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Am Hofe zu Cassel, zur Zeit der französischen Fremdherrschaft, wetteiferten die Deutschfranzosen in ihrer Niederträchtigkeit, als Gaunerei, Habsucht, Betrug, Bestechlichkeit und Falschheit, mit den Nationalfranzosen, und nicht selten trugen sie den Sieg davon. Wir müßten wahrlich den Franzosen als das verächtlichste Volk erscheinen, wenn sie uns nach dem Auswurf, den sie unter uns kennen gelernt haben, beurtheilen wollten. Es ist unglaublich, wie weit sich Deutsche vergessen, wie sie ihre Achtung gegen ihre rechtmäßigen Regenten so ganz verleugnen, ihre Mitbürger mit Hohn und Schimpf behandeln und Verräther an ihrem Vaterlande werden konnten!
An dem Hofe Jerôme's, dessen gehässige Gestalt ich näher beleuchten will, waltete ein böser Geist, der Recht und Gerechtigkeit, Pflicht und Gewissen, Unschuld und Moralität, Volksheil und Bürgerglück mit Füßen trat. In dem Bunde des allgemeinen Verderbnisses spielten einige Deutsche, die nicht würdig sind, länger diesen Namen zu führen, die Hauptrollen. Es war hier so recht eigentlich das Reich der Finsterniß, wo Thorheiten und Laster, als Ueppigkeit, Ausschweifung aller Art, in unnatürlicher und empörender Größe, insgeheim und öffentlich, das Spiel einer bösen Willkür, einer launischen Frechheit, einer ausgelassenen Verschwendung und einer zügellosen, entkräftenden Wollust trieben.
Gutes zu stiften, Nützliches zu befördern, wohlthätige Anstalten zu erhalten, heilsame Einrichtungen in ihrer Kraft und Würde bestehen zu lassen, das aufschießende Unkraut einer verwilderten Lasterhaftigkeit auszurotten, das in wenigen Jahren so mächtig um sich wucherte, war, bei der stärkeren Gewalt feindlicher Gegenkräfte, ganz unmöglich.
Ich versuche eine treue Schilderung jenes Hofes, der zu seiner Zeit der entartetste, sittenloseste, abscheulichste war, und zwar aus dem Grunde, damit sein Bild mit allen Farben der Wahrheit der Nachwelt als ein Gemälde voller Verzerrung, Unnatürlichkeit, Abgeschmacktheit, voller Bubenstreiche Erpressungen, Erniedrigungen u. s. w. vor Augen gehalten werde.
Nicht aus Rachsucht gegen die Sünden der Vergangenheit, welche ihren Richter bereits gefunden haben, unterziehe ich mich diesem Werke, sondern weil ich des festen Glaubens bin, dadurch Gutes zu stiften. Das Böse, was man eine Weile unter Seufzern und Thränen, unter Grimm und Unwillen ertragen hat, muß man so bald nicht vergessen, damit man sich, im Besitze des wiedergewonnenen Guten, desto glücklicher fühle.
Auch ist die Menge der Schergen und Gauner, der Beutelschneider und Hochmüthigen, die aus den verwerflichsten Gründen der ehemaligen westphälischen Regierung, dem Oberhaupte derselben, dem lustigen Hofleben etc. aus Eigennutz, Habgier, Vergnügungssucht, wie einer geliebten, zu Grabe bestatteten Leiche nachweinten, gar nicht klein.
Damit diese Auswürfe des deutschen Vaterlandes, diese Schmarotzerpflanzen der menschlichen Gesellschaft, diese Blutegel der bürgerlichen Wohlfahrt nicht etwa den Widerwillen der Mehrzahl gegen eine heillose Staatswirthschaft schwächen, der in der Brust jedes Mannes von Ehrgefühl, Freiheitsliebe und Rechtlichkeit fortlodern muß, und damit den Vertheidigern des zusammengestürzten Regierungs-Systems, nach dem verwünschten Code Napoleon, der Mund auf immer geschlossen werde; auch darum schrieb ich diese Schilderung.
Ich treibe meine Deutschheit und meinen Patriotismus wahrlich nicht zu weit, wenn ich verlange, daß sich der Unterthan in Westphalen mit den französischen Gewalthabern und den deutschen Bütteln, die es fast ärger mit uns machten, als sie selbst, nie aussöhnen darf. Wie sein Haß gegen die Sünde, so bleibt sein Abscheu gegen die, welche sich aus fremdem Leder Riemen schnitten, auf den Trümmern der Wohlfahrt tausend Unglücklicher ihre Bachanalien feierten, sich an fremden Gütern bereicherten und mit Verachtung auf alle die herabsahen, die nicht Glieder des schwarzen Bundes waren: eines Bundes, der seine Bekenner mit ewiger Schande und Infamie brandmarken wird.
Die entschiedene Abneigung, der laute Widerwille gegen eine Staatsverfassung, die auf Sand gebaut war und den Keim eines frühen politischen Todes in sich trug; an deren Spitze ein sogenannter König stand, in dessen schwacher Hand das Scepter der Regierung zitterte, müßte und sollte, wenn es möglich wäre, durch einen jährlichen Buß- und Trauertag in den Seelen aller derer erneuert werden, die der Gerechtigkeit und Milde ihrer wahren Beherrscher wiedergegeben sind.
Hieronymus mit seinem Anhange hatte für Westphalen keinen Sinn, kein Gemüth, keine Liebe. Er betrachtete sein Volk wie eine Krambude und das Land gleich einem Kapitale, von dem man jüdische Zinsen zieht.
Offenbare Schandthaten, welche Galgen und Rad verdienten, entgingen der Bestrafung; ja, was unglaublich ist, sie wurden sogar mit königlichen Gunstbezeugungen, Ordensbändern, Titeln, Standeserhöhungen, Pensionen und einträglichen Posten belohnt. Die vornehmste Dienstleistung, welche dazu berechtigte, war die unerbittliche Beitreibung der Sparpfennige und der letzten Habe der Unterthanen. Wer darin die Künste der Hölle am vollkommensten und im unschuldvollsten Gewande zu offenbaren, die Stimme der Menschlichkeit am gleichgültigsten zu unterdrücken, das Gefühl für Elend und Unheil am schicklichsten als das Produkt einer unpolitischen Schwäche aus seiner Seele zu verbannen wußte, der trug den höchsten Preis davon.
Malchus und seine Zunftgenossen sind es, welche auf diesem Wege Tausende der Unterthanen in den fürchterlichen Abgrund des Verderbens, Hunger, Durst, Nacktheit, Blöße, Heimathlosigkeit u. s. w. gestürzt und statt des Stranges sämmtlich den Kronorden, Baron-, Grafentitel u. dergl. davon getragen haben.
Ein anderes Mittel, sich die Zufriedenheit der hohen Regierung zu erwerben, war das Auflauern der geheimen Polizei-Bedienten: Menschen, welche durch ihre verrätherischen Angaben die Redlichsten des Landes in den Kerker brachten und dort nicht selten ohne Reue den Geist aufgeben sahen. An ihrer Spitze stand der Direktor der hohen Polizei, dem jeder Freiwillige ein angenehmer Zuwachs war auf der Liste der Tagediebe und Wichte, welche sich diesem Zweige des Erwerbs widmeten und bald nachher als die nächsten Expektanten in königliche Dienstämter rückten. Es sind ihrer Namen zu viele und zu gemeine, um sie hier aufzuzählen; aber wenige dieser Menschen haben ihren Zweck verfehlt; fast alle haben statt der verdienten Knute einträgliche Stellen erschlichen und behauptet.
Das dritte Hauptmittel, auf dem Wege zum Galgen die Belobung und Freigebigkeit der westphälischen Regierung zu gewinnen, war die gesetzliche und gesetzwidrige Verstärkung die Armee; die Ausplünderung unglücklicher Eltern, welche sich entweder gern einen Sohn erhalten wollten, oder keine Auskunft über seinen Aufenthalt geben konnten; die Bestrafung und das Heranziehen legaler Menschen, welche unter dem Vorwande, dem Gesetze nicht Genüge geleistet zu haben, als Widerspenstige ausgesogen oder in entfernte Provinzen getrieben wurden.
An der Spitze der Wüthriche, welche auf diese Art unzählige Menschen um Habe und Gut, um Freiheit und Leben gebracht haben, standen neben dem Könige der Kriegs- und alle die Minister, welche der allgemeine Ruf der Nichtwürdigkeit mit einem Kreuze bezeichnet hat. In ihrem Gefolge befanden sich die Conscriptions-Officianten, welche, mit wenigen Ausnahmen, echte Westphalen, d. h. Buben und Gauner waren.
Daher war man allgemein darüber einverstanden: wer in Westphalen ein großer, reicher, angesehener Staatsmann werden wollte, der mußte sich in eins dieser drei Fächer werfen. Besaß er Seelenstärke genug, um die Tugend für ein bloßes Blendwerk, die Ehrlichkeit für einfältige Gemüthsschwäche, die Bosheit und Hinterlist an der Spitze einer rücksichtslosen Grausamkeit und aller erdenklichen Ränke für den einzig wahren Werth des Staatsdieners zu erklären, so war sein Glück gemacht. Es gehörte also nicht viel mehr dazu, als Entschlossenheit und Nichtswürdigkeit.
Wer dem Laster die Larve abreißen wollte und es bei dem rechten Namen nannte, dem drohte Kassation, Kerker und Tod.
Welches war das Verbrechen des allgemein geachteten Ministers v. Bülow, weshalb ihm die Finanzverwaltung genommen wurde? Etwa Mißgriffe in der Wahl der Mittel, den Mängeln des Staats abzuhelfen? Bedrückung der Unterthanen durch übermäßige Steuern? Veruntreuung der dem Staate zugehörigen Summen? Alles dies war fern von dem Manne, der den allgemeinen Ruf des Edelmuths selbst während der Verwaltung eines so kritischen Amtes nicht verlor. Jene ersten Fehltritte würden ihm die hohe Gnade der elenden Dynastie erworben haben. Der letzte war aus doppeltem Grunde nicht möglich; denn so wenig die Denkungsart eines so erprobten Staatsmannes eine Veruntreuung zulassen konnte, eben so wenig erlaubte die beständige Ausleerung des westphälischen Schatzes solche Schritte.
Nein, seine Freimüthigkeit in der Bekämpfung der vaterlandsfeindlichen Vorschläge, durch Darstellung des Drucks und Unvermögens der Unterthanen, seine Menschlichkeit in der Behandlung der Steuerpflichtigen, sein Verdruß über die schändliche Verschwendung des Hofes, welche dem Lande seine besten Kräfte entsog: dies waren die Verbrechen, welche ihn des Vertrauens des westphälischen Hofes unwürdig machten.
Aus ähnlichen Gründen wurden die allgemein geachteten Präfekten, Graf von Schulenburg und Henneberg, entsetzt. Aber an zahlreichen Männern, welche der geheimen Polizei zur Beute wurden, Predigern, Postoffizianten, Landedelleuten u. s. w., die hier aufzuzählen zu weitläufig wäre, nagte des Kerkers Zahn, bis sie, vielleicht mit zerrüttetem Körper wieder losgegeben, ihren Geist aufgaben.
Die Tugend war zu einer feilen, verächtlichen Waare herabgesunken und durfte sich gar nicht mehr öffentlich zeigen.
Was in der Nähe des Hofes noch für Kreaturen bleiben mußten, wenn Männer, wie die obengedachten, von der Regierung für unwürdige Glieder des Staates erklärt wurden, ist leicht zu erachten.
Das waren Minister, in welchen der Geist hohenpriesterlicher Verfolgung der Unschuld und des Edelmuths mit dem Raubsinne des Wolfes vereint blieb, bis die Zeit Synedrien und Blutgruben zerstörte; Soldaten, welche den Ruhm ihrer Thaten nur in der Ausplünderung wehrloser Unterthanen und im Schatten französischer Lobeern suchen konnten; Schranzen, deren höchster Beruf es war, von der Fülle des Nektars, welcher von ihrem Könige vergeudet wurde, ein Tröpflein aufzufangen, und es nicht für schimpflich achteten, ihr zweites Ich den elenden Lenden des Usurpators preis zu geben; Damen, die sich glücklich fühlten, das Spiel der Wollust eines entnervten Wüstlings zu sein.
Die Wahrheit war eine Verbannte, Lug und Trug, Schmeichelei und höfische Bosheit galt nur. Hätte die böse Zeit länger gedauert, die Hessen würden ihre offene Biederkeit, ihren geraden Sinn, ihre Vaterlandliebe, ihre männliche Kraft gänzlich verloren haben. Gesetze, Verfassung, Beispiele, alles hatte bei uns die Tendenz, den Geist des Volkes zu verderben, sein Herz mit lasterhaften Empfindungen zu verpesten, den Gemeinsinn u. s. w. auszurotten. Es wird einer langen Zeit bedürfen, um die bösen Flecken wieder aus den Gemüthern zu verwischen, die das französische Unwesen ihnen tief eingeätzt hat.
Was aber war natürlicher, als daß das strengste Verbot auf die Aussagen der Wahrheit gelegt war, da man wollte, daß das Schändliche, welches man sich erlaubte, wenigstens nicht ans Licht kommen oder gar allgemein bekannt werden sollte. Doch, nichts hemmt den Strahl der Wahrheit, endlich bricht er hervor und beleuchtet auch die Mißgeburten und Ungestalten solcher Laster, die bisher in dem Gebiete unserer Vorstellungen fremd waren.
Nicht in systematischer Ordnung, wohl aber in buntem Gemisch wie in einem Noahkasten wird der Leser die Figuren des ehemaligen Cassel'schen Hofes sehen, die da Haupt- und Nebenrollen spielten. Denn so wie die strenge Regel, die Ordnungsliebe und Gesetzlichkeit dem westphälischen Hofe gänzlich fremd ward, so würde ich mich von dem Wege der Wahrheit in dem Grade entfernen und ein falsches Bild von dem Sammelplatze der Ausgeworfenen geben, als ich das Chaos der Ueppigkeit, Wollust, Habsucht, kurz jede Art von Ausschweifung in einen leicht zu überschauenden Park zu verwandeln mich bemühen werde.
Oft wird der Leser vor den Gräueln, die man da ungescheut verübte, zurückschaudern, oft auch über die Possenreißerstreiche lächeln. Den Hieronymus, welcher durch seine Kraftlosigkeit, durch seinen Sybaritismus so viel Unheil anrichtete, kann und werde ich nicht schonen; dennoch soll der bedeutungslose Mensch nicht mehr leiden als er verdient.
Wundern muß man sich über die Niedrigkeit und Verworfenheit einiger vornehmen Damen, die in Hinsicht der Moralität weit tiefer stehen als die Marquise, die Geliebte des Faublas. Es sind gemeine Buhldirnen, die den Kreaturen in den Freudenhäusern gleichen, welche mit ihrer Weiblichkeit einen, die menschliche Natur entehrenden Handel treiben.
Aber kaum konnte es anders sein. Viele von ihnen waren im Staube geboren und kannten kaum einen höheren Beruf, oder sie fanden die glänzende Nichtswürdigkeit anziehender und erfreulicher als die tugendhafte Zurückgezogenheit. Andere kannten den Ton des Hofes nur aus romanhaften Beschreibungen und poetischen Schilderungen; diese hielten die Fülle des Lasters für Konvenienz, der man sich unter dem Schirme des Throns ohne Anstand anschmiegen müsse. Wieder Andere fanden den Ernst der besseren Höfe, wo sie bisher gelebt hatten, lästig und langweilig; diese vertauschten den Rest der Sittlichkeit, welchen der Zwang ihnen erhalten hatte, willig und zuvorkommend gegen die Reize der lüsternen Umgebundenheit.
So will ich denn den Leser in die Bildergallerie des Cassel'schen Hofes einführen, ihm in wahrer Gestalt, wie in einer Laterna magica, die Figuren vor Augen halten, welche sich da in bunten Kreisen, gruppenweise und einzeln, darstellen. Wenn die in diesem Buche vorkommenden deutschen Namen bloß mit dem Anfangsbuchstaben angedeutet sind, so geschah es aus Achtung für die ehrwürdigen Familien, deren einzelne Glieder durch ihre schlechte Aufführung diese respektabeln Namen entehrten und daher mit Recht verdienten, an den Pranger gestellt zu werden. – Wer übrigens nur die geringste Kenntniß von dem üppigen Casseler Hofe hat oder nur einmal in Cassel gewesen ist, wird die Masken leicht wieder erkennen. Ganz verworfene und mit der öffentlichen Verachtung gebrandmarkte Personen sind, und zwar mit Recht, in ihrer natürlichen Blöße vorgestellt.
Wenn auch nicht nach der Kraft und Wirksamkeit, doch dem Range nach ist Hieronymus der Erste, welcher uns zu dem Gemälde, welches wir von ihm entwerfen wollen, sitzen soll.
Seiner eigentlichen Natur gemäß ist er ein Wesen ohne Bedeutung, aber durch das, was er wurde und war, erweckt er doch ein gewisses, wenn auch durch tiefe Verachtung geschwächtes Interesse.
Zu verargen war es ihm gar nicht, daß er sich als ein gemachter König höchst linkisch benahm; denn wie konnte ein gemeiner, nur mit mittelmäßigen Verstandesfähigkeiten begabter, an ein unbemerktes Privatleben gewöhnter, in aller
Hinsicht schwacher Mensch einen Regentenposten würdig bekleiden, zu dem er von Napoleon erkoren wurde, und dem er, wenn er nur natürliche Klugheit besessen, durchaus hätte entsagen müssen.
Von Seiten Bonaparte's beweist es, bei einer feinen und herrschsüchtigen Bosheit, einem beispiellosen Leichtsinn, einem nichtswürdigen Stolze, den Völkern Könige zu geben, welche ihm vermöge ihrer Einfalt und Gemüthsschwäche stets unterthänig bleiben, zugleich aber den Glanz seines Thrones und seiner Familie erhöhen mußten, ohne der furchtbaren Nachtheile, welche die gemißhandelten Unterthanen dadurch erfahren mußten, nur zu gedenken.
Von Seiten seiner Brüder und Verwandten, welche sich zu diesem Spiele der Phantasie gebrauchen ließen, verräth es einen nicht geringen Grad von Mangel an Selbstkenntniß, sich mit den kärglichen Fähigkeiten eines gemeinen Geschäftsführers an die Spitze einer Staatsverwaltung stellen zu lassen; von Einfalt, den Beruf eines Herrschers nur in der Gewalt und Uebermacht zu finden; von Verblendung, an ihre königliche Existenz, in irgend einer Rücksicht frei von Napoleon's Einfluß und Gebot, zu glauben; von Thorheit, sich dem Befehle eines verbrüderten Tyrannen zu unterwerfen, dessen Ehrgeiz, Eigensinn oder Laune sie über kurz oder lang zum Gespötte der Welt machen konnte.
Gerade darum verdient Lucian unsere ausgezeichnetere Achtung, weil er sich durch jene Selbstbeherrschung, jenen Scharfblick, jene Umsicht und Würdigung seines Bruders und seiner selbst und durch die Verachtung einer flüchtigen Gnade, die ihn ja doch nur zum Vasallen eines Bruders erheben konnte, als einen Mann von Einsicht und edlem Stolze gezeigt hat.
Daß er aber seine königliche Würde durch alle Grade der Gemeinheit entweiht; daß er, wie ein roher Wüstling, seine letzte Manneskraft vergeudete; daß er oft den tyrannischen Herrn spielte, nur seinen sardanapalischen Vergnügungen lebte, sich um sein Volk nicht bekümmerte; daß er ein heilloser Verschwender war, Wittwen und Waisen betrog, die Kapitalisten bestahl, das höllische Unwesen seiner Minister duldete u. s. w., das ist unverzeihlich.
Man sagt: Hieronymus war gut, er hatte ein weiches Herz. Giebt es noch Menschen, die das mit innerer Ueberzeugung behaupten können, so müssen diese wahrlich ganz eigene Begriffe von moralischer Güte haben. Durch alle Instanzen will ich es behaupten, daß er ein schwacher, jämmerlicher, pflichtvergessener, ausschweifender, eigentlich für alles wahrhaft Edle gefühlloser Mensch war. Seine Günstlinge und Maitressen mag er von dem Schweiße seiner Unterthanen, den er ihnen auspressen ließ, herrlich besoldet haben; aber wer Lasterknechte und Lustdirnen bezahlt, ist der gut, gerecht und tugendhaft? Wenn er auch selbst das Böse nicht wollte und beging, welches während seiner Afterregierung dem Lande widerfuhr, so geschah es doch unter seiner Autorität, so durften es doch seine Großen ausüben, und so thaten sie es, ohne gestraft zu werden.
Wie kann ein König gut genannt werden und ein weiches Herz haben, der keine Sünde scheut, zu der ihn seine Leidenschaft verleitet, der ein lustiges und liederliches Leben führen kann, indeß die Noth seiner Unterthanen täglich größer wird!
Ist aber ein so elender, abgemergelter, durch üppige Lebensweise entstellter und mit dem Gepräge verbrauchter Kräfte gestempelter Körper es auch noch werth, daß man eine Minute Zeit darauf verwendet? Ich will dem Leser die hölzerne Puppe, die den König gespielt hat, welche sich in Purpur und köstliche Leinwand hüllte, so gut ich's vermag, leiblicher Weise darstellen. Was der Beschreibung an Vollständigkeit abgeht, wird seine fruchtbare Phantasie leicht ergänzen.
Man hat mehrere Bilder von ihm, auch Gemälde und Büsten, aber die gewöhnliche Schmeichelei der Künstler fröhnte auch hier der Eitelkeit des Originals.
Eine gewisse Dame in Halberstadt, als sie ihn erblickte, schämte sich nicht, laut zu sagen: »Welch' ein niedlicher König; ach! könnte ich ihn doch küssen!«
Das ähnlichste, was man von ihm hat, ist unstreitig die Büste von cararischem Marmor, die er der Universität Göttingen geschenkt hat, und welche in der Bibliothek aufgestellt war. – Hier kann man mit Recht fragen: »was will Saul unter den Propheten!« – Schade für den schönen Marmorblock, der zu etwas Besserem hätte verwendet werden können, als das Bild eines so erbärmlichen Menschen darzustellen! Es ist seit seiner Verjagung bei Seite gestellt worden, und um den schönen Marmor nicht zum Wegebessern anwenden zu müssen und wenigstens einigen Nutzen davon zu ziehen (denn kaufen wird es gewiß Niemand), sollte irgend ein geschickter Bildhauer es in die Büste des Midas umwandeln. Ich bin überzeugt, daß irgend ein reicher Engländer den modernen Midas theuer genug bezahlen würde.
Hieronymus war ein kleiner, dürrer, vertrockneter Mensch ohne körperliche Kraft, ohne Jugendfülle und blühende Gesundheit. Sein Haupthaar war von schwarzer Farbe. Die Augen hatten keinen lebendigen Glanz und schienen erlöschende Lichter zu sein. Die beiden tiefen Wangengruben glichen eingefallenen Gräbern. Seine Backenknochen waren stark und das Kinn streckte sich vorwärts. Die Gesichtsfarbe war eine schwarzgelbe, ungesunde und wahrhaft widrige.
Seine Glieder waren marklose Knochen ohne Muskeln, an deren Stelle die Fracks und Beinkleider mit stark auftragenden Watten gefüttert waren, damit das Ganze nicht die Gestalt einer Mumie bekommen möchte. Wie viel der Monarch auch zur Erweiterung und intensiven Stärkung seines Körpers gethan haben möge, wer ihn sah, konnte nicht glauben, daß es auch nur von dem geringsten Erfolge gewesen sei. Bouillon- und Weinbäder, eine noch nicht berührte Seite der schändlichen Verschwendung, äußerten so wenig Einwirkung auf das entnervte Gerippe, oder die geringen Wirkungen derselben wurden durch neue Ausschweifungen so bald wieder verwischt, daß nie ein Zuwachs an Kraft merklich wurde, welcher den König auch nur zu einem geraden und kräftigen Gange fähig gemacht hätte. Seine Haltung war schlecht; der Rücken, als ruhete die Last von siebenzig Jahren auf seinen Schultern, krümmte sich unter dem Drucke der Jugendsünden. Der Geist war in der Regel zerstreut, oft so ganz abwesend, daß der königliche Mann im Angesichte einer großen Menge Volks an den Fingern nagte, sich die Nägel abkaute, nicht um die Verlegenheit zu verbergen, worin ihn sein sonderbares Königthum hätte setzen können, sondern ohne Zweifel aus Nervenschwäche.
Sein Schritt war schwankend und unsicher, als wenn er auf Stelzen ginge. Ich selbst bin Augenzeuge gewesen, wie er, von seinem Schlosse in Cassel nach der Aue zurückkehrend, um zur damals sogenannten Napoleonshöhe zu fahren, sechs Schritte weit vor der Königin hertaumelte und plötzlich in einem sehr geebneten Gange des Gartens bei dem Anstoßen an ein Kieselsteinchen sein erhabenes Haupt zur Erde neigte. Kaum daß die Schattengestalt ohne Beihülfe der herbeispringenden Kammerdiener aus dem Gefolge wieder zum Stehen kam.
Jetzt erst bemühte sich das Männchen, den Trost des Wagens auf zehn Schritte weit im Auge, mit der Gravität des Starken einherzuschreiten, nicht ohne sichtbar empfindliche Anstrengung der Gelenkbänder und des Rückgrades, ließ die vollwichtigere Gemahlin stolzen Angesichts vorübergehen und gab sich am Schlage des Wagens ungefähr das Ansehen, als ob er sie hineinheben wollte. Diese aber, von seinem Gehalte besser unterrichtet, sprang eilends hinauf und reichte dem Manne die Hand, um ihn nachzuholen. Kaum wußte er ihr die treuen Dienste und die freundlich zärtliche Miene durch einen Wink der Herablassung Dank.
Hier entsteht nun die natürliche Frage, was konnte Damen von Stande reizen, welche mit wohlgestalteten Männern verheirathet waren, den Lüsten einer solchen Figur zu huldigen? Ehre dem weiblichen Geschlecht im Allgemeinen, aber die Lustdirnen, welche sich dem Hieronymus aus Eitelkeit und Gewinnsucht hingaben, waren nicht werth, daß sie die Erde länger trug!
Der von den Kosacken verjagte König hatte einen Rechtsgelehrten zum Vater und wurde in Ajaccio, einer Stadt mit einem Hafen, an der westlichen Küste der Insel Corsica, am 15. November 1784 geboren. Buonaparte, der Vater der Brüder, von denen Napoleon einer monströsen Erscheinung auf Erden glich, welche, nachdem sie unsägliches Elend angerichtet hat, wieder verschwindet, war ein Mann ohne alle Bedeutung, von dem man weder viel Böses noch Gutes sagen kann, als daß er eine Frau aus Basel heirathete, eine geborne Fesch, und seinen Namen bei seinem Anzuge auf Corsica verändert, um sich in eine namhafte Familie einzudrängen. Soviel aber ist gewiß, daß er sich es wohl nicht hat träumen lassen, daß sein jüngster Sohn, dem Anlagen des Geistes und Kraft des Herzens gänzlich fehlten, jemals auf eine kurze Zeit die Rolle eines Königs so lächerlich und unwürdig, so nachtheilig und verderblich für zwei Millionen Menschen spielen würde.
Von den Kinderjahren unseres Helden weiß man nichts, was ihn auf irgend eine Weise auszeichnet. Seine Erziehung, die er in Frankreich gleich seinen Brüdern genoß, muß, wenn man bedenkt, wie er sich in Cassel gebehrdete, wie er sprach und handelte, eine höchst gewöhnliche gewesen sei. Hochmuth mit Geistesarmuth gepaart, ein grobes, auffahrendes Wesen war auch ihm, wie seinem Bruder, dem Exkaiser, eigen. Im Staatsrathe, wenn er daselbst erschien, entfuhren ihm oft Reden, die sich der Mann von Bildung nie erlaubt. Was ließen sich nicht Einige der Herren in der Versammlung bieten, wo man sich nicht selten über die Mittel berathschlagte, das Land auf dem kürzesten Wege und zwar so recht methodisch an den Bettelstab zu bringen, die für Geld und eitle Ehre dienten! Oft drohte der schwache Mann, den auf der Stelle an den Galgen hängen zu lassen, welcher von den Verhandlungen ein Wort verriethe. Auf der öffentlichen Parade stieß er Schimpfworte gegen angesehene Offiziere aus, wie man sie in Paris nur auf den Fischmärkten hört, wo er sie wahrscheinlich gelernt hatte. Und deutsche Männer mußten diese Schmach von einem Schwächling ertragen, der nicht werth war, ihnen die Schuhriemen aufzulösen!
Er wurde von seinen Eltern für den Handel bestimmt. Nach überstandenen Lehrjahren führte ihn sein Geschick als Commis in ein Handelshaus nach Baltimore. Daher auch sein Krämersinn, den er nie verleugnen lernte und auch als König mit beschnittenen und unbeschnittenen Juden, durch den Handel, den er mit den Domänen trieb, durch die hohen Abgaben, die er vom Lande forderte, das er nur als eine einträgliche Pfründe betrachtete, beurkundete. –
Die Quelle aller dieser öffentlichen Verhandlungen, der westphälische Moniteur, wird daher in einigen Jahrhunderten als ein merkwürdiges Werk in den Bibliotheken gezeigt werden, als ein Produkt, welches unter der Regierung eines Krämerkönigs herauskam.
Napoleon hatte in Egypten unerhörte Gräuel angerichtet, Menschen durch das Schwert und durch Gift gemordet, Waffenlose niederstoßen und erschießen lassen. Er schlüpfte glücklich über die Meereswogen hin, ohne die Beute der Engländer zu werden, kam in Paris an und wußte durch Kabale, Bestechung, geheime Gewalt, Versprechungen und Schmeichelei sich die Würde eines Consuls zu erschleichen. Der Herr Bruder in Baltimore erhielt davon Nachricht und nichts war ihm eben jetzt willkommener, als die Erhebung Napoleon's auf eine solche Ehrenstufe. Zur Erläuterung müssen wir dessen Liebesabenteuer hier nachholen, die dem Leser in ihrem genauen Detail vielleicht noch nicht bekannt sind.
Hieronymus hatte sich in die Tochter eines begüterten Banquiers in Baltimore verliebt, welcher Patterson hieß. Seine Braut, Namens Mary, war ein mit allen Reizen ihres Geschlechts geschmücktes Mädchen, in voller Jugendblüthe und kräftiger Gesundheit. Ihr Herz war ein schuldloses und unbefangenes. Der damals noch weniger entmarkte Jüngling wußte ihr Gegenliebe einzuflößen und verstrickte sie in ein unauflösliches Netz. Den Eltern blieb die Neigung ihrer Tochter gegen den Corsicaner nicht verborgen. Sein Stand, die völlige Unbedeutsamkeit seiner Person, seine geringen Vermögensumstände u. s. w. waren Hindernisse, welche die Eltern schreckten, ihre Tochter mit dem Fremdlinge zu vermählen. Alle Vorstellungen, die sie ihrem Lieblingskinde machten, es von dem Hieronymus zu trennen, scheiterten an der standhaften Treue der Mary. Sie wußte es recht gut, daß der Schatz der versprochenen Mitgift, welche eine halbe Million Dollars betrug, ihr Ansprüche auf die ersten Jünglinge des Landes gab; aber sich darum von dem Geliebten trennen, mit dem sie einzig glücklich zu sein hoffte, das ließ ihr treues Herz nicht zu.
Eben sie war es, welche den Hieronymus tröstete und ihm Liebe schwor bis in den Tod, wenn der Schmerz und die Furcht aus ihm sprach, sich von ihr getrennt zu sehen. Endlich, da Mary's Sinn sich nicht änderte, da das Gerücht sich bis nach Baltimore hin verbreitete, daß Bonaparte Consul von Frankreich geworden sei, willigten die Eltern in die Heirath ihrer Tochter mit einem Commis, der sich durch nichts auszeichnete, den die Natur weder mit vorzüglichen Geistesgaben, noch mit einem schönen Körper begabt hatte.
Aber wie schlecht wurde die treue, gute Mary von ihrem Gatten nach Verlauf eines Jahres für ihre standhafte, aufopfernde Liebe gelohnt? Napoleon hatte nämlich die Kaiserkrone auf sein ungesalbtes Haupt gedrückt, und um sie mit desto mehr Sicherheit zu behaupten, zog er Verwandte und Günstlinge aus der Dunkelheit hervor, um ihnen einträgliche und ehrenvolle Aemter zu verleihen. Er war damals schon dreist genug, sich über die Urtheile der Franzosen, wenn sie seine Wahl auch mißbilligten, hinwegzusetzen, und hatte sich schon so furchtbar gemacht, daß es keiner mehr wagte, seine mißbilligende Meinung über ein so widerrechtliches, willkürliches Verfahren laut auszusprechen.
Er gedachte in dieser Hinsicht auch an seinen Bruder Hieronymus, den Commis in Baltimore, und lud ihn unter großen Versprechungen ein, nach Paris zu kommen. Ein geheimer Brief an denselben enthielt die Weisung, seine Gattin zu verlassen und sie ja nicht mit nach Frankreich zu bringen. Napoleon hatte schon damals den Plan, seine Brüder mit Prinzessinnen zu verheirathen, um dadurch, als Usurpator, seine Gewalt desto fester zu gründen. Da es ihm ein leichtes Spiel war, wenn es sein Interesse galt, das Heiligste aufzuopfern, Pflicht und Gewissen zu verleugnen; da er nie gegen irgend ein menschliches Wesen eine wahre Zuneigung gefühlt hatte; da er sich, zu seiner eigenen Schande, eine kurze Zeit später von seiner Josephine trennen konnte, an welcher er zum undankbarsten Verräther wurde, so glaubte er seinem Bruder in der Andeutung, die Mary zu verstoßen, nichts zuzumuthen, was dieser zu erfüllen sich sträuben würde.
Wäre Hieronymus ein Mann von edlem Herzen gewesen, hätte er seine Mary aufrichtig geliebt, mit Verachtung hätte er den Antrag des damals kaiserlichen Bruders von sich gewiesen. Aber er zeigte eine gemeine verächtliche Denkungsart, vergaß jede Verbindlichkeit, die ihn an seine Gattin fesselte, gedachte ihrer Liebe und Treue nicht mehr und ließ sich durch den Glanz, der ihm vorgespiegelt wurde, blenden. Kurz, er zeigte sich als ein unwürdiger Bruder des großen Helden.
Aber den guten Schein wollte Hieronymus in Baltimore wenigstens noch behaupten; er schämte sich, den schwarzen Plan seiner Seele zu enthüllen; der Schmerz der Mary, wenn er ihr sein Vorhaben offenbarte, war ihm nicht gleichgültig. Er glaubte sie mit menschlicher Schonung jetzt noch behandeln zu müssen, da die Zeit näher rückte, wo sie Mutter werden sollte.
Er entdeckte seiner Gattin und seinen Schwiegereltern, so weit er es durfte, die Nachricht, die er aus Paris erhalten hatte, und zeigte ihnen zugleich an, daß er Anstalten zu einer schleunigen Abreise treffen werde. Mary, die mit kindlicher Zärtlichkeit an ihren Eltern hing, die Trennung von ihnen fürchtet und vielleicht im Geiste schon ihr bevorstehendes Unglück ahnet, bittet ihn mit Thränen der Liebe, in Amerika zu bleiben und auf einen Glanz Verzicht zu leisten, der die Wonnen des ehelichen Lebens selten erhöht, in den meisten Fällen aber herabsetzt. Eben darum bitten ihn auch die trauernden Eltern, welchen die Trennung von einer Tochter, welche noch dazu schwanger war, als ein unüberwindliches Herzeleid erscheint. Aber der sonst so demüthige, mit seinem Glück so zufriedene Hieronymus bleibt fest entschlossen, ja, er tritt mit einer Gebietermiene auf und erklärt ohne Rückhalt: er müsse dem Befehle seines erlauchten Bruders gehorsamen, und wenn es ihm die größten Opfer koste; es sei Thorheit, die Anerbietungen, welche zu Glück und Ehren führten, von sich zu weisen.
Als man wohl einsah, daß der von Hochmuth aufgeblasene, nach hohen Dingen trachtende, alles um sich verachtende Mann nicht zu bewegen war, wandte man sich an die Mary, um sie zu vermögen, in Amerika zu bleiben. Man prophezeite ihr das Schicksal, was sie bald nachher erfuhr. Aber sie vertraute der Güte ihres Gatten, wurde seine Vertheidigerin und meinte, daß es ihr unmöglich sei, ihn allein reisen zu lassen. Eben dadurch, daß ich hier bliebe, erklärte sie, gäbe ich ihm das volle Recht, die schreckliche Prophezeiung wahr zu machen, zu der sich sein Gemüth, wenn ich bei ihm bin, nie erniedrigen wird.
Mary überwand den Schmerz der Trennung von ihren Eltern und Freunden und gab ihr Glück in die Hände eines Mannes, der damals schon, als er sie mitnahm, ihr Unglück beschlossen hatte. Mit Allem reichlich ausgestattet, was die elterliche Liebe geben kann, bestieg er mit seiner Gattin das Schiff, welchem zahllose Thränen und Seufzer nachfolgten.
Man landete in dem Hafen von Lissabon. Nach einem kurzen Aufenthalte daselbst sagte Hieronymus seiner Gattin, daß er ihr nach Paris vorausreisen wolle, um die nöthigen Vorbereitungen zu ihrer Aufnahme zu treffen. Darüber erschrak Mary; sie dachte sich, daß dies vielleicht die beginnende Erfüllung der schrecklichen Prophezeiung sei, an die sie in Amerika nicht glauben mochte. Doch kam davon kein Wort über ihre Lippen; sie bat nur inständig, daß Hieronymus sie in der fremden Stadt, in einem fremden Lande, in einem fremden Erdtheile nur nicht allein lassen möchte, wo sie mit keinem Menschen nur entfernt bekannt sei.
Ueberdies, sagte sie, sei sie ja der Zeit ihrer Niederkunft so nahe, um in der Nähe des Mannes Trost und Beistand suchen zu müssen. Aber der verstellte heimtückische Corse ließ sich nicht erweichen, er betrog sie durch das falsche Versprechen, nach einer kurzen Abwesenheit sie selbst nach Frankreich zu führen. Kurz, er reiste ab und ließ den Stachel des Schmerzes in dem Herzen einer Gattin zurück, der er Liebe geschworen hatte und durch alle Grade der Dankbarkeit verpflichtet war. Von Furcht gefoltert, von Besorgnissen gepeinigt, von geheimen Vermuthungen zerrissen, trauerte sie Monde hindurch und hoffte vergebens auf die Wiederkehr ihres Gatten. Auch nicht ein Wort ließ er von sich hören. Nach Amerika wollte sie nicht zurück; sie konnte die Liebe zu Hieronymus nicht aufgeben und ihre Lage war unstreitig die schrecklichste von der Welt.
Endlich faßte sie den mannhaften Entschluß, um die Gewißheit ihres Schicksals zu erfahren, mit einigen weiblichen Domestiken, die sie bei sich hatte, nach Frankreich überzuschiffen und so kam sie auf Texel an.
Unter Furcht und Hoffnung nahte sie sich dem Reiseziele und entwarf Pläne, mit möglichster Eile nach Paris zu kommen.
Aber welch' ein schreckliches Licht ging ihr auf, als sie auf dem amerikanischen Schiffe den Befehl erhielt, nicht landen zu dürfen. Sie ließ vorstellen, daß sie eine schwangere Frau sei und der Hülfe bedürfe, man solle wenigstens Erbarmen gegen das Leben des Kindes haben, was sie unter dem Herzen trage, das wahrscheinlich, wenn man ihr den nöthigen Beistand entzöge, ein Opfer des Todes werden dürfte. Sie sei überdies die Gattin des Bruders des französischen Kaisers. Aber ein Barbar hatte den Befehl, sie nicht landen zu lassen, gegeben, und furchtsame Sklaven, welche die Strafe des Ungehorsams fürchteten, erfüllten ihn mit aller Strenge. Der Polizeiminister Fouché, dieses Ungeheuer in menschlicher Gestalt, dieser Lasterknecht, dieser entsetzliche Verbrecher, hatte das Landungsverbot nach Holland gesendet, welches der armen Mary ihr ferneres Schicksal willig aufklärte.
Das Verfahren war zu abscheulich, als daß es nicht auch das Gemüth des rohesten Menschen empört hätte, und wurde in Amsterdam bekannt. Anwesende Amerikaner baten um Mitleid für die arme Schwangere, die sich ja keines Verbrechens schuldig gemacht und gegen ihren Gatten so rühmlich als rührend die Pflicht einer treuen Anhänglichkeit erfüllt habe. Aber für Bitten der Art waren alle Herzen und Ohren verschlossen. Haß und Widerwille ergriff die Seelen gegen eine Regierung, die ihre Schritte mit solcher Unmenschlichkeit bezeichnete. Ja, man konnte es nicht begreifen, daß, wenngleich Hieronymus mit seinem Kaiserbruder sich frech und gewissenlos über die Strafe des öffentlichen Urtheils erhöbe, der Gatte und baldige Vater so schändlich an einem Weibe handeln könne, das ihm Alles aufgeopfert, das er von den Elternherzen losgerissen hatte, um es in das Grab der Verzweiflung zu stürzen. Aber Dank sei es der himmlischen Gerechtigkeit, welche die Lasterhaften, die ihre glänzende Laufbahn mit Verbrechen begannen, nach Verdienst gelohnt hat!
Mary ging nach England, wurde daselbst mit gastfreundlicher Güte aufgenommen und kehrte nach ihrer Niederkunft in die Arme ihrer Eltern zurück, wo sie mit tröstender Zärtlichkeit aufgenommen wurde. Wohl dir, Mary, daß du deinen Gatten, als er dich in Lissabon verließ, nicht wiedersahst! Würde deine treue Liebe die Ausschweifungen ertragen haben, die er sich in Cassel erlaubte? Was wäre jetzt dein Loos? Der Himmel hat an dem Undankbaren die Schmach gerächt, die er dir zufügte.
Ob es dem Herzen des Hieronymus wehe that, daß er sich von seiner Mary getrennt sah; ob er seine ehrlose That bereute und sich ihrer schämte; ob er den Schritt, der ihm ewig zur Schande gereicht, zurück zu thun wünschte, das wissen wir nicht. Aber unbekannt ist es nicht geblieben, daß er sich in Paris wilden Zerstreuungen überließ, ein üppiges Leben führte und mit unerhörtem Leichtsinn sich in die Arme feiler Dirnen warf.
Die von einem so liederlichen Leben unzertrennlichen Folgen, als bösartige Krankheiten und Erschöpfungen, stellten sich natürlicher Weise häufig ein; daher denn sein ausgemergelter Körper, den alle stärkende Bäder und Reizmittel nie hinlänglich zu raboriren vermochten. Die sogenannten galanten Krankheiten waren späterhin in der Familie und besonders bei dem weiblichen Theile derselben gleichsam einheimisch geworden.
Napoleon suchte (1806) einen Krieg mit Preußen, und wenn er gleich nach Endigung desselben in dem Wahne stand, mit dem Tilsiter Frieden den unerschütterlichen Grundstein zu seiner unüberwindlichen Größe gelegt zu haben, so untergrub er doch dadurch schon das Gebäude seines Staates, das auf so heillosen Verbrechen ruhte.
Hieronymus sollte auch eine Rolle in dem Kriege spielen und ans Licht hervortreten; aber der Bär hat mehr Anlage zum Tanzen, als er Talente zu einem Feldherrn besaß. Ein Commis ist so leicht nicht in einen Heerführer verwandelt; das erfuhr auch Napoleon mit seinem Bruder sehr bald und war gegen ihn in der Folge so gerecht, daß er von ihm nichts forderte, wozu ihm die Natur jede Kraft versagt hatte.
Hieronymus befehligte als Figurant die Truppen in Schlesien und nahm von dem, was er hätte thun müssen, wenig Notiz, weil er es nicht verstand; desto eifriger aber suchte er Nahrung für seine Sinnlichkeit und fand willige Geister, die für Lohn ihn in den Tempel aller Lüste einführten, wo er Nächte hindurch schwelgte, um seine hohen Lebensgeister für die Zeit seiner Thronbesteigung nur noch mehr zu verflüchtigen. Statt vieler Thatsachen, die das Gesagte beweisen, führe ich hier nur eine an.
Er war in Breslau im Theater und lernte daselbst eine Schauspielerin kennen, die einen außerordentlichen Eindruck auf ihn machte. Seine Leidenschaft war entzündet, und um dieselbe zu befriedigen, hätte er das Theuerste geopfert. Bald fand er bereitwillige Gemüther, welche für Geld der Theaterprinzessin die zarten Gefühle seines Herzens kund thaten. Mit spröder aber verstellter Kälte, um den gierigen Vogel desto sicherer ins Netz zu locken und den Kaufpreis des wollüstigen Hingebers desto sicherer zu erhöhen, wurden die ersten Anträge ausgeschlagen.
Thaliens Priesterin wurde blaß und roth, als man ihr das Verlangen des Hieronymus offenbarte; sie schlug beschämt die Augen nieder und erklärte mit zitternder Stimme, daß ihr die Unschuld um keinen Preis feil sei, sie verabscheue jede Buhldirne und werde eher sterben, als sich der Umarmung eines ihr unbekannten Mannes preisgeben. Uebrigens, so setzte sie tröstend für den Gelegenheitsmacher hinzu, kenne sie auch den Prinzen nicht, ob sie wohl gehört habe, daß er ein liebenswürdiger Mann sei, und wünsche ihn zu sehen und zu hören.
»Dieser Wunsch, meine Schönste, soll Ihnen gewährt werden«, sagte der vornehme Kuppler, »der Prinz wird Sie besuchen; bestimmen Sie nur Zeit und Stunde, wann er das Vergnügen haben soll, Ihnen seine Aufwartung zu machen.«
»Ich Arme«, fuhr die Schauspielerin fort und bewies die affektirteste Demuth, »wie dürfte ich das je wagen!«
»Der Prinz liebt Sie, und Sie können Alles von ihm fordern.«
»Ueber meine Zeit«, fuhr sie fort, »kann ich selten gebieten, und wie würde mich der Neid verfolgen, wenn ich von einem französischen Prinzen einen Besuch erhielte! Die einzige Stunde, wo ich mir selbst angehöre, ist die Zeit der Erholung nach geendigtem Schauspiele.«
Der Kuppler küßte der Dame ehrfurchtsvoll die Hand und sagte: »Sie machen mich sehr glücklich, daß Sie mir die Erlaubniß ertheilen, dem Prinzen sagen zu dürfen, daß er morgen zu Ihnen kommen darf.« Sie lächelte sanft, machte eine stille Verbeugung und entließ den unerwarteten Gast mit vieler Artigkeit.
Der kleine Hieronymus war außer sich vor Freude, als ihm die erwünschte Nachricht mitgetheilt wurde, und es regnete diesmal dem Manne Napoleonsd'or, der seiner Leidenschaft einen so wichtigen Dienst leistete. Er ließ sich kaum durch Vorstellungen bewegen, seinen Besuch noch vierundzwanzig Stunden aufzuschieben, und wollte auf der Stelle die zu seinen Diensten bereitwillige Schöne überraschen.
Er besuchte den folgenden Abend das Theater, und es traf sich gerade, daß die auserkorene Schöne die Rolle einer schuldlosen, sittlichen Braut spielte. Was Unschuld und weibliche Tugend Reizendes haben, das wußte die durch freche Lüsternheit in ganz Breslau bekannte Dirne zu erkünsteln, um sich im höchsten Grade liebenswürdig zu machen. Die Phantasie des Hieronymus war nun sehr erhitzt; er sah und hörte nichts, als seine Schöne. Seine Ungeduld, ehe das Stück zu Ende kam, wurde ungemein heftig. Endlich fiel der Vorhang; die Zuschauer verließen die Logen und drängten sich durch die Thüren hinaus.
Nach Verlauf einer halben Stunde betrat der verliebte Held seine Bahn, die ihn zum Gastmahl der Wollust führen sollte. Aber wie groß war sein Erstaunen, daß die Sorge, sich ihr durch Worte nicht verständlich machen zu können, bei ihrem Erblicken verschwand. Sie kam ihm mit einer Huldigungsbezeugung in französischer Sprache entgegen, wie er sie nicht gefälliger und artiger von einer Pariserin gehört hatte. In tiefster Unterthänigkeit, begleitet von züchtiger, weiblicher Grazie, bot sie ihm einen Sitz auf dem Sopha an. Er nahm das Anerbieten an, faßte sie bei der Hand und bat, daß sie sich neben ihm niederlassen möchte. Mit höflichem Weigern nahm sie dies nach einer Weile mit ehrfurchtsvoller Miene an.
Hieronymus machte ihr einige plumpe Komplimente über ihr meisterhaftes Spiel und suchte dann mit raschen Schritten sich seinem Ziele zu nahen. Aber wie wurde er in seinen Erwartungen getäuscht! Ihr Sträuben war nicht das gewöhnliche, dem Hieronymus längst bekannte, das sich durch dreiste Männerfrechheit endlich überwinden läßt; nein, sie erklärte ohne Rückhalt, daß sie's am wenigsten von einem Prinzen erwartet habe, daß er sie so wegwerfend behandeln werde. Sie sei entschlossen, die Reinheit ihrer Unschuld zu vertheidigen, und wenn sie dabei auch ihr Leben auf's Spiel setze ...
Der Herr Liebhaber verstummte vor Erstaunen und wußte nicht, ob er diesen unerwarteten Widerstand für Ernst oder Scherz halten sollte. Alle weiteren Versuche, die er noch auf ihre Person wagte, wurden hartnäckig abgeschlagen und, was ihm in Paris noch nie vorgekommen war, das mußte er in Breslau erfahren, mit gesteigerter und unbefriedigter Leidenschaft abziehen, wie er gekommen war.
»Darf ich Sie morgen wieder besuchen?«
»Wenn Sie ruhiger in Ihrem Betragen sein wollen, allerdings.«
Er ging, und nicht einmal einen Kuß erlaubte sie ihm, wie sehr er sich auch darum bemühte. Vor der Thüre fand er seinen Begleiter, der mir, als ich ihn einst fragte, ob er mit dem Könige auch in Schlesien gewesen sei, nicht allein diese Scene haarklein erzählte, sondern auch noch Folgendes ergänzte.
Hieronymus machte gegen seinen Begleiter keinen Hehl daraus, daß sein Abenteuer einen schlechten Ausgang genommen habe und sagte: diese Festung fällt so leicht nicht, indeß denke ich doch, sie wird sich endlich auf Kapitulation ergeben. Morgen bist Du um dieselbe Stunde wieder bei mir.
Am andern Morgen wurden der Venuspriesterin kostbare Zeuge zu mehreren Kleidern, etliche Ringe von Werth und eine Rolle Napoleonsd'or zum Geschenk überreicht. Sie sträubte sich anfangs sehr, das Geschenk anzunehmen, endlich aber, als der Ueberbringer, der uns schon bekannte Kuppler, einfiel: »Soll ich dem Prinzen sagen, daß Sie sein Geschenk verachten? Halten Sie es für eine Unehre, es von seinen Händen zu empfangen?« – fügte sie sich mit bescheidener Ergebung und vielem Danke in den Willen des gnädigen Gebers. »Aber«, fuhr der Mann fort, »der Prinz bittet Sie ausdrücklich, heute Abend ja mit keiner Silbe der Kleinigkeit zu erwähnen. Er findet seinen schönsten Lohn in der Güte, mit der Sie diesen schwachen Beweis seiner Huldigung annehmen ...«
Die Schäferstunde schlug dem sehnsuchtsvollen Hieronymus und er fand sich bei der Schauspielerin wieder ein. Sie nahm ihn mit schmeichelnder Höflichkeit auf, zeigte aber dennoch eine spröde Kälte, die nur dazu dienen sollte, das Feuer des Liebhabers anzuschüren. Endlich kam es zum Händekuß, dann zum Kuß auf den Mund und die Genien der Keuschheit schliefen ein.
Dasselbe Schicksal hatte im Parterre des Hauses vor langer Weile auch der Begleiter gehabt, indessen sein Herr die Nacht in süßem Taumel bis zum andern Morgen um vier Uhr durchwachte.
Etwa vierzehn Tage hatte dies Sinnenfest gedauert, als der arme Prinz eine Erfahrung machte, an die er zwar von Paris aus schon gewöhnt war, die ihm aber deswegen doppelt empfindlich war, weil die Heftigkeit des von seiner Lais ererbten Uebels ihn hinderte, seinen Liebeshandel, der zur Leidenschaft geworden war, fortzusetzen.
Da es übrigens schwer zu unterscheiden war, wer von den beiden Liebenden dem andern das fatale Geschenk gemacht hatte, der Prinz auch seiner Sache nicht ganz gewiß war und nicht wußte, ob es ein Pariser Rest oder Unmäßigkeit des Genusses sei, was dem angenehmen Romane so schnell ein Ende gemacht habe, so tröstete er sich sehr leicht, als er erfuhr, daß seine Donna sich aus dem Staube gemacht hätte.
Sie hatte bei Nacht und Nebel Breslau verlassen, nachdem sie dem verliebten Corydon manche schöne Fettfeder ausgerupft, und reiste nach Leipzig, um sich wieder in statum integritatis zurückführen zu lassen.
Der Friede von Tilsit war geschlossen. Napoleon setzte aus geraubten Ländern, die er wider Recht und Billigkeit an sich riß, ein neues Reich zusammen und nannte es Westphalen. Er beging die große Thorheit, unseren Helden, seinen jüngsten Bruder, zum Könige zu machen und schenkte ihm, nach vielen Abzügen und Einschränkungen, die gestohlene Beute. Mit entnervtem und geschwächtem Körper, im Kampfe mit einer bösen Krankheit begriffen, die den Namen der ehemaligen großen Nation führt, bestieg und besudelte er den Thron.
Als ihm die Nachricht mitgetheilt wurde, daß ihm ein Königreich zugefallen sei, soll er sich vor Freude ganz wunderlich geberdet haben. Es läßt sich dies wohl glauben, denn an die Last der Pflichten, die sich an eine Krone knüpfen, hatte seine Seele nie gedacht; er sah das ihm geschenkte Königreich als eine Fundgrube an, welche das Material enthielt, auf alle ersinnliche Weise seinen Verschwendungen und Ausschweifungen den nöthigen Vorschub zu leisten. Dem Namen nach war er freilich ein sehr vornehmer Herr geworden, wie es in Europa nur wenige giebt; aber, was sich nur zu bald zeigte, nach seinem Gehalte blieb er, was er ehemals war, ein Kaufdiener, und noch dazu ein recht ungeschliffener.
Vorzüglich drängten sich die höfischen deutschen Schmeißfliegen von allen Seiten um ihn her, die ihm das Weihrauchfaß der Schmeichelei fast an den Kopf warfen. Da ihm der feine Sinn für Verdienst und Würde gänzlich fehlte, so gefiel er sich in der Welt unterthäniger und niederträchtiger Schmeicheleien, in der ihn treulose Verräther ihrer ehemaligen Fürsten, die sein tyrannischer Bruder beraubt und geschändet hatte, hüllten. Diese Menschen spekulirten nur auf Gewinn, glaubten bei der neuen Organisation ein Erkleckliches zu verdienen, und wenn sie weiter nichts wollten, so mußte ihnen dies gelingen.
Es gab einige unter ihnen, die sich um hohe Posten bewarben, um gleichsam Blitzableiter für ihr Vaterland zu werden, wenn etwa die Nationalfranzosen am Cassel'schen Hofe Lust haben sollten, es mit dem Volke zu arg zu treiben. Die meisten aber hatten nur selbstsüchtige Zwecke.
Es ist mir durchaus unbegreiflich, wie der alte so einsichtsvolle Minister S...g, der bei manchen Schwächen nicht ohne rühmliche Eigenschaften war, sich dem Könige von Westphalen als Staatsdiener anbieten und bei der neuen Regierung ein Amt übernehmen konnte.
Daß ein Theil seiner Güter in Westphalen lag, legte ihm keineswegs die Verbindlichkeit auf, den bewußten Schritt zu thun, den er, gekränkt und beleidigt, bald wieder zurückthun mußte. Manches Versehen, was er bei dem Eindringen der Franzosen in die Brandenburgischen Staaten sich zu Schulden kommen ließ, hätten ihm die Preußen sicher vergessen; daß er aber ein Abtrünniger wurde und sich zu den Feinden seines Königs gesellte, wird er selbst schwerlich jemals entschuldigen können. Ich bin überzeugt, daß er viel darum gäbe, die Periode, die er in Cassel verlebte, aus seinem Leben streichen zu können.
Zu den Schmeichlern von der gemeinsten Klasse, die Ehre und Goldberge zu finden glaubten, gehört insbesondere ein gewisser Graf B...l. Seine Eltern sind allgemein geachtete Leute von deutscher Sinnesart. Der König verlieh ihm den Kammerherrnschlüssel. Er wollte in Preußen eine große Rolle spielen, und dazu fehlte ihm das Talent. Seine Anerbietungen wurden von der weiseren Regierung zurückgewiesen. Er faßte einen tiefen Haß gegen den König von Preußen und suchte Gelegenheit, ihn an den Tag zu legen. Der Unwürdige, der so lange die Gnade seines Königs genossen hatte und Domherr von Magdeburg gewesen war, brandmarkte sein Betragen durch schändlichen Undank.
Er wurde Maire von Magdeburg, und wo er seinem früheren Vaterlande nur schaden konnte, unterließ er es nicht. Jeder Verlust, den Preußen erlitt, war für sein rachsüchtiges Herz ein Fest. Von ihm schrieb sich das Gebot her, daß alle ehemaligen preußischen Offiziere in vierundzwanzig Stunden Magdeburg verlassen sollten. – Endlich mußte er seinen Posten niederlegen, den er durch Albernheit und Härte entehrte, ging nach Cassel, um da durch Aufwand aller Art sein ansehnliches Vermögen zu vergeuden und seine zahlreiche Familie an den Bettelstab zu bringen.
Wie sind die Thoren für ihren Unsinn, für ihre Verrätherei, für ihre Pflichtvergessenheit gestraft worden!
Um die Geschichte des Hieronymus weiter zu verfolgen, muß ich bemerken, daß die galante Krankheit, die er aus Breslau mit sich brachte, nun die Aerzte in Bewegung setzte, dem leidenden Herrn wieder zur Gesundheit zu verhelfen. Ein miserableres Geschenk, als einen solchen König, hätte Napoleon dem Volke wohl nicht machen können. Es wurden ihm Bäder verordnet, des Morgens Milch, Mittags Bouillon und des Abends rother Wein. Der Gebrauch derselben stärkte den Schwachen und gab ihm die tröstende Hoffnung, neue Liebesabenteuer anknüpfen zu können, wozu er bereits die nöthigen Vorbereitungen traf. Um seine Gemahlin bekümmerte er sich wenig und – konnte auch wohl kaum daran denken.
Den Hessen war es unerhört, einen Fürsten zu haben, den die verhaßteste und erniedrigendste Krankheit plagte, die jeden Menschen verächtlich macht, und wahrhaft lächerlich kam ihnen Hieronymus im Bade vor. Zu einem Bouillonbade wurde jedesmal ein ganzes Kalb gekocht. Da dieses Bad, als er schon genesen war, zur weiteren Stärkung und zum Ersatz vergeudeter Kräfte fortgebraucht wurde, so kann man sich die Verwüstung leicht denken, die der schwache Herr während seiner glorreichen Regierung unter den Kälbern anrichtete.
Der König machte einige Reisen in seinem Lande, um seine erbärmliche Figur den Augen der Unterthanen bloßzustellen. Er war dann wie eine Modepuppe auf's Köstlichste geputzt, starrte von Gold und erschien wie ein asiatischer Prinz. Das Schlimmste bei seiner grenzenlosen Verschwendung war, daß er alle seine Bedürfnisse aus Paris kommen ließ, mithin das Geld aus dem durch Kontributionen und Auflagen erschöpften Lande in's Ausland geschickt und dem Umlaufe entzogen wurde. So sah ich ihn, als ich zufällig in Magdeburg war, damals einziehen. Man hatte da die unsinnige Verschwendung begangen und dem, welcher über seinen Wollusttrieb nicht triumphiren konnte, Triumphbogen errichtet. Dies war die Schuld der wahren Magdeburger nicht, die mit heißer Liebe das Bild ihres geehrten Friedrich Wilhelm unauslöschlich im Herzen trugen, wohl aber einiger Vornehmen, welche treulosen Hunden gleichen und Jedem die Hände lecken, der ihnen einen Knochen hinwirft. Besonders sah ich einen gewissen L... dabei sehr beschäftigt, der es nun bereut, daß er den Spaß, eine Weile den regierenden Herrn spielen zu dürfen, so theuer bezahlen mußte. Ein verwünschter, undeutscher Geist war in viele Vornehme gefahren, die man an den Pranger verdienter Schande stellen sollte.
Ueberhaupt machte man sich ein eigenes Geschäft daraus und suchte darin hin und wieder sogar ein Verdienst, für den Ritter von der traurigen Gestalt alle nur erdenklichen Ehrenbezeugungen auf seinen Reisen zu verschwenden. Wüßten wir nicht, daß sie in der Regel nur das Werk kriechender Präfekten und habsüchtiger Schmeichler in den Behörden gewesen, so müßte man an der Ehrliebe und Rechtlichkeit der Völker überhaupt verzweifeln.
Die Ehrenpforten und Triumphbogen aber, welche man in Halberstadt, Braunschweig, Magdeburg, auf dem Harze und an so vielen anderen Orten des buntfarbigen Königreichs bei der Ankunft Sr. Majestät, aufgerichtet hatte, waren als das Werk jener Wenigen wahre pericula, Satiren auf den gesunden Menschenverstand; denn wer die Perlen in dem Stalle des Augias und das Licht in der Finsterniß sucht, hat die alteram Petri partem insgeheim verschworen.
Lorbeerkränze und Erleuchtungen, wiederum heterogene Opfer der Kriecherei, wo weder Thaten noch Verdienste waren, behaupteten ebenfalls nur ihre Statt, wo Verräther des Vaterlandes auftraten und einen furchtbaren Blitzstrahl, das Gebot der tiefsten Devotion und lichterlohen Liebe gegen Se. Majestät, unter das Volk schleuderten. Letztere, die Erleuchtungen, hätten vielleicht noch eine Art von vernünftiger Bedeutsamkeit erhalten können, wenn man ihnen den rechten Sinn unterzulegen gewußt hätte. Allerdings herrschte im hohen Rathe für Westphalen, allermeist aber im Kopfe Seiner Majestät, eine recht gemeine Finsterniß, und es wäre daher die sinnbildliche Erleuchtung jederzeit bei der Ankunft oder dem Namenstage des Königs ein sehr zeitiger und höchst schicklicher Ausdruck, der Wünsche und Ansichten des Volkes, ein wahrhaft hoffnunggebender Wink für König und Rath gewesen, hätte man in Westphalen die Stimmung des Volkes begriffen oder begreifen wollen.
Was aber das Ohr des Deutschen am meisten ergötzte, waren die einzelnen Töne, welche dem passageren Gaste ein Lebehoch anstimmten. Einzelnen Fahrzeugen gleich, die auf hoher See verschlagen, nach einem Haltungspunkte und Ankerplatze umhertreiben, oder, Korsaren ähnlich, auf Raub auskreuzen, erhoben sich die Rufer aus der Menge des Volkes. Oft waren es nur gedungene Lohndiener, welche indessen gegen das Ende des Gaukelspiels auch um keinen Preis mehr zu haben waren.
In Halberstadt nämlich gingen die westphälischen Ritter noch bei dem letzten Besuche Sr. Majestät, auf der Reise nach Dresden, damit um, demselben ein Lebehoch zu rufen, und Einer von ihnen äußerte den Einfall, auch diesmal Einigen aus der Menge ein gutes Douceur zu bieten, um das Vivat zu Stande zu bringen. Einer unter ihnen indessen, dem ein lucidum intervallum ein Anderes eingab, widerrieth den Plan mit der Aeußerung, wir blamiren uns; wir risquiren, daß der Pöbel dabei laut auflacht. In der That wurde nichts daraus.
Dennoch hätte das beliebte Vivat nicht allein im Munde des echten Westphalen den aufrichtigen Wunsch des kräftigeren Lebens für einen bereits verbleichenden König, der nur noch einem verlöschenden Lichte gleich war, ausdrücken können; sondern der Deutsche sogar konnte immerhin in den Freudenruf einstimmen und Meister Hieronymus leben lassen, freilich lieber auf Elba oder in Sibirien, als auf dem Blocksberge. Denn wie wenig an dem Tode eines solchen Prinzen, wie höchst gleichgültig sein physisches Leben ist, hat nichts besser gelehrt, als die Erfahrung. Was edlen Fürsten und Männern ausschließlich gebührt, ist das floreat, crescat.
Seiner physischen Existenz galten denn auch die Bäder, von welchen ich, als ihm so unentbehrlichen Genüssen wie dem gesunden Menschen die Luft, unten noch weiter reden werde. Hier nur eine Anekdote, die auch unter dem westphälischen Militär den antipreußischen Sinn zu erkennen giebt. –
Einst speiste ich des Mittags im Schwan zu Magdeburg, einem Gasthofe, der am breiten Wege liegt. Es war daselbst eine große Gesellschaft zu Tische, in welcher sich auch mehrere westphälische Offiziere befanden.
Ein Major bemerkte: »Der König ist ein Mann von dem besten Herzen, der nur das Gute will. Er wird seine Armee auf einen respektablen Fuß setzen.«
»Was für einen König meinen Sie?« fragte ein Prediger aus einem benachbarten preußischen Dorfe, dessen Frau neben mir saß.
Mit heftiger Stimme erwiderte der Major: »Wen soll ich meinen?«
»Was Sie soeben sagten, paßt ganz auf Preußen und unsern König«, entgegnete der Prediger.
»Sehen Sie es nicht an meiner Uniform, daß ich ein Westphale bin? Was geht mich Ihr Land und Ihr König an?«
Ganz ruhig fragte der Prediger, da in der Gesellschaft eine allgemeine Stille entstanden und Jeder auf das Gespräch und dessen Ausgang aufmerksam geworden war: »Gab es denn nie eine Zeit, wo Sie dies Land und dieser König etwas anging? Waren sie nicht in preußischen Diensten? –«
»Ja, das war ich; aber damit ist's aus. Hier bin ich Major geworden, und dort hätte ich es nie weiter als zum Kapitän gebracht.«
»Also darum geht Sie das Land und sein König nichts mehr an?«
Jetzt nahm die Frau das Wort, wendete sich an den Major und sagte: »Mein Herr, Sie erscheinen ganz Ihres Königs würdig, wie Sie mit voller Verachtung auf den König und das Land zurückblicken, welches einst Ihr Vaterland war. Auch scheint Ihr Urtheil nicht ganz unbestochen.«
Die Zunge war dem Herrn Major gelähmt, er wurde roth, und wir freuten uns über die patriotische Dreistigkeit der wackeren Frau.
Auch in Magdeburg wurden indessen dem Hieronymus bei seinem kurzen Aufenthalte jene Bäder bereitet, und er wartete sie regelmäßig ab. Zu versäumen hatte er überdies nichts; er war am unschädlichsten, wenn er sich in der Bouillon und in dem rothen Weine ausruhte. Die Kosten des Bades mußte jedesmal die Stadt bezahlen, die das verwünschte Glück genoß, den Badenden in ihren Mauern zu haben.
Man hat mich versichert, daß die Kammerdiener einen Handel mit dem gebrauchten Weine getrieben und daß sie ihre Abnehmer gefunden haben. Daher fürchteten Manche sogar in dieser Periode den Ankauf des rothen Weines aus Besorgniß, Hieronymus möchte sich darin gebadet haben.
Die Stadt Leipzig mußte im Jahre 1809 für den König von Westphalen, der als Held gegen die Oesterreicher zu Felde zog, zu jedem Bade täglich vierzig Thaler liefern, damit Vanille gekauft werden konnte, es zu verstärken.
Die Bäder waren dennoch nur eine der geringsten Verschwendungen, die sich Hieronymus erlaubte. Wir werden noch von ganz anderen Dingen hören, wodurch er dem Lande eine Geißel wurde. Er war bestimmt, Tausenden durch seine abscheulichen Verschwendungen das Leben zu verkümmern. Wenn nur die Mittel dazu da waren, das war ihm genug; wie sie erpreßt wurden, ob daran die Seufzer und Thränen des Volkes hingen, das ihn verwünschte, darum bekümmerte er sich im Wonnetaumel nicht.
Die Vollständigkeit der Schilderung des Cassel'schen Hofes macht es nothwendig, daß ich die Ausschweifungen in Venere, welchen sich Hieronymus ergab, als er wieder gehen, fahren und reiten konnte, nach allen ihren Zügen mittheile. Er war ein Sünder, an dem die Feile der Besserung nichts ausrichtete. Er betheuerte den Aerzten selbst, die an seinem Körper flickten, daß er zum zweite Male nicht wieder in die Falle der Wollust gehen wolle, in der er so viel Schmerzen erduldet hätte und sogar in Gefahr gewesen wäre, seine Mannheit zu verlieren. Aber seine Leidenschaften waren mächtiger als seine Vernunft, sie schleuderten ihn mit sich fort, und der elende Schwächling hatte keine Kraft, ihnen zu widerstehen.
Wie verderblich aber das Beispiel eines solchen Königs auf das Volk wirkt, hat die Erfahrung gelehrt. Spricht er sich nicht selbst das Urtheil, wenn er ein Strafgesetz gegen den Ehebruch geltend machen will? Aber er fühlte sich mit seiner entwürdigten Majestät über alle Gesetze erhaben und erlaubte sich Schandthaten, für die er nicht belangt werden konnte; er glaubte mit dem Königstitel das Recht erlangt zu haben, allen thierischen Genüssen auf Unkosten der Sittlichkeit fröhnen zu dürfen.
Zu verwundern war es wirklich, daß er Geschöpfe fand, die sich ihm verkauften. Er war wirklich häßlich und hatte durchaus nichts aufzuweisen, was die weibliche Sinnlichkeit in der Ferne nur reizen konnte. Ja, ich bin völlig überzeugt, daß es mancher Frau sogar Ueberwindung kostete, sich ihm auf eine Art zu nahen, die die innigste Gemeinschaft voraussetzt. Ueberdies war es ja auch in ganz Cassel bekannt, an welcher Krankheit er laborirt hatte, und seine völlige Heilung konnte man nicht als gewiß annehmen. Ich muß hier einige Bemerkungen über die Weiber niederschreiben, die sich als Buhldirnen dem Hieronymus verkauften, ehe ich die wirklichen Liebesabenteuer, die gespielt wurden, selbst beginne.
Bei unserem Hofe war es nie Sitte, daß Weiber das Regiment führten; der Herr regierte sein Land selbst. Als aber Hieronymus sich in Cassel als ein erklärter Venuspriester niederließ und das reine, unbefleckte Schloß zu einer Bordelbude erniedrigte, da begann das weibliche Scepter die Herrschaft. Herrschen mögen die Weiber überall gern; kann es nicht auf dem Wege der Kraft und Ueberlegenheit geschehen, so nehmen sie ihre Zuflucht zur List und Bosheit.
Der Sinn für weibliche Reize, den der König verrieth, wurde von den Damen, die bei Hofe Zutritt hatten, bald erkannt, und nur zu bald erkannten sie in ihm den Mangel aller Selbstständigkeit und des entschlossenen Willens. Ihn, durch die Liebe gefesselt, zu ihrem Sklaven zu machen, schien ihnen ein Spiel, und so Einfluß auf die Staatsverwaltung zu erlangen, erhöhen und stürzen zu können, ward ihnen nun ein Leichtes.
So schimpflich die Ehre war, eine Geliebte des Hieronymus zu sein, so erhielt die weibliche Eitelkeit doch dadurch Nahrung. Waren die Vornehmsten, selbst die Minister schwach genug, sich vor den Concubinen tief zu bücken, die rechtliche Männer im Herzen verachteten, so war schon dies eine Huldigung, die eine herrschsüchtige Frau auch auf bösem Wege nicht leicht verschmäht. Wer wagte es, einem Wesen auf den Fuß zu treten und es mit dem rechten Namen zu bezeichnen, das in einer Schäferstunde den König zu vermögen im Stande war, diesem Wichte unverdiente Würden zu ertheilen und jenen rechtlichen Mann von seinem Posten zu vertreiben. Es ist ausgemacht, die Weiber haben dem Frevel der Lebensweise des Königs die Krone aufgesetzt.
Ueberdies verlangte der Herr die Gunstbezeugungen auch nicht umsonst. Es ist unglaublich, welche Summen die Unterhaltung der Lustdirnen am Cassel'schen Hofe dem Lande gekostet hat! Niedriger Eigennutz war es, welchem die Frauen guten Namen, Tugend, eheliches Glück, ja ihre Gesundheit aufopferten. Ihnen war die Tugend eine verkäufliche Waare, welche sie um gesetzte Preise feilboten. Wie sehr der König bemüht war, den Wünschen dieser Damen zu fröhnen, mag folgende Anekdote beweisen.
Er hatte von einzelnen Frauen seines Harems gehört, daß besonders die Shawls der weiblichen Figur eine reizende Fülle gäben u. s. w. Sogleich erging an den Hofmarschall das Gebot, fünfzig Shawls anzukaufen. Sie wurden aus Paris verschrieben, das Stück zu 12 bis 15,000 Thalern, und er vertheilte sie.
Aber, so höre ich fragen, schwiegen denn die Ehemänner zu den Treulosigkeiten, die ihre Weiber an ihnen begingen? Einige mußten dazu schweigen, weil sie bisher durch ihr eigenes Beispiel denselben vorleuchteten. Wo die Frau Herr im Hause war, da wurde die Drohung des Mannes verlacht und der Unwille Sr. Majestät ihm als ein Schreckgespenst vorgehalten, was sein augenblickliches Aufbrausen besänftigte. Andere, die sich nichts daraus machten, mit einem Andern ihr Ehebette zu theilen, verlebten die Nächte während der Abwesenheit der Gattin entweder allein, oder verschafften sich Entschädigung und betrachteten das Verhältniß, in dem die Zuchtlose mit dem Könige lebte, als das Mittel, welches zu einer besseren Versorgung und zur Erlangung der Ordensdekorationen führte. Diese Rechnung schlug nicht fehl.
Um dieser Abwesenheit doch wenigstens den Schein Rechtens zu geben, waren mehrere Hofdamen angestellt, die der Reihe nach des Nachts im Schlosse zur Aufwartung bei der Königin bleiben mußten; diese wurden dames de service genannt. Als Napoleon unseren Hieronymus seiner Dummheit wegen von der Armee aus Polen weggejagt hatte, war die Königin verreist, als er in Cassel ankam. Auf seinen Befehl mußten die dames de service ihren Dienst fortsetzen und jede Nacht eine von ihnen im Vorzimmer der abwesenden Königin zubringen. Ward dem Könige die Zeit lang, so mußte ein dienstthuender Kammerherr die wachthabende Dame zu ihm entbieten, um ihm die Zeit zu vertreiben; traf es sich nun zufälligerweise, daß sie nicht ganz nach seinem Geschmack war, so entließ er sie, u»d es wurde ohne Umstände eine andere, vielleicht von der Seite ihres geduldigen Actäons, geholt. – Wer ist heute Nacht bei dem Könige gewesen? – fragte gewöhnlich ein Garde du Corps den andern, – die Gr. B., oder Pr. L., oder Fräulein W., war die Antwort. Der Schluß, den man hieraus ziehen kann, setzt die Moralität des Casseler Hofes in ihr gehöriges Licht.
Man wird es kaum glauben, daß hier die männliche Niederträchtigkeit so weit ging, daß man den Mißbrauch, den der König mit der Ehefrau trieb, sich als eine Ehre anrechnete, und daß es viele Neidische gab, die höchst mißvergnügt waren, daß ihre Gattinnen sich von den Liebesbacchanalien ausgeschlossen sahen. Das auffallendste Beispiel der Art liefert die Geschichte der Familie des Grafen von B–z.
Die Gräfin, obgleich nicht mehr in den Jahren der schönsten Blüthe, hatte sich die Reize der Jugend noch im Sommer des Lebens in einem seltenen Grade zu bewahren gewußt. Ein vielsagendes Auge, schöngelocktes Haar auf glänzend weißer Haut, Fülle und Farbe, Gewandtheit und eine nicht gemeine Grazie in Bewegung und Worten hatten ihr das Herz des sonderbaren Königs gewonnen. Auch übt nicht selten die Miene der Bekanntschaft mit den Wünschen des Wollüstlings und der minder starke Eindruck geheimer Sehnsucht nach Genuß neben der Fülle, welche der Ausschweifung einen lieblichen Wechsel der Wonnen darbietet, selbst noch in den Jahren der welkenden Reize eine höhere Gewalt auf das abgestumpfte Gefühl, als die knospende Blüthe der Jugend. So auch hier.
Hieronymus fand in den Armen der schönen Gräfin den Vollgenuß der Liebe, welchen er gesucht hatte. Sie entblödete sich nicht, ihm bei Gelegenheit einer Festlichkeit bei Hofe ihre Hoffnungen als das Werk seiner Minne zu offenbaren.
»Ein junger Graf, Madame«, lispelte ihr Hieronymus entgegen, als sein lüsternes Auge zufällig auf die erhöheten Reize seine Minnewart fiel.
»Sire, ich hoffe, es wird ein Prinz sein«, erwiderte die Schöne.
Kaum würde so etwas die Aufmerksamkeit eines der Anwesenden erregt haben, so wenig fiel der Ton der ungebundensten Libertinage noch auf, wenn nicht etwa einer der Kammerdiener oder der fremden dienstthuenden Kammerherren, dessen Ohr an eine solche Freimüthigkeit in Wort und That nicht gewöhnt war, die Aeußerung aufgegriffen hätte. Denn die Kammerdiener, wie gewöhnlich Leute vom Mittelstande, bewahrten im Durchschnitt einen weit höheren Grad sittlicher Güte als ihre Gebieter und erzählten die Scenen der ausgelassensten Ueppigkeit, deren Zeugen sie bisweilen unbemerkt sein durften, nur als Skandale des verdorbenen Sinnes.
Die Kammerherren waren aber zum Theil Landedelleute von alter und namhafter Familie, welche diese Würde entweder aus Vertrauen auf die königliche Sitte des neuen Hofes oder aus gar zu großer Besorgniß, anzustoßen und die Ungnade des Regenten auf sich zu laden, nicht auszuschlagen wagten. Selbst die Entfernteren von ihnen hatten ihre Tage, wo sie als dienstthuende Trabanten des Königs in Cassel ihren Wohnsitz aufschlagen mußten. Manche von ihnen, welche er nicht nach seinem Geschmacke fand, wenn sie etwa zu viel Sinn für Anstand und Rechtlichkeit bewiesen, wurden mit Beibehaltung des Titels für immer vom Hofe entfernt.
Der Graf B. gehörte nicht zu denen, über welche der König Hieronymus in dieser Rücksicht Klage zu führen hatte.
Völlig zufrieden mit seinem Schicksal, höchlich erfreut über das Glück seiner Ehehälfte, wehrte er mit dem Stabe der Weihe die ungeweihten Genien der Tugend und Züchtigkeit ab von dem Schauplatze der beispiellosesten Liederlichkeit. Die Gräfin, dreist genug, ihm mit der Stirn der sorglosen Phryne entgegen zu treten, berechnete unterdessen den Ertrag ihrer vielversprechenden Verdienste.
Zu verwundern ist es, daß ein älterer Sohn aus dieser Ehe, welcher auf dem Erziehungs-Institute zu Ilefeldt gebildet wurde, einen echt vaterländischen, dem väterlichen völlig entfremdeten Sinn für die reinere Deutschheit bewahrte, eine Erscheinung, die wahrlich kein nachtheiliges Licht auf die Anstalt wirft, welche ihn erzog.
Schon während der ersten Besuche, welche uns die Kosacken abstatteten, machte der junge Graf B. den Versuch, zu entkommen, um Dienste zu nehmen. Unglücklicherweise ward er ereilt und auf Befehl des Herrn Papa in strengen Gewahrsam genommen. Bei Gelegenheit eines andern Besuchs der vereinigten Truppen in der Nähe aber gelang es ihm dennoch, mit einem seiner Mitschüler aus der Anstalt zu entkommen, und er focht von der Zeit an für die Sache aller guten Weltbürger.
»Mein Vater,« äußerte er, »ist ein treuloser Verräther seines Vaterlandes, ein Franzose; von meiner Mutter muß ich schweigen; aber an dem verworfenen Geschmeiß der Franzosen will ich mit deutschem Muthe und durch mein deutsches Schwert ihre Schande rächen.«
In der That folgte der alte Graf mit seiner Gemahlin dem flüchtigen Könige in das Innere von Frankreich, während dessen der Sohn den Gütern desselben Mittel entnahm, um ohne Mangel an Streitroß, Wehr und Waffe in das Feld zu ziehen.
Der Prinz *** scheint um die geheimen Verbindungen seiner Gemahlin mit dem entnervten Könige nicht gewußt zu haben und hat sich der Begleitung derselben mit ihren Kindern bei der Abfahrt nach Paris, wo sie Napoleon während der letzten kriegerischen Krise gewaltsam zurückhielt, weislich enthalten.
So brandmarkten deutsche Frauen, vom giftigen Hauche französischer Sittenlosigkeit angesteckt, einem Hieronymus unterwürfig, die erhabene Sittenreinheit ihrer Voreltern.
Cassel und Weißenstein, vor jenem Könige Napoleonshöhe umgetauft, sind Zeugen seiner Ausschweifungen. Letztere besonders war das Capri, wo er seine Orgien feierte. Außer den gewöhnlichen Hoffesten fanden hier die ausgesuchtesten parties fines statt, zu welchen blos die vertrautesten, mithin auch die verworfensten Hofschranzen beiderlei Geschlechts gezogen wurden. Hier war es, wo Hieronymus seinen Lüsten so ganz den Zügel schießen ließ. Die feinsten Speisen, die erhitzendsten, köstlichsten Weine und die schlüpfrigsten Gespräche mußten seine betäubten Sinne erregen und wieder neu beleben. Die Schilderung der Scenen, die hier vorfielen, muß man der Feder eines Aretins überlassen. Hier war es, wo er, wenn er die Schaale der Wollust übersättigt bis auf den Grund ausgeleert hatte, auszurufen pflegte: »Morgen wieder luschtik!« Ja, er war und blieb luschtik, indessen seine gedrückten und gemißhandelten Unterthanen über ihn und seine Minister, die ich in den folgenden Kapiteln näher bezeichnen will, blutige Thränen weinten!
Gewarnt war der König in Breslau empfindlich genug, sich insbesondere mit Schauspielerinnen in kein Liebensverständniß einzulassen; aber der Schaden war geheilt und die Lektion vergessen. Die erste Empfehlung einer Actrice, welche über ihre Annahme bei dem Theater entschied, war körperliche Schönheit und Fülle. Besaß sie überdies noch Kunsttalent und verstand sie, ihre Reize geltend zu machen, so war auch ihr Glück bei Hieronymus gemacht.
Der ganze Cirkel der weiblichen Theatergesellschaft konnte ohne Ausnahme für die Heerde gelten, welche der königliche Liebesstab weidete.
Um die Pokale der Wollust dem Könige aus frischer Quelle zu reichen, war im Schauspielhause für ihn eine besondere Einrichtung getroffen. Der Hof hatte daselbst zwei Logen. Die größere war der Bühne gegenüber, die kleinere, sogenannte Theaterloge, hing mit dem Theater selbst zusammen. Letztere war nach außen zu mit vergoldetem Gitterwerk versehen, damit die Lustscenen, in welchen der König die Hauptrolle spielte, dem Auge des Publikums unsichtbar blieben. In der kleinen Loge, die durch eine Thür mit dem Theater in Verbindung stand, hielt er sich gewöhnlich auf.
Hier weidete sich sein lüsternes Auge, wenn die Ballettänzerinnen in den üppigsten Stellungen aller weiblichen Zucht Hohn sprachen, unbekannt mit dem Gefühle der edlen Schamhaftigkeit, sträfliche Empfindungen in den Männerherzen anzündeten und sich so als Lehrmeisterinnen der Buhldirnen, die den König zu bestricken suchten, auf offener Bühne darstellten. Nur verworfene Frauen besuchten das Schauspielhaus noch; eine redliche Mutter wagte es nicht mehr, ihrer Tochter die Erlaubniß zu verstatten, dahin zu gehen. Wie tief war die Moralität in Cassel gesunken, daß die Regierung öffentlich solche Gräuel gestattet, und daß sich noch Zuschauer fanden, welche Geld ausgaben, um sie zu sehen. Es fehlte hier nichts mehr, als das Privilegium, den Akt nach Belieben im Arme der schmachtenden Venus zu beschließen.
Hieronymus, dessen Sinnlichkeit in so hohem Grade reizbar war, daß er alles Gefühl des Anstandes und der Ehrbarkeit gänzlich hintenansetzte, der die Scheu gar nicht kannte, als Regent dem Auge der Unterthanen wenigstens seine Schwäche zu entziehen, der ohne Umsicht und Klugheit auf das Ziel losging, welches seine Leidenschaft sich gesteckt hatte, Hieronymus weidete sich vorzüglich an den üppigen Gruppen, wenn die Ballettänzerinnen den Schleier aller Scham zerrissen. Der Anzug dieser Phrynen ließ nicht etwa verborgene Reize ahnen, nein, sie wurden in ihrem ganzen Umfange und in völliger Blöße zur Schau gestellt. Die Tänzerinnen trugen Beinkleider von fleischfarbenem Tricot, die sich genau an den Körper anschlossen und die üppigste Blöße täuschend nachahmten. Das leichte, kurze Röckchen von Gaze entdeckte bei jedem Entrechat nicht nur Wade und Knie, sondern auch den ganzen Schenkel. Der fast gänzlich entblößte Busen vollendete durch seine wogenden Bewegungen das Spiel der Ueppigkeit. – Welche wollüstige Attitüden, welch' schmachtendes Mienenspiel wandte man hier nicht an, um die Begierden eines mattherzigen Wollüstlings rege zu machen; um ein Feuer wiederum in ihm anzuzünden, was nur noch schwach glimmte und stark geschürt werden mußte, wenn es wieder flammen sollte. Kurz, was man hier für den Kaufpreis von sechszehn Groschen zeigte, um einen schamlosen König zu ergötzen, das war eigentlich nur die feile Waare der nackten Buhlerei.
Aber die Schauspielerinnen waren durch ihre Eitelkeit und Gewinnsucht verführt, die Rollen der Priesterinnen jener schmutzigen Venus zu spielen. Sie wußten es, daß sie durch feineres Nüanciren die grobe Sinnlichkeit des Königs nicht bestechen konnten, den sie sich doch geneigt zu machen wünschten, und mußten also die Farben stark auftragen, wenn sein Auge sollte gefesselt werden.
War seine Brust entflammt und die Schöne von der Bühne abgetreten, dann schickte er einen Abgesandten nach der Garderobe und ließ ihr sagen: »Se. Majestät wünsche sie in seiner Loge persönlich zu sprechen, um ihr mündlich seinen Beifall über ihr meisterhaftes Spiel zu bezeigen.«
Diese schon bekannte Aufforderung des Königs wurde angenommen und ihr folgte in der helldunklen Loge eine Scene nach, die ich aus Achtung gegen den Leser in den dichtesten Schleier der Nacht hülle. Bei der Rückkehr wurde die Beglückte von ihren Nebenbuhlerinnen, denen das ersehnte Loos nicht zufiel, sich in Minuten eines größeren Gewinnes zu erfreuen, als sonst nur der Ertrag so vieler Tage sein konnte, mit neidischen Augen begafft, und wenn sie dann sagte: der König sei sehr gnädig gewesen, so lieferte die Röthe ihrer Wangen, die Mattigkeit ihrer Augen, das Verschobene des Anzuges, welches sich so schnell nicht wieder gut machen ließ, die Noten zum Texte.
Für den Schauspieldirektor und das Publikum waren die Feste, die Hieronymus in der Loge feierte, oft im höchsten Grade langweilig. Wenn das Rendezvous der Schäferstunde keine Grenzen hatte, und der üppige Herr das Ende seiner Genüsse nicht finden konnte, alsdann wurde die Musik in den Zwischenakten verlängert. Geschah dies, so wußte bereits Jedermann, welche Scene in der undurchsichtigen Loge jetzt accompagnirt wurde. Es entstand ein Murmeln und hier und da auch ein Gelächter.
Einst traf es sich, daß der Vorhang aufgezogen wurde, als die Actrice noch in den Armen des Königs lag. Nicht er, aber sie bemerkte es. »Ich muß fort, ich muß fort«, rief sie mit gedämpfter Stimme und kurzem Athem; aber Hieronymus ließ sie nicht. Als die Reihe an sie kam, wo sie sich auf dem Theater zeigen mußte, entstand, da sie wegblieb, eine Lücke, und eine Schauspielerin erklärte laut, daß man das Stück schließen müsse, indem einer handelnden Person eine Ohnmacht angewandelt sei. Da die lange Musik während des geheimen Aktes vorangegangen war, so konnten sich die Zuschauer die Art der Ohnmacht leicht erklären, bedauerten übrigens die Leidende eben nicht, ärgerten sich aber desto mehr, diesmal einen so schlechten Kauf gethan zu haben. Einige flüsterten sich einander scherzweise zu: wir müssen bei dem Könige auf Schadenersatz antragen.
Der Schauspieldirektor erhielt eine tüchtige Nase und den Bescheid, den Vorhang nicht wieder aufziehen zu lassen, so lange das Personal eines Stückes nicht versammelt sei. Als er mit der Gegenvorstellung einkam, daß er Unruhe im Parterre verspürt habe, ließ man ihn wissen: der König sei die erste Person im Staate, auf die man allein achten müsse, das Publikum im Theater aber behaupte nur einen sekundären Rang.
Hier darf man nicht unbeachtet lassen, daß das Parterre insgemein nur sehr wenige Damen zählte. Die meisten Zuschauer waren junge Herren, welche mit dem Könige in einiger Geistesverwandtschaft standen – größtentheils Offiziere und Angestellte in verschiedenen Zweigen der Staatsverwaltung. – Fremde führte die Neugierde und der Wunsch einer angenehmen Unterhaltung auch wohl dahin, sie fanden sich jedoch in ihren Erwartungen in der Regel gar sehr getäuscht, denn wer hier nicht als Zuschauer im eigentlichsten Sinne des Wortes erschien, um mehr als Augenweide zu finden, dem konnte höchstens das Orchester, mithin vorzüglich die Oper, einige Befriedigung gewähren. Das französische Geplapper der Theaterhelden und Heldinnen, gleich einem reißenden Waldstrome, welcher, durch dickfluthende Quelladern geschwellt, überall über die Ufer hinausfließt, mochte kaum dem feinsten Ohre des Nationalfranzosen durchgehends verständlich sein, wenn er sattsam an diesen Ton gewöhnt war.
Die Meisten der Zuschauer hörten kaum und verstanden noch viel weniger die seltsamen Accents der Redner, und was ist der Genuß eines Schauspiels, wenn der Eindruck mit jeder Minute durch Mißverständniß oder Verlust des Vortrages oft gerade in seinen schönsten Theilen unterbrochen wird! Schon daraus ist es erklärlich, daß das Schauspiel in der Regel überaus schlecht besucht war, und das Publikum in Cassel entbehrte um so mehr, da für ein deutsches Theater in der Hauptstadt eines deutschen Königreichs gar nicht gesorgt war.
Nicht selten, wenn es dem Herrn einfiel, wurden die französischen Theaterprinzessinnen zu ihm geladen, und er befand sich allein unter ihnen. – Süße, wohlschmeckende und erhitzende Getränke wurden dann im Ueberflusse genossen. Das Gefühl für den letzten Funken der Scham starb mit dem zunehmenden Rausche in dem weiblichen Herzen ab. Ein Stück des üppigen Anzugs, wie es Hieronymus anordnete, wurde nach dem andern abgelegt, bis sie endlich Alle fast ganz entblößt vor ihm erschienen. Sie umschwärmten ihn nun im Rausche der Bacchantinnen, kein Opfer war so groß, daß sie es ihm nicht gebracht hätten; er aber endete mit einer Ohnmacht, die nichts mehr wünscht und wirkt, weil ihr die Kraft erstorben ist. – War er so übersättigt, dann ging die Gesellschaft auseinander, mit einer Bezahlung, die dem armen Lande oft Tausende kostete. Geflissentlich vermeide ich es, hier einige Scenen, deren Schilderung mir zu Ohren gekommen ist, vollständig auszumalen, weil sie wirklich zu schlüpfrig sind und Alles übersteigen, was die Wollust erfand, um die Sittsamkeit auf das Empfindlichste zu beleidigen.
Uebrigens herrschte bei den Theatervorstellungen, den Opern und Balleten eine wahre asiatische Pracht, deren Unterhaltung unermeßliche Summen kostete. – In der Regel wurden in Cassel nur französische Stücke gegeben. Auf das deutsche Publikum, das sein Geld dazu geben mußte, wurde gar keine Rücksicht genommen. Der König betrachtete seine Unterthanen wahrlich nur als Lastthiere, denen man das Futter gönnt, um durch sie reich zu werden. Nur sich hielt er für den Herrn, der mit seinen Sklaven nach Willkür schalten konnte. In der That verachtete er die Deutschen, bis er sie als seine Sieger hassen lernte, gleich seinem sinnverwandten Bruder Napoleon.
Nur dann, wenn Hieronymus abwesend war, wurden Komödien u. s. w. in deutscher Sprache gegeben. Er schien Anfangs Lust zu haben, auch deutsch zu lernen; aber die Ausdauer und Geistesgaben dazu fehlten ihm, und so gab er die Lehrstunden wieder auf.
Es war in der That abscheulich, daß aus einer Residenzstadt mitten in Deutschland fast alle Befehle und Reskripte an die Behörden und Unterthanen im Lande in französischer Sprache ergingen. Sowie man die deutsche Kraft immer mehr niederzutreten suchte, so legte man es auch hiermit darauf an, unsere Sprache, dies echte Palladium der Nationen, zu vertilgen. Viele Deutschfranzosen boten dazu auch bereitwillig die Hand und ließen sich überhaupt zu jeder Niederträchtigkeit mißbrauchen, wodurch sich die Verrätherei am Vaterlande brandmarkt.
Mehrere der französischen Stücke, welche man vorzugsweise aufführte und von denen ich einige hörte, überzeugten mich auch von ihrer Erbärmlichkeit. Ein schlüpfriger Witz, der durch Zusätze noch abgeschmackter wurde, herrschte in denselben, und diese Zusätze waren gleichwohl ein sicheres Mittel, zu gefallen. So weit war es schon hier gekommen, daß man eben die frivolsten Stellen beklatschte; man durfte Scham und Unschuld nur an den Pranger stellen, um des Beifalls gewiß zu sein.
Am linken Flügel des Schlosses auf der Wilhelmshöhe hatte Hieronymus ein Schauspielhaus bauen lassen, welches durch einen Gang mit dem Schlosse selbst in Verbindung stand. Das ganze Werk wurde mit ungeheurem Kostenaufwande in kurzer Zeit zu Stande gebracht.
Der Hofmarschall vertheilte, wenn auf der Wilhelmshöhe gespielt wurde, Entréebillets an das Hofpersonal, an die ersten Staatsbeamten, an die Gesandten und an vornehme Fremde. Am frühen Morgen kamen schon auf einem eigens dazu erbauten Wagen eine Menge der prachtvollsten Dekorationen auf der Wilhelmshöhe aus Cassel an. Gegen Abend trafen in etwa zwanzig Equipagen, mit Extrapostpferden bespannt (versteht sich auf Unkosten des Staates), die Schauspieler und Schauspielerinnen ein. Es herrschte unter dem Völkchen, das sich bei uns so glücklich fühlte, ein lustiger, fast übermüthiger Tumult. Sie stiegen vor dem nahen Gasthofe aus. Nach einer halben Stunde kamen wieder an vierzig Wagen an, die mit Tänzern und Tänzerinnen und Konsorten befrachtet waren. Gegen acht Uhr erschienen die Minister, die fremden Gesandten, die vornehmsten Hofbeamten, Staatsräthe, die Generalität u. s. w. Was zu dem Hofe gehörte, zeigte sich in einem wahrhaft verschwenderischen Glanze.
Das Schauspielhaus war im Innern geräumig und eben nicht auffallend schön dekorirt. Von dem Plafond hing ein stark vergoldeter Kronleuchter herab mit zwei Reihen argantischer Lampen. Die Wände waren himmelblau mit goldenen Sternen festonartig bemalt. Am Plafond und Vorhang ergötzten schöne Bilder das Auge. Der Raum konnte durch unterirdische Oefen geheizt werden. Der Bühne gegenüber war die königliche Loge. Rechts und links in den ersten Ranglogen befanden sich die Damen, hinter ihnen die Herren als Minister, Gesandte und die ersten Hofbeamten. Im Parterre befanden sich die Staatsräthe, Kammerherren u. s. w., aber keine Damen.
Die Pracht des Anzuges übertraf alle Vorstellungen. Ueppig geschmückt war das weibliche Geschlecht. Die Männer waren in ihren glänzenden Uniformen, und die meisten trugen den westphälischen Orden. Das Personal des Orchesters hatte graue Uniform mit Gold gestickt.
Nach Verlauf einer halben Stunde riß ein Kammerdiener mit lautem Getöse die Flügelthüren der königlichen Loge auf und rief mit heller Stimme: La Reine! – Wie durch eine Zauberformel erschüttert, stand Alles von den Plätzen auf, und die Herren im Parterre drehten sich mit dem Gesicht nach der königlichen Loge hin. Die Königin, von einem ihrer Ehrenstallmeister geführt, trat ein, verneigte sich rechts und links und setzte sich dann nieder.
Die Musik hob an, und es wurde eine höchst unbedeutende französische Operette gegeben, die wahrlich des vielen Aufwandes nicht werth war. Die Acteurs und Actricen zeichneten sich weder durch Spiel noch Gesang aus. Aber der Theaterschmuck, der Anzug der handelnden Personen war prachtvoll und hatte gewiß große Summen gekostet. Um zehn Uhr war der Spaß vorbei.
Der König fehlte! – Wahrscheinlich pflegte er der Liebe der Gräfin B., die ihn angenehmer zu unterhalten wußte.
Was Hieronymus durch die Bäder und feinen Speisen auf dem einen Wege an Kraft gewann, das verschleuderte er auf dem oft bezeichneten wieder. Es war ihm jetzt nicht mehr möglich, sich einen Zügel anzulegen. Er suchte seine Liebesgenüsse auf alle Weise zu vervielfältigen, und man ließ es ihm an Mitteln dazu nicht fehlen. Versunken in ein Meer von Ueppigkeiten, bekümmerte er sich um kein Regierungsgeschäft mehr, und die Minister hatten völlig freies Spiel. Er war ein wahrer Schattenkönig. Selbst die äußere Würde des Königs zu behaupten, lag ihm nicht mehr am Herzen. Er war zufrieden, wenn es nicht an Geld fehlte, seinen Ausschweifungen und Verschwendungen zu genügen. Die Plusmacher durften, auch wenn dem Armen das letzte Stück Brod aus dem Munde genommen wurde, am sichersten auf seine Gunst rechnen. Daß sie sich für die Mühe, mit der sie ihre Erpressungspläne entwarfen, reichlich bezahlt machten, versteht sich von selbst, und die Erfahrung hat es bestätigt. Schafft, schafft! war das Losungswort am Cassel'schen Hofe; wie und woher, darüber trug man gar kein Bedenken.
Bei dem Ueberflusse an Mitteln, welche ihm auf diese Weise zufielen, war Hieronymus nicht zufrieden, den Schwarm der Actricen um sich versammelt zu sehen, die sich in seine Kräfte theilten, welche er ihnen mit Freuden opferte, er sehnte sich auch nach der Liebe anderer Damen. Es thut wehe, sagen zu müssen, daß sich Frauen an diesen Afterkönig verkauften, die von deutschem Blute und hoher Abstammung waren. Die Hauptfavorite, welche die Lüsternheit des Königs im Wechsel der Wollust am geschicktesten zu kirren verstand, war dieselbe Gräfin B..., welche der Leser aus dem Obigen schon kennen gelernt hat.
Sie gab sich dem Könige ohne alle Rücksicht hin, beachtete ihren Mann und ihre Familie nicht und war seine förmlich erklärte Maitresse. Die Frechheit, mit welcher sie sich der Gunstbezeugungen und der Huld des Königs rühmte, hatte gar keine Grenzen. Auch nicht das entfernteste Bemühen, ihre Schande zu verbergen, war an ihr bemerkbar. Ihren Gemahl sah sie über die Schultern an, und der einfältige Tropf huldigte einem Weibe, welches nicht werth war, unter seinem Dache zu wohnen.
Als sie Hieronymus zum ersten Mal sah, ergriff ihn dieselbe Flamme, wie bei der Schauspielerin in Breslau. Aber er fand auch nicht den geringsten Widerstand von ihrer Seite. Schmeichelnd gestand sie es ihm, daß er alle ihre Sinne bezaubert habe, und daß eine geheime Neigung sie an ihn fessele.
Der Herr Graf mißbilligte anfangs den Umgang seiner Frau mit dem Könige gar sehr; endlich aber, als er sich überzeugte, wie einträglich der Verkehr sei, machte er zum bösen Spiel gute Miene und betrachtete seine Frau wie ein Kapital, das hohe Zinsen trägt. Er wurde mit Orden, die man ihm ertheilte, zufrieden gestellt, erschien oft bei Hofe und genoß die Achtung der Schmeichler in einem hohen Grade. Seitdem er die wahre Achtung des Edlen verachten und seinen Ruhm und die Würde seines Berufs nur im Nimbus dieser Herrlichkeit zu finden gelernt hatte, mußte ihm sehr viel daran gelegen sein, diesen Nebel der Hoheit in seiner Sphäre geltend zu machen, denn die pecuniären Verhältnisse des Herrn Grafen ließen Alles für seine Existenz fürchten.
In der That aber war die Huld des Monarchen gegen Herrn und Frau Gräfin so trostvoll für seine Finanzen, daß die ungebetenen Gäste wenigstens immer in einer gewissen Entfernung gehalten und der Ceremonienstab wirklich am zweckdienlichsten gebraucht wurde, um die Heerde der Gläubiger damit zu weiden.
Seine Frau umstrickte den schwachen König indessen ganz mit dem Netze der Liebe, und blindlings folgte er ihren Launen. Zu welchen Thorheiten der Verschwendung und Uebereilung hat sie ihn verleitet! Sie war gleichsam das Oberhaupt aller höfischen Buhldirnen, unter deren Scepter sich die übrigen schmiegten. An Aufwand und Pracht, womit sie öffentlich erschien, übertraf sie fast die Königin. Sie lebte mit derselben in einem sonderbaren Verhältnisse, verletzte zwar nie die Achtung, die sie derselben schuldig war, aber im Herzen dünkte sie sich weit über dieselbe erhaben. Wo sie sich zeigte, da neigte sich vor ihr Alles in tiefer Unterthänigkeit. Man kannte die Macht ihrer Reize, kraft deren sie erhöhen und stürzen konnte, und sie wußte sie mehr als einmal geltend zu machen. Mancher ehrliche Mann, der ihr nicht genugsam huldigte, verlor seinen Posten, und unwürdige Schmeichler, die ihr eine unverdiente Ehre erwiesen, kamen zu Brote.
Aber der arme Hieronymus irrte sich sehr, indem er an ihre ausschließliche Treue, an ihre zärtliche Anhänglichkeit glaubte. Mehr als ein Hofcavalier bezüchtigt sie jetzt der Gefälligkeit, mit welcher sie dem Mammon der Liebe gehuldigt habe, wenn die Langeweile, die sie bei dem Schwächling hatte, duldsam ausgestanden war.
Sie und ihr Mann haben den König auf seiner Flucht gewiß nicht aus Anhänglichkeit oder Liebe, sondern nur um ihren Antheil an dem mitgenommenen Gelde und den Kostbarkeiten zu bekommen, begleitet. Vielleicht glaubten sie, daß er mit Hülfe seines Bruders den geraubten Thron wieder besteigen würde. Wäre sie geblieben, so würde mit der Flucht des Königs der Nimbus, der sie umfloß, wie ein flüchtiger Nebel verschwunden sein, und sie stände jetzt als verächtliche Buhlerin da, welche der Finger des Hohnes täglich bezeichnen würde.
Der König war oft undankbar gegen das wirkliche Verdienst und übersah es, aber seine Maitressen lohnte er königlich. Die Zahl derselben war nicht gering, folglich die Summe auch sehr groß, welche er an sie verschwendete. Vielleicht fühlte er es selbst, daß seine Person nicht liebenswürdig genug war, um ihm in die Herzen der Weiber natürlichen und ungezwungenen Eingang zu verschaffen; er suchte daher ihre Eitelkeit und Habsucht zu bestechen und sich so den Weg zu ihrer Gunst zu bahnen.
Mehrere Damen am westphälischen Hofe haben sich in kurzer Zeit sehr berüchtigt gemacht. Das Laster erreichte hier mit großer Schnelligkeit eine Riesengröße. Zu dem liebenswürdigen Verein, in welchem es oft sehr wild herging und die boshaftesten Kabalen gespielt wurden, gehörten nicht allein unverheirathete Mädchen, als Edeldamen und Gräfinnen, sondern viele schöne Frauen der vornehmsten Staatsbeamten. In der Regel trug das Aemtchen der Frau Gemahlin weit mehr ein, als das des Herrn Gemahls. Die meisten Ordensbänder, welche die Männer in Cassel trugen, hatten sie durch die Fürsprache ihrer Weiber erhalten.
Eine Frau von ***, ebenfalls deutschen Blutes und unschuldigen Herzens, voll der reinsten, innigsten Liebe zu ihrem Gatten und ihren zwei Kindern, übertraf an weiblichen Reizen alle die Koketten, welche um die Gunst des Königs buhlten. Er hörte von ihrer Schönheit. Es wurde bei Hof ein Ball angestellt und sie mit ihrem Gemahl eingeladen. Sie sträubte sich heftig, auf demselben zu erscheinen. Endlich aber gab sie den Bitten ihres Mannes nach, kleidete sich prunklos und einfach, aber eben dadurch wurde ihre Schönheit, edle Gestalt und frische Jugendblüthe noch mehr gehoben. So viel sie konnte, mied sie die Blicke des Königs und wich ihm allenthalben aus. Bald aber trat er zu ihr und forderte sie zu einem Walzer auf. Er walzte länger als je, verließ sie mit keinem Auge und weidete sich an ihrer Schönheit, ohne sich eines holden Blickes zu erfreuen. Als der Tanz geendet war, führte er sie zu einem Polsterstuhl und setzte sich neben sie. Von beiden Seiten, wie das Sitte war, verließ man die Plätze, so daß der König sich mit ihr unterhalten konnte, ohne von Jemandem behorcht zu werden.
Dem Gemahl, der in der Ferne Zeuge der Ehre war, die seine Frau genoß, schlug das Herz sehr heftig. Eigentlich bemitleidete er die peinliche Lage, in der sich seine Gattin befand. Hieronymus gab ihr einigemale die Hand, schien ihr Verbindlichkeiten zu sagen, ohne daß sie ein Wort erwiderte. Plötzlich stand sie auf, verneigte sich gegen den König und ging mit graden Schritten auf ihren Gatten los. Sie bewog ihn durch ein vorgebliches Uebelbefinden, den Saal mit ihr zu verlassen und in ein Nebenzimmer zu gehen. Hier gab sie ihm deutlich zu verstehen, daß sie keinen Augenblick länger bleiben und nicht wieder in die Gesellschaft zurückkehren könne. Alle Gegenvorstellungen des Mannes, länger zu bleiben, die Ungnade des Königs nicht auf sich zu ziehen und das Publikum nicht zu nachtheiligen Urtheilen zu zwingen, scheiterten an ihrem festen Willen.
Ihr Gemahl folgte endlich. Zu Hause erzählte sie ihm, daß ihr Hieronymus in Ausdrücken, die sie sich zu wiederholen schäme, einen Liebesantrag gemacht hätte. Sie werde den Hof nie wieder besuchen und bitte, sie mit den Kindern auf das Land zu schicken. Der Herr von *** besaß nämlich vier Meilen von Cassel ein Landgut. Nach vielen Berathschlagungen wurde die Reise beschlossen und am andern Morgen ausgeführt.
Nach etwa zwei Tagen erschien ein Kammerherr im Hause des Mannes, der im Begriffe war, sich auf etliche Tage von dem Minister M. Urlaub zu erbitten, um seine Frau zu besuchen. »Ich komme zu Ihnen im Namen des Königs«, redete ihn der verschmitzte Höfling an, »welcher in Erfahrung gebracht hat, daß ein Uebelbefinden Ihre Gemahlin nöthigte, den letzten Ball so früh zu verlassen. Se. Majestät lassen sich nach dem Befinden der Kranken erkundigen.«
»Der König ist sehr gnädig«, erwiderte der Mann mit verbissenem Zorne, weil er wohl wußte, wohin die Erkundigung zielte; »meine Frau hat sich gebessert, ist auf das Land gegangen und wird den Sommer über daselbst verbleiben.«
»Wohin ist sie gegangen?«
»Auf mein Gut.«
»Wo liegt Ihr Gut?«
»Vier Meilen von Cassel.« – u. s. w.
Der Kammerherr hatte seine Gesandtschaft vollendet und ging. Aber der Minister schlug dem Herrn von *** den nachgesuchten Urlaub ab.
An einem Abend, wo die Frau von *** die Ankunft ihres Gemahls mit vieler Sehnsucht erwartet, weil er ihr seinen Besuch versprochen hatte, verläßt sie das Schloß, ihm entgegen zu gehen. Der Staub in der Ferne kündigt ihr den Wagen an, welcher ihr den zärtlich und treu geliebten Mann zuführen soll. Rasch geht sie vorwärts, um ihn zu umarmen. Der Wagen hält schon neben ihr, als sie den Irrthum erkennt.
Und wer sitzt in dem Wagen? – Der König. – Ihr Schrecken, als sie ihn erkennt, ist grenzenlos, fast sinkt sie zu Boden und ist kaum im Stande, ein Wort zu sprechen.
»Madame«, hebt der König an, »ich weiß, daß Sie nicht getrennt von Ihrem Gatten leben können; ich bin gekommen, Sie abzuholen und Sie mit ihm wieder zu vereinigen. Ich glaubte früher hier zu sein, aber mein Kutscher hat mich in der Irre umhergefahren. Ist es Ihnen zur Rückreise nach Cassel heute zu spät, so weisen Sie dem Verirrten für die Nacht ein Plätzchen in Ihrem Schlosse an.«
Sie konnte seiner Bitte nicht ausweichen, setzte sich neben ihn in den Wagen und fuhr mit ihm bis zu dem Schlosse. Hier wies sie dem Könige das beste Zimmer an, und unter dem Vorwande kleiner häuslicher Besorgungen und mit dem Versprechen, sogleich wieder zu kommen, ließ sie mit möglichster Schnelligkeit einen Wagen anspannen, warf sich hinein und flog pfeilschnell, ohne dem Könige ein Wort zu sagen, nach Cassel zurück. Sie überraschte durch ihre Erscheinung ihren Mann nicht wenig.
»Mag der König zürnen«, brach ihr Gemahl, von der treuen Liebe seines Weibes entzückt, aus, »nimmer werde ich seine Gunst mit der Aufopferung Deiner Treue erkaufen. Laß uns, sobald es möglich ist, ein Land verlassen, in welchem der Geist der Sittenlosigkeit den Thron umschwebt.«
Nach zwei Tagen war Herr von *** seines Amtes entsetzt und wurde aus der Stadt verwiesen. Wie hätte ihn das beleidigen können? In einem geheimen Schreiben wurde ihm und seiner Gemahlin bei Lebensstrafe verboten, von dem Vorfalle zu reden. Erst seitdem die Kosacken die Zungen lösten, ist das Abenteuer kund geworden, worin dem lüsternen Vogel ein seltsames Näschen gedreht wurde.
Was ich hier mitgetheilt habe, ist ein Beispiel, wie man in Westphalen die gepriesene Gerechtigkeit der Franzosen auszuüben pflegte. Wer sich nicht ohne Widerrede in den Willen der Regierung ergab und dem Laster mit dem Lasterhaften willig fröhnte, war vogelfrei und wurde die Scheibe der vergifteten Pfeile des Hohns und der Bosheit. Aber ergötzlich ist es doch, in der Periode der Unüberwindlichkeit der hochgefeierten Helden ein Weib über den Jerôme den Triumph halten und den Mann, mit Aufopferung aller seiner Würden und Einkünfte, ungebeugten Nackens siegreich neben dem gekrönten Wollüstling stehen zu sehen. Möchte mir die Bescheidenheit der Dame nicht die Hand auf den Mund legen, gewiß würden Sie und tausend Andere sich freuen, den Namen der wackeren Frau zu erfahren.
Fest bin ich überzeugt, wären alle deutschen Frauen und Mädchen bei den Lockungen der Franzosen so standhaft geblieben als die Frau von ***, die sich selbst durch einen König nicht erschüttern ließ, die Feinde würden Achtung gegen unsere Weiber mit in ihr Vaterland genommen haben.
Mehrere des sogenannten schönen Geschlechts aber haben sich und uns in der Unglückszeit durch ihre Anhänglichkeit an die Franzmänner so tief erniedrigt, daß man wohlthut, wenn man ihnen die wohlverdiente Verachtung angedeihen läßt.
Wenn es dem Könige einfiel, so holte er oft des Nachmittags in einem köstlichen Phaeton, mit schönen Pferden bespannt, die Schöne selbst ab, zu welcher ihn gerade seine Neigung trieb. Eine abschlägige Antwort erhielt er sehr selten. Er that dies ohne die geringste Scheu vor den Augen des Publikums, das nur zu gut wußte, was der Zweck dieser Spazierfahrten war. Auf der Wilhelmshöhe oder im Katharinenthal war er dann mit der Auserkorenen allein und erlaubte sich mit ihr, was ihm gut dünkte.
Auch für Frauen einen Orden zu stiften, hatte Hieronymus für gut gefunden, und nannte ihn den westphälischen Frauenorden. Das echte Verdienst, welches dem weiblichen Geschlechte um das Glück der menschlichen Gesellschaft nicht abzusprechen ist, hatte darauf keine Ansprüche, die Concubinen, Maitressen u. s. w. wurden größtentheils nur damit geschmückt. Die Dekoration bestand aus zwei über's Kreuz liegenden Schwertern und war mit Diamanten besetzt. Auch verschenkte der König sein Bildniß, reich mit Brillanten besetzt, welches auf der linken Seite der Brust getragen wurde. Auch dieser Orden bezeichnete ein Verdienst, von welcher Art, mag ohne Erläuterung bleiben. Wir würden eine Sammlung erotischer Histörchen mehr haben, wenn uns manche Frau, die den Orden oder das Bild trug, recht aufrichtig erzählen wollte, auf welchem Wege sie zum Besitze des Kleinods gelangt sei.
Nicht alle Frauen dachten wie die Frau von ***. Vielen war es ein Fest, sich in der Nähe des Königs zu wissen und von ihm nach Willkür mißbrauchen zu lassen. War der Gemahl eifersüchtig, machte er der Gattin Vorwürfe, traten Ermahnungen und harte Worte an die Stelle der Billigung, dann klagte die Schöne dem Könige ihre Noth, und dieser wußte stets Mittel, ihr den Argus wenigstens auf einige Zeit aus der Nähe zu schaffen. Der Herr Gemahl wurde in besonderen Aufträgen, die seiner Ehrliebe schmeichelten, abgeschickt und blieb mehrere Wochen vom Hause entfernt. In dem Moniteur hieß es dann:
»Der Herr Baron von ..., erster ... Sr. Majestät des Königs, ist in der verwichenen Nacht in besonderen Geschäften mit Courierpferden nach ... abgegangen. Er wird erst in sechs Wochen zurückerwartet.«
Anderen wurde nicht undeutlich zu verstehen gegeben, daß, wenn sie bei ihrer schlichten bürgerlichen Denkungsart beharrten, nach welcher einem Manne auch nur eine Frau gebühre, sie ihre Aemter verlieren und sich überdies die Ungnade des Königs zuziehen würden. Wer also sein Brot behalten wollte, oder anderweitig kein Unterkommen zu finden wußte, der mußte, wenn ihm auch das Herz dabei blutete, fünf gerade sein lassen. Aber was für eheliche Verhältnisse daraus hervorgingen, läßt sich leicht begreifen.
Es ist das größte Unglück für ein Land, wenn der Regent desselben, wie Jerôme, sich von den Weibern die Zügel der Regierung entwinden läßt. Früher oder später müssen die Schiffe solcher Staaten, wo Frauen das Ruder führen, an Felsen gerathen, wo sie, wenn auch nicht zerschmettert werden, doch empfindliche Stöße erleiden.
Westphalen hätte in kurzer Zeit nicht so viel gelitten, wenn der König stark genug gewesen wäre, der leidenschaftlichen Liebe zu widerstehen, oder wenn er Kraft genug gehabt hätte, den weiblichen Willen im Zaume zu halten. Aber er that was seine Favoritinnen begehrten. Daß man es mit ihnen nicht verderben dürfe, wenn man den König zum Freunde behalten wollte, das wußten selbst die Minister, welche sich vor den Weibern bis in den Staub neigten. So abschreckend und gebieterisch sie sich oft gegen rechtliche Männer bewiesen, so unterthänig waren sie gegen diese Damen.
Der auffallendste Beweis davon wurde bei Gelegenheit einer Heerschau gegeben, welche der König im Herbste des Jahres 1811 bei Cassel anstellen ließ. Diesmal war die ganze westphälische Armee in Cassel und den nahe liegenden Dörfern versammelt und zog jeglichen Morgen mit dem Erwachen des Tages auf die grüne Ebene am rechten Ufer der Fulda zur Revue. Zwar herrschte fast durchgehends eine so widerwärtige Stimmung in der Armee, daß die Unzufriedenheit der Soldaten nicht allein dem Könige kaum verborgen bleiben, sondern, als eine noch nicht erstorbene Regung des echt vaterländischen, des deutschen Sinnes, genährt durch das nirgends verheimlichte oder auch nur gemilderte Uebergewicht der Franzosen, selbst durch kein Mittel gehoben werden konnte. Dennoch gewährten die verschiedenen Regimenter bei ihren Durchzügen, unter dem rauschenden Getön der Trompeten, Hörner und anderer Blasinstrumente, einen wackeren Anblick, und man mußte sich gestehen, daß die Aufrichtung einer respectablen Armee doch ein tüchtiges Werk, aber gewiß das einzige der westphälischen Regierung für die tausenderlei Opfer der Unterthanen sei. Bei jener Stimmung aber und dem unglücklichen Gebrauche derselben gegen verwandte Völkerschaften konnte natürlich auch ihre Martialität nur so lange dauern, bis sie gegen den Feind anrückte.
Sei dem, wie ihm wolle, das Heer der Zwanzigtausend zog bei Gelegenheit jener Heerschau eine Menge von Zuschauern und Horchern, angelockt durch Neugierde, Musik und heiteren Sonnenschein, auf die Aue. Auch ich befand mich unter der Menge, um den Schatz meiner Beobachtungen an einer so verschwenderisch strömenden Quelle der Menschenkenntniß um Einiges zu bereichern.
Wie hätten die Damen der Krone wegbleiben können, wo so viele Reihen stattlicher Männer und Jünglinge, meistens noch immer von besserem Schrot und Korn, als die französischen, ihren Umriß zur Schau stellen sollten.
Morgens um acht Uhr, kaum aus dem Arme einer erschöpfenden Schöpferin geheimer Freuden erstanden, arm an Kraft und reich an Leiden, sichtbar mit dem Dämon der trägen Erschlaffung ringend und wie das Bild des bleichen Zornes dem unaufhaltsamen Fluge entschwindender Kraftpulse nachweinend, erschien Jerôme hier, die Krone der versammelten Heere. Ihn umgaben die Generale und Obristen, Barone und Grafen aus seiner Schmiede; unfern standen die verbrüderten Minister und Räthe, Produkte ähnlicher Spiele der Laune. Breite Bänder, saubere Ordensdekorationen, welche die schlechtgesinnte Menge der Deutschen jetzt mehr auf dem Geruche als im Gesichte hat, flossen von ihren Achseln über die heldenmütige Brust herab und schlossen über dem erhabenen Gebein der linken Hüfte. Reichgestickte Uniformen wetteiferten mit dem Sonnenglanze des Septembermorgens um den Preis, und kein Unheiliger durfte dem Cirkel der Gestempelten auf zehn Schritte weit nahen.
Plötzlich entstand eine gewaltige Bewegung im Volke. Daher auf den duftenden Auen, in einem leichten Wagen mit vier Pferden bespannt (die blendenden Spießer pflegten diesmal der Ruhe), flog Kathrine, glänzend wie die Sonne im Abendroth, zart wie die Venus von Rembrandt und Rubens. Ihr zur Seite saß die erhabene Schwiegermutter, eine Copie der holden Margarethe, welcher die Geschichte den Spottnamen Maultasche zugelegt hat.
Ehrerbietig neigten sich bei dem Anlangen der hohen Damen die gebänderten Herren entblößten Hauptes.
Nun aber folgte ein Zug von Schönen, welche der Putztisch und das Arrangement etwas länger aufgehalten hatte als Se. Majestät, in nicht minder glänzenden Staatswagen. Damen von hohem und niederem Adel langten in der Nähe des Königs an, fast Alle seiner innigsten Bekanntschaft. Vergessen waren mit einem Mal die Grenadiere, welche er gerade musterte, das matte Auge schwelgte schon wieder in den wenig verheimlichten Reizen der Schönen. Dennoch hielt sich Se. Majestät diesmal in der Nähe der Gewaffneten, der Wehrlosen immer noch gewiß genug, wenn ihn ein süßes Verlangen anwandeln sollte. Jetzt aber nahten sich die Ritter der Krone, und wer nun dem Triumphe der Phryne über die Archonten von Angesicht zu Angesicht beiwohnen wollte, der mußte hier die Damen vom Hofe sehen, welchen das Volk in nackten Worten das Lied von der unzüchtigen Lotte nachzusingen pflegte, und ihnen gegenüber im steifen Ceremoniel gehobelter Formen die ersten Staatsdiener.
Niemals ist mir die Larve einer erzwungenen Devotion und die Freundlichkeit des verbissenen Ingrimms verächtlicher, auch lächerlicher erschienen, als hier, wo man sich des Gedankens nun einmal nicht erwehren konnte, ein Puppenspiel vor Augen zu haben, in welchem Hieronymus die Rolle des Pulcinelli übernommen, dessen Figur der Spielmann, hier Napoleon, hinter den Coulissen durch die Worte, welche er für ihn redet, erst einige Bedeutung giebt.
Dann aber schweiften die Blicke der Schönen in den Gliedern umher, um die Helden auszuspähen, welchen sie ihre Herzen geschenkt hatten, um sich in ihren Armen für die Aufopferung an Se. Majestät zu entschädigen, denn nicht nur Kammermädchen und Kammerfrauen, sondern auch Kammerfräulein und Pallastdamen suchten bei den rüstigen Männern der Armee Ersatz. Und diese willigten in der Regel gern in ihre Wünsche, denn der hohe Geist der spartanischen Kampflust, der, gleich dem altdeutschen Rittersinne, fröhlich in die Schlacht zog, war ihnen fremd. Sie waren zufrieden, ihre Rechnung zu finden, und diese schlug ihnen selten fehl.
Wollten die Schönen einen solchen Günstling zu Ehren und Brod verhelfen, so wendeten sie sich zunächst an den Minister, welcher über die Stelle zu gebieten hatte. War dieser nicht willig, die Bitte zu erfüllen, so drohte die Dame, sich deshalb unmittelbar an den König zu wenden und seinen Befehl auszuwirken. Ehe der Minister dies abwartete, willigte er, wenn auch mit verbissenem Verdrusse, in die erbetene Versorgung des Schützlings.
Daher wimmelte es besonders in Cassel von untauglichen Kreaturen, die durch das Pförtchen der Weibergunst sich in Stellen eingeschlichen hatten, denen sie nicht gewachsen waren, die sie fehlerhaft verwalteten, die aber hinreichende Einkünfte darboten, um ohne Sorgen und Mühe leben zu können. So wurde der Wunsch einer solchen Frau, durch einen Kuß, eine glückliche Stunde mit Jerôme verlebt, unterstützt, für den Minister jederzeit ein Befehl, gegen den keine Einwendung mehr stattfand.
Die Gunst des Königs verleitete aber diese Damen auch nicht selten zur unbesonnenen Frechheit, so daß sie selbst die Würde und den Rang der Königin aus den Augen verloren und sie wie eine Figurantin betrachteten, welche der Zufall mit Jerôme verbunden hatte. Sie fühlte den Uebermuth, mit welchem diese Kreaturen in ihrer Nähe und hinter ihrem Rücken handelten, sehr schmerzhaft; sie beklagte sich deshalb bei dem Könige, und er versprach ihr stets Genugthuung, ohne sie ihr je zu verschaffen. Seine Geliebten galten ihm mehr, als seine Gemahlin.
Ueberhaupt sind und bleiben ihre Verhältnisse mit dem Könige sehr räthselhaft. – Erhielt sie häufige Beweise der Untreue ihres Gemahls, und ertrug sie solche geduldig, so muß sie nothwendiger Weise entweder eine außerordentliche Geistes- und Herzensstärke, sehr viel Resignation besessen oder die möglichste Gleichgültigkeit und die tiefste Verachtung gegen ihn gehegt haben. Der letzte Fall ist um so weniger denkbar, da sie nach seiner Flucht sich wieder zu ihm begeben hat und fest entschlossen war, sein Schicksal mit ihm zu theilen. Von diesem Entschlusse hat auch selbst der Wille ihres königlichen Vaters sie nicht zurückbringen können, ungeachtet er sogar einen ihrer Brüder an sie abgesandt hat, um sie dazu zu vermögen.
Ueberhaupt scheint es, als wenn die Napoleons sich auf die Bezauberung der Weiber besser verstanden hätten, als auf die Behauptung der Kronen, welche diese mit ihnen theilen sollten. Nicht nur die Buhlerinnen und Lustdirnen der Krone sind ihnen in ihre Asyle öffentlich und insgeheim nachgefolgt, sondern auch Weiber von fürstlichem Blute, nur mit ihnen verbunden, um durch solches Band die Sicherheit ihrer Throne desto fester zu begründen, verließ die Scham nicht, mit ihnen zu sein, oder doch ihre geächteten Namen zu führen. Die Empfindungen, welche sich hierbei uns aufdrängen, erinnern an die Schmach, mit welcher diese Geblendeten in ihrem umgeschaffenen Vaterlande aufzutreten fürchteten, oder an die trostreiche Hoffnung, im Elende die Treue zu finden, welche ihnen der Glanz des Glückes vergebens verkündet hatte. Vielleicht lag ihnen auch etwas Großes in dem Gedanken, als mitleidige Trösterinnen und Stützen den Dank der Vertriebenen zu verdienen, welche sie zur Zeit ihrer Hoheit so stolz und verächtlich behandelten.
Wer die Gebrüder Napoleon und Hieronymus gesehen und aus ihrem Wirken kennen gelernt hat, kann die Beweggründe so großer Aufopferungen nur außerhalb der Grenzen physischer oder moralischer Liebe suchen.
Es kam zu den Ohren einer dieser Damen, welche die Königin stets durch geheime Spione bewachen ließen, daß sie sich ein kostbares Kleid, mit Schmelz gestickt, verfertigen lasse. Diese Dame wollte der Königin das Vergnügen nicht gönnen, daß sie zuerst mit dem neuen Modekleide erschiene, und bestellte sich sofort ein eben solches Kleid. Um es so früh als möglich zu haben, wurde Alles aufgeboten, gab doch der König her, was sie verlangte. In diesem Gewande zeigte sie sich früher als die Königin bei Hofe. Diese nahm die Unart sehr übel und entfernte das schon fertige und sehr theure Kleid für immer aus ihrer Garderobe.
Hieronymus scheute also, wie Sie hieraus ersehen, keine Kosten und keinen Aufwand, um die Liebesdienste seiner Buhlerinnen auf's Höchste zu belohnen. Die Gräfin B. liefert einen noch auffallenderen Beleg dazu. Sie erhielt für eine Nacht, die sie mit ihm durchschwärmt hatte, einen Brillantenschmuck, dessen Werth auf 16 000 Franken geschätzt wurde.
Während der Karnevalszeit wurden auch Maskenbälle gegeben. Man glaubt nicht, welche Summe diese dem Lande kosteten. Ich sage nicht zu viel, wenn ich behaupte, daß an einem Abende mehrere hunderttausend Franken verschwendet wurden. Wie wehe der König damit seinem Lande that, wie sehr er dadurch das allgemeine Elend vergrößerte, und wie viel verhaßter er sich seinem Volke dadurch machte, das darf ich wohl nicht weiter ausführen.
Aber er folgte blindlings seinem Hange zur Ausschweifung, dachte an die Erfüllung heiliger Pflichten nicht mehr, und in seinem königlichen Glanze war ihm das Urtheil seiner Unterthanen völlig gleichgültig. Er sorgte, mit Aufopferung ihrer Liebe und Achtung, nach der er hätte ringen müssen, nur für sein Vergnügen. Von der eigentlichen Staatsverwaltung, wie es in seinen Staaten herging, erfuhr er nie etwas. Es waren um seinen Thron undurchdringliche Mauern gezogen, an welchen jede Klage des Unterthanen verhallte. Männer, welche ihm unangenehme Wahrheiten sagen wollten, wurden von ihm fern gehalten, und man suchte ihn durch leere Täuschungen, wie glücklich sich das Land unter seiner Regierung fühle, zu betrügen und zu ergötzen.
Diejenigen, welche dies thaten, haben eine schwere Verantwortung auf ihrem Gewissen, da es doch vielleicht möglich gewesen wäre, daß Hieronymus sich gebessert hätte, wenn er erfuhr, wie sehr er sich durch sein Betragen erniedrigte; wie unglücklich er das Volk durch seine Verschwendungen machte; wie er sich sogar dem Spotte und der Verachtung desselben preisgebe.
Bei solchen Bällen mußten insbesondere die Hof- und Staatsdiener in der größten Pracht und Eleganz erscheinen. Erlaubte und unerlaubte Einnahmen, Sporteln, die nicht geringe Summen ausmachten, reichten nur bei Wenigen zu, die Forderungen des sinnlosen Luxus zu bestreiten. Viele Edelleute, welche begütert waren und dem Abgotte des Casselschen Hofes opferten, sind verarmt und haben nun zeitlebens die bitteren Folgen ihrer Thorheit zu betrauern.
Alle Honorationen in Cassel und die Vornehmen des Städtchens Münden erhielten Entréebillets zu den Hoffestivitäten. Durch die größere Menschenzahl suchte man dergleichen Feste zu verherrlichen. Zu einem solchen Balle ließ sich Hieronymus, um die äußere Bekleidung, zu wechseln, unerkannt zu bleiben und so sein Spiel ungestört zu treiben, nicht mehr als sechszehn Anzüge aus Paris kommen, für welche 18 000 Franken bezahlt wurden. So wälzte sich von Cassel ein wahrer Geldstrom nach Paris, und die dortigen Juweliere, Mode-, Galanteriehändler und Parfümeurs müssen es sehr bedauern, daß sie in Jerôme einen so freigebigen und verschwenderischen Kunden verloren haben. Ob er nun auch, kindisch genug, gleich einem Chamäleon, in einer Stunde mehr als einmal seine Farbe wechselte, so erkannte man in der kleinen Figur doch immer den Mann, und die Verständigen lachten im Herzen über diesen Unsinn.
Ueberhaupt waren diese Festlichkeiten des Hofes Gelegenheiten, bei welchen sich die Verschwendungen des Königs in ihrem schlechtesten Lichte zeigten. Auf einem Saale, wo ein Maskenball gegeben wurde, stand am Eingange desselben eine verschlossene Bude. Jedermann war neugierig, was in derselben verborgen war. Man glaubte, daß sich der König durch den Anblick derselben an seinen ehemaligen Kaufmannsstand recht lebhaft erinnern wolle, wie einst Agathokles durch das irdene Geschirr auf der königlichen Tafel an das Töpferhandwerk. Die Damengruppen, welche um dieselbe versammelt standen, wähnten im freudigen Geiste, daß Hieronymus der Gesellschaft hier unentgeltlich Erfrischungen aller Art reichen lassen werde.
Was aber Keiner glaubte, daß er sich nämlich mit seiner Gemahlin in die Bude stellen und den Handelsmann spielen würde: das geschah. Der König trat mit der Königin in den Saal; der Laden war geöffnet; und was erblickte man in demselben? Goldene und silberne Uhren, Brillantringe, Brillantenschmuck, Halsketten, kostbare Dosen u. s. w.
Mit französischer Geschwätzigkeit suchte nun das königliche Paar Käufer anzulocken. Niemand wagte es sich zu nahen, und Alle hielten sich lächelnd und verlegen, den König und die Königin als Tabuletkrämer vor sich zu sehen, in einer gewissen Entfernung. Daß dem Hieronymus die Rolle, welche er spielte, keine unbekannte war, und daß er sich für den Kramladen besser paßte, als für den Thron, das gestand man sich im Stillen.
Endlich faßte ein Minister Muth, suchte sich eine goldene Repertiruhr aus, fragte nach dem Preise, behandelte sie; als er aber mit dem Händler eins war und es an das Bezahlen gehen sollte, so erklärte er, daß er um Credit bitten müsse, indem es ihm für den Augenblick an Geld fehle, die Uhr zu bezahlen. Jerôme überreichte dem Käufer mit kaufmännischer Artigkeit die Uhr und holte ein großes Contobuch hervor, in welches er den Namen des Schuldners, die Uhr und den behandelten Preis eintrug.
Dreist gemacht durch den Minister und froher Hoffnung, daß man hier ohne Geld kaufen könne, war die Bude bald von Masken umdrängt. Alle suchten etwas zu erhalten und ließen sich, ohne zu bezahlen, ins Schuldbuch eintragen. Die eine Dame suchte sich einen Brillantschmuck aus, die andere einen kostbaren Shawl; der eine Herr nahm einen Brillantring, der andere eine geschmackvolle Dose. Es dauerte etwa eine halbe Stunde, so war es mit dem Krame vorbei. Am andern Morgen schickte Hieronymus seinen Debitoren die Rechnung quittirt ins Haus.
Die Galanterie wäre nicht unrecht gewesen, wenn sie nicht auf Kosten der mit ungeheuren Abgaben belasteten Unterthanen wäre veranstaltet worden, und da sie überdies an seinen ehemaligen Stand auf eine mit seinem übrigen Leben so kontrastirende Art erinnerte: so hätte Herr Hieronymus den so theuern Spaß unterlassen sollen. Wie viele Herzen hätten nicht mit der großen Summe, welche diese Kurzweil kostete, erfreut werden, wie viel Unglücklichen hätte nicht wieder damit geholfen werden können! – Aber was kümmerte das den gewesenen Kaufmannsdiener von Baltimore, der die Schätze beider Indien verschwendet haben würde, wenn er sie zu seiner Disposition gehabt hätte, ohne je die geringste Rücksicht auf das Glück oder Unglück seiner Unterthanen zu nehmen.
Das Kindische und Unwürdige, welches in diesem Betragen lag, scheint Se. Majestät noch weniger gefühlt zu haben, als die Käufer. Würde ein Mann von soliden Sitten und ernstem Geiste das Bild der Männlichkeit durch solche Knabenstreiche entstellen, wenn er auch nicht König wäre?
Mit jedem Morgen mußte für den König ein neues Beinkleid von Cachmir bereit liegen. Ob ihn nicht gute Gründe zu diesem verschwenderischen Wechsel zwangen, muß ich dahin gestellt sein lassen. Der französische Hofschneider stand sich dabei gar nicht übel. Wer monatlich dreißig Paar Beinkleider bezahlt, so dachte der verschmitzte Franzose, dem kann man auch einige Paar mehr auf die Rechnung schreiben. Sicher hätte er sie bezahlt erhalten, wenn er es nicht früher mit dem Intendanten verdorben hätte, welchem er die Bitte um ein Capitälchen abschlug, weil der Herr keine sichere Hypothek stellen konnte. Aus Rache verklagte er den Schneider bei dem Hofmarschallamte, und dieser erhielt zur Strafe seiner Betrügerei nichts als einen gelinden Verweis.
Hierbei muß ich anführen, daß die Franzosen in Cassel eigentlich das Privilegium hatten, alle die Unthaten ungestraft zu begehen, welche an Deutschen sehr hart geahndet wurden. Sie genossen zum Hohn der Gerechtigkeit und Billigkeit Vorzüge, die jedes gefühlvolle Gemüth beleidigen, ja empören mußten. Keiner wagte selbst sein offenbares Recht gegen einen Franzosen zu behaupten, und was mußten sich die Unterthanen von den Fremdlingen bieten lassen! – Sie wußten es recht gut, daß sie die Lieblingskinder des Hieronymus waren, und sündigten auf dies Conto in den Tag hinein.
Wenn es die Anordnung eines Vergnügens galt, wenn der Sporn der Leidenschaft den Hieronymus geißelte, dann war kein Mensch thätiger und geschäftiger, als eben er. Sollte er sich aber seinem Range und seinem Berufe gemäß pflichtmäßig beschäftigen, dann überfiel ihn eine Trägheit, die er zu besiegen sich gar keine Mühe gab. Für sich that er Alles, aber für sein Land und sein Volk nichts.
Man übersetzte die Bittschriften der Unterthanen, die, oft in sehr dringenden Fällen bei Hofe einliefen, in's Französische, damit er sie lesen konnte. Mit der Treue der Uebersetzung ward es nie recht genau genommen. Enthielt die Bittschrift irgend etwas, das dem blinden Könige die Augen über die unglückliche Lage seiner Unterthanen öffnen konnte, so wurde sie ganz unterdrückt. Späterhin änderte man nichts mehr, da man es mit entschiedener Gewißheit wußte, daß sich Hieronymus nie so viel Zeit nahm, das Geschriebene durchzulesen, es auch überdies das Amt des Requetenmeisters war. Das Schicksal der Unterthanen war also den Ministern völlig in die Hände gegeben, und oft blieb es der Willkür eines Einzigen überlassen.
Die von den Ministern ausgearbeiteten Dekrete wurden von Herrn Camus, Minister-Staatssekretair, dem Könige zur Unterschrift vorgelegt. Oft mußte dieser seine Bitte, den Namen zu unterzeichnen, viermal wiederholen, ehe er es that. Um den Inhalt des Dekrets selbst bekümmerte er sich im geringsten nicht. Vielmehr unterschrieb er Alles, was ihm zur Unterschrift vorgelegt wurde, blindlings und folgsam. Er würde auch eine Schmähschrift auf sich selbst unterzeichnet haben, wenn die Minister ihm eine solche hätten vorlegen mögen. Auf der einen Seite fühlte er wohl sein Unvermögen, das Regierungsgeschäft selbst zu leiten, auf der anderen Seite vergeudete er in den Nächten seine Kräfte so, daß ihm am Tage die Lust zu jeder Arbeit fehlte.
Wenn die Minister oft Wochen lang auf Dekrete vom Könige warteten, die schnell in Ausführung gebracht werden sollten, so benutzten sie ein Mittel, dessen Erfindung sie dem Wunsche verdankten, ihm die Bürde der Regierung möglichst zu erleichtern. Es wurde eine Menge von Gesuchen, Anordnungen und Befehlen auf einen großen Pariser Imperial-Foliobogen mit kleiner Schrift geschrieben, und Hieronymus hatte nun weiter nichts zu thun, als seinen Namen auf der letzten Seite zu unterzeichnen, wodurch dem Ganzen nun volle Gesetzlichkeit ward. Man hätte einen Stempel stechen lassen sollen, mit dem er seine Unterschrift noch leichter hätte aufdrücken können. Während der ehemaligen königlichen Regierung in Frankreich hatten die Minister einen solchen Stempel, den man Patte oder Griffe nannte, womit sie die königliche Unterschrift vollzogen.
Die Jagd vergnügte den Herrn ungemein. Im Reinhardtswalde mußten die Jäger lebendige Hirsche einfangen. In der Aue bei Cassel ließ man sie laufen, und Jerôme freute sich seiner Kunst, wenn es ihm gelungen war, sie in einer Entfernung von zehn Schritten niederzuschießen. So wurden ihm Hasen eingefangen und von Barby nach Cassel geschickt, um von seiner hohen Hand erlegt zu werden.
Der König sah auf der Casseler Messe ein Caroussel; das Spiel gefiel ihm, und er ließ sogleich auf der Wilhelmshöhe nach dessen Muster ein solches bauen. Er bestieg eines Nachmittags das hölzerne Roß, auf dem anderen saß Camus, sein Busenfreund. Die übrigen Plätze hatten zwei von seinen Favoritinnen inne. Vier Kammerherren mußten die Maschine in Bewegung bringen.
Allein dem gnädigen Herrn zog die kreisförmige Bewegung einen Kopfschwindel und Uebelbefinden zu, und Hieronymus befahl: Halt! Darauf verließ er das Pferd, die Damen folgten ihm nach, und seit der Zeit ist von dem Caroussel gar nicht mehr die Rede gewesen.
Oft belustigte er sich am Ballschlagen und ließ sich die Bälle von seinem Kammerdiener wieder zurückbringen. Ein geistvolles Spiel für einen erhabenen Monarchen!
Weil der König sich, wie ein Kind, durch immer neue Spielwerke zu ergötzen suchte, so wandelte ihn auch die Baulust an, bei der ihm aber ein geschmackvoller Geist gänzlich fehlte. Was hätte diesen auch wohl in ihm wecken und unterhalten können! Das Alte, was Geschmack verrieth, ließ er nicht nur verfallen, sondern er arbeitete wohl gar freventlich an seiner Zertrümmerung. Das Riesenschloß, die Cascaden, der Cataract, der Aquaduct, Alles sah seiner Zerstörung entgegen. Die Gebäude, die er mit unglaublichen Kosten er richten ließ, versprechen uns nur, wie er selbst, eine kurze Existenz.
Hieronymus war in aller Hinsicht dazu geeignet, alles Edle und Gute zu vernichten. Was er selbst nicht that, dazu fanden sich Helfershelfer. Was ist aus der schönen Aue geworden! Die kostbare Orangerie ist abgestorben, weil ihr die erforderliche Pflege mangelte. Das herrliche Marmorbad hat man geplündert. Das Schloß sollte durch Oefen unter dem Fußboden erwärmt werden, und wurde dadurch ein Raub der Flammen. Die Rennbahn ist abgerissen, das neue Thor der Wilhelmshöhe ward abgetragen u. s. w. Es ist unglaublich, wie viele Zerrüttungen ein Mensch anrichten kann, dem man eine Macht verliehen hat, welche er nur zu mißbrauchen versteht.
Aus Allem geht deutlich hervor, daß dieser Hieronymus ein äußerst beschränkter Kopf war, der seine Macht, als Regent eines so schönen Landes, nie zu dessen Vortheil, sondern im Gegentheil nur zum Verderben desselben angewandt hat.
Was konnte das arme Land von einem Beherrscher erwarten, der seine Zeit mit Buhlereien und kindischen Spielen vergeudete, zu den Regierungsgeschäften gleichsam gezwungen werden mußte, an nichts anderes dachte, als an ewige Zerstreuungen und sinnliche Vergnügungen und an allen ernstlichen Beschäftigungen den höchsten Ekel hatte? –
Daher denn natürlich die Ministerregierung; daher das Willkürliche derselben; daher endlich der schändliche Nepotismus, dessen schädlicher Einfluß sich in den meisten Departements sehr fühlbar machte.
Ueberhaupt ward das Schwankende und Widersprechende in der westphälischen Regierung vorzüglich durch die mancherlei Parteien des Hofes noch sehr vermehrt. – Von allen den Parteien, die sich unter einander bekriegten, war die Fürstenstein'sche die dominirende. Der Graf Fürstenstein, sonst le Camus genannt, war ein alter Freund und Reisegefährte des Königs, den er schon in Amerika als einen dienstfertigen Gehülfen kennen gelernt hatte. Nach seiner Thronbesteigung erhob er ihn zum Grafen von Fürstenstein und machte ihn zum Minister-Staatssekretair, was er auch bis an's Ende der kurzen Regierung geblieben ist. Sein Einfluß war bedeutend, und fast immer trug er über die anderen Parteien, die sich ihm entgegenstellen wollten, den Sieg davon. Von diesem le Camus werde ich später mehr sagen. Eine andere Partei, an deren Spitze ein gewisser Graf T... stand, dessen Alliirte die begünstigten Damen waren, konnten ihm nichts anhaben und hatte sich bloß ephemerer Erfolge zu erfreuen.
Die Gemahlin des Grafen T..., eine eben so reizende als gebildete Dame, widerstand den Versuchungen des Königs mit der ganzen Kälte und Standhaftigkeit, die man von einer tugendhaften Frau erwarten kann. Sie lebte mit Widerwillen an einem so unmoralischen Hofe, wo ihr Mann gern eine glänzende Rolle spielen wollte, und Niemand könnte über die Weiberintriguen, welche dort vorgefallen sind, ein größeres Licht verbreiten, als sie, welche ohne Theilnahme, Leidenschaft und Parteilichkeit eine kalte und ruhige Beobachterin war. Welch eine Menge interessanter Anekdoten müssen ihr nicht bekannt sein, in welchen freilich ihr Mann meistentheils eine üble Rolle spielen würde!
Außer vielen anderen Orten, die ich mit den Festen, welche daselbst gefeiert wurden, noch ferner genauer schildern will, war es die Wilhelmshöhe, wo man sich der Ausschweifung vornehmlich in die Arme warf, wo die Ueppigkeit alle sinnlichen Genüsse auf die empörendste Weise zu vereinigen bemüht war. Er trieb daselbst mit Mädchen und Frauen, wie ich bereits angeführt habe, sein Wesen arg genug, wenn er mit seinem Raube in seinem Phaeton entwich. Aerger aber war es im Garten. Ein Theil desselben gehörte dem Jerôme ausschließend, und Gardisten bewachten wie Drachen den Eingang, so daß ohne die ausdrückliche Erlaubniß des Königs kein Sterblicher ihn betreten durfte.
In der schönen Jahreszeit ruhte hier der französische Prinz in dämmernden Grotten, überschatten vor dichtem Gebüsch, in der Nähe murmelnder Bäche, von süßen Blüthendüften umweht, auf elastischen Lagern von Moos. Er bedurfte dieser Ruhe – und wohl seinem Lande, wenn er sie auf ewig genossen hätte! – nicht etwa, weil er in der Erfüllung seiner Pflichten die Kräfte verbraucht hatte, sondern weil die Folgen der Wollust ihn so oft in den Zustand der Abspannung und einer stumpfen, geistlosen Ohnmacht versetzten. Allein war er nie da, sobald er sich nur einigermaßen zur Ueppigkeit gestärkt fühlte. Der Einsamkeit, dem stillen Nachdenken war er sehr abhold, denn dieses hielt ihm in der Gestalt eines Gespenstes sein Sündenregister vor. Die meiste Zeit drückte ihn die Last der Langweile.
Nach Tische, wenn er dahin ging, sah man oft eine Dame an seiner Seite oder auch mehrere, die ihn leichten Fluges umschwirrten, um sich in seine Kräfte zu theilen und sich Geschenke zu versichern, auf welche ihnen diese süßen Augenblicke Ansprüche erwerben sollten. Das Personal bildete in der großen Grotte dann einen Gesellschaftszirkel, wo Jerôme wie der Hahn unter den Hühnern erschien, und wo man sich von Gegenständen unterhielt, die man aus Achtung gegen die Sittlichkeit verschweigen muß.
Bei bloßen Gesprächen verblieb es indessen nicht; wenn Jerôme seine Lust durch die Augen und durch Betrachtung angefrischt hatte, schritt man zur That. Er pflegte dann aufzustehen, gab einer Dame das bekannte Zeichen und entfernte sich mit ihr. Die zurückbleibenden Schönen, welche nicht auf das Beste gestimmt waren, erlaubten sich in der Verlassenheit mancherlei Glossen.. Nach einer Weile kam die Begünstigte zurück, forderte im Namen des Königs eine andere Mitschwester auf, mit welcher er sich in der kleinen Grotte allein zu unterhalten wünsche. Mit Freuden und ohne Zögern erfüllte diese den Befehl des Sultans. Nach geendigter Unterhaltung kam er in den Damenkreis zurück und entblödete sich nicht, über Dinge zu reden, die der gemeinste und lüderlichste Wüstling selbst so gern mit dem Schleier der Nacht umhüllt.
Einst war Jerôme nur mit zwei Damen in der großen Grotte, welche ihm zur Seite auf einem Sopha saßen. Durch einen Händedruck wollte er der einen das Zeichen geben, ihm nach der kleinern Grotte zu folgen, und drückte beide zugleich. Er hatte sich schon entfernt, als unter den Damen ein lächerlicher Wortwechsel wegen des Vorrangs entstand. Dem Jerôme, welchen die Lust eines schnellen Genusses plagte, wurde die Zeit in seiner Grotte unerträglich lang.
Als die Schöne nicht erschien, ging er unwillig zu den Damen zurück und fragte die, welche er eigentlich gemeint hatte: warum sie nicht sogleich zu ihm gekommen wäre? Sire, erwiderte diese, Sie haben uns beiden die Hände zugleich gedrückt, und wir waren ungewiß, welche von uns Sie zuerst mit Ihrer Liebe beglücken wollten. – »Das ist einerlei, aber Sie hätten es sich selbst sagen können, daß ich mich zu einer Zeit nicht in zwei Theile zertheilen kann. Damit ich es aber mit keiner von Ihnen verderbe, mag nun das Loos entscheiden.«
Es wurde wirklich geloost. Diesmal war die Zweite in ihren Hoffnungen sehr betrogen. Der erste Genuß hatte den Herrn so übersättigt, daß er nach der zweiten Schönen nicht verlangte. Tröstend versprach der Schwächling der Armen zu einer anderen Zeit reichlich Ersatz. Welche Erniedrigungen sich ein schamloses Weib gefallen läßt und gefallen lassen muß, übersteigt die Grenzen alles Glaubens. Diese Geschichte ist nicht verschwiegen geblieben, da beide Damen sie ihren Freundinnen mit Hintansetzung aller weiblichen Scham unter vielem Lachen erzählt haben.
Der Geburtstag Jerôme's, den ich Ihnen hier zu beschreiben denke, steht als eine kleine Unterbrechung der bunten Liebesabenteuer hier, die ich hernach weiter zu erzählen fortfahren werde. Als Augenzeuge habe ich dem Feste, welches dem Könige zu Ehren gefeiert wurde, beigewohnt.
Der fünfzehnte November war der Tag, an dem Jerôme, der unbedeutendste aller Menschen, der durch sein Beispiel so viel Unheil stiftete, sich durch seine Wollust und Verschwendung so nachtheilig auszeichnete, durch seine Thorheiten und Ungerechtigkeiten so lächerlich und verächtlich machte, das Licht der Welt erblickte. Seinen Unterthanen wäre es lieber gewesen, daß er nie geboren wurde, denn einen erbärmlicheren König konnte ihnen der große Gewalthaber des Himmels und der Erde gar nicht zutheilen, als diesen Elenden. Jerôme's Herz war eine Musterkarte von Mängeln, Schwachheiten, Uebereilungen; auch nicht eine Tugend kann man ihm nachrühmen.
Am fünfzehnten November durfte kein Unterthan in Westphalen bei zwanzig Franken Strafe sein bürgerliches Geschäft fortsetzen und seine gewöhnlichen Arbeiten betreiben. War es das Männchen wohl werth, daß ein Tag im Jahre von einem ganzen Volke mit Nichtsthun verschleudert wurde? Die Tagelöhner und Handwerker verwünschten im Herzen diesen Geburtstag. Wodurch zeichnete sich denn der König aus, daß man ihm diese Ehre erwies.
In jedem Departements-Hauptorte wurden an dem Tage zwei Ehepaare jedes mit hundert Thalern ausgestattet und unter gewissen Feierlichkeiten in der Hauptkirche getraut. Nur die tugendhaftesten und ärmsten Mädchen sollten dieser Ehre und dieses Glücks gewürdigt werden. Aber man machte bald Ausnahmen von der Regel. In Magdeburg z. B. wurde an dem Tage die Maitresse eines Kaufmanns zur Trau geführt welche die Welt schon mit einem Kinde beschenkt hatte. Wenn man diese für die Tugendhafteste hielt, was in aller Welt soll man von den Mädchen jener Stadt denken.
Es war ausdrücklicher Befehl, daß die Geistlichen an dem Tage Lobreden auf den König halten mußten. Eine gewiß sehr schwere Aufgabe für den gewissenhaften und wahrheitsliebenden Mann, der in den Augen seiner Zuhörer nicht in dem Lichte eines verächtlichen Schmeichlers erscheinen wollte. Zu einer Schmährede fehlte es nicht an Stoff, aber zu einer Lobrede? –
Man suchte sich mit Gemeinsprüchen zu helfen, die jede Deutung zuließen. In den Kirchen fanden sich Polizeiknechte ein, Menschen von abscheulichem Sinne, die wohl aufmerkten, ob man den Befehl nach seiner ganzen Ausdehnung auch wohl in Ausübung bringe. Hie und da verleitete die Furcht vor der Strafe und die Besorgniß der Cassation so manchen Prediger zu Lobsprüchen, welche eben so unwahr als lächerlich waren. Hat aber ein Prediger den König aus voller Seele gelobt, so war er entweder ein Betrogener oder ein Betrüger, und hat die heilige Stätte geschändet, wo er log. Auf dem Lande hatten die unbewachten Geistlichen ein freieres Spiel und hielten an dem Tage eigentlich Lobreden auf ihren Friedrich Wilhelm, dessen Leben ihm selbst durch eine Reihe herrlicher Thaten eine Lobrede hält.
Uebrigens habe ich es manchem Geistlichen verdacht, wenn er sich feine, aber gehässige Anspielungen auf den verächtlichen König und die elende Regierung erlaubte. Es wurde ja dadurch doch nichts gebessert und der Druck der schmählichen Last Keinem abgenommen. Manche wollten mit ihrem Patriotismus glänzen; erlaubten sich Ausfälle, ließen sich nicht warnen und wurden, wie Herr B. in M., ihrer Stellen entsetzt.
Tadeln wollen wir diesen priesterlichen Heroismus nicht; denn wessen das Herz voll ist, davon gehet der Mund über. Auch hat der Strom der Rede oft noch mehr Hinreißendes, als der anschwellende Waldbach, wenn er über die Ufer tritt. Und wenn irgend etwas den deutschen Sinn im Herzen der Menge noch zu bewahren und zu nähren im Stande war, so war es zu dieser Frist gewiß die warme Ermahnung des Predigers, der bedeutungsvolle Wink, die wohlberechnete Erinnerung an vergangene Zeiten, welche die zarten Empfindungen des verlornen Glücks, die heiße Sehnsucht nach Aenderung, Hoffnung und Muth zum Kampfe für die wiederzuerringende Freiheit und Zufriedenheit allein erwecken konnte und mußte.
Da erzählte der Eine an solchen Tagen von dem rührenden Abschiede und der biederen Erinnerung Friedrich Wilhelm's an die verlassenen Unterthanen und malte ihnen den Schmerz dieser Trennung mit so lebendigen Farben, daß dadurch nur die liebevolle Anhänglichkeit an den scheidenden Monarchen erhöhet werden konnte. Auf diese väterliche Ermahnung des geliebten Königs allein: »seid eurem neuen Landesherrn, was ihr mir gewesen seid!« wurde die Erfüllung der Pflichten gegen den neuen Afterkönig nur als der strenge Gehorsam gegen Friedrich Wilhelm's Befehle begründet, und das Leiden der Zeit als eine schwere Prüfung der Vorsehung geschildert.
Ein Anderer suchte in den Annalen der Weltgeschichte: suchte und fand den Namen irgend eines berühmten Mannes, welcher an dem Trauertage der Geburt des Königs Jerôme das erste Tageslicht erblickt hatte, und lüftete seine Brust, indem er an die Geburt eines solchen Heroen der Vorzeit, welcher, wie Luther, mit Kirche und Religion in näherer Beziehung stand, den Ideengang seines Vortrages anknüpfte, ohne vielleicht früher als am Ende der Rede mit wenigen Worten wieder auf den traurigen Gegenstand der Tagesfeier zurückzukommen.
Freilich drohten die Maire und Polizeicommissaire, welche davon vernahmen, sofort mit dem Bannstrahle und schleuderten ihn auch wohl bisweilen aus; allein gerade dadurch bewährte sich die standhafte Beharrlichkeit des Predigerstandes bei seiner treuen Liebe für deutsche Fürsten und Sitten noch unverkennbarer. – Der Tag der Geburtsfeier des Königs Hieronymus ward nun insgemein ein Tag tiefer Stille und Trauer; die Illumination wurde qualmenden Lampen, die Festlichkeit bei Tanz und Musik den beglückten Staatssbirren und Anbetern französischer Aventuriers überlassen.
In Cassel wurde der Geburtstag mit vielem Geräusch gefeiert. Bei Sonnenaufgang, gegen Mittag und um fünf Uhr Abends wurden für den Mann drei Artilleriesalven gegeben, der nach seinem wahren Gehalte keinen Schuß Pulver werth war. Um 11 Uhr begab sich der König und die Königin in asiatischer Pracht nach dem sogenannten Thronsaale. Nun erschienen in größtem Schmucke die Großoffiziere der Krone, die Minister, die Offiziere des königlichen Hauses, um ihre Glückwünsche und Huldigungen darzubringen. Der Götze nahm die ihm dargebrachten Opfer gnädig an. Nachdem dies Puppenspiel geendet war, begab sich die Königin, von geputzten Palastdamen und Offizieren begleitet, zurück, und der Großceremonienmeister führte, um den Jerôme durch neuen Weihrauch zu erquicken und seiner Eitelkeit gehörig zu fröhnen, den Staatsrath ein; einige Wenige ausgenommen, Jamänner, welche durch den Minister-Staatssekretair vorgestellt wurden. Nun folgte die Ober-Rechnungskammer, vorgestellt durch den Finanzminister.
Der Aelteste der Staatsräthe nahm das Wort und redete den König mit folgenden Worten an: Es versteht sich von selbst, daß vorstehende Anreden, so wie alle folgenden, in französischer Sprache abgefaßt und gehalten wurden; denn der deutsche Länder mißhandelnde Afterregent kannte und verstand unsere Sprache nicht.
»Sire! Das Jahr der Regierung Ew. Majestät vermehrt die Gefühle tiefer Ehrfurcht, Liebe und Dankbarkeit, deren ehrerbietigste Huldigung der Staatsrath zu den Füßen des Thrones niederzulegen wagt. Zeugen der Sorgfalt, die Ew. Majestät täglich anwenden, um das Glück Ihrer Völker zu sichern und die Hindernisse zu besiegen, welche die Umstände herbeiführen, bleibt dem Staatsrathe nichts übrig, als zu wünschen, daß die Lebensjahre Ihrer geheiligten Person von recht langer Dauer und das Glück Ihrer Regierung Ihrer wohlwollenden Gesinnung gleich sein möge.«
Antwort des Königs.
»Meine Herren Mitglieder meines Staatsraths! Ihre Wünsche sind mir angenehm. Ich rechne auf Ihre Anhänglichkeit, und der mir wohlgefällige Beweis derselben wird sein, daß Sie bei Ihren Berathschlagungen allein das Beste des Staates und meiner Völker berücksichtigen.«
Rede des Präsidenten der Oberrechnungskammer.
»Sire! Der Geburtstag Ew. Majestät war der Geburtstag des Glückes der Völker, die Sie zu regieren bestimmt waren. Die Völker waren getrennt durch Herkunft, Schicksal, Gesetze und Gewohnheiten. Gemeinsames Glück hat nunmehr die Verschiedenheit verwischt. Gemeinsame Gefühle haben alle diese Völker in eine einzige Familie vereint. Diese Gefühle sind Anhänglichkeit an die erhabene Person Ew. Majestät, Dankbarkeit für die Wohlthaten, welche Ew. Majestät über Ihre Völker verbreitet, heiße Wünsche für den Ruhm und die Wohlfahrt einer Regierung, die Ihre Gerechtigkeit, Sire, und alle Ihre Tugenden verherrlichen. Diese Gesinnungen sind es, welche die Oberrechnungskammer mit allen getreuen Unterthanen Ew. Majestät theilt und welche sie heute zu den Füßen Ihres Thrones niederlegt.«
Antwort des Königs.
»Meine Herren Mitglieder der Oberrechnungskammer! Ich bin zufrieden mit den Gesinnungen, die Sie mir an den Tag legen. Fahren Sie fort, sich durch Redlichkeit und Ordnungsliebe auszuzeichnen.«
Rede des Präsidenten des Appellationshofes etc.
»Sire! Die höchst erfreuliche Rückkehr des Geburtsfestes Ew. Majestät läßt unsere Liebe, unser Dankgefühl und eifrige Anhänglichkeit an Allerhöchstdero erhabene Person laut werden. Mit diesen Gesinnungen legen wir unsere eifrigsten und reinsten Wünsche für das ununterbrochene Glück Höchstihrer Lebenstage, für den Ruhm und den besten Erfolg Ihrer Regierung Ew. Majestät zu Füßen. Mögen in später Zeit unsere Nachfolger, gleich uns, die Gerechtigkeitsliebe, die Großmuth und so viele andere hervorstechende Tugenden Ew. Majestät segnend bewundern! Möge es uns gelingen, Allerhöchstdieselben auf immer von unserer tiefsten Ehrfurcht und jede Prüfung bestehenden Treue zu überzeugen.«
Antwort des Königs.
»Meine u. s. w.! Ich nehme mit Vergnügen Ihre Glückwünsche an. Sie sind geachtete Organe der Gesetze, die über das Wohl und die Sicherheit der Bürger wachen. Seien Sie stets so gerecht und unparteiisch.«
Das alberne Puppenspiel dauerte noch viel länger, als ich erzähle. Man beeiferte sich gegenseitig so recht eigentlich, es einander an groben Schmeicheleien zuvorzuthun.
Nach diesen Possen ging Jerôme nach der Schloßkapelle und hörte die Messe an. Wie er sich dort wohl nach seiner lieben Gitterloge im Schauspielhause gesehnt haben mag! Das Tedeum wurde an dem Tage denn auch entehrt. Abends war die ganze Stadt auf Befehl erleuchtet. Auf den Straßen war es sehr laut, und zu Ehren des Geburtsfestes ihres Lieblings feierte auch die Venus lubrica üppige Stunden. – Der vornehme und gemeine Pöbel war ein wenig ausgelassen.
Der sogenannte Napoleonsplatz war mit Festons und Laubgehängen verziert. Es waren Masten aufgerichtet, die erklettert werden mußten, und wobei Preise für die geschicktesten Kletterer ausgetheilt wurden, Buden, die in der Tags vorher gezogenen Lotterie gewonnene Eßwaaren ausgaben, und was dergleichen schöne Sachen mehr waren, wobei der starke Genuß der geistigen Getränke den Enthusiasmus des Pöbels für den saubern Regenten mächtig erhöhte.
Abends um zehn Uhr hub der Ball an. Der König hatte Damen und Herren erlesen und eine Quadrille arrangirt. Man glaubt es nicht, in welch einer kostbaren, üppigen Pracht das Personal dieses Tanzes erschien. Der Putz war von Jerôme selbst vorgeschrieben. Die Herren starrten von Gold und Silber und die Frauen im üppigsten Kostüme. Es kostete Ueberwindung, die Damen anzusehen. Wessen Blut nicht durch das Alter abgekühlt war, den hätte der Anblick dieser Wollust athmenden Weiber zur sinnlichen Leidenschaftlichkeit fortreißen können.
Vor Allen zeichnete sich die Laflêche, das schönste Weib, das mein Auge je sah, aus. Beiläufig führe ich an, daß Jerôme eine Weile in diese Juno sterblich verliebt war. Ihr Mann war auch bei Hofe und Intendant der Schlösser. Er überließ seine Frau dem Könige und betrog diesen und das Land auf alle Weise. Er hatte sich, nach dem Zeugnisse der Rechnungskammer, um 100 000 Franken verrechnet, die er in seinen Beutel steckte. Das Versehen oder die bübische Gaunerei wurde dem Könige angezeigt. Der gnädige Herr, der es mit der Frau hielt, durfte es ja unmöglich mit dem Manne verderben, und so wurde der Ehrenstreich mit dem Mantel der Vergebung bedeckt und der Vergessenheit übergeben.
Doch ich komme auf das Kostüm der Damen zurück, welches sie für diesen Abend auf Befehl des Königs anlegen mußten. Sie trugen lange, weiße, seidene Beinkleider, welche so fest anschließen mußten, daß nur der Muskelbewegung noch freies Spiel blieb. Bis zu den Knien herab, aber nicht weiter, floß ein Florkleid, welches auch das Allerheiligste dem Auge kaum verschlossen ließ, wohin kein Ungeweihter jemals dringen sollte. Der Hals war, nebst dem größten Theile des Busens, ganz entblößt und nur die untere Hälfte mit durchsichtigem Flor bedeckt. Unter dieser Gesellschaft befand sich der König und tanzte. Aerger war es hier als in jedem Freudenhause. – Er schämte sich nicht, den respektabelsten Theil seiner Unterthanen zu Zuschauern zu haben. Um Mitternacht wurde ein prächtiges Souper servirt, welches gewiß große Summen kostete. Der Ball dauerte bis Morgens um vier Uhr.
Jerôme tanzte eben nicht viel. Nach dem Souper verschwand er auf einige Stunden mit zwei Damen, welche die Quadrille mit ihm getanzt hatten, und erschien mit ihnen in anderem Anzuge wieder. Die Königin war sehr heiter und sprach immer freundlich mit dem Herrn Gemahl, wenn er zu ihr kam. Er verstand die Kunst, sich bei ihr einzuschmeicheln, und trieb die Artigkeit gegen sie so weit, daß er ihr gewöhnlich die Nägel abschnitt. Den nenne ich noch einen galanten Mann!
Wenn ich von allen, doch meistens nur simulirten Freudenbezeugungen, von dem durch starke Getränke bewirkten Jubel des Pöbels, von den splendiden Gastmälern der Staatsminister, zu welchen die vornehmsten Staatsbeamten eingeladen waren, Rechenschaft ablegen sollte, so müßte ich einen Folianten vollschreiben. Lange nachher noch ertönten die Blätter des Moniteurs von den in den übrigen Departements veranstalteten Festen und Freudenbezeugungen, welche die Präfekten zu berichten beordert waren.
Ich habe vorhin gesagt, daß sich Jerôme aus der Gesellschaft entfernte; das war seine Gewohnheit. Die Maskeraden wurden nicht allein auf dem Schlosse, sondern auch bei den Ministern und Vornehmsten des Hofes der Reihe nach gegeben. Jerôme war aber so artig, daß er aus seinem königlichen Beutel die Kosten der Lustgelage bestreiten ließ. Der Minister u. s. w. gab weiter nichts dazu her, als das Lokal. Bei einem Jeden, wo die Redoute war, hatte sich der König eine Stube und etliche Betten in derselben reservirt. Die Stuben mußten prachtvoll meublirt sein. Hingen üppige Gemälde an den Wänden, befand sich zur Seite an der Wand neben dem königlichen Bette ein großer Spiegel, so daß sich Jerôme's Auge an den Scenen der Lust weiden konnte, die er selbst in Praxis spielte, so geschah ihm damit ein besonderer Dienst. Wenn den Herrn während des Tanzes der Trieb nach einem anderen Vergnügen anwandelte, so verließ er mit der Favoritin die Gesellschaft, ging in die Stube, schloß die Thür hinter sich zu und opferte seiner Ueppigkeit.
Man erzählt sich noch folgende Anekdote. Es war einst die erste Maskerade bei einem neuangestellten Minister. Der König verlangte nach dem Kabinette. Es war für ihn keins bereitet. Der Herr nahm es sehr übel, daß man so wenig für sein Bedürfniß gesorgt hatte. Er gab dem Minister seinen Verdruß zu erkennen und verlangte, mehr befehlend als bittend, ihm auf der Stelle das erste beste Zimmer anzuweisen.
»Sire«, fragte der Minister mit verstellter Miene, »was wollen Sie in der Stube? Warum verlangen Sie mehr als ein Ruhebette?« –
Im höchsten Unmuth erwiderte Jerôme: »Ich will mit der Gräfin L... allein sein und mich ungestört mit ihr unterhalten.« –
»Mein Haus ist kein Freudenhaus«, erwiderte der Minister.
Jerôme stampfte mit dem Fuße, sprach kein Wort, drehte sich um, und noch an demselben Abend ward die Absetzung des Ministers decretirt.
Es wurde Alles aufgeboten, um die absterbende Sinnlichkeit Jerôme's zu reizen. Ich weiß es nicht, ob es in Schönfeld oder in Katharinenthal war, wo einst eine Komödie gespielt und ein Ballet getanzt wurde, das allen Gesetzen der züchtigen Scham Hohn sprach. Er hatte es selbst angeordnet, und seine Vertrauten durften nur dabei erscheinen.
Wie ich bereits gesagt habe, waren die Ballettänzerinnen und Opernsängerinnen, welche das Serail bildeten, die reizvollsten Geschöpfe, welche die Phantasie sich erzaubern kann. Die Courtou, Adele Louis, Lavancourt, Romain, Rosier, Felicitas Blangini, Clara Lacomme u. s. w. zeichneten sich insbesondere durch ihre Schönheit aus und wurden von Jerôme am meisten begünstigt. Der König übernahm diesmal selbst eine Rolle. Die Acteurs und Actricen erschienen – im Stande der Natur. Man erlaubte sich ohne Zwang und Scham die schändlichsten Caressen. Die extemporirten Rollen wurden oft durch ein schallendes Gelächter unterbrochen. Man wetteiferte gegenseitig, sich durch Ueppigkeiten aller Art zu übertreffen. Jerôme spielte meisterhaft.
Dieser Mann wollte das Oberhaupt eines Volkes sein und konnte sich zu Gräueln erniedrigen, vor denen das sittliche Gefühl zurückschaudert. Man glaube nicht, daß es bei dem öffentlichen Spiele blieb, welches manchen der Zuschauer höchlich ergötzte, daß er durch Händeklatschen Beifall und eigene Schande laut verkündigte; hinter den Coulissen und in den Kabinetten trieb man es hinterher noch ärger.
Jerôme war der festen Meinung, daß der Vorzug seiner königlichen Würde insbesondere darin bestehe, ungestraft sündigen und Laster ausüben zu dürfen. Er fühlte sich über den Zwang der Gesetze erhaben und schaltete nach freier Willkür. Was er sich indeß Böses erlaubte, gestattete er keineswegs Anderen.
Ein gewisser General L..., sein Günstling, welcher in Rußland das Frevelleben, was er in Cassel führte, mit dem Tode büßte, hatte eine große Gesellschaft zu sich geladen und gab ein wahrhaft sardanapalisches Fest. Die ausgesuchtesten Gerichte und Weine reizten den Gaumen der Gäste. Es waren zu dem Mahle auch einige Ballettänzerinnen und Sängerinnen geladen. Die Kosten für den Wein betrugen an 100 Napoleonsd'or.
Als die Köpfe etwas erhitzt waren, fing man an, mit den Damen und Mädchen etwas handgreiflich zu scherzen. Diese, welche dafür im Voraus bezahlt waren, leisteten nur schwachen Widerstand. Nach Tische verschwand auf einmal das weibliche Personal. Als etwa eine Viertelstunde verflossen war, öffnete sich eine in den Speisesaal führende Thür, und die Schönem erschienen in Eva's Gestalt; selbst kein Blatt bedeckte auch nur einen Theil ihrer Nacktheit. Man denke sich die halbberauschten Gäste, die schamlosen Dirnen, und ich darf von den Scenen schweigen, die weiter vorfielen.
Jerôme erhielt vom Ganzen Kundschaft und ließ im Zorn, daß sein Beispiel so treue Nachahmer fand, den L... zu sich bescheiden.
»L...«, so fuhr ihn Jerôme mit Heftigkeit an, »ist es wahr, daß nackte Frauenzimmer den Gästen, die Sie in Ihrem Hause hatten, aufwarteten?« –
»Ich kann es nicht leugnen.« –
»Wie konnten Sie sich erdreisten, so etwas zu gestatten?«
»Sire, ich hielt es nicht für Unrecht. In Katharinenthal, Schönfeld und auf Napoleonshöhe wohnte ich ja in Ew. Majestät Gesellschaft ähnlichen Festen bei.« –
»Dürfen Sie es wagen zu thun, was ich thue? Herr, hielt ich nicht so viel auf Sie, ich würde Sie und Ihre Gesellschaft mit Ketten behängen und zum Thore hinausführen lassen.«
»Sire, die Strafe wäre für das Vergehen zu hart. Seien Sie großmüthig und verzeihen Sie. Ich verspreche, es soll in meinem Hause dergleichen nicht wieder geschehen.«
Hiermit war die Sache völlig abgemacht.
Jerôme war sehr eifersüchtig, wenn man Miene machte, sich einer Schönen zu nahen, die in der Reihe seiner Maitressen gerade den ausgezeichnetsten Platz behauptete. In Hinsicht der übrigen war er schon duldsamer, und diese benutzten ihr Glück und sündigten auf Conto des Königs, wo und wann sich ihnen die Gelegenheit dazu bot. In Rücksicht der ehelichen Verhältnisse bekümmerte er sich um seine Gemahlin eigentlich gar nicht und nahm von ihrer Lebensweise keine Notiz.
Bei einem Körper aber, welcher den Anregungen der Natur nicht den kräftigsten Widerstand zu leisten fähig sein mochte und gewiß zum reichlichsten Genusse zwar keine außerordentlichen Reize, aber die wünschenswertheste Fülle und alle gedenkbare Neigung darbot, läßt sich wohl denken, daß ihr dieser Verlust empfindlich und schmerzhaft gewesen sein muß. Die Königin war nicht sehr groß, sehr voll, erträglich gewachsen, üppig und konnte in den Umarmungen eines Hieronymus unmöglich Befriedigung finden. Vielleicht war es der Unmuth ihres Gemahls, ihr die Reste seiner Kraft vergeblich aufzuopfern, welcher ihn von ihr entfernte und seinen Lieblingsdirnen in die Arme führte.
In Cassel war im Allgemeinen an keine eheliche Treue mehr zu denken. Man schämte sich nicht mehr, mit einer, auch wohl mit zwei Maitressen an öffentlichen Orten zu erscheinen. Der Mann ging seinem Vergnügen nach und die Frau hatte ihre Partie für sich. Nirgends hat sich die Wahrheit mehr bestätigt als hier: daß das böse Beispiel eines Fürsten die Gemüther der Unterthanen verdirbt und zu allen Lastern anreizt.
Den Geburtstag des Königs betreffend, füge ich noch Folgendes ein. Der Text zu der Lobrede auf ihn wurde, wenn ich nicht irre, jedesmal vorgeschrieben. Ein Landprediger beachtete die Vorschrift nicht und wählte den Text aus den Psalmen: »Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiß nicht, was er dir Gutes gethan hat.« Nach dem Inhalte dieser Worte wurde über das Thema geredet: »Unser König muß Gott danken, daß er König geworden.«
Derselbe Prediger erzählte mir – er wohnte im Elbdepartement – daß die Geistlichen von dem Präfekt in Magdeburg zum Vorlesen auf den Kanzeln vorgeschriebene Gebetsformeln erhalten hätten, welche meistentheils ein Gewebe von Unsinn und niederen Schmeicheleien enthielten. Bercagny, der Magdeburgische Präfekt, sonst Palastpräfekt und Intendant der Schauspiele in Cassel, ein Favorit und ehemaliger Zechbruder des Jerôme, wußte nicht, auf welche Weise er seinem Compagnon Ehre genug anthun sollte.
In einem dieser von ihm vorgeschriebenen Gebete las ich: Hieronymus sei jetzt schon der Nestor unter den Königen u. s. w. – In einem Tollhause, wo sich tausend Narren für Etwas halten, was sie nicht sind, mache ich Jerôme diesen Titel nicht streitig; aber in der Wirklichkeit verdiente er bei einer Fürstenversammlung wahrlich kaum einen Thürsteherposten. – In einer anderen Strophe des Gebets hieß es: der König sei im Frühlinge seiner Regierung schon, was man von dem Herbste derselben erwarten könne, und spende die Früchte des Segens auf seine Unterthanen u. s. w. Welch' eine grobe Unwahrheit! Jerôme war der Mann, der den Baum des Staates wohl so schütteln ließ, daß für das arme Volk keine Frucht mehr daran blieb, daß die Zweige zerbrachen und die Blätter verdorrten. Man darf nur in den Städten und Dörfern sich nach dem segensvollen Herbste der Regierung Jerôme's erkundigen, und die Fragen werden mit Verwünschungen beantwortet werden.
Er sei ein Gott, so hieß es ferner, der in Magdeburg auf leerem Boden die schönsten Häuser entstehen lasse. Welch' eine erbärmliche Vergötterung! Die Bewohner der ruinirten Häuser hatten ihre liebe Noth, sich aus eigenen Mitteln und mit Schulden ihre Wohnungen wieder zu erbauen.
Der genannte und mehrere andere Prediger verstanden sich zu helfen, wenn sie an das Vorlesen solcher Gebete kamen. Wußten sie die Kirche von Spionen leer, so commentirten sie einige Stellen der Formel dergestalt, daß sie Persiflagen und Hyperbeln hinzusetzten, die ein geheimes Lächeln erregten. Immer aber war der Eingang zu dem Gebete: Es ist mir befohlen worden, daß ich Euch das mir von dem Präfekten zugeschickte Gebet vorlesen soll.
Dieser Bercagny war ein nach Grundsätzen böser Mensch. Während seines Aufenthaltes in Magdeburg war er die Zuchtruthe der dortigen Einwohner, die ihn verfluchten. Er hat so viel Böses angerichtet, daß sein Leben nicht hinreicht, es wieder gut zu machen. Und dieser elende Mensch durfte sich der Freundschaft Jerôme's rühmen! Doch Gleiches gesellt sich zu Gleichem. Besonders war er es, der den Gouverneur der Festung zu vielen Ungerechtigkeiten verleitete, welche dieser nie begangen haben würde. Von diesem Buben werde ich in einem späteren Kapitel noch mehr erzählen.
Außer den Opernsängerinnen und Ballettänzerinnen, die das Serail Jerôme's ausmachten, gehörte zu demselben noch eine andere Suite vornehmer und gemeiner Damen. Bisweilen waren es auch Strichvögel, die er in dem Netze seiner Leidenschaftlichkeit fing und welche schnell wieder entlassen wurden. Bei einer dieser Liebschaften, die ihm nur einen einfachen Genuß gewährt hatte, ging es ihm so übel, daß er noch lange daran gedacht haben wird.
Auf einer Promenade erblickt der König am Arme eines jungen Mannes eine bildschöne Frau. Er geht vorüber, ohne ein Wort zu sagen; aber er ertheilt einem Kammerherrn den Befehl, dem Ehepaare nachzuschleichen und über Namen, Stand und Wohnung desselben sichere Erkundigungen einzuziehen. An demselben Abende meldete ihm der Kammerherr, der Mann der schönen Frau sei der Secretair N... und wohne in dem Hause W. im zweiten Stocke.
Am folgenden Tage, als der Ehemann, Secretair bei einem Bureau, sich nicht in seiner Wohnung befand, empfing die junge Frau die Nachricht, daß der König sie Abends besuchen wolle, und daß sie Sorge tragen möge, den Ehegemahl, als einen überflüssigen Zeugen, zu entfernen. Das leichtsinnige Weib glaubte, ihr sei ein großes Heil widerfahren, und nach einigen Gegenvorstellungen versprach sie, den König Abends um neun Uhr allein zu erwarten. Ihr Herz schlug vor Freude, denn die Eitle hoffte ein gutes Sümmchen zu gewinnen oder wohl gar ihrem Manne eine einträgliche Stelle zu verschaffen und ihm so durch weibliche Schande den Weg zur weltlichen Ehre zu bahnen. Aber die Närrin konnte nicht schweigen. Sie vertraute ihr Glück und Plan einer Freundin des Hauses an. Diese lächelte dazu und schwieg. War es bei dieser Freundin Neid oder Abscheu gegen eine so freche Untreue, oder Liebe gegen den Gatten und Haß gegen den König: kurz, als sie des Secretairs ansichtig wurde, entdeckte sie ihm das Geheimniß, und dieser versprach, sie nicht zu verrathen und den besten Gebrauch davon zu machen.
Den unglücklichen Gatten, der seine Frau bisher für das Muster ehelicher Treue und Unschuld gehalten und sie unaussprechlich geliebt hatte, wandelte die Wuth augenblicklicher Rache an; aber er suchte den Ungestüm seines Herzens zu beschwichtigen, und wollte sich selbst überzeugen, ob seine Gattin so erniedrigend und pflichtvergessen an ihm handeln könne. Er verließ seine Wohnung wieder, ohne seine Frau gesehen zu haben, und kehrte erst nach einigen Stunden zurück.
Mit erhöhter Freundlichkeit wurde er diesmal von seiner Gattin umarmt, und es kostete ihm nicht wenig Ueberwindung, die falsche Schlange nicht mit Verachtung von sich zu stoßen. Um sich durchaus nicht zu verrathen, sagte er: es sind der Arbeiten auf dem Bureau heute so viele, daß ich bald wieder fort muß. Unser Freund F... hat mich gebeten, es ist heute Abend eine Punschgesellschaft bei ihm; warte also nicht auf mich, vor zwölf Uhr komme ich nicht nach Hause.
Im Innern freute sich die Frau über das glückliche Zusammentreffen der Umstände, die sie der listigen Lüge überhoben, ihn zu entfernen.
Sie haben mir das Geheimniß in guter Absicht entdeckt, sagte er bei dem Weggehen zu der benannten Freundin; soll aber mein Plan gelingen, meine geliebte, treue, aber diesmal schwache Frau aus den Klauen des Königs zu retten, damit sie nicht unglücklich werde, so müssen Sie mir die Erfüllung einer Bitte nicht versagen.
Und die wäre?
Daß Sie, bei dem schönen Wetter, nach vier Uhr ein Stündchen mit meiner Frau spazieren gingen.
Das kann ich nicht.
Warum nicht?
Ich möchte mich ihr verdächtig machen.
Madame, wenn Sie mir diesen Freundschaftsdienst nicht erweisen wollen, so bin ich gezwungen, Sie meiner Frau als die Verrätherin des Geheimnisses zu nennen, damit sie sich rechtfertige. – Ist Ihre Erzählung ungegründet, so werden Sie selbst die Ahndung des Königs zu fürchten haben ... – Die Dame versprach, die junge Frau zu dem Spaziergange zu überreden.
Während der Abwesenheit seiner Gattin schlich sich der Secretair durch die Stube in die an dieselbe anstoßende Schlafkammer, und versteckte sich unter einem Bette, wo er vor allen Augen völlig verborgen war. Seltsame Betrachtungen mußte er freilich in dieser sonderbaren Lage anstellen. Er kämpfte zwischen Glauben und Zweifel; bald vertheidigte, bald verdammte er seine Frau. In der That konnte er sich's nicht denken, daß sich Jerôme so weit vergessen könne, das höchste Lebensgut eines Privatmannes, die treue Liebe seiner Gattin, seinem Wollusttriebe aufzuopfern, da es ihm ja doch an feilen Dirnen aus allen Ständen nicht fehlen konnte.
Seine Frau kam mit ihrer Freundin zurück, und er hörte deutlich, daß ihre Unterhaltung das Geheimniß betraf. Sie bat die Freundin, die Sache ja nie laut werden zu lassen.
Es war etwa acht Uhr Abends, als die Stille, die bisher in der Stube herrschte, auf einmal unterbrochen wurde. Er hörte eine Mannesstimme und erkannte Jerôme. Der feurige Liebhaber sprach von unwiderstehlichen Reizen, die ihn gefesselt hätten. Die Gegenantworten der Frau waren für den Abenteurer ebenfalls sehr schmeichelhaft. Dem armen Secretair kochte das Blut in den Adern. Er zitterte an Händen und Füßen. Nach einer Vorrede, die zu einer Scene führte, welche für ihn als Gatten herzzerreißend sein mußte, hörte er ein Geräusch, welches ihm über das, was im Zimmer vorging, keinen Zweifel mehr übrig ließ.
In demselben Augenblicke verließ er seine qualvolle Zuflucht, griff nach einem dünnen, spanischen Rohre, riß die Stubenthür auf und sprang in's Zimmer.
Die Vorbereitungen zu dem Falle seiner Frau waren getroffen; der König war der neue Adam im Paradiese; die Frau glich einer versteinerten Bildsäule. Der Secretair mußte seinem Zorne freien Lauf lassen, wenn ihn der verhaltene Ingrimm nicht tödten sollte. Er übte mit eigener Faust das Richteramt aus und hieb unbarmherzig auf den ehebrecherischen Wollüstling los. Dieser machte schweigend einige Sätze im Zimmer, um dem Hagelregen der Schläge auszuweichen; aber das Unglück folgte ihm immer auf der Ferse nach. Als die Hiebe schmerzten und der Arm des Zuchtmeisters nicht ermüdete, Jerôme auch keinen Widerstand zu leisten wagte, hoffte er sich dadurch zu retten, daß er laut schrie: Ich bin der König! ich bin der König!
Nein, sagte der Secretair, das sind Sie nicht, das können Sie nicht sein; ich halte Sie für einen gemeinen Buben, der mein Weib verführt hat, und an einem solchen muß ich meine Rache kühlen.
Die Frau fiel ihm in der Angst ihres Herzens in den Arm und schrie: vergiß Dich nicht, es ist der König! Indem er sie mit Verachtung von sich schleuderte, wollte der Züchtling entwischen; aber er konnte nicht entkommen, weil man aus Vorsicht die Thür verriegelt hatte. Mit blauem Rücken wurde Jerôme endlich entlassen.
Gott, rief die Frau aus, als sie mit ihrem Manne allein war, was hast Du gethan! was wird Dein und mein Loos sein!
Elende, sagte er, sprich kein Wort mehr, wenn ich nicht an Dir zum Mörder werden soll. Wer trägt die Schuld des Unglücks, das uns nun trifft? Meine Rache habe ich gekühlt und achte nun den Tod nicht. Du hast mir Alles geraubt, was das Glück meines Lebens ausmachte! Hatte ich das an Dir verdient? –
Der König kam zu mir, ohne daß ich davon ein Wort wußte. –
Nein, Du ließest ihn zu Dir kommen. Mein Plan ist genommen; noch in dieser Nacht gehe ich, und gebe Dich der verdienten Schande preis. Gehe dann hin und werde die Buhlerin eines Wüstlings; aber hoffe nicht, daß Du Deinem Richter entgehen werdest. –
Der Secretair verschwand mit seiner Frau, und wo sie beide ihren Wanderstab hingekehrt haben, ist in Cassel unbekannt geblieben.
Die Favoritinnen Jerôme's, welche sich öffentlich so freundlich und wohlwollend gegen einander stellten, daß sie einem Schwestervereine glichen, hegten den feindseligsten, rachedürstendsten Neid im Herzen. Sie bewachten wechselseitig alle ihre Schritte, und es bedurfte unter ihnen keiner Verschnittenen, welche sie gegen Verführung sicherten. Eine wurde die Verrätherin der andern. Daher waren sie auch im Umgange mit Andern schüchtern und zurückhaltend, und trugen äußerlich die Schminke der Tugend. Wo sie aber mit Sicherheit glauben konnten, unbelauscht zu sein, da überließen sie sich ihren ungezügelten Neigungen.
Die Gattin des General Decoudras, nachherigen Gr. B., welche die Tochter des Gefangenwärters Bergerat zu Metz war und von der frühesten Jugend an im väterlichen Hause ein liederliches Leben geführt hatte, begünstigte, außer Jerôme, auch den Secretair ihres Mannes, einen gewissen Giraud, der ein wohlgestalteter und kraftvoller Jüngling war. Nach wenigen Monden war er das Opfer der Ueppigkeit dieser Frau, und schlich wie ein Schatten umher. Der Verführte, voll Zorn und Verdruß über die Verworfenheit seiner Prinzipalin, machte gegen seine Freunde kein Geheimniß daraus, daß er der Generalin den Verlust seiner Gesundheit beimesse. Die Reue zerriß sein Herz. Durch Spione von der Polizei kam die Aussage des jungen Mannes vor den König. Er wurde eines Abends auf der Straße ergriffen, in einen bedeckten Wagen geworfen und so fortgeschafft. Kurz darauf ward er wieder zurückgerufen und bekam einen ansehnlichen Posten, und da er diesem vorzustehen nicht im Stande war, wurde er mit einer ansehnlichen Gratifikation und einem beträchtlichen Reisegelde nach Frankreich zurückgeschickt.
Die Generalin war Hofdame und die übrigen Damen verfolgten sie mit erbittertem Hasse, weil sie von Jerôme vorzüglich begünstigt wurde. Als daher ihre Liebesgeschichte mit dem Secretair und dessen Verbannung bekannt wurde, war dies für jene ein wahres Seelenfest, und ihr Fall wurde beschlossen. Der König sprach ohne Rückhalt von der schlechten Aufführung der Generalin Decoudras. Einige Wochen früher hatte sich Jerôme über ihre Schwangerschaft so sehr gefreut, weil er Ursache hatte, sich für den Urheber derselben zu halten, daß er ihr 5000 Franken schenkte.
Sie kam nach Hofe, und welchen Schimpf mußte sie auf Befehl Jerôme's erfahren? Die Hofdamen warteten ihrer im Saale gleich einer Beute, welche ihrer rachgierigen Wuth preisgegeben war. Die Wirkungen ihrer Eifersucht gingen so weit, daß sie sich nicht schämten, das Amt eines Schergen auszuüben und ihr mit eigenen Händen den ihr vom König geschenkten Orden abzureißen. So viel vermag Eifersucht und Neid über weibliche Herzen!
Wie angedonnert stand die Bestrafte da, knirschte mit den Zähnen und die Thränen der Wuth rollten ihr über die Wangen. – Sie verließ eine Versammlung, wo man es so arg trieb, und setzte sich nach einer Stunde mit dem Vorsatz in den Reisewagen, Cassel nie wieder zu sehen.
Den schwachen König reuete die That, und er suchte sie wieder gut zu machen. Der Generalin wurde ein Courier mit einem Handschreiben nachgeschickt, welches sie zur Rückkehr einlud; noch in Marburg ereilte er sie. – Aber in männlichem Tone erklärte die Dame dem Courier mündlich: ich werde den deutschen Boden, wo ich die undankbarste Behandlung. und eine teuflische Ungerechtigkeit erfahren mußte, nie wieder betreten. Ohne Aufenthalt setzte sie ihre Reise nach dem Innern von Frankreich fort. Das Hotel, welches ihr der König früher geschenkt hatte, erhielt die Gräfin L...n W...m, als eine kleine Gabe für ihre, Jerôme geleisteten Dienste. Es sei versucht. Einiges über diese Gräfin nachzuholen.
Wenn Personen von gemeiner Erziehung und Abkunft, voll sinnlicher Lust, ihre Weiblichkeit des Gewinnstes wegen an einen Wollüstling, verkaufen, und sich alle Schmach, die das zarte Ehrgefühl verletzt und empört, gefallen lassen, so geht man mit Verachtung an ihnen vorüber, und beseufzt die Verworfenheit, zu welcher sich die menschliche Natur erniedrigen kann. Aber wenn eine Frau von Stande und Erziehung, vom Glücke gesegnet, sich an einen Afterprinzen verkauft und wie eine gemeine Dirne behandeln läßt, was soll man dann sagen?
Der Graf von L...n W...m, ehemaliger Kammerherr und Liebling des Königs, war die Krone der Zechgesellschaften, bei welchen Jerôme präsidirte. Seine Gemahlin, eine der reizendsten Frauen des Landes, gefiel dem gnädigen Herrn. Ihre Eitelkeit war durch diesen Vorzug gereizt, und sie wies die Schmeicheleien und Geschenke, die ihr vom Könige gemacht wurden, mit Nichten zurück. Jerôme machte ihr Anträge und sie nahm sie an. Mit dem Herrn Grafen wurde von Seiten des Königs über die Gräfin ein förmlicher Handel abgeschlossen, welchen er mit Freuden einging. Sie war am meisten bei dem Könige. Es gereicht dem Grafen nicht zur Ehre, in einen solchen Vertrag gewilligt und seine Frau gleichsam an den wollüstigen König verkauft zu haben. Vielleicht hätte es von seiner Seite nur einer ernsten Ermahnung bedurft, und seine Gemahlin wäre dem Wollüstlinge nie in die Hände gefallen; wäre vielleicht nicht eine geächtete, sondern geachtete Frau geblieben. Nicht weniger tadelnswerth ist der unverzeihliche Leichtsinn der Frau, die sich wahrlich nicht aus Liebe, sondern nur aus Stolz, Eitelkeit und Herrschsucht dem Könige hingab.
Die L...n ging öfters in Mannskleidern zum Könige. Wenn aber Bacchanalien oder andere große Hoffeste gefeiert wurden, trat sie in einer Pracht auf, die Alles übertraf, was Glanz und Ueppigkeit Verführerisches haben, um zu blenden und zu reizen.
Jerôme liebte sie wirklich mit ausgezeichneter Zärtlichkeit. Einst, als er sie bei sich erwartete, ließ sie sich krank melden. Sogleich kam er in eigener Person zu ihr, um ihr seine innige Theilnahme zu beweisen, und schenkte ihr zum Troste den kostbarsten Halsschmuck.
Eben sie war es, die gewöhnlich den Anfang des Spiels mit Jerôme machte, worin er seine letzten Kräfte zusetzte, und sich zu einem thierischen Stumpfsinne erniedrigte. Sie fühlte keine wirkliche Neigung für ihn; wußte sie aber auf eine Weise zu affektiren, daß er der festen Ueberzeugung blieb, er werde von keinem Wesen inniger und aufrichtiger geliebt, als von ihr. – Als deutsche Frau und als Gräfin hat sie sich ein Denkmal der Schande gesetzt, welches noch länger dauern wird, als ihr Leben.
Die Pallastdamen, welche im Schlosse schliefen, waren größtentheils Maitressen des Jerôme. – Er hatte den Schlüssel zu ihren Zimmern und stattete bei ihnen nach Gefallen nächtliche Besuche ab. Großhofmeisterin und Favoritin desselben war die Gräfin B...z, ein Weib der verworfensten Gesinnung. – Ihr Gemahl war bekanntlich erster Kammerherr und Großceremonienmeister. Die Natur hatte ihn körperlich zum schönen Manne gebildet. Jerôme behandelte ihn mit freundlicher Vertraulichkeit, und er wußte sich ein so großes Verdienst um seinen Herrn zu erwerben, daß er die Bacchanalien und Wollustfeste anordnete, bei welchen seine Gemahlin die Hauptrolle spielte. Oft war es der Fall, daß er dem Winke seiner Frau gehorsamen und nach ihrer Pfeife tanzen mußte; aber der gutmüthige Tropf hätte sich für die Ehre, die er genoß, und für die Sporteln, die er zog, wohl gar von ihr mit Füßen treten lassen.
Die L...n und die B...z waren unter den Damen des Hofes diejenigen, welche den schwachen Jerôme ganz vorzüglich durch das Netz ihrer Reize umstrickt hielten. Mit feiner Kunst wußten sie ihm, auf Unkosten des armen Landes, nicht allein große Geschenke abzupressen, sondern sie theilten sich auch in dem Marke seiner Kräfte. Was er sie lehrte, und was er von ihnen lernte, ist von der Art, daß man es, aus Achtung gegen das feinere Gefühl, gar nicht zur Sprache bringen darf.
Der Mann, dessen Frau sich den Begierden Jerôme's preisgab, genoß dafür auch das Recht, ungestraft Schändlichkeiten, Betrügereien, Bedrückungen, selbst Räubereien zu treiben, ohne Strafe fürchten zu müssen. So wurde z. B. ein Hofbeamter von nicht gemeinem Range überführt, daß er dem Könige eine kostbare goldene Dose entwendet habe. Die Sache wurde dem Könige mit dem Bemerken vorgetragen, daß der Dieb leugne und das Gestohlene nicht wieder herausgeben wolle. Als der Verbrecher vor ihm selbst erschien und ihn um Gnade anflehen wollte, sagte dieser: Sollte es in Zukunft je der Fall wieder sein, daß Ihnen etwas mir Zugehöriges gefiele, so theilen Sie es, wenn Sie es zu besitzen wünschen, nur Ihrer Frau mit; diese wird es mir sagen, und ich werde Ihre Wünsche befriedigen.
Damit war der Prozeß abgemacht, und der Dieb behielt sein Raubstück. – Stahl aber ein gemeiner Bediente eine Kleinigkeit, und es kam heraus, so wurde er dafür mit aller Härte gezüchtigt.
Welch' ein Uebermaß von Ungerechtigkeiten, Inconsequenzen und schlechten Streichen drängt sich uns an diesem kleinen Hofe auf! Welche Folgen würde es für die Moralität der Nation gehabt haben, wenn das schändliche Possenspiel der westphälischen Regierung noch länger gedauert hätte!
Ueberall waren die Bureaux mit Franzosen besetzt, oder es stand wenigstens, wie bei der Armee, in der Regel ein Franzose an der Spitze derselben. Die Hälfte der höheren Staatsämter bekleideten nur Landsleute des erhabenen Prinzen. Dies leichte Gevölk hatte dann einen Ton angegeben und eingeführt, welcher die Grundlage zu einem allgemeinen Verderbnisse werden mußte.
Es ist nicht zu leugnen, daß es auf Erden kein sittenloseres Volk giebt, als das französische. Verachtung der Gesetze der anständigen Sittsamkeit und Verspottung der Gebote lauterer Tugend sind die Grundzüge des sittlichen Charakters dieser Nation, vorzüglich in den Ständen, welche die gebildeten heißen. Wie sehr ein elender Hochmuth, unsinniger Ehrgeiz, lächerlicher Dünkel den Kleinen wie den Großen in Frankreich beherrsche, und jedes Mittel zur Befriedigung seiner Wünsche heilige, selbst das schlechteste, das haben uns auch in den jüngsten Tagen diese übermüthigen Wichte, von der Last des Kantschu noch immer nicht genug gedrückt, durch ihre insolenten Prahlereien und trotzigen Herausforderungen sattsam bewiesen.
Wenn hieraus hervorgeht, daß ein Volk, auch nur nach Gesetzen regiert, welche eine solche Nation gegeben hat, gewaltsam in den Strudel des Lasters hinfortgerissen werden müsse; so leuchtet es als unumstößliche Wahrheit ein, daß der Charakter eines Fürsten, dessen Wille den Satrapen am Ruder des Staates Gesetz ist, auch auf die Regierung, auf die höheren und niederen Staatsdiener und endlich auf das Volk übergehen müsse.
Nehmen wir dazu das zahlreiche Personal der Nationalfranzosen, welche Herz und Geist ihrer Prinzen nicht verleugneten und mit ihm gemeinschaftlich auf das Ziel der Verbannung deutscher Redlichkeit und Treue, deutscher Sprache und Sitte mächtig hinarbeiteten, wie können wir uns dann noch wundern, daß der Erfolg ihrer Anstrengungen in den Ständen und Klassen von Geschäftsführern, welche ihnen am nächsten standen, nicht mehr verkennbar war.
Cassel ging auch hierin den übrigen Städten des Königreichs und den Provinzen mit einem wahrlich nicht rühmlichen Beispiele voran. Sei es, daß das Militair einen bedeutenden Antheil an den schnellen Fortschritten des Volkes in der französischen Nichtswürdigkeit hatte, ist es nicht schmachvoll genug, daß ein deutscher Wehrstand – ich rede vorzüglich von den höheren Offizieren – sich so gelehrig in den Künsten der Hölle beweisen konnte? Französische Völlerei, Liederlichkeit, Frechheit, Dünkel, Gaunerei, Verschwendung, Ueppigkeit, Schamlosigkeit überall. Nur der gute Geist der Zeit, der uns von Norden und Osten her wieder geworden ist, wird die Gesunkenen, welche den flüchtigen Idealen ihrer Sittenlosigkeit nicht in die Ferne nachgefolgt sind, wieder in das Joch der Sittsamkeit zurückzwängen.
Zunächst ging dieser verdorbene Sinn auf die Nachbarstädte über, und der Ort, welcher noch vor wenigen Jahren eine der ersten deutschen Universitäten in seine Mauern schloß, war auf der sicheren Bahn, dem französischen Geiste und Geschmacke völlig in die Arme zu sinken. Männer, welche als Lehrer der deutschen Jugend deutschen Sinn und deutsches Recht verkünden und die wankende Stütze des vaterländischen Geistes wenigstens im Reiche der Kunst und Wissenschaft erhalten sollten, traten als feile Lobredner der französischen Gesetze und der westphälischen Verfassung auf. Schimpf über die Namen derer, welche, wie ein H–o, ihre Zuhörer, durch das süße Gift der französischen Sitte und Ordnung genährt und verführt, als Apologeten solcher Verfassungen, als Wortführer des Lasters, als Vertheidiger der himmelschreiendsten Ungerechtigkeit und Bosheit in die Welt schickten; Schimpf über die afterdeutschen Jünglinge, welche solchem Krähengezische willig ihr Ohr liehen und das Erbe ihrer Väter, Treue und Redlichkeit, gern gegen Gauner- und Banditenkniffe vertauschen mochten!
Denn wahrlich! dies war der Weg, welcher am sichersten zu dem Ziele der Verderbniß des Volkes führen mußte, die Jugend in den Mysterien der Hölle, als den Preis alles Werthes und Wissens, einzuweihen: die Jugend, welche dem Volke Richter, Lehrer, Muster liefern sollte. Schon drängte sich das Verderben in der Ferne mit den Zöglingen solcher Schulen in die Zirkel der vornehmen Stände; schon arbeiteten ihm die französischen Heere im gemeinen Haufen auf dem Wege einer empörenden Wollust entgegen, und in wenigen Jahren hätten sich Sittenverderbniß und Verführung in dem Mittelstande, welcher dem Eindringen der französischen Teufeleien den kräftigsten Widerstand leistete, begegnet, wenn Germania nicht aus ihrem Schlummer erwacht wäre.
Aber noch gab es Männer, von edlerem Geiste beseelt, welche, wie Jahn in Preußen, die Schreckenszeit zur Vorbereitung für die Katastrophe der Wiederherstellung des Volksthums vorbereiteten; noch eröffneten sich in Berlin und Breslau Freistätten des edleren Sinnes für deutsche Männer und Jünglinge. Selbst in Westphalen, in weiterer Ferne von dem Mittelpunkte aller Gräuel, wagten die Kenner und Verehrer des Alterthums, vom Heroengeiste Spartas, Roms und der deutschen Vorzeit beseelt, wie B–w, B–s u. s. w., kühne Erklärungen gegen den Zeitgeist und begeisterten die Jünglinge, welche sich des älteren, besseren Charakters der Nation noch mit Wärme erinnerten, durch Schilderungen der Muster des heldenmüthigen Alterthums. Aber auch ihre Stunde schlug, und mit ihrem Scheiden sanken die letzten Stützen der Aufmunterung zur Standhaftigkeit der werdenden Generation, auf welcher ein großer Theil der Hoffnungen der Geängstigten beruhte, welche ihre Wünsche kaum im Beisein ihrer Vertrauten laut werden zu lassen wagten. Wahrlich, in unserem traurigen Westphalen wäre der glimmende Funken in dampfender Asche nimmermehr zur Flamme geworden, wenn nicht im freieren Vaterlande der Tugend der hohe Geist für das Erhabene entzündet worden wäre! Mit Riesenschritten wäre das Volk, durch schlechte Gesetze verdorben, durch böse Beispiele verführt, durch die Noth gesunken, durch eine fremde, verrätherische Sprache der deutschen Unzweideutigkeit entwöhnt und in die Netze des Lasters verstrickt, seinem Verderben entgegen, und die Besseren wären im Strudel der Fluthen mit dem Schwalle unbemerkt untergegangen.
Den beiden Hofärzten, nämlich dem Leibchirurgus Garnier von St. Romain und dem ersten Leibarzte Z***, gab Jerôme mit seinem zerbrechlichen Körper, an dessen Zerstörung er unablässig arbeitete, genug zu thun. Er war ein sehr unfolgsamer Patient, der ihren Rath und ihre Bitten gar nicht beherzigte. Bald hatte er sich den Magen verdorben, wo der Arzt helfen sollte, bald litt er äußerlich, wo der Chirurgus seine Kunst versuchen mußte. Besonders gern nahm er Stärkungsmittel, deren er bedurfte. Riethen sie ihm, sich zu schonen, ermahnten sie ihn zur Mäßigkeit, dann erklärte er ohne Rückhalt, er könne kein anderes Leben führen, und setzte hinzu: »Zwei Aerzte, die ich nicht schlecht besolde, werden doch im Stande sein, einen Körper gesund und stark zu erhalten!« –
Z*** antwortete einst darauf: »Sire, man kann auch einen Brunnen erschöpfen, und endlich versiegt auch die reichste Quelle!« – »Nun«, erwiederte Jerome lächelnd, »damit das nicht geschieht, tragen Sie Wasser zu.« Eine so witzige Antwort hätte man kaum von ihm erwarten sollen.
Was sich unter diesem französischen Afterprinzen Deutsche von seinen Lieblingen und Anhängern gefallen lassen mußten und wie schändliche Frechheiten diese wagen durften, das mögen folgende beiden Anekdoten beweisen.
Ein gewisser Römer, der vor der unglücklichen Katastrophe, in welcher Deutschland die Qualen des Henkertodes erlitt, als Lieutenant in der preußischen Armee gedient hatte und keine neue Dienstanstellung erwarten durfte, ging, von Dürftigkeit gezwungen, traurigen Herzens nach Cassel, um sich im Civilfache anstellen zu lassen. Er war jung und geschickt und um so mehr zu entschuldigen, daß er diesen Schritt that, da er in Westphalen geboren war und nur noch eine arme Mutter hatte, die er von dem mühsam ersparten Ueberschuß kindlich unterstützte. Er erhielt eine Stelle, die ihn mit Ehren ernährte.
Bald suchte er sich eine Braut und fand sie in einer Bürgerstochter, welche in gutem Rufe stand. Auf einem öffentlichen Spaziergange lustwandelte er mit ihr. Der General L...l begegnete ihnen, und das Mädchen, welches er wahrscheinlich für eine Lustdirne hielt, gefiel ihm. Er sucht mit dem Führer desselben Händel, um ihm die Schöne abzujagen, und treibt es so weit, daß er ihm sogar muthwillig auf die Fersen tritt.
Der junge Mann dreht sich rasch um und fragt: »Herr, was wollen Sie von mir?« –
»Narr,« erwiderte L...l, »wollen Sie mich zur Rede stellen? Wissen Sie wohl, daß ich General bin?« –
»Desto unartiger, wenn Sie Ihren Rang durch Grobheiten und Beleidigungen schänden.« –
»Junger Mensch, wer sind Sie?« –
»Ich war ein preußischer Offizier und werde nicht leiden, daß Sie mich ungestraft beleidigen!« –
»Wollen Sie den Degen oder die Pistole?« –
»Die Pistole.« –
Das junge Mädchen fällt dem Bräutigam um den Hals und bittet ihn unter Thränen, es nicht zum Zweikampfe kommen zu lassen. – »Mein Leben ist mir lieb, antwortet ihr der Jüngling, und es ist mir durch Dich noch theurer geworden; aber ehe ich Schande leide, will ich lieber sterben ...«
Römer schreibt an seine Mutter und sagt unter Anderem in dem Briefe: »Es ist nur zu wahrscheinlich, daß ich mein Leben verliere, und erhalte ich es auch, so muß ich doch Cassel meiden. Sie und meine Braut dauern mich; ich wünschte, an dem Tage gefallen zu sein, wo die unglückliche Schlacht bei Jena geschlagen ward. Sie zu unterstützen und mein elendes Dasein zu fristen, kam ich hierher, um meine Kräfte einer Regierung zu widmen, welche ich von Herzen hasse. Mein Ehrgefühl ist der Fels, an welchem mein Dasein zertrümmert werden soll.«
Seine Freunde baten ihn, Cassel zu verlassen, oder die Verzeihung des Generals nachzusuchen, die ihm gewiß nicht fehlen werde.
»Nein,« sagte der Jüngling, »ich werde weder flüchten, noch einen Schurken um Verzeihung bitten. Nur dafür bin ich besorgt, was mein Schicksal sein wird, wenn ich ihn tödtlich verwunde oder erschieße.«
Zur bestimmten Zeit kamen die Duellanten auf dem bezeichneten Kampfplatze an. Römer hatte den ersten Schuß und fehlte. L...l springt mit der geladenen Pistole auf ihn zu und drückt sie auf ihn ab, als er noch kaum drei Schritte von ihm entfernt ist. Der Jüngling sinkt todt zur Erde. Die Sache kam zwar zur Sprache, aber der Verbrecher wurde nicht bestraft.
Ein gewisser General kam in das Schauspielhaus und fand auf einem guten Platze, der ihm behagte, einen Hut liegen, zum Zeichen, daß derselbe bereits in Besitz genommen sei. Der General warf, ohne sich zu bedenken, den Hut auf die Erde; der Eigenthümer desselben, ein Büreau-Chef, erschien, und der General bekam einige unangenehme Wahrheiten zu hören. Der General wurde darüber so entrüstet, daß er die Hand aufhob und dem Manne eine derbe Ohrfeige gab. Bei dem Heimgehen wurde der Schwerbeleidigte, sicher auf Befehl des Generals, von einigen Soldaten angefallen und durch Stoßen und Schlagen auf eine gräuliche Art gemißhandelt. Er wurde klagbar, bekam aber kein Recht.
Ein hessischer Invalide konnte eine kleine Pension, um die er oft vergeblich gebeten hatte, nicht erlangen. Einst erblickte er den König, nahte sich ihm mit entblößtem Greisenhaupte und demüthigem Flehen. Ohne sich die Worte verdolmetschen zu lassen, hieb Jerôme dem Greise mit seiner Reitpeitsche dergestalt in das Gesicht, daß dem Leidenden Mund und Nase bluteten. War dieser Elende es werth, nur einen Augenblick eine deutsche Königskrone zu tragen? – Wollüstig und grausam, boshaft und ungerecht war der Glückspilz, welchen die rächende Nemesis ereilt hat.
Die Ständeversammlung, von manchem gewichtvollen Manne beehrt, erfüllte solche Freunde der Reinheit der Sitten und Grundsätze mit Abscheu gegen das Unwesen des Staates, dem sie angehörten, und bei ihrer Rückkehr strömte der Mund nicht selten über von den Ergüssen des bittersten Unwillens, daß deutsche Völker solchen Glücksrittern unterworfen sein mußten.
»Lassen Sie den Geist der deutschen Redlichkeit nicht unterliegen,« redete B. seine Zuhörer an, als er von Paris zurückgekehrt war; »möge die Liebe für Selbstständigkeit und der Freiheitssinn, welcher Ihre Vorfahren beseelte, in Ihren Herzen nie erkalten; nehmen Sie sich die Helden der Vorzeit, einen Codrus, Mucius, Herrmann, zum Muster; vereinigen Sie Ihre Kräfte mit denen des Volkes; Ihr Mund sei stets das Orakel deutscher Gesinnungen, Ihr Herz die unversiegbare Quelle edler Gefühle für das Recht und den Werth Ihres Volkes und Vaterlandes; Ihren Arm stähle der Schild der standhaften Ankämpfung gegen die tausendfachen Angriffe der Fremden auf das National-Eigenthum, welches kein Volk für immer uns rauben kann, wenn wir Deutsche bleiben: auf Treue und Freiheit.«
Nicht ohne Wirkung blieben diese und jene Worte; die Zuhörer zerstreuten sich in alle Welt, und Viele bewahrten die Rede wie einen Talisman in der Zeit der Gefahr, und allgemach wuchs die Glut, welche sie ergriff, zur lodernden Flamme. Aber der Redner hatte kaum geendet, so schlug auch schon seine Abschiedsstunde aus dem Lande, wo dem Redlichen so unheimlich und bange ward.
H. war bei dem Minister W...dt in Cassel zum Thee eingeladen. Das Gespräch fiel auf Religion und die Verhältnisse der Prediger. Der erfahrene H. benutzte die Gelegenheit, um einige Vorschläge in dieser Beziehung zur Rede zu bringen. Kaum hatte er das Drückende und Unziemliche der Lage der meisten Prediger in ihren Verhältnissen zu den weltlichen Behörden der Gemeinden berührt, so kehrte ihm Herr W...dt plötzlich den Rücken zu, wendete sich an seinen Kammerdiener und sagte: »Geben Sie doch dem Herrn N. N. eine Tasse Thee.« H. setzte sich in seinen Wagen und verließ Cassel, um nie dahin zurückzugehen. »Ich habe,« ließ er sich nachher einstens vernehmen, »früherhin geglaubt, daß unsere Regierung nur ein Körper ohne Kopf sei; aber ich weiß nun aus Erfahrung, daß dieser Körper weder Herz noch Kopf hat. Bauch und Faust herrschen; kaum ist so viel Gehirn übrig geblieben, um bisweilen zu begreifen, daß der deutsche Volkscharakter ein anderer sei und anders behandelt sein wolle, als der französische. Unterdessen legte sich der Ehrwürdige auf das Krankenbette und verschied.
Als im Jahre 1809 die Bibliotheken des Königreichs Westphalen zum Besten der französischen Büchersammlungen geplündert und unter anderen auch die meisten Handschriften zu Wolfenbüttel abgeholt wurden, sprach B...s zu H., vom Feuereifer hingerissen: »Der Würgeengel, welcher über Deutschland herstürmt, ist bei uns vorübergefahren; aber er hat uns diesmal noch verschont.«
Selten ist Venus allein; in der Regel befindet sich Bacchus in ihrem Gefolge. Das Laster und die Thorheit lieben die Geselligkeit. Dies bewährte sich denn auch bei unserem sauberen Helden.
Bisweilen versammelte sich in dem Innern seiner Gemächer eine Gesellschaft, zu welcher Männer, wie der Graf B...z, Graf L...n W...m, Bercagny u. s. w., recht eigentlich in der Absicht zugezogen wurden, um dem Bacchus ein Freudenfest anzustellen.
Daß die kostbarsten Weine im Ueberfluß getrunken wurden, versteht sich von selbst. Die Köpfe wurden benebelt und der Rausch, der sie alle conventionellen Formen vergessen machte, setzte sie in den Stand der völligen Gleichheit. Alle waren endlich betrunken. Nach Art lustiger Studenten warfen sie nun die Gläser zum Fenster hinaus und verschütteten den Wein. Man wußte endlich nicht mehr, wer Koch oder Kellner, König oder Unterthan war. Das Ganze stellte das Hogarth'sche Saufgelage in seiner ganzen Glorie dar. Der Eine wachte und lallte mit schwerer Zunge gebrochene Worte; der Andere war entschlafen; der Dritte weihete den Ueberfluß seiner Libationen den diis infernis. Trennte sich endlich die Zechgesellschaft, so bemeisterten sich abgerichtete und schon daran gewöhnte Bedienten ihrer Herren, packten sie in die Wagen und förderten sie zur Ruhe.
Wollte man diesen Trinkgelagen noch eine besondere Würze geben, so wurden Schauspielerinnen dazu geladen, welche die Becher füllten und kredenzten. Oft mußten sie, im Gewande der Grazie, die lüsternen Augen dieser modernen Faunen durch die schlüpfrigste Attitüde ergötzen und, was sie gern thaten, alle den Grazien der griechischen Mythe eigenthümliche Sittsamkeit ablegen.
Einst hatte man die Nacht wacker durchgezecht, so daß sich Jerôme völlig betrunken, ohne sich ausziehen zu lassen, auf ein Ruhebett niederwarf. Er hatte sich wie ein kleines Kind, dem die Muttermilch zu fett ist, verunreinigt. Etwa um acht Uhr des Morgens wachte er auf und wurde gewahr, daß er in einem Meere süßer Fluthen und Gerüche wogte. Kammerdiener erschienen, reinigten ihn und zogen ihm andere Kleider an. – Der Magen hatte sich seines Ueberflusses zwar entladen, aber den Kopf umschwebten die spirituösen Dünste noch wie ein dichter Nebel. Jerôme war unvermögend, sich auf den Füßen zu erhalten. Er legte sich wieder nieder. Um zwölf Uhr wurde er geweckt, weil dies die bestimmte Stunde war, wo er einigen auswärtigen Ministern Audienz ertheilen wollte; aber das überstieg diesmal seine Kräfte, und die Herren mußten wieder abziehen, ohne den Trunkenbold, welcher immer nicht, oder vielmehr nimmer nüchtern war, gesehen oder gehört zu haben.
Einst sollten in dem Staatsrathe Sachen von Wichtigkeit unterhandelt werden, und man lud den König Tags vorher durch eine Deputation feierlich ein, in demselben zu erscheinen. Wenn vom Lande Geld erpreßt werden sollte, da pflegte er selten zu fehlen, und übertäubte durch einen groben Machtspruch die vernünftigsten Gegenvorstellungen.
Aber der König hatte die Nacht mit den ausgelassensten Scenen im Akte der Liebe hingebracht. Vor Mitternacht war die B...z und L...n bei ihm. Er entließ sie mit dem Bescheide, daß er sich zur Ruhe niederlegen wollte, und die Damen entfernten sich. Als er allein war, schickte er seine Getreuen aus, und die schon bestellten Mädchen, die Courtou, Adele Louis, die Lavancourt, Romain, Blangini, Lacomme, Adelaide, Madame Vigny, Delps, Astruc, Rosien erschienen. Es war ein köstliches Souper bereitet. Jerôme hatte sich vorgenommen, die Gesellschaft betrunken zu machen und ließ die köstlichsten, wohlschmeckendsten Weine reichen. Er selbst wollte nüchtern bleiben. Als er aber die Damen zum Trinken aufforderte, baten ihn diese, mitzutrinken, und er, der in solchen Fällen ein so nachgiebiges, weiches Herz hatte, konnte nicht widerstehen. Doch war er der Letzte, welcher dem Rausche in die Arme sank. Er genoß das Vergnügen, welches er beabsichtigt hatte, und sah die Bacchantinnen in den obscönsten Stellungen, hingegeben einer wilden, durch die Kunst erhöheten Ueppigkeit. Endlich aber schlug auch ihm die Stunde der Raserei. Wer da den wackeren Monarchen unter diesen rasenden Mänaden gesehen, hätte nothwendig für dies aufgedrungene Oberhaupt, das die Kräfte des Staats so niederträchtig verschwendete, die tiefste Verachtung fühlen müssen.
Als der Rausch am andern Morgen ausgeschlafen war, fühlte er sich unglaublich abgemattet. Man nahm für das erste seine Zuflucht zu dem Bade; allein dieses wirkte nicht und ersetzte auch nicht sogleich die verschwendeten Kräfte. Die Aerzte wurden gerufen. Sie wandten Alles an, um den matten Prinzen wenigstens in so weit herzustellen, daß er den Staatsrath besuchen konnte, was er selbst so sehr wünschte. Aber die verbrauchte, entkräftete Natur spottete diesmal aller Mittel der Kunst, und Jerôme mußte den ganzen Tag das Bett hüten.
Den Ministern und dem Staatsrathe wurde bekannt gemacht, daß der König ihre Beschlüsse genehmigen werde, wenn sie dem Interesse desselben und dem Wohle des Landes nicht entgegen wären. Allein das Interesse des Königs und des Landes war und blieb immer an sich unvereinbar. Was dem ersteren frommte, schadete stets dem letzteren. Er war Empfänger, jenes Geber; er preßte und jenes wurde gedrückt; er verschwendete und jenes mußte zahlen.
Die Gegenwart des Königs wurde diesmal, wie gewöhnlich, gar nicht vermißt; man that, was man wollte, und war seiner Zustimmung dann gewiß, wenn man neue Quellen nachwies, aus denen Summen für neue Gelage der Ueppigkeit geschöpft werden konnten. Es hackt eine Krähe der andern kein Auge aus; Jedes Habsucht wurde zur Genüge befriedigt, und so warf diese schöne Versammlung so recht eigentlich über die Schätze des Landes das Loos und theilte sie friedlich unter ihre Glieder. War aber der Rest für Jerôme zu klein, so wurden neue Steuern ausgeschrieben.
Aus Allem geht hervor, daß es Jerôme völlig gleichgültig war, wie, wann und durch welche Mittel seine leere Kasse wieder gefüllt wurde, wenn er hineingreifen und mit immer vollen Händen um sich werfen konnte.
Oft spielten seine Maitressen in seiner Gegenwart hohe Spiele mit einander, und wenn eine verlor, steckte er ihr ganze Rollen von Napoleonsd'or heimlich zu. Unendliche Summen Geldes sind für Waaren des Luxus aus dem Lande nach Paris gegangen. Was haben dem Lande nicht seine Reisen gekostet.
Als er das erste Mal nach Paris ging, ließ er 50,000 Friedrichsd'or in Jerômesd'or umprägen und blieb bei seiner Abreise doch noch ungeheure Summen schuldig, die nach und nach erst abgezahlt werden mußten.
Es ist entsetzlich, wie dieser Mensch darauf loswüthete, seine unglücklichen Unterthanen an den Bettelstab zu bringen.
Als Hieronymus französischer Prinz geworden war, ließ ihn der damalige Consul, sein Bruder, mehrere. Kreuzfahrten auf dem Mittelländischen Meere machen, und unter Anderm segelte er von Genua nach Tunis, um daselbst die christlichen Sklaven in Empfang zu nehmen, die der Dei traktatmäßig auszuliefern versprochen hatte.
Sehr leicht hätte der Oberconsul dieses Geschäft durch den ersten besten Marine-Offizier können ausrichten lassen; da ihm aber daran gelegen war, seinem jüngern Bruder, den er, so wie die übrigen Glieder seiner Familie, zu großen Dingen bestimmte, irgend eine Art von Celebrität zu verschaffen, und er ihm auch anfänglich ein Küstenland zugedacht hatte, so beauftragte er ihn mit dieser Expedition.
Nicht nur die öffentlichen Blätter, sondern auch eine Menge Privatnachrichten mußten diese ganz einfache Sache ausposaunen. Gedungene Schmeichler nahmen sie zum Stoff einer auf dem Casseler Theater mit großem Pomp aufgeführten Komödie, worin ihm so viel Weihrauch gestreut wurde, daß ihm der Kopf, dieser ohnehin so schwache Kopf, wohl schwindlich werden mußte.
In der Folge, bei veränderten Umständen, hat er nie den Wünschen seines Bruders entsprochen, der ungleich mehr von ihm erwartete, als er geleistet hat. Bei seinem Ritterzuge nach Sachsen zeichnete er sich durch die dem Lande sehr beschwerlichen, in Requisition gesetzten großen Kosten seiner Bäder und der Tafel aus und zog unverrichteter Sache wieder heim. – Das Lächerlichste hierbei waren die mit großen Lettern gedruckten Armee-Bulletins, die außer der uninteressanten Nachricht seines Wohlbefindens so unbedeutend als möglich waren, dennoch durch den Generaldirektor der damals geheimen Polizei an alle Behörden des Landes zur öffentlichen Bekanntmachung durch Eilboten verschickt wurden.
Aus Polen schickte ihn Napoleon schimpflich wieder nach Hause, weil er sich durch seine Nachlässigkeit einen unverzeihlichen Fehler hatte zu Schulden kommen lassen, und als er ihm seine, gewiß sehr schöne Armee nach Sachsen zuführte, behielt er zwar die Armee, den unbrauchbaren Herrn Bruder aber schickte er wieder nach Cassel zurück.
Hier wäre er auch wirklich am besten aufgehoben gewesen, wenn die unhöflichen Kosacken ihn nicht in seiner Ruhe gestört und auf eine so schimpfliche Weise fortgejagt hätten. – Hier hätte er, ohne alle Mühe und ohne seine schwelgerischen und wollüstigen Orgien zu unterbrechen, die Jugendblüthe des Landes seinem blutdürstigen Bruder zur Schlachtbank liefern und das von seinen armen Unterthanen erpreßte Geld mit den ihn umgebenden Gaunern, Hofschranzen und Huren ruhig und behaglich verprassen können.
Dem Biographen dieses erbärmlichen Exkönigs kostet es Mühe, seinen Charakter treffend zu schildern. – Will er ihn als einen stolzen, Pracht und Ostentation liebenden Regenten schildern, so werden ihm seine, mitunter so gemeinen und schlecht gewählten Umgebungen auffallen. Will er ihn endlich als einen freigebigen, liberalen Beschützer des Verdienstes preisen, so wird er finden, daß diese Liberalität sinnlose Verschwendung und seine Freigebigkeit übel angebrachte Vergeudung des Vermögens seiner unglücklichen Unterthanen war.
Daß ihm seine Königswürde in keiner andern Rücksicht angenehm war, als weil sie ihm Mittel und Wege an die Hand gab, seinen Lüsten und Begierden ohne Scheu den Zügel schießen zu lassen, kann man deutlich aus seinem Hasse gegen alle Geschäfte, aus seiner Abneigung gegen Erlernung der Sprache seines Volkes und aus der geringen Lust, die er bezeigte, das Land, welches ihm der seltsamste und unbegreiflichste Zufall zugespielt hatte, kennen zu lernen, abnehmen.
Würde jeder andere Abenteurer, der, so wie er, ganz unvermuthet aus dem Staube auf einen so schönen Thron erhoben worden wäre, nicht wenigstens seinen Hang zu sinnlichen Ausschweifungen vor den Augen seines Volkes zu verbergen gesucht haben? – würde er sich nicht bemüht haben, die seiner Herrschaft wider ihren Willen unterworfene Nation, die Niedrigkeit seiner Abkunft und das Groteske seiner Erhebung durch eifriges Bestreben, sie zu beglücken, vergessen zu machen und sich so schnell als möglich durch Güte und Wohlthaten von der glänzendsten Seite zu zeigen? –
Aber wie begann der uns im Zorne des Himmels aufgedrungene Afterkönig seine – der ewigen Vorsehung sei Dank! – nur kurze Regierung?
Er fing damit an, das durch den vorhergegangenen Krieg und den Durchzug der vandalischen Horden Napoleon's ausgesogene Land mit schweren Auflagen zu belegen; neue, unseren Sitten nicht angemessene, ganz heterogene Gesetze und Einrichtungen einzuführen; die Nation und ihre Sprache zu verachten und lächerlich zu machen; den Gemeingeist durch ein Heer besoldeter Spione zu vergiften; eine der ehemaligen spanischen Inquisition ähnliche, geheime Polizei zu errichten; ganze Schaaren französischen Lumpengesindels in's Land zu ziehen und diesem, mit Hintansetzung der Eingebornen, die besten und einträglichsten Stellen anzuvertrauen; sich öffentlich in dem Schlamme wollüstiger Ueppigkeit herumzuwälzen; die Einkünfte des Landes durch grenzenlose Pracht und Verschwendung zu verprassen, und da sie nicht zureichten, die Auflagen durch heillose französische Finanzkniffe zu vervielfachen; seine, um eine Million vergrößerte Civilliste mit den Einkünften des Staates widerrechtlich zu vermengen und so dem unglücklichen Lande Wunden zu schlagen, welche die Zeit nur durch große Entsagungen und durch die väterliche Milde unseres rechtmäßigen Regenten zu heilen im Stande ist.
Es ist wahrlich kein kleines Beginnen, das Sündenregister eines Hieronymus aufzuzeichnen und auf die Nachwelt zu bringen. – Sehr merklich hervorstechend war der kaufmännische Geist, der ihm stets anhing. Ich verstehe hierunter keineswegs den echten kaufmännischen Sinn, dessen wohl kombinirte Operationen die besten Resultate erzeugen und deren richtige Anwendung auf das Finanzwesen eines jeden Staates die ersprießlichsten Dienste leisten muß. – Der unseres Hieronymus war von einer ganz anderen Art. Es war der immer spekulirende Schwindelgeist eines Bankerotteurs; der Geist, der den schädlichen Verkauf aller disponibeln und disponibel geglaubten Güter des Staates hervorbrachte, wobei ihm dann das sympathisirende Genie seines ersten Buchhalters, Malchus, gar trefflich zu Statten kam.
Die Domänen, die aufgehobenen Stifts- und Klostergüter wurden eben so schlecht verkauft, wie ein auf den Bankerott ausgehender Kaufmann sein Waarenlager auf der Messe, vor Eintritt der fürchterlichen Zahlungswoche, verschleudert, das dafür gelöste Geld in die Tasche steckt und mit dem geretteten Raube die Flucht ergreift. –
Wie lange hat er nicht gezögert, ehe er sich entschließen konnte, sein Land zu bereisen und sich seinen treuen Unterthanen zu zeigen. – Bald war die Regulirung der Hofetikette, bald waren die zur Reise nöthigen Anstalten Schuld an dieser Verzögerung, und so wurde seine Reise von einem Monat zum andern aufgeschoben. – Und als er sie endlich antrat, mit welcher unnöthigen Eile durchflog er nicht die schönsten Provinzen seines Reiches? wie gleichgültig und abschreckend kalt nahm er die ihm vorgestellten Autoritäten auf? – Wie ungerührt blieb er bei den, freilig wenig versprechenden Freudenbezeugungen seines Volkes? – Kein Wort königlicher Huld und Gnade, keine verbindliche oder liebevolle Aeußerung kam über seine Lippen. Man hatte an mehreren Orten Mühe, ihn zu bereden, sich seinen Unterthanen nur wenigstens am Fenster zu zeigen. Im gestreckten Galopp verließ er gewöhnlich die Städte, ohne auf die zu seiner Ankunft getroffenen feierlichen Anstalten die geringste Rücksicht zu nehmen.
In S. ritt er die zu seinem Empfange Blumen streuenden, weiß gekleideten Mädchen fast um, und man sah nur zu deutlich, daß er die ungewohnte Rolle äußerst schlecht spielte.
Meine Dienstverhältnisse haben mich oft in seine Nähe gebracht, wenn nämlich der Staatsrath sich in Generalversammlungen bildete und er, obgleich nur selten, selbst präsidirte, was sonst gewöhnlich der Justizminister Simeon that. Ich könnte ihn daher ziemlich genau und nach allen Regeln der Physiognomik beschreiben; aber sein blasses, gelbes Gesicht ist so unbedeutend, daß auch Lavater selbst nichts daraus gelesen haben würde. Seine häufigen Ausschweifungen hatten fast allen Ausdruck in den Muskeln verwischt, und seine Augen sprachen blos ein immerwährendes trübes Begehren nach neuen Lüsten aus.
Sein übriger unansehnlicher Körper hatte nichts auffallend Ausgezeichnetes. Bekanntermaßen waren seine Lenden und Waden ausgestopft, um ihm wenigstens einen Anschein beiwohnender Manneskraft zu leihen. Sein Anzug war beständig sehr ausgesucht und gewiß nach der neuesten Pariser Mode, weil Alles, was ihn umgab und was er an sich trug, aus Paris und in Paris gemacht sein mußte.
Ist es einer biederen, aufgeklärten Nation zu verargen, wenn sie dem Andenken eines so elenden Regenten flucht und seine absolute Nullität der Welt vor Augen stellt? –
Muß der Gedanke, von einem so erbärmlichen Abenteurer beherrscht worden zu sein, Nicht jedem ehrliebenden Manne die Wange röthen und seine Brust mit Feuer und Flamme erfüllen? –
Der Reihe nach will ich noch die Männer vorführen, welche sich durch ihr Treiben und Thun unter der vorigen Regierung gebrandmarkt und auf eine Weise ausgezeichnet haben, die zugleich Abscheu, Verachtung und Mißbilligung erregt. Den Anfang macht
Bongars.
Er war General der Gensd'armerie und Direktor der hohen Polizei. Es übersteigt alle menschlichen Begriffe, wie viel Unheil dieser Mann während der Zeit seiner Wirksamkeit angerichtet hat. Unter seiner Direktion stand ein Heer von 26,000 Spionen im Lande, welche für einen bestimmten Sold sich zu Verräthern ihrer Mitbürger erniedrigten; und die Zahl der unbesoldeten Buben, die sich, in der Hoffnung, ihr Glück als treue Anhänger Jerôme's zu machen und ihren Haß und ihre Rache an ihren Widersachern zu kühlen, zu dem schändlichen Handwerke der Angeberei herabwürdigten, war noch viel größer. Man kannte die Gewalt der Polizei, das gräßliche Unwesen, welches sie trieb, die Verbrechen und Gräuel, die sie anrichtete, und verabscheute sie eben so sehr, als man sie fürchtete.
Mit Sicherheit konnte man darauf rechnen, daß in jeder größeren oder kleineren Gesellschaft ein Mitglied dieses schwarzen Bundes, dieses schrecklichen Inquisitionsgerichts sich befand, welches auf die Gelegenheit lauerte, den Einen oder den Andern anzuklagen und ihn einer schweren Bestrafung zu überliefern. Der freie, offene Ton, die Würze des geselligen Lebens, hatte aufgehört. Die Herzen waren verschlossen, Keiner wagte es, sich dem Andern mit Zuversicht und Vertrauen zu nahen. In der Versammlung vieler Menschen, die wohl zu sprechen verstanden, traten oft große Pausen eines langweiligen Stillschweigens ein. Man wog ängstlich die Worte und hütete sich wohl, einen Sinn hineinzulegen, der eine andere Deutung zuließ. Von der Gegenwart oder der Tagesgeschichte wurde gar nicht geredet, und kam man darauf, so kramte man die albernen Lügen aus, die uns von der Regierung aufgebürdet wurden. Eine Mauer hatte uns umringt, die den Strahl der Wahrheit nicht durchließ, und hatte sie Jemand ergründet, so verschloß er sie, wie ein Geheimniß, tief in seine Brust, und sie wurde nicht verbreitet, so tröstend sie für die niedergebeugten Gemüther auch gewesen sein würde.
Dieser Bongars, ein Mann von hohem, stattlichem Wuchse und bedeutungsvollen Zügen, aber ziemlich mager, hatte die Verstellung so in seiner Gewalt, daß sein Gesicht im schlichten, bürgerlichen Leben nie ohne Anmuth war, und selbst zur Stunde der furchtbaren Inquisition etwas Zutrauenerweckendes behielt. Er war also vermöge seines Charakters und des Aeußern ganz für die Stelle geeignet, mit welcher ihn das Vertrauen des Königs belehnt hatte. Innerlich ein reißender Wolf, äußerlich friedlich und duldsam, selbst in den Verhören die bittersten Vorwürfe und schrecklichsten Drohungen mit der Miene des Wohlwollenden und in einem gedämpften Tone aussprechend, welcher nicht das Schlimmste fürchten ließ, haschte er seine Beute um so gewisser, und ließ den Raub sicher nicht wieder fahren, an welchem seine Klauen Nahrung für den Blutdurst entdeckten.
Er war General und Direktor der hohen Polizei zugleich; auch würde er ohne Zweifel zum Minister erhoben worden sein, wenn nicht die Finanz-Administration zu viele Hindernisse der höheren Besoldung, welche mit dem Titel eines Polizeiministers verbunden gewesen sein würde, in ihren eigenen und des Königs Bedürfnissen gefunden hätte, welche endlos und nicht ohne Bedeutung waren.
Als geborner Franzose redete er das Deutsche sehr schlecht, d. h. nur gebrochen. Mir ist es vorgekommen, als hätte er nur die für seine Bestimmung unumgänglich nothwendigen Ausdrücke in einer sinnreichen Folgenreihe mechanisch auswendig gelernt, als: Verräther – schlechter Unterthan – falsche Nachricht – feindliche Proklamation – Spion – hart bestrafen u. s. w. u. s. w.
Verhöre pflegte er nach Fouché's großem Muster gar nicht anzustellen. Waren die Beschuldigungen so gut als möglich herausgestümpert, und der Verklagte, welcher auf die Mittheilung der einzelnen und detaillirten Beschuldigungen der Ankläger vergebens hoffte, war an der Reihe zu reden, so hatte derselbe gewöhnlich nichts verstanden, und konnte daher nicht antworten, oder er mußte schweigen, weil sich alle nur erdenklichen Anschuldigungen des Hochverraths, der Spionerie u. s. w. nicht mit einem Mal bestreiten ließen.
Insgemein – andere Fülle waren selten – ergriff Bongars alsdann, um seinem Delinquenten aus der Verlegenheit zu helfen, sogleich wieder das Wort, um ihn zu verurtheilen. Wenn sein Geldbeutel sofort blutete, so war der Mann für den Augenblick gerettet; er wurde nun aber unter die Surveillance einer geheimen Rotte gestellt, welche keinen seiner Schritte unbeachtet und – man darf beinahe sagen – keins seiner Worte, die nicht ganz insgeheim gesprochen wurden, fallen ließ.
Hatte er Männer zur Inquisition, welche entweder Muth und Entschlossenheit genug besaßen, um sich dreist gegen ihn zu erklären, oder bei welchen er Geistesgegenwart und Kenntnisse genug voraussetzte, um wohlgegründete Einwürfe von ihnen erwarten zu müssen, so hielt er einen Troß seiner Gesellen in der Nähe, welche bald zugegen sein mußten, wenn er den Hauptinhalt der Klage auftischte, bald im Zimmer auf und niederschritten, den Verhafteten streng in's Auge fassen und vom Kopfe bis zu den Füßen in dem Augenblicke fixiren mußten, wo seine Vertheidigung beginnen sollte. Dazu bediente er sich der frechsten und unverschämtesten Wichte, welche in seinen Diensten standen, um dadurch den Beklagten in desto größere Verlegenheit zu setzen.
Ein solcher Wicht war der Postmeister B... Einem Preußischen Streifcorps waren Briefe in die Hände gefallen, worin er der hohen Polizei zur Hülfe »gegen die in der Gegend von H., G. und N. umherstreifenden Räuberhorden aufforderte, welche ihrer geringen Zahl halber leicht von einer Abtheilung westphälischer Reiter aufgehoben werden möchten.«
Allein im Rathe der vermeinten Räuber ward es anders beschlossen; denn Tags darauf kamen einige Offiziere mit ihrem Gefolge, nun bereits von vielen früheren, vieljährigen Gaunereien und Verräthereien dieses Graukopfs unterrichtet, und nahmen ihn im Schooße der freien Natur, als er, noch völlig unbefangen und keine Gefahr ahnend, von einem Spaziergange zurückkehrte, in Empfang.
»Sind Sie der Postmeister B...?« fragte Einer von ihnen mit strenger Miene.
»Zu Ihrem Befehle, mein Herr.«
»Kennen Sie diese Hand?« (indem er ihm seine eigenhändigen Briefe vorlegt).
»Ja«, antwortete der Verräther in der Bestürzung.
Nun ging es sofort in's Ferne; noch wagten einige Gutgesinnte ein gutes Wort, indem sie meinten, die Zeit sei gekommen, wo auch ein Solcher nicht mehr schaden könne; allein die Kriegsmänner empfanden dies sehr übel und antworteten in der größten Erbitterung. Herr B... bestieg indessen einen Leiterwagen, setzte sich auf ein Bund Stroh und fuhr über die Elbe nach Küstrin, wo er seine undeutsche Seele in die Hände des Gebers von freien Stücken zurückgegeben hat.
Spaßhafter ist ein Vorfall, welcher sich in Braunschweig ereignete, wo es solcher Eulen ebenfalls nicht wenige gab. Es pflegte sich ein Sbirre der geheimen Polizei, welcher bisher unerkannt geblieben war, überall in die Gesellschaften des Mittelstandes einzudrängen; oft nur zu horchen, oft selbst zu reden. Eben dies unvorsichtige Zudrängen und die Sprache, welche nicht undeutlich auf die Ausforschung geheimer Gesinnungen hindeutete, verrieth ihn. Von der Zeit an ward er als ein Geächteter gemieden, und Niemand mochte mehr mit ihm sprechen.
Ein Schuhmacher aber, ein Mann von kühnerem Geiste als seine Genossen, nahm sich vor, den Menschen aus seinem Gesellschaftskreise zu entfernen. Eines Nachmittags, als er sich wiederum eingefunden hatte, setzte sich der dreiste Mann ihm gerade gegenüber, stopfte sich eine Pfeife und ließ ein Glas Bier vor sich hinsetzen. Der Sbirre redete ihn an; er antwortete nicht, sondern rauchte, trank und spie geflissentlich den Ueberfluß, dessen seine Speicheldrüsen sich entluden, dem Schergen vor die Füße. Eine Weile ertrug dieser das Spiel; dann aber verlor er die Geduld.
»Wie können Sie sich unterstehen,« hub er an, »mich auf eine so schimpfliche Weise zu behandeln?«
»Wo existirt ein westphälisches oder französisches Gesetz,« erwiderte der Schuhmacher, »welches mir verbietet, daß ich vor mir hinspeie?«
»Hier bedarf es keines Gesetzes,« fiel jener ein; »ich werde Sie injuriarum belangen.«
»Brave Unterthanen und redliche Anhänger der Franzosen und des großen Königs, welchen uns unsere Sieger gegeben haben, wie Sie und wir Alle, können und wollen nie anders, als ganz im Geiste der Gesetze handeln, die wir jenen verdanken; und wer nicht gegen die Gesetze sündigt, der kann keinen, der Regierung treu ergebenen Unterthanen beleidigen.«
Der Verräther, welcher sich entlarvt sah, erhob sich von seinem Sitze und verließ die Gesellschaft, um nie wieder zu kommen.
Diese und ähnliche Anekdoten werden eine unterhaltende Belehrung über die strenge Wachsamkeit der geheimen Polizei unter Bongars Direktion, aber auch eine Ansicht von den Beschwerlichkeiten und den kritischen Lagen geben, worin ihre Diener nicht selten gesetzt wurden. Aus beiderlei Rücksicht will ich Ihnen noch einige derselben mittheilen.
Eines Abends ging der Kaufmann L. in M. mit einem seiner Freunde aus dem Schauspiele nach Hause. Die Nacht war dunkel und die Straße schlecht erleuchtet. Es hatte einige Wochen ohne viel Unterbrechung geregnet und ein tiefer Koth war daher in allen Gassen. Der Kaufmann gerieth unversehens sehr tief hinein, und nur mühsam konnte er die Füße wieder herausziehen.
In einem Anfalle von Unwillen rief er aus: »seitdem wir Westphalen heißen, begegnen mir Dinge, die ich sonst nie erfuhr; sogar im Kothe muß man stecken bleiben.«
»Still, still, mein Freund,« sagte sein Begleiter zu ihm, »die Nacht hat Ohren!« »Je nun,« erwiderte der Kaufmann, »wer will mir etwas thun, wenn ich die Wahrheit rede?« – »Eben diese müssen Sie verschweigen, denn gerade die Wahrheit hört man selten gern.«
Indem sie ihren Weg verfolgten, hörten sie hinter sich gehen. Als der Kaufmann vor seiner Hausthür war und sich von seinem Freunde trennte, bemerkte er deutlich einen in der Nähe stehenden Menschen, auf den er aber weiter nicht achtete. Nach Verlauf von acht Tagen wurde um Mitternacht an seine Hausthür geklopft. »Machen Sie auf, rief eine fremde Stimme, ich muß Sie nothwendig sprechen.« Er öffnete ohne vieles Fragen die Thür, und drei Gensd'armen traten ihm entgegen.
Unerschrocken fragte er, was sie in später Nacht von ihm wollten.
Der Eine entgegnete: »Wir haben den Befehl, Sie auf der Stelle zu arretiren.« –
»Mich arretiren? Was habe ich denn begangen, daß man gegen mich verfährt, als ob ich ein Verbrecher wäre?« –
»Darüber können wir Ihnen keinen Aufschluß geben. Wir befolgen unsern Befehl, und dieser lautet, daß Sie sogleich ohne Sträuben mit uns gehen, wenn wir nicht Gewalt brauchen sollen.«
»Ich werde nothwendig einige Anordnungen in Rücksicht meines Handels und meiner Familie treffen müssen, bevor ich mit Ihnen gehe.« –
»Auch darauf dürfen wir nicht achten. Eilen Sie und ziehen Sie sich an, wenn wir Sie nicht unangekleidet mitnehmen sollen.« –
Der Kaufmann wollte nach der Schlafstube gehen, um seine Frau und Kinder zu wecken und sie von seiner Verhaftung zu unterrichten. Jetzt pochte ihm das Herz mit heftigeren Schlägen. Ein Gensd'arme folgte ihm nach. Die Frau war wach und staunte nicht wenig, als mit ihrem Manne zugleich ein Fremder in die Thür trat. »Mein Gott!« rief sie aus, »was bedeutet das?« –
»Sei ohne Sorgen,« sagte der Mann, »man will mich verhaften und sogleich von hier wegführen. Ich darf dem Befehle mit Ruhe gehorchen, weil ich mir keines Verbrechens bewußt bin.«
Die arme Frau schrie laut auf; aber der Schrecken lähmte ihr die Glieder, und sie blieb ohnmächtig liegen. – Das Getöse hatte die Kinder, von welchen die älteste Tochter achtzehn Jahr alt war, aus dem Schlafe erweckt; sie erfuhren alsobald, was mit ihrem geliebten Vater vorgehen sollte, und waren vor Schmerz außer sich.
Unbarmherzig trieben die Gensd'armen den Kaufmann, seinen Abschied zu beeilen, wenn er sie nicht in die unangenehme Nothwendigkeit versetzen wolle, gewaltsam zu verfahren. Frau und Kinder, halb angezogen, klagend, in Thränen zerfließend, hingen am Halse des Vaters und Gatten und wollten ihn nicht weglassen.
»Beruhigt Euch,« sprach er tröstend zu ihnen; »es ist sicher ein Mißverständniß; ich komme bald wieder zu Euch.« Da die Familie den Mann fest umringt hielt, stießen die Gensd'armen die Unglücklichen hinweg, und rissen ihn, als er sich angekleidet und mit einigem Gelde versehen hatte, von den Herzen der Seinen. – Welch ein Abschied!
So lange die Gensd'armen mit dem Gefangenen noch in der Stadt waren, führten sie ihre Pferde am Zügel und gingen zur Seite desselben. Vor dem Thore setzten sie sich auf ihre Pferde, und der fünfzigjährige Kaufmann mußte mit Aufbietung aller seiner Kräfte in tiefem Kothe neben ihnen her waten. Der Morgen dämmerte, als sie in einem Gasthofe einkehrten, um zu frühstücken. Dem armen Kaufmann war die Eßlust vergangen. Seine Wächter scherzten und lachten unterwegs, bewiesen nicht das geringste Mitgefühl über sein unglückliches Schicksal. Das schreckliche Handwerk, welches sie trieben, schien sie schon abgestumpft zu haben. Der Gefangene erklärte ohne Rückhalt, daß er so ermattet sei, daß er keinen Schritt weiter zu gehen vermöge. Es wurde ein Vorspannwagen genommen, den er aber bezahlen mußte.
Am Abend kam er in Cassel an und wurde in das Kastell gebracht. Hier hatte er Zeit, seine wahrhaft betrauernswerthe Lage zu überdenken. Für sein Leben fürchtete er keine Gefahr, da er sich keines Vergehens gegen den König und den Staat bewußt war; auch nährte er im Stillen die Hoffnung, seine Freiheit bald wieder zu erhalten. Aber der Gedanke an seine leidende Familie war es, der sein Herz zerriß. Er kannte die innige Liebe, mit der seine Gattin an ihm hing, und wußte es, wie unentbehrlich er seinen Kindern war. Ueberdies war die Frau so schwächlich, daß ihr heftige Gemüthsbewegungen stets gefährlich wurden. Er fürchtete, sie zu verlieren, und eben das war es, was den tiefsten, schmerzlichsten Gram in seine Seele goß. Auch vier Töchter hatte er zu beklagen; denn Alle waren ihm mit kindlicher Zärtlichkeit ergeben.
Schlaflos und unter peinigenden Vorstellungen durchwachte er die Nacht. Am Morgen brachte ihm der Gefangenwärter ein kärgliches Frühstück, das er aber nicht anrührte. Er bat diesen Menschen um die nöthigen Schreibmaterialien, damit er seiner Familie von seinem Schicksale Nachricht geben könne. Der Mensch entfernte sich, kam nach einer halben Stunde wieder und sagte, es sei ihm verboten, das Verlangte zu reichen.
»So bitte ich ihn«, sagte der Kaufmann, »daß er nach M. an meine Familie schreibt und sie nur wissen läßt, daß ich hier bin.« Bei diesen Worten reichte ihm der Gefangene einen Thaler und wiederholte seine Bitte nochmals. –
»Ich nehme so wenig Geld,« entgegnete der Mensch, »als ich an Ihre Familie schreiben darf. Versuchen Sie es noch ferner, mich zu bestechen, so muß ich es meinen Oberen anzeigen, und Sie erschweren Ihre Strafe.«
Vierzehn Tage waren verflossen, die der Kaufmann unter den Qualen einer trostlosen Einsamkeit durchseufzte, und auf sein inständiges Flehen, ihn zum Verhöre zu lassen, wurde gar keine Rücksicht genommen. Der Gram, der Mangel aller Eßlust und gesunder Nahrungsmittel, die dumpfe Kerkerluft, die schlaflosen Nächte: Alles wirkte so nachtheilig auf seine Gesundheit, daß er in eine Krankheit verfiel.
Bongars erhielt davon Nachricht. Sorgfältig ließ er von dem Vermögensstande des Mannes Nachricht einziehen, und als er erfuhr, daß er wohlhabend sei, war sein Plan, ihm ein Sümmchen abzupressen, entworfen. Der Kaufmann wurde zu einem Verhöre gelassen, und man gab ihm Schuld, daß er sich gegen die westphälische Regierung entehrende Aeußerungen erlaubt habe. Er erinnerte sich an die Worte, die er ausstieß, als er aus dem Schauspiele mit seinem Freunde nach Hause ging; erklärte, daß er es damit nicht böslich gemeint habe und bat um Verzeihung.
Ohne über seine Entlassung etwas zu erfahren, wurde er wieder in den Kerker zurückgeführt. Man brachte den Kranken darauf in ein anderes Zimmer und gab ihm ein Bett.
Einst erhielt er von einem Manne in bürgerlicher Kleidung, den er nicht kannte, einen Besuch. Dieser begann: »Ich habe erfahren, daß man Sie von dem Herzen einer Frau gerissen hat, welche Sie lieben. Es muß Ihnen Alles daran liegen, wieder in die Arme derselben zurückzukehren. Ich nahe mich Ihnen aus Theilnahme, und wenn Sie mich nicht verrathen wollen, will ich Ihnen ein Mittel an, die Hand geben, in kurzer Zeit Ihre Loslassung und Freiheit wieder zu erlangen.«
»O, sagen Sie«, sprach der Kaufmann, »was soll ich. thun? Ich opfere Alles auf, um wieder in den Schooß meiner Familie zurückzukehren.«
»So großer Opfer bedarf es nicht«, erwiderte der Unbekannte; »Sie dürfen Ihre Frau nur bitten, daß sie Ihnen 4000 Franken sendet, und ich verbürge meine Ehre, daß Sie, sobald Sie die Summe erlegt haben, auf freien Füßen sind.«
Der Kaufmann war dazu geneigt und schrieb, was ihm der Fremde etwa in folgenden Worten dictirte, nieder:
»Sende mir nach Empfang dieses, so eilig es geschehen kann, 4000 Franken hierher. Von dem Augenblicke an, wo ich die Summe erhalte, bin ich frei. Aber sprich kein Wort davon; Du würdest durch Mangel an Verschwiegenheit meine Einkerkerung nur verlängern und meine Befreiung erschweren.
Cassel ...
L ...«
Nach zwei Tagen mußte das Geld da sein; aber es kam nicht an. – Der Fremde kam wieder. Der Kaufmann beklagte sich über das Zögern seiner Gattin und gab die Besorgniß ihres Ablebens zu erkennen. Nein, sagte dieser, sie lebt; aber der Bote hat die Anweisung, welche Sie an Ihre Gattin ausstellten, verloren. Schreiben Sie eine zweite! Und er schrieb, was ihm dictirt wurde:
»Schicke mir durch den Vorzeiger dieses 4000 Franken. Sollte noch eine Anweisung auf Geld bei Dir eintreffen, so zahle sie nicht. Je eher ich die Summe erhalte, desto früher bin ich wieder bei Dir.
Cassel ...
L...«
Der Unbekannte kam nach zwei Tagen wieder zu dem Kaufmann und brachte ihm seine Befreiungsakte mit. Ehe er jedoch den Kerker verlassen durfte, mußte er eine Schrift unterschreiben, daß er nie von dem gezahlten Gelde eine Silbe verrathen wolle. »Uebrigens«, setzte der Mann hinzu, »bitte ich Sie um Ihrer Ruhe willen, reden Sie nicht im Publico davon, was Sie hier erfuhren und litten; der Arm der geheimen Polizei ist mächtig und weit um sich greifend; er würde Sie bald erreichen, und dann möchte es Ihnen nicht gelingen, so wohlfeil wieder davon zu kommen. Sie müssen überdies, das ist der Befehl des General Bongars ohne einzukehren, Cassel auf der Stelle verlassen.«
Glücklich, wie ein Vogel, der aus dem Käfige entflohen ist, eilte der Kaufmann aus Cassel und sank vor dem Thore auf die Knie, der Vorsehung dankend, daß der Weg zu seiner Familie ihm wieder offen stand. Mit großer Mühe und Anstrengung erreichte er das nächste Dorf, miethete sich einen Bauerwagen und kam am anderen Morgen nackt und abgehärmt bei den Seinen an.
Welch ein Wiedersehen! Die Nachricht seiner Loslassung erweckte die erloschenen Lebensgeister seiner Gattin wieder, welche indessen sehr krank gewesen war. Die Kinder weinten vor Freude, als sie ihren guten Vater wieder hatten!
An demselben Abend aber wies es sich aus, daß die Frau für die Loslassung ihres Mannes 8000 Franken bezahlt hatte, und der Fremde also selbst ein schändlicher Betrüger gewesen war.
Fragen Sie, wer das Geld empfing? – Kein Anderer, als Bongars, durch welchen die Familien unglücklich wurden und verarmten. Welch ein Land, wo solche unerhörte Ungerechtigkeiten geduldet wurden.
Beispiele, wie dieses, waren freilich ganz dazu geeignet, allen Unterthanen eine grauenvolle Scheu einzuflößen, sich über den Druck unerträglicher Leiden zu beklagen; sie litten das Aergste, ohne sich darob zu äußern.
Indessen gab es dennoch Männer, welche bisweilen, mit Gefahr ihrer Freiheit und ihres Lebens, kräftig auftraten und wider das Unwesen der Regierung eine Sprache führten, welche die Niederträchtigen in Furcht und Staunen setzte. Tadeln Sie ihre Unvorsichtigkeit, so darf ich Ihnen bemerken, daß diese Männer zu sehr gemißhandelt wurden, um nicht Alles auf's Spiel zu setzen. Unwille, Mißvergnügen, Entehrung und Verzweiflung war es, welche diese Sprecher dreist machte. Die ängstlichen und besorgten Seelen entfernten sich von ihnen, weil sie sich vor der Gemeinschaft mit denselben fürchteten.
Ein Herr von K..., welcher mit unerschütterlicher Liebe unter der neuen Regierung, die ihm ein Abscheu war, seinem alten Vaterlande anhing, stellte sich oft mit muthiger Entschlossenheit den Franzosen, die in seinem Dorfe und Schlosse einquartirt wurden, entgegen, wenn sie mit ihrer gewohnten beleidigenden Manier sich zu äußern wagten.
Einst übernachtete ein Obrist im Hause, welcher mit einigen Offizieren bei ihm zu Mittag aß. Der Herr von K. konnte sich nie überwinden, mit den Feinden an einer Tafel zu essen. Es wurden den ungebetenen Gästen mehrere Gerichte aufgetragen; aber sie begnügten sich nicht damit. Der Herr von K. ging zu ihnen und bat sie, sich nur heute zu begnügen, am andern Tage sollte noch besser für sie gesorgt werden.
Am nächsten Mittage saß der Hausherr mit den Franzosen zu Tische und hatte ein sehr frugales Essen bereiten lassen. Am Schlusse der Mahlzeit wurde von seinem Bedienten eine, mit einer Serviette wohlverdeckte Schüssel aufgetragen. »Herr Obrist,« so redete der Herr von K... seinen Gast an, der ihm gegenüber saß, »Sie waren gestern mit meiner Bewirthung unzufrieden. Ich versprach Ihnen eine Schüssel mehr; hier ist sie, insbesondere für uns Beide bestimmt.«
Mit diesen Worten setzte er dem Obersten die Schüssel hin und bat ihn, die Serviette wegzunehmen. Der Obrist that es, und siehe da, es lagen zwei geladene Pistolen darunter, deren Bedeutung der Herr von K... dem Obristen, welcher sich etwas entfärbte, also erläuterte: »Sehen Sie, mehr, als ich gestern gab, werde und kann ich nicht geben; fordern Sie mehr, so biete ich Ihnen diese Mahlzeit auf Tod und Leben an. Wer mir in meinem Hause Gesetze vorschreiben und mich mißhandeln will, der hat auf meine Gastfreundschaft keinen Anspruch.«
Der Obrist stand schweigend auf und verließ nach einer Stunde sein Quartier. Solche und ähnliche Scenen wurden bekannt und setzten den Herrn von K... weder bei den Franzosen, noch bei der Regierung des Landes in einen besonderen Credit. Aber er hielt es auch für eine Ehre, nicht zur Partei derer zu gehören, die sich um des Brotes und eines elenden Lebens willen alle möglichen Mißhandlungen bieten ließen; die Polizei hatte ein scharfes Auge auf ihn geworfen und that Alles, ihn zu fahen. Es gelang ihr.
Der Herr von K... wurde einer geheimen staatsverrätherischen Correspondenz beschuldigt. Ob er deren gleich nicht überführt werden konnte, so wurde er dennoch eines Tages durch Gensd'armen gewaltsam nach Cassel in's Kastell geschleppt. Die Verhöre fielen alle günstig für ihn aus; aber dennoch ließ man ihn nicht los. Es wurde ihm endlich unter den Fuß gegeben, daß er sich mit Geld loskaufen könne; aber das that er nicht. Seine Familie warf eine bedeutende Summe in Bongars' Schlund, und er erhielt seine Freiheit wieder. Diese benutzte er, ließ Gut, Weib und Kind im Stiche und schloß sich an das preußische Heer an. Wie ein Löwe kämpfte der Erbitterte im Hochgefühle des Patriotismus für seinen König und erhielt das eiserne Kreuz. Bei Leipzig starb er den schönen Tod für das Vaterland, nachdem er Wunder der Tapferkeit gethan hatte.
Die Schändlichkeit der westphälischen Polizei kann nicht schwarz genug geschildert werden.
So verhaftete man auch einen Kaufmann und brachte ihn nach Cassel. Sechs Monden saß er im Kerker, ohne verhört zu werden. Vorschußweise mußte seine Familie seine Unterhaltungskosten besorgen, indeß er so kärglich wie ein gemeiner Missethäter verpflegt wurde. Er war sich nicht des kleinsten Vergehens bewußt. Auf die Bitte, daß es ihm erlaubt sein möge, an seine Familie zu schreiben, ertheilte man ihm eine verneinende Antwort. Eines Morgens, nachdem er sich lange abgehärmt, von Hunger und Kälte gelitten hatte, ward ihm wider seine Erwartung plötzlich seine Entlassung angekündigt.
Bei seiner Rückkehr fragte er bei der Behörde um die Ursache seiner Verhaftung an und forderte zugleich Schadenersatz. Nach Monaten erhielt er den Bescheid: aus Unkunde seines Vornamens habe man ihn statt eines anderen Kaufmannes verhaftet. Auf Schadenersatz könne er übrigens keine Ansprüche machen, weil keine Kasse da wäre, dergleichen Zahlungen zu leisten. Er werde übrigens hiermit ermahnt, über den Vorfall das tiefste Stillschweigen zu beobachten.
Ein gewisser wohlbestallter Agent des Herrn Bongars kam einst in das Städtchen W., in der Absicht, hier einen guten Fang zu thun. Er stieg in dem vornehmsten Gasthofe ab, wo er sich für einen Kaufmann aus Cassel ausgab. Da in dem Gasthofe das geräumigste Lokal für eine große Gesellschaft war, so hatte man den Saal in demselben gewählt, um daselbst einen Ball zu veranstalten. Die Vornehmsten der Stadt, der Maire und der Municipalrath waren versammelt. Man erwies dem angeblichen Casseler Kaufmann die Ehre, ihn zu dem Vergnügen einzuladen, und mit teuflischer Freude nahm er das Anerbieten an. Mit gefälliger Artigkeit ließ er sich mit verschiedenen Mitgliedern der Gesellschaft in ein Gespräch ein, und man glaubte in ihm einen geschliffenen Kosmopoliten zu erkennen.
Der Tanz wurde durch eine ausgezeichnet schöne Abendmahlzeit unterbrochen. Man erwies dem vorgeblichen Kaufmanne die Ehre, ihm bei Tische einen Platz in der Nähe des Maire und der Municipalbeamten anzuweisen. Es konnte nicht fehlen, daß man sich nach der Lage der Dinge in Cassel erkundigte. Der Fremde zuckte die Achseln und ließ einige harte Worte fallen, welche die Regierung und Minister nicht in dem vortheilhaftesten Licht darstellten. Der Wein floß; das Blut ward heiß; man wog die Worte nicht mehr und fühlte sich geneigt, mit seiner wahren Meinung hervorzutreten. Diese Stimmung der Gemüther benutzte der Polizeicommissair und tadelte in steigendem Affekte das Elend des Reiches und seiner Verwaltung. Ob er auch dem Könige nicht den rechten Namen gab, so erlaubte er sich doch Anspielungen, welche offenbar auf ihn hindeuteten, um ihn zu erniedrigen oder lächerlich zu machen. Fast kein Minister blieb verschont.
Die nächsten Zuhörer dieser Reden sahen sich verwunderungsvoll an und wußten aus dem Manne, der so wahr und so frei sprach, gar nicht klug zu werden. Man rieth ihm Vorsicht und Klugheit an. Aber er erwiderte: »Ich muß mich höchlich wundern, daß man in der Provinz in seinen Urtheilen über Thatsachen so ängstlich ist. Wir in Cassel reden, wie es uns um das Herz ist, und es ist kein Beispiel da, daß ein Einziger dafür bestraft worden wäre. Uebrigens glaube ich hier unter wackeren deutschen Männern zu sein und nicht unter Spionen und Verräthern. Der Druck, der auf uns Allen lastet, ist fürwahr unerträglich; er wird mit jedem Tage ärger.«
Solche Worte gewannen dem Gaste das Zutrauen der Gesellschaft. Er spann den abgerissenen Faden seines Tadels immer wieder an, und es war ihm leicht, ihn durch die Gründe der Wahrheit zu unterstützen. Endlich wurden die Zuhörer dreist und sprachen ohne Rückhalt. Mit kühner Dreistigkeit schalt insbesondere der Maire auf die Casselschen Räuber Malchus, Wolfrath, Bongars; auch Jerôme erhielt von ihm einige derbe Seitenhiebe.
Dieser Maire war wirklich ein wackerer und braver Mann, der es mit seinem Vaterlande und der früheren Verfassung desselben herzlich gut meinte. Er würde sein Amt nicht angenommen haben, wäre er so begütert gewesen, daß er von seinem Vermögen ohne allen Zuschuß hätte leben können. – Wie mancher echte Patriot mußte bei der veränderten Regierung, die er im Herzen haßte, in einen sauern Apfel beißen, wenn er nicht mit seiner Familie hungern wollte.
Etwa um drei Uhr Morgens verließ die Gesellschaft den Tanzsaal. Der Polizeicommissair hatte nichts angelegentlicher zu thun, als daß er sich bei der Ortsbehörde als einen geheimen Agenten Bongars' legitimirte und um die nöthige Unterstützung bat, den Maire zu arretiren, die ihm auch keineswegs verweigert wurde. Wie ein heimtückischer Räuber, der mit teuflischer Freude seiner Beute gewiß ist, die er in nächtlicher Sicherheit beschleicht, so eilte der Polizeicommissair in das Haus des betrogenen Maire.
Leise, dann heftiger wurde, an die Thür geklopft, bis eine Hausmagd das Fenster öffnete und fragte, wer da sei?
»Töchterchen«, sagte der schlaue Fuchs, »mach' auf, ich habe mit Deinem Herrn etwas Nothwendiges zu sprechen.« –
»Mein Herr schläft noch«, erwiderte die Magd.
»Mache nur auf, ich will ihn schon wecken.« –
Die Hausthür öffnete sich. Das Mädchen erschrak, als sie mehrere gewaffnete Männer erblickte, und war im Begriff, die Flucht zu ergreifen. Durch freundliches und höfliches Bitten ließ sie sich indessen bewegen, das Licht anzuzünden. Eilig ging die Magd nun in das Schlafzimmer und weckte ihren Herrn. Gattin und Kinder wurden munter. Der Maire zog sich an, so schnell er konnte, und trat in die Stube. Die erste Frage war, da er seinen Feind und Verräther in der veränderten Kleidung nicht sogleich wieder erkannte: »Was wollen Sie in der Nacht in meinem Hause und von mir? Wozu diese Polizeidiener?«
»Herr Maire«, fing der Wicht an, »Sie werden sich erinnern, daß Sie sich gestern Abend bei Tische über unsere Regierung Urtheile erlaubten, die mich besonders von Ihnen befremden mußten. Solche Aeußerungen, die das Ansehen des Königs und seiner Minister antasten, können unmöglich ungeahndet bleiben.«
Erschrocken sagte der Maire, der den Redner nun erkannte: »Sprach ich zu viel, so haben Sie mich dazu gereizt und sind in gleicher Verdammniß mit mir, wo nicht strafbarer, als ich.«
»Wissen Sie, daß mir jedes Mittel zu Gebote steht, um die wahre Stimmung der Unterthanen zu erforschen und den zu verhaften, welcher sich feindselig zeigt? Besonders, mein Herr Maire, ist ein Mann in Ihrem Amte doppelt strafbar. Sie werden hiermit ohne Umstände arretirt.«
»Ist das der Dank für die Liebe und Freundschaft, für die trauliche Offenheit, mit der Sie in der gestrigen Gesellschaft behandelt wurden?«
»Von Dank oder Undank kann hier die Rede nicht sein; Sie haben sich gestern verdächtig gemacht, und mir liegt die Pflicht ob. Sie heute deshalb zur Verantwortung zu ziehen. Kleiden Sie sich rasch an, versehen Sie sich mit einer guten Börse und folgen Sie mir nach.«
In dem Augenblicke, daß er nach dem Schlafzimmer gehen und der Familie sein Schicksal auf die schonendste Weise ankündigen wollte, kam seine Gattin mit den Kindern in die Wohnstube gestürzt. Sie hatten jedes Wort der Unterredung vernommen. Die Dame ergriff die Hand des Polizeicommissairs und drückte sie flehendlich, indem ihr die Thränen die Wangen herabrollten. »Machen Sie uns nicht unglücklich; entreißen Sie mir nicht den Gatten und den Kindern den Vater«, sprach sie mit rührender Stimme. »Mein Mann ist edel und ein treuer Diener des Staates; er mag diesmal gefehlt haben, die Folge wird Alles wieder gut machen. Haben Sie Mitleid mit uns; wir vergingen uns nicht gegen das Gesetz, und machen Sie uns nicht unglücklich, indem Sie ihn von uns trennen und uns in trostlose Verzweiflung über sein ungewisses Schicksal setzen.«
Der Polizeicommissair trat mit kalter Gleichgültigkeit einige Schritte zurück. »Wenn mein Herz Ihren Herrn Gemahl auch von aller Schuld losspräche«, sagte er, »so läßt sich doch das Gesetz nicht ändern, welches ihm Strafe zuerkennt. Ich bin ein Diener der öffentlichen Ordnung und darf durch unzeitiges Nachgeben nicht dagegen verstoßen. Bitten Sie mich nicht mehr: Sie verschwenden Ihre Worte vergebens; es thut mir leid, aber ich kann nicht anders, ich muß Ihren Herrn Gemahl verhaften.«
»Kinder, bittet ihr den Herrn,« sagte die Mutter, in Thränen schwimmend; »vielleicht wird er durch eure Thränen erweicht.«
Die drei Kinder, unter ihnen ein junges Mädchen, sanken vor dem Unholde auf die Knie und flehten um Nachsicht für ihren Vater, der in stummer Betäubung in den Armen seiner Gattin lag und seines Schmerzes, von seinen Lieben getrennt zu werden, nicht Herr werden konnte.
Der Polizeicommissair schien gerührt und befahl seinen Helfershelfern, daß sie abtreten und sich nach ihren Wohnungen verfügen möchten. Jetzt faßte die verzweifelte Familie Hoffnung.
»Ist mein Mann frei?« fragte die Frau mit zitternder Stimme; »werden Sie ihm verzeihen? Ich erkenne in Ihnen den Wohlthäter, welcher mir den Gatten, den Freund, der meinen Kindern den Vater und meinem Manne die Freiheit wiedergiebt. Nichts, was in meinen Kräften steht, ist mir genug, um Ihnen meinen Dank vollkommen zu bezeigen.«
Wie irrte sich die gute Frau, wenn sie an die Uneigennützigkeit und Großmuth eines solchen Schergen glaubte.
Er nahm das Wort und sagte: »Es giebt eine Bedingung, die Sie ohne Widerrede erfüllen müssen, wenn ich Ihnen die Vergünstigung zugestehe, daß Sie in Ihrer Wohnung, bei Ihrer Familie bleiben und Ihre Stellung behalten.«
»Reden Sie, reden Sie,« sagte der Maire, »damit ich sie auf der Stelle erfülle.«
»Der Preis Ihrer Freilassung sind hundert Friedrichsd'or.«
»Der Preis ist sehr hoch; woher soll ich das Geld nehmen? Wird dadurch mein Versehen gut gemacht?«
»Nicht viele Worte! Ja oder Nein entscheidet.«
Die Frau bat um eine Minderung der Strafsumme; aber dazu war der Bube nicht zu bewegen. »Borge, was Du selbst nicht hast, von Deinen Freunden,« sagte die Gattin zu ihm; »gern will ich Alles verlieren, will hungern und Wasser trinken, wenn ich nur Dich behalte.«
Nach zwei Stunden wurde die Summe bis auf den letzten Heller bezahlt. Der Räuber betrachtete die Goldmünzen sorgfältig, ob sie auch sämmtlich vollwichtig wären, und zog davon. »Glauben Sie nicht,« sagte er im Scheiden, »daß ich das Strafgeld für mich behalte; es fließt in die Kasse meines Vorgesetzten, des Generals Bongars, und ich ziehe nur wenige Procente davon. Uebrigens rathe ich Ihnen, in Ihren Reden und Urtheilen über unsern Staat vorsichtiger zu werden.« Tief gekränkt erwiderte der Maire: »Sie haben mir eine viel zu nachdrückliche Lektion gegeben, als daß ich Ihre Warnung je vergessen könnte.«
Ein solcher Commissair war es, welcher bei Gelegenheit des Streifzuges, den der eilfertige General Czernitschef nach Cassel unternahm, in die Hände der Kosaken gerieth. Zwar hatte er sich bei Annäherung dieser unerwarteten Gäste in Sicherheit zurückzuziehen gesucht; allein die scharfsichtige Nemesis, von tausend Augen unterstützt, bedurfte kaum einiger Mühe, um den Verborgenen an das Tageslicht hervorzuziehen.
Wie behende machten sich nun die leichten Reiter aus Norden und Osten über den Verräther. In einem Augenblicke war der Mensch ausgeschält und stand nun zum ersten Male nach sechs ruhmvollen Dienstjahren in seiner erbärmlichen Blöße da. Das Volk, Männer, Weiber und Kinder, wiesen mit Fingern auf den Dämon der Tyrannei und Bosheit; lauter Spott begleitete seine Schritte. Allein damit war noch lange nicht Alles geschehen. Die freundlichen Kosaken banden dem sauberen Gesellen die Hände auf den Rücken und schleppten ihn neben den Pferden her mit sich fort nach Braunschweig. Kaum fand der arge Mann noch einiges Erbarmen bei einem russischen Offizier, welcher sich seiner annahm. Dieser gab ihm, als er vom Marsch und Nüchternheit erschöpft, nicht mehr fort konnte, einen Leiterwagen und warf ihm, um ihn in seiner Nacktheit nicht einem zu frühen Tode preiszugeben, einen Reisemantel über.
Tief in den Mantel gehüllt – die Oktobertage pflegen auf den nackten Leib eben nicht die wohlthätigste Wirkung zu äußern – langte er mit der fliegenden Schaar vor Braunschweig an. Hier erwarteten seiner Scenen, welche das Ungemach der Blöße weit hinter sich ließen.
Schon waren nämlich die vielgekränkten Einwohner der Stadt hinausgegangen, um zur Abwechselung auch einmal einige Franzosen, Offiziere vornehmlich, unter russischem Kommando zu sehen. Sie erreichten ihren Zweck vollkommen. Ein Häuflein solcher Gesellen Napoleon's, ihre Bündelchen unter den Armen, kam dahergeschritten, sonderbaren Angesichts; denn die Miene der Ueberlegenheit und der Thatenstolz auf der Stirne des Offiziers kontrastirte bedeutend gegen das Negligée, worin die Herren unter Anführung der Kantschu marschirten.
» Voulez-vous de vin du Rhin? de Champagne? de Bourgogne? du pain blanc? du tabac d'Amerique? Vous n'avez qu'à commander?« hörte man hier in abgebrochenen Fragen von manchem Schadenfroh. Aber es befanden sich unter den Spöttern auch Männer, welche das westphälische Unwesen nicht nur in Betrübniß, sondern in Kerker und Bande gestürzt hatte.
Plötzlich verbreitete sich unter den Zuschauern das Gerücht, daß auf einem der Wagen ein Scherge der geheimen Polizei befindlich sei. Alles stürzte dahin, wo der Wagen mit dem Manne im Reisemantel hielt. Ein übermüthiger Kosak mochte Einem aus dem Volkshaufen verrathen haben, daß sie dies Vöglein auf der Fahrt erhascht hätten. Der Delinquent aber, von marternden Gewissensbissen gefoltert, hatte nicht den Muth, ein Wort zu seiner Vertheidigung zu sagen, sondern zog sich den Mantel über dem Kopfe zusammen und hüllte Brust und Gesicht tief in diesen Schleier russischer Barmherzigkeit.
Die Buben indessen suchten sich allerlei Materialien für ihre Wurfmaschinen. Die Fäuste waren ihre Ballisten und Katapulten; anstatt der Felsklüfte und Stämme ergriffen sie Kieserlinge und Ingredienzien, welche etwa, nach Aussage der Geognosten unserer Zeit, das Primordial-Fluidum der Erde ausgemacht haben könnten. Mann und Wagen waren im Nu überzogen; kaum schützte der Mantel noch; der Hut war die Zielscheibe der Kunstfertigkeit im Werfen, und die Kosaken, welche neben dem Wagen anfangs herritten, dann hielten, hatten Mühe, den gar zu reichlichen Salven dieser neuen Artillerie sich zu entziehen.
Was Viele beklagten, war nicht der Mann, sondern der Mantel, welcher ihn schützte, weil er sich zur Decke und zum Schutz eines so tückischen Verbrechers mußte mißbrauchen lassen.
Wie mag dem Herrn Commissair zu Muthe gewesen sein, wenn er sich jetzt einen Augenblick an Bongars' Belobungen, an die fetten Bissen an den Tafeln seiner westphälischen Brüder, an die Gallakleider seines Flors in der Blüthe des Königreichs, an die ehrfurchtsvolle Demuth, mit welcher jeder Unteroffiziant und besorgliche Unterthan sich ihm nahete, und endlich an die Sümmchen erinnerte, die das Handwerk, nun leider vergeblich! eingetragen hatte?
Welches seine Reflexionen auch gewesen sein mögen, er mußte auch vor Braunschweig mit seinen reisigen Begleitern, fürbaß ziehen, ohne sich eines frischen Trunkes oder eines labenden Bissens zu erfreuen. Wohin die pfeilschnellen Reiter auf ihrem Fluge von Braunschweig nach Halberstadt und dann zum Vortrabe der flüchtigen französischen Armee nach Sachsen am Ende mit ihm gerathen sind, und wo der lockere Vogel sein Schwanenlied gesungen hat, davon hat unsere Chronik nichts gemeldet.
Wahrscheinlich aber ist dieser Sünder dem Beispiele verschiedener Genossen gefolgt, welche, von Hunger, Kälte, ungewohnten Strapazen, Spott, Verachtung, Mißhandlung und tiefer Betrübniß über die Launen des Schicksals aufgerieben, ihren Geist von freien Stücken der Fessel eines unglücklichen Leibes entbunden haben; wenigstens hat man in der Gegend nichts wieder von ihm gehört.
So erging es diesen Henkern der edlen Freimüthigkeit und des redlichen Sinnes zur Zeit des neuesten Regentenwechsels.
Derselbe Agent Bongars' wurde einst für die boshafte List, die Unterthanen in's Unglück zu stürzen, ein wenig gezüchtigt. Unerkannt nahte er sich einem Polizeicommisiair und begann verdächtige Reden zu führen. Nachdem er eine Weile geredet hatte, legt ihm der Polizeicommisiair augenblickliches Schweigen auf, widrigenfalls er sich genöthigt sehe, ihn zu verhaften. Der Agent aber fährt fort zu lästern und erwartet sehnsuchtsvoll den Augenblick, wo sein Gegner wirklich zur Verhaftung Anstalt treffen oder in seine Meinung mit einstimmen soll. Statt dessen entfernt sich dieser, kommt mit zwei Polizeidienern zurück und läßt den Agenten in Verhaft nehmen.
In demselben Augenblicke zeigte der Verhaftete eine Karte der hohen Polizei in Cassel vor, um die Rechtmäßigkeit seines Verfahrens als Polizeiagent zu beurkunden, und setzt hinzu: »Hätten Sie nicht so gegen mich gehandelt, als Sie es zu Ihrer Empfehlung gethan haben, dann wären Sie mein Gefangener.« Diese Rede verdroß den Polizeicommisiair, der es übel empfand, daß ein Mann, welchem er niemals Anlaß zum Verdacht gegeben hatte, so heimtückisch gegen ihn zu Werke ging.
Als daher der Agent um seine Loslassung bat, sagte jener: »Sie sind so lange mein Gefangener, bis ich nach Cassel geschrieben und die Antwort zurückerhalten habe, ob es mit Ihrer Karte auch seine richtige Bewandtniß habe.« Und damit mußte der Bösewicht vierzehn Tage sitzen.
Die Mitglieder der geheimen Polizei, wenigstens viele derselben, suchten mit Frauen und Mädchen, denen sie Klugheit und Verschmitztheit zutrauten, einen verbotenen Umgang anzuknüpfen. War es ihnen gelungen, Treue und Unschuld zu berücken, dann machten es die Verführer den Verführten zur Pflicht, Alles aufzubieten, um dem gefährlichen Netze der hohen Polizei Schlachtopfer zu liefern.
Ein gewisser N... hatte die Frau eines angesehenen Mannes, welche glänzende Gesellschaften in Cassel zu besuchen pflegte, verführt.
»Ich hoffe,« erklärte er späterhin, »daß Sie, als eine erklärte Anhängerin unseres Königs und unserer Regierung, mir in Zukunft Jeden anzeigen werden, welcher ein verdächtiges oder beleidigendes Wort gegen unseren Staat über die Lippen kommen läßt.«
Sie erwiderte ihm, daß sie sich so weit nicht erniedrigen und die Verrätherin ihrer Freunde und Freundinnen spielen könne. Ihr Verführer aber nahm hierauf eine sehr ernste, drohende Miene an und sagte: »Wenn Sie meine Bitte nicht erfüllen, so werde ich mich genöthigt sehen. Sie selbst bei der Polizei als eine Person anzuzeigen, die das bekannte Gesetz übertrat, welches gebietet, daß sich keine Frau, kein Mädchen einem Manne ohne ausdrücklichen Erlaubnißschein der gesetzlosen Liebe hingeben darf.« Sie war wie versteinert und vermochte ihren innersten Unwillen nicht zu unterdrücken. Aber er bändigte ihren Zorn durch die wiederholte Versicherung, daß er, wenn sie in seinen Vorschlag nicht willige, seine Drohungen ohne Säumen erfüllen werde. Die Betrogene und Geschändete wollte sich nicht öffentlich an den Pranger stellen lassen und versprach Gehorsam gegen das harte Gebot. Der Mann schämte sich nicht, diesen Vorfall freilich nicht als Beweis seiner Niederträchtigkeit, in einer Gesellschaft öffentlich zu erzählen.
Wo das westphälische Unwesen noch einige unverschämte Vertheidiger finden möchte, welche, unzufrieden, sich vom Marke der Unterthanen nicht mehr mästen zu können, noch jetzt frech genug sind, das Glück jener Afterregierung im Publiko anzupreisen, das ist vielleicht in Cassel.
Noch vor wenigen Wochen hörte ich in Pyrmont einen bemittelten Bürger aus Cassel diese Sprache im Kreise mehrerer seiner Landsleute führen und insbesondere seine geläufige Zunge über die preußischen Krieger in Bewegung setzen, welche ohne Verdienst den Ruhm der Sieger über die Franzosen davon getragen, eigentlich aber die durchkreuzten Provinzen nur ausgefressen hätten. Plötzlich erhob sich ein bärtiger Mann in einem braunen Ueberrocke hinter dem Tische, trat auf den Redner zu und fragte:
»Ist es Ihr Ernst, mein Herr, was Sie so eben über die preußischen Soldaten urtheilen, oder wollen Sie sogleich widerrufen?«
»Mein Urtheil kann ich verantworten«, erwiderte der Mann von Cassel; »ich nehme nichts zurück.«
»So sollen Sie wenigstens wissen«, fuhr jener fort, »daß ich ein preußischer Soldat und durch Ihr Geschwätz beleidigt bin.« Hiermit riß er den Ueberrock auf, und sein geschwätziger Gegner trat erschrocken einen Schritt zurück, als er das Husarencollet hervorschimmern sah. Jener aber rückte ihm spornstreichs nach.
»Damit Sie wissen«, sagte er, »daß man jetzt nicht mehr als ein Schurke auftreten und so sinnlos raisonniren darf wie Sie, empfangen Sie hiermit eine Warnung von mir.« Dabei gab er ihm einige entsetzliche Ohrfeigen.
Nun waren die übrigen Herren von Cassel so naseweis, über den Soldaten herzufallen und ihn zur Rede zu stellen: wie ein preußischer Soldat einem hessischen Unterthan in Pyrmont eine Maulschelle geben könnte. Dieser antwortete nur, indem er zum Säbel griff. Augenblicklich traten sechs Fußjäger von der Berliner Garde in das Zimmer, und der Spaß endete so, daß eben keiner weiter darin blieb, als sieben preußische Soldaten.
Dies nur zum Beweise, wie sehr Bongars und Konsorten das Volk vorzüglich in ihren nächsten Umgebungen für die westphälischen Skandale zu gewinnen und in ihre Netze zu verstricken gewußt haben. Der bessere Mensch floh die Unholde wie die Pest, und die Redlichkeit schwang Kolbe und Keule über ihrem Haupte; sie waren mittelbare und unmittelbare Anhänger der geheimen Polizei und ihre Freunde und Vertheidiger.
Eine Anekdote, geeignet, den unmenschlichen Charakter des geächteten Finanzministers Malchus in seiner ganzen Schattenseite darzustellen, mag Sie in das Reich der Sünde und des Lasters einführen.
Wie es bei den Organisationen der durch die Franzosen eroberten Länder Sitte war, daß die einträglichen Posten an Fremdlinge verschenkt wurden, so verhielt es sich auch mit dem Theile von Hannover, welcher dem Königreich Westphalen einverleibt wurde. Ein Postdirektor jenes unglücklichen, in die Hände einer verhaßten Regierung gefallenen Kurfürstenthums hatte seine Stelle ohne Grund und Ursache verloren. Er begab sich nach Cassel, um sich bei dem Finanzminister Malchus um eine andere zu bewerben. Mit stolzer Verachtung wurde ihm seine Bitte abgeschlagen. Mit verbissenem Zorn über die harte und unwürdige Behandlung verließ er den Palast des Ministers.
Tags darauf, als ihn das ruhige Nachdenken besänftigt hatte, faßte er, von der Noth gedrängt, den Entschluß, dem Minister sein Anliegen nochmals vorzutragen. Fast in Verzweiflung sprach er: »Was soll aus mir und meiner Familie werden, wenn Sie mich hilflos von sich weisen? Verhungern können wir ja doch nicht, wir müssen doch leben!« – Im Umdrehen erwiderte Malchus: »Davon sehe ich die Nothwendigkeit nicht ein.«
Malchus wurde im Finanzministerium in Paris angestellt. Die Franzosen konnten zur Finanzverwaltung, welche ihnen in der Folge Entschädigung für den großen Verlust ihrer Raubstücke anweisen sollte, kein würdigeres Subjekt bestellen, als denselben Malchus, welchen unser Vaterland so gern entbehrt
Wie richtig man ihn aber beurtheilt, wird man aus einer wahrhaft ergötzlichen Anekdote ersehen, welche ich noch mitzutheilen gedenke. Man kennt den General H..., welcher früher in Diensten des Königs von Westphalen war und zur entscheidenden Zeit, noch vor der Schlacht von Leipzig, mit der gesammten unter ihm stehenden Kavallerie in Sachsen unter die Fahnen der gerechten Sache übertrat.
Dieser durchstreifte in Gesellschaft einiger russischen Offiziere die Straßen von Paris, als ihm plötzlich ein Bürgerlicher, mit dem Ausdrucke der höchsten Zärtlichkeit in seinem Antlitze, entgegentrat.
»Willkommen in Paris, mein lieber H... Ich schätze mich unaussprechlich glücklich, Sie hier wiederzusehen. Sagen Sie mir, wie geht es Ihnen?« Mit Ungestüm drang der Zudringliche auf ihn ein, um ihn zu umarmen.
H..., welcher durch seinen Uebergang zu den vereinten Mächten zu erkennen gegeben hatte, daß er Recht und Gerechtigkeit von Falschheit und Tücke wohl zu unterscheiden wisse, welcher späterhin noch in den letzten Athemzügen des Königreichs die Wuth der Rachsucht an seiner Familie vollstreckt sah, bewies diesmal, daß er die verlarvte Bosheit zu verachten wisse.
Er trat einen Schritt zurück und sprach, indem er sich an seine martialischen Begleiter wendete, mit dem Finger auf Malchus hinweisend:
»Dieser Mensch, meine Herren, ist der erste Schurke, den das westphälische Königreich ernährt und Deutschland je gesehen hat, der westphälische Finanzminister Malchus. Er hat die Provinzen ausgesogen, dem Könige die Summen der Verschwendung unaufgefordert eingeliefert und seinen Namen durch das Gepräge der erbarmungslosesten Plünderung der Unterthanen gebrandmarkt. Er ist vorzüglich Veranlassung geworden, daß mein Uebergang zu ihren Waffen an meinen Brüdern, welche ohne allen Antheil und ohne alle Kenntniß meines längst gefaßten Planes waren, durch Dienstentsetzung gestraft worden ist. Sehen Sie, dieser Mensch kann es wagen, mich in Paris anzureden, wo er als ein geächteter Flüchtling von dem Schauplatze seiner groben Verbrechen nur durch die zu große Gnade der Alliirten einen Zufluchtsort findet.«
Die Russen warfen einen Blick der tiefsten Verachtung auf den Exminister, wendeten sich mit Unwillen von ihm hinweg, und Malchus ging von dannen, als ob gar nichts vorgefallen wäre.
Der Polizei-Inspektor Würtz, der Böseste von der Rotte, soll hier auch der Nächste sein, dem ich seine rechte Ehre anthun will. In die Farben der Nacht will ich meinen Pinsel tauchen.
Der Körper des verrufenen Würtz, der wie ein Würgengel umherschlich und Opfer zu erhaschen suchte, war gewissermaßen der sichtbare Abdruck seiner durch Laster aller Art verzerrten Seele. Sein Leib war von der Gicht gefoltert, lang und trocken und im Gesichte trug er die unverkennbaren Züge seiner inneren Teufelei. Er hat einen kleinen Kopf, in dem aber eine Werkstatt aller Kniffe, Ränke und Kabalen aufgeschlagen ist. Sein Blick ist scheu, unstät und feuerlos. Das Auge eines redlichen Mannes, das sich auf ihn heftet, kann er nicht lange ertragen, und er schlägt den Blick, von innern Teufeleien geplagt, zur Erde nieder. Sein Mund ist weit ausgedehnt und mit schwarzen Zähnen sind seine Kinnbacken wie Brandpfähle ausgespickt. Kinn und Nase sind spitz. Ein braunes Haar überkräuselt die Stirn, welche das Theater ist, auf dem die Leidenschaften abwechselnd ihr verruchtes Spiel treiben. In seinem Anzuge richtet er sich nach der Mode. Den üblen Geruch, welcher vielleicht von seinem Körper ausgeht, sucht er durch duftende Wasser zu ersticken. Aber diese seine Leibesgestalt, so wenig Anziehendes sie auch hat, ist doch schön, wenn man sie mit seiner Seele vergleicht.
Er konnte sich höchst beliebt und sehr gefällig machen. Leicht fand er Eingang bei unbewachten Herzen, die den Tiger nicht kannten, welcher, Menschenwohl zu zerreißen, unablässig auf die Jagd ging. In seiner Miene hatte er ein stetes Lächeln, das er gebrauchte, um vertrauensvolle Seelen in sein Netz zu ködern. Er konnte nicht allein die Rolle eines ehrlichen Mannes vortrefflich spielen, nein, er rühmte sich auch mit bescheidenen Farben seiner Rechtschaffenheit und beklagte sich, daß er Feinde habe, mit denen er es doch wie ein Bruder gut meine. »Muß ich meine Pflicht nicht thun, so schwer es mir oft wird,« sprach der Falsche, »da ich bei der Polizei angestellt bin? Kann sich nicht ein Jeder vor der Strafe hüten! O! daß ich nie einen Schuldigen fände?«
Wenn er des Nachts auf Raub ausging oder auch im Lande umherschlich, wußte er sich durch die Art seiner Kleidung und auch durch Schminken ganz unkenntlich zu machen. Er hatte alle Kniffe studirt, um mit dem besten Erfolge sein böses Handwerk zu treiben. Man hat der Beispiele, daß er eine leichte Leiter mit sich führte, um Menschen, die ihm verdächtig erschienen und im zweiten Stock wohnten, zu behorchen.
In Cassel wurde er gefürchtet wie eine Schlange, die im Finstern schleicht und durch ihren Giftbiß unversehens tödtlich verwundet. Er trat in öffentliche Gastwirthshäuser und ließ sich Leckerbissen aller Art reichen, bezahlte nicht, ob er's gleich versprach. Er machte Schulden und gab den Debitoren keinen Heller zurück. Wer ihn mahnte, dem suchte er zu schaden.
Er war es, der sich der Methode bediente, auf die Regierung zu schelten, mit deutscher Ehrlichkeit vor den Dienern der Polizei zu warnen, um die Menschen sicher zu machen.
Wie viele Leute hat er auf diese Weise zum Falle gebracht und in's Unglück gestürzt, ehe man ihn kennen lernte und der Abscheu gegen seine Frechheit, mit den heiligsten Tugenden ein verbrecherisches Spiel zu treiben, allgemein wurde. Um an dem Sturze des Ministers von V... thätig mitzuarbeiten, suchte er durch vorgespiegelte Versprechungen seine Umgebungen in seine Falle zu ziehen und sie wider den geachteten Mann zu reizen, aber es gelang ihm nicht.
Der Direktor Sigismund, welcher mit B..., dem er attachirt war, seinen Abschied erhielt, begegnete Würtz einst in einer engen Straße. Freundlich reichte er ihm die Hand und sagte: »Es thut mir in der Seele weh, daß Sie Ihr Amt verloren haben. Aber so geht es bei uns, edle, bessere und gerechte Menschen werden verstoßen. Der Teufel mag hier länger Unterthan sein, wenn nicht bald eine bessere Ordnung der Dinge eintritt. Meine Lage ist die infamste, die sich denken läßt. Aerger und Verdruß, Feindschaft und Haß, das ist mein Lohn. Meine Stelle wirft kaum so viel ab, daß ich mich und die Meinen standesgemäß kleiden kann.«
Sigismund wußte es wohl, wie er sich zu verhalten hatte und erwiderte: »Wenn Ihnen die Stelle nicht gefällt, warum danken Sie denn nicht ab? Uebrigens fruchtet Ihr Schelten auf die Regierung gegen mich nichts. Aber ich werde Ihre Aeußerungen dem Minister Malchus mittheilen, der kann dem Könige davon sagen. Redeten Sie die Wahrheit, so wird man Sie dafür mit einem einträglicheren Posten belohnen.«
»Um des Himmels willen,« bat der erschrockene Würtz, »sagen Sie dem Minister kein Wort von dem, was ich Ihrer Freundschaft anvertraute.«
»Nein, das will ich nicht; aber eine Bitte: versuchen Sie es nie wieder, durch Ihre niederträchtige Verstellung mir zu schaden, sonst werde ich von Ihren freundschaftlichen Eröffnungen Gebrauch zu machen wissen.«
Besonders groß und ausgebreitet war die Bekanntschaft des Würtz mit den weiblichen Domestiken. Er wußte sie durch kleine Bestechungen zu gewinnen und fesselte sie auch wohl durch das Seil eines unerlaubten Umganges, in den er sich mit ihnen zu setzen bemüht war. Was es ihm auch kosten mochte, er suchte sie zu Werkzeugen zu erniedrigen, die das innerste Heiligthum der Familien ihm verriethen und sofort zur schwärzesten Undankbarkeit gegen ihre Herrschaft verleitet wurden. So weit brachte er's, daß man seiner Dienerschaft nicht mehr trauen konnte.
Ob Familien durch ihn unglücklich gemacht und an den Bettelstab gebracht wurden, kümmerte ihn nicht. So viel ist gewiß, daß ohne ihn hin und wieder mehr Böses geschehen sein würde, aber es in guter Absicht zu verhüten, war sein Wille nicht. –
Ein würdiger Spießgeselle des Würtz, war Savagner, General-Secretair der hohen Polizei in Cassel, früher General-Commissair in Halberstadt. Ehemals stand er in Straßburg bei einem Gerichtshofe als Secretair, wurde aber seines unordentlichen Lebens halber weggejagt und fand sein gutes Auskommen in Cassel. Bercagny hob ihn aus dem Staube empor und verlieh ihm die Gewalt, Schaden zu thun. Sein treuester Freund war Würtz, wenn es unter Buben Freundschaft geben kann. Gutes weiß man von ihm nicht, aber durch Schandthaten aller Art hat er sich unter uns ein bleibendes Gedächtniß gestiftet. Auch er wurde cassirt, aber wieder zurückgerufen.
Nun noch eine Geschichte von dem Polizei-Inspektor Darlin, einem Franzosen, und damit sei das Gemälde der Polizeibuben geendigt. Ich theile diese Anekdote so abschriftlich mit, als sie eben vor mir aufgeschlagen daliegt.
In Cassel lebten von den Interessen eines kleinen Kapitals Mutter und Tochter in großer Eingezogenheit. Ihr Ruf war unbescholten. Wodurch sie sich in das nachtheilige Licht gesetzt hatten, daß sie den Franzosen abhold wären, weiß ich nicht. Wegen ihrer großen Eingezogenheit konnte man ihnen nichts anhaben. Ein Frevling von der Polizei sieht die Tochter auf einem Spaziergange mit der Mutter; sie gefällt ihm, und er entwirft den Plan zum Sturz ihrer Unschuld. Eines Tages erscheint ein Polizeidiener bei der Tochter und ladet sie in einem befehlenden Tone ein, sich sogleich vor Darlin zu stellen. Mutter und Tochter, die sich nichts Böses bewußt sind, erschrecken anfangs, fassen bald Muth, und das Mädchen geht zum Inspektor hin. Sehr artig wird sie von Darlin empfangen, er nöthigt sie zum Sitzen, fragt nach ihren Familienverhältnissen und macht ihr am Ende den Antrag, sich in die Zahl der feilen Personen aufnehmen zu lassen, die vom Staate berechtigt sind, mit dem männlichen Geschlechte einen verbotenen Umgang zu unterhalten. Diese Sprache befremdet sie sehr, sie bittet um eine nähere Erklärung und hört mit Erstaunen, wie sehr sie erniedrigt werden soll.
Sie springt, vor Entsetzen außer sich, auf, eilt zitternd zu einem ihrer nächsten Verwandten, stürzt im Zimmer auf einen Stuhl nieder und kann vor Weinen nicht reden. Man ruft die Mutter herbei, und die Tochter fängt an, die Ursache ihres heftigsten Schmerzes derselben mitzutheilen. Wegen des Riesenkampfes mit der Polizei wird der gute Rath theuer; endlich entschließt sich die Mutter, zu Darlin zu gehen; sie beschwert sich, zerfließt in Thränen, betheuert die Unschuld ihrer Tochter und fordert Genugthuung. Darlin nennt einen anderen Polizeibuben, den Kautz, von welchem er den Auftrag erhalten hätte, ihre Tochter rufen zu lassen und ihr das Bewußte zu eröffnen.
Es vergehen einige Tage über den nagenden Kummer dieser Beschimpfung, und siehe da, die Tochter wird zu Kautz vorgefordert. Statt ihrer erscheint die Mutter, wird heftig und zwingt ihm endlich die Erklärung ab, man habe ihre Tochter spät auf der Straße und in Gesellschaft einer Mannsperson gesehen. Die Mutter, bisher selbst die unzertrennliche Wächterin ihrer Tochter, will den Kautz aus Furcht vor der Polizei nicht Lügen strafen, verlangt aber Confrontation mit dem Denunzianten und drohet widrigenfalls mit der Justiz. – Zum dritten Male wird die Tochter gerufen, und zwar unter Drohung der Strafe, wenn sie nicht erschiene. Sie erscheint, von ihrer Mutter begleitet, und welch eine herzerschütternde Ueberraschung! Sie finden, dem Kautz zur Seite, den Denunzianten, welcher mit frecher Stirne gegen die Tochter zeugt. Er war der unwürdige Sohn eines sonst braven Cassel'schen Bürgers.
Alle Betheuerungen, alle Schwüre, Thränen und Beziehungen auf glaubhaftere Zeugen gleiteten fruchtlos an dem Herzen des Kautz und seines verworfenen Miethlings ab. Kautz triumphirte mit einem Hohngelächter der Hölle über die Leichtgläubigkeit und das blinde Zutrauen der Mutter und entläßt sie für heute mit der Erwartung eines näheren Bescheides.
Unterdessen will einer der angesehensten Verwandten dieser trostlosen Familie in's Mittel treten: er wendet sich schriftlich an den Justizminister und bittet um Genugthuung für den ihm und seiner Familie angethanen Schimpf. Aber auch jetzt hören die Nachstellungen nicht auf. Eine niedrige Frau, Madame Kroschke, weiß sich mit einem Billet von Schalch einzuschleichen; Mutter und Tochter protestiren feierlich gegen die Annahme desselben, die Ueberbringerin nimmt ihre Zuflucht zum Bitten und zur Versicherung, daß dieses Briefchen eines sehr erfreulichen Inhalts wäre. Umsonst! Madame Kroschke wird mit dem Billet abgewiesen. Das lange Stillschweigen des Justizministers läßt die unglückliche Familie das Schlimmste fürchten, Mutter und Tochter verzehren sich augenscheinlich in dem bittersten Gefühl der Schande und des Kummers. Die Folge davon war ein langwieriges, schleichendes Nervenfieber, an welchem die Mutter litt, und das Hinwelken der Tochter.
Endlich kommt ein Schreiben des Ministers auf die Vorstellung ihres Verwandten, und die ganze Genugthuung bestand in einigen Worten der Empfindlichkeit über den unangenehmen Vorfall und der Versicherung, daß die Thäter würden zur Verantwortung gezogen werden. Uebrigens, so hieß es, gebe man den beiden Damen den wohlgemeinten Rath, die Sache mit Stillschweigen zu übergehen und gänzlich zu unterdrücken.
Darlin stürzte sich selbst durch mehrere Schandthaten und wurde nach Frankreich verwiesen.
Die wichtigsten Ereignisse hatten bereits für Deutschlands Errettung entschieden, als wir hier noch in finsterer Unwissenheit hinbrüteten. Jeder Strahl einer sicheren Kunde, wie die Lage der Dinge eigentlich war, erlosch unter der Wachsamkeit der Polizei, ehe er zu unserer Hauptstadt drang. Ließ sich auch hier und da ein Wort verlauten, welches unseren Hoffnungen und Wünschen zusprach, es ging in dem Strome lügenhafter Uebertreibungen unter, welche Siege die französischen Waffen über die Alliirten errungen hätten. Briefe, welche dunkele, tröstende Andeutungen erhielten, kamen nicht weit über unsere Grenze und fanden in den von Polizeiagenten belagerten Posthäusern ihr Grab. Die der Correspondenz anvertrauten Geheimnisse wurden gar nicht mehr respektirt.
Die Augen waren insbesondere auf Jerôme, wie auf einen politischen Wetterbarometer, gerichtet. Wenn man es auch nur zu gut wußte, wie ihn sein Herr Bruder als untauglich von dem Kriegsschauplatze hinweggewiesen, so glaubte man doch, daß er Nachricht erhalten werde, wenn ihm die Stunde zur Flucht geschlagen hätte. So lange der König' also blieb, dachte man an keine Gefahr. Die Anhänger der französischen Partei waren über sein Harren in dem Grade erfreut, als sich die Gegner darüber betrübten, die ihn weit in die Welt, noch über Baltimore hinaus wünschten. Es ging bei Hofe noch immer lustig genug her, weil man sich auf Napoleon's Genie verließ. Vielleicht suchte man auch durch laute Lustbarkeiten dem Volke den innern Gram zu verbergen, oder Herr Jerôme lebte wie jene Betrogenen, denen der jüngste Tag auf Treue und Glauben verkündigt war, herrlich und in Freuden und tanzte, mit französischem Leichtsinn auf dem Schauplatz seines nahen Untergangs.
Endlich aber konnte man die wahre Lage der Dinge nicht mehr verheimlichen, indem man mit den besten königlichen Effekten mehrere Wagen befrachtete, welche fortgeschickt wurden. Auch sammelte man mehrere Kunstwerke von Werth, die Kostbarkeiten des Museums, die schönsten Statuen des Marmorbades, um sie im Falle der Noth desto schneller fortschaffen zu können. Das aufmerksam gewordene Publikum erhielt, da man sich die Sache nicht erklären zu können, listig und klug genug vorgab, die beruhigende Antwort, an die man aber nur in den gemeinsten Bierhäusern noch glaubte, es geschehe dies Alles zur Verschönerung eines neuen Thronsaales.
Wozu ihm auch ein neuer Thronsaal, dem Jerôme, der in dem alten eine Null war? Einen anderen Thronsaal hatte ihm das Schicksal, um den Mißbrauch seiner Gewalt zu rächen, bereits angeordnet, und wer weiß, in welchem Handlungs-Comtoir er ihn dereinst noch gefunden haben mag!
Es war den 29. September, als sich plötzlich die sichere Nachricht in der ganzen Stadt verbreitete, es seien Kosaken vor dem Leipziger Thore. Man hätte das freudige Getöse, das Lärmen in der Stadt hören sollen. Kraus und bunt lief unser Militair zusammen und schien in der Angst des Herzens unschlüssig zu sein, ob es dem Feinde entgegenrücken oder dem drohenden Ungewitter entfliehen solle. Am lächerlichsten machte sich das Hofschranzenheer. Man hätte die blassen Gesichter sehen, die Armen, welche die Furcht außer Athem setzte, betrachten sollen, um sich von der Wahrheit zu überzeugen, daß nur der Schuldige vor der Ankunft seiner Richter erschrickt.
Daß die Nachricht von der Nähe des Feindes nicht erlogen war, bewies der Donner der Kanonen und das Schießen mit dem kleinen Gewehr. Eine Anzahl von Gensd'armen, welche ihre unwissende Keckheit zu weit vorgetrieben hatte, mußte dafür mit Gefangenschaft büßen. Sie fielen den Kosaken in die Hände, die mit den geputzten Herren nicht gar säuberlich umgingen. Eine Batterie von sechs Kanonen, die man in ruhiger Sorglosigkeit vor den Thoren unbeschützt hatte stehen lassen, fiel den Russen in die Hände.
Das in der Stadt befindliche Militair, dem das Herz gebrochen war, kam auf dem Platze vor dem Schlosse langsamen Schrittes zusammen. Bongars, der dem Jerôme sonst jede Neuigkeit hinterbrachte, die auf seine Person Beziehung hatte, wußte von den Kosaken nichts und konnte seinen Herrn vor den unfreundlichen Gästen nicht einmal warnen. Er wurde deshalb von dem Könige sehr übel empfangen, und man hat mich versichert, daß der ohnmächtige Scepterträger, in Wuth, stark genug gewesen sei, Herrn Bongars mit eigener Hand den Buckel auszubläuen. Ein Gensd'arme hinterbrachte dem Könige die Trauerpost zuerst. Jerôme zeigte sich zu Pferde in hoher Person dem Volke und, wie es schien, mit großer Seelenruhe. Vielleicht machte er sich aus dem Verluste seines Königreichs nicht viel, da ihn die Hoffnung damals noch trösten konnte, als französischer Prinz besser und in Paris noch üppiger leben zu können. Er ritt durch die Reihen seiner windigen Armee und ermunterte die, welche seine Sprache verstanden, zum Heldenmuthe gegen die Feinde. Wie um einen Schutzgott, der leider aber selbst auf schwachen Füßen stand, drängten sich um ihn die geängstigten Minister, Generäle und die Offiziere des Generalstabes u. s. w. Er sah die Leidenden an und vermochte es nicht, sie zu trösten. Er stieg vom Pferde, ging in das alte Schloß, seine Umgebungen folgten ihm, es wurde ein Kriegsrath gehalten, dessen Nichtigkeit das Fortdonnern der Kanonen den Ohren demonstrirte. Der französische Gesandte, ein Sicherheits-Commissarius, suchte das Weite und rieth, da er dem deutschen Gesindel nicht traute, den König durch französische Soldaten gegen alle Unannehmlichkeiten, die sich ereignen konnten, sicher zu stellen. Um dem Einmarsche der Feinde ein Hinderniß in den Weg zu legen, wurde die über die Fulda führende Brücke theils mit Wagen, theils mit Militair besetzt. Aus dem Frankfurter Thore rollten die Kanonen hinaus, und mit möglichster Hast sprengte Jerôme unter Kavalleriebedeckung davon. So waren wir denn wiederum verwaiste Kinder und hatten den gewissenlosen Rabenvater verloren.
Die Kosaken hatten das Leipziger Thor gesprengt. Sie nahmen mit Sturm das Kastell weg und setzten sogleich die Staatsgefangenen und eingesperrten Soldaten, etwa 130 Personen an der Zahl, auf freien Fuß. Diese Handlung war das Signal der Freiheit, die wir überhaupt von den Russen erwarteten, da unser Reich an sich schon viel Aehnlichkeit mit einem Gefängnisse für uns hatte, von dem Bongars oberster Gewaltiger war. Unschuldige, die in diesem Gemäuer schmachteten, erblickten das Sonnenlicht wieder. In einige Häuser fielen Kanonenkugeln, und ein Gärtnerbursche verlor durch eine solche auf dem Friedrichsplatze sogar sein Leben. Nach einigen unbedeutenden Neckereien verschwand der Feind wieder aus unseren Augen.
Es hieß, der König werde wiederkehren. Unter der Anführung des Generals Jandt erschien ein kleines Corps Kavallerie in der Stadt, das eben errichtete siebente Linien-Regiment, welches in einem Schreiben an den König vom 20. September den einfältigen und undeutschen Wunsch äußerte: »Es möchte sich bald die Gelegenheit finden, Sr. Majestät zu beweisen, daß es noch treue Unterthanen gäbe, welche die Ehre des westphälischen Namens unbefleckt zu erhalten wüßten.« War dies Schmeichelei, oder meinte man es wirklich so? Auf dem Wege nach Cassel, so viel man weiß, war für diesmal bereits die Hälfte des Regiments davongelaufen. Die Gemeinen waren die, welche ihren patriotischen Sinn am deutlichsten aussprachen. Das Militair in Cassel mußte die Nacht hindurch auf dem Friedrichsplatze bivouakiren.
Der preiswürdige General Allix ließ Tages darauf der Bürgerschaft folgendes Schreiben bekannt machen:
»Einige hundert Kosaken erschienen vor der Stadt, wurden aber dergestalt empfangen, daß ihnen die Lust vergehen mußte, wiederzukommen. Nach beträchtlichem Verluste flüchteten sie sich durch die Wälder.
Die Ruhe dieser Stadt (die Franzosen sind hiervon ausgenommen) ist keinen Augenblick unterbrochen worden, und die Einwohner, so wie die Truppen haben sich vollkommen gut betragen.«
Am 30. September, Nachmittags um 1 Uhr, bemerkte man es deutlich, daß ein beträchtlicheres feindliches Corps sich der Stadt nähere. Unsere Angst und Besorgnisse stiegen immer höher. Man bat den General Allix mündlich und schriftlich, die Stadt nicht unglücklich zu machen und sich der Uebergewalt nicht zu widersetzen. Er erklärte dagegen: »Ich habe Befehl, Cassel bis auf den letzten Mann zu vertheidigen, und ich werde Wort halten.«
Der Feind rückte näher und beschoß aus acht Kanonen die Stadt. Junge Leute durchzogen in Haufen die Straßen und sagten, sie würden dem Feinde selbst die Thore öffnen. Es fielen Schlägereien mit dem Militair vor. Es erschien ein Parlamentair, der mit unendlichem Jubel begrüßt und empfangen wurde. Seine Erscheinung war Aufmunterung zur allgemeinen Freude. Man wußte es, daß es die russischen Offiziere übel genommen hatten, daß sie, als sie vor etlichen Tagen vor der Stadt waren, von den Casselern nicht kräftigeren Beistand erhielten, und geschworen, sie dafür zu züchtigen. Aber bedachten sie denn nicht, daß wir uns dadurch höchst unglücklich gemacht hätten, wenn sie uns nicht gegen die französische Despotie und den Bongars auf immer sicher zu stellen vermochten? Der Präfekt ritt mit einigen Offizieren von den russischen Truppen vor das Leipziger Thor. Nach einer Weile, als es in den Straßen schon dunkel wurde, erschienen einige Detachements Kosaken, welche ihren Kameraden zum Bivouak vor der Stadt Lebensmittel zuführten. Unsere Freude war allgemein. Wir glaubten, die Sklavenfessel sei nun gesprengt. Schaaren trugen nun den Russen Lebensmittel zu; die Vorsichtigen, welche der Beständigkeit des Wetters noch nicht trauten, hielten sich in ihren Wohnungen.
Es rottete sich spät in der Nacht ein Haufen junger Leute zusammen, der sein Müthchen an einer Statue Napoleon's kühlen wollte. Sie sollte heruntergerissen und zerschlagen werden. Ein russischer Offizier suchte das Bild des Tyrannen gegen Zerstörung zu sichern. Aber das konnte er nicht verhüten, daß das Marmorbild den rechten Arm und die Nase verlor.
Am 1. Oktober hielt ein Corps von 3000 Kavalleristen unter Anführung des Generals Czernitscheff in Cassel seinen Einzug. Es bestand aus Kosaken, Dragonern, Husaren und einigen Artilleristen.
Nun erst erfuhren wir, wie die Lage der Dinge eigentlich stand. Der russische Kommandant Raschanowitsch machte bekannt:
»Die Waffen der siegreichen verbündeten Armee hat der Allerhöchste gesegnet, und durch seine Hülfe hoffen wir, bald ganz Deutschland zu befreien u. s. w.«
Am anderen Morgen erschien die Bekanntmachung von Czernitscheff:
»Das Königreich Westphalen hat von heute an aufgehört, jedoch nicht, um es als erobertes Land zu behandeln, sondern um es von der französischen Herrschaft zu befreien. Deutschland von fremdem Joche zu erlösen und der Welt den Frieden zu schenken, rief der Kaiser Alexander seine Völker zu den Waffen, und nicht eher wird Er gebieten, dieselben niederzulegen, bis dies herrliche Ziel erreicht ist.
Der Höchste segnete sichtbar dies Unternehmen. Schon hat der Feind seit wenigen Wochen 300 Kanonen und 100,000 Gefangene verloren. Baiern, Württemberg sind von ihm abgefallen und der größte Theil von Deutschland steht bereits gegen ihn unter Waffen.
Wer unter Euch sich diesem großen Bunde anschließen will und dadurch Beweise geben, daß er des Namens eines Deutschen nicht unwürdig sei, wird von uns mit Freuden aufgenommen werden u. s. w. Ich fürchte nicht, daß Einer von Euch ferner einer Regierung anhängen werde, welche im Augenblick der Gefahr Euch kleinmüthig verließ etc.«
Nach abgeschlossener Kapitulation war Herr Allix mit dem größten Theile der Besatzung abmarschirt.
Leider sprach man von einem baldigen Abmarsch des russischen Corps. Den 3. Oktober wurde den Russen, was diese traurige Vermuthung noch mehr bestätigte, die Montirungskammer preisgegeben. Sie hielten eine Auktion, worin man für einen Thaler zwanzig Ellen Tuch kaufen konnte.
Der Präfekt des Fuldadepartements, der Maire der Residenz und der Postdirektor wurden unter russischer Bedeckung von Cassel entfernt. Ihnen folgte ein Zug königlicher Equipagen, Wagen mit Geld, sechs zahme Hirsche, welche für den König eingefahren waren. Man mußte jetzt an den Abzug der Russen glauben. Nachmittags verließ uns der General Czernitscheff wirklich mit den Truppen.
Welch ein Schrecken! Den 7. Oktober hieß es: die Franzosen sind vor dem Frankfurter Thore. In kurzer Zeit waren an 400 Mann Kavallerie in der Stadt. Wie freuten sich die Französischgesinnten, und wie betrübten sich die Deutschen! Es hieß, Allix werde mit 10,000 Mann und 30 Kanonen einrücken. Die Buben gewannen wieder die Ueberhand, und die Polizeidiener fingen an, von Neuem ihr schändliches Wesen zu treiben. Die Wachen wurden mit Franzosen besetzt. Am Abend war sogar Schauspiel.
Mehrere Bürger wurden gefänglich eingezogen, auch Bauern, die sich an ihren Maires versündigt hatten. Man ernannte eine Kommission, die Schuldigen zu richten.
Man erwartete den König zurück. Es mußte illuminirt werden. Zugleich wurde befohlen, daß aus jedem Haufe ein Mann vor das Frankfurter Thor gehen sollte, um dem einziehenden Jerôme ein Vivat zuzuschreien. Der Herr kam erst am folgenden Tage mit einer Abtheilung französischer Truppen, und Kanonenschüsse kündigten seine Nähe an. Es wurde, aber Gott weiß mit welchem Herzen, illuminirt.
Am 17. war große Cour, und der König erklärte am Ziele seiner erhabenen Laufbahn: es wäre ihm ziemlich gleichgültig, ob er König von Westphalen sei, oder nicht; er sei als französischer Prinz mehr und wäre nur zurückgekehrt, um den Bürgern wieder Ruhe und Ordnung zu sichern. Indeß schien er nur wiedergekommen zu sein, um mit seinen Landsleuten den Raub erst sicher nach Frankreich zu schaffen. Die Straßen waren von Frachtwagen bedeckt.
Es wurden falsche Gerüchte von Siegen, die Napoleon errungen habe, verbreitet. Graf Bertrand, Befehlshaber des vierten Armee-Corps, schrieb: »Wir haben den Feind auf allen Punkten geschlagen. Der Kaiser befindet sich wohl.« Indessen dauerte das Einpacken fort, und man sprach von der abermaligen Abreise des Königs. Das Militair zog ab.
Vor Allen klagten die Concubinen über ihren Abschied von Cassel. Der König hatte ihnen das Trostwort gesagt: er werde ihnen vier Tage vorher sagen, wenn er gehe. Indessen konnte keine Gewalt das Gerücht mehr unterdrücken, daß Napoleon bei Leipzig total geschlagen wäre. Am 26. machte sich Jerôme aus dem Staube, und alle guten Casseler vereinigten sich in dem Wunsche, ihn nie wiederzusehen. Es war nun nicht mehr zweifelhaft, daß die gute Sache der Alliirten gesiegt hatte. Gegen Abend erschien folgende Bekanntmachung:
»Seine Majestät der König finden sich durch den Drang der Zeitumstände veranlaßt, sich von Ihren Staaten zu entfernen etc.
Cassel, den 26. Oktober 1813.
Graf v. Wolfradt.
Graf v. Marienrode.«
Es ist mir ein Brief von Jerôme zu Gesicht gekommen, den er an den König von Neapel schrieb, welchen ich mittheile:
» Mein lieber Bruder!
Ich erfahre, daß Du heute nach Vach kommst; es beunruhigt mich nicht wenig. Seit einem Monat bin ich in einer schrecklichen Lage. Sage mir, wie die Sachen stehen und ob ich mich zurückziehen muß; ich habe etwa 4- bis 5000 Conscribirte bei mir. Wie befindet sich der Kaiser? Laß mich nicht auf Antwort warten. Du kannst Dir meine Besorgnisse leicht vorstellen. Ich umarme Dich, so wie ich Dich liebe.
Cassel, den 25. Oktober 1813, 2 Uhr Nachmittags.
Dein treuer Bruder
Hieronymus.«
Damit dieser Klagebrief nicht mehr Theilnahme erwecke, als er verdient, wird es genügen, folgende Züge auszuheben. Seit dem letzten Frühjahr hatte man mehrere Personen im Königreich Westphalen wegen unbedeutender Aeußerungen erschießen lassen. Bei der ersten Einnahme von Cassel war die Citadelle mit Staatsgefangenen, d. h. mit rechtlichen Männern und Freunden ihres Vaterlandes, angefüllt, die sämmtlich die großmüthige Sorgfalt des Generals Czernitscheff befreite. In den vierzehn Tagen seines letzten Aufenthaltes bevölkerte der König von Neuem das Staatsgefängniß durch eine große Menge von Verhaftungen, doch hatte man nicht Zeit, diesen Gefangenen den Prozeß zu machen, und der General-Inspektor der Gensd'armerie, Bongars, entließ sie bei der Annäherung der Verbündeten. Bei seiner zweiten Abreise von Cassel ließ der König Hieronymus von den Schlössern zu Cassel und Braunschweig nur die Mauern stehen und nahm das ganze Ameublissement, was das Land geliefert und der feindliche General verschont hatte, mit sich fort. Alle deutschen Truppen hatten den gewesenen König verlassen, indeß erboten sich 40 Kürassiere des westphälischen Garde du Corps, aus einem Uebermaaß militairischen Ehrgefühls, ihn bis an den Rhein zu escortiren. König Hieronymus entließ sie bei seiner Ankunft zu Köln, nicht allein ohne Abschied von ihnen zu nehmen und ohne irgend eine Belohnung, sondern nahm ihnen auch ihre Uniformen, Waffen und Pferde, so daß diese braven Leute, die sämmtlich von guter Herkunft waren und ihr Vermögen im Dienste zugesetzt hatten, nackt und arm zu ihren Familien zurückkehrten.
Druck von Th. Haberlandt in Berlin.