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Florian Traidmann hieß das kleine, schwächliche Bäuerlein das so flink auf den Wegen dahinschusselte, wie einst vor Jahren, aber nimmer so gerade, denn das Alter hatte ihm nach und nach mit schwerer Hand den Rücken ganz vornüber gedrückt; dabei geschah es auch, daß es ihm über seinem dunkelbraunen, wirren Schopf strich und alle Haare wegfegte, bis auf einen dünnen Kranz, der um den Hinterkopf herum von einer Schläfe zur anderen lief; durch seinen spitzen Schädel bekam sein Gesicht das Ansehen eines Eies, das mit dem breiten Ende nach unten stand; über dem derben Kinne und zwischen den beiden mächtigen, ganz gefräßig und zermalmig.aussehenden Kinnladen befand sich das große wulstlippige Maul, ober dem die kurze, plattgedrückte Nase und beidseitig an deren Wurzel blinzten zwei Grauäuglein ohne Wimpern doch fast ganz von den buschigen Brauen verdeckt.
Der Alte kannte keinen anderen Gruß als "Gelobt sei Jesus Christus"; Beicht-, Bitt- und Kirchgänge, sowie das "Kirfürten" schienen ihm gleichermaßen zur Leidenschaft wie zum Bedürfnisse geworden zu sein, und das nicht erst in seinen alten Tagen. Leute, die mit ihm alterten, besannen sich gar wohl, daß der Traidmann-Florl eine wilde Bubenzeit verbrachte. Daß man ihn damals durchaus nicht in dem "Stande der Gnade" befindlich erachtete, erhellt wohl deutlich genug aus dem Umstande, daß man ihn verdächtigte, einem Burschen, der ihm zuerst bei einer Dirne, dann bei einer Bäuerin "ins Gäu gegangen war", auf einer Kirchtagrauferei das Messer in den Leib gerannt zu haben. Der Verletzte starb, ohne das Bewußtsein zu erlangen, und gegen den mutmaßlichen Täter fehlte jeder Beweis.
Des Traidmann-Florl Ein- und Umkehr erfolgte erst, als er selbständig wurde. Von seinem Vater, der ein großer Scharrer und Sparer war, erbte er allerdings nur ein kleines Anwesen, aber eine große Anzahl von Schuldscheinen; der Mann half, als guter Christ, allen und jedem im Orte, wenn auch zu unchristlichen Perzenten. Hatte es den Traidmann-Florl, als er sich zum Militär abstellen sollte, schon einigermaßen stutzig gemacht, daß Engbrüstigkeit und Plattfüße eine Gabe und Gnade von Gott seien, um wieviel mehr mußte er befangen werden, nachdem er sein eigener Herr geworden, als Mißjahre eintraten; Mißjahre, die bei seinem geringen Besitzstande keinen Ausschlag gaben, aber seine Schuldner so gründlich ruinierten, daß er deren Grund und Boden billig an sich bringen konnte; kaum aber hatte er die fremden Acker und Wiesen im Besitz, so kamen die ergiebigsten Zeiten, und er hatte drei- und vierfachen Gewinn. Als reicher Bauer heiratete er eine reiche Bauerndirne, und nach zweijähriger Ehe, nachdem ihm ein Kind geboren ward, kam die Cholera ins Land; nicht ihn nahm die Epidemie hinweg, sondern sein Weib; nach der Mutter erbte das Kind, und ein Jahr danach starb auch dieses, und nach dem Kinde erbte er das ganze Besitztum; das war ja doch lauter Gnade von Gott, denn wie leicht wäre es diesem gefallen, ihn sterben zu lassen; von da an wurde der Traidmann-Florl nachdenklich; er fühlte sich als den Mann, den Gott liebt, und sich demnach verpflichtet, Gott auch alles, was möglich, zu Gefallen zu tun daher kennt er keinen anderen Gruß, als Gelobt sei Jesus Christus", und darum fehlt er bei keinem Kirchgang, läuft bei allen Bittgängen, möge es sich um Sonnenschein oder Regen handeln, mit, und geht alle Ostern zur Beichte, und ist an der Kirchtüre die Aufforderung zu einer Wallfahrt angeschlagen, so schließt er sich derselben an.
Daß ihn Gott vor vielen andern bevorzuge, galt dem Traidmann-Florl für ausgemacht, und er war nicht der Mann, über so ausgemachte Dinge zu grübeln und etwa der Veranlassung nachzufragen, welche er dafür gegeben oder Gott dazu genommen habe, daß sich ein derart erfreuliches Verhältnis zwischen ihnen beiden entspann; es genügte ihm die Tatsache, daß ihn Gott gern hatte und es nie an ersichtlichen Beweisen daran hatte fehlen lassen. Als er damals vom Notar mit den Papieren zurückkehrte, die ihm das Erbe seines verstorbenen Kindes einantworteten, hatte er, wie bereits bemerkt, seine nachdenkliche Stunde; da war er wie er sich ausdrückte, Saul auf dem Wege nach Damaskus, denn an biblischer Sprechweise und Spruchanwendung fand er großes Behagen.
Ihrer neun lebende Kinder waren im Hause seiner Eltern gewesen, keinem außer ihm gönnte der liebe Gott das Dasein, alle verstorben, er allein blieb aufbehalten, zu verzehren, was die Alten zusammen erafft und erwuchert; frei ging er vom Militärdienst aus; nicht ihm, sondern dem Preisler-Franzl war es bestimmt, bei der Kirchtagrauferei die Messerklinge in den Leib zu kriegen, und die Mißjahre, durch welche Gott mit dem Stabe "Wehe" die anderen züchtigte, waren für ihn der Stab "Sanft", mit dem er zur hellen Quelle des Reichtums geleitet wurde, damit er sich dort in vollen Zügen tränke, und dann bekam er die reichste Bauerntochter im Dorfe zum Weibe, und nach zwei Jahren, eben als es allmählich den Anschein gewann, als hätt' er sich mit dieser seiner Bäuerin selbst eine Rute auf den Rücken gebunden, brach die böse Seuche aus, die in jedem Hause zusprach, und nahm ihm die Marie-Lies hinweg, doch nicht, ohne daß diese gerade zuvor in die Wochen gekommen war und ein Kind hinterlassen hatte, so daß ihm der qualvolle Wunsch erspart blieb, sie behalten zu wollen, um ihr Heimgebrachtes nicht zu verlieren; er konnte sie verlieren und dieses behalten, ja, es blieb ihm bald ganz zu freier Verfügung, als das Kind kurz darauf seiner Mutter in den Tod folgte. Betrachtete er, wie sich alles immer und rechtzeit, und stets zu seinem Besten geschickt und gefügt hatte, so mußte er das Einsehen gewinnen, daß Gott ihn gern habe, und danach sich auch gegen Gott verhalten; er betrachtete diesen als seinen himmlischen Vater und hielt es mit ihm, wie alle braven Söhne es mit ihren irdischen Vätern zu halten pflegen, er erwies ihm alle gebotene Aufmerksamkeit, und was denselben etwa zu ärgern vermocht hätte, das tat er ihm nicht unter den Augen, und was nicht zu verheimlichen angehen wollte, das sühnte er durch nachträgliche Zerknirschung und laut kundgegebene Reue.
Er war nicht lange Witwer geblieben, denn er fühlte sich nicht stark genug, dem Saul über Damaskus hinaus als ein anderer Paulus zu folgen und ehelos zu bleiben, und da für diesen Fall der Apostel selbst den Schwachen zur Ehe rät, so war Traidmann der letzte, der solchen guten Rat zurückgewiesen hätte. Er heiratete also zum zweitenmal, "zur Buß' seiner Sünden", wie er sagte, die Leute meinten aber, er fasse das gar sehr vom umgekehrten Ende an; die neue Traidmannin war ein bildsauberes Geschöpf, zwar blutarm, aber dafür ganz unvernünftig unterwürfig, und sie war es eigentlich, die alle ihre Sünden in solchem Ehestand mit dem rechthaberischen alten Gottesliebling abbüßte, während er es wohl zufrieden sein konnte, nach der Reichsten nun auch die Schönste im Dorfe zu eigen zu haben, die noch dazu auf den Wink ging und auf dein Pfiff kam. Die Kinder, welche sie zur Welt brachte, arteten leiblich und geistig nach ihr, und der Traidmann mochte sich seiner Häuslichkeit mit Recht berühmen.
Der unsaubere, höckerige Alte, der jetzt auf den Wegen einherschusselt, mit Gebetbuch und Rosenkranz als steten Begleitern, ist in seinem Hause der Gegenstand der Pflege und Sorge von seiten einer fast fürchtenden Gattin und ein paar gutmütiger, braver Burschen und Dirnen. Diese fünfe lassen ihm alles gerade sein.
Dem Alten ist es daher nicht schwer gefallen, bei der Überzeugung zu beharren, daß ihm von Geburt an Gott gut gewesen sei und auch bis zum Ende bleiben werde, und die Frist bis zu diesem Ende wünscht er immer nur um "so a zwanz'g Jahrl'n halt noch" verlängert; das äußerte er an seinem fünfzigsten und sechzigsten Geburtstage, er wird es demnächst an seinem siebzigsten tun und am achtzigsten, wenn er ihn erlebt, nicht unterlassen; denn das Ende ist seiner Anschauung nach wirklich das Ende und kann daher nicht leicht für lange genug hinausgeschoben werden.
Wenn er in allen anderen Punkten der ganz untertänigste und gläubigste Diener des Herrn Pfarrers ist, in dieser Beziehung hat er seine eigene Meinung, und wenn er ihr auch nur durch Kopfschütteln und Achselzucken Ausdruck gibt. Er läßt sich von einem anderen Leben viertelstundenlang vorreden, ohne eine Miene zu verziehen, dann aber, am Schlusse der Rede des Hochwürdigen, reckt er die Rechte mit einer ganz unnachahmlichen Gebärde von sich, als wäre sie der ausgereckte Arm eines verfallenen Wegzeigers, der ins Blaue weist, und dabei sieht der alte Sünder selber wie der fleischgewordene Zweifel aus.
Was hat es sich der gute Seelenhirte für Zeit und Mühe kosten lassen, bei diesem sonst so gefügigen Stücke seiner Herde den Unglauben an ein Hauptstück christlicher Lehre zu bekämpfen. Es hat nichts gefruchtet. Einmal faßte er den alten Traidmann, dessen dankbare Empfindungen gegen den himmlischen Wohltäter nicht zu bestreiten waren, bei der Gefühlsseite an, und fragte ihn, ob er denn nicht das Verlangen verspüre, seinen gütigen überirdischen Vater von Angesicht zu Angesicht zu sehen?
"Dös schon", meinte der Fromme, "wann's leicht sein kunnt' und möglich war, daß mer dabei mit ihm alloan sein tät' und bleib'n möcht'! Aber so kam ja all das Menschweri (Menschenwerk), mit dem mer im Leb'n z'tun g'habt hat, a dazua, und ich mag koan solch's begegnen, ich!"
Was ihm ein solches Begegnen unangenehm machen konnte, oder was es ihn fürchten ließ, darüber sprach er sich nicht aus; da er aber doch nicht vermessen genug war, zu hoffen, Gott werde in einer Ewigkeit unter drei Augen – Gott hat nur eines, wie man oft aufgemalt sieht – den Himmel mit ihm teilen, so schloß er den letzteren, um unliebsamen Begegnungen auszuweichen, einfach zu, steckte den Schlüssel ein und verlor ihn aus der Tasche.
Einmal hätte er sich nahezu einem fabulierenden Freigeiste gefangen gegeben, der sehr einleuchtend davon zu reden wußte, daß die Seelen der Verstorbenen auf den Sternen sich ansiedelten und daher eine Gefahr des Wiederfindens ziemlich ausgeschlossen erscheine, aber der kluge Traidmann erklärte bald, daß er auch davon nichts wissen wolle, "denn was möcht' mer denn a af so oan Stern onfonga, worauf mer sich doch gar koan kloan bissel auskenna kinna kunnt'?"
So blieb er denn auf seinem Wunsche bestehen, "so a zwanz'g Jahrl'n halt noch", und wird darauf bestehen bleiben, und wenn er hundert alt würde; das ist auch gar nicht so unbescheiden für einen Mann, den Gott gern hat, wofür ja auch diesem der Traidmann, soviel nur möglich, zu Gefallen lebt und oft genug vor dem Pfarrer erklärt: "Er wär' sein' Tag, mit koan'm Menschen lieber umgangen, als mit 'm lieben Herrgott'n, und der wär' völlig ihm gleich, wie er selber!"