The Project Gutenberg EBook of Ein Kampf um Rom. Erster Band by Felix Dahn This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at http://www.gutenberg.org/license Title: Ein Kampf um Rom. Erster Band Author: Felix Dahn Release Date: February 16, 2010 [Ebook #31294] Language: German Character set encoding: US-ASCII ***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK EIN KAMPF UM ROM. ERSTER BAND*** Ein Kampf um Rom. Historischer Roman von Felix Dahn. _Motto:_ "Wenn etwas ist, gewalt'ger als das Schicksal So ist's der Mut, der's unerschuettert traegt" _Geibel._ Erster Band. 48. Auflage. Leipzig, Druck und Verlag von Breitkopf und Haertel. 1906. Alle Rechte, insbesondere auch das der Uebersetzung, vorbehalten. Meinem lieben Freund und Kollegen Ludwig Friedlaender zu eigen. INHALT Vorwort. Erstes Buch. Theoderich. Erstes Kapitel. Zweites Kapitel. Drittes Kapitel. Viertes Kapitel. Fuenftes Kapitel. Sechstes Kapitel. Siebentes Kapitel. Zweites Buch. Athalarich. Erstes Kapitel. Zweites Kapitel. Drittes Kapitel. Viertes Kapitel. Fuenftes Kapitel. Sechstes Kapitel. Siebentes Kapitel. Achtes Kapitel. Neuntes Kapitel. Zehntes Kapitel. Elftes Kapitel. Drittes Buch. Amalaswintha. Erstes Kapitel. Zweites Kapitel. Drittes Kapitel. Viertes Kapitel. Fuenftes Kapitel. Sechstes Kapitel. Siebentes Kapitel. Achtes Kapitel. Neuntes Kapitel. Zehntes Kapitel. Elftes Kapitel. Zwoelftes Kapitel. Dreizehntes Kapitel. Vierzehntes Kapitel. Fuenfzehntes Kapitel. Sechzehntes Kapitel. Siebzehntes Kapitel. Achtzehntes Kapitel. Neunzehntes Kapitel. Zwanzigstes Kapitel. Einundzwanzigstes Kapitel. Zweiundzwanzigstes Kapitel. Dreiundzwanzigstes Kapitel. Vierundzwanzigstes Kapitel. Fuenfundzwanzigstes Kapitel. Viertes Buch. Theodahad. Erstes Kapitel. Zweites Kapitel. Drittes Kapitel. Viertes Kapitel. Fuenftes Kapitel. Sechstes Kapitel. Siebentes Kapitel. Achtes Kapitel. Neuntes Kapitel. Zehntes Kapitel. Elftes Kapitel. Zwoelftes Kapitel. Dreizehntes Kapitel. Vierzehntes Kapitel. Bemerkungen zur Textgestalt VORWORT. Die wissenschaftlichen Grundlagen dieser in Gestalt eines Romans gekleideten Bilder aus dem sechsten Jahrhundert enthalten meine in folgenden Werken niedergelegten Forschungen: Die Koenige der Germanen. II. III. IV. Band. Muenchen und Wuerzburg 1862-1866. Prokopius von Caesarea. Ein Beitrag zur Historiographie der Voelkerwanderung und des sinkenden Roemertums. Berlin 1865. Aus diesen Darstellungen mag der Leser die Ergaenzungen und Veraenderungen, die der Roman an der Wirklichkeit vorgenommen, erkennen. Das Werk ist 1859 in Muenchen begonnen, in Italien, zumal Ravenna, weitergefuehrt, und 1876 in Koenigsberg abgeschlossen worden. _Koenigsberg_, Januar 1876. *Felix Dahn.* Erstes Buch. THEODERICH. "_Dietericus de Berne, de quo_ _cantant rustici usque hodie._" Erstes Kapitel. Es war eine schwuele Sommernacht des Jahres fuenfhundertsechsundzwanzig nach Christus. Schwer lagerte dichtes Gewoelk ueber der dunkeln Flaeche der Adria, deren Kuesten und Gewaesser zusammenflossen in unterscheidungslosem Dunkel: nur ferne Blitze warfen hier und da ein zuckendes Licht ueber das schweigende Ravenna. In ungleichen Pausen fegte der Wind durch die Steineichen und Pinien auf dem Hoehenzug, welcher sich eine gute Strecke westlich von der Stadt erhebt, einst gekroent von einem Tempel des Neptun, der, schon damals halb zerfallen, heute bis auf duerftige Spuren verschwunden ist. Es war still auf dieser Waldhoehe: nur ein vom Sturm losgerissenes Felsstueck polterte manchmal die steinigen Haenge hinunter, und schlug zuletzt platschend in das sumpfige Wasser der Kanaele und Graeben, die den ganzen Kreis der Seefestung umguerteten. Oder in dem alten Tempel loeste sich eine verwitterte Platte von dem getaefelten Dach der Decke und fiel zerspringend auf die Marmorstufen, - Vorboten von dem drohenden Einsturz des ganzen Gebaeudes. Aber dies unheimliche Geraeusch schien nicht beachtet zu werden von einem Mann, der unbeweglich auf der zweithoechsten Stufe der Tempeltreppe sass, den Ruecken an die hoechste Stufe gelehnt, und schweigend und unverwandt in Einer Richtung ueber die Hoehe hinab nach der Stadt zu blickte. Lange sass er so: regungslos, aber sehnsuechtig wartend: er achtete es nicht, dass ihm der Wind die schweren Regentropfen, die einzeln zu fallen begannen, ins Gesicht schlug, und ungestuem in dem maechtigen, bis an den ehernen Gurt wallenden Bart wuehlte, der fast die ganze breite Brust des alten Mannes mit glaenzendem Silberweiss bedeckte. Endlich stand er auf und schritt einige der Marmorstufen nieder: "Sie kommen," sagte er. Es wurde das Licht einer Fackel sichtbar, die sich rasch von der Stadt her dem Tempel naeherte: man hoerte schnelle, kraeftige Schritte und bald danach stiegen drei Maenner die Stufen der Treppe herauf. "Heil, Meister Hildebrand, Hildungs Sohn!" rief der voranschreitende Fackeltraeger, der juengste von ihnen, in gotischer Sprache mit auffallend melodischer Stimme, als er die lueckenhafte Saeulenreihe des Pronaos, der Vorhalle, erreicht. Er hob das Windlicht hoch empor - schoene, korinthische Erzarbeit am Stiel, durchsichtiges Elfenbein bildete den vierseitigen Schirm, und den gewoelbten durchbrochnen Deckel - und steckte es in den Erzring, der die geborstne Mittelsaeule zusammenhielt. Das weisse Licht fiel auf ein apollinisch schoenes Antlitz mit lachenden, hellblauen Augen; mitten auf seiner Stirn teilte sich das lichtblonde Haar in zwei lang fliessende Lockenwellen, die rechts und links bis auf seine Schultern wallten; Mund und Nase, fein, fast weich geschnitten, waren von vollendeter Form, ein leichter Anflug goldhellen Bartes deckte die freundlichen Lippen und das leicht gespaltene Kinn; er trug nur weisse Kleider: einen Kriegsmantel von feiner Wolle, durch eine goldne Spange in Greifengestalt auf der rechten Schulter festgehalten, und eine roemische Tunika von weicher Seide, beide mit einem Goldstreif durchwirkt; weisse Lederriemen festigten die Sandalen an den Fuessen und reichten, kreuzweis geflochten, bis an die Kniee; die nackten, glaenzendweissen Arme umzirkten zwei breite Goldreife: und wie er, die Rechte um eine hohe Lanze geschlungen, die ihm zugleich als Stab und als Waffe diente, die Linke in die Huefte gestemmt, ausruhend von dem Gang, zu seinen langsameren Weggenossen hinunterblickte, schien in den grauen Tempel eine jugendliche Goettergestalt aus seinen schoensten Tagen wieder eingekehrt. Der zweite der Ankoemmlinge hatte, trotz einer allgemeinen Familienaehnlichkeit, doch einen von dem Fackeltraeger voellig verschiednen Ausdruck. Er war einige Jahre aelter, sein Wuchs war derber und breiter, - tief in den maechtigen Stiernacken hinab reichte das dicht und kurz gelockte braune Haar, - und von fast riesenhafter Hoehe und Staerke: in seinem Gesicht fehlte jener sonnige Schimmer, jene vertrauende Freude und Lebenshoffnung, welche die Zuege des juengern Bruders verklaerten: statt dessen lag in seiner ganzen Erscheinung der Ausdruck von baerenhafter Kraft und baerenhaftem Mut: er trug eine zottige Wolfsschur, deren Rachen, wie eine Kapuze, sein Haupt umhuellte, ein schlichtes Wollenwams darunter, und auf der rechten Schulter eine kurze, wuchtige Keule aus dem harten Holz einer Eichenwurzel. Bedaechtigen Schrittes folgte der dritte, ein mittelgrosser Mann von gemessen verstaendigem Ausdruck. Er trug den Stahlhelm, das Schwert und den braunen Kriegsmantel des gotischen Fussvolks. Sein schlichtes, hellbraunes Haar war ueber der Stirn geradlinig abgeschnitten: eine uralte germanische Haartracht, die schon auf roemischen Siegessaeulen erscheint und sich bei dem deutschen Bauer bis heut' erhalten hat. Aus den regelmaessigen Zuegen des offnen Gesichts, aus dem grauen, sichern Auge sprach besonnene Maennlichkeit und nuechterne Ruhe. Als auch er die Cella des Tempels erreicht und den Alten begruesst hatte, rief der Fackeltraeger mit lebhafter Stimme: "Nun, Meister Hildebrand, ein schoenes Abenteuer muss es sein, zu dem du uns in solch' unwirtlicher Nacht in diese Wildnis von Natur und Kunst geladen hast! Sprich - was soll's geben?" Statt der Antwort fragte der Alte, sich zu dem Letztgekommnen wendend: "Wo bleibt der Vierte, den ich lud?" - "Er wollte allein gehen. Er wies uns alle ab. Du kennst ja seine Weise." "Da koemmt er!" rief der schoene Juengling, nach einer andern Seite des Huegels deutend. Wirklich nahte dorther ein Mann von hoechst eigenartiger Erscheinung. Das volle Licht der Fackel beleuchtete ein geisterhaft bleiches Antlitz, das fast blutleer schien; lange, glaenzend schwarze Locken hingen von dem unbedeckten Haupt wie dunkle Schlangen wirr bis auf die Schultern. Hochgeschweifte, schwarze Brauen und lange Wimpern beschatteten die grossen, melancholischen dunkeln Augen voll verhaltner Glut, eine Adlernase senkte sich sehr scharfgeschnitten gegen den feinen, glattgeschornen Mund, den ein Zug resignierten Grames umfurchte. Gestalt und Haltung waren so jugendlich: aber die Seele schien vor der Zeit vom Schmerz gereift. Er trug Ringpanzer und Beinschienen von schwarzem Erz und in seiner Rechten blitzte ein Schlachtbeil an langem lanzengleichem Schaft. Nur mit dem Haupte nickend begruesste er die andern und stellte sich hinter den Alten, der sie nun alle Vier dicht an die Saeule, welche die Fackel trug, treten hiess und mit gedaempfter Stimme begann: "Ich habe euch hierher beschieden, weil ernste Worte muessen gesprochen werden, unbelauscht, und zu treuen Maennern, die da helfen moegen. Ich sah umher im ganzen Volk, mondenlang: - euch hab' ich gewaehlt, ihr seid die Rechten. Wenn ihr mich angehoert habt, so fuehlt ihr von selbst, dass ihr schweigen muesst von dieser Nacht." Der dritte, der mit dem Stahlhelm, sah den Alten mit ernsten Augen an: "Rede," sagte er ruhig, "wir hoeren und schweigen. Wovon willst du zu uns sprechen?" "Von unsrem Volk, von diesem Reich der Goten, das hart am Abgrund steht." "Am Abgrund?" rief lebhaft der blonde Juengling. Sein riesiger Bruder laechelte und erhob aufhorchend das Haupt. "Ja, am Abgrund," rief der Alte, "und ihr allein, ihr koennt es halten und retten." "Verzeih' dir der Himmel deine Worte!" - fiel der Blonde lebhaft ein - "haben wir nicht unsern Koenig Theoderich, den seine Feinde selbst den Grossen nennen, den herrlichsten Helden, den weisesten Fuersten der Welt? Haben wir nicht dies lachende Land Italia mit all' seinen Schaetzen? Was gleicht auf Erden dem Reich der Goten?" Der Alte fuhr fort: "Hoert mich an. Koenig Theoderich, mein teurer Herre und mein lieber Sohn, was der wert ist, wie gross er ist, - das weiss am besten Hildebrand, Hildungs Sohn. Ich hab' ihn vor mehr als fuenfzig Jahren auf diesen Armen seinem Vater als ein zappelnd Knaeblein gebracht und gesagt: "Das ist starke Zucht: - Du wirst Freude dran haben." Und wie er heranwuchs - ich habe ihm den ersten Bolz geschnitzt und ihm die erste Wunde gewaschen! Ich habe ihn begleitet nach der goldnen Stadt Byzanz und ihn dort gehuetet, Leib und Seele. Und als er dieses schoene Land erkaempfte, bin ich vor ihm hergeschritten, Fuss fuer Fuss, und habe den Schild ueber ihn gehalten in dreissig Schlachten. Wohl hat er seither gelehrtere Raete und Freunde gefunden als seinen alten Waffenmeister, aber kluegere schwerlich und treuere gewiss nicht. Wie stark sein Arm gewesen, wie scharf sein Auge, wie klar sein Kopf, wie schrecklich er war unterm Helm, wie freundlich beim Becher, wie ueberlegen selbst den Griechlein an Klugheit, das hatte ich hundertmal erfahren, lange ehe dich, du junger Nestfalk, die Sonne beschienen. Aber der alte Adler ist fluegellahm geworden! Seine Kriegsjahre lasten auf ihm - denn er und ihr und euer Geschlecht, ihr koennt die Jahre nicht mehr tragen wie ich und meine Spielgenossen -: er liegt krank, raetselhaft krank an Seele und Leib in seinem goldnen Saal dort unten in der Rabenstadt. Die Aerzte sagen, wie stark sein Arm noch sei, jeder Schlag des Herzens mag ihn toeten wie der Blitz und auf jeder sinkenden Sonne mag er hinunterfahren zu den Toten. Und wer ist dann sein Erbe, wer stuetzt dann dieses Reich? Amalaswintha, seine Tochter, und Athalarich, sein Enkel: - ein Weib und ein Kind." "Die Fuerstin ist weise," sprach der dritte mit dem Helm und dem Schwert. "Ja, sie schreibt griechisch an den Kaiser und redet roemisch mit dem frommen Cassiodor. Ich zweifle, ob sie gotisch denkt. Weh' uns, wenn sie im Sturm das Steuer halten soll." "Ich sehe aber nirgends Sturm, Alter," - lachte der Fackeltraeger und schuettelte die Locken. "Woher soll er blasen? Der Kaiser ist wieder versoehnt, der Bischof von Rom ist vom Koenig selbst eingesetzt, die Frankenfuersten sind seine Neffen, die Italier haben es unter unsrem Schild besser als je zuvor. Ich sehe keine Gefahr, nirgends." "Kaiser Justinus ist nur ein schwacher Greis," sprach beistimmend der mit dem Schwert, "ich kenne ihn." "Aber sein Neffe, bald sein Nachfolger, und jetzt schon sein rechter Arm, - - kennst du auch den? Unergruendlich wie die Nacht und falsch wie das Meer ist Justinian: - ich kenne ihn und fuerchte was er sinnt. Ich begleitete die letzte Gesandtschaft nach Byzanz: er kam zu unsrem Gelag: er hielt mich fuer berauscht: - der Narr, er weiss nicht, was Hildungs Kind trinken mag! - und fragte mich um alles, genau um alles, was man wissen muss, um - uns zu verderben. Nun, von mir hat er den rechten Bescheid gekriegt! Aber ich weiss es so gewiss wie meinen Namen: dieser Mann will dies Land, dies Italien wieder haben und nicht die Fussspur eines Goten wird er darin uebrig lassen." "Wenn er kann," brummte des Blonden Bruder dazwischen. "Recht, Freund Hildebad, wenn er kann. Und er kann viel. Byzanz kann viel." Jener zuckte die Achseln. "Weisst du's, wie viel?" fragte der Alte zornig. "Zwoelf Jahre lang hat unser grosser Koenig mit Byzanz gerungen und hat nicht obgesiegt. Aber damals warst du noch nicht geboren," fuegte er ruhig hinzu. "Wohl!" - kam jenem der Bruder zu Hilfe. - "Aber damals standen die Goten allein im fremden Land. Jetzt haben wir eine ganze zweite Haelfte gewonnen: wir haben eine Heimat, Italien, wir haben Waffenbrueder, die Italier." "Italien unsre Heimat!" rief der Alte bitter, "ja, das ist der Wahn. Und die Welschen unsre Helfer gegen Byzanz! Du junger Thor!" "Das sind unsres Koenigs eigne Worte," entgegnete der Gescholtene. "Ja, ja, ich kenne sie wohl, die Wahnreden, die uns alle verderben werden. Fremd sind wir hier, fremd, heute wie vor vierzig Jahren, da wir von diesen Bergen niederstiegen und fremd werden wir sein in diesem Lande noch nach tausend Jahren. Wir sind hier ewig die Barbaren!" "Jawohl, aber warum bleiben wir Barbaren? Wessen Schuld ist das als die unsre? Weshalb lernen wir nicht von ihnen?" "Schweig still," schrie der Alte, zuckend vor Grimm "schweig, Totila, mit solchen Gedanken: sie sind der Fluch meines Hauses geworden." Sich muehsam beruhigend fuhr er fort: "Unsre Todfeinde sind die Welschen, nicht unsre Brueder. Weh, wenn wir ihnen trauen! O dass der Koenig nach meinem Rat gethan und nach seinem Sieg alles erschlagen haette das Schwert und Schild fuehren konnte vom lallenden Knaeblein bis zum lallenden Greis! Sie werden uns ewig hassen. Und sie haben Recht. Wir aber, wir sind die Thoren, sie zu bewundern." Eine Pause trat ein: ernst geworden fragte der Juengling: "Und du haeltst keine Freundschaft fuer moeglich zwischen uns und ihnen?" "Kein Friede zwischen den Soehnen des Gaut und dem Suedvolk! Ein Mann tritt in die Goldhoehle des Drachen: er drueckt das Haupt des Drachen nieder mit eherner Faust: der bittet um sein Leben: der Mann erbarmt sich seiner schillernden Schuppen und weidet sein Auge an den Schaetzen der Hoehle. Was wird der Giftwurm thun? Hinterruecks, sobald er kann, wird er ihn stechen, dass der Verschoner stirbt." "Wohlan, so lass sie kommen, die Griechlein," schrie der riesige Hildebad, "und lass dies Natterngezuecht gegen uns aufzuengeln. Wir wollen sie niederschlagen - so!" und er hob die Keule und liess sie niederfallen, dass die Marmorplatte in Splitter sprang und der alte Tempel in seinen Grundfugen erdroehnte. "Ja, sie sollen's versuchen!" - rief Totila und aus seinen Augen leuchtete ein kriegerisches Feuer, das ihn noch schoener machte. - "Wenn diese undankbaren Roemer uns verraten, wenn die falschen Byzantiner kommen -" er blickte mit liebevollem Stolz auf seinen starken Bruder - "sieh, Alter, wir haben Maenner wie die Eichen." Wohlgefaellig nickte der alte Waffenmeister: "Ja, Hildebad ist sehr stark; obwohl nicht ganz so stark wie Winithar und Walamer und die andern waren, die mit mir jung gewesen. Und gegen Nordmaenner ist Staerke gut Ding. Aber dieses Suedvolk," fuhr er ingrimmig fort - "kaempft von Tuermen und Mauerzinnen herunter. Sie fuehren den Krieg wie ein Rechenexempel und rechnen dir zuletzt ein Heer von Helden in einen Winkel hinein, dass es sich nicht mehr ruehren noch regen kann. Ich kenne einen solchen Rechenmeister in Byzanz, der ist kein Mann und besiegt die Maenner. Du kennst ihn auch, Witichis?" - so fragend wandte er sich an den Mann mit dem Schwert. "Ich kenne Narses," sagte dieser, der sehr ernst geworden, nachdenklich. "Was du gesprochen, Hildungs Sohn, ist leider wahr, sehr wahr. Aehnliches ist mir oft schon durch die Seele gegangen, aber unklar, dunkel, mehr ein Grauen als ein Denken. - Deine Worte sind unwiderleglich: der Koenig am Tod - die Fuerstin ein halbgriechisch Weib - Justinian lauernd - die Welschen schlangenfalsch - die Feldherrn von Byzanz Zauberer von Kunst, aber" - hier holte er tief Atem - "wir stehen nicht allein, wir Goten. Unser weiser Koenig hat sich Freunde, Verbuendete geschaffen in Ueberfluss. Der Koenig der Vandalen ist sein Schwestermann, der Koenig der Westgoten sein Enkel, die Koenige der Burgunden, der Heruler, der Thueringe, der Franken sind ihm verschwaegert, alle Voelker ehren ihn wie ihren Vater, die Sarmaten, die fernen Esthen selbst an der Ostsee senden ihm huldigend Pelzwerk und gelben Bernstein. Ist das alles" - - "Nichts ist das alles, Schmeichelworte sind's und bunte Lappen! Sollen uns die Esthen helfen mit ihrem Bernstein wider Belisar und Narses? Weh uns, wenn wir nicht allein siegen koennen. Diese Schwaeger und Eidame schmeicheln, so lang sie zittern, und wenn sie nicht mehr zittern, werden sie drohen. Ich kenne die Treue der Koenige! Wir haben Feinde ringsum, offene und geheime, und keinen Freund als uns selbst." Ein Schweigen trat ein, in welchem alle die Worte des Alten besorgt erwogen: heulend fuhr der Sturm um die verwitterten Saeulen und ruettelte an dem morschen Tempelbau. Da sprach zuerst Witichis, vom Boden aufblickend, sicher und gefasst: "Gross ist die Gefahr, hoffentlich nicht unabwendbar. Gewiss hast du uns nicht hierher beschieden, dass wir thatlos in die Verzweiflung schauen. Geholfen muss werden: so sprich, wie meinst du, dass zu helfen sei." Der Alte trat einen Schritt auf ihn zu und fasste seine Hand: "Wacker, Witichis, Waltaris Sohn. Ich kannte dich wohl und will dir's treu gedenken, dass vor allen du zuerst ein maennlich Wort der Zuversicht gefunden. Ja, ich denke wie du: noch ist Hilfe moeglich, und um sie zu finden habe ich euch hierher gerufen, wo uns kein Welscher hoert. Saget nun an und ratet: dann will ich sprechen." Da alle schwiegen, wandte er sich zu dem Schwarzgelockten: "Wenn du denkst wie wir, so sprich auch du, Teja. Warum schwiegst du bisher?" "Ich schweige, weil ich anders denke, denn ihr." Die andern staunten. Hildebrand sprach: "Wie meinst du das, mein Sohn?" "Hildebad und Totila sehen nicht die Gefahr, du und Witichis, ihr sehet sie und hoffet, ich aber sah sie laengst und hoffe nicht." "Du siehst zu schwarz, wer darf verzweifeln vor dem Kampf?" meinte Witichis. "Sollen wir, das Schwert in der Scheide, ohne Kampf, ohne Ruhm untergehen?" rief Totila. "Nicht ohne Kampf, mein Totila, und nicht ohne Ruhm, so weiss ich," antwortete Teja, leise die Streitaxt zuckend. "Kaempfen wollen wir, dass man es nie vergessen soll in allen Tagen: kaempfen mit hoechstem Ruhm, aber ohne Sieg. Der Stern der Goten sinkt." "Mir deucht, er will erst recht hoch steigen," rief Totila ungeduldig. "Lasst uns vor den Koenig treten, sprich du, Hildebrand, zu ihm wie du zu uns gesprochen. Er ist weise: er wird Rat finden." Der Alte schuettelte den Kopf: "Zwanzigmal hab ich zu ihm gesprochen. Er hoert mich nicht mehr. Er ist muede und will sterben und seine Seele ist verdunkelt, ich weiss nicht, durch welchen Schatten. - Was denkst du, Hildebad?" "Ich denke," sprach dieser sich hoch aufrichtend, "sowie der alte Loewe die mueden Augen geschlossen, ruesten wir zwei Heere. Das eine fuehren Witichis und Teja vor Byzanz und brennen es nieder, mit dem andern steigen ich und mein Bruder ueber die Alpen und zerschlagen Paris, das Drachennest der Merowinger, zu einem Steinhaufen fuer alle Zukunft. Dann wird Ruhe sein, im Osten und im Norden." "Wir haben keine Schiffe gegen Byzanz," sprach Witichis. "Und die Franken sind sieben wider Einen gegen uns," sagte Hildebrand. "Aber wacker meinst du's, Hildebad. Sage, was raetst du, Witichis?" "Ich rate einen Bund, mit Schwueren beschwert, mit Geiseln gesichert aller Nordstaemme gegen die Griechen." "Du glaubst an Treue, weil du selber treu. Mein Freund, nur die Goten koennen den Goten helfen. Man muss sie nur wieder daran erinnern, dass sie Goten sind. Hoert mich an. Ihr alle seid jung und liebt allerlei Dinge und habt vielerlei Freuden. Der eine liebt ein Weib, der andre die Waffen, der dritte irgend eine Hoffnung oder auch irgend einen Gram, der ihm ist wie eine Geliebte. - Aber glaubt mir, es koemmt eine Zeit, - und die Not kann sie euch noch in jungen Tagen bringen -, da all diese Freuden und selbst Schmerzen wertlos werden wie welke Kraenze vom Gelag von gestern. Da werden denn viele weich und fromm und vergessen des was auf Erden und trachten nach dem was hinter dem Grabe ist. Ich kann's nicht und ihr, mein' ich, und viele von uns koennen's auch nicht. Die Erde lieb' ich mit Berg und Wald und Weide und strudelndem Strom und das Leben darauf mit heissem Hass und langer Liebe, mit zaehem Zorn und stummem Stolz. Von jenem Luftleben da droben in den Windwolken, wie's die Christenpriester lehren, weiss ich nichts und will ich nichts wissen. Eins aber bleibt dem Mann, dem rechten, wenn alles andre dahin. Ein Gut, von dem er nimmer laesst. Seht mich an. Ich bin ein entlaubter Stamm, alles hab' ich verloren was mein Leben erfreute: mein Weib ist tot seit vielen Jahren, meine Soehne sind tot, meine Enkel sind tot: bis auf Einen, der ist schlimmer als tot: - der ist ein Welscher worden. Dahin und lang vermodert sind sie alle, mit denen ich ein kecker Knabe und ein markiger Mann gewesen, und schon steigt meine erste Liebe und mein letzter Stolz, mein grosser Koenig, muede in sein Grab. Nun seht, was haelt mich noch im Leben? Was giebt mir Mut, Lust, Zwang zu leben? Was treibt mich Alten wie einen Juengling in dieser Sturmnacht auf die Berge? Was lodert hier unter dem Eisbart heiss in lauter Liebe, in stoerrigem Stolz und in trotziger Trauer? Was anders als der Drang, der unaustilgbar in unsrem Blute liegt, der tiefe Drang und Zug zu meinem Volk, die Liebe, die lodernde, die allgewaltige, zu dem Geschlechte, das da Goten heisst, und das die suesse, heimliche, herrliche Sprache redet meiner Eltern, der Zug zu denen, die da sprechen, fuehlen, leben wie ich. Sie bleibt, sie allein, diese Volksliebe, ein Opferfeuer, in dem Herzen, darinnen alle andre Glut erloschen, sie ist das teure, das mit Schmerzen geliebte Heiligtum, das Hoechste in jeder Mannesbrust, die staerkste Macht in seiner Seele, treu bis zum Tod und unbezwingbar." Der Alte hatte sich in Begeisterung geredet - sein Haar flog im Winde - er stand wie ein alter huenenhafter Priester unter den jungen Maennern, welche die Faeuste an ihren Waffen ballten. Endlich sprach Teja: "Du hast Recht, diese Flamme lodert noch, wo alles sonst erloschen. Aber sie brennt in dir, - in uns, - vielleicht noch in hundert andern unsrer Brueder. Kann das ein ganzes Volk erretten? Nein! Und kann diese Glut die Masse ergreifen, die Tausende, die Hunderttausende?" "Sie kann es, mein Sohn, sie kann es. Dank allen Goettern, dass sie's kann. Hoere mich an. Es sind jetzt fuenfundvierzig Jahre, da waren wir Goten, viele Hunderttausende, mit Weibern und Kindern, in den Schluchten der Haemus-Berge eingeschlossen. Wir lagen in hoechster Not. Des Koenigs Bruder war von den Griechen in treulosem Ueberfall geschlagen und getoetet, und aller Mundvorrat, den er uns zufuehren sollte, verloren: wir sassen in den Felsschluchten und litten so bittern Hunger, dass wir Gras und Leder kochten. Hinter uns die unersteiglichen Felsen, vor uns und zur Linken das Meer, rechts in einem Engpass die Feinde in dreifacher Ueberzahl. Viele Tausende von uns waren dem Hunger, dem Winter erlegen: zwanzigmal hatten wir vergebens versucht, jenen Pass zu durchbrechen. Wir wollten verzweifeln. Da kam ein Gesandter des Kaisers und bot uns Leben, Freiheit, Wein, Brot, Fleisch, - unter einer einzigen Bedingung: wir sollten getrennt von einander, zu vier und vier, ueber das ganze Weltreich Roms zerstreut werden, keiner von uns mehr ein gotisch Weib freien, keiner sein Kind mehr unsre Sprache und Sitte lehren duerfen, Name und Wesen der Goten sollte verschwinden, Roemer sollten wir werden. Da sprang der Koenig auf, rief uns zusammen und trug's uns vor in flammender Rede und fragte zuletzt, ob wir lieber aufgeben wollten Sprache, Sitte, Leben unsres Volkes oder lieber mit ihm sterben? Da fuhr sein Wort in die Hunderte, die Tausende, die Hunderttausende wie der Waldbrand in die duerren Staemme, aufschrieen sie, die wackern Maenner, wie ein tausendstimmiges, bruellendes Meer, die Schwerter schwangen sie, auf den Engpass stuerzten sie und weggefegt waren die Griechen als haetten sie nie gestanden, und wir waren Sieger und frei." Sein Auge glaenzte in stolzer Erinnerung, nach einer Pause fuhr er fort: "Dies allein ist, was uns heute retten kann wie dazumal: fuehlen erst die Goten, dass sie fuer jenes Hoechste fechten, fuer den Schutz jenes geheimnisvollen Kleinods, das in Sprache und Sitte eines Volkes liegt wie ein Wunderborn, dann koennen sie lachen zu dem Hass der Griechen, zu der Tuecke der Welschen. Und das vor allem wollt' ich euch fragen, fest und feierlich: fuehlt ihr es wie ich so klar, so ganz, so maechtig, dass diese Liebe zu unsrem Volk unser Hoechstes ist, unser schoenster Schatz, unser staerkster Schild? koennt ihr sprechen wie ich: mein Volk ist mir das Hoechste und alles, alles andre dagegen nichts, ihm will ich opfern was ich bin und habe, wollt ihr das, koennt ihr das!" "Ja, das will ich, ja, das kann ich!" sprachen die vier Maenner. "Wohl," fuhr der Alte fort, "das ist gut. Aber Teja hat Recht: nicht alle Goten fuehlen das jetzt, heute schon, wie wir und doch muessen es alle fuehlen, wenn es helfen soll. Darum gelobet mir, von heut' an unablaessig euch selbst und alle unsres Volkes, mit denen ihr lebt und handelt, zu erfuellen mit dem Hauch dieser Stunde. Vielen, vielen hat der fremde Glanz die Augen geblendet: viele haben griechische Kleider angethan und roemische Gedanken: sie schaemen sich, Barbaren zu heissen: sie wollen vergessen und vergessen machen, dass sie Goten sind - wehe ueber die Thoren! Sie haben das Herz aus ihrer Brust gerissen und wollen leben, sie sind wie Blaetter, die sich stolz vom Stamme geloest und der Wind wird kommen und wird sie verwehen in Schlamm und Pfuetzen, dass sie verfaulen: aber der Stamm wird stehen mitten im Sturm und wird lebendig erhalten, was treu an ihm haftet. Darum sollt ihr euer Volk wecken und mahnen ueberall und immer. Den Knaben erzaehlt die Sagen der Vaeter, von den Hunnenschlachten, von den Roemersiegen: den Maennern zeigt die drohende Gefahr und wie nur das Volkstum unser Schild: eure Schwestern ermahnt, dass sie keinen Roemer umarmen und keinen Roemling: eure Braeute, eure Weiber lehrt, dass sie alles, sich selbst und euch opfern dem Glueck der guten Goten, auf dass, wenn die Feinde kommen, sie finden ein starkes Volk, stolz, einig, fest, daran sie zerschellen sollen wie die Wogen am Fels. Wollt ihr mir dazu helfen?" "Ja," sprachen sie, "das wollen wir." "Ich glaube euch," fuhr der Alte fort, "glaube eurem blossen Wort. Nicht um euch fester zu binden, - denn was baende den Falschen? - sondern weil ich treu hange an altem Brauch und weil besser gedeiht, was geschieht nach Sitte der Vaeter - folget mir." Zweites Kapitel. Mit diesen Worten nahm er die Fackel von der Saeule und schritt quer durch den Innenraum, die Cella des Tempels, vorueber an dem zerfallenen Hauptaltar, vorbei an den Postamenten der lang herabgestuerzten Goetterbilder nach der Hinterseite des Gebaeudes, dem Posticum. Schweigend folgten die Geladenen dem Alten, der sie ueber die Stufen hinunter ins Freie fuehrte. Nach einigen Schritten standen sie unter einer uralten Steineiche, deren maechtiges Geaest wie ein Dach Sturm und Regen abhielt. Unter diesem Baum bot sich ihnen ein seltsamer Anblick, der aber die gotischen Maenner sofort an eine alte Sitte aus dem grauen Heidentum, aus der fernen nordischen Heimat gemahnte. Unter der Eiche war ein Streifen des dichten Rasens aufgeschlitzt, nur einen Fuss breit, aber mehrere Ellen lang, die beiden Enden des Streifens hafteten noch locker am Grunde: in der Mitte war der Rasenguertel auf drei ungleich in die Erde gerammte hohe Speere emporgespreizt, in der Mitte von dem laengsten Speer gestuetzt, so dass die Vorrichtung ein Dreieck bildete, unter dessen Dach zwischen den Speersaeulen mehrere Maenner bequem stehen konnten. In der so gewonnenen Erdritze stand ein eherner Kessel, mit Wasser gefuellt, daneben lag ein spitzes und scharfes Schlachtmesser, uralt: das Heft vom Horn des Auerstiers, die Klinge von Feuerstein. Der Greis trat nun heran, stiess die Fackel dicht neben dem Kessel in die Erde, stieg dann, mit dem rechten Fuss vorauf, in die Grube, wandte sich gegen Osten und neigte das Haupt: dann winkte er die Freunde zu sich, mit dem Finger am Mund ihnen Schweigen bedeutend. Lautlos traten die Maenner in die Rinne und stellten sich, Witichis und Teja zu seiner Linken, die beiden Brueder zu seiner Rechten und alle fuenf reichten sich die Haende zu einer feierlichen Kette. Dann liess der Alte Witichis und Hildebad, die ihm zunaechst standen, los und kniete nieder. Zuerst raffte er eine Hand voll der schwarzen Walderde auf und warf sie ueber die linke Schulter. Dann griff er mit der andern Hand in den Kessel und sprengte das Wasser rechts hinter sich. Darauf blies er in die wehende Nachtluft, die sausend in seinen langen Bart wehte. Endlich schwang er die Fackel von der Rechten zur Linken ueber sein Haupt. Dann steckte er sie wieder in die Erde und sprach murmelnd vor sich hin: "Hoere mich, alte Erde, wallendes Wasser, leichte Luft, flackernde Flamme! Hoeret mich wohl und bewahret mein Wort: Hier stehen fuenf Maenner vom Geschlechte des Gaut, Teja und Totila, Hildebad und Hildebrand und Witichis, Waltaris Sohn. Wir stehen hier in stiller Stunde, Zu binden einen Bund von Blutsbruedern, Fuer immer und ewig und alle Tage. Wir sollen uns sein wie Sippegesellen In Frieden und Fehde, in Rache und Recht. Ein Hoffen, Ein Hassen, Ein Lieben, Ein Leiden, Wie wir traeufen zu Einem Tropfen Unser Blut als Blutsbrueder." Bei diesen Worten entbloesste er den linken Arm, die andern thaten desgleichen, eng aneinander streckten sich die fuenf Arme ueber den Kessel, der Alte hob das scharfe Steinmesser und ritzte mit Einem Schnitt sich und den vier andern die Haut des Vorderarmes, dass das Blut aller in roten Tropfen in den ehernen Kessel floss. Dann nahmen sie wieder die fruehere Stellung ein und murmelnd fuhr der Alte fort: "Und wir schwoeren den schweren Schwur, Zu opfern all unser Eigen, Haus, Hof und Habe, Ross, Ruestung und Rind, Sohn, Sippe und Gesinde, Weib und Waffen und Leib und Leben Dem Glanz und Glueck des Geschlechtes von Gaut, Den guten Goten. Und wer von uns sich wollte weigern, Den Eid zu ehren mit allen Opfern" - Hier traten er, und auf seinen Wink auch die andern, aus der Grube und unter dem Rasenstreifen hervor: "Des rotes Blut soll rinnen ungeraechet Wie dies Wasser unterm Waldwasen" - Er erhob den Kessel, goss sein blutiges Wasser in die Grube und nahm ihn wie das andre Geraet heraus: "Auf des Haupt sollen des Himmels Hallen Dumpf niederdonnern und ihn erdruecken, Wuchtig so wie dieser Wasen." Er schlug mit Einem Streich die drei spannenden Lanzenschaefte nieder und dumpf fiel die schwere Rasendecke nieder in die Rinne. Die fuenf Maenner stellten sich nun mit verschlungenen Haenden auf die wieder von Rasen gedeckte Stelle und in rascherem Ton fuhr der Alte fort: "Und wer von uns nicht achtet dieses Eides und dieses Bundes und wer nicht die Blutsbrueder als echte Brueder schuetzt im Leben und raecht im Tode und wer sich weigert, sein Alles zu opfern dem Volk der Goten, wann die Not es begehrt und ein Bruder ihn mahnt, der soll verfallen sein auf immer den untern, den ewigen, den wuesten Gewalten, die da hausen unter dem gruenen Gras des Erdgrundes: gute Menschen sollen mit Fuessen schreiten ueber des Neidings Haupt und sein Name soll ehrlos sein soweit Christenleute Glocken laeuten und Heidenleute Opfer schlachten, soweit Mutter Kind koset, und der Wind weht ueber die weite Welt. Sagt an, ihr Gesellen, soll's ihm also geschehn, dem niedrigen Neiding?" "So soll ihm geschehen," sprachen die vier Maenner ihm nach. Nach einer ernsten Pause loeste Hildebrand die Kette der Haende und sprach: "Und auf dass ihr's wisst, welche Weihe diese Staette hat fuer mich, - jetzt auch fuer euch, - warum ich euch zu solchem Thun gerade hierher beschieden und zu dieser Nacht - kommt und sehet." Und also sprechend erhob er die Fackel und schritt voran hinter den maechtigen Stamm der Eiche, vor der sie geschworen. Schweigend folgten die Freunde, bis sie an der Kehrseite des alten Baumes hielten und hier mit Staunen gerade gegenueber der Rasengrube, in welcher sie gestanden, ein breites offenes Grab gaehnen sahen, von welchem die deckende Felsplatte hinweggewaelzt war: da ruhten in der Tiefe, im Licht der Fackel geisterhaft erglaenzend, drei weisse lange Skelette, einzelne verrostete Waffenstuecke, Lanzenspitzen, Schildbuckel lagen daneben. Die Maenner blickten ueberrascht bald in die Grube, bald auf den Greis. Dieser leuchtete lange schweigend in die Tiefe. Endlich sagte er ruhig: "Meine drei Soehne. Sie liegen hier ueber dreissig Jahre. Sie fielen auf diesem Berg, in dem letzten Kampf um die Stadt Ravenna. Sie fielen in Einer Stunde, heute ist der Tag. Sie sprangen jubelnd in die Speere - - fuer ihr Volk." Er hielt inne. Mit Ruehrung sahen die Maenner vor sich hin. Endlich richtete sich der Alte hoch auf und sah gen Himmel. "Es ist genug," sagte er, "die Sterne bleichen. Mitternacht ist laengst vorueber. Geht, ihr andern, in die Stadt zurueck. Du, Teja, bleibst wohl bei mir: - dir ist ja vor andern, wie des Liedes, der Trauer Gabe gegeben - und haeltst mit mir die Ehrenwacht bei diesen Toten." Teja nickte und setzte sich, ohne ein Wort, zu Fuessen des Grabes, wo er stand, nieder. Der Alte reichte Totila die Fackel und lehnte sich Teja gegenueber auf die Felsplatte. Die andern Drei winkten ihm scheidend zu. Und ernst und in schweigende Gedanken versunken stiegen sie hinunter zur Stadt. Drittes Kapitel. Wenige Wochen nach jener naechtlichen Zusammenkunft bei Ravenna fand zu Rom eine Vereinigung statt, ebenfalls heimlich, ebenfalls unter dem Schutze der Nacht, aber von ganz andern Maennern zu ganz andern Zwecken. Das geschah an der appischen Strasse nahe dem Coemeterium des heiligen Kalixtus in einem halbverschuetteten Gang der Katakomben, jener raetselhaften unterirdischen Wege, die unter den Strassen und Plaetzen Roms fast eine zweite Stadt bildeten. Es sind diese geheimnisvollen Raeume - urspruenglich alte Begraebnisplaetze, oft die Zuflucht der jungen Christengemeinde - so vielfach verschlungen und ihre Kreuzungen, Endpunkte, Aus- und Eingaenge so schwierig zu finden, dass nur unter ortvertrautester Fuehrung ihre inneren Tiefen betreten werden koennen. Aber die Maenner, deren geheimen Verkehr wir diesmal belauschen, fuerchteten keine Gefahr. Sie waren gut gefuehrt. Denn es war Silverius, der katholische Archidiakonus der alten Kirche des heiligen Sebastian, der unmittelbar von der Krypta seiner Basilika aus die Freunde auf steilen Stufen in diesen Zweigarm der Gewoelbe gefuehrt hatte: und die roemischen Priester standen in dem Rufe, seit den Tagen der ersten Christen Kenntnis jener Labyrinthe fortgepflanzt zu haben. Die Versammelten schienen auch sich hier nicht zum erstenmal einzufinden: die Schauer des Ortes machten wenig Eindruck auf sie. Gleichgueltig lehnten sie an den Waenden des unheimlichen Halbrunds, das, von einer bronzenen Haengelampe spaerlich beleuchtet, den Schluss des niedrigen Ganges bildete, gleichgueltig hoerten sie die feuchten Tropfen von der Decke zur Erde fallen und, wenn ihr Fuss hier und da an weisse, halbvermoderte Knochen stiess, schoben sie auch diese gleichgueltig auf die Seite. Es waren ausser Silverius noch einige andere rechtglaeubige Priester und eine Mehrzahl vornehmer Roemer aus den Adelsgeschlechtern des westlichen Kaiserreichs anwesend, die seit Jahrhunderten in fast erblichem Besitz der hoeheren Wuerden des Staates und der Stadt geblieben. Schweigend und aufmerksam beobachteten sie die Bewegungen des Archidiakons, der sich, nachdem er die Erschienenen gemustert und in einige der einmuendenden Gaenge, in deren Dunkel man junge Leute in priesterlichen Kleidern Wache halten sah, pruefende Blicke geworfen hatte, jetzt offenbar anschickte, die Versammlung in aller Form zu eroeffnen. Noch einmal trat er auf einen hochgewachsenen Mann zu, der ihm gegenueber regungslos an der Mauer lehnte und mit dem er wiederholt Blicke getauscht hatte: und nachdem dieser auf eine fragende Miene schweigend genickt, wandte er sich gegen die uebrigen und sprach: "Geliebte im Namen des dreieinigen Gottes! Wieder einmal sind wir hier versammelt zu heiligem Werk. Das Schwert von Edom ist gezueckt ob unsrem Haupt und Koenig Pharao lechzt nach dem Blut der Kinder Israel. Wir aber fuerchten nicht jene, die den Leib toeten und der Seele nichts anhaben koennen, wir fuerchten vielmehr jenen, der da Leib und Seele verderben mag mit ewigem Feuer. Wir vertrauen im Schauer der Nacht auf die Hilfe dessen, der sein Volk durch die Wueste gefuehrt hat, bei Tag in der Rauchwolke, bei Nacht in der Feuerwolke. Und daran wollen wir halten und wollen es nie vergessen: was wir leiden, wir leiden es um Gottes willen, was wir thun, wir thun's zu seines Namens Ehre. Dank ihm, denn er hat gesegnet unsern Eifer. Klein, wie des Evangeliums, waren unsre Anfaenge, aber schon sind wir gewachsen wie ein Baum an frischen Wasserbaechen. Mit Furcht und Zagen kamen wir anfangs hier zusammen: gross war die Gefahr, schwach die Hoffnung: edles Blut der Besten war geflossen: - heute, wenn wir fest bleiben im Glauben, duerfen wir es kuehnlich sagen: der Thron des Koenigs Pharao steht auf Fuessen von Schilf und die Tage der Ketzer sind gezaehlt in diesem Lande." "Zur Sache!" rief ein junger Roemer dazwischen, mit kurzkrausem, schwarzem Haar und blitzenden, schwarzen Augen; ungeduldig warf er das Sagum von der linken Huefte ueber die rechte Schulter zurueck, dass das kurze Schwert sichtbar wurde. "Zur Sache, Priester! was soll heut' geschehn?" Silverius warf auf den Juengling einen Blick, der lebhaften Unwillen ueber solch' kecke Selbstaendigkeit nicht ganz mit salbungsvoller Ruhe zu verdecken vermochte. Scharfen Tones fuhr er fort: "Auch die an die Heiligkeit unsres Zweckes nicht zu glauben scheinen, sollten doch den Glauben an diese Heiligkeit bei andern nicht stoeren, um ihrer eignen weltlichen Ziele willen nicht. Heute aber, Licinius, mein rascher Freund, soll ein neues hochwillkommnes Glied unsrem Bunde eingefuegt werden: sein Beitritt ist ein sichtbares Zeichen der Gnade Gottes." "Wen willst du einfuehren? Sind die Vorbedingungen erfuellt? Haftest du fuer ihn? unbedingt? oder stellst du andre Buergschaft?" so fragte ein andrer der Versammelten, ein Mann in reifen Jahren, mit gleichmaessigen Zuegen, der, einen Stab zwischen den Fuessen, ruhig auf einem Vorsprung der Mauer sass. - "Ich hafte, mein Scaevola; uebrigens genuegt seine Person -" "Nichts dergleichen. Die Satzung unsres Bundes verlangt Verbuergung und ich bestehe darauf," sagte Scaevola ruhig. - "Nun gut, gut, ich buerge, zaehster aller Juristen!" wiederholte der Priester mit Laecheln. Er winkte in einen der Gaenge zur Linken. Zwei junge Ostiarii fuehrten von da in die Mitte des Gewoelbes einen Mann, auf dessen verhuelltes Haupt aller Augen gerichtet waren. Nach einer Pause hob Silverius den Ueberwurf von Kopf und Schultern des Ankoemmlings. "Albinus!" riefen die andern in Ueberraschung, Entruestung, Zorn. Der junge Licinius fuhr ans Schwert, Scaevola stand langsam auf, wild durcheinander scholl es: "Wie? Albinus? der Verraeter?" Scheuen Blickes sah der Gescholtene um sich, seine schlaffen Zuege bekundeten angeborne Feigheit: wie Hilfe flehend haftete sein Auge auf dem Priester. "Ja, Albinus!" sagte dieser ruhig. "Will einer der Verbuendeten wider ihn sprechen? Er rede." - "Bei meinem Genius," rief Licinius rasch vor allen, "braucht es da der Rede? Wir wissen alle, wer Albinus ist, was er ist. Ein feiger, schaendlicher Verraeter" - der Zorn erstickte seine Stimme. - "Schmaehungen sind keine Beweise," nahm Scaevola das Wort. "Aber ich frage ihn selbst, er soll hier vor allen bekennen. Albinus, bist du es, oder bist du es nicht, der, als die Anfaenge des Bundes dem Tyrannen verraten waren, als du noch allein von uns allen verklagt warst, es mit ansahst, dass die edeln Maenner, Boethius und Symmachus, unsre Mitverbuendeten, weil sie dich mutig vor dem Wueterich verteidigten, verfolgt, gefangen, ihres Vermoegens beraubt, hingerichtet wurden, waehrend du, der eigentliche Angeklagte, durch einen schmaehlichen Eid, dich nie mehr um den Staat kuemmern zu wollen und durch urploetzliches Verschwinden dich gerettet hast? Sprich, bist du es, um dessen Feigheit willen die Zierden des Vaterlandes gefallen?" Ein Murren des Unwillens ging durch die Versammlung. Der Angeschuldigte blieb stumm und bebte, selbst Silverius verlor einen Augenblick die Haltung. Da richtete sich jener Mann, der ihm gegenueber an der Felswand lehnte, auf und trat einen Schritt herzu; seine Naehe schien den Priester zu erkraeftigen und er begann wieder: "Ihr Freunde, es ist geschehen was ihr sagt, nicht wie ihr's sagt. Vor allem wisset: Albinus ist an allem am wenigsten schuldig. Was er gethan, er that's auf meinen Rat." - "Auf deinen Rat?" - "Das wagst du zu bekennen?" - "Albinus war verklagt durch den Verrat eines Sklaven, der die Geheimschrift in den Briefen nach Byzanz entziffert hatte. Der ganze Argwohn des Tyrannen war geweckt: jeder Schein von Widerstand, von Zusammenhang musste die Gefahr vermehren. Der Ungestuem von Boethius und Symmachus, die ihn mutig verteidigten, war edel, aber thoericht. Denn er zeigte den Barbaren die Gesinnung des ganzen Adels von Rom, zeigte, dass Albinus nicht allein stehe. Sie handelten gegen meinen Rat, leider haben sie es im Tode gebuesst. Aber ihr Eifer war auch ueberfluessig: denn den verraeterischen Sklaven raffte ploetzlich vor weitern Aussagen die Hand des Herrn hinweg und es war gelungen, die Geheimbriefe des Albinus vor dessen Verhaftung zu vernichten. Jedoch glaubt ihr, Albinus wuerde auf der Folter, wuerde unter Todesdrohungen geschwiegen haben, geschwiegen, wenn ihn die Nennung der Mitverschwornen retten konnte? Das glaubt ihr nicht, das glaubte Albinus selbst nicht. Deshalb musste vor allem Zeit gewonnen, die Folter abgewendet werden. Dies gelang durch jenen Eid. Unterdessen freilich bluteten Boethius und Symmachus: sie waren nicht zu retten: doch _ihres_ Schweigens, auch unter der Folter, waren wir sicher. Albinus aber ward durch ein Wunder aus seinem Kerker befreit wie Sankt Paulus zu Philippi. Es hiess, er sei nach Athen entflohen und der Tyrann begnuegte sich, ihm die Rueckkehr zu verbieten. Allein der dreieinige Gott hat ihm hier in seinem Tempel eine Zufluchtstaette bereitet, bis dass die Stunde der Freiheit naht. In der Einsamkeit seines heiligen Asyles nun hat der Herr das Herz des Mannes wunderbar geruehrt und, ungeschreckt von der Todesgefahr, die schon einmal seine Locke gestreift hat, tritt er wieder in unsern Kreis und bietet dem Dienste Gottes und des Vaterlands sein ganzes unermessliches Vermoegen. Vernehmt: er hat all sein Gut der Kirche Sanktae Mariae Majoris zu Bundeszwecken vermacht. Wollt ihr ihn und seine Millionen verschmaehen?" Eine Pause des Staunens trat ein: endlich rief Licinius: "Priester, du bist klug wie - wie ein Priester. Aber mir gefaellt solche Klugheit nicht." - "Silverius," sprach der Jurist, "du magst die Millionen nehmen. Das steht dir an. Aber ich war der Freund des Boethius: mir steht nicht an, mit jenem Feigen Gemeinschaft zu halten. Ich kann ihm nicht vergeben. Hinweg mit ihm!" - "Hinweg mit ihm!" scholl es von allen Seiten. Scaevola hatte der Empfindung aller das Wort geliehen. Albinus erblasste, selbst Silverius zuckte unter dieser allgemeinen Entruestung. "Cethegus!" fluesterte er leise, Beistand heischend. Da trat der Mann in die Mitte, der bisher immer geschwiegen und nur mit kuehler Ueberlegenheit die Sprechenden gemustert hatte. Er war gross und hager, aber kraeftig, von breiter Brust und seine Muskeln von eitel Stahl. Ein Purpursaum an der Toga und zierliche Sandalen verrieten Reichtum, Rang und Geschmack, aber sonst verhuellte ein langer, brauner Soldatenmantel die ganze Unterkleidung der Gestalt. Sein Kopf war von denen, die man, einmal gesehen, nie mehr vergisst. Das dichte, noch glaenzend schwarze Haar war nach Roemerart kurz und rund um die gewoelbte, etwas zu grosse Stirn und die edel geformten Schlaefe geschoren, tief unter den fein geschweiften Brauen waren die schmalen Augen geborgen, in deren unbestimmtem Dunkelgrau ein ganzes Meer versunkener Leidenschaften, aber noch bestimmter der Ausdruck kaeltester Selbstbeherrschung lag. Um die scharf geschnittenen bartlosen Lippen spielte ein Zug stolzer Verachtung gegen Gott und seine ganze Welt. Wie er vortrat und mit ruhiger Vornehmheit den Blick ueber die Erregten streifen liess, wie seine nicht einschmeichelnde, aber beherrschende Redeweise anhob, empfand jeder in der Versammlung den Eindruck bewusster Ueberlegenheit und wenige Menschen mochten diese Naehe ohne das Gefuehl der Unterordnung tragen. "Was hadert ihr," sagte er kalt, "ueber Dinge, die geschehen muessen? Wer den Zweck will, muss das Mittel wollen. Ihr wollt nicht vergeben? Immerhin! Daran liegt nichts. Aber vergessen muesst ihr. Und das koennt ihr. Auch ich war ein Freund der Verstorbenen, vielleicht ihr naechster. Und doch - ich will vergessen. Ich thu' es, eben weil ich ihr Freund war. Der liebt sie, Scaevola, der allein, der sie raecht. Um der Rache willen - Albinus, deine Hand." - Alle schwiegen, bewaeltigt mehr von der Persoenlichkeit als von den Gruenden des Redners. Nur der Jurist bemerkte noch: "Rusticiana, des Boethius Witwe und des Symmachus Tochter, die einflussreiche Frau, ist unsrem Bunde hold. Wird sie das bleiben, wenn dieser eintritt? Kann sie je vergeben und vergessen? Niemals!" "Sie kann es. Glaubt nicht mir, glaubt Euren Augen." Mit diesen Worten wandte sich rasch Cethegus und schritt in einen der Seitengaenge, dessen Muendung bisher sein Ruecken verdeckt hatte. - Hart am Eingang stand lauschend eine verschleierte Gestalt: er ergriff ihre Hand: "komm'," fluesterte er, "jetzt komm'." - "Ich kann nicht! ich will nicht!" war die leise Antwort der Widerstrebenden. "Ich verfluche ihn. Ich kann ihn nicht sehen, den Elenden!" - "Es muss sein. Komm, du kannst und du willst es: - denn ich will es." Er schlug ihren Schleier zurueck: noch ein Blick und sie folgte wie willenlos. - Sie bogen um die Ecke des Eingangs: "Rusticiana!" riefen alle. - "Ein Weib in unserer Versammlung!" sprach der Jurist. "Das ist gegen die Satzungen, die Gesetze." "Ja, Scaevola, aber die Gesetze sind um des Bundes willen, nicht der Bund um der Gesetze willen. Und geglaubt haettet ihr mir nie, was ihr hier sehet mit Augen." Er legte die Hand der Witwe in die zitternde Rechte des Albinus. "Seht, Rusticiana verzeiht: wer will jetzt noch widerstreben?" - Ueberwunden und ueberwaeltigt verstummten alle. Fuer Cethegus schien das weitere jedes Interesse verloren zu haben. Er trat mit der Frau an die Wand im Hintergrund zurueck. Der Priester aber sprach: "Albinus ist Glied des Bundes." - "Und sein Eid, den er dem Tyrannen geschworen?" fragte schuechtern Scaevola. - "War erzwungen und ist ihm geloest von der heiligen Kirche. Aber nun ist es Zeit, zu scheiden. Nur noch die eilendsten Geschaefte, die neuesten Botschaften. Hier, Licinius, der Festungsplan von Neapolis: du musst ihn bis morgen nachgezeichnet haben, er geht an Belisar. Hier, Scaevola, Briefe aus Byzanz, von Theodora, der frommen Gattin Justinians: du musst sie beantworten. Da, Calpurnius, eine Anweisung auf eine halbe Million Solidi von Albinus: du sendest sie an den fraenkischen Majordomus, er wirkt bei seinem Koenig gegen die Goten. Hier, Pomponius, eine Liste der Patrioten in Dalmatien: du kennst die Dinge dort und die Menschen: sieh zu, ob bedeutende Namen fehlen. Euch allen aber sei gesagt, dass, nach heute erhaltenen Briefen von Ravenna, die Hand des Herrn schwer auf dem Tyrannen liegt: tiefe Schwermut, zu spaete Reue ueber all' seine Suenden soll seine Seele niederdruecken und der Trost der wahren Kirche bleibt ihm fern. Harret aus noch eine kleine Weile: bald wird ihn die zornige Stimme des Richters abrufen: dann koemmt der Tag der Freiheit. An den naechsten Iden, zur selben Stunde, treffen wir uns wieder. Der Segen des Herrn sei mit euch." Eine Handbewegung des Diakons verabschiedete die Versammelten: die jungen Priester traten mit den Fackeln aus den Seitengaengen und geleiteten die Einzelnen in verschiedenen Richtungen nach den nur ihnen bekannten Ausgaengen der Katakomben. Viertes Kapitel. Silverius, Cethegus und Rusticiana stiegen miteinander die Stufen hinauf, welche in die Krypta der Basilika des heiligen Sebastian fuehrten. Von da gingen sie durch die Kirche in das unmittelbar darangebaute Haus des Diakonus. Dort angelangt ueberzeugte sich dieser, dass alle Hausgenossen schliefen bis auf einen alten Sklaven, der im Atrium bei einer halb herabgebrannten Ampel wachte. Auf den Wink seines Herrn zuendete er die neben ihm stehende silberfuessige Lampe an und drueckte auf eine Fuge im Marmorgetaefel. Die Marmorplatten drehten sich um ihre Achse und liessen den Priester, der die Leuchte ergriffen, mit den beiden andern in ein kleines, niedres Gemach treten, dessen Oeffnung sich hinter ihnen rasch und geraeuschlos wieder schloss. Keine Ritze verriet nun wieder, dass hier eine Thuer. Der kleine Raum, jetzt mit einem hohen Kreuz aus Holz, einem Betschemel und einigen christlichen Symbolen auf Goldgrund einfach ausgestattet, hatte in heidnischen Tagen offenbar, wie die an den Waenden hinlaufenden Polstersimse bezeugten, dem Zweck jener kleinen Gelage von zwei oder drei Gaesten gedient, deren zwanglose Gemuetlichkeit Horatius feiert. Zur Zeit war hier das Asyl fuer die geheimsten geistlichen - oder weltlichen - Gedanken des Diakonus. Schweigend setzte sich Cethegus, auf ein gegenueber in die Wand eingelegtes Mosaikgemaelde den fluechtigen Blick des verwoehnten Kunstkenners werfend, auf den niederen Lectus. Waehrend der Priester beschaeftigt war, aus einem Mischkrug mit hochgeschweiften Henkeln Wein in die bereit stehenden Becher zu giessen und eine eherne Schale mit Fruechten auf den dreifuessigen Bronzetisch zu stellen, stand Rusticiana Cethegus gegenueber, ihn mit unwillig staunenden Blicken messend. Kaum vierzig Jahre alt, zeigte das Weib Spuren einer seltenen, etwas maennlichen Schoenheit, die weniger durch das Alter als durch heftige Leidenschaften gelitten hatte: schon war hier und da nicht graues, sondern weisses Haar in ihre rabenschwarzen Flechten gemischt, das Auge hatte einen unsteten Blick und starke Falten zogen sich gegen die immer bewegten Mundwinkel. Sie stuetzte die Linke auf den Erztisch und strich mit der Rechten wie nachsinnend ueber die Stirn, dabei fortwaehrend Cethegus anstarrend. Endlich sprach sie: "Mensch, sage, sage, Mann, welche Gewalt du ueber mich hast? Ich liebe dich nicht mehr. Ich sollte dich hassen. Ich hasse dich auch. Und doch muss ich dir folgen willenlos. Wie der Vogel dem Auge der Schlange. Und du legst meine Hand, _diese_ Hand, in die Hand jenes Schurken. Sage, du Frevler, welches ist diese Macht?" Cethegus schwieg unaufmerksam. Endlich sagte er, sich zuruecklehnend: "Gewohnheit, Rusticiana, Gewohnheit." "Jawohl, Gewohnheit! Gewohnheit einer Sklaverei, die besteht, seit ich denken kann. Dass ich als Maedchen den schoenen Nachbarssohn bewunderte, war natuerlich; dass ich glaubte, du liebtest mich, war verzeihlich: du kuesstest mich ja. Und wer konnte - damals! - wissen, dass du nicht lieben kannst. Nichts: kaum dich selbst. Dass die Gattin des Boethius diese wahnsinnige Liebe nicht erstickte, die du wie spielend wieder anfachtest, war eine Suende, aber Gott und die Kirche haben sie mir verziehen. Doch, dass ich jetzt noch, nachdem ich jahrzehntelang deine herzlose Tuecke kenne, nachdem die Glut der Leidenschaft erloschen in diesen Adern, dass ich jetzt noch blindlings deinem daemonischen Willen folgen muss, - das ist eine Thorheit zum Lautauflachen." Und sie lachte hell und fuhr mit der Rechten ueber die Stirn. Der Priester hielt in seiner wirtlichen Beschaeftigung inne, und sah verstohlen auf Cethegus; er war gespannt. Cethegus lehnte das Haupt rueckwaerts an den Marmorsims und umfasste mit der Rechten den Pokal, der vor ihm stand: "Du bist ungerecht, Rusticiana," sagte er ruhig. "Und unklar. Du mischest die Spiele des Eros in die Werke der Eris und der Erinnyen. Du weisst es, dass ich der Freund des Boethius war. Obwohl ich sein Weib kuesste. Vielleicht ebendeshalb. Ich sehe darin nichts Besonderes und du: - nun dir haben es ja Silverius und die Heiligen vergeben. Du weisst ferner, dass ich diese Goten hasse, wirklich hasse, dass ich den Willen und - vor andern - die Faehigkeit habe, durchzusetzen, was dich jetzt ganz erfuellt: deinen Vater, den du geliebt, deinen Gatten, den du geehrt hast, an diesen Barbaren zu raechen. Du gehorchst daher meinen Winken. Und du thust daran sehr klug. Denn du hast zwar ein sehr bedeutendes Talent, Raenke zu schmieden. Aber deine Heftigkeit truebt oft deinen Blick. Sie verdirbt deine feinsten Plaene. Also thust du wohl, kuehlerer Leitung zu folgen. Das ist alles. - Aber jetzt geh. Deine Sklavin kauert schlaftrunken im Vestibulum. Sie glaubt dich in der Beichte, bei Freund Silverius. Die Beichte darf nicht gar zu lange waehren. Auch haben wir noch Geschaefte. Gruesse mir Kamilla, dein schoenes Kind, und lebe wohl." Er stand auf, ergriff ihre Hand und fuehrte sie sanft zur Thuere. Sie folgte widerstrebend, nickte dem Priester zum Abschied zu, sah nochmal auf Cethegus, der ihre innere Bewegung nicht zu sehen schien und ging mit leisem Kopfschuetteln hinaus. Cethegus setzte sich wieder und trank den Pokal aus. "Sonderbarer Kampf in diesem Weibe," sagte Silverius und setzte sich mit Griffel, Wachstafeln, Briefen und Dokumenten zu ihm. "Nicht sonderbar. Sie will ihr Unrecht gegen ihren Gatten gut machen, indem sie ihn raecht. Und dass sie diese Rache gerade durch ihren ehemaligen Geliebten findet, macht die heilige Pflicht besonders suess. Freilich ist ihr dies alles unbewusst. - Aber, was giebt's zu thun?" Und nun begannen die beiden Maenner ihre Arbeit, solche Punkte der Verschwoerung zu erledigen, die allen Gliedern des Bundes mitzuteilen sie nicht fuer ratsam hielten. - "Diesmal," hob der Diakonus an, "gilt es vor allem, das Vermoegen des Albinus festzustellen und dessen naechste Verwendung zu beraten. Wir brauchten ganz unabweislich Geld, viel Geld." - "Geldsachen sind dein Gebiet," sagte Cethegus trinkend. "Ich verstehe sie wohl, aber sie langweilen mich." "Ferner muessen die einflussreichsten Maenner auf Sicilien, in Neapolis und Apulien gewonnen werden. Hier ist die Liste derselben mit Notizen ueber die einzelnen. Es sind Menschen darunter, bei denen die gewoehnlichen Mittel nicht verfangen." "Gieb her," sagte Cethegus, "_das_ will ich machen" und zerlegte einen persischen Apfel. - - Nach einer Stunde angestrengter Arbeit waren die dringendsten Geschaefte bereinigt und der Hausherr legte die Dokumente wieder in ihr Geheimfach hinter dem grossen Kreuz in der Mauer. Der Priester war ermuedet und sah mit Neid auf den Genossen, dessen staehlernen Koerper und unangreifbaren Geist keine spaete Stunde, keine Anspannung ermatten zu koennen schien. Er aeusserte etwas dergleichen, als sich Cethegus den silbernen Becher wieder fuellte. "Uebung, Freund, starke Nerven und," setzte er laechelnd hinzu, "ein gutes Gewissen: das ist das ganze Raetsel." "Nein, im Ernst, Cethegus, du bist mir auch sonst ein Raetsel." - "Das will ich hoffen." - "Nun, haeltst du dich fuer ein mir so unerreichbar ueberlegenes Wesen?" - "Ganz und gar nicht. Aber doch fuer gerade hinreichend tief, um andern nicht minder ein Raetsel zu sein als - mir selbst. Dein Stolz auf Menschenkenntnis mag sich beruhigen. Es geht mir selbst mit mir nicht besser als dir. Nur die Tropfen sind durchsichtig." - "In der That," fuhr der Priester ausholend fort, "der Schluessel zu deinem Wesen muss sehr tief liegen. Sieh zum Beispiel die Genossen unsres Bundes. Von jedem laesst sich sagen, welcher Grund ihn dazu gefuehrt hat. Der hitzige Jugendmut einen Licinius: der verrannte, aber ehrliche Rechtssinn einen Scaevola: mich und die andern Priester - der Eifer fuer die Ehre Gottes." "Natuerlich," sagte Cethegus trinkend. "Andere treibt der Ehrgeiz: oder die Hoffnung, bei einem Buergerkrieg ihren Glaeubigern die Haelse abzuschneiden, oder auch die Langeweile ueber den geordneten Zustand dieses Landes unter den Goten oder eine Beleidigung durch einen der Fremden, die allermeisten der natuerliche Widerwille gegen die Barbaren und die Gewoehnung, nur im Kaiser den Herrn Italiens zu sehen. Bei dir aber schlaegt keiner dieser Beweggruende an und" - "Und das ist sehr unbequem, nicht wahr? Denn mittels Kenntnis ihrer Beweggruende beherrscht man die Menschen? Ja, ehrwuerdiger Gottesfreund, ich kann dir nicht helfen. Ich weiss es wirklich selbst nicht, was mein Beweggrund ist. Ich bin selbst so neugierig darauf, dass ich es dir herzlich gern sagen und mich - beherrschen lassen wollte, wenn ich es nur entdecken koennte. Nur das Eine fuehl' ich: diese Goten sind mir zuwider. Ich hasse diese vollbluetigen Gesellen mit ihren breiten Flachsbaerten. Unausstehlich ist mir das Glueck dieser brutalen Gutmuetigkeit, dieser naiven Jugendlichkeit, dieses alberne Heldentum, diese ungebrochnen Naturen. Es ist eine Unverschaemtheit des Zufalls, der die Welt regiert, dieses Land, - nach einer solchen Geschichte, - mit Maennern wie - wie du und ich - von diesen Nord-Baeren beherrschen zu lassen." Unwillig warf er das Haupt zurueck, drueckte die Augen zu und schluerfte einen kleinen Trunk Weines. "Dass die Barbaren fort muessen," sprach der andere, "darueber sind wir einig. Und fuer mich ist damit alles erreicht. Denn ich will ja nur die Befreiung der Kirche von diesen irrglaeubigen Barbaren, welche die Goettlichkeit Christi leugnen und nur einen Halbgott aus ihm machen. Ich hoffe, dass alsdann der roemischen Kirche der Primat im ganzen Gebiet der Christenheit, der ihr gebuehrt, unbestritten zufallen wird. Aber solange Rom in der Hand der Ketzer liegt, waehrend der Bischof von Byzanz von dem allein rechtglaeubigen und rechtmaessigen Kaiser gestuetzt wird" - "Solange ist der Bischof von Rom nicht der oberste Bischof der Christenheit, solange nicht Herr Italiens: und deshalb der roemische Stuhl, selbst wenn ein Silverius ihn einnehmen wird, nicht das, was er werden soll: das Hoechste. Und das will doch Silverius." Ueberrascht sah der Priester auf. "Beunruhige dich nicht, Freund Gottes. Ich weiss das laengst und habe dein Geheimnis bewahrt, obwohl du es mir nicht vertraut hast. Allein weiter." Er schenkte sich aufs neue ein: - "dein Falerner ist gut abgelagert, aber er hat zu viel Suesse. - Du kannst eigentlich nur wuenschen, dass diese Goten den Thron der Caesaren raeumen, nicht, dass die Byzantiner an ihre Stelle treten: denn sonst hat der Bischof von Rom wieder zu Byzanz seinen Oberbischof und einen Kaiser. Du musst also an der Goten Stelle wuenschen - nicht einen Kaiser - Justinian, - sondern - etwa was?" - "Entweder" - fiel Silverius eifrig ein - "einen eignen Kaiser des Westreichs" - "Der aber," vollendete Cethegus seinen Satz, "nur eine Puppe ist in der Hand des heiligen Petrus -" - "Oder eine roemische Republik, einen Staat der Kirche -" - "In welchem der Bischof von Rom der Herr, Italien das Hauptland und die Barbarenkoenige in Gallien, Germanien, Spanien die gehorsamen Soehne der Kirche sind. Schoen, mein Freund. Nur muessen erst die Feinde vernichtet sein, deren Spolien du bereits verteilst. Deshalb ein altroemischer Trinkspruch: wehe den Barbaren!" Er stand auf und trank dem Priester zu. "Aber die letzte Nachtwache schleicht vorueber und meine Sklaven muessen mich am Morgen in meinem Schlafgemach finden. Leb wohl." Damit zog er den Cucullus des Mantels ueber das Haupt und ging. Der Wirt sah ihm nach: "Ein hoechst bedeutendes Werkzeug!" sagte er zu sich. "Gut, dass er nur ein Werkzeug ist. Moege er es immer bleiben." Cethegus aber schritt von der Via appia her, wo die Kirche des heiligen Sebastian den Eingang in die Katakomben bedeckt, nach Nordwesten dem Kapitole zu, an dessen Fuss am Nordende der Via sacra sein Haus gelegen war, nordoestlich vom Forum Romanum. Die kuehle Morgenluft strich belebend um sein Haupt. Er schlug den Mantel zurueck und dehnte die breite, starke, gewaltige Brust. "Ja, ein Raetsel bist du," sprach er vor sich hin; "treibst Verschwoerung und naechtlichen Verkehr wie ein Republikaner oder ein Verliebter von zwanzig Jahren. Und warum? - Ei, wer weiss warum er atmet? Weil er muss. Und so muss ich thun was ich thue. Eins aber ist gewiss. Dieser Priester mag Papst werden: er muss es vielleicht werden. Aber Eins darf er nicht. Er darf es nicht lange bleiben. Sonst lebt wohl, ihr Gedanken, ihr kaum eingestandenen, die ihr noch Traeume seid und Wolkenduenste: vielleicht aber ballt sich daraus ein Gewitter, das Blitz und Donner fuehrt und mein Verhaengnis wird. Sieh, es wetterleuchtet im Osten. Gut. Ich nehme das Omen an." Mit diesen Worten schritt er in sein Haus. Im Schlafgemach fand er auf dem Cederntisch vor seinem Lager einen verschnuerten und mit dem koeniglichen Siegel gepressten Brief. Er schnitt die Schnuere mit dem Dolch auf, schlug die doppelte Wachstafel auseinander und las: "An Cethegus Caesarius, den Princeps Senatus, Marcus Aurelius Cassiodorus Senator. Unser Herr und Koenig liegt im Sterben. Seine Tochter und Erbin Amalaswintha wuenscht dich noch vor seinem Ende zu sprechen. Du sollst das wichtigste Reichsamt uebernehmen. Eile sogleich nach Ravenna." Fuenftes Kapitel. Atembeklemmend lag bange Stimmung schwer und schwuel ueber dem Koenigspalast zu Ravenna mit seiner duestern Pracht, mit seiner unwirtlichen Weitraeumigkeit. Die alte Burg der Caesaren hatte im Lauf der Jahrhunderte schon so manche stilwidrige Veraenderung erfahren. Und seit an die Stelle der Imperatoren der Gotenkoenig mit seinem germanischen Hofgesinde getreten war, hatte sie vollends ein wenig harmonisches Aussehen angenommen. Denn viele Raeume, die eigentuemlichen Sitten des roemischen Lebens gedient hatten, standen mit der alten Pracht ihrer Einrichtung unbenutzt und vernachlaessigt: Spinnweben zogen sich ueber die Mosaiken der reichen, aber lang nicht mehr betretenen Badgemaecher des Honorius und in dem Toilettenzimmer der Placidia huschten die Eidechsen ueber das Marmorgesims der Silberspiegel in den Mauern. Dagegen hatten die Beduerfnisse eines mehr kriegerischen Hofhalts manche Mauer niedergerissen, um die kleinen Gemaecher des antiken Hauses zu den weiteren Raeumen von Waffensaelen, Trinkhallen, Wachtzimmern auszudehnen. Und man hatte anderseits durch neue Mauerfuehrungen benachbarte Haeuser mit dem Palast verbunden, daraus eine Festung mitten in der Stadt zu schaffen. Es trieben jetzt in der "_piscina maxima_", dem ausgetrockneten Teich, blonde Buben ihre wilden Spiele und in den Marmorsaelen der Palaestra wieherten die Rosse der gotischen Wachen. So hatte der weitlaeufige Bau das unheimliche Ansehen halb einer kaum noch erhaltnen Ruine, halb eines unvollendeten Neubaus: und die Burg dieses Koenigs erschien so wie ein Sinnbild seines roemisch-gotischen Reiches, seiner ganzen politischen halbunfertigen, halbverfallenden Schoepfung. - An dem Tage aber, der Cethegus nach Jahren hier zuerst wieder eintreten sah, lastete ein Gewoelk von Spannung, Trauer und Duestre ganz besonders schwer auf diesem Haus: denn seine koenigliche Seele sollte daraus scheiden. - Der grosse Mann, der von hier aus ein Menschenalter lang die Geschicke Europas gelenkt, den Abendland und Morgenland in Liebe und Hass bewunderten, der Heros seines Jahrhunderts, der gewaltige Dietrich von Bern, dessen Namen schon bei seinen Lebzeiten die Sage sich ausschmueckend bemaechtigt hatte, der grosse Amalungen-Koenig Theoderich sollte sterben. So hatten es die Aerzte, wenn nicht ihm selbst doch seinen Raeten verkuendet und alsbald war es hinausgedrungen in die grosse volkreiche Stadt. Obwohl man seit lange einen solchen Ausgang der geheimnisvollen Leiden des greisen Fuersten fuer moeglich gehalten, erfuellte doch jetzt die Kunde von dem drohenden Eintritt des verhaengnisvollen Schlages alle Herzen mit der hoechsten Aufregung. Die treuen Goten trauerten und bangten: aber auch bei der roemischen Bevoelkerung war eine dumpfe Spannung die vorherrschende Empfindung. Denn hier in Ravenna, in der unmittelbaren Naehe des Koenigs hatten die Italier die Milde und Hoheit dieses Mannes im allgemeinen zu bewundern und durch besondere Wohlthaten zu erfahren am haeufigsten Gelegenheit gehabt. Ferner fuerchtete man nach dem Tode dieses Koenigs, der waehrend seiner ganzen Regierung, mit einziger Ausnahme der juengsten Kaempfe mit dem Kaiser und dem Senat, in welchen Boethius und Symmachus geblutet, die Italier vor der Gewaltthaetigkeit und Rauheit seines Volkes beschuetzt hatte, unter einem neuen Regiment Haerte und Druck von Seite der Goten zu befahren. Endlich aber wirkte noch ein Anderes, Hoeheres: die Persoenlichkeit dieses Heldenkoenigs war so grossartig, so majestaetisch gewesen, dass auch diejenigen, die seinen und seines Reiches Untergang oft herbeigewuenscht hatten, doch in dem Augenblick, da nun diese Sonne erloeschen sollte, sich niedriger Schadenfreude nicht hingeben und ernsterer Erschuetterung nicht erwehren konnten. So war die Stadt schon seit grauendem Morgen - da man zuerst vom Palast Boten nach allen Winden hatte jagen und einzelne Diener in die Haeuser der vornehmsten Goten und Roemer hatte eilen sehen - in hoechster Erregung. In den Strassen, auf den Plaetzen, in den Baedern standen die Maenner paarweise oder in Gruppen beisammen, fragten und teilten sich mit, was sie wussten, suchten eines Vornehmen habhaft zu werden, der vom Palaste herkam und sprachen ueber die ernsten Folgen des bevorstehenden Ereignisses. Weiber und Kinder kauerten neugierig auf den Schwellen der Haeuser. Mit den wachsenden Stunden des Tages stroemte sogar schon die Bevoelkerung der naechsten Doerfer und Staedte, besonders trauernde Goten, forschend in die Thore Ravennas. Die Raete des Koenigs, voraus der Praefectus Praetorio Cassiodorus, der sich in diesen Tagen um Aufrechthaltung der Ordnung hohes Verdienst erwarb, hatten solche Aufregung vorausgesehen, vielleicht Schlimmeres erwartet. Seit Mitternacht waren alle Zugaenge zum Palast geschlossen und mit gotischen Wachen besetzt. Auf dem Forum des Honorius, vor der Stirnseite des Gebaeudes, war ein Zug Reiter aufgestellt. Auf den breiten Marmorstufen, die zu der stolzen Saeulenreihe des Hauptportals hinauffuehrten, waren starke Scharen gotischen Fussvolks, mit Schild und Speer, in malerischen Gruppen gelagert. Nur hier konnte man, nach Cassiodors Befehl, Eintritt in den Palast erlangen und nur die beiden Anfuehrer des Fussvolks, der Roemer Cyprian und der Gote Witichis, durften die Erlaubnis dazu erteilen. Ersterer war es, der Cethegus einliess. Wie dieser den altbekannten Weg zum Gemach des Koenigs verfolgte, fand er in den Hallen und Gaengen der Burg die Goten und Italier, denen ihr Rang und Ansehen Zutritt erwarben, in ungleichen Gruppen verteilt. Schweigend und traurig standen in der sonst so lauten Trinkhalle die jungen Tausendfuehrer und Hundertfuehrer der Goten beisammen oder fluesterten einzelne besorgte Fragen, waehrend hier und da ein aelterer Mann, ein Waffengefaehrte des sterbenden Helden, in einer Nische der Bogenfenster lehnte, seinen lauten Schmerz zu verbergen; in der Mitte des Saales stand, laut weinend, das Haupt an einen Pfeiler drueckend, ein reicher Kaufmann von Ravenna: der Koenig, der jetzt scheiden sollte, hatte ihm eine Verschwoerung verziehen und seine Warenhallen vor der Pluenderung durch die ergrimmten Goten gerettet. Mit einem kalten Blick der Geringschaetzung schritt Cethegus an dem allen vorueber. Er ging weiter. In dem naechsten Gemach, dem zum Empfang fremder Gesandten bestimmten Saal, fand er eine Anzahl von vornehmen Goten, Herzogen, Grafen und Edeln beisammen, die offenbar Beratung hielten ueber den Thronwechsel und den drohenden Umschwung aller Verhaeltnisse. Da waren die tapferen Herzoge Thulun von Provincia, der die Stadt Arles heldenmuetig gegen die Franken verteidigt hatte, Ibba von Liguria, der Eroberer von Spanien, Pitza von Dalmatia, der Besieger der Bulgaren und Gepiden, gewaltige, trotzige Herren, stolz auf ihren alten Adel, der dem Koenigshaus der Amaler wenig nachgab - denn sie waren aus dem Geschlecht der Balten, das bei den Westgoten durch Alarich die Krone gewonnen hatte -, und auf ihre kriegerischen Verdienste, die das Reich beschirmt und erweitert. Auch Hildebad und Teja standen bei ihnen. Das waren die Fuehrer der Partei, die laengst eine haertere Behandlung der Italier, welche sie hassten und scheuten zugleich, begehrt und die nur widerstrebend dem milden Sinn des Koenigs sich gefuegt hatten. Wilde Blicke des Hasses schossen aus ihrer Mitte auf den vornehmen Roemer, der da Zeuge der Sterbestunde des grossen Gotenhelden sein wollte. Ruhig schritt Cethegus an ihnen vorueber und hob den schweren Wollvorhang auf, der den naechsten Raum abschied, das Vorzimmer des Krankengemaches. Eintretend begruesste er mit tiefer Verbeugung des Hauptes eine hohe koenigliche Frau, die, in schwarze Trauerschleier gehuellt, ernst und schweigend, aber in fester Fassung und ohne Thraenen vor einem mit Urkunden bedeckten Marmortische stand: das war Amalaswintha, die verwitwete Tochter Theoderichs. Eine Frau in der Mitte der Dreissiger war sie noch von ausserordentlicher, wenn auch kalter Schoenheit. Sie trug das reiche dunkle Haar nach griechischer Weise gescheitelt und gewellt. Die hohe Stirn, das grosse, runde Auge, die geradlinige Nase, der Stolz ihrer fast maennlichen Zuege und die Majestaet ihrer vollen Gestalt verliehen ihr gebietende Wuerde und in dem ganz nach hellenischem Stil gefalteten Trauergewand glich sie in der That einer von ihrem Postament heruntergeschrittenen Hera des Polyklet. An ihrem Arme hing, mehr gestuetzt als stuetzend, ein Knabe oder Juengling von etwa siebzehn Jahren, Athalarich, ihr Sohn, des Gotenreiches Erbe. Er glich nicht der Mutter, sondern hatte die Natur seines ungluecklichen Vaters Eutharich, den eine zehrende Krankheit des Herzens in der Bluete seiner Jahre in das Grab gezogen hatte. Mit Sorge sah deshalb Amalaswintha ihren Sohn in allem ein Ebenbild des Vaters werden und es war kaum mehr ein Geheimnis am Hofe von Ravenna, dass alle Spuren jener Krankheit sich schon in dem Knaben zeigten. Athalarich war schoen wie alle Glieder dieses von den Goettern stammenden Hauses. Starke schwarze Brauen, lange Wimpern beschatteten ein edles, dunkles Auge, das aber bald wie in unbestimmten Traeumen zerfloss, bald in geisterhaftem Glanz aufblitzte. Dunkelbraune wirre Locken hingen in die bleichen Schlaefe, in denen bei lebhafter Erregung die feinen blauen Adern krampfhaft zuckten. Der edeln Stirn hatte leiblicher Schmerz oder schwere Entsagung tiefe Furchen eingezeichnet, befremdlich auf diesem jugendlichen Antlitz. Rasch wechselten Marmorblaesse und heisses Rot auf den durchsichtigen Wangen. Die hoch aufgeschossene, aber geknickte Gestalt schien meistens wie muede in ihren Fugen zu hangen und schoss nur manchmal mit erschreckender Raschheit in die Hoehe. Er sah den eintretenden Cethegus nicht, denn er hatte, an der Mutter Brust gelehnt, den griechischen Mantel klagend um das junge Haupt geschlagen, das bald eine schwere Krone tragen sollte. - Fern von diesen beiden an dem offenen Bogen des Gemaches, der den Blick auf die von den Gotenkriegern besetzten Marmorstufen gewaehrte, stand, in traeumerisches Sinnen verloren, ein Weib - oder war es eine Jungfrau? - von ueberraschender, blendender, ueberwaeltigender Schoenheit: das war Mataswintha, Athalarichs Schwester. Sie glich der Mutter an Adel und Hoehe der Gestalt, aber ihre schaerferen Zuege hatten ein feuriges leidenschaftliches Leben, das sich nur wenig unter angenommener Kaelte barg. Ihre Gestalt, ein reizvolles Ebenmass von bluehender Fuelle und feiner Schlankheit, mahnte an jene bezwungene Artemis in den Armen des Endymion in der Gruppe des Agesander, die, nach der Sage, der Rat von Rhodos hatte aus der Stadt verbannen muessen, weil diese marmorne hoechste Einheit schoenster Jungfraeulichkeit und schoenster Sinnlichkeit die Juenglinge des Eilands zu Wahnsinn und Selbstmord getrieben hatte. Der Zauber hoechster reifer Maedchenschoenheit zitterte ueber diesem Wesen. Ihr reichwallendes Haar war dunkelrot mit einem schillernden Metallglanz und von so ausserordentlicher Wirkung, dass er der Fuerstin, selbst bei diesem durch die praechtigen Goldlocken seiner Weiber beruehmten Volk, den Namen "Schoenhaar" verschafft hatte. Ihre Augenbrauen aber und die langen Wimpern waren glaenzend schwarz und hoben die blendend weisse Stirn, die alabasternen Wangen leuchtend hervor. Die fein gebogene Nase mit den zartgeschnittenen manchmal leise zuckenden Fluegeln senkte sich auf einen ueppig schwellenden Mund. Aber das Auffallendste an dieser auffallenden Schoenheit war das graue Auge, nicht so fast durch die ziemlich unbestimmte Farbe, wie durch den wunderbaren Ausdruck, mit dem es, meist in traeumerisches Sinnen verloren, manchmal in versengender Leidenschaft aufleuchten konnte. In der That, wie sie da an dem Fenster lehnte, in der halb hellenischen, halb gotischen von ihrer Phantasie erfinderisch zusammengewaehlten Tracht, den weissen, hochgewoelbten Arm um die dunkle Porphyrsaeule geschlungen und hinaus traeumend in die Abendluft, glich ihre verfuehrerische Schoenheit jenen unwiderstehlichen Waldfrauen oder Wellenmaedchen, deren allverstrickende Liebesgewalt von jeher die germanische Sage gefeiert hat. Und so gross war die Macht dieser Schoenheit, dass selbst die ausgebrannte Brust des Cethegus, der die Fuerstin laengst kannte, bei seinem Eintritt von neuem Staunen beruehrt wurde. - Doch wurde er sogleich in Anspruch genommen von dem letzten der im Gemach Anwesenden, von Cassiodor, dem gelehrten und treuen Minister des Koenigs, dem ersten Vertreter jener wohlwollenden, aber hoffnungslosen Versoehnungspolitik, die seit einem Menschenalter im Gotenreich geuebt wurde. Der alte Mann, dessen ehrwuerdige und milde Zuege der Schmerz um den Verlust seines koeniglichen Freundes nicht weniger bewegte als die Sorge um die Zukunft des Reiches, stand auf und ging mit schwankenden Schritten dem Eintretenden entgegen, der sich ehrfurchtvoll verneigte. In Thraenen schwimmend ruhte das Auge des Greises auf ihm, endlich sank er seufzend an die kalte Brust des Cethegus, der ihn fuer diese Weichheit verachtete. "Welch ein Tag!" klagte er. - "Ein verhaengnisvoller Tag," sprach Cethegus ernst; "er fordert Kraft und Fassung." - "Recht sprichst du, Patricius, und wie ein Roemer," - sagte die Fuerstin, sich von Athalarich losmachend, - "sei gegruesst." Sie reichte ihm die Hand, die nicht bebte, ihr Auge war klar. "Die Schuelerin der Stoa bewaehrt an diesem Tage die Weisheit Zenos und die eigne Kraft," sprach Cethegus. "Sagt lieber, die Gnade Gottes kraeftigt ihre Seele wunderbar," verbesserte Cassiodor. - "Patricius," begann Amalaswintha, "der Praefectus Praetorio hat dich mir vorgeschlagen zu einem wichtigen Geschaeft. Sein Wort wuerde genuegen, auch wenn ich dich nicht laengst schon kennte. Du bist derselbe Cethegus, der die ersten beiden Gesaenge der Aeneis in griechische Hexameter uebertragen hat!" - "_Infandum renovare jubes, regina, dolorem._ Eine Jugendsuende, Koenigin," laechelte Cethegus. "Ich habe alle Abschriften aufgekauft und verbrannt an dem Tage, da die Uebersetzung Tullias erschien." Tullia war das Pseudonym Amalaswinthas: Cethegus wusste das: aber die Fuerstin hatte von dieser seiner Kenntnis keine Ahnung. Sie war in ihrer schwaechsten Stelle geschmeichelt und fuhr fort: "Du weisst, wie es hier steht. Die Atemzuege meines Vaters sind gezaehlt: nach dem Ausspruch der Aerzte kann er, obwohl noch ruestig und stark, jeden Augenblick tot zusammenbrechen. Athalarich hier ist der Erbe seiner Krone. Ich aber fuehre an seiner Statt die Regentschaft und ueber ihn die Mundschaft bis er zu seinen Tagen gekommen." - "So ist der Wille des Koenigs, und Goten und Roemer haben dieser Weisheit laengst schon zugestimmt," sagte Cethegus. - "So thaten sie. Aber die Menge ist wandelbar. Die rohen Maenner verachten die Herrschaft eines Weibes" - und sie zog bei diesem Gedanken die Stirn in zornige Falten. "Es widerstreitet immerhin dem Staatsrecht der Goten wie der Roemer," beguetigte Cassiodor, "es ist ganz neu, dass ein Weib -" - "Die undankbaren Rebellen!" murmelte Cethegus, gleichsam fuer sich. - "Wie man darueber denken mag," fuhr die Fuerstin fort, "es ist so. Gleichwohl baue ich auf die Treue der Barbaren im ganzen, moegen auch einzelne aus dem Adel Gelueste nach der Krone tragen. Auch von den Italiern hier in Ravenna, wie in den meisten Staedten, fuerchte ich nichts. Aber ich fuerchte - Rom und die Roemer." Cethegus horchte hoch auf: sein ganzes Wesen war in ploetzlicher Erregung: aber sein Antlitz blieb eisig kalt. "Rom wird sich niemals an die Herrschaft der Goten gewoehnen, es wird uns ewig widerstreben - wie koennte es anders!" setzte sie seufzend hinzu. Es war, als ob die Tochter Theoderichs eine roemische Seele haette. "Wir fuerchten deshalb," - ergaenzte Cassiodor, - "dass auf die Kunde von der Erledigung des Throns zu Rom eine Bewegung gegen die Regentin ausbrechen koennte, sei es fuer Anschluss an Byzanz, sei es fuer Erhebung eines eignen Kaisers des Abendlandes." Cethegus schlug, wie nachsinnend, die Augen nieder. - "Darum," fiel die Fuerstin rasch ein, "muss, schon ehe jene Kunde zu Rom eintrifft, alles geschehen sein. Ein entschlossener, mir treu ergebener Mann muss die Besatzung fuer mich - ich meine fuer meinen Sohn - vereidigen, die wichtigsten Thore und Plaetze besetzen, Senat und Adel einschuechtern, das Volk fuer mich gewinnen und meine Herrschaft unerschuetterlich aufrichten, ehe sie noch bedroht ist. Und fuer dies Geschaeft hat Cassiodor - dich vorgeschlagen. Sprich, willst du es uebernehmen?" Bei diesen Worten war der goldne Griffel aus ihrer Hand zur Erde gefallen. Cethegus bueckte sich, ihn aufzuheben. Er hatte nur diesen einen Augenblick fuer die hundert Gedanken, die bei diesem Antrag sich in seinem Kopfe kreuzten. War die Verschwoerung in den Katakomben, war vielleicht er selbst verraten? Lag hier eine Schlinge des schlauen und herrschsuechtigen Weibes? Oder waren die Thoren wirklich so blind, gerade ihm dies Amt aufzudringen? Und wenn dem so war, was sollte er thun? Sollte er den Moment benutzen, sogleich loszuschlagen, Rom zu gewinnen? Und fuer wen? fuer Byzanz? oder fuer einen Kaiser im Abendlande? Und wer sollte das werden? Oder waren die Dinge noch nicht reif? Sollte er fuer diesmal - aus Treulosigkeit - Treue ueben? Fuer all' diese und manche andere Zweifel und Fragen hatte er, sie zu stellen und zu loesen, nur den einen Moment, da er sich bueckte: sein rascher Geist brauchte nicht mehr: er hatte im Buecken das arglos vertrauende Gesicht Cassiodors gesehen und entschlossen sprach er, den Griffel ueberreichend: "Koenigin, ich uebernehme das Geschaeft." - "Das ist gut," sagte die Fuerstin. Cassiodor drueckte seine Hand. - "Wenn Cassiodor," fuhr Cethegus fort, "mich zu diesem Amte vorgeschlagen, so hat er wieder einmal seine tiefe Menschenkenntnis bewaehrt. Er hat durch meine Schale auf meinen Kern gesehen." - "Wie meinst du das?" fragte Amalaswintha. - "Koenigin, der Schein konnte ihn truegen. Ich gestehe, dass ich die Barbaren - verzeihe! - die Goten nicht gern in Italien herrschen sehe." - "Dieser Freimut ehrt dich und ich verzeih' es dem Roemer." - "Dazu kommt, dass ich seit Jahrzehnten dem Staat, dem oeffentlichen Leben keine Teilnahme mehr zuwandte. Nach vielen Leidenschaften leb' ich - ohne alle Leidenschaft - nur einer spielenden Muse und leichten Gelehrsamkeit, unbekuemmert um die Sorgen der Koenige, auf meinen Villen." - "_Beatus ille qui procul negotiis_", citierte seufzend die gelehrte Frau. - "Aber eben weil ich die Wissenschaft verehre, weil ich, ein Schueler Platons, will, dass die Weisen herrschen sollen, deshalb wuensche ich, dass eine Koenigin mein Vaterland regiere, die nur der Geburt nach Gotin, der Seele nach Griechin, der Tugend nach Roemerin ist. Ihr zu Liebe will ich meine Musse den verhassten Geschaeften opfern. Aber nur unter der Bedingung, dass dies mein letztes Staatsamt sei. Ich uebernehme deinen Auftrag und stehe dir fuer Rom mit meinem Kopf." "Gut, hier findest du die Vollmachten, die Dokumente, deren du bedarfst." Cethegus durchflog die Urkunden. "Dies ist das Manifest des jungen Koenigs an die Roemer, mit deiner Unterschrift. Seine Unterschrift fehlt noch." Amalaswintha tauchte die gnidische Rohrfeder in das Gefaess mit Purpurtinte, deren sich die Amaler, wie die roemischen Imperatoren bedienten: "Komm, schreibe deinen Namen, mein Sohn." Athalarich hatte waehrend der ganzen Verhandlung stehend und mit beiden Armen vorgebeugt auf den Tisch gestuetzt, Cethegus scharf beobachtet. Jetzt richtete er sich auf: er war gewohnt, in seinen Formen die Rechte eines Kronfolgers und eines Kranken zu gebrauchen: "Nein," sagte er heftig, "ich schreibe nicht. Nicht bloss, weil ich diesem kalten Roemer nicht traue, - nein, ich traue dir gar nicht, du stolzer Mann! - es ist empoerend, dass ihr, waehrend mein hoher Grossvater noch atmet, schon an seiner Krone herumtappt, ihr Zwerge nach der Krone des Riesen. Schaemt euch eurer Fuehllosigkeit. Hinter jenen Vorhaengen stirbt der groesste Held des Jahrhunderts - und ihr denkt nur an die Teilung seiner Koenigsgewaender." Er wandte ihnen den Ruecken und schritt langsam nach dem Fenster zu, wo er den Arm um seine schoene Schwester schlang und ihr schimmervolles glaenzendes Haar streichelte. Lange stand er so, sie achtete seiner nicht. Ploetzlich fuhr sie auf aus ihrem Sinnen: "Athalarich," fluesterte sie, hastig seinen Arm fassend und hinausdeutend auf die Marmorstufen, "wer ist der Mann dort? im blauen Stahlhelm, der eben um die Saeule biegt? Sprich, wer ist es?" "Lass sehn," sagte der Juengling sich vorbeugend, "der dort? ei, das ist Graf Witichis, der Besieger der Gepiden, ein wackrer Held." Und er erzaehlte ihr von den Thaten und Erfolgen des Grafen im letzten Kriege. Indessen hatte Cethegus die Fuerstin und den Minister fragend angesehen. "Lass ihn!" seufzte Amalaswintha. "Wenn er nicht will, zwingt ihn keine Macht der Erde." Weiteres Fragen des Cethegus ward abgeschnitten, indem sich der dreifache Vorhang aufthat, der das Schlafgemach des Koenigs von allem Geraeusch des Vorzimmers schied. Es war Elpidios, der griechische Arzt, der, die schweren Falten aufhebend, berichtete, der Kranke, eben aus langem Schlummer erwacht, habe ihn fortgeschickt, um mit dem alten Hildebrand allein zu sein: dieser wich nie von seiner Seite. Sechstes Kapitel. Das Schlafgemach Theoderichs, schon von den Kaisern zu gleichem Zweck benutzt, zeigte die duestre Pracht des spaeten roemischen Stils. Die ueberladenen Reliefs an den Waenden, die Goldornamentik der Decke schilderte noch Siege und Triumphzuege der roemischen Konsuln und Imperatoren: heidnische Goetter und Goettinnen schwebten stolz darueber hin: ueberall in der Architektur und Dekoration waltete drueckender Prunk. Dazu bildete einen merkwuerdigen Gegensatz das Lager des Gotenkoenigs in seiner schlichten Einfachheit. Kaum einen Fuss vom Marmorboden erhob sich das ovale Gestell von rohem Eichenholz, das wenige Decken fuellten. Nur der koestliche Purpurteppich, der die Fuesse verhuellte, und das Loewenfell mit goldnen Tatzen, ein Geschenk des Vandalenkoenigs aus Afrika, das vor dem Bette lag, bekundete die Koenigshoheit des Kranken. Alles Geraet, das sonst das Gemach erfuellt, war prunklos, schlicht, fast barbarisch schwer. An einer Saeule im Hintergrund hing der eherne Schild und das breite Schwert des Koenigs, seit vielen Jahren nicht mehr gebraucht. Am Kopfende des Lagers stand, gebeugten Hauptes, der alte Waffenmeister, die Zuege des Kranken sorglich pruefend: dieser, auf den linken Arm gestuetzt, kehrte ihm das gewaltige, das majestaetische Antlitz zu. Sein Haar war spaerlich und an den Schlaefen abgerieben durch den langjaehrigen Druck des schweren Helmes, aber noch glaenzend hellbraun, ohne irgend graue oder weisse Spuren. Die maechtige Stirn, die blitzenden Augen, die stark gebogene Nase, die tiefen Furchen der Wangen sprachen von grossen Aufgaben und von grosser Kraft, sie zu loesen und machten den Eindruck des Gesichts koeniglich und hehr: aber die wohlwollende Weichheit des Mundes bekundete, trotz dem grimmen und leise ergrauenden Bart, jene Milde und friedliche Weisheit, mit welcher der Koenig ein Menschenalter lang fuer Italien eine goldne Zeit zurueckgefuehrt und sein Reich zu einer Bluete erhoben hatte, die damals schon Sprichwort und Sage feierten. Lang liess er mit Huld und Liebe das goldbraune Adlerauge auf dem riesigen Krankenwart ruhen. Dann reichte er ihm die magre, aber nervige Rechte. "Alter Freund," sagte er, "nun wollen wir Abschied nehmen." Der Greis sank in die Knie und drueckte die Hand des Koenigs an die breite Brust. "Komm, Alter, steh' auf: muss _ich dich_ troesten?" Aber Hildebrand blieb auf den Knieen und erhob nur das Haupt, dass er dem Koenig ins Auge sehen konnte. "Sieh," sprach dieser, "ich weiss, dass du, Hildungs Sohn, von deinen Ahnen, von deinem Vater her tiefere Geheimkunde hast von der Menschen Siechtum und Heilung, als alle diese griechischen Aerzte und lydischen Salbenkraemer. Und vor allem: du hast mehr Wahrhaftigkeit. Darum frage ich dich, du sollst mir redlich bestaetigen, was ich selbst fuehle: sprich, ich muss sterben? heute noch? noch vor Nacht?" Und er sah ihn an mit einem Auge, das nicht zu taeuschen war. Aber der Alte wollte gar nicht taeuschen, er hatte jetzt seine zaehe Kraft wieder. "Ja, Gotenkoenig, Amalungen Erbe, du musst sterben," sagte er: "die Hand des Todes hat ueber dein Antlitz gestrichen. Du wirst die Sonne nicht mehr sinken sehen." "Es ist gut," sagte Theoderich, ohne mit der Wimper zu zucken. "Siehst du, der Grieche, den ich fortgeschickt, hat mir noch von ganzen Tag vorgelogen. Und ich brauche doch meine Zeit." "Willst du wieder die Priester rufen lassen?" fragte Hildebrand, nicht mit Liebe. - "Nein, ich konnte sie nicht brauchen. Und ich brauche sie nicht mehr." - "Der Schlaf hat dich sehr gestaerkt und den Schleier von deiner Seele genommen, der sie so lang verdunkelt. Heil dir, Theoderich, Theodemers Sohn, du wirst sterben wie ein Heldenkoenig." "Ich weiss," laechelte dieser, "die Priester waren dir nicht genehm an diesem Lager. Du hast Recht. Sie konnten mir nicht helfen." - "Nun aber, wer hat dir geholfen?" "Gott und ich selbst. Hoere. Und diese Worte sollen unser Abschied sein! Mein Dank fuer deine Treue von fuenfzig Jahren sei es, dass ich dir allein, nicht meiner Tochter, nicht Cassiodor, es vertraue, was mich gequaelt hat. Sprich: was sagt man im Volk, was glaubst du, dass jene Schwermut war, die mich ploetzlich befallen und in dieses Siechtum gestuerzt hat?" - "Die Welschen sagen: Reue ueber den Tod des Boethius und Symmachus." - "Hast du das geglaubt?" - "Nein, ich mochte nicht glauben, dass dich das Blut der Verraeter bekuemmern kann." - "Du hast wohlgethan. Sie waren vielleicht nicht des Todes schuldig: nach dem Gesetz, nach ihren Thaten. Und Boethius habe ich sehr geliebt. Aber sie waren tausendfach Verraeter! Verraeter in ihren Gedanken, Verraeter an meinem Vertrauen, an meinem Herzen. Ich habe sie, die Roemer, hoeher gehalten als die Besten meines Volkes. Und sie haben, zum Dank, meine Krone dem Kaiser gewuenscht, dem Byzantiner Schmeichelbriefe geschrieben: sie haben einen Justin und einen Justinian der Freundschaft des Theoderich vorgezogen -: mich reut der Undankbaren nicht. Ich verachte sie. Rate weiter! Du, was hast du geglaubt?" - "Koenig: dein Erbe ist ein Kind und du hast ringsum Feinde." Der Kranke zog die kuehnen Brauen zusammen: "Du triffst naeher ans Ziel. Ich habe stets gewusst, was meines Reiches Schwaeche. In bangen Naechten hab' ich geseufzt um seine innere Krankheit, wann ich am Abend beim Gastgelag den fremden Gesandten den Stolz hoechster Zuversicht gezeigt hatte. Alter, du hast, ich weiss, mich fuer allzu sicher gehalten. Aber mich durfte niemand beben sehen. Nicht Freund noch Feind. Sonst bebte mein Thron. Ich habe geseufzt, wann ich einsam war und meine Sorge allein getragen." - "Du bist die Weisheit, mein Koenig, und ich war ein Thor!" rief der Alte. "Sieh," fuhr der Koenig fort, - mit der Hand ueber die des Alten streichend -, "ich weiss alles, was dir nicht recht an mir gewesen. Auch deinen blinden Hass gegen diese Welschen kenne ich. Glaube mir, er ist blind. Wie vielleicht meine Liebe zu ihnen war." Hier seufzte er und hielt inne. "Was quaelst du dich." - "Nein, lass mich vollenden. Ich weiss es, mein Reich, das Werk meines ruhmvollen, muehevollen Lebens kann fallen, leicht fallen. Und vielleicht durch Schuld meiner Grossmut gegen diese Roemer. Sei es darum! Kein Menschenbau ist ewig und die Schuld zu edler Guete - ich will sie tragen." "Mein grosser Koenig!" - "Aber, Hildebrand, in einer Nacht, da ich so wachte, sorgte und seufzte ueber den Gefahren meines Reiches, - da stieg mir vor der Seele auf das Bild einer andern Schuld! Nicht der Guete, nein, der Ruhmsucht, der blutigen Gewalt. Und wehe, wehe mir, wenn das Volk der Goten sollte untergehn zur Strafe fuer Theoderichs Frevel! - _Sein_, _sein_ Bild tauchte mir empor!" Der Kranke sprach nun mit Anstrengung und zuckte einen Augenblick. "Wessen Bild? Wen meinst du?" fragte der Alte leise, sich vorbeugend. "Odovakar!" fluesterte der Koenig. Hildebrand senkte das Haupt. Ein banges Schweigen unterbrach endlich Theoderich: "Ja, Alter, diese Rechte, - du weisst es, - hat den gewaltigen Helden durchstossen, beim Mahl, meinen Gast. Heiss spritzte sein Blut mir ins Gesicht und ein Hass ohne Ende spruehte auf mich aus seinem brechenden Auge. Vor wenigen Monden, in jener Nacht, stieg sein blutiges, bleiches, zuernendes Bild wie eines Rachegottes vor mir auf. Fiebernd zuckte mein Herz zusammen. Und furchtbar sprach's in mir: um dieser Blutthat willen wird dein Reich zerfallen und dein Volk vergehn." Nach einer neuen Pause begann diesmal Hildebrand, trotzig aufblickend: "Koenig, was quaelst du dich wie ein Weib? Hast du nicht Hunderte erschlagen mit eigner Hand und dein Volk Tausende auf dein Gebot? Sind wir nicht von den Bergen in dies Land herabgestiegen in mehr als dreissig Schlachten, im Blute watend knoecheltief? Was ist dagegen das Blut des einen Mannes! Und denk': wie es stand. Vier Jahre hatte er dir widerstanden wie der Auerstier dem Baeren. Zweimal hatte er dich und dein Volk hart an den Rand des Verderbens gedraengt. Hunger, Schwert und Seuche rafften deine Goten dahin. Endlich, endlich fiel das trotzige Ravenna; ausgehungert, durch Vertrag. Bezwungen lag der Todfeind dir zu Fuessen. Da koemmt dir Warnung, er sinnt Verrat, er will noch einmal den graesslichen Kampf aufnehmen, er will zur Nacht desselben Tages dich und die Deinen ueberfallen. Was solltest du thun? Ihn offen zu Rede stellen? War er schuldig, so konnte das nicht retten. Kuehn kamst du ihm zuvor und thatest ihm Abends, was er dir Nachts gethan haette. Und wie hast du deinen Sieg benuetzt! Die Eine That hat all' dein Volk gerettet, hat einen neuen Kampf der Verzweiflung erspart. Du hast all' die Seinen begnadigt, hast Goten und Welsche dreissig Jahre leben lassen wie im Himmelreich. Und nun willst du um jene That dich quaelen? Zwei Voelker danken sie dir in Ewigkeit. Ich - ich haett' ihn siebenmal erschlagen." Der Alte hielt inne, sein Auge blitzte, er sah wie ein zorniger Riese. Aber der Koenig schuettelte das Haupt. "Das ist nichts, alter Recke, alles nichts! Hundertmal hab ich mir dasselbe gesagt, und verlockender, feiner als deine Wildheit es vermag. Das hilft all' nichts. Er war ein Held, - der einzige meinesgleichen! - Und ich hab ihn ermordet, ohne Beweis seiner Schuld. Aus Argwohn, aus Eifersucht, ja - es muss gesagt sein, aus Furcht, - aus Furcht, noch einmal mit ihm ringen zu sollen. Das war und ist und bleibt ein Frevel. - Und ich fand keine Ruhe hinter Ausreden. Duestre Schwermut fiel auf mich. Seine Gestalt verfolgte mich seit jener Nacht unaufhoerlich. Beim Schmaus und im Rat, auf der Jagd, in der Kirche, im Wachen und im Schlafen. Da schickte mir Cassiodor die Bischoefe, die Priester. Sie konnten mir nicht helfen. Sie hoerten meine Beichte, sahen meine Reue, meinen Glauben, und vergaben mir alle Suenden. Aber Friede kam nicht ueber mich und ob _sie_ mir verziehen, - _ich_ konnte mir nicht verzeihen. Ich weiss nicht, ist es der alte Sinn meiner heidnischen Ahnen: - aber ich kann mich nicht hinter dem Kreuz verstecken vor dem Schatten des Ermordeten. Ich kann mich nicht geloest glauben von meiner blutigen That durch das Blut eines unschuldigen Gottes, der am Kreuze gestorben." - - Freude leuchtete ueber das Antlitz Hildebrands: "Du weisst," raunte er ihm zu, "ich habe niemals diesen Kreuzpriestern glauben koennen. Sprich, o sprich, glaubst auch du noch an Thor und Odhin? Haben sie dir geholfen?" Der Koenig schuettelte laechelnd das Haupt: "Nein, du alter, unverbesserlicher Heide. Dein Walhall ist nichts fuer mich. Hoere, wie mir geholfen ward. Ich schickte gestern die Bischoefe fort und kehrte tief in mich selber ein. Und dachte und flehte und rang zu Gott. Und ich ward ruhiger. Und sieh, in der Nacht kam ueber mich tiefer Schlummer, wie ich ihn seit langen Monden nicht mehr gekannt. Und als ich erwachte, da schauerte kein Fieber der Qual mehr in meinen Gliedern. Ruhig war ich und klar. Und dachte dieses: "Ich habe es gethan und keine Gnade, kein Wunder Gottes macht es ungeschehen. Wohlan, er strafe mich. Und wenn er der zornige Gott des Moses, so raeche er sich und strafe mit mir mein ganzes Haus bis ins siebente Glied. Ich weihe mich und mein Geschlecht der Rache des Herrn. Er mag _uns_ verderben: er ist gerecht. Aber weil er gerecht ist, _kann_ er nicht strafen dieses edle Volk der Goten um fremde Schuld. Er _kann_ es nicht verderben um des Frevels seines Koenigs willen. Nein, das wird er nicht. Und muss dies Volk einst untergehen, - ich fuehl' es klar, dann ist es nicht um meine That. Fuer diese weih' ich mich und mein Haus der Rache des Herrn. Und so kam Friede ueber mich und mutig mag ich sterben." Er schwieg. Hildebrand aber neigte das Haupt und kuesste die Rechte, welche Odovakar erschlagen hatte. - "Das war mein Abschied an dich. Und mein Vermaechtnis, mein Dank fuer ein ganzes Leben der Treue. - Jetzt lass uns den Rest der Zeit noch diesem Volk der Goten zuwenden. Komm, hilf mir aufstehen, ich kann nicht in den Kissen sterben. Dort hangen meine Waffen. Gieb sie mir! - Keine Widerrede -! Ich will. Und ich kann." Hildebrand musste gehorchen: ruestig erhob sich mit seiner Hilfe der Kranke von dem Lager, schlug einen weiten Purpurmantel um die Schultern, guertete sich mit dem Schwert, setzte den niedern Helm mit der Zackenkrone auf das Haupt und stuetzte sich auf den Schaft der schweren Lanze, den Ruecken gegen die breite dorische Mittelsaeule des Gemaches gelehnt. "So, jetzt rufe meine Tochter. Und Cassiodor. Und wer sonst da draussen." Siebentes Kapitel. So stand er ruhig, waehrend der Alte die Vorhaenge an der Thuer zu beiden Seiten zurueckschlug, so dass Schlafzimmer und Vorhalle nunmehr Einen ungeschiedenen Raum bildeten. Alle draussen Versammelten - es hatten sich inzwischen noch mehrere Roemer und Goten eingefunden - naeherten sich mit Staunen und ehrfuerchtigem Schweigen dem Koenig. "Meine Tochter," sprach dieser, "sind die Briefe aufgesetzt, die meinen Tod und meines Enkels Thronfolge nach Byzanz berichten sollen?" "Hier sind sie," sprach Amalaswintha. Der Koenig durchflog die Papyrusrollen. "An Kaiser Justinus. Ein zweiter: an seinen Neffen Justinianus. Freilich, der wird bald das Diadem tragen und ist schon jetzt der Herr seines Herrn! Cassiodor hat sie verfasst - ich sehe es an den schoenen Gleichnissen. Aber halt" - und die hohe klare Stirn verduesterte sich - "eurem kaiserlichen Schutze meine Jugend empfehlend." Schutze? Das ist des Guten zu viel. Wehe, wenn ihr auf Schutz von Byzanz gewiesen seid. _Freundschaft_ mich empfehlend ist genug von dem Enkel Theoderichs." Und er gab die Briefe zurueck. "Und hier ein drittes Schreiben nach Byzanz? An wen? An Theodora, die edle Gattin Justinians? Wie! an die Taenzerin vom Cirkus? Des Loewenwaerters schamlose Tochter?" Und sein Auge funkelte. "Sie ist von groesstem Einfluss auf ihren Gemahl," wandte Cassiodor ein. - "Nein, meine Tochter schreibt an keine Dirne, die aller Weiber Ehre besudelt hat." Und er zerriss die Papyrusrolle und schritt ueber die Stuecke zu den Goten im Mittelgrund der Halle. "Witichis, tapferer Mann, was wird dein Amt sein nach meinem Tod?" "Ich werde unser Fussvolk mustern zu Tridentum." "Kein Bessrer koennte das. Du hast noch immer nicht den Wunsch gethan, den ich dir damals freigestellt nach der Gepidenschlacht. Hast du noch immer nichts zu wuenschen?" "Doch, mein Koenig." "Endlich! Das freut mich, - sprich." - "Heute soll ein armer Kerkerwart, weil er sich weigerte, einen Angeklagten zu foltern und nach dem Liktor schlug, selbst gefoltert werden. Herr Koenig, gieb den Mann frei: das Foltern ist schaendlich und -" "Der Kerkerwart ist frei und von Stund an wird die Folter nicht mehr gebraucht im Reich der Goten. Sorg dafuer, Cassiodorus. Wackrer Witichis, gieb mir die Hand. Auf dass alle wissen, wie ich dich ehre, schenk ich dir Wallada, mein lichtbraun Edelross, zu Gedaechtnis dieser Scheidestunde. Und kommst du je auf seinen Ruecken in Gefahr, oder" - hier sprach er ganz leise zu ihm - "will es versagen, fluestre dem Ross meinen Namen ins Ohr. - Wer wird Neapolis hueten? Der Herzog Thulun war zu rauh. - Das froehliche Volk dort muss durch froehliche Mienen gewonnen werden." "Der junge Totila wird dort die Hafenwache uebernehmen," sprach Cassiodor. "Totila! Ein sonniger Knabe! Ein Siegfried, ein Goetterliebling! Ihm koennen die Herzen nicht widerstehen. Aber freilich! Die Herzen dieser Welschen!" Er seufzte und fuhr fort: Wer versichert uns Roms und des Senats?" "Cethegus Caesarius," sagte Cassiodor mit einer Handbewegung, "dieser edle Roemer." - "Cethegus? Ich kenne ihn wohl. Sieh mich an, Cethegus." Ungern erhob der Angeredete die Augen, die er vor dem grossen Blick des Koenigs rasch niedergeschlagen. Doch hielt er jetzt das Adlerauge, das seine Seele durchdrang, ruhig aus, mit dem Aufgebot aller Kraft. "Es war krank, Cethegus, dass ein Mann von deiner Art sich solang vom Staat fern gehalten. Und von uns. Oder es war gefaehrlich. Vielleicht ist es noch gefaehrlicher, dass du dich - jetzt - dem Staat zuwendest." - "Nicht mein Wunsch, o Koenig." "Ich buerge fuer ihn," rief Cassiodor. - "Still, Freund! Auf Erden mag keiner fuer den andern buergen! - Kaum fuer sich selbst! - Aber," fuhr er forschenden Blickes fort, "an die Griechlein wird dieser stolze Kopf - dieser Caesarkopf - Italien nicht verraten." Noch einen scharfen Blick aus den goldnen Adleraugen musste Cethegus tragen. Dann ergriff der Koenig ploetzlich den Arm des nur mit Muehe noch fest in sich geschlossenen Mannes und fluesterte ihm zu: "Hoere, was ich dir warnend weissage. Es wird kein Roemer mehr gedeihen auf dem Thron des Abendlands. Still, kein Widerwort. Ich habe dich gewarnt. - - Was laermt da draussen?" fragte er, rasch sich wendend, seine Tochter, die einem meldenden Roemer leisen Bescheid erteilte. "Nichts, mein Koenig, nichts von Bedeutung, mein Vater!" - "Wie? Geheimnisse vor mir? Bei meiner Krone! Wollt ihr schon herrschen, so lang ich noch atme? Ich vernahm den Laut fremder Zungen da draussen. Auf die Thueren!" Die Pforte, welche die aeussere Halle mit dem Vorzimmer verband, oeffnete sich. Da zeigten sich unter zahlreichen Goten und Roemern kleine fremd aussehende Gestalten, in seltsamer Tracht, mit Waemsern aus Wolfsfell, mit spitz zulaufenden Muetzen und langen zottigen Schafspelzen, die ueber ihren Ruecken hingen. Ueberrascht und bewaeltigt von dem ploetzlichen Anblick des Koenigs, der hochaufgerichtet auf sie zuschritt, sanken die Fremden wie vom Blitz getroffen auf die Kniee. "Ah, Gesandte der Avaren. Das raeuberische Grenzgesindel an unsern Ostmarken! Habt ihr den schuldigen Jahrestribut?" - "Herr, wir bringen ihn noch fuer diesmal - Pelzwerk, - wollne Teppiche, - Schwerter, - Schilde. - Da hangen sie, - dort liegen sie. Aber wir hoffen, dass fuer naechstes Jahr - wir wollten sehn" - "Ihr wolltet sehen, ob der greise Dieterich von Bern nicht altersschwach geworden? Ihr hofftet, ich sei tot? Und meinem Nachfolger koenntet ihr die Schatzung weigern? Ihr irrt, Spaeher!" Und er ergriff wie pruefend eines der Schwerter, welche die Gesandten vor ihm ausgebreitet, samt der Scheide, nahm es mit zwei Haenden fest an Griff und Spitze: - ein Druck und in zwei Stuecken warf er ihnen das Eisen vor die Fuesse. "Schlechte Schwerter fuehren die Avaren," sagte er ruhig. "Und nun komm, Athalarich, meines Reiches Erbe. Sie wollen dir nicht glauben, dass du meine Krone tragen kannst: zeig ihnen, wie du meinen Speer fuehrest." Der Juengling flog herbei. Die Gluthitze des Ehrgeizes zuckte ueber sein bleiches Antlitz. Er ergriff den schweren Speer seines Grossvaters und schleuderte ihn mit solcher Kraft auf einen der Schilde, welche die Gesandten an die Holzpfeiler der Halle gelehnt, dass er ihn sausend durchbohrte und die Spitze noch tief in das Holzwerk drang. Stolz legte der Koenig die Linke auf das Haupt seines Enkels und rief den Gesandten zu: "Jetzt geht, daheim zu melden was ihr hier gesehen." Er wandte sich, die Pforten fielen zu und schlossen die staunenden Avaren aus. "Gebt mir einen Becher Wein. - Leicht den letzten! Nein, ungemischten! Nach Germanen Art!" - und er wies den griechischen Arzt zurueck - "Dank, alter Hildebrand, fuer diesen Trunk, so treu gereicht. Ich trinke der Goten Heil." Er leerte langsam den Pokal. Und er setzte ihn noch fest auf den Marmortisch. Aber da kam es ueber ihn, ploetzlich, blitzaehnlich, was die Aerzte lang erwartet: er wankte, griff an die Brust und stuerzte ruecklings in die Arme Hildebrands, der langsam niederknieend ihn auf den Marmorestrich gleiten liess, und das Haupt mit dem Kronhelm auf den Armen hielt. Einen Augenblick hielten alle lauschend den Atem an: aber der Koenig regte sich nicht und laut aufschreiend warf sich Athalarich ueber die Leiche. Zweites Buch. ATHALARICH. "Wo waer' die sel'ge Insel wohl zu finden?" Schiller, Wilhelm Tell. III. Aufzug. 2. Scene. Erstes Kapitel. Nicht ohne Grund fuerchtete und hoffte Freund und Feind in diesem Augenblick schwere Gefahren fuer das junge Gotenreich. Noch waren es nicht vierzig Jahre, dass Theoderich im Auftrag des Kaisers von Byzanz mit seinem Volk den Isonzo ueberschritten und dem tapfern Abenteurer Odovakar, den ein Aufstand der germanischen Soeldner auf den Thron des Abendlands erhoben, Krone und Leben entrissen hatte. Alle Weisheit und Groesse des Koenigs hatte nicht die Unsicherheit beseitigen koennen, die in der Natur seiner mehr kuehnen als besonnenen Schoepfung lag. Trotz der Milde seiner Regierung fuehlten die Italier - und wir wollen uns hueten, solche Gesinnung zu verdammen - aufs tiefste die Schmach der Fremdherrschaft. Und diese Fremden waren als Barbaren und Ketzer doppelt verhasst. Nach der Auffassung jener Zeit galten das westroemische und das ostroemische Reich als eine unteilbare Einheit und, nachdem die Kaiserwuerde im Occident erloschen, erschien der ostroemische Kaiser als der einzige rechtmaessige Herr des Abendlands. Nach Byzanz also waren die Augen aller roemischen Patrioten, aller rechtglaeubigen Katholiken von Italien gerichtet: von Byzanz erhofften sie Befreiung aus dem Joche der Ketzer, der Barbaren, Tyrannen. Und Byzanz hatte Macht und Neigung, diese Hoffnung zu erfuellen. Waren auch die Unterthanen des Imperators nicht mehr die Roemer Caesars oder Trajans: - noch gebot das Ostreich ueber eine sehr ansehnliche, den Goten durch alle Mittel der Bildung und eines lang bestehenden Staatswesens unendlich ueberlegene Macht. An der Lust aber, diese Ueberlegenheit zur Vernichtung des Barbarenreiches zu gebrauchen, konnte es nicht fehlen, da das Verhaeltnis beider Staaten von vornherein auf Ueberlistung, Misstrauen und geheimen Hass gegruendet war. Vor ihrem Abzug nach Italien hatte die Goten, in den Donaulaendern angesiedelt, an Byzanz ein fuer beide Teile unerfreuliches Bundesverhaeltnis geknuepft, das in Folge des Ehrgeizes ihrer Koenige, mehr noch der Treulosigkeit der Kaiser, fast alle paar Jahre in offnen Krieg zwischen den ungleichartigen Verbuendeten umschlug: wiederholt hatte Theoderich, obwohl in Zeiten der Aussoehnung mit den hoechsten Ehren des Reiches, mit den Titeln Konsul, Patricius, Adoptivsohn des Kaisers ausgezeichnet, seine Waffen bis vor die Thore der Kaiserstadt getragen. Um diesen steten Reibungen ein Ende zu machen, hatte Kaiser Zeno, ein feiner Diplomat, das echt byzantinische Auskunftsmittel getroffen, den laestigen Gotenkoenig mit seinem Volk dadurch aus der gefaehrlichen Nachbarschaft zu entfernen, dass er ihm als ein Danaergeschenk Italien uebertrug, das erst dem eisernen Arm des Helden Odovakar entrissen werden musste. In der That, wie immer der Kampf zwischen den beiden deutschen Fuersten enden mochte: Byzanz musste immer gewinnen. Siegte Odovakar, so waren die Goten und ihr furchtbarer Koenig, denen man schoene Provinzen und schwere Jahrgelder hatte ueberlassen muessen, fuer immer beseitigt. Siegte Theoderich, nun, so war ein Anmasser, den man zu Byzanz niemals anerkannt hatte, gestuerzt und gestraft: und da Theoderich im Namen und Auftrag des Kaisers siegen und als Statthalter herrschen sollte, durch eine ruhmvolle Eroberung das Abendland wieder mit dem Ostreich vereinigt. Aber der Ausgang des feinen Planes war doch nicht der erwuenschte. Denn als Theoderich gesiegt und sein Reich in Italien gegruendet hatte, entfaltete sich alsbald die ganze Grossartigkeit seines Geistes und erwarb ihm eine Stellung, in der, bei aller Hoeflichkeit in den Formen, doch jede Abhaengigkeit von Byzanz voellig verschwand. Nur wo es ihm diente, so, um die Abneigung der Italier zu schwaechen, berief er sich formell auf jenen Auftrag des Kaisers: in Wahrheit aber herrschte er auch ueber die Italier wie ueber seine Goten nicht als Statthalter und im Namen des Byzantiners, sondern kraft eignen Rechts, kraft seines Sieges, als "Koenig der Goten und Italier". Dies fuehrte natuerlich zu Misshelligkeiten mit dem Kaiser, die wiederholt in offnen Krieg zwischen den beiden Reichen aufloderten. Es war also kein Zweifel, dass man zu Byzanz sehr bereit war, dem Seufzen Italiens nach Abwerfung des Barbarenjoches ein Ende zu bringen, so wie man sich stark genug fuehlte. Und die Goten hatten keine Bundesgenossen gegen diese innern und aeussern Feinde. Denn Theoderichs Ruhm und Ansehen und seine Politik der Verschwaegerung mit allen Germanenfuersten hatten ihm doch nur eine Art moralischen Protektorats, keine sichre Verstaerkung seiner Macht verschaffen koennen. Es fehlte dem Gotenreich, das eine geniale Persoenlichkeit allzuverwegen und vertrausam mitten in das Herz der roemischen Bildungswelt gepflanzt hatte, der unmittelbare Zusammenhang mit noch nicht romanisierten Volkskraeften, es fehlte der Nachschub an frischen germanischen Elementen, der das gleichzeitig entstehende Reich der Franken immer wieder verjuengt und wenigstens dessen nordoestliche Teile vor der mit der Romanisierung verbundenen Faeulnis bewahrt hatte, waehrend die kleine gotische Insel, auf allen Seiten von den feindlichen Wellen des roemischen Lebens umspuelt und benagt, diesen gegenueber von Jahr zu Jahr zusammenschmolz. So lange Theoderich, der gewaltige Schoepfer dieses gewagten Werkes lebte, blendete der Glanz seines Namens ueber die Gefahren und Bloessen seiner Schoepfung. Aber mit Recht zitterte man vor dem Augenblick, da das Steuer dieses gefaehrdeten Schiffes in die Hand eines Weibes oder eines kranken Juenglings uebergehen sollte: Aufstaende der Italier, Einmischung des Kaisers, Abfall der unterworfnen, Angriffe der feindlichen Barbarenstaemme waren zu besorgen. Wenn der gefaehrliche Augenblick gleichwohl ruhig vorueberging, so war dies vor allem der unermuedlich eifrigen und vorsorglichen Thaetigkeit zu danken, die Cassiodor, des Koenigs Freund und lang bewaehrter Minister, schon seit Wochen entfaltet hatte und jetzt, nach dem Tode Theoderichs, verdoppelte. Um die Italier in Ruhe zu erhalten, ward sofort ein Manifest erlassen, das die Thronbesteigung Athalarichs, unter Vormundschaft seiner Mutter, als eine bereits vollendete und in aller Ruhe vollzogene Thatsache Italien und den Provinzen verkuendete. Sofort auch wurden in alle Teile des Reiches Beamte entsendet, die den Huldigungseid der Bevoelkerung entgegennehmen, aber auch im Namen des jungen Koenigs eidlich geloben sollten, dass die neue Regierung alle Rechte und Freiheiten der Italier und Provinzialen achten und in allen Stuecken die Milde, ja Vorliebe des grossen Toten fuer seine roemischen Unterthanen zum Muster nehmen werde. Gleichzeitig wurde aber auch dafuer gesorgt, dass eine Furcht gebietende Entfaltung der gotischen Heeresmacht an den Grenzen und in den wichtigsten oder unruhigsten Staedten des Reiches aeusseren und inneren Gegnern die Lust zu Feindseligkeiten vertreibe, waehrend mit dem Kaiserhof das gute Vernehmen durch Gesandtschaften und Briefe sehr verbindlicher Haltung befestigt oder erneuert wurde. Zweites Kapitel. Neben Cassiodor war es nun aber vor allen Ein Mann, der in jenen Tagen des Uebergangs eine bedeutende und, wie es der Regentschaft schien, hochverdienstliche Rolle spielte. Das war kein andrer als Cethegus. Er hatte das wichtige Amt eines Stadtpraefekten von Rom uebernommen. Er war, sowie der Koenig die Augen geschlossen, spornstreichs aus dem Palast und den Thoren von Ravenna nach der ihm anvertrauten Tiberstadt geeilt und dort vor aller Kunde des Geschehenen eingetroffen. Sofort, noch eh' der Tag angebrochen, hatte er die Senatoren in dem "Senatus", d. h. dem geschaffenen Hallenbau Domitians nahe dem Janus Geminus, rechtsab vom Severusbogen, versammelt, darauf das Gebaeude mit gotischen Truppen umstellt, die ueberraschten Senatoren - von denen er gar manchen erst neuerlich in den Katakomben gesehen und zur Vertreibung der Barbaren angefeuert hatte - von dem bereits vollzognen Thronwechsel benachrichtigt und, (nicht ohne einige auf die von dem Saal aus deutlich sichtbaren Speere der Gotentausendschaft gelinde hinweisende Worte,) mit einer keinen Widerspruch duldenden Raschheit fuer Athalarich in Eid und Pflicht genommen. Dann verliess er den "Senatus", wo er die Vaeter eingeschlossen hielt, bis er in dem flavischen Amphitheater, wohin er eine Volksversammlung der Roemer berufen, diese unter Beiziehung der starken gotischen Besatzung abgehalten und die leicht beweglichen "Quiriten" durch eine meisterhafte Rede fuer den jungen Koenig begeistert hatte. Er zaehlte die Wohlthaten Theoderichs auf, verhiess gleiche Milde von dessen Enkel, der uebrigens bereits von ganz Italien, den Provinzen und den Vaetern dieser Stadt anerkannt sei, meldete eine allgemeine Speisung des roemischen Volkes mit Brot und Wein als den ersten Regierungsakt Amalaswinthens an und schloss mit der Verkuendung siebentaegiger Cirkusspiele, - Wettfahrten mit einundzwanzig spanischen Viergespannen - mit welchen er selbst die Thronbesteigung Athalarichs und den Antritt seiner Praefektur feiern werde. Da erhob tausendstimmiges Jubelgeschrei die Namen der Regentin und ihres Sohnes, aber noch lauter den Namen Cethegus, das Volk verlief sich in heller Freude, die eingesperrten Senatoren wurden nunmehr entlassen und die ewige Stadt war fuer die Goten erhalten. Der Praefekt aber eilte nach seinem Hause am Fuss des Kapitols, schloss sich ein und schrieb eifrig seinen Bericht an die Regentin. - Jedoch ungestuem pochte es alsbald an der ehernen Vorthuer des Hauses. Es war Lucius Licinius, der junge Roemer, den wir in den Katakomben kennen gelernt: er schlug mit dem Schwertknauf gegen die Pforte, dass das Haus droehnte. Ihm folgten Scaevola, der Jurist, - er war unter den Eingesperrten gewesen - mit schwer gefurchter Stirn und Silverius, der Priester, mit zweifelnder Miene. Vorsichtig lugte der Ostiarius an der Thuere durch eine verborgne Luke in der Mauer und liess, als er Licinius erkannte, die Maenner ein. Heftig stuermte der Juengling den andern voraus den ihm wohlbekannten Weg durch das Vestibulum, das Atrium und dessen Saeulengang in das Studierzimmer des Cethegus. Dieser, als er die hastig nahenden Schritte vernahm, erhob sich von dem Lectus, auf den hingestreckt er schrieb, und verschloss seine Briefe in einer Capsula mit silberner Kuppel. "Ah, die Vaterlandsbefreier!" sagte er laechelnd und trat ihnen entgegen. "Schaendlicher Verraeter!" schrie ihn Licinius an, die Hand am Schwert: - der Zorn liess ihn nicht weiter sprechen, er zueckte halb das breite Eisen aus der Scheide. "Halt, erst lass ihn sich verteidigen, wenn er kann," keuchte, dem Stuermischen in den Arm fallend, Scaevola, der jetzt nachgekommen war. "Es ist unmoeglich, dass er abgefallen von der Sache der heiligen Kirche," sprach Silverius im Eintreten. "Unmoeglich?" lachte Licinius, "wie? seid ihr toll oder bin ich's? Hat er nicht uns, die Ritter, in ihren Haeusern festhalten lassen? Hat er nicht die Thore gesperrt und den Poebel fuer den Barbaren vereidigt?" - "Hat er nicht," sprach Cethegus fortfahrend, "die edeln Vaeter der Stadt, dreihundert an der Zahl, in der Kurie wie soviel Maeuse in der Mausfalle gefangen, dreihundert hochadlige Maeuse?" - "Er hoehnt uns noch! Wollt ihr das dulden?" rief Licinius. Und Scaevola erbleichte vor Zorn. "Nun, und was haettet ihr gethan, wenn man euch haette handeln lassen?" fragte der Praefekt ruhig, die Arme auf der breiten Brust kreuzend. "Was wir gethan haetten?" antwortete Licinius, "was wir - was du mit uns hundertmal verabredet! Sobald die Nachricht von dem Tod des Tyrannen eintraf, haetten wir die Goten in der Stadt erschlagen, die Republik ausgerufen und zwei Konsuln ernannt -" - "Namens Licinius und Scaevola, das ist die Hauptsache. Nun, und dann? was dann?" - "Was dann? die Freiheit haette gesiegt!" "Die Thorheit haette gesiegt!" herrschte Cethegus losbrechend den Erschrocknen an. "Wie gut, dass man euch die Haende band: ihr haettet alle Hoffnung erwuergt, auf immer. Seht her und dankt mir auf den Knien!" Er nahm Urkunden aus einer andern Papyruskapsel und gab sie den Erstaunten. "Da, lest. Der Feind war gewarnt und hatte seine Schlinge meisterhaft um den Nacken Roms geschuerzt. Wenn ich nicht handelte, so stand in diesem Augenblick Graf Witichis mit zehntausend Goten vor dem salarischen Thor im Norden, morgen sperrte der junge Totila mit der Flotte von Neapel im Sueden die Tibermuendung, und gegen das Grabmal Hadrians und das aurelische Thor war Herzog Thulun mit zwanzigtausend Mann von Westen her im Anzug. Haettet ihr heute frueh einem Goten ein Haar gekruemmt, was waere geschehen?" Silverius atmete auf. Die beiden andern schwiegen beschaemt. Doch fasste sich Licinius: "Wir haetten den Barbaren getrotzt hinter unsern Mauern," sprach er, mutig das schoene Haupt aufwerfend. - "Ja. So wie ich diese Mauern herstellen werde - eine Ewigkeit, mein Licinius: wie sie jetzt sind - nicht einen Tag." - "So waeren wir gestorben als freie Buerger," sprach Scaevola. "Das haettet ihr vor drei Stunden in der Kurie auch gekonnt," lachte Cethegus achselzuckend. Silverius trat mit offnen Armen, wie um ihn zu kuessen, auf ihn zu; vornehm entzog sich Cethegus: "Du hast uns alle, du hast Kirche und Vaterland gerettet! Ich habe nie an dir gezweifelt!" sprach der Priester. Da ergriff Licinius die Hand des Praefekten, die dieser ihm willig liess: "Ich habe an dir gezweifelt," rief er mit schoener Offenheit, "vergieb, du grosser Roemer. Dies Schwert, das dich heute durchbohren sollte, dir ist es fortan fuer ewig zu Dienst. Und bricht der Tag der Freiheit an, dann keine Konsuln, dann _salve_, Diktator Cethegus!" Und mit leuchtenden Augen eilte er hinaus. Der Praefekt warf ihm einen befriedigten Blick nach. "Diktator, ja, doch nur bis zur vollen Sicherheit der Republik!" sprach der Jurist und folgte ihm. "Jawohl," laechelte Cethegus, "dann wecken wir Camillus und Brutus wieder auf und fuehren die Republik da fort, wo sie diese vor tausend Jahren gelassen. Nicht wahr, Silverius?" - "Praefekt von Rom," sprach der Priester, "du weisst, ich hatte den Ehrgeiz, die Sache des Vaterlands wie der Heiligen zu leiten: ich hab' ihn nicht mehr seit dieser Stunde. Dein sei die Fuehrung, ich folge. Gelobe nur das Eine: Freiheit der roemischen Kirche - freie Papstwahl." - "Jawohl," sagte Cethegus, "sowie nur erst Silverius Papst geworden. Es gilt." - Der Priester schied mit einem Laecheln auf den Lippen, aber schwere Gedanken im Herzen. "Geht," sagte Cethegus nach einer Pause, den Dreien nachblickend, "ihr werdet keinen Tyrannen stuerzen: - ihr braucht einen Tyrannen!" Dieser Tag, diese Stunde wurden entscheidend fuer Cethegus: fast ohne seinen Willen ward er durch die Ereignisse fortgetrieben zu neuen Stimmungen und Anschauungen, zu Zielen, die er sich bisher nie mit solcher Klarheit vorgesteckt, oder doch nie als mehr denn Traeume, die er sich als Ziele eingestanden hatte. Er erkannte sich in diesem Augenblick als alleinigen Herrn der Lage: er hatte die beiden grossen Parteien der Zeit, die Gotenregierung und ihre Feinde, die Verschwornen, voellig in seiner Hand. Und in der Brust dieses gewaltigen Mannes wurde die Haupttriebfeder, die er seit Jahrzehnten fuer gelaehmt erachtet, ploetzlich wieder in maechtigste Thaetigkeit gesetzt: der unbegrenzte Drang, ja das Beduerfnis, _zu herrschen_, machte sich mit einem Male alle Kraefte dieses reichen Lebens dienstbar und trieb sie an zu heftiger Bewegung. Cornelius Cethegus Caesarius war der Abkoemmling eines alten und unermesslich reichen Geschlechts, dessen Ahnherr den Glanz seines Hauses als Feldherr und Staatsmann Caesars in den Buergerkriegen gegruendet: - man sagte, er sei ein Sohn des grossen Diktators gewesen. - Unser Cethegus hatte von der Natur die vielseitigsten Anlagen und die gewaltigsten Leidenschaften und durch seine gewaltigen Reichtuemer die Mittel erhalten, jene aufs grossartigste zu entfalten, diese aufs grossartigste zu befriedigen. Er empfing die sorgfaeltigste Bildung, die damals einem jungen Adligen Roms gegeben werden konnte. Er uebte sich bei den ersten Lehrern in den schoenen Kuensten. Er trieb zu Berytus, zu Alexandrien, zu Athen in den besten Schulen mit glaenzenden Erfolgen das Studium des Rechts, der Geschichte, der Philosophie. Aber all das befriedigte ihn nicht. Er fuehlte den Hauch des Verfalls in aller Kunst und Wissenschaft seiner Zeit. Die Philosophie insbesondre vermochte nur die letzten Reste des Glaubens in ihm zu zerstoeren, ohne ihm irgend welche Befriedigung in positiven Ergebnissen zu gewaehren. Als er von seinen Studien zurueckkam, fuehrte ihn sein Vater nach der Sitte der Zeit in den Staatsdienst ein: rasch stieg der glaenzend Begabte von Amt zu Amt. Aber ploetzlich sprang er aus. Nachdem er die Staatsgeschaefte zur Genuege kennen gelernt, mochte er nicht laenger ein Rad in der grossen Maschine des Reiches sein, das die Freiheit ausschloss und obenein dem Barbarenkoenig diente. Da starb sein Vater und Cethegus warf sich, nun Herr seiner selbst und eines ungeheuern Vermoegens geworden, mit der Gewalt, mit welcher er alles verfolgte, in die wildesten Strudel des Lebens, des Genusses, der Lueste. Mit Rom war er bald fertig: da machte er grosse Reisen nach Byzanz, nach Aegypten, bis nach Indien drang er vor. Da war kein Luxus, kein unschuldiger und kein schuldiger Genuss, den er nicht schluerfte. Nur ein staehlerner Koerper konnte die Anstrengungen, die Entbehrungen, die Abenteuer, die Ausschweifungen dieser Fahrten ertragen. Nach zwoelf Jahren kehrte er zurueck nach Rom. Es hiess, er werde grossartige Bauten auffuehren; man freute sich, das ueppigste Leben in seinen Haeusern und Villen beginnen zu sehen, man taeuschte sich sehr. Cethegus baute sich nur das kleine Haus am Fuss des Kapitols, bequem und von feinstem Geschmack, und lebte mitten in dem volkreichen Rom wie ein Einsiedler. Er gab unvermutet eine Schilderung seiner Reisen heraus, eine Charakterisierung der wenig bekannten Voelker und Laender, die er besucht. Das Buch hatte unerhoerten Erfolg; Cassiodor und Boethius warben um seine Freundschaft, der grosse Koenig wollte ihn an seinen Hof ziehen. Aber ploetzlich war er aus Rom verschwunden. Das Ereignis, das ihn in jenen Tagen betroffen haben musste, blieb allen Nachforschungen der Neugier, der Teilnahme, der Schadenfreude verborgen. Man erzaehlte sich damals, arme Fischer haetten ihn eines Morgens am Ufer des Tibers vor den Thoren der Stadt, bewusstlos und dem Tode nah, gefunden. Wenige Wochen spaeter tauchte er wieder an der Nordostgrenze des Reiches in den unwirtlichen Donaulaendern auf, wo der blutige Krieg mit Gepiden, mit Avaren und Sclavenen raste. Dort schlug er sich mit todverachtender Tapferkeit mit diesen wilden Barbaren herum, verfolgte sie mit erlesenen, von ihm besoldeten Scharen freiwillig in alle Schlupfwinkel ihrer Felsen, schlief alle Naechte auf der gefrornen Erde. Und als der gotische Feldherr ihm eine kleine Schar zu einem Streifzug anvertraute, griff er statt dessen Sirmium an, die feste Hauptstadt der Feinde, und eroberte sie mit nicht geringerer Feldherrnkunst als Tapferkeit. Nach dem Friedensschluss machte er abermals Reisen nach Gallien und Spanien und Byzanz, kehrte von da nach Rom zurueck und lebte dort jahrelang in einer verbitterten Musse und Zurueckgezogenheit, alle kriegerischen, buergerlichen, wissenschaftlichen Aemter und Ehren ausschlagend, die ihm Cassiodor aufdringen wollte. Er schien fuer nichts mehr Interesse zu haben, als fuer seine Studien. Vor einigen Jahren brachte er von einer Reise nach Gallien einen schoenen Juengling oder Knaben mit, welchem er Rom und Italien zeigte und vaeterliche Liebe und Sorgfalt erwies. Es hiess, er wolle ihn adoptieren: solange dieser sein junger Gast um ihn war, trat er aus seiner Einsamkeit heraus, lud die adlige Jugend Roms zu glaenzenden Festen in seine Villen und war bei den Gegeneinladungen, die er alle annahm, der liebenswuerdigste Gesellschafter. Aber sowie er den jungen Julius Montanus mit einem stattlichen Gefolge von Paedagogen, Freigelassenen und Sklaven nach Alexandrien in die gelehrten Schulen entsendet hatte, brach er ploetzlich wieder alle Verbindungen ab und zog sich in seine undurchdringliche Abgeschlossenheit zurueck, grollend wie es schien mit Gott und der ganzen Welt. Mit schwerer Muehe gelang es dem Priester Silverius und Rusticianen, ihn aus seiner ablehnenden Ruhe heraus und zur Teilnahme an der Katakombenverschwoerung fortzuziehen. Er wurde, wie er ihnen sagte, Patriot aus eitel Langweile. Und in der That, bis zu dem Tod des Koenigs hatte er das Unternehmen, dessen Leitung doch in seiner und des Diakons Hand lag, fast mit Abneigung betrieben. Dies wurde jetzt anders. Der tiefste Zug seines Wesens, der Drang in allen moeglichen Gebieten des Geistes sich zu versuchen, die Schwierigkeiten zu ueberwinden, alle Nebenbuhler zu ueberfluegeln, in jedem Lebenskreise, den er betrat, zu herrschen, allein und ohne Widerstand und, sobald er den Siegeskranz genommen, ihn gleichgueltig wegzuwerfen und nach neuen Aufgaben auszuschauen, hatte ihn bisher bei keinem Ziele volle Befriedigung finden lassen. Kunst, Wissenschaft, Genuss, Amtsehre, Kriegsruhm: - alles hatte ihn gereizt, alles hatte er wie kein andrer gewonnen und alles hatte ihn leer gelassen. Herrschen, der erste sein, ueber widerstrebende Verhaeltnisse mit allen Mitteln ueberlegner Kraft und Klugheit siegen und dann ueber knirschende Menschen ein ehernes Regiment fuehren, das allein hatte er unbewusst und bewusst von jeher erstrebt: nur darin fuehlte er sich wohl. In stolzen, vollen Atemzuegen hob sich darum in dieser Stunde seine Brust: er, der Eisigkalte, ergluehte in dem Gedanken, dass er ueber die beiden grossen feindlichen Maechte der Zeit, Goten und Roemer, heute mit einem Zucken seiner Wimper gebot: und aus diesem Wonnegefuehl der Herrschaft stieg ihm mit daemonischer Gewalt die Ueberzeugung empor, dass es fuer ihn und seinen Ehrgeiz nur noch Ein Ziel gab, welches das Leben der Muehe des Lebens wert machen koenne, nur noch Ein Ziel, ein sonnenfernes, jedem andern unerreichbares: - er glaubte gern an seine Abkunft von Julius Caesar und er fuehlte das Blut Caesars aufwallen in seinen Adern bei dem Gedanken: - Caesar, Imperator des Abendlands, Kaiser der roemischen Welt! - - - - Als vor Monaten dieser Blitz zum erstenmal seine Seele durchzuckt hatte, - kein Gedanke, - kein Wunsch, - nur ein Schatte, ein Traum, - erschrak er und laechelte zugleich ueber seine unermessliche Kuehnheit. Er Kaiser und Wiederaufrichter des roemischen Weltreichs! Und Italien bebte unter dem Schritt von dreimalhunderttausend gotischen Kriegern! Und der groesste aller Barbarenkoenige, dessen Ruhm die Erde erfuellte, sass gewaltig herrschend zu Ravenna. Und wenn die Macht der Goten gebrochen war, so streckten die Franken ueber die Alpen, die Byzantiner uebers Meer die gierigen Haende nach der italienischen Beute, zwei grosse Reiche gegen ihn, den einzelnen Mann! - Denn wahrlich, einsam stand er in seinem Volk! Wie genau kannte, wie bitter verachtete er seine Landsleute, die unwuerdigen Enkel grosser Ahnen! Wie lachte er der Schwaermerei eines Licinius oder Scaevola, die mit diesen Roemern die Tage der Republik erneuern wollten! Er stand allein. Aber gerade dies reizte seinen stolzen Ehrgeiz. Und gerade in diesem Augenblick, da ihn die Verschworenen verlassen hatten, da seine Ueberlegenheit gewaltiger als je ihnen und ihm selbst klar geworden war, gerade jetzt schoss in seiner Brust was frueher ein schmeichelnd Spiel seiner traeumenden Stunden gewesen mit Blitzesschnelle zum klaren Gedanken, zum festen Entschluss empor. Die Arme ueber der maechtigen Brust gekreuzt, mit starken Schritten, wie ein Loewe seinen Kaefig, das Gemach durchmessend, sprach er in abgerissenen Saetzen zu sich selbst: "Mit einem tuechtigen Volk hinter sich die Goten hinaustreiben, Griechen und Franken nicht hereinlassen: - das waere nicht schwer, das koennte ein andrer auch. Aber allein, ganz allein, von diesen Maennern ohne Mark und Willen mehr gehemmt als getragen, das Ungeheure vollenden, und diese Memmen erst wieder zu Helden, diese Sklaven zu Roemern, diese Knechte der Pfaffen und Barbaren wieder zu Herren der Erde machen: - das, das ist der Muehe wert. Ein neues Volk, eine neue Zeit, eine neue Welt schaffen, allein, ein einziger Mann, mit der Kraft seines Willens und der Macht seines Geistes: - das hat noch kein Sterblicher vollbracht: - das ist groesser als Caesar: er fuehrte Legionen von Helden! Und doch, es kann gethan werden, denn es kann gedacht werden. Und ich, der's denken konnte, ich kann's auch thun. Ja, Cethegus, das ist ein Ziel, dafuer verlohnt sich's zu denken, zu leben, zu sterben. Auf und ans Werk, und von nun an: - keinen Gedanken mehr und kein Gefuehl als fuer dies Eine." Er stand still vor der Kolossalstatue Caesars aus weissem parischem Marmor, die, das Meisterwerk des Arkesilaos und der edelste Schmuck, ja nach der Familientradition von Julius Caesar selbst dem Sohne geschenkt, das Heiligtum dieses Hauses, gegenueber dem Schreibdivan stand: "Hoer' es, goettlicher Julius, grosser Ahnherr, es luestet deinen Enkel, mit dir zu ringen: es giebt noch ein Hoeheres als du erreicht: schon fliegen nach einem hoeheren Ziel als du, ist unsterblich und fallen, fallen aus solcher Hoehe: - das ist der herrlichste Tod. Heil mir, dass ich wieder weiss, warum ich lebe." Er schritt an der Bildsaeule vorbei und warf einen Blick auf die auf dem Tisch aufgerollte Militaerkarte des roemischen Weltreichs: "Erst diese Barbaren zertreten -: Rom! - Dann den Norden wieder unterwerfen -: Paris! - Dann zum alten Gehorsam unter die alte Caesarenstadt das abtruennige Ostreich zurueckheischen -: Byzanz! Und weiter, immer weiter: an den Tigris, an den Indus, weiter als Alexandros - und zurueck nach Westen, durch Skythien und Germanien, an den Tiber - die Bahn, welche dir, Caesar, der Dolch des Brutus durchgeschnitten. - Und so groesser als du, groesser als Alexander - o halt, Gedanke, halt ein!" Und der eisige Cethegus loderte und gluehte; maechtig pochten seine Adern an den Schlaefen: er drueckte die brennende Stirn an die kalte Marmorbrust Julius Caesars, der majestaetisch auf ihn niederschaute. Drittes Kapitel. Aber nicht nur fuer Cethegus wurde dieser Tag von entscheidender Bedeutung, auch fuer die Verschwoerung in den Katakomben, fuer Italien und das Reich der Goten. Hatten die Umtriebe der Patrioten, geleitet von mehreren Haeuptern, die ueber die Mittel, ja sogar ueber die Zwecke ihrer Plaene nicht immer einig waren, bisher nur langsame und unsichre Fortschritte gemacht, so ward dies anders von dem Augenblick an, da der weitaus begabteste Mann dieser Partei, da Cethegus die Fuehrung in die kraeftige Hand nahm. Unbedingt hatten sich die bisherigen Haeupter des Bundes, - sogar, wie es schien, Silverius - dem Praefekten untergeordnet, der seine Ueberlegenheit so maechtig bewaehrt und das Leben ihrer Sache gerettet hatte. Erst von jetzt an wurde der Geheimbund den Goten wahrhaft gefaehrlich. Unermuedlich war Cethegus beschaeftigt, die Macht und Sicherheit ihres Reiches auf allen Seiten zu untergraben: mit seiner grossen Kunst, die Menschen zu durchschauen, zu gewinnen und zu beherrschen wusste er die Zahl bedeutender Mitglieder und die Mittel der Partei von Tag zu Tag zu vermehren. Aber er wusste auch mit kluger Vorsicht einerseits jeden Verdacht der gotischen Regierung zu vermeiden, andrerseits jede unzeitige Erhebung der Verschwornen zu verhindern. Denn ein Leichtes waer' es freilich gewesen, ploetzlich an Einem Tage in allen Staedten der Halbinsel die Barbaren zu ueberfallen, die Erhebung zu beginnen und die Byzantiner, die laengst hierauf lauerten, zur Vollendung des Sieges ins Land zu rufen. Aber damit haette der Praefekt seine geheimen Plaene nicht hinausgefuehrt. Er haette nur an die Stelle der gotischen Herrschaft die byzantinische Tyrannei gesetzt. Und wir wissen, er verfolgte ein ganz andres Ziel. Um dies zu erreichen, musste er sich zuvor in Italien eine Machtstellung schaffen, wie sie kein andrer besass. Er musste, wenn auch nur im stillen, der maechtigste Mann im Lande sein, ehe der Fuss eines Byzantiners es betrat, ehe der erste Gote fiel. Die Dinge mussten soweit vorbereitet sein, dass die Barbaren von Italien, das hiess von Cethegus, allein, mit moeglichst geringer Nachhilfe von Byzanz, vertrieben wuerden, so dass nach dem Siege der Kaiser gar nicht umhin konnte, die Herrschaft ueber das befreite Land seinem Befreier, wenn auch zunaechst nur als Statthalter, zu ueberlassen. Alsdann hatte er Zeit und Anlass gewonnen, den Nationalstolz der Roemer gegen die Herrschaft der "Griechlein", wie man die Byzantiner veraechtlich nannte, aufzureizen. Denn obwohl seit zweihundert Jahren, seit den Tagen des grossen Konstantin, der Glanz der Weltherrschaft von der verwitweten Roma hinweg nach der goldnen Stadt am Hellespont verlegt und das Scepter von den Soehnen des Romulus auf die Griechen uebergegangen schien, obwohl das Ost- und das Westreich zusammen der Barbarenwelt gegenueber Einen Staat der antiken Bildung bilden sollten, so waren doch auch jetzt noch die Griechen den Roemern verhasst und veraechtlich, wie in den Tagen, da Flaminius das gedemuetigte Hellas fuer eine Freigelassene Roms erklaert hatte: der alte Hass war jetzt durch Neid vermehrt. Deshalb war der Mann der Begeisterung und der Hilfe ganz Italiens gewiss, der nach Vertreibung der Barbaren auch die Byzantiner aus dem Lande weisen wuerde: die Krone von Rom, die Krone des Abendlands war sein sichrer Lohn. Und wenn es gelang, das neugeweckte Nationalgefuehl wieder zum Angriffskrieg ueber die Alpen zu treiben, wenn Cethegus auf den Truemmern des Frankenreichs zu Aurelianum und Paris die Herrschaft des roemischen Imperators ueber das Abendland wieder aufgerichtet hatte, dann war der Versuch nicht mehr zu kuehn, auch das losgerissene Ostreich zurueckzuzwingen zum Gehorsam unter das ewige Rom und die Weltherrschaft am Strand des Tibers da fortzufuehren, wo sie Trajan und Hadrian gelassen. - Doch um diese fernher leuchtenden Ziele zu erreichen, musste jeder naechste Schritt auf dem schwindelsteilen Pfad mit groesster Vorsicht geschehen: jedes Straucheln musste fuer immer verderben. Um Italien zu beherrschen, als Kaiser zu beherrschen, musste Cethegus vor allem Rom haben: denn nur an Rom liessen sich jene Gedanken knuepfen. Deshalb wandte der neue Praefekt hoechste Sorgfalt auf die ihm anvertraute Stadt: Rom sollte ihm moralisch und physisch eine Burg der Herrschaft werden, ihm allein gehoerig und unentreissbar. Sein Amt bot ihm dazu die beste Gelegenheit: es war ja die Pflicht des Praefectus Urbi, fuer das Wohl der Bevoelkerung, fuer Erhaltung und Sicherheit der Stadt zu sorgen. Cethegus verstand es meisterhaft, die Rechte, die in dieser Pflicht lagen, fuer seine Zwecke auszubeuten: leicht hatte er alle Staende fuer sich gewonnen: der Adel ehrte in ihm das Haupt der Katakombenverschwoerung, ueber die Geistlichkeit herrschte er durch Silverius, der die rechte Hand und der von der oeffentlichen Stimme bezeichnete Nachfolger des greisen Papstes war und dem Praefekten eine diesem selbst befremdliche Ergebenheit an den Tag legte. Das niedre Volk aber fesselte er an seine Person nicht nur durch voruebergehende Brotspenden und Cirkusspiele aus seiner Tasche, sondern durch grossartige Unternehmungen, die vielen Tausenden auf Jahre hinaus Arbeit und Unterhalt - auf Kosten der gotischen Regierung - verschafften. Er setzte bei Amalaswintha den Befehl durch, die Befestigungen Roms, die seit den Tagen des Honorius durch die Zeit und durch den Eigennutz roemischer Bauherren vielmehr als durch westgotische und vandalische Eroberer gelitten hatten, vollstaendig und rasch wieder herzustellen, "zur Ehre der ewigen Stadt und, - wie sie waehnte, - zum Schutz gegen die Byzantiner". Cethegus selbst hatte - und zwar, wie die alsbald folgenden vergeblichen Belagerungen durch Goten und Byzantiner bewiesen, mit genialem Feldherrnblick, - den Plan der grossartigen Werke entworfen. Und er betrieb nun mit groesstem Eifer das Riesenwerk, die ungeheure Stadt in ihrem weiten Umfang von vielen Meilen zu einer Festung ersten Ranges umzuschaffen. Die Tausende von Arbeitern, die wohl wussten, wem sie diese reich bezahlte Beschaeftigung verdankten, jubelten dem Praefekten zu, wenn er auf den Schanzen sich zeigte, pruefte, antrieb, besserte und wohl selbst mit Hand anlegte. Und die getaeuschte Fuerstin wies eine Million Solidi nach der andern an fuer einen Bau, an dem alsbald die ganze Streitmacht ihres Volkes zerschellen und verbluten sollte. Der wichtigste Punkt dieser Befestigungen war das heute unter dem Namen der Engelsburg bekannte Grabmal Hadrians. Dies Prachtgebaeude, von Hadrian aus parischen Marmorquadern, die ohne anderes Bindungsmittel zusammengefuegt waren, aufgefuehrt, lag damals einen Steinwurf vor dem aurelischen Thor, dessen Mauerseiten es weit ueberragte. Mit scharfem Auge hatte Cethegus erkannt, dass das unvergleichlich feste Gebaeude, in seiner bisherigen Lage ein Festungswerk _gegen_ die Stadt, sich durch ein einfaches Mittel in ein Hauptbollwerk _fuer_ die Stadt verwandeln liess: er fuehrte vom aurelischen Thor zwei Mauern gegen und um das Grabmal. Und nun bildete die turmhohe Marmorburg eine sturmfreie Schanze fuer das aurelische Thor, um so mehr als der Tiber knapp davor einen natuerlichen Festungsgraben zog. Oben auf der Mauer des Mausoleums aber standen, zum Teil noch von Hadrian und seinem Nachfolger hier aufgestellt, gegen dreihundert der schoensten Statuen aus Marmor, Bronze und Erz: darunter der Divus Hadrianus selbst, sein schoener Liebling Antinous, ein Zeus Soter, die Pallas "Staedtebeschirmerin", ein schlafender Faun und viele andere. Cethegus freute sich seines Gedankens und liebte diese Staette, wo er allabendlich zu wandeln pflegte, sein Rom mit dem Blick beherrschend und den Fortschritt der Schanzarbeiten pruefend: und er hatte deshalb eine reiche Zahl von schoenen Statuen aus seinem Privatbesitz hier noch aufstellen lassen. Viertes Kapitel. Vorsichtiger musste Cethegus bei Ausfuehrung einer zweiten, fuer seine Ziele nicht minder unerlaesslichen Vorbereitung sein. Um selbstaendig in Rom, in _seinem_ Rom, wie er es, als Stadtpraefekt, zu nennen liebte, den Goten und noetigenfalls den Griechen trotzen zu koennen, bedurfte er nicht bloss der Waelle, sondern auch der Verteidiger auf denselben. Er dachte zunaechst an Soeldner, an eine Leibwache, wie sie in jenen Zeiten hohe Beamte, Staatsmaenner und Feldherren haeufig gehalten hatten, wie sie jetzt Belisar und dessen Gegner Narses in Byzanz hielten. Nun gelang es ihm zwar, durch frueher auf seinen Reisen in Asien angeknuepfte Verbindungen und bei seinen reichen Schaetzen tapfre Scharen der wilden isaurischen Bergvoelker, die in jenen Zeiten die Rolle der Schweizer des sechzehnten Jahrhunderts spielten, in seinen Sold zu ziehen. Indessen hatte dies Verfahren doch zwei sehr eng gezogne Schranken. Einmal konnte er auf diesem Wege, ohne seine fuer andre Zwecke unentbehrlichen Mittel zu erschoepfen, doch immer nur verhaeltnismaessig kleine Massen aufbringen, den Kern eines Heeres, nicht ein Heer. Und ferner war es unmoeglich, diese Soeldner, ohne den Verdacht der Goten zu wecken, in groesserer Anzahl nach Italien, nach Rom zu bringen. Einzeln, paarweise, in kleinen Gruppen schmuggelte er sie mit vieler List und vieler Gefahr als seine Sklaven, Freigelassenen, Klienten, Gastfreunde in seine durch die ganze Halbinsel zerstreuten Villen oder beschaeftigte sie als Matrosen und Schiffsleute im Hafen von Ostia oder als Arbeiter in Rom. Schliesslich mussten doch die Roemer Rom erretten und beschuetzen und all seine ferneren Plaene draengten ihn, seine Landsleute wieder an die Waffen zu gewoehnen. Nun hatte aber Theoderich wohlweislich die Italier von dem Heer ausgeschlossen - nur Ausnahmen bei einzelnen als besonders zuverlaessig Erachteten wurden gemacht - und in den unruhigen letzten Zeiten seines Regiments waehrend des Prozesses gegen Boethius ein Gebot allgemeiner Entwaffnung der Roemer erlassen. Letzteres war freilich nie streng durchgefuehrt worden: aber Cethegus konnte doch nicht hoffen, die Regentin werde ihm erlauben, gegen den entschiednen Willen ihres grossen Vaters und gegen das offenbare Interesse der Goten eine irgendwie bedeutende Streitmacht aus Italien zu bilden. Er begnuegte sich, ihr vorzustellen, dass sie durch ein ganz unschaedliches Zugestaendnis sich das Verdienst erwirken koenne, jene gehaessige Massregel Theoderichs in edlem Vertrauen aufgehoben zu haben und schlug ihr vor, ihm zu gestatten, nur zweitausend Mann aus der roemischen Buergerschaft als Schutzwache Roms ruesten, einueben und immer unter den Waffen gegenwaertig halten zu duerfen: die Roemer wuerden ihr schon fuer diesen Schein, dass die ewige Stadt nicht von Barbaren allein gehuetet werde, unendlich dankbar sein. Amalaswintha, begeistert fuer Rom und nach der Liebe der Roemer als ihrem schoensten Ziele trachtend, gab ihre Einwilligung und Cethegus fing an seine "Landwehr", wie wir sagen wuerden, zu bilden. Er rief in einer wie Trompetenschall klingenden Proklamation "die Soehne der Scipionen zu den alten Waffen zurueck," er bestellte die jungen Adligen der Katakomben zu "roemischen Rittern" und "Kriegstribunen": er verhiess jedem Roemer, der sich freiwillig meldete, aus seiner Tasche Verdoppelung des von der Fuerstin bestimmten Soldes: er hob aus den Tausenden, die sich daraus herbeidraengten die Tauglichsten aus; er ruestete die Aermeren aus, schenkte denen, die sich besonders auszeichneten im Dienst, gallische Helme und spanische Schwerter aus seinen eignen Sammlungen und - was das Wichtigste - er entliess regelmaessig sobald als moeglich die hinlaenglich Eingeuebten mit Belassung ihrer Waffen und hob neue Mannschaften aus, so dass, obwohl in jedem Augenblick nur die von Amalaswintha gestattete Zahl im Dienst stand, doch in kurzer Frist viele Tausende bewaffnete und waffengeuebte Roemer zur Verfuegung ihres vergoetterten Fuehrers standen. Waehrend so Cethegus an seiner kuenftigen Residenz baute und seine kuenftigen Praetorianer heranbildete, vertroestete er den Eifer seiner Mitverschwornen, die unablaessig zum Losschlagen draengten, auf den Zeitpunkt der Vollendung jener Vorbereitungen, den er natuerlich allein bestimmen konnte. Zugleich unterhielt er eifrigen Verkehr mit Byzanz. Dort musste er sich einer Hilfe versichern, die einerseits in jedem Augenblick, da er sie rief, auf dem Kampfplatz erscheinen koennte, die aber andrerseits auch nicht, ehe er sie rief, auf eigne Faust oder mit einer Staerke erschiene, die nicht leicht wieder zu entfernen waere. Er wuenschte von Byzanz einen guten Feldherrn, der aber kein grosser Staatsmann sein durfte, mit einem Heere, stark genug, die Italier zu unterstuetzen, nicht stark genug, ohne sie siegen oder gegen ihren Willen im Lande bleiben zu koennen. Wir werden in der Folge sehen, wie in dieser Hinsicht vieles nach Wunsch, aber auch ebenso vieles sehr gegen den Wunsch des Praefekten sich gestaltete. Daneben war gegenueber den Goten, die zur Zeit noch unangefochten im Besitz der Beute standen, um die Cethegus bereits im Geiste mit dem Kaiser haderte, sein Streben dahin gerichtet, sie in arglose Sicherheit zu wiegen, in Parteiungen zu spalten und eine schwache Regierung an ihrer Spitze zu erhalten. Das erste war nicht schwer. Denn die starken Germanen verachteten in barbarischem Hochmut alle offenen und geheimen Feinde: wir haben gesehen, wie schwer selbst der sonst scharfblickende, helle Kopf eines Juenglings wie Totila von der Naehe einer Gefahr zu ueberzeugen war: und die trotzige Sicherheit eines Hildebad drueckte recht eigentlich die allgemeine Stimmung der Goten aus. Auch an Parteiungen fehlte es nicht in diesem Volk. Da waren die stolzen Adelsgeschlechter, die Balten mit ihren weitverzweigten Sippen, an ihrer Spitze die drei Herzoge Thulun, Ibba und Pitza: die reichbegueterten Woelsungen unter den Bruedern Herzog Guntharis von Tuscien und Graf Arahad von Asta: und andre mehr, die alle den Amalern an Glanz der Ahnen wenig nachgaben und eifersuechtig ihre Stellung dicht neben dem Throne bewachten. Da waren viele, welche die Vormundschaft eines Weibes, die Herrschaft eines Knaben nur mit Unwillen trugen, die gern, nach dem alten Recht des Volkes, das Koenigshaus umgangen und einen der erprobten Helden der Nation auf den Schild erhoben haetten. Andrerseits zaehlten auch die Amaler blind ergebene Anhaenger, die solche Gesinnung als Treubruch verabscheuten. Endlich teilte sich das ganze Volk in eine rauhere Partei, die, laengst unzufrieden mit der Milde, die Theoderich und seine Tochter den Welschen bewiesen, gern nunmehr nachgeholt haetten, was, wie sie meinten, bei der Eroberung des Landes versaeumt worden, und die Italier fuer ihren heimlichen Hass mit offener Gewalt zu strafen begehrten. Viel kleiner natuerlich war die Zahl der sanfter und edler Gesinnten, die, wie Theoderich selbst, empfaenglich fuer die hoehere Bildung der Unterworfenen, sich und ihr Volk zu dieser emporzuheben strebten. Das Haupt dieser Partei war die Koenigin. Diese Frau nun suchte Cethegus im Besitz der Macht zu erhalten; denn sie, diese weibliche, schwache, geteilte Herrschaft, verhiess, die Kraft des Volkes zu laehmen, die Parteiung und Unzufriedenheit dauernd zu machen. Ihre Richtung schloss jedes Erstarken des gotischen Nationalgefuehls aus. Er bebte vor dem Gedanken, einen gewaltigen Mann die Kraft dieses Volkes gewaltig zusammenfassen zu sehen. Und manchmal machten ihn schon die Zuege von Hoheit, die sich in diesem Weibe zeigten, mehr noch die feurigen Funken verhaltener Glut, die zu Zeiten aus Athalarichs tiefer Seele aufspruehten, ernstlich besorgt. Sollten Mutter und Sohn solche Spuren oefter verraten, dann freilich musste er beide ebenso eifrig stuerzen wie er bisher ihre Regierung gehalten hatte. Einstweilen aber freute er sich noch der unbedingten Herrschaft, die er ueber die Seele Amalaswinthens gewonnen. Dies war ihm bald gelungen. Nicht nur, weil er mit grosser Feinheit ihre Neigung zu gelehrten Gespraechen ausbeutete, in welchen er von dem, wie es schien, ihm ueberall ueberlegenen Wissen der Fuerstin so haeufig ueberwunden wurde, dass Cassiodor, der oft Zeuge ihrer Disputationen war, nicht umhin konnte, zu bedauern, wie dies einst glaenzende Ingenium durch Mangel an gelehrter Uebung etwas eingerostet sei. Der vollendete Menschenerforscher hatte das stolze Weib noch viel tiefer getroffen. Ihrem grossen Vater war kein Sohn, war nur diese Tochter beschieden: der Wunsch nach einem maennlichen Erben seiner schweren Krone war oft aus des Koenigs, oft aus des Volkes Munde schon in ihren Kinderjahren an ihr Ohr gedrungen. Es empoerte das hochbegabte Maedchen, dass man es lediglich um ihres Geschlechtes willen zuruecksetzte hinter einem moeglichen Bruder, der, wie selbstverstaendlich, der Herrschaft wuerdiger und faehiger sein wuerde. So weinte sie als Kind oft bittere Thraenen, dass sie kein Knabe war. Als sie herangewachsen, hoerte sie natuerlich nur noch von ihrem Vater jenen kraenkenden Wunsch: jeder andre Mund am Hofe pries die wunderbaren Anlagen, den maennlichen Geist, den maennlichen Mut der glaenzenden Fuerstin. Und das waren nicht Schmeicheleien: Amalaswintha war in der That in jeder Hinsicht ein aussergewoehnliches Geschoepf: die Kraft ihres Denkens und ihres Wollens, aber auch ihre Herrschsucht und kalte Schroffheit ueberschritten weit die Schranken, in welchen sich holde Weiblichkeit bewegt. Das Bewusstsein, dass mit ihrer Hand zugleich die hoechste Stellung im Reich, vielleicht die Krone selbst, wuerde vergeben werden, machte sie eben auch nicht bescheidener: und ihre tiefste, maechtigste Empfindung war jetzt nicht mehr der Wunsch, Mann zu sein, sondern die Ueberzeugung, dass sie, das Weib, allen Aufgaben des Lebens und des Regierens so gut wie der begabteste Mann, besser als die meisten Maenner, gewachsen, dass sie berufen sei, das allgemeine Vorurteil von der geistigen Unebenbuertigkeit ihres Geschlechts glaenzend zu widerlegen. Die Ehe des kalten Weibes mit Eutharich, einem Amaler aus andrer Linie, einem Mann von hohen Anlagen des Geistes und reichem Gemuet, war kurz -: Eutharich erlag nach wenigen Jahren einem tiefen Leiden - und wenig gluecklich. Nur mit Widerstreben hatte sie sich ihrem Gatten gebeugt. Als Witwe atmete sie stolz auf. Sie brannte vor Ehrgeiz, dereinst als Vormuenderin ihres Knaben, als Regentin jene ihre Lieblingsidee zu bewaehren: sie wollte so regieren, dass die stolzesten Maenner ihre Ueberlegenheit sollten einraeumen muessen. Wir haben gesehen, wie die Erwartung der Herrschaft diese kalte Seele sogar den Tod ihres grossen Vaters ziemlich ruhig hatte ertragen lassen. Sie uebernahm das Regiment mit hoechstem Eifer, mit unermuedlicher Thaetigkeit. Sie wollte alles selbst, alles allein thun. Sie schob ungeduldig den greisen Cassiodor zur Seite, der ihrem Geist nicht rasch und kraeftig genug Schritt hielt. Keines Mannes Rat und Hilfe wollte sie dulden. Eifersuechtig wachte sie ueber ihre Alleinherrlichkeit. Und nur Einem ihrer Beamten lieh sie gern und haeufig das Ohr; demjenigen, der ihr oft und laut die maennliche Selbstaendigkeit ihres Geistes pries und noch oefter dieselbe still zu bewundern, der den Gedanken, sie beherrschen zu wollen, gar nie wagen zu koennen schien: sie traute nur Cethegus. Denn dieser zeigte ja nur den Einen Ehrgeiz, alle Gedanken und Plaene der Koenigin mit eifriger Sorge durchzufuehren. Nie trat er, wie Cassiodor oder gar die Haeupter der gotischen Partei, ihren Lieblingsbestrebungen entgegen; er unterstuetzte sie darin: er half ihr, sich mit Roemern und Griechen umgeben, den jungen Koenig moeglichst von der Teilnahme am Regiment ausschliessen, die alten gotischen Freunde ihres Vaters, die, im Bewusstsein ihrer Verdienste und nach alter Gewohnheit, sich manches freie und derbe Wort des Tadels erlaubten, als rohe Barbaren allmaehlich vom Hof entfernen, die Gelder, die fuer Kriegsschiffe, Rosse, Ausruestung der gotischen Heere bestimmt waren, fuer Wissenschaften und Kuenste oder auch fuer die Verschoenerung, Erhaltung und Sicherung Roms verwenden: - kurz, er war ihr behilflich in allem, was sie ihrem Volk entfremden, ihre Regierung verhasst und ihr Reich wehrlos machen konnte. Und hatte er selbst einen Plan, immer wusste er seine Verhandlungen mit der Fuerstin so zu wenden, dass sich diese fuer die Urheberin ansehen musste und ihn zu dem Vollzug seiner geheimsten Wuensche als _ihrer_ Auftraege befehligte. Fuenftes Kapitel. Begreiflicherweise bedurfte es, um solchen Einfluss zu gewinnen und zu pflegen, haeufigeren Aufenthalts am Hof, laengerer Abwesenheit von Rom als seine dortigen Interessen vertrugen. Deshalb strebte er danach, in die Naehe der Koenigin Persoenlichkeiten zu bringen, die ihm diese Muehe zum Teil ersparen koennten, die ihn immer gut unterrichten und warm vertreten sollten. Die Frauen von mehreren gotischen Edeln, welche grollend Ravenna verliessen, mussten in der Umgebung Amalaswinthens ersetzt werden und Cethegus trug sich mit dem Gedanken, bei dieser Gelegenheit Rusticiana, die Tochter des Symmachus, die Witwe des Boethius an den Hof zu bringen. Die Aufgabe war nicht leicht. Denn die Familie dieser als Hochverraeter hingerichteten Maenner war in Ungnade aus der Koenigsstadt verbannt. Vor allem musste daher die Koenigin umgestimmt werden fuer sie. Dies freilich gelang alsbald, indem die Grossmut der edeln Frau gegen das so tief gefallne Haus wachgerufen wurde. Dazu kam, dass sie an die niemals vollbewiesene Schuld von zwei edeln Roemern nie von Herzen hatte glauben moegen, deren einen, den Gatten Rusticianas, sie als grossen Gelehrten und in manchen Gebieten als ihren Lehrer verehrte. Endlich wusste Cethegus zu betonen, wie gerade diese That, sei es der Gerechtigkeit, sei es der Gnade, die Herzen all' ihrer roemischen Unterthanen ruehren muesse. So war die Regentin leicht gewonnen, Gnade zu erteilen. Viel schwerer ward die stolze und leidenschaftliche Witwe des Verurteilten bewogen, diese Gnade anzunehmen. Denn Wut und Rachedurst gegen das Koenigshaus erfuellten ihre ganze Seele und Cethegus musste sogar fuerchten, ihr unbeherrschbarer Hass koennte sich in der steten Naehe der "Tyrannen" leicht verraten. Wiederholt hatte Rusticiana trotz all' seiner sonst so grossen Gewalt ueber sie dieses Ansinnen zurueckgewiesen. Da machten sie eines Tages eine sehr ueberraschende Entdeckung, die zur Erfuellung der Wuensche des Praefekten fuehren sollte. Rusticiana hatte eine kaum sechzehnjaehrige Tochter, Kamilla. Aus ihrem echt roemischen Gesicht mit den edeln Schlaefen und den schoen geschnittenen Lippen leuchteten dunkle schwaermerische Augen: der eben erst vollendete Wuchs zeigte feine, fast allzuzarte Formen, rasch und leicht und fein wie einer Gazelle waren alle Bewegungen dieser schlanken Glieder. Eine reiche Seele mit schwungvoller Phantasie lebte in dem lieblichen Maedchen. Mit aller Inbrunst kindlicher Verehrung hatte sie ihren ungluecklichen Vater geliebt: der Streich, der sein teures Haupt getroffen, hatte tief in das Leben des heranbluehenden Maedchens geschlagen; ungestillte Trauer, heilige Wehmut, mit der sich die leidenschaftliche Vergoetterung seines Martyriums fuer Italien mischte, erfuellten alle Traeume ihres jungfraeulichen Entfaltens. Vor dem Sturz ihres Hauses ein gern gesehener Gast am Koenigshof war sie nach dem Schicksalsschlag mit ihrer Mutter ueber die Alpen nach Gallien geflohen, wo ein alter Gastfreund den betruebten Frauen monatelang eine Zufluchtstaette bot, waehrend Anicius und Severinus, Kamillas Brueder, anfaenglich ebenfalls verhaftet und zum Tode verurteilt, dann zur Verbannung aus dem Reich begnadigt, aus dem Kerker sofort nach Byzanz an den Hof des Kaisers eilten, wo sie Himmel und Hoelle gegen die Goten in Bewegung setzten. Die Frauen waren, als sich der Sturm der Verfolgung verzogen, nach Italien zurueckgekehrt und lebten ihrem stillen Gram im Haeuschen eines treuen Freigelassenen zu Perusia, von wo aus freilich Rusticiana, wie wir gesehen, den Weg zu den Verschworenen in Rom wohl zu finden wusste. Der Sommer war gekommen, die Jahreszeit, in der vornehme Roemer noch immer, wie zur Zeit des Horatius und Tibullus, die dumpfe Luft der Staedte zu fliehen und in seine kuehlen Villen im Sabinergebirge oder an der Meereskueste sich zu verstecken pflegten. Mit Beschwerde trugen die verwoehnten Edelfrauen den Qualm und Staub in den heissen Strassen des engen Perusia, mit Seufzen der herrlichen Landhaeuser bei Florentia und Neapolis gedenkend, die sie, wie all' ihr Vermoegen, an den gotischen Fiskus verloren. Da trat eines Tages der treue Corbulo mit seltsam verlegenem Gesicht vor Rusticiana. Er habe laengst bemerkt, wie die "Patrona" unter seinem unwuerdigen Dach zu leiden und mancherlei Ungemach schon durch seine Hantierung - er war seines Zeichens Steinmetz - zu erdulden gehabt und so habe er denn an den letzten Calenden ein kleines, freilich nur ein ganz kleines, Guetchen mit einem noch kleineren Haeuschen gekauft, droben im Gebirge bei Tifernum. Freilich, an die Villa bei Florentia duerften sie dabei nicht denken: aber es riesele doch auch dort ein selbst unter dem Sirius nicht versiegender Waldquell, Eichen und Kornellen gaeben breiten Schatten, um den verfallnen Faunustempel wuchre ueppig der Epheu und im Garten habe er Rosen, Veilchen und Lilien pflanzen lassen, wie sie Domna Kamilla liebe und so moechten sie denn Maultier und Saenfte besteigen und wie andre Edelfrauen ihre Villa beziehen. Die Frauen, von dieser Treue des Alten geruehrt, nahmen dankbar seine Guete an und Kamilla, die sich in kindlicher Genuegsamkeit auf die kleine Veraenderung freute, war heiterer, belebter als je seit dem Tod ihres Vaters. Ungeduldig draengte sie zum Aufbruch und eilte noch am selben Tage mit Corbulo und Daphnidion, dessen Tochter, voraus, Rusticiana sollte mit den Sklaven und dem Gepaeck so bald als moeglich folgen. Die Sonne sank schon hinter die Huegel von Tifernum, als Corbulo, Kamillens Maultier am Zuegel fuehrend, aus den Waldhoehen auf die Lichtung gelangte, von wo aus man das Guetchen zuerst wahrnehmen konnte. Laengst hatte er sich auf die Ueberraschung des Kindes gefreut, wenn er ihr von hier aus das anmutig gelegene Haus zeigen wuerde. Aber erstaunt blieb er stehen: - er hielt die Hand vor die Augen, ob ihn die Abendsonne blende, er sah umher, ob er denn nicht an der rechten Stelle: aber kein Zweifel! da stand ja an dem Rain, wo Wald und Wiese sich beruehrten, der graue Markstein in Gestalt des alten Grenzgottes Terminus mit seinem spitz zulaufenden Kopf: der rechte Ort war es, aber das Haeuschen nicht zu sehen: vielmehr an seiner Stelle eine dichte Gruppe von Pinien und Platanen: und auch sonst war die ganze Umgebung veraendert: da standen gruene Hecken und Blumenbeete, wo sonst Kohl und Rueben, und ein zierlicher Pavillon prangte, wo bisher Sandgruben und die Landstrasse sein bescheidnes Gebiet begrenzt hatten. "Die Mutter Gottes steh' mir bei und alle obern Goetter!" rief der Steinmetz, "bin ich verzaubert oder die Gegend? Aber Zauber ist los!" Seine Tochter reichte ihm eifrig das Amulet, das sie am Guertel trug: aber Aufschluss konnte sie nicht geben, da sie zum erstenmal das neue Besitztum betrat und so blieb nichts uebrig, als das Maultier zur groessten Eile zu treiben und springend und rufend begleiteten Vater und Tochter den Trab des Grauchens die Wiesenhaenge hinunter. Als sie nun naeher kamen, fand Corbulo allerdings hinter der Baumgruppe das Haus, das er gekauft: aber so verjuengt, erneuert, verschoent, dass er es kaum erkannte. Sein Staunen ueber die Umwandlung der ganzen Gegend stieg aufs neue zu aberglaeubischer Furcht: offnen Mundes blieb er zuletzt stehen, liess die Zuegel fallen und begann eine wieder seltsam gemischte Reihe von christlichen und heidnischen Ausrufen, als ploetzlich Kamilla ebenso ueberrascht ausrief: "Aber das ist ja der Garten, wo wir gewohnt, das Viridarium des Honorius zu Ravenna, dieselben Baeume, dieselben Blumenbeete, und auch an jenem Teich, wie zu Ravenna am Meeresufer, der Tempel der Venus! o wie schoen, welche Erinnerung! Corbulo, wie hast du das angefangen?" Und Thraenen freudiger Ruehrung traten in ihre Augen. - "So sollen mich alle Teufel peinigen und Lemuren, wenn ich das angefangen habe. Doch da kommt Cappadox mit seinem Klumpfuss, der ist also nicht mit verhext. Rede, du Cyklope, was ist hier geschehen?" Der riesige Cappadox, ein breitschultriger Sklave, humpelte mit ungeschlachtem Laecheln heran und erzaehlte nach vielen Fragen und Unterbrechungen des Staunens eine raetselhafte Geschichte. Vor drei Wochen etwa, wenige Tage nachdem Cappadox auf das Gut geschickt war, es fuer seinen Herrn, der auf laengere Zeit in die Marmorbrueche von Luna verreist war, zu verwalten, kam von Tifernum her ein vornehmer Roemer mit einem Tross von Sklaven und Arbeitern und mit hochbepackten Lastwagen an. Er fragte, ob dies die Besitzung sei, welche der Steinmetz Corbulo von Perusia fuer die Witwe des Boethius gekauft. Und als dies bejaht wurde, gab er sich als den Hortulanus Prinzeps d. h. als Oberintendanten der Gaerten zu Ravenna zu erkennen. Ein alter Freund des Boethius, der aus Furcht vor den gotischen Tyrannen seinen Namen nicht zu nennen wage, wuensche, sich insgeheim der Verfolgten anzunehmen und habe ihm den Auftrag gegeben, den Aufenthalt derselben mit allen Mitteln seiner Kunst zu schmuecken und zu verschoenern. Der Sklave duerfe die beabsichtigte Ueberraschung nicht verderben und halb mit Guete, halb mit Gewalt hielt man den staunenden Cappadox auf der Villa fest. Der Intendant aber entwarf sofort seinen Plan und seine Arbeiter gingen unverzueglich ans Werk. Viele benachbarte Grundstuecke wurden zu hohen Preisen hinzugekauft und nun hob an ein Niederreissen und Bauen, ein Pflanzen und Graben, ein Haemmern und Klopfen, ein Putzen und Malen, dass dem guten Cappadox Hoeren und Sehen verging. Wollte er fragen und drein reden, so lachten ihm die Arbeiter ins Gesicht. Wollte er sich davon machen, so winkte der Intendant und ein halb Dutzend Faeuste hielten ihn fest. "Und" - schloss der Erzaehler - "so ging's bis vorgestern Morgen. Da waren sie fertig und zogen davon. Anfangs war mir angst und bang, da ich die kostspieligen Herrlichkeiten aus dem Boden wachsen sah. Ich dachte: am Ende, wenn Meister Corbulo das alles bezahlen soll, dann weh ueber meinen Ruecken! Und ich wollte dir's melden. Aber sie liessen mich nicht und obenein wusst' ich dich fern von Haus. Und wie ich nachgerade das unsinnig viele Geld des Intendanten verspuerte und wie der mit den Goldstuecken um sich warf wie die Kinder mit Kieseln, siehe, da beruhigte sich allmaehlich mein Gemuete und ich liess alles gehen wie es ging. Nun, o Herr, weiss ich wohl: du kannst mich dennoch in den Block setzen und pruegeln lassen. Mit der Rebe oder sogar mit dem Skorpion. Du kannst es. Denn warum? du bist der Herr und Cappadox der Knecht. Aber gerecht, Herr, waere es kaum! bei allen Heiligen und allen Goettern! Denn du hast mich gesetzt ueber ein Paar Kohlfelder und siehe, sie sind geworden ein Kaisergarten unter meiner Hand." Kamilla war laengst abgestiegen und davongeschluepft, ehe der Sklave zu Ende. Mit vor Freude hochklopfendem Herzen durcheilte sie den Garten, die Lauben, das Haus: sie schwebte wie auf Fluegeln, kaum konnte ihr die flinke Daphnidion folgen. Ein Ausruf der Ueberraschung des freudigen Schreckens jagte den andern: so oft sie um eine Ecke des Weges, um eine Baumgruppe, bog, wieder und wieder stand ein Bild aus jenem Garten von Ravenna vor ihrem entzueckten Auge. Als sie aber ins Haus gelangte und ein kleines Gemach desselben genau so bemalt, ausgeruestet, geschmueckt fand wie jener Raum im Kaiserschloss gewesen war, in dem sie die letzten Tage der Kindheit verspielt und die ersten Traeume des Maedchens getraeumt, dieselben Bilder auf den bastgeflochtnen Vorhaengen, die gleichen Vasen und zierlichen Citruskaestchen und auf dem gleichen Schildpatttischchen ihre kleine zierliche Lieblingsharfe mit den Schwanenfluegeln, da, ueberwaeltigt von so vielen Erinnerungen, und noch mehr von dem Gefuehl des Dankes gegen so zarte Freundschaft, sank sie schluchzend in freudiger Wehmut auf den weichen Teppichen des Lectus zusammen. Kaum konnte sie Daphnidion beruhigen. "Es giebt noch edle Herzen, noch Freunde fuer das Haus des Boethius," rief sie wieder und wieder. Und sie sandte das innigste Gebet des Dankes gegen Himmel. - Als am Tage darauf die Mutter eintraf, war sie kaum weniger ergriffen von der seltsamen Ueberraschung. Sogleich schrieb sie nach Rom an Cethegus und fragte, welcher Freund ihres Gatten wohl in diesem geheimnisvollen Wohlthaeter zu suchen sei? Es war ihr eine stille Hoffnung, an ihn selbst dabei zu denken. Aber der Praefekt schuettelte nachdenklich den Kopf ueber ihren Brief und schrieb ihr zurueck: er kenne niemand, an den ihn diese zartfuehlende Weise mahnen koenne. Sie moege scharf jede Spur beachten, die zur Loesung des Raetsels fuehren koenne. Es sollte sich bald genug enthuellen. - Kamilla wurde nicht muede, den Garten zu durchstreifen und immer neue Aehnlichkeiten mit seinem trauten Vorbild zu entdecken. Oft fuehrten sie diese Gaenge ueber den Park hinaus und in den anstossenden Bergwald. Dabei pflegte sie die muntre Daphnidion zu begleiten, die ihr gleiche Jugend und treue Anhaenglichkeit rasch zur Vertrauten gemacht. Wiederholt hatte diese der Patrona bemerkt, ein Waldgeist muesse ihnen nachschleichen. Denn vielfach knacke es hoerbar in den Bueschen und rausche im Grase hinter oder neben ihnen. Und doch sei nirgends Mensch oder Tier zu sehen. Aber Kamilla lachte ihres Aberglaubens und noetigte sie immer wieder in die gruenen Schatten der Ulmen und Platanen hinaus. Eines Tages entdeckten die Maedchen, vor der Hitze tiefer und tiefer in die Kuehle des Waldes fluechtend, eine lebhafte Quelle, die reichlich und klar von dunkeln Porphyrfelsen traufte. Doch sie rieselte ohne bestimmtes Rinnsal und muehsam mussten die Durstenden die einzelnen Silbertropfen erhaschen. "Wie Schade," rief Kamilla, "um das koestliche Nass! Da haettest du die Tritonenquelle sehen sollen im Pinetum zu Ravenna. Wie anmutig sprudelte der Strahl aus den aufgeblasenen Backen des bronzenen Meergotts und fiel gesammelt in eine breite Muschel von braunem Marmor, wie Schade!" Und sie gingen weiter. Nach einigen Tagen kamen beide wieder an die Stelle. Daphnidion, die voranschritt, blieb ploetzlich laut aufschreiend stehen und wies sprachlos mit dem Finger auf die Quelle. Der Waldquell war gefasst. Aus einem bronzenen Tritonenkopf sprudelte der Strahl in eine zierliche Muschel von braunem Marmor. Daphnidion, jetzt fest an Geisterspuk glaubend, wandte sich ohne weiteres zur Flucht: sie floh mit den Haenden vor den Augen, die Waldgeister nicht zu sehen, was fuer hoechst gefaehrlich galt, nach dem Hause zu, der Herrin laut rufend, ihr zu folgen. Aber Kamilla durchzuckte der Gedanke: der Lauscher, der uns neulich hierher gefolgt, ist gewiss auch jetzt in der Naehe, sich an unsrem Staunen zu weiden. Scharf sah sie umher: an einem wilden Rosenbusch fielen die Blueten von schwankenden Zweigen zur Erde. Rasch schritt sie auf das Dickicht zu. Und sieh, aus dem Gebuesch trat ihr mit Jagdtasche und Wurfspeer ein junger Jaeger entgegen. "Ich bin entdeckt," sagte er mit leiser, schuechterner Stimme, anmutig in seiner Beschaemung. Aber mit einem Schreckensruf fuhr Kamilla zurueck: "Athalarich" - stammelte sie - "der Koenig!" Eine ganze Meerflut von Gedanken und Gefuehlen wogte ihr durch Haupt und Herz, und halb ohnmaechtig sank sie auf den Rasenhang neben der Quelle. Der junge Koenig stand in Schrecken und Entzuecken sprachlos einige Sekunden vor der hingegossenen zarten Gestalt: durstig sog sein brennendes Auge die schoenen Zuege, die edeln Formen ein: fluechtiges Rot schoss zuckend wie Blitze ueber sein bleiches Gesicht. "O sie - sie ist mein heisser Tod" - hauchte er, endlich beide Haende an das pochende Herz drueckend - "jetzt sterben, - sterben mit ihr." Da regte sie den Arm. Das brachte ihn zur Besinnung zurueck. Er kniete neben ihr nieder und sprengte das kuehle Nass des Brunnens auf ihre Schlaefe. Sie schlug die Augen auf: "Barbar - Moerder!" schrie sie gellend, stiess seine Hand zurueck, sprang auf und floh wie ein gescheuchtes Reh hinweg. Athalarich folgte ihr nicht. "Barbar - Moerder," hauchte er in tiefstem Schmerz vor sich hin. Und er verbarg die gluehende Stirn in den Haenden. Sechstes Kapitel. Kamilla kam in so hoher Aufregung nach Hause, dass Daphnidion sich's nicht nehmen liess, die Domna muesse die Nymphen oder gar den altehrwuerdigen Waldgott Picus selbst gesehen haben. Aber das Maedchen warf sich in wilder Bewegung in die Arme der erschrockenen Mutter. Der Kampf verworrener Gefuehle loeste sich in einem Strom von heissen Thraenen und erst spaet vermochte sie, den besorgten Fragen Rusticianas Antworten und Aufschluss zu geben. In der tiefen Seele dieses Kindes wogte ein schweres Ringen. Es war dem am Hofe zu Ravenna heranreifenden Maedchen nicht ganz entgangen, dass der schoene, bleiche Knabe oft mit seltsamem, traeumendem Blick die dunkeln Augen auf ihr ruhen liess, dass er wie mit Andacht dem Tonfall ihrer Stimme lauschte. Aber niemals war diese Ahnung inneren Wohlgefallens ihr bestimmt ins Bewusstsein getreten; der Prinz, scheu und verschlossen, hatte die Augen niedergeschlagen, wenn sie ihn ueber einem solchen Blick ertappte und ihn unbefangen fragend ansah: waren sie doch beide damals beinahe noch Kinder. Sie wusste nicht zu nennen, was in Athalarich vorging - kaum wusste er es selbst - und nie war es ihr eingefallen, nachzudenken, warum auch sie gern in seiner Naehe lebte, gern dem kuehnen, von der Art aller andrer Gespielen abweichenden Flug seiner Gedanken oder Phantasien folgte, gern auch schweigend neben dem Schweigenden im Abendlicht durch die stillen Gaerten wandelte, wo er oft mitten aus seinen Traeumereien abgerissene, aber immer sinnige Worte zu ihr sprach, deren Poesie, die Poesie schwaermerischer Jugend, sie so voellig verstand und wuerdigte. In das zarte Weben dieser knospenden Neigung schlug nun die Katastrophe ihres ueber alles geliebten Vaters. Und nicht nur sanfte Trauer um den Gemordeten, gluehender Hass gegen die Moerder ergriff die Seele der leidenschaftlichen Roemerin. Von jeher hatte Boethius, selbst in der Zeit seiner hoechsten Gunst am Hofe, ein hochmuetiges Herabsehen auf das Barbarentum der Goten zur Schau getragen, und seit seinem Untergang atmete natuerlich die ganze Umgebung Kamillas, die Mutter, die beiden racheduerstenden Brueder, die Freunde des Hauses nur Hass und Verachtung: nicht nur gegen den blutigen Moerder und Tyrannen Theoderich, nein, gegen alle Goten und vorab gegen Tochter und Enkel des Koenigs, die seine Schuld zu teilen schienen, weil sie dieselbe nicht verhindert. So hatte das Maedchen Athalarichs fast gar nicht mehr gedacht. Und wann er genannt wurde oder wann, was ihr manchmal begegnete, sein Bild im Traume vor ihre Seele trat, so gipfelte all' ihr Hass gegen die Barbaren in hoechstem Abscheu gegen ihn. Vielleicht gerade deshalb, weil im geheimsten Grund ihres Herzens jetzt eine widerstrebende Ahnung von jener Neigung zitterte, die sie zu dem schoenen Koenigssohn gezogen. - Und nun - nun hatte es der Frevler gewagt, ihr argloses Herz mit tueckischem Streich zu treffen! Sie hatte, sowie sie ihn aus dem Dickicht schreiten sah, sowie sie ihn erkannte, blitzschnell erfasst, dass er es war, der, wie die Fassung der Quelle, so die Umgestaltung der ganzen Villa geschaffen. Er, der verhasste Feind, der Spross des verfluchten Geschlechts, an welchem das Blut ihres Vaters klebte, der Koenig der Barbaren! All die Freuden, mit welchen sie in diesen Tagen Haus und Garten durchmustert, brannten jetzt wie gluehend Erz auf ihrer Seele. Der Todfeind ihres Volkes, ihres Geschlechts, hatte gewagt, sie zu beschenken, zu erfreuen, zu begluecken. Fuer ihn hatte sie Dankgebete zum Himmel gesandt. Er hatte sich erkuehnt, ihren Schritten zu folgen, ihre Worte zu belauschen, ihre leisesten Wuensche zu erfuellen: - und im Hintergrund ihrer Seele stand, schrecklicher als all' dies, der Gedanke, warum er das gethan. Er liebte sie! Der Barbar erkuehnte sich, es ihr zu zeigen. Der Tyrann Italiens, er wagte wohl gar zu hoffen, dass des Boethius Tochter - O es war zu viel! und schmerzlich schluchzend barg sie das Haupt in den Kissen ihres Lagers, bis dumpfer Schlaf der Erschoepfung auf sie niedersank. Alsbald erschien der eilig herbeigerufene Cethegus bei den ratlosen Frauen. Rusticiana hatte ihrem wie Kamillens erstem Gefuehle folgen, sofort die Villa und die verhasste Naehe des Koenigs fliehen und ihr Kind jenseit der Alpen bergen wollen. Aber der Zustand Kamillas hatte bisher den Aufbruch verhindert und sowie der Praefekt das Haus betrat, schien sich die Flamme der Aufregung vor seinem kalten Blick zu legen. Er nahm Rusticianen allein mit sich in den Garten: ruhig und aufmerksam hoerte er daselbst, den Ruecken an einen Lorberstamm gelehnt, das Kinn in die linke Hand gestuetzt, ihrer leidenschaftlichen Erzaehlung zu. "Und nun rede," schloss sie, "was soll ich thun? Wie soll ich mein armes Kind retten? wohin sie bringen?" Cethegus schlug die Augen auf, die er, wie er bei angestrengtem Nachsinnen pflegte, halb geschlossen hatte. "Wohin Kamilla bringen?" sagte er. "An den Hof, nach Ravenna." Rusticiana fuhr empor: "Wozu jetzt der giftige Scherz!" Aber Cethegus richtete sich rasch auf. "Es ist mein Ernst. Still - hoere mich. Kein gnaedigeres Geschenk hat das Schicksal, das die Barbaren verderben will, in unsren Weg legen koennen. Du weisst, wie voellig ich die Regentin beherrsche. Aber nicht weisst du, wie voellig machtlos ich bin ueber jenen eigensinnigen Schwaermer. Es ist raetselhaft. Der kranke Juengling ist im ganzen Gotenvolk der einzige, der mich, wenn nicht durchschaut, doch ahnt. Und ich weiss nicht, ob er mich mehr fuerchtet oder mehr hasst. Das waere mir ziemlich gleichgueltig, wenn der Verwegne mir nicht sehr entschieden und sehr erfolgreich entgegenarbeitete. Sein Wort wiegt natuerlich schwer bei seiner Mutter. Oft schwerer als das meine. Und er wird immer aelter, reifer, gefaehrlicher. Sein Geist ueberfluegelt maechtig seine Jahre. Er nimmt ernstlichen Teil an den Beratungen der Regentschaft. Jedesmal spricht er gegen mich. Oft siegt er. Erst neulich hat er es gegen mich durchgesetzt, dass der schwarzgallige Teja den Befehl der gotischen Truppen in Rom erhielt, in meinem Rom! Kurz, der junge Koenig wird hoechst gefaehrlich. Und ich hatte bisher nicht einen Schatten von Gewalt ueber ihn. Zu seinem Verderben liebt er Kamilla. Durch sie wollen wir den Unbeherrschbaren beherrschen." "Nimmermehr!" rief Rusticiana. "Nie, so lang ich atme. Ich an den Hof des Tyrannen! Mein Kind die Geliebte Athalarichs! des Boethius Tochter! Sein blutger Schatte wuerde -" "Willst du diesen Schatten raechen? Ja! willst du die Goten verderben? Ja! Also musst du wollen, was dahin fuehrt." - "Nie, bei meinem Eide!" - "Weib, reize mich nicht. Trotze mir nicht. Du kennst mich! Bei deinem Eide! Wie? Hast du mir nicht Gehorsam geschworen, blinden, unbedingten, wie ich dir Rache verheissen? Hast du's nicht geschworen auf die Gebeine der Heiligen, dich und deine Kinder verflucht fuer den Eidbruch? Man sieht sich vor bei euch Weibern. Gehorche oder zittre fuer deine Seele." "Entsetzlicher! Soll ich all meinen Hass dir, deinen Plaenen opfern?" "Mir? Wer spricht von mir? _Deine_ Sache fuehr' ich. _Deine_ Rache vollend' ich: _Mir_ haben die Goten nichts zuleid gethan. _Du_ hast mich aufgestoert von meinen Buechern. Du hast mich aufgerufen, diese Amaler zu vernichten. Willst du nicht mehr? Auch gut! Ich kehre zurueck zu Horatius und der Stoa! Leb wohl." "Bleib, bleibe. Aber soll denn Kamilla das Opfer werden?" "Wahnsinn! Athalarich soll es werden. Sie soll ihn ja nicht lieben, sie soll ihn nur beherrschen. Oder," fuegte er, sie scharf ansehend, hinzu, "fuerchtest du fuer ihr Herz?" - "Deine Zunge erlahme! Meine Tochter? _ihn_ lieben? eher erwuerg' ich sie mit diesen Haenden." Aber Cethegus war nachdenklich geworden. Es ist nicht um das Maedchen, sagte er zu sich selbst. Was liegt an ihr! Aber wenn sie ihn liebt - und der Gote ist schoen, geistvoll, schwaermerisch .... "Wo ist deine Tochter?" fragte er laut. "Im Frauengemach. Auch wenn ich wollte, sie wuerde nie einwilligen, nie." "Wir wollen's versuchen. Ich gehe zu ihr." Und sie traten ins Haus. Rusticiana wollte mit ihm in das Gemach. Aber Cethegus wies sie zurueck. "Allein muss ich sie haben!" sprach er und schritt durch den Vorhang. Bei seinem Anblick erhob sich das schoene Maedchen von den Teppichen, auf denen sie in ratlosem Sinnen geruht. Gewoehnt, in dem klugen, beherrschenden Mann, dem Freund ihres Vaters, stets einen Berater und Helfer zu finden, begruesste sie ihn vertrauend wie die Kranke den Arzt. "Du weisst, Cethegus?" - "Alles." - "Und du bringst mir Hilfe." - "Rache bring ich dir, Kamilla!" Das war ein neuer, ein maechtig ergreifender Gedanke! Nur Flucht, Rettung aus dieser qualvollen Lage hatten ihr bisher vorgeschwebt. Hoechstens eine zornige Abweisung der koeniglichen Geschenke. Aber jetzt Rache! Vergeltung fuer die Schmerzen dieser Stunden! Rache fuer die erlittene Schmach! Rache an den Moerdern ihres Vaters! Ihre Wunden waren frisch. Und in ihren Adern kochte das heisse Blut des Suedens. Ihr Herz frohlockte ueber Cethegus' Wort! "Rache? wer wird mich raechen? du?" - "Du dich selbst! Das ist suesser." Ihre Augen blitzten. "An wem?" - "An ihm. An seinem Haus. An allen unsern Feinden." - "Wie kann ich das? Ein schwaches Maedchen?" - "Hoere auf mich, Kamilla. Nur dir, nur des edeln Boethius edler Tochter sag ich, was ich sonst keinem Weib der Erde vertrauen wuerde. Es besteht ein starker Bund von Patrioten, der die Herrschaft der Barbaren spurlos austilgen wird aus diesem Lande: das Schwert der Rache haengt ueber den Haeuptern der Tyrannen. Das Vaterland, der Schatte deines Vaters beruft dich, es herabzustuerzen." "Mich? ich - meinen Vater raechen? sprich!" rief hochergluehend das Maedchen, die schwarzen Haare aus den Schlaefen streichend. "Es gilt ein Opfer. Rom fordert es." - "Mein Blut, mein Leben! wie Virginia will ich sterben." - "Du sollst leben, den Sieg zu schauen. Der Koenig liebt dich. Du musst nach Ravenna. An den Hof. Du musst ihn verderben. Durch diese Liebe. Wir alle haben keine Macht ueber ihn. Nur du hast Gewalt ueber seine Seele. Du sollst dich raechen und ihn vernichten." "Ihn vernichten?!" - Seltsam bewegt klang die leise Frage; ihr Busen wogte, ihre Stimme bebte in der Mischung ringender Gefuehle, Thraenen brachen aus ihren Augen, sie verbarg das Gesicht in den Haenden. - Cethegus stand auf. "Vergieb," sagte er. "Ich gehe. Ich wusste nicht, - - dass du den Koenig liebst." Ein Weheschrei des Zornes wie bei physischem Schmerz drang aus des Maedchens Brust. Sie sprang auf und fasste ihn an der Schulter: "Mann, wer sagt das? Ich hasse ihn! Hasse ihn, wie ich nie gewusst, dass ich hassen kann." - "So beweis' es. Denn ich glaub' es dir nicht." - "Ich will dir's beweisen!" rief sie. "Sterben soll er! Er soll nicht leben!" Sie warf das Haupt zurueck, wild funkelten die blitzenden Augen, ihr schwarzes Haar flog um die weissen Schultern. Sie liebt ihn, dachte Cethegus. Aber es schadet nicht. Denn sie weiss es noch nicht. Sie hasst ihn daneben. Und das allein weiss sie. Es wird gehn. "Er soll nicht leben," wiederholte sie. "Du sollst sehen," lachte sie, "wie ich ihn liebe! Was soll ich thun?" - "Mir folgen in allem." - "Und was versprichst du mir dafuer? was soll er erleiden?" - "Verzehrende Liebe bis zum Tod." - "Liebe zu mir? ja, ja, das soll er!" - "Er, sein Haus, sein Reich soll fallen." "Und er wird wissen, dass durch mich -?" - "Er soll es wissen. Wann reisen wir nach Ravenna?" "Morgen! Nein, heute noch." Sie hielt inne und fasste seine Hand: "Cethegus, sage, bin ich schoen?" "Der Schoensten eine." "Ha!" rief sie, die losgegangenen Locken schuettelnd. "Er soll mich lieben und verderben! Fort nach Ravenna! Ich will ihn sehen, ich muss ihn sehen!" Und sie stuermte aus dem Gemach. - Sie sehnte sich mit ganzer Seele, bei Athalarich zu sein. Siebentes Kapitel. Noch am naemlichen Tage wurde die kleine Villa verlassen und der Weg nach der Koenigsstadt angetreten. Cethegus schickte einen Eilboten voraus mit einem Brief Rusticianas an die Regentin. Die Witwe des Boethius erklaerte darin, dass sie die durch Vermittelung des Praefekten von Rom wiederholt angebotene Rueckberufung an den Hof nunmehr anzunehmen bereit sei. Nicht als eine That der Gnade, sondern der Suehne, als ein Zeichen, dass die Erben Theoderichs dessen Unrecht an den Verblichenen gut machen wollten. Diese stolze Sprache war wie aus Rusticianas tiefstem Herzen und Cethegus wusste, dass solches Auftreten nicht schaden, nur alle verdaechtige Auslegung der raschen Umstimmung ausschliessen werde. Unterwegs noch traf die Reisenden die Antwort der Koenigin, die sie am Hof willkommen hiess. In Ravenna angelangt wurden sie von der Fuerstin aufs ehrenvollste empfangen, mit Sklaven und Sklavinnen umgeben und in dieselben Raeume des Palastes eingefuehrt, die sie ehedem bewohnt. Freudig begruessten sie die Roemer. Aber der Zorn der Goten, die in Boethius und Symmachus undankbare Verraeter verabscheuten, wurde durch diese Massregeln, die eine stillschweigende Verurteilung Theoderichs zu enthalten schienen, schwer gereizt. Die letzten Freunde des grossen Koenigs verliessen grollend den verwelschten Hof. - Einstweilen hatten die Zeit, die Zerstreuungen der Reise und der Ankunft Kamillas Aufregung gemildert. Und ihr Zorn konnte sich um so eher beschwichtigen als ihr viele Wochen zu Ravenna verstrichen, ehe sie Athalarich begegnete. Denn der junge Koenig war gefaehrlich erkrankt. Am Hof erzaehlte man, er habe bei einem Aufenthalt zu Aretium, - er wollte dort, mit geringer Begleitung, der Bergluft, der Baeder und der Jagd geniessen - in den Waeldern von Tifernum in der Hitze der Jagd einen kalten Trunk aus einer Felsenquelle gethan und sich dadurch einen heftigen Anfall seines alten Leidens zugezogen. Thatsache war, dass ihn sein Gefolge an jener Quelle bewusstlos niedergesunken gefunden hatte. Die Wirkung dieser Erzaehlung auf Kamilla war seltsam. Zu dem Hass gegen Athalarich trat jetzt ein Zug von leisem Bedauern. Ja eine Art von Selbstanklage. Aber andrerseits dankte sie dem Himmel, dass durch diese Krankheit eine Begegnung hinausgeschoben wurde, die sie jetzt in Ravenna nicht minder fuerchtete als sie dieselbe, da sie noch fern von ihm in Tifernum war, lebhaft herbeigewuenscht hatte. Und wenn sie jetzt in den weiten Anlagen des herrlichen Schlossgartens einsam wandelte, hatte sie immer und immer wieder zu bewundern, mit welcher Sorgfalt das kleine Guetchen des Corbulo diesem Muster nachgebildet worden war. Tage und Wochen vergingen. Man vernahm nichts von dem Kranken, als dass er zwar auf dem Weg der Besserung, aber noch streng an seine Gemaecher gebunden sei. Aerzte und Hofleute, die ihn umgaben, priesen ihr oft seine Geduld und Kraft in den heftigsten Schmerzen, seine Dankbarkeit fuer jeden kleinen Liebesdienst, seine edle Milde. Aber wenn sie ihr Herz ertappte, wie gern es diesen Lobesworten lauschte, sagte sie heftig zu sich selbst: "Und meines Vaters Ermordung hat er nicht gehindert!" und ihre Brauen zogen sich zusammen und sie legte heimlich die geballte Faust auf das pochende Herz. In einer heissen Nacht war Kamilla nach langem friedlosen Wachen endlich gegen Morgen in unruhigen Schlaf gesunken. Angstvolle Traeume quaelten sie. Ihr war, als senke sich die Decke des Gemaches mit ihren Reliefgestalten auf sie nieder. Gerade ueber ihrem Haupte war ein jugendlich schoener Hypnos, der sanfte Gott des Schlafes, von hellenischer Hand gebildet, angebracht. Ihr traeumte, der Schlafgott nehme die ernsteren, trauervollen Zuege seines bleichen Bruders Thanatos an. Langsam und leise senkte der Gott des Todes sein Antlitz auf sie nieder. - Immer naeher rueckte er. - Immer bestimmter wurden seine Zuege. - Schon fuehlte sie den Hauch seines Atems auf ihrer Stirn. - Schon beruehrten fast die feinen Lippen ihren Mund. - Da erkannte sie mit Entsetzen die bleichen Zuege, das dunkle Auge. - Es war Athalarich - dieser Todesgott. - Mit einem Schrei fuhr sie empor. Die zierliche Silberlampe war laengst erloschen. Es daemmerte im Gemach. Ein rotes Licht drang gedaempft durch das Fenster von Frauenglas. Sie erhob sich und oeffnete es; die Haehne kraehten, die Sonne tauchte mit den ersten Strahlenspitzen aus dem Meer, auf das sie, ueber den Schlossgarten hinweg, freien Ausblick hatte. Es litt sie nicht mehr in dem schwuelen Gemach. Sie schlug den faltigen Mantel um die Schultern und eilte leise, leise aus dem noch schlummernden Palast ueber die Marmorstufen in den Garten, aus dem ihr erfrischender Morgenwind von der nahen See her entgegenwehte. Sie eilte der Sonne und dem Meere zu. Denn im Osten stiess der Garten des Kaiserpalastes mit seinen hohen Mauern unmittelbar an die blauen Wellen der Adria. Ein vergoldetes Gitterthor und jenseit desselben zehn breite Stufen von weissem hymettischem Marmor fuehrten hinab zu dem kleinen Hafen des Gartens, in welchem die schwanken Gondeln mit leichten Rudern und dem dreieckigen lateinischen Segel von Purpurlinnen schaukelten, mit silbernen Kettchen an den zierlichen Widderkoepfen von Erz befestigt, die links und rechts aus dem Marmorquai hervorragten. Diesseit des Gitterthors, nach dem Garten zu, fanden die Anlagen ihren Abschluss in einer geraeumigen Rundung, die von weit schattenden Pinien dicht umfriedet war. Ihre Bodenflaeche, von ueppigem, sorgfaeltig gezognem Graswuchs bedeckt, wurde von reinlichen Wegen durchschnitten und von reichen Beten stark duftender Blumen unterbrochen. Eine Quelle, zierlich gefasst, rieselte den Abhang hinab in das Meer. Die Mitte des Platzes bildete ein kleiner, altersgrauer Venustempel, den eine einsame Palme hochwipflig ueberragte, indes brennendroter Steinbrech in den leeren Halbnischen seiner Aussenwaende prangte. Vor seiner laengst geschlossenen Pforte stand zur Rechten ein eherner Aeneas. Der Julius Caesar zur Linken war schon vor Jahrhunderten zusammengestuerzt. Theoderich hatte auf dem Postament ein Erzbild des Amala errichten lassen, des mythischen Stammvaters seines Hauses. Hier, zwischen diesen Statuen, an den Eingangsstufen des kleinen Fanum genoss man des herrlichsten Blickes durch das Gitterthor auf das Meer mit seinen buschigen Laguneninseln und einer Gruppe von scharfkantigen malerischen Felsklippen, "die Nadeln der Amphitrite" genannt. Es war ein alter Lieblingsort Kamillas. Und hierher lenkte sie jetzt die leichten Schritte, den reichen Tau von dem hohen Grase streifend, wie sie mit leis gehobnem Gewand durch die schmalen Wieswege eilte. Sie wollte die Sonne ueber das Meer hin aufgluehen sehen. Sie kam von der Rueckseite des Tempels, ging an dessen linker Seite hin und trat eben auf die erste der Stufen, die von seiner Stirn zu dem Gitter hinabfuehrten, als sie rechts, auf der zweiten Stufe, halb sitzend, halb liegend, eine weisse Gestalt erblickte, die, das Haupt an die Treppe gelehnt, das Antlitz dem Meere zuwandte. Aber sie erkannte das braune, das seidenglaenzende Haar: es war der junge Koenig. Die Begegnung war so ploetzlich, dass an Ausweichen nicht zu denken. Wie angewurzelt hielt das Maedchen auf der ersten Stufe. Athalarich sprang auf und wandte sich rasch. Eine helle Roete flammte ueber sein marmorbleiches Gesicht. Doch fasste er sich zuerst von beiden und sprach: "Vergieb, Kamilla. Ich konnte dich nicht hier erwarten. Zu dieser Stunde. Ich gehe. Und lasse dich allein mit der Sonne." Und er schlug den weissen Mantel ueber die linke Schulter. "Bleib, Koenig der Goten. Ich habe nicht das Recht, dich zu verscheuchen - und nicht die Absicht," fuegte sie bei. Athalarich trat einen Schritt naeher. "Ich danke dir. Aber ich bitte dich um eins," setzte er laechelnd hinzu, "verrate mich nicht an meine Aerzte, an meine Mutter. Sie sperren mich den ganzen Tag ueber so sorgsam ein, dass ich ihnen wohl vor Tag entschluepfen muss. Denn die frische Luft, die Seeluft thut mir gut. Ich fuehl's. Sie kuehlt. Du wirst mich nicht verraten." Er sprach so ruhig. Er blickte so unbefangen. Diese Unbefangenheit verwirrte Kamilla. Sie waere viel mutiger gewesen, wenn er bewegter. Sie sah diese Unbefangenheit mit Schmerz. Aber nicht um der Plaene des Praefekten willen. So schuettelte sie nur schweigend das Haupt zur Antwort. Und sie senkte die Augen. Jetzt erreichten die Strahlen der Sonne die Hoehe, auf der die beiden standen. Der alte Tempel und das Erz der Statuen schimmerten im Morgenlicht. Und eine breite Strasse von zitterndem Gold bahnte sich von Osten her ueber die spiegelglatte Flut. "Sieh, wie schoen!" rief Athalarich, fortgerissen von dem Eindruck. "Sieh die Bruecke von Licht und Glanz." Sie blickte teilnehmend hinaus. "Weisst du noch, Kamilla?" fuhr er langsamer fort, wie in Erinnerungen verloren und ohne sie anzusehen, "weisst du noch, wie wir hier als Kinder spielten? Traeumten? Wir sagten: die goldne Strasse, von Sonnenstrahlen auf die Flut gezeichnet, fuehre zu den Inseln der Seligen." - "Zu den Inseln der Seligen!" wiederholte Kamilla. Im stillen bewunderte sie, mit welcher Zartheit und edlen Leichtigkeit er, jeden Gedanken an ihre letzte Begegnung fern haltend, mit ihr in einer Weise verkehrte, die sie voellig entwaffnete. "Und schau, wie dort die Statuen glaenzen: das wundersame Paar, Aeneas und - Amala! Hoere, Kamilla, ich habe dir abzubitten." Lebhaft schlug ihr Herz. Jetzt wollte er der Ausschmueckung der Villa, der Quelle gedenken. Das Blut stieg ihr in die Wangen. Sie schwieg in peinlicher Erwartung. Aber ruhig fuhr der Juengling fort: "Du weisst, wie oft wir, du die Roemerin, ich der Gote, an diesem Ort in Wettreden den Ruhm und den Glanz und die Art unserer Voelker priesen. Dann standest du unter dem Aeneas und sprachst mir von Brutus und Camillus, von Marcellus und den Scipionen. Ich aber, an meines Ahnherrn Amala Schild gelehnt, ruehmte Ermanarich und Alarich und Theoderich. Aber du sprachst besser als ich. Und oft, wenn der Schimmer deiner Helden mich zu ueberstrahlen drohte, lachte ich deiner Toten und rief: "das Heute und die lebendige Zukunft ist meines Volkes!"" "Nun, und jetzt?" - "Ich spreche nicht mehr so. Du hast gesiegt, Kamilla!" Aber indem er so sprach, schien er so stolz wie nie zuvor. Und dieser ueberlegne Ausdruck empoerte die Roemerin. Sie war ohnehin gereizt durch die unnahbare Ruhe, mit welcher der Fuerst, auf dessen Leidenschaft man solche Plaene gebaut, ihr gegenueberstand. Sie begriff diese Ruhe nicht. Sie hatte ihn gehasst, weil er es gewagt, ihr seine Liebe zu zeigen. Und jetzt lebte dieser Hass auf, weil er es vermochte, diese Liebe zu verbergen. Mit der Absicht, ihm weh zu thun, sagte sie langsam: "So raeumst du ein, Koenig der Goten, dass deine Barbaren den Voelkern der Menschlichkeit nachstehen?" "Ja, Kamilla," antwortete er ruhig, "aber nur in einem: im Glueck! Im Glueck des Geschickes wie im Glueck der Natur. Sieh dort die Gruppe von Fischern, die ihre Netze aufhaengen an den Olivenbaeumen am Strande. Wie schoen sind diese Gestalten! In Bewegung und Ruhe, trotz ihrer Lumpen: lauter Statuen! Hier das Maedchen mit der Amphora auf dem Haupt! dort der Alte, der, den Kopf auf den linken Arm gestuetzt, im Sande liegt und hinaus traeumt ins Meer. Jeder Bettler unter ihnen sieht aus wie ein entthronter Koenig. Wie sie schoen sind! Und in sich eins und gluecklich! Ein Schimmer ungebrochenen Gluecks liegt ueber ihnen. Wie ueber Kindern! Oder edeln Tieren! Das fehlt uns Barbaren!" - "Fehlt euch nur das?" - "Nein, uns fehlt auch Glueck im Schicksal. Mein armes, herrliches Volk! Wir sind hier herein verschlagen in eine fremde Welt, in der wir nicht gedeihen. Wir gleichen der Blume der hohen Alpen, dem Edelweiss, die vom Sturmwind vertragen ward in den heissen Sand der Niederung. Wir koennen nicht wurzeln hier. Wir welken und sterben." - Und mit edler Wehmut blickte er hinaus in die blaue Flut. Aber Kamilla hatte nicht die Stimmung, diesen weissagerischen Worten eines Koenigs ueber sein Volk nachzusinnen. "Warum seid ihr gekommen?" fragte sie mit Haerte. "Warum seid ihr ueber die Berge gedrungen, die ein Gott als ewige Marken gesetzt hat zwischen euch und uns. Sprich, warum?" - "Weisst du," sprach Athalarich, ohne sie anzublicken, wie mit sich selber und fuer sich selber fortdenkend, "weisst du, warum die dunkle Motte nach der hellen Flamme fliegt? Wieder, immer wieder! Von keinem Schmerz gewarnt! bis sie verzehrt ist von der schoenen, lockenden Feindin? Aus welchem Grund! Aus einem suessen Wahnsinn! Und solch' ein suesser Wahnsinn ist es, ganz derselbe, der meine Goten aus den Tannen und Eichen hinweggezogen hat zu Lorber und Olive. Sie werden sich die Fluegel verbrennen, die thoerichten Helden. Und werden doch nicht davon lassen. Wer will sie drum schelten? Sieh um dich her. Wie tief blau der Himmel! wie tief blau das Meer! und darin spiegeln die Wipfel der Pinien und die Saeulentempel voll Marmorglanz! und fern da drueben ragen schoen gewoelbte Berge und draussen in der Flut schwimmen gruene Inseln, wo sich die Rebe um die Ulme schlingt. Und drueber hin die weiche, die warme, die kosende Luft, die alles erhellt. Welche Wunder der Formen, der Farben trinkt das Auge und atmen die entzueckten Sinne! Das ist der Zauber, der uns ewig locken und ewig verderben wird." Die tiefe und edle Erregung des jungen Koenigs blieb nicht ohne Eindruck auf Kamilla. Die tragische Gewalt dieser Gedanken ergriff ihr Herz: aber sie wollte nicht ergriffen sein. Sie wehrte sich gegen ihre weicher werdende Empfindung. Sie sagte kalt: "Ein ganzes Volk gegen Verstand und Einsicht vom Zauber angezogen?" und kalt und zweifelnd sah sie ihn an. Aber sie erschrak: denn wie Blitze loderte es aus den dunkeln Augen des Juenglings und die lang zurueckgehaltne Glut brach ploetzlich aus den Tiefen seiner Seele: "Ja, sag' ich dir, Maedchen!" rief er leidenschaftlich. "Ein ganzes Volk kann eine thoerichte Liebe, einen suessen, verderblichen Wahnsinn, eine toedliche Sehnsucht pflegen so gut wie - so gut wie ein einzelner. Ja, Kamilla, es giebt eine Gewalt im Herzen, die, staerker als Verstand und Wille, uns sehenden Auges ins Verderben reisst. Aber du weisst das nicht! Und moegest du's nie erfahren. Niemals. Leb wohl!" Und rasch wandte er sich und bog rechts vom Tempel in den dichten Laubgang von rankendem Wein, der ihn sofort vor Kamilla wie vor den Fenstern des Schlosses verbarg. Sinnend blieb das Maedchen stehen. Seine letzten Worte klangen seltsam fort in ihren Gedanken: lange sah sie traeumend ins offene Meer hinaus und mit wundersam gemischter Empfindung, mit verwandelter Stimmung, kehrte sie endlich wieder dem Schlosse zu. Achtes Kapitel. Noch am naemlichen Tage fand sich Cethegus bei den Frauen ein. Er war in wichtigen Geschaeften von Rom herbeigeeilt und kam soeben aus dem Regentschaftsrat, der in des kranken Koenigs Gemach gehalten wurde. Verhaltner Zorn lagerte auf seinen herben Zuegen. "Ans Werk, Kamilla," sprach er heftig. "Ihr saeumt zu lang. Dieser vorlaute Knabe wird immer herrischer. Er trotzt mir und Cassiodor und seiner schwachen Mutter selbst. Er verkehrt mit gefaehrlichen Leuten. Mit dem alten Hildebrand, mit Witichis und ihren Freunden. Er schickt Briefe und empfaengt Briefe hinter unsrem Ruecken. Er hat es durchgesetzt, dass die Koenigin nur noch in seiner Gegenwart den Rat der Regentschaft beruft. Und in diesem Rat kreuzt er all' unsre Plaene. Das muss aufhoeren. So oder so." - "Ich hoffe nicht mehr, Einfluss auf den Koenig zu gewinnen," sagte Kamilla ernst. - "Weshalb? hast du ihn schon gesehen." Das Maedchen ueberlegte, dass sie Athalarich versprochen, seinen Ungehorsam nicht an die Aerzte gelangen zu lassen. Aber auch sonst widerstrebte es ihrem Gefuehl, die Begegnung dieses Morgens zu entweihen, zu verraten. Sie wich daher der Frage aus und sagte: "Wenn der Koenig sich sogar seiner Mutter, der Regentin, widersetzt, wird er sich nicht von einem jungen Maedchen beherrschen lassen." - "Goldne Einfalt!" laechelte Cethegus und liess das Gespraech ruhen, solang das Kind anwesend war. Aber insgeheim trieb er Rusticianen, zu veranlassen, dass ihre Tochter den Koenig fortan haeufig sehe und spreche. Dies ward moeglich, da sich dessen Befinden jetzt rasch besserte. Und wie aeusserlich, wurde er innerlich zusehends maennlicher, fester und reifer: es war, als ob das Widerstreben gegen Cethegus ihm Leib und Seele kraeftige. So verbrachte er bald wieder viele Stunden in den weiten Anlagen des Gartens. Dort war es, wo ihn seine Mutter und die Familie des Boethius in den Abendstunden haeufig trafen. Und waehrend Rusticiana die Huld der Regentin mit voller Freundschaft zu erwidern schien und aufmerksam ihren vertrauenden Mitteilungen lauschte, um sie woertlich dem Praefekten wieder erzaehlen zu koennen, wandelten die jungen Leute vor ihnen her durch die schattigen Gaenge des Gartens. Oft auch bestieg die kleine Gesellschaft eine der leichten Gondeln in jenem Hafen und Athalarich steuerte wohl selbst eine Strecke ins blaue Meer hinaus, nach einer der kleinen, gruenbuschigen Inseln, die nicht weit vor der Bucht lagen. Auf dem Heimweg aber spannte man die purpurnen Segel auf und liess sich von dem frischen Westwind, der sich bei Sonnenuntergang zu erheben pflegte, langsam und muehelos zuruecktragen. - Oft waren es auch der Koenig und Kamilla allein, die, nur von Daphnidion begleitet, sich dieser Wanderungen im Gruenen und auf den Wellen erfreuten. Wohl sah Amalaswintha darin die Gefahr, dadurch die Neigung ihres Sohnes, die ihr nicht entgangen war, zu steigern. Aber vor allen andern Erwaegungen segnete sie dankbar den guenstigen Einfluss, den dieser Umgang augenscheinlich auf ihren Sohn uebte: er wurde in Kamillas Naehe ruhiger, heiterer und war dann auch weicher gegen seine Mutter, der er sonst oft heftig und schroff gegenueber trat. Auch beherrschte er sein Gefuehl mit einer Sicherheit, die bei dem reizbaren Kranken doppelt befremdete: und endlich wuerde die Regentin, im Fall sich diese Liebe ernster geltend machte, sogar einer Verbindung nicht abgeneigt gewesen sein, die den roemischen Adel voellig zu gewinnen und jedes Andenken einer unseligen Blutthat auszuloeschen versprach. - In dem Maedchen aber ging eine wundersame Wandlung vor. Taeglich mehr fuehlte sie ihren Groll und Hass schwinden, wie sie taeglich klarer die edle Zartheit der Seele, den schwungvollen Geist, das tiefe, poesiereiche Gemuet des jungen Koenigs sich entfalten sah. Nur mit Anstrengung konnte sie gegen diesen wachsenden Zauber sich immer wieder das Schicksal ihres Vaters als Talisman ins Andenken zurueckrufen: immer mehr kam sie dazu, unter den Goten und Amalern, die jenes Schicksal herbeigefuehrt, mit Gerechtigkeit zu unterscheiden: immer bestimmter sagte sie sich, wie unbillig es sei, Athalarich um eines Ungluecks willen zu hassen, das er nur nicht verhindert hatte und wohl schwerlich haette verhindern koennen. Laengst haette sie ihn am liebsten voellig frei gesprochen: aber sie misstraute dieser Milde: sie scheute sie wie eine schwarze Suende gegen Vater, Vaterland und eigne Freiheit. Mit Zittern nahm sie wahr, wie unentbehrlich dies edle Menschenbild ihr wurde, wie maechtig sie sich sehnte, diese melodische Stimme zu hoeren und in dies dunkle, sinnige Auge zu blicken. Sie fuerchtete die frevelhafte Liebe, die sie sich nur schwer noch verhehlen konnte, und die einzige Waffe, mit der sie sich noch dagegen wehrte, der Vorwurf seiner Mitschuld an des Vaters Untergang, wollte sie sich nicht entwinden lassen. So schwankte sie in wogenden Gefuehlen, desto unsichrer, je raetselhafter ihr Athalarichs geschlossene Sicherheit blieb. Sie konnte ja nicht daran zweifeln, dass er sie liebe, nach allem was geschehen - aber doch! Nicht eine Silbe, nicht ein Blick verriet diese Liebe: jene Aeusserung, mit der er sie damals am Venustempel rasch verlassen, war das bedeutsamste, ja das einzige bedeutsame Wort, das ihm entschluepfte. Sie ahnte nicht, was die hochwogende Seele des Juenglings durchgekaempft und durchgelitten, bis seine Liebe zwar nicht erlosch, aber entsagte, und noch weniger, in welch' neuem Gefuehl er die maennliche Kraft solcher Entsagung gefunden. Ihre Mutter, die ihn mit aller Schaerfe des Hasses beobachtete und darueber das eigne Kind zu ueberwachen vergass, schien noch mehr erstaunt ueber seine Kaelte. "Aber Geduld," sprach sie zu Cethegus, mit dem sie oft hinter Kamillas Ruecken Beratung pflog, "Geduld, bald, binnen drei Tagen, wirst du ihn verwandelt sehen." - "Es waere Zeit," meinte Cethegus; "aber auf was vertraust du?" - "Auf ein Mittel, das noch nie getaeuscht hat." "Du wirst ihm doch kein Liebestraenklein brauen?" laechelte der Praefekt. - "Allerdings, das werd' ich thun; das hab' ich schon gethan." - Jener sah sie spoettisch an: "Auch bei dir solcher Aberglaube, bei der Witwe des grossen Philosophen Boethius! In Liebeswahn sind alle Weiber gleich!" "Nicht Wahn und Aberglaube," sagte Rusticiana ruhig. "Seit mehr als hundert Jahren lebt das Geheimnis in unsrer Familie. Ein aegyptisch Weib hat es dereinst am Nil meine Ureltermutter gelehrt. Und es hat sich bewaehrt. Kein Weib unseres Hauses hat ohne Erhoerung geliebt." - "Dazu braucht's keinen Zauber," meinte der Praefekt: "ihr seid ein schoenes Geschlecht." - "Spare deinen Spott. Der Trank wirkt unfehlbar und wenn er bis heute nicht wirkte -" - "So hast du wirklich - Unvorsichtige! wie konntest du unvermerkt?" - "Am Abend, wann er vom Spaziergang oder von der Gondelfahrt mit uns zurueckkommt, nimmt er einen Becher gewuerzten Falerners. Der Arzt hat es ihm verordnet: es sind Tropfen arabischen Balsams darin. Der Becher steht immer bereit auf dem Marmortisch vor dem Venustempel. Dreimal schon gelang es, den Trank hineinzuschuetten." - "Nun," meinte Cethegus, "es hat bis jetzt nicht sonderlich gewirkt." - "Daran ist nur deine Ungeduld die Ursache. Die Kraeuter muessen im Neumond gebrochen werden - ich wusste das wohl. Aber, gedraengt von deinen Mahnungen, versucht' ich's schon im Vollmond und du siehst, es wirkte nicht." - Cethegus zuckte die Achseln. - "Aber gestern Nacht trat Neumond ein. Ich war nicht muessig mit meiner goldnen Schere und wenn er jetzt trinkt -" "Eine zweite Locusta! Nun, mein Trost sind Kamillas schoene Augen. Weiss sie von deinen Kuensten?" "Kein Wort zu ihr! Sie wuerde das nie dulden. Stille, sie kommt." Das Maedchen trat ein in lebhafter Erregung, die lieblichen Wangen geroetet, eine Flechte des dunklen Haares war losgegangen und spielte um den feinen Nacken. "Saget mir, ihr, die ihr klug seid und menschenerfahren, sagt mir, was soll ich denken? Ich komme aus dem Schiff. O, er hat mich nie geliebt! der Hochmuetige, er bemitleidet, er bedauert mich! Nein, das ist nicht das rechte Wort. Ich kann es mir nicht deuten." Und in Thraenen ausbrechend, barg sie das Haupt am Halse der Mutter. - "Was ist geschehen, Kamilla?" fragte Cethegus. - "Schon oft," begann sie tiefaufatmend, "spielte ein Zug um seinen Mund, sprach eine Wehmut aus seinem Auge, als sei Er der tief von mir Gekraenkte, als habe Er uns edel zu vergeben, als habe er mir ein grosses Opfer gebracht -" - "Unreife Knaben bilden sich immer ein, es sei ein Opfer, wenn sie lieben." Da blitzte Kamillas Auge, sie warf den schoenen Kopf zurueck und wandte sich heftig gegen Cethegus: "Athalarich ist kein Knabe mehr und man soll ihn nicht verhoehnen." Cethegus schwieg, ruhig die Augen senkend. Aber Rusticiana fragte erstaunt: "Hassest du den Koenig nicht mehr?" - "Bis zum Tode. Man soll ihn verderben, nicht verhoehnen." "Was ist geschehen?" wiederholte Cethegus. - "Heute stand jener raetselhafte, kalte, stolze Zug deutlicher als je auf seinem Antlitz. Ein Zufall aeusserte ihn in Worten. Wir waren eben gelandet. Ein Kaefer war ins Wasser gefallen: der Koenig bueckte sich und zog ihn heraus: das Tierchen aber wehrte sich gegen die mildthaetige Hand und biss mit den Zangen des Kopfes in den Finger, der ihn hielt. "Der Undankbare," sagte ich. - "Oh," sprach Athalarich, bitter laechelnd, und er setzte den Kaefer auf ein Blatt: "man verwundet die am meisten, die am meisten fuer uns gethan." Und dabei flog sein Blick mit stolzer Wehmut ueber mich dahin. Doch rasch, als ob er zuviel gesagt, schritt er kalt gruessend hinweg. Ich aber" - und ihre Brust wogte, ihre fein geschnittenen Lippen schlossen sich - "ich aber trage das nicht mehr. Der Stolze! er soll mich lieben - oder sterben." - "Das soll er," sagte Cethegus kaum hoerbar, "eins von beiden." Neuntes Kapitel. Wenige Tage darauf wurde der Hof durch einen neuen Schritt des jungen Koenigs zur Selbstaendigkeit ueberrascht: er selbst berief den Rat der Regentschaft, ein Recht, das bisher nur Amalaswintha geuebt. Die Regentin war nicht wenig erstaunt, als ein Bote ihres Sohnes sie in dessen Gemaecher beschied, wo der Koenig bereits eine Auswahl der hoechsten Beamten des Reiches um sich versammelt habe, Goten und Roemer, unter diesen Cassiodor und Cethegus. Dieser hatte zuerst beschlossen, auszubleiben, um nicht durch sein Erscheinen das Recht anzuerkennen, das sich der Knabe herausnahm: ihm ahnte nichts gutes. Aber ebendeshalb besann er sich bald eines andern. "Ich darf der Gefahr nicht den Ruecken, die Stirn muss ich ihr bieten," sprach er, als er sich zu dem verhassten Gang anschickte. Er fand in dem Gemach des Koenigs alle Geladenen bereits versammelt. Nur die Regentin fehlte noch. Als sie eintrat, erhob sich Athalarich - er trug eine langfaltige Abolla von Purpur, die Zackenkrone Theoderichs glaenzte auf seinem Haupt und unter dem Mantel klirrte das Schwert - von seinem Thronsessel, der vor einer durch einen Vorhang geschlossenen Nische stand, ging ihr entgegen und fuehrte sie zu einem zweiten hoeheren Stuhl, der aber zur Linken stand. Als sie sich niedergelassen, hob er an: "Meine koenigliche Mutter, tapfre Goten, edle Roemer! Wir haben euch hieher beschieden, euch unsern Willen kund zu thun. Es drohten diesem Reiche Gefahren, die nur wir, der Koenig dieses Reiches, abwenden konnten." Solche Sprache hatte man aus diesem Munde noch nicht vernommen. Alle schwiegen betroffen, Cethegus aus Klugheit: er wollte den rechten Augenblick abwarten. Endlich begann Cassiodor: "Deine weise Mutter und dein getreuer Diener Cassiodor" - - "Mein getreuer Diener Cassiodor schweigt, bis sein Herr und Koenig ihn um Rat befraegt. Wir sind schlecht zufrieden, sehr schlecht, mit dem was die Raete unsrer koeniglichen Mutter bisher gethan haben und nicht gethan. Es ist hoechste Zeit, dass wir selbst zum Rechten sehn. Wir waren dazu bisher zu jung und zu krank. Wir fuehlen uns nicht mehr zu jung und nicht mehr zu krank. Wir kuenden euch an, dass wir demnaechst die Regentschaft aufheben und die Zuegel dieses Reiches selbst ergreifen werden." Er hielt inne. Alles schwieg. Niemand hatte Lust nach Cassiodors Beispiel zu reden und dann zu verstummen. Endlich fand Amalaswintha, die diese ploetzliche Energie ihres Sohnes gleichsam betaeubt hatte, die Sprache wieder: "Mein Sohn, dies Alter der Muendigkeit ist nach den Gesetzen der Kaiser" - - "Nach den Gesetzen der Kaiser, Mutter, moegen die Roemer sich richten. Wir sind Goten und leben nach gotischem Recht. Germanische Juenglinge werden muendig, wann sie das gesammelte Volksheer waffenreif erklaert. Wir haben deshalb beschlossen, alle Heerfuehrer und Grafen und alle freien Maenner unsres Volkes, so viele ihrer dem Rufe folgen wollen, aus allen Provinzen des Reichs zur Heeresschau zu laden nach Ravenna. Mit dem naechsten Sonnwendfest sollen sie eintreffen." Ueberrascht schwieg die Versammlung. "Das sind nur noch vierzehn Tage," sprach endlich Cassiodor. "Wird es moeglich sein, in so kurzer Frist noch die Ladungen zu besorgen?" - "Sie sind besorgt. Hildebrand, mein alter Waffenmeister, und Graf Witichis haben sie alle bestellt." - "Wer hat die Dekrete unterschrieben?" fragte Amalaswintha, sich ermannend. - "Ich allein, liebe Mutter. Ich musste doch den Geladnen zeigen, dass ich reif genug, allein zu handeln." "Und ohne mein Wissen!" sprach die Regentin. - "Und ohne dein Wissen geschah es, weil es sonst gegen deinen Willen geschehen musste." Er schwieg. Alle Roemer waren ratlos und wie betaeubt von der ploetzlich entfalteten Kraft des jungen Koenigs. Nur in Cethegus stand sogleich der Entschluss fest, jene Versammlung zu verhindern, um jeden Preis. Er sah den Grund all seiner Plaene wanken: gern waer' er mit aller Wucht seines Wortes der vor seinen Augen versinkenden Regentschaft zu Hilfe gekommen: gern haette er schon mehrere Male in dieser Verhandlung das kuehne Aufstreben des Juenglings mit seiner ruhigen Ueberlegenheit zu Boden gedrueckt: - aber ihm hielt ein seltsamer Zufall Gedanken und Zunge wie mit Zauberbanden gefesselt. Er hatte in der Nische hinter dem Vorhang Geraeusch zu vernehmen geglaubt und scharfe Blicke darauf geheftet: da bemerkte er unter dem Vorhang durch, dessen Fransen nicht ganz bis zur Erde reichten, die Fuesse eines Mannes. Freilich nur bis an die Knoechel. Aber an diesen Knoecheln sassen Beinschienen von Erz eigentuemlicher Arbeit. Er kannte diese Beinschienen, er wusste, dass sie zu einer vollen Ruestung gleicher Arbeit gehoerten, er wusste auch in unbestimmter Gedankenverbindung, dass der Traeger dieser Ruestung ihm verhasst und gefaehrlich: aber es war ihm nicht moeglich, sich zu sagen, wer dieser Feind sei. Haette er die Schienen nur bis ans Knie verfolgen koennen! Gegen seinen Willen musste er die Augen immer und immer wieder auf jenen Vorhang richten und raten und raten. Und das bannte seinen Geist jetzt, - jetzt, da alles auf dem Spiele stand. Er zuernte ueber sich selbst, aber er konnte Gedanken und Blicke nicht von der Nische losreissen. Der Koenig jedoch fuhr, ohne Widerstand zu finden, fort: "Ferner haben wir die edeln Herzoge Thulun, Ibbas und Pitza, die grollend diesen Hof verlassen, aus Gallien und Spanien zurueckgerufen. Wir finden, dass allzuviele Roemer, allzuwenig Goten uns umgeben. Jene drei tapfern Krieger werden mit Graf Witichis die Wehrmacht unsres Reiches, die Festen und die Schiffe untersuchen und alle Schaeden aufdecken und heilen. Sie werden naechstens eintreffen." Sie muessen sogleich wieder fort, sagte Cethegus rasch zu sich selbst. Aber seine Gedanken fuhren fort: Nicht ohne Grund ist jener Mann dadrinnen versteckt. "Weiter," hob der koenigliche Juengling wieder an, "haben wir Mataswinthen, unsre schoene Schwester, zurueckbeschieden an unsern Hof. Man hat sie nach Tarent verbannt, weil sie sich geweigert, eines betagten Roemers Weib zu werden. Sie soll wiederkehren, die schoenste Blume unseres Volkes, und unsern Hof verherrlichen." "Unmoeglich!" rief Amalaswintha: "Du greifst in das Recht der Mutter wie der Koenigin." - "Ich bin das Haupt der Sippe, sobald ich muendig bin." "Mein Sohn, du weisst, wie schwach du warst noch vor wenigen Wochen. Glaubst du wirklich, die gotischen Heermaenner werden dich waffenreif erklaeren?" Der Koenig wurde rot wie sein Purpur, halb vor Scham, halb vor Zorn; eh' er Antwort fand rief eine rauhe Stimme an seiner Seite: "Sorge nicht darum, Frau Koenigin. Ich bin sein Waffenmeister gewesen: ich sage dir, er kann sich messen mit jedem Feind: und wen der alte Hildebrand wehrfaehig spricht, der gilt dafuer bei allen Goten." Lauter Beifall der anwesenden Goten bestaetigte sein Wort. Wieder gedachte Cethegus einzugreifen, aber eine Bewegung hinter dem Vorhang zog seine Gedanken ab: Einer meiner groessten Feinde ist es, aber wer? "Noch eine wichtige Sache ist euch kund zu thun," begann der Koenig wieder, mit einem fluechtigen Seitenblick nach der Nische, der dem Praefekten nicht entging. Etwa ein Anschlag gegen mich? dachte er. Man wollte mich ueberraschen? Das soll nicht gelingen! - Aber es ueberraschte ihn doch, als ploetzlich der Koenig mit lauter Stimme rief: "Praefekt von Rom, Cethegus Caesarius!" Er zuckte, aber rasch gefasst, neigte er das Haupt und sprach: "Mein Herr und Koenig." - "Hast du uns nichts aus Rom zu melden? Wie ist die Stimmung der Quiriten? Was denkt man dort von den Goten?" "Man ehrt sie als das Volk Theoderichs!" - "Fuerchtet man sie?" - "Man hat nicht Ursach, sie zu fuerchten." - "Liebt man sie?" - Gern haette Cethegus geantwortet: Man hat nicht Ursach', sie zu lieben. Aber der Koenig selbst fuhr fort: "Also keine Spur von Unzufriedenheit? Kein Grund zur Sorge? Nichts besonderes, das sich vorbereitet." "Ich habe nichts dir anzuzeigen." - "Dann bist du schlecht unterrichtet, Praefekt, - oder schlecht gesinnt. Muss ich, der in Ravenna kaum vom Siechbett ersteht, dir sagen, was in deinem Rom unter deinen Augen vorgeht? Die Arbeiter auf deinen Schanzen singen Spottlieder auf die Goten, auf die Regentin, auf mich, deine Legionare fuehren bei ihren Waffenuebungen drohende Reden. Hoechst wahrscheinlich besteht bereits eine ausgebreitete Verschwoerung, Senatoren, Priester, an der Spitze: sie versammeln sich Nachts an unbekannten Orten. Ein Mitschuldiger des Boethius, ein Verbannter, Albinus, ist in Rom gesehen worden; und weisst du wo? im Garten deines Hauses." Der Koenig stand auf. Die Augen aller Anwesenden richteten sich, erstaunt, erzuernt, erschrocken auf Cethegus. Amalaswintha bebte fuer den Mann ihres Vertrauens. Aber dieser war jetzt wieder voellig er selbst. Ruhig, kalt, schweigend, sah er dem Koenig ins Auge. "Rechtfertige dich!" rief ihm dieser entgegen. "Rechtfertigen? gegen einen Schatten? ein Geruecht, eine Klage sonder Klaeger? Nie!" - "Man wird dich zu zwingen wissen." Hohn zuckte um des Praefekten schmale Lippen. "Man kann mich ermorden auf blossen Verdacht, ohne Zweifel, - wir haben das erfahren, wir Italier! - nicht mich verurteilen. Gegen Gewalt giebt es keine Rechtfertigung, nur gegen Gerechtigkeit." - "Gerechtigkeit soll dir werden, zweifle nicht. Wir uebertragen den hier anwesenden Roemern die Untersuchung, dem Senat in Rom die Urteilsfaellung. Waehle dir einen Verteidiger." - "Ich verteidige mich selbst," sprach Cethegus kuehl. "Wie lautet die Anklage? Wer ist mein Anklaeger? Wo ist er?" - "Hier," rief der Koenig und schlug den Vorhang zurueck. Ein gotischer Krieger in ganz schwarzer Ruestung trat hervor. Wir kennen ihn. Es war Teja. Dem Praefekten drueckte der Hass die Wimper nieder. Jener aber sprach: "Ich, Teja, des Tagila Sohn, klage dich an, Cethegus Caesarius, des Hochverrats an diesem Reich der Goten. Ich klage dich an, den verbannten Verraeter Albinus in deinem Haus zu Rom zu bergen und zu hehlen. Es steht der Tod darauf. Und du willst dies Land dem Kaiser in Byzanz unterwerfen." "Das will ich nicht," sprach Cethegus ruhig; "beweise deine Klage." - "Ich habe Albinus vor vierzehn Naechten mit diesen Augen in deinen Garten treten sehen," fuhr Teja zu den Richtern gewendet fort. "Er kam von der Via sacra her, in einen Mantel gehuellt, einen Schlapphut auf dem Kopf. Schon in zwei Naechten war die Gestalt an mir vorbeigeschluepft: diesmal erkannt ich ihn. Als ich auf ihn zutrat, verschwand er, ehe ich ihn ergreifen konnte, an der Thuer, die sich von innen schloss." - "Seit wann spielt mein Amtsgenoss, der tapfre Kommandant von Rom, den naechtlichen Spaeher?" - "Seit er einen Cethegus zur Seite hat. Aber ob mir auch der Fluechtling entkam, - diese Rolle fiel ihm aus dem Mantel: sie enthaelt Namen von roemischen Grossen und neben den Namen Zeichen einer unloesbaren Geheimschrift. Hier ist die Rolle." Er reichte sie dem Koenig. Dieser las: "Die Namen sind: Silverius, Cethegus, Licinius, Scaevola, Calpurnius, Pomponius. - Kannst du beschwoeren, dass der Vermummte Albinus war?" "Ich will's beschwoeren." - "Wohlan, Praefekt. Graf Teja ist ein freier, unbescholtener, eidwuerdiger Mann. Kannst du das leugnen?" "Ich leugne das. Er ist nicht unbescholten: seine Eltern lebten in nichtiger, blutschaenderischer Ehe: sie waren Geschwisterkinder, die Kirche hat ihr Zusammensein verflucht und seine Frucht: er ist ein Bastard und kann nicht zeugen gegen mich, einen edeln Roemer senatorischen Ranges." Ein Murren des Zornes entrang sich den anwesenden Goten. Teja's blasses Antlitz aber wurde noch bleicher. Er zuckte. Seine Rechte fuhr ans Schwert: "So vertret' ich mein Wort mit dem Schwert," sprach er mit tonloser Stimme. "Ich fordere dich zum Kampf, zum Gottesgericht auf Tod und Leben." - "Ich bin Roemer und lebe nicht nach eurem blutigen Barbarenrecht. Aber auch als Gote: - ich wuerde dem Bastard den Kampf versagen." - "Geduld," sprach Teja und stiess das halb gezueckte Schwert leise in die Scheide zurueck. "Geduld, mein Schwert. Es koemmt dein Tag." Aber die Roemer im Saale atmeten auf. Der Koenig nahm das Wort: "Wie dem sei, die Klage ist genug begruendet, die genannten Roemer zu verhaften. Du, Cassiodor, wirst die Geheimschrift zu entziffern suchen. Du, Graf Witichis, eilst nach Rom und bemaechtigst dich der fuenf Verdaechtigen, durchsuchst ihre Haeuser und das des Praefekten. Hildebrand, du verhafte den Verklagten, nimm ihm das Schwert ab." - "Halt," sprach Cethegus, "ich leiste Buergschaft mit all' meinem Gut, dass ich Ravenna nicht verlasse, bis dieser Streit zu Ende. Ich verlange Untersuchung auf freiem Fuss: das ist des Senators Recht." "Kehr dich nicht dran, mein Sohn," rief der alte Hildebrand vortretend, "lass mich ihn fassen." - "Lass," sprach der Koenig, "Recht soll ihm werden, strenges Recht, doch nicht Gewalt. Lass ab von ihm. Auch hat ihn die Klage ueberrascht. Er soll Zeit haben sich zu verteidigen. Morgen um diese Stunde treffen wir uns wieder hier. Ich loese die Versammlung." Der Koenig winkte mit dem Scepter: in hoechster Aufregung eilte Amalaswintha aus dem Gemach. Die Goten traten freudig zu Teja. Die Roemer drueckten sich rasch an Cethegus vorbei, vermeidend, mit ihm zu sprechen. Nur Cassiodor schritt fest auf ihn zu, legte die Hand auf seine Schulter, sah ihm pruefend ins Auge und fragte dann: "Cethegus, kann ich dir helfen?" - "Nein, ich helfe mir selbst," sprach dieser, entzog sich ihm und schritt allein und stolzen Ganges hinaus. Zehntes Kapitel. Der heftige Schlag, den der junge Koenig so unerwartet gegen den ganzen Grundbau der Regentschaft gefuehrt hatte, erfuellte bald den Palast und die Stadt mit Staunen, mit Schrecken oder Freude. Zu der Familie des Boethius brachte die erste bestimmte Kunde Cassiodor, der Rusticianen zum Trost der erschuetterten Regentin beschied. Mit Fragen bestuermt erzaehlte er den ganzen Hergang ausfuehrlich: und so bestuerzt oder unwillig er darueber war, auch aus seinem feindlichen Bericht leuchteten die Kraft, der Mut des jungen Fuersten unverkennbar hervor. Mit Begierde lauschte Kamilla jedem seiner Worte: Stolz, Stolz auf den Geliebten - der Liebe gluecklichstes Gefuehl - erfuellte maechtig ihre ganze Seele. "Es ist kein Zweifel," schloss Cassiodor mit Seufzen, "Athalarich ist unser entschiedenster Gegner: er steht ganz zu der gotischen Partei, zu Hildebrand und seinen Freunden. Er wird den Praefekten verderben. Wer haette das von ihm geglaubt! Immer muss ich daran denken, Rusticiana, wie so ganz anders er sich bei dem Prozess deines Gatten benahm." Kamilla horchte hoch auf. "Damals gewannen wir die Ueberzeugung, er werde zeitlebens der gluehendste Freund, der eifrigste Vertreter der Roemer sein." - "Ich weiss davon nichts," sagte Rusticiana. - "Es ward vertuscht. Das Todesurteil war gesprochen ueber Boethius und seine Soehne. Vergebens hatten wir alle, Amalaswintha voran, die Gnade des Koenigs angerufen: sein Zorn war unausloeschlich. Als ich wieder und wieder ihn bestuermte, fuhr er zornig auf und schwur bei seiner Krone, der solle es im tiefsten Kerker buessen, der ihm noch einmal mit einer Fuerbitte fuer die Verraeter nahe. Da verstummten wir alle. Nur Einer nicht. Nur Athalarich, der Knabe, liess sich nicht schrecken, er weinte und flehte und hing sich an seines Grossvaters Knie. Kamilla erbebte: der Atem stockte ihr. "Und nicht liess er ab, bis Theoderich in hoechstem Zorn emporfuhr, ihn mit einem Schlag in den Nacken von sich schleuderte und den Wachen uebergab. Der ergrimmte Koenig hielt seinen Eid. Athalarich ward in den Kerker des Schlosses gefuehrt und Boethius sofort getoetet." Kamilla wankte und hielt sich an einer Saeule des Saales. "Aber nicht umsonst hatte Athalarich gesprochen und gelitten. Tags darauf vermisste der Koenig an der Tafel schwer den Liebling, den er von sich gebannt. Er gedachte, mit welch edlem Mut er, der Knabe, fuer seine Freunde gebeten, als die Maenner in Furcht verstummten. Er stand endlich auf von seinem Abendtrunk, bei dem er lange sinnend sass, stieg selbst hinab in den Kerker, oeffnete die Pforte, umarmte seinen Enkel und schenkte auf seine Bitte deinen Soehnen, Rusticiana, das Leben." "Fort, fort zu ihm!" sprach Kamilla mit erstickter Stimme zu sich selbst und eilte aus dem Saal. "Damals," fuhr Cassiodor fort, "damals mochten Roemer und Roemerfreunde in dem kuenftigen Koenig ihre beste Stuetze sehen und jetzt - meine arme Herrin, arme Mutter!" und klagend schritt er hinaus. Rusticiana sass lange wie betaeubt. Sie sah alles wanken, worauf sie ihre Racheplaene gebaut: sie versank in dumpfes Brueten. Laenger und laenger schon fielen die Schatten der hohen, starken Tuerme in den Schlosshof, auf welchen sie hinausstarrte. Da weckte sie der feste Schritt eines Mannes im Saal, erschrocken fuhr sie auf: Cethegus stand vor ihr. Sein Antlitz war kalt und finster, aber eisig ruhig. "Cethegus!" rief die Bekuemmerte und wollte seine Hand fassen, aber seine Kaelte schreckte sie zurueck. "Alles verloren!" seufzte sie, stehen bleibend. "Nichts ist verloren. Es gilt nur Ruhe. Und Raschheit," setzte er, umblickend im Gemach, hinzu. Als er sich allein mit ihr sah, griff er in die Brustfalten seiner Toga. "Dein Liebestrank hat nicht geholfen, Rusticiana. Hier ist ein andrer, - staerkrer. Nimm." Und rasch drueckte er ihr eine Phiole von dunklem Lavastein in die Hand. Mit banger Ahnung sah ihn die Freundin an: "Glaubst du auf einmal an Magie und Zaubertrank? Wer hat ihn gebraut?" - "Ich," sagte er, "und _meine_ Liebestraenke wirken." - "Du!" - es durchlief sie ein eisiges Grauen. "Frage nicht, forsche nicht, saeume nicht," sprach er herrisch. "Es muss noch heute geschehen. Hoerst du? Noch heute." Aber Rusticiana zoegerte noch und sah zweifelnd auf das Flaeschchen in ihrer Hand. Da trat er heran, leise ihre Schulter beruehrend: "Du zauderst," sagte er langsam. "Weisst du, was auf dem Spiele steht? nicht nur unser ganzer Plan! Nein, blinde Mutter. Noch mehr. Kamilla _liebt_, liebt den Koenig mit aller Kraft der jungen Seele. Soll die Tochter des Boethius die Buhle des Tyrannen werden?" Laut aufschreiend fuhr Rusticiana zurueck: was in den letzten Tagen wie eine boese Ahnung in ihr aufgestiegen, ward ihr gewiss mit diesem Einen Wort: noch einen Blick warf sie auf den Mann, der das Grausame gesprochen und hinwegeilte sie, zornig die Faust um das Flaeschchen geballt. Ruhig sah ihr Cethegus nach. "Nun, Prinzlein, wollen wir sehen. Du warst rasch, ich bin rascher. - Es ist eigen," sagte er dann, die Falten seiner Toga herabziehend, "ich glaubte laengst nicht mehr, noch solche heftige Regung empfinden zu koennen. Jetzt hat das Leben wieder einen Reiz. Ich kann wieder streben, hoffen, fuerchten. Sogar hassen. Ja, ich hasse diesen Knaben, der sich unterfaengt, mit der kindischen Hand in meine Kreise zu tappen. Er will mir trotzen - meinen Gang aufhalten, er stellt sich kuehn in meinen Weg: Er - mir! wohlan, so trag' er denn die Folgen." Und langsam schritt er aus dem Gemach und wandte sich nach dem Audienzsaal der Regentin, wo er sich absichtlich der versammelten Menge zeigte und durch die eigne Sicherheit den bestuerzten Herzen der Hofleute einige Ruhe wiedergab. Er sorgte dafuer, zahlreicher Zeugen fuer all' seine Schritte an diesem verhaengnisvollen Tag sich zu versichern. Beim Sinken der Sonne ging er mit Cassiodor und einigen andern Roemern, seine Verteidigung fuer den naechsten Tag beratend, in den Garten, in dessen Laubgaengen er sich umsonst nach Kamilla umsah. Diese war, sowie sie Cassiodors Bericht zu Ende gehoert, in den Hof des Palastes geeilt, wo sie zu dieser Stunde den Koenig mit den andern jungen Goten seines Hofes beim Waffenspiel zu treffen hoffte. Nur sehen wollte sie ihn, noch nicht ihn sprechen und ihm zu Fuessen ihr grosses Unrecht abbitten. Sie hatte ihn verabscheut, von sich gestossen, ihn als mit dem Blut ihres Vaters befleckt gehasst - ihn, der sich fuer diesen Vater geopfert, der ihre Brueder gerettet hatte! Aber sie fand ihn nicht im Hof. Die wichtigen Ereignisse des Tages hielten ihn in seinem Arbeitszimmer fest. Auch seine Waffengesellen fochten und spielten heute nicht: in dichten Gruppen beisammenstehend, priesen sie laut den Mut ihres jungen Koenigs. Mit Wonne sog Kamilla dieses Lob ein: stolz erroetend, selig traeumend wandelte sie in den Garten und suchte dort an allen seinen Lieblingsstaetten die Spuren des Geliebten. Ja, sie liebte ihn: kuehn und freudig gestand sie sich's ein: er hatte es tausendfach um sie verdient. Was Gote, was Barbar! Er war ein edler herrlicher Juengling, ein Koenig, der Koenig ihrer Seele. Wiederholt wies sie die begleitende Daphnidion aus ihrer Naehe, dass diese nicht hoere, wie sie wieder und wieder den geliebten Namen selig vor sich hin sprach. Endlich am Venustempel angelangt versank sie in suesse Traeume ueber die Zukunft, die unklar, aber golden daemmernd, vor ihr lag. Vor allem beschloss sie, dem Praefekten und ihrer Mutter schon morgen zu erklaeren, nicht mehr auf ihre Mithilfe gegen den Koenig zaehlen zu sollen. Dann wollte sie diesem selbst ihre Schuld abbitten mit innigen Worten und dann - dann? sie wusste nicht was dann werden solle: aber sie erroetete in holden Traeumen. Rote, duftige Mandelblueten fielen aus den nickenden Bueschen: in dem dichten Oleander neben ihr sang die Nachtigall, eine klare Quelle glitt rieselnd an ihr vorueber nach dem blauen Meer und die Wellen dieses Meeres rollten leise wie ihrer Liebe huldigend zu ihren Fuessen. Elftes Kapitel. Aus solchem Sinnen und Sehnen weckte sie ein nahender Schritt auf den Sandwegen. Der Gang war so rasch und so bestimmt der Tritt, dass sie nicht Athalarich vermutete. Aber es war der Koenig: veraendert in Haltung und Erscheinen, maennlicher, kraeftiger, fester. Hoch trug er das sonst zur Brust gebeugte Haupt und das Schwert Theoderichs klirrte an seiner Huefte. "Gegruesst, gegruesst, Kamilla," rief er ihr laut und lebhaft entgegen. "Dein Anblick ist der schoenste Lohn fuer diesen heissen Tag." So hatte er noch nie zu ihr gesprochen. "Mein Koenig," fluesterte sie ergluehend: einen leuchtenden Blick noch warfen die braunen Augen auf ihn: dann senkten sich die langen Wimpern. Mein Koenig! so hatte sie ihn nie genannt, solchen Blick ihm nie geschenkt. "Dein Koenig?" sagte er, sich neben ihr niederlassend, "ich fuerchte, so wirst du mich nicht mehr nennen, wenn du erfaehrst, was alles heute geschehen." "Ich weiss alles." - "Du weisst? Nun dann, Kamilla, sei gerecht: schilt nicht, ich bin kein Tyrann." Der Edle, dachte sie, er entschuldigt sich um seine schoensten Thaten. "Sieh, ich hasse die Roemer nicht, der Himmel weiss es, - sie sind ja _dein_ Volk! - ich ehre sie und ihre alte Groesse, ich achte ihre Rechte. Aber mein Reich, den Bau Theoderichs, muss ich beschuetzen, streng und unerbittlich, und weh der Hand, die sich dawider hebt. Vielleicht," fuhr er langsamer und feierlich fort, "vielleicht ist dies Reich schon verurteilt in den Sternen - gleichviel, ich, sein Koenig, muss mit ihm stehen und fallen." "Du sprichst wahr, Athalarich, und wie ein Koenig." "Dank dir, Kamilla! wie du heut gerecht bist oder gut! Solcher Guete darf ich wohl anvertrauen, welcher Segen, welche Heilung mir geworden. Sieh', ich war ein kranker, irrer Traeumer, ohne Halt, ohne Freude, dem Tode gern entgegenwankend. Da trat an meine Seele die Gefahr dieses Reichs, die thaetige Sorge um mein Volk: und mit der Sorge wuchs in meiner Brust die Liebe, die maechtige Liebe zu meinen Goten, und diese stolze und bange und wachsame Liebe fuer mein Volk, sie hat mein Herz gestaerkt und getroestet fuer ... fuer andres bitter schmerzliches Entsagen. Was liegt an meinem Glueck, wenn nur dies Volk gedeiht: sieh, der Gedanke hat mich gesund gemacht und stark und wahrlich! des Groessten koennt' ich jetzt mich unterwinden." Er sprang auf, beide Arme wiegend und schwingend. "O, Kamilla, die Ruhe verzehrt mich! O, ging es zu Ross und in waffenstarrende Feinde! Sieh, die Sonne sinkt. Es ladet die spiegelnde Flut. Komm, komm mit in den Kahn." Kamilla zoegerte. Sie blickte um. "Die Dienerin? Ach lass sie! Dort ruht sie unter der Palme an der Quelle, sie schlaeft. Komm, komm rasch, eh' die Sonne versinkt. Sieh die goldne Strasse auf der Flut. Sie winkt!" - "Zu den Inseln der Seligen?" fragte das liebliche Maedchen mit einem holdseligen Blick und leicht erroetend. "Ja, komm zu den seligen Inseln!" antwortete er gluecklich, hob sie rasch in den Kahn, loeste dessen Silberkette von den Widderkoepfen des Quais, sprang hinein, ergriff das zierliche Ruder und stiess ab. Dann legte er das Ruder in die Oese zur Linken: und im hintern Gransen des Schiffes stehend steuerte und ruderte er zugleich, eine schoene und malerische Bewegung, und ein echt germanischer Fergenbrauch. Kamilla sass vorn, nahe dem Schnabel des Kahns, auf einem Diphros, dem griechischen zusammenlegbaren Feldstuhl, und sah ihm in das edle Antlitz, das von der rotschimmernden Abendsonne beleuchtet war: sein dunkles Haar flog im Winde und herrlich waren die raschen und kraeftigen Bewegungen des fein gebauten Ruderers zu schauen. Beide schwiegen. Pfeilschnell schoss die leichte Barke durch die glatte Flut. Flockige, rosige Abendwoelklein zogen langsam ueber den Himmel, der leise Wind fuehrte von den Mandelgebueschen des Ufers Wolken von Wohlgeruch mit sich, und rings war Schimmer, Ruhe, Harmonie. Endlich brach der Koenig das Schweigen und sprach, dem Bot einen kraeftigen Druck gebend, dass es gehorsam vorwaerts schoss: "Weisst du, was ich denke? Wie schoen muss es sein ein Reich, ein Volk, viel tausend geliebte Leben mit der starken Hand durch Wind und Wellen sicher vorwaerts zu steuern zu Glueck und Glanz. - Was aber sannest du, Kamilla? Du sahst so mild, es sind gute Gedanken gewesen." Sie erroetete und blickte seitab in die Flut. "O sprich doch, sei offen in dieser schoenen Stunde." "Ich dachte," fluesterte sie vor sich hin, das feine Koepfchen noch immer abgewendet, "wie schoen muss es sein, von treuer, geliebter Hand, der man so ganz vertraut, gesteuert werden durch die schwanke Flut des Lebens." - "O, Kamilla, glaub mir, auch dem Barbaren kann man sich vertraun" - - "Du bist kein Barbar! Wer zart empfindet und edel denkt und sich hochherzig ueberwindet und schweren Undank mit Huld vergilt, ist kein Barbar, er ist ein edles Menschenbild, wie je ein Scipio gewesen." Entzueckt hielt der Koenig im Rudern inne, das Schiff stand: "Kamilla! traeum ich? sprichst du das? und zu mir?" "Mehr noch, Athalarich, mehr! ich bitte dich, vergieb, dass ich dich so grausam von mir gestossen. Ach, es war nur Scham und Furcht." - "Kamilla, Perle meiner Seele" - Diese, welche das Gesicht dem Ufer zuwandte, rief ploetzlich: "was ist das? Man folgt uns. Der Hof, die Frauen, meine Mutter." So war es. Rusticiana hatte, von des Praefekten furchtbarem Wink getrieben, ihre Tochter im Garten gesucht. Sie fand sie nicht. Sie eilte nach dem Venustempel. Umsonst. Umherschauend sah sie ploetzlich die beiden, ihr Kind mit ihm allein, auf dem Schiff, fern im Meer. In hoechstem Zorn flog sie an den Marmortisch, an dem die Sklaven eben den Abendbecher des Koenigs mischten, schickte sie die Stufen hinab, eine Gondel zu loesen, gewann so einen unbelauschten Augenblick an dem Tisch und stieg gleich darauf mit Daphnidion, die ihr zorniger Ausruf geweckt, die Stufen hinab nach dem Schiff. Da bogen zur Rechten aus dem dichten Taxusgang der Praefekt und seine Freunde, die ihr Lustwandeln ebenfalls an diese Stelle fuehrte. Cethegus folgte ihr die Stufen hinab und reichte ihr die Hand, in den Kahn zu steigen. "Es ist geschehen," fluesterte sie ihm dabei zu und die Gondel stiess ab. In diesem Augenblick war es, dass das junge Paar auf die Bewegung am Ufer aufmerksam wurde: Kamilla stand auf, sie mochte erwarten, der Koenig werde das Schiff wenden. Aber dieser rief: "Nein, sie sollen mir diese Stunde nicht rauben, die schoenste meines Lebens. Ich muss noch mehr von diesen suessen Worten schluerfen. O, Kamilla, du musst mir mehr, du musst mir alles sagen. Komm, wir landen auf der Insel dort, da moegen sie uns finden." Und maechtig ausgreifend drueckte er mit aller Kraft auf das Ruder, dass das Fahrzeug wie befluegelt dahinschoss. "Willst du nicht weiter sprechen?" "O, mein Freund, mein Koenig - dringe nicht in mich." Er sah nur ihr in das liebliche Antlitz, in das leuchtende Auge, nicht mehr auf Weg und Ziel. "Nun warte - dort auf der Insel - dort sollst du mir" - - Ein neuer leidenschaftlicher Ruderschlag - da erdroehnte ein dumpfer Krach, das Schiff war angeprallt und fuhr schuetternd zurueck. "Himmel!" rief Kamilla aufspringend und nach dem Schnabel des Schiffes sehend: ein ganzer Schwall von Wasser sprudelte herein ihr entgegen. "Das Schiff ist geborsten - wir sinken," sprach sie erbleichend. - "Hierher zu mir, lass mich sehen," rief Athalarich vorspringend. "Ah, das sind die Nadeln der Amphitrite - wir sind verloren." Die Nadeln der Amphitrite - wir wissen, man konnte sie von der Terrasse des Venustempels kaum erkennen - waren zwei schmale scharfzackige Klippen zwischen dem Ufer und der naechsten der Laguneninseln: sie ragten kaum ueber den Wasserspiegel, bei leisestem Wind gingen die Wellen ueber sie weg. Athalarich kannte die Gefahr dieser Stelle und hatte sie immer leicht vermieden: aber diesmal hatte er nur in der Geliebten Augen geblickt. Mit einem Blick uebersah er die Lage. Es gab keine Rettung. Ein Bret im Boden des leicht gezimmerten Gefaehrts war durch den Anprall an der Klippe zertruemmert, gewaltig drang das Wasser durch den Leck. Das Schiff sank von Sekunde zu Sekunde. Schwimmend mit Kamilla die naechste Insel oder das Ufer zu erreichen, konnte er nicht hoffen und das Ruderschiff Rusticianens hatte kaum erst abgestossen. Mit Blitzesschnelle hatte er all' das ueberschaut, erwogen, eingesehen, und warf einen entsetzten Blick auf das Maedchen. "Geliebte, du stirbst," jammerte er verzweifelnd, "und ich, ich hab's verschuldet." Und er umfasste sie stuermisch. "Sterben?" rief sie, "o nein! nicht so jung, nicht jetzt sterben! Leben, leben mit dir." Und sie klammerte sich fest an seinen Arm. Der Ton, die Worte durchschnitten sein Herz. Er riss sich los, er sah nach Rettung ringsumher, umsonst, umsonst - immer hoeher stieg das Wasser, immer rascher sank das Schiff. Er warf das Ruder weg. "Es ist aus, alles aus, Geliebte. Lass uns Abschied nehmen." - "Nein! nicht mehr scheiden! Muss es gestorben sein: - o dann hinweg alle Scheu, welche die Lebendigen bindet" - und gluehend drueckte sie das Haupt an seine Brust - "o lass dir sagen, lass dir noch gestehn, wie ich dich liebe, wie lange schon, seit - seit immer. All' mein Hass war ja nur verschaemte Liebe. Gott, ich liebte dich schon, da ich waehnte, ich muesse dich verabscheuen. Ja du sollst wissen, wie ich dich liebe." Und sie bedeckte ihm Augen und Wangen mit eiligen Kuessen. "O, jetzt will ich auch sterben - lieber sterben mit dir als leben ohne dich. Aber nein" - und sie riss sich von ihm los - "du sollst nicht sterben - lass mich hier, springe, schwimme, versuch's, du allein erreichst die Insel wohl - versuch's und lass mich." "Nein," rief er selig, "lieber sterben mit dir als leben ohne dich. Nach so langem, langem Sehnen endlich Erfuellung! Wir gehoeren einander auf ewig von dieser Stunde. Komm, Kamilla, Geliebte, lass uns hinab." Schauer der Liebe und des Todes rieselten durcheinander. Er zog sie an sich, umschlang sie mit dem linken Arm und stieg mit ihr auf den kaum noch Hand breit ueber Wasser ragenden Steuergransen: schon schickte er sich zum jaehen Sprunge an, - da entrang sich beiden ein froher Schrei der Hoffnung. Blitzschnell bog vor ihren Augen um die schmale Landspitze, die unfern von ihnen ins Meer ragte, ein Schiff mit vollen Segeln, das gerade auf sie los eilte. Das Schiff vernahm ihren Schrei, es erkannte jedenfalls die Lage des sinkenden Kahns, vielleicht die Person des Koenigs: vierzig Ruder, aus zwei Stockwerken von Ruderbaenken zugleich in die Flut getaucht, befoerderten den Flug des raschen Fahrzeugs, das brausend vor ganzem Wind mit allen Segeln daherschoss. Die Leute auf dem Deck riefen ihnen zu, auszuharren und bald - es war die hoechste Zeit - lag der Bauch der Bireme neben der Gondel, die augenblicklich versank, nachdem das Paar durch die Lukenpforte des untern Ruderstockwerks an Bord gerettet war. Es war ein kleines gotisches Wachtschiff, der goldene, steigende Loewe, das Wappen der Amalungen, glaenzte auf der blauen Flagge: Aligern, ein Vetter Tejas, befehligte es. "Dank euch, wackre Freunde," sprach Athalarich, da er wieder Worte gefunden, "Dank! ihr habt nicht euren Koenig nur, ihr habt eure Koenigin gerettet." Staunend sammelten sich Krieger und Matrosen um den Gluecklichen, der die laut weinende Kamilla in seinen Armen hielt. "Heil unsrer schoenen jungen Koenigin!" jauchzte der rotblonde Aligern und die Mannschaft jubelte donnernd nach: "Heil, Heil unsrer Koenigin!" In diesem Augenblick rauschte der Segler an dem Kahn Rusticianens vorbei: der Schall dieses Jubelrufs weckte die Unselige aus der Erstarrung von Entsetzen und Betaeubung, die sie ergriffen, da die beiden erschrocknen Rudersklaven die Gefahr des jungen Paares auf dem sinkenden Boot entdeckt und zugleich erklaert hatten, es sei ihnen unmoeglich, sie rechtzeitig aus den Wellen zu retten. Da war sie besinnungslos Daphnidion in die Arme gefallen. Jetzt erwachte sie und warf einen irren Blick umher. Sie staunte: war es ein Traumbild, was sie sah? oder war es wirklich ihre Tochter, die dort auf dem Deck des Gotenschiffs, das stolz an ihr vorueberrauschte, an der Brust des jungen Koenigs lag? und jauchzten wirklich dazu jubelnde Stimmen: "Heil Kamilla, unsrer Koenigin?" Sie starrte auf die voruebergleitende Erscheinung, sprachlos, lautlos. Aber das rasch fliegende Segelschiff war schon an ihrem Kahn vorueber und dem Lande nah. Es ankerte ausserhalb der seichten Gartenbucht, eine Barke ward herabgelassen, das gerettete Paar, Aligern und drei Matrosen sprangen hinein und bald stiegen sie die Stufen der Hafentreppe hinan, wo, ausser Cethegus und seiner Begleitung, eine Menge von Leuten sich versammelt hatte, die vom Palast oder vom Garten aus mit Schrecken die Gefahr des kleinen Schiffes wahrgenommen und jetzt herbeieilten, die Geretteten zu begruessen. Unter Glueckwuenschen und Segensrufen stieg Athalarich die Stufen hinan. "Seht hier," sprach er, vor dem Tempel angelangt, "sehet, Goten und Roemer, eure Koenigin, meine Braut. Uns hat der Gott des Todes zusammengefuehrt, nicht wahr, Kamilla?" Sie sah zu ihm auf, aber heftig erschrak sie: die Aufregung und der jaehe Wechsel von Schrecken und Freude hatten den kaum Genesenen uebermaechtig erschuettert: sein Antlitz war marmorblass, er wankte und griff wie Luft schoepfend krampfhaft an seine Brust. "Um Gott," rief Kamilla, einen Anfall des alten Leidens fuerchtend, "dem Koenig ist nicht wohl. Rasch den Wein, die Arznei!" Sie flog an den Tisch, ergriff den Silberbecher, der bereit stand, und draengte ihn in seine Hand. Cethegus stand dicht dabei und folgte mit scharfem Blick jeder seiner Bewegungen. Schon setzte er den Becher an die Lippen, aber ploetzlich liess er ihn nochmal sinken, er laechelte: "du musst mir zutrinken, wie's der gotischen Koenigin ziemt an ihrem Hof," und er reichte ihr den Pokal: sie nahm ihn aus seiner Hand. Einen Augenblick durchzuckte es den Praefekten siedend heiss. Er wollte hinzustuerzen, ihr den Trank aus der Hand reissen, ihn verschuetten. Aber er hielt sich zurueck. That er's, so war er unrettbar verloren. Nicht nur morgen als Hochverraeter, nein, sofort als Giftmoerder angeklagt und ueberfuehrt. Verloren mit ihm seine ganze Ideenwelt, die Zukunft Roms. Und um wen? - Um ein verliebtes Maedchen, das treulos zu seinem Todfeind abgefallen. - Nein, sagte er kalt zu sich, die Faust zusammendrueckend, sie oder Rom: - also sie! Und ruhig sah er zu, wie das Maedchen, hold erroetend, einen leichten Trunk aus dem Becher nahm, den der Koenig darauf tief schluerfend bis zum Grunde leerte. Er zuckte zusammen, da er ihn auf den Marmortisch niedersetzte. "Kommt hinauf ins Palatium," sprach er froestelnd, den Mantel ueber die linke Schulter schlagend, "mich friert." Und er wandte sich. Da traf sein Blick auf Cethegus: er stand einen Augenblick still und sah dem Praefekten eindringend ins Auge. "Du hier?" sagte er finster und trat einen Schritt auf ihn zu: da zuckte er nochmal und stuerzte mit einem jaehen Schrei neben der Quelle aufs Antlitz nieder. "Athalarich!" rief Kamilla und warf sich taumelnd ueber ihn. Der alte Corbulo sprang aus der Schar der Diener zuerst hinzu: "Hilfe," rief er, "sie stirbt - der Koenig!" "Wasser! rasch Wasser!" sprach Cethegus laut. Und entschlossen trat er an den Tisch, ergriff den Silberbecher, bueckte sich, spuelte ihn schnell, aber gruendlich in der Quelle und neigte sich ueber den Koenig, der in Cassiodors Armen lag, indess Corbulo das Haupt Kamillens auf seine Kniee legte. Ratlos, entsetzt umstanden die Hofleute die beiden scheinbar leblosen Gestalten. "Was ist geschehen? Mein Kind!" mit diesem Schrei draengte sich Rusticiana, die soeben gelandet, an der Tochter Seite. "Kamilla!" rief sie verzweifelt, "was ist mit dir?" "Nichts!" sagte Cethegus ruhig, sich pruefend ueber die beiden beugend. "Es ist nur eine Ohnmacht. Aber den jungen Koenig hat sein Herzkrampf hingerafft. Er ist tot." Drittes Buch. AMALASWINTHA. "Amalaswintha verzagte nicht nach Frauenart, sonder kraeftig wahrte sie ihr Koenigtum." Prokop, Gotenkrieg I. 2 Erstes Kapitel. Wie ein Donnerschlag aus heitrem Himmel traf Athalarichs ploetzliches Ende die gotische Partei, die an diesem naemlichen Tage ihre Hoffnungen so hoch gespannt hatte. Alle Massregeln, die der Koenig in ihrem Sinne angeordnet, waren gelaehmt, die Goten ploetzlich wieder ohne Vertretung in dem Staat, an dessen Spitze jetzt die Regentin ganz allein gestellt war. Am fruehen Morgen des naechsten Tages stellte sich Cassiodor bei dem Praefekten ein. Er fand diesen in ruhigem, festem Schlaf. "Und du kannst schlafen, ruhig wie ein Kind, nach einem solchen Schlag!" - "Ich schlief," sagte Cethegus sich auf den linken Arm aufrichtend, "im Gefuehle neuer Sicherheit." - "Sicherheit! ja fuer dich, aber das Reich!" "Das Reich war mehr gefaehrdet durch diesen Knaben als ich. Wo ist die Koenigin?" - "Am offenen Sarge ihres Sohnes sitzt sie, sprachlos! Die ganze Nacht." Cethegus sprang auf: "das darf nicht sein," rief er. "Das thut nicht gut. Sie gehoert dem Staat, nicht dieser Leiche. Um so weniger, als ich von Gift fluestern hoerte. Der junge Tyrann hatte viele Feinde. Wie steht es damit?" "Sehr ungewiss. Der griechische Arzt Elpidios, der die Leiche untersuchte, sprach zwar von einigen auffallenden Erscheinungen. Aber, wenn Gift gebraucht worden, meinte er, muesste es ein sehr geheimes, ihm voellig fremdes sein. In dem Becher, daraus der Arme den letzten Trunk gethan, fand sich nicht die leiseste Spur verdaechtigen Inhalts. So glaubt man allgemein, die Aufregung habe das alte Herzleiden zurueckgerufen und dieses ihn getoetet. Aber doch ist es gut, dass man dich von dem Augenblick, da du die Versammlung verliessest, immer vor Zeugen gesehen: der Schmerz macht argwoehnisch." "Wie steht es um Kamilla?" forschte der Praefekt weiter. - "Sie soll von ihrer Betaeubung noch gar nicht erwacht sein; die Aerzte fuerchten das Schlimmste. - Aber ich kam, dich zu fragen: Was soll nun weiter geschehen? Die Regentin sprach davon, die Untersuchung gegen dich niederzuschlagen." - "Das darf nicht sein!" rief Cethegus. "Ich fordre die Durchfuehrung. Eilen wir zu ihr." - "Willst du sie am Sarge ihres Sohnes stoeren?" - "Ja, das will ich! Deine zarte Ruecksicht bebt davor zurueck? Gut, komme du nach, wenn ich das Eis gebrochen." Er verabschiedete den Besuch und rief seine Sklaven, ihn anzukleiden. Bald darauf schritt er, in dunkelgraues Trauergewand gehuellt, hinab zu dem Gewoelbe, wo die Leiche ausgestellt lag. Gebieterisch wies er die Wachen und die Frauen Amalaswinthens hinweg, die den Eingang hueteten und trat geraeuschlos ein. Es war die niedrig gewoelbte Halle, in der ehedem die Leichen der Kaiser mit Salben und Brennstoffen waren fuer den Scheiterhaufen bereitet worden. Das schweigende Gelass, mit dunkelgruenem Serpentin getaefelt, von kurzen dorischen Saeulen aus schwarzem Marmor getragen, war nie von der Tageshelle beleuchtet: auch jetzt fiel auf die duestern byzantinischen Mosaiken auf dem Goldgrund der Wandplatten kein andres Licht als von den vier Pechfackeln, die an dem Steinsarkophag des jungen Koenigs mit unstetem Schimmer flackerten. Dort lag er, auf einem tiefroten Purpurmantel, Helm, Schwert und Schild zu seinen Haeupten. Der alte Hildebrand hatte ihm einen Eichenkranz um die dunkeln Locken gewunden. Die edeln Zuege ruhten in ernster, bleicher Schoene. Zu seinen Fuessen sass in langem Trauerschleier die hohe Gestalt der Regentin, das Haupt auf den linken Arm gestuetzt, der auf dem Sarkophage ruhte: der rechte hing erschlafft herab. Sie konnte nicht mehr weinen. Das Knistern der Pechflammen war das einzige Geraeusch in dieser Grabesstille. - Lautlos trat Cethegus ein, nicht unbewegt von der Poesie des Anblicks. Aber mit einem Zusammenziehen der Brauen war dies Gefuehl wie ein Anflug von Mitleid erstickt. Klarheit gilt es, sprach er zu sich selbst, und Ruhe. Leise trat er naeher und ergriff die herabgesunkene Hand Amalaswinthens. "Erhebe dich, hohe Frau, du gehoerst den Lebendigen, nicht den Toten." Erschrocken sah sie auf: "Du hier, Cethegus? Was suchst du hier?" "Eine Koenigin." "O, du findest nur eine weinende Mutter!" rief sie schluchzend. - "Das kann ich nicht glauben. Das Reich ist in Gefahr und Amalaswintha wird zeigen, dass auch ein Weib dem Vaterland den eignen Schmerz opfern kann." "Das kann sie," sagte sie, sich aufrichtend: "Aber sieh auf ihn hin. - Wie jung, wie schoen -! Wie konnte der Himmel so grausam sein." - "Jetzt oder nie," dachte Cethegus. "Der Himmel ist gerecht, streng, nicht grausam." "Wie redest du? was hatte mein edler Sohn verschuldet? Wagst du ihn anzuklagen?" - "Nicht ich! Doch eine Stelle der heiligen Schrift hat sich erfuellt an ihm: "Ehre Vater und Mutter, auf dass du lang lebest auf Erden." Die Verheissung ist auch eine Drohung. Gestern hat er gefrevelt gegen seine Mutter und sie verunehrt in trotziger Empoerung: - heute liegt er hier. Ich sehe darin den Finger Gottes." Amalaswintha verhuellte ihr Antlitz. Sie hatte dem Sohn an seinem Sarge seine Auflehnung herzlich vergeben. Aber diese Auffassung, diese Worte ergriffen sie doch maechtig und zogen sie ab von ihrem Schmerz zur liebgewordenen Gewohnheit des Herrschens. "Du hast, o Koenigin, die Untersuchung gegen mich niederschlagen wollen und Witichis zurueckberufen. Letzteres mag sein. Aber ich fordere die Durchfuehrung des Prozesses und feierliche Freisprechung als mein Recht." "Ich habe nie an deiner Treue gezweifelt. Weh mir, wenn ich es jemals muesste. Sage mir: ich weiss von keiner Verschwoerung! und alles ist abgethan." - Sie schien seine Beteurung zu erwarten. Cethegus schwieg eine Weile. Dann sagte er ruhig: "Koenigin, ich weiss von einer Verschwoerung." "Was ist das?" rief die Regentin und sah ihn drohend an. - "Ich habe diese Stunde, diesen Ort gewaehlt," fuhr Cethegus mit einem Blick auf die Leiche fort, "dir meine Treue entscheidend zu besiegeln, dass sie dir unausloeschlich moege ins Herz geschrieben sein. Hoere und richte mich." - "Was werd' ich hoeren?" sprach die Koenigin wachsam und fest entschlossen, sich weder taeuschen noch erweichen zu lassen. "Ich waer' ein schlechter Roemer, Koenigin, und du muesstest mich verachten, liebte ich nicht vor allem andern mein Volk. Dies stolze Volk, das selbst du, die Fremde, liebst. Ich wusste, - wie du es weisst - dass der Hass gegen euch als Ketzer, als Barbaren in den Herzen fortglimmt. Die letzten strengen Thaten deines Vaters hatten ihn geschuert. Ich ahnte eine Verschwoerung. Ich suchte, ich entdeckte sie." - "Und verschwiegst sie!" sprach die Regentin, zuernend sich erhebend. - "Und verschwieg sie. Bis heute. Die Verblendeten wollten die Griechen herbeirufen und nach Vernichtung der Goten sich dem Kaiser unterwerfen." - "Die Schaendlichen!" rief Amalaswintha heftig. - "Die Thoren! Sie waren schon soweit gegangen, dass nur Ein Mittel blieb, sie zurueckzuhalten: ich trat an ihre Spitze, ich ward ihr Haupt." - "Cethegus!" - "Dadurch gewann ich Zeit und konnte edle, wenn auch verblendete Maenner von dem Verderben zurueckhalten. Allgemach konnte ich ihnen die Augen darueber oeffnen, dass ihr Plan, wenn er gelaenge, nur eine milde mit einer despotischen Herrschaft vertauschen wuerde. Sie sahen es ein, sie folgten mir und kein Byzantiner wird diesen Boden betreten bis ich ihn rufe, ich - oder du." "Ich! rasest du?" - "Nichts ist den Menschen zu verschwoeren! sagt Sophokles, dein Liebling. Lass dich warnen, Koenigin, die du die dringendste Gefahr nicht siehst. Eine andre Verschwoerung, viel gefaehrlicher als jene roemische Schwaermerei, bedroht dich, deine Freiheit, das Herrschaftsrecht der Amaler, in naechster Naehe - eine Verschwoerung der Goten." Amalaswintha erbleichte. "Du hast gestern zu deinem Schrecken ersehn, dass nicht deine Hand mehr das Ruder dieses Reiches fuehrt. Ebensowenig dieser edle Tode, der nur ein Werkzeug deiner Feinde war. Du weisst es, Koenigin, viele in deinem Volk sind blutduerstende Barbaren, raubgierig, roh: sie moechten dies Land brandschatzen, wo Vergil und Tullius gewandelt. Du weisst, dein trotziger Adel hasst die Uebermacht des Koenigshauses und will sich ihm wieder gleichstellen. Du weisst, die rauhen Goten denken nicht wuerdig von dem Beruf des Weibes zur Herrschaft." - "Ich weiss es," sprach sie stolz und zornig. - "Aber nicht weisst du, dass alle diese Parteien sich geeinigt haben. Geeinigt gegen dich und dein roemerfreundlich Regiment. Dich wollen sie stuerzen oder zu ihrem Willen zwingen. Cassiodor und ich, wir sollen von deiner Seite fort. Unser Senat, unsre Rechte sollen fallen, das Koenigtum ein Schatte werden. Krieg mit dem Kaiser soll entbrennen. Und Gewalt, Erpressung, Raub ueber uns Roemer hereinbrechen." - "Du malst eitle Schreckbilder!" - "War ein eitles Schreckbild, was gestern geschah? Wenn nicht der Arm des Himmels eingriff, warst nicht du selbst - wie ich - der Macht beraubt? Warst du denn noch Herrin in deinem Reich, in deinem Hause? Sind sie nicht schon so maechtig, dass der heidnische Hildebrand, der baeuerische Witichis, der finstre Teja in deines bethoerten Sohnes Namen offen deinem Willen trotzen? Haben sie nicht jene rebellischen drei Herzoge zurueckberufen? Und deine widerspenstige Tochter und -" - "Wahr, zu wahr!" seufzte die Koenigin. "Wenn diese Maenner herrschen - dann lebt wohl Wissenschaft und Kunst und edle Bildung! Leb wohl, Italia, Mutter der Menschlichkeit! Dann lodert in Flammen auf, ihr weissen Pergamente, brecht in Truemmer, schoene Statuen. Gewalt und Blut wird diese Fluren erfuellen und spaete Enkel werden bezeugen: solches geschah unter Amalaswintha, der Tochter Theoderichs." "Nie, niemals soll das geschehen! Aber -" "Du willst Beweise? Ich fuerchte, nur zu bald wirst du sie haben. Du siehst jedoch schon jetzt: auf die Goten kannst du dich nicht stuetzen, wenn du jene Greuel verhindern willst. Gegen sie schuetzen nur wir dich, wir, denen du ohnehin angehoerst nach Geist und Bildung, wir Roemer. Dann, wenn jene Barbaren laermend deinen Thron umdraengen, dann lass mich jene Maenner um dich scharen, die sich einst gegen dich verschworen, die Patrioten Roms: sie schuetzen dich und sich selbst zugleich." "Cethegus," sprach die bedraengte Frau, "du beherrschest die Menschen leicht! Wer, sage mir, wer buergt mir fuer die Patrioten, fuer deine Treue?" "Dies Blatt, Koenigin, und dieses! Jenes enthaelt eine genaue Liste der roemischen Verschwornen - du siehst, es sind viele hundert Namen: dies die Glieder des gotischen Bundes, die ich freilich nur erraten konnte. Aber ich rate gut. Mit diesen beiden Blaettern geb' ich die beiden Parteien, geb' ich mich selbst ganz in deine Hand. Du kannst mich jeden Augenblick bei den Meinen selbst als Verraeter entlarven, der vor allem _deine_ Gunst gesucht, kannst mich preisgeben dem Hass der Goten - ich habe jetzt keinen Anhang mehr, sobald du willst: ich stehe allein, allein auf dem Boden deiner Gunst." Die Koenigin hatte die Rollen mit leuchtenden Augen durchflogen. "Cethegus," rief sie jetzt, "ich will deiner Treue gedenken und dieser Stunde!" Und sie reichte ihm geruehrt die Hand. Cethegus neigte leise das Haupt. "Noch eins, o Koenigin. Die Patrioten, fortan deine Freunde wie die meinen, wissen das Schwert des Verderbens, des Hasses der Barbaren ueber ihren Haeuptern hangen. Die Erschrocknen beduerfen der Aufrichtung. Lass sie mich deines hohen Schutzes versichern: stelle deinen Namen an die Spitze dieses Blattes und lass mich ihnen dadurch ein sichtbar Zeichen deiner Gnade geben." Sie nahm den goldnen Stift und die Wachstafel, die er ihr reichte. Einen Augenblick noch zoegerte sie nachdenklich: dann aber schrieb sie rasch ihren Namen und gab ihm Griffel und Tafel zurueck: "Hier, sie sollen mir treu bleiben, treu wie du." Da trat Cassiodorus ein: "o Koenigin, die gotischen Grossen harren dein. Sie begehren dich zu sprechen." "Ich komme! Sie sollen meinen Willen vernehmen," sprach sie heftig: "du aber, Cassiodor, sei der erste Zeuge des Beschlusses, den diese ernste Stunde in mir gereift, den bald mein ganzes Reich vernehmen soll: hier der Praefekt von Rom ist hinfort der erste meiner Diener, wie er der treuste ist: sein ist der Ehrenplatz in meinem Vertrauen und an meinem Thron." Staunend fuehrte Cassiodor die Regentin die dunkeln Stufen hinan. Langsam folgte Cethegus: er hob die Wachstafel in die Hoehe und sprach zu sich selbst: "Jetzt bist du mein, Tochter Theoderichs. Dein Name auf dieser Liste trennt dich auf immer von deinem Volk." - - Zweites Kapitel. Als Cethegus aus dem unterirdischen Gewoelbe wieder zu dem Erdgeschoss des Palastes aufgetaucht war und sich anschickte, der Regentin zu folgen, ward sein Ohr beruehrt und sein Schritt gefesselt durch feierliche, klagende Floetentoene. Er erriet, was sie bedeuteten. Sein erster Antrieb war, auszuweichen. Aber alsbald entschloss er sich zu bleiben. "Einmal muss es doch geschehen, also am besten gleich," dachte er. "Man muss pruefen, wie weit sie unterrichtet ist." Immer naeher kamen die Floeten, wechselnd mit eintoenigen Klagegesaengen. Cethegus trat in eine breite Nische des dunklen Ganges, in welchen schon die Spitze des kleinen Zuges einbog. Voran schritten paarweise sechs edle roemische Jungfrauen in grauen Klageschleiern, gesenkte Fackeln in den Haenden. Darauf folgte ein Priester, dem eine hohe Kreuzesfahne mit langen Wimpeln vorangetragen wurde. Hierauf eine Schar von Freigelassenen der Familie, angefuehrt von Corbulo, und die Floetenblaeser. Dann erschien, von vier roemischen Maedchen getragen, ein offener, blumenueberschuetteter Sarg: da lag auf weissem Linnentuch die tote Kamilla, in braeutlichem Schmuck, einen Kranz von weissen Rosen um das schwarze Haar: ein Zug laechelnden Friedens spielte um den leicht geoeffneten Mund. Hinter dem Sarg aber wankte, mit geloestem Haar, stier vor sich hinblickend, die unselige Mutter, von Matronen umgeben, welche die Sinkende stuetzten. Eine Reihe von Sklavinnen schloss den Zug, der sich langsam in das Totengewoelbe verlor. Cethegus erkannte die schluchzende Daphnidion und hielt sie an. "Wann starb sie?" fragte er ruhig. - "Ach, Herr, vor wenigen Stunden! Oh die gute, schoene, freundliche Domna!" - "Ist sie noch einmal erwacht zu vollem Bewusstsein?" "Nein, Herr, nicht mehr. Nur ganz zuletzt schlug sie die grossen Augen nochmal auf und schien rings umher zu suchen. "Wo ist er hin?" fragte sie die Mutter. "Ach, ich sehe ihn," rief sie dann und hob sich aus den Kissen. "Kind, mein Kind, wo willst du hin?" weinte die Herrin. "Nun, dorthin," sagte sie mit verklaertem Laecheln: "nach den Inseln der Seligen!" und sie schloss die Augen und sank zurueck auf das Lager und jenes holde Laecheln blieb stehen auf ihrem Mund - und sie war dahin, dahin auf ewig!" - "Wer hat sie hier herab bringen lassen?" - "Die Koenigin. Sie erfuhr alles und befahl die Tote als die Braut ihres Sohnes neben ihm auszustellen und zu bestatten." "Aber was sagt der Arzt? wie konnte sie so ploetzlich sterben?" - "Ach der Arzt sah sie nur fluechtig; er hatte alle Gedanken bei der Koenigsleiche und die Herrin litt ja gar nicht, dass der fremde Mann ihre Tochter beruehre. Das Herz ist ihr eben gebrochen: daran mag man wohl sterben! Aber still, sie kommen." Der Zug ging in derselben Ordnung, ohne den Sarg, zurueck. Daphnidion schloss sich an. Nur Rusticiana fehlte. Ruhig schritt Cethegus den einsamen Gang auf und nieder, sie zu erwarten. Endlich stieg die gebrochne Gestalt die Stufen herauf. Sie wankte und drohte zu fallen. Da ergriff er rasch ihren Arm. "Rusticiana, fasse dich!" "Du hier? O Gott, du hast sie auch geliebt! Und wir, wir beide haben sie ermordet!" Und sie brach auf seine Schulter zusammen. "Schweig, Unselige!" fluesterte er, sich umsehend. "Ach, ich, die eigne Mutter, habe sie getoetet. Ich habe den Trank gemischt, der ihm den Tod gebracht." Gut, dachte er, sie ahnt also nicht, dass sie getrunken, geschweige, dass ich sie trinken sah. "Es ist ein grausamer Streich des Geschicks," sagte er laut; "aber bedenke, was sollte werden, wenn sie lebte? Sie liebte ihn!" - "Was werden sollte?" rief Rusticiana, von ihm zuruecktretend. "O, wenn sie nur lebte! Wer kann wider die Liebe? Waere sie sein geworden, sein Weib, - seine Geliebte, wenn sie nur lebte!" - "Aber du vergisst, dass er sterben musste." - "Musste? warum musste er sterben? auf dass du deine stolzen Plaene hinausfuehrst! O Selbstsucht ohnegleichen!" - "Es sind deine Plaene, die ich ausfuehre, nicht die meinen; wie oft muss ich dir's wiederholen? Du hast den Gott der Rache heraufbeschworen, nicht ich: was klagst du mich an, wenn er Opfer von dir fordert? Besinne dich besser. Lebe wohl." Aber Rusticiana fasste heftig seinen Arm: "Und das ist alles? Und weiter hast du nichts, kein Wort, keine Thraene fuer mein Kind? Und du willst mich glauben machen, um sie, um mich zu raechen habest du gehandelt? Du hast nie ein Herz gehabt. Du hast auch sie nicht geliebt - kalten Blutes siehst du sie sterben - ha, Fluch - Fluch ueber dich." - "Schweig, Unsinnige." - "Schweigen? nein, reden will ich und dir fluchen. O, wuesst' ich etwas, das dir waere, was mir Kamilla war! O, muesstest du, wie ich, deines ganzen Lebens letzte, einzige Freude fallen sehen, fallen sehen und verzweifeln. Wenn ein Gott ist im Himmel, wirst du das erleben." Cethegus laechelte. "Du glaubst an keine Macht im Himmel, die vergelte? wohlan, glaub' an die Rache einer jammervollen Mutter! Du sollst erzittern! ich eile zur Regentin und entdecke ihr alles! Du sollst sterben!" - "Und du stirbst mit mir." "Mit lachenden Augen, wenn ich dich verderben sehe." Und sie wollte hinweg. Aber Cethegus ergriff sie mit starkem Arm. "Halt, Weib. Glaubst du, man sieht sich nicht vor mit deinesgleichen? Deine Soehne, Anicius und Severinus, die Verbannten, sind heimlich in Italien, in Rom, in meinem Hause. Du weisst, auf ihrer Rueckkehr steht der Tod. Ein Wort - und sie sterben mit uns: dann magst du deinem Gatten auch die Soehne, wie die Tochter, als durch dich gefallen zufuehren. Ihr Blut ueber dein Haupt." Und rasch war er um die Ecke des Ganges biegend verschwunden. "Meine Soehne!" rief Rusticiana und brach auf dem Marmorestrich zusammen. - Wenige Tage darauf verliess die Witwe des Boethius mit Corbulo und Daphnidion den Koenigshof fuer immer. Vergebens suchte die Regentin sie zu halten. Der treue Freigelassene fuehrte sie zurueck auf die verborgne Villa bei Tifernum, die je verlassen zu haben sie jetzt tief betrauerte. Sie baute daselbst, an der Stelle des kleinen Venustempels, eine Basilika, in deren Krypta eine Urne mit den Herzen der beiden Liebenden beigesetzt wurde. Ihre leidenschaftliche Seele verband mit dem Gebet fuer das Heil ihres Kindes unzertrennlich die Bitte der Rache an Cethegus, dessen wahre Beteiligung an Kamillens Tod sie nicht einmal ahnte: nur das durchschaute sie, dass er Mutter und Tochter als Werkzeuge seiner Plaene gebraucht und in herzloser Kaelte des Maedchens Glueck und Leben aufs Spiel gesetzt hatte. Und kaum minder unablaessig als das Licht der daselbst gestifteten ewigen Lampe stieg das Gebet und der Fluch der vereinsamten Mutter zum Himmel empor. Die Stunde sollte nicht ausbleiben, die ihr die Schuld des Praefekten ganz enthuellte und auch die Rache nicht, die sie dafuer vom Himmel niederrief. Drittes Kapitel. Am Hofe von Ravenna aber wurde ein zaeher und grimmiger Kampf gefuehrt. Die gotischen Patrioten, obwohl durch den ploetzlichen Untergang ihres jugendlichen Koenigs schwer betruebt und fuer den Augenblick ueberwunden, wurden doch von ihren unermuedlichen Fuehrern bald wieder aufgerafft. Das hohe Ansehen des alten Hildebrand, die ruhige Kraft des zurueckberufenen Witichis und Tejas wachsamer Eifer wirkten unablaessig. Wir haben gesehen, wie es diesen Maennern gelungen war, Athalarich zur Abschuettelung der Oberleitung seiner Mutter zu verhelfen. Jetzt gelang es ihnen leicht, unter den Goten immer mehr Anhang zu finden gegen eine Regentschaft, in welcher der ihnen als Hochverraeter verhasste Cethegus mehr als je in den Vordergrund trat. Die Stimmung im Heer, in der germanischen Bevoelkerung von Ravenna war genuegend zu einem entscheidenden Schlage vorbereitet. Mit Muehe hielt der alte Waffenmeister die Unzufriedenen zurueck, bis sie, durch wichtige Bundesgenossen verstaerkt, desto sicherer siegen koennten. Diese Bundesgenossen waren die drei Herzoge Thulun, Ibba und Pitza, die Amalaswintha vom Hofe verscheucht und ihr Sohn soeben zurueckberufen hatte. Thulun und Ibba waren Brueder, Pitza ihr Vetter. Ein andrer Bruder der ersteren, Herzog Alarich, war vor Jahren wegen angeblicher Verschwoerung zum Tode verurteilt und seit seiner Flucht verschollen. Sie stammten aus dem beruehmten Geschlecht der Balten, das bei den Westgoten die Koenigskrone getragen hatte und den Amalungen kaum nachstand an Alter und Ansehn. Ihr Stammbaum fuehrte, wie der des Koenigshauses, bis zu den Goettern hinauf. Ihr Reichtum an Grundbesitz und abhaengigen Colonen und der Ruhm ihrer Kriegsthaten erhoehten Macht und Glanz ihres Hauses. Man sagte im Volk, Theoderich habe eine Zeit lang daran gedacht, mit Uebergehung seiner Tochter und ihres unmuendigen Knaben, zum Heile des Reiches den kraeftigen Herzog Thulun zu seinem Nachfolger zu bestellen. Und die Patrioten waren jetzt, nach dem Tode Athalarichs, entschlossen, fuer den aeussersten Fall, das heisst, wenn die Regentin von ihrem System nicht abzubringen sei, jene Gedanken wieder aufzunehmen. Cethegus sah das Gewitter heranziehen: er sah, wie das gotische Volksbewusstsein, von Hildebrand und seinen Freunden wachgerufen, sich immer heftiger gegen die romanisirende Regentschaft straeubte. Mit Unmut gestand er sich, dass es ihm an wirklicher Macht fehle, diese Unzufriedenheit niederzuhalten: Ravenna war nicht sein Rom, wo er die Werke beherrschte, wo er die Buerger wieder an die Waffen gewoehnt und an seine Person gefesselt hatte; hier waren alle Truppen Goten und er musste fuerchten, dass sie einen Haftbefehl gegen Hildebrand oder Witichis mit offnem Aufruhr beantworten wuerden. So fasste er den kuehnen Gedanken, mit Einem Zug sich aus den Netzen, die ihn zu Ravenna umstrickten, herauszureissen: er beschloss, die Regentin, noetigenfalls mit Gewalt, nach Rom zu bringen, nach seinem Rom: dort hatte er Waffen, Anhang, Macht. Dort war Amalaswintha ausschliesslich in seiner Gewalt und die Goten hatten das Nachsehen. Zu seiner Freude ging die Regentin lebhaft auf seinen Plan ein. Sie sehnte sich hinweg aus diesen Mauern, wo sie mehr eine Gefangene als eine Herrscherin erschien. Sie verlangte nach Rom, nach Freiheit und Macht. Rasch wie immer traf Cethegus seine Massregeln. Auf den kuerzern Weg zu Lande musste er verzichten, da die grosse Via flaminia sowohl als die andern Strassen von Ravenna nach Rom durch gotische Scharen, die Witichis befehligte, bedeckt waren und daher zu fuerchten stand, dass ihre Flucht auf diesem Wege zu frueh entdeckt und vielleicht verhindert wuerde. So musste er sich entschliessen, einen Teil des Weges zur See zurueckzulegen: aber auf die gotischen Schiffe im Hafen von Ravenna konnte man zu einem solchen Zweck nicht zaehlen. Zum Glueck erinnerte sich der Praefekt, dass der Nauarch Pomponius, einer der Verschwornen, mit drei Trieren zuverlaessiger d. h. roemischer Bemannung an der Ostkueste des adriatischen Meeres, zwischen Ancona und Teate, auf afrikanische Seeraeuber Jagd machend, kreuzte. Diesem sandte er Befehl, in der Nacht des Epiphaniasfestes in der Bucht von Ravenna zu erscheinen. Er hoffte vom Garten des Palastes aus, unter dem Schutz der Dunkelheit und waehrend kirchliche und weltliche Festfeier die Stadt beschaeftigte, leicht und sicher mit Amalaswintha die Schiffe zu erreichen, die sie zur See ueber die gotischen Stellungen hinaus bis nach Teate bringen sollten: von da aus war der Weg nach Rom kurz und ungefaehrdet. Diesen Plan im Bewusstsein - sein Bote kam gluecklich hin und zurueck mit dem Versprechen des Pomponius, puenktlich einzutreffen - laechelte der Praefekt zu dem taeglich wachsenden, trotzigen Hass der Goten, die seine Guenstlingsstellung bei Amalaswintha mit Ingrimm betrachteten. Er ermahnte diese, geduldig auszuharren und nicht durch einen Ausbruch ihres koeniglichen Zornes ueber die "Rebellen" vor dem Tag der Befreiung einen Zusammenstoss herbeizufuehren, der leicht alle Plaene der Rettung vereiteln konnte. Das Epiphaniasfest war gekommen: das Volk wogte in dichten Massen in den Basiliken, auf den Plaetzen der Stadt. Die Kleinodien des Schatzes lagen geordnet und gepackt bereit, ebenso die wichtigsten Urkunden des Archivs. Es war Mittag. Amalaswintha und der Praefekt hatten soeben ihren Freund Cassiodor von dem Plan unterrichtet, dessen Kuehnheit ihn anfangs erschreckte, dessen Klugheit ihn alsbald gewann. Sie wollten gerade aus dem Gemach der Beratung aufbrechen, als ploetzlich der Laerm des Volkes, das vor dem Palast auf und niederflutete, lauter und heftiger anschwoll: Drohungen, Jubelrufe, Waffenklirren wild durcheinander. Cethegus schlug den Vorhang des grossen Rundbogenfensters zurueck: doch er sah nur noch die letzten Reihen der Menge nachdraengen in die offenen Thore des Palastes. Die Ursache der Aufregung war nicht zu entdecken. Aber schon stieg im Palatium das Getoese die Treppen hinan, Zank mit der Dienerschaft wurde hoerbar, einzelne Waffenschlaege, bald nahe, schwere Tritte. Amalaswintha bebte nicht: fest hielt sie den Drachenknauf des Thronstuhls, auf den Cassiodor sie zurueckgefuehrt. Cethegus warf sich indessen den Andringenden entgegen. "Halt," rief er, unter der Thuere des Gemaches hinaus, "die Koenigin ist fuer niemand sichtbar." Einen Augenblick lautlose Stille. Dann rief eine kraeftige Stimme: "Wenn fuer dich, Roemer, auch fuer uns, fuer ihre gotischen Brueder. Vorwaerts!" Und wieder erhob sich das Brausen der Stimmen und im Augenblick war Cethegus, ohne Anwendung bestimmter Gewalt, von dem Andrang der Masse wie von unwiderstehlicher Meeresflut bis weit in den Hintergrund des Saales zurueckgeschoben, und die Vordersten im Zuge standen dicht vor dem Thron. Es waren Hildebrand, Witichis, Teja, ein baumlanger Gote, den Cethegus nicht kannte, und neben ihm - es litt keinen Zweifel - die drei Herzoge Thulun, Ibba und Pitza, in voller Ruestung, drei prachtvolle Kriegergestalten. Die Eingedrungnen neigten sich vor dem Thron. Dann rief Herzog Thulun nach rueckwaerts gewendet mit der Handbewegung eines gebornen Herrschers: "Ihr, gotische Maenner, harret noch draussen eine kurze Weile; wir wollen's in eurem Namen mit der Regentin zu schlichten suchen. Gelingt es nicht - so rufen wir euch auf zur That - ihr wisst, zu welcher." Willig und mit Jubelrufen zogen sich die Scharen hinter ihm zurueck und verloren sich bald in den Gaengen und Hallen des Schlosses. "Tochter Theoderichs," hob Herzog Thulun an, das Haupt zurueckwerfend, "wir sind gekommen, weil uns dein Sohn, der Koenig, zurueckberufen. Leider finden wir ihn nicht mehr am Leben. Wir wissen, dass du uns nicht gerne hier siehst." "Wenn ihr das wisst," sprach Amalaswintha mit Hoheit, "wie koennt ihr wagen, dennoch vor unser Angesicht zu treten? Wer gestattet euch, wider unsern Willen zu uns zu dringen?" - "Die Not gebeut es, hohe Frau, die Not, die schon staerkere Riegel gebrochen als eines Weibes Laune. Wir haben dir die Forderungen deines Volkes vorzutragen, die du erfuellen wirst." - "Welche Sprache! Weisst du wer vor dir steht, Herzog Thulun?" - "Die Tochter der Amalungen, deren Kind ich ehre, auch wo es irrt und frevelt." - "Rebell!" rief Amalaswintha und erhob sich majestaetisch vom Throne, "dein Koenig steht vor dir." Aber Thulun laechelte: "Du wuerdest klueger thun, Amalaswintha, von diesem Punkt zu schweigen. Koenig Theoderich hat dir die Mundschaft ueber deinen Sohn uebertragen, dem Weibe: - das war wider Recht, aber wir Goten haben ihm nicht eingeredet in seine Sippe. Er hat diesen Sohn zum Nachfolger gewuenscht, den Knaben: - das war nicht klug. Aber Adel und Volk der Goten haben das Blut der Amalungen geehrt und den Wunsch eines Koenigs, der sonst weise war. Niemals jedoch hat er gewuenscht und niemals haetten wir gebilligt, dass nach jenem Knaben ein Weib ueber uns herrschen solle, die Spindel ueber die Speere." "So wollt ihr mich nicht mehr anerkennen als eure Koenigin?" rief sie empoert. "Und auch du, Hildebrand, alter Freund Theoderichs, auch du verleugnest seine Tochter?" "Frau Koenigin," sprach der Alte, "wollest du selbst verhueten, dass ich dich verleugnen muss." Thulun fuhr fort: "Wir verleugnen dich nicht - noch nicht. Jenen Bescheid gab ich nur, weil du auf dein Recht pochst und weil du wissen musst, dass du ein Recht nicht hast. Aber weil wir gern den Adel des Blutes ehren - wir ehren damit uns selbst - und weil es in diesem Augenblick zu boesem Zwiespalt im Reich fuehren koennte, wollten wir dir die Krone absprechen, so will ich dir die Bedingungen sagen, unter denen du sie fuerder tragen magst." Amalaswintha litt unsaeglich: wie gern haette sie das stolze Haupt, das solche Worte sprach, dem Henker geweiht. Und machtlos musste sie das dulden! Thraenen wollten in ihr Auge dringen: sie presste sie zurueck, aber erschoepft sank sie auf ihren Thron, von Cassiodor gestuetzt. Cethegus war indessen an ihre andre Seite getreten: "Bewillige alles!" raunte er ihr zu, "'s ist alles erzwungen und nichtig. Und heute Nacht noch koemmt Pomponius." "Redet," sprach Cassiodor, "aber schont des Weibes, ihr Barbaren." - "Ei," lachte Herzog Pitza, "sie will ja nicht als Weib behandelt sein: sie ist ja unser Koenig." "Ruhig, Vetter," verwies ihn Herzog Thulun, "sie ist von edlem Blut wie wir." "Fuers erste," fuhr er fort, "entlaesst du aus deiner Naehe den Praefekten von Rom. Er gilt fuer einen Feind der Goten. Er darf nicht die Gotenkoenigin beraten. An seine Stelle bei deinem Thron tritt Graf Witichis." "Bewilligt!" sagte Cethegus selbst, statt Amalaswinthas. "Fuers zweite erklaerst du in einem Manifest, dass fortan kein Befehl von dir vollziehbar, der nicht von Hildebrand oder Witichis unterzeichnet, dass kein Gesetz ohne Genehmigung der Volksversammlung gueltig ist." Die Regentin fuhr zornig auf, aber Cethegus hielt ihren Arm nieder. "Heute Nacht kommt Pomponius!" fluesterte er ihr zu. Dann rief er laut: "Auch das wird zugestanden." "Das dritte," hob Thulun wieder an, "wirst du so gern gewaehren, als wir es empfangen. Wir drei Balten haben nicht gelernt, in der Hofburg die Haeupter zu buecken: das Dach ist uns zu niedrig hier. Amaler und Balten leben am besten weit von einander - wie Adler und Falk. Und das Reich bedarf unsres Arms an seinen Marken. Die Nachbarn waehnen, das Land sei verwaiset, seit dein grosser Vater ins Grab stieg. Avaren, Gepiden, Sclavenen springen ungescheut ueber unsre Grenzen. Diese drei Voelker zu zuechtigen, ruestest du drei Heere, je zu dreissig Tausendschaften und wir drei Balten fuehren sie als deine Feldherrn nach Osten und nach Norden." Die ganze Waffenmacht obenein in ihre Haende: - nicht uebel! dachte Cethegus. "Bewilligt," rief er laechelnd. "Und was bleibt mir," fragte Amalaswintha, "wenn ich all das euch dahingegeben?" "Die goldne Krone auf der weissen Stirn," sagte Herzog Ibba. "Du kannst ja schreiben wie ein Grieche," begann Thulun aufs neue. "Wohlan, man lernt solche Kuenste nicht umsonst. Hier dies Pergament soll enthalten - mein Sklave hat es aufgezeichnet - was wir fordern." Er reichte es Witichis zur Pruefung: "Ist es so? Gut. Das wirst du unterschreiben, Fuerstin. - So, wir sind fertig. Jetzt sprich du, Hildebad, mit jenem Roemer." Doch vor ihn trat Teja, die Rechte am Schwert, zitternd vor Hass: "Praefekt von Rom," sagte er, "Blut ist geflossen, edles, teures, gotisches Blut. Es weiht ihn ein, den grimmen Kampf, der bald entbrennen wird. Blut, das du buessen" - der Zorn erstickte seine Stimme. "Pah," rief, ihn zurueckschiebend, Hildebad, - denn er war der baumlange Gote - "macht nicht soviel Aufhebens davon! Mein goldner Bruder kann leicht etwas missen von ueberfluessigem Blut. Und der andre hat mehr verloren als er missen kann. Da, du schwarzer Teufel," rief er Cethegus zu und hielt ihm ein breites Schwert dicht vor die Augen, "kennst du das?" "Des Pomponius Schwert!" rief dieser erbleichend und einen Schritt zurueckweichend. Amalaswintha und Cassiodor fragten erschrocken: "Pomponius?" "Aha," lachte Hildebad, "nicht wahr, das ist schlimm? Ja, aus der Wasserfahrt kann nichts werden." "Wo ist Pomponius, mein Nauarch?" rief Amalaswintha heftig. "Bei den Haifischen, Frau Koenigin, in tiefer See." "Ha, Tod und Vernichtung!" rief Cethegus, jetzt fortgerissen vor Zorn, "wie geht das zu?" "Lustig genug. Sieh, mein Bruder Totila - du kennst ihn ja, nicht wahr? - lag im Hafen von Ancona mit zwei kleinen Schiffen. Dein Freund Pomponius, der machte ihm seit einigen Tagen ein so uebermuetiges Gesicht und liess so dicke Worte fallen, dass es selbst meinem arglosen Blonden auffiel. Ploetzlich ist er eines Morgens mit seinen drei Trieren aus dem Hafen entwischt. Totila schoepft Verdacht, setzt alle Leinwand auf, fliegt ihm nach, holt ihn ein auf der Hoehe von Pisaurum, stellt ihn, geht zu ihm an Bord mit mir und ein paar andern und fragt ihn, wohinaus?" "Er hatte kein Recht dazu, Pomponius wird ihm keine Antwort gegeben haben." "Doch, Vortrefflicher, er gab ihm eine. Wie der sah, dass wir zu sieben allein auf seinem Schiff, da lachte er und rief: "Wohin ich segle? Nach Ravenna, du Milchbart, und rette die Regentin aus euren Klauen nach Rom." Und dabei winkte er seinen Leuten. Da warfen aber auch wir die Schilde vor und hui, flogen die Schwerter aus den Scheiden. Das war ein harter Stand, sieben gegen dreissig. Aber es waehrte zum Glueck nicht lang, da hoerten unsre Bursche im naechsten Schiff das Eisen klirren und flugs waren sie mit ihren Boten heran und erkletterten wie die Katzen die Wandung. Jetzt waren wir die mehreren: aber der Nauarch - gieb dem Teufel sein Recht! - gab sich nicht, focht wie ein Rasender und stiess meinem Bruder das Schwert durch den Schild in den linken Arm, dass es hoch aufspritzte. Da aber ward mein Bruder auch zornig und rannte ihm den Speer in den Leib, dass er fiel wie ein Schlachtstier. "Gruesst mir den Praefekten," sprach er sterbend, "gebt ihm das Schwert, sein Geschenk, zurueck und sagt ihm, es kann keiner wider den Tod: sonst haette ich Wort gehalten." Ich hab's ihm gelobt, es zu bestaetigen. Er war ein tapfrer Mann. Hier ist das Schwert." Schweigend nahm es Cethegus. "Die Schiffe ergaben sich und mein Bruder fuehrte sie zurueck nach Ancona. Ich aber segelte mit dem schnellsten hierher und traf am Hafen mit den drei Balten zusammen, gerade zur rechten Zeit." Eine Pause trat ein, in welcher die Ueberwundnen ihre boese Lage schmerzlich ueberdachten. Cethegus hatte ohne Widerstand alles bewilligt in der sichern Hoffnung auf die Flucht, die nun vereitelt war. Sein schoenster Plan war durchkreuzt, durchkreuzt von Totila: tief grub der Hass diesen Namen in des Praefekten Seele. Sein grimmiges Rachesinnen ward erst durch den Ausruf Thuluns gestoert: "Nun, Amalaswintha, willst du unterzeichnen? oder sollen wir die Goten zur Wahl eines Koenigs berufen?" Rasch fand bei diesen Worten Cethegus die Fassung wieder: er nahm die Wachstafel aus der Hand des Grafen und reichte sie ihr hin: "Du musst, o Koenigin," sagte er leise, "es bleibt dir keine Wahl." Cassiodor gab ihr den Griffel, sie schrieb ihren Namen und Thulun nahm die Tafel zurueck. "Wohl," sagte er, "wir gehn, den Goten zu verkuenden, dass ihr Reich gerettet ist. Du, Cassiodor, begleitest uns, zu bezeugen, dass alles ohne Gewalt geschehen ist." Auf einen Wink Amalaswinthens gehorchte der Senator und folgte den gotischen Maennern hinaus auf das Forum vor dem Schlosse. Als sie sich mit Cethegus allein sah, sprang die Fuerstin heftig auf: nicht laenger gebot sie ihren Thraenen. Leidenschaftlich schlug sie die Hand vor die Stirn. Ihr Stolz war aufs tiefste gebeugt. Schwerer als des Gatten, des Vaters, ja selbst als Athalarichs Verlust traf diese Stunde ihr Herz. "Das," rief sie laut weinend, "das also ist die Ueberlegenheit der Maenner. Rohe, plumpe Gewalt! o Cethegus, alles ist verloren." "Nicht alles, Koenigin, nur ein Plan. Ich bitte um ein gnaediges Andenken," setzte er kalt hinzu, "ich gehe nach Rom." "Wie? du verlaesst mich in diesem Augenblick? Du, du hast mir all diese Versprechungen abgewonnen, die mich entthronen, und nun scheidest du? O besser, ich haette widerstanden, dann waer ich Koenigin geblieben, haetten sie auch jenem Rebellenherzog die Krone aufgesetzt." Jawohl, dachte Cethegus, besser fuer dich, schlimmer fuer mich. Nein, kein Held soll mehr diese Krone tragen. - Rasch hatte er erkannt, dass Amalaswintha ihm nichts mehr nuetzen koenne - und rasch gab er sie auf. Schon sah er sich nach einem neuen Werkzeug fuer seine Plaene um. Doch beschloss er, ihr einen Teil seiner Gedanken zu enthuellen, damit sie nicht auf eigne Faust handelnd jetzt noch ihre Versprechungen widerriefe und dadurch Thulun die Krone zuwende. "Ich gehe, o Herrin," sprach er, "doch ich verlasse dich darum nicht. Hier kann ich dir nichts mehr nuetzen. Man hat mich aus deiner Naehe verbannt und man wird dich hueten, eifersuechtig wie eine Geliebte." "Aber was soll ich thun mit diesen Versprechungen, mit diesen drei Herzogen?" "Abwarten, zunaechst dich fuegen. Und die drei Herzoge," setzte er zoegernd bei - "die ziehn ja in den Krieg: - vielleicht kehren sie nicht zurueck." "Vielleicht!" seufzte die Regentin. "Was nuetzt ein vielleicht!" Cethegus trat fest auf sie zu: "Sie kehren nicht zurueck - sobald du's willst." Erschrocken bebte die Frau: "Mord? Entsetzlicher, was sinnst du?" - "Das Notwendige. Mord ist das falsche Wort dafuer. Es ist Notwehr. Oder Strafe. Hattest du in dieser Stunde die Macht, du hattest das volle Recht, sie zu toeten. Sie sind Rebellen. Sie zwingen deinen koeniglichen Willen. Sie erschlagen deinen Nauarchen, den Tod haben sie verdient." "Und sie soll'n ihn finden," fluesterte Amalaswintha, die Faust ballend, vor sich hin, "sie soll'n nicht leben, die rohen Maenner, die eine Koenigin gezwungen. Du hast Recht - sie sollen sterben." - "Sie muessen sterben - sie, und," fuegte er ingrimmig bei, "und - - der junge Seeheld!" "Warum auch Totila? Er ist der schoenste Juengling meines Volks." "Er stirbt," knirschte Cethegus, "o, koennt' er zehnmal sterben." Und aus seinem Auge spruehte eine Glut des Hasses, die, ploetzlich aus der eisigkalten Natur brechend, Amalaswintha in Schrecken ueberraschte. "Ich schicke dir," fuhr er rasch und leise fort, "aus Rom drei vertraute Maenner, isaurische Soeldner. Die sendest du den drei Balten nach, sobald sie in ihren Heerlagern eingetroffen. Hoerst du, _du_ sendest sie, die Koenigin: denn sie sind Henker, keine Moerder. Die Drei muessen an Einem Tage fallen - Fuer den schoenen Totila sorge ich selbst! - Der Schlag wird alles erschrecken. In der ersten Bestuerzung der Goten eile ich von Rom herbei. Mit Waffen, dir zur Rettung. Leb wohl." Er verliess rasch die Hilflose, an deren Ohr in diesem Augenblick von dem Forum vor dem Palatium jubelndes Freudengeschrei der Goten schlug, die den Erfolg ihrer Fuehrer, die Besiegung Amalaswinthas feierten. Sie fuehlte sich ganz verlassen. Dass die letzte Verheissung des Praefekten kaum mehr als ein leeres Trostwort zur Beschoenigung seines Abgangs war, ahnte sie mit banger Seele. Gramvoll stuetzte sie die Wange auf die schoene Hand und verlor sich eine Weile finster in ihren ratlosen Gedanken. Da rauschten die Vorhaenge des Gemaches: ein Palastbeamter stand vor ihr: "Gesandte von Byzanz bitten um Gehoer. Justinus ist gestorben: Kaiser ist sein Neffe Justinian. Er bietet dir seinen bruederlichen Gruss und seine Freundschaft." "Justinianus!" rief die ganze Seele der bedraengten Frau. Sie sah sich ihres Sohnes beraubt, von ihrem Volk bedroht, von Cethegus verlassen: ringsumher hatte sie in truebem Sinnen vergeblich Hilfe und Halt gesucht und aufatmend aus tiefer Brust wiederholte sie jetzt: "Byzanz - Justinianus!" Viertes Kapitel. In den Waldbergen von Fiesole findet heutzutage der Wandrer, der von Florenz heranzieht, rechts von der Strasse die Ruinen eines ausgedehnten villenartigen Gebaeudes. Epheu, Steinbrech und Wildrosen haben um die Wette die Truemmer ueberkleidet: die Bauern des nahen Dorfes haben seit Jahrhunderten Steine davongetragen, die Erde ihrer Weingaerten an den Huegelraendern aufzudaemmen. Aber noch immer bezeichnen die Reste deutlich, wo die Saeulenhalle vor dem Hause, wo das Mittelgebaeude, wo die Hofmauer stand. Ueppig wuchert das Unkraut auf dem Wiesgrund, wo dereinst der schoene Garten in Zier und Ordnung prangte: nichts davon hat sich erhalten als das breite Marmorbecken eines laengst vertrockneten Brunnens, in dessen kiesigem Rinnsal sich jetzt die Eidechse sonnt. Aber in den Tagen, von denen wir erzaehlen, sah es hier viel anders aus. "Die Villa des Maecen bei Faesulae," wie man das Gebaeude damals, wohl mit wenig Fug, benannte, war von gluecklichen Menschen bewohnt, das Haus von sorglicher Frauenhand bestellt, der Garten von hellem Kindeslachen belebt. Zierlich war die rankende Klemmatis hinaufgebunden an den schlanken Schaeften der korinthischen Saeulen vor dem Haus und der Wein zog freundlich schmueckend ueber das flache Dach. Mit weissem Sande waren die schlaengelnden Wege des Gartens bestreut und in den Nebengebaeuden, die der Wirtschaft dienten, glaenzte eine Reinlichkeit, waltete eine stille Ordnung, die nicht auf roemische Sklavenhaende raten liess. Es war um Sonnenuntergang. Die Knechte und Maegde kehrten von den Feldern zurueck: die hoch mit Heu beladenen Wagen mit Rossen nicht italischer Zucht bespannt, schwankten heran: von den Huegeln herunter trieben die Hirten Ziegen und Schafe herzu, von grossen zottigen Hunden umbellt. Dicht vor dem Hofthor gab es die lebendigste Scene des bunten Schauspiels: ein paar roemische Sklaven trieben mit tobenden Gebaerden und gellendem Geschrei die keuchenden Pferde eines grausam ueberladnen Wagens an: nicht mit Peitschenhieben, sondern mit Stoecken, deren Eisenspitzen sie den Tieren immer in dieselbe wunde Stelle stiessen. Nur ruckweise ging es trotzdem vorwaerts. Jetzt lag ein grosser Stein vor dem linken Vorderrad, jeden Fortschritt unmoeglich machend. Aber der wuetige Italier sah es nicht. "Vorwaerts, Bestie, und Kind einer Bestie," schrie er dem zitternden Rosse zu, "vorwaerts, du gotisches Faultier!" Und ein neuer Stich mit dem Stachel und ein neuer verzweifelter Ruck: aber das Rad ging nicht ueber den Stein, das gequaelte Tier stuerzte in die Knie und drohte den Wagen mit umzureissen. Darueber wurde der Treiber erst recht grimmig. "Warte, du Racker!" schrie er und schlug nach dem Auge des zuckenden Rosses. - Aber nur einmal schlug er, im naechsten Augenblick stuerzte er selbst wie blitzgetroffen unter einem maechtigen Streiche nieder. "Davus, du boshafter Hund!" bruellte eine Baerenstimme und ueber dem Gefallenen stand schier noch mal so lang und gewiss noch mal so breit wie der erschrockene Tierquaeler, ein ungeheurer Gote, einen derben Knuettel wiederholt auf den Ruecken des Schreienden schwingend. "Du elender Neiding," schloss er mit einem Fusstritt, "ich will dich lehren, umgehn mit einem Geschoepf, das sechsmal besser ist als du. Ich glaube, du Schandbub quaelst den Hengst, weil er von jenseit der Berge ist. Noch einmal lass mich das sehn und ich zerbreche dir alle Knochen im Leibe. Jetzt auf und abgeladen: - du traegst alle Schwaden, die zuviel sind, auf deinem eignen Ruecken in die Scheuer. Vorwaerts." Mit einem giftigen Blick stand der Gezuechtigte auf und schickte sich hinkend an, zu gehorchen. Der Gote hatte das zuckende Ross sogleich aufgerichtet und wusch ihm jetzt sorglich die geschuerften Knie mit seinem eignen Abendtrunk von Wein und Wasser. Kaum war er damit zu Ende, als ihn vom nahen Stall her dringend eine helle Knabenstimme rief: "Wachis, hierher, Wachis!" - "Komme schon, Athalwin, mein Bursch, was giebt's?" - und schon stand er in der offnen Thuere des Pferdestalles, neben einem schoenen Knaben von sieben bis acht Jahren, der sich heftig die langen, gelben Haare aus dem ergluehenden Antlitz strich und mit Muehe in den himmelblauen Augen zwei Thraenen des Zornes zerdrueckte. Er hatte ein zierlich geschnitztes Holzschwert in der Rechten und hob es drohend gegen einen schwarzbraunen Sklaven, der mit gebognem Nacken und mit geballten Faeusten trotzig ihm gegenueberstand. "Was giebt's da?" wiederholte Wachis ueber die Schwelle tretend. "Der Rotschimmel hat wieder nichts zu saufen und sieh nur, zwei Bremsen haben sich eingesogen oben an seinem Bug, wo er mit der Maehne nicht hinreichen kann und ich nicht mit der Hand und der boese Cacus da, wie ich's ihm sage, will mir nicht folgen: und gewiss hat er mich geschimpft auf roemisch, was ich nicht verstehe." Wachis trat drohend naeher. "Ich habe nur gesagt:" sprach Cacus langsam zurueckweichend, "erst ess' ich meine Hirse; das Tier mag warten; bei uns zu Lande koemmt der Mensch vor dem Vieh." - "So, du Tropf?" sagte Wachis, die Bremsen erschlagend, "bei uns kommt das Ross vor dem Reiter zum Futter; mach vorwaerts." Aber Cacus war stark und trotzig: er warf den Kopf auf und sagte: "wir sind hier in unserm Land - da gilt unser Brauch." - "Eia, du verfluchter Schwarzkopf, wirst du gehorchen?" sprach Wachis ausholend. - "Gehorchen? Nicht dir! Du bist auch nur ein Sklave wie ich: und meine Eltern haben schon hier im Hause gelebt als deinesgleichen noch Kueh' und Schafe stahlen jenseit der Berge." Wachis liess den Knuettel fallen und wiegte seine Arme: "Hoere, Cacus, ich habe ohnehin noch einen Span mit dir, du weisst schon, was fuer einen. Jetzt geht's in einem hin." - "Ha," lachte Cacus hoehnisch, "wegen Liuta, der Flachsdirn? Pah, ich mag sie nicht mehr, die Barbarin. Sie tanzt wie eine Jungkuh." - Jetzt ist's aus mit dir," sagte Wachis ruhig und schritt auf seinen Gegner zu. Aber dieser wandte sich wie eine Katze aus dem Griff des Goten, riss ein spitzes Messer aus der Brustfalte des Wollrocks und warf es nach ihm: da sich Wachis bueckte, sauste es haarscharf an seinem Kopf vorbei und fuhr tief in den Pfosten der Thuer. "Na, warte, du Mordwurm!" rief der Germane und wollte sich auf Cacus werfen; da fuehlte er sich von hinten umklammert. Es war Davus, der die Gelegenheit der Rache scharf erpasst hatte. Aber jetzt ward Wachis sehr zornig. Er schuettelte ihn ab, packte ihn mit der Linken am Genick, erwischte mit der Rechten Cacus an der Brust und stiess nun mit Baerenkraft seinen beiden Gegnern die Koepfe zusammen, jeden Stoss mit einem Ausruf begleitend, "so, meine Jungen - das fuer das Messer - und das fuer den Rueckensprung - und den fuer die Jungkuh" - und wer weiss, wie lange diese seltsame Litanei noch fortgedauert haben wuerde, haette sie nicht ein lautes Rufen gestoert. "Wachis - Cacus - auseinander sag' ich!" rief eine volle starke Frauenstimme, und vor der Thuer erschien ein stattliches Weib in blauem gotischem Gewand. Sie war nicht gross und doch imposant: ihr schoener Bau eher maechtig als zart. Die goldbraunen Haare waren in reichen, doch einfachen Flechten um das runde Haupt geschlungen, die Zuege regelmaessig, aber eher fest als fein gezeichnet. Geradheit, Tuechtigkeit, Verlaessigkeit sprachen aus den fast allzugrossen graublauen Augen: die unbedeckten vollen Arme zeigten, dass sie der Arbeit nicht fremd. An ihrem breiten Guertel, ueber den das braune Untergewand von selbstgewirktem Zeuge bauschte, klirrte ein Bund von Schluesseln: die Linke stemmte sie ruhig in die Huefte und befehlend streckte sie die Rechte vor sich hin. "Eia, Rauthgundis, strenge Frau," sagte Wachis loslassend, "musst du denn ueberall die Augen haben?" "Ueberall, wo mein Gesinde Unfug treibt. Wann werdet ihr lernen, euch vertragen? Euch Welschen fehlt der Herr im Hause. Aber du, Wachis, solltest nicht auch der Hausfrau Verdruss machen. Komm, Athalwin, mit mir." Und sie fuehrte den Knaben an der Hand mit fort. Sie ging in den Seitenhof und fuellte aus einer Truhe Koerner in ihr Gewand, die Huehner und Tauben zu fuettern, die sie sogleich dicht umdraengten. Athalwin sah eine Weile schweigend zu. Endlich sagte er: "Du, Mutter, ist's wahr? ist der Vater ein Raeuber?" Rauthgundis hielt inne in ihrem Thun und sah das Kind an: "Wer hat das gesagt." "Wer? Ei, des Nachbars Calpurnius Neffe. Wir spielten auf dem grossen Heuhaufen seiner Wiese drueben ueberm Zaun und ich zeigte ihm, wie weit das Land uns gehoere rechts vom Zaun, - weit und breit - so weit unsre Knechte maehten und fern der Bach schimmerte. Da ward er zornig und sagte: "Ja, und all' das Land gehoerte frueher uns und dein Vater oder dein Grossvater, die haben's gestohlen, die Raeuber." "So? und was sagtest du drauf." "Ei, gar nichts, Mutter. Ich warf ihn nur ueber den Heuhaufen hinunter, dass er die Fuesse gen Himmel schlug. Aber jetzt, nach der Hand, moecht' ich doch wissen, ob's wahr ist." "Nein, Kind, es ist nicht wahr. Gestohlen hat's der Vater nicht. Aber offen genommen, weil er besser war und staerker als diese Welschen. Und alle starken Helden haben's immer so gemacht zu allen Zeiten. Und die Welschen in den Tagen, da sie stark waren und ihre Nachbarn schwach, am allermeisten. Aber nun komm, wir muessen nach dem Linnen sehen, das auf dem Anger zur Bleiche liegt." Als sie nun den Stallungen den Ruecken wandten und dem nahen Grashuegel links vom Hause zuschritten, hoerten sie den raschen Hufschlag eines Rosses, das auf der alten roemischen Heerstrasse nahte. Rasch hatte Athalwin den Gipfel des Huegels erreicht und blickte nach der Strasse hin. Da sprengte ein Reiter auf einem maechtigen Braunen die Waldhoehe herab auf die Villa zu: hell funkelte sein Helm und die Spitze der Lanze, die er schraeg ueber dem Ruecken trug. "Der Vater, Mutter, der Vater!" rief der Knabe und rannte pfeilgeschwind den Huegel hinab dem Reiter entgegen. Rauthgundis hatte jetzt auch die Hoehe erreicht. Ihr Herz pochte. Sie legte die Hand vors Auge, in die schimmernde Abendroete zu schauen: dann sagte sie still gluecklich vor sich hin: "Ja, er ist's. Mein Mann!" Fuenftes Kapitel. Inzwischen hatte Athalwin den Nahenden schon erreicht und kletterte an seinem Fuss hinan. Der Reiter hob ihn mit liebevoller Hand herauf und setzte ihn vor sich in den Sattel und flog jetzt im Galopp heran: lustig wieherte Wallada, das edle Tier, einst Theoderich's Streitross, die Heimat und die Herrin erkennend und schlug freudig mit dem langen wallenden Schweif. Nun war der Reiter heran und stieg ab mit dem Knaben: "mein liebes Weib!" sprach er, sie herzlich umarmend. "Mein Witichis!" fluesterte sie, an seiner Brust ergluehend, entgegen, "willkommen bei den Deinen." - "Ich hatte versprochen, noch vor dem neuen Mond zu kommen - schwer ging's -" "Aber du hieltst Wort wie immer." - "Mich zog das Herz," sagte er, den Arm um sie schlingend. Sie schritten langsam dem Hause zu. "Dir, Athalwin, ist, scheint's, Wallada wichtiger als der Vater," laechelte er dem Kleinen zu, der sorgfaeltig das Pferd am Zuegel nachfuehrte. "Nein, Vater, aber gieb mir noch die Lanze dazu - so gut wird mir's selten hier in dem Bauernleben" - und den langen schweren Speerschaft mit Muehe einherschleppend, rief er laut: "he, Wachis, Ansbrand, der Vater ist da! - Jetzt holt den Falernerschlauch aus dem Keller. Der Vater hat Durst vom scharfen Ritt." Laechelnd strich Witichis ueber den Flachskopf des Knaben, der jetzt an ihnen vorueber und voran eilte. "Nun, und wie steht's hier draussen bei euch?" fragte er, auf Rauthgundis blickend. "Gut, Witichis, die Ernte ist gluecklich eingebracht, die Trauben gestampft, die Garben geschichtet." - "Nicht danach frag' ich," sagte er, sie zaertlich an sich drueckend, - "wie geht es dir?" - "Wie's einem armen Weibe geht," antwortete sie, zu ihm aufblickend, "das seinen herzgeliebten Mann vermisst. Da hilft nur Arbeit, Freund, und tuechtig Schaffen, dass man das weiche Herz betaeubt. Oft denk' ich, wie hart du dich muehen musst, draussen, unter fremden Leuten, im Lager und am Hof, wo niemand dein in Treuen pflegt. Da soll er wenigstens, denk' ich dann, koemmt er heim, sein Haus immer wohl bestellt und traulich finden. Und das ist's, sieh, was mir all' die dumpfe Arbeit lieb macht und weihet und veredelt." "Du bist mein wackeres Weib. Muehst du dich nicht zuviel?" "Die Arbeit ist gesund. Aber der Verdruss, die Bosheit der Leute, das thut mir weh." Witichis blieb stehen. "Wer wagt's, dir weh zu thun?" - "Ach, die welschen Knechte und die welschen Nachbarn. Sie hassen uns alle. Weh uns, wenn sie uns nicht mehr fuerchten. Calpurnius, der Nachbar, ist so frech, wenn er dich ferne weiss, und die roemischen Sklaven sind trotzig und falsch; nur unsre gotischen Knechte sind brav." Witichis seufzte. Sie waren jetzt vor dem Hause angelangt und liessen in dem Saeulengang sich vor einem Marmortisch nieder. "Du musst bedenken," sagte Witichis, "der Nachbar hat ein Drittel seines Guts und seiner Sklaven an uns abtreten muessen." - "Und hat zwei Drittel behalten und das Leben dazu - er sollte Gott danken!" meinte Rauthgundis veraechtlich. Da sprang Athalwin heran mit einem Korb voll Aepfeln, die er vom Baum gepflueckt; dann kamen Wachis und die andern germanischen Knechte mit Wein, Fleisch und Kaese und sie begruessten den Herrn mit freimuetigem Handschlag. "Gut, meine Kinder, seid gegruesst. Die Frau lobt euch. Aber wo stecken Davus, Cacus und die andern?" - "Verzeih, Herr," schmunzelte Wachis, "sie haben ein schlecht Gewissen." "Warum? Weshalb?" - "Ei, ich glaube, - weil ich sie ein bischen gepruegelt habe - sie schaemen sich." Die andern Knechte lachten. "Nun, es kann ihnen nicht schaden," meinte Witichis, "geht jetzt zu eurem Essen. Morgen seh' ich nach eurer Arbeit." Die Knechte gingen. "Was ist's mit Calpurnius," fragte Witichis, sich einschenkend. Rauthgundis erroetete und besann sich: "Das Heu von der Bergwiese," sagte sie dann, "das unsre Knechte gemaeht, hat er nachts in seine Scheuer geschafft und giebt es nicht heraus." - "Er wird es schon herausgeben, mein' ich ...." sagte er ruhig, trinkend. - "Jawohl," rief Athalwin lebhaft, "das mein' ich auch. Und giebt er's nicht - mir noch lieber! Dann sagen wir Fehde an und ich zieh' hinueber mit Wachis und den reisigen Knechten, mit Waffen und Wehr. Er sieht mich immer so giftig an, der schwarze Schleicher." Rauthgundis wies ihn zur Ruh' und schickte ihn schlafen. "Wohl, ich gehe," sagte er, "aber, Vater, wenn du wiederkoemmst, bringst du mir statt dieses Steckens da ein richtig Gewaffen mit, nicht wahr?" Und er huepfte ins Haus. "Der Streit mit diesen Welschen endet nie," sagte Witichis, "er vererbt sich auf die Kinder. Du hast hier allzuviel Verdruss damit. Desto lieber wirst du thun, was ich dir vorschlage: komm mit nach Ravenna an den Hof." Hoch erstaunt blickte ihn das Weib an: "Du scherzest!" sagte sie unglaeubig. "Du hast das nie gewollt. In den neun Jahren, die ich dein bin, ist dir's nie eingefallen, mich an den Hof zu fuehren: ich glaube, es weiss niemand in dem Volk, dass eine Rauthgundis lebt. Du hast ja unsere Ehe geheim gehalten," laechelte sie, "wie eine Schuld." "Wie einen Schatz," sagte Witichis, die Arme um sie schlingend. - "Ich habe dich nie gefragt, warum. Ich war und bin gluecklich dabei und dachte und denke: er wird wohl seinen Grund haben." "Ich hatte meinen guten Grund: er besteht nicht mehr. Du magst nun alles wissen. Wenige Monate, nachdem ich dich gefunden in deiner Felseneinsamkeit und lieb gewonnen, kam Koenig Theoderich auf den seltsamen Gedanken, mich seiner Schwester Amalaberga, der Witwe des Thueringerkoenigs, zu vermaehlen, die gegen ihre schlimmen Nachbarn, die Franken, Mannesschutz bedurfte." - "Du solltest dort die Krone tragen?" sprach Rauthgundis mit strahlenden Augen. "Mir aber," fuhr Witichis fort, "war Rauthgundis lieber als Koenigin und Krone, und ich sagte nein. Es verdross ihn schwer und er verzieh mir nur, als ich ihm sagte, ich wuerde wohl niemals freien. Konnt' ich doch damals nicht hoffen, dich je mein zu nennen: du weisst, wie lange dein Vater misstrauisch und eisern dich mir nicht anvertrauen wollte. Als du nun aber doch mein geworden, da hielt ich's nicht fuer wohlgethan, ihm das Weib zu zeigen, um das ich seine Schwester ausgeschlagen." "Aber warum hast du mir das verschwiegen, neun Jahre lang?" "Weil," sagte er, ihr herzlich in die Augen blickend, "weil ich meine Rauthgundis kenne. Du haettest immer geglaubt, Wunder was ich an jener Krone verloren. Jetzt aber ist der Koenig tot und ich bin dauernd an den Hof gebunden. Wer weiss, wann ich wieder ruhen werde im Schatten dieser Saeulen, im Frieden dieses Daches." Und in kurzen Worten erzaehlte er ihr den Sturz des Praefekten und welche Stellung er nunmehr einnahm bei Amalaswinthen. Aufmerksam hoerte ihn Rauthgundis an; dann drueckte sie ihm die Hand: "Das ist wacker, Witichis, dass die Goten allmaehlich merken, was sie an dir haben. Und du bist heiterer, denk' ich, als sonst." "Ja, mir ist wohler, seit ich mit tragen darf an der Last der Zeit. Dabei stehen und sie wuchtig druecken sehen auf mein Volk war viel schwerer. Mich dauert dabei nur die Regentin; sie ist wie eine Gefangene." "Bah, warum hat das Weib gegriffen in das Amt der Maenner. Mir fiele das nie ein." "Du bist keine Koenigin, Rauthgundis, und Amalaswintha ist stolz." "Ich bin zehnmal so stolz wie sie. Aber so eitel bin ich nicht. Sie muss nie einen Mann geliebt haben und seinen Wert und seine Art begriffen. Sie koennte sonst nicht die Maenner ersetzen wollen." "Am Hof sieht man das anders an. Komm nur mit an den Hof." "Nein, Witichis," sagte sie ruhig, aufstehend, "der Hof passt nicht fuer mich. Und ich nicht fuer den Hof. Ich bin des Oedbauern Kind und gar unhoefisch geartet. Sieh diesen braunen Nacken," lachte sie, "und diese rauhen Haende. Ich kann nicht die Lyra zupfen und Verslein lesen: schlecht taugt' ich zu den feinen Roemerinnen und wenig Ehre wuerdest du haben von mir." "Du wirst dich doch nicht zu schlecht erachten fuer den Hof?" - "Nein, Witichis, zu gut." - "Nun, man muesste sich gegenseitig ertragen, wuerdigen lernen." - "Das wuerd' ich nie. Sie vielleicht mich, aus Furcht vor dir, ich niemals sie. Ich wuerd' ihnen taeglich ins Gesicht sagen, dass sie hohl, falsch und schlecht sind." "So willst du lieber deinen Mann entbehren, mondenlang?" - "Ja, lieber ihn entbehren, als in schiefer, schlimmer Stellung um ihn sein. O mein Witichis," sagte sie, innig den Arm um seinen Nacken legend, "denk nur, wer ich bin und wie du mich gefunden. Wo die letzten Siedelungen unseres Gotenvolks den Saum der Alpen umguerten, hoch auf den Felsschroffen der Scaranzia, wo die junge Isara schaeumend aus den Steinklueften ins offne Land der Bajuwaren bricht, da steht meines Vaters stiller Oedhof. Nichts kannt' ich da als die strenge Arbeit des Sommers auf den einsamen Almen, des Winters in der rauchgeschwaerzten Halle am Rocken mit den Maegden. Frueh starb die Mutter und den Bruder haben die Welschen erstochen. So wuchs ich einsam auf, allein mit dem alten Vater, der so treu, aber auch so hart und verschlossen wie seine Felsen. Da sah ich nichts von der Welt, die rechts und links von unsern Bergen lag. Nur hoch von oben sah ich manchmal neugierig, wie ein Saumross mit Salz oder Wein unten in der Thalschlucht des Weges zog. Da sass ich wohl manchen schimmervollen Sommerabend auf der zackigen Kulm des hohen Arn. Und sah der Sonne nach, wie sie so herrlich niedersank weit drueben ueberm Licus: und ich dachte, was sie wohl alles gesehen den langen Sommertag, seit sie aufstieg drueben ueberm breiten Oenus. Und dass ich wohl auch wissen moechte, wie's aussieht ueber dem Karwaendel. Oder gar drueben, hinter dem Brennusberg, wo der Bruder hinueberzog und nie mehr wiederkam. Und doch fuehlte ich, wie schoen es sei droben in meiner gruenen Einsamkeit, wo ich den Steinadler pfeifen hoerte aus dem nahen Horst und wo ich praechtige Blumen brach, wie sie nicht wuchsen unten in der Ebene und auch wohl einmal des Nachts den Bergwolf vor meiner Stallthuer heulen hoerte und mit dem Kienbrand scheuchte. Und auch in dem fruehen Herbst, in den langen Wintern hatte ich Musse, still in mich hineinzusinnen: wann um die hohen Tannen die weissen Nebelschleier spannen, wann der Bergwind die Felsbloecke von unserem Strohdach riss und die Schneestuerze von den Schroffen donnernd niedergingen. So wuchs ich auf, fremd in der Welt jenseit der naechsten Waelder, nur zu Hause in der stillen Welt meiner Gedanken, und in dem engen Bauernleben. Da kamest du - ich weiss es noch wie heute" - und sie hielt an, in Erinnerung verloren. "Ich weiss es auch noch genau," sagte Witichis. "Ich fuehrte eine Hundertschaft zur Abloesung von Juvavia nach der Augustastadt am Licus - ich war vom Weg und meinen Leuten abgekommen: lang war ich den schwuelen Sommertag pfadlos umhergeirrt - da sah ich Rauch aufsteigen ueberm Tannenhang und bald fand ich das versteckte Gehoeft und trat ins Thor: da stand ein praechtig Maedchen am Ziehbrunnen und hob den Eimer." - "Und ich erschrak siedheiss, - zum erstenmal in meinem Leben! - als der grosse, braeunliche Mann um die Hausecke bog mit dem krausen Bart und dem funkelnden Helm." "Ja, du wurdest blutrot bis in die Schlaefe und ich bat dich um einen Trunk Wasser. Und niemals hat mein Auge ein schoener Bild gesehen als wie du dich nun niederbeugtest und mit den kraeftigen Armen den schweren Eimer auf den Brunnenrand hobst und mir schoepftest in dem Kuerbiskrug: reich fielen die dichten goldbraunen Zoepfe uebers schwarze Mieder bis in die Knie und deine Wangen waren pfirsichgleich: - o wie wacker, frisch und bluehend sahst du aus. Und wie wacker, frisch und bluehend bist du mir geblieben seither alle Zeit." "Und darum, mein Witichis, auf dass ich dir bluehend bleibe, fuehre mich nicht an den Hof. Sieh hier schon im Thal, im Suedthal der Alpen, wird mirs oft zu schwuel und ich sehne mich nach einem Atemzug aus der Tannenluft meiner Waldberge. Am Hofe aber in den engen Goldgemaechern - da wuerd' ich dir verkuemmern und verschmachten. Lass du mich hier - ich will schon fertig werden mit Nachbar Calpurnius. Und du, das weiss ich ja, du denkst doch auch im Koenigssaal nach Haus an Weib und Kind." "Ja, weiss Gott, mit sehnenden Gedanken. So bleibe denn hier und Gott behuete dich, mein gutes Weib." - Am zweiten Morgen darauf ritt Witichis wieder zurueck, die Waldhoehe hinan. Der Abschied hatte ihn fast weich gemacht: mit Kraft hatte er den Ausdruck des Gefuehls gehemmt, das er sich, schlicht und streng von Art, zu zeigen scheute. Wie hing des Wackern Herz an diesem kern'gen Weib und seinem Knaben! Hinter ihm drein trabte Wachis, der sich's durchaus nicht hatte nehmen lassen, dem Herrn noch eine Strecke das Geleit zu geben. Ploetzlich ritt er zu ihm hinan. "Herr," sagte er, "ich weiss was." - "So? warum sagst du's nicht?" - "Weil mich noch niemand drum gefragt hat." - "Nun, ich frage dich drum." - "Ja, wenn man gefragt ist, muss man freilich reden. - Die Frau hat dir gesagt, dass Calpurnius so ein boeser Nachbar ist?" - "Ja. Und was soll's damit?" - "Sie hat dir aber nicht gesagt, seit wann?" "Nein. Weisst du seit wann?" - "Nun, seit etwa einem halben Jahr. Da traf Calpurnius einmal die Frau im Wald allein, wie sie beide glaubten. Aber sie waren nicht allein. Es lag einer im Graben und hielt seinen Mittagsschlaf." "Der Faulpelz warst du." "Richtig erraten. Und da sagte Calpurnius etwas zur Frau." "Was sagte er?" "Das hab' ich nicht verstanden. Aber die Frau war nicht faul, hob die Hand und schlug ihm ins Gesicht, dass es patschte. Das hab' ich verstanden. Und seither ist der Nachbar ein schlimmer Nachbar und das wollt' ich dir sagen, weil ich mir schon dachte, die Frau werde dich nicht aergern wollen mit dem Wicht. Aber es ist doch besser du weisst darum. Und sieh, da steht Calpurnius gerade unter seiner Hofthuer - siehst du, dort - und jetzt fahr' wohl, lieber Herr." Und damit wandte er sein Pferd und jagte im Galopp nach Hause. Witichis aber stieg das Blut zu Kopf. Er ritt an die Thuer seines Nachbars, dieser wollte sich ins Haus druecken, aber Witichis rief ihn in einem Ton, dass er bleiben musste. "Was willst du mir, Nachbar Witichis," sagte er, blinzelnd zu ihm aufsehend. Witichis zog den Zuegel an und schob sein Ross dicht neben jenen. Dann streckte er ihm die geballte, erzgepanzerte Faust hart vor die Augen: "Nachbar Calpurnius," sagte er ruhig, "wenn _ich_ dir einmal ins Gesicht schlage, stehst du nie wieder auf." Calpurnius fuhr erschrocken zurueck. Witichis aber gab seinem Rosse den Sporn und ritt stolz und langsam seines Weges. Sechstes Kapitel. Zu Rom in seinem Arbeitszimmer lag, auf den weichen Kissen des Lectus behaglich ausgestreckt, Cethegus der Praefekt. Er war guter Dinge. Die Untersuchung gegen ihn hatte mit Freisprechung geendet: nur im Fall augenblicklicher Durchforschung seines Hauses, wie sie der junge Koenig angeordnet, aber sein Tod vereitelt hatte, waere Entdeckung zu befuerchten gewesen. Er hatte durchgesetzt, dass die Befestigung von Rom fortgefuehrt wurde, mit Zuschuessen aus seinen eigenen Geldern, was seinen Einfluss in der Stadt noch hob. In der letzten Nacht hatte er Versammlung gehalten in den Katakomben: alle Berichte lauteten guenstig. Die Patrioten wuchsen an Zahl und Reichtum. Der haertere Druck, der seit den letzten Vorgaengen zu Ravenna auf den Italiern lastete, konnte die Zahl der Unzufriednen nur vermehren und, was die Hauptsache war, Cethegus hielt jetzt alle Faeden der Verschwoerung in seiner Hand. Unbedingt erkannten selbst die eifersuechtigsten Republikaner die Notwendigkeit an, bis zum Tag der Freiheit dem Begabtesten die Fuehrung zu ueberlassen. So vorgeschritten war die Stimmung gegen die Barbaren bei allen Italiern, dass Cethegus den Gedanken fassen konnte, sobald Rom vollends befestigt, ohne Hilfe der Byzantiner loszuschlagen. Denn, wiederholte er sich immer wieder, alle Befreier sind leicht gerufen und schwer abgedankt. Und mit Liebe pflegte er den Gedanken, Italien allein zu befreien. So lag der Praefekt, legte Caesars Buergerkrieg, in dem er geblaettert, zur Seite, stuetzte das Haupt auf den linken Arm und sagte zu sich selbst: "die Goetter muessen noch Grosses mit dir vorhaben, Cethegus. So oft du stuerzest, faellst du, heil wie eine Katze, auf die sichern Fuesse. Ah, wenn es uns wohl geht, moechten wir uns mitteilen. Aber Vertrauen ist ein zu gefaehrliches Vergnuegen und das Schweigen ist der einzig treue Gott. Und doch bleibt man ein Mensch und moechte ..." - Da trat ein Sklave ein, der alte Ostiarius Fidus, ueberreichte schweigend einen Brief auf flacher goldner Schale und ging. "Der Bote wartet," sagte er. Gleichgueltig nahm Cethegus das Schreiben. Aber sowie er auf dem Wachs, das die Schnuere der Tafeln zusammenhielt das Siegel - die Dioskuren - erkannte, rief er lebhaft: "Von Julius! zu guter Stunde!" loeste eilig die Faeden, legte die Tafeln auseinander und las - das kalte bleiche Antlitz ueberflogen von einem sonst voellig fremden Hauch freudiger Waerme. "Cethegus dem Praefekten sein Julius Montanus. Wie lange ist's, mein vaeterlicher Lehrer," (- "beim Jupiter, das klingt frostig" -) "dass ich dir nicht den schuldigen Gruss gesendet. Das letzte Mal schrieb ich dir an den gruenen Ufern des Ilissos, wo ich in dem veroedeten Hain des Akademos die Spuren Platons suchte - und nicht fand. Ich weiss wohl, mein Brief war nicht heiter. Die traurigen Philosophen dort, in vereinsamten Schulen wandelnd, zwischen dem Druck des Kaisers, dem Argwohn der Priester und der Kaelte der Menge, sie konnten nichts in mir erwecken als Mitleid. Meine Seele war dunkel, ich wusste nicht weshalb. Ich schalt meinen Undank gegen dich - den grossmuetigsten aller Wohlthaeter - -" ("so unertraegliche Namen hat er mir nie gegeben," schaltete Cethegus ein). "Seit zwei Jahren reise ich, mit deinen Reichtuemern wie ein Koenig der Syrer ausgestattet, von deinen Freigelassenen und Sklaven begleitet, durch ganz Asien und Hellas, geniesse alle Schoenheit und Weisheit der Alten - und mein Herz bleibt unbefriedigt, mein Leben unausgefuellt. Nicht Platons schwaermerische Weisheit, nicht das Goldelfenbein des Pheidias, Homeros nicht und nicht Thukydides boten, was mir fehlte. Endlich, endlich hier in Neapolis, der bluehenden goettergesegneten Stadt hab' ich gefunden, was ich unbewusst ueberall vermisst und immer gesucht. Nicht tote Weisheit: warmes, lebendiges Glueck," (- er hat eine Geliebte! nun endlich, du sproeder Hippolyt, Dank euch, Eros und Anteros! -) "o, mein Lehrer, mein Vater! weisst du, welch ein Glueck es ist, ein Herz, das dich ganz versteht, zum erstenmal dein eigen nennen?" (- "ah, Julius," seufzte der Praefekt mit einem seltnen Ausdruck weicher Empfindung, "ob ich es wusste!" -) "Dem du die ganze volle Seele offen zeigen magst? O, wenn du's je erfahren, preise mich, opfre Zeus dem Erfueller endlich: zum erstenmal hab' ich einen Freund." "Was ist das?" rief Cethegus unwillig aufspringend mit einem Blick eifersuechtigen Schmerzes, "der Undankbare!" "Denn, das fuehlst du wohl, ein Freund, ein Herzensvertrauter fehlte mir bis jetzt. Du, mein vaeterlicher Lehrer" - Cethegus warf die Tafeln auf den Schildpatttisch und machte einen hastgen Gang durchs Zimmer. "Thorheit!" sagte er dann ruhig, nahm den Brief auf und las weiter - "Du, soviel aelter, weiser, besser, groesser als ich - du hast mir eine solche Wucht von Dank und Verehrung auf die junge Seele geladen, dass sie sich dir nie ohne Scheu oeffnen konnte. Auch hoerte ich oft mit Zagen, wie du solche Weichheit und Waerme mit aetzendem Witze verhoehntest: ein scharfer Zug um deinen stolzen festgeschlossenen Mund hat solche Gefuehle in mir in deiner Naehe stets getoetet wie Nachtfrost die ersten Veilchen" (- "nun, aufrichtig ist er!" -) "Jetzt aber hab' ich einen Freund gefunden: offen, warm, jung, begeistert wie ich und nie gekannte Wonne ist mein Teil. Wir haben nur Eine Seele in zwei Koerpern: die sonnigen Tage, die mondsilbernen Naechte wandeln wir miteinander durch diese elyseischen Gefilde und finden kein Ende der gefluegelten Worte. - Aber ich muss ein Ende finden dieses Briefs. Er ist ein Gote" (- "auch noch," sagte Cethegus ungehalten,) "und heisst Totila." - Cethegus liess die Hand mit dem Brief einen Augenblick sinken, er sagte nichts, nur die Augen schloss er einen Moment, dann las er ruhig nochmal: "Und heisst Totila! Als ich am Tage nach meiner Ankunft in Neapolis durch das Forum des Neptunus schlenderte und an der Bogenwoelbung eines Hauses die Statuen bewunderte, die ein Bildhauer dort zum Kaufe ausgestellt, stuerzt urploetzlich aus der Thuer auf mich los ein graukoepfiger Mann mit einer wollnen Schuerze, ueber und ueber mit Gips bestaeubt, in der Hand ein spitzes Geraet: er packte mich an der Schulter und schrie: "Pollux, mein Pollux, hab' ich dich endlich!" Ich dachte der Alte sei verrueckt und sagte: "Du irrst, guter Mann: ich heisse Julius und komme von Athen." "Nein," schrie der Alte, "Pollux heisst du und koemmst vom Olymp." Und eh' ich wusste, wie mir geschah, hatte er mich zur Thuer hineingedreht. Da erkannte ich denn allmaehlich, woran ich mit dem Alten war: er war der Bildhauer, der die Statuen ausgestellt. In seiner Werkhalle standen andre halbvollendete umher und er erklaerte mir, seit Jahren trage er sich mit der Idee einer Dioskurengruppe. Fuer den Kastor habe er vor kurzem ein koestlich Modell in einem jungen Goten gefunden. "Aber umsonst erflehte ich" - fuhr er fort - "all diese Tage vom Himmel einen Gedanken fuer meinen Pollux. Er soll dem Kastor gleichen, ein Bruder Helenas, ein Sohn des Zeus wie er, volle Aehnlichkeit in Zuegen und Gestalt muss da sein. Und doch muss die Verschiedenheit so deutlich sein wie die Gleichheit: sie muessen zusammengehoeren und doch jeder ganz eigenartig sein. Umsonst lief ich alle Baeder und Gymnasien Neapolis ab: ich fand den Ledazwilling nicht. Da hat dich ein Gott, Zeus selber hat dich mir ans eigne Fenster gefuehrt: wie ein Blitz schlug's in mich ein, da steht mein Pollux, wie er sein muss: und nicht lebendig lass ich dich aus dieser Halle, bis du mir deinen Kopf und deinen Leib versprochen." Gern sagte ich dem naerrischen Alten zu, andern Tages wieder zu kommen. Und das erfuellt ich um so lieber als ich erfuhr, dass mein gewaltthaetiger Freund Xenarchos sei, der groesste Bildner in Marmor und Erz, den Italien seit lange gesehn. Am andern Tag kam ich denn wieder und fand meinen Kastor - es war Totila: - und ich kann nicht leugnen, dass mich die grosse Aehnlichkeit selbst ueberraschte, wenn auch Totila aelter, hoeher, kraeftiger und unvergleichlich schoener ist als ich. Xenarchos sagt, wir seien wie Hellcitrus und Goldcitrus. Denn Totila ist heller an Haar und Haut: und gerade so, schwoert der Meister, haben sich die beiden Dioskuren geglichen und nicht geglichen. So lernten wir uns denn unter den Goetterbildern Xenarchs kennen und lieben: wir wurden in Wahrheit Kastor und Pollux, innig und unzertrennlich wie sie, und schon ruft uns das heitre Volk von Neapolis bei diesem Namen, wann wir, Arm in Arm geschlungen durch die Strassen gehn. Unsere junge Freundschaft ward aber noch besonders rasch gereift durch eine drohende Gefahr, die sie leicht in der Bluete geknickt haette. Wir waren eines Abends, wie wir pflegten, zur Porta Nolana hinaus gewandelt, in den Baedern des Tiberius Kuehlung von des Tages Hitze zu suchen. Nach dem Bade hatte ich in einer Laune spielender Zaertlichkeit - du wirst sie schelten - des Freundes weissen Gotenmantel umgeschlagen und seinen Helm mit den Schwanenfluegeln aufs Haupt gesetzt. Laechelnd ging er, meine Chlamys umwerfend, auf den Tausch ein und friedlich plaudernd schritten wir durch den Pinienhain im ersten Dunkel der Nacht nach der Stadt zurueck. Da springt aus dem Taxusgebuesch hinter mir ein Mann auf mich her und ich fuehle kaltes Eisen an meinem Halse. Aber im naechsten Augenblick lag der Moerder zu meinen Fuessen, Totila's Schwert in der Brust. Nur leicht verwundet beugte ich mich zu dem Sterbenden nieder und fragte ihn, welcher Grund ihn habe zum Hass, zum Morde gegen mich treiben koennen. Er aber starrte mir ins Antlitz und hauchte: "Nicht dich: - Totila, den Goten" - und er zuckte und war tot. Man sah's an Tracht und Waffen - es war ein isaurischer Soeldner." Cethegus senkte den Brief und drueckte die linke Hand vor die Stirn. "Wahnsinn des Zufalls," sagte er, "wohin konntest du fuehren!" Und er las zu Ende. "Totila sagte, er habe der Feinde viele am Hofe zu Ravenna. Wir zeigten den Vorfall Uliaris, dem Gotengrafen zu Neapolis, an. Dieser liess die Leiche durchsuchen und Nachforschungen anstellen - ohne Erfolg. Uns beiden aber hat diese ernste Stunde die junge Freundschaft befestigt und mit Blut geweiht fuer alle Zeit. Ernster und heiliger hat sie uns verbunden. Das Siegel der Dioskuren, das du mir zum Abschied geschenkt, war ein freundlich Omen, das sich freundlich erfuellt hat. Und wenn ich mich frage, wem dank' ich all dies Glueck? Dir, dir allein, der mich in diese Stadt Neapolis gesendet, in der ich all' mein Glueck gefunden. So moegen dir es alle Goetter und Goettinnen vergelten! Ach ich sehe, dieser ganze Brief redet nur von mir und dieser Freundschaft - schreibe doch bald wie es um dich steht. Vale." Ein bitteres Laecheln zuckte um des Praefekten ausdrucksvollen Mund. Und wieder durchmass er das Gemach in nur mit Muehe gehaltenen Schritten. Endlich blieb er stehen, das Kinn in die linke Hand stuetzend. - "Wie kann ich nur so - jugendlich sein, mich zu aergern. Es ist alles sehr natuerlich, wenn auch sehr einfaeltig. Du bist krank, Julius. Warte: ich will dir ein Rezept schreiben." Und mit einem Anflug von grausamer Freude im Ausdruck, setzte er sich auf den Schreiblectus, nahm eine Papyrusrolle aus der Bronzevase, ergriff die gnidische Schilffeder und schrieb mit der roten Tinte, aus einem Loewenkopf von Achat, der an dem Lectus angeschraubt war: "An Julius Montanus Cethegus, der Praefekt von Rom. Deine ruehrende Epistel aus Neapolis hat mir viel Spass gemacht. Sie zeigt, dass du in der letzten Kinderkrankheit steckst. Hast du sie abgethan, wirst du ein Mann sein. Die Krisis zu beschleunigen, verschreibe ich dir das beste Mittel. Du suchst sogleich den Purpurhaendler Valerius Procillus, meinen aeltesten Gastfreund in Neapolis, auf. Er ist der reichste Kaufherr des Abendlandes, ein grimmiger Feind der Kaiser von Byzanz, die ihm Vater und Brueder getoetet, ein Republikaner wie Cato und schon deshalb mein vertrauter Freund. Seine Tochter Valeria Procilla aber ist die schoenste Roemerin unserer Zeit und eine echte Tochter der alten, der heidnischen Welt. Antigone oder Virginia wuerden sich der Freundin freuen. Sie ist nur drei Jahre juenger und folglich zehnmal reifer als du. Gleichwohl wird sie dir der Vater nicht versagen, erklaerst du ihm, dass Cethegus fuer dich wirbt. Du aber wirst dich beim ersten Anblick sterblich in sie verlieben. Du wirst das: obgleich ich es dir vorher sage und obgleich du weisst, dass ich es wuensche. In ihren Armen wirst du alle Freunde der Welt vergessen: geht die Sonne auf, erbleicht der Mond. Uebrigens, weisst du, dass dein Kastor einer der gefaehrlichsten Roemerfeinde ist? Und ich habe einmal einen gewissen Julius gekannt, der geschworen: Rom ueber alles. Vale." Cethegus rollte den Papyrus zusammen, umschnuerte ihn mit den Baendern von rotem Bast, befestigte diese an der Schleife mit Wachs und drueckte seinen Amethystring mit dem herrlichen Jupiterkopf auf dasselbe. Dann beruehrte er einen aus dem Marmorgetaefel hervorschauenden silbernen Adler: - draussen an der Wand des Vestibulums schlug ein eherner Donnerkeil auf den Silberschild eines niedergeworfenen Titanen mit glockenhellem Ton. Der Sklave trat wieder ein. "Lass den Boten in meinen Thermen baden, gieb ihm Speise und Wein, einen Goldsolidus und diesen Brief. Morgen mit Sonnenaufgang geht er damit zurueck nach Neapolis." - - Siebentes Kapitel. Mehrere Wochen darauf finden wir den ernsten Praefekten in einem Kreise, der sehr wenig zu seinem hohen Trachten, ja zu seinem Alter zu passen schien. In dem seltsamen Nebeneinander von Heidentum und Christentum, das in den ersten Jahrhunderten nach der Konstantiner Bekehrung das Leben und die Sitten der Roemerwelt mit grellen Widerspruechen erfuellte, spielte besonders die friedliche Mischung von Festen der alten und der neuen Religion eine auffallende Rolle. Neben den grossen Feiertagen des christlichen Kirchenjahres bestanden auch noch groesstenteils die froehlichen Feste der alten Goetter fort, wenn auch meist ihrer urspruenglichen Bedeutung, ihres religioesen Kernes beraubt. Das Volk liess sich etwa den Glauben an Jupiter und Juno nehmen und die Kultushandlungen und die Opfer, aber nicht die Spiele, die Feste, die Taenze und Schmaeuse, die mit jenen Handlungen verbunden waren; und die Kirche war von jeher klug genug, zu dulden, was sie nicht aendern konnte. So wurden ja sogar die echt heidnischen Lupercalien, mit welchen sich derber Aberglaube und wuester Unfug aller Art verband, erst im Jahre vierhundertsechsundneunzig - und nur mit Muehe - abgeschafft. Viel laenger natuerlich behaupteten sich harmlose Feste wie die Floralien, die Palilien und zum Teil haben sich ja manche von ihnen in den Staedten und Doerfern Italiens mit veraenderter Bedeutung bis auf diese Stunde erhalten. So waren denn die Tage der Floralien gekommen, die, frueher auf der ganzen Halbinsel, als ein Fest besonders der froehlichen Jugend, mit lauten Spielen und Taenzen gefeiert, auch in jenen Tagen noch wenigstens mit Schmaus und Gelage begangen wurden. Und so hatten sich denn die beiden Licinier und ihr Kreis von jungen Rittern und Patriziern an dem Hauptfesttag der Floralien zu einem Symposion zusammen bestellt, fuer welches jeder der Gaeste, wie bei unsern "Picknicks," seinen Beitrag in Speisen oder Wein zu liefern hatte. Die Froehlichen versammelten sich bei dem jungen Kallistratos, einem liebenswuerdigen und reichen Griechen aus Korinth, der sich im Genuss kuenstlerischer Musse zu Rom niedergelassen und nahe bei den Gaerten des Sallust ein geschmackvolles Haus gebaut hatte, das als der Mittelpunkt heitern Lebensgenusses und feiner Bildung galt. Ausser dem reichen Adel Roms verkehrten dort vornehmlich die Kuenstler und Gelehrten: und dann auch jene Schichten der roemischen Jugend, denen ueber ihren Rossen und Wagen und Hunden wenige Zeit und Gedanken fuer den Staat uebrig blieb und die daher bis jetzt dem Einfluss des Praefekten unzugaenglich gewesen waren. Deshalb war es diesem sehr erwuenscht, als ihm der junge Lucius Licinius, jetzt sein gluehendster Anhaenger, die Einladung des Korinthers ueberbrachte. "Ich weiss wohl," sagte er schuechtern, "wir koennen deinem Geist nicht ebenbuertige Unterhaltung bieten und wenn dich nicht die alten Kyprier und Falerner locken, die Kallistratos spenden wird, lehnst du ab." "Nein, mein Sohn, ich komme," sagte Cethegus "und mich locken nicht die alten Kyprier, sondern die jungen Roemer." - Kallistratos, der sein Hellenentum mit Stolz zur Schau trug, hatte sein Haus mitten in Rom in griechischem Stil gebaut. Und zwar nicht in dem des damaligen, sondern des freien, des perikleischen Griechenlands und dies machte im Gegensatz zu der geschmacklosen Ueberladung jener Tage den Eindruck edler Einfachheit. Durch einen schmalen Gang gelangte man in das Peristyl, den offenen von Saeulengaengen umschlossenen Hof, dessen Mittelpunkt ein plaetschernder Springbrunnen in braunem Marmorbecken bildete. Die nach Norden offne Saeulenhalle enthielt ausser andern Gelassen auch den Speisesaal, der heute die kleine Gesellschaft versammelt hielt. Cethegus hatte sich vorbehalten, nicht schon zu der "Coena", dem eigentlichen Schmause, sondern erst zu der "Commissatio," dem darauf folgenden naechtlichen Trinkgelag, zu kommen. Und so fand er denn die Freunde in der vornehmen Trinkstube, wo laengst schon die zierlichen Bronzelampen an den schildpattgetaefelten Waenden brannten und die Gaeste, mit Rosen und Eppich bekraenzt, auf den Polstern des hufeisenfoermigen Trikliniums lagerten. Eine betaeubende Mischung von Weinduft und Blumenduft, von Fackelglanz und Farbenglanz drang ihm an der Schwelle entgegen. "Salve, Cethege!" rief der Wirt dem Eintretenden entgegen. "Du findest nur kleine Gesellschaft." Cethegus befahl dem Sklaven, der ihm folgte, einem herrlich gewachsenen jungen Mauren, dessen schlanke Glieder durch den Scharlachflor seiner leichten Tunika mehr gezeigt als verhuellt wurden, ihm die Sandalen abzubinden. Er zaehlte indessen: "Nicht unter den Grazien," laechelte er, "nicht ueber die Musen." "Geschwind, waehle den Kranz," mahnte Kallistratos, "und nimm deinen Platz da oben auf dem Ehrensitz der mittleren Kline. Wir haben dich im Voraus zum Symposiarchen, zum Festkoenig gewaehlt." Der Praefekt hatte sich vorgesetzt, diese jungen Leute zu bezaubern. Er wusste, wie gut er das konnte: und er wollte es heute. Er waehlte einen Rosenkranz und ergriff das elfenbeinerne Scepter, das ihm ein syrischer Sklave knieend reichte. Das Rosendiadem zurecht rueckend schwang er mit Wuerde den Stab: "So mach' ich eurer Freiheit ein Ende!" "Ein geborner Herrscher," rief Kallistratos, halb im Scherz, halb im Ernst. - "Aber ich will ein sanfter Tyrann sein! mein erst Gesetz: ein Drittel Wasser - zwei Drittel Wein." - "Oho," rief Lucius Licinius und trank ihm zu, "_bene te_! Du fuehrst ueppig Regiment. Gleiche Mischung ist sonst unser Hoechstes." "Ja, Freund," laechelte Cethegus, sich auf dem Ecksitz der mittleren Kline, dem "Konsulsplatz", niederlassend, "ich habe meine Trinkstudien unter den Aegyptern gemacht, die trinken nur lautern. He, Mundschenk - wie heisst er?" "Ganymedes - er ist aus Phrygien. Huebscher Wuchs, eh?" - "Also, Ganymed, gehorche deinem Jupiter und stelle neben jeden eine Patera Mamertiner Wein - doch neben Balbus zwei, weil er sein Landsmann ist." Die jungen Leute lachten. Balbus war ein reicher Gutsbesitzer auf Sicilien, noch sehr jung und schon sehr dick. "Pah," lachte der Trinker, "Epheu ums Haupt und Amethyst am Finger - so trotz ich den Maechten des Bacchus." - "Nun, wo steht ihr im Wein?" fragte Cethegus, dem jetzt hinter ihm stehenden Mauren winkend, der ihm einen zweiten Kranz von Rosen, diesmal um den Nacken, schlang. "Settiner Most mit hymettischem Honig, war das letzte. Da, versuch!" so sprach Piso, der schelmische Poet, dessen Epigramme und Anakreontika die Buchhaendler nicht rasch genug konnten abschreiben lassen und dessen Finanzen sich doch stets in poetischer Unordnung befanden. Und er reichte dem Praefekten was wir einen "Vexierbecher" nennen wuerden, einen bronzenen Schlangenkopf, der, unvorsichtig an den Mund gebracht, einen Strahl Weines heftig in die Kehle schoss. Aber Cethegus kannte das Spiel, behutsam trank er und gab den Becher zurueck. "Deine _trocknen_ Witze sind mir lieber, Piso," lachte er und haschte ihm aus der Brustfalte ein beschriebenes Taefelchen. "O gieb," sagte Piso, "es sind keine Verse - sondern - ganz im Gegenteil! - eine Zusammenstellung meiner Schulden fuer Wein und Pferde." - "Je nun," meinte Cethegus, "ich hab' sie an mich genommen - sie sind also mein. Du magst morgen die Quittung bei mir einloesen: aber nicht umsonst - mit einem deiner boshaftesten Epigramme auf meinen frommen Freund Silverius!" - "O Cethegus," rief der Poet erfreut und geschmeichelt, "wie boshaft kann man sein fuer vierzigtausend Solidi! Wehe dem heiligen Mann Gottes." Achtes Kapitel. "Und im Schmause - wie weit seid ihr damit?" fragte Cethegus, "schon bei den Aepfeln? sind es diese?" Und er sah blinzend nach zwei Fruchtkoerben von Palmenbast, die hoch aufgehaeuft auf einem Bronzetisch mit elfenbeinernen Fuessen prangten. "Ha Triumph!" lachte Marcus Licinius, des Lucius juengerer Bruder, der sich mit der liebhaberischen Spielplastik der Mode abgab. "Da siehst du meine Kunst, Kallistratos! Der Praefekt nimmt meine Wachsaepfel, die ich dir gestern geschenkt, fuer echt." "Ah wirklich?" rief Cethegus wie erstaunt, obwohl er den Wachsgeruch laengst ungern vermerkt. "Ja, Kunst taeuscht die Besten. Bei wem hast du gelernt? Ich moechte dergleichen in meinem kyzikenischen Saal aufstellen." "Ich bin Autodidakt," sagte Marcus stolz, "und morgen schicke ich dir meine neuen persischen Aepfel: - denn du wuerdigst die Kunst." "Aber das Gelag ist doch zu Ende?" fragte der Praefekt, den linken Arm auf das Polster der Kline stuetzend. "Nein," rief der Wirt, "ich will es nur gestehn: da ich auf unsern Festkoenig erst zur Trinkstunde rechnen durfte, hab' ich noch einen kleinen Nachschmaus zu den Bechern geruestet." - "O du Frevler," rief Balbus, sich mit der zottigen Purpurgausape die fettglaenzenden Lippen wischend, "und ich habe so schrecklich viel von deinen Feigenschnepfen gegessen!" - "Das ist wider die Verabredung!" rief Marcus Licinius. - "Das verdirbt meine Sitten!" sagte der froehliche Piso ernsthaft. - "Sprich, ist das hellenische Einfachheit?" fragte Lucius Licinius. - "Ruhig, Freunde," troestete Cethegus mit einem Citat: "Auch unverhofftes Unheil traegt ein Roemer stark." "Der hellenische Wirt muss sich nach seinen Gaesten richten," entschuldigte Kallistratos, "ich fuerchte, ihr kaemt mir nicht wieder, boete ich euch marathonische Kost." - "Nun, dann bekenne wenigstens, was noch droht," rief Cethegus, "du, Nomenklator, lies die Schuesseln ab: ich werde dann die Weine bestimmen, die dazu gehoeren." Der Sklave, ein schoener lydischer Knabe, in einem bis an die Knie aufgeschlitzten Roeckchen von blauer pelusischer Leinwand, trat dicht neben Cethegus an den Tisch von Cypressenholz und las von einem Taefelchen ab, das er an goldnem Kettchen um den Hals trug: "Frische Austern aus Britannien in Thunfischbruehe mit Lattich." - "Dazu Falerner von Fundi," sprach Cethegus ohne Besinnen. "Aber wo steht der Schenktisch mit den Pokalen? Rechter Trunk mundet nur aus rechter Schale." "Dort ist der Schenktisch!" und auf einen Wink des Hausherrn fiel der Vorhang zurueck, der die eine Ecke des Zimmers, den Gaesten gegenueber, verhuellt hatte. Ein Ruf des Staunens flog von den Tischen. Der Reichtum der dort zur Schau gestellten Prunkgeschirre und der Geschmack ihrer Anordnung war selbst diesen verwoehnten Augen ueberraschend. Auf der Marmorplatte des Tisches stand ein geraeumiger silberner Wagen mit goldnen Raedern und ehernem Gespann: es war ein Beutewagen, wie sie in roemischen Triumphen aufgefuehrt zu werden pflegten: und als koestliche Beute lagen darin Pokale, Glaeser, Schalen jeder Gestalt und jedes Stoffes in scheinbarer Unordnung, doch mit kunstverstaendiger Hand, gehaeuft. "Bei Mars dem Sieger," lachte der Praefekt, "der erste roemische Triumph seit zweihundert Jahren. Ein seltner Anblick! Darf ich ihn zerstoeren?" - "Du bist der Mann, ihn wieder aufzurichten," sagte Lucius Licinius feurig. - "Meinst du? Versuchen wir's! - Also zum Falerner die Kelche dort von Terebinthenholz." "Weindrosseln vom Tagus mit Spargeln von Tarent!" fuhr der Lydier fort. "Dazu den roten Massiker von Sinuessa aus jenen amethystnen Kelchen." "Junge Schildkroeten von Trapezunt mit Flamingozungen -" "Halt an, beim heiligen Bacchus," rief Balbus. "Das sind ja die Qualen des Tantalus. Mir ist ganz gleich, aus was ich trinke, aus Terebinthen oder Amethyst - aber dies Aufzaehlen von Goetterbissen mit trocknem Gaumen halt' ich nicht mehr aus. Nieder mit Cethegus dem Tyrannen, er sterbe, wenn er uns hungern laesst." - "Mir ist, ich waere Imperator und hoerte das getreue Volk von Rom. Ich rette mein Leben und gebe nach. Tragt auf, ihr Sklaven." Da toenten Floeten aus dem Vorgemach und im Takte der Musik schritten sechs Sklaven, Epheu um die glaenzend gesalbten Locken, in roten Maenteln und weissen Tuniken heran. Sie reichten den Gaesten frische Handtuecher von feinstem sidonischem Linnen mit weichen Purpurfransen. "Oh," rief Massurius, ein junger Kaufmann, der vornehmlich mit schoenen Sklaven und Sklavinnen handelte und in dem zweideutigen Ruhme stand, der feinste Kenner solcher Ware zu sein, "das weichste Handtuch ist ein schoenes Haar" - und er fuhr dem eben neben ihm knieenden Ganymed durch die Locken. "Aber, Kallistratos, jene Floeten sind hoffentlich weiblichen Geschlechts - auf mit dem Vorhang - lass die Maedchen ein." "Noch nicht," befahl Cethegus. "Erst trinken, dann kuessen. Ohne Bacchus und Ceres, du weisst -" "Friert Venus, nicht Massurius." Da erscholl aus dem Seitengemach der Klang von Lyra und Kithara und ein trat ein Zug von acht Juenglingen in goldgruen schillernden Seidengewaendern, vorauf der "Anrichter" und der "Zerleger": die sechs andern trugen Schuesseln auf dem Haupt: sie zogen im Taktschritt an den Gaesten vorueber und machten vor dem Anrichttisch von Citrus Halt. Waehrend sie hier beschaeftigt waren, erklangen vom Mittelgrunde her Kastagnetten und Cymbeln, die grossen Doppelthueren drehten sich um ihre erzschimmernden Saeulenpfosten und ein Schwarm von Sklaven in der schoenen Tracht korinthischer Epheben stroemte herein. Die einen reichten Brot in zierlich durchbrochenen Bronzekoerben: andre verscheuchten die Muecken mit breiten Faechern von Straussenfedern und Palmblaettern: einige gossen Oel in die Wandlampen aus doppelhenkeligen Kruegen mit anmutvoller Bewegung, indes etliche mit zierlichen Besen von aegyptischem Schilf von dem Mosaikboden die Brosamen fegten und die uebrigen Ganymed die Becher fuellen halfen, die jetzt schon eifrig kreisten. Damit stieg denn die Raschheit, die Waerme des Gespraechs und Cethegus, der, wie ueberlegen nuechtern er blieb, voellig im Moment versunken schien, bezauberte durch seine Jugendlichkeit die Juenglinge. "Wie ist's," fragte der Hausherr, "wollen wir wuerfeln zwischen den Schuesseln? Dort neben Piso steht der Wuerfelbecher." - "Nun, Massurius," meinte Cethegus mit einem spoettischen Blick auf den Sklavenhaendler, "willst du wieder einmal dein Glueck wider mich versuchen? Willst du wetten gegen mich? Gieb ihm den Becher, Syphax!" winkte er dem Mauren. "Merkur soll mich bewahren!" antwortete Massurius in komischem Schreck. "Lasst euch nicht ein mit dem Praefekten - er hat das Glueck seines Ahnherrn Julius Caesar geerbt." "_Omen accipio!_" lachte Cethegus, "das nehm' ich an, mitsamt dem Dolch des Brutus." "Ich sag' euch, er ist ein Zauberer! Erst juengst hat er eine ungewinnbare Wette gegen mich gewonnen an diesem braunen Daemon -" Und er wollte dem Sklaven eine Feige ins Gesicht werfen: aber dieser fing sie behende mit den glaenzend weissen Zaehnen und verzehrte sie mit ruhigem Behagen. "Gut, Syphax," lobte Cethegus, "Rosen aus den Dornen der Feinde! Du kannst ein Gaukler werden, sobald ich dich freilasse." "Syphax will nicht frei sein, er will dein Syphax sein und dein Leben retten wie du seins." "Was ist das - dein Leben?" fragte Lucius Licinius mit erschrockenem Blick. - "Hast du ihn begnadigt?" sagte Marcus. "Mehr, ich hab' ihn losgekauft." "Ja, mit meinem Gelde!" brummte Massurius. "Du weisst, ich hab' ihm dein verwettet Geld sofort als Peculium geschenkt." "Was ist das mit der Wette? erzaehle, vielleicht ein Stoff fuer meine Epigramme," fragte Piso. "Lasst den Mauren selbst erzaehlen - sprich, Syphax, du darfst." Neuntes Kapitel. Ohne Zoegern trat der junge Sklave in das von den Tischen gebildete Hufeisen, den Ruecken zur Thuere gewandt: sein funkelndes Auge ueberflog rasch die Versammlung und haftete dann mit Glut auf seinem Herrn: alle bewunderten die jugendliche Kraft und Schoenheit der schlanken Glieder, deren tiefes Braun nur um die Hueften ein kostbarer Schurz von Scharlach verhuellte. "Leicht ist erzaehlt, was schwere Schmerzen barg. Ich bin daheim im Lieblingsland der Sonne; wo hundert Palmen die immer gruene Oase beschatten, ausser uns nur dem Loewen bekannt und dem fleckigen Panther. Aber in einer goetterverlassenen Nacht, da fand der Feind unser altes Versteck. Vandalische Reiter waren's und keine Rettung. Rot und schwarz stieg der Rauch unsrer Zelte durch die Cedernwipfel hinan, kreischend flohen Weiber und Kinder. Da traf mich ein sausender Speer. Ich erwachte gebunden im Sklavenraum eines Griechenschiffs, das uns gekauft, mich und viele Maenner und Weiber meines Stammes: ich hatte nichts gerettet als meinen Gott, den weissen Schlangenkoenig, ich trug ihn im Guertel geborgen. Sie brachten uns nach Rom, da kaufte mich einer, dessen Namen verflucht sei." "'s ist unser Freund Calpurnius," unterbrach Cethegus. "Und kein Stern soll ihm leuchten auf naechtlicher Fahrt, er soll verdursten im heissen Sand," knirschte der Maure mit aufloderndem Hass. "Er schlug mich oft um nichts und liess mich hungern. Ich schwieg und betete zu meinem Gott um Rache. Er zuernte, dass ich so ruhig seine Wut ertrug. Er wusste nicht, dass Syphax seinen Gott bei sich trug in Gestalt einer Schlange. Da trat er eines Morgens an mein Lager und fand sie um meinen Hals geringelt. Er erschrak: ich sagte ihm seine Zaehne seien nicht toedlich, aber seine Rache. Da ergrimmte er, schlug nach mir und sagte: "Toete den Wurm!" Umsonst flehte ich und wand mich auf den Knieen vor ihm. Er schlug mich und schlug nach dem Gott: und als ich den deckte mit meinem Leibe, schrie er noch wilder: "Toete das Tier." Wie konnt' ich gehorchen! Da rief er seine Sklaven und befahl: "Nehmt ihm die Bestie und kocht sie lebendig. Er soll seinen Gott fressen!" Ich erschrak zum Tode ueber diesen Frevel. Und sie griffen mich und haschten nach der Schlange. Aber der Gott gab mir die Kraft der Wut, die da gleich ist der Kraft des pfeilwunden Tigers, und ich sprang unter sie mit gellendem Schrei. Nieder schlug ich den Verfluchten mit dieser Faust und gewann die Thuere des Hauses und sprang hinaus ins Freie und dreissig Sklaven hinter mir drein. Da galt es das Leben." Die Gaeste lauschten gespannt, selbst Balbus setzte den Becher ab, den er eben zu Munde fuehrte. "Ich laufe nicht schlecht: oft haben wir, drei Vettern und ich, die windschnelle Antilope muede gejagt. Und die Sklaven waren langsam und schwer. Aber sie kannten die Stadt und ihre Strassen und ich nicht. So war es ein ungleich Spiel. Die Verfolger teilten sich in Scharen von drei, vier Mann und gewannen mir durch Seitengassen und Durchgaenge den Weg ab. Zum Glueck hatte ich im Vorbeirennen an einer Schmiede einen schweren Feuerhaken errafft: zwei, dreimal braucht' ich ihn, die Verfolger zu scheuchen, zu treffen, die mir ploetzlich von vorn entgegenkamen. Ich fuehlte aber, lange konnte das nicht mehr dauern: wie rasch ich war, wie langsam sie, zuletzt musste ich doch erliegen. Da sandte mir der Gott, den ich fest mit der Linken an die Brust drueckte, Ihn," - und sein schoenes Auge funkelte, - "meinen Herrn, den gewaltigen, der maechtig ist wie der Loewe von Abaritana und klug wie der Elefant, der da gut ist wie milder Regen nach langer Duerre und herrlich wie -" "Jetzt erzaehlst du schlecht, Syphax, ich will vollenden. Ich kam gerade von den Schanzwerken am aurelischen Thor, dem Grabmal Hadrians." "Deinem schoenen, goettergeschmueckten Lieblingsort," unterbrach Kallistratos. "Und bog am Fusse des Kapitols in das Forum Trajans: da stand eine gaffende, schreiende Menge und sah der Menschenjagd neugierig zu: wie ein Pfeil schoss der Maure von dem Forum des Nerva heran, seine Verfolger weit hinter ihm. Aber siehe, dicht neben mir bogen von links fuenf, von rechts sieben der Sklaven des Calpurnius auf das Forum ein, bereit, ihn aufzufangen, sowie er auf dem Platz ankam. "Der ist verloren!" sagte neben mir eine bekannte Stimme, es war Massurius, der aus dem Bade des Augustus trat. "Wem gehoert er?" fragte ich. "Calpurnius ist unser Herr," antwortete der Sklave neben mir. "Dann wehe ihm," sprach Massurius zu mir: "er haengt seine Strafsklaven bis an den Hals gebunden in seinen Fischweiher und laesst sie lebendig auffressen von seinen Muraenen und Hechten." - "Ja," sagte der Sklave, "Syphax hat ihn niedergeschlagen, und der Herr rief im Aufstehen: "zu den Muraenen den Hund! wer ihn einbringt, ist frei." Ich blickte den Platz hinab auf den Mauren, der jetzt gleich heran war. "Der ist zu gut fuer die Fische," sagte ich, "welch' herrlicher Wuchs! Und sieh, er koemmt durch, ich wette." Denn eben hatte der Fluechtling die erste Kette der Sklaven, die sich ihm an der Muendung der Via julia entgegenwarf, durchbrochen und flog jetzt auf uns zu." "Und ich wette tausend Solidi, er koemmt nicht durch: sieh', dort die Lanzen," sprach Massurius. - "Gerade vor uns standen fuenf Sklaven mit Lanzen und Wurfspeeren. "Es gilt!" rief ich, tausend Solidi. Da war er heran. Drei Speere sausten zugleich: aber wie ein Panther duckte der Flinke unter ihnen weg und, ploetzlich aufschnellend, sprang er in hohem Satz ueber die Lanzen der beiden uebrigen. Atemlos kam er dicht vor mir zu Boden: er blutete von Steinen und Pfeilen und schon kam jetzt vom Forum julium heran das ganze Rudel. Verzweifelnd sah er um sich und wollte nach rechts in die Friedens-Tempel-Strasse, die ihn gerade nach seines Herrn Hause zurueckgefuehrt haette. Da sah ich vor uns das Portal der kleinen Basilika von Sankt Laurentius offen stehen. "Dort hin!" rief ich ihm zu." "In meiner Sprache! er kennt meine Sprache," rief Syphax. "Er kennt, glaub' ich, alle Sprachen," meinte Marcus Licinius. "Dorthin, wiederholte ich, dort ist Asyl. Wie der Blitz war er die Stufen hinan, schon auf der letzten, da traf ihn ein Stein, dass er stuerzte und sein naechster Verfolger war oben und packte ihn. Aber glatt wie ein Aal rang er sich aus seinem Griff, stiess ihn die Stufen hinab und sprang in die Thuere der Kirche." "Da hattest du gewonnen," sagte Kallistratos. "Ich wohl, aber er nicht. Denn die Priester von St. Laurentius, so eifersuechtig sie ihre Asylrechte wahren, so wenig haben sie Mitleid mit einem Heiden. Einen Tag lang bargen sie ihn: als sie aber erfuhren, dass er um der Schlange willen seinen Herrn niedergeschlagen, da stellten sie ihm die Wahl, Christ zu werden und den Goetzen aufzugeben, oder Calpurnius und die Muraenen. Syphax waehlte den Tod. Ich erfuhr es und kaufte dem Zornigen seine Rache ab und das Leben dieses schlanken Burschen, des schoensten Sklaven in Rom." "Kein schlechtes Geschaeft," meinte Marcus, "der Maure ist dir treu." "Ich glaube," sagte Cethegus, "tritt zurueck, Syphax. Da bringt der Koch sein Meisterstueck, so scheint's." Zehntes Kapitel. Es war eine sechspfuendige Steinbutte, seit Jahren im Meerwasserweiher des Kallistratos mit Gaenselebern gemaestet. Der vielgepriesene "Rhombus" kam auf silberner Schuessel, ein goldenes Kroenchen auf dem Kopf. "Alle guten Goetter und du, Prophete Jonas!" lallte Balbus zuruecksinkend in die Polster, "der Fisch ist mehr wert als ich selber." - "Still, Freund," warnte Piso, "dass uns nicht Cato hoere, der gesagt: wehe der Stadt, wo ein Fisch mehr wert als ein Rind." Schallendes Gelaechter und der laute Ruf _Euge belle!_ uebertoente den Zornruf des Halbberauschten. Der Fisch ward zerschnitten und koestlich erfunden. "Jetzt, ihr Sklaven, fort mit dem matten Massiker. Der edle Fisch will schwimmen in edlem Nass. Auf, Syphax, jetzt passt, was ich zu dem Gelage beigesteuert. Geh' und lass die Amphora hereinbringen, welche die Sklaven draussen in Schnee gestellt. Dazu die Phialen von gelbem Bernstein." "Was bringst du seltenes, aus welchem Land?" fragte Kallistratos. - "Frag, aus welchem Weltteil? bei diesem vielgereisten Odysseus," sagte Piso. "Ihr muesst raten. Und wer es erraet, wer diesen Wein schon gekostet hat, dem schenk' ich eine Amphora, so hoch wie diese." Zwei Sklaven, eppichbekraenzt, schleppten den maechtigen, dunkeln Krug herein: von schwarzbraunem Porphyr und fremdartiger Gestalt, mit hieroglyphischen Zeichen geschmueckt und wohl vergipst oben an der Muendung. "Beim Styx! koemmt er aus dem Tartarus? das ist ein schwarzer Gesell," lachte Marcus. "Aber er hat eine weisse Seele - zeige sie, Syphax." Der Nubier schlug mit dem Hammer von Ebenholz, den ihm Ganymedes reichte, sorgfaeltig den Gips herunter, hob mit silberner Zange den Verschluss von Palmenrinde heraus, schuettete die Schicht Oel hinweg, die oben schwamm, und fuellte die Pokale. Ein starker berauschender Geruch entstieg der weissen, klebrigen Fluessigkeit. Alle tranken mit forschender Miene. "Ein Goettertrank!" rief Balbus absetzend. - "Aber stark wie fluessiges Feuer," sagte Kallistratos. "Nein, den kenn' ich nicht!" sprach Lucius Licinius. "Ich auch nicht," beteuerte Marcus Licinius. - "Aber ich freue mich, ihn kennen zu lernen," rief Piso und hielt Syphax die leere Schale hin. "Nun," fragte der Wirt, zu dem letzten, bisher fast ganz stummen Gast zu seiner Rechten gewendet, "nun, Furius, grosser Seefahrer, Abenteurer, Indiensucher, Weltumsegler, wird deine Weisheit auch zu Schanden?" Der Gefragte erhob sich leicht von den Kissen, ein schoener athletischer Mann von einigen dreissig Jahren, von bronzener wettergebraeunter Gesichtsfarbe, kohlschwarzen tiefliegenden Augen, blendend weissen Zaehnen und vollem Rundbart nach orientalischem Schnitt. Aber ehe er noch sprechen konnte, fiel Kallistratos rasch ein: "Doch, beim Zeus Xenios, ich glaube, ihr kennt euch gar nicht?" Cethegus mass die fesselnde Erscheinung mit scharfem Blick. "Ich kenne den Praefekten von Rom," sagte der Schweigsame. - "Nun, Cethegus, und dies ist mein vulkanischer Freund, Furius Ahalla, aus Korsika, der reichste Schiffsherr des Abendlands, tief wie die Nacht und heiss wie das Feuer: er hat fuenfzig Haeuser, Villen und Palaeste an allen Kuesten von Europa, Asien und Afrika, zwanzig Galeeren, ein paar tausend Sklaven und Matrosen und -" "Und einen sehr geschwaetzigen Freund," schloss der Korse. "Praefekt, mir ist es leid um dich, aber die Amphora ist mein. Ich kenne den Wein." - Und er nahm ein Kibitzei und zerschlug es mit goldenem Loeffel. "Schwerlich," laechelte Cethegus spoettisch. "Doch. Es ist Isiswein. Aus Aegypten. Aus Memphis." Und ruhig schluerfte er das goldroetliche Ei. Erstaunt sah ihn Cethegus an. "Erraten," sagte er dann. "Wo hast du ihn gekostet?" - "Notwendig da, wo du. Er fliesst ja nur aus Einer Quelle," laechelte der Korse. - "Genug mit euren Geheimnissen! Keine Raetsel unter den Rosen!" rief Piso. - "Wo habt ihr beiden Marder dasselbe Nest gefunden?" fragte Kallistratos. "Nun," rief Cethegus, "wisset es immerhin. Im alten Aegypten, im heilgen Memphis voraus, haben sich immer noch, dicht neben den christlichen Einsiedlern und Moenchen in der Wueste, glaubenszaehe Maenner und namentlich Frauen erhalten, die nicht lassen wollen von Apis und Osiris und besonders treu den suessen Dienst der Isis pflegen. Sie fluechten von der Oberflaeche, wo die Kirche das Kreuz der Askese siegreich aufgepflanzt, in die Tiefen, in den geheimen Schoss der grossen Mutter Erde mit ihrem heilgen teuren Wahn. In einem Labyrinth unter den Pyramiden des Cheops haben sie noch einige hundert Kruege geborgen des maecht'gen Weines, welcher dereinst die Eingeweihten zu den Orgien der Freude, der Liebe berauschte. Die Kunde geht geheim gehalten von Geschlecht zu Geschlecht, immer nur Eine Priesterin kennt den Keller und bewahrt den Schluessel. Ich kuesste die Priesterin und sie fuehrte mich ein: - sie war eine wilde Katze, aber ihr Wein war gut: - und sie gab mir zum Abschied fuenf Kruege mit aufs Schiff." "Soweit hab' ich es mit Smerda nicht gebracht," sagte der Korse; "sie liess mich trinken im Keller, aber als Andenken gab sie mir nur das mit" - und er entbloesste den braunen Hals. - "Einen Dolchstich der Eifersucht," lachte Cethegus. "Nun, mich freut, dass die Tochter nicht aus der Art schlaegt. Zu meiner Zeit, das heisst, als mich die Mutter trinken liess, lief die kleine Smerda noch im Kinderroeckchen. Wohlan, es lebe der heilge Nil und die suesse Isis." Und die beiden tranken sich zu. Aber es verdross sie, ein Geheimnis teilen zu sollen, das jeder allein zu besitzen geglaubt. Doch die andern waren bezaubert von der Laune des eisigen Praefekten, der jugendlich wie ein Juengling mit ihnen plauderte und jetzt, da das beliebteste Thema fuer junge Herren unter den Bechern angeregt war - Liebesabenteuer und Maedchengeschichten - unerschoepflich uebersprudelte von Streichen und Schwaenken, die er meistens selbst erlebt. Alle hingen mit Fragen an seinen Lippen. Nur der Korse blieb stumm und kalt. "Sage," rief der Wirt und winkte dem Schaenken, als gerade das Gelaechter ueber eine solche Geschichte verhallt war, "sag an, du Mann buntscheckiger Erfahrung: - aegyptische Isismaedchen, gallische Druidinnen, nachtlockige Toechter Syriens und meine plastischen Schwestern von Hellas: - alle kennst du und weisst du zu schaetzen, aber sprich, hast du je ein germanisch Weib geliebt?" "Nein," sagte Cethegus, seinen Isiswein schluerfend, "sie waren mir immer zu langweilig." "Oho," meinte Kallistratos, "das ist zuviel gesagt. Ich sage euch, ich habe an den letzten Calenden einen Wahnsinn gehabt fuer ein germanisch Weib, die war nicht langweilig." "Wie, du, Kallistratos von Korinth, der Aspasia, der Helena Landsmann, ergluehst fuer ein Barbarenweib? O arger Eros, Sinnenverwirrer, Maennerbeschaemer," schalt der Praefekt. "Ja, wenn du willst, war's eine Sinnesverwirrung: - ich habe nie dergleichen erfahren." "Erzaehle, erzaehle," draengten die andern. Elftes Kapitel. "Immerhin," sagte der Hausherr, die Polster glaettend, "obwohl ich keine glaenzende Rolle dabei spiele. Also an den vorigen Calenden etwa kam ich zur achten Stunde aus den Baedern des Abaskantos nach Hause. Da steht auf der Strasse niedergelassen eine Frauensaenfte, vier Sklaven dabei, ich glaube, gefangne Gepiden. Unmittelbar aber vor der Thuere meines Hauses stehen zwei verhuellte Frauen, die Calantica ueber den Kopf gezogen. Die eine trug sklavisch Gewand, aber die andre war sehr reich und geschmackvoll gekleidet und das Wenige, was von Wuchs und Gestalt zu sehen, war goettlich. Welch schwebender Schritt, welch feiner Knoechel, welch hochgewoelbter Fuss! Als ich naeher herankam, liessen sich beide rasch in die Saenfte heben und fort waren sie. Ich aber - ihr wisst, es steckt des Bildhauers Blut in allen Hellenen - ich traeumte des Nachts von dem feinen Knoechel und dem wogenden Schritt. Mittags drauf, da ich die Thuere oeffne, aufs Forum zu gehn zu den Bibliographen, wie ich pflege, seh ich dieselbe Saenfte rasch von dannen eilen. Ich gestehe, ohne sonst besonders eitel zu sein, diesmal hoffte ich eine Eroberung gemacht zu haben, - ich wuenschte es so sehr. Und ich zweifelte gar nicht mehr, als ich, um die achte Stunde nach Hause kommend, wieder meine Fremde, diesmal unbegleitet, an mir vorueberschluepfen sah und nach ihrer Saenfte eilen. Folgen konnt' ich den raschen Sklaven nicht, so trat ich in mein Haus, froher Gedanken voll. Da sagte der Ostiarius: "Herr, eine verhuellte Sklavin wartet dein in der Bibliothek." Pochenden Herzens eile ich in das Gemach. Richtig! es war die Sklavin, die ich gestern gesehen. Sie schlug den faltigen Mantel zurueck: eine huebsche, verschlagne Maurin oder Karthagerin - ich kenne den Schlag - sah mich mit schlauen Augen an. "Ich bitte um Botenlohn," sagte sie, "Kallistratos, ich bringe dir gute Kunde." Ich fasste ihre Hand und wollte ihr die dunkle Wange streicheln - denn wer die Herrin begehrt, der kuesse die Sklavin - aber sie lachte und sprach: "Nein, nicht Eros, Hermes sendet mich. Meine Herrin" - hoch horchte ich auf - "meine Herrin ist - eine leidenschaftliche Freundin der Kunst. Sie bietet dir dreitausend Solidi fuer die Aresbueste, die in der Nische neben der Thuere deines Hauses steht."" Laut lachten die jungen Leute, Cethegus mit ihnen. "Ja, lacht nur," fuhr der Hausherr selbst einstimmend fort, "ich aber lachte damals nicht. Aus all meinen Traeumen heruntergefallen, sprach ich verdriesslich: mir ist das Werk nicht feil. Die Sklavin bot fuenftausend, bot zehntausend Solidi: ich wandte ihr den Ruecken und griff nach der Thuer. Da sagte die Schlange: "Ich weiss, Kallistratos von Korinth ist unwillig, weil er ein Abenteuer gehofft und fand ein Geldgeschaeft. Er ist Hellene, er liebt die Schoenheit, er brennt vor Neugier, meine Herrin zu sehn." Das war so richtig, dass ich nur laecheln konnte. "Wohlan," sprach sie, "du sollst sie sehn. Und dann erneuere ich mein letzt Gebot. Schlaegst du's dann dennoch aus, hast du immerhin den Vorteil, deine Neugier gestillt zu haben. Morgen um die achte Stunde koemmt die Saenfte wieder. Dann halte dich bereit mit deinem Ares." Und sie schluepfte hinweg. Unruhig blieb ich zurueck. Ich konnte nicht leugnen, meine Neugier war sehr gespannt. Fest entschlossen, meinen Ares nicht herzulassen und die Kunstnaerrin doch zu sehen, erwartete ich gierig die bestimmte Stunde. Die Stunde kam und die Saenfte kam. Ich stand lauschend an meiner offnen Thuer. Die Sklavin stieg heraus. "Komm," rief sie mir zu, "du sollst sie sehn." Bebend vor Aufregung trat ich heran, der Purpurvorhang der Saenfte fiel halb zurueck und ich sah -" "Nun," rief Markus, sich vorbeugend, den Becher in der Hand. "Was ich nie wieder vergessen werde. Ein Gesicht, Freunde, von ungeahnter Schoenheit. Kypris und Artemis in Einer Person. Ich war wie geblendet. Ich kann sie nicht schildern. Der Vorhang fiel zu. Ich aber sprang zurueck, hob den Ares aus der Nische, reichte ihn der Punierin, wies ihr Gold zurueck und taumelte in meine Thuer, betaeubt, als haett' ich eine Waldnymphe gesehn." "Nun, das ist stark," lachte Massurius. "Bist doch sonst kein Neuling in den Werken des Eros." "Aber," fragte Cethegus, "woher weisst du, dass diese Zauberin eine Gotin war?" "Sie hatte dunkelrotes Haar und milchweisse Haut und schwarze Augenbrauen." "Alle guten Goetter!" dachte Cethegus. Aber er schwieg und wartete. Keiner der Anwesenden sprach den Namen aus. "Sie kennen sie nicht," sagte Cethegus zu sich. - "Und wann war das?" fragte er den Wirt. "An den vorigen Calenden." "Ganz richtig," rechnete Cethegus; "da kam sie von Tarentum durch Rom nach Ravenna. Sie ruhte hier drei Tage." "Und so hast du," lachte Piso, "deinen Ares eingebuesst fuer einen Blick. Schlechter Handel! diesmal waren Merkur und Venus im Bunde. Armer Kallistratos." "Ach," sagte dieser, "die Bueste war gar nicht soviel wert. Es war moderne Arbeit. Jon in Neapolis hat sie vor drei Jahren gemacht. Aber ich sag euch, einen Pheidias haett ich hingegeben um jenen Anblick." "Ein Idealkopf?" fragte Cethegus, wie gleichgueltig und hob den ehernen Mischkrug, der vor ihm stand, scheinbar bewundernd, auf. "Nein, das Modell war ein Barbar - irgend ein Gotengraf - Watichis oder Witichas - wer kann sich die hyperboraeischen Namen merken!" sagte Kallistratos seinen Bericht schliessend und einem Pfirsich die Haut abziehend. Nachdenklich schluerfte Cethegus aus seiner Schale von Bernstein. Zwoelftes Kapitel. "Ja, die Barbarinnen koennte man sich gefallen lassen," rief Markus Licinius, "aber der Orcus verschlinge ihre Brueder!" Und er riss den welken Rosenkranz vom Haupt: - die Blumen ertrugen den Dunst des Gelages schlecht - und ersetzte ihn durch einen frischen. "Nicht nur die Freiheit haben sie uns genommen: - sie schlagen uns bei den Toechtern Hesperiens in der Liebe sogar aus dem Felde. Erst neulich hat die schoene Lavinia meinem Bruder die Thuere verschlossen und den fuchsroten Aligern eingelassen." "Barbarischer Geschmack!" meinte der Verschmaehte achselzuckend und wie zum Trost nach seinem Isiswein langend. "Du kennst sie ja auch, Furius - ist es nicht Geschmacksverirrung?" - "Ich kenne deinen Nebenbuhler nicht," sagte der Korse. "Aber es giebt schon Burschen unter diesen Goten, die einem Weib gefaehrlich werden moegen. "Und da faellt mir ein Abenteuer ein, das ich juengst entdeckt, das aber freilich noch ohne Spitze ist." - "Erzaehle nur," mahnte Kallistratos, die Haende in das laue Waschwasser steckend, das jetzt in korinthischen Erzschuesseln herumgereicht wurde, vielleicht finden wir die Spitze dazu." "Der Held meiner Geschichte," hob Furius an, "ist der schoenste der Goten." - "Ah, Totila der junge," unterbrach Piso und liess sich den kameengeschmueckten Becher mit Eiswein fuellen. "Derselbe. Ich kenne ihn seit Jahren und bin ihm sehr gut, wie alle muessen, die je sein sonnig Angesicht geschaut, abgesehen davon," - und hier ueberflog des Korsen Zuege ein Schatte ernsten Erinnerns und er stockte - "dass ich ihm sonst verbunden bin." "Du bist, scheint's, verliebt in den Blondkopf," spottete Massurius, dem Sklaven, den er mitgebracht, ein Tuch voll picentinischen Zwiebacks zuwerfend, um es mit nach Hause zu nehmen. "Nein, aber er hat mir, wie allen, mit denen er zu thun hat, viel Freundliches erwiesen und gar oft hatte er die Hafenwache in den italischen Seestaedten, wo ich landete." "Ja, er hat grosse Verdienste um das Seewesen der Barbaren," sagte Lucius Licinius. - "Wie um ihre Reiterei," stimmte Markus bei, "der schlanke Bursche ist der beste Reiter seines Volks." "Nun, ich traf ihn zuletzt in Neapolis: wir freuten uns der Begegnung, aber vergebens drang ich in ihn, die froehlichen Abendgelage auf meinem Schiffe zu teilen." "O, diese deine Schiffsabende sind beruehmt und beruechtigt," meinte Balbus, "du hast stets die feurigsten Weine." - "Und die feurigsten Maedchen," fuegte Massurius bei. "Wie dem sei, Totila schuetzte jedesmal Geschaefte vor und war nicht zu gewinnen. Ich bitte euch! Geschaefte nach der achten Stunde in Neapolis! Wo die Fleissigsten faul sind! Es waren natuerlich Ausfluechte. Ich beschloss ihm auf die Spruenge zu kommen und umschlich Abends sein Haus in der Via lata. Richtig: gleich den ersten Abend kam er heraus, vorsichtig umblickend, und, zu meinem Staunen, verkleidet; wie ein Gaertner war er angethan, einen Reisehut tief ins Gesicht gezogen, eine Abolla umgeschlagen. Ich schlich ihm nach. Er ging quer durch die Stadt nach der Porta Capuana zu. Dicht neben dem Thore steht ein dicker Turm, darinnen wohnt der Pfoertner, ein alter patriarchenhafter Jude, dem Koenig Theoderich ob seiner grossen Treue die Hut des Thores anvertraut. Vor dem Turme blieb mein Gote stehen und schlug leise in die Hand: da flog eine schmale Seitenthuer von Eisen, die ich gar nicht bemerkt, geraeuschlos auf und hinein schluepfte Totila geschmeidig wie ein Aal." "Ei, ei," fiel Piso der Dichter eifrig ein, "ich kenne den Juden und Miriam, sein herrlich prachtaeugiges Kind! Die schoenste Tochter Israels, die Perle des Morgenlands, ihre Lippen sind Granaten, ihr Aug' ist dunkelmeeresblau und ihre Wangen haben den roten Duft des Pfirsichs." - "Gut, Piso," laechelte Cethegus - "dein Gedicht ist schoen." - "Nein," rief dieser. "Miriam selbst ist die lebendige Poesie." - "Stolz ist die Judendirne," brummte Massurius dazwischen, "sie hat mich und mein Gold verschmaeht mit einem Blick, als habe man nie ein Weib um Geld gekauft." - "Siehe," sprach Lucius Licinius, "so hat sich der hochmuet'ge Gote, der einherschreitet, als trueg' er alle Sterne des Himmels auf seinem Lockenhaupt, zu einer Juedin herabgelassen." "So dacht' auch ich und ich beschloss, den Jungen bei naechster Gelegenheit schwer zu verhoehnen mit seinem Moschusgeschmack. Aber nichts da. Ein paar Tage darauf musste ich nach Capua. Ich breche vor Sonnenaufgang auf, die Hitze zu meiden. Ich fahre durch die Porta Capuana zur Stadt hinaus beim ersten Fruehrot: und als ich in meinem Reisewagen ueber die harten Steine an dem Judenturm vorueberrassele, denk' ich neidvoll an Totila und sage mir, der liegt jetzt in weichen Armen. Aber am zweiten Meilensteine vor dem Thor begegnet mir, nach der Stadt zuschreitend, leere Blumenkoerbe ueber Brust und Ruecken, in Gaertnertracht, wie damals - Totila. Er lag also nicht in Miriams Armen. Die Juedin war nicht seine Geliebte, vielleicht seine Vertraute, und wer weiss, wo die Blume blueht, die dieser Gaertner pflegt. Der Gluecksvogel! Bedenkt nur, auf der Via capuana stehen all' die Villen und Lustschloesser der ersten Familien von Neapolis und in jenen Gaerten prangen und bluehen die herrlichsten Weiber." "Bei meinem Genius," rief Lucius Licinius, die bekraenzte Schale hebend, "dort leben ja die schoensten Weiber Italiens - Fluch ueber den Goten!" - "Nein," schrie Massurius, von Wein ergluehend, "Fluch ueber Kallistratos und den Korsen, die uns mit fremden Liebesgeschichten bewirten, wie der Storch aus Kelchglaesern den Fuchs. Lass endlich, Hausherr, deine Maedchen kommen, wenn du deren bestellt hast: nicht hoeher brauchst du unsre Erwartung zu spannen." - "Jawohl, die Maedchen, die Taenzerinnen, die Psalterien!" riefen die jungen Leute durcheinander. "Halt," sprach der Wirt, "wo Aphrodite naht, muss sie auf Blumen wandeln. Dies Glas bring' ich dir, Flora!" Er sprang auf und schleuderte an die getaefelte Decke eine koestliche Krystallschale, dass sie klirrend zersprang. Sowie das Glas an die Balken der Decke schlug, hob sich das ganze Getaefel wie eine Fallthuer empor und ein reicher Regen von Blumen aller Art flutete auf die Haeupter der erstaunten Gaeste nieder, Rosen von Paestum, Veilchen von Thurii, Myrten von Tarentum, Mandelblueten bedeckten wie ein dichtes Schneegestoeber in duftigen Flocken den Mosaikboden, die Tische, die Polster und die Haeupter der Gaeste. "Schoener," rief Cethegus, "zog Venus nie auf Paphos ein." Kallistratos schlug in die Haende. Da teilte sich beim Klang von Lyra und Floete dem Triklinium gerade gegenueber die Mittelwand des Gemachs: vier hochgeschuerzte Taenzerinnen, ausgesucht schoene Maedchen, in persische Tracht, d. h. in durchsichtigen Rosaflor gekleidet, sprangen cymbelnschlagend aus einem Gebuesch von bluehendem Oleander. Hinter ihnen kam ein grosser Wagen in Gestalt einer Faechermuschel, dessen goldne Raeder von acht jungen Sklavinnen geschoben wurden, vier Floetenblaeserinnen in Indischem Gewand - Purpur und Weiss mit goldgestickten Maenteln - schritten vorauf: und auf dem Sitz des Wagens ruhte, von Rosen uebergossen, in halb liegender Stellung Aphrodite selbst, in Gestalt eines bluehenden Maedchens von lockender, ueppiger Schoenheit, dessen fast einzige Verhuellung der Aphroditen nachgebildete Guertel der Grazien war. "Ha, beim heiligen Eros und Anteros!" schrie Massurius und sprang unsichern Schrittes von der Kline herab unter die Gruppe. "Verlosen wir die Maedchen!" rief Piso, "ich habe ganz neue Wuerfel aus Gazellenknoecheln, weihen wir sie ein." "Lasst sie den Festkoenig verteilen," schlug Marcus Licinius vor. "Nein, Freiheit, Freiheit wenigstens in der Liebe," rief Massurius und fasste die Goettin heftig am Arme, "und Musik, heda, Musik - -" "Musik," befahl Kallistratos. Aber ehe noch die Cymbelschlaegerinnen wieder anheben konnten, wurde die Eingangsthuere hastig aufgerissen und die Sklaven, die ihn aufhalten wollten, zur Seite draengend, stuermte Scaevola herein, er war leichenblass. "Hier also, hier wirklich find' ich dich, Cethegus? in diesem Augenblick!" "Was giebt's?" sagte der Praefekt und nahm ruhig den Rosenkranz vom Haupt. "Was es giebt? das Vaterland schwankt zwischen Scylla und Charybdis. Die gotischen Herzoge Thulun, Ibba und Pitza -" "Nun?" fragte Lucius Licinius. "Sie sind ermordet!" "Triumph!" rief der junge Roemer und liess die Taenzerin fahren, die er umfasst hielt. "Schoener Triumph!" zuernte der Jurist. "Als die Nachricht nach Ravenna kam, beschuldigte alles Volk die Koenigin, sie stuermten den Palast: - doch Amalaswintha war entfloh'n." "Wohin?" fragte Cethegus, rasch aufspringend. "Wohin? auf einem Griechenschiff - nach Byzanz!" Cethegus setzte schweigend den Becher auf den Tisch und furchte die Stirn. "Aber das Aergste ist - die Goten wollen sie absetzen und einen Koenig waehlen." - "Einen Koenig?" sagte Cethegus. "Wohlan, ich rufe den Senat zusammen. Auch die Roemer sollen waehlen." "Wen, was sollen wir waehlen?" fragte Scaevola. Aber Cethegus brauchte nicht zu antworten. Lucius Licinius rief statt seiner: "Einen Diktator! fort, fort in den Senat." "In den Senat!" wiederholte Cethegus majestaetisch. "Syphax, meinen Mantel." "Hier, Herr, und dabei dein Schwert," fluesterte der Maure. "Ich fuehr' es immer mit, auf alle Faelle." Und Wirt und Gaeste folgten halb taumelnd dem Praefekten, der, allein voellig nuechtern, ihnen voran aus dem Hause auf die Strasse schritt. Dreizehntes Kapitel. In einem der schmalen Gemaecher des Kaiserpalastes zu Byzanz stand kurze Zeit nach dem Fest der Floralien ein kleiner Mann von nicht ansehnlicher Gestalt in sorgenschweres Sinnen versunken. Es war still und einsam rings um ihn. Obwohl es draussen noch heller Tag, war doch das Rundbogenfenster, das nach dem Hofraum des weitlaeufigen Gebaeudes fuehrte, mit schweren golddurchwirkten Teppichen dicht verhangen: gleich koestliche Stoffe deckten den Mosaikboden des Zimmers, so dass kein Geraeusch die Schritte des langsam auf und ab Wandelnden begleitete. Gedaempftes, mattes Licht fuellte den Raum. Auf dem Goldgrund der Waende prangte die lange Reihe der christlichen Imperatoren seit Constantius in kleinen weissen Buesten: gerade ueber dem Schreibdivan hing ein grosses mannshohes Kreuz von gediegenem Golde. So oft der einsam auf und nieder Schreitende daran vorbeikam, neigte er das Haupt vor demselben: denn in der Mitte des Goldes war, von Glas umschlossen, ein Splitter des angeblich echten Kreuzes angebracht. Endlich blieb er vor der Weltkarte stehen, die, den Orbis romanus darstellend, auf purpurgesaeumtem Pergament eine der Waende bedeckte: nach langem, pruefendem Blick seufzte der Mann und bedeckte mit der Rechten Gesicht und Augen. Es waren keine schoenen Augen und kein edles Gesicht: aber vieles, Gutes und Boeses, lag darin. Wachsamkeit, Misstrauen und List sprachen aus dem unruhigen Blick der tiefliegenden Augen: schwere Falten, der Sorge mehr als des Alters, furchten die vorspringende Stirn und die magern Wangen. "Wer den Ausgang wuesste!" seufzte er noch einmal, die knochigen Haende reibend. "Es treibt mich unablaessig. Ein Geist ist in meine Brust gefahren und mahnt und mahnt. Aber ist's ein Engel des Herrn oder ein Daemon? Wer mir meinen Traum deutete! Vergieb, dreieiniger Gott, vergieb deinem eifrigsten Knecht. Du hast die Traumdeuter verflucht. Aber doch traeumte Koenig Pharao und Joseph durfte ihm deuten: und Jakob sah im Traum den Himmel offen und ihre Traeume kamen von dir. Soll ich? darf ich es wagen?" Und wieder schritt er unschluessig auf und nieder, wer weiss, wie lange noch, waere nicht der Purpurvorhang des Eingangs leise gehoben worden. Ein goldschimmernder Velarius warf sich vor dem kleinen Mann zur Erde mit auf der Brust gekreuzten Armen. "Imperator, die Patricier, die du beschieden." "Geduld," sagte jener, sich auf die Kline mit dem Gestell von Gold und Elfenbein niederlassend, "rasch die Silberschuhe und die Chlamys." Der Palastdiener zog ihm die Sandalen mit den dicken Sohlen und den hohen Absaetzen an, welche die Gestalt um ein paar Zoll erhoehten, und warf ihm den faltenreichen, mit Goldsternen uebersaeten Mantel um die Schulter, jedes Stueck der Gewandung kuessend, wie er es beruehrte: nach einer Wiederholung der fussfaelligen Niederwerfung, die in dieser orientalischen Unterwuerfigkeit erst neuerlich verschaerft worden war, ging der Velarius. Und Kaiser Justinianus stellte sich, den linken Arm auf eine gebrochne Porphyrsaeule aus dem Tempel von Jerusalem gestuetzt, die zu diesem Behuf nach seiner Groesse zurechtgesaegt war, in seiner "Audienzattituede" dem Eingang gegenueber. Der Vorhang ging zurueck und drei Maenner betraten das Gemach mit der gleichen Begruessungsform wie jener Sklave: und doch waren sie die ersten Maenner dieses Kaiserreichs, wie, mehr noch als ihre reichgeschmueckten Gewaender, ihre hochbedeutenden Koepfe, ihre geistvollen Zuege bewiesen. "Wir haben euch beschieden," hob der Kaiser an, ohne ihre demuetige Begruessung zu erwidern, "euren Rat zu hoeren - ueber Italien. Ich habe euch alle noetigen Kenntnisse ueber die Dinge daselbst verschafft: die Briefe der Regentin, die Dokumente der Patriotenpartei daselbst: drei Tage hattet ihr Zeit. Erst rede du, Magister Militum." Und er winkte dem Groessten unter den dreien, einer stattlichen, ganz in eine reichvergoldete Ruestung gekleideten Heldengestalt. Die grossen, offenen, hellbraunen Augen sprachen von Treue und Zuversicht, eine starke gerade Nase, volle Wangen gaben dem Gesicht den Ausdruck gesunder Kraft, die breite Brust, die gewaltigen Schenkel und Arme hatten etwas herkulisches, der Mund aber zeigte trotz des grimmen Rundbartes Milde und Gutherzigkeit. "Herr," sprach er mit voller, aus tiefer Brust quellender Stimme, "Belisars Rat ist immer: greifen wir die Barbaren an. Soeben hab' ich auf dein Geheiss das Reich der Vandalen in Afrika zertruemmert mit fuenfzehntausend Mann. Gieb mir dreissigtausend und ich werde dir die Gotenkrone zu Fuessen legen." "Gut," sprach der Kaiser erfreut, "dies Wort hat mir wohlgethan. - Was sprichst du, Perle meiner Rechtsgelehrten, Tribonianus?" Der Angeredete war wenig kleiner als Belisar, aber nicht so breitschultrig und die Glieder nicht so sehr durch stete Uebung entwickelt. Die hohe, ernste Stirn, das ruhige Auge, der festgeschnittene Mund zeugten von einem maechtigen Geist. "Imperator," sagte er gemessen, "ich warne dich vor diesem Krieg. Er ist ungerecht." Unwillig fuhr Justinianus auf: "Ungerecht! wiederzunehmen, was zum roemischen Reich gehoert." "Gehoert hat. Dein Vorfahr Zeno ueberliess durch Vertrag das Abendland an Theoderich und seine Goten, wenn sie den Anmasser Odovakar gestuerzt." "Theoderich sollte Statthalter des Kaisers sein, nicht Koenig von Italien." "Zugegeben. Aber nachdem er es geworden - wie er es werden musste, ein Theoderich konnte nicht der Diener eines Kleinern sein - hat ihn Kaiser Anastasius, dein Ohm Justinus, du selbst hast ihn anerkannt, ihn und sein Koenigreich." "Im Drang der Not. Jetzt, da sie in Not und ich der Staerkere, nehm' ich die Anerkennung zurueck." "Das eben nenn' ich ungerecht." "Du bist unbequem und unbeholfen, Tribonian, und ein zaeher Rechthaber. Du taugst trefflich, meine Pandekten zusammenzubauen. In Politik werd' ich dich nie wieder befragen. Was hat die Gerechtigkeit mit der Politik zu thun!" "Gerechtigkeit, o Justinianus, ist die beste Politik." "Bah, Alexander und Caesar dachten anders." "Sie haben erstens ihr Werk nicht vollendet und dann zweitens" - er hielt inne. "Nun, zweitens?" "Zweitens bist du nicht Caesar und nicht Alexander." - Alle schwiegen. Nach einer Pause sagte der Kaiser ruhig: "du bist sehr offen, Tribonianus." "Immer, Justinianus." Rasch wandte sich der Kaiser zu dem dritten. "Nun, was ist deine Meinung, Patricius?" Vierzehntes Kapitel. Der Angeredete verbannte rasch von seinen Lippen ein kaltes Laecheln, das ihm die Moralpolitik des Juristen erweckt und richtete sich auf. Er war ein verkrueppeltes Maennchen, noch bedeutend kleiner als Justinian, weshalb dieser im Gespraech mit ihm den Kopf noch viel mehr als noetig gewesen waere, herabsenkte. Er war kahlkoepfig, die Wangen von krankhaftem Wachsgelb, die rechte Schulter hoeher als die linke und er hinkte etwas auf dem linken Fuss, weshalb er sich auf einen schwarzen Krueckstock mit goldnem Gabelgriff stuetzte. Aber das durchdringende Auge war so adlergewaltig, dass es von dieser unansehnlichen Gestalt den Eindruck des Widrigen fern hielt, dem fast haesslichen Gesicht die Weihe geistiger Groesse verlieh: und der Zug schmerzlicher Entsagung und kuehler Ueberlegenheit um den feinen Mund hatte sogar einen fesselnden Reiz. "Imperator," sagte er mit scharfer bestimmter Stimme, "ich widerrate diesen Krieg - fuer jetzt." Unwillig zuckte des Kaisers Auge: "Auch aus Gruenden der Gerechtigkeit?" fragte er, fast hoehnisch. - "Ich sagte: fuer jetzt." - "Und warum?" - "Weil das Notwendige dem Angenehmen vorgeht. Wer sein Haus zu verteidigen hat, soll nicht in fremde Haeuser einbrechen." - "Was soll das heissen?" - "Das soll heissen: vom Westen, von den Goten droht diesem Reiche keine Gefahr. Der Feind, der dieses Reich verderben kann, vielleicht verderben wird, koemmt vom Osten." "Die Perser!" rief Justinian veraechtlich. "Seit wann," sprach Belisar dazwischen, "seit wann fuerchtet Narses, mein grosser Nebenbuhler, die Perser?" "Narses fuerchtet niemand," sagte dieser, ohne seinen Gegner anzusehn, "weder die Perser, die er geschlagen hat, noch dich, den die Perser geschlagen haben. Aber er kennt den Orient. Sind es die Perser nicht, so sind es andre, die nach ihnen kommen. Das Gewitter, das Byzanz bedroht, steigt vom Tigris auf, nicht vom Tiber." "Nun, und was soll das bedeuten?" "Das soll bedeuten, dass es schimpflich ist fuer dich, o Kaiser, fuer den Roemernamen, den wir noch immer fuehren, Jahr fuer Jahr von Chosroes dem Perserchan den Frieden um viele Centner Goldes zu erkaufen." Flammende Roete ueberflog des Kaisers Antlitz: "Wie kannst du Geschenke, Hilfsgelder also deuten!" "Geschenke! und wenn sie ausbleiben, eine Woche nur ueber den Zahltag, verbrennt Chosroes, des Cabades Sohn, deine Doerfer. Hilfsgelder! und er besoldet damit Hunnen und Saracenen, deiner Grenzen gefaehrlichste Feinde." Justinian machte einen raschen Gang durchs Zimmer. "Was also raetst du?" fragte er, hart vor Narses stehen bleibend. "Nicht die Goten anzugreifen ohne Not, ohne Grund, wenn man sich der Perser kaum erwehrt. Alle Kraefte deines Reiches aufzubieten, um diese schimpflichen Tribute abzustellen, die schmaehlichen Verheerungen deiner Grenzen zu verhindern, die verbrannten Staedte Antiochia, Dara, Edessa wieder aufzubauen, die Provinzen wieder zu gewinnen, die du im nahen Osten, - trotz Belisars tapfrem Schwert, - verloren, deine Grenzen durch einen siebenfachen Guertel von Festungen vom Euphrat bis zum Araxes zu schirmen. Und hast du dies Notwendige alles vollbracht - und ich fuerchte sehr, du kannst es nicht vollbringen! - dann magst du versuchen, wozu der Ruhm dich lockt." Justinianus schuettelte leicht das Haupt. "Du bist mir nicht erfreulich, Narses," sagte er bitter. "Das weiss ich laengst," sprach dieser ruhig. "Und nicht unentbehrlich!" rief Belisar stolz. "Kehre dich nicht, mein grosser Kaiser, an diese kleinen Zweifler! Gieb mir die dreissigtausend und ich wette meine rechte Hand, ich erobre dir Italien." "Und ich wette meinen Kopf," sagte Narses, "was mehr ist, dass Belisar Italien nicht erobern wird, nicht mit dreissig-, nicht mit sechzig-, nicht mit hunderttausend Mann." "Nun," fragte Justinian, "und wer soll's dann koennen und mit welcher Macht?" "Ich," sagte Narses, "mit achtzigtausend." Belisar ergluehte vor Zorn: er schwieg, weil er keine Worte fand. "Du hast dich doch bei allem Selbstgefuehl sonst nie so hoch ueber deinen Gegner gestellt," sprach der Jurist. "Und thu's auch jetzt nicht, Tribonian. Sieh, der Unterschied ist der: Belisarius ist ein grosser Held, der bin ich nicht. Aber ich bin ein grosser Feldherr - und siehe, das ist Belisarius nicht. Die Goten aber wird nur ein grosser Feldherr ueberwinden." Belisarius richtete sich in seiner ganzen stolzen Hoehe auf und presste die Faust krampfhaft um seinen Schwertknauf. Es war als wollte er dem Krueppel neben ihm den Kopf zerdruecken. Der Kaiser sprach fuer ihn: "Belisar kein grosser Feldherr! Der Neid verblendet dich, Narses." "Ich beneide Belisar um nichts, nicht einmal," seufzte er leise, "um seine Gesundheit. Er waere ein grosser Feldherr, wenn er nicht ein so grosser Held waere. Er hat noch jede Schlacht die er verlor, aus zu viel Heldentum verloren." "Das kann man von dir nicht sagen, Narses," warf Belisar bitter ein. "Nein, Belisarius, denn ich habe noch nie eine Schlacht verloren." Eine ungeduldige Antwort Belisars ward abgeschnitten durch den Velarius, der, den Vorhang aufhebend, meldete: "Alexandros, den du nach Ravenna gesendet, o Herr, ist seit einer Stunde gelandet und fraegt -" "Herein mit ihm, herein!" rief der Kaiser, hastig von seiner Kline aufspringend. Ungeduldig winkte er dem Gesandten, von seiner Proskynesis sich zu erheben: "Nun Alexandros, du koemmst allein zurueck?" Der Gesandte, ein schoener, noch junger Mann, wiederholte: "Allein." "Es verlautete doch - dein letzter Bericht - wie verliessest du das Gotenreich?" "In grosser Verwirrung. Ich schrieb dir in meinem letzten Bericht, die Koenigin habe beschlossen, sich ihrer drei hochmuetigsten Feinde zu entledigen. Sollte der Anschlag misslingen, so war sie in Italien nicht mehr sicher und bat sich in diesem Fall aus, dass ich sie auf meinem Schiff nach Epidamnus, dann hierher nach Byzanz fluechten duerfe." "Was ich mit Freuden bewilligte. Nun, und der Anschlag?" "Ist geglueckt. Die drei Herzoge sind nicht mehr. Aber nach Ravenna kam das Geruecht, der gefaehrlichste unter ihnen, Herzog Thulun, sei nur verwundet. Dies bewog die Regentin, da ohnehin die Goten in der Stadt sich drohend vor dem Palaste scharten, auf mein Schiff zu fluechten. Wir lichteten die Anker, aber bald nachdem wir den Hafen verlassen, schon auf der Hoehe von Ariminum, holte uns Graf Witichis mit Uebermacht ein, kam an Bord und forderte Amalaswinthen auf, zurueckzukehren, indem er sich fuer ihre Sicherheit bis zu feierlicher Untersuchung vor der Volksversammlung verbuergte. Da sie von ihm erfuhr, dass jetzt auch Herzog Thulun seinen Wunden erlegen, und aus seinem Anerbieten sah, dass er und seine maechtigen Freunde noch nicht an ihre Schuld glaubten, da ueberdies Gewalt zu fuerchten war, willigte sie darein, mit ihm umzukehren nach Ravenna. Zuvor aber schrieb sie noch an Bord der Sophia diesen Brief an dich und sendet dir aus ihrem Schatze diese Geschenke." "Davon spaeter, sprich weiter, wie stehn die Dinge jetzt in Italien?" "Gut fuer dich, o grosser Kaiser. Das vergroesserte Geruecht von dem Aufstand der Goten in Ravenna, von der Flucht der Regentin nach Byzanz durchflog das ganze Land. Vielfach kam es schon zum Zusammenstoss zwischen Roemern und Barbaren. In Rom selbst wollten die Patrioten losschlagen, im Senat einen Diktator waehlen, deine Hilfe anrufen. Aber alles waere verfrueht gewesen, nachdem die Regentin in den Haenden des Witichis: nur das geniale Haupt der Katakombenmaenner hat es verhindert." "Der Praefekt von Rom?" fragte Justinian. "Cethegus. Er misstraute dem Geruecht. Die Verschworenen wollten die Goten ueberfallen, dich zum Kaiser Italiens ausrufen, ihn einstweilen zum Diktator waehlen. Aber er liess sich in der Kurie buchstaeblich die Dolche auf die Brust setzen und sagte: nein." "Ein mutiger Mann!" rief Belisar. "Ein gefaehrlicher Mann!" sagte Narses. "Eine Stunde darauf kam die Nachricht von der Rueckkehr Amalaswinthens und alles blieb beim alten. Der schwarze Teja aber hatte geschworen, Rom zu einer Viehweide zu machen, wenn es einen Tropfen Gotenblut vergossen. All' das hab ich auf meiner absichtlich zoegernden Kuestenfahrt bis nach Brundusium erfahren. Aber noch Besseres hab' ich zu melden. Nicht nur unter den Roemern, unter den Goten selbst hab' ich eifrige Freunde von Byzanz gefunden, ja unter den Gliedern des Koenigshauses." "Das waere!" rief Justinian. "Wen meinst du?" "In Tuscien lebt, reichbeguetert, Fuerst Theodahad, Amalaswinthens Vetter." "Jawohl, der letzte Mann im Haus der Amalungen, nicht wahr?" "Der letzte. Er und noch viel mehr Gothelindis, sein kluges, aber boeses Gemahl, die stolze Baltentochter, hassen aufs gruendlichste die Regentin: er, weil sie seiner masslosen Habsucht, mit der er all' seiner Nachbarn Grundbesitz an sich zu reissen sucht, entgegentritt: sie, aus Gruenden, die ich nicht entdecken konnte: ich glaube, sie reichen in die Maedchenzeit der beiden Fuerstinnen zurueck - genug, ihr Hass ist toedlich. Diese beiden nun haben mir zugesagt, dir in jeder Weise Italien zurueckgewinnen helfen zu wollen: ihr genuegt es, scheint's, die Todfeindin vom Thron zu stuerzen: er freilich fordert reichen Lohn." "Der soll ihm werden." "Seine Hilfe ist deshalb wichtig, weil er schon halb Tuscien besitzt - das Adelsgeschlecht der Woelsungen hat den andern Teil - und spielend in unsre Haende bringen kann: dann aber, weil er, wenn Amalaswintha faellt, ihr auf den Thron zu folgen Aussicht hat. Hier sind Briefe von ihm und von Gothelindis. Aber lies vor allem das Schreiben der Regentin - ich glaube, es ist sehr wichtig." Fuenfzehntes Kapitel. Der Kaiser zerschnitt die Purpurschnuere der Wachstafel und las: "An Justinian, den Imperator der Roemer, Amalaswintha, der Goten und Italier Koenigin!" "Der Italier Koenigin," lachte Justinian, "welch' verrueckter Titel!" "Durch Alexandros, deinen Gesandten, wirst du erfahren, wie Eris und Ate in diesem Lande hausen. Ich gleiche der einsamen Palme, die von widerstreitenden Winden zerrissen wird. Die Barbaren werden mir taeglich feindseliger, ich ihnen taeglich fremder, die Roemer aber, soviel ich mich ihnen naehere, werden mir nie vergessen, dass ich germanischen Stammes. Bis jetzt habe ich entschlossenen Geistes allen Gefahren getrotzt: jedoch ich kann es nicht laenger, wenn nicht wenigstens mein Palast, meine fuerstliche Person vor der Ueberraschung draengender Gewalt sicher ist. Ich kann mich aber auf keine der Parteien hier im Lande unbedingt verlassen. So ruf ich dich, als meinen Bruder in der koeniglichen Wuerde, zu Hilfe. Es ist die Majestaet aller Koenige, die Ruhe Italiens, die es zu beschirmen gilt. Schicke mir, ich bitte dich, eine verlaessige Schar, eine Leibwache" - der Kaiser warf einen bedeutsamen Blick auf Belisar - "eine Schar von einigen tausend Mann mit einem mir unbedingt ergebenen Anfuehrer: sie sollen den Palast von Ravenna besetzen: er ist eine Festung fuer sich. Was Rom betrifft, so muessen jene Scharen mir vor allem den Praefekten Cethegus, der ebenso maechtig als zweideutig ist und mich in der Gefahr, in die er mich gefuehrt, ploetzlich verlassen hat, fern halten, noetigenfalls vernichten. Habe ich meine Feinde niedergeworfen und mein Reich befestigt, wie ich zum Himmel und der eignen Kraft vertraue, so werd' ich dir Truppen und Fuehrer mit reichen Geschenken und reicherem Dank zuruecksenden. Vale." Justinian drueckte krampfhaft die Wachstafel in seiner Faust: leuchtenden Auges sah er vor sich hin, seine nicht schoenen Zuege veredelten sich im Ausdruck hoher geistiger Macht, und dieser Augenblick zeigte, dass in dem Manne neben vielen Schwaechen und Kleinheiten Eine Staerke, Eine Groesse lebte: die Groesse eines diplomatischen Genies. "In diesem Brief," rief er endlich strahlenden Blickes, "halt' ich Italien und das Gotenreich." Und in maechtiger Bewegung durchschritt er das Gemach mit grossen Schritten, jetzt sogar die Verbeugung vor dem Kreuz vergessend. "Eine Leibwache - sie soll sie haben! - Aber nicht ein paar Tausend Mann, viele Tausende, mehr als ihr lieb sein wird, und du, Belisarius, sollst sie fuehren." "Sieh auch die Geschenke," mahnte Alexandros und wies auf einen koestlichen Schrein von Thuienholz mit Gold eingelegt, den der Velarius hinter ihm niedergestellt hatte. "Hier ist der Schluessel." Er ueberreichte ein kleines Buechschen von Schildpatt, das mit der Regentin Siegel geschlossen war. "Es ist ihr Bild dabei," sagte er, wie zufaellig mit lauterer Stimme. In dem Augenblick, da der Gesandte die Stimme kraeftiger erhoben, steckte sich, leise und unbemerkt von allen ausser ihm, der Kopf eines Weibes durch den Vorhang und zwei funkelnde schwarze Augen sahen scharf auf den Kaiser. Dieser oeffnete den Schrein, schob rasch alle Kostbarkeiten bei Seite und griff hastig nach einem unscheinbaren Taefelchen von geglaettetem Buchs mit einem schmalen Goldrahmen. Ein Ruf des Staunens entflog unwillkuerlich seinen Lippen, sein Auge blitzte, er zeigte das Bild Belisar: "Ein herrliches Weib, welche Majestaet der Stirn! ja man sieht die geborene Herrscherin, die Koenigstochter!" und bewundernd sah er auf die edeln Zuege. Da rauschte der Vorhang und die Lauscherin trat ein. Es war Theodora, die Kaiserin: ein verfuehrerisches Weib. Alle Kuenste weiblichen Erfindungsgeistes in einer Zeit des aeussersten Luxus und alle Mittel eines Kaiserreichs wurden taeglich stundenlang aufgeboten, diese an sich ausgezeichnete, aber durch ein zuegelloses Sinnenleben frueh angegriffene Schoenheit frisch und blendend zu erhalten. Goldstaub lieh ihrem dunkelblauschwarzen Haar metallischen Glanz: es war am Nacken mit aller Sorgfalt gegen den Wirbel hinaufgekaemmt, den schoenen Bau des Hinterkopfs, den feinen Ansatz des Halses zu zeigen. Augenbrauen und Wimpern waren mit arabischem Stimmi glaenzend schwarz gefaerbt: und so kuenstlich war das Rot der Lippen aufgetragen, dass selbst Justinian, der diese Lippen kuesste, nie an eine Unterstuetzung der Natur durch phoenikischen Purpur dachte. Jedes Haerchen an den alabasterweissen Armen war sorgfaeltig ausgetilgt und das zarte Rosa der Fingernaegel beschaeftigte taeglich eine besondere Sklavin lange Zeit. Und doch haette Theodora, damals noch nicht vierzig Jahre alt, auch ohne all' diese Kuenste fuer ein ganz auffallend schoenes Weib gelten muessen. Edel freilich war dieses Antlitz nicht: kein grosser, ja kein stolzer Gedanke sprach aus diesen angestrengten, unheimlich glaenzenden Augen: um die Lippen schwebte ein zur Gewohnheit gewordenes Laecheln, das die Stelle der ersten kuenftigen Falte ahnen liess: und die Wangen zeigten in der Naehe der Augen Spuren mueder Erschoepfung. Aber wie sie jetzt, mit ihrem suessesten Laecheln, auf Justinian zuschwebte, das schwere Faltenkleid von dunkelgelber Seide zierlich mit der Linken aufhebend, uebte die ganze Erscheinung einen betaeubenden Zauber, aehnlich dem suessen einlullenden Geruch von indischem Balsam, der von ihr duftete. "Was erfreut meinen kaiserlichen Herrn so sehr? darf ich seine Freude teilen?" fragte sie mit suesser, einschmeichelnder Stimme. Die Anwesenden warfen sich vor der Kaiserin zur Erde, kaum minder ehrerbietig als vor Justinian. Dieser aber schrak bei ihrem Anblick, wie auf einer Schuld ertappt, zusammen und wollte das Bild in der Busenfalte seiner Chlamys verbergen. Aber zu spaet. Schon haftete der Kaiserin scharfer Blick darauf. "Wir bewunderten," sagte er verlegen, "die - die schoene Goldarbeit des Rahmens." Und er reichte ihr erroetend das Bild. "Nun, an dem Rahmen," laechelte Theodora, "ist beim besten Willen nicht viel zu bewundern. Aber das Bild ist nicht uebel. Gewiss die Gotenfuerstin?" Der Gesandte nickte. "Nicht uebel, wie gesagt. Aber barbarisch, streng, unweiblich. Wie alt mag sie sein, Alexandros?" "Etwa fuenfundvierzig." Justinian blickte fragend auf das Bild, dann auf den Gesandten. "Das Bild ist vor fuenfzehn Jahren gemacht," sagte Alexandros wie erklaerend. "Nein," sprach der Kaiser, "du irrst; hier steht die Jahrzahl nach Indiktion und Konsul und ihrem Regierungsantritt: es ist von diesem Jahr." Eine peinliche Pause entstand. "Nun," stammelte der Gesandte, "dann schmeicheln die Maler wie-" - "Wie die Hoeflinge," schloss der Kaiser. Aber Theodora kam ihm zu Hilfe. "Was plaudern wir von Bildern und dem Alter fremder Weiber, wo es sich um das Reich handelt. Welche Nachrichten bringt Alexandros? Bist du entschlossen, Justinianus?" - "Beinahe bin ich es. Nur deine Stimme wollte ich noch hoeren und du, das weiss ich, bist fuer den Krieg." Da sagte Narses ruhig: "Warum, Herr, hast du uns nicht gleich gesagt, dass die Kaiserin den Krieg will? Wir haetten unsre Worte sparen koennen." - "Wie? willst du damit sagen, dass ich der Sklave meines Weibes bin?" - "Huete besser deine Zunge," sagte Theodora zornig, "schon manchen, der sonst unverwundbar schien, hat die eigne spitze Zunge erstochen." "Du bist sehr unvorsichtig, Narses," warnte Justinian. "Imperator," sagte dieser ruhig, "die Vorsicht hab' ich laengst aufgegeben. Wir leben in einer Zeit, in einem Reich, an einem Hof, wo man um jedes moegliche Wort, das man gesprochen oder nicht gesprochen hat, in Ungnade fallen, zu Grunde gehen kann. Da mir nun jedes Wort den Tod bringen kann, will ich wenigstens an solchen Worten sterben, die mir selbst gefallen." Der Kaiser laechelte: "Du musst gestehn, Patricius, dass ich viel Freimut ertrage." Narses trat auf ihn zu: "Du bist gross von Natur, o Justinianus, und ein geborner Herrscher: sonst wuerde Narses dir nicht dienen. Aber Omphale hat selbst Herkules klein gemacht." Die Augen der Kaiserin spruehten toedlichen Hass. Justinian ward aengstlich. "Geht," sagte er, "ich will mit der Kaiserin allein beraten. Morgen vernehmt ihr meinen Entschluss." Sechzehntes Kapitel. So wie sie draussen waren, schritt Justinian auf seine Gattin zu und drueckte einen Kuss auf ihre weisse niedre Stirn. "Vergieb ihm," sagte er, "er meint es gut." "Ich weiss es," sagte sie, seinen Kuss erwidernd. "Darum, und weil er unentbehrlich ist gegen Belisar, darum lebt er noch." - "Du hast Recht, wie immer." Und er schlang den Arm um sie. "Was hat er besondres vor?" dachte Theodora. "Diese Zaertlichkeit deutet auf ein schlechtes Gewissen." "Du hast Recht," wiederholte er, mit ihr im Gemach auf und nieder schreitend. "Gott hat mir den Geist versagt, der die Schlachten entscheidet, aber mir dafuer diese beiden Maenner des Sieges gegeben - und zum Glueck ihrer zwei. Die Eifersucht dieser beiden sichert meine Herrschaft besser als ihre Treue: jeder dieser Feldherren allein waere eine stete Reichsgefahr und an dem Tage, da sie Freunde wuerden, wankte mein Thron. Du schuerst doch ihren Hass?" "Er ist leicht schueren: es ist zwischen ihnen eine natuerliche Feindschaft wie zwischen Feuer und Wasser. Und jede Bosheit des Verschnittenen erzaehl' ich mit grosser Entruestung meiner Freundin Antonina, des Helden Belisar Weib und Gebieterin." - "Und jede Grobheit des Helden Belisar bericht' ich treulich dem reizbaren Krueppel. - Aber zu unsrer Beratung. Ich bin, nach dem Bericht des Alexandros, so gut wie entschlossen zu dem Zug nach Italien." "Wen willst du senden?" - "Natuerlich Belisar. Er verheisst, mit dreissigtausend zu vollbringen, was Narses kaum mit achtzigtausend uebernehmen will." "Glaubst du, dass jene kleine Macht genuegen wird?" "Nein. Aber Belisars Ehre ist verpfaendet: er wird all seine Kraft aufbieten und es wird ihm doch nicht ganz gelingen." - "Und das wird ihm sehr heilsam sein. Denn seit dem Vandalensieg ist sein Stolz nicht mehr zu ertragen." - "Aber er wird drei Viertel der Arbeit thun. Dann rufe ich ihn ab, breche selbst mit sechstausend auf, nehme Narses mit, vollende im Spiel das letzte Viertel und bin dann auch ein Feldherr und ein Sieger." "Fein gedacht," sagte Theodora in aufrichtiger Bewunderung seiner Schlauheit: "dein Plan ist reif." "Freilich," sagte Justinian seufzend stehen bleibend, "Narses hat Recht, im geheimen Grund des Herzens muss ich's zugestehen. Es waere dem Reiche heilsamer, die Perser abwehren, als die Goten angreifen. Es waere mehr sichere, weisere Politik. Denn vom Osten koemmt einst das Verderben." "Lass es kommen! Das kann noch Jahrhunderte anstehn, wann von Justinian nur noch der Ruhm auf Erden lebt, wie Afrika, so Italien zurueckgewonnen zu haben. Hast du fuer die Ewigkeit zu bauen? Die nach dir kommen, moegen fuer ihre Gegenwart sorgen: sorge du fuer die deine." - "Wenn man aber dann sprechen wird: haette Justinian verteidigt, statt zu erobern, so stuend' es besser? Wenn man sagen wird: Justinians Siege haben sein Reich zerstoert?" - "So wird niemand sprechen. Die Menschen blendet der Glanz des Ruhms. Und noch Eins" - und hier verdraengte der Ernst der tiefsten Ueberzeugung den Ausdruck listiger Beschwatzung von ihren schmeichelnden Zuegen. "Ich ahn' es, doch vollende." "Du bist nicht nur Kaiser, du bist ein Mensch. Hoeher als das Reich muss dir deiner Seele Seligkeit stehen. Auf deinem, auf unsrem Pfad zur Herrschaft, zu dem Glanz dieser Herrschaft musste mancher blut'ge Schritt geschehn: manches Harte musste gethan werden: Leben und Schaetze, so manchen gefaehrlichen Feindes mussten - genug. Wohl bauen wir mit einem Teil dieser Schaetze der heilgen, der christlichen Weisheit jenen Siegestempel, der allein schon unsern Namen unsterblich machen wird auf Erden. Aber fuer den Himmel - wer weiss, ob es genuegt! Lass uns" - und ihr Auge ergluehte von unheimlichem Feuer - "lass uns die Unglaeubigen vertilgen und ueber die Leichen der Feinde Christi hin den Weg zur Gnade suchen." Justinian drueckte ihre Hand. "Auch die Perser sind Feinde Christi, sind sogar Heiden." - "Hast du vergessen, was der Patriarch gelehrt? Ketzer sind siebenmal schlimmer als Heiden! Ihnen ward der rechte Glaube gebracht und sie haben ihn verschmaeht. Das ist die Suende wider den heilgen Geist, die nie vergeben wird - auf Erden und im Himmel. Du aber bist das Schwert, dass diese gottverfluchten Arianer schlagen soll: sie sind Christi verhassteste Feinde: sie kennen ihn und leugnen dennoch, dass er Gott. Schon hast du in Afrika die ketzerischen Vandalen niedergeworfen und den Irrwahn dort in Blut und Feuer erstickt: jetzt ruft dich Italien, Rom, die Staette, wo der Apostelfuersten Blut geflossen, die heilge Stadt: nicht laenger darf sie diesen Ketzern dienen. Justinian, gieb sie dem wahren Glauben wieder." Sie hielt inne. Der Kaiser blickte schwer aufatmend zu dem Goldkreuz empor. "Du deckst die letzten Tiefen meines Herzens auf: das ist es ja, was, noch maechtiger als Ruhm und Siegesehre, mich zu diesen Kriegen treibt. Aber bin ich faehig, bin ich wuerdig so Grosses, so Heiliges zu Gottes Ehre zu vollenden? Will er durch meine suendge Hand so Grosses vollfuehren? Ich zweifle, ich schwanke. Und der Traum, der mir in dieser Nacht geworden, war er von Gott gesendet? und was soll er bedeuten? treibt er zum Angriff oder mahnt er ab? Nun, hatte deine Mutter Komito, die Wahrsagerin von Kypros, grosse Weisheit, Ahnungen und Traeume zu deuten." - "Und du weisst, die Gabe ist erblich. Habe ich dir nicht auch den Ausgang des Vandalenkriegs aus deinem Traume gedeutet?" "Du sollst mir auch diesen Traum erklaeren. Du weisst, ich werde irre an dem besten Plan, wenn ein Omen dawider spricht. Hoere denn. Aber" - und er warf einen aengstlichen Blick auf sein Weib, - "aber bedenke, dass es ein Traum war und kein Mensch fuer seine Traeume kann." "Natuerlich, sie sendet Gott." - "Was werd ich vernehmen?" sagte sie zu sich selbst. "Ich war gestern Nacht eingeschlafen, erwaegend den letzten Bericht ueber Amala - ueber Italien. Da traeumte mir, ich ging durch eine Landschaft mit sieben Huegeln. Dort ruhte unter einem Lorbeer das schoenste Weib, das ich je gesehn. Ich stand vor ihr und betrachtete sie mit Wohlgefallen. Ploetzlich brach aus dem Busch zur Rechten ein bruellender Baer, aus dem Gestein zur Linken eine zischende Schlange gegen die Schlummernde hervor. Aufwachend rief sie meinen Namen. Rasch ergriff ich sie, drueckte sie an meine Brust und floh mit ihr: rueckblickend sah ich, wie der Baer die Schlange zerriss und die Schlange den Baeren zu Tode biss." "Nun, und das Weib?" "Das Weib drueckte einen fluechtigen Kuss auf meine Stirn und war ploetzlich wieder verschwunden, und ich erwachte, vergebens die Arme nach ihr ausstreckend. Das Weib," fuhr er rasch fort, ehe Theodora nachsinnen sollte, "ist natuerlich Italien." "Jawohl," sagte die Kaiserin ruhig. Aber ihr Busen wogte. "Der Traum ist der gluecklichste. Baer und Schlange sind Barbaren und Italier, die um die Siebenhuegelstadt ringen. Du entreissest sie beiden und laesst sie sich gegenseitig vernichten." "Aber sie entschwindet mir wieder: - sie bleibt mir nicht." "Doch. Sie kuesst dich und verschwindet in deinen Armen. So wird Italien aufgehn in deinem Reich." "Du hast recht," rief Justinian aufspringend. "Sei bedankt, mein kluges Weib. Du bist die Leuchte meiner Seele. Es sei gewagt: - Belisar soll ziehn." Und er wollte den Velarius rufen. Doch hielt er ploetzlich an. "Aber noch eins." Und die Augen niederschlagend, fasste er ihre Hand. "Ah," dachte Theodora, "jetzt kommt's." "Wenn wir nun das Gotenreich zerstoert und in die Hofburg von Ravenna mit Hilfe der Koenigin selbst eingezogen sind - was - was soll dann mit ihr, der Fuerstin, werden?" "Nun," sagte Theodora voellig unbefangen, "was mit ihr werden soll? Was mit dem entthronten Vandalenkoenig geworden. Sie soll hierher, nach Byzanz." Justinian atmete hoch auf. "Mich freut es, dass du das Richtige fandest." Und in wirklicher Freude drueckte er ihr die schmale, weisse, wunderzierliche Hand. "Mehr als das," fuhr Theodora fort. "Sie wird um so leichter auf unsre Plaene eingehen, je sicherer sie einer ehrenvollen Aufnahme hier entgegensieht. So will ich selbst ihr ein schwesterliches Schreiben senden, sie einzuladen. Sie soll im Fall der Not stets ein Asyl an meinem Herzen finden." "Du weisst gar nicht," fiel Justinian eifrig ein, "wie sehr du dadurch unsern Sieg erleichterst. Die Tochter Theoderichs muss voellig von ihrem Volk hinweg zu uns gezogen werden. Sie selbst soll uns nach Ravenna fuehren." "Dann kannst du aber nicht gleich Belisar mit einem Heere senden. Das wuerde sie nur argwoehnisch machen und widerspenstig. Sie muss voellig in unsern Haenden, das Barbarenreich von innen heraus gebrochen sein, ehe das Schwert Belisars aus der Scheide faehrt." "Aber in der Naehe muss er von jetzt an stehen." "Wohl, etwa auf Sicilien. Die Unruhen in Afrika geben den besten Vorwand, eine Flotte in jene Gewaesser zu senden. Und sowie das Netz gelegt, muss Belisars Arm es zuziehn." "Aber wer soll es legen?" Theodora dachte eine Weile nach; dann sagte sie: "Der geistgewaltigste Mann des Abendlands: Cethegus Caesarius, der Praefekt von Rom, mein Jugendfreund." "Recht. Aber nicht er allein. Er ist ein Roemer, nicht mein Unterthan, mir nicht voellig sicher. Wen soll ich senden. Noch einmal Alexandros?" "Nein," rief Theodora rasch, "er ist zu jung fuer ein solches Geschaeft. Nein." Und sie schwieg nachdenklich. "Justinian," sprach sie endlich, "auf dass du siehst, wie ich persoenlichen Hass vergessen kann, wo es das Reich gilt und der rechte Mann gewaehlt werden muss, schlage ich dir selber meinen Feind vor: Petros, des Narses Vetter, des Praefekten Studiengenossen, den schlauen Rhetor: - ihn sende." "Theodora," - rief der Kaiser erfreut, sie umarmend, "du bist mir wirklich von Gott geschenkt. Cethegus - Petros - Belisar: Barbaren, ihr seid verloren!" Siebzehntes Kapitel. Am Morgen darauf erhob sich die schoene Kaiserin vergnuegt von dem schwellenden Pfuehl, dessen weiche Kissen, mit blassgelber Seide ueberzogen, mit den zarten Halsfedern des pontischen Kranichs gefuellt waren. Vor dem Bette stand ein Dreifuss mit einem silbernen Becken, den Okeanos darstellend, darin lag eine massiv goldne Kugel. Die weiche Hand der Kaiserin hob laessig die Kugel und liess sie klingend in das Becken fallen: der helle Ton rief die syrische Sklavin in das Gemach, die im Vorzimmer schlief. Mit auf der Brust gekreuzten Armen trat sie an das Lager und schlug die schweren Vorhaenge von violetter chinesischer Seide zurueck. Dann ergriff sie den sanften iberischen Schwamm, der, in Eselmilch getraenkt, in krystallner Schale ruhte und bestrich damit sorgfaeltig die Masse von oeligem Teig, die Gesicht und Hals der Kaiserin waehrend der Nacht bedeckte. Dann kniete sie vor dem Bette nieder, das Haupt fast zur Erde gebeugt und reichte die rechte Hand hinauf. Theodora fasste diese Hand, setzte langsam den kleinen Fuss auf den Nacken der Knieenden und schwang sich dann elastisch zur Erde. Die Sklavin erhob sich und warf der Herrin, die jetzt, nur mit der Untertunica von feinstem Bast bekleidet, auf dem Palmenholzrand des Bettes sass, den feinen Ankleidemantel von Rosagewebe ueber die Schultern. Dann verneigte sie sich, wandte sich zur Thuere, rief "Agave!" und verschwand. Agave, eine junge, schoene Thessalierin, trat ein; sie rollte dicht vor die Herrin den mit unzaehligen Buechschen und Flaeschchen besetzten Waschtisch von Citrusholz und begann, ihr Gesicht, Nacken und Haende mit weichen, in verschiedene Weine und Salben getauchten Tuechern zu reiben. Daraus erhob sich diese vom Lager und glitt auf den bunten, mit Pardelfell ueberzogenen Stuhl, die Kathedra. "Das grosse Bad erst gegen Mittag!" sagte sie. Da schob Agave eine ovale Wanne von Terebinthenholz heran, aussen mit Schildpatt bekleidet, gefuellt mit koestlich duftendem Wasser und hob die zierlichen, glaenzend weissen Fuesse der Herrin hinein. Hierauf loeste sie das Netz von Goldfaeden, das die Nacht ueber die blau glaenzenden Haare der Kaiserin zusammenhielt, so dass jetzt die weichen schwarzen Wellen ueber Schultern und Brust wallen konnten. Sie schlang ihr noch das breite Busenband von Purpur um, verneigte sich und ging mit dem Rufe: "Galatea!" Eine betagte Sklavin loeste sie ab, die Amme und Waerterin und, leider muessen wir hinzufuegen, die Kupplerin Theodoras in der Zeit, da sie nur erst des Akacius, des Loewenwaerters im Cirkus, flitterbehaengtes Toechterlein und, fast noch ein Kind, der schon tief verdorbne Liebling des grossen Cirkus war. Alle Demuetigungen und Triumphe, alle Laster und Listen auf der Abenteurerin wechselndem Pfad bis zum Kaiserthron hatte Galatea getreulich geteilt. "Wie hast du geschlafen, mein Taeubchen?" fragte sie, ihr in einer Bernsteinschale die aromatische Essenz reichend, welche die Stadt Adana in Cilicien fuer die Toilette der Kaiserin in grossen Massen als jaehrlichen Tribut einzusenden hatte. "Gut, ich traeumte von ihm." - "Von Alexandros?" - "Nein, du Naerrin, von dem schoenen Anicius." - "Aber der Bestellte wartet schon lange draussen in der geheimen Nische." - "Er ist ungeduldig," laechelte der kleine Mund, "nun, so lass ihn ein." Und sie legte sich auf dem langen Divan zurueck, eine Decke von Purpurseide ueber sich ziehend; aber die feinen Knoechel der schoenen Fuesse blieben sichtbar. Galatea schob den Riegel vor den Haupteingang, durch welchen sie eingetreten und ging dann quer durch das Gemach zu der Ecke gegenueber, die durch eine eherne Kolossalstatue Justinians ausgefuellt war. Die scheinbar unbewegliche Last wich sofort zur Seite, sowie die Vertraute eine Feder beruehrte, und zeigte eine schmale Oeffnung in der Wand, welche durch die Statue in ihrer gewoehnlichen Stellung vollstaendig verdeckt wurde: ein dunkler Vorhang war vor den Spalt gezogen. Galatea hob den Vorhang auf und herein eilte Alexandros, der schoene junge Gesandte. Er warf sich vor der Kaiserin aufs Knie, ergriff ihre schmale Hand und bedeckte sie mit gluehenden Kuessen. Theodora entzog sie ihm leise. - "Es ist sehr unvorsichtig, Alexandros," sagte sie, den schoenen Kopf zuruecklehnend, "den Geliebten zur Ankleidung zuzulassen." Wie sagt der Dichter? "Alles dienet der Schoenheit. Doch ist kein erfreulicher Anblick, das entstehen zu sehn was nur entstanden gefaellt." "Allein ich hab' es dir bei der Abreise nach Ravenna verheissen, dich einmal in meiner Morgenstunde vorzulassen. Und du hast deinen Lohn reichlich verdient. Du hast viel fuer mich gewagt. - - Fasse die Flechten fester!" rief sie Galatea zu, die an die ihr allein zustehende Arbeit gegangen war, das prachtvolle Haar der Gebieterin zu ordnen. - "Du hast das Leben fuer mich gewagt." - Und sie reichte ihm wieder zwei Finger der rechten Hand. "O Theodora," rief der Juengling, "fuer diesen Augenblick wuerd' ich zehnmal sterben." "Aber," fuhr sie fort, "warum hast du mir nicht auch von dem letzten Brief der Barbarin an Justinian Abschrift zukommen lassen?" - "Es war nicht mehr moeglich, es ging zu rasch. Ich konnte von meinem Schiff keinen Boten mehr senden: kaum gelang es gestern, nach der Landung, dir sagen zu lassen, dass ihr Bild bei den Geschenken sei. Du kamst im rechten Augenblick." "Ja, was wuerde aus mir, wenn ich die Thuersteher Justinians nicht doppelt so hoch besoldete als er? Aber Unvorsichtigster aller Gesandten, wie taeppisch war das mit der Jahrzahl!" "O schoenste Tochter von Kypros, ich hatte dich mondenlang nicht mehr gesehen. Ich konnte nichts denken als dich und deine berauschende Schoenheit." "Nun, da muss ich wohl verzeihen. Das schwarze Stirnband Galatea! Du bist ein besserer Liebhaber als Staatsmann. Deshalb hab' ich dich auch hier behalten. Ja, du solltest wieder nach Ravenna. Aber ich denke, ich schicke einen aeltern Gesandten und behalte den jungen fuer mich. Ist's recht so?" laechelte sie, die Augen halb schliessend. Alexandros, kuehner und gluehender werdend, sprang auf und drueckte einen Kuss auf ihre roten Lippen. "Halt ein, Majestaetsverbrecher," schalt sie, und schlug mit dem Flamingofaecher leicht seine Wange. "Jetzt ist's genug fuer heute. Morgen magst du wieder kommen und von jener Barbarenschoenheit erzaehlen. Nein, du musst jetzt gehn. Ich brauche diese Morgenstunde noch fuer einen andern." "Fuer einen andern!" rief Alexandros zuruecktretend. "So ist es wahr, was man leise zischelt in den Gynaeceen, in den Baedern von Byzanz? Du ewig Ungetreue hast -" "Eifersuechtig darf ein Freund Theodoras nicht sein!" lachte die Kaiserin. Es war kein schoenes Lachen. "Aber fuer diesmal sei unbesorgt - du sollst ihm selbst begegnen. Geh." Galatea ergriff ihn an der Schulter und drehte den Widerstrebenden ohne weiteres hinter die Statue und zur Thuere hinaus. Theodora setzte sich nun aufrecht, das faltige Untergewand mit dem Guertel schliessend. Achtzehntes Kapitel. Sogleich kam Galatea wieder zum Vorschein mit einem kleinen gebueckten Mann, der viel aelter aussah als seine vierzig Jahre. Kluge, aber allzuscharfe Zuege, das stechende Auge, der bartlose eingekniffne Mund: - alles machte den Eindruck unangenehmer Pfiffigkeit. Theodora nickte leicht auf seine kriechende Verbeugung; Galatea begann ihr die Augenbrauen zu malen. "Kaiserin," hob der Alte aengstlich an, "ich staune ueber deine Kuehnheit. Wenn man mich hier saehe! Die Klugheit von neun Jahren waere durch einen Augenblick vereitelt." "Man wird dich aber nicht sehen, Petros," sagte Theodora ruhig. "Diese Stunde ist die einzige, da ich vor der zudringlichen Zaertlichkeit Justinians sicher bin. Es ist seine Betstunde. Ich muss sie ausbeuten so gut ich kann. Gott erhalte ihm seine Froemmigkeit! Galatea, den Fruehwein. Wie? Du fuerchtest doch nicht, mich mit diesem gefaehrlichen Verfuehrer allein zu lassen?" Die Alte ging mit haesslichem Grinsen und kam gleich zurueck, einen Henkelkrug suessen gewaermten Chierweins in der einen Hand, Becher mit Wasser und Honig in der andern. "Ich konnte heute unsere Unterredung nicht, wie gewoehnlich, in der Kirche veranstalten, wo du in dem dunkeln Beichtstuhl einem Priester taeuschend aehnlich siehst. Der Kaiser wird dich noch vor der Kirchenzeit zu sich bescheiden und du musst zuvor genau unterrichtet sein." "Was ist zu thun?" "Petros," sagte Theodora, sich behaglich zuruecklehnend und langsam das suesse Getraenk schluerfend, das Galatea mischte, "heute kam der Tag, der unsere langjaehrige Muehe und Klugheit lohnen und dich zum grossen Mann machen wird." "Zeit waer' es," meinte der Rhetor. "Nur nicht ungeduldig, Freund. (Galatea, etwas mehr Honig.) Um dich fuer das heutige Geschaeft in die rechte Stimmung zu versetzen, wird es gut sein, dich an das Vergangne, an die Entstehungsart unserer - Freundschaft zu erinnern." "Was soll das? Wozu ist das noetig?" sagte der Alte unbehaglich. "Zu mancherlei. Also. Du warst der Vetter und Anhaenger meines Todfeindes Narses. Folglich auch mein Feind. Jahrelang hast du im Dienste deines Vetters mir entgegengearbeitet, mir wenig geschadet, dir selbst aber noch weniger genutzt. Denn Narses, dein tugendhafter Freund, setzt seine Ehre und seine Schlauheit darein, nie etwas fuer seine Verwandten zu thun, dass man ihn nie, wie die andern Hoeflinge dieses Reiches, des Nepotismus zeihen koenne. Aus lauter Vorsicht und eitel Tugend liess er dich unbefoerdert. Du darbtest und bliebst einfacher Schreiber. Aber ein feiner Kopf wie du weiss sich zu helfen. Du faelschtest, du verdoppeltest die Steuerausschreiben des Kaisers. Die Provinzen zahlten neben der von Justinian verlangten noch eine zweite Steuer, die Petros und die Steuererheber untereinander teilten. Eine Weile ging das vortrefflich. Aber einmal -" "Kaiserin, ich bitte dich -" "Ich bin gleich zu Ende, Freund. Aber einmal hattest du das Unglueck, dass einer von den neuen Steuerboten die Gunst der Kaiserin hoeher anschlug als den von dir verheissnen Teil der Beute. Er ging auf deinen Antrag ein, liess sich die Urkunde von dir faelschen und - brachte sie mir." "Der Elende," murrte Petros. "Ja, es war schlimm," laechelte Theodora, den Becher wegstellend. "Ich konnte jetzt meinem boshaften Feind, dem Vertrauten des verhassten Eunuchen, den schlauen Kopf vor die Fuesse legen und ich muss gestehen: es luestete mich sehr danach, sehr! Aber ich opferte die kurze Rache einem grossen, dauernden Vorteil. Ich rief dich zu mir und liess dir die Wahl, zu sterben oder fortan mir zu dienen. Du warst guetig genug, das letztre zu waehlen und so haben wir, vor der Welt nach wie vor die heftigsten Feinde, insgeheim seit Jahren zusammen gewirkt: du hast mir alle Plaene des grossen Narses im Entstehen verraten und ich hab es dir wohl vergolten: du bist jetzt ein reicher Mann." "O nicht der Rede wert." "Bitte, Undankbarer, das weiss mein Schatzmeister besser. Du bist sehr reich." "Wohl, aber ohne Rang und Wuerde. Meine Studiengenossen sind Patricier, Praefekten, grosse Herren in Morgen- und Abendland: so Cethegus in Rom, Prokopius in Byzanz." "Geduld. Vom heut'gen Tage an wirst du die Leiter der Ehren rasch erklimmen. Ich musste doch immer etwas zu geben behalten. Hoere: du gehst morgen als Gesandter nach Ravenna." "Als kaiserlicher Gesandter?" rief Petros freudig. "Durch meine Verwendung. Aber das ist nicht alles. Du erhaeltst von Justinian ausfuehrliche Anweisungen, das Gotenreich zu verderben, Belisar den Weg nach Italien zu bahnen." "Diese Anweisungen - befolg' ich oder vereitl' ich?" "Befolgst du. Aber du erhaeltst noch einen Auftrag, den dir Justinian ganz besonders ans Herz legen wird: die Tochter Theoderichs um jeden Preis aus der Hand ihrer Feinde zu retten und nach Byzanz zu bringen. Hier hast du einen Brief von mir, der sie dringend einladet, an meiner Brust ein Asyl zu suchen." "Gut," sagte Petros, den Brief einsteckend, "ich bringe sie also sofort hierher." Da schnellte Theodora wie eine springende Schlange vom Lager auf, dass Galatea erschrocken zurueckfuhr. "Bei meinem Zorn, Petros, nein. Dich send' ich deshalb. Sie darf nicht nach Byzanz, sie darf nicht leben." Bestuerzt liess Petros den Brief fallen. "O Kaiserin," fluesterte er - "ein Mord!" "Still, Rhetor," sprach Theodora mit heiserer Stimme und unheimlich funkelten ihre Augen. "Sie muss sterben." "Sterben? o Kaiserin, warum?" "Warum? das hast du nicht zu fragen. Doch halt: - du sollst es wissen, es giebt deiner Feigheit einen Sporn - wisse -" und sie fasste ihn wild am Arme und raunte ihm ins Ohr: "Justinian, der Verraeter, faengt an sie zu lieben." "Theodora!" rief der Rhetor erschrocken und trat einen Schritt zur Seite. Die Kaiserin sank auf die Kline zurueck. "Aber er hat sie ja nie gesehen!" stammelte sich fassend Petros. "Er hat ihr Bild gesehen: er traeumt bereits von ihr, er glueht fuer dieses Bild." "Du hast nie eine Rivalin gehabt." "Ich werde dafuer wachen, dass ich keine erhalte." "Du bist so schoen." "Amalaswintha ist juenger." "Du bist so klug, bist seine Beraterin, die Vertraute seiner geheimsten Gedanken." "Das eben wird ihm laestig. Und" - sie ergriff wieder seinen Arm - "merke wohl: sie ist eine Koenigstochter! eine geborne Herrscherin, ich des Loewenwaerters plebejisch Kind. Und - so wahnwitzig laecherlich es ist! - Justinian vergisst im Purpurmantel, dass er des dardanischen Ziegenhirten Sohn. Er hat den Wahnsinn der Koenige geerbt, er, selbst ein Abenteurer: er faselt von angeborner Majestaet, von dem Mysterium koeniglichen Bluts. Gegen solche Grillen hab' ich keinen Schutz: von allen Weibern der Erde fuerchte ich nichts: aber diese Koenigstochter - -" Sie sprang zuernend auf und ballte die kleine Hand. "Huete dich, Justinian!" sagte sie durchs Gemach schreitend. "Theodora hat mit diesem Auge, mit dieser Hand Loewen und Tiger bezaubert und beherrscht: lass sehen, ob ich nicht diesen Fuchs im Purpur in Treue erhalten kann." Sie setzte sich wieder. "Kurz, Amalaswintha stirbt," sagte sie, ploetzlich wieder kalt geworden. "Wohl," erwiderte der Rhetor, "aber nicht durch mich. Du hast der blutgewohnten Diener genug. Sie sende; ich bin ein Mann der Rede. -" "Du bist ein Mann des Todes, wenn du nicht gehorchst. Gerade du, mein Feind, musst es thun: keiner meiner Freunde kann es ohne Verdacht." "Theodora," mahnte der Rhetor sich vergessend, "die Tochter des grossen Theoderich ermorden, eine geborne Koenigin - -" "Ha," lachte Theodora grimmig, "auch dich Armseligen blendet die geborne Koenigin. Narren sind die Maenner alle, noch mehr als Schurken! Hoere, Petros, an dem Tage, da die Todesnachricht aus Ravenna eintrifft, bist du Senator und Patricius." Wohl blitzte des Alten Auge. Aber Feigheit oder Gewissensangst war doch maechtiger als der Ehrgeiz. "Nein," sagte er entschlossen, "lieber lasse ich den Hof und alle Plaene." "Das Leben laess'st du, Elender!" rief Theodora zornig. "O, du waehntest, du seiest frei und ungefaehrdet, weil ich damals vor deinen Augen die gefaelschte Urkunde verbrannt? Du Thor! es war die rechte nicht! Sieh her - hier halte ich dein Leben." Und sie riss aus einer Capsula voller Dokumente ein vergilbtes Pergament. Sie zeigte es dem Erschrocknen, der jetzt willenlos in die Kniee brach. "Befiehl," stammelte er, "ich gehorche." Da pochte man an die Hauptthuere. "Hinweg," rief die Kaiserin. "Hebe meinen Brief an die Gotenfuerstin vom Boden auf und bedenk es wohl: Patricius, wenn sie stirbt, Folter und Tod, wenn sie lebt. Fort." Und Galatea schob den Betaeubten durch den geheimen Eingang hinaus, drehte den bronzenen Justinian wieder an seine Stelle und ging, die Hauptthuer aufzuthun. Neunzehntes Kapitel. Herein trat eine stattliche Frau, groesser und von groeberen Formen als die kleine, zierliche Kaiserin, nicht so verfuehrerisch schoen, aber juenger und bluehender, mit frischen Farben und ungekuenstelter Art. "Gegruesst, Antonina, geliebtes Schwesterherz! komm an meine Brust!" rief die Kaiserin der tief sich Verbeugenden entgegen. Die Gattin Belisars gehorchte schweigend. "Wie diese Augengruben hohl werden!" dachte sie, sich wieder aufrichtend. "Was das Soldatenweib fuer grobe Knoechel hat!" sagte die Kaiserin zu sich selbst, da sie die Freundin musterte. - "Bluehend bist du wie Hebe," rief sie ihr laut zu, "und wie die weisse Seide deine frischen Wangen hebt! Hast du etwas neues mitzuteilen von - von ihm?" fragte sie und nahm gleichgueltig spielend vom Waschtisch ein gefuerchtetes Werkzeug, eine spitze Lanzette an einem Staebchen von Elfenbein, mit welchem ungeschickte oder auch nur unglueckliche Sklavinnen von der zuernenden Herrin oft zolltief in Schultern und Arme gestochen wurden. "Heute nicht," fluesterte Antonina erroetend, "ich hab' ihn gestern nicht gesehn." "Das glaub' ich," laechelte Theodora in sich hinein. "O wie schmerzlich werd' ich dich bald vermissen," sagte sie, Antoninens vollen Arm streichelnd. "Schon in der naechsten Woche vielleicht wird Belisarius in See stechen und du, treuste aller Gattinnen, ihn begleiten. Wer von euren Freunden wird euch folgen?" "Prokopius," sagte Antonina, "und" - setzte sie, die Augen niederschlagend, hinzu - "die beiden Soehne des Boethius." "Ah so," laechelte die Kaiserin, "ich verstehe. In der Freiheit des Lagerlebens hoffst du dich des schoenen Juenglings ungestoerter zu erfreuen und indessen Held Belisarius Schlachten schlaegt und Staedte gewinnt -" "Du erraetst es. Aber ich habe dabei eine Bitte an dich. Dir freilich ward es gut. Alexandros, dein schoener Freund ist zurueck: er bleibt in deiner Naehe und er ist sein eigner Herr, ein reifer Mann. Aber Anicius, du weisst es, der Juengling, steht unter seines altern Bruders Severinus strenger Hut. Nie wuerde dieser, der nur Rache an den Barbaren sinnt und Freiheitsschlachten, diese zarte - Freundschaft dulden. Er wuerde unsern Verkehr tausendfach stoeren. Deshalb thu' mir eine Liebe: Severinus darf uns nicht folgen. Wenn wir an Bord sind mit Anicius, halte den aeltern Bruder in Byzanz zurueck mit List oder Gewalt - du kannst es ja leicht - du bist die Kaiserin." "Nicht uebel," laechelte Theodora. "Welche Kriegslisten! Man sieht, du lernst von Belisarius." Da ergluehte Antonina ueber und ueber. "O nenne seinen Namen nicht. Und hoehne nicht! Du weisst am besten, von wem ich gelernt, zu thun, worueber man erroeten muss." Theodora schoss einen funkelnden Blick auf die Freundin. "Der Himmel weiss," fuhr diese fort, ohne es zu beachten, "Belisar selbst war nicht treuer als ich, bis ich an diesen Hof kam. Du warst es, Kaiserin, die mich gelehrt, dass diese selbstischen Maenner, von Krieg und Staat und Ehrgeiz erfuellt, uns, wenn sie einmal unsre Eheherrn, vernachlaessigen, uns nicht mehr wuerdigen, wann sie uns besitzen. Du hast mich gelehrt, wie es keine Suende, kein Unrecht sei, die unschuldige Huldigung, die schmeichelnde Verehrung, die der tyrannische Gemahl versagt, von einem noch hoffenden und deshalb noch dienenden Freunde hinzunehmen. Gott ist mein Zeuge, nichts andres als diesen suessen Weihrauch der Huldigung, den Belisar versagt und den mein eitles, schwaches Herz nicht missen kann, will ich von Anicius." "Zum Glueck fuer mich wird das sehr bald langweilig fuer ihn," sagte Theodora zu sich selbst. "Und doch - schon dies ist ein Verbrechen, fuercht' ich, an Belisar. O wie ist er gross und edel und herrlich. Wenn er nur nicht allzugross waere fuer dies kleine Herz." - Und sie bedeckte das Antlitz mit den Haenden. "Die Erbaermliche," dachte die Kaiserin, "sie ist zu schwach zum Genuss wie zur Tugend." Da trat Agave, die huebsche junge Thessalierin, ins Gemach mit einem grossen Strauss herrlicher Rosen. "Von ihm," fluesterte sie der Herrin zu. - "Von wem?" fragte diese. Aber jetzt sah Antonina auf und Agave winkte warnend mit den Augen. Die Kaiserin reichte Antoninen den Strauss, sie zu beschaeftigen, "bitte, stell' ihn dort in die Marmorvase." Waehrend die Gattin Belisars den Ruecken wendend gehorchte, fluesterte Agave: "Nun, von ihm, den du gestern den ganzen Tag hier versteckt gehalten: - von dem schoenen Anicius -" setzte das holde Kind erroetend bei. Aber kaum hatte sie das unvorsichtige Wort gesagt, als sie laut schreiend nach ihrem linken Arme griff. Die Kaiserin schlug sie mit der noch blutigen Lanzette ins Gesicht. "Ich will dich lehren, Augen haben, ob Maenner schoen sind oder haesslich," fluesterte sie grimmig. "Du laesst dich in die Spinnstube sperren auf vier Wochen - sogleich - und zeigst dich nie mehr in meinen Vorzimmern. Fort!" Weinend ging das Maedchen, ihr Haupt verhuellend. "Was hat sie gethan?" fragte Antonina sich wendend. "Das Riechflaeschchen fallen lassen," sagte Galatea rasch, ein solches von dem Teppich aufhebend. - "Herrin, dein Haar ist fertig." "So lass die Ankleiderinnen ein und wer sonst im Vorsaal. - Willst du einstweilen in diesen Versen blaettern, Antonina? Es sind die neuesten Gedichte des Arator, "ueber die Thaten der Apostel", gar erbaulich zu lesen! Zumal hier, die Steinigung des heiligen Stephanos! Aber lies und sprich sein Urteil." Galatea oeffnete weit die Thuere des Haupteingangs: ein ganzer Schwarm von Sklavinnen und Freigelassenen wogte herein. Die einen besorgten das Hinausraeumen der gebrauchten Toilettegeraete, andre raeucherten mit Kohlenpfaennchen und sprengten aus schmalhalsigen Flaeschchen Balsam durch das Gemach. Die meisten aber waren um die Person der Kaiserin beschaeftigt, die jetzt ihren Anzug vollendete. Galatea nahm ihr den Rosaueberwurf ab. "Berenike," rief sie, "die milesische Tunika mit dem Purpurstreif und der goldnen Falbel: es ist Sonntag heute." Waehrend die erfahrene Alte, die allein das Haar der Kaiserin beruehren durfte, die kostbare Goldnadel, mit der Venusgemme im Knopf, kuenstlich in die Knoten des Hinterhauptes schob, fragte die Kaiserin: "Was giebt es neues in der Stadt, Delphine?" "Du hast gesiegt, o Herrin!" antwortete die Gefragte, mit den Goldsandalen niederknieend. "Deine Farbe, die Blauen, haben gestern im Cirkus gesiegt ueber die Gruenen zu Ross und Wagen." "Triumph!" frohlockte Theodora, "eine Wette von zwei Centenaren Gold, - es ist mein. - Nachrichten? woher? aus Italien?" rief sie einer eben mit Briefen eintretenden Dienerin entgegen. "Jawohl, Herrin, aus Florentia von der Gotenfuerstin Gothelindis: ich kenne das Gorgonensiegel: und von Silverius, dem Diakon." "Gieb," sagte Theodora, "ich nehme sie mit in die Kirche. Den Spiegel, Elpis." - Eine junge Sklavin trat vor mit einer ovalen drei Fuss langen Platte von glaenzend polirtem Silber in einem reich mit Perlen besetzten Goldrahmen und getragen von einem starken Fuss von Elfenbein. Die arme Elpis hatte harten Dienst. Sie musste waehrend der Vollendung des Ankleidens die schwere Platte bei jeder Bewegung der unruhigen Herrin sofort dermassen drehen, dass diese sich ununterbrochen darin beschauen konnte und weh' ihr, wenn sie einer Wendung zu spaet nachfolgte. "Was giebt es zu kaufen, Zephyris?" fragte die Kaiserin eine dunkelfarbige libysche Freigelassene, die ihr eben die zahme Hausschlange, die in einem Koerbchen auf weichem Moose ruhte, zur Morgenliebkosung reichte. "Ach, nicht viel Besondres," sagte die Libyerin, - "komm, Glauke," fuhr sie fort, indem sie die blendend weisse golddurchwirkte Chlamys aus der Kleiderpresse nahm und sorgfaeltig auf den Armen ausgebreitet hielt, bis die Gerufene ihr sie abnahm, mit Einem Wurf der Kaiserin in den schoensten Falten ueber die Schulter schlug, mit dem weissen Guertel zusammenfasste und das eine Ende mit einer Goldspange, die einst die Taube der Venus, jetzt aber im Gegenteil den heiligen Geist darstellte, ueber der weissen Achsel befestigte. Glauke, die Tochter eines athenischen Bildhauers, hatte jahrelang den Faltenwurf studirt, war deshalb von der Kaiserin um viele tausend Solidi angekauft worden und hatte den ganzen Tag ueber nur dies einzige Geschaeft. "Duftige Seifenkugeln aus Spanien," berichtete Zephyris, "sind wieder frisch angekommen. Ein neues milesisches Maerchen ist erschienen und der alte Aegypter ist wieder da," setzte sie leiser hinzu, "mit seinem Nilwasser. Er sagt, es helfe unfehlbar. Die Perserkoenigin, die acht Jahre kinderlos - -" Seufzend wandte sich Theodora ab, ein Schatte flog ueber das glatte Gesicht. "Schick' ihn fort," sagte sie, "diese Hoffnung ist vorueber." - Und es war einen Augenblick, als wollte sie in truebes Sinnen versinken. Aber sich aufraffend trat sie, Galateen winkend, zu ihrem Lager zurueck, nahm den zerdrueckten Eppichkranz, der auf ihrem Kopfkissen lag und gab ihn der Alten mit den gefluesterten Worten: "fuer Anicius, schick' es ihm zu. - Den Schmuck, Erigone!" Diese, von zwei andern Sklavinnen unterstuetzt, trug muehsam die schwere Kiste von Erz herbei, deren Deckel, in getriebnen Figuren die Werkstaette des Vulcanus darstellend, mit dem Siegel der Kaiserin an die Lade befestigt war. Erigone zeigte, dass das Siegel unverletzt und schlug den Deckel auf: neugierig stellte sich da manches Maedchen auf die Fussspitzen, einen Blick von den schimmernden Schaetzen zu erhaschen. "Willst du noch die Sommerringe, Herrin?" fragte Erigone. - "Nein," sprach Theodora waehlend, "die Zeit dafuer ist um. Gieb mir die schwereren, die Smaragden." Erigone reichte ihr Ohrringe, Fingerring und Armband. "Wie schoen," sagte Antonina, von ihren frommen Versen aufsehend, "steht das Weiss der Perle zu dem Gruen des Steins!" "Es ist ein Schatzstueck der Kleopatra," sagte die Kaiserin gleichgueltig, "der Jude hat den Stammbaum der Perle eidlich erhaertet." "Aber du zoegerst lange," erinnerte Antonina, "Justinians Goldsaenfte harrte schon als ich herauf kam." "Ja, Herrin," rief eine junge Sklavin aengstlich, "der Sklave vor der Sonnenuhr sagte schon die vierte Stunde an. Eile, Herrin." Ein Stich mit der Lanzette war die Antwort. "Willst du die Kaiserin mahnen?" Aber Antoninen fluesterte sie zu: "Man muss die Maenner nicht verwoehnen: sie muessen immer auf uns warten, wir nie auf sie. Meinen Straussenfaecher, Thais. Geh, Jone, die kappadokischen Sklaven sollen an meine Saenfte treten." Und sie wandte sich zum Gehen. "O Theodora," rief Antonina rasch, "vergiss meine Bitte nicht." "Nein," sagte diese, ploetzlich stehen bleibend, "gewiss nicht! Und damit du ganz sicher gehst," laechelte sie, "leg' ich's in deine eigne Hand. Meine Wachstafel und den Stift." Galatea brachte sie eilig. Theodora schrieb und fluesterte der Freundin zu: "Der Praefekt des Hafens ist einer meiner alten Freunde. Er gehorcht mir blind. Lies, was ich schreibe: "An Aristarchos den Praefekten Theodora die Kaiserin. Wenn Severinus, des Boethius Sohn, das Schiff des Belisarius besteigen will, halt' ihn, noetigenfalls mit Gewalt, zurueck und sende ihn hierher in meine Gemaecher: er ist zu meinem Kaemmerer ernannt. Ist's recht so, liebe Schwester?" fluesterte sie. "Tausend Dank," sagte diese mit leuchtenden Augen. "Aber wie," rief die Kaiserin laut, ploetzlich an ihren Hals fassend, "und die Hauptsache haetten wir vergessen? Mein Amulet, den Mercurius! Bitte, Antonina, dort liegt es." Hastig wandte sich diese, den kleinen goldnen Merkur, den besten Geleitsmann, der an seidner Schnur an dem Bette der Kaiserin hing, zu holen. Inzwischen aber strich Theodora schnell das Wort "Severinus" mit dem Goldgriffel aus, und schrieb dafuer "Anicius". Sie klappte das Taefelchen zusammen, umschnuerte und siegelte es mit ihrem Venusring. "Hier das Amulet," sagte Antonina zurueckkommend. "Und hier der Befehl!" laechelte die Kaiserin. "Du magst ihn selbst im Augenblick der Abfahrt an Aristarchos uebergeben. Und jetzt," rief sie, "jetzt auf: in die Kirche." Zwanzigstes Kapitel. In Neapolis, derjenigen Stadt Italiens, ueber welcher die zu Byzanz aufsteigenden Wetterwolken sich zuerst entladen sollten, ahnte man nichts von einer drohenden Gefahr. Da wandelten damals Tag fuer Tag an den reizenden Haengen, welche nach dem Posilipp fuehren, oder an den Uferhoehen im Suedosten der Stadt, in vertrautem Gespraech, alle Wonnen jugendlich begeisterter Freundschaft geniessend, zwei herrliche Juenglinge, der eine in braunen, der andre in goldnen Locken: die Dioskuren, Julius und Totila. O schoene Zeit, da es die reine Seele, umweht von der frischen Morgenluft des Lebens, noch unenttaeuscht und unermuedet, trunken von der Fuelle stolzer Traeume, draengt, hinueberzufluten in ein gleich junges, gleich reiches, gleich ueberschwaengliches Gemuet. Da staerkt sich der Vorsatz zu allem Edelsten, der Aufschwung zu dem Hoechsten, der Flug bis in die lichte Naehe des Goettlichen wird in der Mitteilung gewagt, in der seligen Gewissheit, verstanden zu sein. Wenn der Bluetenkranz in unsren Locken gewelkt ist und die Ernte unsres Lebens beginnt, moegen wir laecheln ueber jene Traeume der Juenglingszeit und Juenglingsfreundschaft; aber es ist kein Laecheln des Spottes; es ist ein Ausdruck von jener Wehmut, mit der wir in nuechterner Herbstluft der suessen, berauschenden Luefte des ersten Fruehlings gedenken. - Der junge Gote und der junge Roemer hatten sich gefunden in der gluecklichsten Zeit fuer einen solchen Bund und sie ergaenzten sich wunderbar. Totilas sonnige Seele hatte den vollen Schmelz der Jugend bewahrt: lachend sah er in die lachende Welt: er liebte den Menschen und der Glanz seines wohlwollenden Wesens gewann ihm leicht und rasch alle Herzen. Er glaubte nur an das Gute und des Guten Sieg: traf er das Boese, das Gemeine auf seinem Pfad, so trat er es mit dem heilig lodernden Zorn eines Erzengels in den Staub: durch seine sanfte Natur brach dann, den Helden verratend, die gewaltige Kraft, die in ihr ruhte und nicht eher liess er ab, bis das verhasste Element aus seinem Lebenskreise getilgt war. Aber im naechsten Augenblick war dann die Stoerung wie ueberwunden so vergessen und harmonisch wie seine Seele fuehlte er ringsum Welt und Leben. Stolz und froh empfand er die Vollkraft seiner Jugend und jauchzend drueckte er das goldne Dasein an die Brust. Singend schritt er durch die wimmelnden Strassen von Neapolis, der Abgott der Maedchen, der Stolz seiner gotischen Waffenfreunde, wie ein Gott der Freude, beglueckend und beglueckt. Der helle Zauber seines Wesens teilte sich selbst der stilleren Seele seines Freundes mit. Julius Montanus, zart und sinnig angelegt, eine fast weibliche Natur, frueh verwaist und von Cethegus' hochueberlegnem Geist eingeschuechtert, in Einsamkeit und unter Buechern aufgewachsen, von der trostlosen Wissenschaft jener Zeit mehr belastet als gehoben, sah das Leben ernst, fast wehmuetig an. Ein Zug zur Entsagung und die Neigung, alles Bestehende an dem strengen Mass uebermenschlicher Vollendung zu messen, lag in ihm und mochte sich leicht bis zur Schwermut verduestern. Zur gluecklichen Stunde fiel Totilas sonnige Freundschaft in seine Seele und erhellte sie bis in ihre tiefsten Falten so maechtig, dass seine edle Natur auch von einem schweren Schlage sich wieder elastisch aufrichten konnte, den eben diese Freundschaft auf sein Haupt ziehen sollte. Hoeren wir ihn selbst darueber an den Praefekten berichten: "Cethegus dem Praefekten Julius Montanus. Die kaltherzige Antwort, die du auf den warmgefuehlten Bericht von meinem neuen Freundschafts-Glueck erteiltest, hat mir zuerst - gewiss gegen deine Absicht - sehr wehe gethan, spaeter aber das Glueck eben dieser Freundschaft erhoeht, freilich in einer Weise, welche du weder ahnen noch wuenschen konntest. Der Schmerz durch dich hat sich bald in Schmerz um dich verwandelt. Wollte es mich anfangs kraenken, dass du meine tiefste Empfindung als die Schwaermerei eines kranken Knaben behandeltest und die Heiligtuemer meiner Seele mit bittrem Spott antasten wolltest - nur wolltest, denn sie sind unantastbar, - so ergriff mich doch statt dessen bald das Gefuehl des Mitleids mit dir. Wehe, dass ein Mann wie du, so ueberreich an Kraeften des Geistes, darbest an den Guetern des Herzens. Wehe, dass du die Wonne der Hingebung nicht kennst und jene opferfreudige Liebe, die ein von dir mehr verspotteter als verstandner Glaube, den mir jeder Tag des Schmerzes naeher bringt, die _caritas_, die Naechstenliebe, nennt: Wehe dir, dass du das Herrlichste nicht kennst! Vergieb die Freiheit dieser meiner Rede: ich weiss, ich habe noch nie in solchen Worten zu dir gesprochen: aber erst seit kurzem bin ich, der ich bin. Vielleicht nicht ganz mit Unrecht hat noch dein letzter Brief Spuren von Knabenhaftigkeit an mir gegeisselt. Ich glaube, sie sind seitdem verschwunden und ein Verwandelter sprech' ich zu dir. Dein Brief, dein Rat, deine "Arzenei" hat mich allerdings zum Manne gereift, aber nicht in deinem Sinn und nicht nach deinem Wunsch. Schmerz, heiligen, laeuternden Schmerz hat er mir gebracht, er hat diese Freundschaft, die er verdraengen sollte, auf eine harte Probe gestellt, aber, der Guete Gottes sei's gedankt, er hat sie im Feuer nicht zerstoert, sondern gehaertet fuer immer. Hoere und staune, was der Himmel aus deinen Plaenen geschaffen hat. Wie wehe mir dein Brief gethan, - in alter Gewohnheit des Gehorsams befolgte ich alsbald seinen Auftrag und suchte deinen Gastfreund auf, den Purpurhaendler Valerius Procillus. Er hatte bereits die Stadt verlassen und seine reizende Villa bezogen. Ich fand an ihm einen vielerfahrnen Mann und einen eifrigen Freund der Freiheit und des Vaterlandes: in seiner Tochter Valeria aber ein Kleinod. Du hattest recht prophezeit. Meine Absicht, mich gegen sie zu verschliessen, zerschmolz bei ihrem Anblick wie Nebel vor der Sonne: mir war Elektra oder Kassandra, Cloelia oder Virginia stehe vor mir. Aber mehr noch als ihre hohe Schoenheit bezauberte mich der Schwung ihrer unsterblichen Seele, die sich alsbald vor mir aufthat. Ihr Vater behielt mich sogleich als seinen Gast im Hause und ich verlebte unter seinem Dach mit ihr die schoensten Tage meines Lebens. Die Poesie der Alten ist der Aether ihrer Seele. Wie rauschten die Choere des Aeschylos, wie ruehrend toente Antigones Klage in ihrer melodischen Stimme; stundenlang lasen wir in Wechselrede und herrlich war sie zu schauen, wann sie sich erhob im Schwunge der Begeisterung, wann ihr dunkles Haar, in freie Wellen geloest, niederfloss und aus ihrem grossen runden Auge ein Feuer blitzte nicht von dieser Welt. Und, - was ihr vielleicht noch tiefen Schmerz bereiten wird, - eine Spaltung, die durch all' ihr Leben geht, giebt ihr den hoechsten Reiz. Du ahnst wohl, was ich meine, da du seit Jahren das Schicksal ihres Hauses kennst. Du weisst wohl genauer als ich, wie es kam, dass Valeria schon bei ihrer Geburt von ihrer frommen Mutter einem ehelosen, einsamen Leben in Werken der Andacht geweiht, dann aber von ihrem reichen und mehr roemisch als christlich gesinnten Vater um den Preis einer Kirche und eines Klosters, die er baute, losgekauft worden ist. Aber Valeria glaubt, dass der Himmel nicht totes Gold nehme fuer eine lebendige Seele: sie fuehlt sich der Bande jenes Geluebdes nicht ledig, deren sie ewig, aber nur in Furcht, nicht in Liebe, gedenkt. Denn du hattest recht als du schriebst: sie sei durch und durch ein Kind der alten, der heidnischen Welt. Das ist sie, die echte Tochter ihres Vaters: aber doch kann sie der frommen Mutter entsagend Christentum nicht abthun: es lebt nicht in ihr als ein Segen, es lastet auf ihr als ein Fluch, als der unentrinnbare Zwang jenes Geluebdes. Diesen wundersamen Zwiespalt, diesen verhaengnisvollen Widerstreit traegt die edle Jungfrau im Gemuet: er quaelt sie, aber er veredelt sie zugleich. Wer weiss, wie er sich loesen wird? der Himmel allein, der ihr Schicksal lenkt. Mich aber zieht dieser innere Kampf mit ernsten Schauern an: du weisst ja, dass in mir selbst der Christenglaube und die Philosophie in ungeklaerter Mischung durcheinander wogen. Zu meinem Staunen hat in diesen Tagen des Schmerzes der Glaube zugenommen und fast will mich beduenken, die Freude fuehre zu der heidnischen Weisheit, zu Christus aber der Schmerz und das Unglueck. Aber hoere wie der Schmerz ueber mich gekommen. Anfangs, als ich diese Liebe in mir keimen sah, war ich froher Hoffnung voll. Valerius, vielleicht schon frueher von dir fuer mich gewonnen, sah meine wachsende Neigung offenbar nicht ungern: vielleicht hatte er nur das an mir auszusetzen, dass ich seinen Traum von der Wiederaufrichtung der roemischen Republik nicht eifrig genug teilte und nicht seinen Hass gegen die Byzantiner, in denen er die Todfeinde seines Hauses wie Italiens sieht. Auch Valeria war mir bald freundschaftlich geneigt und wer weiss ob nicht damals die Verehrung gegen den Willen ihres Vaters und diese Freundschaft genuegt haetten, sie in meine Arme zu fuehren. Aber ich danke, - soll ich sagen Gott oder dem Schicksal? - dass es nicht so kam: Valeria einer halb gleichgueltigen Ehe opfern waere ein Frevel gewesen. Ich weiss nicht, welches seltsame Gefuehl mich abhielt das Wort zu sprechen, das sie in jenen Tagen gewiss zu der Meinen gemacht haette. Ich liebte sie doch so tief: - aber so oft ich mir ein Herz fassen und bei ihrem Vater um sie werben wollte, immer beschlich mich ein Gefuehl, als thu' ich Unrecht an dem Gut eines andern, als sei ich ihrer nicht wuerdig oder doch nicht die ihr vom Schicksal zugedachte Haelfte ihrer Seele und ich schwieg und bezaehmte das pochende Herz. Einstmals um die sechste Stunde, - schwuel brannte die Sonne rings auf Land und Meer - suchte ich Schatten in der kuehlen Marmorgrotte des Gartens. Ich trat ein durch das Oleandergebuesch: da lag sie schlafend auf der weichen Rasenbank, die eine Hand auf dem leise wogenden Busen, der linke Arm unter dem edeln Haupt, das noch vom Fruehmahl her der schoene Asphodeloskranz schmueckte. Ich stand bebend vor ihr: so schoen war sie noch nie gewesen, ich beugte mich ueber sie und staunte die edeln, wie in Marmor gebildeten Zuege an: heiss schlug mein Herz, ich beugte mich ueber sie, diese roten feingeschnittenen Lippen zu kuessen. Da fiel mir's ploetzlich centnerschwer aufs Herz: es ist ein Raub, was du begehen willst. Totila! rief unwillkuerlich meine ganze Seele und still, wie ich gekommen, schlich ich fort. Totila! Was war er mir nicht frueher eingefallen? Ich machte mir Vorwuerfe, den Bruder meines Herzens ueber dem neuen Glueck fast vergessen zu haben. Deine Prophezeiung, Cethegus, dachte ich, soll sich nicht erfuellen: diese Liebe soll mich dem Freunde nicht entfremden. Er soll Valeria sehen, gleich mir bewundern, meine Wahl lobpreisen und dann, dann will ich werben und Totila soll gluecklich sein mit uns. Andern Tages ging ich nach Neapolis zurueck, ihn zu holen. Ich pries ihm den Schimmer des Maedchens, aber ich vermochte es nicht ueber mich, ihm von meiner Liebe zu sprechen. Er sollte sie sehen und alles erraten. Wir fanden sie bei unserer Ankunft nicht in den Zimmern der Villa. So fuehrte ich Totila in den Garten - Valeria ist die eifrigste Pflegerin der Blumen - wir bogen, Totila voran, aus einem dichten Taxusgang: da schimmerte uns ihre Erscheinung ploetzlich entgegen: sie stand vor einer Statue ihres Vaters und kraenzte sie mit frischgepflueckten Rosen, die sie, hoch aufgehaeuft in der Busenfalte der Tunika, mit der Linken auf der Brust zusammenhielt. Es war ein ueberraschend schoenes Bild: die herrliche Jungfrau, in dem Gruen des Taxus gleichsam eingerahmt, vor dem weissen Marmor, die Rechte anmutvoll erhebend: und maechtig wirkte die Erscheinung auf Totila: mit einem lauten Ruf des Staunens blieb er sprachlos, ihr gerade gegenueber, stehen. Sie sah auf und zuckte erschrocken, wie blitzgetroffen, zusammen: die Rosen fielen in dichten Flocken aus ihrem Gewand: sie sah es nicht: ihre Augen hatten sich getroffen, ihre Wangen ergluehten: - ich sah mit Blitzesschnelle ihr Geschick und mein Geschick entschieden. Sie liebten sich beim ersten Anblick. Schmerzlich, wie ein brennender Pfeil, durchdrang die Gewissheit meine Seele. Aber doch nur einen Augenblick herrschte der Schmerz ungemischt in meiner Brust. Sofort, wie ich die beiden betrachtete, die herrlichen Gestalten, empfand ich neidlose Freude, dass sie sich gefunden: denn es war, wie wenn die Macht, die der Sterblichen Leiber bildet und Seelen, sie aus Einem Stoff fuer einander geschaffen: wie Morgensonne und Morgenroete schimmerten sie ineinander und jetzt erkannte ich auch das dunkle Gefuehl, das mich wie ein Vorwurf von Valeria fern gehalten, das mir _seinen_ Namen auf die Lippen gefuehrt hatte: sein sollte Valeria werden nach Gottes Ratschluss oder dem Gang der Sterne und ich sollte nicht zwischen sie treten. Erlass mir, das Weitere zu berichten. Denn so selbstisch ist mein Sinn geartet, sowenig Macht hat noch die heilige Lehre des Entsagens ueber mich gewonnen, dass - ich schaeme mich, das zu gestehen - dass mein Herz auch jetzt noch manchmal schmerzlich zuckt, statt freudig zu schlagen fuer das Glueck der Freunde. Rasch und unscheinbar, wie zwei Flammen ineinander lodern, schlugen ihre Seelen zusammen. Sie lieben sich und sind gluecklich wie die seligen Goetter: mir ist die Freude geblieben, ihr Glueck zu schauen und ihnen beizustehen, es noch vor dem Vater zu verbergen, der sein Kind wohl schwerlich dem "Barbaren" schenken wird, solang er in Totila nur den "Barbaren" sieht. Meine Liebe aber und ihren Opfertod halt' ich vor dem Freunde tief verborgen: er ahnt nicht und soll nie erfahren, was sein glaenzend Glueck nur trueben koennte. Du siehst nun, o Cethegus, wie weit ab von deinem Ziel ein Gott deinen Plan gewendet. Mir hast du jenes Kleinod Italiens bringen wollen und hast es Totila zugefuehrt. Meine Freundschaft hast du zerstoeren wollen und hast sie in den Gluten heiliger Entsagung von allem Irdischen befreit und unsterblich gemacht. Du hast mich zum Manne machen wollen durch der Liebe Glueck: - ich bin's geworden durch der Liebe Schmerz. Lebe wohl und verehre das Walten des Himmels." Einundzwanzigstes Kapitel. Wir unterlassen es, den Eindruck dieses Schreibens auf den Praefekten auszumalen, und begleiten lieber die beiden Dioskuren auf einem ihrer Abendspaziergaenge an den reizenden Ufergelaenden von Neapolis. Sie wandelten nach der frueh beendigten Coena durch die Stadt und zur Porta nolana hinaus, die in schon halb verwitterten Reliefs die Siege eines roemischen Imperators ueber germanische Staemme verherrlichte. Totila blieb stehen und bewunderte die schoene Arbeit. "Wer ist wohl der Kaiser," fragte er den Freund, "dort auf dem Siegeswagen, mit dem gefluegelten Blitz in der Hand, wie ein Jupiter Tonans?" - "Es ist Marc Aurel," sagte Julius und wollte weitergehen. - "O bleib doch! Und wer sind die vier Gefesselten mit den langwallenden Haaren, die den Wagen ziehn?" "Es sind Germanenkoenige." - "Doch welches Stammes?" fragte Totila weiter - "sieh da, eine Inschrift: "_Gothi extincti!_" "Die Goten vernichtet!"" Laut lachend schlug der junge Gote mit flacher Hand auf die Marmorsaeule und schritt rasch durch das Thor. "Eine Luege in Marmor!" rief er rueckwaerts blickend. "Das hat der Imperator nicht gedacht, dass einst ein gotischer Seegraf in Neapolis seine Prahlereien Luegen straft." - "Ja, die Voelker sind wie die wechselnden Blaetter am Baume," sagte Julius nachdenklich; "wer wird nach euch in diesen Landen herrschen?" Totila blieb stehen. "_Nach uns?_" fragte er erstaunt. - "Nun, du wirst doch nicht glauben, dass deine Goten ewig dauern werden unter den Voelkern?" "Das weiss ich doch nicht," sagte Totila, langsam fortschreitend. - "Mein Freund, Babylonier und Perser, Griechen und Makedonen und, wie es scheinen will, auch wir Roemer hatten ihre zugemessene Zeit: sie bluehten, reisten und vergingen. Soll's anders sein mit den Goten?" "Ich weiss das nicht," sagte Totila unruhig, "ich habe den Gedanken nie gedacht. Es ist mir noch nie eingefallen, dass eine Zeit kommen koennte, da mein Volk" - - er hielt inne, als sei es Suende, den Gedanken auszudenken. "Wie kann man sich dergleichen vorstellen! ich denke daran so wenig wie - wie an den Tod!" "Das sieht dir gleich, mein Totila!" "Und dir sieht es gleich, dich und andre mit solchen Traeumereien zu quaelen." "Traeumereien! Du vergisst, dass es fuer mich, fuer mein Volk schon Wirklichkeit geworden. Du vergisst, dass ich ein Roemer bin. Und ich kann mich nicht darueber taeuschen wie die meisten thun: es ist vorbei mit uns. Das Scepter ist von uns auf euch uebergegangen; glaubst du, es lief so ohne Schmerz, ohne Nachsinnen fuer mich ab, in dir, meinem Herzensfreund, den Barbaren, den Feind meines Volkes zu vergessen?" "Das ist nicht so, beim Glanz der Sonne!" fiel Totila eifrig ein. "Find' ich auch in deiner milden Seele den herben Wahn? Blick' doch nur um dich! Wann, sage mir, wann hat Italien herrlicher geblueht als unter unsrem Schilde? Kaum in den Tagen des Augustus. Ihr lehrt uns Weisheit und Kunst, wir leihen euch Friede und Schutz. Kein schoeneres Wechselverhaeltnis laesst sich denken! Die Harmonie zwischen Roemern und Germanen kann eine ganz neue Zeit erschaffen, schoener als je eine bestanden." "Die Harmonie! aber sie ist nicht da. Ihr seid uns ein fremdes Volk, geschieden durch Sprache und Glaube, durch Stammes- und Sinnesart und durch halbtausendjaehrigen Hass. Wir brachen frueher eure Freiheit, ihr jetzt die unsre; zwischen uns gaehnt eine ewige Kluft." - "Du verwirfst den Lieblingsgedanken meiner Seele." "Er ist ein Traum!" - "Nein, er ist Wahrheit, ich fuehl' es und vielleicht koemmt noch die Zeit, dir's zu beweisen. Das Werk meines ganzen Lebens bau' ich drauf." - "So waer's auf einen edeln Wahn gebaut. Keine Bruecke zwischen Roemern und Barbaren!" - "Dann," sagte Totila heftig, "begreif' ich nicht, wie du leben kannst, wie du mich -" "Vollende nicht," sagte Julius ernst. "Es war nicht leicht: es war die schwerste der Entsagungen! Erst nach hartem Widerstreit der Selbstsucht ist sie mir gelungen: aber endlich hab' ich aufgehoert, in meinem Volk allein zu leben. Der heilge Glaube, der jetzt schon - und er allein vermag's - Roemer und Germanen verbindet, der meinen widerstrebenden Verstand durch lauter Schmerzen - Schmerzen, die Freuden sind - allmaehlich immer maechtiger umschlingt, er hat mir auch in diesem Zwiespalt Friede gebracht. In diesem Einen darf ich mich jetzt schon ruehmen, ein Christ zu sein: ich lebe der Menschheit, nicht meinem Volk allein, ein Mensch, kein blosser Roemer mehr. Darum kann ich dich, den Barbaren, lieben wie einen Bruder: sind wir doch Buerger Eines Reichs: der Menschheit. Darum kann ich es ertragen, zu leben, nachdem ich mein Volk gestorben sehe. Ich lebe der Menschheit: sie ist mein Volk!" "Nein!" rief Totila lebhaft, "das koennt' ich nimmermehr. In meinem Volk allein kann ich und will ich leben: meines Volkes Art ist die Luft, in der allein meine Seele atmen kann. Warum soll'n wir nicht dauern koennen, ewig: oder doch solang diese Erde dauert? Was Perser und Griechen! Wir sind von besserem Stoff. Weil sie dahin siechten und versanken, muessen darum auch wir siechen und versinken? Noch bluehn wir in voller Jugendkraft! Nein, wenn ein Tag koemmt, da die Goten sinken, - moeg' ihn mein Auge nicht mehr sehn. O all' ihr Goetter, lasst uns nur nicht dahinkranken jahrhundertelang wie diese Griechen, die nicht leben koennen und nicht sterben! Nein, muss es sein, so sendet ein furchtbar Kampfgewitter und lasst uns rasch und herrlich fallen, alle, alle und mich voran!" Der Juengling hatte sich in die waermste Begeisterung gesprochen. Er sprang empor von der Marmorbank auf der Strasse, darauf sie sich niedergelassen, den Lanzenschaft hoch gen Himmel erhebend. "Mein Freund," sagte Julius, ihn liebevoll anblickend, "wie schoen steht dir dieser Eifer! Aber bedenke, ein solcher Kampf wuerde mit uns, mit meinem Volk entbrennen und sollte ich -?" "Zu deinem Volke sollst du stehn mit Leib und Seele, das ist klar, wenn es jemals zu solchem Kampfe koemmt. Du glaubst, das wuerde unsrer Freundschaft Eintrag thun? mit nichten! Zwei Helden koennen sich knochentiefe Wunden hau'n und dabei doch die besten Freunde sein. Ha, mich wuerd' es freuen, dich in einer Schlachtreihe mir entgegenschreiten sehn mit Schild und Speer!" Julius laechelte. "Meine Freundschaft ist nicht so grimmiger Art, du wilder Gote. - Diese Fragen und Zweifel haben mich lange und bitter gequaelt und all' meine Philosophen zusammen haben mir nicht den Frieden gebracht. Erst seit ich's in Schmerzen erfahren, dass ich dem Gott im Himmel allein zu dienen habe und auf Erden der Menschheit und nicht Einem Volk -" "Gemach, Freund," rief Totila, "wo ist denn die Menschheit, von der du schwaermst? Ich sehe sie nicht. Ich sehe nur Goten, Roemer, Byzantiner! Eine Menschheit ueber den wirklichen Voelkern, irgendwo in den Lueften, kenn' ich nicht. Ich diene der Menschheit, indem ich meinem Volke lebe. Ich kann gar nicht anders! ich kann nicht die Haut abstreifen, darin ich geboren bin. Gotisch denk' ich, in gotischen Worten, nicht in einer allgemeinen Sprache der Menschheit; die giebt es nicht. Und wie ich nur gotisch denke, kann ich auch nur gotisch fuehlen. Ich kann das Fremde anerkennen, o ja. Ich bewundre eure Kunst, euer Wissen, zum Teil euren Staat, in welchem alles so streng geordnet ist. Wir koennen vieles von euch lernen - aber tauschen koennt' ich und moecht' ich mit keinem Volk von Engeln. Ha, meine Goten! Im Grund des Herzens sind mir ihre Fehler lieber als eure Tugenden." "Wie ganz anders empfinde ich, und bin doch ein Roemer!" "Du bist kein Roemer! vergieb, mein Freund, es giebt schon lange keine Roemer mehr. Sonst waer ich' nicht der Seegraf von Neapolis! So wie du kann nur empfinden, wer eigentlich kein Volk mehr hat. So wie ich muss jeder fuehlen, der eines lebendigen Volkes ist." Julius schwieg eine Weile. "Und wenn dem so ist, - wohl mir! Heil, wenn ich die Erde verloren, den Himmel zu gewinnen. Was sind die Voelker, was ist der Staat, was ist die Erde? Nicht hier unten ist die Heimat meiner unsterblichen Seele! Sie sehnt sich nach jenem Reiche, wo alles anders ist als hier." "Halt ein, mein Julius," sprach Totila, stehen bleibend, die Lanze auf den Boden stossend. "Hier, auf Erden, hab' ich festen Grund, hier lass mich stehn und leben, hier nach Kraeften das Schoene geniessen, das Gute schaffen nach Kraeften. In deinen Himmel kann und will ich dir nicht folgen. Ich ehre deine Traeume, ich ehre deine heilge Sehnsucht - aber ich teile sie nicht. Du weisst," fuegte er laechelnd hinzu, "ich bin ein Heide, unverbesserlich, wie meine Valeria - unsere Valeria. Zur rechten Stunde denk' ich ihrer. Deine erdenfluecht'gen Traeume liessen uns am Ende des Liebsten auf Erden vergessen. Sieh, wir sind zur Stadt zurueckgekommen, die Sonne sinkt so rasch hier im Sueden und ich soll noch vor Nacht die bestellten Saemereien in den Garten des Valerius bringen. Ein schlechter Gaertner," laechelte er, "der seiner Blume vergaesse. Leb wohl - ich biege rechts hinab." "Gruesse mir Valeria. Ich gehe nach Hause, zu lesen." "Was liesest du jetzt? Noch Platon?" "Nein, Augustinus. Lebe wohl!" Zweiundzwanzigstes Kapitel. Rasch eilte Totila durch die Strassen der Vorstadt, die belebteren Teile der Innenstadt meidend, nach der Porta capuana zu und dem Turm Isaks, des juedischen Pfoertners. Der Turm, unmittelbar zur Rechten des Thores, mit starken Mauern und massiv gewoelbtem Dach erbaut, erhob sich in mehreren sich verjuengenden Absaetzen. In dem hoechsten Stockwerk, dicht an den zackigen Zinnen, waren zwei niedre aber breite Gelasse, zur Wohnung des Tuermers bestimmt. Dort hausten der alte Jude und Miriam, sein dunkelschoenes Kind. In dem groessern Gemach, wo an den Waenden in strenger Ordnung die grossen schweren Schluessel zu den Hauptthueren und den Nebenpforten des wichtigen Thorgebaeudes, dann das krumme Waechterhorn und der breite, hellebardengleiche Speer des Pfoertners hingen, sass mit gekreuzten Beinen auf rohrgeflochtener Matte Isak, der greise Turmwart: eine hohe, starkknochige Gestalt mit der Adlernase und den buschigen, hochgeschweiften Brauen seiner Rasse. Er hielt einen langen Stab zwischen den Knien und aufmerksam hoerte er den Worten eines jungen unansehnlichen Mannes, offenbar auch eines Israeliten, zu, in dessen harten, nuechternen Zuegen der ganze Rechnerverstand des juedischen Stammes lag. "Sieh, Vater Isak," schloss er mit unschoener, klangloser Stimme, "meine Rede ist keine eitle Rede und meine Worte kommen nicht aus dem Herzen allein, das blind ist, sondern aus dem Kopf, der da ist sehend. Und hier hab' ich mit mir gebracht Brief und Urkund fuer jedes Wort meines Mundes: hier meine Bestallung als Baumeister fuer alle Wasserleitungen von Italien, jaehrlich fuenfzig Goldsoldi und fuer jedes neue Werk zehn Soldi besonders. Eben erst hab' ich wieder hergestellt die zerfallene Wasserleitung dieser Stadt Neapolis; hier in diesem Beutel sind die zehn Goldstuecke, richtig bezahlt. Du siehst, ich kann ernaehren ein Weib; zudem bin ich Rachels, deiner Muhme, leiblicher Sohn. So lass mich nicht reden umsonst und gieb mir Miriam, dein Kind, dass sie bestelle mein Haus." Aber der Alte strich seinen grauen langen Kinnbart und schuettelte langsam das Haupt. "Jochem, Sohn Rachels, mein Sohn - ich sage dir, lass ab, lass ab." "Warum? was kannst du haben gegen mich? Wer mag reden wider Jochem in Israel?" "Niemand. Du bist gerecht und still und fleissig und mehrest deine Habe und dein Werk gedeiht vor dem Herrn. Aber hast du gesehn, dass sich die Nachtigall paart mit dem Sperling oder die schlanke Gazelle mit dem Lasttier? Sie passen nicht zusammen! Und nun sieh dorthin und sage mir selbst, ob du passest fuer Miriam, mein Kind." Und er schob mit seinem langen Stock sachte den gruenwollenen Vorhang zur Seite, der das vordere Gemach abschloss. Leise silberne Toene waren schon heruebergeklungen in das Gespraech der Maenner: jetzt sah man in den einfachen aber gefaelligen Raum. An dem weiten Rundbogenfenster, das ueber die herrliche Neapolis, das blaue Meer und die fernen Berge die freieste Aussicht bot, stand ein junges Maedchen, ein fremdartig geformtes Saiteninstrument im Arm. Es war eine Erscheinung von ueberraschender Schoenheit. Gluehend rot fiel das Licht der sinkenden Sonne noch in das hochgelegene Gemach und uebergoss wie das weisse Faltengewand so das edel geschnittene Profil des Maedchens mit purpurnem Schimmer: es spielte auf dem glaenzend schwarzen Haar, das, halb hinter das feine Ohr zurueckgestrichen, die edeln Schlaefe zeigte. Und wie dieser Sonnenglanz, so schien der Glanz der Poesie die ganze Erscheinung zu umstrahlen, jede ihrer Bewegungen zu begleiten und jeden traeumerischen Blick aus diesen dunkelblauen Augen, die, in weiches Sinnen versunken, ueber die Stadt und das Meer hinschweiften. "Dunkelmeeresblau" hatte diese Augen Piso, der Dichter, genannt. - Wie im halben Traum beruehrten die Finger nur leise, leise die Saiten, waehrend von den halbgeoeffneten Lippen, gefluestert mehr als gesungen, eine alte, melancholische Weise klang: "An Wasserfluessen Babylons Sass weinend Judas Stamm: - Wann koemmt der Tag, da Judas Stamm Nicht mehr zu weinen hat?" - "Nicht mehr zu weinen hat!" wiederholte sie traeumend und neigte das Haupt auf den Arm, der die Harfe auf der Fensterbruestung hielt. "Sieh hin," sprach der Alte leise, "ist sie nicht lieblich wie die Rose in den Gaerten von Saron und die Hindin auf den Bergen von Hiram und ist kein Fehl an ihrem Leibe?" Ehe Jochem antworten konnte, scholl dreimal ein leises Klopfen an der schmalen Eisenpforte unten. Miriam fuhr auf aus ihrem Sinnen, strich rasch mit der Hand ueber die Augen und eilte die enge Wendeltreppe hinunter. Jochem trat an das Fenster und sein Gesicht legte sich in grimmige Falten. "Ha, der Christ, der gottverfluchte," knirschte er und ballte die Faust. "Schon wieder der blonde Gote mit dem unbaendigen Stolz! Vater Isak, ist das der Edelhirsch, der dir zu deiner Hindin passt?" - "Sohn, rede nicht Hohnwort wider Isak! Du weisst ja, der Juengling hat sein Herz gesetzt auf ein Roemermaedchen, seine Seele denkt nicht an die Perle von Juda." "Aber vielleicht die Perle von Juda an ihn!" "Mit Dank und Freuden, wie das Lamm denkt des starken Hirten, der es entrissen dem Rachen des Wolfs. Hast du vergessen, wie bei der letzten Jagd, welche die verdammten Roemer machten auf die Schaetze und Goldhaufen von Israel, und als sie niederbrannten die heil'ge Synagoge mit unheiligem Feuer, wie da eine Rotte dieser boesen Buben mein armes Kind aufjagte auf der Strasse, wie ein Rudel Woelfe das weisse Lamm, und zerrten ihr den Schleier vom Haupt und das Busentuch von den Schultern: - wo war da Jochem, meiner Muhme Sohn, der sie begleitete? Entflohen war er vor der Gefahr mit hurtigen Fuessen und liess die Taube in den Krallen der Geier!" "Ich bin ein Mann des Friedens," sagte Jochem unbehaglich, "meine Hand fuehrt nicht das Schwert der Gewalt." "Aber Totila fuehrt es, wie einst der Loewe Juda und der Herr ist mit ihm. Allein, wie er des Weges kam, sprang er unter die Schar der frechen Raeuber und schlug den frechsten mit der Schaerfe des Schwertes und verscheuchte die andern, wie der Turmfalk die Kraehen, und huellte sorglich den Schleier ueber mein bebendes Kind und stuetzte ihren wankenden Schritt und fuehrte sie heim, ungeschaedigt, in die Arme ihres alten Vaters. Das lohne ihm Jehovah der Herr mit langem Leben und segne alle Schritte seines Pfades." "Nun wohl," sagte Jochem, seine Urkunden einsteckend, "ich gehe, diesmal fuer lange Zeit. Ich reise ueber das grosse Wasser zu machen ein gross Geschaeft." "Ein gross Geschaeft? Mit wem?" "Mit Justinianus, dem Kaiser ueber Morgenland. Es ist eingestuerzt ein Stueck der grossen Kirche, die er baut der Weisheit des Herrn in der goldnen Stadt des Konstantin. Ich hab' entworfen Plan und saubern Grundriss, wieder aufzubauen das Gebaeude." Heftig sprang der Alte auf und stiess seinen Stab auf den Boden: "Wie, Jochem, Sohn Rachels, dem Roemer willst du dienen? Dem Kaiser, dessen Vorfahren die heilige Zion verbrannt und in Asche gelegt den Tempel des Herrn? Und bauen willst du an einem Haus des Unglaubens, du, der Sohn des frommen Manasse? Wehe, wehe ueber dich!" - "Was rufest du Wehe und weisst nicht warum? Riechst du's dem Goldstueck an, ob es kommt aus der Hand des Juden oder des Christen? Wiegt es nicht gleich schwer und glaenzt es nicht gleich lieblich?" "Sohn Manasses, du kannst nicht Gott dienen und dem Mammon." "Aber du selbst, dienst du nicht den Unglaeubigen? Seh ich nicht das Waechterhorn an der Wand deines Hauses? fuehrst du nicht die Schluessel fuer diese Goten und thust ihnen auf und zu die Pforten fuer ihren Ausgang und Eingang und huetest die Burg ihrer Staerke?" "Ja, das thu' ich," sagte der Alte stolz, "und wachen will ich fuer sie treulich, Tag und Nacht, wie der Hund fuer den Herrn, und solang Isak Odem hat, der Sohn Ruben, soll kein Feind dieses Volkes schreiten durch dies Thor. Denn Dank schulden die Kinder Israel ihnen und ihrem grossen Koenig, der weise war wie Salomo und wie Gideons war sein Schwert! Dank wie unsre Vaeter dem grossen Koenig Cyrus, der sie befreiet hat aus Babylon. Die Roemer haben gebrochen den Tempel des Herrn und zerstreut sein Volk ueber das Angesicht der Erde. Sie haben uns verspottet und geschlagen und verbrannt unsre heiligen Staetten und gepluendert unsre Truhen und verunreinigt unsre Haeuser und gezwungen unsre Weiber ueberall in ihren Landen und haben geschrieben gegen uns manch grausam Gesetz. Da kam dieser grosse Koenig von Mitternacht, dessen Samen Jehova segne, und hat wieder aufgebaut unsre Synagogen: und wenn sie die Roemer niederrissen, mussten sie alles wieder aufrichten mit eigner Hand und eignem Gelde, und er hat beschuetzt den Frieden unsrer Daecher und wer Einen schaedigte aus Israel, der musste es buessen, wie wer einen Christen gekraenkt. Er hat uns gelassen unsern Gott und unsern Glauben und hat beschirmt unsre Schritte auf den Strassen unsres Handels und wir feierten das Passah in Frieden und Freude, wie nicht mehr seit den Tagen, da der Tempel noch stand auf den Hoehen von Zion. Und als ein Grosser unter den Roemern mir mit Gewalt meine Sarah geraubt, mein Weib, liess ihm Koenig Theoderich das stolze Haupt abschlagen noch am selben Tage und gab mir wieder mein Weib unversehret. Und das will ich gedenken, solange meine Tage dauern und will dienen seinem Volke treu bis zum Tode und man soll wieder sagen, weit in allen Landen: treu und dankbar wie ein Jude." "Moegest du nicht Undank ernten von den Goten fuer deinen Dank," sagte Jochem, sich zum Gehen ruestend: "mir ist, einmal koemmt die Stunde fuer mich, wieder um Miriam zu werben, zum letztenmal. Vielleicht, Vater Isak, bist du dann minder stolz." Und er schritt durch Miriams Gemach zur Treppe hinaus, wo er Totila begegnete. Mit einer haesslichen Verbeugung und einem stechenden Blick drueckte sich der Kleine an dem schlanken Goten vorbei, der beim Eintritt in die Tuermerwohnung sich tief buecken musste. Miriam folgte ihm auf dem Fuss. "Dort haengen deine Gaertnerkleider," sagte sie, ohne die langen Wimpern aufzuschlagen, "und hier am Fenster hab' ich die Blumen bereit gestellt. Sie liebt die weissen Narcissen, sagtest du neulich. Ich habe weisse Narcissen besorgt. Sie duften lieblich." Und die melodische Stimme schwieg. "Du bist ein gutes Maedchen, Miriam," sagte Totila, den Helm mit den silberweissen Schwanenfluegeln abhebend und auf den Tisch setzend, "wo ist dein Vater?" - "Der Segen des Herrn ruhe auf deinen goldnen Locken," sprach der Alte, in das Gemach tretend. - "Gegruesst, treuer Isak!" rief Totila, warf den langen, glaenzend weissen Mantel ab, der ihm von den Schultern floss, und huellte sich in einen braunen Ueberwurf, den ihm Miriam von der Wand reichte. "Ihr guten Leute! Ohne euch und eure verschwiegene Treue wuesste ganz Neapolis um mein Geheimnis. Wie kann ich euch danken!" - "Dank?" sagte Miriam, schlug die dunkelblauen Augen auf und liess sie leuchtend auf ihm ruhen. "Du hast voraus gedankt fuer alle Zeit." "Nein, Miriam," sagte der Gote, den braunen breitkrempigen Filzhut tief in die Stirne ziehend, "ich mein' es herzlich gut mit euch. Sage, Vater Isak, wer ist der Kleine, den ich schon oefter hier geseh'n und eben wieder begegnet? Mir ist, er hat sein Auge auf Miriam geworfen. Sprich offen, wenn es bei ihr nur am Gelde fehlt - ich helfe gern." - "Es fehlt an der Liebe, Herr, bei ihr," sagte Isak ruhig. - "Da kann ich freilich nicht helfen! Aber wenn sonst ihr Herz gewaehlt - ich moechte gern etwas thun fuer meine Miriam." Und er legte freundlich die Hand auf das glaenzende schwarze Haar des Maedchens. Nur leise war die Beruehrung. Aber wie vom heissen Blitz getroffen fiel Miriam ploetzlich auf die Knie: die Arme ueber dem Busen kreuzend, und das schoene Haupt tief nach vorn beugend: wie eine tauschwere Blume glitt sie zu den Fuessen Totilas nieder. Dieser trat bestuerzt einen Schritt zurueck. Aber im Augenblick war das Maedchen wieder auf: "Verzeih, es war nur eine Rose - sie fiel vor deinen Fuss." Sie legte die Blume auf den Tisch und so gefasst war sie, dass weder ihr Vater noch der Juengling des Vorfalls weiter achteten. "Es dunkelt schon, eile, Herr," sprach sie ruhig und reichte ihm den Korb mit den Blumen. - "Ich gehe. Auch Valeria schuldet dir reichen Dank: ich habe ihr viel von dir erzaehlt und sie fraegt mich stets nach dir. Sie moechte dich lang schon sehen. Nun, vielleicht geht das bald - heut' ist's wohl das letztemal, dass ich diese Vermummung brauche." "Willst du sie entfuehren, die Tochter von Edom?" rief der Alte. "Bring sie nur hierher! hier ist sie wohl geborgen." "Nein," fiel Miriam ein, "nicht hierher, nein, nein!" "Weshalb nicht, du seltsames Kind?" zuernte der Alte. "Das ist kein Raum fuer seine Braut - dies Gemach - es braechte ihr kein Heil." - "Beruhigt euch," sagte Totila, schon an der Thuere, "offne Werbung soll der Heimlichkeit ein Ende machen. Lebt wohl." Und er schritt hinaus. Isak nahm den Speer, das Horn und einige Schluessel von der Wand; er folgte, ihm zu oeffnen und die Abendrunde laengs allen Pforten des grossen Thorbaues zu machen. Miriam blieb oben allein. Lange Zeit stand sie unbeweglich mit geschlossenen Augen an derselben Stelle. Endlich strich sie mit beiden Haenden ueber Schlaefe und Wangen und schlug die Augen auf. Still war's im Gemach; durch das offene Fenster glitt der erste Strahl des Mondlichts. Er fiel silbern auf Totilas hellen Mantel, der in langen Falten ueber dem Stuhl hing. Rasch flog Miriam auf den weissen Schimmer zu und bedeckte den Saum des Mantels mit heissen Kuessen. Dann ergriff sie den blinkenden Schwanenhelm, der neben ihr auf dem Tische stand, sie umfasste ihn mit beiden Armen und drueckte ihn zaertlich an die Brust. Dann hielt sie ihn eine Weile traeumend vor sich hin: endlich - sie konnte nicht widerstehen - hob sie ihn rasch auf und setzte ihn auf das schoene Haupt: sie zuckte als die Woelbung ihre Stirn beruehrte, dann strich sie die schwarzen Flechten aus den Schlaefen und drueckte einen Augenblick den harten, kalten Stahl fest mit beiden Haenden an die gluehende Stirn. Dann hob sie ihn wieder ab und legte ihn, scheu umblickend, auf seinen fruehern Ort zu dem Mantel. Darauf trat sie ans Fenster und sah hinaus in die duftige Nacht und das zauberische Mondlicht. Ihre Lippen regten sich wie im Gebet: aber die Worte des Gebets klangen aus in der alten Weise: "An Wasserfluessen Babylons Sass weinend Judas Stamm: Wann koemmt der Tag, der all dein Leid, Du Tochter Zion, stillt?" Dreiundzwanzigstes Kapitel. Indessen Miriam schweigend aufsah zu den ersten Sternen, hatte Totilas rascher sehnsuchtbefluegelter Schritt alsbald die Villa des reichen Purpurhaendlers, die etwa eine Stunde vor dem capuanischen Thor gelegen war, erreicht. Der Thuerstehersklave wies ihn an den alten Hortularius, den Freigelassenen Valerias, dem die Sorge fuer die Gaerten ueberlassen war. Dieser, der Vertraute der Liebenden, nahm dem Gaertnerburschen die Blumen und Saemereien ab, die er angeblich von dem ersten Blumenhaendler von Neapolis brachte, und geleitete ihn in sein gewoehnliches Schlafgemach im Erdgeschoss, dessen niedrige Fenster in den Garten fuehrten: am andern Morgen noch vor Aufgang der Sonne - so wollte es die Geheimlehre der antiken Gaertnerei - muessten die Blumen eingesetzt werden, auf dass das erste Sonnenlicht, das sie in dem neuen Boden traefe, das segenbringende der Morgensonne sei. - Ungeduldig erwartete der junge Gote in dem engen Gemach bei einem Kruge Weines die Stunde, da sich Valeria von ihrem Vater nach dem gemeinsamen Nachtmahl verabschieden konnte. Immer wieder sah er zum Himmel auf, an dem Auftauchen der Sterne und dem Gang des Mondes den Fortschritt der Nacht zu ermessen. Er schlug den Vorhang zurueck, der die Fensteroeffnung schloss; stille war's in dem weiten Garten. In der Ferne plaetscherte nur leise der Springbrunnen und Zikaden zirpten in den Myrtengebueschen: der warme ueppige Suedwind strich in schwuelem Hauch durch die Nacht, stossweise ganze Wolken von Wohlgeruechen aus Rosenbaeumen auf seinen Fittichen mit sich fuehrend: und weithin aus dem Pinienwaeldchen am Ende des Gartens drang lockend und sinnaufregend der tiefgezogene heisse Schlag der Nachtigall. Endlich hielt sich Totila nicht laenger. Geraeuschlos schwang er sich ueber die Marmorbruestung des Fensters: kaum knisterte unter seinen raschen Schritten der weisse Sand der schmalen Wege, wie er, den Strom des Mondlichts meidend, unter dem Schatten der Gebuesche dahin eilte. Vorueber an den dunkeln Taxusgaengen und den Lauben von dichten Oliven, vorueber an der hohen Statue der Flora, deren weisser Marmor geisterhaft im Mondlicht schimmerte, vorueber an dem weiten Becken, wo sechs Delphine den Wasserstrahl hoch aus den Nuestern bliesen, rasch eingebogen in den dicht verwachsenen Laubweg von Lorbeer und Tamarinden und nun, noch ein Oleandergebuesch durchdringend, stand er vor der Grotte aus Tropfstein, in der die Quellnymphe ueber einer dunkeln grossen Urne lehnte. Wie er eintrat, glitt eine weisse Gestalt hinter der Statue hervor. "Valeria, meine schoene Rose!" rief Totila und umschlang gluehend die Geliebte, die leise seinem Ungestuem wehrte. "Lass, lass ab, mein Geliebter," fluesterte sie, sich seinem Arm entziehend. "Nein, du Suesse, ich will nicht von dir lassen. Wie lang, wie schmerzlich hab' ich dein entbehrt! Hoerst du, wie lockend und wirbelnd die Nachtigall ruft, fuehlst du wie der warme Hauch der Sommernacht, der berauschende Duft des Geissblattes Liebe atmet? Sie alle mahnen und bedeuten, wir sollen gluecklich sein! O lass sie uns festhalten, diese goldnen Stunden. Meine Seele ist nicht weit genug all' ihr Glueck zu fassen: all' deine Schoenheit, all' unsre Jugend und diese gluehende, bluehende Sommernacht; in maechtigen Wogen rauscht das volle Leben durch das Herz und will's vor Wonne sprengen." "O mein Freund! gern moecht' ich, wie du, aufgehn im Gluecke dieser Stunden. Ich kann es nicht. Ich traue nicht diesem berauschenden Duft, der ueppigen Schwuele dieser Sommernaechte: sie dauert nicht: sie bruetet Unheil: ich kann nicht glauben an das Glueck unsrer Liebe." "Du liebe Thoerin, warum nicht?" "Ich weiss es nicht: der unselige Zwiespalt, der all' mein Leben scheidet, uebt seinen Fluch auch hier. Gern moechte mein Herz sich trunken, wie du, diesem Gluecke hingeben. Aber eine Stimme in mir warnt und mahnt: es dauert nicht, - du sollst nicht gluecklich sein." "So bist du nicht gluecklich in meinen Armen?" "Ja und nein! das Gefuehl des Unrechts, der Schuld gegen meinen edlen Vater lastet auf mir. Sieh, Totila, was mich zumeist an dir beglueckt ist nicht diese deine jugendschoene Kraft, selbst deine grosse Liebe nicht. Es ist der Stolz meines Herzens auf deine Seele, auf deine offne, lichte, edle Seele. Ich habe mich gewoehnt, dich klar und hell wie einen Gott des Lichts durch diese dunkle Welt schreiten zu sehen: der edle Mut siegessichrer Kraft, der Schwung, die freudige Wahrhaftigkeit deines Wesens ist mein Stolz: dass alles Kleine, Dumpfe, Gemeine versinken muss, wo du nahest, das ist mein Glueck. Ich liebe dich wie eine Sterbliche den Sonnengott, der ihr in Fuelle seines Lichts genaht. Und deshalb kann ich an dir nichts Heimliches, Verstecktes dulden. Auch die Wonnen dieser Stunden nicht - sie sind erlistet und es kann nicht laenger also sein." "Nein, Valeria und es soll auch nicht. Ich fuehle ganz wie du. Auch mir ist die Luege dieser Mummerei verhasst, ich trage sie nicht laenger. Ich bin gekommen, ihr ein Ende zu machen. Morgen, morgen werf ich diese Taeuschung ab und spreche zu deinem Vater offen und frei." - "Dieser Entschluss ist der beste, denn" - "Denn er rettet dein Leben, Juengling!" unterbrach ploetzlich eine tiefe Stimme und aus dem dunkeln Hintergrund der Grotte trat ein Mann und stiess das blanke Schwert in die Scheide. "Mein Vater!" rief Valeria ueberrascht, doch in mutiger Fassung. Totila schlang seinen Arm um sie, sein Kleinod zu verteidigen. "Hinweg, Valeria, fort von dem Barbaren!" sprach Valerius, befehlend den Arm ausstreckend. "Nein, Valerius," sagte Totila, die Geliebte fester an sich drueckend, "ihr Platz ist forthin an dieser Brust." "Verwegner Gote!" "Hoere mich, Valerius, und zuerne uns nicht um dieser Taeuschung willen. Du hast es selbst gehoert, schon morgen sollte sie enden." "Zu deinem Glueck hab' ich's gehoert. Gewarnt von dem aeltesten meiner Freunde, wollt' ich doch kaum glauben, dass meine Tochter - mich hintergeht. Als ich's glauben musste, beschloss ich, dass dein Blut deine List bezahlen sollte. Dein Entschluss hat dein Leben gerettet. Jetzt aber flieh: du siehst ihr Antlitz niemals wieder." - Totila wollte heftig erwidern, aber Valeria kam ihm zuvor: "Vater," sprach sie ruhig, zwischen die Maenner tretend, "hoere dein Kind. Ich will meine Liebe nicht entschuldigen, sie bedarf es nicht, sie ist goettlich und notwendig wie die Sterne: die Liebe zu diesem Mann ist das Leben meines Lebens. Du kennst meine Seele: Wahrheit ist ihr Aether und ich sage dir, bei meiner Seele: nie werd' ich lassen von diesem Mann!" - "Und niemals ich von ihr," rief Totila und ergriff ihre Rechte. Hochaufgerichtet stand das junge Paar, vom Licht des Mondes voll beleuchtet, vor dem Alten: ihre edlen Zuege und Gestalten trugen im Augenblick die Weihe heiliger Begeisterung: und so schoen war die Gruppe, dass ein ruehrendes, erweichendes Gefuehl davon sich unwillkuerlich dem zuernenden Vater aufdraengte. "Valeria, mein Kind!" "O mein Vater! Du hast mit einer Liebe und Treue all' meine Schritte geleitet, dass ich bisher die Mutter, die verlorne, zwar beklagte, aber kaum vermisste. Jetzt, in dieser Stunde vermiss' ich sie zum erstenmal: jetzt, ich fuehl' es, beduerfte ich ihrer Fuersprache. O so lass ihr Andenken wenigstens fuer mich sprechen. Lass mich dir ihr Bild vor die Seele fuehren und dich an den Augenblick erinnern, da dich die Sterbende zum letztenmal an ihr Lager rief und dir, wie du mir oft gesagt, mein Glueck auf die Seele band als heiligstes Vermaechtnis. -" Valerius drueckte die linke Hand vor die Stirn; seine Tochter wagte, die andre zu fassen, er entzog sie ihr nicht: offenbar rang es gewaltig in des Alten Brust. Endlich sprach er: "Valeria, du hast ein maechtig Wort gesprochen, ohne es zu wissen. Es waere Unrecht, dir zu verschweigen, was du ahnungsvoll beruehrt. Erfahre, was deine Mutter in jener Sterbestunde mir auferlegt. Noch immer drueckte ihre Seele jenes Geluebde, das wir doch lange abgeloest. "Soll unser Kind nicht die Braut des Himmels werden," sprach sie, "so gelobe mir wenigstens, die Freiheit ihrer Wahl zu ehren. Ich weiss wie roemische Maedchen, zumal die Toechter unsres Standes, in die Ehe gegeben werden, ungefragt, ohne Liebe: ein solcher Bund ist ein Elend auf Erden und ein Greuel vor dem Herrn. Meine Valeria wird edel waehlen - gelobe mir, sie dem Mann ihrer Wahl anzuvertrauen und keinem sonst." Und ich gelobte es in ihre bebende Hand. - Aber mein Kind einem Barbaren geben, einem Feind Italiens, nein, nein!" Und mit heftiger Armbewegung riss er sich von ihr los. "Ich bin vielleicht so gar barbarisch nicht, Valerius," hob Totila an. "Wenigstens bin ich in meinem ganzen Volk der waermste Freund der Roemer. Glaube mir, nicht euch hasse ich: die ich verabscheue, sind eure wie unsre verderblichsten Feinde - die Byzantiner!" Das war ein glueckliches Wort. Denn in dem Herzen des alten Republikaners war der Hass gegen Byzanz die Kehrseite seiner Liebe zur Freiheit und zu Italien. Er schwieg, aber sein Auge ruhte sinnend auf dem Juengling. "Mein Vater," sprach Valeria, "dein Kind wuerde keinen Barbaren lieben. Lern' ihn kennen: und schiltst du ihn dann noch barbarisch - so will ich nie die Seine werden. Ich fordre nichts von dir als: lern' ihn kennen: entscheide du selbst, ob meine Wahl edel sei oder nicht. Ihn lieben alle Goetter und alle Menschen muessen ihm gut sein - du allein wirst ihn nicht verwerfen." Und sie fasste seine Hand. "O lerne mich kennen, Valerius," bat Totila, innig seine andre Hand ergreifend. Der Alte seufzte. Endlich sprach er: "Kommt mit mir zum Grabe der Mutter. Dort ragt es unter den Cypressen. Da ruht die Urne mit ihrem Herzen. Dort lasst uns ihrer gedenken, der edelsten Frau, und ihren Schatten anrufen. Und ist es echte Liebe und eine edle Wahl - so werd' ich erfuellen, was ich gelobt." Vierundzwanzigstes Kapitel. Einige Wochen spaeter finden wir zu Rom in dem uns wohl erinnerlichen Schreibgemach mit der Caesarstatue Cethegus, den Praefekten und unsern neuen Bekannten, Petros, des Kaisers oder vielmehr der Kaiserin Gesandten. Die beiden Maenner hatten unter lebhaftem Gespraech und wechselseitigem Erinnern an fruehere Zeiten, - sie waren Studiengenossen, wie wir erfuhren, - zu einfachem Mahl einen Krug alten Massikers geleert und waren soeben aus dem Speisesaal in das abgelegene Arbeitszimmer getreten, um jetzt ungestoert von den bedienenden Sklaven Geheimeres zu bereden. "Sobald ich mich ueberzeugt hatte," schloss Cethegus seinen Bericht ueber die letzten Ereignisse "dass die Schreckensnachrichten aus Ravenna nur erst Geruechte waren, vielleicht erdichtet, jedenfalls uebertrieben, setzte ich der Aufregung und dem Eifer meiner Freunde die groesste Ruhe entgegen. Der Feuerkopf Lucius Licinius mit seiner thoerichten Begeisterung fuer mich haette bald alles verdorben. Unablaessig forderte er meine Dictatur, buchstaeblich setzte er mir das Schwert auf die Brust und schrie, man muesse mich zwingen, das Vaterland zu retten. Er schwatzte so viel aus der Schule, dass es nur ein Glueck war, der schwarze Korse - der es mit den Barbaren zu halten scheint, niemand weiss recht warum - nahm ihn fuer mehr berauscht als er war. Endlich kam die Nachricht, Amalaswintha sei zurueckgekehrt, und so beruhigte sich allmaehlich Volk und Senat." "Du aber," sagte Petros, "hattest zum zweitenmal Rom vor der Rache der Barbaren gerettet - ein unvergessliches Verdienst, das dir die ganze Welt, zunaechst aber die Regentin, danken muss." - "Die Regentin - arme Frau!" meinte Cethegus achselzuckend, "wer weiss wie lange die Goten oder deine Gebieter zu Byzanz, sie noch werden auf dem Throne lassen." - "Wie? da irrst du sehr!" fiel Petros eifrig ein. "Meine Sendung hat vor allem den Zweck, ihren Thron zu stuetzen; und bei dir wollte ich eben anfragen, wie man das am besten koenne," setzte er pfiffig hinzu. Aber der Praefekt lehnte sein Haupt zurueck an die Marmorwand und sah den Gesandten laechelnd an: "O Petros, o Petre," sagte er, "warum so verdeckt? Ich daechte doch, wir kennten uns besser." "Was meinst du?" fragte der Byzantiner befangen. "Ich meine, dass wir nicht umsonst Recht und Geschichte miteinander studiert haben zu Berytus und Athen. Ich meine, dass wir damals schon unzaehlige Male als Juenglinge, lustwandelnd und Weisheit austauschend, zu dem Ergebnis gelangten: der Kaiser muesse diese Barbaren austreiben aus Italien und wieder zu Rom herrschen wie zu Byzanz. Und da nun ich noch denke wie dazumal, wirst wohl auch du nicht ein andrer geworden sein." - "Ich habe meine Ansicht der meines Herrn zu unterwerfen und Justinian" - "Erglueht natuerlich fuer die Herrschaft der Barbaren in Italien." - "Freilich," sagte der Rhetor verlegen, "es koennten Faelle eintreten -" "Petre," rief jetzt Cethegus, sich unwillig aufrichtend, "keine Phrasen und keine Luegen. Sie sind nicht angewandt bei mir. Sieh, Petros, es ist wieder dein alter Fehler: du bist immer zu pfiffig, um klug zu sein: du meinst, es muss immer gelogen sein und hast nie den Mut zur Wahrheit. Man muss aber nur dann luegen, wenn man in seiner Luege ganz sicher ist. Wie kannst du mich darueber taeuschen wollen, dass der Kaiser Italien wieder haben will? Ob er die Regentin stuerzen oder halten will, haengt davon ab, ob er glaubt ohne oder mit ihr leichter ans Ziel zu kommen. Wie er hierueber denkt, das soll ich nicht erfahren. Aber sieh', trotz all' deiner Verschmitztheit, sobald wir noch einmal zusammengewesen, sag' ich dir ins Gesicht, was dein Kaiser hierin vor hat." Ein boshaftes und bittres Laecheln spielte um des Gesandten Mund: "Noch immer so stolz, wie in der Dialektik zu Athen," sagte er giftig. - "Jawohl und du weisst, zu Athen war ich immer der Erste, Prokopius der Zweite und erst der Dritte warst du." Da trat Syphax ein: "Eine verhuellte Frau, o Herr," meldete er, "sie wartet dein im Zeussaal." Sehr froh, diese Unterredung abgebrochen zu sehen, denn er fuehlte sich dem Praefekten nicht gewachsen, grinste Petros: "Nun, ich wuensche Glueck zu solcher Stoerung." "Ja, dir!" laechelte Cethegus und ging hinaus. "Hochmuetiger, du sollst noch deinen Spott bereuen," dachte der Byzantiner. Cethegus fand in dem Saale, der von einer schoenen Zeusstatue des Glykon von Athen den Namen trug, eine in gotischer Tracht reich gekleidete Frau; sie schlug bei seinem Eintritt die Kapuze des braunen Mantels zurueck. "Fuerstin Gothelindis," fragte der Praefekt ueberrascht, "was fuehrt dich zu mir?" "Die Rache!" erwiderte eine heisere, unschoene Stimme und die Gotin trat dicht an ihn heran. Sie zeigte scharfe, aber nicht haessliche Zuege, und man haette sie sogar schoen nennen muessen, wenn nicht das linke Auge ausgeflossen und die ganze linke Wange durch eine grosse Narbe entstellt gewesen waere: diese Wunde schien jetzt frisch zu bluten, da dem leidenschaftlichen Weibe die Roete in die Wangen schoss, wie sie bei jenem Wort die Faust ballte. So toedlicher Hass loderte aus dem einen grauen Auge, dass Cethegus unwillkuerlich von ihr zuruecktrat. "Rache?" fragte er, "an wem?" "An - davon spaeter. Vergieb," sagte sie, sich fassend, "dass ich euch stoere. Dein Freund Petros, der Rhetor von Byzanz, ist bei dir, nicht wahr?" "Ja. Woher weisst du -" "O, ich sah ihn vor der Coena durch deine Portikus eintreten," sagte sie gleichgueltig. "Das ist nicht wahr," sprach Cethegus im Geiste: "ich hab' ihn ja zur Gartenthuer hereinfuehren lassen. Also haben sich die beiden hier zusammenbestellt. Ich soll das nicht ahnen. Aber was haben sie mit mir vor?" "Ich will dich nicht lange hier festhalten," fuhr Gothelindis fort. "Ich habe nur Eine Frage an dich. Antworte kurz ja oder nein. Ich kann das Weib - die Tochter Theoderichs - stuerzen und ich will's: bist du darin fuer mich oder gegen mich?" "O, Freund Petros," dachte der Praefekt, "jetzt weiss ich bereits, was du mit Amalaswinthen vorhast. Aber wir wollen sehen, wie weit ihr schon seid." "Gothelindis," hob er ausholend an, "du willst die Regentin stuerzen - das glaub' ich dir gern - aber dass du's kannst, bezweifle ich." "Hoere, dann entscheide ob ich's kann. Das Weib hat die drei Herzoge ermorden lassen." Cethegus zuckte die Achseln: "Das glauben manche Leute." "Aber ich kann es beweisen." "Das waere," meinte Cethegus unglaeubig. "Herzog Thulun, wie du weisst, starb nicht sofort. Er ward auf der aemilischen Strasse ueberfallen, nahe bei meiner Villa zu Tannetum: meine Colonen fanden ihn und brachten ihn in mein Haus. Du weisst, er war mein Vetter - ich bin aus dem Hause der Balten - er verschied in meinen Armen." "Nun, und was sagte der Kranke im Wundfieber?" "Nichts Wundfieber! Herzog Thulun traf noch im Stuerzen den Moerder mit dem Schwert: er entkam nicht weit; meine Colonen suchten ihn und fanden ihn sterbend im naechsten Walde: er hat mir alles gestanden." Cethegus drueckte nur unmerklich die Lippen zusammen. "Nun, was war er? was hat er ausgesagt." "Er war," sprach Gothelindis scharf, "ein isaurischer Soeldner, ein Aufseher der Schanzarbeiten zu Rom und sagte aus: Cethegus, der Praefekt, hat mich zur Regentin, die Regentin zu Herzog Thulun gesendet." "Wer hoerte dies Gestaendnis ausser dir?" fragte Cethegus lauernd. "Niemand. Und niemand soll davon hoeren, wenn du zu mir stehest. Wenn aber nicht, dann -" "Gothelindis," unterbrach der Praefekt, "keine Drohung: sie nuetzt dir nichts. Du solltest einsehn, dass du mich dadurch nur erbittern, nicht zwingen kannst. Ich lasse es im Notfall zur offnen Anklage kommen: du bist als grimmige Feindin Amalaswinthens bekannt: dein Zeugnis allein - du warst unvorsichtig genug, zu gestehen, dass niemand sonst das Gestaendnis gehoert - wird weder sie noch mich verderben. Zwingen kannst du mich zum Kampfe gegen die Regentin nicht: hoechstens ueberreden, wenn du mir's als meinen eignen Vorteil darstellen kannst. Und dazu will ich selbst dir einen Verbuendeten schaffen. Du kennst doch Petros, meinen Freund?" "Genau, seit lange." "Erlaube, dass ich ihn zu dieser Unterredung herbeihole." Er ging in das Studierzimmer zurueck. "Petros, mein Besuch ist die Fuerstin Gothelindis, Theodahads Gemahlin. Sie wuenscht uns beide zu sprechen. Kennst du sie?" "Ich? o nein; ich habe sie nie gesehen!" sagte der Rhetor rasch. "Gut; folge mir." Sowie sie in den Saal des Zeus traten, rief Gothelindis ihm entgegen: "Gegruesst, alter Freund, welch ueberraschend Wiedersehn." Petros verstummte. Cethegus, die Haende auf den Ruecken gelegt, weidete sich an der Bestuerzung des Diplomaten von Byzanz. Nach einer peinlichen Pause hob er an: "Du siehst, Petros, immer zu pfiffig, immer unnoetige Feinheiten. Aber komm, lass dich eine entdeckte List mehr nicht so niederschlagen. Ihr beide habt euch also verbunden, die Regentin zu stuerzen. Mich wollt ihr gewinnen, euch dabei zu helfen. Dazu muss ich genau wissen, was ihr weiter vorhabt. Wen wollt ihr auf Amalaswinthens Thron setzen? Denn noch ist der Weg fuer Justinian nicht frei." Beide schwiegen eine Weile. Es ueberraschte sie sein klares Durchschauen der Lage. Endlich sprach Gothelindis: "Theodahad, meinen Gemahl, den letzten der Amelungen." "Theodahad, den letzten der Amelungen," wiederholte Cethegus langsam. Indessen ueberlegte er alle Gruende fuer und wider. Er bedachte, dass Theodahad, unbeliebt bei den Goten, durch Petros erhoben, bald ganz in der Hand der Byzantiner stehen und die Katastrophe durch Herbeirufung des Kaisers anders, frueher als Er wollte, herbeifuehren wuerde. Er bedachte, dass er jedenfalls die Heere der Ostroemer moeglichst lange fernhalten muesse und er beschloss bei sich, die gegenwaertige Lage und Amalaswintha aufrecht zu halten, da sie ihm Zeit zu seinen Vorbereitungen liessen. All' das hatte er im Augenblick gedacht, erwogen, beschlossen. "Und wie wollt ihr nun eure Sache angehn?" fragte er ruhig. "Wir werden das Weib auffordern, zu Gunsten meines Gatten abzudanken, unter Androhung, sie des Mordes anzuklagen." "Und wenn sie's darauf wagt?" "So vollfuehren wir die Drohung," sagte Petros, "und erregen unter den Goten einen Sturm, der ihr -" "Das Leben kostet," rief Gothelindis. "Vielleicht die Krone kostet," sagte Cethegus. "Aber gewiss sie nicht Theodahad zuwendet. Nein, wenn die Goten einen Koenig waehlen, heisst er nicht Theodahad." "Nur zu wahr!" knirschte Gothelindis. "Dann koennte leicht ein Koenig kommen, der uns allen viel unerfreulicher waere als Amalaswintha. Und deshalb sag' ich euch offen: ich bin nicht fuer euch, ich halte die Regentin." "Wohlan," rief Gothelindis grimmig, sich zur Thuere wendend, "also Kampf zwischen uns, komm, Petros." "Gemach, ihr Freunde," sprach der Byzantiner. "Vielleicht aendert Cethegus seinen Sinn, wenn er dies Blatt gelesen." Und er reichte dem Praefekten jenen Brief, den Alexandros von Amalaswintha an Justinian ueberbracht. Cethegus las: seine Zuege verfinsterten sich. "Nun," meinte Petros hoehnisch, "willst du noch die Koenigin stuetzen, die dich dem Untergang geweiht? Wo warst du, wenn sie ihren Plan durchfuehrte und deine Freunde nicht fuer dich wachten." Cethegus hoerte ihn kaum. "Armseliger," dachte er, "als ob es das waere! Als ob die Regentin daran nicht ganz recht haette. Als ob ich ihr das verargen koennte! Aber die Unvorsichtige hat bereits gethan, was ich von Theodahad erst fuerchtete: sie hat sich selbst vernichtet und all' meine Plaene bedroht: sie hat die Byzantiner schon ins Land gerufen und sie werden jetzt kommen, ob sie noch will oder nicht. Solange Amalaswintha Koenigin, wird Justinian ihren Beschuetzer spielen." Und nun wandte er sich scheinbar in grosser Bestuerzung an den Gesandten, den Brief zurueckgebend: "Und wenn sie ihren Entschluss durchfuehrte, wenn sie auf dem Thron bliebe - bis wann koennen eure Heere landen?" "Belisar ist schon auf dem Wege nach Sicilien," sagte Petros, stolz darauf, den Hochmuetigen eingeschuechtert zu haben, "in einer Woche kann er vor Rom liegen." "Unerhoert," rief Cethegus in unverstellter Bewegung. "Du siehst," sprach Gothelindis, welcher Petros inzwischen den Brief gereicht, "die du halten wolltest, will dich verderben. Komm ihr zuvor." "Und im Namen des Kaisers, meines Herrn, ford're ich dich auf, mir beizustehn, dies Gotenreich zu vernichten und Italien seiner Freiheit wiederzugeben. Man weiss am Kaiserhof dich und deinen Geist zu schaetzen und nach dem Siege verheisst dir Justinian: - die Wuerde eines Senators zu Byzanz." "Ist's moeglich!" rief Cethegus. "Aber nicht einmal diese hoechste Ehre treibt mich dringender in euren Bund als die Entruestung ueber die Undankbare, die zum Lohn fuer meine Dienste mein Leben bedroht. - Du bist doch gewiss," fragte er aengstlich, "dass Belisar noch nicht sobald landen wird?" "Beruhige dich," laechelte Petros, "diese meine Hand ist's, die ihn herbeiwinkt, wann es Zeit. Erst muss Amalaswintha durch Theodahad ersetzt sein." "Gut," dachte Cethegus, "Zeit gewonnen, alles gewonnen. Und nicht eher soll der Byzantiner landen, bis ich ihn an der Spitze des bewaffneten Italiens empfangen kann." "Ich bin der eure," sprach er, "und ich denke, ich werde die Regentin dahin bringen, deinem Gatten mit eigner Hand die Krone aufs Haupt zu setzen. Amalaswintha soll dem Scepter entsagen." "Nie thut sie das!" rief Gothelindis. "Vielleicht doch! Ihr Edelmut ist noch groesser als ihr Herrscherstolz. Man kann seine Feinde auch durch ihre Tugenden verderben," sagte Cethegus nachsinnend. "Ich bin meiner Sache gewiss und ich gruesse dich, Koenigin der Goten!" schloss er mit leichter Verbeugung. Fuenfundzwanzigstes Kapitel. Die Regentin Amalaswintha stand in der Zeit nach der Beseitigung der drei Herzoge in einer abwartenden Haltung. Hatte sie durch den Fall der Haeupter des ihr feindlichen Adels etwas mehr freie Hand gewonnen, so stand doch die Volksversammlung zu Regeta bei Rom in naher Aussicht, in der sie sich von dem Verdacht des Mordes voellig reinigen oder die Krone, vielleicht das Leben, lassen musste. Nur bis dahin hatten ihr Witichis und die Seinen ihren Schutz zugesagt. Sie spannte deshalb ihre Kraefte an, ihre Stellung bis zu jener Entscheidung nach allen Seiten zu befestigen. Von Cethegus hoffte sie nichts mehr: sie hatte seine kalte Selbstsucht durchschaut; doch vertraute sie, dass die Italier und die Verschwornen in den Katakomben, an deren Spitze ja ihr Name stand, ihre roemerfreundliche Herrschaft einem aus der rauhen Gotenpartei hervorgegangenen Koenig vorziehen wuerden. Sehnlich wuenschte sie das Eintreffen der vom Kaiser erbetenen Leibwache herbei um fuer den ersten Augenblick der Gefahr eine Stuetze zu haben: und eifrig war sie bemueht, unter den Goten selbst die Zahl ihrer Freunde zu vermehren. Sie berief mehrere der alten Gefolgsleute ihres Vaters, eifrige Anhaenger des Hauses der Amaler, greise Helden von grossem Namen im Volk, Waffenbrueder und beinahe Jugendgenossen des alten Hildebrand, zu sich nach Ravenna, besonders den weissbaertigen Grippa, den Mundschenk Theoderichs, der dem Waffenmeister an Ruhm und Ansehn kaum nachstand: sie ueberhaeufte ihn und die andern Gefolgen mit Ehren, uebertrug Grippa und seinen Freunden das Kastell von Ravenna und liess sie schwoeren, diese Feste dem Geschlecht der Amaler sicher zu erhalten. Wenn die Verbindung mit diesen volkbeliebten Namen eine Art von Gegengewicht wider Hildebrand, Witichis und ihre Freunde schaffen sollte, - und Witichis konnte die Auszeichnung der Freunde Theoderichs nicht als staatsgefaehrlich verhindern - so sah sich die Koenigin auch gegen die Adelspartei der Balten und ihrer Blutraecher nach einer Stuetze um. Sie erkannte diese mit scharfem Blick in dem edeln Hause der Woelsungen, nach den Amalern und Balten der dritthoechsten Adelssippe unter den Goten, reich beguetert und einflussreich in dem mittleren Italien, deren Haeupter dermalen zwei Brueder, Herzog Guntharis und Graf Arahad, waren. Diese zu gewinnen, hatte sie ein besonders wirksames Mittel ersonnen: sie bot fuer die Freundschaft der Woelsungen keinen geringern Preis als die Hand ihrer schoenen Tochter. - Zu Ravenna in einem reich geschmueckten Gemach standen Mutter und Tochter in ernstem, aber nicht vertraulichem Gespraech hierueber. Mit hastigen Schritten, fremd ihrer sonstigen Ruhe, durchmass die junonische Gestalt der Regentin den schmalen Raum, manchmal mit einem zornigen Blick das herrliche Geschoepf messend, welches ruhig und gesenkten Auges vor ihr stand, die linke Hand in die Huefte, die Rechte auf die Platte des Marmortisches gestuetzt. "Besinne dich wohl," rief Amalaswintha heftig, ploetzlich stehen bleibend, "besinne dich anders. Ich gebe dir noch drei Tage Bedenkzeit." "Das ist umsonst: ich werde immer sprechen wie heute," sagte Mataswintha, die Augen nicht erhebend. "So sage nur, was du an Graf Arahad auszusetzen hast." "Nichts, als dass ich ihn nicht liebe." Die Koenigin schien dies gar nicht zu hoeren. "Es ist doch in diesem Fall ganz anders als damals, da du mit Cyprianus vermaehlt werden solltest. Er war alt und - was in deinen Augen vielleicht ein Nachteil" - fuegte sie bitter hinzu - "ein Roemer!" "Und doch ward ich um meiner Weigerung willen nach Tarentum verbannt." "Ich hoffte, Strenge wuerde dich heilen. Mondelang halt' ich dich ferne von meinem Hof, von meinem Mutterherzen" - Mataswintha verzog die schoene Lippe zu einem herben Laecheln. "Umsonst! ich rufe dich zurueck" - "Du irrst. Mein Bruder Athalarich hat mich zurueckgerufen." "Ein andrer Freier wird dir vorgeschlagen. Jung, bluehend schoen, ein Gote von edelstem Adel, sein Haus jetzt das zweite im Reich. Du weisst, du ahnst wenigstens, wie sehr mein rings bedraengter Thron der Stuetze bedarf: er und sein kriegsgewalt'ger Bruder verheissen uns die Hilfe ihrer ganzen Macht: Graf Arahad liebt dich und du - du schlaegst ihn aus! Warum? Sage warum?" "Weil ich ihn nicht liebe." "Albernes Maedchengerede. Du bist eine Koenigstochter - du hast dich deinem Hause, deinem Reiche zu opfern." "Ich bin ein Weib," sagte Mataswintha, die blitzenden Augen aufschlagend, "und opfre mein Herz keiner Macht im Himmel und auf Erden." - "Und so spricht meine Tochter! Sieh auf mich, thoerichtes Kind. Grosses hab' ich erstrebt und erreicht. Solange Menschen das Hohe bewundern, werden sie meinen Namen nennen. Ich habe alles gewonnen was das Leben Herrlichstes bietet und doch hab' ich -" "Nie geliebt. Ich weiss es," seufzte ihre Tochter. "Du weisst es?" "Ja, es war der Fluch meiner Kindheit. Wohl war ich noch ein Kind, als mein geliebter Vater starb: ich wusste es nicht zu sagen, aber ich konnte es empfinden, damals schon, dass seinem Herzen etwas fehle, wenn er seufzend, mit schmerzlicher Liebe, Athalarich und mich umfing und kuesste und wieder seufzte. Und ich liebte ihn darum desto inniger, dass ich fuehlte, er suchte Liebe, die ihm fehlte. Jetzt freilich weiss ich laengst, was mich damals unerklaerlich peinigte: du wardst unseres Vaters Weib, weil er nach Theoderich der naechste am Thron: aus Herrschsucht, nicht aus Liebe, wardst du sein und nur kalten Stolz hattest du fuer sein warmes Herz." Ueberrascht blieb Amalaswintha stehen: "Du bist sehr kuehn." "Ich bin deine Tochter." "Du redest von der Liebe so vertraut - du kennst sie besser scheint's mit zwanzig als ich mit vierzig Jahren - du liebst!" rief sie schnell, "und daher dieser Starrsinn." Mataswintha erroetete und schwieg. "Rede," rief die erzuernte Mutter, "gesteh' es oder leugne!" Mataswintha senkte die Augen und schwieg: nie war sie so schoen gewesen. "Willst du die Wahrheit verleugnen? Bist du feige, Amelungentochter?" Stolz schlug das Maedchen die Augen auf: "Ich bin nicht feige und ich verleugne die Wahrheit nicht. Ja, ich liebe." "Und wen, Unselige?" "Das wird mir kein Gott entreissen." Und so entschieden sah sie dabei aus, dass Amalaswintha keinen Versuch machte, es zu erfahren. "Wohlan," sagte sie, "meine Tochter ist kein gewoehnlich Wesen. So fordere ich das Ungewoehnliche von dir: dein alles dem Hoechsten zu opfern." "Ja, Mutter, ich trage im Herzen einen hohen Traum. Er ist mein Hoechstes. Ihm will ich alles opfern." "Mataswintha," sprach die Regentin, "wie unkoeniglich! Sieh, dich hat Gott vor Tausenden gesegnet an Herrlichkeit des Leibes und der Seele: du bist zur Koenigin geboren." "Eine Koenigin der Liebe will ich werden. Sie preisen mich alle um meine Weibesschoenheit: wohlan: ich hab' mir's vorgesteckt, liebend und geliebt, beglueckend und beglueckt, ein Weib zu sein." "Ein Weib! ist das dein ganzer Ehrgeiz!" "Mein ganzer. O waer' es auch der deine gewesen!" "Und der Enkelin Theoderichs gilt das Reich und die Krone nichts? Und nichts dein Volk, die Goten?" "Nein, Mutter," sagte Mataswintha ernst: "es schmerzt mich beinahe, es beschaemt mich: aber ich kann mich nicht zwingen zu dem, was ich nicht fuehle: ich empfinde nichts bei dem Worte "Goten": vielleicht ist es nicht meine Schuld: du hast von jeher diese Goten verachtet, diese Barbaren gering geschaetzt: das waren die ersten Eindruecke: sie sind geblieben. Und ich hasse diese Krone, dieses Gotenreich: es hat in deiner Brust dem Vater, dem Bruder, mir den Platz fortgenommen. Diese Gotenkrone, nichts ist sie mir von je gewesen und geblieben als eine verhasste, feindliche Macht." "O mein Kind, weh' mir, wenn ich das verschuldet haette! Und thust du's nicht um des Reiches, o thu's um meinetwillen. Ich bin so gut wie verloren ohne die Woelsungen. Thu's um meiner Liebe willen." Und sie fasste ihre Hand. - Mataswintha entzog sie mit bittrem Laecheln: "Mutter, entweihe den hoechsten Namen nicht. Deine Liebe! Du hast mich nie geliebt. Nicht mich, nicht den Bruder, nicht den Vater." "Mein Kind! Was haett' ich geliebt, wenn nicht euch!" "Die Krone, Mutter, und diese verhasste Herrschaft. Wie oft hast du mich von dir gestossen vor Athalarichs Geburt, weil ich ein Maedchen war und du einen Thronerben wolltest. Denke an meines Vaters Grab und an -" "Lass ab," winkte Amalaswintha. "Und Athalarich? Hast du ihn geliebt, oder vielmehr sein Recht auf den Thron? O wie oft haben wir armen Kinder geweint, wenn wir die Mutter suchten und die Koenigin fanden." "Du hast mir nie geklagt. Erst jetzt, da du mir Opfer bringen sollst." "Mutter, es gilt ja auch jetzt nicht dir, nur deiner Krone, deiner Herrschaft. Leg' diese Krone ab und du bist aller Sorgen frei. Die Krone hat dir und uns allen kein Glueck, nur Schmerzen gebracht. Nicht du bist bedroht: dir wollt' ich alles opfern - nur dein Thron, nur der goldne Reif des Gotenreichs, der Goetze deines Herzens, der Fluch meines Lebens: nie werd' ich dieser Krone meine Liebe opfern, nie, nie, nie!" Und sie kreuzte die weissen Arme ueber ihrer Brust, als wollte sie die Liebe darin beschirmen. "Ah," sagte die Koenigin zuernend, "selbstisches, herzloses Kind! Du gestehst, dass du kein Herz hast fuer dein Volk, fuer die Krone deiner grossen Ahnen - du gehorchst nicht freiwillig der Stimme der Ehre, des Ruhmes deines Hauses - wohlan, so gehorche dem Zwang. Du sprichst mir die Liebe ab, so erfahre meine Strenge. Zur Stunde verlaesst du mit deinem Gefolge Ravenna. Du gehst als Gast nach Florentia in das Haus des Herzogs Guntharis: seine Gattin hat dich geladen. Graf Arahad wird deine Reise begleiten. Verlass mich. Die Zeit wird dich beugen." "Mich?" sprach Mataswintha, sich hoch aufrichtend: "keine Ewigkeit!" Schweigend blickte ihr die Koenigin nach: die Anklagen der Tochter hatten einen maechtigeren Eindruck auf sie gemacht als sie zeigen wollte. "Herrschsucht?" sagte sie zu sich selbst. "Nein, das ist es nicht, was mich erfuellt. Ich fuehlte, dass ich dies Reich schirmen und begluecken konnte, darum liebte ich die Krone. Und gewiss, ich koennte, wie mein Leben, so meine Krone opfern, verlangte es das Heil meines Volks. Koenntest du das, Amalaswintha?" fragte sie sich, zweifelnd die Linke auf die Brust legend. Sie ward aus ihrem Sinnen geweckt durch Cassiodor, der langsam und gesenkten Hauptes eintrat. "Nun," rief Amalaswintha, erschreckt von dem Ausdruck seiner Zuege, "bringst du ein Unglueck?" "Nein, nur eine Frage." "Welche Frage?" "Koenigin," hob der Alte feierlich an, "ich habe deinem Vater und dir dreissig Jahre lang gedient, treu und eifrig, ein Roemer den Barbaren, weil ich eure Tugenden ehrte und weil ich glaubte, Italien, der Freiheit nicht mehr faehig, sei unter eurer Herrschaft am sichersten geborgen: denn eure Herrschaft war gerecht und mild. Ich habe fort gedient, obwohl ich meiner Freunde, Boethius und Symmachus, Blut fliessen sah, wie ich glaube, unschuldig Blut: aber sie starben durch offnes Gericht, nicht durch Mord. Ich musste deinen Vater ehren, auch wo ich ihn nicht loben konnte. Jetzt aber -" "Nun, jetzt aber?" fragte die Koenigin stolz. "Jetzt komme ich, von meiner vieljaehrigen Freundin, ich darf sagen, meiner Schuelerin -" "Du darfst es sagen," sprach Amalaswintha weicher. "Von des grossen Theoderich edler Tochter ein einfach schlichtes Wort, ein Ja zu erbitten. Kannst du dies Ja sprechen - ich flehe zu Gott, dass du es koennest - so will ich dir dienen treu wie je, solang es dieses greise Haupt vermag." "Und kann ich's nicht?" "Und koenntest du es nicht, o Koenigin," rief der Alte schmerzlich, "o dann Lebewohl dir und meiner letzten Freude an dieser Welt." "Und was hast du zu fragen?" "Amalaswintha, du weisst ich war fern an der Nordgrenze des Reichs, als hier der Aufstand losbrach, als jene furchtbare Kunde, jene furchtbare Anklage sich erhob. Ich glaubte nichts - ich flog hierher von Tridentum. - Seit zwei Tagen bin ich hier und keine Stunde vergeht, keinen Goten spreche ich, ohne dass die schwere Klage mir schwerer aufs Herz faellt. Und auch du bist verwandelt, ungleich, unstet, unruhig - und doch will ich's nicht glauben. - Ein treues Wort von dir soll all' diese Nebel zerstreuen." "Wozu die vielen Reden," rief sie, auf die Armlehne des Thrones sich stuetzend, "sage kurz, was hast du zu fragen?" "Sprich nur ein schlichtes Ja: bist du schuldlos an dem Tode der drei Herzoge?" "Und wenn ich es nicht waere, - haben sie nicht reichlich den Tod verdient?" "Amalaswintha, ich bitte dich: sage ja." "Du nimmst ja auf einmal grossen Anteil an den gotischen Rebellen!" "Ich beschwoere dich," rief der Greis auf die Kniee fallend, "Tochter Theoderichs, sage ja, wenn du kannst." "Steh auf," sprach sie finster sich abwendend, "du hast kein Recht, so zu fragen." "Nein," sagte der Alte ruhig aufstehend, "nein, jetzt nicht mehr. Denn von diesem Augenblick an gehoer' ich der Welt nicht mehr an." "Cassiodor!" rief die Koenigin erschrocken. "Hier ist der Schluessel zu meinen Gemaechern in dieser Koenigsburg: du findest darin alle Geschenke, die ich von dir und Theoderich erhalten, die Urkunden meiner Wuerden, die Abzeichen meiner Aemter. Ich gehe." "Wohin, mein alter Freund, wohin?" "In das Kloster, das ich gegruendet zu Squillacium in Apulien. Fortan werd' ich, fern den Werken der Koenige, nur die Werke Gottes auf Erden verwalten: laengst verlangt meine Seele nach Frieden, und jetzt hab' ich auf Erden nichts mehr, was mir teuer. Noch einen Rat will ich dir scheidend geben: lege das Scepter aus der blutbefleckten Hand: sie kann diesem Reiche nicht mehr Segen, nur Fluch kann sie ihm bringen. Denke an das Heil deiner Seele, Tochter Theoderichs: Gott sei dir gnaedig." Und ehe sie sich von ihrer Bestuerzung erholt, war er verschwunden. Sie wollte ihm nacheilen, ihn zurueckrufen, aber an dem Vorhang trat ihr Petros, der Gesandte von Byzanz, entgegen. "Koenigin," sagte er rasch und leise, "bleib' und hoere mich. Es gilt ein dringendes Wort. Man folgt mir auf dem Fuss." "Wer folgt dir?" "Leute, die es nicht so gut meinen mit dir als ich. Taeusche dich nicht laenger: die Geschicke dieses Reiches erfuellen sich: du haeltst sie nicht mehr auf, so rette fuer dich was zu retten ist: ich wiederhole meinen Vorschlag." "Welchen Vorschlag?" "Den von gestern." "Den der Schande, des Verrats! Niemals! Ich werde diese Beleidigung deinem Herrn, dem Kaiser, melden und ihn bitten, dich abzurufen. Mit dir verhandle ich nicht mehr." "Koenigin, es ist nicht mehr Zeit, dich zu schonen. Der naechste Gesandte Justinians heisst Belisar und koemmt mit einem Heere." "Unmoeglich!" rief die verlassene Fuerstin. "Ich nehme meine Bitte zurueck." "Zu spaet. Belisars Flotte liegt schon bei Sicilien. Den Vorschlag, den ich dir gestern als meinen Gedanken mitteilte, hast du als solchen verworfen. Vernimm: nicht ich, der Kaiser Justinian selbst ist es, der ihn ausspricht als letztes Zeichen seiner Huld." "Justinian, mein Freund, mein Schuetzer, will mich und mein Reich verderben!" rief Amalaswintha, der es schrecklich tagte. "Nicht dich verderben, dich erretten! Wiedergewinnen will er dies Italien, die Wiege des roemischen Reichs: dieser unnatuerliche, unmoegliche Staat der Goten, er ist gerichtet und verloren. Trenne dich von dem sinkenden Fahrzeug. Justinian reicht dir die Freundeshand, die Kaiserin bietet dir ein Asyl an ihrem Herzen, wenn du Neapolis, Rom, Ravenna und alle Festungen in Belisars Haende lieferst und geschehen laesst, dass die Goten entwaffnet ueber die Alpen gefuehrt werden." "Elender, soll ich mein Volk verraten, wie ihr mich? Zu spaet erkenne ich eure Tuecke! Eure Hilfe rief ich an und ihr wollt mich verderben." "Nicht dich, nur die Barbaren." "Diese Barbaren sind mein Volk, sind meine einzigen Freunde: ich erkenne es jetzt und ich stehe zu ihnen in Tod und Leben." "Aber sie steh'n nicht mehr zu dir." "Verwegner! fort aus meinen Augen, fort von meinem Hof." "Du willst nicht hoeren? Merke wohl, o Koenigin, nur unter jener Bedingung buerg' ich fuer dein Leben." "Fuer mein Leben buergt mein Volk in Waffen." "Schwerlich. Zum letztenmal frag' ich dich -" "Schweig. Ich lief're die Krone nicht ohne Kampf an Justinian." "Wohlan," sagte Petros zu sich selbst, "so muss es ein andrer thun. - Tretet ein, ihr Freunde," rief er hinaus. - Aber aus dem Vorhang trat langsam mit gekreuzten Armen Cethegus. "Wo ist Gothelindis? wo Theodahad?" fluesterte Petros. - Seine Bestuerzung entging der Fuerstin nicht. "Ich liess sie vor dem Palast. Die beiden Weiber hassen sich zu grimmig. Ihre Leidenschaft wuerde alles verderben." "Du bist mein guter Engel nicht, Praefekt von Rom," sprach Amalaswintha finster und von ihm zurueckweichend. "Diesmal vielleicht doch," fluesterte Cethegus auf sie zuschreitend. "Du hast die Vorschlaege von Byzanz verworfen? Das erwartete ich von dir. Entlass den falschen Griechen." Auf einen Wink der Koenigin trat Petros in ein Seitengemach. "Was bringst du mir, Cethegus! Ich traue dir nicht mehr!" "Du hast, statt mir zu trauen, dem Kaiser vertraut und du siehst den Erfolg." "Ich sehe ihn," sagte sie schmerzlich. "Koenigin, ich habe dich nie belogen und getaeuscht darin: ich liebe Italien und Rom mehr als deine Goten: du wirst dich erinnern, ich habe dir dies niemals verhehlt." "Ich weiss es und kann es nicht tadeln." "Am liebsten saeh' ich Italien frei. Muss es dienen, so dien' es nicht dem tyrannischen Byzanz, sondern euch, der milden Hand der Goten. Das war von je mein Gedanke, das ist er noch heute. Um Byzanz abzuhalten, will ich dein Reich erhalten: aber offen sag' ich dir, du, deine Herrschaft laesst sich nicht mehr stuetzen. Rufst du zum Kampfe gegen Byzanz, so werden dir die Goten nicht mehr folgen, die Italier nicht vertrauen." "Und warum nicht? Was trennt mich von den Italiern und von meinem Volk?" "Deine eignen Thaten. Zwei unselige Dokumente, in der Hand des Kaisers Justinian. Du selbst hast zuerst seine Waffen ins Land gerufen, eine Leibwache von Byzanz!" Amalaswintha erbleichte: "Du weisst -" "Leider nicht nur ich, sondern meine Freunde, die Verschworenen in den Katakomben: Petros hat ihnen den Brief mitgeteilt: sie fluchen dir." "So bleiben mir meine Goten." "Nicht mehr. Nicht bloss der ganze Anhang der Balten steht dir nach dem Leben: - die Verschworenen von Rom haben im Zorn ueber dich beschlossen, sowie der Kampf entbrennt, aller Welt kund zu thun, dass dein Name an ihrer Spitze stand gegen die Goten, gegen dein Volk. Jenes Blatt mit deinem Namen ist nicht mehr in meiner Hand, es liegt im Archiv der Verschwoerung." "Ungetreuer!" "Wie konnte ich wissen, dass du hinter meinem Ruecken mit Byzanz verkehrst und dadurch meine Freunde dir verfeindest? Du siehst: Byzanz, Goten, Italier, alles steht gegen dich. Beginnt nun der Kampf gegen Byzanz unter deiner Fuehrung, so wird Uneinigkeit Italier und Barbaren spalten, niemand dir gehorchen, und dies Reich hilflos vor Belisar erliegen. Amalaswintha, es gilt ein Opfer: ich fordre es von dir im Namen Italiens, deines und meines Volks." "Welches Opfer? ich bringe jedes." "Das hoechste: deine Krone. Uebergieb sie einem Mann der Goten und Italier gegen Byzanz zu vereinen vermag und rette dein Volk und meines." Amalaswintha sah ihn forschend an: es kaempfte und rang in ihrer Brust. "Meine Krone! sie war mir sehr teuer." "Ich habe Amalaswinthen stets jedes hoechsten Opfers faehig gehalten." "Darf ich, kann ich deinem Rate trauen!" "Wenn der dir suess waere, duerftest du zweifeln. Wenn ich deinem Stolze schmeichelte, duerftest du misstrauen: aber ich rate dir die bittre Arznei der Entsagung. Ich wende mich an deinen Edelsinn, an deinen Opfermut: lass mich nicht zu Schanden werden." "Dein letzter Rat war ein Verbrechen," sagte Amalaswintha schaudernd. "Ich hielt deinen Thron durch jedes Mittel, solang er zu halten war, solang er Italien nuetzte: jetzt schadet er Italien und ich verlange, dass du dein Volk mehr liebst als dein Scepter." "Bei Gott! du irrst darin nicht: fuer mein Volk hab' ich mich nicht gescheut, fremdes Leben zu opfern," - sie verweilte gern bei diesem Gedanken, der ihr Gewissen beschwichtigte, - "ich werde mich nicht weigern, jetzt - aber wer soll mein Nachfolger werden?" "Dein Erbe, dem die Krone gebuehrt, der letzte der Amaler." "Wie? Theodahad, der Schwaechling?" "Er ist kein Held, das ist wahr. Aber die Helden werden ihm gehorchen, dem Neffen Theoderichs, wenn du ihn einsetzest. Und bedenke noch eins: seine roemische Bildung hat ihm die Roemer gewonnen: ihm werden sie beistehen: einen Koenig nach des alten Hildebrand, nach Tejas Herzen wuerden sie hassen und fuerchten." "Und mit Recht;" sagte die Regentin sinnend: "aber Gothelindis Koenigin!" Da trat Cethegus ihr naeher und sah ihr scharf ins Auge: "So klein ist Amalaswintha nicht, dass sie klaeglicher Weiberfeindschaft gedenkt, wo es edler Entschluesse bedarf. Du erschienst mir von jeher groesser als dein Geschlecht. Beweis' es jetzt. Entscheide dich!" "Nicht jetzt," sprach Amalaswintha, "meine Stirne glueht, und verwirrend pocht mein Herz. Lass mir diese Nacht, mich zu fassen. Du hast mir Entsagung zugetraut: ich danke dir. Morgen die Entscheidung." Viertes Buch. THEODAHAD. "Nachbarn zu haben schien Theodahad eine Art von Unglueck." Prokop, Gotenkrieg I. 3. Erstes Kapitel. Am andern Morgen verkuendete ein Manifest dem staunenden Ravenna, dass die Tochter Theoderichs zu Gunsten ihres Vetters Theodahad auf die Krone verzichtet und dass dieser, der letzte Mannesspross der Amelungen, den Thron bestiegen habe. Italier und Goten wurden aufgefordert, dem neuen Herrscher den Eid der Treue zu schwoeren. So hatte Cethegus richtig gerechnet. Das Gewissen der unseligen Frau fuehlte sich durch manche Thorheit, ja durch blut'ge Schuld schwer belastet: edle Naturen suchen Erleichterung und Busse in Opfer und Entsagung: durch ihrer Tochter und Cassiodors Anklagen war ihr Herz maechtig bewegt worden und der Praefekt hatte sie in guenstiger Stimmung fuer seinen Rat gefunden. Weil er so bitter war, befolgte sie ihn: ja sie hatte, um ihr Volk zu retten und ihre Schuld zu suehnen, sich noch weitere Demuetigungen vorgesteckt. Ohne Schwierigkeit vollzog sich der Thronwechsel. Die Italier zu Ravenna waren zu einer Erhebung keineswegs vorbereitet und wurden von Cethegus auf gelegnere Zeit vertroestet. Auch war der neue Koenig als Freund roemischer Bildung bei ihnen bekannt und beliebt. Die Goten freilich schienen sich nicht ohne weitres den Tausch gefallen lassen zu wollen. Fuerst Theodahad war allerdings ein Mann - das empfahl ihn gegenueber Amalaswinthen - und ein Amaler: das wog schwer zu seinen Gunsten gegenueber jedem andern Bewerber um die Krone. Aber im uebrigen war er im Volke der Goten keineswegs hoch angesehen. Unkriegerisch und feige, verweichlicht an Leib und Seele hatte er keine der Eigenschaften, welche die Germanen von ihren Koenigen forderten. Nur Eine Leidenschaft erfuellte seine Seele: Habsucht, unersaettliche Goldgier. Reich beguetert in Tuscien lebte er mit allen seinen Nachbarn in ewigen Prozessen: mit List und Gewalt und dem Schwergewicht seiner koeniglichen Geburt wusste er seinen Grundbesitz nach allen Seiten auszudehnen und die Laendereien weit in der Runde an sich zu reissen: "denn - sagt ein Zeitgenosse - Nachbarn zu haben schien dem Theodahad eine Art von Unglueck". Dabei war seine schwache Seele vollstaendig abhaengig von der boesartigen, aber kraeftigen Natur seines Weibes. Einen solchen Koenig sahen denn die Tuechtigsten unter den Goten nicht gern auf dem Throne Theoderichs. Und kaum war das Manifest Amalaswinthens bekannt geworden, als Graf Teja, der kurz zuvor mit Hildebad in Ravenna angekommen war, diesen sowie den alten Waffenmeister und den Grafen Witichis zu sich beschied und sie aufforderte, die Unzufriedenheit des Volkes zu steigern, zu leiten und einen Wuerdigern an Theodahads Stelle zu setzen. "Ihr wisst," schloss er seine Worte, "wie guenstig die Stimmung im Volke. Seit jener Bundesnacht im Mercuriustempel haben wir unablaessig geschuert unter den Goten und Grosses ist schon gelungen: des edeln Athalarich Aufschwung, der Sieg am Epiphaniasfeste, das Zurueckholen Amalaswinthens, wir haben es bewirkt. Jetzt winkt die guenstige Gelegenheit. Soll an des Weibes Stelle treten ein Mann, der schwaecher als ein Weib? Haben wir keinen Wuerdigern mehr als Theodahad im Volk der Goten?" "Recht hat er, beim Donner und Strahl," rief Hildebad. "Fort mit diesen verwelkten Amalern! Einen Heldenkoenig hebt auf den Schild und schlagt los nach allen Seiten. Fort mit dem Amaler!" "Nein," sagte Witichis, ruhig vor sich hinblickend, "noch nicht! Vielleicht, dass es noch einmal so kommen muss: aber nicht frueher darf es geschehen als es muss. Der Anhang der Amaler ist gross im Volk: nur mit Gewalt wuerde Theodahad den Reichtum, Gothelindis die Macht der Krone sich entwinden lassen: sie wuerden stark genug sein, wenn nicht zum Siege, doch zum Kampf. Kampf aber unter den Soehnen eines Volks ist schrecklich, nur die Notwendigkeit kann ihn rechtfertigen. Die ist noch nicht da. Theodahad mag sich bewaehren: er ist schwach, so wird er sich leiten lassen. Hat er sich unfaehig erwiesen, so ist's noch immer Zeit." "Wer weiss, ob dann noch Zeit ist," warnte Teja. "Was raetst du, Alter?" fragte Hildebad, auf welchen die Gruende des Grafen Witichis nicht ohne Wirkung blieben. "Brueder," sagte der Waffenmeister, seinen langen Bart streichend, "ihr habt die Wahl, darum die Qual. Mir sind beide erspart: ich bin gebunden. Die alten Gefolgen des grossen Koenigs haben einen Eid gethan, solang sein Haus lebt, keinem Fremden die Gotenkrone zuzuwenden." "Welch thoerichter Eid!" rief Hildebad. "Ich bin alt und nenn' ihn nicht thoericht. Ich weiss, welcher Segen auf der festen, heiligen Ordnung des Erbgangs ruht. Und die Amaler sind Soehne der Goetter," schloss er geheimnisvoll. "Ein schoener Goettersohn, Theodahad!" lachte Hildebad. "Schweig," rief zornig der Alte, "das begreift ihr nicht mehr, ihr neuen Menschen. Ihr wollt alles fassen und verstehen mit eurem klaeglichen Verstand. Das Raetsel, das Geheimnis, das Wunder, der Zauber, der im Blute liegt - dafuer habt ihr den Sinn verloren. Darum schweig' ich von solchen Dingen zu euch. Aber ihr macht mich nicht mehr anders mit meinen bald hundert Jahren. Thut ihr, was ihr wollt, ich thue, was ich muss." "Nun," sprach Graf Teja nachgebend, "auf euer Haupt die Schuld. Aber wenn dieser letzte Amaler dahin ..." - "Dann ist das Gefolge seines Schwures frei." "Vielleicht," schloss Witichis, "ist es ein Glueck, dass auch uns dein Eid die Wahl erspart: denn gewiss wollen wir keinen Herrscher, den du nicht anerkennen koenntest. Gehen wir denn, das Volk zu beschwichtigen und tragen wir diesen Koenig - solang er zu tragen ist." "Aber keine Stunde laenger," sagte Teja und ging zuernend hinaus. Zweites Kapitel. Am naemlichen Tage noch wurden Theodahad und Gothelindis mit der alten Krone der Gotenkoenige gekroent. Ein reiches Festmahl, besucht von allen roemischen und gotischen Grossen des Hofes und der Stadt, belebte den weiten Palast Theoderichs und den sonst so stillen Garten, den wir als den Schauplatz von Athalarichs und Kamillas Liebe kennen gelernt. Bis tief in die Nacht waehrte das laermende Gelage. Der neue Koenig, kein Freund der Becher und barbarischer Festfreuden, hatte sich fruehe zurueckgezogen. Gothelindis dagegen sonnte sich gern in dem Glanz ihrer jungen Herrlichkeit: stolz prangte sie auf ihrem Purpursitz, die goldne Zackenkrone im dunkeln Haar. Sie schien ganz Ohr fuer die lauten Jubelrufe, die ihren und ihres Gatten Namen feierten. Und doch hatte ihr Herz dabei nur Eine Freude: den Gedanken, dass dieser Jubel hinunterdringen muesse bis in die Koenigsgruft, wo Amalaswintha, die verhasste, besiegte Feindin, am Sarkophage ihres Sohnes trauerte. Unter der Menge von jenen Gaesten, die immer froehlich sind, wenn sie bei vollen Bechern sitzen, war doch auch so manches ernstere Gesicht zu bemerken: mancher Roemer, der auf dem leeren Thron da oben lieber den Kaiser gesehen haette: so mancher Gote, der in der gefaehrlichen Lage des Reiches einem Koenig wie Theodahad nicht ohne Sorge huldigen konnte. Zu letzteren zaehlte Witichis, dessen Gedanken nicht unter dem kranzgeschmueckten Saeulendach der Trinkhalle zu weilen schienen. Unberuehrt stand die goldne Schale vor ihm und auf den lauten Zuruf Hildebads, der ihm gegenueber sass, achtete er kaum. Endlich - schon leuchteten laengst im Saale die Lampen und am Himmel die Sterne - stand er auf und ging hinaus in das gruene Dunkel des Gartens. Langsam wandelte er durch die Taxusgaenge dahin: sein Auge hing an den funkelnden Sternen. Sein Herz war daheim bei seinem Weibe, bei seinem Knaben, die er monatelang nicht mehr gesehen. So fuehrte ihn sein sinnendes Wandeln an den Venustempel bei der Meeresbucht, die wir kennen. Er sah hinaus nach der flimmernden See - da blitzte etwas dicht vor seinen Fuessen im schwachen Mondlicht: es war eine Ruestung, daneben die kleine, gotische Harfe: ein Mann lag vor ihm im weichen Grase und ein bleiches Antlitz hob sich ihm entgegen. "Du hier, Teja? Du warst nicht beim Fest." "Nein, ich war bei den Toten." "Auch mein Herz weiss nichts von diesen Festen: es war daheim bei Weib und Kind," sagte Witichis, sich zu ihm niedersetzend. "Bei Weib und Kind," wiederholte Teja seufzend. "Viele fragten nach dir, Teja." "Nach mir! Soll ich sitzen neben Cethegus, der mir die Ehre nahm, und neben Theodahad, der mir mein Erbe nahm?" "Dein Erbe nahm?" "Wenigstens besitzt er's. Und ueber den Ort, wo meine Wiege stand, ging seine Pflugschar." Und schweigend sah er lange vor sich hin. "Dein Harfenspiel - es schweigt? Man ruehmt dich unsres Volkes besten Harfenschlaeger und Saenger!" "Wie Gelimer, der letzte Koenig der Vandalen, seines Volkes bester Harfenschlaeger war. - - Aber mich wuerden sie nicht im Triumph einfuehren nach Byzanz!" "Du singst nicht oft mehr?" "Fast niemals mehr. Aber mir ist, die Tage kommen, da ich wieder singen werde." "Tage der Freude?" "Tage der hoechsten, der letzten Trauer." Lange schwiegen beide. - "Mein Teja," hob endlich Witichis an, "in allen Noeten von Krieg und Frieden hab' ich dich erfunden treu, wie mein Schwert. Und obwohl du soviel juenger als ich und nicht leicht der Aeltere sich dem Juengling verbindet, kann ich dich meinen besten Herzensfreund nennen. Und ich weiss, dass auch dein Herz mehr an mir haengt als an deinen Jugendgenossen." Teja drueckte ihm die Hand: "Du verstehst mich und ehrest meine Art, auch wo du sie nicht verstehst. Die andern -! und doch: den einen hab' ich sehr lieb." "Wen?" "Den alle lieb haben." "Totila!" "Ich hab' ihn lieb wie die Nacht den Morgenstern. Aber er ist so hell: er kann's nicht fassen, dass andere dunkel sind und bleiben muessen." "Bleiben muessen! Warum? Du weisst, Neugier ist meine Sache nicht. Und wenn ich dich in dieser ernsten Stunde bitte: luefte den Schleier, der ueber dir und deiner finstern Trauer liegt, so bitt' ich's nur, weil ich dir helfen moechte. Und weil des Freundes Auge oft besser sieht als das eigene." "Helfen? Mir helfen? Kannst du die Toten wieder auferwecken? Mein Schmerz ist unwiderruflich wie die Vergangenheit. Und wer einmal gleich mir den unbarmherzigen Raedergang des Schicksals verspuert hat, wie es, blind und taub fuer das Zarte und Hohe, mit eherner grundloser Gewalt alles vor sich nieder tritt, ja, wie es das Edle, weil es zart ist, leichter und lieber zermalmt, als das Gemeine, wer erkannt hat, dass eine dumpfe Notwendigkeit, welche Thoren die weise Vorsehung Gottes nennen, die Welt und das Leben der Menschen beherrscht, der ist hinaus ueber Hilfe und Trost: er hoert ewig, wenn er es einmal erlauscht, mit dem leisen Gehoer der Verzweiflung den immer gleichen Taktschlag des fuehllosen Rades im Mittelpunkt der Welt, das gleichgueltig mit jeder Bewegung Leben zeugt und Leben toetet. Wer das einmal empfunden und erlebt, der entsagt einmal und fuer immer und allem: nichts wird ihn mehr erschrecken. Aber freilich - die Kunst des Laechelns hat er auch vergessen auf immerdar." "Mir schaudert. Gott bewahre mich vor solchem Wahn! Wie kamst du so jung zu so fuerchterlicher Weisheit?" "Freund, mit deinen Gedanken allein ergruebelst du die Wahrheit nicht, erleben musst du sie. Und nur, wenn du des Mannes Leben kennst, begreifst du, was er denkt und wie er denkt. Und auf dass ich dir nicht laenger erscheine wie ein irrer Traeumer, wie ein Weichling, der sich gern in seinen Schmerzen wiegt, - und damit ich dein Vertrauen und deine schoene Freundschaft ehre, vernimm, - hoere ein kleines Stueck meines Grams. Das groessere, das unendlich groessere behalt' ich noch fuer mich," sagte er schmerzlich, die Hand auf die Brust drueckend, - "es koemmt wohl noch die Stunde auch fuer dies. Vernimm heute nur, wie ueber meinem Haupte der Stern des Unheils schon leuchtete, da ich gezeugt ward. - Und von all den tausend Sternen da oben bleibt nur dieser Stern getreu. Du warst dabei - du erinnerst dich - wie der falsche Praefekt mich laut vor allen einen Bastard schalt und mir den Zweikampf weigerte: - ich musste es dulden: ich bin noch schlimmeres als ein Bastard. - - Mein Vater, Tagila, war ein tuechtiger Kriegsheld, aber kein Adaling, gemeinfrei und arm. Er liebte, schon seit der Bart ihm sprosste, Gisa, seines Vaterbruders Tochter. Sie lebten draussen, weit an der aeussersten Ostgrenze des Reichs, an dem kalten Ister, wo man stets im Kampfe liegt mit den Gepiden und den wilden raeuberischen Sarmaten und wenig Zeit hat, an die Kirche zu denken und die wechselnden Gebote, die ihre Konzilien erlassen. Lange konnte mein Vater seine Gisa nicht heimfuehren: er hatte nichts als Helm und Speer und konnte ihrem Mundwalt den Malschatz nicht zahlen und einem Weibe keinen Herd bereiten. Endlich lachte ihm das Glueck. Im Krieg gegen einen Sarmatenkoenig eroberte er dessen festen Schatzturm an der Alutha: und die reichen Schaetze, welche die Sarmaten seit Jahrhunderten zusammengepluendert und hier aufgehaeuft, wurden seine Beute. Zum Lohn seiner That ernannte ihn Theoderich zum Grafen und rief ihn nach Italien. Mein Vater nahm seine Schaetze und Gisa, jetzt sein Weib, mit sich ueber die Alpen und kaufte sich weite schoene Gueter in Tuscien zwischen Florentia und Luca. Aber nicht lange waehrte sein Glueck. Kaum war ich geboren, da verklagte ein Elender, ein feiger Schurke, meine Eltern wegen Blutschande beim Bischof von Florentia. Sie waren katholisch - nicht Arianer - und Geschwisterkinder: ihre Ehe war nichtig nach dem Recht der Kirche - und die Kirche gebot ihnen, sich zu trennen. Mein Vater drueckte sein Weib an die Brust und lachte des Gebots. Aber der geheime Anklaeger ruhte nicht -" - "Wer war der Neiding?" "O wenn ich es wuesste, ich wollte ihn erreichen und thronte er in allen Schrecken des Vesuvius! Er ruhte nicht. Unablaessig bedraengten die Priester meine arme Mutter und wollten ihre Seele mit Gewissensbissen schrecken. Umsonst: sie hielt sich an ihren Gott und ihren Gatten und trotzte dem Bischof und seinen Sendboten. Und mein Vater, wenn er einen der Pfaffen in seinem Gehoefte traf, begruesste ihn, dass er nicht wieder kam. Aber wer kann mit denen kaempfen, die im Namen Gottes sprechen! Eine letzte Frist ward den Ungehorsamen gesteckt: haetten sie sich bis dahin nicht getrennt, so sollten sie dem Bann verfallen und ihr Hab und Gut der Kirche. Entsetzt eilte jetzt mein Vater an den Hof des Koenigs, Aufhebung des grausamen Spruches zu erflehen. Aber die Satzung des Konzils sprach zu klar und Theoderich konnte es nicht wagen, das Recht der katholischen Kirche zu kraenken. Als mein Vater zurueckkehrte von Ravenna, mit Gisa zu fluechten, starrte er entsetzt auf die Staette, wo sein Haus gestanden: der Termin war abgelaufen, und die Drohung erfuellt: sein Haus zerstoert, sein Weib, sein Kind verschwunden. Rasend stuermte er durch ganz Italien, uns zu suchen. Endlich entdeckte er, als Priester verkleidet, seine Gisa in einem Kloster zu Ticinum: ihren Knaben hatte man ihr entrissen und nach Rom geschleppt. Mein Vater bereitet mit ihr alles zur Flucht: sie entkommen um Mitternacht ueber die Mauer des Klostergartens. Aber am Morgen fehlt die Buesserin bei der Hora: man vermisst sie, ihre Zelle ist leer. Die Klosterknechte folgen den Spuren des Rosses, - sie werden eingeholt: grimmig fechtend faellt mein Vater: meine Mutter wird in ihre Zelle zurueckgebracht. Und so furchtbar druecken die Macht des Schmerzes und die Zucht des Klosters auf die zermuerbte Seele, dass sie in Wahnsinn faellt und stirbt. Das sind meine Eltern!" "Und du?" "Mich entdeckte in Rom der alte Hildebrand, ein Waffenfreund meines Grossvaters und Vaters: - er entriss mich, mit des Koenigs Beistand, den Priestern und liess mich mit seinen eigenen Enkeln in Regium erziehen." "Und dein Gut, dein Erbe?" "Verfiel der Kirche, die es, halb geschenkt, an Theodahad ueberliess: er war meines Vaters Nachbar, er ist jetzt mein Koenig!" "Mein armer Freund! Aber wie erging es dir spaeter? Man weiss nur dunkles Gerede - du warst einmal in Griechenland gefangen ... -" Teja stand auf. "Davon lass mich schweigen; vielleicht ein andermal. Ich war Thor genug, auch einmal an Glueck zu glauben und an eines liebenden Gottes Guete. Ich hab' es schwer gebuesst. Ich will's nie wieder thun. Leb wohl, Witichis, und schilt nicht auf Teja, wenn er nicht ist wie andre." Er drueckte ihm die Hand und war rasch im dunkeln Laubgang verschwunden. Witichis sah lange schweigend vor sich hin. Dann blickte er gen Himmel, in den hellen Sternen eine Widerlegung der finstern Gedanken zu finden, die des Freundes Worte in ihm geweckt. Er sehnte sich nach ihrem Licht voll Frieden und Klarheit. Aber waehrend des Gespraechs war Nebelgewoelk rasch aus den Lagunen aufgestiegen und hatte den Himmel ueberzogen: es war finster ringsum. Mit einem Seufzer stand Witichis auf und suchte in ernstem Sinnen sein einsames Lager. Drittes Kapitel. Waehrend unten in den Hallen des Palatiums Italier und Goten tafelten und zechten, ahnten sie nicht, dass ueber ihren Haeuptern in dem Gemach des Koenigs eine Verhandlung gepflogen ward, die ueber ihr und ihres Reiches Schicksale entscheiden sollte. Unbeobachtet war dem Koenig alsbald der Gesandte von Byzanz nachgefolgt und lange und geheim sprachen und schrieben die beiden miteinander. Endlich schienen sie handelseinig geworden und Petros wollte anheben, nochmal vorzulesen, was sie gemeinsam beschlossen und aufgezeichnet. Aber der Koenig unterbrach ihn. "Halt," fluesterte der kleine Mann, der in seinem weiten Purpurmantel verloren zu gehen drohte, "halt - noch eins!" Und er hob sich aus dem schoen geschweiften Sitz, schlich durch das Gemach und hob den Vorhang, ob niemand lausche. Dann kehrte er beruhigt zurueck und fasste den Byzantiner leise am Gewand. Das Licht der Bronzeampel spielte im Winde flackernd auf den gelben vertrockneten Wangen des haesslichen Mannes, der die kleinen Augen zusammenkniff: "Noch dies. Wenn jene heilsamen Veraenderungen eintreten sollen, - auf dass sie eintreten koennen, wird es gut sein, ja notwendig, einige der trotzigsten meiner Barbaren unschaedlich zu machen." - "Daran hab' ich bereits gedacht," nickte Petros. "Da ist der alte halbheidnische Waffenmeister, der grobe Hildebad, der nuechterne Witichis" - "Du kennst deine Leute gut," grinste Theodahad, "du hast dich tuechtig umgesehen. Aber," raunte er ihm ins Ohr, "einer, den du nicht genannt hast, einer vor allen muss fort." "Der ist?" "Graf Teja, des Tagila Sohn." "Ist der melancholische Traeumer so gefaehrlich?" "Der gefaehrlichste von allen! Und mein persoenlicher Feind! schon von seinem Vater her." "Wie kam das?" "Er war mein Nachbar bei Florentia. Ich musste seine Aecker haben - umsonst drang ich in ihn. Ha," laechelte er pfiffig, "zuletzt wurden sie doch mein. Die heilige Kirche trennte seine verbrecherische Ehe, nahm ihm sein Gut dabei und liess mir's - billig - ab. Ich hatte einiges Verdienst um die Kirche in dem Prozess - dein Freund, der Bischof von Florentia kann dir's genau erzaehlen." "Ich verstehe," sagte Petros, "was gab der Barbar seine Aecker nicht in Guete! Weiss Teja -?" "Nichts weiss er. Aber er hasst mich schon deshalb, weil ich sein Erbgut - kaufte. Er wirft mir finstere Blicke zu. Und dieser schwarze Traeumer ist der Mann, seinen Feind zu den Fuessen Gottes zu erwuergen." "So?" sagte Petros, ploetzlich sehr nachdenklich. "Nun, genug von ihm: er soll nicht schaden. Lass dir jetzt nochmal den ganzen Vertrag Punkt fuer Punkt vorlesen; dann unterzeichne. Erstens. Koenig Theodahad verzichtet auf die Herrschaft ueber Italien und die zugehoerigen Inseln und Provinzen des Gotenreichs: naemlich Dalmatien, Liburnien, Istrien, das zweite Pannonien, Savien, Noricum, Raetien und den gotischen Besitz in Gallien, zu Gunsten des Kaisers Justinian und seiner Nachfolger auf dem Throne von Byzanz. Er verspricht, Ravenna, Rom, Neapolis und alle festen Plaetze des Reichs dem Kaiser ohne Widerstand zu oeffnen." Theodahad nickte. "Zweitens. Koenig Theodahad wird mit allen Mitteln dahin wirken, dass das ganze Heer der Goten entwaffnet und in kleinen Gruppen ueber die Alpen gefuehrt werde. Weiber und Kinder haben nach Auswahl des kaiserlichen Feldherrn dem Heere zu folgen oder als Sklaven nach Byzanz zu gehen. Der Koenig wird dafuer sorgen, dass jeder Widerstand der Goten erfolglos bleiben muss. Drittens. Dafuer belaesst Kaiser Justinian dem Koenig Theodahad und seiner Gemahlin den Koenigstitel und die koeniglichen Ehren auf Lebenszeit, und viertens" - Diesen Abschnitt will ich doch mit eigenen Augen lesen," unterbrach Theodahad, nach der Urkunde langend. "Viertens belaesst der Kaiser dem Koenig der Goten nicht nur alle Laendereien und Schaetze, die dieser als sein Privateigentum bezeichnen wird, sondern auch den ganzen Koenigsschatz der Goten, der allein an gepraegtem Gold auf vierzigtausend Pfunde geschaetzt ist. Er uebergiebt ihm ferner zu Erb und Eigen ganz Tuscien von Pistoria bis Caere, von Populonia bis Clusium und endlich ueberweist er an Theodahad auf Lebenszeit die Haelfte aller oeffentlichen Einkuenfte des durch diesen Vertrag seinem rechtmaessigen Herrn zurueckerworbenen Reiches. - Sage, Petros, meinst du nicht, ich koennte drei Viertel fordern?" - - "Fordern kannst du sie, allein ich zweifle sehr, dass sie dir Justinian gewaehrt. Ich habe schon die Grenzen, die aeussersten, meiner Vollmacht ueberschritten." "Fordern wollen wir's doch immerhin," meinte der Koenig, die Zahl aendernd. "Dann muss Justinian herunter markten oder dafuer andre Vorteile gewaehren." Um des Petros schmale Lippen spielte ein falsches Laecheln: "Du bist ein kluger Handelsmann, o Koenig. - Aber hier verrechnest du dich doch," sagte er zu sich selbst. Da rauschten schleppende Gewaender den Marmorgang heran und eintrat ins Gemach in langem schwarzem Mantel und schwarzem, mit silbernen Sternen besaetem Schleier Amalaswintha, bleich von Antlitz, aber in edler Haltung, eine Koenigin trotz der verlornen Krone: ueberwaeltigende Hoheit der Trauer sprach aus den bleichen Zuegen. "Koenig der Goten," hob sie an, "vergieb, wenn an deinem Freudenfeste ein dunkler Schatte noch einmal auftaucht von der Welt der Toten. Es ist zum letztenmal." Beide Maenner waren von ihrem Anblick betroffen. "Koenigin," - stammelte Theodahad. "Koenigin! o waer' ich's nie gewesen. Ich komme, Vetter, von dem Sarge meines edeln Sohnes, wo ich Busse gethan fuer all' meine Verblendung, und all' meine Schuld bereut. Ich steige herauf zu dir, Koenig der Goten, dich zu warnen vor gleicher Verblendung und gleicher Schuld." Theodahads unstetes Auge vermied ihren ernsten, pruefenden Blick. "Es ist ein uebler Gast," fuhr sie fort, "den ich in mitternaechtiger Stunde als deinen Vertrauten bei dir finde. Es ist kein Heil fuer einen Fuersten als in seinem Volk: zu spaet hab' ich's erkannt, zu spaet fuer mich, nicht zu spaet, hoff' ich, fuer mein Volk. Traue du nicht Byzanz: es ist ein Schild, der den erdrueckt, den er beschirmen soll." "Du bist ungerecht," sagte Petros, "und undankbar." "Thu nicht, mein koeniglicher Vetter," fuhr sie fort, "was dieser von dir fordert. Bewillige nicht du, was ich ihm weigerte. Sicilien sollen wir abtreten und dreitausend Krieger dem Kaiser stellen fuer alle seine Kriege - ich wies die Schmach von mir. Ich sehe," sprach sie, auf das Pergament deutend, "du hast schon mit ihm abgeschlossen. Tritt zurueck, sie werden dich immer taeuschen." Aengstlich zog Theodahad die Urkunde an sich: er warf einen misstrauischen Blick auf Petros. Da trat dieser gegen Amalaswintha vor: "Was willst du hier, du Koenigin von gestern? Willst du dem Beherrscher dieses Reiches wehren? Deine Zeit und deine Macht ist um." - "Verlass uns," sagte Theodahad, ermutigt. "Ich werde thun was mir gutduenkt. Es soll dir nicht gelingen mich von meinen Freunden in Byzanz zu trennen. Sieh her, vor deinen Augen soll unser Bund geschlossen sein." Und er zeichnete seinen Namen auf die Urkunde. "Nun," laechelte Petros, "kamst du noch eben recht, als Zeugin mit zu unterzeichnen." "Nein," sprach Amalaswintha mit einem drohenden Blick auf die beiden Maenner, "ich kam noch eben recht, euren Plan zu vereiteln. Ich gehe geradeswegs von hier zum Heere, zur Volksversammlung, die naechstens bei Regeta tagt. Aufdecken will ich daselbst vor allem Volk deine Antraege, die Plaene von Byzanz und dieses schwachen Fuersten Verrat." "Das wird nicht angehn," sagte Petros ruhig, "ohne dich selbst zu verklagen." "Ich will mich selbst verklagen. Enthuellen will ich all' meine Thorheit, all' meine blutige Schuld und gern den Tod erleiden, den ich verdient. Aber warnen, aufschrecken soll diese meine Selbstanklage mein ganzes Volk vom Aetna bis zu den Alpen; eine Welt von Waffen soll euch entgegenstehn und retten werd' ich meine Goten durch meinen Tod von der Gefahr, in die mein Leben sie gestuerzt." Und in edler Begeisterung eilte sie aus dem Gemach. Verzagt blickte Theodahad auf den Gesandten: lang fand er keine Worte. "Rate, hilf -" stammelte er endlich. "Raten? Da hilft nur Ein Rat. Die Rasende wird sich und uns verderben, laesst man sie gewaehren. Sie darf ihre Drohung nicht erfuellen. Dafuer musst du sorgen." "Ich?" rief Theodahad erschreckt; "ich kann dergleichen nicht! Wo ist Gothelindis? Sie, sie allein kann helfen." "Und der Praefekt," sagte Petros - "sende nach ihnen." Alsbald waren die beiden Genannten von dem Festmahle herauf beschieden. Petros verstaendigte sie von den Worten der Fuerstin, ohne jedoch dem Praefekten den Vertrag als Veranlassung des Auftritts zu nennen. Kaum hatte er gesprochen, so rief die Koenigin: "Genug, sie darf es nicht vollenden. Man muss ihre Schritte bewachen, sie darf mit keinem Goten in Ravenna sprechen - sie darf den Palast nicht verlassen. Das vor allem!" Und sie eilte hinaus, vertraute Sklaven vor Amalaswinthens Gemaecher zu senden. Alsbald kehrte sie wieder. "Sie betet laut in ihrer Kammer," sprach sie veraechtlich. "Auf, Cethegus, lass uns ihre Gebete vereiteln." Cethegus hatte, mit dem Ruecken an die Marmorsaeulen des Eingangs gelehnt, die Arme ueber der Brust gekreuzt, diese Vorgaenge schweigend und sinnend mit angehoert. Er erkannte die Notwendigkeit, die Faeden der Ereignisse wieder mehr in seine Hand zu versammeln und straffer anzuziehen. Er sah Byzanz immer mehr in den Vordergrund dringen: - das durfte nicht weiter angehn. "Sprich, Cethegus," mahnte Gothelindis nochmals, "was thut jetzt vor allem Not?" "Klarheit," sagte dieser sich aufrichtend. "In jedem Bunde muss der Zweck, der besondere Zweck jedes der Verbuendeten klar sein: sonst werden sie stets sich durch Misstrau'n hemmen. Ihr habt eure Zwecke, - ich habe den meinen. Eure Zwecke liegen am Tage: ich habe sie euch neulich schon gesagt: du Petros, willst, dass Kaiser Justinian an der Goten Statt in Italien herrsche: ihr, Gothelindis und Theodahad, wollt dies auch, gegen reiche Entschaedigung an Rache, Geld und Ehren. Ich aber - ich habe auch meinen Zweck: was hilft es, das zu verhehlen? Mein schlauer Petros, du wuerdest doch nicht lange mehr glauben, dass ich nur den Ehrgeiz habe, dein Werkzeug zu sein, und dereinst Senator in Byzanz zu werden. Also auch ich habe meinen Zweck: all' eure dreieinige Schlauheit wuerde ihn nie entdecken, weil er zu nahe vor Augen liegt. Ich muss ihn euch selbst verraten. Der versteinerte Cethegus hat noch eine Liebe: sein Italien. Drum will er, wie ihr, die Goten fort haben aus diesem Land. Aber er will nicht, wie ihr, dass Kaiser Justinianus unbedingt an ihre Stelle trete: er will nicht die Traufe statt des Regens. Am liebsten moechte ich, der unverbesserliche Republikaner - du weisst, mein Petros, wir waren es damals beide mit achtzehn Jahren auf der Schule von Athen und ich bin es noch: aber du brauchst es dem Kaiser, deinem Herrn, nicht zu melden, ich hab' es ihm lange selbst geschrieben - die Barbaren hinauswerfen, ohne euch herein zu lassen. Das geht nun leider nicht an: wir koennen eurer Hilfe nicht entbehren. Doch will ich diese auf das Unvermeidliche beschraenken. Kein byzantinisch Heer darf diesen Boden betreten, als um ihn im letzten Augenblick der Not aus der Hand der Italier zu empfangen. Italien sei mehr ein von den Italiern dargebrachtes Geschenk als eine Eroberung fuer Justinian: die Segnungen der Feldherrn und Steuerrechner, die Byzanz ueber die Laender bringt, die es befreit, sollen uns erspart bleiben: wir wollen euern Schutz, nicht eure Tyrannei." Ueber Petros' Zuege zog ein feines Laecheln, das Cethegus nicht zu bemerken schien; er fuhr fort: "So vernehmt meine Bedingung. Ich weiss, Belisarius liegt mit Flotte und Heer nah bei Sicilien. Er darf nicht landen. Er muss heimkehren. Ich kann keinen Belisar in Italien brauchen. Wenigstens nicht eher als ich ihn rufe. Und sendest du, Petros, ihm nicht sofort diesen Befehl zu, so scheiden sich unsere Wege. Ich kenne Belisar und Narses und ihre Soldatenherrschaft und ich weiss, welch' milde Herren diese Goten sind. Und mich erbarmt Amalaswinthens: sie war eine Mutter meines Volks. Deshalb waehlet, waehlet zwischen Belisar und Cethegus. Landet Belisar, so steht Cethegus und ganz Italien zu Amalaswintha und den Goten: und dann lass sehn, ob ihr uns eine Scholle dieses Landes entreisst. Waehlt ihr Cethegus, so bricht er die Macht der Barbaren und Italien unterwirft sich dem Kaiser als seine freie Gattin, nicht als seine Sklavin. Waehle, Petros." "Stolzer Mann," sprach Gothelindis, "du wagst uns Bedingungen zu setzen, uns, deiner Koenigin?" Und drohend erhob sie die Hand. Aber mit eiserner Faust ergriff Cethegus diese Hand und zog sie ruhig herab. "Lass die Possen, Eintagskoenigin. Hier unterhandeln nur Italien und Byzanz. Vergisst du deine Ohnmacht, so muss man dich dran mahnen. Du thronst, solange wir dich halten." Und mit so ruhiger Majestaet stand er vor dem zornmuetigen Weib, dass sie verstummte. Aber ihr Blick spruehte unausloeschlichen Hass. "Cethegus," sagte jetzt Petros, der sich einstweilen entschlossen, "du hast Recht. Byzanz kann fuer den Augenblick nicht mehr erreichen als deine Hilfe, weil nichts ohne sie. Wenn Belisar umkehrt, so gehst du ganz mit uns und unbedingt?" "Unbedingt." "Und Amalaswinthen?" "Geb' ich Preis." "Wohlan," sagte der Byzantiner, "es gilt." Er schrieb auf eine Wachstafel in kurzen Worten den Befehl zur Heimkehr an Belisar und reichte sie dem Praefekten: "Du magst die Botschaft selbst bestellen." Cethegus las sorgfaeltig: "Es ist gut," sagte er, die Tafel in die Brust steckend, "es gilt." "Wann bricht Italien los auf die Barbaren?" fragte Petros. "In den ersten Tagen des naechsten Monats. Ich gehe nach Rom. Leb wohl." "Du gehst? Und hilfst uns nicht das Weib - die Tochter Theoderichs verderben?" fragte die Koenigin mit bittrem Vorwurf. "Erbarmt dich ihrer abermals?" "Sie ist gerichtet," sagte Cethegus, an der Thuer sich kurz umwendend. "Der Richter geht - der Henker Amt hebt an." Und stolz schritt er hinaus. Da fasste Theodahad, der sprachlos vor Staunen den Byzantiner hatte handeln sehn, mit Entsetzen dessen Hand: "Petros," rief er, "um Gott und aller Heiligen willen, was hast du gethan? Unser Vertrag und alles ruht auf Belisar und du schickst ihn nach Hause?" "Und laesst diesen Uebermuetigen triumphieren?" knirschte Gothelindis. Aber Petros laechelte: der Sieg der Schlauheit strahlte auf seinem Antlitz. "Seid ruhig," sagte er, "diesmal ist er ueberwunden, der Allueberwinder Cethegus, besiegt von dem verhoehnten Petros." Er ergriff Theodahad und Gothelindis an den Haenden, zog sie nahe an sich, sah sich um, und fluesterte dann: "Vor jenem Brief an Belisar steht ein kleiner Punkt: der bedeutet ihm: all das Geschriebene ist nicht ernst gemeint, ist nichtig. Ja, ja, man lernt, man lernt die Schreibekunst am Hofe von Byzanz." Viertes Kapitel. Zwei Tage nach der naechtlichen Begegnung mit Theodahad und Petros verbrachte Amalaswintha in einer Art von wirklicher oder vermeinter Gefangenschaft. So oft sie ihre Gemaecher verliess, so oft sie einbog in einen Gang des Palastes, jedesmal glaubte sie hinter oder neben sich Gestalten auftauchen, hingleiten, verschwinden zu sehen, die ebenso eifrig bedacht schienen, all' ihre Schritte zu beobachten als sich selbst ihren Blicken zu entziehen: kaum zu dem Grabe ihres Sohnes konnte sie unbewacht niedersteigen. Umsonst fragte sie nach Witichis, nach Teja: sie hatten gleich am Morgen nach dem Kroenungsfest in Auftraegen des Koenigs die Stadt verlassen. Das Gefuehl, vereinsamt und von boesen Feinden umlauert zu sein, ruhte drueckend auf ihrer Seele. Schwer und duester hingen am Morgen des dritten Tages die herbstlichen Regenwolken auf Ravenna herab, als sich Amalaswintha von dem schlummerlosen Lager erhob. Unheimlich beruehrte es sie, dass, als sie an das Fenster von Frauenglas trat, ein Rabe kraechzend von dem Marmorsims aufstieg und mit heiserem Schrei und schwerem Fluegelschlag langsam ueber die Gaerten dahinflog. Die Fuerstin fuehlte schon daran, wie geknickt ihre Seele war durch diese Tage von Schmerz, Furcht und Reue, dass sie sich des finstern Eindrucks nicht erwehren konnte, den ihr die fruehen Herbstnebel, aus den Lagunen der Seestadt aufsteigend, brachten. Seufzend blickte sie in die graue Sumpflandschaft hinaus. Schwer war ihr Herz von Reue und Sorge. Und ihr einziger Halt der Gedanke, durch freie Selbstanklage und volle Demuetigung vor allem Volk das Reich noch zu retten um den Preis ihres Lebens. Denn sie zweifelte nicht, dass die Gesippen und Blutraecher der drei Herzoge ihre Pflicht vollauf erfuellen wuerden. In solchen Gedanken schritt sie durch die oeden Hallen und Gaenge des Palastes, diesmal, wie sie glaubte, unbelauscht, hinunter zu der Ruhestaette ihres Sohnes, sich in den Vorsaetzen der Busse und Suehne an ihrem Volk zu befestigen. Als sie nach geraumer Zeit aus der Gruft wieder emporstieg und in einen dunkeln Gewoelbgang einlenkte, huschte ein Mann in Sklaventracht aus einer Nische hervor - sie glaubte sein Gesicht schon oft gesehen zu haben - drueckte ihr eine kleine Wachstafel in die Hand und war seitab verschwunden. Sie erkannte sofort - die Handschrift Cassiodors -. Und sie erriet nun auch den geheimnisvollen Ueberbringer: es war Dolios, der Briefsklave ihres treuen Ministers. Rasch die Tafel in ihrem Gewande bergend eilte sie in ihr Gemach. Dort las sie: "In Schmerz, nicht in Zorn, schied ich von dir. Ich will nicht, dass du unbussfertig abgerufen werdest und deine unsterbliche Seele verloren gehe. Flieh aus diesem Palast, aus dieser Stadt: dein Leben ist keine Stunde mehr sicher. Du kennst Gothelindis und ihren Hass. Traue niemand als meinem Schreiber und finde dich um Sonnenuntergang bei dem Venustempel im Garten ein. Dort wird dich meine Saenfte erwarten und in Sicherheit bringen, nach meiner Villa im Bolsener See. Folge und vertraue." Geruehrt liess Amalaswintha den Brief sinken: der vielgetreue Cassiodor! Er hatte sie doch nicht ganz verlassen. Er bangte und sorgte noch immer fuer das Leben der Freundin. Und jene reizende Villa auf der einsamen Insel im blauen Bolsener See! Dort hatte sie, vor vielen, vielen Jahren, als Gast Cassiodors, in voller Bluete der Jugendschoenheit, Hochzeit gehalten mit Eutharich, dem edeln Amalungen, und, von allem Schimmer der Macht und Ehren umflossen, ihrer Jugend stolzeste Tage gefeiert. Ihr sonst so hartes, aber jetzt vom Unglueck erweichtes Gemuet beschlich maechtige Sehnsucht, die Staette ihrer schoensten Freuden wiederzusehen. Schon dies Eine Gefuehl trieb sie maechtig an, der Mahnung Cassiodors zu folgen: noch mehr die Furcht, - nicht fuer ihr Leben, denn sie wollte sterben - die Raschheit ihrer Feinde moechte ihr unmoeglich machen, das Volk zu warnen und das Reich zu retten. Endlich ueberlegte sie, dass der Weg nach Regeta bei Rom, wo in Baelde die grosse Volksversammlung, wie alljaehrlich im Herbst, statthaben sollte, sie am Bolsener See vorueberfuehrte. Also war es nur eine Beschleunigung ihres Planes, wenn sie schon jetzt in dieser Richtung aufbrach. Um aber auf alle Faelle sicher zu gehn, um, auch wenn sie das Ziel ihrer Reise nicht erreichen sollte, ihre warnende Stimme an das Ohr des Volks gelangen zu lassen, beschloss sie einem Brief an Cassiodor, den auf seiner Villa anzutreffen sie nicht bestimmt voraussetzen konnte, ihre ganze Beichte und die Enthuellung aller Plaene der Byzantiner und Theodahads anzuvertrauen. Bei geschlossenen Thueren schrieb sie die schmerzreichen Worte nieder: heisse Thraenen des Dankes und der Reue fielen auf das Pergament, das sie sorgfaeltig siegelte und dem treuesten ihrer Sklaven uebergab, es sicher nach dem Kloster Squillacium in Apulien, der Stiftung und dem gewoehnlichen Aufenthalt Cassiodors, zu befoerdern. Langsam verstrichen der Fuerstin die zoegernden Stunden des Tages. Mit ganzer Seele hatte sie des Freundes dargebotne Hand ergriffen. Erinnerung und Hoffnung malten ihr um die Wette das Eiland im Bolsener See als ein teures Asyl: dort hoffte sie Ruhe und Frieden zu finden. Sie hielt sich sorgsam innerhalb ihrer Gemaecher, um keinem ihrer Waechter Veranlassung zum Verdacht, Gelegenheit, sie aufzuhalten, zu geben. Endlich war die Sonne gesunken. Mit leisen Schritten eilte Amalaswintha, ihre Sklavinnen zurueckweisend und nur einige Kleinodien und Dokumente unter dem weiten Mantel bergend, aus ihrem Schlafgemach in den breiten Saeulengang, der zur Gartentreppe fuehrte. Sie zitterte, hier wie gewoehnlich auf einen der lauschenden Spaeher zu stossen, gesehen, angehalten zu werden. Haeufig sah sie sich um, vorsichtig blickte sie sogar in die Statuennischen: - alles war leer, kein Lauscher folgte diesmal ihren Tritten. So erreichte sie unbeobachtet die Plattform der Freitreppe, die Palast und Garten verband und weiten Ausblick ueber diesen hin gewaehrte. Scharf ueberschaute sie den naechsten Weg, der zum Venustempel fuehrte. Der Weg war frei. Nur die welken Blaetter raschelten wie unwillig von den rauschenden Platanen auf die Sandpfade nieder, gewirbelt von dem Winde, der fern, jenseit der Gartenmauer, Nebel und Wolken in geisterhaften Gestalten vor sich her trieb: es war unheimlich in dem ausgestorbenen Garten und seiner grauen Daemmerung. Die Fuerstin froestelte, der kalte Abendwind zerrte an ihrem Schleier und Mantel: einen scheuen Blick warf sie noch auf die duestern, lastenden Steinmassen des Palastes hinter sich, in dem sie so stolz gewaltet und geherrscht und aus dem sie nun einsam, scheu, verfolgt wie eine Verbrecherin fluechtete. Sie dachte des Sohnes, der in den Tiefen des Palastes ruhte. - Sie dachte der Tochter, die sie selbst aus diesen Mauern, aus ihrer Naehe verbannt hatte. - Und einen Augenblick drohte der Schmerz die Verlassene zu ueberwaeltigen: sie wankte, muehsam hielt sie sich aufrecht an dem breiten Marmorgelaender der Terrasse: ein Fieberschauer ruettelte an ihrem Leibe wie das Grauen der Verlassenheit an ihrer Seele. "Aber mein Volk!" sprach sie zu sich selbst "und meine Busse - ich will's vollenden." Gekraeftigt von diesem Gedanken eilte sie die Stufen der Treppe hinab und bog in den von Epheu ueberwoelbten Laubgang ein, der quer durch den Garten fuehrte und an dem Venustempel muendete. Rasch schritt sie voran, erbebend, wann zu einem der Seitengaenge das Herbstlaub, wie seufzend, hereinwirbelte. Atemlos langte sie vor dem kleinen Tempel an und liess ringsum die suchenden Blicke schweifen. Aber keine Saenfte, keine Sklaven waren zu sehen, rings war alles still: nur die Aeste der Platanen seufzten im Winde. Da schlug das nahe Wiehern eines Pferdes an ihr Ohr. Sie wandte sich: - um den Vorsprung der Mauer bog mit hastigen Schritten ein Mann. Es war Dolios. Er winkte, scheu umherspaehend. Rasch eilte die Fuerstin auf ihn zu, folgte ihm um die Ecke: und vor ihr stand Cassiodors wohlbekannter gallischer Reisewagen, die bequeme und vornehme Carruca, von allen vier Seiten mit verschiebbaren Gitterlaeden von feinem Holzwerk umschlossen, und mit dem raschen Dreigespann belgischer Manni beschirrt. "Eile thut not, o Fuerstin," fluesterte Dolios, sie in die weichen Polster hebend. "Die Saenfte ist zu langsam fuer den Hass deiner Feinde. Stille und Eile, dass uns niemand bemerkt." Amalaswintha blickte noch einmal um sich. Dolios oeffnete das Thor des Gartens und fuehrte den Wagen vor dasselbe hinaus. Da traten zwei Maenner aus dem Gebuesch: der eine bestieg den Sitz des Wagenlenkers vor ihr: der andere schwang sich auf eines der beiden gesattelt vor dem Thore stehenden Rosse: sie erkannte die Maenner als vertraute Sklaven Cassiodors: sie waren wie Dolios mit Waffen versehen. Dieser sperrte wieder sorgfaeltig das Gartenthor und liess die Gitterladen des Wagens herab. Dann warf er sich auf das zweite der Pferde und zog das Schwert: "Vorwaerts!" rief er. Und von dannen jagte der kleine Zug, als waer' ihm der Tod auf der Ferse. Fuenftes Kapitel. Die Fuerstin wiegte sich in Gefuehlen des Dankes, der Freiheit, der Sicherheit. Sie baute schoene Entwuerfe der Suehne. Schon sah sie ihr Volk durch ihre warnende Stimme gerettet vor Byzanz, vor dem Verrat des eigenen Koenigs: schon hoerte sie den begeisterten Ruf des tapferen Heeres, der den Feinden Verderben, ihr aber Verzeihung verkuendete. In solchen Traeumen verflogen ihr die Stunden, die Tage und Naechte. Unausgesetzt eilte der Zug vorwaerts: drei-, viermal des Tages wurden die Pferde des Wagens und der Reiter gewechselt, so dass sie Meile um Meile wie im Fluge zuruecklegten. Wachsam huetete Dolios die ihm anvertraute Fuerstin: mit gezogenem Schwert schuetzte er den Zugang zum Wagen, waehrend seine Begleiter Speisen und Wein aus den Stationen holten. Jene gefluegelte Eile und diese treue Wachsamkeit benahm Amalaswinthen eine Besorgnis, deren sie sich eine Weile nicht hatte erwehren koennen: ihr war, sie wuerden verfolgt. Zweimal, in Perusia und in Clusium, glaubte sie, wie der Wagen hielt, dicht hinter sich Raedergerassel zu hoeren und den Hufschlag eilender Rosse: ja in Clusium meinte sie, aus dem niedergelassenen Gitterladen zurueckspaehend, eine zweite Carruca, ebenfalls von Reitern begleitet, in das Thor der Stadt einbiegen zu sehen. Aber als sie Dolios davon sprach, jagte der spornstreichs nach dem Thore zurueck und kam sogleich mit der Meldung wieder, dass nichts wahrzunehmen sei; auch hatte sie von da ab nichts mehr bemerkt: und die rasende Eile, mit der sie sich dem ersehnten Eiland naeherte, liess sie hoffen, dass ihre Feinde, selbst wenn sie ihre Flucht entdeckt und eine Strecke weit verfolgt haben sollten, alsbald ermuedet zurueckgeblieben seien. Da verduesterte ein Unfall, unbedeutend an sich, aber unheilkuendend durch seine begleitenden Umstaende, ploetzlich die hellere Stimmung der fluechtenden Fuerstin. Es war hinter der kleinen Stadt Martula. Oede baumlose Heide dehnte sich unabsehbar nach jeder Richtung: nur Schilf und hohe Sumpfgewaechse ragten aus den feuchten Niederungen zu beiden Seiten der roemischen Hochstrasse und nickten und fluesterten gespenstisch im Nachtwind. Die Strasse war hin und wieder mit niedern, von Reben ueberflochtenen Mauern eingefasst und, nach altroemischer Sitte, mit Grabmonumenten, die aber oft traurig zerfallen waren und mit ihren auf dem Wege zerstreuten Steintruemmern den Pferden das Fortkommen erschwerten. Ploetzlich hielt der Wagen mit einem heftigen Ruck und Dolios riss die rechte Thuere auf. "Was ist geschehen," rief die Fuerstin erschreckt, "sind wir in Feindes Hand?" "Nein," sprach Dolios, der, ihr von je als verschlossen und finster bekannt, auf dieser Reise fast unheimlich schweigsam schien, "ein Rad ist gebrochen. Du musst aussteigen und warten, bis es gebessert." Ein heftiger Windstoss loeschte in diesem Augenblick seine Fackel und nasskalter Regen schlug in der Bestuerzten Antlitz. "Aussteigen? hier? und wohin dann? hier ist nirgend ein Haus, ein Baum, der Schutz boete vor Regen und Sturm. Ich bleibe in dem Wagen." - "Das Rad muss abgehoben werden. Dort, das Grabmal, mag dir Schutz gewaehren." Mit einem Schauer von Furcht gehorchte Amalaswintha und schritt ueber die Steintruemmer, die ringsum zerstreut lagen, nach der rechten Seite des Weges, wo sie jenseit des Grabens ein hohes Monument aus der Dunkelheit ragen sah. Dolios half ihr ueber den Graben. Da schlug von der Strasse hinter ihrem Wagen her das Wiehern eines Pferdes an ihr Ohr. Erschrocken blieb sie stehen. "Es ist unser Nachreiter," sagte Dolios rasch, "der uns den Ruecken deckt, komm." Und er fuehrte sie durch feuchtes Gras den Huegel heran, auf dem sich das Monument erhob. Oben angelangt setzte sie sich auf die breite Steinplatte eines Sarkophags. Da war Dolios ploetzlich im Dunkel verschwunden, vergebens rief sie ihn zurueck: bald sah sie unten auf der Strasse seine Fackel wieder brennen: rot leuchtete sie durch die Nebel der Suempfe: und der Sturm entfuehrte rasch den Schall der Hammerschlaege der Sklaven, die an dem Rade arbeiteten. So sass die Tochter des grossen Theoderich, einsam und todesfluechtig, auf der Heerstrasse in unheimlicher Nacht; der Sturm riss an ihrem Mantel und Schleier, der feine kalte Regen durchnaesste sie, in den Cypressen hinter dem Grabmal seufzte melancholisch der Wind, oben am Himmel jagte zerfetztes Gewoelk und liess nur manchmal einen fluechtigen Mondstrahl durch, der die gleich wieder folgende Dunkelheit noch duesterer machte. Banges Grauen durchschlich froestelnd ihr Herz. Allmaehlich gewoehnte sich ihr Auge an die Dunkelheit und umher sehend konnte sie die Umrisse der naechsten Dinge deutlicher unterscheiden: da - ihr Haar straeubte sich vor Entsetzen - da war ihr, es saesse dicht hinter ihr auf dem erhoehten Hintereck des Sarkophags eine zweite Gestalt: - ihr eigener Schatten war es nicht -: eine kleinere Gestalt in weitem, faltigem Gewand, die Arme auf die Kniee, das Haupt in die Haende gestuetzt und zu ihr herunter starrend. Ihr Atem stockte, sie glaubte fluestern zu hoeren, fieberhaft strengte sie die Sinne an zu sehen, zu hoeren: da fluesterte es wieder: "Nein, nein: noch nicht!" So glaubte sie zu hoeren. Sie richtete sich leise auf, auch die Gestalt schien sich zu regen, es klirrte deutlich wie Stahl auf Stein. Da schrie die Geaengstigte: "Dolios! Licht! Hilfe! Licht!" Und sie wollte den Huegel hinab, aber zitternd versagten die Kniee, sie fiel und verletzte die Wange an dem scharfen Gestein. Da war Dolios mit der Fackel heran, schweigend erhob er die Blutende: er fragte nicht. "Dolios," rief sie sich fassend, "gieb die Leuchte: ich muss sehen, was dort war, was dort ist." Sie nahm die Fackel und schritt entschlossen um die Ecke des Sarkophags: es war nichts zu sehen: aber jetzt, im Glanze der Fackel, erkannte sie, dass das Monument nicht, wie die uebrigen, ein altes, dass es sichtlich erst neu errichtet war, so unverwittert war der weisse Marmor, so frisch die schwarzen Buchstaben der Inschrift. - Von jener seltsamen Neugier, die sich mit dem Grauen verbindet, unwiderstehlich fortgerissen, hielt sie die Fackel dicht an den Sockel des Monuments und las bei flackerndem Licht die Worte: "Ewige Ehre den drei Balten Thulun, Ibba und Pitza. Ewiger Fluch ihren Moerdern." Mit einem Aufschrei taumelte Amalaswintha zurueck. Dolios fuehrte die Halbohnmaechtige zu dem Wagen. Fast bewusstlos legte sie die noch uebrigen Stunden des Weges zurueck. Sie fuehlte sich krank an Leib und Seele. Je naeher sie dem Eiland kam, desto lebhafter ward die fieberhafte Freude, mit der sie es ersehnt, verdraengt von einer ahnungsvollen Furcht: mit Bangen sah sie die Straeucher und Baeume des Weges immer rascher an sich vorueberfliegen. Endlich machten die dampfenden Rosse Halt. Sie senkte die Laeden und blickte hinaus: es war die kalte, unheimliche Stunde, da das erste Tagesgrauen ankaempft gegen die noch herrschende Nacht: sie waren, so schien es, angelangt am Ufer des Sees: aber von seinen blauen Fluten war nichts zu sehen; ein duestrer grauer Nebel lag undurchdringlich wie die Zukunft vor ihren Augen: von der Villa, ja von der Insel selbst war nichts zu entdecken. Rechts vom Wagen stand eine niedrige Fischerhuette tief in dem dichten, ragenden Schilf, durch welches wie seufzend der Morgenwind fuhr, dass die schwankenden Haeupter sich bogen. Seltsam: ihr war, als warnten und winkten sie hinweg von dem dahinter verborgenen See. Dolios war in die Huette gegangen; er kam jetzt zurueck und hob die Fuerstin aus dem Wagen, schweigend fuehrte er sie durch den feuchten Wiesengrund nach dem Schilf zu. Da lag am Ufer eine schmale Faehre: sie schien mehr im Nebel als im Wasser zu schwimmen. Am Steuer aber sass in einen grauen zerfetzten Mantel gehuellt ein alter Mann, dem die langen weissen Haare wirr ins Gesicht hingen. Er schien vor sich hin zu traeumen mit geschlossenen Augen, die er nicht aufschlug, als die Fuerstin in den schwankenden Nachen stieg und sich in der Mitte desselben auf einem Feldstuhl niederliess. Dolios trat an den Schnabel des Schiffes und ergriff zwei Ruder: die Sklaven blieben bei dem Wagen zurueck. "Dolios," rief Amalaswintha besorgt, "es ist sehr dunkel, wird der Alte steuern koennen in diesem Nebel, und an keinem Ufer ein Licht?" - "Das Licht wuerde ihm nichts nuetzen, Koenigin, er ist blind." - "Blind?" rief die Erschrockene, "lass landen! kehr um!" - "Ich fahre hier seit bald zwanzig Jahren," sprach der greise Ferge, "kein Sehender kennt den Weg gleich mir." - "So bist du blind geboren?" "Nein, Theoderich der Amaler liess mich blenden, weil mich Alarich, der Balten-Herzog, des Thulun Bruder, gedungen haette, ihn zu morden. Ich bin ein Knecht der Balten, war ein Gefolgsmann Alarichs, aber ich war so unschuldig wie mein Herr, Alarich der Verbannte. Fluch ueber die Amalungen!" rief er mit zornigem Ruck am Steuer. "Schweig! Alter," sprach Dolios. "Warum soll ich heute nicht sagen, was ich bei jedem Ruderschlag seit zwanzig Jahren sage? Es ist mein Taktspruch. - Fluch den Amalungen!" Mit Grauen sah die Fluechtige auf den Alten, der in der That mit voelliger Sicherheit und pfeilgerade fuhr. Sein weiter Mantel und wirres Haar flogen im Winde: ringsum Nebel und Stille, nur das Ruder hoerte man gleichfoermig einschlagen, leere Luft und graues Licht auf allen Seiten. Ihr war, als fuehre sie Charon ueber den Styx in das graue Reich der Schatten. - Fiebernd huellte sie sich in ihren faltigen Mantel. Noch einige Ruderschlaege und sie landeten. Dolios hob die Zitternde heraus: der Alte aber wandte sein Boot schweigend und ruderte so rasch und sicher zurueck wie er gekommen: Mit einer Art von Grauen sah ihm Amalaswintha nach, bis er in dem dichten Nebel verschwand. Da war es ihr, als hoere sie den Schall von Ruderschlaegen eines zweiten Schiffes, die rasch naeher und naeher drangen. Sie fragte Dolios nach dem Grund dieses Geraeusches. "Ich hoere nichts," sagte dieser, "du bist allzu erregt, komm in das Haus." Sie wankte auf seinen Arm gestuetzt die in den Felsboden gehauenen Stufen hinan, die zu der burgaehnlichen, hochgetuermten Villa fuehrten: von dem Garten, der, wie sie sich lebhaft erinnerte, zu beiden Seiten dieses schmalen Weges sich dehnte, waren in dem Nebel kaum die Linien der Baumreihen zu sehen. Endlich erreichten sie das hohe Portal, eine eherne Thuer im Rahmen von schwarzem Marmor. Der Freigelassene pochte mit dem Knauf seines Schwertes: - dumpf droehnte der Schlag in den gewoelbten Hallen nach - die Thuere sprang auf. Amalaswintha gedachte, wie sie einst durch dieses Thor, das die Blumengewinde fast versperrt hatten, an ihres Gatten Seite eingezogen war: sie gedachte, wie sie die Pfoertner, gleichfalls ein jung vermaehltes Paar, so freundlich begruesst. - Der finstersehende Sklave mit wirrem grauem Haar, der jetzt mit Ampel und Schluesselbund vor ihr stand, war ihr fremd. "Wo ist Fuscina, des frueheren Ostiarius Weib? ist sie nicht mehr im Hause?" fragte sie. "Die ist lang ertrunken im See," sagte der Pfoertner gleichgueltig und schritt mit der Leuchte voran. Schaudernd folgte die Fuerstin: sie musste sich die kalten dunkeln Wogen vorstellen, die so unheimlich an den Planken ihrer Faehre geleckt. Sie gingen durch Bogenhoefe und Saeulenhallen: - alles leer, wie ausgestorben, die Schritte hallten laut durch die Oede: - die ganze Villa schien ein weites Totengewoelbe. "Das Haus ist unbewohnt? ich bedarf einer Sklavin." "Mein Weib wird dir dienen." "Ist sonst niemand in der Villa?" "Noch ein Sklave. Ein griechischer Arzt." "Ein Arzt - ich will ihn -" Aber in diesem Augenblicke schollen von dem Portal her einige heftige Schlaege: schwer droehnten sie durch die leeren Raeume. Entsetzt fuhr Amalaswintha zusammen. "Was war das?" fragte sie, Dolios' Arm fassend. Sie hoerte die schwere Thuere zufallen. "Es hat nur jemand Einlass begehrt," sagte der Ostiarius und schloss die Thuere des fuer die Fluechtige bestimmten Gemaches auf. Die dumpfe Luft eines lang nicht mehr geoeffneten Raumes drang ihr erstickend entgegen: aber mit Ruehrung erkannte sie die Schildpattbekleidung der Waende: es war dasselbe Gemach, das sie vor zwanzig Jahren bewohnt: ueberwaeltigt von der Erinnerung glitt sie auf den kleinen Lectus, der mit dunkeln Polstern belegt war. Sie verabschiedete die beiden Maenner, zog die Vorhaenge des Lagers um sich her zu und verfiel bald in einen unruhigen Schlaf. Sechstes Kapitel. So lag sie, sie wusste nicht wie lange, bald wachend, bald traeumend: wild jagte Bild auf Bild an ihrem Auge vorueber. Eutharich mit seinem Zug des Schmerzes um die Lippen: - Athalarich, wie er auf seinem Sarkophag hingestreckt lag, er schien ihr zu sich herab zu winken: - das vorwurfsvolle Antlitz Mataswinthens - dann Nebel und Wolken und blattlose Baeume: - drei zuernende Kriegergestalten mit bleichen Gesichtern und blutigen Gewaendern: und der blinde Faehrmann in das Reich der Schatten. Und wieder war ihr, sie liege auf der oeden Heide auf den Stufen des Baltendenkmals und als rausche es hinter ihr und als beuge sich abermals hinter dem Steine hervor jene verhuellte Gestalt ueber sie naeher und naeher, - beengend, - erstickend. Die Angst schnuerte ihr das Herz zusammen, entsetzt fuhr sie auf aus ihrem Traum und sah hochaufgerichtet um sich: da - nein, es war kein Traumgesicht - da rauschte es, hinter dem Vorhang des Bettes, und in die getaefelte Wand glitt ein verhuellter Schatte. Mit einem Schrei riss Amalaswintha die Falten des Vorhangs auseinander - da war nichts mehr zu sehen. Hatte sie doch nur getraeumt? Aber sie konnte nicht mehr allein sein mit ihren bangen Gedanken. So drueckte sie auf den Achatknauf in der Wand, der draussen einen Hammer in Bewegung setzte. Alsbald erschien ein Sklave, dessen Zuege und Tracht hoehere Bildung verrieten. Er gab sich als den griechischen Arzt zu erkennen: sie teilte ihm die Schreckgesichte, die Fieberschauer der letzten Stunden mit: er erklaerte es fuer Folgen der Aufregung, vielleicht der Erkaeltung auf der Flucht, empfahl ihr ein warmes Bad und ging, dessen Mischung anzuordnen. Amalaswintha erinnerte sich der herrlichen Baeder, die, in zwei Stockwerken uebereinander, den ganzen rechten Fluegel der Villa einnahmen. Das untere Stockwerk der grossen achteckigen Rotunde, fuer die kalten Baeder bestimmt, stand mit dem See in unmittelbarem Zusammenhange: sein Wasser wurde durch Siebthueren, die jede Unreinheit abhielten, hereingeleitet. Das obere Stockwerk erhob sich, als Verjuengung des Achtecks, ueber der Badstube des unteren, deren Decke - eine grosse, kreisfoermige Metallplatte, - den Boden des oberen warmen Bades bildete und nach Belieben in zwei Halbkreisen rechts und links in das Gemaeuer geschoben werden konnte, so dass die beiden Stockwerke dann einen ungeteilten turmhohen Raum bildeten, der zum Zweck der Reinigung oder zum Behuf von Schwimm- und Taucherspielen ganz von dem Wasser des Sees erfuellt werden konnte. Regelmaessig aber bildete das obere Achteck fuer sich den Raum des warmen Bades, in das vielfach verschlungene Wasserkuenste in hundert Roehren mit zahllosen Delphinen, Tritonen und Medusenhaeuptern von Bronze und Marmor duftige, mit Oelen und Essenzen gemischte Fluten leiteten, waehrend zierliche Stufen von der Galerie, auf der man sich entkleidete, in das muschelfoermige Porphyrbecken des eigentlichen Baderaumes hinabfuehrten. Waehrend sich die Fuerstin noch diese Raeume ins Gedaechtnis zurueckrief, erschien das Weib des Thuersklaven, sie in das Bad abzuholen. Sie gingen durch weite Saeulenhallen und Buechersaele, in welchen aber die Fuerstin die Kapseln und Rollen Cassiodors vermisste, in der Richtung nach dem Garten; die Sklavin trug die feinen Badetuecher, Oelflaeschchen und den Salbenkrug. Endlich gelangte sie in das turmaehnliche Achteck des Badepalastes, dessen saemtliche Gelasse an Boden, Wand und Decke durchaus mit hellgrauen Marmorplatten belegt waren. Vorueber an den Hallen und Gaengen, die der Gymnastik und dem Ballspiel vor und nach dem Bade dienten, vorueber an den Heizstuebchen, den Auskleide- und Salbgemaechern eilten sie sofort nach dem Caldarium, dem warmen Bade. Die Sklavin oeffnete schweigend die in die Marmorwand eingesenkte Thuer. Amalaswintha trat ein und stand auf der schmalen Galerie, die rings um das Bassin lief: gerade vor ihr fuehrten die bequemen Stufen in das Bad, aus dem bereits warme und koestliche Dufte aufstiegen. Das Licht fiel von oben herein durch eine achteckige Kuppel von kunstvoll geschliffenem Glas: gerade am Eingang erhob sich eine Treppe von Cedernholz, die auf zwoelf Staffeln zu einer Sprungbruecke fuehrte: rings an den Marmorwaenden der Galerie wie des Beckens verkleideten zahllose Reliefs die Muendungen der Roehren, die den Wasserkuensten und der Luftheizung dienten. Ohne ein Wort legte das Weib das Badegeraet auf die weichen Kissen und Teppiche, die den Boden der Galerie bedeckten und wandte sich zur Thuere. "Woher bist du mir bekannt?" fragte die Fuerstin sie nachdenklich betrachtend, "wie lange bist du hier?" "Seit acht Tagen." Und sie ergriff die Thuere. "Wie lange dienst du Cassiodor?" "Ich diene von jeher der Fuerstin Gothelindis." Mit einem Angstschrei sprang Amalaswintha bei diesem Namen auf, wandte sich und griff nach dem Gewand des Weibes - zu spaet: sie war hinaus, die Thuere war zugefallen und Amalaswintha hoerte, wie der Schluessel von aussen umgedreht und abgezogen ward. Umsonst suchte ihr Auge nach einem anderen Ausgang. Da ueberkam ein ungeheures, unbekanntes Grauen die Koenigin: sie fuehlte, dass sie furchtbar getaeuscht, dass hier ein verderbliches Geheimnis verborgen sei: Angst, unsaegliche Angst fiel auf ihr Herz: Flucht, Flucht aus diesem Raum war ihr einziger Gedanke. Aber keine Flucht schien moeglich: die Thuere war von innen jetzt nur eine dicke Marmortafel, wie die zur Rechten und Linken: nicht mit einer Nadel war in ihre Fugen zu dringen: verzweifelnd liess sie die Blicke rings an der Wand der Galerie kreisen: nur die Tritonen und Delphine starrten ihr entgegen: endlich ruhte ihr Auge auf dem schlangenstarrenden Medusenhaupt ihr gerade gegenueber - und sie stiess einen Schrei des Entsetzens aus. Das Gesicht der Meduse war zur Seite geschoben und die ovale Oeffnung unter dem Schlangenhaar war von einem lebenden Antlitz ausgefuellt. War es ein menschlich Antlitz? Die Zitternde klammerte sich an die Marmorbruestung der Galerie und spaehte vorgebeugt hinueber: ja, es waren Gothelindens verzerrte Zuege: und eine Hoelle von Hass und Hohn spruehte aus ihrem Blick. Amalaswintha brach in die Kniee und verhuellte ihr Gesicht. "Du - du hier!" Ein heiseres Lachen war die Antwort. "Ja, Amalungenweib, ich bin hier und dein Verderben! Mein ist dies Eiland, mein das Haus! - es wird dein Grab! - mein Dolios und alle Sklaven Cassiodors, an mich verkauft seit acht Tagen. Ich habe dich hierher gelockt: ich bin dir hierher nachgeschlichen wie dein Schatte: lange Tage, lange Naechte hab' ich den brennenden Hass getragen, endlich hier die volle Rache zu kosten. Stundenlang will ich mich weiden an deiner Todesangst, will es schauen, wie die erbaermliche, winselnde Furcht diese stolze Gestalt wie Fieber schuettelt und durch diese hochmuetigen Zuege zuckt: - o ein Meer von Rache will ich trinken." Haenderingend erhob sich Amalaswintha: "Rache! Wofuer? Woher dieser toedliche Hass?" "Ha, du fraegst noch? Freilich sind Jahrzehnte darueber hingegangen und das Herz des Gluecklichen vergisst so leicht. Aber der Hass hat ein treues Gedaechtnis. Hast du vergessen, wie dereinst zwei junge Maedchen spielten unter dem Schatten der Platanen auf der Wiese vor Ravenna? Sie waren die ersten unter ihren Gespielinnen: beide jung, schoen und lieblich: Koenigskind die eine, die andere die Tochter der Balten. Und die Maedchen sollten eine Koenigin des Spieles waehlen: und sie waehlten Gothelindis, denn sie war noch schoener als du und nicht so herrisch: und sie waehlten sie einmal, zweimal nacheinander. Die Koenigstochter aber stand dabei von wildem, unbaendigem Stolz und Neid verzehrt: und als man mich zum dritten wieder gewaehlt, fasste sie die scharfe, spitzige Gartenschere" - "Halt ein, o schweig, Gothelindis." - "Und schleuderte sie gegen mich. Und sie traf; aufschreiend, blutend stuerzte ich zu Boden, meine ganze Wange eine klaffende Wunde und mein Auge, mein Auge durchbohrt. Ha, wie das schmerzt, noch heute." "Verzeih, vergieb, Gothelindis!" jammerte die Gefangene. "Du hattest mir ja laengst verziehn." "Verzeihen? ich dir verzeihen? Dass du mir das Auge aus dem Antlitz und die Schoenheit aus dem Leben geraubt, das soll ich verzeihen? Du hattest gesiegt fuers Leben: Gothelindis war nicht mehr gefaehrlich: sie trauerte im stillen, die Entstellte floh das Auge der Menschen. Und Jahre vergingen. Da kam an den Hof von Ravenna aus Hispanien der edle Eutharich, der Amaler mit dem dunkeln Auge und der weichen Seele: und er, selber krank, erbarmte sich der kranken halb Blinden: und er sprach mit ihr voll Mitleid und Guete, mit der Haesslichen, die sonst alle mieden. O wie erquickte das meine duerstende Seele! Und es ward beraten, zur Tilgung uralten Hasses der beiden Geschlechter, zur Suehne alter und neuer Schuld, - denn auch den Baltenherzog Alarich hatte man auf geheime, unbewiesene Anklage gerichtet - dass die arme misshandelte Baltentochter des edelsten Amalers Weib werden sollte. Aber als du es erfuhrst, du, die mich verstuemmelt, da beschlossest du, mir den Geliebten zu nehmen: nicht aus Eifersucht, nicht, weil du ihn liebtest, nein, aus Stolz: weil du den ersten Mann im Gotenreich, den naechsten Manneserben der Krone, fuer dich haben wolltest. Das beschlossest du und hast es durchgesetzt: denn dein Vater konnte dir keinen Wunsch versagen: und Eutharich vergass alsbald seines Mitleids mit der Einaeugigen, als ihm die Hand der schoenen Koenigstochter winkte. Zur Entschaedigung - oder war es zum Hohne? - gab man auch mir einen Amaler: - Theodahad, den elenden Feigling!" "Gothelindis, ich schwoere dir, ich hatte nie geahnt, dass du Eutharich liebtest. Wie konnte ich -" "Freilich, wie konntest du glauben, dass die Haessliche die Gedanken so hoch erhebe? O, du Verfluchte! Und haettest du ihn noch geliebt und beglueckt - alles haett' ich dir verziehen. Aber du hast ihn nicht geliebt, du kannst ja nur das Scepter lieben! Elend hast du ihn gemacht. Jahrelang sah ich ihn an deiner Seite schleichen, gedrueckt, ungeliebt, erkaeltet bis ins Herz hinein von deiner Kaelte. Der Gram um deinen eisigen Stolz hat ihn frueh gemordet: du, du hast mir den Geliebten geraubt und ins Grab gebracht - Rache, Rache fuer ihn." Und die weite Woelbung wiederhallte von dem Ruf: "Rache! Rache!" "Zu Hilfe!" rief Amalaswintha und eilte verzweifelnd, mit den Haenden an die Marmorplatten schlagend, den Kreis der Galerie entlang. "Ja, rufe nur, hier hoert dich niemand als der Gott der Rache. Glaubst du, umsonst hab' ich solang meinen Hass gezuegelt? Wie oft, wie leicht haette ich schon in Ravenna mit Dolch und Gift dich erreichen koennen: aber nein, hierher hab' ich dich gelockt. An dem Denkstein meiner Vettern, vor Einer Stunde an deinem Bette, hab' ich mit hoechster Muehe meinen erhobenen Arm vom Streiche abgehalten: - denn langsam, Zoll fuer Zoll, sollst du sterben, stundenlang will ich sie wachsen sehen, die Qualen deines Todes." "Entsetzliche!" "O, was sind Stunden gegen die Jahrzehnte, die du mich gemartert mit meiner Entstellung, mit deiner Schoenheit, mit dem Besitz des Geliebten. Was sind Stunden gegen Jahrzehnte! Aber du sollst es buessen." "Was willst du thun?" rief die Gequaelte, wieder und wieder an den Waenden nach einem Ausgang suchend. "Ertraenken will ich dich, langsam, langsam in den Wasserkuensten dieses Bades, die dein Freund Cassiodor gebaut. Du weisst es nicht, welche Qualen der Eifersucht, der ohnmaechtigen Wut ich in diesem Hause getragen, da du Beilager hieltest mit Eutharich und ich war in deinem Gefolge und musste dir dienen! In diesem Bade, du Uebermuetige, habe ich dir die Sandalen geloest und die stolzen Glieder getrocknet: - in diesem Bade sollst du sterben!" Und sie drueckte an einer Feder. Der Boden des Beckens im oberen Stockwerke, die runde Metallplatte, teilte sich in zwei Halbkreise, die links und rechts in die Mauer zurueckwichen: mit Entsetzen sah die Gefangene von der schmalen Galerie in die turmhohe Tiefe zu ihren Fuessen. "Denk an mein Auge!" rief Gothelindis und im Erdgeschoss oeffneten sich ploetzlich die Schleusenthueren und die Wogen des Sees schossen ungestuem herein, brausend und zischend, und sie stiegen hoeher und hoeher mit furchtbarer Raschheit. Amalaswintha sah den sichern Tod vor Augen: sie erkannte die Unmoeglichkeit, zu entrinnen oder ihre teuflische Feindin mit Bitten zu erweichen: da kehrte ihr der alte, stolze Mut der Amalungen wieder: sie fasste sich und ergab sich in ihr Los. Sie entdeckte neben den vielen Reliefs aus der hellenischen Mythe in ihrer Naehe rechts vom Eingang eine Darstellung vom Tode Christi: das erquickte ihre Seele: sie warf sich vor dem in Marmor gehauenen Kreuze nieder, fasste es mit beiden Haenden und betete ruhig mit geschlossenen Augen, waehrend die Wasser stiegen und stiegen: schon rauschten sie an den Stufen der Galerie. "Beten willst du, Moerderin? Hinweg von dem Kreuz!" rief Gothelindis grimmig, "denk' an die drei Herzoge!" Und ploetzlich begannen alle die Delphine und Tritonen auf der rechten Seite des Achtecks Stroeme heissen Wassers auszuspeien: weisser Dampf quoll aus den Roehren. Amalaswintha sprang auf und eilte auf die linke Seite der Galerie: "Gothelindis, ich vergebe dir! toete mich, aber verzeih' auch du meiner Seele." Und das Wasser stieg und stieg: schon schwoll es ueber die oberste Stufe und drang langsam auf den Boden der Galerie. "Ich dir vergeben? Niemals! Denk' an Eutharich!" - Und zischend schossen jetzt von links die dampfenden Wasserstrahlen auf Amalaswintha. Sie fluechtete nun in die Mitte, gerade dem Medusenhaupt gegenueber, die einzige Stelle, wohin kein Strahl der Wasserroehren reichte. Wenn sie die hier angebrachte Sprungbruecke erstieg, konnte sie noch einige Zeit ihr Leben fristen: Gothelindis schien dies zu erwarten und sich an der verlaengerten Qual weiden zu wollen: schon brauste das Wasser auf dem Marmorboden der Galerie und bespuelte die Fuesse der Gefangenen; rasch flog sie die braunglaenzenden Staffeln hinan und lehnte sich an die Bruestung der Bruecke: "Hoere mich, Gothelindis! meine letzte Bitte! nicht fuer mich, - fuer mein Volk, fuer unser Volk: - Petros will es verderben und Theodahad ..." - "Ja, ich wusste, dieses Reich ist die letzte Sorge deiner Seele! Verzweifle! Es ist verloren! Diese thoerichten Goten, die jahrhundertelang den Balten die Amaler vorgezogen, sie sind verkauft und verraten von dem Haus der Amaler: Belisarius naht und niemand ist, der sie warnt." "Du irrst, Teufelin, sie _sind_ gewarnt. Ich, ihre Koenigin, habe sie gewarnt. Heil meinem Volk! Verderben seinen Feinden und Gnade meiner Seele!" Und mit raschem Sprung stuerzte sie sich hoch von der Bruestung in die Fluten, die sich brausend ueber ihr schlossen. Gothelindis blickte starr auf die Stelle, wo ihr Opfer gestanden. "Sie ist verschwunden," sagte sie. Dann schaute sie in die Flut: obenauf schwamm das Brusttuch Amalaswinthens. "Noch im Tode ueberwindet mich dieses Weib," sagte sie langsam: "wie lang war der Hass und wie kurz die Rache!" Siebentes Kapitel. Wenige Tage nach diesen Ereignissen finden wir zu Ravenna in dem Gemach des Gesandten von Byzanz eine Anzahl von vornehmen Roemern, geistlichen und weltlichen Standes versammelt - auch die Bischoefe Hypatius und Demetrius aus dem Ostreich weilten bei ihm. Grosse Aufregung, aus Zorn und Furcht gemischt, sprach aus allen Gesichtern, als der gewandte Rhetor seine Ansprache mit folgenden Worten schloss: "Deshalb, ihr ehrwuerdigen Bischoefe des Westreichs und des Ostreichs und ihr edeln Roemer, hab' ich euch hierher beschieden. Laut und feierlich lege ich vor euch im Namen meines Kaisers Verwahrung ein gegen alle Thaten der Arglist und Gewalt, die im geheimen gegen die hohe Frau veruebt werden moegen. Seit neun Tagen ist sie verschwunden aus Ravenna: wohl mit Gewalt hinweggefuehrt aus eurer Mitte: sie, die von jeher die Freundin, die Beschuetzerin der Italier gewesen. Verschwunden ist am gleichen Tage die Koenigin, ihre grimme Feindin. Ich habe Eilboten ausgesandt nach allen Richtungen, noch bin ich ohne Nachricht! aber wehe, wenn ... -" Er konnte nicht vollenden. Dumpfes Geraeusch scholl von dem Forum des Herkules herauf, bald hoerte man hastige Schritte im Vestibulum, der Vorhang ward zurueckgeschlagen und ins Gemach eilte staubbedeckt einer der byzantinischen Sklaven des Gesandten: "Herr," rief er, "sie ist tot! sie ist ermordet!" "Ermordet!" scholl es in der Runde. "Durch wen?" fragte Petros. "Von Gothelindis auf der Villa im Bolsener See." "Wo ist die Leiche? Wo die Moerderin?" "Gothelindis giebt vor, die Fuerstin sei im Bad ertrunken, unkundig mit den Wasserkuensten spielend. Aber man weiss, dass sie ihrem Opfer von hier auf dem Fusse nachgefolgt. Roemer und Goten eilen zu Hunderten nach der Villa, die Leiche in feierlichem Zuge hierher zu geleiten. Die Koenigin floh vor der Rache des Volks in das feste Schloss von Feretri." "Genug," rief Petros entruestet, "ich eile zum Koenig und fordre euch auf, ihr edeln Maenner, mir zu folgen. Auf euer Zeugnis will ich mich berufen vor Kaiser Justinian." Und sofort eilte er an der Spitze der Versammelten nach dem Palast. Sie fanden auf den Strassen eine Menge Volks in Bestuerzung und Entruestung hin- und herwogend: die Nachricht war in die Stadt gedrungen und flog von Haus zu Haus. Als man den Gesandten des Kaisers und die Vornehmen der Stadt erkannte, oeffnete sich die Menge vor ihnen, schloss sich aber dicht hinter ihnen wieder und flutete nach auf dem Wege in den Palast, von dessen Thoren sie kaum abgehalten wurde. Von Minute zu Minute stieg die Zahl und der Laerm des Volkes: auf dem Forum des Honorius draengten sich die Ravennaten zusammen, die mit der Trauer um ihre Beschuetzerin schon die Hoffnung vereinten, bei diesem Anlass die Barbarenherrschaft fallen zu sehen: das Erscheinen des kaiserlichen Gesandten steigerte diese Hoffnung und der Auflauf vor dem Palast nahm mehr und mehr eine Richtung, die keineswegs bloss Theodahad und Gothelindis bedrohte. Inzwischen eilte Petros mit seiner Begleitung in das Gemach des hilflosen Koenigs, den mit seiner Gattin alle Kraft des Widerstandes verlassen hatte: er zagte vor der Aufregung der unten wogenden Menge und hatte nach Petros gesendet, von ihm Rat und Hilfe zu erlangen, da ja dieser es gewesen, der mit Gothelindis den Untergang der Fuerstin beschlossen und die Art der Ausfuehrung beraten hatte: er sollte ihm jetzt auch die Folgen der That tragen helfen. Als daher der Byzantiner auf der Schwelle erschien, eilte er, beide Arme ausbreitend, auf ihn zu: aber erstaunt blieb er ploetzlich stehen: erstaunt ueber die Begleitung, noch mehr erstaunt ueber die finster drohende Miene des Gesandten. "Ich fordre Rechenschaft von dir, Koenig der Goten," rief dieser schon an der Thuere, "Rechenschaft im Namen von Byzanz fuer die Tochter Theoderichs. Du weisst, Kaiser Justinian hat sie seines besondern Schutzes versichert: jedes Haar ihres Hauptes ist daher heilig und heilig jeder Tropfe ihres Blutes. Wo ist Amalaswintha?" Der Koenig sah ihn staunend an. Er bewunderte diese Verstellungskunst. Aber er begriff ihren Zweck nicht. Er schwieg. "Wo ist Amalaswintha?" wiederholte Petros, drohend vortretend und sein Anhang folgte ihm einen Schritt. "Sie ist tot," sagte Theodahad, aengstlich werdend. "Ermordet ist sie," rief Petros, "so ruft ganz Italien, ermordet von dir und deinem Weibe. Justinian, mein hoher Kaiser, war der Schirmherr dieser Frau, er wird ihr Raecher sein: Krieg kuend' ich dir in seinem Namen an, Krieg gegen euch, ihr blutigen Barbaren, Krieg gegen euch und euer ganz Geschlecht." "Krieg gegen euch und euer ganz Geschlecht!" wiederholten die Italier, fortgerissen von der Gewalt des Augenblicks und den alten, langgenaehrten Hass entzuegelnd; und wie eine Woge brausten sie heran auf den zitternden Koenig. "Petros," stammelte dieser entsetzt, "du wirst gedenken des Vertrages, du wirst doch ... -" Aber der Gesandte zog eine Papyrusrolle aus dem Mantel und riss sie mitten durch. "Zerrissen ist jedes Band zwischen meinem Kaiser und deinem blutbefleckten Haus. Ihr selber habt durch eure Greuelthat alle Schonung verwirkt, die man euch frueher gewaehrt. Nichts von Vertraegen. Krieg!" "Um Gott," jammerte Theodahad, "nur nicht Krieg und Kampf! Was forderst du, Petros?" "Unterwerfung! Raeumung Italiens! Dich selber und Gothelindis lad' ich zum Gericht nach Byzanz vor den Thron Justinians, dort ... -" Aber seine Rede unterbrach der schmetternde Ruf des gotischen Kriegshorns und in das Gemach eilte mit gezogenen Schwertern eine starke Schar gotischer Krieger, von Graf Witichis gefuehrt. Die gotischen Fuehrer hatten sofort auf die Nachricht von Amalaswinthens Untergang die tuechtigsten Maenner ihres Volks in Ravenna zu einer Beratung vor die Porta romana beschieden und dort Massregeln der Sicherung und der Gerechtigkeit beraten. Zur rechten Zeit erschienen sie jetzt auf dem Forum des Honorius, wo der Auflauf immer drohender wurde: schon blinkte hier und dort ein Dolch, schon ertoente manchmal der Ruf: "Wehe den Barbaren!" Diese Zeichen und Stimmen verschwanden und verstummten sofort, als nun die verhassten Goten in geschlossenem Zug von dem Forum des Herkules her durch die Via palatina anrueckten: ohne Widerstand zogen sie quer durch die grollenden Haufen und indessen Graf Teja und Hildebad die Thore und die Terrasse des Palastes besetzten, waren Graf Witichis und Hildebrand gerade rechtzeitig im Gemache des Koenigs angelangt, die letzten Worte des Gesandten noch zu hoeren. Ihr Zug stellte sich in einer Schwenkung rechts vom Thronsitz des Koenigs, zu dem dieser zurueckgewichen war: und Witichis, auf sein langes Schwert gestuetzt, trat hart vor den Griechen hin und sah ihm scharf ins Auge. Eine erwartungsvolle Pause trat ein. "Wer wagt es," fragte Witichis ruhig, "hier den Herrn und Meister zu spielen im Koenigshaus der Goten?" Von seiner Ueberraschung sich erholend entgegnete Petros: "Es steht dir uebel an, Graf Witichis, Moerder zu beschuetzen. Ich hab' ihn nach Byzanz geladen vor Gericht." "Und darauf hast du keine Antwort, Amalunge?" rief der alte Hildebrand zornig. Aber das boese Gewissen band dem Koenige die Stimme. "So muessen wir statt seiner sprechen," sagte Witichis. "Wisse, Grieche, vernehmt es wohl, ihr falschen und undankbaren Ravennaten: das Volk der Goten ist frei und erkennt auf Erden keinen Herrn und Richter ueber sich." "Auch nicht fuer Mord und Blutschuld?" "Wenn schwere Thaten unter uns geschehn, richten und strafen wir sie selbst. Den Fremdling geht das nichts an, am wenigsten unsern Feind, den Kaiser in Byzanz." "Mein Kaiser wird diese Frau raechen, die er nicht retten konnte. Liefert die Moerder aus nach Byzanz." "Wir liefern keinen Gotenknecht nach Byzanz, geschweige unsern Koenig," sprach Witichis. "So teilt ihr seine Strafe wie seine Schuld und Krieg erklaer' ich euch, im Namen meines Herrn. Erbebt vor Justinian und Belisar." Eine freudige Bewegung der gotischen Krieger war die Antwort. Der alte Hildebrand trat ans Fenster und rief zu den unten stehenden Goten hinab: "Hoert, ihr Goten, frohe Kunde: Krieg, Krieg mit Byzanz." Da brach unten ein Getoese los, wie wenn das Meer entfesselt ueber seine Daemme bricht, die Waffen klirrten und tausend Stimmen jubelten: "Krieg, Krieg mit Byzanz!" Dieser Wiederhall blieb nicht ohne Eindruck auf Petros und die Italier: das Ungestuem solcher Begeisterung erschreckte sie: schweigend sahen sie vor sich nieder. Waehrend die Goten sich glueckwuenschend die Haende schuettelten, trat Witichis ernst, gesenkten Hauptes, in die Mitte, hart neben Petros und sprach feierlich: "Also Krieg! Wir scheuen ihn nicht: - du hast es gehoert. Besser offner Kampf als die langjaehrige, lauernde, wuehlende Feindschaft. Der Krieg ist gut: aber wehe dem Frevler, der ohne Recht und ohne Grund den Krieg beginnt. Ich sehe Jahre voraus, viele Jahre von Blut und Mord und Brand, ich sehe zerstampfte Saaten, rauchende Staedte, zahllose Leichen die Stroeme hinabschwimmen. Hoert unser Wort: auf euer Haupt dies Blut, dies Elend. Ihr habt geschuert und gereizt jahrelang: - wir haben's ruhig getragen. Und jetzt habt _ihr_ den Krieg hereingeschleudert, richtend, wo ihr nicht zu richten habt, ohne Grund euch mischend in das Leben eines Volkes, das so frei wie ihr: auf euer Haupt die Schuld. Dies unsre Antwort nach Byzanz." Schweigend hoerte Petros diese Worte an, schweigend wandte er sich und schritt mit seinen italischen Freunden hinaus. Einige von diesen gaben ihm das Geleit bis in seine Wohnung, unter ihnen der Bischof von Florentia. "Ehrwuerdiger Freund," sagte er zu diesem beim Abschied, "die Briefe Theodahads in der bewussten Sache, die ihr mir zur Einsicht anvertraut, musst du mir ganz belassen. Ich bedarf ihrer und fuer deine Kirche sind sie nicht mehr noetig." - "Der Prozess ist laengst entschieden," erwiderte der Bischof, "und die Gueter unwiderruflich erworben. Die Dokumente sind dein." - Darauf verabschiedete der Gesandte seine Freunde, die ihn bald mit dem kaiserlichen Heer in Ravenna wiederzusehen hofften, und eilte in sein Gemach, wo er zuerst einen Boten an Belisar abfertigte, ihn zum sofortigen Angriff aufzufordern. Darauf schrieb er einen ausfuehrlichen Bericht an den Kaiser, der mit folgenden Worten schloss: "Und so scheinst du, o Herr, wohl Grund zu haben, mit den Diensten deines getreuesten Knechts zufrieden zu sein und mit der Lage der Dinge. Das Volk der Barbaren in Parteien zerspalten: auf dem Thron ein verhasster Fuerst, unfaehig und treulos: die Feinde sonder Ruestung ueberrascht: die italische Bevoelkerung ueberall fuer dich gewonnen: - es kann nicht fehlen: wenn keine Wunder geschehen, muessen die Barbaren fast ohne Widerstand erliegen. Und wie so oft tritt auch hier mein erhabener Kaiser, dessen Stolz das Recht, als Schirmherr und Raecher der Gerechtigkeit auf: - es ist ein geistvoller Zufall, dass die Triere, die mich traegt, den Namen "Nemesis" fuehrt. Nur das Eine betruebt mich unendlich, dass es meinem treuen Eifer nicht gelungen, die unselige Tochter Theoderichs zu retten. Ich flehe dich an, meiner hohen Herrin, der Kaiserin, die mir niemals gnaedig gesinnt war, wenigstens zu versichern, dass ich allen ihren Auftraegen bezueglich der Fuerstin, deren Schicksal sie mir noch in der letzten Unterredung als Hauptsorge ans Herz legte, aufs treueste nachzukommen suchte. Auf die Anfrage bezueglich Theodahads und Gothelindens, deren Hilfe uns das Gotenreich in die Haende liefert, wage ich es, der hohen Kaiserin mit der ersten Regel der Klugheit zu antworten: es ist zu gefaehrlich, die Mitwisser unsrer tiefsten Geheimnisse am Hof zu haben." Diesen Brief sandte Petros eilig durch die beiden Bischoefe Hypatius und Demetrius voraus. Sie sollten nach Brundusium und von da ueber Epidamnus auf dem Landweg nach Byzanz eilen. Er selbst wollte erst nach einigen Tagen folgen, langsam die gotische Kueste des jonischen Meerbusens entlang fahrend, ueberall die Stimmung der Bevoelkerung in den Hafenstaedten zu pruefen und zu schueren. Dann sollte er um den Peloponnes und Euboea her nach Byzanz segeln: denn die Kaiserin hatte ihm den Seeweg vorgeschrieben und ihm Auftraege fuer Athen und Lampsakos erteilt. Er ueberrechnete schon vor der Abreise von Ravenna mit vergnuegten Sinnen immer wieder seine Wirksamkeit in Italien und den Lohn, den er dafuer in Byzanz erwartete. Er kehrte zurueck, noch einmal so reich als er gekommen. Denn er hatte der Koenigin Gothelindis nie eingestanden, dass er mit dem Auftrag, Amalaswintha zu verderben, ins Land gekommen. Er hatte ihr vielmehr lange die Gefahr der Ungnade bei Kaiser und Kaiserin entgegengehalten und sich nur mit Widerstreben durch sehr hohe Summen von ihr fuer den Plan gewinnen lassen, in welchem er sie doch nur als Werkzeug brauchte. Er erwartete in Byzanz mit Sicherheit die versprochene Wuerde des Patriciats und freute sich schon, seinem hochmuetigen Vetter Narses, der ihn nie befoerdert hatte, nun bald in gleichem Range gegenueberzutreten. "So ist denn alles nach Wunsch gelungen," sagte er selbstzufrieden, waehrend er seine Briefschaften ordnete: "und diesmal, du stolzer Freund Cethegus, hat sich die Verschmitztheit doch trefflich bewaehrt. Und der kleine Rhetor aus Thessalonike hat es doch weiter gebracht mit seinen kleinen, leisen Schritten, denn du mit deinem stolzen, herausfordernden Gang. Nur muss noch dafuer gesorgt werden, dass Theodahad und Gothelindis nicht nach Byzanz an den Hof entrinnen: wie gesagt, das waere zu gefaehrlich: vielleicht hat die Frage der klugen Kaiserin eine Warnung sein sollen. Nein, dieses Koenigspaar muss verschwinden aus unsern Wegen." Und er liess den Gastfreund rufen, bei dem er gewohnt, und nahm Abschied von ihm. Dabei uebergab er ihm eine dunkle, schmale Vase von der Form derer, die zur Aufbewahrung von Urkunden dienten: er versiegelte den Deckel mit seinem Ring, der einen feingeschnittenen Skorpion zeigte, und schrieb einen Namen auf die daran haengende Wachstafel. "Diesen Mann," sagte er dem Gastfreund, "suche auf bei der naechsten Versammlung der Goten zu Regeta und uebergieb ihm die Vase: was sie enthaelt ist sein. Leb wohl, auf baldig Wiedersehen hier in Ravenna." Und er verliess mit seinen Sklaven das Haus und bestieg alsbald das Gesandtenschiff: von stolzen Erwartungen hoch gehoben trug ihn die "Nemesis" dahin. - Und als sich nun sein Schiff dem Hafen von Byzanz naeherte, von Lampsakos aus hatte er - auch dies hatte die Kaiserin gewuenscht - seine baldige Ankunft durch einen kaiserlichen Schnellsegler, der eben abging, melden lassen, ueberflog des Gesandten Auge erwartungsvoll die schoenen Landhaeuser, die marmorweiss aus den Schatten immergruener Gaerten blinkten. "Hier wirst du kuenftig wohnen, unter den Senatoren des Reichs," sprach wohlgefaellig Petros. Vor dem Einlaufen in den Hafen flog die "Thetis", das prachtvolle Lustboot der Kaiserin, ihnen entgegen, sowie es des Gesandten Galeere erkannte die Purpurwimpel entrollend, und sie zum Halten anrufend. Alsbald stieg an Bord der Galeere ein Bote der Kaiserin: es war Alexandros, der fruehere Gesandte am Hof von Ravenna. Er wies dem Trierarchen ein Schreiben des Kaisers, in das dieser einen erschrockenen Blick warf: dann wandte er sich zu Petros: "Im Namen des Kaisers Justinian! Du bist wegen jahrelang fortgesetzter Urkundenfaelschung und Steuerunterschlagung lebenslaenglich zu den Metallarbeiten in den Bergwerken von Cherson bei den ultziagirischen Hunnen verurteilt. Du hast die Tochter Theoderichs ihren Feinden preisgegeben. Der Kaiser haette dich durch deinen Brief fuer entschuldigt erachtet: aber die Kaiserin, untroestlich ueber den Untergang ihrer koeniglichen Schwester, hat deine alte Schuld dem Kaiser entdeckt. Und ein Brief des Praefekten von Rom an diesen hat dargethan, dass du mit Gothelindis geheim der Koenigin Verderben geplant. Die Kaiserin hat den Kaiser auch hierin ueberzeugt. Dein Vermoegen ist eingezogen: die Kaiserin aber laesst dir sagen," - hier fluesterte er in des Zerschmetterten Ohr, - "du habest in deinem klugen Brief ihr selbst den Rat erteilt, Mitwisser von Geheimnissen zu verderben. Trierarch, du fuehrst den Verurteilten sofort an seinen Strafort ab." Und Alexandros ging auf die "Thetis" zurueck. Die "Nemesis" aber drehte rauschend ihr Steuer, wandte dem Hafen von Byzanz den Ruecken und trug den Straefling fuer immer aus dem Leben der Menschen. Achtes Kapitel. Wir haben Cethegus den Praefekten seit seiner Abreise nach Rom aus den Augen verloren. Er hatte daselbst in den Wochen der erzaehlten Ereignisse die eifrigste Thaetigkeit entfaltet: denn er erkannte, dass die Dinge jetzt zur Entscheidung draengten; er konnte ihr getrost entgegensehen. Ganz Italien war einig in dem Hass gegen die Barbaren: und wer anders vermochte es, der Kraft dieses Hasses Bewegung und Ziel zu geben, als das Haupt der Katakombenverschwoerung und der Herr von Rom. Das war er durch die jetzt voellig ausgebildeten und ausgeruesteten Legionare und durch die nahezu vollendete Befestigung der Stadt, an der er in den letzten Monaten Nachts wie Tages hatte arbeiten lassen. Und nun war es ihm zuletzt noch gelungen, wie er glaubte, ein sofortiges Auftreten der byzantinischen Macht in seinem Italien, die Hauptgefahr, die seinen ehrgeizigen Plaenen gedroht, abzuwenden: durch zuverlaessige Kundschafter hatte er erfahren, dass die byzantinische Flotte, die bisher lauernd bei Sicilien geankert, sich wirklich von Italien hinweggewandt und der afrikanischen Kueste genaehert habe, wo sie die Seeraeuberei zu unterdruecken beschaeftigt schien. Freilich sah Cethegus voraus, dass es zu einer Landung der Griechen in Italien kommen werde: er konnte derselben als einer Nachhilfe nicht entbehren. Aber alles war ihm daran gelegen, dass dies Auftreten des Kaisers eben nur eine Nachhilfe bleibe: und deshalb musste er, ehe ein Byzantiner den italischen Boden betreten, eine Erhebung der Italier aus eigner Kraft veranlasst und zu solchen Erfolgen gefuehrt haben, dass die spaetere Mitwirkung der Griechen nur als eine Nebensache erschien und mit der Anerkennung einer losen Oberhoheit des Kaisers abgelohnt werden konnte. Und er hatte zu diesem Zweck seine Plaene trefflich vorbereitet. Sowie der letzte roemische Turm unter Dach, sollten die Goten in ganz Italien an einem Tag ueberfallen, mit einem Schlag alle festen Plaetze, Burgen und Staedte, Rom, Ravenna und Neapolis voran, genommen werden. Und waren die Barbaren ins flache Land hinausgeworfen, so stand nicht mehr zu fuerchten, dass sie bei ihrer grossen Unkunde in Belagerungen und bei der Anzahl und Staerke der italischen Festen diese und damit die Herrschaft ueber die Halbinsel wieder gewinnen wuerden. Dann mochte ein byzantinisches Bundesheer helfen, die Goten vollends ueber die Alpen zu draengen: und Cethegus wollte schon dafuer sorgen, dass diese Befreier ebenfalls keinen Fuss in die wichtigsten Festungen setzen sollten, um sich ihrer spaeter unschwer wieder entledigen zu koennen. Dieser Plan setzte nun aber voraus, dass die Goten durch die Erhebung Italiens ueberrascht wuerden. Wenn der Krieg mit Byzanz in Aussicht oder gar schon ausgesprochen war, dann natuerlich liessen sich die Barbaren die in Kriegsstand gesetzten Staedte nicht durch einen Handstreich entreissen. Da nun aber Cethegus, seit er die Sendung des Petros durchschaut hatte, bei jeder Gelegenheit Justinians Hervortreten aus seiner drohenden Stellung erwarten musste, da es kaum noch gelungen war, Belisar wieder abzuwenden von Italien, beschloss er, keinen Augenblick mehr zu verlieren. Er hatte auf den Tag der Vollendung der Befestigungen Roms eine allgemeine Versammlung der Verschworenen in den Katakomben anberaumt, in der das muehsam und erfindungsreich vorbereitete Werk gekroent, der Augenblick des Losschlagens bestimmt und Cethegus als Fuehrer dieser rein italischen Bewegung bezeichnet werden sollte. Er hoffte sicher, den Widerstand der Bestochenen oder Furchtsamen, die nur fuer und mit Byzanz zu handeln geneigt waren, durch die Begeisterung der Jugend zu ueberwaeltigen, wenn er diese sofort in den Kampf zu fuehren versprach. Noch vor jenem Tag kam die Nachricht von Amalaswinthens Ermordung, von der Verwirrung und Spaltung der Goten nach Rom und ungeduldig sehnte der Praefekt die Stunde der Entscheidung herbei. Endlich war auch der einzige noch unfertige Turm des aurelischen Thores unter Dach: Cethegus fuehrte die letzten Hammerschlaege: ihm war dabei, er hoere die Streiche des Schicksals von Rom und von Italien droehnen. Bei dem Schmause, den er darauf den Tausenden von Arbeitern in dem Theater des Pompejus gab, hatten sich auch die meisten der Verschworenen eingefunden und der Praefekt benutzte die Gelegenheit, diesen seine unbegrenzte Beliebtheit im Volk zu zeigen. Auf die juengeren unter den Genossen machte dies freilich den Eindruck, welchen er gewuenscht hatte; aber ein Haeuflein, dessen Mittelpunkt Silverius war, zog sich mit finstern Mienen von den Tischen zurueck. Der Priester hatte seit lange eingesehen, dass Cethegus nicht bloss Werkzeug sein wollte, dass er eigene Plaene verfolgte, die der Kirche und seinem persoenlichen Einfluss sehr gefaehrlich werden konnten. Und er war entschlossen, den kuehnen Verbuendeten zu stuerzen, sobald er entbehrt werden konnte; es war ihm nicht schwer geworden, die Eifersucht so manches Roemers gegen den Ueberlegenen im geheimen zu schueren. Die Anwesenheit aber zweier Bischoefe aus dem Ostreich, Hypatius von Ephesus und Demetrius von Philippi, die in Glaubensfragen oeffentlich mit dem Papst, aber geheim mit Koenig Theodahad, in Unterstuetzung des Petros, in Politik verhandelten, hatte der kluge Archidiakon benutzt, um mit Theodahad und mit Byzanz in enge Verbindung zu treten. "Du hast recht, Silverius," murrte Scaevola im Hinausgehen aus dem Thor des Theaters, "der Praefekt ist Marius und Caesar in Einer Person." - "Er verschwendet diese ungeheuren Summen nicht umsonst, man darf ihm nicht zu sehr trauen," warnte der geizige Albinus. - "Lieben Brueder," mahnte der Priester, "sehet zu, dass ihr nicht einen unter euch lieblos verdammet. Wer solches thaete, waere des hoellischen Feuers schuldig. Freilich beherrscht unser Freund die Faeuste der Handwerker wie die Herzen seiner jungen "Ritter": es ist das gut, er kann dadurch die Tyrannei zerbrechen ... -" "Aber dadurch auch eine neue aufrichten," meinte Calpurnius. "Das soll er nicht, wenn Dolche noch toeten, wie in Brutus' Tagen," sprach Scaevola. "Es bedarf des Blutes nicht. Bedenket nur immer:" sagte Silverius, "je naeher der Tyrann, desto drueckender die Tyrannei: je ferner der Herrscher, desto ertraeglicher die Herrschaft. Das schwere Gewicht des Praefekten ist aufzuwiegen durch das schwerere des Kaisers." "Jawohl," stimmte Albinus bei, der grosse Summen von Byzanz erhalten hatte, "der Kaiser muss der Herr Italiens werden." - "Das heisst," beschwichtigte Silverius den unwillig auffahrenden Scaevola, "wir muessen den Praefekten durch den Kaiser, den Kaiser durch den Praefekten niederhalten. Siehe, wir stehen an der Schwelle meines Hauses. Lasst uns eintreten. Ich habe geheim euch mitzuteilen, was heute Abend in der Versammlung kund werden soll. Es wird euch ueberraschen. Aber andre Leute noch mehr." Inzwischen war auch der Praefekt von dem Gelage nach Hause geeilt, sich in einsamem Sinnen zu seinem wichtigen Werke zu bereiten. Nicht seine Rede ueberdachte er: wusste er doch laengst was er zu sagen hatte und, ein glaenzender Redner, dem die Worte so leicht wie die Gedanken kamen, ueberliess er den Ausdruck gern dem Antrieb des Augenblicks, wohl wissend, dass das eben frisch aus der Seele geschoepfte Wort am lebendigsten wirkt. Aber er rang nach innerer Ruhe: denn seine Leidenschaft schlug hohe Wellen. Er ueberschaute die Schritte, die er nach seinem Ziele hin gethan, seit zuerst dieses Ziel mit daemonischer Gewalt ihn angezogen: er erwog die kurze Strecke, die noch zurueckzulegen war: er ueberzaehlte die Schwierigkeiten, die Hindernisse, die noch auf diesem Wege lagen und ermass dagegen die Kraft seines Geistes, sie zu ueberwinden: und das Ergebnis dieses pruefenden Waegens erzeugte in ihm eine Siegesfreude, die ihn mit jugendlicher Aufregung ergriff. Mit gewaltigen Schritten durchmass er das Gemach. Die Muskeln seiner Arme spannten sich wie in der Stunde beginnender Schlacht: er umguertete sich mit dem breiten, siegreichen Schwert seiner Kriegsfahrten und drueckte krampfhaft dessen Adlergriff, als gelte es, jetzt gegen zwei Welten, gegen Byzanz und die Barbaren, sein Rom zu erkaempfen. Dann trat er der Caesarstatue gegenueber und sah ihr lange in das schweigende Marmorantlitz. Endlich ergriff er mit beiden Haenden die Hueften des Imperators und ruettelte an ihnen: "lebwohl," sagte er, "und gieb mir dein Glueck mit auf den Weg. - Mehr brauch' ich nicht." Und rasch wandte er sich und eilte aus dem Gemache und durch das Atrium hinaus auf die Strasse, wo ihn schon die ersten Sterne begruessten. Zahlreicher als je hatten sich die Verschwornen an diesem Abend in den Katakomben eingefunden: waren doch durch ganz Italien die Ladungen zu dieser Versammlung als zu einer entscheidungsvollen ergangen. So waren auf den Wunsch des Praefekten besonders alle strategisch wichtigen Punkte vertreten: von den starken Grenzhueterinnen Tridentum, Tarvisium und Verona, die das Eis der Alpen schauen, bis zu Otorantum und Consentia, welche die laue Welle des ausonischen Meeres bespuelt, hatten sie alle ihre Boten zugesendet, jene beruehmten Staedte Siciliens und Italiens mit den stolzen, den schoenen, den weltgeschichtlichen Namen: Syrakusae und Catana, Panormus und Messana, Regium, Neapolis und Cumae, Capua und Beneventum, Antium und Ostia, Reate und Narnia, Volsinii, Urbsvetus und Spoletum, Clusium und Perusia, Auximum und Ancon, Florentia und Faesulae, Pisa, Luca, Luna und Genua, Ariminum, Caesena, Faventia und Ravenna, Parma, Dertona und Placentia, Mantua, Cremona und Ticinum (Pavia), Mediolanum, Comum und Bergamum, Asta und Pollentia: dann von der Nord- und Ostkueste des jonischen Meerbusens: Concordia, Aquileja, Jadera, Scardona und Salona. Da waren ernste Senatoren und Decurionen, ergraut in dem Rat ihrer Staedte, deren Haeupter ihre Ahnen seit Jahrhunderten gewesen: kluge Kaufleute, breitschultrige Gutsherrn, rechthaberische Juristen, spoettische Rhetoren: und namentlich eine grosse Anzahl von Geistlichen jedes Ranges und jedes Alters: die einzige fest organisierte Macht und Silverius unbedingt gehorsam. Wie Cethegus, noch hinter der Muendung des schmalen Ganges verborgen, die Massen in dem Halbrund der Grotte uebersah, konnte er sich eines veraechtlichen Laechelns nicht erwehren, das aber in einen Seufzer auslief. Ausser der allgemeinen Abneigung gegen die Barbaren, die doch bei weitem nicht stark genug war, schwere politische Plaene mit Opfern und Entsagungen zu tragen, - welch' verschiedene und oft welch' kleine Motive hatten diese Verschwornen hier zusammengefuehrt! Cethegus kannte die Beweggruende der einzelnen genau: hatte er sie doch durch Bearbeitung ihrer schwaechsten Seiten beherrschen gelernt. Und er musste zuletzt noch froh darum sein: echte Roemer haette er nie, wie diese Verschworenen, so voellig unter seinen Einfluss gebracht. Aber wenn er sie nun hier alle beisammen sah, diese Patrioten, und bedachte, wie den einen die Hoffnung auf einen Titel von Byzanz, den andern plumpe Bestechung, einen dritten Rachsucht wegen irgend einer Beleidigung oder auch nur die Langeweile oder Schulden oder ein schlechter Streich unter die Unzufriedenen gefuehrt: und wenn er sich nun vorstellte, dass er mit solchen Bundesgenossen den gotischen Heermaennern entgegentreten sollte, - da erschrak er fast ueber die Vermessenheit seines Planes. Und eine Erquickung war es ihm, als die helle Stimme des Lucius Licinius seinen Blick auf die Schar der jungen "Ritter" lenkte, denen wirklich kriegerischer Muth und nationale Begeisterung aus den Augen spruehte: so hatte er doch einige verlaessige Waffen. - "Gegruesst, Lucius Licinius," sprach er aus dem Dunkel des Ganges hervortretend. "Ei, du bist ja geruestet und gewaffnet, als ging es von hier gegen die Barbaren." "Kaum bezwing ich das Herz in der Brust vor Hass und vor Freude," sagte der schoene Juengling. "Sieh, alle diese hier hab' ich fuer dich, fuer das Vaterland geworben." Cethegus blickte gruessend umher: "Auch du hier, Kallistratos, - du heitrer Sohn des Friedens?" "Hellas wird ihre Schwester Italia nicht verlassen in der Stunde der Gefahr," sagte der Hellene und legte die weisse Hand auf das zierliche Schwert mit dem Griff von Elfenbein. Und Cethegus nickte ihm zu und wandte sich zu den andern: Marcus Licinius, Piso, Massurius, Balbus, die, seit den Floralien ganz von dem Praefekten gewonnen, ihre Brueder, Vettern, Freunde mitgebracht hatten. Pruefend flog sein Blick ueber die Gruppe, er schien einen aus diesem Kreise zu vermissen. Lucius Licinius erriet seine Gedanken: "Du suchst den schwarzen Korsen, Furius Ahalla? Auf den kannst du nicht zaehlen. Ich holte ihn von weitem aus, aber er sprach: "ich bin ein Korse, kein Italier: mein Handel blueht unter gotischem Schutz: lasst mich aus eurem Spiel." Und als ich weiter in ihn drang - denn ich gewoenne gern sein kuehnes Herz und die vielen Tausende von Armen, ueber die er gebeut - sprach er kurz abweisend: "ich fechte nicht gegen Totila."" "Die Goetter moegen wissen, was den tigerwilden Korsen an jenen Milchbart bindet," meinte Piso. Cethegus laechelte, aber er furchte die Stirn. "Ich denke, wir Roemer genuegen," sprach er laut: und das Herz der Juenglinge schlug. "Eroeffne die Versammlung," mahnte Scaevola unwillig den Archidiakon, "du siehst, wie er die jungen Leute beschwatzt; er wird sie alle gewinnen. Unterbrich ihn: rede." "Sogleich. Bist du gewiss, dass Albinus kommt?" "Er kommt; er erwartet den Boten am appischen Thor." "Wohlan," sagte der Priester, "Gott mit uns!" Und er trat in die Mitte der Rotunde, erhob ein schwarzes Kreuz und begann: "Im Namen des dreieinigen Gottes! Wieder einmal haben wir uns versammelt im Grauen der Nacht zu den Werken des Lichts. Vielleicht zum letztenmal: denn wunderbar hat der Sohn Gottes, dem die Ketzer die Ehre weigern, unsere Muehen zu seiner Verherrlichung, zur Vernichtung seiner Feinde gesegnet. Naechst Gott dem Herrn aber gebuehrt der hoechste Dank dem edeln Kaiser Justinian und seiner frommen Gemahlin, die mit thaetigem Mitleid die Seufzer der leidenden Kirche vernehmen: und endlich hier unsrem Freund und Fuehrer, dem Praefekten, der unablaessig fuer unsres Herrn, des Kaisers Sache, wirkt ..." - "Halt, Priester!" rief Lucius Licinius dazwischen, "wer nennt den Kaiser von Byzanz hier unsern Herrn? wir wollen nicht den Griechen dienen statt den Goten! Frei wollen wir sein!" - "Frei wollen wir sein," wiederholte der Chor seiner Freunde. "Frei wollen wir _werden_!" fuhr Silverius fort. "Gewiss. Aber das koennen wir nicht aus eigner Macht, nur mit des Kaisers Hilfe. Glaubt auch nicht, geliebte Juenglinge, der Mann, den ihr als euren Vorkaempfer verehrt, Cethegus, denke hierin anders. Justinian hat ihm einen koestlichen Ring - sein Bild in Carneol - gesendet, zum Zeichen, dass er billige, was der Praefekt fuer ihn, den Kaiser, thue und der Praefekt hat den Ring angenommen: sehet hier, er traegt ihn am Finger." Betroffen und unwillig sahen die Juenglinge auf Cethegus. Dieser trat schweigend in die Mitte. Eine peinliche Pause entstand. "Sprich, Feldherr!" rief Lucius, "widerlege sie! Es ist nicht wie sie sagen mit dem Ring." Aber Cethegus zog den Ring kopfnickend ab: "Es ist wie sie sagen: der Ring ist vom Kaiser und ich hab' ihn angenommen." Lucius Licinius trat einen Schritt zurueck. "Zum Zeichen?" fragte Silverius. "Zum Zeichen," sprach Cethegus mit drohender Stimme, "dass ich der herrschsuechtige Selbstling nicht bin, fuer den mich einige halten, zum Zeichen, dass ich Italien mehr liebe als meinen Ehrgeiz. Ja, ich baute auf Byzanz und wollte dem maechtigen Kaiser die Fuehrerstelle abtreten: - darum nahm ich diesen Ring. Ich baue nicht mehr auf Byzanz, das ewig zoegert: deshalb hab' ich diesen Ring heute mitgebracht, ihn dem Kaiser zurueckzustellen. Du, Silverius, hast dich als den Vertreter von Byzanz erwiesen: hier, gieb deinem Herrn sein Pfand zurueck: er saeumt zu lang: sag' ihm, Italien hilft sich selbst." "Italien hilft sich selbst!" jubelten die jungen Ritter. "Bedenket, was ihr thut!" warnte mit verhaltnem Zorn der Priester. "Den heissen Mut der Juenglinge begreif' ich, - aber dass meines Freundes, des gereiften Mannes, Hand nach dem Unerreichbaren greift, - befremdet mich. Bedenket die Zahl und wilde Kraft der Barbaren! Bedenket, wie die Maenner Italiens seit lange des Schwertes entwoehnt, wie alle Zwingburgen des Landes in der Hand ..." - "Schweig, Priester," donnerte Cethegus, "das verstehst du nicht! Wo es die Psalmen zu erklaeren gilt und die Seele nach dem Himmelreich zu lenken, da rede du: denn solches ist dein Amt; wo's aber Krieg und Kampf der Maenner gilt, lass jene reden, die den Krieg verstehen. Wir lassen dir den ganzen Himmel - lass uns nur die Erde. Ihr roemischen Juenglinge, ihr habt die Wahl. Wollt ihr abwarten, bis dieses wohlbedaechtige Byzanz sich doch vielleicht Italiens noch erbarmt - ihr koennt muede Greise werden bis dahin - oder wollt ihr, nach alter Roemer Art, die Freiheit mit dem eignen Schwert erkaempfen? Ihr wollt's, ich seh's am Feuer eurer Augen. Wie? man sagt uns, wir sind zu schwach, Italien zu befreien? Ha, seid ihr nicht die Enkel jener Roemer, die den Weltkreis bezwangen? Wenn ich euch aufrufe, Mann fuer Mann, da ist kein Name, der nicht klingt wie Heldenruhm: Decius, Corvinus, Cornelius, Valerius, Licinius: - wollt ihr mit mir das Vaterland befreien?" "Wir wollen es! Fuehre uns, Cethegus!" riefen die Juenglinge begeistert. Nach einer Pause begann der Jurist: "Ich heisse Scaevola. Wo roemische Heldennamen aufgerufen werden, haette man auch des Geschlechts gedenken moegen, in dem das Heldentum der Kaelte erblich ist. Ich frage dich, du jugendheisser Held Cethegus, hast du mehr als Traeume und Wuensche, wie diese jungen Thoren, hast du einen Plan?" - "Mehr als das, Scaevola, ich habe und halte den Sieg. Hier ist die Liste fast aller Festungen Italiens: an den naechsten Iden, in dreissig Tagen also, fallen sie, alle, auf Einen Schlag, in meine Hand." "Wie? dreissig Tage sollen wir noch warten?" fragte Lucius. "Nur so lange, bis die hier Versammelten ihre Staedte wieder erreicht, bis meine Eilboten Italien durchflogen haben. Ihr habt ueber vierzig Jahre warten muessen!" Aber der ungeduldige Eifer der Juenglinge, den er selbst geschuert, wollte nicht mehr ruhen: sie machten verdrossne Mienen zu dem Aufschub - sie murrten. Blitzschnell ersah der Priester diesen Umschlag der Stimmung. "Nein, Cethegus," rief er, "solang kann nicht mehr gezoegert werden! Unertraeglich ist dem Edeln die Tyrannei: Schmach dem, der sie laenger duldet als er muss. Ich weiss euch bessern Trost, ihr Juenglinge! Schon in den naechsten Tagen koennen die Waffen Belisars in Italien blitzen." "Oder sollen wir vielleicht," fragte Scaevola, "Belisar nicht folgen, weil er nicht Cethegus ist?" "Ihr sprecht von Wuenschen," laechelte dieser, "nicht von Wirklichem. Landete Belisar, ich waere der erste mich ihm anzuschliessen. Aber er wird nicht landen. Das ist's ja, was mich abgewendet hat von Byzanz: der Kaiser haelt nicht Wort." Cethegus spielte ein sehr kuehnes Spiel. Aber er konnte nicht anders. "Du koenntest irren und der Kaiser frueher sein Wort erfuellen, als du meinst. Belisar liegt bei Sicilien." "Nicht mehr. Er hat sich nach Afrika, nach Hause gewendet. Hofft nicht mehr auf Belisar." Da hallten hastige Schritte aus dem Seitengange und eilfertig stuerzte Albinus herein: "Triumph," rief er, "Freiheit, Freiheit!" "Was bringst du?" fragte freudig der Priester. "Den Krieg, die Rettung! Byzanz hat den Goten den Krieg erklaert." "Freiheit, Krieg!" jauchzten die Juenglinge. "Es ist unmoeglich!" sprach Cethegus, tonlos. "Es ist gewiss!" rief eine andre Stimme vom Gange her - es war Calpurnius, der jenem auf dem Fuss gefolgt - "und mehr als das: der Krieg ist begonnen. Belisar ist gelandet auf Sicilien, bei Catana: Syrakusae, Messana sind ihm zugefallen, Panormus hat er mit der Flotte genommen, er ist uebergesetzt nach Italien, von Messana nach Regium, er steht auf unserm Boden." "Freiheit!" rief Marcus Licinius. "Ueberall faellt ihm die Bevoelkerung zu. Aus Apulien, aus Calabrien fluechten die ueberraschten Goten, unaufhaltsam dringt er durch Bruttien und Lucanien gen Neapolis." "Es ist erlogen, alles erlogen!" sagte Cethegus mehr zu sich selbst als zu den andern. "Du scheinst nicht sehr erfreut ueber den Sieg der guten Sache. Aber der Bote ritt drei Pferde zu Tod. Belisar ist gelandet mit dreissigtausend Mann." - "Ein Verraeter, wer noch zweifelt," sprach Scaevola. - "Nun lass sehen," hoehnte Silverius, "ob du dein Wort halten wirst. Wirst du der erste von uns sein, dich Belisar anzuschliessen?" Vor Cethegus Auge versank in dieser Stunde eine ganze Welt, _seine_ Welt. So hatte er denn umsonst, nein, schlimmer als das, fuer einen verhassten Feind alles gethan, was er gethan. Belisar in Italien mit einem starken Heere und er getaeuscht, machtlos, ueberwunden! Wohl jeder andre haette jetzt alles weitre Streben ermuedet aufgegeben. In des Praefekten Seele fiel nicht ein Schatten der Entmutigung. Sein ganzer Riesenbau war eingestuerzt: noch betaeubte der Schlag sein Ohr und schon hatte er beschlossen, im selben Augenblick ihn von neuem zu beginnen: seine Welt war versunken, und er hatte nicht Musse ihr einen Seufzer nachzusenden: denn aller Augen hingen an ihm. Er beschloss, eine zweite zu schaffen. "Nun! was wirst du thun?" wiederholte Silverius. Cethegus wuerdigte ihn keines Blicks. Zu der Versammlung gewendet sprach er mit ruhiger Stimme: "Belisar ist gelandet: Er ist jetzt unser Haupt: ich gehe in sein Lager." Damit schritt er dem Ausgang zu, gemessenen Ganges, gefassten Angesichts, an Silverius und dessen Freunden vorueber. Silverius wollte ein Wort des Hohnes fluestern: aber er verstummte, da ihn der Blick des Praefekten traf: "Frohlocke nicht, Priester," schien er zu sagen, "diese Stunde wird dir vergolten." Und Silverius, der Sieger, blieb erschrocken stehn. - - Neuntes Kapitel. Die Landung der Byzantiner war allen, Goten wie Italiern, gleich unerwartet gekommen. Denn die letzte Bewegung Belisars nach Suedosten hatte alle Erwartungen von der kaiserlichen Flotte in die Irre gelenkt. Von unsern gotischen Freunden war nur Totila in Unteritalien: vergeblich hatte er als Seegraf von Neapolis die Regierung zu Ravenna gewarnt und um Vollmachten, um Mittel zur Verteidigung Siciliens gebeten. Wir werden sehen, wie ihm alle Mittel genommen wurden, das Ereignis zu verhindern, das sein Volk bedrohte, das gerade in die lichten Kreise seines eignen Lebens zuerst verhaengnisvolle Schatten werfen und die Bande des Glueckes zerreissen sollte, mit welchen ein freundliches Schicksal diesen Liebling der Goetter bisher umwoben hatte. Denn in Baelde war es der unwiderstehlichen Anmut seiner Natur gelungen, das edle, wenn auch strenge, Herz des Valerius zu gewinnen. Wir haben gesehen, wie maechtig die Bitten der Tochter, das Andenken an die Scheideworte der Gattin, die Offenheit Totilas schon in jener Stunde der naechtlichen Ueberraschung auf den wuerdigen Alten gewirkt. Totila blieb als Gast in der Villa: Julius, mit seiner gewinnenden Guete, wurde von den Liebenden zu Hilfe gerufen und ihren vereinten Einfluessen gab der Sinn des Vaters allmaehlich nach. Dies war jedoch bei dem strengen Roemertum des Alten nur dadurch moeglich, dass von allen Goten Totila an Sinnesart, Bildung und Wohlwollen den Roemern am naechsten stand, so dass Valerius bald einsah, er koenne einen Juengling nicht "barbarisch" schelten, der besser als mancher Italier die Sprache, die Weisheit und die Schoenheit der hellenischen und roemischen Litteratur kannte und wuerdigte, und, wie er seine Goten liebte, so die Kultur der alten Welt bewunderte. Dazu kam endlich, dass im politischen Gebiet den alten Roemer und den jungen Germanen der gemeinsame Hass gegen die Byzantiner verband. Wenn der offnen Heldenseele Totilas in den tueckischen Erbfeinden seiner Nation die Mischung von Heuchelei und Gewaltherrschaft unwillkuerlich wie dem Lichte die Nacht verhasst war, so war fuer Valerius die ganze Tradition seiner Familie eine Anklage gegen das Imperatorentum und Byzanz. Die Valerier hatten von jeher zu der aristokratisch-republikanischen Opposition wider das Caesarentum gezaehlt. Und so mancher der Ahnen hatte schon seit den Tagen des Tiberius die alt-republikanische Gesinnung mit dem Tode gebuesst und besiegelt. Niemals hatten diese Geschlechter im Herzen die Uebertragung der Weltherrschaft von der Tiberstadt nach Byzanz anerkannt: in dem byzantinischen Kaisertum erblickte Valerius den Gipfel aller Tyrannei: und um jeden Preis wollte er die Habsucht, den Glaubenszwang, den orientalischen Despotismus dieser Kaiser von seinem Latium fern halten. Es kam dazu, dass sein Vater und sein Bruder bei einer Handelsreise durch Byzanz von einem Vorgaenger Justinians aus Habsucht waren festgehalten und, wegen angeblicher Beteiligung an einer Verschwoerung, unter Konfiskation ihrer im Ostreich belegenen Gueter, hingerichtet worden, so dass den politischen Hass des Patrioten mit aller Macht persoenliche Schmerzen verstaerkten. Er hatte, als Cethegus ihn in die Katakombenverschwoerung einweihte, eifrig den Gedanken einer Selbstbefreiung Italiens ergriffen, aber alle Annaeherungen der kaiserlichen Partei mit den Worten abgewiesen: "lieber den Tod als Byzanz!" So vereinten sich die beiden Maenner in dem Entschluss, keine Byzantiner in dem schoenen Lande zu dulden, das dem Goten kaum minder teuer war, als dem Roemer. Die Liebenden hueteten sich, den Willen des Alten schon jetzt zu einem bindenden Wort zu draengen; sie begnuegten sich fuer die Gegenwart mit der Freiheit des Umgangs, die Valerius ihnen beliess und warteten ruhig ab, bis der Einfluss allmaehlicher Gewoehnung ihn auch mit dem Gedanken an ihre voellige Vereinigung befreunden wuerde. So verlebten unsere jungen Freunde goldene Tage. Das Liebespaar hatte neben seinem eigensten Gluecke die Freude an der wachsenden Neigung des Vaters zu Totila: und Julius genoss jene weihevolle Erhebung, die fuer edle Naturen in dem Ueberwinden eigner Schmerzen um des Glueckes geliebter Herzen willen liegt. Seine suchende, von der Weisheit der alten Philosophie nicht befriedigte Seele wandte sich mehr und mehr jener Lehre zu, die den hoechsten Frieden im Entsagen findet. Eine sehr entgegengesetzte Natur war Valeria. Sie war der Ausdruck der echt roemischen Ideale ihres Vaters, der an der fruehe verstorbnen Mutter Stelle ihre ganze Erziehung geleitet und im geistigen und sittlichen Gebiet die Ergebnisse des antiken heidnischen Geistes ihr angeeignet hatte. Das Christentum, dem ihre Seele bei dem Eintritt in das Leben durch eine aeussere Noetigung war zugewendet und spaeter ebenso durch ein aeusserliches Mittel wieder war entrissen worden, erschien ihr als eine gefuerchtete, nicht als eine verstandene und geliebte Macht, die sie gleichwohl nicht aus dem Kreise ihrer Gedanken und Gefuehle zu scheiden vermochte. Als echte Roemerin sah sie auch nicht mit bangem Zagen, sondern mit freudigem Stolz die kriegerische Begeisterung, die im Gespraech mit ihrem Vater ueber Byzanz und seine Feldherrn aus der Seele Totilas leuchtete, den kuenftigen Helden verkuendend. Und so trug sie es mit edler Fassung, als den Geliebten seine Kriegerpflicht ploetzlich abrief aus den Armen der Liebe und Freundschaft. Denn sowie die Flotte der Byzantiner auf der Hoehe von Syrakusae erschienen war, loderte in dem jungen Goten der Gedanke, der Wunsch des Krieges unausloeschlich empor. Als Befehlshaber des unteritalischen Geschwaders lag ihm die Pflicht ob, die Feinde zu beobachten, die Kueste zu decken. Er setzte rasch seine Schiffe in stand und segelte der griechischen Seemacht entgegen, Erklaerung heischend ueber den Grund ihres Erscheinens in diesen Gewaessern. Belisar, der den Auftrag hatte, erst nach einem Ruf von Petros feindlich aufzutreten, gab eine friedliche und unanfechtbare Auskunft, die Unruhen in Afrika und Seeraeubereien mauretanischer Schiffe vorschuetzend. Mit dieser Antwort musste sich Totila begnuegen: aber in seiner Seele stand der Ausbruch des Krieges fest, vielleicht nur deshalb, weil er ihn wuenschte. Er traf daher alle Anstalten, schickte warnende Boten nach Ravenna und suchte vor allem, das wichtige Neapolis wenigstens von der Seeseite her zu decken, da die Landbefestigung der Stadt waehrend des langen Friedens vernachlaessigt und der alte Uliaris, der Stadtgraf von Neapolis, nicht aus seiner stolzen Sicherheit und Griechenverachtung aufzuruetteln war. Die Goten wiegten sich ueberhaupt in dem gefaehrlichen Wahn, die Byzantiner wuerden gar nie wagen, sie anzugreifen: und ihr verraeterischer Koenig bestaerkte sie gern in diesem Glauben. Die Warnungen Totilas blieben deshalb unbeachtet und es wurde dem eifrigen Seegrafen sogar sein ganzes Geschwader abgenommen und in den Hafen von Ravenna zu angeblicher Abloesung beordert: aber die Schiffe, welche die abgesegelten ersetzen sollten, blieben aus. Und Totila hatte nichts als ein paar kleine Wachtschiffe, mit welchen er, wie er den Freunden erklaerte, die Bewegungen der zahlreichen Griechenflotte nicht beobachten, geschweige denn aufhalten konnte. Diese Mitteilungen bewogen den Kaufherrn, die Villa bei Neapolis zu verlassen und seine reichen Besitzungen und Handelsniederlassungen bei Regium, an der Suedspitze der Halbinsel, aufzusuchen, um die wertvollste Habe aus dieser Gegend, fuer die Totila den ersten Angriff der Feinde besorgte, nach Neapolis zu fluechten und ueberhaupt seine Anordnungen fuer den Fall eines laengeren Krieges zu treffen. Auf dieser Reise sollte Julius ihn begleiten: und auch Valeria war nicht zu bewegen, in der leeren Villa zurueckzubleiben: von Gefahr war, wie Totila versichert hatte, fuer die naechsten Tage nichts zu fuerchten. So reisten denn die drei, von einigen Sklaven begleitet, nach der Hauptvilla bei dem Passe Jugum noerdlich von Regium ab, die, unmittelbar am Meere gelegen, ja zum Teil mit jenem schon von Horatius gescholtnen Luxus in das Meer selbst "wagend hinausgebaut" war. Valerius traf die Dinge in schlechter Ordnung. Seine Institoren hatten, sicher gemacht durch lange Abwesenheit des Herrn, uebel gewirtschaftet: und mit Unwillen erkannte dieser, dass seine pruefende, ordnende, strafende Thaetigkeit, nicht tage-, sondern wochenlang in dieser Gegend notwendig sein werde. Unterdessen mehrten sich die drohenden Anzeichen. Totila schickte warnende Winke: aber Valeria erklaerte, ihren Vater in der Gefahr nicht verlassen zu koennen: und dieser verschmaehte es, vor den "Griechlein" zu fluechten, die er noch mehr verachtete, als hasste. Da wurden sie eines Tages durch zwei Boote ueberrascht, die fast gleichzeitig in den kleinen Hafen der Villa einliefen: das eine trug Totila, das andre den Korsen Furius Ahalla. Die Maenner begruessten sich ueberrascht, doch erfreut als alte Bekannte und wandelten mit einander durch die Taxus- und Lorbeergaenge des Gartens zu der Villa hinan. Hier trennten sie sich: Totila gab vor, seinen Freund Julius besuchen zu wollen, indes den Korsen ein Geschaeft zu dem Kaufherrn fuehrte, mit dem er seit Jahren in einer fuer beide Teile gleich vorteilhaften Handelsverbindung stand. Mit Freuden sah daher Valerius den klugen, kuehnen und stattlich-schoenen Seefahrer bei sich eintreten und nach herzlicher Begruessung wandten sich die beiden Handelsfreunde ihren Buechern und Rechnungen zu. Nach kurzen Eroerterungen erhob sich der Korse von den Rechentafeln und sprach: "So siehst du, Valerius, aufs neue hat Mercurius unser Buendnis gesegnet. Meine Schiffe haben dir Purpur und koestlichen Wollstoff aus Phoenikien und aus Spanien zugefuehrt: und deine koestlichen Fabrikate des verflossenen Jahres verfuehrt nach Byzanz und Alexandria, nach Massilia und Antiochia. Ein Centenar Goldes Mehrgewinn gegen das Vorjahr! Und so wird er steigen und steigen von Jahr zu Jahr, solang die wackern Goten den Frieden schirmen und die Rechtspflege im Abendland." Er schwieg wie abwartend. "Solang sie schirmen koennen!" seufzte Valerius, "solang diese Griechen Frieden halten. Wer steht dafuer, dass uns nicht diese Nacht der Seewind die Flotte Belisars an die Kueste treibt!" "Also auch du erwartest den Krieg? Im Vertrauen: er ist mehr als wahrscheinlich, er ist gewiss." "Furius," rief der Roemer, "woher weisst du das?" "Ich komme von Afrika, von Sicilien. Ich habe die Flotte des Kaisers gesehen: so ruestet man nicht gegen Seeraeuber. Ich habe die Heerfuehrer Belisars gesprochen: sie traeumen Nacht und Tag von den Schaetzen Italiens. Sizilien ist zum Abfall reif, sowie die Griechen landen." Valerius erbleichte vor Aufregung. Furius bemerkte es und fuhr fort: "Und deshalb vor allem bin ich hierher geeilt, dich zu warnen. Der Feind wird in dieser Gegend landen und ich wusste, - dass deine Tochter dich begleitet." "Valeria ist eine Roemerin." "Ja, aber diese Feinde sind die wildesten Barbaren. Denn Hunnen, Massageten, Skythen, Avaren, Sclavenen und Sarazenen sind es, die dieser Kaiser der Roemer loslaesst auf Italien. Wehe, wenn dein minervengleiches Kind in ihre Haende fiele." "Das wird sie nicht!" sagte Valerius, die Hand am Dolch. "Aber du sprichst wahr - sie muss fort - in Sicherheit." - - "Wo ist in Italien Sicherheit? Bald werden die Wogen dieses Krieges brausend zusammenschlagen ueber Neapolis, - ueber Rom und kaum sich an Ravennas Mauern brechen." - Denkst du so gross von diesen Griechen? Hat doch Griechenland nie etwas anderes nach Italien geschickt als Mimen, Seeraeuber und Kleiderdiebe!" - "Belisarius aber ist ein Sohn des Sieges. Jedenfalls entbrennt ein Kampf, dessen Ende so mancher von euch nicht erleben wird!" - "Von _euch_, sagst du? wirst du nicht mit kaempfen?" "Nein, Valerius! Du weisst, in meinen Adern fliesst nur korsisch Blut, trotz meines roemischen Adoptivnamens: ich bin nicht Roemer, nicht Grieche, nicht Gote. Ich wuensche den Goten den Sieg, weil sie Zucht und Ordnung halten zu Wasser und zu Land und weil mein Handel blueht unter ihrem Scepter: aber wollt' ich offen fuer sie fechten, - der Fiskus von Byzanz verschlaenge, was irgend von meinen Schiffen und Waren in den Haefen des Ostreichs liegt, drei Viertel all' meines Guts. Nein, ich gedenke mein Eiland so zu befestigen, - du weisst ja, halb Korsika ist mein - dass keine der kaempfenden Parteien mich viel belaestigen wird: meine Insel wird eine Friedensinsel sein, waehrend rings die Laender und Meere vom Krieg erdroehnen. Ich werde dies Asyl beschirmen wie ein Koenig seine Krone, wie ein Braeutigam die Braut - und deshalb" - seine Augen funkelten und seine Stimme bebte vor Erregung - "deshalb wollte ich jetzt, - heute - ein Wort aussprechen, das ich seit Jahren auf dem Herzen trage" - - Er stockte. Valerius sah voraus, was kommen werde und sah es mit tiefem Schmerz: seit Jahren hatte er sich in dem Gedanken gefallen, sein Kind dem maechtigen Kaufherrn zu vertrauen, eines alten Freundes Adoptivsohn, dessen Neigung er lange durchschaut. So lieb er in letzter Zeit den jungen Goten gewonnen, er wuerde doch den langjaehrigen Handelsgenossen als Eidam vorgezogen haben. Und er kannte den unbaendigen Stolz und die zornige Rachsucht des Korsen: er fuerchtete im Fall der Weigerung die alte Liebe und Freundschaft alsbald in lodernden Hass umschlagen zu sehen: man erzaehlte dunkle Geschichten von der jaehzornigen Wildheit des Mannes und gern haette Valerius ihm und sich selbst den Schmerz einer Zurueckweisung erspart. Aber jener fuhr fort: "Ich denke, wir beide sind Maenner, die Geschaefte geschaeftlich abthun. Und ich spreche, nach altem Brauch, gleich mit dem Vater, nicht erst mit der Tochter. Gieb mir dein Kind zur Ehe, Valerius: du kennst zum Teil mein Vermoegen - nur zum Teil: - denn es ist viel groesser als du ahnst. Zur Widerlage der Mitgift geb' ich, wie gross sie sei, das doppelte ..." - "Furius!" unterbrach der Vater. "Ich glaube wohl ein Mann zu sein, der ein Weib begluecken mag. Jedenfalls kann ich sie beschuetzen, wie kein andrer in diesen drohenden Zeiten: ich fuehre sie, wird Korsika bedraengt, auf meinen Schiffen nach Asien, nach Afrika; an jeder Kueste erwartet sie nicht ein Haus, ein Palast. Keine Koenigin soll sie beneiden. Ich will sie hoch halten: - hoeher als meine Seele." Er hielt inne, sehr erregt, wie auf rasche Antwort wartend. Valerius schwieg, er suchte nach einem Ausweg: - es war nur eine Sekunde: aber der Anschein nur, dass sich der Vater besinne, empoerte den Korsen. Sein Blut kochte auf, sein schoenes bronzefarbenes Antlitz, eben noch beinahe weich und mild, nahm ploetzlich einen furchtbaren Ausdruck an: dunkelrote Glut schoss in die braunen Wangen. "Furius Ahalla," sprach er rasch und hastig, "ist nicht gewoehnt, zweimal zu bieten. Man pflegt meine Ware aufs erste Angebot mit beiden Haenden zu ergreifen -: nun biete ich mich selbst: - ich bin, bei Gott, nicht schlechter als mein Purpur" - "Mein Freund," hob der Alte an, "wir leben nicht mehr in der Zeit alten, strengen Roemerbrauchs: der neue Glaube hat den Vaetern fast das Recht genommen, die Toechter zu vergeben. Mein Wille wuerde sie dir und keinem andern geben, aber ihr Herz" ... - "Sie liebt einen andern!" knirschte der Korse, "wen?" Und seine Faust fuhr an den Dolch, als sollte der Nebenbuhler keinen Augenblick mehr atmen. Es lag etwas vom Tiger in dieser Bewegung und im Funkeln des rollenden Auges. Valerius empfand, wie toedlich dieser Hass und wollte den Namen nicht nennen. - "Wer kann es sein?" fragte halblaut der Wuetende. "Ein Roemer? Montanus? Nein! O nur - nur nicht er - sag' nein, Alter, nicht Er" .. - Und er fasste ihn am Gewande. "Wer? wen meinst du?" "Der mit mir landete - der Gote: doch ja: er muss es sein, es liebt ihn ja alles: - Totila!" "Er ist's!" sagte Valerius und suchte beguetigend seine Hand zu fassen. Doch mit Schrecken liess er sie los: ein zuckender Krampf ruettelte den ehernen Leib des starken Korsen: er streckte beide Haende starr vor sich hin als wollte er den Schmerz, der ihn quaelte, erwuergen. Dann warf er das Haupt in den Nacken und schlug sich die beiden geballten Faeuste grausam gegen die Stirn, den Kopf schuettelnd und laut auflachend. Entsetzt sah Valerius diesem Toben zu, endlich glitten die gepressten Haende langsam herab und zeigten ein aschenfahles Antlitz. "Es ist aus," sagte er dann mit bebender Stimme. "Es ist ein Fluch, der mich verfolgt: ich soll nicht gluecklich werden im Weibe. Schon einmal, - hart vor der Erfuellung -! Und jetzt, - ich weiss es, - Valerias Seelenzucht und klare Ruhe haette auch in mein wild schaeumendes Leben rettenden Frieden gebracht: - ich waere anders geworden, - - besser. Und sollte es nicht sein" - hier funkelte sein Auge wieder - "nun, so waer' es fast das gleiche Glueck gewesen, den Raeuber dieses Gluecks zu morden. Ja, in seinem Blute haette ich gewuehlt und von der Leiche die Braut hinweggerissen - und nun ist Er es! Er, der einzige, dem Ahalla Dank schuldet - und welchen Dank" - - - Und er schwieg, mit dem Haupte nickend und wie verloren in Erinnerung. "Valerius," rief er dann ploetzlich sich aufraffend, "ich weiche keinem Mann auf Erden: - ich haett' es nicht getragen, hinter einem andern zurueckzustehen - doch Totila! - Es sei ihr vergeben, dass sie mich ausschlaegt, weil sie Totila gewaehlt. Leb wohl, Valerius, ich geh' in See, nach Persien, Indien - ich weiss nicht, wohin - ach ueberallhin nehm' ich diese Stunde mit." Und rasch war er hinaus und gleich darauf entfuehrte ihn sein pfeilgeschwindes Bot dem kleinen Hafen der Villa. - Seufzend verliess Valerius das Gemach, seine Tochter zu suchen. Er traf im Atrium auf Totila, der sich schon wieder verabschiedete. Er war nur gekommen, zu rascher Rueckreise nach Neapolis zu treiben. Denn Belisar habe sich wieder von Afrika abgewendet und kreuze bei Panormus: jeden Tag koenne die Landung auf Sicilien, in Italien selbst erfolgen und trotz all' seines Dringens sende der Koenig keine Schiffe. In den naechsten Tagen wolle er selbst nach Sicilien, sich Gewissheit zu schaffen. Die Freunde seien daher hier voellig unbeschuetzt: und er beschwor den Vater Valerias, sofort auf dem Landwege nach Neapolis heimzukehren. Aber den alten Soldaten empoerte es, vor den Griechen fluechten zu sollen: vor drei Tagen koenne und wolle er nicht weichen von seinen Geschaeften, und kaum war er von Totila zu bestimmen, eine Schar von zwanzig Goten zur notduerftigsten Deckung anzunehmen. Mit schwerem Herzen stieg Totila in seinen Kahn und liess sich an Bord des Wachschiffes zurueckbringen. Es war dunkler Abend geworden als er dort ankam, ein Nebelschleier verhuellte die Dinge in naechster Naehe. Da scholl Ruderschlag von Westen her und ein Schiff, kenntlich an der roten Leuchte an dem hohen Mast, bog um die Spitze eines kleinen Vorgebirges. Totila lauschte und fragte seine Wachen: "Segel zur Linken! was fuer Schiff? was fuer Herr?" "Schon angezeigt vom Mastkorb:" - hallte es wieder - "Kauffahrer - Furius Ahalla - lag hier vor Anker." "Faehrt wohin?" "Nach Osten - nach Indien!" - Zehntes Kapitel. Am Abend des dritten Tages seit Totila die gotische Bedeckung geschickt, hatte Valerius endlich seine Geschaefte beendet und auf den andern Morgen die Abreise festgesetzt. Er sass mit Valeria und Julius beim Nachtmahl und sprach von den Aussichten auf Erhaltung des Friedens, die des jungen Helden Kriegesdurst doch wohl unterschaetzt habe: es war dem Roemer ein unertraeglicher Gedanke, dass "Griechen" das teure Italien in Waffen betreten sollten. "Auch ich wuensche den Frieden," sprach Valeria, nachsinnend - "und doch -" "Nun?" fragte Valerius. "Ich bin gewiss, du wuerdest," vollendete das Maedchen, "im Krieg erst Totila so lieben lernen, wie er es verdient: er wuerde fuer mich streiten und fuer Italien." - "Ja," sagte Julius, "es steckt in ihm ein Held und Groesseres als das." - "Ich kenne nichts Groesseres," antwortete Valerius. Da erschollen auf dem Marmorestrich des Atriums klirrende Schritte und der junge Thorismuth, der Anfuehrer der zwanzig Goten und Totilas Schildtraeger, trat hastig ein. "Valerius," sprach er schnell, "lass die Wagen anschirren, - die Saenften in den Hof - ihr muesst fort." Die Drei sprangen auf: "Was ist geschehn - sind sie gelandet?" - "Rede," sprach Julius, "was macht dich besorgt?" - "Fuer mich nichts," lachte der Gote, "und euch wollt ich nicht frueher schrecken als unvermeidlich. Aber ich darf nicht mehr schweigen - gestern frueh spuelte die Flut eine Leiche ans Land ... -" "Eine Leiche?" - "Einen Goten von unsrer Schiffsmannschaft - es war Alb, der Steuermann auf Totilas Schiff." Valeria erbleichte, aber erbebte nicht. "Das kann ein Zufall sein - er ist ertrunken." - "Nein," sagte der Gote fest, "er ist nicht ertrunken: es stak ein Pfeil in seiner Brust." - "Das deutet auf einen Kampf zur See! Nicht auf mehr!" meinte Valerius. "Aber heute -" "Heute?" fragte Julius. - "Heute sind alle Landleute ausgeblieben, die sonst taeglich von Regium hier durch nach Colum gehen. Auch ein Reiter, den ich auf Kundschaft nach Regium schickte, ist nicht zurueckgekommen." - "Beweist noch immer nichts," sprach Valerius eigensinnig. - Sein Herz straeubte sich gegen den Gedanken einer Landung der Verhassten solang als moeglich - "oft schon hat die Brandung die Strasse gesperrt." "Aber als ich selbst soeben auf der Strasse nach Regium vorging und das Ohr auf die Erde legte, hoerte ich die Erde zittern unter dem Hufschlag von vielen Rossen, die in rasender Eile nahen. Ihr muesst fliehn." Jetzt griffen Valerius und Julius zu den Waffen, die an den Pfeilern des Gemaches hingen, Valeria legte schwer atmend die Hand aufs Herz: "Was ist zu thun?" fragte sie. "Besetzt den Engpass von Jugum," befahl Valerius, "in den die Strasse laengs der Kueste verlaeuft: er ist schmal; er ist lange zu halten." - "Er ist schon besetzt von acht meiner Goten, ich fliege hin, sobald ihr zu Pferde sitzt, die Haelfte meiner Schar deckt eure Reise: eilt." Aber ehe sie das Gemach verlassen konnten, stuerzte ein gotischer Krieger, mit Schlamm und Blut bedeckt, herein: "flieht," rief er, "sie sind da!" - "Wer ist da, Gelaris?" fragte Thorismuth. - "Die Griechen! Belisar! der Teufel!" - "Rede," befahl Thorismuth. - "Ich kam bis in den Pinienwald von Regium, ohne etwas Verdaechtiges zu spueren, freilich auch ohne einer Seele auf der Strasse zu begegnen. Als ich an einem dicken Baumstamm vorbeireite, eifrig vorwaerts spaehend, fuehle ich einen Ruck am Halse, als risse mir ein Blitz den Kopf von den Schultern und im Nu lag ich unter meinem Tier am Boden .... -" "Schlecht gesessen, o Gelaris!" schalt Thorismuth. - "Jawohl, eine Rosshaarschlinge ums Genick und eine Bleikugel an den Kopf geschnellt, da faellt auch ein besserer Reitersmann als Gelaris, Genzos Sohn. Zwei Unholde - Waldschraten oder Alraunen acht' ich sie aehnlich - setzten aus dem Busch ueber den Graben, banden mich auf mein Pferd, nahmen mich zwischen ihre kleinen, zottigen Gaeule - und hui ..." - "Das sind die Hunnen Belisars!" rief Valerius. "Jagten sie mit mir davon. - Als ich wieder ganz zu mir gekommen, war ich in Regium, mitten unter den Feinden, dort erfuhr ich denn alles. Die Regentin ist ermordet, der Krieg ist erklaert, die Feinde haben Sicilien ueberrascht, die ganze Insel ist zum Kaiser abgefallen - -" - "Und das feste Panormus?" "Fiel durch die Flotte, die in den Hafen drang: die Mastkoerbe waren hoeher als die Mauern der Stadt: von den Masten schossen und sprangen sie herab." - "Und Syrakusae?" fragte Valerius. "Fiel durch Verrat der Sicilianer - die Goten der Besatzung sind ermordet: in Syrakusae ist Belisarius eingeritten unter einem Blumenregen, als scheidender Konsul des Jahres - denn es war am letzten Tage seines Konsulats - Goldmuenzen streuend, unter Haendeklatschen alles Volks." - "Und wo ist der Seegraf? wo ist Totila?" - "Zwei seiner drei Schiffe sind in den Grund gebohrt, vom Schnabelstosse der Trieren. Sein Schiff und noch eins: er sprang ins Meer mit voller Ruestung - und ist - noch nicht - aufgefischt." Da sank Valeria schweigend auf das Lager. "Der Griechenfeldherr," fuhr der Bote fort, "landete gestern in dunkler stuermischer Nacht bei Regium: die Stadt hat ihn mit Jubel aufgenommen; er ordnet nur sein Heer, dann solls im Fluge nach Neapolis gehen: seine Vorhut, die gelbhaeutigen Reiter, die mich eingebracht, mussten sogleich wieder umkehren und den Pass gewinnen. Ich sollte ihnen Fuehrer dahin sein. Ich fuehrte sie weit ab - nach Westen - in den Meeressumpf und - entsprang ihnen im Dunkel - des Abends - aber - sie schickten mir - Pfeile nach - und einer traf - ich kann nicht mehr." - Und klirrend stuerzte der Mann zu Boden. "Er ist verloren!" sprach Valerius, "sie fuehren vergiftetes Geschoss! Auf, Julius und Thorismuth, ihr geleitet mein Kind auf der Strasse gen Neapolis: ich gehe in den Pass und decke euch den Ruecken." Vergebens waren die Bitten Valerias: Gesicht und Haltung des Alten nahmen einen Ausdruck eisernen Entschlusses an. "Gehorcht!" befahl er den Widerstrebenden, "ich bin der Herr dieses Hauses, der Sohn dieses Landes, und ich will die Hunnen Belisars fragen, was sie zu thun haben in meinem Vaterland. Nein, Julius! Dich muss ich bei Valeria wissen - lebet wohl." Waehrend Valeria mit ihrer gotischen Bedeckung und mit den meisten der Sklaven spornstreichs auf der Strasse nach Neapolis hinwegeilte, stuermte Valerius mit Schild und Schwert einem halben Dutzend Sklaven voran, zum Garten der Villa hinaus, nach dem Engpass zu, der nicht weit vor dem Anfang seiner Besitzungen die Strasse nach Regium ueberwoelbte. Der Felsenbogen zur Linken, im Norden, war unuebersteiglich und zur Rechten, nach Sueden, fielen jene Waende senkrecht in das tiefe Meer, dessen Brandung oft die Strasse ueberflutete. Die Muendung des Passes aber war so schmal, dass zwei nebeneinanderstehende Maenner sie mit ihren Schilden wie eine Pforte schliessen konnten: so durfte Valerius hoffen, den Pass auch gegen grosse Uebermacht lang genug zu decken, um den raschen Pferden der Fliehenden hinlaenglichen Vorsprung zu gewaehren. Waehrend der Alte den schmalen Pfad, der sich zwischen dem Meere und seinen Weinbergen nach dem Engpass hinzog, durch die mondlose Nacht vorwaerts eilte, bemerkte er zur Rechten, draussen, in ziemlicher Entfernung vom Lande, im Meer den hellen Strahl eines kleinen Lichtes, das offenbar von dem Mast eines Schiffes niederleuchtete. Valerius erschrak: sollten die Byzantiner zur See gegen Neapolis vorruecken? Sollten sie Bewaffnete in seinem und des Engpasses Ruecken ans Land werfen wollen? Aber wuerden sich dann nicht mehrere Lichter zeigen? Er wollte die Sklaven fragen, die auf seinen Befehl, aber schon mit sichtlichem Widerwillen, ihm aus der Villa gefolgt waren. Umsonst: sie waren verschwunden in dem Dunkel der Nacht. Sie waren dem Herrn entwischt, sobald dieser ihrer nicht mehr achtete. So kam Valerius allein an dem Engpass an, dessen hintere Muendung zwei der gotischen Wachen besetzt hielten, waehrend zwei andere den oestlichen, dem Feinde zugekehrten Eingang ausfuellten und die uebrigen vier in dem innern Raum hielten. Kaum war Valerius dicht hinter die beiden vordersten Waechter getreten, als man ploetzlich ganz nahes Pferdegetrappel vernahm: und alsbald bogen um die letzte Kruemmung, welche die Strasse vor dem Pass um eine Felsennase machte, zwei Reiter im vollen Trabe. Beide trugen Fackeln in der Rechten: es warfen nur diese Fackeln Licht auf die naechtliche Scene: denn die Goten vermieden alles, was ihre kleine Zahl verraten konnte. "Beim Barte Belisars!" schalt der vorderste der Reiter, in Schritt uebergehend, "hier wird der Katzensteig so schmal, dass kaum ein ehrlich Ross drauf Platz hat, - und da koemmt noch ein Hohlweg oder - halt, was ruehrt sich da?" Und er hielt sein Pferd an und bog sich, die Fackel weit vor sich streckend, vorsichtig nach vorn: so bot er dicht vor dem Eingang, in dem Licht seiner Kienfackel ein bequemes Ziel. "Wer ist da?" rief er seinem Begleiter nochmals zu. Da fuhr ein gotischer Wurfspeer durch die breiten Panzerringe in seine Brust. "Feinde, weh!" schrie der Sterbende und stuerzte ruecklings aus dem Sattel. "Feinde, Feinde!" rief der Mann hinter ihm, schleuderte die verderbliche Fackel weit von sich ins Meer, warf sein Pferd herum und jagte zurueck, waehrend das Tier des Gefallenen ruhig stehen blieb bei der Leiche seines Herrn. Nichts hoerte man jetzt in der Stille der Nacht als den Hufschlag des enteilenden Rosses, und, zur Rechten des Passes, den leisen Schlag der Wellen am Fusse der Felswand. Den Maennern im Engpass schlug das Herz in Erwartung. "Jetzt bleibt kalt, ihr Maenner," mahnte Valerius, "lasse sich keiner aus dem Passe locken. Ihr in der ersten Reihe schliesst die Schilde fest aneinander und streckt die Lanzen vor: wir in der Mitte werfen. Ihr drei im Ruecken reicht uns die Speere und habt acht auf alles -." "Herr," rief der Gote, der hinter dem Passe auf der Strasse stand, "das Licht! das Schiff naehert sich immer mehr." "Hab' acht und ruf' es an, wenn -" Aber schon waren die Feinde da, deren Vorhut die beiden Spaeher gebildet hatten: es war ein Trupp von fuenfzig hunnischen Reitern, mit einigen Fackeln. Wie sie um die Kruemmung des Weges bogen, erhellte sich die Scene mit wechselndem, grellem Licht neben tiefem Dunkel. "Hier war es, Herr!" sprach der entkommene Reiter, "seht euch vor." - "Schafft den Toten zurueck und das Ross!" sprach eine rauhe Stimme und der Anfuehrer, eine Fackel erhebend, ritt im Schritt gegen den Eingang vor. "Halt!" rief ihm Valerius auf lateinisch entgegen, "wer seid ihr und was wollt ihr?" - "Das habe ich zu fragen!" entgegnete der Fuehrer der Reiter in derselben Sprache. - "Ich bin ein roemischer Buerger und verteidige mein Vaterland gegen Raeuber." Der Anfuehrer hatte unterdessen im Licht seiner Fackel die ganze Oertlichkeit besehen: sein geuebtes Auge erkannte die Unmoeglichkeit, links oder rechts den Engpass zu umgehen und zugleich die Enge seiner Muendung. "Freund," sagte er etwas zurueckweichend, "so sind wir Bundesgenossen. Auch wir sind Roemer und wollen Italien von seinen Raeubern befreien. Also gieb Raum und lass uns durch." Valerius, der in jeder Weise Zeit gewinnen wollte, sprach: "Wer bist du und wer sendet dich?" - "Ich heisse Johannes: die Feinde Justinians nennen mich "den blutigen": und ich fuehre die leichten Reiter Belisars. Alles Land von Regium bis hierher hat uns mit Jubel aufgenommen: hier ist das erste Hemmnis; laengst waeren wir weiter, haett' uns nicht ein Hund von einem Goten in den dicksten Sumpf gefuehrt, drin je ein guter Gaul versank. Koestliche Zeit ging uns verloren. Halt' uns nicht auf! Leben und Habe ist dir gesichert, und reicher Lohn, wenn du uns fuehren willst. Eile ist der Sieg. Die Feinde sind betaeubt: sie duerfen sich nicht besinnen, bis wir vor Neapolis stehen, ja vor Rom. "Johannes," sprach Belisar zu mir, "da ich's dem Sturmwind nicht befehlen kann, vor mir her durch dieses Land zu fegen, befehl ich's dir." Also fort und lasst uns durch -." Und er spornte sein Pferd. "Sag Belisar, solange Cnejus Valerius lebt, soll er keinen Fuss breit vorwaerts in Italien. Zurueck, ihr Raeuber!" - "Verrueckter Mensch! du haeltst es mit den Goten gegen uns?" - "Mit der Hoelle -, wenn gegen euch." Der Fuehrer warf nochmals pruefende Blicke nach rechts und links: "Hoere," sprach er, "du kannst uns hier wirklich eine Weile aufhalten. Nicht lang. Weichst du, so sollst du leben. Weichst du nicht, so lass ich dich erst schinden und dann pfaehlen!" Und er hob die Fackel, nach einer Bloesse spaehend. "Zurueck," rief Valerius. "Schiess', Freund!" Und eine Sehne klirrte und ein Pfeil schlug an den Helm des Reiters. "Warte!" rief dieser und spornte sein Tier zurueck. "Absitzen," befahl er, "alle Mann!" Aber die Hunnen trennten sich nicht gern von ihren Rossen. "Wie, Herr? absitzen?" fragte einer der naechsten. Da schlug ihm Johannes mit der Faust ins Gesicht. Der Mann ruehrte sich nicht. "Absitzen!" donnerte er noch mal; "wollt ihr zu Pferde in das Mauseloch schluepfen?" Und er selbst schwang sich aus dem Sattel: "Sechs steigen auf die Baeume und schiessen von oben. Sechs legen sich auf die Erde, kriechen an den Seiten der Strasse vor und schiessen im Liegen. Zehn schiessen stehend, auf Brusthoehe. Zehn hueten die Pferde; die andern zwanzig folgen mir mit dem Speer, sowie die Sehnen geschwirrt. Vorwaerts." Und er gab die Fackel ab und ergriff eine Lanze. Waehrend die Hunnen seinen Befehl vollzogen, musterte Johannes noch einmal den Pass. "Ergebt euch!" rief er - "Kommt an," riefen die Goten. Da winkte Johannes und zwanzig Pfeile schwirrten zugleich. Ein Wehschrei und der vorderste Gote zur Rechten fiel: einer der Schuetzen auf den Baeumen hatte ihn in die Stirn getroffen. Rasch sprang Valerius mit dem vorgehaltenen Schild an seine Stelle. Er kam gerade recht, den wuetenden Anprall des anstuermenden Johannes aufzuhalten, der mit der Lanze in die Luecke rannte. Er fing den Lanzenstoss mit dem Schilde und schlug nach dem Byzantiner, der nahe vor dem Eingang zurueckprallte, strauchelte und niederfiel; die Hunnen hinter ihm wichen zurueck. Da konnte sich's der Gote neben Valerius nicht versagen, den feindlichen Fuehrer unschaedlich zu machen: er sprang mit gezuecktem Speer aus dem Engpass einen Schritt vorwaerts. Aber das hatte Johannes gewollt: blitzschnell hatte er sich aufgerafft, den ueberraschten Goten von der Strassenwand zur Rechten des Felsenpasses hinabgestossen, und im selben Augenblick stand er an der rechten, schildlosen Seite des Valerius, der die wieder vordringenden Hunnen abwehrte, und stiess diesem mit aller Kraft das lange Persermesser in die Weichen. Valerius brach zusammen: aber es gelang den drei hinter ihm stehenden Goten, Johannes, der schon in das Innere des Passes gedrungen war, mit ihren Schildschnaebeln wieder zurueck- und hinauszustossen. Er ging zurueck, einen neuen Pfeilregen zu befehlen. Schweigend deckten die beiden Goten wieder die Muendung, der dritte hielt den blutenden Valerius in seinen Armen. Da stuerzte die Wache von der Rueckseite in den Engpass: "Das Schiff! Herr - das Schiff! sie sind gelandet: sie fassen uns im Ruecken! Flieht, wir wollen euch tragen - ein Versteck in den Felsen." - "Nein," sprach Valerius, sich aufrichtend, "hier will ich sterben; stemme mein Schwert gegen die Wand und" - Aber da schmetterte von der Rueckseite her laut der Ruf des gotischen Heerhorns: Fackeln blitzten und eine Schar von dreissig Goten stuermte in den Pass: Totila an ihrer Spitze: sein erster Blick fiel auf Valerius: "Zu spaet, zu spaet!" rief er schmerzlich. "Aber folgt mir! Rache! hinaus!" Und wuetend brach er mit seinem speeretragenden Fussvolk aus dem Pass. Und schrecklich war der Zusammenstoss auf der schmalen Strasse zwischen Felsen und Meer. Die Fackeln erloschen in dem Getuemmel und der anbrechende Morgen gab nur ein graues Licht. Die Hunnen, obwohl an Zahl den kuehnen Angreifern ueberlegen, waren durch den ploetzlichen Ausfall voellig ueberrascht: sie glaubten, ein ganzes Heer der Goten sei im Anmarsch: sie eilten, ihre Rosse zu gewinnen und zu entfliehen; aber die Goten erreichten mit ihnen zugleich die Stelle, wo die ledigen Tiere hielten: und in wirrem Knaeuel stuerzte Mann und Ross die Felsen hinab. Umsonst hieb Johannes selbst auf seine fliehenden Leute ein: ihr Schwall warf ihn zu Boden, er raffte sich wieder auf und sprang den naechsten Goten an. Aber er kam uebel an: es war Totila, er erkannte ihn. "Verfluchter Flachskopf," schrie er, "so bist du nicht ersoffen?" "Nein, wie du siehst!" rief dieser und schlug ihm das Schwert durch den Helmkamm und noch ein Stueck in den Schaedel, dass er taumelte. Da war aller Widerstand zu Ende. Mit knapper Not hoben ihn die naechsten seiner Reiter auf ein Pferd und jagten mit ihm davon. Der Kampfplatz war geraeumt. Totila eilte nach dem Hohlweg zurueck. Er fand Valerius, bleich, mit geschlossenen Augen, das Haupt auf seinen Schild gelegt. Er warf sich zu ihm nieder und drueckte die erstarrende Hand an seine Brust. "Valerius," rief er, "Vater! scheide nicht! scheide nicht so von uns. Noch ein Wort des Abschieds." Der Sterbende schlug matt die Augen auf. "Wo sind sie?" fragte er. "Geschlagen und geflohn." - "Ah, Sieg!" atmete Valerius auf; "ich darf im Siege sterben. Und Valeria - mein Kind - sie ist gerettet?" "Sie ist es. Aus dem Seegefecht, aus dem Meer entkommen, eilte ich hierher, Neapolis zu warnen, euch zu retten. Nahe der Strasse, zwischen deinem Hause und Neapolis, war ich gelandet; dort traf ich sie und erfuhr deine Gefahr; eins meiner Schiffsboote nahm sie auf und fuehrt sie nach Neapolis: mit dem andern eilte ich hierher dich zu retten - ach nur zu raechen!" Und er senkte das Haupt auf des Sterbenden Brust. "Klage nicht um mich, ich sterbe im Sieg! Und dir, mein Sohn, dir, dank' ich es." Und wohlgefaellig streichelte er die langen Locken des Juenglings. "Und auch Valerias Rettung. O dir, dir, ich hoffe es, auch Italiens Rettung. Du bist der Held, auch dieses Land zu retten, - trotz Belisar und Narses. Du kannst es, - du wirst es - und dein Lohn sei mein geliebtes Kind." - "Valerius! Mein Vater!" - "Sie sei dein! Aber schwoere mir's," - und er richtete sich empor mit letzter Kraft und sah ihm scharf ins Auge - "schwoere mir's beim Genius Valeria's: nicht eher wird sie dein, als bis Italien frei ist und keine Scholle seines heiligen Bodens mehr einen Byzantiner traegt." "Ich schwoer' es dir," rief Totila, begeistert seine Rechte fassend, "ich schwoer's beim Genius Valerias!" "Dank, dank, mein Sohn; nun mag ich getrost sterben: - gruesse sie und sage ihr: dir hab' ich sie empfohlen und anvertraut: sie - und Italien." Und er legte das Haupt zurueck auf seinen Schild und kreuzte die Arme ueber der Brust - und war tot. Lange hielt Totila schweigend die Hand auf seiner Brust. Ein blendendes Licht weckte ihn ploetzlich aus seinem Traeumen: es war die Morgensonne, deren goldne Scheibe praechtig ueber den Kamm des Felsgebirges emportauchte: er stand auf und sah dem steigenden Gestirn entgegen. Die Fluten glitzerten in hellem Widerschein und ein Schimmer flog ueber alles Land. "Beim Genius Valerias!" wiederholte er leise mit innigster Empfindung und hob die Hand zum Schwur dem Morgenlicht entgegen. Wie der Tote fand er Kraft und Trost und Begeisterung in seinem schweren Geluebde: die hohe Pflicht erhob ihn. Gekraeftigt wandte er sich zurueck und befahl, die Leiche auf sein Schiff zu tragen, um sie nach dem Grabmal der Valerier in Neapolis zu fuehren. Elftes Kapitel. Waehrend dieser drohenden Ereignisse waren wohl freilich auch die Goten nicht voellig muessig geblieben. Doch waren alle Massregeln kraftvoller Abwehr gelaehmt, ja absichtlich vereitelt durch den feigen Verrat ihres Koenigs. Theodahad hatte sich von seiner Bestuerzung ueber die Kriegserklaerung des byzantinischen Gesandten alsbald wieder erholt, da er sich nicht von der Ueberzeugung trennen konnte und wollte, sie sei doch im Grunde nur erfolgt, um den Schein zu wahren und die Ehre des Kaiserhofes zu decken. Er hatte ja Petros nicht mehr allein gesprochen: und dieser musste doch vor Goten und Roemern einen Vorwand haben, Belisar in Italien erscheinen zu lassen. Das Auftreten dieses Mannes war ja das laengst verabredete Mittel zur Durchfuehrung der geheimen Plaene. Den Gedanken, Krieg fuehren zu sollen, - von allen ihm der unertraeglichste! - wusste er sich dadurch fern zu halten, dass er weislich ueberlegte, zum Kriegfuehren gehoeren zwei. "Wenn ich mich nicht verteidige," dachte er, "ist der Angriff bald vorueber. Belisar mag kommen: - ich will nach Kraeften dafuer sorgen, dass er auf keinen Widerstand stoesst, der des Kaisers Stimmung gegen mich nur verschlimmern koennte. Berichtet der Feldherr im Gegenteil nach Byzanz, dass ich seine Erfolge in jeder Weise befoerdert, so wird Justinian nicht anstehn, den alten Vertrag ganz oder doch zum groessten Teil zu erfuellen." In diesem Sinne handelte er, berief alle Streitkraefte der Goten zu Land und zur See aus Unteritalien, wo er die Landung Belisars erwartete, hinweg, und schickte sie massenhaft an die Ostgrenze des Reiches nach Liburnien, Dalmatien, Istrien und gen Westen nach Suedgallien, indem er, gestuetzt auf die Thatsache, dass Byzanz eine kleine Truppenabteilung nach Dalmatien gegen Salona gesendet und mit den Frankenkoenigen Gesandte gewechselt hatte, vorgab, der Hauptangriff sei von den Byzantinern zu Lande, in Istrien, und von den mit ihnen verbuendeten Franken am Rhodanus und Padus zu befahren. Die Scheinbewegungen Belisars unterstuetzten diesen Glauben: und so geschah das Unerhoerte, dass die Heerscharen der Goten, die Schiffe, die Waffen, die Kriegsvorraete in grossen Massen in aller Eile gerade vor dem Angriff hinweggefuehrt, dass Unteritalien bis Rom, ja alles Land bis Ravenna entbloesst und alle Verteidigungsmassregeln in den Gegenden vernachlaessigt wurden, auf die alsbald die ersten Schlaege der Feinde fallen sollten. An dem Dravus, Rhodanus und Padus wimmelte es von gotischen Waffen und Segeln, waehrend bei Sicilien, wie wir sahen, sogar die noetigsten Boote zum Wachtdienst fehlten. Auch das ungestueme Draengen der gotischen Patrioten besserte daran nicht viel. Witichis und Hildebad hatte sich der Koenig aus der Naehe geschafft, indem er sie mit Truppen und Auftraegen nach Istrien und nach Gallien entsandte: und dem argwoehnischen Teja leistete der alte Hildebrand, der nicht ganz den Glauben an den letzten der Amaler aufgeben wollte, zaehen Widerstand. Am meisten aber ward Theodahad gekraeftigt, als ihm seine entschlossene Koenigin zurueckgegeben wurde. Witichis war alsbald nach der Kriegserklaerung der Byzantiner mit einer gotischen Schar vor die Burg von Feretri gezogen, wo Gothelindis mit ihren pannonischen Soeldnern Zuflucht gesucht, und hatte sie bewogen, sich freiwillig wieder in Ravenna einzufinden, unter Verbuergung fuer ihre Sicherheit, bis in der bevorstehenden grossen Volks- und Heeresversammlung bei Rom ihre Sache nach allen Formen des Rechts untersucht und entschieden werde. Diese Bedingungen waren beiden Parteien genehm: denn den gotischen Patrioten musste alles daran gelegen sein, jetzt, bei dem Ausbruch des schweren Krieges, nicht durch Parteiung in der Oberleitung gespalten zu sein. Und wenn der gerade Gerechtigkeitssinn des Grafen Witichis wider jede Anklage das Recht voller Verteidigung gewahrt wissen wollte, so sah auch Teja ein, dass, nachdem der Feind die schwere Beschuldigung des Koenigsmordes auf das ganze Volk der Goten geschleudert, nur ein strenges und feierliches Verfahren in allen Formen, nicht eine stuermische Volksjustiz auf blinden Argwohn hin, die Volksehre wahren koenne. Gothelindis aber blickte jenem Verfahren mit kuehner Stirn entgegen: mochten die Stimmen innerer Ueberzeugung auch gegen sie sprechen, sie glaubte ganz sicher zu sein, dass sich ein genuegender Beweis ihrer That nicht erbringen lasse. - Hatte doch nur ihr Auge das Ende der Feindin gesehen. - Und sie wusste wohl, dass man sie ohne volle Ueberfuehrung nicht strafen werde. So folgte sie willig nach Ravenna, floesste dem zagen Herzen ihres Gatten neuen Mut ein und hoffte, war nur der Gerichtstag ueberstanden, alsbald im Lager Belisars und am Hofe von Byzanz Ruhe von allen weitern Anfechtungen zu finden. Die Zuversicht des Koenigspaares ueber den Ausgang jenes Tages wurde nun noch dadurch erhoeht, dass die Ruestungen der Franken ihnen den Vorwand gegeben hatten, ausser Witichis und Hildebad auch noch den gefaehrlichen Grafen Teja mit einer dritten Heerschar in den Nordwesten der Halbinsel zu entsenden: - mit ihm zogen viele Tausende gerade der eifrigsten Anhaenger der Gotenpartei, - so dass an dem Tag bei Rom eine von ihren Gegnern nicht allzuzahlreich besuchte Versammlung sich einfinden wuerde. - Und unablaessig waren sie thaetig, sowohl ihre persoenlichen Anhaenger als alte Gegner Amalaswinthens, die maechtige Sippe der Balten in ihren weitverbreiteten Zweigen, in moeglichst grosser Anzahl zur Entscheidung jenes Tages heranzuziehen. So hatte das Koenigspaar Ruhe und Zuversicht gewonnen. Und Theodahad war von Gothelindis bewogen worden, selbst als Vertreter seiner Gemahlin gegen jede Anklage unter den Goten zu erscheinen, um durch solchen Mut und den Glanz des koeniglichen Ansehens vielleicht von vornherein alle Widersacher einzuschuechtern. Umgeben von ihren Anhaengern und einer kleinen Leibwache verliessen Theodahad und Gothelindis Ravenna und eilten nach Rom, wo sie mehrere Tage vor dem fuer die Versammlung anberaumten Termin eintrafen und in dem alten Kaiserpalast abstiegen. Nicht unmittelbar vor den Mauern, sondern in der Naehe Roms, auf einem freien offnen Felde, Regeta genannt, zwischen Anagni und Terracina, sollte die Versammlung gehalten werden. Frueh am Morgen des Tages, da sich Theodahad allein auf die Reise dorthin aufmachen wollte und von Gothelindis Abschied nahm, liess sich ein unerwarteter und unwillkommener Name melden: Cethegus, der waehrend ihres mehrtaegigen Aufenthalts in der Stadt nicht erschienen: er war vollauf mit der Vollendung der Befestigungen beschaeftigt. Als er eintrat, rief Gothelindis entsetzt ueber seinen Ausdruck: "Um Gott, Cethegus! welch ein Unheil bringst du?" Aber der Praefekt furchte nur einen Augenblick die Stirn bei ihrem Anblick, dann sprach er ruhig: "Unheil? fuer den, den's trifft. Ich komme aus einer Versammlung meiner Freunde, wo ich zuerst erfuhr, was bald ganz Rom wissen wird: Belisar ist gelandet." "Endlich," rief Theodahad. - Und auch die Koenigin konnte eine Miene des Triumphs nicht verbergen. "Frohlockt nicht zu frueh! Es kann euch reuen. Ich komme nicht, Rechenschaft von euch und eurem Freunde Petros zu verlangen: wer mit Verraetern handelt, muss sich aufs Luegen gefasst machen. Ich komme nur, um euch zu sagen, dass ihr jetzt ganz gewiss verloren seid." "Verloren?" - "Gerettet sind wir jetzt!" "Nein, Koenigin. Belisar hat bei der Landung ein Manifest erlassen: er sagt, er komme, die Moerder Amalaswinthens zu strafen; ein hoher Preis und seine Gnade ist denen zugesichert, die euch lebend oder tot einliefern." Theodahad erbleichte. "Unmoeglich!" rief Gothelindis. "Die Goten aber werden bald erfahren, wessen Verrat den Feind ohne Widerstand ins Land gelassen. Mehr noch. Ich habe von der Stadt Rom den Auftrag, in dieser stuermischen Zeit als Praefekt ihr Wohl zu wahren. Ich werde euch im Namen Roms ergreifen und Belisar uebergeben lassen." "Das wagst du nicht!" rief Gothelindis nach dem Dolche greifend. "Still, Gothelindis, hier gilt es nicht, hilflose Frauen im Bad ermorden. Ich lasse euch aber entkommen - was liegt mir an eurem Leben oder Sterben! - gegen einen billigen Preis." "Ich gewaehre jeden!" stammelte Theodahad. "Du lieferst mir die Urkunden aus deiner Vertraege mit Silverius: - schweig! luege nicht! ich weiss, ihr habt lang und geheim verhandelt. Du hast wieder einmal einen huebschen Handel mit Land und Leuten getrieben! Mich luestet nach dem Kaufbrief." "Der Kauf ist jetzt eitel! die Urkunden ohne Kraft! Nimm sie! sie liegen verwahrt in der Basilika des heiligen Martinus, in dem Sarkophag, links in der Krypta!" Seine Furcht zeigte, dass er wahr sprach. "Es ist gut," sagte Cethegus. "Alle Ausgaenge des Palastes sind von meinen Legionaeren besetzt. Erst erhebe ich die Urkunden. Fand ich sie am bezeichneten Ort, so werd' ich Befehl geben, euch zu entlassen. Wollt ihr dann entfliehn, so geht an die Pforte Marc Aurels und nennt meinen Namen dem Kriegstribun der Wache, Piso. Er wird euch ziehen lassen." Und er ging, das Paar ratlosen Aengsten ueberlassend. "Was thun?" fragte Gothelindis mehr sich selbst als ihren Gemahl. "Weichen oder trotzen?" - "Was thun?!" wiederholte Theodahad unwillig. "Trotzen? das heisst bleiben? Unsinn! fort von hier sobald als moeglich; kein Heil als die Flucht!" - "Wohin willst du fliehn?" - "Nach Ravenna zunaechst - das ist fest! Dort erheb' ich den Koenigsschatz. Von da, wenn es sein muss, zu den Franken. Schade, schade, dass ich die hier verborgnen Gelder preisgeben muss. Die vielen Millionen Solidi!" - "Hier? auch hier," fragte Gothelindis aufmerksam "in Rom hast du Schaetze geborgen. Wo? und sicher?" - "Ach, allzusicher! In den Katakomben! Ich selber wuerde Stunden brauchen, sie alle aufzufinden in jenen finstern Labyrinthen. Und die Minuten sind jetzt Leben oder Tod. Und das Leben geht doch noch ueber die Solidi! Folge mir, Gothelindis. Damit wir keinen Augenblick verlieren; ich eile an die Pforte Marc Aurels." Und er verliess das Gemach. Aber Gothelindis blieb ueberlegend stehn. Ein Gedanke, ein Plan hatte sie bei seinen Worten erfasst: sie erwog die Moeglichkeit des Widerstands. Ihr Stolz ertrug es nicht, der Herrschaft zu entsagen. "Gold ist Macht," sprach sie zu sich selber, "und nur Macht ist Leben." Ihr Entschluss stand fest. Sie gedachte der kappadokischen Soeldner, die des Koenigs Geiz aus seinem Dienst verscheucht hatte; sie harrten noch herrenlos in Rom, der Einschiffung gewaertig. Sie hoerte Theodahad hastig die Treppe hinunter steigen und nach seiner Saenfte rufen. "Ja, fluechte nur, du Erbaermlicher!" sprach sie, "ich bleibe." Zwoelftes Kapitel. Herrlich tauchte am naechsten Morgen die Sonne aus dem Meer: und ihre Strahlen glitzerten auf den blanken Waffen von vielen tausend Gotenkriegern, die das weite Blachfeld von Regeta belebten. Aus allen Provinzen des weiten Reiches waren die Scharen herbeigeeilt, gruppenweise, sippenweise, oft mit Weib und Kind, sich bei der grossen Musterung, die alljaehrlich im Herbste gehalten wurde, einzufinden. Eine solche Volksversammlung war das schoenste Fest und der edelste Ernst der Nation zugleich: urspruenglich, in der heidnischen Zeit, war ihr Mittelpunkt das grosse Opferfest gewesen, das alljaehrlich zweimal, an der Winter- und Sommer-Sonnenwende, alle Geschlechter des Volkes zur Verehrung der gemeinsamen Goetter vereinte: daran schlossen sich dann Markt- und Tausch-Verkehr, Waffenspiele und Heeresmusterung: die Versammlung hatte zugleich die hoechste Gerichtsgewalt und die letzte Entscheidung ueber Krieg und Frieden und die Verhaeltnisse zu andern Staaten. Und noch immer, auch in dem christlichen Gotenstaat, in welchem der Koenig so manches Recht, das sonst dem Volke zukam, erworben, hatte die Volksversammlung eine hoechst feierliche Weihe, wenn auch deren alte heidnische Bedeutung vergessen war: und die Reste der alten Volksfreiheit, die selbst der gewaltige Theoderich nicht angetastet, lebten unter seinen schwaechern Nachfolgern kraeftiger wieder auf. Noch immer hatte die Gesamtheit der freien Goten das Urteil zu finden, die Strafe zu verhaengen, wenn auch der Graf des Koenigs in dessen Namen das Gericht leitete und das Urteil vollzog. Und oft schon hatten germanische Voelker selbst ihre Koenige wegen Verrates, Mordes und andrer schwerer Frevel vor offner Volksversammlung angeklagt, gerichtet und getoetet. In dem stolzen Bewusstsein, sein eigner Herr zu sein und niemand, auch dem Koenig nicht, ueber das Mass der Freiheit hinaus zu dienen, zog der Germane in allen seinen Waffen zu dem "Ding" wo er sich im Verband mit seinen Genossen sicher und stark fuehlte und seine und seines Volkes Freiheit, Kraft und Ehre in lebendigen Bildern und Thaten vor Augen sah. Zur diesmaligen Versammlung aber zog es die Goten mit besonders starken Gruenden. Der Krieg mit Byzanz war zu erwarten oder schon ausgebrochen, als die Ladung nach Regeta erging: das Volk freute sich auf den Kampf mit dem verhassten Feind und freute sich, zuvor seine Heeresmacht zu mustern: diesmal ganz besonders sollte die Volksversammlung zugleich Heerschau sein. Dazu kam, dass wenigstens in den naechsten Landschaften den meisten Goten bekannt wurde, dort zu Regeta sollte Gericht gehalten werden ueber die Moerder der Tochter Theoderichs: die grosse Aufregung, die diese That erweckt hatte, musste ebenfalls maechtig nach Regeta ziehn. Waehrend ein Teil der Herbeigewanderten in den naechsten Doerfern bei Freunden und Verwandten eingesprochen, hatten sich grosse Scharen schon einige Tage vor der feierlichen Eroeffnung auf dem weiten Blachfeld selbst, zweihundertachtzig Stadien (gegen sechsunddreissig roemische Meilen zu tausend Schritt) von Rom, unter leichten Zelten und Huetten oder auch unter dem milden freien Himmel gelagert. Diese waren mit den fruehsten Stunden des Versammlungstages schon in brausender Bewegung und nuetzten die geraume Zeit, da sie die alleinigen Herrn des Platzes waren, zu allerlei Spiel und Kurzweil. Die einen schwammen und badeten in den klaren Fluten des raschen Flusses Ufens (oder "Decemnovius", weil er nach neunzehn roemischen Meilen bei Terracina in das Meer muendet), der die weite Ebene durchschnitt. Andere zeigten ihre Kunst, ueber ganze Reihen von vorgehaltenen Speeren hinwegzusetzen oder, fast unbekleidet, unter den im Taktschlag geschwungenen Schwertern zu tanzen, indes die Raschfuessigsten, angeklammert an die Maehnen ihrer Rosse, mit deren schnellstem Lauf gleichen Schritt hielten und, am Ziele angelangt, mit sichrem Sprung sich auf den sattellosen Ruecken schwangen. "Schade," rief der junge Gudila, der bei diesem Wettlauf zuerst an das Ziel gelangt war und sich jetzt die gelben Locken aus der Stirne strich, "schade, dass Totila nicht zugegen! Er ist der beste Reiter im Volk und hat mich noch immer besiegt; aber jetzt, mit dem Rappen, nehm' ich's mit ihm auf." - "Ich bin froh, dass er nicht da ist," lachte Gunthamund, der als der zweite herangesprengt war, "sonst haette ich gestern schwerlich den ersten Preis im Lanzenwurf davongetragen." - "Ja," sprach Hilderich, ein stattlicher junger Krieger in klirrendem Ringpanzer, "Totila ist gut mit der Lanze. Aber sichrer noch wirft der schwarze Teja: der nennt dir die Rippe vorher, die er treffen wird." - "Bah," brummte Hunibad, ein aelterer Mann, der dem Treiben der Juenglinge pruefend zugesehn, "das ist doch all' nur Spielerei. Im blutigen Ernste frommt dem Mann zuletzt doch nur das Schwert: wann dir der Tod von allen Seiten so dicht auf den Leib rueckt, dass du nicht mehr ausholen kannst zum Wurf. Und da lob' ich mir den Grafen Witichis von Faesulae! Das ist mein Mann! War das ein Schaedelspalten, im Gepidenkrieg! Durch Stahl und Leder schlug der Mann als waer' es trocken Stroh. Der kann's noch besser als mein eigner Herzog, Guntharis, der Woelsung, in Florentia. Doch was wisst ihr davon, ihr Knaben. - Seht, da steigen die fruehesten Ankoemmlinge von den Huegeln nieder: auf! ihnen entgegen!" Und aus allen Wegen stroemte jetzt das Volk heran: zu Fuss, zu Ross und zu Wagen. Ein brausendes, wogendes Leben erfuellte mehr und mehr das Blachfeld. An den Ufern des Flusses, wo die meisten Zelte standen, wurden die Rosse abgezaeumt, die Gespanne zu einer Wagenburg zusammengeschoben und durch die Lagergassen hin flutete nun die stuendlich wachsende Menge. Da suchten und fanden und begruessten sich Freunde und Waffenbrueder, die sich seit Jahren nicht gesehn. Es war ein buntgemischtes Bild: die alte germanische Gleichartigkeit war in diesem Reiche lang geschwunden. Da stand neben dem vornehmen Edeln, der sich in einer der reichen Staedte Italiens niedergelassen, in den Palaesten senatorischer Geschlechter wohnte und die feinere und ueppigere Sitte der Welschen angenommen hatte, neben dem Herzog oder Grafen aus Mediolanum oder Ticinum, der ueber dem reichvergoldeten Panzer das Wehrgehaenge von Purpurseide trug, neben einem solchen zieren Herrn ragte wohl ein rauher, riesiger Gotenbauer, der in den tiefen Eichwaeldern am Margus in Moesien hauste oder der in dem Tann am rauschenden Oenus dem Wolf die zottige Schur abgerungen hatte, die er um die maechtigen Schultern schlug, und dessen rauher erhaltne Sprache befremdlich an das Ohr der halbromanisierten Genossen schlug. Und wieder friedliche Schafhirten aus Dakien, die, ohne Acker und ohne Haus, mit ihren Herden von Weide zu Weide wanderten, ganz in derselben Weise noch, welche die Ahnen vor tausend Jahren aus Asien heruebergefuehrt hatte. Da war ein reicher Gote, der in Ravenna oder Rom eines roemischen Geldwechslers Kind geheiratet und bald Handel und Verkehr gleich seinem roemischen Schwager zu treiben und seinen Gewinn nach Tausenden zu berechnen gelernt hatte. Und daneben stand ein armer Senne, der an dem brausenden Isarkus die magern Ziegen auf die magre Weide trieb, und dicht neben der Hoehle des Baeren seine Bretterhuette errichtet hatte. So verschieden war den Tausenden, die sich hier zusammenfanden, das Los gefallen, seit ihre Vaeter dem Ruf des grossen Theoderich nach Westen gefolgt waren, hinweg aus den Thaelern des Haemus. Aber doch fuehlten sie sich als Brueder, als Soehne Eines Volkes: dieselbe stolzklingende Sprache redeten sie, dieselben Goldlocken, dieselbe schneeweisse Haut, dieselben hellen blitzenden Augen und - vor allem - das gleiche Gefuehl in jeder Brust: als Sieger stehen wir auf dem Boden, den unsre Vaeter dem roemischen Weltreich abgetrotzt, und den wir decken wollen, lebendig oder tot. Wie ein ungeheurer Bienenschwarm wogten und rauschten die Tausende durcheinander, die sich hier begruessten, alte Bekanntschaften aufsuchten und neue schlossen und das wirre Getreibe schien nimmer enden zu wollen und zu koennen. Aber ploetzlich toenten von dem Kamm der Huegel her eigentuemliche, feierlich gezogene Toene des gotischen Heerhorns: und augenblicklich legte sich das Gesumme der brausenden Stimmen. Aufmerksam wandten sich aller Augen nach der Richtung der Huegel, von denen ein geschlossener Zug ehrwuerdiger Greise nahte. Es war ein halbes Hundert von Maennern in weissen, wallenden Maenteln, die Haeupter eichenbekraenzt, weisse Staebe und altertuemlich geformte Steinbeile fuehrend: die Sajonen und Fronwaerter des Gerichts, welche die feierlichen Formen der Eroeffnung, Hegung und Aufhebung des Dings zu vollziehen hatten. Angelangt in der Ebene begruessten sie mit dreifachem, langgezogenem Hornruf die Versammlung der freien Heermaenner, die, nach feierlicher Stille, mit klirrenden Waffen laermend antworteten. Alsbald begannen die Bannboten ihr Werk. Sie teilten sich nach rechts und links und umzogen mit Schnueren von roter Wolle, die alle zwanzig Schritt um einen Haselstab, den sie in die Erde stiessen, geschlungen wurden, die ganze weite Ebene, und begleiteten diese Handlung mit uralten Liedern und Spruechen. Genau gegen Aufgang und Mittag wurden die Wollschnuere auf mannshohe Lanzenschaefte gespannt, so dass sie die zwei Thore der nun voellig umfriedeten Dingstaette bildeten, an denen die Fronboten mit gezueckten Beilen Wache hielten, alle Unfreien, alle Volksfremden und alle Weiber fern zu halten. Als diese Arbeit vollendet war, traten die beiden Aeltesten unter die Speerthore und riefen mit lauter Stimme: "Gehegt ist der Hag Altgotischer Art: Nun beginnen mit Gott Mag gerechtes Gericht." Auf die hiernach eingetretne Stille folgte unter der versammelten Menge ein anfangs leises, dann lauter toenendes und endlich fast betaeubendes Getoese von fragenden, streitenden, zweifelnden Stimmen. Es war naemlich schon bei dem Zug der Sajonen aufgefallen, dass er nicht, wie gewoehnlich, von dem Grafen gefuehrt war, der im Namen und Bann des Koenigs das Gericht abzuhalten und zu leiten pflegte. Doch hatte man erwartet, dass dieser Vertreter des Koenigs wohl waehrend der Umschnuerung des Platzes erscheinen werde. Als nun aber diese Arbeit geschehen, und der Spruch der Alten, der zum Beginn des Gerichts aufforderte, ergangen und doch immer noch kein Graf, kein Beamter erschienen war, der allein die Eroeffnungsworte sprechen konnte, ward die Merksamkeit aller auf jene schwer auszufuellende Luecke gelenkt. Waehrend man nun ueberall nach dem Grafen, dem Vertreter des Koenigs, fragte und suchte, erinnerte man sich, dass dieser ja verheissen hatte, in Person vor seinem Volk zu erscheinen, sich und seine Koenigin gegen die erhobnen schweren Anklagen zu verteidigen. Aber da man jetzt bei des Koenigs Freunden und Anhaengern sich nach ihm erkundigen wollte, ergab sich die verdaechtige Thatsache, die man bisher, im Gedraeng der allgemeinen Begruessungen, gar nicht wahrgenommen, dass naemlich auch nicht Einer der zahlreichen Verwandten, Freunde, Diener des Koenigshauses, die zur Unterstuetzung der Beschuldigten zu erscheinen Recht, Pflicht und Interesse hatten, in der Versammlung zugegen war, wiewohl man sie vor wenigen Tagen zahlreich in den Strassen und in der Umgegend Roms gesehen hatte. Das erregte Befremden und Argwohn: und lange schien es, als ob an dem Laerm ueber diese Seltsamkeit und an dem Fehlen des Koenigsgrafen der rechtmaessige Anfang der ganzen Verhandlung scheitern solle. Verschiedene Redner hatten bereits vergeblich versucht, sich Gehoer zu verschaffen. - Da erscholl ploetzlich aus der Mitte der Versammlung ein alles uebertoenender Klang, dem Kampfruf eines furchtbaren Ungetuemes vergleichbar. Aller Augen folgten dem Schall: und sahen im Mittelgrund des Platzes, an den Ruecken einer hohen Steineiche gelehnt, eine hohe ragende Gestalt, die in den hohlen, vor den Mund gehaltnen Erzschild mit lauter Stimme den gotischen Schlachtruf ertoenen liess. Als sie den Schild senkte, erkannte man das maechtige Antlitz des alten Hildebrand, dessen Augen Feuer zu spruehen schienen. Begeisterter Jubel begruesste den greisen Waffenmeister des grossen Koenigs, den, wie seinen Herrn, Lied und Sage schon bei lebendem Leib zu einer mythischen Gestalt unter den Goten gemacht hatten. Als sich der Zuruf gelegt, hob der Alte an: "Gute Goten, meine wackern Maenner. Es ficht euch an und will euch befremden, dass ihr keinen Grafen seht und Vertreter des Mannes, der eure Krone traegt. Lasst's euch nicht Bedenken machen! Wenn der Koenig meint, damit das Gericht zu stoeren, so soll er irren. Ich denke noch die alten Zeiten und sage euch: das Volk kann Recht finden ohne Koenig, und Gericht halten ohne Koenigsgrafen. Ihr seid alle herangewachsen in neuer Uebung und Sitte, aber da steht Haduswinth, der Alte, kaum ein paar Winter juenger denn ich: der wird's mir bezeugen: beim Volk allein ist alle Gewalt: das Gotenvolk ist frei!" "Ja, wir sind frei!" rief ein tausendstimmiger Chor. "Wir waehlen uns unsern Dinggrafen selbst, schickt der Koenig den seinen nicht," rief der graue Haduswinth, "Recht und Gericht war, eh' Koenig war und Graf. Und wer kennt besser allen Brauch des Rechts als Hildebrand, Hildungs Sohn? Hildebrand soll unser Dinggraf sein." "Ja!" hallte es ringsum wieder, "Hildebrand soll unser Dinggraf sein." "Ich bin's durch eure Wahl: und achte mich so gut bestellt, als haette mir Koenig Theodahad Brief und Pergament darueber ausgestellt. Auch haben meine Ahnen Gericht gehalten den Goten seit Jahrhunderten. Kommt, Sajonen, helft mir oeffnen das Gericht." Da eilten zwoelf von den Frondienern herzu. Vor der Eiche lagen noch die Truemmer eines uralten Fanums des Waldgottes Picus: die Sajonen saeuberten die Stelle, hoben die breitesten der Steine zurecht und lehnten links und rechts zwei der viereckigen Platten an den Stamm der Eiche, so dass ein stattlicher Richterstuhl dadurch gebildet ward. Und so hielt, von dem Altar des altitalischen Wald- und Hirtengottes herab, der Gotengraf Gericht. Andere Sajonen warfen einen blauen weitfaltigen Wollmantel mit breitem, weissem Kragen ueber Hildebrands Schultern, gaben ihm den oben gekruemmten Eschenstab in die Hand und hingen links zu seinen Haeupten einen blanken Stahlschild an die Zweige der Eiche. Dann stellten sie sich in zwei Reihen zu seiner Rechten und Linken auf: der Alte schlug mit dem Stab auf den Schild, dass er hell erklang, dann setzte er sich, das Antlitz gegen Osten und sprach: "Ich gebiete Stille, Bann und Frieden! Ich gebiete Recht und verbiete Unrecht, Hastmut und Scheltwort und Waffenzuecken, und alles, was den Dingfrieden kraenken mag. Und ich frage hier: ist es an Jahr und Tag, an Weil' und Stunde, an Ort und Staette, zu halten ein frei Gericht gotischer Maenner?" Da traten die naechststehenden Goten heran und sprachen im Chor: "Hier ist rechter Ort, unter hohem Himmel, unter rauschender Eiche, hier ist rechte Tageszeit, bei klimmender Sonne, auf schwertgewonnenem gotischem Erdgrund, zu halten ein frei Gericht gotischer Maenner." "Wohlan," fuhr der alte Hildebrand fort, "wir sind versammelt, zu richten zweierlei Klage: Mordklage wider Gothelindis, die Koenigin, und schwere Ruege wegen Feigheit und Saumsal in dieser Zeit hoher Gefahr wider Theodahad, unsern Koenig. Ich frage ... -" Da ward seine Rede unterbrochen durch lauten, schallenden Hornruf, der von Westen her naeher und naeher drang. Dreizehntes Kapitel. Erstaunt sahen die Goten um und erblickten einen Zug von Reitern, welche die Huegel herab gegen die Gerichtsstaette eilten. Die Sonne fiel grell blendend auf die waffenblitzenden Gestalten, dass sie nicht erkenntlich waren, obwohl sie in Eile nahten. Da richtete sich der alte Hildebrand hoch auf in seinem erhoehten Sitz, hielt die Hand vor die falkenscharfen Augen und rief sogleich: "Das sind gotische Waffen! - Die wallende Fahne traegt als Bild die Wage: - das ist das Hauszeichen des Grafen Witichis! Und dort ist er selbst! An der Spitze des Zugs. Und an seiner Linken die hohe Gestalt, das ist der starke Hildebad! Was fuehrt die Feldherrn zurueck? ihre Scharen sollten schon weit auf dem Weg nach Gallien und Dalmatien sein." Ein Brausen von fragenden, staunenden, gruessenden Stimmen erfolgte. Indess waren die Reiter heran und sprangen von den dampfenden Rossen. Mit Jubel empfangen, schritten die Fuehrer, Witichis und Hildebad, durch die Menge den Huegel heran, bis zu Hildebrands Richterstuhl. "Wie?" rief Hildebad noch atemlos, "ihr sitzt hier und haltet Gericht, wie im tiefsten Frieden: und der Feind, Belisar, ist gelandet!" "Wir wissen es," sprach Hildebrand ruhig, "und wollten mit dem Koenig beraten, wie ihm zu wehren sei." "Mit dem Koenig!" lachte Hildebad bitter. "Er ist nicht hier," sagte Witichis umblickend, "das verstaerkt unsern Verdacht. Wir kehrten um, weil wir Grund zu schwerem Argwohn erhielten. Aber davon spaeter! fahrt fort, wo ihr haltet. Alles nach Recht und Ordnung! still, Freund!" Und den ungeduldigen Hildebad zurueckdraengend, stellte er sich bescheiden zur Linken des Richterstuhles in die Reihe der andern. Nachdem es wieder stiller geworden, fuhr der Alte fort: "Gothelindis, unsre Koenigin, ist verklagt wegen Mordes an Amalaswintha, der Tochter Theoderichs. Ich frage: sind wir Gericht zu richten solche Klage?" Der alte Haduswinth, gestuetzt auf seine lange Keule, trat vor und sprach: "Rot sind die Schnuere dieser Malstaette. Beim Volksgericht ist das Recht ueber roten Blutfrevel, ueber warmes Leben und kalten Tod. Wenn's anders geuebt ward in letzten Zeiten, so war das Gewalt, nicht Recht. Wir sind Gericht, zu richten solche Klage." "In allem Volk," fuhr Hildebrand fort, "geht wider Gothelindis schwerer Vorwurf: im stillen Herzen verklagen wir alle sie darob. Wer aber will hier, im offnen Volksgericht, mit lautem Wort, sie dieses Mordes zeihen?" "Ich!" sprach eine helle Stimme: und ein schoener, junger Gote, in glaenzenden Waffen, trat von rechts vor den Richter, die rechte Hand auf die Brust legend. Ein Murmeln des Wohlgefallens drang durch die Reihen: "Er liebt die schoene Mataswintha!" - "Er ist der Bruder des Herzogs Guntharis von Tuscien, der Florentia besetzt haelt." - "Er freit um sie!" - "Als Raecher ihrer Mutter tritt er auf!" "Ich, Graf Arahad von Asta, des Aramuth Sohn, aus der Woelsungen Edelgeschlecht," fuhr der junge Gote mit einem anmutigen Erroeten fort. "Zwar bin ich nicht versippt mit der Getoeteten: allein die Maenner ihrer Sippe, Theodahad voran, ihr Vetter und ihr Koenig, erfuellen nicht die Pflicht der Blutrache; ist er doch selbst des Mordes Helfer und Hehler. So klag' ich denn, ein freier unbescholtner Gote edeln Stammes, ein Freund der unseligen Fuerstin, an Mataswinthens, ihrer Tochter, Statt. Ich klag' um Mord! Ich klag' auf Blut!" Und unter lautem Beifall des Volkes zog der stattliche schoene Juengling das Schwert und streckte es gerad vor sich auf den Richterstuhl. "Und dein Beweis? sag an ... -" "Halt, Dinggraf," scholl da eine ernste Stimme. Witichis trat vor, dem Klaeger entgegen. "Bist du so alt und kennst das Recht so wohl, Meister Hildebrand, und laesst dich fortreissen von der Menge wildem Drang? Muss ich dich mahnen, ich, der juengere Mann, an alles Rechtes erstes Gebot? Den Klaeger hoer' ich, die Beklagte nicht." "Kein Weib kann stehen in der Goten Ding," sprach Hildebrand ruhig. "Ich weiss: doch wo ist Theodahad, ihr Gemahl und Mundwalt, sie zu vertreten?" "Er ist nicht erschienen." "Ist er geladen?" "Er ist geladen! Auf meinen Eid und den dieser Boten," sprach Arahad: "tretet vor, Sajonen." Zwei der Fronwaerter traten vor und ruehrten mit ihren Staeben an den Richterstuhl. "Nun," sprach Witichis weiter, "man soll nicht sagen, dass im Volk der Goten ein Weib ungehoert, unverteidigt verurteilt werde; wie schwer sie auch verhasst sei, - sie hat ein Recht auf Rechtsgehoer und Rechtsschutz. Ich will ihr Mundwalt und ihr Fuersprecher sein." Und er trat ruhig dem jugendlichen Anklaeger entgegen, gleich ihm das Schwert ziehend. Eine Pause der ehrenden Bewunderung trat ein. "So leugnest du die That?" fragte der Richter. "Ich sage: sie ist nicht erwiesen!" - "Erweise sie!" sprach der Richter zu Arahad gewendet. Dieser, nicht vorbereitet auf ein foermliches Verfahren und nicht gefasst auf einen Widersacher von Witichis' grossem Gewicht und kraeftiger Ruhe, ward etwas verwirrt. "Erweisen?" rief er ungeduldig. "Was braucht's noch Erweis? Du, ich, alle Goten wissen, dass Gothelindis die Fuerstin lang und toedlich hasste. Die Fuerstin verschwindet aus Ravenna: gleichzeitig die Moerderin: ihr Opfer koemmt in einem Hause Gothelindens wieder zum Vorschein - tot: die Moerderin aber flieht auf ein festes Schloss. Was braucht's da noch Erweis?" Und ungeduldig sah er auf die Goten rings umher. "Und darauf hin klagst du auf Mord im offnen Ding?" sprach Witichis ruhig. "Wahrlich der Tag sei fern vom Gotenvolk, da man nach solchem Anschein Urteil spricht. Gerechtigkeit, ihr Maenner, ist Licht und Luft! Weh, weh dem Volk, das seinen Hass zu seinem Recht erhebt. Ich selber hasse dieses Weib und ihren Gatten: aber wo ich hasse, bin ich doppelt streng mit mir." Und so edel und so schlicht sprach er dies Wort, dass aller Goten Herzen dem treuen Manne zuschlugen. "Wo sind die Beweise?" fragte nun Hildebrand. "Hast du handhafte That? hast du blickenden Schein? hast du gichtigen Mund? hast du echten Eid? heischest du der Verklagten Unschuldseid?" "Beweis!" wiederholte Arahad zornig. "Ich habe keinen als meines Herzens festen Glauben." "Dann," sprach Hildebrand - Doch in diesem Augenblick bahnte sich ein Sajo vom Thore her den Weg zu ihm und sprach: "Roemische Maenner stehen am Eingang. Sie bitten um Gehoer: sie wissen, sagen sie, alles um der Fuerstin Tod." "Ich fordre, dass man sie hoere," rief Arahad eifrig, "nicht als Klaeger, als Zeugen des Klaegers." Hildebrand winkte und der Sajo eilte, die Gemeldeten durch die neugierige Menge heraufzufuehren. Voran schritt ein von Jahren gebeugter Mann in haerener Kutte, den Strick um die Lenden: die Kapuze seines Ueberwurfs machte seine Zuege unkenntlich: zwei Maenner in Sklaventracht folgten. Fragende Blicke ruhten auf der Gestalt des Greises, dessen Erscheinung bei aller Einfachheit, ja Armut, von seltner Wuerde geadelt war. Als er angelangt war vor dem Richterstuhl Hildebrands, sah ihm Arahad dicht ins Antlitz und trat mit Staunen rasch zurueck. "Wer ist es," fragte der Richter, "den du zum Zeugen stellest deines Wortes? Ein unbekannter Fremdling?" - "Nein," rief Arahad und schlug des Zeugen Mantel zurueck, "ein Name, den ihr alle kennt und ehrt: Marcus Aurelius Cassiodorus." Ein Ruf allgemeinen Staunens flog ueber die Dingstaette. "So hiess ich," sprach der Zeuge, "in den Tagen meines weltlichen Lebens: jetzt nur Bruder Marcus." Und eine hohe Weihe lag in seinen Zuegen: - die Weihe der Entsagung. "Nun, Bruder Marcus," forschte Hildebrand, "was hast du uns zu melden vom Tode Amalaswinthens? Sag' uns die volle Wahrheit und nur die Wahrheit." "Die werd' ich sagen. Vor allem wisst: nicht Streben nach menschlicher Vergeltung fuehrt mich her: nicht den Mord zu raechen bin ich gekommen: - die Rache ist mein, ich will vergelten, spricht der Herr! - Nein, den letzten Auftrag der Unseligen, der Tochter meines grossen Koenigs, zu erfuellen, bin ich da." Und er zog eine Papyrusrolle aus dem Gewande. "Kurz vor ihrer Flucht aus Ravenna richtete sie diese Zeilen an mich, die ich, als ihr Vermaechtnis an das Volk der Goten, mitzuteilen habe: "Den Dank einer zerknirschten Seele fuer deine Freundschaft. Mehr noch als die Hoffnung der Rettung labt das Gefuehl unverlorner Treue. Ja, ich eile auf deine Villa im Bolsener See: fuehrt doch der Weg von da nach Rom, nach Regeta, wo ich vor meinen Goten all' meine Schuld aufdecken und auch buessen will. Ich will sterben, wenn es sein muss: aber nicht durch die tueckische Hand meiner Feinde: nein, durch den Richterspruch meines Volkes, das ich Verblendete ins Verderben gefuehrt. Ich habe den Tod verdient: nicht nur um des Blutes willen der drei Herzoge, die, alle sollen es erfahren, durch mich starben: mehr noch um des Wahnes willen, mit dem ich mein Volk zurueckgesetzt um Byzanz. Gelange ich lebend nach Regeta, so will ich warnen und mahnen mit der letzten Kraft meines Lebens: fuerchtet Byzanz! Byzanz ist falsch wie die Hoelle und ist kein Friede denkbar zwischen ihm und uns. Aber warnen will ich auch vor dem Feind im Innern. Koenig Theodahad spinnt Verrat: er hat an Petros, den Gesandten von Byzanz, Italien und die Gotenkrone verkauft: er hat gethan, was ich dem Griechen weigerte. Seht euch vor, seid stark und einig. Koennt' ich sterbend suehnen, was ich lebend gefehlt."" In tiefer Stille hatte das Volk die Worte vernommen, die Cassiodor mit zitternder Stimme gesprochen und die jetzt wie aus dem Jenseits herueberzutoenen schienen. Auch als er geendet, wirkte noch der Eindruck des Mitleids und der Trauer fort in feierlichem Schweigen. Endlich erhob sich der alte Hildebrand und sprach: "Sie hat gefehlt: sie hat gebuesst. Tochter Theoderichs, das Volk der Goten verzeiht dir deine Schuld und dankt dir deine Treue." "So moeg' ihr Gott vergeben, Amen!" sprach Cassiodor. "Ich habe niemals die Fuerstin an den Bolsener See geladen: ich konnt' es nicht: vierzehn Tage zuvor hatt' ich all' meine Gueter verkauft an die Koenigin Gothelindis." "Sie also hat ihre Feindin," fiel Arahad ein, "seinen Namen missbrauchend, in jenes Haus gelockt. Kannst du das leugnen, Graf Witichis?" "Nein," sprach dieser ruhig, "aber," fuhr er zu Cassiodor gewendet fort, "hast du auch Beweis, dass die Fuerstin daselbst nicht zufaelligen Todes gestorben, dass Gothelindis ihren Tod herbeigefuehrt?" "Tritt vor, Syrus, und sprich!" sagte Cassiodor, "ich buerge fuer die Treue dieses Mundes." Der Sklave trat vor, neigte sich und sprach: "Ich habe seit zwanzig Jahren die Aufsicht ueber die Schleusen des Sees und die Wasserkuenste des Bades der Villa im Bolsener See: niemand ausser mir kannte dessen Geheimnisse. Als die Koenigin Gothelindis das Gut erkauft, wurden alle Sklaven Cassiodors entfernt und einige Diener der Koenigin eingesetzt: ich allein ward belassen. Da landete eines fruehen Morgens die Fuerstin Amalaswintha auf der Insel, bald darauf die Koenigin. Diese liess mich sofort kommen, erklaerte, sie wolle ein Bad nehmen, und befahl mir, ihr die Schluessel zu allen Schleusen des Sees und zu allen Roehren des Bades zu uebergeben und ihr den ganzen Plan des Druckwerks zu erklaeren. Ich gehorchte, gab ihr die Schluessel und den auf Pergament gezeichneten Plan, warnte sie aber nachdruecklich, nicht alle Schleusen des Sees zu oeffnen und nicht alle Roehren spielen zu lassen: das koenne das Leben kosten. Sie aber wies mich zuernend ab und ich hoerte, wie sie ihrer Badsklavin befahl die Kessel nicht mit warmem, sondern mit heissem Wasser zu fuellen. Ich ging, besorgt um ihre Sicherheit, und hielt mich in der Naehe des Bades. Nach einiger Zeit hoerte ich an dem maechtigen Brausen und Rauschen, dass die Koenigin dennoch, gegen meinen Rat, die ganze Flut des Sees hereingelassen: zugleich hoerte ich in allen Waenden das dampfende Wasser zischend aufsteigen und da mir obenein duenkte, als vernehme ich, gedaempft durch die Marmormauern, aengstlichen Hilfschrei, eilte ich auf den Aussengang des Bades, die Koenigin zu retten. Aber wie erstaunte ich, als ich an dem mir wohlbekannten Mittelpunkt der Kuenste, an dem Medusenhaupt, die Koenigin, die ich im Bad, in Todesgefahr waehnte, voellig angekleidet stehen sah. Sie drueckte an den Federn und wechselte mit jemand, der im Bade um Hilfe rief, zornige Worte. Entsetzt und dunkel ahnend, was da vorging, schlich ich, zum Glueck noch unbemerkt, hinweg." "Wie, Feigling?" sprach Witichis, "du ahntest, was vorging und schlichst hinweg?" "Ich bin nur ein Sklave, Herr, kein Held: und haette mich die grimme Koenigin bemerkt, ich stuende wohl nicht hier, sie anzuklagen. Gleich darauf erscholl der Ruf, die Fuerstin Amalaswintha sei im Bad ertrunken." Ein Murren und Rufen drang tosend durch das versammelte Volk. Frohlockend rief Arahad: "Nun, Graf Witichis, willst du sie noch beschuetzen?" - "Nein," sprach dieser ruhig, das Schwert einsteckend, "ich schuetze keine Moerderin. Mein Amt ist aus." Und mit diesem Wort trat er von der linken auf die rechte Seite, zu den Anklaegern, hinueber. "Ihr, freie Goten, habt das Urteil zu finden und das Recht zu schoepfen," sprach Hildebrand, "ich habe nur zu vollziehen, was ihr gefunden. So frag' ich euch, ihr Maenner des Gerichts, was duenkt euch von dieser Klage, die Graf Arahad, des Aramuth Sohn, der Woelsung, erhoben gegen Gothelindis, die Koenigin? Sagt an: ist sie des Mordes schuldig?" "Schuldig! schuldig!" scholl es mit vielen tausend Stimmen und keine sagte nein. "Sie ist schuldig," sagte der Alte aufstehend. "Sprich, Klaeger, welche Strafe forderst du um diese Schuld?" Arahad erhob das Schwert gerade gegen Himmel: "Ich klagte um Mord. Ich klagte auf Blut. Sie soll des Todes sterben." Und ehe Hildebrand seine Frage an das Volk stellen konnte, war die Menge von zorniger Bewegung ergriffen, alle Schwerter flogen aus den Scheiden und blitzten gen Himmel auf und alle Stimmen riefen: "Sie soll des Todes sterben!" - Wie ein furchtbarer Donner rollte das Wort, die Majestaet des Volksgerichts vor sich her tragend, ueber das weite Gefild, dass bis in weite Ferne die Luefte wiederhallten. - "Sie stirbt des Todes," sprach Hildebrand aufstehend, "durch das Beil. Sajonen auf, und sucht, wo ihr sie findet." "Halt an," sprach der starke Hildebad vortretend, "schwer wird unser Spruch erfuellt werden, solang dies Weib unsres Koenigs Gemahlin. Ich fordre deshalb, dass die Volksgemeinde auch gleich die Klagen pruefe, die wir gegen Theodahad auf der Seele haben, der ein Volk von Helden so unheldenhaft beherrscht. Ich will sie aussprechen, diese Klagen. Merkt wohl, ich zeihe ihn des Verrates, nicht nur der Unfaehigkeit, uns zu retten, uns zu fuehren. Schweigen will ich davon, dass wohl schwerlich ohne sein Wissen seine Koenigin ihren Hass an Amalaswintha kuehlen konnte, schweigen davon, dass diese in ihren letzten Worten uns vor Theodahads Verrat gewarnt. Aber ist es nicht wahr, dass er den ganzen Sueden des Reiches von Maennern, Waffen, Rossen, Schiffen entbloesst, dass er alle Kraft nach den Alpen geworfen hat, bis dass die elenden Griechlein ohne Schwertstreich Sicilien gewinnen, Italien betreten konnten? Mein armer Bruder Totila mit seiner handvoll Leuten allein steht ihnen entgegen. Statt ihm den Ruecken zu decken, sendet der Koenig auch noch Witichis, Teja, mich nach dem Norden. Mit schwerem Herzen gehorchten wir: denn wir ahnten, wo Belisar landen werde. Nur langsam rueckten wir vor, jede Stunde den Rueckruf erwartend. Umsonst. Schon lief durch die Landschaften, die wir durchzogen, das dunkle Geruecht, Sicilien sei verloren und die Welschen, die uns nach Norden ziehen sahen, machten spoettische Gesichter. So waren wir ein paar Tagemaersche an der Kueste hingezogen. Da traf mich dieser Brief meines Bruders Totila: "Hat denn, wie der Koenig, so das ganze Volk der Goten, so mein Bruder mich aufgegeben und vergessen? Belisar hat Sicilien ueberrascht. Er ist gelandet. Alles Volk faellt ihm zu. Unaufhaltsam dringt er gegen Neapolis. Vier Briefe hab' ich an Koenig Theodahad um Hilfe geschrieben. Alles umsonst. Kein Segel erhalten. Neapolis ist in hoechster Gefahr. Rettet, rettet Neapolis und das Reich."" Ein Ruf grimmigen Schmerzes ging durch die Tausende gotischer Maenner. "Ich wollte," fuhr Hildebad fort, "augenblicklich mit all' unsren Tausendschaften umkehren, aber Graf Witichis, mein Oberfeldherr, litt es nicht. Nur das setzte ich durch, dass wir die Truppen Halt machen liessen und mit wenigen Reitern hierher flogen zu warnen, zu retten, zu raechen. Denn Rache, Rache heisch ich an Koenig Theodahad: nicht nur Thorheit und Schwaeche, Arglist war es, dass er den Sueden den Feinden preisgegeben. Hier dieser Brief beweist es. Viermal hat ihn mein Bruder gemahnt, gebeten. All' umsonst. Er gab ihn, er gab das Reich in Feindeshand. Weh' uns, wenn Neapolis faellt, schon gefallen ist. Ha, er soll nicht laenger herrschen, nicht leben soll er laenger, der das verschuldet hat. Reisst ihm die Krone der Goten vom Haupt, die er geschaendet, nieder mit ihm! Er sterbe!" "Nieder mit ihm! Er sterbe!" donnerte das Volk in maechtigem Echo nach. Unwiderstehlich schien der Strom ihres Grimmes zu wogen und jeden zu zerreissen, der ihm widerstehen wollte. Nur Einer blieb ruhig und gelassen inmitten der stuermenden Menge. Das war Graf Witichis. Er sprang auf einen der alten Steine unter dem Eichbaum und wartete, bis sich der Laerm etwas gelegt. Dann erhob er die Stimme und sprach mit jener schlichten Klarheit, die ihm so wohl anstand: "Landsleute, Volksgenossen! Hoert mich an! Ihr habt Unrecht mit eurem Spruch. Wehe, wenn im Gotenstamm, des Ehre und Stolz die Gerechtigkeit gewesen seit der Vaeter Zeit, Hass und Gewalt des Rechtes Thron besteigen. Theodahad ist ein schwacher, schlechter Koenig! Nicht laenger soll er allein des Reiches Zuegel lenken! Gebt ihm einen Vormund wie einem Unmuendigen! Setzt ihn ab meinetwegen. Aber seinen Tod, sein Blut duerft ihr nicht fordern! Wo ist der Beweis, dass er verraten hat? Dass Totilas Botschaft an ihn gelangt? Seht ihr, ihr schweigt: huetet euch vor Ungerechtigkeit, sie stuerzt die Reiche der Voelker." Und gross und edel stand er auf seinem erhoehten Boden, im vollen Glanz der Sonne, voll Kraft und edler Wuerde. Bewundernd ruhten die Augen der Tausende auf ihm, der ihnen an Hoheit und Mass und klarer Ruhe so ueberlegen schien. Eine feierliche Pause erfolgte. Und ehe noch Hildebad und das Volk Antwort finden konnte gegen den Mann, der die lebendige Gerechtigkeit schien, ward die allgemeine Aufmerksamkeit nach dem dichten Walde gezogen, der im Sueden die Aussicht begrenzte und der auf einmal lebendig zu werden schien. Vierzehntes Kapitel. Denn man hoerte von dort her den raschen Hufschlag nahender Pferde und das Klirren von Waffen: alsbald bog eine kleine Schar von Reitern aus dem Wald: aber weit ihnen allen voraus jagte auf kohlschwarzem Ross ein Mann, der wie mit dem Sturmwind um die Wette ritt. Weit im Winde flatterte seine Helmzier: ein maechtiger schwarzer Rossschweif, und seine eignen langen, schwarzen Locken: vorwaerts gebeugt trieb er das schaumbespritzte Ross zu rasender Eile und sprang am Suedeingang des Dings sausend vom Sattel. Alle wichen links und rechts zurueck, die der grimme, toedlichen Hass spruehende Blick seines Auges aus dem leichenblassen, schoenen Antlitz traf. Wie von Fluegeln getragen stuermte er den Huegel hinan, sprang auf einen Stein neben Witichis, hielt eine Rolle hoch empor, rief wie mit letzter Kraft: "Verrat, Verrat!" und stuerzte dann wie blitzgetroffen nieder. Entsetzt sprangen Witichis und Hildebad hinzu: sie hatten kaum den Freund erkannt: "Teja, Teja!" riefen sie, "was ist geschehen? rede!" - "Rede!" wiederholte Witichis, "es gilt das Reich der Goten!" Wie mit uebermenschlicher Kraft richtete sich in diesem Wort der staehlerne Mann wieder empor, sah einen Augenblick um sich und sprach dann mit hohler Stimme: "Verraten sind wir. Goten, verraten von unserm Koenig. Ich erhielt Auftrag vor sechs Tagen, nach Istrien zu ziehen, nicht nach Neapolis, wie ich gebeten. Ich schoepfe Verdacht, doch ich gehorche und gehe unter Segel mit meinen Tausendschaften. Ein starker Weststurm bricht herein, verschlaegt zahllose kleine Schiffe von Westen her bis zu uns. Darunter den "Mercurius", den raschen Keles, - das leichte Postschiff Theodahads. Ich kannte das Fahrzeug wohl: es gehoerte einst meinem Vater. Wie das unserer Schiffe ansichtig wird, will es entfliehen. Ich, argwoehnisch, jage ihm nach und hole es ein. Es trug diesen Brief an Belisar von des Koenigs Hand: "Du wirst zufrieden sein mit mir, grosser Feldherr. Alle Gotenheere stehen in dieser Stunde nordoestlich von Rom, ohne Gefahr koenntest du landen. Vier Briefe des Seegrafen von Neapolis habe ich zerstoert, seine Boten in den Turm geworfen. Zum Dank erwart' ich, dass du den Vertrag genau erfuellst, und den Kaufpreis in Baelde bezahlst."" Teja liess den Brief sinken, die Stimme versagte ihm. Ein Aechzen und Stoehnen der Wut zog durch die Versammlung. "Ich liess umkehren, sogleich landen, ausschiffen und jage hierher seit drei Tagen und drei Naechten unausgesetzt. Ich kann nicht mehr." Und taumelnd sank er in Witichis' Arme. Da sprang der alte Hildebrand empor auf den hoechsten Stein seines Stuhles: weit ueberragte er die ganze Menge: er riss dem Traeger, der die Lanze mit des Koenigs kleiner Marmorbueste auf der Querstange trug, den Schaft aus der Hand und hielt ihn vor sich in der Linken: in der Rechten hob er sein Steinbeil: "Verkauft, verraten sein Volk fuer gelbes Gold? Nieder mit ihm, nieder, nieder!" Und ein Beilschlag zertruemmerte die Bueste. Dieser Akt war wie der erste Donnerschlag, der ein lange bruetendes Gewitter entfesselt. Nur dem Wueten empoerter Elemente war das Stuermen vergleichbar, welches nun das in seinen Grundtiefen aufgewuehlte Volk durchbrauste. "Nieder, nieder, nieder mit ihm!" hallte es tausendfach wieder unter betaeubendem Klirren der Waffen. Und darauf erhob abermals der alte Waffenmeister seine eherne Stimme und sprach feierlich: "Wisset es, Gott im Himmel und Menschen auf Erden, sehende Sonne, und wehender Wind, wisset es, das Volk der Goten, frei und alten Ruhmes voll und zu den Waffen geboren, hat abgethan seinen ehemaligen Koenig Theodahad, des Theodis Sohn, weil er Volk und Reich an den Feind verraten. Wir sprechen dir ab, Theodahad, die goldne Krone und das Gotenreich, das Gotenrecht und das Leben. Und solches thun wir nicht nach Unrecht, sondern nach Recht. Denn frei sind wir gewesen alle Wege unter unsern Koenigen und wollten eh' der Koenige missen als der Freiheit. Und so hoch steht kein Koenig, dass er nicht um Mord, Verrat und Eidbruch zu Recht stehe vor seinem Volk. So sprech' ich dir ab Krone und Reich, Recht und Leben. Landfluechtig sollst du sein, echtlos, ehrlos, rechtlos. Soweit Christenleute zur Kirche gehen und Heidenleute zum Opferstein. Soweit Feuer brennt und Erde gruent. Soweit Schiff schreitet und Schild scheinet. Soweit Himmel sich hoeht und Welt sich weitet. Soweit der Falke fliegt den langen Fruehlingstag, wann ihm der Wind steht unter seinen beiden Fluegeln. Versagt soll dir sein Halle und Haus und guter Leute Gemeinschaft und alle Wohnung, ausgenommen die Hoelle. Dein Erb' und Eigen teil ich zu dem Gotenvolk. Dein Blut und Fleisch den Raben in den Lueften. Und wer dich findet, in Halle und Hof, in Haus oder Heerstrasse, soll dich erschlagen, ungestraft und soll bedankt sein dazu von Gott und den guten Goten. Ich frage euch, soll's so geschehn?" "So soll's geschehn!" antworteten die Tausende und schlugen Schwert an Schild. Kaum war Hildebrand herabgestiegen, als der alte Haduswinth seine Stelle einnahm, das zottige Baerenfell zurueckwarf und sprach: "Des Neidkoenigs waeren wir ledig! Er wird seinen Raecher finden. Aber jetzt, treue Maenner, gilt es, einen neuen Koenig waehlen. Denn ohne Koenig sind wir nie gewesen. Soweit unsere Sagen und Sprueche zurueckdenken, haben die Ahnen einen auf den Schild gehoben, das lebende Bild der Macht, des Glanzes, des Glueckes der guten Goten. Solang es Goten giebt, werden sie Koenige haben: und solang sich ein Koenig findet, wird ihr Volk bestehn. Und jetzt vor allem gilt's, ein Haupt, einen Fuehrer zu haben. Das Geschlecht der Amelungen ist glorreich aufgestiegen, wie eine Sonne: lang hat sein hellster Strahl, Theoderich, geleuchtet: aber schmaehlich ist's erloschen in Theodahad. Auf, Volk der Goten, du bist frei! frei waehle dir den rechten Koenig, der dich zu Sieg und Ehre fuehrt. Dein Thron ist leer: mein Volk, ich lade dich zur Koenigswahl!" "Zur Koenigswahl!" sprach diesmal feierlich und machtvoll der Chor der Tausende. Da trat Witichis auf den Dingstein, hob den Helm vom Haupt und die Rechte gen Himmel: "Du weisst es, Gott, der in den Sternen geht, uns treibt nicht frevler Kitzel des Ungehorsams und des Uebermuts: uns treibt das heilige Recht der Not. Wir ehren das Recht des Koenigtums, den Glanz, der von der Krone strahlt: geschaendet aber ist dieser Glanz und in der hoechsten Not des Reiches ueben wir des Volkes hoechstes Recht. Herolde sollen ziehen zu allen Voelkern der Erde und laut verkuenden: nicht aus Verachtung, aus Verehrung der Krone haben wir es gethan. Wen aber waehlen wir? Viel sind der wackern Maenner im Volk, von altem Geschlecht, von tapfrem Arm und klugem Geist. Wohl mehrere sind der Krone wuerdig. Wie leicht kann es kommen, dass einer diesen, der andere jenen vorzieht? Aber um Gott, nur jetzt keinen Zwist, keinen Streit! Jetzt, da der Feind im Lande liegt! Drum lasst uns schwoeren vorher feierlich: wer das Stimmenmehr erhaelt, sei's nur um Eine Stimme, den wollen wir alle als unsern Koenig achten, unweigerlich, und keinen andern. Ich schwoere es: - schwoert mit mir." "Wir schwoeren!" riefen die Goten. Aber der junge Arahad stimmte nicht ein. Ehrgeiz und Liebe loderten in seinem Herzen: er bedachte, dass sein Haus jetzt, nach dem Fall der Balten und der Amaler, das edelste war im Volk: er hoffte, Mataswinthens Hand zu gewinnen, wenn er ihr eine Krone bieten konnte: und kaum war der Schwur verhallt, als er vortrat und rief: "Wen sollen wir waehlen, gotische Maenner? bedenkt euch wohl! Vor allem, das ist klar, einen Mann jungkraeftigen Armes wider den Feind. Aber das allein genuegt nicht. Weshalb haben unsere Ahnen die Amaler erhoeht? Weil sie das edelste, das aelteste, Goetter entstammte Geschlecht waren. Wohlan, das erste Gestirn ist erloschen, gedenkt des zweiten, gedenkt der Balten!" Von den Balten lebte nur Ein maennlicher Spross, ein noch nicht wehrhafter Enkel des Herzog Pitza - denn Alarich, der Bruder der Herzoge Thulun und Ibba, war seit langen Jahren geaechtet und verschollen. - Arahad rechnete sicher, man werde jenen Baltenknaben nicht waehlen und vielmehr des dritten Gestirns gedenken. Aber er irrte. Der alte Haduswinth trat zornig vor und schrie: "Was Adel! was Geschlecht! sind wir Adelsknechte oder freie Maenner? Beim Donner! werden wir Ahnen zaehlen, wenn Belisar im Lande steht? Ich will dir sagen, Knabe, was ein Koenig braucht. Einen tapferen Arm, das ist wahr, aber nicht das allein. Der Koenig soll ein Hort des Rechts, ein Schirm des Friedens sein, nicht nur der Vorkaempfer im Schwertkampf. Der Koenig soll haben einen immer ruhigen, immer klaren Sinn, wie der blaue Himmel ist, und wie die lichten Sterne sollen darin auf- und niedergehen gerechte Gedanken. Der Koenig soll haben eine stete Kraft, aber noch mehr ein stetes Mass: er soll nie sich selbst verlieren und vergessen in Hass und Liebe, wie wir wohl duerfen, wir unten im Volk. Er soll nicht nur mild sein den Freunden, er soll gerecht sein dem Verhasstesten, selbst dem Feind. In dessen Brust ein klarer Friede wohnt bei kuehnem Mut und edles Mass bei treuer Kraft, - der Mann, Arahad, ist koeniglich geartet und haett' ihn der letzte Bauer gezeugt." Lauter Beifall folgte dem Wort des Alten und beschaemt trat Arahad zurueck. Aber jener fuhr fort: "Gute Goten! ich meine, wir haben einen solchen Mann! Ich will ihn euch nicht nennen: nennt ihr ihn mir. Ich kam hierher aus fernem Hochgebirg aus unsrer Mark gegen die Karanthanen, wo der wilde Turbidus schaeumend die Felsen zerstaeubt. Da leb' ich mehr, als sonst ein Menschenalter ist, stolz, frei, einsam. Wenig erfahr' ich von der Menschen Haendeln, selbst von des eignen Volkes Thaten, wenn nicht ein Salzross halbverirrt des Weges kommt. Und doch drang mir bis in jene oede Hoehe der Waffenruhm Eines vor allen unsern Helden, der nie das Schwert zu ungerechtem Streit erhob und es noch niemals sieglos eingesteckt. Seinen Namen hoert' ich immer wieder, wenn ich fragte: Wer wird uns schirmen, wenn Theoderich schied? Seinen Namen hoert' ich bei jedem Sieg, den wir erfochten, bei jedem weisen Werke des Friedens, das geschehn. Ich hatt' ihn nie gesehen. Ich sehnte mich danach, ihn zu sehen. Heute hab' ich ihn gesehen und gehoert. Ich habe sein Aug' gesehen, das klar und milde wie die Sonne. Ich hab' sein Wort gehoert; ich hab' gehoert, wie er dem Feind selbst, dem verhassten, zu Recht und zu Gerechtigkeit verhalf. Ich hab' gehoert, wie er allein, da uns alle der blinde Hass fortriss mit dunkler Schwinge, klar blieb und ruhig und gerecht. Da dacht' ich mir in meinem alten Herzen: "der Mann ist koeniglich geartet, stark im Kampf und gerecht im Frieden, hart wie Stahl und klar wie Gold." Goten: der Mann soll unser Koenig sein. Nennt mir den Mann!" "Graf Witichis, ja Witichis, heil Koenig Witichis!" Waehrend dieser brausende Jubelruf durch das Gefilde hallte, hatte ein erschuetternder Schreck den bescheidnen Mann ergriffen, der gespannt der Rede des Alten gefolgt war und erst ganz zu Ende von der Ahnung ergriffen ward, dass er der so Gepriesne sei. Als er nun aber seinen Namen in diesem tausendstimmigen Jauchzen erschallen hoerte, ueberkam ihn vor allen andern Gedanken das Gefuehl: "Nein, das kann, das soll nicht sein." Er riss sich von Teja und Hildebad, die freudig seine Haende drueckten, los, und sprang hervor, das Haupt schuettelnd und, wie abwehrend, den Arm ausstreckend. "Nein!" rief er, "nein, Freunde! nicht das mir! Ich bin ein schlichter Kriegsmann, nicht ein Koenig. Ich bin vielleicht ein gutes Werkzeug, kein Werkmeister! Waehlt einen andern, einen Wuerdigern!" Und wie bittend streckt er beide Haende gegen das Volk. Aber der donnernde Ruf: "Heil Koenig Witichis!" ward ihm statt aller Antwort. Und nun trat der alte Hildebrand vor, fasste seine Hand und sprach laut: "Lass ab, Witichis! wer war es, der zuerst geschworen, unweigerlich den Koenig anzuerkennen, der auch nur eine Stimme mehr haette? Siehe, du hast alle Stimmen und willst dich wehren?" Aber Witichis schuettelte das Haupt und presste die Hand vor die Stirn. Da trat der Alte ganz nah zu ihm und fluesterte in sein Ohr: "Wie? muss ich dich staerker mahnen? Muss ich dich mahnen jenes naechtigen Eides und Bundes, da du gelobtest: "Alles zu meines Volkes Heil." Ich weiss, - ich kenne deine klare Seele, -: dir ist die Krone mehr eine Last als eine Zierde: ich ahne, dass dir diese Krone grosse, bittre Schmerzen bringen wird. Vielleicht mehr als Freuden: deshalb fordre ich, dass du sie auf dich nimmst." Witichis schwieg und drueckte noch die andre Hand vor die Augen. Schon viel zu lang waehrte dem begeisterten Volk das Zwischenspiel. Schon ruesteten sie den breiten Schild, ihn darauf zu erheben, schon draengten sie den Huegel hinan, seine Hand zu fassen: und fast ungeduldig scholl aufs neue der Ruf: "Heil Koenig Witichis." "Ich fordre es bei deinem Bluteid! - willst du ihn halten oder brechen?" fluesterte Hildebrand. "Halten!" sprach Witichis und richtete sich entschlossen auf. Und nun trat er, ohne falsche Scham und ohne Eitelkeit, einen Schritt vor und sprach: "Du hast gewaehlt, mein Volk, wohlan, so nimm mich hin. Ich will dein Koenig sein!" Da blitzten alle Schwerter in die Luft und lauter scholl's: "Heil Koenig Witichis." Jetzt stieg der alte Hildebrand ganz herab von seinem Dingstuhl und sprach: "Ich weiche nun von diesem hohen Stuhl. Denn unserm Koenig ziemt jetzt diese Staette. Nur einmal noch lass mich des Grafenamtes warten. Und kann ich dir nicht den Purpur umhaengen, den die Amaler getragen und ihr goldenes Scepter reichen, - nimm meinen Richtermantel und den Richterstab als Scepter, zum Zeichen, dass du unser Koenig wardst um deiner Gerechtigkeit willen. Ich kann sie nicht auf deine Stirne druecken, die alte Gotenkrone, Theoderichs goldnen Reif. So lass dich kroenen mit dem frischen Laub der Eiche, der du an Kraft und Treue gleichst." Mit diesen Worten brach er ein zartes Gewinde von der Eiche und schlang es um Witichis' Haupt: "Auf, gotische Heerschar, nun warte deines Schildamts." Da ergriffen Haduswinth, Teja und Hildebad einen der altertuemlichen breiten Dingschilde der Sajonen, hoben den Koenig, der nun mit Kranz, Stab und Mantel geschmueckt war, darauf, und zeigten ihn auf ihren hohen Schultern allem Volk: "Sehet, Goten, den Koenig, den ihr selbst gewaehlt: so schwoert ihm Treue." Und sie schworen ihm, aufrecht stehend, nicht knieend, die Haende hoch gen Himmel hebend, nun die Waffentreue bis in den Tod. Da sprang Witichis von dem Schild, bestieg den Dingstuhl und rief: "Wie ihr mir Treue, so schwoer' ich euch Huld. Ich will ein milder und gerechter Koenig sein: des Rechtes walten und dem Unrecht wehren: gedenken will ich, dass ihr frei seid, gleich mir, nicht meine Knechte: und mein Leben, mein Glueck, mein alles, euch will ich's weihen, dem Volk der guten Goten. Das schwoere ich euch bei dem Himmelsgott und bei meiner Treue." Und den Dingschild vom Baume hebend rief er: "Das Ding ist aus. Ich loese die Versammlung." Die Sajonen schlugen sofort die Haselstaebe mit den Schnueren nieder und bunt und ordnungslos wogte nun die Menge durcheinander. Auch die Roemer, die sich neugierig, aber scheu, aus der Ferne dieses Walten einer Volksfreiheit mit angesehen, wie sie Italien seit mehr als fuenfhundert Jahren nicht gekannt, durften sich nun unter die gotischen Maenner mischen, denen sie Wein und Speisen verkauften. Witichis schickte sich an, mit den Freunden und den Fuehrern des Heeres nach einem der Zelte sich zu begeben, die am Ufer des Flusses aufgeschlagen waren. Da draengte sich ein roemisch gekleideter Mann, wie es schien, ein wohlhabender Buerger, an sein Geleit und forschte eifrig nach Graf Teja, des Tagila Sohn. "Der bin ich: was willst du mir, Roemer?" sprach dieser sich wendend. - "Nichts, Herr, als diese Vase ueberreichen: seht nach: das Siegel, der Skorpion, ist unversehrt." - "Was soll mir die Vase? ich kaufe nichts dergleichen." - "Die Vase ist euer, Herr. Sie ist voller Urkunden und Rollen, die euch zugehoeren. Und mir ist es vom Gastfreund aufgetragen, sie euch zu geben. Ich bitt' euch, nehmt." Und damit draengte er ihm die Vase in die Hand und war im Gedraenge verschwunden. Gleichgueltig loeste Teja das Siegel und nahm die Urkunden heraus, gleichgueltig sah er hinein. Aber ploetzlich schoss ein brennend Rot ueber seine bleichen Wangen, sein Auge spruehte Blitze und er biss krampfhaft in die Lippe. Die Vase entfiel ihm, er aber draengte sich in Fieberhast vor Witichis und sprach mit fast tonloser Stimme: "Mein Koenig! - Koenig Witichis - eine Gnade!" "Was ist dir, Teja? um Gott? Was willst du?" "Urlaub! Urlaub auf sechs - auf drei Tage! Ich muss fort." - "Fort, wohin?" - "Zur Rache! Hier lies: - der Teufel, der meine Eltern verklagte, in Verzweiflung, Tod und Wahnsinn trieb, - er ist es - den ich laengst geahnt: hier ist sein Anzeigebrief an den Bischof von Florentia, mit seiner eignen Hand - es ist Theodahad! -" "Er ist's, es ist Theodahad," sagte Witichis, vom Briefe aufsehend. "Geh denn! Aber, zweifle nicht: du triffst ihn nicht mehr in Rom: er ist gewiss laengst entflohn. Er hat starken Vorsprung. Du wirst ihn nicht einholen." "Ich hole ihn ein, ob er auf den Fluegeln des Sturmadlers saesse." "Du wirst ihn nicht finden." "Ich finde ihn und muesste ich ihn aus dem tiefsten Pfuhl der Hoelle oder im Schosse des Himmelsgottes suchen." "Er wird mit starker Bedeckung gefluechtet sein," warnte der Koenig. "Aus tausend Teufeln hol' ich ihn heraus. Hildebad, dein Pferd! Leb' wohl, Koenig der Goten. Ich vollstrecke die Acht." BEMERKUNGEN ZUR TEXTGESTALT Das Inhaltsverzeichnis wurde fuer die elektronische Fassung hinzugefuegt. Die Originalausgabe ist in Fraktur gesetzt. In Antiqua gesetzt sind in ihr roemische Zahlen (in der elektronischen Fassung ohne Hervorhebung wiedergegeben) und einzelne Woerter aus fremden Sprachen, hier durch Unterstrich (_) gekennzeichnet, ebenso wie gesperrt gesetzte Passagen. 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Seite 440: Punkt ergaenzt hinter "Huld" Nicht veraendert wurde die uneinheitliche Gross- oder Kleinschreibung von einigen Zahlwoertern, Pronomina und Adjektiven sowie Schreibvarianten, insbesondere durch Rechtschreibreformen entstandene. ***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK EIN KAMPF UM ROM. ERSTER BAND*** CREDITS February 16, 2010 Project Gutenberg TEI edition 1 Produced by Norbert H. Langkau, Juliet Sutherland, Stefan Cramme, and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net A WORD FROM PROJECT GUTENBERG This file should be named 31294.txt or 31294.zip. This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/dirs/3/1/2/9/31294/ Updated editions will replace the previous one -- the old editions will be renamed. Creating the works from public domain print editions means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works to protect the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive specific permission. If you do not charge anything for copies of this eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, performances and research. They may be modified and printed and given away -- you may do practically _anything_ with public domain eBooks. Redistribution is subject to the trademark license, especially commercial redistribution. THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE _Please read this before you distribute or use this work._ To protect the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} mission of promoting the free distribution of electronic works, by using or distributing this work (or any other work associated in any way with the phrase "Project Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} License (available with this file or online at http://www.gutenberg.org/license). Section 1. General Terms of Use & Redistributing Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works 1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to and accept all the terms of this license and intellectual property (trademark/copyright) agreement. 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