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Von Petersburg bis Moskau reisten Sophie und ihre Mutter in rasender Eile Tag und Nacht, ohne sich Ruhe zu gönnen, denn die Kaiserin wünschte, daß die junge Prinzessin am 21. Februar, dem Geburtstage des Großfürsten, anwesend sei. Es wurden jetzt 16 Pferde vor den Schlitten der Fürstinnen gespannt, und wie ein Pfeil flog das Gefährt über die Steppe, an Dörfern und Flecken vorbei. Es wurden weder Menschen noch Tiere auf dieser rasenden Fahrt geschont. Aber man hatte wenigstens die Genugtuung, rechtzeitig vor dem Holzpalast, dem Galavinski Dvarets, den Elisabeth bewohnte, anzukommen. Die Kaiserin selbst war höchst ungeduldig, die kleine Prinzessin zu sehen, die sie für ihren Neffen bestimmt hatte. Schon von weitem beobachtete sie hinter der Menge ihrer Höflinge die Ankommenden, ohne von ihnen bemerkt zu werden. Der Großfürst aber ließ in seinem jugendlichen Eifer und seiner Neugier alle Etikette außer acht und stürzte in die Zimmer der Fürstinnen, als sie sie kaum betreten hatten.
Es war nicht die erste Begegnung Figchens mit ihrem Vetter. Bereits im Jahre 1739, als er 11 und sie 10 Jahre alt war, begegneten sie sich in Eutin im Hause seines Vormunds, des Erzbischofs von Lübeck. Dort wurde Peter Ulrich nach dem Tode seines Vaters, des Herzogs Karl Friedrich von Holstein-Gottorp, erzogen. Die zehnjährige Sophie mochte schon damals den blassen, hageren, kränklichen Jungen nicht leiden. Er schien ihr wenig angenehm, obschon man ihn bereits, wie sie sich in ihren Memoiren ausdrückt, »als fertigen Menschen auszugeben wünschte«. Der Knabe hatte eine traurige Jugend hinter sich. Er hatte fast gar keine Erziehung genossen, war durch Drohungen und Strafen scheu und unliebenswürdig geworden. Durch viele Schläge litt er an Kopfweh und Erbrechen. Er haßte seinen Erzieher, den Oberhofmarschall Brümmer aufs tiefste; jemand sagte von diesem Menschenerzieher, er könne allenfalls Pferde dressieren aber nicht Menschen heranbilden. Der junge Herzog war außerdem schlecht genährt; er hatte oft stundenlang auf sein Mittagbrot warten müssen, weil man sich nicht um ihn kümmerte. Dann zwang man ihn, schon frühzeitig an gesellschaftlichen Vergnügungen teilzunehmen; er tanzte bereits auf allen Bällen. Die kleine Sophie hörte damals im Familienkreise von ihm sagen, der junge elfjährige Herzog neige zum Trunke und sei starrköpfig und jähzornig. Jedenfalls machte Peter in Eutin den ungünstigsten Eindruck auf sie, so daß sie absolut nicht mit ihm sprechen wollte. Als Sophie ihn zum zweitenmal in Moskau wiedersah, war es nicht viel besser, aber sie gab sich Mühe, ihre Abneigung gegen den sehr ungesund aussehenden jungen Menschen zu überwinden. Sie war gut und liebenswürdig mit ihm. Das kleine Mädchen verstand es bereits damals, sich beliebt zu machen und sich Freunde zu schaffen. Schon damals begriff sie, daß die Aussicht auf die Kaiserkrone kein geringes Geschenk des Schicksals für sie sei. Als wäre sie von Jugend auf an einem so glänzenden Hofe, wie es der russische war, aufgewachsen, fand sie sich bei aller Bescheidenheit ihres Wesens ausgezeichnet in ihre bevorzugte und künftige Rolle. Trotz ihrer großen Jugend fühlte sie sich vom ersten Augenblick ihres Erscheinens am russischen Hofe den schwierigen Aufgaben und ihrer Lage gewachsen. »Elle se plaît aux grandeurs qui l'environnent,« schrieb ihre Mutter an Friedrich, und Katharina selbst bemerkte später in ihren Memoiren, als sie von ihrem Bräutigam sprach: »Er war mir ziemlich gleichgültig; aber die Krone von Rußland war es nicht«.
Kühle Berechnung, ruhige Überlegung und sicheres Handeln gehen aus ihrem ganzen Verhalten damals hervor. Sie beherrschte von vornherein die Situation. Sie war entschlossen, allen Schwierigkeiten zu begegnen, alle Opfer zu bringen, um der russischen Krone nicht verlustig zu gehen. Es gab allerlei Konflikte und Intrigen, sogar mit der eigenen Mutter, die, selbst noch jung und eitel, rücksichtslos und herrschsüchtig mit ihr verfuhr. Sie sah sich auch gleich anfangs in den Strudel der Hofintrigen mit fortgerissen. Ihre Ankunft brachte den Kanzler Bestuschew, der für eine Verbindung mit der sächsischen Prinzessin war, in den hellsten Zorn und machte ihn ihr zum Feinde. Mit unnachahmlichen Takt wußte jedoch die junge Prinzessin ihre Wege zu leiten und sogar aus ihren Feinden Freunde zu machen.
Die Kaiserin Elisabeth schien sehr zufrieden mit der Wahl der Braut für ihren Neffen und Thronfolger zu sein. Prinzessin Sophie gefiel ihr; sie fand ihre Eigenart entzückend und überhäufte sie mit Gnadenbezeugungen. Bald war auch der ganze Hof von der jungen, frischen Prinzessin begeistert. Weniger Anklang fand die Mutter, die sich gleich anfangs in unvorsichtige und ungeschickte politische Intrigen einließ. Dennoch schrieb Johanna Elisabeth aus Moskau begeistert an ihren Mann nach Zerbst: »Wir leben hier wie die Königinnen«. Die Heirat Sophies, um die sie sich übrigens herzlich wenig bekümmerte, war für sie vollkommen klar, obgleich sich die Kaiserin noch nicht erklärt hatte. »Es ist eine abgemachte Sache«, berichtete sie einige Tage später: »Die Kaiserin verwöhnt sie, der Thronfolger liebt sie«. Auch ihr war die Krone Rußlands in den Kopf gestiegen, für die sie das Glück ihres Kindes gern opferte. Wie es mit der Neigung ihrer Tochter zu dem Großfürsten bestellt war, danach fragte diese Mutter nicht. Das Herz der Fürstinnen hat keine Stimme. Peter war Großfürst und wurde später Kaiser. Zu einem solchen Glück war das der Seele nicht nötig.
Trotz ihrer großen Jugend sah Sophie gleich anfangs, daß dieser junge krankhafte und infolge einer ganz falschen Erziehung bereits lasterhafte Mensch, nicht der Mann war, von dem sie sich in ihrer Ehe ein schönes Glück versprechen durfte. Er bildete in jeder Hinsicht einen jammervollen Gegensatz zu ihrem Charakter und zu ihrem klaren Verstande. Peter war heftig, brutal und gleichzeitig furchtsam und feige, prahlerisch, lügenhaft, kindisch. Die intelligente Sophie staunte mehr als einmal über, seine grenzenlose Unwissenheit und über die freche Dreistigkeit, mit der er dennoch auftrat und sich der Heldentaten, die er nicht vollbracht, und seiner Liebesabenteuer rühmte. Denn der Sechzehnjährige hatte deren schon viele und scheute sich nicht, sie seiner zukünftigen Braut zu erzählen. Was ihm am meisten an Sophie gefiel, sagte er, sei, daß sie seine Cousine wäre. Infolgedessen könne er ihr alle seine Geheimnisse anvertrauen. Darauf gestand er ihr als erstes, er sei in ein Ehrenfräulein der Kaiserin verliebt, ein Fräulein Labukhin. Er habe sie heiraten wollen, da aber seine Tante wünsche, daß er sich mit ihr, der Prinzessin von Zerbst vermähle, so habe er auf Fräulein Labukhin verzichtet. Solche und andere Geschichten hatte der junge Prinz für seine Braut bereit. Er brachte ihr kein anderes Interesse entgegen als das der Verwandtschaft. Und doch hatte Sophie alles für sich, was sie in den Augen eines jungen Mannes hätte begehrens- und liebenswert machen können. Sie war für ihr Alter bereits sehr entwickelt, groß und wohlgebaut. Dunkle, weiche Locken, die immer reizend geordnet waren, umrahmten ein angenehmes frisches Gesicht mit einem lachenden Kindermund und schönen ausdrucksvollen grauen Augen. Dieses kluge, frühzeitig entwickelte junge Mädchen versprach einst eine sehr begehrenswerte Frau zu werden. Peters Ansprüche verstiegen sich jedoch nicht so hoch. Er hatte nur seine kindischen Vergnügungen im Sinn, zu denen sich später noch das Laster der Trunkenheit in erhöhtem Maße gesellte. Sophie machte meist gute Miene zum bösen Spiel. Sie hörte wohl zu, wenn er ihr seine Vertraulichkeiten offenbarte, lachte auch über seine Dummheiten, denn auch sie war noch ein Kind, und es fehlte ihr nicht an Übermut und Lebhaftigkeit. Aber im großen und ganzen hielt sie sich ziemlich fern von Peter. Es ist erstaunlich, wie gut sie schon damals die Menschen zu beurteilen verstand. Es war ihr sofort klar, daß sie sich vor allem die Zuneigung der Kaiserin Elisabeth sichern mußte und es nicht besser konnte, als wenn sie ganz nach ihren Wünschen handelte. Sie staunte über Peters Unvorsichtigkeit und den Mangel an Urteil über viele Verhältnisse, zog jedoch den Nutzen daraus, daß sie um so besser »die Verhältnisse zu beurteilen« verstand.
Um in Rußland festen Boden zu gewinnen und eine Rolle zu spielen, mußte Sophie vor allen Dingen Russin werden. Das wußte sie. Peter hingegen wollte weder etwas von der russischen Sprache, noch von den Sitten und Gebräuchen des Landes, noch von der griechischen Religion wissen. Man liebte ihn deswegen nicht, sondern sah in ihm nur einen Fremden, »Ich sah und begriff«, heißt es in Katharinas Memoiren, »daß er sich nicht viel aus dem Volke machte, das er einst regieren sollte. Er hielt zum lutherischen Glauben, liebte seine Umgebung nicht und war ein großes Kind.« Um so mehr war sie bedacht, sich bei allen beliebt zu machen. In ihren kleinen Mädchenhänden hielt sie bereits die Fäden, die sie für immer mit Rußland verbanden. Sie war erst acht Tage in Moskau, als sie bereits drei Lehrer hatte. Simon Todorsky unterrichtete sie in der griechischen Religion. Wasil Adaduroff brachte ihr die russische Sprache bei, und Monsieur Laude war ihr Tanzlehrer. Auch der Großfürst hatte Lehrer. Besondere Mühe gab sich sein Erzieher Stählin mit ihm. Er suchte ihm spielend auf dem Wege der Unterhaltung etwas Geschichte, Staatswissenschaften, Mathematik und Befestigungslehre beizubringen, aber Peter war dem Lernen völlig abhold. Vom Russischen wollte er überhaupt nichts wissen; es war ihm viel zu schwer.
Die junge Prinzessin Sophie hingegen interessierte gerade diese Sprache am meisten. Während sich ihr zukünftiger Bräutigam mit allen möglichen Kindereien im Kreise seiner Dienerschaft abgab, suchte die kleine Ehrgeizige so viel wie möglich zu lernen. Um recht schnelle Fortschritte zu machen, stand sie sogar nachts auf, wenn alles um sie herum schlief, und studierte barfüßig und im dünnen Nachthemd eifrig die russische Grammatik, die Adaduroff ihr gegeben. Es war mitten im Winter. Die Folge davon war, daß sie sich erkältete und eine gefährliche Brustfellentzündung zuzog. Vier Wochen lang schwebte sie zwischen Leben und Tod. Das Gerücht von ihrer Erkrankung verbreitete sich bald nicht nur am ganzen Hofe sondern im ganzen Lande und verschaffte Sophie noch größere Sympathien. Man war im Innersten gerührt von diesem jungen Mädchen, das im eiskalten Winter nachts aufstand, um so schnell wie möglich die Sprache des Volkes zu lernen, über das sie einst an der Seite ihres Gemahls regieren sollte. In höchster Besorgnis eilt die Kaiserin Elisabeth aus dem Kloster Troitza, wohin sie sich mit einem zahlreichen Gefolge begeben hatte, an das Lager der jungen Kranken. Ihr eigener Leibarzt muß sie sogleich behandeln. Er läßt ihr nicht weniger als 16mal in 27 Tagen zur Ader, nach der damaligen Methode, solche Krankheiten zu behandeln. Das Fieber und die schrecklichen Schmerzen wollen nicht weichen. Man ist äußerst besorgt um die junge Prinzessin. Sogar der Großfürst beweist seine Gutmütigkeit durch das Geschenk einer prachtvollen diamanten- und rubinbesetzten Uhr. Schließlich glaubt man Sophies letzte Stunde gekommen. Man will einen Geistlichen rufen. Da sie noch nicht genügend in die griechisch-katholische Religion eingeweiht ist, denkt ihre Mutter an einen protestantischen Pfarrer. »Wozu?« fragt die Kranke; »Lassen Sie lieber Simon Teodorsky rufen«.
Die berechnendste und erfahrendste Komödiantin hätte nicht besser und politischer handeln können, als diese kleine kranke Prinzessin in ihrem natürlichen Instinkt. Sie, die später die glühendste Verehrerin, die begeistertste Freundin und die gelehrigste Schülerin des größten Atheisten, Voltaires, ward und sich zu ihm mit größter Offenheit bekannte! Dieses Geschichtchen verfehlte nicht seine Wirkung. Es kam natürlich in die Öffentlichkeit und wob einen neuen Glorienschein um das Köpfchen der zukünftigen großfürstlichen Braut. In der »Petersburgischen Zeitung« war zu lesen, daß die Prinzessin Sophie sich mehrere Stunden täglich mit der russischen Sprache beschäftigte, und in den Krankheitsberichten wurde stets darauf hingewiesen, welche Geduld und Ergebung die junge Kranke an den Tag lege. Sophies Stellung in Rußland war gesichert. Von diesem Augenblick an konnte sie gewiß sein, künftig im Herzen dieses naiven, tiefreligiösen Volkes Dankbarkeit und Anhänglichkeit zu finden.
Simon Todorsky brachte ihr nicht die letzte Ölung. Sophies gesunde, junge Natur siegte schließlich vollkommen über die böse Krankheit. Zu ihrem fünfzehnten Geburtstag durfte sie zum erstenmal wieder aufstehen. Als sie einige Tage darauf bei Hofe erschien, war sie so blaß »d'une pâleur mortelle«, daß die Kaiserin Elisabeth ihr etwas Schminke schickte Damals konnte das kleine Prinzeßchen sich noch nicht entschließen, ihr zartes Gesicht zu bemalen. Später, als sie älter ward, tat sie es in dem Maße, daß man sich bisweilen darüber lustig machte. Die schlanke Prinzessin Sophie gefiel trotz ihrer Blässe und zog alle Blicke auf sich. Ihr liebenswürdiges sonnig-heiteres Wesen, ihre kindliche Jugend erwärmte die kalte Hofluft um sie herum und gewann ihr alle Herzen. Sie gefiel und zog an, nicht nur infolge ihrer persönlichen Vorzüge, sondern wohl ebensosehr durch ihre Intelligenz. Die Leichtigkeit und Ungezwungenheit, mit der sie sich in den neuen glänzenden Verhältnissen bewegte, die Schnelligkeit, mit der sie Russisch lernte und sich bemühte, sich in dieser Sprache auszudrücken, der Frohsinn und die Anmut, die in allem herrschten, was sie tat und sprach, nicht zum wenigsten aber auch die große Güte, mit der sie jedermann, besonders die Untergebenen behandelte, schufen ihr unzertrennliche Freunde. Man bedauerte sie im stillen, daß sie einen so untergeordneten Menschen, wie Peter, zum Manne erhielt, was nicht hinderte, daß der Welt der Anschein gegeben wurde, als hätte die größte Herzensneigung diese beiden so ungleichen Wesen zusammengeführt.
Beinahe hätte Sophies Geschick jedoch eine andere Wendung genommen; die Krone von Rußland hätte auf einem andern als auf Katharinas Haupte gestrahlt! Und schuld daran wäre allein die Mutter gewesen. Es gab stürmische Auftritte zwischen der Kaiserin Elisabeth und der Fürstin Johanna, die sich unklugerweise in die Intrigen gegen den Minister und Günstling Elisabeths eingelassen hatte. Sie hatte sich durch einen Briefwechsel mit dem französischen Gesandten Chetardies stark kompromittiert. Es wäre dieser unklugen Frau teuer zu stehen gekommen, hätte ihre Tochter damals nicht das ganze Vertrauen der Kaiserin besessen. Elisabeth begnügte sich, die Fürstin mit Verachtung zu bestrafen und sie, sobald die Hochzeitsfeierlichkeiten vorüber waren, von ihrem Hofe und aus Rußland zu entfernen. Während einer solchen aufregenden Szene zwischen der Kaiserin und Johanna Elisabeth, die in Tränen gebadet vor der leidenschaftlich erregten Zarin lag, befanden sich der Großfürst und die Prinzessin Sophie in einem nicht weit davon gelegenen Zimmer. Wie echte Kinder saßen sie auf dem Fensterbrett und lachten gerade recht lustig miteinander, als plötzlich der Günstling Lestocq hereintrat und ziemlich barsch zu beiden sagte, diese Heiterkeit werde bald ein Ende haben. Die Prinzessin solle nur anfangen, ihre Koffer zu packen, denn sie werde sehr bald nach Deutschland zurückreisen müssen. »Es war mir klar«, schrieb Katharina 40 Jahre später über diese Szene, »daß der Großfürst mich ohne Bedauern hätte gehen lassen … Mein Herz prophezeite mir nichts Gutes. Nur der Ehrgeiz hielt mich aufrecht.«
Ehrgeiz, Willenskraft und Eitelkeit waren bereits in diesem Kinde stark entwickelt. Mit einer Ausdauer sondergleichen hatte sie sich dem Studium der russischen Sprache ergeben, mit dem gleichen Ehrgeiz nahm die damals noch gläubige Lutheranerin den griechisch-katholischen Glauben an. »Der Religionswechsel«, schrieb der preußische Gesandte Mardefeld an seinen König, »macht freilich der Prinzessin große Angst, und ihre Tränen fließen in Strömen, wenn sie allein ist mit Leuten, die ihr nicht verdächtig sind. Indes, der Ehrgeiz gewinnt am Ende doch die Oberhand.« Und in der Tat, schon im Juni 1744 war Sophie so weit, daß sie in der kaiserlichen Kapelle des Galavinski Dvarets in Moskau ohne Stocken das Glaubensbekenntnis in russischer Sprache ablegen konnte. Sie wußte es so gut auswendig und sprach es mit so großer Ergebenheit und Frömmigkeit, daß der Metropolit von Nowgorod heiße Tränen darüber vergoß, eine so überzeugte Blagoviernaia (Orthodoxe) in der zukünftigen Großfürstin zu sehen. Und alle Anwesenden weinten mit. Freilich hatten sie ebenso bei dem Übertritt des Großfürsten geweint, der während der Zeremonie Gesichter schnitt und die Zunge heraussteckte. Die Prinzessin war nun nicht mehr die kleine Sophie, die mit zagendem Schritt die Schwelle des Tempels mit den goldstrotzenden Heiligenbildern überschritten hatte: als Großfürstin Katharina Alexeiewna verließ sie die Kirche, und so wollen wir sie auch von nun an nennen.
Dieselbe Katharina, die damals in der Kirche des Galavinski Dvarets so andächtig gekniet und die Worte in heiliger Scheu gesprochen hatte: »Ich glaube und bekenne, daß der Glaube nicht allein zu meiner Rechtfertigung genügt …« spottete später als wahre Schülerin Voltaires über die Bekehrungen im allgemeinen. Als ihre zukünftige Schwiegertochter erwartet wurde, sagte sie: »Sobald wir sie haben, machen wir uns an die Bekehrung. Um sie zu überzeugen, werden wir wohl vierzehn Tage brauchen, denke ich. Wieviel Zeit nötig sein wird, ihr das Glaubensbekenntnis deutlich und richtig auf russisch zu lesen beizubringen, weiß ich nicht.« Jedenfalls nahm es Katharina als Fünfzehnjährige nicht so leicht wie als Fünfzigjährige. Aber dafür erhielt sie auch als Belohnung von der Kaiserin Elisabeth eine Halskette und eine Agraffe aus Diamanten, die ihre praktische Mutter auf 100 000 Rubel Wert schätzte.
Am nächsten Tage, den 29. Juni fanden die Verlobungsfeierlichkeiten in dem Uspienski Sobor statt. Katharina war eine reizende Braut, der alle Herzen zuflogen. Man betrachtete sie als ein äußerst interessantes Kind, dem es nicht an Geist fehlte. Sie war in jeder Hinsicht ein sehr kluges Mädchen, das genau seinen Weg verfolgte. »Ich zeigte nach keiner Seite hin irgendeine Bevorzugung, mischte mich in nichts, war stets heiter, gegen jedermann zuvorkommend, aufmerksam und höflich, und da ich von Natur aus fröhlich war, sah ich mit großem Vergnügen, daß ich täglich mehr die Zuneigung des Publikums gewann … Meiner Mutter bewies ich stets große Achtung, der Kaiserin grenzenlosen Gehorsam, dem Großfürsten Ergebenheit – wenigstens äußerlich – und ich gab mir die größte Mühe, mich beliebt zu machen.« Sie beobachtete in allem die größte Vorsicht, tat nichts ohne Überlegung, während der Großfürst »diskret wie ein Kanonenschuß« war. Eines Tages teilte er seiner Braut ganz harmlos mit, sein Kammerdiener habe ihm geraten, seine zukünftige Frau sehr streng zu behandeln. Sie dürfe sich niemals in seine Angelegenheiten mischen, und ein Mann, der sich von seiner Frau leiten lasse, sei ein Tropf. Ein andermal ließ er ihr durch einen Lakaien sagen, er könne sie nicht so oft besuchen, sein Zimmer läge zu entfernt von dem ihrigen.
Die junge Katharina hatte keine Veranlassung, sich die Zukunft an der Seite eines solchen Gatten schön und glücklich auszumalen. Sie fühlte sich bitter in ihrem Stolze gekränkt, beklagte sich aber gegen niemand. Ihr grenzenloser Ehrgeiz gewann immer die Oberhand. Sie weinte oft in ihrem Zimmer heiße Tränen, sobald sie aber von einer ihrer Hofdamen dabei überrascht wurde, verschwieg sie den wahren Grund. Der Gedanke, Mitleid zu erregen, war dieser Frau schon damals unerträglich. Dazu fehlte es der jungen Braut in jener Zeit nicht an Kummer und Verdruß anderer Art. Ihre Mutter war lieblos rücksichtslos gegen sie, gleichzeitig auch neidisch und ränkesüchtig. Eines Tages ging sie so weit, daß sie die eigene Tochter bei der Kaiserin anklagte, sie gäbe sich mit dem Großfürsten nächtliche Stelldicheins auf ihrem Zimmer. Mit der Zeit gab es auch Verdrießlichkeiten mit der Kaiserin, die nicht immer mit Katharina zufrieden war. Sie warf ihr Verschwendungs- und Putzsucht vor. Als die junge Prinzessin mit ihrer Mutter und dem Großfürsten einst im Theater in der Loge Peters saß, bemerkte Katharina, daß die Kaiserin, deren Loge gerade gegenüber lag, sehr lebhaft mit Lestoqu sprach und nicht gerade freundlich zu der jungen Prinzessin herüberschaute. Wenige Augenblicke später erschien der Günstling in der großfürstlichen Loge und sagte zu Katharina in beleidigendem, beinahe brutalem Ton: »Wissen Sie auch, daß die Kaiserin sehr zornig auf Sie ist? Sie haben große Schulden.« – Katharina konnte darauf nichts erwidern. Es war wahr, sie hatte 17 000 Rubel Schulden (ungefähr 60 000 Mark) in einigen Monaten gemacht. Sie weinte nur. In ihrem Innern war sie fest überzeugt, es geschähe ihr das größte Unrecht von Seiten der Kaiserin, die selbst die größte Verschwenderin für ihre Person war, und sich fünf- bis sechsmal am Tag immer mit einem neuen kostbaren Kleid schmücken ließ. Sie aber, Katharina, hatte sich alles anschaffen müssen, was sie an diesem prunkvollen Hofe und auf ihren verschiedenen Reisen nach Kiew, Troitza usw. brauchte. Dann hatte sie auch gleich anfangs begriffen, daß mehr als in jedem anderen Lande in Rußland Geschenke Freunde machen. Sogar der Großfürst kostete sie in dieser Hinsicht eine Menge Geld, denn er war sehr begierig auf Geschenke. Ferner hatte man der jungen Prinzessin eine Hofmeisterin in der Gräfin Rumiantsoff gegeben, die die verschwenderischste Frau am ganzen Hofe war. Sie hatte stets einen Schwarm von Schneiderinnen, Putzmacherinnen, Lieferanten um sich und veranlaßte ihre junge, ebenfalls kokette Herrin zu immer neuen Ausgaben.
Es war keine rosige Brautzeit, die Katharina erlebte. Während der Großfürst sich mit allen möglichen Spielereien abgab und sich fast gar nicht um seine Braut kümmerte, ließ sich Katharina vom Grafen Gyllenborg die Werke Plutarchs, Ciceros und Montesquieus empfehlen und verschaffte sie sich so rasch wie möglich. Mit fünfzehn Jahren war sie fleißig wie ein reifer Mensch. Sie unterhielt sich oft mit dem klugen und ernsten Gyllenborg. Eines Tages sagte er, er befürchte, sie kenne sich selbst nicht und könne scheitern an den vielen Klippen, die sie umgäben. Darauf erwiderte Katharina, sie kenne sich selbst aufs genaueste und wolle ihm eine Schilderung von ihrem Charakter entwerfen. Sie verfaßte in der Tat einen Aufsatz und nannte ihn: »Porträt der fünfzehnjährigen Philosophin«. »Viele Jahre später, nämlich 1758,« sagt sie, »habe ich dieses Porträt wiedergefunden und war erstaunt über die tiefe Selbstkenntnis, die es enthielt. Graf Gyllenborg gab mir einige Tage später meinen Aufsatz zurück. Er begleitete ihn mit einem Dutzend Seiten voll Bemerkungen und Beobachtungen, wobei er versuchte, die Seelengröße und Willenskraft ebenso sehr in mir zu befestigen wie die übrigen Eigenschaften des Geistes und des Herzens. Ich las es mehrmals durch, was er geschrieben, nahm es in mich auf und nahm mir ernstlich vor, seine Ratschläge zu befolgen. Ich versprach es mir selbst, und wenn ich mir etwas selbst versprochen, habe ich es, soviel ich weiß, immer gehalten. Ich gab darauf dem Grafen Gyllenborg sein Schriftstück zurück, wie er mich gebeten hatte, aber ich gestehe, daß es sehr dazu gedient hat, meinen Geist und meine Seele zu bilden und zu stählen.« Und in der Tat scheinen die Ratschläge Gyllenborgs großen Einfluß auf Katharinas Entwickelung gehabt zu haben.
Ihr Aufenthalt in Moskau ging seinem Ende zu. Man bereitete sich langsam auf die Hochzeitsfeierlichkeiten vor, die in Petersburg stattfinden sollten. Im November trat die junge Prinzessin mit ihrem Verlobten die Reise nach der Hauptstadt an. Aber in Hatiloff mußte Peter anhalten, weil er an den Pocken erkrankte. Ängstlich entfernte Elisabeth die junge Braut, die mit ihrer Mutter den Weg fortsetzte, während die Kaiserin selbst nicht von dem Krankenbett des Großfürsten wich. Katharina hatte jetzt zum erstenmal Gelegenheit, ihrem Bräutigam Briefe zu schreiben, und zwar in russischer Sprache. Es waren richtige Liebesbriefe mit jenen zärtlichen Koseworten, an denen die slawischen Sprachen so reich sind. Aber nicht Katharina war die Verfasserin jener zarten Beweise ihrer bräutlichen Liebe, sondern ihr Lehrer Adaduroff. Sie brauchte sie nur abzuschreiben. Wahrscheinlich verstand sie damals nicht die Hälfte von dem Geschriebenen. Aber die Kaiserin war hocherfreut und tief gerührt von dem Eifer und der »großen innigen Liebe, die diese beiden Kinder für einander fühlten«.
Erst Ende Januar 1745 konnte Peter seiner Braut nach Petersburg folgen. Er war schon früher nicht schön gewesen, jetzt aber hatten ihn die Pocken so entstellt, daß er kaum zum Wiedererkennen war. Sein schwächlicher Körper war noch länger und dünner geworden. Das ganze Gesicht war geschwollen und gerötet und mit tiefen, ganz frischen Narben bedeckt. Dazu trug er eine ungeheuere Perücke, weil man ihm während seiner Krankheit die Haare abgeschnitten hatte. Der arme Junge war wahrlich nicht dazu geschaffen, einen vorteilhaften Eindruck auf seine Braut zu machen. Katharina erschrak tödlich über seinen Anblick; sie mußte ihren ganzen Mut zusammennehmen um ihn zärtlich zu umarmen und zu küssen. Aber sie tat es.
Sie selbst war seit ihrer Krankheit zu einem reizenden Mädchen erblüht. Die Kaiserin Elisabeth war von der bezaubernden Anmut der zukünftigen Großfürstin ganz entzückt und sagte ihr bei Gelegenheit der Feier des Geburtstages Peters, als sie allein mit Katharina unter dem Thronhimmel speiste, weil der Großfürst noch nicht in der Öffentlichkeit erscheinen konnte, viele Schmeicheleien. Besonders hob sie Katharinas geschmackvolle Kleidung hervor. Die junge Prinzessin wußte sich immer sehr einfach aber mit dem ausgesuchtesten Geschmack zu kleiden und verstand es bereits damals, nicht nur ihre geistigen Fähigkeiten ins rechte Licht zu setzen, sondern auch ihre äußerlichen Vorzüge zur Schau zu tragen. An einem Hofe, wo es viele schöne und reizende Frauen gab, war diese kleine deutsche Prinzessin bereits auch ihrer persönlichen Vorzüge wegen ein Gegenstand des allgemeinen Interesses. Nur Peter machte sich nichts daraus, daß seine Braut lieblich und anziehend war. Seine Tante wünschte es, daß er diese Prinzessin heiratete, es gab keine Widerrede. Die Hochzeit fand am 25. August 1745 statt. Katharina war 16 und Peter etwas mehr als 17 Jahre alt.