht sie) versinnbildlichte ursprünglich den Untergang des Templerordens; in der Freimaurerei will sie sagen, daß ein edles menschliches Gebilde, wenn auch zum Teile gebrochen, doch unerschütterlich fortbestehe.

Zwei Säulen stehen auf beiden Seiten des Eingangs zur Loge. Sie haben zu Vorbildern zwei eherne Säulen vor der Vorhalle des salomonischen Tempels; sie waren 18 Ellen hoch und trugen jede ein kupfernes Kapitell von 5 Ellen Höhe mit Schmuck von Lilien und Granatäpfeln. Zur Stütze dienten sie nicht, sondern nur zur Verzierung. Nach 1. Kön. 7,15-21 hießen sie, die zur Rechten Jachin (der Herr wird dich aufrichten) und die zur Linken Boas (in ihm [Gott] ist es stark oder: der Herr wird dich stärken). Dem Wortlaute gemäß ist in der Loge die erste der ein verkleinertes Abbild ihrer Vorbilder bildenden 2 Säulen dem Lehrlings- und die zweite dem Gesellengrade gewidmet. In vielen Lehrarten haben bei ihnen die beiden Aufseher oder Vorsteher ihren Platz. Die beiden Säulen stehen[S. 82] auch, ohne Stützen zu sein, im Dome zu Würzburg. Ob sie auch ein Vorbild der 2 Türme vieler Dome waren, wollen wir dahin gestellt sein lassen.

Drei Säulen oder Pfeiler der Loge, die den Tempel der Humanität stützen, werden die drei Ideen Weisheit, Stärke und Schönheit genannt. „Weisheit entwirft, Stärke führt uns und Schönheit ziert.“ Dargestellt werden sie einmal durch die drei obersten Beamten, den M. v. St. und die beiden A. oder V., und sodann durch die drei Pfeiler, in der Mitte der Loge, die drei Kerzen tragen, durch welche die Loge erleuchtet wird, und den Teppich umstehen, indem sie einen rechten Winkel bilden. Oft wechselt übrigens die Stellung der Pfeiler sowohl als der beiden Ideen der Stärke und Schönheit unter sich; bald nimmt jene den zweiten, diese den dritten Rang ein, den ersten aber immer die Weisheit.

Dreierlei Säulen hatten die alten Griechen, die sich mit den drei freimaurerischen Idealen vergleichen lassen: die dorische mit der Stärke, die ionische mit der Weisheit und die korinthische mit der Schönheit. Auch die neuere Zeit (vom Mittelalter an) weist drei hauptsächliche Kunststile auf: den romanischen, den gotischen und den der Renaissance, die sich wieder in eine Früh-, Hoch- und Spätrenaissance gabelt.

Aus dem N. T. kommt in Hochgraden das Kreuz in verschiedenen Gestalten (Τ, +, ⧧, ×) und kommen die Namen Tabor und Golgatha vor, deren Bedeutung keiner Erklärung bedarf.

Bibel, Altar und Säulen sind also die Sinnbilder[S. 83] der Gegenwart in der Freimaurerei; mit ihnen ist der Mystizismus der Vergangenheit, d. h. deren unsicheres, dunkles Tasten nach den Geheimnissen des Lebens (oder der Aberglaube) zur Mystik, d. h. zum bewußten Streben nach ihrer Lösung (oder zur Religion) übergegangen. Weiter, höher hinauf (Excelsior) muß die Zukunft führen.

c) Sinnbilder der Zukunft.

Aufgabe der Zukunft, deren Beginn wie bereits gesagt, nicht im nächsten Augenblick, sondern in ungeahnten Fernen liegt, muß es sein, aus bisherigen Dunkelheiten zur Klarheit, aus aufgedrängtem Glauben zur Gewissensfreiheit und aus dem mystischen Tasten zu bestimmteren Vorstellungen von dem zu kommen, was uns noch Mysterium ist. Dann wird das, was die Religion bisher erfolglos anstrebte, die geistige Einheit der Menschheit, unter dem Banner der Humanität erfochten werden.

Dieses hehre Ziel hat nach unserer Auffassung zum Sinnbilde den flammenden Stern, das höchste und herrlichste, wiewohl bisher noch wenig verstandene Symbol der Freimaurerei. Sein Bild entwickelte sich aus der in der königl. Kunst überall sich wiederholenden Dreizahl. Das gleichseitige Dreieck oder der Triangel, dessen Winkel zwei Rechten gleichkommen, bedeutete in verschiedenen Religionen die Gottheit. Es verbindet alle bereits (S. 10 ff. oben) erwähnten Dreiheiten. Da diese überall zu finden sind, da in der ganzen Natur aus[S. 84] dem männlichen und dem weiblichen Element das dritte, das Erzeugte, die Frucht, das Kind hervorgeht, bedeutet die Drei auch die Welt und damit das Weltbürgertum, dem die Freimaurerei entspricht.

Das Dreieck kann sich als Hexagramm verdoppeln:

Hexagramm

und als Enneagramm verdreifachen:

Enneagramm

Das Hexagramm, aus den verlängerten Seiten eines Sechsecks entstanden, ist von größerer Bedeutung. Das aufsteigende (△) Dreieck wird als Bild des Feuers, das absteigende (▽) als solches des Wassers, wagrecht durchschnitten jenes als das der Luft, dieses als das der Erde betrachtet, jenes auch als Bild des Männlichen, dieses als das des Weiblichen u. s. w. Kunstvoller ist das Pentagramm ober Pentalpha, auch der Drudenfuß, das aus den Diagonalen eines oder aus der Verlängerung der Seiten eines Fünfecks,[S. 85] bis sie sich treffen, entsteht. Der zweite Name, Pentalpha, rührt daher, daß die Figur aus fünf Alphas (Buchstaben A) besteht. Bei den Pythagoreern war es ein Gruß- und Erkennungszeichen, wobei fünf Buchstaben ὑγιέε, hygiée, sei gesund) die fünf Ecken zierten. Es wird auch mit Salomos Siegel verknüpft, da der König es auf dem Grundsteine des Tempels angebracht haben soll. In Goethes Faust verhindert es, nach altem Aberglauben, auf die Schwelle gezeichnet, den Eintritt des Bösen, sofern nicht die Spitze nach außen offen ist.

Pentagramm

Nun kann sowohl das Hexa- als das Pentagramm den flammenden Stern vorstellen, wenn ein G in der Mitte steht und zwischen seinen Spitzen Flammen hervorschießen. Er ist nach dem „Handbuch“ ein Sinnbild „des geistigen und sittlichen Lebens des Menschen, das sich zeigt im Lichte der Erkenntnis, in der Stärke des Willens und in der warmherzigen Bruder- und allgemeinen Menschenliebe.“ Nach dem Ritual unserer Loge ist er ein Sinnbild für das Ideal. „Der Mensch, der sich in seinem Herzen ein Ideal gebildet hat, folgt ihm als seinem Leitstern durch das Leben; es ist ihm ein Ausfluß des göttlichen Lichtes der Wahrheit und der Vollkommenheit.“

Der Buchstabe G wird gewöhnlich auf Geometrie gedeutet, nicht auf das trockene Fach der Meßkunst, sondern auf die Maßhaltung im Leben, wie Schauberg sagt, auf die sittliche Meßkunst und die sittliche Gesundheitslehre.

Der flammende Stern enthält alles, was wir von der Zukunft erhoffen, eine herrlich ausgebildete von allen Schlacken gereinigte Kunst, eine mit edlem Herzen[S. 86] erforschte Wissenschaft, eine uneigennützige, aus reinstem Gewissen hervorgehende Sittlichkeit, die alle guten Handlungen hervorrufen, alle bösen aber verscheuchen muß, und er ist also auch das Sinnbild einer aus diesen drei Tätigkeiten gebildeten höheren Religion.

Mit dem flammenden Stern zusammen wird gern der Spiegel als Sinnbild der Selbsterkenntnis und damit auch der Welterkenntnis in Verbindung gebracht. Nicht der Spiegel, den die Eitelkeit liebt, in dem sich die Selbstsucht gefällt, sondern derjenige, in dem der Mensch seine Fehler erblickt, so daß er ihn befähigt, sie zu beseitigen und in allen Dingen nach Vervollkommnung seines Wesens zu streben. Damit ist viel verbunden, mehr als man gemeiniglich ahnt. Es ist die Verbesserung in allen Hinsichten.

Der Mensch soll sich nicht nur selbst erkennen, sondern auch selbst heilen, sein eigener Seelenarzt sein, die Unmäßigkeit und alles Ungesunde meiden, wie in Kunst und Wissenschaft, so auch im Leben. Frivolität, Obscönität auf der einen, süßliche Sentimentalität und Überzuckerung des Lasters auf der anderen Seite entstellen und verderben die Kunst; Unwahrhaftigkeit auf der einen, Versinken in unnützen Kram, der der Menschheit ewig fremd bleibt, auf der andern Seite, sind der Untergang der Wissenschaft. Gleichgültigkeit gegen Roheit und Gewalttätigkeit, Nachsicht gegen Schlechtigkeiten untergraben die Sittlichkeit ebenso sehr wie eigene schlimme Handlungen. Gesundheit und Reinheit sollen das Leben beherrschen, und daher soll der Freimaurer und jeder Edelmensch sich hüten, ein Übermensch oder[S. 87] ein Untermensch sein zu wollen, sich jenseits von Gut und Böse zu stellen, das Leben als einen Kampf um das Dasein, um das „Recht des Stärkern“ zu betrachten, sich zum Schaden Anderer ausleben zu wollen. Aber nicht nur passiv, auch aktiv soll er auftreten und kämpfen für alles Gute und gegen alles Böse, wie es ihm sein Gewissen eingibt. Dazu ist ja Anlaß genug vorhanden: Kampf mit aller Entschiedenheit gegen den Krieg, gegen den Zweikampf, gegen das Spiel um Geld, gegen den Alkoholteufel, gegen den Mißbrauch des weiblichen Geschlechts durch Prostitution und Mädchenhandel, gegen den Aberglauben, gegen ungesunde und unreine Vornahme jeder Art, dann gegen Unreinlichkeit als Quelle vieler Krankheiten, gegen unziemliches Verhalten mancher Kreise, gegen Mißbräuche in allen Verhältnissen. Solches und viel anderes, was uns zu weit führen würde, zu tun und zu lassen soll das Sinnbild des Spiegels lehren, der nicht nur ein Widerschein des ihn Betrachtenden, sondern ein solcher des ganzen Lebens und Treibens in der Welt sein soll, in dem sich alles spiegelt, was der Besserung bedarf und was der humane Mensch tun und lassen soll.

Als drittes Sinnbild im Bunde mit dem flammenden Stern und dem Spiegel im Lichte der Zukunft betrachten wir das der Akazie, des „heiligen Baumes“ der Freimaurerei. Sie stellt nach Schauberg „die ewig sich verjüngende Naturkraft, den nach dem Schlafe oder Tode der Natur stets wiederkehrenden Frühling, das unsterbliche Naturleben und zuletzt die Unsterblichkeit des Menschen dar“. Sie lehrt, wenn wir sie als Vertreterin[S. 88] der Naturkraft auffassen, was übrigens auch von jedem andern schönen Baume gilt, deren manche vielen Völkern heilig waren, den Menschen die Schönheit der Natur schätzen und damit für seine eigene geistige Schönheit besorgt sein. Sie lehrt die Gestirne und damit das unendliche Weltall, die Schönheit der Formen, die die Natur hervorbringt, das Wunderwerk des Menschen und seines Geistes bewundern, und damit auch über die unfaßbare Macht des A. B. d. W. staunend nachdenken. Sie lehrt also auch die Natur genießen, an ihr nicht gleichgültig vorübergehen, sie nicht verachten, vielmehr in den Schönheiten von Wald und Feld, von Blumen und Früchten, von Berg und Tal, von Seen und Meer schwelgen, und sie, wenn es die Anlagen gestatten, besingen, zeichnen und malen, jedenfalls aber preisen und dem Schöpfer dafür danken. Sie lehrt, Sonne, Mond und Sterne lieben, sich auch in deren Verdunkelung schicken und auf ihr Wiedererscheinen hoffen. Sie lehrt ferner die wahre Schönheit überall erkennen, edle Menschen nach ihrem Äußeren ergründen und schätzen, aus dem andern Geschlechte die zu finden, die fähig ist, glücklich zu machen und Liebe mit Treue zu vergelten.

Durch alles was sie, richtig verstanden, oder was, wenn man will, irgend ein anderes Naturgebilde lehrt, wird die Erde zum Garten und der Mensch zum fröhlichen Gärtner, der die Seinigen freudig pflegt, für ihr Bestes sorgt und auch anderen Menschen ein treuer Freund wird.

So tragen fl. St., Sp. und Akazie bei richtigem[S. 89] Verständnis zum Glücke der Menschheit und zu einer besseren Zukunft bei.

Sie entsprechen zugleich den 3 freimaurerischen Idealen, der fl. St. der Weisheit, der Sp. der Stärke und die Akazie der Schönheit, sowie den edelsten Tätigkeiten des Menschen, die aus dessen Wesensseiten hervorgehen, die Wissenschaft aus dem Geiste, die Moral aus der Seele, die Kunst aus der Natur.


Übersicht der wichtigsten freimaurerischen Sinnbilder siehe folgende Seite.

[S. 90]

Übersicht der wichtigsten freimaurerischen Sinnbilder.

 
Licht
 
 
geschweifte       Klammer nach unten über drei Spalten
 
 
um uns:
in uns:
über uns:
 
 
Menschheit.
Gewissen.
Gottheit.
 
Sinnbild:
 
Zirkel
(Menschenliebe)
Winkelmaß
(Rechttung)
Hammer (Macht
zum Guten
 
Zeitraum:
 
Vergangen-
heit
Gegenwart
Zukunft
 
 
Mystizismus
(Aberglaube)
Mystik
(Religion)
Mysterium
(Humanität)
 
Weisheit
 
Sphingen
Bibel
Flammender
Stern
Geist — Wissenschaft.
Stärke
 
Pyramiden
Altar
Spiegel
Seele — Moral.
Schönheit
 
Obelisken.
Säulen.
Akazie.
Natur — Kunst.
 
Tempel der Menschheit
 
 
geschweifte       Klammer nach unten über drei Spalten
 
 
Vorhof
Innerstes
Allerheiligstes
 
Entsprechend den
Graden (in einem
höhern Sinne) und
den Gestirnen:[12]
geschweifte       Klammer nach links über drei Zeilen
(Lehrlinge)
(Gesellen)
(Meister)
 
Erde
Mond
Sonne
 
(lichtloses,
beleuchtetes
Gestirn)
(beleuchtetes
und leuchtendes
Gestirn)
(Selbst-
leuchtendes
Gestirn)
 

[7] Wir verweisen bezüglich des nähern Nachweises auf unser „Buch der Mysterien“, 3. Aufl., Leipzig 1890, S. 10-26.

[8] Über diesen handelt des Verf. Buch „Aus Loge und Welt“. Berlin (Franz Wunder) 1905, S. 66-102.

[9] Angeregt in des Verf. Buch „Kulturgeschichtliche Skizzen“. Berlin 1889. S. 239-260.

[10] Für das Nähere siehe Handb. der Freimaurerei, Art. Salomos Tempel und Schauberg, Symbolik II. S. 125 ff.

[11] Des Sängers Fluch von Uhland.

[12] Nähere Erklärung folgt im 10. Kapitel.

[S. 91]

Dritter Abschnitt.
Die Höhen der Symbolik (Weisheit).

9. Die Meister.

Welch ein Gefühl mußt du, o großer Mann,
bei der Verehrung dieser Menge haben!
Goethe, Faust I.

a) Die Meister der Legende.

Der Name „Meister“ (master, maître, maestro) war zu allen Zeiten und bei allen Völkern, seitdem er besteht, ein hoher und geachteter und zierte die größten Gelehrten und Künstler, während das lateinische Wort, aus dem er entstand (magister) eine Bezeichnung für untergeordnete Schullehrer blieb. Doch wurde davon stets auch der bescheidene Handwerksmeister unterschieden. In der Freimaurerei kam er erst nach, doch bald nach der Gründung des Bundes (um 1723-25) in Gebrauch. Doch erhielt er auch hier einen höhern Rang durch die Bezeichnung der Vorsitzenden einzelner Logen (Meister vom Stuhl) und der Großlogen (Großmeister in Annahme des obersten Titels der Ritterorden).

[S. 92]

Es ist nicht zu verwundern, daß die freimaurerischen Schriftsteller der ersten Zeit des Bundes, die keine Geschichtforscher waren, einem damals noch seit einigen Jahrhunderten beliebten Gebrauche huldigten, Geschlechtern und Gesellschaften einen Ursprung aus grauer Vorzeit anzudichten. Kaiser und Könige erhielten damals künstliche Stammbäume aus dem trojanischen Kriege und anderswoher, sogar mit Bildnissen von Ahnen, die nie gelebt haben, worin man damals durchaus keine Lüge oder Aufschneiderei, sondern lediglich eine angemessene Huldigung erblickte. Da wollten denn die freimaurerischen Schriftsteller nicht zurückbleiben und ernannten aus eigener Machtvollkommenheit um das Jahr 1730 den vor bald 3 Jahrtausenden gestorbenen König Salomo (s. oben S. 79 ff.) zu ihrem ersten Großmeister. So entstand damals, ähnlich wie ein Vierteljahrtausend vorher in der Schweiz die Tellsage, die maurerische Hiramlegende. Sie knüpfte sich an den Tempelbau Salomos, von dem man nach der Erzählung der Bibel eine übertriebene Vorstellung hatte, während er sich mit neueren Bauten, wie dem Dom von Köln, der Paulskirche in London und gar der Peterskathedrale in Rom bei weitem nicht vergleichen ließ. Die bekannte Prachtliebe Salomos bot dazu willkommene Handhaben. Welche Quellen zur Schöpfung dieser Mythe gedient haben ist unbekannt.

Die Bibel kennt im ersten Buche der Könige zwei Männer Namens Hiram; der eine war König der phönikischen Stadt Tyros (1. Kön. 5, 1 ff.) zur Zeit Davids und Salomos, dem er Holz der Zedern aus[S. 93] dem Libanon zum Baue des Tempels gegen Öl und Weizen überließ, der andere (1. Kön. 7,13 ff.) Sohn eines Tyriers und einer Witwe aus dem Stamme Naphthali, ein Erzarbeiter und als solche Verfertiger der zwei berühmten Säulen (oben S. 81 f.), des großen Wasserbeckens, das bei Luther „gegossenes Meer“ heißt, und anderer eherner Geräte des Tempels. Auf diesen Grundlagen bauten schon die älteren Maurer, vor der Entstehung des Freimaurer-Bundes, ihre Handwerkssagen seit dem 15. Jahrh., indem sie die Namen verwirrten und im 16. Jahrh. glücklich einen gleichnamigen Sohn des Königs Hiram von Tyros herausbrachten, der Oberbaumeister beim Tempelbau gewesen wäre, und nannten ihn Hiram Abif, nach der späteren Bearbeitung der Königsgeschichte, der sog. Chronik, II. Buch, 2. Kap., 11 ff., wo er Huram Abi heißt, Sohn einer Frau aus dem Stamme Dan und außer in Erz, auch in Bearbeitung von Steinen und Holz gewandt ist. Andersons Konstitutionenbuch (1723) legte den Namen fest, und seitdem nannten sich die Freimaurer gern „Söhne der Witwe“. In einem französischen Freimaurer-Werke heißt der Baumeister Adoniram (Adon Hiram) oder Adoram.

Die Legende von Hiram kam 1724 im Meistergrade zur Anwendung, erhielt aber erst 1738, in welchem Jahre dies Anderson erwähnt, durch den Tod Hirams ihren Abschluß. Danach hatte sie nun folgenden Verlauf:

Als oberster Meister des Bundes der Bauleute, nach dem Könige Salomo, erteilte Hiram das geheime[S. 94] Meisterwort nur jenen Gesellen, die sich dieser Ehre würdig erwiesen. Unter den Gesellen befanden sich aber drei, die nach dieser Ehre begierig waren, aber, da sie ihrer nicht teilhaftig wurden, sie sich durch Gewalt zu verschaffen beschlossen. Sie besetzten, als Hiram im Tempel war, die drei Tore im O., S. und W., und einer nach dem andern verlangte von Hiram, als er sich entfernen wollte, das ersehnte Wort. Da dieser sich weigerte, es mitzuteilen, wurde er im O. von dem ersten der Verbrecher mit einem Maßstabe, dann, da er gegen S. floh, vom zweiten mit einem Winkelmaß verwundet und endlich im W. vom dritten mit einem Hammer erschlagen. Die Verbrecher verscharrten den Leichnam heimlich und verbargen sich in einer Felsenhöhle. Der ergrimmte König aber ließ nach ihnen fahnden. Die Späher gelangten endlich an die Höhle, aus der sie Stimmen vernahmen, die klagten, die erste: „o wäre mir der Hals durchschnitten“, die zweite: „o wäre mir das Herz aus der Brust gerissen“, und die dritte: „o wäre mein Leib entzwei gehauen“. Da wurden sie ergriffen, und jedem geschah, wie sein böses Gewissen es gewünscht hatte. Salomo ließ nun auch nach dem Leichnam suchen; endlich entdeckten die Ausgesandten ihn, und von da an wurde das Wort des Entsetzens, das sie beim Anblicke des Opfers seiner Pflichttreue äußerten, an Stelle des seit seinem Tode vergessenen zum neuen Meisterworte angenommen. Auf das Grab Hirams aber und auf das eines verdienstvollen Meisters wird (in einigen Lehrarten) der heilige Baum, die Akazie gepflanzt. (s. oben S. 87 f.).

Welche Rolle diese Sage im III. Grade spielt,[S. 95] wissen die Meister. Sie ist aber je nach System und Ritual verschieden und dürfte noch mehr vereinfacht werden, als sie dies in unserer Loge bereits ist.

Wenn auch der spät vorkommende Name Adoniram unleugbar eine Verbindung des Namens Hiram mit dem hebräischen Adonai (der Herr) oder dem phönikischen Halbgotte (Sonnenheros) Adonis ist, so kann daraus doch nicht eine Ableitung der noch nicht 200 Jahre alten Sage vom Tode Hirams aus der antiken Mythe gefolgert werden, die den Sonnengott auf verschiedene Weise, wie er es ja scheinbar tut, untergehen und wieder auferstehen läßt, wie es Schauberg am Schlusse seines Werkes mit erstaunlicher, aber zu weit hergeholter Gelehrsamkeit tat. Die Hiramsage ist einfach eine in die Vergangenheit zurück versetzte Erklärung des Meisterwortes und der Erkennungszeichen aller 3 Grade und zugleich eine Feier der Pflichttreue und eine Äußerung des Abscheues und der Empörung gegen Verräterei und Untreue. Allerdings wünscht der Freimaurer-Bund selbst dem Verräter keine barbarischen Strafen, sondern überläßt ihn seinem Gewissen.

b) Die Meister der Wirklichkeit.

In den Fragestücken 19 bis 21 des Lehrlings-Katechismus wird gesagt, die 3 „kleinen Lichter“ der Freimaurerei seien die 3 Kerzen im Umrisse des länglichen Vierecks im O., W. und S. Sie stellen die Sonne, den Mond und den Meister vom Stuhl vor, und zwar deshalb, weil die Sonne den Tag, der Mond[S. 96] die Nacht und der M. v. St. die Loge regiere. Der altenglische Kat. fügt bei: „oder sollte es tun,“ und gibt damit dem M. v. St. eine Lehre, seine Pflicht zu erfüllen. Im System der Gr. L. L. von Deutschland (in Berlin) wird neben das Regieren noch das „Erleuchten“ gesetzt. Hier haben wir also zwei gegensätzliche Auffassungen, dort ein Mißtrauen in den M. v. St., hier dessen Überhebung, als erleuchte er allein die Loge „durch seinen weisen Rat“. Diese widersprechenden Äußerungen zeigen nach unserer Ansicht, wie ungeschickt die Zusammenstellung zweier Gestirne und eines Menschen ist; so „sinnig“ man sie auf den ersten Blick auch finden mag. Sonne und Mond sind Weltkörper, die so sind, wie sie ihrer Natur nach sein müssen, sie sind den Menschen der Erde gegenüber unabänderlich und könnten eine Änderung nur durch die Allmacht erleiden. Während sie sich sonach aller Kritik entziehen, ist der M. v. St., den ja die Loge wählt, von vornherein der Kritik unterworfen, tritt sein Amt an und wieder ab, während die Gestirne das ihrige in Ewigkeiten fortführen, — Ewigkeiten wenigstens für unsern Verstand. Sonne und Mond sind keine kleinen Lichter, sondern für unsere Erde geradezu die größten mit Sinnen wahrnehmbaren, denen zwar die idealen Lichter überlegen sind, die aber ohne die wahrnehmbaren nicht da wären, weil die Menschheit ohne sie in Dunkel und Kälte versunken wäre und daher auch keine geistigen Lichter erfassen könnte. Seien wir daher aufrichtig, bekennen wir unsere Unvollkommenheit, setzen wir uns nicht großartigen Erscheinungen[S. 97] der Natur gleich und nennen wir Sonne und Mond schlichtweg Gestirne und den M. v. St. schlichtweg einen Menschen. Einen Menschen zumal, dem es nicht allein zusteht, die Loge zu regieren, oder gar zu erleuchten; dazu sind auch die anderen Brr. da, aus denen er hervorging und in deren Mitte er wieder zurückkehrt. Ohnehin passen die sog. 3 kleinen Lichter nicht in die Bildersprache der Freimaurerei. Diese setzt Bilder, wie z. B. Hammer, Winkelmaß und Zirkel, an die Stelle von Ideen; Sonne und Mond aber werden nicht als Bilder für Ideen, sondern einfach als leuchtende Gestirne behandelt, ebenso der M. v. St. lediglich als einer unserer Brüder, dem wir ein besonderes Vertrauen entgegenbringen.

Demgemäß erscheint es natürlicher, menschlicher und daher auch maurerischer, wenn der M. v. St. sein Vorbild nicht in Sonne und Mond, sondern in großen Männern erblickt, die für ihre Zeit ebenfalls Meister, wenn auch nicht vom Stuhl, doch vom Segen der Menschheit begleitete waren. Als Nacheiferer solcher großen Menschen und Meister ihrer Zeit hat der M. v. St. wahrhaftig einen höheren Beruf als wenn er sich mit Sonne und Mond zusammenstellen läßt.

Führen wir einige dieser Lichter der Menschheit als Beispiele an.

Der große chinesische Philosoph Kongfutse (genannt Confucius) 551-476 vor Chr., schon in seiner Jugend ein Wunder von Weisheit, zeichnete sich auch durch seine Bescheidenheit aus. Nachdem er den 50 Jahre älteren Weisen Laotse, der in seiner Einsamkeit[S. 98] ein Genügen fand, kennen gelernt, sagte er zu seinen Schülern. „Gedanken so hoch wie der Vogel in der Luft erreicht Laotse gleich dem Pfeile, solche so schnell wie der Hirsch holt er ein gleich dem Jagdhunde, solche so tief wie der Fisch im Meere bringt er gleich der Angel ans Licht.“ Und doch ist Laotse beinahe vergessen, und Kongfutse ist noch heute der gefeierte Lehrer seines Landes und der geistige Führer aller Gebildeten, und seine Nachkommen genießen besondere Vorrechte. Seine Moral ist im wesentlichen auch die des echten Christentums und die der Freimaurerei.

Der Indier Siddhartha, ein Sohn edelsten Geschlechts (um 560-480 vor Chr.) verließ infolge einer Erleuchtung über die Nichtigkeit des menschlichen Treibens, nach der Sitte der Weisen seines Volkes (allerdings nicht nach heutigem Geschmacke) die Pracht seines Vaterhauses und lehrte, durch den Beinamen Buddha (der Erwachte) ausgezeichnet, als Bettelmönch zahllose Schüler das Geheimnis von der Entstehung und Überwindung des Leidens, neben einer hohen sittlichen Veredlung, und seine Lehre eroberte weitgedehnte Länder Asiens. Obschon sie zeitweise tief entartete und an Boden verlor, ja ihre alte Heimat einbüßte, schwang sie sich in neuester Zeit empor und sucht sogar in Europa und Amerika dem Christentum Wettbewerb zu machen.

Der Athener Sokrates (469-399 vor Chr.) verachtete allen Reichtum und alle Ehrenstellen, um als wandernder Lehrer das Volk und die Jugend über die Erfordernisse eines menschenwürdigen Lebens aufzuklären und besiegelte sein hohes Streben durch den Gifttod,[S. 99] dem ihn sein von Demagogen verblendetes Volk überlieferte. Durch seinen Schüler, den göttlichen Platon und dessen Schüler, den vielseitigen Aristoteles hat er auf Jahrtausende hinaus veredelnd gewirkt.

Für das heutige Europa und seine Kolonien sind diese Meister, so groß sie für ihre Zeit und ihre Völker waren, in den Schatten gestellt durch einen weit größeren, vor dem wir indessen seinen für unsern Bund eine besondere Bedeutung besitzenden Vorläufer nennen müssen.

Johannes der Täufer, der als Schutzheiliger der Steinmetzen von Südengland, wo die Freimaurerei entstand, unseren Logen ihren Namen gab, verzichtete, obschon von priesterlichem Geschlechte, auf alle Annehmlichkeiten des Lebens, ähnlich wie Buddha und Sokrates, und lehrte (29-31 uns. Zeitrechn.), arm gekleidet und sich ärmlich nährend, in der Wüste am Jordan, wohin ihm das Volk zuströmte, taufend und auf einen Höheren hinweisend, bis er aus Wahrheitsliebe unter dem Henkerbeile verblutete.

Jener Höhere war Jesus von Nazareth, dessen unerreichte und unerreichbare sittliche Erhabenheit es uns überflüssig erscheinen lassen, diese Idealpersönlichkeit mit weiteren Worten zu besprechen oder sie gar gegen die Ketzer-, Hexen- und Judenmörder zu verteidigen, die das Andenken dieses einzigen Menschen durch ihre angebliche Anhängerschaft schändeten und deren Nachkommen ihn durch erheucheltes Plappern, hohlen Prunk und politische Umtriebe zu ehren sich einbilden.

Was sollen wir noch von weiteren verdienstvollen[S. 100] Männern sagen, die dem M. v. St. und allen Meistern, ja allen Brüdern zum Vorbilde dienen können, von Männern, die ihre Überzeugungstreue mit dem Feuertode besiegelten, den unwürdige und unwissende Anhänger des Urbildes der Milde und Güte über sie verhängten (wie Arnold von Brescia, Hus, Savonarola, Giordano Bruno und andere) oder unter Mühen und Leiden sich der Belehrung des Volkes widmeten (wie Comenius, der Vorläufer unseres Bundes) oder sich in Sturm und Kampf und teilweise Not als geistige Helden bewährten (wie Luther, Zwingli, Kepler, Spinoza, Rousseau) oder an der Spitze von Völkern für Freiheit kämpften (wie Wilhelm von Oranien, Franklin, Washington) oder gar auf dem Throne für Aufklärung und Menschenliebe glühten (wie Friedrich der Große und Josef II., denen wir noch unsere verewigten Brüder, die Kaiser Wilhelm I. und Friedrich III. anreihen dürfen), oder in geistiger Arbeit Lehrer der Menschheit wurden (wie Milton, Newton, Kant, Lessing, Goethe, Schiller, die Brüder Humboldt, Helmholtz, Mommsen u. s. w.)? Die Weltgeschichte antwortet hierauf.

Der Meister-Katechismus fragt in Nummer 12: „Wodurch soll sich ein Meister von den Gesellen und Lehrlingen unterscheiden?“ und antwortet: „Durch die genaueste Erfüllung seiner Pflichten, wodurch er nicht nur die Liebe seiner Brr., sondern auch die Hochachtung der Welt sich erwirbt.“

Die Meister haben in einigen Lehrarten noch besondere Sinnbilder, die auf Sündhaftigkeit in Gefahren und auf Unerschütterlichkeit in der Überzeugung hindeuten,[S. 101] so z. B. ein Schiff ohne Mast und Segel, das sich aber trotzdem aufrecht erhält, einen Schlüssel von Elfenbein, der die Gerechtigkeit bedeuten soll, ein Denkmal, auf dem ein Buch liegt und das eine schwebende Jungfrau mit einem Akazienzweige schmückt, was auf die Vergänglichkeit der menschlichen Dinge hinweist und durch das das Schicksal bedeutende Buch die Hoffnung auf Unsterblichkeit nährt. Auch die Gesellen und Lehrlinge sind berufen, Meister zu werden und das von diesen Gesagte zur Tat zu gestalten.

[S. 102]

10. Die Gestirne.

Wölbt sich der Himmel nicht da droben?
Liegt die Erde nicht hier unten fest?
Und steigen, freundlich blickend
Ewige Sterne nicht herauf?

a) Die Erde.

Die obigen Worte, die Br. Goethe seinen Faust zu Gretchen sagen läßt, drücken eine längst vergangene Weltanschauung aus, die aber heute noch, durch die Bibel aufrecht erhalten, den Grundzug der herrschenden Religionen bildet. Denn alle Dogmen, namentlich aber die der christlichen Bekenntnisse, beruhen auf der Ansicht, daß Gott den Planeten Erde vor allen übrigen Weltkörpern bevorzuge, ja man darf sagen, seinen Bewohnern beinahe allein seine Fürsorge widme. Nach dieser Auffassung, auf der allein das Dogma der Dreieinigkeit beruht, ist die Erde die Welt, was auch die noch heute vorwiegenden Ausdrücke „Weltteile“, „Weltbürgertum“ und „Weltgeschichte“ zeigen und wovon sogar der Name einer so modernen Einrichtung wie der des Weltpostvereins zeugt, der doch keine Sendungen[S. 103] nach anderen Weltkörpern übernimmt. Und das trotzdem, daß die Ansicht von der Stellung der Erde im Weltall so riesenhafte Umgestaltungen durchbracht hat, wie folgende Übersicht zeigt.

  1. Zeitraum, von Moses bis Ptolemäus (um 140 uns. Zeitrechn.): die den Alten bekannte Erde ist eine Scheibe (worauf sie ruhe ist unbekannt), die der Ocean umgibt und über der sich der Himmel wie eine Glasglocke wölbt, an dem die Sterne befestigt sind, während die 7 Planeten (Sonne Mond, Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn) sich um eine Erhöhung im Norden bewegen.
  2. Zeitraum, von Ptolemäus bis Kopernikus (geb. 1473 gest. 1543): die Erde ist eine Kugel (was indessen schon Pythagoras und die auf ihn folgenden griechischen Philosophen wußten), um welche die 7 Planeten und der ganze gestirnte Himmel sich im Kreise bewegen.
  3. Zeitraum, seit Kopernikus: die Erde ist ein Planet, der zwischen Venus und Mars, gleich den übrigen Planeten um die Sonne kreist, nur der Mond allein um die Erde. Ohne Einfluß auf die Erde ist die seit Kepler allmählich weitergehende Auffassung, daß unser Sonnensystem nicht im Mittelpunkte des Weltalls schwebt, sondern nur eines unter unzähligen ist; alle Sterne außer den Planeten und Kometen sind Sonnen, die ihre Planetensysteme haben können und sich fortwährend im[S. 104] Weltraume bewegen, in vorläufig noch unbekannten Bahnen.

So ist denn die alte Entgegensetzung von „Himmel und Erde“, auf der die Weltanschauung des ersten Kapitels der Bibel beruhte, längst aufgegeben. Die Erde ist nur noch ein Pünktchen im unendlichen Weltall, das auch als Himmel bezeichnet wird, und von dessen entferntesten bekannten Punkten sogar das blitzschnelle Licht, das in einer Sekunde dreihunderttausend Kilometer zurücklegt, vieler tausend Jahre bedarf, um auf der Erde sichtbar zu werden.

Und doch ist unsere liebe Erde im Vergleiche zu den auf ihr lebenden Geschöpfen ein ungeheurer Körper, dessen Umfang 5395 geogr. Meilen (zu 7420,4 Meter), dessen Durchmesser 12741 Kilometer, und dessen Oberfläche rund 510 Millionen Quadratkilometer beträgt.

In der Freimaurerei gilt die Loge als ein kleines Bild der Erde, auf das zu beiden Seiten des Altars Sonne und Mond freundlich leuchtend herabblicken. Die Heimat der Freimaurerei aber ist die gesamte Oberfläche der Erde, die alle Menschen ohne Unterschied des Glaubens, der Rasse und des Standes wie eine Familie verbindet. An der Tafelloge wird aller Brüder auf der ganzen Oberfläche der Erde gedacht, und Fragestück 23 des Lehrlings-Katechismus sagt auch, die Loge reiche von der Oberfläche bis zum Mittelpunkte der Erde.

Auf den beiden Säulen der Abendseite ruhen als Knäufe in vielen, besonders englischen Logen auf der einen ein Himmels- und auf der andern ein Erdglobus,[S. 105] oder sie werden wenigstens so benannt, um die Brüder beständig an die weltbürgerliche Eigenschaft des Bundes zu mahnen.

Bildet der Freimaurer-Bund auch keine einheitliche Gesellschaft, hat er auch keine gemeinsame Behörde, wissen auch vielfach oder meistens die Brüder eines Landes nichts von den freimaurerischen Einrichtungen entfernter Gegenden, ja anerkennen sogar manche Bundesbehörden andere solche gar nicht, so besteht doch über die ganze Erde eine Gemeinschaft der Brüder durch die Erkennungszeichen, sowie durch gemeinsame brüderliche Gesinnung und durch freundliche Aufnahme fremder und reisender Brr., die sich als rechtmäßige Logenmitglieder ausweisen. Und so wird es auch bleiben!

Die Erde kann als Sinnbild gelten: der Schönheit, die wir nur auf ihr kennen, der (oben S. 71 abgegrenzten) Vergangenheit, die außer ihr von keinem andern Weltkörper näheres wußte, und des Lehrlings, der erst zum Lichte zugelassen ist, ohne es noch recht erfaßt zu haben. Lehrlinge waren aber in den älteren Zeiten die gescheitesten Leute in ihrem Wissen noch immer.

b) Der Mond.

Wenn wir einfach vom kleinern und abhängigern zum größern und unabhängigen Gestirn vorschreiten wollten, müßten wir eigentlich den Mond voransetzen und ihm die Erde, wie dieser die Sonne folgen lassen. Da uns jedoch die Erde am nächsten liegt und diese[S. 106] für uns lichtlos ist, der Mond aber sowohl beleuchtet wird, als infolge dessen selbst leuchtet, mußte zwischen ihm und der Erde die richtigere Reihenfolge vertauscht werden. Für Bewohner des Mondes würde die Erde die Stelle einnehmen, die er bei uns einnimmt; nur erscheint sie dort weit größer.

Der Mond unserer Erde, vorzugsweise so genannt, obschon auch andere Planeten Monde (Trabanten oder Satelliten), aber meist kleinere besitzen, ist von der Erde, seiner Mutter, 60,27 Erdhalbmesser entfernt und umkreist sie in 27,32 Tagen. Da er dieses tut, während die Erde sich weiter um die Sonne bewegt, so beschreibt er seine Bahn in Spirallinien. Sein Durchmesser ist so groß wie die Länge und zugleich wie die Breite Europas und gleich drei Elfteln desjenigen der Erde. Steht der Mond zwischen Erde und Sonne, so ist er für uns unsichtbar, es ist Neumond; sind Erde und Sonne auf derselben Seite des Mondes, so ist er für uns vollbeleuchtet (Vollmond). Die Zwischenerscheinungen heißen: im Zunehmen der Lichtfläche erstes und im Abnehmen letztes Viertel. Diese Unbeständigkeit seines Anblicks lehrt uns, sein Licht besser zu schätzen, wenn es wieder erscheint, nachdem es uns ganz fehlte oder uns nur teilweise erfreute. Es ist ein Wechselspiel, dessen Mannigfaltigkeit einst die Grundlage der menschlichen Zeitrechnung bildete, die sich aber bei uns längst nach der Sonne richtet (nur die Mohammedaner hängen am Mondjahr, dessen Anfang in etwa 33 Jahren durch alle Jahreszeiten wandert). Der Mondwechsel ist daher für uns sehr belehrend und übt auch seinen[S. 107] Einfluß, wie auf die Ebbe und Flut unserer Meere, so auf Dichten und Trachten der Menschen. Namentlich in der Dichtkunst spielt er eine große Rolle.

Der Mond ist seit mehr als Menschengedenken ein erstarrter Körper, was er einst nicht war. Er besitzt weder eine merkliche Atmosphäre, noch Wasser und daher auch keinen Pflanzenwuchs und beherbergt überhaupt kein lebendes Wesen. Infolge dieser Erstarrung kehrt er, weil er sich während seines Umlaufs nur einmal um seine Achse dreht, was früher nicht der Fall war (denn er drehte sich einst viel schneller um), was aber hier zu erklären nicht der Ort ist, der Erde stets dieselbe Seite zu, während die andere für uns ewig unsichtbar sein wird. Obschon dies nicht beabsichtigt ist, können wir darin ein Sinnbild der Treue gegen seine Mutter, die Erde, erblicken, wie in der unsichtbaren Seite ein solches des Geheimnisses und der Verschwiegenheit. In ungezählten Millionen Jahren wird, so hat man berechnet, die Erde dasselbe Schicksal erleiden; die Erstarrung des Mondes belehrt uns also auch über die Vergänglichkeit alles Irdischen. Da der Mond 13-14 Tage Nacht hat, ist er auch in dieser Zeit ein ungemein kalter und bei dem ebenso langen Tage ein sehr heißer Körper, dessen Temperatur um 280 Grad schwankt, der uns daher die gleichmäßigen Wärmen der Erde um so kostbarer erscheinen läßt.

Für die Freimaurerei ist das milde Licht des Mondes ein wohltätiger Gegensatz zu dem verzehrenden und blendenden Lichte der Sonne.

Unter den Idealtugenden entspricht, wie der Erde[S. 108] die Schönheit, dem Monde die Stärke; denn die „Stärke des Maurers vollbringt, gleich der des Mondes, in nächtlicher geheimnisvoller Stille ihre segensvollen Werke; in stiller, geräuschloser Wirksamkeit findet die Freimaurerei ihre Freude und ihren Lohn.“ Unter den Graden ähnelt dem Monde der Geselle, der das geistige Licht vom Meister erhält und dem Lehrling weiter reicht. Unsere Gegenwart gleicht dem Monde, weil die ungeheuere Mehrheit der Menschen noch blind ist für Kunst und Wissenschaft, daher kein Licht zu geben weiß und das der Sonne, d. h. des höheren Wissens, noch nicht versteht, was bisher nur einer geringen Minderheit erleuchteter Geister verliehen ist, so daß die Meisten noch Gesellen sind, ja auch viele, die sich schon Meister wähnen.

c) Die Sonne.

Die Mutter aller Planeten und ihrer Trabanten, die Erzeugerin und Ernährerin alles Lebens auf ihnen, das sie selbst nur von der Allmacht erhielt, ist ein so riesenhafter Weltkörper, daß in ihrem Innern, wenn es hohl wäre, nicht nur alle Planeten Platz hätten, sondern verschwinden würden, ja darin der Mond bequem um die Erde kreisen könnte. Die Sonne ist ein Licht, dem kein Auge ohne angemessene Bewaffnung Stand halten kann, ein brennendes Feuer, dem nichts widersteht, für uns eine Offenbarung über alle Offenbarungen und die dafür gehalten werden. Wohl gibt es im Weltall noch weit mächtigere Sonnen, wie Sirius und[S. 109] viele andere, die aber bei ihrer unfaßbaren Entfernung für uns nur Lichtpunkte sind.

Die Sonne war, so sehr dies von gewisser Seite bestritten wird, der älteste Gott der höherstehenden alten Völker, denen ihre Kraft männlich erschien, wie der sanfte Mond weiblich; Helios und seine Schwester und Gattin Selene waren das erste Götterpaar der Hellenen, dem erst später der abstrakte „Himmel“ und sein Donner (Zeus) übergeordnet wurden. Nur den in kälterem Klima lebenden Germanen galt das umgekehrte Verhältnis („Herr Mond und Frau Sonne“, dagegen der Tag und die Nacht). Helios mußte heiß kämpfen, bis er, lange genug ein Planet geschimpft, durch den Domherrn von Thorn sein Recht als Herrscher im Planetensystem eroberte, das aber noch lange brauchte, bis es allgemein anerkannt war. Herr des Jahres war er schon früher geworden; diese Krone konnte ihm von der Erde und dem Monde nicht mehr bestritten werden; denn schon lange war das Jahr seine Lebensgeschichte, die sich jährlich erneuert und auf das scheinbare Erlöschen die Wiedergeburt folgen läßt. Auf seinen heidnischen Geburtstag (25. Dez.), in dessen Zeit die Tage wieder wachsen, verlegten die Christen den unbekannten ihres Gottessohnes.

Die Entfernung zwischen der Sonne und ihrem von uns bewohnten Kinde, der Erde, beträgt zwanzig Millionen und hundertundzwanzigtausend geogr. Meilen oder 149 Millionen Kilometer, die Lichtwirkung dauert acht Minuten, die des Schalles 14 Jahre! Die für einen mittelschnellen Eisenbahnzug erforderliche Zeit[S. 110] würde für jene Strecke über zwei Jahrhunderte betragen. Der Durchmesser der Sonnenkugel ist 110 Erddurchmesser oder 1400000 Kilometer lang; ihr Körperinhalt übertrifft den der Erde um mehr als das Millionenfache. Die Hitze dieses glühenden Körpers, von dessen Glut ja unser Leben abhängt, wird verschieden angegeben; die Berechnungen drehen sich um etwa hunderttausend Grad! Ein fester Körper scheint die Sonne nicht zu sein, eher ein gasförmiger.

In der Freimaurerei ist die Sonne bisher als „kleines Licht“ bezeichnet worden. Man könnte es für Hohn halten, wenn man nicht wüßte, daß der Ausdruck von ehrlichen Leuten herrührt. Wenn auch nicht als das größte, darf sie doch als Sinnbild des größten Lichtes, der Gottheit betrachtet werden. In ihr kommt die Weisheit zur höchsten Geltung. Sie ist eine unleugbare Offenbarung, gegenüber der das bisher für das erste „große Licht“ gehaltene Buch nicht aufkommen kann. Ein solches Werk wie die Sonne (und die Sonnen des Weltalls überhaupt) kann von den allerinspiriertesten Menschen nicht geschrieben werden. Es spricht Millionen Bände und bringt unermeßliches Leben an das Tageslicht. Es ist wirklich Zeit, in dieser Hinsicht Wandel zu schaffen in der Logensprache einer naiven Zeit, die noch keine blasse Ahnung von dem hatte, was seither im Reiche der Geister geschaffen worden und in Zukunft noch geschaffen werden kann. Die Sonne ist daher auch ein Bild einer erleuchtetern Zukunft, von der sogar die heutige Gegenwart nur in einer beschränkten Zahl auserlesener Geister einen[S. 111] kleinen Begriff hat. Es sind Geister, die (s. oben S. 97 ff.) die wahren Meister sind und denen nachzustreben, statt auf ausgetretenen Pfaden zu wandeln, der höchste Ehrgeiz der freimaurerischen Meister werden sollte.

Man vergißt viel zu viel, daß es ohne die Sonne keine Erde, also auch keine Menschen, keine Kultur, keine Kunst, keine Wissenschaft, keine Religion, keine Bibel und keine Freimaurerei geben könnte. Und sie sollte ein „kleines Licht“ genannt werden dürfen und die Bibel ein großes? Warum? Weil sie mit Sinnen wahrnehmbar und nur zeitweise sichtbar ist? Ist etwa die Bibel nicht mit Sinnen wahrnehmbar, ist sie nicht großenteils dunkel? Selbst wenn man annähme, daß die Bibel von Gott geoffenbart sei, welcher Begriff übrigens sehr unklar und bestritten ist, so müssen wir fragen: Ist die Sonne nicht viel sicherer und unendlich viel früher von Gott geoffenbart, und erleuchtet sie nicht eine Welt von Planeten, während die Bibel nur Juden und Christen, soweit sie gläubig genug sind, erleuchtet? Und dennoch nennen wir die Sonne nicht das größte Licht, sondern nur ein Licht, oder ein Sinnbild, ein Abzeichen des größten Lichtes, des a. B. d. W. Welche Auffassung ist wohl die höhere? —

Eine ebenfalls sehr naive freimaurerische Zusammenstellung, aber immer noch weit anmutender als die der gr. und kl. Lichter ist die des M. v. St. mit der Sonne, der beiden Aufseher mit dem Monde und der übrigen Brüder mit den Sternen. Es ist doch ein poetisches Bild statt einer trockenen dogmatischen Lehre. Man findet daher auch in Logen außer Sonne und[S. 112] Mond eine Darstellung des Sternenhimmels an der Decke. Damit geht doch die Freimaurerei in schöner Weise über das Alltägliche hinaus. Dahin gehört auch das Bild des Siebengestirns (den Namen tragen die Plejaden und der große Bär) auf freimaurerischen Denkmünzen und Büchern unter dem Auge Gottes, als Hinweisung auf die Ewigkeit und die Hoffnungen der Menschen, die sich an sie knüpfen.

Übersicht:
Erde.
Mond.
Sonne.
Vergangenheit.
Gegenwart.
Zukunft.
Schönheit.
Stärke.
Weisheit.
Lehrlinge.
Gesellen.
Meister.
geschweifte       Klammer nach unten über drei Spalten
im weitern und höhern Sinne.

[S. 113]

11. Die Welträtsel.

Wer darf sagen:
Ich glaub’ an Gott?
Magst Priester oder Weise fragen,
und ihre Antwort scheint nur Spott
über den Frager zu sein.
Goethe, Faust I.

a) Der a. B. d. W.

„Weh! Wo ist Gott“ ruft klagend der junge Parsifal (Parzival) in Wolfram von Eschilbachs (Eschenbachs) unsterblicher, christlich frommer Heldendichtung. Ja, wo ist Er? Schnell ist die Antwort bereit: „Überall!“ Ganz richtig! Er ist überall. Aber war er es für die Menschen stets? Die Geschichte der Religion antwortet darauf (natürlich vom subjektiv-menschlichen Standpunkte) mit Nein. Es bedurfte einer langen, an Irrwegen und Straucheln reichen, überreichen Entwicklung des Gottesgedankens, bis der Mensch bei der Allgegenwart Gottes angelangt war.

Den Anfang einer Verehrung von Dingen außer sich machte der noch lallende Mensch mit dem noch heute bei den Naturvölkern nicht ausgestorbenen Fetischdienste (lat. facticius, portug. feitiço, Amulett, Talisman,[S. 114] Zauberding), d. h. der Anbetung eines Geistes wie einem Dinge. Heilige Steine und heilige Bäume, wir wissen nicht, ob zugleich oder nacheinander, waren die ersten Gegenstände dieser ursprünglichen Religion; wir finden ihre Spuren auf der ganzen Erde. Der schwarze Stein der Kaaba in Mekka ist den Mohammedaner noch jetzt heilig. Aus den Baumgeistern wurden bei den Griechen die reizenden Dryaden (Waldnymphen). Von den unbeweglichen Dingen schritt der Mensch zur Verehrung der Tiere. Im alten Ägypten blühte dieser so unwürdig erscheinende Dienst unter den zivilisierten Völkern wohl am längsten; aber schon neben ihm tauchen die sonst menschlich geformten Gottwesen mit Tierköpfen, endlich auch mit voller Menschengestalt auf. Aber auch, wo wir nur menschlich geformte Götter finden, wie bei den Griechen, verrät sich ihre frühere Tiergestalt noch in den Tieren, die ihnen beigesellt werden, so dem Zeus der Adler, der Aphrodite die Taube, dem Apollon der Wolf u. s. w., während untergeordnete mythische Wesen noch aus Tier und Mensch gemischt sind, wie die Kentauren, Harpyien, Nereiden u. s. w.

Daß die verehrten Wesen zur Menschengestalt gelangten, dazu hat wahrscheinlich das Auftreten bedeutender Menschen, „Übermenschen“ beigetragen, die Völkern Gutes taten wie Prometheus, der ihnen das Feuer brachte, oder sie von gefährlichen Tieren, Riesen, Ungeheuern und dergl. befreiten, wie Herakles (Herkules). Diese wurden später zu Heroen, Halbgöttern.

In weiten oder sehr verzweigten Ländern, wie Ägypten, Babylonien, Hellas hatte ursprünglich jeder[S. 115] Stamm, Ort oder Gau seinen eigenen Gott oder Halbgott. Dieser Henotheismus wurde durch Zusammenfassung der Gaue zu Staaten oder Bünden zum Polytheismus; die Götter wurden zur Vielgötterei versammelt.

Bei den Israeliten, die uns hier als Vorläufer des Christentums am meisten interessieren müssen, fällt die Stufe der Vielgötterei weg, weil ihre Stämme schon früh einen gemeinsamen Gott hatten, Jahve, (Jehova). Aber auch dieser Gott trug, wie die neuere Forschung zur Gewißheit erhoben hat, „alle entscheidendsten Merkmale des Heilbringers an sich.“ So nennt Prof. Breysig in Berlin „eine Gestalt der Überlieferung, von der man menschen-, oder teils menschen-, teils tierhaftes Auftreten auf der Erde erzählt, der man schon während ihres irdischen Lebens übermenschliche Kräfte beimißt und die zumeist nach ihrem Entschwinden in die Gestalt eines Geistes von sehr hohen Kräften übergeht.“ — „Die Umschaffung der Erde ist eine der bezeichnendsten Eigenschaften des Heilbringers schon bei den Urvölkern.“ Die wahrscheinlich ältesten Bestandteile der hebräischen Überlieferung von Jahve feiern ihn als den siegreichen Drachentöter (so im zweiten Jesaias, ähnlich im 89. Psalm, sogar in dem später entstandenen Hiob).

Der Drache ist sonst überall die Nacht, die vom Sonnengotte überwunden wird, hier ist er das Urmeer, nach anderer Ansicht ein wirkliches Ungeheuer. Mag es der streng Gläubige nun gern hören oder nicht, — Zeugnisse der Bibel selbst beweisen den Ursprung Jahves[S. 116] aus einer Naturgottheit,[13] in ältester Gestalt eines Sturm- und Windgottes (Jahve = er weht oder er vernichtet). Seine wichtigsten Taten, Schöpfung und Flut, haben ihr Vorbild im heidnischen Babylon und sind nur ethisch und monotheistisch umgearbeitet, wodurch sie eine höhere, edlere Auffassung erhielten. Die Erzählung genau betrachtet, erscheint die Schöpfung der Genesis keineswegs als eine Erschaffung aus Nichts. Beide Formen der Schöpfungssage (Genesis 1,1 ff. u. 2,4 ff.) wissen nichts vom Nichts. Die zweite Form ist ihrer ganzen Fassung nach die ältere, rein menschliche, die erste aber eine jüngere priesterliche Umarbeitung. Beide lassen durchblicken, daß die Erde (die damalige „Welt“) bereits in Gewalt einer trockenen Wüste (nach der älteren), einer Wasserwüste (nach der jüngeren Form) vorhanden war, daß also nur von einer Umformung die Rede sein kann. Ebenso verhält es sich mit dem Himmel, denn wo sonst sollte Jahves, des Ewigen Wohnung gewesen sein? Doch gewiß nicht im Nichts! Ähnlich sind die Schöpfungssagen vieler, selbst amerikanischer Völkerstämme.

Aber noch ein anderer Umstand ist zu beachten, der geeignet ist, die hergebrachte Anschauung stutzig zu machen. In mehreren Stellen des A. T. ist von Göttersöhnen die Rede, die bald mit Jahve den Himmel, (z. B. Psalm 89,6-8 und Hiob 1,6 u. 38,6 f.), bald[S. 117] neben den neugeschaffenen Menschen die Erde bewohnen, die Töchter der Menschen ehelichen und mit ihnen Kinder, die „Helden“, zeugen (Genesis 6,1 ff.). Ja sogar in der jüngeren Schöpfungssage (Gen. 1,26) spricht Gott von sich in der Mehrzahl, und sein Name (Elohim) hat eine Mehrzahlform. Er ist also ursprünglich nicht allein. Doch ist dies nicht eine Vielgötterei im Sinne zusammengebrachter Stammesgötter, sondern eine urzeitliche Vervielfältigung der einheitlichen Gottheit.

Die irdischen „Göttersöhne“ erscheinen völlig menschlich, und so wird auch Jahve, das Haupt der himmlischen Göttersöhne, nach der Schöpfung ganz menschenähnlich, nicht wie ein Gott, sondern wie ein Heilbringer dargestellt, ja noch in dem spät entstandenen Buche Hiob, in dem er wie ein Held und Kämpfer auftritt. Diese Menschlichkeit dauert an; Jahve wandelt im Paradies in der Kühle des Tages, spricht mit Adam, Eva, Kain, Noah, Abraham, Jakob, Moses u. s. w. und verkehrt noch mit König David durch Nathan. Er ist der besondere Gott des Volkes Israel, das ferne davon ist, die Götter anderer Völker nicht für wirklich zu halten, ja sogar sich zeit- und teilweise diesen zuwendet (wie dem Baal und Moloch der Phöniker).

Dies ändert sich aber um das Jahr 760 v. Chr. durch Amos, den ersten der zeitlich bestimmbaren Propheten. Seitdem entwickelt sich Jahve vom Gotte eines Volkes zum Gotte der damaligen Welt, d. h. der Erde, vom Eingotte zum Alleingotte. An die Stelle des Namens Jahve tritt der früher als Mehrzahl, jetzt als Einzahl geltende: Elohim. Es ist jetzt[S. 118] ein Plural der Majestät. Elohim ist zwar immer noch ein Gott seines Volkes, aber der einzige Gott, mit Ausschluß aller übrigen, die nur noch Götzen sind.

Mit dem Christentum änderte sich dieses neuerdings. Der sein Volk bevorzugende Gott wird zu einem Gotte der Menschheit, der keinen Unterschied der Völker mehr kennt. Aber — er ist immer noch ein bloßer Gott der Erde, der nun diese vor allen übrigen Weltkörpern bevorzugt, was darin seinen Gipfelpunkt erreicht, daß er ihr seinen Sohn sendet. Denn es wird bei dieser Anschauung angenommen, daß die Menschen der Erde die einzigen denkenden Wesen im Weltall und die übrigen Weltkörper nur um der Erde zu leuchten da seien. Nach den ungeheuern Fortschritten der Astronomie seit Kopernikus ist diese Auffassung unhaltbar geworden. Es gibt Millionen Sonnen mit wahrscheinlich undenkbar vielen Planeten, auf denen organisches Leben, auch mit Steigerung zum Denken, besteht, bestand oder bestehen wird. Solche der Erde allein zuzuschreiben, ist entweder keck oder kindisch, sonst wäre ja die ganze Sternenwelt nur wesenloser Schein!

Seitdem besteht eine unausfüllbare Kluft zwischen den Kirchen, die immer noch an einem Gott der Erde hängen, wie das Dogma von der Dreifaltigkeit drastisch zeigt, deren zweite Person ja nur der Erde angehört, und der aufgeklärten Menschheit, die nach einem Gotte der Welt (im wahren Sinne, nicht im Verstande von Erde) verlangt. Die Freimaurerei steht auf diesem Standpunkte; denn sie nennt[S. 119] Gott den allmächtigen Baumeister der Welt oder auch: aller Welten. Sie fragt aber keinen Bruder nach seiner persönlichen Vorstellung von Gott, sondern überläßt dies ihm und seinem Gewissen. Sie verlangt daher auch keinen Glauben an einen persönlichen Gott, sondern läßt auch dem Gerechtigkeit widerfahren, der den Begriff „Person“ für viel zu beschränkt und eng begrenzt hält, um ihn dem unfaßbaren Geiste beizulegen, der das unendliche Weltall in seiner wunderbaren Ordnung erhält und unzweifelhaft über jeder Vorstellung hoch erhaben ist, die sich die kindlichen Menschen der Erde von ihm zu bilden vermögen! —

Es ist ja gar nicht anders möglich! Diejenigen Weltkörper, welche denkende, d. h. menschenartige Wesen hervorzubringen vermögen, tun dies ihrer Natur gemäß, und diese ist notwendig verschiedenartig. Solche menschenartige Wesen sind daher auf den verschiedenen Weltkörpern untereinander eher unähnlich als ähnlich. Gott anthropomorphisch, d. h. mit Eigenschaften, wie sie die Menschen der Erde besitzen, sich vorzustellen, ist gewiß ein Recht frommer, aber dem Weltenbau fremder Seelen; wissenschaftlich ist es nicht. Gott ist ein Geist; eine Gestalt und solche Eigenschaften wie die Menschen kann er nicht haben, weil er keinen Körper hat, wenn nicht das Weltall selbst diesen bildet. Dann ist er aber eben für Menschenverstand unfaßbar, und wir müssen uns bescheiden zu sagen: Er ist der Geist der Welt; mehr können wir nicht, wenn wir uns nicht in bodenlose Phantasien verirren wollen!

[S. 120]

b) Der ewige Osten.

Von Osten kommt das Licht, von Osten erhebt sich die Sonne, uns zu erleuchten und zu wärmen, von Osten kam die Leuchte der Kultur zu uns, von Osten wird die Loge erleuchtet und geleitet. Von Osten kommt Ostern, und zu Ostern erwacht die Natur zu neuem Leben und berichtet uns die ehrwürdige Überlieferung die Auferstehung eines der größten Geister, für die Meisten unter uns des größten unter allen, weil des reichsten an Liebe. Weil also von Osten das Licht, das Leben und die Liebe kommen, nennen die Freimaurer auch den unbekannten, rätsel- und geheimnisvollen Ort, wohin die gehen, für die auf der Erde Licht, Leben und Liebe aufgehört haben zu leuchten und zu blühen, — den ewigen Osten. Denn weil alles Leben von ihm kommt und wieder zu ihm zurückkehrt, ist er ewig wie der keinen Anfang und kein Ende kennende Kreis der Ewigkeit, der ewige Kreislauf des Lebens der Welt und des Wirkens Gottes.

Der ewige Kreislauf alles Lebens, der sich offenbart in der ewigen Wiederkehr der Sonne am Morgen und der des Mondes und der Sterne am Abend, des Aufkeimens der Pflanzenwelt im Frühling, der Verwandlung der Insekten aus mühsam kriechenden in lustig fliegende Wesen hat seit den ältesten Zeiten und bei fast allen Völkern die Menschen dahin geleitet, wie für die gesamte Natur, so auch für das Leben jedes Einzelnen eine Auferstehung nach dem Tode zu erwarten. Nicht zu leugnen ist, daß neben diesen Beobachtungen[S. 121] zuerst auch die Selbstliebe des Menschen, später die große, gar zu oft übertriebene Ansicht von der Wichtigkeit seines Ich bestimmend auf sein Verlangen, nach dem Tode fortzuleben, eingewirkt hat, während in edler entwickelten Naturen an die Stelle dieser Stimmungen eine uneigennützige Hoffnung auf ein Wiedersehen mit den vorangegangenen Lieben und ein besseres Dasein der Geister überhaupt nach dem Willen Gottes trat. Träume im Schlafe vom Wiedersehen mit Verstorbenen trugen ebenfalls das ihrige dazu bei. Alle diese Umstände zusammen genommen erklären es, warum sämtliche Religionen ihren Vorstellungen vom Fortleben nach dem Tode, oder, wie es kurz ausgedrückt wird, ihrem Jenseits ein durchaus sinnliches Gepräge geben, als ob es sich von selbst verstände, daß die Seele nach ihrer Trennung vom Körper einen neuen, wenn auch leichtern und zartern Leib erhielte, wodurch? wird niemals erklärt werden, weil es nicht erklärt werden kann.

Der Begriff des „Wiedersehens“ schließt offenbar ein Sehen und das Sehen Augen in sich. Mit einem bloß geistigen Sehen würde sich schwerlich ein Jenseitsgläubiger befriedigt fühlen, abgesehen von der Unklarheit dieses Begriffes. Damit ist auch die Religion nicht zufrieden, indem sie sogar eine „Auferstehung des Fleisches“ lehrt. Wo die Seele zwischen dem Tode und dieser Auferstehung weile, ist ein — Geheimnis. Es ist auch unklar, von wem bis dahin die Orte des Jenseits bevölkert würden. Die römische Kirche füllt diese Lücke mit dem Fegfeuer aus, ohne zu erklären, wie körperlose Seelen von einem Feuer gebrannt werden[S. 122] können. Diese Bedenken hielten aber den großen, mit riesenhafter Phantasie begabten Dante und andere Jenseitsschilderer nicht ab, schon zu ihren Lebzeiten Hölle, Reinigungsort und Himmel (Paradies) bereits ziemlich angefüllt darzustellen. Manche Völker suchten sich den Zwiespalt zwischen der Trennung von Seele und Körper und sinnlichem Jenseits dadurch zu erklären, daß sie als das Fortlebende den Atem oder Schatten des Menschen betrachteten; manche auch ließen Pflanzen und Tiere nach ihrem Absterben im Jenseits fortleben, andere wieder nahmen im Menschen 2, 3, 4 Seelen an, deren jede eine besondere Bestimmung habe. Nicht selten ist der Glaube an eine zeitweilige Abwesenheit der Seele vom Leibe, eine öfter wiederholte Trennung beider. Dieser Glaube hat als Aberglaube die bizarrsten Auswüchse krankhafter Phantastik erzeugt, wie die Sagen von Doppelgängern, vom „zweiten Gesicht“, Fernwirkungen, Todesverkündigungen, Ekstasen, Verzückungen und anderes. Der Widerspruch, daß ein Leben zwar einen Anfang, aber kein Ende haben, also zugleich endlich und unendlich sein soll, sucht die in Indien besonders lebhaft ausgeschmückte Lehre von der Seelenwanderung zu lösen, nach der die Seele nach dem Tode unbekannt wo weilen und nach geraumer Zeit in einem neuen je nach ihrem Verdiente tierischen oder menschlichen Körper wieder geboren werde und so ohne Anfang und Ende. Nur das seligen Geistern vorbehaltene Nirvana (wörtlich: Auslöschen) befreit davon.

Der Aberglaube an Geistererscheinungen fußt natürlich[S. 123] auf dem Glauben, daß der Abgeschiedene seine Gestalt behalte, der an Spuk darauf, daß ihm auch seine physischen Kräfte gewahrt bleiben, beide darauf, daß die Seele an oder nahe bei ihrem Aufenthalte im Leben verweilen müsse, bis sie erlöst würde.

Der Ort des Jenseits macht die buntesten Phantasien durch. Man kennt Eingangstore zum Totenreiche, so zum griechischen Tartaros, zum römischen Orkus; im deutschen Volksglauben führen verschiedene Stellen durch Sümpfe, Höhlen u. s. w. dahin. Naturvölker fabeln von Abenteuern, die der Tote auf seiner Reise ins Jenseits zu bestehen habe; er muß steile und schlüpfrige Berge, haarschmale Brücken, Abgründe, reißende Ströme, Meere u. s. w. überwinden. Es wird auch erzählt, daß Seher, Häuptlinge u. dergl. dort gewesen und auf die Erde zurückgekommen seien. Das Jenseits liegt je nach dem Volksglauben in hohlen Bergen, unter der Erde, auf entfernten Inseln, über Meeren, natürlich meist im Westen, weil die Sonne dort untergeht, daher auch eine Unterwelt besonders oft angenommen wird. Unser Zeitgenosse, Prof. Bautz in Münster versichert, die Hölle liege unter der Erdoberfläche und die Vulkane seien ihre Schlote. Weit poetischer verlegen Naturvölker ihr Jenseits auf Sonne, Mond oder Gestirne; Wilmershof (1866) suchte das für die Erdbewohner auf der Venus! Der Himmel ist vielfach bevorzugt, natürlich soweit man an ein Himmelsgewölbe glaubt. Manche Völker sind auch mit den Wolken zufrieden. Fischervölker wünschen ein Land mit viel Wasser, Jägervölker ein solches mit viel Wild, Nomaden[S. 124] eines mit herdenreichen Fluren oder Steppen, also einfach eine Fortsetzung des irdischen Lebens.

Allgemein erwartet man im Jenseits eine Belohnung der guten und eine Bestrafung der bösen Taten. Darüber soll das Weltgericht entscheiden, — eine Übertragung menschlicher Verhältnisse auf das Jenseits; wie aber über diejenigen entschieden werde, die sich nach dem Glauben ihrer Bekannten schon jetzt in Himmel oder Hölle befinden, weiß niemand! Natürlich beruht diese Vorstellung auf der Ansicht, daß die Erde die Welt sei, die Erwartung von Lohn und Strafe aber auf selbstsüchtigen oder mißgünstigen Meinungen, oder etwa auf Gerechtigkeitssinn? Bei wem ist denn etwa dieser unfehlbar?

Im Gegensatze zu diesen mannigfachen Vorstellungen vom Jenseits gab es eines der höher zivilisierten Völker, das keine Fortdauer der Seele nach dem Tode annahm. Es waren dies dieselben Israeliten, bei denen der Glaube an Einen, alleinigen Gott seinen Ursprung hatte. Selbst orthodoxe Theologen geben zu, daß im A. T. bis zur Wegführung der Juden nach Babylon sich keine Lehre über eine Fortdauer nach dem Tode finden lasse. Der Grund davon kann kein anderer sein als der, daß sich zu diesem Glauben kein Bedürfnis zeigte. Das Wort Scheol, worin man eine Art Jenseits, eine Unterwelt suchte, zeigt in allen Zusammenhängen, daß damit das Grab gemeint ist. Nach der Rückkehr aus Babylonien erst, ohne Zweifel durch Einwirkung der persisch-zoroastrischen[S. 125] Lehre, nahmen die Juden eine Vorstellung vom Jenseits und zwar gleich eine recht ausgeschmückte an.

Es läßt sich nachweisen, daß die Lehren vom letzten Gerichte, von der Auferstehung der Leiber, von den Engeln und Teufeln und selbst vom Messias (pers. Sosiosch) von den Persern zu den Juden und von diesen zu den Christen gewandert sind. Seitdem bevölkerten sich der Himmel (Abrahams Schoß genannt) und die Hölle (Gehenna) außer jenen guten und bösen Geistern mit den Seelen der guten und bösen Menschen, welche Vorstellung die Masse des Volkes noch heute beherrscht.[14]

Die Freimaurerei hat sich niemals über Einzelheiten des Unsterblichkeitsglaubens ausgesprochen, sondern die Ansichten über diesen Begriff, der ja an soviel Unklarheit und Widersprüchen leidet, den Brüdern freigegeben. Man kann ebensogut ein wackerer Mensch und treuer Bruder sein, wenn man unter Unsterblichkeit das Andenken bei den lieben Hinterlassenen und den Ruhm bei der Mit- und Nachwelt versteht, wie wenn man an Himmel und Hölle, Engel und Teufel glaubt (doch dürfte der Glaube an die bösen Geister und ihr Reich unter den Brrn. sehr dünn gesät sein, trotz der Freundschaft zu Satan, die uns unsere Feinde lächerlicherweise andichten); denn es bedarf zu dem Verzicht auf ein „ewiges“ Leben einer starken Seele und eines unabhängigen Geistes. Dessenungeachtet ehrt die Freimaurerei[S. 126] den Begriff der Unsterblichkeit hoch und nimmt dies auch von den Brrn. an. Mit der Außenwelt teilt sie daher auch das Sinnbild der Ewigkeit (Gottes und der Welt) in der Gestalt des eine sich in den Schweif beißende Schlange vorstellenden Ringes, ohne es bei besonderem Anlasse anzuwenden. In diesem Sinnbilde liegen zugleich Weisheit, Stärke und Schönheit, nämlich Weisheit im Glauben an die Ewigkeit des Allgemeinen, des Wahren, Stärke in dem an die Ewigkeit des Guten und Schönheit in der Form des Ringes selbst, der schönsten, die es gibt. Das Sinnbild ist in der Tat sehr alt und bei allen höher strebenden und tiefer fühlenden Menschen geehrt. Weil es ohne Anfang und Ende ist, liegt darin alles enthalten, was es Wahres, Gutes und Schönes gibt.

Und so schließen wir mit diesem Ringe der Ewigkeit unsere kurz gefaßten Betrachtungen über die Sinnbilder der Freimaurerei, indem wir hoffen, daß unsere Abweichung von einigen bisher geläufigen, aber nach unserer Überzeugung veralteten Anschauungen, als im Interesse der Freimaurerei selbst vorgebracht, mit brüderlicher Nachsicht beurteilt werden möchte.

Es folgt noch, der Vollständigkeit wegen, ohne einzelne Sinnbilder zu berühren, eine kurze Darstellung der verschiedenen freimaurerischen Systeme oder Lehrarten.

[13] Breysig, Die Entstehung des Gottesgedankens und der Heilbringer. Berlin 1905. Gunkel, Schöpfung und Chaos. Göttingen 1895.

[14] Über diese Gegenstände handelt ausführlicher des Verf. Buch „Das Jenseits“. Leipzig 1881. S. 1 ff. und 80 ff.

[S. 127]

12. Die Lehrarten.

Immer höher muß ich steigen,
immer weiter muß ich schaun.
Goethe, Faust II.

a) Die englischen Lehrarten.

Unter Lehrarten oder Systemen versteht man in der Freimaurerei die Art und Weise, wie in einem Lande oder an einem Orte die Freimaurerei gelehrt und durch Sinnbilder dargestellt wird.[15] Da die Freimaurerei (wie in unserer Schrift „Adhuc stat“, eingehender in den Geschichten der Freimaurerei gezeigt wird) ihre Heimat in England hat, so ist natürlich die englische Lehrart die älteste.[16] Ihre erste Einrichtung beruht auf dem von dem Prediger Dr. James Anderson im Jahre 1723 verfaßten Gesetzbuche, „Konstitutionenbuch“ genannt. Es war gerade die Zeit, in welcher die Werkmaurer, die die englische Großloge 1717 gegründet hatten, aus den leitenden Beamtenstellen verschwanden und durch Adelige und Gelehrte ersetzt[S. 128] wurden. Die Londoner Brüder waren jedoch nicht die einzigen im Lande; schon 1725 entstand in York eine eigene Großloge, die beinahe das ganze 18. Jahrhundert hindurch eigene Logen leitete, doch ohne die von London aus gestifteten zu behelligen. In demselben Jahre erscheinen hier die drei Grade zum ersten Male, und im Jahre 1730 trat der erste freimaurerische Katechismus an das Tageslicht. Es wurden bald darauf an der Stelle der bisherigen weißen Gleichförmigkeit in der maurerischen Kleidung für die Großbeamten farbige Unterschiede im Besatze der Schurze und in den Bändern eingeführt. Auch der Einheit des Bundes drohte in der nächsten Zeit eine Gefahr, nicht von der Großloge in York, sondern von einer neuen, die sich 1751 vorzüglich aus Irländern bildete und deren Mitglieder sich Ancient Masons, Alte Maurer, nannten, weil sie die alte echte Freimaurerei herzustellen beabsichtigten. Seitdem nannte man die früher entstandene Großloge die der Neuen Maurer (Modern Masons). Die sog. Alten Maurer hatten bis 1756 keinen adeligen Großmeister, wählten sich aber dann ebenfalls einen solchen. Beide Körperschaften lebten indessen im Frieden miteinander. Beide auch führten in den vierziger Jahren eine neue Abweichung vom alten Freimaurertum ein, nämlich den über den ersten 3 Graden stehenden „Royal Arch-Grad“ (Grad des königlichen Gewölbes), den ersten Keim des unseligen Hochgradwesens. Erst in den Jahren 1809 bis 1813 vereinigten sich die beiden Großlogen zu einer einzigen auf der Grundlage der vier Grade, mit[S. 129] Ausschluß aller „höheren“ oder der sog. Ritterorden. Dagegen setzte die 1736 gestiftete Großloge von Schottland an die Stelle des Royal Arch die beiden „Markgrade“ (die später in einen verschmolzen), und die von Irland (1731) anerkannte gleich eine ganze Menge von Hochgraden, sogar von Tempelrittergraden, doch ohne ihnen als solchen den Zutritt in die Logen der 3 alten Grade zu gestatten.

Schon früh, jedoch ohne alle diese Zutaten, fand sowohl das alt- als das neuenglische System Eingang in Deutschland, und zwar in dreierlei Gestalt: 1. in Frankfurt am Main 1742, wo die dortige englische Gründung (die spätere Loge zur Einigkeit) wacker gegen die damaligen ritterlichen und hochgradigen Verirrungen Stand hielt und sich 1783 zum Eklektischen Bunde entwickelte, der sich erst 1822 von der englischen Großloge trennte und zur selbständigen Großloge wurde. Seit 1844 ist hier die seit 1811 bestandene Ausschließung der Nichtchristen wieder aufgehoben, aber 1846 trennten sich vom Bunde die hessischen Logen und errichteten eine eigene Großloge in Darmstadt. 2. In Berlin arbeitete Ignaz Aurelius Feßler (1756-1839), der frühere österreichische Kapuziner, das Ritual der Loge „Royal York“ um 1800 in englischer Weise um, wobei an die Stelle höherer Grade ein Innerer Orient mit „Erkenntnisstufen“ höheren moralischen Gehaltes trat. Nach der Erhebung jener Loge zur Großloge verbreitete sich deren Ritual nicht nur über ihr Gebiet, sondern auch über andere Orte Deutschlands; doch[S. 130] fanden mehrfache Abänderungen statt, und an die Spitze der Inneren Oriente trat ein Innerster Orient; 3. In Hamburg wurde 1801 durch Friedrich Ludwig Schröder (1744-1816) das Gebrauchtum der dortigen Großen Loge durch Abschaffung aller Hochgrade verbessert und alles, was über den 3. Grad hinausging, in dem Engbund mit kritisch-historischem Charakter vereinigt. Dieses dem englischen nachgebildete System ist das der Großlogen von Hamburg und Sachsen und auch außerdem mehrfach verbreitet. Der Engbund hat jedoch seine Bedeutung längst eingebüßt, und sein Inhalt gehört der öffentlichen wissenschaftlichen Forschung an.

Im Hergange der Gebräuche unterscheiden sich die beiden englischen Systeme wesentlich nur durch die Stellung der beiden Aufseher (s. oben S. 6). Das neuenglische anerkennt 3 große Grundsätze: Bruderliebe, Hilfe und Treue, als die 3 großen Lichter die sonstigen 3 kleinen, und die sonstigen 3 großen L. bloß als die Logengeräte. Die 3 Umführungen werden nicht als Reisen (da ja Lehrlinge noch nicht reisen), sondern nur als Vorbereitungen zur Aufnahme betrachtet. England kennt weder die Elementarproben, noch Hut und Handschuhe in der Loge, auch die Kette nicht mehr, was alles aber in den deutschen Übernahmen der englischen Systeme gebräuchlich ist. — Dagegen blieben in England noch andere Sinnbilder, die in Deutschland nicht Aufnahme fanden. Ebenso verhält es sich mit den Royal Arch- und Merkgraden, die übrigens in England unter besonderen Behörden (Kapiteln) stehen.[S. 131] Die englische Lehrart hat gegenüber dem aristokratischen Wesen der Hochgrade einen wesentlich demokratischeren Charakter.

In einzelnen Logen haben sich neuerdings Ableger der englischen Systeme gebildet, so 1865 und 70 in Freiburg im Breisgau durch Gottfr. Aug. Ficke aus Hamburg (1808-1887), der mit dem Polen Twenlowski eine eigenartige religiös-moralische Reform durchführte. In St. Gallen wurde 1868 das bis dahin geltende rektifizierte schottische System in altenglischem Geiste mit einigen neuen Gedanken umgearbeitet, was auch in andern deutsch-schweizerischen Logen Annahme fand. Die Großloge zur Sonne in Baireuth einigte sich 1873 auf das vom Professor J. K. Bluntschli in Heidelberg (1808-1881) verfaßte Gebrauchtum auf englischer Grundlage, diejenigen von Marbach und Findel fanden ebenfalls Beifall. Überall, wo die englische Lehrart in Deutschland Fuß faßte, huldigen die Logen dem humanitären Prinzip ohne religiöse Ausschließlichkeit. In den drei alten Graden ist auch unter der Oberherrschaft der zwei folgenden Systeme das Gebrauchtum der englischen Lehrart im wesentlichen erhalten geblieben.

b) Die französischen Hochgradsysteme.

Wenn auch nicht die ersten, wie vorhin gezeigt, so schreiben sich doch die schwersten und schädlichsten Abweichungen der Freimaurerei von ihren alten und echten, einfachen und prunklosen Grundsätzen von ihrer Einführung in Frankreich her. Hier entstanden[S. 132] in Mitte des 18. Jahrhunderts die sog. Schottengrade und Schottenlogen. Mit Schottland haben diese nichts zu tun, wie die dortige Großloge wiederholt erklärt hat. Woher also der Name kam, ist nicht sicher nachzuweisen, doch wohl von irgend welchen Verbindungen mit dem in Frankreich flüchtigen Hause Stuart oder von Sagen über alten Bestand der Freimaurerei in Schottland. Viel liegt nicht daran; denn der Inhalt dieser Grade, deren es etwa 50 an der Zahl gab oder noch gibt, bezieht sich auf ganz andere Dinge, so daß der Name willkürlich und unzutreffend erscheint. Es ist nicht hier, sondern in der Geschichte der Freimaurerei der Ort, zu erzählen, wie sich dieses Unwesen in Frankreich und zeitweise als „strikte Observanz“ auch in Deutschland verbreitet hat, in welcher Verbindung es mit Schwärmern und Schwindlern, sowie mit der römischen Kirche und den Jesuiten stand und welche Wahnideen von einer Fortdauer des Tempelritterordens in der Freimaurerei es nährte und pflegte.

Der heute noch bestehende und am weitesten verbreitete Zweig der sog. schottischen Maurerei ist das sog. altschottische oder französisch-schottische System der 33 Grade, deren Namen und angeblichen Inhalt wir oben (S. 41 ff.) aufgezählt haben, — angeblich sagen wir, weil es doch unwahrscheinlich ist, daß sich ernsthafte Männer mit solch’ unnützen Dingen beschäftigen sollten, unter denen wohl anderes (gewiß harmloses) verborgen steckt.

Die ersten Spuren dieses Systems finden sich in[S. 133] dem sog. Kapitel von Clermont, welches am 24. Nov. 1754 der Chevalier de Bonneville in Paris stiftete. Der Name Clermont war bezeichnenderweise von dem Collège Clermont entnommen, einem Jesuiten-Kollegium in Paris, von wo aus die Unternehmungen der Prätendenten Jakob III. und Karl Eduard Stuart unterstützt wurden. Das System Clermont arbeitete mithin im doppelten Interesse der Jesuiten und der Stuarts, und ist die Mutter oder wenn man will Großmutter des „alten und angenommenen schottischen Ritus“. Es enthält sieben Grade, nämlich über dem Meister: 4. schottischer Meister, 5. erwählter Ritter des Adlers, 6. erhabener Ritter oder Templer, 7. höchster erhabener Ritter. Diese Titel waren schon nichts weniger als bescheiden; aber es kam noch stärker. Es bildete sich auf Grundlage des genannten Systems 1757 in Paris ein neues, dessen Bekenner sich nicht geringer benannten, als: Souveräne Maurerfürsten, allgemeine Stellvertreter der k. K., Große Aufseher und Beamte der großen und souveränen Rechteck von St. Johannes zu Jerusalem. Neben diesem langen Titel trugen die Oberen des Ordens noch den kürzern, aber erhabenern der „Kaiser vom Osten und Westen“. Unter ihnen war der Orden in 25 Grade eingeteilt, welche sieben Klassen bildeten. Diese 25 Grade sind in den jetzigen 33 immer noch vorhanden, und unsere Dreiunddreißiger sind mithin die direkten Nachfolger von Leuten, welche sich selbst in vollem Ernste „Kaiser vom Osten und Westen“ nannten. Im gewöhnlichen Leben würden Menschen von gesundem Verstande Leute, die[S. 134] sich eine Würde beilegen, die sie nicht besitzen, einfach „Narren“ nennen. Diese Titularkaiser vereinigten sich 1772 mit der französischen Großloge; 1780 aber nahmen sie, wieder getrennt, den Titel „Souveräner Rat und erhabene Mutterloge der Vortrefflichen“ an. Von diesem System nun, aber als es noch den Kaisertitel führte, erhielt am 27. Aug. 1761 der Pariser Jude Etienne Morin ein Patent als „Großer Erwählter, vollkommener und alter erhabener Meister, Maurerfürst, Ritter und erhabener Fürst aller Orden der Perfektions-Mrei“ u. s. w., die Würde eines Deputierten Groß-Inspektors in allen Teilen der Neuen Welt, und die Vollmacht, in Amerika die Freimaurerei durch die Mitteilung aller von den „Kaisern“ anerkannten 25 Grade zu verbreiten u. s. w. Morin tat dies, verbreitete das System der Kaiser des Ostens und Westens in San-Domingo, Jamaika und Charleston, und hier war es, wo sich dasselbe um 8 Grade erweiterte und also deren 33 erhielt (angeblich nach den Lebensjahren Jesu, der aber von solchen Prunktiteln nichts wußte). In Frankreich gingen unterdessen die „Kaiser des Ostens und Westens“ und ihre Nachfolger in der Revolution unter wie die übrigen Freimaurer auch; aber im Jahre 1804 kehrte der Graf de Grasse-Tilly mit den französischen Truppen aus San-Domingo nach Paris zurück, versehen mit einer Vollmacht des Suprème Conseil des schottischen Ritus zu Charleston, laut welcher er in Europa Logen nach diesem Systeme zu errichten das Recht besaß. Noch in demselben Jahre gründete er den noch heute bestehenden Suprème[S. 135] Conseil des 33. Grades und trat an dessen Spitze als Souverain Grand Commandeur, welche Stellung er bis 1806 bekleidete, wo der Kanzler Cambacerès ihm nachfolgte, welcher zugleich Großmeister des Grand Orient war, was er bis zum Sturze des Kaiserreichs 1814 blieb. Mit dieser Zeit begannen die Reibungen und Zwistigkeiten der beiden Körperschaften, welche beide die 33 Grade besaßen und jede die allein rechtmäßige sein wollte.

Die ganze Einrichtung des schottischen Systems der 33 Grade beruht nun auf der erdichteten Behauptung, Karl Eduard Stuart (welcher gar nie Maurer war, sondern die Freimaurer zur Erreichung seiner dynastischen Zwecke zu mißbrauchen suchte) habe Friedrich II., König von Preußen (welcher mit Karl Eduard gar nie in Verbindung stand, sondern ein beständiger Verbündeter des in England regierenden Hauses Hannover war, welches Karl Eduard zu stürzen versuchte) zum Großmeister (welche Würde Karl Eduard niemals zu vergeben hatte) und zu seinem Nachfolger (in einer Würde, die er selbst nicht besaß) ernannt, und dieser, Friedrich der Große, habe am 1. Mai 1786 (als er sich längst nicht mehr um die Freimaurerei bekümmert hatte) die Hierarchie des schottischen Ritus (der in dieser Form in Deutschland niemals existiert hat) von 25 auf 33 Grade (welche Zahl erst 1801 in Amerika entstand) erhöht und die oberste Gewalt einem Suprème Conseil (welche Behörde es in Deutschland niemals gegeben hat) übertragen. Zum Überfluß hat die von Friedrich im Anfang seiner Regierungszeit[S. 136] (um 1740) gegründete Große Mutterloge zu den 3 Weltkugeln in Berlin im Jahre 1862 jene Ordenssage offiziell als eine Lüge erklärt. Endlich hat im Jahre 1875 der Kongreß des schottischen Ritus in Lausanne ebenfalls für gut gefunden, die Erzählung von Friedrich dem Großen aufzugeben. Es scheint dies jedoch mehr aus französischem Preußenhaß, als aus wissenschaftlicher Gewissenhaftigkeit geschehen zu sein; denn wäre die letztere maßgebend gewesen, so hätten auch die 33 Grade aufgegeben werden müssen. Es ist jedoch an letzteren kein Jota abgelassen worden, obschon Jedermann weiß, daß die 33 Grade in Wahrheit gar nicht existieren, sondern in fünf bis sieben Einweihungen erteilt werden, — so daß hier der beste Anlaß gewesen wäre, die Grade auf fünf bis sieben zu vermindern, — wenn nicht das Bestreben, mit pomphaften Titeln und klingendem Anhängsel an bunten Bändern zu prunken und zu prangen, alle anderen Rücksichten überwöge. Die schottischen Brüder werden zwar darin Mangel an brüderlicher Liebe und an Festigkeit in den maurerischen Prinzipien finden; aber die Wahrheit tut der Liebe niemals Eintrag. Wer auf Liebe Anspruch macht, muß auch die Wahrheit ertragen können, ja er muß dem Bruder, der ihm die Wahrheit sagt, sogar dankbar sein!!!

Die Fabeldichtung des sog. schottischen Systems, an sich schon stark genug der Wahrheit ins Gesicht schlagend, wurde noch weit übertroffen durch zwei spätere französische Ordensschöpfungen, die ihren Ursprung aus Ägypten herleiteten.

[S. 137]

1. Der Ritus von Misraim (hebr. Name von Ägypten) wurde im Anfange des 19. Jahrh. durch den jüdischen Armeelieferanten Michel Badarride aus Avignon und seine zwei Brüder in Frankreich eingeführt und verbreitet. Die Sage von seinem hohen Alter ist zu lächerlich, um erwähnt zu werden. Die Lehre des „Orientalischen Ordens“, wie er sich auch nennt, ist eine Art mystischer Naturphilosophie und wird in 4 Serien, 17 Klassen und 90 Graden mit äußerst hochtrabenden Titeln „mitgeteilt“. Er behauptet, über seinem sichtbaren Oberhaupt, dem „souveränen Fürsten“, noch ein unbekanntes, den souveränen Großmeister zu besitzen. Seine Bemühungen, vom französischen Großorient anerkannt zu werden, blieben ohne Erfolg. Er brachte es bis 1898 auf 10 Logen.

2. Der ganz ähnliche Ritus von Memphis, der sich ebenfalls orientalischer Freimaurer-Orden nennt und eine ebenso keck erfundene Sage von uraltem Ursprunge behauptet, wurde in Wirklichkeit erst 1814 von Samuel Honis aus Kairo nach Frankreich gebracht und hatte 1816 in Montauban in einem gewissen Marconis sein „Groß-Hierophant“ genanntes Oberhaupt. Er schlief bald ein, erwachte aber 1838 unter Marconis dem Jüngern und verbreitete sich nach Belgien, England, dem Orient und Amerika. Seine von der Polizei nicht sehr geachteten Geheimnisse verteilte er in 7 Klassen und 90 Graden, deren oberer „Souveränes Sanktuarium“ (Heiligtum) genannt wurde. Die Lehre des Ordens ist ein Wandelgang durch alle Mysterien und Geheimbünde der Geschichte. Im Jahre 1860 schränkte er[S. 138] seine Grade auf die Zahl 33 ein. Vom Großorient erhielt er 1862 die Anerkennung, worauf sich jenem seine Pariser Logen anschlossen, während die auswärtigen unabhängig blieben, sich aber mit dem Misraim-Orden (1898) verschmolzen; neuerdings hat der vereinigte Orden auch in Deutschland Eingang gefunden.

c) Die schwedische Lehrart.[17]

Die Freimaurerei wurde in Schweden 1735 eingeführt und erhielt dort sieben aus Frankreich stammende Grade. Gründer des schwedischen Systems aber wurde 1756 der spätere Kanzleirat Karl Friedrich Eckleff (1726-1789), indem er auf Grund eines Freibriefes unbekannter Herkunft in Stockholm ein Kapitel errichtete, das er als „Vikar Salomos“ leitete. Es folgte 1760 durch ihn die Gründung der Großen Landesloge von Schweden, der sieben Logen unterstanden und in der er das Amt des zugeordneten Landesgroßmeisters bekleidete. Die Logen vermehrten sich, König Gustav III. trat selbst bei und übernahm den Schutz der Landeslogen. Die aus Frankreich stammende Fabel von einem Zusammenhange mit den Johannitern der Kreuzzüge wurde angenommen; auch die Legende vom Fortleben der Tempelritter kam dazu und veranlaßte die Errichtung drei weiterer Grade. Nachdem Eckleff seine Rechte dem spätern König Karl XIII. verkauft hatte, ging die Leitung des Ordens ganz an den jeweiligen König über und so blieb es bis heute, indem[S. 139] stets der König Ordensmeister und der Kronprinz Landesgroßmeister ist.

Schon 1766 wurde die schwedische Lehrart in Deutschland eingeführt, 1814 in Norwegen und 1855 in Dänemark; und 1891 erhielt Norwegen eine eigene Große Landesloge. In allen drei skandinavischen Staaten steht die Ordensleitung beim König.[18]

Von der Lehrart der drei nordischen Reiche weicht die in Preußen eingeführte in manchen Dingen ab. Eingeführt wurde hier das schwedische System durch den Feldarzt Joh. Wilhelm Ellenberger (1731-1782), der durch Adoption den Namen v. Zinnendorf erhielt. Zwar bereits der „strikten Observanz“ angehörend, aber nach höheren Geheimnissen begierig, ließ er sich aus Schweden von Eckleff die Akten seiner Grade und einen Freibrief senden, gründete Logen und 1770 die Große Landesloge von Deutschland, und 1773 erhielt er für diese eine Anerkennung aus England und im nächsten Jahre diejenige als Landesgroßmeister von Preußen. Nicht so günstig gestaltete sich das Verhältnis zu Schweden, von wo der Freibrief Eckleffs widerrufen wurde, worauf Zinnendorf 1777 seine Schöpfung von Schweden trennte. Auch mit England erfolgte ein Bruch, mit Schweden aber 1819 Versöhnung. Seit 1860 bekleidete der König von Preußen das Protektorat der Gr. L. L., seit 1895 führt es Prinz Friedrich Leopold. Kronprinz Friedrich Wilhelm, der spätere[S. 140] König und Kaiser Friedrich III. verlangte als Ordensmeister 1870 eine genaue Prüfung der geschichtlichen Ansprüche der Gr. L. L. und Reformen in ihrer Einrichtung, im Sinne einer Vereinfachung des Gebrauchtums, wie im Geiste der Zeit.

Der Gr. L. L. war dies unbequem; sie schloß den mit den Forschungen beauftragten Archidiakon Schiffmann und die Logen in Stettin und Stralsund aus; 1880 ließ sie sich aber wenigstens dazu herbei, die Templerfabel aufzugeben.

Die Gr. L. L. von Deutschland (deren Grade oben S. 40 angegeben sind) und die übrigen des schwedischen Systems huldigen einer strammen protestantischen (doch unbekannt ob streng dogmatischen) Orthodoxie und nehmen Nichtchristen nicht auf. Für sie ist die Bibel kein bloßes Sinnbild, sondern eine Art Gesetzbuch. Die 3 alten Grade sind zur Unbedeutendheit herabgedrückt und den höheren Graden unbedingt unterworfen. Doch soll dieses Regiment (wohl infolge von Unzufriedenheit der Unterdrückten) in neuester Zeit milder geworden sein. Immerhin besteht ein scharfer Unterschied zwischen der Gr. L. L. und den dem englischen System zugetanen Logen. Einigermaßen wird diese Kluft notdürftig überbrückt durch die einem gemischten System huldigende, weil Hochgrade (vier an der Zahl) besitzende, Gr. National-Mutterloge zu den 3 Weltkugeln in Berlin (1740 von Friedrich dem Großen gegründet), eine deutsche Reform des schottischen Systems, die zwar dem schwedischen System formell nähersteht, als dem englischen, deren Mitglieder aber mit[S. 141] diesem mehr sympathisieren, wie auch die christliche Ausschließlichkeit in ihr nur noch auf schwachen Füßen steht.


Werfen wir einen Blick auf die drei Hauptlehrarten der Freimaurerei zurück, so gestaltet sich ihr geographisches Gebiet, wenn nach der Großzahl, die sie in diesem einnehmen, gerechnet wird, die Minderheiten anderer Systeme aber außer Berücksichtigung fallen, folgendermaßen:

I. Englisches System. Dieses umfaßt Großbritannien, die Niederlande, Deutschland westlich der Elbe[19], die Schweiz, Ungarn, die britischen Kolonien und die Vereinigten Staaten von Nordamerika.

II. Schottisches (eigentlich französisches) System. Dieses umfaßt Frankreich, Belgien, Italien, Griechenland, Rumänien, Spanien, Portugal, Mittel- und Südamerika.

III. Schwedisches System nebst den drei Weltkugeln, obschon diese ihm keineswegs angehören: Deutschland östlich der Elbe[20], Dänemark, Norwegen und Schweden.

Die herrschenden Richtungen sind folgende:

I. Aufgeklärter Theismus, ohne konfessionelle Färbung.

II. Früher Katholizismus, doch ohne Abhängigkeit vom Papsttum; jetzt entschiedenes Freidenkertum.

[S. 142]

III. Protestantische Orthodoxie, doch mit Hoffnung auf Entwicklung im Sinne größerer Geistesfreiheit. —

Nachwort.

Aus dem Überblicke der freimaurerischen Systeme oder Lehrarten ist zu ersehen, daß der Freimaurer-Bund viele Mannigfaltigkeit und ein reiches Maß von Entwickelung und Gewissensfreiheit besitzt. Nicht wenig günstig ist für ihn, daß diese seine Eigenschaften noch lange nicht vollkommen sind (welche menschliche Einrichtung wäre dies?) und daher große Hoffnung auf Verbesserungen gehegt werden darf, ohne die ja eine Versumpfung unvermeidlich wäre. Daß er stetsfort an Zahl der Mitglieder zunimmt, und zwar vorzugsweise an jüngeren Kräften, berechtigt schon an sich zu Hoffnungen. Wie unser dem unerreichbaren Br. Goethe entnommenes Motto sagt:

Immer höher muß ich steigen,
immer weiter muß ich schaun,

so soll sich auch der Bund verhalten. Er soll mit der Zeit alles Kindliche und Naive, das wir bereits oben getadelt haben, weil es einem überwundenen Standpunkt angehört, abstreifen und an dessen Stelle Höheres und Weiteres setzen. Dazu besitzt er Keime genug, namentlich in dem von ihm beobachteten richtigen Maße von Gefühl für das Allgemeine und das Besondere, für Menschheit und Vaterland. Mit allgemeiner Menschenliebe, mit Humanitätsstreben verbindet er, bei der völligen[S. 143] Abwesenheit gemeinsamer Oberhäupter, Begeisterung für die Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Organisationen in den einzelnen Ländern. Er ist die einzige Internationale auf der Erde (allerdings neben einer Anzahl ähnlicher, ihm nachgeahmter Verbände, wie die Oddfellows, Druiden, Guttempler und viele andere), die mit ihrem Kosmopolitismus auch Patriotismus verbindet. Alle übrigen Internationalen sind vaterlandslos.

  1. die schwarze, d. h. der Ultramontanismus, der für Rom und sein Papsttum und dessen geträumte Weltherrschaft willig das Vaterland preisgeben würde und dessen willenlose Schafe auf jedes eigene Denken verzichten, nicht aus Treue, nur aus Sklavensinn,
  2. die goldene, d. h. die Börsokratie, der für Gold, Ehre, Gewissen, Familie, Heimat feil sind und die sogar nicht davor zurückschrecken würde, dem Feinde ihres Vaterlandes gegen gute Bezahlung Waffen zu liefern,
  3. die rote, d. h. die Sozialdemokratie mit ihrem Vetter, dem Anarchismus, der das Vaterland „Wurst“ ist und die den Umsturz aller Ordnung und Kultur anstrebt, um die Menschheit in ein charakterloses Proletariat zu verwandeln, in dem jedes Hervorragen begabter Geister verpönt wäre und unterdrückt würde.

Diesen drei gewaltigen, aber unter sich feindseligen, ja einander glühend hassenden Heeren, für deren erste es nur den Klerus und seinen Anhang, für deren zweite[S. 144] es nur den Mammon und für deren dritte es nur ein Proletariat gibt — diesen Heeren gegenüber steht

die blaue internationale, die unter dem Banner der Treue kämpft, bestehend aus der Freimaurerei und den ihr ähnlichen Bünden.

Sind diese Bünde auch nicht unter sich zu einer Einheit verbunden, so beseelt sie doch ein gemeinsames Streben. Für sie allein gibt es eine Menschheit und ein Vaterland und wenn man will (nach Nietzsche) auch ein Kinderland, und es steht zum Glücke überdies auf ihrer Seite der unter allen Völkern waltende Geist der Freiheit, des Fortschrittes, der Menschen- und Vaterlandsliebe. Von ihm unterstützt ist es unsere Pflicht, unentwegt für die hohen Güter der menschlichen Kultur zu kämpfen, ohne Furcht und Zagen immer höher zu steigen und weiter zu schauen!

[15] Wir beschränken uns hier auf die jetzt noch bestehenden Lehrarten der Freimaurerei. Diejenigen früherer Zeit gehören in die Geschichte des Bundes.

[16] Nach Rob. Fischers „Darstellung der hauptsächlichsten freimaur. Systeme“. 9. Aufl. Leipzig 1906.

[17] Ebenfalls nach Fischer oben S. 127.

[18] In Dänemark besteht eine Loge, in Norwegen 5 sogar unter deutscher Großloge englischen Systems.

[19] 136 Logen gegen 92 nicht englischen aber darunter nur 26 schwed. Systems.

[20] 152 (darunter 85 schwedische) Logen gegen 40 englischen Systems.

Textende, Deko

Druck von Julius Beltz, Hoflieferant, Langensalza.