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Vorgestern abend war ich zu einer Geheimrätin von Liebeskind eingeladen, einer schöngeistigen, klugen und feinen Frau, deren Mann Hjort und mich seitdem in die hiesige Akademie der Wissenschaften einführte, welche jeden Sonnabendnachmittag ihre Zusammenkunft hält. Die ordentliche Session war vorbei, aber wir trafen doch noch verschiedene Gesellschaftsmitglieder und mehrere nicht der Akademie angehörige Münchener Literaten, welche letzteren etwas später jeden Sonnabendabend in den Zimmern der Akademie eine Art literarischen Klub bilden. Dort machten wir u. a. Schlichtegrolls Bekanntschaft; er ist der Generalsekretär der Akademie, ein ehrenwerter, freundlicher und verständiger Mann. Er fragte mich angelegentlich nach dem Grafen Schwerin (dem Propste), mit dem er in Göttingen zusammen studiert hatte und von dem er sagte, daß er damals durch seinen Kopf, seinen echten Rittersinn und seine schöne Gestalt alle Menschen in Göttingen entzückt habe. Es freute ihn sehr, als ich ihm mitteilte, daß der Graf Schwerin jetzt in Schweden eine ausgezeichnete politische und literarische Rolle spiele und an der intellektuellen Revolution unseres Vaterlandes wirksam teilgenommen habe – daß nämlich eine solche stattgefunden, wußte man sogar hier in München, auch Schelling wußte davon. Natürlich schildere ich den neugeweckten höheren Geist und die Sinnesstimmung unseres Vaterlandes in durchaus patriotischer Weise und spreche die Ueberzeugung aus, daß die skandinavische Halbinsel, wenn uns Rußland nicht verschlingt, noch eine glänzende Stelle in Europas Annalen einnehmen wird, und zwar in höherer Potenz als früher. Dänemark brauchen wir nicht zu beneiden, das ist eine Schneider-Monarchie. Was Deutschland betrifft, so schwebt dies in einer höchst unruhigen und zweideutigen Lage; überall, besonders in den nördlichsten und mittleren Teilen, glüht eine heftige Unzufriedenheit, und allerlei vulkanische Absichten warten auf die Gelegenheit zur Explosion. Wenn Freiheit und Kultur in Europa nicht absolut untergehen sollen – eine Absicht, in der das englische Kabinett die heilige Allianz (schöne Heiligkeit!!!) fleißig unterstützt –, dann müssen die Deutschen in irgendeiner Weise ihre tollen Regierungen zur Räson bringen, unter denen die preußische die allergemeinste Rolle spielt. Die bayrische, auf welche Arndt so viel schimpfte, führt sich tausendmal mehr vaterländisch auf, wenigstens in der inneren Administration ihres Landes, ohne mit betrüglichen Phrasen und lügenhaften Gelübden zu charlatanisieren; und von Bayerns Kronprinz, soweit ich hier von allen Vernünftigen höre, hat man wenigstens hinsichtlich der Denk- und Redefreiheit nichts zu befürchten. Süddeutschland korrespondiert wirklich mit Schweden darin, daß im Gemüt des Volkes auch hier, wie in unserem Norden, ein frischer, unausgesogener, kräftiger Boden liegt, aus welchem die edlen Samenkörner, die jetzt dort ausgesät werden, zwar langsamer emporschießen als in Norddeutschland, aber nach aller menschlichen Berechnung zu reicherer und dauernderer Ernte. In Norddeutschland, z. B. in Berlin, scheint mir eine abstrakte, eitle Vergeistigung, zu herrschen, ein gefährliches Unvermögen, welches an Dürre und Verwelkung grenzt; das Solide der Menschennatur sowie die Natur selber ist in ihrem Bildungsprozeß verdunstet, und ein fein destillierter chemischer Stoff ist im Tiegel zurückgeblieben, ohne Farbe, ohne Geschmack, ohne Geruch, ohne Fruchtbarkeit – in Summa ohne Inhalt. Doch findet man zweifelsohne auch in Berlin recht tüchtige Leute, und durch eine totale Erderschütterung des ganzen Deutschlands kann möglicherweise sogar dort Gesundheit und Solidität wiederhergestellt werden. Sollte eine solche glücken, da wird nur der kleine Weimarsche Hof allein mit Ehren bestehen, vorausgesetzt, daß er fortfährt, sich so aufzuführen, wie er sich bisher aufgeführt hat. So hat er sich z. B. in Sachen des Wartburger Studentenfestes – für welches alle Menschen Partei nehmen, nur nicht die Regierungen und die verbrannten Autoritäten mit ihren Freunden – nicht weiter bringen lassen, trotz der Mahnungen und Drohungen der großen Kontinentalmächte, als die Rede des Professors Fries für geschmacklos, mystisch und unpassend zu erklären und eine Nummer von Okens »Isis« zu konfiszieren, in der er die verbrannten Autoritäten mit Eselsköpfen, Judenbärten usw. in seiner burschikosen Manier porträtierte, die ich in einer so ernsten Zeit wie dieser nicht völlig billigen kann. Es ist möglich, daß man diesen kleinen Hof zu wichtigeren Gewaltstreichen zwingt, aber er hat doch zur Beschämung der übrigen Fürsten offen erklärt, daß solches ein unrechtmäßiger Eingriff in die Rechte des Volkes wäre. Siegt die heilige Allianz in ihren Plänen, die auch für Schweden und unsere neue Dynastie nicht die wohlwollendsten sein sollen, dann bleibt für ehrenwerte und gescheite Leute keine andere Rettung, als – sich nach Amerika zu begeben. Es ist recht lustig zu sehen, welch saure Grimassen die europäischen Kabinette über die imposante Kette von Republiken schneiden, welche sich jenseits des Ozeans bilden. In dieser Hinsicht habe ich auch eine Probe der preußischen Zensur gesehen, die mir viel Spaß machte. Es war dies ein Papier, welches mir Frau v. Chézy einstmals zeigte und das einen von ihr auf Wunsch eines Berliner Zeitungsherausgebers aus einem englischen Blatte übersetzten Artikel enthielt, nämlich eine für die südamerikanischen Insurgenten vorteilhafte Parlamentsrede. Das Druckstück war so, wie es aus der Hand des Zensors gekommen, an vielen Stellen ganz und gar durchgestrichen, an anderen mit Meinungen versehen, welche sich im Originale gar nicht fanden – in Summa, es war in den ausgestrichenen und in den zugesetzten Stellen recht merkwürdig das System zu sehen, nach welchem die preußische Zensur verfährt. Wenn ich sagte, es hat mir Spaß gemacht, dies zu sehen, dann soll damit das Vergnügen gemeint sein, welches mir der Vergleich der schwedischen Pressfreiheit mit diesen Zuständen notwendigerweise verursachen mußte. Hier in Süddeutschland scheint man sich auch lebhafter für Schweden zu interessieren als in Norddeutschland; man teilt hier, zu meinem größten Vergnügen, in vollem Maße unseren Nationalhaß gegen die Russen, ja, in einer großen Gesellschaft, welche gestern abend bei Niethammer stattfand (wo ich auch zu meiner besonderen Freude den Professor Thiersch kennenlernte, einen angenehmen, ziemlich jungen Mann, der mir von seinen Klienten, den Neugriechen, viele interessante Dinge mitteilte), suchte man mir die Möglichkeit zu beweisen, daß Schweden, vielleicht schon zu meinen Lebzeiten, seine östlichen Länder wieder zurückbekommen würde, man sagte mir, daß das Wohl von Deutschland und Europa in letzter Instanz in unmittelbarer Verbindung mit der Bedingung stehe, daß Schweden die Macht im Norden zurückerhält, und Niethammer fügte hinzu, daß damals, als sich Rußland diese Macht durch Karls XII. Unglück aneignete, »der germanische Stamm in seiner tiefsten politischen Wurzel tödlich angegriffen wurde«. Auch findet man es hier ganz begreiflich, was man in Berlin nicht einsehen will, daß nämlich der bessere Teil des schwedischen Volkes sein eigenes Interesse unmittelbar mit dem der neuen Dynastie verknüpft hält, und lasse ich es mir bei jeder Gelegenheit angelegen sein, die Ehre des Kronprinzen und besonders des Prinzen Oskar zu verbreiten. Gott weiß, daß ich hinsichtlich des ersteren nicht aus persönlicher Neigung handle, im Gegenteil zu ihm schwerlich jemals richtiges Vertrauen fassen werde. –
Schlichtegroll hat die phantastische Idee, daß man je eher desto lieber darauf bedacht sein sollte, Island zu einer Art Niederlagsplatz und Archiv der gegenwärtigen europäischen Kultur zu machen, welche, nach seiner Meinung, bald auf dem letzten Loche pfeifen wird, und daß zu diesem Zwecke eine Gesellschaft von Nordländern und Deutschen sich konstituieren sollte, die sofort damit zu beginnen hätte, von allen merkwürdigen und für die Nachwelt unentbehrlichen Schriften Exemplare nach Island zu senden. Ich glaube nicht, daß Europas Zustand schon so gefährlich ist, und daß es besser wäre, man machte lieber Skandinavien zu einem solchen Depositorium und Repertorium statt Island. Uebrigens wird wohl die Vorsehung allein dafür zu sorgen wissen, was aus unserer Kulturperiode für die Nachwelt aufgehoben werden soll oder nicht.
Professor Thiersch kannte meinen Namen schon aus den Zeitungen und interessiert sich sehr für das Gedeihen unserer Sache. Ueber die Neugriechen erzählte er mir u. a., daß der eigentliche Kern dieses Volkes aus den Räuberstämmen besteht, welche die Berge Thessaliens und des Peloponnes bewohnen. Sie sollen in Charakter, Sitten und Zuständen den Stempel der Zeiten der Odyssee tragen. Sie führen eigentlich gegen die Türken ihre Plünderungsfehden. Außer diesen Heroen (in der ältesten Bedeutung des Wortes) soll auch Chios von einer tüchtigen Rasse bewohnt werden. Diese Inselbewohner haben vor nicht langer Zeit eine Universität unter sich errichtet. Eine Sammlung neugriechischer Volksgesänge, herausgegeben von einem Herrn v. Haxthausen, kommt binnen kurzem zu Tage. Goethe, der diese Sammlung schon gesehen hat, sagte hierüber zu Thiersch, daß sie die schönsten Nationallieder enthielte, welche er je in seinem Leben gesehen habe. Im übrigen haben die Neugriechen nun auch noch außer dieser eine (sozusagen) gelehrtere Poesie, und diese hat sich zu meiner Verwunderung nicht, wie ich glaubte, nach den Italienern und Franzosen, sondern nach den Deutschen gebildet, mit denen sie durch Vermittlung Wiens, woselbst ungefähr 15 000 Griechen wohnen, in Kontakt stehen, aber in der Weise, daß sie bis jetzt nur die älteren deutschen Poeten wie Uz, Gellert u. a. zu ihren Mustern erkoren haben und demgemäß meistens moralische Oden, Fabeln, Gleimisch-Anakreontische Weisen. usw. schreiben. Es ist in jedem Falle gut, daß die neugriechischen Literaten gerade mit Deutschland in nähere Verbindung getreten sind, weil gegenwärtig Deutschlands Literatur die einzige ist, in der ein lebendes, progressives Prinzip zu suchen und zu finden ist. –
Wir befinden uns vortrefflich unter vortrefflichen Menschen, Menschen, die in Solidität des Geistes und Charakters unleugbar weit höher stehen als meine sonst recht guten und liebenswürdigen Freunde in Dresden. Im allgemeinen kann ich sagen, daß ich in den Häusern der Stadt, welche ihre Ehre darin setzen, eine ausgezeichnete geistige Bildung zu haben, ordentlich, was man nennt, gefeiert bin – eine Stellung, die mir insofern Vergnügen macht, als sie mir Gelegenheit gibt, Schweden noch mehr in dem romantischen (und im Grunde genommen wahren) Lichte zu befestigen, in dem man hier immerfort dies sagenhafte, geheimnisvolle Land sieht. Aus diesem Grunde bemühe ich mich auch, hier für einen starken und energischen Charakter zu gelten, was ich in Dresden versäumte, und lasse, von meiner Milzsucht, deren grenzenlose Weite nur Hjort bekannt ist, bloß soviel hervorschimmern, wie nötig ist, um das Aussehen eines gewissen poetischen clair-obscur zu bekommen – kurz gesagt: ich spanne alle Segel meines Geistes auf, um eine recht glänzende, geistige Erscheinung zu machen. Die Männer finden mich auch ernst und tief, und die Frauenzimmer fügen noch hinzu, daß über mein Wesen ein interessanter Hauch von Sehnsucht und Trauer ausgegossen ist. Wüßten die guten Geschöpfe nur, mit wieviel innerem Leiden ein solcher interessanter Hauch bezahlt wird, dann würden sie ihn eben nicht zu interessant finden. Aber Du könntest mir vorwerfen, daß ich mich in dieser Weise in München weniger als ein nordischer Biedermann denn als hysterische Kokette aufführe, und darauf kann ich bloß erwidern, daß, wenn dieses Betragen wirklich Koketterie ist, es doch nur in reiner patriotischer Absicht und überdies in einer sehr einfachen Manier stattfindet, die keinen argwöhnen läßt, nicht einmal Schelling, daß ich ein weit schwächeres, weichlicheres und trostloseres Wesen bin, als wie ich mich zeige. Findest Du es wieder strafbar, daß ich nicht einmal mit Schelling richtig offen umgehe, sondern selbst ihm gegenüber eine Art Schauspielerrolle beibehalte, so brauche ich Dir nur entgegenzuhalten, ob ich nicht vor Scham vergehen müßte, wenn dieses titanische Individuum, welches mich jetzt für einen Geist seines eigenen Geschlechts ansieht, mich so durchschauen könnte wie z. B. Du, der mich leider als winselnden Wurm kennengelernt hat und vor dem deshalb keine Verstellung nützt. Zu Schelling zu gehen und ihm Bekenntnisse zu machen, die ungefähr auf diesen Ausruf zu reduzieren wären: hilf mir, ich vergehe vor Melancholie, wäre um so schmählicher und eines Skandinaven unwürdiger, als er selber einen tiefen Quell der allgemeinen Schwermut der Natur in sich trägt (seine eigenen Worte, ich glaube in einer Abhandlung über die menschliche Freiheit), über dem aber gleichwohl sein Charakter, sein Geist, seine Tätigkeit frei und stark schwebt wie ein Gott. Dahin hoffe auch ich einstmals zu gelangen, und im allgemeinen kann man sich keinen Umgang denken, der mehr zur Bildung von Seelenstärke und einer heroischen Lebensweisheit beitrüge als Schellings. Im übrigen ist es doch sehr leicht, selbst die Stärksten und Weisesten zu täuschen und ihnen zu imponieren! Denn ungeachtet all meiner Weibischkeit und Kindlichkeit findet Schelling dennoch in mir – »die gediegene Metallität des Nordens«! Was würde er erst sagen, wenn er Dich kennte, mein edler Bruder, der Du ein echter Nordländer, ein echter Mensch bist und überhaupt nicht nötig hast, Dich anders zu zeigen, als Du im strengsten Maße Deiner bloßen Alltäglichkeit Dich zeigst, um schon alles das zu sein, was ich zu scheinen mich bestrebe und bestreben muß! Ich habe auch bei fast jedem Besuch bei Schelling über Dich gesprochen.
Schelling ist sehr glücklich verheiratet. Seine frühere Frau, eine höchst geistreiche, aber auch gleichzeitig höchst intrigante Dame, die vorher, wie bekannt, mit A. W. Schlegel verheiratet war, starb vor einigen Jahren, ohne Kinder in dieser Ehe zu hinterlassen. Seine gegenwärtige Gattin, eine geborene Pauline Gotter, ist die Tochter des Operndichters Gotter. Sie ist für die Individualität ihres Mannes in jeder Hinsicht wie geschaffen und begleitet ihn wirklich als sein weisser Dämon oder Engel des Lichts. Jung, hoch- und wohlgewachsen, jungfräulich und zugleich majestätisch in Gang und Bewegung, mit einem allerliebsten Kopf, den mildesten Augen, dem liebreichsten Antlitz, dessen blendende Weiße auf Wangen und Lippen von einem zarten Purpur übergossen ist, bildet sie so recht eigentlich die verkörperte Güte und Zärtlichkeit, und da sie gleichzeitig viel Bildung und Genialität besitzt sowie ihrem Manne enthusiastisch ergeben ist, kann sie auf ihn nur den segensreichsten Einfluß ausüben. Thiersch, der auch eine liebenswürdige Frau hat und den ganzen verflossenen Sommer mit Schellings Familie zusammen auf dem Lande lebte, sagte mir einstmals, daß ihm Schellings Individuum wie ein Urgebirge vorkäme; und darin hat er vollkommen recht: Schelling hat von einem solchen nicht bloß das Riesenhafte und das unerschütterliche Beruhen auf seiner Basis, sondern auch – in der äußeren Rinde – das Schroffe und Starre, eine Härte, die schonungslos und zermalmend wirken kann. Er hat Augenblicke, in denen, wie man mir sagt, sein Gemüt verfinstert und menschenfeindlich ist à la Höijer; es überrumpelt ihn zuweilen, wenn er eine neue gegen ihn angelegte Kabale entdeckt (hier in München kabaliert man mit aller Macht gegen ihn, um ihn des Schutzes der Regierung zu berauben!) oder wenn er in irgendeiner Zeitung eine Beschuldigung liest, wie z. B. daß er mit den Jesuiten, mit Frau von Krüdener oder mit Pöschel in Verbindung stehe. Aber in solchen Augenblicken versteht es seine Frau, die er innig liebt, mit wunderbarer Geschicklichkeit, ihn aufzurichten und die düsteren Schatten zu zerstreuen, und spielen dann noch seine drei Kinder zu seinen Füßen, dann wird er fast so froh wie diese. Mit eigentümlicher Naivität, wie Du Dir leicht vorstellen kannst, äußert sich in seinem napoleonsartigen äußeren Wesen das milde Gemüt, welches den inneren Kern desselben bildet. So sah ich ihn am vergangenen Neujahrsabend beständig in höchster Rührung und Freude; seine Pauline, die lange krank war und auch jetzt noch nicht ganz hergestellt ist, zeigte sich da wieder zum ersten Male, gleichsam dem Leben zurückgegeben, vor einigen geladenen Freunden, unter denen auch Hjort und ich waren, die wir sie an jenem Abende zum ersten Male sahen. Da sie durch ihre Krankheit verhindert worden, ihren Kindern und Freunden am heiligen Abend die Weihnachtsgaben zu schenken, feierte sie nun die Bescherung am Neujahrsabend in ebenso geschmackvoller wie unschuldiger und herzlicher Weise. Auch Hjort und ich erhielten Geschenke mit Versen von ihrer Hand; ich bekam ein kleines Portefeuille oder Erinnerungsbuch in rotem Saffian mit vergoldetem Schnitt und dieser Inschrift:
»Erinnerung an Kunst und an Natur,
Die Dir begegnet auf Hesperiens Flur,
Bewahre Dir dies Buch für künft'ge Zeiten;
Drum lass' es Dich als einen Freund begleiten!«
Ich werde nie vergessen, wie poetisch sie aussah. als sich die Tür ihres Zimmers endlich öffnete, nachdem Kinder und Gäste ein Weilchen im äußeren Raume gewartet hatten, um ihr Zeit zu lassen, alles in gehörige symmetrische Ordnung zu legen; zufällig stand sie mitten im Zimmer, den Rücken gegen den hell strahlenden Christbaum gekehrt, der seine mit Kerzen besteckten Zweige, gleich einer Madonnenglorie über ihr Haupt emporstreckte. Als sie so, umgeben von diesem Glanze, gegen uns eine freundliche Verneigung machte, jauchzten die Kinder vor Freude, und der älteste Knabe, der langes, goldgelbes Haar trägt und wie ein kleiner Hermann aussieht, rief laut: »Schöne Mutter! blanke Lichter!«, eine Bemerkung, die wir alle unwillkürlich machten. Nun kam sie uns entgegen, und Schelling stellte uns ihr vor; herzlich faßte sie mich bei der Hand und führte mich mit den Worten zu meinem Geschenk: »Lassen Sie ja mich auch in Ihrer Erinnerung leben!« Schelling selbst erhielt ein zierliches Teegeschirr mit darauf gemaltem dreiblättrigem Kleeblatt (ihre drei Kinder); ihre Verse an ihren Mann waren, wie billig, die längsten und wirklich poetisch-schön. Der älteste Sohn, von dem ich schon sprach, erhielt einen güldenen Helm und einen kleinen Säbel; er spazierte den ganzen Abend stolz in dieser Rüstung umher, jetzt, mit dem Helm auf dem langen flatternden Goldhaare und in einen scharlachroten Waffenrock gekleidet, völlig zu einem kleinen Arminius umgewandelt. Ich blickte Schelling an – er verstand mich und drückte meine Hand; den ganzen Abend wandelte er im Zimmer auf und ab, sprach fast kein Wort, aber sah unendlich freundschaftsvoll auf uns alle und hatte beständig Freudentränen in den Augen. Am andern Tage schickte ich an Frau v. Schelling zum Zeichen meiner Dankbarkeit einige Stanzen, die das Glück hatten, sie sowohl wie ihren Mann vollkommen von der Größe meiner Ergebenheit für sie beide zu überzeugen. – Ich sagte, daß Schelling in seinem äußeren Wesen etwas Napoleonartiges hätte; seine Manier zu konversieren trägt den Stempel des Eigenen, Unmittelbaren, Lakonischen, Steinschriftgleichen und stets Treffenden, was, wie berichtet wird, die besseren Gespräche dieses Eroberers auszeichnete; da im übrigen der Unterschied in Tendenz und Prinzipien zwischen beiden total und absolut ist, kann sich diese Aehnlichkeit natürlicherweise nur bis auf einen gewissen Farbton in der bloßen Manier erstrecken, den wahrscheinlich alle Männer von antikem Stil miteinander gemein haben. Dieser Farbton ist nichtsdestoweniger bei Schelling, was er bei Napoleon nicht immer war, stets von Klarheit, Fassung und Ruhe begleitet. Aber dieser Unterschied zwischen einem römischen General und einem griechischen Philosophen ist ja selbstverständlich. –
Heute machte ich die Bekanntschaft des mirakulösesten Mannes, den ich je gesehen und der vielleicht, seit Swedenborg und St. Martin abgetreten sind, in der ganzen Welt existiert. Du errätst wohl leicht, daß dieser Mann Franz von Baader ist. Da wir unseren Besuch bei ihm (er wohnt ein Stück Wegs von München in einem Dorfe, das Schwabingen heißt) immerwährend aufgeschoben hatten, teils wegen des höchst infamen Wetters, das unablässig mit Regen und Schnee während der letzten Wochen geherrscht hatte, ermahnte uns Schelling heute nochmals, Ernst zu machen, und versprach uns ein Empfehlungsschreiben, auf Grund dessen uns Baader gleich vom ersten Augenblicke an nicht wie neugierige Fremde, sondern wie Personen behandeln würde, die in der philosophischen Welt gens comme il faut wären. Da wir nun gestern einen schönen Wintertag hatten, wanderten wir nachmittags hinaus nach Schwabingen mit Schellings Empfehlung in der Tasche. Wir trafen ihn leider nicht zu Hause, sondern mußten uns begnügen, sein Haus in Augenschein zu nehmen, das zierlich ist und mitten in einem Obstgarten liegt; schon in seinem Aussehen hat es etwas Mystisches, besonders wenn man ein nahe bei demselben befindliches Lusthaus, das einem prächtigen Vogelkäfige gleicht, mit ihm in Zusammenhang bringt. Wir hinterließen Schellings Billett bei einem Jüngling, der uns versicherte, daß wir Baader am folgenden Tage, zu welcher Stunde uns beliebte, treffen würden; wir wählten die Morgenstunde. Heute um ½ 9 Uhr gingen wir denn hin und trafen unseren Mann, der uns in ein niedliches, mit Büchern und physikalischen Apparaten gefülltes Kabinett führte und äußerst freundlich empfing. Sowohl in seinem Aeußeren wie in der Art, sich zu geben und zu sprechen, bildet er einen vollkommenen Kontrast mit Schelling. Er ist etwas länger und schmächtiger als dieser, physisch viel agiler und lebhafter, hat ein länglicheres und fröhlicheres Gesicht, ist in seiner Kleidung gewählter und etwas gepudert (wie es sich für einen königlich bayrischen Oberst-Bergrat und weitgereisten Welt- wie Geschäftsmann ziemt) und spricht fast immer in Ekstase, gerade in dem Stil, in welchem er schreibt, nur mit dem Unterschiede, daß sein höchst ausdrucksvolles Mienen-, Augen- und Gebärdenspiel vereint mit einer angenehmen Stimme und der äußersten denkbaren, obwohl nie ins Vulgäre fallenden Volubilität der Zunge seine Unterhaltungssprache unmittelbar faßlicher, und weit graziöser macht als seine Schriftsprache. Kurz gesagt, er spricht so schön, daß eine ähnliche Vormittagsunterhaltung wie diejenige, welche wir heute mit ihm hatten, würde sie von einem Tachygraphen aufgeschrieben, ein ganz interessantes Buch abgäbe, ohne daß man auch nur ein Wort daran zu ändern brauchte. Hinsichtlich der Redegabe habe ich bis jetzt erst einen gehört, der sich mit ihm vergleichen ließe, und dies ist Steffens, der in gewisser Hinsicht noch eloquenter spricht: doch hat Baaders Diskurs eine viel wunderbarere Färbung. Er spricht geradezu nichts anderes aus als die tiefsinnigsten Sätze, Antithesen, Gleichungen, Etymologien, physische Experimente und Religionsbetrachtungen, und alles dieses entstürzt ihm Blitz auf Blitz, Schlag auf Schlag, in einem unbeschreiblichen Enthusiasmus, der trotzdem niemals Fehler gegen Methode und Dialektik begeht; er drückt seine Gedanken mit der schärfsten Bestimmtheit aus, überspringt nie ein Glied in seinem Räsonnement, läßt keine Lücken und macht keine Wiederholungen. In Summa, auf einem Uppsaliensischen Katheder könnte er an einem Tage zehn Südermärker über den Haufen disputieren, falls er einen solchen Sieg der Mühe wert hielte. In welcher Sprache man wünscht, spricht er mit derselben Fertigkeit und am liebsten in mehreren zugleich, wie z. B. heute, da abwechselnd deutsch, griechisch und chaldäisch gesprochen wurde. Daß er im wesentlichen in seinen Ansichten mit Schelling übereinstimmt, auf den er mehr Einfluß hat, als dieser selbst weiß und vermutet, weißt Du schon. Gleichviel, obwohl einig in ihren Resultaten und eigentlich auch in ihren Prinzipien, differieren sie in den Wegen, die ersteren aus den letzteren zu entwickeln, in derselben Weise, in der ihre Individualitäten sich voneinander unterscheiden. Ich kann diese Differenz in Kürze nicht anders bezeichnen als diejenige zwischen einem Philosophen und einem Theosophen und füge hinzu, daß Schelling in wissenschaftlicher Form dasselbe System in populärer Weise und auf einer sinnlich objektiven Grundlage von Geschichte und Philologie aufrichten will, welches Baader in Religionsform auf einem anderen sinnlichen Fundament, dem der Physik und des Magnetismus, aufzustellen gedenkt. – Nachdem Schelling seine Weltalter herausgegeben haben wird, beabsichtigt Baader, der bis jetzt nur mit zwei Broschüren als Präliminarien hervorgetreten ist, auch mit einem größeren Werke, »Die Religion«, an welchem er jetzt eifrig arbeitet, vorzugehen. Auf diese Weise wird sich die gegenseitige Differenz und doch wesentliche Einheit am deutlichsten zeigen. Im übrigen halten beide innig aufeinander und hegen, wie billig, eine ausgezeichnete wechselseitige Hochachtung. Baader, welcher ebenso wie Schelling mit Oken und dem größeren Teil der sogenannten Naturphilosophen sehr unzufrieden ist, riet Schelling allen Ernstes, auf das Titelblatt seiner Weltalter als Motto die Worte zu setzen: »Claudite jam rivos, pueri, sat prata biberunt!« – Schelling sagte mir einst über Oken, daß dieser ein gelehrter und tätiger Mann, ein kundiger Zoologe und ein heller Kopf wäre, nur litte er an zwei falschen Haupteinbildungen: die eine, ein echter Deutscher zu sein, während er im Grunde seiner Natur der ärgste Franzos wäre, und die andere, ein dynamischer Naturphilosoph zu sein, während er doch nur ein anatomischer Materialist wäre – natürlich gegen eigenes Wissen und Wollen. –
Dir etwas Ausführliches über unsere theosophische gestrige Unterhaltung, welche den ganzen Vormittag dauerte, zu schreiben, ist unmöglich. Einen Hauptteil derselben machte der Magnetismus aus, mit dem sich Baader jetzt fast ausschließlich beschäftigt. Daß er die Sache mit vollkommener Ehrlichkeit betreibt, davon bin ich fest überzeugt. Schelling behauptet, daß er nicht in dem Grade Vorsicht und Ruhe besäße wie nötig, und daß er deshalb, obwohl mit der genialen Scharfsinnigkeit begabt, welche geniale Experimente erfordern, sowie mit der Reinheit des Willens, Herzens und der Sitten ausgestattet, welche notwendiges Bedingnis für einen Magnetiseur seien, doch ungeachtet seines etwas einseitigen Enthusiasmus für die Sache nicht genug gegen die Art Zweideutigkeit auf der Hut sei, welche nicht in den faktischen Phänomenen der Experimente, wohl aber in der Nächtlichkeit und Bedenklichkeit des Prinzipes läge, das dieselben hervorbringt. Beiläufig berichtete uns Baader neulich von einer unter seiner Aufsicht stattgefundenen magnetischen Geschichte, von der ich schon durch Schelling etwas vernommen habe und die in Wahrheit das Sonderbarste ist, was mir bis jetzt zu Ohren gekommen ist. Sie zeigt den Magnetismus von einer fast noch unbekannten, nämlich von einer geradezu dämonischen Seite. Uebrigens wird er einen vollständigen gedruckten Bericht von derselben nächstens herausgeben. Im voraus will ich Dir nur sagen, daß die Magnetisierte, ein junges bayrisches Landmädchen, einen ganzen Tag lang von 13 Teufeln besessen war, die förmlich dramatisch miteinander über die Kranke wie von einer fremden Person sprachen, welche sie die »elende Kreatur da« nannten und die in 13 verschiedenen Gestalten zu plagen ihnen beliebte. Ueber die Ursachen und den Zusammenhang des Ganzen erhältst Du seiner Zeit vollständige Nachricht. Man mag sich nun dieses Phänomen erklären, wie man wolle, so bleibt doch unter vielen anderen mirakulösen Umständen dies z. B. höchst wunderbar, daß, als Baader dem Wesen oder den Wesen, welche aus der Kranken sprachen, befahl, die Namen der Dämonen zu nennen, mit einer Aufzählung von 13 Namen geantwortet wurde, welche chaldäisch sind und die er darauf im Talmud wiedergefunden hat. Was läßt sich wohl dazu sagen? Daß ein Bauernmädchen weder Chaldäisch noch den Talmud kennt, ist doch wohl klar? Daß sie aber mit Hilfe eines anderen Betrügers betrügen wollte? Da stritte wieder das eine gegen ihren an den Tag gelegten religiösen Charakter und das andere gegen die strenge Rechtlichkeit ihres Magnetiseurs, eines jungen Doktors aus Baaders Bekanntschaft. Niemand ward zu ihr gelassen, dessen Ruf nicht ihrem Arzte oder Baader bekannt war. Daß Baader lüge? Daß er das nicht tut, darauf will ich mich hängen lassen! Ich überlasse Dir die Sache zum weiteren Nachdenken; in jedem Falle hat Schelling recht, daß man durch den Magnetismus nicht bloß auf dem Wege ist, dem Himmel, sondern auch vielleicht den Pforten der Hölle näher zu kommen, und gerade deswegen muß er mit der größten Vorsicht und Bedachtsamkeit behandelt werden, indem das Gefährliche dabei weniger in dem Historischen des Experimentes als in dem Orakeldunkel seines Ursprunges und Zweckes liegt; ein Dämonium, welches gleich dem Orakel der Alten wahrscheinlich ebenso oft oder noch öfter darauf ausgeht, zu verwirren oder zu blenden, statt zu raten und aufzuklären.
Wir plauderten mit Baader viel über Böhme und Swedenborg; über den letzteren äußerte er sich sowohl wie Schelling mit der größten Achtung; was sein Geistersehen betrifft, so waren sie derselben Ansicht, die ich auch von Dir gehört habe, nämlich daß er wirklich mit Geistern aus einer anderen Sphäre als der sichtbaren Kommunikation gehabt habe, und zwar vermittelst einer gewissen Individuen unleugbar in der ursprünglichen Konfiguration gegebenen unwillkürlichen magnetischen oder magischen Natur, aber daß diese Geister oft von ganz unzuverlässiger Beschaffenheit waren und nicht immer aus der reinen Lichtregion stammten. Im allgemeinen haben sie von seiner Lehre dieselbe Ansicht wie wir; nämlich daß in derselben der schönste Gemütsreichtum, die frommste Poesie, die glänzendste Gedankentiefe mit abstraktem Dogmatismus und schlechter Mathematik einen wunderlichen Kampf führe, in welchem Wirrwarr es ihm zu Zeiten geschähe, daß die herrlichsten spekulativen Gedanken, wie z. B. die berühmte Korrespondenztheorie, in der Anwendung zum Teil reiner Unverstand wurden. Was seine Theorie vom symbolischen Verhältnis des Geschlechts, der Ehe und Liebe betrifft, da gestand Schelling heute, daß dieser Artikel noch von keinem so wahr und schön behandelt worden sei wie von ihm. Diese Theorie sowie Swedenborgs (und Böhmes) Ansicht von Christus, nämlich daß der Sohn eigentlich Gott par excellence wäre (Du verstehst mich!), wird in Baaders angefangenem Werke sowie in anderer Weise in Schellings Weltaltern ausführlich behandelt werden. Böhme ist ihr Held, besonders Baaders, der ihm fast göttliche Ehre erweist. Ein Kommentator Böhmes zu sein, hält er für seine eigentliche Bestimmung; nach seinen eigenen Worten hat ihm kein Kompliment mehr geschmeichelt als das von A. W. Schlegel, der ihn einst »Boehmius redivivus« nannte.
Nach vielem Diskurieren begleitete er uns gegen Mittag zu Fuß zurück nach München, woselbst wir mitten in der größten Straße vor dem Postkontor von 12 bis 1 Uhr stehenblieben und uns in eine Unterhaltung über einen magischen Ordenschef vertieften, der St. Martins Lehrer gewesen, und über das mysterium magnum und die signatura rerum, zur großen Verwunderung der unzähligen Vorübergehenden (und dabei einiger Bekannten), besonders als er einige Male seinen Spazierstock in die Luft schwang und mit erhobener Stimme und blitzenden Augen den Ternarium und Quaternarium zeigte. – Heute morgen um 9 Uhr kam er zu mir, gerade als ich über ihn auf der vorhergehenden Seite geschrieben hatte, und trug einen ganzen Packen seiner Schriften unter dem Arme, die er mir schenkte, indem er heftig die Tür aufriß, ohne ein Wort zu sagen auf mich loskam und den ganzen Haufen mit dem Ausrufe neben mir aufs Sofa warf: »Da haben Sie's!« Dann blieb er den halben Vormittag bei mir und wird morgen um 11 Uhr wiederkommen, um Hjort und mir eine Art Vorlesung über seine kürzlich herausgegebene Schrift »Ueber den Blitz als Vater des Lichtes«, die er während eines heftigen Gewitters verfaßte und die die Quintessenz von Böhmes Lebens- und Moralsystem enthält, zu halten. Er ist mir unendlich willkommen, obwohl seine Konversation alle Eigenschaften des Champagnerweins hat – im höchsten Grade ätherisch, aber auch berauschend.
Schelling mit seinem ernsten Gesicht zieht den Mund und lächelt über die neue Ekstase, welche Baader für mich und meinen Reisegefährten gefaßt hat. Scherzweise vergleicht sich Baader mit Sokrates, der in Athen umherging und alle Menschen beim Kragen faßte, um sie zu zwingen, an das Heil ihrer Seele zu denken, doch alle flohen ihn und sagten, daß sie gerade keine Zeit hätten. Baader ist in München geboren und dem Religionskultus nach ein Katholik, »aber kein Pfäffler« (seine eigenen Worte). In München wird er auch nicht viel Proselyten machen, da die scharfkralligen Bayern, im übrigen ein gutmütiges Volk, sich jetzt noch hinlänglich die Zeit mit Essen, Trinken, Kartenspielen, Tanzen und Liebschaftpflegen vertreiben, gerade wie bei uns in Stockholm. Baader halten sie für einen wunderlichen, unbegreiflichen Mann, der aber doch (wegen seiner Berühmtheit) eine Zierde ihrer Stadt bildet und ohne Zweifel ein großes Genie wäre, wenn er nicht so närrisch für Ethik und Religion schwärmte – etwa so, wie die Athenienser im allgemeinen den Sokrates betrachteten. Es war ein witziger Einfall von Thiersch, als er Baader »den rasenden Schelling« nannte, in demselben Sinne, wie die Griechen den Diogenes Sokrates mainomenos nannten. –
Eben komme ich von Jacobis, wo ich wieder eine ziemliche Portion Weihrauch geerntet habe. Dies war noch mehr der Fall am vergangenen 19. (Januar 1818), meinem 28. Geburtstage, da ich ein kleines Fest beim Ministerialrat v. Flatt besuchen mußte und den ganzen Abend über fast jedes Wort aus meinem Munde unmäßig applaudiert wurde. Am nächsten Sonntag feiert Jacobis Familie seinen 75. Geburtstag und hat mich dazu entboten. – Jacobi ist ein langer, schmaler, magerer Greis mit einem schönen Profil, milder Physiognomie und kahlem Scheitel, zierlich in seiner Tracht und seiner ganzen äußeren Umgebung, etwas zeremoniell in seinem Wesen, ein philosophierender Hofmann; von Charakter gutherzig und freundlich, aber schwankend, leicht beweglich, schwach, teils aus ursprünglichem Mangel an Selbständigkeit, teils aus Alter und Eitelkeit; im Umgang spirituell und urban, ist er recht angenehm, wenn man ihn in gute Laune zu setzen versteht. Schelling und er gehen jetzt niemals mehr miteinander um. Jacobi erwähnt nicht einmal gerne des ersteren Namen; gleichwohl sind beide tolerant gegenüber ihren Bekannten, die zum großen Teile in beiden Häusern verkehren; bei Jacobi ist dies Urbanität, bei Schelling Gleichgültigkeit. Jacobi wurde krank vom Lesen der Schellingschen Schrift gegen ihn und geriet dem Tode nahe; dies konnten Jacobis Schwestern, die bei ihm wohnen, natürlicherweise dem Schelling nie verzeihen, von dem sie überdies behaupten, daß er nicht bloß in wissenschaftlicher, sondern auch in persönlicher Beziehung sich undankbar gegen ihren Bruder aufgeführt habe. Diese beiden Schwestern sind ein paar vornehme Damen, die zu ihm gezogen sind und ihn eigentlich beherrschen, da sie bei weitem mehr dezidierten Charakter als er selbst und gleichzeitig viel Bildung und Geist besitzen. Besonders die eine, welche brünett ist und eine schwarze Perücke trägt, sieht ziemlich scharf und strenge aus, ist auch diejenige, welche den Zorn wider Schelling am heftigsten unterhält. Die andere, welche sehr freundlich aussieht und eine blonde Perücke trägt, dringt vergeblich auf Frieden und Versöhnlichkeit. Des Vormittags sieht man Jacobi in einem langen, gelben, mit bunten Blumen übersäten Schlafrock, in welchem er sich mit besonderer Feierlichkeit bewegt, und wenn er in diesem Kostüm schweigend mit seinem weichen und etwas melancholischen Gesicht in einem Lehnstuhl sitzt, stellt er wirklich recht wahrnehmbar Psyche in der Schmetterlingshülle vor, wie ihn gestern Baader ironisch bezeichnete, mit dem Zusatze, daß seine beiden Schwestern sein weißes und sein schwarzes Flügelpferd wären, die ihn, jedes nach seiner besonderen Richtung, zögen. Einen noch spaßhafteren Einfall über Jacobi hatte Baader, indem er zwischen ihm und Goethe eine Parallele in folgender Weise zog: »Beide sind Geheime Räte, beide sind vornehm, beide alt, beide launisch, beide zeremoniell, beide lieben vor allen Dingen, sich mit Weiber-Koterien zu umgeben; der einzige Unterschied ist, daß Goethe seine Hühner tritt, während Jacobi von seinen Hühnern getreten wird. »Denn«, schrie Baader und sprang rund um meinen Tisch, »er ist Kapaun! Kapaun! Kapaun!« Solche Witze fallen Baader mitten in seinen tiefsinnigsten Diskussionen ein, und von ihnen geht er unmittelbar wieder, zum feierlichsten Ernste über.
Für die Antike, Kunst usw. interessiert sich Baader nicht besonders oder doch nur so weit, wie sie mit seinen biblischen und physikalischen Ideen zusammenhängen. Dies ist ein Hauptunterschied zwischen ihm und Schelling, der selber Poet, großer Kunstkenner und ein so großer Liebhaber der griechischen Poesie ist, daß er gewöhnlich alle Nachmittage ein Stück aus seinen Lieblingen Sophokles und Aristophanes als Erholungslektüre liest. – Keine Nachricht ist mir komischer vorgekommen als diejenige, daß der russische Minister für Religion und Aufklärung ein eifriger Anhänger Baaders sei und mit ihm in lebhafter Korrespondenz stehe, auch einige seiner Schriften ins Russische übersetzen läßt, besonders die »Sur l'Eucharistie«, um sie unter die Popen und das Volk als Andachtsbücher zu verteilen. Stelle Dir nur einen russischen Popen mit seinem Barte, seiner Branntweinflasche und dazu Franz Baader in der Hand vor! –
Die meisten seiner Schriften verfaßt Baader während seiner Spaziergänge zwischen München und Schwabingen. Bisweilen fällt es ihm auch ein, Fabriken anzulegen, Erfindungen in der Oekonomie usw. zu machen; da er jedoch den Kopf immer zu voll von theosophischen Stoffen hat, fährt er nicht immer zum Besten mit diesen Affären einer niederen Welt. Uebrigens hat er durch sein Amt ein ziemliches Einkommen, und seine Frau verwaltet eigentlich die Haushaltung. Von ihr gab er mir die lakonische Charakteristik: »Meine Frau – die ist eine Frau!« Morgen abend muß ich einen Ball besuchen, übermorgen das Fest bei Jacobi, welches sehr großartig werden soll, übermorgen eine Tee-Assemblée bei der Geheimrätin v. Liebeskind, am Tage darauf wird Schellings Geburtstag gefeiert (der, wunderlich genug, nur durch einen Tag von Jacobis getrennt ist). Schelling wird dann 43 Jahre alt. – So leben wir hier ungefähr jeden Tag, und dabei vergeht die Zeit ziemlich schnell. – Jetzt hat sogar ein junges Frauenzimmer hier in München angefangen, mein Porträt zu malen. Sage nun, ob Dein Freund nicht in Schwung kommt? – Uebrigens bin ich auch schon ziemlich kavalierisiert.–
Hast Du Hegels Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften gelesen? Sie ist in ihrer Art recht merkwürdig; sie zeigt die Logik von einer neuen und majestätischen Seite und beweist, wie weit man mit bloßer Logik oder formeller Dialektik in die Realität der höchsten Ideen eindringen kann. So führt in seiner Weise Hegels Weg, obschon bedeutend dürr und dornig, nach demselben Ziel, wohin jetzt alle Phänomene von Bedeutung in der Welt des Denkens streben. Man kann nicht leugnen, daß die alte zusammengeschrumpfte und verachtete Logica nun wieder durch Hegel einen sublimen Charakter erhalten hat. Seitdem ich Hegel gelesen habe, sind mir auch die Tendenzen von Höijers letzten Dissertationen vollkommen klar geworden. Frage doch einmal Bruder Grubbe, der zweifelsohne das erwähnte Buch von Hegel gelesen hat, ob er nicht auch der Meinung ist, daß Höijer in seinen letzten Tagen denselben Weg einschlug, auf dem nun Hegel vorwärtsgeht. Ich habe jetzt keine Zeit, um Beweise für meine Ansicht aufzuführen. A propos! sorge doch dafür, daß ein vollständiges Exemplar der Höijerschen Dissertationen nach Berlin kommt, woselbst es Nordenfeldts oder Helvigs aufheben können, bis sich Gelegenheit findet, es Schelling zu übersenden, der sich sehr sehnt, die Dissertationen zu lesen. Er hat mehrmals mit mir über Höijer gesprochen und stets mit der größten Achtung, obwohl er gegen ihn einwendet, er hätte zuwenig gemütliches Element in dem mit der Natur und dem lebendig Konkreten befreundeten Sinne, weshalb er gleich Hegel nur in den Regionen der abstrakten Geistigkeit und der einseitig ideellen Konstruktion bleiben sollte. Im übrigen ist Schelling mit mir der Meinung, daß Höijer ein individuell genialerer Mann war als Hegel, auch daß er, verglichen mit Hegel, weit mehr Virtuosität der Sprache und der Darstellung besaß als jener. In Dresden hat Schelling eine Zeitlang mit Höijer und Fichte zusammengelebt – Schelling war damals ungefähr 25 Jahre alt –, und sie führten in der schönen Stadt zusammen ein lustiges Leben; allabendlich hielten sie philosophische Konferenzen und ließen sich dazu die vortrefflichsten Weine vortrefflich schmecken. Höijer hatte zu jener Zeit, wie Schelling sagt, viel Aehnlichkeit mit Fichte, aber im Umgang bei weitem nicht dessen diktatorische Manier; gleichwohl sagte mir in Dresden Steffens, der sich Höijers auch mit Interesse erinnerte, daß er sich allzu empfindlich und zu sehr als Journalier gezeigt habe.
Ein junger Philosoph namens Berger, Professor in Kiel, der für die Wissenschaft viel verspricht, ist jetzt in Deutschland aufgetreten. Döllinger ist auch ein tüchtiger Kerl. Schuberts Zenith scheint vorbei zu sein, wenigstens als Philosoph betrachtet; dies beweist die neue Auflage seiner »Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaften« hinlänglich. Er ist eine passive, weibische Natur, welche alle Eindrücke und Formen annimmt; jetzt haben ihn St. Martin und Franz Baader verdorben. Der Umgang mit Baader ist für solche weichen und wie Wachs biegsamen Geister ein gefährliches Experiment, und Schubert hat durch dasselbe fast das ganze Natürliche und Ungekünstelte seiner eigenen Persönlichkeit aufgegeben; Baader entschuldigt sich, wie billig, damit, daß er nicht für die Wirkung seines Umganges einstehen kann; er will seine eigene Selbständigkeit behalten, aber keineswegs anderen die ihrige rauben. Schuberts »Altes und Neues aus dem Gebiete der inneren Seelenkunde« habe ich noch nicht gelesen; seine persönliche Lage als Prinzeninformator an dem rohen Mecklenburger Hofe wirkt auf ihn ebenfalls höchst unglücklich, und er ist eigentlich ein Opfer der Pietät geworden, welche ihn gezwungen, den von der verstorbenen Herzogin auf ihrem Totenbette geäußerten Wunsch, sich des Unterrichts ihrer Kinder anzunehmen, zu erfüllen. –
Seit ich diesen letzten Gedankenstrich zog, habe ich meinen Besuch bei der vorher erwähnten Dame abgelegt, die mir Konfessionen machen wollte. Meine Unterhaltung mit ihr, die mehrere Stunden dauerte, hat mir reichen Stoff zu Betrachtungen über die weibliche Natur gegeben! Dieses Geschlecht ist in Wahrheit weniger gefährlich als erschrecklich. Mündlich will ich Dir mehr über meine Ansichten in dieser Beziehung mitteilen. Von allen Kenntnissen, welche ich bis jetzt auf meiner Reise eingesammelt habe, sind die Fortschritte, die ich in Erkenntnis des Weibes gemacht habe, diejenigen, welche mir am wenigsten Vergnügen machen. Ich habe nunmehr während einer ganzen Zeit Gelegenheit gehabt, mit Frauenzimmern von allerhand Individualitäten zu leben – und ich habe dadurch bisweilen einen und den anderen angenehmen Moment genossen; aber ich muß aufrichtig gestehen, daß wenn mir noch von meiner frühesten Jugend her eine poetische Illusion über die Göttlichkeit dieses Geschlechtes blieb, ich nunmehr dahin gekommen bin, daß ich mit vollkommener Fertigkeit psychologische Vorlesungen über Lenore-Sanvitalismus halten könnte, von dem selbst die besten nicht frei sind. Du hast schwerlich einen Begriff davon, wie schändlich gerade die vortrefflichsten Männer bei der Nase herumgeführt werden! Danke Du Gott, daß er Dich schon als Jüngling an ein unverdorbenes Landmädchen fesselte, das in Wermland aufgewachsen ist – Dein Schicksal hätte leicht ein anderes werden können; Du gehörst gerade zu den Männern, deren einfache, herzliche, hochsinnige Persönlichkeit leicht durch geschickte Schleichwege zu überrumpeln ist. Mich sollen sie nicht fangen, schon aus dem einfachen Grunde nicht, weil ich selber ein Stück Weib in meinem Charakter habe. Ich habe viele Klagen sowohl von besseren als von schlechteren Frauenzimmern über das Männergeschlecht gehört. Es läßt sich nicht leugnen, daß diese Klagen zum großen Teile wirklich faktische Gründe haben. Aber sobald man den Blick vom einzelnen Falle ab- und auf das Verhältnis in seinem Ursprung und Zusammenhang hinwendet, habe ich fast immer finden müssen, selbst wenn ich aus Interesse für die Klägerin dies nicht einsehen wollte, daß diese Leiden eine Strafe waren, eine Nemesis für irgendeine begangene oder bisweilen noch fortfahrende Sanvitalität. Die meisten Verbindungen zwischen Personen der beiden Geschlechter in Liebe, Ehe und Familie sind daher über einen Abgrund geschlossen worden, dessen gähnender Schlund doch nur die wenigsten vollständig ahnen. Der beste Einfall, welcher sich in den gesamten Schriften Leopolds findet, nämlich daß »die Melancholie eine Krankheit ist, in der man alles so sieht, wie es wirklich ist«, bekräftigt sich auch hier wieder. Darum wird es schwerlich vorkommen, daß ich mich jemals im Ernste verliebe oder mir einbilde, mit einem Weibe Herz gegen Herz zu tauschen, nämlich in der vollständigen Bedeutung dieser Redensart. – Die Sitte, sich Mätressen zu halten, die man verabschieden kann, wenn man will, billige ich nicht, kann sie aber auch nicht ganz und gar verdammen; das sinnliche Bedürfnis ist einmal da, und je lebhaftere Einbildungskraft man hat, um so mehr Mühe hat man auch, dasselbe zu zügeln; das edlere Liebebedürfnis, die unaufhörliche, schmachtende Sehnsucht des Gedankens, des Herzens, des Gefühls findet bei der gegenwärtigen Lage der Dinge keinen geeigneten Gegenstand; was ist da zu tun? Nicht alle haben die Kraft, eine doppelte Märtyrerschaft auszuhalten. Ich kenne Libertins, welche im übrigen mit ausgezeichneten Eigenschaften begabt sind, aber ausschweifend wurden aus Verzweiflung über die Unzugänglichkeit einer höheren Liebe – und ich habe jetzt, mehr als früher, Augenblicke, da ich nahe bin, ihrem Beispiele zu folgen. Ich hoffe jedoch, daß ich mich mit Gottes Hilfe in das Anachoreten-System rette, welches für mich aus vielen Gesichtspunkten das eigentlich Richtige ist. – Die scheinbaren Widersprüche zwischen dem Inhalt der vorhergehenden Seite und dem einiger anderer Stellen meines Briefes könnte ich leicht aufheben, wenn ich nicht schon mißvergnügt wäre, so viele Worte bei einem verdrießlichen Thema verschwendet zu haben. –
Heute nachmittag habe ich zum ersten Male die v. d. Hagensche Bearbeitung des Nibelungenliedes gelesen. Sie ist superb! Kennst Du sie? Ich war zu einem Balle und einer Tee-Assemblée bei der Geheimrätin von Liebeskind geladen; aber ich blieb zu Hause bei Siegfried und Kriemhilde, bei Volker dem kühnen Fiedler und Herrn Dietrich und Meister Hildebrand. Hjort ist allein gegangen. Ein Herr von Hinsberg, hiesiger Appellationsgerichtsrat, hat vor einigen Jahren eine modernisierte Bearbeitung des Liedes herausgegeben und mir ein Exemplar geschenkt. Sie ist wohlgemeint und unschuldig. – Ach! warum lebte ich nicht vor tausend Jahren? Warum wurde ich nicht Volker, der kühne Spielmann? –
Kennst Du Wagners Schrift über die Aeginetischen Kunstwerke mit Schellings Anmerkungen? Kennst Du Quatremère-de-Quincys »Jupiter Olympien«? Sage doch Schröder, daß dies letzte, für die Geschichte der bildenden Künste höchst merkwürdige Werk für die Bibliothek von Uppsala verschrieben werden muß. Man lernt aus demselben die griechische Skulptur von einer neuen und sozusagen unvermuteten Seite kennen, die geradezu den abstrakten Begriff der modernen Aesthetik von der Plastik auf den Kopf stellt. Wunderbar! Was doch die gegenwärtige Epoche reich ist an rapiden Fortschritten und dicht aufeinanderfolgenden Entdeckungen im Gebiete der Kunst!
Der Kronprinz von Bayern hat sich mit einem großen Gefolge von Kunstkennern nach Griechenland begeben, um dort neue Untersuchungen anzustellen. München besitzt in den Herren von Langer, Vater und Sohn, ein paar ausgezeichnete Maler, welche die Häupter der hiesigen Akademie der freien Künste sind und mit Recht als die Stifter einer neuen deutschen Malerschule angesehen werden. Sie arbeiten gegenwärtig der in Deutschland zur Karikatur entarteten sklavischen Nachahmung Dürers und Holbeins entgegen, verweisen ihre Schüler auf ein gründliches Studium der Natur, Religion und Poesie, halten ihnen fleißig Raffael und Correggio vor Augen und erinnern beständig, daß Freiheit und Meisterschaft nur unter den Bedingungen gewonnen werden, unter denen sie der alte Dürer selbst gewonnen, nämlich durch wahre Freundschaft mit dem Herzen der Natur, strenge Disziplin, Reichtum an Stoff und Vermögen, diesen selbständig auszubilden. Auch Schelling hat große Achtung vor diesen beiden Künstlern. Der Vater ist eine kräftige Natur, und die Malereien des Sohnes atmen warme Poesie, erhabene Andacht und zärtliche Herzlichkeit. Beide sind eifrige Katholiken. Auch einen anderen tüchtigen Maler, den Professor Hauber, habe ich kennengelernt; in seiner Privatsammlung befindet sich ein Bild von Velasquez, zwei kleine vornehme Mädchen darstellend, die miteinander spielen, ein Oelgemälde, das in Kraft, Naturtreue und Naivität schwerlich viele seinesgleichen hat. In der großen Münchener Galerie, welche weit mehr Gemälde besitzt als die Dresdener, nur nicht so viele italienische Meisterstücke, finden sich mehrere Gemälde von Velasquez, Murillo und einem anderen spanischen Meister, dessen Name mir im Augenblick entfallen ist. Diese spanischen Malereien haben alle einen unbeschreiblich imposanten Charakter von Tiefsinnigkeit, glühendem Gefühl und Majestät des Ausdrucks gemeinsam. Selbst wenn uns Murillo einen Bettlerknaben zeigt, der eine Semmel kaut und dessen Kopf von einem alten Weibe untersucht wird, sieht man, daß dieses Bild ein Landsmann des Cid Campeador gemalt hat. Das Fromme, das Hochsinnige, Heroische und melancholisch Naive, das dunkel und oft entsetzlich Glühende im spanischen Nationalcharakter, welches so manchen unsterblichen Zug von Ritterlichkeit und Fanatismus hervorgebracht hat, spricht aus allen diesen Gemälden. Und doch kennt man erst so äußerst wenig von den spanischen Kunstschätzen! Wenn einst die Sammlungen des Eskorial, Toledos und gewisser spanischer Domkirchen und Klöster ebenso bekannt sein werden wie ähnliche in Deutschland und Italien, wer weiß, ob dann nicht die spanische Malerkunst denselben Vorrang vor der italienischen haben wird, wie ihn unstreitbar die spanische Poesie vor der Italiens hat? Auf alle Fälle wird freilich Raffael seinen Rang beibehalten, ebenso wie Dante trotz aller Spanier. Die merkwürdigsten Gemälde dieser Galerie sind übrigens eine Madonna von Raffael, eine Himmelfahrt Marias von Guido Reni (dieselbe, welche Schelling in seiner Rede über die bildenden Künste so schön beschreibt) und ein paar wahrhaft göttliche Bilder von Albrecht Dürer, in denen er Raffael vollständig ebenbürtig ist. Sie stellen St. Johannes und St. Paulus vor, wie sie St. Petrus und St. Markus vorlesen. Das letztere Bild haben die Bayern aus Nürnberg geraubt, woselbst man nunmehr auf der Burg die Kopien zeigt, aber dabei versichert, es wären die Originale, während man die Bayern durch Aushändigung der Kopien zum Narren gehabt hätte – doch durch einen Vergleich sieht man sehr gut, daß sich die Bayern dennoch die echten Bilder genommen haben. –
Bei Gelegenheit einer Messe bekam ich Eugène Beauharnais, den früheren Vizekönig von Italien, zu sehen, der, wie man in München weiß, von Napoleon bestimmt war, nach dem Falle von Rußland und der Türkei König von Griechenland zu werden. Jetzt muß er sich damit begnügen, hier als Prinz von Geblüt und reicher Privatmann zu leben (er ist wirklich unermeßlich reich!); nunmehr heißt er Herzog Eugen von Leuchtenberg, und der König hat ihm kürzlich ein kleines Fürstentum zum Regieren geschenkt. Er ist ein Mann von schönem, würdevollem und ernstem Aussehen, schon kahl auf dem Kopfe, obwohl sonst noch ziemlich jung. Er will sich jetzt hier einen großen Palast bauen lassen, lebt viel mit der königlichen Familie zusammen, liest fleißig deutsch mit seiner schönen Gemahlin, courtisiert nebenher (wie man hier plaudert) eine andere bayrische Schönheit und dankt vermutlich inbrünstig seinem Herrgott, daß er von der ganzen Napoleonischen Familie der einzige ist, der wirklich, wie man sich in Schweden ausdrückt, auf einen grünen Zweig gekommen ist. – Die Königin, welche allerlei deutsche Zeitungen liest und aus gewissen Gründen sehr neugierig auf alles achtet, was in Schweden vorgeht, kam dieser Tage zu ihren ältesten Töchtern, gerade als ihnen Thiersch Lektionen gab. Sie fragte ihn, ob er Näheres über die in Schweden gegen den alten französischen Sauerteig begonnene Opposition wüßte und ob er noch nicht von einem jungen Philosophen und Dichter Atterbom gehört hätte, der nach Zeitungsangaben in dieser Opposition die Rolle eines Chefs spiele. Thiersch erwiderte, daß dieser Atterbom sich in München befände und schon zu seinen näheren Bekannten gehöre. Nun begann sie, ihn über meine Gesinnung auszufragen; Du errätst wohl, in welcher Absicht; aber Thiersch sagte ihr sehr trocken, daß ich und meine Freunde, ungeachtet unseres Hasses gegen alles Französische, gleichwohl eifrige Anhänger Bernadottes und besonders seines Sohnes wären; dann teilte er ihr alle die Gründe dieses scheinbaren Widerspruchs unseres Systems mit, so wie ich ihm dieselben mitgeteilt hatte. Die Königin verriet über diese politische Ansicht, welche sie, nach ihrer Behauptung, in keinen vernünftigen Zusammenhang mit unserer sonstigen Haltung bringen konnte, die größte Verwunderung. – Wer weiß, in welch hohe Kreise ich kommen könnte, wenn ich nicht ein eifriger Anhänger der neuen Dynastie wäre? Aber als solcher habe ich mich in Deutschland überall angekündigt und manche Lanze für unseres Kronprinzen Ehre gebrochen. Im Grunde genommen interessiert man sich in ganz Deutschland ausnehmend für den Prinzen Gustav und plagt mich in dieser Beziehung unbeschreiblich; nur in Dresden sprach man von unserem Kronprinzen mit wirklicher Teilnahme. Es gibt hier Leute, die mir den Prinzen Gustav in den herrlichsten Farben vormalen; aber ich beiße doch nicht auf den Köder. Du mußt aber nicht glauben, daß Schelling auch zu dieser Partei gehörte; da er in Charakter und Richtung Republikaner ist, behauptet er, daß die schwedische Nation bis zum letzten Blutstropfen für den Regentenstamm kämpfen muß, den sie sich freiwillig erkoren. Es ist demnach buchstäblich wahr, daß von Schellings Einfluß auf die jüngeren schwedischen Schriftsteller, und durch diese auf die schwedische Jugend, der Kronprinz nichts zu fürchten, sondern eher zu gewinnen hat. Könnte ihm dies nur ein guter Genius in den Kopf bringen! – Selbstverständlich zeigst Du diese Stelle meines Briefes nur den Freunden, welche zu schweigen verstehen!
Neulich sah ich auf dem Königlichen Theater »König Lear« ziemlich gut aufführen, obwohl nur in einer prosaisierten Uebersetzung. Man hat hier gute Musik und Orchester; einige italienische Opern sind hier sehr gut gegeben worden. In Dresden, wo Weber das musikalische Szepter schwingt, steht das Orchester doch vielleicht noch auf einem höheren Standpunkt. Sage Häffner, daß ich hier mit einer Schülerin des Abbé Vogler bekannt geworden bin, der mit ihr oft und gern über Schweden und seine schwedischen Bekannten spricht. Es ist eine Frau von Flatt, eine sehr musikalische Dame. – Habe ich Dir über Macbeth berichtet, den ich in Dresden aufführen sah, und über Madame Schröders vortreffliche Darstellung der Lady Macbeth? Sie ist die einzige Person, welche ich von deutschen Schauspielern und Schauspielerinnen gesehen habe, welche par excellence tragischen Takt und tragische Kunst hat. Herrn und Frau Wolff, die unter Goethes Leitung gebildet sind, hatte ich in Berlin keine Gelegenheit zu sehen.
Weiß man in Schweden, daß das »Morgenblatt« von einer Frau redigiert wird, nämlich einer Madame Huber in Stuttgart, einer nicht dummen, aber ganz und gar französierten Pulverhexe? In neuerer Zeit hat sie ihrem Blatte einen friedlichen Charakter gegeben (Du weißt doch, daß die Garderobe dieser Dame oftmals Wallmarks Rüstkammer war?), vermutlich deshalb, weil so ziemlich alle, von denen sie Beiträge haben muß, mehr oder minder der Schule angehören, welche sie sonst bekriegt. Stattdessen gießt sie nun ihren Schmerz in Privatbriefen aus, und gestern wurde mir ein solcher vorgelesen, in dem sie zu einer meiner Bekanntinnen sagt, daß den jungen deutschen Mädchen nichts dienlicher wäre, als so früh wie möglich mit jungen Franzosen (!) umgeben zu werden, daß die Franzosen das gebildetste, das verständigste, das redlichste, das seelenvollste, das religiöseste Volk auf Gottes Erdboden wären (wer hätte das geglaubt? wahrhaftig neue Entdeckungen!), daß die deutsche Literatur in corpore wahnsinnig wäre und daß von all dem Wahnsinn die Liebe zu Deutschlands und Skandinaviens Vorzeit das Allerwahnsinnigste sei, daß weder Jean Paul noch Fouqué die Unsterblichkeit erreichten, daß Oehlenschläger, den sie persönlich kenne, ein gutes Subjekt und ziemlich verständig sei, wenn er sich nur nicht in die ungereimte und ekelhafte nordische Mythologie verwickelt hätte usw. Wie weit hierbei das Weib das Urteil der Madame über einen derartigen Schöngeist influiert, merkte man besonders im Artikel über Oehlenschläger, von dessen Schönheit, Eleganz und Lebensart eine halbe enggeschriebene Oktavseite handelte, natürlich mit allerlei Ausfällen auf die anderen ihr bekannten Romantiker, von denen sie sagt, daß der eine (Rückert) schlecht gewachsen wäre und zu lange Beine hätte sowie Sonette an ein buckliges Mädchen schriebe, während ein anderer (Uhland) Bier tränke und nach Tabak röche; kurzum, alle, außer Oehlenschläger, litten an körperlichen Gebrechen und alle wären unhöflich (vermutlich besonders gegen sie). Nichts amüsierte mich mehr in ihrem Bericht, als daß »der einzig noch lebende klassische Matthisson«, welcher bisweilen mit seiner Frau, ebenso wie sie selbst, genötigt wird, gesellschaftlichen Lektüren der literarischen Sozietäten Stuttgarts beizuwohnen, jedesmal Vapeurs und Magenkrämpfe bekommt und hinausgehen muß, wenn Rückert anfängt, aus dem Liede der Nibelungen vorzulesen und er vom Siegelindenkind hören muß! Besonders das letzte Wort wirkt auf ihn vollkommen desorganisierend. Stelle Dir doch nur Matthisson vor, ein paar Tage zu Bette liegend und medizinierend, weil er einen Gesang aus dem Nibelungenlied vorlesen hörte! – Was wäre diese Madame Huber nicht für ein köstlicher Fund für unsere Herren Leopold, Rosenstein, Blom und den Advokatfiskal Bergström, wenn sie nach Stockholm kommen könnte, woselbst durch das Hinscheiden der Frau Lenngren eine große Teepräsidentinnen-Stelle ledig geworden ist? Ich glaube wahrhaftig, sie würde sich dort besser befinden als in Stuttgart, da sie in Schweden viel ungestörter stechen dürfte als in Deutschland und obenein statt des »einzigen« Matthisson ein ganzes Dutzend schwedischer Classici fände! – Das Aussehen des Wetters und der Natur ist hier jetzt, Ende Januar, so wie in Schweden am Schluß des Monats März. –
Das Fest bei Jacobi am letztverflossenen Sonntag war groß und glänzend. Der Greis war in sehr guter Laune. Zur Verwunderung der übrigen zahlreichen Gesellschaft geriet der Herr Präsident und Geheimrat mit mir in einen lebhaften, obwohl freundschaftlichen Disput über Jakob Böhme, so daß er ein paar Stunden die ganze übrige Versammlung vergaß und sich erst beim Geräusch des Tischdeckens daran erinnerte, daß rund um ihn eine Schar von Herren und Damen wimmelte, die nicht gekommen waren, um Diskussionen über den Begriff des Anfangs, das Verhältnis zwischen Grund und Ursache, die Idee der Menschwerdung und die Wurzel des Bösen zu hören. Ich habe, wie ich sehe, Jacobis Schwestern im vorhergehenden als Witwen angegeben, sie sind aber niemals verheiratet gewesen, sondern noch Fräulein. Da man im Deutschen den vortrefflichen Gebrauch hat, alle Menschen mit Sie anzureden, so läßt es sich erklären, wie man mehrere Male mit einem Frauenzimmer in einer Gesellschaft sein kann, ohne zu wissen (sofern man nicht speziell danach fragt), ob sie Frau oder Fräulein ist. – Unter anderen Toasten, die an Jacobis Tisch getrunken wurden, proponierte Professor Thiersch diesen zu meiner Ehre: »Der Nordstern soll leben und alle Philister sollen sterben!« Man applaudierte sehr dazu, besonders die Damen (welche, sowohl die älteren als besonders die jüngeren, mich in Schutz genommen haben und in echter Frauenzimmerart fest überzeugt sind, daß meine Feinde als solche notwendigerweise Unrecht haben müssen und Esel sind), und der Greis Jacobi selber, der mir gerade gegenüber saß, war über diesen Toast so erfreut, daß er mehrere Male mit mir anstieß und ausrief (er hatte auch schon einige Gläser Bischof geleert): »Ja! so ist es recht! Der Nordstern lebe hoch! Weg mit den Philistern!« – Obwohl ich ihm über die Ehre Mitteilung machte, die ihm dann und wann in Wallmarks Journal widerfährt, indem er dort als einer der wenigen vernünftigen Philosophen Deutschlands zitiert wird, hat er doch von unseren literarischen Antagonisten eine sehr schlechte Meinung. – Es befanden sich aber doch in der Gesellschaft einige andere alte, ehrsame Männer, welche bei diesem plötzlichen Anathem über alle Philister etwas bedenkliche Mienen machten. – Bei dieser Gelegenheit sah ich zum ersten Male den berühmten Anatomen Sömmerring.
Weit herzlicher und bewegender war (für mich) der gestrige Abend, den ich bei Schelling zubrachte. Seiner einfachen und unzeremoniellen Natur gemäß, hatte er zu seiner Frau gesagt, daß er keine besonderen Veranstaltungen zu seinem Geburtstage zu sehen wünschte und daß sie deshalb keine Gesellschaft einladen möchte. Aus eigenem Antriebe lud sie gleichwohl mich und Iljort ein; wir kamen demnach gleichsam zufällig hin und fanden daselbst unsere junge Freundin Fräulein von Seidel (Künstlerin) sowie eine Witwe, die Frau von Köhler, welche eine Bekanntin von Schellings Frau ist. Größer wurde die Gesellschaft nicht, aber gerade in einem solchen kleinen Kreise zeigt sich Schelling am liebenswürdigsten. Gestern war er wirklich göttlich. Wir begrüßten ihn bei seinem Eintritt in das Zimmer seiner Frau mit gewöhnlichen Redensarten und taten, als ob wir um nichts wüßten, trotzdem merkte er sehr bald, daß wir nicht ohne Absicht gerade an jenem Abend und so spät (8 Uhr) hingekommen waren, aber er war über diese kleine Ueberraschung keineswegs verdrießlich. Endlich, bei dem kleinen angenehmen Souper, als der Punsch erschien, las ich einige Strophen an ihn vor, die ich gestern vormittag geschrieben hatte und die ihn und seine Frau so heftig rührten, daß mehrere Male Tränen über seine Wangen liefen und seine Frau laut weinte. Da jedoch solche Tränen eigentlich nur der Ausdruck der heftigsten Freude sind, so kehrte nach dem Schweigen einiger Minuten das Vermögen zu sprechen und nach und nach auch das zu scherzen zurück. Wir verweilten bei der Bowle bis nachts 1 Uhr, und die Frau blieb bis zum Schluß anwesend – die beiden anderen Damen gingen etwas früher fort. Wenn ich in ihre milden, klaren Augen blickte, in ihre ebenso edlen wie schönen Gesichtszüge, schlug mir doch das Gewissen darüber, daß ich einige Tage zuvor just in diesem Briefe so ungerechte Lästerungen über das weibliche Geschlecht im allgemeinen ausgesprochen habe, obwohl ich so viele vortreffliche Individuen desselben kenne und es besonders dieses Geschlecht ist, welches, auch hier in Deutschland, mich immerfort protegiert, bewundert, pflegt und mir hilft. Freilich habe ich auch verschiedene weibliche Gebrechen näher kennengelernt, ja sogar einige geradezu infame Weiber (obwohl der honettesten Klasse angehörig); aber die Auffassung des Weibes im allgemeinen kann man am mildesten und einfachsten auf folgendes Sinngedicht von Olsen in Nyerups »Iduna« reduzieren, welches übrigens ebensowenig poetisch ist wie Olsen und die »Iduna« selber;
»Ist das Weib gut – dann ist es ein Engel vom Himmel entsendet;
Ist das Weib schlecht – dann spie die Hölle als Teufel es aus.«
Auch über die Weltalter, die alten Mythologien, das Christentum usw., über Skandinavien, über Dich sprachen wir, und Schelling äußerte, daß ihm nichts so viel Vergnügen machen würde wie eine Reise nach Schweden und Norwegen, wenn ihm solche noch einmal möglich sein würde. Endlich trennten wir uns, die schöne Frau umarmte mich, und Schelling küßte mich, ich glaube zehnmal.
Mein erster Besuch bei Schelling – ich erwähne dies, damit meine Geschichte vollständig wird, – geschah am 12. Dezember 1817, 5 Uhr nachmittags. Damals war seine Frau noch krank, und er war über den Ausgang der Krankheit sehr bekümmert. Nun ist alles, Gott sei Dank, anders. – Schelling ist Generalsekretär, aber nicht mehr bei der Akademie der Wissenschaften, sondern bei der Akademie der freien Künste, und Direktor (Chef) einer Abteilung derselben, ich weiß im Augenblick nicht welcher. Das frühere Jesuitenkollegium, ein großer und prachtvoller Palast, ist gegenwärtig dieser Akademie, allen wissenschaftlichen und Kunstsammlungen, der Bibliothek, den Naturalien- und Mineralien-Kabinetten usw. eingeräumt. Wollte Gott, wir in Uppsala wären mit so viel Platz und so geschmackvoller Anordnung ausgestattet!
Der liebe Schlichtegroll ist ein non plus ultra von Projektmacherei; seine isländischen Pläne habe ich schon erwähnt. Vor einiger Zeit teilte er in einer Sitzung der Akademie der Wissenschaften mit geheimnisvoller Miene und sub rosa Schelling mit {es wurden in der Session einige neue Entdeckungen hinsichtlich der Brennspiegel und Brenngläser vorgelesen und vorgetragen), daß er sich wundere, wie die preußische Regierung, der bis jetzt jede Arbeit und Mühe fehlgeschlagen sei, durch gewisse afrikanisch-sandige Striche Norddeutschlands ordentliche Landstraßen zu legen, noch nicht auf den höchst einfachen Gedanken gefallen sei, den Sand in gewissen Richtungen durch kolossale Brenngläser zu verglasen, dann könnte sie ja von und auf dieser Glasmasse, entweder kompakt oder zerkleinert, die vortrefflichsten Chausseen bilden. Ein andermal sprach er im vollsten Ernste die Hoffnung aus, daß der Nutzen der physikalischen Wissenschaften für die Menschheit schließlich so weit gehen würde, daß man an zu heißen Sommertagen die in der Atmosphäre befindliche Hitze auffangen und in einer Art chemischem Gewahrsam bis zum Winter aufheben könnte, um dann an zu kalten Wintertagen der Luft eine mehr frühlingsartige Temperatur zu geben. Auf diese Weise, meinte er, würde man niemals nötig haben, sich von Hitze oder Kälte plagen zu lassen. Schlichtegroll ist ein eifriger Freimaurer, das erklärt teilweise diese Art Schwärmerei; alle solchen sind an sich exzentrische Projektemacher. Im übrigen ist er eine friedliche Seele, die überall als Mittler agieren und allen Groll schlichten will. In seinem Namen liest er diese Bestimmung. – Ein anderer lieber Mann, Niethammer, der sonst tolerant, immer aufgeräumt, gastfrei und dazu ziemlich verständig ist, leidet unter einer andern Schwärmerei: er bildet sich nämlich ein, daß es seine spezielle Aufgabe wäre, gegen die Katholiken zu eifern, und jedesmal, wenn er das Wort Katholik nennen hört, welches natürlich gegen seine fixe Idee verstößt, wird der gute Mann, ohne daß ihm jemand widerspräche, bloß vom eigenen inneren Feuer plötzlich blutrot vom kahlen Schädel bis nieder zum Nacken. –
Man hat hier den ganzen Tag geschossen, musiziert und allerhand Festlichkeiten veranstaltet, weil es der Geburtstag der Königin ist. Es ist auch der des Königs von Dänemark. Ist er nicht auch der unseres Karl XIII.?
Oehlenschläger hat einen Band Deutsche Gedichte herausgegeben, die seiner Reputation schaden. Der Inhalt der meisten ist ziemlich prosaisch, und dazu hat er meistens noch im hohen Grade die Sprache und das Versmaß vernachlässigt.