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von Helene Hermine Margarete Heidrich.
Die Lebensfreude ist eine der vernehmsten Künste. Ihre höchste Stufe erreicht sie aber erst mit der – Todesfreudigkeit.
Sie brauchen keinen Namen, die beiden Menschen, von denen die nachstehende Erzählung handelt, denn es sind Menschen, wie sie leben zu Tausenden auf der Erde. Er und sie, der Mann und das Weib.
Was sie aber in ihrem Tun von manchen anderen Erdenpilgern unterscheidet, das soll hier erörtert werden. Sie waren bei aller Armut selten glücklich, und das ist viel. Und sie waren im tiefsten Leid, ja selbst im Angesicht des Todes noch fröhlich, – und das ist noch mehr.
Es ist etwas Köstliches um die Lebensfreude. Aber was bedeutet das Leben in noch so reiner Freude, wenn wir darüber den Tod vergessen?
Oder was will die Freude besagen, wenn sie nicht ausreicht, um dem Tode stark zu begegnen?
Freudig sterben zu können, wir wünschen es wohl alle, und – wir können es mehr oder weniger alle.
Nicht?
So mag die Geschichte den Beweis dafür erbringen.
Von Jugend auf lebte das Weib sein besonderes Leben. Es freute sich wie viele seines Daseins, war aber vornehmlich glücklich darüber, wenn das Leid ihm über den Weg lief. Nicht daß die Frau bei seinem Anblick nur das eigene Glück als köstlichen Besitz doppelt empfunden hätte. Das nur nebenbei. Das wichtigste war ihr dabei stets, daß fremdes Leid sie daran erinnerte: auch ihr Glück könne sich wenden, auch ihr Glück sei vergänglich. Jeder leidvolle Anblick trug dazu bei, die Lebensfrohe vor Uebermut zu bewahren. Und darum liebte sie das Leid. Ward ihr ein besonders froher Tag beschert, so ging sie, ohne einen Toten dort zu besitzen, auf den Friedhof und las die Inschriften der Grabsteine. Und am Leid der Hinterbliebenen maß sie ihr Glück, daß das übervolle Herz schneller schlug. – Da stand hinter einem der Gräber ein Kreuz, das außer dem Namen des Verstorbenen nur noch die Inschrift: »Warum?« enthielt. Davor weilte sie oft, die Lebensfrohe. Und sie dachte an den Schmerz der Frau, die nur dieses eine bittere Wort dem geliebten Manne nachrufen konnte. Und sie dachte an ihr eigenes Glück mit dem heißen Wunsche, in ähnlicher Lage es anders machen zu können.
Der Mann war krank. »Bei behutsamem Leben kann man mit dieser Krankheit alt werden«, so sagte er. Da begegnete ihm die Frau und hüllte all sein Leiden in ihre Fröhlichkeit, in ihre Lebensfreude und in ihre Liebe ein.
Und so begann das gemeinsame Leben.
Lieb habe ich dich, du schöner Tag, lieb um der Sonne willen, die du über ihn und mich bringst, lieb um den blauen Himmel, der sich über uns so klar und leuchtend wölbt, lieb um mein Leben, mein schönes Leben, das du mir wieder geschenkt hast! So soll's heute ein rechter Freudentag werden, durch nichts getrübt. Durch nichts? Nein, auch durch das Leid nicht, das über dem Leben des geliebten Mannes schwebt. Ich scheuche es hinweg, er soll es kaum spüren. – Und dies und das soll er erfahren, lauter fröhliche Dinge. Daß er lachen kann, so recht von Herzen lachen. –
Lachen? Richtig, das tut er eigentlich nie. Höchstens irrt ein Lächeln um seinen Mund. –
Ach geht, ihr bangen Gedanken, heute ängstigt ihr mich nicht, heute nicht. –
Ich weiß, es wird schwer heute, der Tag ist lang. Es ist ja Sonntag. And die Luft dringt so dunstig durch's Fenster, sie ist Gift für ihn, den Lungenkranken.
Genug nun des Grübelns. Einen Blick in den Spiegel: so ist's recht, nun sind die Augen wieder blank und fröhlich, wie er es so gern hat und – wie er es so nötig braucht!
Der liebe Gute.
Nur ein paar Minuten dauert mein Weg, aber sie werden mir schon zu lang. »Lauf doch nicht so«, sagt er stets – eingedenk des eigenen schweren Leidens. Ach, was weiß er, wie kostbar mir jede Minute ist, die ich um ihn bin!
Eine Treppe, noch eine.
Was kann ich dir Liebes tun, wie kann ich dir nützen? Die Stunden vergehen in fröhlichem Dienen, eine um die andere.
»Geh'n wir noch ein Stück?«
Wir schleichen durch die Straßen, ganz langsam, die Luft ist so drückend, so schwül. –
Geputzte, fröhliche Menschen gehen an uns vorüber und sehen uns kaum. Ich sehe sie und denke wohl einen Augenblick: es muß schön sein, so gesund zusammen zu sein. Aber sogleich verwerfe ich den Gedanken wieder. Weit, weit schöner ist es doch noch, seine Gesundheit einem Kranken zunutze machen zu können. Und ich sehe dich behutsam von der Seite an, sehe dein müdes Gesicht und bin im Mitleiden doch eine der Fröhlichsten.
»Wenn ich erst gesund bin …« Auf der Schwelle deines Zimmers muß ich stehen bleiben. Hoch aufgerichtet, mit leuchtenden Augen kommst du mir entgegen, und hoffnungsvoll spricht deine liebe Stimme von den kommenden schönen Tagen. – Kein Sonnenschein draußen, aber das ganze Zimmer voller Licht und Freude. Ich sehe in dein erregtes Gesicht und forsche nach der Ursache deiner Hoffnungsfreudigkeit. »Berge könnt' ich heut' versetzen«, lachst du und drehst mich wie ein Wirbelwind im Kreise herum.
Ach, du schönes Glück, du liebes Glück, kommst du doch noch?
Und ich, die ich mich mit der Sorge um dich fröhlich abgefunden hatte, ich werde fast kleinmütig über dem verheißenen kommenden Glück. –
Aber dann gehen wir miteinander mit leichtem Schritt durch die Straßen, das Glück als Wegbereiter vor uns. Und schmieden Pläne vertrauensvoll wie die Kinder.
Zum Leiden gesellen sich Sorgen, Sorgen um die Beschaffung der notwendigsten Dinge. Ich weiß das meiste schon, noch ehe du es mir erzählt hast. Deine Augen reden zu deutlich. Du hast Sorgen, wohl. Aber was bedeuten Sorgen für uns, die wir das Leben noch vor uns haben? »Du freilich«, sagst du schmerzlich. Ich schrecke zusammen. – Dann schließe ich deinen Kopf in meine Hände: »Laß nur, wir zwingen's schon, und nicht nur ich, – du auch!« Und ganz allmählich wirst du wieder ein wenig froh, ein wenig hoffnungsvoll.
Wochen um Wochen, Jahre um Jahre ein Hoffen und Verzweifeln aus der einen, ein Mitleiden und Trösten auf der anderen Seite. Die Krankheit geht bergauf, bergab, in stetem Wechsel.
Warum läßt du das blühende Leben an dir vorüberziehen, warum schließest du dich ein, du immer fröhliche, du am Leben sich freuende Seele? Warum leidest du mit einem Schwerkranken all diese Pein Tag um Tag?
Warum?
Hast du in all den Jahren einen Frühling gehabt? Weißt du, wie schön der Sommer war? Was der Herbst mit seinen Freuden dir hätte geben können? Und was dir im Winter der vergangenen Jahre entgangen ist? Weißt du das alles nicht?
Wie sind deine Augen, deine fröhlichen Augen, oft so ernst; wie ist deine klare Stimme so verschleiert, wie von Traurigkeit beengt!
Hast du deinen Frohsinn für Größeres dahingegeben? Aber wofür, wofür?
Du, die du weißt, daß Frohsinn allein Leben bedeutet, du, die die Lebensfreude als eine der höchsten, erstrebenswertesten Künste gepriesen, sprich, wo ist deine Freude?
So hat man mich gefragt. Ich sehe ernst in mich hinein, dort ist Freude wie zuvor, vielleicht noch mehr. Und der brennende Wunsch ist auch da, mich an allem andern bald wieder freuen zu dürfen wie ehedem. Aber diese Gedanken haben jetzt zu schweigen; ich gehöre nur meinem Kranken, nicht mir. Er wird gesünder werden, ich hoffe es. Dann, liebe mahnende Stimme, werde ich auch wieder an anderes denken dürfen. Jetzt gehört meine Fröhlichkeit allein seiner Gesundung, seinem Leben!
Das schöne Leben, wie kurz ist es und wie vermessen, es dem andern auch nur durch ein häßliches Wort zu trüben! Mir geht das Lied: »O lieb' solang' du lieben kannst« nicht aus dem Sinn, und wir sprechen darüben. Zuletzt nickst du ganz still, und dein Gesicht ist bleich geworden und bitter ernst.
Deine Augen sehen mich an, und ein Licht geht von ihnen aus, das weitab von dieser Welt nur seinen Ursprung haben kann. Und jetzt weiß ich es: Du bist nicht lange mehr bei mir, der Tod wird dich von mir fordern.
*
O ihr Jahre, wie seid ihr so schnell vergangen, ihr bei allem Leid so frohen Stunden, wie waret ihr so kurz, so kurz!
»Still«, sagt eine Stimme in mir, »denk' an das Lied, das alte Lied«. »Aber ich bin doch jetzt machtlos«, schreit es in mir, »ich muß doch hilflos zusehen, wie er zugrunde geht!«
»Hilflos«, sagt die Stimme fragend. »Nimmermehr! Du hast dem Lied in den Lebenslagen des Kranken gehuldigt, du hast ihm nach deiner Macht sein armes Leben fröhlich gestaltet, nun vollbringe das Größte, und gib ihm deine Fröhlichkeit zum Sterben!«
Die Stimme schweigt, sie wartet.
»Ist das das Letzte?« vermag ich nur zu fragen.
»Für ihn das Letzte, für dich der Beginn«, sagt da die Stimme.
*
Wieder scheint die Sonne leuchtend und warm auf dich, du liebster Mann; du liegst auf deinem letzten Krankenlager und – weißt es nicht. Und du freust dich der Licht spendenden Sonne, erhoffst von ihr Genesung. Du wirst auch genesen, du lieber Freund, wirst endlich genesen von all dem vielen Leid, das dich jahraus, jahrein bedrückt hat. Das kann ich mit gutem Gewissen bejahen und voller Hoffnung dir ausdrücken. Die Träne, die dabei vielleicht heimlich in meinen Augen aufsteigt, die fühle gottlob nur ich.
Du freust dich der Ruhe, freust dich an allerlei Aeußerlichkeiten, die ich dir kraft mancher andern lieben Fürsorge herbeizaubern kann. Ach, du freust dich so, daß ich selbst mit fröhlich werde. –
Du warst vortrefflich, meine Lehrzeit der vergangenen Jahre, vortrefflich!
Die schönste Blume, die ich finde, bringe ich dir. Du sollst dich freuen, denn es geht ja zum Sterben. Da bedarf man der Freude doppelt. –
Ich trete behutsam ins Zimmer. Dein magerer Körper hat sich aufgerichtet, und deine ach so schlanken Hände halten das zarte Blümchen, das ich dir heute brachte, zärtlich umschlossen. Und du neigst dein Gesicht wieder und wieder darüber. –
Ich kann den Anblick kaum ertragen. Als wolltest du der Blume alle Geheimnisse der Welt, aus der ich sie zu dir trug, ablauschen, so sehnsüchtig neigst du dich über sie.
Der Arzt war da. »Eine Besserung, eine entschiedene Besserung«, sagt er mir freudig bewegt beim Gehen. Ich taumle zu dir ins Zimmer zurück. Neben deinem Bett knie ich nieder, fasse deine Hand und küsse sie wieder und wieder. Fließet immer, meine Tränen, heute seid ihr echte, wahrhafte Freudentränen, die nur helfen, nicht schaden können'
Du sollst noch einmal gesund werden, sollst leben können wie nie vorher. – Es ist ja nicht möglich, nicht zu fassen!
Ich lausche, ob die Stimme spricht. Aber sie schweigt. Freilich, sie redet ja dem Tode und nicht dem Leben das Wort.
Nun kommen selige Tage, und des Pläneschmiedens wird kein Ende sein!
Werdet mir nicht lahm, meine Kräfte! Den geliebten Mann zum Leben zu bringen, das wäre doch das Höchste!
»Wirklich?« sagt da plötzlich die Stimme.
*
Es ist kein Sommer, – so kalt sind die Tage auf einmal geworden, so grau ist der Himmel.
Meine arme kranke Seele friert, so schützend ich mich auch über sie breite, so sorgsam ich sie auch umgeben mag.
Ich kann es nicht leugnen: die Besserung – läßt nach. Und doch stemme ich mich mit aller Gewalt gegen diese grausame Tatsache.
Vom fröhlichen Leben haben wir beide in den vergangenen Tagen geträumt, und nun steht das Sterben wohl deutlicher als jemals vor der Tür. –
Ich krümme und winde mich, ich bäume mich auf gegen diesen Umschwung von der Freude zum bittersten Schmerz. Und muß doch stillhalten. –
Der Arzt kommt wieder und wieder. Und bei jedem Fortgehen spricht seine Stimme weniger. Nur die Augen reden, und der herbe Zug um den Mund weiß manches von dem Ziel aller menschlichen Kunst zu sagen. –
Ich sehe das alles, ich höre reden, wo niemand spricht.
Heute rief mich zum erstenmal seit langer Zeit die Stimme wieder.
»Du mußt fröhlicher werden, soll deine Mission eine solche in Wahrheit sein!« Ich zucke zusammen: wo in mir vor Weh alles dem eigenen Tode entgegenzustreben scheint? Woher nehme ich die Kraft? Dieses Verlangen grenzt an Wahnsinn!
Ein Laut des ehrlichsten Spottes dringt an mein Ohr. »Wer wahrhafte Lebensfreude besitzt, gewinnt durch sie die Kraft, selbst dem Tode fröhlich ins Auge zu schauen. Jetzt ist es an dir, zu zeigen, ob deine Freude eine erkünstelte war, eine aufgestachelte nur. Ist sie wirklich groß, so mußt du mit ihr den Sterbenden fröhlich zum Tode geleiten können, so mußt du durch sie die Kraft für dein eigenes Ende gewinnen!«
Ich horche auf. Das Letzte klang wie ein Lohn, wie eine Verheißung. –
In diesen Tagen dachte ich oft an meinen eigenen Tod und daran, daß dann mein sterbender Freund mich nicht mehr würde liebend umgeben können, daß ich vielleicht ganz einsam sein würde. – Und ich dachte des noch vor mir liegenden, so geliebten Lebens und empfand stärker und stärker, wie nichtig und erbärmlich mein Streben nach wahrer Lebensfreude gewesen sein würde, wenn diese nicht bis zum Sterben ausreichte. –
Also legte ich mir das Gelübde ab, meine Lebensfreude zur – Todesfreude erstarken zu lassen.
Und also lag der andere nähere Weg nun deutlich vor mir: der, den ich augenblicklich zu gehen habe.
*
Mehr und mehr gewinnt der Tod die Oberhand. Deine Kräfte lassen nach mit einer furchtbaren Schnelligkeit.
Ich möchte mich keine Sekunde von dir trennen, weil ich sorge, daß es auch nur für einen Augenblick dunkel um dich sein könnte. Du aber brauchst Licht, brauchst Freude um dich.
Meine Tränen versiegen mehr und mehr. Die Stimme geleitet mich, das gibt mir Kraft. Das einzige, was sie mir am Tage hin und wieder zuruft, ist das Wörtlein: »Mehr!« Aber ich verarge es ihr nicht; sie mag wohl besser wissen als ich, wieviel zum fröhlichen Sterben gehört.
Und so verdopple ich meinen Frohsinn.
Wir verreisen jetzt – in Gedanken. Wenige Wochen, und wir werden fort sein. Irgendwo. Am liebsten an der See. In meinem Stuhle liegen und auf das Meer hinausblicken können, so weit, so endlos weit, – das ist dein Wunsch und deine Erwartung. Und es ist auch die meine, nur ein wenig anders in der Form.
Stundenlang, tagelang träumen wir vom Meer und von der Gesundung, die es dir bringen muß. –
Bald aber ist das abgetan, und von einer anderen Gegend erwartest du Heilung. Jetzt sind's die Berge. Gut denn, reisen wir ins Gebirge, mein liebster Mann. Was dich glücklich macht, ist meine Freude.
Wenn es einen Gott gibt, denke ich oft, so muß er sich doch freuen über die fröhliche Seele, die nun bald zu ihm kommt. –
Du leidest Schmerzen, unsagbare Schmerzen. Ich weiß es wohl und tröste dich, daß sie bald besser würden. Zuweilen huscht jetzt, wie nie zuvor, ein Ausdruck des Zweifelns über dein Gesicht. »Glaube mir, es wird alles noch einmal ganz gut, ganz gut!« – Ich weiß es ja nur zu genau. –
Und froh wie ein Kind bin ich bei jeder neu verordneten Medizin, bei jeder neuen Behandlungsweise, ob sie mir auch doppelte Mühe macht. Denn dann hast du für viele Stunden wieder Mut, und wir sind in Fröhlichkeit wieder eine Spanne Zeit dem Tode nähergerückt.
Es ist Nacht. Müde zum Umfallen besorge ich dich zum so und so vielten Male. »Du tust mir so leid«, flüsterst du. Leid? Ich streiche dir über die lieben Augen, die gar keinen Schlaf mehr finden können. Leid? Ich bin ja froh, dir nützen zu können! Und – ich bin ja darum nur zu beneiden!
Ich eile, meinen Pflichten nachzugehen, und alle Müdigkeit ist verflogen.
Draußen sehe ich in die Nacht hinaus. Die Sterne schauen müde auf den großen Hof hernieder, und ein matter Streif der kommenden Sonne spiegelt sich in den gegenüberliegenden Fenstern. Kein lautes Geräusch ringsum; ab und zu hört man den Atem eines Schlummernden aus einem offenen Fenster heraus.
So ist die Welt: dort schlafen die Müden ins Leben hinein, – wir hier wachen – dem Tode entgegen!
Aber: wie gut, daß wir wachen! Wachen mit hellen frohen Augen!
Es ist ja etwas Köstliches um das Sterben, wenn es mitten aus der Freude heraus geschieht!
Ich weiß es jetzt: ich muß unser Schicksal aufschreiben. Nicht für mich, – ich weiß ja, wie alles war und was alles für mich bedeutet. Aber für die Menschen, die gern leben und nicht gern sterben möchten und für die andern, die immer vom Sterben sprechen und nicht wissen, wie froh man gelebt haben muß, um zum Sterben noch Freudigkeit übrig zu haben!
Und ich weiß noch eins: ich bin dankbar für diese Leidenszeit, dankbar für jede Minute darin. –
*
Nun zählt dein Leben nur noch nach Tagen. Du magst nicht sprechen, möchtest nicht mehr essen, nur liegen, nur schlafen. – –
»Ich weiß nicht, was das ist«, – ernst schüttelst du den Kopf. Und wieder und wieder muß ich trösten: »Schlaf' nur, du schläfst dich vielleicht gesund!« Vielleicht? Nein, ganz gewiß, ganz gewiß. Manchmal öffnest du die Augen und siehst mich lange ganz still an. Dann nickst du ein wenig mit dem Kopfe und legst dich auf die Seite. Du fühlst wohl: ich bin bei dir, bin stark und ruhig um dich, das tröstet dich.
Und ich versuche, in deinen Augen, in deinen stummen Bewegungen zu lesen. Was magst du alles denken, du armes Herz.
»Ich wollte, das Sprechen würde mir leichter, ich möchte dir wohl vieles sagen, ach so vieles – –«
Still setze ich mich neben dich. Was gäbe ich darum, wenn du zu mir reden würdest von deinen vielen Gedanken, die wohl gerade jetzt dich bewegen! Und einen Augenblick überkommt mich eine grenzenlose Traurigkeit, daß du so stumm von mir gehen mußt.
Doch die Stimme mahnt sogleich, daß ich durch sie allmählich wieder Kraft gewinne, dich über deinen Zustand ein wenig hinwegzubringen.
Nur froh sein, nur viel Licht um dich verbreiten!
Mein hohes Ziel, daß ich dir ja nicht untreu werde –
Gedanken an längst vergangene Tage drängen sich mir auf, und merkwürdig gegenwärtig ist mir jedes harte Wort, das ich dir einmal gesagt habe. Mag es meist begründet gewesen sein, – jetzt will mir's scheinen, als hätten wir Menschen überhaupt kein Recht, uns harte Worte zu sagen, geschweige denn Böses zuzufügen. Eben aus dem Grunde, weil ein jeder von uns so voller Fehler und Schwächen steckt, daß sein Leben nicht dazu ausreichen würde, genügend an den eigenen Halbheiten zu arbeiten!
Eile nicht so, du fliegende Zeit! Laß mir die Möglichkeit, alles gutzumachen. Nicht nur das Ende soll licht sein, – auch alle Zeit, die ihm voranging! Daß der Kranke von mir scheiden kann, wie man sich von seinem liebsten Menschen nach einer heiteren Stunde trennt.
*
Eine Sommernacht geht zu Ende. Die Sonne ist eben im Aufgehen begriffen. Du entzündest ein Licht und verlangst zu trinken. Ein volles Glas halte ich an deinen Mund, und du trinkst es in einem Zuge aus. Wie ein Verdurstender – – Dann schläfst du befriedigt wieder ein. –
Und ein leuchtender Morgen folgt der Nacht. Du bist früh wach und munter, wie seit Wochen nicht. Und während du scherzest und allerlei Pläne faßt, lache ich hell auf über deine drolligen Reden und Einfälle.
Ist die Zunge auf einmal gelöst? Ist der Bann der schwer lastenden Krankheit gebrochen? Kommt jetzt doch die Gesundung?
Ich lausche deiner lieben, wieder so starken und klaren Stimme und freue mich, freue mich unsäglich!
Aufstehen willst du, fortgehen mit mir und lustig sein wie einst in vergangenen Tagen. –
Da kommt auf einmal die ernste Gewißheit über mich: zwingen willst du dein Schicksal, zwingen mit der letzten dir zu Gebote stehenden Kraft!
Und gleich dir raffe ich nun meine ganzen Kräfte zusammen: gut denn, so will ich dir als dein tapferer Kamerad helfen, daß du als Sieger aus deinem letzten Kampfe hervorgehst, mein Weggenoß!
Du ein Sieger und – ich.
Deine Zunge wird plötzlich schwer und schwerer, die Augen irren unruhig umher – Ich hole dir Blumen, deine liebsten Trösterinnen, und ein frohes Lächeln spielt um deinen Mund.
Noch einmal nimmst du an allem Anteil, hast Interesse für alles, ob auch die Zunge dir fast den Dienst versagt. –
Liebes, liebes Herz, ich bin bei dir, ich helfe dir, ich dein guter Kamerad!
Und wir reden von unserm Spaziergang, den wir machen wollen. Eine Blume muß ich mir in den Gürtel stecken, denn du willst, daß es ein fröhlicher Tag heute werde. So sitze ich geschmückt an deinem Bett. Du siehst in mein heiteres Gesicht und hörst lächelnd auf meine frohen Worte. – –
Deine Stimme wird schwächer, die Augen werden starr. – Nun schwindet das Bewußtsein. –
Noch einmal fasse ich deine Hand, noch einmal erkennst du mich und nickst gläubig zu meinen uns einen schönen Tag verheißenden Worten. – –
»Das Leben ist zu Ende«, sagt nun die Stimme. Mir ist, als streiche deine Hand über mein Haar, und du sagtest zu mir: »Du hast deine Sache gut gemacht«. Ich fühle das so deutlich, daß ich ordentlich ruhig werde.
Wie sagtest du einmal? »Wenn es dir gut geht, bin ich fröhlich, als wäre mir selbst dein Glück passiert!«
So will auch ich mich darüber zu freuen versuchen, daß dir nun wohl ist. – –
Am Abend deines Todestages spiele ich dir mein Abschiedslied. Niemand außer dir und mir hört es, niemand außer uns beiden hört meine Stimme, die ganz froh und stark klingt. –
Ein Abschiedslied ist es für dich, ein Trostlied für mich.
*
Und nun du im Grabe liegst, bist du mir gegenwärtig wie in vergangenen Zeiten. Dort unten ruht für mich nur dein kranker Körper. Das aber, was dich und mich verband: dein Wesen, dein Denken und Fühlen, das lebt in mir und ist um mich bei allem, was ich beginne.
Daß ich fröhlich sein kann, daß ich anderen von meiner Freude geben kann, als wärst du nicht von mir gegangen. –
Ich habe die Stimme gefragt: »Ist das der Lohn dafür, daß ich dir folgte?« Sie antwortet nicht, – noch ist ja mein Lebenswerk auch nicht beendet! Ein Lohn – ich vergaß – gebührt nur dem Vollendeten.
Aber ich fühle doch in mir das frohe Bewußtsein, nicht vergeblich geliebt und gelitten zu haben!
Und mehr braucht es nicht.«
*
Dies ist eine kurze Geschichte zweier Menschen. Tausende tragen mit ihnen das gleiche Los.
Alle Menschen auf Erden aber kennen die Freude, der eine zum großen, der andere zum kleinen Teil. Doch nur ganz wenige wissen sie recht zu üben, und das eben macht alles aus!
Eine rechte Lebensfreude ist der größte Schatz, den wir auf Erden besitzen können, nur aus ihr entspringt die Todesfreudigkeit, die vornehmste aller Freuden des Lebens!
(Ende.)