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»Um der Bosheit willen, so Du hast begangen, darum bist Du gnädig gezüchtigt. Des sollst Du mit Rache nimmermehr im Argen gedenken, und fortan meiden die Stadt, Dir widerfahre dann von den Herren Gnade, so wahr Dir helfe Gott und seine Heiligen!«
So hatte der Büttel den beiden unglückseligen Weibern vorgesprochen den Eid, und ihre Zunge hatte ihn nachgestammelt. Ihr Sinn wußte nichts davon. Blutend, in wilden Zuckungen hatten sie sich aufgerichtet, um dem grausamen Gebote nachzukommen, das sie Zwang, für den Schmerz zu danken, der ihren Leib durchbrannte. Jetzt, als das letzte Wort über ihre Lippen war, sanken sie heulend wieder zusammen, und der Büttel drehte ihnen den Rücken.
Unter den vielen hundert Gesichtern, die da zusahen, war auch ein einziges mitleidiges. Als sie schrieen, daß die Raben erschreckt flogen, hatten sie gelacht und Schimpfworte gerufen: »Ihnen geschieht schon recht!« Nur einer oder der andere verfolgte mit lüsternen Augen die Blutstriemen, wie sie den weißen Nacken der Jüngeren mit Purpur färbten, wenn die geflochtene Rute darauf schlug. Nur einer oder der andere wagte es halblaut dem Nachbar ins Ohr zuzuflüstern: »'S ist doch schade um das Weibsbild.« Als das glühende Eisen der Alten durch die Zähne fuhr und sie übermannt vom Schmerz zusammenbrach, da schrie wohl auch alles mit ihr auf. Es war aber ein großes Jubelgeschrei, und sah man sie am Boden liegen, als wie ein abgedientes Pferd, das der Freiknecht niederstieß.
Der Ratsmann, Herr Trebuß, gähnte, und hieß den Büttel sich fürdern, daß sie heimkämen, ehe der Schnee losbräche. Er dachte an das Fest heut abend bei Herrn Thomas Wyns. Der Büttel aber nahm das glühende Eisen aus der Kohlenpfanne und schwang es zischend um seinen Kopf und fragte lachend, ob noch wer Lust hätte gebrannt zu werden? Dann stieß er es in eine Pfütze, daß es laut zischte, und gab es mit der Pfanne seinem Knechte, es fortzutragen. Nachdem er nun noch einmal hinter sich gespieen, daß ihm nichts anhafte von der Berührung der Ausgestoßenen, thaten viele desgleichen, und dann wandten sich alle um und eilten nach der Stadt. Nur der Ratsdiener blieb um einige Schritte zurück, und als es die andern nicht sahen, warf von unter dem Mantel verstohlen einen Beutel der einen an die Füße, und schüttelte sich drauf am ganzen Leibe, und spuckte auf die Hand, die den Beutel geworfen, und machte dann, was er konnte, unter die andern zu kommen.
Alle waren längst innerhalb der Mauern, die schweren Thorflügel waren eingeklungen, die eisernen Riegel vorgeschoben und der mächtige Schlüssel dem wachthabenden Ratmann überbracht. Auch die Fußtritte der Neugierigen im Sande entdeckte keiner mehr; eine lockere Schneedecke hatte den Erdboden gleich gemacht und die Türme und Dächer der Stadt weiß gefärbt. Es herrschte unheimliche, tiefe Stille vor den Thoren. Dem Wanderer, dem einsamen Reitersmann schlug das Herz höher, wenn er noch fern einer Stadt die Riegel rasseln hörte. Es war das Zeichen, daß die Ordnung sich abschloß. Mit dem Thorschluß der Städte war der rohen Willkür draußen, Wer ihr verfiel, preisgegeben. Raub und Mord mochten dicht unter den Thoren frei ihr Werk treiben, die Bürger schützten nur sich; es waren seltene Ausnahmsfälle, daß das Thor sich wieder aufschloß, ein Pförtlein sich öffnete, um einen Verspäteten aufzunehmen. Nur anrüchiges Volk wohnte in den schlechten Hütten draußen; es mußte seinen Frieden geschlossen haben mit dem herrenlosen Gesindel, so nicht die Sicherheit sein Panier war, welche höchste Armut allein gewährt.
War es der Schnee, der in kalten Flocken auf ihre nackten Glieder tupfte, war es der rauhe Wind, der über ihren wunden Rücken fuhr, was die Alte aufweckte? Sie richtete den welken Leib in die Höhe, sie streifte die Haare vom Gesicht und vom Scheitel die weißen Flocken. Dann fuhr sie über die Stellen, die sie schmerzten, und wimmerte zusammen und barg in den Händen das Gesicht, Sprüche oder Flüche murmelnd. Ihre kleinen Augen leuchteten von unheimlichem Feuer, indes ihre Zähne knirschten, und die Blicke suchten die graudunklen Massen der Stadt, aus denen jetzt ein Licht um das andere auftauchte.
Ihre Unglücksgenossin lag noch bewußtlos am Boden, so wie sie hingesunken war nach dem Schwure. Die Alte streifte den Schnee, der vom Blute sich gefärbt, von ihrem Rücken, und hob sie unterm Kinn auf und drückte mit ihren dürren Fingern das Fleisch, zu versuchen, ob die Kälte vom Frost sei oder vom Tode. »Sieh mir das feine Püppchen! Von solchen paar Streichen schon ohnmächtig und kalt. Freilich, warst ein anderes Streicheln gewohnt, und im Krögel in der Badstube war's wärmer.« Sie schien sich zu bedenken, ob sie das elende Geschöpf liegen lasse und ihr die letzten Fetzen, die sie noch am Leibe trug, abstreife, denn die Kleidungsstücke der Gestraften verfielen als Erbteil dem Büttel, – als ihr Luchsauge auf den Beutel fiel, der zu Füßen der Sünderin lag. Rasch danach greifend, ließ sie die Ohnmächtige zu Boden fallen. Die aber erwachte eben durch den Fall wieder zu Besinnung, und stieß, als die Alte mit der Beute davonschleichen wollte, einen Schrei aus.
Das Weib sah abwechselnd auf das Mädchen, das laut wimmernd sich erholte und zähnebebend vom Frost die paar Lumpen zusammenzog, und die deckten doch nicht ihre Blöße. »Was die Katz' und das Eisen kopuliert,« murmelte sie, »die sollen zusammenhalten. Und wer noch Freunde hat, die so was uns zuwerfen, wenn wir ins Elend gehn, die winken uns auch wohl nach, wenn wir im Elend stecken.« Sie steckte das Geld in den zerlumpten Friesrock, den hatte ihr, glücklicher als der andern, der Büttel gelassen, und hockte sich neben ihre Leidensschwester.
Aber jetzt zum Bewußtsein gekommen, raufte diese das Haar, warf sich nieder und barg wimmernd den Leib am Boden, als solle er ihr Wärme geben. Dann schrie sie um Erbarmen und streckte die nackten Arme gen Himmel, alle heiligen Namen rufend, die ihr in den Sinn kamen.
»Die helfen Dir nicht,« sprach die rote Hanne. »Die helfen nur den reichen und großen Leuten und den Bürgern, die warm sitzen. Wo kann unsereins ihnen Altäre bauen lassen in den großen Kirchen und die Priester bezahlen, daß sie beten und singen!«
»Die Heiligen sind doch für jedermann.«
»Ist nicht wahr. Hat jeder seine Kundschaft; und wer nicht zugehört und ihm nichts opfert, den schmeißt er zur Thür 'naus, wie der Kirchenknecht die armen Leute, wenn sie sich an die Stühle der reichen stellen. Wir können in der Heide beten.«
»Ich will beten,« sprach das Mädchen und versuchte umsonst die fieberhaft zitternden Hände zu falten.
»Siehst Du, es geht nicht. Hülfe Dir auch nichts. Man kann nur in der Kirche beten, wenn die Kerzen geweiht sind. Hier hört's bloß der Wind. Der Wind hat kein Erbarmen.«
Die Elende schrie auf und warf sich mit dem Gesicht auf die Erde: »Ach, er schlug unbarmherzig,«
»Er schlug nicht anders, als die Herren es ihm geheißen. Wenn der gestrenge Herr Ratmann Trebuß nicht zum Essen gemußt, hätte er Dich noch länger gestrichen.«
»Ich stehe nicht wieder auf.«
»Von so ein paar Streichen! Ach Du liebes Blut! Die Rute mit dem Draht kitzelt ja nur. Wenn Du erst das Eisen mal kosten wirst, wenn's so glutrot Dir durch die Zähne fährt, da hört man die Engel im Himmel pfeifen. Und ist noch nicht das Schlimmste. Die roten Zangen kneifen ärger – und wen sie erst in der Kufe brennen –
Schlag die Arme zusammen, 's thut besser als beten,« rief das Weib, als sie das Mädchen mit dem Frostfieber kämpfen sah. Aber die Kraft fehlte ihr, die Arme sanken ihr am Leibe nieder. Da sprach die Alte: »Will versuchen Dich warm zu machen.« Sie drückte sie nieder und streckte sich über sie: »Weiß wohl, Du hättest was Lieberes, um Dich warm zu drücken, aber ein alt Weib ist doch besser als Schnee und Wind.
Wirst nicht davon ersticken,« fuhr sie ruhig fort, als das Mädchen unter ihr stöhnte. »Da gehört mehr Last zu, als meine alten Knochen, um solch ein frisches Leben tot zu drücken. Kenne den Ort wohl, und könnte Dir was erzählen aus alter Zeit. Hörst Du's nicht unten wimmern? Wenn's ganz still ist, im Sommer in der Nacht, wenn das Gras schläft und die Sterne die Augen zudrücken, dann klopft's und seufzt. Ist meine Mutter. Ich war noch ein kleines Kind, da griffen sie meine Mutter. Das sächsische Volk sagte, sie hätte rote Augen und thäte ihrem Vieh schaden. Wo sie an eine Thür klopfte, da scheuchten sie meine Mutter mit den Hunden fort. Sie mußte in der Heide schlafen und wie die Katze am Zaune. Nun spürte meine Mutter, als mal die Glocken läuteten in Sankt Nikolai, und die Kerzen am Altar brannten, und der Priester in Gold und Sammet davor knickste und sang, auch Lust hineinzugehen wie die andern, und vom Leib des Herrn zu kosten wie die andern. Da murmelten die Bürger und das Volk: Was will das Bettelweib! Und sie stießen und schrieen: Das ist eine wendische Hexe! und der Priester schnaubte vor Zorn und wies sie fort; denn der Herr Bürgermeister und die Ratmannen alle nahmen mit ihren Frauen und Kindern an dem Tage das Mahl des Herrn, und alle schön gebürstet und gekämmt, in Pelz und Sammet und feinen Spitzen. Und es war nicht recht von meiner Mutter, daß sie da in die Kirche kam, denn sie hatte nur Lumpen am Leib und ihre Haut war gelb und hatte sich nicht gewaschen. Aber wie sie so saß im dunklen Winkel hinter dem Pfeiler, und keiner sah sie, da kamen so meiner Mutter Gedanken: ich bin doch auch ein Christenmensch und getauft wie sie! Und als die Leute alle fort waren, und der Priester auch, und die Kerzen gelöscht und die Thore geschlossen, schlich sie heran und stahl eine Hostie aus dem Kästlein, – nur für sich, bei allen Heiligen! nur für sich allein; sie wollte sie keinem gottlosen Juden verkaufen, daß er sie zerschnitt und verbrenne. Es war nicht recht von meiner Mutter. Die Hostien brennen im Leib wie höllisches Feuer, wenn keine Priesterhand sie Dir reicht. – Nun kam's heraus, sie ward gegriffen, in den Turm geworfen – und sie mußte wohl gestehen, die Hostie brannte ja im Leibe, und sie werden's auch sonst verstanden haben, ihr den Mund zu öffnen. Auf der langen Brücke da saßen die Richter und die weisen Leute standen um, und brachen den weißen Stab über sie. Sie stritten viel. Die weisen Leute waren uneins, ob sie brennen müßte? Freilich hätte sie brennen müssen, aber da wäre die Hostie mit verbrannt in ihrem Leibe. Drum zogen sie raus hier vor's Spandower Thor. Da ward eine Grube gegraben vor ihren Augen, und als sie so tief war wie ein Mensch und noch tiefer, stießen sie meine Mutter hinein, und mich hielt der Büttel bei der Hand, und ich mußt' es zusehen, daß ich ein Exempel daran nähme, sagten sie. Meine Mutter schrie, und ich weinte, denn ich war ein Kind und wußte nicht, was Hostien stehlen sei. Und nun warfen sie Erde und Erde über sie, und sie schrie so gräßlich und bang, und streckte die Hände aus und wühlte und bat, daß es einen Stein erweichen mußte. Ich schrie auch und sagte, das thäte ja meiner Mutter weh; sie sollten nicht mehr Erde über sie werfen. Aber sie sagten, ich solle nur warten, sie werde bald nicht mehr schreien. Da bat sie so kläglich nur um eins noch, daß man ihr ihr Kind reiche, und sie's noch einmal küsse. Das geschah – den Kuß fühle ich noch. Sie konnte mich nicht mehr ans Herz drücken, ihre Arme saßen schon fest. – Und dann – dann stampften sie mit den Füßen auf die lockere Erde, daß meine Mutter nicht raus könnte und wieder Hostien stehlen. – Meinst Du, daß die Erde meine Mutter nicht drückte! Sie sagten alle: Nun ist dem Weibe recht geschehen. Die Herren Ratsherren sprachen, sie könne von Gnade sagen, denn nach dem alten Rechte begrabe man Weibsbilder schon darum lebendig, daß sie nur einen Rock aus der Lade, stahlen, und diese stahl gar den Leib des Herrn im Gotteshaus. Und alle schrieen Amen!«
Erwärmt von der Alten oder von der Vorstellung, die ihre Erzählung angeregt, fuhr das Mädchen jetzt auf, und auf ihren Knieen, mit den Armen über dem Kopf, die Hände geballt, floß ein Strom von Verwünschungen und Flüchen von ihren Lippen. Der Mond war hinter dem zerfahrenen Schneegewölk vorgebrochen und beleuchtete ihre Gestalt. Ihre von Zorn und Schmerz verzerrten Gesichtszüge schien die andere mit stillem Vergnügen zu mustern. »So ist's recht, Kind. Schimpf Dich aus. Das macht leichter und wärmt!«
»O Du Scheusal!« rief das Mädchen entsetzt, als jetzt auch ihre Augen auf die hagere Gestalt der Alten fielen. »Ich war guter Eltern Kind. Und mit Dir mußten sie mich zusammenwerfen! Hättest Du mich drinnen angerührt, ich hätte Dir einen Fußtritt gegeben.«
»Weiß wohl, mein schmuckes Püppchen. Entsinnst Dich noch, als Du in dem gelben Eckstübchen wohntest, mit dem Fenstertürmlein hinaus auf die Spree? Und saßest mit Deinen Galans im funkelnd roten Mieder, so Zickzack ausgeschnitten, und die bunte Feder auf dem Scharlachläppchen, und trankest süßen Wein und sangst mit Deinen Liebsten. Da ging die rote Hanne vorbei, und Du riefst zum Herrn Christoph: Schau das häßliche Weib! Da spucktest Du auf mich, und die feinen Herren lachten und freuten sich, daß Du so lustig warst und guter Dinge. Ich dachte: laß gut sein, Ehe fünf Jahre um sind, liegst Du auf dem Mist. Da werden Deine Galane auch auf Dich spucken. Siehst Du, nun sind wir gleich.«
»Ich mit Dir gleich!« fuhr das Mädchen auf. »Mit Dir hab ich nichts gemein.«
»Doch, doch, Kind. Das Elend macht alle gleich. Wer in den Wald gejagt ist unter die Tiere, da hilft kein Hochmut; da giebt's keine Richter und Schöppen und Bücher, wer schlauer ist und stärker, der hat allein recht.«
»O ich bin verloren!« rief die Jüngere. »Laß mich sterben.«
Die Alte musterte sie lange mit ihren lauernden Augen, und ein Lächeln des Wohlgefallens zuckte um ihren zähnelosen Mund »Ei, warum sterben wollen vor der Zeit? Der Tod kommt uns allen in den Weg gelaufen, wenn's soweit ist. Aber die Ware, die der Marktmeister von einem Markt fortweist, findet auf dem andern noch immer Käufer. Nur der ist verloren, der sich selber aufgiebt. Pocht das kleine Herz nicht lustig und möchte's nicht den gestrengen Herrn wiedergeben, was sie Dir gaben? Oder hast Du aufrichtig gedankt, daß sie gnädiglich um Deiner Bosheit willen Dich gezüchtigt?«
»Könnt' ich ihn zerreißen, mit den Füßen stampfen!«
»Wen denn?«
»Den Büttel. Ach, meine Schulter!«
»Warum denn den Büttel? Der war nur der Stock. Die jungen, stolzen Herren küßten Dir Hände und Füße und hoben Dich auf ihren Armen; und warum lassen sie Dich nun raustreiben vom Büttel, die Kleider vom Leibe reißen vor allem Volk und die weiße Haut blutrünstig schlagen? Hat einer nur für Dich gebeten, um den Du Deine weichen Arme schlangst und ihn lieb hattest? Ritt nur einer mit heraus und sprach: »Die arme Salome thut mir leid!« Hinterm Fenstervorhang standen sie, als sie Dich durch die Gassen stießen, und lachten sich ins Fäustchen, und zischelten einer zum andern: »Du, ich möchte wohl zusehn, wie sie die Salome peitschen!« Und was hast Du gethan? Hast Du Berlin an vier Ecken angesteckt? Hast Du die Brunnen in Köln vergiftet? – Du hast ja nur gesprochen, was wahr ist. Ist's nicht Deine Schwägerin, die hochmütige Jungfer Elsbeth?«
»Ach das ist aus und vorbei!«
»Freilich mit dem jungen Herrn Christoph Rathenow ist's aus und vorbei. Er nahm Dir die Ehre, dafür nahm der Tod ihn. In die Spree zog ihn die Nix runter bei Rummelsburg; sie sagen, er ertrank beim Baden. Auf seinen Bruder, den wilden Rudolf, legte sich nachts der Alp, bis er ihn erdrückte und schwach machte, daß er wie ein Schatten ging. Sie nennen's die Schwindsucht. Die Engel und die Heiligen stehen uns nicht bei; aber es giebt schon welche, die für die armen Leute sind. Stieß Dich nicht der gestrenge Herr Johannes aus seinem Haus? Warum? Aus purer Gerechtigkeit: weil sein Sohn Dir ein Unrecht gethan, darum mußtest Du auf die Straße und den kurzen Mantel umthun und die gelbe Kappe aufsetzen, daß die Buben Dir nachschrieen: Da geht eine, die an der Unehre sitzt! Dem jungen Herrn Christoph schrieen sie nichts nach. – Hast Du mal durchs Fenster geblickt ins Haus des Herrn Johannes, wie's itzt da aussieht? – Ich sage Dir, er behinge Dich mit goldenen Ketten über und über, wenn Du ihm seine Söhne lebendig machtest. Hast Du nachts gelauscht, wie er durch die Gänge geht und seufzt? Da horcht er träumen die Jungfer Elsbeth von Ketten und Spangen, die Eule ächzt durchs Haus: Dir geschieht schon recht! Du nagst an den Früchten Deiner Gerechtigkeit!«
»Was hilft mir das!« stöhnte das Mädchen.
»Bist noch neu im Elend. Daß wir die sehen nagen am Herzeleid, die uns Herzeleid gemacht, das ist ein Schluck, wenn wir dursten, ein Knochen, der immer noch Fleisch giebt, wenn wir auch noch so oft dran nagten. Mich freut es, Kind, und das alte Herz schlägt lustig, daß Herr Johannes so einsam ist. Sein Vater Mattheus ließ mich peitschen und sein Großvater Albertus stand dabei, der trampelte mit seinen großen Füßen auf die lockere Erde, daß meine Mutter nicht raus konnte. Siehst Du, Kind, es giebt ihrer schon, die auf die stillen Flüche der armen Leute horchen. Man muß nur auch für sie etwas thun. Umsonst ist der Tod. Wir können nicht armdicke Kerzen opfern, wie die Reichen ihren Heiligen, aber was geben muß man ihnen.«
»Ich habe nichts zu geben.«
Ein widerwärtiges Lächeln zog um den verzerrten Mund der Alten: »Ei, hätte die rote Hanne, als sie noch jung war, das gehabt, was Du noch hast! Solche weiße Zähne, solchen runden Nacken, so einen roten Mund – und die Augen! Die können noch manchen anblitzen, und die Haare will ich Dir wieder kämmen in schöne Flechten und Locken, und Kräuter weiß ich und kann Salben kochen; die sollen die Haut wieder schmeidig machen und glänzend. Nun, Püppchen, friert Dich noch? Hörst Du sie nicht drinnen aufspielen und geigen – 's ist ein Bankett bei den gestrengen Herren. Hättest nicht Lust, mitzutanzen? Trau auf die alte Hanne, Du wirst noch tanzen in Berlin, Du wirst pfeifen und spielen lassen, wie Du Lust hast, und die strengen Herren sollen tanzen.«
War es das unheimliche Flammen ihrer Augen, oder die süßen Vorstellungen ihrer Rede, was das Mädchen aufmerksam horchen ließ auf die geheimnisvollen Verheißungen der Alten? Auf den Schwingen des Windes kamen lustige Töne herüber von der Stadt, die das Weib mit halb geöffnetem Munde gierig einschlürfte, und das Mädchen horchte ebenso.
»Hörst Du, nun schwenken sie sich – das geht lustig her. – Nicht wahr, wärst gern drinnen?«
Das Mädchen war aufgestanden: »Ach, sie kennen mich ja alle und –«
»Peitschen Dich wieder raus, meinst Du. Wer weiß, Kind. 'S zog mancher als ein Bettelmann aus, und kam zurück als ein stolzer Reitersmann zu Pferd. Manchen wiesen sie aus einer Stadt, und da er wiederkam, zogen ihm die Ratsherren mit krummem Rücken entgegen und reichten ihm die Schlüssel. Sie sollen Dich nicht wiedererkennen. Komm, komm –«
Sie zog sie an der Hand mit sich fort, denn aus der Ferne kam ein anderes Geräusch als die ab und zu vom Winde ihnen zugetragenen Geigentöne. Man hörte Hufschläge, und die schwarzen Schatten einiger Reiter streiften über die weißen Felder. »Brauchst Dich nicht mehr zu fürchten,« sprach die rote Hanne, als sie das Mädchen in einen verwachsenen Graben gezogen, der sie verbergen konnte, wenn jemand des Weges zog, für den sie nicht sichtbar sein wollten. »Die Nacht ist keines Menschen Freund, so heißt's nur in der Stadt.«
»Man weiß doch nicht, wer kommt,« sprach Salome niederhuckend und wieder vor der Kälte geschützt, indem die Alte hinter ihr kniete und sie umschlang.
»Stellmeiser sind's nicht. Die zeigen sich nur noch selten auf'm Roß. – Haben lange Sporen; also sind's gute Leute. Worauf mögen denn die ausschauen? – Sieh nur – suchen immer den Schatten – möchten nicht von der Mauer aus gesehen werden. Also mutig, Herzchen, sind gute Freunde. Die gerechten Herren in den Städten schicken uns jahraus jahrein von ihnen zu, daß unsere Kumpanei größer wird. Wirst Dich wundern, was für Leute bei uns sind, die brennen alle vor Lust, den Herren es wiederzugeben. – Sieh mir – sieh mir – wer wankt denn da wie eine Puppe auf'm Roß zwischen beiden. So das nicht der Köpkin Zarnekow ist, straf mich der Henker!«
»Maria Jesus, all Ihr Heiligen, der!«
»Närrischer Wurm, was klapperst mit den Zähnen? Der wird Dich schon warm machen.«
»Er hat geschworen, die Stadt in Brand zu stecken.«
»Kümmert's Dich, Mäuschen? Er wird ihnen auch einheizen. Ist ein lieber Herr. Ließ mich mal mit den Hunden Hetzen auf seinem Schloßhof. Hatte ein bißchen getrunken; wollte sich nur einen kleinen Spaß machen. Aber danach ließ er mich verbinden, ich durft in seinem Stall bleiben, bis alles verharscht war, und ließ mich trinken, so viel ich mochte. Sind seitdem immer Freunde blieben. Ein guter Herr, sage ich Dir, und haßt die Städtischen wie ein rechtschaffener Edelmann. Denn glaub's mir, unsereins hat nicht mehr Herzeleid von den stolzen Herren als die vornehmen Junker von ihnen.«
Als die Reiter jetzt ihnen näher kamen, und die Alte den Kopf vorstreckte, entweder um noch mehr zu entdecken, oder sich dem guten Bekannten, der es wirklich war, zu erkennen zu geben, fühlte sie sich mit aller Kraft der Angst zurückgerissen. Das Mädchen beschwor sie, sie nicht zu verraten, und die rote Hanne fand bald Grund, die Vorsicht, wenn auch um andern Zweckes willen, gut zu heißen.
Die Reiter, in grobe Kittel und Friesmäntel bis über die Ohren verhüllt, hielten hier an. Es waren drei, von denen aber nur zwei Pferde regierten, denn der dritte, eine ungeschlachte Figur, hing mehr auf seinem Gaul, als daß er ritt, und augenscheinlich hatten die andern beiden viel Sorge und Mühe mit ihm, daß er nicht bei jedem Schritt herunterfiel. Aus dem Grunde auch mochten sie hier anhalten, denn es war eine Vertiefung im Boden und sie konnten, im Schatten stehend, nicht von den Mauertürmen aus gesehen werden. Der eine schlug nun vorsichtig seine Lederkappe vom Gesicht zurück, reckte das lange Gesicht mit der Adlernase in die Höh und schaute sich um, weithin, nach der Stadt und nach den Feldern, und da rings nichts ihm zu Gesicht fiel, sprach er: »'S ist reine Luft hier, Wedigo. Laßt uns nun ratschlagen.«
Da gab der andere, der Wedigo genannt wurde, ein ältlicher, wohlbeleibter Reiter, dem dritten einen derben Stoß in die Rippen: »Wach auf, Köpkin.«
Als Köpkin aber nur grunzte, lachte der erstere und sprach: »Der kommt nicht zu sich vor zwölf Stunden und mehr. Ihr ließet ihm zu rechtschaffen einschenken, derweil ich durch die Straßen lief.«
»Mußt ich nicht?« antwortete Wedigo. »Ich sage Euch, Busso, wenn ich ihn nicht runterkriegte unter den Tisch, er wär Euch nachgestürzt durch die Straßen, und hätte gemeint, seine Klinge könnt' es allein aufnehmen mit Berlin.«
»Wer weiß!« lachte Busso. »Sie waren ja drinnen nicht weniger toll und voll.«
»Die Pestilenz auch, Busso, solche Gelegenheit sich entgehen zu lassen!« sprach Wedigo mit der Zunge schnalzend.
»Sie kommt uns besser wieder,« lachte Busso. »Was fangen wir aber mit dem Schwein an?«
»Bei Sankt Christophel!« sagte der andere, »wenn sie Schweine aus Berlin ausführten, es hätte uns nicht die Umstände gekostet, ihn zum Thor 'naus zu schaffen. Der Thorwärter ließ ihn dafür passieren.«
»Wir haben noch fünf Stunden zu reiten,« fiel Busso ernst ein. »Die Nacht wird verflucht kalt, und ich spüre keine Lust, ihn länger so zu halten und selbst zu erfrieren.
Wedigo schlug vor, ihn fest zu binden auf das Pferd. Aber als sie damit umgingen, sträubte sich der Trunkene mit dem letzten Viertel Bewußtsein, was ihm geblieben war, und im Ringen mit seinen Freunden stürzte er vom Pferde. Nun mußten auch sie fluchend herunter. Ihr Versuch, ihn wieder aufzuheben, scheiterte. Er wehrte sich nicht mehr, sondern schnarchte augenblicklich, als die Glieder sich auf dem sichern Boden zurechtgelegt hatten.
Busso stampfte mit dem Fuß: »Zehntausend Geier über Dich! Es wäre besser gewesen, Ihr hättet ihn zu einer Dirne geschleppt. Da hätte er den Rausch ausgeschlafen, und könnte sich dann selber saldieren.«
»Das Bett hier ist weißer,« antwortete der andere. »Wenn man ihn ein bißchen im Schnee wälzt, kommt er wohl zu sich.« Aber auch das fruchtete nicht, und die Ritter ratschlagten zwischen Fluchen und Lachen, was zu thun sei. »Ich dachte auch daran, als ich drinnen mit ihm allein war,« sagte Wedigo. »Aber trau einer den Dirnen! Wenn eine gewußt, was ihr für ein Schatz ins Haus kam, hätte sie wohl bare Münze dafür gewechselt. Insonders wenn die Katze ihr auf der andern Seite drohte. Sie schleppten ja eine heut hinaus; und durch die Bank kennen sie den Köpkin.«
Busso strich über die Stirn, und etwas von Lächeln fuhr über seine Lippen. »Der Schnee, dünkt mich, wäre die beste Dirne, um den Saufaus in ihren kühlen Armen zu lassen. Was meint Ihr, Herr Wedigo? Sie kühlt ab und plaudert nicht.« Wedigo sah sich rund um und kratzte sich hinterm Ohr. »Kühlen wird sie ihn freilich, und den Durst löschen auch. Ob sie ihn aber nicht so kühlt, daß er nicht mehr dürstet! Es sieht nach mehr Schnee aus.« – »Blitz und Wetter! wir dürfen nicht länger warten, wenn Ihr wißt, was ich weiß –«
»Freilich. Dem Kurfürsten und seinen Leuten dürfen wir nicht begegnen. – Köpkin! Was hört er nicht, wenn ihn wackere Kumpane rufen. Köpkin Zarnekow!« schrie der Ritter. »Der Kurfürst hält Hof in Spandow, und Ihr liegt im Stadtbann.«
»Wollt Ihr die Hähne wach schreien, Wedigo.« fiel Busso ein, »und der Wache im Turm ein Signal geben, wo die Ellenreiter einen wackeren Ritter greifen können? Ich sage Euch, laßt ihn sein Sach allein ausmachen.«
»Alle Blitz noch mal, die Nacht ist kalt.«
»Für uns ja, Wedigo, für ihn nicht. Wer ein Viertel Stückfaß hinter sich hat, merkt's nicht. Ja ich meine, er hat viel Wärme im Leibe, daß er mit seinem Atem den Schnee auf eine Viertelmeile schmilzt.«
»Wenn aber nicht?«
»So erfrieren wir, oder wenn nicht, greifen uns die kurfürstlichen Reiter, und man frägt uns im Turm von Spandow, was wir auf der Landstraße in Kumpanei mit Köpkin Zarnekow gesucht? Lüstet Euch so sehr, vor den lieben kurfürstlichen Räten Red' und Antwort zu stehen? Hol der Teufel die grünen Tische!«
»Köpkin, wenn Dir was zustößt, so geht ein Schnapphahn verloren, der seine Freunde schon manches liebe Mal in Verlegenheit gebracht,« sprach Herr Busso, schon mit einem Fuß im Steigbügel. »Nimmt er doch nie Vernunft an, und gut Wort ist an ihm verloren. Unserer Sache helfen nicht solche Hitzböcke, die nur ausschlagen und zustoßen.«
»Hilf Dir selber, bei allen Geiern!« sprach Wedigo und schnallte den in Unordnung geratenen Sattel zurecht. »Ohn' Vorsicht kommt heutzutage niemand durch. – Aber, wenn ihm was zustieße, alle Wetter! und die von Berlin und Köln fingen ihn, Christ Element! sie wären imstande und richteten seinen Leib. – Hört mal, Busso,« fuhr der Ritter nachdenkend fort, den Fuß aus dem Steigbügel setzend – »wenn sie ihn so – nun krepiert fänden, und, Kopf über, Beine unter, aufs Rad flöchten. Höll und Teufel, er bleibt doch ein Edelmann, und sollen unsere Kumpane sagen, wir hätten ihn in der Patsche sitzen lassen?«
Busso zog den Fuß vom Steigel zurück und versuchte noch einmal, diesmal mit dem Fuße, ja selbst den großen Stachelsporen wandte er dazu an, den Schläfer aus seiner Ruh aufzustören: »Köpkin! Dreihunderttausend Donnerwetter über Dich, Du bist ein Edelmann und sollst den Raben nicht zum Fraß dienen!«
Aber er hätte eher Funken aus dem Hirnschädel entlockt, als was er wollte. Köpkin wälzte sich, stieß unartikulierte Töne aus, und versank nur in um so festeren Schlaf, da, wo er hingestoßen wurde.
»Vetter Wedigo!« sprach jetzt Herr Busso mit einem nachdenklichen Gesichte, indes seine Augen deutlicher sprachen, als es sein Mund that: »die Raben sollen ihn nicht fressen, und die Städte nicht judizieren, denn er ist ein Edelmann. Im übrigen, wenn er hier infolge des Soffs den Geist aufgiebt, so, meine ich, hat unsere Sache noch keinen Geist verloren. Ja, ich meine, sie gewinnt, wie das gute Metall, wenn es die Schlacke abwirft. Ich von Person habe nichts gegen die Zarnekows, aber so ich bedenke, wie der und seine Vettern uns in Mißrede brachten durch ihr viehisches Leben, ihr Zusammenhalten mit allerlei Gesindel – wie ein räudiges Schaf und eine silberne Busennadel ihnen Wert genug dünkten, d'rum Ehr' und Leben d'ran zu setzen, wie sie gegen Ihre kurfürstliche Gnaden in allen Schenken, vor allem Volk ihr lästerliches Maul nicht halten konnten, daß auf dem letzten Landtag –«
»In Brandenburg,« fiel Wedigo ein, »die Mauern widerklungen von Klagen gegen den Adel. Ich bitt Euch, haltet das Maul davon. Es sitzt mir noch in den Kaldaunen.«
»Schwerenot!« fuhr Herr Busso auf, »wir haben genug zu tragen an den Mienen der Tuchkratzer und den Schreibergesichtern aus Nürnberg. Man muß sich's leichter machen. Ich sage Euch, Vetter Wedigo, wir verlieren nicht allein nichts, wir gewinnen auch noch, wenn wir den Kerl los werden.«
Wedigo sah sich ängstlich um.
»Ist nichts, Vetter. Die Krähen plaudern nicht. Doch bei Sankt Moritz, hol mich der und jener, wir führten unsere Sach besser, wenn ein Hexenschuß dem ins Genick führe, daß er nicht wieder aufstünde, und der Läutpriester zöge am Glockenstrang als lang er Lust hat.
Bei Wüstehainichen dazumal.« fuhr Wedigo fort, die Hand noch immer hinterm Ohr, »war er auch besoffen und schrie so früh auf, daß das Lumpenpack vor der Zeit stutzig ward und sich anschickte. Und als es zum Teilen kam, forderte er noch unverschämt!«
»Freilich, Vetter, und prampierte und schwur, er wolle sich von uns lossagen. Hätte er noch ein Schloß an seinem großen Maul hängen, daß man's zuschließen konnte, wenn's voll Weins ist! Aber dann läuft's über, und was noch so fein gesponnen, er ist imstande und plaudert's aus nach der dritten Kanne. Gute Leute laufen allezeit mit ihm Gefahr, ich sag es Euch, Vetter. Und wenn der Jähzorn in ihm brüllt, schlägt er auf Freund und Feind los. Wißt Ihr noch, wie er's mit Wedigo Rohr machte! Und mit wem macht er sich gemein um 'nen Pappenstiel! Ist das Ehre, ist das ein Edelmann, wenn er mit dem Tile Raubitz oder gar mit dem gelben Finkenmauser sich zusammenthut, um nachts einzusteigen in einen wendischen Kretscham!«
Wedigo schlug die Arme zusammen. »'S wird immer kälter!«
»Der Schnee soll warm machen,« sprach Busso und wälzte den Schnarchenden mit einem Fußtritt in eine Vertiefung, indem er dann mit beiden Füßen und den Armen Schnee und welkes Laub über ihn häufte. Wedigo half nach einigem Zaudern.
»Aber judizieren sollen sie ihn nicht, spracht Ihr nicht so?«
»Die Raben sollen ihn nicht fressen,« antwortete Busso. »Wenn wir beim Katzenhaus vorbeisprengen, wo seine Leute liegen, sagen wir's ihnen, daß sie ihren Herrn abholen. Zwei Stunden ist's nur von hier. Wenn sie fix sind, haben sie ihn abgeholt, ehe es Morgen wird.«
Nachdem sie den Bewußtlosen mit einer tüchtigen Decke von Sträuchern, Blättern und Schnee zugedeckt, hielt es der ältere Ritter doch für angemessen, ein still Gebet über ihn zu sprechen, wogegen Busso nichts einzuwenden hatte und mit ihm die Hände faltete.
»Wenn er aber doch aufwachte?« sprach Wedigo.
»Dann ist's Gottes Wille!« sagte Busso.
Nachdem die Ritter Köpkins Pferd im Kiefergebüsch angebunden und davongesprengt waren, rauschte die Alte aus ihrem Versteck. Ihr Gesicht grinste vor Freude, und sie zog das bebende Mädchen hervor, indem sie auf ihre erstarrten Finger hauchte.
»Bist noch verzagt? Willst noch sterben? – Ei Du, mein Augapfel, wie gescheit es von Dir war, daß Du nicht losplatztest. Kommt das vom Beten etwa? – Arme Leute haben auch ihre Freunde. Was wir finden sollen, das legen sie uns am Kreuzweg hin.«
Mit der Eilfertigkeit einer Diebin, welche einen verborgenen Schatz aufwühlt, ehe ihn ein anderer findet, war nun die Alte dabei, den Verscharrten seiner Schneedecke zu entledigen, die doch, da es heftig zu schneien begann, jeden Augenblick sich wieder erneute. Sein Zustand hatte sich noch nicht verändert, er schnarchte tief, und ließ mit sich geschehen, was man wollte. Sie zog ihm den schweren Mantel vom Leibe, und dem Mädchen uneigennützig über die nackten Glieder. Auch die Mütze riß sie ihm ab und stülpte sie ihr auf den Kopf. Als aber Salome mit dem Leichtsinn ihrer Art jetzt auflachte über die Veränderung, und über den betrunkenen Ritter sich lustig machte und ihn mit den Schimpfworten belegte, die sie in der Stadt gehört, wenn von ihm gesprochen ward, verwies sie es ernst der Dirne. Salome meinte, er höre es ja nicht; und wenn sie ihm auch sein Haar in Knoten bände und den Bart abschnitte, wozu sie, in ihrem schnell erwachten Mutwillen, Lust zu haben schien, würde er's doch nicht merken. So sie aber itzt angebe am Thore, wo der böse Ritter liege, und sie ihn fangen könnten, würde es ein gutes Stück Geld setzen.
»Hei, Du Sausewind!« fuhr die Alte auf mit einem bösen Blick. »Thun Dir die Streiche nicht mehr weh, lüstet Dich schon wieder nach dem Staupbesen? Was die Herren Dir dafür zahlen, das hast Du in drei Tagen verpraßt. Einen Schatz, sagten die Herren, einen Schatz hätten sie Dir ins Haus getragen. Der Schatz ist mehr wert, mein Püppchen. Davon sollst Du zehren, Tage und Wochen und, wenn Du's gescheit anfängst, Monden und Jahre; und der roten Hanne soll auch was von abfallen. Ja, ja, Kind, trau ihr. Du bist für ihn und er ist für Dich. Will Dich putzen und staffieren, daß er sein Aug' nicht von Dir lassen soll; sollst mit ihm reiten und jubilieren, und die schäbigen stolzen Herren sollen sich ein Ärger dran sehen. Frisch auf, Püppchen, wirf Dich ins Zeug, solcher Fang gelingt nicht alle Tage. Nicht alle Tage rettet unsereins solchen Ritter, der hier krepiert wäre wie ein Pferd, das stürzte und sie lassen's liegen, und weiß nicht, wer ihn liegen ließ; aber wir wissen's. Holla, aufs Pferd mit dem Schatz. Halt ihn warm; die rote Hanne kann nebenher laufen, für sie ist's gut genug.«
Die Dirne, in deren Art es nicht liegen mochte, weiter als über den nächsten Augenblick hinaus zu denken, sah verwundert zu, was die Alte vornahm, und ließ mit sich geschehen, was diese wollte. Als sie nun aber auf dem Gaule des Ritters saß und diesen vor sich tragen mußte, während das Weib den Zügel führte, brach sie in ein so lautes Gelächter aus, daß die Alte erschrak, und wer es mit angesehen und gehört, nicht meinen sollen, daß sie fast erlegen war einige Stunden früher unter den grausamsten Züchtigungen.
Die Wendin leitete das Pferd durch die Gesträuche rasch und sicher, und bald waren sie verschwunden und jene Spur von dem, was hier vorgefallen, unter dem Schnee, der Felder, Wege und die Kieferbüsche überdeckte.