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»In einer sehr großen und reichen Hauptstadt Chinas, deren Name mir gegenwärtig entfallen ist, lebte ein Schneider namens Mustafa, der außer seinem Gewerbe sich durch nichts weiter von andern unterschied. Dieser Schneider Mustafa war sehr arm, und seine Arbeit brachte ihm kaum so viel ein, daß er, seine Frau und ein Sohn, den ihnen Gott geschenkt hatte, davon leben konnten.
Die Erziehung dieses Sohnes, welcher Aladdin hieß, war sehr vernachlässigt worden, und dies war denn schuld, daß er sich sehr lasterhafte Neigungen angewöhnt hatte. Er war boshaft, halsstarrig und gegen Vater und Mutter ungehorsam. Sobald er ein wenig herangewachsen war, konnten ihn seine Eltern nicht mehr zu Hause halten. Er ging schon am frühen Morgen aus und brachte den ganzen Tag damit hin, daß er aus den Straßen und öffentlichen Plätzen mit Gassenjungen spielte, die weit unter seinem Alter waren.
Als er in die Jahre gekommen war, wo er ein Handwerk erlernen sollte, nahm ihn sein Vater, der ihn kein anderes Gewerbe lernen lassen konnte als das seinige, in seine Bude und fing an, ihn zu unterweisen, wie er die Nadel führen sollte. Allein weder durch Güte noch durch Furcht vor Strafe vermochte der Vater die Flatterhaftigkeit seines Sohnes zu fesseln; er vermochte ihn nicht anzuhalten oder zu zwingen, daß er, wie er es wünschte, emsig und anhaltend bei der Arbeit geblieben wäre. Sobald nur Mustafa den Rücken wendete, schlüpfte Aladdin fort und kam den ganzen Tag nicht wieder. Der Vater züchtigte ihn; allein Aladdin war nicht zu bessern, und Mustafa mußte ihn zuletzt zu seinem großen Bedauern seinem liederlichen Leben überlassen. Dies machte ihm viel Herzeleid, und der Kummer darüber, daß er seinen Sohn nicht zu seiner Pflicht zurückführen konnte, zog ihm eine schwere Krankheit zu, an welcher er nach einigen Monaten starb.
Aladdins Mutter, welche sah, daß ihr Sohn niemals das Gewerbe des Vaters erlernen würde, schloß den Laden und machte all ihr Handwerksgerät zu Gelde, um sowohl davon als auch von dem wenigen, was sie vom Baumwollespinnen erwarb, mit ihrem Sohne leben zu können.
Aladdin, der jetzt nicht mehr durch die Furcht vor seinem Vater in Schranken gehalten wurde, und der sich um seine Mutter so wenig kümmerte, daß er dreist genug war, ihr bei den geringsten Vorstellungen, die sie ihm machte, zu drohen, überließ sich nun ganz der Liederlichkeit. Er suchte immer mehr junge Leute seines Alters auf und spielte mit ihnen ohne Unterlaß und leidenschaftlicher als jemals. Diese Lebensweise setzte er bis zu einem Alter von fünfzehn Jahren fort, ohne zu irgend etwas Lust oder Neigung zu verraten, und ohne zu überlegen, was aus ihm werden sollte. Einst spielte er so nach seiner Gewohnheit mit einem Schwarme von Gassenjungen auf einem freien Platze, als ein Fremder vorüberging, welcher stehen blieb und ihn ansah.
Dieser Fremde war ein berühmter Zauberer. Die Geschichtsschreiber, welche diese Erzählung aufbewahrt haben, nennen ihn den afrikanischen Zauberer, und wir wollen ihn daher ebenso nennen, und zwar umso lieber, da er wirklich aus Afrika und erst seit zwei Tagen angelangt war.
Sei es nun, daß der afrikanische Zauberer, der sich auf Gesichtsbildungen verstand, in dem Gesicht Aladdins alles das gelesen hatte, was zur Ausführung dessen, weshalb er diese weite Reise unternommen, erforderlich war, oder mochte er einen andern Grund haben, genug, er erkundigte sich genau nach seiner Familie, und was er wäre. Als er sich über alles, was er nur wünschte, unterrichtet hatte, näherte er sich dem jungen Menschen, zog ihn einige Schritte von seinen Spielgesellen beiseite und fragte ihn: »Mein Sohn, ist dein Vater nicht der Schneider Mustafa?« – »Ja,« erwiderte Aladdin, »aber er ist schon lange tot.«
Bei diesen Worten fiel der afrikanische Zauberer dem Aladdin um den Hals, umarmte ihn und küßte ihn wiederholt mit Tränen in den Augen und seufzend. Aladdin bemerkte seine Tränen und fragte ihn, was denn die Ursache derselben wäre. »Ach, mein Sohn!« rief der afrikanische Zauberer, »wie könnte ich mich des Weinens enthalten? Ich bin dein Oheim, und dein Vater war mein geliebter Bruder. Ich bin schon mehrere Jahre lang auf Reisen, und in dem Augenblicke, wo ich hier anlangte in der Hoffnung, ihn wiederzusehen und ihn durch meine Rückkehr zu erfreuen, meldest du mir, daß er tot ist. Ich kann dich versichern, es ist für mich ein empfindlicher Schmerz, mich so desjenigen Trostes beraubt zu sehen, worauf ich mir Rechnung gemacht hatte. Indes, was einigermaßen meine Betrübnis mildert, ist, daß ich, soweit ich mich noch zurückerinnern kann, seine Züge auf deinem Gesichte wiederentdecke, und ich sehe, daß ich mich nicht getäuscht habe, indem ich mich an dich gewendet.« Er fragte Aladdin, indem er in seinen Geldbeutel hineingriff, wo denn seine Mutter wohnte. Aladdin gab ihm sogleich Auskunft auf seine Frage, und der afrikanische Zauberer gab ihm in diesem Augenblick eine Handvoll Kleingeld, indem er hinzufügte: »Mein Sohn, geh jetzt eilig zu deiner Mutter, grüße sie von mir und sage ihr, ich werde morgen, wofern es mir die Zeit erlaubt, sie besuchen, um mir den Trost zu verschaffen, den Ort und die Stelle zu sehen, wo mein guter Bruder so lange gelebt hat, und wo er gestorben ist.«
Sobald als der afrikanische Zauberer seinen Neffen – den er soeben erst dazu gemacht – verlassen hatte, lief Aladdin, höchst erfreut über das Geld, welches sein Oheim ihm geschenkt, zu seiner Mutter und sagte zu ihr beim Eintreten: »Liebe Mutter, ich bitte dich, sage mir, ob ich noch einen Oheim habe.« – »Nein, mein Sohn,« erwiderte die Mutter, »du hast keinen Oheim, weder von seiten deines verstorbenen Vaters noch von meiner Seite.« – »Und doch,« fuhr Aladdin fort, »habe ich jetzt eben einen Mann gesprochen, der sich für meinen Oheim von väterlicher Seite ausgibt und mich versichert hat, er sei meines Vaters Bruder. Um Euch zu beweisen, daß ich die Wahrheit rede,« fuhr er fort, indem er das empfangene Geld zeigte, »da sehet einmal, was er mir geschenkt hat. Er hat mir auch aufgetragen, Euch von ihm zu grüßen und Euch zu sagen, daß er morgen, wofern es seine Zeit erlaubt, Euch besuchen wird, um zugleich das Haus zu sehen, worin mein Vater gelebt hat und gestorben ist.« – »Mein Sohn,« erwiderte die Mutter, »es ist wahr, dein Vater hatte einen Bruder; aber er ist schon längst tot, und ich habe nie von ihm gehört, daß er noch einen anderen hätte.« Weiter sprachen sie nichts über den afrikanischen Zauberer.
Den folgenden Tag redete der afrikanische Zauberer den Aladdin noch einmal an, als dieser eben an einem anderen Orte der Stadt mit anderen Kindern spielte. Er umarmte ihn, wie er den Tag zuvor getan, drückte ihm zwei Goldstücke in die Hand und sagte zu ihm: »Mein Sohn, trag dies deiner Mutter hin und sage ihr, ich werde sie diesen Abend besuchen, und sie möge dafür zum Abendessen einkaufen, damit wir zusammen speisen können; doch zuvor bezeichne mir das Haus, wo sie wohnt.« Er bezeichnete es ihm, und der afrikanische Zauberer ließ ihn gehen.
Aladdin brachte die beiden Goldstücke seiner Mutter. Sobald er ihr erzählt hatte, was der Oheim zu tun willens wäre, ging sie aus, um das Geld zu verwenden, und kam mit reichlichen Speisevorräten zurück; bei den Nachbarn borgte sie das erforderliche Tischgeschirr, welches ihr fehlte, und so brachte sie den ganzen Tag mit Anstalten zur Abendmahlzeit hin. Am Abend, als alles fertig war, sagte sie zu Aladdin: »Mein Sohn, dein Oheim weiß vielleicht nicht, wo unser Haus ist; geh ihm daher entgegen und führe ihn hierher, wenn du ihn siehst.«
Obwohl Aladdin dem afrikanischen Zauberer das Haus bezeichnet hatte, so wollte er ihm doch sogleich entgegengehen, als man an die Tür klopfte. Aladdin öffnete und erkannte sogleich den afrikanischen Zauberer, der mit Weinflaschen und Früchten von allerlei Gattungen für das Abendbrot beladen hereintrat.
Nachdem der afrikanische Zauberer das, was er trug, dem Aladdin übergeben hatte, begrüßte er die Mutter desselben und bat sie, ihm die Stelle auf dem Sofa zu zeigen, wo sein Bruder Mustafa gewöhnlich gesessen hatte. Sie zeigte sie ihm. Sogleich warf er sich nieder, küßte wiederholt diese Stelle mit Tränen in den Augen und rief: »Mein armer Bruder, wie unglücklich bin ich, daß ich nicht zur rechten Zeit eingetroffen, um dich vor deinem Tode noch einmal umarmen zu können!« Ungeachtet dessen, daß die Mutter Aladdins ihn darum bat, wollte er doch nicht auf diesen Platz sich setzen. »Nein,« sagte er, »ich werde mich wohl hüten; aber erlaubet mir, hier gegenüber zu sitzen, damit, wenn ich auch des Vergnügens beraubt bin, ihn als Familienvater persönlich anwesend zu erblicken, ich mir doch wenigstens einbilden kann, als säße er da.« Die Mutter Aladdins drang nun nicht weiter in ihn, sondern ließ ihn Platz nehmen, wo er Lust hatte.
Als der afrikanische Zauberer sich gesetzt hatte, fing er an, sich mit Aladdins Mutter zu unterhalten. »Meine gute Schwester,« sagte er zu ihr, »wundre dich nicht, daß du mich während der ganzen Zeit, wo du mit meinem Bruder Mustafa seligen Andenkens verheiratet warst, nie gesehen hast. Es ist gerade vierzig Jahre her, daß ich aus diesem Lande, welches mein und meines verstorbenen Bruders Vaterland ist, fortreiste. Seitdem habe ich Reisen nach Indien, Persien, Arabien, Syrien und Ägypten gemacht, habe mich in den schönsten Städten dieser Länder aufgehalten und bin dann nach Afrika gegangen, wo ich einen etwas längeren Aufenthalt genommen. Da es indes dem Menschen von Natur angeboren ist, wie weit er auch von seiner Heimat entfernt sein mag, doch nie das Andenken an dieselbe, an seine Eltern, Verwandten und Jugendgespielen ganz zu vergessen, so ergriff auch mich am Ende ein so heißes Verlangen, jetzt, da ich noch Mut und Kräfte zu einer so weiten Reise in mir fühlte, meine Heimat wiederzusehen und meinen geliebten Bruder zu umarmen, daß ich auf der Stelle meine Vorbereitungen traf und mich auf den Weg machte. Ich sage dir nichts von der Länge der Zeit, die ich dazu gebraucht, noch von den mir aufgestoßenen Hindernissen, noch von den Beschwerden und Mühsalen, die ich ausgestanden habe, um hierher zu gelangen – ich will dir bloß sagen, daß mich auf allen meinen Reisen nichts so sehr geschmerzt und betrübt hat, als da ich jetzt den Tod meines Bruders vernahm, den ich immer so lieb gehabt und für den ich eine wahrhaft brüderliche Zuneigung gehegt hatte. Ich bemerkte einige Züge von ihm auf dem Gesichte meines Neffen, deines Sohnes, und dies machte, daß ich ihn unter allen den übrigen Kindern, mit denen er zusammen war, herausfand. Er wird dir vielleicht erzählt haben, welchen Eindruck die traurige Nachricht von dem Tode meines Bruders auf mich gemacht hat. Indes – Gott sei allewege gelobt! – ich tröste mich, daß ich ihn in deinem Sohne wiedergefunden habe, der mir seine Gesichtszüge so lebendig vergegenwärtigt.«
Der afrikanische Zauberer bemerkte, daß Aladdins Mutter bei dem Andenken an ihren Mann, das ihren Schmerz erneuerte, gerührt wurde, und lenkte daher das Gespräch auf etwas anderes. Er wandte sich zu Aladdin und fragte ihn, wie er hieße. »Ich heiße Aladdin,« antwortete dieser. »Nun, Aladdin,« fuhr der Zauberer fort, »womit beschäftigst du dich? Verstehst du irgend ein Gewerbe?«
Bei dieser Frage schlug Aladdin die Augen nieder und geriet in Verlegenheit. Seine Mutter nahm indes das Wort und sagte: »Aladdin ist ein Faulenzer. Sein Vater tat bei seinen Lebzeiten alles mögliche, um ihn sein Gewerbe zu lehren, konnte aber seinen Zweck nicht erreichen; jetzt, da dieser tot ist, mag ich ihm täglich sagen und vorreden, was ich will, er treibt keine andere Lebensweise als die eines Herumstreichers und bringt seine ganze Zeit, wie Ihr gesehen habt, unter anderen Kindern mit Spielen hin, ohne zu bedenken, daß er selber kein Kind mehr ist; und wenn Ihr ihn heute nicht deshalb beschämt und er sich diese Warnung nicht zunutze macht, so verzweifle ich ganz, daß je aus ihm etwas Tüchtiges werde. Er weiß, daß sein Vater kein Vermögen hinterlassen hat, und sieht selber, daß ich mit meinem Baumwollespinnen den ganzen Tag über kaum so viel verdienen kann, daß wir Brot haben. was mich betrifft, so habe ich den Beschluß gefaßt, ihm ehester Tage meine Türe zu verschließen und ihn fortzuschicken, um sich sein Brot anderswo zu suchen.«
Als die Mutter Aladdins unter vielen Tränen so gesprochen hatte, sagte der afrikanische Zauberer zu Aladdin: »Das ist nicht gut, mein lieber Neffe; du mußt darauf denken, dir selber fortzuhelfen und dir deinen Lebensunterhalt zu erwerben. Es gibt ja so verschiedene Gewerbe in der Welt; sollte denn nicht eins darunter sein, wozu du vorzugsweise Lust und Neigung hättest? Vielleicht gefällt dir bloß das deines Vaters nicht, und du würdest dich eher zu einem andern bequemen; verhehle mir nicht deine Gesinnungen hierüber, ich will ja bloß dein bestes.« Da er sah, daß Aladdin nichts antwortete, so fuhr er fort: »Hast du vielleicht überhaupt Abneigung gegen die Erlernung irgend eines Gewerbes, und willst du als ein gebildeter Mann in der Welt leben, so will ich dir einen Laden voll der reichsten Stoffe und des feinsten Linnenzeuges eingeben; du kannst dich dann mit dem Verkaufe dieser Sachen befassen, mit dem Gelde, welches du daraus lösest, andere Waren einkaufen und auf diese Weise ein anständiges Auskommen finden. Frage dich selbst und sage mir offen, was du denkst; du wirst mich stets bereit finden, mein Versprechen zu halten.«
Dieses Anerbieten schmeichelte dem Aladdin sehr, den jede Handarbeit anekelte, und zwar umsomehr, da er bemerkt hatte, daß die Läden dieser Art, wie ihm vorgeschlagen worden, immer sehr reinlich und stark besucht und daß die Kaufleute darin sehr gut gekleidet und sehr geachtet waren. Er sagte daher zu dem afrikanischen Zauberer, den er als seinen Oheim betrachtete, daß seine Neigung mehr nach dieser Seite als nach jeder andern hingerichtet wäre, und daß er ihm für die Wohltat, die er ihm zugedacht, sein ganzes Leben hindurch verpflichtet sein würde. »Da dies Gewerbe dir gefällt,« erwiderte der afrikanische Zauberer, »so werde ich dich morgen mitnehmen und dich so reich und nett kleiden lassen, wie es sich für einen der ersten Kaufleute dieser Stadt schickt, und übermorgen wollen wir darauf denken, für dich einen Laden zu errichten, wie ich ihn im Sinne habe.«
Aladdins Mutter, die bis dahin gar nicht geglaubt hatte, daß der afrikanische Zauberer ein Bruder ihres Mannes wäre, zweifelte jetzt nach den Versprechungen, die er ihrem Bohne machte, keinen Augenblick mehr daran. Sie dankte ihm für seine guten Absichten, und nachdem sie den Aladdin ermuntert hatte, sich der Wohltaten, wozu ihm sein Oheim Hoffnung machte, würdig zu zeigen, trug sie die Abendmahlzeit auf. Die Unterhaltung während des Abendessens betraf noch immer denselben Gegenstand, bis endlich der Zauberer bemerkte, daß die Nacht schon weit vorgerückt war, worauf er von Mutter und Sohn Abschied nahm und sich entfernte.
Am folgenden Morgen früh unterließ der afrikanische Zauberer nicht, seinem Versprechen gemäß zu Mustafas Witwe wiederzukommen. Er nahm sodann Aladdin mit sich und führte ihn zu einem großen Kaufmann, der bloß ganz fertige Kleider von allen Gattungen der schönsten Stoffe für Personen jedes Alters und Standes zu verkaufen hatte. Er ließ sich mehrere zeigen, die der Größe Aladdins angemessen waren, und nachdem er die, welche ihm am besten gefielen, ausgesucht und alle andern, die nicht so schön waren, als er wünschte, wieder zurückgelegt hatte, sagte er zu Aladdin: »Lieber Neffe, wähle dir unter allen diesen Kleidern dasjenige aus, welches dir am besten gefällt.« Aladdin, der über diese Freigebigkeit seines neuen Oheims ganz entzückt war, wählte eins aus. Der Zauberer kaufte es mit allem, was dazu gehörte, und bezahlte es bar, ohne zu handeln.
Als Aladdin sich so prächtig vom Kopfe bis zu den Füßen gekleidet sah, stattete er seinem Oheim alle nur erdenklichen Danksagungen ab, und der Zauberer versprach ihm, ihn auch ferner nicht zu verlassen, sondern ihn stets bei sich zu behalten. Auch führte er ihn wirklich in die besuchtesten Gegenden der Stadt, besonders in diejenigen, wo die Läden der reichsten Kaufleute waren; und als er mit ihm in die Straße gekommen war, wo die Läden mit den schönsten Stoffen und der feinsten Schleierleinwand sich befanden, sagte er zu Aladdin: »Da du bald ein ebensolcher Kaufmann wie diese da sein wirst, so ist es gut, daß du sie besuchest, und daß sie dich kennen lernen.« Er zeigte ihm ferner auch die schönsten und größten Moscheen, führte ihn in die Chane, wo die fremden Kaufleute wohnten, und an alle diejenigen Orte im Palaste des Sultans, zu denen man freien Zutritt hatte. Endlich, nachdem sie die schönsten Gegenden der Stadt miteinander durchstreift hatten, gelangten sie in den Chan, worin der Zauberer seine Wohnung genommen hatte. Es fanden sich da noch einige andere Kaufleute ein, deren Bekanntschaft er seit seiner Ankunft gemacht und die er diesmal absichtlich versammelt hatte, um sie gut zu bewirten und um ihnen seinen angeblichen Neffen vorzustellen.
Das Gastmahl endigte nicht eher als am Abend. Aladdin wollte von seinem Oheim Abschied nehmen, um nach Hause zurückzukehren; allein der afrikanische Zauberer wollte ihn nicht allein gehen lassen, sondern geleitete ihn selber bis in die Wohnung seiner Mutter zurück. Als diese ihren Sohn so gut gekleidet erblickte, war sie vor Freuden außer sich und konnte gar nicht aufhören, den Zauberer, der für ihren Sohn so viel Geld ausgegeben, mit allen möglichen Segenswünschen zu überhäufen. »Großmütiger Anverwandter,« sagte sie zu ihm, »ich weiß nicht, wie ich Euch für Eure Freigebigkeit genugsam danken soll. Ich weiß, daß mein Sohn das Gute, welches Ihr ihm erzeiget, nicht verdient, und er würde dessen gänzlich unwert sein, wenn er es nicht erkennen oder nicht Euren guten Absichten entsprechen sollte, die Ihr mit ihm vorhabt, indem Ihr ihm eine so glänzende Einrichtung geben wollt. Ich für meine Person,« fügte sie hinzu, »danke Euch von ganzem Herzen dafür und wünsche Euch ein recht langes Leben, um Zeuge von der Dankbarkeit meines Sohnes sein zu können, der Euch dieselbe nicht besser an den Tag legen kann, als wenn er ganz Euren guten Ratschlägen folgt.«
»Aladdin,« erwiderte der afrikanische Zauberer, »ist ein guter Junge, er hört auf mich, und ich denke, daß wir noch etwas recht Gutes aus ihm machen werden. Es tut mir übrigens leid, daß ich morgen noch nicht das ausführen kann, was ich ihm versprochen habe. Es ist nämlich Freitag, die Läden werden da geschlossen sein, und es ist also nicht daran zu denken, einen zu mieten und mit Waren zu versehen, da die Kaufleute an diesem Tage nur auf ihr Vergnügen und auf ihre Zerstreuung denken. Wir werden also die Sache auf Sonnabend verschieben müssen. Indes werde ich ihn morgen wieder mitnehmen und ihn in die Gärten spazieren führen, wo sich gewöhnlich die schöne Welt einzufinden pflegt. Er hat vielleicht noch nie etwas von den Vergnügungen gesehen, die man da genießt. Bisher war er nur immer mit Kindern zusammen, er muß jetzt auch einmal erwachsene Menschen sehen.« Der afrikanische Zauberer nahm endlich von Mutter und Sohn Abschied und entfernte sich. Aladdin indes, der schon hoch erfreut darüber war, sich so gut gekleidet zu sehen, freute sich jetzt auch noch im voraus auf den Spaziergang nach den Gärten außerhalb der Stadt. In der Tat war er noch nie vor die Tore gekommen, und er hatte noch nie die Umgebungen gesehen, welche überaus schön waren.
Aladdin stand den folgenden Tag sehr früh auf und kleidete sich an, um zum Mitgehen bereit zu sein, sobald sein Oheim ihn abholen würde. Nachdem er, wie es ihn bedünkte, sehr lange gewartet hatte, bewirkte die Ungeduld, daß er die Türe öffnete und häufig hinausging, um zu sehen, ob er denn nicht käme. Sobald er ihn von fern erblickte, gab er seiner Mutter davon Nachricht, nahm hierauf von ihr Abschied, schloß die Türe zu und eilte ihm entgegen.
Der afrikanische Zauberer erzeigte dem Aladdin, als er ihn wiedersah, viele Liebkosungen. »Wohlan nun, lieber Junge,« sagte er mit lächelnder Miene zu ihm, »ich werde dir heute schöne Sachen zeigen.« Hierauf führte er ihn durch ein Tor, welches zu großen und schönen Häusern oder vielmehr zu prächtigen Palästen hinaus führte, deren jeder einen sehr schönen Garten hatte, in welchen man frei eintreten durfte. Bei jedem Palaste, an welchem sie vorbeikamen, fragte er Aladdin, ob er ihn schön fände: und Aladdin, der ihm immer zuvorkam, sagte bei jedem neuen, der sich ihrem Anblicke darbot: »Lieber Oheim, da ist ein noch weit schönerer als alle die, welche wir bisher gesehen haben.« Unterdessen waren sie immer weiter ins Freie vorgeschritten, und der listige Zauberer, der gern noch weiter gehen wollte, um den Plan, den er im Kopfe hatte, auszuführen, nahm Anlaß, in einen dieser Gärten hineinzutreten. Er setzte sich neben ein großes Becken, in welches durch einen bronzenen Löwenrachen silberhelles Wasser sprudelte, und stellte sich ermüdet, damit Aladdin sich ebenfalls setzen möchte. »Lieber Neffe,« sagte er zu ihm, »du wirst ebenso müde sein wie ich; laß uns hier ein wenig ausruhen, um frische Kräfte zu sammeln; wir werden dann mehr Mut haben, unsern Spaziergang zu verfolgen.«
Als sie sich gesetzt hatten, zog der afrikanische Zauberer aus einem Tuche, das an seinem Gürtel befestigt war, Kuchen und mehrere Arten von Früchten, die er zum Vorrate mitgenommen, hervor und breitete sie auf dem Rande des Beckens aus. Er teilte einen Kuchen mit Aladdin und ließ in Hinsicht der Früchte demselben freie Auswahl unter denen, die ihn am besten schmeckten. Während dieser kleinen Mahlzeit ermahnte er seinen angeblichen Neffen, sich von dem Umgange mit Knaben loszumachen, sich lieber an kluge und verständige Männer anzuschließen, ihnen zuzuhören und von ihren Unterhaltungen Nutzen zu ziehen. »Du wirst,« sagte er, »sehr bald ein Mann wie sie sein, und du kannst dich nicht früh genug gewöhnen, nach ihrem Beispiele verständige Reden zu führen.« Als sie die kleine Mahlzeit vollendet hatten, standen sie auf und verfolgten ihren Weg quer durch die Gärten, die voneinander bloß durch schmale Gräben geschieden waren, welche die Grenzscheide bildeten, ohne deshalb die Verbindung zu hemmen. Das gegenseitige Zutrauen machte, daß die Bürger dieser Hauptstadt weiter keine Vorsichtsmaßregel brauchten, um gegenseitigen Schaden zu verhüten. Unvermerkt führte der afrikanische Zauberer den Aladdin ziemlich weit über die Gärten hinaus und durchwandelte mit ihm die Ebene, die ihn allmählich in die Nähe von Bergen leitete.
Aladdin, der in seinem ganzen Leben noch keinen so weiten Weg gemacht hatte, fühlte sich durch den weiten Gang sehr ermüdet. »Lieber Oheim,« sagte er zu dem afrikanischen Zauberer »wohin gehen wir denn? Wir haben die Gärten schon sehr weit hinter uns, und ich sehe nichts als Berge vor mir. Wenn wir noch weiter vorwärts gehen, so weiß ich nicht, ob ich noch Kräfte genug haben werde, um wieder nach der Stadt zurückzukehren.« – »Fasse nur Mut, lieber Neffe,« sagte der vermeintliche Oheim zu ihm, »ich will dir noch einen andern Garten zeigen, der nicht mehr weit von hier ist, nur noch ein paar Schritte; und wenn wir dahin gekommen sein werden, sollst du mir einmal sagen, ob es dir nicht leid gewesen wäre, wenn du ihn nicht gesehen hättest, nachdem du schon nahe daran gewesen.« Aladdin ließ sich überreden, und der Zauberer führte ihn noch weiter, indem er ihm verschiedene anmutige Geschichten erzählte, um ihm den Weg minder langweilig und die Ermüdung erträglicher zu machen.
Endlich kamen sie zwischen zwei mäßig hohe Berge, die sich ziemlich gleich und nur durch ein schmales Tal geschieden waren. Dies war eben die merkwürdige Stelle, wohin der afrikanische Zauberer den Aladdin hatte führen wollen, um mit ihm einen großen Plan auszuführen, um dessentwillen er von dem äußersten Ende Afrikas bis nach China gereist war. »Wir sind jetzt an Ort und Stelle,« sagte er zu Aladdin, »ich werde dir hier Dinge zeigen, die ganz außerordentlich und allen übrigen Sterblichen unbekannt sind. Wenn du sie gesehen haben wirst, so wirst du mir gewiß Dank dafür wissen, daß ich dich zum Augenzeugen so vieler Wunderdinge gemacht habe, die außer dir noch niemand gesehen hat. Während ich jetzt mit dem Stahle Feuer schlage, häufe du hier so viel trocknes Reisig zusammen, als du nur auftreiben kannst, um Feuer anzumachen.«
Es war an dem Orte eine solche Menge Reisig vorhanden, daß Aladdin sehr bald einen mehr als hinlänglichen Haufen davon beisammen hatte, während der Zauberer das Schwefelhölzchen anzündete. Er machte nun Feuer an, und während das Reisig aufloderte, warf der afrikanische Zauberer Räucherwerk hinein, welches er schon in Bereitschaft hatte. Ein dicker Rauch stieg empor, den er bald auf diese, bald auf jene Seite wendete, indem er allerlei Zauberworte murmelte, von denen Aladdin nichts verstand.
In diesem Augenblicke erbebte die Erde ein wenig, öffnete sich an der Stelle vor dem Zauberer und Aladdin und ließ einen Stein hervorscheinen, welcher anderthalb Fuß ins Geviert hatte, einen Fuß dick und wagerecht hingelegt war, mit einem bronzenen Ringe, der in der Mitte versiegelt war. Aladdin, der über das, was hier vor seinen Augen vorging, erschrak, ward von Furcht befallen und wollte die Flucht ergreifen. Allein er war zu dieser geheimnisvollen Handlung notwendig, darum hielt ihn der Zauberer zurück, fuhr ihn heftig an und gab ihm eine so starke Ohrfeige, daß er davon zu Boden fiel und beinahe seine Vorderzähne im Munde eingebüßt hätte, welcher sehr blutete. Der arme Aladdin rief zitternd und weinend: »Lieber Oheim, was habe ich denn getan, daß Ihr mich so heftig schlaget?« – »Ich habe meine Gründe dazu,« erwiderte der Zauberer. »Ich bin dein Oheim, der bei dir jetzt Vaterstelle vertritt, und du darfst dich daher gar nicht verantworten. Indes, liebes Kind,« fuhr er etwas besänftigt fort, »du darfst dich gar nicht fürchten. Ich verlange bloß, daß du mir pünktlich gehorchest, wofern du dir selber nützen und dich der großen Vorteile, die ich dir zu verschaffen denke, würdig machen willst.« Diese schönen Versprechungen des Zauberers beruhigten etwas die Furcht und das aufgeregte Gefühl Aladdins, und sobald ihn der Zauberer wieder ganz beruhigt sah, fuhr er fort: »Du hast gesehen, was ich durch die Kraft meines Räucherwerks und der von mir ausgesprochenen Worte bewirkt habe, vernimm jetzt noch, daß sich unter diesem Steine, den du da siehest, ein verborgener Schatz befindet, der für dich bestimmt ist, und der dich einst reicher machen wird als die reichsten Könige der Erde. Dies ist so gewiß wahr, daß es außer dir niemand auf der Welt gibt, dem es erlaubt wäre, diesen Stein anzurühren oder wegzuheben. Selbst ich darf ihn nicht einmal berühren oder auch nur einen Fuß in dies Schatzgewölbe setzen, wenn es geöffnet sein wird. Deshalb mußt du pünktlich tun, was ich dir sagen werde, ohne es dabei zu versehen. Die Sache ist für mich und dich von großer Wichtigkeit.«
Aladdin, der noch immer voll Staunen war über das, was er sah, und was er soeben den Zauberer von dem Schatze sagen hörte, der ihn auf immer glücklich machen sollte, vergaß alles, was vorgefallen war. »Nun wohl, lieber Oheim,« sagte er zu dem Zauberer, indem er sich von der Erde aufraffte, »worauf kommt es denn hierbei an? Befehlet nur, ich bin bereit, zu gehorchen.« – »Ich freue mich, liebes Kind,« sprach der afrikanische Zauberer, indem er ihn umarmte, »daß du diesen Entschluß gefaßt hast. Komm her, fasse diesen Ring an und hebe den Stein in die Höhe.« – »Aber, lieber Oheim,« erwiderte Aladdin, »ich bin ja nicht stark genug, um ihn in die Höhe zu heben; Ihr müßt mir schon dabei helfen.« – »Nein,« antwortete der afrikanische Zauberer, »du hast meine Hilfe nicht nötig, und ich und du, wir würden beide nichts ausrichten, wenn ich dir hülfe: du mußt ihn ganz allein aufheben. Fasse nur den Ring an, nenne den Namen deines Vaters und deines Großvaters und hebe ihn in die Höhe; du wirst sehen, er wird sich dir ohne Schwierigkeit fügen.« Aladdin tat, wie der afrikanische Zauberer ihn geheißen hatte; er hob den Stein mit leichter Mühe empor und legte ihn beiseite.
Als der Stein weggenommen war, sah er eine Höhle von drei bis vier Fuß Tiefe mit einer kleinen Tür und Stufen, um noch weiter hinabzusteigen. »Mein Sohn,« sagte hierauf der afrikanische Zauberer zu Aladdin, »beobachte genau, was ich dir jetzt sagen werde. Steig in diese Höhle hinab, und wenn du unten auf der letzten Stufe bist, so wirst du eine offene Tür finden, die dich in einen großen gewölbten Ort führen wird, der aus drei großen aneinanderstoßenden Sälen besteht. In einem jeden derselben wirst du links und rechts vier bronzene Vasen, groß wie Kufen und mit Gold und Silber angefüllt, stehen sehen; aber hüte dich, etwas davon anzurühren. Ehe du in den ersten Saal eintrittst, hebe dein Kleid in die Höhe und schließ es eng um deinen Leib, wenn du hineingekommen bist, so geh, ohne stillzustehen, nach dem zweiten und aus diesem in den dritten, ebenfalls ohne stillzustehen, vor allen Dingen hüte dich, den Wänden zu nahe zu kommen oder sie auch nur mit dem Kleide zu berühren; denn im Fall du sie berührtest, würdest du auf der Stelle des Todes sein. Darum sage ich dir, halt dein Kleid eng und knapp an dich. Am Ende des dritten Saales ist eine Türe, die dich in einen Garten hinaus führt, der voll schöner, mit Obst beladener Bäume gepflanzt ist. Geh nur immer gerade aus, und ein Weg wird dich quer durch den Garten zu einer Treppe von fünfzig Stufen führen, auf denen du zu einer Terrasse emporsteigen kannst. Sobald du oben auf der Terrasse bist, wirst du eine Nische vor dir sehen und in der Nische eine brennende Lampe. Diese Lampe nimm du, lösche sie aus, und wenn du den Docht herausgeworfen und die brennbare Flüssigkeit ausgegossen hast, so stecke sie vorn in deine Brust und bringe sie mir. Du darfst nicht fürchten, daß du dir dein Kleid verderben wirst, die Flüssigkeit ist nämlich kein Öl, und die Lampe wird sogleich trocken sein, sobald du sie ausgegossen hast. Wenn die Früchte im Garten deine Eßlust reizen, so kannst du so viel davon abpflücken, als du nur willst; es ist dir unverboten.«
Nachdem der afrikanische Zauberer diese Worte gesprochen hatte, zog er einen Ring von seinem Finger und steckte ihn an einen Finger Aladdins, indem er ihm sagte, es wäre dies ein Verwahrungsmittel gegen alles Böse, was ihm etwa begegnen könnte, wofern er nur dasjenige genau beobachten wollte, was er ihm soeben vorgeschrieben hatte. »Jetzt geh, mein Kind,« sagte er nach dieser Vermahnung zu ihm, »steig dreist hinunter, wir werden beide für unser ganzes Leben steinreich werden.«
Aladdin sprang mit leichten Füßen in die Höhlung hinein und stieg die Stufen hinab. Er fand die drei Säle, die ihm der Zauberer beschrieben hatte, und ging umso behutsamer durch sie hin, da er zu sterben gefaßt sein mußte, wofern er nicht sorgfältig das beobachtete, was ihm vorgeschrieben war. Sodann ging er, ohne zu verweilen, durch den Garten, stieg die Terrasse hinan, nahm die brennende Lampe aus der Nische, warf den Docht und die Flüssigkeit heraus und steckte sie hierauf, da er sie ganz trocken sah, in den Busen und stieg sodann die Terrasse wieder hinunter. Im Garten verweilte er beim Anschauen der Früchte, die er vorher bloß im Vorbeigehen gesehen hatte. Die Bäume dieses Gartens waren alle mit ganz vorzüglichem Obste belastet, und zwar trug jeder Baum Früchte von den verschiedensten Farben. Es gab da weiße, helleuchtende und durchsichtige wie Kristall, rote, teils dunkler, teils heller, grüne, blaue, violette, gelbliche, und so von allen möglichen Farben. Die weißen waren Perlen, die helleuchtenden und durchsichtigen dagegen Diamanten, die dunkelroten Rubine, die hellroten Ballasrubine, die grünen Smaragde, die blauen Türkise, die violetten Amethyste, die, welche ins Gelbliche spielten, Topase, und so fort. Alle diese Früchte waren von einer Größe und Vollkommenheit, welche alles weit übertrafen, was man der Art auf Erden gesehen. Aladdin indes, der weder ihren Wert noch ihren Preis kannte, wurde vom Anblicke dieser Früchte, die nicht nach seinem Geschmacke waren, gar nicht angezogen; ihm wären Feigen, Weintrauben und andere edele Obstarten, die in China gewöhnlich sind, lieber gewesen. Überhaupt war er noch nicht in dem Alter, wo man den Wert von dergleichen kennt daher bildete er sich ein, alle diese Früchte wären bloß von buntfarbigem Glase und hätten auch weiter keinen andern Wert. Gleichwohl erregte die Mannigfaltigkeit so vieler schönen Farben sowie die außerordentliche Größe und Schönheit einer jeden Frucht in ihm die Lust, einige abzupflücken. Er nahm von jeder Farbe einige, füllte damit seine beiden Taschen und zwei ganz neue Beutel, die der Zauberer ihm zugleich mit dem Kleide, welches er ihm geschenkt, gekauft hatte, damit er nichts als Neues um und an sich hätte; und da die beiden Beutel in seinen Taschen, die ohnehin schon ganz voll waren, nicht mehr Platz hatten, so band er sie auf jeder Seite an seinen Gürtel an. Einige von den Früchten hüllte er auch in die Falten seines Gürtels, der von dickem Seidenstoffe gemacht war, und befestigte sie so, daß sie nicht herabfallen konnten: auch vergaß er nicht, einige in den Busen, zwischen das Kleid und das Hemde zu stecken.
Aladdin, der jetzt mit so vielen Reichtümern beladen war, deren Wert er gar nicht kannte, trat hierauf sorgfältig seinen Rückweg durch die drei Säle an, um den afrikanischen Zauberer nicht zu lange warten zu lassen; und nachdem er mit derselben Vorsicht wie zuvor quer durch dieselben hingegangen, stieg er wieder da hinauf, wo er heruntergestiegen war, und zeigte sich am Eingange der Höhle, wo der afrikanische Zauberer ihn mit Ungeduld erwartete. Sobald ihn Aladdin erblickte, rief er ihm zu: »Lieber Oheim, ich bitte Euch, reichet mir die Hand und helfet mir heraus!« – »Mein Sohn,« sagte der afrikanische Zauberer, »gib mir zuvor die Lampe, sie könnte dir hinderlich sein.« – »Verzeihet, lieber Oheim,« erwiderte Aladdin, »sie ist mir gar nicht hinderlich; ich werde sie Euch geben, sobald ich herausgestiegen sein werde.« Der afrikanische Zauberer bestand darauf, daß ihm Aladdin die Lampe in die Hand geben sollte, ehe er ihn aus der Vertiefung herauszöge, und Aladdin, der diese Lampe mit allen den Früchten, die er zu sich gesteckt, verpackt hatte, weigerte sich durchaus, sie ihm eher zu geben, als bis er heraus sein würde. Da geriet der afrikanische Zauberer vor Verzweiflung über die Widerspenstigkeit des jungen Menschen in eine fürchterliche Wut; er warf etwas von seinem Räucherwerk in das Feuer, welches er sorgfältig unterhalten hatte, und kaum hatte er zwei Zauberworte gesprochen, als der Stein, welcher als Deckel zu der Eingangsöffnung der Höhle diente, sich von selbst wieder an seine Stelle rückte nebst der Erde, die oben darauf lag, so daß alles wieder in den Stand kam, wie es bei des Zauberers und Aladdins Ankunft gewesen war.
Der afrikanische Zauberer war in der Tat weder ein Bruder des Schneiders Mustafa, wie er vorgegeben hatte, noch auch Aladdins Oheim. Dagegen war er wirklich aus Afrika, und da Afrika ein Land ist, wo man für die Zauberei mehr eingenommen ist als irgend anderswo, so hatte er sich von Jugend an darauf gelegt; und nachdem er sich vierzig Jahre lang mit Zaubereien, mit der Punktierkunst, mit Räucherungen und Lesung von Zauberbüchern beschäftigt hatte, war er endlich auf die Entdeckung gekommen, daß es in der Welt eine Wunderlampe gäbe, deren Besitz ihn mächtiger als alle Könige der Erde machen würde, wofern er derselben je habhaft werden könnte. Durch seinen letzten Versuch in der Punktierkunst hatte er ausgemittelt, daß diese Lampe sich an einem unterirdischen Orte mitten in China befände, und zwar in einer Gegend und unter allen den Umständen, die wir bereits wissen. Von der Richtigkeit dieser Entdeckung überzeugt, war er von dem äußersten Ende Afrikas ausgereist und nach einer langen und beschwerlichen Reise in die Stadt gekommen, welche in der Nähe dieses kostbaren Schatzes gelegen war. Allein, obwohl die Lampe sich ganz gewiß an dem bewußten Orte befand, so war es ihm doch nicht gestattet, sie selber wegzunehmen oder persönlich in das unterirdische Gewölbe einzutreten, worin sie sich befand. Es mußte durchaus ein anderer da hinabsteigen, sie abholen und sie ihm sodann einhändigen. Daher hatte er sich an Aladdin gewandt, den er für einen jungen unbedeutenden Menschen und für sehr geeignet hielt, ihm diesen erforderlichen Dienst zu leisten, mit dem festen Vorsatze, sobald er die Lampe in Händen haben würde, die letzte, schon erwähnte Räucherung zu tun, die beiden Zauberworte auszusprechen, welche die bereits erzählte Wirkung hatten, und so den armen Aladdin seiner Habsucht und Bosheit aufzuopfern, um an ihm keinen Zeugen dieser Sache zu haben. Die Ohrfeige, welche er dem Aladdin gegeben, und das Ansehen, welches er sich über ihn angemaßt hatte, sollten diesen bloß daran gewöhnen, ihn zu fürchten und ihm pünktlich zu gehorchen, damit, wenn er diese berühmte Zauberlampe von ihm fordern würde, dieser sie ihm sogleich übergäbe. Indes erfolgte gerade das Gegenteil von dem, was er beabsichtigt hatte. Am Ende verfuhr der Boshafte bloß darum so eilig, um den armen Aladdin zu verderben, weil er fürchtete, daß, wenn er sich länger mit ihm herumzankte, irgend ein anderer es hören und sein Geheimnis offenbaren möchte.
Als der afrikanische Zauberer seine großen und schönen Hoffnungen auf immer verschwunden sah, blieb ihm nichts weiter übrig, als nach Afrika zurückzukehren, was er denn auch an demselben Abende noch tat. Auf der Heimreise machte er einige Umwege, um nicht mehr die Stadt betreten zu müssen, aus welcher er sich mit Aladdin entfernt hatte. Auch mußte er wirklich fürchten, daß ihn da mehrere Personen beobachten könnten, die ihn mit Aladdin hatten gehen sehen und ihn jetzt ohne ihn zurückkommen sähen.
Allem Anscheine nach mußte es jetzt mit Aladdin aus sein. Allein gerade der, welcher ihn auf immer zu vernichten geglaubt, hatte nicht beachtet, daß er ihm einen Ring an den Finger gesteckt, der zu seiner Rettung dienen könnte. In der Tat, eben dieser Ring ward Anlaß zu der Rettung des jungen Menschen, der die Kräfte desselben gar nicht kannte; und es ist zu verwundern, daß dieser Verlust neben dem der Lampe den Zauberer nicht in die tiefste Verzweiflung stürzte. Indes die Zauberer sind so sehr an Unfälle und Fehlschlagen ihrer Wünsche gewöhnt, daß sie, solange sie leben, nicht aufhören, sich an Rauch und Dunst, an Luftschlössern und Einbildungen zu ergötzen.
Aladdin, der nach allen diesen Liebkosungen und empfangenen Wohltaten gar nicht auf diese Bosheit seines angeblichen Oheims gefaßt war, befand sich in einer Bestürzung, die sich leichter denken als beschreiben läßt. Als er sich so lebendig begraben sah, rief er tausendmal seinen Oheim beim Namen und erklärte, daß er bereit wäre, ihm die Lampe zu geben; aber sein Rufen war fruchtlos und konnte auch gar nicht gehört werden. Er mußte daher so im Finstern und Dunkeln bleiben. Endlich, nachdem er seine Tränen getrocknet hatte, stieg er wieder die Treppe der Höhle hinunter, um nach dem Garten, den er schon einmal durchgangen, und ins helle Tageslicht zu kommen; aber die Mauer, die sich ihm früher geöffnet, hatte sich schon wieder durch einen neuen Zauber geschlossen und zusammengefügt. Er tappte mehrmals links und rechts vor sich hin, ohne eine Tür zu finden; er verdoppelte sein Schreien und Weinen und setzte sich endlich auf die Stufen der Höhle, ohne Hoffnung, jemals das Tageslicht wiederzusehen, und in der traurigen Gewißheit eines nahen Todes.
Aladdin blieb in diesem Zustande zwei Tage, ohne zu essen und zu trinken. Am dritten Tage endlich, da er seinen Tod als unvermeidlich betrachtete, faltete und hob er seine Hände empor und rief mit völliger Ergebung in den Willen Gottes aus:
»Es gibt keine Macht und Kraft, als in Gott, dem Allerhöchsten und Größten!«
In dieser Stellung rieb er, ohne daran zu denken, den Ring, den ihm der afrikanische Zauberer an den Finger gesteckt hatte, und dessen geheime Kraft er noch nicht kannte. Sogleich stieg vor ihm ein Geist von ungeheurer Gestalt und fürchterlichem Ansehen empor, der vom Boden bis an die oberste Spitze des Gewölbes reichte, und sprach zu Aladdin folgende Worte:
»Was verlangst du? Hier bin ich, bereit, dir zu gehorchen als dein Sklave und als Sklave derer, welche den Ring am Finger haben, sowohl ich als alle übrigen Sklaven des Ringes.«
Zu jeder andern Zeit und bei jeder andern Gelegenheit würde Aladdin, der an solche Erscheinungen nicht gewöhnt war, beim Anblick einer so ungeheuren Gestalt von Schreck ergriffen worden sein und die Sprache verloren haben; allein jetzt, da er einzig und allein an die Gefahr dachte, worin er schwebte, antwortete er, ohne zu stocken: »Wer du auch sein magst, bringe mich aus diesem Orte fort, wofern du es vermagst.« Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als die Erde sich öffnete und er sich außer der Höhle befand, und zwar gerade an der Stelle, wohin ihn der Zauberer geführt hatte.
Niemand wird es befremdend finden, daß Aladdin, der so lange Zeit in der dichtesten Finsternis gewesen war, anfänglich kaum das Tageslicht zu ertragen vermochte. Er gewöhnte seine Augen erst nach und nach daran, und indem er allmählich um sich schaute, war er sehr überrascht, keine Öffnung mehr in der Erde zu erblicken. Er konnte gar nicht begreifen, wie er so plötzlich aus dem Schoße der Erde herausgekommen war; bloß an dem Flecke, wo das Reisig verbrannt worden, konnte er die Stelle wiedererkennen, wo die Höhle war. Als er sich hierauf nach der Stadt wandte, erblickte er sie mitten unter den sie umgebenden Lustgärten; auch erkannte er den Weg, auf welchem ihn der Zauberer hergeführt hatte. Indem er diesen Weg wieder zurückwandelte, dankte er Gott, daß er noch einmal der Welt wiedergegeben sei, nachdem er bereits daran gezweifelt hatte, sie je wiederzusehen. So gelangte er zur Stadt und schleppte sich mit vieler Mühe bis in seine Wohnung. Als er in das Zimmer seiner Mutter trat, verursachte die Freude des Wiedersehens, verbunden mit der von seinem dreitägigen Fasten herrührenden Schwäche, ihm eine Ohnmacht, welche eine Weile anhielt. Seine Mutter, die ihn bereits als tot beweint hatte, unterließ jetzt, da sie ihn in diesem Zustande erblickte, keine Pflege und kein Mittel, um ihn wieder zum Leben zu bringen. Endlich erholte er sich von seiner Ohnmacht, und seine ersten Worte waren: »Liebe Mutter, vor allen Dingen bitte ich dich, gib mir zu essen; seit drei Tagen habe ich noch nicht das mindeste zu mir genommen.« Seine Mutter brachte ihm, was sie gerade vorrätig hatte, setzte es vor ihn hin und sagte: »Lieber Sohn, übereile dich nur nicht, denn das könnte dir schaden; sondern iß ganz langsam und nach deiner Bequemlichkeit und nimm dich bei deiner starken Eßlust möglichst in acht. Ich wünsche nicht einmal, daß du jetzt mit mir redest; wenn du wieder hergestellt sein wirst, so wirst du Zeit genug haben, um mir zu erzählen, was dir begegnet ist. Nach meiner großen Betrübnis, worin ich mich seit Freitag befunden, und nach all der unsäglichen Mühe, die ich mir gegeben habe, zu erfahren, was aus dir geworden wäre, da du bei anbrechender Nacht nicht nach Hause kamst, bin ich jetzt vollkommen getröstet, da ich dich wiederhabe.«
Aladdin folgte dem Rate seiner Mutter: er aß gemach und allmählich und trank im Verhältnis dazu. Als er damit fertig war, sagte er: »Liebe Mutter, ich sollte mich eigentlich gar sehr über dich beschweren, daß du mich so leicht der Willkür eines Mannes anvertrautest, der den Plan hatte, mich ins Verderben zu stürzen, und der in diesem Augenblick meinen Tod für unzweifelhaft und gewiß hält; allein du glaubtest, er wäre mein Oheim, und ich war derselben Meinung wie du. Und konnten wir denn auch wohl eine andere Meinung von einem Manne hegen, der mich mit Liebkosungen und Wohltaten überhäufte, und der mir so viele vorteilhafte Versprechungen machte? Allein du mußt nur wissen, liebe Mutter, daß er nichts als ein Verräter, ein Bösewicht, ein Betrüger war. Er hat mir diese Wohltaten und diese Versprechungen nur darum getan, um, wie schon gesagt, seinen Zweck zu erreichen, mich nämlich zu verderben, ohne daß ich oder du die Ursache davon zu erraten imstande sind. Ich meinerseits kann versichern, daß ich ihm nie den mindesten Anlaß zu einer so schlechten Behandlung gegen mich gegeben habe. Du wirst dies selber aus dem treuen Berichte abnehmen können, den ich dir über alles das, was seit meiner Trennung von dir bis zur Ausführung seines verderblichen Plans vorgegangen ist, abstatten werde.«
Aladdin begann nun seiner Mutter alles das zu erzählen, was ihm seit dem Freitage, wo ihn der Zauberer nach den umliegenden Gärten vor die Stadt führte, begegnet war; ferner, was ihm unterwegs bis zu dem Orte, wo das große Zauberwerk vor sich gehen sollte, zugestoßen; sodann erzählte er von der Räucherung, den Zauberworten, der plötzlich erschienenen Öffnung der Erdhöhle; auch der empfangenen Ohrfeige vergaß er nicht, und wie ihm der Zauberer den Ring an den Finger gesteckt und ihn durch große Verheißungen in die Höhle hinabzusteigen vermocht; er verschwieg nichts von alledem, was er auf seinem Hin- und Rückwege in den drei großen Sälen, im Garten und auf der Terrasse gesehen, wo er die Wunderlampe weggenommen, welche er ihr bei dieser Gelegenheit vorzeigte nebst den durchsichtigen und buntfarbigen Früchten, die er auf dem Rückgange durch den Garten abgepflückt hatte. Er fügte hierzu noch zwei volle Beutel derselben, die er seiner Mutter gab, welche sich aber wenig daraus machte. Gleichwohl waren diese Früchte samt und sonders kostbare Edelsteine. Der sonnenhelle Glanz, den sie beim Scheine der Lampe, die das Zimmer erhellte, von sich gaben, hätte allein schon auf ihren Wert aufmerksam machen müssen; allein die Mutter Aladdins verstand davon ebensowenig als ihr Sohn. Sie war in großer Dürftigkeit auferzogen worden, und ihr Mann war nicht so vermögend gewesen, um ihr dergleichen kostbare Steine zum Schmucke zu kaufen; außerdem hatte sie auch nie dergleichen bei einer ihrer Verwandtinnen oder Nachbarinnen gesehen. Man darf sich daher nicht wundern, daß sie dieselben als wertlose Dinge betrachtete, die höchstens dazu gut wären, durch die Mannigfaltigkeit ihrer Farben das Auge zu ergötzen: weshalb denn auch Aladdin sie hinter eines von den Polstern des Sofas schob, auf welchem er saß. Er vollendete sodann die Erzählung seines Abenteuers und sagte ihr, wie er aus der Höhle wieder hatte heraussteigen wollen, wie ihm da der Zauberer die Lampe abgefordert und auf seine Weigerung die Öffnung der Höhle durch seine Zauberei wieder verschlossen hatte. Nicht ohne Tränen vermochte er das übrige zu erzählen, indem er ihr den unglücklichen Zustand schilderte, worin er sich von dem Augenblick an befunden, wo er in der Unglückshöhle lebendig begraben worden, bis dahin, wo er aus derselben wieder ans Tageslicht hervorgekommen durch die Berührung des Ringes, dessen Eigenschaft er noch nicht kannte. Als er die Erzählung geendigt hatte, sagte er zu seiner Mutter: »Das übrige darf ich dir nicht erst sagen; du weißt es ja selber. Da siehst du nun, was ich in der Zeit meiner Abwesenheit für Abenteuer und Gefahr bestanden habe.«
Aladdins Mutter hatte diese wunderbare und seltsame Geschichte, welche für sie, die ihren Sohn ungeachtet seiner Fehler zärtlich liebte, höchst schmerzlich sein mußte, ruhig und ohne Unterbrechung angehört; nur bei den rührenden Stellen, wo die Treulosigkeit des afrikanischen Zauberers recht sichtbar wurde, konnte sie ihren Unwillen nicht unterdrücken. Doch jetzt, da Aladdin geendigt hatte, brach sie in tausend Schmähworte gegen den Betrüger aus; sie nannte ihn einen Verräter, einen Treulosen, Barbaren, Meuchelmörder, Betrüger, Zauberer, einen Feind und Verderber des menschlichen Geschlechts. »Ja, mein Sohn,« fügte sie hinzu, »es ist ein Zauberer, und die Zauberer sind eine wahre Pest für die Menschheit; sie haben vermöge ihrer Zaubereien und Hexereien mit den bösen Geistern Verkehr. Gott sei gepriesen, der nicht gewollt hat, daß seine entsetzliche Bosheit ihren Zweck an dir erreichen sollte! Du bist ihm für die Gnade, die er an dir getan hat, großen Dank schuldig. Dein Tod war unvermeidlich, wenn du dich nicht seiner erinnert und seinen Beistand angefleht hättest.« So sagte sie noch vieles andere, doch während des Sprechens bemerkte sie, daß Aladdin, der seit drei Tagen nicht geschlafen hatte, der Ruhe bedürfte. Sie brachte ihn daher zu Bette und legte sich bald darauf ebenfalls nieder.
Aladdin, der an dem unterirdischen Orte, worin er begraben gewesen, keine Ruhe genossen hatte, schlief die ganze Nacht sehr fest und erwachte am andern Morgen erst sehr spät. Er stand auf, und das erste, was er seiner Mutter sagte, war, daß er Hunger hätte, und daß sie ihm kein größeres Vergnügen machen könnte, als wenn sie ihm ein Frühstück gäbe. »Ach, mein Sohn,« antwortete sie ihm, »ich habe auch nicht einmal ein Stück Brot, das ich dir geben könnte; denn den wenigen Vorrat, den ich zu Hause hatte, hast du gestern abend aufgegessen; aber gedulde dich nur ein bißchen, es wird nicht lange dauern, so werde ich dir etwas bringen. Ich habe hier etwas Baumwolle, die ich gesponnen habe, und die ich jetzt verkaufen werde, um für dich Brot und etwas zum Mittagessen zu kaufen.« – »Liebe Mutter,« erwiderte Aladdin, »hebe dir nur deine Baumwolle für ein andermal auf und gib mir die Lampe, die ich gestern mitbrachte. Ich werde gehen und sie verkaufen, und das Geld, das ich dafür löse, wird hinlänglich sein, um uns Frühstück, Mittagessen und vielleicht auch etwas zum Abend zu verschaffen.«
Die Mutter holte die Lampe hervor und sagte: »Da hast du sie; aber sie ist sehr schmutzig. Wenn sie nur ein wenig geputzt wird, so wird sie dadurch bald etwas mehr gelten.« Sie nahm sodann Wasser und etwas feinen Sand, um sie blank zu putzen; aber kaum hatte sie angefangen, die Lampe zu reiben, als augenblicklich in Gegenwart ihres Sohnes ein gräßlicher und riesenhafter Geist emporstieg, sich ihr zeigte und mit einer Donnerstimme zu ihr sprach:
»Was willst du? Ich bin bereit, dir zu gehorchen als dein Sklave und als Sklave aller derer, welche die Lampe in der Hand haben, sowohl ich als die übrigen Sklaven der Lampe!«
Aladdins Mutter war nicht imstande zu antworten. Ihr Auge vermochte nicht, die scheußliche und entsetzliche Gestalt des Geistes zu ertragen, und ihr Schrecken war gleich bei den ersten Worten, die er aussprach, so groß gewesen, daß sie in Ohnmacht gefallen war.
Aladdin, welcher bereits in der Höhle eine ähnliche Erscheinung gehabt hatte, ergriff, ohne irgend Zeit oder Besinnung zu verlieren, schnell die Lampe und antwortete während des Stillschweigens seiner Mutter an ihrer Statt mit festem Tone: »Ich habe Hunger, bringe mir etwas zu essen.« Der Geist verschwand, und einen Augenblick darauf kam er wieder, beladen mit einem großen silbernen Becken, welches er auf dem Kopfe trug, mit zwölf verdeckten Schüsseln von demselben Metall, voll der trefflichsten Speisen, nebst sechs großen Broten, weiß wie Schnee, zwei Flaschen des köstlichsten Weines und zwei silbernen Schalen in der Hand. Er setzte alles zusammen auf das Sofa und verschwand sogleich.
Dies geschah in so kurzer Zeit, daß sich Aladdins Mutter noch nicht von ihrer Ohnmacht erholt hatte, als der Geist zum zweitenmal erschien. Aladdin, der ihr bereits, aber ohne Erfolg, kaltes Wasser ins Gesicht gespritzt hatte, wollte dies soeben noch einmal wiederholen; allein, sei es, daß ihre entflohenen Lebensgeister sich wieder gesammelt hatten, oder daß der Duft von den Speisen, die der Geist gebracht, etwas dazu beitrug, sie kam augenblicklich wieder zu sich. »Liebe Mutter,« sagte Aladdin zu ihr, »es ist weiter nichts; steh auf und iß. Hiervon kannst du dich stärken, und auch ich kann meinen starken Hunger befriedigen. Wir wollen so gute Speisen nicht kalt werden lassen, sondern essen.«
Die Mutter Aladdin war erstaunlich überrascht, als sie das große Becken, die zwölf Schüsseln, die sechs Brote, die beiden Flaschen und die zwei Schalen erblickte und den köstlichen Duft einatmete, der aus allen diesen Schüsseln emporstieg. »Mein Sohn,« sagte sie zu Aladdin, »woher kommt uns dieser Überfluß, und wem verdanken wir ein so reichliches Geschenk? Sollte vielleicht der Sultan von unserer Armut gehört und Mitleid mit uns gehabt haben?« – »Liebe Mutter,« antwortete Aladdin, »wir wollen uns jetzt zu Tische setzen und essen, du bedarfst dessen ebensosehr als ich. Deine Frage werde ich dir übrigens beantworten, wenn wir gefrühstückt haben.« Sie setzten sich zu Tische und speisten mit umso größerer Eßlust, da Mutter und Sohn sich noch nie an einer so gut besetzten Tafel befunden hatten.
Während der Mahlzeit konnte Aladdins Mutter gar nicht aufhören, das Becken und die Schüsseln zu betrachten und zu bewundern, obwohl sie nicht recht wußte, ob sie von Silber oder aus anderem Metalle wären, so wenig war sie den Anblick solcher Dinge gewohnt. Eigentlich war es bloß die Neuheit, die sie in solche Bewunderung versetzte, und auch ihr Sohn Aladdin hatte von dem Wert dieser kostbaren Sachen nicht mehr Kenntnis als sie.
Aladdin und seine Mutter, welche bloß ein einfaches Frühstück einzunehmen gedacht hatten, befanden sich um die Stunde des Mittagessens noch bei Tafel. Die trefflichen Speisen hatten ihre Eßlust noch mehr geweckt, und da sie noch ganz warm waren, so glaubten sie nicht übel zu tun, wenn sie nicht erst zweimal tafelten, sondern beide Mahlzeiten sogleich mit einem Male abmachten. Nachdem sie beide Mahlzeiten geendigt hatten, blieb ihnen noch so viel übrig, daß sie davon nicht nur zu Abend essen, sondern auch noch den folgenden Tag zwei Mahlzeiten davon halten konnten.
Als Aladdins Mutter den Tisch abgedeckt und das Fleisch, welches unberührt geblieben, aufgehoben hatte, setzte sie sich neben ihren Sohn auf das Sofa und sagte zu ihm: »Aladdin, ich erwarte, daß du jetzt meine Neugierde in Hinsicht dessen befriedigest, worüber du mir Auskunft zu geben versprochen hast.« Aladdin erzählte ihr umständlich alles, was sich während ihrer Ohnmacht zwischen ihm und dem Geiste zugetragen hatte.
Die Mutter war voll Verwunderung über die Reden ihres Sohnes und über die Erscheinung des Geistes. »Aber, mein Sohn,« erwiderte sie, »was willst du denn eigentlich damit sagen? Solange ich lebe, habe ich nie unter allen Bekannten jemand sagen hören, daß er einen Geist gesehen. Durch welchen Zufall hat sich nun dieser häßliche Geist gerade mir vor Augen gestellt? Warum hat er sich an mich gewendet und nicht an dich, dem er doch schon einmal in der Schatzhöhle erschienen war?«
»Liebe Mutter,« erwiderte Aladdin, »der Geist, welcher dir erschienen, ist nicht derselbe, der mir erschien. Sie sind sich freilich in Hinsicht auf ihre Riesengröße gewissermaßen ähnlich, aber an Gesichtsbildung und Kleidung sind sie gar sehr voneinander verschieden, auch gehören sie verschiedenen Herren an. Wenn du dich noch erinnerst, derjenige, den ich sah, nannte sich einen Sklaven des Ringes, den ich am Finger habe, und der, den du sahest, nannte sich einen Sklaven der Lampe, die du in der Hand hattest. Aber ich glaube nicht, daß du es gehört hast, denn, wie mich dünkt, fielst du sogleich in Ohnmacht, als er zu reden anfing.«
»Wie?« rief die Mutter aus, »also deine Lampe ist Ursache, daß dieser häßliche Geist sich lieber an mich als an dich wandte? Ach, lieber Sohn, da schaffe mir sie nur aus den Augen und hebe sie auf, wo es dir gefällt; ich mag sie nicht mehr anrühren. Meinethalben mag sie lieber weggeworfen oder verkauft werden, als daß ich Gefahr laufe, bei Berührung derselben vor Schrecken zu sterben. Wenn du mir folgst, so wirst du auch den Ring von dir tun. Man muß keinen Verkehr mit Geistern haben; es sind Unholde, wie schon unser Prophet gesagt hat.«
»Mit deiner Erlaubnis, liebe Mutter,« erwiderte Aladdin, »ich werde mich jetzt wohl hüten, das zu tun, was ich vor kurzem wollte, nämlich eine Lampe zu verkaufen, welche dir und mir so viel Nutzen schaffen wird. Siehst du nicht, was sie uns soeben verschafft hat? Sie soll uns jetzt fortwährend Nahrung und Lebensunterhalt verschaffen. Du kannst wie ich wohl leicht erachten, daß mein fälschlicher und böser Oheim sich nicht ohne Grund so viel Mühe gegeben und eine so weite und beschwerliche Reise unternommen hat, um sich in den Besitz dieser Wunderlampe zu setzen, welche er all dem Golde und Silber vorzog, das, wie er wußte, in den drei Sälen vorhanden war, und das ich selber ganz so, wie er es mir beschrieben, da gesehen habe. Er kannte nur zu wohl den Preis und den Wert dieser Lampe, als daß er sich von jenem übrigen reichen Schatze noch irgend etwas gewünscht hätte. Da uns nun der Zufall die geheime Kraft derselben entdeckt hat, so wollen wir den möglichst vorteilhaften Gebrauch davon machen, aber ganz ohne den Neid und die Mißgunst unserer Nachbarn zu erregen. Ich will sie dir übrigens schon aus den Augen schaffen und sie an einem Orte aufheben, wo ich sie finde, im Fall ich ihrer bedarf, da du nun einmal solche Furcht vor Geistern hast. Was den Ring betrifft, so möchte ich mich übrigens ebensowenig entschließen können, ihn wegzuwerfen, denn ohne ihn würdest du mich nie wiedergesehen haben, ja ich würde vielleicht jetzt nicht einmal mehr leben. Du wirst mir also wohl erlauben müssen, daß ich ihn behalte und ihn stets am Finger trage. Wer weiß, ob nicht noch einmal irgend eine andere Gefahr mir zustößt, die wir beide nicht voraussehen können, und wovon er mich dann befreien kann.« Da diese Bemerkung Aladdin ziemlich richtig zu sein schien, so hatte seine Mutter nichts dagegen. »Lieber Sohn,« sagte sie zu ihm, »du kannst so handeln, wie du denkst; ich für mein Teil mag mit Geistern nichts zu schaffen haben. Ich erkläre dir hiermit, daß ich meine Hände in Unschuld wasche und mit dir nie ein Wort weiter deshalb reden werde.«
Den folgenden Tag nach dem Abendessen war nichts mehr von den schönen Speisen übrig, die der Geist gebracht hatte. Aladdin, der nicht so lange warten wollte, bis der Hunger ihn drängte, nahm den Morgen darauf eine von den silbernen Schüsseln unter das Kleid und ging aus, um sie zu verkaufen. Er wandte sich unterwegs an einen Juden, der ihm begegnete, zog ihn beiseite, zeigte ihm die Schüssel und fragte ihn, ob er sie wohl kaufen wollte.
Der Jude, der ein schlauer und verschmitzter Mann war, nahm die Schüssel und untersuchte sie, und als er erkannte, daß sie von echtem Silber war, fragte er Aladdin, wie hoch er sie böte, Aladdin, der den Wert derselben gar nicht kannte und nie mit dergleichen Sachen Handel getrieben hatte, begnügte sich damit, ihm zu sagen, er würde wohl am besten wissen, was die Schüssel wert wäre, und er verließe sich hierin ganz auf seine Ehrlichkeit. Der Jude war durch die Offenherzigkeit Aladdin in Verlegenheit gesetzt. In der Ungewißheit darüber, ob Aladdin auch wohl das Material und den Wert desselben kennte, zog er aus seinem Geldbeutel ein Goldstück, welches höchstens den zweiundsechzigsten Teil des Werts der Schüssel betrug, und bot es ihm an. Aladdin nahm das Goldstück mit großer Hast an sich, und sobald er es in der Hand hatte, entfernte er sich so eilig, daß der Jude, nicht zufrieden mit dem ungeheuern Gewinn, den er bei diesem Kaufe gemacht, sehr betrübt darüber war, daß er nicht sogleich Aladdins Unbekanntschaft mit dem Werte des verkäuflichen Stückes erraten und ihm nicht noch weniger geboten hatte. Er war im Begriffe, dem jungen Menschen nachzulaufen und zu versuchen, ob er nicht noch etwas von dem Goldstücke zurückbekommen könnte; aber Aladdin lief schnell und war schon so weit entfernt, daß er ihn schwerlich eingeholt haben würde.
Auf dem Heimwege zu der Wohnung seiner Mutter blieb Aladdin bei einem Bäckerladen stehen, wo er sich einen Vorrat von Brot kaufte, den er auf der Stelle von dem Goldstücke bezahlte, welches der Bäcker ihm umwechselte. Als er nach Hause kam, gab er das übrige Geld seiner Mutter, welche auf den Markt ging, um für sie beide die nötigen Lebensmittel auf einige Tage einzukaufen.
Sie setzten ihre Lebensweise so fort, das heißt, Aladdin verkaufte alle zwölf Schüsseln eine nach der andern an den Juden, je nachdem sie wieder Geld brauchten. Der Jude, der ihm für die erste Schüssel ein Goldstück gegeben hatte, wagte nicht, ihm für die übrigen weniger zu bieten, aus Furcht, daß ihm ein so vorteilhafter Handel entgehen könnte; er bezahlte sie daher alle nach demselben Preise. Als das Geld von der letzten Schüssel ausgegeben war, nahm Aladdin seine Zuflucht zu dem Becken, welches allein zehnmal so viel wog als jede Schüssel. Er wollte es zu seinem gewöhnlichen Kaufmanne tragen, aber die große Schwere desselben hinderte ihn daran. Er mußte also den Juden aufsuchen, den er in das Haus seiner Mutter führte; und dieser, nachdem er das Gewicht des Beckens untersucht hatte, zahlte ihm auf der Stelle zehn Goldstücke: womit Aladdin auch zufrieden war.
Solange die zehn Goldstücke dauerten, wurden sie auf die täglichen Ausgaben der Hauswirtschaft verwendet. Aladdin, obwohl er an ein müßiges Leben gewöhnt war, spielte unterdes seit seinem Abenteuer mit dem afrikanischen Zauberer nicht mehr mit jungen Leuten seines Alters, sondern brachte den Tag mit Spaziergängen oder in Unterhaltungen mit solchen Personen hin, die er kennen gelernt hatte. Oft auch blieb er bei den Läden der großen Kaufleute stehen und horchte da den Gesprächen angesehener Männer zu, die darin einen Augenblick verweilten oder sich wie zu einer Art von Zusammenkunft darin einfanden; und diese Gespräche brachten ihm allmählich etwas Weltkenntnis bei.
Als von den zehn Goldstücken nichts mehr übrig war, nahm Aladdin seine Zuflucht zu der Lampe. Er nahm sie in die Hand, suchte die Stelle, welche seine Mutter berührt hatte, und sobald er diese an den Spuren, welche der Sand daran zurückgelassen, erkannt hatte, rieb er sie gerade so, wie sie es getan. Sogleich erschien ihm wieder derselbe Geist, der ihm schon einmal erschienen war. Allein, da Aladdin die Lampe sanfter gerieben hatte als seine Mutter, so sprach er diesmal auch in einem milderen Tone zu ihm:
»Was verlangst du? Ich bin bereit, dir zu gehorchen als dein Sklave und als Sklave aller derer, welche die Lampe in der Hand haben, sowohl ich als die übrigen Sklaven der Lampe!«
Aladdin sagte zu ihm: »Mich hungert, bringe mir etwas zu essen.« Der Riese verschwand, und einen Augenblick darauf erschien er wieder, mit einem ähnlichen Tafelgerät beladen wie das erstemal, setzte es auf das Sofa hin und verschwand wieder.
Aladdins Mutter war, sobald sie das Vorhaben ihres Sohnes merkte, unter irgend einem Vorwande ausgegangen, um sich bei der Erscheinung des Geistes nicht zu Hause zu befinden. Sie kam bald darauf wieder nach Hause und war, als sie die Tafel und den Schenktisch so reich besetzt erblickte, über die wunderbare Wirkung der Lampe fast ebenso erstaunt als das erstemal. Aladdin und seine Mutter setzten sich zu Tische, und nach der Mahlzeit blieb ihnen noch so viel übrig, um die beiden folgenden Tage reichlich davon leben zu können.
Sobald Aladdin wieder sah, daß weder Brot, noch Lebensmittel, noch Geld zu Hause war, nahm er wiederum eine silberne Schüssel und suchte den Juden auf, um sie ihm zu verkaufen. Auf dem Hinwege ging er bei dem Laden eines Goldschmieds vorüber, der ein ehrwürdiger Greis und zugleich ein sehr rechtschaffener Mann war. Der Goldschmied sah ihn, rief ihn an und bat ihn, zu ihm hereinzutreten. »Mein Sohn,« sagte er sodann zu ihm, »ich habe dich schon mehrere Male ebenso beladen wie jetzt vorbeigehen und den und den Juden aufsuchen und sodann mit leeren Händen zurückkehren sehen. Ich bin auf den Gedanken gekommen, daß du ihm das, was du trägst, jedesmal verkaufst. Aber du weißt vielleicht nicht, daß dieser Jude ein Betrüger, und zwar ein ärgerer Betrüger als alle andern Juden ist, und daß keiner von denen, die ihn kennen, mit ihm etwas zu schaffen haben will. Übrigens sage ich dir das bloß zu deinem Vorteile. Wenn du mir zeigen willst, was du jetzt eben trägst, und wofern du es verkaufen willst, so werde ich dir treulich, wofern es mir ansteht, den Preis dafür zahlen; wo nicht, so werde ich dich wenigstens an andere Kaufleute weisen, die dich nicht betrügen werden.«
Die Hoffnung, noch mehr Geld aus der Schüssel zu lösen, bewirkte, daß Aladdin sie unter dem Kleide hervorzog und dem Goldschmied zeigte. Der alte Mann, welcher sogleich erkannte, daß die Schüssel von dem feinsten Silber war, fragte ihn, ob er wohl schon dergleichen an den Juden verkauft und wie hoch sie ihm dieser bezahlt hätte. Aladdin gestand ihm ganz offen, daß er deren schon zwölfe verkauft und für eine jede von dem Juden bloß ein Goldstück erhalten habe. »O dieser Spitzbube!« rief der Goldschmied. »Mein Sohn,« fuhr er sodann fort, »was geschehen ist, ist geschehen; man muß daran nicht weiter denken; allein wenn du erfahren wirst, was deine Schüssel, die vom feinsten Silber ist, das nur irgend von uns verarbeitet wird, wert ist, dann wirst du einsehen, wie sehr der Jude dich betrogen hat.«
Der Goldschmied nahm die Wage, wog die Schüssel, und nachdem er dem Aladdin erklärt hatte, was eine Mark Silber wäre, wieviel sie gelte, und ihre Unterabteilungen, so machte er ihm begreiflich, daß die Schüssel ihrem Gewichte nach zweiundsiebenzig Goldstücke wert sei, die er ihm auf der Stelle bar hinzählte. »Da hast du,« sagte er, »den vollen Wert deiner Schüssel. Wenn du im mindesten zweifelst, so kannst du dich nach Belieben an jeden andern der hiesigen Goldschmiede wenden, und wenn er dir sagt, daß sie mehr wert ist, so will ich dir das Doppelte zahlen. Wir gewinnen an dem Silberwerk, das wir kaufen, nichts als die Arbeit und die Form, und damit begnügt sich kein Jude, selbst der ehrlichste nicht.«
Aladdin dankte dem Goldschmied für den guten Rat, den er ihm gegeben hatte, und von welchem er bereits so großen Vorteil zog. In der Folge wandte er sich bloß an ihn in Hinsicht des Verkaufs der übrigen Schüsseln sowie des Beckens, dessen voller Wert ihm nach Maßgabe des Gewichts bezahlt wurde. Obwohl Aladdin und seine Mutter eine unversiegbare Geldquelle an ihrer Lampe hatten, so lebten sie dennoch fortwährend mit derselben Mäßigkeit wie zuvor, mit Ausnahme dessen, was Aladdin davon beiseite legte, um sich anständig zu unterhalten und verschiedene Bedürfnisse für ihre kleine Wirtschaft anschaffen zu können. Seine Mutter dagegen nahm zur Ausgabe auf ihre Kleider bloß das, was ihr das Baumwollespinnen einbrachte. Man kann leicht erachten, wie lange bei einer so ordentlichen Lebensweise das Geld, welches Aladdin für die zwölf Schüsseln und das Becken von dem Goldschmied erhalten hatte, gereicht haben mag. So lebten sie dann mehrere Jahre lang von Unterstützung der Lampe, welche Aladdin von Zeit zu Zeit rieb.
In dieser Zwischenzeit hatte Aladdin, welcher nicht unterließ, sehr fleißig bei den Zusammenkünften angesehener Personen in den Läden der größten Kaufleute, die mit Gold-, Silber- und Seidenstoffen, den feinsten Schleiertüchern und Juwelen handelten, sich einzufinden und bisweilen selbst an ihren Unterhaltungen teilzunehmen, sich vollends ausgebildet und allmählich alle Manieren der seinen Weltleute angenommen. Bei den Juwelenhändlern besonders war es, wo ihm die Täuschung benommen wurde, als wären diese durchsichtigen Früchte, die er in jenem unterirdischen Garten gepflückt hatte, bloß von buntfarbigem Glase; er erfuhr da, daß es sehr kostbare Edelsteine wären. Dadurch nämlich, daß er in diesen Läden alle Arten von Edelsteinen verkaufen sah, lernte er sie nach ihrem Werte kennen und schätzen; und da er nirgends welche sah, die den seinigen an Schönheit oder an Größe gleichgekommen wären, so begriff er wohl, daß er anstatt dieser angeblichen Glasstücke, die er für Kleinigkeiten geachtet hatte, unschätzbare Kleinode besäße. Er war indes so klug, niemand etwas davon zu sagen, selbst nicht einmal seiner Mutter; und diesem Stillschweigen eben verdankte er jenes hohe Glück, zu welchem er, wie wir sehen werden, in der Folge emporstieg.
Als Aladdin eines Tages in der Gegend der Stadt spazieren ging, hörte er mit lauter Stimme einen Befehl des Sultans ausrufen, jeder solle seinen Laden und seine Haustüre schließen und sich in das Innere seiner Wohnung zurückziehen, bis die Tochter des Sultans, die Prinzessin Badrulbudur, nach dem Bade vorübergegangen und wieder zurückgekehrt sein würde.
Dieser öffentliche Aufruf weckte in Aladdin die Neugierde, die Prinzessin entschleiert zu sehen; aber er konnte dies nicht wohl anders, als wenn er sich in das Haus eines Bekannten begab und da durchs Gitterfenster sah, was ihn indes immer nicht befriedigte, da die Prinzessin dem Brauche zufolge auf ihrem Wege nach dem Bade einen Schleier auf dem Gesichte haben mußte. Um seine Neugierde zu befriedigen, ersann er endlich ein Mittel, welches glückte; er versteckte sich nämlich hinter der Tür des Bades, welches so eingerichtet war, daß er sie unfehlbar von Angesicht sehen mußte.
Aladdin durfte nicht lange warten; die Prinzessin erschien, und er betrachtete sie durch einen Riß, welcher groß genug war, um sie in Augenschein zu nehmen, ohne selber gesehen zu werden. Sie kam in Begleitung einer großen Anzahl von dienenden Frauen und von Verschnittenen, welche teils neben ihr, teils hinter ihr hergingen. Als sie etwa drei bis vier Schritte von der Tür des Bades entfernt war, nahm sie den Schleier ab, der ihr Gesicht bedeckte, und der ihr sehr unbequem war, und Aladdin sah sie nun umso bequemer, da sie gerade auf ihn zukam.
Aladdin hatte bis dahin noch nie eine Frau mit entschleiertem Gesicht gesehen als seine Mutter. Diese gute Frau war indes sehr alt und war niemals so hübsch gewesen, daß er von ihr auf die Schönheit der Frauen überhaupt hätte einen Schluß machen können. Zwar hatte er wohl gehört, daß es Frauen von hoher Schönheit gäbe; allein mit welchen Ausdrücken man auch immer Schönheiten schildern mag, so machen sie doch nie den Eindruck, den die Schönheit selber macht.
Sobald Aladdin die Prinzessin Badrulbudur gesehen hatte, so gab er seine bisherige Meinung auf, als glichen alle Frauen mehr oder weniger seiner Mutter; seine ganzen Gefühle wurden plötzlich umgewandelt, und sein Herz konnte dem reizenden Mädchen seine höchste Zuneigung nicht versagen. Die Prinzessin war in der Tat die schönste Brünette, die es auf der Welt nur geben kann; sie hatte große, mit der Stirn gleichstehende lebhafte und feurige Augen, einen sanften und bescheidenen Blick, eine Nase von richtigem Verhältnis und ohne Tadel, einen kleinen Mund, rosige und reizende Lippen; mit einem Wort, alle Züge und Teile ihres Gesichts waren von der vollendetsten Regelmäßigkeit. Man darf sich daher nicht wundern, wenn Aladdin durch den Anblick eines so seltenen Vereins des Schönsten und Wunderbarsten geblendet und fast außer sich gesetzt wurde. Außer allen diesen Vollkommenheiten besaß die Prinzessin auch noch einen sehr vollen Wuchs und eine majestätische Haltung, deren Anblick allein schon Ehrfurcht gebot.
Als die Prinzessin ins Bad hineingegangen war, blieb Aladdin eine Weile ganz verwirrt und wie in Entzückung stehen, indem er sich unaufhörlich das reizende Bild vor die Seele rief. Endlich kam er wieder zur Besinnung, und indem er bedachte, daß die Prinzessin bereits vorüber war, und daß er ganz zwecklos seine Stellung länger behalten würde, weil sie beim Herausgehen aus dem Bade ihm ja den Rücken kehren und verschleiert sein würde, so faßte er den Entschluß, seinen Ort zu verlassen und sich zu entfernen.
Aladdin konnte bei seiner Rückkehr nach Hause seine Verwirrung und Unruhe nicht so verbergen, daß es seine Mutter nicht gemerkt hätte. Sie war erstaunt, ihn so ganz wider seine Gewohnheit traurig und nachdenkend zu erblicken, und fragte ihn daher, ob ihm etwas begegnet wäre, oder ob er sich unpäßlich befände. Doch Aladdin antwortete nichts, sondern warf sich nachlässig aufs Sofa hin, wo er unverändert in einer und derselben Lage blieb und sich fortwährend damit beschäftigte, sich das Bild der reizenden Prinzessin zu vergegenwärtigen. Seine Mutter, die das Abendessen zubereitete, drang nicht weiter in ihn. Als es fertig war, stellte sie es neben ihn auf das Sofa und setzte sich zu Tische. Da sie indes bemerkte, daß ihr Sohn gar nicht darauf achtete, erinnerte sie ihn, daß er doch essen möchte, und erst durch viele Bemühungen vermochte sie ihn, seine Lage zu ändern. Er aß indes weit weniger als gewöhnlich, mit niedergeschlagenen Augen und mit einem so tiefen Stillschweigen, daß es seiner Mutter nicht möglich war, durch alle ihre Fragen über den Anlaß einer so ungewöhnlichen Veränderung ihm irgend ein Wort zu entlocken.
Nach dem Abendessen wollte sie von neuem anfangen, ihn zu fragen, woher denn seine tiefe Schwermut rührte; allein sie konnte nichts aus ihm herausbringen, und Aladdin ging zu Bette, ohne seine Mutter im mindesten zufriedengestellt zu haben.
Den folgenden Tag setzte er sich wieder auf das Sofa seiner Mutter gegenüber, welche ihrer Gewohnheit zufolge Baumwolle spann, und fing mit ihr auf folgende Weise an zu sprechen: »Ich muß das Stillschweigen brechen, das ich seit meiner gestrigen Nachhausekunft beobachtet habe, und das dich, wie ich bemerken konnte, sehr bekümmert hat. Ich war nicht krank, wie du glaubtest, und ich bin es auch jetzt nicht; aber ich kann dir nicht sagen, was ich empfand, und was ich noch immerfort empfinde – es ist etwas weit Schlimmeres als Krankheit. Ich weiß nicht, was es eigentlich ist; aber aus dem, was du von mir vernehmen wirst, wirst du es vielleicht erkennen. Es ist in diesem Stadtviertel nicht bekannt geworden, und so kannst du es denn auch nicht wissen, daß die Tochter des Sultans, die Prinzessin Badrulbudur, sich gestern nachmittag ins Bad begeben hat. Ich erfuhr es gestern, als ich in der Stadt umherspazierte. Man rief nämlich den Befehl aus, daß alle Läden geschlossen werden und daß jeder sich in sein Haus begeben sollte, um der Prinzessin die gebührende Ehre zu erzeigen und ihr auf den Straßen, durch welche sie käme, einen freien Durchgang zu lassen. Da ich von dem Bade nicht weit entfernt war, brachte die Neugier, sie bei entschleiertem Gesichte zu sehen, mich auf den Gedanken, mich hinter die Türe des Bades zu verstecken, indem ich dachte, es könnte wohl möglich sein, daß sie ihren Schleier vor dem Eintritt ins Bad abnähme. Du kennst die Lage der Tür und wirst daher leicht abnehmen können, daß ich sie sehr bequem da sehen mußte, wofern alles so kam, wie ich vermutete. Sie nahm auch wirklich beim Eintritt ihren Schleier ab, und ich hatte das Glück, diese liebenswürdige Prinzessin zu meinem unaussprechlichen Vergnügen von Angesicht zu sehen. Dies ist nun, liebe Mutter, die Ursache jenes Zustandes, worin du mich gestern bei meiner Nachhausekunft erblicktest, und zugleich der Grund jenes Stillschweigens, welches ich beobachtet habe. Ich liebe die Prinzessin mit einer unaussprechlichen Leidenschaft, und da diese mit jedem Augenblicke steigt, so fühle ich wohl, daß sie nur durch den Besitz der liebenswürdigen Prinzessin gestillt werden kann, weshalb ich denn entschlossen bin, sie mir vom Sultan zur Frau zu erbitten.«
Die Mutter Aladdins hatte die Rede ihres Sohnes bis gegen das Ende mit vieler Aufmerksamkeit angehört; aber als sie am Schlusse vernahm, daß er die Absicht hatte, um die Hand der Prinzessin Badrulbudur anzuhalten, konnte sie sich nicht enthalten, ihn durch ein lautes Lachen zu unterbrechen. Aladdin wollte weiter sprechen, aber sie ließ ihn gar nicht zu Worte kommen und sagte: »Ach, mein Sohn, woran denkst du? Du mußt wohl deinen Verstand verloren haben, daß du solche Reden führen kannst!«
»Liebe Mutter,« erwiderte Aladdin, »ich kann dich versichern, daß ich nicht meinen Verstand verloren habe, sondern bei völliger Besinnung bin. Ich habe alle die Vorwürfe von Torheit und Albernheit, die du mir machst und noch machen wirst, vorausgesehen; aber das alles soll mich nicht abhalten, dir nochmals zu sagen, daß mein Entschluß feststeht, den Sultan um die Hand seiner Tochter, der Prinzessin Badrulbudur, zu bitten.«
»In der Tat, mein Sohn,« antwortete hierauf dir Mutter ganz ernstlich, »ich kann nicht umhin, dir zu sagen, daß du dich ganz vergissest; und selbst wenn du diesen Entschluß ausführen wolltest, so sehe ich gar nicht ab, durch wen du diese Bitte an den Sultan gelangen lassen wolltest.« – »Durch dich selber,« antwortete sogleich der Sohn, ohne zu zögern. »Durch mich?« rief die Mutter voll Staunen und Überraschung, »und an den Sultan? Ach, ich werde mich wohl sehr hüten, mich in eine Unternehmung der Art einzulassen! Und überhaupt, mein Sohn,« fuhr sie fort, »wer bist du denn, daß du so dreist bist, an die Tochter des Sultans zu denken? Hast du vergessen, daß du der Sohn eines der geringsten Schneider der Hauptstadt und auch von mütterlicher Seite nicht von höherer Abkunft bist? Weißt du denn nicht, daß Sultane ihre Töchter nicht leicht jemand zur Ehe geben, selbst nicht einmal denjenigen Sultanssöhnen, die keine Hoffnung haben, einst zur Regierung zu gelangen?«
»Liebe Mutter,« erwiderte Aladdin, »ich habe dir schon gesagt, daß ich alles, was du mir soeben gesagt hast, vorausgesehen habe, und ich sage dasselbe von alledem, was du etwa noch hinzufügen magst; weder deine Reden noch deine Vorstellungen werden meinen Entschluß ändern. Ich habe dir schon gesagt, daß ich durch dich um die Hand der Prinzessin anhalten will; dies ist die einzige Gefälligkeit, die ich von dir verlange, und die ich mir nicht abzuschlagen bitte, wofern du nicht, etwa lieber mich sterben sehen als mir zum zweiten Male das Leben schenken willst.«
Aladdins Mutter befand sich in der größten Verlegenheit, als sie die Hartnäckigkeit sah, womit er auf seinem närrischen Plane bestand. »Mein Sohn,« sagte sie nochmals zu ihm, »ich bin deine Mutter, und als eine rechtschaffene und leibliche Mutter von dir bin ich bereit, dir zuliebe alles zu tun, was irgend vernünftig ist oder sich für meinen und deinen Stand schickt. Wenn es darauf ankäme, für dich um die Tochter eines unserer Nachbarn, der mit dir von gleichem oder doch nicht viel höherm Stande wäre, anzuhalten, so würde ich alles mögliche aufbieten, was nur irgend in meiner Macht steht; aber auch dann müßtest du doch wenigstens etwas Vermögen oder einige Einkünfte oder wenigstens irgend ein Gewerbe erlernt haben, um hierin deinen Zweck zu erreichen. Wenn arme Leute wie wir heiraten wollen, so müssen sie vor allen Dingen darauf denken, ob sie auch wohl zu leben haben. Aber ohne deine niedrige Herkunft in Erwägung zu ziehen, strebst du bei deinem geringen Stand und Vermögen nach dem höchsten Gipfel des Glücks und beabsichtigst nichts Geringeres als eine Vermählung mit der Tochter deines Herrn und Gebieters, der bloß ein Wort sagen darf, um dich zu verderben und zu vernichten. Ich will hier gar nicht einmal das erwähnen, was deine Person und dich selber betrifft; denn das mußt du bei dir selber überlegen, wofern du deine Besinnung hast: ich spreche hier bloß von dem, was mich insbesondere angeht. Wie hat wohl ein so seltsamer Gedanke dir in den Kopf kommen können, daß ich hingehen und dem Sultan den Antrag machen soll, dir seine Tochter, die Prinzessin, zur Ehe zu geben? Gesetzt, ich hätte nun auch, ich will nicht sagen die Dreistigkeit, sondern die Unverschämtheit, mich Seiner Majestät vorzustellen, um an ihn eine so ungereimte Bitte zu tun, an wen sollte ich mich denn wenden, um mich da einführen zu lassen? Glaubst du denn nicht, daß der erste, mit dem ich davon spräche, mich als eine Närrin behandeln und mich auf eine meiner unwürdige Weise fortjagen würde? Gesetzt nun aber auch, ich würde dem Sultan ohne Schwierigkeit vorgestellt, wie es wohl der Fall ist, wenn man ihn um Gerechtigkeit anfleht, die er seinen Untertanen stets gern gewährt, oder wenn man ihn um eine Gnade bittet, die er mit Vergnügen bewilligt, sobald er sieht, daß man sie verdient und derselben würdig ist – bist du denn wohl in einem solchen Falle, und glaubst du denn die Gnade verdient zu haben, die ich für dich erbitten soll? Welchen Dienst hast du denn dem Sultan oder dem ganzen Sande erwiesen, und wodurch hast du dich denn ausgezeichnet? Wenn du nun nichts getan hast, um eine solche Gnade zu verdienen, und auch übrigens derselben nicht würdig bist, mit welcher Stirne könnte ich denn darum bitten? Wie könnte ich auch nur den Mund öffnen, um dem Sultan einen Antrag der Art zu machen? Das Majestätische seiner Person und der Glanz seines Hofes würden mich sogleich stumm und still machen, mich, die ich schon zitterte, wenn ich meinen verstorbenen Mann, deinen Vater, um irgend etwas zu bitten hatte. Auch ist noch ein anderer Grund vorhanden, mein Sohn, an den du nicht gedacht hast, nämlich der, daß man vor dem Sultan, wenn man ihn um eine Gnade zu bitten hat, nicht wohl erscheinen kann, ohne ein Geschenk in der Hand zu haben. Diese Geschenke haben wenigstens das Gute, daß, wenn er auch aus irgend einem Grunde die Bitte abschlägt, er wenigstens das Gesuch und den Bittsteller ohne Weigerung anhört. Aber welches Geschenk hast du ihm anzubieten? Und wenn du auch etwas hättest, das der Beachtung eines so großen Fürsten irgend wert schiene, in welchem Verhältnis würde denn das Geschenk zu der Bitte stehen, die du an ihn tun willst? Geh in dich und bedenke, daß du nach etwas trachtest, was zu erreichen für dich unmöglich ist.«
Aladdin hörte alles, was ihm seine Mutter nur irgend sagen mochte, um ihn von seinen Plänen abzubringen, ruhig an, und nachdem er ihre Vorstellungen Punkt für Punkt ruhig überlegt hatte, nahm er endlich das Wort und sagte: »Ich gestehe es, liebe Mutter, es ist eine große Verwegenheit von mir, daß ich es wage, meine Ansprüche so weit zu treiben, und zugleich eine große Unbesonnenheit, daß ich von dir mit solcher Hitze und Eilfertigkeit verlangte, daß du hingehen und dem Sultan meinen Heiratsantrag vortragen solltest, ohne zuvor die gehörigen Maßregeln ergriffen zu haben, um dir Zutritt und eine günstige Aufnahme zu verschaffen. Ich bitte dich deshalb um Verzeihung. Allein bei der Heftigkeit der Leidenschaft, die mich ergriffen hat, darfst du dich nicht wundern, wenn ich anfangs nicht sogleich alles das übersah, was dazu erforderlich ist, um mir die Ruhe, die ich suche, zu verschaffen. Ich liebe die Prinzessin Badrulbudur mehr, als du dir irgend einbilden kannst, und ich beharre immer noch auf dem Entschlusse, sie zu heiraten; dies steht bei mir entschieden fest. Übrigens bin ich dir für die Eröffnung, die du mir gemacht hast, sehr dankbar; ich betrachte sie als den ersten Schritt, um mir den glücklichen Erfolg, den ich mir verspreche, näherzuführen. Du sagst mir, es sei nicht Sitte, vor dem Sultan ohne ein Geschenk in der Hand zu erscheinen, und ich habe nichts, was des Sultans würdig sei. Ich bin, was das Geschenk betrifft, deiner Meinung und gestehe, daß ich daran nicht gedacht hatte. Allein, wenn du sagst, ich besitze nichts, was ihm überreicht werden könne, so glaubst du wohl nicht, liebe Mutter, daß das, was ich dir an dem Tage, wo ich, wie du weißt, von einer unvermeidlichen Todesgefahr befreit wurde, heimbrachte, würdig genug ist, um dem Sultan damit ein sehr angenehmes Vergnügen zu machen? Ich spreche nämlich von dem, was ich in den zwei Beuteln und in meinem Gürtel mitgebracht habe, und was du und ich für farbiges Glas gehalten haben; indes ist mir gegenwärtig mein Irrtum benommen, und ich muß dir nur sagen, liebe Mutter, daß es Edelsteine von unschätzbarem Werte sind, die bloß für große Fürsten passen. Ich habe ihren Wert schätzen gelernt, indem ich die Läden der Juwelenhändler besuchte, und du kannst es mir auf mein Wort glauben: alle die, welche ich bei unsern Juwelenhändlern gesehen habe, sind gar nicht mit denen, welche wir besitzen, zu vergleichen, und doch bieten sie dieselben zu unbeschreiblich hohen Preisen aus. Du und ich, wir kennen gar nicht den Preis der unsrigen. Wie dem aber auch sei, soviel ich davon verstehe vermöge der wenigen Erfahrung, die ich darin habe, so bin ich überzeugt, daß das Geschenk dem Sultan nicht anders als höchst angenehm sein muß. Du hast da eine Porzellanvase, die ziemlich groß und von einer sehr passenden Form ist, um sie da hineinzutun; bringe diese einmal her, und wir wollen sehen, welche Wirkung sie auf das Auge machen werden, wenn wir sie alle nach ihren verschiedenen Farben geordnet haben.«
Die Mutter Aladdins brachte die Vase, und Aladdins zog die Edelsteine aus den Beuteln und legte sie in der besten Ordnung hinein. Die Wirkung, welche sie bei hellem Tageslichte durch die Mannigfaltigkeit ihrer Farben, durch ihren Glanz und durch ihr Feuer hervorbrachten, war von der Art, daß Mutter und Sohn davon fast geblendet wurden. Sie waren ganz erstaunt; denn beide hatten dieselben immer nur beim Lampenschein besehen. Freilich hatte Aladdin sie auch noch auf ihren Bäumen gesehen, wo sie als Früchte erschienen, die einen herrlichen Anblick gewährten; allein er war damals fast noch Kind und hatte diese Edelsteine nur wie Spielsachen betrachtet und sie auch bloß darum, ohne weitere Kenntnis davon zu haben, eingesteckt.
Nachdem sie eine Weile die Schönheit des Geschenks bewundert hatten, nahm Aladdin wieder das Wort. »Liebe Mutter,« sagte er zu ihr, »du wirst nun wohl den Gang zum Sultan nicht länger unter dem Vorwande ablehnen, daß du ihm kein Geschenk anzubieten habest; mich dünkt, hier hast du eins, welches dir einen sehr günstigen Empfang bewirken wird.«
Obwohl Aladdins Mutter ungeachtet der Schönheit und des Glanzes dieses Geschenks es nicht von so hohem Werte hielt, als ihr Sohn es schätzte, so glaubte sie dennoch wohl, daß es der Sultan genehmigen könnte, auch fühlte sie, daß in dieser Hinsicht nichts weiter einzuwenden wäre. Allein sie kam immer wieder auf den Antrag zurück, den sie unter Begünstigung des Geschenks an den Sultan machen sollte, und dies machte ihr viel Unruhe. »Lieber Sohn,« sagte sie zu ihm, »ich begreife wohl, daß das Geschenk eine gute Wirkung machen und daß der Sultan mich mit gnädigen Augen ansehen wird; allein was das Gesuch betrifft, das ich bei ihm anbringen soll, so fühle ich wohl, daß ich dazu nicht die Kraft haben, sondern stumm bleiben werde. So wird dann nicht nur mein Gang, sondern auch das Geschenk – das, wie du sagst, von so außerordentlicher Kostbarkeit ist – verloren sein, und ich werde voll Bestürzung zurückkommen und dir melden, daß du dich in deiner Hoffnung getäuscht hast. Ich habe dir es schon einmal gesagt, und du wirst sehen, daß es so kommen wird. Aber,« fuhr sie fort, »gesetzt auch, daß ich mir Gewalt antäte, um mich deinem Wunsche zu fügen, und gesetzt, ich hätte Kraft genug, um ein solches Gesuch, wie du willst, zu wagen, so wird doch der Sultan sicherlich sich entweder über mich lustig machen und mich wie eine Närrin fortschicken oder in einen gerechten Zorn geraten, wovon du und ich unfehlbar das Opfer sein werden.«
Aladdins Mutter führte ihrem Sohne noch mehrere andere Gründe an, um ihn wo möglich umzustimmen; aber die Reize der Prinzessin Badrulbudur hatten einen zu tiefen Eindruck auf sein Herz gemacht, als daß er sich von seinem Plane hätte abwendig machen lassen. Er verlangte fortwährend von seiner Mutter, daß sie seinen Entschluß doch ausführen möchte; und teils aus Zärtlichkeit gegen ihn, teils aus Furcht, daß er irgend ein Äußerstes wagen könnte, überwand sie ihre Abneigung und gab dem Willen ihres Sohnes nach.
Da es schon zu spät und die Zeit, wo man nach dem Palaste gehen und sich dem Sultan vorstellen konnte, an diesem Tage schon vorbei war, so ward die Sache bis auf den folgenden Tag verschoben. Die Mutter und der Sohn unterhielten sich den noch übrigen Teil des Tages von nichts anderem als davon, und Aladdin brachte seiner Mutter mit vieler Sorgfalt alles das bei, was ihm irgend nur einfiel, um sie in dem Entschlusse, den sie endlich genehmigt hatte, sich nämlich dem Sultan vorzustellen, noch mehr zu bestärken. Ungeachtet aller Überredungsgründe des Sohnes konnte sich indes die Mutter nicht überzeugen, daß ihr diese Unternehmung irgend gelingen könnte; auch muß man wirklich gestehen, daß sie alle Ursache hatte, daran zu zweifeln. »Mein Sohn,« sagte sie zu Aladdin, »wenn der Sultan mich so günstig aufnimmt, als ich es dir zuliebe wünsche, wenn er ferner den Antrag, den ich ihm von deinetwegen machen soll, ruhig anhört, aber nach diesem guten Empfange sich einfallen läßt, mich zu fragen, wo dein Vermögen, deine Reichtümer, deine Besitzungen sind – denn danach wird er sich vor allen Dingen, und zwar eher als nach deiner Person, erkundigen – wenn er mich nun, sag ich, danach fragt, was soll ich ihm darauf antworten?«
»Liebe Mutter,« erwiderte Aladdin, »wir wollen uns nicht im voraus um etwas kümmern, was vielleicht gar nicht erfolgen wird. Wir wollen jetzt erst abwarten, welche Aufnahme du beim Sultan finden und welche Antwort du von ihm erhalten wirst. Sollte es sich ereignen, daß er über das, was du sagst, Auskunft haben will, so werde ich dann schon sehen, welche Antwort ich ihm darüber geben soll. Ich habe das Vertrauen, daß die Lampe, vermöge welcher wir schon seit einigen Jahren unseren Unterhalt haben, mich in der Not nicht im Stiche lassen wird.«
Die Mutter Aladdins wußte auf das, was ihr Sohn soeben gesagt hatte, nichts zu erwidern. Sie bedachte nämlich, daß die Lampe, von welcher er sprach, wohl noch größere Wunder zuwege bringen könnte als bisher, wo sie ihnen bloß ihren Lebensunterhalt herbeigeschafft hatte. Dies stellte sie zufrieden und hob zugleich alle Schwierigkeiten, die sie etwa hätten von dem Dienste abhalten können, den sie ihrem Sohne bei dem Sultan zu leisten versprochen hatte. Aladdin, welcher die Gedanken seiner Mutter erriet, sagte zu ihr: »Liebe Mutter, vergiß wenigstens nicht, die Sache verschwiegen zu halten; es hängt davon der ganze glückliche Erfolg ab, den ich und du von dieser Angelegenheit erwarten können.« Hierauf trennten sich Mutter und Sohn, um sich zur Ruhe zu legen; doch die heftige Liebe und die großen Entwürfe eines unermeßlichen Glücks, welche das Gemüt des Sohnes erfüllten, hinderten ihn, die Nacht so ruhig hinzubringen, als er es gewünscht hätte. Er stand noch vor Anbruch des Tages auf und weckte seine Mutter. Er drang in sie, daß sie sich aufs schleunigste ankleiden, sich dann nach dem Tore des Palastes begeben und gleich bei Eröffnung desselben hineintreten möchte, und zwar in dem Augenblicke, wo der Großwesir, die Wesire und alle übrigen hohen Staatsbeamten zu der Sitzung des Diwans hineingingen, welcher der Sultan stets in Person beizuwohnen pflegte.
Aladdins Mutter tat alles, was ihr Sohn wünschte. Sie nahm das Porzellangefäß, worin sich das Geschenk von Edelsteinen befand, hüllte es in ein doppeltes Leinwandtuch, zuerst in ein sehr feines und weißes, sodann in ein minder feines, welches letztere sie an vier Zipfeln zusammenband, um es desto leichter forttragen zu können. Endlich ging sie zur großen Freude Aladdins fort und nahm ihren Weg nach dem Palaste des Sultans. Der Großwesir nebst den übrigen Wesiren und die angesehensten Herren vom Hofe waren bereits hineingegangen, als sie an der Tür anlangte. Die Zahl derer, welche beim Diwan etwas zu suchen hatten, war sehr groß. Man öffnete endlich, und sie ging mit ihnen allen bis in den Diwan hinein. Dies war ein schöner, tiefer und geräumiger Saal, dessen Eingang groß und prächtig war. Sie stellte sich so, daß sie den Sultan, den Großwesir und die übrigen Herren, welche links und rechts im Diwan ihren Sitz hatten, gerade sich gegenüber hatte. Man rief die verschiedenen Parteien nacheinander vor, und zwar in der Ordnung, wie sie ihre Bittschriften eingereicht hatten; ihre Angelegenheiten wurden vorgetragen, verhandelt und entschieden bis zu dem Augenblick, wo der Diwan gewöhnlich geschlossen wurde. Dann stand der Sultan auf, entließ die versammelten Mitglieder und ging in sein Zimmer zurück, wohin ihm der Großwesir folgte. Die übrigen Wesire und die Mitglieder des Staatsrats entfernten sich. Alle die, welche sich wegen Privatangelegenheiten daselbst eingefunden hatten, taten dasselbe, einige zufrieden mit dem Gewinn ihres Rechtshandels, andere unzufrieden über das gegen sie gefällte Urteil und noch andere endlich in der Hoffnung, daß ihre Sache in einer anderen Sitzung entschieden würde.
Aladdins Mutter, welche gesehen hatte, wie der Sultan aufstand und sich entfernte, schloß sehr richtig, daß er denselben Tag nicht wieder erscheinen würde, da sie alle weggehen sah. Sie faßte daher den Entschluß, ebenfalls nach Hause zurückzukehren. Aladdin, der sie mit dem für den Sultan bestimmten Geschenke zurückkommen sah, wußte anfangs nicht, was er von dem Erfolge seiner Sendung denken sollte. In der Angst, worin er sich befand, daß sie ihm eine schlimme Botschaft bringen würde, vermochte er nicht den Mund zu öffnen, um sie zu fragen, welche Nachricht sie ihm brächte. Die gute Mutter, welche nie einen Fuß in den Palast des Sultans gesetzt hatte, und die nicht die mindeste Kenntnis von dem hatte, was da täglich vorzugehen pflegte, zog ihren Sohn aus der Unruhe, worin er sich befand, indem sie ihm höchst naiv folgendes erzählte: »Lieber Sohn, ich habe den Sultan gesehen und bin fest überzeugt, daß er mich ebenfalls gesehen hat. Ich stand vor ihm, und niemand hinderte mich, ihn zu sehen; aber er war so sehr mit denen beschäftigt, welche links und rechts mit ihm sprachen, daß es mir leid tat, wenn ich die Geduld und Mühe sah, die es ihn kostete, sie anzuhören. Dies dauerte so lange, daß er sich zuletzt, glaub ich, langweilen mochte; denn er stand ganz unerwartet auf und entfernte sich ziemlich eilig, ohne eine Menge andere Leute, die noch mit ihm sprechen wollten, anzuhören. Gleichwohl war ich darüber sehr froh, denn ich fing wirklich schon an, die Geduld zu verlieren, und war von dem langen Stehen außerordentlich müde. Indes ist bei der Sache nichts verdorben. Ich werde nämlich nicht unterlassen, morgen wieder hinzugehen; der Sultan wird da vielleicht nicht so beschäftigt sein.«
Wie sehr Aladdin von Liebe entbrannt war, so mußte er sich doch mit dieser Entschuldigung begnügen und sich mit Geduld waffnen. Er sah wenigstens mit Vergnügen, daß seine Mutter den schwersten Schritt bereits getan hatte, nämlich den, den Anblick des Sultans auszuhalten, und hoffte nun, daß sie nach dem Beispiele derer, die in ihrer Gegenwart mit ihm gesprochen hatten, ebenfalls nicht anstehen würde, sich ihres Auftrags zu entledigen, sobald der günstige Augenblick zum Sprechen eintreten würde.
Den folgenden Morgen ging Aladdins Mutter wieder ebenso früh mit dem Geschenke von Edelsteinen nach dem Palaste des Sultans; doch ihr Gang war vergeblich, sie fand die Türe des Diwans verschlossen und erfuhr, daß nur alle zwei Tage Sitzung wäre, und daß sie also den folgenden Tag wiederkommen müßte. Sie brachte sofort diese Nachricht ihrem Sohne, der seine Geduld nun verdoppeln mußte. Sie ging noch sechsmal an den ihr bezeichneten Tagen hin und stellte sich immer dem Sultan gegenüber, aber mit so wenigem Erfolge als das erstemal; und vielleicht würde sie noch hundertmal unverrichteter Sache zurückgekehrt sein, wenn nicht der Sultan, der sie bei jeder Sitzung sich gegenüber stehen sah, sie endlich beachtet hätte. Dies ist umso wahrscheinlicher, da nur solche, welche dem Sultan Bittschriften zu überreichen hatten, sich nach der Reihe demselben näherten, um ihre Sachen verhandelt zu sehen, in welchem Falle aber sich Aladdins Mutter nicht befand.
An diesem Tage endlich sagte der Sultan, als er nach Aufhebung der Sitzung in seine Gemächer zurückgekehrt war, zu seinem Großwesir: »Schon seit einiger Zeit bemerkte ich eine gewisse Frau, welche regelmäßig jeden Tag, wo ich öffentlich Sitzung halte, sich einstellt und etwas in einem Leinwandtuche eingehüllt trägt; sie bleibt von Anfang bis zu Ende der Sitzung stehen, und zwar immer mir gerade gegenüber. Weißt du wohl, was ihr Begehr ist?«
Der Großwesir, der so wenig davon wußte als der Sultan, wollte indes nicht gern eine Antwort schuldig bleiben und antwortete daher: »Herr, Euer Majestät weiß vielleicht nicht, daß die Frauen oft über sehr unbedeutende Dinge Beschwerde führen. Diese da kommt offenbar, um sich bei Euer Majestät darüber zu beschweren, daß man ihr schlechtes Mehl verkauft oder irgend ein anderes unbedeutendes Unrecht zugefügt hat.« Der Sultan begnügte sich indes nicht mit dieser Antwort, sondern sagte: »Wenn die Frau bei der nächsten Sitzung wiederkommt, so vergiß ja nicht, sie rufen zu lassen, damit ich sie anhöre.« Der Großwesir antwortete nichts, sondern küßte die Hand des Sultans und legte sie auf seinen Kopf zum Zeichen, daß er denselben zu verlieren bereit wäre, wenn er den Befehl des Sultans zu vollziehen unterließe.
Aladdins Mutter war schon so daran gewöhnt, im Diwan vor dem Sultan zu erscheinen, daß sie ihre Mühe für nichts achtete, wofern sie nur ihrem Sohne zeigen konnte, daß sie in alledem, was von ihr abhinge, nichts unterließe, um sich ihm gefällig zu beweisen. Sie ging also am Tage nach der Sitzung wieder nach dem Palast und stellte sich am Eingange des Diwans wie gewöhnlich dem Sultan gegenüber.
Der Großwesir hatte noch keine Angelegenheit vorzutragen angefangen, als der Sultan die Mutter Aladdins bemerkte, voll Mitleid über ihr geduldiges Ausharren, wovon er selber Zeuge gewesen war, sagte er zum Großwesir: »Vor allen Dingen, damit du es nicht etwa vergessest, dort ist wieder die Frau, von der ich neulich mit dir sprach; laß sie hierher treten, und wir wollen zuerst sie anhören und ihre Angelegenheit abfertigen.« Sogleich bezeichnete der Großwesir diese Frau dem Obertürsteher, welcher zu seinen Befehlen bereitstand, und befahl ihm, sie näher heranzuführen.
Der Obertürsteher kam zur Mutter Aladdins und gab ihr ein Zeichen, sie folgte ihm bis an den Fuß des Thrones, wo er sie verließ, um sich wieder an seinen Platz neben dem Großwesir hinzustellen.
Aladdins Mutter, welche sich nach dem Beispiele der vielen andern, die sie den Sultan anreden gesehen hatte, richtete, berührte mit ihrer Stirn den Teppich, der die Stufen des Thrones bedeckte, und blieb in dieser Stellung, bis der Sultan ihr aufzustehen befahl. Sie stand auf, und er sprach zu ihr: »Gute Frau, ich sehe dich schon seit sehr langer Zeit in meinen Diwan kommen und von Anfang bis zu Ende am Eingange stehen; welche Angelegenheit führt dich hierher?«
Die Mutter Aladdins warf sich, nachdem sie diese Worte vernommen hatte, noch einmal nieder und sagte dann, als sie wieder aufgestanden war: »Erhabenster Beherrscher des Erdkreises, bevor ich Euer Majestät die außerordentliche und fast unglaubliche Sache, die mich vor Euern erhabenen Thron führt, auseinandersetze, bitte ich Euch, mir das dreiste, ich möchte fast sagen unverschämte Ansuchen zu verzeihen, welches ich an Euch zu tun im Begriff bin; es ist so ungewöhnlich, daß ich zittre und mich schäme, es meinem Sultan vorzutragen.« Um ihr volle Freiheit zu geben, sich zu äußern, befahl der Sultan, daß sich alle Anwesenden aus dem Diwan entfernen und ihn mit dem Großwesir allein lassen möchten. Hierauf sagte er ihr, sie könnte jetzt ohne Furcht reden und sich erklären.
Die Mutter Aladdins begnügte sich nicht mit der Güte des Sultans, der ihr soeben die Verlegenheit, vor der ganzen Versammlung sprechen zu müssen, erspart hatte, sondern sie wollte sich auch vor seinem Zorne sicherstellen, den sie bei dem ihm zu machenden Antrage zu fürchten hatte, und worauf sie gar nicht gefaßt war. »Herr,« fuhr sie fort, »ich wage auch noch Euer Majestät zu bitten, mir im voraus Eure Gnade und Verzeihung zuzusichern, im Falle Ihr das Gesuch, welches ich bei Euch anzubringen habe, im mindesten anstößig oder beleidigend finden solltet.« – »Was es auch immer sein mag,« erwiderte der Sultan, »ich verzeihe es dir jetzt schon, und es wird für dich daraus nicht die mindeste schlimme Folge entspringen; rede ganz ohne Scheu.«
Als die Mutter Aladdins alle diese Vorsichtsmaßregeln genommen hatte wie eine Frau, welche den Zorn des Sultans in Betreff des ihm zu machenden Antrags fürchten zu müssen glaubte, erzählte sie ihm nun ganz treu, bei welcher Gelegenheit Aladdin die Prinzessin Badrulbudur gesehen, welche heftige Liebe ihm dieser Anblick eingeflößt, welche Erklärungen er ihr hierüber gemacht und was sie ihm alles vorgestellt hätte, um ihn von einer Leidenschaft abzulenken, die ebenso beleidigend für den Sultan als für die Prinzessin, seine Tochter, sein müßte. »Indes,« fuhr sie fort, »mein Sohn, anstatt diese Ermahnungen zu beherzigen und seine Kühnheit einzusehen, beharrte hartnäckig bei der Sache, und zwar bis zu dem Grade, daß er mir mit irgend einem Schritte der Verzweiflung drohte, wenn ich mich weigerte, zu Euer Majestät hinzugehen und für ihn um die Hand der Prinzessin anzuhalten. Gleichwohl hat es mich viel Überwindung gekostet, ehe ich mich entschloß, ihm hierin zu willfahren, und ich bitte daher nochmals Euer Majestät, nicht allein mir zu verzeihen, sondern auch meinem Sohne Aladdin, daß er den verwegenen Gedanken gehabt hat, nach einer so erhabenen Verbindung zu trachten.«
Der Sultan hörte den ganzen Vortrag mit vieler Milde und Güte an, ohne irgend ein Zeichen von Zorn oder Unwillen zu äußern, und selbst ohne dies Gesuch scherzhaft zu nehmen.
Doch ehe er noch der guten Frau eine Antwort erteilte, fragte er sie, was sie denn da in dem leinenen Tuche eingehüllt habe. Sogleich nahm sie die Vase von Porzellan, die sie, bevor sie sich niederwarf, an den Fuß des Throns hingesetzt hatte, enthüllte sie und überreichte sie dem Sultan.
Es ist unmöglich, die Überraschung und das Erstaunen des Sultans zu beschreiben, als er in dieser Vase so viele ansehnliche, kostbare, vollkommene und in die Augen fallende Edelsteine beisammen sah, und zwar alle von einer solchen Größe, dergleichen er noch nie gesehen hatte. Er blieb eine Weile in einer solchen Verwunderung, daß er fast ganz regungslos dastand. Nachdem er endlich wieder zu sich gekommen war, nahm er das Geschenk aus den Händen der Mutter Aladdins in Empfang, indem er ganz außer sich vor Freuden rief: »Ah, wie schön! wie kostbar!« Nachdem er die Edelsteine einen nach dem andern bewundert, in die Hand genommen und nach ihren hervorstechendsten Eigenschaften gepriesen hatte, wandte er sich zu seinem Großwesir, zeigte ihm die Vase und sagte zu ihm: »Sieh einmal an, und du wirst gestehen, daß man auf der Welt nichts Kostbareres und Vollkommneres sehen kann.« Der Wesir war ganz bezaubert davon. »Nun,« fuhr der Sultan fort, »was sagst du zu einem Geschenke der Art? Ist es nicht meiner Tochter würdig, und kann ich sie nicht um diesen Preis demjenigen geben, der um sie anhalten läßt?«
Diese Worte versetzten den Großwesir in eine seltsame Unruhe, vor einiger Zeit hatte nämlich der Sultan ihm angedeutet, daß er seine Tochter, die Prinzessin, seinem Sohne zur Ehe zu geben gedächte. Er fürchtete jetzt, und nicht ohne Grund, daß der Sultan, durch ein so reiches und außerordentliches Geschenk verblendet, seine Gesinnung ändern könnte. Er näherte sich also dem Sultan und sagte ihm ins Ohr: »Herr, man muß gestehen, daß dies Geschenk der Prinzessin würdig ist; allein ich bitte Euer Majestät, die Entscheidung hierüber noch drei Monate aufzuschieben; ich hoffe, daß bis dahin mein Sohn, auf welchen Ihr früher Eure Augen zu werfen geruhtet, imstande sein wird, Euch ein noch kostbareres Geschenk zu machen als Aladdin, den Euer Majestät noch nicht kennt.« Der Sultan, obwohl er überzeugt war, es wäre unmöglich, daß der Großwesir für seinen Sohn etwas ausmitteln könnte, womit er der Prinzessin ein Geschenk von gleichem Werte zu machen imstande wäre, unterließ dennoch nicht, auf ihn zu hören und ihm diese Gnade zu bewilligen. Er wandte sich also zu Aladdins Mutter und sagte zu ihr: »Geh nach Hause, gute Frau, und sage deinem Sohne, daß ich den Vorschlag, den du mir in seinem Namen gemacht hast, genehmige; daß ich aber meine Tochter, die Prinzessin, nicht eher verheiraten könne, als bis ich ihre Ausstattung besorgt habe, die erst in drei Monaten fertig werden kann. Um diese Zeit kannst du dann wiederkommen.«
Aladdins Mutter kehrte mit einer umso größeren Freude zurück, da sie hinsichtlich ihres Standes es anfänglich für unmöglich gehalten, Zutritt beim Sultan zu erlangen, und nun überdies einen so günstigen Bescheid erhalten, anstatt daß sie eine beschämende, abschlägige Antwort erwartet hatte. Aus zwei Umständen schloß Aladdin bei dem Eintritte seiner Mutter, daß sie ihm eine gute Nachricht brächte: erstens, weil sie früher als gewöhnlich heimkam, und zweitens, weil sie ein frohes und aufgeheitertes Gesicht hatte. »Nun, liebe Mutter,« sagte er zu ihr, »darf ich hoffen? Oder soll ich vor Verzweiflung sterben?« Sobald sie ihren Schleier abgelegt und sich neben ihn aufs Sofa gesetzt hatte, sprach sie zu ihm: »Lieber Sohn, um dich nicht lange in Ungewißheit zu lassen, will ich dir gleich von vornherein sagen, daß du, anstatt an den Tod zu denken, alle Ursache hast, guten Mutes zu sein.« Im ferneren Verlaufe des Gesprächs erzählte sie ihm dann, wie sie vor allen anderen Zutritt erhalten, welches denn auch die Ursache ihrer frühen Rückkunft wäre; ferner, welche Vorsichtsmaßregeln sie genommen, um dem Sultan, ohne ihn zu beleidigen, den Antrag einer Heirat zwischen ihm und der Prinzessin Badrulbudur zu machen, sodann die günstige Antwort, die sie aus dem eigenen Munde des Sultans erhalten hatte. Sie fügte hinzu, daß das Geschenk, soviel sie aus dem Benehmen des Sultans hätte schließen können, vor allen andern Dingen auf sein Gemüt einen mächtigen Eindruck gemacht und ihn zu der günstigen Antwort, die sie empfangen, bewogen hätte. »Ich versah mich dessen umsoweniger,« fuhr sie fort, »da der Großwesir noch kurz vorher ihm etwas ins Ohr gesagt hatte, und da ich fürchtete, er möchte ihn von der günstigen Gesinnung, die er für dich etwa hegte, abbringen.«
Aladdin hielt sich bei Empfange dieser Nachricht für den glückseligsten aller Sterblichen. Er dankte seiner Mutter für alle die Mühe, die sie sich im Verfolg dieser Angelegenheit gegeben, deren Gelingen für seine Lebensruhe so wichtig war. Und obwohl ihn bei seiner ungeduldigen Sehnsucht nach dem Gegenstande seiner Leidenschaft drei Monate fast eine Ewigkeit zu sein dünkten, so schickte er sich doch an, in Geduld zu warten, gestützt auf das Wort des Sultans, welches er für unverbrüchlich hielt. Während er nicht bloß die Stunden, Tage und Wochen, sondern sogar die Augenblicke zählte in Erwartung des ersehnten Ziels, waren bereits zwei Monate verflossen, als die Mutter eines Abends beim Anzünden der Lampe gewahr wurde, daß kein Öl mehr im Hause war. Sie ging also aus, um welches einzukaufen, und als sie in die Stadt hineinkam, sah sie, daß alles festlich geschmückt war. Wirklich waren die Kaufläden, anstatt verschlossen zu sein, geöffnet; man schmückte sie mit Laub und machte Anstalt zu festlichen Erleuchtungen; jeder suchte es dem andern hierin an Pracht und Glanz zuvorzutun, um dadurch seinen Eifer an den Tag zu legen. Überhaupt bezeigte alles seine Freude und Fröhlichkeit. Sogar die Straßen waren mit Hofbeamten in Galakleidern angefüllt, die auf reichgeschmückten Pferden saßen und von einer großen Menge von Bedienten umgeben waren, welche gingen und kamen. Sie fragte den Kaufmann, bei welchem sie ihr Öl kaufte, was dies alles bedeuten solle. »Wo seid Ihr her, liebe Frau?« erwiderte dieser. »Wißt Ihr denn nicht, daß der Sohn des Großwesirs diesen Abend sich mit der Prinzessin Badrulbudur, der Tochter des Sultans, vermählt? Sie wird jetzt bald aus dem Bade kommen, und die Hofbeamten, die Ihr da sehet, versammeln sich soeben, um sie als Gefolge bis zu dem Palaste zu begleiten, wo die Vermählungsfeierlichkeit vor sich gehen soll.«
Die Mutter Aladdins wollte nichts weiter hören. Sie kehrte so eilfertig heim, daß sie beim Eintritt in ihre Wohnung fast außer Atem war. Sie traf ihren Sohn, der auf nichts weniger als auf die schlimme Nachricht, die sie ihm brachte, gefaßt war. »Lieber Sohn,« rief sie aus, »für dich ist alles verloren! Du rechnetest auf das schöne Versprechen des Sultans, aber es wird nichts daraus.« Aladdin, der durch diese Äußerungen beunruhigt wurde, antwortete: »Liebe Mutter, warum sollte denn der Sultan sein Wort nicht halten?« – »Diesen Abend noch,« fuhr die Mutter fort, »vermählt sich der Sohn des Großwesirs mit der Prinzessin Badrulbudur im Palaste des Sultans.« Sie erzählte ihm nun, auf welche Weise sie es erfahren hatte, und teilte ihm so genau die einzelnen Umstände mit, daß er nicht mehr daran zweifeln konnte.
Bei dieser Nachricht erstarrte Aladdin, wie vom Blitze getroffen. Jeder andere als er würde diesem Schrecken erlegen sein; doch eine geheime Eifersucht hinderte ihn, länger in diesem Zustande zu bleiben. Augenblicklich erinnerte er sich an die Lampe, die ihm bisher so gute Dienste geleistet hatte, und ohne die geringste hitzige Aufwallung gegen den Sultan, den Großwesir oder seinen Sohn sagte er nur: »Liebe Mutter, der Sohn des Großwesirs wird diese Nacht vielleicht nicht so glücklich sein, als er hofft. Während ich auf einen Augenblick nach meinem Zimmer gehe, bereite du das Abendessen für uns.«
Die Mutter Aladdins merkte wohl, daß ihr Sohn von der Lampe Gebrauch machen wollte, um wo möglich zu verhindern, daß die Heirat des Sohnes des Großwesirs mit der Prinzessin nicht ganz vollzogen würde, und sie täuschte sich hierin nicht. Aladdin nahm wirklich, sobald er auf seinem Zimmer war, die Wunderlampe, die er seit jener Erscheinung des Geistes aus den Augen seiner Mutter entfernt und dorthin getragen hatte, und rieb sie an derselben Stelle wie früher. Augenblicklich erschien der Geist und sagte:
»Was verlangst du? Ich bin bereit, dir zu gehorchen als dein Sklave und als Sklave aller derer, welche die Lampe in der Hand haben, sowohl ich als die übrigen Sklaven der Lampe!«
»Höre,« sagte Aladdin, »du hast mir bisher immer zu essen gebracht, sooft ich dessen bedurfte, jetzt indes ist von einem Auftrage von ganz anderer Wichtigkeit die Rede. Ich habe bei dem Sultan um die Hand seiner Tochter, der Prinzessin Badrulbudur, anhalten lassen. Er hat mir sie zugesagt und bloß einen Aufschub von drei Monaten sich ausbedungen. Anstatt aber Wort zu halten, vermählt er sie diesen Abend, noch vor Ablauf der Frist, mit dem Sohne des Großwesirs. Ich habe es soeben erfahren, und die Sache ist ganz gewiß. Ich verlange nun von dir, daß du die Neuvermählten, sobald sie sich zu Bette gelegt haben, fortführest und alle beide in ihren Betten hierher bringest.«
»Mein Gebieter,« erwiderte der Geist, »ich werde dir auf der Stelle Folge leisten, hast du mir noch etwas anderes zu befehlen?«
»Für den Augenblick weiter nichts,« antwortete Aladdin; und sogleich verschwand der Geist.
Aladdin kam wieder zu seiner Mutter zurück und speiste mit ihr zu Abend, und zwar so ruhig wie sonst. Nach dem Abendessen unterhielt er sich eine Weile mit ihr von der Vermählung der Prinzessin wie von einer ihm ganz gleichgültigen Sache. Er ging sodann wieder auf sein Zimmer, damit seine Mutter sich ungestört schlafen legen konnte. Er selbst indes legte sich nicht, sondern erwartete die Rückkunft des Geistes und die Vollziehung des an ihn erlassenen Befehls.
Unterdessen waren im Palast des Sultans mit der größten Pracht alle Anstalten zu der Vermählungsfeier der Prinzessin getroffen worden, und der Abend verging unter Zeremonieen und Lustbarkeiten bis tief in die Nacht. Als alles geendigt war, gab der Obertürsteher der Prinzessin dem Sohne des Großwesirs ein Zeichen; dieser entfernte sich unvermerkt, und derselbe Hofbeamte führte ihn nach den Zimmern der Prinzessin bis in das Gemach, wo das hochzeitliche Lager bereitet war. Er legte sich zuerst nieder. Kurze Zeit darauf brachte die Sultanin in Begleitung ihrer Frauen und der Frauen ihrer Tochter die Neuvermählte hereingeführt. Nach der Sitte der Neuvermählten sträubte sie sich heftig. Die Sultanin half sie auskleiden, legte sie dann wie mit Gewalt ins Bette, umarmte sie und wünschte ihr eine gute Nacht und entfernte sich dann mit allen ihren Frauen. Die letzte derselben schloß die Türe des Gemachs zu.
Kaum war die Türe des Gemachs verschlossen, als der Geist, ein treuer Sklave der Lampe und pünktlicher vollzieher der Befehle ihrer Besitzer, ohne dem jungen Gatten Zeit zu lassen, seiner Neuvermählten die mindeste Liebkosung zu erzeigen, zum großen Erstaunen beider das Bett nahm und es in einem Augenblick nach dem Zimmer Aladdins fortführte, wo er es niedersetzte.
Aladdin, welcher diesen Augenblick voll Ungeduld erwartet hatte, duldete nicht, daß der Sohn des Großwesirs bei der Prinzessin liegen bliebe. »Nimm diesen jungen Ehemann,« sagte er zu dem Geiste, »sperre ihn ins heimliche Gemach und komm morgen früh bald nach Tagesanbruche wieder.« Der Geist führte sogleich den Sohn des Großwesirs im bloßen Hemde aus dem Bette fort, brachte ihn nach dem bezeichneten Orte und ließ ihn daselbst, nachdem er einen Dunst auf ihn gehaucht hatte, den er vom Kopf bis zu den Zehen hinab fühlte, und der ihn die ganze Nacht hindurch betäubte.
Wie groß auch immer die Liebe Aladdins zu der Prinzessin war, so führte er doch, sobald er sich mit ihr allein befand, keine langen Reden mit ihr, sondern sagte zu ihr bloß in einem sehr zärtlichen Tone: »Fürchtet nichts, anbetungswürdige Prinzessin, Ihr seid in Sicherheit, und wie heftig auch die Liebe ist, die ich für Eure Schönheit und Reize empfinde, so wird sie mich doch nie verleiten können, die Schranken der tiefen Ehrerbietung, die ich Euch schuldig bin, zu überschreiten. Wenn ich,« fuhr er fort, »gezwungen worden bin, zu diesen äußersten Maßregeln zu greifen, so geschah dies nicht in der Absicht, Euch zu beleidigen, sondern ich wollte bloß verhindern, daß ein ungerechter Nebenbuhler Euch gegen das von Eurem Vater mir gegebene Wort in Besitz nehmen möchte.«
Die Prinzessin hörte wenig auf das, was er ihr etwa sagen mochte; auch war sie ganz außerstande, ihm zu antworten. Der Schrecken und das Erstaunen, welche ihr dieses so überraschende und unerwartete Abenteuer eingeflößt hatte, hatten sie in einen Zustand versetzt, daß Aladdin auch nicht ein Wort aus ihr herausbringen konnte. Aladdin ließ es indes dabei nicht bewenden; er entkleidete sich und legte sich an die Stelle des Sohnes des Großwesirs, der Prinzessin den Rücken kehrend, nachdem er die Vorsicht gebraucht hatte, zwischen sie beide einen Säbel zu legen zum Zeichen, daß er damit bestraft zu werden verdiente, wofern er sich gegen ihre Ehre vergehen sollte.
Voll Zufriedenheit darüber, daß er seinen Nebenbuhler so des Glücks beraubt hatte, das er diese Nacht zu genießen gehofft, schlief Aladdin ganz ruhig ein. Nicht so war es mit der Prinzessin Badrulbudur der Fall. In ihrem ganzen Leben hatte sie noch keine Nacht so traurig und unangenehm zugebracht als diese; und wenn man den Ort und die Lage bedenkt, worin der Geist den Sohn des Großwesirs verlassen hatte, so wird man leicht erachten können, daß der junge Ehemann sie noch weit betrübter zubrachte.
Den folgenden Tag hatte Aladdin nicht erst nötig, die Lampe zu reiben, um den Geist zu rufen. Er kam zu der bezeichneten Stunde wieder und sagte zu Aladdin, während dieser sich ankleidete:
»Hier bin ich! Was hast du mir noch zu befehlen?«
»Geh,« sagte Aladdin, »und hole den Sohn des Großwesirs von da wieder ab, wo du ihn hingebracht hast, lege ihn wieder hier in dies Bette und trag ihn nach dem Palast des Sultans an denselben Ort wieder hin, wo du ihn weggenommen.« Der Geist löste nun den Sohn des Großwesirs von seinem Posten ab, und Aladdin nahm, als er zurückkam, seinen Säbel wieder an sich. Er legte den jungen Ehemann neben die Prinzessin und trug in einem Augenblicke das Brautlager in dasselbe Gemach des Palastes des Sultans zurück, woraus er es früher weggeführt hatte.
Bei alledem wurde der Geist weder von der Prinzessin noch von dem Sohne des Großwesirs bemerkt. Seine entsetzliche Gestalt wäre imstande gewesen, sie bis auf den Tod zu erschrecken. Sie vernahmen sogar nichts von dem Gespräche zwischen ihm und Aladdin und bemerkten bloß die Erschütterung des Bettes und ihre Versetzung von einem Orte zum andern. Dies allein war schon hinlänglich, um ihnen einen Schrecken einzujagen, der sich leicht denken läßt.
Der Geist hatte das Brautbette wieder an seinen Ort hingestellt, als der Sultan, welcher gern wissen wollte, wie die Prinzessin die Hochzeitsnacht zugebracht, in das Zimmer hereintrat, um ihr einen guten Morgen zu wünschen. Der Sohn des Großwesirs, der von der verflossenen Nacht noch ganz durchkältet war und noch nicht Zeit gehabt hatte, sich zu erwärmen, hatte kaum gehört, daß jemand die Tür öffnete, als er aufsprang und in die Kleiderkammer ging, wo er sich den Abend zuvor ausgekleidet hatte.
Der Sultan näherte sich dem Bette der Prinzessin, küßte sie der Sitte gemäß zwischen die Augen, wünschte ihr einen guten Morgen und fragte sie lächelnd, wie ihr diese Nacht bekommen wäre; aber als er den Kopf aufhob und sie aufmerksamer betrachtete, fand er sie zu seinem großen Erstaunen in tiefe Schwermut versunken. Sie warf ihm bloß einen sehr traurigen Blick zu, der eine große Betrübnis oder großes Mißvergnügen verriet. Er sprach noch einige Worte zu ihr; da er aber sah, daß er aus ihr nichts herausbringen konnte, glaubte er, sie täte dies aus Schamhaftigkeit, und entfernte sich. Gleichwohl mutmaßte er, ihr Schweigen müßte noch eine andere ungewöhnliche Ursache haben. Dies veranlaßte ihn, sich auf der Stelle nach den Zimmern der Sultanin zu begeben, welcher er den Zustand, worin er die Prinzessin gefunden, und die Art, wie sie ihn empfangen hatte, schilderte. »Herr,« sagte die Sultanin, »dies darf Euer Majestät nicht befremden; es gibt keine Neuvermählte, die nicht am Morgen nach der Hochzeit eine Zurückhaltung der Art äußerte. In zwei bis drei Tagen wird dies anders sein! Sie wird dann ihren Vater, wie sich's gebührt, empfangen. Ich werde jetzt,« fuhr sie fort, »sogleich zu ihr hingehen, und ich müßte mich sehr täuschen, wenn sie mich ebenso empfangen sollte.«
Als die Sultanin angekleidet war, begab sie sich nach den Zimmern der Prinzessin, welche noch nicht aufgestanden war. Sie näherte sich ihrem Bette, küßte sie und bot ihr den Morgengruß; aber wie groß war ihr Erstaunen, als sie nicht nur keine Antwort von ihr erhielt, sondern auch bei näherer Betrachtung an ihr eine tiefe Niedergeschlagenheit entdeckte, welche schließen ließ, daß ihr irgend etwas begegnet sein müßte, was sie nicht zu erraten vermochte. »Liebe Tochter,« sagte die Sultanin zu ihr, »woher kommt es denn, daß du mir auf meine Liebkosungen gar nicht antwortest? Solltest du gegen deine Mutter dergleichen Förmlichkeiten annehmen? Ich will gern glauben, daß dir dies nicht in den Sinn gekommen sei; aber dann muß dir etwas anderes begegnet sein. Gesteh es mir nur frei heraus und laß mich nicht länger in einer so drückenden Ungewißheit.«
Die Prinzessin Badrulbudur unterbrach endlich ihr Stillschweigen durch einen tiefen Seufzer. »Ach, verehrte Mutter,« rief sie aus, »verzeihet mir, wenn ich es an der gebührenden Ehrerbietung gegen Euch habe fehlen lassen. Mein Gemüt ist so lebhaft mit den außerordentlichen Dingen beschäftigt, die mir diese Nacht begegnet sind, daß ich mich von meinem Staunen und Entsetzen noch nicht erholt, ja sogar Mühe habe, mich selber wiederzuerkennen.« Sie schilderte ihr nun mit den lebhaftesten Farben, wie gleich nach ihrem beiderseitigen Niederlegen ihr Bette aufgehoben und in einem Augenblick in ein düsteres und dumpfiges Gemach versetzt worden, wo sie sich ganz allein und von ihrem Gemahl getrennt gesehen hätte, ohne zu wissen, was aus ihm geworden wäre. Sie fügte dann hinzu, daß sie da einen jungen Mann gesehen, der ihr zuerst einige Worte gesagt, welche sie vor Schrecken aber nicht verstanden, und der sich sodann an die Stelle ihres Gemahls neben sie hingestreckt hätte, nachdem er einen Säbel zwischen sie und sich gelegt; sie erzählte auch, wie ihr Gemahl ihr endlich wiedergegeben und das Bette in ebenso kurzer Zeit wieder an seine vorige Stelle zurückgetragen worden sei. »Dies alles,« fuhr sie fort; »war soeben geschehen, als mein Vater, der Sultan, in mein Zimmer trat. Ich war so von Traurigkeit niedergedrückt, daß ich nicht imstande war, ihm auch nur ein einziges Wort zu antworten. vielleicht mag er auch die Art und Weise übel aufgenommen haben, wie ich die mir von ihm erzeigte Ehre aufnahm; aber ich hoffe, er wird mir verzeihen, wenn er mein seltsames Abenteuer und den beklagenswerten Zustand, worin ich mich jetzt noch befinde, erfahren haben wird.«
Die Sultanin hörte die Erzählung der Prinzessin ganz ruhig an, wollte ihr aber keinen Glauben beimessen. »Liebe Tochter,« sagte sie zu ihr, »du hast wohl getan, daß du deinem Vater, dem Sultan, nichts davon gesagt hast, hüte dich nur ja, irgend jemand etwas davon zu sagen; wenn man dich so sprechen hörte, so könnte man dich leicht für wahnsinnig halten.« – »Verehrungswürdigste Mutter,« erwiderte die Prinzessin, »ich kann Euch versichern, daß ich dies alles bei vollem Verstande rede; Ihr könnt Euch bei meinem Gemahl erkundigen; er wird Euch dasselbe sagen.« – »Ich werde mich bei ihm erkundigen,« antwortete die Sultanin; »aber wenn er auch dasselbe sagte wie du, ich würde deshalb noch immer nicht überzeugt sein. Steh nur auf und schlag dir diese Gedanken aus dem Sinne. Das wäre was Schönes, wenn du durch eine solche Einbildung die wegen deiner Hochzeit veranstalteten Feierlichkeiten stören wolltest, die in diesem Palaste wie im ganzen Reiche noch mehrere Tage lang fortdauern sollen! Hörst du nicht schon die Trompeten blasen und den Einklang der Trompeten, Pauken und Trommeln? Dies alles sollte dir Vergnügen und Fröhlichkeit erwecken und dich alle die Einbildungen, wovon du soeben gesprochen hast, vergessen lassen.« Zu gleicher Zeit rief die Sultanin die Frauen der Prinzessin, und nachdem sie dieselbe zum Aufstehen bewogen hatte und sah, daß sie sich zu schmücken begann, begab sie sich nach den Zimmern des Sultans und sagte diesem, es wäre wirklich ihrer Tochter etwas durch den Kopf gegangen, doch nun schon wieder beseitigt. Sie ließ hierauf den Sohn des Großwesirs kommen, um von ihm etwas über das, wovon die Prinzessin gesprochen hatte, zu erfahren; doch dieser, welcher sich durch die Verwandtschaft mit dem Sultan unendlich geehrt fühlte, hatte beschlossen, die Sache zu verheimlichen. »Lieber Schwiegersohn,« sagte die Sultanin zu ihm, »sage mir doch, hast du dieselbe Einbildung dir in den Kopf gesetzt wie deine Frau?« – »Euer Majestät,« erwiderte der Sohn des Wesirs, »dürfte ich Euch wohl fragen, worauf Eure Frage hinzielt?« – »Dies ist mir genug,« antwortete die Sultanin, »ich will nicht mehr wissen; du bist klüger als sie.«
Die Lustbarkeiten im Palaste dauerten den ganzen Tag fort; und die Sultanin, welche der Prinzessin nicht von der Seite wich, unterließ nichts, was ihr irgend Freude machen oder in ihr irgend Teilnahme an den Vergnügungen und Schauspielen, die ihr zu Ehren gegeben wurden, erwecken konnte; allein das Begebnis der verflossenen Nacht hatte auf sie einen so tiefen Eindruck gemacht, daß man leicht sehen konnte, daß sie bloß damit beschäftigt war. Der Sohn des Großwesirs fühlte sich von der Nacht, die er so schlimm zugebracht hatte, nicht minder niedergedrückt; allein sein Ehrgeiz bewog ihn, dies zu verhehlen, und wer ihn nur sah, zweifelte nicht, daß er ein sehr glücklicher Ehemann wäre.
Aladdin, der von allem, was im Palaste vorging, sehr wohl unterrichtet war, zweifelte nicht, daß die Neuvermählten ungeachtet des verdrießlichen Abenteuers, welches ihnen in der vorigen Nacht begegnet war, wieder beisammen schlafen würden, und hatte nicht Lust, sie in Ruhe zu lassen. Sobald daher die Nacht etwas vorgerückt war, nahm er wieder seine Zuflucht zu der Lampe. Augenblicklich erschien der Geist, begrüßte Aladdin ebenso wie zuvor und bot ihm seine Dienste an. »Der Sohn des Großwesirs und die Prinzessin Badrulbudur,« sagte Aladdin zu ihm, »werden diese Nacht wieder beisammen schlafen; geh du nun hin und bringe mir in dem Augenblicke, wo sie sich gelegt haben, das Bette wie gestern hierher.«
Der Geist diente dem Aladdin mit ebensoviel Treue und Pünktlichkeit als den vorigen Tag; der Sohn des Großwesirs brachte die Nacht wieder so kalt und unangenehm zu wie die erste, und die Prinzessin mußte zu ihrem Verdrusse wieder den Aladdin zu ihrem Lagergenossen haben, während zwischen ihr und ihm ein Säbel lag. Der Geist kam dem Befehl Aladdins zufolge den folgenden Morgen wieder, legte den Gatten neben seine Gemahlin, hob das Bette mit den Neuvermählten auf und trug es in das Zimmer des Palastes zurück, wo er es weggenommen hatte.
Der Sultan, welcher nach dem Empfange, den er am vorigen Morgen bei der Prinzessin Badrulbudur gefunden, ungeduldig war, zu wissen, wie sie die zweite Nacht zugebracht hatte, und ob sie ihn ebenso wie das erstemal empfangen würde, begab sich wieder, und zwar ebenso früh, nach ihrem Zimmer, um sich davon zu unterrichten. Der Sohn des Großwesirs, welcher sich über den schlechten Ausgang dieser Nacht noch mehr schämte und ärgerte als über den der ersten, hatte kaum gehört, daß der Sultan käme, als er auch schon eilig aufstand und in die Kleiderkammer stürzte.
Der Sultan näherte sich dem Bette der Prinzessin, wünschte ihr einen guten Morgen und sagte dann, nachdem er ihr dieselben Liebkosungen wie am vorigen Tage erzeigt hatte: »Nun, meine Tochter, bist du diesen Morgen ebenso übel gestimmt wie gestern? Wirst du mir wohl sagen, wie du die Nacht zugebracht hast?« Die Prinzessin beobachtete dasselbe Stillschweigen, und der Sultan bemerkte, daß ihr Gemüt noch weit unruhiger und niedergeschlagener war als das erstemal. Er zweifelte jetzt nicht mehr, daß ihr etwas Außerordentliches begegnet sein müßte, und über ihr Geheimhalten erbittert, rief er ihr im höchsten Zorne und mit gezücktem Säbel zu: »Meine Tochter, entweder gesteh mir, was du mir verhehlst, oder ich haue dir augenblicklich den Kopf ab.«
Die Prinzessin, mehr über den Ton und die Drohung des beleidigten Sultans als über den Anblick des blanken Säbels erschrocken, brach endlich ihr Stillschweigen und rief mit Tränen in den Augen: »Mein teurer Vater und Gebieter, ich bitte Euer Majestät um Verzeihung, wofern ich Euch beleidigt habe. Ich hoffe von Eurer Güte und Gnade, daß an die Stelle des Zornes bei Euch Mitleid treten wird, wenn ich Euch den traurigen und kläglichen Zustand, worin ich mich diese und die ganze vorige Nacht befunden, treu geschildert habe.«
Nach dieser Einleitung, welche den Sultan ein wenig besänftigte und rührte, erzählte sie ihm ganz treu alles, was ihr während dieser zwei bösen Nächte begegnet war, aber auf eine so rührende Weise, daß er davon tief betrübt wurde. Sie schloß mit den Worten: »Wenn Euer Majestät an der Wahrheit meiner Erzählung auch nur im mindesten zweifelt, so könnt Ihr Euch bei dem Gemahle, den Ihr mir gegeben habt, darnach erkundigen. Ich bin überzeugt, daß er die Wahrheit der Sache ebenso bezeugen wird wie ich.«
Der Sultan ging ganz auf die tiefe Bekümmernis ein, welche ein so überraschendes Abenteuer der Prinzessin verursacht haben mußte. »Meine Tochter,« sagte er zu ihr, »du hast sehr unrecht getan, daß du nicht gestern bereits dich gegen mich über einen so seltsamen Vorfall erklärt hast, wie dieser ist, an dem ich nicht geringeren Anteil nehme als du selber. Ich habe dich nicht in der Absicht verheiratet, um dich unglücklich zu machen, sondern vielmehr in der Absicht, dich zufrieden zu machen und in den Besitz alles des Glücks zu setzen, das du verdienst, und das du in den Armen eines Gemahls, der für dich zu passen schien, hoffen konntest. Verscheuche aus deinem Gemüte die traurigen Gedanken an das, was du mir soeben erzählt hast. Ich werde sogleich Befehle erteilen, damit du von nun an nie wieder eine Nacht so unangenehm und unerträglich zubringen darfst wie die bisherigen.«
Sobald der Sultan in seine Zimmer zurückgekehrt war, ließ er seinen Großwesir rufen. »Wesir,« sagte er zu ihm, »hast du deinen Sohn schon gesprochen, und hat er dir nichts gesagt?« Als der Großwesir antwortete, er hätte ihn noch nicht gesehen, so teilte ihm der Sultan alles das mit, was die Prinzessin Badrulbudur ihm soeben erzählt hatte. »Ich zweifle nicht,« fügte er hinzu, »daß meine Tochter mir die Wahrheit gesagt hat, indes würde es mir sehr lieb sein, es durch deinen Sohn bestätigen zu hören; geh daher zu ihm und frage ihn, was an der Sache ist.«
Der Großwesir begab sich sogleich zu seinem Sohne, meldete ihm, was der Sultan ihm soeben mitgeteilt hatte, und schärfte ihm ein, ihm ja nichts zu verhehlen und ihm zu sagen, ob dies wahr wäre. »Ich kann dir nicht verhehlen, mein Vater,« erwiderte der Sohn, »daß alles, was die Prinzessin dem Sultan gesagt hat, völlig wahr ist; aber sie konnte zugleich auch die schlechte Behandlung erzählen, die ich insbesondere erfahren habe. Die Sache verhält sich nämlich also: Seit meiner Vermählung habe ich zwei Nächte so schrecklich hingebracht, als man sich es nur denken kann, und Leiden ausgestanden, für deren umständliche und genaue Schilderung ich keinen Ausdruck habe. Ich will hier nicht erst von dem Entsetzen reden, welches ich empfand, als ich viermal nacheinander in meinem Bette emporgehoben wurde, ohne daß ich sehen konnte, wer denn das Bette aufhob und von einem Orte nach dem andern versetzte, und ohne daß ich begriff, wie dies möglich wäre. Du kannst dir meinen traurigen Zustand leicht denken, wenn ich dir sage, daß ich zwei ganze Nächte stehend und im bloßen Hemde in einer Art von engem Abtritte zugebracht habe, ohne imstande zu sein, mich von der Stelle zu rühren oder die geringste Bewegung zu machen, obwohl ich kein Hindernis vor mir sah, welches mich davon hätte abhalten können. Wieviel ich dabei gelitten habe, darf ich dir wohl nicht erst bis ins einzelne ausmalen. Ich will dir nicht verhehlen, daß dies alles mich nicht abgehalten hat, gegen die Prinzessin, als meine Gemahlin, alle Gefühle der Liebe, der Ehrerbietung und Dankbarkeit zu hegen, die sie verdient; allein ich kann dir bei meiner Treue versichern, daß ungeachtet all der Ehre und des Glanzes, welche aus der Vermählung mit der Tochter des Sultans für mich entspringen, ich gleichwohl lieber sterben als länger in einer so glänzenden Verbindung leben will, wenn ich immer eine so unangenehme Behandlung wie die bisherige erfahren soll. Ich zweifle nicht, daß die Prinzessin ebenso denken wird wie ich, und sie wird leicht zugeben, daß unsere Trennung ebenso nötig für ihre Ruhe als für die meinige ist. Darum bitte ich, lieber Vater, bei der Liebe, die dich bewog, mir eine so hohe Ehre zu verschaffen, jetzt den Sultan dahin zu vermögen, daß er unsere Ehe für null und nichtig erklärt.«
Wie groß auch immer der Ehrgeiz des Großwesirs war, seinen Sohn als Schwiegersohn des Sultans zu sehen, so bewirkte doch der feste Entschluß desselben in Hinsicht einer Scheidung von der Prinzessin, daß er es nicht für gut fand, ihn noch für einige Tage zur Geduld zu ermahnen, um abzuwarten, ob diese Widerwärtigkeit nicht vorübergehen würde. Er verließ ihn daher, um dem Sultan Bescheid zu bringen, welchen er feierlich versicherte, daß nach dem, was er soeben von seinem Sohne erfahren, die Sache wirklich sich so verhielte. Ohne erst abzuwarten, bis der Sultan von einer Ehescheidung zu reden anfinge, wofür er ihn nur zu sehr gestimmt sah, bat er ihn selber um die Erlaubnis, daß sein Sohn sich aus dem Palast entfernen und in sein Haus zurückkehren dürfte, indem er vorgab, es wäre nicht billig, daß die Prinzessin wegen ihrer Liebe zu seinem Sohne auch nur einen Augenblick länger einer so schrecklichen Plage ausgesetzt würde.
Es kostete den Großwesir nicht viel Mühe, die Gewährung seines Gesuchs zu erlangen. Augenblicklich gab der Sultan, der bereits denselben Entschluß gefaßt hatte, seine Befehle wegen Einstellung der Lustbarkeiten in seinem Palast, in der Hauptstadt, ja im ganzen Gebiet seines Königreiches, wohin er sofort Gegenbefehle abfertigte; und in kurzer Zeit hörten alle öffentlichen Freudenbezeigungen und Lustbarkeiten auf.
Diese plötzliche und unerwartete Veränderung gab zu allerlei Gerede Anlaß. Man fragte sich, wodurch dieser Querstrich wohl veranlaßt sein könnte, und man wußte sich nichts weiter zu sagen, als daß man den Großwesir mit seinem Sohne, beide mit sehr traurigem Angesicht, aus dem Palaste weggehen und sich nach ihrer Behausung hatte begeben sehen. Aladdin allein wußte um dies Geheimnis und freute sich im Herzen über den glücklichen Erfolg, den der Gebrauch der Lampe ihm zusicherte. Als er daher mit Gewißheit erfahren hatte, daß sein Nebenbuhler den Palast verlassen hatte, und daß die Ehe zwischen ihm und der Prinzessin völlig aufgelöst war, so hatte er nicht weiter nötig, die Lampe zu reiben und den Geist zu rufen, um die Vollziehung derselben zu hindern. Das Merkwürdigste bei der Sache war, daß weder der Sultan noch der Großwesir, welche längst Aladdin und seinen Antrag vergessen hatten, auch nur im geringsten daran dachten, daß er an dieser Zauberei, welche die Auflösung der Ehe der Prinzessin herbeigeführt hatte, irgend Anteil haben könnte.
Aladdin ließ unterdes die drei Monate vollends verstreichen, welche der Sultan als Frist für seine Vermählung mit der Prinzessin Badrulbudur festgesetzt hatte. Er hatte sorgfältig jeden Tag gezählt, und als sie vorüber waren, schickte er schon am folgenden Morgen seine Mutter nach dem Palast, um den Sultan an sein gegebenes Wort zu erinnern.
Aladdins Mutter ging nach dem Palaste, wie ihr Sohn ihr gesagt hatte, und stellte sich am Eingange des Diwans an denselben Ort, wo sie früher immer gestanden hatte. Der Sultan hatte kaum einen Blick aus sie geworfen, als er sie auch schon wiedererkannte und sich zugleich der von ihr getanen Bitte erinnerte und der Zeit, worauf er sie vertröstet hatte. Der Großwesir machte ihm soeben einen Vortrag. Der Sultan unterbrach ihn mit den Worten: »Wesir, ich bemerke da die gute Frau, die uns vor einigen Monaten ein so schönes Geschenk machte. Laß sie hierher treten; du kannst ja deinen Bericht fortsetzen, wenn ich sie angehört habe.« Der Großwesir warf einen Blick nach dem Eingange des Diwans und erkannte ebenfalls die Mutter Aladdins. Sogleich rief er den Obertürsteher, zeigte sie ihm und befahl ihm, sie näher treten zu lassen.
Die Mutter Aladdins näherte sich dem Fuße des Thrones, wo sie sich der bestehenden Sitte zufolge niederwarf. Nachdem sie wieder aufgestanden war, fragte sie der Sultan, was sie wünschte. »Herr,« erwiderte sie, »ich erscheine nochmals vor dem Throne Euer Majestät, um in dem Namen meines Sohnes Aladdin Euch in Erinnerung zu bringen, daß die Frist von drei Monaten verstrichen ist, worauf Ihr ihn bei dem Gesuche, welches ich an Euch zu tun die Ehre hatte, vertröstet habt.«
Der Sultan, welcher das erstemal, wo er die Frau gesprochen, sich für seine Antwort auf ihr Gesuch einen Aufschub von drei Monaten genommen, hatte geglaubt, daß gar nicht mehr die Rede sein werde von einer Heirat, die er für seine Tochter, die Prinzessin, eben nicht angemessen fand, indem er die Niedrigkeit der Armut der Mutter Aladdins erwog, die in einem sehr gemeinen Anzuge vor ihm erschien. Gleichwohl setzte ihn ihre Mahnung an sein gegebenes Wort in einige Verlegenheit. Er hielt es nicht für gut, ihr auf der Stelle zu antworten, sondern zog seinen Großwesir zu Rate und bezeigte ihm seine Abneigung gegen eine Vermählung seiner Tochter mit einem Unbekannten, dessen Stand, wie zu vermuten war, tief unter der Mittelmäßigkeit sein müßte.
Der Großwesir nahm keinen Anstand, dem Sultan das, was er hierüber dachte, auseinanderzusetzen. »Herr,« sagte er zu ihm, »es gibt, wie mich dünkt, nur ein einziges unfehlbares Mittel, um einer so unpassenden Verheiratung auszuweichen, ohne daß Aladdin, selbst wenn er Euer Majestät bekannt wäre, sich darüber zu beklagen Ursache hätte: nämlich dies, auf die Prinzessin einen so hohen Preis zu setzen, daß seine Reichtümer, wie groß sie auch immer sein mögen, nicht zureichen. Dies wird ein gutes Mittel sein, um ihn von einer so kühnen, ich möchte sagen verwegenen Bewerbung abzubringen, die er sich offenbar nicht gehörig überlegt hat.«
Der Sultan billigte den Rat des Großwesirs. Er wandte sich zu Aladdins Mutter und sagte nach einigem Nachdenken zu ihr: »Gute Frau, ein Sultan muß sein gegebenes Wort halten, drum bin ich auch bereit, das meinige zu halten, um deinen Sohn durch die Hand meiner Tochter zu beglücken. Allein da ich sie nicht wohl verheiraten kann, ohne zu wissen, welche Vorteile sie davon haben wird, so kannst du deinem Sohne sagen, daß ich mein Wort erfüllen werde, sobald er mir vierzig große Becken von gediegenem Golde, ganz mit dergleichen Kostbarkeiten angefüllt, wie du mir früher einmal in seinem Namen überreicht hast, überschickt, und zwar durch ebensoviele schwarze Sklaven, die von vierzig andern weißen und jungen Sklaven, alle sehr wohlgebildet, vom schönsten Wuchs und in der prächtigsten Kleidung, geführt sein müssen. Dies sind die Bedingungen, unter denen ich bereit bin, ihm meine Tochter, die Prinzessin, zu geben. Geh nun, gute Frau; ich werde seine Antwort erwarten.«
Aladdins Mutter warf sich nochmals vor dem Throne des Sultans nieder und entfernte sich. Unterwegs lachte sie bei sich selbst über die närrische Grille ihres Sohnes. »Wahrhaftig,« sagte sie, »wo wird er so viele goldene Becken und eine so große Menge solcher farbigen Gläser hernehmen, um sie zu füllen? Wird er wieder in jenes unterirdische Gewölbe, dessen Eingang verschlossen ist, hinabsteigen? Und wo wird er ferner alle diese Sklaven, wie sie der Sultan haben will, hernehmen? Da ist er nun freilich von seinen Ansprüchen weit entfernt, und ich glaube, er wird mit meiner Sendung schwerlich zufrieden sein.« Als sie nun mit diesen Gedanken, die ihr alle Aussichten für Aladdin zu benehmen schienen, nach Hause kam, sagte sie zu ihm: »Mein Sohn, ich rate dir, nicht weiter an eine Vermählung mit der Prinzessin Badrulbudur zu denken. Der Sultan hat mich wirklich mit vieler Güte empfangen, und ich glaube, daß er ganz gut gegen dich gesinnt ist; allein der Großwesir hat ihn, wenn ich mich nicht irre, auf andere Gedanken gebracht, und du wirst das so wie ich aus dem, was ich dir sagen werde, abnehmen können. Nachdem ich dem Sultan vorgestellt hatte, daß die drei Monate abgelaufen seien, und nachdem ich ihn in deinem Namen gebeten, sich an sein Versprechen zu erinnern, bemerkte ich, daß er erst mit dem Großwesir eine Weile ganz leise sprach und mir dann erst die Antwort gab, die ich dir melden werde.« Die Mutter Aladdins stattete nun ihrem Sohne über das, was der Sultan ihr gesagt hatte, und über die Bedingungen, unter denen er in eine Verbindung mit der Prinzessin mit ihm einwilligen würde, einen sehr genauen Bericht ab und schloß mit den Worten: »Mein Sohn, er erwartet deine Antwort; allein, unter uns gesagt,« fuhr sie lächelnd fort, »ich glaube, er wird da lange warten müssen.«
»Nicht so lange, als du vielleicht glaubst, liebe Mutter,« erwiderte Aladdin; »und der Sultan täuscht sich selber, wenn er denkt, mich durch seine ungeheuern Forderungen außerstand zu setzen, an die Prinzessin Badrulbudur zu denken. Ich hatte andere unüberwindliche Schwierigkeiten erwartet, oder daß er auf meine unvergleichliche Prinzessin einen noch höheren Preis setzen würde. Doch jetzt bin ich schon zufrieden, und das, was er verlangt, ist eine Kleinigkeit im Vergleich mit dem, was ich imstande wäre, ihm für den Besitz derselben zu bieten. Während ich nun darauf denken werde, ihn zu befriedigen, geh du und besorge uns etwas zum Mittagessen und laß mich nur machen.«
Sobald die Mutter nach Lebensmitteln ausgegangen war, nahm Aladdin die Lampe und rieb sie. Augenblicklich erschien ihm der Geist und fragte ihn in den Ausdrücken, die wir schon kennen, was er befehle. Aladdin sprach: »Der Sultan gibt mir seine Tochter, die Prinzessin, zur Frau; aber er verlangt zuvor von mir vierzig große und schwere Becken von gediegenem Golde, angefüllt mit Früchten aus jenem Garten, wo ich die Lampe holte, deren Sklave du bist. Auch verlangt er von mir, daß diese vierzig Becken von ebensovielen schwarzen Sklaven getragen werden sollen, vor welchen vierzig weiße, junge und wohlgebildete Sklaven vom schönsten Wuchs und in der prächtigsten Kleidung hergehen müssen. Geh und schaffe mir dies Geschenk aufs schnellste herbei, damit ich es dem Sultan senden kann, bevor er die Sitzung des Diwans schließt.« Der Geist erwiderte, sein Befehl sollte unverzüglich vollzogen werden, und verschwand.
Kurze Zeit darauf ließ sich der Geist wieder sehen, begleitet von vierzig schwarzen Sklaven, deren jeder ein zwanzig Mark schweres Becken von gediegenem Golde, angefüllt mit Perlen, Diamanten, Rubinen und Smaragden, an Schönheit und Größe noch auserlesener als die vorigen, auf dem Kopfe trug; jedes Becken war mit goldgeblümtem Silberstoff überdeckt. Alle diese Sklaven, sowohl die weißen als die schwarzen mit den goldenen Becken, erfüllten fast das ganze Haus, welches ziemlich klein war, nebst dem kleinen Hofe an der Vorder- und dem Gärtchen an der Hinterseite. Der Geist fragte hierauf Aladdin, ob er zufrieden wäre, und ob er ihm noch etwas anderes aufzutragen hätte. Aladdin erwiderte, daß er nichts weiter verlangte, und so verschwand denn der Geist auf der Stelle.
Aladdins Mutter kam vom Markte zurück und war beim Eintritte ganz erstaunt, als sie so viele Menschen und Kostbarkeiten erblickte. Als sie die Nahrungsmittel, welche sie mitbrachte, niedergelegt hatte, wollte sie den Schleier, der ihr Gesicht verhüllte, ablegen; doch Aladdin hinderte sie daran. »Liebe Mutter,« sagte er zu ihr, »es ist jetzt keine Zeit zu verlieren. Es kommt sehr viel darauf an, daß du, noch ehe der Sultan seinen Diwan schließt, nach dem Palaste zurückkehrest und das Geschenk und die Morgengabe, die er für die Prinzessin Badrulbudur verlangt hat, hinbringest, damit er aus meiner Emsigkeit und Pünktlichkeit auf das heiße und aufrichtige Verlangen schließen kann, womit ich nach der Ehre einer Heiratsverbindung mit seinem Hause trachte.«
Ohne erst die Antwort seiner Mutter abzuwarten, öffnete Aladdin die Tür nach der Straße und ließ alle seine Sklaven paarweise nacheinander, immer einen weißen und einen schwarzen Sklaven mit einem goldenen Becken auf dem Kopfe und so fort bis zum letzten, hindurchgehen. Nachdem auch seine Mutter hinter dem letzten schwarzen Sklaven hinausgegangen war, verschloß er die Türe und wartete ruhig in seinem Zimmer in der Hoffnung, daß der Sultan nach diesem Geschenke, welches er gefordert hatte, ihn endlich zum Schwiegersohne annehmen würde.
Sowie der erste weiße Sklave aus Aladdins Hause hervortrat, blieben alle vorübergehenden, die ihn sahen, stillstehen, und ehe die achtzig weißen und schwarzen Sklaven alle heraus waren, wimmelte die Straße von Volk, welches von allen Seiten herbeiströmte, um ein so prachtvolles und außerordentliches Schauspiel anzusehen. Die Kleidung eines jeden Sklaven war so reich an Stoff und Edelgestein, daß die besten Kenner nicht zu fehlen glaubten, wenn sie jeden Anzug auf mehr denn eine Million schätzten. Die Nettigkeit und das genaue Anpassen eines jeden Kleides, der Anstand, das angenehme Wesen, der ebenmäßige und stattliche Wuchs eines jeden Sklaven, ihr feierlicher Zug in gleichmäßig abgemessenen Zwischenräumen, der Glanz der außerordentlich großen Edelsteine, die in der schönsten Anordnung rings um ihre Gürtel in echtes Gold gefaßt waren, und die ebenfalls aus Edelsteinen zusammengesetzten Rosen an ihren Turbanen, die in einem ganz eigentümlichen Geschmacks gearbeitet waren, setzten diese ganze Menge von Zuschauern in eine solche Verwunderung, daß sie nicht müde wurden, sie anzusehen und sie mit den Augen so weit als möglich zu verfolgen. Die Straßen waren so mit Menschen eingefaßt, daß jeder genötigt war, an der Stelle zu bleiben, wo er stand.
Da man mehrere Straßen entlang gehen mußte, ehe man zum Palaste gelangte, so machte dies, daß ein guter Teil der Stadt, Personen aus allen Klassen und Ständen, Augenzeuge dieses bezaubernden Aufzuges war. Endlich langte der erste dieser achtzig Sklaven an der Pforte des ersten Schloßhofes an. Die Pförtner, welche gleich bei Annäherung dieses wundervollen Zuges sich in zwei Reihen aufgestellt hatten, hielten ihn für einen König, so reich und prachtvoll war er gekleidet, und näherten sich ihm, um den Saum seines Kleides zu küssen. Doch der Sklave, vom Geist unterwiesen, hielt sie zurück und sprach zu ihnen ganz ernst: »Wir sind bloß Sklaven; unser Herr wird erst erscheinen, wenn es Zeit sein wird.«
Der erste Sklave kam an der Spitze des ganzen Zuges hierauf in den zweiten Hof, der sehr geräumig und worin der Hofstaat des Sultans während der Sitzung des Diwans aufgestellt war. Die Anführer eines jeden dieser Trupps waren sehr prächtig gekleidet, aber sie wurden weit verdunkelt, als die achtzig Sklaven erschienen und Aladdins Geschenk brachten, wozu sie selber mit gehörten. Im ganzen Hofstaate des Sultans gab es nichts so Glänzendes zu sehen, und der gesamte Schimmer und Glanz der ihn umgebenden Herren vom Hofe war nichts im Vergleiche mit dem, was sich hier ihren Blicken darbot.
Sobald dem Sultan der Zug und die Ankunft dieser Sklaven gemeldet worden war, hatte er Befehl gegeben, sie hereintreten zu lassen. Als sie nun erschienen, fanden sie den Diwan frei und offen, und sie traten daher in der vollkommensten Ordnung hinein, ein Teil zur Rechten, ein anderer Teil zur Linken. Nachdem sie alle herein waren und vor dem Throne des Sultans einen großen Halbkreis gebildet hatten, setzte ein jeder der schwarzen Sklaven das Becken, welches er trug, auf den Fußteppich nieder. Sie warfen sich sämtlich nieder und berührten mit ihrer Stirne den Teppich. Die weißen Sklaven taten dasselbe zu gleicher Zeit. Sie standen dann alle wieder auf, und die Schwarzen enthüllten sehr geschickt die Becken, welche vor ihnen standen, und alle blieben dann, die Arme auf der Brust gekreuzt, mit der größten Ehrerbietung stehen.
Aladdins Mutter, welche unterdessen bis zum Fuße des Thrones vorgeschritten war, sagte zu dem Sultan, nachdem sie sich niedergeworfen hatte: »Herr, mein Sohn Aladdin weiß recht wohl, daß dieses Geschenk, welches er Euer Majestät sendet, weit unter dem steht, was die Prinzessin Badrulbudur verdienen würde. Gleichwohl hofft er, daß Euer Majestät sowie die Prinzessin es genehmigen und es anzunehmen geruhen werden, und zwar mit umsomehr Zuversicht, da er der Bedingung, die Ihr ihm vorzuschreiben beliebtet, nachzukommen gesucht hat.«
Der Sultan war gar nicht imstand, die Begrüßung der Mutter Aladdins aufmerksam anzuhören. Der erste Blick, den er auf die vierzig goldenen, mit den glänzendsten und kostbarsten Kleinoden angefüllten Becken und auf die achtzig Sklaven warf, welche sowohl ihren Mienen nach als wegen der erstaunlichen Pracht und Kostbarkeit ihrer Kleidung Könige zu sein schienen, hatte ihn gleich so überrascht, daß er sich von seiner Verwunderung gar nicht erholen konnte. Anstatt auf die Anrede der Mutter Aladdins zu antworten, wandte er sich an den Großwesir, der selber nicht begreifen konnte, wo ein solcher Überfluß von Reichtum wohl hergekommen sein möchte. »Nun, Wesir,« sagte er jetzt ganz öffentlich, »was denkst du von dem, wer er auch sein mag, der mir ein so reiches und außerordentliches Geschenk schickt, und den wir beide nicht kennen? Hältst du ihn wohl für unwürdig, die Prinzessin Badrulbudur, meine Tochter, zu heiraten?«
Wieviel Eifersucht und Betrübnis der Wesir auch darüber empfand, zu sehen, daß ein Unbekannter vorzugsweise vor seinem Sohne der Schwiegersohn des Sultans werden sollte, so wagte er doch nicht, seine wahre Meinung zu verhehlen. Es war zu augenscheinlich, daß das Geschenk Aladdins mehr als hinreichend war, um ihn zu der Aufnahme in eine so hohe Verbindung würdig zu machen. Er antwortete also dem Sultan, indem er ganz auf dessen Ansicht einging: »Herr, ich bin so weit entfernt zu denken, als sei derjenige, der Euer Majestät ein so würdiges Geschenk dargebracht hat, der ihm zugedachten Ehre unwürdig, daß ich vielmehr wagen würde, zu behaupten, er verdiente noch weit mehr, wenn ich nicht überzeugt wäre, daß es auf der Welt keinen Schatz gibt, der die Prinzessin, Tochter Euer Majestät, an Wert aufwiegen könnte.« Die Herren vom Hofe, welche dieser Sitzung beiwohnten, gaben durch ihre Beifallsbezeigungen zu erkennen, daß ihre Meinungen von der des Großwesirs nicht verschieden waren.
Der Sultan verschob jetzt die Sache nicht länger und dachte selbst nicht einmal daran, sich zu erkundigen, ob Aladdin auch wohl die übrigen erforderlichen Eigenschaften besäße, um sein Schwiegersohn werden zu können. Der bloße Anblick dieser unermeßlichen Reichtümer und die Emsigkeit, womit Aladdin seine Forderungen erfüllt hatte, ohne wegen der ungeheuern Bedingungen, die ihm vorgeschrieben worden, die mindeste Schwierigkeit zu machen, überredete ihn leicht, daß ihm nichts fehlte, um ihn zu einem ganz vollkommenen Manne und zu einem solchen zu machen, wie er ihn wünschte. Um daher Aladdins Mutter so befriedigt zu entlassen, als sie es nur irgend wünschen konnte, sagte er zu ihr: »Gute Frau, geh und sage deinem Sohne, daß ich ihn mit offenen Armen erwarte, und daß, je balder er kommen wird, um aus meiner Hand die Prinzessin, meine Tochter, zu empfangen, umsomehr Vergnügen es mir machen wird.«
Sobald Aladdins Mutter sich mit jener Freude, deren eine Frau von diesem Stande, wenn sie ihren Sohn unerwartet auf eine so hohe Stufe gelangen sieht, nur irgend fähig sein kann, sich entfernt hatte, hob der Sultan die Sitzung dieses Tages auf, stand vom Throne auf und befahl, daß die zum Dienste der Prinzessin verordneten Verschnittenen herbeikommen, die goldenen Becken aufheben und sie nach den Zimmern ihrer Gebieterin tragen sollten, wo er dieselben mit Muße näher betrachten wollte. Dieser Befehl wurde durch die Fürsorge des Oberhauptes der Verschnittenen auf der Stelle vollzogen.
Die achtzig weißen und schwarzen Sklaven wurden nicht vergessen. Man ließ sie in das Innere des Palastes hineinkommen, und kurze Zeit darauf befahl der Sultan, der von ihrer prächtigen Kleidung mit der Prinzessin Badrulbudur gesprochen hatte, daß man sie vor ihrem Zimmer aufstellen sollte, damit sie dieselben durch die Gitterfenster beobachten und sich überzeugen könnte, daß er, weit entfernt, in seiner Beschreibung irgend etwas übertrieben zu haben, vielmehr ihr weit weniger gesagt hatte, als an der Sache wirklich war.
Aladdins Mutter kam unterdes nach Hause, und zwar mit einer Miene, welche die gute Nachricht, die sie ihrem Sohne brachte, genugsam ankündigte. »Mein Sohn,« sagte sie zu ihm, »du hast alle Ursache, vergnügt zu sein; du bist wider meine Erwartung zur Erfüllung deiner Wünsche gelangt, und du weißt, was ich dir hierüber gesagt habe. Um dich nicht zu lange in gespannter Erwartung zu halten, will ich dir nur sagen, daß der Sultan mit Zustimmung seines ganzen Hofes dich für würdig erklärt hat, die Prinzessin Badrulbudur zu besitzen. Er erwartet dich, um dich zu umarmen und die Heirat abzuschließen. Denke jetzt nur darauf, dich auf diese Zusammenkunft vorzubereiten, damit sie der hohen Meinung, die er von dir gefaßt hat, entspreche; allein nach den Wundern, die ich dich bisher habe vollführen sehen, bin ich fest überzeugt, daß du es hierin an nichts fehlen lassen wirst. Ich darf indes nicht vergessen, dir zu sagen, daß der Sultan voll Ungeduld auf dich wartet, verliere daher keine Zeit, um dich zu ihm zu begeben.«
Aladdin, der über diese Nachricht höchst erfreut und ganz von dem Gegenstande, der ihn bezaubert hatte, eingenommen war, sagte zu seiner Mutter bloß einige Worte und entfernte sich in sein Zimmer, hier nahm er die Lampe, die ihm bisher in allen seinen Bedürfnissen und bei allen seinen Wünschen so hilfreich gewesen war, und hatte sie kaum gerieben, als auch schon der Geist durch sein unverzügliches Erscheinen seinen Gehorsam an den Tag legte. »Geist,« sagte Aladdin zu ihm, »ich habe dich gerufen, damit du mir schnell ein Bad zurechtmachen sollest, und sobald ich es genommen habe, will ich, daß du für mich die reichste und prachtvollste Kleidung, die nur jemals ein Fürst getragen, in Bereitschaft hältst.« Er hatte dies kaum gesprochen, als der Geist ihn so wie sich selbst unsichtbar machte, ihn aufhob und in ein Bad trug, welches von dem feinsten buntgestreiften Marmor gebaut war. Ohne daß er sehen konnte, wer ihn bediente, ward er in einem sehr geräumigen und saubern Saale ausgekleidet; aus dem Saale ließ man ihn dann in ein Bad treten, welches eine mäßige Wärme hatte, und worin er gerieben und in verschiedenen wohlriechenden Wassern gebadet wurde. Nachdem er in den verschiedenen Badegemächern alle Grade der Wärme durchgegangen, ging er wieder heraus, aber ganz anders, als er hineingekommen war. Seine Gesichtsfarbe war frisch, weiß und rosig geworden und sein ganzer Leib viel leichter und behender als zuvor. Er ging in den Saal zurück und fand darin nicht mehr die Kleidung, welche er darin zurückgelassen; der Geist hatte an die Stelle derselben diejenige gelegt, welche er verlangt hatte. Aladdin war ganz erstaunt, als er die Pracht des Anzuges betrachtete, welcher für ihn hingelegt war. Er kleidete sich mit Hilfe des Geistes an, indem er jedes Stück, sowie er es anzog, bewunderte; so sehr übertraf alles seine höchsten Erwartungen. Als er fertig war, trug ihn der Geist nach seiner Wohnung zurück, und zwar in dasselbe Zimmer, woraus er ihn weggeführt hatte, und fragte ihn dann, ob er ihm noch etwas aufzutragen hätte. »Ja,« erwiderte Aladdin, »ich erwarte von dir, daß du mir auf der Stelle ein Pferd herbeiführest, welches an Schönheit und Trefflichkeit das kostbarste Pferd in dem Marstalle des Sultans übertrifft, und dessen Decke, Sattel, Zaum und Zeug über eine Million wert sein muß. Auch verlange ich, daß du mir zu gleicher Zeit zwanzig Sklaven herbeischaffest, ganz ebenso reich und so zierlich gekleidet wie die, welche das Geschenk trugen, damit sie mir zur Seite und als mein Gefolge einhergehen können, ferner zwanzig andere der Art, um in zwei Reihen vor mir herzuziehen. Auch meiner Mutter bringe sechs Sklavinnen zur Aufwartung, jede wenigstens ebenso reich gekleidet als die Sklavinnen der Prinzessin Badrulbudur, und jede einen vollständigen Anzug auf dem Kopfe tragend, der ebenso prächtig und so stattlich sein muß, als wäre er für die Sultanin. Ferner bedarf ich noch zehntausend Goldstücke in zehn Beuteln. Das war es, was ich dir noch anzubefehlen hatte. Geh und beeile dich.«
Sobald Aladdin dem Geiste seine Befehle gegeben hatte, verschwand der Geist und erschien bald nachher mit dem Pferde, den vierzig Sklaven, von denen zehn ein jeder einen Beutel mit zehntausend Goldstücken trugen, und mit sechs Sklavinnen, wovon jede auf ihrem Kopfe einen verschiedenen Anzug für Aladdins Mutter, in Silberstoff eingewickelt, trug. Der Geist übergab dies alles an Aladdin.
Von den zehn Beuteln nahm Aladdin bloß vier, welche er seiner Mutter mit den Worten gab, sie möchte sich derselben in Notfällen bedienen. Die sechs übrigen ließ er in den Händen der Sklaven, welche sie trugen, mit dem Befehle, sie zu bewahren und während ihres Zuges durch die Straßen nach dem Palaste des Sultans dieselben handvollweise unter das Volk auszustreuen. Auch befahl er ihnen, sie sollten nebst den übrigen dicht vor ihm, und zwar drei zur Rechten und drei zur Linken, einhergehen. Zugleich stellte er seiner Mutter die sechs Sklavinnen vor, indem er ihr sagte, daß sie ihr gehörten, und daß sie ganz als Gebieterin über dieselben verfügen könnte, ferner auch, daß die Kleider, welche sie trügen, für sie bestimmt wären.
Als Aladdin alle seine Angelegenheiten geordnet hatte, entließ er den Geist und sagte zu ihm, daß er ihn rufen würde, sobald er seiner bedürfte; der Geist verschwand augenblicklich. Jetzt dachte Aladdin bloß daran, dem Wunsche des Sultans, der ihn gern sehen wollte, zu entsprechen. Er fertigte einen von den vierzig Sklaven – ich will nicht sagen den schönsten, denn sie waren alle gleich – nach dem Palast ab mit dem Befehle, sich an das Oberhaupt der Türsteher zu wenden und ihn zu fragen, wann er wohl die Ehre haben könnte, sich dem Sultan zu Füßen zu werfen. Der Sklave hatte die Botschaft sehr schnell ausgerichtet und brachte die Antwort zurück, daß der Sultan ihn voll Ungeduld erwartete.
Aladdin stieg nun unverzüglich zu Pferde und setzte den ganzen Zug in der schon angezeigten Ordnung in Bewegung. Obgleich er noch nie zuvor zu Pferde gesessen hatte, so benahm er sich dennoch auf demselben mit so viel Anstand, daß selbst der erfahrenste Reiter ihn nicht für einen Neuling gehalten haben würde. Die Straßen, durch welche er zog, waren fast in einem Augenblicke mit einer unermeßlichen Volksmenge angefüllt, welche die Luft von ihrem Beifallruf, ihrer Bewunderung und ihren Lobpreisungen widerhallen ließen, besonders jedesmal, wenn die sechs Sklaven, welche die Beutel trugen, ganze Hände voll Goldstücke links und rechts in die Luft warfen. Der Beifallruf kam indes nicht von denen her, welche sich drängten und niederbückten, um einige Goldstücke aufzulesen, sondern von Personen aus dem Mittelstande, die sich nicht enthalten konnten, der Freigebigkeit Aladdins das verdiente Lob zu spenden. Nicht bloß die, welche ihn in der Jugend als Gassenjungen auf der Straße spielen gesehen hatten, erkannten ihn nicht wieder, sondern selbst die, welche ihn noch vor kurzem gesehen, hatten Mühe, ihn zu kennen; so sehr hatten sich seine Gesichtszüge verändert. Dies kam daher, daß die Lampe die Eigenschaft hatte, ihren Besitzern allmählich alle die Vollkommenheiten zu verleihen, welche dem Range, zu dem sie durch Hilfe der Lampe gelangten, angemessen waren. Man schenkte nun Aladdins Person weit mehr Aufmerksamkeit als dem ganzen ihn begleitenden Aufzug; auch hatten die meisten an demselben Tage bereits das nämliche gesehen, als der Zug von Sklaven die Geschenke überbrachte. Indes wurde besonders das Pferd von den Kennern bewundert, welche die Schönheit desselben gar wohl zu unterscheiden wußten, ohne von dem Reichtum oder dem Schimmer der Diamanten und Edelsteine, womit es bedeckt war, sich im geringsten blenden zu lassen. Da das Gerücht sich verbreitet hatte, daß der Sultan ihm die Prinzessin Badrulbudur zur Ehe gäbe, so war doch niemand, der in Hinsicht auf seine Herkunft ihm sein Glück oder seine Standeserhöhung im mindesten beneidet hätte, so sehr schien er dessen würdig zu sein.
Aladdin langte beim Palaste an, wo alles zu seinem Empfange in Bereitschaft gesetzt war. Als er zu dem zweiten Schloßtore kam, wollte er der Sitte gemäß, welche der Großwesir, die Oberfeldherren und Oberstatthalter der Provinzen zu beobachten pflegen, vom Pferde steigen; doch der Obertürsteher, der ihn auf Befehl des Sultans selbst erwartete, ließ es nicht zu und begleitete ihn bis an den großen Versammlungs- oder Empfangssaal, wo er ihm vom Pferde heruntersteigen half; obwohl Aladdin sich sehr dagegen sträubte und es von ihm nicht annehmen wollte, so konnte er es doch nicht hindern. Unterdes bildeten die Türsteher am Eingange des Saales eine doppelte Reihe. Ihr Oberhaupt ging zur Linken Aladdins und führte ihn mitten durch sie hindurch bis zu dem Throne des Sultans.
Als der Sultan den Aladdin erblickte, war er ebensosehr erfreut, ihn reicher und prächtiger gekleidet zu sehen, als er selber es jemals gewesen, als auch überrascht von seinem schönen Wuchs und von seiner würdevollen Haltung, die himmelweit von jenem niedrigen Aufzuge entfernt war, worin seine Mutter vor ihm erschienen war. Sein Erstaunen und seine Überraschung hinderten ihn indes nicht, aufzustehen und zwei bis drei Stufen des Thrones eiligst herabzusteigen, um Aladdin zu verhindern, daß er sich zu seinen Füßen werfe, und ihn mit allen Zeichen der Freundschaft zu umarmen. Nach dieser artigen Begrüßung wollte Aladdin sich gleichwohl noch zu seinen Füßen werfen; doch der Sultan hielt ihn eigenhändig davon zurück und nötigte ihn, heraufzusteigen und sich zwischen ihn und den Großwesir zu setzen.
Aladdin nahm nun das Wort und sagte: »Herr, ich nehme die Ehre, die Euer Majestät mir erzeigt, an, weil Ihr mir sie huldvoll zu erweisen geruhet; doch erlaubt mir, Euch zu sagen, daß ich keineswegs vergessen habe, daß ich meiner Geburt nach Euer Sklave bin, daß ich den Umfang Eurer Macht kenne, und daß ich sehr wohl weiß, wie tief meine Herkunft mich unter den Glanz und die Herrlichkeit des hohen Ranges stellt, in welchem Ihr stehet. Wenn ich irgend einen günstigen Empfang verdient haben sollte, so gestehe ich, daß ich ihn bloß jener durch einen bloßen Zufall veranlaßten Kühnheit verdanke, die mich bewog, meine Augen, Gedanken und Wünsche zu jener himmlischen Prinzessin zu erheben, welche der Gegenstand aller meiner Wünsche ist. Ich bitte Euer Majestät wegen dieser Verwegenheit um Verzeihung; aber ich kann es nicht verhehlen, daß ich vor Betrübnis sterben würde, wenn ich die Hoffnung auf Erfüllung dieses Wunsches verlieren sollte.«
»Mein Sohn,« erwiderte der Sultan, indem er ihn nochmals umarmte, »du würdest sehr unrecht tun, wenn du auch nur einen Augenblick an der Aufrichtigkeit meines gegebenen Wortes zweifeln wolltest. Dein Leben ist mir von nun an zu teuer, als daß ich es nicht durch Darbietung des Heilmittels, das in meiner Gewalt steht, dir zu erhalten suchen sollte. Das Vergnügen, dich zu sehen und zu hören, ziehe ich allen meinen und deinen Schätzen zusammen vor.«
Bei diesen Worten gab der Sultan ein Zeichen, und sogleich hörte man den Klang der Trompeten, Hoboen und Pauken, und zugleich führte der Sultan den Aladdin in einen prachtvollen Saal, worin man ein kostbares Festmahl auftrug. Der Sultan speiste mit Aladdin ganz allein. Der Großwesir und die Großen des Hofes waren – ein jeder nach Rang und Würden – während der Mahlzeit ihnen zur Seite. Der Sultan, welcher seine Augen immerfort auf Aladdin gerichtet hatte – so viel Vergnügen machte ihm der Anblick desselben –, lenkte das Gespräch auf verschiedene Gegenstände. Doch während der ganzen Unterhaltung, die sie unter dem Essen zusammen führten, und auf welchen Gegenstand auch immer die Rede kam, sprach Aladdin mit so viel Kenntnis und Verstand, daß er den Sultan in der guten Meinung, welche dieser gleich anfangs von ihm gefaßt hatte, vollends bestärkte.
Nach Endigung der Mahlzeit ließ der Sultan den Oberrichter seiner Hauptstadt rufen und befahl ihm, auf der Stelle den Ehevertrag zwischen der Prinzessin Badrulbudur, seiner Tochter, und Aladdin zu entwerfen und ins reine zu bringen. Während dieser Zeit unterhielt sich der Sultan mit Aladdin über verschiedene gleichgültige Dinge in Gegenwart des Großwesirs und der Herren vom Hofe, welche seinen gründlichen Verstand, seine große Gewandtheit in der Rede und im Ausdruck wie die feinen und sinnreichen Bemerkungen, womit er seine Unterhaltungen würzte, bewunderten.
Als der Richter den Ehevertrag nach allen erforderlichen Förmlichkeiten vollendet hatte, fragte der Sultan den Aladdin, ob er in dem Palaste bleiben und noch an demselben Tage die Hochzeitszeremonie vollziehen lassen wolle. »Herr,« erwiderte Aladdin, »wie groß auch meine Sehnsucht ist nach dem vollen Genuß dessen, was Euer Majestät Huld mir gewährt, so muß ich doch bitten, daß Ihr mir so lange noch Frist gestattet, bis ich einen Palast habe erbauen lassen, um die Prinzessin darin nach Würden empfangen zu können. Ich bitte mir daher von Euch einen angemessenen Platz in der Nähe des Eurigen aus, damit ich es möglichst nahe und bequem habe, um Euch meine Aufwartung machen zu können. Ich werde nichts unterlassen, damit er möglichst bald fertig wird.« – »Mein Sohn,« sagte der Sultan zu ihm, »wähle dir jede beliebige Stelle aus, die du für dich passend findest. Der leere Raum vor meinem Palaste ist groß genug, und ich habe wohl schon selber daran gedacht, ihn auszufüllen. Doch vergiß dabei nicht, daß ich je eher je lieber dich mit meiner Tochter verbunden zu sehen wünsche, um das volle Maß der Freude zu genießen.« Nachdem er diese Worte gesprochen, umarmte er nochmals Aladdin, welcher vom Sultan ganz mit eben der Artigkeit Abschied nahm, als ob von jeher am Hofe gewesen und darin erzogen worden wäre.
Aladdin setzte sich wieder zu Pferde und kehrte wieder mit demselben Zuge, womit er gekommen war, durch dasselbe Volksgewühl und unter dem Beifallsrufe der Menge, welche ihm alles mögliche Glück und Heil wünschte, nach Hause zurück. Sobald er an seiner Wohnung abgestiegen war, begab er sich ganz allein in sein Zimmer, nahm die Lampe und rief auf die gewöhnliche Weise den Geist. Dieser ließ nicht lange auf sich warten, sondern erschien sogleich und bot ihm seine Dienste an. »Geist,« sagte Aladdin zu ihm, »ich habe alle Ursache, deine Pünktlichkeit in Vollziehung aller der Befehle, die ich dir bisher Kraft dieser Lampe, welcher du dienst, gegeben, zu rühmen. Gegenwärtig kommt es darauf an, daß du wo möglich noch mehr Eifer und Sorgfalt als bisher an den Tag legest. Ich verlange nämlich, daß du mir in möglichst kurzer Zeit dem Palaste des Sultans gegenüber, jedoch in gehöriger Entfernung einen Palast erbauen lässest, welcher würdig genug ist, um die Prinzessin Badrulbudur, meine Gemahlin, aufzunehmen. Die Wahl der Materialien, ob aus Porphyr oder Jaspis oder Achat oder Lasurstein oder buntgestreiftem Marmor, sowie auch die ganze übrige Einrichtung des Baues überlasse ich ganz dir; allein ich erwarte, daß du mir oben darauf einen großen Saal mit einer Kuppel und vier ganz gleichen Schauseiten bauest, dessen Wände aus wechselnden Schichten von Gold und Silber ausgeführt sein müssen, mit sechs Fenstern auf jeder Seite, deren Vergitterung sämtlich – mit Ausnahme eines einzigen, welches unvollendet bleiben soll – mit Diamanten, Rubinen und Smaragden kunstreich und symmetrisch geschmückt sein muß, und zwar so, daß man dergleichen noch nie in der Welt gesehen hat. Ferner will ich, daß sich bei diesem Palaste ein Hof, ein Vorhof und ein Garten befinden, vor allen Dingen aber an einem bestimmten Orte ein Schatz voll gemünzten Goldes und Silbers; außerdem müssen im Palaste Küchen, Speisekammern, Vorratsgewölbe und Gerätekammern, voll der kostbarsten Geräte für jede Jahreszeit und der übrigen Pracht des Palastes angemessen, vorhanden sein, ferner Marställe voll der schönsten Pferde mit ihren Stallmeistern und Stallknechten; außerdem auch noch eine hinlängliche Dienerschaft für Küche und Aufwartung nebst den für den Dienst der Prinzessin nötigen Sklavinnen. Du wirst jetzt begreifen, wie ich es haben will. Geh nun also und komm wieder, wenn alles fertig ist.«
Die Sonne ging eben unter, als Aladdin dem Geiste wegen Erbauung des Palastes, den er sich ausgesonnen, seine Aufträge gab. Bei Anbruch des folgenden Tages war Aladdin, den seine Liebe zur Prinzessin nicht ruhig schlafen ließ, kaum aufgestanden, als auch schon der Geist erschien und zu ihm sagte: »Herr, dein Palast ist fertig; komm und siehe, ob du damit zufrieden bist.« Aladdin hatte kaum sich geäußert, daß er es wolle, als ihn auch schon der Geist in einem Augenblick hinversetzte. Aladdin fand alles so weit über seiner Erwartung, daß er sich nicht genug darüber wundern konnte. Der Geist führte ihn überall herum, und überall fand er Reichtum, Sauberkeit und Pracht, dazu Diener und Sklaven, alle nach ihrem Range und dem Dienste gemäß gekleidet, wozu sie bestimmt waren. Auch unterließ er nicht, ihm die Hauptsache, nämlich den Schatz, zu zeigen, dessen Tür vom Schatzmeister geöffnet wurde. Aladdin sah hier ganze Haufen von Goldsäcken von verschiedener Größe, je nach den Summen, die sie enthielten, bis an das Gewölbe emporgetürmt, und zwar in so schöner Anordnung, daß man sie mit Vergnügen ansah. Beim Herausgehen versicherte ihn der Geist von der vollkommenen Treue des Schatzaufsehers. Hierauf führte er ihn in die Marställe und zeigte ihm hier die schönsten Pferde von der Welt und die Stallknechte, welche eifrig mit der Pflege und Wartung derselben beschäftigt waren. Sodann durchging er mit ihm die Vorratskammern, welche mit allen Arten von Vorräten sowohl von Nahrungsmitteln als von Pferdeschmuck und Geschirren angefüllt waren.
Nachdem Aladdin so den ganzen Palast von Zimmer zu Zimmer und von Gemach zu Gemach von oben bis unten, besonders den großen Saal mit den vierundzwanzig Fenstern, durchgemustert und darin mehr Reichtum und Pracht, als er nur je gehofft, angetroffen hatte, sagte er zu dem Geiste: »Geist, es kann niemand zufriedener sein, als ich es bin, und ich würde sehr unrecht handeln, wenn ich mich im geringsten beschweren wollte. Bloß etwas fehlt noch, wovon ich dir nichts gesagt habe, weil es mir damals nicht einfiel; es muß nämlich von dem Palasttore des Sultans bis an den Eingang der Zimmer, die in diesem Palaste für die Prinzessin bestimmt sind, ein Teppich von dem schönsten Sammet ausgebreitet werden, damit sie, wenn sie aus dem Palaste des Sultans kommt, darüber hinweggehen kann.« – »Ich komme in einem Augenblick wieder,« sagte der Geist. Und kurze Zeit nach seinem Verschwinden sah Aladdin zu seinem Erstaunen seinen Wunsch vollzogen, ohne daß er wußte, wie es zugegangen war. Der Geist erschien dann wieder und trug Aladdin in seine Wohnung zurück, während man eben die Palastpforte des Sultans auftat.
Die Pförtner des Palastes, die das Tor öffneten und sonst immer nach der Seite hin, wo jetzt Aladdins Palast stand, eine freie Aussicht gehabt hatten, waren sehr überrascht, als sie diese Aussicht verbaut und von dorther bis an die Palastpforte des Sultans einen Sammetteppich herübergebreitet sahen. Sie konnten anfangs nicht unterscheiden, was es wäre, doch ihr Erstaunen wuchs, als sie ganz deutlich den stolzen Palast Aladdins dastehen sahen. Die Nachricht von diesem seltsamen Wunder verbreitete sich binnen kurzem im Palaste. Der Großwesir, der sich gleich nach Öffnung der Pforte im Palaste einfand, war von dieser Neuigkeit nicht weniger überrascht als die andern; er teilte es zuerst dem Sultan mit, suchte ihm aber die Sache als ein bloßes Blendwerk vorzustellen. »Wesir,« erwiderte der Sultan, »warum willst du dies für ein bloßes Blendwerk halten? Du weißt so gut wie ich, daß es der Palast ist, den Aladdin vermöge der Erlaubnis, die ich ihm in deiner Gegenwart erteilte, zur Wohnung für meine Prinzessin Tochter hat erbauen lassen; und können wir nach den Proben, die er uns von seinem Reichtums gegeben, es wohl noch befremdend finden, daß er denselben in so kurzer Zeit vollendet hat? Er hat uns damit überraschen und uns zeigen wollen, daß man mit barem Gelde von einem Tage bis zum andern Wunder tun kann. Gestehe nur mit mir, daß jene Reden von Blendwerken, die du soeben äußerst, bloß von etwas Eifersucht herrührten.« Da unterdes der Augenblick herangekommen war, wo er in die Ratsversammlung gehen mußte, so konnte er dies Gespräch nicht länger fortsetzen.
Als Aladdin in seine Wohnung zurückgebracht worden war und den Geist entlassen hatte, fand er seine Mutter bereits aufgestanden und mit dem Anlegen eines der Kleider beschäftigt, die er ihr geschenkt hatte. Um die Zeit, wo der Sultan gewöhnlich aus der Ratsversammlung zu kommen pflegte, bewog Aladdin seine Mutter, in Begleitung der Sklavinnen, die ihr der Geist zugeführt, sich nach dem Palaste zu verfügen. Zugleich bat er sie, wenn sie den Sultan sähe, demselben zu sagen, sie käme, um die Ehre zu haben, die Prinzessin gegen den Abend, wenn sie sich nach ihrem neuen Palaste begeben würde, dahin zu begleiten. Sie ging demnach fort; allein, obschon sie und ihre sie begleitenden Sklavinnen wie Sultaninnen gekleidet waren, so war doch die Volksmenge, die sich zum Zuschauen drängte, weit geringer an Zahl, weil sie verschleiert waren, und weil ein angemessener Überwurf den Reichtum und die Pracht ihrer Kleidung überdeckte. Was Aladdin anbetrifft, so setzte sich dieser zu Pferde, und nachdem er sein väterliches Haus verlassen hatte, um nie mehr in dasselbe zurückzukehren – doch ohne die Wunderlampe zu vergessen, die ihm zur Erlangung seines Glücks so gute Dienste geleistet hatte – so zog er öffentlich nach seinem Palaste, und zwar mit demselben Pompe, womit er an dem vorhergehenden Tage sich dem Sultan vorgestellt hatte.
Sobald die Pförtner des Palastes des Sultans die Mutter Aladdins erblickten, benachrichtigten sie den Sultan davon. Sogleich ward nun den Chören von Trompetern, Pauken- und Trommelschlägern, Querpfeifern und Hoboenbläsern, welche bereits auf den Terrassen des Palastes an verschiedenen Punkten aufgestellt waren, ein Zeichen gegeben, worauf sogleich Trompeten- und Paukenschall und Konzerte ertönten, welche der ganzen Stadt die Freude verkündigten. Die Kaufleute fingen an, ihre Läden mit schönen Teppichen und Laubwerk zu schmücken und für die Nacht Anstalten zur Erleuchtung zu treffen. Die Handwerksleute verließen ihre Arbeit, und das Volk begab sich scharenweise nach dem großen Platze, der zwischen des Sultans und Aladdins Palaste lag. Der letztere zog gleichfalls ihre Bewunderung auf sich, nicht etwa wegen seiner Verschiedenheit von dem des Sultans, sondern sie erstaunten, einen so prächtigen Palast auf einer Stelle zu erblicken, wo man am vorigen Tage weder den Grund legen noch Baumaterialien gesehen hatte.
Aladdins Mutter wurde in dem Palaste sehr ehrenvoll empfangen und von dem Oberhaupt der Verschnittenen in die Zimmer der Prinzessin Badrulbudur eingeführt. Sobald die Prinzessin sie erblickte, ging sie auf sie zu, umarmte sie und ließ sie auf ihrem Sofa Platz nehmen; und während ihre Frauen sie vollends ankleideten und mit den kostbarsten Juwelen, die ihr Aladdin geschenkt, ausschmückten, ließ sie ihr unterdes einen köstlichen Imbiß vorsetzen. Der Sultan, welcher kam, um noch so lange als möglich mit seiner Tochter zusammen sein zu können, ehe sie sich von ihm trennte und den Palast Aladdins bezöge, erwies ihr ebenfalls große Ehre. Aladdins Mutter hatte mit dem Sultan schon mehrmals vor dem versammelten Hofe gesprochen, aber er hatte sie noch nie ohne Schleier gesehen wie an dem Tage. Obwohl sie an Jahren ziemlich weit vorgerückt war, so entdeckte man auf ihrem Gesichte doch noch viele Züge, welche schließen ließen, daß sie in ihrer Jugend einst sehr schön gewesen sein müsse. Der Sultan, welcher sie immer nur sehr einfach – man möchte sagen armselig – gekleidet gesehen hatte, war voll Verwunderung, als er sie ebenso reich und prachtvoll als die Prinzessin angezogen erblickte. Auch dies brachte ihn zu der Überzeugung, daß Aladdin in allen Dingen gleich erfahren, verständig und einsichtsvoll sein müsse.
Als die Nacht anbrach, nahm die Prinzessin von ihrem Vater Abschied. Dieser Abschied war höchst rührend und tränenreich. Sie umarmten sich mehrmals, ohne ein Wort zu reden, und endlich ging die Prinzessin aus ihren Zimmern und trat den Zug an, während Aladdins Mutter ihr zur Linken einherschritt und hundert Sklavinnen in der prachtvollsten Kleidung ihr folgten. Alle die Musikchöre, die seit Ankunft der Mutter Aladdins nicht aufgehört hatten zu spielen, hatten sich jetzt vereinigt und gingen dem Zuge voran, ihnen folgten hundert Trabanten und eine ebensogroße Anzahl schwarzer Verschnittenen in zwei Reihen mit ihren Befehlshabern an der Spitze, vierhundert junge Edelknaben des Sultans, die in zwei Zügen auf beiden Seiten einhergingen und Fackeln trugen, verbreiteten einen Lichtglanz, der im Verein mit der Erleuchtung der beiden Paläste des Sultans und Aladdins den Mangel des Tageslichts auf eine wunderbare Weise ersetzte.
In dieser Ordnung zog nun die Prinzessin den Teppich entlang von dem Palaste des Sultans bis zu dem Palaste Aladdins, und je weiter sie vorwärts kam, desto mehr mischte und vereinigte sich das Spiel ihres Musikchors mit dem Klange dessen, welches sich von den Terrassen an Aladdins Palaste hören ließ, und bildete so mit diesem ein Konzert, welches, so seltsam und verwirrt es auch schien, dennoch die allgemeine Freude vermehrte, nicht bloß auf dem großen Platze, der von Menschen wimmelte, sondern auch in den beiden Palästen, in der ganzen Stadt und in der Umgegend.
Endlich langte die Prinzessin bei dem neuen Palaste an, und Aladdin eilte mit einer Freude, die sich leicht denken läßt, an den Eingang der für sie bestimmten Zimmer, um sie daselbst zu empfangen. Aladdins Mutter hatte die Prinzessin bereits mit vieler Sorgfalt auf ihren Sohn, der in der Mitte seiner umgebenden Palastdienerschaft stand, aufmerksam gemacht, und die Prinzessin fand ihn beim ersten Anblick so schön, daß sie von ihm ganz bezaubert wurde. »Anbetungswürdige Prinzessin,« sagte Aladdin zu ihr, indem er sie voll Ehrerbietung anredete und begrüßte, »sollte ich das Unglück gehabt haben, Euch um der Verwegenheit willen, womit ich nach dem Besitze einer so liebenswürdigen Prinzessin und der Tochter meines Sultans getrachtet, zu mißfallen, so würdet Ihr Euren schönen Augen und der Macht Eurer Reize die Schuld davon beizumessen haben, aber nicht mir.« – »Mein Prinz,« erwiderte die Prinzessin, »ich gehorche dem Willen des Sultans, meines Vaters, und es ist für mich genug, Euch gesehen zu haben, um Euch zu sagen, daß ich ihm ohne Widerwillen und gern gehorche.«
Aladdin, welcher von einer so angenehmen Antwort ganz bezaubert war, ließ die Prinzessin nach einem so weiten und ungewohnten Wege, den sie zurückgelegt, nicht länger stehen, sondern nahm ihre Hand, die er mit vieler Zärtlichkeit küßte, und führte sie in einen großen Saal, der von einer Menge von Wachskerzen erleuchtet war, und worin auf Veranstaltung des Geistes ein herrliches Mahl aufgetragen war. Die Schüsseln waren von gediegenem Golde und mit dem köstlichsten Fleische angefüllt. Die Vasen, die Becken und die Becher, womit der Tafelaufsatz reichlich besetzt war, waren ebenfalls von Gold und von auserlesener Arbeit; auch die übrigen Verzierungen und der ganze Ausschmuck des Saales entsprachen dieser hohen Pracht. Die Prinzessin, welche ganz bezaubert war, so viel Reichtum an einem einzigen Orte beisammen zu sehen, sagte zu Aladdin: »Prinz, ich glaubte sonst immer, daß es auf der Welt nichts Schöneres gäbe als der Palast meines Vaters, des Sultans, aber beim Anblick dieses Saales sehe ich allein schon, daß ich mich getäuscht habe.«
Die Prinzessin Badrulbudur, Aladdin und seine Mutter setzten sich jetzt zu Tische, und sogleich begann ein sehr harmonischer Musikchor, von den schönsten Mädchenstimmen begleitet, ein Konzert, welches ohne Unterbrechung bis ans Ende der Mahlzeit dauerte. Die Prinzessin war so entzückt davon, daß sie versicherte, noch nie etwas so Schönes in dem Palaste des Sultans, ihres Vaters, gehört zu haben. Aber sie wußte nicht, daß diese Sängerinnen sämtlich Feen waren, die der Geist hierzu ausgewählt hatte.
Als das Abendessen vorüber war und man schnell abgeräumt hatte, trat an die Stelle des Musikchores ein Trupp von Tänzern und Tänzerinnen. Sie führten nach der Landessitte allerlei Arten von figurierten Tänzen aus; zuletzt tanzten ein Tänzer und eine Tänzerin ganz allein mit einer erstaunlichen Leichtigkeit, und jeder von ihnen entwickelte all den Anstand und die Gewandtheit, deren sie nur irgend fähig waren. Es war nahe an Mitternacht, als Aladdin – der damals in China bestehenden Sitte zufolge – aufstand und der Prinzessin Badrulbudur die Hand bot, um mit ihr zu tanzen und damit die Hochzeitsfeierlichkeiten zu beschließen. Sie tanzten so schön, daß sie die Bewunderung der ganzen Gesellschaft erregten. Nach Endigung des Tanzes behielt Aladdin die Prinzessin an der Hand, und sie gingen miteinander in das Zimmer, wo das hochzeitliche Lager für sie bereitet war. Die Frauen der Prinzessin kleideten sie aus und brachten sie zu Bette; Aladdins Diener taten ihm ein Gleiches, und alle entfernten sich sodann. So endigten die Feierlichkeiten und Lustbarkeiten der Hochzeit Aladdins und der Prinzessin Badrulbudur.
Als Aladdin am folgenden Morgen erwachte, erschienen seine Kammerdiener, um ihn anzukleiden. Sie zogen ihm ein ganz anderes, aber nicht minder reiches und prächtiges Kleid an als am Hochzeitstage. Hierauf ließ er sich eines von seinen Leibpferden vorführen, bestieg es und begab sich, umgeben von einem zahlreichen Gefolge von Sklaven, welche vor ihm, hinter ihm und zu beiden Seiten gingen, nach dem Palaste des Sultans. Der Sultan empfing ihn mit denselben Ehrenbezeigungen wie das erstemal, er umarmte ihn, ließ ihn neben sich auf dem Throne sitzen und befahl, daß man ein Frühmahl auftragen solle. »Herr,« erwiderte Aladdin, »ich bitte Euer Majestät, mich für heute wegen dieser mir zugedachten Ehre zu entschuldigen, ich komme soeben, Euch zu bitten, daß Ihr mir die Ehre erzeigen möchtet, in dem Palaste der Prinzessin nebst Eurem Großwesir und den Großen Eures Hofes ein Mittagsmahl einzunehmen.« Der Sultan genehmigte dies mit vielem Vergnügen. Er stand sogleich auf, und da der Weg nicht weit war, so geruhte er, sich zu Fuße dahin zu begeben. Er brach also auf, während Aladdin zu seiner Rechten, der Großwesir zu seiner Linken, die Großen des Hofes hinter ihm als Gefolge und vor ihm her die Trabanten und seine vornehmsten Hausbeamten gingen.
Je näher der Sultan dem Palaste Aladdins kam, desto mehr erstaunte er über die Schönheit desselben. Diese Verwunderung stieg bei seinem Eintritt noch höher; bei jedem Zimmer, welches er sah, brach er in neue Beifallsbezeigungen aus. Aber als sie nun in den Saal von vierundzwanzig Fenstern, wohin Aladdin sie eingeladen, hinaufgelangt waren und er die Verzierungen desselben, besonders aber die mit den schönsten und größten Diamanten, Rubinen und Smaragden besetzten Gitterfenster betrachtet hatte, wurde er davon so überrascht, daß er ganz regungslos stehen blieb. Nachdem er eine Weile so dagestanden, sagte er zu dem neben ihm stehenden Großwesir: »Wesir, ist es möglich, daß es in einem Königreiche und so nahe an meinem Palaste einen so prächtigen Palast geben konnte, von welchem ich bis jetzt nichts wußte?« – »Euer Majestät,« erwiderte der Großwesir, »wird sich vielleicht erinnern, daß Ihr vorgestern dem Aladdin, als Ihr ihn für Euren Schwiegersohn anerkannt hattet, die Erlaubnis erteiltet, einen Palast dem Eurigen gegenüber aufzuführen. An demselben Tage war bei Sonnenuntergang an dieser Stelle noch kein Palast vorhanden, und gestern hatte ich die Ehre, Euch zuerst zu melden, daß der Palast fertig gebaut sei.« – »Ich erinnere mich wohl daran,« antwortete der Sultan, »aber ich hatte mir nicht eingebildet, daß dieser Palast ein Wunder der Welt sein würde. Wo in aller Welt findet man denn Bauwerke, die statt aus Stein- oder Marmorschichten aus Gold- und Silberschichten aufgeführt sind, und wo die Fenster Vergitterungen haben, die mit Diamanten, Rubinen und Smaragden besetzt wären? Dergleichen ist auf Erden nie gesehen worden.«
Der Sultan besah und bewunderte die Schönheit der vierundzwanzig Gitterfenster. Doch indem er sie zählte, fand er, daß bloß dreiundzwanzig so reich geschmückt waren, und wunderte sich nicht wenig, daß das vierundzwanzigste unvollendet geblieben war. »Wesir,« rief er – denn der Großwesir machte es sich zur Pflicht, nicht von seiner Seite zu weichen – »ich bin sehr erstaunt, daß ein Saal von solcher Pracht an dieser Stelle unvollendet geblieben ist.« – »Herr,« erwiderte der Großwesir, »Aladdin war offenbar zu sehr gedrängt, und es fehlte ihm an Zeit, dies Fenster den übrigen gleich machen zu lassen; aber es läßt sich denken, daß er die erforderlichen Edelsteine besitzt, und daß er ehestens daran arbeiten lassen wird.«
Aladdin, welcher den Sultan verlassen hatte, um einige Befehle zu geben, hatte sich mittlerweile wieder zu ihm gefunden. »Mein Sohn,« sagte der Sultan zu ihm, »dieser Saal ist unter allen, die in der Welt sind, der bewunderungswürdigste. Bloß etwas setzt mich in Erstaunen – daß nämlich dies eine Gitterfenster unvollendet geblieben ist. Ist dies aus Vergessenheit geschehen oder aus Nachlässigkeit, oder weil die Werkleute nicht Zeit hatten, die letzte Hand an ein so schönes Denkmal der Baukunst zu legen?« – »Herr,« antwortete Aladdin, »das Gitterfenster ist aus keinem dieser Gründe so unvollendet geblieben, als Ihr es da sehet; sondern es ist absichtlich geschehen, und die Werkleute haben es auf meinen ausdrücklichen Befehl nicht angerührt. Ich wünschte nämlich, daß Euer Majestät den Ruhm haben sollte, diesen Saal und Palast vollenden zu lassen, damit ich mich dieser von Euch empfangenen Gunst und Gnade einst rühmen und erinnern kann.« – »Wenn Ihr es in dieser Absicht getan habt,« erwiderte der Sultan, »so weiß ich Euch vielen Dank dafür und werde augenblicklich die nötigen Befehle hierzu erteilen.« Auch ließ er wirklich die Juwelenhändler, welche am reichsten mit Edelsteinen versehen waren, und die geschicktesten Goldarbeiter seiner Hauptstadt kommen.
Der Sultan stieg unterdes aus dem Saale wieder herab, und Aladdin führte ihn in diejenigen, worin er die Prinzessin Badrulbudur am Hochzeitstage bewirtet hatte. Die Prinzessin erschien einen Augenblick später und empfing den Sultan, ihren Vater, mit Mienen, welche deutlich verrieten, wie zufrieden sie mit ihrer Ehe sei. Zwei Tafeln standen da, mit den köstlichsten Speisen besetzt und mit Tischgeschirren, die sämtlich von Gold waren. Der Sultan setzte sich an die erste Tafel und speiste mit der Prinzessin, mit Aladdin und dem Großwesir; alle Großen des Hofes wurden an der andern Tafel bewirtet. Der Sultan fand die Speisen sehr wohlschmeckend und gestand, daß er noch nie herrlicher gespeist habe; dasselbe sagte er von dem Weine, welcher in der Tat ganz köstlich war. Was er ferner bewunderte, waren vier große Tafelaufsätze, die im Überfluß mit Flaschen, Schalen und Bechern, alle von gediegenem Gold und mit Edelsteinen geschmückt, versehen und besetzt waren. Auch war er über die Musikchöre ganz entzückt, welche im Saale verteilt waren, während das Geschmetter der Trompeten, Pauken und Trommeln in angemessenen Pausen von draußen her ertönte.
Als der Sultan von Tische aufgestanden war, meldete man ihm, daß die Juwelenhändler und Goldarbeiter, die auf seinen Befehl gerufen worden, da wären. Er stieg zum Saale von vierundzwanzig Fenstern hinauf, und als er oben angelangt war, zeigte er den Juwelieren und Goldarbeitern, die ihm gefolgt waren, das Fenster, welches noch unvollendet war. »Ich habe euch kommen lassen,« sagte er zu ihnen, »damit ihr mir dieses Fenster zurechtmacht und ihm denselben Grad von Vollendung gebt, als die übrigen haben. Besichtiget die andern und verlieret keine Zeit, um mir dieses ganz ebenso zu machen.«
Die Juweliere und Goldschmiede besahen sich die dreiundzwanzig übrigen Fenster sehr aufmerksam, und nachdem sie sich miteinander beraten und darüber eins geworden waren, was jeder seinerseits hierzu beitragen könne, erschienen sie wiederum vor dem Sultan, und der Hofjuwelier nahm das Wort und sagte: »Herr, wir sind bereit, unseren Fleiß und unsere Sorgfalt anzuwenden, um Euer Majestät zu gehorchen; allein wir alle, so viel wir unser hier sind, haben nicht so kostbare noch auch so unendlich viele Edelsteine, als zu einer so bedeutenden Arbeit erforderlich sind.« – »Ich habe deren,« sagte hierauf der Sultan, »und zwar mehr, als nötig sein werden; kommt nach meinem Palaste, ich werde sie euch zu eurer Auswahl und Benutzung überlassen.«
Als der Sultan nach seinem Palaste zurückgekehrt war, ließ er alle seine Edelsteine bringen, und die Juweliere nahmen eine große Anzahl derselben, hauptsächlich von denen, welche Aladdin geschenkt hatte. Sie brachten sie an dem Fenster an, ohne daß man sonderlich die Fortschritte ihrer Arbeit merkte; sie holten sich zu wiederholten Malen noch mehrere, und binnen einem Monat hatten sie kaum die Hälfte des Werkes vollendet. Sie benutzten endlich alle Edelsteine des Sultans nebst denen, welche der Großwesir von den seinigen dazu hergab, aber alles, was sie davon möglich machen konnten, war, daß das Fenster höchstens zur Hälfte vollendet wurde.
Aladdin, welcher wohl sah, daß der Sultan sich vergeblich bemühte, das eine Gitterfenster den übrigen gleichzumachen, und daß er dabei dennoch nicht viel Ehre einlegen würde, ließ die Goldschmiede kommen und sagte ihnen, daß sie nicht nur ihre Arbeit einstellen, sondern sogar alles das, was sie bisher daran gearbeitet, wieder auseinandernehmen und dem Sultan alle seine Edelsteine nebst denen, die ihm der Großwesir geliehen, wieder zustellen sollten.
Die Arbeit, zu welcher die Juweliere und Goldschmiede mehr als sechs Wochen gebraucht hatten, wurde nun binnen wenigen Stunden zerstört. Sie entfernten sich dann und ließen Aladdin allein im Saale. Er zog nun die Lampe heraus, die er bei sich hatte, und rieb sie. Sogleich erschien der Geist. »Geist,« sagte Aladdin zu ihm, »ich hatte dir befohlen, eines von den vierundzwanzig Fenstern dieses Saales unvollendet zu lassen, und du hast diesen Befehl befolgt. Gegenwärtig habe ich dich kommen lassen, um dir zu sagen, daß du es den übrigen gleichmachest.« Der Geist verschwand, und Aladdin ging aus dem Saale herunter. Als er nach einigen Augenblicken wieder hinaufging, fand er das Gitterfenster in dem Zustande, wie er es gewünscht hatte, und den übrigen ganz gleich.
Unterdes kamen die Juweliere und Goldarbeiter in den Palast des Sultans, wurden hineingeführt und dem Sultan in seinem Zimmer vorgestellt. Der erste Juwelier überreichte ihm die sämtlichen Edelsteine, welche sie wiederbrachten, und sagte im Namen der übrigen: »Euer Majestät weiß, wie lange Zeit wir bereits mit Anstrengung unserer ganzen Kunst an der Vollendung des Werkes gearbeitet haben, welches Ihr uns auftrugt. Es war schon ziemlich weit vorgerückt, als Aladdin uns nötigte, nicht bloß unsere Arbeit einzustellen, sondern sogar alles wieder zu zerstören, was wir bisher gearbeitet hatten, und Euch Eure Edelsteine und die des Großwesirs wieder zurückzubringen.« Der Sultan fragte sie, ob Aladdin ihnen nicht die Ursache gesagt hätte, und da sie ihm diese Frage verneinend beantworteten, gab er auf der Stelle Befehl, daß man ihm ein Pferd vorführen solle. Man führte es vor, er bestieg es und ritt fort ohne alles Gefolge, außer einigen seiner Leute, die ihn zu Fuße begleiteten. Er gelangt zu Aladdins Palaste und steigt unten an der Treppe ab, die zu dem Saale von vierundzwanzig Fenstern hinaufführt. Ohne Aladdin einen Wink geben zu lassen, geht er hinauf; doch Aladdin kam noch zur rechten Zeit, um den Sultan wenigstens noch an der Türe des Saales zu empfangen.
Der Sultan ließ Aladdin gar keine Zeit, sich höflichst darüber zu beklagen, daß Seine Majestät ihm keinen Wink habe geben lassen und ihn in die Notwendigkeit versetzt habe, seine schuldige Pflicht zu unterlassen, sondern sagte zu ihm: »Mein Sohn, ich komme, um dich selber zu fragen, aus welchem Grunde du denn einen so prächtigen und so einzigen Saal, wie der in deinem Palaste ist, unvollendet lassen willst.«
Aladdin verhehlte ihm den wahren Grund, nämlich den, daß der Sultan nicht reich genug an Edelsteinen sei, um einen solchen Aufwand bestreiten zu können. Indes um ihm zu zeigen, wie weit dieser Palast, so wie er da war, nicht bloß den seinigen, sondern auch jeden andern in der Welt weit überträfe, da er nicht einmal den kleinsten Teil desselben hatte vollenden können, antwortete er ihm: »Herr, es ist wahr, Ihr habt diesen Saal unvollendet gesehen, doch sehet jetzt einmal – ich bitte Euch – zu, ob noch etwas daran fehlt.«
Der Sultan ging geradeswegs nach dem Fenster hin, dessen Vergitterung er unvollendet gesehen hatte, und als er bemerkte, daß es den übrigen gleich war, so meinte er, daß er sich getäuscht hätte. Er besichtigte nicht bloß die Fenster auf beiden Seiten daneben, sondern besah sie auch noch eines nach dem andern; und als er sich überzeugt hatte, daß das Gitterfenster, woran er so lange hatte arbeiten lassen, und das den Werkleuten so viele Tage gekostet hatte, in so kurzer Zeit, als er wußte, vollendet worden sei, umarmte er Aladdin, küßte ihn zwischen seinen beiden Augen auf die Stirn und sagte zu ihm voll Verwunderung: »Mein Sohn, was für ein Mann bist du, daß du so erstaunliche Dinge, und zwar in einem Augenblick, auszurichten vermagst! Du hast auf der ganzen Welt nicht deinesgleichen, und je mehr ich dich kennen lerne, desto bewundernswürdiger finde ich dich.«
Aladdin nahm die Lobsprüche des Sultans mit vieler Bescheidenheit auf und antwortete ihm in folgenden Ausdrücken: »Herr, es ist ein großer Ruhm für mich, das Wohlwollen und den Beifall Euer Majestät zu verdienen; ich versichere Euch, daß ich nichts unterlassen werde, um beides immer mehr zu verdienen.«
Der Sultan kehrte nach seinem Palaste auf die Weise zurück, wie er gekommen war, ohne daß er Aladdins Begleitung annahm. Bei seiner Ankunft fand er den Großwesir, der ihn erwartete. Der Sultan, der noch ganz voll von Staunen über das Wunder war, wovon er Augenzeuge gewesen, erzählte ihm die ganze Sache in Ausdrücken, die den Minister nicht zweifeln ließen, daß die Sache wirklich so sei, die aber den Großwesir in dem Glauben bestärkten, daß Aladdins Palast ein Werk der Zauberei sei – eine Meinung, die er dem Sultan gleich anfangs geäußert hatte, als der Palast erschienen war. Er wollte ihm dieselbe jetzt noch einmal wiederholen. Doch der Sultan unterbrach ihn und sagte: »Wesir, du hast mir das schon einmal gesagt; aber ich sehe wohl, daß du noch immer die Vermählung meiner Tochter mit deinem Sohne nicht vergessen hast.«
Der Großwesir sah wohl, daß der Sultan eine vorgefaßte Meinung hatte; er ließ ihn denn auch dabei, um nicht mit ihm in Streit zu geraten. Der Sultan pflegte regelmäßig alle Tage, wenn er aufgestanden war, sich in ein Kabinett zu begeben, von wo aus man den Palast Aladdins sehen konnte, und ging auch wohl den Tag über mehrmals dahin, um ihn zu betrachten und zu bewundern.
Aladdin blieb indes nicht in seinem Palaste verschlossen. Jede Woche ließ er sich mehr als einmal in der Stadt sehen; sei es, daß er in diese oder jene Moschee ging, um sein Gebet zu verrichten, oder daß er bisweilen dem Großwesir seinen Besuch abstattete, der sich beeiferte, ihm an bestimmten Tagen seine Aufwartung zu machen, oder daß er einigen Großen, die er öfter in seinem Palaste bewirtete, die Ehre erzeigte, sie zu Hause zu besuchen. Jedesmal, wenn er ausging, ließ er durch zwei seiner Sklaven, die neben seinem Pferde hergingen, auf den Straßen und Plätzen, über die er kam, ganze Handvoll Goldstücke unter das zahlreich versammelte Volk ausstreuen.
Übrigens, jeder Arme, der an der Tür seines Palastes erschien, kehrte voll Zufriedenheit über die Gaben, die auf Aladdins Befehl daselbst verteilt wurden, heim.
Da Aladdin seine Zeit so eingeteilt hatte, daß nicht leicht eine Woche verging, wo er nicht wenigstens einmal auf die Jagd ging, bald in die nächsten Umgebungen der Stadt, bald in größere Ferne, so übte er auf den Landstraßen und in den Dörfern dieselbe Freigebigkeit. Dieser Hang zur Großmut erwarb ihm bei dem ganzen Volke tausend Segenswünsche, und es war zuletzt gewöhnlich, daß man stets bei seinem Kopfe schwor. Mit einem Wort, ohne den Sultan gerade in Schatten zu stellen, dem er regelmäßig seine Aufwartung machte, kann man doch gestehen, daß Aladdin durch sein leutseliges und menschenfreundliches Betragen sich die Zuneigung des ganzen Volks erworben hatte, und daß er im allgemeinen mehr geliebt wurde als der Sultan selber. Mit allen diesen schönen Eigenschaften verband er nun noch eine Bravheit und einen Eifer für das allgemeine Beste, die man nicht genug loben konnte. Beweise davon gab er bei Gelegenheit eines Aufruhrs an den Grenzen des Reichs. Kaum hatte er erfahren, daß der Sultan ein Heer ausrüstete, um ihn zu dämpfen, als er ihn bat, ihm den Oberbefehl darüber anzuvertrauen. Er erlangte dies ohne Mühe. Sobald er sich an der Spitze des Heeres befand, ließ er es gegen die Empörer vorrücken und führte diese Unternehmung mit so vielem Eifer aus, daß der Sultan die Niederlage und Bestrafung der Aufrührer fast früher vernahm als Aladdins Ankunft beim Heere. Diese Tat, welche seinen Namen im ganzen Reiche berühmt machte, änderte gleichwohl sein Herz nicht. Er kehrte siegreich zurück, war aber immer noch so leutselig wie zuvor.
Aladdin hatte bereits mehrere Jahre auf diese Weise gelebt, als der Zauberer, der ihm, ohne daran zu denken, das Mittel zu seiner bedeutenden Standeserhöhung in die Hand gegeben, sich in Afrika, wohin er zurückgekehrt war, seiner erinnerte. Obwohl er sich bisher überredet hatte, Aladdin sei in dem unterirdischen Gewölbe, worin er ihn gelassen, elend umgekommen, so kam es ihm dennoch in den Sinn, genau zu erfahren, welches Ende er genommen habe. Da er ein großer Meister in der Punktierkunst war, so zog er aus seinem Schranke ein Viereck in Form einer verschlossenen Schachtel hervor, dessen er sich bei seinen Beobachtungen in der Punktierkunst bediente. Er setzte sich auf sein Sofa, nahm das Viereck vor, nahm den Deckel ab, und nachdem er den Sand zurechtgemacht und geebnet hatte, um zu erfahren, ob Aladdin in der unterirdischen Höhle gestorben, machte er seine Punkte, zog seine Linien und stellte ihm die Nativität. Indem er nun die Nativitätstellung in Augenschein nahm, um sie zu beurteilen, entdeckte er, daß Aladdin, anstatt in dem unterirdischen Gewölbe gestorben zu sein, sich daraus gerettet habe und auf Erden in großem Glanz und gewaltigem Reichtum, vermählt mit einer Prinzessin und geehrt und geachtet, lebe.
Kaum hatte der Zauberer vermittelst seiner teuflischen Kunst in Erfahrung gebracht, daß Aladdin sich auf diesem hohen Standpunkt befände, als ihm auch schon das Blut ins Gesicht stieg, voll Wut sagte er zu sich selbst: »Dieser elende Schneidersohn hat also das Geheimnis und die Eigenschaft der Lampe entdeckt! Ich hielt seinen Tod für gewiß, und nun genießt er die Frucht meiner Mühen und Nachtwachen! Indes ich will es wohl zu hindern wissen, daß er sie nicht länger mehr genießen soll, oder ich will des Todes sein.« Er überlegte nicht erst lange, welcher Entschluß zu fassen sei. Gleich am folgenden Morgen bestieg er den Berberhengst, den er in seinem Stalle hatte, und machte sich auf den Weg. So kam er denn von Stadt zu Stadt und von Land zu Land, ohne sich unterwegs länger auszuhalten, als sein Pferd zum Ausruhen Zeit bedurfte, bis nach China und bis in die Hauptstadt des Sultans, dessen Tochter Aladdin geheiratet hatte. Er stieg in einem Chan ab, wo er sich ein Zimmer mietete. Er blieb darin den noch übrigen Teil des Tages und die folgende Nacht, um sich von den Beschwerden der Reise zu erholen.
Den folgenden Tag wünschte der afrikanische Zauberer vor allen Dingen zu wissen, was man von Aladdin spräche. Indem er durch die Stadt spazierte, trat er in einen sehr berühmten und von vornehmen Leuten stark besuchten Ort, wo man zusammenkam, um ein gewisses warmes Getränk zu sich zu nehmen, und den er noch von seiner ersten Reise her kannte. Er hatte kaum Platz genommen, als man ihm von diesem Getränk in eine Schale einschenkte und sie ihm überreichte. Während er trank, horchte er rechts und links hin und hörte, daß man von Aladdins Palaste sprach. Als er ausgetrunken hatte, näherte er sich einem von denen, die sich darüber unterhielten, nahm den Augenblick wahr und fragte ihn beiseit, was das für ein Palast wäre, von dem man so rühmend spräche. »Woher seid Ihr denn?« erwiderte ihm der, an den er sich gewendet hatte. »Ihr müßt erst ganz kürzlich hier angekommen sein, wenn Ihr den Palast des Prinzen Aladdin noch nicht gesehen oder gar nicht davon reden gehört habt.« Man nannte nämlich Aladdin, seitdem er die Prinzessin Badrulbudur geheiratet hatte, nicht anders als bei diesem Titel. »Ich sage nicht,« fuhr derselbe Mann fort, »daß er eins von den Wunderwerken der Welt ist, sondern ich behaupte vielmehr, daß er das einzige Wunderwerk in seiner Art auf der ganzen Welt ist; denn noch nie ist etwas so Großes, so Kostbares und Prächtiges gesehen worden. Ihr müßt sehr weit herkommen, da Ihr davon noch nicht habt sprechen hören: in der Tat, man muß, dünkt mich, seit seiner Erbauung auf der ganzen Erde von ihm sprechen. Sehet ihn Euch selber an, und Ihr mögt dann urteilen, ob ich Euch etwas davon übertrieben habe.« – »Entschuldigt meine Unwissenheit,« erwiderte der afrikanische Zauberer; »ich bin erst gestern hier angelangt und komme wirklich so weit her, ich kann sagen, vom äußersten Ende Afrikas, daß der Ruf davon bei meiner Abreise noch nicht bis dahin gedrungen war. Und da ich wegen des dringenden Geschäfts, welches mich hierherführt, auf meiner Reise immer nur den Zweck vor Augen hatte, möglichst bald hierher zu gelangen, ohne mich unterwegs aufzuhalten oder irgend eine Bekanntschaft zu machen, so weiß ich von der Sache nichts weiter, als was ich soeben von Euch erfahren habe. Indes ich werde nicht unterlassen, mir ihn ansehen zu gehen; meine Sehnsucht ist darnach so groß, daß ich Lust hätte, meine Neugier augenblicklich zu befriedigen, wenn Ihr mir gefälligst den Weg dahin bezeichnen wolltet.«
Derjenige, an welchen sich der afrikanische Zauberer gewandt hatte, machte sich ein Vergnügen daraus, ihm den Weg zu beschreiben, den er nehmen müßte, um zu der Ansicht des Palastes von Aladdin zu gelangen: und der afrikanische Zauberer stand nun sogleich auf und ging hin. Als er hingekommen war und den Palast in der Nähe von allen Seiten betrachtet hatte, zweifelte er nicht mehr daran, daß sich Aladdin zu Erbauung desselben der Lampe bedient habe. Ohne weiter das Unvermögen Aladdins, als eines bloßen Schneidersohnes, in Anschlag zu bringen, wußte er recht gut, daß dergleichen Wunderwerke nur von den Geistern der Lampe, deren Besitz ihm entgangen war, geschaffen werden könnten. Tief sich kränkend über das Glück und die Größe Aladdins, welche fast der des Sultans gleich kam, kehrte er nach dem Chan zurück, in welchem er eingekehrt war.
Es kam jetzt darauf an, zu wissen, wo die Lampe sei, ob Aladdin sie bei sich trüge, oder wo er sie aufbewahrte, und dies mußte der Zauberer vermittelst der Punktierkunst entdecken. Sobald er in seiner Wohnung angekommen war, nahm er sein Viereck nebst dem Sande wieder vor, welches beides er auf allen seinen Reisen bei sich führte. Nachdem er damit die gewöhnlichen Versuche vorgenommen, erfuhr er, daß die Lampe sich in Aladdins Palaste befände, und er war über die Entdeckung so erfreut, daß er ganz außer sich war. »So werde ich denn also zum Besitz dieser Lampe gelangen,« sagte er bei sich selbst; »und Trotz sei Aladdin geboten, wenn er mich hindern wollte, sie ihm zu entreißen und ihn wieder in den niedrigen Stand hinabzudrücken, aus dem er so hoch emporgestiegen ist.«
Das Unglück wollte, daß Aladdin damals gerade auf acht Tage auf die Jagd gegangen und erst seit drei Tagen fort war. Der afrikanische Zauberer erfuhr dies auf folgende Weise. Sobald er durch sein Punktierverfahren die frohe Kunde bekommen, ging er zu dem Aufseher des Chans unter dem Vorwande, sich mit ihm zu unterhalten, und dieser hatte dazu einen solchen Hang, daß es nicht erst nötig war, weit auszuholen. Er erzählte ihm, daß er Aladdins Palast besehen, und nachdem er ihm alles herausgepriesen, was er daran Bewunderungswertes entdeckt hatte, fuhr er fort: »Meine Neugier geht noch weiter, und ich werde nicht eher befriedigt sein, als bis ich den Herrn dieses wundervollen Gebäudes selbst gesehen haben werde.« – »Diesen zu sehen,« erwiderte der Aufseher des Chans, »wird nicht schwer halten, da fast jeden Tag Gelegenheit dazu ist, sobald er sich in der Stadt aufhält; doch seit drei Tagen befindet er sich auf der Jagd, welche acht Tage dauern wird.«
Mehr wollte der afrikanische Zauberer nicht wissen. Er nahm von dem Manne Abschied, entfernte sich und sagte bei sich selber: »Dies ist ein günstiger Augenblick zum Handel, ich darf mir ihn nicht entgehen lassen.« Er ging hierauf in den Laden eines Mannes, welcher Lampen zum Verkauf machte, und sagte zu diesem: »Meister, ich brauche ein Dutzend kupferne Lampen; könnt Ihr mir sie wohl ablassen?« Der Lampenverkäufer antwortete, daß ihm zwar einige zum vollen Dutzend fehlten, doch wenn er sich bis morgen gedulden wolle, so könne er ihm die volle Anzahl bis zu jeder beliebigen Stunde schaffen. Der Zauberer nahm dies an, nur empfahl er ihm, daß sie sauber und blank sein müßten, und nachdem er ihm eine gute Bezahlung versprochen, ging er in seinen Chan zurück.
Den folgenden Tag wurde das Dutzend Lampen dem Zauberer abgeliefert, welcher sie nach dem Preise, der verlangt wurde, bezahlte, ohne das mindeste davon abzuhandeln. Er legte sie in einen Korb, womit er sich zu diesem Behuf versehen hatte, und mit diesem Korbe am Arm ging er nach Aladdins Palaste und fing, als er sich demselben näherte, zu rufen an:
»Wer will alte Lampen gegen neue eintauschen?«
Je näher er kam, kamen die kleinen Kinder, die auf dem Platze spielten, sowie sie ihn nur hörten, herbeigelaufen, versammelten sich mit lautem Hohngelächter um ihn her und betrachteten ihn wie einen Narren. Selbst die vorübergehenden lachten über seine Dummheit, wofür sie es hielten. »Er muß wohl,« sagten sie, »den Verstand verloren haben, daß er alte Lampen zum Tausch gegen neue anbietet.«
Der afrikanische Zauberer wunderte sich weder über das Auspfeifen und Auszischen von seiten der Kinder noch über das, was man etwa über ihn reden mochte; sondern, um seine Waren loszuwerden, fuhr er fort zu schreien: »Wer will alte Lampen gegen neue vertauschen?«
Er wiederholte diesen Ruf so oft im Auf- und Niedergehen auf dem Platze, vor dem Palaste und neben demselben, daß die Prinzessin Badrulbudur, welche damals eben in dem Saale von vierundzwanzig Fenstern war, die Stimme des Mannes hörte; da sie indes nicht verstehen konnte, was er ausrief, wegen des Pfeifens und Zischens der ihn begleitenden Kinder, deren Menge jeden Augenblick größer wurde, so schickte sie eine ihrer Sklavinnen, die ihr am nächsten stand, hinunter, um zu sehen, was denn dieser Lärm zu bedeuten habe.
Die Sklavin kam bald wieder und trat mit lautem Lachen in den Saal. Sie lachte so herzlich, daß die Prinzessin nicht umhin konnte, bei ihrem Anblick mitzulachen. »Nun, du Närrin,« sagte die Prinzessin, »willst du mir nicht sagen, warum du lachst?« – »Prinzessin,« erwiderte die Sklavin, indem sie noch immer fortlachte, »wer wollte nicht lachen, wenn man einen Narren sieht mit einem Korbe voll schöner neuer Lampen am Arm, der sie nicht etwa verkaufen, sondern sie gegen alte eintauschen will? Den Lärm aber, den man hört, machen die Kinder, die ihn in solcher Menge umringen, daß er kaum von der Stelle gehen kann, und die ihn zum besten haben.«
Auf diese Nachricht nahm eine andere Sklavin das Wort und sagte: »Da von alten Lampen die Rede ist, so weiß ich nicht, ob die Prinzessin schon bemerkt hat, daß da eine auf dem Kranzgesims steht. Der, dem sie gehört, wird es nicht übelnehmen, wenn er statt der alten eine neue findet. Wenn die Prinzessin es genehmigt, so kann sie das Vergnügen haben, zu erfahren, ob dieser Narr wirklich so verrückt ist, eine neue Lampe für eine alte hinzugeben, ohne Geld dazuzuverlangen.«
Die Lampe, wovon die Sklavin sprach, war die Wunderlampe, deren sich Aladdin bedient hatte, um sich zu dieser hohen Stufe, auf der er stand, zu erheben. Er selber hatte sie, bevor er auf die Jagd ging, auf jenes Kranzgesims gestellt aus Furcht, sie zu verlieren, und er hatte diese Vorsichtsmaßregel jedesmal angewendet, sooft er sich vom Hause entfernte; doch weder die Sklavinnen, noch die Verschnittenen, noch die Prinzessin selber hatten jemals während seiner Abwesenheit dieselbe bemerkt. Außer der Zeit, wo er sich auf der Jagd befand, trug er sie beständig bei sich. Man wird vielleicht hierbei bemerken, die Vorsicht Aladdins sei recht gut gewesen, doch hätte er wenigstens die Lampe wohin verschließen sollen. Dies ist freilich wahr, doch dergleichen Versehen sind zu allen Zeiten begangen worden, sie fallen heutzutage noch vor, und sie werden auch in Zukunft nicht ausbleiben.
Die Prinzessin Badrulbudur, welche den Wert der Lampe nicht kannte und nicht wußte, wie viel ihr und dem Aladdin daran liegen müsse, daß dieselbe niemand anrühre, und daß sie aufbewahrt werde, ging auf den Scherz ein und befahl einem der Verschnittenen, sie zu nehmen und einzutauschen. Der Verschnittene gehorchte, ging die Treppe hinunter und war kaum aus der Türe des Palastes getreten, als er auch schon den afrikanischen Zauberer bemerkte. Er rief ihn, und als er zu ihm getreten war, zeigte er ihm die alte Lampe und sagte: »Gib mir eine neue Lampe für diese da.«
Der afrikanische Zauberer zweifelte nicht, daß es die Lampe sei, die er suchte; auch konnte es in Aladdins Palaste, wo alles Tischgeschirr nur von Silber oder Gold war, nicht füglich eine andere außer dieser noch geben. Er nahm sie daher schnell aus der Hand des Verschnittenen, und nachdem er sie zuvor in seinen Busen geschoben hatte, überreichte er ihm seinen Handkorb und ließ ihn daraus nach Belieben eine auswählen. Der Verschnittene wählte sich eine aus, verließ den Zauberer und brachte die neue Lampe der Prinzessin Badrulbudur. Doch kaum war der Tausch geschehen, als auch schon die Kinder auf dem Platze ein lautes Gelächter erhoben und sich über die Dummheit des Zauberers lustig machten.
Doch dieser ließ sie schreien, so viel sie wollten, und ohne länger in der Nähe von Aladdins Palaste zu verweilen, entfernte er sich unbemerkt und ohne alles Geräusch, das heißt, ohne weiter zu schreien und ohne weiter neue Lampen gegen alte zum Tausch anzubieten. Er wollte ja auch keine andere mehr, als die er jetzt eben empfangen hatte, und sein Stillschweigen bewirkte, daß die Kinder sich entfernten und ihn gehen ließen.
Sobald er von dem Platze, der zwischen den beiden Palästen lag, herunter war, entschlüpfte er durch einige unbesuchte Straßen – da er jetzt weder die übrigen Lampen noch den Korb weiter bedurfte, setzte er den Korb mit den Lampen mitten auf einer Straße hin, wo gerade niemand vorüberging. Hierauf schlug er eine andere Straße ein und schritt hastig fort, bis er eines von den Stadttoren erreichte; sodann setzte er seinen Weg durch die Vorstadt, die sehr lang war, fort und kaufte sich einige Lebensmittel ein, ehe er aus derselben hinaus war. Sowie er auf freiem Felde war, lenkte er von der großen Straße ab nach einem abgelegenen Platze hin, wo er von niemandem bemerkt werden konnte, und wo er den günstigen Augenblick abwartete, um seinen Plan vollends auszuführen. Er bedauerte jetzt nicht weiter den Verlust des Berberhengstes, den er in dem Chan, wo er abgestiegen war, zurückgelassen hatte, sondern hielt sich durch den soeben erworbenen Schatz hinlänglich dafür entschädigt.
Der afrikanische Zauberer brachte den übrigen Teil des Tages an diesem Orte zu bis um ein Uhr nachts, wo die Finsternis am größten war. Da erst zog er die Lampe aus seinem Busen und rieb sie. Auf diesen Ruf erschien der Geist sogleich.
»Was willst du?« fragte ihn der Geist. »Hier bin ich, als dein Sklave und als Sklave aller derer, welche die Lampe in der Hand haben!«
»Ich befehle dir,« erwiderte der afrikanische Zauberer, »daß du augenblicklich den Palast, den du oder die übrigen Sklaven der Lampe in dieser Stadt erbaut haben, so wie er da ist, mit allen seinen lebenden Bewohnern aufhebst und ihn zugleich mit mir an den und den Ort nach Afrika führest.« Ohne etwas zu antworten, schaffte der Geist mit Hilfe der übrigen der Lampe dienstbaren Geister in sehr kurzer Zeit ihn selber und den ganzen Palast nach Afrika an den von ihm bezeichneten Ort. Wir wollen indes den afrikanischen Zauberer und den Palast nebst der Prinzessin Badrulbudur in Afrika lassen und jetzt bloß von dem Erstaunen des Sultans reden.
Als der Sultan aufgestanden war, unterließ er nicht, seiner Gewohnheit zufolge sich nach dem offenen Erker zu begeben, um das Vergnügen zu haben, den Palast Aladdins zu betrachten und zu bewundern. Er richtete seinen Blick nach der Gegend hin, wo er sonst diesen Palast zu sehen gewohnt war, und erblickte bloß einen leeren Platz, ganz so wie er früher war, ehe noch das Gebäude darauf errichtet worden. Er glaubte anfangs, daß er sich täusche, und rieb sich die Augen; doch er sah ebensowenig etwas als früher, obwohl das Wetter sehr heiter, der Himmel rein und die Morgenröte, die bereits im Aufgehen war, alle Gegenstände sehr deutlich zeigte. Er blickte links und rechts durch die beiden Öffnungen und sah noch immer nichts. Sein Erstaunen war so groß, daß er eine Zeitlang auf derselben Stelle stehen blieb, die Augen nach dem Platze hingewendet, wo bisher der Palast gewesen, aber jetzt nicht mehr zu finden war, indem er gar nicht begreifen konnte, wie es möglich sei, daß ein so großer und ansehnlicher Palast wie der des Aladdin, den er seit jenem Tage, wo er mit seiner Erlaubnis erbaut worden, tagtäglich und selbst gestern noch gesehen hatte, auf einmal so spurlos verschwunden sein könne. »Ich täusche mich nicht,« sprach er bei sich selbst, »er stand wirklich auf jenem Platze; wäre er zusammengestürzt, so würden sich doch Haufen von Trümmern noch zeigen, und hätte die Erde ihn verschlungen, so müßte man doch noch einige Spuren davon sehen.« Obwohl er nun überzeugt war, daß der Palast nicht mehr da sei, so unterließ er doch nicht, noch eine Weile zu warten, um zu sehen, ob er sich wirklich nicht täusche. Endlich entfernte er sich, und nachdem er noch einmal zurückgeblickt, kehrte er in sein Zimmer zurück und befahl, daß man in aller Eile den Großwesir rufen möchte. Unterdes setzte er sich nieder, während sein Geist von so verschiedenartigen Gedanken bestürmt wurde, daß er nicht wußte, welchen Entschluß er fassen solle.
Der Großwesir ließ den Sultan nicht lange auf sich warten. Er kam in solcher Eile, daß weder er noch seine Leute im Vorübergehen darauf acht hatten, daß Aladdins Palast nicht mehr an seiner Stelle stand. Selbst die Pförtner, als sie die Pforte des Palastes öffneten, hatten es nicht einmal bemerkt.
Der Großwesir redete den Sultan mit den Worten an: »Herr, die Eile, womit Euer Majestät mich hat rufen lassen, läßt mich schließen, daß irgend etwas Außerordentliches vorgefallen sei, da Euch ja nicht unbekannt ist, daß heute Sitzung der Ratsversammlung ist, und daß ich folglich meiner Pflicht gemäß mich ohnehin bald eingestellt haben würde.« – »Das, was vorgefallen ist, ist wirklich etwas Außerordentliches, wie du gesagt hast, und du wirst mir es bald zugeben. Sage mir, wo ist der Palast Aladdins?« – »Der Palast Aladdins?« erwiderte der Großwesir ganz erstaunt. »Ich ging soeben an demselben vorbei, und er war, wie mich dünkt, noch an seiner Stelle. Gebäude, die so fest und dauerhaft als dieses da aufgeführt sind, ändern nicht so leicht ihre Stelle.« – »Geh einmal in dies Kabinett und sieh hin,« antwortete der Kalif, »und du wirst mir bald etwas Neues davon melden.«
Der Großwesir begab sich in den offenen Erker, und es ging ihm wie dem Sultan. Als er sich völlig versichert hatte, daß Aladdins Palast nicht mehr da stehe, wo er gestanden, und daß keine Spur mehr davon vorhanden sei, so trat er wieder zu dem Sultan. »Nun, hast du Aladdins Palast gesehen?« fragte ihn dieser. – »Herr,« erwiderte der Großwesir, »Euer Majestät wird sich erinnern, daß ich früher immer sagte, daß dieser Palast, der durch seinen ungeheuern Reichtum Eure Bewunderung auf sich zog, bloß ein Werk der Zauberei sei; doch Euer Majestät wollte nicht darauf achten.«
Der Sultan, welcher das, was der Großwesir ihm in Erinnerung brachte, nicht abzuleugnen vermochte, geriet in einen umso größeren Zorn, da er seinen früheren Unglauben nicht in Abrede stellen konnte. »Wo ist,« rief er, »dieser Betrüger, dieser Verbrecher, damit ich ihm den Kopf abschneiden lassen kann?« – »Herr,« antwortete der Großwesir, »er hat sich vor einigen Tagen bei Euer Majestät beurlaubt. Man muß ihn fragen lassen, wo sein Palast hingekommen ist; er muß es wissen.« – »Das hieße ihn mit zuviel Schonung behandeln,« erwiderte der Sultan; »geh du und gib dreißig meiner Reiter den Befehl, ihn gefesselt vor mich zu führen.« Der Großwesir ging und überbrachte den Reitern den Befehl des Sultans, und er unterrichtete den Befehlshaber derselben, wie sie sich dabei benehmen sollten, damit er ihnen nicht entschlüpfte. Sie gingen ab und trafen Aladdin etwa fünf bis sechs Stunden von der Stadt auf der Heimkehr von der Jagd. Der Anführer ritt an ihn hinan und sagte zu ihm, der Sultan habe große Sehnsucht, ihn wiederzusehen, und habe sie daher abgeschickt, um es ihm anzuzeigen und ihn auf dem Rückwege zu begleiten.
Aladdin ahnte nicht das mindeste von dem wirklichen Anlaß, der diese Abteilung der Leibwache des Sultans zu ihm geführt hatte, und setzte seinen Rückweg fort. Doch als er etwa noch eine halbe Stunde von der Stadt entfernt war, umringte ihn die Reiterschar, und der Anführer derselben nahm das Wort und sagte zu ihm: »Prinz Aladdin, zu unserem großen Bedauern müssen wir Euch erklären, daß wir vom Sultan den Befehl haben, Euch zu verhaften und Euch als einen Staatsverbrecher zu ihm zu führen; wir bitten Euch zugleich, es nicht übel aufzunehmen, daß wir unsere Pflicht erfüllen, und es uns zu verzeihen.«
Diese Erklärung war eine große Überraschung für Aladdin, der sich unschuldig fühlte. Er fragte den Anführer, ob er wohl wisse, welches Verbrechens man ihn angeklagt habe; doch dieser antwortete, daß weder er noch seine Leute das geringste davon wüßten.
Bis Aladdin sah, daß seine Leute der Reiterschar nicht gewachsen waren und ihn sogar verließen, so stieg er vom Pferde ab und sagte: »Hier bin ich; vollziehet den Befehl, der Euch aufgetragen ist. Gleichwohl kann ich versichern, daß ich mir keines Verbrechens bewußt bin, weder gegen die Person des Sultans noch gegen den Staat.« Man warf ihm sogleich eine dicke und lange Kette um den Hals, womit man ihn auch mitten um den Körper band, so daß er die Hände nicht frei hatte. Als der Anführer sich an die Spitze der Reiterschar gestellt hatte, faßte ein Reiter das Ende der Kette und führte so, hinter dem Anführer herreitend, Aladdin, der zu Fuß ihm folgen mußte und in diesem Zustande in die Stadt hineingebracht wurde.
Als die Reiter in die Vorstadt kamen, zweifelten die ersten, welche Aladdin als Staatsverbrecher dahergeführt sahen, keinen Augenblick, daß es ihn den Kopf kosten würde. Da er allgemein beliebt war, so ergriffen einige Säbel und andere Waffen, und die, welche keine hatten, bewaffneten sich mit Steinen und folgten hinter den Reitern drein. Einige derselben, die sich im Nachtrab befanden, schwenkten um und machten Miene, sie auseinanderzusprengen; doch die Anzahl der letztem nahm so sehr zu, daß die Reiter beschlossen, es sich nicht weiter merken zu lassen und zufrieden zu sein, wenn sie den Palast des Sultans erreichten, ohne daß man ihnen den Aladdin entrisse. Um dies zu bewerkstelligen, trugen sie große Sorge, die ganze Breite der Straße, je nachdem sie weiter oder enger war, einzunehmen, und so gelangten sie denn an den Platz vor dem Palaste, wo sie sich in einer Linie aufstellten und gegen die bewaffnete Volksmasse Front machten, bis ihr Befehlshaber und der Reiter, welcher Aladdin führte, in den Palast eingetreten waren und die Pförtner das Tor hinter ihnen geschlossen hatten, um das Volk abzuhalten.
Aladdin wurde vor den Sultan geführt, der in Begleitung des Großwesirs ihn auf dem Balkon erwartete. Sobald er ihn erblickte, befahl er dem Scharfrichter, welcher dazu hinbestellt worden war, ihm den Kopf abzuschneiden, ohne daß er ihn weiter anhören oder irgend einigen Aufschluß von ihm haben wollte.
Als der Scharfrichter sich Aladdins bemächtigt hatte, nahm er ihm die Kette ab, die um seinen Hals und Leib geschlungen war, und nachdem er ein Leder, das mit dem Blut von unzähligen hingerichteten Verbrechern befleckt war, auf die Erde hingebreitet hatte, ließ er ihn darauf niederknieen und verband ihm die Augen. Hierauf zog er sein Schwert heraus und schickte sich an, den tödlichen Streich zu führen, indem er ausholte und den Säbel dreimal in der Luft herumschwang, auf das Zeichen des Sultans wartend, um Aladdin den Kopf abzuhauen.
In diesem Augenblick bemerkte der Großwesir, daß der Pöbel, der die Reiter überwältigt und den Platz erfüllt hatte, anfing, die Mauern des Palastes an mehreren Stellen mit Leitern zu ersteigen und sie sogar niederzureißen, um eine Öffnung zu machen. Er sagte daher zu dem Sultan, noch ehe dieser das Zeichen gab: »Herr, ich bitte Euer Majestät, den Schritt, den Ihr zu tun im Begriff seid, reiflich zu überlegen. Ihr lauft Gefahr, Euren Palast erstürmt zu sehen, und wenn dies Unglück geschähe, so könnten die Folgen davon sehr unheilbringend sein.« – »Meinen Palast erstürmt?« erwiderte der Sultan. »Wer dürfte sich dessen erkühnen?« – »Herr,« antwortete der Großwesir. »Euer Majestät darf nur einen Blick auf die Mauern ihres Palastes und auf den Platz werfen, um die Wahrheit meiner Behauptung einzusehen.«
Als der Sultan den lebhaften und heftigen Volksaufstand gewahrte, war sein Schrecken so groß, daß er augenblicklich dem Scharfrichter befahl, sein Schwert wieder in die Scheide zu stecken, die Binde von Aladdins Augen zu nehmen und ihn freizulassen. Zugleich befahl er seinen Trabanten, auszurufen, daß der Sultan ihm Gnade widerfahren lasse, und daß jeder sich nur entfernen möge.
Nunmehr gaben alle die, welche bereits die Mauern des Palastes erstiegen hatten und Zeugen von dem waren, was da vorging, ihr Vorhaben auf. Sie stiegen in kurzer Zeit wieder hinab, und voll Freude darüber, einem Manne, den sie wahrhaft liebten, das Leben gerettet zu haben, teilten sie diese Neuigkeit allen Umstehenden mit; sie verbreitete sich sehr bald unter der ganzen Volksmasse, die den Platz des Palastes erfüllte, und das Ausrufen der Trabanten, welche oben von den Terrassen herab dasselbe verkündigten, machte sie vollends allgemein bekannt. Die Gerechtigkeit, welche der Sultan durch Aladdins Begnadigung demselben erwiesen hatte, entwaffnete den Pöbel und dämpfte den Aufruhr, und nach und nach ging jeder von dannen nach Hause.
Sobald Aladdin sich wieder freien Fußes sah, hob er sein Haupt nach dem Balkon empor, und als er auf demselben den Sultan erblickte, rief er in einem rührenden Tone: »Herr, ich bitte Euer Majestät, mir zu der schon erwiesenen Gnade noch eine neue hinzuzufügen und mich gnädigst wissen zu lassen, welches denn eigentlich mein Verbrechen ist.« – »Was dein Verbrechen ist, Treuloser?« erwiderte der Sultan; »weißt du das noch nicht einmal? Steige hier herauf, ich werde es dir zeigen.«
Aladdin stieg hinauf, und nachdem er sich dem Sultan vorgestellt, sagte dieser zu ihm: »Folge mir!« und ging vor ihm her, ohne ihn weiter anzusehen. Er führte ihn bis zu dem offenen Erker und sagte, als er an der Tür war, zu ihm: »Tritt hier hinein. Du mußt ja wohl noch wissen, wo dein Palast stand; sieh dich hier nach allen Seiten um und sage mir dann, was aus ihm geworden ist.«
Aladdin sah hin und erblickte nichts. Er bemerkte wohl den ganzen Platz, den sein Palast sonst eingenommen; aber da er gar nicht erraten konnte, wie er so ganz habe verschwinden können, so setzte ihn dies seltsame und überraschende Ereignis in ein Staunen und in eine Bestürzung, die ihn hinderten, dem Sultan auch nur ein einziges Wort zu antworten.
Der Sultan wiederholte voll Ungeduld die Frage: »Sage mir doch, wo dein Palast und wo meine Tochter sind?« Aladdin brach nun sein Schweigen und sagte: »Herr, ich sehe wohl und gestehe es ein, daß der Palast, den ich habe erbauen lassen, nicht mehr auf seiner Stelle steht; ich sehe, daß er verschwunden ist, und ich kann Euer Majestät nicht sagen, wo er sein mag. Indes kann ich Euch versichern, daß ich keinen Anteil an diesem Ereignis habe.«
»Was aus deinem Palast geworden ist,« fuhr der Sultan fort, »kümmert mich eben nicht sehr; meine Tochter ist mir millionenmal mehr wert als jener. Darum verlange ich, daß du sie mir wiederschaffst, sonst lasse ich dir ohne weitere Rücksicht den Kopf abschneiden.«
»Herr,« erwiderte Aladdin, »ich bitte Euer Majestät um vierzig Tage Frist, um die nötigen Maßregeln zu ergreifen, und wenn ich binnen dieser Zeit meinen Zweck nicht erreiche, so gebe ich Euch mein Wort, daß ich selber meinen Kopf zu den Füßen Eures Thrones niederlegen will, damit Ihr nach Eurem Belieben darüber verfügen könnet.« – »Ich bewillige dir die Frist von vierzig Tagen, welche du verlangst,« sagte hierauf der Sultan; »doch denke ja nicht etwa, diese meine Gnade zu mißbrauchen und meinem Zorn entfliehen zu können. In welchem Winkel der Erde du auch sein magst, ich werde dich schon zu finden wissen.«
Aladdin entfernte sich tief gedemütigt und in einem mitleiderregenden Zustande aus dem Angesicht des Sultans. Er ging mit gesenktem Haupte über die Höfe des Palastes, ohne daß er in seiner Niedergeschlagenheit die Augen aufzuheben wagte. Die obersten Hofbeamten, die er nie im geringsten beleidigt hatte, und die seine Freunde waren, kehrten ihm gleichwohl, anstatt sich ihm zu nähern, ihn zu trösten oder ihm einen Zufluchtsort in ihrem Hause anzubieten, vielmehr den Rücken, sowohl um ihn nicht zu sehen, als auch, damit er sie nicht erkennen möchte. Aber hätten sie sich auch ihm genähert, um ihm Trost zuzusprechen oder ihm ihre Dienste anzubieten, sie hätten Aladdin nicht wiedererkannt. Kannte er sich doch selbst nicht mehr und war seines Verstandes nicht mehr mächtig. Dies zeigte er, sobald er aus dem Palaste hinausgetreten war; denn ohne zu bedenken, was er tat, fragte er von Tür zu Tür und alle, denen er begegnete, ob man nicht seinen Palast gesehen habe oder ihm davon Nachricht geben könne.
Die Fragen brachten jedermann auf den Gedanken, daß Aladdin seinen Verstand verloren habe. Einige lachten darüber, doch die vernünftigen und hauptsächlich alle die, welche in irgend einer Freundschaftsverbindung oder in irgend einem Verkehr mit ihm gestanden hatten, wurden von wahrhaftem Mitleid ergriffen. Er blieb drei Tage in der Stadt, indem er sich bald nach dieser, bald nach jener Seite hin wendete und nichts aß, als was man ihm aus Mitleid reichte, und ohne übrigens einen Entschluß zu fassen.
Endlich, da er in einer Stadt, wo er einst mit so viel Glanz aufgetreten war, in seinem unglücklichen Zustande nicht länger verweilen konnte, so entfernte er sich aus derselben und schlug den Weg nach dem Felde ein. Er vermied die großen Heerstraßen; und nachdem er mehrere Felder in einer schrecklichen Ungewißheit durchirrt hatte, kam er bei Anbruch der Nacht an das Ufer eines Stromes, hier faßte er einen Gedanken der Verzweiflung. »Wo soll ich meinen Palast jetzt suchen?« sagte er bei sich selbst, »in welcher Provinz, in welchem Lande, in welchem Teile der Welt werde ich ihn nebst meiner teuern Prinzessin, welche der Sultan von mir fordert, wiederfinden? Es wird mir nicht gelingen. Es ist folglich besser, daß ich mich von so vielen Beschwerden, die zu nichts führen, und von allen den schmerzlichen Bekümmernissen, die an mir nagen, auf immer befreie.« Seinem nunmehr gefaßten Entschlüsse gemäß wollte er sich in den Strom stürzen; doch als guter und religiöser Muselmann glaubte er es nicht eher tun zu dürfen, als er sein Gebet verrichtet hätte. Indem er sich dazu anschicken wollte, näherte er sich dem Rande des Gewässers, um sich der Landessitte gemäß die Hände und das Gesicht zu waschen; allein da die Stelle etwas abschüssig und von dem anspülenden Wasser feucht war, so glitt er aus und würde in den Strom gefallen sein, wenn er sich nicht noch an einem kleinen, etwa zwei Fuß aus dem Erdreich hervorragenden Felsstück festgehalten hätte. Glücklicherweise trug er noch den Ring, den der afrikanische Zauberer ihm an den Finger gesteckt, bevor er in das unterirdische Gewölbe hinabstieg, um die kostbare Lampe zu holen, die ihm jetzt soeben entrissen worden war. Beim Anhalten rieb er diesen Ring sehr heftig gegen den Felsen, und augenblicklich erschien ihm wieder der Geist, der ihm in jenem unterirdischen Gewölbe, worin der afrikanische Zauberer ihn eingeschlossen, erschienen war.
»Was verlangst du?« sagte der Geist zu ihm. »Hier bin ich, dir zu gehorchen bereit, als dein Sklave und als Sklave aller derer, die den Ring am Finger tragen, sowohl ich als die übrigen Sklaven des Ringes.«
Aladdin, der durch eine so unerwartete Erscheinung in seiner Verzweiflung höchst angenehm überrascht wurde, antwortete: »Geist, rette mir zum zweitenmal das Leben dadurch, daß du mir anzeigst, wo der Palast ist, den ich erbauen ließ, oder daß du mir unverzüglich ihn wieder auf die vorige Stelle zurücktragen lässest.« – »Was du von mir verlangst,« erwiderte der Geist, »liegt außer meinem Wirkungskreise. Ich bin bloß Sklave des Ringes, wende dich deshalb an den Sklaven der Lampe.« – »Wenn das ist,« antwortete Aladdin, »so befehle ich dir vermöge des Ringes, mich an den Ort hinzubringen, wo mein Palast sich befindet – an welchem Ort der Erde er auch sein mag –, und mich unter die Fenster der Prinzessin Badrulbudur hinzusetzen.« Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als der Geist ihn nach Afrika mitten auf eine Wiese, auf welcher der Palast unweit von einer großen Stadt stand, hintrug, ihn dicht unter die Fenster der Prinzessin Badrulbudur niedersetzte und ihn da verließ. Alles dies geschah binnen einem Augenblick.
Ungeachtet der Dunkelheit der Nacht erkannte Aladdin recht gut seinen Palast und die Zimmer der Prinzessin Badrulbudur; da indes die Nacht schon weit vorgerückt und im Palaste alles ruhig war, so entfernte er sich etwas abseits und setzte sich unter einen Baum. Hier, voll guter Hoffnung und in Betrachtungen über sein Glück, das er einem bloßen Zufall verdankte, fühlte er sich seit jenem Augenblick, wo er verhaftet, vor den Sultan geführt und in augenscheinlicher Lebensgefahr gewesen, zum erstenmal wieder in einem ruhigeren Gemütszustande. Er hing eine Weile diesen angenehmen Gedanken nach; doch endlich, da er seit fünf bis sechs Tagen gar nicht geschlafen hatte, konnte er sich zuletzt nicht mehr des Schlafes enthalten, der ihn überfiel, und so schlummerte er am Fuß des Baumes ein.
Als am folgenden Tage die Morgenröte anbrach, wurde Aladdin durch den Gesang der Vögel, die teils auf dem Baume über ihm, teils auf den dickbelaubten Bäumen im Garten seines Palastes die Nacht zugebracht hatten, sehr angenehm geweckt. Er warf sogleich seine Augen auf diesen wundervollen Bau und fühlte eine unaussprechliche Freude darüber, daß er jetzt auf dem Punkte stand, wieder Herr desselben zu werden und noch einmal zum Besitz seiner geliebten Prinzessin Badrulbudur zu gelangen. Er stand auf und näherte sich den Zimmern der Prinzessin. Er spazierte eine Weile unter ihren Fenstern auf und nieder, wartend, bis sie wach sein und sich sehen lassen würde. Unter diesem Warten dachte er bei sich selbst darüber nach, woher wohl die Ursache seines Unglücks gekommen, und nach langem Hin- und Herdenken zweifelte er nicht mehr, daß sein ganzes Mißgeschick bloß davon herrühre, daß er seine Lampe aus den Augen verloren. Er klagte sich selber der Nachlässigkeit und der Sorglosigkeit an, daß er dieselbe habe je aus den Händen geben können. Was ihn aber noch weit mehr beunruhigte, war, daß er gar nicht erraten konnte, wer denn derjenige sei, der auf sein Glück so neidisch gewesen. Er hätte es früher begriffen, wenn er gewußt hätte, daß er und sein Palast sich jetzt in Afrika befänden; doch der dienstbare Geist des Ringes hatte ihm nichts davon gesagt, und er selbst hatte sich nicht davon unterrichten können. Die bloße Nennung des Namens Afrika hätte ihn sogleich an den afrikanischen Zauberer, seinen abgesagten Feind, erinnert.
Die Prinzessin Badrulbudur stand früher als gewöhnlich auf, und zwar erst seit ihrer Entführung und ihrer Versetzung nach Afrika durch die Künste des afrikanischen Zauberers, dessen Anblick sie bisher täglich einmal hatte ertragen müssen, weil er Herr des Palastes war; jedoch sie hatte ihn jedesmal so spröde behandelt, daß er noch nicht gewagt hatte, seinen Wohnsitz darin aufzuschlagen. Als sie angekleidet war, sah eine von ihren Frauen zufällig durchs Gitterfenster und bemerkte Aladdin. Sie eilte sogleich zu ihrer Gebieterin und meldete es ihr. Die Prinzessin, welche diese Nachricht gar nicht glauben konnte, stellte sich schnell ans Fenster, bemerkte ebenfalls Aladdin und öffnete das Gitter. Bei dem Geräusch, welches die Prinzessin durch Öffnung des Fenstergitters machte, hob Aladdin den Kopf in die Höhe, erkannte sie und begrüßte sie mit einer Miene, worin sich seine grenzenlose Freude abspiegelte. »Um keine Zeit zu verlieren,« sagte die Prinzessin zu ihm, »habe ich dir die geheime Tür öffnen lassen; geh durch dieselbe herein und komme herauf.«
Die geheime Tür befand sich unter den Zimmern der Prinzessin. Aladdin fand sie offen und ging rasch die Treppe hinauf. Es ist unmöglich, die Freude zu schildern, welche beide Ehegatten empfanden, als sie sich nach einer Trennung, die sie für ewig geglaubt hatten, endlich wiedersahen. Sie umarmten sich mehreremal und gaben sich alle möglichen Beweise von Liebe und Zärtlichkeit, die man sich nach einer so traurigen und unerwarteten Trennung, als die ihrige war, nur denken kann. Nach diesen Umarmungen, unter die sich Tränen der Freude mischten, setzten sie sich, und Aladdin nahm das Wort und sagte: »Prinzessin, bevor wir von etwas anderem reden, bitte ich Euch um Gottes willen sowie auch um Eurer selbst, Eures verehrungswürdigen Vaters und meiner selbst willen, mir zu sagen, was aus einer alten Lampe geworden ist, die ich, bevor ich aus die Jagd ging, in dem Saale von vierundzwanzig Fenstern auf den Kranzsims gestellt hatte.«
»Ach, teurer Gemahl,« antwortete die Prinzessin, »ich darf nicht mehr daran zweifeln, daß unser beiderseitiges Mißgeschick von dieser Lampe herrührt, und was mich trostlos macht, ist, daß ich selber die Ursache bin.« – »Prinzessin,« erwiderte Aladdin, »messet Euch nicht die Schuld davon bei, sie ist ganz mein, denn ich hätte in Aufbewahrung derselben sorgsamer sein sollen. Wir wollen jetzt bloß darauf denken, unsern Schaden wieder gutzumachen, und daher erweiset mir die Gefälligkeit und erzählt mir, wie die Sache zuging, und in wessen Hände sie geraten ist.«
Nun erzählte die Prinzessin Badrulbudur Aladdin, wie es mit dem Umtausch der alten Lampe gegen die neue, welche sie ihm zur Ansicht herbeibringen ließ, ergangen war, und wie sie in der folgenden Nacht die Versetzung des Palastes bemerkt und sich am Morgen in einem unbekannten Lande, wo sie jetzt beide wären, und welches Afrika sei, befunden habe. Den letzteren Umstand hatte sie aus dem Munde des Verräters selber erfahren, der sie durch seine Zauberkünste dahin gebracht hatte.
»Prinzessin,« unterbrach sie Aladdin, »Ihr habt mir den Verräter dadurch genug bezeichnet, daß Ihr mir sagt, daß ich mit Euch in Afrika bin. Es ist der treuloseste aller Menschen. Doch es ist hier weder Zeit noch Ort, Euch eine ausführliche Schilderung von seinen Bosheiten zu entwerfen; ich bitte Euch bloß, mir zu sagen, was er mit der Lampe gemacht hat, und wo er sie hingetan hat?« – »Er trägt sie wohl eingehüllt in seinem Busen,« erwiderte die Prinzessin, »und ich kann dies umsomehr bezeugen, da er sie in meiner Gegenwart herausgezogen und enthüllt hat, um sich damit gegen mich zu brüsten.«
»Geliebte Prinzessin,« sagte hierauf Aladdin, »verdenket mir nur ja nicht die vielen Fragen, womit ich Euch ermüde, sie sind für mich und Euch von gleicher Wichtigkeit. Doch um auf das zu kommen, was mich ganz besonders interessiert, sagt mir doch, ich beschwöre Euch, welche Behandlung Ihr bei diesem bösen und treulosen Manne erlitten habt?« – »Seitdem ich hier bin,« erwiderte die Prinzessin, »hat er sich täglich mir bloß einmal gezeigt, und ich bin überzeugt, daß er mich darum nicht öfter belästigt, weil er durch seine Besuche so wenig ausrichtet. Alle seine Reden, die er bei dieser Gelegenheit gegen mich führt, zielen bloß dahin, daß ich das Euch gegebene Wort brechen und ihn zum Manne nehmen soll, indem er mir immer begreiflich zu machen sucht, daß ich nimmermehr hoffen darf, Euch jemals wiederzusehen, daß Ihr nicht mehr am Leben seid, und daß mein Vater, der Sultan, Euch habe den Kopf abhauen lassen. Um sich zu rechtfertigen, fügt er dann noch hinzu, Ihr wäret ein Undankbarer, all Euer Glück sei bloß von ihm hergekommen, und so noch tausend anderes, was ich ihn immerhin reden lasse. Da er von mir nichts zur Antwort bekommt als schmerzliche Klagen und Tränen, so muß er sich jedesmal so unbefriedigt wieder entfernen, als er gekommen ist. Gleichwohl zweifle ich nicht, daß seine Absicht ist, meinen lebhaftesten Schmerz erst vorübergehen zu lassen in der Hoffnung, daß ich meine Gesinnung ändern würde, und am Ende Gewalt zu brauchen, wenn ich auf meiner Widersetzlichkeit beharren sollte. Indes, teurer Gemahl, Eure Gegenwart hat bereits alle meine Besorgnisse verscheucht.«
»Prinzessin,« unterbrach sie Aladdin, »ich habe die Zuversicht, daß ich Eure Besorgnisse nicht vergebens verscheucht, sondern ein Mittel gefunden habe, Euch von meinem und Eurem Feinde zu befreien. Zu diesem Behuf ist es indes nötig, daß ich in die Stadt gehe; ich werde gegen Mittag von da wieder zurückkehren und Euch dann meinen Plan mitteilen, und was Ihr zu Ausführung desselben beitragen sollt. Doch um es Euch gleich im voraus anzukündigen, wundert Euch nicht, wenn Ihr mich in einer andern Kleidung zurückkehren sehet, und gebt Befehl, daß man mich an der verborgenen Tür, sobald ich klopfe, nicht lange warten läßt.«
Die Prinzessin versprach, daß man ihn an der Tür erwarten und ihm schnell öffnen würde.
Als Aladdin aus den Zimmern der Prinzessin hinuntergegangen und durch dieselbe Tür wieder hinausgetreten war, sah er sich nach allen Seiten um und bemerkte einen Bauer, der ins Feld ging.
Da der Bauer jenseits des Palastes ging und ein wenig entfernt war, so schritt Aladdin rasch zu und machte ihm, sobald er ihn eingeholt hatte, den Antrag, die Kleidung mit ihm zu wechseln, worauf der Bauer endlich auch einging. Der Umtausch geschah hinter einem Gebüsch, und als sie sich getrennt hatten, schlug Aladdin den Weg nach der Stadt ein. Sobald er hineingekommen war, schlug er die Straße ein, die vom Tore auslief, lenkte dann durch die besuchtesten Straßen und kam endlich dahin, wo die Verkäufer und Handwerker von allen Gattungen ihre besondere Gasse hatten. Er trat nun in die Gasse der Spezereihändler, wendete sich an den größten und warenreichsten Laden und fragte den Kaufmann, ob er ein gewisses Pulver vorrätig habe, welches er ihm nannte.
Der Kaufmann, welcher aus Aladdins Kleidung schloß, daß er sehr arm sei und wohl nicht Geld genug habe, um bezahlen zu können, sagte zu ihm, er habe dergleichen wohl, aber es sei sehr teuer. Aladdin erriet die Gedanken des Kaufmanns, zog seinen Geldbeutel, ließ einige Goldstücke hervorblinken und verlangte eine halbe Drachme von diesem Pulver. Der Kaufmann wog so viel ab, packte es ein, überreichte es Aladdin und verlangte ein Goldstück dafür. Aladdin händigte es ihm ein, und ohne sich in der Stadt länger aufzuhalten, als nötig war, um etwas Speise zu sich zu nehmen, kehrte er nach seinem Palaste zurück. Er durfte an der verborgenen Tür nicht lange warten; sie wurde ihm sogleich geöffnet, und er ging in das Zimmer der Prinzessin Badrulbudur hinauf. »Prinzessin,« sagte er zu ihr, »die Abneigung, die Ihr, wie Ihr mir gesagt, gegen Euren Entführer hegt, wird es Euch vielleicht schwer machen, den Rat, den ich Euch geben werde, zu befolgen; indes erlaubt mir, Euch zu sagen, daß es nötig ist, Euch zu verstellen und sogar Euch Gewalt anzutun, wofern Ihr Euch von seinen Nachstellungen befreien und Eurem Vater, dem Sultan, die Freude machen wollt, Euch wiederzusehen. Wenn Ihr also meinem Rate folgen wollt,« fuhr Aladdin fort, »so würdet Ihr jetzt augenblicklich eines der schönsten Kleider anziehen müssen; sobald der afrikanische Zauberer dann kommt, so scheuet Euch nicht, ihn auf die möglichst beste Weise zu empfangen, und zwar ohne allen Zwang und ohne alle Befangenheit, mit heiterer Miene und so, daß, wenn ja ein Wölkchen von Trübsinn auf Eurem Gesicht zurückbleiben sollte, dies von nicht langer Dauer zu sein scheine. Im Gespräch gebt ihm sodann zu erkennen, daß Ihr Euch bemühtet, mich zu vergessen, und um ihn ganz von Eurer Aufrichtigkeit zu überzeugen, so ladet ihn zum Abendessen mit Euch ein und zeigt ihm an, daß Ihr gern den besten Wein seines Landes kosten möchtet. Er wird dann nicht unterlassen, wegzugehen, um dergleichen zu holen, während Ihr dann auf seine Wiederkunft wartet und die Tafel schon in Bereitschaft gesetzt ist, so schüttet in einen dieser Becher, aus denen Ihr zu trinken pfleget, dies Pulver hier, setzt ihn dann beiseite und gebt dann derjenigen von Euren Frauen, die Euch zu trinken bringt, die Anweisung, daß sie auf ein verabredetes Zeichen ihn Euch voll Wein bringe und sich in acht nehme, daß nicht etwa ein Irrtum dabei vorfällt. Wenn der Zauberer zurückgekehrt sein wird und Ihr bei Tafel sitzen und so viel gegessen und getrunken haben werdet, als Euch gut dünkt, so laßt den Becher mit dem Pulver bringen und vertauschet Euren Becher mit dem seinigen. Er wird die Gunst, die Ihr ihm dadurch erzeiget, so hoch aufnehmen, daß er es nicht ablehnen, sondern sogar den Becher rein austrinken wird; und kaum wird er ihn geleert haben, so werdet Ihr ihn rücklings hinsinken sehen. Sollte Euch ekeln, aus seinem Becher zu trinken, so dürft Ihr Euch bloß so stellen, als tränket Ihr, und zwar ganz ohne Furcht; denn die Wirkung des Pulvers wird so schnell erfolgen, daß er gar nicht Zeit haben wird, zu bemerken, ob Ihr trinket oder nicht trinket.«
Als Aladdin dies gesagt hatte, sprach die Prinzessin: »Ich gestehe Euch, daß es mich viel Überwindung kosten wird, dem Zauberer diese Schritte entgegenzutun, die, wie ich sehe, durchaus notwendig sind; aber welcher Entschließungen ist man nicht fähig gegen einen so grausamen Feind? Ich werde also tun, was Ihr mir da ratet, da hiervon ebensosehr meine als Eure Ruhe abhängt.« Nachdem Aladdin diese Maßregeln mit der Prinzessin verabredet hatte, nahm er Abschied von ihr, um den übrigen Teil des Tages in den Umgebungen des Palastes zuzubringen und die Nacht zu erwarten.
Die Prinzessin Badrulbudur, welche untröstlich darüber war, nicht bloß von ihrem teuern Gemahl Aladdin, den sie immer noch mehr aus Neigung denn aus Pflicht liebte, sondern auch von ihrem Vater, dem Sultan, der so zärtlich an ihr hing, getrennt zu sein, hatte seit dem Moment jener schmerzlichen Trennung ihr Äußeres sehr vernachlässigt. Sie hatte sogar sozusagen jene Reinlichkeit aus den Augen gesetzt, welche Personen ihres Geschlechts so wohl ansteht, besonders seitdem der afrikanische Zauberer sich ihr zum erstenmal vorgestellt und sie durch ihre Frauen, die ihn wiedererkannten, erfahren hatte, daß er es gewesen, der die alte Lampe gegen eine neue durch Tausch an sich genommen, durch welchen entsetzlichen Betrug er ihr zum Abscheu geworden war. Indes die sich darbietende Gelegenheit, sich an ihm zu rächen, wie er es verdiente, und zwar früher, als sie es zu hoffen gewagt, machte, daß sie sich entschloß, Aladdins Wunsche zu willfahren. Sobald er sich daher entfernt hatte, setzte sie sich an ihren Putztisch, ließ sich durch ihre Frauen auf die vorteilhafteste Weise schmücken und legte das reichste und ihrem Vorhaben angemessenste Kleid an. Der Gürtel, den sie sich anlegte, war von Gold und mit den größten und auserlesensten Diamanten ausgelegt; außer dem Gürtel machte sie sich bloß ein Perlenhalsband um, an welchem die sechs Seitenperlen zu der mittleren, welche die größte und kostbarste war, in einem solchen Verhältnis standen, daß die größten Sultaninnen und Königinnen sich glücklich geschätzt haben würden, wenn sie eine vollständige Schnur von der Größe der zwei kleinsten Perlen im Halsbande der Prinzessin besessen hätten. Die Armbänder, welche abwechselnd mit Diamanten und Rubinen besetzt waren, entsprachen wunderbar dem Reichtum des Gürtels und des Halsbandes.
Als die Prinzessin Badrulbudur völlig angekleidet war, zog sie ihren Spiegel zu Rate, holte die Meinung ihrer Frauen über ihren ganzen Anzug ein, und nachdem sie gesehen, daß ihr keiner von jenen Reizen fehle, welche der törichten Leidenschaft des afrikanischen Zauberers schmeicheln konnten, setzte sie sich auf ihr Sofa und erwartete seine Ankunft.
Der afrikanische Zauberer unterließ nicht, sich zur gewohnten Stunde einzustellen. Sobald die Prinzessin ihn in den Saal von vierundzwanzig Fenstern, worin sie ihn erwartete, eintreten sah, stand sie im vollen Glanze ihrer Schönheit und ihrer Reize auf und bezeichnet ihm mit der Hand den Ehrenplatz, den er ihrem Wunsch zufolge einnehmen sollte, um sich mit ihm zugleich setzen zu können, eine ausgezeichnete Artigkeit, die sie ihm bis hierher noch nie erwiesen hatte.
Der afrikanische Zauberer, mehr von dem Glanze der schönen Augen der Prinzessin als von dem Schimmer der sie umgebenden Edelsteine geblendet, war davon sehr überrascht. Ihre majestätische Haltung und ein gewisser Ton von Anmut, womit sie ihn empfing, und der mit ihrer bisherigen zurückweisenden Art so sehr kontrastierte, machte ihn ganz verwirrt. Anfangs wollte er am äußersten Rande des Sofas Platz nehmen, doch da er sah, daß die Prinzessin ihren Platz nicht eher einnehmen wollte, als bis er sich dahin gesetzt, wohin sie gewünscht, so gehorchte er.
Als der afrikanische Zauberer sich gesetzt hatte, nahm die Prinzessin, um ihn aus seiner Verlegenheit zu ziehen, das Wort, und indem sie ihn auf eine Weise anblickte, die in ihm den Glauben erweckte, er sei ihr nicht mehr so verhaßt wie zuvor, sagte sie zu ihm: »Ihr werdet Euch ohne Zweifel wundern, daß Ihr mich heute ganz anders findet, als Ihr mich bisher gefunden habt; doch Ihr werdet nicht weiter darüber erstaunen, wenn ich Euch sage, daß meiner inneren Gemütsstimmung alle Traurigkeit, Schwermut, Betrübnis und aller Kummer zuwider ist, daß ich sie so bald als möglich loszuwerden suche, wenn der Anlaß dazu vorüber ist. Ich habe mir das, was Ihr mir von Aladdins Schicksal sagtet, wohl überlegt, und bei der bekannten Gemütsart meines Vaters bin ich mit Euch überzeugt, daß er dem furchtbaren Ausbruch seines Zornes nicht hat entgehen können. Wenn ich daher auch hartnäckig darauf beharren wollte, ihn mein Leben lang zu beweinen, so sehe ich doch, daß ihn meine Tränen nicht wieder lebendig machen würden. Nachdem ich ihm nun bis ins Grab alle Pflichten erwiesen habe, welche die Liebe von mir forderte, scheint es mir gleichwohl, daß ich alle Mittel, um mich zu trösten, aufbieten müsse. Dies sind nun die Beweggründe zu der Veränderung, die Ihr an mir wahrnehmet. Um jeden Anlaß zur Traurigkeit, die ich ganz zu verbannen entschlossen bin, zu entfernen, und in der Meinung, daß Ihr mir wohl Gesellschaft leisten würdet, habe ich befohlen, daß man uns eine Abendmahlzeit bereiten soll. Allein da ich bloß chinesischen Wein vorrätig habe und ich mich doch in Afrika befinde, so habe ich Lust bekommen, den hierzulande wachsenden zu kosten, und ich glaubte, daß, wenn dergleichen hier wächst, Ihr wohl den besten herausfinden würdet.«
Der afrikanische Zauberer, der das Glück, so schnell und so leicht zu der Gunst der Prinzessin Badrulbudur zu gelangen, für eine Unmöglichkeit gehalten hatte, sagte zu ihr, er könne nicht Ausdrücke finden, um ihr genugsam an den Tag zu legen, wie tief er ihre Güte fühle; und um sich möglichst bald aus diesem Gespräch herauszuziehen, lenkte er schnell auf den afrikanischen Wein, von dem sie gesprochen, und sagte ihr, daß unter allen Vorzügen, deren sich Afrika nur irgend rühmen könne, die Hervorbringung eines trefflichen Weines einer der hauptsächlichsten sei; er habe ein Faß, das schon sieben Jahre alt und noch nicht angebohrt sei, und dies sei ohne Übertreibung ein Wein, der an Güte die vortrefflichsten Weine der Welt übertreffe. »Wenn meine Prinzessin,« fuhr er fort, »mir es erlauben will, so werde ich zwei Flaschen davon holen und unverzüglich wieder da sein.« – »Es würde mir leid tun, Euch diese Mühe zu machen,« sagte die Prinzessin; »es wäre wohl besser, wenn Ihr jemanden danach schicktet.« – »Es ist durchaus notwendig, daß ich selber danach gehe,« erwiderte der afrikanische Zauberer, »niemand außer mir weiß nämlich, wo der Schlüssel zu dem Weinkeller liegt, und so weiß auch niemand außer mir das Geheimnis, wie man ihn aufschließt.« – »Wenn es so ist,« sagte die Prinzessin, »so gehet dann nur selber und kommt bald wieder. Je länger Ihr wegbleibet, je größer wird meine Ungeduld sein, Euch wiederzusehen, und bedenket zugleich, daß wir sogleich, wenn Ihr wiederkommt, uns zu Tische setzen werden.«
Der afrikanische Zauberer, der nun voll guter Hoffnung auf sein vermeintliches Glück war, lief nicht etwa, um seinen siebenjährigen Wein zu holen, sondern er flog danach und kam schnell wieder. Die Prinzessin, die nicht daran gezweifelt hatte, daß er sich sehr beeilen würde, hatte selber das Pulver, welches Aladdin ihr gebracht, in einen Becher geworfen, den sie beiseite gesetzt hatte, und ließ jetzt auftragen. Sie setzten sich zu Tafel, und zwar einander gegenüber, so daß der Zauberer dem Schenktisch den Rücken kehrte. Indem die Prinzessin ihm nun von dem besten vorlegte, sagte sie zu ihm: »Wenn Ihr wollt, so will ich Euch das Vergnügen eines Konzerts verschaffen, doch da wir beide hier allein sitzen, so scheint es mir, daß die Unterhaltung uns noch mehr Vergnügen gewähren wird.« Der Zauberer betrachtete diese Wahl der Prinzessin als eine neue Gunst.
Nachdem sie einige Bissen gegessen hatten, verlangte die Prinzessin zu trinken. Sie trank auf die Gesundheit des Zauberers, und als sie getrunken hatte, sagte sie: »Ihr hattet sehr recht, Euren Wein zu loben, ich habe noch nie so köstlichen getrunken.« – »Reizende Prinzessin,« erwiderte er, indem er den Becher, den man ihm dargereicht hatte, in der Hand hielt, »mein Wein erhielt durch den Beifall, den Ihr ihm gebet, eine neue Güte.« – »Trinket auf meine Gesundheit,« fuhr die Prinzessin fort, »Ihr werdet selber finden, daß ich mich sehr gut auf dergleichen verstehe.« Er trank auf die Gesundheit der Prinzessin und sagte dann, indem er den Becher zurückgab: »Prinzessin, ich fühle mich glücklich, daß ich dies Faß für eine gute Gelegenheit aufgespart habe; ich gestehe selber, daß ich noch nie in meinem Leben so vortrefflichen getrunken habe.«
Als sie weiter gegessen und noch drei Trünke getan hatten, gab endlich die Prinzessin, welche den Zauberer durch ihre Höflichkeiten und artigen Manieren vollends bezaubert hatte, der Dienerin, welche ihr zu trinken brachte, das Zeichen, und während man ihr ihren Becher voll Wein brachte, sagte sie zugleich, daß man den des afrikanischen Zauberers ebenfalls vollschenken und ihm überreichen möchte. Als nun jeder von beiden seinen Becher in der Hand hatte, sagte sie zu dem afrikanischen Zauberer: »Ich weiß nicht, wie es bei Euch zulande unter Liebenden, die zusammen trinken, Sitte ist; bei uns in China überreichen sich die Geliebte und der Liebende einander gegenseitig ihre Becher und trinken so einer auf des andern Gesundheit.« Zugleich überreichte sie ihm den Becher, den sie in der Hand hielt, und streckte ihre Hand aus, um den seinigen in Empfang zu nehmen. Der afrikanische Zauberer beeilte sich umso freudiger, diesen Tausch vorzunehmen, da er diesen als das sicherste Zeichen betrachtete, daß er das Herz der Prinzessin völlig erobert habe, was ihn denn auf den Gipfel des Glücks erhob. Ehe er trank, sagte er, mit dem Becher in der Hand: »Prinzessin, es fehlt viel, daß wir Afrikaner in der Kunst, die Liebe durch alle möglichen Annehmlichkeiten zu versüßen, so weit wären, als man in China ist, und indem ich hier etwas lerne, was ich noch nicht wußte, fühle ich zugleich, wie hoch ich diese mir erzeigte Begünstigung aufnehmen muß. Ich werde das nie vergessen, meine liebenswürdige Prinzessin; indem ich aus Eurem Becher trank, fand ich ein Leben wieder, worauf ich, wenn Eure Grausamkeit fortgedauert hätte, hätte verzichten müssen.«
Die Prinzessin Badrulbudur, welche sich bei dem leeren Geschwätz des afrikanischen Zauberers langweilte, unterbrach ihn und sagte: »Lasset uns jetzt trinken, Ihr könnt ja nachher das hinzufügen, was Ihr mir noch sagen wolltet.« Zugleich setzte sie den Becher an den Mund, berührte ihn aber bloß mit den Lippen, während der afrikanische Zauberer sich so sehr beeilte, es ihr zuvorzutun, daß er den seinigen ausleerte, ohne einen Tropfen darin zu lassen. Da er beim Austrinken seinen Kopf etwas rückwärts geneigt hatte, um seinen Eifer zu zeigen, so blieb er noch eine Weile in dieser Stellung, bis die Prinzessin, welche noch immer den Rand der Schale an ihren Lippen hielt, sah, daß seine Augen sich verdrehten und er ohne Besinnung rücklings zu Boden fiel.
Die Prinzessin hatte nicht erst nötig, zu befehlen, daß man die geheime Tür für Aladdin aufschließen solle. Ihre Frauen, die mit ihr im Einverständnis waren, hatten sich in gehörigen Zwischenräumen vom Saale bis unten an die Treppe herab aufgestellt, so daß fast in demselben Augenblick, wo der afrikanische Zauberer rücklings hinsank, auch schon unten die verborgene Tür geöffnet wurde.
Aladdin kam herauf und trat in den Saal ein. Als er den afrikanischen Zauberer auf dem Sofa ausgestreckt liegen sah, hielt er die Prinzessin Badrulbudur, welche aufgestanden war und ihm mit offenen Armen entgegeneilte, zurück und sagte: »Prinzessin, noch ist es nicht Zeit; seid so gefällig, Euch in Euer Zimmer zu begeben und dafür zu sorgen, daß man mich allein läßt, während ich daran arbeitete, Euch ebenso schnell wieder nach China zurückzuschaffen, als Ihr daraus entfernt worden seid.«
Sobald die Prinzessin mit ihren Frauen und Verschnittenen aus dem Saal gegangen war, verschloß Aladdin die Tür, näherte sich dem entseelten Leichnam des Zauberers, öffnete dessen Kleid und zog die Lampe heraus, welche noch so verhüllt war, als die Prinzessin es ihm beschrieben hatte. Er enthüllte sie und rieb sie. Sogleich erschien der Geist mit der gewöhnlichen Begrüßung. »Geist,« sagte Aladdin zu ihm, »ich habe dich gerufen, um dir im Namen dieser Lampe zu befehlen, daß du diesen Palast unverzüglich wieder nach China zurücktragen lässest, und zwar an denselben Ort und dieselbe Stelle, von wo er weggenommen worden.« Der Geist, nachdem er durch ein Kopfneigen angedeutet hatte, daß er gehorchen werde, verschwand. Die Versetzung ging wirklich vor sich, und man bemerkte sie bloß an zwei sehr leichten Erschütterungen – einer beim Emporheben des Palastes von seiner Stelle in Afrika, einer anderen bei Niedersetzung desselben in China neben dem Palast des Sultans –, welches alles in höchst kurzer Zeit geschah.
Aladdin ging nun in das Zimmer der Prinzessin hinab, umarmte sie und sagte zu ihr: »Prinzessin, ich kann Euch versichern, daß meine und Eure Freude morgen früh vollkommen sein wird.« Da die Prinzessin noch nicht völlig zu Abend gegessen hatte und Aladdin zu essen verlangte, so ließ die Prinzessin aus dem Saal von vierundzwanzig Fenstern die Speisen, die dort aufgetragen, aber kaum berührt worden waren, auf ihr Zimmer bringen. Die Prinzessin und Aladdin speisten zusammen und tranken von dem guten alten Wein des afrikanischen Zauberers. Um von ihrer Unterhaltung, die nicht anders als höchst vergnügt sein konnte, zu schweigen, füge ich bloß so viel hinzu, daß sie sich hierauf nach ihrem Schlafgemach begaben.
Seit der Entführung des Palastes Aladdins und der Prinzessin Badrulbudur war ihr Vater, der Sultan, über ihren Verlust untröstlich. Er konnte weder bei Nacht noch bei Tage schlafen, und anstatt alles zu vermeiden, was seiner Betrübnis Nahrung geben konnte, suchte er im Gegenteil alles dergleichen auf. So zum Beispiel, während er zuvor alle Morgen nach dem offenen Erker seines Palastes gegangen war, um sich an dem angenehmen Anblick, dessen er gar nicht satt werden konnte, zu letzen, ging er jetzt mehrmals des Tages dahin, um seine Tränen zu erneuen und um durch den Gedanken, daß er das, was ihm so wohl gefallen, nie mehr wiedersehen würde, und daß er zugleich sein Liebstes auf der Welt verloren habe, sich immer tiefer in seine Betrübnis zu versenken. An demselben Morgen, wo Aladdins Palast wieder an seine vorige Stelle zurückgebracht worden war, ging der Sultan, als kaum die Morgenröte aufgegangen war, wieder in diesen Erker. Beim Eintritt in denselben war er so in sich gekehrt und so von Betrübnis durchdrungen, daß er seine Augen ganz traurig nach der Seite hinwendete, wo er bloß den leeren Raum und keinen Palast mehr zu erblicken vermeinte. Allein als er auf einmal diese Leere ausgefüllt sah, hielt er es für die Wirkung eines Nebels. Er betrachtete es aufmerksamer und erkannte nun unzweifelhaft, daß es Aladdins Palast sei. Freude und Lust traten nun bei ihm an die Stelle des Kummers und der Traurigkeit. Eilig kehrte er nach seinem Zimmer zurück und befahl, daß man ihm ein Pferd satteln und vorführen solle. Man führte ihm eins vor, er stieg auf, ritt fort, und ihm war, als könne er nicht schnell genug zu Aladdins Palaste kommen.
Aladdin, welcher vorausgesehen hatte, was kommen könnte, war mit Tagesanbruch aufgestanden, und nachdem er sich eines seiner prächtigsten Kleider angelegt, war er in den Saal von vierundzwanzig Fenstern hinausgegangen, von wo aus er den Sultan kommen sah. Er eilte hinunter und kam gerade noch zu rechter Zeit, um ihn unten an der Haupttreppe zu empfangen und ihm vom Pferde herabsteigen zu helfen. »Aladdin,« sagte der Sultan zu ihm, »ich kann mit dir kein Wort sprechen, bevor ich nicht meine Tochter gesehen und umarmt habe.«
Aladdin führte den Sultan nach den Zimmern der Prinzessin Badrulbudur, und diese, welche beim Aufstehen durch Aladdin erinnert worden war, daß sie sich nicht mehr in Afrika, sondern in China und in der Hauptstadt ihres Vaters und zwar dicht an seinem Palast befände, war soeben mit ihrem Ankleiden fertig. Der Sultan umarmte sie mehreremal, das Gesicht voll Freudentränen, und die Prinzessin gab ihm ihrerseits alle möglichen Beweise der Freude, die sie darüber empfand, ihn wiederzusehen.
Der Sultan war eine Weile völlig sprachlos vor Rührung, daß er seine geliebte Tochter, die er so lange als verloren beweint hatte, wiedergefunden habe, und die Prinzessin vergoß ihrerseits ebenfalls Tränen vor Freude, daß sie ihren Vater, den Sultan, wiedersah.
Endlich nahm der Sultan das Wort und sagte: »Meine Tochter, ich muß annehmen, daß die Freude, dich wiederzusehen, macht, daß du mir so wenig verändert vorkommst, als ob dir nichts Unangenehmes begegnet wäre; und doch bin ich überzeugt, daß du viel ausgestanden haben magst. Man kann mit einem ganzen Palaste so plötzlich wie du nicht leicht fortgebracht werden, ohne daß es dabei große Unruhe und schreckliche Angst geben sollte. Erzähle mir alles und verhehle mir nichts.«
Die Prinzessin machte sich ein Vergnügen daraus, dem Sultan, ihrem Vater, dies Verlangen zu gewähren. »Euer Majestät,« sagte sie, »wenn ich Euch so wenig verändert vorkomme, so bitte ich Euch, zu erwägen, daß ich bereits gestern ganz früh wieder aufzuleben anfing durch die Gegenwart meines teuern Gemahls und Befreiers Aladdin, den ich bereits als für mich verloren betrachtet und beweint hatte, und daß das Glück, welches ich soeben gehabt, Euch zu umarmen, mich ganz wieder in denselben Zustand versetzt wie zuvor. Um es freiheraus zu sagen – mein ganzes Leiden bestand darin, mich Euer Majestät und meinem teuern Gemahl entrissen zu sehen, und zwar nicht bloß hinsichtlich meiner Liebe zu meinem Gemahl, sondern auch in Besorgnis wegen der traurigen Ausbrüche des Zornes Euer Majestät, denen er, so unschuldig er war, ohne Zweifel ausgesetzt sein mußte. Minder habe ich von der Unverschämtheit meines Entführers zu leiden gehabt, welcher gegen mich Reden führte, die mir nicht gefallen konnten; doch wußte ich vermöge des Übergewichts, das ich mir über ihn verschaffte, denselben ein Ziel zu sehen. Übrigens tat man mir so wenig Zwang an, als es in diesem Augenblick der Fall ist. Was aber meine Entführung anbetrifft, so hat Aladdin daran gar keinen Anteil; sondern ich bin die einzige obwohl unschuldige Ursache davon.«
Um den Sultan zu überzeugen, daß sie die Wahrheit rede, erzählte sie ihm umständlich, wie sich der afrikanische Zauberer in einen Lampenhändler verkleidet habe, um neue Lampen gegen alte einzutauschen, wie sie zur Kurzweil die Lampe Aladdins, deren geheime Kraft und Wichtigkeit sie nicht gekannt, gegen eine neue von ihm eingetauscht habe: ferner, wie nach diesem Tausch sie und ihr Palast aufgehoben und nach Afrika versetzt worden seien nebst dem afrikanischen Zauberer, welcher von zweien ihrer Dienerinnen und von dem Verschnittenen, welcher den Umtausch gemacht hatte, sogleich wiedererkannt worden sei, als er nach dem glücklichen Erfolg seines Unternehmens sich ihr das erstemal vorzustellen und um ihre Hand anzuhalten wagte: endlich die Anfechtungen, die sie bis zu Aladdins Ankunft zu erleiden gehabt, welche Maßregeln sie gemeinschaftlich ergriffen hatten, um ihm die Lampe, welche er bei sich trug, zu entreißen: wie ihnen dies geglückt sei, indem sie sich gegen ihn verstellt und ihn zum Abendessen auf ihr Zimmer geladen, und so fort bis zum gemischten Becher, den sie ihm dargereicht hatte. »Was das übrige betrifft,« fuhr sie fort, »so überlasse ich es meinem Gemahl, Euch davon Rechenschaft abzulegen.«
Aladdin hatte nur weniges noch hinzuzufügen. »Als man mir,« erzählte er weiter, »die verborgene Tür geöffnet hatte und ich zum Saal von vierundzwanzig Fenstern hinaufgestiegen war und den Verräter durch die Kraft des Pulvers tot auf dem Sofa liegen sah, so bat ich die Prinzessin, da ein längeres Verweilen ihr nicht wohl geziemt hätte, sich mit ihren Frauen und Verschnittenen nach ihrem Zimmer zu begeben. Ich blieb allein zurück, und nachdem ich dem Zauberer die Lampe aus dem Busen gezogen, bediente ich mich derselben geheimen Kraft, deren er sich bedient hatte, um diesen Palast nebst der Prinzessin zu entführen. Ich habe nun bewirkt, daß der Palast sich wieder an seiner Stelle befindet, und habe das Glück gehabt, Euer Majestät, wie mir befohlen, die Prinzessin wieder zuzuführen. Übrigens täusche ich Euer Majestät gewiß nicht, und wenn Ihr Euch bis in den Saal hinaus bemühen wollt, so werdet Ihr sehen, wie der Zauberer nach Gebühr bestraft worden.«
Um sich ganz von der Wahrheit zu versichern, stand der Sultan auf und ging hinaus, und als er den afrikanischen Zauberer tot und im Gesicht ganz schwarzblau vom Gifte daliegen gesehen hatte, umarmte er Aladdin sehr zärtlich und sagte zu ihm: »Mein Sohn, nimm mir die Maßregeln, die ich gegen dich ergriffen, nicht übel; meine väterliche Liebe zwang mich dazu, und ich verdiene es, daß du mir diesen übereilten Schritt, zu welchem ich mich hinreißen ließ, verzeihst.« – »Herr,« erwiderte Aladdin, »ich habe nicht die mindeste Ursache, mich über das Verfahren Euer Majestät zu beklagen; Ihr tatet bloß, was Ihr tun mußtet. Dieser Zauberer, dieser Schändlichste, dieser Nichtswürdige war die einzige Ursache, daß ich in Eure Ungnade fiel. Wenn Euer Majestät einmal Muße haben wird, so werde ich Euch einen andern boshaften Streich erzählen, den er mir gespielt hat, und der nicht minder schwarz ist als dieser, vor welchem mich noch Gottes besondere Gnade behütet hat.« – »Ich werde selber,« erwiderte der Sultan, »dir eine gewisse Stunde dazu bestimmen, und das recht bald. Doch laß uns jetzt darauf denken, uns zu erholen, und laß diesen verhaßten Gegenstand fortschaffen.«
Aladdin ließ den Leichnam des afrikanischen Zauberers hinwegnehmen und befahl, ihn auf den Schindanger zum Fraß für Tiere und Vögel hinzuwerfen. Der Sultan befahl unterdes, durch Trommeln, Pauken, Trompeten und andere Instruments ein Zeichen zur allgemeinen und öffentlichen Freude zu geben, und ließ zur Feier der Rückkehr der Prinzessin Badrulbudur und Aladdins ein zehntägiges Fest ankündigen.
So entkam denn Aladdin zum zweiten Male einer fast unvermeidlichen Lebensgefahr; aber es war noch nicht die letzte, sondern er kam noch zum drittenmal in eine solche, die wir hier umständlich erzählen wollen.
Der afrikanische Zauberer hatte noch einen jüngeren Bruder, der in der Zauberkunst nicht minder erfahren war als er, ja man kann sagen, daß er an Bösartigkeit und verderblichen Ränken ihn noch übertraf. Da sie nicht immer beisammen, noch auch in einer und derselben Stadt lebten, und da oft der eine im Osten, der andere im Westen sich befand, so unterließen sie nicht, mit Hilfe der Punktierkunst gegenseitig alle Jahre auszumitteln, in welchem Teile der Welt ein jeder von ihnen lebe, wie jeder sich befände, und ob er nicht die Hilfe des andern bedürfe.
Kurze Zeit nachher, als der afrikanische Zauberer in seiner Unternehmung gegen Aladdins Glück seinen Tod gefunden, wollte sein jüngerer Bruder, der seit Jahr und Tag nichts von ihm erfahren hatte und sich nicht in Afrika, sondern in einem sehr entfernten Lande aufhielt, gern wissen, an welchem Orte der Erde jener lebe, wie er sich befinde, und was er mache. Wo er nur ging und stand, hatte er so wie sein Bruder stets sein Punktierviereck bei sich. Er nahm jetzt dieses vor, ordnete den Sand, machte seine Punkte, zog Figuren und Linien und stellte die Nativität. Indem er alle die Figuren durchlief, fand er, daß sein Bruder nicht mehr auf der Welt, sondern vergiftet und plötzlich gestorben sei, und das in der Hauptstadt Chinas an dem und dem Orte, und zwar sei er durch einen Mann von niederer Herkunft, welcher des Sultans Prinzessin geheiratet, vergiftet worden.
Als der Zauberer auf diese Weise das traurige Schicksal seines Bruders erfahren hatte, verlor er keine Zeit mit fruchtlosem Bedauern, sondern faßte auf der Stelle den Entschluß, seinen Tod zu rächen, setzte sich zu Pferde und machte sich auf den Weg nach China. Die Reise ging über Ebenen, Ströme, Gebirge, Wüsten eine lange Strecke fort, ohne unterwegs irgendwo anzuhalten, und so kam er denn unter unglaublichen Beschwerden nach China und sofort in die Hauptstadt des Landes. In der Gewißheit, daß er sich nicht getäuscht und nicht dies Reich mit einem andern verwechselt habe, machte er in dieser Hauptstadt halt und nahm da seine Wohnung.
Den Tag nach seiner Ankunft ging der Zauberer aus, und indem er durch die Stadt spazierte, nicht etwa um die Schönheiten derselben zu besehen, die ihm sehr gleichgültig waren, sondern in der Absicht, die Maßregeln zu Vollführung seines verderblichen Anschlages einzuleiten, ging er in die besuchtesten Orte hin und horchte auf das, was man da sprach. An dem einen dieser Orte, wo man sich die Zeit mit allerlei Spielen vertrieb, und wo, während die einen spielten, sich die andern von den Neuigkeiten und Angelegenheiten des Tages unterhielten, hörte er seltsame Dinge erzählen von der Tugend und Frömmigkeit und selbst von den Wundertaten einer von der Welt abgeschiedenen Frau namens Fatime. In der Meinung, daß ihm diese Frau in irgend etwas bei seinem Vorhaben behilflich sein könne, zog er einen von der Gesellschaft beiseite und bat ihn, ihm doch etwas Genaueres über diese heilige Frau und über die Wunder, die sie verrichte, zu sagen.
»Wie,« sagte dieser Mann, »Ihr habt diese Frau noch nie gesehen, noch auch niemals von ihr reden gehört? Durch ihr Fasten, durch ihre strenge Lebensweise und durch das gute Beispiel, das sie gibt, ist sie Gegenstand der Bewunderung der ganzen Stadt. Außer Montags und Freitags geht sie nie aus ihrer kleinen Einsiedelei heraus, und an den Tagen, wo sie sich in der Stadt sehen läßt, tut sie unendlich viel Gutes, und jeden, der mit Kopfschmerzen behaftet ist, heilt sie durch das Auflegen ihrer Hände.«
Der Zauberer verlangte über diesen Punkt nichts weiter zu wissen und fragte den Mann bloß noch, in welcher Gegend der Stadt die Einsiedelei dieser heiligen Frau sich befände. Der Mann beschrieb ihm genau die Stelle. Nachdem er diese Erkundigung eingezogen und den ruchlosen Plan, von dem wir bald sprechen werden, gefaßt und entworfen hatte, beobachtete er, um seiner Sache noch gewisser zu sein, gleich an dem nächsten Tage, wo sie ausging, alle ihre Schritte, ohne sie aus den Augen zu verlieren, bis er sie am Abend in ihre Einsiedelei zurückkehren sah. Als er sich den Ort gut gemerkt hatte, begab er sich an einen der schon erwähnten Orte, wo man ein gewisses warmes Getränk zu sich nahm, und wo man die ganze Nacht zubringen konnte, wenn man Lust hatte, besonders bei großer Hitze, wo man in diesem Lande lieber auf Matten als in Betten schläft.
Nachdem der Zauberer dem Wirt das wenige, was er sich da hatte geben lassen, bezahlt hatte, ging er um Mitternacht fort und geradeswegs nach der Einsiedelei der heiligen Fatime – unter diesem Namen war sie nämlich in der ganzen Stadt bekannt. Er öffnete ohne Mühe die Tür, denn sie war mit einer bloßen Klinke versehen. Als er eingetreten war und die Tür ganz leise wieder zugemacht hatte, sah er Fatime bei hellem Mondschein an freier Luft schlafend aus einem Sofa, das mit einer schlechten Matte überdeckt war, und gegen ihre Zelle hingelehnt daliegen. Er näherte sich ihr, zog einen Dolch, den er an seiner Seite trug, und weckte sie.
Bis die arme Fatime die Augen aufschlug, erschrak sie nicht wenig darüber, einen Mann zu erblicken, der im Begriff war, sie zu erdolchen. Er setzte ihr den Dolch auf die Brust und sagte zu ihr: »Wenn du schreist oder nur das mindeste Geräusch machst, so bist du des Todes; aber stehe auf und tue, was ich dir sage.«
Fatime, welche angekleidet schlief, stand vor Schrecken zitternd auf. »Fürchte dich nicht,« sagte der Zauberer zu ihr, »ich will bloß dein Kleid haben; gib es mir her und nimm dir dafür das meinige.« Sie vertauschten ihre Kleider, und nachdem sich der Zauberer das Kleid Fatimes angezogen, sagte er zu ihr: »Jetzt färbe mir mein Gesicht gleich dem deinigen, und zwar so, daß ich dir ähnlich sehe, und daß die Farbe nicht ausgeht.« Da er sah, daß sie noch immer zitterte, so sagte er, um sie zu beruhigen und zu bewegen, das, was er verlangte, mit größerer Zuversicht zu tun: »Fürchte dich nicht, sage ich dir noch einmal: ich schwöre dir bei dem Namen Gottes, daß ich dir das Leben lasse.« Fatime ließ ihn in ihre Zelle eintreten, zündete ihre Lampe an, nahm einen Pinsel und einen gewissen Saft, den sie in einem Gefäße stehen hatte, rieb ihm damit das Gesicht ein und versicherte ihn, daß die Farbe nicht ausgehen und daß sein Gesicht ganz wie das ihrige aussehen würde, ohne den mindesten Unterschied. Sodann setzte sie ihm ihre eigene Kopfbedeckung aufs Haupt nebst einem Schleier und zeigte ihm, wie er sich mit demselben auf dem Gange durch die Stadt das Gesicht verhüllen müßte. Endlich, nachdem sie ihm einen großen Rosenkranz, der ihr vorn bis auf den Gürtel herabhing, um den Hals geschlungen hatte, gab sie ihm den Stab in die Hand, den sie gewöhnlich zu führen pflegte, hielt ihm zugleich einen Spiegel vor und sagte: »Da blicket einmal hinein, und Ihr werdet sehen, daß Ihr mir auf das vollkommenste ähnlich seid.« Der Zauberer fand alles nach Wunsch, hielt aber der guten Fatime den Schwur nicht, den er ihr so feierlich geleistet hatte. Damit man nicht, wenn er sie erstäche, Blutspuren sehen möchte, so erwürgte er sie, und als er sah, daß sie ihren Geist aufgegeben, schleppte er ihre Leiche bei den Füßen zu dem Wasserbehälter der Einsiedelei und warf sie da hinein.
Der so als heilige Fatime verkleidete Zauberer brachte nach Vollführung dieser verruchten Mordtat den übrigen Teil der Nacht in der Einsiedelei zu. Den folgenden Tag früh um ein oder zwei Uhr, obwohl die heilige Frau an diesem Tage nicht auszugehen pflegte, unterließ er doch nicht das Ausgehen in der Überzeugung, daß ihn niemand deshalb fragen würde, und im Fall ihn jemand früge, wollte er schon darauf antworten. Da er bei seiner Ankunft sich vor allen Dingen nach Aladdins Palaste erkundigt und ihn sich angesehen hatte, und da er dort seine Rolle zu spielen willens war, so nahm er sogleich seinen Weg dahin.
Sobald man die heilige Frau erblickte – als wofür den Zauberer das Volk hielt –, so ward sie sogleich von einer großen Menge Menschen umringt. Einige empfahlen sich ihrem Gebet, andere küßten ihr die Hand, andere, die bescheidener waren, küßten ihr bloß den Saum des Gewandes, und noch andere – sei es nun, daß sie wirklich Kopfschmerzen hatten, oder daß sie sich bloß dagegen verwahren wollten – neigten sich vor ihr, damit sie ihnen die Hände auflegen möchte, welches er denn auch tat, indem er über sie einige Worte nach Art eines Gebetes murmelte; kurz, er ahmte die heilige Frau so gut nach, daß alle Leute ihn dafür hielten. Nachdem er mehreremal unterwegs stehen geblieben war, um den Leuten zu genügen, die von dieser Art Händeauflegen weder eine gute noch schlimme Wirkung empfanden, kam er endlich auf den Platz vor Aladdins Palast, wo es, da das Herbeiströmen der Menschen immer größer wurde, jedem noch mehr erschwert wurde, ihr nahe zu kommen. Die Stärksten und Eifrigsten drängten sich mit Gewalt durch den Haufen, darüber erhoben sich denn Klagen, die man bis in den Saal von vierundzwanzig Fenstern, worin die Prinzessin Badrulbudur war, hören konnte.
Die Prinzessin fragte, was das für ein Lärm sei, und da es ihr niemand sagen konnte, befahl sie, daß jemand hingehen und ihr darüber Nachricht bringen solle. Eine ihrer Frauen sah, ohne den Saal zu verlassen, durch ein Gitterfenster und meldete ihr sodann, der Lärm rühre von der Volksmenge her, welche die heilige Frau umringe, um sich durch ihr Händeauflegen vom Kopfweh heilen zu lassen.
Die Prinzessin, welche schon sehr lange viel Gutes von der heiligen Frau hatte erzählen hören, sie aber noch nie gesehen hatte, war neugierig, sie zu sehen und zu sprechen. Sowie sie etwas davon verlauten ließ, sagte das Oberhaupt der Verschnittenen, welches zugegen war, zu ihr, wenn sie es wünsche, so wolle er sie mit Vergnügen heraufholen lassen, und sie dürfe bloß befehlen. Die Prinzessin genehmigte es, und sogleich fertigte er vier Verschnittene ab mit dem Befehl, die angebliche Heilige heraufzuholen.
Sobald man die Verschnittenen aus dem Palaste heraustreten und nach dem Punkte, wo der verkleidete Zauberer stand, hingehen sah, so wich das Volk auseinander; und als jener sich nun frei und die viere auf sich zukommen sah, ging er ihnen umso freudiger entgegen, da er jetzt seine Betrügerei einen guten Gang nehmen sah. Einer von den Verschnittenen nahm das Wort und sagte: »Heilige Frau, die Prinzessin wünscht Euch zu sprechen; kommt und folget uns.« – »Die Prinzessin erzeigt mir viel Ehre,« antwortete die angebliche Fatime, »ich bin bereit, ihr zu gehorchen.« Mit diesen Worten folgte sie den Verschnittenen, die schon auf dem Rückwege nach dem Palaste waren.
Als der Zauberer, der unter dem Heiligenkleide ein teuflisches Herz verbarg, in den Saal von vierundzwanzig Fenstern eintrat und die Prinzessin bemerkte, begann er mit einem Gebet, welches eine lange Reihe von Wünschen für ihr Glück, ihr Wohlbefinden und für die Erfüllung alles dessen, was sie irgend wünschen könnte, enthielt, hierauf entfaltete er all seine betrügerische und heuchlerische Beredsamkeit, um sich unter dem Mantel der Frömmigkeit bei der Prinzessin einzuschmeicheln, was ihm umso leichter gelang, da die Prinzessin von Natur gutherzig und der Meinung war, alle Leute wären so gesinnt als sie, besonders alle diejenigen, welche es sich zur Pflicht machten, Gott in der Zurückgezogenheit zu dienen.
Sobald die falsche Fatime ihre lange Anrede geendigt hatte, sagte die Prinzessin zu ihr: »Meine gute Mutter, ich danke Euch für Eure schönen Gebete; ich habe großes Vertrauen dazu und hoffe, daß Gott sie erhören wird. Tretet näher und setzet Euch zu mir.« Die falsche Fatime setzte sich mit verstellter Bescheidenheit nieder. Die Prinzessin nahm hierauf wieder das Wort und sagte: »Meine gute Mutter, ich bitte Euch bloß um etwas, was Ihr mir aber bewilligen und ja nicht abschlagen müßt, nämlich darum, daß Ihr bei mir bleibet, mir Euer Leben erzählet und mich durch Euer gutes Beispiel lehret, wie ich Gott dienen soll.«
»Prinzessin,« sagte hierauf die vermeintliche Fatime, »ich bitte Euch, von mir nicht etwas zu verlangen, worein ich nicht willigen kann, ohne mich ganz von meinen Gebeten und erbaulichen Übungen abzulenken und zu zerstreuen.« – »Das darf Euch nicht beunruhigen,« erwiderte die Prinzessin, »ich habe mehrere Zimmer, die nicht besetzt sind, unter diesen könnt Ihr Euch das auswählen, das Euch am besten zusagen wird, und darin alle Eure Übungen ebenso ungestört verrichten als in Eurer Einsiedelei.«
Der Zauberer, welcher keinen anderen Zweck hatte, als sich in den Palast Aladdins einzuführen, wo es ihm viel leichter sein mußte, den bösen Streich, den er vorhatte, auszuführen, wenn er darin unter Begünstigung und Schutz der Prinzessin wohnen bliebe, als wenn er immer von der Einsiedelei nach dem Palast und von da wieder zurück hätte gehen müssen, machte keine großen Einwendungen und Entschuldigungen gegen das gefällige Anerbieten der Prinzessin. »Prinzessin,« sagte er, »wie sehr auch immer eine arme und elende Frau, wie ich bin, entschlossen sein mag, der Welt und ihrer Pracht und Herrlichkeit zu entsagen, so wage ich doch nicht, dem Wunsche und Befehl einer so frommen und mildtätigen Prinzessin zu widerstreben.«
Auf diese Rede des Zauberers stand die Prinzessin auf und sagte zu ihm: »Stehet auf und kommet mit mir, damit ich Euch die leeren Zimmer, die ich habe, zeige und Euch darunter wählen lasse.« Er folgte der Prinzessin Badrulbudur und wählte unter allen den saubern und schön geschmückten Zimmern, die sie ihm zeigte, sich dasjenige aus, das am wenigsten schön war, indem er aus Heuchelei hinzufügte, es sei noch zu gut für ihn, und er wähle es bloß der Prinzessin zu Gefallen.
Die Prinzessin wollte den Betrüger in den Saal von vierundzwanzig Fenstern zurückführen und ihn mit sich zu Mittag speisen lassen; allein da er beim Essen sein bis jetzt immer noch verschleiertes Gesicht hätte enthüllen müssen, und da er fürchtete, die Prinzessin möchte es merken, daß er nicht die heilige Frau Fatime sei, so bat er sie so inständig, ihm dies zu erlassen – indem er, wie er meinte, bloß Brot und trockene Früchte äße – und ihm zu erlauben, seine kleine Mahlzeit auf seinem Zimmer zu sich zu nehmen, daß sie es ihm bewilligte. »Meine gute Mutter,« sagte sie zu ihm, »Ihr seid frei, tut, als ob Ihr in Eurer Einsiedelei wäret; ich werde Euch zu essen bringen; aber vergesset nicht, daß ich Euch zurückerwarte, sobald Ihr Eure Mahlzeit eingenommen haben werdet.«
Die Prinzessin speiste zu Mittag, und die falsche Fatime unterließ nicht, sich wieder einzufinden, sobald sie durch einen Verschnittenen erfahren hatte, daß sie von der Tafel aufgestanden sei. »Meine gute Mutter,« sagte die Prinzessin, »ich freue mich, eine so heilige Frau, wie Ihr seid, zu besitzen, welche diesem Palaste Segen bringen wird. Beiläufig, wie gefällt Euch der Palast? Doch ehe ich Euch denselben Zimmer für Zimmer zeige, so sagt mir zuvor, was Ihr zu diesem Saale meint?«
Die falsche Fatime, welche, um ihre Rolle besser spielen zu können, bisher immer nur mit gesenktem Haupte dagestanden und den Kopf weder rechts noch links hingewendet hatte, hob ihn bei dieser Frage empor, durchlief mit ihren Blicken den Saal von einem Ende bis zum andern, und als sie ihn genugsam betrachtet hatte, sagte sie: »Prinzessin, dieser Saal ist wirklich bewundernswürdig und sehr schön. Indes, soviel eine Einsiedlerin, die sich auf das, was in der Welt für schön gilt, nicht versteht, hiervon urteilen kann, so scheint mir bloß eine einzige Sache zu fehlen.« »Was denn, meine gute Mutter?« fragte die Prinzessin. »Saget es mir, ich beschwöre Euch darum. Ich für meinen Teil hatte immer geglaubt und auch sogar sagen hören, daß nichts daran fehle. Wenn indes noch irgend etwas fehlt, so werde ich der Sache abhelfen lassen.«
»Prinzessin,« erwiderte die falsche Fatime mit vieler Verstellung, »verzeihet mir die Freiheit, die ich mir nehme. Meine Meinung – wenn Euch an dieser nämlich etwas liegen kann – würde sein, daß, wenn oben von der Mitte dieser Kuppel ein Rochei herabhinge, dieser Saal nicht seinesgleichen auf Erden haben und dieser Palast ein Wunder der Welt sein würde.«
»Meine gute Mutter,« fragte die Prinzessin, »was ist denn das für ein Vogel, der Roch, und wo könnte man wohl ein Ei von ihm herbekommen?« – »Prinzessin,« erwiderte die falsche Fatime, »es ist dies ein Vogel von bewundernswürdiger Größe, der auf der höchsten Spitze des Berges Kaukasus wohnt. Der Erbauer Eures Palastes wird Euch schon eines verschaffen.«
Die Prinzessin Badrulbudur, nachdem sie der falschen Fatime für ihren vermeintlichen guten Rat gedankt hatte, fuhr fort, sich mit ihr über andere Gegenstände zu unterhalten; doch vergaß sie das Rochei nicht und nahm sich vor, sobald Aladdin von der Jagd wiederkäme, mit ihm davon zu reden. Seit sechs Tagen war er nämlich fort, und der Zauberer, der es recht gut wußte, hatte diese Abwesenheit benutzen wollen. Aladdin kam noch denselben Tag des Abends zurück, während die falsche Fatime soeben von der Prinzessin sich beurlaubt und sich nach ihrem Zimmer begeben hatte. Er stieg in das Zimmer der Prinzessin hinauf, welche soeben in dasselbe zurückkehrte, er begrüßte sie und umarmte sie: doch schien es ihm, als ob sie ihn etwas kälter empfinge. »Teure Prinzessin,« sagte er zu ihr, »ich finde Euch nicht so heiter als sonst. Ist in meiner Abwesenheit etwas vorgefallen, was Euch mißfallen oder Euch Verdruß und Mißvergnügen verursacht hat? Beim Himmel, verhehlet es mir nicht, ich werde alles aufbieten, um es von Euch zu entfernen, wofern es in meiner Macht steht.« – »Es ist bloß eine Kleinigkeit,« antwortete die Prinzessin, »und es kümmert mich so wenig, daß ich gar nicht geglaubt habe, daß Ihr auf meinem Gesicht eine Spur davon bemerken würdet. Indes da Ihr wider mein Erwarten eine Veränderung auf demselben wahrgenommen, so will ich Euch die Ursache nicht verhehlen, obwohl sie von geringer Bedeutung ist. Ich hatte so wie Ihr immer geglaubt,« fuhr die Prinzessin fort, »daß unser Palast der herrlichste, prachtvollste und vollendetste auf der Welt wäre. Indes muß ich Euch sagen, was mir bei genauer Besichtigung des Saales mit den vierundzwanzig Fenstern in den Sinn gekommen ist. Meinet Ihr nicht auch, daß nichts übrig zu wünschen sein würde, wenn in der Mitte des Kuppelgewölbes ein Rochei schwebend hinge?« – »Prinzessin,« antwortete Aladdin, »wenn Ihr findet, daß ein Rochei noch daran fehlt, so ist das für mich hinlänglich, um denselben Mangel zu empfinden, und aus der Emsigkeit, womit ich diesem Mangel abhelfen werde, werdet Ihr Euch überzeugen, daß ich Euch zuliebe alles mögliche tue.«
Aladdin verließ augenblicklich die Prinzessin, stieg in den Saal von vierundzwanzig Fenstern hinauf, zog dort aus seinem Busen die Lampe, die er seit jener Gefahr, in die er durch Vernachlässigung derselben geraten, überall bei sich trug, und rieb sie. Sogleich erschien ihm der Geist. »Geist,« sagte Aladdin zu ihm, »es fehlt diesem Kuppelgewölbe noch ein Rochei, welches mitten in der Vertiefung desselben aufgehangen sein müßte; ich befehle dir nun im Namen der Lampe, die ich in der Hand halte, daß du diesem Mangel abhelfest.«
Kaum hatte Aladdin diese Worte ausgesprochen, als der Geist einen so lauten und entsetzlichen Schrei ausstieß, daß der Saal davon erbebte, und daß Aladdin taumelte und fast umzufallen in Gefahr war. »Wie, Elender,« sagte der Geist in einem Tone zu ihm, der auch dem unerschrockensten Manne Furcht eingeflößt haben würde, »ist es dir nicht genug, daß ich und meine Gefährten aus Rücksicht gegen dich alles mögliche getan haben, daß du mir jetzt vermöge einer Undankbarkeit, die ihresgleichen nicht hat, befiehlst, dir meinen Vater zu bringen und ihn mitten in dieser Kuppelwölbung aufzuhängen? Dieser Frevel verdiente, daß du nebst deiner Frau und deinem Palaste auf der Stelle in Staub und Asche verwandelt würdest; indes zu deinem Glücke geht dieser Wunsch nicht unmittelbar von dir aus. Du mußt nämlich wissen, daß der Bruder des afrikanischen Zauberers, deines Feindes, den du verdientermaßen vertilgt hast, der eigentliche Urheber davon ist. Er befindet sich in deinem Palaste, verkleidet in den Anzug der heiligen Frau Fatime, die er ermordet hat, und er ist es, der deiner Frau das verderbliche Verlangen eingab, das du gegen mich geäußert hast. Seine Absicht ist, dich umzubringen; du magst dich also in acht nehmen.« Mit diesen Worten verschwand er.
Aladdin verlor keines von den letzten Worten des Geistes. Er hatte von der heiligen Frau Fatime reden hören, und ihm war nicht unbekannt, auf welche Weise sie, wie vorgegeben wurde, das Kopfweh heilte. Er kehrte demnach in das Zimmer der Prinzessin zurück, und ohne ein Wort von dem, was ihm begegnet war, zu reden, setzte er sich nieder, stützte seine Stirn auf die Hand und sagte, daß ihn plötzlich ein heftiges Kopfweh befallen habe. Die Prinzessin befahl sogleich, die heilige Frau zu rufen, und während sie geholt wurde, erzählte sie Aladdin, bei welcher Gelegenheit sie in den Palast gekommen sei, und wie sie ihr darin ein Zimmer eingeräumt habe.
Die falsche Fatime kam. Sobald sie eingetreten war, sagte Aladdin zu ihr: »Kommt her, meine gute Mutter, es freut mich, Euch zu sehen, und daß Ihr gerade zu meinem guten Glücke hier seid. Ich werde von einem heftigen Kopfschmerz geplagt, der mich soeben befallen hat. Im Vertrauen auf Eure Gebete verlange ich von Euch Hilfe und hoffe, daß Ihr die Wohltat, die Ihr so vielen mit dieser Krankheit Behafteten erzeiget, mir nicht abschlagen werdet.« Mit diesen Worten stand er auf, indem er den Kopf niederdrückte. Die falsche Fatime näherte sich ihm, doch mit der Hand an einen Dolch fassend, den sie unter ihrem Kleide am Gürtel stecken hatte. Aladdin, der ihn immerfort beobachtete, hielt jenem plötzlich die Hand fest, noch ehe er den Dolch gezückt hatte, durchbohrte ihm mit seinem Dolch das Herz und warf ihn auf den Fußboden hin.
»Mein teurer Gemahl, was habt Ihr getan?« rief die Prinzessin voll Schrecken aus. »Ihr habt ja die heilige Frau umgebracht!« – »Nein, geliebte Prinzessin,« erwiderte Aladdin ganz ruhig, »nicht Fatime habe ich getötet, sondern einen Schurken, der mich umgebracht haben würde, wenn ich ihm nicht zuvorgekommen wäre. Dieser Bösewicht, den Ihr hier sehet,« fuhr er fort, indem er ihn enthüllte, »war es, der Fatime ermordete und sich in ihrem Anzug verkleidete, um mich zu erdolchen; und damit Ihr es nur wißt, er war ein Bruder des afrikanischen Zauberers, Eures Entführers.« Aladdin erzählte ihr hierauf, wie er diese einzelnen Umstände erfahren habe, und ließ sodann den Leichnam wegschaffen.
Auf diese Art wurde also Aladdin von der Verfolgung der beiden verbrüderten Zauberer befreit. Wenige Jahre nachher starb der Sultan in hohem Alter. Da er keine männlichen Nachkommen hinterließ, so folgte ihm die Prinzessin Badrulbudur, als gesetzmäßige Erbin, auf dem Throne und teilte ihre Herrschaft mit Aladdin. Sie regierten miteinander lange Jahre und hinterließen eine berühmte Nachkommenschaft.
Herr,« sagte die Sultanin Scheherasade, als sie die Geschichte von der Wunderlampe vollendet hatte, »Euer Majestät wird ohne Zweifel bemerkt haben, daß in der Person des afrikanischen Zauberers ein Mann dargestellt ist, den eine unmäßige Begier ergriffen hat, sich Schätze auf strafbarem Wege zu erwerben, die er auch wirklich entdeckt, doch zu deren Besitz er nie gelangt, weil er sich dessen unwürdig gemacht hat. In Aladdin sehet Ihr im Gegenteil einen Mann, der sich von niederer Herkunft bis zur Königswürde erhebt, und zwar durch den Gebrauch derselben Schätze, die ihm in die Hände fallen, ohne daß er sie sucht, und bloß in dem Maße, als er sie zu Erreichung seines jedesmaligen Zweckes nötig hat. An dem Sultan könnt Ihr abnehmen, wie leicht selbst ein guter, gerechter und gütiger Monarch Gefahr läuft, entthront zu werden, wenn er vermöge einer schreienden Ungerechtigkeit und gegen alle Vorschriften der Billigkeit es wagt, aus Übereilung einen Unschuldigen zu verdammen, ohne seine Rechtfertigung zu hören. Endlich werdet Ihr die Schandtaten der beiden verbrecherischen Zauberer verabscheuen, wovon der eine sein Leben opfert, um Schätze zu gewinnen, und der andere Leben und Religion zugleich, um einen Frevler wie er selber zu rächen, und der gleich jenem die verdiente Strafe seiner Bosheit empfängt.«
Der Sultan von Indien versicherte seine Gemahlin, die Sultanin Scheherasade, daß ihn die Abenteuer mit der Wunderlampe sehr befriedigt hätten, und daß ihre nächtlichen Erzählungen ihm viel Vergnügen gewährten. Er sah recht gut, daß die Sultanin sehr geschickt eine an die andere knüpfte; indes war er gar nicht böse darüber, daß sie ihm dadurch Gelegenheit gab, die Vollziehung seines Schwures, keine Frau länger als eine Nacht zu behalten und sie am folgenden Morgen dann hinrichten zu lassen, in Hinsicht ihrer noch auszusetzen. Er war fast auf nichts so neugierig als darauf, ob er es nicht endlich dahin bringen würde, daß ihr der Stoff ausginge.
Als er daher die Geschichte von Aladdin und Badrulbudur bis zu Ende gehört hatte, und zwar ganz anders, als sie ihm bisher immer erzählt worden war, so kam er am folgenden Morgen beim Erwachen Dinarsaden zuvor, weckte die Sultanin selber und fragte sie, ob sie nun mit ihren Geschichten zu Ende sei.
»Mit meinen Geschichten zu Ende?« rief die Sultanin ganz erstaunt aus. »Da fehlt noch viel, Euer Majestät; ihre Zahl ist so groß, daß es mir selber nicht möglich sein würde, sie vollständig anzugeben. Ich fürchte bloß, daß Euer Majestät zuletzt beim Zuhören sich langweile und dessen müde werde, ehe mir noch der Stoff zu diesen Erzählungen ausgeht.«
»Diese Besorgnis kannst du dir immer aus dem Sinn schlagen,« erwiderte der Sultan. »Doch wir wollen sehen, was du mir Neues zu erzählen hast.«
Die Sultanin Scheherasade, durch diese Worte des Sultans von Indien aufgemuntert, begann folgende neue Geschichte.