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Wenige Tage vor der Hochzeit Muckerls mit Helenen legte sich die alte Kleebinderin krank zu Bette. Es bot dies willkommenen Anlaß, jede lärmende Feier, welche leicht zu bösartigen Späßen und gehässigen Ausschreitungen Gelegenheit geben konnte, zu unterlassen und sich mit einer stillen Trauung zu begnügen, ohne daß es aussah, als ob man sich durch Furcht vor den Leuten einschüchtern und im freien Willen beschränken ließe.
Freilich fiel es dem jungen Weibe hart, so ohne Sang und Klang in sein neues Heim ziehen zu müssen. Helene hätte eher allem Spott und Hohn getrotzt, als auf etwas verzichtet, das sie in eigenen und fremden Augen gegen andere Hochzeiterinnen zurückstehen ließ; da es sich aber schickte, daß sie sich mit der Lage ganz in der Weise abzufinden hatte, wozu jede andere der gleiche Fall verpflichtete, so war sie heimlich darüber froh.
Am Abende des Hochzeitstages eilte sie hinüber nach ihrer Hütte, »ihr Sacherl« – wie sie ganz freimütig eingestand – »zurückzuholen« in das Haus, woher es gekommen.
Die alte Zinshofer saß nachdenklich und gedrückt auf der Gewandtruhe, sie hatte den einen Arm über das nicht allzu große Bündel gelegt, Helene zog ihr dasselbe darunter hinweg und sagte, in der Stube herumblickend: »Schau', jetzt hast 'n ganzen Raum für dich; wird dir auch wohltun. Gute Nacht!«
Mit diesen Worten verabschiedete sie sich von der Stätte ihrer Kindheit und von der Mutter.
Vom nächsten Morgen ab schaltete sie im Kleebinderschen Heimwesen. Sie fragte nicht nach, wie die Schwiegermutter es bisher mit manchem gehalten habe und wohl auch fürder damit gehalten wissen wollte; die arme Alte aber, die siech darnieder lag, konnte sich nicht einmengen, wenn sie auch gewollt hätte. Kam die Zinshofer mit unerbetenen Ratschlägen, so wurde sie von der jungen Kleebinderin zum Hause hinaus gescholten, wofür die gekränkte Mutter dem ungeratenen Kinde die Strafe Gottes in Aussicht stellte; doch ließ der Himmel in bekannter Langmut den unkindlichen Frevel »aufsummen«, obwohl die Alte allwöchentlich mindestens einmal zeternd und belfernd von der Jungen hinweglief.
Des Holzschnitzers Mutter, das arme, kranke Weib, war nun freilich außerstande, das Haus zu verlassen, auch machte das schwere Siechtum sie anderen Sinnes; sie wollte in der Hütte sterben, in der sie die längste Zeit ihres Lebens verbracht, sie wollte in ihren letzten Tagen ihr einziges Kind um sich haben, wie nah' es ihr auch ging, dessen Neigung mit einer anderen teilen zu müssen, und mit welcher anderen! Sie mißtraute derselben, ja, sie bangte, »weil sie so gar elend und unnütz' herumläge«, daß das junge Weib sie dem verliebten, nachgiebigen Manne ganz entfremden und verleiden könne, und sie glaubte vorbauen zu müssen und sagte oft, ohne eigentlichen Anlaß: »Wenn ich merken tät', daß ich da im Haus zur Last fall', ich ging gleich, mich sollt' nix halten.«
Daraufhin blickte der Sohn sie jedesmal mit großen, bittenden Augen an, aber er blieb stumm; daß ihn irgend etwas von seiner Mutter zu trennen vermöchte, schien ihm so ganz undenklich, daß es ihm zu einer Entgegnung an Worten gebrach, und so unterblieb auch jede Beteuerung seiner unveränderten Kindesliebe, nach welcher die arme Kranke wohl erwartend hinhorchte, und die sie ihm, sich zur Tröstung und Beruhigung, von der Zunge lösen wollte. Es war aber noch ein anderes, das ihm die Kehle zuschnürte; er merkte die Eifersucht zwischen der alten und der jungen Frau, und da doch an beiden sein Herz hing, so hielt er es für überflüssig, der einen in Gegenwart der anderen gute Worte zu geben und vermied es um des lieben Hausfriedens willen.
Ob Helene den Einfluß ihrer Schwiegermutter fürchtete oder nicht – davon war sie überzeugt, daß diese nicht gut auf sie zu sprechen war, und verließ daher nur selten und auf kurze Zeit das Haus, »um der Alten nit Gelegenheit zu geben, 's Maul auszuleeren und hinterrücks zu schimpfen und zu hetzen«.
War aber das junge Weib auswärts, dann legte Muckerl sein Werkzeug aus der Hand und ging hinüber in die Kammer zur Kranken. Mit Schrecken betrachtete er den unförmigen, von der Wassersucht entstellten Leib, die abgezehrten Arme der hilflos Darniederliegenden. Er zog sich einen Stuhl an das Bett, erfaßte die auf der Decke liegende, knöcherne Rechte und hielt sie, bis er die trockene Hitze derselben quälend empfand und sie sachte freigab. Dann hätte er oft gerne beide Hände vor das Gesicht geschlagen und laut aufgejammert, aber er wollte es ja die arme Alte nicht merken lassen und sich selber des Gedankens erwehren, wie schlimm es um sie stünde.
Im Monat August war es, an einem Nachmittage, heiß und stille rings, als ruhte die Welt durch Arbeit ermüdet, als hätten sich die Sonne im Wärmen und Leuchten, die Geschöpfe und Pflanzen im Bewegen, Regen und Wachsen übernommen. Muckerl steckte den Kopf zur Kammertüre hinein. »Die Leni is fort,« sagte er, »da muß ich doch gleich dir nachschau'n, dieweil die nit eifern kann, du bist ja wohl mein zweiter Schatz.«
Die Kranke lächelte nicht wie sonst dem Eintretenden zu, ihre Augen glänzten feucht, ihr Gesicht war fahler, sie schien erregt.
»Wie geht's denn, Mutter?« fragte er näher hinzutretend.
»Wie soll's geh'n?« murmelte sie, »nit gut, wie immer, wo 's af's End' zugeht.«
Er schüttelte den Kopf.
»Beutel' 'n Kopf nit, Muckerl, 's is doch so, und daran is nix zu ändern. Freilich wohl, dich wird's schmerzen, armer Bub, ich weiß, ich weiß ja, dafür kenn' ich dich; sein ja auch lang g'nug zusamm'g'west, die Täg' zähl'n wir wohl leicht an 'n Fingern her, wo wir uns einmal aus'n Aug'n war'n. Aber andern wird just nit viel d'ran gelegen sein.«
»Red' nit so, Mutter. Wer könnt' dir 'n Tod wünschen?«
»Ich muß dir nur sagen, Muckerl, leichter käm' mich 's Sterben an, wenn die Heirat nit g'west wär', aber 's Menschen Will' is sein Himmelreich, du warst alt g'nug, den dein' zu hab'n, so wollt' ich mich nit einmengen, obwohl mir's von all'm Anfang an nie recht war.«
Der Holzschnitzer blickte zu Boden.
Die Kranke holte tief Atem, dann fuhr sie fort: »So schickt' ich mich d'rein und hab' der Helen' nie was in' Weg g'legt, freilich, wär' mir auch nie eing'fall'n, sie könnt' so sein, wie sie is.«
»Wie is sie denn?« stotterte Muckerl.
»'n Vormittag war d'Matzner Sepherl da und hat d'Botschaft g'bracht, der Kleinleitner Paul, der schon d'Jahr' her siech liegt, wär' heut' früh von sein'm Leiden erlöst word'n; da hab' ich deutlich g'hört, trotzdem s' mit 'm Rührlöffel af's eisern Häfen g'schlagen hat, wie die Helen' sagt: Alle Leut' sterben, nur die Alte nit!«
»Mutter!« schrie Muckerl auf. »Das is von ihr nur ein unb'sinnt's Reden, sie meint's nit so. Sei g'wiß!«
»Laß gut sein,« sagte die Alte, »wie sie 's auch meint, ich weiß, davon stirb ich nit. Ihr Meinen bricht mir kein' Stund' ab und legt mir keine zu. Nur rechtschaffen schmerzen könnt 's mich, wann ich s' lieb hätt'; aber so wie ich sie jetzt kenn', hat's kein G'fahr.«
»Tu ihr 's halt verzeihen, Mutter,« sagte Muckerl mit gepreßter Stimme, »und mußt nimmer d'ran denken, weißt ja, wie ich dich lieb hab'.«
Er stand ganz nahe dem Bette, und als die alte Frau die schwachen Arme zu ihm erhob, da beugte er sich hernieder, und sie tätschelte ihm mit zitternder Hand die Wange.
»Ich weiß, freilich weiß ich's.«
Es gibt Liebkosungen, die wehe tun; es sind die unserer scheidenden Lieben, wo jeder Kuß, jede Umarmung, jeder matte Händedruck uns sagt: Es ist nicht lange mehr, daß wir uns haben.
»B'hüt' Gott, Mutter, ich muß jetzt – –« stammelte der Holzschnitzer, und als ihn die Arme der Kranken freigaben, schlich er aus der Kammer, sachte schloß er die Türe hinter sich, dann aber stürzte er hastig hinaus in den Garten, sank dort in der schattigen Laube auf die Bank, preßte beide Hände vor das Gesicht, und zwei schwere Tropfen rollten zwischen den Fingern über die Knöchel herab.
Und doch hatte die Kleebinderin gelogen, sie gab sich für stärker, als sie war; ihr hatten die Worte Helenens »rechtschaffen wehe getan!« Mag sich ein Kranker auch selber für aufgegeben betrachten, die Mahnung daran von fremder Lippe schmerzt und schreckt ihn, denn sie rückt gleichmütig so nahe, gar so nahe, um was er mit fürchtendem Zagen und bangen Schauern sich quält in den stillen Stunden des Tages und in wachen Nächten. Hier war es eine ungeduldige Mahnung und, die sie verlauten ließ, des einzigen Sohnes Weib!
Während der junge Mann mit dem Schmerze rang, der ihm die Brust zusammenschnürte, wenn er der ihm ganz unverständlichen Herzlosigkeit seines Weibes gedachte, das ja allein ihm zuliebe der Mutter gut sein mußte, lag die alte Frau in ihrem Kämmerlein mit gefalteten Händen und starrte mit tränenverschleierten Augen vor sich hin. Eines sich nah, zunächst wissen, dem man nicht früh genug sterbe! Das war wieder ein quälender Gedanke mehr, die viele Zeit über, wo sie mit sich allein war, wie eben jetzt.
Was mag in einsamen Stunden in der Seele eines Todkranken vorgehen?
Was sann die alte Frau, allein gelassen mit dem Gedanken an den Tod? Was dachte sie beim Kommen und Gehen des Sohnes? Wenn er kam: seh ich ihn doch wieder, wenn er ging: vielleicht nimmer! Seh' es nicht mehr, mein Kind, höre nicht mehr seine Stimme, empfind' nicht mehr sein treuherzig Liebbezeigen! Es ist doch ein Eigenes um das Sterben! – Eine schwere Träne rollte über die eingefallene Wange, da hört sie Tritte, trocknet die Augen und blickt nach der Türe, außen wird es wieder stille, wieder spinnt sich der Gedanke fort: Es ist doch ein Eigenes . . . wieder feuchten sich die Wimpern. Was sie all' für Scheidensweh dachte, wer weiß es? Ach, warum nimmt der Mensch tausendfach Abschied, um einmal zu gehen?
Als der Monat um war, sagte sie: »Ich hätt' nimmer gedacht, daß ich den ersten noch erleb'.« Dann aber kam ein Tag, wo es das Leiden über die geduldige Frau gewann und sie nur den einen Wunsch herausstieß: »Ein End' will ich, ein End',« und da war es, wo auch der Sohn darunter zusammenbrach und laut aus tiefster Brust aufschluchzte. Sie aber sagte: »Lass' gut sein', ich kann mir wohl denken, wie dir is.«
Und nun kamen jene qualvollen letzten Tage und Nächte, deren Erinnerung nach Jahren noch jeden durchschauert, den je Liebe oder Pflicht an das Sterbelager eines Schwerkranken bannte. Diese schwere Zeit über war Helenen kein Vorwurf zu machen, sie wich nicht von der Seite der Kranken, sie war ihr Tag und Nacht zu Dienst, unverdrossen eilte sie an den Herd, kochte und briet zu ganz ungewöhnlicher Stunde, wenn gerade ein sogenanntes falsches Gelüste bei der Leidenden sich einstellte. Sie rief Muckerl aus der Arbeitsstube herbei, als die alte Frau in Zügen lag, damit diese, welche sicher nur noch den Wunsch nach der Gegenwart des Sohnes festhielt, leichter sterbe. Helene drückte der Toten auch die Augen zu und schloß ihr den Mund, da Muckerl sich scheute, Hand an die Leiche zu legen.
Als die Blätter eben zu vergilben und zu welken begannen, senkte man den nun zur Ruhe gekommenen armen, gemarterten Leib in die Erde. Vom Grabe weg eilte Helene flinken Schrittes voraus, um daheim die Fenster zu öffnen und das Haus zu lüften.
An Muckerl, der mit gesenktem Kopfe und hängenden Armen, wie träumend, einherschlich, hatte sich die Matzner Sepherl angeschlossen, sie bezeigte ihm ihre Anteilnahme nicht mit Worten, sondern durch Seufzer und »erbärmliches Getue«.
Plötzlich blieb der Holzschnitzer stehen, es preßte ihn etwas auf dem Herzen und es würgte ihn im Halse, er mußte es aussprechen. »Es ist arg,« brachte er mühsam heraus.
Die Dirne faßte ihn begütigend mit beiden Händen über dem Ellbogen seines linken Armes.
»Meinst du, die lüftet' nit gern?« fragte er flüsternd.
»Sie muß ja wohl, Muckerl, der Tot'ng'ruch is übel und verzieht sich so schwer.«
»Sie tut's gern, weil sie froh is, daß mein' Mutter aus'm Haus.«
»Jesus, Maria!« Sepherl faltete die Hände und starrte ihn erschreckt an.
Er nickte ihr mit tränenden Augen zu, dann winkte er nach ihrer Hütte, bei der sie eben angelangt waren, und ging von dem Mädchen hinweg.
Etwa zwei Monate danach ward in der Hütte des Holzschnitzers eines geboren, das dort niemand rechte Freude machte; es war ein Knabe, man taufte ihn, nach dem Namen des Mannes seiner Mutter, Johann Nepomuk.
Helene betreute das Kind sorgfältig, aber sie zärtelte und spielte mit ihm nur, wenn sie in überaus guter Laune sich selber gleichsam vergaß, und das kam äußerst selten vor. Da mochte denn wohl zu Anfang dem Manne das Kleine dauern, und er versuchte es, mit ihm zu schäkern, aber er kam damit nicht recht zustande, weil ihn dabei stets das Weib gar eigentümlich großäugig und mit spöttischem Lächeln beobachtete; bald ließ er es jedoch ganz sein, nachdem ihm Helene einmal murrig den Knaben von der Seite gerissen und gesagt hatte: »Zu was das? Das kommt ihm nit zu. Wenn du dein Wort halt'st, es z'füttern, mehr zu verlangen, hat es kein Recht.«
So aber hatte es der redliche Mann nicht gemeint, als er sein Versprechen gab, auch rechtschaffen für das »andere« zu sorgen, und daß dieses nun wie fremd im Hause heranwachsen sollte, verleidete ihm die Sorge für dasselbe.
Nicht lange hauste er mit Helenen allein unter einem Dache, so mußte er sich im stillen eingestehen, wie doch alles gar anders gekommen, als er sich's gedacht. Wohl sah er bewundernd zu dem jugendschönen, stattlichen Weibe auf und anerkannte dessen überlegenen praktischen Sinn für Wirtschaft und Leben; aber in diesem selben Sinne, dem nur das Gegebene zu Recht bestand, der genau abwog, was jedem »zukam«, und selbst die dargebotene fremde Hand zurückwies, um die eigene frei zu behalten, handelte sie auch, wenn sie die Zärtlichkeiten des Mannes über sich ergehen ließ und dessen schmeichelnde Hand von dem Kinde abwehrte, dem übrigens auch sie nur eine gestrenge Pflegerin war und blieb, da es in ihren Augen nicht viel mehr Anspruch als den auf Gastrecht hatte. Tag für Tag vergällten solche erkältenden Wahrnehmungen dem Manne die Freude über ihren Anblick und das Behagen über ihr umsichtiges, häusliches Walten; mit Gewalt jagte es dann immer in seiner Seele den trüben Gedanken auf, daß sie es gewesen, welche die letzten Lebenstage seiner Mutter verbittert, und so, in raschem Wechsel, bald angezogen von ihr, bald abgestoßen, fühlte er sich bald müde, herzensmüde.
Sie war nun allerdings unbestrittene Herrin im Hause, aber in welchem? Wer war sie? 's Zwischenbüheler Herrgottlmachers Weib! – Wenn sie abends mit dem kleinen Hans auf dem Arme unter die Türe trat und hinaufsah zu dem Sternsteinhofe, der mit vom Sonnenuntergange erglühenden Fenstern vor ihr lag, wie sie als Kind oft ihn gesehen, dann hätte sie gerne Steine von der Straße raffen und all' die blinkenden Scheiben zu Scherben werfen mögen; aber wie weit, wie weit lag der prangende Hof, für sie wohl gar wie aus der Welt!
Einmal streckte das Kind nach dem Gefunkel auf der Höhe die Ärmchen aus, sie sah es überrascht an. »Weißt du auch, wo d' hing'hörst? Wo wir allzwei sollten sitzen, wenn auf Wort und Schrift unter'n Menschen ein Verlaß wär'?«
Die Röte schoß ihr plötzlich in das Gesicht, sie sah scheu um sich, ob jemand in der Nähe, der sie gehört haben könnte.
»Närrisch! Der Fratz meint ihn nah', wie zun Greifen! Ob das was vorbedeut't? Mein Jesus, den Gedanken nit los zu werden, was das für ein Unsinn ist.«
Sie stand und starrte hinauf, bis der Glanz erloschen war.
In der Arbeitsstube aber saß der Mann, am Werktische verkümmernd und verkrümmend, fleißig schnitzelnd und pinselnd geleckte Figuren, angestrichene Puppen, aber seine Besteller waren es zufrieden, und dessen war er's auch.