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1724-1730.
Die Ziegelhütte des Joseph Vallet war in der Landschaft Bresse weit umher berühmt. Niemand brannte so harte, feste, wohlgeformte Ziegel, die das volle Maß hielten, als Joseph Vallet. Wer baute, kaufte und bestellte nur bei ihm; er wartete lieber mit dem Bau, bis wieder in Vallet's Ziegelei Vorrath war, als daß er zu andern Brennern ging.
Joseph Vallet befand sich bei diesem wohlverdienten Rufe sehr wohl. Aus dem Geschrei der andern Ziegelbrenner in der Nachbarschaft machte er sich nichts. Sie konnten seine Ziegel nicht verreden. Sie hetzten ihm die Grundbesitzer, die Edelleute auf den Hals. Joseph war aber nicht der Mann, der sich von Cabalen und Processen niederdrücken ließ. Gegen die außergerichtlichen Ränke wußte er sich außergerichtlich selbst Recht zu schaffen. Er nahm es mit seinem Manne auf, und die Bildung eines Ziegelbrenners pflegt nicht verweichlicht zu sein. Vor Gericht aber wußte er ebenfalls zu bestehen, da seine Sachen gerecht waren, und es ihm nicht an Gelde fehlte, seinen Advocaten zu bezahlen.
Aber er hatte in dem königlichen Fiscal Frillet einen bösen Feind, der selbst alle Künste vor Gericht verstand, daher schwer in Processen zu besiegen war. Ueberdies, und das soll der Grund seiner Feindschaft gewesen sein, besaß er auch eine Ziegelhütte, wo nicht so gute Ziegel, als in der Vallet'schen gebrannt wurden, und welche daher oft zum Feiern genöthigt war. Frillet war ein gefährlicher Feind; er wußte seine selbstischen Absichten unter dem Schein des thätigen Eifers für das allgemeine Wohl zu verbergen.
Vallet hatte im Jahre 1705 schwer empfinden müssen, ein wie hartnäckiger und schleichender Gegner dieser rechtsgelehrte Rival in der Ziegelbrennerei war. Er war drauf und dran gewesen, in einen sehr ärgerlichen Criminalproceß verwickelt zu werden, den Frillet anschürte, und war nur durch die zu deutlich ihm zu Gunsten redenden Umstände davon gekommen.
Eines Nachmittages war er mit zwei andern Landleuten aus der Vesper von Priay gekommen. Ihnen begegnete Antoine Duplex, der so betrunken war, daß er nicht mehr stehen konnte. Er antwortete kaum auf das ihm gebotene: Guten Abend! und seine Nase blutete stark. Vallet wollte mit seinen beiden Gefährten den Trunkenen, der vermuthlich gefallen war, nach Hause begleiten, als noch zwei andere Männer dazukamen, welche eben desselben Weges gingen, als der Betrunkene, und sich seiner annahmen. Sie brachten ihn, nachdem sie ihm das Blut abgetrocknet, in seine Wohnung.
Duplex hatte seinen Rausch in einer Nacht ausgeschlafen und ging am folgenden Tage an seine gewöhnliche Arbeit. Drei Tage war er beim Pfarrer von Priay in dessen Weinberge beschäftigt und ging am Abend des dritten mit Vallet, welcher auch dort in Arbeit gewesen, nach seiner Wohnung zurück. In der Finsterniß fiel er in eine mit Schlamm und Wasser angefüllte Grube.
Da er vom Gehen erhitzt gewesen, befiel ihn, obwol er sich gleich wieder herausgearbeitet hatte, ein starker Frost. Er klagte schon unterwegs darüber zu Vallet. Zu Hause ward er noch kränker, mußte sich ins Bett legen und fühlte sich am Morgen so gelähmt, daß er nicht wieder aufstehen konnte. Ein Nachfieber stellte sich ein, und Antoine Duplex starb nach einigen Tagen.
Das Gerücht verbreitete sich, Joseph Vallet sei an seinem Tode Schuld. Der Fiscal Frillet hinterbrachte dem Criminalrichter Ravet die Nachricht: Antoine Duplex sei vor einigen Tagen auf dem Heimwege mit Joseph Vallet und Pierre Blondel in Streit gerathen. Beide hätten ihn hart geschlagen, daß er geblutet. Vermuthlich habe das mehr zu seinem Tode beigetragen, als die Erkältung. Er trug darauf an, eine Untersuchung darüber anzustellen.
Zunächst wurde die Witwe Antoine Duplex' vernommen. Sie wußte weder etwas von Händeln, welche ihr verstorbener Mann mit den Beiden gehabt, noch von Schlägen, die er von ihnen erhalten hätte. Er habe sich auch nicht mit einem Worte beklagt, daß er von Blondel oder Vallet übel behandelt worden. Was sie von seiner Krankheit wisse, sei, daß er sich auf dem Rückweg von Priay erkältet. Er war in eine nasse Grube gefallen, darüber klagte er; nachher kam Fieber und Seitenstechen hinzu und daran starb er.
Wer sollte bessere Auskunft über die Krankheit und die Todesursach des Verstorbenen geben, als die Witwe, und wer hatte mehr Grund, wenn ein Verdacht des Mordes vorlag, ihn auszusprechen als sie? Dennoch wurden mehre Zeugen vernommen; Alle aber bestätigten die Aussage der Witwe. Claude Maurice, ein Landmann, welcher an jenem Abende mit Joseph Vallet und Pierre Blondel dem Betrunkenen begegnet war, erzählte die Geschichte grade so, wie wir sie wissen. Auch hatte er am nächstfolgenden Tage den Duplex gefragt: Ob ihn denn Jemand geschlagen habe, wovon die Nase blutig geworden? Duplex hatte es verneint. Auch wußte der Zeuge bestimmt, daß derselbe schon am folgenden Tage im Weinberge von Priay, und zwar drei Tage hintereinander, unverdrossen gearbeitet habe.
Beide Angeklagte wurden, wie sich das von selbst versteht, darauf freigesprochen; aber, was wir nicht begreifen, dessen ungeachtet in die Gerichtskosten verurtheilt.
Frillet war mit diesem Urtheil keinesweges zufrieden, vielmehr tadelte er den Richter öffentlich, beschuldigte ihn, er sei von Vallet bestochen worden und machte Ravet so vielen Verdruß, daß derselbe sich endlich bewogen fühlte, sein Amt niederzulegen.
Man ersieht daraus, daß Frillet ein gefährlicher und zugleich ein einflußreicher Mann war. Wenn er es durchaus auf Vallet's Verderben abgesehen, so darf man sich nur darüber wundern, daß er den Vorsatz so lange bei sich behalten und so viele Jahre darüber hingehen ließ, ehe er die Gelegenheit dazu fand.
Es war im Jahre 1724 am 19. Februar, als zwei Männer aus der Gegend den Vorsatz gefaßt, sich recht gütlich zu thun. Joseph Sevos und Antoine Pin waren Leute, die sich lieber herumtrieben, als arbeiteten. Heute hatten sie den ganzen Tag ausdrücklich dazu bestimmt, zu trinken, und zogen deshalb aus einem Weinhause in das andere. Am nächstfolgenden Tage waren Beide verschwunden.
Von Antoine Pin erfuhr man nachher, daß er nach Dombes gegangen, dort sich anwerben lassen und beim Regiment von Sarre Dienste genommen habe.
Von Joseph Sevos aber hatte man gar keine Spur. Er hatte sein nothdürftiges Auskommen, besaß sogar ein kleines Eigenthum, und bis auf den mäßigen Hang zum Nichtsthun wußte man ihm nichts Nachtheiliges nachzusagen. Man fand also keine Ursach, weshalb er plötzlich hätte entweichen sollen. Die Vermuthung war, daß ihm irgend ein Unglück zugestoßen sei, und seine Nachbarn hielten dafür, daß er ermordet worden, obgleich Niemand angeben konnte, weshalb.
Die Vermuthung gewann eine bestimmte Farbe, wenn man alle Umstände zusammenhielt. Sevos war den ganzen 19. Februar über mit Pin zusammengesehen worden. Pin's Entfernung nach Dombes sah einer Flucht ähnlich. Er stand im Rufe, nicht allein ein Taugenichts zu sein, sondern auch in dem eines ausgemachten Schurken, von dem man sich der schlimmsten Dinge gewärtigen könne. Zudem hatte man von Drohungen gehört, welche er früher gegen Sevos ausgestoßen. Also verbreitete sich in der ganzen Gegend das Gerücht: Antoine Pin hat den Joseph Sevos umgebracht.
So urtheilte das Volk. Aber die Verständigern hatten manche begründete Zweifel dagegen. Aus Pin's Flucht folgerte noch nicht, daß er den Sevos ermordet. Wenn er ein Mörder war, so würde er, wenigstens mit seinem Namen ganz verschwunden sein, und jedenfalls sich einen sicherern Zufluchtsort gewählt haben, als einen, von dem er durch richterliche Requisition nicht unschwer abgelangt werden konnte. Dombes gehörte zwar damals noch nicht zu Frankreich, aber es war kein Zweifel, daß die dortigen Behörden in einer Criminaluntersuchung auf einfache richterliche Anschreiben einen des Mordes bezüchtigten, gemeinen Verbrecher sofort ausgeliefert hätten. Weil Pin in schlimmem Rufe stand, konnte man ihn deshalb aller in der Gegend vorgefallenen Verbrechen bezüchtigen? Der Umstand, daß er den ganzen 19. mit Sevos in Weinhäusern gelegen, erschien als kein Indicium, daß er mit der Absicht umgegangen, ihm das Leben zu nehmen. Ferner wo war das corpus delicti? Mußte Sevos ermordet sein? Konnte er nicht auch Gründe gehabt haben, zu verschwinden, so gut wie Pin, die man nicht wußte?
So urtheilten Verständigere im Gegensatz zu dem Gerücht, das unter dem Volke umlief. So richtig die letztern Fragen sind, welche die Verständigern aufwarfen, möchten unsere Gerichte ihnen doch in den vorangehenden Schlußfolgerungen nicht beistimmen. Nach dem tatsächlich Feststehenden haftete, wenigstens was Sevos' unmotivirtes Verschwinden anlangt, ein solcher Verdacht auf Pin, daß man, hinzunehmend, daß Pin ein Mann war, zu dem man sich einer schlimmen That versehen konnte, eine Vernehmung desselben als erste Pflicht für die Gerichte erschien, der sie aber nicht nachkamen.
Inzwischen nämlich war ein neues Gerücht entstanden. Leute behaupteten, man habe an dem Tage, wo Sevos verschwunden war, in den Gesichtern der Familie Vallet eine Unruhe und Bestürzung bemerkt, welche einen ganz besondern Anlaß müßten gehabt haben. Andere sagten, sie hätten gehört: die Vallet's wären die eigentlichen Mörder, noch Andere sprachen davon, als wären sie Augenzeugen einer gräßlichen That gewesen.
Das Gerücht ging wie Lauffeuer durch die ganze Gegend. Der Fiscal Frillet setzte sich in Bewegung, untersuchen zu lassen, ob Sevos wirklich ermordet sei, und von wem? Am 19. August 1724 reichte er bei den Gerichten eine Anzeige ein des Inhalts: »Daß Joseph Sevos, der noch Sonnabend am 19. Februar bei Joseph Vallet gegessen und getrunken habe, von der Zeit an plötzlich verschwunden sei. Dem Gerücht zufolge sei er in Vallet's Ziegelhütte ermordet, und beim Ofenloche verscharrt, nachher aber wieder ausgegraben und im Ziegelofen verbrannt worden.«
Die Untersuchung, auf welche der Fiscal antrug, wurde sofort von dem Richter zu Pont d'Ains, Herrn Ravier, eingeleitet und mit Vernehmung der Zeugen vorgeschritten.
Der Zeuge Vaudan sagte aus: »In der Nacht des neunzehnten Februars sei er nach Mastalion gegangen, und ungefähr drei oder vier Stunden vor Tage bei Vallet's Hause vorbeigekommen. Da habe er in diesem Hause ein starkes Getöse gehört und deutlich vernommen, daß Jemand geschrieen: Helft, helft, ich will Alles bekennen, erbarmet Euch meiner, nur diesmal Vergebung! Diese Worte hätte der Bittende zwei oder dreimal wiederholt. Joseph Vallet, den er ganz genau an der Stimme erkannt, habe darauf versetzt: »Da ist nichts mehr zu bekennen, du mußt fort.« Hierüber sei er, Zeuge, sehr erschrocken, und habe sich hinter einen Busch verkrochen, wo er ganz deutlich gehört habe, daß auf den Schreienden stark zugeschlagen werde. Kurz darauf sei es stille im Hause geworden, und da habe er gesehen, daß Joseph Vallet nebst seiner Frau und Kindern einen todten Körper aus dem Hause getragen, ihn in der Ziegelhütte beim Ofenloch eingegraben, und das Loch mit Holze ganz überdeckt hätten. Drei oder vier Tage nachher, habe er sich unter einem Vorwande zu Vallet in die Ziegelhütte begeben, um zu sehen, ob er die Spur von dem Loche bemerken könne, er habe aber wahrgenommen, daß der Leichnam von da weggebracht sein müsse, und in der Folge habe er gehört, der Erschlagene sei Joseph Sevos gewesen, und die Vallets hatten den Körper am Charfreitage in ihrem Ziegelofen verbrannt.«
Es fanden sich auch wirklich mehre Zeugen, welche versicherten, sie hätten am verwichenen Charfreitage – einige, als sie nahe an Vallet's Ziegelhütte vorbeigegangen wären, andere, während sie nahe dabei auf ihren Feldern gearbeitet – bemerkt, daß aus Vallet's Ziegelofen ein Gestank gekommen wäre, als ob frisches Fleisch oder ein Körper verbrannt würde. Man hätte diesen Gestank über eine Viertelmeile weit gerochen, und er sei so unerträglich gewesen, daß man es dabei nicht habe aushalten können, und daß Mehre, die nahe dabei im Felde gewesen wären, sich genöthigt gefunden hätten, ihre Ochsen auszuspannen und heimzukehren, um diesem häßlichen Gestanke zu entgehen.
Noch mehre andere Zeugen wurden abgehört, die aber alle nur von Vaudan selbst ihre Kunde hatten. Der Richter verfügte hierauf die Verhaftnahme der ganzen Vallet'schen Familie. Sie wurde mit äußerster Härte, wie es bei einem so abscheulichen Verbrechen sich wol rechtfertigen läßt, vollzogen. Eine Brigade der Marechaussée begab sich mit einer Anzahl Büttel und müßigen Volkes nach der Ziegelhütte und die ganze Familie ward mit vielem Geräusch aufgehoben und nach dem Schlosse zu Pont d'Ains abgeführt.
Der alte Vallet war krank. Ein heftiges Fieber schüttelte seine Glieder. Dennoch ließ ihm Frillet Fesseln an die Füße und Handschellen anlegen, durch welche eine eiserne Stange ging, die 35 Pfund wog. Der Fiscal lachte, als das Gewicht der Kette den schwachen Mann zu Boden warf. Damit nicht zufrieden, ließ er ihn sogar in ein unterirdisches Loch werfen, gegen die ausdrückliche Bestimmung der Gesetze, welche für kranke Gefangene ein leidliches Gefängniß verordnen. (Daß diese Verordnung in Frankreich nicht immer beobachtet wurde, sehen wir aus dem Fall des Herrn von Anglade; freilich vierzig Jahre früher!) Auch Vallet's Frau, Anna Privoux, ward mit Handschellen belegt, obwol es damals ungewöhnlich war, Frauen mit Fesseln zu beschweren.
Von den Grausamkeiten, gegen die Familie verübt, theilt uns Pitaval noch Vieles mit, was wir in Kürze hier nur andeuten. Auch die beiden Söhne, Philipp und Pierre, wurden mit für ihr Alter zu schweren Fesseln belegt. Jener lag in einem feuchten Loch, wo ihm Hände und Füße gelähmt wurden. Diesem, einem vierzehnjährigen Knaben, wurden die Hände so zusammengeschraubt, daß er ineinemfort vor Schmerzen schrie, bis man endlich nach vierzehn Tagen sich in die Nothwendigkeit gesetzt sah, ihm die Handeisen abzunehmen. Der alte Vallet schrie nach Wasser, weil der Fieberdurst ihn furchtbar quälte. Statt ihm einen Trunk zu reichen, verstopfte man das einzige Luftloch in seinem Gefängniß, damit die Vorübergehenden das Geschrei nicht hören sollten. Die Verwandten und Freunde, die den Gefangenen Erquickungen bringen wollten, wurden nicht hereingelassen, und selbst der Geistliche, der ihm mit dem Trost der Religion beistehen wollte, wurde abgewiesen.
Damit war das Maß der Leiden des alten Mannes in seinem vorläufigen Gefängniß noch nicht erfüllt. Ein Haufen Ameisen fand sich in seinem Loche ein. Sie krochen im Schlaf und Wachen auf seinen Leib, und lösten sich truppweise ab, um ihn zu stechen und sein Blut auszusaugen. Seine zusammengeschlossenen Hände hinderten ihn, sich dieser unermüdlichen Feinde zu erwehren. Sein Körper ward daher nach und nach eine Wunde. Als er später in das Parlamentsgefängniß zu Dijon gebracht wurde, konnte man ihn kaum heilen.
Trotz der bestimmten, furchtbaren Aussage des Zeugen Vaudan wollte aber doch die Untersuchung nicht recht vorwärts, denn so viel andere Zeugen der Fiscal auch noch aufstellte, ergab sich bei näherm Befragen doch immer, daß sie nur nach Hörensagen berichteten, und das allgemeine Gerücht war die alleinige Quelle ihres Wissens. Frillet brachte nun, zur Vervollständigung des Protestes, die alte Geschichte von Antoine Duplex von 1705 wieder mit hinein.
Derselbe Zeuge Claude Maurice, welcher damals für Vallet ein so vortheilhaftes Zeugniß ausgestellt hatte, sprach jetzt unerwartet ganz anders: »Als er vor achtzehn Jahren einst in einer Schenke gesessen und getrunken habe, wäre auf einmal, einige Schritte von dem Hause, ein Geschrei entstanden, und man hätte einen Menschen um Hülfe rufen hören. Er und mehre Anwesende waren hinausgelaufen, und da er zuerst auf dem Platze angekommen sei, habe er gesehen, daß Joseph Vallet den Antoine Duplex unter sich gehabt und ihn heftig geschlagen habe. Die beiden Brüder Blondel hätten auch dabei gestanden, und dem Vallet zugerufen: er solle ihn nun gehen lassen, er hätte ihm genug gegeben; allein Vallet habe das Zuschlagen immer fortgesetzt, und dabei gesagt: nein, ich muß ihm den Rest geben. Einige Tage nach diesen empfangenen Schlägen sei Duplex gestorben.«
Beim zweiten Verhör fügte er noch hinzu: »Joseph Vallet und die Gebrüder Blondel hätten nach des Duplex Tode der Witwe Geld gegeben, daß sie nicht wider sie klagen solle, auch hätten sie den damaligen Richter Ravet bestochen, daß er die ganze Sache unterdrücken solle, und daher sei es gekommen, daß die Zeugen jener Zeit nicht gehörig vernommen wären.«
Als die Vallet'sche Familie in Verhaft genommen wurde, hatte man weder eine Inventur Dessen, was sich im Hause fand, aufgenommen, noch eine sichere Person als Administrator zurückgelassen, ja nicht einmal das Haus verschlossen. Es blieb elf Tage über leer und offen stehen. Das Gesindel aus der Nachbarschaft wußte die Nachlässigkeit des Richters wohl zu benutzen, und trug fort, was ihm gefiel. Erst nach diesen elf Tagen fiel es dem Fiscal ein, diese Nachlässigkeit wieder gut zu machen, und er foderte die Gerichte auf, eine gerichtliche Inventur aufzunehmen und dabei nachzusuchen, ob man nicht von den Kleidungsstücken des Ermordeten etwas auffinden könne, was zur vollständigen Ueberführung der halsstarrig leugnenden Bösewichter anleiten würde.
Erst am 16. September ward das verlassene Haus durchsucht, und man fand zwar keine Kleider des ermordeten Sevos, aber Alles, was von Werth war, geplündert. Aus einem großen, hölzernen Kasten war der Boden ausgeschlagen, und die darin befindlich gewesenen Kleider, Wäsche und das Silberzeug gestohlen worden. Wahrscheinlich hatten in demselben Kasten auch die Kleider des verbrannten Sevos gelegen, und man vernahm deshalb Joseph Vallet's Schwester, Francisca. Diese gestand auch, sie habe zwei Päckchen von Kleidern und Wäsche, die ihrem Bruder und seiner Familie gehört, in der Scheune unterm Stroh verborgen, um das wenigstens vor den Dieben zu retten, welche Alles, was im Hause war, fast offen fortgetragen hätten. Fremde Kleidungsstücke seien jedoch nicht im Kasten gewesen. Francisca Vallet mußte die geretteten Päckchen herbeischaffen, aus denen sich aber nichts erweisen ließ, und wurde außerdem in die Unkosten des Verfahrens und in zwölf Livres Strafe verurtheilt!
Indessen gab es viele Leute, welche mit der ganzen Art des Verfahrens unzufrieden waren. Sie meinten, die Vallets könnten doch unschuldig, oder minder schuldig sein, als man sie mache. Der eigentliche Hauptthäter sei aber aller Wahrscheinlichkeit nach der gottlose Antoine Pin, und es sei schändlich und unverzeihlich, daß man diesen in Ruhe lasse. Der Fall hatte schon großes Aufsehen erregt; man sprach davon in Paris, er war bis an den Hof gekommen. Man wollte die Wahrheit wissen und verordnete eine strenge Untersuchung. Es ward nach Dombes geschrieben und Antoine Pin ward verhaftet und nach Pont d'Ains ins Gefängniß gebracht.
Hier legte der Vagabund gleich beim ersten Verhör ein ganz freimüthiges Geständniß ab, wie man es nur erwarten können: Er sagte, er wisse so vollkommen wie nur Einer um den Mord des armen Sevos, und es solle ihn nichts hindern, die ganze, unverfälschte Wahrheit auszusagen: »In der Nacht des neunzehnten Februars 1724, hätten er, Sevos und Joseph Vallet, mit einander in des Letztern Hause getrunken. Sie hätten ungefähr zwei Stunden nach Mitternacht noch beisammen gesessen, als Sevos, dem der Wein in den Kopf gestiegen, dem Vallet den Vorwurf gemacht, daß er den Antoine Duplex ums Leben gebracht habe. Vallet sei darüber in den heftigsten Zorn gerathen, habe eine auf dem Tische stehende große zinnerne Kanne ergriffen und damit dem Sevos einen Schlag an den Kopf gegeben, daß er sogleich rückwärts niedergestürzt sei und geschrieen habe: »»Ach Barmherzigkeit, Barmherzigkeit! nehmt alle mein Geld und schenkt mir nur das Leben.«« Aber Vallet habe versetzt: »»Was Barmherzigkeit!«« und nun sei das Schlagen erst recht losgegangen. Vallet's Frau habe eine große Feuerschaufel ergriffen, und mit dieser dem liegenden und schon verwundeten Sevos heftige Schläge versetzt. Auch Philipp Vallet habe mit zugeschlagen, bis Sevos endlich unter ihren Händen verschieden sei. Pierre Vallet habe vor der Hausthür Schildwache gestanden, um zu sehen, ob nicht etwa Jemand vorbeiginge. Als Vallet gemerkt, daß Sevos todt sei, habe er ihn, Pin, nöthigen wollen, auch mit zuzuschlagen, vermuthlich in der Absicht, daß er nicht wider ihn zeugen solle, allein er habe es schlechterdings nicht gethan. Hierauf hätte Vallet mit den Seinigen den todten Körper angefaßt und in die Ziegelhütte getragen, wo sie ihn unfern des Ofenlochs niedergelegt und mit Holz ganz bedeckt hätten. Hier wäre der Leichnam bis zur heiligen Woche liegen geblieben; dann aber hätten sie ihn wieder hervorgezogen und im Ziegelofen verbrannt. Daß dies geschehen sei, wisse er daher, weil er am Charfreitage sich in Vallet's Ziegelhütte befunden, einen aus dem Ofen kommenden unausstehlichen Geruch bemerkt und verbrannte Knochen im Ofen gesehen habe. Uebrigens wäre er oft von Joseph Vallet bedroht worden, daß, wenn er nur ein Wort von Sevos' Ermordung über seine Zunge bringen würde, es ihm eben so gehen solle. Zu andern Zeiten hatte Vallet sehr schön mit ihm gethan, ihm Wein im Ueberfluß und Geld dazu gegeben, damit er schweigen solle.«
Diese Aussage stimmte in merkwürdiger Weise mit der des Zeugen Vaudan überein, und wenn gleich das corpus delicti fehlte, so war doch dessen Nichtdasein in der Geschichte des Verbrechens selbst bedingt, indem der Leichnam ja in dem Feuer der Ziegelhütte verbrannt worden, und die Angabe ward durch den notorischen Umstand verstärkt, daß Sevos seit jener Nacht spurlos und ohne alle Ursach verschwunden war und blieb.
Die Vallet's leugneten aber nach wie vor und beriefen sich dabei auf zwei Umstände, welche den Verdacht auf einen Andern werfen und die Unmöglichkeit darthun sollten, daß Sevos auf die angegebene Art umgebracht sei.
Nach ihrer Angabe habe man, am Morgen, nachdem Sevos verschwunden, in seinem Bette, am Kopfkissen, am Betttuch, und auch am Boden der Kammer Spuren von Blut bemerkt. Er sei daher in seinem Bett, also in seinem Hause, ermordet worden. Dies könne dort Niemand anders, als Antoine Pin gethan haben.
Zweitens aber sei ihr Sohn, Pierre Vallet, der nach Pin's Erzählung so hülfreich beim Morde war, in der Nacht vom 19. Februar gar nicht in der Hütte gewesen. Er habe vielmehr diese Nacht bei einem Schulmeister in Poncin, wo er in Pension war, zugebracht, und dort in einem Bette zwischen zweien seiner Mitschüler geschlafen.
Pitaval sagt uns, daß die Gerichte auf diese Erinnerung gar nicht eingingen! Sie erklärten, daß Vallet der mehr als dringende Verdacht der Ermordung treffe, indem er durch die directe Aussage zweier Zeugen überführt sei. Es genüge daher nicht, daß er andere Verdachtgründe aufstelle, vielmehr sei es an ihm, daß er, um sich zu reinigen, den vollständigen Beweis führe, daß Antoine Pin allein den Mord vollbracht habe. Das vermochte Joseph Vallet nicht, und der Fiscal Frillet trug darauf an, ihn nach den vorhandenen Beweisen der That für überwiesen zu erklären und ihn, den Vater, mit dem Strange zu bestrafen, die Frau und die Söhne aber, um ihr Geständniß zu erpressen, auf die Folter zu bringen.
Das Gericht von Pint d'Ains erkannte aber am 9. Mai 1725 dahin: »Daß, weil Joseph Vallet, seine Frau und Söhne Das, was sie hätten erweisen sollen, nicht erwiesen, sie insgesammt mit der ordentlichen und außerordentlichen Folter zu belegen wären, um dadurch zum Geständniß des Mordes gebracht zu werden.«
Mit, dieser Sentenz war Frillet nicht zufrieden, weil sie einstweilen dem Ziegelbrenner noch das Leben schenkte. Er, seinerseits, appellirte daher gegen dieselbe an das Parlament zu Dijon. Die Acten wurden dahingeschickt, und die Familie Vallet in das Parlamentsgefängniß abgeführt. Das Volk aus der Gegend begleitete sie mit Schimpfreden und allem erdenklichen Hohn.
Das Parlament von Dijon nahm sich der Sache ernsthafter und mit weniger Voreingenommenheit an. Daß Joseph Vallet und seine Familie bei dem Morde betheiligt seien, war ihm nach den Aussagen der Zeugen und aus mehren andern Indicien außer Zweifel; aber der Verdacht der Hauptthäterschaft ruhte, nach Ansicht des Parlamentes, auf Antoine Pin, welcher von dem vorigen Richter nur als Zeuge vernommen war. Wider ihn sprach sein notorisch übler Ruf, seine verdächtige Flucht, verschiedene auf seine Sicherheit abzielende Bedingungen, welche er sich beim Eintritt in das Regiment stipuliren lassen, mancherlei Widersprüche in seiner Aussage und diese Aussage selbst, welche ihn wenigstens als einen Mitwisser bei der Mordthat und einen Zuschauer derselben darstellte, der sie nicht verhindert, sondern auch nachher geschwiegen, und dann ohne erheblichen Grund sich auf und davon gemacht hatte.
Es ward eine Konfrontation zwischen ihm und Joseph Vallet verordnet. Zwar ergab sich aus derselben nichts Erhebliches, doch traten die gegen Antoine Pin sprechenden Verdachtsgründe in noch mehr Stücken heraus, dergestalt, daß die Untersuchung auch gegen ihn eröffnet und auf die vorläufige Folter erkannt wurde, um aus seinem Munde ein richtiges Bekenntniß über den Mord des Joseph Sevos und eine genaue Anzeige seiner Mitschuldigen zu erhalten.
Antoine Pin saß in einem Kerker mit einem andern Gefangenen, welcher bereits die Folter ausgestanden hatte, ohne zu gestehen. Dieser schilderte ihm die Qualen als nicht so groß, daß man sie nicht mit Anstrengung und Muth überstehen sollte, wo es die Rettung des Lebens gelte. Sein Muth machte ihm Muth. Antoine Pin war gesund und von starkem Körperbau. Er legte sich getrost auf das Qualenbett und blieb unter den Schrauben und den Hämmern bei seiner ersten Aussage. Ja er entsann sich unter den Martern noch eines neuen Umstandes: daß Joseph Vallet ihn mit einem Louisdor bestochen habe, an jenem Tage den Joseph Sevos in sein Haus zu locken.
Vallet und seine Familie schienen nun verloren. Das Zeugniß, welches Antoine Pin unter den Qualen der Folter abgelegt, war um so bedeutsamer, als er sich durch die letzte Angabe selbst einer strafbaren Theilnahme an dem Verbrechen bezüchtigte.
Aber es trat einer jener Falle ein, die bei gemeinen Verbrechern zwar selten, dennoch vorkommen und unsern Glauben an die unmittelbare Einwirkung einer höhern Macht auf das Gemüth des Menschen, auch des verhärtetsten, wo er schwach wird, wieder erheben. Antoine Pin hatte mit frecher Verstocktheit die Qualen der Folter ausgehalten. Kaum aber war er in sein Gefängniß zurückgebracht, als andere, innere Folterqualen sich seiner bemächtigten. Er sah vor sich das Schicksal der Familie Vallet, ein Schauder und eine niegekannte Rührung ergriff ihn, und nachdem ihn die Nachschmerzen der Folter und die Stimme des Gewissens die ganze Nacht durch nicht schlafen gelassen, bat er am Morgen flehentlich, daß eine Gerichtsperson zu ihm ins Gefängniß abgeordnet werde, der er ein freies, vollständiges Bekenntniß ablegen wolle.
Der Referent des Processes, Herr de Vormes selbst, begab sich zu ihm, und Antoine Pin widerrief vor ihm Alles, was er auf der Marterbank ausgesagt, wogegen er Folgendes bekannte.
Sein Leben war eine Reihe wüster verbrecherischer Thaten. Im Mai des Jahres 1722 hatte er ein Mal auf der Straße den jungen Philipp Vallet (vermuthlich von ihm unerkannt) angefallen und ihn seines Geldes und seiner Kleider beraubt. Sevos hatte damals hinter einem Busche diesen Straßenraub mit angesehen; ob aus Zufall oder als stillschweigender Begünstiger, wird nicht gesagt. Später aber hatte Sevos sich mehrmals gegen Pin verlauten lassen, er könne ihn, wenn er wolle, aufs Rad bringen.
Sevos unterließ zwar die Anzeige; Antoine Pin war aber in beständiger Sorge vor diesem Mitwisser, und der Gedanke arbeitete unaufhörlich in ihm, einen für ihn so gefährlichen Menschen bei erster Gelegenheit aus der Welt zu schaffen.
Am 19. Februar 1724 traf er mit ihm in Joseph Vallet's Hause zusammen. Sie tranken und schwatzten miteinander. Auch Sevos liebte das Umhertreiben, das Plaudern in Schenken und den Wein. Nach vier Stunden wechselten sie ihren Aufenthalt. Sevos ging zur Frau Fleury und Pin folgte ihm dahin. Hier tranken sie wieder bis Abends um sieben Uhr. Alsdann gingen sie in die Dumoulin'sche Schenke, wo sie bis nach Mitternacht tranken.
Hier zeigte Sevos in der Trunkenheit prahlerisch einen Beutel mit Silbergeld vor. Er mochte ungefähr vierzig Thaler enthalten. In Antoine Pin stieg nun der Gedanke auf, ihn noch in dieser Nacht umzubringen, um sich des Mitwissers zu entledigen und zugleich einen so hübschen Gewinn zu machen.
In der Absicht begleitete er Sevos, der schon schwach auf den Füßen sein mochte, nach seinem Hause zurück. Hier kam ihnen in den Sinn, daß sie zwar viel getrunken, aber noch nichts gegessen hätten. Sevos war auch sehr bereit, etwas zu essen, hatte aber auch kein Stück Brot zu Hause. Pin ging deshalb fort, traf einen unfern Wohnenden, Michel Morel noch wachend, und brachte Brot mit. Zugleich aber hatte er sich in das Haus seines Vaters geschlichen und dort ein kleines Beil geholt. Er hielt es unter seinem Rocke versteckt, als er zu Sevos zurückkehrte.
Diesen fand er indessen mehr zum Schlafen als zum Essen aufgelegt. Sevos bat ihn, er möchte die Nacht bei ihm zubringen. Als derselbe nun im Begriff stand, ins Bett zu steigen, gab ihm Antoine Pin mit dem Beile von hinten einen Schlag auf den Kopf. »Ach, mein Gott, ich sterbe!« rief der Getroffene und stürzte nieder ohne noch einen Laut auszustoßen, oder sich weiter zu regen.
Antoine Pin nahm ihm nun sein Geld ab; den noch warmen Körper lud er auf die Schultern und trug ihn in den Stall, wo er ihn mit Mist zudeckte. Da er einsah, daß es für ihn nicht gerathen sei, hier zu bleiben, indem die Entdeckung des Mordes unmittelbar erfolgen dürfte, so entfloh er nach Dombes und ließ sich dort als Soldat anwerben. Indessen that er zuvor, was er in dem Augenblick konnte, um die sichtlichsten Spuren des Mordes zu verwischen. Er rieb und wusch das Blut vom Bette und vom Fußboden fort und streute Kleie darauf.
Seinen eignen Quersack, der auch mit Blut besprützt war, vergaß er aber beim Weggehen. Er bemerkte dies um deshalb, weil er gehört, daß einige Tage später der Castellan von Varembon ins Haus gekommen sei, die Spuren des Blutes gesehen und auch erklärt habe, der Quersack gehöre dem Antoine Pin.
Uebrigens betheuerte er, bei der Ermordung des Sevos ganz allein gewesen zu sein und weder einen Mithelfer noch Mitwisser zu haben. Die Familie Vallet sei unschuldig wie ein Kind an der Mordthat. Das könne er so gewiß sagen, als er hoffe von Gott Vergebung für seine Sünden zu erlangen.
Auf die Frage: wie er denn dazu gekommen, die Vallets als Mörder anzugeben, antwortete er: er sei wol schon, als man ihn nach Pont d'Ains transportirte, entschlossen gewesen, die Wahrheit zu bekennen. Dort habe ihm aber der Stockmeister immer vorgesagt, die Vallets hätten ja in allen Verhören den Verdacht des Mordes auf ihn zu bringen gesucht; nun solle er es ihnen vergelten, und sie als Mörder des Sevos angeben, was sie doch wären, wie alle Welt wisse. Da wäre er dann andern Sinnes geworden.
Zugleich sagte er, der erste Zeuge, Vaudan, der durch seine Aussage die Vallets ins Unglück gestürzt, sei ein durchaus schlechter Kerl. Der sei zu Allem fähig, und sein ganzes Zeugniß wäre falsch. Geheimnißvoll warf er dann hin: Vaudan sei durch eine hübsche Summe Geldes dazu erkauft worden, und wenn man ihn nur erst bei den Ohren erfasse, werde man dem ganzen Complott auf die Sprünge kommen.
Bei dieser Aussage blieb Antoine Pin in allen Verhören.
Nach unsern Rechtsbegriffen wäre es nun die erste Aufgabe der Gerichte gewesen, der Wahrheit dieser Aussage weiter nachzuforschen und die Untersuchung mit neuen Kräften aufzunehmen. Das Princip des vorläufigen Aufräumens hat aber von je an im französischen Criminalproceß vorgewaltet. Man wollte mit einzelnen Verbrechern fertig werden, um Raum und Zeit für andere zu gewinnen. Hier hatte man einen vollkommen geständigen Verbrecher, und es war kein vernünftiger Grund vorhanden, an der Wahrheit einer Aussage zu zweifeln, welche ihn selbst auf das Rad brachte. Das Parlament beeilte sich daher, Antoine Pin am 3. Juli zu verurtheilen: daß er an Beinen, Schenkeln und Armen gerädert und alsdann noch lebend, das Gesicht gegen den Himmel gekehrt, auf das Rad geflochten werden solle.
Antoine Pin bewies sich aufrichtig und standhaft in seiner Buße. Er hatte nur noch eine Bitte, daß man die Vallets zu ihm bringen möge, sein Gewissen dränge ihn, denselben Abbitte zu thun. Es ward ihm gewährt. Die ganze unglückliche Familie erschien in seinem Gefängniß. In tiefster Zerknirschung warf er sich ihnen zu Füßen, umfaßte ihre Kniee, benetzte sie mit seinen Thränen und bat sie tausendmal um Vergebung. Es geschah mit den Zeichen der schmerzhaftesten Reue, so daß man von seiner Aufrichtigkeit sich vollkommen überzeugt hielt, und der ruchlose Bösewicht noch einen gewissen Antheil von Mitleid auf seinem letzten Wege mitnahm.
Er blieb auf diesem Wege standhaft. Auch auf dem Schaffot wiederholte er noch einmal sein Bekenntniß vor dem Parlaments-Actuar, und erlitt mit einer musterhaften Geduld seine entsetzliche Strafe. Noch auf dem Rade rief er: »Herr vergieb mir mein falsches Zeugniß. Die Vallets sind unschuldig! Ich bitte flehentlich, daß Antoine Vaudan in Verhaft genommen wird. Er ist ein falscher Zeuge. Da wird man's herausbringen, wer ihm Geld gegeben hat, damit er falsch Zeugniß abstatten sollte.«
So starb Antoine Pin.
Der ältere französische Criminalproceß hat, wie wir in vielen Beispielen darthaten, für unsere Rechtsbegriffe so viel Unbegreifliches, daß wir uns auch über diese rasche Abschlachtung eines geständigen Verbrechers nicht verwundern können, ohne daß vorher eine Untersuchung über den Thatbestand des Verbrechens, welches sich nunmehr ganz geändert, stattgefunden hatte. Der Parlamentscommissair Flutelet ward erst am Tage nach der Hinrichtung fortgeschickt, um den Körper des Ermordeten Sevos aufzusuchen!
Aber auch jetzt erst erhielt derselbe Commissair den Auftrag, den verdächtigen Zeugen Antoine Vaudan zu verhaften, die Untersuchung gegen ihn zu eröffnen, und sämmtliche seit der ersten Untersuchung geschriebene Acten, besonders aber das über die erste Nachsuchung in Sevos' Hause geführte Protokoll zu genauster Prüfung sich vorlegen zu lassen. Wenn Antoine Vaudan ein falscher Zeuge war, so hatte man sich durch Antoine Pin's eilige Hinrichtung des einzigen Zeugen beraubt und zugleich des Anklägers. Wie moralisch gewichtig seine Aussage unter den Martern des Todes war, so dunkel und unbestimmt war sie, und man hatte sich selbst des Mittels begeben, durch eine Confrontation ein näheres Licht hineinzubringen.
Das ungerechte, voreingenommene Verfahren des ersten Richters ist zwar außer Zweifel gesetzt durch Antoine Pin's Geständniß; dennoch begreift man kaum, wie ein Richter in irgend einem civilisirten Lande die Spuren so ganz außer Acht lassen konnte, welche schon damals auf das Haus des Sevos selbst, als die eigentliche Stätte der Mordthat leiteten, zumal da eine Art Voruntersuchung deshalb durch den Castellan von Varembon schon geführt worden zu sein scheint. Jetzt kam die Untersuchung viel zu spät. Das Bette war fort, die Blutspuren verwischt, und wie man auch unter dem Mist im Stalle und in der Erde wühlte und grub, so fand man doch keinen ermordeten Körper und auch nicht die Spuren von verwitterten Gebeinen.
Vaudan aber wurde verhaftet. Er erschien nicht wie ein Mann, der mit gutem Gewissen die schweren Anklagen auf sich nehmen kann. Man beachtete mehre verdächtige Zuflüsterungen. Claude Maurice, welcher über Duplex' Tod ein so verdächtiges Zeugniß abgegeben, drängte sich an ihn und zischelte ihm ins Ohr: er möge sich ja nicht widersprechen, sondern muthig bei seiner vorigen Aussage bleiben. Wenn er sich nicht einschüchtern lasse, solle es ihm nicht an Gelde fehlen.
Ein gewisser Torillon, Vaudan's Oheim, suchte ihm ebenfalls Muth einzusprechen und gab ihm zu verstehen, wenn er standhaft verharre, werde ihm das nicht unbelohnt bleiben.
Noch am selben Tage verhört, blieb Vaudan standhaft bei seiner ersten Aussage: die Vallet's seien die Mörder des Sevos gewesen. Was er gehört, habe er gehört und es sei wahr. Nebenbei gestand er aber ganz freiwillig, gleichsam, um durch diese Nachgiebigkeit sich beim Richter Glauben zu verschaffen, daß er einem Antoine Valencel, bei dem er als Knecht in Diensten gestanden, drei Ochsen und ein Füllen gestohlen habe. Seine Glaubwürdigkeit konnte danach nicht wachsen.
Der Commissarius ging mit einer löblichen Aufmerksamkeit zu Werke und richtete seine Blicke nach allen Seiten, auch dahin, wo keiner der Betheiligten sie gelenkt hatte. Er fand in den ihm ausgelieferten Untersuchungsacten der Gerichte, von Pont d'Ains Vieles ausradirt, mehre Abänderungen und Zusätze, die offenbar nicht von der Hand des Actuars gemacht waren, auch verschiedene wichtige Registraturen, wo eine Unterschrift fehlte. Dies führte ihn auf einen Verdacht, welchen bisher noch Niemand auszusprechen gewagt und der dem Proceß eine ganz neue Wendung gab, nämlich daß der Fiscal Frillet auf eine ganz andere Art in die Sache verwickelt sei, als sein Amt ihm gebot.
Er richtete darauf die Untersuchung mit aller Strenge und das Resultat war: Alle wider die Familie Vallet aufgetretenen Zeugen waren entweder Betrüger und vorsätzlich falsche Zeugen oder Betrogene, die man durch List zum Zeugniß gebracht hatte. Es wurde ihm zur Ueberzeugung, daß Frillet nicht allein absichtlich aus den unreinsten Motiven gegen die Vallet's die Untersuchung eingeleitet, sondern auch alle andere Anzeigen, die zu ihren Gunsten hatten sprechen können, hinterlistig unterdrückt habe. So ergab sich jetzt, daß nicht nur mehre Personen nach Sevos Verschwinden in dessen Hause gewesen und die Spuren von Blut am Bette und auf dem Fußboden gesehen hatten, sondern der Pfarrer und der Castellan von Varembon hatten auch dem Fiscal Frillet davon gerichtliche Anzeige gemacht. Noch mehr des kaum Glaublichen: noch jetzt fand sich das Mordinstrument, mit welchem Antoine Pin wahrscheinlich, den Sevos erschlagen, sein kleines Beil, in dem Sevos'schen Hause, und noch jetzt bemerkte man deutliche Blutspuren daran!
Auch die alten Untersuchungsacten wegen eines angeblichen an Antoine Duplex verübten Todtschlages wurden wieder aufgenommen, aus denen sich unbezweifelt ergab, daß derselbe eines natürlichen Todes gestorben und Claude Maurice erstes Zeugniß das richtige sei. Maurice wurde auch in Verhaft genommen, und mit Vaudan confrontirt, jedoch ohne ein Ergebniß. Beide wurden in das Parlamentsgefängniß von Dijon gebracht.
Hier wehte eine andere Luft. Dieselben Schauer, welche Antoine Pin vorhin in den Mauern des Parlamentsgefängnisses ergriffen, bemächtigten sich auch des Zeugen Vaudan. Freiwillig bekannte er, daß er gegen die Familie Vallet ein falsches Zeugniß abgelegt, und daß er sich dazu mit Claude Maurice verabredet. Der Gerichtsdiener, welcher ihn damals zum Zeugenverhör abgeholt, habe ihm zugleich befohlen, nachher zum Fiscal Frillet zu gehen, um diesem von Allem, was er ausgesagt, Nachricht zu bringen. Er zeigte die innigste Reue über sein Verbrechen und seine Bosheit, und wie Antoine Pin erbat er es sich als Gnade, die unschuldige Familie, die er ins Verderben gestürzt, fußfällig um Verzeihung bitten zu dürfen.
Wieder hatte das Parlament von Dijon einen geständigen Verbrecher, wieder beeilte es sich, ihm den Proceß zu machen und ihn aus dem großen Proceß und aus der Welt zugleich fortschaffen zu lassen, um Platz für Andere zu gewinnen.
Am 5. October 1725 erging das Urtheil wider ihn: daß er, mit der Aufschrift auf der Brust: falscher Zeuge und Hausdieb, auf den Richtplatz geführt und durch den Strang hingerichtet werden sollte. Zuvor aber solle er auf die Folter gebracht werden, um seine Mitschuldigen zu bekennen.
Vaudan überstand die Folterqualen ohne mehr zu bekennen. Aber noch unterm Galgen bekräftigte er sein Geständniß in der Hauptsache und betete für die Familie Vallet. Er starb wie das Urtheil es ausgesprochen.
Am 12. October verordnete das Parlament hierauf, daß Claude Maurice auf die Folter gebracht werde, um ein Geständniß seiner Missethaten zu erhalten. Die Schmerzen des Marterbettes wirkten auf ihn, wie man nur wünschen konnte. Er bekannte, was man bis da nur geahnet und kaum Einer sich selbst deutlich auszusprechen gewagt hatte: Frillet, der königliche Fiscal, sei der Urheber der ganzen, wider die Familie Vallet angesponnenen Cabale. Frillet habe ihm gesagt, man müsse jetzt die Geschichte des Duplex wieder in Bewegung setzen und dreist behaupten, Joseph Vallet habe ihn ermordet. Der damalige Criminalrichter Ravet aber sei bestochen worden, um die Untersuchung zu unterdrücken. Um deswillen habe ihn Frillet aufgefodert, jetzt das grade Gegentheil von Dem zu behaupten, was er im Jahre 1705 ausgesagt. Anfänglich habe er sich gegen diese Zumuthung gesträubt; aber Frillet habe ihn gar zu listig überredet und gar nicht in Ruhe gelassen. Einmal habe er ihm gedroht und dann ihm große Belohnungen versprochen. Endlich habe er sich verführen lassen, wol zumeist aus Furcht vor dem Herrn Fiscal, der ein so gewaltiger Herr sei. Zu Helfershelfern habe Herr Frillet noch zwei Andere gehabt, den Antoine Torillon, Vaudan's Oheim, und den Förster Joseph Mallet, die sich außerordentliche Mühe gegeben, Zeugen, wie ihr Herr sie gebraucht, aufzutreiben und abzurichten.
Man hatte kaum dieses Bekenntniß, das die Folterquälen ihm erpreßt, als man auch schon am folgenden Tage (13. October) sich beeilte, das Urtheil gegen ihn zu fällen, welches auf den Strang lautete und sofort vollstreckt wurde. Auch Maurice blieb noch unter dem Galgen bei seiner Angabe. Er klagte nur über Frillet, als den einzigen Urheber seines Unglücks, und bat die Vallet's auch dort um ihre Verzeihung und Fürbitte.
Drei Personen waren nun hingerichtet, einer wegen einer geständigen Mordthat, und zwei wegen geständigen falschen Zeugnisses und Meineids. Und doch waren diese drei Personen, wenn ihre Aussagen in der Wahrheit begründet waren, nur die minder schuldigen, wenigstens nicht die Urheber des zum Grunde liegenden abscheulichen Verbrechens. Der Fiscal Frillet ging noch immer frei umher, er war nicht einmal in Anklagestand versetzt. Fast könnte es den Anschein gewinnen, als hätte man nicht Hand an ihn legen wollen, und deshalb die Ankläger und Zeugen wider ihn so hastig aus der Welt geschafft, wenn nicht der Erfolg die Vermuthung widerlegte und wir aus andern französischen Processen bereits wüßten, wie es bei verwickelten Untersuchungen herkömmlich ist, mit den vorläufigen Hinrichtungen zu verfahren, um die Gefängnisse aufzuräumen.
Frillet ging noch am 13. October frei umher, und noch am 13. October saß die Familie Vallet in der Parlamentshaft!! So lange hatte diese unglückliche Familie, durch die schwärzeste Cabale an den Rand des Verderbens geführt, und in ihren Glücksumständen ruinirt, in den Gefängnissen zugebracht, ohne die entfernteste Schuld an einem Verbrechen zu haben, welches allein der Neid habsüchtiger Nachbarn ausgesonnen hatte. Noch im Gefängniß, nachdem drei Blutzeugen in allen Qualen, auch der letzten, für ihre Unschuld gezeugt hatten, und nachdem die Gerichte den letzten derselben, außer der Todesstrafe, zu einer Buße von 500 Livres zum Besten der verleumdeten Familie, verurtheilt hatten! Das war Alles, was bis da zu ihren Gunsten geschehen. Erst jetzt wurden sie von der wider sie erhobenen Anklage völlig losgesprochen und auf freien Fuß gestellt.
Erst am Tage nach der Hinrichtung ward nun auch der Verhaftsbefehl gegen den bisherigen königlichen Fiscal Frillet erlassen. Zugleich sollten auch der Förster Joseph Mallet, in Diensten des Herrn von Varembon, und Antoine Torillon, Bediente bei demselben, arretirt und in das Parlamentsgefängniß von Dijon abgeliefert werden. Aber Frillet hatte Wind von der Sache erhalten und sich hinüber in das Savoyen'sche geflüchtet. Auch Torillon und Mallet, gelang es ihm, über die Grenze zu schaffen. Er fand in einem Kloster ein Asyl, wohin die Hand der Gerechtigkeit nicht reichte.
Die Sache, für die schon drei Opfer gefallen, schien damit zu ruhen. Die Vallets waren wieder, nach so viel traurig Erlebtem, im Besitz ihrer Ziegelhütte und gingen ihrem Geschäfte nach. In der Grafschaft athmete man freier auf, seit der sehr gefürchtete Fiscal Frillet fort war, und die Sache mochte in Vergessenheit gerathen.
Da kam einst, nach mehren Jahren, Joseph Vallet's Sohn, der junge Pierre Vallet, in die Stadt Bourg. Hier begegnete er auf dem Markte einem Manne, vor dessen Anblick er zurückfuhr wie vor der Erscheinung eines Gespenstes. Er nahm sich zusammen und sah ihn fester an; aber je fester er sah, um so unsicherer wurde er. Wie eingewurzelt in den Boden, mit aufgerissenen Augen und den Mund halb geöffnet, stand Pierre, und verrieth in Mienen und Geberden Staunen und Entsetzen.
Der Mann, dessen Anblick ihm diese Schrecken einjagte, verschwand aber nicht wie ein Luftgebilde, noch entfloh er vor dem jungen Menschen, in dessen Blicken nichts sonderlich Freundliches sich abspiegelte; vielmehr ging er lächelnd nach einer Weile auf ihn los und reichte ihm die Hand. Eine wohlbekannte Stimme sprach: »Erschrick nur nicht. Ich bin der leibhafte Joseph Sevos; aber ich bitte Dich, mach mir keinen Verdruß.«
Es kostete einige Zeit bis der junge Pierre Vallet sich sammeln und zur Besinnung kommen konnte. Und mit der Besinnung erwachten immer wieder neue Zweifel, ob es denn möglich, daß ein Mensch noch leben könne, der von Antoine Pin ermordet worden, dessen Ermordung dieser Pin selbst eingestanden und für die er, bußfertig, auf dem Rade gebüßt hatte. Der Mann mit den unverkennbaren Zügen des todten Joseph Sevos blieb aber eine Wirklichkeit und seine Reden ließen keine Täuschung mehr zu. Noch mehre Leute aus Pierre Vallet's Geburtsort, welche zufällig zugegen waren, ja darunter Verwandte von ihm, erkannten ihn mit dem höchsten Erstaunen wieder.
Sobald Pierre Vallet sich davon überzeugt hatte, daß er es mit keinem Geiste eines Abgeschiedenen, sondern mit einem wahrhaftigen Menschen zu thun habe, faßte er ihn kräftig beim Arme und nöthigte ihn, alles Widerstrebens ungeachtet, mit ihm vor den Richter des Orts zu treten, bei dem er darauf bestand, daß er den Sevos und zur Sicherheit ihn selbst auch gefangen setze, bis ein Befehl des Parlaments eingegangen sei.
Auf Antrag Joseph Vallet, des Vaters, erging nun, am 4. Januar 1730, ein Parlamentsbefehl an den Criminallieutenant zu Bourg, den Joseph Sevos über seine Identität und die Gründe zu vernehmen, weshalb er so lange vom Hause fortgeblieben sei und sich so lange versteckt gehalten habe? Sevos antwortete ausweichend und zurückhaltend, auch verwickelte er sich in Widersprüche. Das Parlament vermuthete, daß auch hier eine geheime Bosheit, oder gar ein Verbrechen verborgen sei, und ließ, um selbst mit ihm das Verhör vorzunehmen, den Gefangenen nach Dijon in sein Gefängniß bringen.
Auch hier blieb Sevos zurückhaltend. Erst als man ihm drohte, mit strengeren Mitteln seine Zunge zu lösen, kam er mit der Sprache heraus. Seine Erzählung stimmte bis auf einen gewissen Zeitpunkt, fast wörtlich mit der des hingerichteten Antoine Pin und bekräftigte also die Wahrhaftigkeit des bußfertig gestorbenen Sünders.
Er, Sevos, hatte mit Antoine Pin den ganzen 19. Februar 1724 mit lüderlichem Trinken in den Schenken verbracht. Pin war endlich, spät in der Nacht, mit ihm in sein Haus gekommen, um dort zu schlafen. In dem Augenblick aber, wo er, Sevos, ins Bett steigen wollen, hatte er einen Schlag auf den Kopf von hinten erhalten. »Mein Gott, ich sterbe!« waren seine letzten Worte gewesen, als er betäubt niedersank. Als er sich nicht regte, mußte der Mörder ihn für todt halten. Pin beraubte ihn nun der vierzig Thaler, die er bei sich trug und schleppte ihn in den Stall. Sevos kam bald wieder zum Bewußtsein. Als er merkte, daß Pin das Haus verlassen hatte, verschloß er eiligst die Thüre, aus Furcht, noch einmal ermordet zu werden. Die Wunde am Kopfe blutete stark, schien aber nicht gefährlich. Er hielt sie während der noch übrigen Nacht mit altem Zeuche und seinen beiden Händen zu, um das Blut zu stillen, und verband sie, so gut er konnte, als der Lag graute.
Antoine Pin hatte physisch den Sevos todtschlagen wollen, aber es nicht ausgeführt; dagegen hatte er ihn moralisch vollkommen umgebracht. Seiner hatte sich vor dem furchtbaren Menschen ein solcher Schrecken bemächtigt, daß er sich den ganzen folgenden Tag über nicht getraute aus dem Hause zu gehen. Der Erschlagene fürchtete sich noch immer vor dem Mörder. Ja er blieb zwei ganze Tage in seinem Hause eingeschlossen und gab kein Lebenszeichen von sich.
Erst am dritten Tage schlich er sich in der Morgendämmerung zum königlichen Fiscal Frillet nach Varembon und zeigte ihm den Vorfall mit allen seinen Umständen an. Frillet hörte ihm aufmerksam zu, sann darauf einige Augenblicke nach und sagte ihm: »Was kannst Du dem Pin anhaben? Er ist ein Bösewicht, der nichts zu verlieren hat und daher Alles wagen kann. Wenn er erfährt, daß Du noch lebst und ihn gerichtlich verfolgen willst, so stellt er Dir heimlich nach und bringt Dich um, wo ihm gerade der Ort gelegen scheint. Wenn ich Dir rathen sollte als Freund, so mache keinen Lärm von der Sache. Laß Dich vielmehr vor keinem Menschen sehen; sondern stiehl Dich fort von hier, so weit Dich Deine Füße tragen.«
Sevos hatte vollkommen genug an dem ein Mal ermordet sein, und eine unheimliche Scheu vor dem Gedanken, daß es wiederholt werden könne. Alles, was der kluge, beredte und mächtige Herr Frillet ihm sagte, hatte Hand und Fuß. Antoine Pin war ein so verwogener Bösewicht, daß sich Niemand denselben gern zum Feinde machte und selbst die Justiz sich ungern mit ihm befaßte. Ein Messer konnte ihm beim nächsten einsamen Nachhausewege entgegenblitzen, und die Gerechtigkeit, die kaum zu Hause war, wenn man sie in ihrer Wohnung aufsuchte, streckte dem Angegriffenen, wie er sah, nicht von selbst den Arm entgegen. Kurz Sevos entschloß sich, den Mord zu vollenden, den Pin angefangen hatte, und sich bürgerlich todt zu machen, indem er schnell und heimlich in die Fremde entwich und sich dort umhertrieb, bis der Zufall ihn endlich wieder nach dem Städtchen Bourg führte, wo Pierre Vallet ihn faßte.
Bei dieser Aussage blieb er in allen Verhören stehen. Dennoch schien es, als laste noch mehr auf seiner Brust, was indeß der Richter aus ihm herauszubringen nicht vermochte. Die Vermuthung war nämlich sehr stark dafür, daß Frillet einen Mann, der sich so schwach gezeigt, daß er aus Einschüchterung seine Existenz aufgab, auch noch weiter zu seinem Werkzeuge gebraucht habe, und daß Sevos wahrscheinlich für eine ihm ausgesetzte Belohnung die Rolle des Todten gespielt hatte. Das er Letzteres nicht eingestehen wollte, hatte seinen natürlichen Grund in der Furcht, als Theilnehmer an einem Complott bestraft zu werden; mehr vielleicht noch in der Angst vor dem einflußreichen Fiscal, eine Angst, welche, wie die Folge zeigte, nicht so ganz ohne Berechnung war.
Inzwischen war die Nachricht kaum verbreitet, daß Joseph Sevos noch lebe und in Verhaft nach Dijon gebracht worden, als Frillet aus seinem Versteck in Savoyen zurückkehrte, sich öffentlich zeigte, über himmelschreiendes Unrecht und schändliche Cabale klagte, und beim königlichen Conseil eine umständliche Klagschrift wider das Parlament von Dijon einreichte, worin er dasselbe eines unüberlegten, ungerechten Verfahrens beschuldigte, da es einen Mann als Mörder habe rädern lassen, obgleich der Ermordete noch lebe. Zugleich gründete er auf dies unverzeihliche Benehmen die Rechtfertigung für sein eigenes Verfahren und erschöpfte sich in listigen Wendungen, um seine Unschuld, gegenüber der augenfälligen Schuld des Parlaments, ins Licht zu stellen.
Auch in Paris war Frillet nicht ohne Einfluß. Das Conseil ließ dem Parlamente die Acten abfodern. Aber die Beweise von Frillet's schandvollem und verbrecherischen Benehmen waren allzu überzeugend. Durch ein Schreiben vom 30. Mai 1730 ward dem Parlamente von Dijon abermals die strenge Untersuchung gegen den Fiscal übertragen.
Er wurde, während er schon auf die nachgesuchte Abolition mit Sicherheit hoffte, verhaftet, aufs schärfste verhört und mit den noch lebenden Zeugen confrontirt. Noch mehre Gehülfen seiner Cabalen wurden bei diesem Verfahren entdeckt, als Cothien, Castellan zu Varembon, der Richter Flechon und Bardot Bardolet, ein Bediente des Herrn von Varembon. Die beiden Ersteren flüchteten sich, der Letztere wurde arretirt. Auch ein Gerichtsdiener Seyzeriat, der die falschen Zeugen abgerichtet hatte, wurde in Verhaft und zur Untersuchung gezogen. Von dieser letzteren theilt uns indeß Pitaval nicht mehr mit, als das Urtheil. Frillet's Straffälligkeit leuchtet übrigens aus den angeführten Thatsachen, wenn wir diese als erwiesen hinnehmen, deutlich genug hervor. Während der Untersuchung starb Joseph Sevos im Gefängniß; dem allgemeinen Dafürhalten nach sehr zum Vortheil Frillet's, da er möglicher Weise noch mehr zu seinen Ungunsten hätte bekennen dürfen.
Dem ungeachtet fällte das Parlament am 7. August 1730 dahin ein Urtheil: daß Frillet, als vollkommen überwiesen, nur aus Haß die Anklage gegen Joseph Vallet und dessen Familie, wegen eines angeblich an Duplex und Sevos verübten Mordes veranlaßt und wider besseres Wissen weitergeführt zu haben, mit dem Strange hinzurichten und sein Vermögen einzuziehen sei, nach Abzug von 8000 Livres, die als Entschädigung und Schmerzensgeld der Familie Vallet zugesprochen wurden.
Neun Stunden, von sieben Uhr Morgens bis vier Uhr Nachmittags, hatte das Parlament versammelt gesessen, bis dieses Urtheil zu Stande kam. Ganz Dijon war an dem Tage in Bewegung. Jedermann erwartete mit Spannung den Ausgang, Jeder hoffte, daß das Urtheil die Gegend von einem verkappten Ungeheuer befreien und es ein warnendes Beispiel sein werde, um viele andere kleine Tyrannen, die ihre Amtsmacht zur Unterdrückung ihrer Untergebenen misbrauchten, abzuschrecken. Als der Spruch bekannt wurde, der auf den Tod lautete, schien Jedermann freier Athem zu schöpfen. Der Weg vom Gefängnisse bis zum Gerichtsplatz war mit Menschen bedeckt, alle Fenster waren besetzt. Alles schien mit Sehnsucht die Todesstrafe eines solchen schwarzen Verbrechers zu erwarten.
Ihre Erwartung wurde getäuscht. Frillet's Einfluß erstreckte sich nicht allein auf die Mächtigen in seiner Provinz, er mußte auch Fäden und Canäle gefunden haben, die bis an den Thron reichten. Wider Aller Erwarten erschien plötzlich der Generalprocurator im Parlamente und überreichte dem ersten Präsidenten de la Marre einen Brief vom königlichen Kanzler des Inhalts: Seine Majestät hätten sich Frillet's Sache speciell vortragen lassen, und darauf befohlen, daß, wenn das Urtheil ihm eine Lebensstrafe zuerkenne, mit der Vollziehung, bis auf weiteren Befehl, Anstand genommen werden solle.
Gegen die Form dieses Befehls war Mancherlei einzuwenden. Er war weder direkt an das Parlament gerichtet, noch von einem Staatssecretair contrasignirt; er hatte also formell nicht die Gültigkeit eines unmittelbaren königlichen Befehls. Das Parlament war zweifelhaft, ob es demselben zu gehorchen habe; doch entschied sich die Mehrzahl der Stimmen dahin, daß man, aus Ehrfurcht gegen die Willensmeinung des Königs, über die Form weggehen dürfe.
Füllet ward nicht hingerichtet. Das Publicum war sehr unzufrieden. Es wagte aber kaum, diese Unzufriedenheit zu äußern; denn wenn ein solcher Justizmörder durch Gunst den Händen der strafenden Gerechtigkeit entzogen wurde, wer sollte sich dann noch sicher fühlen? Der Verbrecher erhielt in demselben Augenblick die Nachricht von seiner Verurteilung und vom Aufschub seiner Strafe. Er faltete die Hände und antwortete, wie er gewohnt war, mit einem frommen Spruche: »Darüber freue ich mich, was Ihr mir meldet; ich werde eingehen in das Haus des Herrn!«
Das umgeänderte, nunmehr königliche Urtheil hieß ihn nicht in das Haus des Herrn, sondern in die Verbannung gehen. Er ward, statt zum Tode, zu einer zehnjährigen Landesverweisung verurtheilt; doch sollte er die der Familie Vallet zuerkannte Strafe zahlen. Ein anderer Richter stieß auch das königliche Urtheil um. Im Augenblicke, wo er aus dem Gefängnisse entlassen werden sollte, um über die Grenze gewiesen zu werden, starb er eines plötzlichen Todes.
Von seinen untergeordneten Helfershelfern wurden Einige zum Strange, Andere zur Galeere verurtheilt. Ihre Verbindungen reichten nicht bis zum Throne; sie mußten ihre volle Strafe abbüßen.
So endete ein Criminalfall, der an wunderbaren Verwickelungen keinem der bisher erzählten nachsteht, auch von dem nächstfolgenden des Herrn de la Pivardiere kaum erreicht wird, und in seinen überraschenden Wendungen eher einem Märchen als einer wahrhaften Geschichte gleicht.