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Fabeln aus Asien
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Warum die Affen den Tigern Steuer leisten müssen

Aus Java

In früherer Zeit fraß der Tiger nur Mücken, Fliegen, Heuschrecken und ähnliches. Da war der Büffel mit ihm noch innig befreundet und hatte sich auf seinem Gebiete den Bauch dickgefressen. Dies erweckte die Eifersucht des Affen, so daß er dem Tiger den Rat erteilte, den Büffel zu verschlingen. Der Tiger gibt diesen Einflüsterungen Gehör, der Büffel aber setzt sich mit solch unbeugsamer Entschlossenheit zur Wehr, daß der Tiger vor ihm die Flucht ergreift. Der Büffel, in Furcht, früher oder später dem Zorn seines ehemaligen Freundes zum Opfer zu fallen, sucht Hilfe bei allerlei Tieren, findet aber keines, das es wagt, sich dem Tiger gegenüberzustellen, ausgenommen den Widder ohne Hörner; dieser verspricht, ihm helfen zu wollen.

Schweigen wir jetzt vom Büffel und vom Widder, und erzählen wir von ihm, der so eilig sich geflüchtet hatte, dem Königstiger, der weggeschlichen war und sich versteckt hatte im Glagahrohr. Bald kam der Affe wieder zu ihm, und als er ihn angetroffen hatte, sprach er empört: »Dein Name ist Tiger und sieh! du fürchtest dich und ergreifst die Flucht wie ein Hase! Wenn ich so große Zähne hätte wie du, würde ich den Büffel von hinten anfallen, wenn er sich nicht gutwillig unterwerfen will: das eine oder das andere! Wenn ich so große Zähne hätte wie du und solche Krallen an den Vorder- und Hinterpfoten, warum sollte ich denn weglaufen?«

Der Königstiger sagte: »Ich fürchte mich nicht vor dem Büffel; ich sann eben nach und wollte im Dickicht ruhen, um mich ein wenig zu erholen. Wenn er ruhig in gebogener Haltung dasteht, werde ich mich ihm sofort leise von hinten nähern.«

Der Affe antwortete: »Da hast du recht; wenn du aber den Büffel nur unvorbereitet finden kannst! Denn er ist davongelaufen, um sich Hilfe zu suchen; ich habe ein wachsames Auge gehalten auf alles, was er tat: er ist hingegangen zum Widder, um dessen Hilfe zu suchen. Dieser hat versprochen, es mit dir aufzunehmen, und noch viel anderes hat er auf sich genommen, genügend, um einen in Zorn zu bringen; auch sei er, renommiert er, dir wohl gewachsen. Wenn ich scharfe, große Zähne hätte wie du, so würde ich nicht lange zögern; ich würde ihm den Kopf zerschmettern, ich würde ihm, krach! das Genick umdrehen, sein Fleisch würde ich fressen, sein Blut würde ich schlürfen!«

Als der Tiger dies vernahm, geriet er in Wut und sagte laut: »Scheut der Widder wirklich nicht davor zurück, es mit mir aufzunehmen?«

Der Affe fuhr fort: »Ich werde doch nicht lügen! Der Büffel hat sich sogar schon hinter dem Widder niedergelegt, da liegt er höchst bequem und gemütlich und widerkäut; er ruht im Schatten der Bäume mit seinem dicken Körper, der so fett ist wie pures Schweinschmalz.«

Rasch begab sich jetzt der Tiger nach der Stelle, wo der Widder war. Um auf alles achtgeben zu können, sprang und turnte der Affe von dem einen Zweig auf den andern; von oben konnte er alles gut beobachten und zugleich an allerlei Früchten sich satt fressen.

Der Widder war fortwährend auf seiner Hut gewesen; jetzt näherte er sich der Bananenpflanzung, die er vorher angezündet hatte, so daß die Stämme schon verkohlt waren; der Büffel wich nicht von seiner Seite.

Als die beiden bei den Bananenbäumen angekommen waren, kam der Königstiger. Da sie nur noch einen Steinwurf voneinander entfernt waren, blieb der Widder stehen und schrie: »Guck, hier kommt der Tiger! Sollte er wirklich meine Unverletzlichkeit, meine Vortrefflichkeit und Kraft im Gefecht auf die Probe stellen wollen? Wohlan, laßt uns dann kämpfen! Aber wenn du erst einmal eine Probe von mir gesehen hast zum Beweise, daß ich nicht zuviel gesagt habe, so erinnere dich an meine Worte! Zuerst werde ich dir jetzt eine Probe zeigen. Bleibe nur dort, und sieh zu, was ich kann. Wenn du das gesehen hast und noch darauf bestehst, wohlan, dann laß uns ringen, sooft du willst. Du aber darfst dann nicht dem Kampf entfliehen, obwohl ich schon voraus ahne, daß du es versuchen wirst.«

Sogleich machte sich der Widder auf und warf sich gegen die Bananenbäume, deren Stämme ganz und gar verkohlt waren. Und als er hin und her sprang, fielen die Stämme alle auf- und übereinander. Dabei schrie der Widder: »Nun, Tiger, schau mich einmal an!«

Als der Tiger dies alles gesehen hatte, verlor er den Mut und machte sich eiligst davon. Er ging ins Dickicht und schlich sich in das Glagahrohr, laut brüllend vor Angst und hin und her laufend.

Mittlerweile näherte sich der Widder einem Weiher, ohne einen Augenblick von der Seite des Büffels zu weichen. Schnell pflückte er einige junge Djatiblätter und fing an, dieselben zu kauen; infolgedessen lief der rote Saft ihm längs des Mundes herab, so daß es aussah, als ob sein Mund mit Blut befleckt wäre.

Darauf stieg der Affe vom Baume herunter und begab sich zu dem erschreckten Tiger, der sich im Niederholz versteckt hatte. Er sagte: »O Tiger, warum bist du so feige geflüchtet und hast dich versteckt? Warum hast du den Widder nicht angegriffen? Pfui! Wie du jetzt ängstlich hin und her läufst!«

Der Tiger antwortete leise: »Ich bin geflohen, weil der Widder so gewaltige übernatürliche Kräfte besitzt. Bäume, die er nur eben berührte, fielen um, drei oder vier oder gar fünf zugleich. Seine Kraft ist außergewöhnlich, und ich glaube, daß er unverwundbar ist. Wenn er nur seine Haut rieb an den Bäumen, fielen sie gleich in Massen um. Dies wunderte mich sehr, und ich fürchtete mich, als ich sah, welche übernatürliche Kraft der Widder besitzt; ich sah es aus der Ferne, wie die Bäume fielen, wenn er an dieselben nur anstieß oder denselben Fußtritte gab; ohne daß es ihm Mühe machte, fielen sie verwirrt durcheinander. Welche Bäume es waren, weiß ich nicht, weil ich es nicht wagte, näherzutreten.«

Der Affe schrie: »Dir gebührt der Name Schafskopf, o Tiger! Da du nicht achtgegeben hast, hat er dich zum besten haben können. Den Bananenwald hatte er schon früher angezündet, und jetzt sind die Bäume tot, die Blätter sind verschwunden, die Stämme verkohlt. Beim bloßen Blasen wären sie schon umgefallen; ich selbst, und wären es tausend oder zweitausend gewesen, hätte ohne Anstrengung dieselben umstürzen können, und dich hätte ich fürwahr nicht dabei zu Hilfe gerufen!«

Als der Tiger dies gehört hatte, war er ganz bestürzt; schließlich sprach er freundlich: »Wenn es ist, wie du sagst, so werde ich gleich noch einmal hingehen; ich habe jetzt wieder neue Kräfte gesammelt und Atem geschöpft.«

Der Affe fügte hinzu: »Überlege aber nicht zu lange, sondern greife ihn sofort an. Der Widder ist nicht gefährlich, er hat keine Hörner und keine Zähne, wovor solltest du dich denn fürchten? Überfalle ihn, dreh' ihm das Genick um, friß sein Fleisch, und kratze ihm die Augen aus dem Kopf!«

Jetzt brach der Tiger schnell auf, um den Widder aufzusuchen. Der Affe zeigte ihm den Weg und behielt von den Bäumen aus alles im Auge, was unten vorging. Bald kam der Tiger zu dem Widder. Dieser sprach empört: »Ei, da kommt der Königstiger schon wieder! Es scheint, als ob er den Tod suche. Weißt du nicht, daß ich Tiger fresse? Sieh nur, was dort im Wasser liegt! Blick nur in diesen Weiher hinab und öffne die Augen recht weit! Eben habe ich einen Tiger aufgeknuspert; seinen Kopf habe ich ins Wasser geworfen. Sieh nur selbst, wenn du mir nicht glaubst.«

Und sieh, der Tiger tat, wie ihm befohlen war; ängstlich und voller Furcht schlich er vorsichtig und langsam näher. An den Rand des Weihers gekommen, guckte er hinab und sah dort seinen eigenen Kopf, der sich im Wasser spiegelte.

Ungestüm und ohne Scheu kam jetzt der Widder herbeigeeilt, immer Djatiblätter kauend, den Mund blutrot, während der niederfließende Saft rote Spuren auf dem Weg zurückließ; kühn und ohne Furcht kam er näher. Als der Tiger ihn herankommen sah, war er der Meinung, der Widder wolle ihn vertilgen. Er sprang seitwärts und ergriff eilig die Flucht; ängstlich brüllend und ganz erschreckt versteckte er sich aufs neue im Glagahrohr, in der Furcht, daß er verfolgt werde. Er meinte, er sei in einen Hinterhalt gelockt worden, und der Affe habe ihn in den Tod schicken wollen. Höchst bestürzt ging er davon, um in einer unzugänglichen Schlucht Zuflucht zu suchen.

Schnell stieg der Affe von seinem Baum herunter, um den Tiger aufzusuchen. Als er ihm begegnet war, sprach der Tiger: »Du hast mich ins Unglück stürzen wollen; man kann dir nicht trauen; von allem, was du sagst, ist nichts wahr. Warum hast du mich in einen Hinterhalt gelockt? Der Widder frißt wirklich Tiger, ich habe mich davon selbst überzeugt. Wirklich war ein Tigerkopf im Weiher, der Überrest eines Tigers, den er verschlungen. Wenn ich mich nicht schnell geflüchtet hätte, so hätte er auch mich verzehrt. Höchst bösartig hast du dich betragen und deinen Freund von dir entfemt; du bewirkst, daß du vergessen wirst von denen, die deiner bisher gedachten. Du bist der Auswurf der Welt, ein Erzbösewicht!«

Da sagte der Affe leise, indem er in gebückter Haltung sehr demütig sich vor ihn stellte: »O Tiger, ich will dir jetzt etwas sagen; glaube mir nur, wiederum bist du von ihm betrogen worden. Der Widder ist voll trügerischer Streiche und hat dich schlau überlistet. Es waren Djatiblätter, die er lange gekaut hat, und davon wurde natürlich sein Maul so rot wie von Blut. Und was du im Wasser des Weihers sahst, das war nur das Spiegelbild deines eigenen Kopfes. Dasjenige, was im Wasser zu sehen war, das war wohl ein Tigerkopf, gewiß; denn das Bild war ja das deines eigenen Kopfes! Sieh, hier habe ich einige junge Djatiblätter mitgebracht!«

Da fing der Affe an, die Djatiblätter zu kauen, so daß der Saft ihm den Mund entlang rann, und er rief: »Schau, Tiger, jetzt ist mein Mund auch wie von Blut gerötet; glaubst du mir es jetzt noch nicht, daß der Widder eben dasselbe getan hat?«

Als der Tiger dies sah, war er ganz erstaunt und wurde sehr ärgerlich. Dennoch hatte er Bedenken, seine Angst war nicht ganz gewichen, und noch wollte er den Worten des Affen nicht trauen; er war im Zweifel, ob er wirklich das Opfer einer List geworden sei, ohne daß er etwas davon gemerkt habe. Der Widder war auch so überaus ruhig gewesen, ohne jede Furcht und Scheu.

Der Affe sagte wieder: »Nun, Tiger, traust du jetzt meinen Worten?«

Langsam antwortete der Tiger: »Noch nicht völlig!«

Da sprach der Affe in überredendem Ton: »Wenn du noch zweifelst, so laß mich dich begleiten; binde meinen Schwanz an den deinigen, so daß ich auf deinem Rücken reiten kann; dann wollen wir uns sofort auf den Weg machen.«

Dieser Vorschlag war dem Tiger recht; er band den Schwanz des Affen mit Stengeln fest an den seinigen; und so begaben sie sich auf den Weg und kamen bald zu dem Widder. In einer Entfernung von anderthalb Steinwürfen, nicht näher, nicht weiter, rief dieser: »Sieh, da kommt der Affe, mir seine Steuer von Tigern zu bringen. Aber was ist denn das? jeden Tag bringt er mir zwei und jetzt nur einen!«

Kaum hörte der Tiger diese Worte des Widders, so sprang er seitwärts und brauste davon, und wie der Wind machte er sich aus dem Staube, ohne hinter sich zu blicken, so sehr hatte der Schrecken sein Herz erfaßt. Durch den schnellen Lauf wurde der Affe von seinem Rücken geschleudert und fiel herab; er wurde fortgeschleppt und hin und her geworfen, wie ein Lappen bei der Wäsche mit dem Kopfe gegen die Steine geschleudert. Noch war sein Körper nicht los von dem des Tigers, doch war er ganz zerschmettert und zerrissen. Endlich wurde auch der Körper losgerissen, und nur sein Schwanz blieb übrig, der festgebunden war und nicht loskonnte.

Mittlerweile schnellte der Tiger fort, durch das Glagahrohr sich windend, stieg in Schluchten hinab und sprang wieder auf hohe Felsen, voll Angst und Furcht. Er war wütend auf den Affen, dieser aber war mausetot.

Fortan aber zerschmetterte der Tiger, wenn er sich eines Affen bemächtigen konnte, diesem das Genick und fraß ihn bis auf die Knochen. Tag und Nacht, vom frühen Morgen bis zum Abend, verzehrte er seine Beute. So wurde er auf Affenfleisch erpicht, fing aber allmählich an, auch andere Tiere des Waldes zu verschlingen.

Und dies eine wurde Naturgesetz: dasjenige, was vorzugsweise dem Tiger zur Nahrung dienen sollte, waren die Affen, auf die er jetzt erpicht geworden war. Aber außer denjenigen, welche von Zeit zu Zeit von den Tigern selbst gefangen wurden, mußten die Affen jedes Jahr noch einige von ihnen den Tigern als Steuer zum Fraße ausliefern. Immerfort sollte dies so seinen Fortgang haben, ohne Ende, bis zum Tage der Auferstehung.

Noch immer leisten die Affen diese Steuer, und diese fließt den Tigern zu, Falls sie es nicht täten, würden die Affen sich nirgends zeigen, nirgends hingehen können, um ihre Nahrung zu suchen. Darum also sagen einige zuverlässige Erzählungen: Wenn ein Trupp Affen hoch in einem Waringinbaume sitzt, so liegt unten ein Tiger, der Wache hält und ihre Bewegungen in den Bäumen, die ihnen als Wege dienen, fest im Auge behält. Wie lange es auch dauern möge, der Tiger verweilt unter dem Baum, er geht nicht weg, bevor ihm ein oder zwei oder drei der Affen ausgeliefert wurden, so viele von ihrem Hauptmann angewiesen sind. Sobald einer der Affen dazu bestimmt ist, daß er als Steuer diene, gehen die übrigen folgenderweise zu Werke: Derjenige, welcher zum Opfer ausersehen ist, wird von seinen Gefährten gedrängt und überall verfolgt. Alle haben es auf ihn abgesehen; sie zerren, drängen und stoßen ihn von recht und links, bis er auf die Erde fällt. Da fängt ihn der Tiger auf und zuckend und zappelnd wird er aufgezehrt. So geht es fort, bis von den Affen zehn oder zwanzig von ihm verschlungen sind, je nach der Bestimmung. Wenn die Zahl voll ist, geht der Tiger von dem Waringinbaum fort. Darauf steigen die Affen hinab, um ihre Nahrung zu suchen. Nur ihr König und ein großer Affe, den er zum Vezier bestellt hat, bleiben mit ihren Weibchen oben in der Krone des Waringin und warten. Der Nahrung wegen haben sie sich durchaus keine Sorge zu machen; ein bestimmter Teil davon wird ihnen zugewiesen, denn die anderen Affen bieten ihnen das Beste und Schmackhafteste der Speisen dar. Also ist das Betragen der Affen, keinen Tag weichen sie davon ab. Und wenn nur ihre Gemütsart eine bessere wäre, wenn sie nicht so bösartig wären, so würden sie, wie gering auch ihre Besitztümer sind, dennoch freudvoll und glücklich in der Mitte ihrer Mitgeschöpfe leben können; denn in der Tat haben sie unter allen den größten Verstand. Wenn sie doch nur zu unterscheiden wüßten zwischen erhabenen und niedrigen Taten, wenn sie nur begreifen wollten, daß das Gute seinen Lohn findet sowohl im eigenen Gemüte wie vor dem Auge der Welt und übergeht auf Kinder und Enkel! In diesem Falle würden sie nicht während ihres ganzen Lebens ein kümmerliches Dasein fristen und jedes Jahr in Unzahl den Tigern zur Beute fallen!

 


 


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