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Geheimrath Collin's Geburtstag. – Monument für H. C. Oersted. – Bei Ingemann. - In Rendsburg. – Ein Ständchen der Deutschen. – Auf dem Wege nach Rom. – Bei Kaulbach in München. – Die Passionsspiele im Ober-Ammergau. – In Locle (Schweiz). – Die Uhrenfabriken dort. – Französische Uebersetzung meiner Märchen. – Genf. – Der Schweizerdichter Petit-Sen. – Ein Schweizer Kutscher. – I. L. Heiberg's Tod. – In Stuttgart. – Weihnachten auf Basnäs. – Das Märchen »der Mistkäfer«. – Reise nach Rom mit Jonas Collin. – Nizza, Monaco, Genua, Civitavecchia. – In Rom. – Der Consul Bravo. – Der Mönch Küchler. – Großhändler Puggaard. – Björnstjerne Björnson. – Der amerikanische Bildhauer Story. – Die englische Dichterin Mrs. Browning. – Rückreise. – Turin. – Cavour's Tod. – Mailand. – In der Schweiz. – Kirchenfest in Einsiedeln. – Betrübende Nachrichten aus Kopenhagen. – Sängerfest in Nürnberg. – In Maxen. – Heimreise. – Auf Basnäs und bei Ingemann. – Pepita. – Geheimrath Collin's Tod. – »-Neue Märchen« erscheinen. – Weihnachten auf Holsteinborg. – Brief an Ingemann. – Antwort von ihm. – König Frederik VII. – Brief von Björnson. – Brief eines Unbekannten. – Ingemann 's Tod. – Honorar von meinem dänischen Verleger. – Besuch bei Frau Ingemann. – Christian Molbech. – Mit Jonas Collin wieder auf die Reise. – Festlichkeit auf dem Flensburger Kirchhof, Einweihung des »Löwen« von Bissen. – In Brunnen (Schweiz). – Interlaken. – Bern. – Pastor Baggesen. – Montreux. – Der Dichter Christian Winther. – Nach Spanien. – Barcelona. – Valencia. – Alicante. – Murcia. – Cartagena. – Malaga. – Der Friedhof in Malaga. – Granada und die Alhambra. – Don José Larramendi. – Meine Orden werden mir gestohlen. – Gibraltar. – Tanger. – Besuch beim englischen Gesandten Drummond-Hay. – Cadix. – Sevilla. – Die Maler John Philip aus England und Egron Landgreen aus Stockholm. – Cordova. – Madrid. – Toledo. – Aranjuez. – Die Schriftsteller Don Sinibaldo de Mas und Don Raphael Garcia y Santesteban. – Der Dichter Hartzenbusch. – Herzog von Rivas. – Burgos. – San Sebastian. – Biarritz. – Neujahr in Bordeaux. – Gounod's »Faust«. – Poitiers. – Henry Drouet. – Tours. – Blois. – Orleans. – Paris. – Björnson. – Ein Fest für mich. – Der Dichter P. L. Möller. – Düsseldorf. – Prof. Adolf Lidemann. – Daheim. – Christinelund, Basnäs und Glorup. – Mein Buch »In Spanien« erscheint. – Schrieb die Lustspiele: »Er ist nicht geboren« und »Auf der langen Brücke«.
Am 6. Januar befand ich mich wieder in Kopenhagen. Es war Vater Collin's Geburtstag, ein merkwürdiger Tag für mich und gewiß auch für unzählige Andere, denen er geholfen; und die er auf dem beschwerlichen Wege des Lebens geführt hat.
Bei Beginn dieses Jahres entstand die Idee in Kopenhagen, H. C. Oersted, dem Entdecker des Electromagnetismus, ein Monument zu errichten. Das Monument des berühmten Naturforschers ist vom Professor Jerichau modellirt und 1876, 25 Jahre nach seinem Tode, in Kopenhagen enthüllt worden. Der Uebers. Diese Idee ging von Frau Jerichau-Baumann aus, wie die Idee zu dem jetzt errichteten Denkmal für Oehlenschläger Oehlenschläger's Statue, welche neben der des Dichters Holberg (von Prof. Stein 1875) den Eingang des königlichen Theaters schmückt, ist von Bissen modellirt u. 1861 enthüllt worden. Der Uebers. von Henriette Wulff ausgegangen war, die durch ihren Bruder und andere tüchtige Männer den Plan ausführte. Zudem in dieser Veranlassung gewählten Comitee hatte man auch mich ausersehen. Die Ausführung des Monuments wurde dem Professor Jerichau Siehe den vor. Band Seite 403. Der Uebers. übertragen. Zu einer bestimmten Zeit und für eine gewisse Summe sollte die Statue vollendet, in Bronce gegossen sein und auf einem der öffentlichen Plätze Kopenhagens aufgestellt werden.
Es wurde wieder Frühling und auch die Reiselust kam wieder. Der Wald ist grün, schrieb Ingemann und bat mich zu kommen. Bald befand ich mich in Sorö bei ihm und wenige Tage später in Rendsburg. Der Hauptmann Lönborg und seine Frau hatten mich eingeladen. Ich verbrachte dort ein paar schöne Tage, bewegte mich nur in dänischen Kreisen, sah den Dannebrog auf den Festungswerken wehen und gewahrte nichts von dem Widerwillen, der sich gegen die Dänen rührte. Es lag viel Militair hier. Die Offiziere beehrten mich mit einem Fest, und als man den Wunsch aussprach, ich möchte noch einige Tage zu meinem Aufenthalt hinzufügen und die Soldaten dadurch erfreuen, daß ich ihnen einige meiner Märchen verlese, war ich natürlich gern bereit dazu. Ein großes Lokal, ich glaube es trug den Namen » Harmonie,« wurde dazu ausersehen. Der Saal war mit Blumen, dänischen Flaggen und des Königs Büste geschmückt. Offiziere und Unteroffiziere, dazu eine Menge Damen und einzelne Bürger der Stadt, die dänisch verstanden, waren zugegen. Die Rekruten befanden sich auf der Galerie und das Musikchor spielte nach jedem meiner Märchen.
Die Sonne schien noch, als ich in Lönborg's Haus zurückkehrte, wo mehrere Freunde versammelt waren. Es sei ein herrlicher Tag, durchhaucht von dänischem Geist gewesen, sagten Alle.
Als ich mich zur Mitternachtsstunde bereits im Bette befand, hörte ich ein Getümmel unter meinem Fenster. Ich wurde unruhig und dachte sofort: Nun geht's gewiß los: jetzt machen mir die Deutschen eine Demonstration. Mein Wirth und seine Frau glaubten dasselbe. Ich saß einige Sekunden lauschend; da ertönte plötzlich Gesang von schönen harmonischen Stimmen. Ich hörte die Worte: » Schlafe wohl.« Es war ein freundlicher Gruß, welchen die Deutschen dem dänischen Dichter, dessen Märchen und Geschichten sie aus der Uebersetzung kannten, brachten.
Am nächsten Morgen stellte sich die dänische Militairmusik vor unserm Hause auf, und als ich im Laufe des Tages auf den Bahnhof kam, wehte der Dannebrog überall. Eine Deputation von Soldaten brachte mir ihren Dank für die Vorlesung meiner Märchen, stellte sich in Reihen auf und sang dänische Lieder; und als der Zug davon fuhr, brachten sie ein noch lang hörbares Hurrah für mich als Abschiedsgruß aus.
Es war meine Absicht, noch einmal in meinem Leben nach Rom zu eilen und in Italien zu überwintern. Ich legte den Weg dahin durch Deutschland über Eisenach und Nürnberg zurück, besuchte zum ersten Male die alte Stadt Regensburg und machte von dort einen Ausflug nach der prächtigen Walhalla, die König Ludwig I. hier am Abhang des Felsen hingezaubert hat.
In München erwarteten mich liebe Freunde. Herrliche, stimmungsreiche Stunden verlebte ich hier bei dem genialen Maler Kaulbach. Siehe den vor. Band Seite 223. Der Uebers. In seinem Hause war es so geistesfrisch, so heimisch, mehrere der bedeutendsten Männer Münchens verkehrten hier, wie Liebig, Siebold, Geibel und Kobell. Freiherr Justus von Liebig, siehe Seite 208 d. Bd. – Der Zoologe Carl Theodor von Siebold, geboren den 15. Februar 1804 in Würzburg, lebt seit 1853 als Professor in München. – Wegen des Dichters Emanuel Geibel siehe den vor. Band Seite 294. – Der Mineraloge Franz von Kobell, geboren den 19. Juli l803 in München, wo er seit 1834 als Professor wirkt, hat sich auch als Dichter versucht. Der Uebers.
König Max und seine edle Gemalin erwiesen mir große Güte. Es war nicht leicht für mich das kunstreiche München und die herrlichen Menschen dort zu verlassen, doch ein Ausflug von besonderem Interesse rief mich ein paar Tage in die Berge zum Passionsspiel in Ober-Ammergau Im Dorfe Ober-Ammergau im bayerischen Hochgebirge werden von Bewohnern des Dorfes alle 10 Jahre sog. Fastenspiele, die Leidensgeschichte Christi darstellend, in hervorragendster Weise zur Aufführung gebracht. Der Uebers. hinaus, dessen Eindrücke ich ausführlich in meinen Schriften niedergelegt habe.
Jedes Jahrzehnt wird hier dies Schauspiel, eine Ueberlieferung der Mysterien des Mittelalters, wiederholt. Der bekannte Eduard Devrient Philipp Eduard Devrient, geboren den 11. August 1801 in Berlin, gest. den 4. Octbr. 1877 in Karlsruhe, einer berühmten Künstlerfamilie angehörend, bildete sich zuerst als Sänger aus und wurde dann Schauspieler. Er wirkte von 1852-60 als Direktor des Hoftheaters in Karlsruhe und schrieb eine Geschichte der deutschen Schauspielkunst, verfaßte mehrere Dramen, die er in Verbindung mit Kritiken etc. in 10 Bänden veröffentlichte. Der Uebers. sah dieses Schauspiel im Jahre 1850 und schrieb darüber einen interessanten Artikel. Jetzt im Jahre 1860 hatte es am 28. Mai begonnen und sollte einmal wöchentlich bis zum 16. September fortdauern.
Ammergaus Bewohner leben meist von Holzschnitzerei. Jetzt ruhte diese Arbeit während der Festspiele. Fremde aus fernen Ländern kamen scharenweise herbei, um denselben beizuwohnen, und der Strom der Reisenden war in steter Zunahme begriffen. Jeder wurde als ein lieber Gast empfangen, nicht wie ein Fremder, und wurde für geringe Zahlung je nach den Umständen, auf das Beste beherbergt. Ich hatte es während meiner Anwesenheit hier ganz vortrefflich, dafür hatten meine Freunde in München gesorgt. Der Geistliche des Orts, Herr Daisenburger, welcher die Geschichte Ober-Ammergaus herausgegeben hat, empfing mich mit großer Gastfreundschaft. Sowol innerhalb als außerhalb der Häuser herrschte ein reges Leben und lebhafter Verkehr war überall. Städter und Bauern mischten sich unter einander, die Glocken ertönten, Gewehrschüsse knallten, die Pilgerinnen kamen singend und betend herangezogen, die ganze Nacht hindurch ertönte Gesang und Musik, es herrschte überall eine große Bewegung aber nirgend Entartung.
Am nächsten Tage führte mich der Geistliche in's Theater, das aus Balken und Brettern auf der grünen Ebene vor der Stadt errichtet worden war. Um 8 Uhr sollte das Passionsspiel beginnen und nur mit einer Unterbrechung von einer Stunde bis 5 Uhr Nachmittags andauern.
Wir saßen unter freiem Himmel; der Wind fuhr über uns hin, wie auch die Vögel an uns vorübersausten; ich mußte unwillkürlich an die alten indischen Schauspiele im Freien denken, wo die herrliche Dichtung » Sakuntala« aufgeführt wurde, ebenso an die griechischen Theater. Ich sah vor mir Scenen für Chöre und Chorführer, welche austraten mit Gesang und Recitativen, und Dialog verband die großartige Handlung: Die Leidensgeschichte, illustrirt durch Parallelstellen aus dem allen Testament, in lebenden Bildern dargestellt. Hinter der Scene des Chors und der Chorführer war das eigentliche Theater, mit beweglichen Vorhängen, Coulissen, Fondsdecorationen und Souffiten errichtet. Das Theater wurde an beiden Seiten von einem schmalen Gebäude mit Altan begrenzt. In dem einen Gebäude wohnten die Hohenpriester, in dem andern Pilatus. Die dramatische Handlung auf beiden Seiten ging auf dem Altan vor. Vor jedem der beiden genannten Gebäude erhob sich ein großes Thor, durch das man auf die Straßen Jerusalems hinausblickte. Die ganze, oft dreifache Handlung war erstaunenswerth vorzüglich in Scene gesetzt. Man befand sich bei dem Hohenpriester, man war bei Pilatus, man stand beim Volke, als es die Palmenzweige schwang und als es rief: » Kreuzigt ihn!« Es herrschte dabei eine Ruhe, eine Schönheit, die Jeden ergreifen mußte. Man erzählte, daß die Beiden, denen die Gemeinde die Heiligen-Rollen übertrug, von tadellosem Wandel sein mußten, und daß der Darsteller des Christus stets vor dem Beginn der Passionsspiele die Sacramente des Altars genaß. In dem Jahre meiner Anwesenheit war es ein junger Bildschnitzer, Namens Schauer. Man erzählte, die geistige Anstrengung greife ihn in dem Grade an, daß er nach der Vorstellung nicht im Stande sei, irgend etwas zu genießen oder mit Jemandem zu sprechen, bevor er sich in der Einsamkeit wieder etwas gesammelt hatte.
Das ganze Schauspiel erschien mir gleich einem Kirchgange, wo man nicht nur die Predigt hörte, sondern wo sie leibhaftig vor Augen trat. Sicherlich ging Jeder erbaut von dannen, erfüllt von dem Wesen der Liebe, welche sich selbst hingab für noch nichtgeborene Geschlechter.
Mein herzensguter, gelehrter Wirth sagte mir ganz offen, daß er niemals etwas von mir gelesen habe, aber daß er wisse, ich hätte Märchen geschrieben. Ich sah gleichsam ein Lächeln um seinen Mund, das mir zu verkünden schien: er lese keine Märchen. Ich hatte gerade ein kleines Heft der »Märchen,« in's Deutsche übersetzt, bei mir; ich gab ihm dasselbe und bat ihn, es doch bei Gelegenheit zu lesen. Er nahm das Buch freundlich an und schenkte mir gleich darauf seine » Geschichte Ober-Ammergaus.« Schon am folgenden Tage, als wir zu dem Festspiele gingen, sagte der geistliche Herr zu mir: »Ich habe das kleine Buch, das Sie mir gestern gegeben haben, bereits gelesen. Nennen Sie es nicht Märchen, denn es steht ja weit über diese Bezeichnung. » Die Geschichte einer Mutter« Siehe Band III. der Märchen Seite 506. Der Uebers. würde ich am Grabe eines Kindes erzählen und dadurch den Betrübten Trost bringen können.«
Von München ging ich über Lindau am Bodensee nach der Schweiz und hinaus in's Juragebirge nach der kleinen Uhrmacherstadt Locle, wo ich im Jahre 1833 meine Dichtung » Annette und der Meermann« Man vergleiche den vor. Band Seite 116-119. Der Uebers. vollendete.
Damals war die Reise bis hier hinauf sehr beschwerlich; man mußte mit dem Postwagen fahren; jetzt ging es mit Dampf, auf der Eisenbahn. Diese geht eine lange Strecke schräg empor, bis man auf einen Halteplatz gelangt, wo die Locomotive vorn abgespannt und eine andere hinten angebracht wird. Die hintersten Wagen werden nun die ersten und auf einer neuen schrägen Ebene geht es bis zum nächsten Absatz, wo wieder eine Locomotive für die folgende schräge Ebene wartet. Es war wirklich eine Reise im Zickzack.
Ziemlich hoch oben geht der Zug durch einen der größten Tunnel, 4200 Meter lang, und nachdem man kaum das Tageslicht gesehen und wieder frische Luft geathmet hat, saust man wieder in einen zweiten Tunnel hinein, halb so lang wie der erste. Man erreicht nunmehr die schöne Bergstadt Chaux de Fonds, und bald darauf, nach einem tiefen Thale hoch auf der Berghöhe, Locle. Hier lebte und wirkte ein Landsmann und Freund Jules Jürgensen, dessen Uhren selbst bis nach Amerika gehen.
Vor 80 Jahren befand sich hier kein einziger Uhrmacher, jetzt beschäftigen sich zwanzigtausend Menschen in Locle mit der Uhrmacherkunst. In jener Zeit kam zufälligerweise ein englischer Pferdehändler hierher, seine Uhr ging entzwei, und man wies ihn an den Schmied Daniel Jean Richard, einen behenden, fingerfertigen Mann, der gewiß niemals zuvor eine Uhr auseinander genommen hatte; jetzt aber wagte er es, setzte die Uhr wirklich vollkommen richtig wieder zusammen und gab sie dem Pferdehändler zurück. Dadurch war in ihm die Neigung entstanden, eine Uhr für sich selbst zu verfertigen. Dies gelang ihm, und von dieser Stunde ab bewegten sich alle seine Gedanken um die Uhrmacherkunst; er ließ alle seine sieben Söhne dieselbe erlernen und begründete bald in Locle die erste Uhrmacherwerkstätte. Die Stadt beabsichtigt dem Schmied Daniel Jean Richard ein Denkmal zu errichten.
Mein Freund Jules Jürgensen wohnte während dieses meines Besuchs noch in dem alten Gebäude, wo ich Gast bei seinem Onkel Houriet gewesen war. Ich wohnte wieder in meiner alten Stube, besuchte wiederum die unterirdische Wassermühle, sah den Laubfall, fuhr wieder durch Tannen- und Birkenwälder über die französische Grenze, wo die Buchen gedeihen und die Sonne viel wärmer schien als um Locle; doch schlugen hier die Herzen teilnehmender Freunde warm für mich. Jürgensen's ältester Sohn ist wie sein Bruder ein tüchtiger Mitarbeiter seines Vaters; er besitzt gleichzeitig ein nicht geringes literarisches Talent. Die einzelnen französischen Uebersetzungen, die man damals von meinen Schriften besaß, hielt man nicht für gut übersetzt, und mein junger Freund wollte deshalb versuchen, es besser zu machen.
Unter meiner Mitwirkung wurde auch, während ich mich in Locle aufhielt, eine solche französische Uebersetzung begonnen. Ich erfuhr bei dieser Gelegenheit zu meiner Verwunderung, wie reich an Ausdrücken für Gefühle und Stimmungen die dänische Sprache vor der französischen ist; letztere hatte oft nur einen einzigen Ausdruck, wo wir eine ganze Auswahl besitzen. Die französische Sprache möchte ich plastisch nennen, die sich gleichsam der Bildhauerkunst nähert, wo Alles bestimmt, klar und abgerundet ist; aber meine Muttersprache hat einen Farbenreichthum, eine Abwechselung im Ausdruck, welche die verschiedensten Stimmungen genau bezeichnen. Ich war glücklich bei dem entdeckten Reichthum meiner Muttersprache. Wie ist sie doch so weich und klangvoll, wenn sie gesprochen wird, wie sie gesprochen werden soll!
Jules Jürgensen's Uebersetzung von des » Schlammkönigs Tochter« Siehe die »Märchen« Band II. Seite 418. Der Uebers. und noch einige andere meiner Märchen kamen 1861 unter dem Titel » Phantasies danoises« im Verlage von Joel Cherbuliez in Genf und Paris heraus.
In Genf wollte ich einige Zeit verbringen. Der Weg von Locle dahin führte über St. Croix nach Yverdun durch die schönsten Partien des Juragebirges, wo man von den Höhen den großartigsten Anblick über die Alpenreihen, den Neuchateller und Genfer See hat. Ich sah dieses Bild in herrlicher Abendbeleuchtung mit Alpenglühen in stimmungsreicher Stille. Eine gute Pension in Genf bei Madame Achard war mir anempfohlen; meine Zimmer waren dem See zugekehrt, und im Hause hatte ich den liebenswürdigsten Umgang mit Franzosen und Amerikanern, und bald hatte ich auch hier Freunde und Bekannte in der Stadt. Man führte mich zu dem Schweizerdichter Petit-Sen, einem höchst liebenswürdigen alten Mann, dem Béranger der Schweiz. Er wohnte in einem schönen ländlichen Hause außerhalb der Stadt, wo ich zu Mittag bei ihm blieb. Er war so jugendlich froh, so sprudelnd lebhaft. Als das Mahl beendigt und der Kaffee getrunken war, ergriff er die Guitarre und gleich dem Bellman Siehe den vor. Band Seite 193. Der Uebers. des Nordens sang er mir mehrere seiner wieder vor.
An einem der ersten Tage, nachdem ich bei Madame Achard eingezogen war, wollte ich eine Familie, an die ich empfohlen war, besuchen; ich nahm vor meiner Thür eine Droschke und zeigte dem Kutscher die Adresse des Briefes, auf der sowol die Straße als auch die Hausnummer angegeben war. Ich setzte mich in den Wagen und fuhr und fuhr, es war ein langer Weg, Straße auf und Straße ab, hin über den alten, jetzt planirten Festungswall. Endlich war ich zur Stelle; ich stieg aus dem Wagen, sah mich um und entdeckte, daß ich mich in einer Straße befand, die dicht zu dem Platze führte, von wo aus ich abgefahren war, denn ich erblickte Madame Achard's Haus, wo ich wohnte.
»Sind Sie ein Schweizer?« fragte ich den Kutscher. – »Ja!« antwortete er. – »Das ist unmöglich wahr!« entgegnete ich. »Ich bin weit her gekommen, hoch oben vom Norden, und da haben wir von der Schweiz gelesen, von Wilhelm Tell und von dem ehrlichen, braven Schweizervolte gehört, das bei uns hoch in Ehren steht. Ich bin hierher gereist, um daheim von den braven Leuten erzählen zu können, und nun setze ich mich heute auf der einen Seite des Platzes in den Wagen, zeige Ihnen die Adresse, wohin ich mich begeben will, es zeigt sich jetzt, daß nur einige Schritte zu fahren sind, und Sie führen mich rund in der Stadt umher, eine lange Tour. Das ist ja geradeswegs Betrug! Das vermag meiner Meinung nach ein Schweizer nicht zu thun, und daher glaube ich, Sie sind kein Schweizer!« – Als ich geendigt hatte, stand der Mann ganz vernichtet vor mir, jung war er und gut sah er auch aus.
»Sie sollen gar nichts bezahlen!« sagte er, »oder bezahlen Sie, was Sie wollen. Die Schweizer sind brave Leute!« Seine Worte und seine Stimmung rührten mich, und wir trennten uns als gute Freunde.
Während meines Aufenthalts in Genf kam mir die Nachricht von dem Tode des Dichters Johan Ludwig Heiberg Siehe den vor. Band Seite 69. Der Uebers. zu. Ich habe im Laufe der Erzählung der Märchen meines Lebens seine Bedeutung und mein Verhältnis zu ihm besprochen. Er hatte in seiner sehr angesehenen Zeitschrift » die fliegende Post« meine erste Dichtung veröffentlicht, und als ich als junger Schriftsteller Reisestipendium nachsuchte, mir ein höchst günstiges Zeugniß ertheilt: dass ich an Humor mit unserem hochgeschätzten Wessel Siehe ebendaselbst Seite 96. Der Uebers., dem meist anerkannten Dichter froher Laune in Dänemark, geistig verwandt sei. Es kam wohl später eine Zeit, wo Heiberg gegen mich auftrat, als er sein erstes Gedicht » Eine Seele nach dem Tode« schrieb, aber bald kehrte die Annäherung wieder und auch die Anerkennung der Gaben, die Gott mir geschenkt hatte. Der von mir oft citirte Schriftsteller Edmund Lobedanz schreibt in seinen Erinnerungen: »Der einst in seinem Vaterlande – so zu sagen – von allen kritischen Hunden gejagte, auf dem dänischen Parnas kaum geduldete und von allen Kläffern Kopenhagens verhöhnte Mann, war jetzt eine wirklich weltberühmte, unangefochtene Dichtergröße geworden. Eine neue Generation war emporgewachsen und hatte sich zu einer tonangebenden Partei im Lande emporgeschwungen. Diese Generation sah auf den früheren, so stark Verhöhnten mit anderen und liebevolleren Augen, und dies allein schon aus dem Grunde, weil er unbestreitbar sehr viel zur Vermehrung des Nationalruhms beigetragen hatte. Aeltere, sonst tonangebende, trockene Kritiker, wie z. B. der verstorbene Professor Molbech (siehe den vor. Bd. S. 89), der durch eine Art pseudo-kritische Gelehrsamkeit zu imponiren verstand, ohne eine blasse Ahnung von wahrer Poesie zu haben – wie auch selbst sehr hervorragende Geister, so z. B. unter den Dichtern J. L. Heiberg, oft in ihrem Urtheil über anders angelegte Dichter, als sie selbst, irrten – waren entweder gestorben oder hatten zum Theil ihr früheres Ansehen verloren. Die neue Zeit hatte andere Dichter hervorgerufen, die – zum Theil auch weil sie einer politischen Richtung angehörten, die in den Bann gethan war – sich besser als Zielscheibe der kritischen Witze oder des Hohns, als Andersen eigneten.« Der Uebers.
Die Nachricht von Heiberg's Tode kam mir höchst unerwartet und ergriff mich daher sehr. Alle die Tüchtigen und Großen im Reiche des Geistes, die ich gekannt und mit denen ich lange zusammen gelebt hatte, gingen dahin, Einer nach dem Andern!
Ich blieb bis spät im September in Genf. Der Wind blies schon winterlich kalt von dem Juragebirge herab und wirbelte das gelbe Laub von den Bäumen. Die Nachrichten aus Italien lauteten nicht einladend und friedlich; ich zweifelte daran, einen angenehmen Winteraufenthalt in Rom zu finden, und in Spanien herrschte die Cholera. Ich beschloß daher in Dänemark zu überwintern. Doch bevor ich die Heimat erreichte, sollte ich noch einen Rest des Sommers in all seiner Ueppigkeit und Fruchtfülle finden. Dies war der Fall, als ich über Basel Stuttgart erreichte, wo man ein landökonomisches Fest feierte. Von Stadt und Land wallfahrtete man dahin; Früchte aller Art schmückten das Festgebäude, Kornähren und Hopfenranken, Aepfel und Birnen, Trauben und alle Arten Nüsse prangten in wogenden Arabesken. Stets wenn ich seitdem an Würtemberg zurückdenke, steht diese Fruchtfülle des Herbstes vor meinen Gedanken.
Mit meinem jungen Freunde, dem Maler Amberger von Basel kam ich nach Stuttgart. Er wurde auf dem Bahnhofe von dem als tüchtigen Geschäftsmann bekannten Buchhändler Hoffmann empfangen, der auch mich auf's Herzlichste einlud, in seinem Hause zu wohnen. Der Theaterintendant gab mir einen Platz in seiner Loge.
»Ja Sie können wol reisen,« sagten die Freunde in Kopenhagen, als ich heimkehrte und ihnen von all der Gastfreundschaft und meinem Glück erzählte. »Gastfreiheit im Juragebirge, in Stuttgart, in München, in Maxen, überall!« – »Sie haben Ihr Haus auf dem Steiß des Locomotivdrachens!« schrieb Ingermann einst. Fast ist dem so.
Am Weihnachtsabend saß ich nicht in Rom, wie ich mir ursprünglich gedacht hatte, sondern in dem herzlichen und fröhlichen Kreise auf Basnäs.
In einer Nummer der » Household words« hatte Dickens einen Theil arabischer Sprüchwörter und Redensarten gesammelt; unter diesen hatte er in einer Note hervorgehoben:
» When they come to shoe the Paschas horses, the beetle stretched out his leg. (Arabic). This is exquisite; we commend it to the attention of Hans Christian Andersen.« Zu Deutsch: »Wenn man die Pferde des Paschas beschlägt, strecken die Käfer ihre Beine aus. (Arabisches Sprichwort.) Das ist ausgezeichnet; wir empfehlen dieses H. C. Andersen's Aufmerksamkeit.« Der Uebers. Ich fühlte große Lust, das Märchen zu schreiben, aber es kam nicht dazu; erst jetzt, neun Jahre später, gerade am vorletzten Tage des Jahres, während meines Besuches auf Basnäs, wo ich zufällig Dickens' Worte wieder las, entstand plötzlich das Märchen » der Mistkäfer«, und am Tage darauf schrieb ich das Märchen » der Schneemann« Siehe die Märchen Bd. I. S. 28 und 138. Der Uebers., womit meine Dichterwirksamkeit im Jahre 1860 abschloß.
*
Sobald die Aprilsonne wieder die Natur erwärmte, machte sich die Zugvogelnatur bei mir wieder geltend. Ich wollte und mußte noch einmal in meinem Leben Rom sehen, die Reise vollenden, die ich im Jahre vorher aufgegeben hatte. Diesmal folgte mir ein junger Freund, Jonas Collin Der schon Seite 215 dieses Bandes erwähnte Naturforscher Jonas Collin, ein Enkel des Geheimraths Jonas Sigismund Collin, der Herausgeber der Fortsetzung des »Märchens meines Lebens« (1855-67) in dänischer Sprache, ist am 8. April 1840 in Kopenhagen geboren. Er wurde 1859 Student und machte mit Andersen Reisen in Frankreich und Italien (1861), in Spanien, Afrika und Frankreich (1862-63) und endlich in Norditalien (1870 bis 1871), an welche Reise sich ein längerer Aufenthalt in Paris anschloß. Während des letzten deutsch-dänischen Krieges (1864) nahm er eine kurze Zeit an demselben Theil als Freiwilliger. Im Jahre 1865 absolvirte er die »Magister-Conferenz« in der Zoologie und lebt seitdem als Privatgelehrter in Kopenhagen, seine Aufmerksamkeit vornehmlich der Fauna seines Vaterlandes zuwendend. Außer einigen Uebersetzungen und Bearbeitungen wissenschaftlicher und anderer Werke aus fremden Sprachen, schrieb er eine Abhandlung über Frösche und Kröten Dänemarks. Er hat Deutschland mehrfach besucht und ist der deutschen Sprache ziemlich mächtig. Der Uebers., Sohn des Etatsraths Eduard Collin. Ueber Genf und Lyon erreichten wir Nizza. Hier herrschte Ruhe. Von hier begann für mich das eigentlich Neue der Reise, der malerisch schöne Weg: » Via della Cornice «, der Weg zwischen Nizza und Genua. Hier müßte man eigentlich zu Fuß wandern oder im langsamen Schritt reiten, um den herrlichen Anblick zwischen den Felsen und Waldstrecken hoch über dem rollenden Meere völlig zu genießen. Hier war ein Reichthum an Palmbäumen, wie ich ihn an keiner andern Stelle in Italien gesehen hatte; von hier führt man jährlich die vielen Palmzweige nach Rom, wo sie vom Papst geweiht und an die Gläubigen am Gründonnerstag vertheilt werden.
Die Felseninsel, das kleine Fürstenthum Monaco, liegt mit Stadt und Land gleich einer gezeichneten Landkarte unten im Wasser. Monaco lag im herrlichen Sonnenschein wie ein märchenhaftes Reich, in welches einzudringen, man Lust bekam.
Die Reise von Nizza nach Genua nahm mit der Diligence 24 Stunden in Anspruch; aber der Weg ist so malerisch schön, daß man in der That die Hälfte desselben bei Nachtzeit nicht zurücklegen sollte. Wir theilten deshalb auch diese Reise in zwei Theile, übernachteten unterwegs, hatten am nächsten Morgen unsere sichern Plätze in der Diligence und konnten nun am Tage bei hellem Lichte die Reise fortsetzen.
Alte Erinnerungen erneuerte ich in Genua, wo ich seit meinem ersten Besuch im Jahre 1833 nicht gewesen war. Das Dampfschiff erreichten Collin und ich bei gutem Wetter in Civita vecchia. Auf der ganzen Reise hierher hatte kein Mensch uns nach einem Paß gefragt; nunmehr, auf päpstlichem Gebiete, begann die Paßplage in großartigem Styl wieder. Niemand bekam Erlaubniß, an's Land zu steigen, bis die Pässe abgefordert waren, und jeder Passagier mußte gleich beim Besteigen des Landes sich auf einem gerade nicht kurzen Wege nach dem Rathhause begeben, wo man dennoch seinen Paß nicht zurückerhält, sondern nur eine Art Quittung, einen Zettel mit der Erlaubniß, mit der Bahn nach Rom fahren zu dürfen. Unterwegs während der Eisenbahnfahrt mußte dieser Zettel wieder vorgezeigt werden. Erst dicht vor Rom erhielten wir unsere Pässe zurück, und nun mussten wir durch den dänischen Consul eine Aufenthaltskarte zu erlangen suchen: aber bevor dies gelang, verging fast eine Woche. Rom, für das gerade der Besuch Fremder eine so große Einnahmequelle bildet, schien durchaus nicht bedacht zu sein, daß man Alles thun müsse, um den Besuch für die Fremden zu erleichtern.
In dem alten Café greco , wo der Consul für Dänemark, Schweden und Norwegen, mein Freund Bravo wohnte, erlangte ich ein paar Zimmer für mich und meinen jungen Reisebegleiter. Nun besuchten wir Alles in der großen Stadt, die mir so bekannt und heimisch war. Ich sah all die bekannten Herrlichkeiten wieder und konnte sie Collin zeigen. Nicht viel hatte sich, seitdem ich hier zum letzten Mal gewesen war, verändert; man sprach indessen sehr viel über die Unsicherheit auf der Straße, von Mord und Plünderung; aber auch diesmal erfuhr ich in Wirklichkeit nichts von all dem. Ruinen, Kunstschätze, Kirchen und Gärten wurden besucht, Freunde und Bekannte gleichfalls. Einer der Ersten war unser Landsmann Küchler, jetzt » Pietro« genannt, denn er ist Mönch geworden Siehe den vorigen Band Seite 133. Der Uebersetzer. im Kloster oben auf den Ruinen der Kaiserburg. In seiner groben braunen Mönchskleidung kam er mir entgegen, umarmte und küßte mich; das vertrauliche »Du« ertönte wieder von seinen Lippen. Er führte uns in sein Atelier, ein großes Zimmer mit einer schönen Aussicht über Orangenbäume und Rosen bis zum Colosseum und über die Campagne hinaus bis an die malerischen Berge. Ich war froh, meinen alten Freund wiederzusehen und ebenso entzückt über die herrliche Aussicht. »Wie ist es doch wunderbar schön hier!« rief ich aus. – »Ja, auch Du solltest hier bleiben und im Frieden und Gott leben!« sagte er mit einem stillen, freundlichen Lächeln, worin doch ein tiefer Ernst zu liegen schien.
Aber ich antwortete schnell: »Während ein paar Tagen könnte ich wol hier bleiben, aber dann müßte ich wieder von dannen, wieder hinaus in die Welt, in derselben leben, in derselben sein!«
Küchler arbeitete damals an einer Copie nach Dominichino, bestellt von dem reichen Großhändler Puggard in Kopenhagen. Der Schwiegervater des genialen Tondichters Emil Hartmann. Der Uebers. Das Geld für dieselbe fiel natürlich seinem Kloster zu.
Der norwegische Dichter Björnstjerne Björnson Der norwegische Dichter Björnstjerne Björnson, der Sohn eines Landpredigers, ist geboren am 8. December 1832 in Kviken am Fuße des Dowregebirges. Nachdem er die Schule in Molde besucht hatte, wo er herzlich wenig lernte, kam er 1852 zur Universität in Christiania; aber während der Jahre, in denen Björnson sich zu seinem Berufe – Dichter zu werden – vorbereitete, hat er nie ein Examen abgelegt. Er trat zuerst als Kritiker auf, verlor aber durch seine Rücksichtslosigkeit seinen guten Ruf. Dann gab er ein »Illustrirtes Volksblatt« heraus, das wenig Anklang fand. Er reiste nach Kopenhagen, wo er viele Freunde und Anerkennung gewann. Hier schrieb er seine erste Erzählung »Thrond« (1857); es folgte das auch in Deutschland bekannte Drama »Zwischen den Schlachten« (deutsch 1866), eine wahre Perle. In Folge dessen wurde er nach Bergen als Theaterdirektor berufen. In demselben Jahre erschien die Erzählung »Synnöwe Solbakke,« eine Dorfgeschichte. Er übernahm dann in Bergen die Redaktion der dortigen Zeitung, und 1859 wurde er Redakteur des »Aftenbladet« in Christiania, eine Stellung, die er jedoch bald wieder aufgab. Es erschien nun das Drama »Die lahme Hulda« und die berühmte Erzählung »Arne« (deutsch 1865). Nun folgten seine »Bauernnovellen,« die ihm bald in Deutschland einen Namen verschafften. 1860 erhielt er ein Staatsstipendium, ging dann nach Dänemark, Deutschland, Italien und Frankreich, hielt sich jedoch meist in Rom auf, wo er mit Andersen zusammentraf. Hier schrieb er zwei Dramen »König Sverre« und »Sigurd Slembe« (deutsch 1866). 1863 kehrte er in seine Heimat zurück, wo er sofort eine lebenslängliche »Dichtergage« erhielt. 1864 erschien das Drama »Maria Stuart in Schottland« (deutsch 1865). Von 1865-1867 leitete er das Theater in Christiania. Indessen erschien sein Lustspiel »Die Neuvermählten« (deutsch 1875), und das auch in Deutschland bekannte Schauspiel »Fallissement.« Dann folgten drei unglückliche Dramen »Ein Redakteur« (in Berlin abgelehnt), »Der König« (eine Verherrlichung des Republikanismus) und »Ein neues System« (eine verworrene Arbeit). Außerdem schrieb er drei Novellen »Das Fischermädchen,« »Magnhild« und »Giuseppe Mansana,« in welch letzterer er seine eigene Persönlichkeit schildert. Diese drei Novellen sind von mir übersetzt und bei Otto Janke in Berlin erschienen. (1878) Der Uebers. befand sich damals ebenfalls in Rom. Hier sollte ich also seine Bekanntschaft machen. Ich hatte ihn früher noch nicht persönlich kennen gelernt. Es war daheim eine lange Zeit vergangen, bevor ich die Arbeiten dieses begabten Dichters gelesen hatte, und das kam daher, daß mehrere meiner Bekannten mir gesagt hatten, seine Bücher würden meinem Geschmack gar nicht entsprechen; ich aber meinte, es sei am besten, selbst zu prüfen, und ich las seine Erzählung; » Ein froher Bursche.« Es war mir beim Lesen derselben, als stände ich auf dem Felsen in der frischen Lust in dem duftenden Birkenwald. Ich war entzückt und suchte nun alle diejenigen auf, die gesagt hatten, Björnson's Arbeiten würden nicht in meinen Geschmack fallen. Ich sagte ihnen, daß es eine Beleidigung für mich und daß ich darüber erstaunt sei, wenn man glauben könnte, daß ich kein Verständniß oder Gefühl für einen wirklichen Dichter hätte.
Nun meinte Dieser und Jener, Björnson und ich seien in unserer Persönlichkeit einander so entgegengesetzt, daß wir Beide bald an einander gerathen würden.
Da traf es sich kurz vor meiner Abreise von Kopenhagen, daß man mich indirect ersuchte, einige Bücher für ihn von seiner Frau mitzunehmen. Ich that es und bei meinem Besuche bei ihr, sprach ich es aus, wie lieb mir ihr Mann als Dichter sei, und ich bat sie, ihm zu schreiben, daß er liebenswürdig gegen mich sein möchte, wenn wir uns begegneten, denn ich würde ihn lieb haben; wir müssen Freunde sein. Und von unserer ersten Begegnung in Rom bis zu dieser Stunde ist er theilnahmsvoll und gut gegen mich gewesen; er war »liebenswürdig,« wie ich gebeten und gewünscht hatte.
Die Skandinavier hatten für unsern Consul Bravo ein ländliches Fest in der nächsten Umgebung Roms arrangirt. Ich habe ein Bild des Ortes in meinem Märchen » Psyche« Siehe die Märchen Band II. Seite 294. Der Uebers. gegeben. Das Fest war auch für mich arrangirt, der jetzt zum vierten Mal vom Norden kam und die Römerstadt besuchte, Björnstjerne Björnson hatte mir in dieser Veranlassung ein Gedicht gewidmet.
Nur einen Monat blieb ich damals in Rom. Unter den lieben Bekanntschaften, die ich hier schloß, hebe ich besonders die mit dem Amerikaner Story, Story, wahrscheinlich ein Sohn des berühmten Rechtsgelehrten Joseph Story (1779-1845) in Cambridge bei Boston, hat sich durch seine Statuen »Medea« und »Kleopatra« einen Namen als Künstler geschaffen. Er schrieb auch ein Drama »Nero.« Der Uebers. einem Bildhauer, hervor. Er führte mich in sein Atelier, wo ich von Bewunderung über die Portraitstatue Beethoven's und eine allegorische Darstellung von » Amerika« erfüllt wurde. Er führte mich zu seiner Gattin und seinen Kindern, die eine Etage im Palazzo Barbarini bewohnten. Eines Tages versammelten sich hier mehrere amerikanische und englische Freunde mit ihrer ganzen Kinderschar. Ich stand mitten in diesem Kreise, aber mit einer unverzeihlichen Dreistigkeit las ich in Folge einer Aufforderung » das häßliche junge Entelein« Siehe die Märchen Band III. Seite 494. Der Uebers. englisch vor, dessen ich nicht genug Meister war. Als ich mit dem Vorlesen zu Ende war, überbrachten mir die Kleinen einen Kranz.
Story führte mich zu der englischen Dichterin Elisabeth Barret Browning. Die Dichterin Elisabeth Barret Browning war die Gattin des Dichters Robert Browning (geb. 1812). Sie war 1809 geboren und lebte ihrer Gesundheit wegen meist in Italien, wo sie im Juni 1861 starb. Der Uebers. Sie war leidend, ja sehr krank, aber mit strahlenden, milden Augen blickte sie mich an, drückte mir die Hand und dankte mir für meine Schriften. Zwei Jahre darauf hörte ich von dem Sohne Lytten Bulwer's, wie innig und herzlich Elisabeth Browning an mich gedacht hatte. Ihr letztes Gedicht: » The North and the South,« geschrieben in Rom im Mai 1861, gerade während der Tage meines Aufenthaltes daselbst, schloß ihre Gedichtsammlung » Last Poems,« die nach ihrem Tode erschien und worin sie meiner gedacht hatte.
Die Sonne sandte bereits ihre heißen Strahlen zur Erde; die Leute zogen in die Berge, und Collin und ich begaben uns auf die Heimreise. Jonas Collin fügt hier in seiner dänischen Ausgabe hinzu, daß es nicht die Hitze gewesen sei, die Andersen aus Rom vertrieben habe, sondern es sei die Furcht gewesen, die ihn hin und wieder mit fast unwiderstehlicher Macht ergriff. Die Ursache, weshalb er diesmal Rom verließ, sei folgende: Am ersten Tage, als Andersen und Collin in Rom ankamen (28. April), besuchte sie Björnson, und bei dieser Gelegenheit erzählte er Andersen, der Bettler Peppo sei wüthend darüber, daß er im »Improvisator« als eine schlechte Person geschildert worden sei, denn dadurch sei ihm mancher gute Bajocho entgangen. Björnson, der bis dahin Andersen und seinen Charakter durchaus nicht kannte, war unvorsichtig genug, noch hinzuzufügen, daß Peppo geäußert habe, er werde sich zu rächen wissen. Diese Mittheilung versetzte Andersen in die größte Furcht. Er sprach diese zu Collin aus, indem er überzeugt war, daß er von dem Einen oder Andern, den Peppo dazu miethen werde, ermordet werden würde, und daß er keinen Augenblick seines Lebens sicher sein könne, so lange er sich in Rom aufhalte. Es gelang Collin an dem Tage, ihn einigermaßen zu beruhigen; aber während der Nacht überkam ihn auf's Neue die Angst, und diese ließ ihm keine Ruhe. Später sprach er freilich seltener über seine Furcht, aber hin und wieder wurde er dennoch von derselben beherrscht und diese wurde ein wesentlicher Factor in seinem Beschluß, Rom zu verlassen. – Während seines Aufenthaltes in Rom schrieb Andersen zwei Märchen, fährt Jonas Collin fort. Das erste war die » Psyche.« Am Nachmittag des 5. Mai befanden Beide sich im Theater Alibert. Nachdem sie ein zweiaktiges Stück gesehen hatten – wahrscheinlich »die Hochzeit des Offiziers« – sagte Andersen zu Collin, daß er während der Vorstellung eine ganze Geschichte gedichtet hätte, die er ihm erzählen würde, wenn sie heimkämen. Später am Abend theilte er ihm die ganze Anlage dieser Geschichte mit, aber erst am 17. erhielt sie ihre endliche Gestalt und wurde »Psyche« benannt. Das zweite Märchen war: » Die Schnecke und der Rosenstock.« (Band I. Seite 261). Dies entstand auf folgende Weise: Andersen hatte eines Tages entdeckt, daß Collin eins von Sören Kierkegaard's Büchern (siehe den vor. Band Seite 185) las, und dies brachte ihn in üble Laune, denn nachdem Kierkegaard Andersen als Romandichter kritisirt hatte, fühlte Andersen Bitterkeit gegen ihn, und er schien von der Bewunderung, die sein Reisegefährte für diesen Philosophen hegte, nicht recht erbaut zu sein. Eine Aeußerung, die Andersen bei dieser Gelegenheit über einen gemeinsamen Freund fallen ließ, brachte Collin, der leicht erregbar zu sein scheint, in Harnisch; das eine Wort gab das andere – Collin war erst einundzwanzig Jahre alt – und sagte gewiß viel, was er bei ruhiger Ueberlegung nicht gesagt haben würde und was Andersen vollständig mißverstand. Der Streit endete damit, daß Andersen in Thränen ausbrach und in sein Zimmer ging. Ein paar Stunden darauf kam er wieder heraus, ruhig und fröhlich, und sagte: »Willst Du ein Märchen hören?« Dann las er ihm » Die Schnecke und der Rosenstock« vor, das er in den paar Stunden vollendet hatte. Später hat er in der » Entstehungsgeschichte seiner Märchen« (siehe den Schluß dieses Bandes) die Geschichte dieses Märchens zu den erlebten Märchen gerechnet. Dies ist jedoch dahin zu verstehen, daß ein kleines Ereigniß wol die Ursache zu dessen Entstehung war, aber daß ein tiefes Mißverständniß des Streites zwischen uns stattfand und stattfinden mußte, um aus dem Erlebten eine Veranlassung nehmen zu können. Als Andersen den jungen Collin fragte, wie ihm dieses Märchen gefalle, antwortete er: »Ausgezeichnet! Sie sind der Rosenstock, das ist klar. Aber lassen Sie uns nicht darüber streiten, wer die Schnecke ist.« – Nach Jonas Collin's Angabe ist das Märchen am 24. Mai geschrieben worden. Der Uebers. Wir besuchten dann Pisa und verbrachten eine Woche in Florenz. Von Livorno wollten wir mit dem Dampfschiff nach Genua; allein es wurde stürmisches Wetter, das Meer rollte schwer, und wir wurden alle seekrank. Ich fühlte mich so leidend, so ermattet, als wir Genua erreichten, daß es uns in Folge dessen unmöglich war, unser Ziel, Turin, noch an demselben Tage zu erreichen.
Kaum waren wir an's Land gekommen, als starke Kanonenschüsse erdröhnten: es war die Trauerbotschaft, daß Cavour Der berühmte italienische Staatsmann Graf Camillo Cavour ist der Sohn eines Getreidehändlers in Nizza, der später geadelt wurde. Er ist in Turin am 1. August 1810 geboren und starb daselbst den 18. Februar 1861. Er studirte mit großem Eifer die praktischen Wissenschaften, namentlich die Nationalökonomie und Statistik. Angespornt durch die anfangs der vierziger Jahre von Pius IX. eingeführten Reformen im Kirchenstaate, suchte er durch alle Mittel diese Reformen für sein Vaterland zu gewinnen. Nach dem Kampf mit Oesterreich und der Niederlage bei Navarra trat er 1849 in die Deputirtenkammer und bald in's Ministerium, erst als Handels- und dann als Finanzminister ein; aber Uneinigkeit mit seinen Collegen zwang ihn zum Rücktritt. Er bereiste 1852 England und Frankreich, bei welcher Gelegenheit er dem Kaiser Napoleon seine Ideen über die Zukunft klarlegte; heimgekehrt, wurde er Minister der Finanzen, des Innern und des Aeußern. Er schloß 1855 einen Traktat mit den Westmächten, infolge dessen die sardinische Armee (25 000 Mann) am Krimkriege ehrenvollen Antheil nahm. Er hob die Klöster auf. Nach dem wol vorbereiteten Kriege zwischen Frankreich und Sardinien einerseits und Oesterreich andererseits (1859), der in den Schlachten bei Magenta und Solferino gipfelte, kamen die kleinen Herzogthümer und die Lombardei an Sardinien. Um jedoch den Frieden zu ermöglichen, trat Cavour zurück, übernahm aber Anfangs 1860 den Chefplatz im Ministerium, stellte dann dem Papst ein Ultimatum, und als dies abgeschlagen wurde, ließ er die Provinzen des päpstlichen Staates besetzen, während er Garibaldi's Angriff auf Sicilien und Neapel unterstützte, und die Armee in Neapel einrücken ließ und alle Eroberungen als Theile eines »vereinigten Italiens« erklärte. Kurz vor seinem plötzlichen Tode bewillkommnete er noch das erste italienische Parlament, das außer Rom und Venetien, ganz Italien umfaßte. In der innern Politik betrachtete Graf Cavour die bürgerliche Freiheit, das Wohl des Volkes und die Sicherheit des Staates als identische Begriffe. Der Uebers. gestorben sei. Noch am folgenden Tage fühlte ich mich wenig aufgelegt zur Weiterreise, aber ich hoffte doch, wenn ich am nächsten Tage abreisen würde, früh genug zu Cavour's Begräbniß in Turin anzukommen. Wir kamen Nachmittags daselbst an und hörten dann, daß der große Staatsmann bereits am Abend zuvor beerdigt worden war.
Am Schluß der Woche erreichten wir Mailand, wo wir zwischen den schönen Marmorgestalten auf dem Dach der Domkirche über die sonnenbeleuchteten Alpen hinausschauten. Bevor uns der Postwagen über den Simplon hin zu diesen trug, brachten wir ein paar schöne sonnenhelle Tage und mondklare Abende auf Isola bella im Lago maggiore zu.
In der Schweiz hielten wir uns am längsten in Montreux auf. Hier entstand und entfaltete sich das Märchen » Die Eisjungfrau« Siehe die Märchen Band II. Seite 311. Die Idee zu diesem Märchen faßte Andersen schon in Bex im Juni 1861. Der Uebers.. Die traurige Begebenheit mit dem jungen Brautpaare, welches an ihrem Hochzeitstage die kleine Insel bei Villeneuve, wo der Bräutigam umkam, besuchte, legte ich aus der Wirklichkeit in meiner Dichtung nieder, in welcher ich die Schweizernatur so darstellen wollte, wie sich während meiner vielfachen Besuche dieses herrliche Land in meinen Gedanken wiedergespiegelt hatte.
In Lausanne erreichte uns die schmerzliche Botschaft aus der Heimat, daß der alte Geheimrath Collin Siehe den vorigen Band Seite 353. Der Uebers. im Sterben liege; man vermeinte, daß ihn Gott bereits zu sich genommen haben werde, wenn wir den Brief erhielten, und man bat uns deshalb, unsere Heimreise nicht zu beschleunigen. Diese ging nun geräuschlos und in gleichmäßigen Unterbrechungen dem Norden zu. Wir blieben ein paar Tage bei den Freunden Aufdermauer in Brunnen, wo wir mit dem Bibliothekar des Klosters in Einsiedeln, Pater Gall-Morell, einem liebenswürdigen geistlichen Herrn, zusammentrafen. Das Kloster ist das angesehenste in der Schweiz und wird von Pilgern und frommen Katholiken aus Deutschland und Frankreich besucht.
Einsiedeln liegt kaum mehr als eine Meile vom Landwege zwischen Brunnen und dem Züricher See. Collin und ich wollten nicht an demselben vorüberziehen und trafen gerade an dem tausendjährigen Stiftungstage des Klosters ein. Jonas Collin bemerkt in seiner Ausgabe, daß dies nicht ganz correct sei. Das tausendjährige Fest wurde während des ganzen Jahres gefeiert, aber die eigentliche Feier sollte, wie man ihnen sagte, am 14. September stattfinden, während ihr Aufenthalt daselbst auf den 14. und 15. Juli fiel. Der Uebers. Die kleine Stadt war von Fremden erfüllt, die sich nach der prachtvollen, mit Blumen und Inschriften geschmückten Kirche drängten. Viele Fromme versammelten sich auf dem Platze vor derselben an den sprudelnden Quellen und tranken aus allen, denn die Sage erzählt, Christus sei einmal in Einsiedeln gewesen und habe von dem Wasser getrunken; aber da man nicht weiß, aus welcher Quelle er trank, trinkt man aus allen.
Wir besuchten unsern Bekannten, den Bibliothekar, der uns auf das Freundlichste empfing und im Verein mit mehreren jungen Herren uns die Merkwürdigkeiten des Klosters zeigte und uns zur Kirche führte, wo der mit Blumen gezierte strahlende Sarkophag des Stifters des Klosters Der berühmte Wallfahrtsort Maria-Einsiedeln, besteht aus ca. 800 Häusern, die fast alle den 150,000 Pilgern als Herberge dienen, welche zur Anbetung des Marienbildes in der Benediktinerabtei hier alljährlich sich einfinden. Als Gründer des Klosters bezeichnet man Eberhard, Dompropst in Straßburg, der hier 948 an der Stelle, wo 861 der Einsiedler Meginrad oder Meinradals Märtyrer starb, der Mutter Gottes eine Kapelle erbaute. Das Kloster und die Kirche brannten viele Male gänzlich nieder. Die jetzigen Gebäude sind 1704-19 im italienischen Styl erbaut. In der Kirche befindet sich die aus schwarzem Marmor erbaute Kapelle des heiligen Meinrad, in welcher sich das schwarze, wunderthätige Marienbild befindet. Der Uebers. stand, welcher mit Versen der Erinnerung, die unser gelehrter Begleiter verfaßt hatte, geschmückt war. Wir sahen auch die Schätze der Bibliothek, darunter eine alte Bibel in dänischer Uebersetzung, Als man den Wunsch aussprach, eine andere dänische Uebersetzung zu erhalten, versprach ich, dieselbe zu schaffen, und eine solche befindet sich jetzt dort.
Von dem festlich geschmückten Einsiedeln kamen wir über München und Augsburg nach Nürnberg. Auch hier fand ein Fest statt. Flaggen und Fahnen wehten in allen Straßen. Es war ein Sängerfest, nicht eins der Minnesänger, nein, der Sänger unserer Zeit. Aus allen Städten Bayerns waren die Gesangvereine herbeigekommen, um ein Gesangsfest zu feiern. Die Leute strömten von allen Seiten herzu; es war daher nicht leicht, Platz im Hotel zu erlangen. Aber ich war wie immer der Glückliche und erhielt die nette kleine Stube des Wirthes.
Von Nürnberg ging die Reise über Dresden und Maxen, von wo wir nach einem Aufenthalt von drei Wochen nach Braunschweig gingen. Auch hier kamen wir zu einem Fest, ich glaube, es war das tausendjährige Fest der Gründung der Stadt. Braunschweig ist in der That im Jahre 861 gegründet worden. Der Uebers. Von allen Häusern wehten Flaggen, überall waren Guirlanden angebracht und die Straßen waren mit Sand und Blumen bestreut.
In Korsör trennte ich mich von Collin. Er reiste nach Kopenhagen, ich nach Basnäs, von wo ich nach kurzem Aufenthalt nach Sorö ging und Ingemann besuchte. Hier erhielt ich die Nachricht von dem Tode des alten lieben Collin. Während der letzten Tage hatte er ganz still gelegen, ohne Jemand zu kennen. Er würde auch mich nicht erkannt haben, schrieb man.
Ich reiste sofort nach der Stadt, um mich mit den Betrübten zu vereinigen.
»Auf des Hauses Heerd das Feuer brannte aus,
Nun wohnt Sorg' in der trauten Stube.
Deine Sehnsucht trug in Jesus dich zu Gott,
– Eine Handvoll Asche hier – dort des Lebens Flamme.«
Wörtlich übersetzt. Der Uebers.
sang ich. Viele und bessere Gesänge ertönten, aber gewiß kein tiefer gefühlter als der meine. So manche Erinnerungen an Thaten und Worte glitten mir durch die Gedanken.
Ich fuhr nach Kopenhagen, ich wollte am liebsten allein sein; aber alle Postwagen waren besetzt, nur in einem derselben saßen zwei Damen, und in diesem nahm ich Platz. Die ältere Dame saß still, halb schlafend in einer Ecke; die jüngere hatte sich in der ganzen Länge des Wagens ausgebreitet und verzehrte Früchte und allerlei Erfrischungen; sie sah aus wie eine Spanierin; die schwarzen Augen leuchteten, ein ganzes Gespräch bekundend, bevor deren Besitzerin selbst zu sprechen begann.
»Ich glaube, Sie zu kennen,« sagte sie auf französisch; ich erwiderte dasselbe und erbat mir ihren Namen.
» Pepita«, Pepita de Oliva, geboren 1830 in Madrid, gestorben 1868 in Turin, war Mitglied des Ballets in Madrid; sie zeichnete sich durch körperliche Reize ganz hervorragend aus. Sie kam 1852 nach Stuttgart und da alle Welt, namentlich alle Männer von ihr entzückt waren, obgleich ihr Tanz von keiner Bedeutung war, so besuchte sie fast alle größeren Städte Deutschlands. Den Höhepunkt ihres Erfolges erreichte sie in Berlin. Der Uebers. sagte sie. Es war die überall so sehr gehuldigte spanische Tänzerin, welche im Jahre vorher auf dem Casinotheater in Kopenhagen aufgetreten war. Ich nannte ihr meinen Namen, und sie erzählte dann ihrer ältern Begleiterin, daß ich ein Dichter sei, und daß sie im Casino eine Rolle in einem meiner Stücke ausgeführt und französisch gesprochen und spanische Tänze getanzt habe. Es war in meiner Märchencomödie » Ole Luköie, der Sandmann«. Sie erzählte ihrer Begleiterin den ganzen Inhalt mit wenigen Worten: »Es ist ein junger Schornsteinfeger, der sich in eine spanische Tänzerin verliebt, und schließlich ist das Ganze ein Traum.« – »Charmant!« rief die alte Dame. Aber ich befand mich gar nicht in der Stimmung, das Gespräch fortzusetzen. Auf der nächsten Station nahm ich Platz in einem der anderen Wagen und entschuldigte meine Entfernung damit, daß ich Freunde gefunden habe, bei denen ich Platz nehmen müsse.
Ich erreichte Kopenhagen, ging zu dem Heim der Heimat, wo die Kinder und Kindeskinder des tief Vermißten versammelt waren. Bald war der Beerdigungstag angebrochen. Ich schrieb an Ingemann:
»– Ich fand die ganze Collin'sche Familie in dem alten Heim. Sie waren alle ruhig, aber tief und wehmüthig bewegt. Mein alter Freund war bereits in den Sarg gelegt und sah mild und wie schlafend aus; es war eine herrliche Ruhe über sein Gesicht verbreitet. Vor dem Beerdigungstage graute mir sehr. Aber ich fühlte mich doch stärker, als ich geglaubt hatte. Die Rede des Bischofs Bindesböll befriedigte mich durchaus nicht, denn sie weilte zu lange bei dem politischen Leben und bei König Frederik VI. Pastor Blädel sprach später einige Worte am Grabe, und diese bildeten ein schönes Supplement zur Rede des Bischofs; vereinigt wurden beide Reden zu dem, was man zu sagen hatte. Der Rest des Tages, den ich ganz einsam verbrachte, wurde mir bitterlich schwer. Mir fehlte, woran ich während einer Reihe von Jahren gewöhnt war, täglich den alten Collin zu sehen und mit ihm zu sprechen. Das Haus war jetzt so sonderbar vereinsamt. Es ist ein wunderliches Gefühl, die Reihen auf diese Weise gelichtet zu sehen. Jetzt stehe ich selbst in der vordersten Reihe zum Abmarsch.«
Weihnachten näherte sich. Ich hatte auf der Reise und später nach der Heimkehr »fleißig« gearbeitet. Zur Weihnachtszeit kam ein Heft neuer Märchen heraus, in dem sich » die Eisjungfrau«, » der Schmetterling«, » Psyche« und » die Schnecke und der Rosenstock« Siehe diese Märchen Band II, Seite 311, Seite 31, Seite 294 und Band I, Seite 261. Der Uebers. befand. Das Buch dedicirte ich Björnson.
Den Weihnachtsabend verbrachte ich auf Holsteinborg. Von dort schrieb ich Ingemann folgenden Brief:
Holsteinborg, am Weihnachtstag 1861.
»Lieber Freund!
Mein Zimmer stößt an die Kirche, ich kann aus demselben auf das Chor treten. Die Orgel spielt und der Psalm ertönt zu mir herein, indem ich diesen Brief schreibe. Hier ist es so weihnachtsfestlich, und gestern Abend herrschte hier Kinderfreude; alle die Kleinen waren so glücklich über den Weihnachtsbaum und dessen Herrlichkeiten. Auch ich hatte meinen Weihnachtstisch mit vielen Sachen, die auf meine Märchen hindeuten: die Katze saß auf dem Tintenfaß, der Kobold tanzte mit dem Federhalter, der Schmetterling flog in florentinischem Mosaik auf dem Briefbeschwerer und mein kleines Mädchen mit den Streichhölzern Das sind Titel einiger seiner Märchen: Band I, Seite 24, Band II, Seite 7, Seite 31 und Band I, Seite 57. Der Uebers. hatte sich auch eingefunden.
Ich dachte übrigens gestern sehr viel an meine Weihnachtszeit in der Kindheit; es war doch die reichste, die ich verlebt habe, ungeachtet die Stube so klein war und ungeachtet ich keinen Weihnachtsbaum hatte, aber Grütze, Gänsebraten und Aepfelscheiben fehlten niemals, und an dem Abend standen zwei Lichter auf dem Tisch. Ein halbes Jahrhundert ist seitdem verflossen, und dennoch bewahre ich diese Weihnachtserinnerungen in mir. Wie wunderbar bin ich doch vom Geschick getragen worden!
*
»Gott weiß, ob ich im nächsten Jahre in Sorö sein werde. Meine Neigung geht dahin, in dem neuen Jahr nach Spanien zu gehen. Ich muß stets meine Weihnachtsträume haben, und diese drehen sich um das Reiseleben – ich denke an Italien oder Spanien. Das Weihnachtswetter ist mild, aber mir sind doch klare Luft und schneeweiße Felder lieber. Im vorigen Jahre hatten wir Frost mit glänzendem Schnee und mit Reif besäete Bäume. Da dichtete ich den » Schneemann« Siehe die Märchen Band I, Seite 138. Der Uebers., aber in diesem Jahre hat mich meine Muse verlassen. Mag ein gutes und fröhliches Neujahr für uns Alle sich entrollen! Kein Krieg, keine Cholera, sondern Frieden und Gesundheit herrschen!
Nun leben Sie herzlich wohl!
Ihr treu ergebener
H. C. Andersen.«
Gleich während der ersten Tage des Jahres 1862, als ich noch auf dem Lande war, erhielt ich von Ingemann einen Brief voll von Herzlichkeit und Humor. Ingemann und H. C. Oersted, die mich Beide lieb hatten, standen in ihren dichterischen Anschauungen sich ziemlich schroff gegenüber. Oersted verlangte mit Recht strenge Wahrheit selbst auf dem Gebiete der Phantasie.
»Vernunft in der Vernunft ist das Wahre,
Die Vernunft im Gefühl ist das Schöne,«
hatte er einst an mich geschrieben, und hielt an dieser Satzung fest. In der »Monatsschrift für Literatur« hatte Oersted in Folge dessen Ingemann's phantastische Dichtung » Ole Namenlos« stark angegriffen, ja, so urkräftig, daß der herzenswarme Philosoph Sibbern Siehe den vor. Band Seite 175. Der Uebers. zu Ingemann's Vertheidigung auftrat. Oersted und Ingemann, die liebenswerthesten, meist kindlich-herzlichen Persönlichkeiten, begegneten sich nirgends, lernten einander nicht kennen, denn sonst würden sie sicherlich bald die Verwandtschaft ihrer Herzen gefühlt haben. Ich erzählte Jedem der Beiden so viel schöne Züge des Andern, so manche Auslassungen, die den Gegner ansprachen. Jetzt war H. C. Oersted bereits seit mehreren Jahren gestorben. In dem Briefe, den ich hier auf dem Schlosse Holsteinborg von Ingemann erhielt, befand sich folgende Stelle:
»Ich war heute morgen draußen auf der Bahnstation, und ging unter den Telegraphendrähten, die gerade zu summen begannen. Was soll das heißen? Kann ich nicht mehr in meinen eigenen Gedanken ungestört gehen? Was will denn Oersted? Der Draht zitterte und sprach. Was ist es doch? Da fiel mir plötzlich ein, Oersted weiß, daß ich heute an Andersen schreiben will, und da sagte er: »Grüße ihn von mir!« Ich bringe Ihnen also einen Gruß von H. C. Oersted.«
Es war der letzte Brief, den ich von dem lieben Ingemann erhielt, und in dem Gruß, den er sandte, erblickte ich das Verständniß und liebevolles Wiedersehen zwischen diesen beiden lieblichen Seelen. Bald wollte Gott, daß sie sich begegnen sollten.
Das Jahr begann übrigens mit viel Freude für mich. Die zur Weihnachtszeit herausgegebenen Märchen fanden große Anerkennung und haben jetzt bereits einige Auflagen erlebt.
König Frederik VII. wollte am liebsten mich selbst meine Märchen vorlesen hören, nicht bloß auf dem Schloß Frederiksborg, wie ich früher erzählt habe, sondern ich wurde auch mehrfach nach der Christiansborg berufen. Anfangs Februar las ich in Folge dessen vor dem König und einem ganz kleinen Kreise, den er um sich versammelt, meine vier letzten Märchen. » Die Eisjungfrau« sprach ihn am meisten an, denn er hatte als Prinz längere Zeit in der Schweiz, namentlich in Genf verlebt.
Einige Tage nach dem Vorlesen erhielt ich folgenden eigenhändig geschriebenen Brief von dem Könige:
»Mein guter Andersen!
Es ist mir ein Vergnügen, Ihnen meinen Dank für die Freude zu übersenden, die Sie mir durch das Vorlesen Ihrer herrlichen Märchen vor einigen Abenden verschafft haben, und ich kann nur hinzufügen, daß ich mein Land und dessen König beglückwünsche, einen Dichter wie Sie zu besitzen.
Ihr wohlwollender
Frederik R.«
Christiansborg, den 13. Februar 1862.
Ich wurde durch diesen liebevollen Brief unendlich froh überrascht und bewahre denselben unter meinen besten Erinnerungen. Mit dem Schreiben folgte eine goldene Dose mit dem Namenszug Sr. Majestät in Diamanten.
Von Björnstjerne Björnson in Rom erhielt ich auch einen Brief. Er war über die Dedication erfreut, erfreut über jedes einzelne Märchen, besonders über » die Eisjungfrau.« Er schrieb:
»– › Die Eisjungfrau‹ hat einen solchen Anfang, daß es förmlich in der Luft jubelte und sang, mit Grün und Blau und den Schweizerhäusern lächelte. Sie haben dort einen Burschen geschildert, wie ich Lust hätte, einen Bruder zu besitzen, und die ganze Scenerie, Babette, der Müller, die Ratten, sowie die, welche mit über das Gebirge ging und ihm in's Auge schaute, sind ausgezeichnet. Ich wurde begeistert bis zu Ausrufungen und mußte mehrfach innehalten. Aber lieber, milder Mann! Wie hatten Sie doch das Herz, dieses Bild vor uns in Stücke zu zerschlagen?! Der Gedanke, welcher die letzte Abtheilung bildet, hat etwas von Gott in sich, das mir imponirt, dieser Gedanke, daß zwei Menschen auf dem Höhepunkte ihres Glücks getrennt werden; noch mehr, daß Sie schon zuvor, klar, als wenn ein plötzlicher Stoßwind das stille Wasser kräuselt, uns ahnen lassen, in Beider Seelen wohne etwas, das ihr Glück vernichtet haben könnte; aber daß Sie es über's Herz bringen konnten, das mit diesen beiden Menschen zu thun! –«
Der Brief schloß folgendermaßen:
»Lieber theurer Andersen! Wie ich Sie lieb habe! Ich glaubte zuversichtlich, daß Sie mich weder verstanden, noch mich recht lieb hätten, obgleich Sie mit Ihrem guten Herzen Beides gern wollten; aber jetzt sehe ich, daß ich mich irrte, und dies hat dazu beigetragen, die Liebe, die ich für Sie hege, zu verdoppeln.«
Ich wurde über Björnson's Brief höchst erfreut, glücklich durch die Freundschaft und seine Herzensgesinnung für mich, die er so lebhaft aussprach.
Einen andern Brief von einem mir unbekannten jungen Studenten aus einer der Provinzen, muß ich auch hier berühren, der Poesie und der Natürlichkeit wegen, die in seinen Mittheilungen lagen. In dem Briefe war ein vierblättriges Kleeblatt getrocknet und gepreßt eingeschlossen. Er schrieb in demselben, daß er als kleiner Knabe meine Märchen zum ersten Mal gelesen habe und glücklich durch dieselben geworden war. Da hatte ihm seine Mutter erzählt, daß Andersen schwere Tage erlebt, viel durchgemacht habe, und der kleine Knabe fühlte sich ganz traurig über das, was er gehört hatte; als er kurz darauf ein vierblättriges Kleeblatt auf dem Felde fand, und da er gehört hatte, daß ein solches Glück bringe, bat er seine Mutter, es Andersen zu senden, damit er glücklich werden könne. Das Kleeblatt wurde nicht gesandt, die Mutter barg es in ihrem Psalmbuch. »Nun sind mehre Jahre vergangen,« hieß es in dem Briefe, »ich bin Student geworden; die Mutter starb im vorigen Jahre, und ich fand in ihrem Psalmbuch das vierblättrige Kleeblatt. In diesen Tagen las ich Ihr neues Märchen » die Eisjungfrau« und las es mit derselben Freude, die ich als kleiner Knabe bei dem Lesen Ihrer Märchen fühlte. Jetzt folgt das Glück Ihnen und Sie bedürfen keines Kleeblattes, doch sende ich es Ihnen und erzähle dessen kleine Geschichte.«
Dies war ungefähr der Inhalt des Briefes, der verloren gegangen ist. Ich entsinne mich nicht mehr des Namens des jungen Mannes und habe ihm nicht danken können; aber jetzt nach vielen Jahren liest er vielleicht meinen Gruß und meinen Dank.
Ich hatte mich in Studien und Dichtungen vergraben. Da kam am Schluß des Februarmonats die Abendzeitung, und ich las: » Bernhard Severin Ingemann ist todt!« Diese Nachricht überwältigte mich. Ich sandte sofort einen Brief an seine Gattin und sprach in den flüchtig hingeworfenen Zeilen nicht allein meine Theilnahme aus, sondern auch meine Sehnsucht nach ihm. Ich hatte gewünscht, ihn noch einmal zu sehen, noch einmal mit ihm zu sprechen. Wir waren Beide noch so jung und doch bin ich bald den Jahren nach alt genug, um ihm zu folgen! Es giebt ein Leben nach diesem, es muß so sein, wie Gott Gott ist!
Während der ersten Tage des Märzmonats waren alle Felder noch mit Schnee bedeckt, aber die Luft war herrlich klar und die Sonne schien wie im Lenz. Ich reiste mit der Eisenbahn nach Sorö. Es war der Tag der Beerdigung. Ich stand in dem Heim, wo ich seit meiner Schulzeit in Slagelse her bis jetzt als alter Mann glückliche Stunden verbracht, wo ich Gespräche in Scherz und Ernst gewechselt hatte. Frau Ingemann war fromm ergeben in ihrem Kummer, und das alte treue Mädchen brach in Thränen aus, als wir uns begegneten; sie sprach und erzählte von seinem »reizenden Tod«, seinen liebevollen Worten und seinen frommen Gesprächen.
Von der Akademie wurde der Sarg nach der Kirche gebracht. Eine große Schar Trauernder folgte, und in derselben befanden sich Repräsentanten aller Gesellschaftsklassen. Viele Bauern folgten, gerade ihnen hatte er Dänemarks Geschichte eröffnet; er hatte die Gestalten aus derselben handelnd auftreten lassen und auf diese Weise ihnen die Geschichte ihres Landes erzählt, so daß das Herz warm dabei wurde.
Als der Sarg in das Grab gesenkt wurde, zwitscherten alle kleinen Vögel im Sonnenschein über demselben. Wir besitzen ein Bild von seinem Begräbniß. Ich schrieb folgende Worte dazu:
Bernhard Severin Ingemann.
»An seiner Wiege standen Dänemarks Genius und der Engel der Poesie; sie blickten durch das milde blaue Auge des Kindes in ein Herz hinein, das nicht durch Jahre altern konnte; das Kindergemüth würde niemals verschwinden. Er sollte ein seltener Gärtner im Garten der Poesie im dänischen Lande werden und sie gaben ihm Gunst und Weihe durch einen Kuß.
»Wohin er blickte, fiel ein Sonnenstrahl; der trockne Zweig, den er berührte, setzte Blätter und Blüthen an; er pflegte den Gesang, wie die Vögel des Himmels singen, in Freude und Unschuld.
»Von dem Acker des Volksglaubens, von moosbedeckten Gräbern entschwundener Zeiten nahm er Samenkörner, legte sie an sein Herz, legte sie an seine Stirn, pflanzte sie und ließ sie sprossen. Und sie gediehen, sie wuchsen in der niedrigen Hütte des Bauern, schlängelten sich gleich Johanniskraut hin unter der Decke und breiteten ihre frischen Blätter aus. Jedes Blatt war für den Bauer ein Blatt der Geschichte, das während der gedankenreichen Winterabende hin über den lauschenden Kreis sauste, es sprach von alter Zeit in Dänemark und der Dänen Gemüth. Die dänischen Herzen wurden dadurch in Freude und Liebe gehoben.
»Er legte Samenkörner hinter die brausenden Orgelpfeifen und der singende Baum der Cherubim fächelte seine Zweige, es sausten Psalmengesänge: Friede im Herzen, Freude in Gott.
»In den trocknen Erdboden des Alltagslebens legte er die Blumenzwiebeln des Märchens, und sie schossen empor, entfalteten sich in bunter Pracht und ergreifender Schönheit. Er führte zu den Meinen den Storch aus König Pharao's Land ein, lehrte sie Morgen- und Abendgesänge, und sie verstanden bei ihm jedes einzelne Wort.
»Was er pflanzte, grünte, denn es hat Wurzeln in dem Herzen des Volkes geschlagen; seine Rede legte Töne in die dänische Sprache, sein vaterländischer Sinn legte Kraft in das Schwert. Sein reiner Gedanke ist gleich dem erfrischenden Seewind.
»Es war am letzten Weihnachtsfest. Was wir erzählen, ist nicht Dichtung; selbst erzähle er dem Freunde seinen Traum: Sein Erdenleben war beendet, der Körper eine verlassene Staubkleidung: er wurde emporgehoben, aber noch von einer Hand festgehalten, die er nicht loszulassen vermochte. Es war die treue Hand seiner Gattin, und er fühlte, daß sie naß von Thränen wurde, und in diesem Augenblick folgte sie ihm – da erwachte er.
»Erwacht ist er in dieser Stunde, aber sie sitzt einsam in ihrem Heim, wo Jeder, der dort eintritt, milder und besser wird; sie harrt in Sehnsucht auf ihn. Für ihn ist die Zeit bis zum Wiedersehen gleich der Minute für uns. Das weiß sie. »Dank und Liebe« ertönt von ihrem Munde, ertönt aus dem Kinderherzen und dem dänischen Volke.
»Was vergehen und verwittern muß, ist jetzt in's Grab unter dem Klange der Kirchenglocken, der Psalmentöne und den Thränen der Liebe gelegt. Was niemals stirbt, ist bei Gott. Was er gepflanzt, gereicht uns zur Freude und zum Segen.«
*
Schon im Mai begann für mich die Frühjahrszeit und mit derselben das Leben auf den Herrenhöfen. Ich weilte in dem heimischen Basnäs, dem lieben Holsteinborg, in dem musikreichen Lerchenborg. Große Reisepläne hatte ich indessen entworfen. Ich fühlte Sehnsucht und Lust, Spanien zu besuchen. Früher einmal hatte ich vor dessen Eingang gestanden, aber die Sommerwärme und meine Kränklichkeit hatten mich zurückgehalten; jetzt wählte ich eine bessere Jahreszeit.
Ich hatte im Scherz zu meinem jungen Freunde Jonas Collin gesagt: »Gewinne ich das große Loos in der Lotterie, so reisen wir zusammen nach Spanien, ja, vielleicht machen wir einen Abstecher nach Afrika.« Aber ich gewann nicht das große Loos, gewinne es niemals, sondern erlange Alles in kleineren Theilen und auf andere Weise. Mein dänischer Verleger, Buchhändler Reitzel sagte mir eines Tages, daß meine gesammelten illustrirten Märchen ausverkauft seien, und daß er wünsche, eine neue Auflage herauszugeben. Für die erste Ausgabe hatte ich nur 300 Reichsbankthaler erhalten; jetzt bot er mir 3000 Thaler an. Jonas Collin bemerkt hierzu in seiner Ausgabe, um einem möglichen Mißverständniß vorzubeugen, daß diese Angabe nicht vollkommen genau ist. Andersen hatte freilich im Jahre 1849 300 Thaler für die illustrirten Märchen erhalten; aber daß diese Bezahlung anscheinend niedrig war, kam zum größten Theil daher, daß mit der Anschaffung der Holzschnitte sehr große Ausgaben verbunden waren. Für die zweite Auflage erhielt er zwar ein weit größeres Honorar, nämlich 1200 Thaler und bei der dritten Auflage waren die Märchen um die Geschichten vermehrt worden und bildeten daher eine weit größere Sammlung als die ursprüngliche Ausgabe. 300 damalige Reichsbankthaler oder 600 Kronen jetziger Währung sind gleich 675 Reichsmark. Der Uebers. Dieses Anerbieten kam mir so unerwartet, wie ein Lotteriegewinn. Das große Loos war also gewonnen, und Collin und ich reisten.
Mit dem Morgenzuge fuhr ich voraus nach Sorö, um ein paar Stunden mit Frau Ingemann zu verbringen. Sie sah ungewöhnlich wohl aus, und sie fühlte sich stark, sagte sie, durch einen herrlichen Traum, den Gott ihr in der vorhergehenden Nacht in seiner Gnade gesandt hatte. Sie hatte in demselben Ingemann, jung, schön und unendlich glücklich, gesehen. Sie hatten sich mit einander so recht aus Herzensgrunde ausgesprochen. Ihre Augen leuchteten bei diesen Worten. Alles in den Zimmern stand übrigens wie bisher; es war gleichsam, als ob Ingemann eine Promenade mache und jeden Augenblick wieder zu Hause erwartet würde. Sie sprach mit mir über verschiedene Angelegenheiten in Betreff seiner Schriften, aber erst als wir von den entschwundenen Tagen ihres gemeinsamen Lebens sprachen, bekamen die Thränen freien Lauf.
Ich ging hinüber nach dem Kirchhof. Gleich beim Eingang ist ein Grab, auf dessen Stein ein Name, wolbekannt in der dänischen Literatur geschrieben steht: Christian Molbech. Siehe den vor. Band Seite 89 und diesen Band Seite 78. Der Uebers. In früheren Abschnitten dieses Märchens meines Lebens habe ich von ihm gesprochen. Er war streng in seinem Urtheil über meine Schriften und ebenso über die viel gelesenen Ingemann'schen Romane. Mit der Zeit verdunstet alle Bitterkeit, wir gehen Alle dem Verständniß entgegen. Mit milder Stimmung stand ich jetzt hier an seinem Grabe und ging dann zu der Stelle, die mich eigentlich nach dem Kirchhofe geführt hatte: Ingemann's Grab. Auf dem Gedenkstein befindet sich sein Medaillonportrait. Oft sieht man, wurde mir gesagt, kleine Kinder einander emporheben, um Ingemann's Mund zu küssen. Ein Maler könnte ein wahrhaft schönes Bild daraus schaffen.
Von Korsör begann die Reise mit Jonas Collin. Wir wollten den Weg über Flensburg zurücklegen, denn am nächsten Tage, den 25. Juli sollte das Monument für die gefallenen Krieger, der von Bissen Siehe den vor. Band Seite 286. Der Uebers. modellirte Löwe, auf dem dortigen Kirchhofe enthüllt werden. Dieser unglückliche Löwe war es, den man 1864, nach Abzug der Dänen aus Flensburg, von den Gräbern entfernte und später im Zeughaus in Berlin als Siegesbeute aufstellte. Jetzt steht er in der neuen Kadettenanstalt in Lichterfelde bei Berlin. Der Uebers. Es war daselbst eine große Menschenmasse versammelt unter wehenden Danneborgflaggen. Schon früher hatte ich die Gräber der Gefallenen besucht; jetzt waren diese der Erde gleich, aber die Leichen waren nicht umgegraben worden. Vor einer großen Höhe, mit Gedenksteinen eingefaßt, die die Namen der Gefallenen trugen, stand der Löwe noch nicht enthüllt. Ich setzte mich zwischen die Grabsteine. Die Schüler der dänischen Hochschule in Tondern waren ebenfalls hier versammelt und sangen ein Lied. Das Wetter war schön, die Sonne schien, aber der Wind wehte fast wie ein Sturm. Es war für mich, als ob die schlafenden Geister durch die Bäume sausten. Unter Kanonensalut fiel die Hülle, und der Löwe stand da, über die Gräber hinaussehend. Was wird geschehen, wenn ein Feind einst uns hier besiegt? Von mir als Prophezeihung Andersen's hervorgehoben. Der Uebers. Dieser Gedanke ging mir ahnungsvoll durch den Kopf.
Ueber Frankfurt erreichten wir Brunnen, wo wir mit Jonas Collin's Eltern und Geschwistern zusammentreffen sollten, die sich dort auf ihrer Reise nach Italien aufhielten. Auf dem Vierwaldstättersee wurden wir von einem der gewaltigen Schweizer Stürme überrascht. Von den Bergen blies ein Föhn, Siehe das Märchen »Die Eisjungfrau« Band II. Seite 325. Der Uebers. der den See in hohe Wellen erhob. Der Capitain sah sich nicht im Stande, das Schiff an die Landungsbrücke anlegen zu lassen: die Brandung überspülte das Bollwerk. Ein sehr großes, prahmartiges Boot, gerudert von mehreren Leuten, kam zu uns hinaus, um uns ein Stück von der Stadt an's Land zu setzen, wo ein Bach in den See mündet und wo das Wasser ruhiger war. Aber bevor wir dorthin gelangten, hatten wir eine lange Strecke zurückzulegen, wo die Brandung sich an den Felsen brach. Die Wellen trugen uns dem Lande zu, aber wir durften uns demselben nicht nähern, bevor wir die Mündung des Baches erreicht hatten. Die Männer arbeiteten mit den Rudern, doch näher und näher wurden wir der Brandung getrieben. Da mußten alle Mann an die Ruder. Obgleich das Boot krachte und hin und her schaukelte, erlangten wir doch bald Macht über dasselbe, und ein paar Minuten später befanden wir uns auf dem stillen Wasser, gelangten in die Bachmündung und wurden von Freunden und Bekannten und auch von Fremden begrüßt.
Afrikanisch heiße Sonnentage harrten unserer in dem sonst so luftfrischen schönen Brunnen. Aufdermauer hatte sein Hotel an einen Fremden übertragen und wohnte selbst mit seiner Schwester sehr hübsch und ländlich in der Nähe der Stadt. Unser Freund vom vorigen Jahr, der Bibliothekar von Einsiedeln, Pater Gall-Morell war dort anwesend, und es wurde lebhaft musicirt.
Mit Collin's Familie wurde die Reise über Brünig nach Interlaken fortgesetzt. Je höher wir in die Berge hineingelangten, desto leichter und erfrischender wurde die Luft; die Buchen grünten hier wie in dem frühesten Lenz. Der Gießbach wurde besucht, sowie die Gletscher des Grindelwaldes. In Bern lebt als Geistlicher ein Sohn des dänischen Dichters Baggesen, und Sophie Haller, Tochter des Schweizer Dichters. Jedesmal wenn ich durch Bern kam, habe ich den freundlichen alten Mann besucht, der sehr große Sympathien für Dänemark nährt, aber dessen Sprache er nicht reden konnte, in welcher sein Vater die schönen und scherzenden Lieder gedichtet hatte.
Unser längster Aufenthalt in der Schweiz wurde in Montreux. Jonas Collin bemerkt, daß sie vierzehn Tage dort geblieben seien und vornehmlich mit einer russischen Familie Namens Manderstjerna verkehrt hatten. Von berühmten Leuten, mit welchen sie sonst noch in Berührung kamen, sind zu nennen: die Chemiker Liebig und Wöhler. Der Uebers. Die Stimmung und die Naturumgebung hier habe ich in einem Gedicht, oder richtiger in einem Brief an den Dichter Christian Winther Der dänische Dichter Rasmus Willads Christian Ferdinand Winther, geboren den 26. Juli 1796 in Fensmark, wo sein Vater Prediger war, der auch seinen ersten Unterricht leitete. Zwölf Jahre alt, starb sein Vater. Seine Mutter verheirathete sich später mit dem Prediger Möller, dem Vater des Dichters Paul Möller, in welchen Beiden er einen liebevollen Leiter und einen treuen Freund gewann. 1815 wurde er Student und bald unter seinen Kameraden ein beliebter Dichter. 1819 wurde sein erstes Gedicht »Hier unter des Nachthimmels ruhigem Schatten« gedruckt, aber erst, nachdem er sein theologisches Amtsexamen absolvirt hatte, erschien die erste Gedichtsammlung (1828), welche eine Sammlung » Holzschnitte« enthielt, mit welcher er die ganze dänische Lesewelt eroberte. Die Jahre 1830-31 verlebte er in Italien und nach seiner Heimkehr folgten andere Gedichte, die von einer sinnlich glühenden Erotik zeugten, indem die Liebe das beliebte Thema bildet, das er vielfältig variirte. Indessen schrieb er eine Menge poetischer Erzählungen, die doch alle einen gewissen lyrischen Anstrich haben, und dabei verfügte Winther über die seltsame Macht, die zartesten Saiten in der Menschenbrust anzuschlagen durch seine bald heiteren, bald wehmüthig erzitternden Lieder – Gesänge, die mit denen der Vögel in Gottes freier Natur verwandt waren. – Als der Dichter bereits 60 Jahre zählte, erschien (1855) ein erzählendes Gedicht »Des Hirsches Flucht« (vortrefflich übersetzt von dem damaligen preußischen Generalconsul Dr. Ryno Quehl). Diese schöne Dichtung ergriff die Leser mit gleicher Macht sowol der Ueberraschung als der Schönheit, denn man fand mit Staunen bei dem greisen Sänger das ganze glühende Gefühl, das lebendige Colorit, die Alles belebende Wärme wieder, die seine Jugenddichtungen so beliebt gemacht hatten. Unter den Figuren, die er in diesem klassischen Gedicht so herrlich geschildert hat, befindet sich eine, in der W. sein eigenes Portrait gegeben hat; es ist der frohe, junge Troubadur, Folmer, der gleich dem Schmetterling von Blume zu Blume fliegt, Gesänge der Freude und der Liebe singend. Dagegen erzittert in seinen herrlichen »Romanzen« oft eine wehmüthige Saite. Er verließ, 78 Jahre alt, plötzlich sein Vaterland – die Ursache soll Zurücksetzung gewesen sein – und wohnte seitdem in Paris, wo er, 80 Jahre alt, am 30. December 1876 starb. Kurz zuvor hatte er noch eine kleine Erzählung »Ein Wendepunkt« heimgesandt, die mit einem Gedichte – seinem Schwanengesang – schloß. Es war ein Abschiedsgruß an das theure Vaterland, dessen Buchenwälder und Jungfrauen er so oft und so gern besungen hatte. Seine sterblichen Ueberreste wurden auf Veranlassung der Freunde seiner Muse auf den Marinekirchhof in Kopenhagen gebettet, wo heut ein hübsches Denkmal sein Grab schmückt. Als Sänger des Sonnenscheins, des Lebens und der Natur liebte Chr. Winther das Leben wie wenige; er schrieb auch im Scherz seine eigene Grabschrift mit den Worten: » Her hviler meget mod sin Villje C. Winther under grönnen Tillje«, (Hier ruht sehr gegen seinen Willen C. Winther unter des grünen Rasens Decke). Der Uebers. bewahrt, der eine Neujahrsgabe dänischer Dichter herausgeben wollte und einen Beitrag von mir wünschte.
*
Spanien war das Ziel. Vor der französischen Grenze trennten wir, Collin und ich, uns von dessen Eltern und Geschwistern; sie gingen über den Mont Cenis nach Italien, und wir fuhren über Lyon, Nimes, Cette und Perpignan nach Spanien.
Am 6. September, gerade an dem Tage, an welchem ich zum ersten Male nach Kopenhagen gekommen war, an dem Tage, an dem ich zum ersten Male nach Italien kam, sollte ich auch nach Spanien kommen. Ich hatte es nicht absichtlich so bestimmt, die Umstände führten es ganz von selber herbei, und der 6. September ist mir einer der merkwürdigsten Tage meines Lebens geworden.
Was ich sah und fühlte, habe ich in meinem Buch » In Spanien« niedergeschrieben und wiederzugeben versucht, deshalb hier nur wenige und kurze Auszüge:
Von Gerona erreichten wir auf der Eisenbahn spät des Abends Barcelona mit den strahlenden Cafee's, die selbst Alles, was Paris in dieser Richtung aufzuweisen hat, übertreffen. Das Haus des Groß-Inquisitors lag in Schutt und Trümmern, die Mönchsklöster waren, wie überall in Spanien, in Magazine oder Hospitäler verwandelt. Ich sah zum ersten Male ein Stiergefecht, nicht blutig, wie ich ein solches später im Süden sah, wo der Stier seine spitzen Hörner in die Weichen des Pferdes stieß und es in Stücke zerriß.
In Barcelona wurde ich Zeuge der gewaltigen Macht des Regens. Der Bergstrom schwoll zu einem reißenden Fluß an, der jedes Hinderniß durchbrach, über die Eisenbahn und Landstraßen hinwegging, durch das Thor der Stadt eindrang und Barcelonas Hauptstraße mit brausendem Wasserwirbel füllte, in die Häuser drang und Alles mit sich fortriß. In der Kirche stand der Geistliche bis an den Leib im Wasser und sang die Messe. Ueber eine Meile weit in's Meer hinein sah ich das Wasser, kaffeegelb von den Ueberschwemmungen des Flusses gefärbt.
Im herrlichen Sonnenschein auf der spiegelglatten Fläche des Meeres trug uns das Dampfschiff nach Valencia's Vorstadt. Wir befanden uns gleichsam in einem großen Fruchtgarten. Die ganze Ebene um Valencia duftet und prangt von Citronen- und Apfelsinenhainen: dicke Weinstöcke mit saftigen schweren Trauben wachsen hier aus dem warmen, röthlichen Boden.
Nach einigen Tagen Aufenthalt hier und ebenso in Alicante eilten wir zu der Palmenstätte, dem romantischen Elche. Zum ersten Male sahen wir Zigeuner, wie Spanien sie besitzt und die wir in Murcia's Vorstadt erblickten.
Es war in den letzten Tagen, des Septembermonats, und dennoch brannte die Sonne, als ob das Blut kochen sollte. In Cartagena, wohin wir von Murcia gelangten, um uns nach Malaga einzuschiffen, bewegte sich kein Lüftchen; die Luft glühte, der Wein glühte; das Regenwasser, das wir mit demselben vermischten, war lauwarm. Aber die ganze Natur, die Menschen, Alles war Schönheit – und durchglüht. Unser Balkon hing über die schmale Straße hinweg und so nahe dem des Nachbars gegenüber, daß es denselben fast berührte, wodurch wir unfreiwillig Zeugen der kleinen häuslichen Scenen wurden.
In der Nacht, bevor wir mit dem Dampfschiff von hier nach Malaga gehen sollten, wüthete ein solcher Sturm, daß die Bäume mit den Wurzeln ausgerissen wurden. Ich hatte Furcht, in diesem Wetter auf das Meer hinauszukommen; allein die Ankunft und der Abgang des Dampfschiffes waren unbestimmt; mir blieb keine Wahl. Ich ging mit Collin an Bord, und ich, das Kind des Glücks, sah, wie die Wellen sich legten, bevor wir den Hafen verließen, und das Meer ruhig wurde wie ein ausgespanntes Stück Seidenzeug. In der schönsten stillen Nacht glitten wir über das leuchtende Meer dahin und gewahrten in der frühen Morgenstunde Malaga mit seinen weißen Häusern und seiner mächtigen Domkirche und das hochgelegene Gibraltar, die in den Zeiten der Mauren einst so starke Festung.
In den Städten am Meere fühlte ich mich immer wie zu Hause, und wie unendlich Vieles erfüllte und ergriff mich gerade hier! Die schönen maurischen Denkmäler, die ewig junge, herrliche Natur und all die Schönheit der Frauen Andalusiens! Wir vermögen von einer herrlichen Natur, von einem prächtigen Bilde entzückt zu werden, um wie viel mehr bei dem göttlichen Bilde eines Weibes! Ich war überrascht und stand oftmals still auf der Straße, um die Töchter dieser schwebenden, königlichen Schönheit anzustarren, diese Augen, die unter den langen Wimpern leuchteten, die seinen Hände und die reizenden Bewegungen mit dem Fächer. Es trat in diesen Menschen so viel von Gottes Schönheit hervor; es war viel herrlicher sie zu sehen, als Statuen und Bilder.
Unser Consul führte Collin und mich eines Tages hinaus auf den protestantischen Friedhof bei Malaga. Hier war es paradiesisch schön. Doch würde ich dieses Besuches nicht Erwähnung gethan haben, wenn nicht die Schilderung, die ich von demselben in meinem Buch » In Spanien« gab, mir eine überraschende Zurechtweisung eingebracht hätte. Ich schrieb nämlich:
»Hier standen Myrthenhecken in Blüthe zu tausenden von Brautkränzen; hohe Geranienbüsche umschlangen die Erinnerungstafeln mit Inschriften aller möglichen Sprachen; Passionsblumen schlangen ihre Ranken über manchen Grabstein, die Pfefferbäume senkten ihre trauerweidenartigen Zweige herab auf die Ruhestätten; hier stand eine einzelne Palme, dort ein Gummibaum und mitten im Grün ein freundliches kleines Haus, pompejanisch bemalt. Hier drinnen waren Erfrischungen zu erlangen; schöne Kinder, mit strahlenden, lebhaften Augen, spielten dort.«
Für den letzten Satz war es, daß ich, nachdem mein Buch herausgekommen und Englisch übersetzt worden war, eine mich im hohen Grade überraschende Zurechtweisung erhielt. Eine Tante in London hatte das Buch gelesen und sich durch den nicht correct gewählten Ausdruck: » Hier drinnen waren Erfrischungen zu erlangen« sehr unangenehm berührt gefühlt. Sie hatte an einen Verwandten in Malaga um Aufschluß hierüber geschrieben. Dieser hatte sich an einen der Herren, denen ich empfohlen worden war, gewandt, und dieser wiederum an den dänischen Consul. Man ging zu der Familie in dem hübschen kleinen Hause auf den Friedhof hinaus und fragte sie, ob man gegen Bezahlung Erfrischungen an Fremde verabreicht habe, und da dies nicht der Fall war, wurde ich von der gnädigen Dame aufgefordert, in der nächsten Ausgabe meines Buches » In Spanien« mich zu berichtigen. Die Worte waren gewissermaßen aus der Feder geflogen, ich hatte nicht daran gedacht, daß ich Jemandem dadurch ein Aergerniß bereiten würde. Ich entsinne mich ganz deutlich des Besuches auf dem Kirchhofe; die Luft war warm, ich war müde und durstig und fragte deshalb unsern dänischen Begleiter, ob es nicht möglich sei, hier irgend eine Erquickung zu erlangen. Er führte mich in Folge dessen in das kleine Haus, und die freundlichen Menschen gaben mir Frucht- oder Eiswasser – ich entsinne mich dessen nicht mehr genau – aber es wurde gewiß nichts dafür bezahlt. Das hätte ich in meinem Buche hinzufügen müssen, und in diesem Falle würde ich die fromme, schreibselige Dame nicht geärgert haben und ebenso wenig, was mir besonders am Herzen liegt, schuld daran sein, daß braven Menschen, die mich nicht vor Durst umkommen lassen wollten, von irgend einer Seite Unannehmlichkeiten bereitet wurden.
Wir blieben ungefähr eine Woche in Malaga, wohin wir zurückkehren wollten, um uns nach Gibraltar einzuschiffen; aber erst wollten wir Granada besuchen, wo man die Königin, Die Königin Isabella II., die Tochter des Königs Ferdinand VII., geboren den 10. Oktober 1830, bestieg den Thron 1833 unter des Marschalls Espartero († 1878) Vormundschaft; 1843 majorenn erklärt, verheirathete sie sich 1846 mit ihrem Vetter Franz d'Assis, aus welcher Ehe der jetzige König von Spanien Alfons XII. entsprossen ist. Während ihrer Regierungszeit hatte sie mit vielen Revolutionen zu kämpfen, besonders 1854 durch die von O'Donnell angezettelte, und endlich mußte sie 1868 durch die von Prim und Serrano geführte Revolte veranlaßt, Spanien verlassen, aber erst im Jahre 1870 entsagte sie zu Gunsten ihres Sohnes dem Thron. Sie lebt seitdem fast ausschließlich in Paris. Der Uebers. die sich zum ersten Mal nach Andalusien begab, mit großen Festen überraschen wollte.
Granada mit seiner Alhambra sollte der Glanzpunkt unserer spanischen Reise sein. Der Abend kam. Wir saßen im Postwagen und jagten davon, gezogen von zehn Maulthieren mit klingenden Schellen, die Peitsche knallte. Wir fuhren hier auf der Alameda Oeffentliche Promenade. Der Uebers. durch das Flußlager und in die Berge hinein, von wo wir auf das durch Laternen stark erleuchtete Malaga hinabblickten. Die Luft war dick, starke Blitze folgten. Einige bewaffnete Männer mit großen Bärten guckten in den Wagen hinein und ich dachte bereits an einen Ueberfall; allein es waren Beschützer gegen Räuber, Wege-Gensd'armen, die uns an den gefährlichsten Stellen begleiteten.
Ueber Loja erreichten wir am nächsten Vormittag Granada, wo für uns in dieser an Wohnungen armen Zeit bereits Zimmer bestellt waren.
Von unserem Landsmann in Barcelona, Herrn Schierbeck, brachte ich Briefe mit an seinen spanischen Schwager, den Obersten Don José Larramendi, einen lebhaften und liebenswürdigen Mann, der unermüdlich war, Collin und mir zur Verfügung zu stehen. Wir bekamen durch seine Hilfe so viel Interessantes und Schönes zu sehen und zu verstehen, wie uns sonst wol kaum möglich gewesen wäre. Unser erster Besuch galt der » Alhambra,« und wir kamen gerade früh genug dort hinaus, bevor sie durch die aufgehängten Teppiche und geschmacklosen Ausschmückungen in Veranlassung des bevorstehenden Besuchs der Königin, ihre eigentliche Schönheit verloren hatte.
Am 9. October hielt die Königin ihren Einzug in Granada. Hier hatte sich kaum seit Isabella I. Zeit Königin von Spanien, Prinzessin von Kastilien, geboren 1451, gestorben 1504. Der Uebers. eine solche Pracht entfaltet. Während sechs Nächte und Tage war Granada sicherlich die Stadt des Märchens. Die Kirchenglocken läuteten, die Zigeuner tanzten mit Castagnetten und wunderlichen Saiteninstrumenten auf der Straße, Musikchöre spielten ringsherum und Fanfaren ertönten: Viva la reyna! (Es lebe die Königin). Rosen wurden zerpflückt, Blatt für Blatt, und fielen vom Balkon gleich Schneeflocken über die Königin, die selbst jedem Kinde gleich kenntlich war, denn sie trug eine goldene Krone und einen Purpurmantel. Während des Abends und der Nacht hingen hier über den Straßen Guirlanden von farbigen Lampen gleich einer Wolke von bunten Kolibris.
Nachdem die Königin nach Malaga abgereist und die Festlichkeiten beendigt waren, zogen Collin und ich nach der Alhambra hinauf in die » Fonda de los siete suelos«, die an Alhambras Mauern stößt, gerade an der gemauerten Pforte, durch die der Mauernkönig Boabdil Der letzte maurische König von Granada Abu Abdallah Boabdil regierte von 1480-92, und floh, von Ferdinand und Isabella besiegt, nach Afrika, wo er im Kampf gegen den Kaiser von Marokko fiel. Der Uebers. hinausritt zum Kampf gegen Ferdinand und Isabella, die ihn besiegten und ihn und das Mauernvolk verjagten.
Hier oben las ich Washington Irwing's »Alhambra.« Der amerikanische Schriftsteller Washington Irwing, geboren in Newyork, den 3. April 1783, gestorben in dessen Nähe, den 28. November 1859, machte große Reisen in England, Deutschland, Italien und Spanien, wo er 5 Jahre lang – von 1841 bis 1846 – als amerikanischer Gesandte fungirte. Das von Andersen citirte Werk »Alhambra« erschien 1832. Außerdem hat er noch eine »Chronik von Granada« (1829) geschrieben. Die meisten seiner Arbeiten sind ins Deutsche übersetzt worden. – Die Alhambra, das schönste Denkmal aus maurischer Zeit, wurde 1300-1623 erbaut. Berühmt ist der Löwenhof mit seinem Springbrunnen und die Halle der Abenceragen. Der Uebers. Das Todte wurde lebendig vor mir, die längst entschwundene Zeit kehrte wieder; ich konnte täglich die maurischen Hallen besuchen und in der » Generalifa« Name des maurischen Sommerpalastes. Der Uebers. der Sultane wandern. Hier war ein Rosenduft wie in den Dichtungen aus jener alten Zeit; die klaren Gewässer sprudelten noch immer mit demselben Rauschen und Brausen, die alten mächtigen Cypressen, die Zeugen dessen, was Sagen und Gesänge erzählen, standen mit grünen Zweigen in der sonnenhellen Luft, die ich einathmete.
Durch Thränen, wie damals, als ich zum ersten Mal Rom verließ, sah ich bei meiner Abreise zur Alhambra zurück, wo ich froh gewesen und tief betrübt war, manche Schwingungen meiner Seele erprobt, mich entzückt und dennoch leidend gefühlt hatte, und weshalb? – Ja, nun sind diese Erinnerungen entschwunden. Es ist gut zu vergessen, oftmals sogar besser, als sich zu erinnern; am schönsten ist es jedoch, zum Verständniß zu gelangen.
Bei der Abreise waren unser Landsmann Wisby und der Oberst Larramendi anwesend. Unsere kleinen Freunde, Larramendi's Kinder waren auch zugegen und grüßten uns zum Abschied mit ihrem: » Vaya usted con dios!« Reisen Sie mit Gott! Der Uebers.
Wir waren wieder in Malaga, und als ich dort meine Sachen zur Reise ordnete, erlebte ich eine Ueberraschung, einen Kummer. Meine Ordensdecorationen, kleine Nachahmungen, hatte ich mit auf die Reise genommen, und unter diesen befand sich der Nordsternorden, gerade derjenige, den Ohlenschläger getragen hatte, und den er mir einst, als ich über eine strenge Kritik tief betrübt war, mit anerkennenden, tröstenden Worten geschenkt hatte.
»Der Nordstern geht niemals unter,« sagte er, »Sie werden ihn tragen, wenn ich von hinnen gerufen bin.« Nun war mir dieser nebst allen meinen anderen Orden gestohlen worden, und trotz aller Nachforschungen in Malaga und Granada bekam ich sie niemals wieder.
Abends gingen Collin und ich an Bord. Beim Tagesgrauen sahen wir den Felsen Gibraltar, und bald befanden wir uns auf englischem Grund und Boden, in einem guten Hotel, wo der dänische Consul Mathiesen bereits Zimmer für uns bestellt hatte. Bei ihm und in seiner Gesellschaft verbrachten wir ein paar schöne Tage, besuchten die uneinnehmbaren Festungswerke und bestiegen den Höhepunkt des Felsens, von wo wir eine Aussicht nach Tarifa und hinüber nach Ceuta an Afrika's Küste hatten.
Am 2. November, einem herrlichen Sonnenscheintag, segelten Collin und ich über die Straße von Gibraltar nach Tanger, während die See ihre Wogen vom atlantischen Meer hineinrollte. Der englische Ministerresident Drummond-Hay, verheirathet mit einer dänischen Dame, hatte uns sein Haus gastfrei angeboten. Mein Brief, der unsere Ankunft meldete, war mehrere Tage vorher einem Fischer übergeben worden, aber war dort noch nicht angelangt, und bei unserer Ankunft in der Stadt standen wir ganz verlassen und fremd in einem anderen Welttheil. Wir fanden indessen durch die engen, menschenerfüllten Straßen das Hotel des Gesandten und erfuhren dort, daß die ganze Familie auf dem Lande sei, ein paar Meilen von Tanger auf ihrer Villa Raven's-Rock. Der Secretär des Ministers war glücklicherweise anwesend, und er beschaffte uns bald Pferde und Maulthiere für unsere Bagage. Im Verein mit ihm zogen wir daher, eine ganze Karavane, durch die enge Hauptstraße der Stadt, die von marokkanischen Juden, Arabern, dicht verhüllten Frauen und nackten Kindern erfüllt war. Vor dem Thore der Festung kamen wir mitten in ein Lager von Beduinen und Arabern mit ihren Kameelen.
Durch eine milde, üppige Natur erreichten wir Raven's-Rock, ein großes Schloß mitten im Grünen. Drummond-Hay, seine Gattin und Töchter empfingen uns auf das Herzlichste. Die dänische Sprache erklang, Alles war Sonnenschein und Herrlichkeit rund um uns. Von meiner Stube aus sah ich über Tanger hinaus zu den blau tönenden Bergen, ich blickte hinüber nach Europa, wo ich den Gibraltar-Felsen gewahrte und des Abends den Leuchtthurm von Trafalgar erblickte.
Hier herrschte eine Einsamkeit und ein großartiges Naturleben an dem rollenden Weltmeer. Aber auch das Leben in der Stadt sollten wir kennen lernen, und deshalb zog die ganze Familie nach Verlauf einer Woche mit uns in ihre wol eingerichtete Wohnung in Tanger.
Sir Drummond-Hay stellte uns dem Pascha vor, der uns auf das Freundlichste in dem mit Fliesen belegten Hof empfing und uns in seine Wohnung führte. Dort wurde uns grüner Thee gebracht, von dem man uns zwei große Tassen reichte, und schon wollte man uns die dritte bringen, als ich dies dadurch zu verhindern suchte, daß ich ausrief, unsere Religion verbietet drei Tassen Thee zu trinken, und so entrannen wir diesem Geschick. Der Pascha folgte uns dann bis an die äußerste Pforte des Schlosses, wo er sich von uns, uns die Hand herzlich drückend, verabschiedete.
In Drummond-Hay's Hause herrschte englischer Comfort, es war heimisch und geschmackvoll eingerichtet, aber am herrlichsten waren die liebenswürdigen Menschen. Von dem Balkon des Hauses blickte man über Oleanderbüsche und Palmen hinaus über das Mittelländische Meer. Nur allzu schnell entfloh die Zeit!
Ein französisches Kriegsschiff » Titan« wurde von Algier erwartet, mit diesem wollten wir nach Cadix gehen. Es war schwer, sich von den lieben Freunden in dem heimischen, afrikanischen Heim zu verabschieden, denn dieser Besuch war das Interessanteste der ganzen Reise.
Bei Sonnenuntergang gingen wir an Bord. Mitten in der Nacht, während welcher wir im süßesten Schlaf lagen, stieß das Schiff an eine Sandbank in der Trafalgar-Bucht. Ich eilte auf's Deck. Das Schiff lag auf einer Seite. Meine Phantasie stellte mir die größte Gefahr vor, doch kaum eine Viertelstunde dauerte es, als das Schiff von der Bank abkam, und wir glitten hin über das glatte Meer in dem klaren Mondschein. Jonas Collin bemerkt hierzu: »Dies ist eins der vielen Beispiele der Macht, welche Andersen's lebhafte Phantasie über ihn besaß. Die hier genannte Begebenheit beschränkte sich in Wirklichkeit darauf, daß das Schiff seine schnelle Fahrt hemmte, um zu lothen. Aber Andersen ließ sich nicht davon abbringen: er war überzeugt, daß wir untergehen mußten, und er hielt an diesem Glauben fest, daß wir in großer Gefahr geschwebt hätten.« Der Uebers.
Als die Sonne aufging, warfen wir Anker auf der Rhede von Cadix, der Stadt der Reinlichkeit. Sie prangte im Flaggenschmuck, und die vielen Schiffe aller Nationen boten einen prächtigen Anblick dar. In der Stadt selbst ist übrigens nicht viel Sehenswerthes, denn hier befinden sich keine Merkwürdigkeiten, keine Kirchen oder Ruinen, keine Galerien; die Romantik muß man im Beschauen des bewegten Meeres und in den Andalusischen Augen suchen; diese leuchten prachtvoll bei den mantillegekleideten Schönheiten auf der Alameda.
Die Eisenbahn über Xeres de la Frontera führt nach Sevilla, eine der romantischsten Städte Spaniens, erfüllt mit prachtvollen Kirchen und unsterblichen Bildern. Erinnerungen aus der Vergangenheit und an große Namen knüpfen sich an diese Stadt. Täglich besuchten wir die mächtige Domkirche, auf deren hohem maurischem Glockenthurm, la giralda, der beflügelte Glaube im Sonnenschein strahlend steht. Wir besuchten das Schloß der Maurenkönige, den prächtigen Alcazar, welcher in Gold und Farben wie zur Zeit seiner größten Herrlichkeit erglänzte. Der Garten war überfüllt mit Orangenbäumen und Rosen. Der Sommer des Südens weilte noch hier drinnen. In Murillo's Der berühmte spanische Maler und Gründer der Sevillaschen Schule Bartolommeo Esteban Murillo ist um 1618 in Sevilla geboren und dort am 3. April 1682 gestorben. Namentlich sind seine religiösen Bilder berühmt. Der Uebers. Vaterstadt, vor einem Reichthum seiner schönsten Bilder ging es wieder auf vor mir, welch' großer Meister er war, ja, oft brach ich unwillkürlich aus: »Er ist der Größte von Allen!« Man muß nach Spanien reisen, besonders nach Sevilla und Madrid, um recht verstehen zu lernen, was er auf die Leinwand zu schaffen vermochte.
Mit dem bekannten englischen Genre-Maler John Philip und dem schwedischen Maler Egron Lundgreen besuchten wir zum ersten Mal den Murillo-Saal, welcher in der Kunstakademie in Sevilla die reichsten aller ihrer Herrlichkeiten umschließt. Wir sahen auch seine schöne Darstellung von » Moses in der Wüste,« welche sich in der Kirche » La Caridad« befindet, sowie auch das Kloster, welches jetzt als Hospital für alte schwächliche Männer dient und von Don Juan Tenorio gegründet worden ist. Dieser starb hier als Mönch im Kloster; er hat selbst seine Grabschrift geschrieben: » Hier ruht der schlechteste Mensch der Welt.« Die Sage von Don Juan Tenorio wurde zum ersten Mal von dem spanischen Dichter Tirso de Molina dramatisirt, und später wurde dieses Stück von Molière benutzt und zum Text für Mozart umschrieben und durch dessen unsterbliche Musik durch alle Zeiten und zu allen Geschlechtern getragen.
Auf der Eisenbahn gelangten wir in einigen Stunden nach Cordoba, einst der Hauptsitz der Mauren, mit sechshundert Moscheen, einer Million Einwohnern, mit blühenden Fabriken und wissenschaftlichen Anstalten, – jetzt eine stille, volksleere Stadt mit ärmlichen Straßen, wo der Geist der Vernichtung geherrscht zu haben scheint und die Decke des Vergessens über so vieles Große und Herrliche ausgebreitet hat. Cordobas mächtigste Moschee, jetzt die Domkirche der Christen, ist die einzige Herrlichkeit der Stadt; 1018 Marmorsäulen tragen die Decke. Es ist gleichsam als schritten wir hier in einem Walde von Säulen, und mitten darin erhebt sich eine reich vergoldete Kirche, wo der Hochgesang ertönt für Jesus und die Jungfrau Maria, während die Wände ringsherum mit den maurischen Bogen noch in arabischen Schriftzeichen verkünden: » Es giebt nur einen Gott und Mahomed ist sein Prophet.«
Von Cordoba nach Madrid war der größte Theil der Eisenbahn noch nicht vollendet, wir mußten wieder die Beschwerlichkeit einer spanischen Diligence auf uns nehmen. Gegen Abend kamen wir nach Andujar, und während der Nacht nach der deutschen Coloniestadt Carolina, von welchem Ort die Natur ringsherum an wilder Schönheit zunahm. Die Sierra Morena bot eine entzückende Abwechselung und Schönheit dar. Auch hier in dieser verrufenen Gegend, wo jeder zweite Reisebeschreiber von Räubern, Ueberfällen und Mord erzählt, war ich der Glückliche gewesen; ich hätte mit einem vollen Geldsack offen in der Hand reisen können, ohne ausgeplündert worden zu sein. Nicht ein Einziger von denen, denen wir begegneten, sah aus, als wollte er Leuten Uebles thun.
Barackendörfer, deren Hänschen mit Kaktusblättern gedeckt waren, hatte man für die Eisenbahnarbeiter errichtet, und hier herrschte Leben und Bewegung. Nach ungefähr einer vierundzwanzig Stunden langen Fahrt erreichten wir die kleine Stadt Santa Cruz de Mudela , eine Stadt mit ärmlichen, schlechten Häusern und ungepflasterten Straßen, durch die man in stinkendem Morast watete. Die anempfohlene » Fonda« an der Eisenbahn war ein großer, schmutziger Krug, deren Fußboden mit Stroh bestreut war, die Schlafzimmer hatten keine Fenster, sondern hölzerne Läden. Wie müde ich auch war, wäre ich um keinen Preis hier geblieben. Der Zug nach Madrid führte uns augenblicklich fort, und nach einer zehnstündigen Fahrt kamen wir um Mitternacht sehr angestrengt nach Madrid, auf dessen bekanntem Platz, Puerta del sol , wir Zimmer in einem guten Hotel, in der Fonda del Oriente , erhielten.
In Madrid herrschte Kälte und in den Straßen lagen Schnee und Eis. Die Stadt sprach mich durchaus nicht an; sie hat nichts charakteristisch Spanisches an sich und ebenso wenig große Erinnerungen aus der Zeit der Mauren. Doch eins besitzt Madrid vor allen anderen Hauptstädten: seine prächtige Galerie mit Bildern der größten Meister Europas, namentlich von Murillo und von Velasquez. Don Diego Velasquez de Silva, nach Murillo der berühmteste Maler Spaniens, ist in Sevilla 1599 geboren und in Madrid am 7. August 1660 gestorben. Der Uebers. Hier verbrachten wir die glücklichsten Stunden, und um spanische Erinnerungen aufzufrischen und eine eigenthümliche spanische Natur wiederzusehen, reisten Collin und ich auf einige Tage nach dem malerischen, interessanten Toledo. Der Weg dorthin führt über Aranjuez, dessen nächste Umgebung an dänische Natur und dänische Waldschatten erinnert. Toledo macht den Eindruck einer großen erinnerungserweckenden Ruine und ist durch seine nackte, felsenreiche Umgebung, wo der Tajo-Fluß unablässig in kleinen Wasserfällen dahin braust und kleine Wassermühlen treibt, so malerisch unvergeßlich schön. Der Alcazar mit seinen stolzen Säulenreihen, seinen zusammengestürzten Bogen und seiner Verlassenheit macht einen großen Eindruck, er erhebt sich königlich über alle die ringsherum vernichtete und doch immer sichtbare Herrlichkeit. Nur ein einziger Flügel des Schlosses ist bewohnbar, und Soldaten des Regiments Cordoba waren hier einquartirt. Die Domkirche und die Kirche San Juan de los Reyes sind höchst sehenswerth, selbst nachdem man die in Malaga, Kartagena, Sevilla und Cordoba besucht hat. Mit Salomonischer Pracht stehen gleichsam begraben und abgeschlossen zwei jüdische Synagogen, jetzt mit den Namen Nuestra Senora del Transito und Santa Maria la Blanca getauft. In den künstlichen Verzierungen der Wände, die einer Stickerei aus Tüll ähnlich sehen, schlingen sich hebräische Bibelsprüche. Die Salomonstempel stehen noch immer hier, aber Israels Volk ist verschwunden, das Volk, das das Gesetz besitzt: » Es giebt nur einen einzigen wahren Gott.«
Einsam und still war es hier in der Stadt und noch mehr in ihrer Umgebung. Es waren nur drei Lebenszeichen vorhanden: der Laut der Kirchenglocken, wenn sie zur Messe riefen, der Hammerschlag in der Fabrik der Damascener Klingen, die einzige lebende Erinnerung aus alter Zeit und jetzt – das Pfeifen der Locomotive.
In Madrid, wohin wir wieder zurückkehrten, um noch einige Wochen dort zu verweilen, hatte der Verfasser Don Sinibaldo de Mas , früher spanischer Gesandter in China, ein Festmahl für mich in einer der Fonda der Stadt veranstaltet. Bei dieser Gelegenheit sollte ich einige Poeten der Gegenwart kennen lernen. Hier traf ich mit von Don Raphael Garcia y Santesteban , dem Verfasser von » El Ramo de Ortigas « und mehrerer » Zarzuelas « Zarzuelas-Erzählungen. Der Uebers. zusammen. Ich hatte in Spaniens Hauptstadt bereits mehrere bedeutende Männer kennen gelernt, die mir herzlich entgegenkamen, obgleich, soweit mir bekannt geworden, nur zwei meiner Märchen in's Spanische übersetzt worden sind, nämlich: » Das kleine Mädchen mit den Streichhölzern« und » Holger Danske.« Man sehe die Märchen Bd. II. S. 57 und Bd. III. S. 306. Der Uebers. Der Dichter Hartzenbusch Der Dichter Juan Eugenio Hartzenbusch, geboren in Madrid den 6. September 1806, ist seit 1863 Director der Nationalbibliothek in Madrid. Es sind mehrere seiner Werke in's Deutsche übersetzt worden. Der Uebers. wurde mir theuer. Er stammt aus einer deutschen Familie, aber er selbst war in Spanien geboren und lebt nun als ein anerkannt ausgezeichneter dramatischer Verfasser und Märchendichter. Seine » Cuentos fabulas « leben aus Aller Zunge, und man war so höflich, zu sagen, daß wir einander im Märchenschreiben glichen. Herzlich kam er mir entgegen und schrieb mir ehrende, freundliche Worte in das Exemplar seiner Märchen, das er mir zur Erinnerung überreichte. Noch eines Namens, berühmt in Spaniens Politik und neuerer Literatur, des Herzogs von Rivas, muß ich hier gedenken. Ich wurde zu ihm geführt und freundlich von ihm empfangen. Wir waren alte Bekannte; er erinnerte mich daran, daß wir uns früher in Neapel, wo er damals Gesandter gewesen war, getroffen hatten.
Unser Plan, Weihnachten über in Madrid zu bleiben, wurde nicht realisirt. Das Klima war unerträglich: hier herrschte Regen und Schnee und das Wetter war noch viel schlimmer wie es zu dieser Jahreszeit in Dänemark zu sein pflegt. Während einzelner Tage trat eine Veränderung in der Temperatur ein, aber es wehte dann ein trockner Wind, der die Nerven erregte. Es war nicht zum Aushalten: ich mußte fort, hinein nach Frankreich, hinauf nach Dänemark. Aber bei der Abreise an dem kalten Abend, an welchem Schnee fiel, wurde mir warm um's Herz, als ich die vielen Menschen, die mir mit Wolwollen entgegengekommen waren und die ich wahrlich lieb gewannen hatte, nun zum Abschiede sich einfanden. Die alte Excellenz, Schwedens Minister Bergmann, mehrere junge spanische Dichter und einer der liebenswürdigsten jungen spanischen Männer, die ich in meinem Leben getroffen habe, Jacobo Zobel Zangroniz aus Manilla. Er war während unseres Aufenthalts in Madrid so gütig, sich uns zur Verfügung zu stellen, und ich sage ihm hier, wenn er diese Zeilen sieht, meinen Gruß und Dank.
Der Eisenbahnzug brauste von dannen. Es wurde stürmisches Wetter; der Wind heulte und brachte, als wir bei Escorial, wo die Eisenbahn bereits aufhörte, anlangten, einen Schneesturm. Wir wurden in eine enge Diligence hineingesteckt und mußten in derselben bis zum Morgengrauen verbleiben. Einer unserer Mitreisenden stieß mit dem Ellbogen das Fenster ein; der Schnee fegte hinein; ein kleines Kind weinte unaufhörlich; der Wagen drohte umzuschlagen, – kurz, es war nicht daran zu denken, Schlaf oder Ruhe zu erlangen, sondern nur Arme und Beine zu brechen.
In San Chidrian kamen wir wieder auf die Eisenbahn; aber der Zug ging erst mehrere Stunden nach unserer Ankunft, wir mußten die Wartezeit in einem kalten, unordentlichen, hölzernen Schauer verbringen. Endlich schlug die Stunde, und um die Mittagszeit des 20. December befanden wir uns in Burgos, wo Spaniens Held, der vielbesungene Cid Der spanische Nationalheld Cid Campeador, geboren um die Mitte des 11. Jahrhunderts, gestorben am Schlusse desselben Jahrhunderts, vermählte sich mit Jimena, einer Nichte des Königs Alfons, in dessen Diensten er stand. Er ging dann, vom Hofe verbannt, nach Saragossa und kämpfte bald auf Seiten der Spanier bald auf der der Araber. Das erste Gedicht über den Cid erschien im 12. Jahrhundert. Der Uebers. gelebt hatte, wo er und seine hochherzige Gattin Zimene in dem Benedictiner Kloster San Pedro de Cordona ruhen. Wir sahen in der Domkirche den mit Steinen gefüllten Koffer, mit welchen er die Juden betrog, ein charakteristischer Zug jener Zeit, so wenig ehrenvoll in der unsrigen.
Collin und ich wohnten hier in Fonda de la Rafalla. Es war ein hier besonders strenger Winter; die Fenster froren zu, der Schnee stöberte, und man gab uns einen » Brassero« Brassero = Feuerfaß. Der Uebers. mit glühenden Holzkohlen. Bevor wir zu Bett gingen, stellten wir denselben vor die Thür; allein diese hing so lose in ihren Angeln und hatte so große Risse, daß der giftige Kohlendampf in unser Zimmer drang. Als ich während der Nacht erwachte, fühlte ich die Einwirkung des Kohlendampfes und es war mir, als hätte ich eine athembenehmende Kaputze über dem Kopfe. Ich rief nach Collin, er antwortete sonderbar träumend, ich wiederholte meinen Ruf und sagte, daß ich krank sei. Er befand sich noch viel leidender und meinte, der Brassero sei schuld an unserm Zustande. Ich fuhr gleich einem Berauschten aus dem Bett, erreichte schwindelnd die Balkenthür und riß sie mit großer Anstrengung auf. Der Schnee fegte zu uns herein und die kalte, frische Luft half; aber es dauerte länger als eine Stunde, bevor Collin und ich wieder völlig zur Besinnung kamen. Fast wäre die Nacht in Burgos unsere letzte Nacht in dieser Welt gewesen.
Von Burgos führt die Eisenbahn nach Olazagoitia. Hier mußten wir wieder den Postwagen nehmen. Ringsum lag hoher Schnee. Die Nacht war finster und kalt, aber bei Tagesgrauen kamen wir über die Pyrenäen nach San Sebastian, das malerisch an der Baskischen Meeresbucht gelegen ist. Hier war noch Winter, aber als wir einige Stunden später am Tage die französische Grenze erreichten, schien die Sonne wie im Frühjahr; die Bäume hatten bereits Knospen und die Veilchen blühten. Bald erreichten wir Bayonne und verbrachten hier den Weihnachtsabend. Ein Wachsstock, den wir um eine Champagnerflasche gewickelt hatten, wurde als Weihnachtslicht angezündet, und wir leerten für Dänemark und alle unsere Theuren manch Glas.
Der berühmte Badeort Biarritz an der biscayischen Meeresbucht liegt, wie bekannt, ganz nahe bei Bayonne. Dort wollten wir einige Tage verbleiben und von den Höhen noch einmal Spaniens schneebedeckte Berge schauen. Gleich Kanonendonner ertönten die Brandungen des Meeres in den großen Höhlen, die in den zerrissenen Klippenküsten gähnen. Das Meer spritzte wie eine Schar Wallfische hin über die hervorragenden, seltsam geformten Steinblöcke. Das Auge blickte hinaus über das weit ausgebreitete Weltmeer, wo die gegenüberliegende Küste Amerika heißt.
Am Neujahrsabend befanden wir uns in Bordeaux, wo Landsleute und Freunde uns herzlich empfingen.
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Bordeaux ist eine herrliche Stadt, besonders fühlte ich mich vom Theater angezogen, wo die Oper in ihrer Blüte stand. Hier hörte ich zum ersten Mal Gounod's » Faust«, Der bekannte französische Componist Felicien Charles Gounod ist zu Paris am 17. Juni 1818 geboren. Der Uebers. hier hörte ich herrliche Stimmen, wahrhaft dramatischen Gesang, und ebenso überraschten mich die schönen Dekorationen. Ich habe die Namen der Sänger und Sängerinnen vergessen, aber nicht den vortrefflichen Eindruck, den die Vorstellung auf mich machte; doch ebenso wenig meinen Aerger über die sonst reizende Darstellerin der Margarethe; Madame Gasc. denn dies konnte mir als Beispiel dienen, wie gedankenlos oft eine Künstlerin zu sein vermag. Im dritten Act, wo Margarethe jungfräulich und fromm aus der Kirche, das Psalmenbuch in der Hand tragend, heimkehrt, dann zum Spinnrad greift, indem sie sich an dasselbe setzt und die Ballade vom König von Thule singt, warf diese Margarethe, welche nunmehr keinen Gebrauch für das Psalmenbuch hatte, dasselbe gleich einem Plunder hinter die Coulissen. So würde die fromme Margarethe in Wirklichkeit sicherlich nicht sich betragen, am wenigsten sollte dies im Reiche des Schönen geschehen. Jedesmal, wenn ich » Faust« sah, wiederholte sich diese Scene, und ich mußte Zeit haben und von dem Vortrage und der Melodie ergriffen werden, ehe ich mich wieder von dieser ärgerlichen Scene erholen konnte.
Wir sahen die Domkirche, die Ueberreste des römischen Amphitheaters, die alten Gebäude der Stadt und deren Sammlungen. Das Wetter war fortwährend warm und schön; auf den Märkten wurden Veilchen in Menge feilgeboten, und die Fruchtbäume setzten Blüten an. Der dänische Consul Kirstein führte uns auf seine schöne Villa auf dem Lande, dicht am Ufer des Flusses. Hier war bereits der junge Lenz zu gewahren, der, wie wir hofften, auf unserer Fahrt nach Norden uns begleiten würde.
In Angoulême blieben wir nur einen Tag, verlängerten aber den Aufenthalt in Poitiers, wo ein Freund Collin's, der Conchyliologe Henri Drouët wohnte. Dieser führte uns in der Stadt umher, welche nicht unbedeutend und ziemlich hoch gelegen ist und eine prachtvolle Domkirche besitzt, die sich aus den Zeiten der Mauren herschreibt. Hier befanden sich auch noch andere alterthümliche Gebäude und nicht weniger als zweiunddreißig Klöster.
Das Wetter war indessen nicht mehr frühlingsmild wie in Bordeaux. Wir mußten wieder Holzstücke in den Kamin werfen. Ein paar kleine Schildkröten, die Collin von Tanger mitgenommen hatte, froren ebenso wie wir und marschirten dem Feuer zu, so daß sie sich fast verbrannt hätten.
Von dem alten Poitiers kamen wir zu dem geputzten Tours mit der großartigen Hängebrücke, der prächtigen Kirche, den breiten Straßen und den wolbeleuchteten Läden. Hier fanden wir wieder Sonnenschein und Blumen und Grün. Wir besuchten das alte Haus, wo Ludwig's XI. König Ludwig XI. von Frankreich, geboren 1423, bestieg 1461 den Thron und vermehrte die Macht des Thrones, nachdem er mit Hilfe seines Henkers, der fast nie von seiner Seite wich, die Auflehnung der Prinzen wie der Aristokratie gebrochen hatte. Er starb 1483. Der Uebers. berüchtigter Scharfrichter Tristan l'Hêremite gewohnt hat. Das Haus prangt in Verzierungen und Inschriften. Von dessen Thurm sieht man über die Stadt und den Fluß bis tief in's Land hinein. Einzelne Kirchen lagen in Ruinen, andere wurden zu profanem Gebrauch benutzt, so z. B. die eine zum Stall, die andere zum Theater.
Von Tours ging die Reise nach Blois. Jede Stadt hat, wie der Mensch, ihr eigenes Gepräge; sie zeigen Aehnlichkeit in der Verwandtschaft und sind dennoch verschieden. Man bewahrt eine Erinnerung aus jeder derselben, und sei es auch nur ein Charakterzug. So führe ich auch die Städte Südfrankreichs hier an; sie stehen gleich kleinen Vignetten zu meinen Reisetagen hier im Buch, und nicht am wenigsten lebhaft bewahre ich die Erinnerung an das alte Blois mit den winkligen, engen Straßen, den schattenreichen Promenaden längs des breiten Flusses.
Ich entsinne mich lebhaft der Wanderung zur Domkirche hinauf, wo die Straße so steil emporsteigt, daß man ein Geländer errichtet hat, um sich beim Steigen darauf zu stützen; am unvergeßlichsten ist mir jedoch das alte Schloß, das man in eine Kaserne verwandelt hat, aber gut erhalten ist; das Gebäude und die Erinnerung, die sich an dasselbe knüpft, machten einen unheimlichen, unerklärlichen Eindruck; die roth gemalten offenen Altanbogen vor jedem Fenster scheinen gleichsam geöffnete Lippen zu sein, aus denen man die Zunge herausgeschnitten, damit sie nicht erzählen, was hier drinnen geschehen und erlebt worden ist. Hier wurde der Herzog von Guise Herzog Henri I. von Lothringen und Guise ist geboren 1550; er stand an der Spitze eines Aufstandes der Großen gegen die Macht des Königs Henri III. von Frankreich (geboren 1551, vom Pater Clement 1589 ermordet) und wurde auf dessen Befehl meuchlings ermordet am 23. December 1588. Der Uebers. ermordet. Wir sahen das Zimmer und das Loch in der Tapete, durch welches Heinrich III. Augenzeuge dieser That war.
Zwei Tage verbrachten wir in Orleans, eine viel zu kurze Zeit, um dessen herrliche Gebäude und Monumente vollkommen zu besehen. Von großer Schönheit und getragen von dichterischen Gedanken ist das von Napoleon III. der Stadt geschenkte Monument der Jeanne d' Arc Jeanne d' Arc, die Jungfrau von Orleans, ist die Tochter von Bauersleuten in der Champagne und am 6. Januar 1412 geboren. Sie ward bekanntlich am 30. Mai 1431 in Rouen als Hexe verbrannt. Man vergleiche übrigens das Märchen » der Dornenpfad der Ehre« Band II. Seite 172. Der Uebers.. Sie ist zu Pferde dargestellt, und ringsum an dem Piedestal prangen Bronce-Reliefs, Scenen aus ihrem Leben vorstellend, die unwillkürlich an Schiller's Tragödie erinnern, von dem Augenblick an, wo sich ihr, dem Hirtenmädchen, die Mutter Gottes offenbart, bis sie in den Flammen auf dem Scheiterhaufen steht. Eine kleine Statue von ihr, modellirt von König Louis Philipp's Tochter Maria, und von dieser der Stadt geschenkt, hat auf dem Hofe des Rathhauses Platz gefunden. Auch am Flußufer sahen wir eine ältere Statue, errichtet für Johanna von Orleans. Wir sahen das Haus, in welchem sie gewohnt hatte, sahen Diana von Poitiers' Wohnung und das prächtige Haus, das Carl VII. für seine Geliebte, Agnes Sorel, Carl VII. von Frankreich, für den die Jungfrau von Orleans in den schmählichen Tod ging, ist 1403 geboren und 1461 gestorben. Seine Geliebte Agnes Sorel war Hofdame der Königin Isabella und geboren 1409, gestorben 1450. Der Uebers. erbauen ließ.
Von Orleans aus erreicht man bald Paris, wo wir während zweier Monate, die für alle Fremden die interessantesten sind, verbleiben wollten. Wie viele Menschen wünschen sich nicht das Glück, Paris zu besuchen, und es war nicht das erste Mal in meinem Leben, daß mir dasselbe vergönnt wurde. Ich wollte den Sonnenschein dieses Lebens genießen, und ich genoß ihn, wie ich ihn während der ganzen romantischen Reise durch Spanien bis an Afrikas Küste und zurück bis hierher genossen hatte. Große, herrliche, erinnerungsreiche Bilder wurden mir vergönnt, aber die Erinnerungen an jene Tage und Monate sind nicht ungetrübt gewesen; sie erinnern durchaus nicht an die Zartheit der Seide, sondern auch an das stechende Werggarn des Alltagslebens. Es giebt eine alte Sentenz: »Die Menschen sind nicht so gut, wie sie sein sollten.« Aber ich gehöre ja auch zu der Menschenreihe. »Vergieb uns unsere Schuld, wie wir vergeben unsern Schuldigern,« steht ja im Gebet des Herrn.
Björnstjerne Björnson befand sich auf seiner Reise von Italien hier. Bon ihm ging es aus, daß die hierselbst anwesenden Scandinavier mir ein schönes Fest im Palais Royal veranstalteten. Der Tisch prangte von Blumen und in des Saales Tiefe war ein großes Bild ausgestellt, das H. C. Andersen, umgeben von seinen Märchen, vorstellte. » Der Engel« schwebte in der Höhe, » die wilden Schwäne« zogen vorüber und » Däumelinchen,« » der Schmetterling,« » die Nachbarfamilien,« » die kleine Meerjungfrau,« » der standhafte Zinnsoldat,« ja nicht einmal die Mäuse, welche von der » Suppe von einem Wurstspeiler« erzählten, fehlten hier. Nachdem Björnson in seiner großen Ueberschwänglichkeit eine Rede gehalten hatte, die in ihrem Wolwollen viel zu weit über das Ziel hinausschoß, und ich dieselbe bescheiden zurückgewiesen hatte, wurde ein französisches Lied gesungen und dann eine » Epistel an H. C. Andersen« von dem Dichter P. L. Möller, Siehe den vorigen Band Seite 302. Der Uebers. der durch Krankheit verhindert war, an dem Feste theilzunehmen, vorgelesen. Ich las dann meinen Freunden einige Märchen vor, und es herrschte eine herzliche, frohe Stimmung, kurz, es war einer der vielen herrlichen Abende meines Lebens.
Gegen Schluß des Märzmonats verließen Collin und ich Paris. Wir legten den Rückweg über Düsseldorf zurück, wo wir ein paar schöne Tage mit dem norwegischen Maler Tidemann Der berühmte norwegische Genremaler Adolf Tidemann, geboren den 14. August 1814 in Mandal, gestorben den 25. August 1876 in Christiania, erlangte seine erste Ausbildung in Kopenhagen und ging dann nach Düsseldorf, München, Wien und Italien; er lebte dann meist in Düsseldorf. Seine Bilder aus dem norwegischen Volksleben haben seinen Ruf begründet, eine Suite derselben hat im Schlosse Oscarshall bei Christiania Platz gefunden. Der Uebers. verbrachten, der gerade jetzt an seinem vortrefflichen Bilde » Kampf bei einem Feste in Norwegen,« wo das Messer den Streit entscheidet, arbeitete. Ein Mann liegt getödtet am Boden, ein anderer, tödtlich verwundet, wird von der Großmutter des Getödteten verflucht. Es ist ein mächtig anregendes Bild von großer Lichtwirkung; es ist überstrahlt von Feuer und vom Tageslicht durch die offene Decke.
An meinem Geburtstage, dem 2. April, war ich wieder in Kopenhagen. Aber kaum fing der Wald zu grünen an, als ich auch wieder davon eilte, hinaus zu meinen Freunden auf Christinelund, Basnäs und Glorup. An diesem Orte schrieb ich nach den Aufzeichnungen, die ich von der Reise heimgebracht hatte, das Buch » In Spanien.«
Fast während des ganzen Juni blieb ich auf dem prächtigen Herrensitze Glorup, wo ich stets ein gastfreies Heim gefunden hatte. Der Garten war seit meiner letzten Anwesenheit wunderbar schön geworden; die alte französische Partie war mit einem Springbrunnen geschmückt worden, der seinen dicken Strahl baumhoch in die Höhe warf; der neuere Theil war in einen englischen Park mit herrlichen Baumgruppen verwandelt worden.
Am Schluß des August befand ich mich wieder in meinem Zimmer in Kopenhagen. Man gab damals im Casino-Theater meine Märchencomödie » Fliedermutter,« in welcher der junge talentvolle Schauspieler Carl Price die Stelle des kindlich gesinnten Liebhabers natürlich und hübsch ausführte. Das Stück wurde mit großem Beifall ausgenommen, und ist seit der Zeit eins der kleinen Stücke, das man stets mit Wolwollen wiedersieht, und mit weit größerem Beifall als bei dessen erster Aufführung aufgenommen worden. Damals waren es, wie ich früher erwähnte, nur die Dichter Heiberg, Thiele und Boye, die sich von demselben angesprochen fühlten, aber nicht die Kritiker. Welcher Umschlag jetzt!
Ich schrieb während dieses Herbstes für das königliche Theater das Lustspiel » Er ist nicht geboren« und für das Casino-Theater: » Auf der langen Brücke.« Ich hatte beim Durchblättern von Kotze bue's dramatischen Werken ein Drama gefunden, das ich früher noch nicht gelesen hatte, das nach der wolbekannten Erzählung von Musäus: » Stille Liebe« bearbeitet wurde. Ich nahm hier die Erzählung, wie Musäus sie gegeben hatte, als Unterlage meiner total dänischen Handlung: die Bremer Brücke wurde die Lange Brücke in Kopenhagen, und auf diese Weise wurde die ganze Dichtung heimisch. Die eingelegten Gesänge sprachen an, und ich hatte Vergnügen davon.
Alles war Freude und Sonnenschein. Aber da kamen plötzlich schwere Wolken und finstere Tage, wie schwere bittere Zeit. Das Unwetter zog herauf, nicht über mich allein, sondern über Land und Reich. Jetzt kam Dänemarks Prüfungszeit.
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