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Unten schwieg es wirklich, auch sie schwieg, es war etwas Angstschweiß, der sie überlief. Sie hatte ja wieder gelogen; wie sollte sie ins Licht des Tages sehen! Aber sie sah doch hinein. Ihre Knie hoben sich, ihre Augen wurden größer, ein Zug von Friede und Freude breitete sich um ihren Mund. Traute sie ihrem scharfen Gesicht heute nicht, daß sie die Hand noch einmal über das Auge legte? Nein, es war keine Täuschung: »Götze, Götze! Der Hans Jürgen ist da, er hat sie!« – Hans Jürgen mußte die Edelfrau auf dem Turme erkennen. Mitten auf dem Damm schwenkte er es. »Der liebe Jung, er ist geschickter, als ich dachte. Aber was ist ihm. Er könnte hurtiger laufen.« – Ehe sie hinunterstieg, schaute sie noch einmal hinaus. Aus dem Walde kamen noch andere, langsameren Schrittes. »Ist das der Ruprecht?« Sie blieb stehen; es schien ihr, als trügen sie etwas. Der Schatten des Waldes erlaubte ihr es nicht zu erkennen. Was ging es auch sie an!
Da stand schon Hans Jürgen im Hofe, als sie hinunterkam, aber was sah der Junge so blaß und verblüfft aus. Was war überhaupt vorgegangen? Das Tor war sperrweit offen. Der Dechant war auch herbeigekommen und wollte ihre Hand fassen: »Gnädige Frau, Gottes Fügungen sind wunderbar! In seinen unerforschlichen Ratschlüssen zu lesen, ist uns zwar nicht vergönnt, indessen –«
»'s ist heut ein Unglückstag«, sagte der alte Meier, und betrachtete das Blut in seiner Hand, mit der er den Sattel und den Kopf des Pferdes befühlt hatte.
»Was ist los, Kinder?« Sie hielt doch schon das verlorene Kleidungsstück, das Hans Jürgen überbrachte, in der Hand, und aus ihrer Hand war es schnell in den Erker hinaufgewandert.
»Du bist nicht daran schuld«, sagte Eva zu Hans Jürgen.
»Ach, wer das sah, und wer das hörte! Wenn er am Leben bleibt, der Kopf und der Arm sind hin.«
Wäre nicht der Dechant gewesen, es wäre niemand gewesen, der der Edelfrau Rede stehen konnte, so kraus und bunt ging's durcheinander. Die halbe Einwohnerschaft war hinausgestürzt, um zu helfen oder zu sehen.
»Er ist vom Pferd gestürzt, meine gnädige Frau. Der Herr gibt und der Herr nimmt.«
»Hans Jochem!« Die Blässe des Schrecks gewann endlich Platz auf der Burgfrau Gesicht.
»Er ist noch nicht ganz tot«, sagte der Dechant. »Es ist sogar noch Hoffnung, daß wir ihm die Sterbesakramente reichen können.«
Frau von Bredow legte mit mütterlicher Teilnahme die Hände auf die Stirn ihrer Tochter. Sie blickte sie wehmütig an und küßte ihre Stirn: »Der Mensch denkt, Gott lenkt.«
Auf einer Bahre von Tannenreisern lag der Verwundete, ein kläglicher Anblick selbst für die, welche ihn schon seit einer Stunde so gesehen. Sein Gesicht war mit Blut aufgelaufen und unkenntlich, sein linkes Bein gebrochen, sein ganzer Körper schien zerschmettert. Der Knecht Ruprecht winkte dem Bauer, mit dessen Hilfe er und Hans Jürgen den Verwundeten bisher getragen, daß er nun gehen könne. Er wartete auf frische Hilfe aus der Burg. »Meint Ihr, daß er davonkommt?« fragte der Bauer. »Wenn er leben bleibt, bleibt doch nicht viel von ihm leben«, antwortete Ruprecht. »In den Krieg kann er nicht mehr, auf die Jagd auch nicht.« »Und was ist ein Junker, der nicht aufs Pferd kann«, sagte der Bauer achselzuckend und ging.
Was Hans Jürgen nicht erzählt, erzählt der Bauer denen, die ihm entgegenkamen: wie es gewimmert und gestöhnt, als der Knecht und der Junker im Walde zurückkehrten, wie sie, der Hufspur folgend, den Verunglückten gefunden. Das scheue, zügellose Pferd, durch dick und dünn jagend, war gegen einen Baum mit seinem Reiter angerannt, hatte ihn abgeworfen und gegen einen scharfkantigen großen Stein geschleudert. Sie fanden ihn schon sprachlos in Todesängsten. Das mochte man sich selbst so auslegen, auch wenn er kein Wort gesprochen hätte; aber bei jedem Schritt wußte man mehr, und die Mägde in der Küche, die gar nicht hinausgekommen waren, wußten es ganz genau, wie es hergegangen. Da hatte Hans Jochem sich verschworen gegen die andern, er allein wollte den Krämer werfen und bis aufs Hemd ausziehen, auch wenn der Kurfürst mit allen seinen Trabanten um ihn stände. Auch so der Teufel neben ihm ritt? fragten die andern. Auch dem will ich ein Schnippchen schlagen, hatte Hans Jochem gesagt. Da, als er dem Pferde die Sporen gab, war ein schwarzer Reiter wie aus der Erde aufgeschossen und hatte sich ihm in den Weg gestellt. Mach Platz! rief Hans Jochem. Wer bist du? Der Reiter schlug das Visier auf, und die helle Lohe schlug ihm aus des Reiters grünen Augen und Rachen entgegen. Da ward sein Roß scheu, kehrte und trug ihn über Stock und Block. Und hinter ihm rief ein altes Weib: Ach, Junker, nehmt mich doch mit; ich kann meine Kiepe nicht tragen! Und vor ihm lief ein anderes Weib, die rief: Folgt mir nur, ich zeig Euch den Weg. Und das Weib hinter ihm saß bald auf dem Sattel in seinem Rücken und umklammerte ihn mit ihren Armen, daß ihm der Atem verging, und das Weib vor ihm führte ihn durch Sumpf und Brüche, und er sah ihre Laterne und konnte sie doch nicht erreichen, bis sie dort an den Teufelssteinen stillstand und die Arme ausbreitete und rief: Springt nur, Junker, ich helfe Euch runter. Und da er sich im Sattel schwang, riß ihn die andere hinab, und er fiel. Die Frauen waren verschwunden, er lag auf den scharfen Steinen, und während er vor Schmerz wimmerte, lachte es und kreischte und flatterte auf wie hundert wilde Gänse, und die Eulen heulten im Walde. So wußten es die in der Küche ganz bestimmt, und keinem hätten sie raten mögen, daß er daran zweifelte.
»Er hat geseufzt! Er lebt!« stürzte Agnes aus der Torstube, wo der Verwundete lag, und ihr Auge strahlte vor Freude der Mutter entgegen, welche, die Arme bepackt mit feinen, weichen Linnen, aus dem Wohnhaus kam. Die Linnen kamen zu spät, die Stirn war schon verbunden, kalte Wasserumschläge waren gemacht, der Schmied aus dem Dorf war auch schon da, aber er schüttelte den Kopf; was hier zu tun war, ging über seine Kunst.
»Ach, lieber Himmel, daß mir das nicht gleich einfiel«, rief die Edelfrau. »Schnell zu Pferd einer nach Altenbrandenburg, er soll die Sporen nicht scheuen, zum Meister Hildebrand!«
Sie sah sich um nach einem guten Reiter. Auch das war schon besorgt. Der Bote ritt seit einer Viertelstunde.
»Dechant, das ist brav von Euch, daß Ihr daran gedacht.«
Der Dechant blickte abwehrend auf Agnes: »Das liebe Kind denkt und waltet, als wär sie schon eine barmherzige Schwester. Da wird des Himmels Segen nicht ausbleiben.«
»Agnes, du! Ach, heilige Mutter, mir fällt ein, der Hildebrand wird nicht in der Stadt sein. Reit einer nach, er ist –«
»Beim Vetter in Golzow«, fiel Agnes ein. »Er reitet auch über Golzow. Erst wenn er ihn nicht findet, soll er nach Brandenburg.«
»Wen habt Ihr hingeschickt?« fragte die Frau.
»Hans Jürgen«, sagte leis Eva zur Mutter.
Die wiegte etwas den Kopf: »Der Junge wird auch müde sein. 's schadet aber nichts. Ein Nußbaum, der tragen soll, muß früh geschlagen werden. Die Vettern waren sich nimmer sehr gut. Schon als Kinder lagen sie sich in den Haaren. Nun, wenn der eine – der bessere«, entfuhr es ihr, aber sie unterdrückte die Stimme – »wenn der dran glauben muß, dann hat der andere den Trost, daß er ihm zuletzt noch einen Liebesdienst getan. Mehr kann am End keiner sagen, daß er für die anderen tat. Wir sind alle Kinder des Staubes, wir müssen alle unter die Erde.«
Sie wischte mit dem kleinen Finger eine Träne aus dem Auge, Eva weinte laut, und Agnes weinte still. Da war das Zeichen gegeben. Wenn die Herrschaft weinte, durfte die Dienerschaft auch, es war sogar ihre Schuldigkeit, weinen. Sie weinten nicht still, sie schluchzten laut, sie drängten, ihre Schürzen am Aug, nach der Torstube, den lieben jungen Herrn zu sehen, sie schrien auf, wenn sie ihn sahen, und heulend stürzten sie fort, bis es durch das ganze Haus und die Burg ein Geheul war um den Junker, der ein so lieber, schöner Herr gewesen, und nun war er ein Krüppel, eine halbe Leiche, schlimmer als eine Leiche. Und wieviel gute Eigenschaften und Vorzüge kamen da an dem grauen Tage von einem zutage, von dem sie bis da garnicht gesprochen, und wenn es geschah, schalten sie ihn einen eitlen Tunichtgut.
Herr Gottfried hatte derweil seine Biersuppe mit Ingwer und Pfeffer und dem schwimmenden Eierschaum drauf getrunken. Er strich sich, als er allmählich warm ward, behaglich die Seiten und sah auch mit Befriedigung, wie der Knecht Kasper die große Schüssel mit Buchweizenbrei auftrug, deren glatt gewordene Oberhaut schön geädert war mit kleinen Seen und Flüssen und Kanälen von brauner Butter und Zimmet. Dabei lächelte der Burgherr wohlgefällig, denn die Zimmetbüchse holte seine Ehefrau nur bei absonderlichen Festtagen aus dem Schranke: »'s ist doch ein gut Weib!« brummte er und sah auch mit Vergnügen auf die Schüsseln mit Honig und Käse und den Ochsenschinken, der jetzt hereingetragen ward. Zuviel für einen Mann hätte es einem andern gedünkt, der auch hungrig war, aber nur seit gestern. Herr Gottfried hatte seit einer Woche keinen Bissen über die Lippen gebracht, und dieser Gedanke schien jetzt zum vollen Bewußtsein des Hungers zu werden. Er maß die Schüsseln, und auf seinem Gesichte strahlte immer mehr Friede; aber mit dem Frieden stimmten die Klagetöne draußen wenig.
»Ist also gefallen?« fragte Herr von Bredow.
»Und gestürzt«, sagte der Knecht.
»Ja, ja, das kommt davon«, sagte Herr von Bredow und schnitt tief in den Schinken ein.
»Und hat sich Schaden getan«, sagte der Knecht.
»Durch Schaden wird man klug. Fiel auch mal vom Pferd. Ist's der Hans Jochem oder der Hans Jürgen?«
»'s ist ein Unglückstag heut«, sagte der Meier.
»Ein Unglückstag!« wiederholte Herr von Bredow und schien darüber nachzudenken, indem er einen zweiten Teller mit Buchweizenbrei füllte und wie verwundert zusah, daß es noch immer dampfte. »Was haben wir denn heut, Kasper?«
»Sonntag nach Gallus, Gestrenger. Die Gänse sind schon geschlachtet.«
»Die Martinigänse! – Ist's die Möglichkeit! »rief Herr von Bredow und setzte den Messergriff auf den Tisch. »Der arme Hans Jochem! Jemine, schon die Martinigänse. – Das geht jetzt alles – Einer will's dem andern zuvortun. Da kommt's denn! – Ein Bein gebrochen hat er!«
»Aber der Herr Dechant wird ihm die Sakramente reichen.«
»Sakramente!« – Ein neuer Gedanke schien in der chaotischen Wüste seines Kopfes sich durchzuarbeiten. – »Sakramente! Dann geht's wohl auf die Letzt.«
»'s ist aber nach dem Wundarzt geschickt. Der muß bald da sein. Sonst kommt er zu spät.«
»Zu spät!« Ein zweiter Gedanke brach durch. Der Ritter legte Messer und Löffel fort: »Kasper, meinst du, daß es gut ist, daß ich zum Hans Jochem gehe? Er kann doch nicht zu mir kommen!«
»Freilich, das kann er nicht, gestrenger Herr, aber –«
»'s ist heut ein Unglückstag«, wiederholte der Meier. »'s täte wohl besser, gestrenger Herr«, sagte der Knecht, »wenn Ihr erst frühstücktet. Das Unglück kommt immer zu früh noch, und Ihr könnt dem Junker nicht helfen. Aber der Junker kann Euch schaden. Herzeleid auf leeren Magen tut nimmer gut. Wer morgens ordentlich frühstückt, der sammelt seine Gedanken und kann was vertragen. Mancher Mann, der nüchtern ausritt und wollte alles tun, tat nichts und fiel gar in Unmacht.«
Da nickte Herr von Bredow mit voller Beistimmung dem verständigen Knecht zu und tat, wie er ihm riet. Und der Rat erwies sich als gut, denn je mehr sich der Magen füllte, um so mehr schien in dem großen Körper die zerstörte Ordnung sich wiederherzustellen, und auch die Gedanken sammelten und lichteten sich im Kopfe.
Da wischte er mit dem Tuche den Mund, richtete sich im Stuhle auf und sprach: »Der arme Hans Jochem! – daß es grade der Hans Jochem sein muß.«
»Das hab ich auch gesagt, gestrenger Herr! Grade der Hans Jochem. Und er war so lustig allezeit.«
»Wenn's Hans Jürgen wäre –«
»Dann wär's nicht Hans Jochem, das hab ich auch gedacht, gestrenger Herr.«
»Aber das kommt davon.«
»Ja gewiß, Gestrenger!«
»Wer nicht hören will, muß fühlen. Wollen alles besser wissen, die jungen Leute. Reiten, das will gelernt sein. Was ist das für 'ne neue Mode! Die Diener sollen jetzt hinter dem Herrn reiten. Die jungen Fante in Brandenburg und Berlin! Wozu ist ein Diener, als daß er seinen Herrn meldet! Darum reitet er vorauf. Tut mir doch leid um den Hans Jochem. Hatte den Jungen lieb.« –