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»Unter der Negierung des Kalifen Harun Arreschid lebte zu Bagdad ein Kaufmann namens Ali Kodjah, der weder zu den reichsten noch zu den ärmsten gehörte, und der ohne Frau und ohne Kinder in seinem väterlichen Hause lebte. In der Zeit, wo er frei von anderweitigen Geschäften, mit dem Ertrage seines Handels zufrieden, lebte, hatte er drei Tage nacheinander einen Traum, worin ihm ein ehrwürdiger Greis mit strengem Blick erschien und ihm einen Verweis darüber gab, daß er noch nicht die schuldige Wallfahrt nach Mekka gemacht habe.
Dieser Traum beunruhigte Ali Kodjah und setzte ihn in die größte Verlegenheit. Ihm war als einem guten Muselmanne die Verpflichtung zu dieser Wallfahrt keineswegs unbekannt; allein da er ein Haus, Möbel und einen Laden besaß, so hatte er immer geglaubt, dies seien hinlängliche Gründe, um jene Reise zu unterlassen und dafür lieber Almosen und andere gute Werke zu stiften. Doch seit dem Traume peinigte ihn sein Gewissen so sehr, daß die Furcht, es könne ihn irgend ein Unfall treffen, ihn zu dem Entschlusse bewog, diese Wallfahrt nicht länger zu verschieben.
Um sich in gehörigen Stand zu setzen, seinen Vorsatz noch im laufenden Jahre auszuführen, fing Ali zuerst an, seine Gerätschaften zu verkaufen, sodann verkaufte er seinen Laden und den größten Teil der Waren, womit derselbe versehen war, indem er bloß diejenigen zurückhielt, die in Mekka Absatz finden konnten; was sein Haus betrifft, so fand er einen Mieter, an den er es verpachtete. Nachdem er alles so angeordnet hatte, war er um die Zeit, wo die Karawane von Bagdad nach Mekka aufbrechen sollte, mitzureisen bereit. Das einzige, was ihm noch zu tun übrig blieb, war, eine Summe von tausend Goldstücken, die ihn unterwegs doch bloß belästigt haben würde, in Sicherheit zu bringen, nachdem er sich das Geld, welches er sich zu seinen Ausgaben und für andere Bedürfnisse mitzunehmen gedachte, beiseite gelegt hatte.
Ali Kodjah suchte sich ein Gefäß aus, das geräumig genug war, darein legte er die tausend Goldstücke und oben darüber Oliven. Nachdem er das Gefäß oben gut verschlossen hatte, brachte er es zu einem Kaufmann, der sein guter Freund war, und sagte zu diesem: »Bruder, du weißt, daß ich binnen wenigen Tagen mit der Karawane die Wallfahrt nach Mekka antrete. Ich bitte dich nun um die Gefälligkeit, dieses Olivengefäß in Verwahrung zu nehmen und es mir bis zu meiner Wiederkunft aufzuheben.«
Der Kaufmann sagte zu ihm sehr höflich: »Da hast du den Schlüssel zu meinem Speicher; trage dein Gefäß selber dahin und setze es, wohin es dir gefällt, ich verspreche dir, du wirst es da unversehrt wiederfinden.«
Als der Tag des Abgangs der Karawane von Bagdad herangekommen war, schloß sich Ali Kodjah mit einem Kamel, das er mit auserlesenen Waren bepackt hatte, und das ihm zugleich zum Reiten diente, an dieselbe an und gelangte so glücklich bis nach Mekka. Er besuchte daselbst nebst andern Wallfahrern jenen berühmten Tempel, der alljährlich von so vielen Muselmännern aus allen Nationen besucht wird, welche, um die von der Religion ihnen vorgeschriebenen Zeremonieen zu erfüllen, von allen Enden der Erde daselbst anlangen. Als er seine Pflichten als Wallfahrer erfüllt hatte, stellte er seine mitgebrachten Waren aus, um sie zu verkaufen und umzutauschen.
Zwei Kaufleute, welche vorübergingen und die Waren Alis erblickten, fanden dieselben so schön, daß sie stehen blieben und sie in Augenschein nahmen, obwohl sie derselben nicht benötigt waren. Als sie ihre Neugierde befriedigt hatten, sagte der eine zu dem andern lächelnd im Weggehen: »Wenn dieser Kaufmann wüßte, welchen Gewinn er zu Kairo mit diesen Waren machen könnte, so würde er sie dahin führen, anstatt sie hier zu verkaufen, wo sie so wenig gelten.«
Ali hörte diese Worte, und da er schon unzähligemal von Ägypten reden gehört hatte, so beschloß er auf der Stelle, die Gelegenheit wahrzunehmen und dahin abzureisen. Nachdem er daher seine Waren wieder eingepackt hatte, nahm er, anstatt nach Bagdad zurückzukehren, seinen Weg nach Ägypten, indem er sich an die Karawane von Kairo anschloß. Als er in Kairo angelangt war, hatte er eben nicht Ursache, seinen gefaßten Entschluß zu bereuen, sondern er fand da so gut seine Rechnung, daß er binnen wenigen Tagen alle seine Waren verkauft hatte, und zwar mit einem weit größeren Vorteil, als er gehofft hatte. Er kaufte nun andere Waren dafür ein, um mit diesen sodann nach Damaskus zu gehen. Während er nun um der besseren Bequemlichkeit willen auf den Abgang einer Karawane wartete, die in sechs Wochen dahin aufbrechen sollte, so begnügte er sich nicht bloß, alles Sehenswerte in Kairo zu besichtigen, sondern er machte sich sogar nach den Pyramiden auf, fuhr den Nil eine ziemliche Strecke hinauf und besah die berühmtesten Städte, die an den Ufern dieses Stroms lagen.
Da auf der Reise von Damaskus die Karawane ihren Weg über Jerusalem nahm, so benutzte unser Kaufmann von Bagdad die Gelegenheit, um den Tempel zu besuchen, der von den Muselmännern nächst dem Tempel von Mekka für den heiligsten gehalten wird, wovon denn auch Jerusalem selber den Namen der heiligen Stadt erhalten hat.
Ali Kodjah fand die Stadt Damaskus wegen ihres Überflusses an lebendigem Wasser und wegen ihrer grünen Wiesen und bezaubernden Gärten so unbegreiflich angenehm, daß alles, was er bisher von ihren Annehmlichkeiten in den Geschichtsbüchern gelesen, ihm tief unter der Wahrheit zu stehen schien, und daß er sich sehr lange daselbst aushielt. Da er indes doch nicht vergessen konnte, daß er in Bagdad zu Hause sei, so brach er endlich dahin auf und gelangte nach Halep, wo er sich ebenfalls wieder einige Zeit aufhielt; von da setzte er über den Euphrat und schlug die Straße nach Mossul ein in der Absicht, seinen Rückweg von da den Tigris hinab zu beschleunigen.
Doch als Ali bis nach Mossul gekommen war, so hatten unterdes die persischen Kaufleute, mit denen er von Halep gekommen und in sehr freundschaftliche Verhältnisse getreten war, vermöge ihrer Artigkeiten und ihrer angenehmen Unterhaltungen so viel Einfluß auf ihn gewonnen, daß es ihnen leicht war, ihn zu bereden, daß er noch ferner bis Schiras ihnen Gesellschaft leisten möchte, von wo er dann sehr bequem und mit einem bedeutenden Gewinn nach Bagdad zurückkehren könnte. So nahmen sie ihn denn mit sich durch die Städte Sultanieh, Reï, Koam, Ispahan und bis nach Schiras, von wo er sie dann auf Gefälligkeit noch weiter bis nach Indien begleitete und dann wieder mit ihnen bis nach Schiras zurückkehrte.
Auf diese Weise waren mit Inbegriff seines Aufenthalts in jeder dieser Städte seit Alis Abreise von Bagdad bereits sieben Jahre verflossen, als er sich endlich wieder dahin zurückzukehren entschloß. Der Freund, dem er vor seiner Abreise das Gefäß mit Oliven zur Aufbewahrung übergeben, hatte bisher weder an ihn noch an das Gefäß mehr gedacht. Doch gerade jetzt, wo Ali mit einer Karawane von Schiras her unterwegs war, speiste eines Abends dieser Kaufmann, sein Freund, im Kreise der Seinigen; das Gespräch kam unter anderm auf Oliven, und seine Frau äußerte großes Verlangen, welche zu essen, indem sie meinte, es seien schon seit langer Zeit keine bei ihnen vorgekommen.
»Bei dem Worte Oliven fällt mir ein,« begann der Kaufmann, »daß Ali Kodjah mir vor sieben Jahren bei seiner Abreise nach Mekka ein mit dergleichen angefülltes Gefäß hinterlassen hat, das er selber in meinen Speicher trug, um es bei seiner Wiederkunft wieder von da abzuholen. Aber wo mag Ali geblieben sein? Freilich sagte mir einer bei Rückkehr derselben Karawane, er sei nach Ägypten gegangen. Er muß indes da wohl gestorben sein, da er seit so vielen Jahren nicht heimgekehrt ist, und wir können wohl von den Oliven essen, wenn sie noch gut sind. Gebt mir eine Schüssel und ein Licht, ich werde sogleich welche davon holen, und wir wollen sie kosten.«
»Lieber Mann,« nahm nun die Frau das Wort, »begehe um Gottes willen keine so schändliche Handlung. Du weißt ja, daß nichts heiliger ist als anvertrautes Gut. Du sagst freilich, es seien schon sieben Jahre her, daß Ali Kodjah nach Mekka gegangen und nicht mehr wiedergekommen ist; allein man hat dir ja selber gesagt, daß er nach Ägypten gegangen, und wer weiß, ob er nicht von da noch weiter gegangen ist? Es kann dir genug sein, daß du von seinem Tode noch keine Nachricht erhalten hast; er kann folglich schon morgen oder übermorgen wieder eintreffen. Welche Schande würde es dann für dich und für deine ganze Familie sein, wenn er wiederkäme und du ihm sein Gefäß nicht in demselben Zustande zurückgeben könntest, als er es dir übergab! Ich erkläre dir, daß ich auf diese Oliven gar keinen Appetit habe und auch nicht davon essen werde. Wenn ich auch davon sprach, so geschah es bloß gesprächsweise. Überhaupt, glaubst du denn, daß die Oliven nach so langer Zeit noch gut sein werden? Sie sind gewiß alle schon verfault und verdorben. Und wenn nun Ali, wie es mir ahndet, wiederkäme und bemerkte, daß du sie angerührt hättest, was würde er dann von deiner Freundschaft und Treue halten können? Gib daher deine Absicht auf, ich beschwöre dich darum.«
Die Frau führte bloß darum so lange Reden mit ihrem Manne, weil sie seine Hartnäckigkeit auf seinem Gesichte las. Er hörte wirklich auf ihr gutes Zureden nicht, sondern stand auf und ging mit einem Licht und einer Schüssel in seinen Speicher.
»Nun, so vergiß wenigstens nicht,« rief ihm die Frau nach, »daß ich an dem Schritte, den du jetzt tust, keinen Teil habe, damit du mir nicht dereinst die Schuld beimissest, wenn du ihn je zu bereuen Ursache haben solltest.«
Der Kaufmann blieb indes auch dagegen taub und beharrte bei seinem Vorsatze. Als er in den Speicher hineingetreten war, nahm er das Gesäß, riß den Deckel ab und fand die Oliven alle verfault. Um sich zu überzeugen, ob die unteren ebenso verdorben wären wie die oberen, schüttete er einige davon in die Schüssel, und durch den Stoß, womit er sie ausschüttete, fielen auch einige Goldstücke klirrend mit hinein.
Bei Erblickung dieser Goldstücke sah der von Natur habsüchtige Kaufmann geschwind in das Gefäß hinein und bemerkte, daß er fast alle Oliven in die Schüssel ausgeschüttet hatte, und daß das Übrige sämtlich Goldstücke von dem schönsten Gepräge waren. Er schüttete nun die Oliven wieder in das Gefäß hinein, deckte es zu und kehrte zu seiner Familie zurück.
»Liebe Frau,« sagte er, als er zur Tür hereintrat, »du hattest recht; die Oliven sind verfault, und ich habe das Gefäß wieder so verschlossen, daß Ali, wenn er je wiederkommen sollte, es nicht merken wird, daß ich es angerührt habe.«
»Du hättest besser getan, mir zu folgen,« erwiderte die Frau, »und es gar nicht erst anzurühren. Gott gebe, daß uns nie ein Unheil daraus erwachse.«
Auf den Kaufmann machten diese letzten Worte seiner Frau ebensowenig Eindruck als ihre vorhergegangenen Ermahnungen. Er brachte fast die ganze Nacht damit zu, daß er auf Mittel dachte, sich das Gold Ali Kodjahs zuzueignen und dabei so zu verfahren, daß es ihm auch in dem Fall bliebe, wenn jener wiederkäme und sein Gefäß zurückverlangte. Den folgenden Tag ging er schon sehr früh aus und kaufte frische Oliven vom Jahre. Als er damit zurückgekehrt war, warf er die alten Oliven aus dem Gefäße des Ali heraus, nahm das Gold an sich und brachte es in Sicherheit, und nachdem er es mit den frischgekauften Oliven bis oben angefüllt hatte, deckte er es mit demselben Deckel wieder zu und stellte es an denselben Ort, wohin es Ali gesetzt hatte.
Etwa einen Monat nachher, als der Kaufmann diese niederträchtige Handlung, die ihm so übel bekommen konnte, begangen hatte, traf Ali wieder in Bagdad ein. Da er vor seiner Abreise sein Haus vermietet hatte, so stieg er in einem Chan ab, wo er auf so lange ein Zimmer bezog, bis er seinem Mietsmann seine Ankunft angezeigt und dieser sich anderswo eine Wohnung besorgt haben würde.
Den folgenden Tag suchte Ali Kodjah seinen Freund, den Kaufmann, auf, der ihn mit einer Umarmung bewillkommnete und ihm seine Freude auszudrücken suchte über seine endliche Rückkehr nach einer so vieljährigen Abwesenheit, die ihm – wie er äußerte – beinahe schon alle Hoffnung benommen habe, ihn jemals wiederzusehen.
Nach den bei einem solchen Wiedersehen üblichen Begrüßungen bat Ali Kodjah den Kaufmann, ihm doch gefälligst das Olivengefäß, das er seiner Obhut anvertraut, zurückzugeben und ihn zu entschuldigen, daß er so frei gewesen, ihn damit zu belästigen.
»Mein teurer Freund Ali,« erwiderte der Kaufmann, »du tust sehr unrecht, dich deshalb erst lange zu entschuldigen; denn dein Gefäß hat mir erstlich nicht die mindeste Last gemacht, und dann hätte ich ja in einem ähnlichen Falle eine gleiche Gefälligkeit von dir angenommen, wie du nun von mir. Hier hast du den Schlüssel zu meinem Speicher, geh selber hin und hole es dir, du wirst es noch auf derselben Stelle finden, wo du es damals hingestellt hast.«
Ali Kodjah ging in den Speicher des Kaufmanns, holte sich sein Gefäß ab, und nachdem er ihm den Schlüssel wieder eingehändigt und ihm für die erzeigte Gefälligkeit gedankt hatte, kehrte er nach dem Chan zurück, wo er seine Wohnung hatte. Er machte hierauf das Gefäß auf, steckte die Hand so tief hinein, als die tausend Goldstücke, welche er hinein versteckt hatte, liegen mußten, und war nicht wenig verwundert, als er sie nicht fand. Er glaubte sich zu täuschen, und um schnell jedem Zweifel ein Ende zu machen, nahm er eine Anzahl von Schüsseln und anderen Geschirren von seiner Reiseküche und schüttete die sämtlichen Oliven aus dem Gefäß hinein, doch ohne ein einziges Goldstück darunter zu finden. Er erstarrte vor Bestürzung, hob dann seine Hände und Augen gen Himmel und rief: »Ist es möglich, daß ein Mann, den ich für meinen besten Freund hielt, eine so beispiellose Untreue an mir begangen haben sollte!«
Ali ging voll Besorgnis, einen so bedeutenden Verlust erlitten zu haben, zu dem Kaufmann zurück und sagte zu ihm:
»Lieber Freund, wundere dich nicht, daß ich schon so bald wiederkomme. Ich muß dir nur gestehen, daß ich das Olivengefäß, welches ich aus deinem Speicher abgeholt, zwar für dasjenige wiedererkannt habe, welches ich dahin gebracht, allein außer den Oliven hatte ich auch noch tausend Goldstücke hineingelegt, die ich jetzt nicht mehr darin finde. Vielleicht hast du sie gebraucht und in deinem Handel angelegt? Wenn dies der Fall ist, so stehen sie dir auch ferner noch zu Diensten; nur bitte ich dich, daß du mich dann von meiner Unruhe befreiest und mir darüber einen Schuldschein gibst, wonach du sie dann nach deiner Bequemlichkeit mir zurückzahlen magst.«
Der Kaufmann, welcher auf eine solche Anrede sich schon gefaßt gemacht hatte, hatte sich auch schon eine Antwort darauf ausgesonnen.
»Lieber Freund Ali,« erwiderte er, »habe ich denn damals, wo du mir dein Olivengefäß brachtest, es auch nur im mindesten angerührt? Habe ich dir denn nicht den Schlüssel zu meinem Speicher gegeben? Hast du es nicht selber dahin getragen, und hast du es nicht an derselben Stelle, wo du es hingesetzt, wiedergefunden, und zwar noch ganz in demselben Zustande und ganz ebenso verwahrt? Wenn du Gold hineingetan hast, so mußt du es auch darin wiedergefunden haben. Du sagtest mir bloß, es wären Oliven darin, und ich habe es daher auch gedacht, weiter weiß ich nichts von der Sache. Du magst übrigens denken, was du willst, ich habe dir nichts angerührt.«
Ali Kodjah wandte alle nur möglichen Mittel der Güte an, um zu bewirken, daß der Kaufmann sein Unrecht anerkennen möchte.
»Ich liebe,« sagte er zu ihm, »den Frieden, und es würde mir leid tun, wenn ich hierbei zu den äußersten Maßregeln schreiten müßte, die dir vor der Welt wenig Ehre machen würden, und die ich nur mit dem größten Bedauern ergreifen würde. Bedenke, daß Kaufleute, wie wir beide sind, jedes andere Interesse fahren lassen müssen, wenn es darauf ankommt, ihren guten Ruf zu bewahren. Noch einmal sage ich es daher: ich würde in Verzweiflung geraten, wenn deine Hartnäckigkeit mich nötigen sollte, den Weg Rechtens einzuschlagen, ich, der ich sonst lieber etwas von meinem Rechte aufopferte, als daß ich meine Zuflucht zur Rechtsbehörde genommen hätte.«
»Ali,« erwiderte der Kaufmann, »du gestehst doch ein, daß du bei mir bloß ein Olivengefäß zur Verwahrung niedergelegt hast; du hast dir es wiedergenommen, hast es selber weggetragen und kommst nun, um mir tausend Goldstücke abzufordern! Hast du mir denn gesagt, daß sie in dem Gefäß drin wären? Ich weiß ja nicht einmal, daß Oliven darin waren, denn du hast sie mir ja nicht gezeigt. Ich wundere mich, daß du mir nicht lieber gar Perlen und Diamanten abforderst. Glaube mir nur und entferne dich von hier, damit nicht zuletzt noch das Volk vor meinem Laden zusammenläuft.«
Einige Personen waren wirklich schon stehen geblieben, und diese letzten Worte des Kaufmanns, welche in einem Tone gesprochen wurden, der über die Grenzen der Mäßigung hinauszugehen schien, bewirkten, daß sich nicht bloß eine größere Anzahl von Menschen versammelte, sondern daß sogar die benachbarten Kaufleute aus ihren Läden heraustraten und herbeikamen, um die Ursache des Streites zu erfahren und beide Männer wieder miteinander auszugleichen. Als Ali ihnen die Sache auseinandergesetzt hatte, fragten einige der angesehensten den Kaufmann, was er darauf zu antworten habe.
Der Kaufmann gestand, daß er das Gefäß Alis in seinem Speicher aufbewahrt habe, doch leugnete er, daß er es je angerührt, und schwor, er wisse bloß von daher, daß Oliven darin gewesen, weil Ali Kodjah es ihm gesagt, zugleich nahm er sie alle zu Zeugen des Schimpfs und der Beleidigung, die jener ihm in seiner eigenen Behausung angetan.
»Du ziehst dir den Schimpf selber zu,« sagte jetzt Ali, indem er den Kaufmann beim Arme nahm; »doch da du so boshaft handelst, so fordere ich dich vor das Gesetz Gottes. Wir wollen sehen, ob du die Frechheit haben wirst, dasselbe vor dem Kadi zu äußern.«
Gegen diese Vorladung, welcher jeder gute Muselmann Folge leisten muß, wofern er nicht gegen seine Religion widerspenstig erscheinen will, wagte der Kaufmann es nicht, sich zu sträuben, sondern sagte: »Gut, das wollte ich eben von dir! Wir werden nun bald sehen, wer von uns beiden unrecht hat.«
Ali führte den Kaufmann vor den Richterstuhl des Kadi, wo er ihn anklagte, daß er ihm eine anvertraute Summe von tausend Goldstücken entwendet habe, indem er die ganze Sache so auseinandersetzte, als wir bereits wissen. Der Kadi fragte ihn, ob er Zeugen habe. Er antwortete, diese Vorsichtsmaßregel habe er nicht einmal genommen, weil er geglaubt, derjenige, dem er dieses Geld anvertraute, wäre sein Freund, und weil er ihn bis dahin als einen rechtlichen Mann gekannt habe.
Der Kaufmann sagte zu seiner Verteidigung weiter nichts, als was er bereits dem Ali Kodjah in Gegenwart der Nachbarn gesagt hatte, und schloß mit der Erklärung, er sei bereit, durch einen Schwur zu bekräftigen, daß nicht nur die Anklage, als habe er die tausend Goldstücke genommen, falsch sei, sondern daß er sogar nicht das geringste davon gewußt habe. Der Kadi forderte ihm den Schwur ab und entließ ihn sodann völlig freigesprochen.
Ali, der sich außerordentlich darüber ärgerte, sich zu einer so bedeutenden Einbuße verurteilt zu sehen, protestierte gegen diese richterliche Entscheidung, indem er dem Kadi erklärte, er werde seine Beschwerde bis vor den Kalifen Harun Arreschid bringen, der ihm dann schon zu seinem Rechte verhelfen würde. Doch der Kadi wunderte sich über diese Widersetzlichkeit nicht im mindesten, sondern betrachtete sie als die Wirkung der gewöhnlichen Erbitterung aller derer, die ihren Rechtshandel verloren haben, und glaubte vollkommen seine Schuldigkeit getan zu haben, daß er einen Angeklagten freigesprochen, gegen den man keine Zeugen aufzustellen vermocht hatte.
Während der Kaufmann triumphierend und voll Freude darüber, daß er so wohlfeilen Kaufs zu den tausend Goldstücken gekommen war, nach Hause zurückkehrte, ging Ali Kodjah hin und verfaßte eine Bittschrift. Und schon am folgenden Tage, sobald er die Zeit wahrgenommen hatte, wo der Kalif nach dem Mittagsgebete aus der Moschee zurückkehren mußte, stellte er sich in einer Straße ihm in den Weg, und in dem Augenblick, wo er vorüberging, erhob er den Arm und hielt die Bittschrift hoch empor, worauf einer von den Beamten, der dies Geschäft über sich hatte und dicht vor dem Kalifen herging, aus dem Zuge heraustrat und ihm die Bittschrift abnahm, um sie jenem sodann zu überreichen.
Da Ali wußte, der Kalif Harun Arreschid habe die Gewohnheit, bei der Rückkehr in seinen Palast die Bittschriften, die man ihm auf diese Weise überreichte, selber zu lesen, so folgte er dem Zuge, trat in den Palast hinein und wartete, bis der Hofbeamte, der ihm die Bittschrift abgenommen, aus den Zimmern des Kalifen wieder herauskam. Beim Heraustreten sagte der Palastbeamte zu ihm, der Kalif habe seine Bittschrift gelesen, und bezeichnete ihm zugleich die Stunde, wo er ihm am folgenden Tage Gehör geben würde; sodann fragte er ihn nach der Wohnung des Kaufmanns und schickte auch zu diesem hin, um ihn für den folgenden Tag um dieselbe Stunde hinzubestellen.
An dem Abend desselben Tages machte der Kalif mit dem Großwesir Giafar und dem Oberhaupte der Verschnittenen, Mesrur, und zwar alle drei verkleidet, wieder seine gewöhnliche Runde durch die Stadt, wie ich Euer Majestät bereits gesagt habe, daß er von Zeit zu Zeit zu tun pflegte.
Indem der Kalif durch eine Straße ging, hörte er einigen Lärm. Er beschleunigte seine Schritte und kam an eine Tür, die in einen Hof ging, worin zehn bis zwölf Kinder, die noch nicht schlafen gegangen waren, im Mondschein spielten – wie er, durch eine Ritze schauend, wahrnehmen konnte.
Der Kalif, welcher neugierig war, zu wissen, welches Spiel die Kinder da spielten, setzte sich auf eine steinerne Bank, die sich gerade vor der Tür befand, und als er fortwährend durch die Kitze schaute, hörte er das eine Kind, welches das lebhafteste und aufgeweckteste unter allen war, zu den andern sagen: »Wir wollen Kadi spielen. Ich bin der Kadi, und ihr mögt mir den Ali Kodjah und den Kaufmann, der ihm die tausend Goldstücke gestohlen, vorführen.«
Bei diesen Worten des Kindes erinnerte sich der Kalif an die Bittschrift, die ihm an demselben Tage erst überreicht worden war, und die er soeben gelesen hatte. Dies machte, daß er seine Aufmerksamkeit verdoppelte, um zu sehen, wie der Urteilsspruch ausfallen würde.
Da der Streithandel zwischen Ali und dem Kaufmann etwas ganz Neues war und in der ganzen Stadt Bagdad viel Aufsehen machte, sogar unter den Kindern, so nahmen die übrigen Kinder den Vorschlag mit Vergnügen an und kamen über die Rolle überein, die jeder übernehmen sollte. Niemand hinderte den, der sich zu der Rolle des Kadi erboten, dieselbe zu übernehmen. Als er nun mit der Amtsmiene eines Kadi sich hingesetzt hatte, führte ein anderer, gleichsam als ein zur Gerichtsbehörde gehörender Beamter, ihm zwei Knaben vor, von denen er den einen Ali nannte und den andern als den Kaufmann bezeichnete, gegen den Ali Beschwerde führte.
Jetzt nahm der angebliche Kadi das Wort und fragte in gewichtvollem Ton den angeblichen Ali Kodjah: »Ali, was ist dein Begehr gegen diesen Kaufmann?«
Der angebliche Ali trug nach einer tiefen Verbeugung dem Kadi die Sache Punkt für Punkt vor und bat ihn am Schlusse, daß er mit seinem richterlichen Ansehen gütigst dazwischentreten möchte, um zu verhindern, daß er nicht eine so bedeutende Summe einbüßen dürfte.
Nachdem der angebliche Kadi den Ali Kodjah angehört hatte, wendete er sich zu dem vermeintlichen Kaufmann und fragte ihn, warum er denn dem Ali nicht die Summe zurückgäbe, welche dieser von ihm verlangte.
Der angebliche Kaufmann brachte dieselben Gründe vor, die der wirkliche vor dem Kadi von Bagdad angeführt hatte, und verlangte gleichfalls, daß er die Wahrheit seiner Aussage durch einen Schwur bestätigen dürfe.
»Wir wollen uns nicht übereilen,« erwiderte der angebliche Kadi, »bevor wir zu deinem Schwure kommen, habe ich Lust, das Olivengefäß selber in Augenschein zu nehmen. Ali Kodjah,« fuhr er dann fort, indem er sich an den Knaben wandte, der die Rolle desselben übernommen hatte, »hast du das Gefäß mitgebracht?«
Als dieser antwortete, er habe es nicht bei sich, so fuhr er fort: »So gehe hin und hole es.«
Der angebliche Ali Kodjah verschwand auf einen Augenblick, kam dann wieder und tat, als ob er vor den vermeintlichen Kadi ein Gefäß hinstellte, indem er erklärte, es sei dies dasselbe Gefäß, welches er im Hause des Angeklagten eingesetzt und von da wieder abgeholt habe. Um nichts, was zur herkömmlichen Form gehörte, zu unterlassen, fragte der angebliche Kadi den angeblichen Kaufmann, ob er es auch wohl für dasselbe Gefäß erkenne. Und als der Kaufmann durch sein Stillschweigen zu erkennen gegeben hatte, daß er es nicht ableugnen könne, befahl er, es zu öffnen. Ali Kodjah tat, als nähme er den Deckel ab, und der Kadi tat dagegen, als sähe er in das Gefäß hinein und sagte: »Das sind schöne Oliven, ich muß sie doch kosten.« Drauf stellte er sich, als nähme er eine, um sie zu kosten, und fuhr dann fort: »Sie sind ganz vortrefflich. Indes,« fügte er darauf hinzu, »mich dünkt, Oliven, die sieben Jahre lang aufgehoben worden, könnten nicht mehr so gut sein. Man lasse mir einige Olivenhändler kommen, diese mögen dann zusehen, was an der Sache ist.«
Es wurden ihm zwei Kinder als Olivenhändler vorgestellt.
Der angebliche Kadi fragte sie: »Seid ihr Olivenhändler?«, und als sie ihm geantwortet hatten, dies sei ihr Gewerbe, so fuhr er fort: »So sagt mir denn, wisset ihr wohl, wie lange Oliven, wenn sie von sachverständigen Leuten eingelegt worden sind, sich gut und genießbar erhalten können?«
»Herr,« erwiderten die angeblichen Olivenhändler, »welche Sorgfalt man auch immer bei Aufbewahrung derselben anwenden mag, so taugen sie doch schon im dritten Jahre nichts mehr; sie haben dann weder Farbe noch Wohlgeschmack mehr und sind bloß gut zum Wegwerfen.«
»Wenn das der Fall ist,« nahm jetzt wieder der Kadi das Wort, »so sehet einmal dies Gefäß an und sagt mir, wie lange es wohl her sein mag, daß man die Oliven darin eingelegt hat!«
Die Kaufleute taten, als ob sie die Oliven untersuchten und kosteten, und sagten dann dem Kadi, daß sie noch ganz gut und frisch wären.
»Ihr irrt euch,« erwiderte darauf der angebliche Kadi, »Ali Kodjah hier sagt ausdrücklich, daß er sie vor sieben Jahren hineingetan.«
»Herr,« antworteten die Knaben, welche die Rolle sachverständiger Kaufleute spielten, »wir können bloß beteuern, daß es Oliven von diesem Jahre sind, und wir behaupten zugleich, daß unter allen Kaufleuten zu Bagdad auch nicht ein einziger sein wird, der nicht dasselbe Zeugnis wie wir vor Euch ablegen sollte.«
Der von dem angeblichen Ali Kodjah angeklagte Kaufmann wollte gegen dies Zeugnis sachverständiger Kaufleute den Mund auftun; doch der angebliche Kadi ließ ihm keine Zeit dazu, sondern sagte zu ihm: »Schweig, du bist ein Dieb, henkt ihn sofort auf.«
So endigten nun die Kinder ihr Spiel mit vieler Freude, indem sie in die Hände klatschten und auf den angeblichen Verbrecher losstürzten, als wollten sie ihn zum Henkerstode führen.
Es läßt sich nicht beschreiben, wie sehr der Kalif Harun Arreschid die Klugheit und den Verstand des Kindes bewunderte, welches soeben ein so richtiges Urteil über die Angelegenheit gefällt hatte, die den folgenden Tag vor ihm verhandelt werden sollte. Indem er sich von der Ritze entfernte und aufstand, fragte er seinen Großwesir, welcher gleichfalls auf das, was da vorgegangen, aufmerksam gewesen war, ob er wohl das von dem Kinde gefällte Urteil gehört habe, und was er dazu meine.
»Beherrscher der Gläubigen,« erwiderte der Großwesir Giafar, »es kann niemand mehr über eine so seltene Klugheit in so zartem Alter überrascht sein, als ich es bin.«
»Aber,« fuhr der Kalif fort, »weißt du wohl, daß ich morgen über dieselbe Sache zu entscheiden habe, und daß der wirkliche Ali Kodjah mir heute seine Bittschrift deshalb überreicht hat?«
»Ich erfahre es erst in diesem Augenblick von Euer Majestät,« antwortete der Großwesir.
»Glaubst du,« sing der Kalif noch einmal an, »daß ich darüber ein anderes Urteil fällen könnte als das, das wir soeben gehört haben?«
»Wenn der Fall derselbe ist,« erwiderte der Großwesir, »so scheint es mir unmöglich, daß Euer Majestät in der Sache anders verfahren oder einen andern Ausspruch darin tun könnte.«
»Merke dir dies Haus wohl,« sagte der Kalif weiter, »und führe morgen früh das Kind zu mir, damit es in meiner Gegenwart dieselbe Angelegenheit wieder entscheide. Melde auch dem Kadi, welcher den diebischen Kaufmann freigesprochen, daß er sich dabei einfinde und aus dem Beispiele des Kindes erkenne, was seine Pflicht sei, und daß er sich künftig bessere. Ferner will ich, daß du dem Ali Kodjah einen Wink geben lässest, er möge sein Olivengefäß mitbringen, und daß zwei Olivenhändler zu der Verhandlung mit bestellt werden.«
Der Kalif gab ihm diesen Befehl, indem er seine Runde fortsetzte, die er denn auch diesmal vollendete, ohne weiter auf etwas der Betrachtung Wertes zu stoßen.
Den folgenden Tag ging der Großwesir Giafar in das Haus, wo der Kalif Zeuge von dem Spiel der Kinder gewesen war, und verlangte mit dem Herrn des Hauses zu sprechen. Da dieser eben ausgegangen war, so wies man ihn an die Frau. Er fragte nun diese, ob sie Kinder habe. Sie antwortete: »Drei« und ließ sie alle vor ihn hintreten.
»Meine Kinder,« fragte sie der Großwesir, »wer von euch stellte denn gestern abend, als ihr miteinander spieltet, den Kadi vor?«
Der größte, welcher zugleich der älteste war, antwortete, er sei es gewesen, änderte aber dabei die Farbe, da er nicht wußte, warum die Frage an ihn geschähe.
»Mein Sohn,« sagte der Großwesir hierauf zu ihm, »komm mit mir, der Beherrscher der Gläubigen möchte dich gern sehen und sprechen.«
Die Mutter geriet in die größte Bestürzung, als sie sah, daß der Großwesir ihren Sohn mitnehmen wollte, und fragte ihn: »Herr, verlangt der Beherrscher der Gläubigen etwa darum meinen Sohn, um mir ihn zu entreißen?«
Der Großwesir beruhigte sie, indem er ihr versprach, daß sie ihren Sohn spätestens binnen einer Stunde wieder zurückerhalten und dann bei seiner Rückkehr schon den Grund erfahren würde, warum er hingerufen worden.
»Wenn dies, Herr, wirklich so ist,« erwiderte die Mutter, »so erlaubt mir wenigstens, daß ich ihm zuvor ein besseres Kleid anziehe, damit er vor dem Beherrscher der Gläubigen auf eine anständige Art erscheinen kann.« Zugleich zog sie ihm ohne Säumnis ein dergleichen Kleid an.
Der Großwesir führte nun das Kind fort und stellte es dem Kalifen zu derselben Stunde vor, zu welcher er den Ali Kodjah und den Kaufmann hinbeschieden hatte.
Der Kalif bemerkte, daß das Kind etwas bestürzt war, und sagte daher, um es auf das, was er von demselben erwartete, vorzubereiten: »Komm her, mein Sohn, tritt näher. Du warst es also, der gestern abend den Streithandel zwischen Ali Kodjah und dem Kaufmann, der ihm sein Gold gestohlen, entschied? Ich habe dich gesehen und dir zugehört und bin sehr zufrieden mit dir.«
Der Knabe ließ sich nicht aus der Fassung bringen, sondern antwortete ganz bescheiden, daß er es gewesen sei.
»Mein Sohn,« fuhr jetzt der Kalif fort, »ich werde dir heute den wirklichen Ali Kodjah und den wirklichen Kaufmann zeigen. Komm her und setze dich neben mich.«
Mit diesen Worten faßte der Kalif das Kind bei der Hand, stieg hinauf und setzte sich auf seinen Thron, und als er das Kind neben sich gesetzt hatte, fragte er sogleich, wo die Parteien wären. Man ließ sie vortreten und nannte sie ihm, während sie sich vor ihm niederwarfen und mit ihrer Stirn den Teppich berührten, der den Thron überdeckte. Als sie wieder aufgestanden waren, sagte der Kalif zu ihnen:
»Jetzt trage jeder von euch seine Sache vor. Dies Kind hier wird euch anhören und euch Recht sprechen, und sollte es in irgend einem Punkte etwas verfehlen, so werde ich schon ins Mittel treten.«
Ali Kodjah und der Kaufmann sprachen nacheinander. Als aber der Kaufmann verlangte, wieder denselben Eidschwur abzulegen, den er schon einmal vor dem früheren Richter abgelegt hatte, so sagte das Kind, daß es noch nicht so weit sei, und daß man billigerweise zuvor das Olivengefäß sehen müsse.
Bei diesen Worten brachte Ali Kodjah das Gefäß hervor, setzte es zu den Füßen des Kalifen hin und nahm den Deckel ab. Der Kalif besah die Oliven, nahm eine und kostete sie. Das Gefäß ward hierauf den sachverständigen Kaufleuten, die man dazu berufen hatte, zur Untersuchung übergeben, und diese gaben den Bescheid, daß die Oliven gut und noch von diesem Jahre wären. Das Kind sagte ihnen, Ali Kodjah versichere, sie seien bereits vor sieben Jahren hineingelegt worden, worauf sie dasselbe erwiderten, was jene Kinder, welche die Rolle sachverständiger Kaufleute gespielt, zur Antwort gegeben hatten.
Obwohl nun der angebliche Kaufmann recht wohl einsah, daß die beiden sachverständigen Kaufleute sein Verdammungsurteil ausgesprochen hatten, so wollte er doch noch mancherlei zu seiner Rechtfertigung anführen. Das Kind hütete sich indes, ihn zum Aufhängen zu verurteilen, sondern sah den Kalifen an und sagte:
»Dies, Beherrscher der Gläubigen, ist nun kein Spiel mehr; sondern Euer Majestät kommt es zu, im Ernst zum Tode zu verurteilen; nicht aber mir, der ich es gestern bloß zum Scherze tat.«
Der Kalif, der nun von der Unredlichkeit des Kaufmanns völlig überzeugt war, übergab ihn sofort den Gerichtsdienern, um ihn aufzuhenken, was denn auch geschah, nachdem er zuvor angezeigt, wohin er die tausend Goldstücke versteckt hatte, die nun dem Ali Kodjah zurückgegeben wurden. Der Fürst, der so gerecht und billig dachte, gab jetzt dem Kadi, der den früheren Urteilsspruch gefällt und jetzt auch zugegen war, einen Wink, daß er von diesem Kinde lernen solle, künftig in seiner Amtsverwaltung genauer zu verfahren, sodann umarmte er das Kind und entließ es mit einem Beutel von hundert Goldstücken, den er ihm zum Zeichen seiner Freigebigkeit einhändigen ließ.«