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Man kann wohl mit Roscoe und Helen Clergue behaupten, daß im Studium der Männer und Frauen in Frankreich und England während des 18. Jahrhunderts ein unwiderstehlicher Reiz liegt. Die Menschen selbst, ihre Sitten und Gewohnheiten sind für immer verschwunden, aber Gainsboroughs graziöse Frauen, Sir Joshua Reynolds' reizende Gestalten und Romneys charaktervolle Typen haben in England die Herrschaft der Schönheit während dieser Epoche unsterblich gemacht. Man vergißt weder eine Herzogin von Devonshire, eine Mrs. Siddons, eine Mrs. Robinson, eine Lady Anne Bingham noch eine Lady Hamilton. Diese Frauen haben das englische Schönheitsideal verkörpert und waren die typischsten Vertreterinnen englischer Eleganz und englischen Geschmacks. Zwar erhielten sie die Anregungen von Frankreich, denn erst am Ende des 18. Jahrhunderts wurden die Engländerinnen tonangebend für die »nackte griechische Mode«. Luxus und Verschwendung indes waren an der Themse ebenso groß wie an der Seine. Die englischen Sitten sind eher noch verdorbener, wenn auch verfeinerter gewesen als im 17. Jahrhundert, wo man besonders eine Brutalität und absolute Mißachtung der Männer den Frauen gegenüber beobachten konnte. Das wurde im 18. Jahrhundert anders. Wenn auch die Achtung vor der Ehe nicht groß war, Ehebrüche und Entführungen nichts Ungewöhnliches darstellten, so war doch das 18. Jahrhundert der Beginn jener Aufmerksamkeit und Ritterlichkeit, die auch heute noch in England den Frauen gegenüber so wohltun. Allerdings ging diese Umwandlung nicht vom Adel, sondern vom Bürgertum aus. In den höchsten Kreisen herrschte wie überall, so auch in England, große Sittenverderbnis. Ehescheidungen und die damit verbundenen oft skandalösen Prozesse waren nichts Außergewöhnliches. Verheiratete Frauen hatten Geliebte und liefen ihren Männern mit ihnen davon, wie Lady Craven mit dem Markgrafen von Ansbach, Lady Sarah Bunbury mit dem Herzog von Lauzun und Lord William Gordon, und wie viele andere hochgestellte Frauen. Aber diese Ehebrüche gibt es in jeder Epoche und in jedem Lande. Bemerkenswert ist es nur, daß in jener skrupellosen Zeit manche Eheskandale in London so großes Aufsehen erregten. Und daran waren allerdings zum Teil die hemmungslosen Frauen des Adels selbst schuld. So konnte man der Gattin Sir Richard Worseley's nicht weniger als 34 Ehebrüche nachweisen, als sich ihr Mann von ihr scheiden ließ. Lord Frederic Baltimore hatte acht Frauen zu gleicher Zeit und reiste mit ihnen überall in der Welt herum, allerdings – in diesem Falle –, ohne daß die Gesellschaft daran Anstoß nahm. Auch der englische Gesandte am portugiesischen Hof, Lord Tyrawley, brachte aus Lissabon im Jahre 1742 drei Frauen mit, von denen er 14 Kinder hatte. Vielleicht spielte die Frau in England nicht ganz die gleiche Rolle wie in Frankreich. Hier wie dort aber übte sie eine ungeheuere Herrschaft über den Mann aus. Ihre exquisite Schönheit allein prädestinierte sie dazu. Die Sicherheit ihres Auftretens, die Nonchalance ihrer Haltung, die jeder Engländerin, ob hoch oder niedrig, angeboren scheint, machte sie zum Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens. Der verschwenderische Luxus der Engländerin überstieg noch die Ansprüche ihrer luxusbedürftigen Schwester auf der anderen Seite des Kanals. Auch Archenholtz, einem feinen Beobachter englischen Lebens, fiel ganz besonders die Verschwendungssucht der englischen Frau auf. Es lag ihr hauptsächlich daran, recht viel Geld für ihre Kleidung und ihre sonstigen Toilettenbedürfnisse zu verschwenden. Im Gegensatz zur Französin des 18. Jahrhunderts, die Putz und Tand um ihrer selbst willen brauchte und sich oft mit billigen Mitteln zu schmücken verstand, mußte bei der Engländerin alles teuer und von tadelloser Qualität sein. Die Aristokratin sowohl wie die Schauspielerin bewiesen darin die gleichen Neigungen und den gleichen Geschmack, ebenso wie sie beide immer gleich vornehm in ihrem Äußern und Auftreten wirkten. Die Putzmacherrechnung einer Dame von Rang belief sich gewöhnlich auf 500 Guineen, also mehr als 10 000 Mark im Jahr. Manche elegante Frau, wie die reizende Herzogin von Devonshire, deren Schönheit uns Reynolds in so entzückenden Bildern überliefert hat, gab für ein einziges, ganz einfaches Nachthäubchen 10 Guineen (200 Mark) aus. Ihre prächtigen Federhüte verschlangen Unsummen. Die Schneiderrechnungen waren dementsprechend. Viele der großen Damen hielten sich außerdem noch eine fashionable Beraterin in allen Modedingen und bezahlten dafür hohe Entschädigungen. Oft gehörten diese Modeberaterinnen selbst der guten Gesellschaft an, aber sie fanden durchaus nichts darunter, daß ein Kleid oder ein Hut, die sie als erste trugen, von anderen hochgestellten Damen gegen Entgelt kopiert wurden. Sie verschafften sich dadurch Neben einnahmen, die wiederum ihrer Eleganz zugute kamen. Meist aber waren es Schauspielerinnen oder Tänzerinnen, deren Namen als elegante Frauen in aller Munde waren. Die geschmackvolle Kleidung der Schauspielerin Abington zum Beispiel war, nach Archenholtz, »beständig das Studium der Zuschauerinnen im Theater, wobei sie der schleunigsten Nachahmung ihrer Putzart versichert war«. Mrs. Abington nützte diese Berühmtheit als Modekönigin insofern aus, als sie überall in London bei den Damen der Aristokratie und der hohen Finanzwelt vorsprach und ihnen für ein nicht geringes Honorar Ratschläge in Modeangelegenheiten und Kosmetik erteilte. Dadurch hatte sie ein Nebeneinkommen von ungefähr 15- bis 1600 Pfund, 30- bis 32 000 Mark im Jahr. Und dabei war diese elegante Frau früher, als Fanny Barton, ein armes Blumenmädchen gewesen, das ihre Liebschaften auf der Straße anknüpfte, bis sie über den Weg eines öffentlichen Hauses auf der Bühne landete und eine der begabtesten Künstlerinnen und Hetären wurde. Sie übertraf an Eleganz, Luxus und Verschwendung die Damen der hohen englischen Aristokratie und zählte, wie die schöne Kitty Fisher, zu ihren Freunden Mitglieder des House of Lords. Auch Kitty und ihre unzertrennliche Freundin Fanny Murray waren für die Damen des High-Life tonangebend in ihrer Extravaganz und Eleganz. Wenn diese galanten Theaterdamen auf der Promenade mit ihren fabelhaften Wagen und Rassepferden erschienen, waren aller Blicke auf sie gerichtet. Ihre Toiletten zeigten immer das Neueste und Gewagteste auf dem Gebiete der Mode, und nichts war ihnen kühn genug, um ihren körperlichen Vorzügen neue Reize zu verleihen. Als die »Paddies« aufkamen, wurden sie zuerst und sofort von den Damen vom Theater mit Begeisterung getragen, obwohl gerade diese Mode nicht dazu beitrug, die Frauen zu verschönen oder begehrenswert zu machen. Neben dem Reifrock nämlich, der in England viel früher getragen wurde als in Frankreich, hatte die englische Damenwelt sich etwas ganz Eigenartiges zur »Verbesserung« ihrer Figur ausgedacht. Bereits 1750 und dann noch einmal 1793 band man sich falsche Bäuche um, »eine Unförmigkeit, die dem weiblichen Geschlecht nur im nahen Gebärstande eigen ist«, bemerkt Archenholtz. »Man nannte diese seltsamen Ausstaffierungen Pads und die kleinen: Paddies; sie waren gewöhnlich von Zinn,« – man denke von Zinn! – »daher man ihnen auch den Namen zinnerne Schürzen beilegte. Diese künstlichen Bäuche fanden sehr großen Beifall, besonders bei den unverheirateten Frauenzimmern, daher die Witzlinge sagten, daß in den Zeichen des Himmelskreises auch eine Revolution vorgegangen und die Zwillinge der Jungfrau zu nahe gekommen wären. Überhaupt gaben diese falschen Bäuche den Spöttern Waffen, die sie auch unbarmherzig brauchten, und dadurch die Pads bald in Verachtung brachten.«
Eine solche Geschmacklosigkeit konnte sich, wie vorauszusehen war, nicht lange halten. Im Winter kam sie auf, und im Frühling hatte man sie bereits wieder vergessen. Zwar wurde sie auch von den Damen des Direktoriums in Frankreich in mäßiger Manier eine Zeitlang getragen, aber die Französinnen banden sich anstatt Zinnformen nur Kissen um und ließen auch diese unsinnige Art, die Figur zu verschlechtern, bald fallen. In Deutschland fand die Mode der falschen Bäuche überhaupt keinen Anklang. Mehr Freunde oder besser Freundinnen hatte der künstliche Busen, der auch in England erfunden wurde und in den letzten Jahren des 18. Jahrhunderts von den schmalbrüstigen Engländerinnen für die leichte halbnackte griechische Mode, die die intimsten Reize der Frau enthüllte, in Anwendung gebracht wurde. Diese künstlichen Brüste waren aus Wachs und täuschten getreu die natürlichen Formen vor. Allerdings mußten die Schönen, die sich ihrer bedienten, immer einen hauchdünnen Schleier darüber tragen, um den Betrug nicht merken zu lassen.
Früher als in Frankreich, lange vor der Zeit des Direktoriums, trugen die Engländerinnen die nackte griechische Mode und begingen dabei genau dieselben Torheiten und Ausschreitungen wie die koketten Frauen in Frankreich. Die Dicken und die Dünnen, die Häßlichen und die Schönen, die Gutgebauten und die von der Natur Schlechtbedachten, gleichviel, jede Frau glaubte diese Nacktmode mitmachen zu müssen und sich in den fashionablen Parks und Promenaden, in Kensington Garden, Hyde Park, New Bondstreet, Pall Mall sehen lassen und sich den neugierigen lüsternen Blicken der Männer aussetzen zu können. Besonders in den großen eleganten Kaufläden Londons entfaltete die Engländerin gern alle Schönheiten ihres Körpers mittels exzentrischer Kleidung.
Von jeher hat sie das »Shopping« geliebt. Bereits im 18. Jahrhundert spielte es im Leben der Londonerin eine Rolle, während es in den anderen Ländern erst viel später auftrat. Es gab in England schon damals viel mehr große Geschäfte, als in Frankreich und in Deutschland. Besonders Old- und New-Bondstreet waren das Paradies der Modebazare. Hier war auch der große tägliche Bummel der eleganten Welt, der sich zu Anfang des 19. Jahrhunderts noch stärker entwickelte. »Hier,« sagt Wilhelm Bornemann, »wo die Eleganten, wie sonst schlichte Leute nur für den Wechsel der Jahreszeiten, so für die verschiedenen Tagesstunden anders und wieder anders gekleidet erscheinen; das Neueste aus dem rastlosen Schöpfungsreiche der Mode zur Schau tragen, einkaufen und alles und jedes zwei- und dreimal teurer bezahlen, als in den übrigen Gegenden Londons. Aber es muß erkauft sein in den Läden der gefeierten Straße, soll es Gnade finden vor dem Scharfblick verfeinerter Sinne.« Gewöhnlich begann dieser Bummel und das fashionable Shopping gegen 4 Uhr nachmittags. Es war für die elegante Engländerin ebenso Bedürfnis wie für die Französin etwa der Opernbesuch. Die Engländerin stellte auf der vielbesuchten Bondstreet in den Mode- und Kaufläden ihre Person genau so zur Schau wie die Französin abends in ihrer Loge. Dazu kam für die einkaufende elegante Frau noch ein besonderer Reiz während des »Shopping«. Spekulative Geschäftsinhaber stellten in ihren Läden hübsche junge Männer an, die eine große Anziehungskraft für die weibliche Kundschaft bildeten, und je liebenswürdiger und äußerlich anziehender der »Shopman« war, desto größer war der Zuspruch der Damen zu solchen Läden.
Am allermeisten Schick und Sorgfalt legte die vornehme Dame des 18. Jahrhunderts auf den Hut, wie man das auch auf den entzückenden Bildern der großen Maler der Zeit sehen kann. Er war reich mit Bändern und Federn versehen, und die englischen Frauen verstanden es besonders gut, diese kleidsamen malerischen Hüte zu tragen und aufzusetzen. Eine der hübschesten Moden waren die großen weich fallenden Strohhüte, die das Gesicht einer schönen Frau so künstlerisch und vorteilhaft umrahmen. Man nannte sie Dunstables. Außerdem trug man Hüte aus Samt, Seide und Spitzen. Immer war die Farbe abstechend von der Farbe des Kleides. Man gab ihnen alle möglichen Namen. Neben dem »Fly-cab à la Therèse« war der Ranelagh-Mob am beliebtesten. Im Vergnügungspalais Ranelagh trugen ihn die eleganten Halbweltlerinnen zuerst; bald darauf wurde er auch von der fashionablen großen Welt adoptiert. Er war ganz aus Tüll oder Gaze. Die herabhängenden Enden kreuzte man unter dem Kinn und befestigte sie dann am Hinterkopf. Berühmt waren auch die eleganten Hüte der Mrs. Siddons, der Herzogin von Devonshire mit ihren senkrecht in die Höhe stehenden vielen Straußenfedern, der Lady Bingham, die Reynolds in einem Riesenhut malte, und die Hüte der Lady Hamilton. In den Briefen der Hamilton an ihren Freund Lord Greville ist bei Toilettenfragen immer der Hut die Hauptsache, besonders ein blauer Hut, den sie sehr liebte, und der von aller Welt bewundert wurde.
Miß Farren, eine sehr schöne und bekannte Londoner Schauspielerin, erschien einmal zu einem Diner in einem entzückenden duftigen mattgrünen Seidenkleid mit einem großen schwarzen Samthut in spanischem Geschmack. Von 1775 bis etwa 1785 waren besonders Straußenfedern beliebt, wie sie auch in Frankreich von Marie Antoinette und den eleganten Französinnen getragen wurden. Manche Engländerin hatte bis zu fünf Stück von ungewöhnlicher Länge auf ihrem Hut. Auf einem Gemälde von Gainsborough trägt die wunderschöne Mrs. Graham einen reich mit Federn garnierten Hut zu einer mattblauen Seidenrobe, und in der Hand hält sie eine einzige lange Straußenfeder als Fächer.
Die höchste Eleganz und vornehmste Gesellschaft sah man schon zu jener Zeit im Hyde Park. »Dies ist der Ort, allwo die Damen, wenn sie wohlaufgeputzt sind, ihre Pracht sehen lassen.« Die schönsten Wagen und Pferde sah man auf dem berühmten Reit- und Fahrwege Rotten-Row, und man kann die Begeisterung Rodenbergs im »Alltagsleben in London« für die englischen Reiterinnen und Wagenlenkerinnen verstehen, die es von jeher verstanden, tadellos zu Pferde zu sitzen und den Reitsport nicht nur der Koketterie wegen betrieben, sondern wirklich aus innerstem Bedürfnis und Verständnis heraus. »Ein Hurra für Englands Amazonen! Der Korso beginnt ... So weit das Auge sehen kann, weit hinaus nach Kensington, wo die Perspektive des Weges sich in gefiederte Birken verliert, nichts als schäumende, bäumende Rosse, ihre Häupter schüttelnd, sich schwenkend, und die blauäugigen, blondhaarigen Mädchen von Alt-England darauf ... Englands Mädchen solltet Ihr zu Pferde sehen! Wie lieblich, eine Hand zu küssen, die so ein Roß zu bändigen weiß ... Welch ein lustiges Gewimmel und Getrappel und Schnaufen und Lachen rings um mich! ... 's ist ein gefährlich Geschlecht, diese schönen Pferdebändigerinnen – ›those pretty horsebreakers‹.«
Auf der anderen Seite befindet sich die Fahrstraße für den Korso auf Rädern. Die Müßiggänger und Dandies, die das Ende des 18. Jahrhunderts in England zur höchsten Entfaltung der Eleganz durch einen George Brummel brachte, stehen an das Eisengitter gelehnt und beäugen mit ihren Lorgnetten jede einzelne der vielen schönen, in ihren prächtigen Kutschen vorüberfahrenden Frauen. Es ist eine Schönheitsgalerie sondergleichen.
Hauptsächlich spielte sich jedoch das High-Life des 18. Jahrhunderts in Kensington Garden ab, der sich westlich an den Hyde Park anschließt. Hier flanierte und promenierte die hohe Gesellschaft, die Rakes, die Dandies und die Damen. Sie stellten ihre Toiletten und ihre Schönheit zur Schau, flirteten und zeigten ihre Equipagen. Man sah bisweilen an die tausend Karossen auf der herrlichen Promenade von Kensington durch den Hyde Park. Die Frauen saßen in ihren Wagen hinter den hellen Spiegelscheiben und wirkten wie schöne Gemälde unter Glas. Manche lenkte auch schon damals ihren Phaethon selbst mit weißen Zügeln. Schütz schreibt in seinen »Briefen über London« am Ende des 18. Jahrhunderts, es sei ein auffälliger Augenblick gewesen, einen englischen Wagen mit zwei Frauenzimmern zu sehen, wo eine die Peitsche in der Hand hält und die andere die mutigen Engländer (nämlich die schönen englischen Rassepferde) mit Anstand zu dirigieren versteht. Auch im Herrensattel ritten damals schon die englischen Damen, was Archenholtz als »eigentümliche Sitte« bezeichnet. Aber dieses Leben und Treiben in den prachtvollen englischen Parks hatte seine »Season«, wie auch heute noch. Nur im Sommer von Mai bis August traf hier die vornehme Welt zusammen. Herbst, Winter und das frühe Frühjahr verbrachte man meist auf den schönen Landsitzen oder in Modebädern und zum Teil auch in Paris. Das beliebteste englische Bad war, neben Tunbridge, Bath. Es entwickelte sich in der Mitte des 18. Jahrhunderts zu einem der vornehmsten und kostspieligsten Luxusbäder. Hierher ging man weniger des Badens als der Eleganz, des Spiels und des Flirts wegen. In »A Lady of the last Century« ist dieses Badeleben sehr anschaulich von Doran geschildert. Er beschreibt, wie alles, Männlein und Weiblein, in den phantastischsten Badeanzügen im Wasser promenierte; – man promenierte nämlich und schwamm nicht – man sah nur die Köpfe, da es in diesem Falle, trotz der sonst sehr freien Sitten, für englisches Empfinden anstößig gewesen wäre, etwas mehr als nur Hals und Kopf zu zeigen. Das Wasser mußte mindestens bis an den Halswirbel gehen. Und so sah es aus, als wenn die Köpfe der Badenden allein auf dem Wasser schwämmen. Für diese Prüderie entschädigte man sich durch allerlei Scherze. Man küßte sich, kniff und zwickte sich. Das Küssen war erlaubt, und das Zwicken – sah ja keiner. Nur am Kreischen und Lachen der Damen merkte man, daß sich die Kavaliere den schönen Nymphen gegenüber Freiheiten erlaubten, die das Wasser diskret verbarg.
Auch für das leibliche Wohl und die Luxusbedürfnisse der verwöhnten Damen im Wasser war gesorgt. Buntlackierte zierliche Schalen mit Süßigkeiten oder köstlichen Parfüms schwammen vor den eleganten Engländerinnen her, und wenn eine solche schwimmende Bonbonniere sich etwas weiter von ihrer Eigentümerin entfernte, so war es für den mit ihr flirtenden Kavalier eine gute Gelegenheit, ihr seine Aufmerksamkeit dadurch zu beweisen, daß er die Schale zurückholte und dafür mit einem zärtlichen Blick oder einem Kuß belohnt wurde. Oft waren diese Konfektschalen auch ein Anknüpfungspunkt für neue Bekanntschaften im Wasser, wie heute der Wasserball und die Gummitiere, mit denen man sich an der See die Zeit vertreibt. Die im Wasser spielende Welt wurde von einer großen Menge eleganter Zuschauer beobachtet. Jeder Scherz, jedes lustige Intermezzo wurde aufs lebhafteste beklatscht. Man amüsierte sich bis zum Einbruch der Dunkelheit. Dann wurden die Bäder geschlossen, und die Damen ließen sich, naß wie sie waren, in Sänften nach ihren Landhäusern oder Hotels tragen. Viele dieser englischen Modebäder waren die reinen Liebesstationen, wo die Frauen nur darauf ausgingen, sich entweder mit ihren »Lovelaces« ein paar Wochen zu amüsieren, oder neue Abenteuer zu erleben, die mit dem Schluß der Badesaison ebenfalls ihr Ende hatten. Der leichtlebige Geist des Rokoko war auch im englischen High-Life des 18. Jahrhunderts zu finden. Spekulative Damen, deren berühmte elegante Rendezvoushäuser in London den englischen Lebemännern immer neue Reize zu bieten verstanden, besaßen in Bath, Tunbridge und anderen Modebädern ihre »Filialen«, Salons mit allem Raffinement für ein sybaritisches Genußleben eingerichtet, in denen die jüngsten und schönsten Mädchen der Welt für Unterhaltung sorgten.
In London waren es besonders um die Wende des 18. und zu Anfang des 19. Jahrhunderts die »Routs«, auf denen sich das galante Nachtleben des High-Life abspielte. Diese berühmten englischen Routs waren Abendgesellschaften in Privathäusern, wobei das Spiel und die Liebe die Hauptrolle spielten. Auf diesen Routs knüpften sich die meisten galanten Abenteuer an. Auch die vornehmen Hetären und die Damen aus der Theaterwelt wurden bisweilen dazu eingeladen, teils um ihren Gesang, ihre Schauspielkunst oder musikalischen Talente in den Dienst der Geselligkeit zu stellen, teils um die Gesellschaft durch ihre Schönheit reizvoller zu gestalten, teils aber auch nur, um die vornehme Männerwelt anzulocken, die Dandies und Rakes, die es sonst vorzogen, ihre Nächte in den öffentlichen Vergnügungsstätten zu verbringen.
Diese Routs waren durch maßloses Spiel berüchtigt. I. C. Hüttner in seinem »Sittengemälde von London« schreibt über diese Art englischer Abendunterhaltungen, die nie vor zwölf oder ein Uhr nachts begannen: »Eine Menge Menschen werden von den Bedienten, die auf den Treppen und am Eingange der Zimmer stehen, um die Einlaßbillette zu empfangen, hintereinander mit lautschreiender Stimme angekündigt, schweben in die Zimmer und setzen sich an einen oder den anderen der zahlreichen Spieltische, während die Frau vom Hause aus einem Zimmer in das andere fliegt, um ihre Gäste zu bewillkommnen und sich allen zu zeigen... Doch lassen Sie uns einen Blick auf die Reihen von dichtbesetzten Spieltischen werfen, die hier stehen. Völlige Gleichheit herrscht an diesen Altären der Torheit. Alter, Rang, Charakter und Geschlecht machen nicht den geringsten Unterschied. Alte runzlige Damen sind hier die Nebenbuhlerinnen blühender Mädchen. Die Karten machen alle einander gleich. Whist, Kasino, Faro, Rouge und Noir und so weiter verschließen die Augen der Männer gegen den Anblick der halbnackten Grazien, die um sie herumschweben, und machen das geschwätzigste Weib stumm wie eine Statue. Die schönsten Gesichter, auf denen noch kurz vorher jeder Liebreiz thronte, verwandeln sich in Furienphysiognomien ... Wilde Leidenschaften schaffen Engelsgestalten zu Teufeln um, und Schadenfreude, Betrug, Angst, Verzweiflung, rasender Leichtsinn und grinsende Habsucht scheinen hier um die Oberherrschaft zu kämpfen... Gegen Anbruch des Tages werden endlich die Zimmer wieder leer, und die Gesellschaft eilt nach Hause, der eine mit vor Freude hüpfendem Herzen, der andere mit Gedanken an Gift, Dolch, Strick oder Pistole.« – Aber es war ein glänzender Anblick, diese englischen Routs! Die englische Frau, deren Schönheit besonders am Abend in den prachtvollen tiefdekolletierten Toiletten zur Geltung kommt, weiß sich sehr kunstvoll und diskret herzurichten. Und obwohl man sich in England im 18. Jahrhundert viel weniger schminkte als in den romanischen Ländern, verstanden es doch die Engländerinnen, mit der feinsten chinesischen Schminke ihrem an sich zarten Teint zauberhafte Farben zu verleihen, ohne daß man die Kunst merkte, wenigstens nicht bei einer Dame der Gesellschaft. Die Hetären allein legten offensichtlich Rot auf, ohne sich Mühe zu geben, ein Geheimnis daraus zu machen. Das Schminken der Engländerin der hohen Kreise indes wurde im l8. Jahrhundert zu einer wahren Meisterschaft und erhöhte ihre Schönheit, was man von den Damen des französischen Rokoko zur Zeit der Pompadour nicht immer behaupten konnte. Die englischen Kosmetika waren feiner, diskreter, raffinierter. Der Toilettentisch einer Lady sei ein ganzes chemisches Laboratorium gewesen, meint Hüttner. Besonders geschickt waren die englischen Damen, die natürliche Röte der Wangen nachzuahmen. Sie besaßen zu diesem Zweck diskrete Schminkwässer wie »Dutch Pink« und »Bavarian red water«. Ihre Parfüms und Seifen waren ebenso berühmt wie ihre kosmetischen Gesichtswasser. Natürlich sind auch in England wie in anderen Ländern die »Mouches« Mode gewesen. Die englische Industrie für kosmetische Mittel machte indes die schreiendste Reklame für ihre Erzeugnisse und versprach durch ihre Anwendung fünfzigjährigen Damen die Jugendfrische Zwanzigjähriger.
Ganz besondere Sorgfalt legten die Engländerinnen schon im 18. Jahrhundert auf die Pflege ihrer Hände. Eine wohlgepflegte parfümierte Hand und gutgebildete Fuß- und Fingernägel galten, wie auch heute, als größter Reiz einer schönen Frau. Die parfümierten Handschuhe, die in England bereits im 16. Jahrhundert aufkamen, bildeten im 18. Jahrhundert ein Hauptrequisit der mondänen Frau. Man trug sie auch des Nachts, um die Weiße und Zartheit der Haut zu erhalten. Die Nägel wurden mit einem Raffinement behandelt, das selbst unsere moderne Maniküre in den Schatten stellt. Man verwendete viele Stunden des Tages allein auf den Schnitt und die Pflege der Nägel. Es gab Spezialisten, die sich ein Vermögen damit erwarben. Im Jahre 1757, erzählt Archenholtz, habe in London ein Mann gelebt, der eine besondere Methode erfand, »die Nägel an den Fingern abzuschneiden, wodurch sie wohlgeformt werden und überhaupt dienen sollten, schönen Händen, diesem so anziehenden Teile der weiblichen Schönheit, einen größeren Reiz zu verleihen. Die englischen Damen waren nicht gleichgültig gegen diesen Antrag. Der Mann war den ganzen Tag beschäftigt, bewohnte ein großes Haus und hielt Equipage. So trieb er dieses Gewerbe zwei Jahre lang, gewann sehr viel Geld – und verließ dennoch London mit 3000 Pfund Schulden.« Eine schön gepflegte Hand kam vor allem beim Gebrauch des Fächers zur vollen Geltung. Es scheint, daß die vornehmen Ladies sich »dieses allgemeinen Ausdrucksmittels« mit besonderer Vorliebe und mehr als andere Frauen bedienten. In England erlebte der Fächer im 18. Jahrhundert seine Blütezeit. Jede Dame trug ihn, und zwar zu jeder Tageszeit. Der Fächerluxus war derartig verbreitet, daß man einen Fächer für die Straße, einen für morgens, einen für abends zum Diner und einen für große Gelegenheiten haben mußte. Sie waren meist bemalt oder mit Diamanten und anderen kostbaren Steinen ausgelegt. Oft wiesen sie auch recht pikante Bilder auf, so daß manche Dame eher vor dem Fächer als hinter ihm hätte erröten sollen.
Gepuderte Haare wurden zu Beginn des 18. Jahrhunderts auch von den Engländerinnen getragen. In keinem Lande ist so viel für Haar- und Gesichtspuder ausgegeben worden. Die englische Regierung legte deshalb eine Steuer darauf, so daß sich die Sitte des Puderns der Haare früher verlor als in anderen Ländern. Ein spöttischer Beobachter der Zeit meint, die extravaganten Ladies hätten dafür das Fell ihrer Hunde und Pferde gepudert! Die brauchten ja keine Steuer auf Puder zu bezahlen! Es mag aber wohl hauptsächlich ein Gefühl der Hygiene, das bei den Engländerinnen sehr stark ausgeprägt ist, beim Abschaffen des Haarpuderns mitgespielt haben. Sicher ging es gegen ihr Reinlichkeitsgefühl, die gepuderten, hochgetürmten Frisuren wochenlang nicht aufzulösen. Außerdem wußten sie, daß das Haar, das gerade der herrlichste Schmuck der Engländerin ist, unter der Unsauberkeit am meisten leidet. Archenholtz berichtet: »Viele, selbst bei der zierlichsten Kleidung, streuen nie Puder in ihre Haare. Die Reinlichkeit, die hier in allen Stücken in einem sehr hohen Grade herrscht, erhöht auch die natürlichen Reize des schönen Geschlechts nicht wenig.« Nichtsdestoweniger färbten aber, ebenso wie in anderen Ländern, manche Engländerinnen ihre Haare oder sie trugen Perücken »the great feature in the dress of the 18th century«. Diese Perücken wurden in allen Nuancen gekauft: schwarz, grau, rot, fleischfarbig. Sie variierten im Preise bis zu fünf Guineen und noch höher. Die meisten Damen indes zogen vor, in ihrem natürlichen Haarschmuck zu erscheinen und verstanden es mit ganz besonderem Raffinement, ihrer Frisur die persönliche Note zu verleihen. Die Maler schöner Engländerinnen haben uns diese kleidsamen, oft natürlich gelockten Frisuren in unzähligen pikanten Bildern überliefert.
Zu dieser Gepflegtheit der Kleidung und Haare gehörte natürlich auch peinliche Pflege des Körpers, und das tägliche Bad der vornehmen Engländerin, ebenso wie das tägliche Wechseln der Wäsche, waren für sie, wie es für jede elegante Frau sein sollte, Grundbedingungen der Eleganz. Zum Unterschied der französischen Frau der galanten Zeit, die soviel wie möglich die Berührung ihrer Haut mit Wasser und Seife vermied, kannten die englischen Frauen am Ende des 18. Jahrhunderts bereits den Gebrauch von türkischen oder Dampfbädern und die Massage. Fürst Hermann von Pückler-Muskau schreibt darüber in seinem Werke »Briefe eines Verstorbenen«: »Nicht weit von Brighton hat ein Indier orientalische Bäder angelegt, wo man wie in der Türkei massiert wird, was sehr stärkend und gesund sein soll, auch bei der vornehmen Welt, besonders den Damen, sehr beliebt ist. Man nennt sie Mahomets Bäder. Ich fand das Innere indes sehr europäisch eingerichtet. Die Behandlung gleicht der in den russischen Dampfbädern; nur finde ich sie weniger zweckmäßig, denn man sitzt in einer kühlen Stube auf einem erhöhten Sessel, den eine Art Palankin von Flanell umgibt, und nur in diesen kleinen Raum dringt, aus dem Boden aufsteigend, ein heißer Kräuterdampf hinein. Die Flanellwand hat mehrere Ärmel, die nach außen herabhängen und in welche der Masseur seine Arme steckt und mit den Händen den Körper des Badenden sanft knetet. Er fährt dann mit festem und stetem Drucke des Daumens an den Gliedern, am Rückgrat, den Rippen und über den Magen vielmal herab, was der Organisation wohl zu tun scheint. Währenddessen transpiriert man so lange und so stark, als man wünscht, und wird zuletzt bei abgenommenem Deckel des Flanellzeltes mit lauem Wasser übergossen.« Am besten indes verstanden es die Engländerinnen – wie auch heute noch – auf ihren wundervollen Landsitzen die Genüsse des Lebens auszukosten. Hier konnte sich die Eleganz der Lady erst voll entfalten. Ihre Schönheit, die nicht schwellender Kissen und der schwülen Atmosphäre eines wollüstigen Boudoirs bedurfte, kam in den großen Hallen, den mit prachtvollen Fresken und Gemälden geschmückten Sälen oder in den tadellos gepflegten Parks mit ihren weiten Rasenflächen und Weihern erst zur vollen Geltung. Hier bewegen sich die hohen schlanken Gestalten in der freien Natur, und es bleibt ihnen keine Zeit für Langeweile. Der Sport ist im 18. Jahrhundert bereits in England allgemein. Kricket, Tennis, Reiten und die Gastfreundschaft nehmen die Gesellschaft auf dem Lande vollkommen in Anspruch. Diese englischen Herzoginnen sind aus anderem Holz als die tändelnden schäkernden Rokokomarquisen. Sie scheuen nicht Luft und Sonne. Die Sphäre, die sie umgibt, ist ihnen Charakteristikum. In ihren Landschlössern sind sie erst richtig zu Hause.
Die schönsten Schlösser und Landsitze des englischen Hochadels entstanden zum großen Teil erst im 18. Jahrhundert. Die gediegene Pracht, der erlesene Geschmack in der Einrichtung, die prachtvollen Kunstsammlungen und Bibliotheken, die Gemäldegalerien, die sie enthielten, stellten viele der Schlösser regierender Kaiser und Könige in Europa in den Schatten. »Die Hallen Ossians sind hier verwandelt in die modernsten Prunkzimmer«, sagt Alexander Jung. »Die Flamme des Herdes leuchtet noch jetzt wie einst vom Kamin, aber sie beleuchtet die schönsten Fresken, die ausgewähltesten Fußdecken, die abweichendsten Formen aller Menschengestalt; ein reicher Komfort erfrischt den Mund zu immer neuer Rede, und nach aufgehobener Tafel, wenn die reizenden Damen Altenglands gehen, und die Weine kommen, rücken die Männer noch immer nach alter Sitte zusammen, und nun moussieren die ausgelassensten Geister der Einfälle um die Wette mit dem Champagner.« Es ist bekannt, daß die englische Dame nicht zugeben darf – auch heute noch nicht –, daß sie gern ein Glas Wein trinkt. Wollte sie den Ruf einer Lady genießen, so durfte sie nur vom Weine nippen oder ihn mit Wasser vermischt trinken. Man nahm es daher auch Lady Hamilton sehr übel, daß sie Champagner und Wein ganz ungeniert in der Öffentlichkeit bei Tafel oder in Gesellschaft von Männern trank. Hätte sie es, wie andere englische Damen, heimlich und unbeobachtet in ihrem Zimmer getan, kein Mensch würde Anstoß genommen haben. Sie war indes ein Kind des Volkes, dem hypokritischer Sinn und Heuchelei fern standen. Ihr ganzes Leben wurde vom Impulse ihres Temperamentes geleitet, selbst noch als sie die Gattin Lord Hamiltons war. Aber gerade der englische Hochadel hielt streng an den Traditionen fest, oft auch noch an dem steifen Zeremoniell der Peerage des 17. Jahrhunderts. »Wenn Lady Elizabeth Howard Gräfin Northumberland einen Besuch macht,« schreibt Max von Böhn in seinem »England im 18. Jahrhundert«, »so begleiten barhäuptige Lakaien auf beiden Seiten ihre Kutsche... Ihre Schwiegertochter, die Herzogin von Somerset, wagte nie, sich in ihrer Gegenwart zu setzen, außer wenn sie dazu aufgefordert wurde.«... »Catherine Sedley, Herzogin von Buckingham, eine außereheliche Tochter König Jakobs II., besuchte die Oper nur in ihren Staatsroben mit rotem, hermelinbesetztem Samtmantel, und ließ sich, als sie auf dem Sterbebette lag, von Damen, die um sie waren und sie pflegten, schwören; daß sie sich auch dann nicht setzen wollten, wenn sie etwa das Bewußtsein verlöre, sondern daß sie damit warten würden, bis sie wirklich tot wäre.« Tradition war auch das große Geldverschwenden der englischen Aristokraten. Vom Herzog und der Herzogin von Newcastle schrieb Horace Walpole: »Die Häuser, die Gärten, die Tafel, die Equipagen... verschlangen unermeßliche Summen, und die Höhe seiner Schulden überstieg noch die Gelder, die er verschwendete.« Ebenso erging es dem in Paris 1755 gestorbenen Lord Albermale; er hatte trotz der ungeheuren Mitgift seiner Frau von 25 000 Pfund Sterling und einem Jahreseinkommen von 14 000 Pfund eine Schuldenlast von 90 000 Pfund Sterling hinterlassen. Die Spielschulden und Spielverluste wurden oft durch eine reiche Heirat wieder wettgemacht. Lady Sarah Cadogan wurde zum Beispiel von ihrem Vater mit dem Sohne des Herzogs von Richmond, Lord March, verheiratet, als dieser fast noch ein Knabe war. Die Ehe kam dadurch zustande, daß der Herzog von Richmond an den Vater der jungen Lady ein ungeheures Vermögen im Spiel verloren hatte und die Spielschuld nicht bezahlen konnte. Er gab dafür seinen Sohn hin, und die Familie kam auf diese Weise wieder zu einem Teil des verlorenen Vermögens. Aber Richmond hatte nicht mit dem Widerstand seines Sohnes gerechnet. Erst nach langem Sträuben willigte der junge Lord ein, eine Frau zu heiraten, die er nur den Spielverlusten seines Vaters verdankte. Er ging für ein paar Jahre ins Ausland. Als er nach London zurückkehrte, sah er gleich am ersten Abend im Theater eine junge Dame, in die er sich sofort verliebte. Und als er sich erkundigte, wer sie sei, war er sehr erstaunt zu erfahren, daß es seine eigene Frau, die junge Lady Sarah Cadogan sei. Unwiderstehliche Anziehungskraft besaßen, wie für die Franzosen so auch für die englische Gesellschaft des 18. Jahrhunderts, die Maskenbälle. Ja, man kann behaupten, sie standen in dieser Epoche in ihrer Blütezeit. Die ganze vornehme Welt nahm daran teil. Es wurden sogar in London eigens große Etablissements zur Abhaltung dieser glänzenden Maskeraden gebaut, wie das Pantheon, das berühmte Ranelagh, ferner elegante Vergnügungspaläste wie das »Carlisle House« der Madame Cornelys am Soho Square und das Ballhaus »Almacks«. Zu diesen Bällen erschienen die Damen des High-Life in den prächtigsten Toiletten und Kostümen. Die angeborene reiche Phantasie und Vorliebe der Engländerin für Maskenkostüme konnte sich hier im reichsten Maße entfalten und ausleben. Das Spiel wurde ihr zum Leben; jede Laune durfte sie auf diesen Maskeraden verwirklichen. In tausend Rollen und Verwandlungen immer wieder neu zu sein, hat für die Frau des 18. Jahrhunderts einen unwiderstehlichen Reiz. »Die geheime Triebkraft, die hinter diesem leidenschaftlichen Maskenspiel steckt,« meint Moreck, »ist die Sucht, alles das, wodurch sie glänzt, ihre Grazie, ihre Liebenswürdigkeit, ihre Pikanterie, ihre Schönheit, ihren Geist, ihren Geschmack in das Blickfeld männlichen Begehrens zu stellen, und sie folgt nur der Logik der Immoralität, wenn sie der physischen Schamlosigkeit ihres Lebens die seelische ihres Spiels zugesellt.« Ihre Phantasie, die weiblichste aller Gaben, den Mann zu immer neuer Bewunderung und Begeisterung hinzureißen, findet in den Maskenkostümen stets neue Nahrung, und die Engländerin wie auch die Frauen des Kontinents erleben in diesen Verwandlungsrollen mehr und intensiver, als im Alltagsgetriebe den köstlichen prickelnden Genuß ihrer Macht auf den Mann. Aber ihre Phantasie ist oft hemmungslos und auch sie befolgen mit der Nacktheit ihres schönen Körpers den Grundsatz eines berühmten Pariser Schneiders: »Ce qui habille le mieux une femme, c'est le nu«. Die reizende und extravagante Miß Chudleigh wählte ihre Masken meist aus der griechischen Mythologie. Eine zweite Tallien, erschien sie einmal als Iphigenie vor dem Opfer, »aber so nackt«, meint Lady Elizabeth Montagu ein wenig bissig, »daß der Hohepriester mit Leichtigkeit die Eingeweide des Opfers inspizieren konnte«. Diese junge Dame schaffte sich übrigens noch durch andre Extravaganzen und viele bewegte Abenteuer einen Weltruf. Horace Walpole spricht in seinen Briefen wiederholt von ihren zahlreichen Skandalen und Eheprozessen. Sie verheiratete sich heimlich mit Augustus Hervey, dem späteren Earl of Bristol, was sie indes nicht hinderte, sich noch einmal öffentlich mit dem Herzog von Kensington zu verehelichen. Als dieser starb, trat ihr erster heimlicher Gatte wieder auf den Plan und wollte sich nun von ihr offiziell scheiden lassen. Aber sie ließ ihm sagen, er möge ihr erst nachweisen, daß sie seine rechtmäßige Gattin sei, und wenn er das täte, müsse er ihre großen Schulden bezahlen. Es waren nicht weniger als 16 000 Pfund Sterling! Dann wurde sie wegen Bigamie angeklagt und zu der furchtbaren Strafe verurteilt, mit glühendem Eisen in die Hand gebrannt zu werden. Da sie indes einer der berühmtesten Adelsfamilien angehörte, erließ man ihr diese Folter, und sie führte ihr exzentrisches Leben weiter, obwohl sie nicht mehr jung und nicht mehr schön war. Sie hat noch auf vielen Maskeraden und Bällen durch die Ungeniertheit ihrer Kostüme Aufsehen und Anstoß erregt.
Einige dieser fashionablen Maskeraden wurden von den Damen der Aristokratie arrangiert und geleitet, und nur die Elite besaß für einen sehr hohen Preis das Recht der Beteiligung. Andere wieder waren ganz öffentlich, und es traf sich dort alles, ohne Unterschied des Ranges. Man subskribierte meist für diese Bälle schon monatelang voraus. Wahrscheinlich entstand die Sitte der Subskription zu Bällen der guten Gesellschaft dadurch, daß derartig elegante und verschwenderische Privatmaskeraden, die mit ungeheuerer Pracht aufgezogen wurden, viel zu kostspielig für einen einzigen Veranstalter gewesen wären. Die Unternehmer oder Unternehmerinnen, in deren Tanzpalais oder Salons diese Art Feste abgehalten wurden, kamen oft zu großem Vermögen. Sie lebten jedenfalls meist auf großem Fuße und gehörten fast immer der Klasse der internationalen Abenteurer und Glücksritter an. Die berüchtigte und vielleicht sogar berühmte Madame Cornelys, die einstige Geliebte Casanovas und des Senators Malipieri, eines bekannten Wüstlings in Italien, eröffnete um das Jahr 1765 in London ein derartiges Gesellschaftslokal, das bald so berühmt und gesucht wurde, daß Fürsten und Herzöge mit ihren Damen es als guten Ton betrachteten, die dort abgehaltenen Maskeraden und Bälle zu besuchen. Auch die fashionablen Dandies und Lebemänner mit den vornehmsten Damen der Gesellschaft verkehrten in den Salons dieser Dame. Die Herzogin von Devonshire, Lord und Lady North, der Herzog von Northumberland, der Herzog und die Herzogin von Gloucester, Sir Joshua Reynolds, der Schauspieler und Dandy Garrick, Tobias Smollet, George Selwyn, einer der elegantesten Männer Englands, die Schauspieler Colman, Samuel Foote, der Musiker Giardini und viele andere prominente Persönlichkeiten waren häufige Gäste bei der Cornelys. Sie war eine außerordentlich pikante, sehr elegante Frau, eine blendende Schönheit. Man nannte sie allgemein »L'Impératrice du bon goût et de la volupté«. Nur Casanova scheint in Hinsicht auf ihr Temperament nicht mit ihr zufrieden gewesen zu sein. Er behauptet, sie sei kalt gewesen, und ihre Gesellschaften kamen ihm langweilig und steif vor, als er einen ihrer berühmten Maskenbälle in London besuchte und ihr bei dieser Gelegenheit ihren 23jährigen Sohn, den er adoptiert hatte, vorstellte. Die Cornelys war keine Engländerin, sondern eine Deutsche von Geburt. Ursprünglich hieß sie Theresa Imer. Ihre galanten Abenteuer hatte sie meist in Italien erlebt. Als sie nach London kam, stand sie zwar nicht mehr in der ersten Jugend, aber sie war immer noch eine blendende Erscheinung. Vor allem verstand sie ihren Bällen einen Glanz zu verleihen, der dem Aufwand von Fürstenhäusern gleichkam. Ihre Gesellschaftssäle waren mit blauer und gelber Seide ausgeschlagen. Zu den Konzerten, die sie veranstaltete, sangen oft Chöre von 500 Personen. In mancher Saison verkaufte sie bis zu 8000 Eintritts- oder Subskriptionskarten, die im Durchschnitt 6-9 Guineen kosteten. Sie lebte auf großem Fuße, hatte 32 Dienstboten, drei Sekretäre, eine Gesellschaftsdame, sechs Reit- und Wagenpferde und die prächtigsten Jagdhunde. Sie war indes zu verschwenderisch, um sich ein Vermögen zurückzulegen. Sie hatte beständig Schulden und machte deswegen öfter Bekanntschaft mit dem Schuldgefängnis. Schließlich lebte sie von der Güte ihrer Freunde und verbrachte 25 Jahre ihres Lebens im Fleetgefängnis wegen Bankerotts. Ihre Maskeraden am Soho Square, die sie bisweilen auch, wenn es größere Veranstaltungen waren, ins Ranelagh verlegte, waren ungefähr zwanzig Jahre lang in Mode. Und keins dieser Feste ähnelte dem andern. Madame Cornelys' Phantasie war unerschöpflich. Sie war ein Genie im Arrangieren dieser glänzenden Maskenbälle. »Man sah hier«, berichtet Archenholtz, »illuminierte Säulen und Triumphbogen, Säle in Gärten verwandelt, mit Orangerien und Springbrunnen verzierte, labyrinthische Blumenbeete, transparente Gemälde und Inschriften, Treppen und Zugänge mit farbigen Lampen in Pyramidal- und anderen Formen gestellt und mit Girlanden festonartig geschmückt; amphitheatralisch gestellte Eßtafeln, die einen so sonderbaren als schönen Anblick gewährten.« – Viele der wahrhaft fürstlich möblierten Zimmer waren den Kostümen, die man auf diesen Maskeraden trug, im Stile angepaßt: eins vielleicht ganz indisch, das andere chinesisch, ein drittes persisch und wieder ein anderes türkisch. Jedes Jahr wurde das Stiftungsfest in Madame Cornelys' Haus gefeiert, wozu 9000 Wachskerzen in Armleuchtern brannten. Der Anblick der so feenhaft beleuchteten Räume war bezaubernd. Natürlich wurde auch hier wie überall sehr hoch gespielt, besonders Pharao, dem die Gesellschaft des Londoner High-Life des 18. Jahrhunderts in einem Maße frönte, daß selbst die Spielhöllen Frankreichs nicht damit konkurrieren konnten. Die englischen Damen, die im Hause der Cornelys verkehrten, gehörten alle zu den schönsten und elegantesten der Welt. Bekanntlich übersteigt die Schönheit der englischen Frau alle Begriffe, ebenso wie ihre Häßlichkeit. Felix Remo in seinem »La vie galante en Angleterre« erscheinen die schönen Engländerinnen mit ihren zärtlichen tiefblauen Augen, ihrem wunderbar durchsichtigen, ätherischen Teint, ihrem hellen üppigen Haar wie die Madonnen des Murillo. Und von ihren wundervollen Körpern mit den schlanken Beinen sagt er: »Nichts ist graziöser als die zarte Rundung der Schenkel und Beine.« Aber er findet auch, daß diesen ätherischen Schönheiten der prickelnde Reiz der sinnlicheren Schönheit der Frauen des Kontinents fehlt. »Man könnte meinen,« sagt er, »daß sie überhaupt nicht denken, nichts empfinden. Sie geraten niemals in Ekstase; niemals werden diese entzückenden Gesichter durch große Eindrücke oder ergreifende Bewunderung bewegt; nur eine Art Gleichgültigkeit ist darauf zu erkennen. Sie zeigen niemals – nicht einmal in der leidenschaftlichsten Liebeshingabe – jene wilden Ausbrüche lasziver Mädchen des Südens. Nur das Lächeln bringt Beweglichkeit in die Züge der Engländerinnen: das verstehen sie allerdings auf eine bezaubernde Art zu gebrauchen.«– Es ist daher kein Wunder, daß unter den englischen Schönheiten Lady Emma Hamilton mit ihrem außerordentlich mimischen Talent und ihrem beweglichen, ausdrucksvollen Gesicht, ihrer Wollust und Sinnlichkeit so großes Aufsehen erregte und Begehren herausforderte.
Unter den öffentlichen Vergnügungslokalen großen Stiles wie Vauxhall, Panthéon, Marylebone Gardens war das Ranelagh zweifellos das berühmteste und eleganteste. Es bewahrte sich von 1742 an das ganze 18. Jahrhundert hindurch und noch in späterer Zeit seine Anziehungskraft. Hier verkehrte sowohl die Welt des High-Life wie die der Kleinbürger. Prinzen und Prinzessinnen, Angestellte und Verkäuferinnen, die vornehme und die billige Halbwelt, waren hier anzutreffen. Sie tauschten ihre Laster, ihre Freuden und – ihre Männer und Frauen. Im Juni 1755 schrieb Horace Walpole an einen Freund: »Niemand geht wo anders hin, jeder geht hierher. Lord Chesterfield liebt es so sehr, daß er sich alle seine Briefe nach Ranelagh schicken läßt. Wenn Sie es nie gesehen hätten, würde ich es Ihnen pompös beschreiben und Ihnen sagen, daß der Boden mit Prinzen bedeckt ist. Man kann keinen Fuß vor den anderen setzen, ohne nicht auf einen Prinzen von Wales oder einen Herzog von Cumberland zu treten. Die Gesellschaft erstreckt sich vom Herzog von Grafton bis zu den ärmsten Findelkindern, von Lady Townshand bis zur Köchin.«
Auch in England gab es eine Stufe zwischen Dame der Gesellschaft und Halbweltlerin. Sie sind vielleicht den »Demi-castors« des Zweiten Kaiserreichs zu vergleichen. Man nannte sie »Demi-reps«, eine Abkürzung von »demi-reputation«. Es waren solche Frauen, die ihren Ruf leichtfertig aufs Spiel setzen, ohne indes offiziell zur Kategorie der Kurtisanen zu gehören. Unter ihnen gab es Schönheiten von Weltruf. Meist waren sie verheiratet und gehörten dem guten Bürgerkreise, manchmal auch dem High-Life an. Ihr großes Luxusbedürfnis, ihre Verschwendungssucht, ihre Vergnügungssucht im Verein mit ihrer Laszivität veranlaßten sie, sich einen oder mehrere Liebhaber zu nehmen, weil der Ehemann den Aufwand nicht allein bestreiten konnte. Sie gaben den Französinnen des 18. Jahrhunderts an Eleganz und Raffinement kaum etwas nach. Ihre Genußsucht kannte keine Grenzen. Ehebruch und Eheverachtung war damals in der hohen englischen Gesellschaft ebenso angesehen, wie im französischen Rokoko. Und dazu trugen die Demi-reps und die echten Hetären, die auf der ganzen Welt in England als die zügellosesten bekannt sind, nicht wenig bei. Schauspielerinnen waren mit wenigen Ausnahmen auch in England Mädchen der Freude, besonders die Tänzerinnen vom Covent Garden. Viele von ihnen machten oft die glänzendsten Partien, denn in England kannte man nicht den Grundsatz der Ebenbürtigkeit. Ein Herzog oder ein Lord konnte ein beliebiges Mädchen aus dem Volke zu seiner Frau machen, und die Gesellschaft behandelte die neue Lady oder Peeress genau so, als wenn sie den höchsten Adelskreisen entsprossen wäre. Die Beispiele dieser bei uns mit dem Namen »Mesalliancen« belegten Ehen sind zahllos in der englischen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts. So heiratete ein Herzog von Shrewsbury seine langjährige Freundin, eine bekannte italienische Demimonde. Die in »The Beggar's Opera« als Polly auftretende reizende Miß Fenton war die Mätresse des Herzogs von Bolton, gebar ihm mehrere Kinder, und nachher wurde dieser Bund durch eine regelrechte Heirat besiegelt. Noch viele andere Mitglieder des Hochadels wählten sich ihre Frauen aus den niederen Schichten des Volkes. Die außereheliche Tochter eines Jockeys aus Newmarket wurde die Gattin des Herzogs von Ancaster, eine der elegantesten, aber auch schlechtbeleumundetsten Frauen des Jahrhunderts. Ehen zwischen Schauspielerinnen oder Tänzerinnen und Lords waren ein Zug der Zeit und nichts Ungewöhnliches. Und nicht nur die Berühmtesten, die sich bereits als Künstlerin einen Namen gemacht hatten, wurden zu so hohem Range erhoben, sondern oft auch kleine Anfängerinnen, wie die zwei entzückenden Schwestern Elizabeth und Maria Cunning. Beide waren außergewöhnlich schön, aber Kinder einfacher armer irischer Eltern. Sie kamen um die Mitte des 18. Jahrhunderts nach London, um sich zur Bühne ausbilden zu lassen und ihr Brot als Schauspielerinnen zu verdienen. Die eine erregte sofort die Aufmerksamkeit des Herzogs von Hamilton. Er heiratete sie und brachte sie an den englischen Hof, wo ihre Schönheit und Eleganz Aufsehen erregte. Später heiratete sie als Witwe in zweiter Ehe den Herzog von Argyll. Ebenso von sich reden machte ihre Schwester Maria als Gräfin Coventry. Leider starb sie bereits mit 28 Jahren an einer blutvergiftenden Hautkrankheit, die sie sich durch Anwendung schlechter Schönheitsmittel zugezogen hatte.
Manche dieser Eheschließungen entbehren auch nicht des Romantischen. Prinz und Aschenbrödel treten bisweilen in Wirklichkeit auf. Der junge Henry Cecil Earl of Exeter sah auf dem Lande ein hübsches Bauernmädchen, Sarah Hoggins, wie eine andere Magd barfüßig auf dem Felde arbeiten. Er verliebte sich in sie, heiratete sie und lebte mit ihr als wohlhabender Bürger, ohne ihr indes etwas von seiner Abstammung und seinem großen Reichtum zu sagen. Als er 1793 das Erbe seines Onkels antrat, reiste er mit der Ahnungslosen auf seine prächtige Besitzung in Burleigh und sagte ihr erst jetzt, daß sie Gräfin Exeter und unumschränkte Herrscherin über all diesen Reichtum sei.
Selbst Mädchen, die aus ihrem galanten Leben durchaus kein Hehl machten, erfreuten sich der Achtung der hohen Gesellschaftskreise. Eine der vornehmsten, geistreichsten, aber auch unzüchtigsten Hetären war die am Covent Garden Theater verpflichtete Schauspielerin Bellamy. »Sie war zwar nicht ganz eine Aspasia,« meint Archenholtz, »allein vielleicht mehr wie eine Maintenon. Ihre Schönheit, ihr Witz, ihr großer Verstand, ihre Talente, ihre großmütige Denkungsart und feinen Sitten rissen alles an sich, was sich ihr nur näherte. Ihr Haus war der Sammelplatz großer und verdienstvoller Männer in allen Fächern. Sie war eine vertraute Freundin von Young, Thomson, Littleton, Garrick und Chesterfield. Staatsminister, Generale und Gesandte besuchten sie täglich und nahmen an ihrer Tafel Platz, wo der Geist so reichliche Nahrung fand, und wo die auserlesensten Speisen und sinnreichen Gespräche beständig die gesellschaftlichen Vergnügungen verfeinerten .....Zwar war sie bei vielen weiblichen Tugenden kein Muster der Sittlichkeit, denn sie hatte immer einen begünstigten Liebhaber, mit dem sie lebte« – (sogar Fox war eine Zeitlang ihr Geliebter) –»allein, so groß war die Macht ihrer außerordentlichen Vorzüge, daß selbst Damen von erstem Range und von strenger Tugend nicht allein mit diesem liebenswürdigen Frauenzimmer vertraut umgingen, sondern auch ihren Töchtern diesen Umgang zur Bildung ihres Verstandes und Herzens gestatteten.« Aber die Bellamy war keineswegs so tugendhaft, wie man es aus Archenholtz' Schilderung entnehmen könnte. Sie selbst hat sich in ihren Memoiren als eine geistvolle Erotomanin geschildert und nichts von ihren Lastern verborgen. Selten aber verband eine englische Hetäre soviel Geist und Liebenswürdigkeit mit glühender Sinnlichkeit und Wollust wie diese Schauspielerin, der die bedeutendsten Männer zu Füßen lagen. Dühren meint, man fühlt sich an den Geist von Schlegels »Lucinde« erinnert, wenn man Stellen aus ihren Memoiren wie diese liest: »Jener Abend, den ich mit Mylord verbrachte, war entzückend: Die Nacht, die darauf folgte, war ein Rausch der Wollust. In einem für die Reize der Literatur empfindsamen Geist ruft eine kluge Unterhaltung immer eine Art Ekstase hervor; wie Circe befreit sie die Seele und versetzt sie in die Elysäischen Gefilde.« Diese reizende Kurtisane, die, wie selten eine, geliebt und verehrt wurde, lebte in großem Luxus, aber wohl kaum, wie viele ihrer Kolleginnen, in unsinniger verschwenderischer Pracht; sie hatte am Ende ihres Lebens sich so viel Vermögen erspart, daß sie 30 000 Pfund Sterling Rente besaß.
Die Zügellosigkeit der meisten englischen Theaterdamen übertrifft selbst die der »Filles d'Opéra« des 18. Jahrhunderts in Paris. Die berühmtesten hatten eine stürmische Vergangenheit, ehe sie durch ihre Kunst oder ihre vornehmen Ehen bekannt wurden. Manche ging vom Hetärentum direkt zur Bühne über. Daß die englische vornehme Hetäre viel lasziver und unzüchtiger war als die französische und die anderer Länder, lag zum Teil auch an den Männern, den Lebemännern der Zeit. Unter ihnen gab es gerade in England einen Typ, den man nirgends anderswo findet. Nach Dühren ist ein Hauptcharakterzug der britischen Don Juans, der sie durchweg von den Lebemännern der romanischen und der anderen germanischen Länder unterscheidet, »die kalte eherne Ruhe, mit dem sie dem Lebensgenuß frönen, der ihnen viel weniger eine Sache der Leidenschaft als des Stolzes und der Befriedigung ihres Machtbewußtseins ist. Den französischen, den italienischen Don Juan treibt eine glühende Sinnlichkeit von Eroberung zu Eroberung. Das ist das Hauptmotiv ihrer Handlungen und ihrer Lebensweise. Der englische Don Juan verführt aus Prinzip, des Experimentes halber, er treibt die Liebe als Sport. Die Sinnlichkeit spielt erst in zweiter Linie eine Rolle, und mitten im Genusse blickt die Herzenskälte auf schreckliche Weise durch.« – Diese »Rake- und Lovelacetypen« waren zu Dutzenden unter der hohen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts zu finden. Sie tranken, spielten, schlugen sich, verbrachten ihre Nächte mit Frauen, machten die Nacht zum Tage, den Tag zur Nacht, aber ohne die Grazie eines Casanova, eines Lauzun, eines Richelieu. Aber es fehlte auch den schönen galanten englischen Frauen des 18. Jahrhunderts das Prickelnde, Reizvolle der Französin. Dem englischen Boudoir der galanten Frau mangelt, um mit Curt Moreck zu sprechen, das enervierende Parfüm des französischen, aber es fehlt ihm auch die feudale Grazie und Pikanterie, die alles Grobsinnliche mit einem duftigen Schleier umhüllt.