*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 76455 *** #################################################################### Anmerkungen zur Transkription Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1928 so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr verwendete Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert. Das Original wurde in Frakturschrift gesetzt. Besondere Schriftschnitte werden im vorliegenden Text mit Hilfe der folgenden Symbole gekennzeichnet: fett: =Gleichheitszeichen= gesperrt: +Pluszeichen+ Antiqua: ~Tilden~ #################################################################### [Illustration: Reisen und Abenteuer 14] [Illustration: Palau-Versammlungshaus: Meine Wohnung in Melegejok. (S. 124)] Walter v. Rummel Sonnenländer [Illustration] Leipzig / F. A. Brockhaus / 1928 Dies Büchlein ist ein Auszug aus W. v. +Rummel+ „+Erster Klasse und Zwischendeck+“ (Berlin 1911). Copyright 1921 by F. A. Brockhaus · Leipzig Inhalt. Seite 1. Ausreise 5 2. Ankunft in Japan 8 3. Japanisches Nachtleben 14 4. Kreuz und quer durchs Land 20 5. Sintflut und Erdbeben 28 6. Die Stromschnellen des Tenryugawa 33 7. Tempelfeste 39 8. Insel der Seligen 44 9. Neue Reisepläne 51 10. Unter dem Sonnenbanner 56 11. Agrigan 66 12. Pagan 70 13. Geschichte der Marianen 72 14. Saipan 75 15. Tinian, die Jagdinsel 82 16. Auf dem „Condor“ 90 17. Jap 95 18. Nach den Palauinseln 104 19. Auf Korror 109 20. Auf Babeltaob 122 21. Hundert Tage auf Jap 139 22. Abschied von der Südsee 153 23. Heimreise 156 [Illustration: Karte zu Walter v. Rummel, Sonnenländer Reiseweg des Verfassers Südhälfte von Nippon mit Inland-See Marianen und Karolinen Kartographische Anstalt von F. A. Brockhaus, Leipzig.] [Illustration] 1. Ausreise. Sonnenländer! Von jeher habe ich sie gesucht. Mit 17 Jahren bin ich das erstemal in Venedig, mit 19 in der Gironde und Provence, mit 21 Jahren in Algier, Marokko und Spanien gewesen. Immer mitten im Hochsommer. Je heißer die Sonne brannte, desto mehr freute es mich. Auch auf meiner Weltreise habe ich immer treue Fühlung mit dem Süden gehalten. Von Hamburg fahre ich ab. Siebzehn Tage auf hoher See. Das Meer wird glatt wie ein Spiegel und ist von einer tief ultramarinblauen Farbe. Rotes Golfkraut schwimmt darin herum, schlanke blitzende Fische sprühen wie schimmernde Silbertropfen darüber hinweg und des Nachts leuchten im weißen Kielwasser feurig sprühende Funken auf. Windverwehte, kleine, bunte Vögel hüpfen unruhig auf dem Bootsdeck umher und huschen, einen Unterschlupf suchend, durch das Tauwerk. Wir sind der Sonne nähergekommen, die Sterne sind heller und leuchtender geworden; deutlicher als in der Heimat sieht man die dunkelstarren Berge im toten Mond. Land in Sicht. Ein blasser Dunststreifen. Bereits auf freiem Meere fühlt man, daß man bald auf dem Boden der Tropen stehen wird, 30 Grad im Schatten schon um 7 Uhr morgens. Eine Stunde später liegt Kuba zum Greifen nahe vor mir, in grellgelbe Farbentöne getaucht. Weißglut trinkend und ausströmend, verbrannt und ausgedörrt von einer allgewaltigen Sonne. Havanna, die erste Tropenstadt, die ich hier betrete, wirkt auf mich als etwas ganz Neues und Seltsames. Westwärts weiter. Zwei Tage später die mexikanische Küste. Wie flüssiges Glas flimmert die Luft über flachen Dächern, die in trostloser Sanddüne liegen: Verakruz. Kein freundlicher Empfang. Um so größer die Überraschung, wenn man ein wenig höher und landeinwärts kommt. Heiße Blüten- und Früchtepracht. Hoch darüber Gipfel in einsamer Majestät und weißem Königshermelin. Von Verakruz aus hat Cortez, der Eiserne, mit sechzehn Reitern und sechshundert Waffenfähigen seinen Vormarsch ins Innere Mexikos angetreten, ein ganz tollkühnes Wagnis, das ihn nach manchen Rückschlägen schließlich eines der herrlichsten Länder der Erde erobern ließ. Zwei Monate habe ich dies einzig schöne Land bereist. Wollte man es einigermaßen richtig kennenlernen, müßte man mehr denn zwei Jahre daran wenden. Ist es doch viermal so groß als Deutschland, ohne dessen Bahnverbindungen zu haben. Nordwärts nun. Aber das bedeutet noch lange nicht den Norden. Denn stark glüht die Sonne über den Staaten Zacatecas, Durango und Chihuahua, ebenso in dem bereits zu Nordamerika gehörigen Texas. In der Coloradowüste Arizonas aber steigt die Hitze ins Unerträgliche. Das Land -- Sand und Salz -- liegt bis zu hundert Metern unter dem Meeresspiegel. Feuerluft schlägt mir von allen Seiten entgegen. Dann aber der herrliche Garten Kaliforniens, in dem die Fichte sich freundlich mit der Palme paart. Der Tag ist noch warm, aber die Nächte sind wundersam kühl und erquickend, mildlinde Sommernächte, schwer von Blumendüften und durchzittert von dem flötenden Lockton eines südländischen Vogels, durchbebt von Geigen- und Mandolinenklängen, von den weichen Stimmen singender Mädchen und Frauen, durchweht von einem lebend gebliebenen Hauch altspanischer Romantik. In San Franzisko halte ich Ausschau. Eigentlich wollte ich nach Samoa und Tahiti. Aber gerade vor der Nase ist mir das Schiff weggefahren. Allzu lange müßte ich auf das nächste warten. Ein anderer Dampfer liegt auslaufbereit im Hafen. Er geht nach Japan und nimmt mich mit. Um einmal andere Bilder zu sehen, fahre ich Zwischendeck. Der Entschluß hat mich nie gereut. Ich habe in meinem Zwischendeck viel mehr gesehen, erlebt und gelernt, als wenn ich erster Klasse gefahren wäre. Nach sechstägiger Reise die hawaiische Inselgruppe, Eiland Oahu und Stadt Honolulu. Diese erste Südseeinsel ist eine Enttäuschung, allzusehr ist dort alles amerikanisiert. Und während Oahu, das nicht Herbst und Winter, das nur den Sommer kennt, langsam im Abendnebel verschwimmt, träume ich von andern Inseln, glücklichen Inseln, wo Sonne und Sterne, wo das rollende Rad der Zeit stille zu stehen scheint, stille steht für Menschen, die eines guten Willens gekommen sind. -- -- Fast vierzehn Tage wieder auf hoher See. Ich benütze die lange Zeit, um mich in aller Eile ein wenig auf Japan vorzubereiten. Denn ich hatte es nicht auf mein Reiseprogramm gesetzt. Doch ich komme nicht recht vorwärts. Ein Mühlrad geht mir im Kopfe herum, hundert Namen und Dinge wirren sich chaotisch durcheinander. Aber eines präge ich mir ein, die Lehre, daß man um das europäische Hotel einen weiten Bogen schlagen muß, wenn man vom eigentlichen Nippon, wie das Kaiserreich Japan in der Landessprache heißt, etwas kennenlernen will. 2. Ankunft in Japan. Eines Tages sind wir wirklich da. Grün und freundlich erschließt sich die weite Bucht von Tokio. Wie unsagbar wohl tut dieses frische, saftige Grün nach den verbrannten Steppen Nordmexikos, nach dem starken Seewind und der scharfen Salzluft! Goldschimmernder Glanz, zitternder Silberflimmer über Land und See, da und dort noch geheimnisvoll verschleiernder Nebelflor. Aus ganzem Herzen sei mir gegrüßt, heiteres, sonniges, lächelndes Japan! „Nach einem japanischen Gasthaus!“ sagte ich den Gepäckträgern bei meiner Ankunft in Jokohama, dem Hafen von Tokio. Die taten sehr, sehr erstaunt, zuckten zweifelnd und unschlüssig die Achseln und beratschlagten lange, ein Beweis dafür, daß ihnen dieses Verlangen etwas ganz Ungewöhnliches war. „Mankahotel!“ meinten sie endlich. „Mankahotel!“ nickte ich zustimmend, froh, daß sie doch noch irgend etwas ausgeklügelt hatten. Dort, wo die europäische Niederlassung bereits in die japanische Stadt übergegangen ist, steht es, in der Parkstraße, einer großen, öffentlichen Gartenanlage gegenüber. Ringsum kein europäisches Haus mehr, auch Wirt und Bedienung sind japanisch. Nur das Hotel selbst, ein kleiner einstöckiger Bau, ist nicht mehr ganz waschecht japanisch. Mankahotel hat sich bereits mit Tischen, Stühlen und Betten europäisch frisiert und ist so eigentlich nicht das, was ich gewollt und gesucht hatte. Aber auch die Leute vom Mankahotel sahen mich und meine Koffer mit ganz mißtrauischen und argwöhnischen Augen an: -- ja, ja -- ein Bett hätten sie wohl schon frei -- aber wie lange ich denn bliebe, und ob ich mir vielleicht nicht doch das Zimmer vorher des näheren ansehen wollte. Das tat ich denn auch und unterwarf den einen von den zwei Räumen, die Mankahotel zu vermieten hat, einer kurzen Untersuchung: ein nicht sehr großes Zimmerchen mit einem breiten Bett französischen Stiles, außerdem mit Tisch, Stuhl und Waschtischchen eingerichtet. Aber alles, und das ist mir die Hauptsache, ist blitzblank sauber gehalten. Durch die niederen Fenster bietet sich ein interessanter Einblick in allerlei japanische Nachbarhäuschen, in mancherlei Häuserwinkelwerk und Höfe. Dazwischen ein nicht überbautes Stückchen freier Erde, das mit ein paar grünen Bäumchen bepflanzt ist. „Ich nehme das Zimmer!“ nickte ich. Der Hotelwirt, ein kleiner, schmaler, gelbfarbiger Japaner mit klugen Augen, nickte ebenso, ohne über meinen Entschluß besondere Freude oder Genugtuung zu bekunden. Es entging mir auch nicht, wie er mich mit einem erstaunt fragenden und forschenden Seitenblick streifte. Freilich, die ersten Nächte, die ich nun im Mankahotel verbrachte, sollten sich nicht allzu genußreich gestalten. Nicht der glühend heiße Tag, an dem die Sonne so gewaltig herniederbrennt, macht das Leben in den Tropen und den der Tropenzone nahe gelegenen Ländern schwer. Der Tag ist mit einigem guten Willen immer noch ganz gut zu ertragen. Das wirklich Schlimme, das, was böse an den Nerven zehrt, die eigentliche Strapaze, das sind die Nächte, diese feuchtschwülen, dumpfschweren Nächte, in denen man doch nicht den ersehnten Schlaf finden kann, wenn man auch todmüde auf sein Lager sinkt. So eine nicht enden wollende, qualvolle und ruhelose Nacht war gleich die erste, die ich im Hotel Manka verbrachte. Ganz fein säuberlich hatte ich mein Moskitonetz zugezogen und alle Fenster fest und gut geschlossen, um blutsaugende, unerwünschte Nachtgäste am Eintritt zu hindern. Aber nachdem ich mich drei Stunden lang schlaflos in der schweren Stickluft auf den heißen Kissen herumgewälzt hatte, öffnete ich zuerst zögernd ein Fenster, eine Viertelstunde später das zweite und kurz darauf das dritte. Wie luftig nun der frischkühle Nachtwind kräftig das Zimmer durchwehte! Stolz und kühn, als ob es ein wahrhaftiges Schiffssegel werden wollte, blähte und bauschte mein Moskitonetz sich mächtig auf. Und all die seltsamen, zum Teil noch halb rätselhaften oder ganz unverständlichen Stimmen und Stimmchen der japanischen Nacht dringen jetzt an mein Ohr: grelles Lautengeklimper und süßes Flötenklagen. Dann Wassergeplätscher. Drüben im Nachbarhäuschen wird noch gebadet. Wohl einer, der auch nicht schlafen kann. Deutlich sehe ich von meinem Bette aus eine sich nun am Fenster abtrocknende nackte Gestalt. Man gibt sich höchst natürlich in Japan. Ich lausche weiter hinaus: nun das zum vorsichtigen Gebrauch von Feuer und Licht mahnende Holzgeklapper des japanischen Nachtwächters. Kurz darauf der hübsche melodische Gesang eines Vogels. Dann der leise elastische Sprung einer ihn jagenden Katze. Das langgezogene Zirpen einer Zikade in dem Bäumchen vor meinem Fenster, fast wie das leise Schnarchen eines Menschen hört es sich an. Rings um das ihnen den Eintritt verwehrende Netz das laut-begehrliche Summen und Surren der Moskitos. Aber jetzt! Nein, das rumort nicht mehr nur da draußen herum. Ganz dicht an meinem Ohr höre ich nun einen brummen. Und jetzt noch einen und noch einen. In der nächsten Minute folgt auch schon Stich nach Stich. Das im Winde hoch aufflatternde Netz hat den kleinen Teufeln Einlaß gewährt. Ein paar der schlimmen Gesellen klatsche ich an der Wange tot, die übrigen setzen ihr blutiges Marterhandwerk lustig fort. Der Morgen, der ersehnte Morgen beginnt fahl durch das Fenster hereinzudämmern und all das böse, lichtscheue Nachtgesindel sucht seine Tagesverstecke auf. Ein tiefer Morgenschlaf entschädigt mich für die ruhelose Nacht. Im übrigen ist es im Mankahotel zum allerbesten bestellt. Alles gut, reinlich und nicht teuer! In ein paar Tagen sind der Wirt und seine ihm den Haushalt führende Schwester, ist auch die gesamte Bedienung unseres Hotels schon ganz zutraulich und zutunlich geworden, die aus sechs Köpfen bestehende Bubenschar, welche die Rolle von Servier- und Zimmerkellnern spielt, und auch unsere drei Hausmädchen. Was immer ich verlange, alles wird rasch und willig ausgeführt. Nie auch nur der Schein einer Gegenrede, nie ein Besserwissenwollen, nie, und wenn auch noch so viel noch so rasch zu tun ist, je eine mürrische oder unzufriedene Miene. Aber nicht nur gut und bequem lebt es sich in Hotel Manka. Ich kann hier auch schon in der sonst stark unter europäischem Einfluß stehenden Hafenstadt Jokohama japanisches Leben, japanische Sitte, japanischen Volkscharakter studieren. Nicht nur, daß fast alle Speisegäste waschechte Japaner sind. Ganz japanisch ist vor allem unsere engere Hausgenossenschaft. Da sind vor allem unsere schon erwähnten Hotelbuben. Ihr Häuptling -- der Älteste -- heißt Kakutaro. Wie geschickt, flink und gewandt er ist! Trotz seiner Jugend könnte er manchem Oberkellner eines europäischen Hotels als Vorbild dienen. Die Götter hatten ihm schon bei seiner Geburt ersichtlich wohl gewollt. Denn sie hatten ihm nicht die so oft als böses Danaergeschenk sich erweisende Mitgift „männlicher Schönheit“ mit auf den Lebensweg gegeben. Sehr hübsch ist der gute Kakutaro nicht zu nennen. Aber dafür hat er andere Vorzüge. Alle Sprachen -- englisch spricht er noch am besten -- aber alle andern Sprachen radebrecht er ein wenig, deutsch und französisch, italienisch und spanisch, russisch und chinesisch, und beständig sucht er lerneifrig seine Kenntnisse zu erweitern. Die andern Buben streben ihm nach. Sowie sie eine freie Minute ergattert haben, kauern sie in ihren Badehosen -- Badehose ist außer bei den Mahlzeiten die Hauptbekleidung unserer männlichen Bedienung -- in irgendeinem Winkel und grübeln über einer Grammatik, einem Sprachführer oder sonst einem lehrhaften Buch hin. Oder sie fragen und fragen, tun lauter kluge Fragen. Alles und alles möchten sie wissen, sind beständig daran, ihren Gesichtskreis zu erweitern -- und sind doch nur die kleinen, aus niederen Kreisen stammenden Bedienungsbuben eines kleinen Gasthauses. Für jedes freundliche Wort sind sie dankbar. Mit irgendeiner für ein paar Sen, geringen japanischen Bronzemünzen, gekauften billigen Kleinigkeit kann ich ihnen die größte Freude bereiten. Und dann suchen die hübschen frischen Jungen ihre Dankbarkeit durch alle möglichen kleinen, nicht erbetenen Dienste zu beweisen. Grundehrlich sind sie. Nie habe ich irgend etwas verschlossen; das Portemonnaie, selbst Zigarren und Zigaretten -- und sie rauchen sehr gern -- konnte ich ruhig auf dem Tisch liegen lassen. Nie ist mir die kleinste Kleinigkeit abhanden gekommen. Schmerzen können sie aushalten wie ein Mann. Einmal hatte einer eine offene böse Wunde am Fuß. Kakutaro, nicht nur Manager, Ober- und Zahlkellner in einer Person, sondern auch allseitig geachteter Hoteldoktor, steckte ihm irgendeine Heilpflanzenwolle in die Wunde und zündete das Zeug an. Langsam glimmte die Wolle weiter und brannte die Wunde aus. Drei- bis viermal wiederholte der gute Kakutaro mit größter Seelenruhe diese äußerst schmerzhafte Manipulation. Der tapfere, kleine, dreizehnjährige Junge aber saß dabei ganz still auf dem Fußboden, besah sich, ohne eine Miene zu verziehen, die brennende Wolle und -- lächelte! Sie lächeln ja immer, diese Japaner, in Freude und in Schmerzen, auch die Mädchen und Frauen. Unser ältestes Dienstmädchen hatte einmal rasendes Kopfweh, daß sie kaum aus den Augen schauen konnte. Sie erzählte es mir und lächelte dabei, als ob sie sich entschuldigen wollte. Ja, auch unsere Hotelmädchen sind ebenso nett und lustig, liebenswürdig und freundlich wie die männliche Bedienung. Oshige, Osuzu, Omiyo heißt das Dreigestirn, die älteste ist 21, die jüngste erst 13 Jahre alt. Nur viel weniger wissensdurstig und lerneifrig sind sie als die Jungen, dafür aber hundertmal neugieriger. Der strahlende Zenit und Mittelpunkt des Hotels Manka aber ist sein Besitzer selbst: Herr Gonjiro Shibata. Nicht in meinen allerkühnsten Träumen hätte ich einen derartigen Hotelier für möglich gehalten, so ist er die verkörperte Idealfigur vorbildlicher Gefälligkeit. So bin ich sehr zufrieden, gleich am ersten Tag meiner Ankunft sofort ein angenehmes Haupt- und Standquartier für meinen Aufenthalt in Japan ausfindig gemacht zu haben. Zudem habe ich gleichzeitig in Herrn Shibata einen eifrigen Führer gefunden, der selbst gern in Stadt und Land umherzieht und die japanische Wanderlust stark in sich sitzen hat. Er freut sich, mir all die Sehenswürdigkeiten Jokohamas zeigen zu können, stille Tempel und stimmungsvolle Friedhöfe. Er geleitet mich auch oft in die lustige, papierne und hölzerne Welt der japanischen Stadt, führt mich hinaus in die Vororte oder ins Seebad Homoko. Eindrücke über Eindrücke stürmen auf mich ein. Ich staune und komme nicht aus dem Staunen heraus. Eine große, bunte, seltsame Welt hat sich mir mit einem Schlage aufgetan. 3. Japanisches Nachtleben. Am allerbesten gefällt mir Jokohama am Abend und in der Nacht. Tagsüber ist es auch dort wie überall etwas still, besonders an heißen Tagen, an denen die Sommersonne Nippons recht erbarmungslos herniederstechen kann. Aber wenn der Abend kühl herniedersinkt, wenn vom goldglänzend breit gemalten Firmamente sich scharf und tief olivengrün mit einer satten Einheitsfarbe alle Bäume abzeichnen, dann strömt es aus allen Häusern und Häuschen hinaus. Rings ein dicht durcheinanderwogendes Gedränge. Ab und zu auch einige europäische Globetrotter, die in den zweirädrigen Droschken Japans, den Rikshas, angefahren kommen. Galopp! Galopp! Schwer keuchend und schweißtriefend stürmen die armen menschlichen Zugtiere, die Jinrikishamen, einher, der erste bahnt sich schreiend und brüllend den Weg, die andern folgen. Galopp! Galopp! In zwanzig Minuten haben die guten Europäer die ganze Stadt durchquert und glauben, damit alles gesehen zu haben. In Wirklichkeit haben sie nichts gesehen, nichts gehört und gelernt, haben nur einen Mißton in die ihres sauer verdienten Abends sich freuenden japanischen Fußgänger hineingetragen. Nur wer da langsam geht und oft wiederkommt, stehenbleibt und verweilt, fragt und beobachtet, der lernt den Reiz der japanischen Stadt wirklich begreifen. „Klipp, klapp; klipp, klapp; klipp, klapp!“ Ich weiß nicht recht, mit welchem Laute ich am besten dieses schlürfende Geklapper Tausender von Holzsandalen, Holzpantöffelchen und allerkleinsten Holzschühchen vergleichen sollte. Das ist so ein Massen-, ein Millionenton, ähnlich vielleicht wie das Zwitschern der Zikadenheere in den japanischen Bäumen, der Sprung und Flug von Heuschreckenlegionen, das Singen der Grillen im Grase, das Rauschen und Murmeln des Flusses, das langsame Branden des friedlichen Meeres -- viel tausend großer, kleiner und kleinster Töne, alle in einen einzigen Einheitsakkord zusammenklingend und verschmelzend, nicht in einen süß schmeichelnden, auch keinen elementar gewaltigen vielleicht. Denn das klirrt nicht silbern wie der über glatte Eisfläche fliegende Schlittschuh, dröhnt auch nicht ehern wie der wuchtige Schwer- und Gleichschritt heranmarschierender Bataillone, läßt auch nicht donnernd die Erde erzittern wie heranbrausende Reiterdivisionen; das ist ein japanischer, echt japanischer Ton, gleichmäßig immer, nicht allzu leis und nicht allzu laut, nicht allzu schüchtern und nicht allzu leidenschaftlich, erinnernd vielleicht an den harten Holzton der japanischen Laute, an das unermüdliche Holzgeklapper des japanischen Nachtwächters, hartes Holz auf harter Erde, ein ganz harter Ton, hart wie das Leben der Menschen hierzulande ist, wenn man es nach unsern Begriffen mißt. Ist aber gar nicht hart in Wirklichkeit! Es ist Arbeit, viel schwere Menschenarbeit; oft Arbeit, zu der wir nur das Tier knechten. Es ist fast spartanische Genügsamkeit; die Zufriedenheit mit Wenigem, unsagbar Wenigem, würden wir sagen. Es ist ewige, stille Heiterkeit, ist helle Freude an allem Schönen, was ihnen ihre Erde bietet: Freude an ihren bunten Vögeln, großen Schmetterlingen und zirpenden Zikaden; Freude an ihren großen, prächtigen Waldbäumen, an all den tausend Blumen und Blüten; Freude an all den unzähligen Dingen und Dingelchen, die sie sich selbst zu verfertigen verstehen. Und in ihrer Freude, in ihrem heiteren Lebensgenuß, da werden selbst die Großen und Alten: Großeltern, Väter und Mütter, werden sie alle wieder zu Kindern, zu großen Kindern, die die sorglose, ganze Seligkeit des Kindes in sich tragen. An jedem Abend, Nacht für Nacht, ist zur Belohnung für des Tages schwere Last und Müh die japanische Stadt wie ein kleines oder großes Kinderzauberfest aufgeputzt: bunte Lampions, bunte, rote, blaue und grüne Lichter, wohin man sieht. Wohin das Auge blickt: bunte Tücher in hundert Farben, Fahnen, Laternen, Papierstreifen, die alle lustig im Winde wehen. Fratzen und lachende Reklamegesichter, Tiger und wilde Meerungeheuer, Göttergestalten und finster drohende Tempelhüter, nichts darf fehlen! [Illustration: Jokohama. (S. 8)] [Illustration: Die Bedienung des Mankahotels. (S. 11)] [Illustration: Japaner in Jokohama. (S. 17)] [Illustration: Riksha. (S. 15)] Die bis tief in die Nacht hinein offen stehenden Kaufläden sind voll von Tausenden von Herrlichkeiten, eine ist schöner als die andere, die Kinderherzen dürfen jubeln, und gerade oft das Allerschönste und Reizendste ist für ein paar Heller auch von den Kleinsten der Kleinen zu erwerben. Langsam schiebt sich die Menge dahin, langsam pilgere ich mit, vor jedem fliegenden oder stehenden Laden haltmachend, alle Basare durchwandernd und durchstöbernd; nie komme ich zurück, ohne eine Kleinigkeit erstanden zu haben. Was sehe ich nicht sonst noch so unendlich viel, an dem ich mich erfreuen kann, ohne es gerade erwerben zu können oder zu wollen: alte Holz- und Bronzearbeiten, uralte Götterbilder, kostbarste und farbenprächtigste Seidengewänder und Stoffe. Dann all die Blumen und Zierbäume, von denen ich schon so viel gehört habe, daß sie mich von allem Anfang an schon wie alte, liebgewordene Bekannte anmuten wollen. Trotzdem staune ich, wenn ich sehe, wie so ein japanischer Gärtner mit ein paar winzigen Zwergbäumchen den Eindruck eines hohen Urwaldes oder eines ehrwürdigen Götterhaines hervorzurufen versteht, oder wie er aus ein paar Blümchen, niederen Grashalmen und einigen Steinchen einen großmächtigen Prunkgarten zusammengebaut hat. Blumen und Bäume, Gärten und Wälder! Nur die Vögel fehlen darin! ... Die Vogelhändler haben schon Schluß gemacht, gut für die kleinen gefiederten Gefangenen, die nun Ruhe haben, schlecht für das Ganze des Festes. Denn ich vermisse sie nur ungern, die hübschen, immer hinter den weißen Holzgitterstäben sitzenden und trotzdem immer vergnügt plaudernden und zwitschernden Gesellen, schon allein wegen ihrer Farbenpracht müßten auch sie da sein. Das glänzt und schimmert in allen erdenklichen Tönen, vom hellsten Weiß bis zum tiefsten Schwarz; alle Abstufungen und Übergänge, alle Mischfarben sind gegeben, und manche der fremdländischen Südlandvögel sind bunt getupft und gesprenkelt wie unsere heimischen Salme und Forellen. Aber sie schlafen und nur die in einem ganz winzigen Holzkäfig sitzende und zirpende Zikade versucht sie zu ersetzen, beteiligt sich, so laut sie nur kann, an dem lustigen Nachtkonzert. Doch genug von all den tausend Dingen und Dingelchen. Wer das nicht selbst gesehen hat, dem ist das trotz längster, trotz der begeistertsten Schilderungen doch nie ganz klarzumachen. Nun rasch zu den Jongleuren und Artisten. Selbst ganz schauerliche, indische Kunststücke werden mir vorgemacht. Dann ins Theater. Die Japaner sind gute Schauspieler. Sie schließen Fernen und Weiten auf, vor denen wir, im Innersten gepackt, überrascht dastehen. Besonders der Ausdruck finsterer und leidenschaftlicher Regungen, von Schmerz und starkem Schrecken ist oft von unheimlicher Wirkung. Jetzt die Geishas! Die kennt ja schon jeder und selbst der, dessen Länder- und Völkerkunde Note IV oder V verdient, weiß, daß es in Japan ein Fest der Kirschenblüte, weiß ferner, daß es dort „Geishas“ gibt, daß besagte Geishas tanzen und singen und im übrigen sehr nett und niedlich sind. Nett und niedlich sind sie auch wirklich, besonders die ganz Kleinen -- die Elevinnen oder Schülerinnen -- ich weiß nicht genau, wie der kunstgerechte Ausdruck lautet --, die in ihrem mächtig großen Obi (Gürtel) und den Riesenblumen im Haar drollig und reizend zu gleicher Zeit aussehen. Weniger nett und niedlich ist ihr Gesang und ihr Lautengeklimper. Mit den oft recht graziösen Tänzen wird man sich weit eher befreunden können. -- Wieder hinaus ins Freie. Hell gleitet das Licht aus den im Winde leise zitternden Lampions, springt lustig auf die Straße, schlüpft in die engsten Gassen hinein. Breit bricht es aus den Basaren und großen Theatern heraus. Möchte es irgendwo, wo keine Häuser stehen, ein wenig dunkler werden, flugs sind dort auch wieder ein paar Gärtner mit ihren Blumen zur Stelle, ein Spielwarenverkäufer mit seinen Schätzen, ein Seidentuchhändler, ein Zikadenhausierer, und alle haben sie neben ihre Ware auf den Boden ein paar helle Lampen gestellt. Nein! Das ist wahrhaftig nicht die regelmäßige, weithin übersehbare, recht brave und ordentliche, aber auch recht nüchterne und hausbackene Art der europäischen Beleuchtung! Da ein Licht und dort ein Licht; hier ein stolzer Strom, dort ein fahler Funke, fern da drüben, in weiter Nacht ersterbend, ein ängstlich flackerndes Irrlicht. Selbst in den Lichtern, in Strahlenkronen, in Lampions, Lampen und Windlaternen steckt echter Künstlergeist. Unregelmäßig sind sie und doch einheitlich -- ein großes Ganzes -- eine Liliputwiederholung und -nachahmung von den Sternen des Himmels da droben. Und jedes Licht, und mag es noch so klein und lebensbescheiden leuchten, bringt dem, der da recht hinsieht, eine neue, kleine Überraschung, ein neues Entzücken, eine neue Freude, bis man, müde von vieler Freude, todmüde von all dem Schauen, durch die allmählich stiller werdende Stadt den Heimweg antritt. Aber selbst im Traume höre ich noch Geklapper von Holzsandalen, höre ich Lachen und Freudenlaute, höre die frohen Stimmen von all den kleinen und großen Kindern und sehe es blitzen und gleißen, funkeln und sprühen, sehe die tausend goldenen Lichter der japanischen Nacht! ... 4. Kreuz und quer durchs Land. Auch ins grüne Land hinein zog ich mit Herrn Shibata, zog durch die Reisfelder und Wälder der Ebene, zog durch die Schluchten und Engtäler der Berge. Habe ich mich müde gelaufen, lade ich mich in irgendeinem Dorf zur Nachtruhe. Das einzige Gasthaus ist bald ausfindig gemacht. Mit tiefem, graziösem Knix werde ich von den Mädchen des Hauses begrüßt. Einen Augenblick später ist auch der Wirt selbst zur Stelle und ladet den Fremdling mit ehrfurchtsvoll feierlicher Verbeugung, als ob dieser zum mindesten ein Exkönig oder -kaiser wäre, zum Eintritt in sein Haus ein. Ich entledige mich meiner Schuhe, bekomme von einem Mädchen eilig Sandalen angezogen und betrete die erhöht liegende Vorhalle. An meinem Zimmer angelangt, lege ich wiederum die Sandalen ab und stehe nun auf peinlich sauberen Strohmatten. An den zwei Wänden befinden sich zwei lange schmale Bilder, die bekannten Kakemonos, die in Aquarell oder Stickerei ausgeführt zwischen zwei wagerechten Holzstäben befestigt sind. Die zwei andern Wände, die aus durch Bambusgefüge zusammengehaltenen Papierfensterscheiben bestehen, sind zur Zeit noch zurückgeschoben und werden erst nachts zugemacht. Aber ich habe nicht viel Zeit zu langer Betrachtung. Dicht hinter mir ist schon eine Dienerin hereingehuscht und hat Tee sowie Rauchzeug, Zigaretten und glimmende Kohlen gebracht; dann eine zweite, die mir einen Kimono mit feierlicher Verbeugung überreicht. Einen Augenblick bin ich allein. Ich reiße die Kleider vom Leib und schlüpfe in meinen Kimono. Aber da stehe ich bereits vor der ersten Schwierigkeit. Das alles ist viel zu eng, kurz und klein für uns Europäer, das reicht kaum bis zu den Knien, statt bis zu den Knöcheln, bis zum Ellenbogen, statt bis zum Handgelenk; über der Brust ist’s überhaupt nicht zuzukriegen. Eine halbe Minute später hat sich auch schon das ganze Haus um mich versammelt und macht in heller Freude seine Glossen zu dem klein geratenen Kimono. Das Vergnügen wird noch größer, selbst die Nachbarschaft strömt nun von allen Ecken und Enden eiligst herbei, als ich in meinen Sandalen die ersten, schüchternen Gehversuche mache; sie sind ebenfalls um manchen Zentimeter zu kurz und fallen bei jedem Schritt vom Fuße. Schon einige Tage nach meiner Ankunft in Japan ließ ich mir deshalb Kimono und Sandalen anmessen und nahm diese zwei leicht wiegenden Bekleidungsgegenstände bei meinen Fußtouren stets mit, um nicht mehr als unfreiwilliges Mittel japanischer Volksbelustigung zu dienen. Kurz nach der Ankunft werde ich auch feierlich zum Bade geleitet. Das erstemal, wenn man eine japanische Badestube betritt, sieht man sich freilich ein wenig ängstlich um. Eine schwüle Hitze brütet über dem Raum und der mächtigen, in den Boden eingelassenen Holzwanne entsteigt ein dichter, atembenehmender heißer Wasserdunst. Kaum habe ich höchst vorsichtig mit der Haut der Zehenspitze das Wasser gestreift, ziehe ich meinen Fuß mit einem leisen Wehruf wieder ein. Das ist gut zum Eier- oder Hummernsieden, aber kein Bad für einen normalen Christenmenschen. Doch ich versuche es wieder und wieder; was ein Japaner aushalten kann, wird schließlich auch unsereins noch vertragen können, und eine Viertelstunde später sitze ich richtig bis zu den Ohren, freilich mit etwas süßsaurem Gesichte, in der quirlenden Wasserbrühe. Nach dem Bade bin ich krebsrot, aber ich fühle mich auch wie neugeboren. Reisehitze und Reisestaub, alle Müdigkeit ist wie weggeweht. Frisch und munter bin ich, als ob ich einen langen erquickenden Schlaf getan hätte. In meinem Zimmer ist inzwischen das Essen aufgetragen worden. Ein niederes, schwarzes Taburett steht auf dem Boden. Das enthält alle möglichen schönen und guten Dinge, die man kennt: Tee und Reis, süßes Gebäck, Fisch, roh und gekocht, Pasteten und Gemüse, aber noch viel mehr Sachen, die man nach dem altbewährten Spruche: „Was der Bauer nicht kennt, frißt er nicht“, wiederum mit höchst mißtrauischen Augen von der Seite anschielt. An eine Menge Gerichte der japanischen Küche wird sich der europäische Gaumen nicht so leicht gewöhnen. Aber hungrig bin ich auch von der japanischen Tafel nie aufgestanden; ein paar Dinge sind immer da, an die man sich halten kann, Reis und gebratener oder gesottener, oft auch roher Fisch, Gebäck, Eier und, wenn es sehr reichlich hergeht, ein paar winzige Stückchen Huhn. Auch den unwillkürlichen Brechreiz, den mancher Europäer vor jedem japanischen Tisch zu verspüren vermeint, habe ich bei mir nie festzustellen vermocht, dazu ist das alles viel zu nett, reinlich und sauber zubereitet und aufgetragen. Auf dem Boden sitzend, führe ich die Speisen, die ich essen zu können glaube, mit zwei langen, dünnen Holzstäbchen zu Munde. Während der ganzen Mahlzeit kniet eines der Mädchen des Hauses neben mir, die Reisschüssel nachfüllend, Sake, den japanischen Wein, oder den Tee einschenkend und die gesamte Bedürfnisfrage des Gastes überwachend. Nach dem Essen setze ich mich im leichten, luftigen Kimono ein wenig auf die große Holzstufe vor dem Hause. Je kleiner und abgelegener das Dorf ist, in dem ich eingekehrt bin, desto größer ist bald der Menschenkreis, der sich um mich versammelt hat, Fragen an den Wirt stellt, mit freundlichem Kopfnicken mich grüßt und mir zulächelt. Nie wird diese große Volksversammlung, diese immer liebenswürdige und herzliche Neugier, dieses Interesse, das die Leute an dem Fremden nehmen, lästig. Ich bedauerte nur immer, daß ich die Landessprache nicht sprach, kaum ein paar Worte schlecht radebrechte und deshalb nicht so, wie ich wohl gewollt hätte, in den Gefühls- und Gedankenkreis des Japaners einzudringen vermochte. Das Reizendste aber sind die Kinder, die um einen herumstehen und sich allmählich neugierig zutraulich immer näher und näher drängen. Bald hat man eines im linken, eins im rechten Arm, und auf den Knien beginnt auch schon eins lustig herumzuturnen. Sie kennen, sie wissen das sofort, wenn jemand ein bißchen Zuneigung für sie übrig hat und sind dankbar dafür. Wie sauber und reinlich sie sind. Gleich den Großen baden auch sie schon ein- oder ein paarmal des Tages. Bunt und lustig, leicht und kleidsam sind sie angezogen. Dabei mit wie kleinen, billigen Mitteln! Wer nur einmal eine solch große Kinderversammlung um sich gehabt hat, hat auch schon den starken Künstlerpulsschlag des japanischen Volkes pochen gehört, denn nur ein Land von Künstlern kann seinen Kleinen, seinen Kindern solch reiche herrliche Farben, solch reizend und einfach natürlichen Schnitt des Kleides schenken! ... Prächtig frisch, gut gebaut und schlank gewachsen diese lustig dareinschauenden Knaben, die ganz kleinen Mädchen mit ihren großen schwarzen Kirschenaugen aber sind schon eine reizende Miniatur der Großen, haben schon trotz aller Kinderfrische und -natürlichkeit etwas von dem starken Liebreiz der immer freundlichen, stets bescheidenen und dienstbeflissenen erwachsenen Japanerin. Früher als in den Städten wird es draußen auf dem Land, in den Dörfern und Weilern schon still, ziemlich bald sucht man hier sein Nachtlager auf. Das ist inzwischen auch schon in meinem Zimmer, auf demselben Platz, wo ich eine Stunde vorher gegessen habe, aufgeschlagen worden. Ein paar weiche Decken, mit einem tadellos weißen Leinentuch überzogen, dienen als Unterlage, dazu ein ziemlich hartes Kopfkissen und eine Zudecke, letztere oft sehr farbenprächtig und kostbar. Je höher ich nun im Sommer aufwärts gestiegen war, desto besser schlief ich in der an die Heimat gemahnenden Kühle. Aber selbst unten in der Tiefe, am Meer oder in der flachen Fruchtebene bringt der Abend auf dem Lande fast immer eine gewisse Erfrischung mit sich. Ein Übernachten im echten, japanischen Haus kommt einer erquickenden Rast unter freiem Himmel ziemlich nahe. Kein einziger Stein, der noch nachts Glut und Hitze ausströmte. Das leichte Holz- und Bambusgefüge, die Papierwände und -türen schützen gut vor Regen und Nässe. Aber Luft und wehender Wind ziehen lustig hindurch. Draußen rauschen die Bäume, es ist, als ob sie dicht über mir rauschten, flüstern die Gräser, plaudert der Quell, zirpt die Zikade. Mitten im Schlaf bin ich mitten in der grünen Natur. Wenn es dann wieder tagt, wird leise eine Wand des Zimmers fortgeschoben, goldene Morgensonne flutet herein. Das bedienende Mädchen löscht das Nachtlicht, stellt den Tee neben das Bodenlager und meldet, daß das Bad meiner warte. Zur Vervollkommnung der Morgentoilette überreicht sie in manchen Gasthäusern eine funkelnagelneue, niedliche, kleine Zahnbürste und bringt mir, wenn ich dem Bade entstiegen bin, frisch gewaschen meine Wäsche. Nach dem Frühstück und vor dem Abmarsch der feierliche Augenblick der Rechnungsübergabe. Kniend wird sie von einer Dienerin überreicht und über einen halben Meter ist sie lang geworden. Aber all die vielen, mir unverständlichen Zirkel und Zeichen besagen nichts Böses. Im japanischen Gasthaus wurde ich selbst an den besuchtesten Bade- und Kurorten nie allzusehr belastet, wurde sogar noch oft mit einem Geschenke bedacht, einer Sammlung hübscher Ansichtskarten, einem geschmackvoll gezeichneten Hand- oder Taschentuche. Unter tiefer, bis zum Erdboden gehender Verneigung des Wirtes und seiner Leute ziehe ich frisch und ausgeruht von dannen. -- -- Weiter wandern wir, Shibata und ich. Von den Bergen herabsteigend kommen wir ans Meer. Viel Schönes, viel Frohes und Sonniges ist da zu erblicken. Wo ein guter Badestrand flach in die See verläuft, jubeln sich in der Flut herumtummelnde Knaben. Frauen, in weiten, wallenden Badekleidern, über das schwere Schwarzhaar einen großen, breiten Strandhut gebunden; kleine, schlanke Mädchen setzen zagend und mißtrauisch das schmalgefesselte Füßchen in die letzten Spritzer der schon zurückweichenden Uferwelle; junge Männer, die im warmen Sande sitzen und dem Seebad ein langes Luft- und Lichtbad folgen lassen, besprechen eifrigst die jüngsten Erfolge japanischer Weltpolitik; buntschillernde Geishas und Tänzerinnen, eng nebeneinander hockend, bestaunen neugierig ängstlich das immer wieder sich erneuernde Naturschauspiel der donnernd in schneeweißen Schaum und Gischt zerstiebenden, schweren Brandungswoge. Weiter! Berge treten ans Ufer heran, tiefes, felsgründiges Meer erschimmert in sattblauer Farbe, reizvolle Ausblicke eröffnen sich. Ein Wallfahrtsort mit Tempeln, Verkaufsständen und Erfrischungsbuden, Enoshima genannt, bettet sich zwischen dunkles Grün. Hier scheinen die guten Leute durch den Pilger- und Fremdenverkehr bereits „weltläufiger“ geworden zu sein. Gegen ein geringes Geldgeschenk springen umherlungernde Knaben in die Tiefe und holen vom Grunde einen zappelnden, lebenden Fisch herauf, den sie da unten in irgendeinem Klippenloch geschickt angebunden und verwahrt gehalten haben. „Eben im Tauchersprunge gefangen!“ machen sie staunenden Fremdlingen weis. Vorwärts schreiten wir -- vorwärts. Ringsum jetzt menschenverlassenes Gestade, auf der Landseite von magerem, verkrüppeltem Föhrenwald eingesäumt, über Meer und Land der helle Goldglanz der langsam sinkenden Sonne. Ab und zu ein leises Flüstern im Busch und das bescheidene Plätschern des hier langsam verebbenden, friedlichen Meeres. Endlich, nach langer, fröhlicher Wanderung im weichfeuchten Ufersande gegen Abend ein Fischerdorf. Man glaubt, hier gar nicht mehr in Japan, man meint, an irgendeinem heißen Tropenstrand zu stehen, so tiefbraun gebrannt sind diese nackten, meist nur mit einem schmalen Lendentuch bekleideten Fischer. Sorglos scheinen diese Menschen, sind trotz aller harten Armut und schwerer Mühen, trotz aller Gefahren des tückischen Meeres immer vergnügt; Lachen und Scherz sind und bleiben bei ihnen zu Hause, sie lassen sich nie und durch nichts die Freude an ihrer Sonne und ihrer See, ihrem freien Meerwind und ihrem frischen Handwerk vergällen. Und sie haben in den ausgefischten Ufergewässern oft nicht leichte Arbeit, die drei Millionen Menschen, die im Fischfang und der damit verbundenen Industrie tätig sind, das ganze Land mit genügenden Vorräten zu versehen. Denn bei keiner japanischen Mahlzeit darf der Fisch fehlen, frischer oder getrockneter, gedörrter oder gesalzener oder gesottener Fisch. Durch zum Trocknen aufgespannte Netze und Leinen führt uns der Weg in das sauber gehaltene Dorf. Vom freien Meer weht zum Ufer ein Sang von Männerstimmen, ein auf flüsternder Flut schon halb erstorbenes Fischerlied. Rotgolden leuchtende Segel flattern über die See, kommen mit der sinkenden Sonne näher und näher, ein Schwarm kleiner, windverwehter, bunter Schmetterlinge, der langsam und mühsam wieder dem rettenden Lande zustrebt. Freuden- und Begrüßungsrufe! Netze werden ans Land gezogen, Boote auf den Sand geschleppt, emsiges Rühren und Schaffen aller Hände. -- -- -- Vom Meer aus zurück in die Ebene. Mit dem weichen grünen Samtteppich der Reisfelder ist sie bespannt. Manchmal taucht, von Föhren beschattet, ein erdbraunes, holzgezimmertes Bauernhaus auf, von fern sich wie frisch aufgerissenes Ackerfeld oder ein verwitterter Felsblock ausnehmend. Dicht daneben auf einem Waldhügel ein bescheidener Dorftempel. Nun stilles, menschenleeres Heideland. Ab und zu ein dunkler Tümpel, ein braunes Moor. Aus dem zarten Silberdunst der Ferne taucht ein einsamer, mächtiger Bergriese auf, der Fujiyama, der vielgeliebte, vielgemalte, von allen Dichtern besungene Berg Japans, Ziel der Pilger und wandernden Söhne des Landes. 5. Sintflut und Erdbeben. Dem Sonnenlande Japan beliebt es plötzlich, sich in fast ständigen Regen zu hüllen. War ich einmal bei leidlichem Wetter in irgendein Bergdorf aufgestiegen, so erwachte ich am nächsten Morgen in einem so unbeschreiblichen Strichregen, daß es gar nicht möglich war, den Abstieg zu versuchen. Am vielbesuchten Hakonesee ist mir dies gleich zweimal zugestoßen. Zweimal war ich gezwungen, als einziger Badegast an dem kleinen Bergsee zu bleiben. Ununterbrochen tobte der Sturm und donnerte trotz aller Windschutzbauten in der Nacht dermaßen an das Haus, daß ich glaubte, die ganze Holzbude müsse im nächsten Augenblick rettungslos zusammenbrechen. Am Tage aber zauberte er, die schweren weißen Nebel nahe der Wasserfläche über den See dahinfegend, ein vollständiges Winterbild hervor: wie ein dichtes, wildes Schneetreiben auf fest und glatt gefrorener Eisfläche sah sich das an. Eingehüllt in einen schweren Kimono, ein glimmendes Kohlenbecken an meiner Seite, schlug ich ärgerlich und wenig guter Laune die Zeit tot. Das tatenlose Herumsitzen, die Langeweile trieb mich endlich doch zu Tale. Aber es war mehr ein Herabfallen und -purzeln, als ein Herabsteigen. Die abschüssigen Lehmhalden waren schlüpfrig wie Glatteis, ebenso der Fels und das Steingeröll. Dazu hatten Regen und Taifun, jener gefährliche Wirbelsturm, lange Stücke des schmalen Saumpfades in die Tiefe gerissen. Als ich mich mit vieler Mühe und auf großen Umwegen wieder ins Tal hinabgearbeitet hatte, fand ich dort die Brücke weggeschwemmt. Wollte ich weiter kommen, so blieb mir gar nichts anderes übrig, als mich über den wild tobenden Bergfluß hinüberseilen zu lassen. Die japanische Seilfähre ist nicht wie unsere europäische: zwar ist da auch ein Drahtseil vorhanden, aber daran wird kein Schiff, sondern wird man gleich selbst in höchsteigener Person, auf einem schmalen Holzbrett sitzend, angekoppelt. Allzu groß ist das Vergnügen nicht! Die kleinen, leichten Japaner sausen ja ganz frisch und flott hinüber, nicht so das europäische Schwergewicht. Schon in der Mitte der Fahrt beginnt das zu stocken, wie ein unfreiwilliger Akrobat tanze ich auf elastischem Seil über der tobenden Flut auf und ab und habe Zeit genug, tiefsinnige Betrachtungen darüber anzustellen, ob die eigenen achtzig Kilo oder ob die japanische Drahtseilfabrikationskunst schließlich den Sieg davontragen werde. Aber drüben am andern Ufer arbeiten sie ganz wütend und holen mich keuchend doch endlich heil und ganz über. Freilich, den Hut habe ich als Obolus den japanischen Wasser-, Wetter- und Windgöttern in die Tiefe geworfen, die Hose ist auch nicht mehr ganz salonfähig, aber alles andere habe ich glücklich herübergerettet. Ich sehe in diesen Tagen viel Ernstes und Trauriges: entwurzelte Bäume, abgedeckte Hütten, zerstörte Gärten und Felder, niedergegangene Steinlawinen, Vernichtung und Verheerung. Als ich so in einem entsetzlichen Unwetter zum zweiten Male nach Mijanoschita, der bekannten japanischen Sommervillegiatur kam, da fand ich ganz in der Nähe, in einem reizenden, dicht zwischen Fluß und Fels eingebauten Dörflein eine große Menschenansammlung, Polizisten, die Ordnung hielten, Männer, Bauern und Kulis, die fieberhaft schaufelten und arbeiteten. Ein Bergsturz! Zwei Häuser in die Tiefe gerissen! Man sieht nicht mehr viel davon, nur noch Schutt und Geröll. Und die, die in den Häusern waren, sind längst tot. Als ich jüngst hier gewesen, war ich dicht neben der Unglücksstelle eingekehrt. Es regnete auch, aber es kam doch ab und zu die Sonne ein wenig durch das Gewölk, man konnte sich im Freien halten. Ich kannte die Leute, die da verschüttet worden waren, und die zwei hübschen, lustigen Teehausmädchen, die sie entsetzlich verstümmelt herauftragen, waren lachend vor mir davon und ins Haus gelaufen, als ich versuchen wollte, sie zu photographieren. Ganz schlimm sieht es auch in der Ebene aus, die Flüsse und Ströme sind verheerend weit über die Ufer getreten, die so sorgsam bebauten und liebevoll gepflegten Reisfelder sind zu schmutzig grauen Seen geworden -- ein unsagbar trauriger Anblick. Manche Hütten sind weggerissen, zahlreiche Menschenleben sind zu beklagen. An der Küste aber stoße ich auf die Spuren einer verheerenden Springflut, höre von vielen im Taifun untergegangenen Fischerbooten erzählen. Ich höre bald überhaupt nur noch von Todesfällen, von Dammbrüchen und Geleisunterspülungen, Brückeneinstürzen und Bahnunterbrechungen. Jammer, Elend und Not, wohin ich komme. Als ich endlich nach Jokohama zurückgelange, finde ich auch dort allerlei Unheil. Vor allem ist die städtische Wasserleitung zerstört. Das bedeutet soviel wie allerhöchste Gefahr. Denn die japanische Stadt ist, wie schon des öfteren erwähnt, ganz aus Holz erbaut. Dazu all der andere, bunte Flitterkram. Jeden Augenblick auch ein Brandunglück. Und jetzt kann nur noch nach altem Brauch, mit Eimern und Tonnen gelöscht werden. Keinen trockenen Faden am Leibe mehr, kehre ich in mein Haupt- und Standquartier „Hotel Manka“ zurück. Aber entsetzt mache ich die Entdeckung, daß auch das Mankahotel inzwischen von einem Hochwasser heimgesucht worden war. Meine im Erdgeschoß stehenden Schiffskoffer hatten vergnügt „Schiffahren“ gespielt. Im untersten Fach fand sich ein grauer Brei, eine zähe, geleeartige Masse, in der bereits lange gelbe Würmer herumkrochen. Tieftraurig schaufelte ich das aus und übergab es zu schleuniger Bestattung. Dann versuchte ich zu retten, was noch zu retten war. Kohlenbecken wurden entzündet und die Reinigung und Austrocknung der triefenden Koffer, das Aufhängen der nassen Kleider, die Ausbreitung der feuchten Wäsche und des sonstigen noch verwendbaren Kofferinhalts gestaltete sich zu einem glänzenden Freudenfest für die neugierigen und wissensdurstigen Hotelboys und -girls. Aber nicht nur das Wasser schafft Schaden und Elend, auch im Innern der Erde will es rebellisch werden. Ich erlebe in Jokohama mein erstes Erdbeben. Es ist ganz schön und gut abgelaufen und hat auch allgemein außer verschiedenem Materialschaden nicht allzuviel Unheil gestiftet. Aber trotzdem! Sicherlich habe ich noch nie im Leben ein so unheimliches Gefühl wie in dieser Nacht empfunden. Ein schweres Alpdrücken. Ich träume -- träume, daß einer meiner Angehörigen eines ganz gräßlichen, entsetzlichen Todes gestorben sei. Plötzlich erwache ich. Auf dem Boden rollen ein paar am Abend vorher erstandene Vasen zerbrochen umher. Nun ein Stoß! Das Zimmer geht auf und ab wie ein Schiff im Sturm. Geradeso wie bei hohem Seegang das Gebälk des Schiffes, kracht und ächzt und stöhnt es in den Wänden, in der Decke, im Dachstuhl. Jetzt noch ein Stoß, stärker, kräftiger, dröhnender als der erste! Gewaltige Erdkräfte, die tief da unten zu schlafen schienen, sind aufgewacht, sind heraufgestiegen, haben gerufen, daß sie noch leben wie am allerersten Tage der Erde, und haben mahnend angepocht, das Pochen ist laut und deutlich gewesen. Im nächsten Augenblick muß das alles in Trümmer zusammenstürzen! Ein Sprung aus dem Bett, ein zweiter nach der Tür, ein paar Sätze über die Stiege hinab, nie noch habe ich im Leben so unanständig rasch ein Haus verlassen! ... Erleichtert atmete ich auf, als ich glücklich mitten auf der Straße im strömenden Regen stehe -- mit vielen Leidensgenossen, die sich alle in sehr unmöglichen oder gar keinen Kostümen gerettet haben, just geradeso, wie sie in der schwülen Septembernacht der plötzliche Seegang von Mutter Erde überrascht hat. Wir sind alle noch etwas verschlafen, noch etwas beklommen und warten der schlimmen Dinge, die nun weiter noch kommen werden. Aber es kommt nichts mehr. Den Göttern der Tiefe hat es gefallen, nur zu pochen und zu mahnen, mit dem zweiten kräftigen Stoß ist alles zu Ende. Man steht plaudernd beisammen, bis es ganz Tag geworden ist, dann geht man zurück, hebt seine zerbrochenen Habseligkeiten auf und ist etwas verstimmt über die unnötigen Artistenriesensprünge, die man gemacht hat. [Illustration: Japanerin im Kimono. (S. 21)] [Illustration: Spielende Kinder. (S. 23)] [Illustration: Fischerdorf. (S. 26)] [Illustration: Japanische Fischer. (S. 26)] Daß ich mit meiner Eile nicht allzusehr unrecht gehabt hatte, wurde mir acht Tage später dadurch bewiesen, daß in friedlichster Sonntagsmorgenfrühe plötzlich und unvermittelt, wohl als Nachfolge des Erdbebens, meine Zimmerdecke, allerlei schweres Gebälk, dazu noch drei Zentner Tomatensaucenflaschen, die über der Decke gelagert gewesen, herabstürzten und eine grausame Verwüstung unter meinem Eigentum anrichteten. Was nicht zerschlagen war, wurde in Tomatensauce getränkt. „~Allright!~“ sagte ich trotz des wenig freundlichen Anblickes und war, da ich erst zwei Minuten vorher durch einen Zufall das Zimmer verlassen hatte, froh, so leichten Kaufes davongekommen zu sein! 6. Die Stromschnellen des Tenryugawa. In Nagoya habe ich mir mit drei Bekannten, drei deutschen Offizieren, ein Stelldichein gegeben. Wir haben schon gemeinsam von Kioto aus die recht hübsche Fahrt über die Stromschnellen des Hozugawa gemacht und wollen nun von Nagoya aus die Reise in die Berge hinein an den Tenryugawa, einen mächtigen Bergstrom Zentraljapans, antreten, um auf seinem Rücken uns wieder in die Ebene herabtragen zu lassen. Da dieser Ausflug ziemlich selten unternommen wird, von manchem Kenner des Landes aber überhaupt für das Schönste erklärt wird, was in Japan zu sehen, möchte ich ihn etwas ausführlicher schildern. Von Nagoya aus geht es in die Berge, durch breite Täler und enge Schluchten, über Wasserscheiden und Höhenpässe. Erstaunt und erfreut durchwandern wir eine ganz wundersame und fast unbekannte Bergwelt. Oft ist das alles wie ein sonniges Südtiroler Tal: Maisfelder, Maulbeerpflanzungen, Kakibäume, deren große, runde Früchte golden wie Orangen aus dem üppigen Tiefgrün herauslachen. Zwischen all dem reichen Segen ab und zu auf hohem Steinunterbau ein niederes Häuschen, dessen weit hervorspringendes, breitschräges Dach ganz so wie ein österreichisches oder bayerisches Gebirgshaus mit Schindeln und Steinbelag gedeckt ist. Doch je höher wir steigen, desto nordischer wird es ringsum. Herbstroter Ahorn und schwarze Föhren verdrängen alles Fruchtland, bis schließlich jeder Baumbestand allmählich aufgehört hat. Wolkenbruchartiger Landregen macht einmal für vierundzwanzig Stunden jedes Weitermarschieren unmöglich, aber nach vier Tagen haben wir dennoch unter allerlei kleinen Abenteuern unser ersehntes Wanderziel, das Gebirgsdörfchen Tokimata, den Abfahrtsort für die Tenryugawatalreise, glücklich erreicht. Wir sind etwas in Sorge. Der Tenryugawa kann nur in wenigen Herbstmonaten des Jahres befahren werden, selbst in dieser Zeit aber kommen lange und häufige Unterbrechungen durch Hochwasser vor. Und der Fluß hat starkes Hochwasser. In scharfem Talfall wälzt er schäumend und brausend seine schmutziggrauen Fluten dahin. Aber der Schiffahrtspächter will uns dennoch hinabbringen lassen, doch nicht ohne den Versuch gemacht zu haben, den Preis möglichst in die Höhe zu treiben, was begreiflich erscheint, wenn man bedenkt, daß seine Leute an vierzehn Tage zu tun haben werden, bis sie das Boot wieder nach Tokimata zurückgeschleppt haben. Endlich sind wir aber doch handelseinig, und die Abfahrtsstunde wird auf 6 Uhr morgens angesetzt. Rasch treibt das breitgebaute, von vier stämmigen Schiffern mit mächtigen Rudern gesteuerte Boot talabwärts. Flaches Gestade, ab und zu schon ein Strudel und ein paar hüpfende, neugierig über die Bootswand hereinguckende Wellen. Aber ruhig und sicher liegt das Boot noch auf dem scharfzügig abwärts eilenden, breiten Strom. Prächtige Waldberge in der Ferne, dunkles Laubgrün und gut bestellte Felder am Ufersaum. Doch plötzlich hohe, einengende Wände. Zischend und schäumend donnert die Flut gegen den Fels. Und schon ist auch das Boot mitten im tollsten Hexenkessel. Von allen, allen Seiten hat das Wasser, der Strudel das Fahrzeug gefaßt und zerrt und reißt es umher; über die meterhohe Bootswand kommen die ersten Wellen herein. Nun ein Stoß, ein ganz gewaltiger Stoß! Wir sind von den Sitzen geflogen, so mächtig ist der Ruck gewesen. Gischt und Wasserdampf sprüht empor, schon liegt das Boot auf der Seite. Klirrend und krachend, mit einem Höllenlärm kollert verschiedenes Zerbrechliche umher. Doch der äußersten Kraftanstrengung unserer braven Fährleute glückt es noch im letzten Augenblicke, das Boot vor dem Kentern zu bewahren. Und „Kentern“ wäre hier gleichbedeutend mit Schluß und Ende. Nicht der beste Weltmeisterschaftsschwimmer könnte sich aus dieser kochenden Urkraft wildester Tiefstrudel je wieder herausarbeiten. Schon an der nächsten Biegung, wo ein flach zulaufender Geröllstrand sich zeigt, machen die Schiffer halt und nehmen weiteren Ballast, mächtige Flußsteine, ein. Das Boot ist noch zu leicht, das Hochwasser größer und stärker, als man oben in Tokimata angenommen hatte. Wieder hinein in den reißenden, undurchsichtigen Fluß. Nun sollen die eigentlichen Stromschnellen ja erst beginnen. Wieder dieselbe atembenehmende Sturmjagd! Zu Tale! ... Zu Tale! ... Weit, weit da drunten blitzt es silberweiß im grauschwarzen Flußbette auf, weit, weit da drunten und jetzt noch tief, tief unter uns. Doch unser windschnell dahinbrausendes Boot muß schon im nächsten Augenblicke die weiße Gischt- und Schaumstelle erreicht haben. Die erste Stromschnelle! ... Erwartungsvoll spähen aller Augen hinab! ... Hoch richtet sich der auf der Spitze des Bootes stehende Fährmann empor. Schlank, gerade und unbeweglich steht er da, fest und sicher, auf der schmalen, scharfkantigen Planke. Langsam und feierlich -- ein Betender -- hebt er das schwere Ruder und pocht dreimal damit an den Bug des Bootes, laut, langsam und feierlich. Dumpf hallt es wider. Kaum hat er den dritten und letzten schallenden Schlag getan, kaum das huldigende und beschwörende Gebet an den Gott des Flusses zu Ende gesprochen, da gibt auch der mächtige Gott aus der Tiefe schon Antwort: dumpf, aber viel, viel schwerer und wuchtiger als der Schlag des Ruders an die Bootswand, donnert und dröhnt, brüllt und braust er seinen lauten Gruß in die Höhe. Gischt und Schaum, Wellen und Wogen speit und schleudert er in weitem Bogen empor, rast in sinnloser, alles zermalmender Wut da unten im tiefen, dunklen Grunde. Wie ein Federball tanzt das Boot dahin und dorthin, vom gewaltigen Atem seiner Riesenbrust hin- und hergeweht, hoch hinaufgehoben, um krachend wieder auf die zischende Flut zurückzuprallen. Und nun schießt es, ein von starker Sehne abgeschnellter Pfeil, mit plötzlichem Entschluß auf die nahe, steile Felswand zu. Wenn es mit der Spitze den Stein berührt, zerstäubt es in tausend Trümmer. Jetzt aber beginnt ein Kämpfen und Ringen unserer vier Schiffsleute mit den ungestümen, ungeheuren Machtgewalten des Stromes. Die Ruder ächzen und stöhnen, die zusammengepreßte Bootswand seufzt und wimmert, der Boden zittert. Aber der Strom, der gewaltige Gott der Tiefe, bleibt Herr und Meister, zürnend schleudert er uns an den Fels, nahe schon ist die verderbliche Klippe. Man sieht die Gefahr, man weiß die Gefahr und doch, man fühlt, empfindet sie nicht als solche. Man starrt nur still und andächtig auf dies gewaltige Ringen zwischen schwacher Menschenkraft und ungebändigten Naturgewalten. Und die, die siegen, die müssen ja einmal und endlich über uns Menschen siegen. Doch unsere Leute denken nicht so. Mit beiden Füßen stehen sie jetzt alle auf der schmalen Bootswand, holen weiter aus, setzen tiefer und wuchtiger ein. Jede Sehne, jeder Nerv ist fieberhaft gespannt. Wie leichte Weidengerten biegen sich die vier schweren Ruder, winden und krümmen sich. Wenn eines der vier jetzt bräche, wäre alle Mühe vergebens. Freilich, der Tod in einem solchen Augenblick, in einer solch königlichen Machtoffenbarung der Natur wäre wahrhaftig das Sterben wert und frei von allem Schaudern und Grauen. Aber heller und lichter ist dennoch das Leben! ... Leben! Leben! ... Wir hängen ja doch daran, oft ohne es zu wissen, und wenn es nicht viel mehr als die sichere Gewohnheit von Atmen und Bewußtsein wäre. Ins lachende Leben hinein gleitet wieder das Boot. Kaum einen Fuß vor der todbringenden Wand hat sich schwerfällig langsam der Bug gedreht. Die erste Stromschnelle ist genommen, ungezählte andere folgen. Um 6 Uhr morgens sind wir aufgebrochen, erst in den Nachmittagsstunden kommen wir in ruhigeres Fahrwasser. Was sehe ich nicht alles während dieser langen Fahrt! Immer wieder muß ich die Riesenkräfte des Flusses anstaunen! Mit grober Faust hat sich der wilde, ungebärdige Berggeselle irgendwo ein paar mächtige Baumhünen zur Kurzweil gepflückt und spielt mit ihnen lustig Ball, als ob es leichte Wiesenblumen wären. Schwere Holzflöße, von starksehnigen Gebirglern mit schweren Ruderstangen zu Tale geleitet, sind in seinen Bärenarmen nur gebrechliche, leicht geknickte Strohhalme. Herrlich aber sind die Ufer, in die der Wildfang sein Bett tief eingewühlt hat. Ein ewiger, reizvoller Wechsel: bald hochstämmiger Nadelwald, bald lichtgrüner Bambushain, bald kahler Fels; in schwindelnder Höhe kleine Bergdörfer, wie Schwalbennester an steil abfallende Wände angeklebt. Jubelrufe von Kindern klingen hell aus dem Hochwald zu uns hernieder. So unendlich vieles erblicke ich, daß ich schon nach den ersten Stunden der Fahrt fast sehensmüde bin und kaum mehr einen geringen Teil der blitzartig vorbeiziehenden tausend Bilder in mich aufzunehmen vermag. Etwas steif und gerädert, mit eingenommenem Kopfe -- wir haben alle das Gefühl, eine schwere, stürmische Seefahrt hinter uns zu haben -- entsteigen wir am Abend dem Boote. Müde lehne ich mich in die Riksha zurück, die mich zu der nächsten, etwa zwanzig Kilometer entfernten Bahnstation bringen soll. Nach dem tollen Dahinjagen über Strudel und Stromschnellen glaube ich, jetzt auf den weichsten und besten Gummirädern der Welt zu fahren, so sanft und ruhig gleitet der von einem kräftigen Kuli gezogene Wagen rasch auf schmalem Feldwege dahin. Abendstille über der weiten, friedlichen Herbstlandschaft. Ein Schimmer von edelstem Goldbrokat über dem grünen Land, das langsam sich in tiefere, feuchtfahle und dunkelsatte Farbentöne einhüllt. Leise und lautlos trabt der Rikshamann weiter, sanft schwankt und schaukelt der Wagen. Das große Schweigen ringsum dünkt mich zu tief fast. Ich habe im Ohr noch den tosenden Donner der Wildwasser. An meinen geschlossenen Augen zieht alles Geschaute noch einmal vorbei: es ist Japans Zartestes und Lieblichstes, Packendstes und Gewaltigstes -- Japans Bestes und Seltenstes gewesen! 7. Tempelfeste. Viel Schönes und Reizendes, Sonniges und Farbenfrohes zog während meines Aufenthaltes in Japan noch an mir vorbei. Als eines der besten Dinge aber, die man in Nippon überhaupt sehen kann, wollen mir noch heute in der Erinnerung die Tempelfeste erscheinen, wie sie die kleinen Leute des Landes feiern. So möchte ich versuchen, im folgenden solch ein Fest, deren ich manche mitgemacht, mit einigen Worten zu schildern: Ein Tempel im Grünen; ein brauner, strohgedeckter und verwitterter Holztempel, bald auf freier Höhe stehend und weit über Stadt und Land, Ebene und See hinwegblickend, bald in stilles, entlegenes Waldtal versteckt oder mitten in den reichen Segen rauschender Reisfelder eingebettet. Eine Föhre oder Kiefer, ein Ahorn oder anderer Baum, der den Tempel beschattet. Tempel im Grünen, vom Winde umflüstert, von der Zikade umsungen, von Bambushainen umrauscht. Ein altes, gebeugtes und gebrechliches Mütterlein, das mühsam zum Beten herangehumpelt kommt; ein Pilgerpaar, Mann und Frau, die müde an geweihter Stätte andachtsstille, schweigende Rast halten; ab und zu vielleicht noch einmal ein anderer, der etwas Schweres auf seinem Herzen lasten und seinem Gott zu sagen hat. Sonst nichts. ~Treuga Dei~, Gottesfrieden, gebietet feierlich der altmorsche Holztempeltorbogen. Lärm und Unrast der Welt finden keinen Einlaß in die heilige Klause des Gottes. Kirchenstill ist es rings, jahrein, jahraus. In tiefem Schweigen träumt das schmale Schutzland der Gottheit dahin und kein Fuß, kein lautes Wort stören den Frieden. Aber einmal im Jahr will es unter dem breitästigen Föhrengezweig lebendig werden, brausender Jubel umwogt die heilige Stätte, einmal im Jahr, wenn sie das Fest des Tempels feiern. Schon kommt ein feierlicher Zug aus dem Dorfe, aus der Vorstadt herangezogen. Schwer geschmückt schwankt ein hochgetürmter Wagen daher. Bekränzte Götterbilder stehen darauf, ein halbes Hundert weißgekleideter Knaben leistet freudigen Vorspanndienst. Andere Jungen haben kunstvoll gefügte und geschnitzte Abbilder des Tempels auf ihre Schultern genommen. Vorwärts stürmen sie, rückwärts weichen sie, schwanken zur Seite, drehen in lachender, jauchzender Festesfreude sich wie toll im Kreise umher, wollen durch ihre Rufe, ihre Gebärden und Bewegungen uns glauben machen, daß das auf ihren Schultern ruhende, leichte Holztempelbild eine zentnerschwere, drückende Steinlast sei, kaum zu tragen und durch ihr Gewicht wuchtig vorwärts, rückwärts und nach allen Seiten treibend. Hinter dem Wagen, hinter den Tempelbildern kommen Scharen von freudig erregten und erwartungsvoll gespannten Menschen im Feiertagskleide gepilgert: Männer, Frauen und Kinder, Hunderte, Tausende von Kindern. Vor dem Tempel staut sich die Menge. Ernste, weißgekleidete Priester steigen langsam feierlichen Schrittes, Würde und Andacht vereinend, die Stufen empor, treten ehrfurchtsvoll in das geheimnisumwobene Halbdunkel des Tempels ein, knien schweigend nieder, flüstern und raunen seltsame, kaum mehr zu deutende Worte uralten Väterglaubens, neigen sich tief zur Erde, pressen Stirne und Haupt auf den geweihten Boden. Stille, andachtsvolle Gebetsstille herrscht im heiligen Hause des Gottes. Aber draußen, dicht, dicht daneben, rings um den Tempel herum, seine Stufen hinan, bis zu seiner Schwelle empor brandet ein breites Brausen jauchzender Lust, schäumt ein rauschendes Meer wogender Freude. Ein Jubel, ein einziger toller Lebenstaumel hat das ganze, ganze Volk in seinem Innersten mächtig gepackt und mit sich fortgerissen. Hat das die weiche, mild schmeichelnde, die göttliche Luft Japans getan, die wie süßer Wein berauschend den ganzen Menschen durchdringt? Hat sie heute alle frohen und hellen Saiten des Menschenherzens noch froher und heller, noch höher gestimmt? Oder ist’s die Sonne, die glänzender strahlt als sonst? ... Der tiefblaue Himmel, der ein wolkenlos leuchtendes Festgezelt über all den Jubel gespannt hat? Ein goldenes Lichtfest feiert die Natur, und die Menschen, Kinder der Sonne, Kinder des Lichtes, feiern es mit! ... Strahlende Lebenslust auf allen Gesichtern, verklärt selbst das verhärmte Antlitz der Armen. Rings ein Laufen, Tanzen und Springen, alle Glieder sind leicht und gelöst; rings ein Lachen, Singen und Jubilieren; Glockenhelle und Glanz in allen Stimmen. Von Auge zu Auge rauscht und flutet es, schwillt an zum klaren, flüssigen Strom, der die frohe Botschaft der Freude jauchzend ins weite Land hineinträgt ... Jubel allüberall! Doch am frohesten, am lustigsten schauen die Augen der Kinder darein. Ein kleines, buntschillerndes Völklein, sind sie mit wichtigen Mienen eilig gekommen, im Alltagskleide, das ihnen die Mutter mit ein paar farbigen Streifen und Bändern liebreich verbrämt hat, und im phantastisch geschmückten und aufgeputzten, weißen oder bunten Festgewand; um die Stirne als Sonnenschutz ein breites Tuch gewunden oder um die Schultern den großen, mit lang wallenden roten oder gelben Gräsern gezierten Strohhut gehängt; in der kleinen, geballten Faust sehr oft einen, dem warnenden Nachtwächterstock nachgebildeten Eisenstecken, mit klirrenden und klingenden Ringen versehen. Wohin das Auge sieht: leuchtende, glühende Farbenpracht! ... Guter Geschmack, angeborener und vererbter Künstlersinn, hier, auf dem Feste der Vorstadt oder des Bauerndorfes, wo die Armen und Kleinen des Landes die Feier ihres bescheidenen Tempels begehen. Geschmack und Künstlersinn bei Jungen und Alten, in Tracht und Kleidung, in Haltung und Bewegung. Künstlerhände haben auch den Festplatz geziert. Wie schön und harmonisch ist das alles: der Tempel, den sie mit wenigen bunten Tüchern und ein paar Blütenzweigen geschmückt haben, der phantastische Festwagen, die Abbilder des Tempels, das mit Lampions und buntem Zierat überschüttete Kinderfesttheater, die lustig dareinschauenden Budenstände der Spielwarenverkäufer und sonstigen Händler. Lächelnd und staunend steht man da und sucht das vielgestaltige und immer wechselnde Bild in sich aufzunehmen. Auch den Fremden hat bald eine Woge der allgemeinen Freude mit sich fortgerissen und trägt ihn mitten hinein in den lauten Festjubel der großen Menge. Solange man auch darin herumwandert, nie wird man in der ausgelassensten Fröhlichkeit einen Mißton erlauschen, nie etwas Maßloses, Verletzendes, Störendes -- Unkünstlerisches möchte ich sagen -- hören oder sehen. Keine Roheiten! Kein Rüpel oder Betrunkener. Nicht einmal irgendwo eine Bude, die alkoholhaltige Getränke verschenkte. Man braucht das hierzulande nicht, um fröhlich zu sein. Alle Menschen und Herzen scheinen auf einen einzigen warmfrohen Grundton gemeinsamen und gegenseitigen Verstehens gestimmt! Das wogt so den ganzen, langen, lieben Tag lachend und scherzend durcheinander. Das endet auch nicht, wenn die Sonne mit einer glutroten Farbenorgie strahlend Abschied genommen hat. An den Föhren, die ihre geschweiften Drachenarme tiefschwarz und starr in den blaßblauen Abendhimmel hineinheben, leuchtet golden, wie ein plötzlich aufgehender Mond, eine Papierlaterne auf. Dann noch eine und noch eine. Und später andere, Hunderte; in allen erdenklichen bunten Farben schillernd. Wie gefangene Vögel und Riesenschmetterlinge rauschen, flattern und schwanken sie im leisen Abendwind hin und her. Grünlich leuchtende Glühwürmchen schlingen um Busch und Baum einen lautlosen, zitternden Reigen. Mit ihnen tanzen um die Wette, ein nächtlicher Spuk, ein wilder, wirbelnder Feuerzauber von hundert großen, flackernden Irrlichtern, die glutroten, auf schwankenden Bambusgerten daherwirbelnden Lampions herumtollender Knaben. Erst tief in der Nacht will all die Lust langsam verebben. Die Kühle treibt die fröhlichen Leutchen wieder nach Hause. Jubelnd und singend ziehen die letzten davon. Kaum sind sie fort, auf dem schmalen Tempelwege ein leiser, kaum hörbar huschender Schritt. Die da langsam gegangen kommt, trägt auf ihrem stillen, wunschlosen Antlitz den Frieden der Welt. Mild und hell wie der Stern der Nacht blickt ihr das Auge. Ihre Hand ist schmal, eine sanfte Hand, die auch an jede Wunde rühren darf, eine weiche Hand, die so manche wird heilen können. Behutsam und leise schreitet sie in ihrem lichtgrünen, aus Mondlicht gewirkten Kleide unter dem alten, verwitterten Tempeltorbogen hindurch, schaut lächelnd in weiter Runde umher, breitet die Arme und segnet das schweigende, schlafende Land. Auf den Tempelstufen läßt sie sich langsam nieder, eine stille, getreue Wächterin. Die Gräser flüstern, Kiefern und Föhren rauschen, die Zikaden singen. All das Flüstern, Rauschen und Singen, die hundert Stimmen und Stimmchen in Wald und Feld klingen zusammen in einen einzigen freudigen Gruß an die Wiedergekommene, die Herrin des Tempelgrundes: an die „Einsamkeit“. Ganz stille sitzt sie und nickt zufrieden. Für ein langes Jahr hat wieder ihr Reich begonnen! 8. Insel der Seligen. Von einem berühmten Tempelort im Süden des Landes muß ich des weiteren noch berichten, einer Insel. „Insel der Seligen“ habe ich sie in dankbarer Erinnerung getauft. Heilige Erde! -- Reiner, geweihter Schutzboden! Kein Hund darf das Land betreten, kein Wild hier getötet, kein Toter begraben, kein Leben geboren werden. Weit in bergwasserklarer, blauender Meeresflut steht, heiligen Gottesfrieden gebietend, der ragende, verwitterte Holztempelbogen. Insel des Friedens, Land der Heiligung seit grauer Urväterzeit. Hier rauscht der Wald noch so geheimnisvoll, stehen die Fichten und Föhren noch so dunkel und dicht wie zu den Tagen, da erste frohe Botschaft und fromme Sage durch fahrende Pilger hinüber zum Festland getragen wurde. Auf windumbrauster Höhe brennt seit mehr denn tausend Jahren ein heiliges, ewiges Feuer; in weiten, weihevoll dunklen Tempelhallen murmeln weißgekleidete Priester Gebete; zum Klange der Flöten, zum Spiele der Saiten wiegen junge Priesterinnen in rotem Festgewand, von weißsilbernem Mantelgewebe umflutet, sich langsam und feierlich im heiligen Tanze. Hier klingt noch jetzt voll und rein die alte, liebe Weise von dem vergangenen, dem gewesenen, dem langsam nun sterbenden Japan, klingt so lockend und bezaubernd, daß man nicht müde wird, ihr zu lauschen. All ihr Weg- und Wandermüden, willkommen drum in Miyajima, der weltvergessenen Insel der Seligen! ... Weg- und wandermüde war ich, als ich nach den Herrlichkeiten Kiotos und Nikkos, Nagoyas und Naras in Kobe aufs Schiff stieg, um die vierundzwanzigstündige Fahrt durch die Inlandsee nach Miyajima anzutreten, eine Fahrt, die man nur völlig frisch und aufnahmefähig unternehmen sollte, denn sie ist einzig schön. Bald ist dies das Meer, oft scheint das wieder nur ein großer Binnensee zu sein, dann wieder ein ganz kleiner Gebirgssee, der plötzlich und unerwartet in eine herrliche, schimmernde, weite Bucht mündet, die kurz darauf wieder sich in einen Fjord zusammenpreßt, so schmal und eng, daß kaum ein Steinwurf ist von Land zu Lande. Oft kein Ausweg zu sehen, rings ein nirgend sich öffnender Kreis der herrlichsten Bergrundpanoramen der Welt, Felsen und Klippen, Hügel und Höhen, Bergketten hinter Bergketten. Vom frühen Morgen bis in die späte Nacht ein ewiges, prachtvolles Wechselbild! Tausende von Inseln und Inselchen sind in die Inlandsee eingebettet, manche groß und nicht zu übersehen, manche ganz winzig nur, ein paar hoch und spitz aufgetürmte Felsblöcke oder eine Handvoll Land, das von dem dunklen Grün der breiten japanischen Kiefer überschattet ist. Fischerkähne und kleine Segler werden von der starken Kielwelle unseres Schiffes hoch emporgeschleudert, und all das bunte, lustige Leben in den unzähligen Fischerdörfern spielt sich zum Greifen nahe vor unsern Augen ab. Dunkle Nacht ist es schon, als ich nach einem meiner schönsten Reisetage in Miyajima lande. Noch ein viertelstündiger, bergaufwärts führender Weg, und ich bin in meinem japanischen Hotel „Momiji-ya“ = „Gasthaus zum Ahorn“ angelangt. Am nächsten Morgen halte ich nähere Umschau: mein Erkerzimmer steht ganz auf mächtigen, bemoosten Felsblöcken. Dicht unter mir plätschert ein kristallklarer Bergbach vorbei, den sie etwas oberhalb zu einem kleinen See gestaut haben. Drei kleine niedliche Teehäuser, drei Inseln, auf ein paar Felstrümmern aufgebaut, schwimmen drin herum. Und weiter hinauf ein Gewirr von Brücken und Stegen, Springbrunnen und Inselchen. Rasch hinaus und den Berg empor! An einigen Teehäusern und auch schon rötlich gefärbten Kirschbäumen vorbei geht es hinein in den Wald. Der mutet einen fast an wie lieber deutscher Wald. Nur die Formen der Föhren, Fichten und Kiefern sind abenteuerlicher und phantastischer, und unter das Nadelholz mischt sich viel immergrünes Gesträuch. Ganz sommerlich sieht das alles noch aus, jetzt im November, heute am Allerseelentag. Nur der wilde Wein, der sich dicht und schwer um die hohen Stämme der Föhren schlingt, hat schon ein rotes Herbstkleid angezogen, und das Waldgras ist da und dort von einem leisen Rotschimmer überhaucht. Aber sonst ist hier noch Sommer! Tiefgrün und lichtgrün, wie man es sehen will, und alles noch in Saft und treibender Kraft. Bunte Schmetterlinge und leuchtende Libellen irren um schimmernde Waldblumen, die Grillen zirpen, die Vögel locken und rufen so laut wie im Frühling, manchmal ein Damwild, das mich fragend mit seinen großen Lichtern ansieht -- und über all der Pracht liegt warmer, milder Sonnenschein. Durch dämmerig dunklen Wald nun höher hinauf, bis alles tief unter mir liegt: blaue See, in die der graue Tempel sich einbaut, dicht daneben die schlank graziöse Pagode, und ringsum das in Sommergrün und Herbstrot gebettete Dorf. Über der See durch Ferndunst und Höhenrauch herübergrüßende Berge. Ringsum Stille und Schweigen. Ringsum unzerstörte, unentweihte, heilige Natur -- Insel der Seligen! Zum Dorfe hinab. In den saubern und netten Holzhäuschen wohnen Fischers- und Schnitzersleute. Brauchen nicht viel zum Leben und haben das Wenige. Zufriedene und vergnügte Gesichter allüberall. Kein Bettler, kein Armer zu sehen -- Insel der Seligen! ... Nun in die Tempel. Der eine, auf kiefernbestandener, weitblickender Höhe, der andere zu seinen Füßen in der See. Zu dem Gotteshaus, das unten im Meere steht, müssen die es umsäumenden Föhren von hoher Schutzmauer herab alle sich ehrfürchtig niederneigen. Manche bäumt sich zwar, nachdem sie tief sich schon gesenkt, mit ihrem mächtigen Stamme widerspenstig, hoch und trotzig wieder empor. Aber der Gott, der zwingt sie nieder. Demütig küssen sie schließlich alle mit den Spitzen der Wipfel die geweihte Erde tief unter ihren Füßen und Wurzeln, bezwungene Walddrachen, die den heiligen Göttern huldigen. Nicht nur die Bäume, nicht nur das Meer, das dem Tempel hier ewig sein hohes Lied rauscht, auch die Tiere grüßen die Götter. Ein schwarzes Tempelroß ist da und Störche und Tauben, Hunderte und Hunderte von Tauben, zahmer und zutraulicher als die auf dem Markusplatz. Auf stillem Tempelgrund äsen friedlich die Hirsche. An heiliger Stätte Gottesfriede zwischen Mensch und Tier. Beide sind Freunde hier, beide sind eins in der Gottheit! ... Insel der Seligen! -- Am Nachmittag hinaus ans Meer, hinaus ins Meer auf schmaler, sandiger Landzunge, vorbei an dem mächtigen Tempelbogen, dem wogenumrauschten Wahrzeichen Miyajimas. Auf einem alten, wegüber liegenden Baumstamm läßt sich da schön sitzen. Leise brandet das Meer, von einer fernen Fischerbarke trägt der Wind ein lustig Lied herüber, und auf einem dürren Ast krächzen darüber ärgerlich ein paar Raben. Nun hinter mir ein Rascheln im Sand. Damwild, das mich begehrlich ansieht. „Nein, nein, ich habe nichts!“ Und als ob es mein Kopfschütteln verstanden hätte, beginnt es ruhig, dicht neben mir, sich mageres Gras zu suchen. Ich sitze und sinne nach. So ganz anders wie bei uns! Soviel sonniger, farbenprächtiger und leuchtender! Und doch, es ist heute Allerseelentag für einen -- auch hier. Man ist mit Gedanken und Träumen mehr als sonst in der Heimat, man gedenkt seiner Toten, gedenkt derer, die leben. [Illustration: Der heilige Fujiyama. (S. 27)] [Illustration: Japanisches Bauernhaus am Fujiyama. (S. 27)] [Illustration: Anmarsch zum Tenryugawa. (S. 33)] [Illustration: Auf dem Tenryugawa. (S. 36)] „Oheio!“ tönt es da hinter mir, eine helle Knabenstimme. Ein Fischersbub, mit der Angel in der Hand, steht dicht hinter mir, hat ein paar schlechte Rüben in der Hand und deutet auf die Hirsche. „Oheio“ = „guten Morgen“, so grüßen hier mit einem tiefdrolligen Knix alle Kinder, „Oheio“, weil dies Wort den Fremden meist geläufig ist; grüßen hier so, auch wenn es schon Nachmittag oder gar Nacht ist. „Oheio“, sage auch ich und sage „Arrigato“ = „ich danke schön“. Gemeinsam füttern wir die Hirsche. Mein Fischersbub bleibt, auch nachdem wir ausgefüttert haben, bei mir, deutet da- und dorthin und erklärt mir wohl nun all die hundert Herrlichkeiten seiner schönen Insel, redet, redet immerzu, ganz wie der Bergbach neben uns, den es auch nicht stört, wenn niemand sein Murmeln und Rauschen versteht. Aber endlich hat der Kleine sich müde gesprochen, und als die Sonne hinter den Waldhügel hinabsinkt, trollt er mit einem letzten Oheio nach einer wohlgelungenen Verbeugung in sein Dorf zurück. Ich bin wieder allein, wie ich es nun schon Wochen und Monate gewesen. Ganz still ist’s rings geworden. Die Fischer sind längst eingefahren -- Wild und Raben sind zurück in den Wald. Ich möchte den Tag so gerne länger halten können. Er ist so schön gewesen! ... Schön und herrlich und strahlend wie das alte Japan, das nun todgeweihte Märchenland, dessen Lied einen so vollen und guten Klang hatte, der noch süß klingt im Sterben, das alte Japan, das eines Tages sterben wird, auch auf Miyajima, der Insel der Seligen. Allerseelenstimmung auch hier! ... Noch eben spielte auf dem grauen Tempelbogen ein letztes, leises Sonnenlicht, nun liegt das alles schon im dunklen Schatten. Götterdämmerung ist finster über die alten Götter hereingebrochen. Der Kinderglaube derer, die einst hier Tore und Tempel türmten, hat den Todesstoß empfangen. Schon lächeln die Jungen der neuen Zeit, die ganz Klugen und Weisen, mitleidig nicht nur über die alten, die toten Götter, lächeln erhaben auch über ihr altes, über das ganze, alte, selige Japan! ... Aber sie sollten nicht lächeln -- ich würde weinen, wenn ich ein Japaner wäre, sollten wenigstens trachten, einen eigenen guten Klang, eigene Note und eigene Melodie in das neue Lied des neuen Japans zu bringen. -- Im Nachtdunkel gehe ich durch stillen Bergwald zurück. Allerseelen! ... Alle die Seelen, die von mir weggeflattert sind ins große Wesenlose, sind heute um mich und bei mir, und auf dem Eiland, in dessen Erde kein Toter ruht, kommen die Toten, die in ferner Heimaterde schlafen -- meine Toten -- mir so nahe wie sonst noch nie. Auf nachtschwarzen, feuchten Wiesen stehen sie, von weißen Nebeln umflattert, an spukhaft geformten Föhren lehnen sie, kauern in dunklen Hohlwegen unter abgestorbenen Wurzeln und Baumstümpfen, knien vor altersgrauen Steinlaternen, treten aus einsamen Waldtempelbogen hervor, spähen und schauen, winken und warten, warten, daß ich sie sehe und grüße. „Willkommen, ihr Toten!“ ... Da lächeln sie leise ein leeres, freudloses Lächeln, ein lichtloses Lächeln der Nacht, neigen zum Gruße das Haupt und ziehen mit mir. -- Rascheln von welkem Herbstlaub, Brechen von morschem Gezweig. Aber das stört nicht die Toten und mich, stört nicht die Zwiesprache: Unausgesprochenes wird heute gesprochen, Ungeklärtes wird heute geklärt, Unverständliches wird verständlich, klar wie selige Sonne und leuchtendes Licht. Zwischen mir und den Toten ein einziges großes Verstehen und eine unendliche Liebe. Dicht neben mir wandern sie hinein in die grüne Waldinsel der Seligen, wo Leben und Leiden nicht in Schmerzen beginnen, in Schmerzen nicht enden darf, wo kein Toter weilen, kein Toter begraben werden darf. -- -- 9. Neue Reisepläne. Ich gehe aus der Inlandsee nach Jokohama zurück. Herbst- und Allerseelenstimmung auch hier. In Tokio, weit draußen in der Vorstadt, wo die Gärtner wohnen, haben diese aus den schönsten Chrysanthemen aller Farben und Größen bunte, lebende Bilder zusammengewoben, haben aus Blumen, nur aus Blumen, streitbare kriegerische Ritter und Knappen, Krieger und Streitrosse geformt und zarte Töchter Nippons aufgebaut und gestaltet, haben ganze bewegte, dramatische Szenen hervorgezaubert. Aber trotz aller schimmernden Chrysanthemen und noch blühenden Rosen, trotz aller in lachende Farbenpracht gehüllter Kamelienbäume kann es schon bitter kalt sein und, wenn man nur für Sommer und Tropen ausgerüstet ist, friert und klappert man wie noch nie im Leben. Kein Ofen im Hotel Manka. Mißvergnügte Gesichter manchmal nun auch hier. Allen, den Menschen, dem Lande fehlt die wärmende Sonne. -- Fort denn aus Japan! Ich hatte dort das alte Japan gesucht und gefunden. Das neue, das ich nun deutlicher sah und erkannte, hat doch so manche und nicht immer leichte Schatten im Bilde. Es ist gewiß etwas Großes, etwas noch nie Dagewesenes, wenn ein Volk es fertig bringt, in wenig Jahrzehnten und ohne jede Revolution ein nach außen hin vollständig abgeschlossenes, mittelalterliches Feudalwesen in einen von allen Mächten anerkannten modernen Staat zu verwandeln. Daß die Japaner sich dieser Tat rühmen, daß sie stolz sind auf ihre Rasse und Kraft, ist selbstverständlich und sehr begreiflich. Aber dieser gute Stolz artete bereits vor so manchem Jahr in Überhebung, in Aufgeblasenheit aus. Der Japaner vergißt, daß er bis jetzt nur ein freilich ausnehmend geschickter Nachahmer westeuropäischer Werte und Dinge gewesen ist, daß er aber in dieser Hinsicht Selbständiges und Eigenes noch nicht geschaffen hat. Kluge und berechtigte Vorsicht wandelt sich häufig zu Mißtrauen und Spionenriecherei, gar zu gern wird auch mit List und Lüge gearbeitet. Den eidlichen Versicherungen eines japanischen Diplomaten wird man nicht leicht Glauben schenken dürfen, der japanische Kaufmann genießt bei seinen europäischen Kollegen keinen sehr guten Ruf. So kommt es, daß, während alle Touristen und Reisenden meist nur eine Stimme des Entzückens haben, all die Europäer, die in Japan lange zu leben gezwungen sind, sehr oft keineswegs begeistert von ihrem Aufenthalte und ihrer Umgebung sind. Im Märchenland Nippon hat, gewiß nicht immer zum Vorteil des Landes, das nüchterne Europa seinen Einzug gehalten, hat da und dort bereits festen Fuß gefaßt. Schon erheben sich in der und jener Stadt rote Ziegelbauten und rußige Fabrikschlote, schon gibt es auch in Japan aus der rasch emporschießenden Industrie emporgewachsene, schwer zu lösende, soziale Fragen. In den Hafenorten und Verkehrsmittelpunkten beginnen die Männer sich nach englischem Schnitt zu kleiden. Gottlob haben wenigstens die Frauen die ihnen herzlich schlecht zu Gesicht stehenden französischen Toiletten noch nicht angenommen, nur für die hoffähigen Damen ist europäisches Kleid vorgeschrieben. Ich wünsche der Japanerin auch nie, daß sie von ihrer jetzigen, hübschen und malerischen Tracht abgehen möge. Aber das kann man ihr von ganzem Herzen wünschen, daß ihre noch recht gedrückte und unfreie Stellung sich recht bald verbessern und heben möge. Sie würde es bei all ihren guten Eigenschaften wirklich verdienen! Hier könnte man den Japanern Nachahmung europäischer Sitte gewiß nur empfehlen. Aber trotz dieses und jenes Schattens, den ich an Japan besonders gegen Ende meines Aufenthalts da und dort zu entdecken geglaubt, scheinen mir die Japaner als Volksgemeinschaft doch einer eingehenden Betrachtung und Beachtung wert zu sein. Abgesehen von ihren Künstlereigenschaften, ihrer Reinlichkeit, ihrer Naturliebe fällt ihr Patriotismus, ihr Rassegefühl und -bewußtsein auf. Auch die Ahnenverehrung des Japaners ist hier zu nennen. Unterstützt durch diesen Shintoismus, diesen Ahnen- und Naturkult, der neben einer Anzahl von Naturkräften die Kaiser und die hervorragenden Männer des Landes verehrt, baut sich auf ihr Familiensinn und Familientradition auf. Was uns Deutsche anlangt, so liebte uns der Japaner längst vor dem Kriege schon nicht allzusehr. Der Friede von Shimonoseki nach dem Kriege mit China, bei dem wir Japan unnütz in die Arme fielen und es um die Früchte seiner Siege brachten, mag der Hauptgrund hierfür gewesen sein. Auch das von unsern Gegnern in Japan vielverbreitete Bild „Völker Europas, wahrt eure heiligsten Güter“ hat Schaden gestiftet. Ebenso die bei uns so häufig gebrauchte Bezeichnung als „gelbe Affen“. Durch solche Dinge wird weit mehr Unheil angerichtet als gemeiniglich geglaubt wird. Auch der Erwerb der Marianen und Karolinen, einer Inselwelt, die Japan vor der Türe lag, hat die Stimmung für uns nicht gerade verbessert. Noch mehr war dem Japaner lästig, daß wir uns in Kiautschou häuslich eingerichtet hatten. -- Zuneigung für uns Deutsche fand ich damals nur bei Leuten, die uns näher kannten, japanischen Offizieren, die längere Zeit bei uns gelebt und gelernt, bei Ärzten, bei Professoren, die ihre Studien in Deutschland gemacht hatten. -- Im übrigen war es England bereits gelungen, seinen Bundesgenossen in das deutschfeindliche Lager hinüberzubringen. -- * * * * * So will ich denn fort aus Japan, will wieder hinaus auf die rauschende See. Schon im Laufe des Sommers hatte ich neue Pläne geschmiedet und war in Tokio zu einer japanischen Segelschiffahrts-Gesellschaft gegangen, der Hiki South Trading Company, die ab und zu einen kleinen Segelschoner nach den Marianen laufen läßt. Dampferverkehr ist von Japan aus nach dieser Inselgruppe überhaupt keiner vorhanden. Die Schiffsgesellschaft erklärte sich auch bereit, mich mitzunehmen, aber so oft ich vorsprach und fragte, die Abreise des Seglers wurde von Woche zu Woche hinausgeschoben. Da kommt mir plötzlich der Zufall, endlich einmal wieder ein günstiger, zu Hilfe. Ich höre von einem deutschen Kaufmann, der einen japanischen Segler gechartert haben und nach den Marianen fahren soll. Es ist wirklich so! ... Schon habe ich den Kaufmann aufgestöbert, schon sind wir auch einig. Erstaunt und erfreut begrüßt er mich als den allerersten Globetrotter, der seit undenklicher Zeit, jedenfalls aber seit den zehn Jahren, die er auf den Marianen lebt, den Boden Saipans betreten wird. Freilich, auf seinem Schiffe wird ebenfalls japanisch gekocht werden. Dafür wird es aber sehr billig sein. Der Fahrpreis beträgt, die Verpflegung eingerechnet, 25 Yen = 50 Mark. Sein Schiff ist auch nicht größer als mein zuerst in Aussicht genommenes, es faßt ungefähr 180 Tonnen, und ist wohl auch nicht besser. Keine Versicherungsgesellschaft nimmt diese kleinen japanischen Schoner auf. Acht Matrosen, Steuermann und Kapitän, sämtlich Japaner, er und ich, mit der heiligen Glückszahl „12“ werden wir auslaufen. Aber mein Mundwerk braucht nicht vollständig einzurosten, und vor Saipan, der Hauptinsel der Marianen, werden wir noch an einigen andern ganz weltvergessenen Inseln anlegen. Am nächsten Tag besuchen wir unser Boot. Schlank, mit drei hohen Masten, liegt die Tora Maru, das „Tigerschiff“, ruhig auf der stillen Flut des Hafens. Ich besehe mir meine Kammer, die ich mir erst mit ein paar Decken zur „Schlafkabine“ werde einrichten müssen. Aufrecht kann man darin nicht stehen, wird nicht ausgestreckt darin liegen können. Aber was tut das für die paar Nachtstunden? ... Am Tage werde ich in die Sonne sehen! ... Schon am 15. November -- nein, das ist ein Freitag -- am 16. November 1 Uhr morgens, infolge dieses Schifferaberglaubens, stechen wir in See. Ich habe gerade noch Zeit, ein paar Weihnachts- und Neujahrsbriefe zu schreiben und muß leider auch auf die Ehre und Freude verzichten, den Kaiser, den Sohn des Himmels, bei dem demnächstigen Staats- und Hofchrysanthemenfest von Antlitz zu Antlitz schauen zu dürfen! ... Aber allzu stark lockt mich wieder das Meer, locken die blauen Fernen. Auf zu fröhlicher Fahrt! -- -- 10. Unter dem Sonnenbanner. Lustig wehte die japanische Flagge, das Banner der feuerrot aufgehenden Sonne, von unserm Heck, als die „Tora Maru“, das schlanke, dreimastige Tigerschiff, an einem kühlen Novembermorgen langsam aus dem Hafen Jokohamas hinausglitt. Doch der Wind war leider nur gerade stark genug, um den leichten Flaggenwimpel seelenvergnügt hin und her flattern zu lassen, viel zu schwach aber, um unsere drei großen und sieben kleinen Segel zu füllen. In einem erbärmlich traurigen Schneckentempo -- oft schien das Schiff überhaupt stille zu stehen -- schoben wir uns fast unmerklich vorwärts. Dazu ein grauer, trüber Herbsttag, so daß ich nicht einmal die Umrisse der hübschen grünen Bucht von Tokio zu erkennen vermochte, nichts als Nebel, Rauch und Dunst ringsumher. Es war schon dunkle Nacht, als wir das freie Meer erreichten. Hier aber setzte endlich ein schärferer Nordost ein, und mit fröhlich und behäbig geblähten Segeln tanzte nun die Tora Maru vergnügt dem Süden zu. Je tiefer wir in die See eindrangen, desto stärker wurde die Dünung, desto dichter der unaufhaltsam niederströmende Regen, desto finsterer die Nacht. Bald konnte ich mich auf dem Deck vor lauter vom Himmel und von der See kommender Nässe nicht mehr halten, und da es zudem empfindlich kalt wurde, war es das beste, sich in die enge und niedere Koje zu verkriechen. Geschlafen freilich habe ich in dieser ersten auf einem „Segler“ verbrachten Nacht nicht allzuviel. Beständig klatschten die übergehenden Wellen an die wohlverriegelte Fensterluke meiner auf Deck stehenden Koje; um mich, dicht neben mir und über mir wurde beständig von unsern Matrosen gearbeitet; Schoten wurden angeholt und losgelassen, Segel umgestellt, gerafft und eingeholt; Befehlsrufe ertönten; der laute, anfeuernde Wechselgesang der im Tauwerk und in den Masten hastig arbeitenden Matrosen wollte die ganze Nacht nicht verstummen, und zu alledem rauschten Wind und Wellen ständig ihr lautes, unruhvolles Lied. Allmählich begann auch das Schiff immer stärker und stärker zu arbeiten. Es stampfte und rollte zu gleicher Zeit, und mit dumpf donnerndem Gruße klopften die Wogen dröhnend an seinen Rumpf. Links hin und rechts hin wurde ich auf meinem Lager gewälzt, bis ich endlich Kopf und Füße leidlich verstaut und gelernt hatte, mit den haltenden und sich anklammernden Händen das Gleichgewicht des Körpers richtig zu regeln. Freilich, was ich alles Zerbrechliches an irdischen Gütern in meine Koje mitgebracht hatte, das rollte sehr bald, in hundert Scherben zerschlagen, auf dem Boden umher, und verschiedene Flüssigkeiten überzogen das ganze fahrende Hab und Gut mit bunter, phantastischer Farbenpracht. Aber was kümmert das einen in solchen Augenblicken des Reiselebens? ... Wenn man nur selbst heil und mit gesunden Gliedern auf seiner Schlafstätte sich zu behaupten weiß und den Kopf nicht allzu heftig an die Holzwände angedonnert bekommt. Mag sonst zerbrechen, mag spritzen, fließen und ausrinnen, was da nur will. Bei Morgengrauen auf Deck! An Schlaf ist ja doch nicht zu denken. Das ist freilich, wie so manches im Leben und auf der Reise, auch einmal wieder leichter gedacht und gesagt als getan. Kaum ist es mir mühsam und mit Aufbietung aller schon halb vergessenen und eingerosteten turnerischen Künste gelungen, mich aus der engen Koje herauszuwinden, so fliege ich im flottesten Riesenschwung aus der Kammer heraus, durch das an die Kammer anschließende Eßzimmerchen hindurch, um mit großem Radau, Lärm und Gepolter an der andern Wand zu landen, postwendend und glatt segele ich alsdann mit noch größerer Durchschnittsgeschwindigkeit und lauterem Anprall wieder in mein Kämmerlein zurück. Nicht nur selbst und höchstpersönlich torkele und taumele ich so vollständig direktionslos im Raum herum, auch die gesamte andere Welt der Erscheinungen dreht und kreist beständig im tollsten Wirbeltanz umher. Vorsichtiger nun! Mich anklammernd, wo ich nur irgendeinen Halt finden kann, mich weiter ziehend und weiter schleppend, komme ich endlich doch, halb gehend und halb kriechend, glücklich auf Deck, um dort sofort wieder die triefende Reling in stürmische und innigste Umschlingung zu nehmen. Im nächsten Augenblick habe ich dies freilich schon wiederum bitterlich bereut, eine übergehende Welle hat mir ein kostenloses Morgenvollbad beschert. Ich schüttele mich, spucke das Salzwasser wieder aus und meine „Pfui Teufel!“ ... Auch sonst sehe ich nicht allzu Erfreuliches! Sturm! ... Scharfer Nordoststurm! ... Wind und Wellen, Wasser und Regen, Nässe; Nässe von unten, Nässe von oben, Nässe von seitwärts; Nässe, wohin ich mich flüchte! Das ganze Deck ist eine einzige große, bald tiefere, bald seichtere Wasserlache, die ihren durch die Ablauflöcher weggehenden Feuchtigkeitsbestand sofort aus den neu einschlagenden Wellen ergänzt. Einen recht netten, lieben Abschiedsgruß, den uns da das übellaunige Japan nachgeschickt hat! ... Arme Tora Maru! Wie siehst du aus! ... Wahrhaftig wie ein springender Tiger! Aber wie ein ganz arg und stark bezechter. Als ob das gute Tigerschiff sich zu seinen 180 Tonnen einen allerschwersten Sake-Abschiedstrunk von weiteren 180 Tonnen geleistet hätte. Ostwärts und westwärts schwankt der Bug, steigt hoch hinauf in die Lüfte und zeichnet dort die absonderlichsten und possierlichsten Linien, beschreibt die wunderlichsten Kurven, malt die abenteuerlichsten Ornamente, bis er endlich nach langer, zielloser Höhenrundreise und -irrfahrt sich wieder dazu bequemt, in der ihm vom Steuer vorgeschriebenen südlichen Richtung schwer, widerwillig und widerspenstig in die zischende Flut niederzuplatschen und einzustampfen. Schiefes Schiff und schiefe Masten! Schiefer Wasserspiegel und schiefer Horizont! Schiefe, grundschiefe Ebenen und Flächen nach allen Seiten, ob man hinauf oder hinab, nah oder weit sieht! ... Hexenkessel! ... Hexenschaukel! ... Abscheulicher, schwindelig machender Hexentanz! ... Und das Schiff! Wie das keucht! Wie das stöhnt! Wie es schon müde, todmüde zu sein scheint von dem wilden, tollen Reigen, wie es Ruhe haben möchte und doch immer wieder von neuer Woge zu neuem Tanze geholt und geladen wird. Und der sausende Sturm spielt im Takelwerk dazu sein Liedlein auf. Alle wärmenden Hüllen haben sie der Tänzerin weggenommen. Nackt tanzt sie im kalten Winde einher! Alle Segel sind eingeholt und festgemacht, alle neun, Groß- und Besansegel, Vorstagsegel und die drei Jib- und die drei Topsegel, nur das zehnte, das Vorsegel, bläht sich noch ächzend und stöhnend im Winde. Rasch zurück zum Steuer! Dort ist noch der trockenste und behaglichste Platz. Hier sehe ich erst so ganz richtig, wie sich das alles windet und wiegt, wie das stöhnt und stampft, ächzt, schnaubt und kreischt, wie gewaltig der Bug in die Höhe emporbäumt. Nun sind wir ganz oben auf einem breiten Wogenkamme, nun zu allertiefst im Tale. Hoch über uns die schäumenden, tosenden Wasser. Da rollt es heran, schwarz und finster und brausend, da schwillt es an und bläht sich auf, türmt sich empor mit schaumgekrönten, weißen Spitzen und Brechern, wird zum Hügel, wird zur steilen Klippe, die aus der Höhe herunterdonnert, im nächsten Augenblick müssen Reling und Kojen, Segel und Masten, Steuer und Kompaß von der mächtigen See zertrümmert und weggefegt sein. Aber nur ein dicker, schwerer Wogenschwall der anstürmenden Hochflut ist dumpf krachend auf das Deck herniedergeprasselt, und auf den breiten, gewaltigen Rücken der bedrohenden Woge selbst hat sich mit raschem, katzenartigem Sprung Tora Maru, das schlanke, behende Tigerschiff, gesetzt, drückt und preßt sie, selbst hoch aufsteigend, unter sich und seinen Leib, zerfleischt und zerfetzt sie, daß der weiße Schaum und Gischt, rinnendes Lebensblut der Welle, nach allen Seiten zischend verspritzt. So ergeht es Welle nach Welle, stundenlanger, tagelanger Kampf! ... Der Steuermann -- erst neunzehn oder zwanzig Jahre ist er alt --, ein schmal und lang gewachsener Japaner, ist wachsgelb wie ein Toter. Und neben ihm der ganz kleine, untersetzte Kapitän kann kaum mehr aus seinen winzigen Schlitzäuglein heraussehen und hat tiefe, schwarze Ringe um die Augen. „~Atama itai!~“ meint er, mit einem schmerzlichen Lächeln auf seine Stirn weisend. „Kopfweh!“ „~Atama itai!~“ „Kopfweh!“ -- Ja, das haben wir, Kopfweh und noch mehr, bis auf eine oder die andere Ausnahme wohl alle. Außer dem Kapitän und dem Steuermann sind auch noch vier von unsern acht Matrosen regelrecht und schwer seekrank. Aber trotz aller Seekrankheit finden wir uns doch beim Mittagstisch. Der sieht freilich nicht allzu einladend aus. Die „Schlingerleisten“ konnten es nicht verhindern, daß schon vor Beginn der Mahlzeit mehr auf und unter dem Tische als in den Tassen und Tellern schwimmt und verschiedenstes Geschirr zerbrochen auf dem Boden umherkollert. Als ich zudem nur gebratene Lotos- und Klettenwurzeln, getrocknetes Seegras und dergleichen vegetarische Herrlichkeiten mehr erblicke, als mir außerdem noch der scharfe durchdringende Geruch eines großen aufgeschnittenen Rettichs und verschiedener anderer stark duftender japanischer Delikatessen bös und verdächtig in die Nase steigen will, schüttle ich traurig den Kopf und ziehe mich hungrig und betrübt in meine Koje zurück. Das ist überhaupt das Allerbeste und Klügste, was ich in den nächsten Tagen beginnen kann: brav in der Koje, möglichst gut verankert, liegenbleiben; versuchen, Sturm, Regen und Seegang zu verschlafen und hoffen, daß es bald anders werde. Leider wurde es mit Ausnahme von ein paar wenig besseren Tagen im großen und ganzen nie anders, die lange, lange Fahrt begann und endete stürmisch. Kaum daß es je so war, daß man ruhig sitzen konnte, ohne sich anzuhalten; daß man friedlich sein frugales Mittag- und Abendmahl zu sich nehmen konnte; daß man gehen konnte, ohne umzufallen, liegen konnte, ohne energisch hin und her geworfen zu werden. Manche Beule, manchen Riß und manche Schramme trug ich aus dem Wogengefecht davon, und am Schlusse der Fahrt war ich dermaßen mit ehrenvollen Narben übersät, als ob ich eine solenne oberbayrische Kirchweihkeilerei aktiv und besonders passiv von Anfang bis zu Ende mitgemacht hätte. Sehr schlimm war’s in der Höhe der Bonininseln. Dort hatte acht Tage vorher ein Taifun gewütet, hatte die ganze Ernte vernichtet und sogar einen großen Teil der Steinhäuser niedergerissen. Während unsere Segel in einer zweitägigen Windstille schlaff um die Masten klapperten, wurden wir herumgeworfen wie kaum im Sturm des ersten Tages. Die schlimmste und unruhigste Fahrt, die er je nach den Marianen gehabt, meinte unser Kapitän. Ich weiß ja nicht, ob das der kleine Japaner nicht vielleicht nach jeder Fahrt behauptet, aber jedenfalls war die Fahrt für eine „Landratte“ vollkommen bewegungsreich genug. Dabei war ich zu vollständiger Untätigkeit verdammt. An Schreiben war nicht zu denken, aber auch das eben aufgeschlagene Buch klappte ich nach einer Viertelstunde, müde des tollen Wirbeltanzes der Buchstaben, gern wieder zu. Der „Stille“ Ozean! Für den westlichen, sturm- und strömungsreichen Teil des Pazifik stimmt diese Bezeichnung weiß Gott nie und nimmer. „Still“ freilich in dem Sinne, daß er ganz welt- und menschenverlassen ist, das ist er wohl sicherlich. Rings unendliche, grenzenlose Meereseinsamkeit. Kein Gedanke, daß man einem andern Schiffe begegnen könnte! In der dunkelsten, finstersten Nacht, bei schärfster Fahrt denken sie gar nicht daran, eine einzige Laterne zu entzünden. Ist wider die Vorschriften. Wenn man aber die Leute fragt, ob sie nicht einen Zusammenstoß befürchten, dann lächeln sie nur. Jahr und Tag könnte man hier herumfahren, einem andern Schiff würde man doch nie und nimmer begegnen. Durch den hohen Seegang scheint auch im Meere alles tot und erstorben zu sein: kein Wal, kein stürmisch jagender Thunfisch, kein lustig mitziehender Delphin. Ein einziges Mal, daß ein hungriger Hai im weiten, scheuen Bogen unser Schiff umkreist. Sonst tote, leblose, ewige Wasserwüste ringsum. Und doch! trotz aller bösen See, wie unendlich viel Schönes bietet eine solche Segelfahrt! Der Dampfer, das ist der Sieg des Menschen über die Natur. Was kümmern einen die Windstillen, was kümmert einen da selbst der Sturm. Wenn nicht etwas ganz Unvorhergesehenes eintritt, durchfährt man ihn ruhig. Auf dem Segler, da ist man wohl nicht Bezwinger und Herr, aber man ist, man wird, und das ist das Schöne daran, ganz Freund, enger Freund der Natur. Nichts, was einen davon ablenkt, was einen Mißton, etwas Fremdes hereintragen könnte. Kein Maschinenlärm und Kohlenstaub, kein Ölgeruch, keine Eisenplatten und Stahlkonstruktionen, keine Herren im Smoking und Damen in Gesellschaftstoiletten, keine langatmigen Diners und Soupers, keine Kellner und Stewards, nichts von dem ganzen Hotelbetrieb des großen Passagierdampfers, man ist allein mit den einfachen Seeleuten, ist einziger Fahrgast; Fahrgast auf einem leichten, kunstvoll gefügten Holzwerk, das fast lautlos über die Flut dahinrauscht. Ein mittelalterliches, nein, ein ganz uraltes Ding, wie es so oder doch ganz ähnlich schon vor Tausenden von Jahren das Wasser durchfurcht hat. Und ganz nahe ist man diesem Wasser, man kann es fast mit den Händen greifen. Aller Vorgänge auf dem Meere lernt man achten, lernt alle Zeichen am Himmel sehen und deuten; die grauen Nebel, die dort im Norden brauen, können die Vorboten des ersehnten guten Windes sein. Die Wolken, die sich im Süden auftürmen und finster zusammenballen, können uns schon in einer Stunde den nächsten Sturm gebracht haben. Einsamkeiten und Riesenweiten des Meeres, Ewigkeitsfernen des Alls reden mit uns zu jeder Stunde. Frei geht der Blick in ungemessenen Raum! Aus den Weiten kommt er wieder zum Nahen, schweift nach Osten und schweift nach Westen. Dort drüben im Osten, wenn einmal ein klarer Tag aufsteigen will, Sonnenaufgänge von einer unendlich keuschen und stillen Pracht. Kein Laut, als das Rauschen der emporsteigenden Flut grüßt das aufgehende Tagesgestirn. Wenn es abends wieder niedertaucht ins Meer, schimmert ihm noch lange eine leuchtende Farbenorgie von schwarzen und goldenen, blaßrosa und lila, lichtblauen und tiefsamtblauen Tönen, ein bei uns nie gesehener Farben- und Feuerzauber nach. Zu unserer Rechten leuchtet das Meer noch in rotgoldgrünem Abendglanz; zu unserer Linken, drüben im Osten, ist zu gleicher Zeit schon der Mond aufgestiegen, glutrot wie ein arbeitender Vulkan, das Haupt unheildrohend und finster von schwarzem Dunstgewölk umhüllt. Höher steigt er und wandelt sein Glutrot in lachendes Gold -- golden erschimmert die Flut. Weiter klimmt er empor, silbern wird nun sein Gewand. Er breitet sein leuchtendes Kleid über die rollende See, ihr Ruhe und Frieden gebietend. Da werden die Wellen, die Wogen ganz still, flüstern und lispeln nur mehr ganz leise, rings schlafende, träumende Silbersee. Und schneeweiß und silbern, ein stummer, glänzender Schwan, gleitet das Schiff mit weitausgebreiteten, leuchtenden Schwingen lautlos durch silberschäumende Flut, gleitet dahin durch weichmilde Tropennacht, dahin unter Sternen und nie zu lösenden Fragen des Firmamentes und über unerforschte Rätsel tiefster Meeresgründe, gleitet südwärts, immer südwärts, unter dem Sonnenbanner der Sonne zu, entgegen dem in weiter Ferne vor uns lockend aufleuchtenden, uns herrlich den Weg weisenden Kreuze des Südens. [Illustration: Kindertheater. (S. 42)] [Illustration: Der Festzug. (S. 40)] [Illustration: Uferpartie bei Enoshima. (S. 26)] [Illustration: Inlandsee. (S. 45)] Eine einzige solche Mondscheinnacht macht wochenlange Strapazen wett, so schön ist sie. Man hat alles vergessen, hat vergessen, daß man in Kammern und Kojen des Schiffes nicht aufrecht stehen, nicht ausgestreckt liegen kann, daß man schon tage- und tagelang von nicht viel mehr als von ein paar Handvoll Reis gelebt hat, daß man ... nein, man weiß das alles schon nicht mehr, weiß nur mehr, daß eine ganz einzige Pracht ringsum gebreitet ist. Während der Mann am Steuer leise ein kleines japanisches Lied vor sich hinsummt, träume ich neben ihm auf dem Boden liegend, hinaus in die stille Mondnacht, träume und träume! ... Doch plötzlich, vom Bug des Schiffes her, ein lauter, durchdringender Schrei, der grell die Nacht durchgellt. Nun ein Gebrüll der sämtlichen Matrosen, und, dieses übertönend, ein lautes, mit hoher Stimme gegebenes Kommando des Kapitäns. Mit schlaffen Segeln treibt das Schiff schon nur mehr langsam vor dem Winde. Erschrocken fahre ich auf und stürze -- ich denke an die Petroleumfässer, welche die Tora Maru geladen hat und an Feuersgefahr --, so rasch ich kann, nach vorne. Die ganze Schiffsbesatzung lehnt dort an der Reling, gespannt sich hinüberbeugend. Gottlob, kein Brand und kein Leck und nichts Böses. Ein schwerer, wohl sechs Fuß langer Delphin, der von einem der Matrosen harpuniert wurde, tobt da unten herum, schnaubt und pustet mächtig im Wasser herum, geht tief, kommt wieder empor und peitscht aufgeregt die Flut. Ein langer, aufregender Kampf. Der Mond ist von einer Wolke überdeckt, man sieht kaum und kann das kräftige Tier nicht richtig führen. Es gelingt ihm, ganz tief und unter das Schiff zu gehen und dort am Kiel die Harpune, die wohl nur leicht in der Haut saß, abzustreifen. Plötzlich ist die vorher fast überspannte Leine leicht und leer geworden und wird von den betrübten Matrosen mit langen Gesichtern eingeholt. Sie hatten sich schon auf den fetten Festbraten gefreut. Selbst den Hai verzehren die japanischen Matrosen mit größter Begeisterung. Und sehr viel schlechter und ungenießbarer als die sonstige japanische Schiffskost kann auch ein Haifisch nicht sein! 11. Agrigan. Am nächsten Tage nach dem verunglückten Delphinfang bekommen wir, ganz in der Ferne, die zweitnördlichste Marianeninsel zu Gesicht. Sie ist ein in der See halb versunkener Vulkankrater. Als „Urakas“ wird diese Insel gewöhnlich auf den Seekarten geführt. Kurz nach Urakas laufen wir an einer andern Insel vorbei, dem von einer hohen, unruhigen See umspülten grünen Vulkaneiland Assumption (richtige Benennung: „Assongsong“). Beide Inseln sind unbewohnt und außer zahlreichen Seevögeln ist dort wohl auch wenig Tierleben zu finden. Am nächsten Tage werfen wir vor der Insel „Agrigan“ Anker. Leider landen wir nicht in der erhofften, frohen Stimmung. Schon von ferne fielen die fahlen, gelben Grundtöne der Insel auf, und als wir näher kamen, sahen wir nichts als Verheerung und Zerstörung; geknickte, ihrer Blätter und Früchte vollständig beraubte Kokosnußpalmen, nicht in ihrem sonstigen saftigen Grün freundlich und lachend herüberleuchtend, alle gelb, welk und krank herschauend und viele der ganzen Länge nach auf den Boden hingemäht. Der deutsche Kaufmann, der die Tora Maru gechartert hatte, hatte mit noch einem Teilhaber vier Marianeninseln, darunter auch Agrigan, vom Deutschen Reiche behufs Kopragewinnung gepachtet. Kopra nennt man die getrockneten Kerne der Kokosnuß, die nach Europa verkauft werden, wo Kokosnußöl und aus den Rückständen Viehfutter daraus gewonnen wird. Außer zwei eigenen Segelschiffen, die im Taifun ihm verlorengegangen waren, hatte ihm dieser bereits zwei Inseln im letzten Jahre vollständig zerstört, nun war die dritte ebenfalls zugrunde gegangen. Als wir an Land kamen, sahen wir erst so recht, wie gewaltig der Orkan hier gewütet hatte. Die weithin gestreckte Pflanzung war ein einziges großes, trauriges Trümmerfeld. An keiner, keiner einzigen Palme mehr eine einzige Frucht, die Blätter gelb und zerfetzt, auf dem Boden in wirrem Durcheinander gefallene Stämme, abgerissene Blätter und Kokosnüsse, auf Jahre hinaus keine Ernte mehr zu erwarten. Die Palmhütten der Arbeiter niedergerissen, von dem festgefügten Koprahaus das Dach verschwunden, alle vier Wände niedergelegt. Die Insel, die auf mehrere Jahre hinaus keinen Ertrag und keine Ernte mehr geben würde, mußte fürs erste aufgelassen und der größte Teil der Arbeiter davon zurückgezogen werden. In diesem Sinne gab der deutsche Kaufmann seine Anordnungen. Nun begann in der vorher ganz stillen Ansiedelung sich plötzlich das regste und bunteste Leben zu entfalten. Die braunen, pudelnackten Karolinerkinder -- außer einigen Chamorros, den Ureinwohnern der Marianen, sind fast sämtliche Arbeiter den auf Saipan ansässigen Karolinern entnommen -- tollten in wilder Jagd hinter dem Geflügel, Hähnen, Hühnern und Enten, einher. Die Männer, ebenfalls fast ganz nackt, es waren kräftige und prächtig ebenmäßige Gestalten darunter, machten sich daran, die Schweine einzufangen, eine böse, schwierige und gefährliche Arbeit. Denn das Schwein hierzulande ist nicht so zahm, friedlich und gutmütig wie unser deutsches Hausschwein. Es verteidigt seine Freiheit mit allen Mitteln, und vor allem die großen schweren Eber sind böse und ungebärdige Gesellen. In den auf hohen Holzpfählen stehenden, mit Palmblättern bekleideten und überdeckten Hütten sind inzwischen die Frauen an der Arbeit, die wenigen Familienhabseligkeiten in Kisten und Bündel zu packen und ihre Lawa-lawa, ein schurzartiges, die Lenden deckendes Bekleidungsstück, in der sie sich zuerst vorstellten, gegen irgendein grellfarbiges, leichtes Festtagskleidungsstück europäischer Machart zu vertauschen. In kurzer Zeit sind alle Reisevorbereitungen beendet, die Arbeiterkolonie von Agrigan steigt mit ihren Tieren, Kisten und Bündeln zum Strande hinab. Der deutsche Kaufmann und ich haben die Zwischenzeit dazu benutzt, uns an einigen Kokosnüssen und an einem Stück saftigen Schweinebratens zu erfreuen; man kann sonst nicht viel tun, denn das mannshohe, messerscharfe Savannengras macht jedes weitere Eindringen in die sonst gänzlich unbewohnte Insel fast unmöglich. Leider fehlten die Bananen und die Orangen -- all das wurde auch vom Taifun zerstört --, aber dennoch hat mir noch kein Diner je so gemundet, wie nach langer japanischer Schiffskost dieser einfache, aber frische und schmackhafte Imbiß, bei dem die fehlenden alkoholischen Getränke sowie das ebenfalls ermangelnde Quellwasser eine Schale erfrischender Kokosnußmilch ersetzen mußte. Als wir zum Strand hinabkamen, saß schon die ganze braune, bunt zusammengewürfelte Gesellschaft fröhlich schwatzend und scherzend im Sande und wartete der Einschiffung. Diese gestaltete sich infolge der Brandung etwas langwierig und schwierig. Für das Landungsboot ist es unmöglich, ganz ans Ufer heranzukommen. Die Männer waten und schwimmen hinaus bis zum Boot; Frauen, Kinder und sämtliches Getier werden hinausgetragen, wobei sich manche heitere Episode abspielt, wenn irgendeine höhere Brandungswelle die Träger samt ihrer Last teilweise oder auch ganz für ein paar Augenblicke in feuchtes, salziges Naß eintaucht. Eine große allgemeine Fröhlichkeit erfaßt allmählich diese Menschen, die nun wieder bessere Tage vor sich sehen. Fast zwei Monate haben sie sich so ziemlich ausschließlich von Kokosnüssen genährt. Der Proviant war ausgegangen, alle Baum- und Feldfrüchte waren vernichtet. Hühner und Schweine waren in der Hauptsache Eigentum des deutschen Kaufmannes, des Aufsehers und einiger weniger, besser gestellten Arbeiter gewesen. So freuen sie sich jetzt der kommenden guten Zeiten. Nur zwei Menschen sehe ich, die mitten in der allgemeinen Lustigkeit traurig sind, zwei schlanke, hübsche Karoliner: ein junger Mensch, Anfang der Zwanziger, und ein junges Mädchen, beide in Lawa-lawa und ein paar grüne Zweige in den schwarzen Haaren. Er muß, da seine Arbeitskraft hier nicht mehr benötigt wird, nach Saipan zurückkehren, während sie in Agrigan zurückbleiben soll. Sie lehnt und preßt ihren Kopf an seine Schulter, schluchzt bitterlich und hat die braunen Augen voll von großen schweren Tränen. Er hat ihre Hand gefaßt, drückt sie und starrt wortlos und düster in den Sand. So stehen sie lange, stehen noch da, als unser Landungsboot schon weit in der See schwimmt, stehen als die letzten, die einzigen, am Ufer, die zwei braunen, jungen, schlanken, nackten Menschen mit dem lichten Baumgrün im dunklen Haar, beide ganz allein an der unendlichen tiefblauen See, die sich mit ihren weiten Wassern nun trennend zwischen sie legen soll, beide von Abschiedsweh durchzittert. Plötzlich macht er sich entschlossen los, springt durch die Brandung und schwimmt mit starken, kräftigen Stößen, von der Dünungswelle bald hoch hinaufgetragen, bald in den Wogentälern versinkend, unserm Boote nach. Sie aber wendet sich kurz um und geht langsam, ohne noch einmal umzusehen, zu ihrer Hütte unter den entlaubten Palmen zurück. -- -- Eine Stunde später lichten wir den Anker und segeln in den rasch herabsinkenden Abend hinein. Monate und Monate werden vergehen, bevor das weltvergessene Agrigan wieder ein Schiff zu Gesicht bekommen wird. 12. Pagan. Die Tora Maru fährt am nächsten Morgen in die Bucht der Insel Pagan ein. Hier sieht es freundlicher aus. Zwar bemerken wir schon vom Schiffe aus, daß auch hier der Taifun gewütet haben muß. Aber Dorf und Pflanzungen liegen hier geschützter, mehr landeinwärts, zur Linken von schwarzen, hohen bizarren Basaltfelsen umtürmt, rechts ebenfalls von Höhen umlagert, und weiter landeinwärts baut sich ein mächtiger, noch tätiger Vulkan auf, der sein Haupt in schwere, dichte Dunst- und Rauchwolken gehüllt hat. Bald stehen wir auf dem schwarzen Ufersand, bald sind wir in dem freundlichen Dörfchen mitten unter den braunen, lustigen Leuten, bald durchwandern wir die weiten, hohen, saftig grünen Palmpflanzungen. Hier sind die Palmen selbst wenigstens nicht vom Taifun gestürzt und entwurzelt, nur dann und wann ist eine Krone oder eine Blättergruppe geknickt worden, die Früchte liegen auf dem Boden verstreut. Nach Jahresfrist, wenn kein neuer Taifun über die Insel wegzieht, ist wieder auf eine Ernte zu hoffen. Aber vorläufig freilich muß auch diese Insel in der Hauptsache geräumt werden! ... Am Abend dieses Tages hat die kleine Tora Maru ungefähr siebzig Karoliner an Bord: Männer, Frauen und eine Unmenge Kinder, einige Dutzend Schweine und unzähliges Geflügel, darunter an dreißig Kampfhähne, die getrennt an der Reling angebunden, sich gegenseitig nach Leibeskräften und Herzenslust ankrähen. Leider waren auch wieder die letzten sechsunddreißig Stunden unserer Reise, die Fahrt von Pagan nach Saipan, sehr wenig erquicklich. Es war, als ob die Berge und Vulkane von Pagan sich ins Meer fortpflanzen wollten, so stark war der Seegang, und jede Minute kam ein schwerer Brecher über Bord. Dazu das mit Menschen und Tieren überfüllte Schiff. Der Kapitän machte einen ganz gekränkten Kopf, und die Matrosen wußten kaum, wo sie sich hinstellen sollten, die Segel aufzuziehen und einzureffen. Freilich, das mörderische Geschrei der Kampfhähne verstummte sehr bald. Schon nachdem sie die paar ersten Wellen über den Kamm bekommen hatten, wurden sie ganz friedlich und duckten sich mit nassen Flügeln so klein zusammen, als sie nur konnten. Auch die Schweine gaben ihr Grunzen und Brummen sehr bald auf, kauerten sich, schwer seekrank, unter der vor der Nässe schützenden Holzverkleidung des Buges zusammen und lagen dort wie leblos und tot. Dafür zeterten und schrien nun unsere zahlreichen Kinder der verschiedensten Jahrgänge um so mehr und die Frauen ächzten und stöhnten. Einige Frauen und Kinder können wir zwar enggepfercht in unserm Eßzimmerchen unterbringen. Aber alle die vielen andern, für die hier kein Platz ist, müssen die sechsunddreißigstündige, durch Regenböen und übergehende Wellen wenig behaglich gemachte Fahrt auf freiem, ungeschütztem Deck verbringen, und alle wohl seufzen erleichtert auf, als am Morgen des übernächsten Tages die grüne Bergküste Saipans im Süden auftaucht. Auch ich. Und ich sagte der Tora Maru endgültig Lebewohl. Ich hatte zwar beabsichtigt, drei Tage später mit ihr noch bis Guam weiterzufahren und von dort wieder auf ihr nach Saipan zurückzukehren. Aber während man zur Fahrt von Saipan bis Guam nur zwei Tage benötigt, dauert die Rückreise von Guam nach Saipan zehn bis vierzehn Tage, oft auch länger. Man muß beständig gegen den in dieser Jahreszeit hier regelmäßig wehenden Nordostpassat aufkreuzen. Und ich war nicht gewillt, mir das amerikanische Guam durch einen weiteren vierzehntägigen japanischen Kostgenuß zu erkaufen. Während ich im Landungsboote in das Korallenriff Saipans einfahre, blicke ich Abschied nehmend noch einmal zu den weißen Segeln der Tora Maru zurück. „Leb wohl!“ rufe ich ihr über die hohe schäumende See zu. „Leb wohl, du schlankes, schönes Tigerschiff! ... Hast mich treulich durch Sturm und böse See viele Meilen weit hierher getragen. Hab tausend Dank! Leb wohl, schlanke, schöne Tora Maru!“ -- 13. Geschichte der Marianen. Die Marianen wurden von Magalhães im Jahre 1521 entdeckt. Er war im September 1519 von Spanien aufgebrochen, um einen neuen, auf der spanischen Erdhälfte gelegenen Weg nach den Molukken zu finden. Vierzehn Monate später erreichte er, nachdem er schon zwei Schiffe verloren hatte, mit den drei übrigen die Südsee. Magalhães war es, der sie wegen des andauernd ruhigen Wetters, das er hier antraf, den „Stillen Ozean“ taufte. Am 6. März 1521 warf er vor einer Marianeninsel Anker. Die Eingeborenen, die sein Schiff mit ihren kleinen Seglern umringten, waren zuerst freundlich und brachten ihm Nahrung und die Früchte des Landes, dann aber wurden sie zudringlich, stahlen ein Boot und Metalle. „Ladronen“ = „Diebsinseln“ nannte daher Magalhães das neue entdeckte Land. Ein Streit entspann sich, die Eingeborenen kämpften mit Wurfspeeren und Schleudern, waren aber den Feuerwaffen der Europäer nicht gewachsen. Schon am 9. März fuhr Magalhães weiter, und nach seinem bald darauf auf den Philippinen erfolgenden Tode vollendete sein Begleiter Eltano diese allererste Weltumseglung. Auf einer zweiten Reise entdeckte Eltano die Marianeninsel Rota, im Jahre 1565 ergriff Spanien förmlich Besitz von der Inselgruppe, aber erst ein Jahrhundert später mit der Ankunft des Jesuitenpaters Sanvitores setzte die tatsächliche Herrschaft der Spanier ein. Nach der Königin Maria Anna hieß er die Inselgruppe „Marianen“. Der Bekehrungstätigkeit des spanischen Paters stellten sich bald Schwierigkeiten entgegen. Der Adel wollte nicht dulden, daß das Volk auch die Sakramente bekomme. Außerdem war die Ehe der „Chamorros“, der Ureinwohner der Marianen, stets eine sehr lose und nur auf Neigungsdauer geschlossen. Sie betrachteten daher die durch Sanvitores eingeführte, unlösliche katholische Ehe als eine Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten. Schon 1670 brachen die ersten Unruhen aus und Sanvitores wurde 1672 von einem Chamorro getötet, dessen Kind er gegen den Willen des Vaters getauft hatte. Doch alle Versuche der Chamorros, die Spanier zu vertreiben, scheiterten daran, daß die Eingeborenen, wie fast alle Naturvölker, im entscheidenden Augenblick nicht genügend Entschlossenheit zeigten und auch nie vollständig einig waren. Kämpfe und Kämpfe, dann Seuchen und Hungersnot folgten. Schon im Jahre 1710 war von dem in alten Missionsberichten auf 100000 Köpfe geschätzten Volke der Chamorros nur mehr ein kleiner Überrest von 3700 Menschen übrig. Der Rest des Chamorrovolkes vermischte sich mit Spaniern, Tagalen, den Ureinwohnern der Philippinen, wohl auch mit Chinesen und Japanern. Es hat seine früheren guten Eigenschaften so ziemlich verloren, Kriegsmut und Seetüchtigkeit, Freiheitsliebe und Unabhängigkeitssinn. Alle Chamorros sind heute katholische Christen und gehen bekleidet. Auf den früher deutschen Inseln leben ungefähr 2500, während auf der größten und fruchtbarsten Marianeninsel, auf Guam, das im spanisch-amerikanischen Kriege von den United States durch Überrumpelung genommen und beim Friedensschluß behalten wurde, noch ungefähr 10000 wohnen. Neben den Chamorros sind auf den meisten Inseln, so auf Agrigan, Pagan, auf Tinian und vor allem auf Saipan, auch Karoliner zu finden -- ungefähr 500 --, die hauptsächlich im Laufe des vorigen Jahrhunderts auf ihren Kanoes hierher gekommen sind. Sie zählen zum Stamme der Mikronesier, einer Mischung aus Malaien und Melanesiern, sind Heiden geblieben, gehen unbekleidet, halten zäh an ihren alten Gewohnheiten und Gebräuchen fest, sind auch bis heute ziemlich rasserein geblieben. Die auf Saipan lebenden Karoliner sind die kultiviertesten ihres Stammes, sind vor allem ziemlich fleißige Land- und Ackerbauer geworden. Auch eine Strafkolonie befand sich auf Saipan, in der Deportierte verschiedener anderer Inseln, von Jap, Palau und Samoa zwangsweise angesiedelt waren. Die Marianen und Karolinen wurden im Jahre 1899 für 16 Millionen von Deutschland erworben. Der Kaufpreis war nicht gering, wenn man bedenkt, daß die meisten Inseln klein sind, daß kulturell und kolonisatorisch nur geringe Vorarbeit geleistet worden war. Auch saßen wir nun plötzlich mitten in der japanischen Interessensphäre. Japan hätte die Inselgruppen ebenfalls gern besessen und hatte dafür 12 Millionen geboten. Die Möglichkeit von Reibungen aller Art war gegeben, zudem noch die Wahrscheinlichkeit, daß Japan, sowie das Deutsche Reich von ernsteren kriegerischen Verwicklungen heimgesucht würde, auf diese Inselwelt seine Hand legen würde. So ist es denn auch gekommen. Japan hat durch den Versailler Frieden das Mandat für die Marianen und Karolinen und für alle andern früher deutschen Inseln bis zum Äquator erhalten. 14. Saipan. Auf Saipan und in dessen Hauptort Garapan gab es kein Gasthaus. Mir glückte es schließlich bei einem japanischen Kaufmann, namens Isoda, unterzukommen. Er war früher Dolmetscher beim deutschen Generalkonsulat in Jokohama gewesen. Neben dem Hause, über den angrenzenden Hütten der Chamorros, ringsum, wohin man von breiter Veranda aus blickt, Palmen und Palmen. Wenn der Wind in den breiten Blättern liegt, hört sich das an wie das Rauschen eines großen unermeßlichen Waldes. Nur zwanzig Schritt vom Hause entfernt beginnt der weiße Ufersand und weitere zwanzig Schritt das Meer, zuerst seicht und smaragdgrün. Weiter draußen dann ein weißer Silberschaum. Dort brechen die Wellen sich am Riff. Noch weiter draußen, außerhalb des Riffs, endlose, azurblaue Fläche. Sehr schön ist es, wenn die Sonne im Westen gesunken ist, wenn nur noch ihr Widerschein mit blassem und doch hellem Licht durchs Ufergrün irrt und oben am tiefblauen Firmament die sanftroten Windwolken ziehen. Wird es dunkler, singen sie in den Hütten, heute in der und morgen in jener, altspanische Kirchenmelodien. Es ist gerade „Novena“, das heißt die neun letzten Tage vor einem größeren Kirchenfeste. Und die feiern sie auch heute noch so, wie die spanischen Mönche sie es gelehrt haben. Man merkt es dem Gesange der Chamorros nicht allzu schwer an, daß nicht recht viel Andacht bei der Sache ist, daß es vielmehr die Freude am Gesange ist, die ihnen die Feier lieb und wert macht. Aus der Ferne klingt es ganz hübsch und bringt Stimmung in die Landschaft. Aber dann -- dann wird es still! ... Still stehen die schlanken, hohen Stämme, still ruhen die breiten Kronen der Palmen. Nachtschwarz und still -- kaum zu sehen, schlafen die Hütten im weichen Ufersand. Still ist die See und dunkel, bloß ein schmaler Streif erglänzt matt im fahlgrünen, von Wolkenschleiern halbverdeckten Mondlicht. Die Sterne schimmern hell durchs schlanke Blattwerk der Palmen. Nun beginnt auch auf der See ein großer Stern aufzuleuchten -- und dann noch einer und noch einer -- bis es wohl an hundert sind. Und lautlos wie hundert Irrlichter gleiten die hundert Sterne da und dort hin über die dunkle, nachtschwarze See. Karoliner sind es, die in ihren Kanoes bei Fackellicht fischen. Aber man sieht nicht die Boote, hört nicht die Menschen. Nur die Lichter ziehen -- wie die Sterne über den Himmel -- lautlos ... zitternd über das Meer. „Südsee.“ Nun bin ich wirklich da. „Südsee!“ Schon in Wort und Namen liegt ja für uns Menschen der nördlich gemäßigten Zone ein starker und verlockender Klang. Wenn der Wintersturm pfeifend über die Dächer fegt und klirrend an den Fensterscheiben rüttelt, wenn in den nebelgrauen Städten unter Rauch und Dunst die Sonne gestorben ist, dann träumt man von schimmernder Lampe und warmem Ofen sich über Berge und Meere in ferne Länder hinweg, die keinen Herbst und Winter kennen. Ewiger Sommer, strahlende Sonne über uns. Blumen, Blüten und Früchte. Nacktbraune Menschen an stillem Palmenstrand, und ringsum das Meer, das raunende, rauschende, in dunkelblau wallendem Kleide unruhevoll hin und her wandernde Meer, das sich mit einem leuchtenden Halsband smaragdgrüner Korallenriffe festlich geschmückt und heiter lächelnd auf sein ewig jugendschönes Haupt eine strahlende Diademkrone von Millionen funkelnder Brillanten gedrückt hat, von Millionen in allen Farben blitzender und erschimmernder Tropfen, die von dem schneeweißen Gischt der wuchtigen Brandungswoge ins lachende Sonnengold hoch emporgeschleudert werden. So träumt man. -- Wenn man dann wirklich den Fuß auf die erste Palmeninsel gesetzt hat, wenn man zum erstenmal faul im weichen Ufersand sich reckt und streckt oder sich von lauer, sonnendurchwärmter Flutwelle vergnüglich auf und ab schaukeln läßt, so sagt man sich froh und zufrieden, daß das Bild paradiesischer Idylle, das sich Traum und Phantasie zurechtgesponnen, nicht, wie so oft, schöner und lockender als die erdgeborene Wirklichkeit gewesen ist. Im Gegenteil! ... Der Phantasie haben des Lebens leuchtende Farben doch nicht so ganz zur Verfügung gestanden. Viel zu nüchtern und grau -- zu kalt und nordisch hat sie gemalt. Schon der Grundton war falsch. Und der heiße Farbenrausch ringsumher, dies unendlich mächtige Sonnenlicht, diese taghellen, weißsilbernen Mondnächte, die Feuerglut der Gestirne, das alles läßt sich nie erdenken und erdichten. Man muß es sehen und schauen. Halb andächtig, halb übermütig blickt man umher. Lachender Lebenssonntag um und in uns. Leib und Seele wurden in einem Jungbrunnen gebadet, Wegstaub und Erdenschwere sind weggewaschen. Man meint, auf höherer, freierer Warte, man glaubt, näher der Sonne zu stehen. Und -- während man selbst den Puls rascher und freudiger schlagen, das Blut heißer durch die Adern jagen fühlt, hört man rings um sich die lange auf diesen Inseln lebenden Europäer alles Mögliche über die Entbehrungen und Strapazen ihres Lebens klagen und fabeln. Aber man lächelt nur ungläubig dazu. Denn selbst ist man ja so ganz erfüllt von Freude, daß man am Abend keinen Schlaf finden kann, weil man sich zu schwer von all der Pracht trennt, daß man mit einem frohen Willkommen das Morgengrauen und den ersten Sonnenstrahl begrüßt, die uns wieder zum Bewußtsein all der Herrlichkeiten erwachen lassen. Früh schon wird es Tag im Dorf Garapan. Es ist noch dunkel, da beginnen schon die Hähne zu krähen. Aber nicht der eine oder andere nur, Hunderte und Hunderte von Hähnen. All die vielen, vielen Kampfhähne der Chamorros und Karoliner lärmen um die Wette, ganz Garapan scheint ein einziger, großer Geflügelhof geworden zu sein. An Schlaf ist da, wenigstens in den ersten Tagen, nicht mehr zu denken. Auf denn! Zuerst nehme ich ein Morgenbad im klaren Meer. Dann wandere ich ziellos der See entlang, wo unter hohen, schattigen Palmen die Hütten des immer vergnügten Karolinervölkleins liegen; Männer, Weiber, Kinder, Kühe, Schweine und Hühner wimmeln da lustig durcheinander. Reiches Leben auch im warmen Ufersande. Von den großen Krabben bis zum kleinen Einsiedlerkrebs, eine unendlich bunte und mannigfaltige, lebhaft dahinlaufende und kriechende Tierwelt. Fort nun vom Meere und mitten in den grünen Busch, in die Savannen hinein. Überall gibt es auch hier Neues und Seltsames zu sehen, weite Tarofelder und lichte Bananenwälder, verschlungene Lianen, herrliche Orchideen und verschiedenartigste Drazänen. Eine neue seltsame Welt ist aus der rauschenden See vor mir emporgetaucht. Am ersten Tage meines Aufenthaltes werde ich auch schon mit allen auf Saipan lebenden Deutschen bekannt. Da ist ein Stationsleiter, ein Lazarettgehilfe, zugleich auch Befehlshaber und Kommandant der braunen, mit roter Lawa-lawa bekleideten Polizeitruppe, ein Weg- und Plantagenaufseher, ein deutscher Lehrer, dessen Schule ich besuche. Frisch und lustig stehen die gelben Chamorro-, die braunen Karolinerkinder Red’ und Antwort, und zum Schlusse singen sie sogar einige Lieder. „Ich geh’ durch einen grasgrünen Wald Und höre die Vögelein singen. Sie singen so jung, sie singen so alt. Die kleinen Vögelein in dem Wald, Die hör’ ich so gerne wohl singen!“ Hell und jauchzend klingt das alte Volkslied in den Palmenwald der Tropen hinein. Außer den vier eben genannten und vom Reich angestellten Persönlichkeiten noch zwei deutsche Kapuzinerpatres, welche die frühere spanische Mission übernommen haben, ein deutscher Pflanzer und der deutsche Kaufmann, mit dem ich von Jokohama gekommen bin. Zur Zeit meiner Anwesenheit waren auf Saipan auch noch zwei deutsche Frauen. Da auf allen andern Marianeninseln keine Deutschen lebten, waren also damals nur zwei dem Privaterwerb nachgehende Deutsche auf der Inselgruppe. Und selbst diese beiden klagten. Außer der Kopra, dem getrockneten Kern der Kokosnuß, ist eben wenig auszuführen. Die Kokospalme kommt nun an und für sich recht gut fort, wenn nicht die immer wiederkehrenden Taifune wären, die alle paar Jahre die Ernte sowie den Palmenbestand der oder jener Insel vollständig vernichten. Beim Durchwandern der breiten Straßen von Dorf Garapan fällt mir vor allem die große Verschiedenartigkeit der Häuser und Bauwerke auf. Die Chamorros und die von ihnen beeinflußten Karoliner stellen ihre Wohnhäuser auf in den Erdboden gerammte Holzpflöcke und decken sie mit Palmstroh oder den getrockneten Blättern des Pandanusbaumes ein. Fußboden und Wohnraum befinden sich einen Meter über der Erde; der freie Raum darunter dient Hühnern und Schweinen als Aufenthalt. Am lebhaftesten geht es in Dorf Garapan am Abend her, wenn der Glutball der Sonne nach heißer Tagesreise im Meer sich kühlen will. Auf ihren zu Reittieren dressierten Ochsen kommen in raschem, schlankem Trabe die Karolinerjungen vom Felde herein geritten, langsamer folgen die Weiber, sitzend auf einem kurzen, ebenfalls von Ochsen gezogenen Karren, dessen Räder oft nur aus zwei kreisrunden, massiven Steinplatten bestehen. [Illustration: Dorf auf Pagan mit vom Taifun entblätterten und entwurzelten Palmen. (S. 70)] [Illustration: Die „Tora Maru“ verläßt Pagan. (S. 71)] [Illustration: Ochsengespann auf Saipan. (S. 80)] [Illustration: Karolinermädchen auf Saipan. (S. 81)] Wie ein Bild aus dem antiken Griechenland sehen besonders die Gefährte mit den Steinrädern sich an. Die Zugtiere gehen nach uralter Sitte unter dem Joche. Die schlanken, fast unbekleideten Mädchen und Frauen haben ihr dichtes Schwarzhaar mit einigen Blumen geschmückt oder auf die Stirne sich einen grünen Laubkranz gedrückt. Harmonisch und ebenmäßig meist ihr Körperbau, ganz ungemein fein und zart ihre Fesseln und Gelenke, sehr klein die Hände, zierlich die Füße. Ich habe verschiedene Schildpatt- und Muschelarmreife, wie sie diese Karolinerfrauen tragen, mit nach Hause gebracht. Keiner Europäerin wird es gelingen, sie über ihre Hand zu streifen. Auch die mehr einem beschaulichen Nichtstuerleben huldigenden Chamorros kommen gegen Abend aus ihren Häusern hervorgekrochen. Die Männer paradieren in weißen Leinenanzügen; die Frauen, ebenfalls weiß gekleidet, geben sich besonders an Fest- und Feiertagen sehr prächtig, tragen kostbare Spitzentücher aus Manila, rote Strümpfe und weiße, absatzhohe Atlasschuhe, während ihre Kinder -- im Gegensatz zu den ganz nackten, kleinen Karolinern -- bis zu ihrem achten oder zehnten Lebensjahr oft nur in ein weites Hemd gehüllt herumlaufen ... Am Feierabend findet auch vor der oder jener Hütte eine Vorprobe zum sonntägigen Hahnenkampfe statt, in einem andern Hause erklingt irgendein Musikinstrument und, wenn es Nacht und noch kühler wird, gibt auch mancher in besseren Verhältnissen lebende Chamorro einen kleinen Ball -- für Tanz und Gesang sind die Chamorros immer zu haben. Die Karoliner wiederum teilen sich mit den Ureinwohnern der Inseln wohl in die Freude an den Hahnenkämpfen, im übrigen sind sie in ihren freien Stunden leidenschaftliche Fischer und Jäger, Segler und Seefahrer. Das Interessanteste, was ich von Fischerei auf Saipan zu Gesicht bekommen, war ein großer Delphinfang. War da eine Herde Delphine oder Schweinsfische, neugierig wie sie immer sind, in das Riff hereingekommen. Flugs hatten die flinken Insulaner ihnen mit ihrer gesamten Kanoeflottille den Ausweg in die freie See versperrt und trieben nun unter lautem Hallo und Geschrei die mächtigen Tiere langsam aus der Tiefe auf den flachen Strand, wo sie kurzweg gepackt und ganz ans Land geschleppt wurden. Das war ein großes, großes Fest fürs Karolinerdorf. Fette Braten standen in Aussicht. Männer und Knaben trugen die Beute in den Schatten der Palmen, die Weiber führten einen von ganz seltsam weichem und melodischem Gesange begleiteten Dank- und Freudentanz auf. -- 15. Tinian, die Jagdinsel. Auch jagdlich Interessantes sah ich auf den Marianen, und zwar auf der Nachbarinsel Saipans, auf Tinian. Ein altes, ausgedientes Walfischfängerboot fährt von Saipan aus ab und zu nach dieser Insel. In den ersten Morgenstunden, es ist noch dunkel, gehen wir in See. Ein gerade auf den Marianen anwesender, von den Westkarolinen gekommener deutscher Kaufmann, ferner der Alkalde und Bürgermeister von Saipan, ein Chamorro, der die Jagd auf Tinian gepachtet hat, machen die Reise mit. Auch ein kleines Chamorromädchen hat sich angeschlossen. Von fünf Ruderern wird das offene Boot vorwärts getrieben. Mit aller Kraft müssen sie einsetzen, um uns durch die scharf und hoch heranrollende Brandung ins freie Meer hinauszubringen. Draußen eine ruhige Dünung, die mit breiten, langen Wogen dahergezogen kommt. Wie Berg und Tal sieht die See sich an, wie ein mächtiger, schlafender Wasserriese, dessen Brust sich in starken, tiefen Zügen hebt. Köstlich rein und klar der Tag. Alle sind froh und bester Dinge mit Ausnahme des armen Alkalden, der bereits in der ersten Viertelstunde schwer seekrank geworden ist. Gegen Mittag landen wir in Tinian und richten uns in dem kleinen Jägerdorfe der Karoliner so gut es geht häuslich ein. Der Alkalde hat uns eine winzige und höchst primitive Jagdhütte zur Verfügung gestellt. Im Morgengrauen des nächsten Tages brechen wir auf zur Jagd auf die Wildochsen. Neben den Hütten beginnt schon der Busch. Dieser Busch Tinians ist so dick und dicht, so ganz undurchdringlich, daß wir trotz aller mitgeführten und eifrig gehandhabten Buschmesser oft zu gleicher Zeit mit Kopf, Hals und Brust, Armen und Beinen in böses Gerank und Gezweig schier unlöslich verstrickt sind. Stundenlang heißt es gebückt und ohne sich frei aufrichten zu können, von tausend Dornen und Nadeln zerstochen, in allerschwülster und feuchtester Treibhausluft dahinkriechen und sich mühseligst vorwärtsarbeiten. Bald ist mein leichter Leinenanzug nichts mehr als ein nasser Lappen. Brennender Durst peinigt mich. Mit kleinen, da und dort aufgelesenen Zitronen lösche ich ihn, so gut ich kann. Plötzlich etwas Weißes, kaum für einen Augenblick zu sehen, ein schönes, großes, prächtiges Tier, das in wilder Flucht schon wieder verschwunden ist. Niemand -- selbst die eingeborenen Jäger nicht -- ist in dem Dickicht zu Schuß gekommen. Aber der Führer unserer Jagdgesellschaft, ein Chamorro, hat sich jetzt rasch von uns losgelöst und eilt, kriecht und springt, so rasch er nur kann, durch Busch und Unterholz dem entkommenen Wildochsen nach. Uns zwei Europäern ist es ganz und gar unmöglich, so schnell zu folgen. Mühselig und langsam arbeiten wir uns weiter. Plötzlich ein Schuß, der donnernd durch die große Stille des Busches rollt. Aber noch lange haben wir zu tun, bis wir an die Stelle gelangt sind, wo der Chamorro seine Kugel abgeschickt hat. Ganz schlank und schneeweiß, wie ein seltsames Märchengetier verzauberten Urwaldes, liegt das im Schuß gefallene Wild auf nasser, schwarzer Erde. Als ob es noch lebte, so klar und sprechend blicken die großen, blauen Lichter. Geheimnisvoll dunkel ist es unter den schweren Wolken des dichten Blattwerks. Kein Sonnenstrahl kann da hindurch. Große breitflügelige Falter mit lichthimmelblauen Sternchen im nachtschwarzen Flügelkleide flattern ängstlich umher. Laut und begehrlich heulen in nächster Nähe, Fraß erhoffend, hungrig die wilden Hunde ... Erst am Nachmittag kommen wir wieder in das Dörflein zurück und erfreuen uns an einem Bad in bergseeklarer Meeresflut. Der Alkalde und das kleine Chamorromädchen, das mit uns herübergefahren, haben inzwischen für das Mittagessen gesorgt. Der gute Bürgermeister von Saipan war nicht bei der Jagd dabeigewesen. Er lehnte stets energisch jede solche Einladung ab. „Einmal und nicht wieder“, meinte er verständnisvoll lächelnd. Dafür aber war er sonst in die Gewohnheiten seiner Ahnen zurückgefallen, hatte sich seines weißen Leinenanzuges entledigt und zeigte sich auf Tinian nur mehr in der Badehose. Die Wildochsen -- es sind wohl Nachkommen einmal von den Spaniern hierher gebrachter und allmählich verwilderter Tiere -- werden meist gedörrt und dann nach Guam ausgeführt, während sonstiges Wild nach Saipan gebracht wird. Es gibt ja noch alles erdenkliche andere Jagdbare auf der Insel, ganz ungemein viele Wildschweine, Ziegen mit mächtigem Gehörn, Wildhühner und alle möglichen Wasservögel, auch wilde Hunde sind zahlreich vertreten. -- Weitaus am interessantesten, aber unendlich mühselig, eine ganz unglaubliche Hetze, ist die Jagd auf die Sauen. Sie müssen, um bei der starken Tropenhitze noch Verwendung finden zu können, lebend gefangen und lebend nach Saipan gebracht werden. Mit einer höchst abenteuerlichen Meute zieht man aus, alle möglichen Nachkömmlinge europäischer Hunde sind da vorhanden, alle nur denkbaren Gattungen, Arten und Mischrassen. Selbst winzige Foxterriers fehlen nicht. Der Bestand der Meute wird je nach Bedarf auch aus den wilden Hunden des Busches, die mit einem Lasso gefangen, bald durch Hunger und Durst gezähmt werden, ergänzt. Mit Hussa und Hallo geht es hinter den Schwarzröcken einher, geht in einem derartig tollen Sturmtempo durch den allerverwachsensten Busch, daß ein Europäer mit den nacktbraunen Jägern auf die Länge nie und nimmer Schritt halten kann. Ist das Schwein von den Hunden gestellt, so wird es von den Karolinern geworfen und gebunden. Aber manch armer Hund stirbt dabei unter den Waffen der starken Keiler, mancher der verwegenen Jäger wird tödlich verletzt. Für das gefangene und gefesselte Wildschwein beginnt nun ein langes, trauriges Martyrium. Tagelang liegt es, ohne sich bewegen zu können, ohne je Wasser zu bekommen, von Milliarden von Fliegen übersät und gepeinigt, im Jagddorf der Karoliner und, nach Saipan gebracht, tagelang in den Höfen der Chamorros herum, bis es endlich von seinen Qualen erlöst wird. Wenig anstrengend, wenig gefährlich und dabei doch recht unterhaltend ist die Hahnenjagd auf Tinian. Der Jäger nimmt einen zahmen Haushahn mit, der im Walde irgendwo angebunden wird. Durch sein Krähen hat er bald einen Wildhahn angelockt. Ein wütender Kampf entspinnt sich, und der Jäger braucht den vor Wut vollständig blinden Wildhahn nur zu greifen. Ich war auf Tinian meist recht müde am Abend. Die paar Jägerhütten der Karoliner versinken bald in Schlaf und Schweigen. Grenzenlose Einsamkeit, tiefste Nachtstille ringsum, nur leise durchzittert vom müden Branden des Weltmeeres, durchklungen vom silbernen Rauschen der Palmen. Im dichten Busch flutet hellstes, schneeweißes Mondlicht. Man kann nicht schlafen in solchen Nächten, zu taghell ist es, zu laut, immer lauter und lauter rauschen die Palmen. Der Nordostpassat hat an ihnen gerüttelt. Da sind die toten Waldriesen plötzlich wach und lebend geworden. Vorbei der dumpfe, bleischwere Tropentagesschlaf. Sehnsüchtig und leidenschaftlich strecken sie nach Brüdern und Schwestern die schlanken Arme aus. Geisterstunde im Palmenwald! Und nicht nur die Bäume, das kleinste Gras, der kleinste Halm ist lebend geworden, hat zu flüstern, zu raunen, zu rufen begonnen. Geheimnisvolle Stimmen und Stimmchen allüberall. Wie verzaubert stehen Dickicht und Dorn, wie überschüttet von dichtem, weißem Winterschnee. Ängstlich blicken die braunen Mädchen und Frauen, wagen sich nicht von den Hütten fort, rasch und eilig nimmt der Mann, die flackernde Fackel in der Hand, durch den gespensterbelebten Busch seinen Heimweg. Ich blieb mehrere Tage in Tinian. Der Aufenthalt dort hat ja mancherlei kleine Beschwerden. Es geht selbstverständlich mehr als einfach her. Eine gewisse Unannehmlichkeit bedeuten die Ratten, die in übergroßer Anzahl vorhanden sind. Ich wurde am Abend ermahnt, mir ja sorgfältig die Hände zu waschen, damit ihnen kein Speisengeruch anhafte, sonst würde ich höchstwahrscheinlich von den zur Nachtzeit sehr zudringlichen Tieren angenagt werden. Eine weitere Landplage sind die Fliegen. Zu Milliarden und Milliarden sind sie da. Oft ist die Luft ganz schwarz von ihnen, die in der Mitte des Dörfleins liegende Knochen- und Schädelstätte ist dicht von ihnen übersät, es ist kaum möglich, sich ihrer zu erwehren. Aber dennoch blieb ich gerne. Eine solche Stille auf diesem weltverlorenen Inselchen mitten im großen Ozean, wie ich sie noch nicht gekannt. Ich fühlte mich ganz und für immer ausgeschaltet, losgelöst vom Getriebe und Räderwerk der hastenden, lärmenden, nie zur Ruhe kommenden Welt, eins fühlte ich mich mit Himmel, Erde und Meer, eins mit großer, ewiger Natur. An der See, unter den Palmen hab ich meinen Lieblingsplatz. Zweimal am Tage steig ich in die kristallklare Flut. Wenn ich dem Ufer entlang pilgere, verschwindet plötzlich der weiche Sandstrand, an seine Stelle tritt steil ins tiefblaue Meer abstürzender Basaltfels. Ganz am Gestade ab und zu auch bergseegrüne Färbungen. Große, schwarze Meerschnecken kriechen auf dem Grunde dahin; reizende azurblaue, lustige Fischchen huschen spielend um weiße Korallen herum und weiter draußen taucht manchmal der sattbraune Rücken eines springenden Delphins auf. Mehr landeinwärts, mitten im dichten Busch spricht sogar -- wie selten ist das in der Südsee -- die Geschichte. Graue, mächtige Säulen ragen mit breiten, schweren Kapitellen, wie von gewaltigen Riesen und Hünen der Urzeit getürmt, aus dem rings sie umwuchernden, sich an ihnen emporschlingenden Blatt- und Baumgrün empor, Reste eines Chamorro-Edelsitzes. Zwölf dieser wuchtigen Korallensteinsäulen, je sechs in einer Reihe stehend, trugen das Haus; auf Säulen und Kapitellen ruhte in freier, luftiger Höhe erst der eigentliche Wohnraum; zwischen den Trägern und Pfeilern, unter dem Wohnraum, war der Stall, die Scheune, der Aufbewahrungsort für Ackerbau-, Jagd- und Fischereigeräte. Vornehm und prächtig haben die Herrengeschlechter der Chamorros gewohnt. Nur zwei der altehrwürdigen Säulen stehen heute trotzig und einsam noch da. Die andern zehn sanken, von Taifunen und Erdbeben zu Boden geschmettert. Um das wilde Steinchaos ihrer Riesenleiber haben dichte Lianen einen grünen Garten gesponnen; kein Laut, kein Vogelgezwitscher an dieser ernsten Stätte des Todes, ringsum nur das tieftiefe, ergreifende Schweigen des Tropenwaldes. Über den Kronen der Palmen zieht ein fliegender Hund scheu seine Kreise. Nie mehr werden diese starken Säulen in alter Pracht sich wieder emporrecken. Denn das heutige Chamorrovolk hat in dumpfer Zeit der Knechtschaft wie fast alle seine andern Tugenden so auch die Kunst, solch mächtige Säulenpaläste zu türmen, vollständig vergessen und verlernt. Nur auf niederen, schwächlichen Holzpflöcken erhebt sich das ärmliche Haus des heutigen Chamorros. -- -- Rasch sind die Tage vergangen und allmählich wird es Zeit, nach Saipan zurückzukehren. -- Auf der Heimreise von Tinian gaben mir die Karoliner noch eine Vorstellung als Schwimmkünstler und gute Seefahrer. Am Vorabend unseres Abfahrtstages war noch auf der Saipan zunächstliegenden Landspitze gejagt worden, und wir kamen im Morgengrauen, den Jägern die gefangenen Sauen abzunehmen. Ein Landen war wegen der starken Brandung ausgeschlossen, und so brachten die braunen Jäger die gefesselten Schwarzröcke schwimmend mitten durch die hohe Brandung nach unserm Boote. Auf demselben langen, langen und beschwerlichen Wege kamen sie auch -- schwimmend und ihn auf ihren Händen herübertragend -- mit einem der Ihren an, einem hübschen, schwer verletzten Karolinerjungen, dem ein wütender und ausbrechender Keiler den Leib durchstoßen und aufgeschlitzt hatte. Schwer und wuchtig stampft unser mit Ochsen und vielen Sauen gefülltes und überladenes Boot wieder in die freie See hinaus. Es wird ein böses Fahren. Sturmböe nach Sturmböe jagt von Nordosten heran und geht heulend auf unser offenes und ungedecktes, nur von fünf Ruderern getriebenes kleines Fahrzeug nieder. Gewaltig türmt sich, vom Winde wild aufgerüttelt, die See empor, und von den Gigantenrücken der schwarz und finster daherrollenden Wogen werden wir fast senkrecht in die Höhe geschleudert. Kalt peitscht der Regen uns ins Gesicht, Sturzwellen schlagen krachend ein, der am Bug untergebrachte, verletzte Karoliner wimmert -- wir wissen nicht, ob wir ihn lebend hinüberbringen --, und laut befehlend übergellt Wogendonner und Sturmgetöse die heisere, rauhe Stimme des Steuermanns. Erst nach vielen Stunden mühseligen Kampfes gelingt es uns, glücklich in das schützende Riff Saipans einzulaufen. Unser verwundeter Jäger wird zum Lazarettgehilfen gebracht; er ist dank seiner ganz harten und zähen Natur schließlich auch mit dem Leben davongekommen. Der arme Alkalde, den wir ebenfalls mehr tot als lebend in Dorf Garapan ablieferten, hat sich auch bald von seiner schweren Seekrankheit erholt. Das alte Walfischfängerboot, mit dem ich diese Reise gemacht, ist wenige Wochen später in dem stets unruhigen Kanal zwischen Saipan und Tinian gesunken und in die Tiefe gegangen. Auch mir persönlich sollte der Jagdausflug nach Tinian nicht allzu gut bekommen. Durchnäßt von den ständig übergehenden Brechern, rechnend auch mit der Möglichkeit, daß unser Boot dem Ansturm der mächtigen Wogen auf die Länge vielleicht nicht gewachsen sein könnte, hatte ich es wie unsere braven Ruderer gemacht und mich während der Fahrt in Adamskostüm geworfen. Diese Tracht ist nun wohl den braunen Insulanern, deren Haut von Jugend an durch Sonne und Seeluft gegerbt ist, nicht aber uns Europäern gestattet. Obgleich die Sonne während des ganzen Tages kaum je richtig das Gewölk zerreißen konnte, war die Lichtwirkung ihrer Strahlen doch so stark, daß meine Haut überall, wo sie ihnen frei ausgesetzt gewesen, verbrannt war. Die ersten Nächte wußte ich nicht, wie und wo liegen. Und nach wenigen Tagen, als die ersten, ziemlich starken Schmerzen wieder verflogen waren, konnte ich die verbrannte Haut wie trockene Pergamentstreifen vom Körper abziehen. Eine gute Lehre für die Zukunft! Wir Europäer unterschätzen im Anfang immer die Wirkungen der Tropensonne. Man kann zufrieden sein, wenn man bei solchen Unvorsichtigkeiten noch so glimpflich davonkommt und nicht schwerer bestraft wird. -- -- 16. Auf dem „Condor“. „~Sailor! sailor!~“ riefen auf dem Strande Saipans eines Morgens die Karoliner, „~sailor~“ riefen die Chamorros, „~sailor~“ schrien am Ufer lustig hin und her springend die braunen, nackten Kinder. „~Sailor!~“ ... Der laute, freudige Ruf durchflog mit Windeseile die stillen Straßen des Dorfes Garapan. -- ~Sailor~ -- ein Schiff! ... Und noch dazu ein deutsches Kriegsschiff! Mit größter Pünktlichkeit war der in Sydney stationierte deutsche kleine Kreuzer „Condor“ in aller Morgenfrühe seines angesagten Ankunftstages vor Saipan eingetroffen. Es ist das ein großes Ereignis für eine Insel, die nur ein paarmal im Jahre flüchtig einen Postdampfer und sonst nur noch einige japanische Segelschoner zu Gesicht bekommt. Erwartungsvoll flogen die Augen hinüber zu dem schneeweißen Schiff, das weit draußen, in tiefer, blauer See, außerhalb der grünlich herüberleuchtenden gefährlichen Korallenriffe Anker geworfen hatte. Doch bereits am Nachmittag dampfte der „Condor“ wieder weiter, den nördlichen Marianeninseln zu, um den auf Agrigan und Pagan erwachsenen Taifunschaden festzustellen. Aber er kam wieder und blieb dann einige Tage in Saipan. Viel konnte Dorf Garapan den fremden Gästen nicht bieten. Seit drei Monaten war kein Postdampfer mehr hier gewesen, alle Vorräte waren auf die Neige gegangen und, wenn nicht unser Segelschoner verschiedene Bierkisten mitgebracht hätte, hätte man sogar vollständig auf dem Trockenen gesessen. Zum Abschied fand am letzten Abend in einem Chamorrohaus ein kleiner, improvisierter Hausball statt, zu dem man in aller Eile die bräunlich-gelben Schönheiten Garapans zusammengetrommelt hatte. Als dann der „Condor“ von neuem in See stach, befand auch ich mich an Bord. Der Kommandant hatte die große Liebenswürdigkeit gehabt, mich mitzunehmen und ermöglichte es mir so, Rota zu sehen, sowie nach den Westkarolinen und Palauinseln zu kommen. Es ist ein ganz großer und seltener Glücksfall, wenn man da unten in der Südsee solch eine plötzliche und unerwartete Fahrgelegenheit findet. Man kann Monate, man kann auf vielen, entlegenen Inseln sogar jahrelang sitzen, ohne irgendwelche Möglichkeit des Fortkommens zu finden. Die Karoliner allerdings machen, sicher nach Sonne und Sternen steuernd, die tollkühnsten und waghalsigsten Fahrten von Insel zu Insel. Doch von so mancher Kanoeflottille, die da aussegelt, gelangen oft nur wenige Fahrzeuge ans Ziel. Die andern sinken, wenn allzu hohe und böse See aufkommt, leck und mit zertrümmertem Ausleger in die Tiefe, oder sie werden auch von Sturm und Strom ins Unermeßliche verschlagen. Nicht selten sterben die wackren, braunen Seefahrer Hungers, oder sie erliegen langsam der Erschöpfung. Entsetzliche Schreckensszenen spielen sich auch heute noch häufig in der großen Verlassenheit des Stillen Ozeans ab. Wasser und Wasser -- leicht zerbrechliche Kanoes -- von einem Europäer wohl für kürzere Fahrten, doch nie zu Reisen von endlosen Wochen benützbar: doch nirgends, nirgends ein Schiff! Dem „Condor“ aber bin ich zu um so größerem Danke für seine Freundlichkeit verpflichtet, weil eigentlich auf einem Kriegsschiff, und noch dazu auf einem kleinen Kreuzer, keinerlei Platz für irgendwelchen Passagier ist. Eine nicht geringe Strapaze, bei vieler Schönheit, die man sah, bedeutete solch eine Jahresfahrt des „Condor“. War er doch der allereinzigste in den australischen und Südseegewässern stationierte deutsche Kreuzer und hatte in diesem einen Jahre, wo ich ihm begegnete, Neuseeland, Samoa, Tahiti, Fidschi, Honolulu, die Marschallinseln, die Karolinen-, Marianen-, Palauinseln, Neuguinea und den Bismarck-Archipel besucht, hatte also in rund zehn Monaten die gewaltige Strecke von 20000 Meilen gefahren. Kam noch dazu, daß er auf fast allen deutschen Inselgruppen irgendwelche unerwartete Arbeit vorfand, daß neue Fahrten und Reisen eingeschoben werden mußten, die dann wieder in der Zeit, für die man sich Ruhe und freie Tage erhofft hatte, zur Erledigung zu kommen hatten. Der Dienst unserer in den heimatlichen Gewässern stehenden Kriegsschiffe war bekanntlich sehr schwer und äußerst anstrengend. Aber auch das Wanderleben unserer blauen Jungens da draußen bedeutete viel mehr Mühe und Arbeit, als man bei uns zu Hause meist glaubte. Ganz abgesehen von dem regelmäßigen Schiffsdienst auch noch viel anderer: Geschütz- und Gewehrexerzieren, Schießübungen, wenig angenehme Erkundungs- und Vermessungsfahrten, Segelmanöver und Reinigungsarbeiten. Dazu die ermüdende Bewegung des Schiffes selbst, das ständige Eingeschlossensein in schmalem, engem Raum, die besonders in der Tropenhitze sich sehr unangenehm fühlbar machende Enge der Kojen, der Verkehr immer mit denselben Menschen, das Fehlen fast aller Kulturgenüsse, der Mangel an jedem größeren gesellschaftlichen Leben. Da packte denn auch alle, wenn einmal Land in Sicht kam, eine ganz gewaltige „Landsehnsucht“. Man wollte wieder einmal auf festem Boden stehen, wollte sich tüchtig auslaufen, endlich einmal auch wieder andere Menschen zu Gesicht bekommen -- aber so mancher wurde durch den Dienst an Bord gehalten. Das war besonders bitter, wenn das Schiff, wie so oft, an irgendeinem schönen Punkte nur ganz kurz vor Anker lag. Ohne das allergeringste gesehen zu haben, hieß es wieder Abschied nehmen. -- -- Ich, als Gast freilich, ich kann nichts von Mühen und Strapazen künden, ich hab es immer nur sehr schön gehabt und kann mir keine genußreichere, vergnügtere und schönere Fahrt als die mit dem „Condor“ denken. Vom Kommandanten, der mir in selbstloser Weise seine Wohnkabine als Schlafzimmer herrichten ließ und zur Verfügung stellte, an dessen Tisch ich tagtäglich gegessen, -- vom Kommandanten und den Offizieren angefangen bis herunter zum einfachen Matrosen und Seesoldaten waren alle, mit denen ich irgendwie in Berührung kam, stets vom größten und herzlichsten Entgegenkommen. Wie war ich so froh, endlich wieder einmal auf einem richtigen Stück deutschen Bodens, mitten in einem jungen, lebensfrohen Kreis zu stehen. Vergnügte Stunden an Land mit den dienstfreien Herren des „Condor“, prächtige Tage auch auf hoher See. Auf dem Achterdeck dehne ich mich behaglich in dem bequemen Strohliegestuhl, lasse mir die Seebrise um die Ohren wehen und freue mich, endlich einmal wieder deutsche Bücher und Blätter in der Hand halten zu dürfen. Lange sitzen wir in den warmen, silberhellen Mondnächten plaudernd zusammen, und die ferne Heimat will wieder lebendig werden. -- -- -- Zum erstenmal werfen wir Anker vor Rota, der südlichsten deutschen Marianeninsel. Hier hat sich der Stamm der Chamorros noch am reinsten erhalten. In den gewaltigen Felsbergen und tiefen Steinhöhlen, in den steil aufsteigenden, unzugänglichen Gebirgen und schroffen Klippen fanden die letzten, freien Chamorros Schutz und Versteck vor dem verfolgenden Spanier. Aber ihrer allzu viele haben sich nicht gerettet. Nur selten, daß ein Mensch unter den in bleischwerem Mittagsschlaf und grell flimmerndem Sonnenlicht erstarrten Palmen sichtbar wird. Ein Hauch trostloser und tiefster Schwermut, Schweigen des Todes brütet über dem schwarzfelsigen Rota, der letzten ungastlichen Zufluchtsstätte eines einmal zahlreichen und großen Volkes. -- -- Wir gehen kurz an Land, besuchen die sauber gehaltene Chamorroansiedlung, durchstreifen ein wenig den Palmenwald, steigen aufwärts und treten in einige der riesigen Höhlen ein. Aber lange ist unseres Bleibens nicht, der „Condor“ hat immer Eile. Schon nach einigen wenigen Stunden fährt er weiter, um auf Jap, die Hauptinsel der Westkarolinen, zuzusteuern. 17. Jap. Wieder einige Tage nichts als endloses Weltmeer. Als ich eines Morgens erwache, haben wir bereits im Hafen von Jap festgemacht. In Jap baut sich die europäische Niederlassung halbinselartig ins Meer hinaus. Da steht dicht am Ufer, noch gut erhalten, das langgestreckte alte spanische Fort, das damals unsere braune Polizeitruppe von zirka 40 Mann beherbergte. Dicht daneben, in einem grünen, schattigen Garten das Haus des Bezirksamts; weiter landeinwärts verschiedene Amts- und Wohngebäude der Telegraphengesellschaft; die deutsch-holländische Kabellinie Menado-Schanghai besaß bekanntlich eine Station auf Jap und hatte hier für ihre Beamten und Angestellten außerordentlich prächtige und luftige, bequeme und gesunde Tropenhäuser errichtet. Da war auch, den Bauten der Telegraphenstation gegenüber, das „Gasthaus zur Kokosnuß“, in dem es oft recht froh und vergnügt herging. Noch weiter landeinwärts, auf der Höhe des von der See aus ansteigenden Berges, erhob sich, von Palmen umrauscht, die katholische Mission, während das Krankenhaus, in dem ein deutscher Arzt seines Amtes waltete, ungefähr einen Kilometer entfernt von der europäischen Niederlassung sich befand. -- Auch ein nächst der deutschen Siedelung gelegenes, dicht von roten Hibiskusblüten umrahmtes Miniaturhäuschen eines japanischen Händlers muß hier erwähnt werden. Wandern wir in die Insel hinein, so stoßen wir bald auf Hütten der Eingeborenen. Häufig liegen sie an der See, mehr aber noch im Innern, unter hohen Palmen oder von riesenblättrigen Tarofeldern umgeben. Bei unserer Ankunft wird dem Kommandanten und mir vom Bezirksamtmann der Westkarolinen, Regierungsrat Senfft, in liebenswürdigster Weise ein schon am beginnenden Busch auf freier, windumbrauster Höhe liegendes, aus zwei Zimmern bestehendes Holzhäuschen angewiesen. Auch einen braunen Polizeisoldaten bekommen wir zur Bedienung gestellt. Unser „Tissin“ gibt sich auch redlich alle Mühe, nur die gegenseitige Verständigung ist oft recht wenig befriedigend. Auch sonst ist mit unserm lieben und braven, in keiner Lage, in der er uns sitzen läßt, seinen herrlichen Humor verlierenden Kanakendiener nicht allzuviel anzufangen, was schon daraus erhellen dürfte, daß der Kommandant ihn schon in der allerersten Stunde feierlich zum „dummen August“ ernannt hat. Sehr geschmeichelt, sehr stolz ist der gute Tissin auf diesen neu verliehenen Ehrentitel und beeilt sich stets mit willigem Grinsen, dem Rufe schnellstens Folge zu leisten. [Illustration: Karolinerhütten auf Saipan. (S. 80)] [Illustration: Regierungsschule auf Saipan. (S. 79)] [Illustration: Delphinfang auf Saipan. (S. 82)] [Illustration: Säulen eines alten Chamorroherrensitzes auf Tinian. (S. 88)] Es folgen nun einige Tage, die wir im allerschwersten Strichregen verbringen. Sieht man in Japan den glänzenden Ölpapierschirm durch die Straßen schwanken, so erblickt man hier ein anderes, eigenartiges Schutzmittel gegen den Regen, einen von der Natur geschenkten Schirm, das riesige, glänzend grüne Lackblatt, das die Insulaner über sich halten oder auf ihrem Rücken befestigen. Sie fürchten den Regen sehr. Begreiflich, denn sie gehen ja immer fast gänzlich unbekleidet und die ständige große Hitze -- Jap hat eine mittlere Temperatur von 30 bis 32 Grad Celsius im Schatten, die auch nachts meist nur auf 26 bis 27 Grad herabgeht -- verweichlicht den Körper sehr. Wenn dann einmal ein etwas kühlerer Wind weht und Strichregen kommt, so frieren die Eingeborenen sofort sehr stark. Ich selbst habe im weiteren Verlaufe meiner Südseereise bald geradeso wie die guten Insulaner gefroren. Besonders bei längeren Kanoefahrten, wo man nicht die Möglichkeit hat, irgendwelche lebhaftere Bewegung zu machen, sind diese wolkenbruchartigen, oft den ganzen Tag andauernden Regen etwas sehr Unangenehmes. Der dünne Tropenanzug ist in einer halben Minute vollständig durchnäßt und klebt am Körper, der Wind bläst kalt darauf, man fröstelt und schauert und macht es schließlich geradeso wie die braunen Kanaken, die immer wieder für einige Minuten ins Wasser springen und, am Kanoerande sich haltend, Erwärmung in der See suchen, die in diesen Gegenden sich nie abkühlt. -- -- -- Nach einigen Tagen steht Weihnachten vor der Türe. Weihnachten! Ein deutsches Fest und nur, nur zu Hause ist Weihnachtsstimmung, zu Hause, wo man aus dem warmen Zimmer behaglich in das dichte, weiße Schneetreiben oder in die klarkalte, mondhelle Winternacht hinaussieht -- nur zu Hause! ... Dort, wo deutsche Natur und deutscher Winter, wo die deutsche Fichte oder Tanne fehlen, dort kann nimmer Weihnachten sein! -- Neun lange Monate war ich durch ewigen Sommer gepilgert, Sommer, so gesegnet von der Sonne wie zu Hause nie! ... Neun lange Monate! Bald wollen sie mich wie neun lange Jahre, bald wieder wie nur ein einziger kurzer Tag bedünken. -- Und in der Heimat soll nun kalter Winter sein, sollen sie heute schon Weihnachten feiern. Ich kann es kaum glauben. Habe ich doch selbst keinen Winter, kaum die flüchtigen Vorboten eines Herbstes gesehen. Scheint doch für mich selbst die Sonne in ihrem höchsten Gipfelpunkt stehengeblieben zu sein! ... Halte ich doch auch keine guten Grüße, keine kleinen Liebesgaben von zu Hause in der Hand. Die letzten Briefe aus der Heimat sind im September oder zu Beginn des Oktobers geschrieben, da dachten sie dort noch gar nicht an Weihnachten -- die nächste Post aus Deutschland werde ich Ende April oder Anfang Mai des nächsten Jahres erhalten -- durch weites Meer bin ich von allem und allem abgeschnitten. Ich kann vielleicht dann und wann, alle paar Monate einmal, eine Botschaft in die Heimat senden, bekommen kann ich keine. Zur Weihnachtsstimmung hier fehlt auch, daß man keinen „Weihnachtsbaum“ sieht. Die bräunlich-grüne, dünnfaserige Fadentanne, die sie dazu hergerichtet haben, kann ihn nicht ersetzen. Ebensowenig die sonstige, üppig reiche Tropenpracht, die hier in Jap, wo eine größere Anzahl Deutscher und Europäer ansässig ist, in manchen Weihnachtszimmern prächtig zusammengetragen ist. Auch der Sturm, der heute draußen auf dem Meere braust und die Palmkronen auf dem Gestade zerzaust, kann mir nicht einen deutschen, herzhaften Wintersturm ersetzen. Wohl peitscht er die schweren Regenschauer so dicht über die unruhig schäumende See dahin, daß sich das im fahlen Abenddunkel wie ein winterliches Schneetreiben ansieht, aber es fehlt den mächtig niedergehenden Tropenungewittern an der nervenstärkenden, den Menschen erfrischenden, gesunden Kälte des deutschen Winters. Man lebt nach wie vor, ob die Sonne herniederbrennt, ob Wolkenbrüche herabstürzen, in der schwülen, erschlaffenden Treibhausluft der Tropenzone. Hinweg aus dem Regen, der mich in kaum einer Minute vollständig durchnäßt hat. Unter dem schützenden Dach der „Wirtschaft zur Kokosnuß“, dem Refugium der Junggesellen Japs, finde ich Zuflucht. Ich nehme einen Weihnachtsabend-Dämmerschoppen zu mir und bestaune die prächtige Festdekoration, ganz und gar ein Werk der geschickten Japkaroliner. Dann geht’s hinauf auf das noch aus spanischer Zeit stehende, trotzige Fort. Dort ist Weihnachtsbescherung der hier hausenden, lediglich aus Karolinern bestehenden Polizeitruppe. Wie in einem deutschen Kompanierevier ist die Mannschaft vor einer mit brennenden Lichtern geschmückten Fadentanne in Reih’ und Glied angetreten. Die Leute sehen ungemein phantastisch und farbenprächtig aus. In dem nach Frauenart hoch aufgebundenen, dichten, schwarzen Haar steckt der kunstvoll geschnitzte, mächtige Holzkamm, der zur Zeit durch den darüber aufgestülpten Federntschako verdeckt wird. Der Oberkörper ist mit einem deutschen Matrosenhemd, Lenden und Unterkörper bis zu den Knien sind mit der roten Lawa-lawa bekleidet. Unsere Jappolizeitruppe feiert auch Weihnachten, obwohl sie fast insgesamt noch aus Heiden besteht, und die Leute erhalten Messer, Lawa-lawa, Tabak, Konserven und Bier. Es folgt ein Abendessen bei dem gastfreundlichen, stets hilfsbereiten und liebenswürdigen Bezirksamtmann an festlich gedeckter Tafel, auf die die ganze Blumen- und Blütenpracht der Tropen herniedergeschneit ist. Bei einem Weihnachtslied werden die Lichter des improvisierten Festbaumes entzündet und von der mageren Fadentanne eilen wohl die Gedanken aller nach Hause. Um Mitternacht lädt von der Höhe herab die Glocke der Kapuzinerkapelle zur Mette, und ein Teil unserer Tischgesellschaft pilgert durch die Nacht zu dem Kirchlein hinauf. Der Sturm hat sich inzwischen gelegt und es ist mondhelle, windstille Sternennacht, heller und leuchtender als bei uns eine frostklare Winternacht in den Bergen. Die Kapelle ist nur klein, abgesehen von den Europäern wohnen verschiedene Chamorromänner und Frauen, einzelne der wenigen getauften Karoliner und viele Chamorrokinder der Mette bei. -- Für den Nachmittag des ersten Weihnachtsfeiertages waren Tänze der Japkaroliner angesagt. Schon im Laufe des Vormittags kamen die verschiedenen Dorfschaften unter der Führung ihrer Häuptlinge anmarschiert oder sie segelten in ihren ganz lang und schmal gebauten graziösen Kanoes daher. Leicht und pfeilgeschwind schossen diese über die bewegte Flut. Mittags hat sich bereits der ganze Heerbann des Karolinervolkes, des Beginnes der Tanzfeierlichkeit harrend, um das spanische Fort herum gelagert. Um 4 Uhr nachmittag beginnt der erste Tanz. Er hat sich wohl ursprünglich einmal aus einem alten Kriegstanz entwickelt. In zwei Gliedern gehen die zwei Parteien, jede vielleicht aus vierzig Mann bestehend, aufeinander los, kauern sich zusammen, verharren in spähend vorwärts geneigter, geduckter Stellung, so wie man im Dickicht ein Wild oder einen Feind anschleicht. Nun ein lauter, gellender, durchdringender Schrei, und wie auf ein Kommandowort prasseln und rasseln, knattern die schweren Bambusstäbe und -knüttel aufeinanderlos. Blitzschnell und exakt ausgeführte Paraden wechseln mit allen erdenklichen Kampf- und Fechterstellungen. Nicht eine einzige Bewegung könnte besser klappen, besser ausgeführt sein. Ein lautes, mächtiges, gleichzeitig aus achtzig Kehlen hervorgestoßenes dumpfes Kriegsgeheul beendet diesen ersten Tanz. Beim zweiten, von einer andern Dorfschaft zum besten gegebenen, singen drei Mädchen die Begleitmelodie. Der nackte Hals und der nackte Oberkörper sind mit allerhand Muschel- und Korallenschmuck verziert. Um die Lenden tragen sie die hier landesübliche grüne Pflanzen-Lawa-lawa, die so dick und bauschig ist, daß sie in ihrer Form an die Krinoline erinnert. Die drei Sängerinnen, die Mühe haben, mit ihren Stimmen den Lärm der Tanzenden zu überbieten, sind hübsche, nur etwas sehr kleine, schmächtige und zierliche Erscheinungen. Dem zweiten Reigen folgten nun Tanz um Tanz; Häuptling um Häuptling bringt seine festlich aufgeputzten Leute zur Stelle. Wieder einmal eine ganz andere seltsame Welt, in die ich staunend eingetreten bin. Nie und nimmer hätte ich diesen braunen Inselsöhnen eine solch glänzende Tanzmeisterschaft zugetraut, nie hätte ich erwartet, eine solch bunte, glühende, wahrhaft künstlerische Farbenpracht zu Gesicht zu bekommen. Denn Farbenpracht, denkbar reichste Farbenpracht ist hier alles: die braunen, oft durch Wurzelschminke und -zutat rot gefärbten Körper der Tanzenden, die grellrote Lawa-lawa der Männer, die lichtgrüne der Mädchen. Die Frauen haben sie nach Landesbrauch und ungalanter Landessitte sämtlich zu Hause gelassen. Außer von der Lawa-lawa wird Braun und Rot des Körpers durch um den Leib geschlungene, in allen möglichen Farbentönen gehaltene Palmenfasern unterbrochen, um Hals und Arme schmiegt sich reicher, oft kunstvoll und mühselig zusammengefügter und zusammengetragener Muschelzierat. Hellbraun glänzen aus dem dunklen, immer nach Frauenart hoch aufgebundenen Haupthaar die mächtigen, schlank geschnitzten Holzkämme heraus, meist mit irgendeinem Festabzeichen, und sei es auch nur einem beliebigen bunten Lappen, verziert und verbrämt. Aber auch andere kompliziertere Kopfbedeckungen sind zu sehen, oft meterlange, leicht und luftig geformte Gestelle in Schiffsform, ganz mit weißem, zartem Federflaum duftig überhaucht, überall Farbe und stets wechselnde, oft bizarre und phantastische, aber immer geschmackvolle und ansprechende Formen, Verzierungen und Ornamente. Leider wird der zweite Teil des Festes wieder durch wolkenbruchartig herniederstürzenden Regen gestört. Wir flüchten unter das nächste erreichbare Dach, und die Japleute suchen Schutz unter den dichten Bäumen. Aber trotz des beharrlich weiter niederströmenden Regens lassen sie sich nicht von der Station vertreiben. Denn auch sie haben heute ihr Weihnachten. Es ist einer der wenigen Tage im Jahr, wo sie Bier bekommen. Sonst ist hierzu ein besonderer Erlaubnisschein des Bezirksamts notwendig. Sie machen von dieser ihnen heute zustehenden Vergünstigung gewissenhaft Gebrauch. Ich war daher sehr verwundert, daß ich beim späten Nachhauseweg durch die dichtgelagerten Scharen der Japleute auch nicht einem einzigen Betrunkenen begegnete. Wie ich später erfuhr, hat das seinen Grund nicht in der Wohlerzogenheit, Nüchternheit oder Trinkfestigkeit der Festteilnehmer, sondern in der Tatsache, daß die emsige Polizeitruppe jeden allzu angeheiterten oder radaulustigen Insulaner rasch und unerbittlich aus dem Weichbilde der Station in den Busch hinaus abschiebt. Lange stand ich, als dieser erste Weihnachtsfeiertag schlafen ging, am weit aufgestoßenen Fenster meines ganz einsam im Grünen gelegenen, winddurchbrausten, luftigen Holzhauses. Wie schön das alles ist! ... Der scharfe Nordostpassat hat die Regenwolken wieder weggeweht. Hinter den letzten, eilig nach Südwesten dahinhetzenden Dunstnebeln ist still und friedlich der Mond herausgetreten. Hellsilbern erglänzt nun alles: der Himmel und das Meer, das zu meinen Füßen unruhvoll brandet. Selbst in das dichte Geranke des wilden grünen Busches, der bis in meine Fenster hineinwuchern will, gelingt es ab und zu einem hellen Silberstrahl, leuchtend einzudringen. Und brandendes Meer und brausender Wind, rauschender Busch und raunende Zikade singen ein in herrlichen Akkorden zusammentönendes Lied von Pracht und Herrlichkeit der Tropen. Eine einzige Schönheit ist ringsum gebreitet. Die Sonne, die Sterne sind heller als bei uns zu Hause. Reicher und glänzender, wärmer und prächtiger ist alles. Kein Tag, an dem man die Sonne nicht sieht, keine Nacht, in der man friert oder fröstelt. Früchte und Blumen das ganze Jahr. Meer und Erde werfen den Menschen ihre Gaben in den Schoß. Da ist auch keiner, der Sorge zu haben brauchte für den morgigen Tag! Und doch trotz aller Pracht und allen Segens, trotz allen Lichtes und aller Wärme -- ein Weihnachten gibt es hier nicht. 18. Nach den Palauinseln. Sofort nach den Feiertagen macht sich der „Condor“ schon wieder auf den Weg und steuert nun den Palauinseln zu, die politisch noch zu den Karolinen gezählt wurden und mit diesen seinerzeit von Spanien übernommen worden waren. Wirtschaftlich hatte diese Inselgruppe nicht allzuviel zu bedeuten. Auf der oder jener Insel, weit verstreut, da und dort, lebte ein deutscher, englischer oder japanischer Händler. Die Ausfuhrprodukte waren Kopra und „Trepang“ = „die getrocknete Seewalze“. Letztere wird von den Chinesen als Delikatesse sehr begehrt und teuer bezahlt. Wer freilich diese schwarze, schleimige Holothuria lebend gesehen, wird wenig Appetit darauf haben. Außerdem wurden Schildpatt und einzelne Alligatorenhäute exportiert. Später gesellte sich dazu Phosphat. Sehr viel aber bieten diese bei uns zu Hause so gut wie nicht bekannten Inseln dem Touristen und Naturfreund. Schon der erste Anblick aus der Ferne ist packend. Tiefblau rollt die See gegen eine langgestreckte, zerrissene Küste an. Es ist Babeltaob, das größte Palaueiland. Schroffe Zinnen und Zacken ragen empor, manche nadelscharf zugespitzt, dazwischen wieder abgerundete und bewaldete Kuppen mit weichen, sanften Linien, bald steil ins Meer abstürzender Fels, bald flach verlaufender Palmenstrand. Kaum kommen wir etwas näher, sehe ich bereits, daß sich hier eine ganze Welt von Inseln aufschließt, von Inseln, Inselchen und allerwinzigsten Miniaturinselchen, manche sich ausnehmend wie ein schöner Blumenstrauß oder ein putziger Waldschwamm. Grün die runde bewaldete Kuppe, und der sie tragende, graue Felsenstiel tief von ewig nagender Salzwoge eingefressen. Auf den größeren Inseln ist allerüppigste Tropenflora über den flachen Uferstrand, über das steil aufsteigende Hügel- und Bergland ausgestreut: Palmen jeder Art, Brotfrucht- und Kalophyllonbäume, undurchdringliche Mangrovenwälder, Taro- und Lackfelder, Orangen- und Mandarinenhaine, Bananenstauden und Ananaspflanzen und wie all die andere reiche, verschiedenartige Vegetation noch heißen mag. Bei der Insel Malakal wirft der „Condor“ Anker. Der deutsche Stationsleiter Winkler kommt an Bord, und eine Stunde später fahren wir mit ihm nach der Insel Korror, auf der er seinen Amtssitz hat. Ganz schmal ist die Durchfahrt, die der Fels freiläßt, nur für Ruderboote und Kanoes passierbar. -- -- -- Auf den Palauinseln war dem „Condor“ die Aufgabe zuteil geworden, zur Warnung ein wenig die „Kriegsflagge“ zu zeigen. Denn die guten Insulaner, hauptsächlich die Bewohner von Babeltaob, waren im Laufe des Jahres plötzlich und wohl aus lauter Langeweile -- Zeitvertreib durch irgendwelche Arbeit kennen sie nicht --, noch dazu aufgehetzt von den „Kalits“, herrschaftslüsternen Zauberern, auf den Gedanken verfallen, die Weißen aus ihrem schönen Inselreich hinauszuwerfen und gründlich mit ihnen aufzuräumen. Allzu schwierig mochte das nicht erscheinen. Auf eben der größten Insel Babeltaob war überhaupt kein Weißer, in Korror war der einzige wehrhafte Europäer der Stationsleiter, und die paar andern deutschen und englischen Händler lebten als Einsiedler auf weit auseinanderliegenden Inseln. So wurde denn in Babeltaob der wohlverborgen gehaltene treffsichere Kampfspeer wieder ausgegraben, Gesicht und Körper mit grimmiger, roter Blutfarbe beschmiert und unter Leitung der Kalits mit wildem Geheul ein stürmischer und begeisterter Kriegstanz abgehalten, all das mitten in tiefer, stockdunkler Nacht. Aber der deutsche Stationsleiter Winkler hatte gerade noch rechtzeitig Wind von der Sache bekommen, setzte noch mitten in der Nacht mit seiner sechzehnköpfigen braunen Polizeitruppe nach Babeltaob über, fuhr störend in die Kriegstänze und allgemeine Kampfesfreude hinein, nahm die Kalits gefangen, riß ihr „heiliges Haus“ ein und ließ die Zauberer mit nächster Schiffsgelegenheit nach den Karolinen und Marianen deportieren, wo sie ihre weltlichen Herrschaftsgelüste mit mehrjähriger Zwangsarbeit abzubüßen hatten. Durch das rasche und entschlossene Vorgehen des Stationsleiters war der Aufstand im Keim unterdrückt worden. Wäre er wirklich zum Ausbruch gekommen, so hätte die kleine Polizeitruppe gegen die große Übermacht nichts ausrichten können. -- Der „Condor“ sollte nun den in Korror zusammenberufenen Häuptlingen und den von allen Seiten zusammengeströmten Insulanern vor Augen führen, wie sich die Sache, wenn sie einmal wirklich mit allen Weißen reinen Tisch machen sollten, nachträglich gestalten würde. In fünf Booten kam ein Landungsdetachement angerückt und ging in durch Spitze und Seitenpatrouillen gesicherter Marschkolonne über das Hochplateau gegen den an dem Waldrand des Dorfes Korror gut gedeckt liegenden Feind vor, warf ihn zurück, nahm Korror im Sturm, und zwischen den Bananenstauden, unter den Orangen- und Brotfruchtbäumen eilten unsere blauen Jungens, auf dem Kopf den schützenden Tropenhelm, dem im Busche eilig verschwindenden Gegner nach. Gerade vor den prächtigen Königs- und Versammlungshäusern Korrors fuhren Geschütze und Maschinengewehre auf und donnerten dem fliehenden Feinde einen letzten, lauten Abschiedsgruß zu. Aber dann wird Friede. Unter den hohen, schattigen Bäumen, vor dem Hause des uralten Häuptlings von Korror, spielt die Musikkapelle des „Condor“ und hat bald einen dichten Zuhörerkreis um sich versammelt. Selbst die vor dem schweren Geschützdonner und dem heftigen Gewehrgeknatter anfänglich eilig in den Busch geflohenen Mädchen und Frauen stellen sich, noch etwas verschüchtert, allmählich ein. Die von der schwülen Tropenluft und dem heißen Sturmangriff durstig gewordene Mannschaft schüttelt sich Orangen und Mandarinen herab, läßt sich durch Kanakenjungen Kokosnüsse öffnen und fahndet, soweit das die Kürze der Rast zuläßt, unter der Hand eifrig nach selbstverständlich bezahlter „Kriegsbeute“, nach Kuriositäten irgendwelcher Art. Am Tage nach dieser Landungsübung wurden sämtliche Häuptlinge auf den „Condor“ eingeladen. In ihren Kanoes kamen sie angefahren und wurden mit Tee und Gebäck bewirtet. Alsdann führten die Offiziere sie durch das ganze Schiff und zeigten ihnen -- der eigentliche Zweck der Einladung -- zur Warnung alle Waffen, die Gewehre und vor allem die Geschütze, deren Bedienung, Wirkung, Treffsicherheit und Durchschlagskraft erklärend. In Erwiderung dieser Einladung wurden zu Ehren des deutschen Kriegsschiffes am nächsten Tag von den waffenfähigen, lanzenbewaffneten Männern der Insel Korror einige wilde Kriegstänze zum besten gegeben. So verbrachte ich auf den Palauinseln noch einige schöne Tage mit den Herren des „Condor“. Wir besichtigten die Missionsschule auf Korror, fuhren hinüber zu dem auf Insel Babeltaob gelegenen, idyllischen Dörflein Airei und machten noch den und jenen kleinen Ausflug. Am letzten Dezember gab es gemeinsame Neujahrsfeier an Bord des „Condor“, auf festlich geschmücktem Achterdeck. Hell klingen die Gläser zusammen, froh finden die Augen sich, und durch die Stille der sternklaren Tropennacht fliegt über unendliche See aus allen Herzen auch ein Gruß in die Heimat. Zwei Tage später hieß es Abschied nehmen. Die Herren des „Condor“ hatten noch die Liebenswürdigkeit gehabt, mich für den Aufenthalt auf den Palauinseln mit einigem auszustatten, vor allem für einige Kisten Zigarren war ich von Herzen dankbar. Nirgends hatte ich mich damit versehen können. Denn was man in Japan davon erhalten kann, ist kaum rauchbar, außerdem bei dem darauf liegenden, ganz ungeheuren Zoll von 300 Prozent auch kaum bezahlbar. Auf den Marianen und Karolinen aber hatte ich vor geleerten Lagern gestanden. Mit Kisten und Paketen beladen, stehe ich dankend am Ufer. Händeschütteln nach allen Seiten. Auf Wiedersehen! Auf frohes Wiedersehen irgendwo und irgendwann zu Hause! Bald zieht der „Condor“, der nimmermüde Wandervogel, dem nirgends lange zu bleiben vergönnt ist, weit, weit in der Ferne langsam und bedächtig seine Bahn. Nun ist er nur mehr ein einziger, weißer Punkt in endloser, azurblauer Fläche. Und jetzt -- jetzt ist gar nichts mehr als ganz verlassene, hin- und herwogende See. Schon manches Schiff sah ich scheiden auf meiner Reise, von vielen Menschen bin ich nicht leichten Herzens fortgegangen, aber noch kein Abschied ist mir so schwer gefallen wie der vom „Condor“ und seinen mir liebgewordenen Menschen. Nun, wo dieses durchs Weltmeer treibende Stück deutscher Scholle für immer mir entschwunden ist, hab ich Heimweh, richtiges Heimweh danach. -- -- -- 19. Auf Korror. Ich bleibe auf Korror. -- Der Stationsleiter Winkler besaß neben seinem Wohnhaus eine einzimmrige Blockhütte, in der er seine höchst seltenen Postgeschäfte erledigte. Diese Hütte stellte er mir in liebenswürdigster Weise zur Verfügung. Ich breitete darin eine japanische Decke aus, die mir da und dort in der Südsee als Bett- und Nachtlager gedient hat. Zur Bedienung aber wurde mir ein Eingeborener beigeordnet. „Aumong“ hieß der junge Palaumann eigentlich. Aber die Deutschen hatten diesen für deutsches Ohr und deutsche Zunge unbequemen Namen, während Aumong Polizeisoldat auf den Westkarolinen war, kurzerhand in „Otto“ umgewandelt. Otto war einer der wenigen „getauften“ Palauleute. Lange Zeit wußte ich es selbst nicht und erfuhr es nur dadurch, daß er eines Sonntags seinen sonst nur mit einem schmalen Lendentuch bekleideten Körper mit einem weißgrauen, sehr nach alsbaldiger Reinigung rufenden Fest- und Feiertagshemd bedeckte und so stolz und würdig in die Missionskirche von Korror wanderte. Trotzdem war aber Ottos Lebenswandel sonst leider nicht alleweg christlich, heilig und einwandfrei zu nennen. Zu der Zeit meiner Ankunft auf den Palauinseln saß er sogar im „Calabus“, im Gefängnis, -- saß darin, weil er durch allzu starke Courmacherei den Hausfrieden gleich zweier Palaufamilien etwas gestört hatte. Otto hatte nicht gerade ein sehr großes diplomatisches Geschick damit bekundet, daß er mit den Versicherungen seiner Liebe und unwandelbaren Treue gleich zwei dicht nebeneinander wohnende Schwägerinnen beglückt hatte. In den guten alten Zeiten der Palauinseln wäre Otto eines Tages wohl irgendwo im Busch als stummer Mann aufgefunden worden. Aber da unter deutscher Herrschaft auf diese löbliche Landessitte die Todesstrafe steht, wurde er von den beiden erbosten Ehemännern auf andere Weise für längere Zeit unschädlich gemacht. Sie rückten mit ihren Klagen beim Stationsleiter an, der den bereits öfter verwarnten guten Otto teils zur Strafe, teils zur Sicherheit für seine immerhin nicht ganz ungefährdete Person in den Calabus steckte. Dieser Calabus ist im Grunde genommen gar nichts so Schreckliches. Hinter Schloß und Riegel sitzen die Gefangenen nur bei Nacht. Und auch da schwätzen und plaudern sie oft recht laut und vergnüglich. Tagsüber aber werden sie im Freien mit gemeinnützigen Arbeiten, Weg- und Dammbauten, Rodungen, Anpflanzungen und ähnlichen Arbeiten beschäftigt. Bei den Palauleuten ist aber dennoch der Calabus ein recht gefürchtetes Ding. Freiheitsberaubung und Arbeitszwang sind böse Strafen für einen Südseeinsulaner. Dazu kommt die Angst vor Spott und Hohn der lieben Mitmenschen. Das scheut schon der einfache Palaumann. Und nun gar, wenn einer aus einer Häuptlings- und Fürstengens stammt, wie Otto, der Urenkel des derzeitigen Häuptlings von Korror. So trug er eine recht düstere und finster vergrämte Miene zur Schau, als er die ersten Male an mir vorüberschlich. Aber der Tag seiner Erlösung war nahe. Ich benötigte einen Insulaner, der sich zum Führer, Begleiter und Diener eignete. Otto wurde als der einzige, leidlich deutsch redende Palaumann hierfür in Aussicht genommen und ihm der Rest seiner Strafzeit in Gnaden erlassen. Den durch seine Entlassung aus dem Calabus frei gewordenen Platz aber nahm nun sein Großvater, Arekoko genannt, ein. Dieser Arekoko war trotz seines Alters noch eine jugendlich schlanke, elastische Erscheinung. Sohn des Königs von Korror und künftiger König, gab er sich sehr gnädig und gelassen und wirkte auch tatsächlich in seiner aufrecht-geraden Haltung, mit den ruhigen Bewegungen, höchst vornehm. Ein langer, weißer, würdiger Vollbart wallte ihm bis auf die Brust. Arekoko hatte sich in früheren Jahren viel auf Segelschiffen herumgetrieben, kannte das Meer und die Palauinseln wie kein zweiter und war der einzig brauchbare Lotse auf der Inselgruppe. Da der „Condor“ bei seiner Abfahrt auch noch eine Erkundungs- und Vermessungsfahrt zu machen hatte, war Arekoko um 6 Uhr morgens auf den „Condor“ bestellt worden. Das war ihm aber viel zu früh und er rückte erst um 8 Uhr mit einer nichtigen Entschuldigung an. Am Nachmittag nach erfolgter Vermessungsfahrt hätte er sein Kanoe an eine ihm näher bezeichnete Stelle der Insel Babeltaob hinbestellen sollen, damit es ihn wieder an Land bringen sollte. Auch das hatte er vergessen zu tun, so daß der „Condor“ wieder warten mußte, bis ein zufällig vorbeikommendes und herangerufenes Kanoe den guten Arekoko endlich aufnehmen konnte. In einem Briefe des Kommandanten an den Stationsleiter, den Arekoko selbst zurückbrachte und abgab, standen seine Missetaten verzeichnet und zur Strafe dafür -- er hatte auch noch verschiedenes andere auf dem Kerbholz -- wanderte er an Ottos Stelle ins Gefängnis. Trotz aller Verehrung für seinen Großvater schien Otto über diese plötzliche und unerwartete Schicksalswendung in hohem Grade befriedigt. Lustig lachten seine dunklen Augen. Er war ein für einen Palaumann auffallend hochgewachsener Mensch von vielleicht dreiundzwanzig Jahren mit hübschen, ebenmäßigen Zügen und ohne die breite Nase des Durchschnittsmikronesiers, breitbrüstig, starksehnig und gelenkig; trotz aller Gefängniskost und in den letzten Wochen hinabgewürgten Ärgers immer noch gut genährt. Der ganze Körper in ein einziges, tiefes Dunkelbraun getaucht; das glänzend schwarze Kopfhaar und der ebenfalls schwarze, eben beginnende Schnurrbart lebhaft mit dem lustigen, scharlachroten Lendentuch kontrastierend. Im Anfang, wo noch die Freude über die unerwartet rasche und glückliche Befreiung aus dem Calabus nachwirkte, war Otto auch in allen Dingen äußerst brauchbar und anstellig. Besonders draußen auf See, bei starkem Wind oder unvermutet aufkommendem schlimmen Wetter, an gefährlichen Stellen und in reißenden Strömungen hätte ich mir keinen besseren, geschickteren und zuverlässigeren Begleiter wünschen können. Aber, wie jeder Mensch schließlich, hatte auch Otto seine schlechten Tage, Tage, wo er zu gar nichts Lust hatte und am liebsten auf seiner braunen Haut liegengeblieben wäre. Da hatte er denn auch sofort gleich ein ganzes Dutzend oft gar nicht ungeschickter Ausreden zur Hand: ein Loch im Kanoe, das Segel defekt, Regen oder Sturm, schlecht Wetter im Anzug. Wenn ich dann trotzdem meinen Willen durchsetzte, so stieg er den ganzen Tag mit einer wahren Leichenbittermiene herum. In solchen Zeiten ließ ich ihn am besten ganz gehen, fragte ihn nicht und unternahm auch nichts, wobei ich mich allzusehr in seine Hand gegeben hätte. Denn auf irgendeinen kleinen Possen oder Schabernack, bei dem er sicher war, nicht erwischt zu werden und aufzufliegen, wär’s ihm vielleicht nicht angekommen. [Illustration: Europäerhäuser auf Jap. (S. 95)] [Illustration: Mannschaften des „Condor“ nach der Übung auf Korror. (S. 107)] [Illustration: Häuptling von Melegejok. (S. 124)] [Illustration: Der König von Nabuket. (S. 129)] Am allerliebsten war ich mit Otto, wie schon erwähnt, auf dem Wasser beisammen. Das machte ihm Freude, hier war er zu Hause. Oft waren wir nur zu zweit auf dem Kanoe, oft hatten wir als dritten Mann noch einen Strafgefangenen mit, einen gleich dreifachen Mörder, der aber eine feste Hand und ein sicheres Auge hatte und über eine wahrhaft stoische Ruhe verfügte. Man ist bei Touren nach den oft sehr weit auseinandergelegenen Inseln fast ausschließlich auf das Kanoe angewiesen. Solch ein ganz schmales und leichtes, aus einem Baumstamm herausgearbeitetes Fahrzeug fliegt mit seinem mächtigen Segel bei scharfem Wind wie ein Sturmvogel dahin. Kein Dampf-, kein Motorboot, das es einholen könnte. Besonders nachts und bei Mondschein sind solche Fahrten etwas sehr Reizvolles. Das einzig Unangenehme ist, daß bei einigermaßen bewegter See Kanoe und Ausleger viel unter Wasser sind, und man so beständig im Nassen sitzt. Und der Weiße, der solch ein Fahrzeug benutzt, kann auf dem eigentlichen Kanoe sich nicht leicht halten. Er müßte dazu mindestens auch barfuß wie die Eingeborenen gehen. Das verbietet aber wiederum die bös herabstechende Sonne. Ein beschuhter Fuß gleitet aber auf dem glatten Holz unfehlbar aus. So ist’s noch am besten, auf der Verbindung zwischen Ausleger und Kanoe Platz zu nehmen. Aber auch hier ist es, besonders im Anfang, nicht allzu schwer, mit einem plötzlichen Plumpse über Bord zu gehen. Sehr interessant ist’s, wenn man Fischer ist. Manch schönen und schweren Fang haben Otto und ich mit der Schleppleine aus der Tiefe geholt, manch prächtigen Gesellen hat Otto in monddunkler Nacht bei Fackellicht oder am hellen Tag und in wilder Flucht mit dem Speer erbeutet. Wenn er schlecht gespeert hatte und der Fisch zu entkommen drohte, dann ging er selber blitzschnell und kopfüber ihm ins Wasser nach, einerlei, ob das ein schwerer Seehecht oder ein kleiner Hai war, packte ihn von rückwärts, raufte und balgte sich mit ihm in der See herum, gewandt und geschickt wie ein Fisch- und Wassermensch, und ruhte nicht eher, als bis er ihn trotz aller Bisse und Risse glücklich überwältigt und auf das Kanoe heraufgewälzt hatte. Selbst wenn in der Nähe der Küste der Fisch tief gegangen war und sich in den Korallen verstrickt hatte, ließ ihn Otto nicht los, sondern tauchte trotz aller Haie oft in recht ansehnliche Tiefen hinab, dort Leine und Fisch lösend. Noch so manche andere gute Eigenschaft hatte mein Otto. Er war ein recht guter Koch, ein sehr ins Gewicht fallender Vorzug. Er verstand es auch, gut und geschickt einzuhandeln. Manche Schildpattschale, manche holzgeschnitzte Figur und andere Kuriosität verdanke ich seinem Spürsinn. Die Insel Korror selbst nun ist in dem Teil, wo der Stationsleiter dicht über dem Meer sein Haus hat, wenig schön. Neben dem Haus beginnt ein verschiedene Kilometer langes und kahles Hochplateau. Aus der roten Erde wächst Gestrüpp und Unkraut, und tagsüber liegt heiß und schwer die Sonne darauf. Der Stationsleiter hat diesen Platz wohl deshalb gewählt, weil er von dort einen guten Überblick auf die nächstgelegenen Inseln hat und weil die Lage sicherlich sehr gesund ist. Der Seewind hat hier stets Einlaß und vertreibt die Schwüle; nichts auch von der dumpfen Feuchtigkeit, die überall unter den hohen, schweren Kronen der Tropenbäume sich entwickelt. Das kahle, öde Hochplateau wurde damals durch die Strafgefangenen aufgeforstet und wird sich inzwischen viel freundlicher gestaltet haben. -- Nach Durchquerung der sonnigen Ebene erschließt sich ein hochstämmiger und dunkelschattiger Tropenwald. Mitten darin Dorf Korror, wo zwei Kapuzinerpatres -- außer dem Stationsleiter die zwei einzigen Weißen der Insel -- Kirche, Schule und Kloster haben. In Korror wohnt auch der alte König der Insel. Ururalt ist er, kann nur mehr mühsam humpeln und leidet unter verschiedenen Gebrechen. Nur die Augen blicken noch ganz klug und klar aus dem von einem gelbweißen Barte umrahmten, braunen Gesichte heraus. In Korror bekam ich auch die ersten Klub- und Versammlungshäuser zu sehen. Ich war von ihrer großzügigen Anlage, von der schönen Harmonie ihrer Raum- und Maßverhältnisse vollkommen überrascht. Hochgiebelig und langgestreckt erheben sie sich auf schweren, starken Holzstützen. Die Front und auch oft die Seitenwände, ebenso Stützen und Tragbalken des Innern sind mit Ornamenten und Malereien übersät, mit seltsamen und buntfarbigen, manchmal an altägyptische oder assyrische Linienführung erinnernden Darstellungen in Bilderschrift aus Sage und Geschichte, Seefahrt und Krieg, Jagd, Fischerei und häuslichem Leben. Ab und zu auch an der Front einige noch etwas ungefüg gearbeitete Holzschnitzereien, meist Mädchen darstellend. Türen sind keine vorhanden. Die rechteckig ausgeschnittenen, kleinen Eingangslöcher liegen in ziemlicher Höhe. In die senkrechten Stützbalken sind Stufen eingearbeitet, die ein Emporklettern ermöglichen. Dann eine kleine Bauchwelle und man ist ins Innere gelangt, das stets aus einer einzigen, hohen und riesengroßen, vornehm wirkenden Halle besteht. In diesen schönen Klubhäusern hocken die Eingeborenen, kauen bedächtig ihre Betelnuß, rauchen, schwatzen, lügen und prahlen, lassen, um den neidischen Nachbar ein wenig zu ärgern, ein besonders wertvolles Geldstück im Kreise herumgehen, eines dieser hier großen Wert besitzenden, unreinen Glasstückchen, oder irgendeinen terrakottaähnlichen, wohl auch uralten Scherben. Ihr Ursprung und ihre Herkunft sind noch nicht völlig geklärt, nur das ist jedenfalls sicher, daß sie zu ihrer Herstellung eine höhere Stufe der Kultur und Technik erforderten, als sie je auf diesen Inseln gewesen. Wahrscheinlich wurden sie in grauer Vorzeit von seefahrenden Japanern oder Chinesen auf die Inseln gebracht. Es hat auch nicht an findigen Matrosen gefehlt, die sich ähnliche unreine Glasstücke zu verschaffen gewußt und damit reiche Leute zu werden hofften. Denn oft ist schon für ein einziges dieser Glasstückchen die Kopraernte oder der Schildpattertrag eines ganzen Jahres, sind drei oder vier Häuser zu kaufen. Aber die Eingeborenen waren noch klüger als die schlauen Matrosen. Sie erkannten sofort den Betrug und nun laufen diese später eingeführten Glasstücke als sogenanntes „falsches Geld“, das recht gering bewertet ist, im Verkehr weiter. Aber dieses „Glasgeld“ ist nicht das einzige, was auf den Palauinseln, was auf den andern Karolineninseln noch ungeklärt ist. Da ist -- um eines all dieser noch der Lösung harrenden Dinge zu erwähnen -- der Ursprung und die Herkunft der Palauinsulaner, wie der aller Karoliner und Mikronesier noch ziemlich unerforscht. Verschiedene Ansichten laufen da durcheinander. Früher glaubte man ihre Heimat in Amerika suchen zu müssen. Und darüber ist ja kein Zweifel, daß ein Mikronesier und beispielsweise ein mexikanischer Indianer eine gewisse Ähnlichkeit miteinander haben. Beide sind mittelgroß, schlank, brauner Hautfarbe und schwarzhaarig. Auch gewisse Charaktereigenschaften haben sie gemeinsam, vor allem ein ziemlich entwickeltes Phlegma. Dennoch steht es heute wohl so ziemlich fest, daß die Mikronesier ein ursprünglich von Westen gekommener, malaiischer Stamm sind, der sich im Laufe der Zeiten mit Polynesiern und Melanesiern stark vermischt hat. Aber das „wie“ und das „wann“ ist noch lange nicht erforscht, wird sich überhaupt vielleicht nie mehr nachweisen lassen. Schon die Bewohner einzelner benachbarter Inseln -- so zum Beispiel Jap- und Palauleute -- weisen in ihrer äußeren Erscheinung gewisse Unterschiede auf. Ja -- selbst die Eingeborenen einer einzigen Insel sind sich oft ganz und gar unähnlich. Da gibt es tiefbraune, hellbraune, fast gelbe Färbungen, da gibt es hochgewachsene und kräftige, kleine und schmächtige Menschen. Mitten dazwischen -- gar nicht so selten -- ein brauner Insulaner von ausgesprochenstem semitischem Typus. Wie kommt dieser semitische Einschlag hierher? Er ist auf Jap, ist auf Tobi und Sonserol, ist auf Palau zu finden. Vielleicht durch Blutmischung auf dem Wege über südlichere Inseln, über die Molukken, wo dieser semitische Typus zahlreicher anzutreffen ist. Denn es ist wohl kaum anzunehmen, daß Phönizier, daß Araber selbst einmal in grauer Vorzeit auf die mikronesischen Inseln kamen. Man hat ja in verschiedenen Glasgeldstückchen der Palauinseln arabische Zeichen zu entdecken vermeint. Aber wenn dem auch so ist, so kann dies Geldstückchen doch lange von Insel zu Insel gewandert sein, bis es einmal in Korror oder Babeltaob gelandet ist. Auch die Religion der Eingeborenen zu erforschen, wäre nicht uninteressant. Freilich müßte man hierzu lange hier leben, die Sprache erlernen und sich da und dort gute, sichere und wahrheitsliebende Freunde erwerben. Denn wenn der mit den Insulanern wenig bekannte Europäer nach diesen Dingen fragt, wird er von den mißtrauischen Eingeborenen recht leicht angelogen. Eine allerhöchste Gottheit wird allgemein angenommen. Unter ihr und neben ihr alle möglichen andern Götter und Geister -- in Jap beispielsweise ein Kriegs- und ein Donnergott --, außerdem haben aber auch Dorf und Tal, Busch und Bäume, Bach und See ihre eigenen Schutzgeister. Es ist das alles ganz ähnlich wie im japanischen Shintoismus. Wer weiß, ob nicht diese religiösen Ideen in Urzeiten von Malaien sowohl nach Japan wie auf diese weltverlorenen Südseeinseln gebracht wurden. Auf den Palauinseln schien mir der Geisterglaube noch mehr wie auf Jap ausgebildet zu sein, denn in so manchem Dorf sah ich ein kleines, nicht bewohntes Holzhäuschen stehen, und auf meine Frage, wem es gehöre und was damit sei, vernahm ich, daß es irgendeinem Geist oder einer Gottheit geweiht sei. Eigentümlicherweise finden sich in der Religionslehre der oder jener Insel entschiedene Anklänge an die christliche Legende, an die Sintflut, an die Hölle, an die Erlösung. Wohl wahrscheinlich, daß da und dort, wie auf den Marianen, schon in früheren Jahrhunderten Missionare tätig gewesen sind. Es verlautet freilich nichts mehr davon -- aber vielleicht dürfen wir doch in diesen Annäherungen an biblische Erzählungen Nachwirkungen ihrer Bekehrungsversuche sehen. Über die Entstehung der mikronesischen Inselwelt selbst, um auch dies zu streifen, gibt es verschiedene Theorien. Die einen sagen, diese Inseln seien durch vulkanische Ausbrüche entstanden, die andern halten sie für die letzten, die höchsten Reste eines früheren Festlandes; beides wohl möglich. Aber gleichzeitig kommt in der Südsee doch auch die beständige Korallenbildung sehr in Betracht, so daß manche niedere Insel ihre Entstehung als solche hauptsächlich dieser verdankt. Auf irgendeinem unterseeischen Berge hat sich die Koralle festgesetzt, baut in nimmermüder Arbeit höher und höher, baut bis zum Meeresspiegel herauf. Sturm und Brandung werfen abgestorbene Korallenstücke auf die oberste Schicht, und langsam, ganz allmählich taucht aus der Flut eine kleine Insel, ein Atoll. Samen aller Art treibt an, ein bißchen Erdreich bildet sich, und eines Tages grüßt die erste grüne Palme auf das blaue Meer hinaus. Die Korallenriffe bedeuten selbstverständlich, solange sie über die Wasserfläche nicht herausragen, die allergrößte Gefahr für die Schiffahrt. Gerade in der Südsee hört man so oft von Schiffen, die völlig spurlos verschwinden. Da ist dann entweder das Schiff einem Taifun zum Opfer gefallen, oder es ist auf irgendein unbekanntes und nicht sichtbares Riff aufgefahren, ist leck geworden und gesunken. Ganz nahe bei Korror -- nur zwanzig Minuten mit dem Kanoe zu fahren -- liegt die Insel Malakal, auf der zwei japanische Händler tätig sind. Sie haben sich Haus und Hof, wie das die Japaner meist tun, sehr praktisch angelegt, sehr nett und gemütlich eingerichtet. Verschiedene Japaner und Palauleute stehen in ihren Diensten -- aber auch ein früherer deutscher Matrose, der vor Jahren auf den Palauinseln hängengeblieben ist. Er hat es jedoch mit nichts vorwärtsgebracht, bis er schließlich als Fischer von den japanischen Kaufleuten angestellt wurde. Mit einem dieser Japaner, namens Fujikawa, trat ich in näheren Verkehr. Es war ein recht gebildeter, junger Mann mit guten Manieren und in fast allen Dingen äußerst geschickt. Meinen -- ich weiß gar nicht, zum wievielten Male -- gänzlich zusammengebrochenen „Tropenapparat“ flickte er mir immer von neuem so zurecht, daß ich einige Tage damit wieder photographieren konnte. Zum Dank hierfür schenkte ich ihm meine Aquarellfarben und ein kleines Skizzenbuch. Schon zwei Tage später bekam ich dieses wieder zurück, ausgefüllt mit hübschen Malereien von der Hand meines Freundes Fujikawa. Sonst befindet sich in der Nähe der Insel Korror kein Kaufmann und Händler, weder ein Europäer noch ein Japaner, den man besuchen könnte. Ringsum allergrößte Berg- und Meereseinsamkeit, eine Stille, in die nur das Wogen und Branden der Wellen hineinklingt. Viel Schönheit ist überall gestreut. Da sind in der kraus verschlungenen Inselwelt langgestreckte Meeresarme, aus denen die Berge hoch und steil, senkrecht sich emporbauen; tief, tief grün sind sie und oft ganz glatt geebnet wie irgendein geschützter, norwegischer Fjord. Da sind entzückende kleine Buchten, Höhlen und Grotten, blau oft wie die von Capri oder klar kristallgrün wie ein heimischer Gebirgssee. Weiter draußen flutet das freie Meer, mit frischem, starkem Wellenschlage sich zwischen die Inseln hereindrängend. Ganz herrlich ist das alles besonders bei Sonnenuntergang. Da sind Färbungen, wie ich sie noch nie und nirgends gesehen. Da ist manchmal ein tiefes und sattes, noch lang in die sinkende Nacht hineinstrahlendes Blau, da sind heißrote und starkgelbe, breit aufgetragene Tinten, und all diese Töne sind von einer ganz seltenen, leuchtenden Reinheit. Je öfter ich im schwanken Kanoe diese wundersame Inselwelt durchfuhr, desto mehr gewann ich sie lieb. Bei all diesen Fahrten hängt, wie schon einmal gestreift, meist die Schleppleine hinaus, welche die Insulaner ganz ähnlich wie unsere Fischer gebrauchen. Nur ist die Leine länger und stärker, die Haken sind größer und kräftiger. Trotzdem sprengen die ganz gewaltigen Fischriesen mit einem Ruck manchmal Leine und Haken. Als Köder dient ein toter, frischer Fisch oder ein künstliches Fischchen, das die Karoliner sehr geschickt aus weißen und rosa Muscheln oder aus Schildpatt sich zurechtzuschneiden verstehen. Ist aber gerade gar nichts anderes zur Hand, so befestigen sie rasch am Haken ein weißliches, lang und schmal geformtes Pandanus- oder Drazänenblatt, das durch die rasche Vorwärtsbewegung des Kanoes ganz das Aussehen eines eilig dahinschwimmenden Fisches erhält. Auch mit der Angelgerte habe ich Erfolge erzielt. Manchmal baute Otto mit einigen seiner Getreuen aus Bambusstäben eine große Fischfalle, in der die Meeresbewohner bei Ebbe zurückblieben. Aus dem dann nur etwa einen Meter tiefen Seichtwasser holten wir, auf den Bambusstäben sitzend, die Fische mit dem Speer heraus, und das Ergebnis war besonders in den ersten Tagen stets sehr reichlich. Abgesehen von verschiedenen schweren Haien befanden sich auch stets eine ganze Menge großer, guter und eßbarer Schuppentiere in der Falle. Hundert Arten von Fischen bevölkern die kristallklare Flut, und fast alle sind sie von einer bei uns nicht gekannten Farbenpracht, die vom glühendsten Purpurrot und leuchtendsten Sammetblau, vom allertiefsten Schwarz und sattesten Braun in die lichtesten und allerduftigsten, in zartgelbe und mattgrüne, in weichrosa, mildviolette und perlmutterartige Töne hinüberspielt, oft nur ganz leise und leicht, wie ein schon verblassender und ersterbender Schimmerhauch aufgetragen. Dazu eine kühne Verwegenheit und phantastische Abenteuerlichkeit der Form: Fische mit gekrümmten, harten Papageienschnäbeln, Fische mit großen Katzen- oder Eulenaugen, Fische wie Igel, rings mit Stacheln besät, mit spitzen und gefährlichen Dolchen und Schwertern bewehrt, oder auch ganz drollige Kumpane, die sich in der Tiefe kugelrund mit Wasser und Luft aufgeblasen haben, ans Tageslicht befördert aber wie ein lebensmüder Kinder-Kirchweihfestballon allmählich auslaufen und jämmerlich zusammenklappen. Sehr schön und farbenprächtig sind vor allem verschiedene Barscharten, sehr häßlich die Haie mit ihrem breiten Kopf und den tückischen, winzigen Augen, der ganze böse Kumpan in ein schmutziges Gelbgrün gekleidet. Die Insulaner fürchten ihn übrigens weit weniger als den Seehecht mit seinem bösen Gebiß. Auch der Hornhecht kann durch seinen nadelspitzen Dolch gefährlich werden, besonders des Nachts beim Fischen mit der Fackel. Da springt er -- ganz ähnlich wie der fliegende Fisch -- nach dem über der Flut zitternden Lichte in weitem, langgestrecktem Bogen aus dem Wasser heraus, und wenn er dabei auf einen braunen, nackten Insulaner stößt, so dringt durch die Wucht des Anstoßes sein Dolch tief ein. Ich habe da böse Schrammen und Narben gesehen, die ganz nach einer Verwundung durch ein modernes Geschoß ausschauten. 20. Auf Babeltaob. Von Stationsleiter Winkler und meinem Freunde Fujikawa hörte ich eines Tages, daß am nächsten Morgen in aller Frühe ein Boot nach der auf der Insel Babeltaob befindlichen japanischen Handelsniederlassung abgehen sollte. Ich beschloß mitzufahren, und am andern Morgen saß ich mit Otto im Boote der Japaner. Auf vier bis fünf Stunden war die Fahrt veranschlagt; wir hatten aber scharfen Gegenwind, mußten beständig kreuzen und kamen erst nach zwölfstündiger Reise, schon in dunkler Nacht, an unserm Ziele an. Otto briet noch rasch einen während der Fahrt gefangenen Seehecht. Dann übernachteten wir auf dem Fußboden in der höchst einfach eingerichteten, japanischen Handelsstation. Am andern Morgen fuhren wir nordwärts weiter, landeten bei einem früheren, nun nicht mehr bewohnten spanischen Missionshaus und traten von dort aus den Weg nach dem auf der Höhe gelegenen, mir als Wohnort empfohlenen Walddorf Melegejok an. Hohe und uralte Brotfrucht- und Kalophyllonbäume werfen ihre tiefen, schweren Schatten. Üppigste Drazänen wuchern ringsumher. Ab und zu lacht eine reifende Ananas wie eine Riesenerdbeere aus dunklem Grün heraus. Steil steigt der Pfad hinan. Der glatte, ausgetretene Fels trieft von Feuchtigkeit. Vorsichtig klimmen wir aufwärts. Ein ungeschickter Tritt und unglücklicher Fall ist tunlichst zu vermeiden, ein Bruch des Fußes wäre hier wenig angenehm. Es bliebe gar nichts anderes übrig, als sich durch irgendeinen heilkundigen Häuptling behandeln zu lassen. Wir begegnen einigen jungen Mädchen. Sie tragen aus gelbgefärbten Gräsern gefertigte, an den Hüften seitlich geteilte Lendenschürzen. Kaum haben sie mich richtig erblickt, als sie auch schon so rasch als sie nur können mit ganz entsetzten hohen Sprüngen, wie ein aufgescheuchtes Rudel flüchtiger Waldtiere, eiligst in den allerdicksten Busch hineinjagen. Alte Seeräubergeschichten mögen hier noch spuken und lebendig sein, und den „weißen Mann“ fürchten die Mädchen hierzulande gar sehr, fürchten ihn, besonders wenn es Nacht und dunkel wird, und das darum, weil er gar so blaß und bleich, so weiß und so sehr zum Erschrecken aussieht, ganz wie eine leibhaftige Geistererscheinung, ein unheimliches, schlimmes Gespenst. Endlich sind wir auf der Höhe. Otto, der Tüchtige, führt mich zum Häuptling. Der bewirtet mich mit Bananen und mit Tee, dessen Zubereitung ihn der japanische Händler gelehrt hat. Unterdessen bringt Otto mit wohlgesetzten Worten die Empfehlung von seiten des Stationsleiters und unser Gesuch um ein passendes Wohnhaus vor. Otto hat mich dem Häuptling von Melegejok recht wenig der Wahrheit entsprechend als „Rubak“ vorgestellt, welches Wort ungefähr mit „hoher Herr“ oder volkstümlicher mit „großes Tier“ übersetzt werden dürfte. Nachdem wir uns etwas ausgeruht, erhebt sich der Häuptling, um uns unser Wohnhaus anzuweisen. Von seinen Töchtern begleitet, führt er uns durch das hübsche Dorf, dessen weit auseinanderliegende Häuser in den dichten Buschwald hineingebaut sind. Hohe Betel- und Kokospalmen beschatten die Häuser. Mitten in der Ansiedlung befinden sich drei nebeneinanderliegende Versammlungshäuser. In einer kleinen Drazänengruppe ein paar Steine, die frühere Richtstätte. Auf dem runden, höchsten Steine wurde, wie mir Otto erklärt, der gefangene Feind getötet. Der Häuptling führt mich ins schönste und am besten gehaltene Haus. Es ist groß wie eine Reitschule; auf einen Pfosten tretend, klettere ich durch die Eingangsluke hinein. In einer Ecke wird meine Reisedecke auf den Boden gelegt, das Moskitonetz darüber gespannt; das Nachtlager wäre fertig. Kein Tisch, kein Stuhl, auch sonst nicht die geringste Spur irgendwelcher europäischen Bequemlichkeit und Einrichtung. Kein Fenster, nicht Schloß oder Riegel. Was tut’s? Auf der Decke, die über die verstaubten und vermodernden Bretter gebreitet ist, liege ich schon am ersten Abend ganz gut, liege halb im Freien, lustig und laut pfeift der Passatwind durch das ganze Haus. Aber ich werde einige Male im Schlafe geweckt. Oben im Dachstuhl, im dichten Palmstroh jagen und tanzen die Ratten herum und vergnügen sich an tollen, wilden Spielen. Wenn ich dann halb schlaftrunken herumblicke, sehe ich auch nicht allzuviel. Denn die alte Schiffslaterne, die mir der Häuptling geborgt, -- woher mag sie wohl stammen? -- will nicht recht brennen, flackert nur ganz ärmlich und trübe und vermag nur ein paar Quadratmeter des großen Hauses spärlich zu erhellen. -- Da ich aber mit niemandem reden kann, schlafe ich doch bald wieder ein. Otto hat mich bereits bei Einbruch der Dämmerung verlassen. Er ist von einer befreundeten Familie, wie er mir mitgeteilt hat, als Gast aufgenommen worden. Schon die zweite und nächste Nacht höre ich die laut lärmenden Ratten nicht mehr, erwache nur ein allereinziges Mal, als eine der lustigen Dachtänzerinnen bei einem Saltomortale verunglückt und dicht neben meiner Lagerstätte zu Boden fällt, um sofort schnellstens wieder davonzurasen. Am Tage habe ich die allerbeste Gesellschaft, kein Tor, keine Türe versperrt ja den Eingang. Jedermann, der Lust hat, kann kommen. Da rückt der Häuptling mit einigen seiner Getreuen an, sie hocken sich auf dem Boden im Kreise herum, da kommen seine Töchter, da kommen noch andere Mädchen des Dorfes, ihre kleinen Geschwister auf dem Arme herbeischleppend, da kommen auch einige Frauen. Eifrigst knuspern sie an meinen Schokolade- und Zwiebackvorräten herum, höchlichst bestaunen sie meine Tauschgegenstände. Geld kann man auf dieser herrlichen Insel überhaupt nicht loswerden. Ein ganzes Warenhaus habe ich bei mir: prächtiges, rotes Lendentuch, gewaltige Küchenmesser, Angelhaken und Schnüre, Tabak und ähnliche Kostbarkeiten. Mit diesen Dingen bestreite ich meinen Lebensbedarf, für einige Stangen Tabak bekomme ich eine Wildtaube oder ein Huhn, Ananas und Bananen holt mir Otto aus dem Busch, die Fische fangen wir gemeinsam, die Lendentücher sind für die Leute, die mit mir auf dem Kanoe fahren, ein Küchenmesser erhält der Häuptling für die Überlassung des Versammlungshauses. Den Koch macht Otto, und ich muß es zu seiner Ehre sagen, er hat dies Geschäft stets vorzüglich besorgt. -- Nur am Abend läßt er mich auch weiterhin immer allein sitzen -- bald muß er zu einer bekannten Familie, bald zu irgendeinem Freunde in ein weit entferntes Dorf --, erst am Morgen kommt er um 6 oder 7 Uhr zum Wecken. Und ich gebe ihm immer Urlaub, ich will ihm seine wiedergewonnene Freiheit nicht vergällen. Aber es ist manchmal etwas eintönig für mich, denn früh wird es in den Tropen dunkel, und in Melegejok ist das Gezweig der Palmen ringsum so dicht, daß der Abend noch rascher zu kommen scheint. Auch sonst scheint mir Otto ein wenig anders geworden. Seine ganze Unternehmungslust ist wie gelähmt. Selbst seine geliebte Fischerei lockt ihn nicht mehr. Weitere und mehr als eintägige Unternehmungen sind ihm ein ganzer Greuel, und vor allem sträubt er sich mit Hand und Fuß, aus allen Leibeskräften gegen ein von mir beabsichtigtes Verlassen von Melegejok, gegen die Übersiedlung in ein anderes Dorf. „O nicht gut das. Anderes Dorf hat nur ganz schlechtes Haus, wo noch mehr Ratten, dazu Kakerlaken und Tausendfüßler; auch Alligatoren sind sehr viele!“ meinte er wichtig warnend und sehr treuherzig. Die bösen bissigen Tausendfüßler, mit denen ich schon einige Male Bekanntschaft gemacht habe, auch die Tatsache, daß ich mich im großen und ganzen im hübschen, hochgelegenen Melegejok sehr wohl fühle, lassen mich schließlich bleiben wo ich bin. So machen wir denn von Melegejok aus unsere verschiedenen Ausflüge, oft geht es nur für einen Nachmittag auf die See hinaus, dann fahren wir wieder mit Sonnenaufgang ab, um erst in tiefer, dunkler Nacht zurückzukehren. Auch landeinwärts ziehen wir ab und zu, über die kahlen, roten Hochplateaus oder mitten hinein in den wildverwachsenen Busch, der uns oft über dem Kopfe zusammenschlägt. Nach langer Wanderung kommen wir wieder in ein stilles, im Tropenwald versunkenes Dorf, weitgedehnte Tarofelder ringsumher, vor den Hütten girren verschlafen die an Baumstämmchen angefesselten, blaugrünen Locktauben, welche die Wildtauben in Tod und Verderben ziehen sollen. Oder wir halten Rast an einem von dichtem Schilf eingesäumten Binnensee -- im unteren Ende seines Ausflusses seien Alligatoren, erzählte Otto. Ich hielt, da auf all diesen Inseln sonst nur eine sehr große Eidechse zu finden, diese Mitteilung anfänglich für einen Bären, den Otto mir aufbinden wollte. Hatte er mir doch selbst mit behaglichem Grinsen vorgetragen, wie er schon mehrere wissensdurstige Europäer, die kein Ende des Fragens finden konnten, ganz greulich angelogen hatte. Aber diesmal hatte er wahr gesprochen, denn wenige Tage später überzeugte mich eine riesige Alligatorenhaut, die mir in der japanischen Handelsstation gezeigt wurde, von dem wirklichen Vorhandensein dieser Tiere. Später, bei meiner Rückkehr nach Korror, bestätigte mir auch Stationsleiter Winkler die Richtigkeit dieser Tatsache und erzählte mir dabei, daß er einmal leicht durch diese Alligatoren sogar ums Leben hätte kommen können. Er war als erster deutscher Beamter gerade auf den Inseln eingetroffen und gelangte nach einer langen Wanderung spät abends an den Alligatorenfluß. Freudig benutzte er die Gelegenheit, ein Bad darin zu nehmen und schwamm vergnügt hin und her, wunderte sich nur, daß keiner seiner Leute, die sonst so gern ins Wasser gingen, ihm Gesellschaft leistete. Nach beendetem Bade fragte er sie, ob sie plötzlich wasserscheu geworden? „Nein, nein -- wir fürchten nur die Alligatoren“, meinten sie ganz gemütlich. Im nächsten Augenblick ging dann freilich ein ganz fürchterliches Donnerwetter auf ihre Köpfe nieder. Und es muß wirklich ein Wunder genannt werden, daß keines der gefräßigen Tiere, die gerade bei Einbruch der Dunkelheit meist auf Raub ausgehen, den nichts ahnenden, armen Stationsleiter gepackt und in die Tiefe gerissen hat. Ein anderer Ausflug führte mich in das Dorf Nabuket. Eine lange Fahrt, die vom frühen Morgen bis in den Nachmittag währt. Heiß brütet die Sonne auf das Meer hernieder. Das lange, untätige und unbequeme Sitzen auf dem Ausleger macht müde und schläfrig. Ein einziger, kleiner Zwischenfall während der Reise. Otto hat blitzschnell einen flüchtigen, ansehnlichen Hai gespeert, hat aber nicht ganz gut getroffen, und der schwere Fisch steuert nun mit dem Speer im Rücken auf die Brandung zu, um sich durch sie ins freie Meer hinauszuretten. Ein Sprung -- ein Plumps -- Otto schwimmt dem gespeerten Hai nach -- ein weiterer Sprung -- mein anderer Insulaner ist auch schon in der See auf der Jagd nach dem Haifisch. Die Bedienung des Kanoes liegt in meiner Hand und ich halte es, so gut ich kann, von der Brandung entfernt. Die beiden braunen Meisterschwimmer haben inzwischen den verhaßten Seeräuber noch rechtzeitig eingeholt, zerren ihn am Speer in die Höhe, einer hat ihn bei den Kiemen, der andere am Schweife gefaßt, und so bringen sie ihn, sich raufend mit ihm, bis ans Kanoe heran. Nun haben sie ihn, wälzen ihn herauf, ein Strick macht ihn fest, ein sausender Axthieb zerschmettert ihm den Kopf. [Illustration: Hochseekanoe. (S. 113)] [Illustration: Palaumänner. (S. 117)] [Illustration: Inneres des Versammlungshauses, in dem ich in Melegejok wohnte. (S. 124)] [Illustration: Geisterhaus auf Korror. (S. 118)] Ruhig und phlegmatisch, als ob sich dies alles ganz von selbst verstände, machen sich die zwei Palauleute wieder an die Ruder- und Segelarbeit. Dorf Nabuket liegt in einem wahren Segen von allerüppigster Tropenfruchtbarkeit. Golden flutet das Sonnenlicht über fleißig bebautes Land. In der Hauptsache ist es wieder die Taro, die hier gepflanzt wird. Alles andere, Kokospalmen, Bananen und Ananas, bedarf ja soviel wie keiner Pflege. Ich bringe dem König des Dorfes einige meiner Tauschgegenstände als Geschenk mit, er gibt mir eine Schildpattschale als Andenken. Diese Schildpattschalen werden, oft recht hübsch geformt und unpoliert von den Palauleuten als täglicher Gebrauchsgegenstand benutzt. Läßt man sie nach der Heimkehr polieren, so geben sie schöne Schmuckschalen ab. Nachdem ich mich noch durch eine frische Kokosnuß gestärkt, verabschiedete ich mich wieder. Die Unterhaltung mit dem alten König ist etwas umständlich zu führen. Denn er ist äußerst schwerhörig, und der dolmetschende Otto hat sich nach kurzer Zeit heiser geschrien. Wir gehen zum Strande zurück. Aber unser Kanoe liegt jetzt bei Ebbe vollständig im Trockenen. An eine Heimfahrt ist für die nächsten Stunden nicht zu denken. Wir werden lange warten müssen. -- Aber wir bekommen wenigstens Gesellschaft und wiederum die allerbeste. Eine Schar von etwa dreißig jungen Mädchen, alle mit Laubgrün und roten Hibiskusblüten, mit Korallen und Schildpattschmuck reich behangen, mit der Gelbwurzel an Gesicht und Körper gefärbt, kommt den Strand entlang gezogen. An ihrer Spitze, wie mir Otto erklärt, die Königin, -- eine noch hübsche, etwas reife Schönheit. Ich verneige mich, Otto stellt mich wieder als mächtigen „Rubak“ vor, huldreich nickt die Königin, nicken die kleinen schmalen Mädchen, lächeln und flüstern und mustern mich neugierig-ängstlich. Dann setzt sich die Königin und um sie herum lagern sich ihre schlanken jungen Begleiterinnen im Sande. Man ladet mich ein, auch Platz zu nehmen. Und nun beginnt, während Otto wieder den Dolmetsch macht, eine gemütliche Plauderstunde. Die Königin und ihre Damen erzählen, daß sie den Nachmittag über im Walde getanzt und dann ein Bad in der See genommen, Otto berichtet über unsern Besuch beim König, erzählt auch noch so manches von mir, meiner Rubakschaft und meinen weiten Reisen, erzählt und erzählt, und immer größer und erstaunter betrachten mich die dunklen Augen der braunen Schönen. Ich glaube fast, Otto ist da einmal wieder nicht bei der Wahrheit geblieben und hat dem Hofe von Nabuket Märchen aus Tausendundeiner Nacht berichtet. Wenn ich nur ein bißchen etwas verstehen würde, ein wenig mitreden könnte. Ich bin es oft müde, bei allem und allem ohne jede Fähigkeit, auch nur ein Wort enträtseln zu können, dabeisitzen zu müssen, ich sehne mich oft danach, ein wenig mit jemand sprechen zu dürfen, denn die paar kurzen Worte, die ich mit Otto wechseln kann, zählen ja schließlich nicht. Der Mensch ist ein Herdentier, das merkt man recht gut auf solch einer Reise, wo man viel sich allein überlassen ist. Allmählich dunkelt es, die Königin erhebt sich, ich schüttle ihr und den Hofdamen zum Abschied die Hand. In langem Zuge verschwinden sie im Tropenwalde. Nun ist es still um uns, kein Windhauch flüstert in den Kronen der Palmen, nur draußen donnert schwer die Brandung. Aber schon kommen andere Gäste -- ganz ungebetene --, Moskitos. In dichten Scharen rücken sie aus Unterholz und Büschen heran. Bald können wir uns ihrer nicht mehr erwehren. Otto und mein anderer Kanoegenosse tragen Reisig und Palmstroh zusammen, bald prasselt das Feuer, und dichter Rauch beginnt uns einzuspinnen. Die bösen Peiniger müssen weichen. Durch das Licht angelockt, stellen sich von da und dort Leute von Nabuket ein, Männer und Knaben. Auch ihnen erzählt wieder Otto weiß Gott was für Dinge von uns, daß sie nicht müde werden zu lauschen. Endlich beginnt die Flut langsam heranzuplätschern. Ich werde eingeladen, auf dem Kanoe wieder Platz zu nehmen, und die ganze frohe, lustige Gesellschaft, Otto an der Spitze, schiebt mich mit lautem Hallogeschrei ins tiefere Fahrwasser. Eine herrliche, ruhige Heimfahrt. Still und dunkel die Nacht. Otto entfacht einen Palmstrohbrand, und bis wir um Mitternacht wieder in Melegejok landen, hat er Fische, eine ganze Menge Langusten und Seekrabben mit seinem Speer erbeutet. Ich bleibe weiter im Dorf Melegejok. Mein trefflicher Otto ist, wie vorher, der einzige Mensch, mit dem ich einige wenige Worte wechseln kann. Aber leider will seine Unternehmungslust immer noch nicht wiederkehren. Immer früher tischt er mir am Abend mein einfaches Nachtmahl auf, immer rascher und eiliger verschwindet er. Sein alter, guter Freund hat, wie er mir des öfteren erzählt, ihn völlig mit Beschlag gelegt. So sitze ich denn am Abend weiterhin allein in der niederen Eingangsöffnung meines Hauses und schaue in die Dämmerung hinaus. Oft eilen meine Gedanken der sinkenden Sonne nach. Weit da drüben im Westen, über unendlichen Weltmeeren, liegt die Heimat. Dort jauchzt und tollt jetzt die fröhlichste Faschingslust. Welch Unterschied zwischen dort und hier, zwischen brausendem Leben und allerstillster Einsamkeit! ... Ab und zu sprüht durch den dichten, dunklen Busch ein heller Feuerbrand zu mir herüber. Er läßt die dunklen Umrisse von Palaumännern erkennen, die, einer nach dem andern, in langem, stummem Gänsemarsche auf der Wanderschaft nach irgendeinem Tanzplatze sind. Der einzige Weiße bin ich unter vielen Hunderten von braunen Insulanern, der allereinzige Weiße auf der großen Insel. Gar nicht weit von hier das Dorf, wo sie vor kurzem beschlossen hatten, die wenigen Weißen auf den andern Inseln zu ermorden. Wenn ihnen wieder solche Gelüste kämen? ... Wenn sie die gute Gelegenheit benutzten und plötzlich in der Nacht vor mein Haus rückten? Wohl liegt der Browning neben mir auf dem Boden, aber ich käme ja gar nicht dazu, ihn zu gebrauchen. Ich würde den barfüßigen Feind gar nicht heranschleichen hören, würde ihn nicht hereinhuschen sehen. Denn tief und schwer ist der Schlaf in den Tropen. Wozu die Gedanken? Bis jetzt habe ich keinen Grund zu Besorgnissen. Obwohl mein Haus mit allen Habseligkeiten tagelang unverschlossen dasteht, ist mir noch nie das geringste abhandengekommen. Ein paar schöne Angelhaken, die irgendein ungezogener Dorfrange hat mitgehen lassen, kann ich nicht rechnen. Wo bei uns zu Hause findet man so große Ehrlichkeit wie bei diesen sogenannten „Wilden“? ... Weiter spähe ich in die Dunkelheit hinaus. Allmählich bricht mildes Mondlicht durch das Laubwerk. Nun wird es lebhafter im Busch. Frauen- und Mädchengestalten huschen da- und dorthin -- Kinder laufen, springen und tanzen -- jagen sich wie ein nächtlicher Spuk im hell erschimmernden Buschwald herum. Ein einsames Paar wandert in leisem Gespräch bergaufwärts, der Mann überragt das kleine Mädchen wohl um Haupteslänge. Bei einer plötzlichen Wendung seines Kopfes, kurz bevor das Paar langsam in den Bambusgebüschen meinen Augen entschwindet, habe ich in dem eifrig auf das Mädchen einredenden braunen Galan Otto, meinen trefflichen und tüchtigen Otto, erkannt. Täuschung ist bei dem hellen Mondlicht ausgeschlossen ... „Otto!“ meine ich am nächsten Morgen, „kann ich deinen Freund nicht kennenlernen?“ ... „Freund ist in anderes Dorf -- weiß nicht, wann wiederkommt“, antwortet er treuherzig. „Ist aber noch recht klein und jung, dein Freund, Otto!“ ... Otto stutzt und betrachtet mich mit einem taubensanften Augenaufschlag prüfend und forschend. „Du hast gesehen meinen Freund?“ sondiert er vorsichtig. „Ich hab gesehen. Denk an den Calabus, Otto!“ „Nicht Calabus. Ist ein junges Mädchen. Ich will heiraten es.“ „Potztausend, Otto. Ich gratuliere!“ Unruhig von einem Fuß auf den andern tretend, bleibt er vor mir stehen. Nervös spielend gleiten seine Hände über seine Lawa-lawa. Dann springt er mit einem plötzlichen Entschluß auf die Türöffnung zu, schwingt sich hinaus und läßt sich auf der Außenseite rasch herabgleiten. „Ich will fragen Vater von Mädchen.“ Fort war er. „He, Otto,“ rief ich ihm noch nach, „bring doch deine Braut her!“ Eine Viertelstunde später erschien er mit ihr, sie an der Hand nachziehend. „Vater sagt ja!“ meinte er kurz. Die jungen Palaumädchen sind meist sehr schlank und gut gewachsen, haben einen hübschen, freien Gang und elegante, fast graziöse Bewegungen. Über ihr ganzes Wesen ist etwas klug und verständig Abwägendes gebreitet, eine gewisse kühle und abwartende Zurückhaltung. Nach dem Eindruck ihrer Erscheinung und der Art und Weise, sich zu geben, könnte man versucht sein, sie die Französinnen, die Pariserinnen Mikronesiens zu nennen. Otto, der Frauenkenner, hatte bei seiner Brautschau gar keinen schlechten Geschmack entwickelt. Das Mädchen hatte ein regelmäßiges, ovalschmales Gesichtchen, aus dem zwei hübsche braune Rehaugen stillklug herauslugten und mich neugierig prüfend musterten. Die schlanke, schmalschulterige Gestalt war ebenmäßig und gut durchgebildet. Kleine, zierliche Händchen, schmale Gelenke und schlanke Fußfesseln. Außer dem schmalen, landesüblichen, goldgelben Hüftenschurz hatte die Braut noch einen saftig grünen Blätterkranz um den Hals gelegt und eine brennend rote Hibiskusblüte in ihr glänzendes Schwarzhaar gesteckt. Sie mochte wohl noch sehr jung sein, kaum fünfzehn Jahre alt. Auf den Gesichtern der beiden stand ganz unverkennbar eine gewisse Zufriedenheit ausgeprägt. Ein sehr hohes und großes Glücksgefühl leuchtet ja überhaupt wohl selten oder vielleicht gar nie auf diesen ruhigen und meist etwas regungslosen Gesichtern auf. Ich beeilte mich, aus meiner Blechkiste der niedlichen Braut einiges Zwiebackgebäck zu schenken, die kleine Palaudame, die schon früher sehr eifrig ihre jungen Geschwister um unser Haus spazieren getragen hatte, ließ sich auch ganz zutraulich auf der Diele nieder und knusperte langsam und bedächtig prüfend an dem ihr fremden Gebäck herum. Es mußte ihr sehr gut gemundet haben, denn schon am nächsten Tage kehrte sie wieder und brachte gleich mehrere Freundinnen mit, die eifrig mithalfen, meine Zwiebackkiste zu leeren. Ich überließ Otto noch einige Tage seinem jungen Glücke und versuchte den einsamen Tagen in dem einsamen Dorfe soviel als möglich noch abzugewinnen, saß lange bei der versammelten Dorfschaft, wenn sie stunden- und stundenlang in einem Versammlungshause ihre Tänze einübte, sah den Mädchen und Frauen bei ihrer mühsamen und schweren Arbeit in den schlammigen Tarofeldern zu -- bis zum Knie und zu den Lenden stehen sie bei glühendster Sonnenhitze in dem grünen Sumpfe --, photographierte und versuchte, diese und jene Seltsamkeit einzuhandeln. Aber endlich hatte ich doch genug an all der Stille und Einsamkeit. Zurück nach Korror! Otto wäre zwar begreiflicherweise noch gerne geblieben; aber da es nun einmal nicht anders ging, machte er gute Miene zum bösen Spiel, bat mich nur kurz vor der Abfahrt noch, dem Stationsleiter nichts von seiner „Verlobung und seinen Heiratsplänen“ zu sagen. -- In Korror kam mir das Häuschen des Stationsleiters Winkler wie ein Luxuspalast vor -- freudig begrüßte ich Tisch und Stuhl und all die vielen kleinen Dinge des Lebens, an die wir Europäer nun einmal von Kindesbeinen an gewöhnt sind. Vor allem aber waren die Abende nun nicht mehr so still. Bis tief in die Nacht hinein sind wir oft beisammengesessen, haben von zu Hause, haben von der weiten Welt geplaudert. Stationsleiter Winkler war mit seinem Posten wohlzufrieden. Er hatte manche Strapaze und manche Fährnis auf Expeditionen in unsern afrikanischen Kolonien bestanden. Das Leben auf Korror ist damit verglichen viel leichter und einfacher. Es gibt ja wohl auch manch schlimme, lebensgefährliche Fahrt von Insel zu Insel, es gibt manchen Ärger mit den Eingeborenen, schwere Arbeit im Kampfe gegen die Schildlaus, die auf der Insel Jap den größten Teil der Palmenbestände zerstört hat, während es Winkler gelungen ist, sie äußerst glücklich zu bekämpfen. Auch heißt es immer ein offenes Auge haben. Die Eingeborenen sind ja durchschnittlich recht gutmütige Leute, wenigstens den Europäern gegenüber. Mord und Totschlag kommt zwar öfter vor, aber nur zwischen den Insulanern untereinander. Sie sind wie große Kinder, die aber gleich diesen leicht zu betören sind. Da braucht nur irgendein fremdenfeindlicher Zauberer aufzustehen, und wenn er einen größeren Anhang gewinnt, wird er es leicht so darstellen können, als ob es ein Geringes wäre, die Europäer niederzumachen und zu vertreiben. Es kommt ihm dabei zugute, daß die meisten Insulaner keinerlei Vergleichsmaßstab haben. „Ist Deutschland auch so groß wie unsere Insel?“ kann man fragen hören. Wäre Winkler seinerzeit nicht auf der Hut gewesen, es wäre ihm ganz ebenso ergangen, wie später den deutschen Beamten in Ponape. Aber das bißchen Gefahr und der nicht seltene Ärger vergällt einem alten Afrikaner das Leben noch lange nicht. Schlimmer ist schon die große Einsamkeit, die langen, stillen Abende -- jahrein und jahraus. Nur sechsmal im Jahr legte zur Zeit meines Aufenthaltes der Postdampfer an den Palauinseln an. Sonst das ganze Jahr kein Schiff, nur einmal der „Condor“ und vielleicht zwei oder drei japanische Segelschoner. Später mag es etwas besser geworden sein, mögen vor allem auch einige Weiße mehr auf der Inselgruppe gelebt haben, da mit dem Abbau des Phosphates, von dessen Hebung man sich viel erwartete, auf der Insel Angaur begonnen wurde. Eine der schwersten Aufgaben des Stationsleiters schien mir die Krankenpflege zu sein. Kein Arzt war damals auf der ganzen Inselgruppe, auf der eine schreckliche Geißel der Südsee wütet, die Framboisie. Ich weiß nicht, ob wissenschaftlich schon feststeht, worum es sich hier eigentlich handelt, aber es ist wohl eine lepraähnliche Erscheinung; die von der Krankheit Befallenen verfaulen bei lebendigem Leibe. Man sieht angefressene Glieder und aufgebrochene Körper, tief in den Leib hineingewachsene Geschwüre. Manches Gesicht ist ohne jede Nase, statt ihrer nur mehr eine schwarzrote Höhlung -- ein entsetzlicher Anblick --, dem einen fehlt ein Arm, dem andern ein Bein. Da die zwei letzten Deutschen, welche vor mir die Inseln besucht hatten, Ärzte gewesen waren, so glaubten die Leute wohl, jeder Weiße müsse ein Medizinmann sein und wiesen mir ihre schauerlichen Gebrechen und Gebresten. Ich konnte leider gar nichts anderes tun, als sie an den Stationsleiter weisen. Denn der verbindet in seinem kleinen Krankenhaus jeden Abend, wenn er seine andere mannigfache Arbeit beendet hat, die zu ihm gekommenen Kranken, gibt ihnen Medizin und hilft ihnen, so gut er kann. Ein Arzt täte da dringend not! Er würde Arbeit genug finden, denn außer der Framboisie sind auch alle möglichen andern Hautkrankheiten auf der Inselgruppe verbreitet. Ebenso sollten die Missionen auf solchen Inseln, wo ein Arzt noch nicht ist, sich möglichst viel der Krankenpflege widmen. -- Ende Januar hieß es für mich, mich zu entscheiden. Entweder mußte ich bis Ende April auf den Palauinseln bleiben oder ich konnte mit dem in den letzten Tagen des Januar von Hongkong kommenden und nach Jap gehenden Postdampfer Germania dorthin reisen. In Jap aber war die Natuna, der Dampfer der Phosphatgesellschaft, mit Kurs auf Singapore für den Februar, und ferner für den März ein nach Japan laufender Segelschoner angesagt. So entschloß ich mich, um endlich auch wieder aus der Südsee weiterzukommen, für letzteres. Rasch war der Tag der Abreise gekommen. Selbst hier, wo das Leben so gleichmäßig dahinrinnt und manchmal ganz stocken will, fliegen dann plötzlich wieder die Tage und Wochen spukhaft rasch vorbei. Als ich bei einem wolkenbruchartigen Dauerregen an Bord fahren mußte, stand mein Freund und Begleiter Otto gerade vor dem Hause des Stationsleiters Posten. Der Dampfer hatte einen auf der Durchreise befindlichen höheren Reichsbeamten gebracht, und da man den Wachtdienstfähigkeiten der andern Polizeisoldaten scheinbar nicht so recht traute, war Otto für einen Tag eingezogen worden und repräsentierte mit angezogenem Gewehrkolben und umgeschnallten Patronentaschen stolz die militärische Besatzung Korrors. Als ich von ihm Abschied genommen und mich schon einige Schritte entfernt hatte, rief ich, auf den Calabus deutend, ihm noch zu: „Und heirate bald, Otto!“ ... Er zwinkerte mir mit den Augen zu zum Zeichen, ich möge dies heikle und vertrauliche Thema doch baldmöglichst fallen lassen, schielte mißtrauisch zum Calabus, noch mißtrauischer zu den Fenstern des Stationsleiters zurück und, als er alles richtig und in bester Ordnung befunden hatte, da -- lächelte er. Es lag unendlich viel in diesem Lächeln. Es war ein Lächeln freudiger Befriedigung -- da schwebten ihm wohl seine Braut, seine Missetaten, die ihn in den Calabus gebracht, oder noch viel mehr die, die unaufgedeckt geblieben waren, vor Augen, -- es war ein Lächeln stiller Wehmut und Resignation, wenn er der im Calabus verlebten Tage, wenn er des Stationsleiters gedachte, -- ein Lächeln heimlichen, aber zähen Trotzes, mit dem er die ganze europäische Kultur und Wirtschaft, welche die Freiheit des Palaumannes und noch so vieles andere grausam zerstört hatte, lebhaft zum Teufel wünschte. Als ich mich -- mehr aus der Ferne -- noch einmal umblickte, legte er gerade äußerst gelangweilt sein Gewehr auf die andere Schulter. Unsere Augen trafen sich noch einmal, und da lächelte er wieder, lächelte, als ob er damit über sein eigenes Leben und über Leben und Schicksal seines ganzen Volkes hinwegblickte, sein halb freundliches, halb still resigniertes Lächeln. Einige Stunden später ist rings um mich her nichts als tiefblaue, unruhvoll wogende See -- spurlos im Weltmeer versunken die stille Inselidylle. 21. Hundert Tage auf Jap. So bin ich denn wieder in Jap. Als ich an Land fahre, hege ich freilich die allerbeste Hoffnung, daß ich nur wenige Wochen später schon wieder an Bord der Natuna oder des japanischen Segelschoners gehen könne. Die Germania aber, die mich hierher gebracht, sticht bereits am nächsten Morgen von neuem in See, um nach den Marianen, nach Ponape und anderen Inseln zu fahren. Dreimal im Jahre trat sie von Sydney, dreimal von Hongkong aus die Reise durch die mikronesische Inselwelt an, deren einzige und regelmäßige Verbindung mit Asien, Australien und Europa sie darstellte. Sofort nach Ankunft mache ich mich auf die Suche nach einem geeigneten Quartier. Das ist auch auf Jap gar nicht so leicht, denn das „Gasthaus zur Kokosnuß“ verschenkt wohl Bier und Whisky, bietet aber keinerlei Unterkunftsmöglichkeit. Das Holzhäuschen, in dem ich das erstemal gewohnt hatte, war wegen Baufälligkeit zum Abbruch bestimmt, und so war ich sehr froh, als mir der Direktor der Telegraphenstation die Erlaubnis erteilte, ein freies Zimmer im Wohnhaus der Beamten zu beziehen und an den Mahlzeiten in der Messe teilzunehmen. Jap war nämlich, wie schon erwähnt, Telegraphenstation der deutsch-holländischen Kabellinie Menado-Schanghai, und außer dem Direktor waren dort ständig acht bis zehn Beamte tätig -- bis auf einen Schweizer, einen Engländer und einen Holländer lauter Deutsche. So waren schon dadurch auf Jap viel mehr Europäer als auf den meisten andern dieser Inseln. Neben den drei Beamten des Reiches, einem deutschen Arzt, zwei Kapuzinerpatres und drei Händlern befanden sich auch einige deutsche Frauen auf der Insel. Jap hat, wie eben erwähnt, eine Kabelstation. Diese Tatsache ist wohl schuld daran, daß Japan sich seines Mandates, das es für die früher deutschen Inseln bis zum Äquator erhalten hat, was Jap betrifft, nicht so ganz sorglos freuen konnte. Die Vereinigten Staaten von Nordamerika störten ihm das Vergnügen, hierzu wohl veranlaßt durch die Nähe der ihnen gehörigen Philippinen. Für mich gab es anfangs in Jap recht viel zu sehen. Denn während meines ersten Aufenthaltes hatten die ständigen Wolkenbrüche, die der Nordostpassat herbeigeführt hatte, jeden längeren Aufenthalt im Freien unmöglich gemacht. So war das Verschiedenste nachzuholen. Jap war schon in altspanischer Zeit Regierungsstation gewesen. Die Spanier hatten aber durch ihre Zwangsbekehrungen die Eingeborenenbevölkerung dermaßen erbittert, daß sie ständig ein kriegsstarkes Bataillon auf der Insel, einen oder zwei Kreuzer im Hafen haben mußten. Deutschland, das sofort Gewissensfreiheit verkündet hatte, hielt die Ordnung mit einer kleinen braunen Polizeitruppe von dreißig Mann aufrecht, die in dem früheren spanischen Fort untergebracht war. Manch schmückendes Beiwort verdiente das schöne Eiland: denn Jap ist die Insel der schönen, wohlgepflegten Wege, die, auf Befehl des Bezirksamts von Häuptlingen und Dorfschaften in gutem Stand gehalten, sie nach allen Seiten durchqueren und umlaufen, und welch schöne Wege zu gehen die auf Jap lebenden Europäer meist zu faul sind. Es ist ferner die Insel der handgroßen, herrlichen Hibiskusblüte. Mit brennend heißem, flammendem, breit und stark aufgetragenem Rot bekränzt sie bacchantisch das Grün am Wege. Es ist auch die Insel der Südseekrinoline, die sich die sonst ganz unbekleidet gehenden, oft recht hübschen Insulanerinnen in Gestalt von zwei oder drei schweren Grasröcken um die Hüften binden -- Grasröcke, so wulstig und umfangreich, daß die armen Japerinnen durch diese recht unbequeme Mode gezwungen sind, beim Gehen die Arme stets weit vom Körper wegzuhalten und abzuspreizen. Was die Herren der Schöpfung anlangt, so ist Jap ein gesegnetes Dorado und eine Hochburg der „Männereitelkeit“. Nach Frauenart hoch hinaufgebunden tragen die Japmänner ihr mit viel Liebe gepflegtes, langes Haar ernst und würdevoll zur Schau. Diese Haartracht gibt den meisten Gesichtern einen etwas weibischen und weichlichen Zug. Der große, sorgfältig geschnitzte, fest in der dichten Perücke sitzende und mit manchem bunten Lappen verbrämte Holzkamm ist Abzeichen und Sinnbild des „Freien“, der auf jede seine Schönheit gefährdende Arbeit stolz und verächtlich herabblickt. Kein Sklave darf ihn tragen! Auf Jap gibt es nämlich noch heute in verschiedenen, ganz getrennten Dörfern wohnende „Freie“ und „Sklaven“. Freilich ist die Form der Sklaverei eine ziemlich milde. Dem Manne des Sklavendorfes, ebenso seiner Frau und seinen Kindern steht aber eine größere Reihe von Rechten der „Freien“ nicht zu, auch sind die Sklaven den Häuptlingen der „freien“ Dörfer zu manchen Zwangsdiensten verpflichtet. Wo die Eitelkeit zu Hause ist, entwickelt sich selbst bei Wilden oder Halbwilden, auf Jap noch gefördert und unterstützt durch die bestehenden Hörigkeitsverhältnisse, ein strenges „Zeremoniell“. Fest geregelt ist zum Beispiel die Grußform und ganz genau bestimmt, welches Dorf und welcher Mann zuerst zu grüßen hat. Es gibt auch keine einzige Japfamilie, gibt keinen Japmann, der nicht seinen ihm durch Tradition und Vererbung für immer zugewiesenen Klassen- und Hofrang hätte. Selbst bei sonst ganz formlosen Wanderungen von Dorf zu Dorf -- die Japleute gehen aus alter Buschangewohnheit auch auf den jetzigen, breiten Wegen nie nebeneinander, sondern immer einer hinter dem andern -- wird mit Argusaugen darauf gesehen, daß der Vornehmste und Würdigste stolz voranmarschiert und die andern sich ihm jeweils nach der gesellschaftlichen Stufenleiter und Rangordnung anschließen. Dies gilt für die Männer, gilt auch den Frauen und Mädchen. Besonders letztere bieten mit ihren hin und her schlenkernden Armen, wichtig und ihrer Würde bewußt hintereinanderhertrottend, oft einen recht drolligen Anblick. Begegnet solch ein langsam und bedächtig seines Weges ziehender Insulanerzug einem Weißen, so tritt er wortlos beiseite -- das ist sein Gruß -- und läßt den weißen Mann vorbeigehen. Stoßen Japdamen auf einen Europäer, so halten sie ebenfalls an und weichen ganz an den Pfadrand zurück, machen dabei aber schämig völlig kehrt, dem hierüber das erstemal baß erstaunten Fremdling als freundlichen Weg- und Willkommengruß ihre Rückenpartien zeigend. Die allergrößte Merkwürdigkeit Japs aber ist das Steingeld. Meines Wissens hatte dieses Steingeld von Jap früher ein Gegenstück in Afrika, in Togoland und an der Goldküste. Dort handelte es sich freilich nur um ganz kleines, handliches Steingeld, während auf Jap Geldsteine bis zu vier Meter Durchmesser zu finden sind. Schon mit einem kleinen Stück von zirka sechs Spannen kann man fünfundzwanzig Sack Kopra kaufen, und mit den Steinriesen, die sogar ihre eigenen Namen und Ehrentitel führen, ersteht der Japmann sich die größten Felder und schönsten Häuser, die allerbegehrtesten Frauen; für kleinere Zahlungen aber wird „Muschelgeld“ benutzt. Diese Geldsteine sind gewaltige, durchlochte und kreisrund behauene Kalkspatstücke, die allenthalben in den Dörfern und an den Wegen aufgestellt werden. Sie sind ein sehr sicherer Besitz, denn gestohlen kann so ein viele Zentner schwerer Stein nicht allzu leicht werden. Bei den großen muß, um sie fortzuschleppen, schon eine ganze Dorfschaft, hundert und mehr Leute, Dienste tun. Ein Palmstamm wird durch das Loch in der Mitte gesteckt, fünfzig Leute fassen vorne, fünfzig hinten an und so wird im feierlichen Zuge das niedliche Geldstück seinem neuen Besitzer zugestellt. Ein heimliches Fortschaffen bei Nacht würde den Dieben ebenfalls recht wenig helfen, denn jedes wertvollere Exemplar ist an kleinen Kennzeichen auf der ganzen Insel bekannt. In früheren Zeiten dienten die besseren Stücke als Kriegsentschädigung. Dieses eigenartige Geld wird von den hoffnungsvollen Japsprößlingen auch sehr gerne ab und zu als Turngerät benutzt, auf dem sie waghalsig herumklettern und rutschen. Der in Jap nicht vorkommende Stein wird auf den Palauinseln gebrochen, mitten in den Bergen drin. Durch glattschlüpfrige Wildnis und an schwindelnd steilen Abstürzen vorbei muß man sich zu solch einem „Steingeldbruch“ mühselig hinarbeiten. Mit den primitivsten Werkzeugen wird der Stein hier bearbeitet, unter ganz ungeheuren Schwierigkeiten an den Strand geschafft und auf Bambusflöße verladen. Dann folgt noch der weite, lange und gefahrvolle Seeweg bis Jap. Manch Floß, das diese zentnerschweren Riesensteine trug, manch Kanoe, das diese Flöße schleppte, ist dabei schon in die Tiefe gegangen. So ist es wohl zu verstehen, daß das so hart und sauer gewonnene Steingeld bei den Insulanern sehr hoch im Kurse steht, und daß es sehr, sehr bitter für die armen Leute sein mußte, wenn ab und zu auf einen solch schönen und lieben, weißen Stein ein mächtiges, häßliches, schwarzes ~B. A.~ (= Bezirks-Amt) aufgemalt wurde, zum Zeichen dessen, daß der unerbittliche Amtmann wegen irgendwelcher Sünden und Missetaten, nicht geleisteter Wegebaupflicht oder anderer Verfehlungen die Pfändung eines Steines angeordnet hatte. Damals brachte auch die Germania, brachten auch Segelschoner die Geldsteine von den Palauinseln nach Jap, aber nur die Stücke, welche auf dem Kanoe nach der Insel gekommen sind, genossen das ganze volle Ansehen und die höchste Bewertung. Von den „steinreichen Eingeborenen“ komme ich zu den deutschen Händlern -- es wären ihrer, wie schon erwähnt, nur drei --, die aber alle drei zu ihrem größten Leidwesen keine „steinreichen Leute“ wurden. Denn auch Jap war eine der so häufigen Stätten deutschen Kolonialpeches. [Illustration: Tanzende Männer auf Jap. (S. 101)] [Illustration: Steingeld auf Jap. (S. 143)] [Illustration] [Illustration: Verschiedene Eingeborenenhäuser auf Jap. (Kap. 21)] An demselben Tage, an dem auf dem spanischen Fort die deutsche Flagge emporging -- „ein böses Omen“, sagten manche --, verheerte ein schwerer Taifun die ganze Insel. Kaum hatte man sich von diesem Schlage ein wenig erholt, begann die Schildlaus in so zerstörender Weise aufzutreten, daß die meisten Kokospalmen eingingen und die Kopraausfuhr für Jahre gesperrt werden mußte. Erst im Frühjahr 1908 konnte sie wieder freigegeben werden. Neben diesen drei deutschen Händlern war auf Jap ein japanischer Kaufmann tätig. Wie schon des öfteren erwähnt, fand man sie überall, diese kleinen, schlauen Japaner. Auf allen größeren und wichtigeren Inseln hatten sie bereits ihre Handelsstationen angelegt. Da und dort wurde sogar das Geburtsfest des Mikados wie fast das des Landesherrn feierlich begangen. Schon vor zehn Jahren war meiner Schätzung nach auf den Westkarolinen ein Viertel der Einfuhr und die Hälfte der Ausfuhr in Händen der Japaner. Auf den Marianen stellte sich diese zu ihren Gunsten noch weit höher. Es lag ja immer offen zutage, daß die japanische überseeische Politik sich einige weite Linien durch den Stillen Ozean gezogen hat. Die eine lief und läuft von Japan aus südostwärts nach den Hawaiinseln, die andern laufen südlich Australien zu. Zäh hielten sie immer an diesen Linien fest und schauten schon damals begehrlich über die ihnen bereits gehörigen Bonininseln nach den Marianen und Karolinen einerseits, von Formosa nach den Philippinen und Molukken andererseits aus. Es muß ja den Japanern zugestanden werden, daß diese Inselgruppen für sie immer weit größeren Wert als für uns hatten. Die kleinen japanischen, mit wenigen Matrosen bemannten Segler brachten ihren Handelsstationen billig die notwendigen Tauschwaren zu, fuhren Kopra, Trepang und Schildpatt ebenso billig wieder zurück. Der deutsche Händler hatte eine zweimalige teuere Fracht, einmal nach Hongkong und von dort aus weiter nach Hamburg und Bremen. Er war auch sonst von vornherein gegenüber seinem überaus lebensbescheidenen Konkurrenten im Nachteil. Der Japaner verstand sich auch leichter und besser mit den Eingeborenen, trat auf den Südseeinseln, wo er politisch nichts zu sagen hatte, nicht als harter Zwingherr wie in Korea oder der Mandschurei auf. Dafür brachte der Eingeborene seine Tauschwaren am liebsten in die japanische Faktorei. Außer den eben angeführten Gründen dieses guten Einverständnisses mögen vielleicht noch verschiedene andere mitspielen, darunter wohl auch der, daß -- so gewagt das klingen mag -- zwischen dem Insulaner und dem Japaner eine recht weit zurückliegende, aber doch vielleicht etwas wie eine leise Blutsverwandtschaft besteht. Wer einmal sonnenverbrannte, nackte japanische Fischer oder Bauern bei der Arbeit gesehen hat, kann diesem Gedanken schon leichter nähertreten. Auch theoretisch läßt sich diese Behauptung verfechten. Die Ansichten über den Ursprung der Mikronesier laufen ja sehr weit auseinander -- aber eine, die wahrscheinlichste Theorie geht, wie schon gestreift, dahin, daß in ihren Adern ein starker Einschlag von Malaienblut rollt. Das japanische Volk wiederum hat sich aus mongolischen und malaiischen Elementen herausgebildet, und diese beiden Urrassen sind noch heutzutage oft so wenig verschmolzen, daß man mit leichter Mühe den einen Japaner dem mongolischen, den andern dem malaiischen Urstamm zuteilen kann. Man kann diese eben aufgeworfene Frage ruhig dem Fachgelehrten überlassen -- das steht jedenfalls ganz zweifellos fest, daß der Mikronesier sich mehr zum Japaner als zum Europäer hingezogen fühlt. Es bestehen ja auch sonst noch andere Ähnlichkeiten zwischen Japan und den ihm zunächst gelegenen Teilen der Südsee. Der Malaie, der nach Nippon eingewandert ist, hat dorthin wohl sein pfahlbautenartiges Haus gebracht. Dasselbe Haus finden wir auch auf den Marianen, Karolinen und Palauinseln. Nur ist es hier in seinen rohen und einfachen Uranfängen steckengeblieben, während der Japaner es in jahrtausendlanger Entwicklung weiter ausgestattet und verfeinert hat. Ebenso wie in Altjapan treffen wir in Mikronesien die Sitte an, die Zähne tiefschwarz zu färben, dort wie hier eine große Verehrung des Mondes, dort wie hier eine sehr liebevolle und nachsichtige Kinderbehandlung und -erziehung. Wie schon einmal erwähnt, ist auch in der Götterlehre manchen Eilandes eine ganz ähnliche Naturverehrung, wie sie der Shintoismus aufweist, festzustellen. Ein Reisender und Forscher, der lange in Japan, lange in der Südsee leben würde und in alle Dinge des Lebens tiefer einzudringen vermöchte, der würde wahrscheinlich noch auf dies und jenes andere Gemeinsame stoßen. Um zu den japanischen Ambitionen auf die Marianen und Karolinen zurückzukehren, so gab es längst vor dem Kriege bereits Leute, die einen vorteilhaften Weiterverkauf der beiden Inselgruppen an Japan befürworteten und ihn als die beste Lösung aller deutsch-mikronesischen Fragen betrachteten. Denn darüber war für den Einsichtigen niemals ein Zweifel, daß Japan sich bei gegebener Sachlage der Inseln bemächtigen würde. So schrieb auch ich seinerzeit: „Japan hat zwar vorläufig noch an Korea zu schlucken -- aber trotzdem schielt es zweifellos auch beständig in die Südsee hinunter und bei gegebener guter Gelegenheit wird es sicherlich versuchen, ob es nicht nach den amerikanischen Philippinen und Hawaiinseln, nach den deutschen Marianen und Karolinen erfolgreich die Hand ausstrecken kann.“ -- Es kam denn auch, wie es nicht gut anders kommen konnte. Man brauchte kein großer Politiker oder Stratege zu sein, um das vorauszusehen. Nur ein großer und wohlausgerüsteter deutscher Kolonialbesitz, der sich aus sich selbst und ohne Flotte verteidigen konnte, hätte im Weltkrieg mit vollem Erfolg bestehen können, nie aber solch zerstreute, so weit vom Mutterland abliegende Inselgruppen. * * * * * Allmählich begann mir die Zeit lang zu werden. Die Natuna kam nicht im Februar, kam auch nicht im März, hatte, wie ich später erfuhr, bereits Ende Januar, ohne Jap zu berühren, die Südsee verlassen. Ebensowenig ließ sich der japanische Segelschoner blicken. Auch sonst wollte kein weißes Segel, kein schwarzer Rauch sich draußen auf dem blauen Meer zeigen. Ich sitze fest in unfreiwilliger Gefangenschaft. Und wenn ich noch so sehr in die Weite sehe und spähe, ich erblicke nie etwas anderes als unendliche Wasserfläche, so daß ich schließlich an meiner Befreiung wirklich oft verzweifeln möchte. Ärgerlich kehre ich der See den Rücken und stürme in meinem Gefängnis herum. Sehr groß ist es ja nicht. In zwei Tagen kann ich die ganze Insel zu Fuß umwandern. Sie ist, darüber ist nicht zu streiten, wirklich ein kleines Paradies, ein einziger, großer, blühender Garten. Da ist am Strande der See bald flacher Sandstrand, wo die stets vergnügte, braune Jugend fischt, badet und sich im Kanoefahren übt, bald wieder dichter Mangrovenbusch mit ganz unglaublich verschlungenem Wurzelwerk, undurchdringlich und dunkel, unheimlich fast, nur vom Leguan, großen Riesenkrabben und anderm Kriechgetier bevölkert. Dicht neben dem Wasser, fast darin sich noch bespiegelnd, ist das Reich der Palmen, steht Palme an Palme, ein einziger, fast die ganze Insel umfassender Palmenwald. Wenn die Luft ruhig und still ist, dann flimmert das heiße Sonnenlicht schwer in den regungslosen breiten Kronen. Aber schöner ist’s, wenn der Meerwind lustig herangeflogen kommt, daß sie zu flüstern und sich behaglich zu wiegen beginnen. Doch am schönsten wird es in den taghellen Vollmondnächten, wenn das Meer viel Meilen weit hinaus erschimmert und der große, große Wald brausend mit mächtigem Rauschen der sehnsuchtsvoll zu ihm herandrängenden See sein Nachtlied singt. Weiter landeinwärts dehnen sich große Lackfelder mit ihren breiten, mannshohen Blättern, blüht der Hibiskus mit freudigem Rot, grüßen zauberhafte Orchideen in allen Farben hernieder, stehen dicht die Drazänen, schimmert rosig die Ananas, und über all dem schweren Reichtum wölben sich die Kronen uralter Bäume. Erst auf den Höhen wird der Boden magerer und geringer. Nur der ölbaumgraue, hartblättrige Pandanus liebt solch trockene, sonnenverbrannte Erde. Schön ist es ringsum, aber Freiheit, die ihre Grenzen selbst sich steckt, hat seit Adams und Evas Zeiten seltsamer Menschensehnsucht immer köstlicher und begehrenswerter geschienen als das allerschönste, aber mit hohen Mauern umgürtete Zwangsparadies. Die Mauern, über die es kein Entrinnen gibt, hat hier das Meer gebaut, unüberschreitbarer, als sie je ein Zwingherr aufgeführt hat. Und ich sehe sie überall, diese viele Hunderte von Meilen breiten Wassermauern. Selbst wenn ich tiefer in den Busch hineingewandert bin, nach wenigen Wegstunden stehe ich doch schon wieder vor derselben, heiter und sonnig lächelnden, aber doch so betrübsamen und unüberbrückbaren Meeresunendlichkeit. Bald habe ich manchen Tag, wo ich mein kleines Paradies kaum mehr sehe und beachte, manchen, wo ich aus der ganzen, goldenen Pracht am liebsten auf und davonlaufen würde. Freilich kommen dann auch wieder Stunden, wo ich mir ein frohes Herz nehme, daß all die lachende Schönheit wieder aufs neue ersteht, jung, unvergänglich und bezaubernd, wie ich sie im lauten Jubel erster Begeisterung gesehen -- gesegnete Glücksstunden. Aber am grauen Alltag habe ich doch bereits mit schärferem Auge zuzusehen gelernt und habe da und dort trotz aller Sonne einen Schatten erspäht. Zuviel Licht, zuviel Sonne! sage nun auch ich. Ich beginne zu verstehen, daß die Insulaner in ihrer Einfalt die Sonne, deren Wohltaten sie nicht begreifen, nicht lieben, sondern hassen -- nur den Mond mit seinen kühlen, schimmernden Nächten haben sie ganz ins Herz geschlossen -- und daß sie nach der heißen Herrin des Tages und ihrem flammenden Strahlenzepter in ohnmächtiger und verbissener Wut Scheltworte und Steine emporschleudern. Wie schwül und schwer oft der Tag! Wie drückend, sowie ich das Zimmer betreten, die Nacht! Und gar erst bei Windstille, wenn draußen kein Blatt und kein Grashalm sich regt. Wie unerträglich der scharfe, nie zur Ruhe kommende, metallene Rundgesang der Moskitos! Ich empfinde plötzlich als lästig, was ich im Anfang als selbstverständlich und mit einem Lächeln hingenommen habe. Unternehmungslust und Arbeitsfreude weichen langsam einer trägen, stumpfen Gleichgültigkeit. Gottlob, sage ich mir oft, daß ich hier nicht für immer zu bleiben gezwungen bin. Ich werde eine bange Ahnung nicht los, daß alle meine Kräfte dann gänzlich erschlaffen würden. Nun bin ich auch schon so weit, daß ich all die mannigfachen Klagen der ansässigen Europäer besser verstehen kann. Es gibt ja da und dort in der Südsee einige, die sich vollkommen eingewöhnt haben und sich sehr wohl fühlen, Menschen, die einen großen Wirkungskreis haben, mehr aber noch Leute, die ganz jung als Matrosen, Fischer, Jäger, Abenteurer oder Händler durch irgendeinen Zufall hängengeblieben sind, die zehn, zwanzig und noch mehr Jahre Deutschland nicht gesehen haben und auch gar keine sonderliche Sehnsucht mehr danach haben. Sie sind teilweise, wie man hier sagt, allmählich „verkanakert“, haben nicht mehr sehr viel andere geistige und leibliche Bedürfnisse -- den Alkoholgenuß vielleicht ausgenommen -- als die phlegmatisch zufriedenen Inselkanaken selbst. Alle andern aber, besonders Menschen mit regeren geistigen Interessen oder Leute, die an einen größeren, gesellschaftlichen Kreis gewöhnt waren, fühlen sich selten auf die Dauer sehr befriedigt, und manche kommen verbittert sogar dazu, die in der Südsee verlebten Jahre als „verlorene“ ihres Lebens zu bezeichnen. Das abgebrauchte Sprichwort, daß man nicht ungestraft unter Palmen wandle, wird hier oft zur vollen Wahrheit. Wir Deutsche, die wir den Nordländern zuzuzählen sind, vertragen eben auf die Länge keinen ewigen und noch dazu einen so gewaltigen und mächtigen Sommer. Wir wollen auch nicht immer nur Blumen und Blüten und Früchte, immergrüne Sträucher und Bäume sehen. Stark duftende Linden, rotwelkende Buchen, weiß beschneite Fichten stehen manchem hier draußen lockend vor Augen. Wenn man all das, sich folgende und ablösende Jahreszeiten, Frühlingsahnen, Herbstschauer und Winterstürme, den Wechsel in der Natur, Werden, Leben und Sterben, mehrere Jahre entbehrt hat, so leiden darunter, anfangs unmerklich, später stärker und stärker, Leib und Seele. Die Nerven beginnen bei vielen lebhafter als gut ist zu spielen oder sagen gar Generalstreik an. Bald überfrohe und überlaute, ungesunde Lustigkeit, bald unmittelbar darauf und ohne jeden begründeten Übergang Zeiten innerer Zerrissenheit und tiefster Depressionen, die sich manchmal bis zum vollständigen Lebensüberdruß steigern können. „Neurasthenie“, wird der Arzt sagen und wird wenig tun können, sie zu heilen, solange der Betreffende an Ort und Stelle bleibt. Nur ein Klimawechsel kann Besserung bringen. Ist dieser unmöglich, so wird der böse Zustand immer wieder und immer stärker kommen. Immer mehr sehnte ich den Tag herbei, an dem es mir vergönnt wäre, weiterzuwandern. Mit einer solch langen Reiseverzögerung hatte ich nie gerechnet. Februar und März waren verstrichen. Jetzt im April begann gar der lustige Passatwind einzuschlafen, schwerer und schwüler wurden die Tage, dehnten und dehnten sich, endlos und ohne Schlaf war die Nacht. In der zweiten Hälfte des April sollte die Germania wieder hierherkommen, und so setzte ich denn auf sie meine Hoffnung. Da plötzlich ein Telegramm aus Sydney, daß die Germania in Ponape, der Hauptinsel der Ostkarolinen, gestrandet sei und schwere Havarie erlitten habe. Die Ausbesserung der Schäden werde mehrere Wochen beanspruchen. Geduld! Geduld! ... In dieser der menschlichen Natur so sehr widersprechenden Tugend kann es ein Südseefahrer zur Weltmeisterschaft bringen. Es hilft, hilft gar nichts, daß man jeden Morgen zu den Flaggenmasten emporstarrt, ob nicht der bunte Wimpel zur Begrüßung eines zufällig einlaufenden Schiffes lustig daran emporgehen will. Zudem beginnt auf Jap, da der Dampfer über seine Zeit ausbleibt, alles sehr knapp zu werden. Mehl und Kartoffeln gibt es längst nicht mehr, auch die Konserven gehen ihrem Ende entgegen. Frisches Rindfleisch kann auf Jap nur wenige Male im Jahre gegessen werden, zu Weihnachten und Ostern wird je eine Festkuh geschlachtet. So greifen wir jetzt auf die Schweine der Eingeborenen zurück, die so zahm sind, daß sie die Insulanerinnen auf ihren Wegen durch den Busch wie treue Hunde begleiten. Auch Fische lassen wir uns von den Japleuten besorgen. Sie sind aber meist ungenießbar, da die Karoliner sie stets unausgenommen auf dem Kanoe in der fürchterlichen Sonnenglut den ganzen Tag lang liegen lassen. Nach mikronesischem Küchenrezept ist freilich ein sehr starker Hautgout der Schuppentiere allererstes Erfordernis. In der „Wirtschaft zur Kokosnuß“ ist die Bierquelle auch leider versiegt. Zigarren und sonstiger Tabak sind fatamorganahafte Gebilde. Ebenso ist sämtliches Schuhwerk auf den scharfen Korallensteinfelsen mit der Zeit zum Teufel gegangen. Aber die Germania kommt nicht, will nicht kommen! 22. Abschied von der Südsee. Es ist Anfang Mai geworden. Ich habe, um für alle Fälle gerüstet zu sein, bereits eifrig mit dem Packen begonnen. Keine leichte Arbeit das! Ein ganzes Museum aller möglichen Dinge hat sich allmählich bei mir angesammelt: Speere, Kriegs- und Tanzgürtel, Stein- und Muschelgeld, Jagd- und Fischfanggeräte, Holzfiguren und geschnitzte Kanoemodelle, Matten und Kleidungsstücke, Schildpattgegenstände, Schildkrötenschalen und riesige, zentnerschwere Muscheln. All das muß nun in Kisten verstaut werden. Rasch ziehe ich auch noch ein letztes Mal zu meinen Lieblingsplätzen hin, und jetzt, wo ich weiß, daß ich all das sehr bald nicht mehr, wahrscheinlich gar nie mehr sehen werde, empfinde ich erst wieder ganz allen Liebreiz und alle Schönheit. Auch diese hundert unfreiwilligen Tage von Jap, die ich meist nur als eine höchst unwillkommene Hemmung meiner Reise angesehen, werden mir schließlich eine liebe Wandererinnerung bleiben. Erinnerungen: Träume, die einmal leibhaftige Wahrheit und Wirklichkeit gewesen -- Wirklichkeit, die jetzt schon nur mehr ein schöner Traum ist. Bald, bald wird die Südsee, die ich so sehr ersehnt, die ich jubelnd begrüßt, hinter mir liegen. All die südliche Schönheit, die allmächtige Sonne, die tiefe, meerumgürtete Stille ist dann für mich nicht mehr, ist alles versunken. Und ist doch alles auch fest und für immer gegründet und gebaut. In jedem Augenblick dem suchenden Auge der Sehnsucht erreichbar: Erinnerungen, das ganze Leben hindurch leuchtende Erinnerungen. -- Am 6. Mai läuft die so heiß ersehnte Germania wirklich in den Hafen von Jap ein und schon einen Tag später lichtet sie wieder die Anker. -- Noch ein letztes Händeschütteln mit den Zurückbleibenden, ein Grüßen und Danken, ein Abschiednehmen für lange Zeit, vielleicht für immer. Auf den Palauinseln ein kurzer Halt. Ich begrüße auch hier wieder gute alte Bekannte, meinen liebenswürdigen Wirt vom Januar, Stationsleiter Winkler, und meinen Freund Fujikawa. -- Meinen Begleiter Otto und dessen Frau -- sie haben inzwischen wirklich geheiratet -- bekomme ich aber leider nicht zu Gesicht. Er ist nicht an den Landungsplatz und auf die Regierungsstation gekommen -- er ist kein allzu großer Freund wohl von Regierungsbeamten und Vorgesetzten, die schon so manchen Tropfen Wermut in den Kelch seines Lebens geträufelt haben. Kurz nach der Abfahrt von Malakal in aller Morgenfrühe ein kleiner Reiseunfall der Germania. Als wir der Küste von. Babeltaob entlang steuern, ein plötzlicher Ruck und Stoß. Schon sitzt auch das gute Schiff unbeweglich auf einem Korallenriff fest. So etwas ist recht rasch und leicht geschehen. Die stark blendende Sonne, der blitzende Wasserspiegel machen es oft fast unmöglich, die gefährliche Untiefe rechtzeitig zu erkennen. Kapitän und Offiziere, die ganze Bemannung der Germania arbeiten fieberhaft, um das Schiff von dem bösen Korallenriff frei zu bekommen. Alles vergeblich. Trotz der verschiedensten Manöver und Anstrengungen rührt sich die Germania nicht von der Stelle. Es wird Mittag, es wird Nachmittag, brennend sticht die Sonne nieder, nicht der mindeste Luftzug, der Kühlung brächte. Ein paar Kanoes schwirren um uns herum. Wer weiß, ob wir sie nicht bald besteigen müssen, um an Land, für recht lange an Land zu fahren, und ich mache mich schon mit dem Gedanken vertraut, einen unfreiwilligen zweiten Aufenthalt auf Babeltaob nehmen zu müssen. Denn wenn die Germania sich wirklich hier sehr festgerannt hat, wird ihr niemand in ihrer unangenehmen Lage zu Hilfe kommen können. Nirgends ein Schiff, das sie abschleppen könnte. Auch keinerlei Möglichkeit, sich mit Jap oder Hongkong zu verständigen. Doch der Gott der Meere und Riffe hat ein Einsehen. Gegen Abend erlöst er uns mit der wiederkommenden Flut und hebt das Schiff vom Felsen. Alles ist gut abgegangen, und die Germania hat bei dem unliebsamen Zwischenfall auch keinerlei ernsteren Schaden davongetragen. Unsere weitere Reise verlief ohne jeden ferneren Zwischenfall. Das Meer, das in diesen Breiten oft so bös und stürmisch sein kann, war ganz eben und spiegelglatt wie nur irgendein windgeschützter Hochgebirgssee. Wir machten sehr gute und rasche Fahrt und liefen, nachdem einmal kurz die Philippinen in Sicht gewesen waren, am 18. Mai in den Hafen von Hongkong ein. 23. Heimreise. Noch manche Sonnenländer sah ich auf dieser Reise. Ich verbrachte einen Monat in dem prächtigen Hongkong, ich lud mich in dem volksreichen, lärmenden Kanton, in dem stillen, verschlafenen Macao, in dem schwülen Singapore und Johore zu Gast, ich bestaunte Ceylons Herrlichkeiten. Aber so vielerlei Länder und Städte lassen sich in einem Bande kaum zusammendrängen. Auf der „Scandia“ der Hamburg-Amerika-Linie, mit der ich die Heimreise antrat, verlebte ich zwei Monate unter immer lachendem, sonnigem Himmel. Eines Tages aber regengraues Firmament. Wir sind in der Nordsee. Ich möchte nun auch dieses Buch genau mit denselben Worten schließen, die ich damals, eine Reihe von Jahren vor dem Kriege, niedergeschrieben habe. Denn ich glaube, sie haben in so manchem Punkte noch heute ihre volle Berechtigung. Ich schrieb damals, im Sommer 1908: „All das viele Geschaute gleitet noch einmal, als wollte es von mir Abschied nehmen, in raschbuntem Wechsel an meinem Auge vorbei. Nicht nur Schönheit und Freiheit fand ich da draußen in der weiten Welt. Ich bekam auch wirkliche Einsicht in so manche Dinge, die ich bisher nur mit den Augen der andern geschaut, nur aus Büchern und Reiseberichten gekannt hatte. -- „Länder und Völker sind an mir vorbeigezogen. Ihre Stärken und Schwächen, ihre Bedürfnisse versuchte ich zu erkunden. In Osten und Westen hatte ich Gelegenheit, die Rassenfrage in den mannigfachsten Abstufungen und Erscheinungsformen zu studieren. „Und wenn ich jetzt am Ende der Reise noch einmal zurückblicke, so muß ich wohl sagen, daß gar manches Land, gar manches Volk seine Sache viel, viel schlechter macht als wir, daß andere aber wieder in so manchen Dingen über uns stehen, und daß wir Deutschen noch in dem und jenem von ihnen lernen könnten. -- „Ich sah auch das eigene Vaterland einmal aus der Höhen- und Fernperspektive und hörte, wie es die andern -- Fremde, Feinde vielleicht -- beurteilten. Einer allzu großen Beliebtheit im Rate der Völker erfreut sich Deutschland sicherlich nicht. Oft mag das in Neid und Mißgunst seinen tiefinnersten Grund haben. Denn deutscher Tatkraft hat sich da und dort ein Ackerfeld erschlossen, das früher von andern bebaut wurde. Aber manche Gegner und Spötter setzen doch oft an Stellen ein, wo wirkliche Schwächen zweifellos vorhanden sind. Wir haben in den letzten Jahrzehnten uns manchmal zu höflich gezeigt und unnütze Verbeugungen gemacht, wir haben geschwankt und gezaudert, nicht recht gewußt, was wir wollten, trugen Vorliebe für unnützen und hohlen Prunk zur Schau, Parvenümanieren wirft man uns manchmal vor. „Möchte das Deutschland der Zukunft stark und stolz, einfach und schlicht, niemand zuliebe und niemand zuleide festen Schrittes einen zielsicheren Weg gehen! ... „Und Deutschland könnte das so gut, wenn es nur wollte. Hätte die Kraft dazu in sich. Denn es geht ja aufwärts mit uns in vielfacher Hinsicht. Unser Außenhandel wächst von Jahr zu Jahr -- im Lande mehrt sich bei vielen der Wohlstand. „Aber in diesem materiellen Aufstieg liegt auch eine Gefahr -- und es ist meines Erachtens gewiß keine geringe. Schon haben wir so manche unter uns, die nur mehr für ein einziges Ding auf dieser Welt Sinn und Blick, Tatkraft und Willen haben -- für das „Geld“. Der Tanz vor dem goldenen Kalbe hat begonnen, Hoch und Nieder beugt sich verehrend vor dem schillernden Götzenbild. Alles, alles, glauben sie, müsse es verschenken können. „›Wach auf!‹ möchte man so manchem zuraunen, ein lautes ›Wach auf!‹ ins deutsche Land hineinrufen. Denn es ist an der Zeit, achtzuhaben, daß wir über all dem eifrigen Haschen des rieselnden, rinnenden Goldes nicht der viel höheren Güter vergessen, daß wir nicht plötzlich, reich an Besitz geworden, doch unser Allerbestes für immer und unwiederbringlich verloren haben. „Deutschland! ... Wie zieht es mich jetzt wieder mächtig nach Hause. Unsere Wurzeln, die ruhen ja doch in der Heimaterde, nur in ihr wird unser Lebensbaum so richtig in Saft und Kraft bleiben können, hier werden an ihm auch vielleicht Früchte reifen können. Willkommen denn, Heimat! --“ Nicht freundlich empfängt uns das deutsche Fahrwasser! Feuchter Nebeldunst und Nässe schlagen uns aus der gelbgrauen Nordsee kalt entgegen. Fröhlich vorwärts denn durch den grauen Dunst, vorwärts über die gelbweiß aufschäumende Flut. Bald liegt die Nordsee hinter uns, elbeinwärts geht die Fahrt. Grüne Wiesen grüßen herüber, wie lange hab ich das nicht gesehen! Wetterfest und jugendschlank streben dahinter dunkle Fichten zur Höhe, Ulmen- und Lindenkronen schwanken im Winde. Schöner dünkt mich das Bild als die reichste Südlandfülle. Es ist ein Stück Heimat wieder, Heimat wie der graue, ganz winterlich anmutende Regenhimmel über mir, der breite, trübe Strom zu meinen Füßen. Menschen rufen und winken vom Ufer herüber. Man sieht es der braven „Scandia“ an, daß sie von weither kommt und nicht immer gute Fahrt gehabt hat. Die Farben ihres Rumpfes sind von fressender Salzwoge bis hoch hinauf weggewaschen; schwerer, rotbrauner Rost hat sich dick auf die massigen Eisenplatten gelegt. See- und wettererprobt, wird sie darum von den Menschen am Ufer, von den Menschen auf all den uns begegnenden Dampfern und Booten doppelt herzlich in der Heimat willkommen geheißen. Und schließlich liegen wir im Hafen fest. Händeschütteln und flüchtiges Abschiednehmen. Jeder eilt so rasch wie möglich an Land. Zwei Monate lang hat man Tag für Tag, Stunde um Stunde beisammengestanden und -gesessen. Wie eine große Familie hat sich die Schiffsgesellschaft gut zusammengelebt. Am Morgen dachte man noch kaum an Trennung, am Abend ist alles schon in alle vier Winde zerstreut. Die meisten werden sich nie im Leben wieder treffen. Aber kaum einer denkt beim Auseinandergehen, daß dies auch einen Abschied bedeute, alle feiern heute ein Fest des Wiedersehens, manche nach langer, langer Zeit, alle Herzen sind auf diesen Grundton gestimmt, auf das Wiedersehen mit der Heimat! ... Alte Reisen und Abenteuer Bd. 1 =Fernão de Magalhães=, Die erste Weltumseglung. Bearbeitet von ~Dr.~ +H. Plischke+ Bd. 2 =Ulrich Schmidel=, Abenteuer in Südamerika. Bearb. von +Curt Cramer+ Bd. 3 =J. Cook=, Die Suche nach dem Südland. Bearbeitet von ~Dr.~ +H. Damm+ Bd. 4 =Peter Kolb=, Z. Vorgeb. d. Guten Hoffnung. Bearb. v. ~Dr.~ +H. Damm+ Bd. 5 =Christoph Kolumbus=, Die Entdeckg. Amerikas. Bearb. v. ~Dr.~ +H. Plischke+ Bd. 6 =Kapitän Phillip=, Gründung der Strafkolonie Sydney. Bearbeitet von ~Dr.~ +R. Plischke+ Bd. 7 =Carl Friedrich Behrens=, Der wohlversuchte Südländer. Reise um d. Welt 1721/22. Bearb. v. ~Dr.~ +H. Plischke+ Bd. 8 =Hans Egede=, Die Erforschung von Grönld. Bearb. v. ~Dr.~ +M. Heydrich+ Bd. 9 =Hernando Cortes=, Die Eroberung v Mexiko. Bearb. v. ~Dr.~ +H. G. Bonte+ Bd. 10 =Francis Drake=, Als Freib. i. Spanisch-Amerika. Bearb. v. ~Dr.~ +H. Damm+ Bd. 11 =Marco Polo=, Am Hofe des Großkhans. Reisen in Hochasien u. China. Bearbeitet von ~Dr.~ +A. Herrmann+ Bd. 12 =Mungo Park=, Vom Gambia zum Niger. Bearb. von ~Dr.~ +P. Germann+ Bd. 13 =Vasco da Gama=, Der Weg nach Ostindien. Bearb. v. ~Dr.~ +H. Plischke+ Bd. 14 =Francisco Pizarro=, Der Sturz des Inkareichs. Bearb. von ~Dr.~ +H. G. Bonte+ Bd. 15 =John Smith=, Unter den Indianern Virginiens. Bearb. v. ~Dr.~ +H. G. Bonte+ Bd. 16 =Georg Wilhelm Steller=, Von Kamtschatka nach Amerika. Bearbeitet von ~Dr.~ +M. Heydrich+ Bd. 17 =Herodot=, Reisen und Forschungen in Afrika. Bearb. von ~Dr.~ +H. Treidler+ Bd. 18 =Tacitus=, Germania. Bearbeitet von ~Dr.~ +H. Philipp+ Bd. 19 =John R. Jewitt=, Makwinnas Gefangener. Bearb. v. Prof. ~Dr.~ +A. Jacobi+ Bd. 20 =Adam Olearius=, Die erste deutsche Expedition nach Persien. Bearbeitet von ~Dr.~ H. von +Staden+ Reisen und Abenteuer Bd. 1 =Sven Hedin=, Abenteuer in Tibet Bd. 2 =Sven Hedin=, Transhimalaja Bd. 3 =Kapitän Scott=, Letzte Fahrt (Scotts Tagebuch) Bd. 4 =Georg Schweinfurth=, Im Herzen von Afrika Bd. 5 =H. M. Stanley=, Wie ich Livingstone fand Bd. 6 =Kapitän Scott=, Letzte Fahrt (Abenteuer der Gefährten) Bd. 7 =Sven Hedin=, Durch Asiens Wüsten Bd. 8 =Sven Hedin=, Zu Land nach Indien Bd. 9 =A. E. Nordenskiöld=, Umseglung Asiens und Europas Bd. 10 =H. M. Stanley=, Im dunkelsten Afrika Bd. 11 =Georg Wegener=, Erinnerungen eines Weltreisenden Bd. 12 =Gustav Nachtigal=, Sahara u. Sudan Bd. 13 =Ernest Shackleton=, Im sechsten Erdteil Bd. 14 =Walter v. Rummel=, Sonnenländer Bd. 15 =W. H. Gilder=, Untergang der Jeannette-Expedition Bd. 16 =Slatin Pascha=, Feuer und Schwert im Sudan Bd. 17 =Einar Mikkelsen=, Ein arkt. Robinson Bd. 18 =H. M. Stanley=, Mein erster Weg zum Kongo Bd. 19 =Sven Hedin=, General Prschewalskij in Innerasien Bd. 20 =Sven Hedin=, Meine erste Reise Bd. 21 =H. M. Stanley=, Auf dem Kongo bis zur Mündung Bd. 22 =Henry S. Landor=, Auf verbot. Wegen Bd. 23 =Sven Hedin=, A. d. Schwelle Inneras. Bd. 24 =Otto Sverdrup=, Neues Land Bd. 25 =Hans Meyer=, Hochtouren im tropischen Afrika Bd. 26 =Douglas Mawson=, Leben und Tod am Südpol Bd. 27 =Arthur Berger=, Auf den Inseln des ewigen Frühlings Bd. 28 =Vilhjalmur Stefansson=, Jäger des hohen Nordens Bd. 29 =Prinz Max zu Wied=, Unter den Rothäuten Bd. 30 =Emil Holub=, Elf Jahre unter den Schwarzen Südafrikas Bd. 31 =L. V. Mausilla=, Die letzten wilden Indianer der Pampa Bd. 32 =Hans Meyer=, Hochtouren im trop. Amerika Bd. 33 =Rickmer W. Rickmers=, Die Wallfahrt zum Wahren Jakob Bd. 34 =Wilhelm Junker=, Bei meinen Freunden den Menschenfressern Bd. 35 =H. v. Foller=, Unter Javas Sonne Bd. 36 =Philipp Berges=, Wunder der Erde Bd. 37 =Alex. v. Humboldt=, In Südamerika Bd. 38 =Andreas Reischek=, Sterbende Welt Bd. 39 =Henry Hoek=, Aus Bolivias Bergen Bd. 40 =Martin Johnson=, Mit dem Kurbelkasten bei den Menschenfressern Bd. 41 =Ch. A. Lindbergh=, Wir zwei. Im Flugzeug über den Atlantik Bd. 42 =Therkel Mathiassen=, Mit Knud Rasmussen bei den amerikan. Eskimos Bd. 43 =Gerhard Rohlfs=, Kreuz und quer durch die Sahara Jeder Band enthält 160 Seiten Text, etwa 30 Abbildungen und 2 Karten, ist in sich abgeschlossen und einzeln käuflich / +Beide Sammlungen werden fortgesetzt+ +Ausführliche Prospekte auf Verlangen kostenlos+ Verlag F. A. Brockhaus / Leipzig Druck von F. A. Brockhaus, Leipzig *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 76455 ***