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Am 25. Juni 1836 gegen 5 Uhr Nachmittags sah man einen jungen Mann von etwa 26 Jahren auf dem Carrouselplatze in Paris in der Nähe des Triumphbogens umherspazieren. Er schien auf Jemand mit lebhafter Ungeduld zu warten. Um sich die Zeit zu vertreiben, knüpfte er mit den Schildwachen Gespräche an.
In der Hand trug er einen schwarzen Stock, den er immer in der Mitte anfaßte, ohne die Spitze auf das Pflaster zu setzen.
Darüber mochte eine Stunde verstrichen sein, als man im Hofe der Tuilerien die Wagen rollen hörte. Der König, der damals sein Schloß Neuilly bewohnte, kehrte, nachdem er einige Stunden in den Tuilerien verbracht, dahin zurück.
In demselben Augenblicke brach der junge Mann schroff und kurz sein Gespräch ab, verließ den Carrouselplatz und begab sich ins Innere des Gitters desjenigen Tuilerienhofes, der nach dem Seinequai hinausgeht.
Dort setzte er sich auf einen Eckstein und plauderte mit Einigen, welche auf die Durchfahrt des Königs warteten, wahrscheinlich Alle nur aus Neugier. Der königliche Wagen rollte vor. Ein Piquet Nationalgarde zu Pferde und ein Piquet Husaren escortirten ihn.
In dem Augenblicke war der junge Mensch aufgesprungen und hatte seinen Stock mit der Spitze auf die Wagenthür des Königs gelegt. Der Stock war nichts Anderes als ein Flintenrohr von neuer Erfindung. Er ließ einen verborgenen Drücker los und der Schuß entlud sich.
Auf den König hatte er gezielt, aber der König ward nicht getroffen. Die Kugel des Feuerrohrs ging in den obern Theil der Seitenwand des Wagens, während die noch brennende Patrone auf Louis Philipp's Kopf fiel.
Im selben Augenblicke hatte auch schon ein dienstthuender Adjutant den jungen Menschen bei den Haaren ergriffen. Mehre Leute standen ihm bei. Man entriß ihm einen Dolch, mit dem er sich einen Stich versetzen wollte, und schleppte ihn nach dem nächstgelegenen Wachtposten der Nationalgarde.
Er verweigerte seinen Namen zu nennen.
Durch einen merkwürdigen Zufall befand sich unter dem dienstthuenden Personal der Nationalgarde im Tuilerienhofe an jenem Tage ein Sergeant, der Büchsenmacher und zugleich derselbe Büchsenmacher war, welcher diese neuen Stockgewehre erfunden und eines derselben dem jungen Menschen verkauft hatte. Das Mordgewehr, mit dem Louis Philipp getödtet werden sollte, war von dem Sergeanten gefertigt, welcher zur Bewachung der königlichen Person commandirt worden!
Der Sergeant, Büchsenmacher Devisme, wohnhaft Rue du Helder, erkannte auch sofort den Mörder. Es war ein junger Kaufmannscommis, der vor einigen Monaten sich bei ihm eingefunden, um seine neuerfundenen Stockflinten zu besichtigen. Der Commis hatte erklärt, daß er sich wol im Stande glaube, ihm einen reichlichen Absatz für dieselben in der Provinz zu verschaffen, wenn er, der Fabrikant, ihm eine kleine Anzahl davon, als Proben, überlassen wolle.
Der junge Commis hieß Alibaud und wohnte Rue de Valois-Batave No. 5.
Devisme hatte ihm Glauben geschenkt und fünfundzwanzig Stück der neuen Flintenstöcke in seine Wohnung geschickt.
Kurze Zeit nachher erhielt aber der Büchsenschmied vierundzwanzig dieser Flinten mit einem Schreiben Alibaud's zurück, worin dieser ihn benachrichtigte, daß es ihm nicht gelungen, einen Absatz für die Gewehre zu verschaffen. Die fünfundzwanzigste Flinte wäre ihm augenblicklich abhanden gekommen; sobald er sie aber wiederfinde, werde er ihm auch diese zurückstellen.
Der Gefangene verleugnete nun nicht mehr seinen Namen. Ja, er heiße Alibaud und Alles, was Devisme ausgesagt, sei richtig. Er rief:
»Wenn ich im ersten Augenblicke meinen Namen verschwieg, so geschah es nur aus Rücksicht für meine Familie. Denn ich bereue nicht, was ich gethan, und wenn ich frei wäre, würde ich es wieder thun.«
Indem er sich zu den Nationalgarden wandte, sagte er: »Ach, Ihr wißt Alle nicht, was eine wahrhafte Ueberzeugung vermag!....Fragt da den Soldaten, die Schildwacht, mit der ich vor einer Stunde plauderte, dort am Triumphbogen, fragt ihn, ob ich nicht vollkommen ruhig war.«
Nach der Conciergerie geführt, blieb er in der Rolle, die er bis da gespielt. Auf alle Fragen erklärte er, daß er die That mit vollen Bewußtsein verübt, daß er sie jeden Augenblick wiederholen wolle und würde, wenn ihm die Mittel dazu geboten wären. Mitschuldige habe er nicht.
Schon am folgenden Tage, 26. Juni, berief eine königliche Ordonnanz die Pairskammer, um sich als Gerichtshof zur Aburtheilung dieses neuen Attentats zu versammeln. – Der Proceß war kurz; man hatte, aller Bemühungen ungeachtet, keine Mitschuldigen entdeckt. Ebensowenig konnte man in der Instruction mehr von Alibaud selbst entdecken, als was er freiwillig gleich nach seiner Verhaftung ausgesagt.
Mit vollkommener Fassung erwartete er den Tag, wo er vor dem hohen Gerichtshofe erscheinen sollte. Er verhehlte sich nicht, was sein Loos sein werde.
Man hatte ihn in dieselbe Gefängnißzelle gesetzt, in welcher Fieschi vor ihm gesessen. Er besah sich die Mauern, auf denen sein Vorgänger mit Kohle allerlei trübselige Figuren gezeichnet und Verse und Sentenzen geschrieben hatte.
»Dieser Mensch ist völlig zum Dummkopf geworden«, sagte er, die Achseln zuckend. »Und dennoch wird er und ich zugleich auf die Nachwelt übergehen. Aber Sie sollen sehen, wie anders ich mich betragen werde als er. Er war nichts als ein Schwätzer, ein Plappermaul, der wunder was für Wirkung sich versprach mit seinem aufgeblähten Froschgequak, seiner Gespreiztheit und seinen Autographen! Nichts half's ihm, der Kopf ward ihm doch abgeschnitten.«
Der Pairshof tagte schon am 8. Juli als Gerichtshof unter Pasquier's Präsidentschaft. Alibaud erschien in einem schwarzen Ueberrock, schwarzer Weste und weißen Pantalons. Sein bleiches, abgemagertes Gesicht war eingeschlossen in einen mächtigen Backenbart, der sowie sein Haar schwarz und glatt wie Ebenholz war. Mit festem Schritte, doch ohne theatralischen Anstand ging er auf den Sessel zu, der ihm hingestellt war.
Auf die Generalfragen nannte er sich Louis Alibaud, geboren zu Nîmes, früher Soldat und 26 Jahre alt. Er bekannte Alles, dessen er in der Anklage bezüchtigt ward, und erkannte auch den Flintenstock, der ihm vorgelegt ward, als denjenigen, mit welchem er den König tödten wollen. Desgleichen den Dolch, den man ihm entrissen.
Auf die Frage: gegen wen er diese Waffe bestimmt, antwortete er mit fester Stimme:
»Für mich.«
– Ihr Zweck, indem Sie dieses entsetzliche Verbrechen ausführen wollten, war es nicht, einen vollkommenen Umsturz herbeizuführen und demnächst die Errichtung einer Republik?
»Ja, mein Herr.«
– Seit wie lange haben Sie diesen furchtbaren Plan genährt?
»Seit Philipp I. Paris in Belagerungszustand erklärt hat. Seit Philipp I. hat gouverniren wollen, statt zu regieren. Seit Philipp I. die Bürger in den Straßen von Lyon massacriren lassen und am Kloster Saint-Merry. Seine Regierung ist eine Regierung des Blutes. Die Regierung Philipp's I. ist eine infame Regierung. Darum habe ich den König tödten wollen.«
Weiter war nichts von ihm herauszubringen. Er wiederholte, daß er keine Mitschuldigen habe und auch nicht bereue, was er gethan.
Unter den vernommenen Zeugen war der wichtigste ein Kaufmann Corbière zu Perpignan. Alibaud hatte ihm viermal aus Paris geschrieben, daß er den Entschluß gefaßt, den König umzubringen. Der Zeuge entschuldigte sich damit, daß er nicht an die Wahrhaftigkeit der Versicherung geglaubt, sondern sie für Renommisterei gehalten. Alibaud hatte bis da diesen Umstand abgestritten. Vor den Pairs räumte er ihn jetzt ein.
Andere Zeugen legten ein gutes Zeugniß für Alibaud's Sittlichkeit ab. Zwei bekundeten, daß Alibaud in der Julirevolution als Soldat in Paris stand, daß er sich aber geweigert, auf das Volk zu schießen, und sich darauf entwaffnen lassen. Aber ebenso hatte er sich geweigert, auf den Barrikaden zu kämpfen, weil er dann auf seine frühern Kameraden hätte schießen müssen.
Die Advocaten Ledru und Bonjour traten als Alibaud's Vertheidiger auf. Es war eine schwere Aufgabe. Der Erstere schloß seine Vertheidigungsrede mit den Worten:
»In dieser Nacht, gequält von der Unruhe, die mich ergriffen, seit mir diese schreckliche Aufgabe geworden, wo ich doch nichts weiß, was ich für diesen Mann sagen soll, wo ich nichts um mich sehe als Abgründe, werfe ich meinen Blick auf ein Buch.... Ich öffne es, es ist Corneille, der große Corneille. Von ihm forderte ich Rath in meiner trostlosen Rathlosigkeit. Ich las darin, meine Herren, daß eines Tages Augustus die Verschwörung Cinna's entdeckt hatte, desselben Cinna, den er mit Wohlthaten überhäuft hatte.
»Er ließ ihn kommen:
Du willst im Capitol mich morgen niederstoßen,
Am Opfersteine; vor dem heil'gen Opferbrand
Soll ich das Opfer sein von Deiner Mörderhand.
»Augustus war das Opfer und der Richter. Er war gnädig.... Seitdem suchte nicht mehr der Dolch der Mörder nach seiner Brust.
»Meine Herren, seien auch Sie gnädig gegen Alibaud. Das ist die allersicherste Politik!«
Darauf erhob sich Alibaud und zog ein Manuscript aus der Tasche, das er mit Ruhe vorlas. Der Präsident mußte ihn indessen bald unterbrechen, indem er ihm vorstellte, daß er durch diese Art der Vertheidigung, durch so heftige Declamationen seine Lage nur verschlimmere. Alibaud ließ sich dadurch nicht stören:
»Mein Herr Generalprocurator, Sie haben durch Ihre Anführungen mein Leben zu brandmarken versucht. Indessen wissen Sie, daß ich alle Anstrengungen gemacht, um ehrenwerthe Mittel zu meiner Existenz zu finden, und daß ich durch meine Arbeitskräfte auch meinen alten Eltern zu Hülfe zu kommen versucht habe. Aber ach, in diesem Zeitalter der Corruption ist der ehrliche Mann überall zurückgestoßen und wird überall geopfert. Ich verlangte nach den Mitteln, mich zu rechtfertigen gegen diese Vorwürfe, die gegen meine Ehrenhaftigkeit gemachten Angriffe zurückzuweisen, man hat sie mir verweigert, während Sie, meine Herren der Macht, zu Ihrem Gebot die Telegraphen, Präfecten, die Devartementalagenten haben«....
Hier ward der Redner abermals unterbrochen. Der Präsident befahl ihm, sich niederzusetzen. Aber er blieb stehen, den Kopf aufrecht, den Blick fest. Die Municipalgarden mußten ihn mit Gewalt zum Niedersitzen bringen. Alibaud faltete jetzt sein Manuscript zusammen und reichte es seinem Vertheidiger Ledru; aber auf Befehl des Präsidenten mußte dieser es dem Greffier übergeben. Da erhob sich der andere Vertheidiger, Bonjour, und rief: »Ich kann den Gerichtshof nicht unter dem Eindruck von Worten lassen....«
Alibaud unterbrach ihn, indem er ihm auf die Schulter faßte:
»Ich verstehe Sie, mein Herr Advocat, Sie wollen Gnade und Mitleid für mich erbitten; aber ich will keine andern Gefühle einflößen als Achtung oder Haß!«
Inzwischen hatte der Präsident, nachdem der Generalprocurator sich ausgesprochen, Alibaud das Manuscript zurückgeben lassen. Ihm ward jetzt erlaubt, dasselbe vorzulesen; doch müsse er sich jeder Vertheidigung des Königsmordes enthalten.
Kaum aber hatte Alibaud wieder angefangen weiter zu lesen, als der Procurator das Verlangen in aller Form stellte, daß ihm das Wort untersagt werde.
Alibaud lächelte und übergab das Papier dem Huissier, der sich ihm näherte. Mit der vollkommensten Ruhe sagte er:
»Ich wußte wohl, daß an diesem Orte die Wahrheit für gewisse Ohren nicht angenehm zu hören sein werde.«
Um 12½ Uhr war die Verhandlung geschlossen. Der Gerichtshof trat in sein Berathungszimmer. Nach zwei Stunden kamen die Richter zurück und der Präsident verkündete das Urtheil, welches Alibaud zum Tode verdammte. Er solle im Hemde, barfuß, den Kopf mit einem schwarzen Schleier bedeckt, hinausgeführt werden und dort auf dem Schaffot so lange ausgestellt bleiben, bis ein Huissier das Urtheil dem Volke verlesen habe.
Alibaud hatte es, ungeachtet seine Vertheidiger darauf drangen, abgelehnt, ein Gnadengesuch einzureichen. Ledru begab sich hierauf nach Neuilly und überreichte dem Könige eine Vorstellung, in welcher er aussprach, daß es des Ersten Bürgers des Staates würdig sei, seinem Mörder zu vergeben.
Der König übergab die Bitte den zum Rathe versammelten Ministern, die aber nicht die Ansicht theilten. Das Gnadengesuch ward verworfen.
Das Urtheil war an einem Sonnabende ausgesprochen. Alibaud verbrachte den folgenden Sonntag, wie er alle Tage bisher seit seiner Verhaftung zugebracht, er aß und trank wie gewöhnlich, empfing den Abbé Grivel, dem er beichtete, und verbrachte dann einige Stunden mit Lesen in Thomas a Kempis »Nachfolge Christi«. Als die Nacht kam, legte er sich nieder und schlief ruhig ein.
Um 3 Uhr Morgens weckte man ihn: er solle sich zum Tode vorbereiten. Er forderte sein Frühstück und aß mit gutem Appetit. Alsdann bat er um Feder und Papier, um zu schreiben.
»Ich will nicht Fieschi nachahmen«, sagte er; »ich will nur einige Zeilen, ein Lebewohl an meinen Vater schreiben.«
Dann aber, wie sich zusammennehmend, rief er:
»Nein, nein, ich werde doch nicht schreiben. Er würde diese letzten Zeilen aufbewahren, sie immer wieder lesen, und es würde eine Erinnerung werden, die ihn tödten müßte.«
Nur ein Gefühl schien Alibaud noch in diesem feierlichen Augenblicke zu beschäftigen: es war die Furcht, für einen gemeinen Meuchelmörder zu gelten.
»Ich wünsche vor allem«, wiederholte er oft, »daß man wisse, wie ich nicht tödten wollte, um zu tödten. Die Kugel in meiner Flinte galt nicht einem Menschen, sondern einem Princip.«
Während der traurigen Vorbereitungen seines Anzugs rauchte er ruhig. Als der Taback in seiner Pfeife ausgebrannt war, bat er einen seiner Wächter, sie ihm von neuem zu stopfen.
»Mein Gott!« rief er, als man ihm den Kopf mit dem schwarzen Schleier der Vatermörder verhüllte, »welches Ceremoniel. Und alles Das, um einen Menschen zum Tode zu führen!«
Um 4 Uhr Morgens kam der Leichenzug am Fuße des Schaffotes an. Alibaud ging rasch, nachdem er seinen Beichtvater umarmt, die Stufen des Schaffotes hinauf. Hier hörte er mit Ruhe die Verlesung seines Urtheils an, rief aber dann mit einer Donnerstimme:
»Ich sterbe für die Freiheit! Für das Wohl der Menschheit! Für die Ausrottung der fluchwürdigen Monarchie! .... Lebt wohl, meine braven Kameraden!«
Während er noch diese Worte sprach, stellte er sich zurecht und fast im selben Augenblicke fiel sein Kopf.
Es wird dem Leser nicht entgangen sein, daß wir nach einer Alibaud im Ganzen nicht ungünstigen französischen Relation diesen Fall wiedergegeben haben. Wir entsinnen uns, daß seine Persönlichkeit damals in den Zeitungen in minder günstigem Lichte geschildert ward; es kommt indeß nicht darauf an, aus dieser halb vergessenen Misère des Heroismus auf der historischen Goldwage das rechte Gewicht für den moralischen Charakter des eiteln Meuchelmörders zu ermitteln. Wir nehmen ihn nur, wie er uns in jener halb sympathisirenden Darstellung gegeben ist, und finden aber auch da nichts in ihm als eine jener eiteln, halb blasirten Erscheinungen, die ohne sittlichen Grund, ohne eine wahrhafte Begeisterung und Kenntniß der Dinge, vom Modewahn sich gedrängt fühlen, eine theatralische Rolle zu spielen, die ihnen einen Nachruhm verspricht. Die Naturwahrheit, die in dem tragischen Buffo Fieschi aus seiner Verworfenheit herausbrach, hatte die französische Eitelkeit beleidigt. Seine Bekenntnisse hatten den ganzen Lustre der Harmodius- und Aristogitonmanie verlöscht, und es war kein Wunder, wenn irgend ein anderer lebenssatter Mensch, der nichts zu verlieren hatte, sich berufen fühlte, die Ehre der Königsmörder wiederherzustellen. Daß ein solcher sich in seine Rolle hineinlügt, bis er an ihre Wahrheit glaubt, ist eine oft wiederkehrende psychologische Erscheinung. Alibaud erscheint in jedem kleinen Zuge, der von ihm aufbewahrt ist, als der Schauspieler, der seine Rolle sich so wohl zurechtgelegt hat, daß er sie in keinem Augenblick vergißt. Sein erstes Wort nach der Gefangennahme ist: Fragt die Schildwacht, mit der ich vorhin sprach, und sie wird Euch sagen, welche Seelenruhe ich vor dem Attentat gezeigt! Ein Mensch, dessen Seele erfüllt war von Königshaß, würde doch über den Schmerz, daß er seine Aufgabe verfehlt, sich selbst in dem Augenblicke nicht in den Vordergrund gestellt und es nicht seine erste Sorge haben sein lassen, den Leuten zu beweisen, daß er mit Seelenruhe an sein Mordwerk gegangen. Und seine nächste wohl zurechtgelegte Phrase ist: daß ihn die That nicht gereue, sondern er dieselbe jeden Augenblick, wenn er frei wäre, zu wiederholen bereit stehe. Sie bleibt der Refrain seiner Angaben. Dann seine officiösen Betrachtungen in Fieschi's Gefängniß über dessen Verschmitztheit, er wolle ganz anders beweisen, wie man eine That, wie seine, auf sich nehme, wie man sterbe. Theaterscenen sind sein Auftreten, seine Antworten vor dem Pairshofe. Desgleichen seine letzten Augenblicke. Das Christenthum zu verspotten und Gott zu leugnen, war damals in Frankreich nicht mehr Mode. Darin hatte die erste Revolution sich erschöpft. Alibaud beichtete, wie Pepin gebeichtet hatte, er las sogar im Thomas a Kempis. Ein Bericht seines Beichtvaters Grivel, wenn die Pflicht eines Geistlichen ihn erlaubt hätte, würde uns die besten Aufschlüsse gegeben haben, wie Alibaud gebeichtet, wie er las. Ob für sich oder die Berichterstatter seiner letzten Augenblicke. Er schrieb keinen Abschiedsbrief an seinen Vater, obwol er Papier und Feder gefordert, damit sein Vater nicht ewigen Schmerz aus den Zeilen sauge – vorhin hatte er gesagt, er schreibe nicht, um mit Fieschi in keiner Art einen Vergleich ausstehen zu müssen. Seine einzige Sorge und Bekümmerniß, und die ist wahr, daß man sich über die Motive seiner Mordthat täusche, ihn für einen gewöhnlichen Meuchelmörder halte. Daher die hohle Phrase: er habe nicht den Menschen, sondern nur das Princip erschießen wollen! Und dabei immer der Gedanke an die Nachwelt; er wird mit Fieschi auf dieselbe kommen, aber in wie anderer Glorie! – Seine letzte Phrase auf dem Schaffot ist dann die Quintessenz der wohlstudirten Rolle. Tönende Worte ohne einen Gedanken, als der tausendmal ausgesprochen war. – Mit welcher Kraft der Lüge auch nichtpolitische Charaktere in Paris ihre Tugendrolle bis auf das Schaffot fortzuspielen verstanden, wissen wir aus den letzten Augenblicken des Giftmörders Doctor Castaing.
Schon damals waren nicht Alle, weder in Frankreich noch auswärts, der Meinung des Ministerraths, als er Ledru's Gnadengesuch verwarf. Man meinte, ein Verbrecher wie Alibaud würde in anderer Weise zweckmäßiger bestraft als durch sein Blut, und gar durch die Hinrichtung mit dem altfeierlichen Ceremoniel, wie es bei Vatermördern herkömmlich. Zum Wolleraspeln verdammt, oder auch eine tüchtige körperliche Züchtigung, sei sowol angemessener der Persönlichkeit des Thäters, als wirksamer, um vor ähnlichen Verbrechen abzuschrecken; ja geeignet, um die ganze Manie des Königsmordes in der französischen Nation zu tödten. Gelte es doch nur die Eitelkeit zu ersticken, und die Macht des Lächerlichen ist in Frankreich furchtbar, sie hat alle Revolutionen überdauert. Aber eben der Instinct dagegen im französischen Blute, mit Humanität umkleidet, hat diese Strafe verboten und verbietet sie noch heute; und wir sind nicht geneigt, für sie an sich das Wort zu reden. Aber etwas Anderes wäre es doch, Menschen, die sich selbst zum Thiere erniedrigen, oder auch einen Komödianten Alibaud, zu züchtigen, wie man Thiere züchtigt, wenn damit das große Ziel wirklich erreicht wird, einer furchtbaren Krankheit ein Ziel zu setzen, etwas Anderes als die jüngsten Executionen der Art in Italien, die nichts sind, als Akte eines rohen Rachgefühls und nichts bezwecken, als ein Volk, das kein anderes Verbrechen beging, als für seine Nationalität zu glühen und gegen die Fremdherrschaft aufgestanden zu sein und gekämpft zu haben, bis aufs Herzblut zu erbittern und jede Aussöhnung, auch in weiter Zukunft, unmöglich zu machen.
Der Erfolg hat gezeigt, daß die Meinung des Ministerrathes nicht die richtige gewesen. Alibaud's feierlich vergossenes Blut lockte eine ganze Reihe nichtsnutziger Menschen an, auf ähnliche Weise ihr werthloses Leben mit Eclat schnell zu Ende zu bringen und vielleicht einen Namen dabei zu erwerben. Andere Miserable stellten sich sogar nur, als hätten sie einen Mord am Könige verüben wollen, um durch den Proceß ins Gefängniß, vor den Pairshof und dadurch jedenfalls in eine Lage zu kommen, die erträglicher war, als die, in der sie sich befanden. Da kam man spät zu besserer Ueberzeugung. Es ward kein Blut mehr auf dem Schaffot vergossen, aber man gerieth in der Verlegenheit, der Schufte sich zu entledigen, auf ein anderes Extrem: man schickte sie mit Unterstützung nach Amerika. Das republikanische Amerika weigerte sich, einen dieser pensionirten Assassinen an seiner gastlichen Küste aufzunehmen. Er mußte, von Hafen zu Hafen fortgeschickt, irgendwo unter einem fremden Namen sich einschleichen, um die Vergessenheit zu suchen, das einzige Ziel und Glück, was ihm übrig blieb.