Title: Andrea del Sarto
Author: Emil Schaeffer
Editor: Richard Muther
Release date: June 2, 2025 [eBook #76213]
Language: German
Original publication: Germany: Bard, Marquardt & Co, 1904
Credits: Clare Boothby and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net
Anmerkungen zur Transkription
Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1904 so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr verwendete Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert; fremdsprachliche Ausdrücke wurden nicht korrigiert.
DIE KUNST · SAMMLUNG ILLUSTRIERTER MONOGRAPHIEN · HERAUSGEGEBEN VON · RICHARD MUTHER ·
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DIE KUNST
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LUCAS CRANACH von RICHARD MUTHER
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VENEDIG ALS KUNSTSTÄTTE von ALBERT ZACHER
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DIE RENAISSANCE DER ANTIKE von RICHARD MUTHER
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DER JAPANISCHE FARBENHOLZSCHNITT, Seine Geschichte —
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DIE MALER VON MONTMARTRE [Willette, Steinlen, T. Lautrec,
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FRANCISCO GOYA von RICHARD MUTHER
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PHIDIAS von HERMANN UBELL
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WORPSWEDE (Hans am Ende, Fritz Mackensen, Otto Modersohn,
Fritz Overbeck, Karl Vinnen, Heinrich Vogeler) von HANS BETHGE
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SELBSTBILDNIS
al fresco
Florenz: Uffizien
DIE
KUNST
HERAUSGEGEBEN · VON
RICHARD MUTHER
VON
EMIL SCHAEFFER
MIT EINER HELIOGRAVÜRE UND VIERZEHN VOLLBILDERN IN TONÄTZUNG
⠶ BARD, MARQUARDT & Cᵒ ⠶
OLGA MAUKSCH
GEWIDMET
[S. 1]
Die Sehnsucht vieler Historiker des Kunstschaffens ist, ein paar ärmliche Berichte aufzustöbern, um jenes Dunkel zu erhellen, das zuweilen die äußeren Formen einer Künstlerexistenz umlagert. Aber kommt dem Biographischen wirklich jene große Bedeutung zu? Sind Jahreszahlen und Notizen in Wahrheit Schlüssel, die uns Einlaß verschaffen ins Allerheiligste des Kunsttempels, ziehen Anekdoten die Schleier von den Geheimnissen einer Künstlerpsyche? Giotto hat einmal eine ketzerische Äußerung über die unbefleckte Empfängnis Marias getan: beeinträchtigt das unser Verhältnis zu den frommen Fresken im Assisi? Von Tizians Geldgier wird uns mancherlei erzählt: vermag unser Verständnis eine Brücke zu schlagen von der Knauserei eines alten Mannes zur schimmernden Pracht seiner Bilder? Nein; und was für uns Spätgeborene an einem Künstler, der vor Hunderten von Jahren starb, noch lebendig ist, können uns einzig und allein seine Werke sagen und nur jenes innere Leben, das in ihnen beschlossen liegt, sollte uns angehen. Zuweilen freilich, aber selten genug, b[S. 2]edeuten Bilder den farbigen Abglanz eines Künstlerdaseins; das mönchisch-kindliche Dahinleben Fra Angelicos spiegelt sich im goldenen Himmelsfrieden seiner Fresken, das wüste Draufgängertum des Franz Hals in der Furia seines Pinsels, und es gab einen großen Maler, bei dem Kunst und Leben so innig miteinander verquickt scheinen, daß man die Tragödie des Menschen kennen muß, um seinen Werken nicht unrecht zu tun. Dieser Maler war der Florentiner Andrea del Sarto ...
Seine Jugend unterschied sich wenig von der anderer Florentiner Künstler. Den Siebenjährigen, der kaum schreiben und lesen konnte, brachte sein Vater, ein armer Schneider, zu einem Goldschmied; bald jedoch vertauschte Andrea, seinem inneren Drange gehorchend, den Punzierstift mit der Palette. Die Anfangsgründe des Handwerks lehrte ihn Gian Barile, ein schlechter Maler, der aber viel Respekt vor der Kunst besessen haben muß. Denn als er das frühreife Talent des Schülers erkannte, verzichtete Gian aus freien Stücken auf den gewandten „garzone“ und führte selbst den Knaben zum flandrischsten aller Florentiner Maler, zu Piero di Cosimo. Von den vlaamischen Meistern, besonders von Hugo van der Goes, hatte Piero jene tiefen, von innen heraus leuchtenden Farben übernommen,[S. 3] mit nordischen Augen die Natur betrachten gelernt. Wenn Andrea später die Dinge als Farbenflächen empfand und in der Natur mehr sah als eine Hintergrund-Staffage, so hat er das gewiß seinen Lernjahren bei Piero di Cosimo zu danken. Außerdem kopierte er damals Michelangelos Karton für jenes Fresko der „badenden Soldaten“, das, nie ausgeführt, einen Saal im Palast der Signorie schmücken sollte. Auch das geriet seinem Schaffen zum Heil. Dieser Formensprache von bisher unerhörter Kraft und Freiheit entnahm er jenen machtvollen Schwung, der den besten seiner Schöpfungen eigen, hier lernte er, den Menschen mit „großen Augen“ anzublicken.
Auf die Dauer machten ihm Pieros tausend Sonderbarkeiten das Zusammenleben mit dem Meister unmöglich: In die verstaubte Unordnung seines Ateliers durfte keine fremde Hand säubernd eingreifen, aber auch die Pieros tat es nicht; eine Fliege an der Wand konnte ihm Wutanfälle bereiten; hypochondrischen Wesens, dichtete er sich alle möglichen Leiden an, um den Schüler dann mit Angstvorstellungen zu schrecken, — kurz, es ging nicht länger. Darum tat sich Andrea mit seinem etwas älteren Freunde Franciabigio zusammen, die beiden Jünglinge mieteten ein gemeinsames Atelier[S. 4] und gedachten mit dem schönen Enthusiasmus der Jugend, einander nicht mehr zu verlassen. Im alten Gebäude der Sapienza hausten sie, Wand an Wand mit Francesco Rustici, dem Bildhauer, und jenem Jacopo Tatti da Sansovino, der in Venedig dereinstens so herrliche Paläste aufführen sollte. Ihm besonders schloß Andrea sich an, und oft sprachen die beiden glühenden Auges „bis spät in die Nacht hinein von der Kunst und ihren schweren Problemen“. Aber ihr toskanisch heiteres Temperament bewahrte sie davor, in jungen Jahren schwerblütigen Grübeleien nachzuhängen. Mit ihren Freunden, den Malern Spillo und Roberto Lippi, dem kleinen Sohn des großen Filippino, mit dem allzeit lustigen Domenico Puligo, der so gern die schönen Hetären konterfeite, gründeten sie eine fröhliche Kneipgesellschaft, die „Accademia del Pajolo“, und ernannten Rustici zum Präsidenten der sonderbaren „Akademie des Kessels“. Diesem Kreise las Andrea seinen „Froschmäusekrieg“ vor, ein scherzhaftes, der Antike geschickt nachgeahmtes Epos in „ottave rime“; hier verspottete er die Anhänger des Vitruv durch eine geistreiche Küchen-Architektur, zwängte alle möglichen Dinge, Marzipan, Gallert und Würste, Parmesan und Krammetsvögel, in die edlen Formen eines hellenischen Tempels ...
[S. 5]
Der Tag blieb jedoch dem Ernst der Arbeit gewidmet, und bald war Andrea keiner der Geringsten mehr in Florenz. Als die „Disciplinati di San Giovanni Battista“, eine Laien-Bruderschaft, ihren Versammlungsort, das „Chiostro dello Scalzo“, mit Fresken zu schmücken gedachten, um das Leben und Sterben ihres Schutzpatrons stets vor Augen zu haben, wandten sich ihre Vorsteher an den jungen Andrea und hatten dies Wagnis kaum zu bereuen. Den Servitenmönchen wiederum mußte er die Wundertaten ihres Ordens-Stifters, des heiligen Filippo Benizzi in der Vorhalle der Annunziatakirche schildern und empfing für jedes Fresko den Bettelsold von zehn Scudi. Die Mönche durften sich des ungleichen Handels freuen; denn alle Kirchgänger bewunderten das Werk Andreas, und auch dieser war zufrieden; die Florentiner lernten seinen Namen aussprechen, und der karge Lohn genügte seinen geringen Bedürfnissen; konnte er doch sogar den Vater, der ihm noch immer Wohnung gab, mit seinen Einnahmen unterstützen.
Da trat auf seinem Lebenspfade ihm das Weib entgegen, und nun wurde alles mit einem Male anders. Lucrezia del Fede hieß sie und war die Gattin des Carlo di Domenico, der in der Via[S. 6] San Gallo Mützen und Barette feilbot. Von berückend harmonischer Körperpracht und jenen königlichen Gebärden, die den Italienerinnen zuweilen eigen, mochte sie leicht ein formenfreudiges Malerauge blenden. Das Schicksal zeigte sich der Liebe Andreas kupplerisch geneigt. Von dem Mützenmacher, der ihm den Weg zu seinem Paradies erschwert hatte, befreite ihn dessen Tod, und nach kurzer Anstandsfrist schaltete Lucrezia als Gattin im Hause Andreas. Sein Schüler Giorgio Vasari hat uns in ergreifenden Sätzen die Geschichte dieser Ehe überliefert. Als einen Vampyr hat er Lucrezia hingestellt, die den unglücklichen Andrea bis aufs Blut peinigte, aussaugte, um seinen ehrlichen Namen brachte und den Sterbenden endlich einsam verröcheln ließ. Vasari berichtet aber auch, daß Lucrezias Launen ihm selber böse Stunden bereitet hätten, und vielleicht gaben jene alten Erinnerungen seinen Worten ihre seltsam wilde Bitterkeit. Diese Heirat — erzählt er — zog Andrea wegen der niedrigen Herkunft seiner Gattin den „allgemeinen Haß“ und im besonderen „die Verachtung seiner Freunde“ zu. Das ist zweifellos übertrieben. Ein älterer Zeitgenosse Andreas, Bernardo Rucellai, hat einmal gesagt, man solle nur eine schöne und vermögende Frau von guter Herkunft[S. 7] heiraten. Die schöne Lucrezia brachte Andrea nachweisbar die für jene Tage nicht unbeträchtliche Summe von hundertundfünfzig Goldgulden in die Ehe mit, und was „die gute Herkunft“ anlangt, — man hat in Florenz noch ganz andere Dinge lächelnd verziehen ... Nur paßten die beiden schlecht zusammen. Das ist gewiß. Andrea war das große Künstlerkind; im Augenblicke lebend, hilflos kluger Schlauheit gegenüber, und, vor allen Dingen, fremd den Dingen dieser Welt und ihrer trivialen Alltäglichkeit. Eine feminine Natur, bedurfte er der Stütze; eine gütige Frauenhand hätte ihm die Pfade ebnen, sein Leben mit zärtlicher Sorgfalt umkleiden müssen ... Das gerade hat Lucrezia nie getan, vielleicht gar nicht tun können. Sie war eben eine Bourgeoise, genauer, eine italienische Bourgeoise: bigott, eitel und stets auf ihren Vorteil bedacht. Ihrem Gatten, meinte sie, sei es von Gott als selbstverständliche Pflicht auferlegt, stets soviel Geld zu erarbeiten, wie ihre schönen Kleider kosteten. Gewiß beneideten sie alle Frauen der Nachbarschaft um solchen Prunk. Daß um ihrer bunten Gewänder und goldenen Spangen willen ein großer Maler seinen heiligen Künstlerernst opfern mußte, — für diese Tragik besaß Lucrezia kein Verständnis, und Andrea, der schwache[S. 8] Sinnenmensch, stand sein Leben lang im Bann ihres herrlichen Körpers, der zu seinem Unglück keine Seele barg. Der Florentiner Palazzo Pitti bewahrt, von einem Schüler Andreas gemalt, ein ergreifendes Doppelbildnis dieses Ehepaares: Schüchtern und behutsam, gleich dem Arzte, der einem Kranken nicht weh tun möchte, legt Andrea seine Rechte um Lucrezias Nacken; ein Blick voll zärtlicher Angst fleht zur Gattin empor, die, an ihm vorbei, ins Weite starrt ... Erinnert man sich vor diesem Gemälde an jenes Bild in Dresden, an Saskia, die, von Rembrandts festem Arm gestützt, sich wohlig auf seinem Schoße wiegt; an Rubens, wie er im Gemälde des Genueser Palazzo Bianco als Gott der Schlachten die stahlumschiente Rechte auf den Busen seiner Venus, Helena Fourments, legt, so offenbart sich unseren mitleidigen Blicken jene ganze Tragödie, die Andrea del Sarto durchleben mußte.
Auch seine weltfremde Schüchternheit trug viel zu seinem Unglück bei. Nicht, daß ihm Künstlerstolz gemangelt hätte. Demütig vor dem Genius, der ihn begnadet, wußte er doch genau, wie hoch er sich einzuschätzen habe. Als Niccoli Soggi, eine Provinzgröße, sich unterfing, ihn dummdreist zum Wettmalen herauszufordern, erklärte ihm Andrea sehr von oben herab: „Ich habe hier einen Knaben,[S. 9] der wenig von der Kunst versteht; willst du mit diesem da wetten, so mag ich gern die Summe für ihn einsetzen ...“ Nur fehlte ihm jegliches Talent zum Geschäftsmann, seine Ziele waren niemals Zahlen, das „Verdienen“ lag seinem aristokratischen Wesen nicht; er konnte auch niemals Geld lange bei sich halten. Das wußte man in Florenz. Einheimische „Mäcene“ und fremde Kunsthändler warteten daher die Tage der leeren Kasse ab, „wo Andrea sich mit jedem Preise begnügte“. Zaghaft und selbstbewußt zugleich, konnte er niemals Forderungen stellen. Darum durfte ihn die Scalzi-Brüderschaft mit dem Schandlohn von sechsundfünfzig Lire für jedes große, und einundzwanzig Lire für jedes kleine Fresko abfertigen, darum unterfingen sich die Servitenmönche, dem Meister auf der Höhe seines Ruhmes für das Lünetten-Fresko der „Madonna del Sacco“ nur zehn Scudi zu bieten, — und Andrea nahm sie an. Wohlmeinende zahlten ihm kopfschüttelnd, oft sogar verlegen die geringen Summen, die er begehrte; manche hatten dabei das Gefühl, ihn zu betrügen; die meisten aber lachten über seine Ungeschicklichkeit, „und wenn sie Andreas Gemälde verkauften, erzielten sie das dreifache jenes Betrages, den sie dem Künstler gezahlt ...“
[S. 10]
Indessen hatte der Name Andreas del Sarto weit über die Gemarkungen der Vaterstadt hinaus sich einen guten Klang erobert. Schon zeigte man in den Florentiner Kirchen allen Fremden voll Stolz Andreas Bilder, und als er beim Einzug Leos X. den façadelosen Dom mit einer Scheinfront in Chiaroscuro schmückte, bedauerte nicht bloß der Papst, daß all’ diese große Kunst nur der müßigen Freude weniger Tage dienen sollte. Bis über die Alpen war sein Ruhm gedrungen, und kein Geringerer als der stolzeste König des Erdkreises, Franz I. von Frankreich, berief Andrea nach Paris. Er folgte willig. Im Mai des Jahres 1518 trat er die Reise an, nicht ohne vorher dem anscheinend etwas mißtrauischen Schwiegervater den Empfang von Lucrezias Mitgift mit seiner Unterschrift bestätigt zu haben. Hundertfünfzig Goldgulden! Das mochte den Leuten in der Via San Gallo viel bedeuten, aber wenig für einen Hofmaler der allerchristlichsten Majestät. Empfing Andrea doch gleich nach seiner Ankunft für ein Bildnis des vier Monate alten Dauphin dreihundert blanke Scudi, und als der schenkensfrohe Monarch Andreas Gemälde der „Charitas“ gesehen, ließ er dem Künstler ein ständiges Jahresgehalt aussetzen. Der Florentiner Kleinbürger muß, mit seidenen Gewändern angetan, sich an[S. 11] diesem Hofe wie in einem Märchenlande gefühlt haben. Hier waren nicht nur — ein Gesandter des Herzogs von Ferrara hat es festgestellt — „die meisten Flöhe und Wanzen der Welt“, sondern auch ihre glänzendsten Kavaliere, ihre herrlichsten Frauen, und sie alle überschütteten den Schneidersohn mit Gunst und Ehren. Louise von Angoulême, die Königin-Mutter, der Connétable Anne de Montmorency beehrten sein Atelier mit häufigen Besuchen. Der König selbst war ihm huldvollst gewogen, und alle Herren seines Gefolges stritten sich um Gemälde von Andreas Hand. Und doch war Andrea, durch die Alpen von Lucrezia getrennt, nicht glücklich. Er wahrte seiner Gattin die Treue, vielleicht der einzige an jenem Hofe, von dessen Damen sogar ein Zeitgenosse berichtet: „Vrayment, de toutes celles que je lui ay jamais veu et cogneu, je n’en ay jamais veu aucune, qui n’allast au change plus que les chiens de la meute à la chasse au cerf ...“ Der Louvre besitzt eine „Heilige Familie“, die Andrea damals schuf: das Antlitz Marias trägt die Züge der fernen Lucrezia; denn „wollte er auch einmal andere Frauen als Modell nehmen“ — erzählt Vasari — „so ähnelten sie doch fast immer Lucrezia, weil er stets sie allein erblickte, sie so oft gezeichnet und, vor allem, weil er ihre Mienen[S. 12] seinem Herzen eingegraben hatte“. Sie sandte ihm Briefe voll Sehnsucht, schilderte in traurigen Worten die freudlosen Tage ihres Einsamseins, — da hielt es Andrea nicht länger; er bat den König um halbjährigen Urlaub, schwor einen heiligen Eid, nicht einen Tag über Gebühr fortzubleiben, empfing große Summen, dem König Antiken und Gemälde dafür in Florenz zu erstehen, und kehrte, halbfertige Bilder unvollendet lassend, fröhlich nach Hause zurück.
In Florenz „erfreute er sich“ — wie es plastisch bei Vasari heißt — „einige Monate hindurch der Schönheit Lucrezias“, vergaß bei ihren Küssen seines Schwures, der Rückkehr und — das Schlimmste — des anvertrauten Geldes, machte auf des Königs von Frankreich Kosten seiner Gattin reiche Geschenke und baute sich endlich ein kleines Haus in der Via del Mandorlo. Aus dem wonnigen Sinnenrausch erwachte Andrea als meineidiger Dieb. Nicht alle mehr erwiderten auf der Straße seinen Gruß. Nun wollte er zurück zu seinem schwergekränkten Herrn, kniefällig seine Verzeihung anflehen. Lucrezia hintertrieb die Reise. Andrea, der sich zudem wieder mit wenigem bescheiden mußte, litt jedoch an seinem Betrug. Mit dem ganzen Aufwand seines reichen Könnens malte er für seine französischen Gönner herrliche Bilder, um ihre Vermittelung beim[S. 13] König zu gewinnen. Aber die Gemälde mußte er, Geldes bedürftig, immer wieder in Florenz verkaufen; zudem war der König dermaßen erzürnt, „daß er lange Zeit keinen Florentiner Maler wohlwollenden Blickes anschauen konnte, und er schwur, käme Andrea jemals in seine Gewalt, so würde er ihn mehr leiden machen, als er ihm Gutes habe erweisen wollen ...“
Nicht lange weinte Andrea untätig seinem verlorenen Paradiese nach. Die Bruderschaft der Scalzi hatte, seine Rückkehr nicht mehr erhoffend, zwei Fresken bereits seinem Freunde von ehemals, dem Franciabigio übertragen, jetzt erinnerte man sich gern des alten Vertrages, und Andrea war froh, den Florentinern einen Beweis seiner ungeschwächten Kunst geben zu dürfen. Noch einmal mußte er dies Werk im Stiche lassen. Im Jahre 1523 nämlich brach eine Pest aus, die, bald schwächer, bald grausamer wütend, die Arnostadt bis zum Unglücksjahr 1527 verheerte. Florenz muß damals einen entsetzlichen Anblick geboten haben: „der ist tot“, — heißt es in einem Bericht jener Tage — „der andere krank, der eine entflohen, der zweite eingeschlossen, der dritte im Spital, der vierte auf Wache, von dem fünften weiß man nichts ...“ Andrea machte Testament und flüchtete mit den[S. 14] Seinen ins ebenso schöne wie verborgene Mugellotal; dort malte er den Nonnen von San Piero in Luco, die ihn, Lucrezia und deren Schwestern mit Aufmerksamkeiten überhäuften, jene Darstellung der „Pietà“, die heute der Palazzo Pitti bewahrt.
Des Heimgekehrten harrte eine sonderbare Aufgabe: Federigo Gonzaga, der Markgraf von Mantua, hatte in Florenz Raffaels Portrait Leos X. erblickt und von Clemens VII. als Geschenk sich erbeten. Der Papst konnte nicht gut „Nein“ sagen, und befahl seinem Verwandten Ottaviano de’ Medici, einem besonderen Gönner Andreas, das Bild nach Mantua senden zu lassen. Ottaviano, ein echter Medici, wollte jedoch Florenz dieses Juwels nicht berauben. Er hielt den Markgrafen hin, bis Andrea in tiefster Heimlichkeit eine Kopie des Gemäldes vollendet hatte. Heute kann man diese im Museum von Neapel betrachten; und angesichts ihrer echt sartesken blonden Farben läßt sich’s schwer begreifen, daß, laut Vasari, zu Mantua niemand, nicht einmal Giulio Romano, der doch an Raffaels Portrait mitgemalt, den Betrug gemerkt haben sollte. Das nächste Jahr, 1526 brachte endlich die Vollendung der Fresken im Scalzo und vielleicht schon den Beginn seines letzten großen Werkes, des „Abendmahles“ im Kloster von San Salvi. Nur infolge eines Wunders[S. 15] dürfen wir uns heute seiner Schönheit noch erfreuen. Um bei der Belagerung von Florenz den Feinden keinen Stützpunkt zu bieten, sollten nämlich anno 1529 Kirche und Kloster niedergerissen werden. Schon hatte man damit begonnen, erzählt der Historiker Benedetto Varchi, schon drangen Bürger und Kriegsknechte zerstörungswütig ins Refektorium ein, da erschauten sie plötzlich dies Cenacolo, „und alle blieben stehen und schwiegen still, als wäre ihnen die Zunge erlahmt, und sie wollten nicht weiter fortschreiten im Werke der Vernichtung ...“ Noch während die spanischen und deutschen Söldner Florenz umzingelt hielten, wurde Andrea ein Auftrag von Staats wegen zuteil, den er freilich am liebsten rundweg abgelehnt hätte: Einige Florentiner Kapitäne waren zum Feinde desertiert und nach alttoskanischem Brauche sollten ihre Bildnisse — mit dem Kopf nach unten — auf die Mauer des Palazzo del Podestà gemalt werden. Castagno und Botticelli hatten im Quattrocento sich für solche Scharfrichterkunst hergeben müssen; Andrea, dem sie reichlich verhaßt war, bestieg nur in dunkler Nacht sein Gerüste und erklärte öffentlich, nicht er, sondern sein Gehilfe Bernardo del Buda habe dies Fresko geschaffen. Aber noch bewahren die Uffizien jene prachtvolle Studie Andreas zu einem der Verräter,[S. 16] — die einzige Erinnerung an dies Fresko, das nach dem Ende der Republik natürlich von der Mauer heruntergeschlagen wurde. Denn vergebens hatten die Florentiner ihre Villen und Klöster geopfert, vergebens ein Jahr im täglichen Kampfe ausgeharrt. Die Schwerter der kaiserlichen Soldateska bereiteten ihrer Freiheit ein blutiges Ende. Ob Andrea dies sehr schmerzlich empfinden mochte? Er war kein starrer Republikaner wie der von ihm vergötterte Michelangelo; dem „giuoco del mondo“, den Händeln Italiens stand er gleichgültig gegenüber. Die Kunst, die Freunde und sein Weib, seine Lucrezia, — damit war Andreas Horizont begrenzt; was darüber hinauslag, kümmerte ihn nicht. Er hätte sich auch im neuen, im großherzoglichen Florenz zurecht gefunden. Es ist nur ein tragischer Zufall, daß Andrea, der letzte große Künstler, in dem die alten Florentiner Traditionen mächtig waren, fast zugleich mit dem alten Florenz gestorben ist. Dem Leidenden stand dabei kein Freund tröstend zur Seite, und auch Lucrezia, die sein brechendes Auge vergebens suchte, war vom Bett des Gatten, den sie pestkrank wähnte, geflohen. So schied am 22. Januar des Jahres 1531 Andrea, „fast ohne daß es jemand gewahrte“, aus einem glück- und leidvollen Dasein, das neun Lustren nur gewährt und doch[S. 17] der Nachwelt Unvergängliches geschenkt hatte. Jene Servitenmönche, die dem Lebenden stets so kargen Lohn gegönnt, haben den Toten „mit wenig Ceremonien“ in der Annunziata, der Stätte seines Wirkens, beigesetzt.
Lucrezia, die Andreas künstlerischen Nachlaß sich teurer bezahlen ließ, als es die Art des Gatten gewesen, hat ihn um volle neununddreißig Jahre überlebt. Sie begrub noch ihre einzige Tochter aus erster Ehe — von Andrea hatte sie keine Kinder — und rief gegen ihren Schwiegersohn, der ihr einige Stücke Wäsche aus dem Nachlaß vorenthielt, den Beistand des Herzogs an. Als Greisin ging sie, um ihres Seelenheiles willen, jeden Morgen in die Annunziatakirche. Dort copierte der junge Jacopo da Empoli, der die Staffelei Andreas erworben hatte und wie eine heilige Reliquie bewahrte, die Fresken ihres Gatten. Und oft setzte Lucrezia sich zu dem Jüngling. Dann zeigte ihm die verrunzelte alte Frau mit welkem Finger ihr Portrait in dem Fresko der „Geburt Marias“, wo Andrea sie gemalt, als noch das Leuchten der Jugend sie umflossen; und mancherlei erzählte sie dem Horchenden aus längst versunkenen Tagen, in denen sie Andrea Modell gestanden, was er gesagt und getan, und wie sie einander stets geliebt hatten. ...
[S. 18]
**
*
Andrea del Sarto gehörte zu jenen begnadeten Künstlern, die, einer ererbten Formensprache sich erfreuend, gleich fließend sprechen, ohne je vorher gestammelt zu haben. Seine Fresken bringen eine fast spielerisch gegebene Lösung all’ jener Probleme, um die, mehr als hundert Jahre lang, drei Künstlergenerationen sich gemüht haben. Die Stilgesetze des Freskos, wie sie Giotto und Masaccio in ewig gültiger Weise formuliert hatten, beherrschte Andrea besser als etwa Ghirlandajo oder Filippino Lippi. Er wußte, eine raumschmückende Kunst könne auf die strenge große Linie unmöglich Verzicht leisten, und in Kirchen dürfe man nicht lärmen, sondern nur mit feierlich gedämpfter Stimme reden. Darum begnügte er sich mit dem zur Handlung unumgänglich Notwendigen, und vermied sorgsam Episoden, deren billige Anmut das Interesse vom Hauptvorgang hätte ablenken können. Darum suchte er seine Menschen und die Hintergründe, vor denen sie sich bewegen, stets zur Einheit formaler und geistiger Art zu gestalten, darum haßte er die grelle Buntheit der Farben ebenso wie die Anhäufung von Menschenmassen, kurz, jene aufdringliche Orchestrierung, die während des Quattrocento alles Interesse von der Melodie auf die Begleitung übertragen wollte.
[S. 19]
Schon früh muß Andrea über seine Ziele ebenso wie über die Grenzen seiner Begabung mit sich im Reinen gewesen sein. Das künden vornehmlich genug seine ersten Fresken im Vorhof der Annunziatakirche. Ihr Vorwurf, die Taten des heiligen Filippo Benizzi, mochte ihn wenig fesseln. Es sind die normalen Wunder, die jeder italienische Normalheilige vollbrachte: San Filippo teilte, wie uns das erste Fresko lehrt, sein Gewand mit einem Aussätzigen; das zweite zeigt, wie er Spielern ins Gewissen redet, und als sie den Gottgesandten verhöhnen, schlägt sofort der Blitz in eine Ulme, um deren Stamm die Frevler sich gelagert hatten; zwei der Schuldbeladenen büßen ihre Verruchtheit mit dem Tod, die andern stieben entsetzt auseinander. Im dritten Fresko heilt er ein armes, vom höllischen Dämonen gepeinigtes Weib; ein totes Kind, das man im vierten zur Bahre des sterbenden Heiligen bringt, erwacht zu neuem Leben, indes die Mönche weinend von ihrem Prior Abschied nehmen; im fünften endlich gesunden Bresthafte durch das Anrühren der Reliquien des Heiligen ...
Im ersten Fresko löste Andrea nach hergebrachter Sitte die Handlung in mehrere Einzelvorgänge auf; trotzdem reichte das dürftige Thema nicht aus für die große Wandfläche, und überdies vermochte[S. 20] der Anfänger das Verhältnis der Figuren zur braunen Felsenlandschaft — sie entstammt noch dem Inventar Pieros di Cosimo — nicht recht abzuschätzen. Und doch, — woran seit Masaccios Tagen kein Freskomaler in Florenz mehr gedacht, der junge Andrea strebte es hier an, wollte aus Menschen und Landschaft nicht nur ein Raumganzes, sondern über alle Quattrocentokunst herausgehend, auch eine Stimmungseinheit schaffen. Angesichts dieser rötlichen Wolken am mattblauen Himmel, des seltsam Abendlich-Stillen jener Gestalten, die ruhig den Feldweg dahinschreiten, lernen wir unwillkürlich jenes schwer zu definierende Wort „Stimmung“ aussprechen, das uns nie vor einem Fresko Ghirlandajos, Cosimo Rossellis oder Filippinos einfiele. Um einen literarischen Vergleich anzuwenden, das Quattrocento erzählt, Andrea dichtet.
Im zweiten Fresko geben die Linien der Figuren und der Landschaft, die wiederum an Pieros di Cosimo Hügel erinnert, schon einen besseren Zusammenklang. Andrea schob das braune Gestein links und rechts ziemlich nach vorn; dadurch bekam er den Mittelgrund frei, und ungehindert vermag das Auge, über Brücken und hellbelaubtes Buschwerk hinweg, in blaue Fernen zu gleiten. Dafür[S. 21] offenbart dies Fresko eine Schwäche des Künstlers, die zu tief im Wesen des Menschen begründet lag, als daß sie Andrea jemals völlig hätte überwinden können: seine geringe Befähigung, dramatische Begebenheiten packend zu schildern. Seine Stärke lag in jenem fehlerlosen Zeichnen, das ihm den Beinamen „senza errori“ verschafft hatte, in einem nie versagenden Instinkt für das Malerisch-Wirksame und in der großzügigen Komposition; er vermochte, wie selten einer, Menschen zu malen, die sich in glückvoller Heiterkeit dem Dasein geben, er war ein Künstler leisen Schluchzens und verhaltener Thränen, aber für den Schrei der Leidenschaft fand er keine Töne, den Momenten eines aufs höchste gesteigerten, eines konzentrierten Lebensgefühles stand er ratlos gegenüber. Die Gesten der fliehenden Frevler hier scheinen so leer und konventionell, daß man sie heute als „akademisch“ belächeln würde; die erhobene Rechte des Heiligen mit ihrem ausgestreckten Zeigefinger entbehrt alles Zwingenden, aller wuchtigen Größe; wollte er den Weg weisen, so könnte die Gebärde kaum dürftiger ausfallen, und das erschreckte Roß endlich, das, vor dem Blitze scheuend, jäh sich aufbäumt, mußte er einer Studie Lionardos da Vinci für das Trivulzio-Denkmal entlehnen. Solche Reminiscenzen[S. 22] sind keine Seltenheit im Werke Andreas. Reichtum der Erfindung war seine Sache nicht, und handelte es sich um die Darstellung komplizierter Bewegungsmotive, so nahm er beinahe regelmäßig seine Zuflucht zum unerschöpflichen Formenschatz Michelangelos. Den Karton der badenden Soldaten, die Kranzträger der sixtinischen Decke, ihre Propheten und Sybillen, die seltsamen Körperdrehungen der Michelangelesken Christuskinder, — an alledem hat Andrea sich gern inspiriert, aber stets das Titanenhafte, den finsteren Ernst des Riesen ins Liebenswürdig-Heitere gemildert, aus dem Männlichen gleichsam ins Weibliche übersetzt.
Raschen Schrittes verfolgte Andrea nunmehr den Pfad zur Meisterschaft. Im dritten Fresko bildet, was die Komposition anlangt, die Architektur des Hintergrundes durch ihren ruhigen Ernst den angenehmsten Kontrast zu den leicht bewegten Gruppen, die den Heiligen und die Beute der Dämonen im Halbkreis umringen. Ein Maler des Quattrocento hätte dieser Scene jedenfalls mehr Zuschauer gegeben, aber sie wären als teilnahmslose Statisten, in gelassener Gleichgültigkeit herumgestanden. So schaut z. B. auf Ghirlandajos Fresko der Verkündigung an Zacharias in der Kirche von[S. 23] St. Maria Novella kein einziger von den einundzwanzig Männern, die den Vordergrund füllen, nach dem überirdischen Boten hin, kein einziger lauscht den Worten des Engels. Andrea macht die Heilung der Kranken nicht bloß zum räumlichen, sondern auch zum geistigen Mittelpunkt des Ganzen. Beinahe alle wenden ihr Antlitz dem aufregenden Vorgang zu, ein mitleidiges Flüstern durchläuft die Reihen dieser Männer, deren lässig-weiche Haltung und verträumte Art des Blickens sie den Epheben eines Praxiteles verwandter erscheinen läßt als ihren Vätern, den robusten Bürgern Ghirlandajos. Das vierte Fresko, in dem die Figur des wiedererweckten Kindes Fra Filippo Lippis Grablegung des heiligen Bernhardin in der Kathedrale von Prato entnommen scheint, offenbart am mächtigsten den neuen, oder, wenn man will, den alten Geist, der Andreas Kunst beseelte. In der Cappella Sassetti von St. Trinità hatte auch Ghirlandajo solch eine Erweckungs-Scene gemalt: Die Bahre mit dem Knaben aus dem Hause Spini und der heilige Franziskus in seiner Wolkenglorie nehmen freilich die Mitte des Freskos ein, aber man gewahrt das Wunder kaum; denn unwillkürlich verweilt das Auge bei der Familie des Stifters, den Sassetti, die sich, begleitet von ihren Frauen und Kindern, sämtlich eingefunden haben. Andrea läßt[S. 24] nur wenige Mönche voll tiefer, aber gefaßter Trauer dem Heiligen zur Seite stehen, und in schweigender Ergriffenheit beugen sie demütig ihr Haupt vor jener Macht, die Toten das Leben wieder zu schenken vermag. Eine Schwäche dieses Freskos, die es übrigens mit dem letzten in der Reihe teilt, muß noch erwähnt sein. Hier wie dort scheinen die Baulichkeiten allzu weiträumig und die schlanken Menschen zu zart, zu feingegliedert im Vergleich zur schweren Massigkeit dieser Architrave und Pilaster.
Die energische Betonung des Hauptvorganges schloß natürlich jene Aufdringlichkeit des Portraits aus, die während der zweiten Hälfte des Quattrocento heilige Legenden zu Bildern aus dem Florentiner Straßenleben herabgewürdigt hatte. Ganz mochte Andrea freilich nicht auf das Portrait verzichten. Eine lyrische, für Freundschaft dankbare Natur, wollte er Menschen, die seinem Leben frohe Stunden geschenkt, auch in seinem Werke nicht missen. Aber nur wenige Bildnisse zählen wir, und keines führt eine derartig eigene Existenz wie etwa ein Portrait bei Ghirlandajo. Das macht sich besonders auffällig im ersten Fresko der rechten Vorhalle, in der „Anbetung der Könige“, bemerkbar. Die Quattrocentokunst durfte, bei diesem Thema[S. 25] ihrer Freude am Bildnis nachgebend, hervorragende Bürger und „die Consorteria“, d. h. die Familie des Bestellers, ins Gefolge der Könige reihen. Bei Andrea zählen wir nur zwei Portraits. In unmittelbarer Nähe des jüngsten Königs, der leise an die Menschen Lionardos gemahnt, erblicken wir Jacopo Sansovino und, an seiner Schulter lehnend, Andrea selber, der — eine liebenswürdige Koketterie — seine Rechte, die aus dem Fresko herausdeutet, in einer ungemein schwierigen Verkürzung gezeichnet hatte. Einzig im Fresko der Geburt Marias tritt die Handlung vor dem Bildnis zurück: Beinahe achtlos gleitet unser Blick an der heiligen Anna vorüber, die, gleich den Prälaten auf Andrea Sansovinos Gräbern in St. Maria del Popolo zu Rom, halb aufgerichtet, sich an die Rückwand des pompösen Renaissancebettes lehnt; wir sehen auch Jonathan nicht, der, ein Abkömmling von Michelangelos Propheten, nachdenklich im Hintergrunde des Gemaches sitzt; jene Frauen selbst, die bei dem prachtvollen Kamin den Neugeborenen baden, gewahren wir nicht, oder besser, nur allmählich, nach und nach erst, bewundern wir die vollendete Kunst in der Faltengebung ihrer Gewänder; denn unwillig nur reißt sich unser Blick von der Gestalt Lucrezias los, die, neben einer anderen Frau, vielleicht ihrer[S. 26] Schwester stehend, hochaufgerichtet, leuchtend in kraftvoller Schöne die Mitte des Freskos einnimmt. Groß und ruhig schaut sie, einer Königin vergleichbar, aus dem Bilde heraus. Goldig glänzt auf der weißen Pracht des Busens eine schwere Bernsteinkette. Wie steif und ungelenk dünken die Gentildonne der Quattrocentokunst neben dem freien Adel, der dieser Gestalt eigen; unweiblich scheinen sie, während diese Frau trotz ihrer Hoheit unseren Puls rascher fliegen macht. Andrea hat vielleicht in den Tagen der reifsten Künstlerschaft Großartiges geschaffen, aber aus keinem einzigen seiner späteren Fresken atmet jener Duft von Glück und Frühling, der uns noch heute, nach vierhundert Jahren, in jene wehmütige und doch freudige Stimmung versetzt, die einen an weichen Lenztagen bisweilen überkommt. ...
Im Jahre 1511 malte Andrea in jenem Hofe des Scalzo-Klosters, den stets eine freundliche Helle durchflutet, sein erstes, anno 1526 sein letztes Fresko. Dieser ganze Cyklus vom Leben und Sterben des heiligen Johannes ist grau in grau gehalten; und hier, wo die souverän beherrschte Technik stets die gleiche blieb, läßt sich am besten verfolgen, wie[S. 27] Andrea, ein suchender Anfänger, zum Meister erwuchs und wiederum von königlicher Höhe zum Routinier herabsank.
Das erste Fresko, mit dem Andrea sein Werk begann, die „Taufe Christi“, wird natürlicherweise noch von Quattrocento-Erinnerungen umspielt. Wiederum füllen die Gestalten den Raum nicht vollständig aus, und den knochigen Asketenleib des Täufers deckt ein Mantel, dessen Falten in ihrer dürftigen Eckigkeit kaum von jenem Andrea zu stammen scheinen, der uns wenige Jahre später als größter aller Florentiner Gewandkünstler entgegentritt. Einzig jene geschwungene Linie, die das Haupt Christi mit der Spitze seines rechten Fußes verbindet, deutet auf den künftigen Meister linearer Melodik hin. In die Predigt Johannis übernahm Andrea — schon Vasari hat es bemerkt — zwei Figuren Albrecht Dürers; was er, seltsam genug, aber nicht erwähnt, ist die enge Verwandtschaft des sartesken Täufers mit jenem Ghirlandajos in der Cappella Tornabuoni. Beide predigen sie, fast in der nämlichen Stellung, von einem Baumstumpf herab, dem lauschenden Volke die Lehre des Heils. Dem „lauschenden“ Volke? Hier offenbart sich der Unterschied zwischen der gedankenloseren Kunst des Quattrocento und dem tieferen Ernst[S. 28] von Andreas Generation. Die Menschen Ghirlandajos hören mit jener Aufmerksamkeit zu, die man einem leidlich interessanten Vortrage widmet, die Heilbedürftigen Andreas hängen, den Mund halb geöffnet, an den Lippen des Täufers, scheinen Verschmachtende, die gierig die Lehre der Wahrheit in ihre Seele trinken. Wie Andrea die Figuren hier der Landschaft einordnete, wirkte vorbildlich zuerst auf die Meininger bei ihrer Inscenierung der „Hermannschlacht“, und heute verfahren bereits alle Regisseure so, die eine „Volksmenge“ zu gruppieren haben: Er ließ die Felsen der Wildnis Hohlwege bilden und zwängte die Menschen derart hinein, daß man hinter jedem Haupt ein anderes und neben dem Körper des einen den des Nachbarn erblickt. So wird durch nicht mehr als fünfzehn Köpfe im Beschauer die Illusion einer dichtgedrängten Menschenmasse, die alle Zugänge füllt, hervorgerufen.
Nicht vergebens hat Andrea manche Stunde mit dem Copieren nach Michelangelos Werken verbracht. Die Freude an nackten, athletenhaft starken Gliedmaßen, wie sie aus der „Taufe des Volkes“ spricht, seine Lust an schwierigen und ungestümen Bewegungen, bei denen man die straff gespannten Muskeln wahrnimmt, all dies weist hier deutlich[S. 29] genug auf Michelangelo hin, der seinerseits Andreas Bewunderung durch freundliches Anerkennen von dessen Talent vergalt. Eine alte, freilich unverbürgte Anekdote weiß zu berichten, er habe Andreas Begabung über die Raffaels gestellt; sicher aber ist, daß Michelangelo höchstselbst den jungen Vasari ins Atelier zu Andrea gebracht. Das nächste Fresko, „die Gefangennahme Johannis“, bekundete aufs neue, wie wenig Andrea dramatischen Konflikten gerecht wurde. Über die bloße Gebärde, das Theatralische im bösen Sinn kam er nie hinaus. Der Tetrarch auf seinem Thron ist nur ein kostümierter Schauspieler, und der Täufer selbst hat nichts von jener unirdischen Hoheit, von jener allem Menschlichen überlegenen Würde eines Gottgesandten, die man gerade von dieser Scene fordern müßte. Auch mit den Schergen konnte Andrea, der bei seiner weißhändigen Art wohl niemals Vergnügen an Raufereien empfand, wenig anfangen. Die Komposition des Ganzen zeigt hingegen, daß der Strebende zum Meister herangereift ist. Zum ersten Male begegnen wir hier jenen Kontrastwirkungen, auf deren Effekt Andrea in seinen mittleren und späteren Jahren sich allzu sehr verließ; hier suchte er, um eine Wendung Goethes über Myrons Kuh zu gebrauchen, zum ersten Male nach jenem[S. 30] „Gleichgewicht im Ungleichen, dem Gegensatz des Ähnlichen, der Harmonie des Unähnlichen und allem, was mit Worten kaum ausgesprochen werden kann“. Nichts, keine Gestalt, keine Linie, ist um ihrer selbst willen da, alles gewinnt erst durch Beziehung auf irgend ein anderes seine Berechtigung zum Dasein. Freude am Naturausschnitt darf man von Andreas Kunst nicht mehr verlangen; alles ist bildmäßig abgeschlossen, komponiert im höchsten Sinne. Der bewegteren Gruppe um den Täufer schafft ein ruhig dastehender breitschultriger Mann den notwendigen Gegensatz; nimmt die Handlung den rechten Vordergrund ein, so öffnet sich der Raum dafür auf der linken Seite nach der Tiefe, und in dem wuchtigen Henker, der hier die Stufen herabschreitet, gelang Andrea die vielleicht einzige Gestalt, der man ihre Furchtbarkeit glaubt.
Viel Neigung mochte Andrea dem „Tanz der Salome“ entgegenbringen, dem ersten Fresko, das er nach seiner Rückkehr aus Frankreich schuf. Bis ins kleinste ist hier alles auf Kontraste, aber nicht nur formaler, sondern — eine Seltenheit im ganzen Werke Andreas — auch psychischer Natur gestimmt. Nichts wirkt dabei schematisch, sondern alles scheint so ungezwungen, daß man allmählich nur die vollendete Kunst empfindet. Die[S. 31] Salome Andreas hat natürlich nichts mehr von der hieratischen Reglosigkeit der Königstochter Giottos, auch nichts von jener fahrigen Ausgelassenheit, die Filippo Lippi seiner Prinzessin, einem halbwüchsigen Mädchen, gab. Seine Salome, deren Typus ein bißchen an die Frauen Andrea Sansovinos erinnert, ist ein südlich-reifes Weib, dessen schmiegsam-weiche Fülle die statuarisch fallenden Gewänder mehr entschleiern als verhüllen. Andrea schilderte jenen spannenden Moment vor dem Beginn des Tanzes: Noch scheint der Körper reglos und doch zittern alle Glieder schon im Banne des musikalischen Rhythmus, dehnen sich wohlig und spannen sich straffer.
Die „Hinrichtung Johannis“ gab ihm Anlaß, in der Figur des Henkers den besten Rückenakt zu schaffen, der ihm je gelungen. Er wählte, alles Rohe und Bluttriefende meidend, den Augenblick nach der Vollstreckung des Urteils. Salome reicht die Schale hin, und der Henker legt, abgewandten Hauptes, den Kopf des Täufers hinein. Auch in der „Darbringung des Hauptes“ entzieht Andrea durch eine ebenso einfache wie noble Wendung Salomes das Grausige unseren Blicken. Sie trägt nicht, gleich der Salome Botticellis, die Schüssel mit dem furchtbaren Inhalt triumphierend in ihren[S. 32] ausgestreckten Händen vor sich her, sondern drückt sie, langsam dahinschreitend, gegen ihren Körper. So gewahren wir kein blutbesudeltes Haupt, sondern nur einen herrlich geformten Frauenarm ... Die nächsten Bilder des Cyklus, die „Verkündigung an Zacharias“ und die „Heimsuchung“ bringen die Entartung Andreas zum Manieristen: er sucht keine neuen Ziele, stellt sich keine neuen Aufgaben. Das wirksame Kontrast-Schema, das er sich zurecht gelegt, muß für alles herhalten. Die Bewegungen seiner Figuren bilden symmetrische Gegensätze und ihre Blicke schneiden einander in der Diagonale. Die Scene läßt er gern von massigen Gestalten einrahmen, die das Auge in den Hintergrund leiten; aber je kunstvoller er die Falten ihrer Gewänder legt, desto sicherer werden sie aus Menschen zu Gliederpuppen. Sein letztes Fresko, die „Geburt des Täufers“ ist vollends nur mehr eine Zusammenstellung reich drapierter Mannequins. Die Florentiner waren davon begeistert, aber wenn Andrea vor diesem Fresko an jenes andere in der Annunziata dachte, wo er vor zwölf Jahren auch eine Geburt dargestellt, so mochte ihm vielleicht weh ums Herz geworden sein. ...
Durch vier allegorische Frauengestalten, die zu beiden Seiten der Eingangstüren statuengleich in gemalten Nischen stehen, wollte Andrea die christlichen Tugenden „verkörpern“, und hier darf man dieses Wort, das bei Allegorien oft so übel angebracht ist, ruhig aussprechen; denn Andrea malte nicht blutleere Abstraktionen, wesenlose Schemen, sondern herrliche Frauen voll sinnlicher Formenpracht. Die „Charitas“, die einen Knaben mit der Rechten an ihren Körper drückt und kosend die Linke auf die Schultern eines anderen bambino legt, indes ein drittes Kind unter ihrem bauschigen Gewande Zuflucht findet, mag wohl die schönste der vier Schwestern sein. Dies nämliche Motiv, das ihm gewiß sympathisch war, hat Andrea schon früher in jenem berühmten Gemälde des Louvre behandelt, das man in scheinbarer Paradoxie michelangelesk-graziös heißen könnte. Das Anmutig-Frauenhafte verbindet sich hier aufs glücklichste mit maestà der Formen. Ein Kindlein saugt an der mächtigen linken Brust, ein anderes drängt sich, Blumen bringend, lächelnd an die Gütige, der ein drittes schlummernd zu Füßen liegt. Durch die gesuchtesten Drehungen von Körpern und Köpfen werden diese vier Personen in ganz michelangelesker[S. 34] Weise zu einer Gruppe, man darf wohl sagen zusammengeballt, und doch sitzt jene Frau so anmutig, so lässig leicht auf einem Felsen, wie das kein Florentiner bisher darstellen konnte. Das zierliche Schreiten der Toskanerin hat schon Botticelli in seiner „Judith“ verherrlicht, ihre graziöse, aller Schwerfälligkeit ledige Art zu sitzen hat erst Andrea in dieser „Charitas“ geschildert und noch vollendeter vielleicht in jenem Lünettenfresko der Annunziata, in der „Madonna del Sacco“.
Heute können wir an diesem Wunderwerk perspektivischer Raumkunst, das ein Tizian über alles stellte, was er zu Florenz gesehen, nur Andreas nie versagende Sicherheit im Zeichnen bewundern. Seine Farben, von deren leuchtender Schönheit noch die Schriftsteller des Seicento schwärmten, sind unwiederbringlich dahin. Ein anonymes, aus dem achtzehnten Jahrhundert stammendes Manuskript der Florentiner Riccardiana erzählt von einer barbarischen „Reinigung“ des Freskos. Als man dem schuldtragenden Frate sein rohes Ungeschick vorwarf, meinte er gelassen: „Wenn ich ein Pfund Staub herunterwasche, so kann man sich dreinfinden, gehen auch ein paar Unzen Farbe mit ...“
Schon im Jahre 1515 hatte Andrea, wie es scheint ohne sonderlichen Enthusiasmus, die Wölbung[S. 35] des Refectoriums im Kloster von San Salvi durch Portraitmedaillons von vier Heiligen geschmückt; die Fortsetzung der Arbeit unterblieb jedoch, und mehr als zehn Jahre mußten verstreichen, bevor Andrea die Rückwand dieses Raumes mit dem farbenfreudigsten seiner Fresken, dem „Abendmahl“, zierte. Die Florentiner Maler des Quattrocento und selbst noch Lionardo hatten bei ihren Darstellungen des „Cenacolo“ allzuviel Gewicht auf die ersten zwei Silben des Wortes, auf die „cena“ gelegt. Messer und Gabeln, Teller, Brote und Gläser, dieses ganze mit umständlichster Liebe gemalte Tischgerät nahm dem ergreifendsten aller Mysterien viel von seiner Weihe. Andrea begnügte sich mit ein paar ganz niedrigen Tellern, die sich kaum vom hellen Weiß des Tischtuches abheben, und malte längst nicht so viele Brote wie Apostel vorhanden sind. Seine Zeitgenossen vermochten diesen feinsten künstlerischen Takt nicht zu würdigen; zum mindesten blieb sein Vorgehen ohne Nachahmung. Andrea hielt sich besonders an zwei seiner Vorgänger. Für die äußere Umrahmung der Scene benützte er Motive aus dem Abendmahl Castagnos im alten Kloster von St. Apollonia, die Anordnung der Figuren entlehnte er Lionardo. Die allerdings augenfälligen Schwächen[S. 36] des castagnesken Abendmahls hat er klug vermieden. Bei Castagno erscheint der Abstand zwischen den Köpfen der Apostel und der flachen Decke viel zu bedeutend, und die buntgeäderten Marmorplatten, die ihn ausfüllen, erdrücken förmlich die Gestalten. Andrea wich der Unruhe des geflammten Marmors aus, indem er seine Fläche in unaufdringlichem Grün und Schwarz hielt. Auch belastete er die Halle nicht mit einer Sparrendecke, gibt ihr überhaupt nach oben keinen Abschluß, sondern durch drei mächtige Öffnungen leuchtet der blaue Himmel herein. Castagno hatte die Apostel noch teilnahmslos einen neben dem anderen sitzen lassen; Andrea schloß nach dem Vorgang Lionardos je drei zu einer Gruppe zusammen, die, sich merkbar von der nächstfolgenden scheidet. Jesus nimmt, wie stets und überall, auch bei Andrea die Mitte der Scene ein. Aber jenes in die Vertikale eingestellte Christushaupt Lionardos, jene ausgebreiteten Arme, die bei Lionardo so grandios wirken, dies alles ließ Andrea sich entgehen. Für dramatische Accente fehlte ihm eben der Sinn. Eine leichte Wendung, die Andrea dem Haupte seines Jesus gibt, raubt dem Heiland viel von seiner Erhabenheit, und so wunderbar das Spiel der Apostelhände ist, die Gebärde Christi deucht ärmlich und[S. 37] weit entfernt von lionardesker Majestät. Die vergeistigte Hoheit der Apostel Lionardos, jener Cortigiano des Himmels, darf man von denen Andreas natürlich nicht fordern, aber sie ermangeln selbst jenes Wuchtig-Primitiven, des Animalisch-Dumpfen, das an Castagnos Aposteln fesselt. Kein einziger ist eine Persönlichkeit, dessen Züge wir im Gedächtnis bewahren, alle scheinen sie liebenswürdige Durchschnittsmenschen und den Herrn hat keines dieser Augenpaare je gesucht noch erschaut.
Wenn diese Apostel dem Künstler mißrieten, so wird man die letzte Ursache hiervon im Wesen des Menschen Andrea zu suchen haben. Ihm fehlte, was „ernste Männer“ Charakter und Energie der Lebensführung heißen. Darum vermochte er, wie die Apostel seiner Pietà und der beiden Assuntabilder beweisen, jene höchste Vereinigung zielsicherer seelischer Kraft und physischer Energie, die eben den Apostel ausmacht, niemals zu schildern, darum lag die Darstellung von „Männlichkeit“ überhaupt nicht im Bereich seines Könnens. Die beste männliche Gestalt, die ihm je gelungen, der Johannes Evangelista der „Madonna delle Arpie“, geht auf[S. 38] ein nicht ausgeführtes Modell Jacopo Sansovinos zurück. Blieb er sich selber überlassen wie in jenem späten, aus Vallombrosa stammenden Altarbild der Accademia, das vier nebeneinanderstehende Heilige zeigt, so gibt er nur elegante Gesten und tadellos fallende Draperien. Den Kämpfern der streitbaren Kirche wurde Andrea nicht gerecht; er konnte nur Heilige malen, die, gleich seinem späten, allzu wenig gewürdigten „Jacobus“ der Uffizien, trösten und aufrichten. Kein anderer Florentiner hätte diesen Apostel ersonnen, der, umspielt vom silbergrauen Abenddämmern, sich frauenhaft zärtlich, mit einem Blick unendlicher Güte zu zwei weißgekleideten Knaben niederbeugt und dem einen streichelnd über die Kinderwangen fährt. Vielleicht offenbart sich Andreas feminine Art am meisten in seinem „Opfer Abrahams“ zu Dresden, wo er Kraft unmittelbar neben Schwäche, Hilflosigkeit neben Gewalt darstellen mußte. Furchtbar rollen die Augen des Patriarchen, die pathetisch ausgestreckte Rechte umklammert in eiserner Entschlossenheit das Messer, und doch, wir wissen genau, — kein Blut wird es färben. Aber dem zitternden Ephebenkörper, den halbgeöffneten Lippen, die nicht einmal den Schrei der Angst mehr hervorstoßen können, dem gesträubten Haar, den erstarrten Blicken glauben wir[S. 39] gern die Ehrlichkeit ihres Schreckens ... Solchen Gestalten wie diesem Abraham gegenüber versagte Andreas lyrische Kunst. Dafür schenkte sie uns die sonnigsten bambini, die je ein Florentiner gemalt. Freilich, goldene Strahlenhöhen hat jener lustige Engelsknabe, der dem Erzvater in den mordbereiten Arm fallen soll, nie erschaut. Andrea pickte einem Florentiner Buben einfach zwei Flügel an den Rücken. So hat er’s immer gehalten. Seine Putti, die auf den Assuntabildern Maria zum ewigen Vater geleiten, sind nicht trotzig derb wie jene Donatellos, haben nichts von der robusten Grazie, die Luca della Robbia, nichts von der altklugen Kindlichkeit, die Desiderio da Settignano ihnen gab, haben auch nichts von der schwindsüchtig-traurigen Schönheit botticellesker Engel; aber aus ihren Augen leuchtet die ganze sonnenfrohe Heiterkeit toskanischer Himmel, voll liebenswürdiger Eleganz scheinen sie, keck und doch so bestrickend süß, wie das verzogene Kinder zuweilen sind.
In dem berühmten jugendlichen Johannes des Palazzo Pitti gab Andrea jenen Putti den Schutzpatron. Es ist ein weiter Weg von Donatellos abgemagertem Eremiten und seinem strengen Asketentum zu diesem Heiligen mit dem lachenden Jungenblick und dem prinzenhaften Körper. Man braucht[S. 40] dies Gemälde, das jeder kennt, nicht zu beschreiben, wohl aber sei die Frage gestattet, ob es seine Beliebtheit lediglich malerischen Qualitäten dankt, oder ist es populär, obschon es ein Kunstwerk ist? Denn die nämlichen Leute, die diesen Johannes umdrängen, geraten im selben Palazzo Pitti vor den Madonnen Carlo Dolcis und der Judith Alessandro Alloris genau ins gleiche Entzücken. Hier wie dort begeistert sie lediglich das „süße“ Modell. Nur keine Illusionen! Ein vornehmes Kunstempfinden ist heute eben seltener anzutreffen als in den Tagen der Renaissance, wo Andrea del Sarto ein Madonnenbild „seinem lieben Freunde Becuccio, einem Glaser aus Gambassi“, malte. „Seinem lieben Freunde!“ das heißt einen großen Künstler und den kleinen Handwerker verknüpften die Bande gemeinsamer Anschauungen, gemeinsamer Neigungen, sie hatten die gleiche Kultur ...
Die Meister der Florentiner Malerei von Giotto bis zu Ghirlandajo hatten kein Empfinden für das Spezifisch-Weibliche. Botticelli war ein herrlicher Madonnenmaler; aber seine Maria ist nicht von dieser Welt, gleicht einer himmlischen Vision, einem Traum von Schmerz und Güte.
[S. 41]
Andreas Augen hatten nicht mehr Kraft genug, den Glanz jener Himmel zu ertragen, in denen die Madonnen Fra Angelicos und Botticellis thronten, aber das Bildnis der Mona Lisa, das Wunderwerk des Magiers Lionardo, hatte ihn gelehrt, den Adel staubgeborener Frauen zu preisen, und die Liebe schenkte ihm zaubersüße Töne zum Hymnus auf Grazie und erdenhafte Schönheit. Seine Maria und seine Heiligen haben nichts mehr vom „umile“ der Primitiven, ihre Augen leuchten nicht im ahnungsschweren Glanz botticellesker Blicke, kennen auch die Mysterien lionardesker Pupillen nicht; die seltsam verschleierten Augen seiner Frauen bergen kein Weh, keine Sehnsucht, keine Rätsel; ihr Ausdruck ist weder „tief“ noch „erhaben“, nur von bestrickender Liebenswürdigkeit, und oft voll Freude an der schönen Wirklichkeit dieser Erde. ...
In der „Verkündigung Marias“ des Palazzo Pitti sind die Engelsgruppe und die Haltung der Madonna einem Bilde Mariotto Albertinellis in der Accademia entlehnt. Und doch enthält dies Jugendwerk im Keime eigentlich schon alles, was Andrea zu geben vermochte. Orgeln und Harfen klingen, weiße Lilien[S. 42] duften ihm nicht mehr. Wohl hat sich der Engel auf einer Wolke niedergelassen, aber trotzdem scheint die Scene nicht auf Weihrauch und Mystik, sondern auf einen weltlicheren Ton gestimmt. Maria ist nicht mehr die „ancilla domini“, die Gottes Befehl demütig-zitternd empfängt. Der Engel, der bittenden Auges zur Madonna emporschaut, ist diesmal der im Range Niedere, und Maria, deren weiße Stirn so prachtvoll gegen das kastaniendunkle Haar steht, gleicht einer Königin, die vor ihrem Palaste dem Gesandten des Himmels Audienz erteilt. Wie bei den frühen Fresken wollen die Figuren in den Maßen nicht recht zu der mächtigen Architektur und der großlinigen Landschaft passen; auch fließt noch zuviel Luft zwischen Maria und dem knienden Engel.
Im nächsten großen Bilde Andreas, der „Madonna delle Arpie“, ist diese Schwäche der Komposition bereits überwunden. Die beiden im Profil gegebenen Heiligen und Maria, die, auf ihrem Postamente stehend, genau die Mitte des Gemäldes einnimmt, schließen als Gruppe wunderbar zusammen. Die unsäglich vornehme Haltung der ganz in Vorderansicht gemalten Maria und jene tiefliegenden dunklen Augensterne, die so berückend aus der perlmutterartigen Iris hervorleuchten, — dem[S. 43] Zauber dieser Vereinigung von Majestät und holdester Frauenhaftigkeit hat sich niemand bisher entzogen. Menschen, die von einem Gemälde nicht bloß Farben und Formen, sondern „tieferen Sinn“ verlangen, werden, im allgemeinen bei Andrea leer ausgehend, vor den seltsam geformten Harpyen des Sockels nachdenklich verweilen. Verglich nicht schon die heidnische Antike jene Töchter des Phorkyas mit Hetären, die den Mann verderben, galten sie nicht dem christlichen Mittelalter als Symbole sündhafter Lust? So hätte Andrea hier den Sieg der Tugend über das Laster feiern wollen ...? Mag sein. Aber vielleicht wußte er gar nicht Bescheid in antiker und mittelalterlicher Symbolik und wollte dem Sockel nur einen möglichst dekorativen Schmuck geben.
Kaum war — anno 1517 — dies Meisterwerk vollendet, so schuf Andrea jene „Disputa“ des Palazzo Pitti, worin er zum ersten Male stehende und kniende Figuren miteinander zur Gruppe verband. In drei jugendlichen und einem greisen Heiligen schilderte er zurückhaltende Schüchternheit, gefühlstrunkene Inbrunst, die Heftigkeit des Glaubenseifers und die resignierte Milde des Alters. Über das Wesen der Trinität streiten die vier und durch die aristokratischen Gebärden des Südländers unterstützen[S. 44] sie ihre Worte so diskret und eindringlich zugleich, daß diese Gesten hier, wie selten nur bei Andrea, als Ausdrucksformen einer inneren Überzeugung wirken. Die beiden Knienden lauschen, das Antlitz emporgerichtet, den Reden der anderen: Johannes, voll weicher, aber durchaus nicht weichlicher Jünglings-Schönheit, und Magdalena, die natürlich ein Bildnis Lucrezias ist. Ein dunkles Sammetband hält ihre rotbraunen Haare zusammen, und will man den Frauenmaler Andrea selbst im kleinen bewundern, so betrachte man jene eine Locke: die schmiegt zuerst dem Weiß des Nackens sich an und bietet so eine Folie für die helle Pracht des Fleisches; dann bildet sie eine Scheidelinie zwischen Hals und Schultern und macht dadurch auf die schlanke Schönheit des Halses und den Ansatz der leise herabfallenden Schultern aufmerksam.
In einer „Madonna mit Heiligen“ vom Jahre 1524 hat Andrea die beiden Figuren des Johannes und der Magdalena noch einmal verwandt; auch dies Gemälde besitzt der Palazzo Pitti, und für die Kenntnis von Andreas Entwicklung lohnt es sich, die Gestalten miteinander zu vergleichen. Arm und Rücken des Johannes sind hier mit souveräner Meisterschaft, weit besser als im Bilder der „Disputa“ durchmodelliert. Aber während Johannes dort,[S. 45] dem Sinn des Vorganges entsprechend, sein Antlitz nach oben wendet, lugt er hier, mit einer energischen Drehung des Hauptes, neugierig aus dem Gemälde heraus; Magdalena blickt zur Madonna empor, und so gewinnt Andrea einen jener Kontraste, mit denen er damals, wie im Fresko so auch im Tafelbilde, zu operieren begann. In jenen kleineren Gemälden namentlich, wo sich die hellen Gestalten der heiligen Familie vom dunklen Hintergrunde lösen, ballt er die Figuren zum Michelangelesken Knäuel zusammen, verknüpft sie durch allerhand Drehungen der Körper und Köpfe zur kubischen Einheit, und obschon keine Figur eine Bewegung vollführt, scheint das Ganze doch voll unruhigen Lebens. Hell kontrastiert zu dunkel, eine kniende Gestalt zu einer stehenden, und einem aufwärts blickenden Haupte entspricht unfehlbar eines, das nach unten schaut. Gewisse Wendungen, auch ganze Gestalten übernimmt Andrea aus einem Gemälde ins andere und kümmert sich auch nicht mehr um Abwechslung in den Typen; den nämlichen Modellen begegnet man immer aufs neue, so daß Andreas letzte Werke durch ihre Gleichförmigkeit ermüden. Die hohe Kunst in den einzelnen Bildern wird man stets verehren müssen; aber denkt man jener ersten Verkündigung im Palazzo Pitti und vergleicht damit jene späte, aus[S. 46] Sarzana stammende Lünette des nämlichen Saales, so empfindet man: es ist nicht immer Phrase, wenn von der „Seele“ eines Bildes gesprochen wird.
Ähnliches gilt von seinen Darstellungen der „Pietà“. Das Wiener Hofmuseum besitzt die frühere, wahrscheinlich noch in Frankreich entstandene. Wie angemessen scheinen der stillen Tragik des Vorganges die morosen, für Andrea auffallend blassen Töne im Leichnam Christi, im Antlitz Marias und der Engel, und vollends jene ergreifende Mischung von physischem Weh und seelischem Adel, wie sie den Zügen des Heilands aufgeprägt ist, hat Andrea in der Pietà des Palazzo Pitti nicht erreicht, vielleicht auch gar nicht mehr angestrebt. Beim Komponieren der Hauptgruppe schon machte er sich’s leicht. Den toten Christus und Johannes, der ihn hält, entnahm er ebenso wie Maria einer „Pietà“ Fra Bartolommeos im Palazzo Pitti und auch für den Apostel Paulus, der die Rechte so schauspielerhaft ausstreckt, benützte er eine Gestalt des Frate. Einzig Magdalena bringt von Andreas Eigenstem. Starren Kummers schwer hängen die Blicke der großen Sünderin an den Füßen, die sie einst gesalbt und die schlaff in ihrem Schoß nun ruhen. Die Augen weinen nicht, aber die Finger krampfen sich in ohnmächtiger Verzweiflung[S. 47] hart ineinander. Neben Magdalena kniet die heilige Caterina. Ihre Anwesenheit ist durch die Tradition nicht bedingt und wahrscheinlich danken wir diese schöne Figur einem Wunsche der Äbtissin von San Piero in Luco, die Caterina della Casa hieß.
So können wir selbst in Andreas schwächeren Werken noch immer Offenbarungen eines reichen Talentes bewundern. Da sind zum Beispiel die beiden Darstellungen der Assunta. Die eine, in der Andrea sich selber gemalt, hatte Bartolommeo Panciatichi bestellt, „desideroso di lasciare memoria di se“, wie’s bezeichnend für die Mäcene der Renaissance im Vasari heißt. Aber die Tafel bekam Sprünge, darum vollendete Andrea das Gemälde nicht; es blieb in seinem Atelier und gelangte endlich mit jener anderen „Assunta“ des Domes von Cortona in den Palazzo Pitti. In beiden Bildern kann man die Theatertrauer der Apostel preisgeben; an den braungelockten Putti und der Madonna selbst bleiben unsere Blicke jedoch willig haften. Freilich, die himmelanstürmende Seligkeit der Madonna auf Tizians großer Assunta darf man bei Andrea nicht suchen. Geschaffen für leichtes und frohes Genießen, vermochte er den Mienen derer keinen Ausdruck glücklicher Wonne zu geben, die von[S. 48] der „freundlichen Gewohnheit des Daseins und Wirkens“ scheiden. Seine Madonna fliegt und schwebt nicht, sondern sitzt gelassen auf einer Art von Wolkenbank, schaut ruhig, in sonntagstiller Heiterkeit vor sich hin, faltet die Hände wie ein Kind, das beten will, oder richtet, das Haupt zurückgeneigt, ihren hellen Mädchenblick harmlos nach oben. Mehr an ekstatischem Weltentrücktsein konnte dieser große Künstler nicht aufbringen. Oder doch! Freilich, ein einziges Mal nur, in jener heiligen Agnes des Domes von Pisa. Das emporgewandte Auge dieses blassen Geschöpfes scheint nichts Erdenhaftes mehr, sondern nur noch den himmlischen Bräutigam zu gewahren, die halbgeöffneten Lippen beben seinen Küssen entgegen, den ganzen jungen Mädchenleib durchzittern erotisch-fromme Schauer vom Haupte, das sich leise nach rückwärts beugt, bis zu den Zehen herab, die sich unwillkürlich einwärts krampfen.
Nur der Nimbus macht in diesem Gemälde das Mädchen zur Heiligen. Es ist ein Halbportrait, wie deren so viele im Cinquecento gemalt wurden, und man findet leicht von ihnen einen Weg zu den eigentlichen Frauenbildnissen Andreas del Sarto.
[S. 49]
Kein anderer Florentiner kam dem unerreichbaren Lionardo und seiner Mona Lisa des Louvre so nahe als Andrea in jenem Bildnis Lucrezias del Fede, das heute der Prado zu Madrid bewahrt. Lionardos grandioses Objektivieren lag ihm freilich fern. Erhob dieser Francesco del Giocondos Gattin zum Typus „Weib“, löste er ihn von allen zeitlichen und lokalen Einschränkungen los, so hielt Andrea, in schroffestem Gegensatz zu Lionardo, seinen Blick beinahe angstvoll auf ein bestimmtes Wesen gerichtet. Die königliche Würde in Lucrezias Haltung ist durch die Mona Lisa bedingt, auch jenes „sfumato“, das geheimnisvoll Verschwimmende lionardesker Farben, machte Andrea sich zu eigen. Damit sind die Analogien zwischen den beiden Gemälden aber erschöpft. Für Lionardo handelte es sich um Probleme; Mona Lisa war ihm Modell, bedeutete ihm nicht mehr und nicht weniger wie ein Grashalm oder ein Pferdekopf; Andrea wollte mit dem Einsatz seines ganzen Könnens ein Portrait der Geliebten schaffen: Unnennbar keusch mutet die Linie des Nackens an, einer Imperatrix könnte diese weiße Stirne gehören, aber Andreas Lucrezia gebietet dem Leben nicht; unbefriedigte Sehnsucht, unerfülltes Begehren zittern in den weitgeöffneten Pupillen. So birgt dies Portrait einen seltsamen,[S. 50] diesmal von Andrea kaum gewollten Kontrast: voll männlichsten Künstlertums in der Ausführung charakterisieren Demut und Unterwürfigkeit gegenüber dem Modell seine geistige Art.
Sinnlich, leicht erregbar, und stets neben einer schönen Frau schaffend, lernte Andrea, was am Weibe auf Männer wirkt, beugte sich gern dem Zauber dieses Rätselhaften, suchte in seiner Kunst den feinsten und letzten Nuancen weiblichen Empfindens und frauenhaften Raffinements beizukommen. Das turbanartig gefältelte Kopftuch steigert in dem Madrider Bilde wesentlich den malerischen Eindruck von Lucrezias Haar, seiner schönen ruhigen Masse dient das unruhige Muster des Stoffes zum wirksamen Gegensatz, und wie im Gemälde der „Disputa“ jene Locke Magdalenas, so bringt hier das dunkle Seidenband mit der Troddel den hohen Hals und das Leuchten des Nackens zur Geltung. In einem Mädchenbildnis der Uffizien wiederum, das wie die Inspiration eines frohen Augenblickes anmutet, weiß das Modell — man begegnet ihm öfters im Werke Andreas — ganz genau um den Reiz eines hellen Bandes im braunen Haar und junger Blüten an jungen Busen. Übermütig lachend deutet dies Schelmenkind mit dem Zeigefinger der Rechten auf[S. 51] eine schmachtende Canzone im Petrarca, — eine geistige Koketterie, wie sie nur der geborene „peintre des femmes“ ersinnen konnte.
Andrea war kein berufsmäßiger Porträtist; er malte anscheinend nur Menschen, die seinem Herzen nahe standen, und weil man den hingebenden Ernst seiner Männerbildnisse wohl erkannte, dem „oberflächlichen“ Andrea Seelenstudien an fremden Modellen jedoch nicht zutraute, so galten und gelten seine Porträts als Selbstbildnisse. Aber nicht das Modell, sondern nur die fürstliche Auffassung des Menschen ist allen gemeinsam: der Körper macht eine bisweilen leise Wendung, das Antlitz, in dem nur die Hauptpartien volles Licht erhalten, bleibt groß und ruhig dem Beschauer zugekehrt, und dies ernste Vorsichhinblicken leiht den Porträts eine Hoheit, wie sie keinem Quattrocentobildnis eigen war.
Da ist im Palazzo Pitti ein Jüngling mit mädchenhaften Händen und den Zügen eines Lyrikers. Germanisch-versonnen blicken seine Augen nach innen, leise Schwermut umlagert die Lippen, — so möchte man sich gern den jungen Andrea denken, aber in den Tagen, da er ein schwarzes Gewand so wirksam von einem grünen Hintergrunde sich abheben ließ, so geschickt mit Licht und Schatten[S. 52] umging, muß er schon älter als dies Modell gewesen sein. Das Londoner „Selbstbildnis“ stellt wiederum nicht Andrea, wohl aber einen Künstler dar, den sein Temperament rastlos vorwärts peitschte, den die Wehen und Seligkeiten des Schaffens bald niederwarfen, bald zu weltenfernen Gipfeln emporhoben. Ein ruhsam Arbeitender ist er nie gewesen. Mit jähem Ruck hat er in prachtvoller Lebendigkeit sein Haupt zurück-, dem Betrachter gerade entgegengeworfen und die Augen glühen in der Wonne der schöpferischen Stunde. Ein Künstler gänzlich anderen Wesens tritt uns in jenem „Selbstporträt“ des Palazzo Pitti entgegen, von dem auch die Uffizien ein minder gutes Exemplar verwahren. Vor einem Aristokraten des Empfindens steht man, vor einem müden Menschen mit wunder Seele, der, wie die irre Glut seiner Augen verrät, noch immer den Frieden nicht gefunden.
Im einzigen authentischen Selbstbildnis Andreas, im Freskoportrait der Uffizien sprüht dagegen alles von Lust, Laune und Heiterkeit. Mit kecker Bravour ist das braune Gewand hingestrichen, verwegen sitzt die schwarze Kappe auf dem dunklen Haar, und die großen Kinderaugen leuchten voll Zufriedenheit. Einen sonnigen Augenblick im düsteren Leben Andreas hält dies[S. 53] Porträt fest, und weil die Geschichte seines Entstehens den Maler und den Menschen zugleich charakterisiert, möge Vasaris Bericht hier Platz finden: „Von einer früheren Arbeit war ihm noch Material geblieben; darum nahm er einen Stein, rief seine Gattin Lucrezia und sagte ihr: Komm’ her; da jene Farben noch übrig sind, möchte ich dich malen, damit man erkenne, wie gut du bei deinen Jahren dich gehalten, und wie dein Aussehen seit den ersten Bildnissen sich doch veränderte. Aber seine Frau wollte nicht ruhig sitzen, und Andrea, der vielleicht sein nahes Ende ahnen mochte, malte darum mit Hilfe eines Spiegels sein Bildnis auf diesen Stein so vortrefflich, ‚che par vivo e naturalissimo‘“. ...
Die Quattrocentokunst hatte das Hauptgewicht auf die Zeichnung gelegt. Die Linie war das Bestimmende, die Farbe trat nur ergänzend hinzu. Ein Ton stand leuchtend aber unvermittelt neben dem anderen; man malte nicht, sondern kolorierte. Vom hellen Grunde hoben sich, im nämlichen Lichte, helle Gestalten ab und ihre Konturen waren meist so dünn und scharf gezogen, daß man sie mit einem Messer von ihrer Umgebung loslösen könnte. Auch Andrea hatte so angefangen. Erst im dritten Fresko[S. 54] der Annunziata, in der „Heilung der Kranken“, beginnt die Farbe ihr eigenes Dasein zu führen. Aus einem Fenster des Palastes im Hintergrunde blicken drei Mädchen auf die Scene herab; als drei helle Farbentöne kontrastieren sie mit dem Schwarz der Fensteröffnung und dienen, vom rein malerischen Standpunkt aus, dem nämlichen Zweck wie jenes weiß-rote Tuch beim dritten Fenster, das so pikant das Dunkel unterbricht: so vermied Andrea die Eintönigkeit im gleichmäßigen Grau-Braun der Architektur. Darum tritt auch beim „Kuß der Reliquien des Heiligen“ aus einer schwarzen Türöffnung eine ganz in Weiß gekleidete, in der Epiphanie eine rotgewandete Figur, und die Geburt Marias endlich ist bereits ganz auf malerische Wirkungen hin angelegt, die hellbeleuchteten Gestalten des Vordergrundes bilden einen starken Gegensatz zum bräunlich gehaltenen Innenraum. Rein malerische Ziele werden nun maßgebend für seine Kunst. Man betrachte einmal in den Uffizien oder anderswo seine Zeichnungen. Die Meister des Quattrocento, die bloß den Kontur herausbringen wollten, hatten nur die Feder oder einen dünnen Silberstift benützt. Andrea will in seinen Skizzen sich vor allem über farbige Wirkungen Rechenschaft geben, darum bevorzugt er weiche Rötelstifte, aus denen die Farbe herausquillt[S. 55] und die so wunderbar das anmutige und vielfältige Spiel der Lichter und Schatten auf einem Antlitz festhalten.
Von seinen Tafelbildern ist das ganz frühe „Noli me tangere“ der Uffizien noch quattrocentistisch-linear empfunden; aber schon in der Verkündigung des Palazzo Pitti kommt der Maler zu Wort. Jenes zarte Gelb, das Andrea über die dunkelblauen Bogen des Hintergrundes setzte, berührt giorgionesk, und venetianisch muten uns auch die Gestalten auf dem Balkon des Palastes an. Das Karminrot im Mantel des einen Mannes schafft mit dem bißchen Grün in der braunen Vase neben ihm dem Blau des Himmels den nötigen Gegensatz, und die Gefahr eines eintönigen Blaus wird aufs glücklichste wiederum durchs Weiß der Taube vermieden, die sich aus einem braun-goldigen Strahlenglanze loslöst. In der „Madonna delle Arpie“ bietet der dunkle Hintergrund bereits eine wirksame Folie für die helleren Farben der Figuren und den reizvollen Kampf der Lichter und Schatten, den man selbst in der kleinsten Fläche, z. B. im Antlitz der drei Gestalten oder in den Falten der Gewänder bewundern kann. Auf den Kontrast zwischen dem schwarzen Buchrücken und dem leuchtenden Arm des Johannes sei besonders hingewiesen.
[S. 56]
Das Gemälde der Disputa endlich bedeutet auch nach der rein malerischen Seite hin das höchste, was dem Talent Andreas zu erreichen bestimmt war. Vom Hinter- nach dem Vordergrunde zu durchzieht ein Crescendo an Farben das Bild: Von einem dunklen Braun, das nur oben in den Wolken der rote Mantel Gottvaters durchbricht, lösen sich in vier etwas helleren Farben, in grau, schwarz, weiß und karminrot, die vier Stehfiguren und diesen geben wiederum die unglaublich kräftigen Fleischtöne im Johannes, sein blaugrüner Mantel und vor allem die frühlinghaft jubelnden Farben im Gewande Magdalenas, ein helles Orange, Weiß, ein leichtes Rot und Zitronengelb den unvergeßbaren Gegensatz.
Das zitternde Ineinander-Rinnen der Farben, die vermittelnde Macht der Halb- und der Reiz schillernder Changeant-Töne waren der Florentiner Kunst bisher fremd geblieben, und Andreas neue Art zu modellieren, durch das Auf- und Abwogen der Lichter und Schatten den Körpern und Mienen „rilievo“ zu geben, wirkte gleich einer Offenbarung auf seine Stadtgenossen. Daß die jungen Maler, die copierend im kleinen Hofe des Scalzoklosters standen, auch Andreas Linienführung, sein Spiel kontrastierender Gesten und Gebärden, das Herausblicken kniender Figuren aus[S. 57] dem Bilde sich zu eigen machten, scheint danach selbstverständlich. Aber auch von den wenigen Typen, die Andrea geschaffen, — oder darf man nur sagen „verwandt“ — kamen die Florentiner der Folgezeit nicht mehr los. Von der heiligen Elisabeth mancher seiner Tafelgemälde stammen Pontormos Parzen, immer wieder begegnen wir Lucrezias blassen Mienen, ihren dunkelumränderten Augen, und die erotische Frömmigkeit seiner heiligen Agnes in Pisa hat es dem Seicento besonders angetan. Auf einem der zwei sorgsam ausgeführten Gemälde des Palazzo Pitti, in denen Andrea die Geschichte Josephs erzählte, gewahren wir mit zerrauftem Bart und rückwärts flatterndem Haar den Erzvater Jakob. Schmerzerfüllt zerreißt er sein Gewand und schaut so, daß man das Weiß der Iris erblickt, himmelwärts. Diese Gestalt gehört zu den Ahnen der vielen Asketen und Anachoreten des Florentiner Barock und spricht man einmal vom Zusammenhang der Kunst Andreas mit jener des Seicento, — schon in seiner „Geburt Marias“ gaukeln Engel durch die Wohnräume der Menschen, schon in seinem Berliner Altargemälde thront Maria auf Wolken vor der Nische eines Palastes, kurz, lange vor den Meistern der Gegenreformation rückte Andrea Himmlisches neben Erdenhaftes, verquickte Sinnliches zur Einheit mit dem Übersinnlichen.
[S. 58]
Cinelli, ein Schriftsteller des siebzehnten Jahrhunderts, hat in seinen „Bellezze di Firenze“ Andrea del Sarto einen Prometheus geheißen, der „mit seinem Hauch das Fleisch belebte“. Wir möchten heute Andrea kaum mit den Ganz-Großen der Florentiner Renaissance, den Giotto und Masaccio, den Lionardo und Michelangelo in einem Atem nennen. Er hat nicht, wie jene Gewaltigen, dem Reich des Darstellbaren neue Gebiete erobert, sondern nur die Ausdrucksfähigkeit der Linien und Farben gesteigert, die Mittel des Handwerklichen in der Kunst verfeinert. Und doch, — käme bei der Beurteilung eines Künstlers allein die Nachhaltigkeit seines Wirkens in Betracht, so müßten wir Andrea als den bedeutendsten der Florentiner Maler feiern. Wie Lehensleute zu ihrem König, schauten die Künstler des Cinquecento, die Franciabigio und Sogliani, die Pontormo und Rosso, die Vasari und Salviati zu Andrea empor, und noch in einem Werke über die späten Meister des Florentiner Barock, die Santi di Tito und Passignano, Cigoli und Furini, — die Überschrift des ersten und umfangreichsten Kapitels müßte auch hier lauten:
ANDREA DEL SARTO.
[S. 59]
BERLIN
240. Brustbild Lucrezias del Fede.
246. Madonna in trono mit Heiligen. 1528.
DRESDEN
77. Das Opfer Abrahams. 1529.
76. Verlobung der heiligen Katharina. (Vielleicht unter Mitarbeit Domenico Puligos entstanden.)
FLORENZ
Accademia
75. Toter Christus (Fresko.)
(Ohne Nummer.) Hospital-Scene. Fresko. Frühwerk.
76. Vier Heilige. 1528.
61. Zwei Engel. Ursprünglich ein Teil des Bildes No. 76.
77. Predella zu No. 76. Nicht ganz eigenhändig.
Palazzo Pitti
58. „Pietà.“ 1524.
66. Bildnis eines jungen Mannes.
81. Heilige Familie. 1529.
87 und 88. Darstellungen aus der Geschichte Josephs.
[S. 60]
124. Verkündigung an Maria. Um 1512-1513.
163. „ „ „ 1528. Bildete ursprünglich den Abschluss des Berliner Gemäldes No. 246.
174. Die Disputation über die Dreieinigkeit.
184. Bildnis eines jungen Mannes.
191. Himmelfahrt Mariae (unvollendet).
225. „ „ 1526.
272. Der jugendliche Johannes.
307. Madonna in der Glorie mit Heiligen. 1524.
Uffizien
93. „Noli me tangere“. Frühwerk.
188. Bildnis eines jungen Mädchens.
280. Selbstportrait. Fresko.
1169. Bildnis eines Mannes.
1112. Madonna dell’ Arpie. 1517.
1176. Wiederholung des Portraits No. 66 im Palazzo Pitti.
1254. Der heilige Jacobus mit zwei Chorknaben. 1528.
Chiostro dello Scalzo
Fresken aus dem Leben Johannes des Täufers und vier allegorische Frauengestalten:
Die Taufe Christi. 1511.
Die Predigt Johannis. ca. 1515.
Die Taufe des Volkes. 1517.
Die Gefangennahme. 1517.
Der Tanz der Salome. 1522.
Die Enthauptung des Täufers. 1523.
Die Darreichung des Hauptes. 1523.
Die Verkündigung an Zacharias. 1523.
Die Heimsuchung. 1524.
Die Namengebung. 1526.
Chiesa della Santissima Annunziata
Fünf Fresken mit Scenen aus dem Leben des heiligen Filippo Benizzi. 1509-11.
Die Anbetung der Könige. 1511.
Die Geburt Marias. 1514.
[S. 61]
Kapelle links vom Eingang: Brustbild des Heilands.
Kreuzgang: „Madonna del Sacco.“ Fresko. 1525.
Ehemaliges Kloster von San Salvi.
Das heilige Abendmahl. Fresko. In Auftrag gegeben 1519, war jedoch 1525 noch nicht begonnen.
LONDON
17. Heilige Familie.
690. Bildnis eines Künstlers.
Hertford House
Madonna mit Kind und drei Engeln.
Sammlung Leopold von Rothschild.
Die „Madonna del Fries“.
LYON
161. Verkleinerte eigenhändige Wiederholung des Opfers Abrahams zu Dresden. Erwähnt 1531.
MADRID
385. Madonna mit Kind, dem heiligen Joseph und einem Engel.
387. Das Opfer Abrahams. Verkleinerte eigenhändige Wiederholung des Originales in Dresden. 1529.
MÜNCHEN
1066. Heilige Familie. Eigenhändige freie Replik der Heiligen Familie im Louvre No. 380.
NEAPEL
19. Kopie von Raffaels Bildnis Leos X. mit zwei Kardinälen im Palazzo Pitti No. 40.
PANSHANGER
Sammlung des Earl of Cowper.
Bildnis des Domenico Conti? 1523.
Bildnis einer Frau, sog. „Laura.“
Bildnis eines Mannes in ländlicher Tracht.
Predelle mit Scenen aus dem Leben Josephs.
PARIS
[S. 62]
379. Die „Charitas“. 1518.
380. Heilige Familie. 1518-19.
381. Heilige Familie. 1518.
PETERSBURG
24. Heilige Familie. Replik des Londoner Bildes No. 17 mit Hinzufügung der Gestalt der heiligen Katharina.
PISA
Dom.
Die heilige Agnes, die heilige Katharina und die heilige Margarethe. 1525.
Die beiden Bilder des Täufers und des Apostels Petrus, die, ebenfalls im Dom befindlich, mit den Darstellungen der drei weiblichen Heiligen zu einem Gemälde vereint waren, sind wohl kaum eigenhändig.
POGGIO A CAJANO (BEI FLORENZ)
Cäsar empfängt den Tribut der Tierwelt. Fresko. 1521. Von Andrea nur begonnen, im Jahre 1580 von Alessandro Allori beendet.
WIEN
39. „Pietà“.
42. Tobias und der Engel.
(Vielleicht unter Mitarbeit Domenico Puligos entstanden.)
[1] Wo eine nähere Bezeichnung fehlt, ist als Aufenthaltsraum eines Bildes immer die Hauptgalerie des Ortes anzusehen. Die Zahlen vor dem Bildnamen beziehen sich auf den Katalog der betreffenden Galerie, die Zahlen hinter dem Gemälde bezeichnen das Entstehungsjahr, sofern dies gesichert erscheint. Atelier- und Schulbilder sind in dies Verzeichnis, das nur die ganz oder zum größten Teil eigenhändigen Werke umfassen soll, nicht aufgenommen.
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Dr. Wilhelm von Scholz in „Der Tag“ vom 3. August 1904:
Georg Brandes beginnt unter dem Titel „Die Literatur“ eine Reihe literarischer Essays von verschiedenen Verfassern (im Verlage Bard, Marquardt & Co., Berlin) herauszugeben, die der „Kunst“ und der „Musik“ des gleichen Verlages entspricht. Der erste, mit ganz entzückenden Wiedergaben antiker Plastiken und heroischer Landschaften geschmückte Band bringt „Unterhaltungen über literarische Gegenstände“ von Hugo von Hofmannsthal.
„Hamburger Fremdenblatt“ vom 6. August 1904:
In gleichem Stil und in gleicher Ausstattung wie die bekannten Bändchen, welche unter dem Namen „Die Kunst“ erscheinen, gibt die Verlagshandlung Bard, Marquardt & Co., Berlin W. 57, nun auch eine Bibliothek „Die Literatur“ heraus. In Georg Brandes, dem berühmten dänischen Schriftsteller, der mit gleicher Kenntnis die heimische wie die deutsche Literatur beherrscht, hat die Verlagshandlung einen Herausgeber gewonnen, dessen Name dafür bürgt, dass wir es durchweg mit ernsten und beachtenswerten Arbeiten zu tun haben. Es handelt sich auch hier um Einzeldarstellungen, welche die „grossen schöpferischen Persönlichkeiten“ behandelt, aus deren Leistungen sich der organische Bau unserer Kultur zusammensetzt und weiter ausbildet. Ohne Zweifel wird „Die Literatur“ dieselbe freundliche Aufnahme finden wie „Die Kunst“, welche sich so schnell in die Gunst des wirklich gebildeten und nachdenklichen Publikums eingebürgert hat.
„Neue Hamburger Zeitung“ vom 13. August 1904:
Die neue Sammlung von Essays will im Zusammenhang und in innerer Anlehnung an die in demselben Verlage erscheinenden Sammlungen „Die Kunst“ (Richard Muther) und „Die Musik“ (Richard Strauss) „ein Gesamtbild der Kulturbestrebungen und Anschauungen unserer Zeit in Einzeldarstellungen entwickeln“, und neben der Charakteristik der Persönlichkeiten auch die für unsere Kultur wesentlichen ästhetischen Zeitfragen auf dem Gebiet der „Literatur“ und des „Theaters“, berücksichtigen. Dafür, dass wir nicht bloss ein „Programm“ zu sehen bekommen, bürgt der Name Georg Brandes; und die beiden ersten Bände sind ganz dazu angetan, dem neuen Unternehmen starke Sympathien zu sichern.
„Berliner Morgen-Post“ vom 16. Juli 1904:
Der Verlag hat mit seiner hübschen Sammlung „Die Kunst“ so viel Glück gehabt, dass er ihr jetzt eine neue unter dem Sammeltitel: „Die Literatur“ folgen lässt. Das Wesen dieser Sammlung ist nicht etwa die Einzelbiographie, sondern der Essay überhaupt. Unsere Zeit hat Geschmack bekommen an kurzen, knappen, interessant geschriebenen Aufsätzen. Bard hat den guten Gedanken gehabt, zu der geschmackvollen Ausstattung auch noch interessanten Bildschmuck, Vignetten, Reproduktionen alter Kupfer und Zeichnungen hinzuzufügen. Das erhöht noch mehr den abgeschlossenen Charakter der Bändchen.
Deutsche Buch- und Kunstdruckerei, G. m. b. H., Zossen.