The Project Gutenberg EBook of Reise in die Aequinoctial-Gegenden des
neuen Continents. Band 1. by Alexander von Humboldt



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Title: Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Continents. Band 1.

Author: Alexander von Humboldt

Release Date: September 3, 2007 [Ebook #22492]

Language: German

Character set encoding: US-ASCII


***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK REISE IN DIE AEQUINOCTIAL-GEGENDEN DES NEUEN CONTINENTS. BAND 1.***





Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Continents.
Band 1.


by Alexander von Humboldt




Edition 01 , (September 3, 2007)





               In deutscher Bearbeitung von Hermann Hauff.

         Nach der Anordnung und unter Mitwirkung des Verfassers.

   Einzige von A. v. Humboldt anerkannte Ausgabe in deutscher Sprache.

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                                   1865

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                               Erster Band





CONTENTS


Vorwort
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fuenftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel






VORWORT


Einem wissenschaftlichen Reisenden kann es wohl nicht verargt werden, wenn
er eine vollstaendige Uebersetzung seiner Arbeiten jeder auch noch so
geschmackvollen Abkuerzung derselben vorzieht. Bouquer´s und La Condamine´s
mehr als hundertjaehrige Quartbaende werden noch heute mit grosser Theilnahme
gelesen; und da jeder Reisende gewissermassen  den Zustand der
Wissenschaften seiner Zeit, oder vielmehr die Gesichtpunkte darstellt,
welche von dem Zustande des Wissens seiner Zeit abhangen, so ist das
wissenschaftliche Interesse um so lebendiger, als die Epoche der
Darstellung der Jetztzeit naeher liegt. Damit aber die lebendige
Darstellung des Geschehenen weniger unterbrochen werde, habe ich das
Material, durch welches allgemeine kosmische Resultate begruendet werden,
in besonderen Zugaben ueber stuendliche Barometer-Veraenderungen, Neigung der
Magnetnadel und Intensitaet der magnetischen Erdkraft zusammengedraengt. Die
Absonderung solcher und anderer Zugaben hat allerdings, und ohne grossen
Nachtheil, zu Abkuerzungen in der Uebersetzung des Originaltextes der Reise
Anlass geben koennen. Diese Betrachtung war auch geeignet mich bald mit dem
Unternehmen zu versoehnen, einem groesseren Kreise gebildeter Leser, die
bisher mehr mit der Natur als mit scientifischen Wissen befreundet waren,
einen etwas *abgekuerzten Text der Reise in die Tropen-Gegenden des Neuen
Continents* darzubieten. Die Buchhandlung, welche aus edler, ich setze
gern hinzu angeerbter Freundschaft meinen Arbeiten eine so lange und
sorgfaeltige Pflege geschenkt hat, hat mich aufgefordert diese neue
Ausgabe, welche einem vielseitig unterrichteten Gelehrten, Herrn
Bibliothekar Professor _Dr._ *Hauff* anvertraut ist, nicht bloss, so viel
mein Uralter und meine gesunkenen Kraefte es erlauben, zu revidiren,
sondern auch mit Zusaetzen und Berichtigungen zu bereichern. Die
Naturwissenschaft ist, wie die Natur selbst, in ewigem *Werden* und
Wechsel begriffen. Seit der Herausgabe des ersten Bandes der Reise sind
jetzt 45 Jahre verflossen. Die Berichtigungen muessten also zahlreich seyn:
in geognostischer Hinsicht wegen Bezeichnung der Gebirgs-Formationen und
der metamorphosirten Gebirge, des wohlthaetigen Einflusses der Chemie auf
die Geognosie, wie in allem, was anbetrifft die Vertheilung der Waerme auf
dem Erdkoerper und die Ursach der verschiedenen Kruemmung monatlicher
Isothermen (nach Dove´s meisterhaften Arbeiten). Die durch die neue
Ausgabe veranlasste Erweiterung des Kreises wissenschaftlicher Anregung
kann ich nur freudig begruessen; denn in dem Entwickelungsgange physischer
Forschungen wie in dem der politischen Institutionen ist Stillstand durch
unvermeidliches Verhaengnis an den Anfang eines verderblichen
*Rueckschrittes* geknuepft.

Es wuerde mir dazu eine innige Freude seyn noch zu erleben, wie die
Unternehmer es hoffen, dass meine in den Jahren freudig aufstrebender
Jugend ausgefuehrte Reise, deren einer Genosse, mein theurer Freund, *Aime
Bonpland*, bereits, im hohen Alter, dahingegangen ist, in unserer eigenen
schoenen Sprache von demselben deutschen Volke mit einigem Vergnuegen
gelesen werde, welches mehr denn zwei Menschenalter hindurch mich in
meinen wissenschaftlichen Bestrebungen und meiner Laufbahn durch ein
eifriges Wohlwollen beglueckt und selbst meinen spaetesten Arbeiten durch
seine partheiische Theilnahme eine Rechtfertigung gewaehrt hat.

*Berlin*, 26. Maerz 1859.

*Alexander v. Humboldt.*





ERSTES KAPITEL


        Vorbereitungen -- Abreise von Spanien -- Aufenthalt auf den
                            Kanarischen Inseln


Wenn eine Regierung eine jener Fahrten auf dem Weltmeer anordnet, durch
welche die Kenntniss des Erdballes erweitert und die physischen
Wissenschaften gefoerdert werden, so stellt sich ihrem Vorhaben keinerlei
Hinderniss entgegen. Der Zeitpunkt der Abfahrt und der Plan der Reise
koennen eingehalten werden, sobald die Schiffe ausgeruestet und die
Astronomen und Naturforscher, welche unbekannte Meere befahren sollen,
gewaehlt sind. Die Inseln und Kuesten, deren Produkte die Seefahrer kennen
lernen sollen, liegen ausserhalb des Bereiches der staatlichen Bewegungen
Europas. Wenn laengere Kriege die Freiheit zur See beschraenken, so stellen
die kriegfuehrenden Maechte gegenseitig Paesse aus; der Hass zwischen Volk und
Volk tritt zurueck, wenn es sich von der Foerderung des Wissens handelt, das
die gemeine Sache der Voelker ist.

Anders, wenn nur ein Privatmann auf seine Kosten eine Reise in das Innere
eines Festlandes unternimmt, das Europa in sein System von Kolonien
gezogen hat. Wohl mag sich der Reisende einen Plan entwerfen, wie er ihm
fuer seine wissenschaftlichen Zwecke und bei den staatlichen Verhaeltnissen
der zu bereisenden Laender die angemessenste scheint; er mag sich die
Mittel verschaffen, die ihm fern vom Heimathland auf Jahre die
Unabhaengigkeit sicher, aber gar oft widersetzen sich unvorhergesehene
Hindernisse seinem Vorhaben, wenn er eben meint, es ausfuehren zu koennen.
Nicht leicht hat aber ein Reisender mit so vielen Schwierigkeiten zu
kaempfen gehabt als ich vor meiner Abreise nach dem spanischen Amerika.
Gern waere ich darueber weggegangen und haette meine Reisebeschreibungen mit
der Besteigung des Pic von Tenerifa begonnen, wenn nicht das Fehlschlagen
meiner ersten Plaene auf die Richtung meiner Reise nach der Rueckkehr vom
Orinoko bedeutenden Einfluss geaeussert haette. Ich gebe daher eine fluechtige
Schilderung dieser Vorgaenge, die fuer die Wissenschaft von keinem Belang
sind, von denen ich aber wuenschen muss, dass sie richtig beurteilt werden.
Da nun einmal die Neugier des Publikums sich haeufig mehr an die Person des
Reisenden als an seine Werke heftet, so sind auch die Umstaende, unter
denen ich meine ersten Reiseplaene entworfen, ganz schief aufgefasst
worden.(1)

Von frueher Jugend auf lebte in mir der sehnliche Wunsch, ferne, von
Europaeern wenig besuchte Laender bereisen zu duerfen. Dieser Drang ist
bezeichnend fuer einen Zeitpunkt im Leben, wo dieses vor uns liegt wie ein
schrankenloser Horizont, wo uns nichts so sehr anzieht als starke
Gemuethsbewegung und Bilder physischer Faehrlichkeiten. In einem Lande
aufgewachsen, das in keinem unmittelbaren Verkehr mit den Kolonien in
beiden Indien steht, spaeter in einem fern von der Meereskueste gelegenen,
durch starken Bergbau beruehmten Gebirge lebend, fuehlte ich den Trieb zur
See und zu weiten Fahrten immer maechtiger in mir werden. Dinge, die wir
nur aus den lebendigen Schilderungen der Reisenden kennen, haben ganz
besonderen Reiz fuer uns; Alles in Entlegenheit undeutlich Umrissene
besticht unsere Einbildungskraft; Genuesse, die uns nicht erreichbar sind,
scheinen uns weit lockender, als was uns im engen Kreise des buergerlichen
Lebens bietet. Die Lust am Botanisiren, das Studium der Geologie, ein
Ausflug nach Holland, England und Frankreich in Gesellschaft eines
beruehmten Mannes, Georg Forsters, dem das Glueck geworden war, Capitaen Cook
auf seiner zweiten Reise um die Welt zu begleiten, trugen dazu bei, den
Reiseplaenen, die ich schon mit achtzehn Jahren gehegt, Gestalt und Ziel zu
geben. Wenn es mich noch immer in die schoenen Laender des heissen Erdguertels
zog, so war es jetzt nicht mehr der Drang nach einem aufregenden
Wanderleben, es war der Trieb, eine wilde, grossartige, an mannichfaltigen
Naturprodukten reiche Natur zu sehen, die Aussicht, Erfahrungen zu
sammeln, welche die Wissenschaften foerderten. Meine Verhaeltnisse
gestatteten mir damals nicht, Gedanken zu verwirklichen, die mich so
lebhaft beschaeftigten, und ich hatte sechs Jahre Zeit, mich zu den
Beobachtungen, die ich in der Neuen Welt anzustellen gedachte,
vorzubereiten, mehrere Laender Europas zu bereisen und die Kette der
Hochalpen zu untersuchen, deren Bau ich in der Folge mit den Anden von
Quito und Peru vergleichen konnte. Da ich zu verschiedenen Zeiten mit
Instrumenten von verschiedener Construction arbeitete, waehlte ich am Ende
diejenigen, die mir als die genauesten und dabei auf dem Transport
dauerhaftesten erschienen; ich fand Gelegenheit, Messungen, die nach den
strengsten Methoden vor genommen wurden, zu wiederholen, und lernte so
selbststaendig die Grenzen der Irrthuemer kennen, auf die ich gefasst seyn
musste.

Im Jahre 1795 hatte ich einen Teil von Italien bereist, aber die
vulkanischen Striche in Neapel und Sizilien nicht besuchen koennen. Ungern
haette ich Europa verlassen, ohne Vesuv, Stromboli und Aetna gesehen zu
haben; ich sah ein, um zahlreiche geologische Erscheinungen, namentlich in
der Trappformation, richtig aufzufassen, musste ich mich mit den
Erscheinungen, wie noch taetige Vulkane sie bieten, naeher bekannt gemacht
haben. Ich entschloss mich daher im November 1797, wieder nach Italien zu
gehen. Ich hielt mich lange in Wien auf, wo die ausgezeichneten Sammlungen
und die Freundlichkeit Jacquins und Josephs van der Schott mich in meinen
vorbereitenden Studien ausnehmend foerderten; ich durchzog mit Leopold von
Buch, von dem seitdem ein treffliches Werk ueber Lappland erschienen ist,
mehrere Teile des Salzburger Landes und Steiermark, Laender, die fuer den
Geologen und Landschaftsmaler gleich viel Anziehendes haben; als ich aber
ueber die Tiroler Alpen gehen wollte, sah ich mich durch den in ganz
Italien ausgebrochenen Krieg genoetigt, den Plan der Reise nach Neapel
aufzugeben.

Kurz zuvor hatte ein leidenschaftlicher Kunstfreund, der bereits die
Kuesten Illyriens und Griechenlands als Alter thumsforscher besucht hatte,
mir den Vorschlag gemacht, ihn auf einer Reise nach Oberegypten zu
begleiten. Der Ausflug sollte nur acht Monate dauern; geschickte Zeichner
und astronomische Werkzeuge sollten uns begleiten, und so wollten wir den
Nil bis Assuan hinaufgehen und den zwischen Tentyris und den Cataracten
gelegenen Teil des Said genau untersuchen. Ich hatte bis jetzt bei meinen
Planen nie ein aussertropisches Land im Auge gehabt, dennoch konnte ich der
Versuchung nicht widerstehen, Laender zu besuchen, die in der Geschichte
der Kultur eine so bedeutende Rolle spielen. Ich nahm den Vorschlag an,
aber unter der ausdruecklichen Bedingung, dass ich bei der Rueckkehr nach
Alexandrien allein durch Syrien und Palaestina weiter reisen duerfte. Sofort
richtete ich meine Studien nach dem neuen Plane ein, was mir spaeter zu
gute kam, als es sich davon handelte, die rohen Denkmale der Mexicaner mit
denen der Voelker der Alten Welt zu vergleichen. Ich hatte die nahe
Aussicht, mich nach Egypten einzuschiffen, da noethigten mich die
eingetretenen politischen Verhaeltnisse, eine Reise aufzugeben, die mir so
grossen Genuss versprach. Im Orient standen die Dinge so, dass ein einzelner
Reisender gar keine Aussicht hatte, dort Studien machen zu koennen, welche
selbst in den ruhigsten Zeiten von den Regierungen mit misstrauischen Augen
angesehen werden.

Zur selben Zeit war in Frankreich eine Entdeckungsreise in die Suedsee
unter dem Befehl des Kapitaens Baudin im Werk. Der urspruengliche Plan war
grossartig, kuehn und haette verdient, unter umsichtiger Leitung ausgefuehrt
zu werden. Man wollte die spanischen Besitzungen in Suedamerika von der
Muendung des Rio de la Plata bis zum Koenigreich Quito und der Landenge von
Panama besuchen. Die zwei Corvetten sollten sofort ueber die Inselwelt des
Stillen Meeres nach Neuholland gelangen, die Kuesten desselben von
Vandiemensland bis Nuytsland untersuchen, bei Madagaskar anlegen und ueber
das Kap der guten Hoffnung zurueckkehren. Ich war nach Paris gekommen, als
man sich eben zu dieser Reise zu ruesten begann. Der Charakter des Kapitaens
Baudin war eben nicht geeignet, mir Vertrauen einzufloessen; der Mann hatte
meinen Freund, den jungen Botaniker van der Schott, nach Brasilien
gebracht, und der Wiener Hof war dabei schlecht mit ihm zufrieden gewesen;
da ich aber mit eigenen Mitteln nie eine so weite Reise unternehmen und
ein so schoenes Stueck der Welt haette kennen lernen koennen, so entschloss ich
mich, auf gutes Glueck die Expedition mitzumachen. Ich erhielt Erlaubniss,
mich mit meinen Instrumenten auf einer der Corvetten, die nach der Suedsee
gehen sollten, einzuschiffen, und machte nur zur Bedingung, dass ich mich
von Kapitaen Baudin trennen duerfte, wo und wann es mir beliebte. Michaux,
der bereits Persien und einen Teil von Nordamerika besucht hatte, und
Bonpland, dem ich mich anschloss, und der mir seitdem aufs innigste
befreundet geblieben, sollten die Reise als Naturforscher mitmachen.

Ich hatte mich einige Monate lang darauf gefreut, an einer so grossen und
ehrenvollen Unternehmung Theil nehmen zu duerfen, da brach der Krieg in
Deutschland und Italien von neuen aus, so dass die franzoesische Regierung
die Geldmittel, die sie zu der Entdeckungsreise angewiesen, zurueckzog und
dieselbe auf unbestimmte Zeit verschob. Mit Kummer sah ich alle meine
Aussichten vernichtet, ein einziger Tag hatte dem Plane, den ich fuer
mehrere Lebensjahre entworfen, ein Ende gemacht; da beschloss ich nur so
bald als moeglich, wie es auch sey, von Europa wegzukommen, irgend etwas zu
unternehmen, das meinen Unmuth zerstreuen koennte.

Ich wurde mit einen schwedischen Konsul, Skioeldebrand, bekannt, der dem
Dey von Algier Geschenke von seiten seines Hofes zu ueberbringen hatte und
durch Paris kam, um sich in Marseille einzuschiffen. Dieser achtenswerthe
Mann war lange auf der afrikanischen Kueste angestellt gewesen, und da er
bei der algerischen Regierung gut angeschrieben war, konnte er fuer mich
auswirken, dass ich den Theil der Atlaskette bereisen durfte, auf den sich
die bedeutenden Untersuchungen Desfontaines nicht erstreckt hatten. Er
schickte jedes Jahr ein Fahrzeug nach Tunis, auf dem die Pilger nach Mekka
gingen, und er versprach mir, mich auf diesem Wege nach Egypten zu
befoerdern. Ich besann mich keinen Augenblick, eine so gute Gelegenheit zu
benutzen, und ich meinte nunmehr den Plan, den ich vor meiner Reise nach
Frankreich entworfen, sofort ausfuehren zu koennen. Bis jetzt hatte kein
Mineralog die hohe Bergkette untersucht, die in Marokko bis zur Grenze des
ewigen Schnees aufsteigt. Ich konnte darauf rechnen, dass ich, nachdem ich
in den Alpenstrichen der Berberei einiges fuer die Wissenschaft gethan, in
Egypten bei den bedeutenden Gelehrten, die seit einigen Monaten zum
Institut von Cairo zusammengetreten waren, dasselbe Entgegenkommen fand,
das mir in Paris in so reichem Masse zu Theil geworden. Ich ergaenzte rasch
meine Sammlung von Instrumenten und verschaffte mir die Werke ueber die zu
bereisenden Laender. Ich nahm Abschied von meinem Bruder, der durch Rath
und Beispiel meine Geistesrichtung hatte bestimmen helfen. Er billigte die
Beweggruende meines Entschlusses, Europa zu verlassen; eine geheime Stimme
sagte uns, dass wir uns wieder sehen wuerden. Diese Hoffnung hat uns nicht
betrogen, und sie linderte den Schmerz einer langen Trennung. Ich verliess
Paris mit den Entschluss, mich nach Algier und Egypten einzuschiffen, und
wie nun einmal der Zufall in allen Menschenleben regiert, ich sah bei der
Rueckkehr vom Amazonenstrom und aus Peru meinen Bruder wieder, ohne das
Festland von Afrika betreten zu haben.

Die schwedische Fregatte, welche Skioeldebrand nach Algier ueberfuehren
sollte, wurde zu Marseille in den letzten Tagen Oktobers erwartet.
Bonpland und ich begaben uns um diese Zeit dahin, und eilten um so mehr,
da wir waehrend der Reise immer besorgten, zu spaet zu kommen und das Schiff
zu versaeumen. Wir ahnten nicht, welche neuen Widerwaertigkeiten uns
zunaechst bevorstanden.

Skioeldebrand war so ungeduldig als wir, seinen Bestimmungsort zu
erreichen. Wir bestiegen mehrmals am Tage den Berg Notre Dame de la Garde,
von dem man weit ins Mittelmeer hinausblickt. Jedes Segel, das am Horizont
sichtbar wurde, setzte uns in Aufregung; aber nachdem wir zwei Monate in
grosser Unruhe vergeblich geharrt, ersahen wir aus den Zeitungen, dass die
schwedische Fregatte, die uns ueberfuehren sollte, in einem Sturm an den
Kuesten von Portugal stark gelitten und in den Hafen von Cadiz habe
einlaufen muessen, um ausgebessert zu werden. Privatbriefe bestaetigten die
Nachricht, und es war gewiss, dass der Jaramas -- so hiess die Fregatte -- vor
dem Fruehjahr nicht nach Marseille kommen konnte.

Wir konnten es nicht ueber uns gewinnen, bis dahin in der Provence zu
bleiben. Das Land, zumal das Klima, fanden wir herrlich; aber der Anblick
des Meeres mahnte uns fortwaehrend an unsere zertruemmerten Hoffnungen. Auf
einem Ausflug nach Hyeres und Toulon fanden wir in letzterem Hafen die
Fregatte Boudeuse, die Bougainville auf seiner Reise um die Welt befehligt
hatte. Ich hatte mich zu Paris, als ich mich ruestete, die Expedititon des
Kapitaens Baudin mitzumachen, des besonderen Wohlwollens des beruehmten
Seefahrers zu erfreuen gehabt. Nur schwer vermochte ich zu schildern, was
ich beim Anblick des Schiffes empfand, das Commerson auf die Inseln der
Suedsee gebracht. Es gibt Stimmungen, in denen sich ein Schmerzgefuehl in
alle unsere Empfindungen mischt.

Wir hielten immer noch am Gedanken fest, uns an die afrikanische Kueste zu
begeben, und dieser zaehe Entschluss waere uns beinahe verderblich geworden.
Im Hafen von Marseille lag zur Zeit ein kleines ragusanisches Fahrzeug,
bereit nach Tunis unter Segel zu gehen. Dies schien uns eine guenstige
Gelegenheit; wir kamen ja auf diese Weise in die Naehe von Egypten und
Syrien. Wir wurden mit dem Kapitaen wegen der Ueberfahrtspreises einig; am
folgenden Tage sollten wir unter Segel gehen, aber die Abreise verzoegerte
sich gluecklicherweise durch einen an sich ganz unbedeutenden Umstand. Das
Vieh, das uns als Proviant auf der Ueberfahrt dienen sollte, war in der
grossen Kajuete untergebracht. Wir verlangten, dass zur Bequemlichkeit der
Reisenden und zur sicheren Unterbringung unserer Instrumente das
Notwendigste vorgekehrt werde. Allermittelst erfuhr man in Marseille, dass
die tunesische Regierung die in der Berberei niedergelassenen Franzosen
verfolge, und dass alle aus franzoesischen Haefen ankommenden Personen ins
Gefaengnis geworfen wuerden. Durch diese Kunde entgingen wir einer grossen
Gefahr; wir mussten die Ausfuehrung unserer Plaene verschieben und
entschlossen uns, den Winter in Spanien zuzubringen, in der Hoffnung, uns
im naechsten Fruehjahr, wenn anders die politischen Zustaende im Orient es
gestatteten, in Cartagena oder in Cadiz einschiffen zu koennen.

Wir reisten durch Katalonien und das Koenigreich Valencia nach Madrid. Wir
besuchten auf dem Wege die Truemmer Tarragonas und des alten Sagunt,
machten von Barcelona aus einen Ausflug auf den Montserrat, dessen hoch
aufragende Gipfel von Einsiedlern bewohnt sind, und der durch die
Contraste eines kraeftigen Pflanzenwuchses und nackter, oeder Felsmassen ein
eigenthuemliches Landschaftsbild bietet. Ich fand Gelegenheit, durch
astronomische Rechnung die Lage mehrerer fuer die Geographie Spaniens
wichtiger Punkte zu bestimmen; ich mass mittels des Barometers die Hoehe des
Centralplateaus und stellte einige Beobachtungen ueber die Inclination der
Magnetnadel und die Intensitaet der magnetischen Kraft an. Die Ergebnisse
dieser Beobachtungen sind die sich erschienen, und ich verbreite mich hier
nicht weiter ueber die Naturbeschaffenheit eines Landes, in dem ich mich
nur ein halbes Jahr aufhielt, und das in neuerer Zeit von so vielen
unterrichteten Maennern bereist worden ist.

Zu Madrid angelangt, fand ich bald Ursache, mir Glueck dazu zu wuenschen,
dass wir uns entschlossen, die Halbinsel zu besuchen. Der Baron Forell,
saechsischer Gesandter am spanischen Hofe, kam mir auf eine Weise entgegen,
die meinen Zwecken sehr foerderlich wurde. Er verband mit ausgebreiteten
mineralogischen Kenntnissen das regste Interesse fuer Unternehmungen zur
Foerderung der Wissenschaft. Er bedeutete mir, dass ich unter der Verwaltung
eines aufgeklaerten Ministers, des Ritters Don Mariano Luis de Urquijo,
Aussicht habe, auf meine Kosten im Inneren des spanischen Amerika reisen
zu duerfen. Nach all den Widerwaertigkeiten, die ich erfahren, besann ich
mich keinen Augenblick, diesen Gedanken zu ergreifen.

Im Maerz 1799 wurde ich dem Hofe von Aranjuez vorgestellt. Der Koenig nahm
mich aeusserst wohlwollend auf. Ich entwickelte die Gruende, die mich
bewogen, eine Reise in den neuen Kontinent und auf die Philippinen zu
unternehmen, und reichte dem Staatssecretaer eine darauf bezuegliche
Denkschrift ein. Der Ritter d'Urquijo unterstuetzte mein Gesuch und raeumte
alle Schwierigkeiten aus dem Wege. Der Minister handelte hierbei desto
grossmuethiger, da ich in gar keiner persoenlichen Beziehung zu ihn stand.
Der Eifer, mit dem er fortwaehrend meine Absichten unterstuetzte, hatte
keinen anderen Beweggrund als seine Liebe zu den Wissenschaften. Es wird
mir zu angenehmen Pflicht, in diesem Werke der Dienste, die er mir
erwiesen, dankbar zu gedenken.

Ich erhielt zwei Paesse, den einen vom ersten Staatsecretaer, den anderen
vom Rath von Indien. Nie war einem Reisenden mit der Erlaubniss, die man
ihm ertheilte, mehr zugestanden worden, nie hatte die spanische Regierung
einem Fremden groesseres Vertrauen bewiesen. Um alle Bedenken zu beseitigen,
welche die Vicekoenige oder Generalcapitaene, als Vertreter der koeniglichen
Gewalt in Amerika, hinsichtlich des Zweckes und Wesens meiner
Beschaeftigungen erheben koennten, hiess es im Pass der _primera secretaria de
estado:_ "ich sey ermaechtigt, mich meiner physikalischen und geodaetischen
Instrumente mit voller Freiheit zu bedienen; ich duerfe in allen spanischen
Besitzungen astronomische Beobachtungen anstellen, die Hoehen der Berge
messen, die Erzeugnisse des Bodens sammeln und alle Operationen ausfuehren,
die ich zur Foerderung der Wissenschaft gut finde". Diese Befehle von
Seiten des Hofes wurden genau befolgt, auch nachdem infolge der Ereignisse
Don D´Urquijo vom Ministerium hatte abtreten muessen. Ich meinerseits war
bemueht, diese sich nie verleugnende Freundlichkeit zu erwidern. Ich
uebergab waehrend meines Aufenthaltes in Amerika den Statthaltern der
Provinzen Abschriften des von mir gesammelten Materials ueber die
Geographie und Statistik der Colonien, das dem Mutterlande von einigen
Werth seyn konnte. Dem von mir vor meiner Abreise gegebenen Versprechen
gemaess uebermachte ich dem naturhistorischen Cabinet zu Madrid mehrere
geologische Sammlungen. Da der Zweck unserer Reise ein rein
wissenschaftlicher war, so hatten Bonpland und ich das Glueck, uns das
Wohlwollen der Colonisten wie der mit der Verwaltung dieser weiten
Landstriche betrauten Europaeer zu erwerben. In den fuenf Jahren, waehrend
wir den neuen Continent durchzogen, sind wir niemals einer Spur von
Misstrauen begegnet. Mit Freude spreche ich es hier aus; unter den
haertesten Entbehrungen, im Kampfe mit einer wilden Natur, haben wir uns
nie ueber menschliche Ungerechtigkeit zu beklagen gehabt.

Verschiedene Gruende haetten uns eigentlich bewegen sollen, noch laenger in
Spanien zu verweilen. Abbe Cavanilles, ein Mann gleich geistreich wie
mannigfaltig unterrichtet; Nee, der mit Haenke die Expedition Malaspinas
als Botaniker mitgemacht und allein eine der groessten Kraeutersammlungen,
die man je in Europa gesehen, zusammengebracht hat; Don Casimir Ortega,
Abbe Pourret und die gelehrten Verfasser der Flora von Peru, Ruiz und
Pavon, stellten uns ihre reichen Sammlungen zur unbeschraenkten Verfuegung.
Wir untersuchten zum Theil die mexicanischen Pflanzen, die von Sesse,
Mocino und Cervantes entdeckt worden, und von denen Abbildungen an das
naturhistorische Museum zu Madrid gelangt waren. In dieser grossen Anstalt,
die unter der Leitung Clavijos stand, des Herausgebers einer gefaelligen
Uebersetzung der Werke Buffons, fanden wir allerdings keine geologischen
Suiten aus den Cordilleren; aber Proust, der sich durch die grosse
Genauigkeit seiner chemischen Arbeiten bekannt gemacht hat, und ein
ausgezeichneter Mineralog, Hergen, gaben uns interessante Nachweisungen
ueber verschiedene mineralische Substanzen Amerikas. Mit bedeutendem Nutzen
haetten wir uns wohl noch laenger mit den Naturprodukten der Laender
beschaeftigt, die das Ziel unserer Forschungen waren, aber es draengte uns
zu sehr, von der Verguenstigung, die der Hof uns gewaehrt, Gebrauch zu
machen, als dass wir unsere Abreise haetten verschieben koennen. Seit einen
Jahr war ich so vielen Hindernissen begegnet, dass ich es kaum glauben
konnte, dass mein sehnlichster Wunsch endlich in Erfuellung gehen sollte.

Wir verliessen Madrid gegen die Mitte Mais. Wir reisten durch einen Theil
von Altcastilien, durch das Koenigreich Leon und Galizien nach Corunna, wo
wir uns nach der Insel Cuba einschiffen sollten. Der Winter war streng und
lang gewesen, und jetzt genossen wir auf der Reise der milden
Fruehlingstemperatur, die schon so weit gegen Sued gewoehnlich nur den
Monaten Mai und April eigen ist. Schnee bedeckte noch die hohen
Granitgipfel der Guadarama; aber in den tiefen Thaelern Galiziens, welche
an die malerischen Landschaften der Schweiz und Tirols erinnern, waren
alle Felsen mit Cistus in voller Bluethe und baumartigem Heidekraut
ueberzogen. Man ist froh, wenn man die castilische Hochebene hinter sich
hat, welche fast ganz von Pflanzenwuchs entbloest und wo es im Winter
empfindlich kalt, im Sommer drueckend heiss ist. Nach den wenigen
Beobachtungen, die ich selbst anstellen konnte, besteht das Innere
Spaniens aus einer weiten Ebene, die 300 Toisen (584 Meter) ueber dem
Spiegel des Meeres mit secundaeren Gebirgsbildungen, Sandstein, Gips,
Steinsalz, Jurakalk bedeckt ist; das Klima von Castilien ist weit kaelter
als das von Toulon oder Genua; die mittlere Temperatur errecht kaum 15
Grad der hunderttheiligen Scale. Man wundert sich, dass unter der Breite
von Calabrien, Thessalien und Kleinasien die Orangenbaeume im Freien nicht
mehr fortkommen. Die Hochebene in der Mitte des Landes ist umgeben von
einer tiefgelegenen, schmalen Zone, wo an mehreren Punkten Chamaerops, der
Dattelbaum, das Zuckerrohr, die Banane und viele Spanien und dem
noerdlichen Afrika gemeinsame Pflanzen vorkommen, ohne vom Winterfrost zu
leiden. Unter dem 36 - 40. Grad der Breite betraegt die mittlere Temperatur
17 - 20 Grad, und durch den Verein von Verhaeltnissen, die hier nicht
aufgezaehlt werden koennen, ist dieser glueckliche Landstrich der vornehmste
Sitz des Gewerbfleisses und der Geistesbildung geworden.

Kommt man im Koenigreich Valencia von der Kueste des Mittelmeeres gegen die
Hochebene von Mancha und Castilien herauf, so meint man, tief im Land, in
weithin gestreckten schroffen Abhaengen die alte Kueste der Halbinsel vor
sich zu haben. Dieses merkwuerdige Phaenomen erinnert an die Sagen der
Samothracier und andere geschichtliche Zeugnisse, welche darauf
hinzuweisen scheinen, dass durch den Ausbruch der Wasser aus den
Dardanellen das Becken des Mittelmeeres erweitert und der suedliche Theil
Europas zerrissen und vom Mittelmeer verschlungen worden ist. Nimmt man
an, diese Sagen seyen keine geologischen Traeume, sondern beruhen wirklich
auf der Erinnerung an eine uralte Umwaelzung, so haette die spanische
Centralebene dem Anprall der gewaltigen Fluthen widerstanden, bis die
Wasser durch die zwischen den Saeulen des Hercules sich bildende Meerende
abflossen, so dass der Spiegel des Mittelmeeres allmaehlig sank und
einerseits Niederegypten, andererseits die fruchtbaren Ebenen von
Tarragena, Valencia und Murcia trocken gelegt wurden. Was mit der Bildung
dieses Meeres zusammenhaengt, dessen Daseyn von so bedeutendem Einfluss auf
die fruehesten Culturbewegungen der Menschheit war, ist von ganz besonderem
Interesse. Man koennte denken, Spanien, das sich als ein Vorgebirge
inmitten der Meere darstellt, verdanke seine Erhaltung seinem
hochgelegenen Boden; ehe man aber auf solche theoretische Vorstellungen
Gewicht legt, muesste man erst die Bedenken beseitigen, die sich gegen die
Durchbrechung so vieler Daemme erheben, muesste man wahrscheinlich zu machen
suchen, dass das Mittelmeer einst in mehrere abgeschlossene Becken getheilt
gewesen, dere alte Grenzen durch Sicilien und die Insel Candia angedeutet
scheinen. Die Loesung dieser Probleme soll uns hier nicht beschaeftigen, wir
beschraenken uns darauf, auf den auffallenden Contrast in der Gestaltung
des Landes am oestlichen und am westlichen Ende Europas aufmerksam zu
machen. Zwischen den baltischen und dem schwarzen Meer erhebt sich das
Land gegenwaertig kaum fuenfzig Toisen ueber den Spiegel des Oceans, waehrend
die Hochebene von Mancha, wenn sie zwischen den Quellen des Niemen und des
Dnieper laege, sich als eine Gebirgsgruppe von bedeutender Hoehe darstellen
wuerde. Es ist hoechst anziehend, auf die Ursachen zurueckzugehen, durch
welche die Oberflaeche unseres Planeten umgestaltet worden seyn man;
sicherer ist es aber, sich an diejenigen Seiten der Erscheinungen zu
halten, welche der Beobachtung und Messung des Forschers zugaenglich sind.

Zwischen Astorga und Corunna, besonders von Lugo an, werden die Berge
allmaehlich hoeher. Die secundaeren Gebirgsbildungen verschwinden mehr und
mehr, und die Uebergangsgebirgsarten, die sie abloesen, verkuenden die Naehe
des Urgebirgs. Wir sahen ansehnliche Berge aufgebaut aus altem Sandstein,
den die Mineralogen der Freiberger Schule als Grauwacke und
Grauwackenschiefer auffuehren. Ich weiss nicht, ob diese Formation, die im
suedlichen Europa nicht haeufig vorkommt, auch in andern Strichen Spaniens
aufgefunden worden ist. Eckige Bruchstuecke von lydischem Stein, die in den
Thaelern am Boden liegen, schienen uns darauf zu deuten, dass die Grauwacke
dem Uebergangsschiefer aufgelagert ist. Bei Corunna selbst erheben sich
Granitgipfel, die bis zum Cap Ortegal fortstreichen. Diese Granite, welche
einst mit denen in Bretagne und Wales in Zusammenhang gestanden haben
moegen, sind vielleicht die Truemmer einer von den Fluthen zertruemmerten und
verschlungenen Bergkette. Schoene grosse Feldspathkrystalle sind fuer dieses
Gestein charakteristisch, Zinnstein ist darin eingesprengt, und von den
Galiciern wird darauf ein muehsamer, wenig ergiebiger Bergbau betrieben.

In Corunna angelangt, fanden wir den Hafen von zwei englischen Fregatten
und einem Linienschiff blokirt. Diese Fahrzeuge sollten den Verkehr
zwischen dem Mutterland und den Colonien in Amerika unterbrechen; den von
Corunna, nicht von Cadiz lief damals jeden Monat ein Paketboot _(Correo
maritimo)_ nach der Havana aus und alle zwei Monate ein anderes nach
Buenos Aires oder der Muendung des la Plata. Ich werde spaeter den Zustand
der Posten auf dem neuen Continent genau beschreiben; hier nur so viel,
dass seit dem Ministerium des Grafen Florida Blanca der Dienst der
"Landcouriere" so gut eingerichtet ist, dass Einer in Paraquay oder in der
Provinz Jaen de Bracamoros nur durch sie ziemlich regelmaessig mit Einem in
Neumexiko oder an der Kueste von Neukalifornien correspondiren kann, also
so weit, als es von Paris nach Siam oder von Wien an das Cap der Guten
Hoffnung ist. Ebenso gelangt ein Brief, den man in einer kleinen Stadt in
Aragonien zur Post gibt, nach Chili oder in die Missionen am Orinoko, wenn
nur der Name des Coregimiento oder Bezirks, in dem das betreffende
indianische Dorf liegt, genau angegeben ist. Mit Vergnuegen verweilt der
Gedanke bei Einrichtungen, die fuer eine der groessten Wohlthaten der Cultur
der neueren Zeit gelten koennen. Die Einrichtung der Curiere zur See und im
inneren Lande hat das Band zwischen den Kolonien unter sich und mit dem
Mutterlande enger geknuepft. Der Gedankenaustausch wurde dadurch
beschleunigt, die Beschwerden der Colonisten drangen leichter nach Europa
und die Staatsgewelt konnte hin und wieder Bedrueckungen ein Ende machen,
die sonst aus so weiter Ferne nie zu ihrer Kenntniss gelangt waeren.

Der Minister hatte uns ganz besonders dem Brigadier Don Rafael Clavijo
empfohlen, der seit kurzem die Oberaufsicht ueber den Seeposten hatte.
Dieser Officier, bekannt als ausgezeichneter Schiffsbauer, war in Corunna
mit der Einrichtung neuer Werfte beschaeftigt. Er bot Allem auf, um uns den
Aufenthalt im Hafen angenehm zu machen, und gab uns den Rat, uns auf der
Corvette *Pizarro* [Nach dem spanischen Sprachgebrauch war der Pizarro
eine leichte Fregatte _(Fregata lijera)_.] einzuschiffen, die nach der
Havana und Mexico ging. Dieses Fahrzeug, das die Post fuer Juni an Bord
hatte, sollte mit der Alcudia segeln, dem Paketboot fuer den Mai, das wegen
der Blokade seit drei Wochen nicht hatte auslaufen koennen. Der Pizarro
galt fuer keinen guten Segler, aber durch einen gluecklichen Zufall war er
vor kurzem auf seiner langen Fahrt von Rio de la Plata nach Corunna den
kreuzenden englischen Fahrzeugen entgangen. Clavijo liess an Bord der
Korvette Einrichtungen treffen, dass wir unsere Instrumente aufstellen und
waehrend der Ueberfahrt unsere chemischen Versuche ueber die atmosphaerische
Luft vornehmen konnten. Der Capitaen des Pizarro erhielt Befehl, bei
Tenerifa so lange anzulegen, dass wir den Hafen von Orotava besuchen und
den Gipfel des Pic besteigen koennten.

Die Einschiffung verzoegerte sich nur zehn Tage, dennoch kam uns der
Aufenthalt gewaltig lang vor. Wir benutzten die Zeit, die Pflanzen
einzulegen, die wir in den schoenen, noch von keinem Naturforscher
betretenen Thaelern Galiciens gesammelt; wir untersuchten die Tange und
Weichthiere, welche die Fluth von Nordwest her in Menge an den Fuss des
steilen Felsen wirft, auf dem der Wachtturm des Herkules steht. Dieser
Thurm, auch "der eiserne Thurm" genannt, wurde im Jahre 1788 restauriert.
Er ist 92 Fuss [30 m] hoch, seine Mauern sind 4 und einen halben Fuss
[1,46 m] dick, und nach seiner Bauart ist er unzweifelhaft ein Werk der
Roemer. Eine in der Naehe der Fundamente gefundene Inschrift, von der ich
durch Herrn de Labordes Gefaelligkeit eine Abschrift besitze, besagt, der
Thurm sey von Cajus Servius Lupus, Architekten der Stadt *Aqua Flavia*
(Chaves), erbaut und dem Mars geweiht. Warum heisst der eiserne Thurm der
Herkulesthurm? Sollten ihn die Roemer auf den Truemmern eines griechischen
oder phoenicischen Bauwerkes errichtet haben? Wirklich behauptet Strabo,
Galizien, das Land der Gallaeci, sey von griechischen Colonien bevoelkert
gewesen. Nach einer Angabe des Asklepiades von Myrlaea in seiner Geographie
von Spanien haetten sich nach einer alten Sage die Gefaehrten des Herkules
in diesen Landstrichen niedergelassen. [Die Phoenicier und die Griechen
besuchten die Kuesten von Galizien _(Gallaecia)_ wegen des Handels mit
Zinn, das sie von hier wie von den Cassiteridischen Inseln bezogen.]

Die Hoehen von Ferrol und Corunna sind an derselben Bai gelegen, so dass ein
Schiff, das bei schlimmem Wetter gegen das Land getrieben wird, je nach
der Richtung des Windes, im einen oder im anderen Hafen vor Anker gehen
kann. Ein solcher Vortheil ist unschaetzbar in Strichen, wo die See fast
bestaendig hoch geht, wie zwischen den Vorgebirgen Ortegal und Finisterre,
den Vorgebirgen Trileucum und Artabrum der algen Geographen. Ein enger,
von steilen Granitfelsen gebildeter Canal fuehrt in das weite Becken von
Ferrol. In ganz Europa findet sich kein zweiter Ankerplatz, der so
merkwuerdig weit ins Land hineinschnitte. Dieser enge, geschlaengelte Pass,
durch den die Schiffe in den Hafen gelangen, sieht aus, als waere er durch
eine Fluth oder durch wiederholte Stoesse heftiger Erdbeben eingerissen. In
der Neuen Welt, an der Kueste von Neuandalusien, hat die _Laguna des
Opisco_, der "Bischofsee", genau dieselbe Gestalt wie der Hafen von
Ferrol. Die auffallendsten geologischen Erscheinungen wiederholen sich auf
den Festlaendern an weit entlegenen Punkten, und der Forscher, der
Gelegenheit gehabt, verschiedene Welttheile zu sehen, erstaunt ueber die
durchgehende Gleichfoermigkeit im Ausschnitt der Kuesten, im krummen Zug der
Thaeler, im Anblick der Berge und ihrer Gruppirung. Das zufaellige
Zusammentreffen derselben Ursachen musste allerorten dieselben Wirkungen
hervorbringen, und mitten aus der Mannigfaltigkeit der Natur tritt uns in
der Anordnung der todten Stoffe, wie in der Organisation der Pflanzen und
Thiere, eine gewisse Uebereinstimmung in Bau und Gestaltung eingegen.

Auf der Ueberfahrt von Corunna nach Ferrol machten wir ueber einer Untiefe
beim "weissen Signal," in der Bai, die nach d'Anville der _portus magnus_
der Alten war, mittels einer Thermometersonde mit Ventilen einige
Beobachtungen ueber die Temperatur der See und ueber die Abnahme der Waerme
in den ueber einander gelagerten Wasserschichten. Ueber der Bank zeigte das
Instrument an der Meeresflaeche 12 deg.5 bis 13 deg.3 Grad  der hunderttheiligen
Scale, waehrend ringsumher, wo das Meer sehr tief war, der Thermometer bei
12 deg.8 Lufttemperatur auf 15 deg. - 15 deg.3 stand. Der beruehmte Franklin und
Jonathan Williams, der Verfasser des zu Philadelphia erschienenen Werkes
"_thermometric Navigation,_" haben zuerst die Physiker darauf aufmerksam
gemacht, wie abweichend sich die Temperaturverhaeltnisse der See ueber
Untiefen gestalten, sowie in der Zone warmer Wasserstroeme, die aus dem
Meerbusen von Mexico zur Bank von Neufoundland und hinueber an die
Nordkuesten von Europa sich erstreckt. Die Beobachtung, dass sich die Naehe
einer Sandbank durch ein rasches Sinken der Temperatur an der Meeresflueche
verkuendet, ist nicht nur fuer die Physik von Wichtigkeit, sie kann auch fuer
Sicherheit der Schiffahrt von grosser Bedeutung werden. Allerdings wird man
ueber dem Thermometer das Senkblei nicht aus der Hand legen; aber
Beobachtungen, wie ich sie im Verlauf dieser Reisebeschreibung anfuehren
werde, thun zur Genuege dar, dass ein Temperaturwechsel, den die
unvollkommensten Instrumente anzeigen, die Gefahr verkuendet, lange bevor
das Schiff ueber der Untiefe anlangt. In solchen Faellen mag die Abnahme der
Meerestemperatur den Schiffer veranlassen, zum Senkblei zu greifen in
Strichen, wo er sich vollkommen sicher duenkte. Auf die physischen Ursachen
dieser verwickelten Erscheinungen kommen wir anderswo zurueck. Hier sey nur
erwaehnt, dass die niedrigere Temperatur des Wassers ueber den Untiefen
grossentheils daher ruehrt, dass es sich mit tieferen Wasserschichten mischt,
welche laengs der Abhaenge der Bank zur Meeresoberflaeche aufsteigen.

Eine Aufregung des Meeres von Nordwest her unterbrach unsere Versuche ueber
die Meerestemperatur in der Bai von Ferrol. Die Wellen gingen so hoch,
weil auf offener See ein heftiger Wind geweht hatte, in dessen Folge die
englischen Schiffe sich hatten von der Kueste entfernen muessen. Man wollte
die Gelegenheit zum Auslaufen benutzen; man schiffte alsbald unsere
Instrumente, unsere Buecher, unser ganzes Gepaecke ein; aber der Westwind
wurde immer staerker und man konnte die Anker nicht lichten. Wir benutzten
den Aufschub, um an unsere Freunde in Deutschland und Frankreich zu
schreiben. Der Augenblick, wo man zum erstenmal von Europa scheidet, hat
etwas Ergreifendes. Wenn man sich noch so bestimmt vergegenwaertigt, wie
stark der Verkehr zwischen den beiden Welten ist, wie leicht man bei den
grossen Fortschritten der Schifffahrt ueber den atlantischen Ocean gelangt,
der, der Suedsee gegenueber, ein nicht sehr breiter Meeresarm ist, das
Gefuehl, mit dem man zum erstenmal eine weite Seereise antritt, hat immer
etwas tief Aufregendes. Es gleicht keiner der Empfindungen, die uns von
frueher Jugend auf bewegt haben. Getrennt von den Wesen, an denen unser
Herz haengt, im Begriff, gleichsam den Schritt in ein neues Leben zu thun,
ziehen wir uns unwillkuehrlich in uns selbst zusammen und ueber uns kommt
ein Gefuehl des Alleinseyns, wie wir es nie empfunden.

Unter den Briefen, die ich kurz vor unserer Einschiffung schrieb, befand
sich einer, der fuer die Richtung unserer Reise und den Verlauf unserer
spaeteren Forschungen sehr folgereich wurde. Als ich Paris verliess, um die
Kueste von Afrika zu besuchen, schien die Entdeckungsreise in die Suedsee
auf mehrere Jahre verschoben. Ich hatte mit Kapitaen Baudin die Verabredung
getroffen, dass ich, wenn er wider Vermuthen die Reise frueher antreten
koennte und ich davon Kenntniss bekaeme, von Algier aus in einen
franzoesischen oder spanischen Hafen eilen wolle, um die Expedition
mitzumachen. Im Begriff, in die Neue Welt abzugehen, wiederholte ich jetzt
dieses Versprechen. Ich schrieb Kapitaen Baudin, wenn die Regierung in auch
jetzt noch den Weg um Cap Horn nehmen lassen wolle, so werde ich mich
bemuehen, mit ihm zusammenzutreffen, in Montevideo, in Chili, in Lima, wo
immer er in den spanischen Kolonien anlegen moechte. Treu dieser Zusage,
aenderte ich meinen Reiseplan, sobald die amerikanischen Blaetter im Jahre
1801 die Nachricht brachten, die franzoesische Expedition sey von Havre
abgegangen, um von Ost nach West die Welt zu umsegeln. Ich miethete ein
kleines Fahrzeug und ging von Batabano auf der Insel Cuba nach Portobelo
und von da ueber die Landenge an die Kueste der Suedsee. In Folge einer
falschen Zeitungsnachricht haben Bonpland und ich ueber 800 Meilen [Unter
Meilen ohne Beisatz sind immer franzoesische Lieues zu verstehen.] [3600
km] in einem Lande gemacht, das wir gar nicht hatten bereisen wollen. Erst
in Quito erfuhren wir durch einen Brief Delambres, des bestaendigen
Secretaers der ersten Classe des Institutes, dass Kapitaen Baudin um das Kap
der Guten Hoffnung gegangen und die West- und Ostkueste Amerikas gar nicht
beruehrt habe. Nicht ohne ein Gefuehl von Wehmut gedenke ich einer
Expedition, die mehrfach in mein Leben eingreift, und die kuerzlich von
einem Gelehrten [Peron, der nach langen schmerzlichen Leiden im 35. Jahre
der Wissenschaft entrissen wurde.] beschrieben worden ist, den die Menge
der Entdeckungen, welche die Wissenschaft ihm dankt, und der aufopfernde
Muth, den er auf seiner Laufbahn unter den haertesten Entbehrungen und
Leiden bewiesen, gleich hoch stellen.

Ich hatte auf die Reise nach Spanien nicht meine ganze Sammlung
physikalischer, geodaetischer und astronomischer Werzeuge mitnehmen koennen;
ich hatte die Doubletten in Marselle in Verwahrung gegeben und wollte sie,
sobald ich Gelegenheit gefunden haette, an die Kueste der Berberei zu
gelangen, nach Algier oder Tunis nachkommen lassen. In ruhigen Zeiten ist
Reisenden sehr zu rathen, dass sie sich nicht mit allen ihren Instrumenten
beladen; man laesst sie besser nachkommen, um nach einigen Jahren
diejenigen, zu ersetzen, die durch den Gebrauch oder auf dem Transport
gelitten haben. Diese Vorsicht erscheint besonders dann geboten, wenn man
zahlreiche Punkte durch rein chronometrische Mittel zu bestimmen hat. Aber
waehrend eines Seekriegs thut man klug, seine Instrumente, Handschriften
und Sammlungen fortwaehrend bei sich zu haben. Wie wichtig dies ist, haben
traurige Erfahrungen mir bewiesen. Unser Aufenthalt zu Madrid und Corunna
war zu kurz, als dass ich den meteorologischen Apparat, den ich in
Marseille gelassen, haette von dort kommen lassen koennen. Nach unserer
Rueckkehr vom Orinoko gab ich Auftrag, mir denselben nach der Havana zu
schicken, aber ohne Erfolg; weder diese Apparat, noch die achromatischen
Fernroehren und der Thermometer von Arnold, die ich in London bestellt,
sind mir in Amerika zugekommen.

Getrennt von unseren Instrumenten, die sich an Bord der Corvette befanden,
brachten wir noch zwei Tage in Corunna zu. Ein dichter Nebel, der den
Horizont bedeckte verkuendete endlich die sehnlich erwartete Aenderung des
Wetters. Am 4. Juni abends drehte sich der Wind nach Nordost, welche
Windrichtung an der Kueste von Galizien in der schoenen Jahreszeit fuer sehr
bestaendig gilt. Am fuenften ging der Pizarro wirklich unter Segel, obgleich
wenige Stunden zuvor die Nachricht angelangt war, eine englische Escadre
sey vom Wachtposten Sisarga signalisirt worden und scheine nach der
Muendung des Tajo zu segeln. Die Leute, welche unsere Corvette die Anker
lichten sahen, aeusserten laut, ehe drei Tage vergehen, seyen wir
aufgebracht und mit dem Schiffe, dessen Los wir teilen muessten, auf dem
Wege nach Lissabon. Diese Prophezeiung beunruhigte uns um so mehr, als wir
in Madrid Mexicaner kennengelernt hatten, die sich dreimal in Cadiz nach
Veracruz eingeschifft hatten, jedesmal aber fast unmittelbar vor dem Hafen
aufgebracht worden und ueber Portugal nach Spanien zurueckgekehrt waren.

Um zwei Uhr nachmittags war der Pizarro unter Segel. Der Canal, durch den
man aus dem Hafen von Corunna faehrt, ist lang und schmal; da er sich gegen
Nord oeffnet und der Wind uns entgegen war, mussten wir acht kleine Schlaege
machen, von denen drei so gut wie verloren waren. Gewendet wurde immer
aeusserst langsam, und einmal, unter dem Fort St. Amarro, schwebten wir in
Gefahr, da uns die Stroemung sehr nahe an die Klippen trieb, an denen sich
das Meer mit Ungestuem bricht. Unsere Blicke hingen am Schloss St. Antonio,
wo damals der unglueckliche Malaspina als Staatsgefangener sass. Im
Augenblick, da wir Europa verliessen, um Laender zu besuchen, welche dieser
bedeutende Forscher mit so vielem Erfolg bereist hat, haette ich mit meinen
Gefaehrten gern bei einem minder traurigen Gegenstande verweilt.

Um sechs ein halb Uhr kamen wir am Thurm des Herkules vorueber, von dem
oben die Rege war, der Corunna als Leuchtthurm dient, und auf dem man seit
aeltesten Zeiten ein Steinkohlenfeuer unterhaelt. Der Schein dieses Feuers
steht in schlechtem Verhaeltnis mit dem schoenen stattlichen Bauwerk; es ist
so schwach, dass die Schiffe es erst gewahr werden, wenn sie bereits Gefahr
laufen zu stranden. Bei Einbruch der Nacht wurde die See sehr unruhig und
der Wind bedeutend frischer. Wir steuerten gegen Nordwest, um nicht den
englischen Fregatten zu begegnen, die, wie man glaubte, in diesen Strichen
kreuzten. Gegen neun Uhr sahen wir das Licht in einer Fischerhuette von
Sisarga, das letzte, was uns von der Kueste von Europa zu Gesicht kam. Mit
der zunehmenden Entfernung verschmolz der schwache Schimmer mit dem Licht
der Sterne, die am Horizont aufgingen, und unwillkuerlich blieben unsere
Blicke daran haengen. Dergleichen Eindruecke vergisst einer nie, der in einem
Alter, wo die Empfindung noch ihre volle Tiefe und Kraft besitzt, eine
weite Seereise angetreten hat. Welche Erinnerungen werden in der
Einbildungskraft wach, wenn so ein leuchtender Punkt in finsterer Nacht,
der von Zeit zu Zeit aus den bewegten Wellen aufblitzt, die Kueste des
Heimatlandes bezeichnet!

Wir mussten die Segel einziehen. Wir segelten zehn Knoten in der Stunde,
obgleich die Corvette nicht zum Schnellsegeln gebaut war. Um sechs Uhr
morgens wurde das Schlingern so heftig, dass die kleine Bramstange brach.
Der Unfall hatte indessen keine schlimmen Folgen. Wir brauchten zu
Ueberfahrt von Corunna nach den Canarien dreizehn Tage, und dies war lang
genug, um uns in so stark befahrenen Strichen wie die Kuesten von Portugal
der Gefahr auszusetzen, auf englische Schiffe zu stossen. Die ersten drei
Tage zeigte sich kein Segel am Horizont, und dies beruhigte nachgerade
unsere Mannschaft, die sich auf kein Gefecht einlassen konnte.

Am 7. liefen wir ueber den Parallelkreis von Cap Finisterre. Die Gruppe von
Granitfelsen, die dieses Vorgebirge, wie das Vorgebirge Torianes und den
Berg Corcubion bilden, heisst Sierra de Torinona. Das Cap Finisterre ist
niedriger als das Land umher, aber die Torinona ist auf hoher See 76,5 km
weit sichtbar, woraus folgt, dass die hoechsten Gipfel derselben nicht unter
582 m hoch seyn koennen.

Am 8. bei Sonnenuntergang wurde von den Masten ein englisches Convoi
signalisiert, das gegen Suedost an der Kueste hinsteuerte. Ihm zu entgehen,
wichen wir die Nacht hindurch aus unserem Curs. Damit durften wir in der
grossen Cajuete kein Licht mehr haben, um nicht von weitem bemerkt zu
werden. Diese Vorsicht, die an Bord aller Kauffahrer beobachtet wird und
in dem Reglement fuer die Paketboote der koeniglichen Marine vorgeschrieben
ist, brachte uns toedtliche Langeweile auf den vielen Ueberfahrten, die wir
in fuenf Jahren gemacht hatten. Wir mussten uns fortwaehrend der
Blendlaternen bedienen, um die Temperatur des Meerwassers zu beobachten
oder an der Theilung der astronomischen Instrumente die Zahlen abzulesen.
In der heissen Zone, wo die Daemmerung nur einige Minuten dauert, ist man
unter diesen Umstaenden schon um sechs Uhr abends ausser Thaetigkeit gesetzt.
Dies war fuer mich um so verdriesslicher, als ich vermoege meiner
Constitution nie seekrank wurde, und so oft ich an Bord eines Schiffes
war, immer grossen Trieb zur Arbeit fuehlte.

Eine Fahrt von der spanischen Kueste nach den Canarien und von da nach
Suedamerika bietet wenig Bemerkenswerthes, zumal in der guten Jahreszeit.
Es ist weniger Gefahr dabei, als oft bei der Ueberfahrt ueber die grossen
Schweizer Seen. Ich theile daher hier nur die allgemeinen Ergebnisse
meiner magnetischen und meteorologischen Versuche in diesem Meeresstriche
mit.

Am 9. Juni, unter 39 deg. 50' der Breite und 16 deg. 10' westlicher Laenge vom
Meridian der Pariser Sternwarte, fingen wir an die Wirkung der grossen
Stroemung zu spueren, welche von den azorischen Inseln nach der Meerenge von
Gibraltar und nach den canarischen Inseln geht. Indem ich den Punkt, den
mir der Gang der Berthoud´schen Seeuhr angab, mit des Steuermanns
Schaetzung verglich, konnte ich die kleinsten Aenderungen in der Richtung
und Geschwindigkeit der Stroemungen bemerken. Zwischen dem 37. und
30. Breitengrade wurde das Schiff in vierundzwanzig Stunden zuweilen
18 bis 26 Meilen nach Ost getrieben. Anfaenglich war die Richtung des
Stromes Ost 1/4 Suedost, aber in der Naehe der Meerenge wurde sie genau Ost.
Capitan Macintosh und einer der gebildetsten Seefahrer unserer Zeit, Sir
Erasmus Gower, haben die Veraenderungen beobachtet, welche in diese
Bewegung des Wassers zu verschiedenen Zeiten des Jahres eintreten. Es
kommt nicht selten vor, dass Schiffer, welche die canarischen Inseln
besuchen, sich an der Kueste von Lancerota befinden, waehrend sie meinten an
Teneriffa landen zu koennen. Baugainville befand sich auf seiner Ueberfahrt
vom Cap Finisterre nach den Canarien im Angesicht der Insel Ferro um
4 Grade weiter nach Ost, als seine Rechnung ihm ergab.

Gemeinhin erklaert man die Stroemung, die sich zwischen den azorischen
Inseln, der Suedkueste von Portugal und den Canarien merkbar macht, daraus,
dass das Wasser des atlantischen Oceans durch die Meerenge von Gibraltar
einen Zug nach Osten erhalte. De Fleurieu behauptet sogar in den
Anmerkungen zur Reise des Capitaen Marchand, der Umstand, dass das
Mittelmeer durch die Verdunstung mehr Wasser verliere, als die Fluesse
einwerfen, bringe im benachbarten Weltmeer eine Bewegung hervor, und der
Einfluss der Meerenge sey sechshundert Meilen [2700 km] weit auf offener
See zu spueren. Bei aller Hochachtung, die ich einem Seefahrer schuldig
bin, dessen mit Recht sehr geschaetzten Werken ich viel zu danken habe, muss
es mir gestattet seyn, diesen wichtigen Gegenstand aus einem weit
allgemeineren Gesichtspunkte zu betrachten.

Wirft man einen Blick auf das atlantische Meer oder das tiefe Thal, das
die Westkuesten von Europa und Afrika von den Ostkuesten des neuen Continent
trennt, so  bemerkt man in der Bewegung der Wasser entgegengesetzte
Richtungen. Zwischen den Wendekreisen, namentlich zwischen der
afrikanischen Kueste am Senegal und dem Meere der Antillen, geht die
allgemeine, den Seefahrern am laengsten bekannte Stroemung fortwaehrend von
Morgen nach Abend. Dieselbe wird mit dem Namen *Aequinoctialstrom*
bezeichnet. Die mittlere Geschwindigkeit derselben unter verschiedenen
Breiten ist sich im Atlantischen Ozean und in der Suedsee ungefaehr gleich.
Man kann sie auf 9 bis 10 Meilen [40 bis 45 km] in 24 Stunden, somit auf
0,59 bis 0,65 Fuss [0,18 bis 0,21 m] in der Secunde schaetzen(2). Die
Geschwindigkeit, mit der die Wasser in diesen Strichen nach Westen
stroemen, ist etwa ein Viertheil von der der meisten grossen europaeischen
Fluesse. Diese der Umdrehung des Erdballes entgegengesetzte Bewegung des
Oceans haengt mit jenem Phaenomen wahrscheinlich nur insofern zusammen, als
durch die Umdrehung der Erde die Polarwinde, welche in den unteren
Luftschichten die kalte Luft aus den hohen Breiten dem Aequator zufuehren,
in Passatwinde umgewandelt werden. Der Aequinoctialstrom ist die Folge der
allgemeinen Bewegung, in welche die Meeresflaeche durch die Passatwinde
versetzt wird, und lokale Schwankungen im Zustande der Luft bleiben ohne
merkbaren Einfluss auf die Staerke und die Geschwindigkeit der Stroemung.

Im Canal, den der atlantische Ocean zwischen Guyana und Guinea auf 20 bis
23 Laengengrade, vom 8. oder 9. bis zum 2. oder 3. Grad noerdlicher Breite
gegraben hat, wo die Passatwinde haeufig durch Winde aus Sued ode
Sued-Sued-West unterbrochen werden, ist die Richtung des Aequinoctialstroms
weniger constant. Der afrikanischen Kueste zu werden die Schiffe nach
Suedost fortgetrieben, waehrend der Allerheiligenbai und dem Vorgebirge
St. Augustin zu, denen die Schiffe, die nach der Muendung des La Plata
steuern, nicht gerne nahe kommen, der allgemeine Zug der Wasser durch eine
besondere Stroemung maskirt ist. Letztere Stroemung ist vom Cap St. Roch bis
zur Insel Trinidad fuehlbar, sie ist gegen Nordwest gerichtet mit einer
Geschwindigkeit von einem bis anderthalb Fuss in der Secunde.

Der Aequinoctialstrom ist, wenn auch schwach, sogar jenseits des
Wendekreises des Krebses unter 26 und 28 Grad der Breite fuehlbar. Im
weiten Becken des atlantischen Oceans, sieben- bis achthundert Meilen von
der afrikanischen Kueste, beschleunigt sich der Lauf der europaeischen
Schiffe, welche nach den Antillen gehen, ehe sie in die heisse Zone
gelangen. Weiter gegen Nord, unter dem 28. bis 35. Grad, zwischen den
Parallelkreisen von Teneriffe und Ceuta, unter 46 bis 48 Grad der Laenge,
bemerkt man keine constante Bewegung; denn eine 140 Meilen breite Zone
trennt den Aequinoktialstrom, der nach West geht, von der grossen
Wassermasse, die nach Ost stroemt und sich durch auffallend hohe Temperatur
auszeichnet. Auf diese Wassermasse, bekannt unter dem Namen *Golfstrom*
(_Golfstream_), sind die Physiker seit 1776 durch Franklins und Sir
Charles Blagdens schoene Beobachtungen aufmerksam geworden. Da in neuerer
Zeit amerikanische und englsiche Seefahrer eifrig bemueht sind, die
Richtung desselben zu ermitteln, so muessen wir weiter ausholen, um ienen
allgemeinen Gesichtspunkt fuer das Phaenomen zugewinnen.

Der Aequinoctialstrom treibt die Wasser des atlantischen Oceans an die
Kuesten der Moskito-Indianer und von Honduras. Der von Sued nach Nord
gestreckte neue Continent haelt diese Stroemung auf wie ein Damm. Die
Gewaesser erhalten zuerst die Richtung nach Nordwest, gelangen durch die
Meerenge zwischen Cap Catoche und Cap. St. Antonio in den Meerbusen von
Mexico, und folgen den Kruemmungen der mexicanischen Kueste von Vera-Cruz
zur Muendung des Rio del Norte, und von da zur Muendung des Mississippi und
denUntiefen westwaerts von der Ostspitze von Florida. Nach dieser grossen
Drehung nach West, Nord, Ost und Sued nimmt die Stroemung wieder die
Richtung nach Nord und draengt sich mit Ungestuem in den Canal von Bahama.
Dort habe ich im Mai 1804, unter 26 und 27 Grad der Breite, eine
Geschwindigkeit von 80 Meilen in 24 Stunden, also von 5 Fuss in der Secunde
beobachtet, obgleich gerade ein sehr starker Nordwind wehte. Beim Ausgang
des Canals von Bahama, unter dem Parallel von Cap Canaveral, kehr sich der
Golfstrom oder Strom von Florida nach Nordost. Er gleicht hier einem
reissenden Strome und erreicht zuweilen die Geschwindigkeit von fuenf Meilen
in der Stunde. Der Steuermann kann, sobald er den Rand der Stroemung
erreicht, mit ziemlicher Sicherheit annehmen, um was er sich in seiner
Schaetzung geirrt, und wie weit er noch nach New-York, Philadelphia oder
Charlestown hat; die hohe Temperatur des Wassers, sein starker Salzgehalt,
die indigoblaue Farbe und die schwimmenden Massen Tang, endlich die im
Winter sehr merkbare Erhoehung der Lufttemperatur geben den Golfstrom zu
erkennen. Gegen Norden nimmt seine Geschwindigkeit ab, waehrend seine
Breite zunimmt und die Gewaesser sich abkuehlen. Zwischen Cayo Biscaino und
der Bank von Bahama ist er nur 15 Meilen, unter 281/2 Grad Breite schon 17,
und unter dem Parallel von Charlestown, Cap Henlopen gegenueber, 40 bis
50 Meilen breit. Wo die Stroemung am schmalsten ist, erreicht sie eine
Geschwindigkeit von 3 bis 4 Meilen in der Stunde, weiter nach Norden zu
betraegt dieselbe nur noch eine Meile. Die Gewaesser des mexicanischen
Meerbusens behalten auf ihrem gewaltigen Zuge nach Nordost ihre hohe
Temperatur dermassen, dass ich unter 40 und 41 Grad der Breite noch 22 deg. 5
(18 deg. Reaumur) beobachtete, waehrend ausserhalb des Stroms das Wasser an der
Oberflaeche kaum 17 deg. 5 (14 deg. R.) warm war. Unter der Breite von New-York und
Oporto zeigt somit der Golfstrom dieselbe Temperatur wie die tropischen
Meere unter 18 Grad Breite, also unter der Breite von Portorico und der
Inseln des gruenen Vorgebirgs.

Vom Hafen von Boston an und unter dem Meridian von Halifax, unter
14 deg. 25' der Breite und 67 deg. der Laenge, erreicht der Strom gegen
80 Seemeilen Breite. Hier kehrt er sich auf einmal nach Ost, so dass sein
westlicher Rand bei der Umbiegung zur noerdlichen Grenze der bewegten
Wasser wird und er an der Spitze der grossen Bank von Neufoundland
wegstreicht, die Bolney sinnreich die Barre an der Muendung dieses
ungeheurn Meerstroms nennt. Hoechst auffallend ist der Abstand zwischen der
Temperatur des kalten Wassers ueber dieser Bank und der Waerme der Gewaesser
der heissen Zone, die durch den Golfstrom nach Norden getrieben werden;
jene betrug nach meinen Beobachtungen 8 deg.7 - 10 (7 - 8 deg. R.), diese
21 - 22 deg.5 (17 - 18 deg. R.). In diesen Strichen ist die Waerme im Meere hoechst
sonderbar vertheilt: die Gewaesser der Bank sind um 9 deg.4 kaelter als das
benachbarte Meer, und dieses ist um 3 deg. kaelter als der Strom. Diese Zonen
koennen ihre Temperaturen nicht ausgleichen, weil jede ihre eigene
Waermequelle oder einen Grund der Waermeerniedrigung hat, und beide Momente
bestaendig fortwirken.(3)

Von der Bank von Neufoundland, oder vom 52. Grad der Breite bis zu den
Azoren bleibt der Golfstrom nach Ost oder Ost-Sued-Ost gerichtet. Noch
immer wirkt hier in den Gewaessern der Stoss nach, den sie tausend Meilen
von da in der Meerende von Florida, zwischen der Insel Cuba und den
Untiefen der Schildkroeteninseln, erhalten haben. Diese Entfernung ist das
Doppelte von der Laenge des Laufs des Amazonenstromes von Jaen oder dem Pass
von Manseriche zum Gran-Para. Im Meridian der Inseln Corvo und Flores, der
westlichsten der Gruppe der Azoren, nimmt die Stroemung eine Meeresstrecke
von 160 Meilen in der Breite ein. Wenn die Schiffe auf der Rueckreise aus
Suedamerika nach Europa diese beiden Inseln aufsuchen, um ihre Laenge zu
berichtigen, so gewahren sie immer deutlich den Zug des Wassers nach
Suedost. Umter 33 Grad der Breite rueckt der tropische Aequinoctialstrom dem
Golfstrom sehr nahe. In diesem Striche des Weltmeeres kann man an Einem
Tage aus den Gewaessern, die nach West laufen, in diejenigen gelangen, die
nach Suedost oder Ost-Sued-Ost stroemen.

Von den Azoren an nimmt der Strom von Florida seine Richtung gegen die
Meerenge von Gibraltar, die Insel Madera und die Gruppe der Canarien. Die
Pforte bei den Saeulen des Herkules beschleunigt ohne Zweifel den Zug des
Wassers gegen Ost. Und in diesem Sinne mag man mit Recht behaupten, die
Meerenge, durch welche Mittelmeer und Atlantischer Ozean zusammenhaengen,
aeussere ihren Einfluss auf sehr weite Ferne; sehr wahrscheinlich wuerden
aber, auch wenn die Meerenge nicht bestaende, Fahrzeuge, die nach Teneriffa
segeln, dennoch nach Suedost getrieben, und zwar infolge eines Anstosses,
dessen Ursprung man an den Kuesten der neuen Welt zu suchen hat. Im weiten
Meeresbecken pflanzen sich alle Bewegungen fort, gerade wie im Luftmeer.
Verfolgt man die Stroemungen rueckwaerts zu ihren fernen Quellen, gibt man
sich Rechenschaft von dem Wechsel in ihrer Geschwindigkeit, warum sie bald
abnimmt, wie zwischen dem Canal von Bahama und der Bank von Neufoundland,
bald wieder waechst, wie in der Naehe der Meerenge von Gibraltar und bei den
canarischen Inseln, so kann man nicht darueber im Zweifel seyn, dass
dieselbe Ursache, welche die Gewaesser im Meerbusen von Mexiko herumdreht,
sie auch bei der Insel Madera in Bewegung setzt.

Suedlich von letztgenannter Insel laesst sich die Stroemung in ihrer Richtung
nach Suedost und Sued-Sued-Ost gegen die Kueste von Afrika zwischen Cap Cantin
und Cap Bojador verfolgen. In diesen Strichen sieht sich ein Schiff bei
stillem Wetter nahe an der Kueste, wenn es sich nach der nicht berichtigten
Schaetzung noch weit davon entfernt glaubt. Ist die Oeffnung bei Gibraltar
die Ursache der Bewegung des Wassers, warum hat dann die Stroemung suedlich
von der Meerenge nicht die entgegengesetzte Richtung? Im Gegentheil aber
geht sie unter dem 25. und 26. Grad der Breite erst grade nach Sued und
dann nach Suedwest. Cap Blanc, nach Cap Verd das am weitesten sich
hinausstreckende Vorgebirge, scheint Einfluss auf diese Richtung zu aeussern,
und unter der Breite desselben mischen sich die Wasser, deren Bewegung wir
von der Kueste von Honduras bis zur afrikanischen verfolgt haben, mit dem
grossen tropischen Strom, um den Lauf von Morgen nach Abend von neuem zu
beginnen. Wir haben oben bemerkt, dass mehrere hundert Kilometer westwaerts
von den Canarien der eigenthuemliche Zug der Aequinoktialgewaesser schon in
der gemaessigten Zone, von 28. und 29. Breitengrad an, bemerklich wird; aber
im Meridian der Insel Ferro kommen sie Schiffe suedwaerts bis zum Wendekreis
des Krebses, ehe sie sich nach Schaetzung ostwaerts  von ihrer wahren Laenge
befinden.

Wie nun aber die noerdliche Grenze des tropischen Stroms und der
Passatwinde nach den Jahreszeiten sich verschiebt, so zeigt sich auch der
Golfstrom nach Stellung und Richtung veraenderlich. Diese Schwankungen sind
besonders auffallend vom 28. Breitegrad bis zur grossen Band von
Neufoundland, ebenso zwischen dem 48. Grad westlicher Laenge von Paris und
dem Meridian der Azoren. Die wechselnden Winde in der gemaessigten Zone und
das Schmelzen des Eises am Nordpol von wo in den Monaten Juli und August
eine bedeutende Masse suessen Wassers nach Sueden abfliesst, erscheinen als
die vornehmsten Ursachen, aus welchen sich in diesen hohen Breiten Staerke
und Richtung des Golfstoms veraendern.

Wir haben gesehen, dass zwischen dem 11. und 43. Grad der Breite die
Gewaesser des atlantischen Oceans mittelst Stroemungen fortwaehrend im Kreise
umhergefuehrt werden. Angenommen, ein Wassertheilchen gelange zu derselben
Stelle zurueck, von der es ausgegangen, so laesst sich, nach dem, was wir bis
jetzt von der Geschwindigkeit der Stroemungen wissen, berechnen, dass es zu
seinem 3800 Meilen langen Umlauf zwei Jahre und zehn Monate brauchte. Ein
Fahrzeug, bei dem man von der Wirkung des Windes absaehe, gelangte in
dreizehn Monaten von den canarischen Inseln an die Kueste von Caracas. Es
brauchte zehn Monate, um im Meerbusen von Mexico herum zu kommen und um zu
den Untiefen der Schildkroeteninseln gegenueber vom Hafen von Havana zu
gelangen, aber nur vierzig bis fuenfzig Tage vom Eingang der Meerenge von
Florida bis Neufoundland. Die Geschwindigkeit der ruecklaeufigen Stroemung
von jener Bank bis an die Kueste von Afrika ist schwer zu schaetzen; nimmt
man sie im Mittel auf 7 oder 8 Meilen in vierundzwanzig Stunden an, so
ergeben sich fuer diese letzte Strecke zehn bis elf Monate. Solches sind
die Wirkungen des langsamen, aber regelmaessigen Zuges, der die Gewaesser des
Oceans herumfuehrt. Das Wasser des Amazonenstroms braucht von Tomependa bis
zum Gran-Para etwa fuenfundvierzig Tage.

Kurz vor meiner Ankunft auf Teneriffa hatte das Meer auf der Rhede von
Santa Cruz einen Stamm der _Cedrela odorata_, noch mit der Rinde,
ausgeworfen. Dieser amerikanischen Baum waechst nur unter den Tropen oder
in den zunaechst angrenzenden Laendern. Er war ohne Zweifel an der Kueste von
Terra Firma oder Honduras abgerissen worden. Die Beschaffenheit des Holzes
und der Flechten auf der Rinde zeigte augenscheinlich, dass der Stamm nicht
etwa von einem der unterseeischen Waelder herruehrte, welche durch alte
Erdumwaelzungen in die Floetzgebilde noerdlicher Laender eingebettet worden
sind. Waere der Cedrelastamm, statt bei Teneriffa ans Land geworfen zu
werden, weiter nach Sueden gelangt, so waere er wahrscheinlich rings um den
ganzen atlantischen Ocean gefuehrt worden und mittels des allgemeinen
tropischen Stroms wieder in sein Heimathland gelangt. Diese Vermuthung
wird durch einen aelteren Fall unterstuetzt, dessen Abbe Viera in seiner
allgemeinen Geschichte der Canarien erwaehnt. Im Jahre 1770 wurde ein mit
Getreide beladenes Fahrzeug, das von der Insel Lancerota nach Santa Cruz
auf Teneriffa gehen sollte, auf die hohe See getrieben, als sich niemand
von der Mannschaft an Bord befand. Der Zug der Gewaesser von Morgen nach
Abend fuehrte es nach Amerika, wo es an der Kueste von Guyana bei Caracas
strandete.

Zu einer Zeit, wo die Schifffahrtskunst noch wenig entwickelt war, bot der
Golfstrom dem Geiste eines Christoph Columbus sichere Anzeichen vom Daseyn
westwaerts gelegener Laender. Zwei Leichname, die nach ihrer Koerperlichkeit
einem unbekannten Menschenstamme angehoerten, wurden gegen Ende des
15. Jahrhunderts bei den azorischen Inseln ans Land geworfen. Ungefaehr um
dieselbe Zeit fand Columbus Schwager, Peter Borrea, Statthalter von Porto
Santo, am Strande dieser Insel maechtige Stuecke Bambusrohr, die von der
Stroemung und den Westwinden angeschwemmt worden waren. Diese Leichname und
diese Rohre machten den genuesischen Seemann aufmerksam; er errieth, dass
beide von einem gegen West gelegenen Festlande herruehren mussten. Wir
wissen jetzt, dass in der heissen Zone die Passatwinde und der tropische
Strom sich jeder Wellenbewegung in der Richtung der Umdrehung der Erde
widersetzen. Erzeugnisse der neuen Welt koennen in die alte Welt nur in
hohen Breiten und in der Richtung des Stroms von Florida gelangen. Haeufig
werden Fruechte verschiedener Baeume der Antillen an den Kuesten der Inseln
Ferro und Gomera angetrieben. Vor der Entdeckung von Amerika glaubten die
Canarier, diese Fruechte kommen von der bezauberten Insel St. Borondon, die
nach den Seemannsmaerchen und gewissen Sagen westwaerts in einem Striche des
Oceans liegen sollte, der bestaendig in Nebel gehuellt sey.

Mit dieser Uebersicht der Stroemungen im Atlantischen Meere wollte ich
hauptsaechlich darthun, dass der Zug der Gewaesser gegen Suedost, von Kap
St. Vincent zu den canarischen Inseln, eine Wirkung der allgemeinen
Bewegung ist, in der sich die Oberflaeche des Ozeans an seinem Westende
befindet. Wir erwaehnen daher nur kurz des Arms des Golfstroms, der unter
dem 45. und 50. Grad der Breite, bei der Bank Bonnet Flamand, von Suedwest
nach Nordost gegen die Kuesten von Europa gerichtet ist. Diese Abtheilung
des Stromes wird sehr reissend, wenn der Wind lange aus West geblasen hat.
Gleich dem, der an Ferro und Gomera vorueberstreicht, wirft er alle Jahre
an die Westkuesten von Irland und Norwegen Fruechte von Baeumen, welche dem
heissen Erdstrich Amerikas eigenthuemlich sind. Am Strande der Hebriden
findet man Samen von _Mimosa scandens_, _Dolichos urens_, _Guilandina
bonduc_, und verschiedener anderer Pflanzen von Jamaika, Cuba und dem
benachbarten Festland. Die Stroemung treibt nicht selten wohl erhaltene
Faesser mit franzoesischen Wein an, von Schiffen, die im Meere der Antillen
Schiffbruch gelitten. Neben diesen Beispielen von den weiten Wanderungen
der Gewaechse stehen andere, welche die Einbildungskraft beschaeftigen. Die
Truemmer des englischen Schiffes Tilbury, das bei Jamaika verbrannt war,
wurden an der schottischen Kueste gefunden. In denselben Strichen kommen
zuweilen verschiedene Arten von Schildkroeten vor, welche das Meer der
Antillen bewohnen. Hat der Westwind lange angehalten, so entsteht in den
hohen Breiten eine Stroemung, die von den Kuesten von Groenland und Labrador
bis nordwaerts von Schottland gerade nach Ost-Sued-Ost gerichtet ist. Wie
Wallace berichtet, gelangten zweimal, in den Jahren 1682 und 1864,
amerikanische Wilde vom Stamme der Eskimos, die ein Sturm in ihren Canoes
aus Fellen auf die hohe See verschlagen, mittels der Stroemung zu den
orcadischen Inseln. Dieser letztere Fall verdient um so mehr
Aufmerksamkeit, als man daraus ersieht, wie zu einer Zeit, wo die
Schifffahrt noch in ihrer Kindheit war, die Bewegung der Gewaesser des
Oceans ein Mittel werden konnte, um die verschiedenen Menschenstaemme ueber
die Erde zu verbreiten.

Das Wenige, was wir bis jetzt ueber die wahre Lage und die Breite des
Golfstroms, so wie ueber die Fortsetzung desselben gegen die Kuesten von
Europa und Afrika wissen, ist die Frucht der zufaelligen Beobachtung
einiger unterrichteten Maenner, welche in verschiedenen Richtungen ueber das
atlantische Meer gefahren sind. Da die Kenntiss der Stroemungen zu Abkuerzung
der Seefahrten wesentlich beitragen kann, so waere es von so grossem Belang
fuer die praktische Seemannskunst, als wissenschaftlich von Interesse, wenn
Schiffe mit vorzueglichen Chronometern im Meerbusen von Mexico und im
noerdlichen Ocean zwischen dem 30. und 54. Grad der Breite kreuzten, ganz
eigens zu dem Zweck, um zu ermitteln, in welchem Abstand sich der
Golfstrom in den verschiedenen Jahreszeiten und unter dem Einfluss der
verschiedenen Winde suedlich von der Muendung des Mississippi und ostwaerts
von den Vorgebirgen Hatteras und Codd haelt. Dieselben koennten zu
untersuchen haben, ob der grosse Strom von Florida bestaendig am oestlichen
Ende der Bank von Neufoundland hinstreicht, und unter welchem Parallel
zwischen dem 32. und 40. Grad westlicher Laenge die Gewaesser, die von Ost
nach West stroemen, denen, welche die umgekehrte Richtung haben, am
naechsten gerueckt sind. Die Loesung der letzteren Frage ist desto wichtiger,
als die meisten Fahrzeuge, welche von den Antillen oder vom Cap der guten
Hoffnung nach Europa zurueckgehen, die bezeichneten Striche befahren. Neben
der Richtung und Geschwindigkeit der Stroemungen koennte sich eine solche
Expedition mit Beobachtungen ueber die Meerestemperatur, ueber die Linien
ohne Abweichung, die Inclination der Magnetnadel und die Intensitaet der
magnetischen Kraft beschaeftigen. Beobachtungen dieser Art erhalten einen
hohen Werth, wenn der Punkt, wo sie angestellt worden, astronomisch
bestimmt ist. Auch in den von Europaeern am starksten besuchten Meeren,
weit von jeder Kueste, kann ein unterrichteten  Seemann der Wissenschaft
wichtige Dienste leisten. Die Entdeckung einer unbewohnten Inselgruppe ist
von geringerem Interesse, als die Kenntniss der Gesetze, welche um eine
Menge vereinzelter Thatsachen das einigende Band schlingen.

Denkt man den Ursachen der Stroemungen nach, so erkennt man, dass sie viel
haeufiger vorkommen muessen, als man gemeiniglich glaubt. Die Gewaesser des
Meeres koennen durch gar mancherlei in Bewegung gesetzt werden, durch einen
aeussern Anstoss, durch Verschiedenheiten in Temperatur und Salzgehalt, durch
das zeitweise, Schmelzen des Polareises, endlich durch das ungleiche Maass
der Verdunstung unter verschiedenen Breiten. Bald wirken mehrere dieser
Ursachen zum selben Effekt zusammen, bald bringen sie entgegengesetzte
Effekte hervor. Schwache, aber bestaendig in einem gnazen Erdguertel wehende
Winde, wie die Passatwinde, bedingen eine Bewegung vorwaerts, wie wir sie
selbst bei den staerksten Stuermen nicht beobachten, weil diese auf ein
kleines Gebiet beschraenkt sind. Wenn in einer grossen Wassermasse die
Wassertheilchen an der Oberflaeche specifisch verschieden schwer werden, so
bildet sich an der Flaeche ein Strom dem Punkte zu, wo das Wasser am
kaeltesten ist, oder am meisten salzsaures Natron, schwefelsauren Kalk und
schwefelsaure oder salzsaure Bittererde enthaelt. In den Meeren unter den
Wendekreisen zeigt der Thermometer in grossen Tiefen nicht mehr als
7 - 8 Grad der hunterttheiligen Scale. Diess ergibt sich aus zahlreichen
Beobachtungen des Commodore Ellis und Perons. Da in diesen Strichen die
Lufttemperatur nie unter 19 - 20 Grad sinkt, so kann das Wasser einen dem
Gefrierpunkt und dem Maximum der Dichtigkeit des Wassers so nahe gerueckten
Kaeltegrad nicht an der Oberflaeche angenommen haben. Die Existenz solcher
kalten Wasserschichten in niedern Breiten weist somit auf einen Strom hin,
der in der Tiefe von den Polen zum Aequator geht; sie weist ferner darauf
hin, dass die Salze, welche das specifische Gewicht des Wassers veraendern,
im Ocean so vertheilt sind, dass sie die von der Verschiedenheit im
Waermegrad abhaengigen Wirkungen nicht aufheben.

Bedenkt man, dass in Folge der Umdrehung der Erde die Wassertheilchen je
nach der Breite eine verschiedene Geschwindigkeit haben, so sollte man
voraussetzen, dass jede von Sued nach Nord gehende Stroemung zugleich nach
Ost, die Gewaesser dagegen, die vom Pol zum Aequator stroemen, nach West
abgelenken muessten. Man sollte ferner glauben, dass diese Neigung den
tropischen Strom bis zu einem gewissen Grad einerseits verlangsamen,
andererseits dem Polarstrom, der sich im Juli und August, wenn das Eis
schmilzt, unter der Breite der Bank von Neufoundland und weiter nordwaerts
regelmaessig einstellt, eine andere Richtung geben muesste. Sehr alte
nautische Beobachtungen, die ich bestaetigen Gelegenheit hatte, indem ich
die vom Chronometer angegebene Laenge mit der Schaetzung des Schiffers
verglich, widersprechen diesen theoretischen Annahmen. In beiden
Hemisphaeren weichen die Polarstroeme, wenn sie merkbar sind, ein wenig nach
Ost ab; und nach unserer Ansicht ist der Grund dieser Erscheinung in der
Bestaendigkeit der in hohen Breiten herrschenden Westwinde zu suchen.
Ueberdiess bewegen sich die Wassertheilchen nicht mit derselben
Geschwindigkeit wie die Lufttheilchen, und die staerksten Meerestroemungen,
die wir kennen, legen nur 8 bis 9 Fuss in der Secunde zurueck; es ist
demnach hoechst wahrscheinlich, dass das Wasser, indem es durch verschiedene
Breiten geht, die denselben entsprechende Geschwindigkeit annimmt, und dass
die Umdrehung der Erde ohne Einfluss auf die Richtung der Stroemungen
bleibt.

Der verschiedene Druck, dem die Meeresflaeche in Folge der wechselnden
Schwere der Luft unterliegt, erscheint als eine weitere Ursache der
Bewegung, die besonders ins Auge zu fassen ist. Es ist bekannt, dass die
Schwankungen des Barometers im Allgemeinen nicht gleichzeitig an zwei
auseinanderliegenden, im selben Niveau befindlichen Punkten eintreten.
Wenn am einen dieser Punkte der Barometer einige Linien tiefer steht als
am andern, so wird sich dort das Wasser in Folge des geringeren Luftdrucks
erheben, und diese oertliche Anschwellung wird andauern, bis durch den Wind
das Gleichgewicht der Luft wiederhergestellt ist. Nach Bauchers Ansicht
ruehren die Schwankungen im Spiegel des Genfer Sees, die sogenannten
"Seiches", eben davon her. In der heissen Zone koennen die stuendlichen
Schwankungen des Barometers kleine Schwingungen an der Meeresflaeche
hervorbringen, da der Meridian von 4 Uhr, der dem Minimum des Luftdrucks
entspricht, zwischen den Meridianen von 21 und 11 Uhr liegt, wo das
Quecksilber am hoechsten steht; aber diese Schwingungen, wenn sie ueberhaupt
merkbar sind, koennen keine Bewegung in horizontaler Richtung zur Folge
haben.

Ueberall wo eine solche durch die Ungleichheit im specifischen Gewicht der
Wassertheile entsteht, bildet sich ein doppelter Strom, ein oberer und ein
unterer, die entgegengesetzte Richtungen haben. Daher ist in den meisten
Meerengen wie in den tropischen Meeren, welche die kalten Gewaesser der
Polarregionen aufnehmen, die ganze Wassermasse bis zu bedeutender Tiefe in
Bewegung. Wir wissen nicht, ob es sich eben so verhaelt, wenn die
Vorwaertsbewegung, die man nicht mit dem Wellenschlag verwechseln darf,
Folge eines aeussern Anstosses ist. De Fleurien fuehrt in seinem Bericht ueber
die Expedition der Isis mehrere Thatsachen an, die darauf hinweisen, dass
das Meer in der Tiefe weit weniger ruhig ist, als die Physiker gewoehnlich
annehmen. Ohne hier auf eine Untersuchung einzugehen, jmit der wir uns in
der Folge zu beschaeftigen haben werden, bemerken wir nur, dass, wenn der
aeussere Anstoss ein andauernder ist, wie bei den Passatwinden, durch die
gegenseitige Reibung der Wassertheilchen die Bewegung nothwendig von
Meeresflaeche sich auf die tieferen Wasserschichten fortpflanzen muss. Eine
solche Fortpflanzung nehmen auch die Seefahrer  beim Golfstrom schon lange
an; auf die Wirkungen derselben scheint ihnen die grosse Tiefe hinzudeuten,
welche das Meer aller Orten zeigt, wo der Strom von Florida durchgeht,
sogar mitten in den Sandbaenken an den Nordkuesten der Vereinigten Staaten.
Dieser ungeheure Strom warmen Wassers hat, nachdem er in fuenfzig Tagen vom
24. bis 45. Grad der Breite 450 Meilen zurueckgelegt, trotz der bedeutenden
Winterkaelte in der gemaessigten Zone, kaum 3 - 4 Grad von seiner
urspruenglichen Temperatur unter den Tropen verloren. Die Groesse der Masse
und der Umstand, dass das Wasser ein schlechter Waermeleiter ist, machen,
dass die Abkuehlung nicht rascher erfolgt. Wenn sich somit der Golfstrom auf
dem Boden des atlantischen Oceans ein Bett gegraben hat, und wenn seine
Gewaesser bis in betraechtliche Tiefen in Bewegung sind, so muessen sie auch
in ihren untern Schichten eine hoehere Temperatur behalten, als unter
derselben Breite Meeresstriche ohne Stroemungen und Untiefen zeigen. Diese
Fragen sind nur durch unmittelbare Beobachtungen mittelst des Senkbleis
mit Thermometer zu loesen.

Sir Erasmus Gower bemerkt, auf der Ueberfahrt von England nach den
canarischen Inseln gerathe man in die Stroemung und dieselbe treibe vom
39. Breitegrade an die Schiffe nach Suedost. Auf unerer Fahrt von Corunna
nach Suedamerika machte sich der Einfluss dieses Zugs der Wasser noch weiter
noerdlich merkbar. Vom 37. zum 30. Grad war die Abweichung sehr ungleich;
sie betrub taeglich im Mittel zwoelf Meilen, das heisst usnere Corvette wurde
in sechs Tagen um 72 Seemeilen gegen Ost abgetrieben. Als wir auf 140
Meilen (Lieues) Entfernung den Parallel der Meerenge von Gibraltar
schnitten, hatten wir Gelegenheit zur Beobachtung, dass in diesen Strichen
das Maximum der Geschwindigkeit nicht der Oeffnung der Meerenge selbst
entspricht, sondern einem noerdlicher gelegenen Punkte in der Verlaengerung
einer Linie, die man durch die Meerenge und Cap Vincent zieht. Diese Linie
laeuft von der Gruppe der azorischen Inseln bis zum Cap Cantin parallel mit
der Richtung der Gewaesser. Es ist ferner zu bemerken, und der Umstand ist
fuer die Physiker, die sich mit der Bewegung der Fluessigkeiten
beschaeftigen, nicht ohne Interesse, dass in diesem Stueck des ruecklaeufigen
Stromes, in einer Breite von 120 bis 140 Meilen, nicht die ganze
Wassermasse dieselbe Geschwindigkeit, noch dieselbe Richtung hat. Bei ganz
ruhiger See zeigen sich an der Oberflaeche schmale Streifen, kleinen Baechen
gleich, in denen das Wasser mit einem fuer das Ohr des geuebten Schiffers
wohl hoerbaren Geraeusch hinstroemit. Am 13. Juni, unter 34 deg. 35' noerdlicher
Breite, befanden wir uns mitten unter einer Menge solcher Strombetten. Wir
konnten die Richtung derselben mit dem Compass aufnehmen: die einen liefen
nach Nordost, anderen nach Ost-Nord-Ost, trotz dem, dass der allgemeine Zug
der See, wie die Vergleichung der Schaetzung mit der chronometrischen Laenge
angab, fortwaehrend nach Suedost gieng. Sehr haeufig sieht man eine stehende
Wassermasse von Wasserfaeden durchzogen, die nach verschiedenen Richtungen
stroemen; solches kann man taeglich an der Oberflaeche unserer Landseen
beobachten, aber seltener bemerkt man solch partielle Bewegungen kleiner
Wassertheile in Folge lokaler Ursachen mitten in einem Meeresstrome, der
sich ueber ungeheure Raeume erstreckt und sich immer in derselben Richtung,
wenn auch nicht mit bedeutender Geschwindigkeit fortbewegt. Die sich
kreuzenden Stroemungen beschaeftigen unsere Einbildungskraft, wie der
Wellenschlag, weil diese Bewegungen, die den Ocean in bestaendiger Unruhe
erhalten, sich zu durchdringen scheinen.

Wir fuhren am Cap Vincent, das aus Besalt besteht, auf mehr als 80 Meilen
[360 km] Entfernung vorueber. Auf 15 Meilen [67,5 km] erkennt man es nicht
mehr deutlich, aber die Foya von Monchique, ein Granitberg in der Naehe des
Caps, soll, wie die Steuerleute behaupten, auf 26 Meilen [117 km] in See
sichtbar seyn. Verhaelt es sich wirklich so, so ist die Foya 700 Toisen
(1363 Meter) hoch, also 116 Toisen (225 Meter) hoeher als der Vesuv. Es ist
auffallend, dass die portugiesische Regierung kein Feuer auf einem Punkte
unterhaelt, nach dem sich alle vom Cap der guten Hoffnung und vom Cap Horn
kommenden Schiffe richten muessen; nach keinem anderen Punkte wird mit so
viel Ungeduld ausgeschaut, bis er in Sicht kommt. Die Feuer auf dem Turm
des Herkules und am Cap Spichel sind so schwach und so wenig weit
sichtbar, dass man sie gar nicht rechnen kann. Dazu waere das
Capuzinerkloster, das auf Kap Vincent steht, ganz der geeignete Platz zu
einem Leuchtturm mit sich drehendem Feuer, wie zu Cadix und an der
Garonnemuendung.

Seit unserer Abfahrt von Corunna und bis zum 36. Breitegrad hatten wir
ausser Meerschwalben und einigen Delphinen fast kein lebendes Wesen
gesehen. Umsonst sahen wir uns nach Tangen und Weichthieren um. Am
11. Juni aber hatten wir ein Schauspiel, das uns hoechlich ueberraschte, das
wir aber spaeter in der Suedsee haeufig genossen. Wir gelangten in einen
Strich, wo das Meer mit einer ungeheuren Menge Medusen bedeckt war. Das
Schiff stand beinahe still, aber die Weichtiere zogen gegen Suedost,
viermal rascher als die Stroemung. Ihr Vorueberzug waehrte beinahe
dreiviertel Stunden, und dann sahen wir nur noch einzelne Individuen dem
grossen Haufen, wie wandermuede, nachziehen. Kommen diese Thiere vom Grunde
des Meeres, das in diesen Strichen wohl mehrere tausend Toisen tief ist?
oder machen sie in Schwaermen weite Zuege? Wie man weiss, lieben die
Weichthiere die Untiefen, und wenn die acht Klippen unmittelbar unter dem
Wasserspiegel, welche Kapitaen Vobonne im Jahr 1732 nordwaerts von der Insel
Porto Santo gesehen haben will, wirklich vorhanden sind, so laesst sich
annehmen, dass diese ungeheure Masse von Medusen dorther kam, denn wir
befanden uns nur 28 Meilen [126 km] von jenen Klippen. Wir erkannten neben
der _Medusa aurita_ von Baster und der _M. pelagica_ von Bosc mit acht
Tentakeln _(Pelagia denticulata, Peron)_ eine dritte Art, die sich der
_M. hysocella_ naehert, die Vandelli an der Muendung des Tajo gefunden hat.
Sie ist ausgezeichnet durch die braungelbe Farbe und dadurch, dass die
Tentakeln laenger sind als der Koerper. Manche dieser Meernesseln hatten
vier Zoll [10 cm] im Durchmesser; ihr fast metallischer Glanz, ihre
violett und purpurn schillernde Faerbung hob sich vom Blau der See aeusserst
angenehm ab.

Unter den Medusen fand Bonpland Buendel der _Dagysa notata_, eines
Weichthiers von sonderbarem Bau, das Sir Joseph Banks zuerst kennen
gelernt hat. Es sind kleine gallertartige Saecke, durchsichtig,
walzenfoermig, zuweilen vieleckig, 13 Linien  [3 mm] lang, 2 - 3 [0,5 bis
0,7 mm] im Durchmesser. Diese Saecke sind an beiden Enden offen. An der
einen Oeffnung zeigt sich eine durchsichtige Blase mit einem gelben Fleck.
Diese Cylinder sind der Laenge nach aneinander geklebt wie Bienenzellen und
bilden 6 - 8 Zoll [16 bis 21 cm] lange Schnuere. Umsonst versuchte ich die
galvanische Elektricitaet an diesen Weichthieren; sie brachte keine
Zusammenziehung hervor. Die Gattung _Dagysa_, die zur Zeit von Cooks
erster Reise zuerst aufgestellt wurde, scheint zu den Salpen zu gehoeren.
Auch die Salpen wandern in Schwaermen, wobei sie sich zu Schnueren an
einander haengen, wie wir bei der _Dagysa_ gesehen.

Am 13. Juni Morgens unter 34 deg. 33' Breite sahen wir wieder bei vollkommen
ruhiger See grosse Haufen des letzterwaehnten Thiers vorbeitreiben. Bei
Nacht machten wir die Beobachtung, dass alle drei Medusenarten, die wir
gefangen, nur leuchteten, wenn man sie ganz leicht anstiess. Diese
Eigenschaft kommt also nicht der von Forskael in seiner _Fauna Aegytiaca_
beschriebenen _Medusa noctiluca_ allein zu, die Gmelin mit der _Medusa
pelagica_ Loeflings vereinigt, obgleich sie rote Tentakeln und braune
Koerperwarzen hat. Legt man eine sehr reizbare Meduse auf einen Zinnteller
und schlaegt mit irgendeinem Metall an den Teller, so wird das Tier schon
durch die leichte Schwingung des Zinns leuchtend. Galvanisirt man Medusen,
so zeigt sich zuweilen der phosphorische Schein im Moment, wo man die
Kette schliesst, wenn auch die Excitatoren die Organe des Tieres nicht
unmittelbar beruehren. Die Finger, mit denen man es beruehrt, bleiben ein
paar Minuten leuchtend, wie man dies auch beobachtet, wenn man das Gehaeuse
der Pholaden zerbricht. Reibt man Holz mit dem Koerper einer Meduse und
leuchtet die geriebene Stelle nicht mehr, so erscheint der Schimmer
wieder, wenn man mit der trockenen Hand ueber das Holz faehrt. Ist derselbe
wieder verschwunden, so laesst er sich nicht noch einmal hervorrufen, wenn
auch die geriebene Stelle noch feucht und klebrig ist. Wie wirkt in diesem
Falle die Reibung oder der Stoss? Die Frage ist schwer zu beantworten. Ruft
etwa eine kleine Temperaturerhoehung den Schein hervor, oder kommt er
wieder, weil man die Oberflaeche erneuert und so die Theile des Thiers,
welche den Phosphorwasserstoff entbinden, mit dem Sauerstoff der
atmosphaerischen Luft in Beruehrung bringt? Ich habe durch Versuche, die im
Jahre 1797 veroeffentlicht worden, dargethan, dass Scheinholz in reinem
Wasserstoff und Stickstoff nicht mehr leuchtet, und dass der Schein
wiederkehrt, sobald man die kleinste Blase Sauerstoff in das Gas treten
laesst. Diese Thatsachen, deren wir in der Folge noch mehrere anfuehren
werden, bahnen uns den Weg zur Erklaerung des Meerleuchtens und des
besonderen Umstandes, dass das Erscheinen des Lichtschimmers mit dem
Wellenschlag in Zusammenhang steht.

Zwischen Madera und der afrikanischen Kueste hatten wir gelinde Winde oder
Windstille, wodurch ich mich bei den magnetischen Versuchen, mit denen ich
mich bei der Ueberfahrt beschaeftigte, sehr gefoerdert sah. Wir wurden nicht
satt, die Pracht der Naechte zu bewundern; nichts geht ueber die Klarheit
und Heiterkeit des afrikanischen Himmels. Wir wunderten uns ueber die
ungeheure Menge Sternschnuppen, die jeden Augenblick niedergingen. Je
weiter wir nach Sueden kamen, desto haeufiger wurden sie, besonders bei den
canarischen Inseln. Ich glaube auf meinen Reisen die Beobachtung gemacht
zu haben, dass diese Feuermeteore ueberhaupt in manchen Landstrichen
haeufiger vorkommen und glaenzender sind als in anderen. Nie sah ich ihrer
so viele als in der Naehe der Vulkane der Provinz Quito und in der Suedsee
an der vulkanischen Kueste von Guatimala. Der Einfluss, den Oertlichkeit,
Klima und Jahreszeit auf die Bildung der Sternschnuppen zu haben scheinen,
trennt diese Classe von Meteoren von den Aerolithen, die wahrscheinlich
dem Weltraume ausserhalb unseres Luftkreises angehoeren. Nach den
uebereinstimmenden Beobachtungen von Benzenberg und Brandes erscheinen in
Europa viele Sternschnuppen nicht mehr als 30,000 Toisen [58 470 m] ueber
der Erde. Man hat sogar eine gemessen, die nur 14,000 Toisen [27 280 m]
hoch war. Es waere zu wuenschen, dass dergleichen Messungen, die nur
annaehernde Resultate ergeben koennen, oefters wiederholt wuerden. In den
heissen Landstrichen, besonders unter den Tropen, zeigen die Sternschnuppen
einen Schweif, der noch 12 bis 15 Secunden fortleuchtet; ein andermal ist
es, als platzten sie und zerstieben in mehrere Lichtfunken, und im
allgemeinen sind sie viel weiter unten in der Luft als im noerdlichen
Europa. Man sieht sie nur bei heiterem, blauen Himmel, und unter einer
Wolke ist wohl noch nie eine beobachtet worden. Haeufig haben die
Sternschnuppen ein paar Stunden lang eine und dieselbe Richtung, und dies
ist dann die Richtung des Windes. In der Bucht von Neapel haben Gay-Lussac
und ich Lichterscheinungen  beobachtet, die denen, welche mich bei meinem
langen Aufenthalt in Mexiko und Quito beschaeftigten, sehr aehnlich waren.
Das Wesen dieser Meteore haengt vielleicht ab von der Beschaffenheit von
Boden und Luft, gleich gewissen Erscheinungen von Luftspiegelung und
Strahlenbrechung an der Erdoberflaeche, wie sie an den Kuesten von Calabrien
und Sicilien vorkommen.

Wir bekamen auf unserer Fahrt weder die Inseln Desiertas noch Madera zu
Gesicht. Gerne haette ich die Laenge dieser Inseln berichtigt und von den
vulkanischen Bergen nordwaerts von Funchal Hoehenwinkel genommen. De Borda
berichtet, man sehe diese Berge auf 20 Meilen [90 km], was nur auf eine
Hoehe von 414 Toisen (806 Meter) hinweise; wir wissen aber, dass nach
neueren Messungen der hoechste Gipfel von Madera 5167 englische Fuss oder
807 Toisen [1573 m] hoch ist. Die kleinen Inseln Desiertas und Salvages,
auf denen man Orseille und _Mesembryanthemum crystallinum_ sammelt, haben
nicht 200 Toisen senkrechter Haehe. Es scheint mir von Nutzen, die
Seefahrer auf dergleichen Bestimmungen hinzweisen, weil sich mittelst
einer Methode, deren in dieser Reisebeschreibung oefter Erwaehnung geschieht
und deren sich Borda, Lord Mulgrave, de Rossel und Don Cosme Churruca auf
ihren Reisen mit Erfolg bedient haben, durch Hoehenwinkel, die man mit
guten Reflexionsinstrumenten nimmt, mit hinlaenglicher Genauigkeit
ermitteln laesst, wie weit sich das Schiff von einem Vorgebirge oder von
einer gebirgigen Insel befindet.

Als wir 40 Meilen [180 km] ostwaerts von Madera waren, setzte sich eine
Schwalbe auf die Marsstenge. Sie war so muede, dass sie sich leicht fangen
liess. Es war eine Rauchschwalbe _(Hierundo rustica, Lin.)_. Was mag einen
Vogel veranlassen, in dieser Jahreszeit und bei stiller Luft so weit zu
fliegen? Bei d´Entrecasteaux´ Expedition sah man gleichfalls eine
Rauchschwalbe 60 Meilen [270 km] weit vom weissen Vorgebirge; das war aber
Ende Oktobers, und Labillardiere war der Meinung, sie komme eben aus
Europa. Wir befuhren diese Striche im Juni, und seit langer Zeit hatte
kein Sturm das Meer aufgeruehrt. Ich betone den letzteren Umstand, weil
kleine Voegel, sogar Schmetterlinge zuweilen durch heftige Winde auf die
hohe See verschlagen werden, wie wir es in der Suedsee, westwaerts von der
Kueste von Mexiko, beobachten konnten.

Der Pizarro hatte Befehl, bei der Insel Lanzarota, einer der sieben grossen
Canarien, anzulegen, um sich zu erkundigen, ob die Englaender die Rhede von
Santa Cruz auf Teneriffa blokirten. Seit dem 15. Juni war man im Zweifel,
welchen Weg man einschlagen sollte. Bis jetzt hatten die Steuerleute, die
mit den Seeuhren nicht recht umzugehen wussten, keine grossen Stuecke auf die
Laenge gehalten, die ich fast immer zweimal des Tags bestimmte, indem ich
zum Uebertrag der Zeit Morgens und Abends Stundenwinkel aufnahm. Endlich
am 16. Juni, um neun Uhr morgens, als wir schon unter 20 deg. 26' der Breite
waren, aenderte der Capitaen den Curs und steuerte gegen Ost. Da zeigte sich
bald, wie genau Louis Berthouds Chronometer war; um 2 Uhr nachmittags kam
Land in Sicht, das wie eine kleine Wolke am Horizont erschien. Um fuenf
Uhr, bei niedriger stehender Sonne, lag die Insel Lanzarota so deutlich
vor uns, dass ich den Hoehenwinkel eines Kegelberges messen konnte, der
majestaetisch die anderen Gipfel ueberragt und den wir fuer den grossen Vulkan
hielten, der in der Nacht vom ersten September 1730 so grosse Verwuestungen
angerichtet hat.

Die Stroemung trieb uns schneller gegen die Kueste, als wir wuenschten. Im
Hinfahren sahen wir zuerst die Insel Fortaventura, bekannt durch die
vielen Kameele(4), die darauf leben, und bald darauf die kleine Insel
Lobos im Canal zwischen Fortaventura und Lancerota. Wir brachten die Nacht
zum Theil auf dem Verdeck zu. Der Mond beschien die vulkanischen Gipfel
von Lanzerota, deren mit Asche bedeckten Abhaenge wie Silber schimmerten.
Antares glaenzte nahe der Mondscheibe, die nur wenige Grad ueber dem
Horizont stand. Die Nacht war wunderbar heiter und frisch. Obgleich wir
nicht weit von der afrikanischen Kueste und der Grenze der heissen Zone
waren, zeigte der hunderttheilige Thermometer nicht mehr als 18 deg.. Es war,
als ob das Leuchten des Meeres die in der Luft verbreitete Lichtmasse
vermehrte. Zum erstenmal konnte ich an einem zweizoelligen Sextanten von
Troughton mit sehr feiner Theilung den Nonius ablesen, ohne mit einer
Kerze an den Rand zu leuchten. Mehrere unserer Reisegefaehrten waren
Canarier; gleich allen Einwohnern der Insel priesen sie enthusiastisch die
Schoenheit ihres Landes. Nach Mitternacht zogen hinter dem Vulkan schwere
Wolken auf und bedeckten hin und wieder den Mond und das schoene Sternbild
des Scorpion. Wir sahen am Ufer Feuer hin und her tragen. Es waren
wahrscheinlich Fischer, die sich zur Fahrt ruesteten. Wir hatten auf der
Reise fortwaehrend in den alten spanischen Reisebeschreibungen gelesen, und
diese sich hin und her bewegenden Lichter erinnerten uns an die, welche
Pedro Guttierez, ein Page der Koenigin Isabella, in der denkwuerdigen Nacht,
da die neue Welt entdeckt wurde, auf der Guanahani sah.

Am 17. Morgens war der Horizont nebligt und der Himmel leicht umzogen.
Desto schaerfer traten die Berge von Lanzerota in ihren Umrissen hervor.
Die Feuchtigkeit erhoeht die Durchsichtigkeit der Luft und rueckt zugleich
scheinbar die Gegenstaende naeher. Diese Erscheinung ist jedem bekannt, der
Gelegenheit gehabt hat, an Orten, wo man die Ketten der Hochalpen oder der
Anden sieht, hygrometrische Betrachtungen anzustellen. Wir liefen, mit dem
Senkblei in der Hand, durch den Canal zwischen den Inseln Alegranza und
Montana Clara. Wir untersuchten den Archipel kleiner Eilande noerdlich von
Lanzerota, die sowohl auf der sonst sehr genauen Karte von de Fleurieu,
als auf der Karte, die zur Reise der Fregatte Flora gehoert, so schlecht
gezeichnet sind. Die auf Befehl des Herrn de Castries i. J. 1786
veroeffentlichte Karte des Atlantischen Oceans hat dieselben irrigen
Angaben. Da die Stroemungen in diesen Strichen ausnehmend rasch sind, so
mag die fuer die Sicherheit der Schiffahrt nicht unwichtige Bemerkung hier
stehen, dass die Lage der fuenf kleinen Inseln Alegranza, Clara, Graciosa,
Roca del Este und Infierno nur auf der Karte der canarischen Inseln von
Borda und im Atlas von Tofino genau angegeben ist, welcher letztere sich
dabei an die Beobachtungen von Don Jose Varela hielt, die mit denen der
Fregatte Boussole ziemlich uebereinstimmen.

Inmitten dieses Archipels, den Schiffe, die nach Teneriffa gehen, selten
befahren, machte die Gestaltung der Kuesten den eigenthuemlichsten Eindruck
auf uns. Wir glaubten uns in die euganaeischen Berge im Vincentinischen
oder an die Ufer des Rheins bei Bonn versetzt (Siebengebirge). Die
Gestaltung der organischen Wesen wechselt nach den Klimaten, und diese
erstaunliche Mannigfaltigkeit gibt dem Studium der Vertheilung der
Pflanzen und Thiere seinen Hauptreiz; aber die Gebirgsarten, die
vielleicht frueher gebildet worden, als die Ursachen, von welchen die
Abstufung der Klimate abhaengt, in Wirksamkeit getreten, sind in beiden
Hemisphaeren die naemlichen. Die Porphyre, welche glasigen Feldspath oder
Hornblende einschliessen, die Phonolithe (Werners Porphyrschiefer),
Gruensteine, Mandelsteine und Basalte zeigen fast so constante Formen wie
in der Auvergne, im boehmischen Mittelgebirge wie in Mexiko und an den
Ufern des Ganges erkennt man die Trappformation am symmetrischen Bau der
Berge, an den gestutzten, bald einzeln stehenden, bald zu Gruppen
vereinigten Kegeln, an den Plateaux, die an beiden Enden mit einer runden
niedrigen Kuppe gekroent sind.

Der ganze westliche Theil von Lanzerota, den wir in der Naehe sahen, hat
ganz das Ansehen eines in neuester Zeit von vulkanischem Feuer verwuesteten
Landes. Alles ist schwarz, duerr, von Dammerde entbloesst. Wir erkannten mit
dem Fernrohr Basalt in ziemlich duennen, stark fallenden Schichten. Mehrere
Huegel gleichen dem Monte nuovo bei Neapel oder den Schlacken- und
Aschenhuegeln, welche am Fusse des Vulkanes Jorullo in Mexiko in Einer Nacht
aus dem berstenden Boden emporgestiegen sind. Nach Abbe Viera wurde auch
im Jahre 1730 mehr als die Haelfte der Insel voellig umgewandelt. Der "grosse
Vulkan", dessen wir oben erwaehnt, und der bei den Eingeborenen der Vulkan
von *Temanfaya* heisst, verheerte das fruchtbarste und bestangebaute
Gebiet; neun Doerfer wurden durch die Lavastroeme voellig zerstoert. Ein
heftiges Erdbeben war der Katastrophe vorangegangen, und gleich starke
Stoesse wurden noch mehrere Jahre nachher gespuert. Letztere Erscheinung ist
um so auffallender, je seltener sie nach einem Ausbruch ist, wenn einmal
nach dem Ausfluss der geschmolzenen Stoffe die elastischen Daempfe durch den
Krater haben entweichen koennen. Der Gipfel des grossen Vulkanes ist ein
runder, nicht genau kegelfoermiger Huegel. Nach den Hoehenwinkeln, die ich in
verschiedenen Abstaenden genommen, scheint seine absolute Hoehe nicht viel
ueber 300 Toisen [580 m] zu betragen. Die benachbarten kleinen Berge und
die der Inseln Alegranza und Clara sind kaum 100 bis 120 Toisen [95 bis
134 m] hoch. Man wundert sich, dass Gipfel, die sich auf hoher See so
imposant darstellen, nicht hoeher seyn sollten. Aber nichts ist so unsicher
als unser Urtheil ueber die Groesse der Winkel, unter denen uns Gegenstaende
ganz nahe am Horizont erscheinen. Einer Taeuschung derart ist es
zuzuschreiben, wenn vor den Messungen de Churrucas und Galeanos am Cap
Pilar die Berge an der Magellanschen Meerenge und des Feuerlandes bei den
Seefahrern fuer ungemein hoch galten.

Die Insel Lanzerota hiess frueher *Titeroigotra*. Bei der Ankunft der
Spanier zeichneten sich die Bewohner vor den anderen Canariern durch
Merkmale hoeherer Kultur aus. Sie hatten Haeuser aus behauenen Steinen,
waehrend die Guanchen auf Teneriffa, als wahre Troglodyten, in Hoehlen
wohnten. Auf Lanzerota herrschte zu jener Zeit ein seltsamer Gebrauch, der
nur bei den Tibetanern vorkommt. [In Tibet ist uebrigens die Vielmaennerei
nicht so haeufig, als man glaubt, und von der Priesterschaft missbilligt.]
Eine Frau hatte mehrere Maenner, welche in der Ausuebung der Rechte des
Familienhauptes wechselten. Der eine Ehemann war als solcher nur waehrend
eines Mondumlaufs anerkannt, sofort uebernahm ein anderer das Amt und jener
trat in das Hausgesinde zurueck. Es ist zu bedauern, dass wir von den
Geistlichen im Gefolge Johanns von Bethencourt, welche die Geschichte der
Eroberung der Canarien geschrieben haben, nicht mehr von den Sitten eines
Volkes erfahren, bei dem so sonderbare Braeuche herrschten. Im fuenfzehnten
Jahrhundert bestanden auf der Insel Lanzerota zwei kleine voneinander
unabhaengige Staaten, die durch eine Mauer geschieden waren, dergleichen
man auch in Schottland, in Peru und in China findet, Denkmaeler, die den
Nationalhass ueberleben.

Wegen des Windes mussten wir zwischen den Inseln Alegranza und Montana
Clara durchfahren. Da Niemand am Bord der Corvette je in diesem Canal
gewesen war, so musste das Senkblei ausgeworfen werden. Wir fanden Grund
bei 25 und 32 Faden [45 bis 60 m]. Mit dem Senkbleu wurde eine organische
Substanz von so sonderbarem Bau aufgezogen, dass wir lange nicht wussten, ob
wir sie fuer einen Zoophyten oder fuer eine Tangart halten sollten. Auf
einem braeunlichen, drei Zoll langen Stiel sitzen runde lappige Blaetter mit
gezahntem Rand. Sie sind hellgruen, lederartig und gestreift wie die
Blaetter der Adianten und des _Ginkgo biloba_. Ihre Flaeche ist mit steifen,
weisslichen Haaren bedeckt; vor der Entwicklung sind die concav und in
einander geschachtelt. Wir konnten keine Spur von willkuehrlicher Bewegung,
von Irritabilitaet daran bemerken, auch nicht als wir es mit dem
Galvanismus versuchten. Der Stiel ist nicht holzig, sondern besteht aus
einem hornartigen Stoff, gleich der Achse der Gorgonen. Da Stickstoff und
Phosphor in Menge in verschiedenen cryptogamischen Gewaechsen nachgewiesen
sind, so waere nichts dabei herausgekommen, wenn wur auf chemischem Wege
haette ermitteln wollen, ob dieser organische Koerper dem Pflanzen- oder dem
Thierreich angehoere. Da er einigen Seepflanzen mit Adiantenblaettern sehr
nahe kommt, so stellten wir ihn vorlaeufig zu den Tangen und nannten ihn
_Fucus vitifolius_. Die Haare, mit denen das Gewaechs bedeckt ist, kommen
bei vielen andern Tangen vor. Allerdings zeigte das Blatt, als es frisch
aus der See unter dem Mikroscop untersucht wurde, nicht die druesigen
Koerper in Haeufchen oder die dunkeln Punkte, welche bei den Gattungen
_Ulva_ und _Fucus_ die Fructificationen enthalten; aber wie oft findet man
Tange, die vermoege ihrer Entwicklungsstufe in ihrem durchsichtigen
Paranchym noch keine Spur von Koernern zeigen.

Ich haette diese Einzelheiten, die in die beschreibende Naturgeschichte
gehoeren, hier uebergangen, wenn sich nicht am Fucus mit weinblattaehnlichen
Blaettern ein physiologische Erscheinung von allgemeinerem Interesse
beobachten liesse. Unser Seetang hatte, an Madreporen befestigt, 192 Fuss
tief am Meeresboden vegetirt, und doch waren seine Blaetter so gruen wie
unsere Graeser. Nach de Bouguers Versuchen(5) wird das Licht, das durch 180
Fuss Wasser hindurchgeht, im Verhaeltniss von 1 zu 1477,8 geschwaecht. Der
Tang von Alegranza ist also ein neuer Beweis fuer den Satz, dass Gewaechse im
Dunkeln vegetiren koennen, ohne farblos zu werden. Die noch in den Zwiebeln
eingeschlossenen Keime mancher Liliengewaechse, der Embryo der Malven, der
Rhamnoiden, der Pistazie, der Mistel und des Citronenbaums, die Zweige
mancher unterirdischen Pflanzen, endlich die Gewaechse, die man in
Erzgruben findet, wo die umgebende Luft Wasserstoff oder viel Stickstoff
enthaelt, sind gruen ohne Lichtgenuss. Diese Thatsachen berechtigen zu der
Annahme, dass der Kohlenwasserstoff, der das Parenchym dunkler oder heller
gruen faerbt, je nachdem der Kohlenstoff in der Verbindung vorherrscht, sich
nicht bloss unter dem Einfluss der Sonnenstrahlen im Gewebe der Gewaechse
bildet.

Turner, der so viel fuer die Familie der Tange geleistet hat, und viele
andere bedeutende Botaniker sind der Ansicht, die Tange, die man an der
Meeresflaeche findet, und die unter dem 23. und 35. Grad der Breite und dem
32. der Laenge sich dem Seefahrer als eine weite ueberschwemmte Wiese
darstellen, wachsen urspruenglich auf dem Meeresgrund und schwimmen an der
Oberflaeche nur im ausgebildeten Zustand, nachdem sie von den Wellen
losgerissen worden. Ist dem wirklich so, so ist nicht zu laeugnen, dass die
Familie der Seealgen grosse Schwierigkeiten macht, wenn man am Glauben
festhaelt, dass Farblosigkeit die nothwendige Folge des Mangels an Licht
ist; denn wie sollte man voraussetzen koennen, dass so viele Arten von
Ulvaceen und Dictyoteen mit gruenen Stengeln und Blaettern auf Gestein
unmittelbar unter der Meeresflaeche gewachsen sind?

Nach den Angaben eines alten portugiesischen Wegweisers meinte der Capitaen
des Pizarro sich einem kleinen Fort noerdlich von Teguise, dem Hauptort von
Lancerota, gegenueber zu befinden. Man hielt einen Basaltfelsen fuer ein
Kastell, man salutirte es durch Aufhissen der spanischen Flagge und warf
das Boot aus, um sich durch einen Officier beim Commandanten des
vermeintlichen Forts erkundigen zu lassen, ob die Englaender in der
Umgegend kreuzten. Wir wunderten uns nicht wenig, als wir vernahmen, dass
das Land, das wir fuer einen Theil der Kueste von Lanzerota gehalten, die
kleine Insel Graciosa sey und dass es auf mehrere Kilometer in der Runde
keinen bewohnten Ort gebe.

Wir benutzten das Boot, um ans Land zu gehen, das den Schlusspunkt einer
weiten Bai bildete. Ganz unbeschreiblich ist das Gefuehl des
Naturforschers, der zum erstenmal einen aussereuropaeischen Boden betritt.
Die Aufmerksamkeit wird von so vielen Gegenstaenden in Anspruch genommen,
dass man sich von seinen Empfindungen kaum Rechenschaft zu geben vermag.
Bei jedem Schritt glaubt man einen neuen Naturkoerper vor sich zu haben,
und in der Aufregung erkennt man haeufig Dinge nicht wieder, die in unseren
botanischen Gaerten und naturgeschichtlichen Sammlungen zu den gemeinsten
gehoeren. 100 Toisen [ca. 200 m] vom Ufer sahen wir einen Mann mit der
Angelruthe fischen. Man fuhr im Boot auf ihn zu, aber er ergriff die
Flucht und versteckte sich hinter Felsen. Die Matrosen hatten Muehe, seiner
habhaft zu werden. Der Anblick der Corvette, der Kanonendonner am
einsamen, jedoch zuweilen von Kapern besuchten Orte, das Landen des
Bootes, Alles hatte dem armen Fischer Angst eingejagt. Wir erfuhren von
ihm, die kleine Insel Graciosa, an der wir gelandet, sey von Lanzerota
durch einen engen Canal, el Rio genannt, getrennt. Er erbot sich, uns in
den Hafen los Colorados zu fuehren, wo wir uns hinsichtlich der Blokade von
Tenerifa erkundigen koennten; da er aber zugleich versicherte, seit
mehreren Wochen kein Fahrzeug auf offener See gesehen zu haben, so
beschloss der Kapitaen, geradezu nach Santa Cruz zu steuern.

Das kleine Stueck der Insel Graciosa, das wir kennengelernt, gleicht den
aus Laven aufgebauten Vorgebirgen bei Neapel zwischen Portici und Torre
del Greco. Die Felsen sind nackt, ohne Baeume und Gebuesche, meist ohne Spur
von Dammerde. Einige Flechten, Variolarien, Leprarien, Urceolarien, kamen
hin und wieder auf dem Basalt vor. Laven, die nicht mit vulkanischer Asche
bedeckt sind, bleiben Jahrhunderte ohne eine Spur von Vegetation. Auf dem
afrikanischen Boden hemmt die grosse Hitze und die lange Trockenheit die
Entwicklung der cryptogamischen Gewaechse.

Mit Sonnenuntergang schifften wir uns wieder ein und gingen unter Segel,
aber er Wind war zu schwach, als dass wir unseren Weg nach Teneriffa haetten
fortsetzen koennen. Die See war ruhig; ein roethlicher Dunst umzog den
Horizont und liess alle Gegenstaende groesser erscheinen. In solcher
Einsamkeit, ringsum so viele unbewohnte Eilande, schwelgten wir lange im
Anblick einer wilden, grossartigen Natur. Die schwarzen Berge von Graciosa
zeigten fuenf, sechshundert Fuss [160 bis 200 m] hohe senkrechte Waende. Ihre
Schatten, die auf die Meeresflaeche fielen, gaben der Landschaft einen
schwermuethigen Charakter. Gleich den Truemmern eines gewaltigen Gebaeudes
stiegen Basaltfelsen aus dem Wasser auf. Ihr Dasein mahnte uns an die weit
entlegene Zeit, wo unterseeische Vulkane neue Inseln emporhoben oder die
Festlaender zertruemmerten. Alles umher verkuendete Verwuestung und
Unfruchtbarkeit; aber einen freundlicheren Anblick bot im Hintergrunde des
Bildes die Kueste von Lanzerota. In einer engen Schlucht, zwischen zwei mit
verstreuten Baumgruppen gekroenten Huegeln, zog sich ein kleiner bebauter
Landstrich hin. Die letzten Strahlen der Sonne beleuchteten das zur Ernte
reife Korn. Selbst die Wueste belebt sich, sobald man den Spuren der
arbeitsamen Menschenhand begegnet.

Wir versuchten aus der Bucht herauszukommen, und zwar durch den Canal
zwischen Alegranza und Montana Clara, durch den wir ohne Schwierigkeit
hereingelangt waren, um an der Nordspitze von Graciosa ans Land zu gehen.
Da der Wind sehr flau wurde, so trieb uns die Stroemung nahe zu einem Riff,
an dem sich die See ungestuem brach, und das die alten Karten als
"Infierno" bezeichneten. Als wir das Riff auf zwei Kabellaengen vom
Vordertheil der Corvette vor uns hatten, sahen wir, dass es eine drei, vier
Klafter [5,8 bis 7,8 m] hohe Lavakuppe ist, voll Hoehlungen und bedeckt mit
Schlacken, die den Coaks [Koks] oder der schwammigen Masse der
entschwefelten Steinkohle aehnlich ist. Wahrscheinlich ist die Klippe
Infierno(6) welche die neueren Karten _Roca del Oeste_ (westlicher Fels)
nennen, durch das vulkanische Feuer emporgehoben. Sie kann sogar frueher
weit hoeher gewesen seyn; denn die "neue Insel" der Azoren, die zu
wiederholten malen aus dem Meere gestiegen, in den Jahren 1638 und 1719,
war 354 Fuss [115 m] hoch [Im Jahre 1720 war die Insel auf 7 - 8 Meilen
(31 bis 36 km) sichtbar. In denselben Strichen ist im Jahre 1811 wieder
eine Insel erschienen.] geworden, als sie im Jahre 1728 so gaenzlich
verschwand, dass man da, wo sie gestanden das Meer 80 Faden [146 m] tief
fand. Meine Ansicht vom Ursprung der Basaltkuppe Infierno wird durch ein
Ereigniss bestaetigt, das um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in derselben
Gegend beobachtet wurde. Beim Ausbruch des Vulkanes Temanfaya erhoben sich
vom Meeresboden zwei pyramidale Huegel von steiniger Lava und verschmolzen
nach und nach mit der Insel Lanzerota.

Da der schwache Wind und die Stroemung uns aus dem Canal von Alegranza
nicht herauskommen liessen, beschloss man, waehrend der Nacht zwischen der
Insel Clara und der _Roca del Oeste_ zu kreuzen. Diess haette beinahe sehr
schlimme Folgen fuer uns gehabt. Es ist gefaehrlich, sich bei Windstille in
der Naehe dieses Riffes aufzuhalten, gegen das die Stroemung ausnehmend
stark hinzieht. Um Mitternacht fingen wir an, die Wirkung der Stroemung
gewahr zu werden. Die nahe vor uns senkrecht aus dem Wasser aufsteigenden
Felsmassen benahmen uns den wenigen Wind, der wehte; die Corvette
gehorchte dem Steuer fast nicht mehr und jeden Augenblick fuerchtete man zu
stranden. Es ist schwer begreiflich, wie eine einzelne Basaltkuppe mitten
im weiten Weltmeer das Wasser in solche Aufregung versetzen kann. Diese
Erscheinungen, welche die volle Aufmerksamkeit der Physiker verdienen,
sind uebrigens den Seefahrern wohl bekannt; sie treten in der Suedsee,
namentlich im kleinen Archipel der Galapagos-inseln, in furchtbarem
Massstab auf. Der Temperaturunterschied zwischen der Fluessigkeit und der
Felsmasse vermag den Zug der Stroemung zu ihnen hin nicht zu erklaeren, und
wie sollte man es glaublich finden, dass sich das Wasser am Fusse der
Klippen in die Tiefe stuerzt, und dass bei diesem fortwaehrenden Zug nach
unten die Wassertheilchen den entstehenden leeren Raum auszufuellen suchen
(7)?

Am 18. Morgens wurde der Wind etwas frischer, und so gelang es uns, aus
dem Canal zu kommen. Wir kamen dem Infierno noch einmal sehr nahe, und
jetzt bemerkten wir im Gestein grosse Spalten, durch welche wahrscheinlich
die Gase entwichen, als die Basaltkuppe emporgehoben wurde. Wir verloren
die kleinen Inseln Alegranza, Montana Clara und Graciosa aus dem Gesicht.
Sie scheinen nie von Guanchen bewohnt gewesen zu seyn und man besucht sie
jetzt nur, um Orseille dort zu sammeln; diese Pflanze ist uebrigens weniger
gesucht, seit so viele andere Flechtenarten aus dem noerdlichen Europa
kostbare Farbstoffe liefern. Montana Clara ist beruehmt weger der schoenen
Canarienvoegel, die dort vorkommen. Der Gesang dieser Voegel wechselt nach
Schwaermen, wie ja auch bei uns der Gesang der Finken in zwei benachbarten
Landstrichen haeufig ein anderer ist. Auf Montana Clara gibt es auch
Ziegen, zum Beweis, dass das Eiland im Inneren nicht so oede ist als die
Kueste, die wir gesehen. Der Name Alegranza kommt her von "La Joyeuse", wie
die ersten Eroberer der Canarien, zwei normaennische Barone, Jean de
Bethencourt und Gadifer de Salle, die Insel benannten. Es war der erste
Punkt, wo sie gelandet. Nach einem Aufenthalt von einigen Tagen auf der
Insel Graciosa, von der wir ein kleines Stueck gesehen, beschlossen sie,
sich der benachbarten Insel Lanzerota zu bemaechtigen, und wurden von
Guadarfia, dem Haeuptling der Guanchen, so gastfreundlich empfangen, wie
Cortez im Palast Montezumas. Der Hirtenkoenig, der keine anderen Schaetze
hatte als seine Ziegen, wurde so schmaehlich verraten, wie der mexikanische
Sultan.

Wir fuhren an den Kuesten von Lanzerota, Lobos und Fortaventura hin. Die
zweite scheint frueher mit den andern zusammengehangen zuhaben. Diese
geologische Hypothese wurde schon im siebzehnten Jahrhundert von einem
Franziskaner, Juan Galindo, aufgestellt. Er war sogar der Ansicht, Koenig
Juba habe nur sechs canarische Inseln genannt, weil zu seiner Zeit drei
derselben nur Eine gebildet. Ohne auf diese unwahrscheinliche Hypothese
einzugehen, haben gelehrte Geographen den Archipel der Canarien fuer die
beiden Inseln Innonia, die Inseln Rivaria, Ombrios, Canaria und Capraria
der Alten erklaert.

Da der Horizont dunstig war, konnten wir auf der ganzen Ueberfahrt von
Lanzerota nach Teneriffa des Gipfels des Pik de Teyde nicht ansichtig
werden. Ist der Vulkan wirklich 1905 Toisen [3712 m] hoch, wie Bordas
letzte trigonometrische Messung angibt, so muss sein Gipfel auf 43
Seemeilen [80 km] zu sehen sey, das Auge am Meeresspiegel angenommen und
die Refraction gleich 0,079 der Entfernung. Man hat in Zweifel gezogen, ob
der Pic zwischen Lanzerota und Fortaventura, der nach Varelas Karte 2 deg. 29'
oder gegen 50 Meilen (Lieues) davon entfernt ist, je gesehen worden sey.
Der Punkt scheint indessen durch einige Offiziere der koeniglich spanischen
Marine entschieden worden zu seyn; ich habe an Bord der Corvette Pizarro
ein Schifftagebuch in Haenden gehabt, in dem stand, der Pic von Tenerifa
sey in 135 Seemeilen [250 km] Entfernung beim suedlichen Vorgebirg von
Lanzerota, genannt Pichiguera, gesehen worden, und zwar erschien der
Gipfel unter einem so grossen Winkel, dass der Beobachter, Don Manuel
Bazuti, glaubt, der Vulkan haette noch 9 Meilen weiter weg gesehen werden
koennen. Das war im September, gegen Abend, bei sehr feuchtem Wetter.
Rechnet man 15 Fuss als Erhoehung des Auges ueber der See, so finde ich, dass
man, um die Erscheinung zu erklaeren, eine Refraction gleich 0,158 des
Bogens anzunehmen hat, was fuer die gemaessigte Zone nicht ausserordentlich
viel ist. Nach den Beobachtungen des Generals Roy schwanken in England die
Refractionen zwischen 1/20 und 1/3, und wenn es wahr ist, dass sie an der
Kueste von Afrika diese aeussersten Grenzen erreichen, woran ich sehr
zweifle, so koennte unter gewissen Umstaenden der Pic vom Verdeck eines
Schiffes auf 61 Seemeilen gesehen werden.

Seeleute, die haeufig diese Striche befahren und ueber die Ursachen der
Naturerscheinungen nachdenken, wundern sich, dass der Pic de Teyde und der
der Azoren(8) zuweilen in sehr grosser Entfernung zum Vorschein kommen, ein
andermal in weit groesserer Naehe nicht sichtbar sind, obgleich der Himmel
klar erscheint und der Horizont nicht dunstig ist. Diese Umstaende
verdienen die Aufmerksamkeit des Physikers um so mehr, als viele Fahrzeuge
auf der Rueckreise nach Europa mit Ungeduld des Erscheinens dieser Berge
harren, um ihre Laenge danach zu berichtigen, und sie sich wieder davon
entfernt glauben, als sie in Wahrheit sind, wenn sie sie bei hellem Wetter
in Entfernungen, wo die Sehwinkel schon sehr bedeutend seyn mussten, nicht
sehen koennen. Der Zustand der Atmosphaere hat den bedeutendsten Einfluss auf
die Sichtbarkeit ferner Gegenstaende. Im Allgemeinen laesst sich annehmen,
dass der Pic von Tenerifa im Juli und August, bei sehr warmem, trockenem
Wetter, ziemlich selten sehr weit gesehen wird, dass er dagegen im Januar
und Februar, bei leicht bedecktem Himmel und unmittelbar nach oder einige
Stunden vor einem starken Regen in ausserordentlich grosser Entfernung zu
Gesicht kommt. Die Durchsichtigkeit der Luft scheint, wie schon oben
bemerkt, in erstaunlichem Maasse erhoeht zu werden, wenn eine gewisse Menge
Wasser gleichfoermig in derselben verbreitet ist. Zudem darf man sich nicht
wundern, wenn man den Pic de Teyde seltener sehr weit sieht, als die
Gipfel der Anden, die ich so lange Zeit habe beobachten koennen. Der Pic
ist nicht so hoch als der Theil des Atlas, an dessen Abhang die Stadt
Marocco liegt, und nicht wie dieser mit ewigem Schnee bedeckt. Der *Piton*
oder *Zuckerhut*, der die oberste Spitze des Pics bildet, wirft allerdings
vieles Licht zurueck, weil der aus dem Krater ausgeworfene Bimsstein von
weisslicher Farbe ist; aber dieser kleine abgestutzte Kegel misst nur ein
Zwanzigtheil der ganzen Hoehe. Die Waende des Vulkans sind entweder mit
schwarzen, verschlackten Lavabloecken oder mit einem kraeftigen
Pflanzenwuchse bedeckt, dessen Masse um so weniger Licht zurueckwirft, als
die Baumblaetter voneinander durch Schatten getrennt sind, die einen
groesseren Umfang haben als die beleuchteten Theile.

Daraus geht hervor, dass der Pic von Tenerifa, abgesehen vom *Piton*, zu
den Bergen gehoert, die man, wie Bouguer sich ausdrueckt, auf weite
Entfernung nur *negativ* sieht, weil sie das Licht auffangen, das von der
aeussersten Grenze des Luftkreises zu uns gelangt, und wir ihr Daseyn nur
gewahr werden, weil das Licht in der sie umgebenden Luft und das , welches
die Lufttheilchen zwischen dem Berge und dem Auge des Beobachters
fortpflanzen, von verschiedener Intensitaet sind. [Aus den Versuchen
desselben Beobachters geht hervor, dass, wenn dieser Unterschi8ed fuer
unsere Organe merkbar werden und der Berg sich deutlich vom Himmel abheben
soll, das eine Licht wenigstens um ein Sechzigtheil staerker seyn muss als
das andere.] Entfernt man sich von der Insel Teneriffa, so bleibt der
Piton oder Zuckerhut ziemlich lange *positiv* sichtbar, weil er weisses
Licht reflektirt und sich vom Himmel hell abhebt; da aber dieser Kegel nur
80 Toisen [156 m] hoch und an der Spizte 40 Toisen [78 m] breit ist, so
hat man neuerdings die Frage aufgeworfen, ob er bei so unbedeutender Masse
auf weiter als 40 Meilen sichtbar seyn kann, und ob es nicht
wahrscheinlicher ist, dass man in See den Pic erst dann als ein Woelkchen
ueber dem Horizont gewahr wird, wenn bereits die Basis des Piton
heraufzuruecken beginnt. Nimmt man die mittlere Breite des Zuckerhutes zu
100 Toisen [200 m] an, so findet man, dass der kleine Kegel in 40 Meilen
Entfernung in horizontaler Richtung noch unter einem Winkel von mehr als 3
Minuten erscheint. Dieser Winkel ist gross genug, um einen Gegenstand
sichtbar zu machen, und wenn der Piton betraechtlich hoeher waere, als in der
Basis breit, so duerfte der Winkel in horizontaler Richtung noch kleiner
seyn, und der Gegenstand machte doch noch einen Eindruck auf unsere
Organe; aus mikrometrischen Beobachtungen geht hervor, dass eine Minute nur
dann die Grenze der Sichtbarkeit ist, wenn die Gegenstaende nach allen
Richtungen von gleichem Durchmesser sind, Man erkennt in einer weiten
Ebene einzelne Baumstaemme mit blossem Auge, obgleich der Sehwinkel nur 25
Secunden betraegt.

Da die Sichtbarkeit eines Gegenstandes, der sich dunkelfarbig abhebt, von
der Lichtmenge abhaengt, die auf zwei Linien zum Auge gelangen, deren eine
am Berg endet, waehrend die andere bis zur Grenze des Luftmeers fortlaeuft,
so folgt daraus, dass, je weiter man vom Gegenstand wegrueckt, desto kleiner
der Unterschiede wird zwischen Licht der umgebenden Luft und dem Licht der
vor dem Berg befindlichen Luftschichten. Daher kommt, dass nicht sehr hohe
Berggipfel, wenn sie sich ueber dem Horizont zu zeigen  anfangen, anfangs
dunkler erscheinen als Gipfel, die man auf sehr grosse Entfernung sieht.
Ebenso haengt die Sichtbarkeit von Bergen, die man nur negativ gewahr wird,
nicht allein vom Zustand der untern Luftschichten ab, auf die unsere
meteorologischen Beobachtungen beschraenkt sind, sondern auch von der
Durchsichtigkeit und der physischen Beschaffenheit der hoeheren Regionen;
denn das Bild hebt sich desto besser ab, je staerker das Licht in der Luft,
das von den Grenzen der Atmosphaere herkommt, urspruenglich ist, oder je
weniger Verlust es auf seinem Durchgang erlitten hat. Dieser Umstand macht
es bis zu einem gewissen Grade erklaerlich, warum bei gleich heiterem
Himmel, bei ganz gleichem Thermometer- und Hygrometerstand nahe an der
Erdoberflaeche, der Pic auf Schiffen, die gleich weit davon entfernt sind,
des einemal sichtbar ist, das anderemal nicht. Wahrscheinlich wuerde man
sogar den Vulkan nicht haeufiger sehen koennen, wenn die Hoehe des
Aschenkegels, an dessen Spitze sich die Krateroeffnung befindet, ein
Viertheil der ganzen Berghoehe waere, wies es beim Vesuv der Fall ist. Die
Asche, zu Pulver zerriebener Bimsstein, wirft das Licht nicht so stark
zurueck als der Schnee der Anden. Sie macht, dass der Berg bei sehr grossem
Abstand sich nicht hell, sondern weit schwaecher dunkelfarbig abhebt. Sie
traegt so zu sagen dazu  bei, die Antheile des in der Luft verbreiteten
Lichtes, deren veraenderliche Unterschiede einen Gegenstand mehr oder
weniger deutlich sichtbar machen, auszugleichen. Kahle Kalkgebirge, mit
Granitsand bedeckte Berggipfel, die hohen Savannen der Kordilleren, [_Los
Pajonales_, von _paja_, Gras. So heisst die Zone der grasartigen Gewaechse,
welche unter der Region des ewigen Schnees liegt.] die goldgelb sind,
treten allerdings in geringer Entfernung deutlicher hervor als
Gegenstaende, die man negativ sieht; aber nach der Theorie besteht eine
gewisse Grenze, jenseits welcher diese letzteren sich bestimmter vom Blau
des Himmels abheben.

Bei den colossalen Berggipfeln von Quito und Peru, die ueber die Grenze des
ewigen Schnees hinausragen, wirken alle guenstigen Umstaende zusammen, um
sie unter sehr kleinen Winkeln sichtbar zu machen. Wir haben oben gesehen,
dass der abgestumpfte Gipfel des Pic von Tenerifa nur gegen 300 Toisen
[580 m] Durchmesser hat. Nach den Messungen, die ich im Jahre 1803 zu
Riobamba angestellt, ist die Kuppe des Chimborazo 153 Toisen [298 m] unter
der Spitze, also an einer Stelle, die 1300 Toisen [2533 m] hoeher liegt als
der Pik, noch 673 Toisen (1312 Meter) breit. Ferner nimmt die Zone des
ewigen Schnees ein Viertheil der ganzen Berghoehe ein, und die Basis dieser
Zone ist, von der Suedsee gesehen, 3437 Toisen (6700 Meter) breit. Obgleich
aber der Chimborazo um zwei Drittel hoeher ist als der Pic, sieht man ihn
doch wegen der Kruemmung der Erde nur 38 1/3 Meilen weiter. Wenn er im
Hafen von Guayaquil am Ende der Regenzeit am Horizont auftaucht, glaenzt
sein Schnee so stark, dass man glauben sollte, er muesste sehr weit in der
Suedsee sichtbar seyn. Glaubwuerdige Schiffer haben mich versichtert, sie
haben ihn bei der Klippe Muerto, suedwestlich von der Insel Puna, auf 47
Meilen [211,5 km] gesehen. So oft er noch weiter gesehen worden, sind die
Angaben unzuverlaessig, weil die Beobachter ihrer Laenge nicht gewiss waren.

Das in der Luft verbreitete Licht erhoeht, indem es auf die Berge faellt,
die Sichtbarkeit derer, die positiv sichtbar sind; die Staerke desselben
vermindert im Gegentheil die Sichtbarkeit von Gegenstaenden, die, wie der
Pic von Teneriffa und der der Azoren, sich dunkelfarbig abheben. Bouguer
hat auf theoretischem Wege gefunden, dass nach der Beschaffenheit unserer
Atmosphaere Berge negativ nicht weiter als auf 35 Meilen gesehen werden
koennen. Die Erfahrung -- und diese Bemerkung ist wichtig -- widerspricht
dieser Rechnung. Der Pik von Tenerifa ist haeufig auf 36, 38, sogar auf 40
Meilen gesehen worden. Noch mehr, auf der Fahrt nach den Sandwichsinseln
hat man den Gipfel des Mowna-Roa(9) und zwar zu einer Zeit, wo kein Schnee
darauf lag, dicht am Horizont auf 53 Meilen gesehen. Dies ist bis jetzt
das auffallendste bekannte Beispiel von der Sichtbarkeit eines Berges, und
was noch merkwuerdiger ist, es handelt sich dabei von einem Gegenstand, der
nur negativ sichtbar ist.

Ich glaubte diese Bemerkungen am Ende dieses Capitels zusammenstellen zu
sollen, weil sie sich auf eines der wichtigsten Probleme der Optik
beziehen, auf die Schwaechung der Lichtstrahlen bei ihrem Durchgang durch
die Schichten der Luft, und zugleich nicht ohne praktischen Nutzen sind.
Die Vulkane Teneriffas und der Azoren, die Sierra Nevada von St. Martha,
der Pic von Orizaba, die Silla bei Caracas, Mowna-Roa und der
St. Eliasberg liegen vereinzelt in weiten Meeresstrecken oder auf den
Kuesten der Continente, und dienen so dem Seefahrer, der die Mittel nicht
hat, um den Ort des Schiffes durch Sternbeobachtungen zu bestimmen,
gleichsam als Bojen im Fahrwasser. Alles, was mit der Erkennbarkeit dieser
natuerlichen Bojen zusammenhaengt, ist fuer die Sicherheit der Schifffahrt
von Belang.

                            ------------------





    1 Ich muss hier bemerken, dass ich von einem Werke in sechs Baenden, das
      unter dem seltsamen Titel: "Reise um die Welt und in Suedamerika, von
      A. v. Humboldt, erschienen bei Vollmer in Hamburg", niemals Kenntniss
      genommen habe. Diese in meinem Namen verfasste Reisebeschreibung
      scheint nach in den Tageblaettern gegebenen Nachrichten und nach
      einzelnen Abhandlungen, die ich in der ersten Classe des
      franzoesischen Institutes gelesen, zusammengeschrieben zu seyn. Um
      das Publikum aufmerksam zu machen, hielt es der Kompilator fuer
      angemessen, einer Reise in einige Laender des neuen Kontinentes den
      anziehenderen Titel einer "Reise um die Welt" zu geben.

    2 Ich habe die Beobachtungen, die ich in beiden Hemisphaeren
      anzustellen Gelegenheit gehabt, mit denen zusammengestellt, die in
      den Werken von Cook, Laperouse, d´Entrecasteur, Vancouver,
      Macartney, Krusenstern und Marchand gegeben sind, und darnach
      schwankt die Geschwindigkeit der allgemeinen Stroemung unter den
      Tropen zwischen 5 und 18 Meilen in 24 Stunden, somit zwischen
      0,3 und 1,2 Fuss in der Secunde.

    3 Wenn es sich von der Meerestemperatur handelt, hat man sorgfaeltig
      vier ganz gesonderte Erscheinungen zu unterscheiden: 1) die
      Temperatur des Wassers an der Oberflaeche unter verschiedenen
      Breiten, das Meer als ruhig angenommen; 2) die Abnahme der Waerme in
      den ueber eineander gelagerten Wasserschichten; 3) den Einfluss der
      Untiefen auf die Temperatur des Meeres; 4) die Temperatur der
      Stroemungen, die mit constanter Geschwindigkeit die Gewaesser der
      einen Zone durch ruhenden Gewaesser der andern hindurchfuehren.

    4 Diese Kameele, die zum Feldbau dienen und deren Fleisch man im Lange
      zuweilen eingesalzen isst, lebten hier nicht vor der Eroberung der
      Inseln durch die Bethencourts. Im sechzehnten Jahrhundert hatten
      sich die Esel auf Fortaventura dergestalt vermehrt, dass sie
      verwildert waren und man Jagd auf sie machen musste. Man schoss ihrer
      mehrere tausend, damit die Ernten nicht zu Grunde gingen. Die Pferde
      auf Fortaventura sind von berberischer Rasse und ausgezeichnet
      schoen.

    5 In 32 Faden Tiefe kann der Fucus nur von einem Lichte beleuchtet
      gewesen seyn, das 203mal staerker ist als das Mondlicht, also gleich
      der Haelfte des Lichts, das eine Talgkerze auf 1 Fuss Entfernung
      verbreitet. Nach meinen direkten Versuchen wird aber das _Lepidium
      saticum_ beim glaenzenden Lichte zweier Argandschen Lampen kaum
      merkbar gruen.

    6 Ich bemerke hier, dass diese Klippe schon auf der beruehmten
      venetianischen Karte des Andrea Bianco angegeben ist, dass aber mit
      dem Namen Infierno, wie auch auf der aeltesten Karte des Picigano,
      Teneriffa bezeichnet ist, wahrscheinlich, weil die Guanchen den Pic
      als den Eingang der Hoelle ansahen.

    7 Mit Verwunderung liest man in einem sonst ganz nuetzlichen, unter den
      Seeleuten sehr verbreiteten Buche, in der neunten Ausgabe des
      _Practical Navigator_ von Hamilton Moore, p. 200, in Folge der
      Massenattractien oder der allgemeinen Schwere komme ein Fahrzeug
      schwer von der Kueste weg und werde die Schaluppe einer Fregatte von
      dieser selbst angezogen.

    8 Die Hoehe dieses Pics betraegt nach de Fleurien 1100 Toisen [2144 m],
      nach Ferrer 1238 [2413], nach Tofino 1260 [2457], aber diese Maasse
      sind nur annaehernde Schaetzungen. Der Capitaen des Pizarro, Don Manuel
      Cagigal, hat mir aus seinem Tagebuch bewiesen, dass er den Pic der
      Azoren auf 37 Meilen Entfernung gesehen hat, zu einer Zeit, wo er
      seiner Laenge wenigstens bis auf 2 Minuten gewiss war. Der Vulkan
      wurde in Sued 4 deg. Ost gesehen, so dass der Irrthum in der Laenge auf die
      Schaetzung der Entfernung nur ganz unbedeutenden Einfluss haben
      konnte. Indessen war der Winkel, unter dem der Pic der Azoren
      erschien, so gross, dass Cagigal der Meinung ist, der Vulkan muesse auf
      mehr als 40 oder 42 Lieues zu sehen seyn. Der Abstand von 37 Lieues
      setzt eine Hoehe von 1431 Toisen [2789 m] voraus.

    9 Der Mowna-Roa auf den Sandwichsinseln ist nach Marchand ueber 2598
      Toisen hoch, nach King 2577, aber diese Messungen sind, trotz ihrer
      zufaelligen Uebereinstimmung, keineswegs auf zuverlaessigem Wege
      erzielt. Es ist eine ziemlich auffallende Erscheinung, dass ein
      Berggipfel unter 19 deg. Breite, der wahrscheinlich ueber 2500 Toisen
      hoch ist, von Schnee ganz entbloesst wird. Die starke Abplattung des
      Mowna-Roa, der *Mesa* der alten spanischen Karten, seine vereinzelte
      Lage im Weltmeer und die Haeufigkeit gewisser Winde, die durch den
      aufsteigenden Strom abgelenkt, in schiefer Richtung wehen, moegen die
      vornehmsten Ursachen seyn. Es laesst sich nicht wohl annehmen, dass
      sich Capitaen Marchand in der Schaetzung des Abstandes, in dem er am
      10. Oktober 1791 den Gipfel des Mowna-Roa sah, bedeutend geirrt
      habe. Er hatte die Insel O-Whyhee erst am 7. Abends verlassen, und
      nach der Bewegung der Gewaesser und den Mondsbeobachtungen am
      10. betrug die Entfernung wahrscheinlich sogar noch mehr als 53
      Meilen. Ueberdiess berichtet ein erfahrner Seemann, de Fleurien, dass
      der Pic von Teneriffa selbst bei nicht ganz klarem Wetter auf 35 bis
      36 Meilen zu sehen sey.





ZWEITES KAPITEL


      Aufenthalt auf Teneriffa -- Reise von Santa Cruz nach Orotava --
                           Besteigung des Pics


Von unserer Abreise von Graciosa an war der Horizont fortwaehrend so
dunstig, dass trotz der ansehnlichen Hoehe der Berge Canarias _(Isla de la
gran Canaria)_ die Insel erst am 19. Abends in Sicht kam. Sie ist die
Kornkammer des Archipels der "glueckseligen Inseln", und man behauptet, was
fuer ein Land ausserhalb der Tropen sehr auffallend ist, in einigen Strichen
erhalte man zwei Getreideernten im Jahre, eine im Februar, die andere im
Juni. Canaria ist noch nie von einem unterrichteten Mineralogen besucht
worden; sie verdiente es aber um so mehr, als mir ihre in parallen Ketten
streichenden Berge von ganz andrem Charakter schienen, als die Gipfel von
Lancerota und Teneriffa. Nichts ist fuer den Geologen anziehender als die
Beobachtung, wie sich an einem bestimmten Punkte die vulkanischen
Bildungen zu den Urgebirgen und den securdaeren Gebirgen verhalten. Sind
einmal die canarischen Inseln in allen ihren Gebirgsgliedern erforscht, so
wird sich zeigen, dass man zu voreilig die Bildung der ganzen Gruppe einer
Hebung durch unterseeische Feuerausbrueche zugeschrieben hat.

Am 19. Morgens sahen wir den Berggipfel Naga (_Punta de Naga_, _Anaga_
oder _Nago_), aber der Pik von Teneriffa blieb fortwaehrend unsichtbar. Das
Land trat nur undeutlich hervor, ein dicker Nebel verwischte alle Umrisse.
Als wir uns der Rhede von Santa Cruz naeherten, bemerkten wir, dass der
Nebel, vom Winde getrieben, auf uns zukam. Das Meer war sehr unruhig, wie
fast immer in diesen Strichen. Wir warfen Anker, nachdem wir mehrmals das
Senkblei ausgeworfen; denn der Nebel war so dicht, dass man kaum auf ein
paar Kabellaengen sah. Aber eben da man anfing den Platz zu salutiren,
zerstreute sich der Nebel voellig, und da erschien der Pic de Teyde in
einem freien Stueck Himmel ueber den Wolken, und die ersten Strahlen der
Sonne, die fuer uns noch nicht aufgegangen war, beleuchteten den Gipfel des
Vulkanes. Wir eilten eben aufs Vordertheil der Corvette, um dieses
herrlichen Schauspiels zu geniessen, da signalisirte man vier englische
Schiffe, die ganze nahe an unseren Hintertheile auf der Seite lagen. Wir
waren in ihnen vorbeigesegelt, ohne dass sie uns bemerkt hatten, und
derselbe Nebel, der uns den Anblick des Pic entzogen, hatte uns der Gefahr
entrueckt, nach Europa zurueckgebracht zu werden. Wohl waere es fuer
Naturforscher ein grosser Schmerz gewesen, die Kueste von Teneriffa von
weitem gesehen zu haben, und einen von Vulkanen zerruetteten Boden nicht
betreten zu duerfen.

Alsbald hoben wir den Anker und der Pizarro naeherte sich so viel moeglich
dem Fort, um unter den Schutz desselben zu kommen. Hier auf dieser Rhede,
als zwei Jahre vor unserer Ankunft die Englaender zu landen versuchten, riss
eine Kanonenkugel Admiral Nelson den Arm ab (im Juli 1797). Der
Generalstatthalter der canarischen Inseln [Don Andres de Perlasca.]
schickte an den Capitaen der Corvette den Befehl, alsbald die
Staatsdepechen fuer die Statthalter der Colonien, das Geld an Bord und die
Post ans Land schaffen zu lassen. Die englischen Schiffe entfernten sich
von der Rhede; sie hatten tags zuvor auf das Paketboot Alcadia Jagd
gemacht, das wenige Tage vor uns von Corunna abgegangen war. Es hatte in
den Hafen von Palmas auf Canaria einlaufen muessen, und mehrere Passagiere,
die in einer Schaluppe nach Santa Cruz auf Teneriffa fuhren, waren
gefangen worden.

Die Lage dieser Stadt hat grosse Aehnlichkeit mit der von Guayra, dem
besuchtesten Hafen der Provinz Caracas. An beiden Orten ist die Hitze aus
denselben Ursachen sehr gross; aber von  aussen erscheint Santa Cruz
truebseliger. Auf einem oeden, sandigen Strande stehen blendend weisse Haeuser
mit platten Daechern und Fenstern ohne Glas vor einer schwarzen senkrechten
Felsmauer ohne allen Pflanzenwuchs. Ein huebscher Hafendamm aus gehauenen
Steinen und der oeffentliche, mit Pappeln besetzte Spaziergang bringen die
einzige Abwechselung in das eintoenige Bild. Von Santa Cruz aus nimmt sich
der Pic weit weniger malerisch aus als im Hafen von Orotava. Dort ergreift
der Gegensatz zwischen einer lachenden, reich bebauten Ebene und der
wilden Physiognomie des Vulkanes. Von den Palmen- und Bananengruppen am
Strande bis zu der Region der Arbutus, der Lorbeeren und Pinien ist das
vulkanische Gestein mit kraeftigem Pflanzenwuchs bedeckt. Man begreift, wie
sogar Voelker, welche unter dem schoenen Himmel von Griechenland und Italien
wohnen, im oestlichen Teil von Teneriffa eine der glueckseligen Inseln
gefunden zu haben meinten. Die Ostkueste dagegen, an der Santa Cruz liegt,
traegt ueberall den Stempel der Unfruchtbarkeit. Der Gipfel des Pics ist
nicht oeder als das Vorgebirge aus basaltischer Lava, das der Punta de Naga
zulaeuft und wo Fettpflanzen in den Ritzen des Gesteines eben erst den
Grund zu einstiger Dammerde legen. ImHaven von Orotava erscheint die
Spitze des Zuckerhutes unter einem Winkel von 16 1/2 deg., waehrend auf dem
Hafendamm von Santa Cruz der Winkel kaum 4 deg. 36' betraegt. [Der Spitze des
Vulkans ist von Orotava etwa 8600, von Santa Cruz 22,500 Toisen entfernt.]

Trotz diesem Unterschied, und obgleich am letzteren Orte der Vulkan kaum
so weit ueber den Horizont aufsteigt, als der Vesuv, vom Molo von Neapel
aus gesehen, so ist dennoch der Anblick des Pics, wenn man ihn vor Anker
auf der Rhede zum erstenmal sieht, aeusserst grossartig. Wir sahen nur den
Zuckerhut; sein Kegel hob sich vom reinsten Himmelsblau ab, waehrend
schwarze dicke Wolken den uebrigen Berg bis auf 1800 Toisen [3500 m] Hoehe
einhuellten. Der Bimsstein, von den ersten Sonnenstrahlen  beleuchtet, warf
ein roethliches Licht zurueck, dem aehnlich, das haeufig die Gipfel der
Hochalpen faerbt. Allmaehlich ging dieser Schimmer in das blendendste Weiss
ueber, und es ging uns wie den meisten Reisenden, wir meinten, der Pic sey
noch mit Schnee bedeckt und wir werden nur mit grosser Muehe an den Rand des
Kraters gelangen koennen.

Wir haben in der Cordillere der Anden die Beobachtung gemacht, dass
Kegelberge, wie der Cotopaxi und der Tungurahua, sich oefter unbewoelkt
zeigen als Berge, deren Krone mit vielen kleinen Unebenheiten besetzt ist,
wie der Antisana und der Pichincha; aber der Pic von Teneriffa ist, trotz
seiner Kegelgestalt, einen grossen Theil des Jahres in Dunst gehuellt, und
zuweilen sieht man ihn auf der Rhede von Santa Cruz mehrere Wochen lang
nicht ein einzigesmal. Die Erscheinung erklaert sich ohne Zweifel daraus,
dass er westwaerts von einem grossen Festland und ganz isoliert im Meere
liegt. Die Schiffer wissen recht gut, dass selbst die kleinsten,
niedrigsten Eilande die Wolken anziehen und festhalten. Ueberdiess erfolgt
die Waermeabgabe ueber den Ebenen Afrika's und ueber der Meeresflaeche in
verschiedenem Verhaeltniss, und die Luftschichten, welche die Passatwinde
herfuehren, kuehlen sich immer mehr ab, je weiter sie gegen Wesst gelangen.
Die Luft, die ueber dem hiessen Wuestensand ausnehmend trochen war,
schwaengert sich rasch, sobald sie mit der Meeresflaeche oder mit der Luft,
die auf dieser Flaeche ruht, in Beruehrung kommt. Man sieht also leicht,
warum die Duenste in Luftschichten sichtbar werden, die, vom Festland
weggefuehrt, nicht mehr die Temperatur haben, bei der sie sich mit Wasser
gesaettigt hatten. Zudem haelt die bedeutende Masse eines frei aus dem
atlantischen Meere aufsteigenden Berges die Wolken auf, welche der Wind
der hohen See zutreibt.

Lange und mit Ungeduld warteten wir auf die Erlaubnis von seiten des
Statthalters, ans Land gehen zu duerfen. Ich nuetzte die Zeit, um die Laenge
des Hafendammes von Santa Cruz zu bestimmen und die Inclination der
Magnetnadel zu beobachten. Der Chronometer von Louis Berthoud gab jene zu
18 deg. 33' 10" an. Diese Bestimmung weicht um 3-4 Bogenminuten von derjenigen
ab, die sich aus den alten Beobachtungen von Fleurieu, Pingre, Borda,
Vancouver und la Peyrouse ergibt. Guenot hatte uebrigens gleichfalls
18 deg. 33' 36" gefunden und der unglueckliche Capitaen Blight 18 deg. 34' 30". Die
Genauigkeit meines Ergebnisses wurde drei Jahre darauf bei der Expedition
des Ritters Krusenstern bestaetigt: man fand fuer Santa Cruz 16 deg. 12' 45"
westlich von Greenwich, folglich 18 deg. 33' 0" westlich von Paris. Diese
Angaben zeigen, dass die Laengen, welche Capitaen Cook fuer Teneriffa und das
Cap der guten Hoffnung annahm, viel zu weit westlich sind. Derselbe
Seefahrer hatte im Jahr 1799 die magnetische Inclination gleich 61 deg. 52'
gefunden. Bonpland und ich fanden 62 deg. 24', was mit dem Resultat
uebereinstimmt, das de Rossel bei d'Entrecasteaux's Expedition im Jahr 1791
erhielt. Die Declination der Nadel schwankt um mehrere Grade, je nachdem
man sie auf dem Hafendamm oder an verschiedenen Punkten nordwaerts laengs
des Gestades beobachtet. Diese Schwankungen koennen ein einem von
vulkanischem Gestein umgebenen Orte nicht befremden. Ich habe mit
Gay-Lussac die Beobachtung gemacht, dass am Abhang des Vesuvs und im Innern
des Kraters die Intensitaet der magnetischen Kraft durch die Naehe der Laven
modicirt wird.

Nachdem die Leute, die zu uns an Bord gekommen waren, um sich nach
politischen Neuigkeiten zu erkundigen, uns mit ihren vielerlei Fragen
geplagt hatten, stiegen wir endlich ans Land. Das Boot wurde sogleich zur
Corvette zurueckgeschickt, weil die auf der Rhede sehr gefaehrliche Brandung
es leicht haette am Hafendamm zertruemmern koennen. Das erste, was uns zu
Gesicht kam, war ein hochgewachsenes, sehr gebraeuntes, schlecht
gekleidetes Frauenzimmer, das die *Capitana* hiess. Hinter ihr kamen einige
andere in nicht anstaendigerem Aufzug; sie bestuermten uns mit der Bitte, an
Bord des Pizarro gehend zu duerfen, was ihnen natuerlich nicht bewilligt
wurde. In diesem von Europaeern so stark besuchten Hafen ist die
Ausschweifung diszipliniert. Die Capitana ist von ihresgleichen als
Anfuehrerin gewaehlt, und sie hat grosse Gewalt ueber sie. Sie laesst nichts
geschehen, was sich mit dem Dienst auf den Schiffen nicht vertraegt, sie
fordert die Matrosen auf, zur rechten Zeit an Bord zurueckzukehren, und die
Officiere wenden sich an sie, wenn man fuerchtet, dass sich einer von der
Mannschaft versteckt habe, um auszureissen.

Als wir die Strassen von Santa Cruz betraten, kam es uns zum Ersticken heiss
vor, und doch stand der Thermometer nur auf 25 Grad. Wenn man lange
Seeluft geathmet hat, fuehlt man sich unbehaglich, so oft man ans Land
geht, nicht weil jene Luft mehr Sauerstoff enthaelt als die Luft am Land,
wie man irrthuemlich behauptet hat, sondern weil sie weniger mit den
Gasgemischen geschwaengert ist, welche die thierischen und Pflanzenstoffe
und die Dammerde, die sich aus ihrer Zersetzung bildet, fortwaehrend in den
Luftkreis entbinden. Miasmen, welche sich der chemischen Analyse
entziehen, wirken gewaltig auf die Organe, zumal wenn sie nicht schon seit
laengerer Zeit denselben Reizen ausgesetzt gewesen sind.

Santa Cruz de Tenerifa, das Anaza der Guanchen, ist eine ziemlich huebsche
Stadt mit 8000 Einwohnern. Mir ist die Menge von Moenchen und
Weltgeistlichen, welche die Reisenden in allen Laendern unter spanischem
Zepter sehen zu muessen glauben, gar nicht aufgefallen. Ich halte mich auch
nicht damit auf, die Kirchen zu beschreiben, die Bibliothek der
Dominicaner, die kaum ein paar hundert Baende zaehlt, den Hafendamm, wo die
Einwohnerschaft Abends zusammenkommt, um der Kuehle zu geniessen, und das
beruehmte dreissig Fuss [10 m] hohe Denkmal aus carrarischen Marmor, geweiht
unserer lieben Frau von Candelaria, zum Gedaechtniss ihrer wunderbaren
Erscheinung zu Chimisay bei Guimar im Jahre 1362. Der Hafen von Santa Cruz
ist eigentlich ein grosses Caravanserai auf dem Wege nach Amerika und
Indien. Fast alle Reisebeschreibungen beginnen mit einer Beschreibung von
Madeira und Teneriffa, und wenn die Naturgeschichte dieser Inseln der
Forschung noch ein ungeheures Feld bietet, so laesst dagegen die Topographie
der kleinen Staedte Funchal, Santa Cruz, Laguna und Orotava fast nichts zu
wuenschen uebrig.

Die Empfehlungen des Madrider Hofes verschafften uns auf den Canarien, wie
in allen anderen spanischen Besitzungen, die befriedigendste Aufnahme. Vor
allem ertheilte uns der Generalcapitaen die Erlaubniss, die Insel zu
bereisen. Der Oberst Armiaga, Befehlshaber eines Infanterieregimentes,
nahm uns in seinem Hause auf und ueberhaeufte uns mit Hoeflichkeit. Wir
wurden nicht muede, in seinem Garten im Freien gezogene Gewaechse zu
bewundern, die wir bis jetzt nur in Treibhaeusern gesehen hatten, den
Bananenbaum, den Melonenbaum, die _Poinciana pulcherrima_ und andere. Das
Klima der Canarien ist indessen nicht warm genug, um den aechten _Platano
arton_ mit dreieckiger, sieben bis acht Zoll langer Frucht, der eine
mittlere Temperatur von etwa 24 Graden verlangt und selbst nicht im Thale
von Caracas fortkommt, reif werden zu lassen. Die Bananen auf Teneriffa
sind die, welche die spanischen Colonisten *Camburis* oder *Guineos* und
*Dominicos* nennen. Der Camburi, der am wenigsten vom Frost leidet, wird
sogar in Malaga mit Erfolg gebaut [Die mittlere Temperatur dieser Stadt
betraegt nur 18 deg..]; aber die Fruechte, die man zuweilen zu Cadix sieht,
kommen von den Canarien auf Schiffen, welche die Ueberfahrt in drei, vier
Tagen machen. Die Musa, die allen Voelkern der heissen Zone bekannt ist, und
die man bis jetzt nirgends wild gefunden hat, variiert meist in ihren
Fruechten, wie unsere Apfel- und Birnenbaeume. Diese Varietaeten, welche die
meisten Botaniker verwechseln, obgleich sie sehr verschiedene Klimate
verlangen, sind durch lange Cultur constant geworden.

Am Abend machten wir eine botanische Excursion nach dem Fort Passo Alto
laengs der Basaltfelsen, welche das Vorgebirge Naga bilden. Wir waren mit
unserer Ausbeute sehr schlecht zufrieben, denn die Trockenheit und der
Staub hatten die Vegetation so ziemlich vernichtet. _Cacalia Kleinia_,
_Euphorbia canariensis_ und sehr verschiedene andere Fettpflanzen, welche
ihre Nahrung vielmehr aus der Luft als aus dem Boden ziehen, auf dem sie
wachsen, mahnten uns durch ihren Habitus daran, dass diese Inseln Afrika
angehoeren, und zwar dem duerrsten Striche dieses Festlandes.

Der Capitaen der Corvette hatte zwar den Befehl, so lange zu verweilen, dass
wir die Spitze des Pics besteigen koennten, wenn anders der Schnee es
gestattete; man gab uns aber zu erkennen, wegen der Blockade der
englischen Schiffe duerften wir nur auf einen Aufenthalt von vier, fuenf
Tagen rechnen. Wir eilten demnach, in den Hafen von Orotava zu kommen, der
am Westabhang des Vulkans liegt, und wo wir Fuehrer zu finden sollten. In
Santa Cruz konnte ich Niemanden auffinden, der den Pic bestiegen gehabt
haette, und ich wunderte mich nicht darueber. Die merkwuerdigsten Dinge haben
desto weniger Reiz fuer uns, je naeher sie uns sind, und ich kannte
Schaffhauser, welche den Rheinfall niemals in der Naehe gesehen hatten.

Am 20. Juni vor Sonnenaufgang machten wir uns auf den Weg nach Villa de la
Laguna, die 350 Toisen [682 m] ueber dem Hafen von Santa Cruz liegt. Wir
konnten diese Hoehenangabe nicht verificiren, denn wegen der Brandung
hatten in der Nacht nicht an Bord gehen koennen, um Barometer und
Inclinationscompass zu holen. Da wir voraussahen, dass wir bei unserer
Besteigung des Pic sehr wuerden eilen muessen, so war es uns ganz lieb, dass
die Instrumente, die uns in unbekannteren Laendern dienen sollten, hier
keiner Gefahr aussetzen konnten. Der Weg nach Laguna hinauf laeuft an der
rechten Seite eines Baches oder *Barranco* hin, der in der Regenzeit
schoene Faelle bildet; er ist schmal und vielfach gewunden. Nach meiner
Rueckkehr habe ich gehoert, Herr von Perlasca habe hier eine neue Strasse
anlegen lassen, auf der Wagen fahren koennen. Bei der Stadt begegneten uns
weisse Kameele, die sehr leicht beladen schienen. Diese Thiere werden
vorzugsweise dazu gebraucht, die Waaren von der Douane in die Magazine der
Kaufleute zu schaffen. Man ladet ihnen gewoehnlich zwei Kisten Havanazucker
auf, die zusammen 900 Pfund wiegen, man kann aber die Ladung bis auf 13
Zentner oder 52 castilische Arrobas steigern. Auf Teneriffa sind die
Kameele nicht sehr haeufig, waehrend ihrer auf Lanzerota und Fortaventura
viele Tausende sind. Diese Inseln liegen Afrika naeher und kommen daher
auch in Klima und Vegetation mehr mit diesem Continent ueberein. Es ist
sehr auffallend, dass dieses nuetzliche Thier, das sich in Suedamerika
fortpflanzt, dies auf Teneriffa fast nie thut. Nur im fruchtbaren Distrikt
von Adexe, wo die bedeutendsten Zuckerrohrpflanzungen sind, hat man die
Kameele zuweilen Junge werfen sehen. Diese Lastthiere, wie die Pferde,
sind im fuenfzehnten Jahrhundert durch die normaennischen Eroberer auf den
Canarien eingefuehrt worden. Die Guanchen kannten sie nicht, und dies
erklaert sich wohl leicht daraus, dass ein so gewaltiges Thier schwer auf
schwachen Fahrzeugen zu transportiren ist, ohne dass man die Guanchen als
die Ueberreste der Bevoelkerung der Atlantis zu betrachten und zu glauben
braucht, sie gehoeren einer anderen Rasse an als die Westafrikaner.

Der Huegel, auf dem die Stadt San Christobal de la Laguna liegt, gehoert dem
System von Basaltgebirgen an, die, unabhaengig vom System neuerer
vulkanischer Gebirgsarten, einen weiten Guertel um den Pic von Teneriffa
bilden. Der Basalt von Laguna ist nicht saeulenfoermig, sondern zeigt nicht
sehr dicke Schichten, die nach Ost unter einem Winkel von 30 - 40 Grad
fallen. Nirgends hat er das Ansehen eines Lavastroms, der an den Abhaengen
der Pics ausgebrochen waere. Hat der gegenwaertige Vulkan diese Basalte
hervorgebracht, so muss man annehmen, wie bei den Gesteinen, aus denen die
Somma neben dem Vesuv besteht, dass sie in Folge eines unterseeischen
Ausbruchs gebildet sind, wobei die weiche Masse wirklich geschichtet
wurde. Ausser  einigen baumartigen Euphorbien, _Cacalia Kleinia_ und
Fackeldisteln (Cactus), welche auf den Canarien, wie im suedlichen Europa
und auf dem afrikanischen Festland verwildert sind, waechst nichts auf
diesem duerren Gestein. Unsere Maulthiere glitten jeden Augenblick auf
stark geneigten Steinlagern aus. Indessen sahen wir die Ueberreste eines
alten Pflasters. Bei jedem Schritt stoesst man in den Colonien auf Spuren
der Thatkraft, welche die spanische Nation im sechzehnten Jahrhundert
entwickelt hat.

Je naeher wir Laguna kamen, desto kuehler wurde die Luft, und dies thut um
so wohler, da es in Santa Cruz zum Ersticken heiss ist. Da widrige
Eindruecke unsere Organe staerker angreifen, so ist der Temperaturwechsel
auf dem Rueckweg von Laguna zum Hafen noch auffallender; man meint, man
naehere sich der Muendung eines Schmelzofens. Man hat dieselbe Empfindung,
wenn man an der Kueste von Caracas vom Berg Avila zum Hafen von Guayra
niedersteigt. Nach dem Gesetz der Waermeabnahme machen in dieser Breite 350
Toisen Hoehe nur drei bis vier Grad Temperaturunterschied. Die Hitze,
welche dem Reisenden so laestig wird, wenn er Santa Cruz de Teneriffa oder
Guayra betritt, ist daher wohl dem Rueckprallen der Waerme von den Felsen
zuzuschreiben, an welche beide Staedte sich lehnen.

Die fortwaehrende Kuehle, die in Laguna herrscht, macht die Stadt fuer die
Canarier zu einem koestlichen Aufenthaltsort. Auf einer kleinen Ebene,
umgeben von Gaerten, am Fusse eines Huegels, den Lorbeeren, Myrten und
Erdbeerbaeume kroenen, ist die Hauptstadt von Teneriffa wirklich ungemein
freundlich gelegen. Sie liegt keineswegs, wie man nach meheren
Reiseberichten glauben sollte, an einem See. Das Regenwasser bildet hier
periodisch einen weiten Sumpf, und der Geolog, der ueberall in der Natur
vielmehr einen frueheren Zustand der Dinge als den gegenwaertigen im Auge
hat, zweifelt nicht daran, dass die ganze Ebene ein grosses ausgetrockenetes
Becken ist. Laguna ist in seinem Wohlstand herabgekommen, seit die
Seitenausbrueche des Vulkans den Hafen von Garachico zerstoert haben und
Santa Cruz der Haupthandelsplatz der Inseln geworden ist; es zaehlt nur
noch 9000 Einwohner, worunter gegen 400 Moenche in sechs Kloestern. Manche
Reisende behaupten, die Haelfte  der Bevoelkerung bestehe aus Kuttentraegern.
Die Stadt ist mit zahlreichen Windmuehlen umgeben, ein Wahrzeichen des
Getreidebaus in diesem hochgelegenen Striche. Ich bemerke bei dieser
Gelegenheit, dass die naehrenden Grasarten den Guanchen bekannt waren. Das
Korn hiess auf Teneriffa _tano_, auf Lanzerota _triffa_; die Gerste hiess
auf Canaria _aramotanoque_, auf Lanzerota _tamosen_. Geroestetes
Gerstenmehl _(gofio)_ und Ziegenmilch waren die vornehmsten Nahrungsmittel
dieses Volkes, ueber dessen Ursprung so viele systematische Traeumereien
ausgeheckt worden sind. Diese Nahrung weist bestimmt darauf hin, dass die
Guanchen zu den Voelkern der alten Welt gehoerten, wohl selbst zur
caucasischen Race, und nicht, wie die andern Atlanten [Ich lasse mich hier
auf keine Verhandlung ueber die Existenz der Atlantis ein und erwaehne nur,
dass nach Diodor von Sicilien die Atlanten die Cerealien nicht kannten,
weil sie von der uebrigen Menschheit getrennt worden, bevor ueberhaupt
Getreide gebaut wurde.], zu den Volksstaemmen der neuen Welt; die letzteren
kannten vor der Ankunft der Europaeer weder Getreide, noch Milch, noch
Kaese.

Eine Menge Capellen, von den Spaniern _ermitas_ genannt, liegen um die
Stadt Laguna. Umgeben von immergruenen Baeumen auf kleinen Anhoehen, erhoehen
diese Capellen, wie ueberall den malerischen Reiz der Landschaft. Das
Innere der Stadt entspricht dem Aeussern durchaus nicht. Die Haeuser sind
solid gebaut, aber sehr alt und die Strassen oede. Der Botaniker hat
uebrigens nicht zudauern, dass die Haeuser so alt sind. Daecher und Mauern
sind bedeckt mit _Sempervivum canariense_ und dem zierlichen
_Trichomanes_, dessen alle Reisende gedenken; die haeufigen Nebel geben
diesen Gewaechsen Unterhalt.

Anderson, der Naturforscher bei Capitaen Cooks dritter Reise, gibt den
europaeischen Aerzten den Rath, ihre Kranken nach Teneriffa zu schicken,
keineswegs auf der Ruecksicht, welche manche Heilkuenstler die entlegendsten
Baeder waehlen laesst, sondern wegen der ungemeinen Milde und Gleichmaessigkeit
des Klimas der Canarien. Der Boden der Inseln steigt amphitheatralisch auf
und zeigt, gleich Peru und Mexico, wenn auch in kleinerem Maassstab, alle
Klimate, von afrikanischer Hitze bis zum Froste der Hochalpen. Santa Cruz,
der Hafen von Orotava, die Stadt desselben Namens und Laguna sind vier
Orte, deren mittlere Temperaturen eine abnehmende Reihe darstellen. Das
suedliche Europa bietet nicht dieselben Vortheile, weil der Wechsel der
Jahreszeiten sich noch zu stark fuehlbar macht. Teneriffa dagegen,
gleichsam an der Pforte der Tropen und doch nur wenige Tagereisen von
Spanien, hat schon ein gut Theil der Herrlichkeit aufzuweisen, mit der die
Natur die Laender zwischen den Wendekreisen ausgestattet. Im Pflanzenreich
treten bereits mehrere der schoensten und grossartigsten Gestalten auf, die
Bananen und die Palmen. Wer Sinn fuer Naturschoenheit hat, findet auf dieser
koestlichen Insel noch kraeftigere Heilmittel als das Klima. Kein Ort der
Welt scheint mir geeigneter, die Schwermuth zu bannen und einen
schmerzlich ergriffenen Gemuethe den Frieden wiederzugeben, als Teneriffa
und Madeia. Und solches wirkt nicht allein die herrliche Lage und die
reine Luft, sondern vor allem das Nichtvorhandensein der Sklaverei, deren
Anblick einen in beiden Indien so tief empoert, wie ueberall, wohin
europaeische Colonisten ihre sogenannte Aufklaerung und ihre Industrie
getragen haben.

Im Winter ist das Klima von Laguna sehr nebligt und die Einwohner beklagen
sich haeufig ueber Frost. Man hin indessen nie schneien sehen, woraus man
schliessen sollte, dass die mittlere Temperatur der Stadt ueber 18 deg.,7
(15 deg. R.) betraegt, das heisst mehr als in Neapel. Fuer streng kann dieser
Schluss nicht gelten; denn im Winter haengt die Erkaeltung der Wolken weniger
von der mittleren Temperatur des ganzen Jahres ab als vielmehr von der
augenblicklichen Erniedrigung der Waerme, der ein Ort vermoege seiner
besondern Lage ausgesetzt ist. Die mittlere Temperatur der Hauptstadt von
Mexico ist z. B. nur 16 deg.,8 (13 deg.,5 R.), und doch hat man in hundert Jahren
nur ein einziges mal schneien sehen, waehrend es im suedlichen Europa und in
Afrika noch an Orten schneit, die ueber 19 Grad mittlere Temperatur haben.

Wegen der Naehe des Meeres ist das Klima von Laguna im Winter milder, als
es nach der Meereshoehe seyn sollte. Herr Broussonet hat sogar, wie ich mit
Verwunderung hoerte, mitten in der Stadt, im Garten des Marquis von Nava,
Brotfruchtbaeume _(Artocarpus incisa)_ und Zimmtbaeume _(Laurus cinnamomum)_
angepflanzt. Diese koestlichen Gewaechse der Suedsee und Ostindiens wurden
hier einheimisch, wie auch in Orotava. Sollte dieser Versuch nicht
beweisen, dass der Brotfruchtbaum in Calabrien, auf Sicilien und in Grenada
fortkaeme? Der Anbau des Kaffeebaumes ist in Laguna nicht in gleichem Maasse
gelungen, wenn auch die Fruechte bei Tegueste und zwischen dem Hafen von
Orotava und dem Dorfe San Juan de la Rambla reif werden. Wahrscheinlich
sind oertliche Verhaeltnisse, vielleicht die Beschaffenheit des Bodens und
die Winde, die in der Bluethezeit wehen, daran Schuld. In andern Laendern,
z. B. bei Neapel, traegt der Kaffeebaum ziemlich reichlich Fruechte,
obgleich die mittlere Temperatur kaum ueber 18 Grad der hunderttheiligen
Scale betraegt.

Auf Teneriffa ist die mittlere Hoehe, in der jaehrlich Schnee faellt, noch
niemals bestimmt worden. Solches ist mittelst barometrischer Messung
leicht auszufuehren, es ist aber bis jetzt fast in allen Erdstrichen
versaeumt worden; und doch ist diese Bestimmung von grossem Belang fuer den
Ackerbau in den Colonien und fuer die Meteorologie, und ganz so wichtig als
das Hoehenmaass der untern Grenze des ewigen Schnees. Ich stelle die
Ergebnisse meiner betreffenden Beobachtungen in folgender Uebersicht
zusammen.

Diese Tafel gibt nur das Durchschnittsverhaeltniss, das heisst die
Erscheinungen, wie sie sich im ganzen Jahre zeigen. Besondere Lokalitaeten
koennen Ausnahmen herbeifuehren. So schneit es zuweilen, wenn auch sehr
selten, in Neapel, Lissabon, sogar in Malaga, also noch unter dem 37. Grad
der Breite, und wie schon bemerkt, hat man Schnee in der Stadt Mexiko
fallen sehen, die 1173 Toisen [2286 m] ueber dem Meere liegt. Dies war seit
mehreren Jahrhunderten nicht vorgekommen, und das Ereigniss trat gerade am
Tage ein, da die Jesuiten vertrieben wurden, und wurde vom Volke natuerlich
dieser Gewaltmaassregel zugeschrieben. Noch ein auffallenderes Beispiel
bietet das Klima von Valladolid, der Hauptstadt der Provinz Mechoacan.
Nach meinen Messungen liegt diese Stadt unter 19 deg. 41' der Breite nur
tausend Toisen hoch; dennoch waren daselbst wenige Jahre vor meiner
Ankunft in Neuspanien die Strassen mehrere Stunden lang mit Schnee bedeckt.

Auch auf Teneriffa hat man an einem Orte ueber Esperanza de la Laguna,
dicht bei der Stadt dieses Namens, in deren Gaerten Brotbaeume wachsen,
schneien sehen. Dieser ausserordentliche Fall wurde Broussonet von sehr
alten Leuten erzaehlt. Die _Erica arborea_, die _Mirica Faya_ und _Arbutus
callycarpa_ litten nicht durch den Schnee; aber alle Schweine, die im
Freien waren, kamen dadurch um. Diese Beobachtung ist fuer die
Pflanzenphysiologie von Wichtigkeit. In heissen Laendern sind die Gewaechse
so kraeftig, dass ihnen der Frost weniger schadet, wenn er nur nicht lange
anhaelt. Ich habe auf der Insel Cuba den Bananenbaum an Orten angebaut
gesehen, wo der hunderttheilige Thermometer auf 7 Grad, ja zuweilen fast
auf den Gefrierpunkt faellt. In Italien und Spanien gehen Orangen- und
Dattelbaeume nicht zu Grunde, wenn es auch bei Nacht zwei Grad Kaelte hat.
Im Allgemeinen macht man beim Garten- und Landbau die Bemerkung, dass
Pflanzen in fruchtbarem Boden weniger zaertlich und somit auch fuer
ungewoehnlich niedrige Temperaturgrade weniger empfindlich sind, als
solche, die in einem Erdreich wachsen, dass ihnen nur wenig Nahrungssaefte
bietet(10)

Zwischen der Stadt Laguna, und dem Hafen von Orotava und der Westkueste von
Teneriffa kommt man zuerst durch ein huegligtes Land mit schwarzer
thonigter Dammerde, in der man hin und wieder kleine Augitkrystalle
findet. Wahrscheinlich reisst das Wasser diese Krystalle vom anstehenden
Gestein ab, wie zu Frascati bei Rom. Leider entziehen eisenhaltige
Floetzschichten den Boden der geologischen Untersuchung. Nur in einigen
Schluchten kommen saeulenfoermige, etwas gebogene Basalte zu Tag, und
darueber sehr neue, den vulkanischen Tuffen aehnliche Mengsteine. In
denselben sind Bruchstuecke des unterliegenden Basalts eingeschlossen, und
wie versichert wird, finden sich Versteinerungen von Seethieren darin;
ganz dasselbe kommt im Vicentinischen bei Montechio maggiore vor.

Wenn man ins Tal von Tacoronte hinabkommt, betritt man das herrliche Land,
von dem die Reisenden aller Nationen mit Begeisterung sprechen. Ich habe
im heissen Erdguertel Landschaften gesehen, wo die Natur grossartiger ist,
reicher in der Entwicklung organischer Formen; aber nachdem ich die Ufer
des Orinoko, die Cordilleren in Peru und die schoenen Thaeler von Mexiko
durchwandert, muss ich gestehen, nirgends ein so mannigfaltiges, so
anziehendes, durch die Vertheilung von Gruen und Felsmassen so harmonisches
Gemaelde vor mir gehabt zu haben.

Das Meeresufer schmuecken Dattelpalmen und Cocosnussbaeume; weiter oben
stechen Bananengebuesche von Drachenbaeumen ab, deren Stamm man ganz richtig
mit einem Schlangenleib vergleicht. Die Abhaenge sind mit Reben bepflanzt,
die sich um sehr hohe Spaliere ranken. Mit Bluethen bedeckte Orangenbaeume,
Myrten und Cypressen umgeben Capellen, welche die Andacht auf
freistehenden Huegeln errichtet hat. Ueberall sind die Grundstuecke durch
Hecken von Agave und Cactus eingefriedigt. Unzaehlige kryptogamische
Gewaechse, zumal Farne, bekleiden die Mauern, die von kleinen klaren
Wasserquellen feucht erhalten werden. Im Winter, waehrend der Vulkan mit
Eis und Schnee bedeckt ist, geniesst man in diesem Landstrich eines ewigen
Fruehlings. Sommers, wenn der Tag sich neigt, bringt der Seewind angenehme
Kuehlung. Die Bevoelkerung der Kueste ist hier sehr stark; sie erscheint noch
groesser, weil Haeuser und Gaerten zerstreut liegen, was den Reiz der
Landschaft noch erhoeht. Leider steht der Wohlstand der Bewohner weder mit
ihrem Fleisse, noch mit der Fuelle der Natur im Verhaeltniss. Die das Land
bauen, sind meist nicht Eigenthuemer desselben; die Frucht ihrer Arbeit
gehoert dem Adel, und das Lehnssystem, das so lange ganz Europa ungluecklich
gemacht hat, laesst noch heute das Volk der Canarien zu keiner Bluethe
gelangen.

Von Tegueste und Tacoronte bis zum Dorfe San Juan de la Rambla, beruehmt
durch seinen trefflichen Malvasier, ist die Kueste wie ein Garten angebaut.
Ich moechte sie mit der Umgegend von Capua oder Valencia vergleichen, nur
ist die Westseite von Teneriffa unendlich schoener wegen der Naehe des Pics,
der bei jedem Schritt wieder eine andere Ansicht bietet. Der Anblick
dieses Berges ist nicht allein wegen seiner imposanten Masse anziehend; er
beschaeftigt lebhaft des Geist und laesst uns den geheimnisvollen Quellen der
vulkanischen Kraefte nachdenken. Seit Tausenden von Jahren ist kein
Lichtschimmer auf der Spitze des Piton gesehen worden, aber ungeheure
Seitenausbrueche, deren letzter im Jahre 1798 erfolgte, beweisen die
fortwaehrende Thaetigkeit eines nicht erloeschenden Feuers. Der Anblick eines
Feuerschlundes mitten in einem fruchtbaren Lande mit reichem Anbau hat
indessen etwas Niederschlagendes. Die Geschichte des Erdballes lehrt uns,
dass die Vulkane wieder zerstoeren, was sie in einer langen Reihe von
Jahrhunderten aufgebaut. Inseln, welche die unterirdischen Feuer ueber die
Fluthen emporgehoben, schmuecken sich allmaehlich mit reichem, lachenden
Gruen; aber gar oft werden diese neuen Laender durch dieselben Kraefte
zerstoert, durch die sie vom Boden des Ozeans ueber seine Flaeche gelangt
sind. Vielleicht waren Eilande, die jetzt nichts sind als Schlacken- und
Aschenhaufen, einst so fruchtbar als die Gelaende von Tacoronte und Sauzal.
Wohl den Laendern, wo der Mensch dem Boden, auf dem er wohnt, nicht
misstrauen darf!

Auf unserem Wege zum Hafen von Orotava kamen wir durch die huebschen Doerfer
Matanza und Victoria. Diese beiden Namen findet man in allen spanischen
Colonien neben einander; sie machen einen widrigen Eindruck in einem
Lande, wo alles Ruhe und Frieden atmet. *Matanza* bedeutet Schlachtbank,
Blutbad, und schon das Wort deutet an, um welchen Preis der Sieg erkauft
worden. In der neuen Welt weist er gewoehnlich auf eine Niederlage der
Eingeborenen hin; auf Teneriffa bezeichnet Matanza den Ort, wo die Spanier
von denselben Guanchen geschlagen wurden, die man bald auf den spanischen
Maerkten als Sklaven verkaufte.

Ehe wir nach Orotava kamen, besuchten wir den botanischen Garten nicht
weit vom Hafen. Wir trafen da den franzoesischen Viceconsul Legros, der oft
auf der Spitze des Pic gewesen war und an dem wir einen vortrefflichen
Fuehrer fanden. Er hatte mit Capitaen Baudin eine Fahrt nach Antillen
gemacht, durch die der Pariser Pflanzengarten ansehnlich bereichert worden
ist. Ein furchtbarer Sturm, den Ledru in seiner Reise nach Portorico
beschreibt, zwang das Fahrzeug bei Teneriffa anzulegen, und das herrliche
Klima der Insel brachte Legros zu dem Enschluss, sich hier niederzulassen.
Ihm verdankt die gelehrte Welt Europa's die ersten genauen Nachrichten
ueber den grossen Seitenausbruch des Pics, den man sehr uneigentlich den
Ausbruch des Vulkans von Chahorra nennt. [Am 8. Juni 1798.]

Die Anlage eines botanischen Gartens auf Teneriffa ist ein sehr
gluecklicher Gedanke, da derselbe sowohl fuer die wissenschaftliche Botanik
als fuer die Einfuehrung nuetzlicher Gewaechse in Europa sehr foerderlich
werden kann. Die erste Idee eines solchen verdankt man dem Marquis von
Nava (Marquis von Villanueva del Prado), einem Mann, der Poivre an die
Seite gestellt zu werden verdient und im Triebe, das Gute zu foerdern, von
seinem Vermoegen den edelsten Gebrauch gemacht hat. Mit ungeheuren Kosten
liess er den Huegel von Durasno, der amphitheatralisch aufsteigt, abheben,
und im Jahr 1795 machte man mit den Anpflanzungen den Anfang. Nava war der
Ansicht, dass die Canarien, vermoege des midlen Klimas und der
geographischen Lage, der geeignetste Punkt seyen, um die Naturprodukte
beider Indien zu acclimatisiren, um die Gewaechse aufzunehmen, die sich
allmaehlich an die niedrigere Temperatur des suedlichen Europa gewoehnen
sollen. Asiatisch, afrikanische, suedamerikanische Pflanzen gelangen leicht
in den Garten bei Orotava, um den Chinabaum [Ich meine die Chinaarten, die
in Peru und im Koenigreich Neu-Grenada auf dem Ruecken der Cordilleren,
zwischen 1000 und 1500 Toisen Meereshoehe an Orten wachsen, wo der
Thermometer bei Tag zwischen 9 und 10 Grad, bei Nacht zwischen 3 und 4
Grad steht. Die orangegelbe Quinquina _(Cinchona lancifolia)_ ist weit
weniger empfindlich als die rothe _(C. oblongifolia)_] in Sicilien,
Portugal oder Grenada einzufuehren, muesste man ihn zuerst in Durasno oder
Laguna anbauen und dann erst die Schoesslinge der canarischen China nach
Europa verpflanzen. In besseren Zeiten, wo kein Seekrieg mehr den Verkehr
in Fesseln schlaegt, kann der Garten in Teneriffa auch fuer die starken
Pflanzensendungen aus Indien nach Europa von Bedeutung werden. Diese
Gewaechse gehen haeufig, ehe sie unsere Kuesten erreichen, zu Grunde, weil
sie auf der langen Ueberfahrt eine mit Salzwasser geschwaengerte Luft
athmen muessen. Im Garten von Orotava faenden sie eine Pflege und ein Klima,
wobei sie sich erholen koennten. Da die Unterhaltung des botanischen
Gartens von Jahr zu Jahr kostspieliger wurde, trat der Marquis denselben
der Regierung ab. Wir fanden daselbst einen geschickten Gaertner, einen
Schueler Aitons, des Vorstehers des koeniglichen Gartens zu Kew. Der Boden
steigt in Terrassen auf und wird von einer natuerlichen Quelle bewaessert.
Man hat die Aussicht auf die Insel Palma, die wie ein Castell aus dem
Meere emporsteigt. Wir fanden aber nicht viele Pflanzen hier: man hatte,
wo Gattungen fehlten, Etiketten aufgesteckt, mit auf Gerathewohl aus
Linnes _systema vegetabilium_ genommen schienen. Diese Anordnung der
Gewaechse nach den Classen des Sexualsystems, die man leider auch in
manchen europaeischen Gaerten findet, ist dem Anbau sehr hinderlich. In
Durasno wachsen Proteen, der Gojavabaum, der Jambusenbaum, die Chirimoya
aus Peru, [_Annona Cherimolia_ Lamarck.] Mimosen und Heliconien im Freien.
Wir pflueckten reife Samen von mehreren schoenen Glycinearten aus
Neuholland, welche der Gouverneur von Cumana, Emparan, mit Erfolg
angepflanzt hat und die seitdem auf den suedamerikanischen Kuesten wild
geworden sind.

Wir kamen sehr spaet in den Hafen von Orotava, [_Puerto de la Cruz_. Der
einzige schoene Hafen der Canarien ist der von San Sebastiano auf der Insel
Gomera.] wenn man anders diesen Namen einer Rhede geben kann, auf der die
Fahrzeuge unter Segel gehen muessen, wenn der Wind stark aus Nordwest
blaest. Man kann nicht von Orotova sprechen, ohne die Freunde der
Wissenschaft an Cologan zu erinnern, dessen Haus von jeher den Reisenden
aller Nationen offen stand. Mehrere Glieder dieser achtungswerthen Familie
sind in London und Paris erzogen worden. Don Bernardo Cologan ist bei
gruendlichen, mannigfaltigen Kenntnissen der feurigste Patriot. Man ist
freudig ueberrascht, auf einer Inselgruppe an der Kueste von Afrika der
liebenswuerdigen Geselligkeit, der edlen Wissbegierde, dem Kunstsinn zu
begegnen, die man ausschliesslich in einem kleinen Theile von Europa zu
Hause glaubt.

Gerne haetten wir einige Zeit in Cologans Hause verweilt und mit ihm in der
Umgegend von Orotava die herrlichen Punkte San Juan de la Rambla und
Rialexo de Abaxo besucht. Aber auf einer Reise wie die, welche ich
angetreten, kommt man selten dazu, der Gegenwart zu geniessen. Die quaelende
Besorgniss, nicht ausfuehren zu koennen, was man den andern Tag vorhat,
erhaelt einen in bestaendiger Unruhe. Leidenschaftliche Natur- und
Kunstfreunde sind auf der Reise durch die Schweiz oder Italien in ganz
aehnlicher Gemuethsverfassung; da sie die Gegenstaende, die Interesse fuer sie
haben, immer nur zum kleinsten Theil sehen koennen, so wird ihnen der Genuss
durch die Opfer verbitternt, die sie auf jedem Schritt zu bringen haben.

Bereits am 21. Morgens waren wir auf dem Weg nach dem Gipfel des Vulkans.
Legros, dessen zuvorkommende Gefaelligkeit wir nicht genug loben koennen,
der Secretaer des franzoesischen Consulats zu Santa Cruz und der englische
Gaertner von Durasno teilten mit uns die Beschwerden der Reise. Der Tag war
nicht sehr schoen, und der Gipfel des Pic, den man in Orotava fast immer
sieht, von Sonnenaufgang bis zehn Uhr in dicke Wolken gehuellt. Ein
einziger Weg fuehrt auf den Vulkan durch Villa de Orotava, die Ginsterebene
und das Malpays, derselbe, den Pater Feullee, Borda, Labillardiere, Barrow
eingeschlagen, und ueberhaupt alle Reisenden, die sich nur kurze Zeit in
Teneriffa aufhalten konnten. Wenn man den Pic besteigt, ist es gerade, wie
wenn man das Chamounithal oder den Aetna besucht: man muss seinen Fuehrern
nachgehen und man bekommt nur zu sehen, was schon andere Reisende gesehen
und beschrieben haben.

Der Contrast zwischen der Vegetation in diesem Striche von Teneriffa und
der in der Umgegend von Santa Cruz ueberraschte uns angenehm. Beim kuehlen,
feuchten Klima war der Boden mit schoenem Gruen bedeckt, waehrend auf dem Weg
von Santa Cruz nach Laguna die Pflanzen nichts als Huelsen hatten, aus
denen bereits der Samen ausgefallen war. Beim Hafen von Orotava wird der
kraeftige Pflanzenwuchs den geologischen Beobachtungen hinderlich. Wir
kamen an zwei kleinen glockenfoermigen Huegeln vorueber. Beobachtungen am
Vesuv und in der Auvergne weisen darauf hin, dass dergleichen runde
Erhoehungen von Seitenausbruechen des grossen Vulkans herruehren. Der Huegel
Montannitta de la Villa scheint wirklich einmal Lava ausgeworfen zu haben;
nach den Ueberlieferungen der Guanchen fand dieser Ausbruch im Jahr 1430
statt. Der Obest Franqui versicherte Borda, man sehe noch deutlich, wo die
geschmolzenen Stoffe hervorquollen, und die Asche, die den Boden ringsum
bedecke, sey noch nicht fruchtbar. [Ich entnehme diese Notiz einer
interessanten Handschrift, die jetzt in Paris im _Depot des cartes de la
Marine_ aufgewahrt wird. Sie fuehrt den Titel. _Resume des operations
geographiques des cotes d´Espagne et de Portugal sur l´Ocean, d´une partie
des cotes occidentales de l´Afrique et des iles Canaries, par le chevalier
de Borda._ Es ist dies die Handschrift, von der de Fleurien in seinen
Noten zu Marchands Reise spricht und die mir Borda zum Theil schon vor
meiner Abreise mitgetheilt hatte. Ich habe wichtige, noch nicht
veroeffentlichte Beobachtungen daraus ausgezogen.] Ueberall, wo das Gestein
zu Tag ausgeht, fanden wir basaltartigen Mandelstein (Werner) und
Bimssteinconglomerat, in dem Rapilli oder Bruchstuecke von Bimsstein
eingeschlosen sind. Letztere Formation hat Aehnlichkeit mit dem Tuff von
Pausilipp und mit den Puzzolanschichten, die ich im Thal von Quito, am
Fusse des Vulkans Pichincha, gefunden habe. Der Mandelstein hat
langgezogene Poren, wie die obern Lavaschichten des Vesuv. Es scheint diess
darauf hinzudeuten, dass eine elastische Fluessigkeit durch die geschmolzene
Materie durchgegangen ist. Trotz diesen Uebereinstimmungen muss ich noch
einmal bemerken, dass ich in der ganzen unteren Region des Pics von
Tenerifa auf der Seite gegen Orotava keinen Lavastrom, ueberhaupt keinen
vulkanischen Ausbruch gesehen habe, der scharf begrenzt waere. Regenguesse
und Ueberschwemmungen wandeln die Erdoberflaeche um, und wenn zahlreiche
Lavastroeme sich vereinigen und ueber eine Ebene ergiessen, wie ich es am
Vesuv im _Atrio dei Cavalli_ gesehen, so verschmelzen sie in einander und
nehmen das Ansehen wirklich geschichteter Bildungen an.

Villa de Orotava macht schon von weitem einen guten Eindruck durch die
Fuelle der Gewaesser, die auf den Ort zueilen und durch die Hauptstrassen
fliessen. Die Quelle _Aqua mansa_, in zwei grosse Becken gefasst, treibt
mehrere Muehlen und wird dann in die Weingaerten des anliegenden Gelaendes
geleitet. Das Klima in der *Villa* ist noch kuehler als am Hafen, da dort
von morgens zehn Uhr ein starker Wind weht. Das Wasser, das sich bei
hoeherer Temperatur in der Luft aufgeloest hat, schlaegt sich haeufig nieder,
und dadurch wird das Klima sehr nebligt. Die Villa liegt etwa 160 Toisen
(312 Meter) ueber dem Meer, also zweihundert Toisen niedriger als Laguna;
man bemerkt auch, dass dieselben Pflanzen an letzterem Orte einen Monat
spaeter bluehen.

Orotava, das alte Taoro der Guanchen, liegt am steilen Abhang eines
Huegels; die Strassen schienen uns oede, die Haeuser, solid gebaut, aber
truebselig anzusehen, gehoeren fast durch einem Adel, der fuer sehr stolz
gilt und sich selbst anspruchsvoll als _dozo casas_ bezeichnet. Wir kamen
an einer sehr hohen, mit einer Menge schoener Farn bewachsenen
Wasserleitung vorueber. Wir besuchten mehrere Gaerten, in denen die
Obstbaeume des noerdlichen Europas neben Orangen, Granatbaeumen und
Dattelpalmen stehen. Man versicherte uns, letztere tragen hier so wenig
Fruechte als in Terra Firma an der Kueste von Cumana. Obgleich wir den
Drachenbaum in Herrn Franquis Garten aus Reiseberichten kannten, so setzte
uns seine ungeheure Dicke dennoch in Erstaunen. Man behauptet, der Stamm
dieses Baumes, der in mehreren sehr alten Urkunden erwaehnt wird, weil er
als Grenzmarke eines Feldes diente, sey schon im fuenfzehnten Jahrhundert
so ungeheuer dick gewesen wie jetzt. Seine Hoehe schaetzten wir auf 50 bis
60 Fuss [16 bis 19,5 m]; sein Umfang nahe ueber den Wurzeln betraegt 45 Fuss
[14,6 m]. Weiter oben konnten wir nicht messen, aber Sir Georg Staunton
hat gefunden, dass zehn Fuss [3,25 m] ueber dem Boden der Stamm noch zwoelf
englische Fuss [3,90 m] im Durchmesser hat, was gut mit Bordas Angabe
uebereinstimmt, der den mittleren Umfang zu 33 Fuss 8 Zoll [10,93 m] angibt.
Der Stamm theilt sich in viele Aeste, die kronleuchterartig aufwaerts ragen
und an den Spitzen Blaetterbueschel tragen, aehnlich der Yucca im Tale von
Mexiko. Durch diese Theilung in Aeste unterscheidet sich sein Habitus
wesentlich von der der Palmen.

Unter den organischen Bildungen ist dieser Baum, neben der Adansonie oder
Baobab in Senegal, ohne Zweifel einer der aeltesten Bewohner unseres
Erdballs. Die Baobabs werden indessen noch dickder als der Drachenbaum von
Villa d´Orotava. Man kennt welche, die an der Wurzel 34 Fuss Durchmesser
haben, wobei sie nicht hoeher sind als 50 bis 60 Fuss(11). Man muss aber
bedenken, dass die Adansonia, wie die Ochroma und alle Gewaechse aus der
Familie der Bombaceen, viel schneller waechst(12) als der Drachenbaum, der
sehr langsam zunimmt. Der in Herrn Franqui's Garten traegt noch jedes Jahr
Blueten und Fruechte. Sein Anblick mahnt lebhaft an "die ewige Jugend der
Natur" [_Aristoteles de longit. vitae. cap. 6._], die eine unerschoepfliche
Quelle von Bewegung und Leben ist.

Der Drachenbaum, der nur in den angebauten Strichen der Canarien, auf
Madera und Porto Santo vorkommt, ist eine merkwuerdige Erscheinung in
Beziehung auf die Wanderung der Gewaechse. Auf dem Kontinent und Afrika(13)
ist er nirgends wild gefunden worden, und Ostindien ist sein eigentliches
Vaterland. Auf welchem Wege ist der Baum nach Teneriffa verpflanzt worden,
wo er gar nicht haeufig vorkommt? Ist sein Daseyn ein Beweis dafuer, dass in
sehr entlegener Zeit die Guanchen mit andern, mit asiatischen Voelkern in
Verkehr gestanden haben?

Von Villa da Orotava gelangten wir auf einem schmalen steinigen Pfad durch
einen schoenen Kastanienwald _(el Monte de Castanos)_ in eine Gegend, die
mit einigen Lorbeerarten und der baumartigen Heide bewachsen ist. Der
Stamm der letzteren wird hier ausnehmend dick, und die Bluethen, mit denen
der Strauch einen grossen Teil des Jahres bedeckt ist, stechen angenehm ab
von den Bluethen des _Hypericum canariense_, das in dieser Hoehe sehr haeufig
vorkommt. Wir machten unter einer schoenen Tanne halt, um uns mit Wasser zu
versehen. Dieser Platz ist im Lande unter dem Namen _Pino del Dornajito_
bekannt; seine Meereshoehe betraegt nach Borda´s barometrischer Messung 522
Toisen [1017 m]. Man hat da eine prachtvolle Aussicht auf das Meer und die
ganze Westseite der Insel. Beim _Pino del Dornajito_, etwas rechts vom Weg
sprudelt eine ziemlich reiche Quelle; wir tauchten ein Thermometer hinein,
es fiel auf 15 deg.,4.  Hundert Toisen davon ist eine andere eben so klare
Quelle. Nimmt man an, dass diese Gewaesser ungefaehr die mittlere Waerme des
Orts, wo sie zu Tage kommen, anzeigen, so findet man als absolute Hoehe des
Platzes 520 Toisen, die mittlere Temperatur der Kueste zu 21 deg. und unter
dieser Zone eine Abnahme der Waerme um einen Grad auf 93 Toisen angenommen.
Man duerfte sich nicht wundern, wenn diese Quelle etwas unter der mittleren
Lufttemperatur bliebe, weil sich sich wahrscheinlich weiter oben am Pic
bildet, und vielleicht sogar mit den kleinen unterirdischen Gletschern
zusammenhaengt, von denen weiterhin die Rede seyn wird. Die eben erwaehnte
Uebereinstimmung der barometrischen und der thermometrischen Messung ist
desto auffallender, als im Allgemeinen, wie ich anderwaerts ausgefuehrt, [So
hat Hunter in den blauen Bergen auf Jamaica die Quellen immer kaelter
gefunden, als sie nach der Hoehe, in der sie zu Tage kommen, seyn sollten.]
in Gebirgslaendern mit steilen Haengen die Quellen eine zu rasche
Waermeabnahme anzeigen, weil sie kleine Wasseradern aufnehmen, die in
verschiedenen Hoehen in den Boden gelangen, und somit ihre Temperatur das
Mittel aus dem Temperaturen dieser Adern ist. Die Quellen des Dornajito
sind im Lande beruehmt; als ich dort war, kannte man auf dem Weg zum Gipfel
des Vulkans keine andere. Quellenbildung setzt eine gewisse Regelmaessigkeit
im Streichen und Fallen der Schichten voraus. Auf vulkanischem Boden
verschluckt das loecherige, zerklueftete Gestein das Regenwasser und laesst es
in grosse Tiefen versinken. Deshalb sind die Canarien groesstentheils so
duerr, trotzdem dass ihre Berge so ansehnlich sind und der Schiffer
fortwaehrend gewaltige Wolkenmassen ueber dem Archipel gelagert sieht.

Vom Pino del Dornajito bis zum Krater zieht sich der Weg bergan, aber
durch kein einziges Thal mehr; denn die kleinen Schluchten _(Barancos)_
verdienen diesen Namen nicht. Geologisch betrachtet, ist die ganze Insel
Teneriffa nichts als ein Berg, dessen fast eifoermige Grundflaeche sich
gegen Nordost verlaengert, und der mehrere Systeme vulkanischer, zu
verschiedenen Zeiten gebildeter Gebirgsarten aufzuweisen hat. Was man im
Lande fuer besondere Vulkane ansieht, wie der *Chahorra* oder *Montana
Colorada* und die *Urca*, das sind nur Huegel, die sich an den Pic anlehnen
und seine Pyramide maskiren. Der grosse Vulkan, dessen Seitenausbrueche
maechtige Vorgebirge gebildet haben, liegt indessen nicht genau in der
Mitte der Insel, und diese Eigenthuemlichkeit im Bau erscheint weniger
auffallend, wenn man sich erinnert, dass nach der Ansicht eines
ausgezeichneten Mineralogen (Cordier) vielleicht nicht der kleine Krater
im Piton die Hauptrolle bei den Umwaelzungen der Insel Teneriffa gespielt
hat. Auf die Region der baumartigen Heiden, *Monte Verde* genannt, folgt
die der Farn. Nirgends in der gemaessigten Zone habe ich _Pteris_,
_Blechnum_ und _Asplenium_ in solcher Menge gesehen; indessen hat keines
dieser Gewaechse den Wuchs der Baumfarn, die in Suedamerika, in fuenf,
sechshundert Toisen Hoehe, ein Hauptschmuck der Waelder sind. Die Wurzel der
_Pteris aquilina_ dient den Bewohnern von Palma und Gomera zur Nahrung;
sie zerreiben sie zu Pulver und mischen ein wenig Gerstenmehl darunter.
Dieses Gemisch wird geroestet und heisst *Gofio*; ein so rohes
Nahrungsmittel ist ein Beweis dafuer, wie elend das niedere Volk auf den
Canarien lebt.

Der Monte Verde wird von mehreren kleinen, sehr duerren Schluchten
(_canadas_) durchzogen. Ueber der Region der Farn kommt man durch ein
Gehoelz von Wachholderbaeumen (_cedro_) und Tannen, das durch die Stuerme
sehr gelitten hat. An diesen Ort, den einige Reisende _la Caravela_ nenne,
will Edens [Die Reise wurde im August 1715 gemacht. Carabela heisst ein
Fahrzeug mit lateinischen Segeln. Die Tannen vom Pic dienten frueher als
Mastholz und die koenigliche Marine liess im Monte Verde schlagen.] kleine
Flammen gesehen haben, die er nach den physikalischen Begriffen seiner
Zeit schwefligten Ausduenstungen zuschreibt, die sich von selbst entzuenden.
Es ging immer aufwaerts bis zum Felsen *Gayta* oder *Portillo*; hinter
diesem Engpass, zwischen zwei Basalthuegeln, betritt man die grosse Ebene des
Ginsters (_los Llanos del Retama_). Bei Laperouses Expedition hatte
Manneron den Pic bis zu dieser etwa 1400 Toisen ueber dem Meere gelegenen
Ebene gemessen, er hatte aber wegen Wassermangels und des ueblen Willens
der Fuehrer die Messung nicht bis zum Gipfel des Vulkans fortsetzen koennen.
Das Ergebniss dieser zu zwei Drittheilen vollendeten Operation ist leider
nicht nach Europa gelangt, und so ist das Geschaeft von der Kueste an noch
einmal vorzunehmen.

Wir brauchten gegen zwei und eine halbe Stunde, um ueber die Ebene des
Ginsters zu kommen, die nichts ist als ein ungeheures Sandmeer. Trotz der
hohen Lage zeigte hier der hunderttheilige Thermometer gegen
Sonnenuntergang 13 deg.,8, das heisst 3 deg.,7 mehr als mitten am Tage auf dem
Monte Verde. Dieser hoehere Waermegrad kann nur von der Strahlung des Bodnes
und  von der weiten Ausdehnung der Hochebene herruehren. Wir litten sehr
vom erstickenden Bimsstaub, in den wir fortwaehrend gehuellt waren. Mitten
in der Ebene stehen Buesche von *Retama*, dem _Spartium nubigenum_
d´Aitons. Dieser schoene Strauch, den de Martiniere [Einer der Botaniker,
die auf Laperouses Seereise umkamen.] in Languedoc, wo Feuermaterial
selten ist, einzufuehren raeth, wird neun Fuss hoch, er ist mit
wohlriechenden Bluethen bedeckt, und die Ziegenjaeger, denen wir unterwegs
begegneten, hatten ihre Strohhuete damit geschmueckt. Die dunkelbraunen
Ziegen des Pics gelten fuer Leckerbissen; sie naehren sich von den Blaettern
des Spartium und sind in diesen Einoeden seit unvordenklicher Zeit
verwildert. Man hat sie sogar nach Madera verpflanzt, wo sie geschaetzter
sind, als die Ziegen aus Europa.

Bis zum Felsen Gayta, das heisst bis zum Anfang der grossen Ebene des
Ginsters ist der Pic von Teneriffa mit schoenem Pflanzenwuchs ueberzogen,
und nichts weist auf Verwuestungen in neuerer Zeit hin. Man meint einen
Vulkan zu besteigen, dessen Feuer so lange erloschen ist, wie das des
Monte Cavo bei Rom. Kaum hat man die mit Bimsstein bedeckte Ebene
betreten, so nimmt die Landschaft einen ganz anderen Charakter an; bei
jedem Schritt stoesst man auf ungeheure Obsidianbloecke, die der Vulkan
ausgeworfen. Alles ringsum ist oed und still; ein paar Ziegen und Kaninchen
sind die einzigen Bewohner dieser Hochebene. Das unfruchtbare Stueck des
Pics misst ueber zehn Quadratmeilen, und da die unteren Regionen, von ferne
gesehen, in Verkuerzung erscheinen, so stellt sich die ganze Insel als ein
ungeheurer Haufen verbrannten Gesteins dar, um den sich die Vegetation nur
wie ein schmaler Guertel zieht.

Ueber der Region des _Spartium nubigenum_ kamen wir durch enge Schruende
und kleine, sehr alte, vom Regenwasser ausgespuelte Schluchten zuerst auf
ein hoeheres Plateau und dann an den Ort, wo wir die Nacht zubringen
sollten. Dieser Platz, der mehr als 1530 Toisen [2982 m] ueber der Kueste
liegt, heisst _Estancia de los Ingleses_(14), ohne Zweifel, weil frueher die
Englaender den Pik am haeufigsten besuchten. Zwei ueberhaengende Felsen bilden
eine Art Hoehle, die Schutz gegen den Wind bietet. Bis zu diesem Ort, der
bereits hoeher liegt als der Gipfel des Canigu, kann man auf Maulthieren
gelangen; viele Neugierige, die beim Abgang von Orotava den Kraterrand
erreichen zu koennen glaubten, bleiben daher hier liegen. Obgleich es
Sommer war und der schoene afrikanische Himmel ueber uns, hatten wir doch in
der Nacht von der Kaelte zu leiden. Der Thermometer fiel auf 5 Grad.
Unsere Fuehrer machten ein grosses Feuer von duerren Zweigen der Retama an.
Ohne Zelt und Maentel lagerten wir uns auf Haufen verbrannten Gesteins, und
die Flammen und der Rauch, die der Wind bestaendig gegen uns her trieb,
wurden uns sehr laestig. Wir hatten noch nie eine Nacht in so bedeutender
Hoehe zugebracht, und ich ahnte damals nicht, dass wir einst in Staedten
wohnen wuerden, die hoeher liegen als die Spitze des Vulkans, den wir morgen
vollends besteigen sollten. Je tiefer die Temperatur sank, desto mehr
bedeckte sich der Pic mit dicken Wolken. Bei Nacht stockt der Zug des
Stroms, der den Tag ueber den Ebenen in die hohen Luftregionen aufsteigt,
und im Maasse als sich die Luft abkuehlt, nimmt auch ihre das Wasser
aufloesende Kraft ab. Ein sehr starker Nordwird jagte die Wolken; von Zeit
zu Zeit brach der Mond durch das Gewoelk und seine Scheibe glaenzte auf tief
dunkelblauen Grunde; im Angesicht des Vulkans hatte diese naechtliche Scene
etwas wahrhaft Grossartiges. Der Pic verschwand bald gaenzlich im Nebel,
bald erschien er unheimlich nahe gerueckt und warf wie eine ungeheure
Pyramode seinen Schatten auf die Wolken unter uns.

Gegen drei Uhr morgens brachen wir beim trueben Schein einiger Kienfackeln
nach der Spitze des Piton auf. Man beginnt die Besteigung an der
Nordostseite, wo der Abhang ungemein steil ist, und wir gelangten nach
zwei Stunden auf ein kleines Plateau, das seiner isolirten Lage wegen
_Alta Vista_ heisst. Hier halten sich auch die _Neveros_ auf, das heisst die
Eingeborenen, die gewerbsmaessig Eis und Schnee suchen und in den
benachbarten Staedten verkaufen. Ihre Maulthiere, die das Klettern mehr
gewoehnt sind, als die, welche man den Reisenden gibt, gehen bis zur Alta
Vista und die Neveros muessen den Schnee dahin auf dem Ruecken tragen. Ueber
diesem Punkte beginnt das *Malpays*, wie man in Mexiko, in Peru und
ueberall, wo es Vulkane gibt, einen von Dammerde entbloessten und mit
Lavabruchstuecken bedeckten Landstrich nennt.

Wir bogen rechts von Wege am, um die *Eishoehle* zu besehen, die in 1728
Toisen [3367 m] Hoehe liegt, also unter der Grenze des ewigen Schnees in
dieser Breite. Wahrscheinlich ruehrt die Kaelte, die in dieser Hoehle
herrscht, von denselben Ursachen her, aus denen sich das Eis in den
Gebirgsspalten des Jura und der Pyrenaeen erhaelt, und ueber welche die
Ansichten der Physiker noch ziemlich auseinander gehen(15). Die natuerliche
Eisgrube des Pics hat uebrigens nicht jene senkrechten Oeffnungen, durch
welche die warme Luft entweichen kann, waehrend die kalte Luft am Boden
ruhig liegen bleibt. Das Eis scheint sich hier durch starke Anhaeufung zu
erhalten, und weil der Process des Schmelzens durch die bei rascher
Verdunstung erzeugte Kaelte verlangsamt wird. Dieser kleine unterirdische
Gletscher liegt an einem Ort, dessen mittlere Temperatur schwerlich unter
3 deg. betraegt, und er wird nicht, wie die eigentlichen Gletscher der Alpen,
vom Schneewasser gespeist, das von den Berggipfeln herabkommt. Waehrend des
Winters fuellt sich die Hoehle mit Schnee und Eis, und da die Sonnenstrahlen
nicht ueber den Eingang hinaus eindringen, so ist die Sommerwaerme nicht im
Stande, den Behaelter zu leeren. Die Bildung einer natuerlichen Eisgrube
haengt also nicht sowohl von der absoluten Hoehe der Felsspalte und der
mittleren Temperatur der Luftschicht, in der sie sich befindet, als von
der Masse des Schnees, der hineinkommt, und von der geringen Wirkung der
warmen Winde im Sommer. Die im Innern eines Berges eingeschlossene Luft
ist schwer von der Stelle zu bringen, wie man am Monte Testaccio in Rom
sieht, dessen Temperatur von der der umgebenden Luft so bedeutend
abweicht. Wir werden in der Folge sehen, dass am Chimborazo ungeheure
Eismassen unter dem Sand liegen, und zwar, wie auf dem Pic von Teneriffa,
weit unter der Grenze des ewigen Schnees.

Bei der Eishoehe _(Cueva del Hielo)_ stellten bei Laperouses Seereise
Lamanon und Monges ihren Versuch ueber die Temperatur des siedenden Wassers
an. Sie fanden dieselbe 88 deg.,7, waehrend der Barometer auf 19 Zoll 1 Linie
stand. Im Koenigreich Neugranada, bei der Capelle Guadeloupe in der Naehe
von Santa Fe de Bogota, sah ich das Wasser bei 89 deg.,9 unter einem Luftdruck
von 19 Zoll 1,9 Linien sieden. Zu Tambores, in der Provinz Popayan, fand
Caldas 89 deg.,5 fuer die Temperatur des siedenden Wassers bei einen
Barometerstand von 18 Zoll 11,6 Linien. Nach diesen Ergebnissen koennte man
vermuthen, dass bei Lamanons Versuch das Wasser das Maximum seiner
Temperatur nicht ganz erreicht hatte.

Der Tag brach an, als wir die Eishoehle verliessen. Da beobachteten wir in
der Daemmerung eine Erscheinung, die auf hohen Bergen haeufig ist, die aber
bei der Lage des Vulkanes, auf dem wir uns befanden, besonders auffallend
hervortrat. Eine weisse flockige Wolkenschicht entzog das Meer und die
niedrigeren Regionen der Insel unseren Blicken. Die Schicht schien nicht
ueber 800 Toisen [1560 m] hoch; die Wolken waren so gleichmaessig verbreitet
und lagen so genau in Einer Flaeche, dass sie sich ganz wie eine ungeheure
mit Schnee bedeckte Ebene darstellten. Die colossale Pyramide des Piks,
die vulkanischen Gipfel von Lanzerota, Forteventura und Palma ragten wie
Klippen aus dem weiten Dunstmeer empor. Ihre dunkle Faerbung stach grell
vom Weiss der Wolken ab.

Waehrend wir auf den zertruemmerten Laven des Malpays emporklommen, wobei
wir oft die Haende zu Huelfe nehmen mussten, beobachteten wir eine
merkwuerdige optische Erscheinung. Wir glaubten gegen Ost kleine Raketen in
die Luft steigen zu sehen. Leuchtende Punkte, 7 - 8 Grad ueber dem
Horizont, schienen sich zuerst senkrecht aufwaerts zu bewegen, aber
allmaehlich ging die Bewegung in eine waagrechte Oszillation ueber, die acht
Minuten anhielt. Unsere Reisegefaehrten, sogar die Fuehrer aeusserten ihre
Verwunderung ueber die Erscheinung, ohne dass wir sie darauf aufmerksam zu
machen brauchten. Auf den ersten Blick glaubten wir, diese sich hin und
her bewegenden Lichtpunkte seyen die Vorlaeufer eines neuen Ausbruchs des
grossen Vulkanes von Lanzerota. Wir erinnerten uns, dass Bouquer und La
Condamine bei der Besteigung des Vulkans Pichincha den Ausbruch des
Cotopaxi mit angesehen hatten; aber die Taeuschung dauerte nicht lange, und
wir sahen, dass die Lichtpunkte die durch die Duenste vergroesserten Bilder
verschiedener Sterne waren. Die Bilder standen periodisch still, dann
schienen sie senkrecht aufzusteigen, sich zur Seite abwaerts zu bewegen und
wieder am Ausgangspunkt anzugelangen. Diese Bewegung dauerte eine bis zwei
Secunden. Wir hatten keine Mittel zur Hand, um die Groesse der seitlichen
Verrueckung genau zu messen, aber den Lauf eines Lichtpunktes konnten wir
ganz gut beobachten. Er erschien doppelt durch Luftspiegelung und liess
keine leuchtende Spur hinter sich. Als ich im Fernrohr eines kleinen
Troughtonschen Sextanten die Sterne mit einen hohen Berggipfel auf
Lanzerota in Contact brachte, konnte ich sehen, dass die Oscillation
bestaendig gegen denselben Punkt hinging, naemlich gegen das Stueck des
Horizontes, wo die Sonnenscheibe erscheinen sollte, und dass, abgesehen von
der Declinationsbewegung des Sterns, das Bild immer an denselben Fleck
zurueckkehrte. Diese scheinbaren seitlichen Refractionen hoerten auf, lange
bevor die Sterne vor dem Tageslicht gaenzlich verschwanden. Ich habe hier
genau wiedergegeben, was wir in der Daemmerung beobachteten, versuche aber
keine Erklaerung der auffallenden Erscheinung, die ich schon vor zwoelf
Jahren in Zachs astronomischem Tagebuch bekannt gemacht habe. Die Bewegung
der Dunstblaeschen in Folge des Sonnenaufgangs, die Mischung verschiedener,
in Temperatur und Dichtigkeit sehr von einander abweichenden Luftschichten
haben ohne Zweifel zu der Verrueckung der Gestirne in horizontaler Richtung
das ihrige beigetragen. Etwas Aehnliches sind wohl die starken
Schwankungen der Sonnenscheibe, wenn eben den Horizont beruehrt; aber diese
Schwankungen betragen selten mehr als zwanzig Secunden, waehrend die
seitliche Bewegung der Sterne, wie wir sie auf dem Pic in mehr als 1800
Toisen Hoehe beobachteten, ganz gut mit blossem Auge zu bemerken, und
auffallender war als alle Erscheinungen, die man bis jetzt als Wirkungen
der Brechung des Sternlichts angesehen hat. Ich war bei Sonnenaufgang und
die ganze Nacht in 2100 Toisen Hoehe auf dem Ruecken der Anden, in Antisana,
konnte aber nichts gewahr werden, was mit jenem Phaenomen uebereingekommen
waere.

Ich wuenschte in so bedeutender Hoehe wie die, welche wir am Pic von
Teneriffa erreicht hatten, den Moment des Sonnenaufganges genau zu
beobachten. Kein mit Instrumenten versehener Reisender hatte noch eine
solche Beobachtung angestellt. Ich hatte ein Fernrohr und ein Chronometer,
dessen Gang mir sehr genau bekannt war. Der Himmelsstrich, wo die
Sonnenscheibe erscheinen sollte, war dunstfrei. Wir sahen den obersten
Rand um 4 Uhr 48' 55" wahrer Zeit, und, was ziemlich auffallend ist, der
erste Lichtpunkt der Scheibe beruehrte unmittelbar die Grenze des
Horizonts; wir sahen demnach den wahren Horizont, das heisst einen Strich
Meers auf mehr als 43 Meilen Entfernung. Die Rechnung ergibt, dass unter
dieser Breite in der Ebene die Sonne um 5 Uhr 1 Minute 50 Secunden, oder
11 Minuten 51,3 Secunden spaeter als auf dem Pic haette anfangen sonnen
aufzugehen. Der beobachete Unterschied betrug 12 Minuten 55 Secunden, und
diess kommt ohne Zweifel von der Ungewissheit hinsichtlich der
Refractionsverhaeltnisse fuer einen Abstand vom Zenith, wofuer keine
Beobachtungen vorliegen(16).

Wir wunderten uns, wie ungemein langsam der untere Rand der Sonne sich vom
Horizont zu loesen schien. Dieser Rand wurde erst um 4 Uhr 56 Min. 56 Sec.
sichtbar. Die stark abgeplattete Sonnenscheibe war scharf begrenzt; es
zeigte sich waehrend des Aufgangs weder ein doppeltes Bild noch eine
Verlaengerung des untern Randes. Der Sonnenaufgang dauerte dreimal laenger,
als wir in dieser Breite haetten erwarten sollen, und so ist anzunehmen,
dass eine sehr gleichfoermig verbreitete Dunstschicht den wahren Horizont
verdeckte und der aufsteigenden Sonne nachrueckte. Trotz des Schwankens der
Sterne, das wir vorhin im Osten beobachtet, kann man die Langsamkeit des
Sonnenaufgangs nicht wohl einer ungewoehnlich starken Brechung der vom
Meereshorizont zu uns gelangenden Strahlen zuschrieben; denn, wie le
Gentil es taeglich in Pondichery und ich oeffers in Cumana beobachet haben,
erniedrigt sich der Horizont gerade bei Sonnenaufgang, weil die Temperatur
der Luftschicht unmittelbar auf der Meeresflaeche sich erhoeht.

Der Weg, den wir uns durch das Malpays bahnen mussten, ist aeusserst
ermuedend. Der Abhang ist steil und die Lavabloecke wichen unter unseren
Fuessen. Ich kann dieses Stueck des Weges nur mit den *Moraenen* der Alpen
vergleichen, jenen Haufen von Rollsteinen, welche am untern Ende der
Gletscher liegen; die Lavatruemmer auf dem Pic haben aber scharfe Kanten
und lassen oft Luecken, in die man Gefahr laeuft bis zum halben Koerper zu
fallen Leider trug die Faulheit und der ueble Wille unserer Fuehrer viel
dazu bei, uns das Aufsteigen sauer zu machen; sie glichen weder den
Fuehrern im Chamounithal noch jenen gewandten Guanchen, von denen die Sage
geht, dass sie ein Kaninchen oder eine wilde Ziege im Laufe fingen. Unsere
canarischen Fuehrer waren traeg zum Verzweifeln: sie hatten tags zuvor uns
bereden wollen, nicht ueber die Station bei den Felsen hinaufzugehen; sie
setzten sich alle zehn Minuten nieder, um auszuruhen; sie warfen hinter
uns die Handstuecke Obsidian und Bimsstein, die wir sorgfaeltig gesammelt
hatten, weg, und es kam heraus, dass noch keiner auf dem Gipfel des
Vulkanes gewesen war.

Nach dreistuendigem Marsch erreichten wir das Ende des Malpays bei einer
kleinen Ebene, _la Rambleta_ genannt; aus ihrem Mittelpunkte steigt der
Piton oder Zuckerhut empor. Gegen Orotava zu gleicht der Berg jenen
Treppenpyramiden in Fejoum und in Mexiko, denn die Plateaus der Retama und
die Rambleta bilden zwei Stockwerke, deren ersteres viermal hoeher ist als
letzteres. Nimmt man die ganze Hoehe des Piks zu 1904 Toisen [3710 m] an,
so liegt die Rambleta 1820 Toisen [3546 m] ueber dem Meere. Hier befinden
sich die Luftloecher, welche bei den Eingeborenen *Nasenloecher des Piks*
(_Narices des Pico_) heissen. Aus mehreren Spalten im Gestein dringen hier
in Absaetzen warme Wasserduenste; wir sahen den Thermometer darin auf 43 deg.,2
steigen; Labillardiere hatte acht Jahre vor uns diese Daempfe 53 deg.,7 heiss
gefunden, ein Unterschied, der vielleicht nicht sowohl auf eine Abnahme
der vulkanischen Thaetigkeit als auf einen lokalen Wechsel in der Erhitzung
der Bergwaende hindeutet. Die Daempfe sind geruchlos und scheinen reines
Wasser. Kurz vor dem grossen Ausbruch des Vesuv im Jahr 1806 beobachteten
Gay-Lussac und ich, dass das Wasser, das in Dampfform aus dem Innern des
Kraters kommt, Lackmuspapier nicht roethete. Ich kann uebrigens der kuehnen
Hypothese mehrerer Physiker nicht beistimmen, wornach die *Nasloecher des
Pic* als die Muendungen eines ungeheuren Destillierapparates, dessen Boden
unter der Meeresflaeche liegt, zu betrachten seyn sollen. Seit man die
Vulkane sorgfaeltiger beobachetet und der Hang zum Wunderbaren sich in
geologischen Buechern weniger bemerkbar macht, faengt man an den
unmittelbaren bestaendigen Zusammenhang zwischen dem Meer und den Herden
des vulkanischen Feuers mit Recht stark in Zweifel zu ziehen(17). Diese
durchaus nicht auffallende Erscheinung erklaert sich wohl sehr einfach. Der
Pic ist einen Theil des Jahres mit Schnee bedeckt; wir selbst fanden noch
welchen auf der kleinen Ebene Rambleta; ja Odonell und Armstrong haben im
Jahre 1806 im Malpays eine sehr starke Quelle entdeckt, und zwar hundert
Toisen ueber der Eishoehle, die vielleicht zum Theil von dieser Quelle
gespeist wird. Alles weist also darauf hin, dass der Pic von Teneriffa,
gleich den Vulkanen der Anden und der Inzel Lucon, im Inneren grosse
Hoehlungen hat, die mit atmosphaerischem Wasser gefuellt sind, das einfach
durchgesickert ist. Die Wasserdaempfe, welche die Nasloecher und die Spalten
im Krater ausstossen, sind nichts als dieses selbe Wasser, das durch die
Waende, ueber die es fliesst, erhitzt wird.

Wir hatten jetzt noch den steilsten Theil des Berges, der die Spitze
bildet, den Piton, zu ersteigen. Der Abhang dieses kleinen, mit
vulkanischer Asche und Bimssteinstuecken bedeckten Kegels ist so schroff,
dass es fast unmoeglich waere, auf den Gipfel zu gelangen, wenn man nicht
einem alten Lavastrom nachginge, der aus dem Krater geflossen scheint und
dessen Truemmer dem Zahn der Zeit getrotzt haben. Diese Truemmer bilden eine
verschlackte Felswand, die sich mitten durch die lose Asche hinzieht. Wir
erstiegen den Piton, indem wir uns an diesen Schlacken anklammerten, die
scharfe Kanten haben und, halb verwittert, wie sie sind, uns nicht selten
in der Hand blieben. Wir brauchten gegen eine halbe Stunde, um einen Huegel
zu ersteigen, dessen senkrechte Hoehe kaum 90 Toisen [175 m] betraegt. Der
Vesuv, der dreimal niedriger ist als der Vulkan auf Teneriffa, laeuft in
einen fast dreimal hoeheren Aschenkegel aus, der aber nicht so steil und
zugaenglicher ist. Unter allen Vulkanen, die ich besucht, ist nur der
Jorullo in Mexiko noch schwerer zu besteigen, weil der ganze Berg mit
loser Asche bedeckt ist.

Wenn der Zuckerhut mit Schnee bedeckt ist, wie bei Eintritt des Winters,
so kann die Steilheit des Anhanges den Reisenden in die groesste Gefahr
bringen. Le Gros zeigte uns die Stelle, wo Kapitaen Baudin auf seiner Reise
nach Teneriffa beinahe ums Leben gekommen waere. Muthig hatte er gegen Ende
Dezembers 1797 mit den Naturforschern Advenier, Mauger und Riedle die
Besteigung des Gipfels des Vulkans unternommen. In der halben Hoehe des
Kegels fiel er und rollte bis zur kleinen Ebene Rambleta hinunter; zum
Glueck machte ein mit Schnee bedeckter Lavahaufen, dass er nicht noch weiter
mit beschleunigter Geschwindigkeit hinabflog. Wie man mir versichert, ist
ein Reisender, der den mit festem Rasen bedeckten Abhang des Col de Balme
hinabgerollt war, erstickt gefunden worden.

Auf der Spitze des Piton angelangt, wunderten wir uns nicht wenig, dass wir
kaum Platz fanden, bequem niederzusitzen. Wir standen vor einer kleinen
kreisfoermigen Mauer aus porphyrartiger Lava mit Pechsteinbasis; diese
Mauer hinterte uns, in den Krater hinabzusehen. [La Caldera oder der
Kessel des Pics. Der Name erinnert an die *Oules* der Pyrenaeen.] Der Wind
blies so heftig aus West, dass wir uns kaum auf den Beinen halten konnten.
Es war acht Uhr morgens und wir waren starr vor Kaelte, obgleich der
Thermometer etwas ueber dem Gefrierpunkt stand. Seit lange waren wir an
eine sehr hohe Temperatur gewoehnt, und der trockene Wind steigerte das
Frostgefuehl, weil er die kleine Schicht warmer und feuchter Luft, welche
sich durch die Hautausduenstung um uns her bildete, fortwaehrend wegfuehrte.

Der Krater des Pic hat, was den Rand betrifft, mit den Kratern der meisten
anderen Vulkane, die ich besucht, z. B. mit dem des Vesuvs, des Jorullo
und Pipincha, keine Aehnlichkeit. Bei diesen behaelt der Piton seine
Kegelgestalt bis zum Gipfel; der ganze Abhang ist im selben Winkel geneigt
und gleichfoermig mit einer Schicht sehr fein zertheilten Bimssteins
bedeckt; hat man die Spitze dieser drei Vulkane erreicht, so blickt man
frei bis auf den Boden des Schlunds. Der Pic von Teneriffa und der
Cotopaxi dagegen sind ganz anders gebaut; auf ihrer   Spitze laeuft
kreisfoermig ein Kamm oder eine Mauer um den Krater; von ferne stellt sich
diese Mauer wie ein kleiner Cylinder auf einem abgestutzten Kegel dar.
Beim Cotopaxi erkennt man dieses eigenthuemliche Bauwerk ueber 2000 Toisen
weit mit blossem Auge, wesshalb auch noch kein Mensch bis zum Krater dieses
Vulkans gekommen ist. Beim Pik von Tenerifa ist der Kamm, der wie eine
Brustwehr um den Krater laeuft, so hoch, dass er gar nicht zur *Caldera*
gelangen liesse, wenn sich nicht gegen Ost eine Luecke darin befaende, die
von einem sehr alten Lavaerguss herzuruehren scheint. Durch diese Luecke
stiegen wir auf den Boden des Trichters hinab, der elliptisch ist; die
grosse Achse laeuft von Nordwest nach Suedost, etwa Nord 35 deg. Ost. Die groesste
Breite der Oeffnung schaetzten wir auf 300 Fuss [97 m], die kleinste auf 200
Fuss [65 m]. Diese Angaben stimmen ziemlich mit den Messungen von Berguin,
Verela und Borda; nach diesen Reisenden messen die zwei Axen 40 und 30
Toisen. [Cordier, der den Gipfel des Pics vier Jahre nach mir besucht hat,
schaetzt die grosse Axe auf 65 Toisen. Lamanon gibt dafuer 50 T. an, Odonnell
aber gibt dem Krater 550 Baras (236 Toisen) Umfang.]

Man sieht leicht ein, dass die Groesse eines Kraters nicht allein von der
Hoehe und der Masse des Berges abhaengt, dessen Hauptoeffnung er bildet.
Seine Weite steht sogar selten im Verhaeltniss mit der Intensitaet des
vulkanischen Feuers oder der Thaetigkeit des Vulkans. Beim Vesuv, der gegen
den Pik von Teneriffa nur ein Huegel ist, hat der Krater einen fuenfmal
groesseren Durchmesser. Bedenkt man, dass sehr hohe Vulkane aus ihrem Gipfel
weniger Stoffe auswerfen als aus Seitenspalten, so koennte man versucht
seyn anzunehmen, dass, je niedriger die Vulkane sind, ihre Krater, bei
gleicher Kraft und Thaetigkeit, desto groesser seyn muessten. Allerdings gibt
es ungeheure Vulkane in den Anden, die nur sehr kleine Oeffnungen haben,
und man koennte es als ein geologisches Gesetz hinstellen, dass die
colossalsten Berge auf ihren Gipfeln nur Krater von geringem Umfang haben,
wenn sich nicht in den Cordilleren mehrere Beispiele [Die grossen Vulkane
Cotopaxi und Rucupichincha haben nach meinen Messungen Krater mit
Diametern von mehr als 500 und 700 Toisen.] des gegentheiligen Verhaltens
faenden. Ich werde im Verfolg Gelegenheit finden, zahlreiche Thatsachen
anzufuehren, welche einst auf das, was man den aeussern Bau der Vulkane
nennen kann, einiges Licht werfen koennten. Dieser Bau ist so mannigfaltig
als die vulkanischen Erscheinungen selbst, und will man sich zu
geologischen Vorstellungen erheben, die der Groesse der Natur wuerdig sind,
so muss man die Meinung aufgeben, als ob alle Vulkane nach dem Muster des
Vesuv, des Stromboli und des Aetna gebaut waeren.

Die aeusseren Raender der *Caldera* sind beinahe senkrecht; sie stellen sich
ungefaehr dar wie die Somma, vom Atrio dei Cavalli aus gesehen. Wir stiegen
auf den Boden des Kraters auf einen Streif zerbrochener Laven, der zu der
Luecke in der Umfassungsmauer hinauflaeuft. Hitze war nur ueber einigen
Spalten zu spueren, aus denen Wasserdampf mit einem eigenthuemlichen Sumsen
stroemte. Einige dieser Luftloecher oder Spalten befinden sich aeusserhalb des
Kraterumfanges, am aeusseren Rand der Bruestung, welche den Krater umgibt.
Ein in dieselben gebrachter Thermometer stieg rasch auf 68 und 75 Grad. Er
zeigte ohne Zweifel eine noch hoehere Temperatur an; aber wir konnten das
Instrument erst ansehen, nachdem wir es herausgezogen, wollten wir uns
nicht die Haende verbrennen. Cordier hat mehrere Spalten gefunden, in denen
die Hitze der des siedenden Wassers gleich war. Man koennte glauben, diese
Daempfe, die stossweise hervorkommen, enthalten Salzsaeure oder
Schwefelsaeure; laesst man sie aber an einem kalten Koerper sich verdichten,
zeigen sie keinen besondern Geschmack, und die Versuche mehrerer Physiker
mit Reagentien beweisen, dass die Fumarolen des Pic nur reines Wasser
aushauchen; diese Erscheinung, die mit meinen Beobachtungen im Krater des
Jorullo uebereinstimmt, verdient desto mehr Aufmerksamkeit, als Salzsaeure
in den meisten Vulkanen in grosser Menge vorkommt und Bauquelin sogar in
den porphyraehnlichen Laven von Sarcouy in der Auvergne Salzsaeure gefunden
hat.

Ich habe an Ort und Stelle die Ansicht des inneren Kraterrandes
gezeichnet, wie er sich darstellt, wenn man durch die gegen Ort gelegene
Luecke hinabsteigt. Nichts merkwuerdiger als diese Aufeinanderlagerung von
Lavaschichten, die Kruemmungen zeigen, wie der Alpenkalkstein. Diese
ungeheuren Baenke sind bald wagrecht, bald geneigt und wellenfoermig
gewunden, und Alles weist darauf hin, dass einst die ganze Masse fluessig
war, und dass mehrere stoerende Ursachen zusammenwirkten, um jedem Strom
seine bestimmte Richtung zu geben. An der obenumlaufenden Mauer sieht man
das seltsame Astwerk, wie man es an der entschwefelten Steinkohle
beobachtet. Der noerdliche Rand ist der hoechste; gegen Suedwest erniedrigt
sich die Mauer bedeutend und am aeussersten Rand ist eine ungeheure
verschlackte Lavamasse angebacken. Gegen West ist das Gestein
durchbrochen, und durch eine weite Spalte sieht man den Meereshorizont.
Vielleicht hat die Gewalt der elastischen Daempfe im Moment, wo die im
Krater aufgestiegene Lava ueberquoll, hier durchgerissen.

Das Innere des Trichters weist darauf hin, dass der Vulkan seit
Jahrtausenden nur noch aus seinen Seiten Feuer gespieen hat. Diese
Behauptung gruendet sich nicht darauf, weil sich am Boden der Caldera keine
grossen Oeffnungen zeigen, wie man erwarten koennte. Die Physiker, die die
Natur selbst beobachtet haben, wissen, dass viele Vulkane in der
Zwischenzeit zweier Ausbrueche ausgefuellt und fast erloschen scheinen, dass
sich dann aber im vulkanischen Schlund Schichten sehr rauher, klingender
und glaenzender Schlacken finden. Man bemerkt kleine Erhoehungen,
Auftreibungen durch die elastischen Daempfe, kleine Schlacken- und
Aschenkegel, unter denen die Oeffnungen liegen. Der Krater des Pic von
Teneriffa zeigt keiens dieser Merkmale; sein Boden ist nicht im Zustand
geblieben, wie ein Ausbruch ihn zuruecklaesst. Durch den Zahn der Zeit und
den Einfluss der Daempfe sind die Waende abgebroeckelt und haben das Becken
mit grossen Bloecken steinigter Lava bedeckt.

Man gelangt gefahrlos auf den Boden des Kraters. Bei einem Vulkan, dessen
Hauptthaetigkeit dem Gipfel zu geht, wie beim Vesuv, wechselt die Tiefe des
Kraters vor und nach jedem Ausbruch; auf dem Pic von Teneriffa dagegen
scheint die Tiefe seit langer Zeit sich gleichgeblieben zu seyn. Edens
schaetzte sie im Jahre 1715 auf 115 Fuss [37 m], Cordier im J. 1803 auf 110
[35,5 m]. Nach dem Augenmaass haette ich geglaubt, dass der Trichter nicht
einmal so tief waere. In seinem jetzigen Zustand ist er eigentlich eine
Solfatara; er ist ein weites Feld fuer interessante Beobachtungen, aber
imposant ist sein Anblick nicht. Grossartig wird der Punkt nur durch die
Hoehe ueber dem Meeresspiegel, durch die tiefe Stille in dieser Region,
durch den unermesslichen Erdraum, den das Auge auf der Spitze des Berges
ueberblickt.

Die Besteigung des Vulkans von Teneriffa ist nicht nur dadurch anziehend,
dass sie uns so reichen Stoff fuer wissenschaftliche Forschung liefert; sie
ist es noch weit mehr dadurch, dass sie den, der Sinn hat fuer die Groesse der
Natur, eine Fuelle malerischer Reize bietet. Solche Empfindungen zu
schildern, ist eine schwere Aufgabe; sie regen uns desto tiefer auf, da
sie etwas Unbestimmtes haben, wie es die Unermesslichkeit des Raums und die
Groesse, Neuheit und Mannigfaltigkeit der uns umgebenden Gegenstaende mit
sich bringen. Wenn ein Reisender die hohen Berggipfel unseres Erdballs,
die Cataracten der grossen Stroeme, die gewundenen Thaeler der Anden zu
beschreiben hat, so laeuft er Gefahr den Leser durch den eintoenigen
Ausdruck seiner Bewunderung zu ermueden. Es scheint mir den Zwecken, die
ich bei dieser Reisebeschreibung im Auge habe, angemessener, den
eigenthuemlichen Charakter zu schildern, der jeden Landstrich auszeichnet.
Man lehrt die Physiognomie einer Landschaft deste besser kennen, je
genauer man die einzelnen Zuege auffasst, sie unter einander vergleicht und
so auf dem Wege der Analysis den Quellen der Genuesse nachgeht, die uns das
grosse Naturgemaelde bietet.

Die Reisenden wissen aus Erfahrung, dass man auf der Spitze hoher Berge
selten eine so schoene Aussicht hat und so mannigfaltige malerische Effekte
beobachtet als auf den Gipfeln von der Hoehe des Vesuvs, des Rigi, des Puy
de Dome. Colossale Berge wie der Chimborazo, der Antisana oder der
Montblanc haben eine so grosse Masse, dass man die mit reichem Pflanzenwuchs
bedeckten Ebenen nur in grosser Entfernung sieht und ein blaeulicher Duft
gleichfoermig auf der ganzen Landschaft liegt. Durch seine schlanke Gestalt
und seine eigenthuemliche Lage vereinigt nun der Pic von Teneriffa die
Vortheile niedrigerer Gipfel mit denen, wie sehr bedeutende Hoehen sie
bieten. Man ueberblickt auf seiner Spitze nicht allein einen ungeheuren
Meereshorizont, der ueber die hoechsten Berge der benachbarten Inseln
hinaufreicht, man sieht auch die Waelder von Teneriffa und die bewohnten
Kuestenstriche so nahe, dass noch Umrisse und Farben in den schoensten
Contrasten hervortreten. Es ist als ob der Vulkan die kleine Insel, die
ihm zur Grundlage dient, erdrueckte; er steigt aus dem Schoosse des Meeres
dreimal hoeher auf, als die Wolken im Sommer ziehen. Wenn sein seit
Jahrhunderten halb erloschener Krater Feuergarben auswuerfe wie der
Stromboli der aeolischen Inseln, so wuerde der Pik von Tenerifa dem Schiffer
in einem Umkreis von mehr als 260 Meilen als Leuchtthurm dienen.

Wir lagerten uns am aeussern Rande des Kraters und blickten zuerst nach
Nordwest, wo die Kuesten mit Doerfern und Weilern geschmueckt sind. Vom Winde
fortwaehrend hin und her getriebene Dunstmassen zu unser Fuessen boten uns
das mannigfaltigste Schauspiel. Eine ebene Wolkenschicht zwischen uns den
tiefen Regionen der Insel, dieselbe, von der oben die Rede war, war da und
dort durch die kleinen Luftstroeme durchbrochen, welche nachgerade die von
der Sonne erwaermte Erdoberflaeche zu uns heraufsandte. Der Hafen von
Orotava, die darin ankernden Schiffe, die Gaerten und Weinberge um die
Stadt wurden durch eine Oeffnung sichtbar, welche jeden Augenblick groesser
zu werden schien. Aus diesen einsamen Regionen blickten wir nieder in eine
bewohnte Welt; wir ergoetzten uns am lebhaften Contrast zwischen den duerren
Flanken des Pics, seinen mit Schlacken bedeckten steilen Abhaengen, seinen
pflanzenlosen Plateaus, und dem lachtenden Anblick des bebauten Landes;
wir sahen, wie sich die Gewaechse nach der mit der Hoehe abnehmenden
Temperatur in Zonen vertheilen. Unter dem Piton beginnen Flechten die
verschlackten, glaenzenden Laven zu ueberziehen; ein Veilchen [_Viola
cheiranthifolia_], das der _Viola decumbens_ nahe steht, geht am Abhang
des Vulkans bis zu 1740 Toisen [3390 m] Hoehe, hoeher nicht allein als die
andern krautartigen Gewaechse, sondern sogar hoeher als die Graeser, welche
in den Alpen und auf dem Ruecken der Kordilleren unmittelbar an die
Gewaechse aus der Familie der Kryptogamen stossen. Mit Bluethen bedechte
Retamabuesche schmuecken die kleinen, von den Regenstroemen eingerissenen und
durch die Seitenausbrueche verstopften Thaeler; unter der Retama folgt die
Region der Farn und auf diese die der baumartigen Heiden. Waelder von
Lorbeeren, Rhamnus und Erdbeerbaeumen liegen zwischen den Heidekraeutern und
den mit Reben und Obstbaeumen bepflanzten Gelaenden. Ein reicher gruener
Teppich breitet sich von der Ebene der Ginster und der Zone der
Alpenkraeuter bis zu den Gruppen von Dattelpalmen und Musen, deren Fuss das
Weltmeer zu bespuelen scheint. Ich deute hier nur die Hauptzuege dieser
Pflanzenkarte an; im Folgenden gebe ich einiges Naehere ueber die
Pflanzengeographie der Insel Teneriffa.

Dass auf der Spitze des Pics die Doerfchen, Weinberge und Gaerten an der
Kueste einem so nahe gerueckt scheinen, dazu traegt die erstaunliche
Durchsichtigkeit der Luft viel bei. Trotz der bedeutenden Entfernung
erkannten wir nicht nur die Haeuser, die Baumstaemme, das Takelwerk der
Schiffe, wir sahen auch die reiche Pflanzenwelt der Ebenen in den
lebhaftesten Farben glaenzen.  Diese Erscheinung ist nicht allein dem hohen
Standpunkt zuzuschreiben, sie deutet auf eine eigenthuemliche
Beschaffenheit der Luft in den heissen Laendern. Unter allen Zonen erscheint
ein Gegenstand, der sich auf dem Meeresspiegel befindet und von dem die
Lichtstrahlen in wagrechter Richtung ausgehen, weniger lichtstark, als
wenn man ihn vom Gipfel eines Berges sieht, wohin die Wasserdaempfe durch
Luftschichten von abnehmender Dichtigkeit gelangen. Gleich auffallende
Unterschiede werden vom Einfluss der Klimate bedingt; der Spiegel eines
Sees oder eines breiten Flusses glaenzt bei gleicher Entfernung weniger,
wenn man ihn vom Kamme der Schweizer Hochalpen, als wenn man ihn vom
Gipfel der Cordilleren von Peru oder Mexico sieht. Je reiner und heiterer
die Luft ist, desto vollstaendiger wird das Licht bei seinem Durchgang
geschwaecht. Wenn man von der Suedsee her auf die Hochebene von Quito oder
Antisana kommt, so wundert man sich in den ersten Tagen, wie nahe gerueckt
Gegenstaende erscheinen, die sieben, acht Meilen entfernt sind. Der Pic von
Teyde geniesst nur zwar nicht des Vortheils, unter den Tropen zu liegen,
aber die Trockenheit der Luftsaeulen, welche fortwaehrend ueber den
benachbarten afrikanischen Ebenen aufsteigen und die die Westwinde rasch
herbeifuehren, verleiht der Luft der canarischen Inseln eine
Durchsichtigkeit, hinter der nicht nur die Luft Neapels und Siziliens,
sondern vielleicht sogar der klare Himmel Perus und Quitos zurueckstehen.
Auf dieser Durchsichtigkeit beruht vornehmlich die Pracht der Landschaften
unter den Tropen; sie hebt den Glanz der Farben der Gewaechse und steigert
die magische Wirkung ihrer Harmonien und ihrer Contraste. Wenn eine grosse,
um die Gegenstaende verbreitete Lichtmasse in gewissen Stunden des Tages
die aeussern Sinne ermuedet, so wird der Bewohner suedlicher Klimate durch
moralische Genuesse dafuer entschaedigt. Schwung und Klarheit der Gedanken,
innerliche Heiterkeit entsprechen der Durchsichtigkeit der umgebenden
Luft. Man erhaelt diese Eindruecke, ohne die Grenzen von Europa zu
ueberschreiten; ich berufe mich auf die Reisenden, welche jene durch die
Wunder des Gedankens und der Kusnt verherrlichten Laender gesehen haben,
die gluecklichen Himmelsstriche Griechenlands und Italiens.

Umsonst verlaengerten wir unseren Aufenthalt auf dem Gipfel des Pics, des
Moments harrend, wo wir den ganzen Archipel der glueckseligen Inseln(18)
wuerden uebersehen koennen. Wir sahen zu unseren Fuessen Palma, Gomera und die
Grosse Canaria. Die Berge von Lanzerota, die bei Sonnenaufgang dunstfrei
gewesen waren, huellten sich bald wieder in dichte Wolken. Nur die
gewoehnliche Refraction vorausgesetzt, uebersieht das Auge bei hellen Wetter
vom Gipfel des Vulkans ein Stueck Erdoberflaeche von  5700 Quadratmeilen
[115000 qkm], also so viel als ein Viertheil der Oberflaeche Spaniens. Oft
ist die Frage aufgeworfen worden, ob man von dieser ungeheurn Pyramide die
afrikanische Kueste sehen koenne. Aber die naechsten Striche dieser Kueste
sind 2 Grad 49 Minuten im Bogen, oder 56 Meilen [252 km] entfernt; da nun
der Gesichtshalbmesser des Horizonts des Pics 1 Grad 47 Minuten betraegt,
so kann Cap Bojador nur sichtbar werden, wenn man ihm 200 Toisen
Meereshoehe gibt. Wiir wissen gar nicht, wie hoch die Schwarzen Berge bei
Cap Bojador sind, sowie der Pic suedlich von diesem Vorgebirge, den die
Seefahrer Penon grade nennen. Waere der Gipfel des Vulkans von Teneriffa
zugaenglicher, so liessen sich dort ohne Zweifel bei gewissen Windrichtungen
die Wirkungen ungewoehnlicher Refraction beobachten. Liest man die Berichte
spanischer und portugiesischer Schriftsteller ueber die Existenz der
fabelhaften Insel San Borondon oder Antilia, so sieht man, dass in diesen
Strichen vorzueglich der feuchte West-Sued-Westwind Luftspiegelungen zur
Folge hat;(19) indessen wollen wir nicht mit Viera glauben, "dass durch das
Spiel der irdischen Refraction die Inseln des gruenen Vorgebirges, ja sogar
die Apalachen in Amerika den Bewohnern der Canarien sichtbar werden
koennen."

Die Kaelte, die wir auf dem Gipfel des Pics empfanden, war fuer die
Jahreszeit sehr bedeutend. Der hunderttheilige Thermometer(20) zeigte
entfernt vom Boden und von den Fumarolen, die heisse Daempfe ausstossen, im
Schatten 2 deg.,7. Der Wind war West, also dem entgegengesetzt, der einen
grossen Teil des Jahres Teneriffa die heisse Luft zufuehrt, die ueber den
gluehenden Wuesten Afrikas aufsteigt. Da die Temperatur im Hafen von
Orotava, nach Herrn Savagis Beobachtung, 22 deg.,8 war, so nahm die Waerme auf
94 Toisen Hoehe um einen Grad ab. Dieses Ergebniss stimmt vollkommen mit dem
ueberein, was Lamanon und Saussure auf den Spitzen des Pics und des Aetna,
obwohl in sehr verschiedenen Jahreszeiten, beobachtet haben. [Lamanons
Beobachtung ergiebt einen Grad auf 99 Toisen, obgleich die Temperatur des
Pics um 9 deg. von der von uns beobachteten abwich. Am Aetna fand Saussure die
Abnahme gleich 91 Toisen.] Die schlanke Gestalt dieser Berge bietet den
Vortheil, dass man die Temperatur zweier Luftschichten fast senkrecht ueber
einander beobachten kann, und in dieser Beziehung gleichen die
Beobachtungen, die man bei der Besteigung des Vulkans von Teneriffa macht,
denen, die man bei einer Auffahrt im Luftballon machen kann. Es ist
indessen zu bemerken, dass die See wegen ihrer Durchsichtigkeit und wegen
der Verdunstung weniger Waerme den hohen Luftschichten zusendet als die
Ebenen; daher ist es auf vom Meer umgebenen Berggipfeln im Sommer kaelter
als auf Bergen mitten im Lande; dieses Moment hat aber nur geringen
Einfluss auf die Abnahme der Luftwaerme, da die Temperatur der tiefen
Regionen in der Naehe des Meeres gleichfalls eine niedrigere ist.

Anders verhaelt es sich mit dem Einflusse der Windrichtung und der
Geschwindigkeit des aufsteigenden Stroms; letzterer erhoeht nicht selten
die Temperatur der hoechsten Berge in erstaunlichem Grade. Am Abhang des
Antisana im Koenigreich Quito sah ich in 2837 Toisen Hoehe den Thermometer
auf 19 deg. stehen; Labillardiere beobachtete am Kraterrand des Pic von
Teneriffa 18 deg.,7, wobei er alle erdenkliche Vorsicht gebraucht hatte, um
den Einfluss zufaelliger Ursachen auszuschliessen. Da die Temperatur der
Rhede von Santa Cruz zur selben Zeit 28 deg. war, so betrug der Unterschied
zwischen der Luft an der Kueste und der auf dem Pic 9 deg.,3 statt 20 deg., die
einer Waermeabnahme von einem Grad auf 94 Toisen entsprechen. Ich finde im
Schiffstagebuch von l´Entrecasteaux´s Expedition, dass damals in Santa Cruz
der Wind Sued-Sued-Ost war. Vielleicht wehte derselbe Wind staerker in den
hohen Luftregionen; vielleicht trieb er in schiefer Richtung die warme
Luft vom nahen Festlande der Spitze des Piton zu. Labillardieres
Besteigung fand zudem am 17. Oktober 1791 statt, und in den Schweizer
Alpen hat man die Beobachtung gemacht, dass der Temperaturunterschied
zwischen Berg und Tiefland im Herbst geringer ist als im Sommer. Alle
diese Schwankungen im Mass der Temperaturabnahme haben auf die Messungen
mittelst des Barometers nur insofern Einfluss, als die Abnahme in den
dazwischenliegenden Schichten nicht gleichfoermig ist, und von der
arithmetischen gleichmaessigen Progression, wie die angewandten Formeln sie
annehmen, abweicht.

Wir wurden auf dem Gipfel des Pics nicht muede, die Farbe des blauen
Himmelsgewoelbes zu  bewundern. Ihre Intensitaet im Zenith schien uns gleich
41 deg. des Cyanometers. Man weiss nach Saussures Versuchen, dass diese
Intensitaet mit der Verduennung der Luft zunimmt, und dass dasselbe
Instrument zu selben Zeit bei der Priorei von Chamouni 39 deg. und auf der
Spitze des Montblanc 40 deg. zeigte. Dieser Berg ist um 540 Toisen hoeher als
der Vulkan von Teneriffa, und wenn trotz diesem Unterschied auf ersterem
das Himmelsblau nicht so dunkel ist, so ruehrt dies wohl von der
Trockenheit der afrikanischen Luft und der Naehe der heissen Zone her.

Wir fingen am Kraterrand Luft auf, um sie auf der Fahrt nach Amerika
chemisch zu zerlegen. Die Flasche war so gut verschlossen, dass, als wir
sie nach zehn Tagen oeffneten, das Wasser mit Gewalt hineindrang. Nach
mehreren Versuchen mit Salpetergas in der engen Roehre des Fontanaschen
Eudiometers enthielt die Luft im Krater neun Hunderttheile weniger
Sauerstoff als die Seeluft; ich gebe aber wenig auf dieses Resultat, da
die Methode jetzt fuer ziemlich unzuverlaessig gilt. Der Krater des Pics hat
so wenig Tiefe und die Luft darin erneuert sich so leicht, dass schwerlich
mehr Stickstoff darin ist als an der Kueste. Wir wissen ueberdem aus
Gay-Lussacs und Theodor Saussures Versuchen, dass die Luft in den hoechsten
Luftregionen wie in den tiefsten 0,21 Sauerstoff enthaelt.(21)

Wir sahen auf dem Gipfel des Pics keine Spur von Psora, Lecidium oder
andern Crytogamen, kein Insekt flatterte in der Luft. Indessen findet man
hie und da ein hautfluegligtes Insekt an den Schwefelmassen angeklebt, die
von schwefligter Saeure feucht sind und die Oeffnungen der Fumarolen
auskleiden. Es sind Bienen, die wahrscheinlich die Bluethen des _Spartium
nubigenum_ aufgesucht hatten und vom Winde schief aufwaerts in diese Hoehe
getrieben worden waren, wie die Schmetterlinge, welche Ramond auf dem
Gipfel des Mont-Perdu gefunden. Die letzteren gehen durch die Kaelte zu
Grunde, waehrend die Bienen auf dem Pic geroestet werden, wenn sie
unvorsichtig den Spalten, an denen sie sich waermen wollen, zu nahe kommen.

Trotz dieser Waerme, die man am Rande des Kraters unter den Fuessen spuert,
ist der Aschenkegel im Winter mehrere Monate mit Schnee bedeckt.
Wahrscheinlich bilden sich unter der Schneehaube grosse Hoehlungen, aehnlich
denen unter den Gletschern in der Schweiz, die bestaendig eine niedrigere
Temperatur haben als der Boden, auf dem sie ruhen. Der heftige kalte Wind,
der seit Sonnenaufgang blies, zwang uns, am Fusse des Piton Schutz zu
suchen. Haende und Gesicht waren uns erstarrt, waehrend unsere Stiefel auf
dem Boden, auf den wir den Fuss setzten, verbrannten. In wenigen Minuten
waren wir am Fuss des Zuckerhuts, den wir so muehsam erklommen, und diese
Geschwindigkeit war zum Theil unwillkuerlich, da man haeufig in der Asche
hinunterrutscht. Ungern schieden wir von dem einsamen Ort, wo sich die
Natur in ihrer ganzen Grossartigkeit vor uns aufthut; wir hofften die
canarischen Inseln noch einmal besuchen zu koennen, aber aus dem Plan wurde
nichts, wie aus so vielen, die wir damals entwarfen.

Wir gingen langsam durch das Malpays; auf losen Lavabloecken tritt man
nicht sicher auf. Der Station bei den Felsen zu wird der Weg abwaerts
aeusserst beschwerlich; der dichte kurze Rasen ist so glatt, dass man sich
bestaendig nach hinten ueberbeugen muss, um nicht zu stuerzen. Auf der
sandigen Ebene der Retama zeigte der Thermometer 22 deg.,5, und diess schien
uns nach dem Frost, der uns auf dem Gipfel geschuettelt, eine erstickende
Hitze. Wir hatten gar kein Wasser; die Fuehrer hatten nicht allein den
kleinen Vorrath Malvasier, den wir der freundlichen Vorsage Cologans
verdankten, heimlich getrunken, sondern sogar die Wassergefaesse zerbrochen.
Zum Glueck war die Flasche mit der Kraterluft unversehrt geblieben.

In der schoenen Region der Farn und der baumartigen Heiden genossen wir
endlich einiger Kuehlung. Eine dicke Wolkenschicht huellte uns ein; sie
hielt sich in 600 Toisen Hoehe ueber der Niederung. Waehrend wir durch diese
Schicht kamen, hatten wir Gelegenheit, eine Erscheinung zu beobachten, die
uns spaeter am Abhang der Cordilleren oefters vorgekommen ist. Kleine
Luftstroeme trieben Wolkenstreifen mit verschiedener Geschwindigkeit nach
entgegengesetzten Richtungen. Diess nahm sich aus, als ob in einer grossen
stehenden Wassermasse kleine Wasserstroeme sich rasch nach allen Seiten
bewegten. Diese theilweise Bewegung der Wolken ruehrt wahrscheinlich von
sehr verschiedenen Ursachen her, und man kann sich denken, dass der Anstoss
dazu sehr weit her kommen mag. Man kann den Grund in den kleinen
Unebenheiten des Bodens suchen, die mehr oder weniger Waerme strahlen, in
einem auf irgend einem chemischen Process beruhenden Temperaturunterschied,
oder endlich in einer starken elektrischen Ladung der Dunstblaeschen.

In der Naehe der Stadt Orotava trafen wir grosse Schwaerme von Canarienvoegeln
[_Fringilla Canaria_. La Caille erzaehlt in seiner Reisebeschreibung nach
dem Cap, auf der Insel Salvage faenden sich diese Voegel in so ungeheurer
Menge, dass man in einer gewissen Jahreszeit nicht umhergehen koenne, ohne
Eier zu zertreten.] Diese in Europa so wohl bekannten Voegel waren ziemlich
gleichfoermig gruen, einige auf dem Ruecken gelblich; ihr Schlag glich dem
der zahmen Canarienvoegel, man bemerkt indessen, dass die, welche auf der
Insel Gran Canaria und auf dem kleinen Eiland Monte Clara bei Lanzerota
gefanden werden, einen staerkeren und zugleich harmonischeren Schlag haben.
In allen Himmelsstrichen hat jeder Schwarm derselben Vogelart seine eigene
Sprache. Die gelben Canarienvoegel sind eine Spielart, die in Europa
entstanden ist, und die, welche wir zu Orotava und Santa Cruz de Teneriffa
in Kaefigen sahen, waren in Cadix und anderen spanischen Haefen gekauft.
Aber der Vogel der canarischen Inseln, der von allen den schoensten Gesang
hat, ist in Europa unbekannt, der Capirote, der so sehr die Freiheit
liebt, dass er sich niemals zaehmen liess. Ich bewunderte seinen weichen,
melodischen Schlag in einem Garten bei Orotava, konnte ihn aber nicht nahe
genug zu Gesicht bekommen, um zu bestimmen, welcher Gattung sie angehoert.
Was die Papageien betrifft, die man beim Aufenthalt des Kapitaen Cook auf
Teneriffa gesehen haben will, so existiren sie nur in Reiseberichten, die
einander abschreiben. Es gibt auf den Canarien wieder Papageien noch
Affen, und obgleich erstere in der neuen Welt bis Nordcarolina wandern, so
glaube ich doch kaum, dass in der alten ueber dem 28sten Grad noerdlicher
Breite welche vorkommen.

Wir kamen, als der Tag sich neigte, im Hafen von Orotava an und erhielten
daselbst die unerwartete Nachricht, dass der Pizarro erst in der Nach vom
24. zum 25. unter Segel gehen werde. Haetten wir auf diesen Aufschub
rechnen koennen, so waeren wir entweder laenger auf dem Pic geblieben(22)
oder haetten einen Ausflug nach dem Vulkan Chahorra gemacht. Den folgenden
Tag durchstreiften wir die Umgegend von Orotava. Da fuehlten wir recht, dass
der Aufenthalt auf Teneriffa nicht bloss fuer den Naturforscher von
Interesse ist; man findet in Orotava Liebhaber von Literatur und Musik,
welche den Reiz europaeischer Gesellschaft in diese fernen Himmelsstriche
verpflanzt haben. In dieser Beziehung haben die canarischen Inseln mit den
uebrigen spanischen Kolonien, Havanna ausgenommen, wenig gemein.

Am Vorabend des Johannistages wohnten wir einem laendlichen Feste in Herrn
Littles Garten bei. Dieser Handelsmann, der den Canarien bei der letzten
Getreidetheuerung bedeutende Dienste erwiesen, hat einen mit vulkanischen
Truemmern bedeckten Huegel angepflanzt und an diesem koestlichen Punkt einen
englischen Garten angelegt, wo man eine herrliche Aussicht auf die
Pyramide des Pics, auf die Doerfer an der Kueste und die Insel Palme hat,
welche die weite Meeresflaeche begrenzt. Ich kann diese Aussicht nur mit
der in den Golfen von Neapel und Genua vergleichen, aber hinsichtlich der
Grossartigkeit der Massen und der Fuelle des Pflanzenwuchses steht Orotave
ueber beiden. Bei Einbruch der Nacht bot uns der Abhang des Vulkans auf
einmal ein eigenthuemliches Schauspiel. Nach einem Brauch, den ohne Zweifel
die Spanier eingefuehrt hatten, obgleich er an sich uralt ist, hatten die
Hirten die Johannisfeuer angezuendet. Die zerstreuten Lichtmassen, die vom
Winde gejagten Rauchsaeulen hoben sich an den Seiten des Pics vom
Dunkelgruen der Waelder ab. Freudengeschrei drang aus der Ferne zu uns
herueber, und schien der einzige Laut, der die Stille der Natur an jenen
einsamen Orten unterbrach.

Die Familie Cologan besitzt ein Landhaus naeher an der Kueste als das eben
beschriebene. Der Name, den ihm der Eigenthuemer gegeben, bezeichnet den
Eindruck, den dieser Landsitz macht. Das Haus *la Paz* hatte zudem noch
besonderes Interesse fuer uns. Borda, dessen Tod wir bedauerten, hatte hier
bei seiner letzten Reise nach den Canarien gewohnt. Auf einer kleinen
Ebene in der Naehe hat er die Standlinie zur Messung der Hoehe des Pics
abgesteckt. Bei dieser trigonometrischen Messung diente der grosse
Drachenbaum von Orotava als Signal. Wollte einmal ein unterrichteter
Reisender eine genauere Messung des Vulkans mittelst astronomischer
Repetitionskreise vornehmen, so muesste er die Standlinie nicht bei Orotava,
sondern bei *los Silos*, an einem Orte, *Bante*  genannt, messen; nach
Broussonet ist keine Ebene in der Naehe des Pics so gross wie diese. Wir
botanisirten bei la Paz und fanden in Menge das _Lichen roccella_ auf
basaltischem, von der See bespuelten Gestein. Die Orseille der Canarien ist
ein sehr alter Handelsartikel; man bezieht aber das Moos weniger von
Teneriffa als von den unbewohnten Inseln Salvage, Graciosa, Alagranza,
sogar von Canaria und Hierro.

Am 24. Juni Morgens verliessen wir den Hafen von Orotava; in Laguna
speisten wir beim franzoesischen Consul. Er hatte die Gefaelligkeit, die
Besorgung der geologischen Sammlungen zu uebernehmen, die wir dem
Naturaliencabinett des Koenigs von Spanien uebermachten. Als wir vor der
Stadt auf die Rhede hinausblickten, sahen wir zu unserem Schreck den
Pizarro, unsere Corvette, unter Segel. Im Hafen angelangt, erfuhren wir,
er lavire mit wenigen Segeln, uns erwartend. Die englischen bei Teneriffa
stationirten Schiffe waren verschwunden, und wir hatten keinen Augenblick
zu verlieren, um aus diesen Strichen wegzukommen. Wir schifften uns allein
ein; unsere Reisegefaehrten waren Canarier gewesen, die nicht mit nach
Amerika gingen.

Ehe wir den Archipel der Canarien verlassen, werfen wir einen Blick auf
die Geschichte des Landes.

Vergeblich sehen wir uns im Periplus des Hanno und dem des Scylax nach den
ersten schriftlichen Urkunden ueber die Ausbrueche des Pics von Teneriffa
um. Diese Seefahrer hielten sich aengstlich an die Kuesten, sie liefen jeden
Abend in eine Bay und ankerten, uns so konnten sie nichts von einem Vulkan
wissen, der 56 Meilen vom Festland von Afrika liegt. Hanno berichtet
indessen von leuchtenden Stroemen, die sich in das Meer zu ergiessen
schienen; jede Nacht haben sich auf der Kueste viele Feuer gezeigt, und der
grosse Berg, der *Goetterwagen* genannt, habe Feuergarben ausgeworfen, die
bis zu den Wolken aufgestiegen. Aber dieser Berg, nordwaerts von der Insel
der Gorillas,(23) bildete das Westende der Atlaskette, und es ist zudem
sehr zweifelhaft, ob die von Hanno bemerkten Feuer wirklich von einem
vulkanischen Ausbruch herruehrten, oder von dem bei so vielen Voelkern
herrschenden Brauch, die Waelder und das duerre Gras der Savannen
anzuzuenden. In neuester Zeit waren ja auch die Naturforscher, welche die
Expedition unter Controadmiral d´Entrecasteaux mitmachten, ihrer Sache
nicht gewiss, als sie die Insel Amsterdam mit dickem Rauch bedeckt sahen.
Auf der Kueste von Caracas sah ich mehrere Naechte hinter einander roethliche
Feuerstreifen von brennendem Grase, die sich taeuschend wie Lavastroeme
ausnahmen, die von den Bergen herabkamen und sich in mehrere Arme
theilten.

Obgleich in den Reisetagebuechern des Hanno und des Scylax, so weit sie uns
erhalten sind, keine Stelle vorkommt, die sich mit einigen Schein von
Recht auf die canarischen Inseln beziehen liesse, ist es doch sehr
wahrscheinlich, dass die Carthager und auch die Phoenicier den Pic von
Teneriffa gekannt haben. [Einer der angesehensten deutschen Gelehrten,
Heeren, haelt die glueckseligen Inseln Diodors von Sicilien fuer Madera und
Porto Santo.] Zu Platos und Aristoteles Zeit waren dunkle Geruechte davon
zu den Griechen gedrungen, nach deren Vorstellung die ganze Kueste von
Afrika jenseits der Saeulen des Hercules von vulkanischem Feuer verheert
war.(24) Die Inseln der Seligen, die man Anfangs im Norden, jenseits der
riphaeischen Gebirge bei den Hyperboraeern [Die Vorstellung vom Glueck, der
hohen Kultur und dem Reichthum der Bewohner des Nordens hatten die
Griechen, die indischen Voelker und die Mexicaner mit einander gemein.],
spaeter suedwaerts von Cyrenaica gesucht hatte, wurden nach Westen verlegt,
dahin, wo die den Alten bekannte Welt ein Ende hatte. Was man glueckselige
Inseln nannte, war lange ein schwankender Begriff, wie der Name *Dorado*
bei den ersten Eroberern Amerikas. Man versetzte das Glueck an das Ende der
Welt, wie man den lebhaftesten Geistesgenuss in einer idealen Welt jenseits
der Grenzen der Wirklichkeit sucht.

Es ist nicht zu verwundern, dass vor Aristoteles die griechischen
Geographen keine genaue Kenntniss von den canarischen Inseln und ihren
Vulkanen hatten. Das einzige Volk, das weit nach West und Nord die See
befuhr, die Carthager, fanden ihren Vortheil dabei, wenn sie diese
entlegenen Landstriche in den Schleier des Geheimnisses huellten. Der
carthagische Senat duldete keine Auswanderung Einzelner und ersah diese
Inseln als Zufluchtsort in Zeiten der Unruhe und politischen Unfaelle; so
sollten fuer die Carthager seyn, was der freie Boden von Amerika fuer die
Europaeer bei ihren buergerlichen und religioesen Zwistigkeiten geworden ist.

Die Roemer wurden erst achtzig Jahre vor Octavians Regierung naeher mit den
canarischen Inseln bekannt. Ein blosser Privatmann wollte den Gedanken
verwirklichen, den der carthagische Senat mit weiser Vorsicht gefasst. Nach
seiner Niederlage durch Sylla sucht Sertorius, muede des Waffenlaerms, eine
sichere, ruhige Zufluchtsstaette. Er waehlt die glueckseligen Inseln, von
denen man ihm an den Kuesten von Baetika eine reizende Schilderung entwirft.
Er sammelt sorgfaeltig, was ihm von Reisenden an Nachrichten zukommt; aber
in den wenigen Stuecken dieser Nachrichten, die auf uns gekommen sind, und
in den umstaendlicheren Beschreibungen des Sebosus und des Juba ist niemals
von Vulkanen und vulkanischen Ausbruechen die Rede. Kaum erkennt man die
Insel Teneriffa und den Schnee, der im Winter die Spitze des Pics bedeckt,
am Namen *Nivaria*, der einer der glueckseligen Inseln beigelegt wird. Man
koennte darnach annehmen, dass der Vulkan damals kein Feuer gespien habe,
wenn sich aus dem Stillschweigen von Schriftstellern etwas schliessen
liesse, von denen wir nichts besitzen als Bruchstuecke und trockene
Namenverzeichnisse. Umsonst sucht der Physiker in der Geschichte Urkunden
ueber die aeltesten Ausbrueche des Pics; er findet nirgends welche ausser in
der Sprache der Guanchen, in der das Wort "Echeyde"(25) zugleich die Hoelle
und den Vulkan von Teneriffa bedeutete.

Die aelteste schriftliche Nachricht von der Thaetigkeit des Vulkans, die ich
habe auffinden koennen, kommt aus dem Anfang des sechzehnten Jahrhunderts.
Sie findet sich in der Reisebeschreibung(26) des Aloysio Cadamusto, der im
Jahr 1505 auf den Canarien landete. Dieser Reisende war nicht selbst Zeuge
eines Ausbruchs, er versichert aber bestimmt, der Berg brenne fortwaehrend
gleich dem Aetna und das Feuer sey von Christen gesehen worden, die als
Sklaven der Guanchen auf Teneriffa lebten. Der Pic befand sich also damals
nicht im Zustand der Ruhe wie jetzt, denn es ist sicher, dass kein
Reisender und kein Einwohner von Teneriffa der Muendung des Pics von weitem
sichtbaren Rauch, geschweige denn Flammen, hat entsteigen sehen. Es waere
vielleicht zu wuenschen, dass der Schlund der *Caldera* sich weiter oeffnete,
die Seitenausbrueche wuerden damit weniger heftig und die ganze Inselgruppe
hatte weniger von Erdbeben zu leiden.

Ich habe zu Orotava die Frage besprechen hoeren, ob anzunehmen sey, dass der
Krater des Pics im Lauf der Jahrhunderte wieder in Thaetigkeit treten
werde. In einer so zweifelhaften Sache kann man sich nur an die Analogie
halten. Nun war nach Braccinis Bericht im Jahr 1611 der Krater des Vesuvs
im Innern mit Gebuesch bewachsen. Alles verkuendete die tiefste Ruhe, und
dennoch warf derselbe Schlund, der sich in ein schattiges Thal verwandeln
zu wollen schien, zwanzig Jahre spaeter Feuersaeulen und ungeheure Massen
Asche aus. Der Vesuv wurde im Jahr 1631 wieder so thaetig, als er im Jahr
1500 gewesen war. So koennte moeglicherweise auch der Krater des Pics sich
eines Tags wieder umwandeln. Er ist jetzt eine Solfatare, aehnlich der
friedlichen Solfatare von Puzzuoli; aber sie ist auf der Spitze eines noch
thaetigen Vulkans gelegen.

Die Ausbrueche des Pics waren seit zweihundert Jahren sehr selten, und
solche lange Pausen scheinen charakteristisch fuer sehr hohe Vulkane. Der
kleinste von allen, der Stromboli, ist fast in bestaendiger Thaetigkeit.
Beim Vesuv sind die Ausbrueche seltener, indessen haeufiger als beim Aetna
und dem Pic von Teneriffa. Die colossalen Gipfel der Anden, der Cotopaxi
und der Tungurahua speien kaum einmal im Jahrhundert Feuer. Bei thaetigen
Vulkanen scheint die Haeufigkeit der Ausbrueche im umgekehrten Verhaeltniss
mit der Hoehe und der Masser derselben zu stehen. So schien auch der Pic
nach zwei und neunzig Jahren erloschen, als im Jahr 1792 der letzte
Ausbruch durch eine Seitenoeffnung im Berg Chahorra erfolgte. In diesem
Zeitraum hat der Vesuv sechzehnmal Feuer gespieen.

Ich habe anderwo ausgefuehrt, dass der genze gebirgigte Theil des
Koenigreichs Quito anzusehen ist als ein ungeheurer Vulkan von 700
Quadratmeilen Oberflaeche, der aus verschiedenen Kegeln mit eigenen Namen,
Cotopaxi, Tungurahua, Pichincha, Feuer speit. Ebenso ruht die ganze Gruppe
der canarischen Inseln gleichsam auf Einem untermeerischen Vulkan. Das
Feuer brach sich bald durch diese, bald durch jene der Inseln Bahn. Nur
Teneriffa traegt in seiner Mitte eine ungeheure Pyramide mit einem Krater
auf der Spitze, die in jahrhundertlangen Perioden aus ihren Seiten
Lavastroeme ergiesst. Auf den andern Inseln haben die verschiedenen
Ausbrueche an verschiedenen Stellen stattgefunden, und man findet dort
keinen vereinzelnten Berg, an den die vulkanische Thaetigkeit gebunden
waere. Die von uralten Vulkanen gebildete Basaltrinde scheint dort aller
Orten unterhoehlt, und die Lavastroeme, die auf Lanzerota und Palma
ausgebrochen sind, kommen geologisch durchaus mit dem Ausbruch ueberein,
der im Jahr 1301 auf der Insel Ischia durch die Tuffe des Epomeo erfolgte.

Es folgt hier die Liste der Ausbrueche, deren Andenken sich bei den
Geschichtschreibern der Insel seit der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts
erhalten hat.

*Jahr 1558.* -- Am 15. April. Zur selben Zeit wurde Teneriffa zum erstenmal
von der aus der Levante eingeschleppten Pest verheert. Ein Vulkan oeffnet
sich auf der Insel Palma, nahe einer Quelle im _Partido de los Llanos_.
Ein Berg steigt aus dem Boden; auf der Spitze bildet sich ein Krater, der
einen hundert Toisen breiten und ueber 2500 Toisen langen Lavastrom
ergiesst. Die Lava stuerzt sich ins Meer, und durch die Erhitzung des
Wassers gehen die Fische in weitem Umkreis zu Grunde. [Dieselbe
Erscheinung wiederholte sich 1811 bei den Azoren, als der Vulkan Sabrina
auf dem Meeresboden ausbrach. Das calcinirte Skelett eines Haifisches
wurde im erloschenen, mit Wasser gefuellten Krater gefunden.]

*Jahr 1646.* -- Am 13. November thut sich ein Schlund auf der Insel Palma
bei Tigalate auf; zwei andere bilden sich am Meeresufer. Die Laven, die
sich aus diesen Spalten ergiessen, machen die beruehmte Quelle Foncaliente
oder Fuente Santa versiegen, deren Mineralwasser Kranke sogar aus Europa
herbeizog. Nach einer Volkssage wurde dem Ausbruch durch ein seltsames
Mittel Einhalt geboten. Das Bild unserer lieben Frau zum Schnee wurde aus
Santa Cruz an den Schlund des Vulkans gebracht, und alsbald fiel eine so
ungeheure Masse Schnee, dass das Feuer dadurch erlosch. In den Anden von
Quito wollen die Indianer die Bemerkung gemacht haben, dass die Thaetigkeit
der Vulkane durch vieles einsickerndes Schneewasser gesteigert wird.

*Jahr 1677.* -- Dritter Ausbruch auf der Insel Palma. Der Berg las Cabras
wirft aus einer Menge kleienr Oeffnungen, die sich nacheinander bilden,
Schlacken und Asche aus.

*Jahr 1704.* -- Am 31. December. Der Pic von Teneriffa macht einen
Seitenausbruch in der Ebene les Infantes, oberhalb Ocore, im Bezirk
Guimar. Furchtbare Erdbeben gingen dem Ausbruch voran. Am 5. Januar 1705
thut sich ein zweiter Schlund in der Schlucht Almerchiga, eine Meile von
Icore auf. Die Lava ist so stark, dass sie das ganze Thal Fasnia oder Areza
ausfuellt. Dieser zweite Schlund hoert am 13. Januar zu speien auf. Ein
dritter bildet sich am 2. Februar in der Canada de Araso. Die Lava in drei
Stroemen bedroht das Dorf Guimar, wird aber im Thal Melosar durch einen
Felsgrat aufgehalten, der einen unuebersteiglichen Damm bildet. Waehrend
dieser Ausbrueche spuert die Stadt Orotava, die nur einen schmaler Damm von
den neuen Schluenden trennt, starke Erdstoesse.

*Jahr 1706.* -- Am 5. Mai. Ein weiterer Seitenausbruch des Pics von
Teneriffa. Der Schlund bricht ab suedlich vom Hafen von Garachico, damls
dem schoensten und besuchtesten der Insel. Die volkreiche, wohlhabende
Stadt hatte eine malerische Lage am Saum eines Lorbeerwaldes. Zwei
Lavastroeme zerstoeren sie in wenigen Stunden; kein Haus blieb stehen. Der
Hafen, der schon im Jahr 1645 gelitten hatte, weil ein Hochwasser viel
Erdreich hineingefuehrt, wurde so ausgefuellt, dass die sich aufthuermenden
Laven in der Mitte seines Umfangs ein Vorgebirge bildeten. Ueberall, rings
um Garachico, wurde das Erdreich voellig umgewandelt. Aus der Ebene stiegen
Huegel auf, die Quellen blieben aus, und Felsmassen wurden durch die
haeufigen Erdstoesse der Dammerde und des Pflanzenwuchses beraubt und blieben
nackst stehen. Nur die Fischer liessen nicht vom heimathlichen Boden.
Muthig, wie die Einwohner von Torre del Greco, erbauten sie wieder ein
Doerfchen auf Schlackenhaufen und dem verglasten Gestein.

*Jahr 1730.* -- Am 1. September. Eine der furchtbarsten Catastrophen
zerstoert den Landungsplatz der Insel Lancerota. Ein neuer Vulkan bildet
sich bei Temenfaya. Die Lavastroeme und die Erdstoesse, welche den Ausbruch
begleiten, zerstoeren eine Menge Doerfer, worunter die alten Flecken der
Guanchen Tingafa, Macintase und Guatisca. Die Stoesse dauern bis 1736 fort,
und die Bewohner von Lancerota fluechten sich grossen Theils auf die Insel
Fortanventra. Waehrend dieses Ausbruchs, von dem schon im vorigen Capitel
die Rede war, sieht man eine dicke Rauchsaeule aus der See aufsteigen.
Pyramidalische Felsen erheben sich ueber der Meeresflaeche, die Klippen
werden immer groesser und verschmelzen allmaehlich mit der Insel selbst.

*Jahr 1798.* -- Am 9. Juni. Seitenausbruch des Pics von Teneriffa, am
Abhang des Berges Charhorra oder Venge, [Der Abhang des Berges Venge, auf
dem Ausbruch stattfand, heisst Chazajane.] an einem voellig unbebauten Ort.
Dieser Berg, der sich an den Pic anlehnt, galt von jeher fuer eine
erloschenen Vulkan. Er besteht zwar aus festen Gebirgsarten, verhaelt sich
aber doch zum Pic wie der Monte Rosso, der im Jahr 1661 aufstieg, oder die
_boche nueve_, die im Jahr 1794 aufbrachen, zum Aetna und zum Vesuv. Der
Ausbruch des Chahorra waehrte drei Monate und sechs Tage. Die Lava und die
Schlacken wurden aus vier Muendungen in Einer Reihe ausgeworfen. Die drei
bis vier Toisen hoch aufgethuermte Lava legte drei Fuss in der Stunde
zurueck. Da dieser Ausbruch nur ein Jahr vor meiner Ankunft auf Teneriffa
erfolgt war, so war der Eindruck desselben bei den Einwohnern noch sehr
lebhaft. Ich sah bei Herrn le Gros in Durasno eine von ihm an Ort und
Stelle entworfene Zeichnung der Oeffnungen des Chahorra. Don Bernardo
Cologan hat diese Oeffnungen, acht Tage nachdem sie aufgebrochen, besucht
und die Haupterscheinungen bei dem Ausbruch in einem Aufsatz beschrieben,
von dem er mir eine Abschrift mittheilte, um sie meiner Reisebeschreibung
einzuverleiben. Seitdem sind dreizehn Jahre verflossen; Bory St. Vincent
ist mir mit der Veroeffentlichung des Aufsatzes zuvorgekommen, und so
verweise ich den Leser auf sein interessantes Werk: _Essai sur les iles
fortunees._ Ich beschraenke mich hier darauf, Einiges ueber die Hoehe
mitzutheilen, zu der sehr ansehnliche Felstuecke aus den Oeffnungen des
Chahorra emporgeschleudert wurden. Cologan zaehlte waehrend des Falls der
Steine 12-15 Secunden, [Cologan bemerkt, der Fall habe sogar ueber 15
Sekunden gedauert, weil er den Stein mit dem Auge nicht verfolgen konnte,
bis er auffiel.] das heisst er fing im Moment zu zaehlen an, wo sie ihre
hoechste Hoehe erreicht hatten. Aus dieser interessanten Beobachtung geht
hervor, dass die Felstuecke aus der Oeffnung ueber dreitausend Fuss hoch
geschleudert wurden.

Alle in dieser chronologischen Uebersicht verzeichneten Ausbrueche gehoeren
den drei Inseln Palma, Teneriffa und Lancerota an. Wahrscheinlich sind vor
dem sechzehnten Jahrhundert die uebrigen Inseln auch vom vulkanischen Feuer
heimgesucht worden. Nach mit mitgetheilten unbestimmten Notizen laege
mitten auf der Insel Ferro ein erloschener Vulkan und ein anderer auf der
Grossen Canaria bei Arguineguin. Es waere aber wichtig zu erfahren, ob sich
an der Kalkformation von Fortaventura oder am Granit und Glimmerschiefer
von Gomera Spuren des unterirdischen Feuers zeigen.

Die rein seitliche vulkanische Thaetigkeit des Pics von Teneriffa ist
geologisch um so merkwuerdiger, als sie dazu beitraegt, die Berge, die sich
an den Hauptvulkan anlehnen, isolirt erscheinen zu lassen. Allerdings
kommen auch beim Aetna und beim Vesuv die grossen Lavastroeme auch nicht aus
dem Krater selbst, und die Masse geschmolzener Stoffe steht meist im
umgekehrten Verhaeltniss mit der Hoehe, in der sich die Spalte bildet, welche
die Lava auswirft. Aber beim Vesuv und Aetna endet ein Seitenausbruch
immer damit, dass der Krater, das heisst die eigentliche Spitze des Bergs,
Feuer und Asche auswirft. Beim Pic von Teneriffa ist solches seit
Jahrhunderten nicht vorgekommen. Auch beim letzten Ausbruch im Jahr 1798
blieb der Krater vollkommen unthaetig. Sein Grund hat sich nicht gesenkt,
waehrend nach Leopolds von Buch scharfsinniger Bemerkung beim Vesuv die
groessere oder geringere Tiefe des Kraters fast ein untruegliches Zeichen
ist, ob ein neuer Ausbruch bevorsteht oder nicht.

Werfen wir jetzt einen Blick darauf, wie einst geschmolzenen Felsmassen
des Pics, wie die Basalte und Mandelsteine sich allmaehlich mit einer
Pflanzendecke ueberzogen haben, wie die Gewaechse an den steilen Abhaengen
des Vulkans vertheilt sind, welcher Charakter der Pflanzenwelt der
canarischen Inseln zukommt.

Im noerdlichen Theile des gemaessigten Erdstrichs bedecken cryptogamische
Gewaechse zuerst die steinigte Erdrinde. Auf die Flechten und Moose, deren
Lauf sich unter dem Schnee entwickelt, folgen grasartige und anderen
phanerogame Pflanzen. Anders an den Grenzen des heissen Erdstrichs und
zwischen den Tropen selbst. Allerdings findet man dort, was auch manche
Reisende sagen moegen, nicht allein auf den Bergen, sondern auch an
feuchten, schattigen Orten Funarien, Dicranum- und Bryumarten; unter den
zahlreichen Arten dieser Gattungen befinden sich mehrere, die zugleich in
Lappland, auf dem Pic von Teneriffa und in den blauen Bergen auf Jamaica
vorkommen; im Allgemeinen aber beginnt die Vegetation in den Laendern in
der Naehe der Tropen nicht mit Flechten und Moosen. Auf den Canarien, wie
in Guinea und an den Felsenkuesten von Peru, sind es die Saftpflanzen, die
den Grund zur Dammerde legen, Gewaechse, deren mit unzaehligen Oeffnungen
und Hautgefaessen versehenen Blaetter der umgebenden Luft des darin
aufgeloeste Wasser entziehen. Sie wachsen in den Ritzen des vulkanischen
Gesteins und bilden gleichsam die erste vegetabilische Schicht, womit sich
die Lavastroeme ueberziehen. Ueberall wo die Laven verschlackt sind oder
eine glaenzende Oberflaeche haben, wie die Basaltkuppen im Norden von
Lancerota, entwickelt sich die Vegetation ungemein langsam darauf, und es
vergehen mehrere Jahrhunderte, bis Buschwerk darauf waechst. Nur wenn die
Lava mit Tuff und Asche bedeckt ist, verliert sich auf vulkanischen
Eilanden die Kahlheit, die sich in der erstene Zeit nach ihrer Bildung
auszeichnet, und schmuecken sie sich mit einer ueppigen glaenzenden
Pflanzendecke.

In seinem gegenwaertigen Zustand zeigt die Insel Teneriffa oder das
*Chinerfe* [Aus *Chinerfe* haben die Europaeer durch Corruption
*Tschineriffe*, *Teneriffa* gemacht.] der Guanchen fuenf Pflanzenzonen, die
man bezeichnen kann als die Regionen der Weinreben, der Lorbeeren, der
Fichten, der Retama, der Graeser. Diese Zonen liegen am steilen Abhang des
Pics wie Stockwerke ueber einander und haben 1750 Toisen senkrechte Hoehe,
waehrend 15 Grad weiter gegen Norden in den Pyrenaeen der Schnee bereits zu
1300-1400 Toisen absoluter Hoehe herabreicht. Wenn auf Teneriffa die
Pflanzen nicht bis zum Gipfel des Vulkans vordringen, so ruehrt dies nicht
daher, weil ewiges Eis(27) und die Kaelte der umgebenden Luft ihnen
unuebersteigliche Grenzen setzen: vielmehr lassen die verschlackten Laven
des Malpays und der duerre, zerriebene Bimsstein des Piton die Gewaechse
nicht an den Kraterrand gelangen.

Die *erste Zone*, die der Reben, erstreckt sich vom Meeresufer bis in
2-300 Toisen Hoehe; sie ist die am staerksten bewohnte und die einzige, wo
der Boden sorgfaeltig bebaut ist. In dieser tiefen Lage, im Hafen von
Orotava und ueberall, wo die Winde freien Zutritt haben, haelt sich der
hunderttheilige Thermometer im Winter, im Januar und Februar, um Mittag
auf 15-17 deg.; im Sommer steigt die Hitze nicht ueber 25 oder 26 deg., ist also um
5-6 deg. geringer als die groesste Hitze, die jaehrlich in Paris, Berlin und
St. Petersburg eintritt. Diess ergibt sich aus den Beobachtungen Savaggi´s
in den Jahren 1795-1799. Die mittlere Temperatur der Kueste von Teneriffa
scheint wenigstens 21 deg. (16 deg.,8 R.) zu seyn, und ihr Klima steht in der
Mitte zwischen dem von Neapel und dem heissen Erdstrichs. Auf der Insel
Madera sind die mittleren Temperaturen des Januar und des August, nach
Heberden, 17 deg.,7 und 23 deg.,8, in Rom dagegen 5 deg.,6 und 26 deg.,1. Aber so aehnlich
sich die Klimate von Madera und Teneriffa sind, kommen doch die Gewaechse
er ersteren Insel im Allgemeinen in Europa leichter fort als die von
Teneriffa. Der _Cheiranthus longifolius_ von Orotava z. B. erfriert in
Marseille, wie de Candolle beobachtet hat, waehrend der _Cheiranthus
mutabilis_ von Madera dort im Freien ueberwintert. Die Sommerhitze dauert
auf Madera nicht so lang als auf Teneriffa.

In der Region der Reben kommen vor acht Arten baumartiger Euphorbien,
Mesembryanthemum-Arten, die vom Cap der guten Hoffnung bis zum Peloponnes
verbreitet sind, die _Cacalia Kleinia_, der Drachenbaum, und andere
Gewaechse, die mit ihrem nackten, gewundenen Stamm, mit den saftigen
Blaettern und der blaugruenen Faerbung den Typus der Vegetation Afrikas
tragen. In dieser Zone werden der Dattelbaum, der Bananenbaum, der
Zuckerrohr, der indische Feigenbaum, _Arum colocasia_, dessen Wurzel dem
gemeinen Volk ein nahrhaftes Mehl liefert, der Oelbaum, die europaeischen
Obstarten, der Weinstock und die Getreidearten gebaut. Das Korn wird von
Ende Maerz bis Anfang Mai geschnitten, und man hat mit dem Anbau des
Otaheite´schen Brodbaums, des Zimmtbaums von den Molukken, des Kaffeebaums
aus Arabien und des Cacaobaums aus Amerika gelungene Versuche gemacht. Auf
mehreren Punkten der Kueste hat das Land ganz den Charakter einer
tropischen Landschaft. Chamaerops und der Dattelbaum kommen auf der
fruchtbaren Ebene von Murviedro, an der Kueste von Genua und in der
Provence bei Antibes unter 39-44 Grad der Breite ganz gut fort; einige
Dattelbaeume wachsen sogar innerhalb der Mauern von Rom und dauern in einer
Temperatur von 2 deg.,5 unter dem Gefrierpunkt aus. Wenn aber dem suedlichen
Europa nur erst ein geringes Theil von Schaetzen zugetheilt ist, welche die
Natur in der Region der Palmen ausstreut, so ist die Insel Teneriffa, die
unter derselben Breite liegt wie Egypten, das suedliche Persion und
Florida, bereits mit denselben Pflanzengestalten geschmueckt, welche den
Landschaften in der Naehe des Aequators ihre Grossartigkeit verleihen.

Bei der Musterung der Sippen einheimischer Gewaechse vermisst man ungern die
Baeume mit den zartgefiederten Blaettern und die baumartigen Graeser. Keine
Art der zahlreichen Familie der Sensitiven ist auf ihrer Wanderung zum
Archipel der Canarien vorgedrungen, waehrend sie auf beiden Continenten bis
zum 38. und 40. Breitegrad vorkommen. In Amerika ist die _Schrankchia
uncinata_ Wildenows [_Mimosa horridula, Michaux_] bis hinauf in die Waelder
von Virginien verbreitet; in Afrika waechst die _Acacia gummifera_ auf den
Huegeln bei Mogador, in Asien, westwaerts vom caspischen Meer, hat v.
Biberstein die Ebenen von Ehyrvan mit _Acacia stephaniana_ bedeckt
gesehen. Wenn man die Pflanzen von Lancerota und Fortaventura, die der
Kueste von Marocco am naechsten liegen, genauer untersuchte, koennten sich
doch unter so vielen Gewaechsen der afrikanischen Flora leicht ein paar
Mimosen finden.

Die *zweite Zone*, die der Lorbeeren, begreift den bewaldeten Strich von
Teneriffa; es ist diess auch die Region der Quellen, die aus dem immer
frischen, feuchten Rasen sprudeln. Herrliche Waelder kroenen die an den
Vulkan sich lehnenden Huegel Hier wachsen vier Lorbeerarten [_Laurus
indica, L. foetens, L. nobilis_ und _L. Til._. Zwischen diesen Baeumen
wachsen _Aridisia excelsa_, _Rhamnus glandulosus_, _Erica arborea_, _Erica
Texo._], eine der _Quercus Turneri_ aus den Bergen Tibets nahestehende
Eiche, [_Quercus Canariensis, Broussonet._] die _Visnea Mocanera_, die
_Myrica Faya_ der Azoren, ein einheimischer Olivenbaum (_Olea excelsa_),
der groesste Baum in dieser Zone, zwei Arten _Sideroxylon_ mit ausnehmend
schoenem Laub, _Arbutus callycarpa_ und andere immergruene Baume aus der
Familie der Myrten. Winden und ein vom europaeischen sehr verschiedener
Epheu (_Hedera canariensis_) ueberziehen die Lorbeerstaemme, und zu ihren
Fuessen wuchern zahllose Farn, [_Woodwardia radicans, Asplenium palmatum,
A. canariense, A. latifolium, Nothalaena subcurdata, Trichomanes
canariensis, T. speciosus_ und _Davallia canariensis_.] von denen nur drei
Arten [Zwei _Acrostichum_ und das _Ophyoglossum lusitanicum_.] schon in
der Regin der Reben vorkommen. Auf dem mit Moosen und zartem Grad
ueberzogenen Boden prangen ueberall die Bluethen der _Campanula aurea_, des
_Chrysanthemum pinnatifidum_, der _Mentha canariensis_ und mehrerer
strauchartiger Hypericumarten [_Hypericum canariense_, _H. floribundum_
und _H. glandulosum._]. Pflanzungen von wilden und geimpften Kastanien
bilden einen weiten Guertel um das Gebiet der Quellen, welches das gruenste
und lieblichste von allen ist.

Die *dritte Zone* beginnt in 900 Toisen absoluter Hoehe, da wo die letzten
Gebuesche von Erdbeerbaeumen, _Myrica Faya_ und des schoenen Heidekrauts
stehen, das bei den Eingeborenen Texo heisst. Diese 400 Toisen breite Zone
besteht ganz aus einem maechtigen Fichtenwald, in dem auch Broussonets
_Juniperus Cedro_ vorkommt. Die Fichten haben sehr lange, ziemlich steife
Blaetter, deren zuweilen zwei, meist aber drei in einer Scheide stecken. Da
wir ihre Fruechte nicht untersuchen konnten, wissen wir nicht, ob diese
Art, die im Wuchs der schottischen Fichte gleicht, sich wirklich von den
achtzehn Fichtenarten unterscheidet, die wir bereits in der alten Welt
kennen. Nach der Ansicht eines beruehmten Botanikers, dessen Reisen die
Pflanzengeographie Europas sehr gefoerdert haben, de Candolle,
unterscheidet sich die Fichte von Teneriffa sowohl von der _Pinus
atlantica_ in den Bergen bei Mogador, als von der Fichte von Aleppo,(28)
die dem Becken des mittellaendischen Meeres angehoert und nicht ueber die
Saeulen des Herkules hinauszugehen scheint. Die letzten Fichten fanden wir
am Pic etwa in 1200 Toisen Hoehe ueber dem Meer. In den Cordilleren von
Neuspanien, im heissen Erdstrich, gehen die mexicanischen Fichten bis zu
2000 Toisen Hoehe. So sehr auch die verschiedenen Arten einer und derselben
Pflanzengattung im Bau uebereinkommen, so verlangt doch jede zu ihrem
Fortkommen einen bestimmten Grad von Waerme und Verduennung der umgebenden
Luft. Wenn in den gemaessigten Landstrichen und ueberall, wo Schnee faellt,
die constante Bodenwaerme etwas hoeher ist als die mittlere Lufttemperatur,
so ist anzunehmen, dass in der Hoehe des Portillo die Wurzeln der Fichten
ihre Nahrung aus einem Boden ziehen, in dem in einer gewissen Tiefe der
Thermometer hoechstens auf 9 bis 10 Grad steigt.

Die *vierte und fuenfte Zone*, die der Retama und der Graeser, liegen so
hoch wie die unzugaenglichsten Gipfel der Pyrenaeen. Es ist diess der oede
Landstrich der Insel, wo Haufen von Bimsstein, Obsidian und zertruemmerter
Lava wenig Pflanzenwuchs aufkommen lassen. Schon oben war von den
bluehenden Bueschen des Alpenginsters _(Spartium nubigenum)_ die Rede,
welche Oasen in einem weiten Aschenmeer bilden. Zwei krautartige Gewaechse,
_Scrophularia glabrata_ und _Viola cheiranthifolia_, gehen weiter hinauf
bis ins Malpays. Ueber einem vom der afrikanischen Sonne ausgebrannten
Rasen bedeckt die _Cladonia paschalis_ duerre Strecken; die Hirten zuenden
sie haeufig an, wobei sich dann das Feuer sehr weit verbreitet. Dem Gipfel
des Pic zu arbeiten Urceolarien und andere Flechten an der Zersetzung des
verschlackten Gesteins, und so erweitert sich auf von Vulkanen verheerten
Eilanden Floras Reich durch die nie stockende Thaetigkeit organischer
Kraefte.

Ueberblicken wir die Vegetationszonen von Teneriffa, so sehen wir, dass die
ganze Insel als ein Wald von Lorbeeren, Erdbeerbaeumen und Fichten
erscheint, der kaum an seinen Raendern von Menschen urbar gemacht ist, und
in der Mitte ein nacktes steinigtes Gebiet umschliesst, das weder zum
Ackerbau noch zur Weide taugt. Nach Broussonets Bemerkung laesst sich der
Archipel der Canarien in zwei Gruppen theilen. Die erste begreift
Lancerota und Fortaventura, die zweite Teneriffa, Canaria, Gomera, Ferro
und Palma. Beide weichen im Habitus ihrer Vegetation bedeutend von
einander ab. Die ostwaerts gelegenen Inseln, Lancerota und Fortaventura,
haben weite Ebenen und nur niedrige Berge; sie sind fast quellen los, und
diese Eilande haben noch mehr als die andern die Charakter vom Continent
getrennter Laender. Die Winde wehen hier in derselben Richtung und zu
denselben Zeiten; _Euphorbia mauritanica_, _Atropa frutescens_ und
_Sonchus arborescens_ wuchern im losen Sand und dienen wie in Afrika den
Kameelen als Futter. Auf der westlichen Gruppe der Canarien ist das Land
hoeher, staerker bewaltet, und besser von Quellen bewaessert.

Auf dem ganzen Archipel finden sich zwar mehrere Gewaechse, die auch in
Portugal(29), in Spanien, auf den Azoren und im nordwestlichen Afrika
vorkommen, aber viele Arten und selbst einige Gattungen sind Teneriffa,
Porto-Santo und Madera eigenthuemlich, unter andern _Mocanera_, _Plocama_,
_Bosea_, _Canarina_, _Drusa_, _Pittosporum_.Ein Typus, der sich als ein
noerdlicher ansprechen laesst, der der Kreuzbluethen, [Von den wenigen
Cruciferen in der Flora von Teneriffa fuehren wir an: _Cheiranthus
longifolius_, _Ch. frutescens_, _Ch. scoparis,_ _Erysimum bicorne_,
_Crambe strigosa_, _C. laevigata_.] ist auf den Canarien schon weit
seltener als in Spanien und Griechenland. Weiter nach Sueden, im tropischen
Landstrich beider Continente, wo die mittlere Lufttemperatur ueber 22 deg. ist,
verschwinden die Kreuzbluethen fast gaenzlich.

Eine Frage, die fuer die Geschichte der fortschreitenden Entwicklung des
organischen Lebens auf dem Erdball von grosser Bedeutung erscheint, ist in
neuerer Zeit viel besprochen worden, naemlich, ob polymorphe Gewaechse auf
vulkanischen Inseln haeufiger sind als anderswo? Die Vegetation von
Teneriffa unterstuetzt keineswegs die Annahme, dass die Natur auf
neugebildetem Boden in Pflanzenformen weniger streng festhaelt. Broussonet,
der sich so lang auf den Canarien aufgehalten, versichert, veraenderlich
Gewaechse seyen nicht haeufiger als im suedlichen Europa. Wenn auf der Inseln
Bourbon so viele polymorphe Arten vorkommen, sollte dies nicht vielmehr
von der Beschaffenheit Bodens und des Klimas herruehren, als davon, dass die
Vegetation jung ist?

Wohl darf ich mir schmeicheln, mit dieser Naturskizze von Teneriffa
einiges Licht ueber Gegenstaende verbreitet zu haben, die bereits von so
vielen Reisenden besprochen worden sind; indessen glaube ich, dass die
Naturgeschichte dieses Archipels der Forschung noch ein weites Feld
darbietet. Die Leiter der wissenschaftlichen Entdeckungsfahrten, wie sie
England, Frankreich, Spanien, Daenemark und Russland zu ihrem Ruhme
unternommen, haben meist zu sehr geeilt, von den Canaren wegzukommen. Sie
dachten, da diese Inseln so nahe bei Europa liegen, muessten sie genau
beschrieben seyn; sie haben vergessen, dass das Innere von Neuholland
geologisch nicht unbekannter ist als die Gebirgsarten von Lancerota und
Gomera, Porto-Santo und Terceira. So viele Gelehrte bereisen Jahr fuer Jahr
ohne bestimmten Zweck die besuchtesten Laender Europas. Es waere
wuenschenswerth, dass einer und der andere, den aechte Liebe zur Wissenschaft
beseelt und dem die Verhaeltnisse eine mehrjaehrige Reise gestatten, den
Archipel der Azoren, Madera, die Canarien, die Inseln des gruenen
Vorgebirgs und die Nordwestkueste von Afrika bereiste. Nur wenn man die
atlantischen Inseln und das benachbarte Festland nach den selben
Gesichtspunkten untersucht und die Beobachtungen zusammenstellt, gelangt
man zur genauen Kenntniss der geologischen Verhaeltnisse und der Verbreitung
der Thiere und Gewaechse.

Bevor ich die alte Welt verlasse und in die neue uebersetze, habe ich einen
Gegenstand zu beruehren, der allgmeineres Interesse bietet, weil der sich
auf die Geschichte der Menschheit und die historischen Verhaengnisse
bezieht, durch welche ganze Volkssstaemme vom Erdboden verschwunden sind.
Auf Cuba, St. Domingo, Jamaica fragt man sich, wo die Ureinwohner dieser
Laender hingekommen sind; auf Teneriffa fragt man sich, was aus den
Guanchen geworden ist, deren in Hoehlen versteckte, vertrocknete Mumien
ganz allein der Vernichtung entgangen sind. Im fuenfzehnten Jahrhundert
holten fast alle Handelsvoelker, besonders aber die Spanier und
Portugiesen, Sklaven von den Canarien, wie man sie jetzt von der Kueste von
Guinea holt. [Die spanischen Geschichtsschreiber sprechen von Fahrten,
welche die Hugenotten von La Rochelle unternommen haben sollen, um
Guanchensklaven zu holen. Ich kann dies nicht glauben, da diese Fahrten
nach dem Jahr 1530 fallen muessten.] Die christliche Religion, die in ihren
Anfaengen die menschliche Freiheit so maechtig foerderte, musste der
europaeischen Habsucht als Vorwand dienen. Jedes Individuum, das gefangen
wurde, ehe es getauft war, verfiel der Sklaverei. Zu jener Zeit hatte man
noch nicht zu beweisen gesucht, dass der Neger ein Mittelding zwischen
Mensch und Thier ist; der gebraeunte Guanche und der afrikanische Neger
wurden auf dem Markte zu Sevilla mit einander verkauft, und man stritt
nicht ueber die Frage, ob nur Menschen mit schwarzer Haut und Wollhaar der
Sklaverei verfallen sollen.

Auf dem Archipel der Canarien bestanden mehrere kleine, einander feindlich
gegenueber stehende Staaten. Oft war dieselbe Insel zwei unabhaengigen
Fuersten unterworfen, wie in der Suedsee und ueberall, wo die Cultur noch auf
tiefer Stufe steht. Die Handelsvoelker befolgten damals hier dieselbe
arglistige Politik, wie jetzt auf den Kuesten von Afrika: sie leisteten den
Buergerkriegen Vorschub. So wurde ein Guanche Eigenthum des andern, und
dieser verkaufte jenen den Europaeern; manche zogen den Tod der Sklaverei
vor und toedteten sich und ihre Kinder. So hatte die Bevoelkerung der
Canarien durch den Sklavenhandel, durch die Menschenraeuberei der Piraten,
besonders aber durch lange blutige Zwiste bereits starke Verluste
erlitten, als Alonso de Lugo sie vollends eroberte. Den Ueberrest der
Guanchen raffte im Jahr 1494 groesstentheils die beruehmte Pest, die
sogenannte *Modorra* hin, die man den vielen Leichen zuschrieb, welche die
Spanier nach der Schlacht bei Laguna hatten frei liegen lassen. Wenn ein
halb wildes Volk, das man um sein Eigenthum gebracht, im selben Lande
neben einer civilisirten Nation leben muss, so sucht es sich in den
Gebirgen und Waeldern zu isoliren. Inselbewohner haben keine andere
Zuflucht, und so war denn das herrliche Volk der Guanchen zu Anfang des
siebzehnten Jahrhunderts so gut wie ausgerottet; ausser ein paar alten
Maennern in Candelaria und Guimar gab es keine mehr.

Es ist ein troestlicher Gedanke, dass die Weissen es nicht immer verschmaeht
haben, sich mit den Eingeborenen zu vermischen; aber die heutigen
Canarier, die bei den Spaniers schlechtweg *Islenos* heissen, haben
triftige Gruende, eine solche Mischung in Abrede zu ziehen. In einer langen
Geschlechtsfolge verwischen sich die charakteristischen Merkmale der
Racen, und da die Nachkommen der Andalusier, die sich auf Teneriffa
niedergelassen, selbst von ziemlich dunkler Gesichtsfarbe sind, so kann
die Hautfarbe der Weissen durch die Kreuzung der Racen nicht merkbar
veraendert worden seyn. Es ist Thatsache, dass gegenwaertig kein Eingeborener
von reiner Race mehr lebt, und sonst ganz wahrheitsliebende Reisende sind
im Irrthum, wenn sie glauben, bei der Besteigung des Pics schlanke,
schnellfuessige Guanchen zu Fuehrern gehabt zu haben. Allerdings wollen
einige canarische Familien vom letzten Hirtenkoenig von Guimar abstammen,
aber diese Ansprueche haben wenig Grund; sie werden von Zeit zu Zeit wieder
laut, wenn einer aus dem Volk, der brauner ist als seine Landsleute, Lust
bekommt, sich um eine Officiersstelle im Dienste des Koenigs von Spanien
umzuthun.

Kurz nach der Entdeckung von Amerika, als Spanien den Gipfel seines Ruhms
erstiegen hatte, war es Brauch, die sanfte Gemuethsart der Guanchen zu
ruehmen, wie man in unserer Zeit die Unschuld der Bewohner von Otaheiti
gepriesen hat. Bei beiden Bildern ist das Colorit glaenzender als wahr.
Wenn die Voelker, erschoepft durch geistige Genuesse, in der Verfeinerung der
Sitten nur Keime der Entartung vor sich sehen, so finden sie einen eigenen
Reiz in der Vorstellung, dass in weit entlegenen Laendern, beim Daemmerlicht
der Cultur, in der Bildung begriffene Menschenvereine eines reinen,
ungestoerten Glueckes geniessen. Diesem Gefuehl verdankt Tacitus zum Theil den
Beifall, der ihm geworden, als der den Roemern, den Unterthanen der
Caesaren, die Sitten der Germanen schilderte. Dasselbe Gefuehl gibt den
Beschreibungen der Reisenden, die seit dem Ende des verflossenen
Jahrhunderts die Inseln des stillen Oceans besucht haben, den
unbeschreiblichen Reiz.

Die Einwohner der zuletzt genannten Inseln, die man wohl zu stark
gepriesen hat und die einst Menschenfresser waren, haben in mehr als einer
Beziehung Aehnlichkeit mit den Guanchen von Teneriffa. Beide sehen wir
unter dem Joche eines feudalen Regiments seufzen, und bei den Guanchen war
diese Staatsform, welche so leicht Kriege herbeifuehrt und sie nicht enden
laesst, durch die Religion geheiligt. Die Priester sprachen zum Volk:
"Achaman, der grosse Geist, hat zuerst die Edlen, die Achimenceys,
geschaffen und ihnen alle Ziegen in der Welt zugetheilt. Nach den Edeln
hat Achaman das gemeine Volk geschaffen, die Achicaxnas; dieses juengere
Geschlecht nahm sich heraus, gleichfalls Ziegen zu verlangen; aber das
hoechste Wesen erwiederte, das Volk sey dazu da, den Edeln dienstbar zu
seyn, und habe kein Eigenthum noethig." Eine solche Ueberlieferung musste
den reichen Vasallen der Hirtenkoenige ungemein behagen; auch stand dem
Faycan oder Oberpriester das Recht zu, in den Adelstand zu erheben, und
ein Gesetz verordnete, dass jeder Achimencey, der sich herbeiliesse, eine
Ziege mit eigenen Haenden zu melken, seines Adels verlustig seyn sollte.
Ein solches Gesetz erinnert keineswegs an die Sitteneinfalt des
homerischen Zeitalters. Es befremdet, wenn man schon bei den Anfaengen der
Cultur die nuetzliche Beschaeftigung mit Ackerbau und Viehzucht mit
Verachtung gebrandmarkt sieht.

Die Guanchen waren beruehmt durch ihren hohen Wuchs; sie erschienen als die
Patagonen der alten Welt und die Geschichtschreiber uebertrieben ihre
Muskelkraft, wie man vor Bougainvilles und Cordobas Reisen dem Volksstamm
am Suedende von Amerika eine colossale Koerpergroesse zuschrieb. Mumien von
Guanchen habe ich nur in den europaeischen Cabinetten gesehen; zur Zeit
meiner Reise waren sie auf Teneriffa sehr selten; man muesste sie aber in
Menge finden, wenn man die Grabhoehlen, die am oestlichen Abhang des Pics
zwischen Arico und Guimar in den Fels gehauen sind, bergmaennisch
aufbrechen liesse. Diese Mumien sind so stark vertrocknet, dass ganze Koerper
mit der Haut oft nicht mehr als sechs bis sieben Pfund wiegen, das heisst
ein Drittheil weniger als das Skelett eines gleich grossen Individuums, von
dem man eben das Muskelfleisch abgenommen hat. Die Schaedelbildung aehnelt
einigermassen der der weissen Race der alten Egypter, und die Schneidezaehne
sind auch bei den Guanchen stumpf, wie bei den Mumien vom Nil. Aber diese
Zahnform ist rein kuenstlich und bei genauerer Untersuchung der Kopfbildung
der alten Guanchen haben geuebte Anatomen [Blumenbach, _Decas quinta
collectionis craniorum diversarum gentium illustrium._] gefunden, dass sie
im Jochbein un dim Unterkiefer von den aegyptischen Mumien bedeutend
abweicht. Oeffnet man Mumien von Guanchen, so findet man Ueberbleibsel
aromatischer Kraeuter, unter denen immer das _Chenopodium ambrosioides_
vorkommt; zuweilen sind die Leichen mit Schnueren geschmueckt, an denen
kleine Scheiben aus gebrannter Erde haengen, die als Zahlzeichen gedient zu
haben scheinen und die mt den Quippos der Peruaner, Mexicaner und Chinesen
Aehnlichkeit haben.

Da im Allgemeinen die Bevoelkerung von Inseln den umwandelnden Einfluessen,
wie sie Folgen von Wanderungen sind, weniger ausgesetzt ist als die
Bevoelkerung der Festlaender, so laesst sich annehmen, dass der Archipel der
Canarien zur Zeit der Carthager und Griechen vom selben Menschenstamm
bewohnt war, den die normaennischen und spanischen Eroberer vorfanden. Das
einzige Denkmal, das einiges Licht auf die Herkunft der Guanchen werfen
kann, ist ihre Sprache; leider sind uns aber davon nur etwa hundert
fuenfzig Worte aufbehalten, die zum Theil dasselbe in der Mundart der
verschiedenen Inseln bedeuten. Ausser diesen Worten, die man sorgfaeltig
gesammelt, hat man in den Namen vieler Doerfer, Huegel und Thaeler wichtige
Sprachreste vor sich. Die Guanchen, wie Basken, Hindus, Peruvianer und
alle sehr alten Voelker, benannten die Oertlichkeiten nach der
Beschaffenheit des Bodens, den sie bebauten, nach der Gestalt der Felsen,
deren Hoehlen ihnen als Wohnstaetten dienten, nach den Baumarten, welche die
Quellen beschatteten.

Man war lange der Meinung, die Sprache der Guanchen habe keine
Aehnlichkeit mit den lebenden Sprachen; aber seit die Sprachforscher durch
Hornemanns Reise und durch die scharfsinnigen Untersuchungen von Marsden
und Ventura auf die Berbern aufmerksam geworden sind, die, gleich den
slavischen Voelkern, in Nordafrika ueber eine ungeheure Strecke verbreitet
sind, hat man gefunden, dass in der Sprache der Guanchen und in den
Mundarten von Chilha und Gebali mehrere Worte gleiche Wurzeln haben.

Wir fuehren folgende Beispiele an:

+-------------+----------------+----------------+
|             |     Guanchisch |     Berberisch |
+-------------+----------------+----------------+
|     Himmel, |      *Tigo*,   |      *Tigot.*  |
+-------------+----------------+----------------+
|      Milch, |       *Aho*,   |      *Acho.*   |
+-------------+----------------+----------------+
|     Gerste, |     *Temasen*  |     *Tomzeen.* |
+-------------+----------------+----------------+
|      Korb,  |     *Carianas* |     *Carian.*  |
+-------------+----------------+----------------+
|     Wasser, |      *Aenum*   |      *Anan.*   |
+-------------+----------------+----------------+

Ich glaube nicht, dass diese Sprachaehnlichkeit ein Beweis fuer gemeinsamen
Ursprung ist; aber sie deutet darauf hin, dass die Guanchen in alter Zeit
in Verkehr standen mit den Berbern, einem Gebirgsvolk, zu dem die
Numidier, Getuler und Garamanten verschmolzen sind und das vom Ostende des
Atlas durch das Harudje und Fezzan bis zur Oase von Syuah und Audjelah
sich ausbreitet. Die Eingeborenen der Canarien nannten sich Guanchen, von
*Guan*, Mensch, wie die Tongusen sich *Pye* und *Donky* nennen, welche
Worte dasselbe bedeuten, wie Guan. Indessen sind die Voelker, welche die
Berbersprache sprechen, nicht alle desselben Stammes, und wenn Scylax in
seinem Periplus die Einwohner von Cerne als ein Hirtenvolk von hohem Wuchs
mit langen Haaren beschreibt, so erinnert diess an die koerperlichen
Eigenschaften der canarischen Guanchen.

Je genauer man die Sprachen aus philosophischem Gesichtspunkte untersucht,
desto mehr zeigt sich, dass keine ganz allein steht; diesen Anschein wuerde
auch die Sprache der Guanchen(30) noch weniger haben, wenn man von ihrem
Mechanismus und ihrem grammatischen Bau etwas wuesste, Elemente, welche von
groesserer Bedeutung sind als Wortform und Gleichlaut. Es verhaelt sich mit
gewissen Mundarten wie mit den organischen Bildungen, die sich in der
Reihe der natuerlichen Familien nirgends unterbringen lassen. Sie stehen
nur scheinbar so vereinzelt da; der Schein schwindet, so bald man eine
groessere Masse von Bildungen ueberblickt, wo dann die vermittelnden Glieder
hervortreten.

Gelehrt, die ueberall, wo es Mumien, Hieroglyphen und Pyramiden gibt,
Egypten sehen, sind vielleicht der Ansicht, das Geschlecht Typhons und die
Guanchen stehen in Zusammenhang mittelst der Berbern, aechter Atlanten, zu
denen die Tibbos und Tuarycks der Wueste gehoeren. [Hornemanns Reise von
Cairo nach Mourzouk.] Es genuegt hier aber an der Bemerkung, dass eine
solche Annahme durch keinerlei Aehnlichkeit zwischen der Berbersprache und
dem Coptischen, das mit Recht fuer ein Ueberbleibsel des alten Egyptischen
gilt, unterstuetzt wird.

Das Volk, das die Guanchen verdraengt hat, stammt von Spaniern und zu einem
sehr kleinen Theil von Normannen ab. Obgleich diese beiden Volksstaemme
drei Jahrhunderte lang demselben Klima ausgesetzt gewesen sind, zeichnet
sich dennoch der letztere durch weissere Haut aus. Die Nachkommen der
Normannen wohnen im Thal Taganana zwischen Punte de Naga und Punta de
Hidalgo. Die Namen Grandville und Dampierre kommen in diesem Bezirke noch
ziemlich haeufig vor. Die Canarier sind ein redliches, maessiges und
religioeses Volk; zu Haus zeigen sie aber weniger Betriebsamkeit als in
fremden Laendern. Ein unruhiger Unternehmungsgeist treibt diese Insulaner,
wie die Biscayer und Catalanen, auf die Philippinen, auf die Marianen, und
in Amerika ueberall hin, wo es spanische Colonien gibt, von Chili und dem
la Plata bis nach Neumexico. Ihnen verdankt man grossentheils die
Fortschritte des Ackerbaus in den Colonien. Der ganze Archipel hat kaum
160,000 Einwohner, und der *Islenos* sind vielleicht in der neuen Welt
mehr als in ihrer alten Heimath.

+-------------+--------------+-------+-----------+--------------+
|             | hatte auf Q. | i. J. | Einwohner | auf die Q.M. |
|             | Seemeilen    |       |           |              |
+-------------+--------------+-------+-----------+--------------+
|Teneriffa    | 73           | 1790  | 70,000,   | 958          |
+-------------+--------------+-------+-----------+--------------+
|Fortaventura | 63           | 1790  | 9,000,    | 142          |
+-------------+--------------+-------+-----------+--------------+
|Die grosse    | 60           | 1790  | 50,000,   | 833          |
|Canaria      |              |       |           |              |
+-------------+--------------+-------+-----------+--------------+
|Palma        | 27           | 1790  | 22,600,   | 837          |
+-------------+--------------+-------+-----------+--------------+
|Lancerota    | 26           | 1790  | 10,000,   | 384          |
+-------------+--------------+-------+-----------+--------------+
|Gomera       | 14           | 1790  | 7,400,    | 528          |
+-------------+--------------+-------+-----------+--------------+
|Ferro        | 7            | 1790  | 5,000,    | 714          |
+-------------+--------------+-------+-----------+--------------+

An Wein werden auf Teneriffa geerntet 20-24,000 Pipes, worunter 5000
Malvasier; jaehrliche Ausfuhr von Wein 8-9000 Pipes; Gesammt-Getreideernte
des Archipels 54,000 Fanegas zu hundert Pfund. In gemeinen Jahren reicht
diese Ernte aus zum Unterhalt der Einwohner, die grossentheils von Mais,
Kartoffeln und Bohnen (_Frisoles_) leben. Der Anbau des Zuckerrohrs und
der Baumwolle ist von geringem Belang, und die vornehmsten Handelsartikel
sind Wein, Branntwein, Orseille und Soda. Bruttoeinnahme der Regierung,
die Tabakspacht eingerechnet, 240,000 Piaster.

Auf nationaloekonomische Eroerterungen ueber die Wichtigkeit der canarischen
Inseln fuer die Handelsvoelker Europas lasse ich mich nicht ein. Ich
beschaeftigte mich waehrend meines Aufenthalts zu Caracas und in der Havana
lange mit statistischen Untersuchungen ueber die spanischen Colonien, ich
stand in genauer Verbindung mit Maennern, die auf Teneriffe bedeutende
Aemter bekleidet, und so hatte ich Gelegenheit, viele Angaben ueber den
Handel von Santa Cruz und Orotava zu sammeln. Da aber mehrere Gelehrte
nach mir die Canarien besucht haben, standen ihnen dieselben Quellen zu
Gebot, und ich entferne ohne Bedenken aus meinem Tagebuch, was in Werken,
die vor dem meinigen erschienen sind, genau verzeichnet steht. Ich
beschraenke mich hier auf einige Bemerkungen, mit denen die Schildung, die
ich vom Archipel der Canarien entworfen, geschlossen seyn mag.

Es ergeht diesen Inseln, wie Egypten, der Krimm und so vielen Laendern,
welche von Reisenden, welche in Contrasten Wirkung suchen, ueber das Maass
gepriesen oder heruntergesetzt worden sind. Die einen schildern von
Orotava aus, wo sie ans Land gestiegen, Teneriffa als einen Garten der
Hesperiden; sie koennen das milde Klima, den fruchtbaren Boden, den reichen
Anbau nicht genug ruehmen; andere, die sich in Santa Cruz aufhalten mussten,
sahen in den glueckseligen Inseln nichts als ein kahles, duerres, von einem
elenden, geistesbeschraenkten Volke bewohntes Land. Wir haben gefunden, dass
die Natur auf diesem Archipelagus, wie in den meisten gebirgigen und
vulkanischen Laendern, ihre Gaben sehr ungleich vertheilt hat. Die
canarischen Inseln leiden im Allgemeinen an Wassermangel; aber wo sich
Quellen finden, wo kuenstlich bewaessert wird oder haeufig Regen faellt, da
ist auch der Boden ausnehmend fruchtbar. Das niedere Volk ist fleissig,
aber es entwickelt seine Thaetigkeit ungleich mehr in fernen Colonien als
auf Teneriffa selbst, wo dieselbe auf Hindernisse stoesst, die eine kluge
Verwaltung allmaehlich aus dem Wege raeumen koennte. Die Auswanderung wird
abnehmen, wenn man sich entschliesst, das unangebaute Grundeigenthum des
Staats unter der Einwohnerschaft zu vertheilen, die Laendereien, welche zu
den Majoraten der grossen Familien gehoeren, zu verkaufen und allmaehlich die
Feudalrechte abzuschaffen.

Die gegenwaertige Bevoelkerung der Canarien erscheint allerdings
unbedeutend, wenn man sie mit der Bevoelkerung mancher europaeischen Laender
vergleicht. Die Insel Madera, deren fleissige Bewohner einen fast von
Pflanzenerde entbloessten Felsen bebauen, ist siebenmal kleiner als
Teneriffa, und doch doppelt so stark bevoelkert; aber die Schriftsteller,
die sich darin gefallen, die Entvoelkerung der spanischen Colonien mit so
grellen Farben zu schildern und den Grund davon in der kirchlichen
Hierarchie suchen, uebersehen, dass ueberall seit der Regierung Philipps V.
die Zahl der Einwohner in mehr oder minder rascher Zunahme begriffen ist.
Bereits ist auf den Canaren die Bevoelkerung relativ staerker als in beiden
Castilien, in Estremadure und in Schottland. Alle Inseln zusammengerueckt
stellen ein Gebirgsland dar, das um ein Siebentheil weniger Flaecheninhalt
hat als die Insel Corsica und doch gleich viel Einwohner zaehlt.

Obgleich die Inseln Fortaventura und Lancerota, die am schlechtesten
bevoelkert sind, Getreide ausfuehren, waehrend Teneriffa gewoehnlich nicht
zwei Drittheile seines Bedarfs erzeugt, so darf man doch daraus nicht den
Schluss ziehen, dass auf letzterer Insel die Bevoelkerung aus Mangel an
Lebensmitteln nicht zunehmen koennte. Die canarischen Inseln sind noch auf
lange vor den Uebeln der Ueberbevoelkerung bewahrt, deren Ursachen Mathus
so sicher und scharfsinnig entwickelt hat. Das Elend des Volks ist um
vieles gelindert worden, seit der Kartoffelbau eingefuehrt ist und man
angefangen hat mehr Mais als Gerste und Weizen zu bauen.

Die Bewohner der Canarien sind ihrem Charakter nach ein Gebirgsvolk und
ein Inselvolk zugleich. Will man sie richtig beurtheilen, muss man sie
nicht nur in ihrer Heimath sehen, wo ihr Fleiss auf gewaltige Hemmnisse
stoesst; man muss sie beobachten in den Steppen der Provinz Caracas, auf dem
Ruecken der Anden, auf den gluehenden Ebenen der Philippinen, ueberall wo
sie, einsam in unbewohnten Laendern, Gelegenheit finden die Kraft und die
Thaetigkeit zu entwickeln, welcher der wahre Reichthum des Colonisten sind.

Die Canarier gefallen sich darin, ihr Land als einen Theil des
europaeischen Spaniens zu betrachten, und sie haben auch wirklich die
castilianische Literatur bereichert. Die Namen Clavigo (Verfasser des
*Pensador*), Viera, Yriarte und Betancourt sind in Wissenschaft und
Literatur mit Ehren genannt; das canarische Volk besietzt die lebhafte
Einbildungskraft, die den Bewohnern von Andalusien und Grenada eigen ist,
und es ist zu hoffen, dass die glueckseligen Inseln, wo der Mensch wie
ueberall die Segnungen und die harte Hand der Natur empfindet, dereinst
einen eingebornen Dichter finden, der sie wuerdig besingt.

                            ------------------





   10 Die Schwaeche der Lebenskraft zeigt sich an den Maulbeerbaeumen, die
      auf magerem sandigen Boden in der Naehe des baltischen Meeres gezogen
      werden. Die Spaetfroeste thun ihnen weit weher als den Maulbeerbaeumen
      in Piemont. In Italien bringt ein Frost von 5 Grad unter dem
      Gefrierpunkt kraeftige Orangenbaeume nicht um. Diese Baeume, die
      weniger empfindlich sind als Citronen, erfrieren nach Galesio erst
      bei -10 deg. der hunderttheiligen Scale.

   11 Adanson wundert sich, dass die Baobabs nicht von andern Reisenden
      beschrieben worden seyen. Ich finde in der Sammlung des Grynaeus, dass
      schon Aloysio Cadamosto vom hohen Alter dieser ungeheuren Baeume
      spricht, die er im Jahr 1504 gesehen, und von denen er ganz richtig
      sagt: _"eminentia altitudinis non quadrat magnitudini."
      Cadam. navig. c. 42_. Am Senegeal und bei Praya auf den Cap
      Verdischen Inseln haben Adanson und Staunton Adansonien gesehen,
      deren Stamm 56 bis 60 Fuss im Umfang hatte. Den Baobab mit 34 Fuss
      Durchmesser hat Golberry im Thal der zwei Gagnack gesehen.

   12 Ebenso verhaelt es sich mit den Platanen _(Platanus occidentalis)_,
      die Michaux zu Marietta am Ufer des Ohio gemessen hat und die 20 Fuss
      ueber dem Boden noch 15 7/10 Fuss im Durchmesser hatten. Die Taxus,
      die Kastanien, die Eichen, die Platanen, die kahlen Cypressen, die
      Bombax, die Mimosen, die Caesalpinen, die Hymenaeen und die
      Drachenbaeume sind, wie mir scheint, die Gewaechse, bei denen in
      verschiedenen Klimaten Faelle von so ausserordentlichem Wachsthum
      vorkommen. Eine Eiche, die zugelcih mit gallischen Helmen im Jahr
      1809 in den Torfgruben im Departement der Somme beim Dorf Aseux,
      sieben Lieues von Abbeville, gefunden wurde, gibt dem Drachenbaum
      von Orotava in der Dicke nichts nach. Nach Angabe von Traullee hatt
      der Stamm der Eiche 14 Fuss Durchmesser.

   13 Schousboue (Flora von Marocco) erwaehnt seiner nicht einmal unter den
      cultivirten Pflanzen, waehrend er doch vom Cactus, von der Agave und
      der Yucca spricht. Die Gestalt des Drachenbaumes kommt verschiedenen
      Arten der Gattung Dracaena am Cap der Guten Hoffnung, in China und
      auf Neuseeland zu; aber in der neuen Welt vertritt die Yucca die
      Stelle derselben; denn die _Dracaena borealis_ d'Aitons ist eine
      _Convallaria_, deren Habitus sie auch hat. Der im Handel unter dem
      Namen Drachenblut bekannte adstringierende Saft kommt nach unseren
      Untersuchungen an Ort und Stelle von verschiedenen amerikanischen
      Pflanzen, die nicht derselben Gattung angehoeren, unter denen sich
      einige Lianen befinden. In Laguna verfertigt man in Nonnenkloestern
      Zahnstocher, die mit dem Saft des Drachenbaumes gefaerbt sind, und
      die man uns sehr anpries, weil sie das Zahnfleische conserviren
      sollten.

   14 Diese Benennung war schon zu Anfang des vorigen Jahrhunderts im
      Brauch. Edens, der alle spanischen Woerter verdreht, wie noch heute
      die meisten Reisenden, nennt sie *Stancha*; es ist Bordas *Station
      des rochers*, wie aus den daselbst beobachteten Barometerhoehen
      hervorgeht. Diese Hoehen waren nach Cordier im Jahr 1803 19 Zoll 9,5
      Linien, und nach Borda und Varela im Jahr 1776 19 Zoll 9,8 Linien,
      waehrend er Barometer zu Orotava bis auf eine Linie ebenso hoch
      stand.

   15 In den meisten Erdhoehlen, z. B. in der von Saint George, zwischen
      Riort und Rolle, bildet sich an den Kalksteinwaenden selbst im Sommer
      eine duenne Schichte durchsichtigen Eises. Pictet hat die Beobachtung
      gemacht, dass der Thermometer alsdann in der Luft der Hoehle nicht
      unter 2 - 3 deg. steht, so dass man das Frieren des Wassers einer
      oertlichen, sehr raschen Verdunstung zuzuschreiben hat.

   16 In der Rechung wurden fuer 91 deg. 54' scheinbaren Abstands vom Zenith
      57' 7" Refraction angenommen. Die Sonne erscheint bei ihrem Aufgang
      auf dem Pic von Teneriffa um so viel frueher, als sie braucht, um
      einen Bogen von 1 deg. 54' zurueckzulegen. Fuer den Gipfel des Chimborazo
      nimmt dieser Bogen nur um 41' zu. Die Alten hatten so uebertriebenen
      Vorstellungen von der Beschleunigung des Sonnenaufgangs auf dem
      Gipfel hoher Berge, dass sie behaupteten, die Sonne sey auf dem Berg
      Athos drei Stunden frueher sichtbar, als am Ufer des aegeischen
      Meeres. (Strabo Buch VII.) Und doch ist der Athos nach Delambre nur
      713 Toisen hoch.

   17 Diese Frage ist mit grossem Scharfsinn von Breislack in seiner
      _Introduzzione alle Geologia_ eroertert. Der Cotopaxi und der
      Popocatepetl, die ich im Jahr 1804 Rauch und Asche auswerfen sah,
      liegen weiter vom grossen Ocean und dem Meere der Antillen als
      Grenoble vom Mittelmeer und Orleans vom atlantischen Meer. Man kann
      es allerdings nicht als einen blossen Zufall ansehen, dass man keinen
      thaetigen Vulkan entdeckt hat, der ueber 40 Seemeilen von der
      Meereskueste laege; aber die Hypothese, nach der das Meerwasser von
      den Vulkanen aufgesogen, destillirt und zersetzt wuerde, scheint mit
      sehr zweifelhaft.

   18 Von allen kleinen canarischen Inseln ist nur die Rocca del Este vom
      Pic auch bei hellem Wetter nicht zu sehen. Sie liegt 3 deg.,5 ab,
      Salvage dagegen nur 2 deg. 1'. Die Insel Madera, die 4 deg. 29' entfernt
      ist, waere nur dann zu sehen, wenn ihre Berge ueber 3000 Toisen hoch
      waeren.

   19 "_La refraction de par todo._" Wir haben schon oben bemerkt, dass die
      amerikanischen Fruechte, welche das Meer haeufig an die Kuesten von
      Ferro und Gomera wirft, frueher fuer Gewaechse der Insel San Borondon
      gehalten wurden. Dieses Land, das nach der Volkssage von einen
      Erzbischof und sechs Bischoefen regiert wurde, und das, nach Pater
      Feijoos Ansicht, das auf einer Nebelschicht projicirte Bild der
      Insel Ferro ist, wurde im sechzehnten Jahrhundert vom Koenig von
      Portugal Ludwig Perdigon geschenkt, als dieser sich zur Eroberung
      desselben ruestete.

   20 Nach Odonell und Armstrong stand auf dem Gipfel des Pics am
      2. August 1806 um acht Uhr Morgnes der Thermometer im Schatten auf
      13 deg.,8, in der Sonne auf 20 deg.,5; Unterschied oder Wirkung der
      Sonne: 6 deg.,7.

   21 Im Merz 1805 fingen Gay-Lussac und ich beim Hospiz auf dem Mont
      Cenis in einer stark elektrisch geladenen Wolke Luft auf und
      zerlegten sie im Volta´schen Eudometer. Sie enthielt keinen
      Wasserstoff und nicht um 0,002 weniger Sauerstoff als die Pariser
      Luft, die wir in hermetisch verschlossenen Flaschen bei uns hatten.

   22 Da viele Reisende, welche bei Santa Cruz de Teneriffa anlegen, die
      Besteigung des Pics unterlassen, weil sie nicht wissen, wie viel
      Zeit man dazu braucht, so sind die folgenden Angaben wohl nicht
      unwillkommen. Wenn man bis zum Haltpunkt der Englaender sich der
      Maulthiere bedient, braucht man von Orotava aus zur Besteigung des
      Pics und zur Rueckkehr in den Hafen 21 Stunden; naemlich von Orotava
      zum Pino del Dornajito 3 Stunden, von da zur Felsenstation 6, von da
      nach der Caldera 3 1/2. Fuer die Rueckkehr rechne ich 9 Stunden. Es
      handelt sich dabei nur von der Zeit, die man unterwegs zubringt,
      keineswegs von der, die man auf die Untersuchung der Produkte des
      Pic oder zum Ausruhen verwendet. In einem halben Tag gelangt man von
      Santa Cruz de Teneriffa nach Orotava.

   23 Auf dieser Insel sah der carthaginensische Feldherr zum erstenmal
      eine grosse menschenaehnliche Affenart, die Gorillas. Er beschreibt
      sie als durchaus behaarte Weiber, und als hoechst boesartig, weil sie
      sich mit Naegeln und Zaehnen wehrten. Er ruehmt sich, ihrer drei die
      Haut abgezogen zu haben, um sie mitzunehmen. Gosselin verlegt die
      Insel der Gorillas an die Muendung des Flusses Nun, aber nach dieser
      Annahme muesste der Sumpf, in dem Hanno eine Menge Elephanten weiden
      sah, unter 351/2 Grad Breite liegen, beinahe am Nordende von Afrika.

_   24 Aristoteles, Mirab. Auscultat._ Solinus sagt vom Atlas: _vertex
      semper nivalis lucet nocturnis ignibus_; aber dieser Atlas ist
      gleich dem Berge Meru der Hindus ein aus richtigen Begriffen und
      mythischen Fictionen zusammengesetztes Ding, und lag nicht auf einer
      der hesperischen Inseln, wie Abbe Viera und nach ihm verschiedene
      Reisende annehmen, die den Pic von Teneriffa beschreiben. Die
      folgenden Stellen lassen keinen Zweifel hierueber: Herodot IV, 184.
      Strabo XVII. Mela III, 10. Plinius V, 1. Solinus I, 24, sogar Diodor
      von Sicilien III.

   25 Der Berg hiess auch *Aya-dyrma*, in welchem Wort Horn (_de Origin.
      Americ. p._ 155 und 185) den alten Namen des Atlas findet, der nach
      Strabo, Plinius und Solinus *Dyris* war. Diese Ableitung ist hoechst
      zweifelhaft; lagt man auf die Vokale mehr Werth, als sie bei den
      orientalischen Voelkern haben, so findet man *Dyris* fast ganz in
      *Daran*, wie die arabischen Geographen den oestlichen Theil des
      Atlasgebirges nennen.

_   26 Non silendum puto de insula Teneriffa quae et eximie colitur et
      inter orbis insulas est eminentior. Nam coelo sereno eminus
      conspicitur, adeo ut qui absunt ab ea ad leucas hispanas sexaginta
      vel septuaginta, non difficulter eam intueantur. Quod cernatur a
      longe id efficit acuminatus lapis adamantinus, instar pyramidis, in
      medio. Qui metiti sunt lapidem ajunt altitudine leucarum quindecim
      mensuram excedere ab imo ad summum verticem. Is lapis jugiter
      flagrat, instar Aetnae montis; id affirmant nostri Christiani qui
      capti aliquando haec animadvertere. __Al. Cadamusti__ Navigatio ad
      terras incognitas c. 8._

   27 Obgleich der Pic von Teneriffa sich nur in den Wintermonaten mit
      Schnee bedeckt, koennte der Vulkan doch die seiner Breite
      entsrpechende Schneegrenze erreichen, und wenn er Sommers ganz
      schneefrei ist, so koennte diess nur von der freien Lage des Berges in
      der weiten See, von der Haeufigkeit aufsteigender sehr warmer Winde
      oder von der hohen Temperatur der Asche des Piton herruehren.. Beim
      gegenwaertigen Stand unserer Kenntnisse lassen sich diese Zweifel
      nicht heben. Vom Parallel der Berge Mexicos bis zum Parallel der
      Pyrenaeen und der Alpen, zwischen dem 20. und dem 45. Grad ist die
      Curve des ewigen Schnees durch keine direkte Messung bestimmt
      worden, und da sich durch die wenigen Punkte, welche uns unter 0 deg.,
      20 deg., 45 deg., 62 deg. und 71 deg. noerdlicher Breite bekannt sind, unendliche
      viele Curven ziehen lassen, so kann die Beobachtung nur sehr
      mangelhaft durch Rechnung ergaenzt werden. Ohne es bestimmt zu
      behaupten, kann man als wahrscheinlich annehmen, dass unter 28 deg. 17'
      die Schneegrenze ueber 1900 Toisen liegt. Vom Auquator an, wo der
      Schnee mit 2460 Toisen, also etwa in der Hoehe des Montblanc beginnt,
      bis zum 20. Breitegrad, also bis zur Grenze des heissen Erdstrichs,
      rueckt der Schnee nur 100 Toisen herab; laesst sich demnach annehmen,
      dass 8 Grad weiter in einem Klima, das fast noch durchaus als ein
      tropisches erscheint, der Schnee schon 400 Toisen tiefer stehen
      sollte? Selbst vorausgesetzt, der Schnee rueckte vom 20. bis zum
      45. Breitegrad in arithmetischer Progression herab, was den
      Beobachtungen widerspricht, so finge der ewige Schnee unter der
      Breite des Pic erst bei 2050 Toisen ueber der Meeresflaeche an, somit
      550 Toisen hoeher als in den Pyrenaeen und in der Schweiz. Dieses
      Ergebniss wird noch durch andere Beobachtungen unterstuetzt. Die
      mittlere Temperatur der Luftschicht, mit der der Schnee im Sommer in
      Beruehrung kommt, ist in den Alpen ein paar Grad unter, unter dem
      Aequator ein paar Grad ueber dem Gefrierpunkt. Angenommen, unter 281/2
      Grad sey die Temperatur gleich Null, so ergibt sich nach dem Gesetz
      der Waermeabnahme, auf 98 Toisen einen Grad gerechnet, das der Schnee
      in 2058 Toisen ueber einer Ebene mit einer mittleren Temperatur von
      21 deg., wie sie der Kueste von Teneriffa zukommt, lieben bleiben muss.
      Diese Zahl stimmt fast ganz mit der, welche sich bei der Annahme
      einer arithmetischen Progression ergibt. Einer der Hochgipfel der
      Sierra de Nevada de Grenada, der Pico de Beleta, dessen absolute
      Hoehe 1781 Toisen betraegt, ist bestaendig mit Schnee bedeckt; da aber
      die untere Grenze des Schnees hier nicht gemessen worden ist, so
      traegt dieser Berg, der unter 37 deg. 10' der Breite liegt, zur Loesung
      des vorliegenden Problems nichts bei. Durch die Lage des Vulkans von
      Teneriffa mitten auf einer nicht grossen Insel kann die Curve des
      ewigen Schnees schwerlich hinaufgeschoben werden. Wenn die Winter
      auf Inseln weniger streng sind, so sind dagegen auch die Sommer
      weniger heiss, und die Hoehe des Schnees haengt nicht sowohl von der
      ganzen mittleren Jahrestemperatur als vielmehr von der mittlere
      Waerme der Sommermonate ab. Auf dem Aetna beginnt der Schnee schon
      bei 1500 Toisen oder  selbst etwas tiefer, was bei einem unter 371/2 deg.
      der Breite gelegenen Gipfel ziemlich auffallend erscheint. In der
      Naehe des Polarkreises, wo die Sommerhitze durch den fortwaehrend aus
      dem Meere aufsteigenden Nebel gemildert wird, zeigt sich der
      Unterschied zwischen Inseln oder Kuesten und dem inneren Lande hoechst
      auffallend. Auf Island z. B. ist auf dem Osterjoeckull, unter 65 deg. der
      Breite, die Grenze des ewigen Schnees in 482, in Norwegen dagegen,
      unter 67 deg., fern von der Kueste in 600 Toisen Hoehe, und doch sind hier
      die Winter ungleich strenger, folglich die mittlere Jahrestemperatur
      geringer als in Island. Nach diesen Angaben erscheint es als
      wahrscheinlich, dass Bouquer und Saussure im Irrthum sind, wenn sie
      annehmen, dass der Pic von Teneriffa die untere Grenze des ewigen
      Schrees erreiche. Unter 28 deg. 17' der Breite ergeben sich fuer diese
      Grenze wenigstens 1950 Toisen, selbst wenn man sie zwischen dem
      Aetna und den Bergen von Mexico durch Interpolation berechnet.
      Dieser Punkt wird vollstaendig ins Reine gebracht werden, wenn einmal
      der westliche Theil des Atlas gemessen ist, wo bei Marocco unter 311/2
      Grad Breite ewiger Schnee liegt.

_   28 Pinus halepensis._ Nach de Candolles Bemerkung hiesse diese Fichte,
      die in Portugal fehlt und am Abhang von Frankreicht und Spanien
      gegen das Mittelmeer in Italien, in Kleinasien und in der Barbarei
      vorkommt besser _Pinus mediterranea._ Sie ist der herrschende Baum
      in den Fichtenwaeldern des suedoestlichen Frankreichs, wo sie von Gonan
      und Gerard mit der _Pinus sylvestris_ verwechselt worden ist.

   29 Willdenow und ich haben unter den Pflanzen vom Pic von Teneriffa das
      schoene _Satyrium diphyllum_ (_Orchis cordata, Willd._) erkannt, die
      Link in Portugal gefunden. Die Canarien haben nicht die _Dicksonia
      Culcita_, den einzigen Baumfarn, der unter 39 deg. der Breite vorkommt,
      wohl aber _Asplenium palmatun_ und _Myrica Faya_ mit der Flora der
      Azoren gemein. Letzterer Baum findet sich in Portugal wild,
      Hofmannsegg hat sehr alte Staemme  gesehen, es bleibt aber
      zweifelhaft, ob er in diesen Theil unseres Continents einheimisch
      oder eingefuehrt ist. Denkt man ueber die Wanderungen der Gewaechse
      nach zieht man in Betracht, dass es geologisch moeglich ist, dass
      Portugal, die Azoren, die Canarien und die Atlaskette einst durch
      nunmehr im Meer versunkene Laender zusammengehangen habe, so
      erscheint das Vorkommen der _Myrica Facya_ im westlichen Europa zum
      mindestens ebenso auffallend, als wenn die Fichte von Aleppe auf den
      Azoren vorkaeme.

   30 Nach Vaters Untersuchungen zeigt die Sprache der Guanchen folgende
      Aehnlichkeiten mit den Sprachen weit aus einander gelegener Voelker:
      Hund bei den Huronen in Amerika _aguienon_, bei den Guanchen aguyan;
      *Mensch* bei den Peruanern _cari_, bei den Guanchen _coran_; *Koenig*
      bei den Mandingos in Afrika _monso_, bei den Guanchen _monsey_. Der
      Name der Insel Gomera kommt um Worte Gomer zum Vorschein, das der
      Name eines Berberstammes ist. (*Vater*, Untersuchungen ueber Amerika,
      S. 170.) Die Guanchischen Worte _alcorac_, Gott, und _almogaron_,
      Tempel, scheinen arabischen Ursprungs, wenigstens bedeutet in
      letzterer Sprache _almoharram_ *heilig*.





DRITTES KAPITEL


     Ueberfahrt von Teneriffa an die Kueste von Suedamerika -- Ankunft in
                                  Cumana


Am 25. Juni Abends verliessen wir die Rhede von Santa Cruz und schlugen den
Weg nach Suedamerika ein. Es wehte stark aus Nordost und das Meer schlug in
Folge der Gegenstroemungen kurze gedraengte Wellen. Die canarischen Inseln,
auf deren hohen Bergen ein roethlicher Duft lag, verloren wir bald aus dem
Gesicht. Nur der Pic zeigte sich von Zeit zu Zeit in Blinken,
wahrscheinlich, weil der in der hohen Luftregion herrschende Wind dann und
wann die Wolken um den Piton verjagte. Zum erstenmal empfanden wir,
welchen lebhaften Eindruck der Anblick von Laendern an der Grenze des
heissen Erdguertels, wo die Natur so reich, so grossartig und so wundervoll
auftritt, auf unser Gemueth macht. Wir hatten nur kurze Zeit auf Teneriffa
verweilt, und doch schieden wir von der Insel, als haetten wir lange dort
gelebt.

Unsere Ueberfahrt von Santa Cruz nach Cumana, dem oestlichsten Hafen von
Terra Firma, war so schoen als je eine. Wir schnitten den Wendekreis des
Krebses am 27., und obgleich der *Pizarro* eben kein guter Segler war,
legten wir doch den neunhundert Meilen [4050 km] langen Weg von Kueste von
Afrika zur Kueste der neuen Welt in zwanzig Tagen zurueck. Wir fuhren auf 50
Meilen [225 km] westwaerts am Vorgebirge Bojador, am weissen Vorgebirge und
an den Inseln des gruenen Vorgebirges vorueber. Ein paar Landvoegel, der der
starke Wind auf die hohe See verschlagen, zogen uns einige Tage nach.
Haetten wir nicht unsere Laenge mittelst der Seeuhren genau gekannt, so
waeren wir versucht gewesen zu glauben, wir seyen ganz nahe der
afrikanischen Kueste.

Unser Weg war derselbe, den seit Kolumbus erster Reise alle Fahrzeuge nach
den Antillen einschlagen. Vom Parallel von Madera bis zum Wendekreis nimmt
dabei die Breite rasch ab, waehrend man an Laenge fast nichts zulegt; hat
man die Zone des bestaendigen Passatwindes erreicht, so faehrt man von Ost
nach West auf einer ruhigen, friedlichen See, die bei den spanischen
Seefahrern _el Golfo de las Damas_ heisst. Wie alle, welche diese Striche
befahren, machten auch wir die Beobachtung, dass, je weiter man gegen
Westen rueckt, der Passat, der Anfangs Ost-Nord-Ost war, immer mehr Ostwind
wird.

Hadley(31) hat in einer beruehmten Abhandlung die Theorie des Passats
entwickelt, wie sie gemeiniglich angenommen ist, aber die Erscheinung ist
eine weit verwickeltere, als die meisten Physiker glauben. Im atlantischen
Ocean ist die Laenge wie die Abweichung der Sonne von Einfluss auf die
Richtung und die Grenzen der Passatwinde. Dem neun Continent zu gehen sie
in beiden Halbkugeln 8 bis 9 Grad ueber den Wendekreis hinauf, waehrend in
der Naehe von Afrika die veraenderlichen Winde weit ueber den 28. oder
27. Grad hinunter herrschen. Es ist im Interesse der Meteorologie und der
Schifffahrt zu bedauern, dass die Veraenderungen, denen die Luftstroemungen
unter den Tropen im stillen Ocean unterliegen, weit weniger bekannt sind
als das Verhalten derselben Stroeme in einem engeren Meeresbecken, wo die
nicht weit auseinander liegenden Kuesten von Guinea und Brasilien ihre
Einfluesse geltend machen. Die Schiffer wissen seit Jahrhunderten, dass im
atlantischen Ocean der Aequator nicht mit der Linie zusammenfaellt, welche
die Passatwinde aus Nordort und die aus Suedost scheidet. Diese Linie
liegt, nach Hadley richtiger Beobachtung, unter dem 3. bis 4. Grad
noerdlicher Breite, und wenn ihre Lage daher ruehrt, dass die Sonne in der
noerdlichen Halbkugel laenger verweilt, so weist sie darauf hin, dass die
Temperaturen der beiden Halbkugeln [Nimmt man mit Aepinus an, dass die
suedliche Halbkugel nur um 1/14 kaelter ist als die noerdliche, so ergibt die
Rechnung fuer die noerdliche Grenze des Ost-Sued-Ost-Passats 1 deg. 28'.] sich
verhalten wie 11 zu 9. In der Folge, wenn von der Luft ueber der Suedsee die
Rede ist, werden wir sehen, dass westwaerts von Amerika der Suedost-Passat
nicht so weit ueber den Aequator hinausreicht als im atlantischen Ocean.
Der Unterschied in der Luftstroemung dem Aequator zu vom einen und vom
andern Pol her kann ja nicht unter allen Laengengraden derselbe seyn, das
heisst auf Punkten der Erdkugel, wo die Festlaender sehr verschieden breit
sind und sich mehr oder minder weit gegen die Pole erstrecken.

Es ist bekannt, dass auf der Ueberfahrt von Santa Cruz nach Cumana, wie von
Acapulco nach den Philippinen, die Matrosen fast keine Hand an die Segel
zu legen brauchen. Man faehrt in diesen Strichen, als ginge es auf einem
Flusse hinunter, und es ist zu glauben, dass es kein gewagtes Unternehmen
waere, die Fahrt mit einer Schaluppe ohne Verdeck zu machen. Weiter
westwaerts aber, an der Kueste von St. Marta und im Meerbusen von Mexico
weht der Wind sehr stark und macht die See sehr unruhig.(32)

Je weiter wir uns von der afrikanischen Kueste entfernten, desto schwaecher
wurde der Wind; oft blieb er einige Stunden ganz aus, und diese
Windstillen wurden regelmaessig durch elektrische Erscheinungen
unterbrochen. Schwarze, dichte, scharf umrissene Wolken zogen sich im Ost
zusammen; man konnte meinen, es sey eine Boe im Anzug und man werde die
Marssegel einreffen muessen, aber nicht lange, so erhob sich der Wind
wieder, es fielen einige schwere Regentropfen und das Gewitter verzog
sich, ohne dass man hatte donnern hoeren. Es war interessant, waehrend dessen
die Wirkung schwarzer Wolken zu beobachten, die einzeln und sehr tief
durch das Zenith liefen. Man spuerte, wie der Wind allmaehlig staerker oder
schwaecker wurde, je nachdem die kleinen Haufen von Dunstblaeschen sich
naeherten oder entfernten, ohne dass die Elektrometer mit langer
Metallstange und brennendem Docht in den untern Luftschichten eine
Aenderung in der elektrischen Spannung anzeigten. Mittels solcher kleinen,
mit Windstillen wechselnden Boeen gelangt man in den Monaten Juni und Juli
von den canarischen Inseln nach den Antillen oder an die Kuesten von
Suedamerika. Im heissen Erdstrich loesen sich die meteorologischen Vorgaenge
aeusserst regelmaessig ab, und das Jahr 1803 wird in den Annalen der
Schifffahrt lange denkwuerdig bleiben, weil mehrere Schiffe, die von Cadix
nach Cumana gingen, unter 14 deg. der Laenge und 48 deg. der Breite umlegen mussten,
weil mehrere Tage lang ein heftiger Wind aus Nord-Nord-West blies. Welch
bedeutende Stoerung im regelmaessigen Lauf der Luftstroemungen muss man
annehmen, um sich von einem solchen Gegenwind Rechenschaft zu geben, der
ohne Zweifel auch den regelmaessigen Gang des Barometers in seiner
stuendlichen Schwankung gestoert haben wird!

Einige spanische Seefahrer haben neuerlich einen andern Weg nach den
Antillen und zur Kueste von Terra Firma als den von Christoph Columbus
zuerst eingeschlagenen zur Sprache gebracht. Sie schlagen vor, man sollte
nicht gerade nach Sued steuern, um den Passat aufzusuchen, sondern auf
einer Diagonale zwischen Cap St. Vincent und Amerika in Laenge und Breite
zugleich vorruecken. Dieser Weg, der die Fahrt abkuerzt, da man den
Wendekreis etwa 20 deg. westwaerts vom Punkte schneidet, wo ohn die Schiffe
gewoehnlich schneiden, ist von Admiral Gravina mehreremale mit Glueck
eingeschlagen worden. Dieser erfahrene Seemann, der in der Schlacht von
Trafalgar einen ruehmlichen Tod fand, kam im Jahr 1802 auf diesem schiefen
Wege mehrere Tage vor der franzoesischen Flotte nach St. Domingo, obgleich
er zufolge eines Befehls des Madrider Hofs mit seinem Geschwader im Hafen
von Ferrel hatte einlaufen und sich dort eine Zeitlang aufhalten muessen.

Diese neue Verfahren kuerzt die Ueberfahrt von Cadix nach Cumana etwa um
ein Zwanzigtheil ab; da man aber erst unter dem 40. Grad der Laenge die
Tropen betritt, so laeuft man Gefahr, laenger mit den veraenderlichen Winden
zu thun zu haben, die bald aus Sued, bald aus Suedwest blasen. Beim alten
Verfahren wird der Nachtheil, dass man einen laengeren Weg macht, dadruch
ausgeglichen, dass man sicher ist, in den Passat zu gelangen und ihn auf
einem groesseren Stueck der Ueberfarht benuetzen zu koennen. Waehrend meines
Aufenthalt in den spanischen Colonien sah ich mehrere Kauffahrer an
kommen, die aus Furcht vor Kapern den schiefen Weg eingeschlagen hatten
und ausnehmend rasch heruebergekommen waren; nur nach wiederholten
Versuchen wird man sich bestimmt ueber einen Punkt aussprechen koennen, der
zum mindesten so wichtig ist als die Wahl des Meridians, auf dem man bei
der Fahrt nach Buenos Ayres oder Cap Horn den Aequator schneiden soll.

Nichts geht ueber die Pracht und die Milde des Klimas im tropischen
Weltmeer. Waehrend der Passatwind stark blies, stand der Thermometer bei
Tage auf 23-24 Grad, bei Nacht zwischen 22 und 22,5. Um den Reiz dieser
gluecklichen Erdstriche in der Naehe des Aequators voll zu empfinden, muss
man in rauher Jahreszeit von Acapulco oder von den Kuesten von Chili nach
Europa gesegelt haben. Welcher Abstand zwischen den stuermischen Meeren in
noerdlichen Breiten und diesen Strichen, wo in der Natur ewige Ruhe
herrscht! Wenn die Rueckfahrt aus Mexiko oder Suedamerika nach den
spanischen Kuesten zu kurz und so angenehm waere als die Reise aus der alten
in die neue Welt, so waere die Zahl der Europaeer, die sich in den Kolonien
niedergelassen, lange nicht so gross, als sie jetzt ist. Das Meer, in dem
die Azoren und die Bermuden liegen, durch das man kommt, wenn man in hohen
Breiten nach Europa zurueckfaehrt, fuehrt bei den Spanier den seltsamen Namen
_Golfe de las Yeguas_. [Der Meerbusen der Stuten.] Colonisten, die an die
See nicht gewoehnt sind, und lange einsam in den Waeldern von Guyana, in den
Savanen von Caracas oder auf den Cordilleren von Peru gelebt haben,
fuerchten sich vor dem Seestrich bei den Bermuden mehr als jetzt die
Bewohner von Lima vor der Fahrt um Cap Horn. Sie uebertreiben in der
Einbildung die Gefahren einer Ueberfahrt, die nur im Winter bedenktlich
ist. Sie verschieben es von Jahr zu Jahr, ein Vorhaben auszufuehren, das
ihnen gewagt erscheint, und meist ueberrascht sie der Tod, waehrend sie sich
zur Rueckreise ruesten.

Noerdlich von den Inseln des Gruenen Vorgebirges stiessen wir auf grosse
Buendel schwimmenden Tangs. Es war die tropische Seetraube, _Fucus natans_,
die nur bis zu 40 deg. noerdlicher und suedlicher Breite auf dem Gestein unter
dem Meeresspiegel waechst. Diese Algen schienen hier, wie suedwestlich von
der Bank von Neufoundland, das Vorhandenseyn der Stroemungen anzuzeigen.
Die Seestriche, wo viel einzelner Tag vorkommt, und die mit Seegewaechsen
bedeckten Strecken, welche Columbus mit grossen Wiesen vergleicht und die
der Mannschaft der Santa Maria unter 42 deg. der Laenge Schrecken einjagten,
sind nicht mit einander zu verwechseln. Durch die Vergleichung vieler
Schiffstagebuecher habe ich mich ueberzeugt, dass es im Becken des noerdlichen
Atlantischen Oceans zwei solcher mit Algen bedeckten Strecken gibt, die
nichts miteinander zu tun haben. Die groesste derselben(33) liegt etwas
westlich vom Meridian von Fayal, einer der azorischen Inseln, zwischen
35 und 36 deg. der Breite. Die Meerestemperatur betraegt in diesem Strich
16 bis 20 Grad, und die Nordostwinde, die dort zuweilen sehr stark sind,
treiben schwimmende Tanginseln in tiefe Breiten, bis zum 24., ja bis zum
20. Grad. Die Schiffe, die von Montevideo und vom Kap der guten Hoffnung
nach Europa zurueckfahren, kommen ueber diese Fucusbank, die nach den
spanischen Schiffern von den kleinen Antillen und von den canarischen
Inseln gleich weit entfernt ist; die Ungeschicktesten koennen darnach ihre
Laenge berichtigen. Die zweite Fucusbank ist wenig bekannt; sie liegt unter
22 und 26 deg. der Breite, 80 Seemeilen [148 km] westlich vom Meridian der
Bahamainseln, und ist von weit geringerer Ausdehnung. Man stoesst auf sie
auf der Fahrt von den Caycosinseln nach den Bermuden.

Allerdings kennt man Tangarten mit 800 Fuss [260 m] langen Stengeln [_Fucus
giganteus_, _Forster_ oder _Laminaria pyrifera_, _Lamouroux_.], und diese
Cryptogamen der hohen See wachsen sehr rasch; dennoch ist kein Zweifel
darueber, dass in den oben beschriebenen Strichen die Tange keinesweg am
Meeresboden haften, sondern in einzelnen Buendeln auf dem Wasser schwimmen.
In diesem Zustand koennen diese Gewaechse nicht viel laenger fortvegetiren
als ein vom Stamm abgerissener Baumast. Will man sich Rechenschaft davon
geben, wie es kommt, dass bewegliche Massen sich seit Jahrhunderten an
denselben Stellen befinden, so muss man annehmen, dass sie vom Gestein
73 bis 92 m unter der Meeresflaeche herkommen und der Nachwuchs fortwaehrend
wieder ersetzt, was die tropische Stroemung wegreisst. Diese Stroemung fuehrt
die tropische Seetraube in hohe Breiten, an die Kuesten von Norwegen und
Frankreich, und die Algen werden suedwaerts von den Azoren keineswegs vom
*Golfstrom* zusammengetrieben, wie manche Seeleute meinen. Es waere zu
wuenschen, dass die Schiffer in diesen mit Pflanzen bedeckten Strichen
haeufiger das Senkblei auswaerfen; man versichert, hollaendische Seeleute
haben mittelst Leinen aus Seidenfaeden zwischen der Bank von Neufoundland
und der schottischen Kueste eine Reihe von Untiefen gefunden.

Wie und wodurch die Algen in Tiefen, in denen nach der allgemeinen Annahme
das Meer wenig bewegt ist, losgerissen werden, darueber ist man noch nicht
im Klaren. Wir wissen nur nach den schoenen Beobachtungen von Lamouroux,
dass die Algen zwar vor der Entwicklung ihrer Fructificationen ausnehmend
fest am Gestein haengen, dagegen nach dieser Zeit oder in der Jahreszeit,
wo bei ihnen wie bei den Landpflanzen die Vegetation stockt, sehr leicht
abzureissen sind. Fische und Weichthiere, welche die Stengel der Tange
benagen, moegen wohl auch dazu beitragen, sie von ihren Wurzeln zu loesen.

Vom 22. Breitengrad an fanden wir die Meeresflaeche mit fliegenden Fischen
[_Exocoetus volitans._] bedeckt; sie schnellten sich fuenfzehn, ja achtzehn
Fuss [4,5, ja 6 m] in die Hoehe und fielen auf den Oberlauf nieder. Ich
scheue mich nicht, hier gleichfalls einen Gegenstand zu beruehren, von dem
die Reisenden so viel sprechen, als von Delphinen und Haifischen, von der
Seekrankheit und dem Leuchten des Meeres. Alle diese Dinge bieten den
Physikern noch lange Stoff genug zu anziehenden Beobachtungen, wenn sie
sich ganz besonders damit beschaeftigen. Die Natur ist eine unerschoepfliche
Quelle der Forschung, und im Mass, als die Wissenschaft vorschreitet,
bietet sie dem, der sie recht zu befragen weiss, immer wieder eine neue
Seite, von der er sie bis jetzt nicht betrachtet hatte.

Ich erwaehne der fliegenden Fische, um die Naturkundigen auf die ungeheure
Groesse ihrer Schwimmblase aufmerksam zu machen, die bei einem 6,4 Zoll
langen Fisch 3,6 Zoll lang und 0,9 breit ist und 31/2 Kubikzoll [60 ml] Luft
enthaelt. Die Blase nimmt ueber die Haelfte vom Koerperinhalt des Thieres ein,
und traegt somit wahrscheinlich dazu bei, dass es so leicht ist. Man koennte
sagen, dieser Luftbehaelter diese ihm vielmehr zum Fliegen als zum
Schwimmen, denn die Versuche, die Provenzal und ich angestellt, beweisen,
dass dieses Organ selbst bei den Arten, die damit versehen sind, zu der
Bewegung an die Wasserflaeche herauf nicht durchaus nothwendig ist. Bei
einem jungen 5,0 Zoll langen Exocoetus bot jede der Brustflossen, die als
Fluegen diesen, der Luft bereits eine Oberflaeche von 3 7/10 Quadratzoll
dar. Wir haben gefunden, dass die neun Nervenstraenge, die zu den zwoelf
Strahlen dieser Flossen verlaufen, fast dreimal dicker sind als die Nerven
der Bauchflossen. Wenn man die ersteren Nerven galvanisch reizt, so gehen
die Strahlen, welche die Haut der Brustflossen tragen, fuenfmal kraeftiger
auseinander, als die der andern Flossen, wenn man sie mit denselben
Metallen galvanisirt. Der Fisch kann sich ab er auch zwanzig Fuss [6,5 m]
weit wagrecht fortschnellen, ehe er mit der Spitze seiner Flossen die
Meeresflaeche wieder beruehrt. Man hat diese Bewegung und die eines flachen
Steines, der auffallend und wieder abprallend ein paar Fuss hoch ueber die
Wellen huepft, ganz richtig zusammengestellt. So ausnehmend rasch die
Bewegung ist, kann man doch deutlich sehen, dass das Thier waehrend des
Sprungs die Luft schlaegt, das heisst, dass es die Brustflossen abwechselnd
ausbreitet und einzieht. Dieselbe Bewegung beobachtet man am fliegenden
Seescorpion auf den japanischen Fluessen, der gleichfalls eine grosse
Schwimmblase hat, waehrend sie den meisten Seescorpionen, die nicht
fliegen, fehlt [_Scorpaena porcus_, _S. scrofa_, _S. dactyloptera_,
Delaroche.]. Die Exocoetus koennen, wie die meisten Kiementhiere, ziemlich
lange und mittelst derselben Organe im Wasser und in der Luft athmen, das
heisst der Luft wie dem Wasser den darin enthaltenen Sauerstoff entziehen.
Sie bringen einen grossen Theil ihres Lebens in der Luft zu, aber ihr
elendes Leben wird ihnen dadurch nicht leichter gemacht. Verlassen sie das
Meer, um den gefraessigen Goldbrassen zu entgehen, so begegnen sie in der
Luft den Fregatten, Albatrossen und andern Voegeln, die sie im Flug
erschnappen. So werden an den Ufern des Orinoco Rudel von Cabiais, [_Cavia
Capybara._ L.] wenn sie vor den Krokodilen aus dem Wasser fluechten, am
Ufer die Beute der Jaguars.

Ich bezweifle indessen, dass sich die fliegenden Fische allein um der
Verfolgung ihrer Feinde zu entgehen, aus dem Wasser schnellen. Gleich den
Schwalben schiessen sie zu Tausenden Fort, gerade aus und immer gegen die
Richtung der Wellen. In unsern Himmelsstrichen sieht man haeufig am Ufer
eines klaren, von der Sonne beschienenen Flusses einzeln stehende Fische,
die somit nichts zu fuerchten haben koennen, sich ueber die Wasserflaeche
schnellen, als machte es ihnen Vergnuegen, Luft zu athmen. Warum sollte
dieses Spiel nicht noch haeufiger und laenger bei den Exocoetus vorkommen,
die vermoege der Form ihrer Brustflossen und ihres geringen specifischen
Gewichtes sich sehr leicht in der Luft halten? Ich fordere die Forscher
auf, zu untersuchen, ob andere fliegende Fische, z. B. _Exocoetus
exiliens_, _Trigla volitans_ und _T. horundo_ auch so grosse Schwimmblasen
haben wie der tropische Exocoetus. Dieser geht mit dem warmen Wasser des
Golfstroms nach Norden. Die Schiffsjungen schneiden ihm zum Spass ein Stueck
der Brustflossen ab und behaupten, diese wachsen wieder, was mir mit den
bei andern Fischfamilien gemachten Beobachtungen nicht zu stimmen scheint.

Zur Zeit, da ich von Paris abreiste, hatten die Versuche, welche
_Dr._ Broddelt in Jamaica mit der Luft in der Schwimmblase des
Schwertfisches angestellt, einige Physiker zur Annahme veranlasst, dass
unter den Tropen dieses Organ bei den Seefischen reines Sauerstoffgas
enthalte. Auch ich hatte diese Vorstellung, und so war ich ueberrascht, als
ich in der Schwimmblase des Exocoetus nur 0,04 Sauerstoff auf 0,94
Stickstoff und 0,02 Kohlensaeure fand. Der Antheil des letzteren Gases, der
mittelst der Absorption durch Kalkwasser in graduirten Roehren gemessen
wurde, [Anthracometer, gekruemmte Roehren mit einer grossen Kugel.] schien
constanter als der des Sauerstoffs, von dem einige Exemplare fast noch
einmal so viel zeigten. Nach Biots, Cosigliachi´s und Delaroche´s
interessanten Beobachtungen muss man annehmen, dass der von Broddelt secirte
Schwertfisch in grossen Meerestiefen gelebt habe, wo manche Fische bis zu
94 Procent Sauerstoff in ihrer Schwimmblase zeigen.

Am 1. Juli, unter 17 deg. 42' der Breite und 34 deg. 21' der Laenge stiessen wir auf
die Truemmer eines Wrackes. Wir konnten einen Mastbaum sehen, der mit
schwimmendem Tang ueberzogen war. In einem Strich, wo die See bestaendig
ruhig ist, konnte das Fahrzeug nicht Schiffbruch gelitten haben.
Vielleicht dass diese Truemmer aus den noerdlichen stuermischen Meeren kamen,
und infolge der merkwuerdigen Drehung, welche die Wasser des Atlantischen
Meeres in der noerdlichen Halbkugel erleiden, wieder zum Fleck
zurueckwanderte, wo das Schiff zugrunde gegangen.

Am dritten und vierten fuhren wir ueber den Theil des Oceans, wo die Karten
die Bank des Maalstroms verzeichne; mit Einbruch der Nacht aenderte man den
Curs, um einer Gefahr auszuweichen, deren Vorhandenseyn so zweifelhaft
ist, als das der Inseln Fonseco und Santa Anna.(34) Es waere wohl klueger
gewesen, den Curs beizubehalten. Die alten Seekarten wimmeln von
sogenannten wachenden Klippen, die zum Theil allerdings vorhanden sind,
groesstentheils aber sich von optischen Taeuschungen herschreiben, die auf
der See haeufiger sind als im Binnenland. Die Lage der wirklich
gefaehrlichen Punkte ist meist wie auf Gerathewohl angegeben; sie waren von
Schiffern gesehen worden, die ihre Laenge nur auf ein paar Grade kannten,
und meist kann man sicher darauf rechnen, keine Klippen zu finden, wenn
man den Punkten zusteuert, wo sie auf den Karten angegeben sind. Als wir
dem vorgeblichen Maalstrom nahe waren, konnten wir am Wasser keine andere
Bewegung bemerken, als ein Stroemung nach Nordwest, die uns nicht so viel
in Laenge zuruecklegen liess, als wir gewuenscht haetten. Die Staerke dieser
Stroemung nimmt zu, je naeher man dem neuen Continente kommt; sie wird durch
die Bildung der Kuesten von Brasilien und Guyana abgelenkt, nicht durch die
Gewaesser des Orinoco und des Amazonenstroms, wie manche Physiker
behaupten.

Seit unserem Eintritt in die heisse Zone wurden wir nicht muede, in jeder
Nacht die Schoenheit des suedlichen Himmels zu bewundern, an dem, je weiter
wir nach Sueden vorrueckten, immer neue Sternbilder vor unseren Blicken
aufstiegen. Ein sonderbares, bis jetzt ganz unbekanntes Gefuehl wird in
einem rege, wenn man dem Aequator zu, und namentlich beim Uebergang aus
der einen Halbkugel in die andere, die Sterne, die man von Kindheit auf
kennt, immer tiefer hinabruecken und endlich verschwinden sieht. Nichts
mahnt den Reisenden so auffallend an die ungeheure Entfernung seiner
Heimath, als der Anblick eines neuen Himmels. Die Gruppirung der grossen
Sterne, einige zerstreute Nebelflecke, die an Glanz mit der Milchstrasse
wetteifern, Strecken, die sich durch ihr tiefes Schwarz auszeichnen, geben
dem Suedhimmel eine ganz eigenthuemliche Physiognomie. Dieses Schauspiel
regt selbst die Einbildungskraft von Menschen auf, die den physischen
Wissenschaften sehr ferne stehen und zum Himmelsgewoebe aufblicken, wie man
eine schoene Landschaft oder eine grossartige Aussicht bewundert. Man
braucht kein Botaniker zu seyn, um schon am Anblick der Pflanzenwelt den
heissen Erdstrich zu erkennen, und wer auch keine astronomischen Kenntnisse
hat, wer von Flamsteads und Lacaille's Himmelskarten nichts weiss, fuehlt,
dass er nicht in Europa ist, wenn er das ungeheure Sternbild des Schiffs
oder die leuchtenden Magellanschen Wolken am Horizont aufsteigen sieht.
Erde und Himmel, Allem in den Aequinoctiallaendern drueckt sich der Stempel
des Fremdartigen auf.

Die niedrigen Luftregionen waren seit einigen Tage mit Dunst erfuellt. Erst
in der Nacht vom vierten zum fuenften Juli, unter 16 deg. Breite, sahen wir das
suedliche Kreuz zum erstenmal deutlich; es war stark geneigt und erschien
von Zeit zu Zeit zwischen den Wolken, deren Mittelpunkt, wenn das
Wetterleuchten dadurch hinzuckte, wie Silberlicht aufflammte. Wenn es
einem Reisenden gestattet ist, von seinen persoenlichen Empfindungen zu
sprechen, so darf ich sagen, dass ich in dieser Nacht einen der Traeume
meiner fruehesten Jugend in Erfuellung gehen sah.

Wenn man anfaengt geographische Karten zu betrachten und Schilderungen der
Seefahrer zu lesen, so fuehlt man fuer gewisse Laender und gewisse Klimate
eine Art Vorliebe, von der man sich in reiferem Alter keine Rechenschaft
zu geben vermag. Eindruecke der Art aeussern einen nicht ungebedeutenden
Einfluss auf unsere Entschluesse, und wie instinkmaessig suchen wir
Gegenstaenden, die schon so lange eine geheime Anziehungskraft fuer uns
gehabt, wirklich nahe zu kommen. Als ich mich mit dem Himmel beschaeftigte,
nicht um Astronomie zu treiben, sondern nur um die Sterne kennen zu
lernen, empfand ich eine bange Unruhe, die Menschen, die ein sitzendes
Leben lieben, ganz fremd ist. Der Hoffnung entsagen zu sollen, jemals jene
herrlichen Sternbilder am Suedpol zu erblicken, das schien mit sehr hart.
Im ungeduldigen Drange, die Aequatoriallaender kennen zu lernen, konnte ich
nicht die Augen zum Sterngewoelbe aufschlagen, ohne an das suedliche Kreuz
zu denken und mir die erhabenen Verse Dante's vorzusagen, welche sich nach
den beruehmtesten Auslegern auf jenes Sternbild beziehen:(35)

Jo mi volsi a man destra e posi mente
All´ altro polo, e vidi quattro stelle,
Non viste mai fuor ch´ alla prima gente.

Goder parea lo ciel di lor fiammelle,
O settentrional vedovo sito,
Pio che privato se di mirar quelle!

Unsere Freude beim Erscheinen des suedlichen Kreuzes wurde lebhaft von
denjenigen unter der Mannschaft getheilt, die in den Colonien gelebt
hatten. In der Meereseinsamkeit begruesst man einen Stern wie einen Freund,
von dem man lange Zeit getrennt gewesen. Bei den Portugiesen und Spaniern
steigert sich diese gemuethliche Theilnahme noch durch besondere Gruende:
religioeses Gefuehl zieht sie zu einem Sternbild hin, dessen Gestalt an das
Wahrzeichen des Glaubens mahnt, das ihre Vaeter in den Einoeden der neuen
Welt aufgepflanzt.

Da die zwei grossen Sterne, welche Spitze und Fuss des Kreuzes bezeichnen,
ungefaehrt dieselbe Rectascension haben, so muss das Sternbild, wenn es
durch den Meridian geht, fast senkrecht stehen. Dieser Umstand ist allen
Voelkern jenseits des Wendekreises und in der suedlichen Halbkugel bekannt.
Man hat sich gemerkt, zu welcher Zeit bei Nacht in den verschiedenen
Jahreszeiten das suedliche Kreuz aufrecht oder geneigt ist. Es ist eine
Uhr, die sehr regelmaessig etwa vier Minuten im Tag vorgeht, und an keiner
anderen Sterngruppe laesst sich die Zeit mit blossem Auge so genau
beobachten. Wie oft haben wir unsere Fuehrer in den Savannen von Venezuela
oder in der Wueste zwischen Lima und Truxillo sagen hoeren: "Mitternacht ist
vorueber, das Kreuz faengt an sich zu neigen!" Wie oft haben wir uns bei
diesen Worten an den ruehrenden Auftritt erinnert, wo Paul und Virginie an
der Quelle des Faecherpalmenflusses zum letztenmale mit einander sprechen
und der Greis beim Anblick des suedlichen Kreuzes sie mahnt, dass es Zeit
sey zu scheiden!

Die letzten Tage unserer Ueberfahrt waren nicht so guenstig, als das milde
Klima und die ruhige See hoffen liessen. Nicht die Gefahren der See stoerten
uns in unserem Genusse, aber der Keim eines boesartigen Fiebers entwickelte
sich unter uns, je naeher wir den Antillen kamen. Im Zwischendeck war es
furchtbar heiss und der Raum sehr beschraenkt. Seit wir den Wendekreis
ueberschritten, stand der Thermometer auf 34 bis 36 Grad. Zwei Matrosen,
mehrere Passagiere und, was ziemlich auffallend ist, zwei Neger von der
Kueste von Guinea und ein Mulattenkind wurden von einer Krankheit befallen,
die epidemisch zu werden drohte. Die Symptome waren nicht bei allen
Kranken gleich bedenklich; mehrere aber, und gerade die kraeftigsten,
delirirten schon am zweiten Tage und die Kraefte lagen voellig darnieder.
Bei der Gleichgueltigkeit, mit der an Bord der Paketboote alles behandelt
wird, was mit der Fuehrung des Schiffes und der Schnelligkeit der
Ueberfahrt nichts zu thun hat, dachte der Kapitaen nicht daran, gegen die
Gefahr, die uns bedrohte, die gemeinsten Mittel vorzukehren. Es wurde
nicht geraeuchert, und ein unwissender, phlegmatischer galicischer Wundarzt
verordnete Aderlaessen, weil er das Fieber der sogenannten Schaerfe und
Verderbnis des Blutes zuschrieb. Es war keine Unze Chinarinde an Bord, und
wir hatten vergessen, beim Einschiffen uns selbst damit zu versehen;
unsere Instrumente hatten uns mehr Sorge gemacht als unsere Gesundheit,
und wir hatten unbedachterweise vorausgesetzt, dass es an Bord eines
spanischen Schiffes nicht an peruanischer Fieberrinde fehlen koenne.

Am achten Juli genas ein Matrose, der schon in den letzten Zuegen lag,
durch einen Zufall, der der Erwaehnung wohl werth ist. Seine Haengematte war
so befestigt, dass zwischen seinen Gesicht und dem Deck keine zehn Zoll
[26 cm] Raum blieben. In dieser Lage konnte man ihm unmoeglich die
Sakramente reichen; nach dem Brauch auf den spanischen Schiffen haette das
Allerheiligste mit brennenden Kerzen herbeigebracht werden und die ganze
Mannschaft dabei seyn muessen. Man schaffte daher den Kranken an einen
luftigen Ort bei der Lucke, wo man aus Segeln und Flaggen ein kleines
viereckiges Gemach hergestellt hatte. Hier sollte er liegen bis zu seinem
Tode, den man nahe glaubte; aber kaum war er aus einer uebermaessig heissen,
stockenden, mit Miasmen erfuellten Luft in eine kuehlere, reinere,
fortwaehrend erneuerte gebracht, so kam er allmaehlich aus seiner Betaeubung
zu sich. Mit dem Tage, da er aus dem Zwischendeck fortgeschafft worden,
fing die Genesung an, und wie denn in der Arzneikunde dieselben Thatsachen
zu Stuetzen der entgegengesetzten Systeme werden, so wurde unser Arzt durch
diesen Fall von Wiedergenesung in seiner Ansicht von der Entzuendung des
Bluts und von der Nothwendigkeit des Eingreifens durch Aderlaessen,
abfuehrende und asthenische Mittel aller Art bestaerkt. Wir bekamen bald die
verderblichen Folgen dieser Behandlung zu sehen und sehnten uns mehr als
je nach dem Augenblick, wo wir die Kueste Amerikas betreten koennte.

Seit mehreren Tagen war die Schaetzung der Steuerleute um 1 deg. 12' von der
Laenge abgewichen, die mir mein Chronometer angab. Dieser Unterschied
ruehrte weniger von der allgemeinen Stroemung her, die ich den
"Rotationsstrom" genannte habe, als von dem eigenthuemlichen Zuge des
Wassers nach Nordwest, von der Kueste von Brasilien gegen die kleinen
Antillen, wodurch die Ueberfahrt von Cayenne nach der Insel Guadeloupe
abgekuerzt wird.(36) Am zwoelften Juli glaubte ich ankuendigen zu koennen, dass
Tags darauf vor Sonnenaufgang Land in Sicht seyn werde. Wir befanden uns
jetzt nach meinen Beobachtungen unter 10 deg. 46' der Breite und 60 deg. 54'
westlicher Laenge. Einige Reihen Mondsbeobachtungen bestaetigten die Angabe
des Chronometers; aber wir wussten besser, wo sich die Corvette befand, als
wo das Land lag, dem unser Curs zuging und das auf den franzoesischen,
spanischen und englischen Karten so verschieden angegeben ist. Die aus den
genauen Beobachtungen von Churruca, Fidalgo und Noguera sich ergebenden
Laengen waren damals noch nicht bekannt gemacht.

Die Steuerleute verliessen sich mehr auf das Log als auf den Gang eines
Chronometers; sie laechelten zu der Behauptung, dass  bald Land in Sicht
kommen muesse, und glaubten, man habe noch zwei, drei Tage zu fahren. Es
gereichte mir daher zu grosser Befriedigung, als ich am dreizehnten gegen
sechs Uhr Morgens hoerte, man sehe von den Masten ein sehr hohes Land,
jedoch wegen des Nebels, der darauf lag, nur undeutlich. Es windete sehr
stark und die See war sehr unruhig. Es regnete hie und da in grossen
Tropfen und Alles deutete auf ungestuemes Wetter. Der Capitaen des Pizarro
hatte beabsichtigt, durch den Canal zwischen Tabago und Trinidad zu
laufen, und da er wusste, dass unsere Corvette sehr langsam wendete, so
fuerchtete er gegen Sueden unter dem Wind und der Muendung des Dragon nahe zu
kommen. Wir waren allerdings unserer Laenge sicherer als der Breite, da
seit dem elften keine Beobachtung um Mittag gemacht worden war. Nach
doppelten Hoehen, die ich nach Douwes Methode am Morgen aufgenommen hatte,
befanden wir uns in 11 deg. 6' 50", somit 15 Minuten weiter nach Nord als nach
der Schaetzung. Die Gewalt, mit der der grosse Orinocostrom seine Gewaesser
in den Ocean ergiesst, mag in diesen Strichen immerhin den Zug der
Stroemungen steigern; wenn man aber behauptet, bis auf 60 Meilen von der
Muendung des Orinoco habe das Meerwasser eine andere Farbe und sey weniger
gesalzen, so ist diess ein Maehrchen der Kuestenpiloten. Der Einfluss der
maechtigsten Stroeme Amerikas, des Amazonenstroms, des la Plata, des
Orinoco, des Mississippi, des Magdalenenstroms, ist in dieser Beziehung in
weit engere Grenzen eingeschlossen, als man gemeiniglich glaubt.

Obgleich das Ergebnis der doppelten Sonnenhoehen hinlaenglich bewies, dass
das hohe Land, das am Horizont aufstieg, nicht Trinidad war, sondern
Tabago, steuerte der Capitaen dennoch nach Nord-Nord-West fort, um letztere
Insel aufzusuchen, die sogar auf Bordas schoener Karte des atlantischen
Oceans fuenf Minuten zu weit suedlich gesetzt ist. Man sollte kaum glauben,
dass an Kuesten, welche von allen Handelsvoelkern besucht werden, so
auffallende Irrthuemer in der Breite sich Jahrhunderte lang erhalten
koennten. Ich habe diesen Gegenstand anderswo besprochen, und so bemerke
ich hier nur, dass sogar auf der neuesten Karte von Westindien von
Arrowsmith, die im Jahr 1803, also lange nach Churrucas Beobachtungen
erschienen ist, die Breiten der verschiedenen Vorgebirge von Tabago und
Trinidad um 6-11 Minuten falsch angegeben sind.

Durch die Beobachtung der Sonnenhoehe um Mittag wurde die Breite, wie ich
sie nach Douwes Verfahren erhalten, vollkommen bestaetigt. Es blieb kein
Zweifel mehr ueber den Schiffsort den Inseln gegenueber, und man beschloss,
um das noerdliche Vorgebirge von Tabago zu laufen, zwischen dieser Insel
und la Grenada durchzugehen und auf einen Hafen der Insel Margarita
loszusteuern. In diesen Strichen liefen wir jeden Augenblick Gefahr, von
Kapern aufgebracht zu werden, aber zu unserem Glueck war die See sehr
unruhig und ein kleiner, englischer Kutter ueberholte uns, ohne uns nur
anzurufen. Bonpland und mir war vor einem solchen Unfall weniger bang,
seit wir so nahe am amerikanischen Festland sicher waren, dass wir nicht
nach Europa zurueckgebracht wurden.

Der Anblick der Insel Tabago ist hoechst malerisch. Es ist ein sorgfaeltig
bebauter Felsklumpen. Des blendende Weiss des Gesteines sticht angenehm vom
Gruen zerstreuter Baumgruppen ab. Sehr hohe cylindrische Fackeldisteln
kroenen die Bergkaemme und geben der tropischen Landschaft einen ganz
eigenen Charakter. Schon ihr Anblick sagt dem Reisenden, dass er eine
amerikanische Kueste vor sich hat: denn die Cactus gehoeren ausschliesslich
der neuen Welt an, wie die Heidekraeuter der alten. Der nordoestliche Theil
der Insel Tabago ist der gebirgigste, nach den Hoehenwinkeln, die ich mit
dem Sextanten genommen, scheinen indessen die hoechsten Gipfel an der Kueste
nicht ueber 140-150 Toisen [270 bis 290 m] hoch zu seyn. Am suedlichen
Vorgebirge senkt sich das Land und laeuft in die "Sandspitze" aus, die nach
meiner Rechnung unter 10 deg. 20' 13" der Breite und 62 deg. 47' 30" der Laenge
liegt. Wir sahen mehrere Felsen ueber dem Wasserspiegel, an denen sich die
See mit Ungestuem brach, und beobachteten grosse Regelmaessigkeit in der
Neigung und dem Streichen der Schichten, die unter einem Winkel von 60 deg.
nach Suedost fallen. Es waere zu wuenschen dass ein geuebter Mineralog die
grossen und kleinen Antillen von der Kueste von Paria bis zum Vorgebirge von
Florida bereiste und die ehemalige, durch Stroemungen, Erderschuetterungen
und Vulkane auseinander gerissene Bergkette untersuchte.

Wir waren eben um das Nordcap von Tabago und die kleine Insel St. Giles
gelaufen, als man vom Mastkorb ein feindliches Geschwader signalisirte.
Wir wendeten sogleich und die Passagiere wurden unruhig, da mehrere ihr
kleines Vermoegen in Waaren gesteckt hatten, die sie in den spanischen
Colonien zu verwerthen gedachten. Das Geschwader schien sich nicht zu
ruehren, und es zeigte sich bald, dass man eine Menge einzelner Klippen fuer
Segel angesehen hatte.

Wir fuhren ueber die Untiefe zwischen Tabago und la Grenada. Die Farbe der
See war nicht merkbar veraendert, aber ein paar Zoll unter der Oberflaeche
zeigte der Thermometer nur 23 deg., waehrend er ostwaerts auf hoher See unter
derselben Breite und gleichfalls an der Meeresflaeche auf 25 deg.,6 stand.
Trotz der Stroemung zeigte die geringe Temperatur des Wassers die Untiefe
an, die nur auf wenigen Karten angegeben ist. Nach Sonnenuntergang wurde
der Wind schwaecher, und je naeher der Mond zum Zenith rueckte, desto mehr
klaerte sich der Himmel auf. In dieser und in den folgenden Naechten fielen
wieder sehr viele Sternschnuppen; gegen Nord zeigten sie sich nicht so
haeufig als gegen Sued, ueber Terra Firma, an deren Kueste wir jetzt
hinzufahren anfingen. Diese Vertheilung weist darauf hin, dass diese
Meteore, ueber deren Wesen wir noch so sehr im Unklaren sind, zum Theil von
oertlichen Ursachen abhaengig seyn moegen.

Am 14. bei Sonnenaufgang kam die Bocca de Dragon in Sicht. Wir konnten die
Insel Chacachacarreo sehen, das westlichste der Eilande zwischen dem
Vorgebirge Paria und dem nordwestlichen Vorgebirge von Trinidad. Fuenf
Meilen von der Kueste, bei der *Punte de la Baca*, wurden wir gewahr, dass
eine eigenthuemliche Stroemung die Corvette nach Sued trieb. Durch den Zug
des Wassers, das aus der Bocca de Dragon kommt, und durch die Bewegung von
Ebbe und Fluth entsteht eine Gegenstroemung. Man warf das Senkblei aus und
fand 36-43 Faden Tiefe ueber einem Grund von gruenlichem, sehr feinem Thon.
Nach Dampiers Grundsaetzen haetten wir in der Naehe einer von sehr hohen,
steil aufsteigenden Gebirgen gebildeten Kueste keine so geringe Meerestiefe
erwartet. Wir lotheten fort bis zum _Cabo de tres puntas_ und fanden
ueberall erhoehten Meeresgrund, dessen Umriss das Streichen der ehemaligen
Meereskueste zu bezeichnen scheint. Die Temperatur des Meeres war hier
23-24 Grad, somit 1,5 bis 2 Grad niedriger als auf hoher See, das heisst
jenseits der Raender der Bank.

Das _Cabo de tres puntas_, von Columbus selbst so benannt [Im
August 1598.], liegt nach meinen Beobachtungen unter 65 deg. 4' 5" der Laenge.
Es erschien uns um so hoeher, da seine gezackten Gipfel in Wolken gehuellt
waren. Das ganze Ansehen der Berge von Paria, ihre Farbe und besonders
ihre meist runden Umrisse liessen uns vermuthen, dass die Kueste aus Granit
bestehe; die Folge zeigte aber, wie sehr man sich, selbst wenn man sein
Lebenlang in Gebirgen gereist ist, irren kann, wenn man ueber die
Beschaffenheit der Gebirgsart aus der Ferne urtheilt.

Wir benuetzten eine Windstille, die ein paar Stunden anhielt, um die
Intensitaet der magnetischen Kraft beim _Cabo de tres puntas_ genau zu
bestimmen. Wir fanden sie groesser als auf hoher See ostwaerts von Tabago, im
Verhaeltniss von 257 zu 229. Waehrend der Windstille trieb uns die Stroemung
rasch nach West. Ihre Geschwindigkeit betrug 3 Meilen in der Stunde; sie
nahm zu, je naeher wir dem Meridian der *Testigos* kamen, eines Haufens von
Klippen, die aus der weiten See aufsteigen. Als der Mond unterging,
bedeckte sich der Himmel mit Wolken, der Wind wurde wieder staerker und es
stuerzte ein Platzregen nieder, wie sie dem heissen Erdstrich eigen sind und
wir auf unsern Zuegen im Binnenlande sie so oft durchgemacht haben.

Die an Bord des Pizarro ausgebrochene Seuche breitete sich rasch aus, seit
wir uns nahe der Kueste von Terra Firma befanden; der Thermometer stand bei
Nacht regelmaessig zwischen 22 und 23 deg., bei Tag zwischen 24 und 27 deg.. Die
Congestionen gegen den Kopf, die ausnehmende Trockenheit der Haut, das
Daniederliegen der Kraefte, alle Symptome wurden immer bedenklicher; wir
waren aber so ziemlich am Ziele unserer Fahrt, und so hofften wir alle
Kranke genesen zu sehen, wenn man sie an der Insel Margarita oder im Hafen
von Cumana, die fuer sehr gesund gelten, ans Land bringen koennte.

Diese Hoffnung ging nicht ganz in Erfuellung. Der juengste Passagier bekam
das boesartige Fieber und unterlag ihm, blieb aber zum Glueck das einzige
Opfer. Es war ein junger Asturier von neunzehn Jahren, der einzige Sohn
einer armen Wittwe. Mehrere Umstaende machten den Tod des junge Mannes, aus
dessen Gesicht viel Gefuehl und grosse Gutmuethigkeit sprachen, ergreifend
fuer uns. Er war mit Widerstreben zu Schiffe gegangen; er hatte seine
Mutter durch den Ertrag seiner Arbeit unterstuetzen wollen, aber diese
hatte ihre Liebe und den eigenen Vortheil dem Gedanken zum Opfer gebracht,
dass ihr Sohn, wenn er in die Colonien ginge, bei einem reichen Verwandten,
der auf Cuba lebte, sein Glueck machen koennte. Der unglueckliche junge Mann
verfiel rasch in Betaeubung, redete dazwischen irre und starb am dritten
Tage der Krankheit. Das gelbe Fieber oder schwarze Erbrechen rafft in Vera
Cruz nicht leicht die Kranken so furchtbar schnell dahin. Ein anderer,
noch juengerer Asturier wich keinen Augenblick vom Bette des Kranken und
bekam, was ziemlich auffallend ist, die Krankheit nicht. Er wollte mit
seinem Landsmann nach San Jago de Cuba gehen und sich dort von ihm im
Hause des Verwandten einfuehren lassen, auf den sie ihre ganze Hoffnung
gesetzt hatten. Es war herzzerreissend, wie der, welcher den Freund
ueberlebte, sich seinem tiefen Schmerze ueberliess und die unseligen
Ratschlaege verwuenschte, die ihn in ein fernes Land getrieben, wo er nun
allein und verlassen dastand.

Wir standen beisammen auf dem Verdeck in trueben Gedanken. Es war kein
Zweifel mehr, das Fieber, das an Bord herrschte, hatte seit einigen Tagen
einen boesartigen Charakter angenommen. Unsere Blicke hingen an einer
gebirgigen, wuesten Kueste, auf die zuweilen ein Mondstrahl durch die Wolken
fiel. Die leise bewegte See leuchtete in schwachem phosphorischen Schein;
man hoerte nichts als das eintoenige Geschrei einiger grosser Seevoegel, die
das Land zu suchen schienen. Tiefe Ruhe herrschte ringsum am einsamen Ort;
aber diese Ruhe der Natur stand im Widerspiel mit den schmerzlichen
Gefuehlen in unserer Brust. Gegen acht Uhr wurde langsam die Todtenglocke
gelaeutet; bei diesem Trauerzeichen brachen die Matrosen ihre Arbeit ab und
liessen sich zu kurzem Gebet auf die Kniee nieder, eine ergreifende
Handlung, die an die Zeiten gemahnt, wo die ersten Christen sich als
Glieder Einer Familie betrachteten, und die auch jetzt noch die Menschen
im Gefuehl gemeinsamen Ungluecks einander naeher bringt. In der Nacht
schaffte man die Leiche des Asturiers auf das Verdeck, und auf die
Vorstellung des Priesters wurde er erst nach Sonnenaufgang ins Meer
geworfen, damit man die Leichenfeier nach dem Gebrauch der roemischen
Kirche vornehmen konnte. Kein Mann an Bord, den nicht das Schicksal des
jungen Mannes ruehrte, den wir noch vor wenigen Tagen frisch und gesund
gesehen hatten.

Der eben erzaehlte Vorfall zeigte uns, wie gefaehrlich dieses boesartige oder
atactische Fieder sey, und wenn die langen Windstillen die Ueberfahrt von
Cumana nach Havana verzoegerten, so musste man besorgen, dass es viele Opfer
fordern koennte. An Bord eines Kriegsschiffs oder eines Transportschiffs
machen einige Todesfaelle gewoehnlich nicht mehr Eindruck, als wenn man in
einer volkreichen Stadt einem Leichenzug begegnet. Anders an Bord eines
Paketboots mit kleiner Mannschaft, wo zwischen Menschen, die dasselbe
Reiseziel haben, sich naehere Beziehungen knuepfen. Die Passagiere auf dem
Pizarro spuerten zwar noch nichts von den Vorboten der Krankheit,
beschlossen aber doch, das Fahrzeug am naechsten Landungsplatz zu verlassen
und die Ankunft eines andern Postschiffes zu erwarten, um ihren Weg nach
Cuba oder Mexico fortzusetzen. Sie betrachteten das Zwischendeck des
Schiffes als einen Herd der Ansteckung, und obgleich es mir keineswegs
erwiesen schien, dass das Fieber durch Beruehrung anstecke, hielt ich es
doch durch die Vorsicht geraten, in Cumana ans Land zu gehen. Es schien
mir wuenschenswerth, Neuspanien erst nach einem laengeren Aufenthalt an den
Kuesten von Venezuela und Paria zu besuchen, wo der unglueckliche Loeffling
nur sehr wenige naturgeschichtliche Beobachtungen hatte machen koennen. Wir
brannten vor Verlangen, die herrlichen Gewaechse, die Bose und Bredemeyer
auf ihrer Reise in Terra Firma gesammelt und die eine Zierde der
Gewaechshaeuser zu Schoenbrunn und Wien sind, auf ihrem heimathlichen Boden
zu sehen. Es haette uns sehr wehe getan, in Cumana oder Guayra zu landen,
ohne das Innere eines von den Naturforschern so wenig betretenen Landes zu
betreten.

Der Entschluss, den wir in der Nacht vom vierzehnten auf den fuenfzehnten
Juli fassten, aeusserte einen gluecklichen Einfluss auf den Verfolg unserer
Reisen. Statt einiger Wochen verweilten wir ein ganzes Jahr in Terra
Firma; ohne die Seuche an Bord des Pizarro waeren wir nie an den Orinoco,
an den Cassiquiare und an die Grenze der portugiesischen Besitzungen am
Rio Negro gekommen. Vielleicht verdanken wir es auch dieser unserer
Reiserichtung, dass wir waehrend eines so langen Aufenthaltes in den
Aequinoctiallaendern so gesund blieben.

Bekanntlich schweben die Europaeer in den ersten Monaten, nachdem sie unter
den gluehenden Himmel der Tropen versetzt worden, in sehr grosser Gefahr.
Sie betrachten sich als acclimatisirt, wenn sie die Regenzeit auf den
Antillen, in Vera Cruz oder Carthagena ueberstanden haben. Diese Meinung
ist nicht unbegruendet, obgleich es nicht an Beispielen fehlt, dass Leute,
die bei der ersten Epidemie des gelben Fiebers durchgekommen, in einem der
folgenden Jahre Opfer der Seuche werden. Die Faehigkeit, sich zu
acclimatisieren, scheint im umgekehrten Verhaeltniss zu stehen mit dem
Unterschied zwischen der mittleren Temperatur der heissen Zone und der des
Geburtslandes des Reisenden oder Colonisten, der das Klima wechselt, weil
die Lufttemperatur den maechtigsten Einfluss auf die Reizbarkeit und die
Vitalitaet der Organe aeussert. Ein Preusse, ein Pole, ein Schwede sind mehr
gefaehrdet, wenn sie auf die Inseln oder nach Terra Firma kommen, als ein
Spanier, ein Italiener und selbst ein Bewohner des suedlichen Frankreichs.
Fuer die nordischen Voelker betraegt der Unterschied in der mittleren
Temperatur 19-21 Grad, fuer die suedlichen nur 9-10. Wir waren so gluecklich,
die Zeit, in der der Europaeer nach der Landung die groesste Gefahr laeuft, im
ausnehmend heissen, aber sehr trockenen Klima von Cumana zu verleben, einer
Stadt, die fuer sehr gesund gilt. Haetten wir unsern Weg nach Vera Cruz
fortgesetzt, so haetten wir leicht das Loos mehrerer Passagiere des
Paketboots *Aleudia* theilen koennen, das mit dem *Pizarro* in die Havana
kam, als eben das *schwarze Erbrechen* auf Cuba und an der Ostkueste von
Mexico schreckliche Verheerungen anrichtete.

Am 15. Morgens, ungefaehr gegenueber dem kleinen Berge St. Joseph, waren wir
von einer Menge schwimmenden Tangs umgeben. Die Stengel desselben hatten
die sonderbaren, wie Blumenkelche und Federbuesche gestalteten Anhaenge, wie
sie Don Hypolite Ruiz auf seiner Rueckkehr aus Chili beobachtet und in
einer besondern Abhandlung als die Geschlechtsorgane des _Fucus natans_
beschrieben hat. Ein gluecklicher Zufall setzte uns in den Stand, eine
Beobachtung zu berichtigen, die sich nur Einmal der Naturforschung
dargeboten hatte. Die Buendel Tang, welche Bonpland aufgefischt hatte,
waren durchaus identisch mit den Exemplaren, die wir der Gefaelligkeit der
gelehrten Verfasser der peruanischen Flora verdankten. Als wir beide unter
dem Mikroscop untersuchten, fanden wir, dass diese angeblichen
Befruchtungswerkzeuge, diese Pistille und Staubfaeden eine neue Gattung
Pflanzenthiere aus der Familie der Ceratophyten seyen. Die Kelche, welche
Ruiz fuer Pistille hielt, entspringen aus hornartigen, abgeplatteten
Stielen, die so fest mit der Substand des Fucus zusammenhaengen, dass man
sie gar wohl fuer blosse Rippen halten koennte; aber mit einem sehr duennen
Messer gelingt es, sie abzuloesen, ohne das Parenchym zu verletzen. Die
nicht gegliederten Stiele sind Anfangs schwarzbraun, werden aber, wenn sie
vertrocknen, weiss und zerreiblich. In diesen Zustand brausen sie mit
Saeuren auf, wie die kalkigte Substanz der Sertularia, deren Spitzen mit
den Kelchen des von Ruiz beobachteten Fucus Aehnlichkeit haben. In der
Suedsee, auf der Ueberfahrt von Guayaquil nach Acapulco, haben wir an der
tropischen Seetraube dieselben Anhaengsel gefunden, und eine sehr
sorgfaeltige Untersuchung ueberzeugte uns, dass sich hier ein Zoophyt an den
Tang heftet, wie der Epheu den Baumstamm umschlingt. Die unter dem Namen
weiblicher Bluethen beschriebenen Organe sind ueber zwei Linien lang, und
schon diese Groesse haette den Gedanken an wahrhafte Pistille nicht aufkommen
lassen sollen.

Die Kueste von Paria zieht sich nach West fort und bildet eine nicht sehr
hohe Felsmauer mit abgerundeten Gipfeln und wellenfoermigen Umrissen. Es
dauerte lange, bis wir die hohe Kueste der Insel Margarita zu sehen
bekamen, wo wir einlaufen sollten, um hinsichtlich der englischen Kreuzer,
und ob es gefaehrlich sey, bei Guayra anzulegen, Erkundigung einzuziehen.
Sonnenhoehen, die wir unter sehr guenstigen Umstaengen genommen, hatten uns
gezeigt, wie unrichtig damals selbst die gesuchtesten Seekarten waren. Am
15. Morgens, wo wir uns nach dem Chronometer unter 66 deg. 1' 15" der Laenge
befanden, waren wir noch nicht im Meridian der Insel St. Margarita,
waehrend wir nach der verkleinerten Karte des atlantischen Oceans ueber das
westliche sehr hohe Vorgebirge der Insel, das unter 66 deg. 0' der Laenge
gesetzt ist, bereits haetten hinaus seyn sollen. Die Kuesten von Terra Firma
wurden vor Fidalgos, Nogueras und Tiscars, und ich darf wohl hinzufuegen,
vor meinen astronomischen Beobachtungen in Cumana, so unrichtig
gezeichnet, dass fuer die Schifffahrt daraus haetten Gefahren erwachsen
koennen, wenn nicht das Meer in diesen Strichen bestaendig ruhig waere. Ja
die Fehler in der Breite waren noch groesser als die in der Laenge, denn die
Kueste von Neuandalusien laeuft westwaerts vom _Capo de tres Puntas_ 15-20
Meilen weiter nach Norden, als auf den vor dem Jahr 1800 erschienenen
Karten angegeben ist.

Gegen elf Uhr Morgens kam uns ein sehr niedriges Eiland zu Gesicht, auf
dem sich einige Sandduenen erhoben. Durch das Fernrohr liess sich keine Spur
von Bewohnern oder von Anbau entdecken. Hin und wieder standen
cylindrische Cactus wie Kandelaber. Der fast pflanzenlose Boden schien
sich wellenfoermig zu bewegen infolge der starken Brechung, welche die
Sonnenstrahlen erleiden, wenn sie durch Luftschichten hindurchgehen, die
auf einer stark erhitzten Flaeche aufliegen. Die Luftspiegelung macht, dass
in allen Zonen Wuesten und sandiger Strand sich wie bewegte See ausnehmen.

Das flache Land, das wir vor uns hatten, stimmte schlecht zu der
Vorstellung, die wir uns von der Insel Margarita gemacht. Waehrend man
beschaeftigt war, die Angaben der Karten zu vergleichen, ohne sie in
Uebereinstimmung bringen zu koennen, signalisirte man vom Mast einige
kleine Fischerboote. Der Capitaen des Pizarro rief sie durch einen
Kanonenschuss herbei; aber ein solches Zeichen dient zu nichts in Laendern,
wo der Schwache, wenn er dem Starken begegnet, glaubt sich nur auf
Vergewaltigungen gefasst machen zu muessen. Die Boote ergriffen die Flucht
nach Westen zu, und wir sahen uns hier in derselben Verlegenheit, wie bei
unserer Ankunft auf den Canarien vor der kleinen Insel Graciosa. Niemand
an Bord war je in der Gegend am Land gewesen. So ruhig die See war, so
schien doch die Naehe eines kaum ein paar Fuss hohen Eilandes
Vorsichtsmassregeln zu erheischen. Man steuerte nicht weiter dem Lande zu,
und warf eilends den Anker aus.

Kuesten, aus der Ferne gesehen, verhalten sich wie Wolken, in denen jeder
Beobachter die Gegenstaende erblickt, die seine Einbildungskraft
beschaeftigen. Da unsere Aufnahmen und die Angabe des Chronometers mit den
Karten, die uns zur Hand waren, im Widerspruch standen, so verlor man sich
in eitlen Muthmassungen. Die einen hielten Sandhaufen fuer Indianerhuetten
und deuteten auf den Punkt, wo nach ihnen das Fort Pampatar liegen musste;
andere sahen die Ziegenheerden, welche im duerren Thal von San Juan so
haeufig sind; sie zeigten die hohen Berge von Macanao, die ihnen halb in
Wolken gehuellt schienen. Der Capitaen beschloss einen Steuermann ans Land zu
schicken; man legte Hand an, um die Schaluppe ins Wasser zu lassen, da das
Boot auf der Rhede von Santa Cruz durch die Brandung stark gelitten hatte.
Da die Kueste ziemlich fern war, konnte die Rueckfahrt zur Corvette
schwierig werden, wenn der Wind Abends stark wurde.

Als wir uns eben anschickten, ans Land zu gehen, sah man zwei Piroguen an
der Kueste hinfahren. Man rief sie durch einen zweiten Kanonenschuss an, und
obgleich man die Flagge von Castilien aufgezogen hatte, kamen sie doch nur
zoegernd herbei. Diese Piroguen waren, wie alle der Eingeborenen, aus Einem
Baumstamm, und in jeder befanden sich achtzehn Indianer vom Stamme der
Guayqueries [Guaykari], nackt bis zum Guertel und von hohem Wuchs. Ihr
Koerperbau zeugte von grosser Muskelkraft und ihre Hautfarbe war ein
Mittelding zwischen braun und kupferroth. Von weitem, wie sie unbeweglich
dasassen und sich vom Horizont abhoben, konnte man sie fuer Bronzestatuen
halten. Diess war uns um so auffallender, da es so wenig dem Begriff
entsprach, den wir uns nach manchen Reiseberichten von der eigenthuemlichen
Koerperbildung und der grossen Koerperschwaeche der Eingeborenen gemacht
hatten. Wir machten in der Folge die Erfahrung, und brauchten deshalb die
Grenzen der Provinz Cumana nicht zu ueberschreiten, wie auffallend die
Guayqueries aeusserlich von den Chaymas und den Caraiben verschieden sind.
So nahe alle Voelker Amerikas miteinander verwandt scheinen, da sie ja
derselben Race angehoeren, so unterscheiden sich doch die Staemme nicht
selten bedeutend im Koerperwuchs, in der mehr oder weniger dunkeln
Hautfarbe, im Blick, aus dem den einen Seelenruhe und Sanftmuth, bei
andern ein unheimliches Mittelding von Truebsinn und Wildheit spricht.

Sobald die Piroguen so nahe waren, dass man die Indianer spanisch anrufen
konnte, verloren sie ihr Misstrauen und fuhren geradezu an Bord. Wir
erfuhren von ihnen, das niedrige Eiland, bei dem wir geankert, sey die
Insel Coche, die immer unbewohnt gewesen und an der die spanischen
Schiffe, die aus Europa kommen, gewoehnlich weiter noerdlich zwischen
derselben und der Insel Margarita durchgehen, um im Hafen von Pampatar
einen Lootsen einzunehmen. Unbekannt in der Gegend, waren wir in den Canal
suedlich von Coche gerathen, und da die englischen Kreuzer sich damals
haeufig in diesen Strichen zeigten, hatten uns die Indianer fuer ein
feindliches Fahrzeug angesehen. Die suedliche Durchfahrt hat allerdings
bedeutende Vortheile fuer Schiffe, die von Cumana nach Barcelona gehen; sie
hat weniger Wassertiefe als die noerdliche, weit schmalere Durchfahrt, aber
man laeuft nicht Gefahr aufzufahren, wenn man sich nahe an den Inseln Lobos
und Moros del Tunal haelt. Der Canal zwischen Coche und Margarita wird
durch die Untiefen am nordwestlichen Vorgebirge von Coche und durch die
Bank an der Punte de Mangles eingeengt.

Die Guayqueries gehoeren zum Stamm civilisirter Indianer, welche auf den
Kuesten von Margarita und in den Vorstaedten von Cumana wohnen. Nach den
Caraiben des spanischen Guyana sind sie der schoenste Menschenschlag in
Terra Firma. Sie geniessen verschiedener Vorrechte, da sie seit der ersten
Zeit der Eroberung sich als treue Freunde der Castilianer bewaehrt haben.
Der Koenig von Spanien nennt sie daher auch in seinen Handschreiben "seine
lieben, edlen und getreuen Guayqueries". Die Indianer, auf die wir in den
zwei Piroguen gestossen, hatten den Hafen von Cumana in der Nacht
verlassen. Sie wollten Bauholz in den Cedrowaeldern [_Cedrela odorata_
Linne] holen, die sich vom Cap San Jose bis ueber die Muendung des Rio
Carupano hinaus erstrecken. Sie gaben uns frische Cocosnuesse und einige
Fische von der Gattung _Choetodon_, deren Farben wir nicht genug bewundern
konnten. Welche Schaetze enthielten in unseren Augen die Kaehne der armen
Indianer! Ungeheure Vijaoblaetter [_Heliconia bihai._] bedeckten
Bananenbueschel; der Schuppenpanzer eines Tatou [Armadill, _Dasypus_,
_Cachicamo_], die Frucht der _Crescentia cujete_, die den Eingeborenen als
Trinkgefaesse dienen, Naturkoerper, die in den europaeischen Cabinetten zu den
gemeinsten gehoeren, hatten ungemeinen Reiz fuer uns, weil sie uns lebhaft
daran mahnten, dass wir uns im heissen Erdguertel befanden und das
laengstersehnte Ziel erreicht hatten.

Der *Patron* einer der Piroguen erbot sich, an Bord des Pizarro zu
bleiben, um uns als Lootse zu dienen. Der Mann empfahl sich durch sein
ganzes Wesen; er war ein scharfsinniger Beobachter und hatte sich in
lebhafter Wissbegier mit den Meeresprodukten wie mit den einheimischen
Gewaechsen abgegeben. Ein gluecklicher Zufall fuegte es, dass der erste
Indianer, dem wir bei unserer Landung begegneten, der Mann war, dessen
Bekanntschaft unseren Reisezwecken aeusserst foerderlich wurde. Mit Vergnuegen
schreibe ich in dieser Erzaehlung den Namen Carlos del Pino nieder, so hiess
der Mann, der uns sechzehn Monate lang auf unseren Zuegen laengs der Kuesten
und im inneren Lande begleitet hat.

Gegen Abend liess der Capitaen der Corvette den Anker lichten. Bevor wir die
Untiefe oder den _Placer_ bei Coche verliessen, bestimmte ich die Laenge des
oestlichen Vorgebirges der Insel und fand sie 66 deg. 11' 53". Westwaerts
steuernd hatten wir bald die kleine Insel Cubagua vor uns, die jetzt ganz
oede ist, frueher aber durch Perlenfischerei beruehmt war. Hier hatten die
Spanier unmittelbar nach Columbus und Ojedas Reisen eine Stadt unter dem
Namen Neucadix gegruendet, von der keine Spur mehr vorhanden ist. Zu Anfang
des sechzehnten Jahrhunderts waren die Perlen von Cubagua in Sevilla und
Toledo, wie auf den grossen Messen von Augsburg und Bruegge bekannt. Da
Neucadix kein Wasser hatte, so musste man es an der benachbarten Kueste aus
dem Manzanaresflusse holen, obgleich man es, ich weiss nicht warum,
beschuldigte, dass es Augenentzuendungen verursache. Die Schriftsteller
jener Zeit sprechen alle vom Reichthum der ersten Ansiedler und vom Luxus,
den sie getrieben; jetzt erheben sich Duenen von Flugsand auf der
unbewohnten Kueste und der Name Cubagua ist auf unseren Karten kaum
verzeichnet.

In diesem Striche angelangt, sahen wir die hohen Berge von Kap Macanao im
Westen der Insel Margarita majestaetisch am Horizont aufsteigen. Nach den
Hoehenwinkeln, die wir in 18 Meilen Entfernung nahmen, moegen diese Gipfel
500-600 Toisen absolute Hoehe haben. Nach Louis Berthoud´s Chronometer
liegt Cap Macanao unter 66 deg. 47' 5" Laenge. Ich nahm die Felsen am Ende des
Vorgebirges auf, nicht die sehr niedrige Landzunge, die nach West
fortstreicht und sich in eine Untiefe verliert. Die Laenge, die ich fuer
Macanao gefunden, und die, welche ich oben fuer die Ostspitze der Insel
Coche angegeben, weichen von Fidalgos Beobachtungen nur um 4 Zeitsecunden
ab.

Der Wind war sehr schwach; der Capitaen hielt es fuer rathsamer, bis zu
Tagesanbruch zu laviren. Er scheute sich, bei Nacht in den Hafen von
Cumana einzulaufen, und ein ungluecklicher Zufall, der vor kurzem eben hier
vorgekommen war, schien diese Vorsicht zu gebieten. Ein Paketboot hatte
Anker geworfen, ohne die Laternen auf dem Hintertheil anzuzuenden; man
hielt es fuer ein feindliches Fahrzeug und die Batterien von Cumana gaben
Feuer darauf. Dem Capitaen des Postschiffes wurde ein Bein weggerissen und
er starb wenige Tage darauf in Cumana.

Wir brachten die Nacht zum Theil auf dem Verdeck zu. Der indianische
Lootse unterhielt uns von den Thieren und Gewaechsen seines Landes. Wir
hoerten zu unserer grossen Freude, wenige Meilen von der Kueste sey ein
gebirgiger, von Spaniern bewohnter Landstrich, wo empfindliche Kaelte
herrsche, und auf den Ebenen kommen zwei sehr verschiedene Krokodile
[_Crocodilus acutus_ und _C. Bava_.] vor, ferner Boas, elektrische Aale
[_Gymnotus electricus_, _Temblador_.] und mehrere Tigerarten. Obgleich die
Worte *Bava*, *Cachicamo* und *Temblador* uns ganz unbekannt waren, liess
uns die naive Beschreibung der Gestalt und der Sitten der Thiere alsbald
die Arten erkennen, welche die Creolen so benennen. Wir dachten nicht
daran, dass diese Thiere ueber ungeheure Landstriche zerstreut sind, und
hofften, sie gleich in den Waeldern bei Cumana beobachten zu koennen. Nichts
reizt die Neugierde des Naturkundigen mehr als der Bericht von den Wundern
eines Landes, das er betreten soll.

Am 16. Juli 1799, bei Tagesanbruch, lag eine gruene, malerische Kueste vor
uns. Die Berge von Neuandalusien begrenzten, halb von Wolken verschleiert,
nach Sueden den Horizont. Die Stadt Cumana mit ihrem Schloss erschien
zwischen Gruppen von Cocosbaeumen. Um neun Uhr morgens, ein und vierzig
Tage nach unserer Abfahrt von Corunna, gingen wir im Hafen vor Anker. Die
Kranken schleppten sich auf das Verdeck um sich am Anblick eines Landes zu
laben, wo ihre Leiden ein Ende finden sollten.

                            ------------------





   31 Dass fortwaehrend ein oberer Luftstrom vom Aequator zu den Polen und
      ein unterer von den Polen zum Aequator geht, diess ist, die Arago
      dargethan hat, schon von Hooke erkannt worden. Seine Ideen hierueber
      entwickelte der beruehmte englische Physiker in einer Rede vom Jahr
      1686. "Ich glaube," fuegt er hinzu, "dass sich mehrere Erscheinungen
      in der Luft und auf dem Meere, namentlich die Winde, aus
      Polarstroemen erklaeren lassen." Hadley fuehrt diese interessante
      Stelle nicht an; andererseits nimmt Hooke, wo er auf die Passatwinde
      selbst zu sprechen kommt, Galileis unrichtige Theorie an, nach der
      sich die Erde und die Luft mit verschiedener Geschwindigkeit bewegen
      sollen.

   32 Die spanischen Seeleute nennen die sehr starken Passatwinde in
      Cartagena _los brisotes de la Santa Martha_ und im Meerbusen von
      Mexico _las brizas pardas_. Bei letzteren Winden ist der Himmel grau
      und umwoelkt.

   33 Phoenicische Fahrzeuge scheinen in "in 30 Tagen Schiffahrt und mit
      dem Ostwind" zum *Grasmeer* gekommen zu seyn, das bei den Spaniern
      und Portugiesen _Mar de Sargazo_ heisst. Ich habe anderswo dargetan,
      dass diese Stelle im Buche des Aristoteles "_De Mirabilibus_" sich
      nicht wohl, wie eine aehnliche Stelle im Periplus des Scylax, auf die
      Kueste von Afrika beziehen kann. Setzt man voraus, dass das Gras
      bedeckte Meer, das die phoenicischen Schiffe in ihrem Lauf aufhielt,
      das _Mar de Sargazo_ gar, so braucht man nicht anzunehmen, dass die
      Alten im Atlantischen Meer ueber den 30. Grad westlicher Laenge vom
      Meridian von Paris hinausgekommen seyen.

   34 Die Karten von Jefferys und Van-Keulen geben vier Inseln an, die
      nichts als eingebildete Gefahren sind: die Inseln Garca und Santa
      Anna, westlich von den Azoren, die gruene Insel (unter 14 deg. 52'
      Breite, 28 deg. 30' Laenge) und die Insel Fonseco (unter 13 deg. 15' Breite,
      57 deg. 10' Laenge). Wie kann man an die Existenz von vier Inseln in von
      Tausenden von Schiffen befahrenen Strichen glauben, da von so vielen
      kleinen Riffen und Untiefen, die seit hundert Jahren von
      leichtglaeubien Schiffern angegeben worden sind, sich kaum zwei oder
      drei bewahrheitet haben? Was die allgemeine Frage betrifft, mit
      welchen Grade von Wahrscheinlichkeit sich annehmen laesst, dass
      zwischen Europa und Amerika eine auf eine Meile sichtbare Insel
      werde entdeckt werden, so koennte man sie einer strengen Rechnung
      unterwerfen, wenn man die Zahl der Fahrzeuge kennte, die seit
      dreihundert Jahren jaehrlich das atlantische Meer befahren, und wenn
      man dabei die ungleiche Vertheilung der Fahrzeuge in verschiedenen
      Strichen beruechsichtigte. Befaende sich der Maalstrom, nach
      Van-Keulens Angabe unter 16 deg. Breite und 39 deg. 30' Laenge, so waeren wir
      am 4. Juli darueber weggefahren.

         35 Rechts an des andern Poles Firmament
      Boten sich dar vier Sterne meinen Blicken,
      Die nur dem ersten Paar zu schaun vergoennt.

      Ihr Schimmer schien den Himmel zu entzuecken:
      O mitternaecht´ger Bogen, so verwaist,
      Weil du an ihnen nie dich kannst erquicken!

      (Nach Kannegiessers Uebersetzung).

   36 Im atlantischen Meere ist ein Strich, wo das Wasser immer milchigt
      erscheint, obgleich die See dort sehr tief ist. Diese merkwuerdige
      Erscheinung zeigt sich unter der Breite der Insel Dominica und etwa
      unter 57 deg. der Laenge. Sollte an diesem Punkt, noch oestlicher als
      Barbados, ein versunkenes vulkanisches Eiland unter dem Meerespiegel
      liegen?





VIERTES KAPITEL


         Erster Auftenthalt in Cumana. -- Die Ufer des Manzanares


Wir waren am 16. Juli mit Tagesanbruch auf dem Ankerplatz, gegenueber der
Muendung des Rio Manzanares, angelangt, konnten uns aber erst spaet am
Morgen ausschiffen, weil wir den Besuch der Hafenbeamten abwarten mussten.
Unsere Blicke hingen an den Gruppen von Cocosbaeumen, die das Ufer saeumten
und deren ueber sechzig Fuss [20 m] hohe Staemme die Landschaft beherrschten.
Die Ebene war bedeckt mit Bueschen von Cassien, Capparis und den
baumartigen Mimosen, die gleich den Pinien Italiens ihre Zweige
schirmartig ausbreiten. Die gefiederten Blaetter der Palmen hoben sich von
einem Himmelsblau ab, das keine Spur von Dunst truebte. Die Sonne stieg
rasch zum Zenith auf; ein blendendes Licht war in der Luft verbreitet und
lag auf den weisslichen Huegeln mit zerstreuten cylindrischen Cactus und auf
dem ewig ruhigen Meere, dessen Ufer von Alcatras [Ein brauner Pelikan von
der Groesse des Schwans. _Pelicanus fuscus_, _Linne_.], Reihern und Flamingo
bevoelkert sind. Das glaenzende Tageslicht, die Kraft der Pflanzenfarben,
die Gestalten der Gewaechse, das bunte Gefieder der Voegel, alles trug den
grossartigen Stempel der tropischen Natur.

Cumana, die Hauptstadt von Neuandalusien, liegt eine Meile [4,5 km] vom
Landungsplatz oder der Batterie _de la Bocca_, bei der wir ans Land
gestiegen, nachdem wir ueber die Barre des Manzanares gefahren. Wir hatten
ueber eine weite Ebene [_El Salado_] zu gehen, die zwischen der Vorstadt
der Guayqueries und der Kueste liegt. Die starke Hitze wurde durch die
Strahlung des zum Theil pflanzenlosen Bodens noch gesteigert. Der
hunderttheilige Thermometer, in den weissen Sand gesteckt, zeigte 37 deg.,7. In
kleinen Salzwasserlachen stand er auf 30 deg.,5, waehrend im Hafen von Cumana
die Temperatur des Meeres an der Oberflaeche meist 25 deg.,2 bis 26 deg.,3 betraegt.
Die erste Pflanze, die wir auf dem amerikanischen Festland pflueckten, war
die _Avicennia tomentosa_ (_Mangle prieto_), die hier kaum zwei Fuss hoch
wird. Dieser Strauch, das _Sesuvium_, die gelbe _Gomphrena_ und die Cactus
bedecken den mit salzsaurem Natron geschwaengerten Boden; sie gehoeren zu
den wenigen Pflanzen, die, wie die europaeischen Heiden, gesellig leben,
und dergleichen in der heissen Zone nur am Meeresufer und auf den hohen
Plateaus der Anden vorkommen. Nicht weniger interessant ist die die
cumanische Avicennia durch eine andere Eigenthuemlichkeit: diese Pflanze
gehoert dem Gestade und der Kueste von Malabar gemeinschaftlich an.

Der indische Lootse fuehrte uns durch seinen Garten, der viel mehr einem
Gehoelz als einem bebauten Lande glich. Er zeigte uns als Beweis der
Fruchtbarkeit des Klimas einen Kaesebaum _(Bombax heptaphyllum)_, dessen
Stamm im vierten Jahre bereits gegen dritthalb Fuss [75 cm] Durchmesser
hatte. Wir haben an Ufern des Orinoco und des Magdalenenflusses die
Beobachtung gemacht, dass die Bombax, die Carolineen, die Ochromen und
andere Baeume aus der Familie der Malven ausnehmend rasch wachsen. Ich
glaube aber doch, dass die Angabe des Indianers ueber das Alter des
Kaesebaumes etwas uebertrieben war; denn in der gemaessigten Zone, auf dem
feuchten und warmen Boden Nordamerikas zwischen dem Mississippi und den
Aleghanis werden die Baeume in zehn Jahren nicht ueber einen Fuss [32 cm]
dick, und das Wachsthum ist dort im Allgemeinen nur um ein Fuenftheil
rascher als in Europa, selbst wenn man zum Vergleich die Platane, den
Tulpenbaum und _Cupressus disticha_ waehlt, die zwischen neun und fuenfzehn
Fuss [3 und 4,5 m] dick werden. Im Garten des Lootsen am Gestade von Cumana
sahen wir auch zum erstenmal einen *Guama*(37) voll Bluethen, deren
zahlreiche Staubfaeden sich durch ihre ungemeine Laenge und ihren
Silberglanz auszeichnen. Wir gingen durch die Vorstadt der Indianer, deren
Strassen geradlinigt und mit kleinen, ganz neuen Haeusern von sehr
freundlichem Ansehen besetzt sind. Dieser Stadttheil war infolge des
Erdbebens, das Cumana anderthalb Jahre vor unserer Ankunft zerstoert hatte,
eben erst neu aufgebaut worden. Kaum waren wir auf einer hoelzernen Bruecke
ueber den Manzanares gegangen, in dem hier Bava oder Krokodile von der
kleinen Art vorkommen, begegneten uns ueberall die Spuren dieser
schrecklichen Katastrophe; neue Gebaeude erhoben sich auf den Truemmern der
alten.

Wir wurden vom Capitaen des Pizarro zum Statthalter der Provinz, Don
Vicente Emparan, gefuehrt, um ihm die Paesse zu ueberreichen, die das
Staatssecretariat uns ausgestellt. Er empfing uns mit der Offenheit und
edlen Einfachheit, die von jeher Zuege des baskischen Volkscharakters
waren. Ehe er zum Statthalter von Portobelo und Cumana ernannt wurde,
hatte er sich als Schiffscapitaen in der koeniglichen Marine ausgezeichnet.
Sein Name erinnert an einen der merkwuerdigsten und traurigsten Vorfaelle in
der Geschichte der Seekriege. Nach dem letzten Bruch zwischen Spanien und
England schlugen sich zwei Brueder des Statthalters Emparan bei Nacht vor
dem Hafen von Cadix mit ihren Schiffen, weil jeder das andere Schiff fuer
ein feindliches hielt. Der Kampf war so furchtbar, dass beide Schiffe fast
zugleich sanken. Nur ein sehr kleiner Theil der beiderseitigen Mannschaft
wurde gerettet, und die beiden Brueder hatten das Unglueck, einander kurz
vor ihrem Tode zu erkennen.

Der Statthalter von Cumana aeusserte sich sehr zufrieden ueber unseren
Entschluss, uns eine Zeitlang in Neuandalusien aufzuhalten, das zu jener
Zeit in Europa kaum dem Namen nach bekannt war, und das in seinen Gebirgen
und an den Ufern seiner zahlreichen Stroeme der Naturforschung das reichste
Feld der Beobachtung bietet. Der Statthalter zeigte uns mit einheimischen
Pflanzen gefaerbte Baumwolle und schoene Moebeln ganz aus einheimischen
Hoelzern; er interessirte sich lebhaft fuer alle physischen Wissenschaften
und fragte uns zu unserer grossen Verwunderung, ob wir nicht glaubten, dass
die Luft unter dem schoenen tropischen Himmel weniger Stickstoff
_(azotico)_ enthalte als in Spanien, oder ob, wenn das Eisen hierzulande
rascher oxydire, dies allein von der groesseren Feuchtigkeit herruehre, die
der Haarhygrometer anzeige. Dem Reisenden kann der Name des Vaterlandes,
wenn er ihn auf einer fernen Kueste aussprechen hoert, nicht lieblicher in
den Ohren klingen, als uns hier die Worte Stickstoff, Eisenoxyd,
Hygrometer. Wir wussten, dass wir, trotz der Befehle des Hofs und der
Empfehlung eines maechtigen Ministers, bei unserem Aufenthalt in den
spanischen Colonien mit zahllosen Unannehmlichkeiten zu kaempfen haben
wuerden, wenn es uns nicht gelang, bei den Regenten dieser ungeheuren
Landstrecken besondere Theilnahme fuer uns zu wecken. Emparan war ein zu
warmer Freund der Wissenschaft, um es seltsam zu finden, dass wir so weit
hergekommen, um Pflanzen zu sammeln und die Lage gewisser Oertlichkeiten
astronomisch zu bestimmen. Er argwoehnte keine andern Beweggruende unserer
Reise als die in unseren Paessen angegebenen, und die oeffentlichen Beweise
von Achtung, die er uns waehrend unseren langen Aufenthaltes in seinem
Regierungsbezirke gegeben, haben Grosses dazu beigetragen, uns ueberall in
Suedamerika eine freundliche Aufnahme zu verschaffen.

Am Abend liessen wir unsere Instrumente ausschiffen und fanden zu unserer
Befriedigung keines beschaedigt. Wir mietheten ein geraeumiges, fuer die
astronomischen Beobachtungen guenstig gelegenes Haus. Man genoss darin, wenn
der Suedwind wehte, einer angenehmen Kuehle; die Fenster waren ohne
Scheiben, nicht einmal mit Papier bezogen, das in Cumana meist statt des
Glases dient. Saemmtliche Passagiere des Pizarro verliessen das Schiff, aber
die vom boesartigen Fieber Befallenen genasen sehr langsam. Wir sahen
welche, die nach einem Monat, trotz der guten Pflege, die ihnen von ihren
Landsleuten geworden, noch erschrecklich blass und mager waren. In den
Spanischen Colonien ist die Gastfreundschaft so gross, dass ein Europaeer,
kaeme er auch ohne Empfehlung und ohne Geldmittel an, so ziemlich sicher
auf Unterstuetzung rechnen kann, wenn er krank in irgend einem Hafen ans
Land geht. Die Catalonier, Galizier und Biscayer stehen im staerksten
Verkehr mit Amerika. Sie bilden dort gleichsam drei gesonderte
Corporationen, die auf die Sitten, den Gewerbsfleiss und den Handel der
Colonien bedeutenden Einfluss haben. Der aermste Einwohner von Siges oder
Vigo ist sicher, im Hause eines catalonischen oder galizischen *Pulpero*
(Kraemer) Aufnahme zu finden, ob er nun nach Chile oder nach Mexiko oder
auf die Philippinen kommt. Ich habe die ruehrendsten Beispiele gesehen, wie
fuer unbekannte Menschen ganze Jahre lang unverdrossen gesorgt wird. Man
kann hoeren, Gastfreundschaft sey leicht zu ueben in einem herrlichen Klima,
wo es Nahrungsmittel im Ueberfluss gibt, wo die einheimischen Gewaechse
wirksame Heilmittel liefern, und der Kranke in seiner Haengematte unter
einem Schuppen das noethige Obdach findet. Soll man aber die Ueberlast,
welche die Ankunft eines Fremden, dessen Gemuethsart man nicht kennt, einer
Familie verursacht, fuer nichts rechnen? und die Beweise gefuehlvoller
Theilnahme, die aufopfernde Sorgfalt der Frauen, die Geduld, die waehrend
einer langen, schweren Wiedergenesung nimmer ermuedet, soll man von dem
allen absehen? Man will die Beobachtung gemacht haben, dass, vielleicht mit
Ausnahme einiger sehr volkreichen Staedte, seit den ersten Niederlassungen
spanischer Ansiedler in der neuen Welt die Gastfreundschaft nicht merkbar
abgenommen habe. Der Gedanke thut wehe, dass diess allerdings anders werden
muss, wenn einmal Bevoelkerung und Industrie in den Colonien rascher
zunehmen, und wenn sich auf der Stufe gesellschaftlicher Eintwicklung, die
man als vorgeschrittene Kultur zu bezeichnen pflegt, die alte
castilianische Offenheit allmaehlich verliert.

Unter den Kranken, die in Cumana an Land kamen, befand sich ein Neger, der
einige Tage nach unserer Ankunft in Raserei verfiel; er starb in diesem
klaeglichen Zustand, obgleich sein Herr, ein siebzigjaehriger Mann, der
Europa verlassen hatte, um in San Blas, am Eingang des Golfs von
Californien, eine neue Heimath zu suchen, ihm alle erdenkliche Pflege
hatte zu Theil werden lassen. Ich erwaehne dieses Falls, um zu zeigen, dass
zuweilen Menschen, die im heissen Erdstrich geboren sind, aber in einem
gemaessigten Klima gelebt haben, den verderblichen Einfluessen der tropischen
Hitze erliegen. Der Neger war ein junger Mensch von achtzehn Jahren, sehr
kraeftig und auf der Kueste von Guinea geboren. Durch mehrjaehrigen
Aufenthalt auf der Hochebene von Castilien hatte aber seine Constitution
den Grad von Reizbarkeit erhalten, der die Miasmen der heissen Zone fuer die
Bewohner noerdlicher Laenger so gefaehrlich macht.

Der Boden, auf dem die Stadt Cumana liegt, gehoert einer geologisch sehr
interessanten Bildung an. Da mir aber seit meiner Rueckkehr nach Europa
einige Reisende mit der Beschreibung von Kuestenstrichen, die sie nach mir
besucht, zuvorgekommen sind, so beschraenke ich mich hier auf Bemerkungen,
die ausserhalb des Kreises ihrer Beobachtungen fallen. Die Kette der
Kalkalpen des Brigantin und Tataraqual streicht von Ost nach West vom
Gipfel *Imposible* bis zum Hafen von Mochima und nach Campanario. In einer
sehr fernen Zeit scheint das Meer diesen Gebirgsdamm von der Felsen kueste
von Araya und Maniquarez getrennt zu haben. Der weite Golf von Cariaco ist
durch einen Einbruch des Meeres entstanden, und ohne Zweifel stand damals
an der Suedkueste das ganze mit salzsaurem Natron getraenkte Land, durch das
der Manzanares laeuft, unter Wasser. Ein Blick auf den Stadtplan von Cumana
laesst diese Thatsache so unzweifelhaft erscheinen, als dass die Becken von
Paris, Oxford und Wien einst Meerboden gewesen. Das Meer zog sich langsam
zurueck und legte das weite Gestade trocken, auf dem sich eine Huegelgruppe
erhebt, die aus Gips und Kalkstein von der neuesten Bildung besteht.

Die Stadt Cumana lehnt sich an diese Huegel, die einst ein Eiland im Golf
von Cariaco waren. Das Stueck der Ebene norwaerts von der Stadt heisst "der
kleine Strand" (_Plaga chica_); sie dehnt sich gegen Ost bis zur Punta
Delgada aus, und hier bezeichnet ein enges mit _Gomphrena flava_ bedecktes
Thal den Punkt, wo einst der Durchbruch der Gewaesser stattfand. Dieses
Tal, dessen Eingang durch kein Aussenwerk vertheidigt wird, erscheint als
der Punkt, von wo der Platz einem Angriff am meisten ausgesetzt ist. Der
Feind kann in voller Sicherheit zwischen der *Punta Arenas del Barigon*
und der Muendung des Manzanares durchgehen, wo die See 40-50 [73-91 m] und
weiter nach Suedost sogar 87 Faden [159 m] tief ist. Er kann an der *Punta
Delgada* landen und das Fort St. Antonio und die Stadt Cumana im Ruecken
angreifen, ohne dass er vom Feuer der westlichen Batterien auf der Playa
Chica an der Muendung des Stroms und beim *Cerro Colorado* etwas zu
fuerchten haette.

Der Huegel aus Kalkstein, den wir, wie oben bemerkt, als eine Insel im
ehemaligen Golf betrachten, ist mit Fackeldisteln bedeckt. Manche davon
sind 30-40 Fuss [10-13 m] hoch und ihr mit Flechten bedeckter, in mehrere
Aeste kronleuchterartig getheilter Stamm nimmt sich hoechst seltsam aus.
Bei Maniquarez an der Punta Araya massen wir einen Cactus, dessen Stamm
ueber vier Fuss neun Zoll [1,54 m] Umfang hatte. Ein Europaeer, der nur die
Fackeldisteln unserer Gewaechshaeuser kennt, wundert sich, wenn er sieht,
dass das Holz dieses Gewaechses mit dem Alter sehr hart wird, dass es
Jahrhunderte lang der Luft und Feuchtigkeit widersteht, und dass es die
Indianer von Cumana vorzugsweise zu Rudern und Tuerschwellen verwenden.
Nirgends in Suedamerika kommen die Gewaechse aus der Familie der Nopaleen
haeufiger vor als in Cumana, Coro, Curacao und auf der Insel Margarita. Nur
dort koennte der Botaniker nach langem Aufenthalt eine Monographie der
Cactus schreiben, die nicht in Hinsicht auf Bluethen und Fruechte, aber nach
der Form des gegliederten Stamms, nach der Zahl der Graeten und der
Stellung der Stacheln ausnehmend viele Varietaeten bilden. Wir werden in
der Folge sehen, wie diese Gewaechse, die fuer ein heisses, trockenes Klima,
wie das Egyptens und Californiens, charakteristisch sind, immer mehr
verschwinden, wenn man von Terra Firma ins Innere des Landes kommt.

Die Cactusgebuesche spielen auf duerrem Boden in Suedamerika dieselbe Rolle
wie in unseren noerdlichen Laendern die mit Binsen und Hydrocharideen
bewachsenen Brueche. Ein Ort, wo stachlichte Cactus von hohem Wuchs in
Reihen stehen, gilt fast fuer undurchdringlich. Solche Stellen, *Tunales*
genannt, halten nicht allein den Eingeborenen auf, der bis zum Guertel
nackt ist, sie sind ebensosehr von den Staemmen gefuerchtet, die ganz
bekleidet gehen. Auf unsern einsamen Spaziergaengen versuchten wir es
manchmal in den *Tunal* einzudringen, der die Spitze des Schlossberges
kroent und durch den zum Theil ein Fussweg fuehrt. Hier liesse sich der Bau
dieses sonderbaren Gewaechses an Tausenden von Exemplaren beobachten.
Zuweilen wurden wir von der Nacht ueberrascht, denn in diesem Klima gibt es
fast keine Daemmerung. Unsere Lage war dann desto bedenklicher, da der
*Cascabel* oder die Klapperschlange, der *Coral* und andere Schlangen mit
Giftzaehnen zur Legezeit solche heissen trockenen Orte aufsuchen, um ihre
Eier in den Sand zu legen.

Das Schloss St. Antonio liegt auf der westlichen Spitze des Huegels, aber
nicht auf dem hoechsten Punkt; es wird gegen Osten von einer nicht
befestigten Hoehe beherrscht. Der *Tunal* gilt hier und ueberall in den
spanischen Niederlassungen fuer ein nicht unwichtiges militaerisches
Vertheidigungsmittel. Wo man Erdwerke anlegt, suchen die Ingenieurs recht
viele stachlichte Fackeldisteln darauf anzubringen und ihr Wachsthum zu
befoerdern, wie man auch die Krokodile in den Wassergraeben der festen
Plaetze hegt. In einem Klima, wo die organische Natur eine so gewaltige
Triebkraft hat, zieht der Mensch fleischfressende Reptilien und mit
furchtbaren Stacheln bewehrte Gewaechse zu seiner Vertheidigung herbei.

Das Schloss St. Antonio, wo man an Festtagen die Flagge von Castilien
aufzieht, liegt nur 30 Toisen [58,5 m] ueber dem Wasserspiegel des
Meerbusens von Cariaco. Auf seinem kahlen Kalkhuegel beherrscht es die
Stadt und liegt, wenn man in den Hafen einfaehrt, hoechst malerisch da. Es
hebt sich hell von der dunkeln Wand der Gebirge ab, deren Gipfel bis zur
Schneeregion aufsteigen und deren duftiges Blau mit dem Himmelsblau
verschmilzt. Geht man vom Fort St. Antonio gegen Suedwest herab, so kommt
man am Abhang desselben Felsen zu den Truemmern des alten Schlosses Santa
Maria. Dies ist ein herrlicher Punkt, um gegen Sonnenuntergang des kuehlen
Seewindes und der Aussicht auf den Meerbusen zu geniessen. Die hohen
Berggipfel der Insel Margarita erscheinen ueber der Felsenkueste der
Landenge von Araya; gegen Westen mahnen die kleinen Inseln Caracas,
Picuito und Boracha an die Katastrophe, durch welche die Kueste von Terra
Firma zerrissen worden ist. Diese Eilande gleichen Festungswerken, und da
die Sonne die untern Luftschichten, die See und das Erdreich ungleich
erwaermt, so erscheinen ihre Spitzen infolge der Luftspiegelung
hinaufgezogen, wie die Enden der grossen Vorgebirge der Kueste. Mit
Vergnuegen verfolgt man bei Tage diese wechseln den Erscheinungen; bei
Einbruch der Nacht sieht man dann, wie die in der Luft schwebenden
Gesteinmassen sich wieder auf ihre Grundlage niedersenken, und das
Gestirn, das der organischen Natur Leben verleiht, scheint durch die
veraenderliche Beugung seiner Strahlen den starren Fels vom Fleck zu ruecken
und duerre Sandebenen wellenfoermig zu bewegen.

Die eigentliche Stadt Cumana liegt zwischen dem Schlosse St. Antonio und
den kleinen Fluessen Manzanares und Santa Catalina. Das durch die Arme des
ersteren Flusses gebildete Delta ist ein fruchtbares Land, bewachsen mit
Mammea, Achra, Bananen und anderen Gewaechsen, die in den Gaerten oder
*Charas* der Indianer gebaut werden. Die Stadt hat kein ausgezeichnetes
Gebaeude aufzuweisen, und bei der Haeufigkeit von Erdbeben wird sie
schwerlich je welche haben. Starke Erdstoesse kommen zwar im selben Jahre in
Cumana nicht so haeufig vor als in Quito, wo durch praechtige, sehr hohe
Kirchen stehen; aber die Erdbeben in Quito sind nur scheinbar so heftig,
und in Folge der eigenthuemlichen Beschaffenheit des Bodens und der Art der
Bewegung stuerzt kein Gebaeude ein. In Cumana, wie in Lima und mehreren
anderen Staedten, die weit von den Schluenden thaetiger Vulkane liegen, wird
die Reihe schwacher Erdstoesse nach Ablauf vieler Jahre leicht durch groessere
Katastrophen unterbrochen, die in ihren Wirkungen dener einer springenden
Mine aehnlich sind. Wir werden oefters Gelegenheit haben, auf diese
Erscheinungen zurueckzukommen, zu deren Erklaerung so viele eitle Theorien
ersonnen worden sind, und fuer die man eine Classification gefunden zu
haben glaubte, wenn man senkrechte und wagrechte Bewegungen, stossende und
wellenfoermige Bewegungen annahm.(38)

Die Vorstaedte von Cumana sind fast so stark bevoelkert wie die alte Stadt.
Es sind ihrer drei: Die der *Serritos* auf dem Wege nach der Plaga chica,
wo einige schoene Tamarindenbaeume stehen, die suedoestlich gelegene, San
Francisco genannt, und die grosse Vorstadt der Guayqueries. Der Name dieses
Indianerstammes war vor der Eroberung ganz unbekannt. Die Eingeborenen,
die denselben jetzt fuehren, gehoerten frueher zu der Nation der Guaraunos,
die nur noch auf dem Sumpfboden zwischen den Armen des Orinoco lebt. Alte
Maenner versicherten mich, die Sprache ihrer Vorfahren sey eine Mundart des
Guaraunosprache gewesen, aber seit hundert Jahren gebe es in Cumana und
auf Margarita keinen Eingeborenen vom Stamme mehr, der etwas anderes
spreche als castilianisch.

Das Wort *Guayqueries* verdankt, gerade wie die Worte *Peru* und
*Peruaner*, seinen Ursprung einem blossen Missverstaendnisse. Als die
Begleiter des Columbus an der Insel Margarita hinfuhren, auf deren
Nordkueste noch jetzt der am hoechsten stehende Theil dieser Nation wohnt,
stiessen sie auf einige Eingeborene, die Fische harpunirten, indem sie
einen mit einer sehr feinen Spitze versehenen, an einen Strick gebundenen
Stock gegen sie schleuderten. Sie fragten sie in haytischer Sprache, wie
sie hiessen: die Indianer aber meinten, die Fremden erkundigten sich nach
den Harpunen aus dem harten, schweren Holz der Macanapalme und
antworteten: *Guaike*, *Guaike*, das heisst: spitziger Stock. Die
Guayqueries, ein gewandtes, civilisirtes Fischervolk, unterscheiden sich
jetzt auffallend von den wilden Guaraunos am Orinoco, die ihre Huetten an
den Staemmen der Morichepalme aufhaengen.

Die Bevoelkerung von Cumana ist in der neuesten Zeit viel zu hoch angegeben
worden. Im Jahre 1800 schaetzten sie Ansiedler, die in nationaloekonomischen
Untersuchungen wenig Bescheid wissen, auf 20,000 Seelen, wogegen
koenigliche bei der Landesregierung angestellte Beamte meinten, die Stadt
samt den Vorstaedten habe nicht 12,000. Depons gibt in seinem schaetzbaren
Werk ueber die Provinz Caracas der Stadt im Jahre 1802 gegen 28,000
Einwohner; andere geben im Jahr 1810 30,000 an. Wenn man bedenkt, wie
langsam die Bevoelkerung in Terra Firma zunimmt, und zwar nicht auf dem
Land, sondern in den Staedten, so laesst sich bezweifeln, dass Cumana bereits
um ein Drittheil volkreicher seyn sollte als Vera Cruz, der vornehmste
Hafen des Koenigreichs Neuspanien. Es laesst sich auch leicht darthun, dass im
Jahr 1802 die Bevoelkerung kaum ueber 18,000 bis 19,000 Seelen betrug. Es
waren mir verschiedene Notizen ueber die statistischen Verhaeltnisse des
Landes zu Hand, welche die Regierung hatte zusammenstellen lassen, als die
Frage verhandelt wurde, ob die Einkuenfte aus der Tabakspacht durch eine
Personalsteuer ersetzt werden koennten, und ich darf mir schmeicheln, dass
meine Schaetzung auf ziemlich sichern Grundlagen ruht.

Eine im Jahr 1792 vorgenommene Zaehlung ergab fuer die Stadt Cumana, ihre
Vorstaedte und die einzelnen Haeuser auf eine Meile in der Runde nur 10,740
Einwohner. Ein Schatzbeamter, Don Manuel Navarete, versichert, dass man
sich bei dieser Zaehlung hoechstens um ein Drittheil oder ein Viertheil
geirrt haben koenne. Vergleicht man die jaehrlichen Taufregister, so macht
sich von 1792 bis 1800 nur eine geringe Zunahme bemerklich. Die Weiber
sind allerdings sehr fruchtbar, besonders die eingeborenen, aber wenn auch
die Pocken im Lande noch unbekannt sind, so ist doch die Sterblichkeit
unter den kleinen Kindern furchtbar gross, weil sie in voelliger
Verwahrlosung aufwachsen und die ueble Gewohnheit haben, unreife,
unverdauliche Fruechte zu geniessen. Die Zahl der Geburten betraegt im
Durchschnitt 520 bis 600, was auf eine Bevoelkerung von hoechstens 16,800
Seelen schliessen laesst. Man kann versichert seyn, dass saemmtliche
Indianerkinder getauft und in das Taufregister der Pfarre eingetragen
sind, und nimmt man an, die Bevoelkerung sey im Jahr 1800 26,000 Seelen
stark gewesen, so kaeme auf dreiundvierzig Koepfe nur Eine Geburt, waehrend
sich die Geburten zur Gesammtbevoelkerung in Frankreich wie 28 zu 100 und
in den tropischen Strichen von Mexico wie 17 zu 100 verhalten.

Vermuthlich wird sich die indianische Vorstadt allmaehlich bis zum
Landungsplatz ausdehnen, da die Flaeche, auf der noch keine Haeuser oder
Huetten stehen, hoechstens 340 Toisen lang ist. Dem Strande zu ist die Hitze
etwas weniger drueckend als in der Altstadt, wo wegen des Zurueckprallens
der Sonnenstrahlen vom Kalkboden und der Naehe des Berges St. Antonio die
Temperatur der Luft ungemein hoch steigt. In der Vorstadt der Guayqueries
haben die Seewinde freien Zutritt, der Boden ist Thon und damit, wie man
glaubt, den heftigen Stoessen der Erdbeben weniger ausgesetzt, als die
Haeuser, die sich an die Felsen und Huegel am rechten Ufer des Manzanares
lehnen.

Bei der Muendung des kleinen Flusses Santa Catalina ist der Saum des Ufers
mit sogenannten Wurzeltraegern [_Rhizophora Mangle._] besetzt; aber diese
*Manglares* sind nicht gross genug, um der Salubritaet der Luft in Cumana
Eintrag zu thun. Im uebrigen ist die Ebene theils kahl, theils bedeckt mit
Bueschen von _Sesubium portulacastrum_, _Gomphrena flava_, _Gomphrena
myrtifolia_, _Talinum cuspidatum_, _Talinum cumanense_ und _Portulaca
lanuginosa_. Unter diesen krautartigen Gewaechsen erheben sich da und dort
die _Avicennia tomentosa_, die _Scoparia dulcus_, eine strauchartige
Mimose mit sehr reizbaren Blaettern, besonders aber Cassien, deren in
Suedamerika so viele vorkommen, dass wir auf unsern Reisen mehr als dreissig
neue Arten zusammengebracht haben.

Geht man zur indischen Vorstadt hinaus und am Fluss gegen Sued hinauf, so
kommt man zuerst an ein Cactusgebuesch und dann an einen wunderschoenen
Platz, den Tamarindenbaeume, Brasilienholzbaeume, Bombax und andere durch
ihr Laub und ihre Bluethen ausgezeichnete Gewaechse beschatten. Der Boden
bietet hier gute Weide, und Melkereien, aus Rohr erbaut, liegen zerstreut
zwischen den Baumgruppen. Die Milch bleibt frisch, wenn man nicht in der
Frucht des Flaschenkuerbisbaums, die ein Gewebe aus sehr dichten Holzfasern
ist, sondern in poroesen Thongefaessen von Maniquarez aufbewahrt. In Folge
eines in noerdlichen Laendern herrschenden Vorurtheils habe ich geglaubt, in
der heissen Zone geben die Kuehe keine sehr fette Milch; aber der Aufenthalt
in Cumana, besonders aber die Reise ueber die weiten mit Graesern und
krautartigen Mimosen bewachsenen Ebenen von Calabozo haben mich belehrt,
dass sich die Wiederkaeuer Europas vollkommen an das heisseste Klima
gewoehnen, wenn sie nur Wasser und gutes Futter finden. Die
Milchwirthschaft ist in den Provinzen Neuandalusien, Barcelona und
Venezuela ausgezeichnet, und haeufig ist die Butter auf den Ebenen der
heissen Zone besser als auf dem Ruecken der Anden, wo fuer die Alppflanzen
die Temperatur in keiner Jahreszeit hoch genug ist und sie daher weniger
aromatisch sind als auf den Pyrenaeen, auf den Bergen Estremaduras und
Griechenlands.

Den Einwohnern Cumanas ist die Kuehlung durch den Seewind lieber als der
Blick ins Gruene, und so kennen sie fast keinen andern Spaziergang als den
grossen Strand. Die Castilianer, denen man nachsagt, sie seyen im
allgemeinen keine Freunde von Baeumen und Vogelgesang, haben ihre Sitten
und ihre Vorurtheile in die Colonien mitgenommen. In Terra Firma, Mexico
und Peru sieht man selten einen Eingeborenen einen Baum pflanzen allein in
der Absicht, sich Schatten zu schaffen, und mit Ausnahme der Umgegend der
grossen Hauptstaedte weiss man in diesen Laendern so gut wie nichts von
Alleen. Die duerre Ebene von Cumana zeigt nach starken Regenguessen eine
merkwuerdige Erscheinung. Der durchnaesste, von den Sonnenstrahlen erhitzte
Boden verbreitet jenen Bisamgeruch, der in der heissen Zone Thieren der
verschiedensten Klassen gemein ist, dem Jaguar, den kleinen Arten von
Tigerkatzen, dem Cabiai [_Cavia capybara_, _Linne_], Galinazogeier
[_Vultur aura_, _Linne_], dem Krokodil, den Vipern und Klapperschlangen.
Die Gase, die das Vehikel dieses Aromas sind, scheinen sich nur in dem
Maasse zu entwickeln, als der Boden, der die Reste zahlloser Reptilien,
Wuermer und Insekten enthaelt, sich mit Wasser schwaengert. Ich habe
indianische Kinder vom Stamme der Chaymas achtzehn Zoll lange und sieben
Linien breite [40 cm lange und 15 mm breite]  Scolopender oder Tausendfuesse
aus dem Boden ziehen und verzehren sehen. Wo man den Boden aufgraebt, muss
man staunen ueber die Massen organischer Stoffe, die wechselnd sich
entwickeln, sich umwandeln oder zersetzen. Die Natur scheint in diesen
Himmelsstrichen kraftvoller, fruchtbarer, man moechte sagen mit dem Leben
verschwenderischer.

Am Strande und bei den Melkereien, von denen eben die Rede war, hat man,
besonders bei Sonnenaufgang, eine sehr schoene Aussicht auf die Gruppe
hoher Kalkberge. Da diese Gruppe im Hause, wo wir wohnten, nur unter einem
Winkel von drei Grad erscheint, diente sie mir lange dazu, die
Veraenderungen in der irdischen Refraction mit den meteorologischen
Veraenderungen in der irdischen Refraction zu vergleichen. Die Gewitter
bilden sich mitten in dieser Cordillere, und man sieht von weitem, wie die
dicken Wolken sich in starken Regen aufloesen, waehrend in Cumana sechs bis
acht Monate lang kein Tropfen faellt. Der hoechste Gipfel der Bergkette, der
sogenannte Brigantin, nimmt sich hinter dem Brito und dem Tetaraqual
hoechst malerisch aus. Sein Name ruehrt her von der Gestalt eines sehr
tiefen Thals an seinem noerdlichen Abhang, das dem Inneren eines Schiffes
gleicht. Der Gipfel des Bergs ist fast ganz kahl und abgeplattet, wie der
Gipfel des Mawna-Roa auf den Sandwichinseln; es ist eine senkrechte Wand,
oder, um mich des bezeichnenderen Ausdruckes der spanischen Schiffer zu
bedienen, ein Tisch, eine _mesa_. Diese eigenthuemliche Bildung und die
symmetrische Lage einiger Kegel, die den Brigantin umgeben, brachten mich
anfaenglich auf die Vermuthung, dass diese Berggruppe, die ganz aus
Kalkstein besteht, Glieder der Basalt- oder Trappformation enthalten
moechte.

Der Statthalter von Cumana hatte im Jahr 1797 muthige Maenner ausgeschickt,
die das voellig unbewohnte Land untersuchen und einen geraden Weg nach
Neu-Barcelona ueber den Gipfel der *Mesa* eroeffnen sollten. Man vermuthete
mit Recht, dieser Weg werde kuerzer und fuer die Gesundheit der Reisenden
nicht so gefaehrlich seyn als der laengs der Kueste, den die Couriere von
Caracas einschlagen; aber alle Bemuehungen, ueber die Bergkette zu kommen
waren fruchtlos. In diesen Laendern Amerikas, wie in Neuholland(39) im
Westen von Sidney, bietet nicht sowohl die Hoehe der Cordilleren als die
Gestaltung des Gesteins schwer zu besiegende Hindernisse. Durch das von
den Gebirgen im Innern und dem suedlichen Abhang des *Cerro de San Antonio*
gebildete Laengenthal fliesst der Manzanares. In der ganzen Umgegend von
Cumana ist diess der einzige ganz bewaldete Landstrich; er heisst die *Ebene
der Charas*, [*Chacra*, verdorben *Chara*, heisst eine von einem Garten
umgebene Huette.] wegen der vielen Pflanzungen, welche die Einwohner seit
einigen Jahren den Fluss entlang versucht haben. Ein schmaler Pfad fuehrt
vom Huegel von San Francisco durch den Forst zum Kapuzinerhospiz, einem
hoechst angenehmen Landhaus, das die aragonesischen Moenche fuer alte
entkraeftete Missionaere, die ihres Amtes nicht mehr walten koennen, gebaut
haben. Gegen Ost werden die Waldbaeume immer kraeftiger und man sieht hier
und da einen Affen [Der gemeine *Machi* oder Heulaffe.], die sonst in der
Gegend sehr selten sind. Zu den Fuessen der Capparis, Bauhinien und des
Zygophyllum mit goldgelben Bluethen breitet sich ein Teppich vom Bromelien
[Chihuchihue, aus der Familie der Ananas.] aus, deren Geruch und deren
kuehles Laub die Klapperschlangen hieher ziehen.

Der Manzanares hat sehr klares Wasser und zum Glueck nichts mit dem
Madrider Manzanares gemein, der unter seiner praechtigen Bruecke noch
schmaeler erscheint. Er entspringt, wie alle Fluesse Neuandalusiens, in
einem Striche der Savanen (Llanos), der unter dem Namen der Plateaus von
Jonoro, Amana und Guanipa bekannt ist und beim indianischen Dorfe San
Fernando die Gewaesser des Rio Juanillo aufnimmt. Man hat der Regierung
oefter, aber immer vergeblich, den Vorschlag gemacht, beim ersten *Ipure*
ein Wehr bauen zu lassen, um die Ebene der Charas kuenstlich zu bewaessern,
denn der Boden ist trotz seiner scheinbaren Duerre ausnehmend fruchtbar,
sobald Feuchtigkeit zu der herrschenden Hitze hinzukommt. Die Landleute,
die im Allgemeinen in Cumana nicht wohlhabend sind, sollten nach und nach
die Auslagen fuer die Schleusse ersetzen. Bis das Projekt in Ausfuehrung
kommt, hat man Schoepfraeder, durch Maulthiere getriebene Pumpen und andere
sehr unvollkommene Wasserwerke angelegt.

Die Ufer des Manzanares sind sehr freundlich, von Mimosen, Erythrina,
Ceiba und anderen Baeumen von riesenhaftem Wuchs beschattet. Ein Fluss,
dessen Temperatur zur Zeit des Hochwassers auf 22 deg. faellt, waehrend der
Thermometer der Luft auf 30-33 deg. steht, ist eine unschaetzbare Wohltat in
einem Lande, wo das ganze Jahr eine furchtbare Hitze herrscht und man den
Trieb hat, mehrere Male des Tages zu baden. Die Kinder bringen sozusagen
einen Teil ihres Lebens im Wasser zu; alle Einwohner, selbst die
weiblichen Glieder der reichsten Familien, koennen schwimmen, und in einem
Lande, wo der Mensch dem Naturstande noch so nahe ist, hat man sich, wenn
man morgens einander begegnet, nichts Wichtigeres zu fragen, als ob der
Fluss heute kuehler sey als gestern. Man hat verschiedene Bademethoden. So
besuchten wir jeden Abend eine Zirkel sehr achtungswerter Personen in der
Vorstadt der Guaykari. Da stellte man bei schoenem Mondschein Stuehle ins
Wasser; Maenner und Frauen waren leicht bekleidet, wie in manchen Baedern
des noerdlichen Europas, und die Familie und die Fremden blieben ein paar
Stunden im Flusse sitzen, rauchten Cigarren dazu und unterhielten sich
nach Landessitte von der ungemeinen Trockenheit der Jahreszeit, vom
starken Regenfall in den benachbarten Distrikten, besonders aber vom
Luxus, den die Damen in Cumana den Damen in Caracas und Havana zum Vorwurf
machen. Durch die *Bavas* oder kleinen Krokodile, die jetzt sehr selten
sind und den Menschen nahe kommen, ohne anzugreifen, liess sich die
Gesellschaft durchaus nicht stoeren. Diese Tiere sind drei bis vier Fuss
[1 bis 1,3 m] lang; wir haben nie eines im Manzanares gesehen, wohl aber
Delphine, die zuweilen bei Nacht im Flusse heraufkommen und die Badenden
erschrecken, wenn sie durch ihre Luftloecher Wasser spritzen.

Der Hafen von Cumana ist eine Reede, welche die Flotten von ganz Europa
aufnehmen koennte. Der ganze Meerbusen von Cariaco, der sechsunddreissig
Semeilen [67 km] lang und sechs bis acht [11 bis 15 km] breit ist, bietet
vortrefflichen Ankergrund. Der Grosse Ozean an der Kueste von Peru kann
nicht stiller und ruhiger seyn als das Meer der Antillen von Portocabello
an, namentlich aber vom Vorgebirge Codera bis zur Landspitze von Paria.
Von den Stuermen bei den Antillischen Inseln spuert man nie etwas in diesem
Strich, wo man in Schaluppen ohne Verdeck das Meer befaehrt. Die einzige
Gefahr im Hafen von Cumana ist eine Untiefe, *Baxo del Morro roxo*, die
von West nach Ost 900 Toisen [1750 m] lang ist und so steil abfaellt, dass
man dicht dabei ist, ehe man sie gewahr wird.

Ich habe die Lage von Cumana etwas ausfuehrlich beschrieben, weil es mir
wichtig schien, eine Gegend kennenzulernen, die seit Jahrhunderten der
Herd der fruchtbarsten Erdbeben war. Ehe wir von diesen ausserordentlichen
Erscheinungen sprechen, erscheint es mir als zweckmaessig, die verschiedenen
Zuege des von mir entworfenen Naturbildes zusammenzufassen.

Die Stadt liegt am Fusse eines kahlen Huegels und wird von einem Schlosse
beherrscht. Kein Glockenturm, keine Kuppel faellt von weitem dem Reisenden
ins Auge, nur einige Tamarinden-, Kokosnuss- und Dattelstaemme erheben sich
ueber die Haeuser mit platten Daechern. Die Ebene ringsum, besonders dem
Meere zu ist truebselig, staubig und duerr, wogegen ein frischer, kraeftiger
Pflanzenwuchs von weitem den geschlaengelten Lauf des Flusses bezeichnet,
der die Stadt von den Vorstaedten, die Bevoelkerung von europaeischer und
gemischter Abkunft von den kupferfarbenen Eingeborenen trennt. Der
freistehende, kahle, weisse Schlossberg San Antonio wirft zugleich eine
grosse Masse Licht und strahlender Waerme zurueck; er besteht aus Breccien,
deren Schichten versteinerte Seetiere einschliessen. In weiter Ferne gegen
Sueden streicht dunkel ein maechtiger Gebirgszug hin. Dies sind die hohen
Kalkalpen von Neuandalusien, wo dem Kalk Sandsteine und andere neuere
Bildungen aufgelagert sind. Majestaetische Waelder bedecken diese Kordillere
im innern Land und haengen durch ein bewaldetes Tal mit dem nackten,
tonigen und salzhaltigen Boden zusamen, auf dem Cumana liegt. Einige Voegel
von bedeutender Groesse tragen zur eigentuemlichen Physiognomie des Landes
bei. Am Gestade und am Meerbusen sieht man Scharen von Fischreihern und
Alcatras, sehr plumpen Voegeln, die gleich den Schwaenen mit gehobenen
Fluegeln ueber das Wasser gleiten. Naeher bei den Wohnstaetten der Menschen
sind Tausende von Galinazogeiern, wahre Chakals unter dem Gefieder,
rastlos beschaeftigt, tote Tiere zu suchen. Ein Meerbusen, auf dessen
Grunde heisse Quellen vorkommen, trennt die sekundaeren Gebirgsbildungen vom
primitiven Schiefergebirge der Halbinsel Araya. Beide Kuesten werden von
einem ruhigen, blauen, bestaendig vom selben Winde leicht bewegten Meere
bespuelt. Ein reiner, trockener Himmel, an dem nur bei Sonnenaufgaug
leichtes Gewoelk aufzieht, ruht auf der See, auf der baumlosen Halbinsel
und der Ebene von Cumana, waehrend man zwischen den Berggipfeln im Inneren
Gewitter sich bilden, sich zusammenziehen und in fruchtbaren Regenguessen
sich entladen sieht. So zeigen denn an diesen Kuesten, wie am Fusse der
Anden, Himmel und Erde scharfe Gegensaetze von Heiterkeit und Bewoelkung,
von Trockenheit und gewaltigen Wasserguessen, von voelliger Kahlheit und
ewig neu sprossendem Gruen. Auf dem neuen Continent unterscheiden sich die
Niederungen an der See von den Gebirgslaendern im Innern so scharf, wie die
Ebenen Unteraegyptens von den hochgelegenen Plateaus Abyssiniens.

Zu den Zuegen, welche, wie oben angedeutet, der Kuestenstrich von
Neu-Andalusien und der von Peru gemein haben, kommt nun noch, dass die
Erdbeben dort wie hier gleich haeufig sind, und dass die Natur fuer diese
Erscheinungen beidemal dieselben Grenzen einzuhalten scheint. Wir selbst
haben in Cumana sehr starke Erdstoesse gespuert, eben war man daran, die vor
kurzem eingestuerzten Gebaeude wieder aufzurichten, und so hatten wir
Gelegenheit, uns an Ort und Stelle ueber die Vorgaenge bei der furchtbaren
Katastrophe vom 14. Dezember 1797 genau zu erkundigen. Diese Angaben
werden um so mehr Interesse haben, da die Erdbeben bisher weniger aus
physischem und geologischem Gesichtspunkt, als vielmehr nur wegen ihrer
schrecklichen Folgen fuer die Bevoelkerung und fuer das allgemeine Wohl ins
Auge gefasst worden sind.

Es ist eine an der Kueste von Cumana und auf der Insel Margarita sehr
verbreitete Meinung, dass der Meerbusen von Cariaco sich infolge der
Zertruemmerung des Landes und eines gleichzeitigen Einbruches des Meeres
gebildet habe. Die Erinnerung an diese gewaltige Umwaelzung hatte sich
unter den Indianern bis zum Ende des fuenfzehnten Jahrhunderts erhalten,
und wie erzaehlt wird, sprachen die Eingeborenen bei der dritten Reise des
Christoph Kolumbus davon wie von einem ziemlich neuen Ereignis. Im Jahre
1530 wurden die Bewohner der Kuesten von Paria und Cumana durch neue
Erdstoesse erschreckt. Das Meer stuerzte ueber das Land her, und das kleine
Fort, das Jakob Castellon bei Neutoledo gebaut hatte, wurde gaenzlich
zerstoert. Zugleich bildete sich eine ungeheure Spalte in den Bergen von
Cariaco, am Ufer des Meerbusens dieses Namens, und eine gewaltige Masse
Salzwasser, mit Asphalt vermischt, sprang aus dem Glimmerschiefer hervor.
Am Ende des sechzehnten Jahrhunderts waren die Erdbeben sehr haeufig, und
nach den Ueberlieferungen, die sich in Cumana erhalten haben,
ueberschwemmte das Meer oefter den Strand und stieg 15-20 Toisen [30-39 m]
hoch an. Die Einwohner fluechteten sich auf den Cerro de San Antonio und
auf den Huegel, auf dem jetzt das kleine Kloster San Francisco steht. Man
glaubt sogar, infolge dieser haeufigen Ueberschwemmungen habe man das an
den Berg gelehnte Stadtviertel angelegt, das zum Teil auf dem Anhang
desselben liegt.

Da es keine Chronik von Cumana gibt, und da sich wegen der bestaendigen
Verheerungen der Termiten oder weissen Ameisen in den Archiven keine
Urkunde befindet, die ueber 150 Jahre hinaufreicht, so weiss man nicht
genau, wann diese fruehen Erdbeben stattgefunden haben. Man weiss nur, dass
naeher unserer Zeit das Jahr 1766 fuer die Ansiedler das entsetzlichste und
zugleich fuer die Naturgeschichte des Landes merkwuerdigste gewesen ist.
Seit fuenfzehn Monaten hatte eine Trockenheit geherrscht, wie sie zuweilen
auch auf den Inseln des Gruenen Vorgebirges beobachtet wird, als am
21. Oktober 1766 die Stadt Cumana von Grund aus zerstoert wurde. Das
Gedaechtnis dieses Tages wird alljaehrlich mit einem Gottesdienst und einer
feierlichen Prozession begangen. In wenigen Minuten stuerzten saemtliche
Haeuser zusammen. An verschiedenen Orten der Provinz tat sich die Erde auf
und spie nach Schwefel riechendes Wasser aus. Diese Ausbrueche waren
besonders haeufig auf einer Ebene, die sich gegen Casanay, zwei Meilen
oestlich von Cumana hinzieht, und die unter dem Namen *terra de hueca*,
_hohler Boden_, bekannt ist, weil sie ueberall von warmen Quellen
unterhoehlt zu seyn scheint. Waehrend der Jahre 1766 und 1767 lagerten die
Einwohner von Cumana in den Strassen und begannen mit dem Wiederaufbau
ihrer Haeuser erst, als sich die Erdbeben nur noch alle Monate
wiederholten. Hier auf der Kueste traten damals dieselben Erscheinungen
ein, die man auch im Koenigreich Quito unmittelbar nach der grossen
Katastrophe vom 4. Februar 1797 beobachtet hat. Waehrend sich der Boden
bestaendig wellenfoermig bewegte, war es, als wollte sich die Luft im Wasser
aufloesen. Durch ungeheure Regenguesse schwollen die Fluesse an; das Jahr war
ausnehmend fruchtbar, und die Indianer, deren leichten Huetten die
staerksten Erdstoesse nichts anhaben, feierten nach einen uralten Aberglauben
durch festlichen Tanz den Untergang der Welt und ihre bevorstehende
Wiedergeburt.

Nach der Ueberlieferung waren beim Erdbeben von 1766, wie bei einem andern
sehr merkwuerdigen im Jahr 1794, die Stoesse blosse wagerechte wellenfoermige
Bewegungen; erst am Unglueckstage des 14. Dezember 1797 spuerte man in
Cumana zum erstenmal eine hebende Bewegung von unten nach oben. Ueber vier
Fuenftheile der Stadt wurden damals voellig zerstoert, und der Stoss, der von
einem starken unterirdischen Getoese begleitet war, glich, wie in Riobamba,
der Explosion einer in grosser Tiefe angelegten Mine. Zum Glueck ging dem
heftigen Stoss eine leichte wellenfoermige Bewegung voraus, so dass die
meisten Bewohner sich auf die Strasse fluechten konnten, und von denen, die
eben in den Kirchen waren, nur wenige das Leben verloren. Man glaubt in
Cumana allgemein, die verheerendsten Erdbeben werden durch ganz schmale
Schwingungen des Bodens und durch ein Sausen angekuendigt, und Leuten, die
an solche Vorfaelle gewoehnt sind, entgeht solches nicht. In diesem
verhaengnisvollen Augenblicke hoert man ueberall den Ruf: _Misericordia!
tembla, tembla!_ [Erbarmen! sie (die Erde) bebt! sie bebt!] und es kommt
selten vor, dass ein blinder Laerm durch einen Eingeborenen veranlasst wird.
Die Aengstlichen achten auf das Benehmen der Hunde, Ziegen und Schweine.
Die letzteren, die einen ausnehmend scharfen Geruch haben und gewoehnt sind
im Boden zu wuehlen, verkuenden die Naehe der Gefahr durch Unruhe und
Geschrei. Wir lassen es dahingestellt, ob sie das unterirdische Getoese
zuerst hoeren, weil sie naeher am Boden sind, er ob etwa Gase, die der Erde
entsteigen, auf ihre Organe wirken. Dass letzteres moeglich ist, laesst sich
nicht laeugnen. Als ich mich in Peru aufhielt, wurde ein Fall beobachtet,
der mit diesen Erscheinungen zusammenhaengt und der schon oefters
vorgekommen war. Nach starken Erdstoessen wurde das Gras af den Savanen von
Tucuman ungesund; es brach eine Viehseuche aus und viele Stuecke scheinen
durch die boesen Duenste, die der Boden ausstiess, betaeubt oder erstickt
worden zu seyn.

In Cumana spuerte man eine halbe Stunde vor der grossen Katastrophe am
14. Dezember 1797 am Klosterberg von San Francisco einen starken
Schwefelgeruch. Am selben Orte war das unterirdische Getoese, das von
Suedost nach Suedwest fortzurollen schien, am staerksten. Zugleich sah man am
Ufer des Manzanares, beim Hospiz der Kapuziner und im Meerbusen von
Cariaco bei Mariguitar Flammen aus dem Boden schlagen. Wir werden in der
Folge sehen, dass letztere in nicht vulkanischen Laendern so auffallende
Erscheinung in den aus Alpenkalk bestehenden Gebirgen bei Cumanacao, im
Thale des Rio Bordones, auf der Insel Margarita und mitten in dn Savanen
oder *LLanos* von Neu-Andalusien ziemlich haeufig ist. In diesen Savanen
steigen Feuergarben zu bedeutender Hoehe auf; man kann sie Stunden lang an
den duerrsten Orten beobachten, und man versichert, wenn man den Boden, dem
der brennbare Stoff entstroemt, untersuche, sey keinerlei Spale darin zu
bemerken. Dieses Feuer, das an die Wasserstoffquellen oder *Salse* in
Modena und an die Irrlichter unserer Suempfe erinnert, zuendet das Gras
nicht an, wahrscheinlich weil die Saeule des sich entbindenden Gases mit
Stickstoff und Kohlensaeure vermengt ist und nicht bis zum Boden herab
brennt. Das Volk, da uebrigens hier zu Land nicht so aberglaeubisch ist als
in Spanien, nennt diese roethlichen Flammen seltsamerweise "die Seele des
Tyrannen Aguirre;" Lopez d'Aguirre soll naemlich, von Gewisensbissen
gefoltert, in dem Lande umgehen, das er mit seinen Verbrechen
befleckt.(40)

Durch das grosse Erdbeben von 1797 ist die Untiefe an der Muendung des Rio
Bordones in ihrem Umriss veraendert worden. Aehnliche Hebungen sind bei der
voelligen Zerstoerung Cumanas im Jahr 1766 bobachtet worden. Die Punta
Delgada an der Westkueste des Meerbusens von Cariaco wurde damals bedeutend
groesser, und im Rio Guarapiche beim Dorfe Maturin entstand eine Klippe,
wobei ohne Zweifel der Boden des Flusses durch elastische Fluessigkeiten
zerrissen und emporgehoben wurde.

Wir verfolgen die lokalen Veraenderungen, welche die verschiedenen Erdbeben
in Cumana hervorgebracht, nicht weiter. Dem Plane dieses Werkes
entsprechend suchen wir vielmehr die Ideen unter allgemeine Gesichtspunkte
zu bringen und alles, was mit diesen schrecklichen und zugleich so schwer
zu erklaerenden Vorgaengen zusammenhaengt, in Einen Rahmen zusammenzufassen.
Wenn Naturforscher, welche die Schweizer Alpen oder die Kuesten Lapplands
besuchen, unsere Kenntniss von den Gletschern und dem Nordlicht erweitern,
so laesst sich von Einem, der das spanische Amerika bereist hat, erwarten,
dass er sein Hauptaugenmerk auf Vulkane und Erdbeben gerichtet haben werde.
Jeder Strich des Erdballs liefert der Forschung eigenthuemliche Stoffe, und
wenn wi nicht hoffen duerfen, die Ursachen der Naturerscheinungen zu
ergruenden, so muessen wir wenigstens versuchen, die Gesetze derselben
kennen zu lernen und durch Vergleichung zahlreicher Thatsachen das
Gemeinsame und immer Wiederkehrende vom Veraenderlichen und Zufaelligen zu
unterscheiden.

Die grossen Erdbeben, die nach einer langen Reihe kleiner Stoesse eintreten,
scheinen in Cumana nichts Periodisches zu haben. Man hat sie nach achtzig,
nach hundert und manchmal nach nicht dreissig Jahren sich wiederholen
sehen, waehrend an der Kueste von Peru, z. B. in Lima, die Epochen, die
jedesmal durch die gaenzliche Zerstoerung der Stadt bezeichnet werden,
unverkennbar mit einer gewissen Regelmaessigkeit eintreten. Dass die
Einwohner selbst an einen solchen Typus glauben, ist auch vom besten
Einfluss auf die oeffentliche Ruhe und die Erhaltung des Gewerbefleisses. Man
nimmt allgemein an, dass es ziemlich lange Zeit braucht, bis dieselben
Ursachen wieder mit derselben Gewalt wirken koennen; aber dieser Schluss ist
nur dann richtig, wenn man die Erdstoesse als lokale Erscheinungen auffasst,
wenn man unter jedem Punkt des Erdballes, der grossen Erschuetterungen
ausgesetzt ist, einen besonderen Herd annimmt. Ueberall, wo sich neue
Gebaeude auf den Truemmern der alten erhoben, hoert man Leute, die nicht
bauen wollen, aeussern, auf die Zerstoerung Lissabons am ersten November 1755
sey bald eine zweite, gleich schreckliche gefolgt, am 31. Maerz 1761.

Nach einer uralten, auch in Cumana, Acapulco und Lima sehr verbreiteten
Meinung [_Ariostoteles, Meteorologica, Lib. II. Seneca, Quaest. natur.,
Lib. VI, c. 12._] stehen die Erdbeben und der Zustand der Luft vor dem
Eintreten derselben sichtbar in Zusammenhang. An der Kueste von
Neu-Andalusien wird man aengstlioch, wenn bei grosser Hitze und nach langer
Trockenheit der Seewind auf einmal aufhoert und der im Zenith reine
wolkenlose Himmel sich bis zu sechs, acht Grad ueber dem Horizont mit einem
roethlichen Duft ueberzieht. Diese Vorzeichen sind indessen sehr unsicher
und wenn man sich nachher alle Vorgaenge im Luftkreis zur Zeit der
staerksten Erschuetterungen vergegenwaertigt, so zeigt sich, dass heftige
Stoesse so gut bei feuchtem als bei trockenem Wetter, so gut bei starkem
Wind als bei drueckend schwueler stiller Luft eintreten koennen. Nach den
vielen Erdbeben, die ich noerdlich vom Aequator, auf dem Festland und in
Meeresbecken, an der Kueste und in 4870 m Hoehe erlebt, will es mir
scheinen, als ob die Schwingungen des Bodens und der vorgehende Zustand
der Luft im allgemeinen nicht viel miteinander zu tun haetten. Dieser
Ansicht sind auch viele gebildete Maenner in den spanischen Kolonien, deren
Erfahrung sich, wo nicht auf ein groesseres Stueck der Erdoberflaeche, so doch
auf eine laengere Reihe von Jahren erstreckt. In europaeischen Laendern
dagegen, wo Erdbeben im Verhaeltniss zu Amerika selten vorkommen, sind sie
Physiker geneigt, die Schwingungen des Bodens und irgend ein Meteor, das
zufaellig zur selben Zeit erscheint, in nahe Beziehung zu bringen. So
glaubt man in Italien an einen Zusammenhang zwischen dem Sirocco und
Erdbeben, und in London sah man das haeufige Vorkommen von Sternschnuppen
und jene Suedlichter, die seitdem von Dalton oefters beobachtet worden sind,
als die Vorlaeufer der Erdstoesse an, die man im Jahr 1748 bis zum Jahr 1756
spuerte.

An den Tagen, wo die Erde durch starke Stoesse erschuettert wird, zeigt sich
unter den Tropen keine Stoerung in der regelmaessigen stuendlichen Schwankung
des Barometers. Ich habe mich in Cumana, Lima und Riobamba hievon
ueberzeugt; auf diesen Umstand sind die Physiker umso mehr aufmerksam zu
machen, als man auf St. Domingo in der Stadt Cap Francais unmittelbar vor
dem Erdbeben von 1770 den Wasserbarometer um 21/2 Zoll will haben fallen
sehen [Dieses Fallen entspricht nur zwei Linien Quecksilber.]. So erzaehlt
man auch bei der Zerstoerung von Oran habe sich ein Apotheker mit seiner
Familie gerettet, weil er wenige Minuten vor der Katastrophe zufaellig auf
seinen Barometer gesehen und bemerkt habe, dass das Quecksilber auffallend
stark falle. Ich weiss nicht, ob dieser Behauptung Glauben zu schenken ist;
da es fast unmoeglich ist, waehrend der Stoesse selbst, die Schwankungen im
Luftdruck zu beobachten, so muss man sich begnuegen, auf den Barometer vor
oder nach dem Vorfall zu sehen. Im gemaessigten Erdstrich aeussern die
Nordlichter nicht immer Einfluss auf die Declination der Magnetnadel und
die Intensitaet der magnetischen Kraft; so wirken vielleicht die Erdbeben
nicht gleichmaessig auf die us umgebende Luft.

Es ist schwerlich in Zweifel zu ziehen, dass in weiter Ferne von den
Schluenden taetiger Vulkane der durch Erdstoesse geborstene und erschuetterte
Boden zuweilen Gase in die Luft ausstroemen laesst. Wie schon oben angefuehrt,
brachen in Cumana aus dem trockensten Boden Flammen und mit schweflichter
Saeure vermischte Daempfe hervor. An anderen Orten spie ebendaselbst der
Boden Wasser und Erdpech aus. In Riobamba bricht eine brennbare
Schlammasse, *Moya* genannt, aus Spalten, die sich wieder schliessen, und
tuermt sich zu ansehnlichen Huegeln auf. Sieben Meilen [31 km] von Lissabon,
bei Colares, sah man waehrend des furchtbaren Erdbebens vom 1. November
1755 Flammen und eine dicke Rauchsaeule aus der Felswand bei Alvidras und
nach einigen Augenzeugen aus dem Meere selbst hervorbrechen. Der Rauch
dauerte mehrere Tage und wurde desto staerker, je lauter das unterirdische
Getoese war, das die Stoesse begleitete.

In die Atmosphaere ausstroemende elastische Fluessigkeiten koennen lokal auf
den Barometer wirken, freilich nicht durch ihre Masse, die im Verhaeltnis
zur ganzen Luftmasse sehr unbedeutend ist, sondern weil sich, sobald ein
grosser Ausbruch erfolgt, wahrscheinlich ein aufsteigender Strom bildet,
der den Luftdruck vermindert. Ich bin geneigt, anuzunehmen, dass bei den
meisten Erdbeben der erschuetterte Boden nichts von sich gibt, und dass,
wenn wirklich Gase und Daempfe ausstroemen, diess weit nicht so oft vor den
Stoessen, als waehrend derselben und hernach stattfindet. Aus diesem
letzteren Umstand erklaert sich eine Erscheinung, die schwerlich
abzulaeugnen ist, ich meine den raethselhaften Einfluss, den die Erdbeben im
tropischen Amerika auf das Klima und den Eintritt der nassen und der
trockenen Jahreszeit aeussern. Wenn die Erde erst im Moment der
Erschuetterung selbst eine Veraenderung in der Luft hervorbringt, so sieht
man ein, warum so selten ein auffallender meteorologischer Vorgang als
Vorbote dieser grossen Umwaelzungen in der Natur erscheint.

Fuer die Annahme, dass bei den Erdbeben in Cumana elastische Fluessigkeiten
durch die Erdoberflaeche zu entweichen suchen, scheint das furchtbare
Getoese zu sprechen, das man waehrend der Erdstoesse auf der Ebene der
*Charas* am Rande der Brunnen vernimmt. Zuweilen werden Wasser und Sand
ueber 6,5 m hoch emporgeschleudert. Aehnliche Erscheinungen entgingen schon
dem Scharfsinn der Alten nicht, die in den Laendern Griechenlands und
Kleinasiens wohnten, wo es sehr viele Hoehlen, Erdspalten und unterirdische
Stroeme gibt. Das gleichfoermige Walten der Natur erzeugt allerorten
dieselben Vorstellungen ueber die Ursachen der Erdbeben und ueber die
Mittel, durch welche der Mensch, der so leicht das Mass seiner Kraefte
vergisst, die Wirkungen der Ausbrueche aus der Tiefe mildern zu koennen
meint. Was ein grosser roemischer Naturforscher vom Nutzen der Brunnen und
Hoehlen sagt,(41) wiederholen in der Neuen Welt die unwissendsten Indianer
in Quito, wenn sie den Reisenden die *Guaicos* oder Hoehlen am Pichincha
zeigen.

Das unterirdische Getoese, das bei Erdbeben so haeufig vorkommt, ist meist
ausser Verhaeltniss mit der Kraft der Erdstoesse. In Cumana geht es denselben
immer zuvor, waehrend man in Quito und neuerdings in Caracas und auf den
Antillen, nachdem die Stoesse laengst aufgehoert haben, einen Donner wie vom
Feuer einer Batterie gehoert hat. Eine dritte Classe dieser Erscheinungen,
und die merkwuerdigste von allen ist das Monate lang fortwaehrende
unterirdische Donnerrollen, ohne dass dabei die geringste Wellenbewegung
des Bodens zu spueren waere.

In allen den Erdbeben ausgesetzten Laendern sieht man als die Veranlassung
und den Herd der Erdstoesse den Punkt an, wo, wahrscheinlich in Folge einer
eigenthuemlichen Anordnung der Gesteinschichten, die Wirkungen am
auffallendsten sind. So glaubt man in Cumana, der Schlossberg von San
Antonio besonders aber der Huegel, auf dem das Kloster San Francisco liegt,
enthalten eine ungeheure Masse Schwefel und andere brennbare Stoffe. Man
vergisst, dass die Geschwindigkeit, mit der sich die Schwingungen auf grosse
Entfernung, sogar ueber das Becken des Oceans fortpflanzen, deutlich darauf
hinweist, dass der Mittelpunkt der Bewegung von der Erdoberflaeche sehr weit
entfernt ist. Ohne Zweifel aus demselben Grunde sind die Erdbeben nicht an
gewisse Gebirgsarten gebunden, wie manche Physiker behaupten, sondern alle
sind vielmehr gleich geeignet, die Bewegung fortzupflanzen. Um nicht den
Kreis meiner eigenen Erfahrung zu ueberschreiten, nenne ich nur die Granite
von Lima und Acapulco, den Gneis von Caracas, den Glimmerschiefer der
Halbinsel Araya, den Urgebirgsschiefer von Tepecuacuilco in Mexico, die
secundaeren Kalksteine des Apennins, Spaniens und Neu-Andalusiens, endlich
die Trapp-Porphyre der Provinzen Quito und Popayan. An allen diesen Orten
wird der Boden haeufig durch die heftigsten Stoesse erschuettert; aber
zuweilen werden in derselben Gebirgsart die obenauf gelagerten Schichten
zu einem unueberwindlichen Hinderniss fuer die Fortpflanzung der Bewegung. So
sah man schon in den saechsischen Erzgruben die Bergleute wegen Bebungen,
die sie empfunden, erschrocken ausfahren, waehrend man an der Erdoberflaeche
nichts davon gespuert hatte.

Wenn nun auch in den weitentlegensten Laendern die Urgebirge, die
secundaeren und die vulkanischen Gebirgsarten an den krampfhaften Zuckungen
des Erdballs in gleichem Masse theilnehmen nehmen, so laesst sich doch nicht
in Abrede ziehen, dass in einem nicht sehr ausgedehnten Landstrich gewisse
Gebirgsarten die Fortpflanzung der Stoesse hemmen. In Cumana z. B. wurden
vor der grossen Katastrophe im Jahr 1797 die Erdbeben nur laengs der aus
Kalk bestehenden Suedkueste des Meerbusens von Cariaco bis zur Stadt dieses
Namens gespuert, waehrend auf der Halbinsel Araya und im Dorfe Maniquarez
der Boden an denselben Bewegungen keinen Theil nahm. Die Bewohner dieser
Nordkueste, die aus Glimmerschiefer besteht, bauten ihre Huetten auf
unerschuetterlichem Boden; ein 3000-4000 Toisen breiter Meerbusen lag
zwischen ihnen und einer durch die Erdbeben mit Truemmern bedeckten und
verwuesteten Ebene. Mit dieser auf die Erfahrung von Jahrhunderten gebauten
Sicherheit ist es vorbei: mit dem 14. December 1797 scheinen sich im
Innern der Erde neue Verbindungswege geoeffnet zu haben. Jetzt empfindet
man es in Araya nicht nur, wenn in Cumana der Boden bebt, das Vorgebirge
aus Glimmerschiefer ist seinerseits zum Mittelpunkt von Bewegungen
geworden. Bereits wird zuweilen im Dorfe Maniquarez der Boden stark
erschuettert, waehrend man an der Kueste von Cumana der tiefsten Ruhe
geniesst, und doch ist der Meerbusen von Cariaco nur 60-80 Faden tief.

Man will beobachtet haben, dass auf dem Festlande wie auf den Inseln die
West- und Suedkuesten den Stoessen am meisten ausgesetzt seyen. Diese
Beobachtung sieht im Zusammenhang mit den Ideen hinsichtlich der Lage der
grossen Gebirgsketten und der Richtung ihrer steilsten Abhaenge, wie sie
sich schon lange in der Geologie geltend gemacht haben; das Vorhandenseyn
der Cordillere von Caracas und die Haeufigkeit der Erdbeben an den Ost- und
Nordkuesten von Terra Firma, im Meerbusen von Paria, in Carupano, Cariaco
und Cumana beweisen, wie wenig begruendet jene Ansicht ist.

In Neu-Andalusien, wie in Chili und Peru, gehen die Erdstoesse den Kuesten
nach und nicht weit ins Innere des Landes hinein. Dieser Umstand weist,
wie wir bald sehen werden, darauf hin, dass die Ursachen der Erdbeben und
der vulkanischen Ausbrueche in engem Verbande stehen. Wuerde der Boden an
den Kuesten desshalb staerker erschuettert, weil diese die am tiefsten
gelegenen Punkte des Landes sind, warum waeren dann in den Savanen oder
Prairien, die kaum acht oder zehn Toisen ueber dem Meeresspiegel liegen,
die Stoesse nicht eben so oft und eben so stark zu fuehlen?

Die Erdbeben in Cumana sind mit denen auf den kleinen Antillen verkettet,
und man hat sogar vermutet, sie koennten mit den vulkanischen Erscheinungen
in den Kordilleren der Anden in einigem Zusammenhang stehen. Am
11. Februar 1797 erlitt der Boden der Provinz Quito eine Umwaelzung, durch
die, trotz der sehr schwachen Bevoelkerung des Landes, gegen 40,000
Eingeborene unter den Truemmern ihrer Haeuser begraben wurden, in Erdspalten
stuerzten oder in den ploetzlich neu gebildeten Seen ertranken. Zur selben
Zeit wurden die Bewohner der oestlichen Antillen durch Erdstoesse erschreckt,
die erst nach acht Monaten aufhoerten, als der Vulkan auf Guadeloupe
Bimssteine, Asche und Wolken von Schwefeldaempfen ausstiess. Auf diesen
Ausbruch vom 29. September, waehrenddessen man lange anhaltendes
unterirdisches Bruellen hoerte, folgte am 14. Dezember das grosse Erdbeben
von Cumana. Ein anderer Vulkan der Antillen, der auf St. Vincent, hat
seitdem ein neues Beispiel solcher Wechselbeziehungen geliefert. Er hatte
seit 1718 kein Feuer mehr gespieen, als er im Jahre 1812 wieder auswarf.
Die gaenzliche Zerstoerung der Stadt Caracas erfolgte 34 Tage vor diesem
Ausbruch, und starke Bodenschwingungen wurden sowohl auf den Inseln als an
den Kuesten von Terra Firma gespuert.

Man hat laengst die Bemerkung gemacht, dass die Wirkungen grosser Erdbeben
sich ungleich weiter verbreiten als die Erscheinungen der taetigen Vulkane.
Beobachtet man in Italien die Umwaelzungen des Erdbodens, betrachtet man
die Reihe der Ausbrueche des Vesuv und des Aetna genau, so entdeckt man, so
nahe auch diese Berge beieinander liegen, kaum Spuren gleichzeitiger
Taetigkeit. Dagegen unterliegt es keinem Zweifel, dass bei den beiden
letzten Erdbeben von Lissabon(42) das Meer bis in die Neue Welt hinueber in
Aufregung geriet, z. B. bei der Insel Barbados, die ueber 5400 km von der
Kueste von Portugal liegt.

Verschiedene Tatsachen weisen darauf hin, dass die Erdbeben und die
vulkanischen Ausbrueche(43) in engem ursaechlichen Zusammenhang stehen. In
Pasto hoerten wir, die schwarze dicke Rauchsaeule, die im Jahre 1797 seit
mehreren Monaten dem Vulkan in der Naehe dieser Stadt entstiegen war, sey
zur selben Stunde verschwunden, wo sechzig Meilen [270 km] gegen Sued die
Staedte Riobamba, Hambata und Tacunga durch einen ungeheuren Stoss ueber den
Haufen geworfen wurden. Setzt man sich im Inneren eines brennenden Kraters
neben die Huegel, die sich durch die Schlacken- und Aschenauswuerfe bilden,
so fuehlt man mehrere Sekunden vor jedem einzelnen Ausbruch die Bewegung
des Bodens. Wir haben dies im Jahre 1805 auf dem Vesuv beobachtet, waehrend
der Berg gluehende Schlacken auswarf: wir waren im Jahre 1802 Zeugen
diesselben Vorganges gewesen, als wir am Rande des ungeheuren Kraters des
Pichincha standen, aus dem uebrigens eben nur schweflig saure Daempfe
aufstiegen.

Alles weist darauf hin, dass das eigentlich Wirksame bei den Erdbeben darin
besteht, dass elastische Fluessigkeiten einen Ausweg suchen, um sich in der
Luft zu verbreiten. An den Kuesten der Suedsee pflanzt sich diese Wirkung
oft fast augenblicklich sechshundert Meilen [2700 km] weit, von Chile bis
zum Meerbusen von Guayaquil fort, und zwar scheinen, was sehr merkwuerdig
ist, die Erdstoesse desto staerker zu seyn, je weiter ein Ort von den
thaetigen Vulkanen abliegt. Die mit Floetzen von sehr neuer Bildung
bedeckten Granitberge Calabriens, die aus Kalk bestehende Kette des
Apennins, die Grafschaft Perigord, die Kuesten von Spanien und Portugal,
die von Peru und Terra Firma liefern deutliche Belege fuer diese
Behauptung. Es ist als wuerde die Erde desto staerker erschuettert, je
weniger die Bodenflaeche Oeffnungen hat, die mit den Hoehlungen im Innern in
Verbindung stehen. In Neapel und Messina, am Fuss des Cotopaxi und des
Tunguragua fuerchtet man die Erdbeben nur, so lange nicht Rauch und Feuer
aus der Muendung der Vulkane bricht. Ja im Koenigreich Quito brachte die
grosse Katastrophe von Riobamba, von der oben die Rede war, mehrere
unterrichtete Maenner auf den Gedanken, dass das unglueckliche Land wohl
nicht so oft verwuestet wuerde, wenn das unterirdische Feuer den Porphyrdom
des Chimborazo durchbrechen koennte und dieser kolossale Berg sich wieder
in einen thaetigen Vulkan verwandelte. Zu allen Zeiten haben analoge
Thatsachen zu denselben Hypothesen gefuehrt. Die Griechen, die, wie wir,
die Schwingungen des Bodens der Spannung elastischer Fluessigkeiten
zuschrieben, fuehrten zur Bekraeftigung ihrer Ansicht an, dass die Erdbeben
auf der Insel Euboea gaenzlich aufgehoert haben, seit sich aus der Ebene von
Lelante eine Erdspalte gebildet.

Wir haben versucht, am Schluss dieses Kapitels die allgemeinen
Erscheinungen zusammenzustellen, welche die Erdbeben unter verschiedenen
Himmelsstrichen begleiten. Wir haben gezeigt, dass die unterirdischen
Meteore so festen Gesetzen unterliegen, wie die Mischung der Gase, die
unsern Luftkreis bilden. Wir haben uns aller Betrachtungen ueber das Wesen
der chemischen Agentien enthalten, die als Ursachen der grossen Umwaelzungen
erscheinen, welche die Erdoberflaeche von Zeit zu Zeit erleidet. Es sey
hier nur daran erinnert, dass diese Ursachen in ungeheuren Tiefen liegen,
und dass man sie in den Erdbildungen zu suchen hat, die wir Urgebirge
nennen, wohl gar unter der erdigen, oxydierten Kruste, in Tiefen, wo die
halbmetallischen Grundlagen der Kieselerde, der Kalkerde, der Soda und der
Pottasche gelagert sind.

Man hat in neuester Zeit den Versuch gemacht, die Erscheinungen der
Vulkane und Erdbeben als Wirkungen des Galvanismus aufzufassen, der sich
bei eigenthuemlicher Anordnung ungleichartiger Erdschichten entwickeln
soll. Es laesst sich nicht laeugnen, dass haeufig, wenn im Verlauf einiger
Stunden starke Erdstoesse auf einander folgen, die elektrische Spannung der
Luft im Augenblick, wo der Boden am staerksten erschuettert wird, merkbar
zunimmt; um aber diese Erscheinung zu erklaeren, braucht man seine Zuflucht
nicht zu einer Hypothese zu nehmen, die in geradem Widerspruch steht mit
allem, was bis jetzt ueber den Bau unseres Planeten und die Anordnung
seiner Erdschichten beobachtet worden ist.

                            ------------------





_   37 Inga spuria_. Die weissen Staubfaeden, 60 bis 70 an der Zahl, sitzen
      an einer gruenlichen Blumenkrone, haben Seidenglanz und an der Spitze
      einen gelben Staubbeutel. Die Bluethe der Guama ist 18 Linien [4 cm]
      lang. Dieser schoene Baum, der am liebsten an feuchten Orten waechst,
      wird zwischen 8 und 10 Toisen [15,5 und 19,5 m] hoch.

   38 Diese Eintheilung schreibt sich schon aus der Zeit des Posidonius
      her. Es ist die _succusio_ und die _inclinatio_ des Seneca
      (_Quaestiones naturales. Lib. VI. c. 21_). Aber schon der Scharfsinn
      der Alten machte die Bemerkung, dass die Art und Weise der Erdstoesse
      viel zu veraenderlich ist, als dass man sie unter solche vermeintliche
      Gesetze bringen koennte. (Plato bei Plutarch _de placit. Philos.
      L. III. c. 15._)

   39 Die blauen Berge in Neuholland, die Berge von Carmathen und
      Landsdown, sind bei hellem Wetter auf 50 Meilen nicht mehr sichtbar.
      Nimmt man den Hoehenwinkel zu einem halben Grad an, so haetten diese
      Berge etwa 620 Toisen absoluter Hoehe.

   40 Wenn das Volk in Cumana und auf der Insel Margarita von _el tirano_
      spricht, so ist immer der schaendliche Lopez d'Aguirre gemeint, der
      im Jahr 1560 sich am Aufstand Fernandos de Guzman gegen den
      Statthalter von Omegua und Dorado, Pedro de Ursua, betheiligtwe, und
      sich nachher selbst _traidor_, Verraether, nannte.

   41 Plinius: _In puteis est remedium, quale et crebi specus praebent:
      conceptum enim spiritum exhalant, quod in certis notatur oppidis,
      quae minus quatiuntur, crebis ad eluviem cuniculus cavata (Plin.
      L. II. c. 82)._ Noch gegenwaertig glaubt man in der Hauptstadt von
      St. Domingo, dass die Brunnen die Kraft der Erdstoesse schwaechen. Ich
      bemerke bei dieser Gelegenheit, dass die Erklaerung, die Seneca von
      den Erdbeben gibt (_Natur. Quaest. Lib. VI. c. 4_ bis _31_), den
      Keim alles dessen enthaelt, was in unserer Zeit ueber die Wirkung
      elastischer, im Inneren des Erdballes eingeschlossener Daempfe gesagt
      worden ist.

   42 Am 1. November 1755 und 31. Maerz 1761. Beim ersteren Erdbeben
      ueberschwemmte das Meer in Europa die Kuesten von Schweden, England
      und Spanien, in Amerika die Inseln Antiqua, Barbados und Martinique.
      Auf Barbados, wo die Flut gewoehnlich nur 24-28 Zoll [640 bis 746 mm]
      hoch steigt, stieg das Wasser in der Bucht von Carlisle zwanzig Fuss
      [6,5 m] hoch. Es wurde zugleich "tintenschwarz", ohne Zweifel, weil
      sich der Asphalt, der im Meerbusen von Cariaco, wie bei der Insel
      Trinidad, auf dem Meeresboden haeufig vorkommt, mit dem Wasser
      vermengt hatte. Auf den Antillen und auf mehreren Schweizer Seen
      wurde eine auffallende Bewegung des Wassers sechs Stunden vor dem
      ersten Stoss, den man in Lissabon spuerte, beobachtet. In Cadiz sah
      man auf acht Meilen [36 km] weit aus der offenen See einen sechzig
      Fuss [20 m] hohen Wasserberg anruecken; er stuerzte sich auf die Kueste
      und zerstoerte eine Menge Gebaeude, aehnlich wie die achtzig Fuss [56 m]
      hohe Flutwelle, die am 9. Juni 1586 beim Erdbeben von Lima den Hafen
      von Callao ueberschwemmte. In Amerika hatte man auf dem Ontariosee
      seit Oktober 1755 eine starke Aufregung des Wassers beobachtet.
      Diese Erscheinungen weisen darauf hin, dass auf ungeheure Strecken
      hin unterirdische Verbindungen bestehen. Bei der Zusammenstellung
      der meist weit auseinanderliegenden Zeitpunkte, in denen Lima und
      Guatemala voellig zerstoert wurden, glaubte man hin und wieder die
      Bemerkung zu machen, als ob sich eine Wirkung langsam den
      Kordilleren entlang geaeussert haette, bald von Nord nach Sued, bald von
      Sued nach Nord. Ich gebe hier vier dieser auffallenden Zeitpunkte:

      +----------------------+---------------------+
      |Mexiko                | Peru                |
      +----------------------+---------------------+
      |(Breite 13 deg. 32´ Nord) | (Breite 12 deg. 6´ Sued) |
      +----------------------+---------------------+
      |30. Nov. 1577,        | 17. Juni 1578,      |
      +----------------------+---------------------+
      |4. Maerz 1679,         | 17. Juni 1678,      |
      +----------------------+---------------------+
      |12. Febr. 1689,       | 10. Okt. 1688,      |
      +----------------------+---------------------+
      |27. Sept. 1717,       | 8. Febr. 1716.      |
      +----------------------+---------------------+

      Ich gestehe, wenn die Erdstoesse nicht gleichzeitig sind, oder doch
      kurz nacheinander folgen, so erscheint die angebliche Fortpflanzung
      der Bewegung sehr zweifelhaft.

   43 Dieser ursaechliche Zusammenhang, den schon die Alten erkannten,
      beschaeftigte die Geister nach der Entdeckung von Amerika wieder sehr
      lebhaft. Diese Entdeckung vergnuegte nicht allein die Neugier der
      Menschen durch neue Naturprodukte, sie erweiterte auch ihre
      Vorstelluugen von der physischen Beschaffenheit der Laender, von den
      Spielarten des Menschengeschlechts und von den Wanderungen der
      Voelker. Man kann die Beschreibungen der aeltesten spanischen
      Reisenden, namentlich die des Jesuiten Acosta, nicht lesen, ohne
      jeden Augenblick freudig zu staunen, wie maechtig der Anblick eines
      grossen Festlandes, die Betrachtung einer wundervollen Natur und die
      Beruehrung mit Menschen von anderer Race auf die Geistesentwicklung
      in Europa gewirkt haben. Der Keim sehr vieler physikalischer
      Wahrheiten ist in den Schriften des sechzehnten Jahrhunderts
      niedergelegt, und dieser Keim haette Fruechte getragen, waere er nicht
      durch Fanatismus und Aberglauben erstickt worden.





FUeNFTES KAPITEL


       Die Halbinsel Araya -- Salzsuempfe -- Die Truemmer des Schlosses
                                 Santiago


Die ersten Wochen unseres Aufenthaltes in Cumana verwendeten wir dazu,
unsere Instrumente zu berichtigen, in der Umgegend zu botanisieren und die
Spuren des Erdbebens vom 14. Dezember 1797 zu beobachten. Die
Mannigfaltigkeit der Gegenstaende, die uns zumal in Anspruch nahmen, liess
uns nur schwer den Weg zu geordneten Studien und Beobachtungen finden.
Wenn unsere ganze Umgebung den lebhaftesten Reiz fuer uns hatte, so machten
dagegen unsere Instrumente die Neugier der Einwohnerschaft rege. Wir
wurden sehr durch Besuche von der Arbeit abgezogen, und wollte man nicht
Leute vor den Kopf stossen, die so seelevergnuegt durch einen Dollond die
Sonnenflecken betrachteten oder auf galvanische Beruehrung einen Frosch
sich bewegen sahen, so musste man sich wohl herbeilassen, auf oft
verworrene Fragen Auskunft zu geben und stundenlang dieselben Versuche zu
wiederholen.

So ging es uns fuenf ganze Jahre, so oft wir uns an einem Orte aufhielten,
wo man in Erfahrung gebracht hatte, dass wir Mikroskope, Fernrohre oder
elektromotorische Apparate besitzen. Dergleichen Auftritte wurden meist
desto angreifender, je verworrener die Begriffe waren, welche die Besucher
von Astronomie und Physik hatten, welche Wissenschaften in den spanischen
Colonien den sonderbaren Titel: "neue Philosophie," _nueva filosofia_
fuehren. Die Halbgelehrten sahen mit einer gewissen Geringschaetzung auf uns
herab, wenn sie hoerten, dass sich unter unsern Buechern weder das _spectac1e
de la nature_ vom Abbe Pluche, noch der _cours de physique_ von Sigand la
Fond, noch das Woerterbuch von Valmont de Bomare befanden. Diese drei Werke
und der _traite d'economie politique_ von Baron Bielfeld sind die
bekanntesten und geachtetsten fremden Buecher im spanischen Amerika von
Caracas und Chili bis Guatimala und Nordmexico. Man gilt nur dann fuer
gelehrt, wenn man die Uebersetzungen derselben recht oft citiren kann, und
nur in den grossen Hauptstaedten, in Lima, Santa Fe de Bogota und Mexico,
fangen die Namen Haller, Cavendish und Lavoisier an jene zu verdraengen,
deren Ruf seit einem halben Jahrhundert populaer geworden ist.

Die Neugierde, mit der die Menschen sich mit den Himmelserscheinungen und
verschiedenen naturwissenschaftlichen Gegenstaenden abgeben, aeussert sich
ganz anders bei altcivilisirten Voelkern als da, wo die Geistesentwicklung
noch geringe Fortschritte gemacht hat. In beiden Faellen finden sich in den
hoechsten Staenden viele Personen, die den Wissenschaften ferne stehen; aber
in den Colonien und bei jungen Voelkern ist die Wissbegier keineswegs muessig
und voruebergehend, sondern entspringt aus dem lebendigen Trieb, sich zu
belehren; sie aeussert sich so arglos und naiv, wie sie in Europa nur in
frueher Jugend auftritt.

Erst am 28. Juli konnte ich eine ordentliche Reihe astronomischer
Beobachtungen beginnen, obgleich mir viel daran lag, die Laenge, wie sie
Louis Berthouds Chronometer angab, kennen zu lernen. Der Zufall wollte,
dass in einem Lande, wo der Himmel bestaendig rein und klar ist, mehrere
Naechte sternlos waren. Zwei Stunden nach dem Durchgang der Sonne durch den
Meridian zog jeden Tag ein Gewitter aus und es wurde mir schwer
rorrespondirende Sonnenhoehen zu erhalten, obgleich ich in verschiedenen
Intervallen drei, vier Gruppen aufnahm. Die vom Chronometer angegebene
Laenge von Cumana differirte nur um 4 Secunden Zeit von der, welche ich
durch Himmelsbeobachtungen gefunden, und doch hatte unsere Ueberfahrt
einundvierzig Tage gewaehrt und bei der Besteigung des Pic von Teneriffa
war der Chronometer starken Temperaturwechseln ausgesetzt gewesen.

Aus meinen Beobachtungen in den Jahren 1799 und 1800 ergibt sich als
Gesammtresultat, dass der grosse Platz von Cumana unter 10 deg. 27' 52" der
Breite und 66 deg. 30' 2" der Laenge liegt. Die Bestimmung der Laenge gruendet
sich auf den Uebertrag der Zeit, aus Monddistanzen, auf die
Sonnenfinsterniss vom 28. Oktober 1799 und aus zehn Immersionen der
Jupiterstrabanten, verglichen mit in Europa angestellten Beobachtungen.
Sie weicht nur um sehr weniges von der ab, die Fidalgo vor mir, aber durch
rein chronometrische Mittel gefunden. Unsere aelteste Karte des neuen
Continents, die von Diego Ribeiro, Geographen Kaiser Carls des Fuenften,
setzt Cumana unter 9 deg. 30' Breite, was um 58 Minuten von der wahren Breite
abweicht und einen halben Grad von der, die Jefferys in seinem im
Jahr 1794 herausgegebenen "Amerikanischen Steuermann" angibt. Dreihundert
Jahre lang zeichnete man die ganze Kueste von Paria zu weit suedlich, weil
in der Naehe der Insel Trinidad die Stroemungen nach Nord gehen und die
Schiffer nach der Angabe des Logs weiter gegen Sued zu seyn glauben, als
sie wirklich sind.

Am 17. August machte ein Hof oder eine Lichtkrone um den Mond den
Einwohnern viel zu schaffen. Man betrachtete es als Vorboten eines starken
Erdstosses, denn nach der Volksphysik stehen alle ungewoehnlichen
Erscheinungen in unmittelbarem Zusammenhang. Die farbigen Kreise um den
Mond sind in den noerdlichen Laendern weit seltener als in der Provence, in
Italien und Spanien. Sie zeigen sich, und diess ist auffallend, bei reinem
Himmel, wenn das gute Wetter sehr bestaendig scheint. In der heissen Zone
sieht man fast jede Nacht schoene prismatische Farben, selbst bei der
groessten Trockenheit. Zuweilen habe ich zwischen dem 15. Grad der Breite
und dem Aequator sogar um die Venus kleine Hoefe gesehen; man konnte
Purpur, Orange und Violett unterscheiden; aber um Sirius, Canopus und
Achernar habe ich niemals Farben gesehen.

Waehrend der Mondhof in Cumana zu sehen war, zeigte der Hygrometer grosse
Feuchtigkeit an; die Wasserduenste schienen aber so vollkommen aufgeloest,
oder vielmehr so elastisch und gleichfoermig verbreitet, dass sie der
Durchsichtigkeit der Luft keinen Eintrag thaten. Der Mond ging nach einem
Gewitterregen hinter dem Schlosse San Antonio auf. Wie er am Horizont
erschien, sah man zwei Kreise, einen grossen, weisslichen von 44 Grad
Durchmesser und einen kleinen, der in allen Farben des Regenbogens glaenzte
und 1 Grad 43 Minuten breit war. Der Himmelsraum zwischen beiden Kronen
war dunkelblau. Bei 40 Grad Hoehe verschwanden sie, ohne dass die
meteorologischen Instrumente die geringste Veraenderung in den niedern
Luftregionen anzeigten. Die Erscheinung hatte nichts Auffallendes ausser
der grossen Lebhaftigkeit der Farben, neben dem Umstand, dass nach Messungen
mit einem Ramsden?schen Sextanten die Mondscheibe nicht ganz in der Mitte
der Hoefe stand. Ohne die Messung haette man glauben koennen, diese
Excentricitaet ruehre von der Projection der Kreise auf die scheinbare
Concavitaet des Himmels her. Die Form der Hoefe und die Farben, welche in
der Luft unter den Tropen beim Mondlicht zu Tage kommen, verdienen es von
den Physikern von Neuem in den Kreis der Beobachtungen gezogen zu werden.
In Mexico habe ich bei vollkommen klarem Himmel breite Streifen in den
Farben des Regenbogens ueber das Himmelsgewoelbe und gegen die Mondscheibe
hin zusammenlaufen sehen; dieses merkwuerdige Meteor erinnert an das von
Cotes im Jahr 1716 beschriebene.

Wenn unser Haus in Cumana fuer die Beobachtung des Himmels und der
meteorologischen Vorgaenge sehr guenstig gelegen war, so mussten wir dagegen
zuweilen bei Tage etwas ansehen, was uns empoerte. Der grosse Platz ist zum
Teil mit Bogengaengen umgeben, ueber denen eine lange hoelzerne Galerie
hinlaeuft, wie man sie in allen heissen Laendern sieht. Hier wurden die
Schwarzen verkauft, die von der afrikanischen Kueste herueberkommen. Unter
allen europaeischen Regierungen war die von Daenemark die erste und lange
die einzige, die den Sklavenhandel abgeschafft hat, und dennoch waren die
ersten Sklaven, die wir aufgestellt sahen, auf einem daenischen
Sklavenschiff gekommen. Der gemeine Eigennutz, der mit Menschenpflicht,
Nationalehre und den Gesetzen des Vaterlandes im Streite liegt, laesst sich
durch nichts in seinen Speculationen stoeren.

Die zum Verkauf ausgesetzten Sklaven waren junge Leute von fuenfzehn bis
zwanzig Jahren. Man lieferte ihnen jeden Morgen Kokosoel, um sich den
Koerper damit einzureiben und die Haut glaenzend schwarz zu machen. Jeden
Augenblick erschienen Kaeufer und schaetzten nach der Beschaffenheit der
Zaehne Alter und Gesundheitszustand der Sklaven; sie rissen ihnen den Mund
auf, ganz wie es auf dem Pferdemarkt geschieht. Dieser entwuerdigende
Brauch schreibt sich aus Afrika her, wie die getreue Schilderung zeigt,
die Cervantes nach langer Gefangenschaft bei den Mauren in einem seiner
Theaterstuecke [_El trado de Argel._] vom Verkauf der Christensklaven in
Algier entwirft. Es ist ein empoerender Gedanke, dass es noch heutigen Tages
auf den Antillen spanische Ansiedler gibt, die ihre Sklaven mit dem
Glueheisen zeichnen, um sie wieder zu erkennen, wenn sie entlaufen. So
behandelt man Menschen, die anderen Menschen die Muehe des Saeens, Ackerns
und Erntens ersparen [_La Bruyere, Characteres cap. XI._].

Je tieferen Eindruck der erste Verkauf von Negern in Cumana auf uns
gemacht hatte, desto mehr wuenschten wir uns Glueck, dass wir uns bei einem
Volk und auf einem Continent befanden, wo ein solches Schauspiel sehr
selten vorkommt und die Zahl der Sklaven im Allgemeinen hoechst unbedeutend
ist. Dieselbe betrug im Jahr 1800 in den Provinzen Cumana und Barcelona
nicht ueber sechstausend, waehrend man zur selben Zeit die
Gesammtbevoelkerung auf hundert und zehntausend schaetzte. Der Handel mit
afrikanischen Sklaven, den die spanischen Gesetze niemals beguenstigt
haben, ist jetzt voellig bedeutungslos auf Kuesten, wo im sechzehnten
Jahrhundert der Handel mit amerikanischen Sklaven schauerlich lebhaft war.
Macarapan, frueher Amaracapana genannt, Cumana, Araya und besonders
Neu-Cadix, das auf dem Eiland Cubagua angelegt worden war, konnten damals
fuer Comptoirs gelten, die zur Betreibung des Sklavenhandels errichtet
waren. Girolamo Benzoni aus Mailand, der im Alter von zweiundzwanzig
Jahren nach Terra Firma gekommen war, machte im Jahr 1542 an den Kuesten
von Bordones, Cariaco und Paria Raubzuege mit, bei denen unglueckliche
Eingeborene weggeschleppt wurden. Er erzaehlt sehr naiv und oft mit einem
Gefuehlsausdruck, wie er bei den Geschichtschreibern jener Zeit selten
vorkommt, von den Grausamkeiten, die er mit angesehen. Er sah die Sklaven
nach Neu-Cadix bringen, wo sie mit dem Glueheisen auf Stirne und Armen
gezeichnet und den Beamten der Krone der Quint entrichtet wurde. Aus
diesem Hafen wurden sie nach Haiti oder St. Domingo geschickt, nachdem sie
mehrmals die Herren gewechselt, nicht weil sie verkauft wurden, sondern
weil die Soldaten mit Wuerfeln um sie spielten.

Unser erster Ausflug galt der Halbinsel Araya und jenen ehemals durch
Sklavenhandel und die Perlenfischerei vielberufenen Landstrichen. Am
19. August gegen zwei Uhr nach Mitternacht schifften wir uns bei der
indischen Vorstadt auf dem Manzanares ein. Unser Hauptzweck bei dieser
kleinen Reise war, die Truemmer des alten Schlosses von Araya zu besehen,
die Salzwerke zu besuchen und auf den Bergen, welche die schmale Halbinsel
Maniquarez bilden, einige geologische Untersuchungen anzustellen. Die
Nacht war koestlich kuehl, Schwaerme leuchtender Insekten [_Elater
noctilucus._] glaenzten in der Luft, auf dem mit Sesuvium bedeckten Boden
und in den Mimosenbueschen am Fluss. Es ist bekannt, wie haeufig die
Leuchtwuermer in Italien und im ganzen mittaglichen Europa sind; aber ihr
malerischer Eindruck ist gar nicht zu vergleichen mit den zahllosen
zerstreuten, sich hin und her bewegenden Lichtpunkten, welche im heissen
Erdstrich der Schmuck der Naechte sind, wo einem ist, als ob das
Schauspiel, welches das Himmelsgewoelbe bietet, sich auf der Erde, auf der
ungeheuren Ebene der Grasfluren wiederholte.

Als wir Fluss abwaerts an die Pflanzungen oder *Charas* kamen, sahen wir
Freudenfeuer, die Neger angezuendet hatten. Leichter, gekraeuselter Rauch
stieg zu den Gipfeln der Palmen auf und gab der Mondscheibe einen
roethlichen Schein. Es war Sonntag Nacht und die Sklaven tanzten zur
rauschenden, eintoenigen Musik einer Guitarre. Der Grundzug im Charakter
der afrikanischen Voelker von schwarzer Rasse ist ein unerschoepfliches Mass
von Beweglichkeit und Frohsinn. Nachdem er die Woche ueber hart gearbeitet,
tanzt und musicirt der Sklave am Feiertage dennoch lieber, als dass er
ausschlaeft. Hueten wir uns, ueber diese Sorglosigkeit, diesen Leichtsinn
hart zu urteilen, wird ja doch dadurch ein Leben voll Entbehrung und
Schmerz versuesst.

Die Barke, in der wir ueber den Meerbusen von Cariaco fuhren, war sehr
geraeumig. Man hatte grosse Jaguarfelle ausgebreitet, damit wir bei Nacht
ruhen koennten. Noch waren wir nicht zwei Monate in der heissen Zone, und
bereits waren unsere Organe so empfindlich fuer den kleinsten
Temperaturwechsel, dass wir vor Frost nicht schlafen konnten. Zu unserer
Verwunderung sahen wir, dass der hunderttheilige Thermometer auf 21 deg.,8
stand. Dieser Umstand, der allen, die lange in beiden Indien gelebt haben,
wohl bekannt ist, verdient von den Physiologen beachtet zu werden. Boucher
erzaehlt, auf dem Gipfel der _Montagne Pelee_ auf Martiniques [der Berg ist
nach verschiedenen Angaben zwischen 666 und 736 Toisen hoch] haben er und
seine Begleiter vor Frost gebebt, obgleich die Waerme noch 21 1/2 Grad
betrug. In der anziehenden Reisebeschreibung des Capitaen Bligh, der in
Folge einer Meuterei an Bord des Schiffes Bounty zwoelfhundert Meilen in
einer offenen Schaluppe zuruecklegen musste, liest man, dass er zwischen dem
zehnten und zwoelften Grad suedlicher Breite weit mehr vom Frost als vom
Hunger gelitten.(44) Im Januar 1803, bei unserem Aufenthalt in Guayaquil,
sahen wir die Eingeborenen sich ueber Kaelte beklagen und sich zudecken,
wenn der Thermometer auf 23 deg.,8 fiel, waehrend sie bei 30 deg.,5 die Hitze
erstickend fanden. Es brauchte nicht mehr als sieben bis acht Grad, um die
entgegengesetzten Empfindungen von Frost und Hitze zu erzeugen, weil an
diesen Kuesten der Suedsee die gewoehnliche Lufttemperatur 28 deg. betraegt. Die
Feuchtigkeit, mit der sich die Leitungsfaehigkeit der Lust fuer den
Waermestoff aendert, spielt bei diesen Empfindungen eine grosse Rolle. Im
Hafen von Guayaquil, wie ueberall in der heissen Zone auf tief gelegenem
Boden, kuehlt sich die Lust nur durch Gewitterregen ab, und ich habe
beobachtet, dass, waehrend der Thermometer auf 23 deg.,8 faellt, der Deluc'sche
Hygrometer auf 50-52 Grad stehen bleibt; dagegen steht er auf 37 bei einer
Temperatur von 30 deg.,5. In Cumana hoert man bei starken Regenguessen in den
Strassen schreien: _"Que hielo! Estoy emparamado!"_(45) und doch faellt der
dem Regen ausgesetzte Thermometer nur auf 21 deg.,5. Aus allen diesen
Beobachtungen geht hervor, dass man zwischen den Wendekreisen auf Ebenen,
wo die Lufttemperatur bei Tag fast bestaendig ueber 27 deg. ist, bei Nacht das
Beduerfniss fuehlt, sich zuzudecken, so oft bei feuchter Luft der Thermometer
um 4-51/2 Grad faellt.

Gegen acht Uhr Morgens stiegen wir an der Landspitze von Araya bei der
"Neuen Saline" ans Land. Ein einzelnes Haus steht auf einer kahlen Ebene
neben einer Batterie von drei Kanonen, auf die sich seit Zerstoerung des
Forts St. Jakob die Verteidigung dieser Kueste beschraenkt. Der
Salineninspektor  bringt sein Leben in einer Haengematte zu, in der er den
Arbeitern seine Befehle erteilt, und eine _Lancha del rey_ (koenigliche
Barke) fuehrt ihm jede Woche von Cumana seine Lebensmittel zu. Man wundert
sich, dass bei einem Salzwert, das frueher bei den Englaendern, Hollaendern
und anderen Seemaechten Eifersucht erregte, kein Dorf oder auch nur ein Hof
liegt. Kaum findet man am Ende der Landspitze von Araya ein paar armselige
indianische Fischerhuetten.

Man uebersieht von hier aus zugleich das Eiland Cubagua, die hohen
Berggipfel von Margarita, die Truemmer des Schlosses St. Jakob, den Cerro
de la Vela und das Kalkgebirge des Brigantin, das gegen Sueden den Horizont
begrenzt. Wie reich die Halbinsel Araya an Kochsalz ist, wurde schon
Alonso Nino bekannt, als er im Jahr 1499 in Colombo's, Djeda's und Amerigo
Vespucci's Fussstapfen diese Laender besuchte. Obgleich die Eingeborenen
Amerikas unter allen Voelkern des Erdballes am wenigsten Salz verbrauchen,
weil sie fast allein von Pflanzenkost leben, scheinen doch bereits die
Guaykari im Ton- und Salzboden der *Punta Arenas* gegraben zu haben.
Selbst die jetzt die *neuen* genannten Salzwerke, am Ende des Vorgebirgs
Araya, waren schon in der fruehsten Zeit in Gang. Die Spanier, die sich
zuerst auf Cubagua und bald nachher auf der Kueste von Cumana
niedergelassen hatten, beuteten schon zu Anfang des sechzehnten
Jahrhunderts die Salzsuempfe aus, die sich als Lagunen nordwestlich vom
Cerro de la Vela hinziehen. Da das Vorgebirge Araya damals keine staendige
Bevoelkerung hatte, machten sich die Hollaender den natuerlichen Reichtum des
Bodens zunutze, den sie fuer ein Gemeingut aller Nationen ansahen.
Heutzutage hat jede Kolonie ihre eigenen Salzwerke und die
Schiffahrtskunst ist so weit fortgeschritten, dass die Cadizer Handelsleute
mit geringen Kosten spanisches und portugiesisches Salz 1900 Meilen
[8500 km] weit in die oestliche Halbkugel senden koennen, um Montevideo und
Buenos Aires mit ihrem Bedarf fuer das Einsalzen zu versorgen. Solche
Vortheile waren zur Zeit der Eroberung unbekannt; die Industrie in den
Colonien war damals noch so weit zurueck, dass das Salz von Araya mit
grossen Kosten nach den Antillen, nach Carthagena und Portobelo verschifft
wurde. Im Jahr 1605 schickte der Madrider Hof bewaffnete Fahrzeuge nach
Punta Araya, mit dem Befehl, daselbst auf Station zu liegen und die
Hollaender mit Gewalt zu vertreiben. Diese fuhren nichts desto weniger fort
heimlich Salz zu holen, bis man im Jahr 1622 bei den Salzwerken ein Fort
errichtete, das unter dem Namen _Castillo de Santiago_ oder _Real Fuerza
de Araya_ beruehmt geworden ist.

Die grossen Salzsuempfe sind auf den aeltesten spanischen Karten bald als
Bucht, bald als Lagune angegeben. Laet, der seinen _Orbis novus_ im Jahr
1633 schrieb und sehr gute Nachrichten von diesen Kuesten hatte, sagt sogar
ausdruecklich, die Lagune sey von der See durch eine ueber der Fluthhoehe
gelegene Landenge getrennt gewesen. Im Jahr 1726 zerstoerte ein
ausserordentliches Ereigniss die Saline von Araya und machte das Fort, das
ueber eine Million harter Piaster gekostet hatte, unnuetz. Man spuerte einen
heftigen Windstoss, eine grosse Seltenheit in diesen Strichen, wo die See
meist nicht unruhiger ist als das Wasser unserer Fluesse; die Fluth drang
weit ins Land hinein und durch den Einbruch des Meeres wurde der Salzsee
in einen mehrere Meilen langen Meerbusen verwandelt. Seitdem hat man
noerdlich von der Huegelkette, welche das Schloss von der Nordkueste der
Halbinsel trennt, kuenstliche Behaelter oder Kasten angelegt. Der
Salzverbrauch war in den Jahren 1799 und 1800 in den beiden Provinzen
Cumana und Barcelona zwischen neun und zehn tausend Fanegas, jede zu
sechzehn Arrobas oder vier Centnern. Dieser Verbrauch ist sehr
betraechtlich, und es ergeben sich dabei, wenn man 50,000 Indianer
abrechnet, die nur sehr wenig Salz verzehren, sechzig Pfund auf den Kopf.
In Frankreich rechnet man, nach Necker, nur zwoelf bis vierzehn Pfund, und
der Unterschied ruehrt daher, dass man so viel Salz zum Einsalzen braucht.
Das gesalzene Ochsenfleisch, *Tasajo* genannt, ist im Handel von Barcelona
der vornehmste Ausfuhrartikel. Von neun bis zehn tausend Fanegas Salz,
welche die beiden Provinzen zusammen liefern, kommen nur dreitausend vom
Salzwerk von Araya; das uebrige wird bei Morro de Barcelona, Pozuelos,
Piritu und im *Golfo triste* aus Meerwasser gewonnen. In Mexico liefert
der einzige Salzsee *Pennon Blanco* jaehrlich ueber 250,000 Fanegas unreines
Salz.

Die Provinz Caracas hat schoene Salzwerke bei den Klippen los Noquez; das
frueher aus der kleinen Insel Tortuga gelegene ist auf Befehl der
spanischen Regierung zerstoert worden. Man grub einen Kanal, durch den das
Meer zu den Salzsuempfen dringen konnte. Andere Nationen, die auf den
kleinen Antillen Colonien haben, besuchten diese unbewohnte Insel, und der
Madrider Hof fuerchtete in seiner argwoehnischen Politik, das Salzwerk von
Tortuga moechte Veranlassung zu einer festen Niederlassung werden, wodurch
dem Schleichhandel mit Terra Firma Vorschub geleistet wuerde. Die Salzwerke
von Araya werden erst seit dem Jahr 1792 von der Regierung selbst
betrieben. Bis dahin waren sie in den Haenden indianischer Fischer, die
nach Belieben Salz bereiteten und verkauften, wofuer sie der Regierung nur
die maessige Summe von 300 Piastern bezahlten. Der Preis der Fanega war
damals vier Realen; [In dieser Reisebeschreibung sind alle Preise in
harten Piastern und Silberrealen, _reales de plata_ ausgedrueckt. Acht
Realen gehen auf einen harten Piaster oder 105 Sous franzoesischen Geldes.]
aber das Salz war sehr unrein, grau, und enthielt sehr viel salzsaure und
schwefelsaure Bittererde. Da zudem die Ausbeutung von Seiten der Arbeiter
aeusserst unregelmaessig betrieben wurde, so fehlte es oft an Salz zum
Einsalzen des Fleisches und der Fische, das in diesen Laendern fuer den
Fortschritt des Gewerbfleisses von grossem Belang ist, da das indianische
niedere Volk und die Sklaven von Fischen und etwas *Tasajo* leben. Seit
die Provinz Cumana unter der Intendauz von Caracas steht, besteht die
Salzregie, und die Fanega, welche die Guayqueries fuer einen halben Piaster
verkauften, kostet anderthalb Piaster. Fuer diese Preiserhoehung leistet nur
geringen Ersatz, dass das Salz reiner ist und dass die Fischer und
Colonisten es das ganze Jahr im Ueberfluss beziehen koennen. Die
Salinenverwaltung von Araya brachte im Jahr 1799 dem Schatze 8000 Piaster
jaehrlich ein. Aus diesen statistischen Notizen geht hervor, dass die
Salzbereitung in Araya, als Industriezweig betrachtet, von keinem grossen
Belang ist.

Der Thon, aus dem zu Araya das Salz gewonnen wird, kommt mit dem
*Salzthon* ueberein, der in Berchtesgaden und in Suedamerika in Zipaquira
mit dem Steinsalz vorkommt. Das salzsaure Natron ist in diesem Thon nicht
in sichtbaren Theilchen eingesprengt, aber sein Vorhandenseyn laesst sich
leicht bemerklich machen. Wenn man die Masse mit Regenwasser netzt und der
Sonne aussetzt, schiesst das Salz in grossen Krystallen an. Die Lagune
westlich vom Schloss Santiago zeigt alle Erscheinungen, wie sie von
Lepechin, Gmelin und Pallas in den sibirischen Salzseen beobachtet worden
sind. Sie nimmt uebrigens nur das Regenwasser auf, das durch die
Thonschichten durchsickert und sich am tiefsten Punkte der Halbinsel
sammelt. So lange die Lagune den Spaniern und Hollaendern als Salzwerk
diente, stand sie mit der See in keiner Verbindung; neuerdings hat man nun
diese Verbindung wieder aufgehoben, indem man an der Stelle, wo das Meer
im Jahr 1726 eingebrochen war, einen Faschinendamm anlegte. Nach grosser
Trockenheit werden noch jetzt vom Boden der Lagune drei bis vier Kubikfuss
grosse Klumpen krystallisirten, sehr reinen salzsauren Natrons
heraufgefoerdert. Das der brennenden Sonne ausgesetzte Salzwasser des Sees
verdunstet an der Oberflaeche; in der gesaettigten Loesung bilden sich
Salzkrusten, sinken zu Boden, und da Kristalle von derselben
Zusammensetzung und der gleichen Gestalt einander anziehen, so wachsen die
kristallinischen Massen von Tag zu Tag an. Man beobachtet im Allgemeinen,
dass das Wasser ueberall, wo sich Lachen im Thonboden gebildet haben,
salzhaltig ist. Im neuen Salzwerk bei den Batterien von Araya leitet man
allerdings das Meerwasser in die Kasten, wie in den Salzsuempfen im
mittaeglichen Frankreich; aber auf der Insel Margarita bei Pampadar wird
das Salz nur dadurch bereitet, dass man suesses Wasser den salzhaltigen Thon
auslaugen laesst.

Das Salz, das in Thonbildungen enthalten ist, darf nicht verwechselt
werden mit dem Salz, das im Sand am Meeresufer vorkommt, und das an den
Kuesten der Normandie ausgebeutet wird. Diese beiden Erscheinungen haben,
aus geologischen Gesichtspunkt betrachtet, so gut wie nichts mit einander
gemein. Ich habe salzhaltigen Thon am Meeresspiegel, bei Punta Araya, und
in 2000 Toisen Hoehe in den Cordilleren von Neugrenada gesehen. Wenn
derselbe am erstgenannten Ort unter einer Muschelbreccie von sehr neuer
Bildung liegt, so tritt er dagegen bei Ischl in Oesterreich als maechtige
Schicht im Alpenkalk auf, der, obgleich gleichfalls juenger als die
Existenz organischer Wesen auf der Erde, doch sehr alt ist, wie die vielen
Gebirgsglieder zeigen, die ihm aufgelagert sind. Wir wollen nicht in
Zweifel ziehen, dass das reine [das von Wieliczka und Peru] oder mit
salzhaltigem Thon vermengte Steinsalz [das von Hallein, Ischl und
Zipaquira] der Niederschlag eines alten Meeres seyn koenne; alles weist
aber darauf hin, dass es sich unter Naturverhaeltnissen gebildet hat, die
sehr bedeutend abweichen mussten von denen, unter welchen die jetzigen
Meere in Folge allmaehliger Verdunstung hie und da ein paar Koerner
salzsauren Natrons im Ufersande niederschlagen. Wie der Schwefel und die
Steinkohle sehr weit auseinander liegenden Formationen angehoeren, kommt
auch das Steinsalz bald im Uebergangsgips, bald im Alpenkalk, bald in
einem mit sehr neuem Muschelsandstein bedeckten Salzthon (Punta Araya),
bald in einem Gips vor, der juenger ist als die Kreide.

Das neue Salzwerk von Araya besteht aus fuenf Behaeltern oder Kasten, von
denen die groessten eine regelmaessige Form und 2300 Quadrattoisen Oberflaeche
haben. Die mittlere Tiefe betraegt acht Zoll. Man bedient sich sowohl des
Regenwassers, das sich durch Einsickerung am tiefsten Punkt der Ebene
sammelt, als des Meerwassers, das durch Kanaele hereingeleitet wird, wenn
der Wind die See an die Kueste treibt. Dieses Salzwerk ist nicht so guenstig
gelegen wie die Lagune. Das Wasser, das in die letztere faellt, kommt von
staerker geneigten Abhaengen und hat ein groesseres Bodenstueck ausgelaugt. Die
Indianer pumpen mit der Hand das Meerwasser aus einem Hauptbehaelter in die
Kasten. Leicht liesse sich indessen der Wind als Triebkraft benuetzen, da
der Seewind fortwaehrend stark aus die Kueste blaest. Man hat nie daran
gedacht, weder die bereits ausgelangte Erde wegzuschaffen, noch Schachte
im Salzthon niederzutreiben, um Schichten aufzusuchen, die reicher an
salzsaurem Natron sind. Die Salzarbeiter klagen meist ueber Regenmangel,
und beim neuen Salzwerk scheint es mir schwer auszumitteln, welches
Quantum von Salz allein auf Rechnung des Seewassers kommt. Die
Eingeborenen schaetzen es aus ein Sechstheil des ganzen Ertrags. Die
Verdunstung ist sehr stark und wird durch den bestaendigen Luftzug
gesteigert; das Salz wird aber auch am achtzehnten bis zwanzigsten Tage,
nachdem man die Behaelter gefuellt, ausgezogen. Wir fanden (am 19. August um
3 Uhr Nachmittags) die Temperatur des Salzwassers in den Kasten 32 deg.,5,
waehrend die Luft im Schatten 27 deg.,2 und der Sand an der Kueste in sechs Zoll
Tiefe 42 deg.,5 zeigte. Wir tauchten den Thermometer in die See und sahen ihn
zu unserer Ueberraschung nur auf 23 deg. steigen. Diese niedrige Temperatur
ruehrt vielleicht von den Untiefen her, welche die Halbinsel Araya und die
Insel Margarita umgeben, und an deren Abfaellen sich tiefere
Wasserschichten mit den oberflaechlichen vermischen.

Obgleich das salzsaure Natron aus der Halbinsel Araya nicht so sorgfaeltig
bereitet wird als in den europaeischen Salzwerken, ist es dennoch reiner
und enthaelt weniger salzsaure und schwefelsaure Erden. Wir wissen nicht,
ob diese Reinheit dem Antheil von Salz, den das Meer liefert,
zuzuschreiben ist; denn wenn auch die Menge der im Meerwasser geloesten
Salze hoechst wahrscheinlich unter allen Himmelsstrichen dieselbe ist,(46)
so weiss man doch nicht, ob auch das Verhaeltnis zwischen dem salzsauren
Natron, der salzsauren und schwefelsauren Bittererde und dem
schwefelsauren und kohlensauren Kalk sich gleich bleibt.

Nachdem wir die Salinen besehen und unsere geodaetischen Arbeiten beendet
hatten, brachen wir gegen Abend auf, um einige Meilen weiterhin in einer
indianischen Huette bei den Truemmern des Schlosses von Araya die Nacht zu
zuzubringen. Unsere Instrumente und unseren Mundvorrat schickten wir
voraus; denn wenn wir von der grossen Hitze und der Reverberation des
Bodens erschoepft waren, spuerten wir in diesen Laendern nur abends und in
der Morgenkuehle Esslust. Wir wandten uns nach Sued und gingen zuerst ueber
die kahle mit Salzton bedeckte Ebene und dann ueber zwei aus Sandstein
bestehende Huegelketten, zwischen denen die Lagune liegt. Die Nacht
ueberraschte uns, waehrend wir einen schmalen Pfad verfolgten, der
einerseits vom Meer, andererseits von senkrechten Felswaenden begrenzt ist.
Die Flut war im raschen Steigen und engte unseren Weg mit jedem Schritt
mehr ein. Am Fusse des alten Schlosses von Araya angelangt lag ein
Naturbild mit einem melancholischen, romantischen Anstrich vor uns, und
doch wurde weder durch die Kuehle des finsteren Forstes, noch durch die
Grossartigkeit der Pflanzengestalten die Schoenheit der Truemmer gehoben. Sie
liegen auf einem kahlen, duerren Berge, mit Agaven, Saeulenkaktus und
Mimosen bewachsen und gleichen nicht sowohl einem Werke von Menschenhand,
als vielmehr Felsmassen, die in den aeltesten Umwaelzungen des Erdballes
zertruemmert worden.

Wir wollten Halt machen, um das grossartige Schauspiel zu geniessen und den
Untergang der Venus zu beobachten, deren Scheibe von Zeit zu Zeit zwischen
dem Gemaeuer des Schlosses erschien; aber der Mulatte, der uns als Fuehrer
diente, wollte verdursten und drang lebhaft in uns, umzukehren. Er hatte
laengst gemerkt, dass wir uns verirrt hatten, und da er hoffte, durch die
Furcht auf uns zu wirken, sprach er bestaendig von Tigern und
Klapperschlangen. Giftige Reptilien sind allerdings beim Schlosse Araya
sehr haeufig, und erst vor kurzem waren beim Eingang des Dorfes Maniquarez
zwei Jaguars erlegt worden. Nach den aufbehaltenen Fellen waren sie nicht
viel kleiner als die ostindischen Tiger. Vergeblich fuehrten wir unserem
Fuehrer zu Gemuet, dass diese Tiere an einer Kueste, wo die Ziegen ihnen
reichliche Nahrung bieten, keinen Menschen anfallen; wir mussten nachgeben
und hingehen, woher wir gekommen waren. Nachdem wir drei Viertelstunden
ueber einen von der steigenden Flut bedeckten Strand gegangen, stiess der
Neger zu uns, der unsern Mundvorrath getragen hatte; da er uns nicht
kommen sah, war er unruhig geworden und uns entgegengegangen. Er fuehrte
uns durch ein Gebuesch von Fackeldisteln zu der Huette einer indianischen
Familie. Wir wurden mit der herzlichen Gastfreundschaft aufgenommen, die
man in diesen Laendern bei Menschen aller Kasten findet. Von aussen war die
Huette, in der wir unsere Haengematten befestigten, sehr sauber; wir fanden
daselbst Fische, Bananen u. dgl. Und, was im heissen Landstrich ueber die
ausgesuchtesten Speisen geht, vortreffliches Wasser.

Des anderen Tages bei Sonnenaufgang sahen wir, dass die Huette, in der wir
die Nacht zugebracht, zu einem Haufen kleienr Wohnungen am Ufer des
Salzsees gehoerte. Es sind dies die schwachen Ueberbleibsel eines
ansehnlichen Dorfes, das sich einst um das Schloss gebildet. Die Truemmer
einer Kirche waren halb im Sand begraben und mit Strauchwerk bewachsen.
Nachdem im Jahre 1762 das Schloss von Araya, um die Unterhaltungskosten der
Besatzung zu sparen, gaenzlich zerstoert worden war, zogen sich die in der
Umgegend angesiedelten Indianer und Farbigen allmaehlich nach Maniquarez,
Cariaco und in die indianische Vorstadt von Cumana. Nur wenige blieben aus
Anhaenglichkeit an den Heimathboden am wilden, oeden Ort. Diese armen Leute
leben vom Fischfang, der an den Kuesten und auf dem Untiefen in der Naehe
aeusserst ergiebig ist. Sie schienen mit ihrem Loos zufrieden und fanden die
Frage seltsam, warum sie keine Gaerten haetten unsd keine nutzbaren Gewaechse
bauten. "Unsere Gaerten," sagten sie, "sind drueben ueber der Meerenge; wir
bringen Fische nach Cumana und verschaffen uns dafuer Bananen, Cocosnuesse
und Manioc." Diese Wirtschaft, die der Traegheit zusagt, ist in Maniquarez
und auf der ganzen Halbinsel Araya Brauch. Der Hauptreichtum der Einwohner
besteht in Ziegen, die sehr gross und schoen sind. Sie laufen frei umher wie
die Ziegen auf dem Pic von Tenerifa; sie sind voellig verwildert und man
zeichnet sie wie die Maultiere, weil sie nach Aussehen, Farbe und
Zeichnung nicht zu unterscheiden waeren. Die wilden Ziegen sind hellbraun
und nicht verschiedenfarbig wie die zahmen. Wenn ein Colonist auf der Jagd
eine Ziege schiesst, die nicht seine eigene ist, so bringt er sie sogleich
dem Nachbar, dem sie gehoert. Zwei Tage lang hoerten wir als von einer
selten vorkommenden Niedertraechtigkeit davon sprechen, dass einem Einwohner
von Maniquarez eine Ziege abhanden gekommen, und dass wahrscheinlich eine
Familie in der Nachbarschaft sich guethlich damit gethan habe. Dergleichen
Zuege, die fuer grosse Sittenreinheit beim gemeinen Volk sprechen, kommen
haeufig auch in Neu-Mexiko, in Canada und in den Laendern westlich von den
Aleghanys vor.

Unter den Farbigen, deren Huetten um den Salzsee stehen, befand sich ein
Schuhmacher von castilianischem Blute. Er nahm uns mit dem Ernst und der
Selbstgefaelligkeit auf, die unter diese Himmelsstrichen fast allen Leuten
eigen sind, die sich fuer besonders begabt halten. Er war eben daran, die
Sehne seines Bogens zu spannen und Pfeile zu spitzen, um Voegel zu
schiessen. Sein Gewerbe als Schuster konnte in einem Lande, wo die meisten
Leute barfuss gehen, nicht viel eintragen; er beschwerte sich auch, dass das
europaeische Pulver so teuer sey und ein Mann wie er zu denselben Waffen
greifen muesse wie die Indianer. Der Mann war das gelehrte Orakel des
Dorfs; er wusste, wie sich das Salz durch den Einfluss der Sonne und des
Vollmonds bildet, er kannte die Vorzeichen der Erdbeben, die Merkmale, wo
sich Gold und Silber im Boden finden, und die Arzneipflanzen, die er, wie
alle Colonisten von Chili bis Californien, in heisse und kalte [reizende
oder schwaechende, sthenische oder asthenische nach Browns System]
eintheilte. Er hatte die geschichtlichen Ueberlieferungen des Landes
gesammelt, und gab uns interessante Notizen ueber die Perlen von Cubagua,
welchen Luxusartikel er hoechst wegwerfend behandelte. Um uns zu zeigen,
wie bewandert er in der heiligen Schrift sey, fuehrte er wohlgefaellig den
Spruch Hiobs an, dass Weisheit hoeher zu waegen ist denn Perlen. Seine
Philosophie ging nicht ueber den engen Kreis der Lebensbeduerfnisse hinaus.
Ein derber Esel, der eine tuechtige Ladung Bananen an den Landungsplatz
tragen koennte, war das hoechste Ziel seiner Wuensche.

Nach einer langen Rede ueber die Eitelkeit menschlicher Herrlichkeit zog er
aus einer Ledertasche sehr kleine und truebe Perlen und drang uns dieselben
auf. Zugleich hiess er uns, es in unsere Schreibtafel aufzuzeichnen, dass
ein armer Schuster von Araya, aber ein weisser Mann und von edlem
castilischen Blute, uns etwas habe schenken koennen, das drueben ueber dem
Meer fuer eine grosse Kostbarkeit gelte. Ich komme dem Versprechen, das ich
dem braven Manne gab, etwas spaet nach und freue mich, dabei bemerken zu
koennen, dass seine Uneigennuetzigkeit ihm nicht gestattete, irgend eine
Verguetung anzunehmen. An der Perlenkueste sieht es allerdings so armselig
aus, wie im "Gold- und Diamantenland," in Choco und Brasilien; aber mit
dem Elend paart sich hier nicht die zuegellose Gewinnsucht, wie sie durch
Schaetze des Mineralreichs erzeugt wird.

Die Perlenmuschel ist auf den Untiefen, sie sich von Kap Paria zum Kap
Vela erstrecken, sehr haeufig. Die Insel Margarita, Cubagua, Coche, Punta
Araya und die Muendung des Rio la Hacha waren im sechzehnten Jahrhundert
beruehmt, wie im Altertum der Persische Meerbusen und die Insel Taprobante.
[_Strabo lib. XV. Plinius Lib. IX, c. 35, Lib. XII, c. 18. Solinus,
Polyhistor c. 68_; besonders _Athenaeus, Deipnosoph. Lib. III, c. 45._] Es
ist nicht richtig, wie mehrere Geschichtsschreiber behaupten, dass die
Eingeborenen Amerikas die Perlen als Luxusartikel nicht gekannt haben
sollen. Die Spanier, die zuerst an Terra Firma landeten, sahen bei den
Wilden Hals- und Armbaender, und bei den zivilisierten Voelkern in Mexiko
und Peru waren Perlen von schoener Form ungemein gesucht. Ich habe die
Basaltbueste einer mexikanischen Priesterin bekanntgemacht, [Humboldt,
_Atlas pittoresque_ Tafel 1 und 2.] deren Kopfputz, der auch sonst mit der
*Calantica* der Isiskoepfe Aehnlichkeit hat, mit Perlen besetzt ist. Las
Casas und Benzoni erzaehlen, und zwar nicht ohne Uebertreibung, wie grausam
man mit den Indianern und Negwern umging, die man zur Perlenfischerei
brauchte. In der ersten Zeit der Eroberung lieferte die Insel Coche allein
1500 Mark Perlen monatlich. Der *Quint*, den die koeniglichen Beamten vom
Ertrag an Perlen erhoben, belief sich auf 15,000 Dukaten, nach dem
damaligen Werth der Metalle und in Betracht des starken Schmuggels eine
sehr bedeutende Summe. Bis zum Jahre 1530 scheint sich der Werth der nach
Europa gesendeten Perlen im Jahresdurchschnitt auf mehr als 800,000
Piaster belaufen zu haben. Um zu ermessen, von welcher Bedeutung dieser
Handelszweig in Sevilla, Toledo, Antwerpen und Genua seyn mochte, muss man
bedenken, dass zur selben Zeit alle Bergwerke Amerikas nicht zwei Millionen
Piaster lieferten und dass die Flotte Ovandos fuer unermesslich reich galt,
weil sie gegen 2600 Mark Silber fuehrte.

Die Perlen waren desto gesuchter, da der asiatische Luxus auf zwei gerade
entgegengesetzten Wegen nach Europa gedrungen war, von Konstantinopel her,
wo die Palaeologen reich mit Perlen gestickte Kleider trugen, und von
Granada her, wo die maurischen Koenige sassen, an deren Hof der ganze
asiatische Prunk herrschte. Die ostindischen Perlen waren geschaetzter als
die westindischen; indessen kamen doch die letzteren in der ersten Zeit
nach der Entdeckung von Amerika in Menge in den Handel. In Italien wie in
Spanien wurde die Insel Cubagua das Ziel zahlreicher
Handelsunternehmungen. Benzoni erzaehlt, was einem gewissen Ludwig
Lampagnano begegnete, dem Karl der Fuenfte das Privilegium ertheilt hatte,
mit fuenf "Caravelen" an die Kueste von Cumana zu gehen und Perlen zu
fischen. Die Ansiedler schickten ihn mit der kecken Antwort heim, der
Kaiser gehe mit etwas, das nicht sein gehoere, allzu freigebig um; es stehe
ihm nicht das Recht zu, ueber Austern zu verfuegen, die auf dem Meeresboden
leben.

Gegen das Ende des sechzehnten Jahrhunderts nahm die Perlenfischerei rasch
ab, und nach Laets Angabe(47) hatte sie im Jahr 1633 laengst aufgehoert.
Durch den Gewerbfleiss der Venediger, welche die echten Perlen taeuschen
nachmachten, und den starken Gebrauch der geschnittenen Diamanten [Das
Schneiden der Diamanten wurde im Jahre 1456 von Ludwig de Berquen
erfunden; in allgemeinen Gebrauch kam es aber erst im folgenden
Jahrhundert.] wurden die Fischereien in Cubagua weniger eintraeglich.
Zugleich wurden die Perlenmuscheln seltener, nicht wie man nach der
Volkssage glaubt, weil die Tiere vom Geraeusch der Ruder verscheucht
wurden, sondern, weil man im Unverstand die Muscheln zu Tausenden
abgerissen und so ihrer Fortpflanzung Einhalt getan hatte. Die
Perlenmuschel ist noch von zarterer Constitution als die meisten andern
kopflosen Weichthiere. Auf der Insel Ceylon, wo in der Bucht von
Condeatchy die Perlenfischerei sechshundert Taucher beschaeftigt und der
jaehrliche Ertrag ueber eine halbe Million steigt, hat man das Thier
vergeblich auf andere Kuestenpunkte zu verpflanzen gesucht. Die Regierung
gestattet die Fischerei nur einen Monat lang, waehrend man in Cubagua die
Muschelbank das ganze Jahr hindurch ausbeutete. Um sich eine Vorstellung
davon zu machen, in welchem Masse die Taucher unter diesem Thiergeschlecht
aufraeumen, muss man bedenken, dass manches Fahrzeug in zwei, drei Wochen
ueber 35,000 Muscheln aufnimmt. Das Thier lebt nur neun bis zehn Jahre und
die Perlen fangen erst im vierten Jahre an zum Vorschein zu kommen. In
10,000 Muscheln ist oft nicht Eine werthvolle Perle. Nach der Sage
oeffneten die Fischer auf der Bank bei der Insel Margarita die Muscheln
Stueck fuer Stueck; auf Ceylon schuettet man die Thiere aus und laesst sie
faulen, und um die Perlen zu gewinnen, welche nicht an den Schalen haengen,
wascht man die Haufen thierischen Gewebes aus, gerade wie man in den Minen
den Sand auswascht, der Gold- oder Zinngeschiebe oder Diamanten enthaelt.

Gegenwaertig bringt das spanische Amerika nur noch die Perlen in den
Handel, die aus dem Meerbusen von Panama und von der Muendung des Rio de la
Hacha kommen. Auf den Untiefen um Cubagua, Coche und Margarita ist die
Fischerei aufgegeben, wie an der californischen Kueste.(48) Man glaubt in
Cumana, die Perlenmuschel habe sich nach zweihundertjaehriger Ruhe wieder
bedeutend vermehrt [Im Jahr 1812 sind bei Margarita einige Versuche
gemacht worden, die Perlenfischerei wieder aufzunehmen], und man fragt
sich, warum die Perlen, die man jetzt in Muscheln findet, die an den
Fischnetzen haengen bleiben [Die Einwohner von Araya verkaufen zuweilen
solche kleine Perlen an die Kaufleute von Cumana. Der gewoehnliche Preis
ist ein Piaster fuer das Dutzend.], so klein sind und so wenig Glanz haben,
waehrend man bei der Ankunft der Spanier sehr schoene bei den Indianern
fand, die doch schwerlich darnach tauchten. Diese Frage ist desto schwerer
zu beantworten da wir nicht wissen, ob etwa Erdbeben die Beschaffenheit
des Seebodens veraendert haben, oder ob Richtungsaenderungen in
untermeerischen Stroemen auf die Temperatur des Wassers oder auf die
Haeufigkeit gewisser Weichthiere, von denen sich die Muscheln naehren,
Einfluss geaeussert haben.

Am 20. Morgens fuehrte uns der Sohn unseres Wirths, ein sehr kraeftiger
Indianer, ueber den Barigon und Caney ins Dorf Maniquarez. Es waren vier
Stunden Weges. Durch das Rueckprallen der Sonnenstrahlen vom Sand stieg der
Thermometer auf 31.3 deg.. Die Saeulenkaktus, die am Wege stehen, geben der
Landschaft einen gruenen Schein, ohne Kuehle und Schatten zu bieten. Unser
Fuehrer setzte sich, ehe er eine Meile [5 km] gegangen war, jeden
Augenblick nieder. Im Schatten eines schoenen Tamarindenbaumes bei den
Casas de la Vela wollte er sich gar niederlegen, um den Anbruch der Nacht
abzuwarten. Ich hebe diesen Charakterzug hervor, da er einem ueberall
entgegentritt, so oft man mit den Indianern reist, und zu den irrigsten
Vorstellungen von der Koerperverfassung der verschiedenen Menschenracen
Anlass gegeben hat. Der kupferfarbene Eingeborene, der besser als der
reisende Europaeer an die gluehende Hitze des Himmelsstriches gewoehnt ist,
beklagt sich nur deshalb mehr darueber, weil ihn kein Reiz antreibt. Geld
ist keine Lockung fuer ihn, und hat er sich je einmal durch Gewinnsucht
verfuehren lassen, so reut ihn sein Entschluss, sobald er auf dem Wege ist.
Derselbe Indianer aber, der sich beklagt, wenn man ihm beim Botanisieren
eine Pflanzenbuechse zu tragen gibt, treibt einen Kahn gegen die rascheste
Stroemung und rudert so vierzehn bis fuenfzehn Stunden in einem fort, weil
er sich zu den Seinen zuruecksehnt. Will man die Muskelkraft der Voelker
richtig schaetzen lernen, muss man sie ? unter Umstaenden beobachten, wo ihre
Handlungen durch einen gleich kraeftigen Willen bestimmt werden.

Wir besahen in der Naehe die Truemmer des Schlosses Santiago, das durch
seine ausnehmend feste Bauart merkwuerdig ist. Die Mauern aus behauenen
Steinen sind fuenf Fuss dick; man musste sie mit Minen sprengen; man sieht
noch Mauerstuecke von sieben-, achthundert Quadratfuss, die kaum einen Riss
zeigen. Unser Fuehrer zeigte uns eine Cisterne (_el aljibe_), die dreissig
Fuss tief ist und, obgleich ziemlich schadhaft, den Bewohnern der Halbinsel
Araya Wasser liefert. Diese Cisterne wurde im Jahr 1681 vom Statthalter
Don Juan Padilla Guardiola vollendet, demselben, der in Cumana das kleine
Fort Santa Maria gebaut hat. Da der Behaelter mit einem Gewoelbe im
Rundbogen geschlossen ist, so bleibt das Wasser darin frisch und sehr gut.
Conserven, die den Kohlenwasserstoff zersetzen und zugleich Wuermern und
Insekten zum Aufenthalt dienen, bilden sich nicht darin. Jahrhunderte lang
hatte man geglaubt, die Halbinsel Araya habe gar keine Quellen suessen
Wassers, aber im Jahr 1797 haben die Einwohner von Maniquarez nach langem
vergeblichem Suchen doch solches gefunden.

Als wir ueber die kahlen Huegel am Vorgebirge Cirial gingen, spuerten wir
einen starken Bergoelgeruch. Der Wind kam vom Orte her, wo die
Bergoelquellen liegen, deren schon die ersten Beschreibungen dieser Laender
erwaehnen. -- Das Toepfergeschirr von Maniquarez ist seit unvordenklicher
Zeit beruehmt, und dieser Industriezweig ist ganz in den Haenden der
Indianerweiber. Es wird noch gerade so fabriziert wie vor der Eroberung.
Dieses Verfahren ist einerseits eine Probe vom Zustand der Kuenste in ihrer
Kindheit und andererseits von der Starrheit der Sitten, die allen
eingeborenen Voelkern Amerikas als ein Charakterzug eigen ist. In
dreihundert Jahren konnte die Toepferscheibe keinen Eingang auf einer Kueste
finden, die von Spanien nur dreissig bis vierzig Tagreisen zur See entfernt
ist. Die Eingeborenen haben eine dunkle Vorstellung davon, dass es ein
solches Werkzeug gibt, und sie wuerden sich desselben bedienen, wenn man
ihnen das Muster in die Hand gaebe. Die Thongruben sind eine halbe Meile
oestlich von Maniquarez. Dieser Thon ist das Zersetzungsprodukt eines durch
Eisenoxyd roth gefaerbten Glimmerschiefers. Die Indianerinnen nehmen
vorzugsweise solchen, der viel Glimmer enthaelt. Sie formen mit grossem
Geschick Gefaesse von zwei bis drei Fuss Durchmesser mit sehr regelmaessiger
Kruemmung. Da sie den Brennofen nicht kennen, so schichten sie Strauchwerk
von Desmanthus, Cassia und baumartiger Capparis um die Toepfe und brennen
sie in freier . Luft. Weiter westwaerts von der Thongrube liegt die
Schlucht der *Mina* (Bergwerk). Nicht lange nach der Eroberung sollen
venetianische Goldschuerfer dort Gold aus dem Glimmerschiefer gewonnen
haben. Dieses Metall scheint hier nicht auf Quarzgaengen vorzukommen,
sondern im Gestein eingesprengt zu seyn, wie zuweilen im Granit und Gneiss.

Wir trafen in Maniquarez Kreolen, die von einer Jagdpartie auf Cubagua
kamen. Die Hirsche von der kleinen Art sind auf diesem unbewohnten Eilande
so haeufig, dass man taeglich drei und vier schiessen kann. Ich weiss nicht,
wie die Thiere hinuebergekommen sind; denn Laet und andere Chronisten des
Landes, die von der Gruendung von Neucadix berichten, sprechen nur von der
Menge Kaninchen auf der Insel. Der *Venado* auf Cubagua gehoert zu einer
der vielen kleinen amerikanischen Hirscharten, die von den Zoologen lange
unter dem allgemeinen Namen _Cervus Americanus_ zusammengeworfen wurden.
Er scheint mir nicht identisch mit der _Biche des Savanes_ von Guadeloupe
oder dem *Guazuti* in Paraguay, der auch in Rudeln lebt. Sein Fell ist auf
dem Ruecken rothbraun, am Bauche weiss; es ist gefleckt, wie beim Axis. In
den Ebenen am Cari zeigte man uns als eine grosse Seltenheit in diesen
heissen Laendern eine weisse Spielart. Es war eine Hirschkuh von der Groesse
des europaeischen Rehs und von aeusserst zierlicher Gestalt. *Albinos* kommen
in der Neuen Welt sogar unter den Tigern vor. Azara sah einen Jaguar, auf
dessen ganz weissem Fell man nur hier und da gleichsam einen Schatten von
den runden Flecken sah.

Fuer den merkwuerdigsten, man kann sagen fuer den wunderbarsten aller
Naturkoerper auf der Kueste von Araya gilt beim Volke der *Augenstein*,
_Piedra de los ojos_. Dieses Gebilde aus Kalkerde ist in aller Munde; nach
der Volksphysik ist es ein Stein und ein Thier zugleich. Man findet es im
Sande, und da ruehrt es sich nicht; nimmt man es aber einzeln auf und legt
es auf eine ebene Flaeche, z. B. auf einen Zinn- oder Fayence-Teller, so
bewegt es sich, sobald man es durch Citronsaft reizt. Steckt man es ins
Auge, so dreht sich das angebliche Tier um sich selbst und schiebt jeden
fremden Koerper heraus, der zufaellig ins Auge geraten ist. Auf der neuen
Saline und im Dorfe Maniquarez brachte man uns solche Augensteine zu
Hunderten, und die Eingeborenen machten uns den Versuch mit dem Citronsaft
eifrig vor. Man wollte uns Sand in die Augen bringen, damit wir uns selbst
von der Wirksamkeit des Mittels ueberzeugten. Wir sahen alsbald, dass diese
Steine die duennen, poroesen Deckel kleiner einschaliger Muscheln sind. Sie
haben 1-4 Linien Durchmesser; die eine Flaeche ist eben, die andere
gewoelbt. Diese Kalkdeckel brausen mit Zitronensaft auf und ruecken von der
Stelle, indem sich die Kohlensaeure entwickelt. In Folge aehnlicher Reaction
bewegt sich zuweilen das Brod im Backofen auf wagerechter Flaeche, was in
Europa zum Volksglauben an bezauberte Oefen Anlass gegeben hat. Die
_pietras de los ojos_ wirken, wenn man sie ins Auge schiebt, wie die
kleinen Perlen und verschiedene runde Samen, deren sich die Wilden in
Amerika bedienen, um den Thraenenfluss zu steigern. Diese Erklaerungen waren
aber gar nicht nach dem Geschmack der Einwohner von Araya. Die Natur
erscheint dem Menschen desto groesser, je geheimnissvoller sie ist, und die
Volksphysik weist alles von sich, was einfach ist.

Ostwaerts von Maniquarez an der Suedkueste liegen nahe an einander drei
Landzungen, genannt Punta de Soto, Punta de la Brea und Punta Guaratarito.
In dieser Gegend besteht der Meeresboden offenbar aus Glimmerschiefer, und
aus dieser Gebirgsart entspringt bei Punta de la Brea, aber achtzig Fuss
vom Ufer, eine *Naphthaquelle*, deren Geruch sich weit in die Halbinsel
hinein verbreitet. Man musste bis zum halben Leibe ins Wasser gehen, um die
interessante Erscheinung in der Naehe zu beobachten. Das Wasser ist mit
_Zostera_ bedeckt, und mitten in einer sehr grossen Bank dieses Gewaechses
sieht man einen freien runden Fleck von drei Fuss Durchmesser, auf dem
einzelne Massen von _Ulva lactuca_ schwimmen. Hier kommen die Quellen zu
Tag. Der Boden des Meerbusens ist mit Sand bedeckt, und das Bergoel, das
durchsichtig und von gelber Farbe der eigentlichen Naphtha nahe kommt,
sprudelt stossweise unter Entwicklung von Luftblasen hervor. Stampft man
den Boden mit den Fuessen fest, so sieht man die kleinen Quellen wegruecken.
Die Naphtha bedeckt das Meer ueber tausend Fuss [320 m] weit. Nimmt man an,
dass das Fallen der Schichten sich gleich bleibt, so muss der
Glimmerschiefer wenige Toisen unter dem Sande liegen.

Der Salzthon von Araya enthaelt festes, zerreibliches Bergoel. Dieses
geologische Verhaeltniss zwischen salzsaurem Natron und Erdpech kommt in
allen Steinsalzgruben und bei allen Salzquellen vor; aber als ein hoechst
merkwuerdiger Fall erscheint das Vorkommen einer Naphtaquelle in einer
Urgebirgsart. Alle bis jetzt bekannten gehoeren secundaeren Formationen an,
und dieser Umstand schien fuer die Annahme zu sprechen, dass alles
mineralische Harz Produkt der Zersetzung von Pflanzen und Thieren oder des
Brandes der Steinkohlen sey. Auf der Halbinsel Araya aber fliesst Naphtha
aus dem Urgebirge selbst, und diese Erscheinung wird noch bedeutender,
wenn man bedenkt, dass in diesem Urgebirge der Herd des unterirdischen
Feuers ist, dass man am Rande brennender Krater zuweilen Naphthageruch
bemerkt, und dass die meisten heissen Quellen Amerikas aus Gneis und
Glimmerschiefer hervorbrechen.

Nachdem wir uns in der Umgegend von Maniquarez umgesehen, bestiegen wir
ein Fischerboot, um nach Cumana zurueckzukehren. Nichts zeigt so deutlich,
wie ruhig die See in diesen Strichen ist, als die Kleinheit und der
schlechte Zustand dieser Kaehne, die ein sehr hohes Segel fuehren. Der Kahn,
den wir ausgesucht hatten, weil er noch am wenigsten beschaedigt war,
zeigte sich so leck, dass der Sohn des Steuermannes fortwaehrend mit einer
Tutuma, der Frucht der _Crescentia cujete_, das Wasser ausschoepfen musste.
Es kommt im Meerbusen von Cariaco,  besonders nordwaerts von der Halbinsel
Araya, nicht selten vor, dass die mit Kokosnuessen beladenen Piroguen
umschlagen, wenn sie zu nahe am Winde gerade gegen den Wellenschlag
steuern. Vor solchen Unfaellen fuerchten sich aber nur Reisende, die nicht
gut schwimmen koennen; denn wird die Pirogue von einem indianischen Fischer
mit seinem Sohne gefuehrt, so dreht der Vater den Kahn wieder um und macht
sich daran, das Wasser hinauszuschaffen, waehrend der Sohn schwimmend die
Kokosnuesse zusammenholt. In weniger als einer Viertelstunde ist die
Pirogue wieder unter Segel, ohne dass der Indianer in seinem
unerschoepflichen Gleichmut eine Klage haette hoeren lassen.

Die Einwohner von Araya, die wir auf der Rueckkehr vom Orinoco noch einmal
besuchten, haben nicht vergessen, dass ihre Halbinsel einer der Punkte ist,
wo sich am fruehesten Castilianer niedergelassen. Sie sprechen gerne von
der Perlenfischerei, von den Ruinen des Schlosses Santiago, das, wie sie
hoffen, einst wieder aufgebaut wird, ueberhaupt von dem, was sie den
ehemaligen Glanz des Landes nennen. In China und Japan gilt alles, was man
erst seit zweitausend Jahren kennt, fuer neue Erfindung; in den
europaeischen Niederlassungen erscheint ein Ereigniss, das dreihundert
Jahre, bis zur Entdeckung von Amerika hinausreicht, als ungemein alt.
Dieser Mangel an alter Ueberlieferung, der den jungen Voelkern in den
Vereinigten Staaten wie in den spanischen und portugiesischen Besitzungen
eigen ist, verdient alle Beachtung. Er hat nicht nur etwas Peinliches fuer
den Reisenden, der sich dadurch um den hoechsten Genuss der Einbildungskraft
gebracht sieht, er aeussert auch seinen Einfluss auf die mehr oder minder
starken Bande, die den Colonisten an den Boden fesseln, auf dem er wohnt,
an die Gestalt der Felsen, die seine Huette umgeben, an die Baeume, in deren
Schatten seine Wiege gestanden.

Bei den Alten, z. B. bei Phoeniziern und Griechen, gingen Ueberlieferungen
und geschichtliches Bewusstseyn des Volks vom Mutterland auf die Colonien
ueber, erbten dort von Geschlecht zu Geschlecht fort und aeusserten
fortwaehrend den besten Einfluss auf Geist, Sitten und Politik der
Ansiedler. Das Klima in jenen ersten Niederlassungen ueber dem Meere war
vom Klima des Mutterlandes nicht sehr verschieden. Die Griechen in
Kleinasien und aus Sicilien entfremdeten sich nicht den Einwohnern von
Argos, Athen und Corinth, von denen abzustammen ihr Stolz war. Grosse
Uebereinstimmuug in Sitte und Brauch that das ihrige dazu, eine Verbindung
zu befestigen, die sich auf religioese und politische Interessen gruendete.
Haeufig opferten die Colonien die Erstlinge ihrer Ernten in den Tempeln der
Mutterstaedte, und wenn durch einen unheilvollen Zufall das heilige Feuer
auf den Altaeren von Hestia erloschen war, so schickte man von hinten in
Jonien nach Griechenland und liess es aus den Prytaneen wieder holen.
Ueberall, in Cyrenaica wie an den Ufern des Sees Maeotis, erhielten sich
die alten Ueberlieserungen des Mutterlandes. Andere Erinnerungen, die
gleich maechtig zur Einbildungskraft sprechen, hafteten an den Colonien
selbst. Sie hatten ihre heiligen Haine, ihre Schutzgottheiten, ihren
lokalen Mythenkreis; sie hatten, was den Dichtungen der fruehesten
Zeitalter Leben und Dauer verleiht, ihre Dichter, deren Ruhm selbst ueber
das Mutterland Glanz verbreitete.

Dieser und noch mancher andern Vortheile entbehren die heutigen
Ansiedlungen. Die meisten wurden in einem Landstrich gegruendet, wo Klima,
Naturprodukte, der Anblick des Himmels und der Landschaft ganz anders sind
als in Europa. Wenn auch der Ansiedler Bergen, Fluessen, Thaelern Namen
beilegt, die an vaterlaendische Landschaften erinnern, diese Namen
verlieren bald ihren Reiz und sagen den nachkommenden Geschlechtern nichts
mehr. In fremdartiger Naturumgebung erwachsen aus neuen Beduerfnissen
andere Sitten; die geschichtlichen Erinnerungen verblassen allmaehlich, und
die sich erhalten, knuepfen sich fortan gleich Phantasiegebilden weder an
einen bestimmten Ort, noch an eine bestimmte Zeit. Der Ruhm Don Pelagio's
und des Cid Campeador ist bis in die Gebirge und Waelder Amerikas
gedrungen; dem Volk kommen je zuweilen diese glorreichen Namen auf die
Zunge, aber sie schweben seiner Seele vor wie Wesen aus einer idealen
Welt, aus dem Daemmer der Fabelzeit.

Der neue Himmel, das ganz veraenderte Klima, die physische Beschaffenheit
des Landes wirken weit staerker auf die gesellschaftlichen Zustaende in den
Colonien ein, als die gaenzliche Trennung vom Mutterland. Die Schifffahrt
hat im neuerer Zeit solche Fortschritte gemacht, dass die Muendungen des
Orinoco und Rio de la Plata naeher bei Spanien zu liegen scheinen, als
einst der Phasis und Tartessus von den griechischen und phoenicischen
Kuesten. Man kann auch die Bemerkung machen, dass sich in gleich weit von
Europa entfernten Laendern Sitten und Ueberlieferungen desselben im
gemaessigten Erdstrich und auf dem Ruecken der Gebirge unter dem Aequator
mehr erhalten haben, als in den Tieflaendern der heissen Zone. Die
Aehnlichkeit der Naturumgebung traegt in gewissem Grad dazu bei, innigere
Beziehungen zwischen den Colonisten und dem Mutterland aufrecht zu
erhalten. Dieser Einfluss physischer Ursachen auf die Zustaende jugendlicher
gesellschaftlicher Vereine tritt besonders auffallend hervor, wenn es sich
von Gliedern desselben Volksstannnes handelt, die sich noch nicht lange
getrennt haben. Durchreist man die neue Welt, so meint man ueberall da, wo
das Klima den Anbau des Getreides gestattet, mehr Ueberlieferungen, einem
lebendigeren Andenken an das Mutterlaud zu begegnen. In dieser Beziehung
kommen Pennsylvanien, Neu-Mexico und Chili mit den hochgelegenen Plateaus
von Quito und Neuspanien ueberein, die mit Eichen und Fichten bewachsen
sind.

Bei den Alten waren die Geschichte, die religioesen Vorstellungen und die
physische Beschaffenheit des Landes durch unausloesliche Bande verknuepft.
Um die Landschaften und die alten buergerlichen Stuerme des Mutterlandes zu
vergessen, haette der Ansiedler auch dem von seinen Voreltern ueberlieferten
Goetterglauben entsagen muessen. Bei den neueren Voelkern hat die Religion,
so zu sagen, keine Localfarbe mehr. Das Christenthum hat den Kreis der
Vorstellungen erweitert, es hat alle Voelker darauf hingewiesen, dass sie
Glieder Einer Familie sind, aber eben damit hat es das Nationalgefuehl
geschwaecht; es hat in beiden Welten die uralten Ueberlieferungen des
Morgenlandes verbreitet, neben denen, die ihm eigenthuemlich angehoeren.
Voelker von ganz verschiedener Herkunft und voellig abweichender Mundart
haben damit gemeinschaftliche Erinnerungen erhalten, und wenn durch die
Missionen in einem grossen Theil des neuen Festlandes die Grundlagen der
Cultur gelegt worden sind, so haben eben damit die christlichen
kosmogonischen und religioesen Vorstellungen ein merkbares Uebergewicht
ueber die rein nationalen Erinnerungen erhalten.

Noch mehr: die amerikanischen Colonien sind fast durchaus in Laendern
angelegt, wo die dahingegangenen Geschlechter kaum eine Spur ihres Daseyns
hinterlassen haben. Nordwaerts vom Rio Gila, an den Usern des Missouri, auf
den Ebenen, die sich im Osten der Anden ausbreiten, gehen die
Ueberlieferungen nicht ueber ein Jahrhundert hinauf. In Peru, in Guatimala
und in Mexico sind allerdings Truemmer von Gebaeuden, historische Malereien
und Bildwerke Zeugen der alten Kultur der Eingeborenen; aber in einer
ganzen Provinz findet man kaum ein paar Familien, die einen klaren Begriff
von der Geschichte der Incas und der mexikanischen Fuersten haben. Der
Eingeborene hat seine Sprache, seine Tracht und seinen Volkscharakter
behalten; aber mit dem Aufhoeren des Gebrauches der Quippus und der
symbolischen Malereien, durch die Einfuehrung des Christentums und andere
Umstaende, die ich anderswo auseinander gesetzt, sind die geschichtlichen
und religioesen Ueberlieferungen allmaehlich untergegangen. Andererseits
sieht der Ansiedler von europaeischer Abkunft veraechtlich auf alles herab,
was sich auf die unterworfenen Voelker bezieht. Er sieht sich in die Mitte
gestellt zwischen die fruehere Geschichte des Mutterlandes und die seines
Geburtslandes, und die eine ist ihm so gleichgueltig wie die andere; in
einem Klima, wo bei dem geringen Unterschied der Jahreszeiten der Ablauf
der Jahre fast unmerklich wird, ueberlaesst er sich ganz dem Genusses der
Gegenwart und wirft selten einen Blick in Vergangene Zeiten.

Aber auch welch ein Abstand zwischen der eintoenigen Geschichte neuerer
Niederlassungen und dem lebenvollen Bilde, das Gesetzgebung, Sitten und
politische Stuerme der alten Colonien darbieten! Ihre durch abweichende
Regierungsformen verschieden gefaerbte geistige Bildung machte nicht selten
die Eifersucht der Mutterlaender rege. Durch diesen gluecklichen Wetteifer
gelangten Kunst und Literatur in Jonien, Grossgriechenland und Sicilien zur
herrlichsten Entwicklung. Heutzutage dagegen haben die Colonien weder eine
eigene Geschichte noch eine eigene Literatur. Die in der neuen Welt haben
fast nie maechtige Nachbarn gehabt, und die gesellschaftlichen Zustaende
haben sich immer nur allgemach umgewandelt. Des politischen Lebens bar,
haben diese Handels- und Ackerbaustaaten an den grossen Welthaendeln immer
nur passiven Antheil genommen.

Die Geschichte der neuen Kolonien hat nur zwei merkwuerdige Ereignisse
aufzuweisen, ihre Gruendung und ihre Trennung vom Mutterlande. Da Erstere
ist reich an Erinnerungen, die sich wesentlich an die von den Colonisten
bewohnten Laender knuepfen; aber statt Bilder des friedlichen Fortschrittes
des Gewerbefleisses und der Entwickelung der Gesetzgebung in den Kolonien
vorzufuehren, erzaehlt diese Geschichte nur von veruebtem Unrecht und von
Gewaltthaten. Welchen Reiz koennen jene ausserordentlichen Zeiten haben, wo
die Spanier unter Carls V. Regierung mehr Mut als sittliche Kraft
entwickelten, und die ritterliche Ehre wie der kriegerische Ruhm durch
Fanatismus und Golddurst befleckt wurden? Die Colonisten sind von sanfter
Gemuethsart, sie sind durch ihre Lage den Nationalvorurtheilen enthoben,
und so wissen sie die Thaten bei der Eroberung nach ihrem wahren Werthe zu
schaetzen. Die Maenner, die sich damals ausgezeichnet, sind Europaeer, sind
Krieger des Mutterlandes. In den Augen des Colonisten sind sie Fremde,
denn drei Jahrhunderte haben hingereicht, die Bande des Blutes aufzuloesen.
Unter den "Konquistadoren" waren sicher rechtschaffene und edle Maenner,
aber sie verschwinden in der Masse und konnten der allgemeinen Verdammnis
nicht entgehen.

Ich glaube hiermit die hauptsaechlichsten Ursachen angegeben zu haben, aus
denen in den heutigen Kolonien die Nationalerinnerungen sich verlieren,
ohne dass andere, auf das nunmehr bewohnte Land sich beziehende, wuerdig in
ihre Stelle traeten. Dieser Umstand, wir koennen es nicht genug wiederholen,
aeussert einen bedeutenden Einfluss auf die ganze Lage der Ansiedler. In der
stuermevollen Zeit einer staatlichen Wiedergeburt sehen sie sich auf sich
selbst gestellt, und es ergeht ihnen, wie einem Volke, das es verschmaehte,
seine Geschichtsbuecher zu befragen und aus den Unfaellen vergangner
Jahrhunderte Lehren der Weisheit zu schoepfen.

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   44 Die Mannschaft der Schaluppe wurde haeufig von den Wellen durchnaesst;
      wir wissen aber, dass unter dieser Breite die Temperatur des
      Meerwassers nicht unter 23 deg. seyn kann, und dass die durch Verdunstung
      entstehende Abkuehlung in Naechten, wo die Lufttemperaur selten ueber
      25 deg. steigt, nur unbetraechtlich ist.

   45 "Welche Eiseskaelte. Ich friere, als waere ich auf dem Ruecken der
      Berge!" [Das provincielle Wort _emparamarse_ laesst sich nur durch
      lange Umschreibung wiedergeben. _Paramo_, peruanisch _Puna_ ist ein
      Name, den man auf allen Karten des spanischen Amerikas findet. Er
      bedeutet in den Colonien weder eine Wueste noch eine "_lande_",
      sondern einen gebirgigen, mit verkrueppelten Baeumen bewachsenen, den
      Winden ausgesetzten Landstrich, wo es bestaendig nasskalt ist. In der
      heissen Zone liegen die Paramos gewoehnlich 1600-2000 Toisen hoch. Es
      faellt haeufig Schnee, der nur ein paar Stunden liegen bleibt; denn
      man darf die Worte _Paramo_ und _Puna_ nicht, wie es den Geographen
      haeufig begegnet, mit dem Wort _Nevado_ peruanisch _Ritticapa_
      verwechseln, was einen zur Linie des ewigen Schnees emporragenden
      Berg bedeutet. Diese Begriffe sind fuer die Geologie und die
      Pflanzengeographie sehr wichtig, weil man in Laendern, wo noch kein
      Berggipfel gemessen ist, eine richtige Vorstellung von der
      *geringsten Hoehe* erhaelt, zu der sich die Cordilleren erheben, wenn
      man die Worte _Paramo_ und _Nevado_ aussucht. Da die Paramos fast
      bestaendig in kalten, dichten Nebel gehuellt sind, so sagt das Volk in
      Santa Fe und Mexico: _cae un paramito_, wenn ein feiner Regen faellt
      und die Lufttemperatur bedeutend abnimmt. Aus _Paramo_ hat man
      _emparamarse_ gemacht, d. h. frieren, als waere man auf dem Ruecken
      der Anden.

   46 Mit Ausnahme der Binnenmeere und der Laender, wo sich Polargletscher
      bilden. Dieses Sichgleichbleiben des Salzgehaltes des Meeres
      erinnert an die noch weit groessere Gleichfoermigkeit der Vertheilnng
      des Sauerstoffs im Luftmeer. In beiden Elementen wird das
      Gleichgewicht in der Loesung oder im Gemenge durch Stroemungen
      hergestellt und erhalten.

   47 "_Insularum Cubaguae et Coches quondam fuit dignitos, quum unionum
      captura floreret, nunc, illa deficiente, obscura admodum fama_"
      Laet. Nov. Orbis, p. 669. Dieser sorgfaeltige Compilater sagt, wo er
      von der Punta Araya spricht, weiter, das Land sey dergestalt in
      Vergessenheit gerathen, "_ut vix ulla alia Americae meridionalis
      pars hodie obscurior sit_"

   48 Es wundert mich, auf unsern Reisen nirgends gehoert zu haben, dass in
      Suedamerika Perlen in Suesswassermuscheln gefunden worden waeren, und
      doch kommen manche Arten der Gattung _Unio_ in den peruanischen
      Fluessen in grosser Menge vor.





SECHSTES KAPITEL


     Die Berge von Neuandalusien -- Das Tal von Cumanacoa -- Der Gipfel
               des Cocollar -- Missionen der Chaymasindianer


Unserem ersten Ausflug auf die Halbinsel Araya folgte bald ein zweiter und
lehrreicherer ins Innere des Gebirges zu den Missionen der
Chaymasindianer. Gegenstaende von mannigfaltiger Anziehungskraft sollten
uns dort in Anspruch nehmen. Wir betraten jetzt ein mit Waeldern bedecktes
Land; wir sollten ein Kloster besuchen, das im Schatten von Palmen und
Baumfarnen in einem engen Thale liegt, wo man, mitten im heissen Erdstrich,
koestliche Kuehle geniesst. In den benachbarten Bergen gibt es dort Hoehlen,
welchen von Tausenden von Nachtvoegeln bewohnt sind, und was noch
lebendiger zur Einbildungskraft spricht als alle Wunder der physischen
Welt, jenseits dieser Berge lebt ein vor Kurzem noch nomadisches Volk,
kaum aus dem Naturzustande getreten, wild, jedoch nicht barbarisch,
geistesbeschraenkt, nicht weil es lange versunken war, sondern weil es eben
nichts weiss. Zu diesen so maechtig anziehenden Gegenstaenden kamen noch
geschichtliche Erinnerungen. Am Vorgebirge Paria sah Kolumbus zuerst das
Festland; hier laufen die Taeler aus, die bald von den kriegerischen,
menschenfressenden Caraiben, bald von den zivilisierten Handelsvoelkern
Europas verwuestet wurden. Zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts wurden
die ungluecklichen Einwohner auf den Kuesten von Carupano, Macarapas und
Caracas behandelt, wie zu unsrer Zeit die Einwohner der Kueste von Guinea.
Bereits wurden die Antillen angebaut und man fuehrte dort die Gewaechse der
Alten Welt ein; aber in Terra Firma kam es lange zu keienr ordentlichen
und planmaessigen Niederlassung. Die Spanier besuchten die Kueste nur, um
sich mit Gewalt oder im Tauschhandel Sklaven, Perlen, Goldkoerner und
Farbholz zu verschaffen. Durch den Schein gewaltigen Religionseifers
meinte man diese unersaettliche Habsucht in eine hoehere Sphaere zu heben. So
hat jedes Jahrhundert seine eigene geistige und sittliche Farbe.

Der Handel mit den kupferfarbigen Eingebornen fuehrte zu denselben
Unmenschlichkeiten wie der Negerhandel; er hatte auch dieselben Folgen,
Sieger und Unterworfene verwilderten dadurch. Von Stunde an wurden die
Kriege unter den Eingeborenen haeufiger; die Gefangenen wurden aus dem
innern Lande an die Kueste geschleppt und an die Weissen verkauft, die sie
auf ihren Schiffen fesselten. Und doch waren die Spanier damals und noch
lange nachher eines der civilisirtesten Voelker Europas. Ein Abglanz der
Herrlichkeit, in der in Italien Kunst und Literatur bluehten, hatte sich
ueber alle Voelker verbreitet, deren Sprache dieselbe Quelle hat wie die
Sprache Dantes und Petrarcas. Man sollte glauben, in dieser maechtigen
geistigen Entwicklung, bei solch erhabenem Schwung der Einbildungskraft
haetten sich die Sitten saenftigen muessen. Aber jenseits der Meere, ueberall,
wo der Golddurst zum Missbrauch der Gewalt fuehrt, haben die europaeischen
Voelker in allen Abschnitten der Geschichte denselben Charakter entwickelt.
Das herrliche Jahrhundert Leos X. trat in der neuen Welt mit einer
Grausamkeit auf, wie man sie nur den finstersten Jahrhunderten zutrauen
sollte. Man wundert sich aber nicht so sehr ueber das entsetzliche Bild der
Eroberung von Amerika, wenn man daran denkt, was trotz der Segnungen einer
menschlicheren Gesetzgebung noch jetzt auf den Westkuesten von Afrika
vorgeht.

Der Sklavenhandel hatte dank den von Karl V. zur Geltung gebrachten
Gundsaetzen auf Terra Firma laengst aufgehoert; aber die Conquistadoren
setzten ihre Streifzuege ins Land fort, und damit den kleinen Krieg, der
die amerikanische Bevoelkerung herabbrachte, dem Nationalhass immer frische
Nahrung gab, auf lange Zeit die Keime der Cultur erstickte. Es war Pflicht
der Religion, dass sie der Menschheit einigen Trost brachte fuer die Greuel,
die in iherem Namen veruebt worden; sie fuehrte fuer die Eingeborenen das
Wort vor dem Richterstuhl der Koenige, sie widersetzte sich den
Gewalttaetigkeiten der Pfruendeninhaber, sie vereinigte umherziehende Staemme
zu den kleinen Gemeinden, die man *Missionen* nennt und die der
Entwickelung des Ackerbaues Vorschub leisten. So haben sich allmaehlich,
aber in gleichfoermiger, planmaessiger Entwicklung jene grossen moenchischen
Niederlassungen gebildet, jenes merkwuerdige Regiment, das immer darauf
hinausgeht, sich abzuschliessen, und Laender, die vier und fuenfmal groesser
sind als Frankreich, den Moenchsorden unterwirft.

Einrichtungen, die trefflich dazu dienten, dem Blutvergiessen Einhalt zu
thun und den ersten Grund zur gesellschaftlichen Entwicklung zu legen,
sind in der Folge dem Fortschritt derselben hindelich geworden. Die
Abschliessung hatte zur Folge, dass die Indianer so ziemlich blieben, was
sie waren, als ihre zerstreuten Huetten noch nicht um das Haus des
Missionars beisammen lagen. Ihre Zahl hat ansehnlich zugenommen,
keineswegs aber ihr geistiger Gesichtskreis.

Sie haben mehr und mehr von der Charakterstaerke und der natuerlichen
Lebendigkeit eingebuesst, die aus allen Stufen menschlicher Entwicklung die
edlen Fruechte der Unabhaengigkeit sind. Man hat Alles bei ihnen, sogar die
unbedeutendsten Verrichtungen des haeuslichen Lebens, der unabaenderlichen
Regel unterworfen, und so hat man sie gehorsam gemacht, zugleich aber auch
dumm. Ihr Lebensunterhalt ist meist gesicherter, ihre Sitten sind milder
geworden; aber der Zwang und das truebselige Einerlei des Missionsregiments
lastet auf ihnen und ihr duesteres, verschlossenes Wesen verraeth, wie
ungern sie die Freiheit der Ruhe zum Opfer gebracht haben. Die Moenchszucht
innerhalb der Klostermauern entzieht zwar dem Staate nuetzliche Buerger,
indessen mag sie immerhin hie und da Leidenschaften zur Ruhe bringen,
grosse Schmerzen lindern, der geistigen Vertiefung foerderlich seyn; aber in
die Wildnisse der neuen Welt verpflanzt, auf alle Beziehungen des
buergerlichen Lebens angewendet, muss sie desto verderblicher wirken, je
laenger sie andauert. Sie haelt von Geschlecht zu Geschlecht die geistige
Entwicklung nieder, sie hemmt den Verkehr unter den Voelkern, sie weist
Alles ab, was die Seele erhebt und den Vorstellungskreis erweitert. Aus
allen diesen Ursachen zusammen verharren die Indianer in den Missionen in
einem Zustand von Uncultur, der Stillstand heissen muesste, wenn nicht auch
die menschlichen Vereine denselben Gesetzen gehorchten, wie die
Entwicklung des menschlichen Geistes ueberhaupt, wenn sie nicht
Rueckschritte machten, eben weil sie nicht fortschreiten.

Am 4. September um 5 Uhr morgens brachen wir zu unserem Ausflug zu den
Chaymas-Indianern und in die hohe Gebirgsgruppe von Neu-Andalusien auf.
Man hatte uns geraten, wegen der sehr beschwerlichen Wege unser Gepaeck
moeglichst zu beschraenken. Zwei Lasttiere reichten auch hin, unseren
Mundvorrat, unsere Instrumente und das noetige Papier zum Pflanzentrocknen
zu tragen. In derselben Kiste waren ein Sextant, ein Inclinationscompass,
ein Apparat zur Ermittlung der magnetischen Declination, Thermometer und
ein Saussure'scher Hygrometer. Auf diese Jnstrumente beschraenkten wir uns
bei kleineren Ausfluegen immer. Mit dem Barometer musste noch vorsichtiger
umgegangen werden, als mit dem Chronometer, und ich bemerke hier, dass kein
Instrument dem Reisenden mehr Last und Sorge macht. Wir liessen ihn in den
fuenf Jahren von einem Fuehrer tragen, der uns zu Fuss begleitete, aber
selbst diese ziemlich kostspielige Vorsicht schuetzte ihn nicht immer vor
Beschaedigung. Nachdem wir die Zeiten von Ebbe und Fluth im Luftmeere genau
beobachtet, das heisst die Stunden, zu denen der Barometer unter den Tropen
taeglich regelmaessig steigt und faellt, sahen wir ein, dass wir das Relief des
Landes mittelst des Barometers wuerden aufnehmen koennen, ohne
correspondirende Beobachtungen in Cumana zu Huelfe zu nehmen. Die groessten
Schwankungen im Luftdruck betragen in diesem Klima an der Kueste nur
1-1,3 Linien, und hat man ein einziges mal, an welchem Ort und zu welcher
Stunde es sey, die Quecksilberhoehe beobachtet, so lassen sich mit
ziemlicher Wahrscheinlichkeit die Abweichungen von diesem Stand das ganze
Jahr hindurch und zu allen Stunden des Tages und der Nacht angeben. Es
ergibt sich daraus, dass im heissen Erdstrich durch den Mangel an
correspondirenden Beobachtungen nicht leicht Fehler entstehen koennen, die
mehr als 12-15 Toisen ausmachen, was wenig zu bedeuten hat, wenn es sich
von geologischen Aufnahmen, oder vom Einfluss der Hoehe auf das Klima und
die Vertheilung der Gewaechse handelt.

Der Morgen war koestlich kuehl. Der Weg oder vielmehr der Fusspfad nach
Cumanacoa fuehrt am rechten Ufer des Manzanares hin ueber das
Kapuzinerhospiz, das in einem kleinen Gehoelze von Gayacbaeumen und
baumartigen Capparis liegt. Nachdem wir von Cumana aufgebrochen, hatten
wir auf dem Huegel von San Francisco in der kurzen Morgendaemmerung eine
weite Aussicht ueber die See, ueber die mit goldgelb bluehender Bava
[_Zygophyllum arboreum, Jacq._] bedeckte Ebene und die Berge des
Brigantin. Es fiel uns auf, wie nahe uns die Cordillere gerueckt schien,
bevor die Scheibe der ausgehenden Sonne den Horizont erreicht hatte. Das
Blau der Berggipfel ist dunkler, ihre Umrisse erscheinen schaerfer, ihre
Massen treten deutlicher hervor, so lange nicht die Durchsichtigkeit der
Luft durch die Duenste beeintraechtigt wird, die Nachts in den Thaelern
lagern und im Maasse, als die Luft sich zu erwaermen beginnt, in die Hoehe
steigen.

Beim Hospiz Divina Pastora wendet sich der Weg nach Nordost und laeuft zwei
Meilen ueber einen baumlosen Landstrich, der frueher Seeboden war. Man
findet hier nicht nur Cactus, Buesche des cistusblaetterigen Tribulus und
die schoene purpurfarbige Euphorbie, die in Havana unter dem seltsamen
Namen _Dictamno real_ gezogen wird, sondern auch _Aviceunia_, _Allionia_,
_Peruvium_, _Thalinum_ und die meisten Portulaceen, die am Golf von
Cariaco vorkommen. Diese geographische Vertheilung der Gewaechse weist, wie
es scheint, auf den Umriss der alten Kueste hin und spricht dafuer, dass, wie
oben bemerkt worden, die Huegel, an deren Suedabhang wir hinzogen, einst
eine durch einen Meeresarm vom Festland getrennte Insel bildeten.

Nach zwei Stunden Weges gelangten wir an den Fuss der hohen Bergkette im
Inneren, die vom Brigantin bis zum Cerro de San Lorenzo von Ost nach West
streicht. Hier beginnen neue Gebirgsarten und damit ein anderer Habitus
des Pflanzenwuchses. Alles erhaelt einen grossartigeren, malerischeren
Charakter. Der quellenreiche Boden ist nach allen Richtungen von
Wasserfaeden durchzogen. Baeume von riesiger Hoehe, mit Schlinggewaechsen
bedeckt, steigen aus den Schluchten empor; ihre schwarze, von der
Sonnengluth und vom Sauerstoff der Luft verbrannte Rinde sticht ab vom
frischen Gruen der Pothos und der Dracontien, deren lederartige glaenzende
Blaetter nicht selten mehrere Fuss lang sind. Es ist nicht anders, als ob
unter den Tropen die parasitischen Monocotyledonen die Stelle des Mooses
und der Flechten unserer noerdlichen Landstriche vertraeten. Je weiter wir
kamen, desto mehr erinnerten uns die Gesteinmassen sowohl nach Gestalt als
Gruppierung an Schweizer und Tiroler Landschaften. In diesen
amerikanischen Alpen wachsen noch in bedeutenden Hoehen Helikonien,
Cosstus, Maranta und andere Pflanzen aus der Familie der Canna-Arten, die
in der Naehe der Kueste nur niedrige, feuchte Orte aufsuchen. So kommt es,
dass die heisse Erdzone und das noerdliche Europa die interessante
Eigentuemlichkeit gemein haben, dass in einer bestaendig mit Wasserdampf
erfuellten Luft, wie auf einem vom schmelzenden Schnee durchfeuchteten
Boden die Vegetation in den Gebirgen ganz den Charakter einer
Sumpfvegetation zeigt.

Wir kamen in der Schlucht los Frailes und zwischen Cuesta de Caneyes und
dem Rio Guriental an Huetten vorbei, die von Mestizen bewohnt sind. Jede
Huette liegt mitten in einem Gehege, das Bananenbaeume, Melonenbaeume,
Zuckerrohr und Mais einfriedigt. Man muesste sich wundern, wie klein diese
Flecke urbar gemachten Landes sind, wenn man nicht bedaechte, dass ein mit
Pisang angepflanzter Morgen Landes gegen zwanzigmal mehr Nahrungsstoff
liefert, als die gleiche mit Getreide bestellte Flaeche. In Europa bedecken
unsere nahrhaften Grasarten, Weizen, Gerste, Roggen, weite Landstrecken;
ueberall, wo die Voelker sich von Cerealien naehren, stossen die bebauten
Grundstuecke nothwendig an einander. Anders in der heissen Zone, wo der
Mensch sich Gewaechse aneignen konnte, die ihm weit reichere und fruehere
Ernten liefern. In diesen gesegneten Landstrichen entspricht die
unermessliche Fruchtbarkeit des Bodens der Gluthhitze und der Feuchtigkeit
der Lust. Ein kleines Stueck Boden, auf dem Bananenbaeume, Manioc, Yams und
Mais stehen, ernaehrt reichlich eine zahlreiche Bevoelkerung. Dass die Huetten
einsam im Walde zerstreut liegen, wird fuer den Reisenden ein Merkmal der
Ueberfuelle der Natur; oft reicht ein ganz kleiner Fleck urbaren Landes fuer
den Bedarf mehrerer Familien hin.

Diese Betrachtungen ueber den Ackerbau in heissen Landstrichen erinnern von
selbst daran, welch inniger Verband zwischen dem Umfang des urbar
gemachten Landes und dem gesellschaftlichen Fortschritt besteht. So gross
die Fuelle der Lebensmittel ist, die dieser Reichthum des Bodens, die
strotzende Kraft der organischen Natur hervorbringt, dennoch wird die
Culturentwicklung der Voelker dadurch niedergehalten. In einem milden,
gleichfoermigen Klima kennt der Mensch kein anderes dringendes Beduerfniss
als das der Nahrung. Nur wenn dieses Beduerfniss sich geltend macht, fuehlt
er sich zur Arbeit getrieben, und man sieht leicht ein, warum sich im
Schoosse des Ueberflusses, im Schatten von Bananen- und Brodfruchtbaeumen,
die Geistesfaehigkeiten nicht so rasch entwickeln als unter einem strengen
Himmel, in der Region der Getreidearten, wo unser Geschlecht in ewigem
Kampf mit den Elementen liegt. Wirft man einen Blick auf die von
ackerbautreibenden Voelkern bewohnten Laender, so sieht man, dass die
bebauten Grundstuecke durch Wald von einander getrennt bleiben oder
unmittelbar an einander stossen, und dass solches nicht nur von der Hoehe der
Bevoelkerung, sondern auch von der Wahl der Nahrungsgewaechse bedingt wird.
In Europa schaetzen wir die Zahl der Einwohner nach der Ausdehnung des
urbaren Landes; unter den Tropen dagegen, im heissesten und feuchtesten
Striche von Suedamerika, scheinen sehr stark bevoelkerte Provinzen beinahe
wueste zu liegen, weil der Mensch zu seinem Lebensunterhalt nur wenige
Morgen bebaut.

Diese Umstaende, die alle Aufmerksamkeit verdienen, geben sowohl der
physischen Gestaltung des Landes als dem Charakter der Bewohner ein
eigenes Gepraege; beide erhalten dadurch in ihrem ganzen Wesen etwas
Wildes, Rohes, wie es zu einer Natur passt, deren urspruengliche
Physiognomie durch die Kunst noch nicht verwischt ist. Ohne Nachbarn, fast
ohne allen Verkehr mit Menschen, erscheint jede Ansiederfamilie wie ein
vereinzelter Volksstamm. Diese Vereinzelung hemmt den Fortschritt der
Kultur, die sich nur in dem Maass entwickeln kann, als der Menschenverein
zahlreicher wird und die Bande zwischen den einzelnen sich fester knuepfen
und vervielfaeltigen; die Einsamkeit entwickelt aber auch und staerkt im
Menschen das Gefuehl der Unabhaengigkeit und Freiheit; sie naehrt jenen
Stolz, der von jeher die Voelker von castilianischem Blute ausgezeichnet
hat.

Dieselben Ursachen, deren maechtiger Einfluss uns weiterhin noch oft
beschaeftigen wird, haben zur Folge, dass dem Boden, selbst in den am
staerksten bevoelkerten Laendern des tropischen Amerika, der Anstrich von
Wildheit erhalten bleibt, der in gemaessigten Klimaten sich durch den
Getreidebau verliert. Unter den Tropen nehmen die ackerbauenden Voelker
weniger Raum ein; die Herrschaft des Menschen reicht nicht so weit; er
tritt nicht als unumschraenkter Gebieter auf, der die Bodenoberflaeche nach
Gefallen modelt, sondern wie ein fluechtiger Gast, der in Ruhe des Segens
der Natur geniesst. In der Umgegend der volkreichsten Staedte starrt der
Boden noch immer von Waeldern oder ist mit einem dichten Pflanzenfilz
ueberzogen, den niemals eine Pflugschar zerrissen hat. Die wildwachsenden
Pflanzen beherrschen noch durch ihre Masse die angebauten Gewaechse und
bestimmen allein den Charakter der Landschaft. Allem Vermuthen nach wird
dieser Zustand nur aeusserst langsam einem andern Platz machen. Wenn in
unsern gemaessigten Landstrichen es besonders der Getreidebau ist, der dem
urbaren Lande einen so truebselig eintoenigen Anstrich gibt, so erhaelt sich,
aller Wahrscheinlichkeit nach, in der heissen Zone selbst bei zunehmender
Bevoelkerung die Grossartigkeit der Pflanzengestalten, das Gepraege einer
jungfraeulichen, ungezaehmten Natur, wodurch diese so unendlich anziehend
und malerisch wird. So werden denn, in Folge einer merkwuerdigen
Verknuepfung physischer und moralischer Ursachen, durch Wahl und Ertrag der
Nahrungsgewaechse drei wichtige Momente vorzugsweise bestimmt: das
gesellige Beisammenleben der Familien oder ihre Vereinzelung, der raschere
oder langsamere Fortschritt der Cultur, und die Physiognomie der
Landschaft.

Je tiefer wir in den Wald hineinkamen, desto mehr zeigte uns das
Barometer, dass der Boden mehr anstieg. Die Baumstaemme boten uns hier einen
ganz eigenen Anblick; eine Grasart mit quirlfoermigen Zweigen klettert,
gleich einer Liane, acht, zehn Fuss [2,6 bis 3,25 m hoch] und bildet ueber
dem Wege Gewinde, die sich im Luftzuge schaukeln. Gegen drei Uhr
nachmittags hielten wir auf einer kleinen Hochebene an, *Quetepe* genannt,
die etwa 190 Toisen [370 m] ueber dem Meere liegt. Es stehen hier einige
Huetten an einer Quelle, deren Wasser bei den Eingeborenen als sehr kuehl
und gesund beruehmt ist. Wir fanden das Wasser wirklich ausgezeichnet; es
zeigte 22,5 deg. der hundertteiligen Scale (18 deg. R.), waehrend das Thermometer
an der Luft auf 28,7 deg. stand. Die Quellen, die von benachbarten hoeheren
Bergen herabkommen, geben haeufig eine zu rasche Abnahme der Luftwaerme an.
Nimmt man als mittlere Temperatur des Wassers an der Kueste von Cumana 26 deg.
an, so folgt daraus, wenn nicht andere lokale Ursachen auf die Temperatur
der Quellen Einfluss aeussern, dass die Quelle von Quetepe sich erst in mehr
als 350 Toifen absoluter Hoehe so bedeutend abkuehlt. Da hier von Quellen
die Rede ist, die in der heissen Zone in der Ebene oder in unbedeutender
Hoehe zu Tage kommen, so sey bemerkt, dass nur in Laendern, wo die mittlere
Sommertemperatur von der durchschnittlichen des ganzen Jahres bedeutend
abweicht, die Einwohner in der heissesten Jahreszeit sehr kaltes
Quellwasser trinken koennen. Die Lappen bei Umeo und Soersele, unter dem 65.
Breitegrad, erfrischen sich an Quellen, deren Temperatur im August kaum
2 bis 3 Grad ueber dem Frierpunkt steht, waehrend bei Tage die Luftwaerme im
Schatten auf 26 oder 27 Grad steigt. In unsern gemaessigten Landstrichen, in
Frankreich und Deutschland, ist der Abstand zwischen der Luft und den
Quellen niemals ueber 16-17 Grad, und unter den Tropen steigt er selten auf
6-7 Grad. Man gibt sich leicht Rechenschaft von diesen Erscheinungen, wenn
man weiss, dass die Temperatur in der Tiefe des Bodens und die der
unterirdischen Quellen fast ganz uebereinkonnnt mit der mittleren
Jahrestemperatur der Luft, und dass diese von der mittleren Sommerwaerme
desto mehr abweicht, je mehr man sich vom Aequator entfernt. -- Die
magnetische Inclination war in Quetepe 40 deg.,7 der hunderttheiligen Scale,
der Cyanometer gab das Blau des Himmels im Zenith nur zu 84 deg. an, ohne
Zweifel weil die Regenzeit seit mehreren Tagen begonnen und die Luft
bereits Wasserdunst aufgenommen hatte.

Auf einem Sandsteinhuegel ueber der Quelle hatten wir eine prachtvolle
Aussicht auf das Meer, das Vorgebirge Macanao und die Halbinsel
Maniquarez. Ein ungeheurer Wald breitete sich zu unseren Fuessen bis zum
Ocean hinab; die Baumwipfel, mit Lianen behangen, mit langen
Bluethenbuescheln gekroent, bildeten einen ungeheuren gruenen Teppich, dessen
tiefdunkle Faerbung das Licht in der Luft noch glaenzender erscheinen liess.
Dieser Anblick ergriff uns um so mehr, da uns hier zum erstenmal die
Vegetation der Tropen in ihrer Massenhaftigkeit entgegentrat. Auf dem
Huegel von Quetepe, unter den Staemmen von _Malpighia corolloboefolia_ mit
stark lederartigen Blaettern, in Gebueschen von _Polygala montana_, brachen
wir die ersten Melastomen, namentlich die schoene Art, die unter dem Namen
_Melastoma rufescens_ beschrieben worden. Dieser Aussichtspunkt wird uns
lange in Gedaechtnis bleiben; der Reisende behaelt die Orte lieb, wo er
zuerst ein Pflanzengeschlecht angetroffen, das er bis dahin nie wild
wachsend gesehen.

Weiter gegen Suedwest wird der Boden duerr und sandig; wir erstiegen eine
ziemlich hohe Berggruppe, welche die Kueste von den grossen Ebenen oder
Savannen an den Ufern des Orinoko trennt. Der Teil dieser Berggruppe,
durch den der Weg nach Cumanacoa laeuft, ist pflanzenlos und faellt gegen
Nord und Sued steil ab. Er fuehrt den Namen *Imposible*, weil man meint, bei
einer feindlichen Landung wuerden die Einwohner von Cumana auf diesem
Gebirgskamm eine Zufluchtsstaette finden. Wir kamen kurz vor
Sonnenuntergang auf dem Gipfel an, und ich konnte eben noch ein paar
Stundenwinkel aufnehmen, um mittelst des Chronometers die Laenge des Orts
zu bestimmen.

Die Aussicht auf dem Imposible ist noch schoener und weiter als auf der
Ebene Quetepe. Deutlich konnten wir mit blossem Auge den abgestutzten
Gipfel des Brigantin, dessen geographische Lage genau zu kennen so wichtig
waere, den Landungsplatz und die Rhede von Cumana sehen. Die Felsenkueste
von Araya lag nach ihrer ganzen Laenge vor uns. Besonders fiel uns die
merkwuerdige Bildung eines Hafens auf, den man _Laguna grande_ oder _Laguna
de Obispo_ nennt. Ein weites, von hohen Bergen umgebenes Becken steht
durch einen schmalen Canal, durch den nur Ein Schiff fahren kann, mit dem
Meerbusen von Cariaco in Verbindung. In diesem Hafen, den Fidalgo genau
aufgenommen hat, koennten mehrere Geschwader neben einander ankern. Es ist
ein voellig einsamer Ort, den nur einmal im Jahr die Fahrzeuge besuchen,
welche Maulthiere nach den Antillen bringen. Hinten in der Bucht liegen
einige Weiden. Unser Blick verfolgte die Windungen des Meeresarms, der
sich wie ein Fluss durch senkrechte, kahle Felsen sein Bett gegraben hat.
Dieser merkwuerdige Anblick erinnert an die phantastische Landschaft, die
Leonardo da Vinci aus dem Hintergrund seines beruehmten Bildnisses der
Joconda [Mona Lisa, Gattin des Francesco del Gioconde] angebracht hat.

Wir konnten mit dem Chronometer den Moment beobachten, in dem die
Sonnenscheibe den Meereshorizont beruehrte. Die erste Beruehrung fand statt
um 6 Uhr 8 Minuten 13 Secunden, die zweite um 6 Uhr 10 Min. 26 Sec.
mittlere Zeit. Diese Beobachtung, die fuer die Theorie der irdischen
Strahlenbrechung nicht ohne Belang ist, wurde auf dem Gipfel des Berges in
296 Toisen absoluter Hoehe angestellt. Mit dem Untergang der Sonne trat
eine sehr rasche Abkuehlung der Luft ein. Drei Minuten nach der letzten
scheinbaren Beruehrung der Scheibe mit dem Meereshorizont fiel das
Thermometer ploetzlich von 25,2 deg. auf 21,3 deg.. Wurde diese auffallende
Abkuehlung etwa durch einen aufsteigenden Strom bewirkt? Die Luft war
indessen ruhig und kein wagrechter Luftzug zu bemerken.

Die Nacht brachten wir in einem Hause zu, wo ein Militaerposten von acht
Mann unter einem spanischen Unteroffizier liegt. Es ist ein Hospiz, das
neben einem Pulvermagazin liegt und wo der Reisende alle Bequemlichkeit
findet. Dasselbe Commando bleibt fuenf bis sechs Monate lang auf dem Berg.
Man nimmt dazu vorzugsweise Soldaten, die *Chacras* oder Pflanzungen in
der Gegend haben. Als nach der Einnahme der Insel Trinidad durch die
Englaender im Jahr 1797 der Stadt Cumana ein Angriff drohte, fluechteten
sich viele Einwohner nach Cumanacoa und brachten ihre werthvollste Habe in
Schuppen unter, die man in der Eile auf dem Gipfel des Imposible
aufgeschlagen. Man war entschlossen, bei einem ploetzlichen feindlichen
Ueberfall nach kurzem Widerstand das Schloss San Antonio aufzugeben und die
ganze Kriegsmacht der Provinz um den Berg zusammenzuziehen, der als der
Schluessel der Llanos anzusehen ist. Die kriegerischen Ereignisse, deren
Schauplatz nach der seitdem eingetretenen politischen Umwaelzung diese
Gegend wurde, haben bewiesen, wie richtig jener erste Plan berechnet war.

Der Gipfel des Imposible ist, soweit meine Beobachtung reicht, mit einem
quarzigen, versteinerungslosen Sandstein bedeckt. Die Schichten desselben
streichen hier wie auf dem Ruecken der benachbarten Berge ziemlich
regelmaessig von Nord-Nord-Ost nach Sued-Sued-West. Diese Richtung ist auch im
Urgebirge der Halbinsel Araya und laengs der Kueste von Venezuela die
haeufigste. Am noerdlichen Abhang des Imposible, bei Penas Negras, kommt aus
dem Sandstein, der mit Schieferthon wechsellagert, eine starke Quelle zu
Tag. Man sieht an diesem Punkt von Nordwest nach Suedost streichende,
zerbrochene, fast senkrecht ausgerichtete Schichten.

Die Llaneros, das heisst die Bewohner der Ebenen, schicken ihre Produkte,
namentlich Mais, Leder und Vieh ueber den Imposible in den Hafen von
Cumana. Wir sahen rasch hintereinander Indianer oder Mulatten mit
Maulthieren ankommen. Der einsame Ort erinnerte mich lebhaft an die
Naechte, die ich oben auf dem St. Gotthard zugebracht. Es brannte an
mehreren Stellen in den weiten Waldungen um den Berg. Die roethlichen, halb
in ungeheure Rauchwolken gehuellten Flammen gewaehrten das grossartigste
Schauspiel. Die Einwohner zuenden die Waelder an, um die Weiden zu
verbessern und das Unterholz zu vertilgen, unter dem das Gras erstickt,
das hierzulande schon selten genug ist. Haeufig entstehen auch ungeheure
Waldbraende durch die Unvorsichtigkeit der Indianer, die auf ihren Zuegen
die Feuer, an denen sie gekocht haben, nicht ausloeschen. Durch diese
Zufaelle sind auf dem Wege von Cumana nach Cumanacoa die alten Baeume
seltener geworden; und die Einwohner machen die richtige Bemerkung, dass an
verschiedenen Orten der Provinz die Trockenheit zugenommen habe, nicht
allein weil der Boden durch die vielen Erdbeben von Jahr zu Jahr mehr
zerklueftet wird, sondern auch weil er nicht mehr so stark bewaldet ist wie
zur Zeit der Eroberung.

Ich stand Nachts auf, um die Breite des Orts nach dem Durchgang Fomahaults
durch den Meridian zu bestimmen. Es war Mitternacht; ich starrte vor
Kaelte, wie unser Fuehrer, und doch stand der Thermometer noch auf 19 deg.,7
(15 deg. R.). In Cumana sah ich ihn nie unter 21 deg. fallen; aber das Haus auf
dem Imposible, in dem wir die Nacht zubrachten, lag auch 258 Toisen ueber
dem Meeresspiegel. Bei der Casa de la Polvora beobachtete ich die
Inclination der Magnetnadel; sie war gleich 40 deg.,5. Die Zahl der
Schwingungen in zehn Minuten Zeit betrug 233; die Intensitaet der
magnetischen Kraft hatte somit zwischen der Kueste und dem Berg zugenommen,
was vielleicht von eisenschuessigem Gestein herruehrte, das die auf dem
Alpenkalk gelagerten Sandsteinschichten enthalten mochten.

Am 5. September vor Sonnenaufgang brachen wir vom Imposible auf. Der Weg
abwaerts ist fuer Lasttiere sehr gefaehrlich; der Pfad ist meist nur 15 Zoll
[40 cm] breit und laeuft beiderseits an Abgruenden hin. Im Jahr 1797 hatte
man sehr zweckmaessig beschlossen, von St. Fernando bis an den Berg eine
gute Strasse anzulegen. Die Strasse war sogar zu einem Drittheil bereits
fertig; leider hatte man damit in der Ebene am Fuss des Imposible begonnen,
und das schwierigste Stueck des Wegs wurde gar nicht in Angriff genommen.
Die Arbeit gerieth aus einer der Ursachen ins Stocken, aus denen aus allen
Fortschrittsprojekten in den spanischen Colonien nichts wird. Verschiedene
Civilbehoerden nahmen das Recht in Anspruch, die Arbeit mit zu leiten. Das
Volk bezahlte geduldig den Zoll fuer einen Weg, der gar nicht da war, bis
der Statthalter von Cumana den Missbrauch abstellte.

Wenn man vom Imposible herabkommt, sieht man den Alpenkalk unter dem
Sandstein wieder zum Vorschein kommen. Da die Schichten meist nach Sued und
Suedost fallen, so kommen am Suedabhang des Berges sehr viele Quellen zu
Tag. In der Regenzeit werden diese Quellen zu reissenden Bergstroemen, die
im Schatten von Hura, Cuspa und Cecropia mit silberglaenzenden Blaettern
niederstuerzen.

Die *Cuspa*, die in der Umgegend von Cumana und Bordones ziemlich haeufig
vorkommt, ist ein den europaeischen Botanikern noch unbekannter Baum. Er
diente lange nur als Bauholz uns seit dem Jahre 1797 unter dem Namen
Cascarilla oder Quinquina von Neuandalusien beruehmt geworden. Sein Stamm
wird kaum 15 bis 20 Fuss [5 bis 6,5 m] hoch; seine wechselstaendigen Blaetter
sind glatt, ganzrandig, eifoermig. Seine sehr duenne, blassgelbe Rinde ist
ein ausgezeichnetes Fiebermittel; dieselbe hat sogar mehr Bitterkeit als
die Rinden der echten Cinchonen, aber diese Bitterkeit ist nicht so
unangenehm. Die Cuspa wird mit sehr guten Erfolg als weingeistiger Extrakt
und als waesseriger Aufguss sowohl bei Wechselfiebern als bei boesartigen
Fiebern gegeben. Emparan, der Statthalter von Cumana, hat den Aerztn in
Cadiz einen ansehnlichen Vorrat davon geschickt, und nach den kuerzlichen
Mittheilungen Don Pedro Francos, Pharmaceuten am Militaerspital zu Cumana,
hat man in Europa die Cuspa fuer fast ebenso wirksam erklaert, als die
Quinquina von Santa Fe. Man behauptet, in Pulverform gereicht, habe sie
vor letzterer den Vorzug, da sie bei Kranken mit geschwaechtem Unterleib
den Magen weniger angreife.

Als wir aus der Schlucht, die sich am Imposible hinabzieht, herauskamen,
betraten wir einen dichten Wald, durch den eine Menge kleiner Fluesse
laufen, die man leicht durchwatet. Wir machten die Bemerkung, dass die
Cecropia, die durch die Stellung ihrer Aeste und den schlanken Stamm an
den Palmenhabitus erinnert, je nachdem der Boden duerr oder sumpfig ist,
mehr oder weniger silberfarbige Blaetter treibt. Wir sahen Staemme, deren
Laub auf beiden Seiten ganz gruen war. Die Wurzeln dieser Baeume waren unter
Bueschen von Dorstenia versteckt, die nur feuchte, schattige Orte liebt.
Mitten im Wald, an den Ufern des Rio Erdeno, findet man, wie am Suedabhang
des Cocollar, Melonenbaeume und Orangenbaeume mit grossen suessen Fruechten wild
wachsend. Es sind wahrscheinlich Ueberbleibsel einiger Conucas oder
indianischer Pflanzungen; denn auch der Orangenbaum kann in diesen
Landstrichen nicht zu den urspruenglich hier heimischen Gewaechsen gerechnet
werden, so wenig wie der Pisang, der Melonenbaum, der Mais, der Manioc und
so viele andere nutzbare Gewaechse, deren eigentliche Heimat wir nicht
kennen, obgleich sie den Menschen seit uralter Zeit auf seinen Wanderungen
begleitet haben.

Wenn ein eben aus Europa angekommener Reisender zum erstenmal die Waelder
Suedamerikas betritt, so hat er ein ganz unerwartetes Naturbild vor sich.
Alles was er sieht, erinnert nur entfernt an die Schilderungen, welche
beruehmte Schriftsteller an den Ufern des Mississippi, in Florida und in
andern gemaessigten Laendern der neuen Welt entworfen haben. Bei jedem
Schritt fuehlt er, dass er sich nicht an den Grenzen der heissen Zone
befindet, sondern mitten darin, nicht auf einer der antillischen Inseln,
sondern auf einem gewaltigen Continent, wo Alles riesenhaft ist, Berge,
Stroeme und Pflanzenmassen. Hat er Sinn fuer landschaftliche Schoenheit, so
weiss er sich von seinen mannigfaltigen Empfindungen kaum Rechenschaft zu
geben. Er weiss nicht zu sagen, was mehr sein Staunen erregt, die
feierliche Stille der Einsamkeit oder die Schoenheit der einzelnen
Gestalten und ihrer Kontraste oder die Kraft und die Fuelle des
vegetabilischen Lebens. Es ist als haette der mit Gewaechsen ueberladene
Boden gar nicht Raum genug zu ihrer Entwicklung. Ueberall verstecken sich
die Baumstaemme hinter einen gruenen Teppich, und wollte man all die
Orchideen, die Pfeffer- und Pothosarten, die auf einem einzigen
Heuschreckenbaum oder amerikanischen Feigenbaum [_Ficus gigantea._]
wachsen, sorgsam verpflanzen, so wuerde ein ganzes Stueck Land damit
bedeckt. Durch diese wunderliche Aufeinanderfolge erweitern die Waelder,
wie die Fels und Gebirgswaende, den Bereich der organischen Natur. --
Dieselben Lianen, die am Boden kriechen, klettern zu den Baumwipfeln empor
und schwingen sich, mehr als hundert Fuss [30 m] hoch, vom einen zum
anderen. So kommt es, dass, da die Schmarotzergewaechse sich ueberall
durcheinander wirren, der Botaniker Gefahr laeuft, Blueten, Fruechte und
Laub, die verschiedenen Arten gehoeren, zu verwechseln.

Wir wanderten einige Stunden im Schatten dieser Woelbungen, durch die man
kaum hin und wieder den blauen Himmel sieht. Er schien mir um so tiefer
indigoblau, da das Gruen der tropischen Gewaechse meist einen sehr
kraeftigen, ins Braeunliche spiegelnde Ton hat. Zerstreute Felsmassen waren
mit einem grossen Baumfarn bewachsen, der sich vom _Polypodium arboreum_
der Antillen wesentlich unterscheidet. Hier sahen wir zum erstenmal jene
Nester in Gestalt von Flaschen oder kleinen Taschen, die an den Aesten der
niedrigsten Baeume aufgehaengt sind. Es sind Werke des bewunderungswuerdigen
Bautriebes der Drosseln, deren Gesang sich mit dem heiseren Geschrei der
Papageien und Aras mischte. Die letzteren, die wegen der lebhaften Farben
ihres Gefieders allgemein bekannt sind, flogen nur paarweise, waehrend die
eigentlichen Papageien in Schwaermen von mehreren hundert Stueck
umherfliegen. Man muss in diesen Laendern, besonders in den heissen Thaelern
der Anden gelebt haben, um es fuer moeglich zu halten, dass zuweilen das
Geschrei dieser Voegel das Brausen der Bergstroeme, die von Fels zu Fels
stuerzen, uebertoent.

Eine starke Meile vor dem Dorfe San Fernando kamen wir aus dem Walde
heraus. Ein schmaler Fusspfad fuehrt auf mehreren Umwegen in ein offenes,
aber ausnehmend feuchtes Land. Unter dem gemaessigten Himmelsstrich haetten
unter solchen Umstaenden Graeser und Riedgraeser einen weiten Wiesenteppich
gebildet; hier wimmelte der Boden von Wasserpflanzen mit pfeilfoermigen
Blaettern, besonders von Canna-Arten, unter denen wir die prachtvollen
Bluethen der Costus, der Thalien und Heliconien erkannten. Diese saftigen
Gewaechse werden acht bis zehn Fuss hoch, und wo sie dicht beisammen stehen,
koennten sie in Europa fuer kleine Waelder gelten. Das herrliche Bild eines
Wiesgrundes und eines mit Blumen durchwirkten Rasens ist den niedern
Landstrichen der heissen Zone fast ganz fremd und findet sich nur auf den
Hochebenen der Anden wieder.

Bei San Fernando war die Verdunstung unter den Strahlen der Sonne so
stark, dass wir, da wir sehr leicht gekleidet waren, durchnaesst wurden, wie
in einem Dampfbade. Am Wege wuchs eine Art Bambusrohr, das die Indianer
Jagua oder Guadua nennen und das ueber vierzig Fuss [13 m] hoch wird. Nichts
kann zierlicher sein als diese baumartige Grasart. Form und Stellung der
Blaetter geben ihr ein Ansehen von Leichtigkeit, das mit dem hohen Wuchs
angenehm kontrastiert. Der glatte, glaenzende Stamm der Jagua ist meist den
Bauchufern zugeneigt und schwankt beim leisesten Luftzuge hin und her. So
hoch auch das Rohr [_Arundo donax_] im mittaeglichen Europa waechst, so gibt
es doch keinen Begriff vom Aussehen der baumartigen Graeser, und wollte ich
nur meine eigene Erfahrung sprechen lassen, so moechte ich behaupten, dass
von allen Pflanzengestalten unter den Tropen keine die Einbildungskraft
des Reisenden mehr anregt als der Bambus und der Baumfarn.

Die ostindischen Bambus, die _calumets des hauts_ [_Bambusa_, oder
vielmehr _Nestus alpina_] der Insel Bourbon, der Guaduas Suedamerikas,
vielleicht sogar die riesenhaften Arundinarien an den Ufern des
Mississippi, gehoeren derselben Pflanzengruppe an. In Amerika sind aber die
Bambusanen nicht so haeufig, als man gewoehnlich glaubt. In den Suempfen sind
auf den grossen unter Wasser stehenden Ebenen am untern Orinoco, am Apure
und Atabapo fehlen sie fast ganz, wogegen sie im Nordwesten, in Neugrenada
und im Koenigreich Quito mehrere Meilen lange dichte Waelder bilden. Der
westliche Abhang der Anden erscheint als ihre eigentliche Heimath, und was
ziemlich auffallend ist, wir haben sie nicht nur in tiefen, kaum ueber dem
Meer gelegenen Landstrichen, sondern auch in den hohen Thaelern der
Cordilleren bis in 860 Toisen Meereshoehe angetroffen.

Der Weg mit dem Bambusgebuesch zu beiden Seiten fuehrte uns zum kleinen
Dorfe San Fernando, das auf einer schmalen, von sehr steilen
Kalksteinwaenden umgebenen Ebene liegt. Es war die erste Mision, die wir in
Amerika betraten.(49) Die Haeuser oder vielmehr Huetten der Chaymasindianer
sind weit auseinander gerueckt und nicht von Gaerten umgeben. Die breiten
geraden Strassen schneiden sich unter rechten Winkeln; die sehr duennen,
unsoliden Waende bestehen aus Letten oder Lianenzweigen. Die gleichfoermige
Bauart, das ernste schweigsame Wesen der Einwohner, die ausnehmende
Reinlichkeit in den Haeusern, alles erinnert an die Gemeinden der
maehrischen Brueder. Jede indianische Familie baut draussen vor dem Dorfe
ausser ihren eigenen Garten den *Conuco de la comunidad*. In diesem
arbeiten die Erwachsenen beider Geschlechter morgens und abends je eine
Stunde. In den Missionen, die der Kueste zu liegen, ist der Gemeindegarten
meist eine Zucker- oder Indigoplantage, welcher der Missionar vorsteht,
und deren Ertrag, wenn das Gesetz streng befolgt wird, nur zur Erhaltung
der Kirche und zur Anschaffung von Paramenten verwendet werden darf. Auf
dem grossen Platze mitten im Dorfe stehen die Kirche, die Wohnung des
Missionars und das bescheidene Gebaeude, das pomphaft *Case des Rey*,
"koenigliches Haus", betitelt wird. Es ist eine foermliche Karawanserei, wo
die Reisenden Obdach finden, und, wie wir oft erfahren, eine wahre Wohltat
in einem Lande, wo das Wort Wirtshaus noch unbekannt ist. Die _Casas des
Rey_ findet man in allen spanischen Kolonien, und man koennte meinen, sie
seyen eine Nachahmung der nach dem Gesetze Manco-Capacs errichteten
*Tambos* in Peru.

Wir waren an die Ordensleute, die den Missionen der Chaymas-Indianer
vorstehen, durch ihren Syndicus in Cumana empfohlen. Diese Empfehlung kam
uns desto mehr zu statten, als die Missionaere, sey es aus Besorgniss fuer
die Sittlichkeit ihrer Pfarrkinder, oder um die moenchische Zucht der
zudringlichen Neugier Fremder zu entziehen, oft an einer alten Verordnung
festhalten, nach welcher kein Weisser weltlichen Standes sich laenger als
eine Nacht in einem indianischen Dorfe aufhalten darf. Will man in den
spanischen Missionen angenehm reisen, so darf man sich meist nicht allein
auf den Pass des Madrider Staatssecretariats oder der Civilbehoerden
verlassen, man muss sich mit Empfehlungen geistlicher Behoerden versehen; am
wirksamsten sind die der Gardians der Kloester und der in Rom residirenden
Ordensgenerale, vor denen die Missionare weit mehr Respekt haben als vor
den Bischoefen. Die Missionen bilden, ich sage nicht nach ihren
urspruenglichen canonischen Satzungen, aber thatsaechlich eine so ziemlich
unabhaengige Hierarchie fuer sich, die in ihren Ansichten selten mit der
Weltgeistlichkeit uebereinstimmt.

Der Missionar von San Fernando war ein sehr bejahrter, aber noch sehr
kraeftiger und munterer Kapuziner aus Aragon. Seine bedeutende
Koerperrundung, sein guter Humor, sein Interesse fuer Gefechte und
Belagerungen stimmten schlecht zu der Vorstellung, die man sich im Norden
vom schwaermerischen Truebsinn und dem beschaulichen Leben der Missionare
macht. So viel ihm auch eine Kuh zu tun gab, die des anderen Tages
geschlachtet werden sollte, empfing uns doch der alte Ordensmann ganz
freundlich und erlaubte uns, unsere Haengematten in einem Gange seines
Hauses zu befestigen. Er sass den groessten Teil des Tages ueber in einem
grossen Armstuhle von rotem Holz und beklagte sich bitter ueber die Traegheit
und Unwissenheit seiner Landsleute. Er richtete tausenderlei Fragen an uns
ueber den eigentlichen Zweck unserer Reise, die ihm sehr gewagt und zum
wenigsten ganz unnuetz schien. Hier wie am Orinoco wurde es uns sehr
beschwerlich, dass sich die Spanier mitten in den Waeldern Amerikas fuer die
Kriege und politischer Stuerme der alten Welt immer noch so lebhaft
interessiren.

Unser Missionaer schien uebrigens mit seiner Stellung vollkommen zufrieden.
Er behandelte die Indianer gut, er sah die Mission gedeihen, er pries in
begeisterten Worten das Wasser, die Bananen, die Milch des Landes. Als er
unsere Instrumente, unsere Buecher und getrockneten Pflanzen sah, konnte er
sich eines boshaften Laechelns nicht enthalten, und er gestand mit der in
diesem Klima landesueblichen Naivitaet, von allen Genuessen dieses Lebens,
den Schlaf nicht ausgenommen, sey doch gutes Kuhfleisch, *carne de vaca*,
der koestlichste; die Sinnlichkeit quillt eben ueberall ueber, wo es an
geistiger Beschaeftigung fehlt. Oft bat uns unser Wirth, mit ihm die Kuh zu
besuchen, die er eben gekauft hatte, und am andern Tage bei Tagesanbruch
mussten wir sie nach Landessitte schlachten sehen; man machte ihr einen
Schnitt durch die Haeckse, ehe man ihr das breite Messer in die Halswirbel
stiess. So widrig dieses Geschaeft war, so lernten wir dabei doch die
ausnehmende Fertigkeit der Chaymas kennen, deren acht in weniger als
zwanzig Minuten das Thier in kleine Stuecke zerlegten. Die Kuh hatte nur
sieben Piaster gekostet, und diess galt fuer sehr viel. Am selben Tag hatte
der Missionar einem Soldaten aus Cumana, der ihm nach mehreren
vergeblichen Versuchen endlich am Fuss die Ader geschlagen, achtzehn
Piaster bezahlt. Dieser Fall, so unbedeutend er scheint, zeigt recht
auffallend, wie hoch in uncultivirten Laendern die Arbeit dem Werth der
Naturprodukte gegenueber im Preise steht.

Die Mission San Fernando wurde zu Ende des siebzehnten Jahrhunderts an der
Stelle gegruendet, wo die kleinen Fluesse Manzanares und Lucasperez sich
vereinigen. Eine Feuersbrunst, welche die Kirche und die Huetten der
Indianer in Asche legte, gab den Anlass, dass die Kapuziner das Dorf an dem
schoenen Punkt, wo es jetzt liegt, wieder aufbauten. Die Zahl der Familien
ist auf hundert gestiegen, und der Missionar machte gegen uns die
Bemerkung, dass der Brauch, die jungen Leute im dreizehnten oder
vierzehnten Jahre zu verheirathen, zu dieser raschen Zunahme der
Bevoelkerung viel beitrage. Er zog in Abrede, dass die Chaymas-Indianer so
frueh altern, als die Europaeer gewoehnlich glauben. Das Regierungswesen in
diesen indianischen Gemeinden ist uebrigens sehr verwickelt; sie haben
ihren Gobernador, ihre Alguazils Majors und ihre Milizoffiziere, und diese
Beamten sind lauter kupferfarbene Eingeborene. Die Schuetzencompagnie hat
ihre Fahnen und uebt sich mit Bogen und Pfeilen im Zielschiessen; es ist die
Buergerwehr des Landes. Solch kriegerische Anstalten und einem rein
moenchischen Regiment kamen uns sehr seltsam vor.

In der Nacht vom fuenften September und am andern Morgen lag ein dicker
Nebel, und doch waren wir nur hundert Toisen ueber dem Meeresspiegel. Bevor
wir aufbrachen, mass ich geometrisch den grossen Kalkberg, der achthundert
Toisen suedlich von San Fernando liegt und nach Norden steil abfaellt. Sein
Gipfel ist nur 215 Toisen hoeher als der grosse Dorfplatz, aber kahle
Felsmassen, die sich aus der dichten Pflanzendecke erheben, geben ihm
etwas sehr Grossartiges.

Der Weg von San Fernando nach Cumana fuehrt ueber kleine Pflanzungen durch
ein offenes feuchtes Tal. Wir wateten durch viele Baeche. Im Schatten stand
das Thermometer nicht ueber 30 deg., wir waren ab er unmittelbar den
Sonnenstrahlen ausgesetzt, weil die Bambus am Wege nur wenig Schutz
gewaehren, und wir hatten stark von der Hitze zu leiden. Wir kamen durch
das Dorf Arenas, das von Indianers desselben Stammes wie die von San
Fernando bewohnt ist; aber Arenas ist keine Mission mehr; die Eingeborenen
stehen unter einem Pfarrer und sind nicht so nackt und kultivierter als
jene. Ihre Kirche ist im Lande wegen einiger rohen Malereien bekannt; auf
einem schmalen Fries sind Guerteltiere, Kaimane, Jaguare und andere Tiere
der Neuen Welt abgebildet.

In diesem Dorfe wohnt ein Landmann Namens Francisco Lozano, der eine
physiologische Merkwuerdigkeit ist, und der Fall macht Eindruck auf die
Einbildungskraft, wenn er auch den bekannten Gesetzen der organischen
Natur vollkommen entspricht. Der Mann hat einen Sohn mit seiner eigenen
Milch aufgezogen. Die Mutter war krank geworden, da nahm der Vater das
Kind, um es zu beruhigen, zu sich ins Bett und drueckte es an die Brust.
Lozano, damals zweiundreissig Jahre alt, hatte es bis dahin nicht bemerkt,
dass er Milch gab, aber infolge der Reizung der Brustwarze, an der das Kind
saugte, schoss die Milch ein. Dieselbe war fett und sehr suess. Der Vater war
nicht wenig erstaunt, als seine Brust schwoll, und saeugte fortan das Kind
fuenf Monate lang zwei-, dreimal des Tages. Seine Nachbarn wurden
aufmerksam auf ihn, er dachte aber nicht daran, die Neugierde auszubeuten,
wie er wohl in Europa getan haette. Wir sahen das Protokoll, das ueber den
merkwuerdigen Fall aufgenommen worden. Augenzeugen desselben leben noch,
und sie versicherten uns, der Knabe habe waehrend des Stillens nichts
bekommen als die Milch des Vaters. Lozano war nicht zu Hause, als wir die
Missionen bereisten, besuchte uns aber in Cumana. Er kam mit seinem Sohne,
der schon 13 bis 14 Jahre als war. Bonpland untersuchte die Brust des
Vaters genau und fand sie runzlig, wie bei Weibern, die gesaeugt haben. Er
bemerkte, dass besonders die linke Brust sehr ausgedehnt war, und Lozano
erklaerte dies aus dem Umstande, dass niemals beide Brueste gleich viel Milch
gegeben. Der Statthalter Don Vicente Emparan hat eine ausfuehrliche
Beschreibung des Falles nach Cadiz geschickt.

Es kommt bei Menschen und Thieren nicht gar selten vor, dass die Brust
maennlicher Individuen Milch enthaelt, und das Klima scheint auf diese mehr
oder weniger reichliche Absonderung keinen merkbaren Einfluss zu aeussern.
Die Alten erzaehlen von der Milch der Boecke aus Lemnos und Corsica; Noch in
neuester Zeit war in Hannover ein Bock, der jahrelang einen Tag um den
anderen gemolken wurde und mehr Milch gab als die Ziegen. Unter den
Merkmalen der vermeintlichen Schwaechlichkeit der Amerikaner fuehren die
Reisenden auch auf, dass die Maenner Milch in den Bruesten haben [Man hat
sogar alles Ernstes behauptet, in einem Teile Brasiliens werden die Kinder
von den Maennern, nicht von den Weibern gesaeugt.]. Es ist indessen hoechst
unwahrscheinlich, dass solches bei einem ganzen Volksstamm in irgend einem
der heutigen Reisenden unbekannten Landstriche Amerikas beobachtet worden
sein sollte, und ich kann versichern, dass der Fall gegenwaertig in der
Neuen Welt nicht haeufiger vorkommt als in der Alten. Der Landmann in
Arenas, dessen Geschichte wir soeben erzaehlt, ist nicht vom kupferfarbenen
Stamm der Chaymas, er ist ein Weisser von europaeischem Blut. Ferner haben
Petersburger Anatomen die Beobachtung gemacht, dass Milch in den Bruesten
der Maenner beim niederen russischen Volke weit haeufiger vorkommt, als bei
suedlicheren Voelkern, und die Russen haben nie fuer schwaechlich und weibisch
gegolten.

Es gibt unter den mancherlei Spielarten unseres Geschlechts eine, bei der
der Busen zur Zeit der Mannbarkeit einen ansehnlichen Umfang erhaelt.
Lozano gehoerte nicht dazu, und er versicherte uns wiederholt, erst durch
die Reizung der Brust in Folge des Saugens sey bei ihm die Milch gekommen.
Dadurch wird bestaetigt, was die Alten beobachtet haben: "Maenner, die etwas
Milch haben, geben ihrer in Menge, sobald man an den Bruesten saugt."
[_Aristoteles, Historia animalium. Lib. III. c. 20_] Diese sonderbare
Wirkung eines Nervenreizes war den griechischen Schaefern bekannt; die auf
dem Berge Oeta rieben den Ziegen, die noch nicht geworfen hatten, die
Euter mit Nesseln, um die Milch herbeizulocken.

Ueberblickt man die Lebenserscheinungen in ihrer Gesammtheit, so zeigt
sich, dass keine ganz fuer sich allein steht. In allen Jahrhunderten werden
Beispiele erzaehlt von jungen, nicht mannbaren Maedchen oder von bejahrten
Weibern mit eingeschrumpften Bruesten, welche Kinder saeugten. Bei Maennern
kommt solches weit seltener vor, und nach vielem Suchen habe ich kaum zwei
oder drei Faelle finden koennen. Einer wird vom veronesischen Anatomen
Alexander Benedictus angefuehrt, der am Ende des fuenfzehnten Jahrhunderts
lebte. Er erzaehlt, ein Syrier habe nach dem Tode der Mutter sein Kind, um
es zu beschwichtigen, an die Brust gedrueckt. Sofort schoss die Milch so
stark ein, dass der Vater sein Kind allein saeugen konnte. Andere Beispiele
werden von Santorellus, Feria und Robert, Bischof von Cork, berichtet. Da
die meisten dieser Faelle ziemlich entlegenen Zeiten angehoeren, ist es von
Interesse fuer die Physiologie, dass die Erscheinung zu unserer Zeit
bestaetigt werden konnte. Sie haengt uebrigens genau mit dem Streit ueber die
Endursachen zusammen. Dass auch der Mann Brueste hat, ist den Philosophen
lange ein Stein des Anstosses gewesen, und noch neuerdings hat man geradezu
behauptet: "Die Natur habe die Faehigkeit zu saeugen dem einen Geschlecht
versagt, weil diese Faehigkeit gegen die Wuerde des Mannes waere."

In der Naehe der Stadt Cumanacoa wird der Boden ebener und das Thal nach
und nach weiter. Die kleine Stadt liegt auf einer kahlen, fast
kreisrunden, von hohen Bergen umgebenen Ebene und nimmt sich von aussen
sehr truebselig aus. Die Bevoelkerung ist kaum 2300 Seelen stark; zur Zeit
des Vaters Caulin im Jahr 1753 betrug sie nur 600. Die Haeuser sind sehr
niedrig, unsolid und, drei oder vier ausgenommen, saemmtlich aus Holz. Wir
brachten indessen unsere Instrumente ziemlich gut beim Verwalter der
Tabaksregie, Don Juan Sanchez, unter, einem liebenswuerdigen, geistig sehr
regsamen Mann. Er hatte uns eine geraeumige, bequeme Wohnung einrichten
lassen; wir blieben vier Tage hier und er liess sich nicht abhalten, uns
auf allen unsern Ausfluegen zu begleiten.

Cumanacoa wurde im Jahre 1717 von Domingo Arias gegruendet, als er von
einem Kriegszuge zurueckkam, den er an die Muendung des Guarapiche
unternommen, um eine von franzoesischen Freibeutern begonnene Niederlassung
zu zerstoeren. Die Stadt hiess anfangs San Baltazar de las Arias, aber der
indische Name verdraengte jenen, wie der Name Caracas den Namen Santiago de
Leon, den man noch haeufig auf unseren Karten sieht, in Vergessenheit
gebracht hat.

Als wir den Barometer oeffneten, sahen wir zu unserer Ueberraschung das
Quecksilber kaum 7,3 Linien tiefer stehen als an der Kueste, und doch
schien das Instrument in ganz gutem Stand. Die Ebene, oder vielmehr das
Plateau, auf dem Cumanacoa steht; liegt nicht mehr als 104 Toisen ueber dem
Meeresspiegel, und diess ist drei oder viermal weniger, als man in Cumana
glaubt, weil man dort von der Kaelte in Cumanacoa die uebertriebensten
Vorstellungen hat. Aber der klimatische Unterschied zwischen zwei so nahen
Orten ruehrt vielleicht weniger von der hohen Lage des letzteren her als
von oertlichen Verhaeltnissen, wozu wir rechnen, dass die Waelder sehr nahe,
die niedergehenden Luftstroeme, wie in allen eingeschlossenen Thaelern,
haeufig, die Regenniederschlaege und die Nebel sehr stark sind, wodurch
einen grossen Theil des Jahres hindurch die unmittelbare Wirkung der
Sonnenstrahlen geschwaecht wird. Da die Waermeabnahme unter den Tropen und
Sommers in der gemaessigten Zone ungefaehr gleich ist, so sollte der geringe
Hoehenunterschied von 100 Toisen nur einen Unterschied in der mittleren
Temperatur von 1 bis 11/2 Grad verursachen; wir werden aber bald sehen, dass
derselbe ueber vier Grad betraegt. Dieses kuehle Klima faellt um so mehr auf,
da es noch in der Stadt Carthago, in Tomependa am Ufer des Amazonenstroms
und in den Thaelern von Aragua, westwaerts von Caracas, sehr heiss ist,
lauter Orte, die in 200-480 Toisen absoluter Meereshoehe liegen. In der
Ebene wie im Gebirge laufen die Linien gleicher Waerme (Isothermen) nicht
immer dem Aequator oder der Erdoberflaeche parallel, und darin besteht eben
die grosse Aufgabe der Meteorologie, den Lauf dieser Linien zu ermitteln
und durch alle von oertlichen Ursachen bedingte Abweichungen hindurch die
constanten Gesetze der Waermevertheilung zu erfassen.

Der Hafen von Cumana liegt von Cumanacoa nur etwa sieben Seemeilen. Am
ersteren Orte regnet es fast nie, waehrend an letzterem die Regenzeit sechs
bis sieben Monate dauert. Die trockene Jahreszeit waehrt in Cumanacoa von
der Winter- bis zur Sommer- Tag- und Nachtgleiche. Strichregen sind im
April, Mai und Juni ziemlich haeufig; spaeter wird es wieder sehr trocken,
vom Sommersolstitium bis Ende August; nunmehr tritt die eigentliche
Regenzeit ein, die bis zum November anhaelt und in der das Wasser in
Stroemen vom Himmel giesst. Nach der Breite von Cumanacoa geht die Sonne das
einemal am 16. April, das anderemal am 27. August durch das Zenith, und
aus dem eben Angefuehrten geht hervor, dass diese beiden Durchgaenge mit dem
Eintreten der grossen Regenniederschlaege und der starken elektrischen
Entladungen zusammenfallen.

Unser erster Aufenthalt in den Missionen fiel in die Regenzeit. Jede Nacht
war der Himmel mit schweren Wolken wie mit einem dichten Schleier umzogen,
und nur durch Ritzen im Gewoelk konnte ich ein paar Sternbeobachtungen
anstellen. Das Thermometer stand auf 18,5-20 deg. (14 deg.,8-16 deg. R.), und dies ist
in der heissen Zone und fuer das Gefuehl des Reisenden, der von der Kueste
herkommt, bedeutend kuehl. In Cumana sah ich die Temperatur bei Nacht
niemals unter 21 deg. sinken. Der Delucsche Hygrometer zeigte in Cumanacoa
85 deg., und, was auffallend ist, sobald das Gewoelk sich zerstreute und die
Sterne in ihrer ganzen Pracht leuchteten, ging das Instrument aus 55 deg.
zurueck. Gegen Morgen nahm die Temperatur wegen der starken Verdunstung nur
langsam zu und noch um zehn Uhr war sie nicht ueber 21 deg.. Am heissesten ist
es von Mittag bis drei Uhr, wo dann der Thermometer auf 26-27 deg. steht. Zur
Zeit der groessten Hitze, etwa zwei Stunden nach dem Durchgang der Sonne
durch den Meridian, zog fast regelmaessig ein Gewitter auf, das auch zum
Ausbruch kam. Dicke, schwarze, sehr niedrig ziehende Wolken loesten sich in
Regen auf; diese Guesse dauerten zwei bis drei Stunden, und waehrend
derselben fiel der Thermometer um 5-6 Grad. Gegen fuenf Uhr hoerte der Regen
ganz auf, die Sonne kam aber bis zum Untergang nicht leicht zum Vorschein
und der Hygrometer ging dem Trockenpunkte zu; aber um acht oder neun Uhr
Abends waren wir schon wieder in eine dicke Wolkenschicht gehuellt. Dieser
Witterungswechsel erfolgt, wie man uns versicherte, durchaus gesetzmaessig
Monate lang einen Tag wie den andern, und doch laesst sich nicht der
geringste Luftzug spueren. Nach vergleichenden Beobachtungen muss ich
annehmen, dass es in Cumanacoa bei Nacht um 2-3, bei Tag um 4-5 Grad kuehler
ist als in Cumana. Diese Unterschiede sind sehr bedeutend, und wenn man
statt meteorologischer Instrumente nur sein Gefuehl befragte, so wuerde man
sie fuer noch bedeutender halten.

Die Vegetation auf der Ebene um die Stadt ist sehr einfoermig, aber infolge
der grossen Feuchtigkeit der Luft ungemein frisch. Ihre
Haupteigentuemlichkeiten sind ein baumartiges Solanum, das 13 m hoch wird,
die _Urtica baccifera_ und eine neue Art der Gattung _Guettarda_. Der
Boden ist sehr fruchtbar und er waere auch leicht zu bewaessern, wenn man
von den vielen Baechen, deren Quellen das ganze Jahr nicht versiegen,
Kanaele zoege. Das wichtigste Erzeugnis ist der Tabak, und nur diesem
verdankt es die kleine, schlecht gebaute Stadt, wenn sie einen gewissen
Ruf hat. Seit der Einfuehrung der Pacht (_Estanco real de Tabaco_) im Jahre
1779 ist der Tabaksbau in der Provinz Cumana fast ganz auf Cumanacoa
beschraenkt. Die ganze Tabaksernte muss an die Regierung verkauft werden,
und um dem Schmuggel zu steuern, oder vielmehr nur ihn einzuschraenken,
liess man geradezu nur an einem Punkte Tabak bauen. Aufseher streifen durch
das Land; sie zerstoeren jede Anpflanzung, die sie ausserhalb der zum Bau
angewiesenen Distrikte finden, und geben die Ungluecklichen an, die es
wagen, selbstgemachte Cigarren zu rauchen. Diese Aufseher sind meist
Spanier und fast eben so grob wie die Menschen, die in Europa dieses
Handwerk treiben. Diese Grobheit hat nicht wenig dazu beigetragen, den Hass
zwischen den Colonien und dem Mutterland zu schueren.

Nach dem Tabak auf der Insel Cuba und dem vom Rio Negro hat der Cumana am
meisten Arom. Er uebertrifft allen aus Neuspanien und der Provinz Varinas.
Wir theilen Einiges ueber den Bau desselben mit, weil er sich wesentlich
vom Tabaksbau in Virginien unterscheidet. Schon der Umstand, dass im Thale
von Cumanacoa die Gewaechse aus der Familie der Solaneen so ausnehmend
stark entwickelt sind, besonders die vielen Arten von _Solanum
arborescens_, von _Aquartia_ und _Cestrum_ weisen darauf hin, dass hier der
Boden fuer den Tabaksbau sehr geeignet seyn muss. Die Aussaat wird im
September vorgenommen; zuweilen wartet man damit bis zum Dezember, was
aber fuer den Ausfall der Ernte nicht so gut ist. Die Wurzelblaetter zeigen
sich am achten Tage; man bedeckt die jungen Pflanzen mit grossen
Heliconien- und Bananenblaettern, um sie der unmittelbaren Einwirkung der
Sonne zu entziehen, und reutet das Unkraut, das unter den Tropen furchtbar
schnell aufschiesst, sorgfaeltig aus. Der Tabak wird sofort einen und einen
halben Monat, nachdem der Samen aufgegangen, in einen fetten, gut
gelockerten Boden versetzt. Die Pflanzen werden in geraden Reihen drei,
vier Fuss voneinander gesteckt; man jaetet sie fleissig und koepft den
Hauptstengel mehrmals, bis blaeulich gruene Flecken auf den Blaettern als
Wahrzeichen der *Reife* sich zeigen. Im vierten Monat faengt man an sie
abzunehmen, und diese erste Ernte ist in wenigen Tagen vorueber. Besser
waere es, die Blaetter nacheinander abzunehmen, so wie sie trocken werden.
In guten Jahren schneiden die Pflanzer den Stock, wenn der vier Fuss hoch
ist, ab, und der Wurzelschoss treibt so rasch neue Blaetter, dass sie schon
am 13. oder 14. Tage geerntet werden koennen. Diese haben sehr lockeres
Zellgewebe; sie enthalten mehr Wasser, mehr Eiweiss und weniger von dem
scharfen, fluechtigen, im Wasser schwer loeslichen Stoff, an den die
eigenthuemlich reizende Wirkung des Tabaks gebunden scheint.

Der Tabak wird in Cumanacoa nach dem Verfahren behandelt, das bei den
Spaniern _de cura seca_ heisst. Man haengt die Blaetter an Cocuizafasern
[_Agave americana_] auf, loest die Rippen ab und dreht sie zu Straengen. Der
zubereitete Tabak sollte im Juni in die koeniglichen Magazine geschafft
werden, aber aus Faulheit und weil sie dem Bau des Mais und des Maniok
mehr Aufmerksamkeit schenken, machen die Leute den Tabak selten vor August
fertig. Begreiflich verlieren die Blaetter an Arom, wenn sie zu lange der
feuchten Luft ausgesetzt bleiben. Der Verwalter laesst den Tabak sechzig
Tage unberuehrt in den koeniglichen Magazinen liegen; dann schneidet man die
Buendel auf, um die Qualitaet zu pruefen. Findet der Verwalter den Tabak gut
zubereitet, so bezahlt er dem Pflanzer fuer die Aroba von fuenfundzwanzig
Pfund drei Piaster. Dasselbe Gewicht wird auf Rechnung der Krone fuer zwoelf
einen halben Piaster wieder verkauft. Der faule (_potrido_) Tabak, d. h.
der noch einmal gegaehrt hat, wird oeffentlich verbrannt, und der Pflanzer,
der von der koeniglichen Pacht Vorschuesse erhalten hat, kommt
unwiderruflich um die Fruechte seiner langen Arbeit. Wir sahen auf dem
grossen Platz Haufen von fuenfhundert Arobas vernichten, aus denen man in
Europa sicher Schnupftabak gemacht haette.

Der Boden von Cumanacoa eignet sich fuer diesen Culturzweig so
ausgezeichnet, dass der Tabak ueberall, wo der Same Feuchtigkeit findet,
wildwaechst. So kommt er beim Cerro del Cuchivano und bei der Hoehle von
Caripe vor. In Cumanacoa, wie in den benachbarten Distrikten von Aricagua
und San Lorenzo, wird uebrigens nur die Tabaksart mit grossen sitzenden
Blaettern, der sogenannte virginische Tabak [_Nicotiana tabacum_] gebaut.
Ganz unbekannt ist der Tabak mit gestielten Blaettern [_Nicotiana
rustica_], der eigentliche *Yetl* der alten Mexicaner, den man in
Deutschland sonderbarerweise tuerkischen Tabak nennt.

Waere der Tabaksbau frei, so koennte die Provinz Cumana einen grossen Theil
von Europa damit versehen; ja, andere Distrikte scheinen sich fuer die
Erzeugung dieser Colonialwaare ganz so gut zu eignen wie das Thal von
Cumanacoa, wo der uebermaessige Regen nicht selten dem Arom der Blaetter
Eintrag thut. Gegenwaertig, wo der Tabaksbau auf ein paar Quadratmeilen
beschraenkt ist, betraegt der ganze Ertrag der Ernte nur 6000 Arobas. Die
beiden Provinzen Cumana und Barcelona verbrauchen aber 12,000, und der
Ausfall wird aus dem spanischen Guyana gedeckt. In der Gegend von
Cumanacoa geben sich im Durchschnitt nur 1500 Personen mit dem Tabaksbau
ab, lauter Weisse; die Eingeborenen vom Stamme der Chaymas lassen sich
durch Aussicht auf Gewinn selten dazu verlocken, auch haelt es die Pacht
nicht fuer gerathen, denselben Vorschuesse zu machen.

Beschaeftigt man sich mit der Geschichte unserer Culturpflanzen, so sieht
man mit Ueberraschung, dass vor der Eroberung der Gebrauch des Tabaks ueber
den groessten Theil von Amerika verbreitet war, waehrend man die Kartoffel
weder in Mexico, noch auf den Antillen kannte, wo sie doch in gebirgigen
Lagen sehr gut fortkommt. Ferner wurde in Portugal schon im Jahr 1559
Tabak gebaut, waehrend die Kartoffel erst am Ende des siebzehnten und zu
Anfang des achtzehnten Jahrhunderts in den europaeischen Ackerbau ueberging.
Letzteres Gewaechs, das fuer das Wohl der menschlichen Gesellschaft so
bedeutsam geworden ist, hat sich auf beiden Continenten weit langsamer
verbreitet, als ein Produkt, das nur fuer einen Luxusartikel gelten kann.

Das wichtigste Produkt nach dem Tabak ist im Thale von Cumanacoa der
Indigo. Die Pflanzungen in Cumanacoa, San Fernando und Arenas liefern eine
Waare, die im Handel noch geschaetzter ist als der Indigo von Caracas; er
kommt an Glanz und Fuelle der Farbe oft dem Indigo von Guatimala nahe. Aus
letzterer Provinz ist der Samen von _Indigofera Anil_ die neben
_Indigofera tinctoria_ gebaut wird, zuerst auf die Kueste von Cumana
gekommen. Da im Thale von Cumanacoa sehr viel Regen faellt, so gibt eine
vier Fuss hohe Pflanze nicht mehr Farbstoff als eine dreimal kleinere in
den trockenen Thaelern von Aragua, westlich von der Stadt Caracas.

Alle Indigofabriken, die wir gesehen, sind nach demselben Plane
eingerichtet. Zwei Weichkuepen, in denen das Kraut "faulen" soll, stehen
neben einander. Jede misst fuenfzehn Quadratfuss und ist zwei einen halben
Fuss tief. Aus diesen obern Kufen laeuft die Fluessigkeit in die
Stampfkasten, zwischen denen die Wassermuehle angebracht ist. Der Baum des
grossen Rades laeuft zwischen diesen Kasten durch, und an ihm sitzen an
langen Stielen die Loeffel zum Stampfen. Aus einer weiten Abseihekuepe kommt
der farbhaltige Bodensatz in die Trockenkasten und wird daselbst auf
Brettern aus Brasilholz ausgebreitet, die mittelst kleiner Rollen unter
Dach gebracht werden koennen, wenn unerwartet Regen eintritt. Diese
geneigten, sehr niedrigen Daecher geben den Trockenkasten von weitem das
Ansehen von Treibhaeusern. Im Thale von Cumanacoa verlaeuft die Gaehrung des
Krauts, das man "faulen" laesst, ungemein rasch. Sie waehrt meist nicht
laenger als vier bis fuenf Stunden. Diess kann nur von der Feuchtigkeit des
Klimas herruehren und daher, dass waehrend der Entwicklung der Pflanze die
Sonne nicht scheint. Ich glaube auf meinen Reisen die Bemerkung gemacht zu
haben, dass je trockener das Klima ist, die Kufe um so langsamer arbeitet
und die Stengel zugleich desto mehr Indigo aus der niedersten
Oxydationsstufe enthalten. In der Provinz Caracas, wo 562 Cubikfuss locker
aufgeschichteten Krautes 35 bis 40 Pfund trockenen Indigo geben, kommt die
Fluessigkeit erst nach zwanzig, dreissig oder fuenfunddreissig Stunden in die
Stampfe. Wahrscheinlich erhielten die Einwohner von Cumanacoa mehr
Farbestoff aus dem Kraut, wenn sie dasselbe laenger in der ersten Kufe
weichen liessen. Ich habe waehrend meines Aufenthalts in Cumana den etwas
schweren kupferfarbigen Indigo von Cumanacoa und den von Caracas zur
Vergleichung in Schwefelsaeure aufgeloest, und die Aufloesung des ersteren
schien mir weit satter blau.

Trotz der ausgezeichneten Beschaffenheit der Produkte und der
Fruchtbarkeit des Bodens ist der Landbau in Cumanacoa noch voellig in der
Kindheit. Arenas, San Fernando und Cumanacoa bringen in den Handel nur
3000 Pfund Indigo, der im Lande 4500 Piaster werth ist. Es fehlt an
Menschenhaenden und die schwache Bevoelkerung nimmt durch die Auswanderung
in die Llanos taeglich ab. Diese unermesslichen Savanen naehren den Menschen
reichlich, weil sich das Vieh dort so leicht vermehrt, waehrend der Indigo-
und Tabaksbau viel Sorge und Muehe macht. Der Ertrag des letzteren ist
desto unsicherer, da die Regenzeit bald laenger, bald kuerzer dauert. Die
Pflanzer sind von der koeniglichen Pacht, die ihnen Vorschuesse macht,
voellig abhaengig, und hier, wie in Georgien und Virginien, baut man lieber
Nahrungsgewaechse als Tabak. Man hatte neuerdings der Regierung den
Vorschlag gemacht, auf koenigliche Kosten fuenfhundert Neger anzuschaffen
und sie den Pflanzern abzugeben, die im Stande waeren, in zwei oder drei
Jahren den Ankaufspreis abzutragen. Dadurch hoffte man die jaehrliche
Tabaksernte auf 15,000 Arobas zu bringen. Zu meiner Freude habe ich viele
Grundeigenthuemer sich gegen dieses Projekt aussprechen hoeren. Es stand
nicht zu hoffen, dass man, nach dem Vorgang mancher Provinzen der
Vereinigten Staaten, nach einer gewissen Reihe von Jahren den Schwarzen
oder ihren Nachkommen die Freiheit schenken wuerde; desto bedenklicher
schien es, zumal nach den entsetzlichen Vorgaengen auf St. Domingo, die
Sklavenbevoelkerung in Terra Firma zu vermehren. Weise Politik hat nicht
selten dieselben Folgen, wie die edelsten und seltensten Regungen der
Gerechtigkeit und Menschenliebe.

Die mit Hoefen und Indigo- und Tabakspflanzungen bedeckte Ebene von
Cumanacoa ist von Bergen umgeben, die besonders gegen Sued hoeher ansteigen
und fuer den Physiker und den Geologen gleich interessant sind. Alles weist
darauf hin, dass das Thal ein alter Seeboden ist; auch fallen die Berge,
welche einst das Ufer desselben bildeten, dem See zu senkrecht ab. Der See
hatte nur Arenas zu einen Abfluss. Beim Graben von Hausfundamenten stiess
man bei Cumanacoa auf Schichten von Geschieben, mit kleinen zweischaligen
Muscheln darunter. Nach der Angabe mehrerer glaubwuerdiger Personen sind
sogar vor mehr als dreissig Jahren hinten in der Schlucht San Juanillo zwei
ungeheure Schenkelknochen gefunden worden, die vier Fuss lang waren und
ueber dreissig Pfund wogen. Die Indianer hielten sie, wie noch heute das
Volk in Europa, fuer Riesenknochen, waehrend die Halbgelehrten im Lande, die
das Privilegium haben, Alles zu erklaeren, alles Ernstes versicherten, es
seyen Naturspiele und keiner grossen Beachtung werth. Diese Leute beriefen
sich bei ihrer Behauptung auf den Umstand, dass menschliche Gebeine im
Boden von Cumanacoa sehr rasch vermodern. Zum Schmuck der Kirchen am
Allerseelentag laesst man Schaedel aus den Kirchhoefen an der Kueste kommen, wo
der Boden mit Salzen geschwaengert ist. Die vermeintlichen Riesenknochen
wurden nach Cumana gebracht. Ich habe mich dort vergeblich darnach
umgesehen; aber nach den fossilen Knochen, die ich aus andern Strichen
Suedamerikas heimgebracht und die von Cuvier genau untersucht worden,
gehoerten die riesigen Schenkelknochen von Cumanacoa wahrscheinlich einer
ausgestorbenen Elephantenart an. Es kann befremden, dass dieselben in so
geringer Hoehe ueber dem gegenwaertigen Wasserspiegel gefunden worden; denn
es ist sehr merkwuerdig, dass die fossilen Reste von Mastodonten und
Elephanten, die ich aus den tropischen Laendern von Mexico, Neugrenada,
Quito und Peru mitgebracht, nicht in tief gelegenen Strichen (wo in
gemaessigten Zonen Megatherien am Rio Luxan(50) und in Virginien, grosse
Mastodonten am Ohio und fossile Elephanten am Susquehanna vorkommen),
sondern auf den in sechshundert bis vierzehnhundert Fuss Hoehe gelegenen
Hochebenen erhoben wurden.

Als wir dem suedlichen Rand des Beckens von Cumanacoa zugingen, sahen wir
den Turimiquiri vor uns liegen. Eine ungeheure Felswand, das Ueberbleibsel
eines alten Kuestenstrichs, steigt mitten im Walde empor. Weiter nach West,
beim Cerro del Cuchivano, erscheint die Bergkette wie durch ein Erdbeben
aus einander gerissen. Die Spalte ist ueber hundert fuenfzig Toisen breit
und von senkrechten Felsen umgeben. Tief beschattet von den Baeumen, deren
verschlungene Zweige nicht Raum haben sich auszubreiten, nahm sich die
Spalte aus wie eine durch einen Erdfall entstandene Grube. Ein Bach, der
Rio Juagua, laeuft durch die Spalte, die ungemein malerisch ist und Risco
del Cuchivano heisst. Der kleine Fluss entspringt sieben Meilen weit gegen
Suedwest am Fusse des Brigantin und bildet schoene Faelle, ehe er in die Ebene
von Cumanacoa auslaeuft.

Wir besuchten oefters einen kleinen Hof, Conuco de Bermudez, dem Erdspalt
von Cuchivano gegenueber. Man baut hier auf feuchtem Boden Bananen, Tabak
und mehrere Arten von Baumwollenbaeumen, besonders die, deren Wolle
nanking-gelb ist und die auf der Insel Margarita so haeufig vorkommt. Der
Eigenthuemer sagte uns, der Erdspalt sey von Jaguars bewohnt. Diese Thiere
bringen den Tag in Hoehlen zu und schleichen bei Nacht um die Wohnungen. Da
sie reichliche Nahrung haben, werden sie bis sechs Fuss lang. Ein solcher
Tiger hatte im verflossenen Jahr ein zum Hof gehoeriges Pferd verzehrt. Er
schleppte seine Beute bei hellem Mondschein ueber die Savane unter einen
ungeheur dicken Ceibabaum. Vom Winseln des verendenden Pferdes erwachten
die Sklaven im Hofe. Sie rueckten mitten in der Nacht aus, bewaffnet mit
Spiessen und *Machetes*(51). Der Tiger lag auf seiner Beute und liess sie
ruhig herankommen; er erlag erst nach langem hartnaeckigem Widerstand.
Dieser Fall und viele andere, von denen wir an Ort und Stelle Kunde
erhielten, zeigt, dass der grosse Jaguar [_Felis Onca, Linne_, die Buffon
_panthere oillee_ nennt und in Afrika zu Hause glaubt. Wir werden spaeter
Gelegenheit haben, auf diesen fuer die Zoologie und Thiergeographie
wichtigen Punkt zurueckzukommen.] von Terra Firma, wie der Jaguarete in
Paraguay und der eigentliche asiatische Tiger, vor dem Menschen nicht
fliehen, wenn ihm dieser zu Leibe geht und die Zahl der Angreifenden ihn
nicht scheu macht. Die Zoologen wissen jetzt, dass Buffon die groesste
amerikanische Katzenart ganz falsch beurtheilt hat. Was der beruehmte
Schriftsteller von der Feigheit der Tiger der neuen Welt sagt, gilt nur
von den kleinen Ocelots, oder Pantherkatzen, und wir werden bald sehen,
dass am Orinoco der aechte amerikanische Jaguar sich zuweilen ins Wasser
stuerzt, um die Indianer in ihren Piroguen anzugreifen.

Dem Hofe Bermudez gegenueber liegen die Oeffnungen zweier geraeumigen Hoehlen
im Erdspalt des Cuchivano; von Zeit zu Zeit schlagen Flammen daraus empor,
die man bei Nacht sehr weit sieht. Die benachbarten Berge sind dann davon
beleuchtet, und nach der Hoehe der Felsen, ueber welche diese brennenden
Duenste hinanfreichen, waere man versucht zu glauben, dass sie mehrere
hundert Fuss hoch werden. Beim letzten grossen Erdbeben in Cumana war diese
Erscheinung von einem unterirdischen dumpfen, anhaltenden Getoese
begleitet. Sie kommt vorzueglich in der Regenzeit vor, und die Besitzer der
dem Berge Cuchivano gegenueber liegenden Pflanzungen versichern, die
Flammen zeigen sich seit dem December 1797 haeufiger.

Auf einer botanischen Excursion nach Rinconada versuchten wir vergeblich
in die Spalte einzudringen. Wir haetten die Felsen, die in ihrem Schosse die
Ursachen dieses merkwuerdigen Feuers zu bergen schienen, gerne naeher
untersucht; aber die ueppige Vegetation, die in einander geschlungenen
Lianen und Dornstraeucher liessen uns nicht vorwaerts kommen. Zum Glueck
nahmen die Bewohner des Thals lebhaften Antheil an unsern Forschungen,
nicht sowohl weil sie sich vor einem vulkanischen Ausbruch fuerchteten, als
weil sie sich in den Kopf gesetzt hatten, der Risco del Cuchivano enthalte
eine Goldgrube. Es half nichts, dass wir ihnen auseinandersetzten, warum
wir an Gold im Muschelkalk nicht glauben koennten; sie wollten einmal
wissen, "was der deutsche Bergmann vom Reichthum des Erzgangs halte." Seit
Karls des Fuenften Zeit und seit die Welser, die Alsinger und Sailer in
Coro und Caracas als Statthalter gesessen, hat sich in Terra Firma im Volk
der Glaube an das besondere bergmaennische Geschick der Deutschen erhalten.
Wohin ich in Suedamerika kam, ueberall, sobald man erfuhr, wo ich hersey,
zeigte man mir Muster von Erzen. In den Colonien ist jeder Franzose ein
Arzt, jeder Deutsche ein Bergmann.

Die Pflanzer bahnten mit ihren Sklaven einen Weg durch den Wald bis zum
ersten Fall des Rio Juagua, und am 10. September machten wir unsern
Ausflug nach dem Risco del Cuchivano. Kaum hatten wir die Schlucht
betreten, so merkten wir, dass Tiger in der Naehe waren, sowohl an einem
frisch zerrissenen Stachelschwein, als am Gestank ihres Kothes, der dem
der europaeischen Katze gleicht. Zur Vorsicht gingen die Indianer nach dem
Hof zurueck und brachten Hunde von sehr kleiner Race mit. Man behauptet,
wenn man dem Jaguar auf schmalem Pfad begegne, springe er zuerst auf den
Hund los, nicht auf den Menschen. Wir stiegen nicht am Ufer des Baches,
sondern an der Felswand ueber dem Wasser hinauf. Man geht an einem zwei-,
dreihundert Fuss tiefen Abgrund hin auf einem ganz schmalen Vorsprung, wie
auf dem Wege von Grindelwald am Mettenberg hin zum grossen Gletscher. Wird
der Vorsprung so schmal, dass man nicht mehr weiss, wohin man den Fuss setzen
soll, so steigt man zum Bach hinunter, watet durch oder laesst sich von
einem Sklaven hinueber tragen, und klimmt an der andern Bergwand weiter.
Das Niederklettern ist ziemlich muehselig, und man darf sich nicht auf die
Lianen verlassen, die wie grosse Stricke von den Baumgipfeln niederhaengen.
Die Ranken- und Schmarotzergewaechse haengen nur locker an den Aesten, die
sie umschlingen; ihre Stengel haben zusammen ein ganz ansehnliches
Gewicht, und wenn man auf abschuessigem Boden sich mit dem Koerper an Lianen
haengt, laeuft man Gefahr eine ganze gruene Laube niederzureissen. Je weiter
wir kamen, desto dichter wurde die Vegetation. An mehreren Stellen hatten
die Baumwurzeln, die in die Spalten zwischen den Schichten hineingewachsen
waren, das Kalkgestein zersprengt. Wir konnten kaum die Pflanzen
fortbringen, die wir bei jedem Schritte aufnahmen. Die Cannas, die
Heliconien mit schoenen purpurnen Bluethen, die Costus und andere Gewaechse
aus der Familie der Amomeen werden hier acht bis zehn Fuss hoch. Ihr helles
frisches Gruen, ihr Seidenglanz und ihr strotzendes Fleisch stechen grell
ab vom braeunlichen Ton der Baumfarn mit dem zartgefiederten Laub. Die
Indianer hieben mit ihren grossen Messern Kerben in die Baumstaemme und
machten uns auf die Schoenheit der rothen und goldgelben Hoelzer aufmerksam,
die einst bei unsern Moebelschreinern und Drehern sehr gesucht seyn werden.
Sie zeigten uns ein Gewaechs mit zusammengesetzter Bluethe, das zwanzig Fuss
hoch ist (_Eupatorium laevigatum, Lamarck_), die sogenannte *Rose von
Belveria* (_Brownea racemosa_), beruehmt wegen ihrer herrlichen
purpurrothen Bluethen, und das einheimische *Drachenblut*, eine noch nicht
beschriebene Art Croton, deren rother adstringirender Saft zur Staerkung
des Zahnfleisches gebraucht wird. Sie unterschieden die Arten durch den
Geruch, besonders aber durch Kauen der Holzfasern. Zwei Eingeborene, denen
man dasselbe Holz zu kauen gibt, sprechen, meist ohne sich zu besinnen,
denselben Namen aus. Wir konnten uebrigens von den scharfen Sinnen unserer
Fuehrer nicht viel Nutzen ziehen; denn wie soll man zu Blaettern, Bluethen
oder Fruechten gelangen, die auf Staemmen wachsen, deren ersten Aeste
fuenfzig, sechzig Fuss ueber dem Boden sind? Mit Ueberraschung sieht man in
dieser Schlucht die Baumrinde, sogar den Boden mit Moosen und Flechten
ueberzogen. Diese Cryptogamen sind hier so haeufig wie im Norden. Die
feuchte Luft und der Mangel an direktem Sonnenlicht beguenstigen ihre
Entwicklung, und doch betraegt die Temperatur bei Tag 25, bei Nacht
19 Grad.

Die angebliche Goldgrube von Cuchivano, die wir untersuchen sollten, ist
nichts als ein Loch, das man in eine der schwarzen, an Schwefelkies
reichen Mergelschichten im Kalk zu graben angefangen. Das Loch liegt auf
der rechten Seite des Rio Inagua an einem Punkt, wohin man vorsichtig
klettern muss, weil der Bach hier ueber acht Fuss tief ist. Der Schwefelkies
ist hell goldgelb und man sieht ihm nicht an, dass er Kupfer enthaelt. Die
Mergelschicht, in der er vorkommt, streicht ueber den Bach hinueber. Das
Wasser spuelt die metallisch glaenzenden Koerner aus, und desshalb glaubt das
Volk, der Bach fuehre Gold. Man erzaehlt, nach dem grossen Erdbeben im
Jahr 1766 habe das Wasser des Inagua so viel Gold gefuehrt, dass Maenner,
"die weit her gekommen, und von denen man nicht gewusst, wo sie zu Hause
seyen," Goldwaeschen angelegt haetten; sie seyen aber bei Nacht und Nebel
verschwunden, nachdem sie eine Menge Gold gesammelt. Es braucht keines
Beweises, dass diess ein Maehrchen ist; die Kiese in den Quarzgaengen des
Glimmerschiefers sind allerdings sehr oft goldhaltig; aber nichts
berechtigt bis jetzt zur Annahme, dass der Schwefelkies im Mergelschiefer
des Alpenkalks gleichfalls Gold enthalte. Einige direkte Versuche auf
nassem Weg, die ich waehrend meines Aufenthalts in Caracas angestellt, thun
dar, dass der Schwefelkies von Cuchivano durchaus nicht goldhaltig ist.
Unsern Fuehrern behagte mein Unglaube sehr schlecht; ich hatte gut sagen,
aus dieser angeblichen Goldgrube koennte man hoechstens Alaun und
Eisenvitriol gewinnen; sie lasen nichtsdestoweniger heimlich jedes
Stueckchen Schwefelkies auf, das sie im Wasser glaenzen sahen. Je aermer ein
Land an Erzgruben ist, desto leichter wird es in der Einbildung der
Einwohner, die Schaetze aus dem Schosse der Erde zu holen. Wie viele Zeit
haben wir auf unserer fuenfjaehrigen Reise verloren, um auf das dringende
Verlangen unserer Wirthe Schluchten zu untersuchen, in denen
schwefelkieshaltige Schichten seit Jahrhunderten den stolzen Namen _Minas
de Oro_ fuehren! Wie oft sahen wir laechelnd zu, wenn Leute aller Staende,
Beamte, Dorfgeistliche, ernste Missionaere mit unermuedlicher Geduld
Hornblende oder gelben Glimmer zerstiessen, um mittelst Quecksilbers das
Gold auszuziehen! Die leidenschaftliche Gier, mit der man nach Erzen
sucht, erscheint doppelt auffallend in einem Lande, wo man den Boden kaum
umzuwenden braucht, um ihm reiche Ernten zu entlocken.

Nachdem wir den Schwefelkies am Rio Juagua untersucht, gingen wir weiter
in der Schlucht hinauf, die sich wie ein enger, von sehr hohen Baeumen
beschatteter Kanal fortzieht. Nach sehr beschwerlichem Marsch und ganz
durchnaesst, weil wir so oft ueber den Bach gegangen waren, langten wir am
Fuss der Hoehlen des Cuchivano an, aus denen man vor einigen Jahren die
Flammen hatte brechen sehen. Achthundert Toisen hoch steigt senkrecht eine
Felswand auf. In einem Landstrich, wo der ueppige Pflanzenwuchs ueberall den
Boden und das Gestein bedeckt, kommt es selten vor, dass ein grosser Berg in
senkrechtem Durchschnitt seine Schichten zeigt. Mitten in diesem
Durchschnitt, leider dem Menschen unzugaenglich, liegen die Spalten, die zu
zwei Hoehlen fuehren. Sie sollen von denselben Nachtvoegeln bewohnt seyn, die
wir bald in der Cueva del Guacharo bei Caripe werden kennen lernen.

Wir ruhten am Fuss der Hoehlen aus. Hier sah man die Flammen hervorkommen,
welche in den letzten Jahren haeufiger geworden sind. Unsere Fuehrer und der
Paechter, ein verstaendiger, mit den Oertlichkeiten der Provinz wohl
bekannter Mann, verhandelten nach der Weise der Creolen ueber die Gefahr,
der die Stadt Cumanacoa ausgesetzt waere, wenn der Cuchivano ein thaetiger
Vulkan wuerde, _se veniesse a reventar_. Es schien ihnen unzweifelhast, dass
seit dem grossen Erdbeben von Quito und Cumana im Jahr 1797 Neu-Andalusien
vom unterirdischen Feuer immer mehr unterhoehlt werde. Sie brachten die
Flammen zur Sprache, die man in Cumana hatte aus dem Boden schlagen sehen,
und die Stoesse, die man jetzt an Orten empfindet, wo man frueher nichts von
Erdbeben wusste. Sie erinnerten daran, dass man in Macarapan seit einigen
Monaten oefters Schwefelgeruch spuere. Auf diese und aehnliche Erscheinungen,
die uns damals in ihrem Munde auffielen, gruendeten sie Prophezeiungen, die
fast saemmtlich in Erfuellung gegangen sind. Entsetzliche Zerstoerungen haben
im Jahr 1812 in Caracas stattgefunden, zum Beweis, welch gewaltige Unruhe
im Nordosten von Terra Firma in der Natur herrscht.

Was ist wohl aber die Ursache der feurigen Erscheinungen, die man am
Cuchivano beobachtet? Ich weiss wohl, dass man zuweilen die Luftsaeule, die
ueber der Muendung brennender Vulkane aufsteigt, in hellem Lichte glaenzen
sieht. Dieser Lichtschein, den man von brennendem Wasserstoffgas
herleitet, wurde von Chillo aus auf dem Gipfel des Cotopaxi zu einer Zeit
beobachtet, wo der Berg ziemlich ruhig schien. Ich weiss, dass die Alten
erzaehlen, auf dem _Mons Albanus_ bei Rom, dem heutigen _Monte cavo_ sey
zuweilen bei Nacht Feuer gesehen worden; aber der _Mons albanus_ ist ein
erst in neuerer Zeit erloschener Vulkan, der noch zu Catos Zeit Rapilli
auswarf [_Albano monte biduum continenter lapidibus pluit. Livius
XXV. 7._], waehrend der Cuchivano ein Kalkberg ist in einer Gegend, wo weit
und breit keine Trappbildungen vorkommen. Kann man jene Flammen etwa
daraus erklaeren, dass das Wasser, wenn es mit den Kiesen im Mergelschiefer
in Beruehrung kommt, zersetzt wird? Ist das Feuer, das aus den Hoehlen des
Cuchivano kommt, brennendes Wasserstoffgas? Das Wasser, das durch den
Kalkstein sickert und durch die Schwefelschichten zersetzt wird, und die
Erdbeben von Cumana, die Lager gediegenen Schwefels bei Carupano und die
schwefligt sauren Daempfe, die man zuweilen in den Savanen spuert: zwischen
all dem liesse sich leicht ein Zusammenhang denken; es ist auch nicht zu
bezweifeln, dass, wenn sich bei der starken Affinitaet zwischen dem
Eisenoxyd und den Erden bei hoher Temperatur Wasser ueber Schwefelkiesen
zersetzt, die Entbindung von Wasserstoffgas erfolgen kann, welche mehrere
neuere Geologen eine so wichtige Rolle spielen lassen. Aber bei
vulkanischen Ausbruechen tritt weit constanter schwefligte Saeure auf als
Wasserstoff, und der Geruch, den man zuweilen bei starken Erdstoessen
verspuert, ist vorzugsweise der Geruch von schwefligter Saeure. Ueberblickt
man die vulkanischen Erscheinungen und die Erdbeben im Ganzen, bedenkt
man, in welch ungeheuren Entfernungen sich die Stoesse unter dem Meeresboden
fortpflanzen, so laesst man bald Erklaerungen fallen, die von unbedeutenden
Schichten von Schwefelkies und bituminoesem Mergel ausgehen. Nach meiner
Ansicht koennen die Stoesse, die man in der Provinz Cunana so haeufig spuert,
so wenig den zu Tag ausgehenden Gebirgsarten zugeschrieben werden, als die
Stoesse, welche die Apenninen erschuettern, Asphaltadern oder brennenden
Erdoelquellen. Alle diese Erscheinungen haengen von allgemeineren, fast
haette ich gesagt, tiefer liegenden Ursachen her, und der Herd der
vulkanischen Wirkungen ist nicht in den secundaeren Gebirgsbildungen, aus
denen die aeussere Erdrinde besteht, sondern in sehr bedeutender Tiefe unter
der Oberflaeche in den Urgebirgsarten zu suchen. Je weiter die Geologie
fortschreitet, desto mehr sieht man ein, wie wenig man mit den Theorien
ausrichtet, die sich auf wenige, rein oertliche Beobachtungen gruenden.

Nach Meridianhoehen des suedlichen Fisches, die ich in der Nacht vom
7. September beobachtet, liegt Cumanacoa unter 10 deg. 16' 11" der Breite; die
Angabe der geschaetztesten Karten ist also um 1/4 Grad unrichtig. Die Neigung
der Magnetnadel fand ich gleich 42 deg.,60 und die Intensitaet der magnetischen
Kraft gleich 228 Schwingungen in zehn Zeitminuten; die Intensitaet war
demnach um neun Schwingungen oder 1/25 geringer als in Ferrol.

Am zwoelften setzten wir unsere Reise nach dem Kloster Caripe, dem Hauptort
der Chaymas-Missionen, fort. Wir zogen der geraden Strasse den Umweg ueber
die Berge Cocollar und Turimiquiri vor, die nicht viel hoeher sind als der
Jura. Der Weg laeuft zuerst ostwaerts drei Meilen ueber die Hochebene von
Cumanacoa, den alten Seeboden, und biegt dann nach Sued ab. Wir kamen durch
das kleine indianische Dorf Aricagua, das von bewaldeten Huegeln umgeben
sehr freundlich daliegt. Von hier an ging es bergauf und wir hatten ueber
vier Stunden zu steigen. Dieses Stueck des Weges ist sehr angreifend; man
setzt zweiundzwanzigmal ueber den Pututucuar, ein reissendes Bergwasser voll
Kalksteinbloecken. Hat man auf der _Cuesta del Cocollar_ zweitausend Fuss
Meereshoehe erreicht, so sieht man zu seiner Ueberraschung fast keine
Waelder, oder auch nur grosse Baeume mehr. Man geht ueber eine ungeheure, mit
Graesern bewachsene Hochebene. Nur Mimosen mit halbkugeliger Krone und drei
bis vier Fuss hohem Stamm unterbrechen die oede Einfoermigkeit der Savanen.
Ihre Aeste sind gegen den Boden geneigt oder breiten sich schirmartig aus.
Ueberall, wo Abhaenge oder halb mit Erde bedeckte Gesteinmassen sich
zeigen, breitet die Clusia oder der Cupey mit den grossen Nymphaeenbluethen
sein herrliches Gruen aus. Die Wurzeln dieses Baums haben zuweilen acht
Zoll Durchmesser und gehen oft schon fuenfzehn Fuss ueber dem Boden vom
Stamme ab.

Nachdem wir noch lange bergan gestiegen waren, kamen wir auf einer kleinen
Ebene zum _Hato del Cocollar_. Es ist diess ein Hof, der 408 Toisen hoch
ganz allein auf dem Plateau liegt. In dieser Einsamkeit blieben wir drei
Tage, vortrefflich verpflegt von dem Eigenthuemer [Don Mathias Yturburi,
ein geborener Biscayer], der vom Hafen von Cumana an unser Begleiter
gewesen war. Wir fanden daselbst bei der reichen Weide Milch,
vortreffliches Fleisch und vor allem ein herrliches Klima. Bei Tag stieg
der hunderttheilige Thermometer nicht ueber 22 oder 23 Grad, kurz vor
Sonnenuntergang fiel er auf 19 und bei Nacht zeigte er kaum 14. Bei Nacht
war es daher um sieben Grad kuehler als an der Kueste, was, da die Hochebene
des Cocollar nicht so hoch liegt, als die Stadt Caracas, wiederum auf eine
ausnehmend rasche Waermeabnahme hinweist.

So weit das Auge reicht, sieht man auf dem hohen Punkt nichts als kahle
Savanen; nur hin und wieder tauchen aus den Schluchten kleine Baumgruppen
auf, und trotz der scheinbaren Einfoermigkeit der Vegetation findet man
ausnehmend viele sehr interessante Pflanzen. Wir fuehren hier nur an eine
prachtvolle Lobelia mit purpurnen Bluethen, die _Brownea coccinea_ die ueber
hundert Fuss hoch wird, und vor allen den *Pejoa*, der im Lande beruehmt
ist, weil seine Blaetter, wenn man sie zwischen den Fingern zerreibt, einen
koestlichen aromatischen Geruch von sich geben. Was uns aber am meisten am
einsamen Ort entzueckte, das war die Schoenheit und Stille der Naechte. Der
Eigenthuemer des Hofes blieb mit uns wach. Er schien sich daran zu weiden,
wie Europaeer, die eben erst unter die Tropen gekommen, sich nicht genug
wundern konnten ueber die frische Fruehlingsluft, deren man nach
Sonnenuntergang hier aus den Bergen geniesst. In jenen fernen Laendern, wo
der Mensch die Gaben der Natur noch voll zu schaetzen weiss, preist der
Grundeigenthuemer das Wasser seiner Quelle, den gesunden Wind, der um den
Huegel weht, und dass es keine schaedlichen Insekten gibt, wie wir in Europa
uns der Vorzuege unseres Wohnhauses oder des malerischen Effekts unserer
Pflanzungen ruehmen.

Unser Wirth war mit einer Mannschaft, die an der Kueste des Meerbusens von
Paria Holzschlaege fuer die spanische Marine einrichten sollte, in die neue
Welt gekommen. In den grossen Mahagoni-, Cedrela- und Brasilholzwaeldern,
die um das Meer der Antillen her liegen, dachte man die groessten Staemme
auszusuchen, sie im Groben so zuzuhauen, wie man sie zum Schiffsbau
braucht, und sie jaehrlich auf die Werfte von Caraques bei Cadix zu
schicken. Aber weisse, nicht acclimatisirte Maenner mussten der anstrengenden
Arbeit, der Sonnengluth und der ungesunden Luft der Waelder erliegen.
Dieselben Luefte, welche mit den Wohlgeruechen der Bluethen, Blaetter und
Hoelzer geschwaengert sind, fuehren auch den Keim der Aufloesung in die
Organe. Boesartige Fieber rafften mit den Zimmerleuten der koeniglichen
Marine die Aufseher der neuen Anstalt weg, und die Bucht, der die ersten
Spanier wegen des truebseligen, wilden Aussehens der Kueste den Namen
_"Golfo triste"_ gegeben, wurde das Grab der europaeischen Seeleute. Unser
Wirth hatte das seltene Glueck, diesen Gefahren zu entgehen; nachdem er den
groessten Theil der Seinigen hatte hinsterben sehen, zog er weit weg von der
Kueste auf die Berge des Cocollar. Ohne Nachbarschaft, im ungestoerten
Besitz eines Savanenstrichs von fuenf Meilen, geniesst er hier der
Unabhaengigkeit, wie die Vereinzelung sie gewaehrt, und der Heiterkeit des
Gemueths, wie sie schlichten Menschen eigen ist, die in reiner, staerkender
Luft leben.

Nichts ist dem Eindruck majestaetischer Ruhe zu vergleichen, den der
Anblick des gestirnten Himmels an diesem einsamen Ort in einem hinterlaesst.
Blickten wir bei Einbruch der Nacht hinaus ueber die Prairien, die bis zunm
Horizont fortstreichen, ueber die gruen bewachsene, sanft gewellte
Hochebene, so war es uns, gerade wie in den Steppen am Orinoco, als saehen
wir weit weg das gestirnte Himmelsgewoelbe auf dem Ocean ruhen. Der Baum,
unter dem wir sassen, die leuchtenden Insekten, die in der Luft tanzten,
die glaenzenden Sternbilder im Sueden, Alles mahnte uns daran, wie weit wir
von der Heimatherde waren. Und wenn nun, inmitten dieser fremdartigen
Natur, aus einer Schlucht heraus das Schellengelaeute einer Kuh oder das
Bruellen des Stieres zu unsern Ohren drang, dann sprang mit einemmal der
Gedanke an die Heimath ins uns auf. Es war, als hoerten wir aus weiter,
weiter Ferne Stimmen, die ueber das Weltmeer herueber riefen und uns mit
Zauberkraft aus einer Hemisphaere in die andere versetzten. So wunderbar
beweglich ist die Einbildungskraft des Menschen, die ewige Quelle seiner
Freuden und seiner Schmerzen!

In der Morgenkuehle machten wir uns auf, den Turimiquiri zu besteigen. So
heisst der Gipfel des Cocollar, der mit dem Brigantin nur Einen
Gebirgsstock bildet, welcher bei den Eingeborenen frueher Sierra de los
Tageres hiess. Man macht einen Theil des Wegs auf Pferden, die frei in den
Savanen laufen, zum Theil aber an den Sattel gewoehnt sind. So plump ihr
Aussehen ist, klettern sie doch ganz flink den schluepfrigsten Rasen
hinaus. Wir machten zuerst bei einer Quelle Halt, die nicht aus dem
Kalkstein, sondern noch aus einer Schichte quarzigen Sandsteins kommt.
Ihre Temperatur war 21 deg., also um 1 deg.,5 geringer als die der Quelle von
Quetepe; der Hoehenunterschied betraegt aber auch gegen 220 Toisen.
Ueberall, wo der Sandstein zu Tage kommt, ist der Boden eben und bildet
gleichsam kleine Plateaus, die wie Stufen ueber einander liegen. Bis zu
700 Toisen und sogar darueber ist der Berg, wie alle in der Nachbarschaft,
nur mit Graesern bewachsen. In Cumana schreibt man den Umstand, dass keine
Baeume mehr vorkommen, der grossen Hoehe zu; vergegenwaertigt man sich aber
die Vertheilung doer Gewaechse in den Cordilleren der heissen Zone, so sieht
man, dass die Berggipfel in Neu-Andalusien lange nicht zu der obern
Baumgrenze hinaufreichen, die in dieser Breite mindestens 1600 Toisen hoch
liegt. Ja der kurze Rasen zeigt sich auf dem Cocollar stellenweise sogar
schon bei 350 Toisen ueber dem Meer und man kann auf demselben bis zu
1000 Toisen Hoehe gehen; weiter hinauf, ueber diesem mit Graesern bedeckten
Guertel, befindet sich auf dem Menschen fast unzugaenglichen Gipfeln ein
Waeldchen von Cedrela, Javillos(52) und Mahagonibaeumen. Nach diesen lokalen
Verhaeltnissen muss man annehmen, dass die Bergsavanen des Cocollar und
Turimiquiri ihre Entstehung nur der verderblichen Sitte der Eingeborenen
verdanken, die Waelder anzuzuenden, die sie in Weideland verwandeln wollen.
Jetzt, da Graeser und Alppflanzen seit dreihundert Jahren den Boden mit
einem dicken Filz ueberzogen haben, koennen die Baumsamen sich nicht mehr im
Boden befestigen und keimen, obgleich Wind und Voegel sie fortwaehrend von
entlegenen Waeldern in die Savanen heruebertragen.

Das Klima auf diesen Bergen ist so mild, dass beim Hofe auf dem Cocollar
der Baumwollenbaum, der Kaffeebaum, sogar das Zuckerrohr gut fortkommen.
Trotz aller Behauptungen der Einwohner an der Kueste ist unter dem 10. Grad
der Breite auf Bergen, die kaum hoeher sind als der Mont d'Or und der Puy
de Dome, niemals Reif gesehen worden. Die Weiden auf dem Turimiquiri
nehmen an Guete ab, je hoeher sie liegen. Ueberall, wo zerstreute Felsmassen
Schatten bieten, kommen Flechten und verschiedene europaeische Moose vor.
_Melastoma xanthostachis_ und ein Strauch (_Palicourea rigida_), dessen
grosse lederartige Blaetter im Wind wie Pergament rauschen, wachsen hie und
da in der Savane. Aber die Hauptzierde des Rasens ist ein Liliengewaechs
mit goldgelber Bluethe, die _Marica martinicensis_. Man findet sie in den
Provinzen Cumana und Caracas meist erst in 400 bis 500 Toisen Hoehe. Die
Gebirgsarten des Turimiquiri sind ein Alpenkalk, aehnlich dem bei
Cumanacoa, und ziemlich duenne Schichten Mergel und quarziger Sandstein. Im
Kalkstein sind Klumpen von braunem Eisenoxyd und Spatheisen eingesprengt.
An mehreren Stellen habe ich ganz deutlich beobachtet, dass der Sandstein
dem Kalk nicht nur aufgelagert ist, sondern dass beide nicht selten in
Wechsellagerung vorkommen.

Man unterscheidet im Lande den abgerundeten Gipfel des Turimiquiri und die
spitzen Pics oder *Cucuruchos*, die dicht bewaldet sind und wo es viele
Tiger gibt, auf die man wegen des grossen und schoenen Fells Jagd macht. Den
runden begrasten Gipfel fanden wir 707 Toisen hoch. Von diesem Gipfel
laeuft nun nach West ein steiler Felskamm aus, der eine Seemeile von jenem
durch eine ungeheure Spalte unterbrochen ist, die gegen den Meerbusen von
Cariaco hinunterlaeuft. An der Stelle, wo der Kamm haette weiter laufen
sollen, erheben sich zwei Bergspitzen aus Kalkstein, von denen die
noerdliche die hoehere ist. Diess ist der eigentliche Cucurucho de
Turimiquiri, der fuer hoeher gilt als der Brigantin, der den Schiffern, die
der Kueste von Cumana zusteuern, so wohl bekannt ist. Nach Hoehenwinkeln und
einer ziemlich kurzen Standlinie, die wir auf dem abgerundeten kahlen
Gipfel zogen, massen wir den Spitzberg oder Cucurucho und fanden ihn
350 Toisen hoeher als unsern Standort, so dass seine absolute Hoehe ueber
1050 Toisen betraegt.

Man geniesst auf dem Turimiquiri einer der weitesten und malerischsten
Aussichten. Vom Gipfel bis hinunter zum Meer liegen Bergketten vor einem,
die parallel von Ost nach West streichen und Laengenthaeler zwischen sich
haben. Da in letztere eine Menge kleiner, von den Bergwassern ausgespuelter
Thaeler unter rechtem Winkel muenden, so stellen sich die Seitenketten als
Reihen gleich vieler bald abgerundeter, bald kegelfoermiger Hoehen dar. Bis
zum Imposible sind die Berghaenge meist ziemlich sanft; weiterhin werden
die Abfaelle sehr steil und streichen hinter einander fort bis zum Ufer des
Meerbusens von Cariaco. Die Umrisse dieser Gebirgsmassen erinnern an die
Ketten des Jura, und die einzige Ebene, die sich darin findet, ist das
Thal von Cumanacoa. Es ist als saehe man in einen Trichter hinunter, auf
dessen Boden unter zerstreuten Baumgruppen das indianische Dorf Aricagua
erscheint. Gegen Nord hob sich eine schmale Landzunge, die Halbinsel
Araya, braun vom Meere ab, das, von den ersten Sonnenstrahlen beleuchtet,
ein glaenzendes Licht zurueckwarf. Jenseits der Halbinsel begrenzte den
Horizont das Vorgebirge Macanao, dessen schwarzes Gestein gleich einem
ungeheuren Bollwerk aus dem Wasser aufsteigt.

Der Hof auf dem Cocollar am Fusse des Turimiquiri liegt unter 10 deg. 9' 32"
der Breite. Die Inclination der Magnetnadel fand ich gleich 42 deg. 10'. Die
Nadel schwang 220mal in zehn Zeitminuten. Die im Kalk liegenden
Brauneisensteinmassen moegen die Intensitaet der magnetischen Kraft um ein
Weniges steigern.

Am 14. September gingen wir vom Cocollar zur Mission San Antonio hinunter.
Der Weg fuehrt Anfangs ueber Savanen, die mit grossen Kalksteinbloecken
uebersaeet sind, und dann betritt man dichten Wald. Nachdem man zwei sehr
steile Berggraete ueberstiegen, hat man ein schoenes Thal vor sich, das fuenf
Meilen lang fast durchaus von Ost nach West streicht. In diesem Thale
liegen die Missionen San Antonio und Guanaguana. Erstere ist beruehmt wegen
einer kleinen Kirche aus Backsteinen, in ertraeglichem Styl, mit zwei
Thuermen und dorischen Saeulen. Sie gilt in der Umgegend fuer ein Wunder. Der
Gardian der Kapuziner wurde mit diesem Kirchenbau in nicht ganz zwei
Sommern fertig, obgleich er nur Indianer aus seinem Dorfe dabei verwendet
hatte. Die Saeulencapitaele, die Gesimse und ein mit Sonnen und Arabesken
gezierter Fries wurden aus mit Ziegelmehl vermischtem Thon modellirt.
Wundert man sich, an der Grenze Lapplands Kirchen im reinsten griechischen
Styl [In Skelestar bei Torneo. S. Buch, Reise in Norwegen] anzutreffen, so
ueberraschen einen dergleichen erste Kunstversuche noch mehr in einem
Erdstrich, wo noch Alles den Stempel menschlicher Urzustaende traegt und von
den Europaeern erst seit etwa vierzig Jahren der Grund zu kuenftiger Cultur
gelegt wurde. Der Statthalter der Provinz missbilligte es, dass in Missionen
mit solchem Luxus gebaut werde, und zum grossen Leidwesen der Moenche wurde
die Kirche nicht ausgebaut. Die Indianer von San Antonio sind weit
entfernt, solches gleichfalls zu beklagen; sie sind insgeheim mit dem
Spruche des Statthalters vollkommen einverstanden, weil er ihrer
natuerlichen Traegheit behagt. Sie machen sich eben so wenig aus
architektonischen Ornamenten als einst die Eingeborenen in den
Jesuitenmissionen in Paraguay.

Ich hielt mich in der Mission San Antonio nur auf, um auf den Barometer zu
sehen und ein paar Sonnenhoehen zu nehmen. Der grosse Platz liegt 216 Toisen
ueber Cumana. Jenseits des Dorfs durchwateten wir die Fluesse Colorado und
Guarapiche, die beide in den Bergen des Cocollar entspringen und weiter
unten, ostwaerts, sich vereinigen. Der Colorado hat eine sehr starke
Stroennmg und wird bei seiner Muendung breiter als der Rhein; der Guarapiche
ist, nachdem er den Rio Areo aufgenommen, ueber fuenf und zwanzig Faden
tief. An seinen Ufern waechst eine ausnehmend schoene Grasart, die ich zwei
Jahre spaeter, als ich den Magdalenenstrom hinausfuhr, gezeichnet habe. Der
Halm mit zweizeiligen Blaettern wird 15 bis 20 Fuss hoch. Unsere Maulthiere
konnten sich durch den dicken Morast auf dem schmalen ebenen Weg kaum
durcharbeiten. Es goss in Stroemen vom Himmel; der ganze Wald erschien in
Folge des starken anhaltenden Regens wie Ein Sumpf.

Gegen Abend langten wir in der Mission Guanaguana an, die so ziemlich in
derselben Hoehe liegt, wie das Dorf San Antonio. Es that sehr noth, dass wir
uns trockneten. Der Missionaer nahm uns sehr herzlich auf. Es war ein alter
Mann, der, wie es schien, seine Indianer sehr verstaendig behandelte. Das
Dorf steht erst seit dreissig Jahren am jetzigen Fleck, frueher lag es
weiter nach Sueden und lehnte sich an einen Huegel. Man wundert sich, mit
welcher Leichtigkeit man die Wohnsitze der Indianer verlegt. Es gibt in
Suedamerika Doerfer, die in weniger als einem halben Jahrhundert dreimal den
Ort gewechselt haben. Den Eingeborenen knuepfen so schwache Bande an den
Boden, auf dem er wohnt, dass er den Befehl, sein Haus abzureissen und es
anderswo wieder aufzubauen, gleichmuethig aufnimmt. Ein Dorf wechselt
seinen Platz wie ein Lager. Wo es nur Thon, Rohr, Palmblaetter und
Heliconienblaetter gibt, ist die Huette in wenigen Tagen wieder fertig.
Diesen gewaltsamen Aenderungen liegt oft nichts zu Grunde als die Laune
eines frisch aus Spanien angekommenen Missionaers, der meint, die Mission
sey dem Fieber ausgesetzt oder liege nicht luftig genug. Es ist
vorgekommen, dass ganze Doerfer mehrere Stunden weit verlegt wurden, bloss
weil der Moench die Aussicht aus seinem Hause nicht schoen oder weit genug
fand.

Guanaguana hat noch keine Kirche. Der alte Geistliche, der schon seit
dreissig Jahren in den Waeldern Amerikas lebte, aeusserte gegen uns, die
Gemeindegelder, d. h. der Ertrag der Arbeit der Indianer, muessten zuerst
zum Bau des Missionshauses, dann zum Kirchenbau und endlich fuer die
Kleidung der Indianer verwendet werden. Er versicherte in wichtigem Ton,
von dieser Ordnung duerfe unter keinem Vorwand abgegangen werden. Nun, die
Indianer, die lieber ganz nackt gehen als die leichtesten Kleider tragen,
koennen gut warten, bis die Reihe an sie kommt. Die geraeumige Wohnung des
*Padre* war eben fertig geworden, und wir bemerkten zu unserer
Ueberraschung, dass das Haus, das ein plattes Dach hatte, mit einer Menge
Kaminen wie mit Thuermchen geziert war. Sie sollten, belehrte uns unser
Wirth, ihn an sein geliebtes Heimathland, und in der tropischen Hitze an
die aragonesischen Winter erinnern. Die Indianer in Guanaguana bauen
Baumwolle fuer sich, fuer die Kirche und fuer den Missionaer. Der Ertrag gilt
als Gemeindeeigenthum und mit den Gemeindegeldern werden die Beduerfnisse
des Geistlichen und die Kosten des Gottesdienstes bestritten. Die
Eingeborenen haben hoechst einfache Vorrichtungen, um den Samen von der
Baumwolle zu trennen. Es sind hoelzerne Cylinder von sehr kleinem
Durchmesser, zwischen denen die Baumwolle durchlaeuft und die man wie
Spinnraeder mit dem Fusse umtreibt. Diese hoechst mangelhaften Maschinen
leisten indessen gute Dienste und man faengt in den andern Missionen an sie
nachzuahmen. Ich habe anderswo, in meinem Werke ueber Mexico, auseinander
gesetzt, wie sehr die Sitte, die Baumwolle mit dem Samen zu verkaufen, den
Transport in den spanischen Colonien erschwert, wo alle Waaren auf
Maulthieren in die Seehaefen kommen. Der Boden ist in Guanaguana eben so
fruchtbar wie im benachbarten Dorfe Aricagua, das gleichfalls seinen
indianischen Namen behalten hat. Eine *Almuda* (1850 Quadrattoisen) traegt
in guten Jahren 25-30 Fanegas Mais, die Fanega zu hundert Pfund. Aber hier
wie ueberall, wo der Segen der Natur die Entwicklung der Industrie hemmt,
macht man nur ganz wenige Morgen Landes urbar, und kein Mensch denkt
daran, mit dem Anbau der Nahrungspflanzen zu wechseln. Die Indianer in
Guanaguana erzaehlten mir als etwas Ungewoehnliches, im verflossenen Jahr
seyen sie, ihre Weiber und Kinder drei Monate lang _al monte_ gewesen, das
heisst, sie seyen in den benachbarten Waeldern umhergezogen, um sich von
saftigen Pflanzen, von Palmkohl, von Farnwurzeln und wilden Baumfruechten
zu naehren. Sie sprachen von diesem Nomadenleben keineswegs wie von einem
Nothstand. Nur der Missionaer hatte dabei zu leiden gehabt, weil das Dorf
ganz verlassen stand und die Gemeindegenossen, als sie aus den Waeldern
wieder heim kamen, weniger lenksam waren als zuvor.

Das schoene Thal von Guanaguana laeuft gegen Ost in die Ebenen von Punzere
und Terecen aus. Gerne haetten wir diese Ebenen besucht, um die Quellen von
Bergoel zwischen den Fluessen Guarapiche und Areo zu untersuchen; aber die
Regenzeit war foermlich eingetreten, und wir hatten taeglich vollauf zu
thun, um die gesammelten Pflanzen zu trocknen und aufzubewahren. Der Weg
von Guanaguana nach dem Dorfe Punzere fuehrt entweder ueber San Felix, oder
ueber Caycara und Guahuta, wo sich ein *Hato* (Hof fuer Viehzucht) der
Missionaere befindet. An letzterem Orte findet man, nach dem Bericht der
Indianer, grosse Schwefelmassen, nicht in Gips oder Kalkstein, sondern in
geringer Tiefe unter der Flaeche des Bodens in Thonschichten. Dieses
auffallende Vorkommen scheint Amerika eigenthuemlich; wir werden demselben
im Koenigreich Quito und in Neugrenada wieder begegnen. Vor Punzere sieht
man in den Savanen Saeckchen von Seidengewebe an den niedrigsten Baumaesten
haengen. Es ist diess die _seda silvestre_ oder einheimische wilde Seide,
die einen schoenen Glanz hat, aber sich sehr rauh anfuehlt. Der
Nachtschmetterling, der sie spinnt, kommt vielleicht mit denen in den
Provinzen Gnanaxuato und Antioquia ueberein, die gleichfalls wilde Seide
liefern. Im schoenen Walde von Punzere kommen zwei Baeume vor, die unter den
Namen Curucay und Canela bekannt sind; ersterer liefert ein von den
*Pinches* oder indianischen Zauberern sehr gesuchtes Harz, der zweite hat
Blaetter, die nach aechtem Ceylonzimmt riechen. Von Punzere laeuft der Weg
ueber Terecen und Neu-Palencia, das eine neue Niederlassung von Canariern
ist, nach dem Hafen San Juan, der am rechten Ufer des Rio Areo liegt, und
man muss in einer Pirogue ueber diesen Fluss setzen, wenn man zu den
beruehmten Bergoelquellen von Buen Pastor gehen will. Man beschrieb sie uns
als kleine Schachte oder Trichter, die sich von selbst im sumpfigen Boden
gebildet haben. Diese Erscheinung erinnert an den Asphaltsee oder
*Chapapote* auf der Insel Trinidad, der in gerader Linie von Buen Pastor
nur 35 Seemeilen entfernt ist.

Nachdem wir eine Weile mit dem Verlangen gekaempft, den Guarapiche hinunter
in den _Golfo triste_ zu fahren, wandten wir uns gerade den Bergen zu. Die
Thaeler von Guanaguana und Caripe sind durch eine Art Damm oder Grat aus
Kalkstein, der unter dem Namen _Cuchilla de Guanaguana_ weit und breit
beruehmt ist, von einander getrennt [Im ganzen spanischen Amerika bedeutet
_cuchilla_ Messerklinge, einen Bergkamm mit sehr steilen Abhaengen.]. Wir
fanden den Uebergang beschwerlich, weil wir damals noch nicht in den
Cordilleren gereist waren, aber so gefaehrlich, als man ihn in Cumana
schildert, ist er keineswegs. Allerdings ist der Weg an mehreren Stellen
nur 14 oder 15 Zoll breit; der Bergsattel, ueber den er weglaeuft, ist mit
kurzem, sehr glattem Rasen bedeckt, die Abhaenge zu beiden Seiten sind
ziemlich jaeh, und wenn der Reisende fiele, koennte er auf dem Grase sieben,
achthundert Fuss hinunterrollen. Indessen sind die Bergseiten vielmehr nur
starke Boeschungen als eigentliche Abgruende, und die Maulthiere hier zu
Lande haben einen so sichern Gang, dass man sich ihnen ruhig anvertrauen
kann. Ihr Benehmen ist ganz wie das der Saumthiere in der Schweiz und in
den Pyrenaeen. Je wilder ein Land ist, desto feinfuehliger und schaerfer
witternd wird der Instinkt der Hausthiere. Spueren die Maulthiere eine
Gefahr, so bleiben sie stehen und wenden den Kopf hin und her, bewegen die
Ohren auf und ab; man sieht, sie ueberlegen, was zu thun sey. Sie kommen
langsam zum Entschluss, aber derselbe faellt immer richtig aus, wenn er frei
ist, das heisst, wenn ihn der Reisende nicht unvorsichtigerweise stoert oder
uebereilt. Wenn man in den Anden sechs, sieben Monate auf entsetzlichen
Wegen durch die von den Bergwassern zerrissenen Gebirge zieht, da
entwickelt sich die Intelligenz der Reitpferde und Lastthiere auf wahrhaft
erstaunliche Weise. Man kann auch die Gebirgsbewohner sagen hoeren: "Ich
gebe Ihnen nicht das Maulthier, das den bequemsten Schritt hat, sondern
das vernuenftigste, _la mas racional_." Dieses Wort aus dem Munde des
Volks, die Frucht langer Erfahrung, widerlegt das System, das in den
Thieren nur belebte Maschinen sieht, wohl besser als alle Beweisfuehrung
der speculativen Philosophie.

Auf dem hoechsten Punkt des Kammes oder der Cuchilla von Guanaguana
angelangt, hatten wir eine interessante Fernsicht. Wir uebersahen mit Einem
Blick die weiten Prairien oder Savanen von Maturin und am Rio Tigre, den
Spitzberg Turimiquiri und zahllose parallel streichende Bergketten, die
von weitem einer wogenden See gleichen. Gegen Nordost oeffnet sich das
Thal, in dem das Kloster Caripe liegt. Sein Anblick ist um so einladender,
als es bewaldet ist und so von den kahlen, nur mit Gras bewachsenen Bergen
umher freundlich absticht. Wir fanden die absolute Hoehe der Cuchilla
gleich 548 Toisen; sie liegt also 329 Toisen ueber dem Missionshaus von
Guanaguana.

Steigt man auf sehr krummem Pfade vom Bergkamme nieder, so betritt man
bald ein ganz bewaldetes Land. Der Boden ist mit Moos und einer neuen Art
Drosera bedeckt, die im Wuchs der Drosera unserer Alpen gleicht. Je naeher
man dem Kloster Caripe kommt, desto dichter wird der Wald, desto ueppiger
die Vegetation. Alles bekommt einen andern Charakter, sogar die
Gebirgsart, in der wir von Punta Delgada an gewesen waren. Die
Kalksteinschichten werden duenner; sie bilden Mauern, Gesimse und Thuerme
wie in Peru, im Pappenheimschen und bei Dicow in Gallizien. Es ist nicht
mehr Alpenkalk, sondern eine Formation, welche jenem uebergelagert ist,
analog dem Jurakalk.

Der Weg von der Cuchilla herab ist bei weitem nicht so lang als der
hinaus. Wir fanden, dass das Thal von Caripe 200 Toisen hoeher liegt als das
Thal von Guanaguana. Ein Bergzug von unbedeutender Breite trennt zwei
Becken; das eine ist koestlich kuehl, das andere als furchtbar heiss
verrufen. Solchen Contrasten begegnet man in Mexico, in Neu-Grenada und
Peru haeufig, aber im Nordosten von Suedamerika sind sie selten. Unter allen
hochgelegenen Thaelern in Neu-Andalusien ist auch nur das von Caripe
[absolute Hoehe des Klosters 412 Toisen] sehr stark bewohnt. In einer
Provinz mit schwacher Bevoelkerung, wo die Gebirge weder eine sehr
bedeutende Masse, noch ausgedehnte Hochebenen haben, findet der Mensch
wenig Anlass, aus den Ebenen wegzuziehen und sich in gemaessigteren
Gebirgsstrichen niederzulassen.

                            ------------------





   49 In den spanischen Kolonien heisst *Mision* oder *Pueblo de Mision*
      ein Anzahl Wohnungen um eine Kirche herum, wo ein Missionar, der
      Ordensgeistlicher ist, den Gottesdienst versieht. Die indianischen
      Doerfer, die unter der Obhut von Pfarrers stehen, heissen *Pueblos de
      Doctrina*. Man unterscheidet noch weiter den *Cura doctrinero*, den
      Pfarrer einer indianischen Gemeinde, und den *Cura rector*, den
      Pfarrer eines von Weissen oder Farbigen bewohnten Dorfes.

   50 Das virginische Megatherium ist der Megalonyx Jeffersons. Alle diese
      ungeheuren Knochen, die man *auf den Ebenen* der neuen Welt,
      noerdlich oder suedlich vom Aequator gefunden, gehoeren nicht der
      heissen, sondern der gemaessigten Zone an. Andererseits macht Pallas
      die Bemerkung, dass in Sibirien, also auch noerdlich vom Wendekreis,
      fossile Knochen in den gebirgigen Landestheilen gar nicht vorkommen.
      Diese eng mit einander verknuepften Thatsachen scheinen den Weg zur
      Auffindung eines wichtigen geologischen Gesetzes zu bahnen.

   51 Grosse Messer mit sehr langen Klingen, aehnlich den Jagdmessern. In
      der heissen Zone geht man nicht ohne *Machete* in den Wald, sowohl um
      die Lianen und Baumaeste abzuhauen, die einem den Weg sperren, als um
      sich gegen wilde Thiere zu vertheidigen.

_   52 Hura crepitans_, aus der Familie der Euphorbien. Dieser Baum wird
      ungeheuer dick; im Thal von Curiepe zwischen Cap Codera und Caracas
      mass Bonpland Kufen aus Javilloholz, die vierzehn Fuss lang und acht
      breit waren. Diese Kufen aus Einem Stueck dienen zur Aufbewahrung des
      Guarapo oder Zuckerrohrsasts und der Melasse. Die Samen des Javillo
      sind ein starkes Gift, und die Milch, die aus dem Bluethenstengel
      quillt, wenn man ihn abbricht, hat uns oft Augenschmerz verursacht,
      wenn zufaellig auch nur ein ganz klein wenig davon zwischen die
      Augenlider kam.





SIEBENTES KAPITEL


         Das Kloster Caripe -- Die Hoehle des Guacharo -- Nachtvoegel


Eine Allee von Perseabaeumen fuehrte uns zum Hospiz der aragonesischen
Kapuziner. Bei einem Kreuz aus Brasilholz mitten auf einem grossen Platz
machten wir Halt. Das Kreuz ist von Baenken umgeben, wo die kranken und
schwachen Moenche ihren Rosenkranz beten. Das Kloster lehnt sich an eine
ungeheure, senkrechte, dicht bewachsene Felswand. Das blendend weisse
Gestein blickt nur hin und wieder hinter dem Laube vor. Man kann sich kaum
eine malerischere Lage denken; sie erinnerte mich lebhaft an die Thaeler
der Grafschaft Derby und an die hoehlenreichen Berge bei Muggendorf in
Franken. An die Stelle der europaeischen Buchen und Ahorne treten hier die
grossartigeren Gestalten der Ceiba und der Praga- und Irassepalmen.
Unzaehlige Quellen brechen aus den Bergwaenden, die das Becken von Caripe
kreisfoermig umgeben und deren gegen Sued steil abfallende Haenge tausend Fuss
hohe Profile bilden. Diese Quellen kommen meist aus Spalten oder engen
Schluchten hervor. Die Feuchtigkeit, die sie verbreiten, befoerdert das
Wachsthum der grossen Baeume, und die Eingeborenen, welche einsame Orte
lieben, legen ihre *Conucos* laengs dieser Schluchten an. Bananen und
Melonenbaeume stehen hier um Gebuesche von Baumfarn. Dieses Durcheinander
von cultivirten und wilden Gewaechsen gibt diesen Punkten einen
eigenthuemlichen Reiz. An den nackten Bergseiten erkennt man die Stellen,
wo Quellen zu Tage kommen, schon von weitem an den dichten Massen von
Gruen, die anfangs am Gestein zu haengen scheinen und sich dann den
Windungen der Baeche nach ins Thal hinunter ziehen.

Wir wurden von den Moenchen im Hospiz mit der groessten Zuvorkommenheit
aufgenommen. Der Pater Gardian war nicht zu Hause; aber er war von unserem
Abgang von Cumana in Kenntniss gesetzt und hatte Alles aufgeboten, um uns
den Aufenthalt angenehm zu machen. Das Hospiz hat einen innern Hof mit
einem Kreuzgang, wie die spanischen Kloester. Dieser geschlossene Raum war
sehr bequem fuer uns, um unsere Instrumente unterzubringen und zu
beobachten. Wir trafen im Kloster zahlreiche Gesellschaft: junge, vor
Kurzem aus Europa angekommene Moenche sollten eben in die Missionen
vertheilt werden, waehrend alte kraenkliche Missionaere in der scharfen
gesunden Gebirgsluft von Caripe Genesung suchten. Ich wohnte in der Zelle
des Gardians, in der sich eine ziemlich ansehnliche Buechersammlung befand.
Ich fand hier zu meiner Ueberraschung neben Feijos _teatro critico_ und
den "erbaulichen Briefen" auch Abbe Nollets "_traite d'electricite_." Der
Fortschritt in der geistigen Entwicklung ist, sollte man da meinen, sogar
in den Waeldern Amerikas zu spueren. Der juengste Kapuziner von der letzten
Mission(53) hatte eine spanische Uebersetzung von Chaptals Chemie
mitgebracht. Er gedachte dieses Werk in der Einsamkeit zu studiren, in der
er fortan fuer seine uebrige Lebenszeit sich selbst ueberlassen seyn sollte.
Ich glaube kaum, dass bei einem jungen Moenche, der einsam am Ufer des Rio
Tigre lebt, der Wissenstrieb wach und rege bleibt; aber so viel ist sicher
und gereicht dem Geist des Jahrhunderts zur Ehre, dass wir bei unserern
Aufenthalt in den Kloestern und Missionen Amerikas nie eine Spur von
Unduldsamkeit wahrgenommen haben. Die Moenche in Caripe wussten wohl, dass
ich im protestantischen Deutschland zu Hause war. Mit den Befehlen des
Madrider Hofes in der Hand, hatte ich keinen Grund, ihnen ein Geheimniss
daraus zu machen; aber niemals that irgend ein Zeichen von Misstrauen,
irgend eine unbescheidene Frage, irgend ein Versuch, eine Controverse
anzuknuepfen, dem wohlthuenden Eindruck der Gastfreundschaft, welche die
Moenche mit so viel Herzlichkeit und Offenheit uebten, auch nur den
geringsten Eintrag. Wir werden weiterhin untersuchen, woher diese
Duldsamkeit der Missionare ruehrt und wie weit sie geht.

Das Kloster liegt an einem Orte, der in alter Zeit Areocuar hiess. Seine
Meereshoehe ist ungefaehr dieselbe wie die der Stadt Caracas oder des
bewohnten Strichs in den blauen Bergen von Jamaica. Auch ist die mittlere
Temperatur dieser drei Punkte, die alle unter den Tropen liegen, so
ziemlich dieselbe. In Caripe fuehlt man das Beduerfniss, sich Nachts
zuzudecken, besonders bei Sonnenaufgang. Wir sahen den hunderttheiligen
Thermometer um Mitternacht zwischen 16 und 171/2 Grad (12 deg.,8-14 R.) stehen,
Morgens zwischen 19 und 20. Gegen ein Uhr Nachmittags stand er nur auf 21 deg.
bis 22 deg.,5. Es ist diess eine Temperatur, bei der die Gewaechse der heissen
Zone noch wohl gedeihen; gegenueber der uebermaessigen Hitze auf den Ebenen
bei Cumana koennte man sie eine Fruehlingstemperatur nennen. Das Wasser, das
man in poroesen Thongesaessen dem Luftzug aussetzt, kuehlt sich in Caripe
waehrend der Nacht auf 13 deg. ab. Ich brauche nicht zu bemerken, dass solches
Wasser einem fast eiskalt vorkommt, wenn man in Einem Tage entweder von
der Kueste oder von den gluehenden Savanen von Terezen ins Kloster kommt und
daher gewoehnt ist, Flusswasser zu trinken, das meist 25-26 deg. (20-20 deg.,8 R.)
warm ist.

Die mittlere Temperatur des Thals von Caripe scheint, nach der des Monats
September zu schliessen, 18 deg.,5 zu seyn. Nach den Beobachtungen, die man in
Cumana gemacht, weicht unter dieser Zone die Temperatur des Septembers von
der des ganzen Jahres kaum um einen halben Grad ab. Die mittlere
Temperatur von Caripe ist gleich der des Monats Juni zu Paris, wo uebrigens
die groesste Hitze 10 Grad mehr betraegt als an den heissesten Tagen in
Caripe. Da das Kloster nur 400 Toisen ueber dem Meere liegt, so faellt es
auf, wie rasch die Waerme von der Kueste an abnimmt. Wegen der dichten
Waelder koennen die Sonnenstrahlen nicht vom Boden abprallen, und dieser ist
feucht und mit einem dicken Gras- und Moosfilz bedeckt. Bei anhaltend
nebligter Witterung ist von Sonnenwirkung ganze Tage lang nichts zu spueren
und gegen Einbruch der Nacht wehen frische Winde von der Sierra del
Guacharo ins Thal herunter.

Die Erfahrung hat ausgewiesen, dass das gemaessigte Klima und die leichte
Luft des Orts dem Anbau des Kaffeebaums, der bekanntlich hohe Lagen liebt,
sehr foerderlich sind. Der Superior der Kapuziner, ein thaetiger,
aufgeklaerter Mann, hat in seiner Provinz diesen neuen Kulturzweig
eingefuehrt. Man baute frueher Indigo in Caripe, aber die Pflanze, die
starke Hitze verlangt, lieferte hier so wenig Farbstoff, dass man es
aufgab. Wir fanden im Gemeinde-Conuco viele Kuechenkraeuter, Mais,
Zuckerrohr und fuenftausend Kaffeestaemme, die eine reiche Ernte
versprachen. Die Moenche hofften in wenigen Jahren ihrer dreimal so viel zu
haben. Man sieht auch hier wieder, wie die geistliche Hierarchie ueberall,
wo sie es mit den Anfaengen der Cultur zu thun hat, in derselben Richtung
ihre Thaetigkeit entwickelt. Wo die Kloester es noch nicht zum Reichthum
gebracht haben, auf dem neuen Continent wie in Gallien, in Syrien wie im
noerdlichen Europa, ueberall wirken sie hoechst vortheilhaft auf die
Urbarmachung des Bodens und die Einfuehrung fremdlaendischer Gewaechse. In
Caripe stellt sich der Gemeinde-Conuco als ein grosser schoener Garten dar.
Die Eingeborenen sind gehalten, jeden Morgen von sechs bis zehn Uhr darin
zu arbeiten. Die Alcaden und Alguazils von indianischem Blut fuehren dabei
die Aufsicht. Es sind das die hohen Staatsbeamten, die allein einen Stock
tragen duerfen und vom Superior des Klosters angestellt werden. Sie legen
auf jenes Recht sehr grosses Gewicht. Ihr pedantischer, schweigsamer Ernst,
ihre kalte, geheimnissvolle Miene, der Eifer, mit dem sie in der Kirche und
bei den Gemeindeversammlungen repraesentiren, kommt den Europaeern hoechst
lustig vor. Wir waren an diese Zuege im Charakter des Indianers noch nicht
gewoehnt, fanden sie aber spaeter gerade so am Orinoco, in Mexico und Peru
bei Voelkern von sehr verschiedenen Sitten und Sprachen. Die Alcaden kamen
alle Tage ins Kloster, nicht sowohl um mit den Moenchen ueber
Angelegenheiten der Mission zu verhandeln, als unter dem Vorwand, sich
nach dem Befinden der kuerzlich angekommenen Reisenden zu erkundigen. Da
wir ihnen Branntwein gaben, wurden die Besuche haeufiger, als die
Geistlichen gerne sahen.

So lange wir uns in Caripe und in den andern Missionen der Chaymas
aufhielten, sahen wir die Indianer ueberall milde behandeln. Im Allgemeinen
schien uns in den Missionen der aragonesischen Kapuziner grundsaetzlich
eine Ordnung und eine Zucht zu herrschen, wie sie leider in der neuen Welt
selten zu finden sind. Missbraeuche, die mit dem allgemeinen Geist aller
kloesterlichen Anstalten zusammenhaengen, duerfen dem einzelnen Orden nicht
zur Last gelegt werden. Der Gardian des Klosters Verkauft den Ertrag des
Gemeinde-Conuco, und da alle Indianer darin arbeiten, so haben auch alle
gleichen Theil am Gewinn. Mais, Kleidungsstuecke, Ackergeraethe, und, wie
man versichert, zuweilen auch Geld werden unter ihnen vertheilt. Diese
Moenchsanstalten haben, wie ich schon oben bemerkt, Aehnlichkeit mit den
Gemeinden der maehrischen Brueder; sie foerdern die Entwicklung in der
Bildung begriffener Menschenvereine, und in den katholischen Gemeinden,
die man Missionen nennt, wird die Unabhaengigkeit der Familien und die
Selbststaendigkeit der Genossenschaftsglieder mehr geachtet, als in den
protestantischen Gemeinden nach Zinzendorfs Regel.

Am beruehmtesten ist das Thal von Caripe, neben der ausnehmenden Kuehle des
Klimas, durch die grosse *Cueva* oder Hoehle des *Guacharo*. In einem Lande,
wo man so grossen Hang zum Wunderbaren hat, ist eine Hoehle, aus der ein
Strom entspringt und in der Tausende von Nachtvoegeln leben, mit deren Fett
man in den Missionen kocht, natuerlich ein unerschoepflicher Gegenstand der
Unterhaltung und des Streits. Kaum hat daher der Fremde in Cumana den Fuss
ans Land gesetzt, so hoert er zum Ueberdruss vom Augenstein von Araya, vom
Landmann in Arenas, der sein Kind gesaeugt, und von der Hoehle des Guacharo,
die mehrere Meilen lang seyn soll. Lebhafte Theilnahme an
Naturmerkwuerdigkeiten erhaelt sich ueberall, wo in der Gesellschaft kein
Leben ist, wo in truebseliger Eintoenigkeit die alltaeglichen Vorkommnisse
sich abloesen, bei denen die Neugierde keine Nahrung findet.

Die Hoehle, welche die Einwohner eine "Fettgrube" nennen, liegt nicht im
Thal von Caripe selbst, sondern drei kleine Meilen vom Kloster gegen
West-Sued-West. Sie muendet in einem Seitenthale aus, das der *Sierra des
Guacharo* zulaeuft. Am 18. September brachen wir nach der Sierra auf,
begleitet von den indianischen Alcaden und den meisten Ordensmaennern des
Klosters. Ein schmaler Pfad fuehrte zuerst anderthalb Stunden lang suedwaerts
ueber eine lachende, schoen beraste Ebene, dann wandten wir uns westwaerts an
einem kleinen Flusse hinauf, der aus der Hoehle hervorkommt. Man geht drei
Viertelstunden lang aufwaerts bald im Wasser, das nicht tief ist, bald
zwischen dem Fluss und einer Felswand, auf sehr schluepfrigem, morastigem
Boden. Zahlreiche Erdfaelle, umherliegende Baumstaemme, ueber welche die
Maulthiere nur schwer hinueber kommen, die Rankengewaechse am Boden machen
dieses Stueck des Weges sehr ermuedend. Wir waren ueberrascht, hier, kaum
500 Toisen ueber dem Meere, eine Kreuzbluethe zu finden, den _Raphanus
pinnatus_. Man weiss, wie selten Arten dieser Familie unter den Tropen
sind; sie haben gleichsam einen *nordischen Typus*, und auf diesen waren
wir hier auf dem Plateau von Caripe, in so geringer Meereshoehe, nicht
gefasst.

Wenn man am Fuss des hohen Guacharoberges nur noch vierhundert Schritte von
der Hoehle entfernt ist, sieht man den Eingang noch nicht. Der Bach laeuft
durch eine Schlucht, die das Wasser eingegraben, und man geht unter einem
Felsenueberhang, so dass man den Himmel gar nicht sieht. Der Weg schlaengelt
sich mit dem Fluss und bei der letzten Biegung steht man auf einmal vor der
ungeheuren Muendung der Hoehle. Der Anblick hat etwas Grossartiges selbst fuer
Augen, die mit der malerischen Scenerie der Hochalpen vertraut sind. Ich
hatte damals die Hoehlen am Pic von Derbyshire gesehen, wo man, in einem
Rachen ausgestreckt, unter einem zwei Fuss hohen Gewoelbe ueber einen
unterirdischen Fluss setzt. Ich hatte die schoene Hoehle von Treshemienshiz
in den Karpathen befahren, ferner die Hoehlen im Harz und in Franken, die
grosse Grabstaetten sind fuer die Gebeine von Tigern, Hyaenen und Baeren, die
so gross waren, wie unsere Pferde. Die Natur gehorcht unter allen Zonen
unabaenderlichen Gesetzen in der Vertheilung der Gebirgsarten, in der
aeusseren Gestaltung der Berge, selbst in den gewaltsamen Veraenderungen,
welche die aeussere Rinde unseres Planeten erlitten hat. Nach dieser grossen
Einfoermigkeit konnte ich glauben, die Hoehle von Caripe werde im Aussehen
von dem, was ich der Art auf meinen frueheren Reisen beobachtet, eben nicht
sehr abweichen; aber die Wirklichkeit uebertraf meine Erwartung weit. Wenn
einerseits alle Hoehlen nach ihrer ganzen Bildung, durch den Glanz der
Stalaktiten, in allem, was die unorganisches Natur betrifft, auffallende
Aehnlichkeit mit einander haben, so gibt andererseits der grossartige
tropische Pflanzenwuchs der Muendung eines solchen Erdlochs einen ganz
eigenen Charakter.

Die Cueva del Guacharo oeffnet sich im senkrechten Profil eines Felsen. Der
Eingang ist nach Sued gekehrt; es ist eine Woelbung achtzig Fuss breit und
siebzig hoch, also bis auf ein Fuenftheil so hoch als die Colonnade des
Louvre. Auf dem Fels ueber der Grotte stehen riesenhafte Baeume. Der Mamei
und der Genipabaum mit breiten glaenzenden Blaettern strecken ihre Aeste
gerade gen Himmel, waehrend die des Courbaril und der Erythrina sich
ausbreiten und ein dichtes gruenes Gewoelbe bilden. Pothos mit saftigen
Stengeln, Oxalis und Orchideen von seltsamem Bau [Ein _Dendrobium_ mit
goldgelber, schwarzgefleckter, drei Zoll langer Bluethe] wachsen in den
duerrsten Felsspalten, waehrend vom Winde geschaukelte Rankengewaechse sich
vor dem Eingang der Hoehle zu Gewinden verschlingen. Wir sahen in diesen
Blumengewinden eine violette Bignonie, das purpurfarbige Dolichos und zum
erstenmal die prachtvolle Solandra, deren orangegelbe Bluethe eine ueber
vier Zoll lange fleischige Roehre hat. Es ist mit dem Eingang der Hoehlen,
wie mit der Ansicht der Wasserfaelle; der Hauptreiz besteht in der mehr
oder weniger grossartigen Umgebung, die den Charakter der Landschaft
bestimmt. Welcher Contrast zwischen der Cueva de Caripe und den Hoehlen im
Norden, die von Eichen und duestern Lerchen beschattet sind!

Aber diese Pflanzenpracht schmueckt nicht allein die Aussenseite des
Gewoelbes, sie dringt sogar in den Vorhof der Hoehle ein. Mit Erstaunen
sahen wir, dass achtzehn Fuss hohe praechtige Heliconien mit Pisangblaettern,
Pragapalmen und baumartige Arumarten die Ufer des Baches bis unter die
Erde saeumten. Die Vegetation zieht sich in die Hoehle von Caripe hinein,
wie in die tiefen Felsspalten in den Anden, in denen nur ein Daemmerlicht
herrscht, und sie hoert erst 30-40 Schritte vom Eingang auf. Wir massen den
Weg mittelst eines Stricks und waren gegen vier hundert dreissig Fuss weit
gegangen, ehe wir noethig hatten die Fackeln anzuzuenden. Das Tageslicht
dringt so weit ein, weil die Hoehle nur Einen Gang bildet, der sich in
derselben Richtung von Suedost nach Nordwest hineinzieht. Da wo das Licht
zu verschwinden anfaengt, hoert man das heisere Geschrei der Nachtvoegel,
die, wie die Eingeborenen glauben, nur in diesen unterirdischen Raeumen zu
Hause sind.

Der Guacharo hat die Groesse unserer Huehner, die Stimme der Ziegenmelker und
Procnias, die Gestalt der geierartigen Voegel mit Buescheln steifer Seide um
den krummen Schnabel. Streicht man nach Cuvier die Ordnung der _Picae_
(Spechte), so ist dieser merkwuerdige Vogel unter die _Passeres_ stellen,
deren Gattungen fast unmerklich in einander uebergehen. Ich habe ihn im
zweiten Band meiner _Observations de zoologie et d'anatomie comparee_ in
einer eigenen Abhandlung unter dem Namen _Steatornis_ (Fettvogel)
beschrieben. Er bildet eine neue Gattung, die sich von _Caprimulgus_ durch
den Umfang der Stimme, durch den ausnehmend starken mit einem doppelten
Zahn versehenen Schnabel, durch den Mangel der Haut zwischen den vorderen
Zehengliedern wesentlich unterscheidet. In der Lebensweise kommt er sowohl
den Ziegenmelkern als den Alpenkraehen [_Corvus Pyrrhocorax_] nahe. Sein
Gefieder ist dunkel graublau, mit kleinen schwarzen Streifen und Tupfen;
Kopf, Fluegel und Schwanz zeigen grosse, weisse, herzfoermige, schwarz
gesaeumte Flecken. Die Augen des Vogels koennen das Tageslicht nicht
ertragen, sie sind blau und kleiner als bei den Ziegenmelkern. Die Fluegel
haben 17-18 Schwungfedern und ihre Spannung betraegt 31/2 Fuss. Der Guacharo
verlaesst die Hoehle bei Einbruch der Nacht, besonders bei Mondschein. Es ist
so ziemlich der einzige koernerfressende Nachtvogel, den wir bis jetzt
kennen; schon der Bau seiner Fuesse zeigt, dass er nicht jagt wie unsere
Eulen. Er frisst sehr harte Samen, wie der Nussheher (_Corvus
cariocatactes_) und der _Pyrrhocorax_. Letzterer nistet auch in
Felsspalten und heisst der "Nachtrabe." Die Indianer behaupten, der
Guacharo gehe weder Insekten aus der Ordnung der Lamellicornia (Kaefern),
noch Nachtschmetterlingen nach, von denen die Ziegenmelker sich naehren.
Man darf nur die Schnaebel des Guacharo und des Ziegenmelkers vergleichen,
um zu sehen, dass ihre Lebensweise ganz verschieden seyn muss.

Schwer macht man sich einen Begriff vom furchtbaren Laerm, den Tausende
dieser Voegel im dunkeln Innern der Hoehle machen. Er laesst sich nur mit dem
Geschrei unserer Kraehen vergleichen, die in den nordischen Tannenwaeldern
gesellig leben und auf Baeumen nisten, deren Gipfel einander beruehren. Das
gellende durchdringende Geschrei der Guacharos hallt wider vom Felsgewoelbe
und aus der Tiefe der Hoehle kommt es als Echo zurueck. Die Indianer zeigten
uns die Nester der Voegel, indem sie Fackeln an eine lange Stange banden.
Sie stacken 60-70 Fuss hoch ueber unsern Koepfen in trichterfoermigen Loechern,
von denen die Decke wimmelt. Je tiefer man in die Hoehle hinein kommt, je
mehr Voegel das Licht der Copalfackeln aufscheucht, desto staerker wird der
Laerm. Wurde es ein paar Minuten ruhiger um uns her, so erschallte von
weither das Klaggeschrei der Voegel, die in andern Zweigen der Hoehle
nisteten. Die Banden loesten einander im Schreien ordentlich ab.

Jedes Jahr um Johannistag gehen die Indianer mit Stangen in die Cueva del
Guacharo und zerstoeren die meisten Nester. Man schlaegt jedesmal mehrere
tausend Voegel todt, wobei die Alten, als wollten sie ihre Brut
vertheidigen, mit furchtbarem Geschrei den Indianern um die Koepfe fliegen.
Die Jungen, die zu Boden fallen, werden auf der Stelle ausgeweidet. Ihr
Bauchfell ist stark mit Fett durchwachsen, und eine Fettschicht laeuft vom
Unterleib zum After und bildet zwischen den Beinen des Vogels eine Art
Knopf. Dass koernerfressende Voegel, die dem Tageslicht nicht ausgesetzt sind
und ihre Muskeln wenig brauchen, so fett werden, erinnert an die uralten
Erfahrungen beim Maesten der Gaense und des Viehs. Man weiss, wie sehr
dasselbe durch Dunkelheit und Ruhe befoerdert wird. Die europaeischen
Nachtvoegel sind mager, weil sie nicht wie der Guacharo von Fruechten,
sondern vom duerftigen Ertrag ihrer Jagd leben. Zur Zeit der "Fetternte"
(_cosecha de la manteca_), wie man es in Caripe nennt, bauen sich die
Indianer aus Palmblaettern Huetten am Eingang und im Vorhof der Hoehle. Wir
sahen noch Ueberbleibsel derselben. Hier laesst man das Fett der jungen,
frisch getoedteten Voegel am Feuer aus und giesst es in Thongefaesse. Dieses
Fett ist unter dem Namen Guacharoschmalz oder Oel (_manteca_ oder
_aceite_) bekannt; es ist halbfluessig, hell und geruchlos. Es ist so rein,
dass man es laenger als ein Jahr aufbewahren kann, ohne dass es ranzig wird.
In der Kloesterkueche zu Caripe wurde kein anderes Fett gebraucht als das
aus der Hoehle, und wir haben nicht bemerkt, dass die Speisen irgend einen
unangenehmen Geruch oder Geschmack davon bekaemen.

Die Menge des gewonnenen Oels steht mit dem Gemetzel, das die Indianer
alle Jahre in der Hoehle anrichten, in keinem Verhaeltniss. Man bekommt,
scheint es, nicht mehr als 150 bis 160 Flaschen (zu 44 Kubikzoll) ganz
reine Manteca; das uebrige weniger helle wird in grossen irdenen Gefaessen
aufbewahrt. Dieser Industriezweig der Eingeborenen erinnert an das Sammeln
des Taubenfetts [Das _pigeon oil_ kommt von der Wandertaube, _Columba
migratoria_.] in Carolina, von dem frueher mehrere tausend Faesser gewonnen
wurden. Der Gebrauch des Guacharofetts ist in Caripe uralt und die
Missionare haben nur die Gewinnungsart geregelt. Die Mitglieder einer
indianischen Familie Namens Morocoymas behaupten von den ersten Ansiedlern
im Thale abzustammen und als solche rechtmaessige Eigenthuemer der Hoehle zu
seyn; sie beanspruchen das Monopol des Fetts, aber in Folge der
Klosterzucht sind ihre Rechte gegenwaertig nur noch Ehrenrechte. Nach dem
System der Missionare haben die Indianer Guacharooel fuer das ewige
Kirchenlicht zu liefern; das Uebrige, so behauptet man, wird ihnen
abgekauft. Wir erlauben uns kein Urtheil weder ueber die Rechtsansprueche
der Morocoymas, noch ueber den Ursprung der von den Moenchen den Indianern
auferlegten Verpflichtung. Es erschiene natuerlich, dass der Ertrag der Jagd
denen gehoerte, die sie anstellen; aber in den Waeldern der neuen Welt, wie
im Schoosse der europaeischen Cultur, bestimmt sich das oeffentliche Recht
darnach, wie sich das Verhaltniss zwischen dem Starken und dem Schwachen,
zwischen dem Eroberer und dem Unterworfenen gestaltet.

Das Geschlecht der Guacharos ware laengst ausgerottet, wenn nicht mehrere
Umstaende zur Erhaltung desselben zusammenwirkten. Aus Aberglauben wagen
sich die Indianer selten weit in die Hoehle hinein. Auch scheint derselbe
Vogel in benachbarten, aber dem Menschen unzugaenglichen Hoehlen zu nisten.
Vielleicht bevoelkert sich die grosse Hoehle immer wieder mit Colonien,
welche aus jenen kleinen Erdloechern ausziehen; denn die Missionaere
versicherten uns, bis jetzt habe die Menge der Voegel nicht merkbar
abgenommen. Man hat junge Guacharos in den Hafen von Cumana gebracht; sie
lebten da mehrere Tage, ohne zu fressen, da die Koerner, die man ihnen gab,
ihnen nicht zusagten. Wenn man in der Hoehle den jungen Voegeln Kropf und
Magen ausschneidet, findet man mancherlei harte, trockene Samen darin, die
unter dem seltsamen Namen "Guacharosamen" (_semilla del Guacharo_) ein
vielberufenes Mittel gegen Wechselfieber sind. Die Alten bringen diese
Samen den Jungen zu. Man sammelt sie sorgfaeltig und laesst sie den Kranken
in Cariaco und andern tief gelegenen Fieberstrichen zukommen.

Wir gingen in die Hoehle hinein und am Bache fort, der daraus entspringt.
Derselbe ist 28-30 Fuss breit. Man verfolgt das Ufer, so lange die Huegel
aus Kalkincrustationen diess gestatten; oft, wenn sich der Bach zwischen
sehr hohen Stalaktitenmassen durchschlaengelt, muss man in das Bette selbst
hinunter, das nur zwei Fuss tief ist. Wir hoerten zu unserer Ueberraschung,
diese unterirdische Wasserader sey die Quelle des Rio Caripe, der wenige
Meilen davon, nach seiner Vereinigung mit dem kleinen Rio de Santa Maria,
fuer Piroguen schiffbar wird. Am Ufer des unterirdischen Baches fanden wir
eine Menge Palmholz; es sind Ueberbleibsel der Staemme, auf denen die
Indianer zu den Vogelnestern an der Decke der Hoehle hinaufsteigen. Die von
den Narben der alten Blattstiele gebildeten Ringe dienen gleichsam als
Sprossen einer aufrecht stehenden Leiter.

Die Hoehle von Caripe behaelt, genau gemessen, auf 472 Meter oder 1458 Fuss
dieselbe Richtung, dieselbe Breite und die anfaengliche Hoehe von 60-70 Fuss.
Ich kenne auf beiden Continenten keine zweite Hoehle von so gleichfoermiger,
regelmaessiger Gestalt. Wir hatten viele Muehe, die Indianer zu bewegen, dass
sie ueber das vordere Stueck hinausgingen, das sie allein jaehrlich zum
Fettsammeln besuchen. Es brauchte das ganze Ansehen der Patres, um sie bis
zu der Stelle zu bringen, wo der Boden rasch unter einem Winkel von
60 Grad ansteigt und der Bach einen kleinen unterirdischen Fall bildet.
Diese von Nachtvoegeln bewohnte Hoehle ist fuer die Indianer ein schauerlich
geheimnissvoller Ort; sie glauben, tief hinten wohnen die Seelen ihrer
Vorfahren. Der Mensch, sagen sie, soll Scheu tragen vor Orten, die weder
von der Sonne, *Zis*, noch vom Monde, *Nuna*, beschienen sind. Zu den
Guacharos gehen, heisst so viel, als zu den Vaetern versammelt werden,
sterben. Daher nahmen auch die Zauberer, *Piaches*, und die Giftmischer,
*Imorons*, ihre naechtlichen Gaukeleien am Eingang der Hoehle vor, um den
Obersten der boesen Geister, *Ivorokiamo*, zu beschwoeren. So gleichen sich
unter allen Himmelsstrichen die aeltesten Mythen der Voelker, vor allen
solche, die sich aus zwei die Welt regierende Kraefte, auf den Aufenthalt
der Seelen nach dem Tod, auf den Lohn der Gerechten und die Strafe der
Boesen beziehen. Die verschiedensten und darunter die rohesten Sprachen
haben gewisse Bilder mit einander gemein, weil diese unmittelbar aus dem
Wesen unseres Denk- und Empfindungsvermoegens fliessen. Finsterniss wird
aller Orten mit der Vorstellung des Todes in Verbindung gebracht. Die
Hoehle von Caripe ist der Tartarus der Griechen, und die Guacharos, die
unter klaeglichem Geschrei ueber dem Wasser flattern, mahnen an die
stygischen Voegel.

Da wo der Bach den unterirdischen Fall bildet, stellt sich das dem
Hoehleneingang gegenueber liegende, gruen bewachsene Gelaende ungemein
malerisch dar. Man sieht vom Ende eines geraden, 240 Toisen langen Ganges
daraus hinaus. Die Stalaktiten, die von der Decke herabhaengen und in der
Luft schwebenden Saeulen gleichen, heben sich von einem gruenen Hintergrunde
ab. Die Oeffnung der Hoehle erscheint um die Mitte des Tages auffallend
enger als sonst, und wir sahen sie vor uns im glaenzenden Lichte, das
Himmel, Gewaechse und Gestein zumal widerstrahlen. Das ferne Tageslicht
stach grell ab von der Finsterniss, die uns in diesen unterirdischen Raeumen
umgab. Wir hatten unsere Gewehre fast auf Gerathewohl abgeschossen, so oft
wir aus dem Geschrei und dem Fluegelschlagen der Nachtvoegel schliessen
konnten, dass irgendwo recht viele Nester beisammen seyen. Nach mehreren
fruchtlosen Versuchen gelang es Bonpland, zwei Guacharos zu schiessen, die,
vom Fackelschein geblendet, uns nachflatterten. Damit fand ich
Gelegenheit, den Vogel zu zeichnen, der bis dahin den Zoologen ganz
unbekannt gewesen war. Wir erkletterten nicht ohne Beschwerde die
Erhoehung, ueber die der unterirdische Bach herunter kommt. Wir sahen da,
dass die Hoehle sich weiterhin bedeutend verengert, nur noch 40 Fuss hoch ist
und nordostwaerts in ihrer urspruenglichen Richtung, parallel mit dem grossen
Thale des Caripe, fortstreicht.

In dieser Gegend der Hoehle setzt der Bach eine schwaerzlichte Erde ab, die
grosse Aehnlichkeit hat mit dem Stoff, der in der Muggendorfer Hoehle in
Franken "Opfererde" heisst. Wir konnten nicht ausfindig machen, ob diese
feine, schwammigte Erde durch Spalten im Gestein, die mit dem Erdreich
ausserhalb in Verbindung stehen, hereinfaellt, oder ob sie durch das
Regenwasser, das in die Hoehle dringt, hereingefloetzt wird. Es war ein
Gemisch von Kieselerde, Thonerde und vegetabilischem Detritus. Wir gingen
in dickem Koth bis zu einer Stelle, wo uns zu unserer Ueberraschung, eine
unterirdische Vegetation entgegentrat. Die Samen, welche die Voegel zum
Futter fuer ihre Jungen in die Hoehle bringen, keimen ueberall, wo sie auf
die Dammerde fallen, welche die Kalkincrustationen bedeckt. Vergeilte
Stengel mit ein paar Blattrudimenten waren zum Theil zwei Fuss hoch. Es war
unmoeglich, Gewaechse, die sich durch den Mangel an Licht nach Form, Farbe
und ganzem Habitus voellig umgewandelt hatten, specifisch zu unterscheiden.
Diese Spuren von Organisation im Schosse der Finsterniss reizten gewaltig
die Neugier der Eingeborenen, die sonst so stumpf und schwer anzuregen
sind. Sie betrachteten sie mit stillem, nachdenklichem Ernst, wie er sich
an einem Orte ziemte, der fuer sie solche Schauer hat. Diese unterirdischen
bleichen, formlosen Gewaechse mochten ihnen wie Gespenster erscheinen, die
vom Erdboden hieher gebannt waren. Mich aber erinnerten sie an eine der
gluecklichsten Zeiten meiner fruehen Jugend, an einen langen Aufenthalt in
den Freiberger Erzgruben, wo ich ueber das Vergeilen der Pflanzen Versuche
anstellte, die sehr verschieden ausfielen, je nachdem die Luft rein war
oder viel Wasserstoff und Stickstoff enthielt.

Mit aller ihrer Autoritaet konnten die Missionaere die Indianer nicht
vermoegen, noch weiter in die Hoehle hinein zu gehen. Je mehr die Decke sich
senkte, desto gellender wurde das Geschrei der Guacharos. Wir mussten uns
der Feigheit unserer Fuehrer gefangen geben und umkehren. Man sah auch
ueberall so ziemlich das Naemliche. Ein Bischof von St. Thomas in Guyana
scheint weiter gekommen zu seyn als wir; er hatte vom Eingang bis zum
Punkt, wo er Halt machte, 2500 Fuss gemessen, und die Hoehle lief noch
weiter sort. Die Erinnerung an diesen Vorfall hat sich im Kloster Caripe
erhalten, nur weiss man den Zeitpunkt nicht genau. Der Bischof hatte sich
mit dicken Kerzen aus weissem spanischem Wachs versehen; wir hatten nur
Fackeln aus Baumrinde und einheimischem Harz. Der dicke Rauch solcher
Fackeln in engem unterirdischem Raum thut den Augen weh und macht das
Athmen beschwerlich.

Wir gingen dem Bache nach wieder zur Hoehle hinaus. Ehe unsere Augen vom
Tageslicht geblendet wurden, sahen wir vor der Hoehle draussen das Wasser
durch das Laub der Baeume glaenzen. Es war, als stuende weit weg ein Gemaelde
vor uns und die Oeffnung der Hoehle waere der Rahmen dazu. Als wir endlich
heraus waren, setzten wir uns am Bache nieder und ruhten von der
Anstrengung aus. Wir waren froh, dass wir das heisere Geschrei der Voegel
nicht mehr hoerten und einen Ort hinter uns hatten, wo sich mit der
Dunkelheit nicht der wohlthuende Eindruck der Ruhe und Stille paart. Wir
konnten es kaum glauben, dass der Name der Hoehle von Caripe bis jetzt in
Europa voellig unbekannt gewesen seyn sollte. Schon wegen der Guacharos
haette sie beruehmt werden sollen; denn ausser den Bergen von Caripe und
Cumanacoa hat man diese Nachtvoegel bis jetzt nirgends angetroffen.

Die Missionaere hatten am Eingang der Hoehle ein Mahl zurichten lassen.
Pisang- und Bijaoblaetter, die seidenartig glaenzen, dienten uns, nach
Landessitte als Tischtuch. Wir wurden trefflich bewirthet, sogar mit
geschichtlichen Erinnerungen die so selten sind in Laendern, wo die
Geschlechter einander abloesten, ohne eine Spur ihres Daseyns zu
hinterlassen. Wohlgefaellig erzaehlten uns unsere Wirthe, die ersten
Ordensleute, die in diese Berge gekommen, um das kleine Dorf Santa Maria
zu gruenden, haben einen Monat lang in der Hoehle hier gelebt und auf einem
Stein bei Fackellicht das heilige Messopfer gefeiert. Die Missionaere hatten
am einsamen Orte Schutz gefunden vor der Verfolgung eines Haeuptlings der
Tuapocans, der am Ufer des Rio Caripe sein Lager aufgeschlagen.

So viel wir uns auch bei den Einwohnern von Caripe, Cumanacoa und Cariaco
erkundigten, wir hoerten nie, dass man in der Hoehle des Guacharo je Knochen
von Fleischfressern oder Knochenbreccien mit Pflanzenfressern gefunden
haette, wie sie in den Hoehlen Deutschlands und Ungarns oder in den Spalten
des Kalksteins bei Gibraltar vorkommen. Die fossilen Knochen der
Megatherien, Elephanten und Mastodonten, welche Reisende aus Suedamerika
mitgebracht, gehoeren saemmtlich dem ausgeschwemmten Land in den Thaelern und
auf hohen Plateans an. Mit Ausnahme des Megalonyx,(54) eines Faulthiers
von der Groesse eines Ochsen, das Jefferson beschrieben, kenne ich bis jetzt
auch nicht Einen Fall, dass in einer Hoehle der neuen Welt ein Thierskelett
gefunden worden waere. Dass diese zoologische Erscheinung hier so ausnehmend
selten ist, erscheint weniger auffallend, wenn man bedenkt, dass es in
Frankreich, England und Italien auch eine Menge Hoehlen gibt, in denen man
nie eine Spur von fossilen Knochen entdeckt hat.

Die interessanteste Beobachtung, welche der Physiker in den Hoehlen
anstellen kann, ist die genaue Bestimmung ihrer Temperatur. Die Hoehle von
Caripe liegt ungefaehr unter 10 deg. 10' der Breite, also mitten im heissen
Erdguertel, und 506 Toisen ueber dem Spiegel des Wassers im Meerbusen von
Cariaco. Wir fanden im September die Temperatur der Luft im Innern
durchaus zwischen 18 deg.,4 und 18 deg.,9 der hunderttheiligen Scale. Die aeussere
Luft hatte 16 deg.,2. Beim Eingang der Hoehle zeigte der Thermometer an der
Luft 17 deg.,6, aber im Wasser des unterirdischen Bachs bis hinten in der
Hoehle 16 deg.,8. Diese Beobachtungen sind von grosser Bedeutung, wenn man ins
Auge fasst, wie sich zwischen Wasser, Luft und Boden die Waerme ins
Gleichgewicht zu setzen strebt. Ehe ich Europa verliess, beklagten sich die
Physiker noch, dass man so wenig Anhaltspunkte habe, um zu bestimmen, was
man ein wenig hochtrabend *die Temperatur des Erdinnern* heisst, und erst
in neuerer Zeit hat man mit einigem Erfolg an der Loesung dieses grossen
Problems der unterirdischen Meteorologie gearbeitet. Nur die
Steinschichten, welche die Rinde unseres Planeten bilden, sind der
unmittelbaren Forschung zugaenglich, und man weiss jetzt, dass die mittlere
Temperatur dieser Schichten sich nicht nur nach der Breite und der
Meereshoehe veraendert, sondern dass sie auch je nach der Lage des Orts im
Verlauf des Jahrs regelmaessige Schwingungen um die mittlere Temperatur der
benachbarten Luft beschreibt. Die Zeit ist schon fern, wo man sich
wunderte, wenn man in andern Himmelsstrichen in Hoehlen und Brunnen eine
andere Temperatur beobachtete, als in den Kellern der Pariser Sternwarte.
Dasselbe Instrument, das in diesen Kellern 12 Grad zeigt, steigt in
unterirdischen Raeumen auf Madera bei Funchal aus 16 deg.,2, im
St. Josephsbrunnen in Cairo auf 21 deg.,2, in den Grotten der Insel Cuba auf
22-23 Grad. Diese Zunahme ist ungefaehr proportional der Zunahme der
mittleren Lufttemperaturen vom 48. Grad der Breite bis zum Wendekreis.

Wir haben eben gesehen, dass in der Hoehle des Guacharo das Wasser des
Baches gegen 2 Grad kuehler ist als die umgebende Luft im unterirdischen
Raum. Das Wasser, ob es nun durch das Gestein sickert oder ueber ein
steinigtes Bette fliesst, nimmt unzweifelhaft die Temperatur des Gesteins
oder des Bettes an. Die Luft in der Hoehle dagegen steht nicht still, sie
communicirt mit der Atmosphaere draussen. Und wenn nun auch in der heissen
Zone die Schwankungen in der aeussern Temperatur sehr unbedeutend sind, so
bilden sich dennoch Stroemungen, durch welche die Luftwaerme im Innern
periodische Veraenderungen erleidet. Demnach koennte man die Temperatur des
Wassers, also 16 deg.,8, als die Bodentemperatur in diesen Bergen betrachten,
wenn man sicher waere, dass das Wasser nicht rasch von benachbarten hoeheren
Bergen herabkommt.

Aus diesen Betrachtungen folgt, dass, wenn man auch keine ganz genauen
Resultate erhaelt, sich doch in jeder Zone *Grenzzahlen* auffinden lassen.
In Caripe, unter den Tropen, ist in 500 Toisen Meereshoehe die mittlere
Temperatur der Erde nicht unter 16 deg.,8; diess geht aus der Messung der
Temperatur des unterirdischen Wassers hervor. So laesst sich nun aber auch
beweisen, dass diese Temperatur des Bodens nicht hoeher seyn kann als 19 deg.,
weil die Luft in der Hoehle im September 18 deg.,7 zeigt. Da die mittlere
Luftwaerme im heissesten Monat 19 deg.,5 nicht uebersteigt, so wuerde man sehr
wahrscheinlich zu keiner Zeit des Jahres den Thermometer in der Luft der
Hoehle ueber 19 deg. steigen sehen. Diese Ergebnisse, wie so manche andere, die
wir in dieser Reisebeschreibung mittheilen, moegen fuer sich betrachtet von
geringem Belang scheinen; vergleicht man sie aber mit den kuerzlich von
Leopold von Buch und Wahlenberg unter dem Polarcirkel angestellten
Beobachtungen, so verbreiten sie Licht ueber den Haushalt der Natur im
Grossen und ueber den bestaendigen Waermeaustausch zwischen Luft und Boden zu
Herstellung des Gleichgewichts. Es ist kein Zweifel mehr, dass in Lappland
die feste Erdrinde eine um 3 bis 4 Grad *hoehere* mittlere Temperatur hat
als die Luft. Bringt die Kaelte, welche in den Tiefen des tropischen Meeres
in Folge der Polarstroeme fortwaehrend herrscht, im heissen Erdstrich eine
merkbare Verminderung der Temperatur des Bodens hervor? Ist diese
Temperatur dort *niedriger* als die der Luft? Das wollen wir in der Folge
untersuchen, wenn wir in den hohen Regionen der Cordilleren mehr
Beobachtungen zusammengebracht haben werden.

                            ------------------





   53 Ausser den Doerfern, in denen Eingeborene unter der Obhut eines
      Geistlichen stehen, nennt man in den spanischen Colonien *Mission*
      auch die jungen Moenche, die mit einander aus einem spanischen Hafen
      abgehen, um in der neuen Welt oder auf den Philippinen die
      Niederlassungen der Ordensgeistlichen zu ergaenzen. Daher der
      Ausdruck: "in Cadix eine neue *Mission* holen."

   54 Der Megalonyx wurde in den Hoehlen von Green-Briar in Virginien
      gefunden, 1500 Meilen vom Megatherium, dem er sehr nahe steht und
      das so gross war wie ein Nashorn.





ACHTES KAPITEL


      Abreise von Caripe. -- Berg und Wald Santa Maria. -- Die Mission
                      Catuaro. -- Hafen von Cariaco.


Rasch verflossen uns die Tage, die wir im Kapuzinerkloster in den Bergen
von Caripe zubrachten, und doch war unser Leben so einfach als einfoermig.
Von Sonnenaufgang bis Einbruch der Nacht streiften wir durch die
benachbarten Waelder und Berge, um Pflanzen zu sammeln, deren wir nie genug
beisammen haben konnten. Konnten wir des starken Regens wegen nicht weit
hinaus, so besuchten wir die Huetten der Indianer, den Gemeinde-Conuco oder
die Versammlungen, in denen die Alcaden jeden Abend die Arbeiten fuer den
folgenden Tag austheilen. Wir kehrten erst ins Kloster zurueck, wenn uns
die Glocke ins Refectorium an den Tisch der Missionaere rief. Zuweilen
gingen wir mit ihnen frueh Morgens in die Kirche, um der "_Doctrina_"
beizuwohnen, das heisst dem Religionsunterricht der Eingeborenen. Es ist
ein zum wenigsten sehr gewagtes Unternehmen, mit Neubekehrten ueber Dogmen
zu verhandeln, zumal wenn sie des Spanischen nur in geringem Grade maechtig
sind. Andererseits verstehen gegenwaertig die Ordensleute von der Sprache
der Chaymas so gut wie nichts, und die Aehnlichkeit gewisser Laute
verwirrt den armen Indianern die Koepfe so sehr, dass sie sich die
wunderlichsten Vorstellungen machen. Ich gebe nur Ein Beispiel. Wir sahen
eines Tags, wie sich der Missionaer grosse Muehe gab, darzuthun, dass
_infierno_ die Hoelle, und _invierno_ der Winter, nicht dasselbe Ding
seyen, sondern so verschieden wie Hitze und Frost. Die Chaymas kennen
keinen andern Winter als die Regenzeit, und unter der "Hoelle der Weissen"
dachten sie sich einen Ort, wo die Boesen furchtbaren Regenguessen
ausgesetzt seyen. Der Missionaer verlor die Geduld, aber es half Alles
nichts: der erste Eindruck, den zwei aehnliche Consonanten hervorgebracht,
war nicht mehr zu verwischen; im Kopfe der Neophyten waren die
Vorstellungen Regen und Hoelle, _invierno_ und _infierno_, nicht mehr aus
einander zu bringen.

Nachdem wir fast den ganzen Tag im Freien zugebracht, schrieben wir Abends
im Kloster unsere Beobachtungen und Bemerkungen nieder, trockneten unsere
Pflanzen und zeichneten die, welche nach unserer Ansicht neue Gattungen
bildeten. Die Moenche liessen uns volle Freiheit und wir denken mit
Vergnuegen an einen Aufenthalt zurueck, der so angenehm als fuer unser
Unternehmen foerderlich war. Leider war der bedeckte Himmel in einem Thal,
wo die Waelder ungeheure Wassermassen an die Luft abgeben, astronomischen
Beobachtungen nicht guenstig. Ich blieb Nachts oft lange auf, um den
Augenblick zu benuetzen, wo sich ein Stern vor seinem Durchgang durch den
Meridian zwischen den Wolken zeigen wuerde. Oft zitterte ich vor Frost,
obgleich der Thermometer nie unter 16 Grad fiel. Es ist diess in unserem
Klima die Tagestemperatur gegen Ende Septembers. Die Instrumente blieben
mehrere Stunden im Klosterhof aufgestellt, und fast immer harrte ich
vergebens. Ein paar gute Beobachtungen Fomahaults und Denebs im Schwan
ergaben fuer Caripe 10 deg. 10' 14" Breite, wornach es auf der Karte von Caulin
um 18', auf der von Arrowsmith um 14' unrichtig eingezeichnet ist.

Der Verdruss, dass der bedeckte Himmel uns die Sterne entzog, war der
einzige, den wir im Thal von Caripe erlebt. Wildheit und Friedlichkeit,
Schwermuth und Lieblichkeit, beides zusammen ist der Charakter der
Landschaft. Inmitten einer so gewaltigen Natur herrscht in unserm Innern
nur Friede und Ruhe. Ja noch mehr, in der Einsamkeit dieser Berge wundert
man sich weniger ueber die neuen Eindruecke, die man bei jedem Schritte
erhaelt, als darueber, dass die verschiedensten Klimate so viele Zuege mit
einander gemein haben. Auf den Huegeln, an die das Kloster sich lehnt,
stehen Palmen und Baumfarn; Abends, wenn der Himmel auf Regen deutet,
schallt das eintoenige Geheul der rothen Bruellaffen durch die Luft, das dem
fernen Brausen des Windes im Walde gleicht. Aber trotz dieser unbekannten
Toene, dieser fremdartigen Gestalten der Gewaechse, all dieser Wunder einer
neuen Welt, laesst doch die Natur den Menschen aller Orten eine Stimme
hoeren, die in vertrauten Lauten zu ihm spricht. Der Rasen am Boden, das
alte Moos und das Farnkraut auf den Baumwurzeln, der Bach, der ueber die
geneigten Kalksteinschichten niederstuerzt, das harmonische Farbenspiel von
Wasser, Gruen und Himmel, Alles ruft dem Reisenden wohlbekannte
Empfindungen zurueck.

Die Naturschoenheiten dieser Berge nahmen uns voellig in Anspruch, und so
wurden wir erst am Ende gewahr, dass wir den guten gastfreundlichen Moenchen
zur Last fielen. Ihr Vorrath von Wein und Weizenbrod war nur gering, und
wenn auch der eine wie das andere dort zu Lande bei Tisch nur als
Luxusartikel gelten, so machte es uns doch sehr verlegen, dass unsere
Wirthe sie sich selbst versagten. Bereits war unsere Brodration auf ein
Viertheil herabgekommen, und doch noethigte uns der furchtbare Regen,
unsere Abreise noch einige Tage zu verschieben. Wie unendlich lang kam uns
dieser Aufschub vor! wie bange war uns vor der Glocke, die uns ins
Refectorium rief! Das Zartgefuehl der Moenche liess uns recht lebhaft
empfinden, wie ganz anders wir hier daran waren als die Reisenden, die
darueber zu klagen haben, dass man ihnen in den coptischen Kloestern
Ober-Egyptens ihren Mundvorrath entwendet.

Endlich am 22. September brachen wir auf mit vier Maulthieren, die unsere
Instrumente und Pflanzen trugen. Wir mussten den nordoestlichen Abhang der
Kalkalpen von Neu-Andalusien, die wir als die grosse Kette des Brigantin
und Cocollar bezeichnet, hinunter. Die mittlere Hoehe dieser Kette betraegt
nicht leicht ueber 6-700 Toisen, und sie laesst sich in dieser wie in
geologischer Hinsicht mit dem Jura vergleichen. Obgleich die Berge von
Cumana nicht sehr hoch sind, so ist der Weg hinunter gegen Cariaco zu doch
sehr beschwerlich, ja sogar gefaehrlich. Besonders beruechtigt ist in dieser
Beziehung der Cerro de Santa Maria, an dem die Missionaere hinauf muessen,
wenn sie sich von Cumana in ihr Kloster Caripe begeben. Oft, wenn wir
diese Berge, die Anden von Peru, die Pyrenaeen und die Alpen, dir wir nach
einander besucht, verglichen, wurden wir inne, dass die Berggipfel von der
geringsten Meereshoehe nicht selten die unzugaenglichsten sind.

Als das Thal von Caripe hinter uns lag, kamen wir zuerst ueber eine
Huegelkette, die nordostwaerts vom Kloster liegt. Der Weg fuehrte immer
bergan ueber eine weite Savane auf die Hochebene *Guardia de San Augustin*.
Hier hielten wir an, um auf den Indianer zu warten, der den Barometer
trug; wir befanden uns in 533 Toisen absoluter Hoehe, etwas hoeher als der
Hintergrund der Hoehle des Guacharo. Die Savanen oder natuerlichen Wiesen,
die den Klosterkuehen eine treffliche Weide bieten, sind voellig ohne Baum
und Buschwerk. Es ist diess das eigentliche Bereich der Monocothyledonen,
denn aus dem Grase erhebt sich nur da und dort eine Agave [_Agave
americana_] (Maguey), deren Bluethenschaft ueber 26 Fuss hoch wird. Auf der
Hochebene von Guardia sahen wir uns wie auf einen alten, vom langen
Aufenthalt des Wassers wagrecht geebneten Seeboden versetzt, Man meint
noch die Kruemmungen des alten Ufers zu erkennen, die vorspringenden
Landzungen, die steilen Klippen, welche Eilande gebildet. Auf diesen
frueheren Zustand scheint selbst die Vertheilung der Gewaechse hinzudeuten.
Der Boden des Beckens ist eine Savane, waehrend die Raender mit
hochstaemmigen Baeumen bewachsen sind. Es ist wahrscheinlich das hoechst
gelegene Thal in den Provinzen Cumana und Venezuela. Man kann bedauern,
dass ein Landstrich, wo man eines gemaessigten Klimas geniesst, und der sich
ohne Zweifel zum Getreidebau eignete, voellig unbewohnt ist.

Von dieser Ebene geht es fortwaehrend abwaerts bis zum indianischen Dorf
Santa Cruz. Man kommt zuerst ueber einen jaehen, glatten Abhang, den die
Missionaere seltsamerweise das *Fegefeuer* nennen. Er besteht aus
verwittertem, mit Thon bedecktem Schiefersandstein und die Boeschung
scheint furchtbar steil; denn in Folge einer sehr gewoehnlichen optischen
Taeuschung scheint der Weg, wenn man oben auf der Anhoehe hinunter sieht,
unter einem Winkel von mehr als 60 Grad geneigt. Beim Hinabsteigen naehern
die Maulthiere die Hinterbeine den Vorderbeinen, senken das Kreuz und
rutschen auf Gerathewohl hinab. Der Reiter hat nichts zu befahren, wenn er
nur den Zuegel fahren laesst und dem Thiere keinerlei Zwang anthut. An diesem
Punkte sieht man zur Linken die grosse Pyramide des Guacharo. Dieser
Kalksteinkegel nimmt sich sehr malerisch aus, man verliert ihn aber bald
wieder aus dem Gesicht, wenn man den dicken Wald betritt, der unter dem
Namen *Montana de Santa Maria* bekannt ist. Es geht nun sieben Stunden
lang in einem fort abwaerts, und kaum kann man sich einen entsetzlicheren
Weg denken; es ist ein eigentlicher _chemin des echelles,_ eine Art
Schlucht, in der waehrend der Regenzeit die wilden Wasser von Fels zu Fels
abwaerts stuerzen. Die Stufen sind zwei bis drei Fuss hoch, und die armen
Lastthiere messen erst den Raum ab, der erforderlich ist, um die Ladung
zwischen den Baumstaemmen durchzubringen, und springen dann von einem
Felsblock auf den andern. Aus Besorgniss, einen Fehltritt zu thun, bleiben
sie eine Weile stehen, als wollten sie die Stelle untersuchen, und
schieben die vier Beine zusammen wie die wilden Ziegen. Verfehlt das Thier
den naechsten Steinblock, so sinkt es bis zum halben Leib in den weichen,
ockerhaltigen Thon, der die Zwischenraeume der Steine ausfuellt. Wo diese
fehlen, finden Menschen- und Thierbeine Halt an ungeheuren Baumwurzeln.
Dieselben sind oft zwanzig Zoll dick und gehen nicht selten hoch ueber dem
Boden vom Stamme ab. Die Creolen vertrauen der Gewandtheit und dem
gluecklichen Instinkt der Maulthiere so sehr, dass sie auf dem langen,
gefaehrlichen Wege abwaerts im Sattel bleiben. Wir stiegen lieber ab, da wir
Anstrengung weniger scheuten, als jene, und gewoehnt waren langsam vorwaerts
zu kommen, weil wir immer Pflanzen sammelten und die Gebirgsarten
untersuchten. Da unser Chronometer so schonend behandelt werden musste,
blieb uns nicht einmal eine Wahl.

Der Wald, der den steilen Abhang des Berges von Santa Maria bedeckt, ist
einer der dichtesten, die ich je gesehen. Die Baeume sind wirklich
ungeheuer hoch und dick. Unter ihrem dichten, dunkelgruenen Laub herrscht
bestaendig ein Daemmerlicht, ein Dunkel, weit tiefer als in unsern Tannen-,
Eichen- und Buchenwaeldern. Es ist als koennte die Luft trotz der hohen
Temperatur nicht all das Wasser aufnehmen, das der Boden, das Laub der
Baeume, ihre mit einem uralten Filz von Orchideen, Peperomien und andern
Saftpflanzen bedeckten Staemme ausduensten. Zu den aromatischen Geruechen,
welche Bluethen, Fruechte, sogar das Holz verbreiten, kommt ein anderer, wie
man ihn bei uns im Herbst bei nebligtem Wetter spuert. Wie in den Waeldern
am Orinoco sieht man auch hier, wenn man die Baumwipfel ins Auge fasst,
haeufig Dunststreifen an den Stellen, wo ein paar Sonnenstrahlen durch die
dicke Lust dringen. Unter den majestaetischen Baeumen, die 120 bis 130 Fuss
hoch werden, machten uns die Fuehrer auf den *Curucay* von Terecen
aufmerksam, der ein weisslichtes, fluessiges, starkriechendes Harz gibt. Die
indianischen Voelkerschaften der Cumanagotas und Tagires raeucherten einst
damit vor ihren Goetzen. Die jungen Zweige haben einen angenehmen, aber
etwas zusammenziehenden Geschmack. Nach dem Curucay und ungeheuren, ueber 9
und 10 Fuss dicken Hymenaeastaemmen nahmen unsere Aufmerksamkeit am meisten
in Anspruch: das Drachenblut (_Croton sanguifluum_), dessen purpurbrauner
Saft an der weissen Rinde herabfliesst; der Farn *Calahuala*, der nicht
derselbe ist wie der in Peru, aber fast eben so heilkraeftig, und die
Irasse-, Macanilla-, Corozo- und Pragapalmen. Letztere gibt einen sehr
schmackhaften "Palmkohl," den wir im Kloster Caripe zuweilen gegessen. Von
diesen Palmen mit gefiederten, stachligten Blaettern stachen die Baumfarn
aeusserst angenehm ab. Einer derselben, _Cyathea speciosa_ wird ueber 35 Fuss
hoch, eine ungeheure Groesse fuer ein Gewaechs aus dieser Familie. Wir fanden
hier und im Thal von Caripe fuenf neue Arten Baumfarn; zu Linnes Zeit
kannten die Botaniker ihrer nicht vier auf beiden Continenten.

Man bemerkt, dass die Baumfarn im Allgemeinen weit seltener sind als die
Palmen. Die Natur hat ihnen gemaessigte, feuchte, schattige Standorte
angewiesen. Sie scheuen den unmittelbaren Sonnenstrahl, und waehrend der
Pumos, die Corypha der Steppen und andere amerikanische Palmenarten die
kahlen, gluehend heissen Ebenen aussuchen, bleiben die Farn mit Baumstaemmen,
die von weitem wie Palmen aussehen, dem ganzen Wesen cryptogamer Gewaechse
treu. Sie lieben versteckte Plaetze, das Daemmerlicht, eine feuchte,
gemaessigte, stockende Luft. Wohl gehen sie hie und da bis zur Kueste hinab,
aber dann nur im Schutze dichten Schattens.

Dem Fusse des Berges von Santa Maria zu wurden die Baumfarn immer seltener,
die Palmen haeufiger. Die schoenen Schmetterlinge mit grossen Fluegeln, die
Nymphalen, die ungeheuer hoch fliegen, mehrten sich: Alles deutete darauf,
dass wir nicht mehr weit von der Kueste und einem Landstrich waren, wo die
mittlere Tagestemperatur 28-30 Grad der hunderttheiligen Scale betraegt.

Der Himmel war bedeckt und drohte mit einem der Guesse, bei denen zuweilen
1 bis 1,3 Zoll Regen an Einem Tage faellt. Die Sonne beschien hin und
wieder die Baumwipfel, und obgleich wir vor ihrem Strahl geschuetzt waren,
erstickten wir beinahe vor Hitze. Schon rollte der Donner in der Ferne,
die Wolken hingen am Gipfel des hohen Guacharogebirgs, und das klaegliche
Geheul der Araguatos, das wir in Caripe bei Sonnenuntergang so oft gehoert
hatten, verkuendete den nahen Ausbruch des Gewitters. Wir hatten hier zum
erstenmal Gelegenheit, diese Heulaffen in der Naehe zu sehen. Sie gehoeren
zur Gattung _Alouate_ (_Stentor_, Geoffroy), deren verschiedene Arten von
den Zoologen lange verwechselt worden sind. Waehrend die kleinen
amerikanischen Sapajus, die wie Sperlinge pfeifen, ein einfaches, duennes
Zungenbein haben, liegt die Zunge bei den grossen Affen, den Alouaten und
Marimondas, ans einer grossen Knochentrommel. Ihr oberer Kehlkopf hat sechs
Taschen, in denen sich die Stimme faengt, und wovon zwei,
taubennestfoermige, grosse Aehnlichkeit mit dem untern Kehlkopf der Voegel
haben. Der den Araguatos eigene klaegliche Ton entsteht, wenn die Luft
gewaltsam in die knoecherne Trommel einstroemt. Ich habe diese den Anatomen
nur sehr unvollstaendig bekannten Organe an Ort und Stelle gezeichnet und
die Beschreibung nach meiner Rueckkehr nach Europa bekannt gemacht
[_Observations de zoologie_]. Bedenkt man, wie gross bei den Alouatos die
Knochenschachtel ist und wie viele Heulaffen in den Waeldern von Cumana und
Guyana auf einem einzigen Baum beisammensitzen, so wundert man sich nicht
mehr so sehr ueber die Staerke und den Umfang ihrer vereinigten Stimmen.

Der Araguato, bei den Tamanacas-Indianern Aravata, bei den Maypures Marave
genannt, gleicht einem jungen Baeren. Er ist vom Scheitel des kleinen,
stark zugespitzten Kopfes bis zum Anfang des Wickelschwanzes drei Fuss
lang; sein Pelz ist dicht und rothbraun von Farbe; auch Brust und Bauch
sind schoen behaart, nicht nackt wie beim _Mono colorado_ oder Bueffons
_Alouate roux_ den wir auf dem Wege von Carthagena nach Santa-Fe de Bogota
genau beobachtet haben. Das Gesicht des Araguato ist blauschwarz, die Haut
desselben fein und gefaltet. Der Bart ist ziemlich lang, und trotz seines
kleinen Gesichtswinkels von nur 30 Grad hat er in Blick und
Gesichtsausdruck so viel Menschenaehnliches als die Marimonda (_Simia
Belzebuth_) und der Kapuziner am Orinoco (_S. chiropotes_). Bei den
Tausenden von Araguatos, die uns in den Provinzen Cumana, Caracas und
Guyana zu Gesicht gekommen, haben wir nie weder an einzelnen Exemplaren,
noch an ganzen Banden einen Wechsel im Rothbraun des Pelzes an Ruecken und
Schultern wahrgenommen. Durch die Farbe unterschiedene Spielarten schienen
mir ueberhaupt bei den Affen nicht so haeufig zu seyn, als die Zoologen
annehmen, und bei den gesellig lebenden Arten sind sie vollends sehr
selten.

Der Araguato bei Caripe ist eine neue Art der Gattung _Stentor_, die ich
unter dem Namen _Simia ursina_ bekannt gemacht habe. Ich habe ihn lieber
so benannt als nach der Farbe des Pelzes, und zwar desto mehr, da die
Griechen bereits einen stark behaarten Affen unter dem Namen
_Arctopithekos_ kannten. Derselbe unterscheidet sich sowohl vom Uarino
(_Simia Guariba_) als vom _Alouate roux_ (_S. Seniculus_). Blick, Stimme,
Gang, Alles an ihm ist truebselig. Ich habe ganz junge Araguatos gesehen,
die in den Huetten der Indianer aufgezogen wurden; sie spielen nie wie die
kleinen Sagoins, und Lopez del Gomara schildert zu Anfang des sechzehnten
Jahrhunderts ihr ernstes Wesen sehr naiv, wenn er sagt: "*Der Aranata de
los Cumaneses* hat ein Menschengesicht, einen Ziegenbart und eine
gravitaetische Haltung (_honrado gesto_)." Ich habe anderswo die Bemerkung
gemacht, dass die Affen desto truebseliger sind, je mehr Menschenaehnlichkeit
sie haben. Ihre Munterkeit und Beweglichkeit nimmt ab, je mehr sich die
Geisteskraefte bei ihnen zu entwickeln scheinen.

Wir hatten Halt gemacht, um den Heulaffen zuzusehen, wie sie zu dreissig,
vierzig in einer Reihe von Baum zu Baum auf den verschlungenen wagrechten
Aesten ueber den Weg zogen. Waehrend dieses neue Schauspiel uns ganz in
Anspruch nahm, kam uns ein Trupp Indianer entgegen, die den Bergen von
Caripe zuzogen. Sie waren voellig nackt, wie meistens die Eingeborenen hier
zu Lande. Die ziemlich schwer beladenen Weiber schlossen den Zug; die
Maenner, sogar die kleinsten Jungen, waren alle mit Bogen und Pfeilen
bewaffnet. Sie zogen still, die Augen am Boden, ihres Wegs. Wir haetten
gerne von ihnen erfahren, ob es noch weit nach der Mission Santa Cruz sey,
wo wir uebernachten wollten. Wir waren voellig erschoepft und der Durst
quaelte uns furchtbar. Die Hitze wurde drueckender, je naeher das Gewitter
kam, und wir hatten auf unserem Weg keine Quelle gefunden, um den Durst zu
loeschen. Da die Indianer uns immer _si Padre, no Padre_ zur Antwort gaben,
meinten wir, sie verstehen ein wenig Spanisch. In den Augen der
Eingeborenen ist jeder Weisse ein Moench, ein Pater; denn in den Missionen
zeichnet sich der Geistliche mehr durch die Hautfarbe als durch die Farbe
des Gewandes aus. Wie wir auch den Indianern mit Fragen, wie weit es noch
sey, zusetzten, sie erwiederten offenbar auf gerathewohl _si_ oder _no_,
und wir konnten aus ihren Antworten nicht klug werden. Diess war uns um so
verdriesslicher, da ihr Laecheln und ihr Geberdenspiel verriethen, dass sie
uns gerne gefaellig gewesen waeren, und der Wald immer dichter zu werden
schien. Wir mussten uns trennen; die indianischen Fuehrer, welche die
Chaymassprache verstanden, waren noch weit zurueck, da die beladenen
Maulthiere bei jedem Schritt in den Schluchten stuerzten.

Nach mehreren Stunden bestaendig abwaerts ueber zerstreute Felsbloecke sahen
wir uns unerwartet am Ende des Waldes von Santa Maria. So weit das Auge
reichte, lag eine Grasflur vor uns, die sich in der Regenzeit frisch
begruent hatte. Links sahen wir in ein enges Thal hinein, das sich dem
Guacharogebirge zuzieht und im Hintergrunde mit dichtem Walde bedeckt ist.
Der Blick streifte ueber die Baumwipfel weg, die 800 Fuss tief unter dem Weg
sich wie ein hingebreiteter, dunkelgruener Teppich ausnahmen. Die
Lichtungen im Walde glichen grossen Trichtern, in denen wir an der
zierlichen Gestalt und den gefiederten Blaettern Praga- und Irassepalmen
erkannten. Vollends malerisch wird die Landschaft dadurch, dass die Sierra
del Guacharo vor einem liegt. Ihr noerdlicher, dem Meerbusen von Cariaco
zugekehrter Abhang ist steil und bildet eine Felsmauer, ein fast
senkrechtes Profil, ueber dreitausend Fuss hoch. Diese Wand ist so schwach
bewachsen, dass man die Linien der Kalkschichten mit dem Auge verfolgen
kann. Der Gipfel der Sierra ist abgeplattet und nur am Ostende erhebt
sich, gleich einer geneigten Pyramide, der majestaetische Pic Guacharo.
Seine Gestalt erinnert an die Aiguilles und Hoerner der Schweizer Alpen
(Schreckhoerner, Finsteraarhorn). Da die meisten Berge mit steilem Abhang
hoeher scheinen, als sie wirklich sind, so ist es nicht zu verwundern, dass
man in den Missionen der Meinung ist, der Guacharo ueberrage den
Turimiquiri und den Brigantin.

Die Savane, ueber die wir zum indianischen Dorfe Santa Cruz zogen, besteht
aus mehreren sehr ebenen Plateaus, die wie Stockwerke ueber einander
liegen. Diese geologische Erscheinung, die in allen Erdstrichen vorkommt,
scheint darauf hinzudeuten, dass hier lange Zeit Wasserbecken uebereinander
lagen und sich in einander ergossen. Der Kalkstein geht nicht mehr zu Tage
aus; er ist mit einer dicken Schicht Dammerde bedeckt. Wo wir ihn im Walde
von Santa Maria zum letztenmale sahen, fanden wir Nester von Eisenerz
darin, und, wenn wir recht gesehen haben, ein Ammonshorn; es gelang uns
aber nicht, es loszubrechen. Es mass sieben Zoll im Durchmesser. Diese
Beobachtung ist um so interessanter, als wir sonst in diesem Theile von
Suedamerika nirgends einen Ammoniten gesehen haben. Die Mission Santa Cruz
liegt mitten in der Ebene. Wir kamen gegen Abend daselbst an, halb
verdurstet, da wir fast acht Stunden kein Wasser gehabt hatten. Der
Thermometer zeigte 26 Grad; wir waren auch nur noch 190 Toisen ueber dem
Meer. Wir brachten die Nacht in einer der Ajupas zu, die man "Haeuser des
Koenigs" nennt, und die, wie schon oben bemerkt, den Reisenden als *Tombo*
oder Caravanserai dienen. Wegen des Regens war an keine Sternbeobachtung
zu denken, und wir setzten des andern Tags, 23. September, unsern Weg zum
Meerbusen von Cariaco hinunter fort. Jenseits Santa Cruz faengt der dichte
Wald von Neuem an. Wir fanden daselbst unter Melastomenbueschen einen
schoenen Farn mit Blaettern gleich denen der Osmunda, die in der Ordnung der
Polypodiaceen eine neue Gattung (_Polybotria_) bildet.

Von der Mission Catuaro aus wollten wir ostwaerts ueber Santa Rosalia,
Casanay, San Josef, Carupano, Rio-Carives und den Berg Paria gehen,
erfuhren aber zu unserern grossen Verdruss, dass der starke Regen die Wege
bereits ungangbar gemacht habe und wir Gefahr laufen, unsere frisch
gesammelten Pflanzen zu verlieren. Ein reicher Cacaopflanzer sollte uns
von Santa Rosalia in den Hafen von Carupano begleiten. Wir hatten noch zu
rechter Zeit gehoert, dass er in Geschaeften nach Cumana muesse. So
beschlossen wir denn, uns in Cariaco einzuschiffen und gerade ueber den
Meerbusen, statt zwischen der Insel Margarita und der Landenge Araya
durch, nach Cumana zurueckzufahren.

Die Mission Catuaro liegt in ungemein wilder Umgebung. Hochstaemmige Baeume
stehen noch um die Kirche her und die Tiger fressen bei Nacht den
Indianern ihre Huehner und Schweine. Wir wohnten beim Geistlichen, einem
Moenche von der Congregation der Observanten, dem die Kapuziner die Mission
uebergeben hatten, weil es ihrem eigenen Orden an Leuten fehlte. Er war ein
Doktor der Theologie, ein kleiner, magerer, fast uebertrieben lebhafter
Mann; er unterhielt uns bestaendig von dem Process, den er mit dem Gardian
seines Klosters fuehrte, von der Feindschaft seiner Ordensbrueder, von der
Ungerechtigkeit der Alcaden, die ihn ohne Ruecksicht auf seine
Standesvorrechte ins Gefaengniss geworfen. Trotz dieser Abenteuer war ihm
leider die Liebhaberei geblieben, sich mit metaphysischen Fragen, wie er
es nannte, zu befassen. Er wollte meine Ansicht hoeren ueber den freien
Willen, ueber die Mittel, die Geister von ihren Koerperbanden frei zu
machen, besonders aber ueber die Thierseelen, lauter Dinge, ueber die er die
seltsamsten Ideen hatte. Wenn man in der Regenzeit sich durch Waelder
durchgearbeitet hat, ist man zu Spekulationen der Art wenig aufgelegt.
Uebrigens war in der kleinen Mission Catuaro Alles ungewoehnlich, sogar das
Pfarrhaus. Es hatte zwei Stockwerke und hatte dadurch zu einem hitzigen
Streit zwischen den weltlichen und geistlichen Behoerden Anlass gegeben. Dem
Gardian der Kapuziner schien es zu vornehm fuer einen Missionaer und er
hatte die Indianer zwingen wollen, es niederzureissen; der Statthalter
hatte kraeftige Einsprache gethan und auch seinen Willen gegen die Moenche
durchgesetzt. Ich erwaehne dergleichen an sich unbedeutende Vorfaelle nur,
weil sie einen Blick in die innere Verwaltung der Missionen werfen lassen,
die keineswegs immer so friedlich ist, als man in Europa glaubt.

Wir trafen in der Mission Catuaro den Corregidor des Distrikts, einen
liebenswuerdigen, gebildeten Mann. Er gab uns drei Indianer mit, die mit
ihren Machetes vor uns her einen Weg durch den Wald bahnen sollten. In
diesem wenig betretenen Lande ist die Vegetation in der Regenzeit so
ueppig, dass ein Mann zu Pferd auf den schmalen, mit Schlingpflanzen und
verschlungenen Baumaesten bedeckten Fusssteigen fast nicht durchkommt. Zu
unserem grossen Verdruss wollte der Missionaer von Catuaro uns durchaus nach
Cariaco begleiten. Wir konnten es nicht ablehnen; er liess uns jetzt mit
seinen Faseleien ueber die Thierseelen und den menschlichen freien Willen
in Ruhe, er hatte uns aber nunmehr von einem ganz andern, traurigeren
Gegenstand zu unterhalten. Den Unabhaengigkeitsbestrebungen, die im
Jahr 1798 in Caracas beinahe zu einem Ausbruch gefuehrt haetten, war eine
grosse Aufregung unter den Negern zu Coro, Maracaybo und Cariaco
vorangegangen und gefolgt. In letzterer Stadt war ein armer Neger zum Tod
verurtheilt worden, und unser Wirth, der Seelsorger von Catuaro, ging
jetzt hin, um ihm seinen geistlichen Beistand anzubieten. Wie lang kam uns
der Weg vor, auf dem wir uns in Verhandlungen einlassen mussten "ueber die
Nothwendigkeit des Sklavenhandels, ueber die angeborene Boesartigkeit der
Schwarzen, ueber die Segnungen, welche der Race daraus erwachsen, dass sie
als Sklaven unter Christen leben!"

Gegenueber dem "Code noir" der meisten andern Voelker, welche Besitzungen in
beiden Indien haben, ist die spanische Gesetzgebung unstreitig sehr mild.
Aber vereinzelt, auf kaum urbar gemachtem Boden leben die Neger in
Verhaeltnissen, dass die Gerechtigkeit, weit entfernt sie im Leben kraeftig
schuetzen zu koennen, nicht einmal im Stande ist die Barbareien zu
bestrafen, durch die sie ums Leben kommen. Leitet man eine Untersuchung
ein, so schreibt man den Tod des Sklaven seiner Kraenklichkeit zu, dem
heissen, nassen Klima, den Wunden, die man ihm allerdings beigebracht, die
aber gar nicht tief und durchaus nicht gefaehrlich gewesen. Die buergerliche
Behoerde ist in Allem, was die Haussklaverei angeht, machtlos, und wenn man
ruehmt, wie guenstig die Gesetze wirken, nach denen die Peitsche die und die
Form haben muss und nur so und so viel Streiche *auf einmal* gegeben werden
duerfen, so ist das reine Taeuschung. Leute, die nicht in den Colonien oder
doch nur auf den Antillen gelebt haben, sind meist der Meinung, da es im
Interesse des Herrn liege, dass seine Sklaven ihm erhalten bleiben, muessen
sie desto besser behandelt werden, je weniger ihrer seyen. Aber in Cariaco
selbst, wenige Wochen bevor ich in die Provinz kam, toedtete ein Pflanzer,
der nur acht Neger hatte, ihrer sechs durch unmenschliche Hiebe. Er
zerstoerte muthwillig den groessten Theil seines Vermoegens. Zwei der Sklaven
blieben auf der Stelle todt, mit den vier andern, die kraeftiger schienen,
schiffte er sich nach dem Hafen von Cumana ein, aber sie starben auf der
Ueberfahrt. Vor dieser abscheulichen That war im selben Jahr eine aehnliche
unter gleich empoerenden Umstaenden begangen worden. Solche furchtbare
Unthaten blieben so gut wie unbestraft; der Geist, der die Gesetze macht,
und der, der sie vollzieht, haben nichts mit einander gemein. Der
Statthalter von Cumana war ein gerechter, menschenfreundlicher Mann; aber
die Rechtsformen sind streng vorgeschrieben und die Gewalt des
Statthalters geht nicht so weit, um Missbraeuche abzustellen, die nun einmal
von jedem europaeischen Colonisationssystem untrennbar sind.

Der Weg durch den Wald von Catuaro ist nicht viel anders als der vom Berge
Santa Maria herab; auch sind die schlimmsten Stellen hier eben so
sonderbar getauft wie dort. Man geht wie in einer engen, durch die
Bergwasser ausgespuelten, mit feinem, zaehem Thon gefuellten Furche dahin.
Bei den jaehsten Abhaengen senken die Maulthiere das Kreuz und rutschen
hinunter; das nennt man nun *Saca-Manteca*, weil der Koth so weich ist wie
*Butter*. Bei der grossen Gewandtheit der einheimischen Maulthiere ist
dieses Hinabgleiten ohne alle Gefahr. Der Weg fuehrt ueber die Felsschichten
herab, die am Ausgehenden Stufen von verschiedener Hoehe bilden, und so ist
es auch hier ein wahrer "chemin des echelles." Weiterhin, wenn man zum
Wald heraus ist, kommt man zum Berge *Buenavista*. Er verdient den Namen,
denn von hier sieht man die Stadt Cariaco in einer weiten, mit
Pflanzungen, Huetten und Gruppen von Cocospalmen bedeckten Ebene. Westwaerts
von Cariaco breitet sich der weite Meerbusen aus, den eine Felsmauer vom
Ocean trennt; gegen Ost zeigen sich, gleich blauen Wolken, die hohen
Gebirge von Areo und Paria. Es ist eine der weitesten, prachtvollsten
Aussichten an der Kueste von Neu-Andalusien.

Wir fanden in Cariaco einen grossen Theil der Einwohner in ihren
Haengematten krank am Wechselfieber. Diese Fieber werden im Herbst boesartig
und gehen in Ruhren ueber. Bedenkt man, wie ausserordentlich fruchtbar und
feucht die Ebene ist, und welch ungeheure Masse von Pflanzenstoff hier
zersetzt wird, so sieht man leicht, warum die Luft hier nicht so gesund
seyn kann wie ueber dem duerren Boden von Cumana. Nicht leicht finden sich
in der heissen Zone grosse Fruchtbarkeit des Bodens, haeufige, lange dauernde
Wasserniederschlaege, eine ungemein ueppige Vegetation beisammen, ohne dass
diese Vortheile durch ein Klima ausgewogen wuerden, das der Gesundheit der
Weissen mehr oder weniger gefaehrlich wird. Aus denselben Ursachen, welche
den Boden so fruchtbar machen und die Entwicklung der Gewaechse
beschleunigen, entwickeln sich auch Gase aus dem Boden, die sich mit der
Luft mischen und sie ungesund machen. Wir werden oft Gelegenheit haben,
auf die Verknuepfung dieser Erscheinungen zurueckzukommen, wenn wir den
Cacaobau und die Ufer des Orinoco beschreiben, wo es Flecke gibt, an denen
sich sogar die Eingeborenen nur schwer acclimatisiren. Im Thale von
Cariaco haengt uebrigens die Ungesundheit der Luft nicht allein von den eben
erwaehnten allgemeinen Ursachen ab; es machen sich dabei auch lokale
Verhaeltnisse geltend. Es wird nicht ohne Interesse seyn, den Landstrich,
der die Meerbusen von Cariaco und von Paria von einander trennt, naeher zu
betrachten.

Vom Kalkgebirge des Brigantin und Cocollar laeuft ein starker Ast nach Nord
und haengt mit dem Urgebirg an der Kueste zusammen. Dieser Ast heisst _Sierra
de Meapire_; der Stadt Cariaco zu fuehrt er den Namen _Cerro grande de
Cariaco_. Er schien mir im Durchschnitt nicht ueber 150-200 Toisen hoch; wo
ich ihn untersuchen konnte, besteht er aus dem Kalkstein des Uferstrichs.
Mergel- und Kalkschichten wechseln mit andern, welche Quarzkoerner
enthalten. Wer die Reliefbildung des Landes zu seinem besondern Studium
macht, muss es auffallend finden, dass ein quergelegter Gebirgskamm unter
rechtem Winkel zwei Ketten verbindet, deren eine, suedliche, aus secundaeren
Gebirgsbildungen besteht, waehrend die andere, noerdliche, Urgebirge ist.
Auf dem Gipfel des Cerro de Meapire sieht man das Gebirge einerseits nach
dem Meerbusen von Paria, andererseits nach dem von Cariaco sich abdachen.
Ostwaerts und westwaerts vom Kamm liegt ein niedriger, sumpfiger Boden, der
ohne Unterbrechung fortstreicht, und nimmt man an, dass die beiden
Meerbusen dadurch entstanden sind, dass der Boden durch Erdbeben zerrissen
worden ist und sich gesenkt hat, so muss man voraussetzen, dass der Cerro de
Meapire diesen gewaltsamen Erschuetterungen widerstanden hat, so dass der
Meerbusen von Paria und der von Cariaco nicht zu Einem verschmelzen
konnten. Waere dieser Felsdamm nicht da, so bestuende wahrscheinlich auch
die Landenge nicht. Vom Schlosse Araya bis zum Cap Paria wuerde die ganze
Gebirgsmasse an der Kueste eine schmale, Margarita parallel laufende,
viermal laengere Insel bilden. Diese Ansichten gruenden sich nicht nur auf
unmittelbare Untersuchung des Bodens und die Schluesse aus der
Reliefbildung desselben; schon ein Blick auf die Umrisse der Kuesten und
die geognostische Karte des Landes muss auf dieselben Gedanken bringen. Die
Insel Margarita hat, wie es scheint, frueher mit der Kuestenkette von Araya
durch die Halbinsel Chacopata und die caraibischen Inseln Lobo und Coche
zusammengehangen, wie die Kette noch jetzt mit den Gebirgen des Cocollar
und von Caripe durch den Gebirgskamm Meapire zusammenhaengt.

Im gegenwaertigen Zustand der Dinge sieht man die feuchten Ebenen, die ost-
und westwaerts vom Kamm streichen und uneigentlich die Thaeler von San
Bonifacio und Cariaco heissen, sich fortwaehrend in das Meer hinaus
verlaengern. Das Meer zieht sich zurueck, und diese Verrueckung der Kueste ist
besonders bei Cumana auffallend. Wenn die Hoehenverhaeltnisse des Bodens
darauf hinweisen, dass die Meerbusen von Cariaco und Paria frueher einen
weit groesseren Umfang hatten, so laesst sich auch nicht in Zweifel ziehen,
dass gegenwaertig das Land sich allmaehlich vergroessert. Bei Cumana wurde im
Jahr 1791 eine Batterie, die sogenannte Bocca, dicht am Meer gebaut, im
Jahr 1799 sahen wir sie weit im Lande liegen. An der Muendung des Rio
Nevari, beim Morro de Nueva Barcelona, zieht sich das Meer noch rascher
zurueck. Diese lokale Erscheinung ruehrt wahrscheinlich von Anschwemmungen
her, deren Zunahmeverhaeltnisse noch nicht gehoerig beobachtet sind.

Geht man von der Sierra de Meapire, welche die Landenge zwischen den
Ebenen von San Bonifacio und von Cariaco bildet, herab, so kommt man gegen
Ost an den grossen Putacuao, der mit dem Rio Areo in Verbindung steht und
4-5 Meilen breit ist. Das Gebirgsland um dieses Becken ist nur den
Eingeborenen bekannt. Hier kommen die grossen Boas vor, welche die
Chaymas-Indianer *Guainas* nennen, und denen sie einen Stachel unter dem
Schwanz andichten. Geht man von der Sierra Meapire nach West hinunter, so
betritt man zuerst einen "hohlen Boden" (_tierra hueca_), der bei dem
grossen Erdbeben des Jahres 1766 in zaehes Erdoel gehuellten Asphalt auswarf;
weiterhin sieht man eine Unzahl warmer, schwefelwasserstoffhaltiger
Quellen aus dem Boden brechen, und endlich kommt man zum See Campoma,
dessen Ausduenstungen zum Theil die Ungesundheit des Klimas von Cariaco
veranlassen. Die Eingeborenen glauben, der Boden sey desshalb hohl, weil
die warmen Wasser sich hier aufgestaut haben, und nach dem Schall des
Hufschlags scheinen sich die unterirdischen Hoehlungen von West nach Ost
bis Casanay, drei bis viertausend Toisen weit zu erstrecken. Ein Fluesschen,
der Rio Azul, laeuft durch diese Ebenen. Sie sind zerklueftet in Folge von
Erdbeben, die hier einen besondern Herd haben und sich selten bis Cumana
fortpflanzen. Das Wasser des Rio Azul ist kalt und hell; er entspringt am
westlichen Abhang des Meapire, und man glaubt, er sey desshalb so stark,
weil das Gewaesser des Putacuao-Sees auf der andern Seite des Gebirgszugs
durchsickere. Das Fluesschen und die schwefelwasserstoffhaltigen Quellen
ergiessen sich zusammen in die Laguna de Campoma. So heisst ein weites
Sumpfland, das in der trockenen Jahreszeit in drei Becken zerfaellt, die
nordwestlich von der Stadt Cariaco am Ende des Meerbusens liegen.
Uebelriechende Duenste steigen fortwaehrend vom stehenden Sumpfwasser auf.
Sie riechen nach Schwefelwasserstoff und zugleich nach faulen Fischen und
zersetzten Vegetabilien.

Die Miasmen bilden sich im Thale von Cariaco gerade wie in der roemischen
Campagna; aber durch die tropische Hitze wird ihre verderbliche Kraft
gesteigert. Durch die Lage der Laguna von Campoma wird der Nordwest, der
sehr oft nach Sonnenuntergang weht, den Einwohnern der kleinen Stadt
Cariaco hoechst gefaehrlich. Sein Einfluss unterliegt desto weniger einem
Zweifel, da die Wechselfieber dem Sumpfe zu, der der Hauptherd der faulen
Miasmen ist, immer haeufiger in Nervenfieber uebergehen. Ganze Familien
freier Neger, die an der Nordkueste des Meerbusens von Cariaco kleine
Pflanzungen besitzen, liegen mit Eintritt der Regenzeit siech in ihren
Haengematten. Diese Fieber nehmen den Charakter remittirender boesartiger
Fieber an, wenn man sich, erschoepft von langer Arbeit und starker
Hautansduenstung, dem feinen Regen aussetzt, der gegen Abend haeufig faellt.
Die Farbigen, besonders aber die Creolenneger, widerstehen den
klimatischen Einfluessen mehr als irgend ein anderer Menschenschlag. Man
behandelt die Kranken mit Limonade, mit dem Aufguss von _Scoparia dulcis_,
selten mit Euspare, das heisst mit der Chinarinde von Angostura.

Im Ganzen ist bei den Epidemien in Cariaco die Sterblichkeit geringer, als
man erwarten sollte. Wenn das Wechselfieber mehrere Jahre hinter einander
einen Menschen befaellt, so greift es den Koerper stark an und bringt ihn
herunter; aber dieser Schwaechezustand, der in ungesunden Gegenden so
haeufig vorkommt, fuehrt nicht zum Tode. Auch ist es merkwuerdig, dass hier,
wie in der roemischen Campagna, der Glaube herrscht, die Luft sey in dem
Masse ungesunder geworden, je mehr Morgen Landes man urbar gemacht. Die
Miasmen, die diesen Ebenen entsteigen, haben indessen nichts gemein mit
jenen, die sich bilden, wenn man einen Wald niederschlaegt und nun die
Sonne eine dicke Schicht abgestorbenen Laubs erhitzt; bei Cariaco ist das
Land kahl und sehr sparsam bewaldet. Soll man glauben, dass frisch
ausgewaehlte und vom Regen durchfeuchtete Dammerde die Luft mehr verderbt
als der dichte Pflanzenfilz, der einen nicht bebauten Boden bedeckt? Zu
diesen oertlichen Ursachen kommen andere, weniger zweifelhafte. Das nahe
Meeresufer ist mit Manglebaeumen, Avicennien und andern Baumarten mit
adstringirender Rinde bedeckt. Alle Tropenbewohner sind mit den
schaedlichen Ausduenstungen dieser Gewaechse bekannt, und man fuerchtet sie
desto mehr, wenn Wurzeln und Stamm nicht immer unter Wasser stehen,
sondern abwechselnd nass und von der Sonne erhitzt werden. Die Manglebaeume
erzeugen Miasmen, weil sie, wie ich anderswo gezeigt habe, einen
thierisch-vegetabilischen, an Gerbstoff gebundenen Stoff enthalten. Man
behauptet, der Kanal, durch den die Laguna de Campoma mit dem Meer
zusammenhaengt, liesse sich leicht erweitern und so dem stehenden Wasser ein
Abfluss verschaffen. Die freien Neger, die das Sumpfland haeufig betreten,
versichern sogar, der Durchstich brauchte gar nicht tief zu seyn, da das
kalte, klare Wasser des Rio Azul sich auf dem Boden des Sees befindet und
man beim Nachgraben aus den untern Schichten trinkbares, geruchloses
Wasser erhaelt.

Die Stadt Cariaco ist mehreremale von den Caraiben verheert worden. Die
Bevoelkerung hat rasch zugenommen, seit die Provinzialbehoerden, den
Verboten des Madrider Hofs zuwider, nicht selten dem Handel mit fremden
Colonien Vorschub geleistet haben. Sie hat sich in zehn Jahren verdoppelt
und betrug im Jahr 1800 ueber 6000 Seelen. Die Einwohner treiben sehr
fleissig Baumwollenbau; die Baumwolle ist sehr schoen und es werden mehr als
10,000 Centner erzeugt. Die leeren Huelsen der Baumwolle werden sorgsam
verbrannt; wirft man sie in den Fluss, wo sie faulen, so erzeugen sie
Ausduenstungen, die man fuer schaedlich haelt. Der Bau des Cacaobaums hat in
letzter Zeit sehr abgenommen. Dieser koestliche Baum traegt erst im achten
bis zehnten Jahr. Die Frucht ist schwer in Magazinen aufzubewahren, und
nach Jahresfrist "geht sie an," wenn sie noch so sorgfaeltig getrocknet
worden ist. Dieser Nachtheil ist fuer den Colonisten von grossem Belang. Auf
diesen Kuesten ist je nach der Laune eines Ministeriums und dem mehr oder
minder kraeftigen Widerstand der Statthalter der Handel mit den Neutralen
bald verboten, bald mit gewissen Beschraenkungen gestattet. Die Nachfrage
nach einer Waare und die Preise, die sich nach der Nachfrage bestimmen,
unterliegen daher dem raschesten Wechsel. Der Colonist kann sich diese
Schwankungen nicht zu Nutze machen, weil sich der Cacao in den Magazinen
nicht haelt. Die alten Cacaostaemme, die meist nur bis zum vierzigsten Jahre
tragen, sind daher nicht durch junge ersetzt worden. Im Jahr 1792 zaehlte
man ihrer noch 254,000 im Thal von Cariaco und am Ufer des Meerbusens.
Gegenwaertig zieht man andere Culturzweige vor, welche gleich im ersten
Jahr einen Ertrag liefern, und deren Produkte nicht nur nicht so lange aus
sich warten lassen, sondern auch leichter aufzubewahren sind. Solche sind
Baumwolle und Zucker, die nicht der Verderbniss unterliegen wie der Cacao
und sich aufbewahren lassen, so dass man sie im guenstigsten Zeitpunkt
losschlagen kann. Die Umwandlungen, die in Folge der fortschreitenden
Cultur und des Verkehrs mit Fremden Sitten und Charakter der
Kuestenbewohner erlitten, haben anuch bestimmend mitgewirkt, wenn sie jetzt
diesem und jenem Culturzweig den Vorzug geben. Jenes Mass in der sinnlichen
Begierde, jene Geduld, die lange warten kann, jene Gemuethsruhe, welche die
truebselige Eintoenigkeit des einsamen Lebens ertragen laesst, verschwinden
nach und nach aus dem Charakter der Hispano-Amerikaner. Sie werden
unternehmender, leichtsinniger, beweglicher und werfen sich mehr auf
Unternehmungen, die einen raschen Ertrag geben.

Nur im Innern der Provinz, ostwaerts von der Sierra de Meapire, auf dem
unbebauten Boden von Carupano an durch das Thal San Bonifacio bis zum
Meerbusen von Paria entstehen neue Cacaopflanzungen. Sie werden dort desto
eintraeglicher, je mehr die Luft ueber dem frisch urbar gemachten, von
Waeldern umgebenen Land stockt, je mehr sie mit Wasser und mephitischen
Duensten geschwaengert ist. Hier leben Familienvaeter, welche, treu den alten
Sitten der Colonisten, sich und ihren Kindern langsam, aber sicher
Wohlstand erarbeiten. Sie behelfen sich bei ihrer muehsamen Arbeit mit
einem einzigen Sklaven; sie brechen mit eigener Hand den Boden um, ziehen
die jungen Cacaobaeume im Schatten der Erythrina und der Bananenbaeume,
beschneiden den erwachsenen Baum, vertilgen die Massen von Wuermern und
Insekten, welche Rinde, Blaetter und Bluethen anfallen, legen Abzugsgraeben
an, und unterziehen sich sieben, acht Jahre lang einem elenden Leben, bis
der Cacaobaum anfaengt Ernten zu liefern. Dreissig tausend Staemme sichern
den Wohlstand einer Familie auf anderthalb Generationen. Wenn durch die
Baumwolle und den Kaffee der Bau des Cacao in der Provinz Caracas und im
kleinen Thale von Cariaco beschraenkt worden ist, so hat dagegen letzterer
Zweig der Colonialindustrie im Innern der Provinzen Neubarcelona und
Cumana zugenommen. Warum die Cacaopflanzungen sich von West nach Ost mehr
und mehr ausbreiten, ist leicht einzusehen. Die Provinz Caracas ist die am
fruehesten bebaute; je laenger aber ein Land urbar gemacht ist, desto
baumloser wird es in der heissen Zone, desto duerrer, desto mehr den Winden
ausgesetzt. Dieser Wechsel in der aeussern Natur ist dem Gedeihen des
Cacaobaums hinderlich, und desshalb gehen die Pflanzungen in der Provinz
Caracas ein und haeufen sich dafuer westwaerts auf unberuehrtem, erst kuerzlich
urbar gemachtem Boden. Die Provinz Neu-Andalusien allein erzeugte im
Jahr 1799 18,000-20,000 Fanegas Cacao (zu 40 Piastern die Fanega in
Friedenszeiten), wovon 5000 nach der Insel Trinidad geschmuggelt wurden.
Der Cacao von Cumana ist ohne allen Vergleich besser als der von
Guayaquil.

Die in Cariaco herrschenden Fieber noethigten uns zu unserem Bedauern,
unsern Aufenthalt daselbst abzukuerzen. Da wir noch nicht recht
acclimatisirt waren, so riethen uns selbst die Colonisten, an die wir
empfohlen waren, uns auf den Weg zu machen. Wir lernten in der Stadt viele
Leute kennen, die durch eine gewisse Leichtigkeit des Benehmens, durch
umfassenderen Ideenkreis und, darf ich hinzusetzen, durch entschiedene
Vorliebe fuer die Regierungssorm der Vereinigten Staaten verriethen, dass
sie viel mit dem Ausland in Verkehr gestanden. Hier hoerten wir zum
erstenmal in diesem Himmelsstriche die Namen Franklin und Washington mit
Begeisterung aussprechen. Neben dem Ausdruck dieser Begeisterung bekamen
wir Klagen zu hoeren ueber den gegenwaertigen Zustand von Neu-Andalusien,
Schilderungen, oft uebertriebene, des natuerlichen Reichthums des Landes,
leidenschaftliche, ungeduldige Wuensche fuer eine bessere Zukunft. Diese
Stimmung musste einem Reisenden ausfallen, der unmittelbarer Zeuge der
grossen politischen Erschuetterungen in Europa gewesen war. Noch gab sich
darin nichts Feindseliges, Gewaltsames, keine bestimmte Richtung zu
erkennen. Gedanken und Ausdruck hatten die Unsicherheit, die, bei den
Voelkern wie beim Einzelnen, als ein Merkmal der halben Bildung, der
voreilig sich entwickeln den Kultur erscheint. Seit die Insel Trinidad
eine englische Colonie geworden ist, hat das ganze oestliche Ende der
Provinz Cumana, zumal die Kueste von Paria und der Meerbusen dieses Namens
ein ganz anderes Gesicht bekommen. Fremde haben sich da niedergelassen und
den Bau des Kaffeebaums, des Baumwollenstrauchs, des otaheitischen
Zuckerrohrs eingefuehrt. In Carupano, im schoenen Thal des Rio Caribe, in
Guire und im neuen Flecken Punta de Pietro gegenueber dem Puerto d'Espana
auf Trinidad hat die Bevoelkerung sehr stark zugenommen. Im _Golfo triste_
ist der Boden so fruchtbar, dass der Mais jaehrlich zwei Ernten und das
380ste Korn gibt. Die Vereinzelung der Niederlassungen hat dem Handel mit
fremden Colonien Vorschub geleistet, und seit dem Jahr 1797 ist eine
geistige Umwaelzung eingetreten, die in ihren Folgen dem Mutterland noch
lange nicht verderblich geworden waere, haette nicht das Ministerium fort
und fort alle Interessen gekraenkt, alle Wuensche missachtet, Es gibt in den
Streitigkeiten der Colonien mit dem Mutterland, wie fast in allen
Volksbewegnngen, einen Moment, wo die Regierungen, wenn sie nicht ueber den
Gang der menschlichen Dinge voellig verblendet sind, durch kluge,
fuersichtige Maessigung das Gleichgewicht herstellen und den Sturm beschwoeren
koennen. Lassen sie diesen Zeitpunkt voruebergehen, glauben sie durch
physische Gewalt eine moralische Bewegung niederschlagen zu koennen, so
gehen die Ereignisse unaufhaltsam ihren Gang und die Trennung der Colonien
erfolgt mit desto verderblicherer Gewaltsamkeit, wenn das Mutterland
waehrend des Streits seine Monopole und seine fruehere Gewalt wieder eine
Zeitlang hatte aufrecht erhalten koennen.

Wir schifften uns Morgens sehr frueh ein, in der Hoffnung, die Ueberfahrt
ueber den Meerbusen von Cariaco in Einem Tage machen zu koennen. Das Meer
ist hier nicht unruhiger als unsere grossen Landseen, wenn sie vom Winde
sanft bewegt werden. Es sind vom Landungsplatz nach Cumana nur zwoelf
Seemeilen. Als wir die kleine Stadt Cariaco im Ruecken hatten, gingen wir
westwaerts am Flusse Carenicuar hin, der schnurgerade wie ein kuenstlicher
Kanal durch Gaerten und Baumwollenpflanzungen laeuft. Der ganze, etwas
sumpfige Boden ist aufs sorgsamste angebaut. Waehrend unseres Aufenthalts
in Peru wurde hier auf trockeneren Stellen der Kaffeebau eingefuehrt. Wir
sahen am Flusse indianische Weiber ihr Zeug mit der Frucht des *Parapara*
(_Sapindus saponaria_) waschen. Feine Waesche soll dadurch sehr mitgenommen
werden. Die Schale der Frucht gibt einen starken Schaum und die Frucht ist
so elastisch, dass sie, wenn man sie auf einen Stein wirft, drei, viermal
sieben bis acht Fuss hoch aufspringt. Da sie kugeligt ist, verfertigt man
Rosenkraenze daraus.

Kaum waren wir zu Schiffe, so hatten wir mit widrigen Winden zu kaempfen.
Es regnete in Stroemen und ein Gewitter brach in der Naehe aus. Schaaren von
Flamingos, Reihern und Cormorans zogen dem Ufer zu. Nur der Alcatras, eine
grosse Pelicanart, fischte ruhig mitten im Meerbusen weiter. Wir waren
unser achtzehn Passagiere, und auf der engen, mit Rohzucker,
Pisangbuescheln und Cocosnuessen ueberladenen Pirogue (Fancha) konnten wir
unsere Instrumente und Sammlungen kaum unterbringen. Der Rand des
Fahrzeugs stand kaum ueber Wasser. Der Meerbusen ist fast ueberall 45-50
Faden tief, aber am oestlichen Ende bei Curaguaca findet das Senkblei fuenf
Meilen weit nur 3-4 Faden. Hier liegt der Baxo de la Cotua, eine Sandbank,
die bei der Ebbe als Eiland ueber Wasser kommt. Die Piroguen, die
Lebensmittel nach Cumana bringeng stranden manchmal daran, aber immer ohne
Gefahr, weil die See hier niemals hoch geht und scholkt. Wir fuhren ueber
den Strich des Meerbusens, wo auf dem Boden der See heisse Quellen
entspringen. Es war gerade Fluth und daher der Temperaturwechsel weniger
merkbar; auch fuhr unsere Pirogue zu nahe an der Suedkueste hin. Man sieht
leicht, dass man Wasserschichten von verschiedener Temperatur antreffen
muss, je nachdem die See mehr oder minder tief ist, oder je nachdem die
Stroemungen und der Wind die Mischung des warmen Quellwassers und des
Wassers des Golfs befoerdern. Diese heissen Quellen, die, wie behauptet
wird, auf 10,000-12,000 Quadrattoisen die Temperatur der See erhoehen, sind
eine sehr merkwuerdige Erscheinung. Geht man vom Vorgebirge Paria westwaerts
ueber Irapa, _Aguas calientes_, den Meerbusen von Cariaco, den Brigantin
und die Thaeler von Aragua bis zu den Schneegebirgen von Merida, so findet
man auf einer Strecke von mehr als 150 Meilen eine ununterbrochene Reihe
von warmen Quellen.

Der widrige Wind und der Regen noethigten uns bei Pericantral, einem
kleinen Hofe aus der Suedkueste des Meerbusens, zu landen. Diese ganze,
schoen bewachsene Kueste ist fast ganz unbebaut; man zaehlt kaum
700 Einwohner und ausser dem Dorfe Mariguitar sieht man nichts als
Pflanzungen von Cocosbaeumen, die die Oelbaeume des Landes sind. Diese Palme
waechst in beiden Continenten in einer Zone, wo die mittlere
Jahrestemperatur nicht unter 20 deg. betraegt. Sie ist, wie der Chamaerops im
Becken des Mittelmeers, eine wahre "Kuestenpalme." Sie zieht Salzwasser dem
suessen Wasser vor und kommt im Innern des Landes, wo die Luft nicht mit
Salztheilchen geschwaengert ist, lange nicht so gut fort als auf den
Kuesten. Wenn man in Terra Firma oder in den Missionen am Orinoco
Cocosnussbaeume weit von der See pflanzt, wirft man ein starkes Quantum
Salz, oft einen halben Scheffel, in das Loch, in das die Cocosnuesse gelegt
werden. Unter den Culturgewaechsen haben nur noch das Zuckerrohr, der
Bananenbaum, der Mammei und der Avocatier, gleich dem Cocosnussbaum, die
Eigenschaft, dass sie mit suessem oder mit Salzwasser begossen werden koennen.
Dieser Umstand beguenstigt ihre Verpflanzung, und das Zuckerrohr von der
Kueste gibt zwar einen etwas salzigten Saft, derselbe eignet sich aber, wie
man glaubt, besser zur Branntweindestillation als der Saft aus dem
Binnenlande.

Im uebrigen Amerika wird der Cocosnussbaum meist nur um die Hoefe gepflanzt,
und zwar um der essbaren Frucht willen; am Meerbusen von Cariaco dagegen
sieht man eigentliche Pflanzungen davon. Man spricht in Cumana von einer
_hacienda de coco_, wie von einer _hacienda de cana_ oder _cacao_. Auf
fruchtbarem, feuchtem Boden faengt der Cocosbaum im vierten Jahre an
reichlich Fruechte zu tragen; auf duerrem Lande dagegen erhaelt man vor dem
zehnten Jahre keine Ernte. Der Baum dauert nicht ueber 80-100 Jahre aus,
und er ist dann im Durchschnitt 70-80 Fuss hoch. Dieses rasche Wachsthum
ist desto ausfallender, da andere Palmen, z. B. der Moriche (_Mauritia
flexuosa_) und die _Palma de Sombrero_ (_Coripha tectorum_), die sehr
lange leben, im sechzigsten Jahr oft erst 14-18 Fuss hoch sind. In den
ersten dreissig bis vierzig Jahren traegt am Meerbusen von Cariaco ein
Cocosbaum jeden Monat einen Bueschel mit 10-14 Fruechten, von denen jedoch
nicht alle reif werden. Man kann im Durchschnitt jaehrlich auf den Baum
100 Nuesse rechnen, die acht Flascos [Der Flasco zu 70-80 Pariser
Cubikzoll] Oel geben. Der Flasco gilt zwei einen halben Silberrealen oder
32 Sous. In der Provence gibt ein dreissigjaehriger Oelbaum zwanzig Pfund
oder sieben Flascos Oel, also etwas weniger als der Cocosbaum. Es gibt im
Meerbusen von Cariaco Haciendas mit 8000-9000 Cocosbaeumen; ihr malerischer
Anblick erinnert an die herrlichen Dattelpflanzungen bei Elche in Murcia,
wo auf einer Quadratmeile ueber 70,000 Palmstaemme bei einander stehen. Der
Cocosbaum traegt nur bis zum dreissigsten bis vierzigsten Jahr reichlich,
dann nimmt der Ertrag ab und ein hundertjaehriger Stamm ist zwar nicht ganz
unfruchtbar, bringt aber sehr wenig mehr ein. In der Stadt Cumana wird
sehr viel Cocosnussoel geschlagen; es ist klar, geruchlos und ein gutes
Brennmaterial. Der Handel damit ist so lebhaft als auf der Westkueste von
Afrika der Handel mit Palmoel, das von _Elays guinneensis_ kommt. Dieses
ist ein Speiseoel. In Cumana sah ich mehr als einmal Piroguen ankommen, die
mit 3000 Cocosnuessen beladen waren. Ein Baum von gutem Ertrag gibt ein
jaehrliches Einkommen von 21/2 Piastern (14 Francs 5 Sous), da aber auf den
_Haciendas de Coco_ Staemme von verschiedenem Alter durch einander stehen,
so wird bei Schaetzungen durch Sachverstaendige das Kapital nur zu
4 Piastern angenommen.

Wir verliessen den Hof Pericantral erst nach Sonnenuntergang. Die Suedkueste
des Meerbusens in ihrem reichen Pflanzenschmuck bietet den lachendsten
Anblick, die Nordkueste dagegen ist felsigt, nackt und duerr. Trotz des
duerren Bodens und des seltenen Regens, der zuweilen fuenfzehn Monate
ausbleibt, wachsen auf der Halbinsel Araya (wie in der Wueste Canound in
Indien) 30-50 Pfund schwere *Patillas* oder Wassermelonen. In der heissen
Zone ist die Luft etwa zu 9/10 mit Wasserdunst gesaettigt und die
Vegetation erhaelt sich dadurch, dass die Blaetter die wunderbare Eigenschaft
haben, das in der Luft aufgeloeste Wasser einzusaugen. Wir hatten auf der
engen, ueberladenen Pirogue eine recht schlechte Nacht und befanden uns um
drei Uhr Morgens an der Muendung des Rio Manzanares. Wir waren seit
mehreren Wochen an den Anblick der Gebirge, an Gewitterhimmel und finstere
Waelder gewoehnt, und so fielen uns jetzt die Naturverhaeltnisse von Cumana,
der ewig heitere Himmel, der kahle Boden, die Masse des ueberall
zurueckgeworfenen Lichtes doppelt auf.

Bei Sonnenaufgang sahen wir Tamurosgeier (_Vultur aura_) zu Vierzigen und
Fuenfzigen auf den Cocosnussbaeumen sitzen. Diese Voegel hocken zum Schlafen
in Reihen zusammen, wie die Huehner, und sie sind so traege, dass sie, lange
ehe die Sonne untergeht, aufsitzen und erst wieder erwachen, wenn ihre
Scheibe bereits ueber dem Horizont steht. Es ist, als ob die Baeume mit
gefiederten Blaettern nicht minder traege waeren. Die Mimosen und Tamarinden
schliessen bei heiterem Himmel ihre Blaetter 25-30 Minuten vor
Sonnenuntergang, und sie oeffnen sie am Morgen erst, wenn die Scheibe
bereits eben so lang am Himmel steht. Da ich Sonnen-Auf- und Untergang
ziemlich regelmaessig beobachtete, um das Spiel der Luftspiegelung und der
irdischen Refraction zu verfolgen, so konnte ich auch die Erscheinungen
des Pflanzenschlafs fortwaehrend im Auge behalten. Ich fand sie gerade so
in den Steppen, wo der Blick aus den Horizont durch keine Unebenheit des
Bodens unterbrochen wird. Die sogenannten Sinnpflanzen und andere
Schotengewaechse mit seinen, zarten Blaettern empfinden, scheint es, da sie
den Tag ueber an ein sehr starkes Licht gewoehnt sind, Abends die geringste
Abnahme in der Staerke der Lichtstrahlen, so dass fuer diese Gewaechse, dort
wie bei uns, die Nacht eintritt, bevor die Sonnenscheibe ganz verschwunden
ist. Aber wie kommt es, dass in einem Erdstriche, wo es fast keine
Daemmerung gibt, die ersten Sonnenstrahlen die Blaetter nicht um so staerker
aufregen, da durch die Abwesenheit des Lichts ihre Reizbarkeit gesteigert
worden seyn muss? Laesst sich vielleicht annehmen, dass die Feuchtigkeit, die
sich durch die Erkaltung der Blaetter in Folge der naechtlichen Strahlung
auf dem Parenchym niederschlaegt, die Wirkung der ersten Sonnenstrahlen
hindert? In unsern Himmelsstrichen erwachen die Schotengewaechse mit
reizbaren Blaettern schon ehe die Sonne sich zeigt, in der Morgendaemmerung.

                            ------------------






***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK REISE IN DIE AEQUINOCTIAL-GEGENDEN DES NEUEN CONTINENTS. BAND 1.***



CREDITS


September 3, 2007

            Project Gutenberg TEI edition 01
            R. Stephan and K. Stueber



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    Chief Executive and Director
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***FINIS***