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Geschichte der Liebe des Prinzen Kamaralsaman und der Prinzessin Badur.

»Herr, ungefähr zwanzig Tagereisen von der persischen Küste liegt in dem großen Meere eine Insel, welche die Insel Chaledan heißt. Die Insel ist in mehrere große Landschaften geteilt, die alle durch blühende und stark bevölkerte Städte sich auszeichnen und ein mächtiges Königreich bilden. Hier herrschte einst ein König namens Schachsaman, der vier Frauen, sämtlich Königstöchter, in rechtmäßiger Ehe und sechzig Beischläferinnen hatte.

Schachsaman schätzte sich für den glücklichsten Herrscher auf der ganzen Erde wegen der Ruhe und Wohlfahrt seines Reiches. Nur ein einziger Umstand trübte sein Glück, daß er nämlich schon hochbejahrt und noch kinderlos war, obwohl er eine so große Menge Weiber hatte. Er wußte nicht, wem er diese Unfruchtbarkeit beimessen sollte; und in seiner Betrübnis betrachtete er es als das größte Unglück, das ihm begegnen konnte, wenn er stürbe, ohne einen Erben von seinem Stamme zu hinterlassen.

Lange verleugnete er den heißen Schmerz, der ihn quälte, und er litt umsomehr, als er sich Gewalt antat, seinen Kummer nicht sehen zu lassen. Endlich brach er das Schweigen; und eines Tages, nachdem er sich gegen seinen Großwesir unter vier Augen über sein Unglück bitter beklagt hatte, fragte er ihn, ob er nicht ein Mittel wüßte, demselben abzuhelfen.

»Wenn das, was Euer Majestät mich fragt,« antwortete dieser weise Minister, »von den gewöhnlichen Vorschriften der menschlichen Weisheit abhinge, so würdet Ihr bald der Erfüllung Eures heißen Wunsches teilhaftig sein; aber ich bekenne, daß diese Frage über meine Erfahrung und Kenntnisse geht: in dergleichen Anliegen kann man allein zu Gott seine Zuflucht nehmen. Mitten in unserm Glücke, das uns oft seiner vergessen läßt, gefällt es ihm, uns an irgend einer Stelle zu kränken, damit wir wieder an ihn denken, seine Allmacht erkennen und von ihm bitten, was wir nur allein von ihm erwarten dürfen. Ihr habt Untertanen, die es sich besonders angelegen sein lassen, ihn zu verehren, ihm zu dienen und um seinetwillen ein strenges Leben zu führen: mein Rat wäre also, daß Euer Majestät ihnen Almosen austeilte und sie aufforderte, ihre Gebete mit den Eurigen zu vereinigen. Vielleicht wird unter der großen Menge einer rein und angenehm genug vor Gott erfunden, um die Erhörung Eurer Wünsche zu erlangen.«

Der König Schachsaman billigte diesen Rat sehr und dankte dem Großwesir dafür. Er ließ jeder Brüderschaft dieser gottgeweihten Leute reiche Almosen austeilen; er berief selbst die Vorsteher derselben, und nachdem er sie mit einem schlichten Mahle bewirtet hatte, erklärte er ihnen seine Absicht und bat sie, ihre frommen Brüder davon zu unterrichten.

Schachsaman erlangte von dem Himmel, was er begehrte; das zeigte sich bald an der Schwangerschaft einer von seinen Frauen, die ihm nach Verlauf von neun Monaten einen Sohn gab. Zum Danke dafür sandte er den Brüderschaften der frommen Muselmänner neue, seiner Größe und Macht würdige Almosen, und man feierte die Geburt des Prinzen nicht allein in der Hauptstadt, sondern auch im ganzen Umfange seines Reiches durch öffentliche Freudenfeste eine ganze Woche lang.

Man brachte ihm den Prinzen, sobald er geboren war, und er fand ihn so schön, daß er ihm den Namen Kamaralsaman (Mond oder Schönheit der Zeit) gab.

Und als der Knabe vier Jahre alt war, besaß er viel Anmut und Schönheit, daß ein Dichter folgende Verse auf ihn dichtete:

»Sobald man ihn sieht, spricht man: Gepriesen sei Gott, der ihn gestaltete und bildete!

Er ist aller, aller schönen Menschen Fürst, und alle müssen bekennen, daß sie seine Untertanen sind.«

Der Prinz Kamaralsaman wurde mit aller erdenklichen Sorgfalt erzogen; und sobald er das gehörige Alter erreicht hatte, gab der Sultan Schachsaman, sein Vater, ihm einen weisen Hofmeister und geschickte Lehrer. Diese durch ihre Fähigkeiten ausgezeichneten Männer fanden in ihm einen leichten, gelehrigen und für alle ihre Unterweisungen fähigen Geist sowohl in Betreff der Sitten als der Wissenschaften, die einem Prinzen geziemen. Im reiferen Alter erlernte er ebenso alle Leibesübungen, und er zeigte dabei so viel Anmut und so bewundernswürdige Geschicklichkeit, daß er alle Welt entzückte, und vor allem den Sultan, seinen Vater.

Als der Prinz das Alter von fünfzehn Jahren erreicht hatte, entwickelte sich seine Schönheit im höchsten Grade, so daß folgende Verse von ihm galten:

»Er war schlanken Wuchses, seine Haare waren so schwarz und seine Stirn so glänzend weiß, daß, je nachdem man diese oder jene betrachtete, man in die dunkle Nacht oder in den hellen Tag zu sehen glaubte.

Mißbilliget aber nicht das Mal auf seiner Wange: Ist denn das herrliche Anemonenblatt wegen seiner schwarzen Punkte minder schön?«

Der Sultan, der ihn zärtlich liebte, beschloß jetzt, ihm den höchsten Beweis davon zu geben, nämlich vom Throne zu steigen und ihn selber darauf zu setzen. Er sprach darüber mit seinem Großwesir und sagte zu ihm: »Ich fürchte, daß mein Sohn in der Müßigkeit der Jugend nicht allein alle Vorzüge einbüße, womit die Natur ihn überhäuft hat, sondern auch die, welche er durch die gute Erziehung, die ich ihm zu geben mich bemüht habe, sich erworben hat. Da ich jetzt in einem Alter bin, daß ich daran denken muß, mich zurückzuziehen, so bin ich fest entschlossen, ihm die Regierung zu übergeben, und möchte mich für meine übrigen Tage damit begnügen, ihn regieren zu sehen. Lange schon habe ich gearbeitet, und ich bedarf der Ruhe.«

Der Großwesir wollte dem Sultan nicht alle die Gründe vorstellen, welche ihn hätten bewegen können, von seinem Entschlusse abzustehen; im Gegenteile ging er auf seine Absicht ein und antwortete ihm: »Herr, der Prinz ist, wie mir scheint, noch zu jung, um ihn so früh mit einer so schweren Bürde zu beladen, als die Regierung eines mächtigen Staates ist. Euer Majestät fürchtet mit gutem Grunde, daß er durch die Müßigkeit sich schade: aber um dem vorzubeugen, sollte Euer Majestät es nicht geraten finden, ihn zuvor zu vermählen? Die Ehe fesselt und bewahrt einen jungen Prinzen vor Zerstreuung. Dabei könnte Euer Majestät ihm Zutritt zum Staatsrate geben, wo er allmählich lernen würde, den Glanz und das Gewicht einer Krone würdig aufrecht zu erhalten, deren Ihr Euch mit der Zeit zu seinen Gunsten entäußern könnt, sobald Ihr ihn durch eigene Erfahrung dazu fähig erkennet.«

Schachsaman fand den Rat seines ersten Ministers sehr vernünftig. Und sobald er ihn entlassen hatte, ließ er den Prinzen Kamaralsaman rufen.

Der Prinz, der bisher täglich zu bestimmten Stunden den Sultan, seinen Vater, besucht hatte, ohne dazu gerufen zu werden, war etwas überrascht durch diesen Befehl. Anstatt mit der gewöhnlichen Unbefangenheit vor ihm zu erscheinen, grüßte er ihn mit großer Ehrfurcht und stand vor ihm mit niedergeschlagenen Augen.

Der Sultan bemerkte das Gezwungene des Prinzen und sagte zu ihm mit beruhigendem Tone: »Mein Sohn, weißt du, warum ich dich habe rufen lassen?« – »Herr,« antwortete der Prinz mit Bescheidenheit, »Gott allein dringt bis in die Herzen: ich werde es mit Vergnügen von Euer Majestät vernehmen.« – »Es geschieht,« fuhr der Sultan fort, »um dir zu sagen, daß ich dich vermählen will. Was dünkt dich dazu?«

Der Prinz Kamaralsaman hörte diese Worte mit großem Mißvergnügen. Sie machten ihn verwirrt, der Schweiß trat ihm vor die Stirn, und er wußte nicht, was er antworten sollte. Er schwieg einige Augenblicke, dann antwortete er: »Herr, ich bitte Euch um Verzeihung, wenn ich über die Erklärung Euer Majestät bestürzt erschien: bei meiner großen Jugend versah ich mich dessen noch nicht. Ich weiß sogar nicht, ob ich mich jemals zum Bande der Ehe werde entschließen können; nicht allein wegen der Unruhe, welche die Frauen erregen, wie ich sehr wohl einsehe, sondern auch, wie ich in unsern Schriftstellern gelesen habe, wegen ihrer Ränke, ihrer Bosheit und ihrer Treulosigkeit:

»Fragt ihr mich über die Weiber, so weiß ich euch Bescheid zu geben; ich kenne ihre Fehler:

Wenn des Mannes Haupt weiß wird oder sein Reichtum sich vermindert, so hat er keinen Teil mehr an ihrer Liebe.«

Vielleicht werde ich nicht immer so gesonnen sein: nichtsdestoweniger fühle ich, daß ich Zeit bedarf, bevor ich mich zu dem entschließe, was Euer Majestät von mir fordert.«

Scheherasade wollte fortfahren; aber sie sah, daß der Sultan von Indien, der den anbrechenden Tag bemerkt hatte, schon aufstand, und also hörte sie auf zu reden. In der folgenden Nacht nahm sie ihre Erzählung wieder auf und sprach zu ihm:

 

Zweihundertundzweiundzwanzigste Nacht.

»Herr, die Antwort des Prinzen Kamaralsaman betrübte den Sultan, seinen Vater, sehr. Dieser Fürst empfand einen wahrhaften Schmerz, bei ihm einen so großen Widerwillen gegen den Ehestand zu finden. Er wollte denselben gleichwohl nicht als Ungehorsam ansehen, noch von seiner väterlichen Gewalt Gebrauch machen, sondern er begnügte sich, ihm zu sagen: »Ich will dich nicht zwingen; ich gebe dir Zeit zur Überlegung und zu erwägen, daß ein Prinz wie du, der zur Regierung eines großen Reichs bestimmt ist, zuvörderst darauf bedacht sein muß, sich einen Nachfolger zu verschaffen. Indem du dir selber diese Befriedigung gewährst, gewährst du sie zugleich mir, der ich mich freue, mich in deinen Kindern wieder aufleben zu sehen.«

Mehr sagte Schachsaman dem Prinzen Kamaralsaman nicht. Er gab ihm Zutritt zu dem Staatsrat und versäumte nichts, ihn glücklich zu machen.

Nach Verlauf eines Jahres berief er ihn wieder zu sich allein und sprach zu ihm: »Nun, mein Sohn, hast du dich meiner Absicht vom vergangenen Jahre, dich zu verheiraten, erinnert und darüber nachgedacht? Willst du mir noch die Freude versagen, die ich von deinem Gehorsam erwarte, und mich sterben lassen, ohne mir diese Genugtuung zu gewähren?«

Der Prinz erschien weniger bestürzt als das erstemal, er stockte nicht lange, sondern antwortete mit Festigkeit folgendermaßen: »Herr, ich habe nicht ermangelt, ernstlich darüber nachzudenken; aber nachdem ich es reiflich überlegt, habe ich mich noch mehr in dem Entschlusse bestärkt, unverheiratet zu bleiben. Denn die zahllosen Übel, welche die Weiber zu aller Zeit in der Welt verursacht haben, wie ich in unsern Geschichtsbüchern gelesen, und was ich noch täglich von ihrer Bosheit sagen höre, sind hinreichende Gründe für mich, mein Lebelang keine Verbindung mit ihnen einzugehen. Also wird Euer Majestät mir verzeihen, wenn ich Euch vorzustellen wage, daß es vergeblich sein würde, noch fürder von meiner Verheiratung zu reden.«

Dabei verharrte er und verließ ungestüm den Sultan, seinen Vater, ohne eine Antwort von ihm abzuwarten.

Jeder andere Fürst als Schachsaman würde sich bei der Kühnheit, mit welcher der Prinz, sein Sohn, zu ihm sprach, kaum enthalten haben, zu zürnen und es ihn bereuen zu lassen: aber er liebte ihn zärtlich und wollte erst alle Wege der Güte versuchen, bevor er ihn zwänge.

Er teilte seinem ersten Minister den neuen Verdruß mit, welchen Kamaralsaman ihm verursachte, und sagte zu ihm: »Ich habe deinen Rat befolgt; aber Kamaralsaman ist jetzt noch weiter davon entfernt, sich zu verheiraten, als da ich ihm das erstemal davon sprach, und er hat sich in so kühnen Ausdrücken darüber erklärt, daß ich alle meine Vernunft und alle Mäßigung nötig hatte, um nicht in Zorn gegen ihn zu geraten. Die Väter, die so inbrünstig um Kinder bitten, als ich um dieses hier gebeten habe, sind allzumal töricht und streben, sich der Ruhe zu berauben, deren ungestörter Genuß nur von ihnen abhängt. Sage mir, ich bitte dich, durch welche Mittel soll ich einen so aufsässigen Geist zu meinem Willen bringen?«

»Herr,« antwortete der Großwesir, »mit Geduld kommt man in vielen Dingen zwar zum Ziele; vielleicht ist dieser Fall nicht von der Art, auf solchem Wege zum Ziele zu gelangen: aber Euer Majestät wird sich keine Übereilung vorzuwerfen haben, wenn Ihr dem Prinzen noch ein Jahr Frist gebet, sich zu besinnen. Kehrt er in dieser Zeit zu seiner Pflicht zurück, so werdet Ihr umso größere Genugtuung davon haben, da Ihr nur die väterliche Güte angewandt habt, um ihn dahin zu bringen. Wenn er aber in seiner Hartnäckigkeit verharrt, nachdem das Jahr verflossen ist, so dünkt mich, kann Euer Majestät mit Fug ihm im vollen Rat erklären, das Wohl des Staats fordere, daß er sich vermähle. Es ist nicht glaublich, daß er vor einer so glänzenden Versammlung, die Ihr durch Eure Gegenwart beehrt, Euch den Gehorsam versage.«

Der Sultan wünschte so sehnlich, den Prinzen, seinen Sohn, vermählt zu sehen, daß die Augenblicke eines so langen Aufschubes ihm Jahre deuchten, und nur mit Mühe konnte er sich entschließen, so lange zu warten. Gleichwohl gab er den Gründen seines Großwesirs nach, die er nicht mißbilligen konnte.«

Der schon angebrochene Tag legte Scheherasaden bei dieser Stelle Stillschweigen auf. In der folgenden Nacht nahm sie die Erzählung wieder auf und sprach zum Sultan Schachriar:

 

Zweihundertunddreiundzwanzigste Nacht.

»Herr, nachdem der Großwesir sich entfernt hatte, ging der Sultan Schachsaman zu der Mutter des Prinzen Kamaralsaman, der er schon lange sein sehnliches Verlangen mitgeteilt hatte, ihn zu vermählen. Als er ihr mit Schmerz erzählt, auf welche Weise derselbe es ihm abermals versagt hatte, und die Nachsicht, die er ihm noch wollte angedeihen lassen, fügte er hinzu: »Herrin, ich weiß, daß er mehr Zutrauen zu Euch hat als zu mir, und daß er Euern Worten zutraulicher Gehör gibt; darum bitte ich Euch, die Zeit wahrzunehmen und ernsthaft mit ihm davon zu sprechen; und gebt ihm wohl zu bedenken, daß, wenn er in seinem Starrsinne beharret, er mich am Ende zwingen wird, zum Äußersten zu schreiten, was sehr schmerzlich für mich sein, ihn aber auch seinen Ungehorsam bereuen lassen würde.«

Fatime, so hieß die Mutter Kamaralsamans, bezeugte dem Prinzen, ihrem Sohne, beim nächsten Besuche, sie wüßte, daß er dem Sultan, seinem Vater, abermals abgeschlagen hätte, sich zu vermählen, und wie bekümmert sie darüber wäre, ihm einen so großen Anlaß des Zornes gegeben zu haben. »Meine Mutter,« erwiderte Kamaralsaman, »ich bitte Euch, meinen Verdruß über diese Angelegenheit nicht zu erneuen: ich fürchte zu sehr, daß in meinem Ärger darüber mir etwas gegen die Euch schuldige Ehrfurcht entfahren möchte.«

Fatime sah aus dieser Antwort wohl, daß die Wunde noch zu frisch war, und sprach für diesmal nicht weiter davon.

Lange Zeit darauf glaubte Fatime Gelegenheit gefunden zu haben, mit mehr Hoffnung, gehört zu werden, über denselben Gegenstand mit ihm zu sprechen. »Mein Sohn,« sagte sie, »ich bitte dich, wenn es dir nicht zuwider ist, mir doch die Gründe zu sagen, welche dir einen so großen Abscheu gegen die Ehe einflößen. Wenn du keine anderen hast als die von der Schlechtigkeit und Bosheit der Weiber, so gibt es keine schwächeren, noch unbilligeren. Ich will nicht die Verteidigung der bösen Weiber übernehmen; es gibt deren eine große Menge, ich bin ganz überzeugt davon: aber es ist die schreiendste Ungerechtigkeit, alle dafür zu erklären. Wie, mein Sohn, willst du bei einigen von jenen stehenbleiben, von welchem Eure Bücher erzählen, die allerdings große Verwirrungen angerichtet haben, und die ich nicht entschuldigen will? Aber warum denkst du nicht auch an so viele Könige, Sultane und andere Fürsten, deren Gewalttaten, Unmenschlichkeiten und Grausamkeiten in den Geschichtsbüchern, die ich gelesen habe so wie du, mit Entsetzen erfüllen? Gegen eine Frau wirst du tausend solcher Wütriche und Unmenschen finden. Und glaubst du, daß die ehrbaren und verständigen Frauen, welche das Unglück haben, mit diesen Scheusalen vermählt zu sein, sehr glücklich sind?«

»Meine Mutter,« erwiderte Kamaralsaman, »ich zweifle nicht, daß es eine große Menge verständiger, tugendhafter, guter, sanfter und sittsamer Frauen gibt: wollte Gott, daß sie alle Euch glichen! Was mich empört, ist die zweifelhafte Wahl, der ein Mann bei seiner Vermählung ausgesetzt ist, oder vielmehr, daß man ihm oft nicht die Freiheit läßt, nach seinem Willen zu wählen. Gesetzt, ich hätte mich entschlossen, mich zu vermählen, wie der Sultan, mein Vater, es so ungeduldig wünscht: welche Frau wird er mir geben? Wahrscheinlich eine Prinzessin, um welche er bei einem benachbarten Fürsten werben und welche ihm zu senden dieser sich zur Ehre machen wird. Sei sie schön oder häßlich, ich muß sie nehmen. Gesetzt auch, daß keine andere Prinzessin ihr an Schönheit zu vergleichen wäre: wer kann mich versichern, daß sie auch Geist hat, daß sie gefällig, zuvorkommend, sanft und freundlich, daß ihre Unterhaltung anziehend ist und nicht bloß Kleider, Anzug, Putz und tausend andere Kleinigkeiten betrifft, die ein verständiger Mann bemitleiden muß; mit einem Worte, daß sie nicht stolz, hochmütig, zänkisch und höhnisch ist, und daß sie nicht durch ihre Verschwendung für Kleider, Juwelen, Schmuck und anderen törichten Aufwand den ganzen Staat erschöpft? Wie Ihr sehet, meine Mutter, so gibt es schon in einer Rücksicht unzählige Beweggründe, die mir jede Heirat verleiden müssen. Mag endlich aber auch diese Prinzessin vollkommen und untadlig in allen diesen Beziehungen sein, so habe ich doch noch eine große Menge viel stärkerer Gründe, auf meiner Abneigung und meinem Entschlusse zu bestehen.«

»Wie, mein Sohn,« erwiderte Fatime, »du hast noch andere Gründe außer denen, die du mir soeben gesagt hast? Diese wollte ich dir übrigens wohl beantworten und mit einem Worte dir den Mund schließen.«

»Laßt Euch nicht davon abhalten, meine Mutter,« versetzte der Prinz; »ich habe vielleicht auch noch etwas auf Eure Antwort zu erwidern.«

»Ich wollte sagen, mein Sohn,« fuhr Fatime fort, »daß es einem Prinzen, wenn er das Unglück hat, eine solche Prinzessin zu heiraten, wie du sie hier beschrieben hast, leicht ist, sie zu verstoßen und so das Verderben des Staats abzuwenden.«

»Aber, liebe Mutter,« erwiderte der Prinz Kamaralsaman, »sehet Ihr nicht, wie widerwärtig es für einen Prinzen ist, zu solch einem Schritte gezwungen zu sein? Ist es nicht besser für seinen Ruhm und für seine Ruhe, sich dem lieber gar nicht auszusetzen?«

»Aber, mein Sohn,« sagte Fatime noch, »nach deiner Vorstellungsweise, sehe ich wohl, willst du der letzte von den Königen deines Stammes sein, welche die Insel Chaledan so ruhmvoll beherrscht haben.«

»Liebe Mutter,« antwortete der Prinz Kamaralsaman, »ich wünsche nicht, den König, meinen Vater, zu überleben. Und wenn ich vor ihm sterbe, so darf man sich darüber nicht wundern, da so viele Kinder vor ihren Eltern sterben. Es ist aber immer ruhmvoll für einen Königsstamm, mit einem großen Fürsten zu enden: ich werde mich bemühen, mich meiner Ahnherren und vor allem des ersten Königs meines Stammes würdig zu machen.« –

Seit dieser Zeit hatte Fatime sehr häufig ähnliche Unterhaltungen mit dem Prinzen Kamaralsaman, und sie wandte alle möglichen Mittel an, seine Abneigung zu besiegen. Er aber widerlegte alle Gründe, die sie aufbringen mochte, durch Gegengründe, auf welche sie nichts zu antworten wußte, und so blieb er unerschütterlich.

Das Jahr verfloß, und zum großen Leidwesen des Sultans Schachsaman gab der Prinz Kamaralsaman nicht das geringste Zeichen von einer Sinnesänderung.

Endlich in einem feierlichen Staatsrate, wo der Großwesir, die übrigen Wesire, die vornehmsten Kronbeamten und die Feldherren versammelt waren, nahm der Sultan das Wort und sprach zu dem Prinzen:

»Mein Sohn, schon längst habe ich dir mein lebhaftes Verlangen bezeigt, dich vermählt zu sehen, und ich erwartete von dir mehr Gefälligkeit für einen Vater, der nichts Unbilliges von dir forderte. Nach einem so langen Widerstande, der meine Geduld erschöpft, wiederhole ich dir dieselbe Angelegenheit hier in meinem Reichsrate. Es gilt jetzt nicht mehr bloß, einem Vater zu gewähren, was du ihm nicht versagt haben solltest: die Wohlfahrt meiner Staaten erfordert es, und alle diese Herren bitten mit mir darum. Erkläre dich also, damit ich nach deiner Antwort die Maßregeln nehme, welche ich nehmen muß.«

Der Prinz Kamaralsaman antwortete hierauf mit solcher Heftigkeit, daß der Sultan in gerechtem Zorn über die Beschämung, welche ihm im vollen Staatsrate von einem Sohne widerfuhr, ausrief: »Wie, du entarteter Sohn! du hast die Unverschämtheit, also zu deinem Vater und Sultan zu sprechen?«

Hierauf ließ er ihn durch die Wache festnehmen und nach einem alten, längst unbewohnten Turme führen, wo er, mit einem Bette, etlichen Büchern und einem einzigen Sklaven zur Bedienung, eingesperrt wurde.

Kamaralsaman, zufrieden, sich ungestört mit seinen Büchern unterhalten zu können, betrachtete sein Gefängnis mit Gleichgültigkeit. Gegen Abend stand er von ihnen auf und verrichtete sein Gebet, und nachdem er einige Kapitel des Korans mit derselben Ruhe gelesen hatte, als wenn er in seinem Zimmer im Palaste des Sultans, seines Vaters, gewesen wäre, legte er sich nieder, ohne die Lampe neben seinem Bette auszulöschen, und schlief ein.

In diesem Turme befand sich ein Brunnen, welcher einer Fee namens Maimune, Tochter Damriats, des Königs einer Legion Geister, während des Tages zum Aufenthalt diente. Es war um Mitternacht, als Maimune sich leicht aus dem Brunnen emporschwang, um nach ihrer Gewohnheit die Welt zu durchstreifen, wohin etwa die Neugier sie führen möchte. Sie war sehr verwundert, Licht in dem Zimmer des Prinzen Kamaralsaman zu sehen; sie schwebte hinein, und ohne sich bei dem Sklaven aufzuhalten, der an der Tür schlief, näherte sie sich dem Bette, dessen Pracht sie anzog; und sie erstaunte noch mehr, als sie jemand darin schlafen sah.

Der Prinz Kamaralsaman hatte das Gesicht halb unter der Decke verhüllt. Maimune hob sie ein wenig auf und erblickte den schönsten Jüngling, den sie jemals auf dem bewohnten Teile der Erde, welche sie so oft durchstreifte, gesehen. »Welch ein Glanz,« sagte sie bei sich selber, »oder vielmehr welch ein Wunder von Schönheit muß dies nicht sein, wenn die Augen, welche durch diese so wohlgebildeten Augenlider bedeckt sind, sich öffnen! Welchen Anlaß kann er gegeben haben zu einer seines hohen Ranges so unwürdigen Behandlung!« – Denn sie hatte schon von seiner Geschichte gehört und ahnte den Zusammenhang. –

Maimune konnte nicht müde werden, den Prinzen Kamaralsaman zu bewundern; doch endlich, nachdem sie ihn auf beide Wangen und mitten auf die Stirne geküßt hatte, ohne ihn aufzuwecken, legte sie die Decke wieder wie zuvor und schwang sich in die Lüfte empor.

Als sie sich wohl bis zur mittleren Region erhoben hatte, vernahm sie einen Flügelschlag, der sie nach derselben Richtung hinzog. Als sie näher kam, erkannte sie, daß es auch ein Geist war, der dieses Geräusch machte, aber einer jener von Gott abtrünnigen Geister. Maimune dagegen war eine von den Geistern, die der große Salomon zur Erkenntnis Gottes zwang.

Dieser Geist, der Dachnesch hieß und ein Sohn des Schamhurasch war, erkannte auch Maimunen, aber mit großem Schrecken. Denn er wußte wohl, daß sie eine große Gewalt über ihn hatte durch ihre Unterwerfung unter Gott. Er hätte gern ihre Begegnung vermieden, aber er befand sich so nahe bei ihr, daß er sich schlagen oder unterwerfen mußte.

Dachnesch kam Maimunen zuvor und sagte zu ihr mit bittendem Tone: »Schwöret mir bei dem hohen Namen Gottes, daß Ihr mir kein Leid tun wollt, und ich verspreche Euch von meiner Seite dasselbe.«

»Verfluchter Geist,« erwiderte Maimune, »welches Leid kannst du mir tun? Ich fürchte dich nicht. Ich will dir wohl diese Gnade gewähren und leiste dir den Eid, welchen du verlangst. – Sage mir nun, woher du kommst, und was du diese Nacht gesehen und getan hast?«

»Schöne Fee,« antwortete Dachnesch, »Ihr begegnet mir zur gelegenen Zeit, um etwas Wunderbares zu vernehmen.«

Die Sultanin konnte ihre Erzählung nicht weiter fortsetzen, weil das Tageslicht sich schon blicken ließ. Sie schwieg also; und in der folgenden Nacht fuhr sie folgendermaßen fort:

 

Zweihundertundvierundzwanzigste Nacht.

»Herr, Dachnesch, der von Gott abtrünnige Geist, sprach also zu Maimunen:

»Weil Ihr es wünschet, so will ich Euch sagen, daß ich von der äußersten Küste Chinas, den letzten Inseln dieser Halbkugel gegenüber, herkomme ...

Aber, reizende Maimune,« unterbrach sich hier Dachnesch, der aus Furcht vor der Nähe dieser Fee zitterte und kaum sprechen konnte, »Ihr versprechet mir doch, mir zu verzeihen und mich in Freiheit zu lassen, wenn ich Eure Neugier befriedigt habe?«

»Fahre fort, fahre fort, Verfluchter,« erwiderte Maimune, »und fürchte nichts. Denkst du, daß ich so treulos bin wie du, und daß ich den hohen Eid, den ich dir geschworen habe, verletzen könnte? Hüte dich nur, mir irgend etwas Unwahres zu sagen: sonst werde ich dir die Flügel abschneiden und dich behandeln, wie du es verdienst.«

Dachnesch, etwas beruhigt durch diese Worte Maimunes, fuhr fort:

»Verehrte Herrin, ich will Euch nichts als die lautere Wahrheit sagen, habet nur die Güte, mich anzuhören. Das Land China, woher ich komme, ist eins der größten und mächtigsten Königreiche der Erde, zu welchem die äußersten Inseln dieser Halbkugel gehören, von welchen ich Euch schon sagte. Der jetzige König nennt sich Ghaïur, und dieser König hat eine Tochter von solcher Schönheit, wie man noch keine auf Erden gesehen hat, solange die Welt steht. Weder Ihr, noch ich, noch alle Geister Eurer und meiner Art, noch die Menschen allzumal, wir alle haben keine entsprechenden Worte, keine so lebhaften Ausdrücke, noch Beredsamkeit genug, um eine Schilderung von ihr zu entwerfen, welche sich der Wirklichkeit nur annähert. Sie hat braune Haare von solcher Länge, daß sie ihr bis über die Füße herabreichen, und in solcher Fülle, daß, wenn sie um ihren Kopf in Locken gelegt sind, sie wohl mit einer jener schönen Trauben zu vergleichen ist, deren Beeren von außerordentlicher Größe sind. Aus diesen Haaren glänzt eine schöngebildete Stirn, so glatt wie ein hellgeschliffener Spiegel; die schwarzen Augen aus der Höhe des Angesichts strahlen voll Feuer; die Nase ist weder zu lang noch zu kurz, der Mund klein und rot; die Zähne sind wie zwei Reihen Perlen und übertreffen die schönsten von diesen an Weiße; und wenn sie die Zunge zum Sprechen bewegt, so ertönt eine süße und anmutige Stimme, und sie drückt sich in Worten aus, welche die Lebhaftigkeit ihres Geistes bezeichnen; der schönste Alabaster ist nicht weißer als ihr Busen. Kurz, aus diesem schwachen Umrisse werdet Ihr schon ermessen, daß es keine vollkommenere Schönheit auf der Welt gibt.

Wer den König, den Vater dieser Prinzessin, nicht kennt, würde nach dem Ausdrucke seiner väterlichen Zärtlichkeit urteilen, daß er verliebt in sie ist. Niemals hat ein Liebender für seine zärtlichste Geliebte getan, was er für sie bewiesen hat. Denn die allerheftigste Eifersucht hat niemals erdenken können, was die Sorgfalt, sie jedem andern als ihrem künftigen Gatten unzugänglich zu machen, ihn hat erfinden und ausführen lassen. Damit sie in der Absonderung, zu welcher er sie bestimmt hatte, sich nicht langweilte, hat er ihr sieben Paläste bauen lassen, wie man nie etwas Ähnliches weder gesehen noch gehört hat.

Der erste Palast ist von Bergkristall, der zweite von Erz, der dritte von feinem Stahle, der vierte von einer andern Art Erz, die kostbarer ist als die erste und als der Stahl; der fünfte ist von Probierstein, der sechste von Silber, der siebente von gediegenem Golde. Alle sind mit unerhörter Pracht ausgeschmückt, jeder dem Stoffe gemäß, woraus er gebaut ist. In den Gärten, welche sie umgeben, fehlt es nicht an Rasenplätzen, Blumenstücken, Teichen, Springbrunnen, Kanälen, Wasserfällen, Gebüschen und Baumgruppen, welche die Sonne niemals durchdringt; und alles dieses ist in jedem Garten von verschiedener Anordnung.

Auf den Ruf der unvergleichlichen Schönheit dieser Prinzessin ließen bald die mächtigsten der benachbarten Könige durch feierliche Gesandtschaften um sie werben. Der König von China empfing alle gleich freundlich; da er aber seine Tochter nur mit ihrer Einwilligung vermählen wollte und der Prinzessin keine von den angetragenen Verbindungen gefiel, so kehrten die Gesandten wieder heim, zwar mißvergnügt in Ansehung des Gegenstandes ihrer Gesandtschaft, jedoch sehr zufrieden mit der Höflichkeit und Ehre, die ihnen zuteil geworden war.

»Herr Vater,« sprach die Prinzessin zum Könige von China, »Ihr wollt mich vermählen und wähnt, mir dadurch ein großes Vergnügen zu machen. Ich bin davon überzeugt und Euch sehr dankbar dafür. Aber wo könnte ich anderswo als bei Euer Majestät so prächtige Paläste und so reizende Gärten finden? Ich füge hinzu, daß ich mit Eurer Vergünstigung ohne allen Zwang lebe, und daß man mir dieselbe Ehre erzeigt wie Eurer eigenen Person. Das sind Vorzüge, die ich an keinem andern Orte in der Welt finden würde, welchen Gemahl ich auch nehmen möchte. Die Männer wollen die Herren sein, und ich habe nicht Lust, mich beherrschen zu lassen.«

Nach mehreren Gesandtschaften kam eine von einem reicheren und mächtigeren Könige, als alle die bisherigen gewesen waren. Der König von China sprach darüber mit seiner Tochter und pries ihr an, wie vorteilhaft es für sie sein würde, ihn zum Gemahle zu nehmen. Die Prinzessin bat ihn, sie damit zu verschonen, und führte ihm wieder dieselben Gründe an. Er drang in sie; die Prinzessin aber, anstatt sich zu ergeben, vergaß die Ehrfurcht, welche sie dem Könige, ihrem Vater, schuldig war, und sprach zornig zu ihm: »Herr, redet mir nicht mehr von dieser Vermählung, noch von irgend einer anderen, oder ich werde mir den Dolch in die Brust stoßen und mich so von Eurer Überlästigkeit befreien.«

Der gegen die Prinzessin aufgebrachte König von China erwiderte ihr: »Meine Tochter, du bist eine Närrin, und ich werde dich wie eine Närrin behandeln.«

In der Tat ließ er sie in ein einzelnes Gemach in einem seiner Paläste einsperren und gab ihr nur zehn alte Weiber zur Gesellschaft und Bedienung, unter welchen die vornehmste ihre Amme war.

Damit die benachbarten Könige, welche Gesandtschaften zu ihm geschickt hatten, nicht ferner an sie dächten, schickte er Gesandte zu ihnen, um sie von ihrer Abneigung vor jeder Vermählung zu benachrichtigen. Und da er nicht zweifelte, daß sie wirklich toll wäre, beauftragte er dieselben Gesandten, an allen Höfen kund zu tun, wenn sich irgend ein so geschickter Arzt fände, sie zu heilen, so möchte er nur kommen, und er würde sie ihm zum Lohne dafür zur Frau geben.

Schöne Maimune,« fuhr Dachnesch fort, »so stehen dort die Sachen, und ich verfehle nicht, regelmäßig jeden Tag diese unvergleichliche Schönheit zu betrachten, der ich ungern das geringste Leid zufügen möchte, ungeachtet meiner natürlichen Bosheit. Kommet, sie zu sehen, ich beschwöre Euch darum: es ist der Mühe wert. Wenn Ihr Euch selber überzeugt habt, daß ich nicht gelogen habe, so hoffe ich, Ihr werdet es mir Dank wissen, daß ich Euch eine Prinzessin habe sehen lassen, deren Schönheit nicht ihresgleichen hat. Ich bin bereit, Euch zum Führer zu dienen; Ihr habt nur zu befehlen.«

Anstatt Dachnesch zu antworten, brach Maimune in ein lautes Gelächter aus, das lange anhielt; und Dachnesch, der sich dasselbe nicht zu erklären wußte, war in großer Verwunderung. Nachdem sie zu wiederholten Malen sich satt gelacht hatte, sagte sie zu ihm: »Possen, Possen! Du willst mir etwas aufheften! Ich dachte, du würdest mir etwas Erstaunliches und Außerordentliches erzählen, und du unterhältst mich von einer Meerkatze! Pfui, schäme dich! Was würdest du Verfluchter erst sagen, wenn du den schönen Prinzen gesehen hättest, von welchem ich soeben herkomme, und den ich so liebe, wie er es verdient? Fürwahr, das ist etwas ganz anderes: du würdest närrisch darüber werden.«

»Reizende Maimune,« erwiderte Dachnesch, »darf ich Euch fragen, wer dieser Prinz ist, von dem Ihr sprechet?« – »Wisse,« antwortete ihm Maimune, »daß ihm beinahe dasselbe begegnet ist wie der Prinzessin, von welcher du mich hier unterhalten hast. Der König, sein Vater, wollte ihn mit aller Gewalt vermählen: nach langen und schweren Bestürmungen hat er endlich frank und frei erklärt, daß er nicht will; und das ist die Ursache, daß er in diesem Augenblicke, da ich zu dir rede, in einem alten Turme gefangen sitzt, der meine Wohnung ist, und wo ich ihn soeben bewundert habe.«

»Ich will Euch nicht geradezu widersprechen,« versetzte Dachnesch; »aber, meine schöne Herrin, Ihr werdet mir doch erlauben, bis ich Euren Prinzen gesehen habe, zu glauben, daß kein Sterblicher, noch eine Sterbliche an Schönheit mit meiner Prinzessin zu vergleichen ist.« – »Schweig, Verfluchter,« erwiderte Maimune, »ich sage dir noch einmal, daß das unmöglich ist.« – »Ich will nicht mit Euch zanken,« fügte Dachnesch hinzu; »aber um Euch zu überzeugen, ob ich die Wahrheit rede oder nicht, dürft Ihr nur den Vorschlag annehmen, den ich Euch getan habe, nämlich mit mir zu kommen, um meine Prinzessin zu sehen, und darauf mir Euren Prinzen zu zeigen.«

Dagegen befahl Maimune dem Dachnesch, mit ihr zu kommen. Dieser ersuchte sie zwar, lieber mit ihm nach China zu fliegen, weil sie diesem Lande nunmehr näher wären; sie aber verweigerte ihm solches und sprach: »Bei der Inschrift, die auf dem Siegelringe Salomons, des Sohnes Davids, eingegraben ist, wenn du nicht sogleich die chinesische Prinzessin hierherbringest, damit wir sie neben den Prinzen hinlegen und beide vergleichen können, so vernichte ich dich.«

Dachnesch gehorchte nun, Maimune begleitete ihn: und sie fanden die Prinzessin in einem Hemde von Leinwand aus Dabick, das am Saume, am Halse und an der Naht der beiden Ärmel mit goldenen Borten besetzt war, an denen Fransen und Goldzieraten hingen. An den Borten waren folgende Verse gestickt:

»Ein linnen Gewand um den anmutigsten Leib, besetzt mit Borten am Halse, am Saume und an den Ärmeln,
Glänzt an der Gestalt dieser Schönen und übertrifft den Schein der Sonne am Gewölbe des Himmels.«

So bekleidet brachten sie die schlafende Prinzessin hin und legten sie neben dem Prinzen Kamaralsaman aufs Bette, wo sie zwei leuchtenden Vollmonden glichen, wie der Dichter sagt:

»Mit meinen Augen sah ich zwei Schlafende auf der Erde; wohl wünschte ich, ich könnte ihnen meine Augenlider zum Bette anweisen.

Sie sind wie zwei Halbmonde am Himmel, wie zwei Sonnen in der Mittagsstunde, wie zwei Vollmonde in der finsteren Nacht, wie zwei herrliche Gazellen, in welche sich die Schönheit geteilt hat.«

Der schon hell hereinscheinende Tag nötigte Scheherasaden, abzubrechen. Sie nahm in der folgenden Nacht den Faden wieder auf und sagte zu dem Sultan von Indien:

 

Zweihundertundfünfundzwanzigste Nacht.

»Herr, als der Prinz und die Prinzessin also nebeneinanderlagen, erhob sich zwischen dem Geist und der Fee ein großer Zwist über den Vorzug ihrer Schönheit. Sie bewunderten und verglichen beide eine Zeitlang schweigend. Dachnesch unterbrach das Schweigen zuerst und sagte zu Maimunen: »Nun, seht Ihr, ich hatte es Euch wohl gesagt, daß meine Prinzessin schöner ist als Euer Prinz. Zweifelt Ihr noch daran?«

»Was, ob ich daran zweifle?« erwiderte Maimune. »Ja, wahrlich zweifle ich daran. Du mußt blind sein, wenn du nicht siehst, daß mein Prinz deine Prinzessin weit übertrifft. Deine Prinzessin ist schön, ich leugne es nicht; aber übereile dich nicht, sondern vergleiche sie ohne Vorliebe genau miteinander, und du wirst sehen, daß es sich verhält, wie ich sage.«

»Wenn ich auch noch so viel Zeit darauf verwendete, beide zu vergleichen, so würde ich doch nicht anders darüber denken als jetzt. Ich sehe, was ich bei dem ersten Blicke sah, und die Folge würde mich nichts anderes sehen lassen, als was ich jetzt sehe. Das soll mich jedoch nicht hindern, reizende Maimune, Euch nachzugeben, wenn Ihr es wünschet.« – »Nicht also,« erwiderte Maimune, »ich will nicht, daß ein verfluchter Geist wie du mir eine Gnade antue. Ich berufe mich über diese Sache auf einen Schiedsrichter; und wenn du nicht darein willigest, so nehme ich deine Weigerung für ein Bekenntnis an, daß ich gewonnen habe.«

Dachnesch, der zu jeder Gefälligkeit gegen Maimunen bereit war, hatte nicht sobald seine Einwilligung gegeben, als Maimune mit dem Fuße auf die Erde stampfte. Sogleich tat die Erde sich auf, und daraus hervor stieg ein scheußlicher Geist, bucklig, einäugig und lahm, mit sechs Hörnern auf dem Kopfe und gekrümmten Händen und Füßen. Sobald er herauf war und die Erde sich wieder zugeschlossen hatte und er Maimunen erblickte, warf er sich ihr zu Füßen, und mit einem Knie auf der Erde, fragte er sie, was sie von ihrem gehorsamsten Diener verlangte.

»Steh auf, Kaschkasch« (so hieß der Geist), sagte sie zu ihm, »ich ließ dich herkommen, um einen Streit zu entscheiden, den ich mit diesem verfluchten Dachnesch habe. Wirf deinen Blick auf das Bette und sage mir unparteiisch, wer dir schöner dünkt, der Jüngling oder die Jungfrau?«

Kaschkasch betrachtete den Prinzen und die Prinzessin mit dem Zeichen des höchsten Erstaunens und der Bewunderung. Nachdem er beide lange verglichen hatte, ohne sich entscheiden zu können, sagte er zu Maimunen: »Herrin, ich bekenne, ich würde Euch täuschen und mich selber hintergehen, wenn ich Euch sagte, daß ich eins von ihnen schöner fände als das andere. Je mehr ich untersuche, desto mehr scheint mir, daß jedes den höchsten Grad der Schönheit besitzt, welche sie miteinander teilen, soviel ich davon verstehe; und keins hat den mindesten Fehl, so daß man dem andern darin einen Vorzug erteilen könnte. Wenn aber eins oder das andere dergleichen haben sollte, so gibt es meiner Meinung nach nur ein Mittel, sich darüber aufzuklären. Das ist, sie nacheinander aufzuwecken und anzunehmen, daß, wer für den andern mehr Liebe bezeigt, durch seine Glut und Heftigkeit und selbst durch sein Entzücken gewissermaßen auch weniger Schönheit habe.«

Der Rat des Kaschkasch gefiel Maimunen und Dachnesch. Maimune verwandelte sich in einen Floh und sprang auf Kamaralsamans Hals. Sie stach ihn so heftig, daß er aufwachte und mit der Hand nach der Stelle hinfuhr; aber er fing nichts. Maimune war schleunig zurückgesprungen und hatte ihre gewöhnliche Gestalt wieder angenommen, und zwar unsichtbar wie die andern beiden Geister, um Zeuge zu sein, was er tun würde.

Als der Prinz die Hand zurückzog, ließ er sie auf die Hand der Prinzessin von China fallen. Er schlug die Augen auf und war höchst erstaunt, neben sich ein Fräulein von so großer Schönheit liegen zu sehen. Er hob das Haupt empor und stützte sich auf den Ellenbogen, um sie besser zu betrachten. Die blühende Jugend der Prinzessin und ihre unvergleichliche Schönheit entzündeten in einem Augenblicke in ihm ein Feuer, für welches er noch immer unempfindlich gewesen war, und wovor er sich bisher mit so viel Scheu gehütet hatte.

Die Liebe bemächtigte sich seines Herzens auf die lebhafteste Weise, und er konnte sich nicht enthalten, auszurufen: »Welche Schönheit! Welche Reize! Mein Herz! Meine Seele!« Und indem er dies sagte, küßte er sie auf die Stirn, auf beide Wangen und auf den Mund mit so wenig Vorsicht, daß sie aufgewacht sein würde, wenn sie nicht durch die Bezauberung des Dachnesch fester geschlafen hätte als gewöhnlich.

»Wie, mein schönes Fräulein,« fuhr der Prinz fort, »Ihr erwacht nicht von diesen Liebeszeichen des Prinzen Kamaralsaman! Wer Ihr auch seid, er ist Eurer Liebe nicht unwürdig.«

Er war im Begriff, sie in allem Ernst aufzuwecken; aber er besann sich plötzlich. »Sollte es nicht,« sagte er bei sich selber, »diejenige sein, welche der Sultan, mein Vater, mir zur Gattin geben wollte? Er hat sehr unrecht, daß er sie mich nicht eher sehen ließ. Ich hätte ihn nicht durch meinen Ungehorsam und durch meine öffentliche Widersetzlichkeit so beleidigt, und er würde sich die Beschämung erspart haben, welche ich ihm verursacht habe.«

Der Prinz Kamaralsaman bereute aufrichtig den Fehler, den er begangen hatte, und er war nochmals im Begriff, die Prinzessin von China zu wecken; aber indem er sich wieder anhielt, sprach er: »Vielleicht will mein Vater mich überraschen: ohne Zweifel hat er dieses junge Fräulein abgeschickt, um mich zu versuchen, ob ich wirklich so großen Abscheu vor dem Ehestand trage, als ich ihm bezeigt habe. Wer weiß, ob er selber sie nicht hergebracht und ob er sich nicht versteckt hat, um hervorzutreten und mich über meine Verstellung zu beschämen. Dieser zweite Fehl würde noch weit größer sein als der erste. Auf jeden Fall will ich mich mit diesem Ringe begnügen, um ein Andenken von ihr zu bewahren.«

Dies war ein schöner Ring, auf welchem folgende Verse eingegraben standen:

»Glaube nicht, daß ich ihn vergessen habe, den Eid, den du mir geleistet hast;

Mein Herz ist auf glühenden Kohlen seit dem Augenblicke, wo du mich verließest.«

Er zog diesen Ring der Prinzessin behende vom Finger und steckte ihr den seinigen dafür an. Hierauf kehrte er ihr den Rücken zu, und es währte nicht lange, so schlief er durch Bezauberung des Geistes wieder ebenso fest als zuvor.

Sobald der Prinz Kamaralsaman eingeschlafen war, verwandelte sich Dachnesch ebenfalls in einen Floh, sprang hin und stach die Prinzessin unter die Lippe. Sie wachte aus und richtete sich empor; und als sie die Augen öffnete, war sie sehr erstaunt, sich neben einem Manne liegen zu sehen. Von dem Erstaunen ging sie zur Bewunderung über und von der Bewunderung zum Übermaße der Freude, welche sie blicken ließ, sobald sie sah, daß es ein so wohlgebildeter Jüngling war.

»Wie!« rief sie aus, »seid Ihr es, den der König, mein Vater, mir zum Gemahle bestimmt hat? Es tut mir sehr leid, das nicht gewußt zu haben: ich würde ihn nicht gegen mich in Zorn versetzt haben und nicht so lange eines Gemahls beraubt gewesen sein, den ich mich nicht enthalten kann von ganzem Herzen zu lieben. – Wachet auf, wachet auf! Es stehet einem Bräutigam nicht fein, in der Brautnacht so viel zu schlafen.«

Indem sie dieses sprach, faßte sie den Prinzen Kamaralsaman beim Arm und schüttelte ihn so stark, daß er aufgewacht wäre, wenn die Fee Maimune nicht in dem Augenblick durch ihre Bezauberung seinen Schlaf vermehrt hätte. Sie schüttelte ihn ebenso zu wiederholten Malen, und als sie sah, daß er nicht aufwachte, fuhr sie fort: »Ei, was ist Euch denn zugestoßen? Sollte ein auf Euer und mein Glück neidischer Nebenbuhler Euch behext und in diesen unüberwindlichen Schlaf versenkt haben, jetzt, wo Ihr munterer als jemals sein solltet?«

Sie faßte nun seine Hand, und indem sie sie zärtlich küßte, bemerkte sie den Ring an seinem Finger. Sie fand ihn dem ihrigen so ähnlich, daß sie ihn unbedenklich für den ihrigen hielt, als sie sah, daß sie einen andern dafür trug. Sie begriff nicht, wie dieser Tausch geschehen war. aber sie zweifelte nicht, daß es das gewisse Zeichen ihrer Vermählung wäre. Müde der vergeblichen Mühe, welche sie sich gab, ihn zu wecken, und versichert, wie sie wähnte, daß er ihr nicht entgehen würde, sagte sie: »Da ich es nicht dahin bringen kann, Euch zu wecken, so will ich mich nicht mehr abmühen, Euren Schlaf zu unterbrechen. Auf Wiedersehen!«

Nachdem sie ihm mit diesen Worten einen Kuß auf die Wange gedrückt hatte, legte sie sich wieder nieder und brauchte nur sehr wenig Zeit, um wieder einzuschlafen.

Als Maimune sah, daß sie ohne Furcht, die Prinzessin von China zu wecken, sprechen konnte, sagte sie zu Dachnesch: »Nun, du Verfluchter, hast du's gesehen? Bist du nun überzeugt, daß deine Prinzessin nicht so schön ist als mein Prinz? Geh, ich will dir die Wette, die du mir schuldig bist, schenken. Ein andermal glaube mir, wenn ich dich etwas versichere.« Und indem sie sich zu Kaschkasch wandte, fügte sie hinzu: »Was dich betrifft, so danke ich dir. Nimm mit Dachnesch die Prinzessin und traget sie zusammen in ihr Bette, wohin er dich weisen wird.«

Dachnesch und Kaschkasch vollzogen den Befehl Maimunes, und Maimune begab sich wieder in ihren Brunnen.«

Der anbrechende Tag gebot der Sultanin Scheherasade Stillschweigen, und der Sultan von Indien stand auf. In der folgenden Nacht fuhr die Sultanin in der Erzählung dieser Geschichte also fort:

 

Zweihundertundsechsundzwanzigste Nacht.

»Herr, als der Prinz Kamaralsaman am folgenden Morgen erwachte, blickte er um sich, ob das Fräulein, das er in der Nacht an seiner Seite gesehen hatte, noch da wäre. Als er sie nicht mehr sah, sagte er bei sich selber: »Ich hatte es wohl gedacht, daß es eine Überraschung wäre, welche der König, mein Vater, mir machen wollte: es ist mir sehr lieb, daß ich mich davor in acht genommen habe.«

Er weckte den Sklaven, der noch schlief, und hieß ihn eilig kommen, ihn anzukleiden, ohne ihm etwas davon zu sagen. Der Sklave brachte ihm das Waschbecken und Wasser: er stand auf, und nachdem er sein Gebet verrichtet hatte, nahm er ein Buch und las eine Zeitlang.

Nach seinen gewöhnlichen Übungen rief Kamaralsaman den Sklaven und sprach zu ihm: »Komm her und belüge mich nicht. Sage mir, wie ist das Fräulein hereingekommen, das diese Nacht bei mir geschlafen hat, und wer hat sie hergebracht?«

»Prinz,« antwortete der Sklave mit großem Erstaunen, »von welchem Fräulein redet Ihr?«

»Von der, sage ich dir,« erwiderte der Prinz, »die diese Nacht hierher gekommen oder geführt worden ist und bei mir geschlafen hat.«

»Prinz,« versetzte der Sklave, »ich schwöre Euch, daß ich nichts davon weiß. Wie sollte dies Fräulein hereingekommen sein, da ich an der Türe schlafe?«

»Du lügst, Schurke,« erwiderte der Prinz, »und du bist mit ihnen im Einverständnis, um mich noch mehr zu quälen und toll zu machen.«

Indem er dies sagte, gab er ihm eine Ohrfeige, daß er zu Boden stürzte, und nachdem er ihn genug mit Füßen getreten hatte, band er ihm das Brunnenseil unter die Arme, ließ ihn daran hinab und tauchte ihn mehrmals mit dem Kopf unters Wasser. »Ich ersäufe dich,« rief er ihm zu, »wenn du mir nicht schleunig sagest, wer das Fräulein ist, und wer sie hergebracht hat.«

Der Sklave in dieser grimmigen Not, halb im Wasser, halb draußen, sagte bei sich selber: »Ohne Zweifel hat der Prinz vor Leid den Verstand verloren, und ich kann nur durch eine Lüge mich retten.« – »Prinz,« sagte er hierauf mit bittendem Tone, »schenket mir das Leben, ich beschwöre Euch darum; ich verspreche, Euch den Zusammenhang der Sache zu sagen.«

Der Prinz zog nun den Sklaven wieder herauf und drängte ihn, zu reden. Sobald der Sklave aus dem Brunnen war, sagte er zitternd zu ihm: »Prinz, Ihr seht wohl, daß ich in diesem Zustande Euch nicht genugtun kann; lasset mir so viel Zeit, zuvor mein Kleid zu wechseln.«

»Ich gewähre es dir,« erwiderte der Prinz; »aber mach geschwinde und hüte dich wohl, mir die Wahrheit zu verbergen.«

Der Sklave ging hinaus, schloß aber den Prinzen ein und lief, wie er war, in den Palast.

Der König unterhielt sich eben mit dem Großwesir und beklagte sich bei ihm über die üble Nacht, welche ihm der Ungehorsam und die sträfliche Widersetzlichkeit seines Sohnes zugezogen hätten.

Der Minister bemühte sich, ihn zu trösten und ihm begreiflich zu machen, daß der Prinz selber ihm Gelegenheit gegeben hätte, ihn zu seiner Pflicht zurückzuführen. »Herr,« sagte er zu ihm, »Euer Majestät darf es nicht bereuen, ihn gefangengesetzt zu haben. Sofern Ihr nur die Geduld habt, ihn eine Weile in seinem Gefängnisse zu lassen, so dürft Ihr überzeugt sein, daß diese jugendliche Hitze verrauchen und er endlich sich allem unterwerfen wird, was Ihr von ihm fordert.«

Der Großwesir endigte soeben diese Rede, als der Sklave vor den König Schachsaman trat. »Herr,« sprach er zu ihm, »es tut mir sehr leid, Euer Majestät eine Neuigkeit bringen zu müssen, welche Ihr nur mit großem Mißvergnügen hören werdet. Was der Prinz von einem Fräulein erzählt, welches die Nacht bei ihm geschlafen habe, und der Zustand, in welchen er mich versetzt hat, wie Euer Majestät sehen kann, geben nur zu sehr zu erkennen, daß er nicht recht mehr bei Sinnen ist.«

Hierauf erzählte er alles, was der Prinz gesagt und auf welche Weise er ihn mißhandelt hatte, mit Ausdrücken, die seine Erzählung desto wahrscheinlicher machten.

Der König, der sich dieses neuen Gegenstandes der Bekümmernis nicht versah, sagte zu seinem ersten Minister: »Da ist wieder ein höchst verdrießlicher Vorfall, sehr entfernt von der Hoffnung, welche du mir jetzt eben machtest. Geh und verliere keine Zeit, erforsche selber, was es ist, und bringe mir Bescheid.«

Der Großwesir gehorchte auf der Stelle, und beim Eintritt in das Zimmer des Prinzen fand er ihn sehr ruhig mit einem Buche in der Hand sitzend und lesend. Er begrüßte ihn, und nachdem er sich neben ihn gesetzt hatte, sagte er zu ihm: »Ich verwünsche Euren Sklaven, daß er zu dem König, Eurem Vater, gekommen ist und ihn durch die überbrachte Neuigkeit erschreckt hat.«

»Welche Neuigkeit,« erwiderte der Prinz, »kann ihn so erschreckt haben? Ich habe weit mehr Ursache, mich über meinen Sklaven zu beklagen.«

»Prinz,« versetzte der Wesir, »verhüte Gott, daß dasjenige, was er von Euch berichtet hat, wahr sei! Der gute Zustand, in welchem ich Gott bitte Euch zu erhalten, gibt mir zu erkennen, daß nichts daran ist.«

»Vielleicht,« erwiderte der Prinz, »hat er sich nicht recht verständlich gemacht. Da Ihr nun gekommen seid, so ist es mir lieb, einen Mann wie Euch befragen zu können, der Ihr doch etwas davon wissen müßt, wo das Fräulein ist, welches diese Nacht bei mir geschlafen hat.«

Bei dieser Frage fuhr der Großwesir zurück. »Prinz,« antwortete er, »verwundert Euch nicht über mein Erstaunen bei dieser Eurer Frage. Wie wäre es möglich, daß, ich sage nicht eine Frau, sondern überhaupt ein Mensch auf der Welt bei Nacht hier hereingedrungen sein sollte, wo man nur durch die Türe und über den Leib Eures Sklaven hinweg eintreten kann? Ich bitte Euch, besinnet Euch, und Ihr werdet finden, daß Ihr einen Traum gehabt, der Euch diesen lebhaften Eindruck zurückgelassen hat.« »Ich beruhige mich nicht bei dieser Ausrede,« fuhr der Prinz im höheren Tone fort. »Ich will durchaus wissen, was aus diesem Fräulein geworden ist; und ich bin hier an einem Orte, wo ich mir Gehorsam zu verschaffen weiß.«

Bei diesen nachdrücklichen Worten geriet der Großwesir in unbeschreibliche Verlegenheit, und er dachte auf Mittel, sich so gut als möglich daraus zu ziehen. Er versuchte es bei dem Prinzen mit Güte und fragte ihn in den untertänigsten und behutsamsten Ausdrücken, ob er denn selber dieses Fräulein gesehen hätte.

»Ja, ja,« antwortete der Prinz, »ich habe sie gesehen und habe sehr wohl gemerkt, daß Ihr sie geschickt habt, mich zu versuchen. Sie hat die von Euch ihr vorgeschriebene Rolle sehr gut gespielt, indem sie kein Wort gesprochen, sondern sich schlafend gestellt und sich entfernt hat, sobald ich wieder eingeschlafen war. Ihr wißt das ohne Zweifel, und sie wird nicht verfehlt haben, Euch Bericht davon abzustatten.«

»Prinz,« versetzte der Großwesir, »ich schwöre Euch, daß nichts an alledem ist, was ich hier aus Eurem Munde vernehme; und der König, Euer Vater, und ich, wir haben das Fräulein, von welchem Ihr redet, nicht abgeschickt, ja, wir haben nicht einmal den Gedanken daran gehabt. Erlaubet mir, Euch noch einmal zu sagen, Ihr habt dieses Fräulein nur im Traume gesehen.«

»Ihr kommt also nur auch, um mich zu verspotten,« erwiderte zornig der Prinz, »und um mir ins Gesicht zu sagen, daß dasjenige, was ich Euch erzähle, ein Traum ist.« Und alsbald ergriff er ihn beim Barte und bearbeitete ihn so lange mit Schlägen, als er die Hand rühren konnte.

Der arme Großwesir ertrug geduldig den ganzen Zorn des Prinzen Kamaralsaman. »Da bin ich nun,« sagte er bei sich, »in demselben Falle wie der Sklave; ich habe von Glück zu sagen, wenn ich so wie er einer so großen Gefahr entgehe.« Und mitten unter den Schlägen, womit der Prinz ihn noch immer belud, rief er aus: »O Prinz, ich flehe Euch, mir nur einen Augenblick Gehör zu schenken.«

Der Prinz, endlich ermüdet vom Schlagen, ließ ihn reden.

»Ich bekenne Euch, Prinz,« sagte nun der Großwesir mit Verstellung, »daß etwas an Eurer Vermutung ist. Aber Euch ist nicht unbekannt, daß ein Minister gezwungen ist, die Befehle des Königs, seines Herrn, zu vollziehen. Wenn Ihr die Güte habt, es mir zu erlauben, so will ich sogleich hingehen und ihm alles sagen, was Ihr mir befehlet.«

»Ich erlaube es,« sagte darauf der Prinz, »gehet und saget ihm, daß ich das Fräulein heiraten will, die er mir geschickt oder gebracht hat. Machet geschwinde und bringet mir Antwort.«

Der Großwesir machte ihm beim Weggehen eine tiefe Verbeugung und glaubte sich nicht eher in Sicherheit, als bis er aus dem Turme war und die Türe hinter dem Prinzen verschlossen hatte.

Der Großwesir erschien vor dem Könige Schachsaman mit einer Niedergeschlagenheit, die diesen zum voraus bekümmerte.

»Wohlan,« fragte ihn der Fürst, »in welchem Zustande hast du meinen Sohn gefunden?«

»Herr,« antwortete der Minister, »was der Sklave Euer Majestät berichtet hat, ist nur zu wahr.« Hierauf erzählte er ihm seine Unterhaltung mit dem Prinzen, wie derselbe sich entrüstet, sobald er es gewagt, ihm vorzustellen, es wäre unmöglich, daß jenes Fräulein, von welchem er spräche, bei ihm geschlafen hätte; welche Mißhandlung er von ihm erlitten und welcher List er sich bedient hatte, um seinen Händen zu entkommen.

Schachsaman, umso bekümmerter, weil er den Prinzen stets mit Zärtlichkeit liebte, wollte sich selber von der Wahrheit überzeugen; er ging also zu ihm in den Turm und nahm den Großwesir mit sich ...

Aber Herr,« sagte hier die Sultanin Scheherasade, indem sie sich unterbrach, »ich gewahre, daß der Tag schon anbricht.« Damit schwieg sie. In der folgenden Nacht nahm sie ihre Erzählung wieder auf und sprach zu dem Sultan von Indien:

 

Zweihundertundsiebenundzwanzigste Nacht.

»Herr, der Prinz Kamaralsaman empfing den König, seinen Vater, in dem Turme seines Gefängnisses mit großer Ehrerbietung. Der König setzte sich; und nachdem er den Prinzen hatte neben sich setzen lassen, tat er ihm mehrere Fragen, auf welche derselbe ganz vernünftig antwortete; und von Zeit zu Zeit blickte er den Großwesir an, als wenn er ihm sagen wollte, er fände nicht, daß der Prinz, sein Sohn, den Verstand verloren, wie er versichert hatte, und daß er wohl selber ihn verloren haben müßte.

Endlich sprach der König auch von dem Fräulein zu dem Prinzen und sagte: »Mein Sohn, ich bitte dich, mir zu sagen, was es mit dem Fräulein für eine Bewandtnis hat, welche diese Nacht bei dir geschlafen haben soll.«

»Herr,« antwortete Kamaralsaman, »ich bitte Euer Majestät, meinen Verdruß über diesen Gegenstand nicht noch zu vermehren; erzeiget mir lieber die Gnade, sie mir zur Gattin zu geben. Welche Abneigung ich auch bisher gegen die Frauen bezeigt habe, so hat jedoch diese junge Schönheit mich dermaßen bezaubert, daß ich keinen Anstand nehme, Euch meine Schwachheit zu bekennen. Ich bin bereit, sie mit dem höchsten Danke von Eurer Hand zu empfangen.«

Der König Schachsaman ward ganz bestürzt über diese Antwort des Prinzen, welche dem bisher gezeigten gesunden Verstande so sehr zu widersprechen schien. »Mein Sohn,« erwiderte er, »du sagst mir da etwas, was mich in das größte Erstaunen versetzt, von welchem ich mich kaum erholen kann. Ich schwöre dir bei der Krone, die einst von mir auf dich übergehen soll, daß ich nicht das geringste von dem Fräulein weiß, von welchem du redest. Wenn irgend eine hierhergekommen ist, so habe ich jedoch keinen Teil daran. Wie aber hätte sie ohne meine Bewilligung in diesen Turm gelangen können? Denn was mein Großwesir dir auch gesagt haben mag, er hat es nur getan, um dich zu besänftigen. Es muß ein Traum sein; siehe wohl zu, ich bitte dich, und besinne dich.«

»Herr Vater,« versetzte der Prinz, »ich würde für immer der Güte Euer Majestät unwürdig sein, wenn ich der mir gegebenen Versicherung nicht Glauben beimäße. Aber ich bitte Euch, die Geduld zu haben, mich anzuhören und selber zu urteilen, ob das, was ich die Ehre habe Euch zu erzählen, ein Traum ist.«

Hierauf erzählte der Prinz Kamaralsaman dem Könige, seinem Vater, alle Umstände bei seinem Erwachen. Er schilderte ihm mit Begeisterung die Schönheit und die Reize des Fräuleins, das er an seiner Seite gefunden, die Liebe, die er in einem Augenblicke für sie gefaßt hatte, und sein vergebliches Bemühen, sie aufzuwecken. Er verschwieg ihm selbst nicht, was ihn bewogen, wieder einzuschlafen, nachdem er seinen Ring mit dem des Fräuleins vertauscht hatte. Er beschloß endlich damit, daß er den Ring vom Finger zog und ihm denselben überreichte mit den Worten: »Herr, der meine ist Euch nicht unbekannt, Ihr habt ihn mehrmals gesehen. Demnach hoffe ich, Ihr werdet überzeugt sein, daß ich nicht den Verstand verloren habe, wie man Euch eingebildet hat.«

Der König Schachsaman erkannte so deutlich die Wahrheit dessen, was sein Sohn ihm erzählte, daß er nichts darauf zu erwidern hatte. Ja er geriet darüber in so großes Erstaunen, daß er lange Zeit dasaß, ohne ein Wort zu sagen.

Der Prinz benutzte diesen Augenblick und sprach noch zu ihm: »Herr, die Leidenschaft, welche ich für dieses reizende Wesen empfinde, dessen teures Bild ich in meinem Herzen bewahre, ist schon so heftig, daß ich mich nicht stark genug fühle, ihr zu widerstehen. Ich flehe Euch, habt Mitleid mit mir und verschaffet mir das Glück ihres Besitzes.«

»Nach dem, was ich von dir höre, mein Sohn, und nach dem Anblicke dieses Ringes,« erwiderte der König, »kann ich nicht daran zweifeln, daß deine Leidenschaft wahrhaft sei, und daß du wirklich das Fräulein gesehen hast, welches sie erzeugt hat. Wollte Gott, daß ich dieses Fräulein kennte! Du solltest heute noch befriedigt und ich würde der glücklichste Vater von der Welt sein. Aber wo sie suchen? Wie und auf welchem Wege ist sie hier hereingekommen ohne mein Wissen und meinen Willen? Weshalb ist sie gekommen? Bloß, um bei dir zu schlafen, dir ihre Schönheit zu zeigen, Liebe in dir zu entzünden, während sie schlief, und wieder zu verschwinden, während du schliefst? Ich begreife dies Abenteuer nicht, mein Sohn; und wenn der Himmel uns nicht günstig ist, so wird es uns wohl beide ins Grab bringen.«

Indem er dieses sprach, faßte er den Prinzen bei der Hand und fügte hinzu: »Komm, laß uns gemeinsam Leid tragen, du, weil du hoffnungslos liebst, und ich, weil ich dich so betrübt sehe, ohne dein Übel heilen zu können.«

Der König Schachsaman führte den Prinzen wieder aus dem Turme in den Palast, wo derselbe aus Verzweiflung, eine Unbekannte zu lieben, sich alsbald zu Bette begab. Der König schloß sich ein und trauerte mehrere Tage mit ihm, ohne sich im geringsten um die Angelegenheiten seines Reichs bekümmern zu wollen.

Sein erster Minister, dem er allein den Zutritt zu ihm verstattet hatte, kam eines Tages und stellte ihm vor, daß sein ganzer Hof und selbst sein Volk anfingen zu murren, weil sie ihn nicht mehr sähen und er nicht täglich Gerechtigkeit pflegte wie sonst, und daß er nicht für die Unordnungen stünde, welche daraus entspringen könnten. »Ich flehe Euer Majestät,« fuhr er fort, »hierauf Rücksicht zu nehmen. Ich bin überzeugt, daß Eure Gegenwart den Schmerz des Prinzen und seine den Eurigen gegenseitig lindern: aber Ihr müßt doch daran denken, daß nicht alles zugrunde gehe. Erlaubet, daß ich Euch vorschlage, den Prinzen nach dem Schlosse auf der kleinen Insel nahe am Hafen zu bringen und nur zweimal wöchentlich Audienz zu geben. Während der Abwesenheit, zu welcher diese Verrichtung Euch nötigt, wird die bezaubernde Schönheit des Ortes, die frische Luft und die wundervolle Aussicht von dort dem Prinzen Eure kurze Entfernung erträglicher machen.«

Der König Schachsaman billigte diesen Rat; und sobald jenes Schloß, welches er lange nicht besucht hatte, eingerichtet war, begab er sich mit dem Prinzen dahin und verließ ihn hier nur, um pünktlich die beiden Audienzen zu geben. Die übrige Zeit brachte er bei seinem Bette zu, und bald bemühte er sich, ihn zu trösten, bald wehklagte er mit ihm.

 

Fortsetzung der Geschichte der Prinzessin von China.

Während diese Dinge in der Hauptstadt des Königs Schachsaman vorgingen, hatten die beiden Geister Dachnesch und Kaschkasch die Prinzessin von China nach dem Palaste zurückgebracht, wo der König, ihr Vater, sie eingeschlossen hielt, und sie wieder in ihr Bett gelegt.

Am Morgen beim Erwachen blickte die Prinzessin von China zur Rechten und zur Linken; und als sie sah, daß der Prinz Kamaralsaman nicht mehr bei ihr war, rief sie ihren Frauen mit so lauter Stimme, daß sie schleunig herbeiliefen und ihr Bette umgaben. Die Amme trat zu ihren Häupten und fragte sie, was sie verlangte, und ob ihr etwas zugestoßen wäre.

»Saget mir,« sprach die Prinzessin, »wo ist der Jüngling hingekommen, den ich von ganzem Herzen liebe, und der diese Nacht bei mir geschlafen hat?«

»Prinzessin,« antwortete die Amme, »wir verstehen nichts von Eurer Rede, wenn Ihr Euch nicht deutlicher erklärt.«

»Wisset,« fuhr die Prinzessin fort, »der schönste und liebenswürdigste Jüngling, den man sich nur denken kann, hat diese Nacht bei mir geschlafen; lange habe ich ihn geliebkost und alles mögliche angewendet, ihn aufzuwecken, ohne es zu bewirken: ich frage Euch, wo ist er?«

»Prinzessin,« antwortete die Amme, »ohne Zweifel wollt Ihr uns nur zum besten haben. Beliebt es Euch nicht, aufzustehen?«

»Ich spreche sehr ernstlich,« erwiderte die Prinzessin, »und ich will wissen, wo er ist.«

»Aber Prinzessin,« versetzte die Amme, »Ihr waret doch allein, als wir Euch gestern abend zu Bette brachten, und niemand ist hereingekommen, um bei Euch zu schlafen, soviel wir wissen, alle Eure Frauen und ich.«

Die Prinzessin von China verlor die Geduld: sie ergriff ihre Amme beim Kopfe und gab ihr Ohrfeigen und derbe Faustschläge. »Du sollst es mir sagen, alte Hexe,« sprach sie, »oder ich bringe dich um.«

Die Amme machte alle Anstrengungen, sich ihren Händen zu entziehen. Endlich riß sie sich los und ging auf der Stelle zu der Königin von China, der Prinzessin Mutter. Mit Tränen in den Augen und ganz zerbleutem Gesicht erschien sie vor der Königin, die mit großem Erstaunen sie fragte, wer sie in diesen Zustand versetzt hätte.

»Gebieterin,« sagte die Amme, »Ihr sehet, wie die Prinzessin mich zugerichtet hat; sie hätte mich umgebracht, wenn ich mich nicht ihren Händen entwunden hätte.« Hierauf erzählte sie ihr den Anlaß ihres Zorns und Ungestüms, worüber die Königin nicht minder bekümmert als verwundert war. »Ihr sehet, Gebieterin,« fügte sie zum Schlusse hinzu, »daß die Prinzessin den Verstand verloren hat. Ihr könnt selber darüber urteilen, wenn Ihr Euch zu ihr hinbemühet.«

Die Königin von China, welche ihre Tochter zärtlich liebte, war über diese Nachricht sehr beunruhigt; sie ließ sich von der Amme begleiten und eilte hin zu der Prinzessin, ihrer Tochter ...«

Die Sultanin Scheherasade wollte fortfahren; aber sie bemerkte, daß der Tag schon anbrach; sie schwieg also. In der folgenden Nacht nahm sie ihre Erzählung wieder auf und sprach zu dem Sultan von Indien:

 

Zweihundertundachtundzwanzigste Nacht.

»Herr, als die Königin von China in das Gemach trat, worin die Prinzessin, ihre Tochter, versperrt war, setzte sie sich neben sie; und nachdem sie sich nach ihrer Gesundheit erkundigt hatte, fragte sie sie, welche Ursache sie zur Unzufriedenheit mit ihrer Amme hätte, die sie so mißhandelt. »Meine Tochter,« sagte sie, »das ist nicht anständig; und niemals muß eine hohe Prinzessin wie du sich zu solchen Ausbrüchen hinreißen lassen.«

»Frau Mutter,« antwortete die Prinzessin, »ich sehe wohl, daß Euer Majestät mich auch verspotten will; aber ich erkläre, daß ich eher keine Ruhe haben werde, als bis der liebenswürdige Jüngling, der diese Nacht bei mir geschlafen hat, mein Gemahl ist. Ihr müßt wissen, wo er ist; ich bitte Euch inständig, ihn wiederkommen zu lassen.«

Zugleich sprach sie folgende Verse aus:

»Ach wie groß war seine Schönheit! – Doch Schönheit ist nur ein geringer Teil seiner Eigenschaften.

Sein schlanker Wuchs, gleich einem schwanken Zweige, ist nicht weniger reizend als die frischen Rosen seiner Wangen.

Diese Wangen sind rosenfarbene Blätter, auf denen die Male (welche ihm so schön stehen) als die Punkte erscheinen zu den Nunen seiner Augenbrauen, die mit Tintenschwärze darauf gezeichnet sind.

Ich hörte nicht auf, von der Zeit seine Rückkehr zu erbitten: – möchte er doch kommen! Allein sich fernzuhalten scheint ihm eigen zu sein. –

Gern würde ich der Zeit alsdann ihre Ungerechtigkeit verzeihen und einen dichten Schleier darüber decken. –

Uns umarmend haben wir die Nacht zugebracht; Umarmung war unser Mitgenosse: er war freudetrunken von meiner Gazellengestalt und ich von dem Becher seines Mundes.

Ich drückte ihn fest an mich, wie ein Geiziger seinen Reichtum festhält, aus Furcht, es möchte mir eine von seinen Schönheiten geraubt werden.

Ich hielt ihn in meinen Armen, als ob er eine Gazelle wäre, vor dem Eindrucke deren Blicks ich mich fürchtete.« –

»Meine Tochter,« erwiderte die Königin, »du setzest mich in Erstaunen, und ich verstehe deine Reden nicht.«

Jetzt vergaß die Prinzessin die Ehrfurcht und versetzte: »Frau Mutter, der König, mein Vater, und Ihr habt mir zugesetzt, um mich zur Vermählung zu bewegen, als ich keine Lust dazu hatte; diese Lust ist mir jetzt gekommen, und ich will durchaus den Jüngling, von welchem ich Euch gesagt habe, zum Gatten haben, oder ich bringe mich um.«

Die Königin versuchte es bei der Prinzessin mit Güte und sagte zu ihr: »Meine Tochter, du weißt selber recht wohl, daß du in deinem Gemache allein bist und kein Mann hereinkommen kann.«

Die Prinzessin aber, anstatt sie anzuhören, unterbrach sie und bezeigte sich so ungebärdig, daß die Königin genötigt war, sich mit großer Betrübnis zu entfernen und hinzugehen, um den König von allem zu benachrichtigen.

Der König von China wollte selber die Sache ergründen: er kam in das Zimmer der Prinzessin, seiner Tochter, und fragte sie, ob es wahr wäre, was er vernommen hätte.

»Herr Vater,« antwortete sie, »reden wir nicht davon; erzeiget mir nur die Gnade, mir den Gatten wiederzugeben, der diese Nacht bei mir geschlafen hat.«

»Was, meine Tochter,« versetzte der König, »hat jemand diese Nacht bei dir geschlafen?«

»Wie, Herr Vater,« erwiderte die Prinzessin, ohne ihm Zeit zu lassen, fortzufahren, »Ihr fraget mich, ob jemand bei mir geschlafen hat? Euer Majestät ist es nicht unbekannt. Es ist der schönste Jüngling, den je die Sonne beschienen hat. Damit Euer Majestät nicht zweifle,« fuhr sie fort, »daß ich ihn gesehen, er bei mir geschlafen, ich ihn geliebkost und alle Mühe angewendet habe, ihn aufzuwecken, ohne es zu bewirken, so beliebet hier diesen Ring anzusehen.«

Sie streckte die Hand hin, und der König von China wußte nicht, was er sagen sollte, als er sah, daß es ein Mannesring war. Weil er aber ihre ganze Erzählung nicht begreifen konnte und sie als eine Wahnsinnige hatte einsperren lassen, so hielt er sie noch für ebenso toll als zuvor. Und aus Furcht, sie möchte sich an ihm selber oder an andern ihr Nahenden vergreifen, ließ er ihr, ohne weiter mit ihr zu reden, Fesseln anlegen und sie noch enger einsperren und gab ihr nur ihre Amme zur Bedienung, mit einer starken Wache an der Türe.

Der König von China war untröstlich über das Unglück, das der Prinzessin, seiner Tochter, zugestoßen war, indem sie, wie er wähnte, den Verstand verloren hätte, und dachte auf Mittel ihrer Heilung. Er versammelte seinen Rat; und nachdem er ihren Zustand geschildert hatte, fügte er hinzu: »Wenn jemand unter euch so geschickt ist, ihre Heilung zu unternehmen und zu bewirken, so will ich sie ihm zur Frau geben und ihn zum Erben meines Reiches und meiner Krone einsetzen.«

Der Wunsch, eine so schöne Prinzessin zu besitzen, und die Hoffnung, einst ein so mächtiges Königreich zu beherrschen wie das von China, machten großen Eindruck auf einen schon bejahrten Emir, der mit im Rate saß. Da er der Zauberei kundig war, so schmeichelte er sich mit einem glücklichen Erfolg und bot sich dem Könige an.

»Ich bewillige es,« fuhr der König fort; »aber ich sage dir zum voraus, es geschieht nur unter der Bedingung, dir den Kopf abhauen zu lassen, wenn es dir nicht gelingt: es wäre unbillig, einen so großen Preis davonzutragen, ohne von deiner Seite etwas dafür zu wagen. Und was ich dir sage, sage ich zugleich allen andern, die nach dir sich anbieten werden, im Falle du die Bedingung nicht annimmst oder es dir mißlingt.«

Der Emir nahm die Bedingung an, und der König selber führte ihn zu der Prinzessin.

Diese verhüllte ihr Gesicht, sobald sie den Emir kommen sah, und sprach: »Herr Vater, Euer Majestät überrascht mich durch die Zuführung eines Mannes, den ich nicht kenne, und vor dem mein Antlitz sehen zu lassen die Religion verbietet.«

»Meine Tochter,« erwiderte der König, »seine Gegenwart darf dir keinen Anstoß geben; es ist einer meiner Emire, der dich zur Gattin begehrt.«

»Herr Vater,« versetzte die Prinzessin, »es ist nicht derjenige, den Ihr mir schon gegeben habt, und von dem ich den Verlobungsring empfangen habe und hier trage: Ihr werdet nicht übel deuten, wenn ich keinen andern annehme.«

Der Emir hatte erwartet, daß die Prinzessin ausschweifende Dinge tun oder sagen würde, und war sehr erstaunt, als er sie so ruhig sah und so verständig reden hörte. Er erkannte wohl, daß ihr Wahnsinn nichts anderes als eine heftige Liebe wäre, die ihren guten Grund haben müßte. Er wagte es nicht, sich gegen den König hierüber zu erklären. Dieser hätte es nicht dulden können, daß die Prinzessin ihr Herz einem andern geschenkt als dem, den sie von seiner Hand empfangen sollte. Aber indem er sich zu seinen Füßen warf, sagte er: »Herr, nach dem, was ich soeben gehört habe, würde es unnütz sein, wenn ich die Heilung der Prinzessin unternähme; ich weiß kein Mittel gegen ihr Übel, und mein Leben ist Euer Majestät verfallen.«

Der König, erzürnt über die Unfähigkeit des Emirs und über die Mühe, die er ihm verursacht hatte, ließ ihm den Kopf abhauen.

Einige Tage darauf ließ der König, um sich nicht vorzuwerfen, etwas zur Heilung der Prinzessin verabsäumt zu haben, in seiner Hauptstadt öffentlich kund machen: wenn ein Arzt, Sterndeuter oder Zauberer so geschickt wäre, die Prinzessin wieder zu Verstande zu bringen, so möchte er nur kommen, jedoch unter der Bedingung, den Kopf zu verlieren, wenn er sie nicht heilete. Er ließ dieselbe Kundmachung in den vorzüglichsten Städten seines Reichs und an den Höfen der benachbarten Fürsten ergehen.

Der erste, der sich nun dazu erbot, war ein Sterndeuter und Zauberer, und der König ließ ihn durch einen Verschnittenen nach dem Gefängnisse seiner Tochter führen. Der Sterndeuter zog aus seinem Sack unterm Arme ein Astrolabium, eine kleine Himmelskugel, ein Kohlenbecken, mehrere Spezereien zum Räuchern, ein kupfernes Gefäß und verschiedene andere Dinge und befahl, ihm Feuer zu bringen.

Die Prinzessin von China fragte, was alle diese Anstalten bedeuteten. »Prinzessin,« antwortete der Sterndeuter, »sie dienen dazu, den bösen Geist zu beschwören, von welchem Ihr besessen seid, ihn in dies Gefäß, das Ihr hier sehet, zu verschließen und ihn auf den Grund des Meeres zu werfen.«

»Verfluchter Sterngucker,« rief die Prinzessin aus, »wisse, daß ich aller dieser Vorrichtungen nicht bedarf, daß ich meinen gesunden Verstand habe, und daß du selber ein Unsinniger bist. Wenn deine Macht so weit reicht, so bringe mir nur den her, den ich liebe; das ist der beste Dienst, den du mir leisten kannst.«

»Prinzessin,« erwiderte der Sterndeuter, »wenn es sich so verhält, so dürft Ihr ihn nicht von mir, sondern einzig von dem König, Eurem Vater, erwarten.«

Hierauf steckte er alles wieder in seinen Sack, was er daraus hervorgezogen hatte, sehr verdrießlich, daß er sich so leicht auf die Heilung einer eingebildeten Kranken eingelassen hatte.

Als der Sterndeuter von dem Verschnittenen wieder vor den König von China geführt wurde, ließ er jenen nicht zu Worte kommen, sondern sprach selber sogleich zu dem Könige mit Dreistigkeit: »Herr, laut der Bekanntmachung, die Euer Majestät ergehen ließ und selber mir bestätigte, hielt ich die Prinzessin für wahnsinnig, und ich war gewiß, sie durch die mir bekannten Geheimnisse wieder zu Verstande zu bringen: aber ich habe bald erkannt, daß sie keine andere Krankheit hat als die Liebe, und meine Kunst erstreckt sich nicht bis zur Heilung dieses Übels. Euer Majestät kann es besser heilen als irgend jemand, wenn sie ihr den verlangten Gemahl gibt.«

Der König ergrimmte über diese Unverschämtheit des Sterndeuters, wofür er es hielt, und ließ ihm den Kopf abhauen.

Um Euer Majestät nicht durch Wiederholungen zu ermüden,« fuhr Scheherasade fort, »sage ich nur, daß sich hundertundfünfzig sowohl Sterndeuter als Ärzte und Zauberer zur Heilung erboten, die alle dasselbe Schicksal hatten; und ihre Köpfe wurden über allen Toren der Stadt aufgesteckt.


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