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17. Ueber Berg und Thal.

Es läßt sich nicht so fortleben in gleichem Atem, es wechseln Nacht und Tag, lautlose Ruhe und wildes Rauschen und Brausen und die Jahreszeiten alle. So im Leben der Natur, so im Menschenherzen, und wohl dem Menschenherzen, das auch in aller Bewegung sich nicht aus seiner Bahn verirrt.

Es war Tag geworden, als die beiden Liebenden vor der Stadt ankamen, und schon eine weite Strecke vorher, als ihnen der erste Mensch begegnete, waren sie abgestiegen. Sie fühlten, daß ihre Auffahrt gar seltsam erscheinen mußte, und der erste Mensch war ihnen wie ein Bote der Erinnerung, daß sie sich wieder einfinden müßten in die gewohnte Ordnung der Menschen und ihre Herkömmlichkeiten. Johannes führte das Pferd an der einen Hand, mit der andern hielt er Amrei; sie gingen lautlos dahin, und so oft sie einander ansahen, erglänzten ihre Gesichter wie die von Kindern, die aus dem Schlafe erwachen. So oft sie aber wieder vor sich niederschauten, waren sie gedankenvoll und bekümmert um das, was nun werden sollte.

Als ob sie mit Johannes schon darüber gesprochen hätte, und in der unmittelbaren Zuversicht, daß er das Gleiche gedacht haben müsse, wie sie, sagte jetzt Amrei:

»Freilich wohl wär's gescheiter gewesen, wir hätten die Sache ruhiger gemacht; du wärst zuerst heim und ich wär' derweil wo geblieben, meinetwegen, wenn nicht anders, beim Kohlenmathes im Wald, und du hättest mich dann abgeholt mit deiner Mutter oder mir geschrieben, und ich wäre nachgekommen mit meinem Dami. Aber weißt du, was ich denk'?«

»Just alles weiß ich noch nicht.«

»Ich denke, daß Reue das Dümmste ist, was man in sich aufkommen lassen kann. Wenn man sich den Kopf herunterreißt, man kann Gestern nicht mehr zu Heute machen. Was wir gethan haben, so mitten drin in dem Jubel, das ist recht gewesen und muß recht bleiben. Da kann man jetzt, wenn man ein bißchen nüchtern ist, nicht darüber schimpfen. Jetzt müssen wir nur daran denken, wie wir weiter alles gut machen, und du bist ja so ein richtiger Mensch, du wirst sehen, kannst alles mit mir überlegen, sag' mir nur alles frei heraus. Kannst mir sagen, was du willst, du thust mir nicht weh damit, aber wenn du mir etwas nicht sagst, da thust du mir weh damit. Gelt, du hast auch keine Reue?«

»Kannst du ein Rätsel lösen?« fragte Johannes.

»Ja, das habe ich als Kind gut können.«

»Nun so sag' mir: was ist das? Es ist ein einfaches Wort, thut man den ersten Buchstaben vorn 'runter, da möcht' man sich den Kopf 'runter reißen, und thut man ihn wieder auf, da ist alles fest.«

»Das ist leicht,« sagte Barfüßele, »kinderleicht, das ist Reu' und Treu'.« Und wie die Lerchen über ihnen zu singen begannen, so sangen sie jetzt auch das Rätsellied, und Johannes begann:

»Ei, Jungfrau, ich will dir was aufzuraten geben,
Wann du es erratest, so heirat' ich dich:
Was ist weißer als der Schnee?
Was ist grüner als der Klee?
Was ist schwarzer als die Kohl'?
Willst du mein Weibchen sein,
Erraten wirst du's wohl.«

Amrei:

»Die Kirschenblust (Blüte) ist weißer als der Schnee,
Und wann sie verblühet hat, grüner als der Klee,
Und wann sie verreifet hat, schwärzer als die Kohl',
Weil ich dein Weiblein bin, erraten kann ich's wohl.«

Johannes:

»Was für ein König hat keinen Thron?
Was für ein Knecht hat keinen Lohn?«

Amrei:

»Der König in dem Kartenspiel hat keinen Thron,
Der Stiefelknecht hat keinen Lohn.«

Johannes:

»Welches Feuer hat keine Hitz?
Und welches Messer hat keine Spitz?«

Amrei:

»Ein abgemaltes Feuer hat keine Hitz,
Ein abgebrochenes Messer hat keine Spitz.«

Plötzlich schnalzte Johannes mit den Fingern und sagte: »Jetzt gib acht,« und er sang:

»Was hat keinen Kopf und doch einen Hals?
Und was schmeckt gut ohne Salz und Schmalz?«

Amrei erwiderte rasch:

»Die Flasch' hat keinen Kopf und doch einen Hals,
Und alles, was gezuckert ist, schmeckt ohne Schmalz und Salz.«

»Du hast's nur halb erraten,« lachte Johannes, »bist in der Küche stecken geblieben; ich hab's so gemeint:

»Die Flasch hat keinen Kopf und doch einen Hals,
Und der Kuß von deinem Mund schmeckt ohne Schmalz und Salz.«

Und nun sangen sie noch den letzten Vers des vielgewundenen Rätselliedes:

»Was für ein Herz thut keinen Schlag?
Was für ein Tag hat keine Nacht?«
»Das Herz an der Schnalle thut keinen Schlag,
Der allerjüngste Tag hat keine Nacht.«
»Ei Jungfrau, ich kann Ihr nichts aufzuraten geben,
Und ist es Ihr wie mir, so heiraten wir.«
»Ich bin ja keine Schnalle, mein Herz thut manchen Schlag,
Und eine schöne Nacht hat auch der Hochzeitstag.«

Am ersten Wirtshause vor dem Thore kehrten sie ein, und Amrei sagte, als sie mit Johannes in der Stube war und dieser einen guten Kaffee bestellt hatte:

»Die Welt ist doch prächtig eingerichtet! Da haben die Leute ein Haus hergestellt und Stühle und Bänke und Tische und eine Küche, darauf brennt das Feuer, und da haben sie Kaffee und Milch und Zucker und das schöne Geschirr, und das richten sie alles her, wie wenn wir's bestellt hätten, und wenn wir weiter kommen, sind immer wieder Leute da und Häuser und alles drin. Es ist gerade wie im Märlein: Tischlein, deck dich!«

»Aber Knüppel aus dem Sack! gehört auch dazu,« sagte Johannes, griff in die Tasche und holte eine Hand voll Geld heraus, »ohne das kriegst du nichts.«

»Ja freilich,« sagte Amrei, »wer diese Räder hat, der kann durch die Welt rollen. Sag', Johannes, hat dir je in deinem Leben ein Kaffee so geschmeckt, wie der? Und das frische Weißbrot! Du hast nur zu viel bestellt; wir können das nicht alles ermachen; das Weißbrot, das steck' ich zu mir, aber es ist schad um den guten Kaffee; o! wie manchem Armen thät' der wohl, und wir müssen ihn da stehen lassen, und du mußt ihn doch bezahlen.«

»Das macht nichts, man kann's nicht so genau nehmen in der Welt.«

»Ja, ja, du hast recht, ich bin halt noch genau gewöhnt; mußt mir's nicht übel nehmen, wenn ich so was sage, es geschieht im Unverstand.«

»Das hast du leicht sagen, weil du weißt, daß du gescheit bist.«

Amrei stand bald auf, sie glühte vor Hitze, und als sie jetzt vor dem Spiegel stand, rief sie laut: »O lieber Gott! bin ich denn das? Ich kenn' mich gar nicht mehr.«

»Aber ich kenn' dich,« sagte Johannes, »du heißt Amrei und Barfüßele und Salzgräfin, aber das ist noch nicht genug, du kriegst jetzt noch einen Namen dazu: Landfriedbäuerin ist auch nicht übel.«

»O lieber Gott! kann denn das sein? Ich mein' jetzt, es wäre nicht möglich.«

»Ja, es gibt noch harte Bretter zu bohren, aber das ficht mich nichts an. Jetzt leg' dich ein wenig schlafen, ich will derweil nach einem Bernerwägele umschauen; du kannst am Tag nicht mit mir reiten, und wir brauchen ohnedies eins.«

»Ich kann nicht schlafen, ich muß noch einen Brief nach Haldenbrunn schreiben; ich bin so fort und hab' doch auch viel Gutes genossen da, und hab' auch noch andre Sachen anzugeben.«

»Ja, mach' das, bis ich wieder komm'.«

Johannes ging davon, und Amrei schaute ihm mit seltsamen Gedanken nach: da geht er und gehört doch zu dir, und wie er so stolz geht! Ist es denn möglich, daß es wahr ist, er ist dein? . . . Er schaut nicht mehr um, aber der Hund, der mit ihm geht; Amrei winkt ihm und lockt ihn, und richtig, da kommt er zurück gerannt. Sie ging ihm vor das Haus entgegen, und als er an ihr hinaufsprang, sagte sie: »Ja, ja, schon gut, es ist recht von dir, daß du bei mir bleibst, daß ich nicht so allein bin; aber jetzt komm herein, ich muß schreiben.«

Sie schrieb einen großen Brief an den Schultheiß in Haldenbrunn, dankte der ganzen Gemeinde für die Wohlthaten, die sie empfangen, und versprach: einstens ein Kind aus dem Ort zu sich zu nehmen, wenn sie es machen könne, und verpflichtete nochmals den Schultheiß, daß man der schwarzen Marann' ihr Gesangbuch unter den Kopf lege. Als sie den Brief zusiegelte, preßte sie ihre Lippen dabei zusammen und sagte: »So, jetzt bin ich fertig mit dem, was in Haldenbrunn noch lebt.« Sie riß aber doch schnell den Brief wieder auf, denn sie hielt es für Pflicht, Johannes zu zeigen, was sie geschrieben. Dieser aber kam lange nicht, und Amrei errötete, als die gesprächsame Wirtin sagte: »Ihr Mann hat wohl auf dem Amt zu thun?« Daß Johannes zum erstenmal ihr Mann genannt wurde, das traf sie tief ins Herz.

Sie konnte nicht antworten, und die Wirtin sah sie staunend an. Amrei wußte sich vor ihren seltsamen Blicken nicht anders zu flüchten, als indem sie vor das Haus ging und dort auf aufgeschichteten Brettern mit dem Hunde saß und auf Johannes wartete. Sie streichelte den Hund und schaute ihm tief glücklich in die treuen Augen. – Kein Tier sucht und verträgt den anhaltenden Menschenblick, nur dem Hunde scheint das gegeben, aber auch sein Auge zuckt bald, und er blinzelt gern aus der Ferne.

Wie ist doch die Welt auf einmal so rätselvoll und so offenbar!

Amrei ging mit dem Hunde hinein in den Stall, sah zu, wie der Schimmel fraß, und sagte: »Ja, lieber Silbertrab, laß dir's nur schmecken, und bring uns gut heim, und Gott gebe, daß es uns allen gut geht.«

Johannes kam lange nicht, und als sie ihn endlich sah, ging sie auf ihn zu und sagte: »Gelt, wenn du wieder was zu besorgen hast auf der Reise, nimmst mich mit?«

»So? ist dir's bang geworden? Hast gemeint, ich wär' davon? Ha, wie wär's, wenn ich dich jetzt da sitzen ließ' und davon ritt'?«

Amrei zuckte zusammen, dann sagte sie streng: »Just witzig bist du nicht. Mit so etwas seinen Spaß haben, das ist zum Erbarmen einfältig! Du dauerst mich, daß du das gethan hast; du hast dir damit was gethan, es ist bös, wenn du es weißt, und bös, wenn du es nicht weißt. Du willst mir davon reiten und meinst, jetzt soll ich zum Spaß heulen? Meinst du vielleicht, weil du den Gaul hast und Geld, wärst du der Herr? Nein, dein Gaul hat uns beide mitgenommen, und ich bin mit dir gegangen. Wie meinst, wenn ich den Spaß machte und sagen thät: wie wär's, wenn ich dich da sitzen ließ? Du dauerst mich, daß du den Spaß gemacht hast.«

»Ja, ja, du sollst recht haben, aber hör' doch jetzt einmal auf.«

»Nein, ich red', so lang noch was in mir ist von einer Sache, wo ich die Beleidigte bin, und an mir ist es, von der Sache aufzuhören, wenn ich will. Und dich selber hast du auch beleidigt, den, der du sein sollst und der du auch bist. Wenn ein andres was sagt, was nicht recht ist, kann ich drüber weg springen; aber an dir darf kein Schmutzfleckchen sein, und glaub' mir, mit so etwas Spaß machen, das ist grad, wie wenn man mit dem Kruzifix da Puppe spielen wollte.«

»Oho! So arg ist's nicht; aber allem Anschein nach verstehst du keinen Spaß.«

»Ich versteh' wohl, das wirst du schon erfahren, aber nicht mit so etwas, und jetzt ist's gut. Jetzt bin ich fertig und denke nicht mehr dran.«

Dieser kleine Zwischenfall zeigte beiden schon früh, daß sie bei aller liebenden Hingebung sich doch vor einander zusammennehmen mußten, und Amrei fühlte, daß sie zu heftig gewesen war, und ebenso Johannes, daß es ihm nicht anstand, mit der Verlassenheit Amreis und ihrer völligen Hingegebenheit an ihn ein Spiel zu treiben. Sie sagten das einander nicht, aber jedes fühlte es dem andern ab.

Das kleine Wölkchen, das aufgestiegen war, zerfloß bald vor der helldurchbrechenden Sonne, und Amrei jubelte wie ein Kind, als ein schönes grünes Bernerwägelein kam, mit einem runden gepolsterten Sitz drauf. Noch bevor angespannt war, setzte sie sich hinauf und klatschte in die Hände vor Freude. »Jetzt mußt mich nur noch fliegen machen,« sagte sie zu Johannes, der den Schimmel einspannte, »ich bin mit dir geritten, jetzt fahr' ich, und nun bleibt nichts mehr als Fliegen.«

Und im hellen Morgen fuhren sie auf schöngebahnter Straße dahin. Dem Schimmel schien das Fahren leicht, und Lux bellte vor Freude immer vor ihm her.

»Denk' nur, Johannes,« sagte Amrei nach einer Strecke, »denk' nur, die Wirtin hat mich schon für deine Frau gehalten.«

»Und das bist du schon, und darum frag' ich nichts danach, was sie alle dazu sagen mögen. Du Himmel und ihr Lerchen und ihr Bäume und ihr Felder und Berge! schaut her, das ist mein Weible! Und wenn sie zankt, ist sie grad so lieb, wie wenn sie einem was Schönes sagt. O meine Mutter ist eine weise Frau, o die hat's gewußt: sie hat gesagt, ich soll darauf achten, wie sie im Zorn weint, da kommt der inwendige Mensch heraus. Das war ein lieber, scharfer, schöner, böser, der heute bei dir herausgekommen ist, wie du dort gezankt hast. Jetzt kenn' ich die ganze Sippschaft, die in dir steckt, und sie ist mir recht. O du ganze weite Welt! Ich dank' dir, daß du da bist! du alles, alles. Welt! Ich frag' dich, hast du, so lang du stehst, so ein lieb Weible gesehen? Juchhe! juchhe!«

Und wo einer am Wege ging, an dem man vorbei fuhr, faßte Johannes Amrei an und rief: »Schau, schau, das ist mein Weible!« bis ihn Amrei dringend bat, das zu lassen; er aber sagte: »Ich weiß mir vor Freude nicht zu helfen. Ich könnte es der ganzen Welt zurufen, daß alles mit mir jubelt, und ich weiß gar nicht, wie können die Menschen da nur noch zu Acker fahren und Holz spalten und alles, und wissen nicht, wie selig ich bin.«

Amrei sah eine arme Frau am Wege gehen, knüpfte schnell ein Paar ihrer so sehr geliebten Schuhe ab und warf sie der Armen hin, die den Davoneilenden staunend nachsah und dankte.

Es berührte Amrei wie eine selige Empfindung, daß sie zum erstenmal in ihrem Leben eine Wertsache, die sie selber noch wohl brauchen konnte, verschenkt hatte. Anfangs, als sie es so rasch weggegeben und darüber nachsann, dachte sie vor allem nur daran, und das kam noch oft wieder, wie viel eigentlich die Schuhe wert gewesen seien; das Besitztum wollte sich nicht leicht ablösen von ihr, sie hatte es zu fest in Gedanken besessen, und sie dachte gar nicht mehr daran, wie viel sie eigentlich an der schwarzen Marann' gethan; daß sie die Schuhe hergegeben, erschien ihr als ihre erste Wohlthat; und die Empfindung derselben beglückte sie gewiß noch mehr als die Empfängerin; sie lächelte immer vor sich hin, sie hatte ein geheimes Geschenk in der Seele, das ihr Herz in Freude hüpfen machte, und als Johannes fragte: »Was hast denn? Warum lachst denn immer so wie ein Kind im Schlaf?« sagte sie:

»O Gott, es ist ja auch alles wie ein Traum. Ich kann jetzt herschenken. Ich gehe in Gedanken noch jetzt immer mit der Frau und weiß, wie sie sich freut.«

»Das ist brav, daß du gern schenkst.«

»O was will denn das heißen: im Glück herschenken? Das ist, wie wenn ein volles Glas überfließt. Ich bin so voll, ich möcht' gern alles herschenken, ich möcht' auch wie du gern alle Menschen anrufen. Ich meine, ich könnte sie alle speisen und tränken. Ich meine, ich säße an einer langen Hochzeittafel ganz allein mit dir, und ich bin so voll, ich kann gar nichts essen, ich bin satt.«

»Ja, ja, das ist gut,« sagte Johannes. »Aber schenk' keine von deinen Schuhen mehr weg. Wenn ich sie ansehe, denk' ich an die vielen schönen guten Jahre, die drin stecken, da kannst du viele schöne Jahre herumlaufen, bis sie zerrissen sind.«

»Wie kommst du jetzt darauf? Wieviel hundertmal hab' ich das gedacht, wenn ich die Schuhe angesehen hab'. Aber jetzt erzähl' mir auch von deinem Daheim, sonst schwätz' ich immer von mir. Erzähl'.«

Das that Johannes gern, und während er erzählte und Amrei mit weit offenen Augen zuhörte, tanzte in ihrem Geiste mitten durch alles immer ein glückseliges Bild neben her, das war die Arme am Wege in den neuen geschenkten Schuhen.

Nachdem Johannes die Menschen geschildert, rühmte er vor allem das Vieh und sagte: »Das ist alles so wohlgenährt und gesund und rund, daß kein Tropfen Wasser drauf stehen bleibt.«

»Mir will's gar nicht in den Sinn,« sagte Amrei, »daß ich auf einmal so reich sein soll. Wenn ich bedenke, daß ich selber so viel eigene Felder und Kühe und Mehl und Schmalz und Obst und Kisten und Kasten haben soll, da mein' ich, ich hätte bisher mein lebenlang geschlafen und wäre jetzt auf einmal aufgewacht. Nein, nein, das ist nicht so. Mir kommt es schrecklich vor, daß ich auf einmal für so vieles verantwortlich sein soll. Gelt, deine Mutter hilft mir noch? Sie ist ja noch gut bei der Hand. Ich weiß gar nicht, wie man's macht, daß ich nicht alles an die Armen verschenke; aber nein, das geht nicht, es ist ja nicht mein. Ich hab's ja auch nur geschenkt.«

»Almosengeben armet nicht! ist ein Sprichwort meiner Mutter,« erwiderte Johannes hierauf.

Es läßt sich nicht sagen, mit welchem Jubel die beiden Liebenden dahinfuhren. Jedes Wort machte sie glücklich. Als Amrei fragte: »Habt ihr auch Schwalben am Haus?« und Johannes dies bejahte mit dem Beisatze, daß sie auch ein Storchennest hätten, da war Amrei ganz glücklich und ahmte das Storchengeschnatter nach und schilderte gar lustig, wie der Storch mit ernsthaftem Gesichte auf einem Bein stehe und von oben herunter in sein Haus schaue.

War es eine Verabredung, oder war es die innere Macht des Augenblicks? Sie sprachen nichts davon, wie nun die eigentliche Auffahrt und das Eintreten ins elterliche Haus vor sich gehen sollte, bis sie gegen Abend in den Amtsbezirk kamen, in dem Zusmarshofen lag. Erst jetzt, als Johannes schon einige Leute begegneten, die ihn kannten, ihn grüßten und verwundert anschauten, erklärte er Amrei, daß er sich zweierlei ausgedacht habe, wie man die Sache am besten anfange. Entweder wolle er Amrei zu seiner Schwester bringen, die hier abseits wohnte – man sah den Kirchturm ihres Dorfes hinter einem Vorberge – er wollte dann allein nach Hause und alles erklären; oder er wollte Amrei gleich mit ins Haus nehmen, das heißt, sie sollte eine Viertelstunde vorher absteigen und als Magd ins Haus kommen.

Amrei zeigte ihre ganze Klugheit, indem sie auseinandersetzte, was zu diesem Verfahren bestimme und was daraus hervorgehen könne. Halte sie sich bei der Schwester auf, so hatte sie zuerst eine Person zu gewinnen, die nicht die entscheidende war, und es konnte allerlei Hin- und Herzerrerei geben, die nicht zu berechnen war, abgesehen davon, daß es in späteren Zeiten immer eine mißliche Erinnerung und in der ganzen Umgegend ein Gerede bleibe, daß sie sich nicht geradezu ins Haus gewagt habe. Da scheine der zweite Weg besser. Aber es gehe ihr wider die Seele, mit einer Lüge ins Haus zu kommen. Freilich habe ihr die Mutter vor Jahren versprochen, daß sie zu ihr in Dienst kommen könne; aber sie wolle ja jetzt nicht in Dienst, und es sei wie ein Diebstahl, wenn sie sich in die Gunst der Eltern einschleichen wolle, und sie wisse gewiß, daß sie in dieser Verlarvung alles ungeschickt thäte. Sie könne nicht gradaus sein, und wenn sie dem Vater nur einen Stuhl stellen wolle, werfe sie ihn gewiß um, denn sie müsse immer dabei denken: du thust's, um ihn zu hintergehen. Und wenn alles das auch noch ginge: wie sie denn vor den Dienstleuten erscheinen müsse, wenn sie später hören, daß sich die Meisterin als Magd ins Haus eingeschmuggelt habe, und sie könne mit Johannes während der ganzen Zeit kein Wort reden.

Diese ganze Auseinandersetzung schloß sie mit den Worten: »Ich hab' dir das alles nur gesagt, weil du auch meine Gedanken hören willst, und wenn du etwas mit mir überlegst, so muß ich doch frei herausreden; ich sage dir aber auch gleich: was du willst, wenn du es fest sagst, so thue ich es, und wenn du sagst, so, thu' ich's auch. Ich folge dir ohne Widerrede, und ich will's so gut machen, als ich kann, was du mir auferlegst.«

»Ja, ja, du hast recht,« sagte Johannes im schweren Besinnen, »es ist beides ein ungerader Weg, der erste weniger; und wir sind jetzt schon so nahe, daß wir uns schnell besinnen müssen. Siehst du dort die Waldblöße da drüben auf dem Berg mit der kleinen Hütte? Du siehst auch die Kühe, so ganz klein wie Käfer? Da ist unsere Frühalm, da will ich unsern Dami hinsetzen.«

Staunend sagte Amrei: »O Gott, wohin wagen sich nicht die Menschen! Das muß aber ein gut Grasgelände sein.«

»Freilich, aber wenn mir der Vater das Gut übergibt, führe ich doch mehr Stallfütterung ein, es ist nützlicher; aber die alten Leute bleiben gern beim Alten. Ach, was schwätzen wir da? Wir sind jetzt schon so nah. Hätten wir uns nur früher besonnen. Mir brennt der Kopf.«

»Bleib nur ruhig, wir müssen uns in Ruhe besinnen; ich habe schon eine Spur, wie's zu machen wär', nur noch nicht ganz deutlich.«

»Was? Wie meinst?«

»Nein, besinn' du dich; vielleicht kommst du selber drauf. Es gehört dir, daß du's einrichtest, und wir sind jetzt beide so in Wirrwarr, daß wir einen Halt daran haben, wenn wir beide zugleich draufkommen.«

»Ja, mir fällt schon was ein. Da im zweitnächsten Ort ist ein Pfarrer, den ich gut kenne, der wird uns am besten raten. Aber halt! So ist's besser! Ich bleib' unten im Thal beim Müller, und da gehst allein hinauf auf den Hof zu meinen Eltern und sagst ihnen alles gradaus, rund und klein. Meine Mutter hast du gleich an der Hand, aber du bist ja gescheit, du wirst auch den Vater so herumkriegen, daß du ihn um den Finger wickelst. So ist alles besser. Wir brauchen nicht zu warten und haben keine fremden Menschen zu Hilfe genommen! Ist dir das recht? Ist dir das nicht zu viel?«

»Das ist auch ganz mein Gedanke gewesen. Aber jetzt wird nichts mehr überlegt, gar nichts; das steht fest wie geschrieben, und das wird ausgeführt, und frisch ans Werk macht den Meister. So ist's recht. O du weißt gar nicht, was du für ein lieber, guter, prächtiger, ehrlicher Kerl bist.«

»Nein du! Aber es ist jetzt eins, wir sind jetzt beide zusammen ein einziger braver Mensch, und das wollen wir bleiben. Da guck, hier gib mir die Hand, so, jetzt bist du daheim. Und Juchhe! da ist unser Storch und fliegt auf. Storch! Sag' grüß Gott! Da ist die neue Meisterin. Ich will dir später schon noch mehr sagen. Jetzt, Amrei, mach' nur nicht so lang oben und schick' mir gleich eins in die Mühle; wenn der Roßbub daheim ist, am besten den, der kann springen wie ein Has'. So, siehst du dort das Haus mit dem Storchennest und die zwei Scheuern dort am Berg, links vom Wald? Es ist eine Linde am Haus, siehst du's?«

»Ja!«

»Das ist unser Haus. Jetzt komm, steig ab, du kannst den Weg jetzt nicht mehr fehlen.«

Johannes stieg ab und half auch Amrei von dem Wagen, und diese hielt das Halsgeschmeide, das sie in die Tasche gesteckt hatte, wie einen Rosenkranz zwischen den gefalteten Händen und betete leise. Auch Johannes zog den Hut ab, und seine Lippen bewegten sich.

Die beiden sprachen kein Wort mehr, und Amrei ging voraus. Johannes stand noch lange an den Schimmel gelehnt und schaute ihr nach. Jetzt wendete sie sich und scheuchte den Hund zurück, der ihr gefolgt war, er wollte aber nicht gehen, rannte ins Feld abseits und wieder zu ihr, bis Johannes ihm pfiff, dann erst kam das Tier zurück.

Johannes fuhr nach der Mühle und hielt dort an. Er hörte, daß sein Vater vor einer Stunde da gewesen sei, um ihn hier zu erwarten; er sei aber wieder umgekehrt. Johannes freute sich, daß sein Vater wieder wohl auf den Beinen war und daß Amrei nun beide Eltern zu Hause träfe. Die Leute in der Mühle wußten nicht, was das mit Johannes war, daß er bei ihnen anhielt und doch fast auf kein Wort hörte. Er ging bald in das Haus, bald aus demselben, bald auf den Weg nach dem Hofe, bald kehrte er wieder zurück. Denn Johannes war voll Unruhe, er zählte die Schritte, die Amrei ging. Jetzt war sie an diesem Felde, und jetzt an diesem, jetzt am Buchenhag, jetzt sprach sie mit den Eltern . . . Es ließ sich doch nicht ausdenken, wie es war.


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