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Der Bootsmann Paulino Torio aus San-Tomas.

(Hamburg. Mord.)
1865 bis 1867.

Am Donnerstag, den 2. November des Jahres 1865, etwas nach sieben Uhr abends, verließen die beiden Töchter des Jollenführers und Schenkwirthes Johann Karl Vogel, Emmy Karoline, 19¾ Jahre, und Alwine Antoinette, 17 Jahre alt, die Kellerwohnung ihres Vaters, um Cigarren zu holen. Ein in der Wirthschaft anwesender Bootsmann des damals im Hamburger Hafen liegenden spanischen Schiffes Eloriano, Kapitän d'Anduiza, der in San-Tomas, Provinz Manila, auf den Philippinischen Inseln geborene, dreiunddreißigjährige Paulino Torio, folgte ihnen auf dem Fuße. Torio, der bei den wiederholten Aufenthalten seines Schiffes in Hamburg die Vogel'sche Wirthschaft zu frequentiren pflegte, hatte eine lebhafte Neigung für die Emmy gefaßt und ihr bereits mehreremal seine Hand angetragen, war jedoch zurückgewiesen worden.

Auf dem Neustädter Neuenwege bot Torio den beiden Schwestern seine Begleitung an; aber sie lehnten ab. Da er dennoch hinter ihnen herging und sie sich seiner entledigen wollten, beschlossen sie, zu ihrer auf den Hütten Nr. 88 drei Treppen hoch wohnenden Schneiderin Elise Borum zu gehen. Im Begriffe, das Haus zu betreten, holte Torio sie ein. Sie eilten die Treppen hinauf, aber der Bootsmann blieb ihnen auf den Fersen. Als sie im dritten Stock angelangt waren, öffnete Elise Borum die Thür. Alwine Vogel ging auf sie zu und bat sie, Licht zu holen. In diesem Augenblick stieß Emmy einen Hülferuf aus und schwankte ihnen, dem Umfallen nahe entgegen. Torio war verschwunden. Die beiden Mädchen führten die Emmy Vogel in ein Hinterzimmer der Borum'schen Wohnung und setzten sie auf einen Stuhl, von dem sie aber sofort bewußtlos auf den Schos der Schwester niederfiel. Alwine Vogel und die Borum hielten sie für ohnmächtig und suchten sie durch Besprengen mit Essig und Wasser wieder zu beleben. Vergebens. Es wurde eine im Hause wohnende Krankenwärterin und gleich darauf der Dr. med. Roß herbeigerufen. Der letztere erkannte sofort, daß Emmy todt war, ordnete indeß, weil möglicherweise ein Starrkrampf vorliegen könnte, die Applicirung von Senfpflastern auf Herzgrube und Waden an. Die Pflaster wurden aufgelegt, hatten aber keine Wirkung. Die Leiche ward nach der Vogel'schen Wohnung gebracht, wo sie der Polizeiarzt Dr. Engel-Reimers unentkleidet besichtigte. Sein Bericht sagte: »Ich habe die Leiche kräftig und gut genährt, die Haut sehr blaß gefunden. Ich vermochte weder äußere Verletzungen aufzufinden, noch irgendeinen Anhaltepunkt zur Erklärung des plötzlichen Todes zu entdecken. Es dürfte daher eine Section nothwendig sein.«

Erst bei einer am folgenden Tage vorgenommenen genauern ärztlichen Besichtigung der Leiche wurde in der Gegend der linken untern Brusthälfte eine 1⅛ Zoll lange, in der Mitte 7 Linien klaffende Stichwunde bemerkt. Die Wunde war in diagonaler Richtung zwischen der neunten und zehnten Rippe der linken Seite eingedrungen, hatte in dem Dickdarm einen klaffenden 1¼ Zoll langen Einschnitt hervorgebracht, auch in dem gegenüberliegenden kleinen Netz, in der hintern Magenwand und im Gekröse zwischen Magen und Bauchspeicheldrüse entsprechende, mit scharfen Rändern versehene Verletzungen verursacht. Die oberhalb der Bauchspeicheldrüse verlaufende Milzarterie war quer durchschnitten und weitklaffend, die Bauchspeicheldrüse selbst in ihrem mittlern Theile tief eingeschnitten. Die Wunde erstreckte sich noch tiefer gegen die Rückenwirbelsäule hin und endigte dort mit einer oberflächlichen, zollangen Furche im Körper des achtzehnten Brustwirbels, nachdem sie zuvor auf ihrem Wege die vor dem Wirbel liegende große gemeinschaftliche Bauchschlagader quer durchschnitten. Die ganze Länge der Wunde betrug 4 Zoll 6 Linien. Die Durchschneidung der Milzarterie und der Bauchschlagader hatte eine so profuse Blutung in die Höhlung des Unterleibes herbeigeführt – das ausgetretene Blut, welches sich daselbst vorfand, betrug mehrere Pfund an Gewicht – daß ein fast augenblicklicher Tod durch Herz- und Gehirnlähmung die unmittelbare Folge sein mußte. Die Verletzung war eine an sich und unter allen Umständen tödliche und als die alleinige Ursache des plötzlichen Todes des im übrigen völlig gesunden Mädchens zu betrachten.

 

Die Nachricht von der Ermordung der Emmy Vogel durch Torio durchflog am nächsten Morgen (3. November) die sonst ziemlich friedliche Stadt; der Erzählung fehlte es nicht an romanhafter Ausschmückung. Man wälzte einen großen Theil der Schuld an der Katastrophe auf die unglückliche Emmy, die übrigens durchaus unbescholten und ehrbar war, der Mörder dagegen wurde plötzlich ein Gegenstand des lebhaftesten Interesses; man bedauerte ihn vielfach und wünschte seiner Flucht guten Erfolg, das schöne Geschlecht insbesondere nahm ihn ganz entschieden in Schutz.

Während im Laufe des 3. November über den Mord hin- und hergesprochen ward, traf plötzlich die Kunde von einem in der verflossenen Nacht in der Nähe verübten Doppelmord ein und versetzte die Gemüther in noch stärkere Aufregung.

Zu Teufelsbrück – einem Orte auf holsteinischem Gebiet, etwa eine Stunde Wegs von Hamburg an der Elbe – wohnten in einem Hause an der längs der Elbe laufenden Chaussee der Feuerungshändler und Wirth Jürgen Heitmann und dessen Ehefrau Margaretha, geborene Nagel.

Am Freitag, 3. November morgens 5½ Uhr, kam die Brotträgerin Anna Buckmann, um Heitmanns, wie gewöhnlich, den täglichen Brotbedarf zu bringen. Sie fand die Hausthür noch nicht geöffnet und legte, wie sie stets in solchem Falle that, das Brot auf eine neben der Thür stehende Bank, dabei bemerkte sie, daß das Fenster offen stand, und daß etliche Scheiben zerbrochen waren. Es war ihr dies zwar auffällig, indeß ließ sie sich dadurch nicht weiter alteriren, drückte das Fenster zu und setzte ihren Weg fort. Als sie nach 9 Uhr wieder zurückkam und die Gardinen im Zimmer noch zugezogen, das Brot noch auf der Bank liegend fand, wurde ihr die Sache doch bedenklich; sie theilte ihre Wahrnehmung zuerst dem Wirth Soltau und dann dem Dienstmädchen der Witwe Heitmann, Elisabeth Wacker, mit. Letztere öffnete das Fenster, und nun sahen beide die Leichen der Heitmann'schen Eheleute vorn auf der Diele auf dem Rücken liegen, diejenige der Frau zunächst der Hausthür und mit dieser parallel, den Kopf nach der Wohnstubenthür, diejenige des Mannes.

Bald darauf sammelten sich vor dem Hause noch andere Leute. Der Fettwaarenhändler Christiansen stieg durch das Fenster und öffnete den Hausthürriegel.

Der Thatbestand in der Wohnung, wie er durch die Zeugen und durch das pinneberger Untersuchungsgericht, welches sich auf erhaltene Nachricht noch selbigen Tages in Begleitung der Gerichtsärzte an Ort und Stelle begab, war der folgende:

Die Leiche des Mannes war vollständig bekleidet, die der Frau im Nachtzeug, doch mit zwei Unterröcken, einem Crinolinrock und Strümpfen versehen. Die Leiche der Frau zeigte eine scharfe Stichwunde von ⅞ Zoll in der Brust, am innern Rande der Falschen Rippen der rechten Seite, kaum einen Zoll unterhalb des untern Endes des Brustbeins. An der Leiche des Mannes fanden sich, außer einer 1½ Zoll langen Schnittwunde in der sogenannten Maus der rechten Hand, zwei Stichwunden, die eine im Halse, die andere im Bauche. Die erstere, 1 Zoll lang, befand sich in horizontaler Lage an der Vorderfläche des Halses, kaum einen Zoll oberhalb des Brustbeins, an der innern Seite des Kopfnickers; die zweite, ⅞ Zoll lang, drang an der rechten Seite des Leibes, drei Finger breit vom untern Rippenrande und vier Finger breit vom Nabel entfernt, in fast verticaler Richtung in die Brusthöhle. Die Kleidungsstücke zeigten die den Wunden entsprechenden Stiche und waren an den betreffenden Stellen mit Blut getränkt.

Weder an der Bekleidung der Leichen noch an dem Mobiliar waren Spuren eines Kampfes zu entdecken. Blutspuren fanden sich nur in der Nähe der Leichen auf dem Fußboden, einige angespritzte Blutflecke an der Serviette des zu Füßen der Frauenleiche stehenden Tisches und endlich einige kleine Blutflecke an der innern und äußern Seite der Hausthür. Auf der Serviette des gedachten Tisches war eine sandige Fußspur. Ein Mordinstrument ward überall vergeblich gesucht.

Um die Leichen herum in einem Halbkreise bemerkte man Flecken von frischvergossenem Oel, deren Spur sich bis in die Wohnstube verfolgen ließ. Auch wollten die zuerst ins Haus gedrungenen Personen oberhalb des Kopfes des Mannes eine Oellampe gefunden haben, die jedoch, als das Gericht eintraf, bereits entfernt und in die Wirthsstube gesetzt war.

Die Thür der Wirthsstube stand offen. Auf dem Tische vor dem Sofa sah man die Reste eines Abendessens, einen angeschnittenen Schinken, Brot und Butter, zwei Paar Messer und Gabeln, noch ein Tischmesser, zwei Wassergläser, eine fast geleerte Portweinflasche, ein mit Portwein gefülltes Weinglas. Die Scherben eines zerbrochenen Weinglases lagen auf dem Fußboden, in der Nähe des Tisches. Sämmtliche Messer waren augenscheinlich beim Essen gebraucht worden. Der Tisch war ohne Serviette, und aus der Art, wie Speisen und Geräthe auf denselben hingestellt waren, schloß man, daß die als sehr ordentliche Hausfrau bekannte Frau Heitmann die Herrichtung des Tisches nicht besorgt haben konnte.

Ein kleiner Schrank in der auf dem Boden befindlichen Schlafstube, den Heitmann zur Aufbewahrung von Geld und Wertpapieren benutzte, war erbrochen, eine Kommode, in welcher sich unter anderm Silbersachen befanden, war durchwühlt, Papiere, sogar Werthpapiere von erheblichem Betrage, Lappen, auch ein silberner Rahmguß lagen auf dem Boden. Am Schlosse des Geldschranks stak ein Schlüssel ohne Bart. In der Nähe auf dem Boden lagen zwei Eisenstücke, die zum Erbrechen des Schranks gedient hatten. Heitmann's Bett war unberührt; das der Frau Heitmann war benutzt. Unter dem Kopfkissen fand man ihr Taschentuch; an der Wand, über dem Fußende des Bettes, hingen ihre Kleider.

Auch auf dem Boden wurden frische Oelflecke, sowol zwischen dem Aufgange der Treppe und der Schlafstube, als bei einem neben der Schlafstubenwand liegenden Haufen alter Eisenstücke wahrgenommen. An baarem Gelde wurden im ganzen Hause nur acht Thaler und einige Schillinge entdeckt, obgleich nach Aussage von Heitmann's Verwandten eine bedeutend größere Summe vorhanden gewesen sein mußte. Die goldene Uhr nebst Kette, welche der Verstorbene stets getragen hatte, war verschwunden.

 

Inzwischen war ermittelt worden, daß Paulino Torio am Abend des 2. November an Bord des Eloriano gekommen und von dort mit einem zu diesem Schiffe gehörenden eisernen Boote weggefahren war. Behufs seiner Habhaftwerdung wurden die umfassendsten Vorkehrungen getroffen und insbesondere der Commandeur der Hafenrunde, Spinder, mit mehrern Officianten zu seiner Verfolgung elbabwärts gesandt. Es war sehr nebeliges Wetter und die Leute hatten eine schlimme Kreuzfahrt, denn sie mußten alle Schiffe auf dem Strom untersuchen.

Der 3. November verging unter vergeblichen Bemühungen. Am Abend erhielten sie indeß einen Wink, der sie auf die richtige Fährte führte. Am Morgen des 4. November wurde Torio in dem holsteinischen Dorfe Rissen unterhalb Blankenese im Wirthshause des Timmermann, noch im Bett liegend, überrumpelt. Außer einer beträchtlichen Summe baaren Geldes wurden bei ihm zwei goldene Uhren mit langen goldenen Ketten und ein Dolchmesser, an dem die Spitze fehlte, vorgefunden. Nach Hamburg zurückgeführt, gestand Torio dem Polizeiherrn Senator Dr. Petersen sofort ein, die Emmy Vogel – und zwar mit dem eben bezeichneten Dolchmesser – ermordet zu haben, und wiederholte dieses Geständniß noch selbigen Tags, in Gegenwart der Leiche, zu der man ihn führte.

 

Am Nachmittage des 5. November erfuhr das in Teufelsbrück mit Erhebung des Thatbestandes beschäftigte Untersuchungsgericht, daß der in Hamburg verhaftete Torio nicht blos eine beträchtliche Geldsumme, zwei goldene Uhren und ein breites Dolchmesser bei sich getragen hatte, sondern auch an jenem Abend, an welchem die Heitmann'schen Eheleute umgebracht wurden, in einem Boote von Hamburg elbabwärts gefahren war. Das holsteinische Gericht requirirte die hamburger Behörde, und schon am nächsten Tage ward der Gefangene an den Schauplatz der zu Teufelsbrück verübten Mordthat geführt. Er stellte hartnäckig jede Schuld an dem in diesem Hause verübten Verbrechen in Abrede, aber sehr bald wurden folgende Verdachtsmomente ermittelt:

1) Die eine von den bei Torio in Beschlag genommenen Uhren war wirklich die des ermordeten Heitmann. Torio's Angabe, daß er die Uhr für 14 Pfd. St. in Liverpool erstanden und bereits seit zwei Jahren in Besitz gehabt habe, wurde als Unwahrheit nachgewiesen. Von der Mannschaft des Eloriano hatte keiner diese Uhr jemals bei ihm gesehen, obwol dieselben Leute die zweite bei ihm gefundene Uhr – welche für die Emmy Vogel bestimmt gewesen war und welche er im October gekauft hatte – sehr wohl kannten. Der altonaer Uhrmacher Wiljelm hatte, noch bevor er die bei Torio gefundene Uhr gesehen, eine mit dieser letztern durchaus übereinstimmende Beschreibung der Heitmann'schen Uhr gegeben. Als ihm die Uhr vorgelegt wurde, erkannte er sie nicht nur mit Bestimmtheit als die des Heitmann, sondern wies auch die Identität dadurch unzweifelhaft nach, daß in dem innern Deckel der Uhr sein bei Gelegenheit einer größern Reparatur im Jahre 1857 eingesetztes, mit seinem producirten Journal übereinstimmendes Zeichen »W. Nr. 715« noch deutlich erkennbar war. Viele Zeugen aus Teufelsbrück aber bestätigten, daß Heitmann dieselbe Uhr, welche er bereits seit langen Jahren besessen und die er stets sehr werth gehalten, noch in seiner letzten Lebenszeit getragen hatte.

2) Bei Torio's Verhaftung wurden 220 Thlr. bei ihm gefunden. Ueberdies war er mit dem Gelde sehr leichtsinnig und sehr verschwenderisch umgegangen. Er hatte Speisen und Getränke weit über den Preis bezahlt, dem Wirth Timmermann für einen alten Uhrschlüssel einen Thaler aufgedrungen, Kindern Geldgeschenke gemacht u. s. w. Unter dem bei ihm saisirten Gelde waren fünf Speciesthaler, eine in Holstein häufig vorkommende Münze, von der man annehmen konnte, daß sie auch im Heitmann'schen Hause nicht gefehlt hatte. Torio schien diese Geldstücke erst seit kurzem zu besitzen, denn er kannte ihren Werth nicht, wenigstens erkundigte er sich bei Timmermann danach. Die Summe von 220 Thlrn. stimmte ungefähr mit derjenigen Summe überein, welche die Heitmann'schen Eheleute gewöhnlich baar im Hause vorräthig zu haben pflegten. Ferner wurde ermittelt, daß Torio, als er nach dem Morde der Emmy Vogel von Hamburg entflohen war, irgend nennenswerthe Geldmittel nicht besessen haben konnte. Seine Einnahmen während des letzten Aufenthalts betrugen alles in allem 113 Thlr. Dagegen konnte ihm nachgerechnet werden, daß er, außer nicht festzustellenden Ausgaben für Essen und Trinken, für 92 Thlr. Einkäufe gemacht hatte. Seine Ausgaben mußten die Einnahmen also so gut wie völlig absorbirt haben. Dafür, daß seine Kasse erschöpft war, sprach auch der Umstand, daß er resp. 3 und 7 Thlr. bei seinem Kapitän und einer Witwe Strampe geliehen und bei letzterer auch Sachen auf Borg gekauft hatte; ferner daß er, kurz vor Ermordung der Emmy Vogel, der Tochter des Schuhmachers Sundmacher erklärt hatte, ein Paar bei diesem bestellte bereits fertige Stiefeletten abholen zu wollen, sobald er Vorschuß auf seine erst zu verdienende Gage erhalten, haben würde. Diesen Thatsachen gegenüber, die der Gefangene nicht ableugnen konnte, mußte seine schon an sich unglaubliche und in ihren Details mit Widersprüchen vorgebrachte Behauptung, daß er sich das bei ihm gefundene Geld von frühern Reisen her erspart habe, als eine evidente Lüge erscheinen. Dazu kam, daß weder der Kapitän noch irgendjemand von der Besatzung des Eloriano etwas von Ersparnissen des Torio bemerkt hatte, obschon er das Geld in seiner am Bord befindlichen unverschlossenen Kiste aufbewahrt haben wollte.

3) Die Wunden der Heitmann'schen Eheleute paßten, wie sofort bei der ersten Hinausführung des Torio nach Teufelsbrück von dem anwesenden Hamburger Polizeiarzte constatirt und später durch das Gutachten der pinneberger Gerichtsärzte bestätigt ward, vollkommen zu dem bei Torio vorgefundenen Dolchmesser.

4) Am Morgen des 3. November fanden die beiden von Ehren, Eigenthümer der etwas unterhalb des Heitmann'schen Hauses belegenen Dampfschiffsbrücke, und der Jollenführer Lindemann ein am Abend zuvor an dieser Brücke festgelegtes Boot nicht an seinem Platze, es war weiter aufwärts auf den Strand gesetzt. In dem Boote lag oben auf den Sitzbänken ein Bret, welches offenbar in Ermangelung von Rudern zum Fortbewegen des Boots benutzt worden war; ein zweites Bret wurde am Strande, dem Heitmann'schen Hause gerade gegenüber, gefunden. – Hieraus zog man den Schluß, daß der Mörder mit Hülfe dieses Boots, also zu Wasser, entkommen war. Das von Ehren'sche Boot mußte bei hohem Wasserstande weggenommen sein, weil die Kraft eines Mannes nicht ausgereicht haben würde, es flott zu machen, und weil man keine Spur entdeckte, daß es in das Wasser geschoben war. Der höchste Wasserstand an jener Stelle war in der betreffenden Nacht um 3 Uhr gewesen. Es lag demnach Grund zu der Annahme vor, daß der Verbrecher mit der Ebbe von aufwärts mit einem Boote eingetroffen war und dasselbe am Strande befestigt hatte, daß dann während seines Aufenthalts im Heitmann'schen Hause die Flut eingetreten, daß er durch die Flut von seinem Boote getrennt worden und mittels des von Ehren'schen Boots zu seinem Boot hingefahren war, dabei aber das eine der zum Fortbewegen benutzten Breter verloren hatte.

5) Am Morgen des 3. November, etwa 9½ Uhr, begegnete Torio in der Nähe des Kösterberges einem gewissen Jochen Remmstedt, und frug ihn, wie weit es noch nach Glückstadt sei. Nicht lange hernach trat er in das Haus des Hauerlings Hein Nagel in Rissen und deutete der verehelichten Nagel an, daß er zu essen wünsche. Sie setzte ihm Kaffee und Butterbrot vor, wofür er ihr, obschon sie keine Bezahlung nehmen wollte, zwei Thaler aufdrängte. Von da begab er sich in das Haus des Wirthes Timmermann und forderte dort Madeira. Der Wirth hatte solchen nicht vorräthig und gab ihm Punschextract. Torio trank davon und schenkte jedem ein, der in das Zimmer trat. Er saß meist still, zählte das Geld, welches er theils in den Taschen trug, theils in ein Taschentuch geknotet hatte, und beschäftigte sich viel mit zwei goldenen Uhren und Ketten. Der Ehefrau Timmermann zeigte er, als er allein mit ihr im Zimmer war, zwei Thaler, sprach einige ihr unverständliche Worte und deutete mit dem Finger auf den Mund. Sie glaubte daraus entnehmen zu müssen, daß er einen Kuß begehre, und bat ihren Mann, sie nicht mehr mit dem Fremden allein zu lassen. Dem Timmermann war sein Gast so unheimlich, daß er die Nacht über wach blieb und sich erst niederlegte, als seine Leute aufstanden.

Am 22. November trat der Gefangene mit einem Geständniß hervor. Er erklärte: »Um 8½ Uhr abends fuhr ich mit dem Boote des Eloriano von Hamburg ab und landete gegen Mitternacht in Teufelsbrück. Vom Bord des Schiffes nahm ich 120 Thlr. an baarem Gelde mit, welche ich mir erspart und in der offenen Schiffskiste meiner Koje aufbewahrt hatte. Zu Teufelsbrück traf ich einen Mann – den hernach erdolchten Heitmann – am Lande auf- und abgehend und frug ihn in englischer Sprache, ob man daselbst etwas zu trinken bekommen könne. Auf die bejahende Antwort Heitmann's trat ich in die Wirthsstube, in welcher Frau Heitmann, und zwar im vollen Anzuge, saß. Ich forderte eine Flasche Madeira, Heitmann holte sie herein und ich bezahlte. Den Wein trank ich mit Heitmann aus und aß Brot und Schinken, welches mir auf mein Verlangen gebracht wurde. Die Frau verließ das Zimmer und ging nach oben, bald darauf kam sie im Nachtzeug wieder herunter und sagte ihrem Manne etwas, was ich nicht verstand. Wahrscheinlich bat sie ihren Mann, daß er mich wegschicken und sich auch zur Ruhe begeben sollte. Ich stand auf und ging, Heitmann begleitete mich bis nach der Diele und that hier eine Aeußerung, die mir zwar unverständlich blieb, die ich aber für eine Beleidigung hielt. Hierüber ergrimmt, zog ich mein Messer aus der Brusttasche meines Rocks und versetzte dem Heitmann einen Stich. Die Frau, welche hinter ihrem Mann herkam, erhob ein lautes Geschrei, weshalb ich auch sie mit dem Messer stach. Sie fiel um und ich entfernte mich. Beide Stiche habe ich in blinder Wuth geführt und ohne die Absicht, die Leute zu ermorden. Vor dem Hause angelangt, bemerkte ich, daß ich mein Messer vergessen hatte. Ich kehrte um, konnte aber die Thür nicht öffnen, weil sich anscheinend jemand von innen dagegen stemmte und sie bald darauf von innen verriegelt wurde. Ich schlug hierauf mit einem Stein ein Fenster neben der Thür ein und stieg hinein. Heitmann lebte noch, er lehnte mit dem Rücken an der Thür und klagte über den Tod seiner Frau. Mein Dolchmesser lag vor seinen Füßen. Ich hob es auf und stach noch mehreremal nach dem Verwundeten, um ihn nicht länger leiden zu lassen. Ob ich ihn jedesmal getroffen habe, weiß ich nicht mehr, aber er ist durch die Gewalt meiner Stöße von der Thür weg über die Leiche der Frau bis an die Stelle geflogen, wo man ihn gefunden hat.

»Mit der brennenden Lampe in der Hand stieg ich die Treppe hinauf und ging in das Schlafzimmer, nicht um zu stehlen, sondern um mich zu überzeugen, ob Menschen dort wären, mit denen ich kämpfen könnte. In dem genannten Zimmer stand ein hölzerner Kasten, den ich mit den Schlüsseln, die ich fand, zu öffnen versuchte. Es gelang mir nicht, ich holte deshalb von einem Haufen altem Eisen auf dem Vorplatze etliche Eisenstücke und brach mit einem derselben den Kasten auf. Ich fand Papiere und Geld; etwa 100 Thlr. davon steckte ich zu mir, begab mich wieder hinunter, nahm der Leiche des Heitmann Uhr und Kette ab und verließ das Haus, indem ich wieder durch das Fenster kletterte. Da das Wasser inzwischen höher gestiegen war, konnte ich mein Boot nicht mehr erreichen. Ich machte daher ein Boot weiter abwärts los und ruderte mich mit zwei Bretern, von welchem das eine unterwegs im Schlamme stecken blieb, an mein Boot. Ich ließ mich von der Flut stromaufwärts treiben bis nach Altona. Hier trank ich um 4 Uhr morgens in einer Wirthschaft am Strande Kaffee. Nach Eintritt der Ebbe fuhr ich wieder stromabwärts bis an die Stelle, wo mein Boot gefunden worden ist und von wo ich den Weg nach Rissen einschlug.«

Torio wies im Heitmann'schen Hause die Lage der Leichen richtig so nach, wie man sie am Morgen des 3. November gefunden, er recognoscirte die von ihm gebrauchte Lampe, den erbrochenen Geldbehälter, das ihm vorgelegte Eisenstück und beschrieb den Weg durch die Wohnstube und die Küche auf den Boden ganz der Oertlichkeit entsprechend.

Das Geständniß enthielt offenbar etwas Wahrheit, aber nicht die volle Wahrheit, insbesondere schien es sehr unwahrscheinlich zu sein, daß Torio nicht in räuberischer Absicht gleich von vornherein in das Haus eingedrungen sein sollte. Allein er blieb auch in den spätern Vernehmungen bei seinen Angaben stehen, nur kam er mit einer neuen Lüge, auf die er sich inzwischen besonnen, hervor und erklärte: er hätte dem Heitmann den ersten Stich nicht wegen einer injuriösen Aeußerung, sondern infolge einer zwischen ihnen entstandenen Rauferei beigebracht. Er habe nämlich aus Versehen ein Weinglas zerbrochen. Hierüber sei Heitmann in großen Zorn gerathen und habe ihn gehen geheißen. Nicht zufrieden damit, daß er diesem Geheiß sofort Folge geleistet, habe Heitmann ihn angefaßt und zu Boden geworfen, sodaß er auf das Gesicht gefallen sei. Er habe sich wieder aufgerafft, doch da habe Heitmann das auf dem Tische liegende Brotmesser ergriffen und mit demselben nach ihm gestoßen, jedoch nur seinen Rock getroffen. Nach diesem Angriff von seiten Heitmann's habe er ihm den ersten Dolchstich versetzt, worauf sich dann das übrige zugetragen, wie er früher angegeben.

 

In Betreff der Ermordung der Emmy Vogel war der Verbrecher durchaus nicht so zurückhaltend mit seinen Geständnissen als in Betreff der That in Teufelsbrück. Er schien die Ermordung des Mädchens als eine Art Heldenthat zu betrachten, deren er sich rühmen dürfe, während er sich des gemeinen Raubmordes in Teufelsbrück schämte. Sein Bekenntniß lautete so: »Ich wollte die Emmy heirathen und that ihr diesen Wunsch wiederholt mündlich und zweimal schriftlich kund. Beide in deutscher Sprache abgefaßte Briefe ließ ich durch Bekannte schreiben. Auf den ersten erhielt ich überhaupt keine Antwort, und der zweite wurde ablehnend beantwortet. Vergebens versuchte ich sie dadurch andern Sinnes zu machen, daß ich ihr eine kleine Musikdose schenkte und eine goldene Damenuhr nebst Kette für sie kaufte, die ich ihr versprach, wenn sie meine Bewerbung annähme. Sie wies alle meine Anträge zurück, und ich glaubte wahrgenommen zu haben, daß dieselben nicht nur ihr, sondern auch ihrer Schwester Alwine und den Gästen in der Vogel'schen Wirtschaft Veranlassung gaben, mich zu verlachen und zu verhöhnen.

»Dieser Spott, nicht der Unwille über das Zurückweisen der Bewerbung an sich, machte in mir den Gedanken rege, daß ich die Emmy Vogel tödten wollte, und nicht nur sie allein, sondern auch ihre Schwester Alwine und die betreffenden Gäste. Dieser Gedanke reifte zum festen Entschluß. Am 21. October kaufte ich mir bei dem Messerfabrikanten Otto Weber das Dolchmesser, um es als Werkzeug bei dem Morde zu benutzen. Als ich am Abend des 2. November die beiden Schwestern aus dem Vogel'schen Keller fortgehen sah, folgte ich ihnen in der Absicht, meinen Plan auszuführen. Auf dem Vorplatze vor der Borum'schen Wohnung zog ich das Messer aus der Brusttasche und erstach die Emmy. Ich stach auf das Gerathewohl, denn ich konnte in der Dunkelheit nicht erkennen, welchen Theil ihres Körpers ich traf. Nach vollbrachter That eilte ich auf die Straße, warf mich in eine Droschke, die mich in den Hafen brachte, ließ mich in einer Jolle an Bord des Eloriano bringen und floh dann in einem Boot des Schiffs stromabwärts.«

 

Wir haben die Geständnisse des Verbrechers im Zusammenhange mitgetheilt, weil wir dies für die Darstellung und das Verständniß zweckmäßig erachteten. Man glaube aber nicht, daß sich die Sache so leicht machte. Es war vielmehr eine sehr schwierige Untersuchung und ganz dazu angethan, den Scharfsinn und die Geduld des Inquirenten auf die äußerste Probe zu stellen. Eine Hauptschwierigkeit bestand darin, daß Torio nicht deutsch, sondern spanisch und nur etwas englisch sprach. Bei allen Verhandlungen mußte demnach ein Dolmetscher der spanischen Sprache, der frühere Gesandtschaftsattaché Johann Friedrich Pohl, den Vermittler abgeben. Trieb der Inquirent den Verbrecher im Verhör in englischer Sprache in die Enge, so brach er plötzlich ab, that, als ob er nicht verstände, und sagte: »Spanisch, spanisch!« Ehe ihm der Dolmetscher die Frage vorlegte, hatte er sich gesammelt und leugnete dann mit kalter Ruhe. Wilde Rachsucht, Grausamkeit, Brutalität, verbissener Trotz und eine über die maßen große Lügenhaftigkeit sind die hervorstechenden Charakterzüge, welche uns bei Paulino Torio entgegentreten. Das Lügen war ihm zur andern Natur geworden und er log auch in solchen Punkten, bei denen er sich keinerlei Vortheil davon versprechen konnte. So z.B. behauptete er lange steif und fest, er hätte das mehrfach beregte Dolchmesser in England gekauft. Erst nachdem der Verkäufer, der Messerschmied Weber, ganz genau beschrieben hatte, wie Torio wol eine halbe Stunde bei ihm im Laden gewesen und verschiedene andere Sachen gemustert, endlich aber ein Dolchmesser gekauft und bezahlt hätte –, erst als ihm dies alles haarklein vorgehalten wurde, räumte er den Ankauf des Messers in Hamburg ein. Gefragt, weshalb er solche Lügen vorgebracht habe, erwiderte er dem Inquirenten kaltblütig: »Para mi gusto!« (»Weil es mir so gefällt!«) Da er bei Nebensächlichem so verfuhr, so kann man ermessen, welchen harten Stand der Inquirent in den Hauptsachen mit ihm hatte. Namentlich von der Unthat in Teufelsbrück wollte er anfangs gar nichts wissen und geberdete sich sehr unbändig, sobald man die Rede darauf brachte; dagegen kam er unaufgefordert immer wieder auf die von ihm verübte Ermordung der Emmy Vogel zurück und sprach darüber mit einer gewissen Genugthuung. »Halb selig«, sagteer, »war ich schon durch das Bewußtsein, die Emmy getödtet zu haben; hätte ich auch die Schwester Alwine tödten können, so würde ich mich ganz selig gefühlt haben!« – Um den Verdacht der Thäterschaft des teufelsbrücker Raubmordes von sich fern zu halten, hatte er anfangs behauptet, er habe sich nach Ermordung der Emmy Vogel bis 12 Uhr nachts im Vordertheil des Gloriano verborgen gehalten und sei dann erst abgefahren. Diese Angabe wurde indeß durch den Kajütenjungen Baljicho widerlegt, der ihn an Bord kommen und wenige Minuten nachher, um 8 1/2 Uhr abends, wieder abfahren gehört hatte. Torio erklärte darauf im Verhör, daß er schmerzlich bedauere, den Baljicho an jenem Abend nicht auch ermordet zu haben, daß er ihn aber jedenfalls jetzt ermorden würde, wenn er seiner habhaft werden könnte! – Die Verhöre erschienen ihm als langweilige Formalitäten, er äußerte kurz nach seiner Gefangennahme, daß man ihn in seiner Heimat sofort gehängt haben würde. Gleich nachdem er die Ermordung der Emmy Vogel eingestanden, sagte er, man möge ihm eine Tasse Chocolade, nachher etwas Geflügel geben, und ihn dann hängen! Mit welcher Langsamkeit der fiscalische Proceß in Hamburg seinen Fortgang nimmt, hat der Verfasser schon im ersten Bande dieses Werks, bei Gelegenheit des Elßmann'schen Processes, dargethan. Dem wilden Natursohne mit ungezügelter Leidenschaft war die Gefangenschaft ärger als der Tod, und daß ihm bei dem hamburgischen Criminalprocesse Zeit und Weile lang wurden, ist leicht erklärlich. Da das »Hängen«, auf das er sich gefaßt gemacht hatte, immer und immer nicht vor sich ging, beschloß er, sich todtzuhungern. Er sagte, man solle ihm nichts mehr zu essen bringen, weil er verhungern wolle. Als man ihm erwiderte, das Essen müsse gebracht werden, antwortete er, dann würde er es stehen lassen und dennoch in einigen Tagen todt sein. » Der Präsident von Hamburg wird meine Hinrichtung nicht erleben!« – Wirklich genoß er während dreiundsechzig Stunden nicht das Mindeste, obwol man ihn durch Hinstellen seiner Lieblingsspeisen andern Sinns zu machen versuchte. Als die Gerichtsärzte ihm erklärten, daß, wenn er nicht freiwillig Speise zu sich nähme, man ihm auf mechanischem Wege Nahrung beibringen würde, gab er seinen Vorsatz auf und bequemte sich zu essen.

 

Paulino Torio war zur Zeit seiner Gefangennahme – nach seiner Angabe – 33 Jahre alt und in San-Tomas in der Provinz Manila auf den Philippinischen Inseln geboren. Sein Vater soll Ignatio de la Cruce geheißen haben und Particulier gewesen sein; seine Mutter nannte er Supliana Gregoria. Während er einmal behauptete, daß beide Aeltern schon sehr lange todt und bereits verstorben gewesen seien, als er vor 22 Jahren die Heimat verlassen habe, sagte er ein anderes mal aus, daß seine Mutter sich noch am Leben befinde. Er war im römisch-katholischen Glauben erzogen, hatte auch in seiner Heimat die Schule besucht, dieselbe jedoch oft versäumt und weder lesen noch schreiben gelernt. Den Religionsunterricht hatte er von einem katholischen Geistlichen erhalten und die Zehn Gebote, das Vaterunser und das Glaubensbekenntniß kennen gelernt, er kannte das Gebot: »Du sollst nicht tödten«, und glaubte an ein ewiges Leben, in welchem der Mensch für seine Missethaten auf Erden bestraft werden würde. Unter seinen Effecten fand man einen Katechismus und ein Christusbild.

Torio widmete sich von Jugend auf dem Seefahrerstande, er fuhr auf Kauffahrteischiffen und eine Zeit lang in den chinesischen Gewässern auf einem Schmugglerschiffe. Nach seiner Versicherung hat er niemals Schiffsstrafen oder sonstige Strafen erlitten, Händel hat er ab und zu gehabt, jedoch niemals von seinem Messer Gebrauch gemacht.

Seit etwa fünf Jahren gehörte Torio zur Besatzung des Eloriano, zuerst als Matrose, das letzte Jahr als Bootsmann. Der Kapitän dieses Schiffes, d'Anduiza, war jederzeit mit ihm zufrieden, was ihn auch veranlaßte, den Torio, den er Krankheits halber in Havana hatte zurücklassen müssen, bei der nach einigen Monaten erfolgten Rückkehr des Schiffs dorthin wieder an Bord zu nehmen, obschon die Besatzung ohne ihn schon complet war. Namentlich wurde ihm allseitig das Zeugniß großer Nüchternheit ertheilt.

Nach Hamburg war Torio mit dem Eloriano zuerst am 18. Februar 1863 und seitdem wiederholt gekommen, zuletzt etwa drei Wochen vor der Verübung seiner Verbrechen. Wenn er am Lande war, hielt er sich meistens in der Vogel'schen Wirtschaft auf.

 

Emmy Vogel war auf hamburgischem, das Heitmann'sche Ehepaar auf holsteinischem Territorium ermordet worden. Es entstand daher die Frage, ob der eine Staat seine Strafgewalt auf den andern übertragen und beide Verbrechen von Einer Behörde untersucht und abgeurtheilt werden könnten. Der hamburgische Senat forderte, nachdem Verhandlungen zwischen ihm und der holsteinischen Behörde über diese Frage gepflogen waren, das hamburgische Obergericht auf, sich gutachtlich darüber zu äußern, »ob Bedenken dagegen obwalteten, sich mit der competenten holsteinischen Behörde über die Aburtheilung des in Hamburg und des in Holstein begangenen Verbrechens in der Weise zu einigen, daß durch Uebertragung der Strafberechtigung der einen Behörde auf die andere entweder von hamburgischen oder aber von holsteinischen Gerichten in Betreff beider Verbrechen das Strafurtheil abgegeben werde«.

Das Obergericht erwiderte unter dem 3. Januar 1866 etwa folgendermaßen: Es erscheine ihm die Zusammenbehandlung und Zusammenaburtheilung beider Verbrechen dergestalt als ein Postulat der innern Gerechtigkeit, daß die etwaigen formellen Bedenken, da aus ihnen eine erkennbare Nichtigkeit nicht abzuleiten sei, der Berücksichtigung des gedachten höhern Standpunktes unterzuordnen seien.

Zur Begründung dieser seiner rechtlichen Ueberzeugung beziehe es sich vor allem darauf, daß nur aus vollständiger Erwägung aller in den Acten enthaltenen Momente, insbesondere auch der Angaben, welche der Verbrecher über die Motive seiner verbrecherischen Handlungen gemacht habe, ein zuverlässiges Urtheil über das eine wie über das andere Verbrechen, und namentlich über die Stärke des verbrecherischen Willens des Thäters, geschöpft werden könne. Bei abgesonderter Beurtheilung würde jedes der beiden Gerichte entweder in die Sphäre des ihm nicht unterbreiteten Verbrechens hinübergreifen oder sich der Miterwägungen in gezwungener Weise erwehren müssen, welche die Specialitäten des einen Verbrechens für das Verständnis; des andern an die Hand gäben. Daraus folge, daß jedes der beiden Verbrechen, einzeln aufgefaßt und abgeurtheilt, einer unrichtigen, seiner innern Natur nicht entsprechenden Veurtheilung unterliegen müßte oder doch unterliegen könnte. Insbesondere würden die holsteinischen Gerichte, wenn nach hamburgischer Aburtheilung des Torio in Betreff der Tödtung der Emmy Vogel zur Aburtheilung der an den Eheleuten Heitmann begangenen Verbrechen berufen, in die unleidliche Alternative versetzt werden, entweder die Veranlassung des an den Eheleuten Heitmann begangenen Verbrechens außer Acht lassen oder den Verbrecher für das bereits bestrafte Verbrechen, in dessen anderweitiger Eigenschaft als Motiv oder doch als Veranlassung des in Teufelsbrück begangenen Verbrechens, noch einmal zur Verantwortung und zur Strafe ziehen zu müssen.

Die Rechtslehrer des gemeinen deutschen Criminalrechts und ebenso mehrere der neuern Criminalgesetzgebungen trügen kein Bedenken, nicht nur bei zweifelhafter Competenz einer Mehrheit von Strafgerichten eines und desselben Staats, sondern auch dann einen außerordentlichen Gerichtsstand für eine Mehrheit von einem und demselben Individuum in verschiedenen Gerichtsbezirken desselben Staats begangener Verbrechen zu statuiren, wenn die Connexität der Verbrechen oder auch nur die Vereinfachung des Rechtsgangs die Zusammenbehandlung vor einem Gerichte anstatt der an sich competenten mehrern Gerichte erheische.

Der vorliegende Fall dagegen, in welchem es sich darum handle, die Competenz der Gerichte eines Staats aus Gründen innerer Nothwendigkeit auch für die vom Ausländer im Auslande, und zwar nicht gegen Inländer begangenen Verbrechen zu begründen, sei – soweit dem Obergericht bekannt – einer eingehenden Behandlung auch von den Rechtslehrern nicht unterzogen worden, welche sich vorzugsweise mit dem internationalen Recht beschäftigten. Darüber freilich, daß, solange der deutsche Reichsverband bestanden, die Gerichte der einzelnen Reichsstände gegeneinander dieselben Grundsätze zu respectiren hatten, welche nach gemeinem deutschen Criminalrecht für die Gerichte eines und desselben Reichsstandes maßgebend waren, walte bei den Strafrechtslehrern kein Zweifel ob. Seit dem Aufkommen der Territorialsouveränetät der deutschen Einzelstaaten trete dagegen die Besorgniß, dieser Souveränetät etwas zu vergeben, in den Vordergrund. Dieser Gesichtspunkt sei es, den der auch in Hamburg publicirte Bundesbeschluß vom 26. Januar 1854 im Auge habe und den er vorzugsweise berücksichtige bei seinen Anordnungen darüber, wann und unter welchen Modalitäten ein Bundesstaat dem andern zur Auslieferung von Verbrechern verpflichtet sei.

In Ermangelung positiver Anhaltspunkte werde demnach, eben wie bei unzweifelhaft vorhandenen Competenzconflicten zwischen den Gerichten mehrerer Staaten, so auch dann nach allgemeinen Grundsätzen zu verfahren sein, wenn freilich an und für sich die Competenz der Gerichte mehrerer Staaten für die mehrern Verbrechen desselben Individuums begründet sei, dennoch aber die höhern Rücksichten auf Verwirklichung innerer Gerechtigkeit eine Zusammenbehandlung erheischen. Es solle hiermit gesagt sein, daß, während bei ähnlichen Erscheinungen in Beziehung auf die Gerichte eines und desselben Staats die Regierungsgewalt desselben die zum Zweck der Zusammenbehandlung erforderlichen Anordnungen zu treffen habe in Fällen der hier fraglichen Art durch Uebereinkunft zwischen den Regierungsgewalten der mehrern Staaten festzustellen sein werde, ob den Gerichten des einen oder des andern Staats die Aburtheilung der connexen Verbrechen eines und desselben Verbrechers zu überweisen fei.

Die Zulässigkeit strafrechtlicher Aburtheilung der Angehörigen eines deutschen Staats durch die Gerichte eines andern Staats in Beziehung auf im Inlande begangene strafbare Handlungen, für welche an sich nur die Gerichte des Inlandes competent seien, könne um so weniger einem Bedenken unterliegen, als dieselben durch unabweisliche Nothwendigkeit dann geboten sei, wenn die Gerichte eines Staats infolge freiwilliger oder provocirter Recusationen zur Aburtheilung eines concreten Falles unzulänglich seien. Dieser Fall sei auch in Hamburg schon vorgekommen, indem das Obergericht im Jahre 1845, mit Einwilligung des Senats der Freien Stadt Lübeck und mit Genehmigung des hamburgischen Senats, durch das Oberappellationsgericht zur Aburtheilung der Vergehen bestellt wurde, welche der lübische Bürger Daniel Jacoby gegen den lübischen Staat begangen haben sollte. Ebenso sei in Sachen Fiscalis in criminalibus gegen Wurmb und Consorten im Jahre 1844 und in Sachen des Fiscals gegen W. Hocker im Jahre 1845 durch Delegation die Strafgerichtsbarkeit des hamburgischen Obergerichts an das Obergericht der Freien Stadt Bremen übertragen worden.

Wenn in jenen Fällen auf Grund einer durch das Oberappellationsgericht vermittelten Uebereinkunft beider Regierungsgewalten das hamburgische, resp. das bremische Obergericht durch einen der strafbaren Handlung nachfolgenden Vertrag mit der erforderlichen Competenz ausgerüstet worden, so werde auch die durch Vertrag herzustellende Competenz, sei es der hamburgischen, sei es der holsteinischen Gerichte, für den gesammten Complex der am 2. November (vielleicht am 2. und 3. November) 1865 von Torio begangenen Verbrechen einem begründeten Einwande nicht Raum geben können.

Am allerwenigsten werde dem Torio ein erworbenes Recht auf abgesonderte, successive Aburtheilung der von ihm in Hamburg und Holstein begangenen Verbrechen durch die Gerichte beider Staaten beigemessen werden können. Abgesehen auch davon, daß er sich durch die von ihm begangenen Verbrechen gegen die allen Staaten gemeinsame Rechtsordnung aufgelehnt habe, würde man ihm doch immer nur so viel einräumen können, daß das zu berufende Strafgericht auf die von ihm begangenen Verbrechen schwerere Strafen nicht anwende, als es die in den örtlichen Gesetzen der begangenen Thaten angedrohten seien. Nun gelte aber in Holstein wie in Hamburg noch zur Stunde ein und dasselbe Strafrecht, das gemeine deutsche Criminalrecht, wie sich dessen beide Staatsgewalten bei Gelegenheit der abzuschließenden Uebereinkunft vergewissern würden.

Das Obergericht halte dafür, daß neben den geltend gemachten innern Gründen den äußern Momenten, welche ebenfalls für die Zusammenbehandlung reden, nur eine untergeordnete Erheblichkeit beizumessen sei. Es werde deshalb nur beiläufig hervorgehoben, daß neben der unleidlichen Verweitläuftigung, welche mit einer zweifachen erschöpfenden Untersuchung und mit einem zweifachen artikulirten Verhöre verbunden sein würde, auch die Eventualität nicht außer Acht zu lassen sein dürfte, daß die mehrern Strafen, welche von den beiden an sich zuständigen Gerichten erkannt werden dürften, schwerlich nebeneinander würden in Vollzug gebracht werden können. Eine derartige Eventualität werde von angesehenen Rechtslehrern als genügend zur Begründung eines außerordentlichen Gerichtsstandes behandelt.

Wenn demnach das Obergericht die von dem Senate angedeutete Einigung über Zusammenbehandlung beider Verbrechen für eine dringend gebotene erachte, so werde dadurch die Eventualität einer Nichtigkeitsbeschwerde nicht ausgeschlossen, welche von der Vertheidigung zur Hand genommen werden möchte. Da indessen durch die vom Obergericht befürwortete Einigung gegen positive Gesetzesvorschriften nicht verstoßen werde, dieselbe vielmehr zutreffende Analogien für sich geltend zu machen habe, so glaube das Obergericht die vorstehenden Erwägungen zu geeigneter Berücksichtigung empfehlen zu dürfen.

Das Obergericht setze im übrigen als selbstverständlich voraus, daß die zwischen den beiderseitigen Regierungsgewalten abzuschließende Einigung in officieller Form zu den Acten werde gebracht werden.

In ähnlicher Weise sprachen sich auch die holsteinischen Gerichte und Behörden gegenüber der Statthalterschaft aus.

Nach Anleitung des vorstehenden Gutachtens des Obergerichts schloß darauf der Senat die Übereinkunft mit dem damaligen österreichischen Statthalter ab und brachte folgenden Erlaß des letztern zu den Acten: »Ich, der kaiserlich königliche Statthalter für das Herzogthum Holstein, erkläre hierdurch dem hohen Senat der Freien Hansestadt Hamburg mein Einverständniß, daß die wegen der von dem Untersteuermann Paulino Torio aus Manila am 2. (3.) November 1865 in Teufelsbrück begangenen Verbrechen in Holstein begründete Strafgewalt, soweit dieselbe nicht bereits ausgeübt worden, ihrem vollen Umfange nach auf die hamburgische Staatsgewalt dergestalt überzugehen hat, daß neben der gerichtlichen Aburtheilung auch die eventualiter seitens der höchsten Staatsgewalt erforderliche Bestätigung der von den Gerichten erkannten Strafe, sowie eine etwaige Begnadigung der hamburgischen Staatsbehörde überlassen wird. Die Kosten des gesammten Strafverfahrens sind über beide Staaten gleichmäßig zu vertheilen.

Freiherr von Gablenz.«

Am 15. und 16. Januar 1866 wurde das artikulirte Verhör mit dem Verbrecher vorgenommen. Es bestätigte die Thatsachen, wie sie größtenteils schon vorgetragen sind. Nur einige bemerkenswerthe Punkte sind hervorzuheben. Torio gab an: »Emmy Vogel hat meine Bewerbungen nicht allein zurückgewiesen, sondern auch mich verhöhnt und verlacht; auch Alwine Vogel und verschiedene Gäste der Vogel'schen Wirtschaft haben mich deshalb verlacht. Anfangs habe ich es nicht so bitter empfunden, dann aber hat es mich tief verletzt; es war mir, als wenn ich einen Dolchstich bekäme. Ich hätte mich lieber köpfen, als so auslachen lassen. Die Verhöhnung hat mich in den heftigsten Zorn versetzt. Ich hatte mir vorgenommen, alles zu ermorden, was mich auslachte, Emmy Vogel, ihre Schwester, die Gäste. Nicht Eifersucht hat mich zu der That bewogen, nur allein der Zorn über das Verlachen und die dadurch mir zugefügte Beschimpfung. Zum Heirathen hätte es Mädchen genug für mich gegeben.« – Ferner blieb er bei der Behauptung, daß er 120 Thlr. erspartes Geld vom Bord des Eloriano auf die Flucht mitgenommen. Augenscheinlich wollte er nicht mit dem Geständniß heraus, daß er die Eheleute Heitmann nur deshalb ermordet habe, um Geldmittel zu weiterer Flucht zu gewinnen. Auf den Vorhalt, daß man sich schwerlich einige Thaler Vorschuß und a conto Zahlungen leisten lassen, auch Kleinigkeiten auf Credit von den Lieferanten entnehmen würde, wenn man 120 Thlr. liegen habe, antwortete er: »Es ist aber doch so; ich wollte mein erspartes Geld nicht angreifen!« – Auf die Frage, ob er es bereue, die Emmy Vogel getödtet zu haben, antwortete er: »Nein, ich freue mich darüber, weil die Emmy mich ausgelacht hat!« – und auf die weitere Frage, ob er den Tod der Eheleute Heitmann bereue, gab er die Antwort: »Nein, ich bedauere überhaupt gar nichts!« – Auf den Vorhalt, daß er jetzt andere Angaben mache als in frühern Verhören, erwiderte er trotzig: »Damals wollte ich es nicht sagen, jetzt will ich es sagen.« – Am Schluß des artikulirten Verhörs findet sich von der Hand des Inquirenten, Criminalactuars Dr. Föhring, die nachstehende Note:

»Der Arrestat hat sowol heute wie gestern wiederholt darum gebeten, bald aufgehängt zu werden, und versicherte noch namentlich heute bei dem Befragen, ob er seine That bereue, er freue sich sehr, daß er von der Regierung hingerichtet werde und daß er nicht durch die Hand eines Privatmanns sterbe.«

Den Wunsch, bald aufgehängt zu werden, mußte sich Torio vergehen lassen. Die erste öffentliche Gerichtsverhandlung der Sache wurde am 14. Juni 1866 vom Niedergerichte in Gegenwart eines zahlreichen Publikums abgehalten. Der Verbrecher schien während der Gefangenschaft abgemagert, die bräunliche Gesichtsfarbe etwas lichter geworden zu sein. Seine Züge drückten Ingrimm und Trotz aus, mit einem Gemisch von kalter Verachtung und Hohn musterten seine Augen die Versammlung und den Richtertisch. Mitunter zuckten die Halsmuskeln fieberhaft, die Pupillen der Augen zogen sich zusammen, keuchende Athemzüge hoben die Brust; er glich einem zum Sprunge bereiten Raubthier.

Zuerst wurde das Artikelverhör verlesen, dessen hauptsächlichster Inhalt dem Leser bereits aus dem Vorhergehenden zur Genüge bekannt ist. Sodann folgte die Verlesung der Anklage. Diese in der That meisterhafte Arbeit schilderte zunächst die Ermordung der Emmy Vogel und berichtete dann über die Gefangennahme des Angeklagten und sein Geständniß. Hierauf wurde ausgeführt, daß Torio die Emmy Vogel planmäßig infolge eines mit Vorbedacht und Ueberlegung gefaßten Entschlusses ermordet und in räuberischer Absicht auch die Heitmann'schen Eheleute erstochen habe. Der fiscalische Anwalt stellte schließlich den Antrag, das Niedergericht möge den Inquisiten des Mordes für schuldig erklären und zum Tode verurtheilen.

 

Am 10. October 1866 fand in öffentlicher Criminalaudienz des Niedergerichts die Vertheidigung des Angeklagten durch Dr. Gieschen statt. Er begann damit, daß er seine schwierige Stellung eingestand. Als im vorhergehenden November die erste Unthat bekannt geworden, da seien für den Thäter noch hier und da Sympathien rege gewesen. Der heißblütige Spanier, der das Mädchen, das er liebt, tödtet, weil er sich verschmäht sieht, sei durchaus nicht als ein Gegenstand, der nur Abscheu herausfordere, erschienen. Als man jedoch vernommen, daß derselbe Mann noch zwei andere schwere Frevelthaten begangen, und zwar, wie verlautete, aus schnöder Gewinnsucht, da hätten sich die früher etwa vorhandenen Sympathien in desto stärkern Abscheu verwandelt. Der Vertheidiger erachtet es für nothwendig, ehe er sich über die That selbst verbreitet, die Natur und Entwicklungsgeschichte des Thäters zu berücksichtigen, und sagt:

»Es ist unzweifelhaft, daß eine verschiedene Behandlung und auch eine verschiedene Veurtheilung der Strafbarkeit platzgreifen muß, wenn ein Mitglied eines civilisirten Staats, das, wenngleich noch so verwahrlost, doch direct und indirect die Einwirkung der versittlichenden Institutionen seiner Umgebung empfunden hat, oder wenn ein Mensch bestraft werden soll, dessen Geburtsort eine der Inseln des östlichen Asiens ist. Nicht nur das Lebensalter, nicht nur die physische und intellectuelle Entwickelung, auch der Geburtsort, die Abstammung, vor allem die Rasse sind in Erwägung zu ziehen.

»Torio ist geboren in San-Tomas, einer kleinen Küstenstadt der Insel Luzon oder Manila. Diese Insel liegt im nördlichsten Archipelagus des asiatischen Inselmeers und gehört zu den Philippinen, einer Inselgruppe innerhalb des heißesten Erdgürtels. Die Einwohner sind theils Eingewanderte (die herrschenden Spanier), theils Eingeborene. Letztere gehören entweder zu den Malaien oder zu den Australnegern. Der Inquisit gehört der letztern Rasse an. Die Malaien unterjochten zuerst die heimischen Neger, erlitten selbst aber später das gleiche Schicksal durch die Spanier. Dieses wechselnde Unterdrücken und Unterdrücktsein erklärt den Charakter des Volks, das fröhlich, sanft, muthig und kriegerisch ist, daneben aber auch wankelmüthig, leidenschaftlich, lustgierig und rachsüchtig. Sie stehen auf der niedrigsten Stufe geistiger und technischer Bildung. Spanien hat die fluchwürdige Politik verfolgt, die Eingeborenen im vollständiger geistiger Beschränktheit zu erhalten.

»In dieser Umgebung aufgewachsen, hat Torio die Heimat verlassen und ein Schiff bestiegen. Anfangs ist er auf malaiischen Küstenfahrern (vielleicht auch auf den in jenen Gewässern so zahlreichen Seeräuberschiffen), dann auf Schmuggler- und endlich auf Kauffahrteischiffen gefahren. Sein Körper ist ausgebildet worden, nicht aber sein Geist und sein Gemüth. Der Aufenthalt auf Schmugglerschiffen war dazu angethan, ihn alle menschlichen und göttlichen Gesetze verachten zu lehren, denn es gibt kein für die Sittlichkeit gefährlicheres Gewerbe als das des fortwährenden Kriegs mit der Gesellschaft, in dem der Schmuggler lebt. Diese Umgebung war nicht dazu geeignet, ein nur seinen Begierden lebendes Geschöpf zum Menschen zu machen. Kann aber der Staat sein Strafrecht auf einen Menschen ausdehnen, der in solcher Weise aufgewachsen ist? – Das Strafrecht ist kein absolutes Recht, sondern es correspondirt demselben eine Pflicht: die, zu erziehen. Wo die letztere, aus was immer für Gründen, nicht geübt worden ist, da darf der Staat auch keinen Anspruch auf das Recht zu strafen erheben. Diese Grundsätze werden im Strafrecht stillschweigend anerkannt, indem da, wo eine Erziehung noch nicht stattgefunden hat, z.B. bei Kindern, oder da, wo sie nicht möglich ist, z.B. bei Wahnsinnigen und Taubstummen, wegen mangelnder Zurechnungsfähigkeit nicht gestraft wird. Folgerichtig muß man aber auch den Inquisiten, dessen Rechtsanschauungen uns ebenso unverständlich sind, wie ihm die unserigen, nicht anders beurtheilen als einen ganz ununterrichteten Taubstummen, der sich ebenfalls nur wie ein listiges und lustgieriges Thier zu verhalten pflegt. Es mangeln dem Inquisiten die psychischen Bedingungen, um mehr zu sein als ein Raubthier, das bis zu einem gewissen Maße durch Gewalt oder Furcht gebändigt oder abgerichtet worden ist. Die Anklage legt ein besonderes Gewicht auf den Unterricht, den Torio durch einen katholischen Missionar in seiner Heimat erhalten hat, und hebt mit Befriedigung hervor, daß der Inquisit speciell das Gebot »Du sollst nicht tödten« kennt. Man muß sich jedoch erinnern, daß Torio bereits in seinem zehnten Jahre die Heimat verlassen hat, daß also der Unterricht in seine früheste Jugend gefallen ist. Die Resultate des Unterrichts sind durchaus nicht derart, daß man die Zurechnungsfähigkeit des Inquisiten annehmen müßte. Torio, der sogar das Spanische sehr mangelhaft spricht, kann weder lesen, noch schreiben, noch rechnen, kennt nicht einmal das Glaubensbekenntniß oder die Zehn Gebote. Und ein Bekanntsein mit einem Verbote ist bei weitem noch nicht das Pflichtbewußtsein, von dem die strafrechtliche Zurechnung abhängt.

»Will man aus sittlichem Widerwillen gegen die begangenen Unthaten oder gar nur aus Zweckmäßigkeitsgründen eine Strafe aussprechen, so heißt das dem Beispiel des Inquisiten folgen und ihn abschlachten, wie er die Opfer seiner Begier abgeschlachtet hat, nur mit etwas mehr Leidenschaftslosigkeit und mit etwas kälterm Blute. Wenn ein solches Verfahren Strafe genannt wird, so kann man es mit ungefähr ebenso vielem Recht Strafe nennen, wenn man einen Ochsen schlachtet, der einen Menschen auf die Hörner genommen und in die Luft geschleudert hat. Namentlich aber muß bei Anwendung der Todesstrafe die allergrößte Vorsicht beobachtet werden. Ganz gewiß darf sie nicht gegen einen Menschen erkannt werden, welcher ohne jeden Unterricht aufgewachsen ist, der durch seine Geburt einer wilden Rasse angehört, dessen Vorstellungen niemals berichtigt worden sind, der es nie gelernt hat, seine Leidenschaften zu zügeln.

»Die Vertheidigung richtet daher principaliter ihre Bitte dahin:

»Das Niedergericht geneige zu erkennen, daß der Inquisit Paulino Torio aus Manila für strafrechtlich nicht zurechnungsfähig und daher auch der ihm zur Last gelegten Verbrechen für nicht schuldig zu erachten sei.«

»Nach den Grundsätzen des geltenden Proceßrechts ist die Vertheidigung jedoch verpflichtet, auch auf das Sachliche der peinlichen Anklage wenigstens in eventum zu antworten. Die Anklage hat die Tödtung der Emmy Vogel dargestellt, als ob es sich um ein sorgfältig prämeditirtes und lange vorbereitetes Verbrechen gehandelt hätte, als ob das Motiv Rachsucht, nicht Eifersucht gewesen wäre. Die Vertheidigung will dem unglücklichen Mädchen nichts Böses nachsagen, darf aber doch nicht verschweigen, daß Emmy Vogel es an der nöthigen Vorsicht hat fehlen lassen und daß jedenfalls ihr Benehmen gegen Torio mit dazu beigetragen hat, die blutige Katastrophe herbeizuführen. Torio ist 1863 zum ersten mal nach Hamburg gekommen und hat die Emmy in der Wirtschaft ihrer Aeltern, die er fast täglich besuchte, kennen gelernt. Vom ersten Augenblick an hat er für sie die heftigste Neigung gefaßt. Seine Leidenschaft ist weder ihr selbst noch den Aeltern verborgen geblieben, dennoch ist nichts geschehen, um gleich im Anfang die geeigneten Mittel gegen diese Leidenschaft zu ergreifen. Augenscheinlich hat das Gegentheil stattgefunden. Der Angeklagte ist täglich gekommen und stets freundlich aufgenommen worden. Sowol mit den Töchtern wie mit den Aeltern ist er wiederholt ausgegangen, ist mit ihnen in verschiedenen Vergnügungsetablissements gewesen, hat die Familie Vogel in das »Thaliatheater« geführt und nicht nur den Wagen und die Entrées bezahlt, sondern auch auf dem Heimwege die ganze Gesellschaft in einer Wirtschaft tractirt. Auch eine Landpartie ist von ihm und der Familie Vogel gemacht worden.

»Besonders der Ermordeten gegenüber hatte Torio eine Stellung, die von der eines verschmähten Liebhabers durchaus verschieden war. Beide verkehrten nicht nur freundschaftlich miteinander, sondern wechselten auch gegenseitig kleine Geschenke. So verehrte z. B. der Angeklagte der Emmy eine Spieldose und beide tauschten ihre Porträts aus. Es kam hinzu, daß ein Brief, in dem der Angeklagte der Emmy seine Liebe gestand und ihr seine Hand antrug, unbeantwortet blieb; er konnte sich demnach wohl der Hoffnung hingeben, daß man es gern sehen werde, wenn er seine Bewerbungen fortsetze. Da er endlich zum Ziele zu kommen wünschte, ließ er einen zweiten Brief schreiben und forderte eine unumwundene Erklärung. Darauf empfing er, ganz wider Erwarten, eine ablehnende Antwort, nicht nur seine erneuerten Bewerbungen, sondern auch werthvolle Geschenke wurden von Emmy zurückgewiesen.

»So kam der verhängnißvolle 2. November heran. Als Torio am Abend, wie gewöhnlich, in die Wirthsstube trat, fand er daselbst die Familie Vogel und mehrere Gäste. Die Anwesenden verlachten ihn und überschütteten ihn mit Hohn und Spott, sodaß eine kaum zu bändigende Wuth in ihm kochte. Die beiden Schwestern verließen die älterliche Wohnung, er folgte ihnen, bot ihnen seine Begleitung an, aber er wurde abschlägig beschieden. Augenscheinlich hatte er die Absicht, der Emmy noch einmal einen Antrag zu machen, indem er, leichtgläubig wie jeder Liebende, sich immer noch der Hoffnung hingab, daß er das Ziel seines heißen Wunsches erreichen würde. Er ging der Geliebten nach in das Haus ihrer Schneiderin, weil er die Gelegenheit suchte, seine Bewerbung nochmals anzubringen. Emmy wartete indeß nicht auf ihn, sondern eilte die Treppe hinauf. Torio stürmte ihr nach und holte sie oben ein. Eine kurze Anfrage, eine neue schnöde Zurückweisung, und Torio, auf das furchtbarste gereizt, sinnlos vor Wuth, Eifersucht und gekränkter Liebe, zieht seinen Dolch und führt den verhängnißvollen Stoß.

»Die Verteidigung nimmt daher nur einen Todtschlag im höchsten Affect an und lichtet ihr eventuelles Bittgesuch dahin:

»Das Niedergericht geneige zu erkennen, daß der Inquisit Paulino Torio des Todtschlags an der Emmy Karoline Vogel für schuldig zu erachten, und in Berücksichtigung des hohen Grades des Affectes, in dem er sich zur Zeit der That befunden, und der geminderten Zurechnungsfähigkeit zu einer angemessenen Zuchthausstrafe zu verurtheilen sei.«

»Die peinliche Anklage ist noch wegen eines zweiten schwerern Verbrechens erhoben worden, nämlich wegen des mit der Absicht der Beraubung ausgeführten Mordes des Jürgen Heitmann und der Margaretha Heitmann, geborenen Nagel, seiner Ehefrau.

»Ehe die Verteidigung auf diesen Theil der Klage antwortet, spricht sie ihre Ueberzeugung dahin aus, daß sie für diese Verbrechen, die in Teufelsbrück, also auf holsteinischem Gebiet, verübt sind, das hamburgische Niedergericht nicht für das competente Forum hält.

»Nach gewöhnlichen strafprocessualischen Grundsätzen werden die Strafgesetze eines Staats nur auf solche Verbrechen angewandt, die innerhalb seiner Grenzen begangen sind. Ausnahmsweise wird ein im Auslande verübtes Verbrechen dann im Inlande bestraft, wenn der Thäter ein Inländer und bisher nicht zur Verantwortung gezogen ist, oder wenn es sich um Staatsverbrechen handelt. Dagegen werden gegen das Rechtsgebiet einzelner gerichtete Verbrechen, die im Auslande von einem Ausländer verübt werden, nicht im Inlande bestraft.

»Um dem Niedergericht die ihm fehlende Competenz zu octroyiren, beruft sich der Fiscal auf einen Staatsvertrag, der von dem Senat und dem österreichischen Statthalter des Herzogthums Holstein abgeschlossen worden ist. – Dieser Vertrag bestimmt, daß die Strafgewalt, welche für das in Teufelsbrück begangene Verbrechen in Holstein begründet ist, auf Hamburg übergehen solle. Das Obergericht, dem der Vertrag zur Begutachtung vorgelegt worden, hat ihn gebilligt und beschlossen, daß gegen den Inquisiten sowol wegen des hier als auch wegen des in Teufelsbrück begangenen Verbrechens die peinliche Anklage zu erheben sei.

»Zunächst könnte die Verteidigung die Frage aufwerfen, ob die beiden Contrahenten zum Abschluß des Vertrags berechtigt gewesen seien. Es scheint ihr nämlich zweifelhaft zu sein, sowol ob der Senat derartige Verträge ohne Zustimmung des andern Factors der Souveränetät, der Bürgerschaft, abschließen dürfe, als auch ob der österreichische Statthalter von Holstein, der als Träger der holsteinischen Justizhoheit unterzeichnet hat, rechtlich als der Repräsentant derselben anzusehen ist.

»Diese Frage kann indeß unerörtert bleiben, weil schon in der Natur jenes Vertrags ein Grund seiner Nichtigkeit enthalten ist. Wie aus dem Wortlaut hervorgeht, ist er für diesen bestimmten Fall abgeschlossen, das heißt, er ist ein Vertrag ad hoc und als solcher völlig wirkungslos. Wollte man es der Regierung gestatten, jeden einzelnen Strafrechtsfall durch einen solchen Vertrag ad hoc – d. h. durch Einmischung der vertragschließenden Regierungen in die Strafrechtspflege – einem beliebigen Richter zuzuweisen oder zu entziehen, so kann von der Unabhängigkeit der Justiz keine Rede mehr sein. Eine solche Verwaltungs-, d. i. Cabinetsjustiz aber würde die Strafgewalt in die Hände der Verwaltung legen und damit die persönliche Sicherheit durchaus gefährden.

»Das Obergericht hat nun freilich durch ein Gutachten seine Ueberzeugung dahin ausgesprochen, daß eine Aburtheilung des Inquisiten durch das Niedergericht auch für das in Holstein begangene Verbrechen unbedenklich erscheine. In jenem Gutachten ist nachgewiesen, daß es aus Gründen der Zweckmäßigkeit sehr wünschenswerth sei, wenn ein Gericht die Totalität der begangenen Verbrechen aburtheile. Dagegen hat jenes Gutachten aber die gewichtigen rechtlichen Gründe, die dem entgegenstehen, nicht zu widerlegen vermocht. Wenn das Obergericht auf zwei Präcedenzfälle verweist, in denen ebenfalls dem Gerichte eines fremden Staats die Aburtheilung übertragen worden ist, so darf nicht übersehen werden, daß es sich in beiden angeführten Fällen um Recusationen handelte, daß damals also, wenn nicht für eine Abhülfe gesorgt worden wäre, eine begründete Strafgewalt des Staats nur aus äußerlichen Gründen hätte unausgeübt bleiben müssen. Damals hat eine ordnungsmäßige Delegation stattgefunden, die durch die gemeinsame höchste Instanz der politisch geschiedenen Staaten vermittelt wurde, jetzt ist dagegen eine solche Delegation nicht in Frage und nicht einmal möglich, weil es an einem beiden Staaten gemeinschaftlichen höchsten Gerichtshofe fehlt.

»Den Gründen der Zweckmäßigkeit, auf die das Obergericht ein so bedeutendes Gewicht legt, stehen nicht nur allgemeine Rechtsregeln, sondern auch specielle gesetzliche Bestimmungen entgegen. Denn nicht nur die Reichsgesetze, namentlich die Reichskammergerichtsordnung von 1555, Thl. II, Tit. 26, §. 1 und Tit. 28, §. 5, der Deputationsabschied von 1600, §. 15, und der Reichsabschied von 1654, §. 108, sondern auch die Bundesacte Art. 12 und die Wiener-Schluß-Acte Art. 29 bestimmen, daß der Gerichtsstand nicht durch die Verwaltung verändert, d. h. daß niemand seinem ordentlichen Richter entzogen werden darf. Ganz besonders hervorzuheben ist, daß auch die hamburgische Verfassung in ihrem 7. Abschnitt, namentlich im §. 96 mit bestimmten Worten erklärt: jede Einmischung der Verwaltung in die Justiz ist unzulässig. Demnach ist also der betreffende Staatsvertrag auch deshalb nichtig, weil er in strictem Widerspruch mit dem Wortlaut der Verfassung steht.

»Unter solchen Umständen bittet die Vertheidigung:

»Das Niedergericht wolle erkennen, daß der von dem Senat und dem österreichischen Statthalter des Herzogthums Holstein geschlossene Staatsvertrag nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen, wie auch nach speciellen gesetzlichen Bestimmungen, dieses Gericht nicht bindet und daß selbiges daher wegen des an den Eheleuten Heitmann begangenen Verbrechens für incompetent zu erachten sei,«

Auf die Anklage selbst übergehend, sucht der Vertheidiger darzuthun, daß die Erzählung des Inquisiten recht wohl Glauben verdiene. Es sei gar nicht unwahrscheinlich, daß der durch die eben vollbrachte blutige That im höchsten Grade aufgeregte heißblütige Matrose mit dem dem Trunke ergebenen Heitmann in Streit gerathen sei und in der Wuth sodann die zweifache Tödtung verübt habe.

Es wird gebeten, das Niedergericht möge die Anklage wegen Ermordung der Eheleute Heitmann auf Grund der Einrede der Incompetenz zurückweisen, eventuell aber den Angeklagten wegen seiner geminderten Zurechnungsfähigkeit nur zu einer angemessenen Zuchthausstrafe verurtheilen.

 

Am 17. Januar 1867 wurde das Urtheil des Niedergerichts in öffentlicher Sitzung dem Angeklagten erst in deutscher, dann in spanischer Sprache publicirt. Es war so überaus umfangreich, daß die zweimalige Verlesung 2½ Stunden in Anspruch nahm. Wir geben nur die Einleitung, welche sich über die Competenzfrage verbreitet, wortgetreu. Das Erkenntniß sagte darüber:

»In Erwägung, daß die in Bezug auf den zweiten Anklagepunkt vom Vertheidiger zunächst vorgeschützte Einrede der Incompetenz der hiesigen Gerichte nicht für begründet zu erachten ist, da nämlich die Aburtheilung der von dem Angeklagten innerhalb weniger Stunden in zwei verschiedenen Gerichtsbezirken begangenen Verbrechen aus folgenden Erwägungen durch ein und dasselbe Gericht geschehen muß:

1) weil beide Verbrechen dadurch, daß das erste Veranlassung des zweiten geworden, in einem solchen Zusammenhange stehen, daß die richtige Beurtheilung, namentlich des zweiten Verbrechens und seiner Motive, durchaus eine zusammenfassende Betrachtung und eingehende Beurtheilung beider Verbrechen erheischt;

2) weil für jedes der beiden Verbrechen eine Strafe indicirt erscheint, deren Vollstreckung nebeneinander nicht möglich ist, mithin das zweite Verbrechen – ohne eine combinirte Aburtheilung beider – voraussichtlich ungesühnt bleiben würde, und weil überdies

3) die abgesonderte Aburtheilung jedes der beiden Verbrechen einen erheblich vermehrten Aufwand an Zeit, Arbeit und Kosten in Anspruch nehmen, auch die Vollstreckung der Strafe, wenn sie bis zur Aburtheilung beider Sachen ausgesetzt werden sollte, eine ungebührliche Verzögerung erleiden würde – wie denn auch aus diesen Gesichtspunkten nicht nur die neuern, für einzelne deutsche Länder erlassenen Criminalproceßordnungen eine combinirte Aburtheilung mehrerer von derselben Person in verschiedenen Gerichtsbezirken (freilich desselben Staats) begangener Verbrechen durch dasselbe Gericht vorschreiben, sondern auch die bewährtesten Schriftsteller des gemeinen Rechts unter jenen Voraussetzungen die Notwendigkeit oder doch die Zulässigkeit einer gemeinsamen Verhandlung der connexen Sachen anerkennen;

in Erwägung, daß hinsichtlich der weitern Frage, welchem Gerichte der beiden hier concurrirenden Staaten die gemeinsame Aburtheilung beider Verbrechen zustehe, vor allem der Gesichtspunkt hervorzuheben ist, daß dem Angeklagten, als Fremdem, in keinem der beiden Staaten, deren Rechtsordnung er gebrochen, ein rechtlicher Anspruch, vor einem bestimmten Gerichte Recht zu nehmen, zugestanden werden kann; da es ferner für die Entscheidung jener Frage an einem anerkannten, durchgreifenden, gemeinrechtlichen Grundsatze fehlt, indem einerseits die hiesigen Gerichtsbehörden, von denen zuerst die Specialuntersuchung gegen den Angeklagten eröffnet worden, die Prävention zur Seite stehen würde, während andererseits in Holstein das anscheinend schwerere und das spätere Verbrechen begangen und der Angeklagte auch auf dortigem Gebiet ergriffen worden ist, – da bei dieser Sachlage, ebenso in dem Falle, wenn ein Verbrechen auf der Grenze beider Staaten begangen wäre, eine Verständigung darüber geboten scheint, durch welches der concurrirenden Gerichte die Aburtheilung zu geschehen habe, nun aber die sämmtlichen betreffenden holsteinischen Gerichte sich durch ihre Landesregierung mit der Aburtheilung auch des vom Beklagten in Holstein begangenen Verbrechens durch die hamburgischen Gerichte einverstanden erklärt haben, – da somit die Competenz der hiesigen Gerichte um so weniger einem Bedenken unterliegen kann, als hier wie in Holstein das gemeine deutsche Strafrecht Anwendung findet.«

Dann ging das Erkenntniß auf die Ermordung der Emmy Vogel über, gab ausführlich die ganze Geschichtserzählung und sagte schließlich:

»In Erwägung endlich, daß als Beweggrund dieses Verbrechens Rachsucht wegen verschmähter Liebe und verletzten Ehrgefühls sich darstellt, da nämlich der Angeklagte, welcher die Kellerwirthschaft des Vaters der Ermordeten schon früher besucht, eine Neigung zu Emmy Vogel gefaßt, auch bereits bei seiner vorletzten Anwesenheit in Hamburg, im Mai 1865, schriftlich um ihre Hand angesprochen und ihr eine Spieldose geschenkt hatte, diese Bewerbungen im Herbst sowol durch den Brief vom l2.October, wie auch durch wiederholte mündliche Anträge fortgesetzt und denselben durch eine zu diesem Zweck gekaufte, ihr mehrfach zum Geschenk angebotene Uhr und Kette Nachdruck zu geben versucht hat, jedoch mit seinen Anträgen stets abgewiesen und, seiner Angabe nach, noch obendrein verlacht und verspottet worden ist, was ihm »gewesen sei, als wenn er einen Dolchstich bekommen«, so, »daß er sich lieber hätte köpfen, als so auslachen lassen«, da dieses Motiv, bei dem heißblütigen und rachedurstigen Charakter des Angeklagten, das vorbedachte Verbrechen in genügender Weise erklärt – U.«

Hierauf kam das Erkenntniß zu der Ermordung der Eheleute Heitmann und schloß sich im wesentlichen den Aufstellungen der Anklage an. Es nahm an, daß der Angeklagte die Eheleute Heitmann in der Absicht getödtet habe, um sie zu berauben, und sagte zum Schlusse:

»In Erwägung, daß der Erklärungsgrund, weshalb der Angeklagte das wahre Motiv des an den Heitmann'schen Eheleuten verübten Verbrechens so hartnäckig zu leugnen bemüht gewesen, während er doch die Tödtung der Emmy Vogel mit Vorbedacht begangen zu haben nicht in Abrede gestellt hat, in dem Charakter und dem in gewissem Grade damit zusammenhängenden Ehrgefühl des Angeklagten zu suchen sein dürfte, dem nämlich, bei geringer Achtung vor fremdem Leben, eine Tödtung, wenn auch für unerlaubt, doch keineswegs für verächtlich gilt, der sich daher der an der Emmy Vogel geübten Befriedigung seiner Rachsucht für eine ihm zugefügte Ehrenkränkung nicht schämt, dem aber doch – selbst auf der niedrigen Stufe seiner sittlichen Anschauungen – Habgier und Lust zum Stehlen als verächtlicher Antrieb zum Mord erscheinen, sodaß er diesem wahren Motive verletztes Ehrgefühl, und als dies nicht glückte, im mannhaften Kampfe geübte Nothwehr zu substituiren suchte;

in Erwägung demnach, daß die Anklage auch wegen des an den Eheleuten Heitmann verübten Raubmordes für begründet zu erachten ist, und selbst wenn die verbrecherische Absicht des Raubmordes bei der dem Manne beigebrachten Verwundung und bei dem gegen die Ehefrau geführten tödlichen Stoß nicht als völlig erwiesen gelten sollte, es doch eventuell keinem Zweifel unterliegen kann, daß der Angeklagte jedenfalls nach seiner ersten Flucht mit der Absicht, Beute zu machen, in das Haus zurückgekehrt ist und den Ehemann Heitmann, jetzt in der Absicht, ihn zu berauben, getödtet hat;

in Erwägung, daß es übrigens auf die Strafzumessung ohne Einfluß bleibt, ob die Tödtung beider Eheleute oder nur die des Ehemanns als »Raubmord« zu qualificiren ist, indem schon das in Hamburg vom Angeklagten verübte Verbrechen eines mit Vorbedacht ausgeführten Mordes, ebenso wie das in Teufelsbrück begangene Verbrechen, auch in seiner eventuellen mildern Beurtheilung mit der höchsten Strafe, der Todesstrafe, von den Gesetzen bedroht wird;

da auch die volle Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten keinem Zweifel unterliegt, indem – wenngleich er, von der Philippineninsel Manila gebürtig, einem zwar europäischer Herrschaft, doch auf niedriger Bildungsstufe stehenden malaiischen Volksstamme angehört und ohne Schulbildung aufgewachsen ist, auch sein späterer Lebensweg nicht geeignet war, seine vernachlässigte Erziehung und mangelhafte Bildung wesentlich zu ergänzen, sodaß er weder des Lesens noch des Schreibens kundig ist – er doch in der christlich-katholischen Religion nothdürftig unterrichtet worden ist und sehr wohl wußte, daß es eine schwere Uebertretung der göttlichen und menschlichen Gesetze ist, einem Nebenmenschen das Leben zu nehmen, und daß Todesstrafe auf einer solchen Uebertretung steht, in welcher Erkenntniß er dann auch nach verübtem Verbrechen sich dem Arm der strafenden Gerechtigkeit sofort durch die Flucht zu entziehen versucht hat, indem der Angeklagte überdies im langjährigen Seedienst, in welchem er sich die Zufriedenheit seines Kapitäns erworben, in geordneten bürgerlichen Rechtsverhältnissen gelebt, mit europäischen Nationen verkehrt und durch sein Benehmen während der Untersuchung ein vollständiges Verständniß ihrer Zwecke und ein fortgesetztes, mit Ueberlegung und oft schlauer Berechnung verfolgtes Bestreben dargethan hat, die Erreichung dieser Zwecke wenigstens theilweise zu vereiteln, da somit bei der Schwere schon des ersten verübten Verbrechens, bei der durch die schnelle Wiederholung dieses Verbrechens bekundeten großen Misachtung fremden Menschenlebens, bei der Gefährlichkeit seines verbrecherischen Willens und endlich bei der jedes Gefühl der Reue verleugnenden rohen Hartherzigkeit und Beharrlichkeit seiner verbrecherischen Sinnesart auch die im allgemeinen niedrige Bildungsstufe des Angeklagten nicht als Milderungsgrund bei der Strafmessung in Betracht kommen darf, erkennt das Niedergericht:

daß der Angeklagte Paulino Torio des am Abend des 2.November 1865 an der Emmy Karoline Vogel hierselbst begangenen Mordes, sowie des in der Nacht vom 2. auf den 3.November 1865 an Jürgen Heitmann und seiner Ehefrau Margarethe, geborenen Nagel, zu Teufelsbrück begangenen Raubmordes und des Raubes einer den gemordeten Eheleuten gehörigen größern Geldsumme nebst einer goldenen Uhr und Kette für schuldig zu erklären und zu der an ihm zu vollziehenden Strafe der Enthauptung zu verurtheilen sei.«

 

Am 25. Januar 1867 erschien Torio zum letzten mal öffentlich. An diesem Tage ward der Criminalproceß wie üblich, beim Obergerichte dadurch introducirt, daß dem Angeklagten die niedergerichtliche Findung noch einmal vorgelesen wurde (die weitern Verhandlungen werden dann schriftlich geführt). Der Defensor erbat eine Frist von sechs Wochen zur Beibringung einer fernern Vertheidigung, welche Frist bewilligt und später auf nochmaliges Ansuchen noch um weitere vier Wochen verlängert wurde. Nach Ablauf dieser Frist, am 12.April 1867, reichte der Defensor dem Obergericht statt der weitern Verteidigung einen Recusationsantrag ein. Zur Begründung desselben war Folgendes vorgebracht: In der abzuurtheilenden Sache käme namentlich der Vertrag in Betracht, welcher zwischen dem hamburgischen Senat und dem damaligen k.k. österreichischen Statthalter des Herzogtums Holstein abgeschlossen worden: dieser Vertrag hätte aber nicht geschlossen werden dürfen ohne Mitgenehmigung der Bürgerschaft als Mitinhaberin der höchsten Regierungsgewalt in Hamburg. Der Senat habe ferner vor Abschluß des Vertrags ein Gutachten vom Obergericht darüber eingefordert, ob er den Vertrag schließen könne, und das Obergericht habe in einem ausführlichen Gutachten diese Frage bejaht. Dadurch habe der Senat das Obergericht zur Partei gemacht in einer Sache, in der es später als Richter fungiren sollte. Durch Abgabe seines Gutachtens erschiene das Obergericht als Consulent der Regierung, und nun solle es in appellatorio entscheiden, ob jene Uebertragung der Gerichtsbarkeit, die es schon gutgeheißen, gültig, sowie ob die Competenz der hiesigen Gerichte daraus abzuleiten sei! Es bleibe nichts anderes übrig, als daß das Obergericht die Berechtigung des Recusationsgesuchs anerkenne. Das Niedergericht habe in schroffster Weise den geschlossenen Vertrag misbilligt, da es in seinem sehr umfangreichen Erkenntnisse desselben mit keinem Worte erwähnt habe! Der Defensor geiselte in scharfen Worten das Niedergericht, das »sich vollständig unabhängig von dem geschlossenen Staatsvertrage eine Competenz construirt habe, von der niemand wisse, von wannen sie stamme«, und das ferner in seinem Erkenntnisse den Satz aufgestellt habe, daß eine Competenz eines Gerichts für mehrere in verschiedenen Staaten begangene Verbrechen desselben Verbrechers statthaft sei, weil auch für mehrere in demselben Staate begangene Verbrechen »nach den neuern, für einzelne deutsche Länder erlassenen Criminalproceßordnungen« ein Gericht competent sei. – Der Defensor hob ferner hervor, wie sehr daran gelegen sein müsse, daß dem ganz besonders schwerer Verbrechen angeklagten Torio ein auch nicht im entferntesten anzuzweifelnder Richterspruch zutheil werde, und kam zu dem Schlusse, daß er, wenngleich »zu seinem großen Bedauern – da die Haft des Inquisiten dadurch noch verlängert werde –« seinen Antrag dahin stellen müsse:

»Das Obergericht geneige, die Recusation dieses Gerichts für begründet und stattnehmig zu erklären, auch es zu veranlassen, daß die juristische Facultät einer deutschen Hochschule denominirt werde, um in dieser peinlichen Rechtssache in appellatorio zu entscheiden.«

 

Hierauf erkannte das Obergericht am 29.April 1867, daß dem Recusationsantrage stattzugeben und daß die Acten zur Abfassung eines Spruchs Rechtens in dieser Sache – und zwar ihrem ganzen Umfange nach – an eine auswärtige Juristenfacultät zu versenden seien, daß jedoch der Defensor die reservirte weitere Vertheidigung vorgängig, und zwar innerhalb drei Wochen, zu den Acten zu bringen habe.

Diese weitere Verteidigung reichte der Defensor dann auch rechtzeitig ein. Wir können indeß darüber hinweggehen, weil sie nichts wesentlich Neues enthielt, sondern die bereits in der ersten Instanz geltend gemachten Ansichten, daß Torio unzurechnungsfähig gewesen sei oder doch im höchsten Affect gehandelt habe, und daß die hamburgischen Gerichte nicht zuständig seien in Betreff des Mordes an den Heitmann'schen Eheleuten, zu vertheidigen versuchte.

Am 28.Mai 1867 fand die Inrotulation der Acten statt, die sodann nach Leipzig versandt wurden. Die Streitfrage ist jedoch nicht zum Austrage gekommen, denn ehe die Antwort zurückkam, war der Verbrecher dem irdischen Richter entzogen.

Torio, der seit Anfang seiner Haft in der Stabeisenwache detinirt wurde, kränkelte schon viele Monate und sein Zustand gestaltete sich im Laufe der Zeit immer bedenklicher. Mit der Kraft seines Körpers wich auch sein wilder, kaum zu bändigender Trotz. Er führte sich so gut, daß man ihm schon seit Anfang des Jahres die Fesseln abnehmen konnte. Er schien gänzlich umgewandelt zu sein, war bescheiden, bat höflich um das, was er wünschte, und zeigte eine besondere Zuneigung zu dem Castellan der Stabeisenwache, Herrn Jürs, der ihn – soweit die Pflicht seines Amtes es zuließ – mit Milde und Güte behandelte. Zu mehrern malen machte man ihm den Vorschlag, ihn nach dem Curhause zu versetzen, doch er bat stets, man möge ihn in der Stabeisenwache lassen. Ein anderer Arrestat, der spanisch sprach, ward zu ihm gesetzt, sodaß er sich mit einem Menschen unterhalten konnte. Eine spanische Fibel, die man ihm gab, schätzte er sehr hoch, nachts mußte dieselbe stets unter seinem Kopfkissen liegen. Der Polizeiarzt besuchte ihn jeden Tag und verordnete was nöthig. An Speisen und Getränken erhielt er, was er verlangte. Am liebsten genoß er weichgekochte Eier, Chocolade, Wein und namentlich Apfelsinen. Sehr häufig sprach er von seiner Mutter. An Begnadigung dachte er nicht und begehrte sie auch nicht. Er sagte oftmals, daß er nie im Leben seiner Mutter wieder vor Augen kommen möchte. Zusammengehalten mit andern von ihm gemachten Aussprüchen scheint daraus hervorzugehen, daß in seiner Heimat ein Mord aus Rache, Eifersucht u.s.w. nicht verpönt ist, wohl aber der Raubmord. Den Tod und die Hinrichtung fürchtete er nicht; er sehnte sich vielmehr danach, zu sterben, denn die Gefangenschaft war ihm schrecklich. In den Sitten seiner Heimat mag auch die Erklärung dafür zu finden sein, daß er sich freute, durch die Behörde hingerichtet und nicht durch einen Privatmann getödtet zu werden.

Torio's Gesundheitszustand verschlimmerte sich immer mehr; gegen das Ende des Aprilmonats 1867 sank er aufs Krankenlager, um nicht wieder aufzustehen. Er lebte noch zwei Monate, aber die Brustschwindsucht, an der er litt, machte reißende Fortschritte. Am 26. Juni hielt man es für gerathen, ihn aus dem Gefängniß nach dem Curhause zu versetzen; am nächsten Tage, 10 Uhr vormittags, hauchte er sein Leben aus.


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