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Zweite Abtheilung.

Rom.


Colosseum.


Ein Carthaginenser.

Mir scheinet eine Stadt der eine Bau,
Ein jeder Bogen bildet eine Straße.
Wie hoch man steht! man überblickt ganz Rom,
Und hier der Schauplatz liegt vor unserm Blicke.
Es ist ein Berg! Wer thürmte diese Steine?

Ein Römer.

Gefang'ne, Juden von Jerusalem.
Ich breit' das Polster aus, wollt hier Ihr sitzen,
Dann werde ich Euch Alles gleich erklären.
– Doch horch! – Musik, der große Kaiser kommt,
Domitian, des Heer's, des Volkes Freund,
Ein seltner Geist, so groß und höchst verschieden!
Bald wie ein Kind unschuldig kann er spielen
Den ganzen Tag, schlägt mit der Fliegenklatsche
Die Fliegen an den Marmorsäulen todt;
Bald spricht er königliche Worte aus,
Und stolze Bäder, Bögen und Theater
Sind zum Vergnügen aufgebaut für's Volk.
Er wandelt jeden Tag zu einem Fest
Für sich und uns. Der große Kaiser lebe!

Der Carthaginenser.

Wie Donnerklang ertönt der starke Jubel.
Nun schweigt er rings, und Alles ist jetzt still!
Ich höre das Gebrüll von wilden Thieren;
Die Schranken öffnet man. Ha! Tiger sind es!
Wie leicht und wie geschmeidig! Welche Sprünge!
Mit ihnen werden nackte Männer kämpfen. –
Ha, welch' ein Anblick! – Weh', sie sind zerrissen!
Laut, wie ein See im Aufruhr jauchzt das Volk!
Wer waren sie, die Tiger-Nahrung wurden?

Der Römer.

Gefang'ne Juden nur. Zuweilen kommt noch
Wohl eine Ladung; langsam geht sie ab;
Zum Thierkampf und zum Fischteich werden sie
Allein gekauft; dort werden sie verzehrt.
Das Zeichen tönt, die Tuba klinget wieder. –
Das ist ein Anblick! Hundert nackte Burschen,
So kräftig braun, und jede Muskel schwillt,
Hoch ist die Brust und kohlschwarz sind die Augen.
Sie treten vor, sie greifen kräftig an,
Das scharfe Messer in der Sonne blinkt,
Und Zwei erhielten schon des Todes Kuß,
Und wieder Zwei, da liegen sie im Sand,
Wie Statuen, die des Künstlers Meißel formte.
Doch wer ist jener starke, braune Mann?
Nicht Jüngling mehr, doch kräftig, muskelstark,
Ein Guß aus Erz. Sie weichen All' vor ihm.
Er blickt auf uns jetzt! Ein Hebräer ist's.
Ich glaube, er ist nicht zu überwinden.
Sie fliehen vor ihm; doch die Gladiatoren,
Man treibt mit Peitschen, glüh'ndem Eisen sie
Zum Kampfe wieder! Ah! jetzt strauchelt er.
Ein Muth'ger packt ihn! – Nein, wie ist er stark!
Vom Boden auf erhebt er seinen Feind
Und wirft ihn über sich hin in den Sand;
Er setzt den Fuß auf des Gefall'nen Haupt,
Auf seine Brust das Messer, und er blickt
Nach allen Seiten; doch es zeigt sich Keiner,
Der seinen Daumen hebt als Gnadenzeichen –
In des Gefall'nen Brust stößt er das Messer!

Der Carthaginenser.

Es wird mein Auge müde nicht davon.
Sieh, dort ein Neuer! Halt' Dich keck, Hebräer! –
Es gleitet wie von felsenfestem Stein
Ein jeder Messerstoß von seinen Gliedern.
Und jener Jüngling, mit dem er dort streitet,
Den er am Arm hält mit der Eisenhand,
Wie ist er schön, geschmeidig wie ein Tiger;
Wie herrlich seine straffen Muskeln schwellen!
Ha, Ganymed ist es und Herkules!
Sie kämpfen, strecken ihre Arme aus,
Und nun erhebt das Bein sich wie zum Tanz,
Doch fest steh'n Beide auf demselben Fleck.
Still Alles rings! – Man hört den Athemzug!
– Wer sieget wohl? – Ein Blutstrahl springt hervor –
Wer ist's von ihnen? Sieh! noch steh'n sie fest –
Der Jüng're beugt das Haupt herab und sinkt,
Er drückt die Wunde zu und lächelt noch,
Er stirbt wie ein Spartaner, und als Sieger
Steht der Hebräer jetzt allein noch da.
Horch! Siegesruf, und sieh', wie frische Kränze
Man wirft ihm zu! Nun wird er auch genannt –
Wie hieß sein Name? Ich verstand ihn nicht.
Vom Kaiser wird er frei gegeben jetzt,
Wird im Triumph getragen! Doch wie heißt er?

Der Römer.

Es tönet laut von Mund zu Mund um uns:
Sein Nam' ist Ahasverus! Welch ein Jubel!
Sie stürmen Alle fort! – Nun sinkt die Sonne;
Die rothen Flammen brennen lustig schon
Am Wege, den zur Kaiserburg wir geh'n;
Ein jedes Feuer ist ein armer Christ,
In Matten eingenäht, wohl angetheert.
Sie brennen lustig, leuchtend uns nach Haus'.
Wollt Ihr Falerner trinken, kommt mit mir:
Ein schöner Knabe soll ins Bad Euch folgen
Und Euch den Becher auf dem Lager reichen.


Ahasverus.

Frei bin ich, frei den Sieg'skranz um die Stirn,
Die Herren Israels im Triumph mich trugen,
Am Wege steht, gleich Flammen von den Fischern,
Ein Feuer dicht beim andern: Christen sind's,
Die vor mir leuchten; so 'was kann erquicken!
Lust gibt zum Leben eine solche Stunde,
Sie kann auf kurze Zeit die Wunde heilen:
Zu leben – diese Wunde ward mein Theil!
Nun wohl! mein Streben stell' ich auf Genuß,
Doch nicht wie diese auf dem weichen Lager,
Mit Rosen um die Stirn, Wein auf der Lippe,
Und schönen Weibern in dem schwachen Arm;
Nein, an der Kerkermauern kalten Steinen –
Dort, wo die Christen sind des Todes Beute,
Die Hand des Herren schrieb sein Mene, mene –
Da lehne ich mein Haupt, um still zu lauschen.
Die tiefen Seufzer will ich drinnen hören,
In ihren Hymnen selbst vernehm' ich sie.
Wer nähert sich? Ein Weib des Orient's,
Der dichte Schleier hüllet ihre Glieder,
Sie wendet sich zum Gitter her und spricht
Prophetisch milde Trostesworte aus,
Vom Glanz der Märtyrer, von Seligkeit;
Der Grube Tiger aber werden morgen,
Die theuer ihr und lieb sind, all' zerreißen.


Ich fühle das Herz mir schwanken,
Meinen Sinnen traue ich nicht,
Ein Duft durchströmt die Gedanken,
Der Erinn'rung Blum' sie durchflicht.

Welch Weib doch muß ich hier finden?
Ich glaub', ich sah Dich zuvor;
Meine Augen mußten erblinden
An der Blume, die nun ein Rohr.

Das Verschwund'ne ist nicht zu erhalten,
Das Zeitrad dreht sich im Schwung;
Deine Wange ist die einer Alten,
Doch Dein Auge bleibt ewig jung.

Veronika.

Jesus Christus sei gelobet! Ich, entführt mit andern Weibern,
Trag' den Wasserkrug jetzt einsam für die Herrschaft auf dem fremden
Ufer. Aber Ahasverus! weßhalb kämpfst Du gegen ihn,
Von dem die Propheten sagten, daß er einst erscheinen werde?

Ahasverus.

Nicht faß' ich Deiner Rede Gaben,
Doch das kann ich wohl versteh'n:
Dein Auge kann mich lieblich laben,
Wie der Freundin Aug', die ich geseh'n.
Vor den Worten, die mich bewegten,
Verschwundenes auferstand!
– Die Länder, die Wellen sich legten
Zwischen mich und der Heimath Land.
Der Knechtschaft Jahre entwichen;
Neun, glaub' ich, waren es schon;
Wir kamen – die Lüfte strichen –
Die Küsten vorüber floh'n.
In Fesseln dahingestrecket
Der Sprosse Israels war,
Als Donnerklang ihn wecket,
Die Luft blieb hell und klar.
Ein Rauch den Vesuv umschwebte
Wie die Säule, die Moses sah,
Und uns Jehova durchbebte,
Uns war die Verheißung nah!
Es krachet, die Blitze fliegen:
Begraben im Aschenmeer
Die blühenden Städte liegen –
Des Herren Hand traf sie schwer!
Gen Himmel jegliche Welle
Schwoll bei des Berges Stimm';
Wie Fluthen im Herbst, mit Schnelle
Das Feuer sich wälzte voll Grimm;
Der Gefangenen Lieder erklangen
Von Israel's Streben so weit;
Von Salomo's Reichen wir sangen,
Von herrlicher Ruhmeszeit.

Veronika.

Wie ein Windhauch in dem Laube ist der Erde Ehre nur!

Ahasverus.

Es sei Dir Frieden geboten!
Nicht sage, Du kennest mich nicht.
Doch wende Dich weg von dem Todten,
Von des Wahnes betrügendem Licht.

Veronika.

O, Du glaubst, daß ich das Haupt nur lehne an den todten Stein,
Welcher glühet in der Sonne und erkaltet in der Nacht.
Nein, ich beuge mich vor Christus, vor dem ew'gen Sonnenlicht,
Und mein Haupt, mein müdes, lehn' ich an sein mildes, warmes Herz.

Ahasverus.

Es sind verflucht diese Stellen,
Man spähend wacht auf Dein Wort;
Hier rauschen des Jammers Wellen,
O, fliehe von diesem Ort!
Es sinken im Völkergewimmel
Die Nazarener mit Recht,
Nicht Gnade hat Erde noch Himmel
Für dieses feile Geschlecht.
Ich selbst werd' es quälen und plagen,
Zum Henkerbeil greife ich noch!
– Was will diese Miene denn sagen,
So mild und verdammungsvoll doch?
Sein Auge auch gab mir dies Zeichen,
Voll Milde und Strenge wie Deins.
Ein Kinderherz kannst Du erweichen,
Doch nimmer ein Herz wie mein's!

Veronika.

Glaubst Du, daß in seinem Wogen Du das Weltmeer leeren kannst,
Und der Sonne Strahlen hemmen?
Alle Königskronen sind Kieselsteine, die hinrollen in dem Flusse: Gottes Willen!


Die Nacht.

(Erzählt.)

Nimmer war der Mond so bleich, wie
      Ahasverus diese Stunde;
Ohne Ruh' und Rast er eilet
      Durch die Schatten jener hohen
Bauten in der Römerstadt,
      Und sein Ohr, nicht hört es auf den
Wilden und bachant'schen Jubel
      Aus den waffenreichen Sälen,
Nicht Soldatenruf, zu kommen,
      Um am Zechen Theil zu nehmen;
Und er steht nicht still beim Zuge
      Junger, lustiger Patricier,
Die beim Fackelscheine tanzen,
      Denen schöne Sclaven folgen,
Sänge von Horatius singend,
      Kehrend heim vom üpp'gen Schmaus.
Nie der Mond erglänzte, wie der
      Heil'genschein um Deine Stirne,
O Veronika! Mit Wehmuth
      In dem Herzen, Gott im Sinn,
Wandert schweigend sie und einsam
      Nach dem Weinberg, fern der Stadt.

Hoch das Gras wächst in dem Schutte,
      Dorn'ge Schlinggewächse hangen
Wie ein Netz an Mauertrümmern.
      Sie bleibt stehen und sie schauet
Aengstlich um nach allen Seiten,
      Wie die Priest'rin, welche spähet
Vogels Flucht. Nichts höret man;
      Die Natur ist stille, wie ein
Schönheits-Lied, das unentschleiert
      Ruht in eines Dichters Brust.
Laub und Zweige sind geworfen
      Hier zu Hauf – die müssen fort.
Jetzt wird sichtbar eine Mauer;
      Und sie klopft mit einem Stein.

Hier der Weg und hier die Höhle,
      Drinnen brütet schwarz die Nacht;
Und sie beugt das Haupt hernieder,
      Lauschet nach dem finstern Schlund.
Eiskalt strömt die Luft nach außen,
      Eine Hand berührt die ihre,
Und behutsam steigt sie nieder
      Zwischen kalten, feuchten Steinen.
Fackeln brennen, und der Schein bebt,
      Sie steht in der Christenschaar
Zwischen Männern, Weibern, Kindern;
      Alle knieen sie vor Ihm,
Dem Gekreuzigten, dem Leben
      Und dem Aufersteh'n in Gott.
Sänge und Gebete tönen:
      Jesus Christus sei gelobt!


Mehrere Tage später.

Chor der römischen Soldaten.

Wie froh verging die nächt'ge Stund'!
      Gott ward ich in Gedanken;
Sie bebte, Mund berührte Mund,
      Das Herz, ich fühlt' es schwanken;
Wie war sie jung, frisch und gesund,
      So schlank und doch so lieblich rund,
Ich hing so fest wie Ranken.
      Geläutert ward die bange Maid,
Wie Semele sie bebte;
      Zu sterben ist ein hartes Leid,
Wenn man noch recht nicht lebte!

Ein Bauer vom Gebirge.

Du stehst so stille hier, lachst in den Bart,
Zwei andre tanzen – ei, hier ist es lustig!
Ist denn ein Festtag? Ihr habt immer Feste!

Einer der Soldaten.

Der Frohsinn machet jeden Tag zum Festtag,
Doch hier geht's lustig zu, das wirst Du seh'n.
Die Judensecte, die sich Christen nennt,
Und die nicht Götter, noch Gesetze achtet,
Ist aufgefangen und wird todt gequält.
Sie sangen in der Erde ihre Hymnen;
In Katakomben, zwischen starren Todten
Ihr Tempel war, dort fingen wir sie ein.
Die jungen, schönen Weiber wurden unser,
Wir küßten sie, und schenkten ihnen Liebe,
Denn Sünde wär's, wenn solche schöne Blumen
Geschätzt nicht würden, eh' sie nimmt der Ofen.
Heut' soll der Troß, die alten Frau'n und Männer,
In siedend Oel und unter's Henkerbeil.
Dort kommen sie und singen wie zur Hochzeit!
Woher wohl dieser Muth und diese Stärke?

Chor der Christen.

Der gierige Adler des Heiden
Mag mir zerkrallen die Brust!
Du Ros' unter Dornen sollst weiden,
O Jesus, mein Auge mit Lust!

Ahasverus.

In Qualen nicht länger ich schwebe,
Ich fühle erquickende Lust,
Wenn ich das Henkerbeil hebe,
Zerfleischend der Christen Brust!
Das siedende Oel ich gieße
In ihren bebenden Mund,
Daß es wie ein Labetrank fließe
Mir durch des Herzens Grund.
Was starrst Du, Weib, auf mich nieder?
Den Schleier zerreißt meine Hand – –
Es fesselt Dein Aug' meine Glieder –
Dich habe ich früher gekannt!

(Mit einem Schrei.)

Veronika, himmlische Seele!
Du stirbst, und durch meine Hand!
– Du warst in der Christen Höhle,
Als man sie gejaget wie Wild –

(Betrachtet sie.)

Dem Henker in Todeshöhle
Lächelt Dein Auge so mild;
Es tönt mir, wie himmlische Flöten –
Die Jahre fühl' ich nicht mehr.
Veronika! Dich zu tödten,
      Nein, das ist für mich zu schwer!

Chor des Volkes.

Der Christen Wahnwitz packt den Henkersknecht.
Schlagt mit dem Beil ihn, das er selbst verlor!
Hebräer ist er, leid thut ihm sein Volk.
Zermalmt die Stirn' ihm! Sieh, es schwebt das Beil!
Es fällt auf seine Brust, er sinket hin!
Todt liegt er zwischen seinen Todten da.


Die Katakomben unter Rom.

Chor der Christen.

      Seelig, die im Herren sterben!
      In der stillen Nacht wir schlichen
      Zu der Heiden Marterplatz,
      Und wir trugen unsre Todten
      Hierher, nach verborg'nen Höhlen.
      Gottes Engel kennt die Stätte,
      Decket sie mit seinen Schwingen!
      Tod! Du bist die Auferstehung!

Ahasverus.

Wo bin ich? Wohin hat man mich gebracht?
Geschlafen hab' ich, wie ich nicht gekonnt
In vielen, langen Jahren. Ja, ich schlief,
Und zwischen Todten lag ich, und ich neigte
Mein Haupt an diese kalte, starre Leiche,
An dieses Herz, das länger nicht mehr schlägt;
Ich schlief, so wie ein Kind bei seiner Mutter.
Veronika! ich schlief an Deinem Herzen! –
Wo bin ich? Wo? Rings um mich liegen Todte,
Doch hier ist Leben auch, hier brennen Fackeln,[*]
Ein Murmeln tönet in den tiefen Gängen.

Chor der Christen.

Jesus Christus sei gelobt!

Ahasverus.

Weh'! des Gekreuzigten Reiche
Sind nur Gräber und Höhlen
Unter der heidnischen Stadt!
O, hier kann ich nicht athmen,
Rauchwolken haben erstickend
Sich mir mit Pestdunst genaht.
Weh'! wie der Weinenden Schluchzen
Tönen die murmelnden Sänge!
Eins hört man immer und immer:
»Rasten laß' ich Dich nimmer!
Gleich ohne Weilen hier fort!«

(Stürzt hinaus.)

Chor der Christen.

Seelig, die im Herren sterben!
Tod! Du bist die Auferstehung!


Des Windes Gesang von Ahasverus.

Einsam wandert er von Land zu Land,
Einsam an den schiffbefahr'nen Küsten,
Wo die Fremden sich versteh'n und treffen.
Einsam geht er längs der stillen Flüsse,
Wo im Thale gut zu wohnen ist,
Auf Hocheb'nen einsam, wo Nomaden
Täglich Heimath wechseln. Immer einsam!
Alt und grau, der Hirte unter'm Baume
Weiß von Jugend auf vom Wandersmann,
Denn er sah und sieht ihn unverändert.
Der Nomade singt ein Lied von ihm,
Wenn sein Zelt er löst und weiter wandert:
»Wer ist einsam wohl, wie Ahasverus?«
Nicht vernimmt er und versteht auch nicht
Welten-Stimme, Volks- und Landes-Stimme;
Und Jahrhundert' fliegen hin wie Jahre –
Der Gedanke hüllt sich in sich selbst! –


Afrika's Geist.

(An Ahasverus.)

Wandrer! steige über meine hohen Berge, welche durch Jahrtausende mein Volk von den übrigen Geschlechtern der Erde abschließen werden! Schreite in mein schlummerndes Land hinein, welches ohne Geschichte und ohne Gottheit dasteht! Die Nacht, welche auf dem Angesicht meiner Söhne ruht, ruht auch auf ihrem Geist, der sich vor dem Instinkte des Biebers beugt; doch in ihrem Blut ist Unbändigkeit, wie in dem des Löwen und des Tigers. Hier wirst Du Dich heimisch finden; hier wird Dir das Leben ein abenteuerlicher Traum sein; hier in meinen dichten Wäldern, hier, wo der Elephant nicht mehr seinen plumpen Fuß erhebt, um nicht auf sein Junges zu treten, während der Sohn des Landes sein eignes Kind verkauft. Hier schlummere Du, hier wälze Dich im Staube; er sei Dein Fetisch! Seine Macht stirbt nicht hin im Klange der Trommel des Magiers. Hier ist Rast, hier ist Ruhe. Eine chaotische Nacht umhüllt Deine Gedanken!


China's Geist.

Ding dang, ding dang,
Einklang, Einklang!
Weßhalb Seelennoth und Denken?
Mich zu hören, neig' Dein Ohr nun:
Nichts zu wollen, nichts zu thun,
In den Weltgeist sich versenken,
Das nur ist Glückseligkeit!
Ding dang, ding dang.
Einklang, Einklang!
Auf denselben Flammenschwingen
Die Jahrhunderte verklingen,
Kaisernamen sie uns bringen,
Und dieselben Töne klingen.
Ding dang, ding dang,
Einklang, Einklang!
Doch ist jeder Nam' ein Stern,
Kaisername ist der Kern,
Darum alle Welt sich drehet,
Magier Kraft in ihm Ihr sehet;
Er der Monde Wechsel zeiget,
Selbst der Himmel ihm sich neiget;
Er, der Einzige, ist frei. –
Kaiserschaaren zieh'n vorbei!
Ding dang, ding dang,
Einklang, Einklang!


Indien's Geist.

In Einem allein
Nicht Gott sich zeiget:
Du siehst ihn wieder,
Der sich verzweiget
In alle Glieder!
Theil seiner Lippe ist der Brahmane,
Aus seinem Arm' sprang die Krieger-Fahne,
Aus seiner Hüfte die Karawane,
Es entstand Sudras aus Brahmas Fuß.
Von ihm, dem Ganzen, sind wir nur Theile,
Er in uns leidet, in uns sich freut. –
Wandrer, erheb' Dich, denk allezeit,
Daß Du sollst streiten gen Wog' und Klippe,
Daß Du ein Theil wirst von Brahma's Lippe!
Sie ist das Erste,
Das Größte, Hehrste;
In ihr ist Fülle,
Im Feuer verhülle
Sich sterbend der irdische Wille!


Aegypten's Geist.

Nun trittst Du wieder ein in Afrika,
Ein Kreislauf Deiner Wand'rung ist geschehen;
Es läßt Dich jetzt des Geistes Golgatha,
Das Nilthal, Asiens Volksgeist wiedersehen.
Es lieget todt der Fetisch nun nicht mehr,
Mit Memnon's Säule ist er hell erklungen;
Er ward zur Sphinx, ihr Räthsel inhaltsschwer
Ertönte, und frei blickt sie um sich her,
Wie Jemand, der ein mächtig Volk bezwungen.
Es kann nicht sterben je des Geistes Leben,
Wird auch sein Werk dereinst der Zeiten Raub.
Wer aber kann der Isis Schleier heben,
Ihn zwischen Leib und Seele, Gott und Staub?


Griechenland's Geist.

Was ist der Mensch? Uns Oedipus löste dies Räthsel;
Kraft des Geistes bezwang muthig die wilde Natur;
Form nahm die geistige Macht, und Schönheit entsprang[*?] aus dem Marmor!
Sieh', der Oelbaum ersproß, Kronen sanken in Staub,
Und der Mensch seine Weihe begriff, die heilige Flamme.
Sieh' meine Zwillinge hier, sieh' Alexander, Achill!
Jugendbegeist'rung, in Hast den schäumenden Becher sie leerte.
– Wandrer, Du runzelst die Stirn, wenn auf Ruinen Du blickst,
Suchst die Rosen, die einst hier geblüht; Du fühlest den Duft noch,
Duft, welcher nimmer vergeht – Erdlebens Garten ist hier.
Wissenschaft, Kunst und Natur, als Heimath sie nennen mein Hellas!
Wandrer, Du runzelst die Stirn, rings um Dich her ist es todt!
– Weit in der Welt umher meine duftenden Rosen man pflanzte,
Weithin sind sie zerstreut, blühen und duften nun dort!


Italien's Geist.

   Hörst den Gesang Du von meinen Söhnen?
»Unseren Herrscher säugte die Wölfin,
Und unsre Väter nahmen als Beute,
      Die uns ward Mutter.

   Schwungfeder in uns bildet die Tapferkeit,
Armstärk' das Scepter ist, welches wir führen;
Griechenlands Werke, aller Welt Reichthum,
      Sie wurden unser.

   Gleich Alexander ist unser Cäsar!
Ueber die Alpen er schleudert die Kette,
Durch die er fesselt der Völker Stämme.«
      So tönt der Sang.

    Rom hat gepflücket der Welt Erkenntniß,
Das Haupt sich beugt, die Schlang' ist im Busen,
Doch auf den Kopf setzt Christus den Fuß ihr,
      Der uns geboren.

   Griechenlands Götter senkten in Stein sich,
Mensch, o bedenke, in Dich stieg Christus!
Wieder in Rom Du stehst, Ahasverus!
      Kennest den Ort Du?


Ahasverus.

Ich kenne diesen Ort! Es ist das Forum;
Obgleich verändert, kenne ich es wieder.
Das Kreuz jedoch, verbrecherisches Kreuz!
Hoch prangt das Marterzeichen auf der Kuppel.
Weßhalb? – Geschlossen sind die heil'gen Tempel
Und hohes Gras jetzt wuchert um die Pforten;
Dein Marmor-Siegesbogen steht noch, Titus,
Ein Denkmal an den Fall Jerusalems.
In Stein gehauen, wandern unsre Priester
Gefangen fort; des Tempels heil'ge Leuchter,
Man trägt sie als der Siegenden Trophäen.
Ha, nah' beim Titus-Bogen steht ein neuer,
Doch schöner noch und reicher, hoch und breit.
Für wen ist der gesetzt, und welches Reich
Sank hin, an welches dieser noch erinnert?

Ein Christ.

Es sank das Heidenthum! Für Constantin,
Den Freund der Christen, Roma's hohen Cäsar,
Ward dieser Bogen jubelnd aufgerichtet.
Sieh', von der Burg naht sich die Procession,
Und unser Cäsar folgt! Den Meßsang höre!
Im Colosseum knieen sie und beten:
Gepriesen sei der Herr und Jesus Christus!

Ahasverus.

Christ! dieser Name lebt noch und besteht?
Und unter'm Volke tönt der Name Christus?

Chor der Christen.

Drei Jahrhunderte sind Minuten in Deiner Ewigkeit,
o Herr! In Minuten wird der Jammer der Christen in
Glückseligkeit verwandelt!

Ahasverus.

Ich eilte durch der Erde ält'ste Länder,
Ich hörte das Hinsausen vieler Völker:
Es war ein mächt'ger Klang, der hingestorben. –
In drei Jahrhunderten war ich nicht hier;
Ich komme, Christus ist mein erster Gruß!
Hier, wo Veronika im Blute lag,
Den Namen jubelnd, der nicht sterben will,
Hier knieet Roma's Kaiser und das Volk
Mit jenem Namen auf der Lippe. Weh' mir!
Verändert Alles, Alles in Verwirrung!
Die stolzen Götter wurden todte Steine,
Reliquien wurden der Erschlag'nen Knochen,
Die finstern Katakomben steh'n wie Tempel,
Und das verachtete, verhaßte Kreuz
Ist jetzt erhöht in Ehren! Jehova,
Dein Geist, der einstmals treu umfaßt Judäa,
Wich von der Erde fort, und auch Dein Volk
Ist in das Weltenchaos hingeweht!
Wo findet sich der Faden zu dem Schicksal
Der überall verbreiteten Geschlechter?
Zur Weltenordnung? Todt ist alles Alte,
Das Neue Schaum, der Zufall herrscht allein!
Jehova, meine Brust, sie ist Dein Tempel,
Der letzte jetzt auf der gefall'nen Erde!


Chor der Engel.

Ahasverus! – früher Ahas!
      Bruder, Dir wir folgen, und auch
Dem Geschlecht, in deß Entwicklung
      Deine Schwingen Gott gelegt!



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