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Vorrede an den Leser.

Sei es, daß Beschäftigung mit zu wichtigen Dingen, sei es, daß irgend ein anderer wichtiger Grund und Ursache unsere lieben Schildbürger abgehalten, uns von ihren höchst seltenen, dazu merkwürdigen Thaten Kunde zu verschaffen. Ganz im Geheim und verborgen vor der Welt, lebten unsere Schildbürger in ihrem Streben nach Wissenschaft fort, und suchten immer mehr und mehr ihre Weisheit noch zu vergrößern. Ungeachtet sie es auf einen hohen Grad zu bringen gewußt haben, so waren sie dennoch gar zu bescheiden, als daß sie sich darum vor ihren übrigen Mitmenschen hervorheben und sich damit hätten brüsten wollen, als ob sie Alles verständen.

Einem ganz zufälligen Ereigniß jener Zeit verdanken wir das große Glück, daß unsere gegenwärtige Historie der Nachwelt überliefert worden. Vernehmet, liebe Leser, mit Aufmerksamkeit: wie es sich fügen mußte, daß die Thaten unsers berühmten Schildbürger-Stammes zur Oeffentlichkeit gebracht worden sind.

Unsere Schildbürger selbst konnten sowohl wegen ihrer großartigen Arbeiten, als wegen ihres tiefen Denkens, wie sie auf die geschickteste und leichteste Art alle ihre Geschäfte ausführen wollten, nicht zur Aufzeichnung ihrer weltberühmten Geschichte kommen. Sie waren auch sehr zufrieden, wenn ihnen nur ihre Arbeiten gelungen wären, worüber bei dem scharfen Verstand und Urtheil, womit sie begabt und stets zu Werke gegangen, durchaus nicht der geringste Zweifel entstehen konnte.

Diejenigen aber, welche sich durch solche vorzügliche Eigenschaften ausgezeichnet hatten, verehrten sie auch noch nach ihrem Tode auf verschiedene ehrenhafte Weise, besonders auf den Grabmälern ihrer abgeschiedenen berühmten Voreltern mußte man noch erkennen, mit welchen vorzüglichen Eigenschaften ein Jeder derselben begabt gewesen.

Zwar waren unsere Schildbürger des Schreibens noch nicht kundig, um Inschriften auf ihre Grabsteine fassen zu können; sie errichteten darum solche blos aus weicher Masse, nämlich aus Lehm, und bezeichneten durch Figuren die Thaten ihrer Ahnen darauf; sie thaten dies mit ihren Fingern und so lange die Masse noch weich war, denn sie waren bei ihrem großen Verstande gleich anfangs auf den Gedanken gekommen, daß es zu viel Zeit kosten würde, wenn sie in eine harte Masse graben müßten. Bei solcher Grabsteinzeichnung hatten sie besonders ihre liebe Nachkommenschaft im Auge, denn auch diese sollte von der Weisheit ihrer Voreltern alsbald Kunde erhalten. Ihnen selbst wäre sie entbehrlich gewesen, denn sie waren schon von der Geburt an mit einem so vorzüglichen Gedächtnisse begabt, daß sie sich nicht nur der Berühmtheit ihrer Väter bis nach dem Tode erinnern konnten, sondern überhaupt, was ein Schildbürger in Mutterleibe hörte, das konnte er noch nach seinem Tode so akkurat wiedererzählen, als hätte er es schon bei der Geburt seiner Urgroßmutter vernommen.

Der glückliche Zufall mußte es fügen, daß wir durch den erhabenen Beherrscher von Nirgendsland, der ein über die Maßen hoch verständiger und gelehrter Herr war, in die Geschichte unserer Schildbürger eingeweiht wurden. Gleichwie dem egyptischen Könige von sieben fetten und magern Kühen träumen mußte, so kam es, daß es auch unserm nirgendsländischen Könige von der Weisheit der Schildbürger träumte. Alsbald ließ der König aus seinem hohen Adel drei der vornehmsten Räthe vor sich fordern, sie waren: der Freiherr von Lustig, ein Scherenschleifer, der Baron von Durstig, ein Hexelschneider, und der Edle von Lüderlich, ein Schlott- oder Schornsteinfeger. Diesen seinen ersten Räthen gebot der König, daß sie bei Strafe des Todes und bei Verlust allerhöchster Gnade keine Mühe scheuen und von Land zu Land reisen sollen, bis sie drei andere, an Höhe und Dicke des Verstandes und der Weisheit ihnen gleichstehenden gefunden hätten.

Wer wird zweifeln, daß bei der Weltweisheit dieser Gesandten ihr höchster Auftrag nicht auf's pünktlichste ausgeführt worden sei? Kaum zehn Jahre nach ihrer Aussendung gelang es ihrem vereinten, scharfsinnigen und umsichtigen Streben, in Schildburg hinter Utopia in kalekutischen Landen glücklich einzutreffen und ihren Auftrag auszuführen.

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Die Gesandten trafen den hochweisen Magistrat von Schildburg unter dem Vorsitze des Meisters Schultheißen oder Bürgermeisters, gerade als er sich zu Rath zu versammeln im Begriffe war. Noch waren aber nicht alle Rathsherren versammelt, als unsere Gesandten in Schildburg eintrafen; die fehlenden mußten deshalb herbeigerufen werden. Sogar diese an und für sich nicht schwierige Arbeit versah der Herr Bürgermeister dem festen Grundsatz der Kürze getreu. Er verwaltete nämlich außer seiner Ortsvorsteherstelle auch noch das Schweinhirtenamt, darum bediente er sich des Schweinhorns, womit er gewöhnlich den Schweinen herausgeblasen, und blies nun den fehlenden Rathsmitgliedern heraus; stieß aber dabei einige Mal so entsetzlich in das Schweinhorn hinein, daß ihm das Gesicht schwarz wurde. Er war ungeduldig: dies merkten seine Rathsherrn, deshalb liefen sie so eilig nach dem Rathhause, daß sie daselbst außer Athem ankamen. Darüber hatte aber der Herr Bürgermeister natürlich ein sehr großes Wohlgefallen, denn er konnte vor den fremden Gesandten hier seine Macht und Stärke nicht wenig beweisen. Er sprach nun in Freundlichkeit und mit zärtlichen Worten den Kommenden zu: »Also muß man Euch Herren herbeirufen, ihr Flegel!« Ein kleiner Umstand verhinderte jedoch den versammelten Magistrat, seinen Rath alsbald zu beginnen. Es mußte sich nämlich zum Glück oder Unglück ereignen, daß zur selben Zeit, in welcher der Bürgermeister Sitzung halten wollte, von dem Schweinhirtenamts-Verwalter die Schweine ausgefahren wurden, welche ihr Weg an dem Rathsgebäude vorbeiführte. Die Schweine rieben sich am Fuße dieses Gebäudes, und dadurch wurde es so sehr erschüttert, daß es den Einsturz drohte. Der Magistrat hatte auch wirklich große Besorgniß; aber selbst in dieser allgemeinen Rathsbestürzung verlor der Herr Bürgermeister seine Geistesgegenwärtigkeit nicht im mindesten. Sogleich ließ er den Befehl ergehen, daß sich in jeder Ecke des Hauses der vierte Theil der Rathsversammlung aufstellen soll, um die Schweine mit ihren großen Hüten, vor denen sie mehr Achtung haben, vom Rathhaus wegzuweisen. Auf diese Art wurde auch wirklich dem drohenden Rathhaussturze noch zeitig gesteuert, und der daraus entstandene Kommunschaden vermieden, denn die Schweine gingen mit gehörigem Respekte an ihren Rathsherren vorüber. Nun ging man zu Rathe; in Ermanglung einer Stiege, in dem sonst sehr schönen Rathsgebäude, mußte sich der Knecht des Schultheißen jedes Mal oben aufstellen, ein Seil herunterlassen, an dessen Ende ein dicker Knopf angebracht war, und so die Herrn Gemeinde- oder auch Landräthe, wie man sie heißen will, nach und nach mittelst einer Rolle hinaufwinden.

Jetzt erst, nachdem die fremden Gesandten dies mit angesehen hatten, geriethen sie völlig in Staunen. Offenen Mundes standen sie da, sie vergaßen es sogar, ihre Mäuler wieder zuzumachen, und bewunderten sich über alle Maßen solcher weisen Anordnung der Dinge. Jetzt glaubten sie, sie hätten an Verstand, Weisheit und Scharfsinn,, wo nicht mehr, doch wenigstens ihres Gleichen gefunden. Bevor sie jedoch den weisen Herrn Bürgermeister anredeten, gedachten sie erst der künstlichen Grabsteine und besuchten darum vor Allem den Kirchhof. Wie staunten sie über die geschmackvolle Arbeit, und fast in Entsetzen geriethen sie, als sie nach langem Hin- und Herdenken endlich entdecken, was die auf den Grabsteinen eingezeichneten Figuren zu bedeuten hätten, daß nämlich die vorzüglichsten Eigenschaften der Verstorbenen so sinnreich und doch so einfach darauf bemerklich waren. Bei dem einen war eine Dunggabel abgebildet, der da lag, hatte sich nämlich besonders auf den Dung gut verstanden; bei dem andern ein Ochse, der da schlief, mußte es gut mit den Ochsen verstanden haben u.s.w. Nachdem sich nun die fremden Gesandten recht satt gesehen und die Zweckmäßigkeit der Einrichtung der Grabsteine recht weidlich bewundert gehabt hatten, wurde beschlossen, jetzt sich in das Rathhaus zu verfügen und von dem wohlweisen Bürgermeister Säufried Lädel gnädige Audienz zu erbeten.

Je bedeutungsvoller nun der nirgendsländische Gesandte, der Schleifer Freiherr von Lustig seine Anrede und Bitte an den wohlweisen Bürgermeister machte, desto nachdenklicher und tiefsinniger wurde dieser, und erst nach langem Bedenken ließ er sich zur gnädigen Audienz herab. Der Schleifer Freiherr von Lustig begann nun unter vielen Reverenzen: Wir drei nirgendsländischen hochgeborenen Gesandten, besonders ich, kunstreicher Messer-, Scheeren-, Beil- und anderer Sachen Schleifer mit meinem runden Schleifstein und mein Gesell, hinten aufgerückter und vornen niedergebückter Stroh- oder Hexelschneider, sammt dem auch hochsteigenden und unverzagten Schlottfeger, kommen auf Befehl unsers allergnädigsten Fürsten und Königs zu Euch, Herr Säufried, der sein Schweinhirtenhorn so stark blasen kann und der seine Schweingeißel schwang vom Aufgang bis zum Niedergang unter und zwischen den Säufüßen.« – Ueber einmal stockte seine Rede, der Schleifstein auf seinem Buckel wurde zu schwer und zog ihn mit sich rückwärts so unsanft hinunter, daß es mit dem Reden aus war. Nachdem er sich wieder etwas erholt hatte, bat ihn der Magistrat, seine Rede fortzusetzen; allein er konnte sich nicht rühren. Jetzt erst merkte der wohlweise Rath von Schildburg, daß der nirgendsländische Gesandte, Freiherr von Lustig, eine Rippe entzwei gebrochen hatte.

Nun hielt man Rath, wie ihm wieder zu helfen sei. Man kam überein, ihn wiederum heraufzuknebeln und ihn zum zweiten Mal hinunterpurzeln zu lassen, auf daß er seine Rippe wieder zurechtfalle. Nachdem dies geschehen war, ermahnten sie ihn abermal, seinen Sermon fortzusetzen; er aber antwortete mit betrübtem Gesicht: »Ach, er ist mir in meinem Schrecken entfallen!« Nun holte Alles Schaufeln, Hauen, Aexte, Karsten und was sie an solchen Werkzeugen hatten, herbei, um die entfallene Rede wieder herauszugraben. Allein ungeachtet ihres sehr tiefen Grabens fanden sie die entfallene Rede nicht mehr. Nun trauerten sie, daß dieses Mal ihr weiser Entschluß gescheitert habe und besannen sich hin und her, was mit dem gegrabenen Loche anzufangen sein möchte; sie meinten, es könnte vielleicht zu etwas Anderem zweckmäßig bestimmt werden. Nach langem Berathen wurde beschlossen, nach weiser Berechnung das Loch zu einem Brunnen zu machen. Nun wollten sie aber auch die Tiefe des Brunnens erfahren; darüber verfielen sie auf den gescheidten Einfall, eine Stange über das Loch zu legen, und sich Einer nach dem Andern und aneinander bis an den Boden des Loches hinzuhängen. Die Last wurde natürlich dem Obersten je länger desto schwerer; er rief daher seinen untern Mitgliedern zu: »Ihr lieben, Nachbarn, haltet euch fest, ich muß einmal in die Hände speien!« Er ließ die Stange fahren und rutsch dich, Alle fielen über einen Haufen. Es mußte sich nun unser guter Schildbürger-Magistrat, eingedenk seiner sonstigen Weisheit, das Sprüchwörtlein zum Tröste dienen lassen: »Es entschlüpft mancher geschickten Katze über kurz oder lang auch eine Maus.

Was aber jetzt mit der ausgegrabenen Erde angefangen werden sollte, darüber war eine Rathssitzung nothwendig, welche auch erfolgte und nach langem Hin- und Herreden zu dem Beschluß führte, daß ein Loch gegraben und die erde hineingeführt werden müsse; dabei aber erhob sich eine Stimme im Rath: Wo soll man aber hin mit der neu ausgegrabenen Erde?« – »Ei, antwortete der erste: »seid ihr nicht große Narren! muß Man doch das Loch so groß machen, daß beide Haufen darein gehen.«

Bei solchen Beschlüssen nun verging den nirgendsländischen Gesandten Hören und Sehen. Sie fühlten ihre Schwäche gegen solche Leute zu sehr, als daß sie sich hätten länger bei denselben aufhalten können, und zogen darum wieder ab, um ihrem Könige ausführlich Rapport zu erstatten von dem, was sie in den kalekutischen Landen gesehen und gehört hatten. Sie selbst haben es verheißen, noch einmal herzuziehen, um sich noch Mehreres zu erkundigen, zuvor aber wollten sie dafür sorgen, daß sie mehr Verstand mitbringen, um der Schildbürger Weisheit besser zu verstehen und beurtheilen zu können.


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