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Die Annehmlichkeiten einer großen, genußvollen Residenz reichten nicht hin, den Baron Heinsberg in ihr festzuhalten. Alles erinnerte ihn an den Verlust der liebenswürdigen Gemahlin, mit der er hier zwei glückliche Jahre verlebt hatte. Kein Geräusch vermochte seinen Sinn zu betäuben, der fortdauernd auf die durch den Todesfall entstandene, unheimliche Leere in seiner Brust gerichtet war. Die Natur und eine höchst anmuthige Gegend blieben ihm noch die einzige Hoffnung, als jetzt, nach einem düstern, neblichten Winter, der Frühling mit seinen tausendfachen Farben und Klängen sich ringsumher lagerte. Aber die allgegenwärtige Stimme der Liebe verwundete ihn nur tiefer, und, außer dem melancholischen Einerlei des benachbarten Gehölzes, hatte er bald keinen Ort mehr, in dem sich seine Wunden ertragen ließen. Das Dunkel und die Stille der grünen Einöde schien tröstend auf das tiefere Dunkel und die ganz lautlose Stille zu deuten, von der allein er seine Heilung erwartete.
Günthersau, ein entfernter Freund, der diesen seinen Zustand aus Briefen kannte, hielt es für Pflicht, den jungen, wohlhabenden und talentvollen Mann einer langen Einsamkeit zu entreißen, in der er seinem Untergange mit schnellem Schritte entgegen wankte.
Er überraschte ihn eines Abends und verweilte mehrere Tage bei ihm. Geflissentlich führte er seine Gedanken in die gemeinschaftlich verlebte Vergangenheit zurück. Der Zauber der heitern, akademischen Jahre wurde noch einmal, nur ruhiger, in der Erinnerung genossen. Ihr Leichtsinn konnte zwar den Handlungen des Mannes nicht zur Grundlage dienen, eben so wenig aber eine zwecklose Trauer ihn zur Unthätigkeit verdammen sollen. Günthersau wußte dem Freunde dieses an's Herz zu legen und ihn zu einer Reise zu überreden.
Ohne großen Erfolg waren sie schon mehrere Brunnenorte durchstrichen, bis sie endlich in Pyrmont den Grafen von Ambach, einen bei fünf und vierzig Jahren noch sehr wohlerhaltenen, lebenslustigen Mann, antrafen, dessen geistreiche Miene und Jovialität Heinsbergen mehr als alles Uebrige ansprach.
Graf Ambach erwartete seine Familie. Die Ungeduld, mit der es geschah, erweckte den Freunden die Hoffnung auf neue, interessante Bekanntschaften, von der sie sich auch nachher keinesweges betrogen sahen. Schon das Aeußere der drei Damen, die, begleitet von dem verjüngten Ebenbilde des Grafen, bald erschienen, weissagte ihnen ein ganz neues, erhöhetes Leben. Kein Mensch hätte der Gräfin das Alter von einigen und dreißig Jahren angesehen, kein Mensch geglaubt, daß sie von drei so erwachsenen Kindern die Mutter seyn könne. Noch war an ihrem hohen, kräftigen Bau auch nicht Eine Zerstörung zu entdecken. Ihre schönen Glieder sprachen die Fülle des herrlichsten Lebens aus, und aus dem dunkeln Auge blitzte der innere Reichthum, von dem die vollkommensten Lippen fortdauernd ein noch unverdächtigeres Zeugniß ablegten. Jede Bewegung ihres schönen Körpers war bewußtlos den Grazien entlehnt und es war daher kein Wunder, wenn in Günthersau schon am ersten Abende Gefühle für die Dame erwachten, die auf die Länge den Rechten ihres Gemahls mit Beeinträchtigung drohten.
War aber die Gräfin der vollendeten Rose gut zu vergleichen, so mußte man bei den frischen Reizen ihrer Töchter nothwendig an die Knospen denken, deren höchste Schönheit noch erst durch den Blick der Sonne entfaltet werden soll. Köstliche Kinder der unverfälschten Natur! Dazu so verschieden, daß sie den Charakter der Schönheit jede auf ihre Weise darstellten. Jukunde, die ältere, mit braunen Augen, war, bis auf unbedeutende Abweichungen, der Mutter an Fülle und Feuer ganz nachgerathen. Dagegen strahlte aus dem großen blauen Auge Mariens ein Licht, wie die Sterne es geben, so süß und tief eindringend; auch war es, als ob ihre ganze, lilienweiße, überaus schlanke Gestalt der Schimmer einer höheren Abkunft umflösse. Selbst ihre wenigen, immer anspruchlosen, Worte, und die Bewegung des Mundes dabei, hatten etwas Bezauberndes. Auch achtete man auf die geringsten Laute von ihr, wie auf etwas von tiefer Bedeutung.
Ob sie schon im Gesange sich durchaus nicht messen konnte mit der reichen ausgebildeten Stimme ihrer Schwester, so zog doch ihr weit schwächerer Ton die Zuhörer mächtig an. Ein Geisterklang schien es zu seyn; ein Wunder, aus dem heiligen Grunde des schönsten Gemüthes heraufgestiegen.
Heinsberg hing mit inniger Sehnsucht an ihrem Gesange. Er scholl wie die Stimme seiner Verlorenen aus den Räumen der Seligen zu ihm herüber.
Eines Abends, als Marie das Lieblingsstück der Verstorbenen, den König von Thule, sang, da hielt er sich nicht lange. Er stürzte ihr zu Füßen, ihre Hand stürmisch an seinen Mund pressend. Diese Romanze schien es gewesen zu seyn, was ihm so lange gefehlt hatte. Sein Benehmen fiel übrigens den Andern nicht sehr auf, da Marie den schönen Gesang wirklich ganz herzergreifend vortrug, und jedermann im Hause, gleichsam, als ob man den höhern Ursprung stillschweigend anerkenne, ohnehin gewohnt war, sie bei aller Gelegenheit besonders auszuzeichnen.
Ein Rittergut, in der Nähe des Ambachschen, das zu verkaufen war und sehr gerühmt wurde, fand an Heinsbergen einen um so eifrigern Liebhaber, da jene Gegend durch ihre Naturwunder in großem Rufe stand, auch, nach der Erzählung der Nachbarn, in einem weiten Umkreise überaus gebildete und gesellige Bewohner hatte.
Heinsberg war nämlich durch die Einsamkeit selbst von dieser ganz zurückgekommen und glaubte jetzt im freundlichen Beisammenseyn mit andern Gebildeten auf dem Lande, das Leben noch am leichtesten ertragen zu können. Daher begleitete er, auch nebst Günthersau die Ambachsche Familie in ihre Heimath, um das verkäufliche Gut in Augenschein zu nehmen; und da er die Bedingungen annehmlich fand, so war wirklich der Kauf in Kurzem abgeschlossen.
Das Verhältniß zwischen dem Ambachschen Hause und Heinsberg zog sich immer dichter und dichter, Graf Ambach und die Seinigen vermißten ihn sehr, wenn er auch nur einen Tag ausgeblieben war. Heinsberg selbst schien das höchste Glück seines jetzigen Daseyns in diesen Kreis zu setzen, dessen Haupt für ihn Marie war. Günthersau blieb ebenfalls einige Zeit hier und trug seine Neigung, die bei der Gräfin keine Erwiederung fand, auf deren ältere Tochter über, so daß zu Anfange des Herbstes dessen Verlobung mit ihr gefeiert wurde.
Obschon etwas Aehnliches zwischen Heinsberg und Marie nicht eingetroffen war, so schien doch ihre wechselseitige Art und Weise darauf hinzudeuten. Die Mutter freute sich übrigens darüber, daß noch nichts davon zur Sprache kam, weil Marie erst im sechzehnten Jahre stand, und sie dem ohnehin allzuzarten Wesen die mit jedem gutgeführten Hausstande verbundenen Sorgen gern noch einige Zeit erspart hätte.
Günthersau's Hochzeit war, sehr wider dessen Willen, immer weiter hinausgeschoben worden, weil man das fröhliche Pärchen außerdem zu früh zu verlieren fürchtete, auch vielleicht die Gräfin Ambach damit zugleich Mariens Verlobung weiter zu entfernen dachte, die sich – wenn nicht alles täuschte – an jenes Hochzeitfest knüpfen zu wollen schien.
Als endlich das erste Schneegestöber die rauhe Zeit ankündigte, da gab sich Günthersau nicht länger ruhig darein, auch fehlte Ambachs der Vorwand ihn noch zurückzuhalten; daher beschloß man der Sache den Lauf zu lassen.
Den ganzen Sommer hatte man durch Feste verschönert, die mit der Jahreszeit in Verbindung standen. Besonders lustig war noch zuletzt die Weinlese ausgefallen. Drum glaubte man jetzt etwas dieser Art auch für die bewußte Hochzeit thun zu müssen. Die Kirmes bei einem reichen Pachter in der Nachbarschaft, welcher ein großer Theil der umwohnenden Gutsbesitzer nebst mehrern Bekannten aus nahen Städten beigewohnt hatte, gab Veranlassung zu dem Winterfeste, das man für Günthersau's Hochzeit ersann. In Masken sollte die Nachahmung der Kirmes geschehen, und Graf Ambach übernahm es, eine Menge Bekannte zum Abende des Tages einzuladen.
Um den Scherz zu erhöhen, verrieth er niemand, auf wen seine Wahl gefallen sei, daher jeder der Gäste den freiesten Spielraum zu Behauptung seines Inkognito bis zur Tafel erhielt, und der Witz sich unter allerlei abentheuerlichen Verkleidungen desto ungestörter behaupten konnte.
Die Hochzeit selbst war bloß mit den genauern Freunden gefeiert worden. Die dabei immer anklingende Trennung des folgenden Tages erzeugte aber eine so düstere Stimmung, daß man nur schwer sich entschloß, die bereits fertig liegenden Masken anzulegen.
Schon prophezeihte man dem Feste des Abends nicht viel Gutes, als die nach und nach erfolgende Ankunft mehrerer auffallend Verkleideter der Phantasie eine gefälligere Richtung gab.
Jeder der Gäste hatte dem zum tiefsten Stillschweigen verurtheilten Haushofmeister seinen Namen anzugeben, und Graf Ambach war, als er die Liste von ihm erhielt, sehr erfreut, daß der größte Theil der Geladenen sich eingestellt hatte.
Man erschöpfte sich wechselsweise im Rathen und Nachforschen, bis am Ende der Scharfsinn, hauptsächlich der Damen, die meisten Anwesenden herausbrachte.
Unter den wenigen, die ein Räthsel blieben, zeichnete sich besonders ein Equilibrist aus, durchaus nicht mit denen zu vergleichen, die durch Herumstreifen auf Kirmsen und Jahrmärkten von einem geringen Talente Nutzen zu ziehen wissen. Natürlich war es zwar, daß schon sein Aeußeres an Glanz und Anstand ihn hoch über den Kreis eines gemeinen Gauklers setzte. Allein, daß auch die Künste, mit denen er die Anwesenden ergötzte, einen Grad der Vollendung hatten, der das Nichtige ihres Wesens adelte, das setzte die Gesellschaft, und vor allen den Hauswirth, in Verwunderung, weil er in der Liste der Geheimen auch nicht einen Einzigen fand, von dem solch ein Geschick zu vermuthen gewesen wäre. Selbst die Gestalt wußte er keinem davon zuzutheilen. Denn wenn auch die knapp anliegende, ideale Tracht den schönen Körper ungewöhnlich heraushob, so rieth er doch vergebens her und hin nach dem, dem so viel Ebenmaß eigen war.
Der Wunsch, des Räthselhaften Gesicht zu sehen, war allgemein, daher freute man sich, daß die Tafelzeit immer näher rückte.
Besonders lag hieran auch unter andern dem Baron Heinsberg, dem darum gar nicht wohl zu Muthe war, weil alle Aufmerksamkeit des Künstlers sich größtentheils auf Marien richtete und diese mit ihrem Wohlgefallen an des Unbekannten Fertigkeiten keinesweges zurückhielt. Ihre Sorge bei jeder gefährlichen Stellung um denselben, die dringende Art, mit der sie ihn einigemal sogar davon zurückhielt, brachte den Baron auf den Argwohn, daß ihr Beifall weniger den Künsten als dem Künstler gelte.
Wirklich war Heinsberg Willens gewesen, noch an diesem Abende, wenn nicht öffentlich, doch im Stillen, die künftige Vereinigung mit Marien förmlich einzuleiten, daher hätte ihn so leicht nichts empfindlicher treffen können, als der Geliebten besonderes Wohlwollen für einen Andern. Die Abendtafel, meinte er, werde mehr Aufklärung darüber geben.
Kurz vor derselben ging Marie am Arme des Künstlers auf und nieder. Heinsberg verwendete kein Auge von ihnen, um zu entdecken, ob vielleicht ihre Pantomime, der Regel des Tages zuwider, in mündliches Gespräch übergegangen sei.
So schien es jedoch nicht. Als er aber jetzt, wie der Unbekannte mit Marien aus dem gemeinschaftlichen Saale in ein Nebenzimmer trat, eben im Begriff war, nachzuschleichen, da nahm ihn die Frau vom Hause auf die Seite, um ihm wegen des Platzes bei Tisch etwas zuzuflüstern. Er stand auf glühenden Kohlen.
Es ging auch wirklich im dritten Seitenzimmer etwas vor, nicht gemacht seine Ruhe zu befördern. Der Equilibrist nämlich zog hier, da er sich mit Marien allein sah, die Maske ab. Das Fräulein staunte über die Schönheit eines ihr völlig Unbekannten.
Marie, sagte er, Sie sind mein Wunsch und mein Streben. Aber Zeit und Umstände binden mir die Zunge. Denken Sie meiner, dann werden wir uns – ich hoffe glücklich – wiedersehen!
Marie hielt sich ängstlich an dem nebenstehenden Armstuhle an; das Geständniß hatte sie allzusehr überrascht. Sie sah so plötzlich in eine Sonne des Glückes, daß ihr die Augen vergingen.
Ein Gespräch, das sich jetzt näherte, bewog den Unbekannten, die Maske eiligst vorzunehmen, und noch ein Zimmer weiter zu gehen. Die Gräfin Ambach und Heinsberg waren es, die unmittelbar darauf zu Marien traten. Sie schien noch ganz außer sich und erschrak sichtbar, als der Baron sie fragte, was sie in so tiefes Sinnen versenke?
Der Equilibrist, antwortete sie, nachdem sie wieder zu sich gekommen war, ganz unverholen.
Ein Zug um Heinsbergs Mund würde ihr dessen Empfindlichkeit darüber verrathen haben, wenn sie ihn bemerkt hätte; so aber fuhr sie fort: Ich wenigstens habe dieses Gesicht in meinem Leben nicht gesehen!
Schon demaskirt also? fragte der Baron.
Jetzt erst fiel es ihr ein, daß sie zu viel gesagt haben möchte. Er verlor die Maske, antwortete sie, und der zagende Ton, das Befangene ihres ganzen Wesens gaben ziemlich klar zu verstehen, daß sie das voreilige Geständniß durch eine Unwahrheit wieder gut machen wollte.
Ich gestehe, sagte die Gräfin Mutter, mit Rücksicht auf Mariens Verlegenheit, daß es mir grade so geht, wie ihr. Auch mich verlangt zu wissen, wer der Tausendkünstler seyn mag. Die Tafel, die eben uns ruft, wird am Besten dahin führen. Kommen Sie, Baron. –
Auf den Trompetenstoß, der jetzt ertönte, sammelten sich alle Anwesende im Speisesaal und begrüßten einander fröhlich nach abgenommener Maske.
Der Equilibrist war nicht darunter. Auch bei der Tafel selbst ward keiner vermißt, als er, dessen Stuhl leer stehen blieb.
Graf Ambach verwunderte sich nicht wenig. Er zog die Liste der Geladenen hervor, um der Abwesenden Namen zu finden. Assessor Ruhland, sonst fehlte keiner.
Der also, der Equilibrist? riefen mehrere in des Hauswirths Nähe Sitzende verwundert aus. Einige zweifelten gradezu, daß der Assessor dergleichen Künste verstehe. Andere spotteten über diesen Unglauben, da Graf Ambach doch wissen müsse, wen er eingeladen habe.
Unfehlbar, sagte die Gräfin, hat ihn die Kleidung zu sehr beengt, und er wird jetzt beschäftigt seyn, eine bequemere anzulegen. Allein ihr Gemahl, der im ganzen Hause nach ihm gesucht hatte, brachte jetzt die Nachricht zurück, daß Assessor Ruhland, zu Pferde angekommen, letzteres vor Kurzem begehrt habe, und fortgeritten sei.
Marie saß in sichtbarer Niedergeschlagenheit da. Sie hatte alle Vermuthungen über den nun Abwesenden mit angehört, aber stille geschwiegen, um den frühern Vorfall nicht neu aufzuregen.
Kind, flüsterte die Mutter ihr zu, du gefällst mir heute gar nicht.
Marie küßte ihre Hand, um deshalb Verzeihung zu erhalten. Aber die Gräfin fuhr mit strafendem Auge fort: Du behauptetest vorhin, den jetzt fehlenden Gast nicht zu kennen, gleichwohl ist es der, Dir, wie uns allen, wohlbekannte Ruhland gewesen!
Nein, theure Mutter, nein, nein? Kein Zug in ihm von Ruhland, darauf schwöre ich den heiligsten Eid. –
Die Gräfin drückte ihre Verwunderung aus. Er war wohl jung und schön? fragte sie. Marie übersah ihren forschenden Blick und sprach begeistert: O beste Mutter, die Jugend, die Schönheit, die Liebe, alles vereinte sich in ihm.
Wenn Heinsberg, ihr Nachbar, diese Worte nicht verstand, so errieth er wenigstens den wesentlichen Inhalt derselben. Seine unruhige Wendung nach dem Gespräch gab es zu erkennen, auch beobachtete er den ganzen Abend eine Wortkargheit und höfliche Zurückhaltung gegen Marie, die dem sinnigen Zustande, in dem sie so gern ungestört blieb, wohl zu statten kam.
Mariens Aussage gelangte bald durch die Mutter zu den Ohren des Grafen. Dieser war empfindlich darüber. Seiner Meinung nach hatte Marie überdies ganz falsch gesehen, da der Equilibrist durchaus niemand als der Eingeladene seyn könne. –
Jukunde suchte beim Abschiede am folgenden Tage alles auf, um die Schwester wieder mit sich selbst zu versöhnen. Vergebens. Der Unbekannte hatte eine zu tiefe Wunde in ihrem Herzen zurückgelassen.
Sie von der Täuschung ihren Auges zu überführen, schrieb der Graf mit nächstem Posttage an Ruhland. Er staunte nicht wenig, als statt der Antwort ein schwarz gesiegelter Brief den plötzlichen Tod desselben verkündigte. Der Assessor war schon einige Tage vor dem Kirmsfeste beerdiget und der Einladungsbrief erst nach dem Begräbnisse, und zwar uneröffnet, bei ihm gefunden worden.
Man zerbrach sich jetzt den Kopf nicht wenig über seinen Stellvertreter beim Feste. Der verschlossen gebliebene Brief machte die Sache noch räthselhafter, so daß die übergroße Schönheit des Unbekannten Marien zuweilen auf eine mehr als irdische Erscheinung schließen ließ.
Die Folge zeigte immer deutlicher, wie störend das seltsame Ereigniß in die glücklichen Verhältnisse des ganzen Hauses eingegriffen hatte. Eine ziemliche Zeit her hatte man sich daran gewöhnt, Heinsbergen als einheimisch in der Familie zu betrachten, und nun schienen auf Einmal die Fäden, zum Zusammenhalt des künftigen Ganzen nothwendig, durch die Dazwischenkunft eines Unbekannten zerrissen. Erst jetzt fühlten die Aeltern das Glück einer nähern Verbindung mit dem Baron um so mehr, da dieser, zwar durch den Vorfall zurückhaltender, auf der andern Seite aber auch weit feuriger, als zuvor geworden war, und die leisesten Wünsche Mariens zu entdecken und zu erfüllen suchte; dazu den Umgang mit der Familie nach wie vor fortsetzte.
Ohne diese Charakterschwäche, die, der Mutter besonders, für ein Uebermaß der Liebe galt, würde man sich schon weit eher an seinen Verlust gewöhnt haben.
Einst, als Marie an der Mutter Geburtstagsmorgen in das einsame Gemach derselben trat und ihr weinend in die Arme sank, da sagte die Gräfin: Was wollen Deine Thränen, mein Kind?
Statt meiner sprechen, theure Mutter!
Sonst brachte ein heiteres Gesicht mir Deinen Wunsch.
Kann ich dafür, daß mir jetzt alles zu Thränen werden will?
Allerdings kannst Du dafür, sprach die Mutter ernst und strenge. Geflissen vermeidest Du die freundlichen Gaben des Leben, um an Luftgebilde Seufzer und Wünsche wegzuwerfen. Das lange verhaltene Wort reißt sich los von meinem gepreßten Herzen. Setze endlich der Sache ein Ziel. Mag auch der Fremde seyn, wer er wolle, nur Unsegen und Entzweiung hat er bis jetzt in unsere Familie gebracht. Du bist Deinen Aeltern und Dir selbst die Rückkehr aus den Wolken in die Wirklichkeit schuldig!
Der Vater kam dazu und unterstützte ihren Rath mit der ganzen Wärme seines Herzens, so daß Marie bald das Versprechen gab, zum Beweise ihres veränderten Sinnes, Heinsbergs Hand nicht zurückzuweisen, wenn er sie ihr bieten sollte.
Das Entzücken der Aeltern über diese Zusage berauschte das reine Wesen. Heinsbergs mannichfache Aufmerksamkeiten für sie fanden in diesem Rausche eine sehr günstige Aufnahme, bis fast ganz unbemerkt alles in das frühere Gleis gekommen schien, ja jetzt sogar des Barons Verlobung mit Marien statt fand.
Schon war die Hochzeit festgesetzt, als Heinsberg eines Tages mit seinem Nachbar eine Jagdparthie unternahm und den Mittag auf des letztern Gute zubrachte, wo eine liebe, heitere Wirthin des Gastes Sehnsucht nach der Zukunft wohl verstärken mußte. Unter allerlei traulichen Scherzen, die zum Theil auf Heinsbergs künftige Ehe Bezug hatten, war die Tischzeit sehr angenehm verstrichen, als ein Bedienter die Nachricht brachte, daß eben eine trauernde Dame abgestiegen sei, die, sich eine genaue Bekannte vom Hause nennend, ihm auf dem Fuße folgte.
Die in dichtes Schwarz Verhüllte trat herein. Nach zurückgeschlagenem Schleier stand sie, das Ehepaar eine Weile stumm betrachtend, das, wie es schien, bang und vergebens auf dem schönen, aber alle Spuren des Leidens tragenden Gesichte, nach bekannten Zügen suchte.
So kennt Ihr beide Eure Verwandte, Antonien von Schilden, nicht mehr?
Antonie! rief die Frau vom Hause erschrocken und entzückt zugleich, und ihre Arme breiteten sich nach der Trauernden aus.
Ja, rief diese, an der Freundin Brust sinkend, bei allen Veränderungen des Aeußern ist mein Herz noch das alte geblieben! Es hat auch auf das Deine gerechnet, Kunigunde!
Das konnte es! rief diese und Thränen von beiden Seiten bekräftigten die Worte.
Ihr seid glücklich! sprach die Neuangekommene, hierauf dem Hausherrn die Hand reichend. Es ist unverkennbar und ich freue mich dessen von ganzer Seele. Erlaubt mir die nächsten Tage meines Lebens in dem Sonnenscheine der Eurigen zuzubringen. Fürchtet nicht eine Vergifterin Eurer Freude an mir zu finden. Bloß unsere Vergangenheit laßt uns zurückrufen, damit mein jetziges Seyn sich an ihrer tröstenden Gestalt aufrichte und mit den Nachklängen des verschwundenen Lebens die stumme, trostlose Oede der Gegenwart beseele. Laßt mich hauptsächlich auch einer Verstorbenen mit Euch gedenken, deren blüthenreiche Jugend uns vormals gemeinschaftlich entzückte. Laßt uns Alwinens, meiner Schwester, Grab mit Vergißmeinnicht umflechten. Der Gedanke an das süße Leben dieser Entschlafenen soll Eure Lust nicht trüben, nur erhöhen.
Alwine also? rief Kunigunde.
Ja, sie ging aus der Welt. Das Schwarz, das ich trage, ihrem Andenken ist es gewidmet. Von morgen an gebe ich jedoch dieses äußere Zeichen desselben auf, da es zu Eurer Umgebung nicht paßt, und uns die Züge aus ihrem kurzen Daseyn lebendigere Erinnerungen darbieten. Nicht trauern wollen wir über ihre Vollendung, nur ihrer Liebe uns erfreuen. Doch zuvor vergönnt mir, Euch mit meinem düstern Geschicke bekannt zu machen. Denn da dies doch nicht zu umgehen ist, so dünkt es mich besser, das Bittere auf Einmal in den Schooß der Theilnehmenden auszuschütten, als es ihnen nach und nach in einzelnen Tropfen einzuflößen. –
In diesem Augenblicke erst schien das Fräulein den Baron zu bemerken, und durch die fremde Erscheinung sich gedrückt zu fühlen. Schon war er im Begriff sich zurückzuziehen. Allein man machte ihn ihr als einen Freund vom Hause bekannt, berührte sein Verhältniß mit der Ambachschen Familie, und Antonie ersuchte ihn sehr zu bleiben, da ihre Geschichtserzählung durchaus keine Eil habe.
Im Verfolg des Gesprächs kam man aber doch wieder auf die Geschichte zurück, und da sie gelegentlich geäußert hatte, daß sie niemand daraus ein Geheimniß zu machen brauche, bat Heinsberg selbst, ihn als Zuhörer daran Theil nehmen zu lassen.
Sie begann in folgender Art:
Du erinnerst Dich, Kunigunde, wie unsers Vaters Tod die Mutter veranlaßte, die Stadt, in der wir wohnten, zu fliehen, und so weit als möglich von ihrem zeitherigen Glücke ein einsames Plätzchen aufzusuchen. Sie fand ein solches und kaufte sich da an. Alwine und ich bemühten uns ihr den Wermuthsbecher des Lebens mit Rosen zu bekränzen und hatten die Freude, daß ihr Auge wohlgefällig an dem Kranze hing, wenn auch der Trank selbst dadurch nicht versüßt werden konnte.
Unsere Lebensart war äußerst einfach, und die Familie des Pfarrers unser einziger Umgang: gute Menschen, die Gemüth und Liebe genug besaßen, um zum Trost der Mutter in deren Ideen vom künftigen Wiederverein gern einzugehen, und durch anständige Dienstleistungen ihre Unterstützung zu erwiedern wußten.
Um diese Zeit unterbrach der Krieg die Ruhe der Gegend; zwar nicht unmittelbar, aber doch mit Durchmärschen und Einquartierung, die gar sehr auf den Einwohnern lasteten.
Unter andern wohnte bei uns ein Hauptmann, Woldemar von Thalen mit Namen, der an früher erhaltenen Wunden erkrankt, sechs Wochen lang nicht von der Stelle konnte. Meine Schwester und ich hatten die Beruhigung, daß sein Arzt, als der Genesene den Marsch fortsetzte, uns die Versicherung gab, einzig unserer Pflege und Aufmerksamkeit habe er das Leben zu verdanken. Wir waren beide um so stolzer auf dieses Zeugniß, da wir mannichfache Gelegenheit gehabt hatten, das schöne Gemüth des jungen Mannes kennen zu lernen. Fast alle Gespräche, wenn wir allein waren, hatten ihn und die Sorgen um sein Wohl zum Gegenstande. Daß wir ihm beide viel galten, wußten wir, doch besaß keine von uns eine besondere Zusicherung seiner Liebe. Woldemars Briefe waren gewöhnlich an die Mutter gerichtet und unserer beider immer darin mit Theilnahme gedacht.
Niemals zuvor hatten wir den Reiz der Zeitungen gekannt. Jetzt aber, mit welcher Ungeduld, mit welchem Zittern griffen wir nach ihnen, ob wir schon voraus sahen, daß jede noch so glücklich ausgefallene Schlacht uns in die peinlichsten Sorgen stürzen müsse; daß die ganze Zeitung, wenn sie nicht Friedensverkündigerin ward, keinen Trost für uns haben konnte, außer seinem Namen. Und doch nennen die Zeitungen den Namen eines Subalternofficiers in der Regel nur dann, wenn er durch Wunden oder den Tod sich diesen leidigen Ruhm zu erwerben im Stande gewesen.
Friede, Friede! hieß daher das Wort, das früh und spät von unsern Lippen zum Himmel hinaufbebte.
Leider umsonst. – Welch ein Todesschreck, als eines Abends ein Wagen langsam in unsern Hof fuhr, aus dem ein Officier getragen wurde, dessen bleiche Gesichtszüge keinen Zweifel ließen, welch einen schweren Kranken wir vor uns hatten.
Nachdem er auf ein Sopha gelegt worden war, sagte er sehr leise abgebrochen und, wie es schien, nicht ohne großen, körperlichen Schmerz: Ihnen so zur Last zu fallen, wie undankbar! Gleichwohl aus der Welt gehen, ohne der theuersten Freundschaft das letzte Wort zurückgelassen zu haben, wie hart! Gott Lob, daß es möglich gewesen ist!
Hier vergaßen meine und Alwinens Thränen alles Maß, so daß auch die selbst weinende Mutter mißbilligend sagte:
Nicht so, Kinder. Sehet vielmehr darauf, alles zu des Kranken Erleichterung Nöthige unverzüglich herbeizuschaffen.
Schluchzend eilten wir, den Befehl auszurichten. Zum Glück hatten wir es mit verständigen Dienstboten zu thun. Denn unsere Anordnungen trugen so sehr das Gepräge von Bewußtlosigkeit und Verzweiflung, daß damit schwerlich viel ausgerichtet gewesen wäre.
Unsere einzige Hoffnung ging noch auf den Arzt und dessen alte Vorliebe für diesen Kranken. Aber nach genauer Untersuchung von Woldemars Zustande schüttelte er den Kopf, und sagte unverholen, daß er nicht begreife, wie er bei seinen Wunden eine solche Reise habe aushalten können, wenn nicht durch den Wunsch, uns noch einmal zu sehen, seine Kräfte so wunderbar gestärkt worden wären.
Dieses bestätigte sich nur allzubald. Es trat plötzlich die Nachwirkung von dieser Anstrengung in der äußersten Ermattung bei dem Kranken ein und wenig Augenblicke später hatte sein Herz zu schlagen völlig aufgehört.
Uebermannt von den Schrecken der Erinnerung mußte Antonie eine Zeitlang inne halten, ehe sie folgendermaßen fortfuhr:
Es war, als ob der vor uns liegende, starre Leichnam auch das Blut in meiner Schwester und meinen Adern erstarrt habe. Jetzt erst begriffen wir den innigen Verein zwischen dem Entseelten und uns in seinem ganzen schauerlichen Umfange. Kein fremdes, unser eigenes Leben schien getödtet und das, dessen Last wir umhertrugen, gewann ein unfreundliches, gespenstisches, gegen uns selbst und unser innerstes Wesen gerichtetes Streben.
Unsere Mutter war in diesen Momenten des Unheils und der Verzweiflung das einzige Hinderniß gegen die Vernichtung, auf deren ödem Wege allein wir zum Wiedersehen des Entseelten gelangen zu können wähnten. Nur ihrer treuen Huth verdankten wir unsre Erhaltung. Ohne diese hätten die mütterlichen Ermahnungen schwerlich hingereicht. Denn wenn auch ihre verständige Rede nicht ganz an uns verloren ging, so war doch deren Eindruck nur selten von Dauer. Gewöhnlich glitt sie leicht an der Oberfläche unserer Seele hin, um der in ihren Tiefen herrschenden Melancholie und Verworrenheit unumschränktere Rechte über unsere Vorstellungen und Entschlüsse einzuräumen.
Vielleicht treten die Geständnisse einer Liebe, wie meine Schwester und ich sie für den Verstorbenen fühlten, in gewöhnlichen Verhältnissen dem Schicklichen zu nahe, allein meine gute Alwine hat ja die Welt bereits verlassen, und ein Scheinleben, wie das meinige, achtet sich für losgesprochen von dergleichen Rücksichten gegen die Welt. –
Woldemars Beerdigungstag war der heißeste für uns. Die Mutter kam dazu, als Alwine in fester Umarmung mit mir bei seinem Leichnam ausrief: Ewig so vereint! Unsere beiderseitige Liebe ging nach ihm, er verdient, daß wir sie ihm aufbewahren. Keinen Gatten, als ihn! Theurer Vollendeter, wir schwören Dir –
Halt! Kind, rief die uns bis dahin unbemerkt Gebliebene, und ihr Gesicht und Ton verkündete Furcht und Schrecken – Keinen Schwur dem Todten!
Warum nicht, theuerste Mutter? fragte ich befremdet. Du weißt ja, was dieser Todte uns gewesen ist! Laß uns doch das unsichtbare ewige Band an ihn, jetzt hier vor seinen irdischen Resten, recht feierlich befestigen!
Nicht das, Lieben! Keine Leidenschaft, die Vernunft allein soll Schwüre einleiten. Ueberhaupt aber keinen Schwur irgend einem Todten! Was der Todte selbst nicht thun würde, geschieht durch den Tod, diesen dem Menschen so feindlichen Zustand. Wie wenn die Arglist dieses Feindes Verhältnisse herbeiführte, die Euch durch Meineid in seine Gewalt brächten?
O Mutter, Mutter, so rief Alwine hier unwillig aus, wen können Verhältnisse zum Meineide bewegen?
Euch vielleicht nicht. Doch laßt ab von dem Vorsatze, lieben Kinder. Ob ich schon die Beispiele von dem Nachtheile solcher Schwüre nicht immer verbürgen möchte, so ist doch in unserer Familie eins so bekannt und mit so vielen seltsamen Umständen umgeben, daß mich allezeit Schauer anwandeln, wenn ich von Verpflichtungen ähnlicher Art hören muß. –
Diesmal aber verfehlte die Rede der Mutter alle Wirkung auf unsere bethörten Herzen. Das Beispiel, von dem sie sprach, paßte, meinten wir, nicht einmal weder auf uns, noch auf das, was sie damit beweisen wollte. Es bestand in einem von unserer Großmutter Bruder, seiner Gattin bei Lebzeiten beschworenem Versprechen, im Fall ihres Ablebens nie wieder zu heirathen, und forderte ihren Zorn auf, wenn es geschehen sollte. Sie starb nachher wirklich. Der Mann war immer der unbescholtenste weit und breit und seines Wortes auch hierin eingedenk gewesen. Gleichwohl fanden sich nach ihrem Tode eine Menge verwickelter Umstände, die ihm eine zweite Ehe zur Pflicht machten. Wie er nun am Verlobungstage mit einer trefflichen Person den Ring an den Finger steckt, so ist es ihm grade, als wolle der Ring immer enger und enger werden. Zugleich steigt der Gedanke des gebrochenen Eides mit aller Macht in ihm auf. Seht ihr wohl, ruft er Abends, nachdem er Uebelbefindens wegen das Mahl hat verlassen müssen, seht ihr meine Selige dort zürnend stehen! Ein starker Angstschweiß quillt aus seiner Stirne. Er theilt den Verwandten reuig die begangene Schuld mit, wendet sein Gesicht voll Widerwillens von der Braut, und ist in der folgenden Nacht, allen Arzneimitteln zum Trotz, unter schrecklichen Zuckungen verstorben. –
Mit Einem Worte, weit entfernt uns hieran zu kehren, riefen meine Schwester und ich, sobald wir wieder allein waren, Woldemars Schatten an, und fühlten eine große Beruhigung, als wir uns ihm unter den schauerlichsten Schwüren zur Ehelosigkeit verpflichtet hatten.
Nur allzubald aber rächte sich die verschmähte Stimme der Erfahrung und Vernunft an dem siegenden Ungestüm der Leidenschaft. Unsere Mutter starb plötzlich und fast zugleich mit ihr eine schon früher verwitwete Schwester, welche drei noch unerzogene Kinder hinterließ. Die fast stete Abwesenheit und Sorglosigkeit ihren Vormunds legte uns, den nächsten Verwandten, die Pflicht auf, sie vor Verwahrlosung möglichst zu hüten. Unstreitig hätten wir sie zu uns genommen, allein der Umstand, daß es Söhne waren, sprach in mehr als einer Hinsicht dagegen, und ohngeachtet der Sorgfalt, die wir ihnen widmeten, mußten wir hören, daß sie Wege einschlugen, die ihnen verderblich zu werden drohten.
Zwar wendeten wir alles fortdauernd zu ihrer Besserung ein, doch fehlte uns Glück in der Wahl der Menschen, durch die wir auf sie zu wirken suchten.
Die jetzt immer häufiger werdenden Truppeneinquartierungen vermehrten das Unannehmliche unserer Verhältnisse. Ein unglücklicher Proceß, worein unser ganzes Vermögen verwickelt wurde, kam dazu, und nun fühlten wir nur allzutief das Unglück, sich in den eigenen Angelegenheiten fremder Einsicht allein anvertrauen zu müssen.
Um diese Zeit machten wir in der benachbarten Stadt die Bekanntschaft des geheimen Raths von Elbing, eines Mannes, dem Herkunft, Einsichten und Rechtlichkeit zu Empfehlungen gereichten, und der auch von unserer Lage, meiner und Alwina's Meinung nach, die hellsten Ansichten besaß.
Bald kam er in den Fall, uns einige äußerst wichtige Dienste leisten zu können. Er that es mit Aufopferung und glaubte nur so eher auf Alwinens Hand Hoffnung zu haben, da sie und ich ihm unsere besondere Achtung nicht verbargen. Alwine konnte keinen Grund finden, den Mann auszuschlagen, als das dem Todten von uns gemeinschaftlich gegebene Wort. Daher hielt sie es für's Rathsamste, ihn mit dem Umstande bekannt zu machen. In meiner Gegenwart geschah es. Allein er nahm die Eröffnung ganz anders auf, als sie sich solches vorgestellt hatte. Nichts schien ihm von so geringer Erheblichkeit, als das Versprechen wegen einer, wie er sich ausdrückte, dem Todten ganz gleichgültigen Sache; ein Versprechen, wozu überdies ein Grad von Bewußtlosigkeit gehört habe, der es von selbst null und nichtig mache. Wenn, sagte er, seinem Glücke nichts als eine so unbedeutende Zusage im Wege stehe, dann dürfe er sich nur an Alwinens gesundes Urtheil wenden, um das Hinderniß gehoben zu sehen.
Meine Schwester und ich behaupteten zwar beide, daß uns die Leichtigkeit fehle, mit der er über die Sache hinschlüpfe. Wir beriefen uns unter andern auch auf den, leider, verworfenen mütterlichen Rath gegen jenes Versprechen.
Aber dieser Rath bewies ihm durchaus nichts. Allerdings meinte er, habe die Mutter Recht gehabt, uns von einer so zwecklosen Zusage abzuhalten, und nur in ihrem Glauben an der Todten Rache gefehlt. Das erwähnte Beispiel von der Rückkehr einer Verstorbenen dünkte ihm vollends nicht, als eine der mancherlei lächerlichen Ausartungen menschlicher Einbildungskraft. Er selbst führte eine Menge Exempel dieser Art an und sprach überhaupt mit so viel Verstand und Gewandtheit, daß wir bei Widerlegung seiner Ansichten durchaus nicht fortkamen.
Dies, und hauptsächlich die Nothwendigkeit den zu Führung unserer Angelegenheiten so nöthigen Mann nicht zu entfernen, veranlaßte Alwinen allein ihm ihre Hand wirklich zu geben.
Unser ökonomischer Zustand gewann durch den Eifer, mit dem der geheime Rath sich des selben annahm, in Kurzem ein weit besseres Ansehen, auch hätten wir für die Erziehung der Kinder unserer verstorbenen Tante keinen eifrigern Vorsorger finden können.
Allein in anderer Hinsicht verfolgte uns das Unglück nur desto härter. Schon an dem Tage vor der Hochzeit kam meine Schwester gegen Abend mit todtenbleichem Gesicht nach Hause sich in meine Arme stürzend. Im Garten behauptete sie mit Thalens Stimme ihren Namen mehrere Mal aussprechen gehört zu haben.
Ich suchte Alles hervor sie zu überzeugen, daß wohl nur eine Selbstbethörung statt gefunden. Doch mehr als meine Gründe, that Elbing, der jetzt dazu kam. Er wußte nichts von ihrem Schrecken, gerieth aber zufällig auf das Kapitel von den Täuschungen der Sinne und stellte so viel wunderbare Beispiele von Kranken dieser Art auf, daß Alwine sich selbst darunter zu rechnen anfing, und eine ruhigere Nacht hatte, als außerdem der Fall gewesen seyn würde.
Auch der darauf folgende Entscheidungsmorgen erfuhr keine Störung. Nur in der Kirche beim Gange nach dem Altar schien Alwine mir, ihrer aufmerksamsten Beobachterin, einigemal ängstlich zurückzuschauen und dann eben so den Bräutigam zu fixiren.
Das Getümmel der Verwandten und Freunde nahm sie nachher zu Hause mit seiner freudigen Theilnahme und den tausend darauf gegründeten Scherzen allzusehr in Anspruch, als daß sie zur ruhigen Betrachtung ihres Zustandes hätte gelangen können.
Erst gegen Abend, als die Sonne ihre letzten Strahlen in unsere Fenster sendete, richtete sie sich einmal plötzlich wie aus tiefen Gedanken auf, und angstvolle Blicke nach dem rothen Scheine hin.
Fehlt Dir etwas, Liebste? fragte ich und sie schüttelte seufzend den Kopf, indem sie meine Hand drückte.
Schmerzlich fühlte ich, daß es mit ihr nicht war wie es seyn sollte, drang jedoch diesmal um so weniger in sie um Verdeutlichung, da die freundliche Zusprache eines geistreichen Mannes sie kurz nachher jeder finstern Idee wieder entrissen und dem Gleise des fröhlichen Festes zurückgeführt zu haben schien.
Kaum war aber am folgenden Tage ihr Gatte früh ausgegangen, so kam Alwine auf mein Zimmer. Mit Leidenschaft warf sie sich an meine Brust. Doch einen Augenblick später floh sie, erschrocken, wie vor einer Aussätzigen, von mir zurück.
Mein Gott, was ist Dir? so rief ich ihr zu, die auf das Sopha niedergesunken, die Augen starr vor sich hin richtete.
Ach, sprach sie, so kann ich denn nun nicht einmal mehr an das zärtliche Herz meiner theuern Schwester flüchten, ohne zurückgeworfen zu werden in die Hölle, der ich umsonst zu entfliehen trachte! Weißt du nicht mehr, wie ich auch so in Deinen Armen lag, die Leiche neben uns? Weißt Du nicht mehr, was wir uns da, was wir Ihm gelobten?
So heftig ich auch selbst angegriffen war, so suchte ich mich doch zu fassen und ihr Trost zu geben. Ohne Erfolg.
Merkst Du nichts von dem Leichengeruche rings umher? fragte sie.
Liebste, beste Seele! rief ich, sie auf die Geschichten, die Elbing neulich von den Sinnentäuschungen mittheilte, zurückverweisend.
Allein sie zuckte die Achseln und blieb dabei, daß der Geruch immer zunehme.
Von nun an verließ sie dieser Gedanke nicht mehr. Ihr Gatte, der nach vieler vergeblichen Mühe endlich die Ursache der nur selten mit Glück von ihm bekämpften Schwermuth entdeckte, suchte alles hervor, sie von dem Ungrunde ihrer Vorstellungen zu überführen. Verlorne Mühe. Späterhin fragte sie mich mehrere Mal, ob ich keinen Husarensäbel klirren höre und sah nach der Gegend hin, woher sie ihn vermuthete. Die Angst, welche Begleiterin dieser, ich weiß nicht, ob Erscheinungen oder Ideen war, mattete sie nach und nach völlig ab.
Endlich einmal, spät am Abende, rief sie, mich bei der Hand fassend: Um Gotteswillen, Schwester, rette mich, rette Du mich! Hörst Du nicht die Verwünschungen. die er gegen die Meineidige ausstößt?
Ich beschwor sie, ein besseres Zutrauen zu dem Vollendeten zu haben, den ihre Beweggründe zu der Heirath gewiß mit hoher Achtung für sie erfüllten.
Alles vergebens. Sie wimmerte herzzerreißend an meinem Halse und fiel mir dann erschöpft in die Arme.
Mehrere Stunden lag sie also. Sie nicht zu stören, bewegte ich mich so wenig als möglich. Welch ein Entsetzen aber, wie ich fand, daß es kein Schlummer, sondern der Tod selbst war, der sich der lieben Unglücklichen bemächtigt hatte!
Hier laßt mich schließen. Wozu auch noch eine umständliche Erwähnung der Vorwürfe, womit der tiefbetrübte Gatte sich sechs Monate lang ohne Aufhören peinigte? Genug, sie und das, bei der eigenen tiefen Verzweiflung, so dringende Bedürfniß nach Vertrauten meines frühern Glückes und meiner Gesinnung, trieben mich zu Euch her, da ich ja ohnehin keinen Trost für den Gebeugten hatte. Er selbst hat mir dazu gerathen. Sein Vorsatz ist einzig unsern Rath und Erziehung bedürfenden Verwandten zu leben, und so das Unrecht gegen die Entschlafene, dessen er sich beschuldigt, thunlichst wieder gut zu machen.
Es lag in der Natur der Sache, daß Heinsberg, um die erste Zeit des Wiedersehens der drei Freunde nicht zu stören, sich sobald als möglich entfernte. Er hatte aber auch noch einen wichtigern Grund dazu in seinen innern Schmerzen. Ohne daß die Erzählerin es hatte ahnden können, war mit ihrer Geschichte eine zeither tief im Hintergrunde seiner Seele schlafende Erinnerung ihm erweckt worden, die ihn Mark und Leben grimmig anzunagen drohte. Schon während der ersten Ehetage hatte er und seine verstorbene Gattin einst in einem Momente des höchsten Enthusiasmus sich wechselseitig ewigen, ausschließenden Besitz auf's feierlichste angelobt. Welcher Theil früher als der andere starb, wollte, im Fall das Gelübde gebrochen würde, den überlebenden, wo möglich, deshalb zur Rede setzen. Seit diesem Tage war jedoch um so weniger wieder daran gedacht worden, da ein seltener Grad von Liebe beiden das eheliche Verhältniß so leicht und schön machte, daß die Furcht vor Untreue gar nicht aufkommen konnte, und der Tod der Wöchnerin zu schnell erfolgte, als daß die in jenem Momente dem Ueberlebenden aufgebürdete Ehelosigkeit jetzt noch einmal hätte zur Sprache kommen können.
Es ist erwähnt worden, wie tief der Verlust dieser Gattin das Gebäude von Heinsbergs Glück erschütterte, und auf welchem langsamen Wege er endlich bis zu dem Gedanken an einen Ersatz des Verlorenen gekommen war.
Im Ambachschen Hause begriff man die auffallende Veränderung im ganzen Wesen des baldigen nahen Verwandten durchaus nicht. Man stürmte von allen Seiten mit Fragen auf ihn los und ein körperliches Mißbehagen, das er vorgab, reichte niemand hin, seinen Verlust aller Laune und den melancholischen Anstrich zu entschuldigen, den jedes Wort, jede Miene angenommen hatte.
Mit Zagen nur sah unter so veränderten Umständen Marie die Trauung immer näher rücken, welcher ihr Verlobter ohne Verletzung des Anstands nicht mehr ausweichen konnte. Auch ihre Aeltern schienen nun mehr Zweifel in das Glück einer Verbindung zu sehen, von der sie sich noch kurz zuvor das Beste versprochen hatten.
Die Vorbereitungen dazu gingen indessen ihren Gang. Die Gäste wurden geladen und der Hochzeitmorgen brach an.
Bei den in Heinsbergs Brust immer mächtiger werdenden Unglücksahndungen war es kein Wunder, wenn ein Schwarm von Krähen, der, wie er eben aus dem Bette zum Fenster trat, vor ihm aufflog und einen Morgengruß herüberkrächzte, ihn in die unbehaglichste Stimmung versetzen konnte. Am stärksten hallte das Krähenlied wieder in ihm, als die Braut im väterlichen Hause ihre Unruhe bei seiner Annäherung unter süßen, freundlichen Worten und Mienen so wenig, als die rothgeweinten Augen verbergen konnte.
Da stieg in Heinsbergs Gemüth zuerst die Frage auf, ob es nicht besser sei, das mit gewaltigen Schritten herbeieilende Unglück durch ein, wenn schon auffallendes, doch wohlthätiges Wort zu beschwören, ob es nicht besser sei, noch jetzt nach einer offenen Erklärung des ganzen Zusammenhanges der Sache zurückzutreten, als das zarte Leben eines so herrlichen Geschöpfs, wie Marie, in den Fluch, dem er entgegenging, mit zu verflechten. Und nicht sie allein. O, wenn er bedachte, welcher Glanz des Frohsinns vor der Bekanntschaft mit ihm jeden Punkt dieses Hauses beleuchtet, wie der gute Humor des Grafen ihn gewissermaßen zuerst wieder mit dem Leben befreundet hatte, und er nun, zum Danke, darauf ausging, diesen fast allein in seinen Kindern lebenden Mann durch Mariens Zugrunderichtung, gleichsam ganz zu vernichten! –
Nein, der Schritt, der harte, befremdende, jeder lieblosen Mißdeutung bloßgestellte Schritt, sollte wirklich von ihm geschehen, als, wie von einem Zauber herbeigeholt, auf Einmal solch eine Menge geladener Hochzeitgäste eintraf, daß Hausherrschaft und Braut mit deren Empfange vollauf zu thun hatten.
Heinsbergs Vorsatz fand sich gelähmt. Dank forderten die Glückwünsche der Ankommenden, nicht Widerspruch, der jetzt, da es soweit gekommen war, die Gäste leicht in ihrem Glauben an seine Vernunft irre machen konnte.
Maschinenartig schritt nun der Verlobte in den Schranken des Schicklichen weiter. Die Trauung erfolgte ohne irgendein ungewöhnliches Ereigniß. Mariens gütiges Zuneigen konnte seine Wirkung auf den Bräutigam nicht verfehlen.
Ueber Tische aber riß ein zufälliges Wort das Gebäude ihres vielleicht beiderseits auf Anstrengung beruhenden Frohsinns völlig nieder. Einer der Gäste gedachte nämlich Jukundens Hochzeitabends und sagte: Apropos, Graf Ambach, wissen Sie nun wohl, wer der maskirte Tausendkünstler war, über den wir uns damals den Kopf zerbrachen?
Kaum war das Wort von den Lippen, als auch die Gräfin Mutter schon nach Marien blickte, welcher sogleich ein paar große Thränen aus den Augen quollen, die sich mit Ungeduld nach dem Frager richteten.
Nun, wer ist er denn? rief der Graf ihm zu, aus der Stellung der Frage auf das Wissen des Gastes darum schließend.
Jedoch letzterer hatte selbst Belehrung darüber gewünscht, und es entspann sich zu des Hausherrn und dessen Gemahlin großem Verdruß ein Gespräch über den Räthselhaften, dessen Resultat, nach einer Menge sich durchkreuzender Hypothesen, die Sache um keinen Schritt weiter brachte.
Der unangenehme Eindruck dieses Gesprächs auf die Hauptpersonen des Festes wirkte bald in die Stimmung sämmtlicher Anwesenden ein, so daß Heinsberg endlich der Langenweile, die für ihn diesmal eine weit tiefere Bedeutung hatte, von Herzen müde, zuerst von der Tafel aufsprang und durch diese an sich befremdende Unschicklichkeit den Andern ein sehr willkommenes Zeichen zum Aufbruche gab.
Der Bräutigam trug allzuschwer an der Bürde seines Mißgeschicks, um nicht ein einsames Zimmer im obern Stocke der Gesellschaft vorzuziehen, die dadurch, daß sie jetzt in einzelne Gruppen zusammentrat, wieder Leben und Regsamkeit erhielt.
Erst die Waldhörner, welche die Gäste späterhin in den Garten riefen, schreckten den Baron aus dumpfem Halbschlafe auf. Ihr Ton, der das Fest, dem er entflohen war, neu verkündigte, wollte sein Herz auf Einmal zerschmettern. Mitten hindurch glaubte er die drohende Stimme der verstorbenen Gattin immer deutlicher zu vernehmen, so daß es ihm auch bald in dieser Einsamkeit um so unerträglicher wurde, da die Dämmerung, die ein trüber Himmel sehr plötzlich herbei führte, auch sein Auge anzufeinden kam, das schon bei jedem Knistern ängstlich nach dem sonst so sehr herbei gesehnten Schatten herumsuchte.
Schon stand er im Begriff sich auf's Neue in's Hochzeitgetümmel hineinzustürzen, als leise Tritte von der Treppe über den Saal ihn zurück an das Fenster drückten. Vergebens riß er die Flügel auf, um nur Luft zu haben, in der wirklich lebende Menschen athmeten; kein Laut von außen tröstete sein Ohr. Bloß der immer näher kommende leise Tritt aus dem Saale schlug daran, und von der Todesangst, die ihm das Haar hoch in die Höhe trieb, zeugte auch sein Laut, als jetzt die Thüre wirklich sich öffnete.
Gott Lob! seufzte er, denn es war seine Schwiegermutter.
Mein Himmel, rief diese, hier so allein, während alles um Sie besorgt ist? Ist Ihrer Gesundheit etwas begegnet?
Das nicht eben.
Nun, fuhr sie höchst unwillig fort, warum entziehen Sie sich so, an einem Tage, der uns und hauptsächlich auch den Gästen die gegründetsten Ansprüche auf Ihre Gegenwart giebt – Ihr frühes Aufstehen von der Tafel war schon sonderbar genug. Das heißt aber doch wirklich in der Seltsamkeit Wunder thun, daß Sie, die Hauptperson des Tages, sich überall vermissen lassen!
Heinsberg suchte die Erzürnte zu besänftigen und folgte ihr nach dem Gartenhause zu den Uebrigen. Hier entstand aber bald eine neue Sorge. Seit länger als einer halben Stunde fehlte die Braut, die nach dem Ufer gegangen war, den Vermißten aufzusuchen. Auf alle Seiten eilte man ihretwegen. Nirgend eine Spur. Umsonst wurde in jedem Behältnisse des Hauses und Gartens nach ihr gesucht. Die Lage der Verwandten und des Bräutigams war schrecklich. An einen bloßen Spaziergang war schon darum nicht mehr zu denken, da Marie allein über die Gränzen der älterlichen Besitzungen nicht zu gehen pflegte, auch die Nacht in der schwärzesten Gestalt sich auf die ganze Gegend geworfen hatte; dazu bei ihrem Eintritt ein überaus heftiger Sturm mit Ungewitter entstanden war.
Weil den Verwandten die Verstimmung der Braut über der Tafel nur allzulebhaft noch vorschwebte, und des Bräutigams späteres Benehmen nicht sehr geeignet war, diese zu mildern, so fing man an das Aergste zu befürchten, und die Seufzer, vom Winde den Wellen am Ufer abgepreßt, kamen ihnen vor, wie die Klagen der nächsten Augenzeugen über den freiwilligen Tod eines süßen, jugendlichen Lebens.
Ein großer Theil ihrer Vorwürfe, besonders der weiblichen, fiel auf Heinsbergs letztes räthselhaftes Benehmen. Man ließ es ihm auch so sehr merken, daß er seine Beweggründe, wenn nicht zum Troste der Ankläger, doch zu einiger Entschuldigung für sich, in wenigen Worten entdecken zu müssen glaubte, und dieserhalb Schwiegermutter und Schwägerin in ein Nebenzimmer führte.
Unseliges Verhängniß, rief, als er fertig war, die trostlose Mutter aus, was verbrachen denn wir Andern, um so tief und schmerzlich darein verwickelt zu werden?
Die Umstände waren so, daß, sobald das Gewitter ein wenig nachließ, die Gäste sich allmählig verloren. Der Baron kehrte endlich auch auf sein Gut zurück, von seinen innern Qualen begleitet.
Am folgenden Morgen fand er die gräfliche Familie noch so ziemlich in den gestrigen Kleidern. Nichts als das Hervorstechend-Hochzeitliche hatte man davon gethan, da allen Mitgliedern des Hauses so wenig wie Heinsbergen der Gedanke an Bett und Schlaf auch nur eingefallen war.
Die während der Nacht ausgeschickten Boten waren bereits bis auf einen zurück. Keine Spur von der Verschwundenen hatten sie finden können.
Noch in den Vormittagsstunden jedoch landete ein Schiffer vom jenseitigen Ufer, der mit dem Grafen zu sprechen verlangte. Er hatte von dem häuslichen Unglücke gehört, und da er mit der Frage, ob er seine Vermuthungen über die Sache entdecken dürfe, sehr willkommen war, so erzählte er Folgendes: Es sei schon seit einigen Abenden eine Gestalt an den Felsen am Ufer, bei dem sehr starken Wetterleuchten sichtbar geworden, wie mehrere Fischer bezeugen wollten. Sie insgesamt hätten dem Dinge sogleich nichts Gutes zugetraut, da es sehr gespensterhaft ausgesehen, auch über die steilen Felsen so leicht hingegleitet sei, wie es wohl keinem Sterblichen glücken werde. Im Schloßgarten habe es sich gewöhnlich verloren, doch versicherten einige seiner Handwerksgenossen, es pflege den Felsenweg wieder zurück zu kommen. Gestern, wie das Gespenst früher als gewöhnlich eingetroffen, wäre er und seine Frau auf die Rückkehr neugierig gewesen, und da hätten sie denn nicht nur das Ding, sondern, vom Blitzstrahl erleuchtet, auch eine Weibsperson dazu gesehen, die von ihm über die Steine weggetragen worden. Schon sei er, der Schiffer, nach dem Kahne gegangen, um Nachricht herüber zu bringen. Allein, der immer zunehmende Sturm habe es unmöglich gemacht.
Ambach sah den Fischer lange forschend an. Er fürchtete eine abscheuliche Unternehmung gegen Marien, die sich hinter albernen Mährchen vor der Strafe verstecken wolle, und hielt den Erzähler für einen der Mitschuldigen. Allein die herbeigerufenen übrigen Fischer bestätigten die Aussage des Verdächtigen so allgemein, daß eine nähere Untersuchung ganz überflüssig schien.
Uebrigens versicherten sämmtliche Fischer acht Tage später einstimmig, daß, so aufmerksam sie auch gewesen waren, sie seit jenem Raube die Gestalt nicht wieder entdeckt hätten.
Es lag in den Verhältnissen, daß der Baron seine Besuche bei Ambachs jetzt seltener und kürzer machte. Warum nur sie, die Schuldlose, der Zornigen Rache treffen mußte! rief er, oft wenn er allein war, und hatte mehr Furcht vor seinem eigenen Daseyn, als vor dem Wiederkommen der verstorbenen Gattin, die ja doch, im schlimmsten Falle, weiter nichts konnte, als ihn befreien von einem überlästigen Leben.
Was ihn Wunder nahm, war die unverstellte Güte, womit die Ambachsche Familie sich gegen ihn äußerte, und die Fassung, die überhaupt in dem Hause statt fand. Ein sehr großer Trost für ihn, der nimmermehr geglaubt hatte, daß sich die aufs innigste an Marien hängenden Menschen sobald in dieses finstere Geschick würden ergeben können.
Es ging so weit, daß Heinsberg sogar einmal über Tafel die Gräfin von der Begebenheit zwar mit Achselzucken, aber doch wie von einer der Familie ziemlich gleichgültigen Sache sprechen hörte.
Bei dieser Gelegenheit brachte auch wieder jemand die Rede auf Jukundens Hochzeitabend, und die an des verschiedenen Assessors Ruhland Stelle erschienene unerklärbare Person, behauptend, daß dieser doch ganz der Anstrich des Geisterhaften eigen sei.
Allerdings, antwortete Graf Ambach lächelnd. Ich selbst wurde daran irre, und hätte jede Gespenstergeschichte eher bezweifeln mögen, als grade diese; Alles sprach dafür, daß es nicht mit rechten Dingen zugehe; das tiefe Schweigen, das ich gegen jedermann über die eingeladenen Gäste beobachtet hatte, der uneröffnete Brief und die übrigen Umstände. Dennoch aber ist die Geschichte einer natürlichen Auflösung fähig
Man zeigte sich sehr begierig mehr davon zu vernehmen, und der Graf sagte: Sie erinnern Sich, daß die politischen Verhältnisse zur damaligen Zeit manchen Zwang, manchen gewaltsamen Eingriff in die theuersten und unbestreitbarsten Rechte des Einzelnen, der Regierung an die Hand gaben. Unter andern pflegte man auf der Post in das Geheimniß der Briefe einzudringen, betrieb dies aber mit so vieler Kunst, daß der Empfänger den Brief mit dem Siegel des Absenders bekam, ohne daß von der frühern Eröffnung eine Spur daran zu bemerken war. Denken Sie Sich nun, irgend jemand sei grade bei dem Polizeidirektor gewesen, als dieser eine Menge eröffneter Briefe vor sich liegen hatte. Darauf werde der Direktor abgerufen, und es führe während dieser Zeit der Zufall den Blick des Anwesenden auf einen Brief mit meiner Namensunterschrift. Lassen Sie Sich ihn des Namens erinnern. Setzen Sie den Fall, daß er ein Mädchen dieses Namens, von Interesse für ihn, auf dem Maskenballe im Bade zu Pyrmont am Abend vor unserer Abreise gesehen hat, und ihm einfällt, daß das Marie, meine Tochter, gewesen ist. Unfehlbar wird er dann den Brief überlesen und die Adresse ansehen. Der Assessor Ruhland, an den sie gerichtet war, könnte wohl einer von seinen Bekannten seyn, er könnte von Ruhlands Tode bereits Kenntniß gehabt haben und von seiner Leidenschaft zu Marien zu dem abenteuerlichen Gedanken gebracht werden, des Verstorbenen leere Stelle bei unserm Kirmsfeste ausfüllen zu wollen!
Die ganze Miene des Grafen gab zu erkennen, daß die Fälle, die er gesetzt, sich wirklich ereignet hatten, daher baten mehrere um den Namen von Ruhlands Stellvertreter. Doch er schlüpfte mit einem ausweichenden Scherze so schnell darüber hin, daß man leicht merken konnte, er habe keine Lust, sich weiter herauszulassen.
Eines Morgens erhielt der Baron wieder ein Einladungsbillet vom Grafen auf den Mittag, sagte jedoch erst dann zu, als ein zweites erschienen war, das ihn, wichtige Aufschlüsse versprechend, bei seiner Freundschaft dazu aufforderte.
Lieber Heinsberg, so redete Ambach den Eintretenden an, der erste Augenblick unsers Alleinseyns sei Bekenntnissen gewidmet, deren mein Herz sich so gern längst schon entlediget hätte. Die Braut, welche Sie für ein Opfer Ihres Entschlusses zur zweiten Ehe hielten, ist noch am Leben. Schon am Tage nach ihrem Verschwinden bekamen wir Nachricht von ihr, und daß sie bis zur Entscheidung ihres Schicksals auf dem Gute meiner Schwester sich aufhalten werde; doch alles unter dem Siegel der heiligsten Verschwiegenheit.
Und dieses Verschwinden und Verheimlichen! rief der Baron, der von der Seligkeit der Nachricht nur allzubald zu dem tiefsten Gefühle für die dadurch erlittenen Beleidigung gelangte, die des Grafen Mitwissen und Schweigen unterstützt hatte.
Ich kann mir den Sinn Ihrer finstern Miene denken, lieber Heinsberg, versetzte der Hausherr; doch erlauben Sie, daß ich ausrede. Sie erinnern Sich der Fischersage von einem Gespenst, das mehrere Abende vor Mariens Verschwinden sich auf den Felsen am Ufer sehen ließ? Ich selbst begriff nicht wohl, wie ein Mensch von dieser Seite unsern Garten betreten könne. Aber der Unbekannte von der Kirms her hatte es doch möglich gemacht. Die Nähe der Hochzeit war ihm zu Ohren gekommen, und weil Marie sehr oft Abends den Garten allein besuchte, so hatte er schon viele Abende zuvor hier auf der Lauer gestanden. Vergebens. Denn die mancherlei Vorbereitungen zu dem Feste überhäuften sie allzu sehr mit Geschäften. Am Festabende selbst aber gelang ihm der kecke Streich um so eher, da Marie, Sie zu suchen, sich bis an das Ende unsers weitläuftigen Gartens entfernt hatte. Gewalt von seiner Seite, Liebe von Mariens, dazu unfehlbar Ihre unverkennbare Unzufriedenheit mit der geschlossenen Verbindung, die ihr keine glückliche Zukunft weissagte, mit Einem Worte, alles begünstigte das Wagestück. Uebrigens hatte der Entführer seine Maßregeln so gut genommen, daß meine ausgeschickten Boten sämmtlich nichts entdeckten, einen einzigen ausgenommen, der mir am Abende des zweiten Tages einen Brief von dem Paar überbrachte.
Heinsberg sah schweigend vor sich hin und der Graf ergriff seine Hand. Ich verstehe Ihre Mißbilligung, sagte er, aber ob ich sie auch verdiene? Nach den Entdeckungen, die Sie meiner Frau und Jukunden gemacht hatten, war doch wohl ohnehin auf kein Glück für Sie durch Marien zu rechnen. Nebenbei dürfte es wohl mehr als unklug gewesen seyn, einer vielen nachtheiligen Deutungen ausgesetzten Geschichte die Hülle zu entreißen, die ihr so glücklich zu behaupten gelungen war! –
Sie haben Recht, völlig Recht, lieber Graf, rief Heinsberg seine Hand schüttelnd. Nur das Ueberraschende konnte mich Anfangs etwas irre an Ihrem Benehmen machen. Warum aber geschah nicht schon der einzige Schritt, der hier zu thun war, warum entsagten Sie so lange dem Vergnügen, das glückliche Paar in Ihrer Mitte zu sehen?
Familienrücksichten, lieber Baron. Der Onkel des jungen Mannes hatte andere Plane mit diesem, von denen er nicht abzubringen war, und der Liebende durfte seinem eisernen Willen nicht entgegen handeln, ohne sich die schönsten Lebenshoffnungen zu gefährden. Jetzt ist der Alte mit Tode abgegangen. Doch schon höre ich meine Frau mit Marien und dem Jünglinge auf dem Saale, der für's Erste kommt, Ihnen die schwere Beleidigung abzubitten.
Mein Gott, der Prinz von **? rief Heinsberg, vor dem die Zurückgekehrte mit tiefgesenktem Haupte stand.
Mariens künftiger Gemahl, wenn Sie verzeihen und unser Glück wollen! sprach der Prinz.
Der Entsagende drückte sie beide vereint an seine Brust. Ehegericht und Kirche thaten das Uebrige.
Marie folgte der Bestimmung ihres nunmehrigen Gemahls in die Residenz. Heinsberg hingegen leistete mehr als je zuvor ihren Aeltern auf dem Gute Gesellschaft, und pflegte zu sagen, daß die rasche That des Jünglings ihn durch das tiefste Unglück zu dem einzigen wirklichen Glücke geführt habe, dessen er nach dem Ableben seiner Gattin fähig gewesen sei.