Der Roman eines Konträrsexuellen
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II. Kindheit – Erste Verirrungen

Mit fünf Jahren wurde ich zur Schule geschickt, blieb dort aber nur einige Wochen, da unser Hausarzt bemerkte, daß ich blaß und kränklich wurde, wenn ich zu lange auf der Schulbank saß. Als ich sieben Jahre alt war, zogen wir um und wohnten von da an in Florenz. Die Geschäfte meines Vaters gingen hervorragend, und wir besaßen eine herrliche Kutsche, Lakaien und ein schönes Haus, wo mein Vater alles versammelte, was man sich an Schönem und Elegantem nur vorstellen kann. Für mich wurde damals eine Lehrerin eingestellt, und ich empfand bald eine äußerst lebhafte und überschwengliche Freundschaft für diese Frau, die sehr vornehm war und mich sehr liebte. Ich schätzte sie weit mehr als meine Mutter, die deswegen sehr eifersüchtig war. Sie versuchte mit allen Mitteln, mich von der Lehrerin zu trennen, hatte damit aber keinen Erfolg. Mit meinen sieben Jahren war ich als Junge so charmant, wie ich als Kind schön gewesen war. Meine Intelligenz setzte alle, die mit mir zu tun hatten, in Erstaunen. Ich war voller Bewunderung für alles, was schön und prächtig war, und entwickelte eine wahre Leidenschaft für all die schönen Frauen und Königinnen, deren Geschichten ich mit meiner Lehrerin las.

Heftig bewunderte ich die Französische Revolution, und als ich eines Tages eine Kurzfassung der »Geschichte der Girondisten« von Lamartine fand, verschlang ich sie innerhalb weniger Stunden. Nachts träumte ich davon, und ich wollte gar nicht aufhören, über diese großartige Epoche in der Geschichte Frankreichs zu reden. Marie Antoinette, Elisabeth, die Prinzessin Lamballe waren meine großen Leidenschaften. Die Helden und Heldinnen aus dem Volke liebte ich weniger, hegte ich doch stets eine grenzenlose Bewunderung für die Heroinen und die unglücklichen Frauen in Pelz und Hermelin.

Im Unterricht machte ich rasche Fortschritte und setzte selbst meine Lehrer in Erstaunen, wie schnell ich Dinge begriff und lernte.

Ich war damals übrigens noch völlig unschuldig und merkte überhaupt nichts. Mit meiner Gouvernante besuchte ich oft Museen und begeisterte mich trotz meiner Jugend für die Kunstwerke, zu denen ich mich sehr hingezogen fühlte. Der Anblick eines großen Kunstwerks bewegte mich heftig, und die mythologischen Geschichten, die man mir vor den großen Kunstwerken beibrachte, erfüllten mich mit großer Leidenschaft. Ich träumte nur noch von Heroen, Göttern und Göttinnen. Besonders großen Eindruck machte auf mich der Trojanische Krieg, dabei galten aber meine Gedanken und meine ganze Begeisterung mehr den Helden als den Heldinnen – eine seltsame Sache, die mir erst sehr viel später bewußt wurde.

Ich bewunderte Helena, Venus und Andromache sehr, aber meine große Liebe und meine große Verehrung galten Hektor, Achill und Paris – vor allem dem ersteren. Ich begeisterte mich richtig für ihn und gefiel mir darin, mir vorzustellen, ich sei Andromache, um so den Helden in seinem eisernen Panzer in meinen Armen halten zu können. Und stundenlang mußte ich an seine athletische Gestalt, die schönen nackten Arme und den hohen Helm denken. Ich erinnere mich noch gut an die süßen Empfindungen während dieser Stunden in den langen Fluren der Museen, wo ich so viele schöne Heroen und nackte Götter sah, die ich in meiner Phantasie lebendig werden ließ. Viele Stunden war ich in Gedanken versunken über das Glück dieser marmornen Welt, die so vollendet und so jenseits aller Wirklichkeit war, und ich konnte mir meine Gefühle gar nicht recht erklären.

Ich liebte schon damals die Einsamkeit, die Spiele der anderen Jungen erschreckten mich. Meine Brüder waren schon zu groß, um sich mit mir zu befassen, auch waren sie nur sehr selten zu Hause. Ich empfand nur wenig Sympathie für sie. Mein ältester Bruder war sehr schön, die beiden anderen weniger, vor allem der dritte, der mit seinen kurzen Beinen und langen Armen ganz nach der Familie meiner Mutter geraten ist – einer Familie, die, Gott sei Dank, weit von uns entfernt wohnt und die ich überhaupt nicht mag.

Meine Brüder sind alle gut verheiratet, haben ihre Familie und sind sehr glücklich, vor allem die beiden ältesten. Ich bin allein im väterlichen Haus zurückgeblieben, was ich kaum bedaure.

Ich setzte meine Studien fort, aber auf sehr unregelmäßige Art und Weise. Ich lernte mehrere Sprachen und verschlang alle literarischen Werke, und dabei begeisterte ich mich besonders für alles, was schön und vor allem poetisch war. Die Dichtung hatte einen großen Einfluß auf mich; der Rhythmus der Verse verursachte mir wahre Schauer, und ich lernte lange Monologe und ganze Szenen meiner Lieblingstragödien auswendig. Auch die Musik gefiel mir außerordentlich. Schöne Verse und schöne Musik entzückten mich gleichermaßen. Ich lebte wahrhaftig in einer idealen Welt, wie sie ein Kind von zehn Jahren wohl noch nie erträumt hat. Ich begeisterte mich stets für die schönen Heldinnen aus Geschichte und Dichtung und liebte sie wie Freundinnen, denn eine Frau war für mich ein besonderes, zauberhaftes Wesen, so weit von der Wirklichkeit entfernt, daß ich sie fast zur Gottheit werden ließ.

Die größte Inbrunst brachte ich damals der Jungfrau Maria entgegen, die für mich der Inbegriff aller Frauen war. Es verlockte mich, an ihrer göttlichen Natur teilzuhaben, und mehrere Monate hindurch übte ich mich in einer übertriebenen Verehrung, die umso ungewöhnlicher war, als bei uns zu Hause alle religiösen Praktiken abgeschafft waren und sich niemand darum kümmerte. Meine Mutter hatte von ihrer früheren Religion nur den Haß auf alle Kirchen und allen religiösen Pomp behalten, und es war gerade dieser Pomp, der mich entzückte.

Damals änderte sich mein Geschmack. Statt an Helena, den Göttinnen und Heroen fand ich jetzt Gefallen an der Gemeinschaft der Heiligen, Jungfrauen und Märtyrer. Die Wände meines Zimmers waren mit kleinen Bildern von Heiligen und Engeln geschmückt, vor denen ich fast zu jeder Stunde meine Gebete verrichtete. Mitten in den Unterrichtsstunden bat ich darum, wegen eines dringenden Bedürfnisses hinausgehen zu dürfen, und lief dann in mein Zimmer, um vor der liebreichen Madonna zu beten, die für mich wie eine Schwester, wie eine Freundin war.

Die Phase der Verehrung dauerte nur kurze Zeit und hörte ganz plötzlich auf – ich weiß nicht warum. Ich gebe immer einem kleinen Bild der heiligen Maria Maddalena de' Pazzi die Schuld, das das Kammermädchen meiner Mutter besaß und das ich so schrecklich fand, daß ich vor diesem ›kleinen Monster‹ nicht ernst bleiben konnte. So hörte also meine Bewunderung für die Jungfrauen und Heiligen auf und ich kehrte zurück zur reinen Mythologie. Ich wurde fast zu einem Götzenanbeter, kaufte mir eine kleine Venus-Statue, um vor ihr Weihrauch zu verbrennen und ihr jeden Morgen einen Blumenstrauß zu bringen.

Nach einiger Zeit spürte ich, wie sich in mir ein neues Leben regte. Ich wurde ganz unruhig, meine Phantasie zeigte mir die schönsten Bilder und hielt mich nächtelang wach. Ich las alles, was mir in die Hände fiel, und verschlang die großen Romane aus der Bibliothek meines Vaters. Das neue Lebensgefühl entflammte mich aufs schönste, und ich war so begeistert und erregt, daß sich alle um mich herum verwunderten. Ich redete ständig drauf los, ohne zu überlegen, und fiel in diesem Aufruhr frühreifer Jugend ohne erkennbaren Grund von den kühnsten Gedanken und der allergrößten Begeisterung in große Traurigkeit und Niedergeschlagenheit. Ich weinte oft, wenn ich allein war, und flüchtete mich, um Trost zu finden, in eine imaginäre Welt.

Meine Leidenschaft für schleppende Roben dauerte an, und wenn ich allein war, stellte ich mir meine Mutter vor und schritt dann einher, wobei ich hinter mir Bettücher oder alte Schultertücher herzog, die in langen Falten von mir herabfielen und deren Rauschen mich vor Freude erzittern ließ. Ich hatte stets den Wunsch, mich in lange Schleier zu kleiden, und diese Leidenschaft, die mich auch nach meiner Kindheit nicht ganz verlassen hatte, erfaßte mich wieder aufs schönste.

Als eines Tages eine Freundin meiner Mutter im Scherz zu mir sagte, daß man bei mir die ersten Barthaare sprießen sehen könnte, hätte ich sie fast erwürgt, so sehr empfand ich diese Unterstellung als Beleidigung und so sehr schmerzte mich diese Neuigkeit. Ich lief schnell zu einem Spiegel und war sehr froh, daß meine rosige Oberlippe noch ohne diesen fürchterlichen Flaum war, der mir solchen Schrecken einjagte.

Mit aller Phantasie und allem Schönheitssinn, über den ich verfügte, gefiel ich mir darin, mich in eine Frau zu verwandeln, und die Abenteuer, die ich im Geiste durchlebte, ließen mich vor Vergnügen erzittern.

Mit dreizehn Jahren war ich immer noch völlig unschuldig, hatte ich keine Vorstellung von der Vereinigung der Geschlechter und von den Unterschieden, die zwischen ihnen bestehen. Das mag bei einem Kind, das sonst für sein Alter so weit entwickelt war, erstaunen, aber es war wirklich so. Ich lebte zu sehr im Gefühl und in der Phantasie, zielte zu sehr auf alles Ideale, um die Dinge um mich herum wahrzunehmen.

Ein Hausbursche von 15 Jahren hat schließlich meiner Unschuld ein Ende gesetzt. Es geschah bei einem Aufenthalt in einem Badeort, wohin alle Bediensteten mit uns gekommen waren. Ich ging häufig in die Pferdeställe und redete und spielte dabei gern mit einem Jungen in meinem Alter, mit dem ich auch zuweilen im großen Garten herumrennen durfte. Durch diesen Burschen, der mir alles erzählte, was er wußte, wurde ich bald aufgeklärt. Als ich hörte, wie Kinder entstehen, war ich entsetzt und empfand einen großen Widerwillen gegen meine Eltern, die sich nicht geschämt hatten, mich auf diese abscheuliche Art zu zeugen.

Diese Gespräche machten mich sehr ärgerlich. Wenn ich auch mit Gaben des Geistes zum Glück sehr gut, vielleicht zu gut, ausgestattet war, körperlich war ich es weniger. Mit dreizehn Jahren war ich noch nicht zum Mann geworden.

Dieser junge Bursche hat sich mehrmals vor mir befleckt, und obwohl ich darauf brannte, es ihm gleichzutun, und erhitztes Blut durch meine Adern rann, gelang es mir nicht einmal, als ich wieder allein war.

Der Bursche wurde bald entlassen, und wenn ich seinen Unterricht auch nicht vergaß, so dachte ich doch nicht sehr oft daran. Was mich am meisten erstaunte, war, daß er immer davon sprach, mit nackten Frauen zusammenzuliegen und was er dann mit ihnen macht, denn ich spürte überhaupt kein Verlangen, dies mit einer Frau zu tun, sondern hätte es ganz natürlich empfunden, mit einem Manne zusammenzuliegen. Es erschien mir sehr unpassend, merkwürdig und unangebracht, mit einer Frau zu schlafen, der ich doch so sehr ähnelte, und außerdem hätte ich dazu nie den Mut gehabt.

Ein Mann schien mir viel schöner zu sein als eine Frau, ich bewunderte an ihm seine Stärke und seine feste Gestalt, die ich nicht besaß und die zu erlangen mir unmöglich schien. Ich stellte mir immer vor, eine Frau zu sein, und meine Wünsche waren die einer Frau.

Ich hatte einige Freunde und empfand für sie, ohne mir darüber Rechenschaft abzulegen, eine übertriebene Freundschaft. Ich beneidete sie, und wenn sie mir die Arme auf den Rücken bogen, zitterte ich am ganzen Körper. Ich war eifersüchtig auf sie, und meine größte Freude war es, ihnen irgendwelche Beweise meiner Anhänglichkeit zu liefern und ihnen kleine Opfer zu bringen. Ihre Gleichgültigkeit und ihre ungestüme Art, die sich von meiner unterschied, quälten mich, und ich hätte mir gewünscht, daß sie sich nur mit mir befaßt hätten.

Was mich jedoch am meisten anzog, waren reife Männer zwischen dreißig und vierzig. Ich bewunderte ihre schönen Schultern und ihre tiefe Stimme, die sich so deutlich von unseren kindlichen Stimmen unterschied. Ich war mir nicht im klaren, was ich empfand, aber ich hätte alles dafür gegeben, von ihnen in den Arm genommen zu werden und mich an sie schmiegen zu können.

Ganze Nächte träumte ich von diesen Dingen und gab ihnen so ein Stück Wirklichkeit. Ich wußte noch nicht, wie tief das schreckliche Übel, das ich, ohne es zu kennen und ohne es zu wollen, in mir nährte, einen Mann erniedrigen kann, ein Übel, das mich später so unglücklich machen sollte.

Ein Diener, den wir bald danach in unsere Dienste nahmen, zog meine ganze Aufmerksamkeit auf sich. Er hatte ein schönes Gesicht mit schwarzem Schnurrbart und Backenbart. Mit den kleinen Listen eines Jungen versuchte ich ihn dazu zu bringen, über unanständige Sachen zu reden, und er ging bereitwillig darauf ein. Ich liebte ihn sehr und wollte ihn immer an meiner Seite haben, wenn ich irgendwo hinging. Abends brachte er mich auf mein Zimmer in der zweiten Etage und blieb bei mir, bis ich fast eingeschlafen war. Ich brachte ihn dazu, von seinen Geliebten zu sprechen und von den schlimmen Orten, die er aufsuchte. Daran fand ich so großes Gefallen, daß ich danach noch stundenlang wachlag, erfüllt von einem Verlangen, dessen ich mir nicht recht bewußt war. Ich hätte es gerne gehabt, wenn er bei mir läge, wenn ich seinen hellen, glatten Körper spüren könnte. Ich hätte ihn gerne umarmt, hätte ihn gerne bei mir gehabt, um Lust zu empfangen und zu geben. Meine Wünsche reichten gar nicht weiter, und ich stellte mir auch nicht mehr vor.

Eines Abends, nach einem langen Gespräch über unser Lieblingsthema, bei dem ich ihn nach den unanständigsten Dingen gefragt hatte, ergriff mich plötzlich das Verlangen, ihn ganz kennenzulernen, und ohne Scham und wie zum Spaß *batMit * - * sind die vom französischen Herausgeber Dr. Laupts in der Buchausgabe 1896 ins Lateinische übersetzten Textpassagen gekennzeichnet. An dieser Stelle merkt er an: »Die Leser werden gewiß verstehen, daß ich bestimmte Passagen des Dokuments vom Französischen ins Lateinische übersetzt habe« (S.56) ich ihn, mir sein Glied zu zeigen, um mich zu überzeugen, daß es wirklich so groß und schön sei, wie er behauptete. Er wollte zuerst nicht, aber als ich versprach, daß ich keinem davon erzählen würde, öffnete er seine Hose und zeigte sich mir im Zustand der Erektion, die mein Reden verursacht hatte. Er kam zu meinem kleinen Bett, auf dem ich, keuchend vor Verlangen und Scham, lag. Ich hatte noch nie das Glied eines erwachsenen Mannes gesehen und war so erregt, daß ich kein Wort hervorbringen konnte. Getrieben von ich weiß nicht welcher Gewalt und welchem Verlangen in mir, ergriff ich das Glied mit meiner rechten Hand, und während ich es heftig rieb, flüsterte ich nur: »O wie schön ist es, wie schön!« Mich erfüllte ein wildes Verlangen, mit diesem Glied, das meine ganze Hand ausfüllte, etwas zu machen, und heftig wünschte ich mir, mein Körper sollte eine Öffnung haben, durch die ich das in mich aufnehmen könnte, was ich so heftig begehrte.*

Als er Lärm hörte, bedeckte sich der Diener sofort, zog sich zurück und ließ mich allein mit meinem brennenden Verlangen, das ich niemals zuvor gespürt hatte und von dem ich nicht geglaubt hätte, daß es so etwas gab. Im Innersten meines Herzens spürte ich schon damals eine Art Verzweiflung und die feste Überzeugung, daß ich nie würde genießen können, was ich so sehr ersehnte.

Am Abend wollte ich diese schrecklich-schöne Begegnung wieder aufleben lassen, aber der Mann fürchtete wohl irgendwelches Gerede und wollte mir nichts mehr zeigen. Ich war voller Wut.

Eines Abends wurde dieser Diener von meinem Vater hart getadelt und fast aus dem Hause getrieben: mein Vater hatte gemerkt, daß er fast jede Nacht eine seiner Geliebten in unser Haus ließ. Als ich davon erfuhr und begriff, daß es ganz in meiner Nähe einen Menschen gab, der sich an ihm, den ich so sehr begehrte, erfreute, weinte ich vor Wut und verwünschte den Himmel, weil ich nicht als Frau geboren war.

Bald danach verließ dieser Mann unser Haus, was mich nur noch wenig berührte. Ich war immer noch sehr jung, und die Eindrücke, so stark sie auch waren, waren nicht von großer Dauer.


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