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Es war ein köstlicher Sommer, auch hatte seit Menschengedenken der Brunnenort keinen so zahlreichen Besuch erlebt. Aber obschon die Gesellschaftssäle sich zuweilen mit Gästen überfüllten, so wollte doch die Unterhaltung nicht immer herbeikommen. Der Adel hielt zusammen, das Militär ebenfalls, und der Bürger machte gehässige Glossen über beide. Bei so vielen Zusammenhalten mußte nothwendig dem Ganzen aller Zusammenhalt abgehen. Selbst die öffentlichen Bälle stifteten keinen innigern Verein unter den Gebildeten und konnten keinen stiften, weil auch auf ihnen der Besitzer des Bades mit Ordensband und Stern erschien und hierdurch sowohl als durch die steife Haltung seiner Familie und des vergoldeten Lakaienschwarms hinterher, die Mehrheit der Anwesenden stillschweigend in die Schranken der verschiedenen Stände zurückverwies.
Daher verloren denn auch die Versammlungen immer mehr von ihrem Umfange und angenehme Privatzirkel suchten die Geselligkeit unter sich zu erhalten, die in der öffentlichen Gesellschaft mit jedem Tage abnahm.
Eine von diesen Privatverbindungen fand sich wöchentlich ein Paar Abende in einem der Säle ein, welcher um diese Zeit leer zu stehen pflegte. Hier soupirte man und erfreute sich nachher entweder im Hause oder auf den Promenaden einer anständigen und ungezwungenen Mittheilung. Die Mitglieder dieses Vereins hatten einander schon zuvor, wenigstens dem Namen nach, gekannt. Nur der Marchese, der sich der Gesellschaft anschloß, war sowohl ihr als allen Badegästen überhaupt ein unbekannter Mensch. Der Titel Marchese schien an ihm um so seltsamer, da er, der Badeliste nach, einen durchaus nordischen mit Konsonanten dermaßen überhäuften Namen führte, daß kein Mensch ihn auszusprechen wagte. Ueberhaupt lag viel Wunderliches in seinem Wesen und Thun, auch hatte seine lange, blasse Gestalt, und sein dunkles, gebieterisches Auge so wenig Einnehmendes, daß er unfehlbar von jedermann vermieden worden wäre, wenn ihm nicht eine Menge Geschichten zu Gebote gestanden hätten, welche dem Zirkel in langweiligen Momenten zu Hülfe kamen. Nur behauptete man allgemein, daß seine Erzählungen den Glauben der Zuhörer gewöhnlich allzusehr in Anspruch nähmen.
Die Gesellschaft war eben wieder beisammen und stand dießmal in einer lästigen Stimmung von der Tafel auf. Der Ball der vorigen Nacht lag ihr noch in den Gliedern, daher der schöne Mondschein vergebens zum Spazierengehn aufforderte. Sogar zum Gespräche war man zu schwerfällig, kein Wunder, wenn der abwesende Marchese heute mehr als sonst vermißt wurde.
»Wo er nur bleiben muß!« rief die Gräfin ungeduldig.
»Zuverläßig wieder beim Faro, um die Banquiers in Verzweiflung zu setzen,« antwortete Florentine. »Blos seinetwegen sind heute Morgen zwei dieser Herren plötzlich abgereiset.«
»Ein leichter Verlust!« erwiederte man.
»Für uns,« fügte Florentine hinzu, »aber nicht für den Besitzer des Bades, der das Spiel hauptsächlich darum verboten hat, damit es desto ärger getrieben werde.«
»Der Marchese sollte sich solcher Dinge enthalten!« sagte der Chevalier geheimnißvoll. »Die Spieler sind rachsüchtig und haben gemeiniglich gute Konnexionen. Wenn es wahr ist, was man sich zuflüstert, daß der Marchese in politische Händel gefährlich verwickelt seyn soll – –«
»Aber,« fragte die Gräfin, »was thut denn der Marchese den Bankhaltern?«
»Nichts weiter, als daß er auf Karten setzt, die fast allezeit gewinnen. Und wunderbar genug; wird das von ihm selbst wenig oder gar nicht benutzt, weil er stets bei dem niedrigsten Satze stehen bleibt. Desto besser jedoch befinden sich die andern Pointeurs dabei und belegen seine Karten immer dermaßen, daß die Bank gesprengt ist, ehe man eine Hand umkehrt.«
Die Gräfin wollte weiter fragen, als das Hereintreten des Marchese dem Gespräch eine andere Richtung gab.
»Endlich!« riefen einige zugleich.
»Wir haben uns heute,« sagte die Gräfin, »vorzüglich nach Ihrer Unterhaltung gesehnt, und heute grade lassen Sie so lange auf sich warten.«
»Ich hatte eben eine Hauptexpedition vor, die mir auch trefflich gelungen ist. Morgen wird hoffentlich keine einzige Bank mehr im ganzen Bade existiren. Ich bin von Spielzimmer zu Spielzimmer gegangen, und es fehlt an Postpferden, um die ungehaltenen Banquiers fortzubringen.«
»Können Sie uns Ihre wunderbare Kunst zu gewinnen nicht mittheilen?« fragte die Gräfin.
»Schwerlich, meine Gnädige. Eine glückliche Hand gehört dazu, sonst nichts.«
»Aber,« versetzte der Chevalier lächelnd, »so glücklich, wie die Ihrige, ist mir doch in meinem Leben keine Hand vorgekommen.«
»Bei Ihrer Jugend, lieber Chevalier, mag Ihnen wohl noch manches künftig erst vorkommen.« Hierbei fixirte der Marchese den jungen Mann so scharf, daß dieser sagte:
»Wollen Sie mir etwa gar die Nativität stellen?«
»Nur heute nicht, Chevalier,« fiel ihm die Gräfin in's Wort. »Wer weiß, ob Ihr künftiges Leben sich zu einer unterhaltenden Geschichte qualifizirt, wie der Marchese uns schon seit ein Paar Tagen eine versprochen hat.«
»Unterhaltend habe ich wohl nicht gesagt?«
»Wenigstens eine mit ungewöhnlichen Ereignissen, und solche gehören dazu, um uns der Lethargie zu entziehen, worein wir heute versunken sind.«
»Ich will mich nicht weigern,« sprach der Marchese. »Doch möchte ich zuvor wissen, ob schon jemandem unter Ihnen die wunderliche Sage von der Todtenbraut bekannt ist?«
Kein Mensch erinnerte sich davon gehört zu haben.
Ein ungeduldiges Husten der Gräfin und mehrerer machte, daß der Marchese, der noch etwas vorausschicken zu wollen geschienen hatte, ohne weitere Einleitung also anfing:
Schon längst hatte ich den Grafen Globoda auf seinen Gütern besuchen wollen. Wir waren fast in allen Gegenden Europa's zusammengetroffen, hier von dem glücklichen Leichtsinne der Jugend, dort von der heitern Ruhe der spätern Jahre begleitet. Wir waren alt geworden und sehnten uns beide die gemeinschaftlich durchlebte Vergangenheit durch den Zauberspruch der Erinnerung aus dem Grabe hervorzulocken. Zugleich lag mir daran, den Wohnsitz meines Freundes in Augenschein zu nehmen, der in einer, seiner Beschreibung nach, überaus romantisch gelegenen Burg bestand, die seine Vorfahren vor vielen Jahrhunderten erbaut und ihre Nachkommen mit so treuer Sorgfalt unterhalten hatten, daß sie noch ihr ganzes, trotziges Ansehen behauptete, ja sogar durchaus bewohnbar geblieben war. Der Graf pflegte den größten Theil des Jahres mit den Seinigen hier zu verleben, und nur den Winter in der Residenz zuzubringen. Das wußte ich; daher bedurfte es keiner Vorbereitung, und ich überraschte ihn einmal Abends mit Sack und Pack grade in der jetzigen Jahreszeit. Ich staunte über die bunte, glückliche Natur, die dem braunen Felsenneste zu Füßen lag.
Die freundschaftliche Aufnahme, welche ich fand, konnte mir den stillen Harm nicht verschleiern, der auf den Gesichtern des Grafen und seiner Gemahlin und Tochter, der schönen Libussa, lagerte. Ich vernahm auch gar bald, daß man noch immer die Zwillingsschwester der letztern nicht vergessen konnte, deren irdische Ueberreste nun bereits ein Jahr lang in der Kirche beigesetzt waren. Libussa und Hildegarde waren einander so ähnlich und durch nichts zu unterscheiden gewesen, als durch ein kleines Mahl in Form einer Erdbeere an dem Nacken der Verstorbenen, deren Zimmer mit allem Zubehör noch im vorigen Zustande gelassen und von der Familie zuweilen besucht wurde, wenn die Sehnsucht nach der seligen Hildegarde sich einen Festtag bereiten wollte. Libussa und sie hatten nur Ein Herz und Einen Sinn gehabt. Die Aeltern konnten sich daher nicht überzeugen, daß hier eine Trennung auf lange Zeit möglich sei, und fürchteten sehr, ihre geliebte Libussa werde ihnen auch noch entzogen werden.
Ich that, was ich konnte, die achtungswürdigen Menschen durch ergötzliche Scenen des vergangenen Lebens zu zerstreuen, und ihre Gedanken auf fröhlichere Gegenstände zu leiten. Auch hatte ich die Freude, daß mein Bestreben nicht ohne allen Erfolg blieb. Bald genossen wir die mit der ganzen Pracht des Sommers geschmückte Gegend, bald sannen wir in den verschiedenen Gemächern der wirklich wunderbar erhaltenen Burg über das kräftige Thun und Treiben der verschwundenen Geschlechter nach, aus denen der Bildersaal noch eine Reihe von ehrwürdigen Schatten aufbewahrte.
Eines Abends, nachdem der Graf mit mir manches über die Zukunft vertraut gesprochen, und unter andern den Wunsch Libussen, die, wiewohl erst im sechzehnten Jahre, schon eine Menge Bewerber abgewiesen, glücklich verheirathet zu sehen, mir zu erkennen gegeben hatte, trat der Gärtner außer Athem in's Zimmer, mit der Nachricht, daß sich ein Gespenst unten sehen lasse, welches unfehlbar der alte Burgkaplan seyn müsse, der ein Jahrhundert früher erschienen wäre. Mehrere vom Gesinde folgten dem Gärtner auf dem Fuße und die bleichen Gesichter aller bestätigten die Schreckenspost.
»Ihr werdet euch wohl noch vor dem eigenen Schatten fürchten!« erwiederte der Graf und schickte sie mit dem Bedeuten fort, daß sie ihn wenigstens mit dergleichen Mährchen verschonen möchten. »Es ist erschrecklich,« sagte er nachmals zu mir, »wie weit der Aberglaube dieser Menschen geht und daß ihn niemand bei der Wurzel herausziehen kann. Da schleppt man sich schon seit Jahrhunderten mit der Sage, daß von Zeit zu Zeit ein vormaliger Burgkaplan um das Schloß herumgehe, auch wohl in der Kirche Messe lese und dergleichen mehr. Diese Fabel hat nun, seitdem ich Burgbesitzer bin, ziemlich geruht, aber sterben kann so was nicht, wie ich merke.«
In diesem Augenblicke ward fremder Besuch in der Person des Duca di Marino angekündigt.
»Duca di Marino!« der Graf entsann sich nicht, jemals einen dieses Namens gekannt zu haben.
»Ich bin ziemlich vertraut mit der Familie gewesen,« antwortete ich, »und habe erst vor Kurzem der Verlobung eines jungen Marino zu Venedig beigewohnt.«
Das Hereintreten des nämlichen würde mir jetzt seine noch angenehmere Erscheinung gewesen seyn, wenn ihn nicht meine Anwesenheit so sichtbar erschüttert hätte.
»Nun,« sagte er nach den gewöhnlichen Eintrittshöflichkeiten wieder ziemlich gewandt, »nun da ich Sie finde, lieber Marchese, erkläre ich mir leicht den Umstand, daß man mich hier in der Gegend zu nennen wußte. Wenn ich schon die dumpfe Stimme nicht kenne, die meinen Namen unten am Schloßberge dreimal sehr vernehmlich aussprach und ein lautes Willkommen hinzufügte, so merke ich doch jetzt, daß sie von Ihnen hergerührt haben müsse, und schäme mich des Schauers, der mich dabei anwandelte.«
Ich versicherte ihn, daß ich kein Wort von seiner Ankunft vor dem Anmelden gewußt, auch von meinen Leuten ihn gewiß keiner gekannt habe, weil der Kammerdiener, der mich nach Italien begleitet, nicht mit hierher gekommen sei. Uebrigens, fügte ich hinzu, würde es bei der heutigen Dunkelheit wohl überhaupt schwierig genug seyn, selbst die bekannteste Equipage zu erkennen.
»So weiß ich wahrlich nicht!« rief der Duca mit Befremden, und der durchaus ungläubige Graf sagte galant, daß die Stimme mit dem: Willkommen! wenigstens die Gesinnungen des Hauses ausgesprochen hätte.
Noch ehe ein Wort von dem Zwecke dieses Besuches verlautet war, bat mich Marino um ein Gespräch unter vier Augen und vertraute mir dabei, daß er wegen der Komtesse Libussa gekommen sei. Er wolle, wenn er ihren Beifall nicht verfehle, ohne Weiteres den Grafen um ihre Hand angehen.
»So ist also die Gräfin Apollonia, ihre Verlobte, ein Raub des Todes geworden?« fragte ich.
»Darüber ein ander Mal,« sprach er.
Aus dem tiefen Seufzer, der seine Worte begleitete, zog ich den Schluß, daß sich die Braut unfehlbar der Untreue, oder einer andern schweren Vergehung gegen den jungen Mann schuldig gemacht haben mochte, und glaubte anstehen zu müssen, seinem empfindlich verletzten Herzen durch weitere Erwähnung wehe zu thun.
Da er mich inzwischen zum Vermittler bei dem Grafen für seine Wünsche verlangte, so führte ich ihm das Bedenkliche einer Verbindung zu Gemüthe, die blos geschlossen werde, um damit das bittre Andenken an eine frühere und unfehlbar geliebtere auszulöschen. Aber er äußerte, daß er weit entfernt sei, auf solchen Mißbrauch der schönen Libussa zu denken, und daß er sich ganz glücklich fühlen würde, wenn er sie seinem Vorhaben nicht zuwider fände.
Der Enthusiasmus, mit dem er von ihr redete, stillte auch wirklich meine anfängliche Besorgniß und ich versprach ihm, den Grafen Globoda auf seinen Wunsch vorzubereiten, auch ihm über des Duca Familie und Güter die nöthige Auskunft zu geben. Doch erklärte ich zugleich, daß ich übrigens die Sache durch meinen Rath nicht beschleunigen würde, weil ich den ungewissen Ausgang fremder Ehen niemals auf meine Schultern zu nehmen pflegte.
Der Duca war damit zufrieden. Dabei nahm er mir, die, meines damaligen Erachtens, ganz unschuldige Zusage ab, seine frühere Verlobung unerwähnt zu lassen, weil er im Gegenfalle zu sehr verdrüßlichen Auseinandersetzungen genöthigt seyn würde. –
Die Absichten des Duca gelangen über Erwarten schnell. Das funkelnde Auge des wohlgewachsenen braunen Mannes bahnte seiner Liebe den Weg zu Libussens Herzen. Sein angenehmes Geschwätz versprach der Gräfin Mutter einen unterhaltenden Schwiegersohn und die ökonomischen Kenntnisse, die er gelegentlich zeigte, ihrem Gemahl eine zweckmäßige Unterstützung in seinen gewöhnlichen Geschäften. Denn daß der Duca sein Vaterland ganz verlassen werde, das war in den ersten Tagen schon ausgemacht.
Marino betrieb seine sichtlichen Vortheile über die Familie sehr eifrig, und seine Verlobung mit Libussen überraschte mich eines Abends, als ich sie noch gar nicht so nahe glaubte. Ueber Tafel kam gelegentlich die Rede auf diejenige Verlobung, deren ich unmittelbar vor dem ersten Eintreten des Duca in die Zimmer des Schlosses erwähnt hatte. Die alte Gräfin fragte, ob der Held jener Verlobung mit dem heute Verlobten nahe verwandt gewesen sei?
»Ziemlich,« antwortete ich der Verschwiegenheit eingedenk, die ich dem jungen Manne, der jetzt einen sehr verlegenen Blick auf mich warf, am ersten Abende zugesagt hatte. »Nun aber, lieber Duca,« fuhr ich fort, »nennen Sie mir auch die Person, welche Ihre Aufmerksamkeit auf die liebenswürdige Komtesse Libussa hingeleitet, und ob ein Portrait, oder was sonst, Sie veranlaßt hat, eine Ihrem Geschmacke so durchaus zusagende Schönheit in diesem entfernten Schlosse zu vermuthen und aufzusuchen? Denn wenn ich nicht ganz irre, so äußerten Sie gestern, daß Sie noch ein halbes Jahr unstät in der Welt hätten herumschwärmen wollen, als auf einmal – ich glaube in Paris – sich Ihr Plan geändert und Sie Ihre Reise, bestimmt und einzig und allein der reizenden Komtesse Globoda wegen, hierhergerichtet hätten.«
»In Paris, ja!« antwortete der Duca. »Sie haben ganz recht gehört. Ich ging mir die köstliche Gemäldegallerie des Museums zu beschauen. Aber kaum hinein, gleiten meine Blicke von der leblosen Schönheit ab, und vereinigen sich auf einer Dame, deren ungewöhnliche Reitze durch einen Zug von Schwermuth gleichsam verklärt wurden. Nur mit Zagen erkühne ich mich ihr zu nahen, und mich immer dicht hinter ihr zu halten, ohne jedoch den Muth zur Anrede zu haben. Ich folgte auch nachher, als sie die Gallerie verließ, und nahm ihren Diener auf die Seite, um mich nach dem Namen zu erkundigen. Er nannte ihn, fügte jedoch auf meinen Wunsch, mit dem Vater der Schönen Bekanntschaft zu machen, zugleich hinzu, daß dies schwerlich in Paris würde geschehen können, weil man in Begriff stehe, diese Stadt und überhaupt Frankreich zu verlassen.«
»Ein Augenblick wird sich doch wohl finden!« sage ich hierauf, und sehe mich mich nach der Dame um. Sie war jedoch, vermuthlich in der Meinung, daß der Bediente ihr auf dem Fuße folge, immer weiterschritten und mir gänzlich aus dem Auge gekommen. Indem ich nun ihre Spur überall zu verfolgen suchte, hatte sich auch der Bediente von mir verloren.
»Und wer war die Dame?« fragte Libussa verwundert.
»Wer? So sollten Sie in der That mich damals in der Bildergallerie gar nicht bemerkt haben?«
»Ich? – Meine Tochter?« riefen die Komtesse und ihre Eltern zugleich.
»Ja wohl, Sie! Der Bediente, den Sie zu meinem Glücke in Paris zurückgelassen hatten, und den ich Abends wie meinen Engel unverhofft wieder fand, hat mir das Uebrige mitgetheilt, so daß ich nach einer kurzen Reise in meine Heimath den Weg hierher sicher antreten konnte.«
»Was wir da hören!« sagte der Graf Globoda zu seiner vor Erstaunen verstummten Tochter. »Libussa« fügte er, zu mir gekehrt, erklärend hinzu, »Libussa ist noch nicht aus ihrem Vaterlande gekommen, und auch ich habe Paris seit siebzehn Jahren und länger nicht gesehen.«
Der Duca blickte Vater und Tochter so befremdet an, wie sie ihn, und die Unterhaltung würde ganz eingeschlafen seyn, wenn ich nicht einen neuen Gesprächsfaden angefangen und fast allein ausgesponnen hätte.
Nach Tische nahm der Graf den Duca an ein Fenster, und ob ich schon ziemlich ferne davon stand, und meine ganze Aufmerksamkeit an den neuen Kronleuchter zu verschwenden schien, so vernahm ich doch das ganze Gespräch.
»Was,« fragte Globoda sehr ernst und mißbilligend, »was kann Sie zu der wunderlichen Erfindung der Galleriescene in Paris bewogen haben, die, meines Erachtens, zu gar nichts in der Welt zu führen vermochte? Wenn Sie den Anlaß zu Ihrer hiesigen Bewerbung verschweigen wollten, so durften Sie das nur gradeheraus sagen. Und hatten Sie auch gegen das letztere irgend ein Bedenken, so gab es ja tausend Umgehungen der Antwort, und Sie brauchten gar nicht die Wahrscheinlichkeit so zwecklos zu mißhandeln.«
»Herr Graf,« erwiederte der Duca beleidigt, »ich schwieg vorhin über Tische, weil ich glauben mußte, Sie hätten Ursache, die Reise Ihrer Tochter nach Paris geheim zu halten. Aus bloßer Diskretion schwieg ich. Aber die jetzige Seltsamkeit nöthigt mich, bei meinem Worte fest stehen zu bleiben, und es, daferne Sie die Sache nicht fallen lassen wollen, vor jedermann zu behaupten, daß Frankreichs Hauptstadt der Ort gewesen ist, wo ich die Komtesse Libussa zum ersten Male gesehen habe.«
»Wenn ich Ihnen nun aber nicht nur alle meine Leute, sondern auch alle meine Unterthanen zu Zeugen bringe, daß Libussa noch niemals die vaterländischen Gegenden verlassen hat?«.
»So werde ichs immer an meinen Augen und Ohren Zeugen behalten, welche mir nicht weniger gelten.«
»Es ist sehr räthselhaft, was Sie sagen!« fuhr der Graf gemäßigter fort. »Ihr Ernst dabei überzeugt mich indessen, daß Sie selbst im Irrthume befangen gewesen sind, und unfehlbar eine andere Person für meine Tochter angesehen haben. Verzeihen Sie daher meine vorige Aufwallung.«
»Eine andere Person! – So habe ich nicht allein eine andere Person für Ihre Tochter angesehen; sondern auch der Bediente, dessen ich bereits gedachte, und der mir alles in diesem Schlosse grade so beschrieb, wie ich es finde, ist ein anderer gewesen.«
»Liebster Marino, dieser Bediente muß nothwendig ein hier bekannter Betrüger seyn und Ihnen, Gott weiß warum, eine Libussen ähnliche Dame, für meine Tochter aufgeschwatzt haben.«
»Ich scheue mich, Herr Graf, Ihnen gradezu zu widersprechen. Aber wahrlich, es sind Libussens Züge selbst gewesen, die meine Phantasie seit der Scene in Paris mit der ängstlichsten Treue aufbewahrte!«
Globoda schüttelte bedeutend den Kopf, und Marino fuhr fort: »Noch mehr! Doch vergeben Sie mir, daß ich mich jetzt in der Nothwendigkeit glaube, einer Sache zu gedenken, die sonst nicht über meine Lippen gekommen seyn würde. Als ich in der Gallerie hinter der Dame stand, hatte sich das Tuch um ihren Nacken ein wenig verschoben, und ich ward recht deutlich ein Maal in der Gestalt einer kleinen Erdbeere an dem sonst wunderschönen Nacken gewahr.«
»Was ist das wieder?« rief der Graf erblassend. »Sie scheinen mich zu dem Glauben an sehr seltsame Dinge gewöhnen zu wollen.«
»Nur die einzige Antwort jetzt: Befindet sich dieses Zeichen an Libussens Nacken?«
»Nein!« sagte Globoda, den Neuverlobten anstarrend.
»Nicht?« rief dieser heftig erschrocken.
»Nein! aber Libussens, ihr ganz ähnliche, Zwillingsschwester hat diese Erdbeere vor länger als einem Jahre mit in die Gruft genommen.«
»Und doch sind es nur wenig Monate, daß ich diese Gestalt in Paris gesehen habe!« sagte der Duca, und die Gräfin und Libussa, die ängstlich in der Ferne stehend gar nicht wußten, was sie von der augenscheinlichen Bedeutung des Gespräches denken sollten, traten näher.
Globoda verscheuchte sie jedoch sogleich wieder mit einer herrischen Miene, zog dann den Duca noch weiter in den Winkel des Fensters, und setzte das Gespräch so heimlich fort, daß auch ich kein Wort mehr vernehmen konnte.
Niemand wußte, was es zu bedeuten habe, als noch in dieser Nacht der Graf Befehl gab, den Sarg der verstorbenen Hildegarde in seiner Gegenwart zu eröffnen. Bevor es geschah, theilte er mir in der Kürze das schon Erzählte mit, und stellte es in meinen und des Duca Willen dabei zu seyn. Der letztre dispensirte sich indessen hiervon unter der Aeußerung, daß ihm schon der Gedanke daran großen Schauer verursache, weil er seine Scheu vor todten Leichnamen am wenigsten in der Nacht zu bezwingen vermöge.
Der Graf bat ihn hierauf um Stillschweigen in Rücksicht der Galleriescene gegen jedermann, und daß er besonders das zarte Gemüth seiner Braut mit den nähern Umständen verschonen möchte, wie sehr sie auch wegen Entdeckung des auffallenden Gespräches, welches sie zusammen gehabt, vielleicht in ihn dränge.
Der Kirchner kam inzwischen mit der Laterne, und wir, der Graf und ich, folgten ihm. Unterwegs sagte Globoda leise zu mir: »Kaum ist es möglich, daß ein Betrug bei dem Tode meiner geliebten Kindes stattgefunden haben sollte. Die Umstände sind mir allzugenau bekannt. Auch können Sie leicht ermessen, Marchese, daß unsre älterliche Liebe die Verblichene gewiß nicht dem Entsetzen eines allzu frühen Begräbnisses exponirt haben würde. Aber gesetzt, es wäre geschehen, und die Habsucht hätte den Sarg geöffnet und zu ihrem Schrecken eine Wiederauflebende gefunden, so läßt sich doch gar nicht denken, daß die geliebte Tochter, statt in den Schooß ihres Hauses zurückzukehren, in ein fernes Land geflüchtet sein sollte. Selbst dann läßt es sich nicht denken, wenn man annimmt, daß sie gezwungen worden sei, sich aus der Gegend zu entfernen, weil immer tausend Wege zur Rückkehr geblieben wären. Indessen,« fügte der Graf hinzu, »meine Augen sollen mich überzeugen, daß der Sarg ihre heiligen Reste wirklich verschließt. – Ueberzeugen!« rief er bald darauf klagend und so laut, daß der Kirchner sich umsah.
Hierdurch aufmerksam geworden sprach der Graf ganz leise: »Wie konnte ich in dem Wahne stehen, daß noch eine Spur von den Zügen meines Kindes aufzufinden seyn, daß die gierige Verwesung die holde Gestalt unversehrt lassen würde! Kehren wir um, Marchese. Denn wer sagt mir, wenn ich sie auch wirklich erblicke, daß es kein fremdes Gerippe ist, nur hingelegt, um ihren Platz unwürdig auszufüllen?«
Wirklich wollte er schon das Aufschließen der Kirche verhindern, vor der wir just anlangten. Doch äußerte ich, daß ich in seiner Lage mich zwar schwerlich zu dem Gange entschlossen hätte, man indessen, da der Schritt einmal angefangen sei, ihn ja wohl auch vollenden und sehen könne, ob dem Leichname vielleicht etwas von dem Schmuck fehle, den man ihn in den Sarg gegeben. Ich fügte hinzu, daß mancher Erfahrung nach, die Verwesung ihre Rechte nicht in allen Särgen sogleich geltend mache.
Diese Vorstellung wirkte. Er drückte mir die Hand, und wir folgten dem Kirchner, der übrigens, aus seinem Erbleichen und Zittern zu schließen, zu nächtlichen Abentheuern dieser Art wenig aufgelegt seyn mochte.
Ich weiß nicht, ob jemand aus der Gesellschaft irgend einmal gegen Mitternacht in einer Kirche vor der eisernen Thür des unterirdischen Grabgewölbes gestanden hat, um die Reihen von zinnernen Behältnissen der Ueberreste eines angesehenen Hauses in Augenschein zu nehmen. Aber gewiß ist es, daß in solchen Momenten das Rasseln der Schlösser einen eigenen bedeutenden Eindruck macht, daß man das Aufknarren der Thüre wie einen Frevel fürchtet, und wenn nun der schwarze Eingang offen dasteht, der Fuß den Schritt hinein gern um einige Augenblicke verzögert.
Mehr als mancher wurde der Graf von dieser Bangigkeit betroffen, das sagte ein Seufzer aus der Tiefe seiner Brust. Indessen that er sich Gewalt an, warf aber, so viel ich bemerkte, keinen Blick auf die blanken Särge der übrigen Todten, sondern hielt sich allein an den Sarg seines Kindes, welchen er auch selber eröffnete. »Sagte ich es nicht?« rief ich, als die Leiche wirklich noch so sehr die Züge ihrer Zwillingsschwester trug, daß ich den Erstaunten an dem Kusse verhindern mußte, den er ihr auf die Stirne drücken wollte.
»Keine Störung der Verblichenen!« sprach ich, und wendete alle Mühe an, ihn baldigst aus dem schaurig wiederhallenden Gewölbe des Todes an die lebendige Luft zurückzubringen.
Die im Schlosse Gebliebenen fanden wir in einer unangenehmen Spannung. Beide Frauen hatten dem Duca wegen des Vorganges sehr zugesetzt und sein Berufen auf das angelobte Schweigen nicht für Entschuldigung gelten lassen. Jetzt suchten sie uns, aber ebenfalls umsonst, ihrer Wißbegierde günstig zu machen.
Besser gelang es ihnen am andern Tage mit dem Kirchner, der heimlich herbeigeholt wurde, und der wenigsten so viel sagte, als er wußte. Dadurch aber spannte er ihre Neugier nur höher auf das Gespräch, welches die Veranlassung zu dem Todtenbesuche gegeben. –
Ich meines Orts sann während des ganzen noch übrigen Theils der Nacht über die Erscheinung nach, welche Marino in Paris gehabt hatte. Ich kam auf Vermuthungen, die ich jedoch anstand dem Grafen mitzutheilen, weil dieser an der Verbindung einer höhern Welt mit der unsrigen gänzlich zweifelte und über diesen Punkt auch gar keine Lehre annahm. Unter solchen Umständen war es mir angenehm, daß die Sache, wenn auch nicht in Vergessenheit gerieth, doch nur noch zuweilen in flüchtige Anregung kam.
Etwas anderes aber fing an große Besorgnisse in mir zu erwecken. Aus dem fortdauernden Ausweichen des Duca mit mir auch unter vier Augen von seiner frühern Verlobten zu sprechen, und aus der Verlegenheit, welche sich seiner bemeisterte, sobald ich die Rede auf den vormaligen Anschein ihrer guten Eigenschaften brachte, so wie aus manchem andern, mir nicht mehr erinnerlichen Umstande, zog ich den Schluß, daß Marino's Treue gegen die Gräfin Apollonia in der That durch das Anschauen der schönen Erscheinung in der Gemäldegallerie zum Wanken gekommen, daß Apollonia, weil er der Versuchung nachgegeben, von ihm verlassen worden, und ohne Zweifel ganz schuldlos an der Auflösung des feierlichen Bündnisses mit ihm seyn möge.
Da ich bei dieser Lage der Dinge für die treffliche Libussa wenig Glück aus der Verbindung mit Marino hervorgehen sah, so entstand der Wunsch in mir, dem Neuverlobten, dessen Hochzeit schon nahe war, baldmöglichst die Maske vom Gesicht zu nehmen, und ihn reuig der Verlassenen zurückzusenden.
Es fand sich auch einesmals, wie ich glaubte, gute Gelegenheit zu einem Versuche dieser Art. Wir saßen nach dem Souper noch bei Tische, und es kam die Rede darauf, daß das Unrecht meistens schon in dieser Welt seine Strafe erhalte. Ich äußerte, daß ich hiervon die auffallendsten Beispiele erlebt hätte und die Gräfin Mutter und Libussa drangen besonders auf Mittheilung eines dieser Beispiele.
»Dann,« sagte ich, »müssen Sie mir auch erlauben, einer Geschichte zu gedenken, die Ihnen meines Erachtens am nächsten liegt.«
»Uns?« fragten die Damen, indem ich einen Blick auf den Duca warf, welcher, schon seit mehrern Tagen mißtrauisch gegen mich, ihn mit dem bleichen Gesichte des bösen Gewissens empfing.
»So denke ich wenigstens!« war meine Antwort. »Wenn nur Sie, lieber Graf, mir verzeihen, daß das Uebersinnliche sich abermals in meine Geschichte verwebt hat.«
»Recht gern,« versetzte er lächelnd. »Auch will ich meine Verwunderung, daß Ihnen so viel dergleichen begegnet ist, und mir noch gar nichts, völlig zu bezwingen suchen.«
Es entging mir nicht, daß der Duca ihm seinen Beifall zuwinkte, doch ließ ich ihn ruhig gewähren und antwortete dem Grafen: »Nicht jeder hat vielleicht Augen zu sehen!«
»Das muß seyn!« lächelte er ferner.«
»Und,« flüsterte ich ihm hieraus bedeutend zu, »die so ganz unversehrte Gestalt im Sarge war doch auch keine von den gewöhnlichsten Erscheinungen!«
Er stutzte, und ich fuhr sogleich leise fort: »Uebrigens erlaubt sie recht gut eine natürliche Deutung, und es wäre zwecklos Ihnen dies abstreiten zu wollen.«
»Wir kommen ganz von der Sache ab!« sagte hierauf die Gräfin mit einigem Unwillen, und winkte mir. Ich fing daher ohne weiteres Säumen an: »Der Schauplatz meiner Anekdote ist Venedig.«
»Da sollte ich ja wohl auch davon wissen können!« rief der Duca argwöhnisch.
»Vielleicht. Doch hat man die Sache mit Absicht möglichst geheim gehalten. Auch trug sie sich vor anderthalb Jahren zu, wie Sie Ihre Reisen schon angetreten hatten.
Der Sohn eines sehr reichen Nobile, den ich hier nur mit dem Namen Filippo bezeichnen will, hatte, während er sich in Erbschaftsangelegenheiten zu Livorno aufhielt, daselbst durch fleißige Bewerbung die Liebe eines schönen Mädchens gewonnen, und ihr und ihren Verwandten vor seiner Rückkehr nach Venedig versprochen, sich nächstens wieder einzufinden und Hochzeit mit der geliebten Klara zu machen. Der Abschied war bis zum Furchtbaren feierlich. Nachdem die gegenseitige Liebe alle Betheurungen erschöpft hatte, rief Filippo auch die Geister der Rache für den Fall der Treulosigkeit auf. Der unschuldige Theil sollte selbst im Grabe nicht ruhen, sondern den Verbrecher hinüberfordern, um ihm die entzogene Liebe noch Jenseits abzuzwingen. Die Verwandten saßen mit bei Tische, erinnerten sich ihrer eigenen Jugend, und ließen den Abentheuerlichkeiten der jungen Leute den Lauf. Diese gingen so weit, daß sie sich die Arme aufritzten, und ihr Blut in einem mit weißem Champagner gefüllten Glase vermischten. »Unzertrennlich wie dieses Blut sollen auch unsre Seelen seyn!« rief Filippo, trank die Hälfte des Weines, und reichte Klaren das Uebrige.
Hier, so schaltete den Erzähler ein, hier ward der Duca auffallend unruhig, unterließ auch nicht mich von Zeit zu Zeit mit drohendem Auge anzublicken, so daß ich auf eine ähnliche Scene in seiner eigenen Geschichte schließen mußte. Doch kann ich versichern, daß ich die Umstände bei Filippo's Abschiede von Klaren ganz so mitgetheilt habe, wie ein Brief von des Mädchens Mutter aus Livorno sie berichtet, von dem weiter unten die Rede seyn wird.
Wer hätte, so fuhr der Marchese in der Erzählung fort, wer hätte, nach so vielen Ausbrüchen der heftigsten Leidenschaft, erwarten sollen, was gar bald nachher erfolgte. Filippo's Rückkehr traf grade mit dem Erscheinen einer jungen Schönheit zusammen, die, bis dahin in einem auswärtigen Kloster erzogen, plötzlich wie ein Engel aus einer Wolke hervortrat, und die Bewunderung der Stadt erregte. Seine Eltern, die zwar von Klaren wußten, aber seine Verbindung mit ihr, wie eine von den tausenden ansahen, die heute, man weiß nicht wie, geschlossen und morgen eben so aufgelößt werden, leiteten ihres Sohnes Bekanntschaft mit der jungen Schönheit ein. Auch durch ihr Herkommen war Kamilla ein Stern erster Größe. Man stellte dem Filippo vor, welchen Einfluß er mit Hülfe ihrer angesehenen Verwandten erlangen könne, und die Maskenzeit, die seinen Umgang mit ihr begünstigte, that das Uebrige, so daß gar bald das Andenken an Livorno wenig Platz mehr in seinem Gemüthe finden konnte. Seine Briefe dahin ermatteten immer mehr und mehr, bis Klarens Empfindlichkeit über diese Veränderung ihn bewog, die ganze Korrespondenz aufzugeben, und sich mit der ungleich schönern, sehr begüterten Kamilla baldmöglichst zu vermählen. Die zitternde Hand in Klarens lästigen Briefen und die Thränenspur vermochten so wenig als ihre Bitten über das Herz des Leichtsinnigen. Selbst die Drohung, ihn der Abrede gemäß bald in ihr frühes Grab hinabzufordern, machte nur wenig Eindruck auf den, der keinen Gedanken mehr hatte, als in Kamilla's Armen glücklich zu werden.
Kamilla's Vater, in dessen Hause ich wie in dem meinigen lebte, bat auch mich im voraus zu der Hochzeit. Ob ihn schon überhäufte Geschäfte diesen Sommer in der Stadt so festhielten, daß er die Villeggiatura nicht mit der gewohnten Bequemlichkeit genießen konnte, so fuhren wir doch mehrere Male in der Woche nach seinem am Ufer der Brenta gelegenen, schönen Landhause, und auch das Fest seiner Tochter sollte hier mit möglichster Pracht gefeiert werden.
Ein eigener Umstand gab Veranlassung, daß dieses Fest um mehrere Wochen aufgeschoben wurde. Weil nämlich die Eltern der Braut eine recht glückliche Ehe führten, so wünschten sie ihre Tochter von demselben Geistlichen eingesegnet zu wissen, der einst ihrer Trauung vorgestanden hatte. Allein der trotz eines hohen Alters, noch sehr kräftig scheinende Mann wurde so eben von einem schleichenden Fieber heimgesucht, das ihm nicht gestattete das Bette zu verlassen. Es ging jedoch immer besser und besser mit ihm, und der Tag der Trauung wurde endlich festgesetzt.
Doch als ob ein höherer Wink die Sache verhindern wolle, befiel den Geistlichen an dem zur Trauung bestimmten Morgen wieder ein solcher Frost, daß er sich nicht aus dem Zimmer wagen durfte, und dem Paare anrathen ließ, einen andern Priester für die vorhabende Handlung zu wählen.
Allein die Eltern beharrten auf ihrem Vorsatze, nur von diesem ehrwürdigen Manne den Segen über das Paar aussprechen zu lassen, und hätten sich gewiß manchen Kummer erspart, wenn sie auch späterhin nicht davon abgegangen wären.
Das Fest war indessen einmal veranstaltet, und sollte, da es sich nicht mehr aufschieben ließ, als eine feierliche Verlobung betrachtet werden. Schon am frühen Morgen warteten die festlich geschmückten Gondoliere im Kanal, und bald ging, von ihren lustigen Liedern begleitet, die Fahrt einer zahlreichen und sehr angesehenen Gesellschaft auf das mit frischen Blumen reich geschmückte Landhaus zu.
Bei der Mittagstafel, die bis in den Abend hineinreichte, waren kaum die Ringe gewechselt worden, als ein durchdringender Schrei von allen Anwesenden mit Erschrecken, von dem Bräutigam mit Schaudern gehört wurde. Man lief an die Fenster. Aber obschon in der Dämmerung alles noch sehr gut zu sehen war, so fand sich doch die Veranlassung nicht auf.
»Halt!« fiel hierbei mit wildem Lachen der Duca ein, dessen Gesicht den Farbenwechsel des bösen Gewissens schon lange getragen hatte, »den Schrei aus freier Luft kenne auch ich. Er ist aus den Memoiren der Clairon entlehnt, die von einem verstorbenen Liebhaber auf diese originelle Weise geängstigt wurde. Nach dem Schrei folgte ein Händeklatschen. Hoffentlich, Herr Marchese, werden Sie auch dies in Ihre Fabel mit aufgenommen haben?«
»Und warum,« versetzte ich, »warum glauben Sie, daß niemandem, als dieser Schauspielerin, so etwas begegnen konnte? Ihr Unglaube sieht wirklich um so wunderlicher aus, da er sich auf Thatsachen stützen will, die für den Glauben sprechen können.«
Die Gräfin winkte mir, daß ich fortfahren möchte, und ich erzählte weiter: Bald nach diesem unerklärlichen Schrei bat ich die Braut, der ich gegenüber saß, daß sie mir ihren, schon zuvor wegen der köstlichen Arbeit daran sehr bewunderten, Ring noch einmal zeigen möchte, und – er ist nicht an ihrem Finger. Man sucht und sucht, aber nirgends eine Spur von dem Ringe. Darüber wird ein allgemeines Aufstehen, doch ebenfalls ohne allen Erfolg.
Indessen rückt die Zeit zu der Ergötzlichkeit des Abends heran. Dem Maskenballe soll ein Feuerwerk auf der Brenta vorausgehen. Man maskirt sich daher, und besteigt dann die Gondeln. Aber die Stille bei diesem Feste ist unerhört; die allgemeine Verstimmung entschieden. Kaum daß dem ausgesuchten Feuerwerke bisweilen ein kaltes Bravo zugerufen wurde.
Der Ball war einer der glänzendsten, denen ich beigewohnt habe. Die kostbaren Juwelen, womit sich die Gesellschaft geziert hatte, sogen die Lichtströme der Lüstres und zahllosen Wandleuchter nur ein, um sie verherrlicht wiederzugeben. Am reichsten jedoch war die Braut geschmückt, und ihr prachtliebender Vater ergötzte sich an dem Gedanken, daß es hierin gewiß niemand seinem einzigen Kinde nachzuthun vermöge.
Wahrscheinlich, um seine Ueberzeugung hiervon zu befestigen, geht er eben beobachtend umher, und bricht bald in lautes Staunen aus; daß er auf einmal dieselben Juwelen, welche Kamilla trägt, an zwei Damen zugleich entdeckt. Er hat mir ein Paar Monate später die Schwäche eines leichten Verdrusses darüber selbst eingestanden. Indessen freut er sich doch, auch die Kostbarkeit dieser Juwelen mit einem, der Braut für die Nachttafel bestimmten Strauße noch weit überbieten zu können.
Als es aber zur Tafel kommt, und der alte Herr sein Auge von neuem Umgang halten läßt, ist die Dame von vorhin mit einem, wenigstens eben so kostbaren, Strauße als Kamilla versehen.
Jetzt hält sich seine Neugier nicht länger, und er fragt: »Darf ich so unbescheiden seyn, schöne Maske, mich ganz leise nach Ihrem Namen zu erkundigen?« Doch zu seinem großen Befremden schüttelt die Dame den Kopf, sich von ihm abwendend.
Zu gleicher Zeit kommt der Haushofmeister und will wissen, ob die Gesellschaft seit dem Mittage größer worden sei, da die Kouverts diesmal nicht zureichen wollten. Der Herr antwortet hierauf ein unwilliges Nein! und beschuldigt die Dienerschaft eines Versehens. Der Haushofmeister besteht indessen auf seiner Behauptung.
Als nun die Gedecke um eins vermehrt sind, überzählt der Herr selber, und findet in der That einen über die Zahl der gebetenen Gäste. Da er nun vor Kurzem, einer unvorsichtigen Aeußerung halber, einigen Verdruß mit der Polizei gehabt, so glaubt er diese Vermehrung seiner Gäste durch sie bewirkt zu sehen. Weil übrigens gar nicht zu besorgen war, daß heute irgend etwas Polizeiwidriges gesagt oder gethan werden würde, so behält er sich, die Störung zu vermeiden, und um volle Genugthuung von Seiten der Regierung wegen so nichtswürdigen Eindringens in ein Familienfest zu erhalten, die Bitte um Demaskirung sämmtlicher Anwesenden bis zum Ende zu verschieben vor.
Wir Anwesenden erstaunten über den Luxus der Tafel. In Ansehung des Getränkes überstieg er die Gewohnheit des Landes bei weitem. Und doch war der Wirth noch nicht zufrieden, und beklagte laut, daß ein Unglück seinen vortrefflichen rothen Champagner betroffen hätte, so daß er nicht im Stande sei, ein einziges Glas davon aufzusetzen.
Wirklich schien auch die Versammlung die den ganzen langen Tag versäumte Fröhlichkeit nachholen zu wollen. Nur in meiner Nähe war es ein andres: da konnte man vor Neugier nicht dazu kommen. Ich saß nämlich unweit der köstlich geschmückten Dame und bemerkte, daß sie, weder Speise noch Trank anrührend, keinem ihrer Nachbarn ein Wörtchen zurückgab, sondern immer nur ihr Auge auf das Brautpaar zu richten schien.
Das Gerücht davon verbreitete allmählig den Umstand im Saale, und störte dadurch das Vergnügen aufs neue gar sehr. Man zischelte sich eine Menge Muthmaßungen über die räthselhafte Person in die Ohren. Die meisten waren der Meinung, daß eine unglückliche Leidenschaft für den Bräutigam der Grund ihres wunderlichen Benehmens seyn möchte. Ihre Nachbarn besonders standen bei Zeiten auf, um bei Bekannten eine bessere Unterhaltung zu gewinnen.
Nach und nach setzte sich eine große Anzahl von den Gästen neben die Dame, in der Hoffnung, eine Bekannte in ihr zu finden, und eines bessern Geschickes gewürdigt zu werden. Vergebens.
Endlich kam, grade zu der Zeit, als weißer Champagner herumgegeben wurde, auch der Bräutigam, um einen der Stühle neben der stummen Dame einzunehmen.
Jetzt schien sie wirklich belebter zu werden. Wenigstens wandte sie sich nach dem neuen Nachbar herum, was bei den vorigen gar nicht geschehen war, auch reichte sie ihm ihr Glas, als ob er daraus trinken solle.
Aber Filippo fing heftig an zu zittern, als sie ihm fest in's Gesicht sah.
»Der Wein ist ja roth!« rief er, auf das Glas deutend. »Ich denke es fehlt an rothem Champagner?«
»Roth?« – fragte der Vater der Braut, welcher aus Neugier nachgegangen war, voller Verwunderung.
»Betrachten Sie nur das Glas der Dame!« versetzte Filippo.
»Nun, es ist so weiß wie alle übrigen!« Er rief dabei die Andern zu Zeugen an, welche sämmtlich den Wein für weiß erklärten.
Filippo trank nicht, und verließ den Sitz, nachdem ihn ein zweiter Blick seiner Nachbarin vollends erschüttert hatte.
Er nahm den Wirth auf die Seite, und dieser entschloß sich bald darauf zu folgender Bitte: »Ich ersuche,« sagte er, »aus Ursachen, über die ich mich nachher erklären werde, sämmtliche werthe Gäste mir ihr Gesicht auf einen Augenblick zu zeigen.«
Da er hiermit, weil jedermann begierig war, die stumme Dame ohne Maske zusehen, gewissermaßen nur einen allgemeinen Wunsch aussprach, so gab es im Nu kein maskirtes Gesicht mehr, – die stumme Dame ausgenommen, auf welche alle Blicke hingekehrt blieben.
»Sie sind die einzige Maske noch,« redete der Wirth sie nach einer langen Pause an. »Darf ich nicht auf das Glück hoffen?«
Doch sie verweigerte hartnäckig sich zu erkennen zu geben.
Es war dem Hausherrn umso empfindlicher, da er in allen übrigen wirklich zum Feste geladene Freunde und Freundinnen entdeckte, und diese Dame daher ohne allen Zweifel die Ueberzählige seyn mußte. Gleichwohl unternahm er es nicht, sie zu Ablegung der Maske zu nöthigen, weil der seltene Reichthum ihres Schmuckes den Argwohn, als ob es die Polizei gewesen, welche seine Gäste vermehrt habe, gar nicht mehr in ihm aufkommen ließ, und er eine sehr vornehme Person, wofür er sie hielt, nicht beleidigen mochte. Konnte sie doch gar zu den auswärtigen Freunden seines Hauses gehören, und vielleicht, bei ihrer Ankunft in Venedig von dem Feste unterrichtet, einen unschuldigen Scherz sich vorgenommen haben.
Indessen fand man für gut, auf jeden Fall unter der Dienerschaft einige Erkundigung einzuziehen. So viel aber auch fremde Diener und Dienerinnen im Hause anzutreffen waren, dieser Dame gehörte niemand davon. Auch erinnerten sich des Hauswirths Leute nicht, jemanden, der sie anginge, gesehen zu haben.
Dies war um so seltsamer, da die Dame, wie schon erwähnt, vor der Tafel erst den kostbaren Strauß vorgenommen. –
Das Flüstern, welches alles eigentliche Gespräch verdrängt hatte, ward immer lauter und lauter, als jetzt mit Einem Male die Maske sich von ihrem Sitze erhob, dem Bräutigam winkte, und dann nach der Thüre schritt. Aber die Braut verhinderte ihn ihr zu folgen. Sie hatte schon längst die Aufmerksamkeit der räthselhaften Person auf ihn wahrgenommen. Auch war ihr nicht entgangen, daß er diese vorhin ganz erschüttert verlassen hatte, und sie besorgte sehr, es könne gar ein Wahnsinn aus Liebe hier im Spiele seyn. Der Hausherr folgte jedoch, trotz aller Vorstellungen seiner bekümmerten Tochter, der Unbekannten wirklich von Weitem, und verdoppelte seine Schritte, als schon die Thüre zwischen ihr und der Gesellschaft war. Doch in diesem Momente ließ sich der Schrei vom Mittage, nur durch die Stille der Nacht um vieles verstärkt, auf Einmal wieder hören, um die ganze Gesellschaft gleichsam zu erstarren. Als der Wirth sich von dem Schrecke wieder zusammenraffte und hinaustrat, war von der Unbekannten keine Spur mehr zu erblicken.
Die Leute draußen wußten ebenfalls nichts von ihr, und wiewohl der Platz um die Villa herum gar nicht einsam, auch das Ufer von Gondolieren belebt war, so wollte doch niemand die verschwundene Maske wahrgenommen haben.
Dies alles zusammen hatte die Gesellschaft so unruhig gemacht, daß jedermann die Heimfahrt herbeiwünschte, und der Wirth sich entschließen mußte, die Schiffe früher, als er gewollt, abgehen zu lassen.
Es war zu erwarten, daß die Rückkehr noch düsterer als der Morgen seyn würde.
Am Tage nachher fand ich jedoch das Paar wieder ziemlich beruhigt. Selbst Filippo war der Erklärung seiner Braut beigetreten, daß die Unbekannte ohnfehlbar eine aus Liebe verrückt gewordene Person gewesen seyn müsse. Den wiederholten Schrei – den glaubte man irgend einem ausgelassenen Menschen zuschreiben zu können, und der Umstand, daß die Maske so ungesehen entkommen war, ließ sich mit der Unachtsamkeit der Leute, zur Nothdurft erklären.
Daß der Ring so plötzlich weggekommen, und immer noch fehlte, das wurde irgend einem bösartigen Taschenspielerstreiche der Bedienung beigemessen.
Kurz, man schlüpfte heute über alle die Kleinigkeiten, welche diese Aufklärungen entkräften konnten, mit gar leichtem Muthe hinweg, und war nur darüber verlegen, daß der zur Einsegnung bestimmte Priester bereits im Sterben lag, und wegen der genauen Freundschaft, welche die Familie mit ihm gehalten hatte, in der ersten Woche nicht füglich an den Freudentag der Trauung gedacht werden konnte.
Grade am Begräbnißtage des Geistlichen aber erlitt Filippo's Leichtsinn eine große Störung. Ein Brief von Klara's Mutter benachrichtigte ihn nämlich, daß seine vormalige Geliebte aus Gram über den Treulosen gestorben sei, und noch in den letzten Augenblicken geäußert habe, daß sie auch im Grabe nicht ruhen werde, bis sein ihr gegebenes Wort erfüllt worden.
Dieses schon allein machte einen so heftigen Eindruck auf ihn, daß die beigefügten mütterlichen Verwünschungen ganz überflüssig wurden. Dazu kam, daß, wie Filippo sich genau erinnerte, der erste räthselhafte Schrei auf der Villa grade in der Stunde ihres Todes sich hatte vernehmen lassen. Auch glaubte er nun fest, daß die unbekannte Maske niemand, als Klara's Geist gewesen sei.
Dieser Gedanke raubte ihm zu Zeiten alle Besinnung.
Er trug den Brief stets bei sich, und zog ihn bisweilen halb bewußtlos aus der Tasche, um sein stieres Auge hineinzuversenken. Auch die Gegenwart Kamilla's verhinderte ihn nicht daran, und da diese ohnehin die Ursache seiner auffallenden Veränderung in dem Briefe suchte, so nahm sie ihn einst, als er ihm eben aus der Hand gefallen, und Filippo in tiefes Nachdenken gerathen war, von der Erde auf und las.
Erschrocken merkte er es erst, als sie bleich und düster das Blatt wieder aus der Hand legte.
Filippo fiel der Braut reuig zu Füßen, und beschwor sie, ihm zu sagen, was er zu thun habe?
»Doch wohl mich treuer zu lieben, als die Erblaßte!«, rief die Liebende betrübt, und er gelobte dies von Herzen.
Aber seine Unruhe vermehrte sich immer, und wuchs am Morgen der Trauung zu einer befremdenden Heftigkeit. Denn als er im Dunkeln nach dem Hause der Braut ging, um diese, nach Landessitte, vor Tagesanbruch zur Kirche zu führen, da glaubte er fortdauernd Klara's Schatten an seiner Seite zu erblicken.
Kein liebendes Paar ist wohl jemals so vom Entsetzen zum Traualtare begleitet worden, als dieses. Auf die Bitte von Kamilla's Eltern war ich als Zeuge mit ihnen zugegen, und wir erinnerten uns nachher oftmals an die Grabesschauer dieses Morgens.
Wir gingen in aller Stille nach der Kirche della Salute. Aber schon in der Straße flüsterte mir Filippo zu wiederholten Malen zu, daß ich doch die Fremde, die uns verfolge, von seiner Braut abhalten möchte, weil er ihr üble Vorsätze gegen Kamillen zutraue.
»Welche Fremde?« fragte ich.
»Nicht so laut, um Gotteswillen nicht!« sprach er. »Sie sehen ja doch, wie sie sich zwischen mir und Kamillen mit Gewalt einzudrängen sucht.«
»Phantasien, mein Bester. Hier ist niemand als Sie und Ihre Braut.«
»Wollte doch Gott, daß meine Augen mich betrögen! – Nur nicht mit in die Kirche!« fügte er hinzu, als wir schon an der Thüre standen.
»Gewiß nicht!« antwortete ich; und stellte mich zum lauten Erstaunen von Kamilla's Eltern so an, als ob ich jemanden hinwegweisen wollte.
In der Kirche selbst fanden wir auch Filippo's Vater, von dem sein Sohn, sobald er ihn erblickte, wie ein Sterbender Abschied nahm. Kamilla schluchzte, und ihre Eltern wurden, als er jetzt ausrief: »So ist die fremde, bleiche Gestalt doch hereingeschlüpft?« zweifelhaft, ob die heilige Handlung unter solchen Umständen vorzunehmen sei.
Aber die liebende Kamilla sagte: »Grade bei diesen Phantasien hat er ja meine Pflege am nöthigsten.«
Man näherte sich dem Altare, dessen Lichter in diesem Augenblicke durch einen Windstoß sämmtlich ausgelöscht wurden. Der Priester war unwillig, daß man die Fenster nicht besser verwahrt habe. Doch Filippo rief: »Die Fenster! Seht Ihr denn nicht, wer hier steht, und die Kerzen recht geflissentlich ausgeblasen hat?«
Man staunte einander an, und Filippo fuhr fort, indem er sich hastig von Kamillen losmachte: »Seht Ihr auch nicht, wer mich so eben von der Braut hinwegreißt?«
Kamilla sank ohnmächtig in die Arme ihrer Mutter, und der Priester äußerte, daß bei einer so ganz bedenklichen Lage der Dinge die Trauungsceremonie unmöglich statt finden könne.
Die beiderseitigen Verwandten nahmen Filippo's Zustand für eine Verstandesverrückung, ja man sprach gar von erhaltenem Gifte, als der unglückliche Bräutigam bald darauf unter den heftigsten Konvulsionen verschied. Doch niemand begriff die Ursache und den Anstifter. Auch fand sich bei der chirurgischen Untersuchung des Leichnams nicht die mindeste Bestätigung dieses Argwohns.
Die Verwandten, welche, so wie ich, in der Folge durch Kamillen von den Veranlassungen zu Filippo's sogenannten Phantasien unterrichtet wurden, unterdrückten die Geschichte so viel als möglich. Allein die räthselhafte Maske bei der Verlobung ließ sich, wenn man die Umstände zusammenhielt, doch nicht recht geschickt erklären. Auch war das wunderbar genug, daß sich der auf der Villa verlorne Ring sogleich, als man aus der Kirche zurückkam, unter Kamilla's übrigem Schmucke wieder fand. –
»Das nenne ich eine Wundergeschichte!« sprach der Graf. Seine Gemahlin holte tief Athem und Libussa sagte: »Mir ist wirklich eiskalt darüber geworden.«
»Wie jeder Verlobten dabei werden muß!« erwiederte ich mit einem Blicke auf den Duca, der während meiner Erzählung mehrmals aufgestanden war, und sich wieder gesetzt hatte, auch in seinem verstörten Blicke die Besorgniß nicht verbergen konnte, daß seinen Wünschen von mir entgegengewirkt werden möchte.
»Ein Wort zuvor!« flüsterte er mir beim Schlafengehen zu, mich auf mein Zimmer begleitend.
»Ich durchschaue Ihren nobeln Zweck,« fing er hier an. »Diese lügenhafte Geschichte –«
»Halt!« rief ich auflodernd. »Ich bin Zeuge gewesen, das haben Sie gehört. Wie mögen Sie einen Mann von Ehre der Lüge bezüchtigen, ohne vor seiner Ahndung zu zittern?«
»Davon hernach!« versetzte er spöttelnd. »Zuvor nur so viel: Wo Sie auch die Anekdote mit dem vermischten Weine und Blute hergenommen haben, ich weiß aus wessen Leben die Scene entlehnt ist.«
»Aus Filippo's Leben, wie ich Ihnen versichern kann. Uebrigens könnte es ja wohl, wie mit dem Schreie der Fall seyn, daß dieselbe wunderliche Manier sich auf ewig zu verbinden, auch einem andern Paare eingefallen wäre.«
»Das wohl! Indessen ließen sich noch mehrere Aehnlichkeiten in Ihrer Erzählung mit einer gewissen andern Begebenheit nachweisen.«
»Leicht möglich. Alle Liebeshändel stammen im Grunde von Einer Familie ab, und können gewisse Hauptzüge nicht verläugnen.«
»Dem sei aber wie ihm wolle,« fuhr Marino fort, »für's erste verlange ich, daß Sie von heute an keine Anspielung weiter auf mein früheres Leben machen, viel weniger etwa dem Grafen gewisse Geschichten hinterbringen. Unter dieser Bedingung, und nur unter dieser, vergebe ich Ihnen die vorige, sinnreiche Komposition.«
»Vergeben! Bedingung! Und beides von Ihnen? – Das ist zu viel. Zur Antwort hierauf, daß der Graf morgenden Tages von Ihrer frühern Verlobung und von Ihrem jetzigen Ansinnen benachrichtigt werden soll.«
»Marchese, wenn Sie dies wagten!« –
»Ha ha! Ich wage es. Ich bin es dem alten Freunde schuldig. Der Lügner, der mich einer Lüge zeihen wollte, soll seine glatte Larve am längsten in diesem Hause getragen haben!«
Wider Willen hatte mich der Zorn so weit gebracht, daß es ohne Aufforderung kaum abgehen konnte, auch entschloß sich der Duca sogleich dazu, und wir versprachen uns beim Scheiden, den andern Morgen in den benachbarten Busch mit Pistolen zu kommen.
Bei Tagesanbruch nahmen wir daher beide unsre Diener mit uns in den Busch. Als Marino bemerkte, daß ich den meinigen gar nicht auf den Todesfall vorbereitet hatte, so übernahm er dieses selbst, und disponirte schon im voraus über meinen Leichnam, als ob alles bereits entschieden wäre. Zuvor jedoch redete er mir noch einmal zu, weil, wie er sagte, der Kampf zwischen uns beiden ein sehr ungleiches Ansehen habe. Er sei jung, und seine feste Hand schon in mehrern Zweikämpfen erprobt gefunden worden. Zwar sei bis dahin noch niemand durch ihn gefallen, doch habe er seinen Gegner allezeit nach Wunsche gezeichnet. Bei mir werde er zum ersten Male auf den Tod ausgehen, weil nur dieser mich ihm unschädlich zu machen vermöge. Doch gäbe ich ihm auf der Stelle mein Ehrenwort, alles was sein früheres Leben betreffe, dem Grafen zu verschweigen, so wolle es noch jetzt die Sache für völlig abgethan halten.
Es war natürlich, daß ich seinen Antrag zurückwies.
»So befehlen Sie dem Himmel Ihre Seele!« sagte er hierauf, und wir machten uns fertig.
»Sie sind am Schusse!« sprach er sodann.
»Ich trete ihn Ihnen ab.«
Er nahm es nicht an, und ich schoß ihm das Pistol aus der Hand.
Das war ihm auffallend, außer sich aber wollte er gerathen, als sein Schuß mich verfehlt hatte. Er behauptete grade auf mein Herz angelegt zu haben. Auch konnte er nicht bergen, daß kein feiges Ausweichen von meiner Seite sein Fehlen veranlaßt hätte.
Auf sein Verlangen schoß ich zum zweiten Male. Ich zielte wieder nach dem Pistole, das er in der linken Hand hielt, traf auch zu seinem Erstaunen abermals sehr gut, aber so nahe an der Hand, daß es ohne Kontusion nicht abgehen konnte.
Als sein zweiter Schuß bei mir vorbeigestrichen war, sagte ich, daß ich kein Pistol mehr anrühren würde, erbot mich aber ihn, der seine Fehlschüsse vielleicht dem allzuheftigen Blute zuzuschreiben habe, noch auf mich anlegen zu lassen. Allein ehe er dies noch ablehnen konnte, war schon der Graf, welcher Argwohn geschöpft hatte, und Libussa in unsrer Mitte. Globoda beschwerte sich sehr über das Betragen seiner Gäste. Er verlangte Aufschluß, und in Marino's Beiseyn entdeckte ich die ganze Sache. Des letztern Betroffenheit überführte den Grafen und Libussen ebenfalls von des Duca bösem Gewissen. Auch war in den ersten Stunden eine allgemeine Verstimmung nicht zu verkennen.
Allein gar bald wußte Marino durch Libussens Liebe eine kräftige Verwendung bei Globoda zu bewirken, und dieser sagte noch an demselben Abende zu mir: »Sie haben Recht, ich sollte hart seyn, und den Duca aus dem Hause weisen. Aber was würde dadurch für seine verlassene Braut gewonnen, die er nun einmal nicht wieder sehen will? Zudem ist er der erste Mann, für welchen mein einziges Kind eine herzliche Neigung zeigt. Lassen wir dem Paare seinen Willen. – Die Gräfin denkt hierin ebenfalls, wie ich, und gesteht, daß es ihr sehr leid thun würde, wenn unser Haus den schönen Venetianer wieder verlieren sollte. Wie viele Treulosigkeiten werden denn nicht in der Welt begangen, die ihre Entschuldigungen in den besondern Umständen finden!«
»Aber eben die entschuldigenden Umstände scheinen dem Duca zu fehlen!« wandte ich ein, verstummte jedoch, als ich bemerkte, daß der Graf von dem Wagestücke durchaus nicht abzubringen seyn würde.
Die Trauung ging vor sich, ohne alle Störung; doch herrschte wenig Laune bei dem übrigens lauten und glänzenden Feste. Selbst der Tanz am Abend wurde ziemlich schläfrig betrieben. Nur Marino tanzte mit einer unnatürlichen Ausgelassenheit.
»Zum Glück, Herr Marchese!« sagte er, als er grade einmal abtrat, mit lautem Lachen mir ins Ohr, »zum Glück ist noch kein Gespenst bei der Hand, wie bei Ihrer venetianischen Verlobung.«
»Aber,« versetzte ich mit aufgehobenem Finger, »frohlocken Sie doch nicht allzufrüh. Das Unglück hat einen leisen Schritt. Oft wird man es erst gewahr, wenn es uns auf den Fersen ist.«
Wider Vermuthen machte ihn die Rede ganz stumm, und was mich noch mehr von ihrem Eindrucke überzeugte, war die verdoppelte Wildheit, mit der er sich dem Tanze hingab.
Vergebens bat ihn die Gräfin Mutter, seiner Gesundheit besser eingedenk zu seyn. Nur Libussens Flehen gelang es endlich, den Athemlosen zum Sitzen zu bewegen.
Nicht lange nachher sah ich die Braut mit Thränen, die wahrlich keine Spur von Freude an sich trugen, aus dem Zimmer schleichen. Sie war es, ich täuschte mich nicht. Denn ich stand so nahe an der Hauptthüre, durch welche sie ging, als jetzt bei Ihnen. Noch seltsamer mußte es mir vorkommen, daß sie nur wenige Minuten später das heiterste Gesicht zurückbrachte. Ich folgte ihr, und sah nun wie sie ihren Bräutigam zum Tanze aufforderte, und ihrem vorigen Abmahnen ganz entgegen, seine rückkehrende Ausgelassenheit theilend anfeuerte. Ich bemerkte auch, wie der Duca nach diesem Tanze von den Eltern Abschied nahm, und mit seiner Braut durch eine Tapetenthüre schlüpfte, die nach ihrem gemeinschaftlichen Schlafzimmer führte.
Ehe ich noch dazu kommen konnte, durch Zusammenstellungen von allerlei Möglichkeiten auf die Ursachen von Libussa's veränderlicher Stimmung zu gerathen, entstand an der Hauptthüre ein Flüstern zwischen dem Kammerdiener und dem Grafen. Daß der Gegenstand nicht ganz ohne Bedeutung war, bewies die zornige Miene, mit welcher der Hausherr den Gärtner ansah, der jetzt, und wie es schien zum Beweise dessen, was der Kammerdiener gesagt hatte, hereintrat.
Ich eilte hinzu, und hörte sagen, daß so eben die Orgel in der Kirche wieder ganzvernehmlich gegangen, auch alles darin bis um Mitternacht, welche just vorüber war, erleuchtet gewesen sei.
Der Graf ereiferte sich sehr über das einfältige Märchen, wie er's nannte, und fragte, warum man ihn nicht früher gerufen habe? Weil, hieß es, jedermann den Ausgang der Sache nicht hätte versäumen wollen. Uebrigens, fügte der Gärtner hinzu, sei, er dürfe es nicht verhehlen, auch der alte Kaplan wieder zum Vorschein gekommen. Ja die Häusler am Walde wollten sogar die Bergspitze, die daraus hervorragt, erleuchtet und einen Geistertanz mit angesehen haben.
»Bravo,« rief der Graf finster. »Die ganze alte Posse kommt nach und nach wieder auf's Tapet. Ich hoffe, die sogenannte Todtenbraut wird auch nicht weit von meinen Ohren seyn.«
Der Kammerdiener stieß den Gärtner an, daß dieser den Zorn seines Herrn nicht noch mehr anfachen möchte. Daher sagte ich: »Wenigstens könnte man wohl alles mit anhören, was die Leute gesehen haben wollen. Wie ist es denn mit der Todtenbraut gewesen, mein Lieber?«
Der Gärtner zuckte die Achseln.
»Sagte ich's nicht,« rief der Graf, »daß sie auch dabei vorkommen würde. Das hängt einmal in dem Gedächtnisse der Leute zusammen, und bahnt sich von da gar leicht einen Weg zu ihren Augen. – Kann man wissen in welcher Gestalt?«
»Wenn ich es sagen darf – « antwortete der Gärtner, »so ist sie, ganz wie die selige Komtesse Hildegarde, vor Kurzem erst im Garten dicht bei mir vorbei in das Schloß gegangen.«
»Hört einmal,« sprach nun Globoda, »seid künftig wenigstens diskret in euren Phantasien, und laßt mir meine lieben Verstorbenen in Ruhe. – Uebrigens ist es gut!«
Dabei deutete der Graf auf die Thüre, durch welche die Leute auch sogleich verschwanden.
»Nun, lieber Marchese?« fragte der Hausherr.
»Nun?«
»Sollten Sie wirklich in Ihrem Märchenglauben so weit gehen, um auch diese Erscheinung meiner Hildegarde nicht zu bezweifeln?«
»Wenigstens ist sie dem Gärtner nicht allein erschienen. Erinnern sie sich nur an die Scene im Museum zu Paris.«
»Da haben Sie Recht, das war auch eine saubere Erfindung, der ich noch bis diese Stunde nicht auf den Grund sehe. Glauben Sie wohl, daß ich dem Duca weit eher darum, weil er uns eine so plumpe Lüge auftischen konnte, als wegen seines Vergehens an der ersten Geliebten, meine Tochter hätte verweigern mögen?«
»Ueber den Punkt, merke ich wohl, werden wir uns nicht leicht vereinigen. Denn wie Sie mein Glauben, grade so finde ich Ihr Zweifeln unbegreiflich. –«
Die Gesellschaft verlor sich indessen allmählig, und als endlich niemand mehr da war als die Eltern der Braut und ich, tritt auf Einmal Libussa im Ballanzuge zur Hauptthüre herein, und erstaunt, daß sie keine Gesellschaft mehr antrifft.
»Was bedeutet denn das?« fragt die Mutter, und der Vater kann nicht einmal so viel Worte für seine Verwunderung auffinden.
»Wo ist Marino?« ruft Libussa.
»Das fragst Du uns?« erwiedert die Gräfin. »Haben wir dich nicht mit ihm durch die Tapetenthüre gehen sehen?«
»Unmöglich. Sie irren sich durchaus.«
»Ih, nein, nein doch, gutes liebes Kind! – Du tanztest noch kurz zuvor so unmäßig. Dann seid ihr gegangen?«
»Ich, beste Mutter?«
»Ja wohl. Wie hast du nur dies alles vergessen können?«
»Nichts habe ich vergessen, ich versichre Sie.«
»Wo wärst Du denn so lange gewesen?«
»In dem Zimmer der seligen Schwester!« sagte sie, und ich bemerkte deutlich, wie dem Grafen bei diesem Worte das Blut ein wenig zurücktrat. Auch suchte sein Auge schüchtern nach dem meinigen. Er schwieg jedoch, und die Gräfin, in Sorgen, daß ihre Tochter irre rede, fuhr traurig fort: »Wie kommst du nur grade am heutigen Tage auf diesen sonderbaren Einfall, mein Herzenskind?«
»Davon weiß ich keine Ursache anzugeben. Ich weiß nur, daß mir auf Einmal so beklommen ums Herz wurde, und es schien, als ob niemand mir fehle als Hildegarde. Zugleich hatte ich die feste Hoffnung, sie auf ihrem Zimmer bei der Guitarre zu finden. Und daher schlich ich mich leise hinauf.«
»Trafst Du sie denn an?«
»Ach nein, doch hatte mich das heftige Verlangen nach ihr, verbunden mit der Müdigkeit vom Tanze, dermaßen erschöpft, daß ich in einen Stuhl gesunken und eingeschlummert bin.«
»Und wie lange ist es, daß Du den Saal verließest?« fragte die Mutter weiter.
»Die Thurmglocke schlug eben drei Viertel auf Zwölf, als ich in der Schwester Zimmer trat.«
»Was ist das?« flüsterte die Gräfin ihrem Gemahle schmerzlich zu. »Sie spricht so zusammenhängend; gleichwohl weiß ich genau, daß ich sie grade, wie die nämliche Uhr drei Viertel auf Zwölf schlug, hier auf dieser Stelle zur Mäßigung im Tanze ermahnte.«
»Und Dein Bräutigam?« rief der Graf.
»Wie gesagt, den glaubte ich hier zu sehen.«
»Gott, Gott!« rief die Mutter, »sie ist wahrlich von Sinnen. Wo aber, wo muß er seyn?«
»Was, gute Mutter?« sprach Libussa ängstlich an sie geschmiegt, während der Graf ein Licht ergriff, und mir, ihn zu begleiten, winkte.
Im Brautgemache, wohin er mich führte, erwartete uns ein furchtbares Schauspiel. Der Duca allein auf dem Boden und keine Spur von Leben in ihm. Dabei war sein Gesicht zum Entsetzen verzogen.
Denken Sie sich Libussens Betrübnis, als sie Nachricht davon erhielt, und alle ärztlichen Bemühungen, den Verstorbenen wieder zu beleben, keinen Erfolg hatten. –
Die ganze Familie gerieth in eine Bestürzung, wogegen alle Trostgründe wenig vermochten. Daher kam mir ein dringendes Geschäft, das meine Abreise erforderte, überaus erwünscht.
Ich unterließ indessen nicht, zuvor über die Sage von der Todtenbraut im Dorfe nähere Erkundigung einzuziehen. Leider hatte sich die Geschichte durch mündliche Ueberlieferung nur ziemlich unvollkommen erhalten. Die sogenannte Todtenbraut sollte ein Fräulein aus dem vierzehnten oder funfzehnten Jahrhunderte und in dieser Gegend zu Hause seyn. Es hieß, sie habe so undankbar und treulos an einem Geliebten gehandelt, daß dieser darüber gestorben sei, seine Erscheinung habe sie auch grade in ihrer Hochzeitsnacht getödtet. Seitdem, erzählte man ferner, wandre ihr Geist auf der Erde in allerlei vorzüglich schönen Gestalten herum, um Liebende zur Treulosigkeit zu verleiten. Da ihm nicht vergönnt sei, den Körper noch lebender Personen anzunehmen, so pflege er unter den Todten solche auszusuchen, die schönen Lebenden sehr ähnlich sähen. Aus diesem Grunde verweile er auch gern in Sälen, wo Familienporträts aufgestellt sind, ja selbst in öffentlichen Gemäldesammlungen wolle man ihm schon auf die Spur gekommen seyn. Die Rede geht, daß das Fräulein zur Strafe ihrer Treulosigkeit so lange herumirren solle, bis sich ein Mann gefunden, den sie vergebens vom rechten Wege abzulocken sucht.
»Noch müsse ihr dies nicht geglückt seyn!« fügte man hinzu.
Ich erkundigte mich, was es mit dem alten Kaplan für Bewandniß habe, und erfuhr, daß sein Schicksal von dem ihrigen abhange, weil er den Unterhändler ihrer strafbaren Neigung abgegeben habe.
Was das Namenrufen, welches ebenfalls vorgekommen war, so wie die bei Nacht erleuchtete Kirche, in der Hochamt gehalten wurde, bedeute, darüber konnte mir niemand auch nur einigermaßen befriedigende Auskunft geben. Auch wußte kein Mensch, was der Tanz auf dem Berge im Walde bezeichnen möge.
»Uebrigens,« fügte der Erzähler hinzu, »werden Sie gestehen, daß diese Sage auf eine sehr wunderbare Weise in die erzählte Geschichte eingreift, und werden die Lücken in dieser, selbst, so gut als möglich, auszufüllen suchen. Wenigstens bin ich nicht im Stande, einen bessern Schlüssel dazu zu leihen. – Eine Geschichte von derselben Todtenbraut, die ich vor einigen Wochen erst erfahren habe, und die meines Erachtens nicht ohne Interesse ist, erspare ich auf ein ander Mal, da ohnehin schon mein Geschwätz Ihnen mehr Zeit, als ich wünschte, gekostet hat.« –
Kaum war er fertig, und die zum Theil nicht ganz gläubige Gesellschaft auf einige Artigkeiten für seine Bemühung gefaßt, als ein Bekannter eiligst zur Thür hereintrat, und dem Marchese ein Wort in's Ohr raunte.
Auffallend war dabei die Wichtigkeit und das ängstliche Wesen des eben Angekommenen im Gegensatz von der Ruhe, womit der Marchese seine Nachricht empfing.
»Eilen Sie,« rief jener, durch diese Ruhe ganz außer Fassung gebracht, »in ein Paar Minuten werden Sie sonst das Zögern bereuen.«
»Ich danke Ihnen für Ihre freundschaftliche Fürsorge,« sagte der Marchese, schien aber seinen Hut mehr deshalb zu nehmen, weil sich alle Anwesenden zur Heimkehr fertig machten, auch gar nicht eilen zu wollen.
»Nun sind Sie verloren!« sprach hierauf der Andere, als ein Officier mit einigen Mann hereintrat, der nach dem Marchese fragte.
Er gab sich sogleich selbst zu erkennen.
»Sie sind mein Gefangener,« sagte der Officier, und der Marchese ging mit ihm, nachdem er der Gesellschaft freundlich gute Nacht gesagt, und gebeten hatte, daß man seinetwegen ganz außer Sorge seyn möchte.
»Außer Sorge!« sagte der Mann, dessen Warnung er verschmäht hatte. »Sie müssen wissen, daß der Marchese in den gefährlichsten Verbindungen steht, und sein Todesurtheil so gut wie gesprochen ist. Aus Mitleid eilte ich ihn zu benachrichtigen, da es vielleicht noch Zeit war, und kann, nach seinem jetzigen Benehmen, kaum glauben, daß er noch bei Sinnen sei.«
Die Muthmaßungen liefen in der sehr bestürzten Gesellschaft noch eine Zeitlang hin und her. Doch jetzt kam auf Einmal der Officier zurück und fragte wieder nach dem Marchese.
»Er ist ja vor Kurzem erst mit Ihnen hinaus!« sagte einer.
»Aber auch wieder zurückgekehrt.«
»Hier ist niemand gewesen.«
»So müßte er verschwunden seyn!« rief der Officier lachend, und ließ jeden Winkel aussuchen.
Alles vergebens. Das ganze Haus wurde umsonst durchstört, und am andern Morgen ging der Officier mit seinen Soldaten allein und sehr mißvergnügt aus dem Badeorte.
* * *