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5. Kapitel

Als Theo sich an jenem Abend bereit machte, ihre Lagerstätte aufzusuchen, klopfte es an ihre Türe, und Sabine huschte im Gewande der Nacht in ihr Zimmer.

»Ich – ich wollte nur fragen, ob ich mich morgen wieder so frisieren lassen soll, wie heute abend«, begann sie zaghaft mit der ganzen Unselbständigkeit ihrer unterdrückten Natur; sie sah aber in ihrem weißen Nachtkleide dabei so ungewöhnlich niedlich aus, daß Theo ihr einen tüchtigen Kuß gab und sie wie ein Quirl um ihre eigene Achse drehte, indem sie versicherte, daß die neue Haartracht von heute ab unter allen Umständen beibehalten werden müßte.

»Ach, bist du vielleicht so gut, dabei zu sein, wenn Marie mich frisiert«, bat Sabine lachend und atemlos. »Sie wurstelt mir die Haare doch sonst wieder so fest zusammen, weißt du. Ja? – Oh, das ist lieb von dir! Du bist überhaupt so lieb, das reine Geschenk vom Himmel für mich. Ja, und noch eins: Wie haben dir eigentlich unsere Gäste gefallen? Sie waren alle so nett, nicht? Und welcher von ihnen hat dir eigentlich am besten gefallen?«

»Hm –« machte Theo scheinbar nachdenklich. »Ich werde mir's mal überlegen. Welcher der Herren hat dir am besten gefallen?« »Ach, das ist schwer zu sagen«, murmelte Sabine und wurde dabei sehr rot. »Der Herr von Mühling ist solch netter, freundlicher Herr, den ich am liebsten gleich ›Onkel‹ genannt hätte. Es ist mir wirklich fast mal herausgeschlüpft. Denk' mal bloß! Der Herr von Bergfried ist ja wohl ein sehr schöner Mann, aber so kalt und so – wie soll ich sagen? – so undurchdringlich, daß ich mich eigentlich ein bißchen vor ihm fürchte. Graf Zimburg ist ja das genaue Gegenteil von ihm – nicht etwa, daß ich ihn garstig finde, o nein – ich finde ihn sogar sehr hübsch. Ich wollte, er wäre mein Bruder. Ich habe mir immer einen gewünscht, wie er ist: groß und freundlich und gemütlich. Ich könnte wirklich Vertrauen zu ihm fassen.«

»Na, ein besseres Kompliment kann man seinen Gästen ja gar nicht machen, als daß man sie sich zu Verwandten wünscht«, meinte Theo belustigt. »Ich wollte, man könnte sich seine Verwandten so aussuchen; aber leider ist das ein frommer Wunsch. Na, und Herr von Willig? Hat er auch einen Wunsch in dir wachgerufen?

»Oh, Herr von Willig!« rief Sabine mit leuchtenden Augen und wurde so feuerrot dabei, wie dieser Superlativ des Errötens bei ihrer Veranlagung überhaupt möglich war. »Herr von Willig hat mir am aller – allerbesten gefallen. Ich weiß nicht, ob ich ihn gerade als Bruder haben möchte – als Onkel erst recht nicht; denn das sind doch Menschen, mit denen man so – wie soll ich sagen – so anders steht. Ich meine – ach! Ich weiß selbst nicht, wie ich es meine, – Herr von Willig kommt mir halt vor, wie – ja, wie ein höheres Wesen!«

Damit huschte sie verwirrt und mit solch verklärtem Gesichtchen in ihr Zimmer zurück, daß Theo ihr erst eine Weile ganz verdutzt nachsah und sich dann vor Lachen, lautlosem, innerem Lachen bog.

»Man soll doch wirklich nie sagen, was eine Sache ist!« stöhnte sie, sich die Augen wischend. »Der gute, brave Kammerherr, der mir heute noch dreizehn Heiratsanträge in Aussicht gestellt hat – der vergnügte, ältliche ›Schmalzengel‹ des Weißenfelser Hofes: ein höheres Wesen! Das ist ja zum Schießen! Aber eigentlich doch auch wieder rührend und ein neuer Beweis für den alten Spruch, daß ›jeder Pott sin Deckel findet‹.«

*

Der feierlich angekündigte fürstliche Besuch fand am folgenden Tage programmäßig im Amönenhof statt. Der Herzog und die Herzogin von Weißenfels trafen, gefolgt von dem Kammerherrn und der Hofdame vom Dienst, in zwei Automobilen zur bestimmten Stunde ein und wurden unter dem Portal von dem Kommerzienrat im schwarzen Gehrock, den Zylinder in der Hand, empfangen. Er hatte auf den dringenden Rat seiner Schwägerin zwar schon den Frack bereitlegen lassen, in Anbetracht der Stunde und des Umstandes, daß der hohe Besuch ja eigentlich doch nicht ihm, sondern dem Hause galt, sich aber dann doch mit seinem instinktiven Takt für den Gehrock entschieden und den »ollen Schniepel«, den er überhaupt haßte, wieder in den Kleiderschrank verbannt, während Cordula von Ganting in voller Abendtoilette von rauschendem lila Moiré-Antique, mit wippendem Federaufsatz auf dem Kopfe, hinter ihm auf der Schwelle stand und in tiefsten Courverbeugungen zusammenknickte. Neben ihr hielt Sabine sich vor Befangenheit und Angst, etwas Falsches zu tun, kaum aufrecht und faßte erst wieder etwas Mut, als sie des Kammerherrn lächelnden Gruß hinter den Herrschaften auffing. Sie besaß zum Glück keinen Anzug, den Cordula mit dem pompösen Namen einer Abendtoilette belegen konnte, auch hatte Theo sie noch kleidsamer wie gestern frisiert. So sah sie in ihrem einfachen, weißen Kleid wirklich ganz niedlich, fast hübsch aus, besonders da sie darin nicht eleganter angetan war, wie die Herzogin, die ein schmuckloses weißes Leinenkleid trug, bei dessen Anblick Cordula ein vages Gefühl des eigenen Überputztseins beschlich.

Während sie und Reudnitz das herzogliche Paar, das sich für den »Überfall« aufs liebenswürdigste entschuldigte, in den Saal geleiteten, wo der Teetisch bereitgestellt war, machte Willig Sabine mit seiner »Kollegin vom Dienst«, der netten jungen Hofdame, bekannt, die er dann den Herrschaften nachfolgen ließ; er benutzte den Augenblick, um schnell zu fragen, wo Fräulein Zöllner eigentlich stecke.

»In ihrem Zimmer«, tuschelte Sabine mit dem kindlichen Zutrauen, das der Kammerherr nun einmal in ihr erweckt. »Tante hat es befohlen, im letzten Augenblick noch. Vater weiß sicher nichts davon; denn er hat noch bei Tisch zu Theo gesagt: Heute also können Sie im Amönenhof Hofluft schnappen.«

Zu weiteren vertraulichen Mitteilungen kam es nicht mehr; denn Sabine wurde von ihrer Tante gleich herbeigewinkt, um der Herzogin, die inzwischen schon Platz genommen hatte, auf silbernem Tablettchen eine Tasse Tee zu überreichen, die das arme Mädchen in seiner Aufregung fast auf die hohe Dame selbst geworfen hätte, wenn diese, die das Unheil kommen sah, es nicht noch beizeiten hätte verhüten können. Sie zog das ganz aus der Fassung gebrachte Sabinchen auf den leeren Stuhl an ihrer Seite, den Cordula für sich bestimmt hatte, nahm eine ihrer kalten Hände in die ihrige und sah ihr mit liebem, freundlichem Lächeln ermunternd in die Augen.

»Wie reizend, daß die Jugend mit Ihnen wieder im Amönenhof eingekehrt ist, Fräulein Reudnitz«, sagte sie so herzlich, daß Sabine mit einem Male ihre Scheu verlor und das Lächeln unwillkürlich erwiderte. »Denken Sie nur, daß ich als kleines Mädchen oft hier gewesen bin und mit Graf Leo Zimburg gespielt habe! Ich war damals eine schrecklich wilde Hummel und sprang mit ihm wie ein Junge über die schönen Tulpenbeete im holländischen Garten – Hand in Hand hopsten wir wie toll, aber weil er doch schon größer war und längere Beine hatte, riß er mich mal zu heftig nach, und ich plumpste mitten in die herrlichen Tulpen hinein und brüllte wie am Spieße.«

Sabine lachte wie ein rechtes Kind, das sie ja auch noch war, hell heraus zum Entsetzen Cordulas und sagte mit einem kleinen Seufzer des Neides:

»Ach, das muß lustig gewesen sein! Ich habe nie über Tulpenbeete springen dürfen.«

»Na, das können Sie ja jetzt noch nachholen«. tröstete die Herzogin, indem sie Sabinens Hand drückte. »Besser spät, wie niemals! Wissen Sie was? Wir zwei gehen nachher mal allein in den holländischen Garten und probieren's. Ich glaube, ich kann's noch, und das wäre auch ganz gut, damit ich meinem Jungen zeigen kann, wie's gemacht wird.«

Cordula wußte nicht, wie ihr geschah.

»Hoheit – Hoheit werden doch nicht höchstselbst –« stammelte sie in ehrlichem Entsetzen über diese Art fürstlicher Belustigung, die noch in aller Harmlosigkeit laut verkündigt wurde.

»Natürlich werde ich! Gelt, Fräulein Reudnitz?« lachte die Herzogin, angespornt durch das Entsetzen der ›komischen Alten‹, die im hellen Tageslicht in ihrer Abendtracht alle Geister ihres gutmütigen Spottes herausforderte. »Glauben Sie mir, Fräulein von – von – oh, Ganting, es macht viel mehr Spaß, selbst etwas zu tun, als sich's von anderen vormachen zu lassen. Wenn ich zum Beispiel unseren lieben Kammerherrn von Willig für mich über Tulpenbeete hopsen ließe, hätte ich – außer dem unleugbaren Vergnügen, ihm nachzuschauen – persönlich blutwenig davon. So, und nun sagen Sie mir, Fräulein Reudnitz, was sie hier treiben. Haben Sie jemand, mit dem Sie lustig sein können? Natürlich haben sie Ihren Vater und Ihre Tante, aber die zählen nicht mit. Nicht wahr, Herr Kommerzienrat? Der selige Herzog, mein Vater, war auch ein sehr lieber, nachsichtiger Papa; aber herumgetollt ist er darum doch nicht mit mir. Ich meine, haben Sie eine Freundin Ihres Alters hier im Hause oder in der Nachbarschaft?«

»Ich habe eine – eine hier.«

»Meine Nichte hat eine Gesellschafterin, Hoheit«, sagte Cordula betont.

»Ja? Nun, hoffentlich eine junge!« rief die Herzogin mit dem unschuldigsten Gesicht von der Welt.

»Ja – sie ist jung und wunderschön«, hauchte Sabine, damit es die Tante nicht hören sollte.

»Wahrhaftig? Desto besser! Und ist sie nett?«

»Sie ist sehr, sehr lieb und lustig, und ich habe sie schrecklich gern.«

»Das ist die Hauptsache. Aber diese liebe, junge, wunderschöne und lustige Dame möchte ich doch auch gern kennenlernen. Ist sie denn nicht hier?« Und die Herzogin sah sich suchend um, was auf Willigs rundes Gesicht, unbeschadet der schuldigen Devotion für seine hohe Herrin, ein unleugbares Schmunzeln brachte. Und – um der Wahrheit die Ehre zu geben – die Herzogin tat dasselbe, das heißt, sie lächelte natürlich, was ein Unterschied ist.

Der Kommerzienrat sah sich nun auch um. »Wo ist Fräulein Zöllner?« fragte er, da er die Gesuchte nicht sah.

Cordula kniff die Lippen zusammen und besann sich, was sie sagen sollte, aber ehe sie noch das rechte Wort fand, übernahm die schüchterne Sabine die Rolle des »enfant terrible«, das sie nie gewesen, und sagte laut und vernehmlich:

»Theo – ich meine Fräulein Zöllner, ist in ihrem Zimmer, Tantchen hat es befohlen.«

Tantchen warf ihrem Nichtchen einen wütenden Blick zu; denn sie war gerade im Begriff gewesen, Theos Abwesenheit ihr selbst zur Last zu legen. Da das nun leider nicht mehr gut anging, so setzte sie ihre vornehmste Miene auf und sagte:

»Ich glaubte korrekt zu handeln, den höchsten Herrschaften nicht einen Empfang in Gemeinschaft mit Dienersch – ich meine, mit den Angestellten des Hauses zuzumuten.«

»Ja, ist denn dieses Fräulein Zöllner – keine Dame?« fragte die Herzogin mit vortrefflich gemimtem Erstaunen.

»Selbstverständlich ist sie eine Dame, da ich sie meiner Tochter zur Gefährtin gegeben habe«, antwortete Reudnitz und schickte einen Diener mit dem Auftrag fort, »er ließe Fräulein Zöllner bitten, herabzukommen«, und es war ihm unschwer anzusehen, daß er auf das Kerbholz seiner Schwägerin eben einen dicken Schnitt gemacht. Theo aber war weder in ihrem Zimmer noch sonstwo zu finden. Sie hatte ihre Verbannung durchaus nicht tragisch genommen; es kam ihr im Gegenteil wie gerufen, daß sie drunten keine Komödie zu spielen brauchte, deren sie sich vor dem Kommerzienrat ein wenig schämte, trotzdem er es ja nicht anders gewollt hatte. Sie hoffte sogar, daß ihre Abwesenheit unbeachtet bleiben würde, aber sie hatte ohne den Mutwillen der Herzogin gerechnet, die eine wunderbare Virtuosität darin besaß, genau das aus den Leuten herauszubekommen, auf was sie es abgesehen hatte. Und da sie dazu über ein Arsenal von Liebenswürdigkeit und Leutseligkeit verfügte und es sofort herausfühlte, welchen Ton sie dazu anschlagen mußte, so erreichte sie auch in den meisten Fällen das Gewollte.

Theo aber war, nachdem sie den hohen Besuch glücklich im Saal beim Tee wußte, herausgeschlüpft und hatte sich im holländischen Garten in einer in die dichte und dicke Taxushecke eingeschnittenen Nische ein behagliches, verborgenes Plätzchen gesucht und sich auf der darin stehenden Bank mit einem Buche häuslich niedergelassen. Daß die Herzogin den reizenden Garten aufsuchen würde, war vorauszusehen, aber es war nicht anzunehmen, daß sie den schmalen Gang betreten würde, der zwischen den hohen Hecken hindurchführte. Die Nische aber, in welcher Theo saß, hatte ein Gegenstück an der anderen, dem Blumengarten zugekehrten Seite dieser Hecke und war von ihr nur durch eine dünne, aber dichte Scheidewand getrennt – eine gärtnerische Spielerei, die gewiß schon öfter zu der fatalen Tatsache geführt hatte, daß auf der einen Seite zwei saßen und von einem Dritten auf der anderen Seite belauscht worden waren.

Nachdem Theo in dieser inneren Nische, die einem Versteck so gut wie gleichkam, eine Weile gesessen hatte, hörte sie sich nahende Stimmen und als sie vorsichtig ein paar Zweige der Taxushecke auseinanderbog, konnte sie sehen, daß die Herrschaften den holländischen Garten betreten hatten. Sie mußte lächeln, aber es freute sie, daß die Herzogin Sabine wie ein Kind an der Hand führte, und daß diese strahlend und ganz zutraulich mit ihr plauderte. Die beiden jungen weißen Gestalten paßten vortrefflich in die zierlichen altmodischen Anlagen hinein; als Theo jedoch Tante Cordula in ihrer lila Moirépracht mit den wippenden Federn auf der schönfrisierten Perücke an der Seite des Herzogs daherkommen sah, hätte sie fast laut gelacht. Aber schließlich hatte ja auch der schillernde Pfau ein Recht auf den Garten, nur daß dieser hier seine lange Schleppe sorgfältig vor der Berührung mit Kies und Erde aufgerafft trug und seinen »Gesang« zu einem holden Flötenton gedämpft hatte.

Nachdem die Herrschaften den Blumengarten durchschritten hatten, verschob sich das Bild. Der Herzog schritt mit dem Kommerzienrat in ein Gespräch vertieft die Ulmenallee entlang zum See hin, die Herzogin hatte die Hand von Sabine losgelassen, und während diese mit der Hofdame und dem Kammerherrn etwas zurückblieb, wandte sie sich mit Cordula der Taxushecke zu und blieb ausgerechnet vor der Nische stehen, hinter der Theo in der ihren saß. »Wie schön die Rosen schon bei Ihnen blühen«, hörte sie die Herzogin sagen. »Diese Marschall-Niel dort ist ja geradezu ein Prachtexemplar.«

»Darf ich mir erlauben, Hoheit ein paar davon zu brechen?« flötete Cordula.

»Sehr gütig! Wenn ich Sie nicht allzusehr bemühe, nehme ich das mit Vergnügen an«, erwiderte die Herzogin. »Ich setze mich inzwischen in diese nette Taxuslaube.« Und tat, wie sie gesagt.

Cordula nahm ihr Prachtgewand etwas höher auf, mußte aber um ein großes Teppichbeet herumgehen, um zu dem Marschall-Niel-Rosenstock zu gelangen; kaum, daß sie außer Hörweite war, fühlte die Herzogin sich hinten angetupft.

»Dreh dich nicht um, Elisabeth – ich bin's, Theo!« flüsterte es von rückwärts. »Wenn der Drache nämlich ahnt, daß ich hier bin, speit er Feuer und frißt mich lebendig auf.«

»So?! Na, da scheinst du ja deinen Herrn und Meister gefunden zu haben«, tuschelte die Herzogin, der Situation rasch gewachsen, mit hörbarer Schadenfreude. »Deine Beharrlichkeit ist ja höchst lobenswert; aber Friedel rauft sich die Haare schon alle einzeln aus, weil er seine Wette verloren hat und für sein Holbein-Miniatur zittert.«

»Laß ihn nur zittern – geschieht ihm schon recht; warum wettet er auch um seinen teuersten Schatz!« kicherte Theo seelenvergnügt. »Das ist eine Lehre für die Großen dieser Erde, daß sie ihre demütigen Untertanen nicht unterschätzen sollen!«

»Ich werd's ihm ausrichten. Ja, aber um alles in der Welt – wie lange willst du denn diese Komödie hier weiterspielen, unverantwortliches Geschöpf, das du bist?«

»Aber ich schrieb es dir doch: so lange die arme Anna krank ist –«

»Das war also kein frivoler Vorwand?«

»Na, hör mal! Ich geb' dir mein heiliges Wort, daß das arme Wurm bei meinem Entschluß ausschlaggebend war! Der Gedanke, deinem Herrn Gemahl seine Wette abzugewinnen, kam mir erst, als alles schon im Gange war. Offen gesagt: so schrecklich einfach ist die Geschichte hier immerhin nicht; man muß sich an verschiedenes doch erst sehr gewöhnen. Siehe den Drachen, der Himmel und Erde in Bewegung setzt, mich aus dem Tempel hinauszugraulen, weil er in mir eine Konkurrentin im selben Artikel fürchtet. Vater Reudnitz und Sabinchen sind aber tadellos. Pscht! Das lila Ungeheuer kommt mit deinen Rosen, und gestochen hat sie sich beim Pflücken Gott sei Dank auch, denn sie leckt sich den Finger.«

»Theo, du bist ein Scheusal! Nur rasch noch eins: Falls doch mal die Sehnsucht nach schleuniger Flucht dich erfassen sollte, dann rette dich zur alten Oberhofmeisterin nach Weißenfels. Sie ist eingeweiht –«

»Aber Elisabeth! Darum also hat sie mich bei unserer Visite so verschmitzt angeschaut!«

»Das sieht ihr ähnlich! Sie ist nämlich trotz ihres Alters und ihrer Würde zu jedem Ulk aufgelegt – oh, Fräulein von Ganting, nun haben sie sich aber wirklich der schönsten Rosen für mich beraubt!« unterbrach sich die Herzogin, indem sie aufstand und Cordula entgegenging. »Tausend Dank für Ihre Mühe und die herrliche Gabe!«

Es war ein halbes Stündchen später, als Theo sich aus ihrem Versteck herauswagte und ins Haus zurückkehrte. Der hohe Besuch war noch nicht fort; denn die beiden Hofautos standen noch wartend da. Die Halle aber war leer, und durch die offene Tür zum großen Saal drang kein Laut menschlicher Stimmen – also war die Gesellschaft noch im Garten, und Theo konnte ungesehen die Treppe hinauf in ihr Zimmer gelangen. Sie war aber noch nicht am Fuß der Stiege angelangt, als der Kammerherr von Willig aus dem Saal trat, ein Täschchen von Goldmaschen am Finger schwingend, das sie als das der Herzogin erkannte.

»Na, Gott sei Dank, da kriegt man Sie doch wenigstens noch zu sehen, angebetete Grä –«

»Pscht! Wer wird denn so leichtsinnig sein, Namen auszuposaunen!« fiel Theo ihm rasch ins Wort. »Was treiben Sie denn da drinnen ganz allein?«

»Ich holte, wie es meines Amtes ist, der Allergnädigsten ihre Tasche, die natürlich liegengeblieben war«, erwiderte er, mit dem fraglichen Objekt einen Reif schlagend. »Langer Besuch das, was? Aber der Herzog hat sich mit Reudnitz in ein technisches Gespräch vertieft, und da gibt es sobald noch kein Ende. Und Sie haben Stubenarrest gekriegt? Na, das finde ich denn doch einfach scheußlich! Das können Sie auf die Dauer wahrhaftig nicht aushalten! Wenn Sie Ihren untertänigsten Knecht eher erhört hätten, dann wären Sie nie in eine so unwürdige Lage geraten, in die Ihre Sucht für das Abenteuerliche Sie ja recht nett eingestippt hat. Sagen Sie ›Ja‹, und ich entführe Sie sofort in Auto Numero zwei, und die Hofdame kann sich von den Herrschaften mitnehmen lassen. Nichts einfacher als das!«

»Antrag Numero acht«, stellte Theo lachend fest. »Wissen Sie was, verehrter Freund und Kupferstecher? Schenken Sie sich die restlichen Anträge von den angedrohten zwei Dutzenden und setzen Sie Ihre Kräfte an der richtigen Stelle ein! Macht dieser Mensch eine Eroberung, kaum daß er sich hier im Hause in seiner ganzen Schönheit sehen läßt, und stolpert darüber hinweg, um einen Schmetterling zu fangen, für den ihm bei seiner unleugbaren Rundlichkeit doch der Pust ausgehen muß!«

»Eroberung?« wiederholte Willig verdutzt. »Ich hätte – ja, du liebe Zeit, wen kann man denn hier im Hause erobern, wenn ich fragen darf?«

»Natürlich dürfen Sie fragen, weil's doch hier von schönen Damen nur so wimmelt«, neckte Theo übermütig.

»Von schönen – na, da hört sich doch verschiedenes auf!« protestierte Willig. »Wenn Sie etwa die lila Moiré-Tante mit ihrer Gan-Erbschaft meinen, so erkläre ich das für eine persönliche Beleidigung!«

»Wär's auch –wenn ich sie gemeint hätte«, gab Theo unumwunden zu. »Aber so sind die Männer! Die voll erblühte Rose in ihrer Moirépracht fesselt allein Ihre Sinne, und das holde Veilchen sehen Sie nicht, das schmachtend zu Ihnen aufblickt. Herr von Willig, Sie sind ein furchtbar netter Mensch und, wie ich mir einbilde, mein guter, treuer Freund, aber das hindert mich nicht, Sie ins Gesicht hinein ein – blindes Huhn zu schimpfen.«

»Die voll erblühte Rose sei Ihnen des Gleichnisses wegen verziehen«, erwiderte Willig mit einem beleidigten Gesicht, das aber überwältigend komisch wirkte. »Hingegen das mit dem Veilchen – hm – das ist ein niederträchtig schlechter Witz.«

»Es ist überhaupt kein Witz, sondern eine Tatsache«, erklärte Theo ernsthaft. »Das Veilchen hat Sie gestern abend noch vor diesen meinen beiden Ohren ein – höheres Wesen genannt. Der Himmel verzeihe mir diese Indiskretion, aber was tut man nicht für seine Freunde? Man verleugnet seine ganze Natur, um Sie mit Ihrer Himmelfahrtsnase auf den Punkt zu stoßen, den Sie in Ihrer heiligen Einfalt nicht sehen.«

»Himmelfahrtsnase!!« Und das meinem griechischen Gesichtserker!« stöhnte der Kammerherr und befühlte sein allerdings stark nach oben strebendes Riechorgan; aber in seine vergnügten Äuglein war ein merkwürdig helles Leuchten gekommen. »Das ist ja einfach, um – um – ja, was denn! Ist das nun alles pure Neckerei oder –«

»Wenn's schon wahr sein soll, daß sich neckt, was sich liebt: in gewissen Dingen hört sich das ganz von selbst auf!« behauptete Theo würdevoll. »Übrigens höre ich die Autos schuckern und schnaufen, also eilen Sie zu Ihrer Pflicht, und verlieren Sie den Kopf nicht ganz beim Anblick der – lila Rose!«

Damit eilte sie die Treppe hinauf und sah noch, oben übers Geländer schauend, den Kammerherrn auf derselben Stelle stehen. »Wie verdonnert und verhagelt«, lachte sie in sich hinein. »Mag ihn der Floh im Ohr krabbeln! Das Dümmste wär's noch lange nicht: denn er ist wirklich ein seelensguter, anständiger Kerl, der Schmalzengel, dem ich ein richtiges, faustdickes Glück von Herzen gönnen würde. Nur mich nicht gerade! Aber schließlich hat er's mit mir ja auch nur höchstens zu einem Viertel im Ernst gemeint.«

Als Theo die Tür zu ihrem Zimmer etwas heftig aufstieß, rannte sie unerwartet mit Adelheid zusammen, die dadurch einen Schlag gegen die Stirn erhielt, daß ihr das Wasser aus den Augen schoß. Mit einem Schmerzenslaut fuhr sie sich mit der Linken an die hart getroffene Stelle, während sie die Rechte unter der Schürze verborgen hielt und sie auch nicht hervorzog, als sie sich an Theo vorüberdrückte.

»Was machen Sie denn hier?« erkundigte sich diese nicht ohne Mißtrauen. »Es tut mir leid, wenn ich Sie mit der Tür gestoßen habe; aber ich kann doch nicht wissen, daß Sie hier bei mir im Zimmer sind.«

»Ich habe bloß die geputzten Schuhe hereingestellt«, wimmerte Adelheid, machte aber rasch kehrt und verschwand.

»Die geputzten Schuhe hat das Hausmädchen heute früh schon hereingestellt«, dachte Theo, nicht sehr erbaut von der Begegnung. »Oder sollte ich mich irren? Na, auf alle Fälle verrichtet Adelheid Hausmädchenarbeit bei mir nicht ohne eine besondere Absicht. Herumlochern wollte sie, nichts weiter! Und was hatte sie denn unter der Schürze versteckt? Schade, daß mir das jetzt erst auffällt. Sie hat etwas unter der Schürze gehabt, was ich nicht sehen sollte. Was kann's nur gewesen sein?«

Sie ließ ihre Blicke im Zimmer umherwandern. Da sie aber nichts vermißte, die Kommode und der Schreibtisch verschlossen waren, so vergaß sie bald auf den Zwischenfall. Bald darauf kam auch Sabine zu ihr, voll von den Ereignissen des Nachmittags und besonders von der Güte der Herzogin, und konnte gar nicht genug erzählen, wie lieb und freundlich die hohe Dame zu ihr gewesen sei und sie, als Tochter des Hauses, immer auf den ersten Platz gestellt habe – und nicht Tantchen.

»Hoffentlich wird Tantchen mir das nicht übelnehmen«, schloß sie etwas zaghaft. Trotzdem war es gar nicht zu verkennen, daß die kleine Person sich »zu fühlen« begann und eine deutliche Ahnung von der Wichtigkeit ihrer Stellung im Hause bekommen hatte.

»Übelnehmen!« wiederholte Theo lachend. »Wenn sie's übelgenommen hat, kann sie doch nur die Herzogin dafür verantwortlich machen, die aber ganz genau gewußt hat, was richtig ist. Nach deinem Vater hast du doch nun einmal den ersten Platz hier im Hause, besonders, da du ja erwachsen bist, du liebes, kleines Mädelchen! Und wie war's denn mit Herrn von Willig? Hat er dir heute noch ebensogut gefallen, wie gestern?«

»Viel, viel besser noch!« versicherte Sabine mit vollster Harmlosigkeit, wurde aber dabei wieder sehr rot. »Er kommt mir vor wie – wie –«

»Wie ein höheres Wesen eben«, half Theo ernsthaft ein.

»Ja, und wie der historische Fels von Erz, auf den man Häuser bauen kann«, rief Sabine so begeistert, daß ihr die Augen leuchteten. »Wie froh bin ich, daß du, liebste Theo, mich heute noch hübscher frisiert hast. Wenn ich so scheußlich ausgesehen hätte, wie früher, dann hätte er – ich meine, hätte mich keiner für erwachsen gehalten. Daß Tantchen es auch gar nicht bemerkt hat, wie vermurkst ich ausgesehen haben muß! Herr von Willig hat gleich gesehen, daß ich anders wie gestern frisiert war, und fand's viel hübscher. Er hat mir's selbst gesagt – jetzt beim Abschied. Glaubst du, daß ich wirklich einem Mann, wie ihm, gefallen kann?« schloß sie naiv.

»Das glaube ich ganz sicher! Herr von Willig hat einen sehr guten Geschmack und ist kein Schmeichler, trotzdem er ein Hofmann ist. Überhaupt ist er ein wirklich vornehmer und durchaus zuverlässiger Mensch.«

»Oh, es freut mich, daß du es sagst! Aber – du kennst ihn doch auch nicht länger wie ich – oder doch? Weil du so sicher über ihn sprichst!«

»Na ja – ich bin eben mehr unter die Menschen gekommen, Sabinchen, und da bekommt man einen sicheren Blick für so was«, meinte Theo ernsthaft und machte damit die Tatsache, daß sie sich im Eifer »vergaloppiert« hatte, wieder wett.

»Ja, so mag es wohl sein«, gab Sabine nachdenklich zu, »Und«, fuhr sie mit neu erwachender Begeisterung fort, »er ist so lustig! Man kommt aus dem Lachen bei ihm gar nicht heraus. Ob er immer so sein mag?«

Theo war im Begriff zu versichern, daß sie ihn immer nur von der heiteren Seite gekannt hatte, besann sich aber und sagte:

»Er kommt mir vor, wie der lachende Philosoph, der allen Dingen, auch den widerwärtigen, eine heitere Seite abzugewinnen weiß. Dabei braucht man nicht immer gerade zu lachen; denn Goethe hat sehr richtig gesagt: ›Wer niemals lachen kann, der ist ein armer Mann, und nur noch ärmer ist, wer nichts als lachen kann.‹ Mir wäre ein Optimist, wie Herr von Willig einer ist – zu sein scheint –, jedenfalls lieber wie ein Pessimist, der alles durch eine schwarze Brille sieht. Das kommt natürlich aber ganz darauf an, was man selbst ist.«

»Ja, wahrscheinlich! Ach, es ist doch wunderwunderschön, daß Vater den Amönenhof gekauft hat und daß du, liebste, beste Theo, für deine arme Freundin hergekommen bist! Mir ist, als hätte ich seitdem erst angefangen zu leben!«


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