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Zweites Kapitel

Ich habe eine Abschrift von Onkel Yvons Testament aufbewahrt. Hier ist sie:

»Am 15. August 1849, am Tage Mariä Himmelfahrt, habe ich, Matthieu Jean Léonce Yvon, gesund an Körper und Geist und mit den heiligen Sakramenten der Kirche versehen, dieses Testament und meine letzten Wünsche aufgesetzt.

»In der Voraussicht aller Zufälle, denen das menschliche Leben unterworfen ist, und in dem Wunsche, daß, wenn mir ein Unglück zustoßen sollte, mein ganzer Besitz ohne Streitigkeiten zwischen meinen Erben geteilt werden soll, habe ich mein Vermögen in zwei möglichst gleiche Teile geteilt.

»Erstens: Eine Summe von fünfzigtausend Franken zu fünf Prozent von Herrn Aubryet, Notar in Paris, angelegt.

»Zweitens: Mein Haus in Auray, meine Heide, meine Aecker und übrigen unbeweglichen Güter; meine Schiffe, Netze, mein sämtliches Fischgerät, Waffen, Möbel, Kleidungsstücke, Wäsche und andre bewegliche Gegenstände nach Recht und Gewissen auf einen Wert von fünfzigtausend Franken abgeschätzt.

»Ich vermache dies gesamte Besitztum meinen Neffen und Patenkindern Matthieu und Léonce Debay, mit dem ausdrücklichen Gebot, daß jeder von ihnen, sei es durch gegenseitige Uebereinkunft, sei es durch das Los, einen der beiden oben bezeichneten Teile wähle, ohne unter irgend welchem Vorwande einen gesetzlichen Beistand zuzuziehen.

»Im Fall ich vor meiner Schwester Yvonne Yvon, Frau Debay und ihrem Gatten, meinem trefflichen Schwager, sterben sollte, vertraue ich meinen Erben die Sorge für ihr Alter an und rechne darauf, daß sie es ihren Eltern, dem Beispiel folgend, das ich ihnen stets gegeben, an nichts fehlen lassen werden.«

Die Teilung war nicht schwierig und es war nicht notwendig, das Los zu Rate zu ziehen. Léonce wählte das Geld, Matthieu den andern Teil. »Was soll ich mit den Schiffen des armen Onkels anfangen?« sagte Léonce, »Austern und Sardinen fischen wäre gerade das Richtige für mich! Ich würde in Auray leben müssen und gähne schon bei dem Gedanken daran. Du würdest bald hören, daß das Heimweh nach dem Boulevard mich getötet habe. Und wenn ich wirklich glücklicher- oder unglücklicherweise dem Tode entränne, würde der Besitz unter meinen Händen baldigst ruiniert sein. Wenn Matthieu mir das Geld überläßt, will ich es in einem soliden Wert anlegen, der mir zwanzig Prozent bringt. Ihr sollt schon sehen, wie ich mich auf das Geschäft verstehe.«

»Wie du willst,« entgegnete Matthieu. »Doch glaube ich, du würdest nicht gezwungen gewesen sein, in Auray zu leben. Unsre Eltern sind gottlob gesund und werden der Ueberwachung der notwendigen Arbeiten noch gewachsen sein. Aber sage mir doch, auf welchen wunderbaren Wert du dein Geld anlegen willst.«

»Auf meinen Verstand! Höre, wie ich mir die Sache denke. Von allen Wegen, auf denen ein junger Mann zu einem Vermögen gelangen kann, ist der kürzeste weder der Handel, noch die Industrie, noch die Kunst, noch die Medizin, noch die Advokatur, nicht einmal die Spekulation, es ist – rate einmal!«

»Bleibt nur noch Ueberfall auf offener Landstraße, und der wird immer schwieriger, da die Lokomotiven sich nicht gut anhalten lassen.«

»Du vergißt das Heiraten! Die Ehe hat in Europa die reichsten und vornehmsten Häuser begründet. Soll ich dir die Geschichte der Grafen von Habsburg erzählen? Ich heirate eine Erbin.«

»Welche, wenn ich fragen darf?«

»Das weiß ich noch nicht, aber ich werde schon eine finden.«

»Mit deinen fünfzigtausend Franken?«

»Freilich, wenn ich mich mit meinem kleinen Portefeuille und seinen fünfzig Banknoten auf die Suche nach einer Frau begeben wollte, würden mir sämtliche Millionen ins Gesicht lachen; der größte Erfolg wäre, daß ich die Tochter eines Krämers oder die präsumtive Erbin eines Kurzwarengeschäfts auftriebe, aber in den Kreisen, in denen eine so geringe Summe etwas vorstellt, würde man weder mein Wesen, noch meinen Verstand, noch meine Erziehung zu schätzen wissen. Schließlich sind wir ja nicht dazu da, um die Bescheidenen herauszubeißen.«

»Das scheint so.«

»In den Gesellschaftskreisen, in welche ich hineinheiraten will, wird man mich um meiner selbst willen heiraten, ohne sich nach dem zu erkundigen, was ich habe. Ich sage dir, mein Lieber, wenn ein Rock nur gut gemacht ist und mit Anstand getragen wird, so fragt kein Mädchen von gesellschaftlicher Stellung danach, was in den Taschen ist.«

Nun begann Léonce seinem Bruder auseinanderzusetzen, daß er Onkel Yvons Geld dazu verwenden würde, sich die Pforten der vornehmen Gesellschaft aufzuschließen. Die langjährige Erfahrung, die er aus seinen Romanen erworben, hatte ihn darüber aufgeklärt, daß mit nichts auch nichts zu machen ist, aber daß man es mit guter Toilette, einem hübschen Pferde und eleganten Manieren stets dazu bringen kann, aus Liebe geheiratet zu werden.

»Mein Plan ist also,« fuhr er fort, »mein Kapital zu verzehren. Ich werde ein Jahr lang eine scheinbare Rente von fünfzigtausend Franken besitzen, und der Teufel müßte sein Spiel haben, wenn es mir nicht gelänge, ein Mädchen in mich verliebt zu machen, das diese Rente in Wirklichkeit besitzt.«

»Du wirst dich ruinieren!«

»Bewahre, ich lege mein Geld mit zwanzig Prozent an.«

Matthieu ließ sich nicht darauf ein, mit seinem Bruder zu streiten, besonders da das Kapital erst im Juni disponibel wurde, und augenblicklich keine Gefahr im Verzuge war.

Onkel Yvons Erben änderten nichts in ihrer Lebensweise; sie waren um nichts reicher als zuvor. Schiffe und Fischfang erhielten das Haus in Auray und Herr Aubryet zahlte ganz wie sonst zweihundert Franken monatlich aus. Die Repetitionsstunden in Sainte Barbe und die Besuche in der Rue Traversine gingen ihren alten Weg. Die Wahrheit erheischt indes zu sagen, daß Léonce sich weniger den Rechtswissenschaften als den Tanz- und Fechtkünsten hingab. Der Kleine Graue, noch immer ehrgeizig und, wie ich fürchte, ein wenig intrigant, setzte die Ernennung seiner Frau durch, und ein zweiter Besen wurde feierlich in seiner Behausung niedergesetzt. Das war das einzige Ereignis des Winters.

Im Mai schrieb Frau Debay ihren Söhnen, daß sie recht in Not sei. Ihr Mann habe sehr viel zu thun, und könne der Arbeit doch nicht gerecht werden; ein Mann mehr im Hause würde nicht zu viel sein.

Matthieu fürchtete, daß sein Vater sich über Gebühr anstrenge; er wußte zwar, daß er trotz seiner Jahre noch leistungsfähig und arbeitslustig war, aber man ist, selbst in der Bretagne, mit sechzig Jahren nicht mehr jung.

»Wenn es nach mir ginge,« sagte er eines Tages zu mir, »möchte ich auf ein halbes Jahr nach Auray gehen; mein Vater arbeitet sich zu Tode.«

»Was hält dich denn ab?«

»Erstens meine Stunden.«

»Tritt sie einem Kollegen ab. Ich kann dir wenigstens sechs nennen, die sie nötiger haben als du.«

»Zweitens Léonce; er wird dumme Streiche machen!«

»Darüber kannst du ruhig sein. Wenn er welche machen will, wird deine Gegenwart ihn nicht davon zurückhalten.«

»Und dann –«

»Und dann, was?«

»Die Damen!«

»Du hast sie während der Ferien doch auch verlassen. Uebergib sie mir noch einmal, ich werde dafür sorgen, daß es ihnen an nichts fehlt.«

»Aber sie werden mir fehlen,« erwiderte Matthieu, bis an die Stirn errötend.

»Sieh, sieh! Du hast mir ja mit keinem Wort gesagt, daß eine Neigung dahinter steckt.«

Der arme Junge war ganz entsetzt. Zum erstenmal wurde es ihm klar, daß er Fräulein Bourgade liebe.

Ich war ihm behilflich, sein Herz zu prüfen, und entriß ihm nach und nach all seine kleinen Geheimnisse, bis er von seiner leidenschaftlichen Liebe überzeugt war. Niemals habe ich einen Menschen in ähnlicher Bestürzung gesehen. Wenn er gehört hätte, daß sein Vater Bankrott gemacht habe, würde er sich, glaube ich, weniger geschämt haben. Ich mußte ihn erst beruhigen und förmlich mit sich selbst aussöhnen; als ich ihn dann aber fragte, ob er glaube, daß seine Liebe erwidert würde, geriet er aufs neue in eine derartige Bestürzung und Verwirrung, daß es mir selbst schmerzlich war. Ich hatte gut reden, daß die Liebe eine ansteckende Krankheit sei und daß von zwanzig Fällen eine aufrichtige Leidenschaft neunzehnmal Gegenliebe fände, er hielt sich für eine Ausnahme von allen Regeln. In seiner Bescheidenheit wies er sich selber einen Platz auf der niedrigsten Sprosse der menschlichen Stufenleiter an, und erblickte in Fräulein Bourgade ein überirdisch vollkommenes Geschöpf. Ich versuchte, ihn in seiner eignen Wertschätzung zu erheben, indem ich ihn an all die Schätze von Güte und Edelsinn erinnerte, die in seinem Herzen wohnen; seine einzige Antwort auf all meine Beweisgründe war eine Gebärde nach seinem Gesicht, von einer so resignierten Miene begleitet, daß ich Thränen in meinen Augen fühlte. Wenn ich eine Frau gewesen wäre, in diesem Augenblicke würde ich ihn geliebt haben.

»Laß erst einmal hören,« sagte ich, »wie ist sie gegen dich?«

»Gar nicht. Wir sind in einem Zimmer und sind doch nicht zusammen. Ich spreche mit ihr, sie antwortet, aber ich könnte nicht behaupten, daß ich mich jemals mit ihr unterhalten habe. Sie geht mir nicht aus dem Wege, sie sucht mich nicht – – eigentlich glaube ich aber doch, daß sie mir aus dem Wege geht, oder daß ich ihr wenigstens unangenehm bin. Wenn man so aussieht!«

Fräulein Bourgades Kälte gegen einen so vortrefflichen Menschen ging nicht mit rechten Dingen zu. Sie war nur mit einer aufkeimenden Neigung oder mit koketter Berechnung zu erklären.

»Weiß Fräulein Bourgade, daß du eine Erbschaft gemacht hast?«

»Nein.«

»Sie hält dich für ebenso arm als sie selbst ist?«

»Wenn das nicht wäre, würde man mir längst die Thür gewiesen haben.«

»Wenn sie dich nun aber – du brauchst nicht gleich rot zu werden – dennoch liebte, wie du sie liebst, was würdest du thun?«

»Ich – ich würde ihr sagen –«

»Vorwärts! keine falsche Scham! Sie ist ja nicht hier. Würdest du sie heiraten?«

»O, wenn ich das könnte! Aber wie soll ich es jemals wagen, mich zu verheiraten!«

Diese Unterhaltung fand an einem Sonntag statt. Am nächsten Montag besuchte ich den Kleinen Grauen, trotzdem ich versprochen hatte, die Rue Traversine zu vermeiden. Der Kleine Graue ging zu Frau Bourgade hinüber und teilte ihr mit, daß ein Herr bei ihm sei, der um die Erlaubnis bitte, einige Minuten unter vier Augen mit ihr zu sprechen.

Sie kam, wie sie ging und stand, und unser Wirt verließ, unter dem Vorwand, Kohlen zu kaufen, das Zimmer.

Frau Bourgade war eine große und schöne, aber entsetzlich abgemagerte Frau; sie hatte ein Paar länglich geschnittene, traurige Augen, schöne Augenbrauen und wundervolles Haar, aber fast keine Zähne mehr, was sie bedeutend älter machte. Sie schien etwas bestürzt und sprach kein Wort; Armut und Elend sind schüchtern.

»Gnädige Frau,« sagte ich, »ich bin ein Freund Matthieu Debays, er liebt Ihre Fräulein Tochter und erlaubt sich, bei Ihnen um ihre Hand anzuhalten.«

Ja wir waren großartige Diplomaten auf unserm Lehrerseminar!

»Nehmen Sie Platz, mein Herr,« sagte sie mit sanfter Stimme. Was ich ihr sagte, hatte sie nicht überrascht, sie hatte es erwartet. Sie wußte, daß Matthieu ihre Tochter liebe, und gestand mir mit mütterlicher Keuschheit, daß ihre Tochter Matthieus Liebe seit lange erwidere. Ich war davon überzeugt gewesen.

Sie hatte über die Möglichkeit dieser Heirat schon reiflich nachgedacht. Einerseits war sie glücklich, die Zukunft ihrer Tochter vor ihrem Tode einem Ehrenmann anzuvertrauen. Andrerseits fürchtete sie aber, daß Matthieu nicht sehr kräftig sei, daß er eines Tages krank werden, seine Stunden verlieren, und ohne jede Hilfsmittel mit einer Frau, vielleicht auch mit Kindern – es war alles im voraus zu bedenken – im Leben dastehen könne.

Ich hätte sie mit einem einzigen Wort beruhigen können, aber ich hütete mich wohl. Ich war zu glücklich, zwei Menschen mit jenem göttlichen Unverstand der Armen sich verbinden zu sehen, der da sagt: »Die Hauptsache ist, daß wir uns lieben, jeder Tag wird für das seine sorgen!«

Frau Bourgade debattierte nur der Form wegen. Sie trug Matthieu in ihrem Herzen und liebte ihn mit der Liebe einer Schwiegermutter für ihren Schwiegersohn, jener letzten Leidenschaft der Frau.

Frau von Sévigné hat ihren Mann niemals so geliebt, wie Herrn von Grignan.

Frau Bourgade führte mich in ihre Wohnung und stellte mich ihrer Tochter vor. Die schöne Aimée trug ein unecht gefärbtes, baumwollenes Kleid, dessen Farbe verschossen war. Sie hatte weder ein Häubchen auf, noch trug sie Kragen und Manschetten; Wäsche ist so teuer! Ich hatte Gelegenheit, einen starken Zopf wundervoller blonder Haare, einen etwas mageren Hals von seltener Feinheit, und Hände, für die eine vornehme Dame viel gegeben hätte, zu bewundern. Ihre Figur war die ihrer Mutter, nur um zwanzig Jahre jünger. In einem Mieder an Stelle des Korsetts und einem einfachen Rock ohne Krinoline war Aimées Gestalt von gediegener Eleganz. Was mich bei der zukünftigen Frau Debay am meisten frappierte, war die durchsichtige Weiße ihrer Haut. Ihr Antlitz gleicht einer echten Perle.

Die kleine Perle der Rue Traversine machte keinerlei Hehl aus ihrer Glückseligkeit, als sie erfuhr, welche Nachricht ich brachte. Mitten in diese Freude herein fiel Matthieu, der alles andre eher als meine Anwesenheit hier erwartet hatte. Er wollte nicht glauben, daß er geliebt sei, ehe es ihm nicht dreimal wiederholt worden war.

Alles sprach durcheinander, und Beethovens Quartette sind eine armselige Musik gegen die, welche wir in jener Stunde machten. Da die Thür halb offen geblieben war, schlüpfte ich nach einer Weile stillschweigend hinaus. Matthieu kannte mich als etwas ironisch und würde sich gescheut haben, in meiner Gegenwart zu weinen.

Die Hochzeit fand am ersten Donnerstag im Juni statt, und ich sorgte dafür, mich für diesen Tag von der Schule frei zu machen, denn es lag mir daran, als Matthieus Trauzeuge zu figurieren. Ich teilte diese Ehre mit einem jungen Schriftsteller, der seine ersten Arbeiten im »Artiste« veröffentlichte. Aimées Zeugen waren zwei Freunde Matthieus, ein Maler und ein Professor, denn Frau Bourgade hatte ihre alten Bekannten aus dem Gesicht verloren.

Die Mairie des elften Bezirks liegt der Kirche Saint Sulpice gerade gegenüber; man braucht nur über den Platz zu gehen. Die ganze Hochzeitsgesellschaft, Léonce mit einbegriffen, war in zwei großen Fiakern enthalten, welche uns in die Nähe von Meudon, zu dem Feldwächter von Fleury fuhren. Unser Speisesaal war ein Schweizerhäuschen von Fliederbüschen umgeben; in dem Moos über unsern Häuptern hatte ein kleiner Vogel sein Nest gebaut. Wir tranken auf das Wohl der kleinen beschwingten Familie. Vor dem Glück sind alle Wesen gleich. Mag man's glauben oder nicht, Matthieu war nicht mehr häßlich, ja ich hatte schon früher bemerkt, daß die freie Luft ihn verschönerte. Beim Nachtisch kündigte er uns an, daß er im Begriff sei, mit seiner Frau und mit seiner Schwiegermutter nach Auray abzureisen. Die treffliche Mama Debay breitete schon die Arme aus, um ihre Schwiegertochter zu empfangen. Matthieu wollte seine Dissertationen mit Muße schreiben, Doktor und Professor werden, wenn die Sardinen es erlaubten.

»Oder die Kinder,« fügte eine Stimme hinzu, welche nicht die meine war.

»Wenn uns Kinder geschenkt würden,« erwiderte der junge Ehemann, »würde ich sie selbst lesen lehren und wünschte nur, in dieser Klasse zehn Schüler unterrichten zu dürfen!«

»Ich,« rief Léonce, »lade euch alle für nächstes Jahr ein. Ihr sollt der Hochzeit von Léonce Debay mit Fräulein X, einer der reichsten Erbinnen von Paris, beiwohnen.«

»Fräulein X. soll leben! Die herrliche Unbekannte.«

»Bis ich sie kennen gelernt habe,« entgegnete der Redner, »wird man euch erzählen, daß ich ein Vermögen verschleudert und meine Erbschaft in alle vier Winde zerstreut habe. Dann denkt an das, was ich euch jetzt sage; ja ich werde das Gold hinauswerfen, aber wie der Sämann den Samen auswirft. Laßt sie reden und wartet die Ernte ab.«

Warum soll ich nicht gestehen, daß Champagner getrunken wurde?

Matthieu sagte zu seinem Bruder: »Du wirst schon erreichen, was du willst, ich zweifle an nichts mehr und halte alles für möglich, seit sie mich aus Liebe geheiratet hat!«

Aber am nächsten Sonntag auf dem Bahnhof schien Matthieu über die Zukunft seines Bruders weniger beruhigt.

»Du spielst ein gewagtes Spiel,« sagte er und drückte ihm die Hand, »aber was auch kommen möge, vergiß nicht, daß du in meinem Hause in Auray jederzeit dein Bett bereit findest.«

»Laß nur ein zweites Kopfkissen hineinlegen. Wir werden euch in unsrer Staatskutsche besuchen!«

Der Kleine Graue maß Léonce mit einem zustimmenden Blick, welcher sagte: Junger Mann, dein Ehrgeiz gefällt mir! Aber Léonces Auge ging über den Kleinen Grauen hinweg; er nahm mich beim Arm, nachdem der Zug fort war, und lud mich ein, mit ihm zu essen; er war sehr heiter und voll der schönsten Hoffnungen.

»Das Los ist gefallen; ich verbrenne meine Schiffe. Gestern habe ich ein entzückendes Entresol in der Rue de Provence gemietet. Jetzt sind die Maler darin, in acht Tagen kommen die Tapeziere. Dort, mein Lieber, wirst du künftig Sonntags dein Freundschaftskotelett essen.«

»Wie kommst du darauf, deinen Feldzug mitten im Sommer zu beginnen? Es ist ja keine Katze in Paris.«

»Laß mich nur machen. Sobald mein Nest eingerichtet ist, reise ich nach Vichy. In den Bädern macht man leicht Bekanntschaften, befreundet sich und knüpft Umgang für den kommenden Winter an. Ich habe alles voraus bedacht, jeder andre Rat käme zu spät. In vierzehn Tagen werde ich dies entsetzliche Studentenviertel hinter mir haben!«

»In dem wir so schöne Augenblicke verlebt haben!«

»Wir glaubten uns zu amüsieren, weil wir nichts Besseres kannten. Findest du dies Huhn genießbar?«

»Ausgezeichnet, mein Lieber.«

»Ich finde es gräßlich! Uebrigens habe ich mir eine Köchin gemietet; ein Junggeselle auf Freiersfüßen diniert wohl außer dem Hause, aber er frühstückt bei sich. Jetzt fehlt mir noch ein Diener. Könntest du mir nicht jemand nachweisen?«

»Donnerwetter, es thut mir leid, daß ich auf anderthalb Jahre an das Seminar gebunden bin, sonst würde ich mich selbst dazu melden, da ich glaube, daß du einen famosen Herrn abgeben wirst.«

»Du bist weder klein noch groß genug, mein Junge, ich brauche einen Riesen oder einen Zwerg. Bleibe, wo du bist. – Hast du wohl 'mal über Livreen nachgedacht? Das ist nämlich eine sehr wichtige Frage. Was würdest du zum Beispiel zu einem himmelblauen Rock mit roten Aufschlägen sagen?«

»Du könntest ja auch die Uniform der päpstlichen Schweizersoldaten, gelb, rot und schwarz, mit einer Hellebarde nehmen. Was meinst du dazu?«

»Aergere mich nicht! Ich habe sämtliche Farben Revue passieren lassen. Schwarz mit einer Kokarde ist sehr vornehm, aber zu ernst; kastanienbraun nicht jung genug, dunkelblau ist durch die Geschäfte in Mißkredit gekommen: sämtliche Kassenboten tragen einen blauen Rock mit silbernen Knöpfen. Ich muß noch darüber nachdenken. Sieh dir 'mal meine neuen Visitenkarten an.«

»Léonce de Baÿ und eine Krone! Den Marquis will ich dir durchgehen lassen, das schädigt niemand, aber ich glaube, daß du besser gethan hättest, den Namen deines alten Vaters zu respektieren. Ich bin gewiß nicht allzu streng in meinen Ansichten, aber es ärgert mich stets, wenn ich sehe, daß ein Ehrenmann sich außer der Zeit des Karnevals in einen Marquis verkleidet. Es ist eine zarte Form, seine Familie zu verleugnen. Um Marquis sein zu können, müßte dein Vater entweder Herzog oder tot sein – du kannst ja wählen.«

»Weshalb die Dinge gleich so tragisch nehmen? Mein guter Vater wird von Herzen lachen, wenn er seinen Namen in dieser Weise aufgeputzt sieht. Findest du nicht das Trema auf dem y eine brillante Erfindung? Es gibt dem Namen eine so aristokratische Färbung! Es fehlt nur noch das Wappen. Weißt du mit der Heraldik Bescheid?«

»Schlecht.«

»Aber doch genug, um mir ein kleines Wappen zu zeichnen.«

»Etwas Papier, Kellner! Da ist das Wappen, das ich dir beilege. Hier rote Löwen auf goldenem Felde, und hier einen goldenen Vogel ohne Füße und Schnabel auf rotem Grunde. Bist du zufrieden?«

»Entzückt. Was soll dieser Vogel ohne Füße und Schnabel vorstellen?«

»Eine Ente.«

»Immer besser. Jetzt fehlt noch eine etwas herausfordernde Devise.«

»Baÿ de rien ne s'ébayt Baÿ läßt sich von nichts verblüffen.

»Ausgezeichnet. Von jetzt ab schulde ich dir Ehrfurcht wie einem Lehnsherrn.«

»Nun denn, getreuer Marquis, zünden wir uns eine Cigarre an, und begleite mich nach der Schule zurück.«


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