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Pericles. | Durchaus muß ich, geehrter Cleon, fort, Verstrichen sind zwölf Monden, Tyrus steht, In sehr streitsücht'gem Frieden. Herzens Dank Euch und der werthen Frau. Die Götter zahlen Euch wohl den Rest der Rechnung! |
Shakespear. Pericles Prinz von Tyrus. |
Wir kommen wohl schon zu spät? sagte ein starker untersetzter Mann, in dessen Wesen und Gang der Seemann nicht zu verkennen war, zu einem andern ältlichen Mann, mit dem er, wie es schien, um die Wette durch die Straßen des Städtchens nach dem Gerichtshause zuging.
Habe keine Zeit zu antworten, Master, Sir, oder was Sie sind! antwortete der Andere. – Ich wette, Sir, – wandte er sich jedoch sogleich zu dem beschaulich einherkeuchenden Schiffer um – ich wette, es sind wieder Ungesetzlichkeiten vorgefallen.
Die Leute stehn schon bis vor den Thüren, mein Herr Weishut, oder wer Sie sind.
Ich heiße Samuel Dulberry, ehemals Fabrikant und Alderman, und protestire, wenn darin eine Injurie liegen soll.
Hol der – mit Euren Injurien – über Bord gelegt mit dem Burschen und funfzig mit dem Tau unter die Rockschöße, da vergeht meiner Seel die Empfindlichkeit.
Beide waren indessen an das Haus gekommen, wo, nach der richtigen Voraussage des Seemannes, das Volk so dicht gedrängt war, daß Einige außerhalb der Thüre auf der Straße standen.
Sie sind sehr eilig gewesen mit dem Gerichte! meinte der Seemann.
Eilig? sagte Dulberry. – Eilig? Voreilig.
Es ist eine Schande und ein klarer Bruch aller gesetzlichen Ordnungen. – Wann denken Sie, daß er eingefangen wurde? Es können noch nicht zwei Wochen her sein.
Mit nichten, Herr, es ist erst eine Woche und sechs Tage. Glauben Sie mir. Es war Alles in voraus abgemacht, abgekartet. O ich durchschau das Spiel. Der arme Nichols, oder Niklas! Sie sagen, er hätte sich selbst ergeben. – Wer ergiebt sich denn selbst? Alles haben die Kronjuristen erfunden. Das liegt Wort für Wort schon niedergeschrieben in den Akten zur Unterdrückung des armen Volkes. – Gefangen, gehangen heißt es – und den Weg haben sie uns auch besetzt, damit ein ehrlicher Mann nicht durch kann, und ihnen auf die Finger sehn, aber sie kennen nicht den Samuel Dulberry.
Ich möchte doch gern durch – sagte der Andere – und zusehn. Ich kannte den Burschen in der Jugend, und möchte nun auch gern sehn, ob er sich vor den Perücken so dreist nimmt, wie am Steuerruder – und, wills der vermaledeite – wie er endlich zappelt.
Glauben Sie's mir, Sir, einem ehrlichen Freund vom Vaterlande – ich habe ihn auch geliebt, er hat viel ins Land gebracht. Man kann berechnen, daß er den Zoll innerhalb zehn Jahren um 809673 Pfund 3 Schilling und 2½ Pence gebracht hat. Aber er war zu wild, hatte tolle Ideen im Kopfe, wollte gar nichts von Gleichheit wissen, war stolz, kurz so ein junger Baronet oder Gardeofficier von dem Galgen-Bataillon – persönlich kann der ihm auch gar nichts schaden. – Das ist die Jugend heut zu Tage, braust hinaus und berechnet nichts. – Glauben Sie's mir. Vor vielen Monaten im Winter kam auch auf diese Küste so ein junges Blut, mit einem feinen Gesichte und versprach was zu werden. Ich nahm mich seiner an, und gab ihm Unterricht in guten Grundsätzen. Glauben Sie mir, ich predigte dem Winde – leeres Stroh. Er sah dem Niklas verdammt ähnlich, und darum griffen sie ihn auch und schleppten ihn hinauf nach dem Feudalschlosse. Er kam wieder los, aber was ist aus ihm geworden? – Ein Hofjunker, ein Page, ein Herrenknecht. – Da sitzt er oben und bedient den Morgan Walladmor, und trägt den Shawl der Lady nach. Ist das Englands Jugend? – Als wir uns neulich hier auf der Straße begegneten, habe ich ihn auch nicht angesehn. Er grüßte, ich ging ruhig vorüber. Ja, ja, Herr, es ist Alles abgekartet Spiel, um das arme Volk zu betrügen.
Aber ich denke doch, bei gutem Winde kommen wir noch durch. Es hat noch nicht angefangen, und's kommt doch bei dem verwetterten Firlefanz zumeist auf die Contenance an. Ein guter Schiffer kann auch wohl aufs Riff beim Sturm gerathen, aber's kommt nur drauf an, daß er mit'nem Prosit dem Sadras oder der gebenedeiten – untergeht. Wollen wir losdringen?
Ich muß durch.
So stellt Euch vor mich. Ihr seid klein und habt viel Knochen. Thut Eure Ellenbogen vorn spitz zusammen, die Hände unters Kinn gestützt, und dann in die erste Lücke rein. Ich schiebe mich dicht hinter Euch, und werde schon Posto fassen, daß Ihr im Rücken frei seid, denn mich stößt Niemand um. Ihr seid der Keil und ich bin die Masse. Püffe wird's geben, aber das schadet nichts. – Ehrliche Jungens vertragen was, und ich drücke eher todt, als daß ich mich todt drücken lasse.
Der Reformer ging den Vorschlag ein, und mit dem Ausruf. »Fürs Vaterland!« setzte er sich in Bewegung und seine zusammengepreßten Ellenbogen zwischen zwei Weiber. Sie wichen mit lautem Geschrei, schienen aber zu ihrer noch größern Verwunderung, da sie hinter dem dürren Reformer wieder zusammentreten wollten, für immer getrennt zu werden, als die nervige Fleischmasse des Seefahrers unbewegt und unbeweglich zwischen sie trat. Dulberry verfolgte seinen errungenen Vortheil. Er bohrte in die Masse hinein, und wußte geschickt zuweilen mit seinem Körper halb unterzutauchen, aus welchem Manoeuvre er den doppelten Gewinn zog, mit mehrerer Kraft von unten herauf zu arbeiten, und zugleich den Stößen und Püffen zu entgehen, welche dafür in reichem Maße den Seefahrer, für den er nur als Maschine zu arbeiten schien, trafen. Endlich war er, trotz aller Flüche und Schläge, bis an die Schranken vorgedrungen; sein massiver Nachfolger machte sich mit beiden Armen Platz und umfaßte an der Barriere den mäßigen Raum von einer und einer halben Elle, ohne auf das Nothgeschrei der Unterdrückten zu beiden Seiten zu achten. Aber vor ihm, oder vielmehr zu seinen Füßen, litt sein Bundesgenosse selbst große Noth. Mehr knieend als stehend, war er bis an die Barriere vorgerutscht, hier aber ganz zu Boden gedrückt worden. Einen zweiten Platz für ihn zu erobern, wäre theils unmöglich gewesen, theils hätte Dulberry ihn gegen die gereizten und korpulenten Gestalten umher nicht behaupten können, und der Seefahrer sah sich daher genöthigt, um seinem unterdrückten Freunde aufzuhelfen, mit aller Gewalt sich wieder zurückzustemmen. Auf diese Weise gelang es endlich Dulberry, wieder aufzuducken, und er nahm nun, wie die Spielpuppe oder das Windelkind des starken Mannes, zwischen dessen beiden aufgestemmten Armen seinen Platz ein, welcher ihn zum Zeugen des Berichtes über den Verbrecher machte.
Nichols saß schon in ruhiger Haltung auf der Bank, obgleich das Gericht noch nicht angefangen hatte. Die wilde Leidenschaftlichkeit und der Trotz waren aus seinem Gesichte verschwunden, ohne daß die Furcht deshalb eingekehrt gewesen wäre. Mit unterschlagenen Armen und ruhigen Blicken musterte er die Versammlung, ohne von irgend einem Gegenstande besonders angezogen zu werden. Einige seiner alten Bekannten begingen wohl die Unschicklichkeit, ihm zuzuwinken, er antwortete aber nicht; woraus daher Einige schließen wollten, die Furcht oder eine ähnliche Empfindung übe ihre Herrschaft über ihn aus, während Andere schworen, es sei der festeste Inquisit, den sie je gesehen. Da sich angesehene Edelleute und selbst einige Lords unter der Versammlung befanden, so wurde diese Behauptung bald der Gegenstand hoher Wetten.
Funfzig gegen eins standen einige, daß die Jury das Schuldig aussprechen werde. Mehr schwankte der Satz darüber, ob die Execution des Hängens werde vollstreckt werden oder nicht – aber al pari stand er, ob Nichols beim Hängen werde Furcht bezeigen oder nicht?
Wer sind die Geschwornen? fragte der Seefahrer seine Enclave.
Wer wird es sein? Diener des Ministerii, aus der Gentry im Umkreise. Das ist alles abgemachtes Spiel. Es ist ihnen vorgeschrieben worden, das Verdict: schuldig zu sprechen, sonst –
Nun was denn sonst? fragte Jemand, der Dulberrys Ausspruch mit angehört hatte.
Sonst – das sieht ja wohl jeder Brittische Vaterlandsfreund ein, daß das ganze Gericht mit den Geschwornen eine leere Gaukelei ist. Sonst, sonst – ja sonst wars anders. Anno 1715 und 1745, da galten noch die Geschwornen was; jetzt, seitdem das ganze Parlament bestochen ist, und seitdem die Mörder aus dem Blutbade bei Manchester von der großen Jury freigesprochen sind, jetzt, meine Freunde, sind wir alle arme Sclaven, und können erdrückt und massacrirt werden, wenn es den Ministern gefällt, und kein Hahn kräht darum, wenn ein Alt Brittisch Herz von einem Husarensäbel zerspalten wird.
Eine stramme Gestalt! rief ein Anderer, dem brauchen sie keine Steine in die Taschen zu stecken, er wird sich schon selbst fest zuschnüren.
Ist sein Leib schon verkauft? fragte ein Anderer.
Nicht doch, er muß ja hier secirt werden.
Pah! Danach fragen sie viel. Zehn gegen eins, er kommt nach London ins Musäum, die Londoner werden sich das nicht entgehn lassen, den Nichols auf dem Brette liegen zu sehn. Hier schneiden sie so ein Bischen in's Fleisch, aber das will nicht viel bedeuten.
Ich höre, – sagte ein Dritter, – die Gesellschaft in Edinburg, die fressologische, hätte ihn gekauft.
Nicht doch, die phrenologische heißts, wo der Dichter Walter Scott Secretair ist.
Meinethalben freß-, phren- oder phrasologische, aber die wollen aus dem Körper beweisen, das Nichols schon zum Galgen geboren ist, denn er soll das Schleichhändlerorgan im Kopfe zu stecken haben.
Das Geschwätz der Zuschauer hörte durch das Verlesen der Anklageacte von Seiten des General Attorney, eines ältlichen Mannes, auf. Nur kurz konnte und wollte er jeden Anklagepunkt heraus heben, da der Verbrechen zu viele waren, der größte Theil derselben aber bereits constirte. Er schloß seinen Vor- und Antrag mit einer aus dem Herzen kommenden Ermahnung über den wilden Schwindel, welcher sich eines Theils der Jugend zu diesen Zeiten bemächtigt habe. Lehren, welche die Religion vergiften und die öffentliche Ordnung umzustoßen drohten, hätten überall Eingang gefunden. Wenn des Jünglings ungebändigte Kraft sich in frühern Zeiten in nicht zu billigenden Thorheiten Luft gemacht, so hätte sie jetzt den Ausweg gefunden, welcher zum Verbrechen führe. Wenn die Strafbarkeit des Einzelnen auch in Betrachtung dieser im Allgemeinen verkehrten Richtung der Zeit, geringer erscheine, wenn auch der Inquisit Handlungen begangen und Gesinnungen gezeigt habe, welche Funken eines bessern Geistes, als man ihn bei gewöhnlichen Missetätern findet, verriethen; so dürfe dies den Richter doch nicht abhalten, das Schuldig über einen Verbrecher auszusprechen, dessen Beispiel für schwächere und starke Geister gleich verführerisch sein müsse.
Es wurden nur wenige Zeugen abgehört, jedoch meistens solche, welche auf das Bestimmteste über die einzelnen Anschuldigungen Auskunft geben konnten, und größtenteils auch gaben. Aller Augen aber waren auf den jungen und talentvollen Vertheidiger des Verbrechers gerichtet. Master Pritchard vereinigte mit einem gefälligen, zuweilen feurig werdenden Vortrage eine Dialektik, wie man sie selten unter unsern jungen Advokaten heut zu Tage findet, und hatte sich eine Bildung angeeignet, welche weit über diejenige hinausgeht, welche man sprüchwörtlich dem Advokatenstande zuschreibt. Während mehrere seiner Collegen bemüht gewesen waren, einem so unfruchtbaren Geschäfte, als Nichols Vertheidigung zu sein schien, sich zu entziehen, hatte er sich willig erboten; und das Gericht und jeder unbefangene Zuschauer mußte gestehen, daß die Vertheidigung seinem Verstande und seiner Geschicklichkeit Ehre machte.
Er begann mit den Kreuz- und Querfragen, ohne dabei so zu verweilen und im Ueberschweifen zu den irrelevantesten Nebenumständen, nicht allein die Zeugen, sondern auch Richter und Geschworene zu ermüden, worin leider so viele Männer des Gesetzes heut zu Tage ihren ganzen Ruhm setzen. Im Gegentheil warf er nur einige scharfe Fragen schnell hinter einander auf; und als er sah, daß er die Zeugen zu keinem Widerspruche führen konnte, welcher auch überdies bei den Geständnissen des Inquisiten von geringem Belange bei dem Ausgange des Prozesses hätte sein können, ließ er dieses Stoppelfeld fahren, ohne mit der geringen Aehrenlese seine Zeit zu verschwenden, und ging zur Widerlegung der Anklageacte des königlichen Anwalds über.
Scharf und kurz widerlegte er zuerst die trübe Beschuldigung desselben gegen die neuste Zeit. Er behauptete, die Klagen des grämlichen Alters über das Verderbniß der Zeit seien vom Uranfang der Welt an vorgekommen, ja sprüchwörtlich geworden. Er suchte darzuthun, daß, während im Allgemeinen die Zeit niemals besonders schlechter geworden, die Anschuldigungen des Alters gegen Neuerungen in jedem Zeitalter zu finden wären. In den Tragödien des Aeschylus – sagte er – klagen bereits die Furien, als aus dem alten Stamme entsprungene Göttinnen, über die Neuerungen, welche das neue olympische Göttergeschlecht eingeführt habe, als Apollo Milde und Gnade predigte. Die Juden klagten über revolutionären Schwindel, als der Heiland predigte; und so oft ein Kirchenverbesserer auftrat, sahen die Anhänger des alten Systems unausbleibliches Verderben hereinbrechen. Er ging dann auf Englands Geschichte über, zeigte wie auch hier vor jeder heilsamen Verbesserung des geselligen Zustandes die finstern Katonen ängstlich ihr Verdammungsurtheil über die Neuerung ausgesprochen hätten. Wie tönten die Eulenstimmen der Presbyterianer zu den Zeiten der Stuarts? Hörte man nicht – rief er aus – vor unserer glorwürdigen Revolution von 1688 dieselben politischen Wahrsager, welche heut zu Tage den Untergang der Religion und des Staates prophezeihen? Als zu John Wilkes Zeiten, zu denen Horn Tooks das Volk in unschädlichem Toben die Freiheit zeigte, welche ihm unsere Verfassung zugesteht, tönten die ministeriellen Blätter nicht, wie heut zu Tage, von Exclamationen wieder, daß die Pöbelherrschaft die Ordnung vernichten, den Staat untergraben werde? Als Junius Briefe erschienen, hieß es: Religion und gesunde Politik seien mit Sitte und Recht vergiftet, gleich wie man vor zwanzig Jahren den Schriften Thomas Paynes das Gewicht beilegte, jedes religiöse Gefühl auszurotten. Meine Herren, diese Declamationen mögen immer erlaubt sein im Kampfe der Partheien, und sie werden, so weit das menschliche Auge in die Zukunft blickt, in Proklamationen und Zeitblättern immer, – nur mit andern Worten – wiederholt werden; aber unrecht ist es, wenn sie in den geheiligten Hallen des Rechtes, wo die Politik keinen Zutritt erhalten darf, widerhallen; noch größerer Mißbrauch, wenn sie aus dem Munde des Anklägers tönen, und den Richter, indem sie ihn für das öffentliche Wohl besorgt machen, gegen das unglückliche Individuum strenger stimmen.
Dieser Eingang, wie wenig er auch zur speziellen Verteidigung Nichols gehören mochte, fand doch allgemeinen Beifall, und es war auch vielleicht nur dies, welches der umsichtige junge Mann beabsichtigte. In schwierigen Fällen ist es des geschickten Advokaten erste Pflicht, statt, wie viele es machen, mit einem Ungewitter von Ex- und Deklamationen loszufahren, durch eine Rede, welche den Schein der Billigkeit athmet, die gefühlvolle Aufmerksamkeit der Zuhörer sich geneigt zu machen. Auch die Brocken aus dem Aeschylus mochte er nicht ohne Absicht eingemischt haben; denn, wie wahr auch seine Anführung an sich war, so galt es doch mehr, den Richtern zu imponiren mit:
Gestalten grauer unbekannter Zonen, |
da, wie der böse Leumund sagt, in der ehrenwerthen Versammlung kein Einziger war, der die Griechischen Tragiker gelesen hatte.
Wichtiger für die Sache war der zweite Theil seiner Rede. Er ging sämmtliche Anschuldigungen genau durch, und wollte in ihnen entweder kein Verbrechen sehn, oder wo er ein solches mußte gelten lassen, da die Beweise mangelnd, die Aussagen des Inquisiten widersprechend, oder sonst einen Grund finden, weshalb die Anklage nicht Platz greife. Namentlich stritt er mit großer Geschicklichkeit dafür, daß die Klage des Hochverrates unzulässig sei, da kein specieller ministerieller Befehl, deshalb den Verbrecher zu verfolgen, vorhanden sei. Seine ältern Vergehen gegen die Gränzgesetze wären verjährt, die dabei vorgefallenen Ermordungen nicht erwiesen, da die Leichenschau fehle, auch Nichols Geständnisse verworren wären, und er leicht im trüben Zustande seines Geistes, bei verworrener Erinnerung, mehr bekannt, als er verübt habe. Nur ein Verbrechen erkannte er an, den letzten feindlichen Angriff auf Walladmor-Castle, aber er läugnete die Strafbarkeit desselben. Er entwickelte psychologisch aus Nichols eignen Geständnisse und den über dieses letzte Verbrechen vernommenen Zeugen, daß der Verbrecher sich in einem Zustande des Wahnsinns befunden, als er den Angriff wagte.
Es geziemt sich nicht – sagte er – Privatgeheimnisse zur öffentlichen Kenntniß zu ziehen; die Pflicht des Vertheidigers erfordert es aber, auch selbst gegen den Willen des Vertheidigten, Umstände zur Sprache zu bringen. Meine Herren Geschwornen! Es ist allgemein in der Gegend bekannt, daß der Schleichhändler Nichols aus Liebe gegen eine Dame hohen Standes, einem schwärmerischen Trübsinn sich hingegeben hat. Wenn ich nicht auf die Wissenschaft der Herren Geschworenen rechnen könnte, würde ich namhafte Kaufleute aus Holland und dieser Gegend als Zeugen aufgerufen haben, welche dieses bekannt gewordenen Wahnsinns wegen dem Schleichhändler Nichols keine ihrer Geschäfte mehr anvertrauen wollten; ich könnte zwei Männer aus diesem Ort benennen, welche von ihm selbst die Aeußerung gehört haben: Liebe sei mehr werth als alles Gut! Wenn ein Mann, dessen wilde Naturkraft durch keine Bildung gezähmt worden, von der Leidenschaft der Liebe ergriffen, wenn sie nicht erwiedert wird, so sind die Folgen nicht zu berechnen. Die Dame, welche –
Schweigen Sie – bei Ihrer Seeligkeit – fuhr Nichols zu seinem Vertheidiger gekehrt, auf – ich will nicht, Sie sollen nicht – die Macht werde ich noch haben, obgleich in Ketten – ich will sterben.
Sie sehen – fuhr Master Pritchard gelassen fort – zu welchem Ausbruch der Wuth, zu welchem unnatürlichen Entschlusse ihn nur die Erwähnung des Namens treibt. Er will sterben, das hat er jetzt mit Worten, das hat er damals durch die That ausgesprochen. Die Dame hat ihn nicht begünstigt. Liebhaber, welche durch die Sprödigkeit ihrer Geliebten bis zum Selbstmorde getrieben wurden, gehören, wenn auch ihre Erscheinung selten ist, nicht der Romanenwelt an. Nichols wollte sterben, als er mit wenigen Leuten den scheinbar unüberlegten Angriff auf das Schloß unternahm. Er wollte im Gefecht umkommen, kam aber nicht um. – Er lieferte sich freiwillig aus. – Verlangen Sie mehr Beweise, daß er im wahnsinnigen Wunsche, zu sterben, jenen Angriff gewagt? Diese Ansicht schließt jedes Verbrechen aus; sie erklärt, weshalb der Inquisit so viele Verbrechen, ja mehr Verbrechen, als er je verüben konnte, bekannt hat. Sie sehn einen Wahnsinnigen, der sterben will, sterben durch die Hand des Henkers. An ihn haben die Gesetze, welche für freie Wesen gegeben sind, kein Recht.
Die Versammlung war still, die Geschworenen schienen nachdenkend. Der Vertheidiger sah dies als ein günstig Zeichen an, und klagte, daß man ihm Schwierigkeiten in den Weg gelegt, als er Zeugen dieser Liebe habe aufstellen wollen. Er beschuldigte den Squire Sir Morgan Walladmor, daß er weder seine Nichte habe gestellen wollen, noch selbst bei Gerichte erschienen sei, welchem er, vermöge seines Amtes, beizuwohnen verpflichtet wäre. Er trug, da die Aufklärung dieses Umstandes, indem sie auf die Handlungsweise des Verbrechers das hellste Licht werfe, äußerst wichtig sei, darauf an, den Squire sowohl, als seine Nichte, herbeiholen zu lassen.
Der Richter aber verwarf diesen Antrag, indem, nach amtlicher Anzeige des Friedensrichters Sir Morgan Walladmor, dessen Nichts gegenwärtig krank liege, er selbst aber durch seine Gemüthsstimmung verhindert werde, zu erscheinen. Ein allgemeines Murren verbreitete sich durch die Versammlung, und der Reformer konnte seinen Unwillen nicht mehr zurückhalten.
Krank sein! nicht wahr, meine Herren! Des vornehmen Sir Morgan Walladmor Gemüth ist nicht gestimmt, hieher zu kommen, um Zeugniß abzulegen für einen unschuldigen Kerl – wahrhaftig, der arme Nichols, der ist auch nicht in seinem Gemüthe gestimmt, hier vor Gericht zu sitzen und morgen zu hängen. Die Lady muß herkommen und Zeugniß geben; aber wer vornehm ist, kann krank sein. Ich möchte das Gesicht der Herren gesehn haben, wenn der arme Nichols heut hätte krank werden wollen.
Seid doch still, Master Dulberry, sagte sein Hintermann, – sie sehn uns ja von allen Seiten an.
Und wenn sie uns ansehn, so sehn sie Vaterlandsfreunde, wenigstens einen, der sich nicht ohne noch einmal aufzuschreien, unter die Pferdehufen der Husaren von Manchester werfen läßt. Ja, Freunde von England. –
Weiter konnte er nicht sprechen, denn während der präsidirende Richter vor ihm mit Worten Ruhe gebot, prägte sein Hintermann, der Seefahrer, ihm dies Gebot durch die That ein, indem er sich mit dem Leibe etwas verbeugte und die Brust des unglücklichen Reformers in eine so verzweifelte Presse zwischen den Stahlknöpfen seines Rockes und der Barriere brachte, daß es ihm an Luft zu sprechen fehlte. Erst als er gelobte still zu sein, ward der Unglückliche von diesem Preßzwange losgegeben.
Der Verteidiger ging jetzt auf einen neuen Punkt über. Er fragte, ob ein Verbrecher, welcher von Jugend auf unter verbrecherischen Eltern erzogen, dem die Grundsätze der Highwaymen und Piraten eingeprägt worden, dem nie in den Jahren, in welchen der Mensch körperlich und geistig wächst, eine andere Lehre gepredigt worden; ob der nach den Gesetzen der sittlichen Welt und des Staates beurtheilt werden könne? – Und wenn ich, – fuhr er fort – Ihnen beweise, meine Herren Geschwornen, daß der Unglückliche, den ich vertheidige, aufgewachsen unter Verbrechern, nur ihre Grundsätze kennen gelernt, und nach diesen Grundsätzen gehandelt hat, werden Sie dann wagen, über ihn das Schuldig auszusprechen? – Es ist bekannt, daß James Nichols auf dem Schiffe des berüchtigten Schleichhändlers Jacson auferzogen worden ist. Wäre es mir möglich gewesen, diese gefährliche Person selbst als Zeugen vor Gericht zu stellen, so würde ich haben Dinge offenbaren können, welche so günstig für den Angeklagten sprechen würden, daß seine völlige Freisprechung unausbleiblich wäre. So war es mir nur vergönnt, Vermuthungen aufzustellen, welche durch das Zeugniß dieses Mannes bestärkt werden sollen.
Während ein, als der invalide Matrose in M*** wohl bekannter, greiser Bettler vortrat, um zu sprechen, und aller Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet war, spürte Dulberry, daß seine Rückenpresse und zugleich Rückenlehne zurückweiche. Er war auf die Aussage des Matrosen zu gespannt, um nach der Ursach sich umzusehn; ein Geräusch und Murren, auch vernehmbare Stöße, nöthigten ihn indessen doch, sich auf einen Augenblick umzudrehn, und er sah zu seinem großen Erstaunen, daß der Seefahrer mit vollen Segeln durch die Masse nach der Thüre zufahre. Es war keine Zeit, über den Grund dieses in der That wunderbaren, freiwilligen Zurückziehens nachzudenken, denn schon hatte der Matrose seine Aussage begonnen, und wurde die Kreuz und Quer vom Königlichen Anwald befragt. Nur insoweit wurde Dulberry während des ganzen folgenden Verhörs an den Seefahrer zu denken genöthigt, als die an seinen Platz getretenen Zuschauer mit ihren Knochen und Ellenbogen eine bei weitem unbequemere Rückenlehne, als der fleischige Seemann, für den unglücklichen Märtyrer alt Englischer Freiheit abgaben.
Erkennt Ihr diesen, vielfacher Verbrechen angeschuldigten James Nichols für denjenigen, welchen Ihr als Knaben auf dem Schiffe des Schleichhändlers Jacson gesehn habt? fragte der Königliche Anwald den Zeugen.
I freilich ist ers, wenn ichs sagen muß – er sagts ja auch selbst.
Auf welche Art kam er auf das Schiff?
Das habe ich ja schon gesagt – als ein kleines neugebornes Kind – es war kaum so – so – groß – hab' ich ihn hingebracht.
Und wie lange seid Ihr, in Dienst dieses Nichols oder Niklas, um seine Person gewesen?
Bis ich den Schuß ins Bein bekam – nein, nicht doch, – oben in die Schulter – der Grechorius meinte – ich würde nicht davon kommen, da setzten sie mich an's Land.
Und wer gab Euch das kleine Kind, das neugeborne, damit Ihrs auf Jacsons Schiff bringen solltet?
Nu die tolle Gillie – sie war dazumal noch nicht toll. – Ach nein, nein, nein – nicht die tolle Gillie – ich sollte's ja Niemand sagen, daß ich es von ihr hätte – nicht die tolle Gillie. –
Aber sie hat Euch doch nicht verboten zu sagen, wann sie es Euch gegeben? –
Nein, das hat sie nicht verboten – das weiß ich ganz genau. Es war gerade zur Zeit als die alte Suse Drillinge kriegte, sie wurde nachher aus der Grafschaft gepeitscht, und dann hat sie Niemand mehr gesehn. – Es war dunkle Nacht, oder auch schon Morgen, da wickelte sie's in 'ne alte Schürze, und sie hat ihm auch in den Arm gebissen, und dann ruderte ichs zum Niklas.
Und Jacson schickte das Kind nach Hamburg, habt Ihr früher gesagt?
Ja! nach Hamburg! Mit 'nem kleinen Zweimaster – er hatte Zucker und Kaffee geladen, und es war auch nicht recht richtig mit ihm.
Und er kam nicht wieder?
Nein.
Aber dieser Nichols oder Niklas, unter dem Ihr später dientet, ist dasselbe Kind, welches Euch die tolle Gillie übergeben.
Nein, das soll ich ja nicht sagen – die Gillie wollte es durchaus nicht haben, daß ich's ausplaudern sollte. Jacson aber sagte: die Gillie wäre ein dummes, tolles Weib – aber freilich ist er derselbe – denn es ist ja Niklas.
Aber Ihr sagtet, das Kind sei von Jacson einem Hamburgfahrer übergeben worden.
Freilich – das Kind, was sie hingeschickt haben, ist auch nicht Niklas – aber ich bin ein alter Mann – und lebe nur von Almosen – und weiß nicht alles so genau – fragt aber doch Jacson, der ist ja hier. –
Alle blickten erstaunt in die Höhe und sahen sich um. Nur der Verbrecher schlug die Arme unter einander, senkte den finstern Blick zu Boden und sagte:
Gebt Euch keine Mühe. – Er war hier – er ist wieder fortgegangen.
Aus dem altersschwachen Manne war weiter nichts heraus zu bringen; und nachdem Master Pritchard, mit allem Feuer der Beredsamkeit, aus diesem Zeugnisse darzulegen gesucht hatte, daß Nichols, als von Kindheit auf nur in den Lehren der Verbrecher auferzogen, nicht strafbar sei, zugleich aber auch dringend darauf angetragen hatte, die Umstände der Geburt des Verbrechers einer nähern Prüfung zu unterwerfen, und deshalb, mit Aufschub des Gerichtes, die Gillie Godber und andere Zeugen zu verhören, nahm der Königliche Anwald wieder das Wort. Er zeigte daß aus den Aussagen des kindischgewordenen alten Mannes, welcher bei jedem Worte sich selbst widerspreche, nichts hervorgehe; und da es überdies wahrscheinlich sei, daß die Anhänger des zur Untersuchung gezogenen Verbrechers ihn zu dessen Gunsten, und um Verwirrung in den Proceß zu bringen, vorgeschoben hätten, so trug er darauf an, mit Uebergehung jeder weitern Ausmittelung zum Abschluß zu schreiten.
Hiergegen protestirte der Vertheidiger. Er sagte, daß die Kinder mehrerer achtbaren, auch edlen Familien dieses Landes in ihrer frühsten Jugend durch die Unachtsamkeit oder Bosheit der Ammen verloren gegangen, oder ausgetauscht worden seien. Er schilderte das Unglück auf diese Weise beraubter Eltern; er mahlte die Freude des Wiedersehns verloren gegangener Kinder, und warnte den Gerichtshof, nicht unbehutsam in einem jetzt als Verbrecher auftretenden Individuum vielleicht den Abkömmling einer berühmten Familie zu ermorden.
Etwas spöttisch entgegnete der Königliche Anwald: Er zweifle nicht, daß sein würdiger College, wenn er vor einem Romanengerichtshofe einen Romanenhelden zu vertheidigen habe, mit seinen kräftigen aus Romanen entnommenen Vertheidigungsgründen durchdringen werde. Denn richtig sei es, daß von den Richardsonschen herab bis zu denen der Miß Burney, Opy, Edgeworth, ja denen des neuesten Schottischen Romanenschreibers, Vertauschungen von Kindern in der Wiege das Hauptingredienz ihrer Romane bildeten, und es sich nicht minder häufig ereigne, daß der Held oder die Heldin am Ende des dritten Theiles zu Kindern vornehmer Eltern würden, – ja werden müßten, – im Leben selbst fielen diese Ereignisse jedoch selten vor; Blacstone nenne sie nicht als Gründe, um über einen geständigen Verbrecher das Nicht schuldig auszusprechen; und jedenfalls würde die Freude der vornehmen Eltern nicht allzuheftig sein, wenn sie statt des verlorenen Sohnes einen reifen Galgenvogel wiederfänden.
Der Richter entschied sich dafür, daß jede fernere Ausmittelung unerheblich scheine, indem die ganze Fabel des alten Matrosen an sich mehr als unwahrscheinlich laute, überdies auch nicht abzusehn wäre, zu welchem anderen Resultate eine Nachforschung über Nichols Geburt führen könnte, als zur Compromittirung irgend einer achtbaren Familie des Landes, oder zur Aufregung schmerzlicher Gefühle, ohne irgend einen Trost dafür zu gewähren. Es wurde demnach jetzt dem Verbrecher die Erlaubniß gegeben, zu seiner Vertheidigung selbst zu sprechen. Er erhob sich mit natürlichem Anstande und trat an die Barriere. Nachdem er wenige Blicke auf die Versammlung geworfen hatte sprach er folgendes, ohne zu zaudern oder zu stocken.
Gentlemen! Der Himmel bewahre mich, vor den Augen meiner Henker eine andere Rolle spielen zu wollen, als in den Tagen meiner Freiheit. Ich habe nie vor dem Tode gezittert, ich werde auch – soll's geschehn – auf der letzten Staffel nicht verzagen. Im Leben log ich nie, ich habe auch vor den Richtern keine meiner Thaten verschwiegen. – Ob? und wie weit? und wie lange? sie nach den Gesetzen strafbar sind, das weiß ich nicht, und habe es meinem Vertheidiger überlassen, und überlasse es Ihnen, darüber zu urtheilen. Was der gelehrte, ehrenwerthe Herr gesprochen, um meinen Hals aus der Schlinge herauszuziehn, wird er selbst vertreten; mit den künstlichen Erklärungen und Auslegungen der Gesetze habe ich nichts zu schaffen. – Aber Wahres sprach er – ob es zur Vertheidigung dient, weiß ich nicht – wenn er sagte, ich sei nie in den Lehren und Grundsätzen von Staat und Sitte unterrichtet und sei in völliger Wildheit auferzogen worden. – Beim Himmel! – unter den wackern, kräftigen Leuten, die vom Sturm und den tobenden Wogen berauscht wurden, habe ich nur gelernt, daß dieses Land, wo die Gesetze herrschen sollen, ein Land des Eigennutzes, des Betruges, der Unterdrückung sei. Meine Herren! In spätern Jahren lernte ich Sitte, Gesetz, Verfassungen, und wie Ihr sonst die Einrichtungen unter gebildeten Wesen nennen mögt, kennen, aber ich lernte sie, wie ein Schauspieler seine Rollen – um mitzuspielen. Ich bin so thörig und unerfahren geblieben, daß ich nicht begreifen kann, weshalb man die Menschen, welche auf hohen Schlössern oder in Pallästen geboren sind, höher achtet, als die in Hütten gebornen. –
Bravo, Bravo! rief eine Stimme. Es war Dulberrys; einige kräftige Rippenstöße von seinen Nachbaren brachten ihn wieder zur Ordnung. Der Angeklagte fuhr, ohne ihn anzusehen, fort:
Der ganze Staat – nicht der dieses Landes allein – Königreiche und Republiken erschienen mir wie große Puppenspiele, um Alle oder Einen zu amüsiren, um Alle oder Einen zu hintergehn. Wenn ich mich zu einer politischen Verschwörung gegen einen solchen Staat hinreißen ließ, so gereut mich dies jetzt beim Himmel, denn in den vierzehn Tagen meiner einsamen Haft ist mir das Ding, was Ihr Staat oder gesetzliche Ordnung, oder wie sonst nennt, so erbärmlich und lächerlich vorgekommen, daß ich mich schämte, so viel von meiner Kraft drangesetzt zu haben, um mit daran zu stoßen. Jeder lebt und wirkt für sich, das habe ich als die Bedeutung des Lebens überall gefunden, nur mit dem Unterschiede, daß man in einem gebildeten Staate einen Mantel über die Absicht wirft, und wir freien Leute und Ritter der Kraft frei, auch dem Richter ins Gesicht, unsere Absicht aussprechen. – Weiter weiß ich nichts zu meiner Vertheidigung zu sagen; aber ich habe etwas, das bitterer ist, als Euer Gesetz, in diesen Stunden erfahren, daß auch unter den Leuten, welche Euren Götzen verhöhnen, feige Schurken sind. Viele meiner alten Noth- und Drangsgefährten sah ich und sehe ich – umher sitzen, und sobald es ans Zeugniß ablegen ging, drängten sie sich scheu zurück. Meinethalben! Der Himmel strafe mich, wenn ich je auf ihre Hülfe bauen wollte. Ists gefällig, ihr Herren, so bin ich fertig.
Es war schon ganz finster geworden, als die Geschwornen abtraten. Trotz des feierlichen Momentes, welcher diesem Abtreten für das Gefühl jedes nachdenkenden Menschen folgen muß, herrscht doch selten die Stille, welche man erwarten könnte. Ungeachtet des Kerzenlichtes, welches auf den düstern Verbrecher und die feierliche Versammlung niederfiel, trat in wenigen Minuten das Geräusch der Tavernen ein. Dulberry machte sich zuerst Luft:
Die Rede hat mir gar nicht gefallen – sagte er zu dem um ihn stehenden Kreise. – Anfangs versprach sie was. Er fing ordentlich gegen die Minister an los zu gehn, aber dann schweifte er ins wilde Blaue über, was kein Mensch versteht. Es wäre hier so gut der Ort gewesen, über den Ruin der Fabriken und den Zolltarif zu sprechen. Er hätte berechnen können, daß unter unserm heutigen Ministerium 39 Procent Menschen mehr gestorben sind, als unter dem von Horace Walpole, wovon man 28½ auf Rechnungen, die übrigen 10½ auf die Castlereaghschen Husaren und die armen Leute rechnen kann, welche sie auf den Continent geschleppt haben. Er hätte nur beweisen sollen, daß er von der Armentaxe nichts abgekommen hat, und daß sie doch das Land ruinirt, daß er also nicht dran schuld ist, und dagegen gearbeitet hat. Aber da redet er von Komödianten und Kraft und anderes dummes Zeug. –
Hundert gegen hundert Pfund! – rief ein junger Lord, dessen neue Herrlichkeit eben das Haus der Lords betreten hatte, und hier seine Stimme zuerst laut werden zu lassen, für schicklich hielt, – hundert gegen hundert, er wird frei gesprochen!
Es fanden sich viele, welche die Wette eingingen, nur wenige aber folgten seinem Beispiele. Dagegen bot man von allen Seiten: Hundert gegen Eins, Niklas werde keine Furcht bei der Execution zeigen. Er selbst – der Gegenstand ihres Gesprächs – saß mit unterschlagenen Armen und zu Boden gesenktem Haupte, als achte und höre er auf keine ihrer Reden. Es war aber noch keine Stunde verflossen, als die Entscheidung der ersten Wette und zugleich die seines Schicksals sich nahte, indem die Thüre aufging und die Geschwornen eintraten. Todtenstille herrschte im Momente. Der Richter erhob sich und that die übliche Frage; ehe wir aber das Verdict erfahren, ist es nöthig meine Leser nach Schloß Walladmor zurückzuführen.