Brigitte Augusti
Mädchenlose
Brigitte Augusti

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Fünftes Kapitel.

Verschiedene Stimmen.

Den 29. Juni.

Heute war ein fremder Herr hier, der uns bei der Vesper als Regierungsrat Freyenstein vorgestellt wurde, ein sehr stattlicher, gut und nobel aussehender Mann. Die Unterhaltung war lebhafter als gewöhnlich; es wurde viel von einer Verlobung gesprochen, die vor kurzem in der benachbarten Stadt gefeiert worden und der nur die Bekanntschaft eines einzigen Tages vorhergegangen war. Die alte Frau Klingemann sprach sich mit großer Entschiedenheit dahin aus, daß sie solche Verbindungen nur als verwerflichen Leichtsinn betrachten könne, von Liebe sei dabei keine Rede, denn die Liebe müsse langsam auf dem sichern Grunde genauer Bekanntschaft und gegenseitiger Achtung erwachsen.

»Verzeihung, meine gnädigste Frau, wenn ich Ihnen widerspreche,« sagte der Regierungsrat, »ich bin fest überzeugt, daß die Liebe in einem jungen empfänglichen Herzen oft nur eines Augenblickes bedarf, und alle Anforderungen des Verstandes kühn überspringt. Ich habe es an mir selbst erfahren, daß ich mich einmal in dunkler Nacht in eine Stimme verliebte, und wäre es mir nur gelungen, die Inhaberin aufzufinden, ich hätte mich, ohne weiter zu fragen, mit ihr verlobt, in der festen Überzeugung, daß diese Stimme nicht trügen könne.«

»In eine Stimme?« hieß es von mehreren Seiten, »wie ging das zu?«

»Es ist lange her,« erzählte er, »als ich einmal mit mehreren Genossen aus einer heitern Gesellschaft kam. Es war eine dunkle Novembernacht und die Straßenbeleuchtung sehr mangelhaft, da stießen einige von uns auf ein weibliches Wesen; man erlaubte sich allerlei Scherzworte und neugierige Fragen, auf welche das Mädchen keine Antwort gab. Plötzlich trat sie auf mich zu, der ich ein Paar Schritte entfernt stand, und bat mich, ihr zu helfen, sie müsse zum Arzt, es gälte ein teures Leben. Ich leistete diesem Appell natürlich bereitwillig Folge und führte sie bis an die Thür des Doktors, wo sie mir mit wenigen Worten dankte. Aber was lag nicht alles in den kurzen Worten, die sie gesprochen! Welch ein Heldenmut, welche Aufopferung, daneben ein ehrendes Vertrauen gegen mich und neben dem allen ein so rührender Ton der Hilflosigkeit und Angst, der von großer Jugend sprach. Sie konnte nicht mehr als sechzehn oder siebzehn Jahre alt sein. Monatelang habe ich sie gesucht, aber wenn ich auch eine Gestalt fand, die mir zu jener Stimme zu passen schien, sie selbst hörte ich niemals wieder, obgleich sie sich unauslöschlich in mein Herz eingeprägt hatte. Ich glaube, ich würde sie heute noch wiedererkennen.« Die Geschichte erregte mich bis ins tiefste Herz – es kann nicht anders sein, die Stimme, die schmerzlich gesuchte und nie gefundene, muß – unserer Nora angehören. Liebste, beste Mama, ist Dir das nicht ebenso klar und einleuchtend, wie mir? Hast Du mir nicht oft erzählt, wie Nora in dunkler Nacht den Arzt holen ging und mich dadurch als kleines Kind vom Tode rettete? Ich habe zwar nie gehört, ob ihr dabei ein ähnliches Abenteuer begegnet sei, denn sie selbst mochte nicht von der Sache sprechen, aber es ist doch so möglich, sogar wahrscheinlich. Ich zerbreche mir den Kopf, auf welche Weise ich die Angelegenheit aufklären könnte, doch mag ich niemand ins Vertrauen ziehen, das käme mir unzart vor. Fräulein Lietzner meint, der Regierungsrat wäre unverheiratet, vielleicht, wenn er seine lang gesuchte Stimme fände – – o Mama, warum bist Du nicht hier, um mir zu raten? Bis morgen bleibt er hier, wenn mir nur ein guter Gedanke käme!

Den 30. Juni.

Heute war ich sehr früh auf, und da unsere Arbeiten für Lieschen beendet sind, machte ich einen Spaziergang durch den schattigen Waldweg, der sich dem Garten unmittelbar anschließt. Es war sehr schön und friedlich still, der Gesang der Vögel ist beinahe ganz verstummt; ich setzte mich am Rande des Weges hin und wollte etwas lesen, aber meine Gedanken schweiften fortwährend zu Nora und dem Regierungsrat hinüber. Auf einmal hörte ich Schritte und ein leises Pfeifen – wenige Augenblicke später stand Herr Freyenstein mir gegenüber. Er war augenscheinlich sehr überrascht und sagte höflich: »Ich hatte nicht geglaubt, hier schon jemand zu treffen; ich hoffe, ich habe Sie nicht erschreckt, mein Fräulein?« Mir schlug das Herz: jetzt oder nie! Die Gelegenheit war zu günstig, um sie unbenutzt zu lassen.

»Ich dachte eben an Sie, Herr Regierungsrat,« begann ich mit etwas unsicherer Stimme, und an die Episode Ihres Lebens, die Sie gestern erzählten. Ich glaube, ich kenne die Stimme.«

»Sie, mein liebes Fräulein?« sagte er lächelnd, »verzeihen Sie, Sie waren damals wohl ein sehr kleines Kind, und ich wüßte in der That nicht, welche Kenntnis Sie von einem Erlebnis haben sollten, von dem ich bisher kaum gegen irgend jemand gesprochen habe.«

»War der Schauplatz nicht in M.?« fragte ich, »und sind es im November nicht gerade zehn Jahre her?«

»Ja«, versetzte er erstaunt, »aber ich begreife nicht ...«

»Meine Eltern hatten damals ein junges Mädchen bei sich, welches seitdem durch die innigste Freundschaft mit uns verbunden ist. In Abwesenheit der Eltern erkrankte ich heftig, Nora ging in der Nacht, um den Arzt zu holen, wir sind ihr dafür für immer zu lebhaftem Dank verpflichtet.«

»Wer ist die Dame? wo lebt sie? wie alt ist sie?«

»Sie heißt Nora Diethelm, lebt in D. und ist etwa sechsundzwanzig Jahre alt«, erwiderte ich ebenso kurz.

»Natürlich längst verheiratet?«

»Nein, sie lebt bei ihren Eltern.« Es kam mir vor, als ob ein Strahl der Freude über sein Gesicht flöge.

»Sehr seltsam und überraschend in der That«, sagte er nachdenklich. »Wahrscheinlich haben Sie Ihre Mutmaßungen bereits den Herrschaften hier mitgeteilt?«

»Nein, ich habe zu niemanden darüber gesprochen.«

»Dürfte ich Sie bitten, auch ferneres Schweigen zu beobachten? Ich hatte die kleine Geschichte sicher nicht erzählt, hätte ich nicht geglaubt, sie wäre gewissermaßen begraben und nur eine Erinnerung aus der Vergangenheit. Es trifft sich merkwürdig, daß ich in wenig Tagen nach D. übersiedle, ich bin an die dortige Regierung versetzt. Vielleicht fügt es der Zufall, daß ich Fräulein Diethelm einmal begegne, darf ich mich in diesem Fall mit Grüßen von Ihnen bei ihr einführen?«

»Ich bitte sehr darum, Nora steht uns so nahe, daß herzliche Grüße von einem von uns nur etwas Natürliches sind. Außerdem ist sie eine Verwandte des hiesigen Hauses.«

»Bitte, mein liebes Fräulein, schreiben Sie auch Ihrer Freundin nichts von dieser Unterredung, vielleicht ist ihr die Erinnerung an jenes kleine Abenteuer nicht angenehm.«

Er reichte mir die Hand, die ich herzhaft schüttelte, zum Zeichen meiner Bereitwilligkeit, das erbetene Schweigen zu beobachten; dann grüßte er höflich und ging weiter. Ich raffte Hut und Buch zusammen und eilte dem Hause zu, um die Morgenandacht nicht zu versäumen; aber alle meine Pulse flogen so sehr vor innerer Erregung, daß ich eine Zeitlang im schattigen Buchengange auf- und abgehen mußte, um mich zu beruhigen und niemand etwas merken zu lassen. – Dir dies alles mitzuteilen, meine geliebte Mama, halte ich für kein Unrecht, es würde mir sonst auch das Herz abdrücken. O, wenn für meine Nora hieraus das Glück erblühte, das ich ihr so von Herzen wünsche, und ich hatte dazu mitgewirkt – wie glückselig würde mich das machen!

Den 4. Juli.

Jeden Morgen nach dem ersten Frühstück gebe ich Lieschen eine Stunde, sie lernt lesen, schreiben, rechnen, und zuletzt erzähle ich ihr zur Belohnung eine biblische Geschichte, wozu mir Frau Klingemann eine Bilderbibel gegeben hat. Manchmal thut die Kleine sehr komische Äußerungen. Als ich ihr das Bild des Paradieses zeigte, worauf Gott unter seinen Geschöpfen wandelt, sagte sie ernsthaft: »Ich habe den lieben Gott auch schon gesehen.«

»Wo denn, Lieschen?«

»Ich war einmal in der Kirche mit meinen Eltern, da stand er ganz oben und schrie so laut, daß sich alle Leute fürchteten, und manche fingen an zu weinen, ich konnte aber nichts verstehen.«

»Wie sah er denn aus?«

»Ganz schwarz von oben bis unten, nur unter dem Kinne hatte er einen kleinen weißen Bart.«

»Aber Lieschen, das war ja der Prediger; der liebe Gott wohnt im Himmel, den können wir nicht sehen.« Sie sah mich ungläubig an, und ich weiß nicht, ob ihre Vorstellung sich wirklich aufgeklärt hat. – Ein anderesmal erzählte ich ihr von Hagar in der Wüste und schilderte ihr die Freude der Mutter, als Gott ihr Gebet erhörte und Wasser aus dem Felsen rauschen ließ. »Warf er auch gleich ein Blechtöpfchen herunter,« fragte sie teilnehmend, »damit Hagar von dem Wasser schöpfen konnte?«

Manchmal habe ich Mühe, ernsthaft zu bleiben.

Die Nachmittagsstunden mit Rose machen mir große Freude, sie hat erstaunliche Lücken in ihren Kenntnissen, aber einen wahren Feuereifer zum Lernen. Wir treiben Geschichte, Geographie, etwas Litteratur und Französisch, und die zwei Stunden sind immer im Umsehen verschwunden. Überhaupt fliegen die Tage in wunderbarer Eile dahin, vier Wochen bin ich schon hier, und Deine Rückkehr, meine geliebte Mama, kommt schnell näher. So unaussprechlich ich mich auf Dich freue, so wundervoll ich mir unser Zusammenleben ausmale, so ist mir doch das Leben hier erstaunlich lieb und anheimelnd geworden. Ich fühle mich ganz als Glied des Hauses und empfinde es froh und dankbar, daß ich auch von allen so betrachtet werde. Mein Gesichtskreis, der doch recht eng und beschränkt war, hat sich sehr erweitert, meine Begriffe von den Pflichten, die das Leben uns auferlegt, sind klarer geworden, meine Menschenkenntnis hat sich bedeutend vermehrt. Ich hoffe, Du sollst die guten Früchte dieses Aufenthalts an mir erkennen.

Den 7. Juli.

Heute nach der Andacht hielt mich Rose durch allerlei Anliegen in der Stube fest; als ich endlich auf die Veranda heraustrat, standen alle Kinder, auch die fremden Knaben, im Halbkreis und sangen mir entgegen: Heut' ist der Tag, an welchem du bei uns erschienen, wobei sie eine lange Guirlande um mich schlangen. Dann trat Mariechen vor und sprach folgende Verse:

An einem Sommertage, da kam zu uns aufs Land
Ein lieber Gast und führte ein Mägdlein an der Hand;
Das machte große Augen zu allem, was es sah,
Und manchmal wüßt' es selber nicht recht, wie ihm geschah.

Vor Schweinen hat's ein Grauen, lebendig oder tot,
Und gar beklommen blickt es, wenn eine Kuh ihm droht.
Es ist wie eine Blume so zart, so hold, so rein,
Und tief in unsre Herzen stahl es sich bald hinein.

Heut' ist es grad' ein Monat, seitdem es zu uns kam;
Ach, blieb' uns doch noch lange erspart der Abschiedsgram!
Wer sollte Lieschen lehren? wer machen Rose klug?
Und wer erzählt uns Märchen von so phantast'schem Flug?

Und alle Rothenburger, und alle Klingemanns,
Rosa und Tante Emma, der Oskar und der Hans,
Des Hauses Kron daneben, sie alle rufen hoch!
Hoch sollst du, Erna, leben! bleib' bei uns lange noch!!

Bei den letzten Worten fielen alle ein, und es entstand ein großes Jubelgeschrei; ich flog willenlos aus einem Arm in den andern, so daß ich wirklich nicht wußte, wie mir geschah, und ganz froh war, mich endlich neben Frau Klingemann auf der Bank zu finden. Ich schlang meine Arme um die liebe Frau und sagte zwischen Lachen und Weinen, daß ich so viel Freundlichkeit gar nicht verdiene, daß es aber einzig gut und ich sehr glücklich wäre. Sie küßte mich mit ihrer sanften Herzlichkeit, die mich immer an Nora erinnert, und sagte, ich sei ein liebes Mädchen und sie freue sich von Herzen, mich in ihrem Hause zu haben. Das thut mir unbeschreiblich wohl! –

Über acht Tage ist der lieben Hausfrau Geburtstag, zu dem allerlei Vorbereitungen im Gange sind; wir üben einige Gesänge und Klavierstücke ein, Rose und ich arbeiten ein Paar hübsche Lampendecken, die Kinder sind gleichfalls eifrig beschäftigt. Doch findet eine eigentliche Feier nicht statt, auswärtige Gäste sind ganz verbeten. Vor Jahren starb an diesem Tage der älteste Sohn des Hauses, und daher schreibt sich auch Brunos Leiden, beides wurde durch irgend einen traurigen Unglücksfall herbeigeführt. – Ich bringe täglich ein Stündchen bei dem armen, lieben Bruno zu, lese ihm vor oder plaudere mit ihm; er kann das Bett wieder für Stunden verlassen, sieht aber wachsbleich aus und ist oft sehr matt. Für alle anderen Glieder des Hauses gehört dieser leidensvolle Zustand so sehr in den gewöhnlichen Lauf des Lebens, daß er auf ihre Stimmung kaum einen Einfluß übt, nur seine Mutter leidet immer mit ihm, und man kann es stets auf ihrem Gesicht lesen, wie sich Bruno gerade befindet. Immer wieder drängt sich mir die bange Frage auf: warum müssen gerade die guten Menschen so schwer leiden? –

Den 9. Juli.

Heute brachte ich Herrn Dr. Kron meine metrische Übertragung seiner Übersetzungen aus dem Polnischen, mit der ich mich in der letzten Woche viel beschäftigt hatte. Er schien sehr befriedigt und meinte, der Ton sei wunderbar gut getroffen; er wolle uns nächstens einen kleinen Vortrag halten und die Übersetzungen einschalten. Es freut mich sehr, daß er zufrieden ist; mir war es eine höchst interessante Arbeit, von der ich Dir eine Abschrift einlege.

Abend. aus dem polnischen von Adam Wieckiwiez

Vom Himmel flutet noch der Sonne letzter Strahl,
Nicht blendend, doch weithin beglänzt er Berg und Thal.
Die dunkle Röte gleicht dem frischen Angesicht
Des biedern Landmanns, der nach treu vollbrachter Pflicht
Der Ruh' entgegeneilt. Die Sonnenscheibe strebet
Dem dunklen Walde zu, und Nebelschleier webet
Die Dämmrung um das Haupt der mächt'gen Waldesriesen,
Daß ihre äst'gen Kronen ineinander fließen.

Und schwärzer wird der Wald, gleich riesigem Gemache,
Die Sonne glüht darin, wie Feuerschein am Dache.
Sie sinkt – nur hie und da ist noch ein Zweig erhellt,
Wie durch geschloßne Laden noch ein Lichtschein fällt;
Nun alles aus. – Und gleich verstummt der Sensen Klingen
Dort im Getreidefeld, der Harkerinnen
Singen Im Wiesengrunde dort. Es hält der Herr darauf:
Sobald der Tag sich neigt, hört auch die Arbeit auf.

»Es weiß der Herr der Welt, wie lang die Arbeit gut;
Und wenn Sein Arbeiter, die hohe Sonne, ruht,
Dann ist's auf Erden auch wohl Zeit für Ruh' und Stille.«
So sprach der Richter oft, und seines Herren Wille
Dem redlichen Inspektor heilig stets erschien.
Drum sieht man ungefüllt nach Haus den Wagen ziehn,
Der, als die Sonne sank, erst halb beladen war.
Es zieht die leichte Last mit Lust das Ochsenpaar.

Nacht.

Ein dichter Nebel hüllt den Wald, die Wiesen ein,
Der Wölfe Augen glühn, wie ferner Kerzen Schein.
Am Horizonte hie und da die Glut verkündet,
Daß Hirten sich zur Nacht ein Feuer angezündet.
Und endlich tritt der Mond aus Waldesschoß heraus
Und gießt sein Silberlicht auf Erd' und Himmel aus
Die beiden, länger nicht vom Dunkel zugedeckt,
Sieht man in süßem Schlummer friedlich hingestreckt.
Der Himmel hat die Erd' an seine Brust gezogen,
Und drüber fluten hin des Mondlichts Silberwogen.

Jetzt fangt ein Sternlein an, dem Monde zuzuwinken,
Schon sind es tausend, schon Millionen, die da blinken.
Zwei Schalen tauchen auf, der goldnen Himmelswage,
Auf ihnen wog der Herr, sagt man, am Schöpfungstage
Der Reihe nach die Erd' und alle Sterne ab,
Eh' er dem Reich der Luft die Lasten übergab.
Und nach vollbrachtem Werk setzt er ans Himmelszelt
Die Wage, wo sie dient zum Muster aller Welt.
Im Norden steht ein Sternenkreis, das Sieb genannt,
Dadurch warf Gott der Herr, sagt man, mit eigner Hand
Das Korn zur Erd' hinab, als aus dem Paradies
Zur Strafe seiner Sünd' er Vater Adam stieß.

Und höher oben noch der Davidswagen fährt,
Nach dem Polarstern ist die Deichsel hingekehrt.
Noch weise Alte giebt's, die wissen uns zu sagen,
Daß man mit Unrecht ihn nennt König Davids Wagen,
Der Engel Wagen sei's. Lucifer fuhr darauf,
Als die Milchstraße er durchmaß in schnellem Lauf
Bis an die Himmelsthür, um mit Gott selbst zu streiten;
Bis Michael herab ihn stieß und warf zur Seiten
Den Wagen, der nur noch zertrümmert weiter rollt,
Herstellen hat ihn nie des Engels Zorn gewollt.

Auch ist es wohlbekannt bei manchen weisen Alten,
Die von Rabbinern einst die Kunde wohl erhalten,
Daß jener große Drache dort am Himmelszelt,
Der seinen lichten Schweif zieht durch die Sternenwelt
Und den »die Schlange« nennt der Astronomen Schar,
Einstmals ein Riesenfisch, der Leviathan war.
Im Meere lebt' er einst, doch als der Sündflut Wogen
Verrauscht, da ward die Füll' des Wassers ihm entzogen.
So trugen Engel denn empor den Riesenleib,
Daß zum Gedächtnis er für immer dort verbleib'.

Im Walde.

Hoch überm Haupte wölbt sich grün der Heimat Wald,
So ernst und doch so hell von Vogelsang durchschallt.
Die Vogelkirschen stehn, von Hopfen grün umkränzt,
In bäurisch frischem Rot die Eberesche glänzt.
Den grünen Thyrsusstab schwingt hoch die Haselnuß,
Mit Früchten sie sich schmückt vom Kopfe bis zum Fuß,
Der Weihdorn zärtlich sich zur Berberitze bückt,
Brombeer' den dunklen Mund an den Hollunder drückt.
Es schließen Baum und Strauch sich eng zum grünen Kranz,
Wie holde Mädchen gehn mit Jünglingen zum Tanz
Ums hochzeitliche Paar. Es ragen aus der Menge
Zwei Stämme hoch empor aus dichtem Laubgedränge:
Weißbuch' und Birke sind's, in hochzeitlichem Kleide,
Sich gleich an schlankem Wuchs und Reiz der Färbung beide.
Und wie an Kindern sich und an der Enkel Schar
Die Alten schweigend freun, steht dort ein Buchenpaar;
Pappeln, Matronen gleich; vom moos'gen Bart umwallt.
Die Eiche, die gesehn fünfhundert Jahre bald.
Sie lehnt, als wäre sie uralter Gräber Wächter,
An die versteinte Spur versunkner Waldgeschlechter,

Und grüne Dämmrung rings; die Zweige dicht belaubt,
Sie wölben mauergleich sich über meinem Haupt.
Und drüber treibt der Wind sein unablässig Spiel,
Er wimmert, rauscht und seufzt, er klagt in Tönen viel,
Geheimnisvoll und märchenhaft. Mir aber träumte,
Daß über mir das Meer in wilden Wogen schäumte.

Unten ist Stille. Nur der Specht am Baume dort
Pocht mit dem Schnabel an, duckt sich – husch, ist er fort,
Man hört sein Klopfen noch, obgleich der Wald ihn deckt,
Dem Kinde gleich, das ruft: such' mich! wenn sich's versteckt.
Ein flinkes Eichhörnchen sieht man an Nüssen nagen,
Ein Büschel Haare muß es auf der Stirne tragen,
Dem Helmbusch gleich, der auf Soldatenhäuptern nickt.
Obgleich so halb verhüllt, es keck doch um sich blickt;
Sobald's den Fremden sieht, schwingt sich's von Zweig zu Zweigen
Als wollt' es seine Kunst als Waldestänzer zeigen.
Plötzlich im dichten Laub entschwindet es dem Blick,
Wie die Dryade kehrt in ihren Baum zurück.

Nun wieder Stille rings. Da raschelt's in den Büschen,
Wo traubenreiche Ebereschen stehn, dazwischen
Erglänzt in gleichem Rot ein frisches Angesicht,
Ein Mädchen ist's, das Beeren sucht und Nüsse bricht.
Ein Körbchen trägt's am Arm, von Rinde schlicht und rund,
Mit Beeren, schwellend rot gleich seinem Kindermund.
Der Knabe neben ihr schlägt auf die Haselzweige,
Damit sich ihre Last hinab zur Schwester neige.

Da tönet Hörnerklang, der Rüden laut Gebelle:
Es zieht die Jagd sich hin nach dieser Waldesstelle.
Die beiden horchen auf – und im Gewühl der Blätter
Verschwinden sie erschreckt, lautlos wie Waldesgötter.

Den 10. Juli.

Vormittag war Frau Neßler zum erstenmal draußen, sie saß in einem bequemen Stuhl vor der Thür und sah sehr zufrieden aus. Ich saß ein Weilchen bei ihr, als Herr v. Rothenburg vorüberging.

»Ist das nicht der liebe Herr, der mich gerettet hat?« fragte sie. Ich bejahte, sie faltete ihre Hände und murmelte Segenswünsche für ihn. Nach einer Weile kam er zurück und trat zu uns heran.

»Wie geht es Ihnen, Frau Neßler?« fragte er freundlich.

»O lieber, gnädiger junger Herr,« sagte, sie, »wie sollte es mir nicht gut gehen! ich lebe ja hier unter lauter Engeln. Nur noch ein bißchen schwach bin ich, sonst schon viel besser. Ach, wenn ich nur einmal die Hand küssen dürfte, die mich aus dem Feuer gezogen hat!« Sie richtete sich halb empor, über Rotenburgs Gesicht glitt ein unwilliger Schatten, er wollte eben den Mund zu einer abweisenden Bemerkung öffnen, aber ich sah ihn so bittend an, daß er sich besann. Er trat einen Schritt näher und reichte ihr die Hand, die sie ehrfürchtig küßte.

»Gott segne Sie tausendmal und lohne es Ihnen in Zeit und Ewigkeit, gnädiger Herr; der liebe Gott läßt Sie gewiß noch recht glücklich werden und schenkt Ihnen eine junge Frau, wie die lieben Fräuleins hier sind, wie die Engel so gut und so schön.«

Er errötete bis in die weiße Stirn hinauf, und ich fürchte, ich that dasselbe, dann ging er schnell davon. Als ich Rose nachher die kleine Scene erzählte, war sie außer sich vor Vergnügen.

»Natürlich bin ich gemeint, nicht wahr, Erna? Mich sieht ja Rothenburg immer mit so ernsten Augen an, als wollte er jede Linie auswendig lernen – mit mir spricht er immer so angelegentlich, mich sucht er bei jeder Gelegenheit auf – habe ich nicht recht? Wie gut, daß ich nicht erklärt habe, ich wollte nie von ihm entzückt sein, er sei ein blasierter Mensch u. s. w.« Sie tanzte in der Stube umher und benahm sich so thöricht, daß ich ernstlich böse wurde und sie ersuchte, mich mit so unzarten Anzüglichkeiten zu verschonen, ich sei dergleichen nicht gewöhnt und wolle es nicht ertragen. Es war die erste Mißstimmung, die zwischen uns entstand, und mir war sehr unbehaglich zu Mut, als wir in den nächsten Stunden fremd und kühl aneinander vorübergingen. Gegen Abend kam Rose zu mir.

»Sei mir nicht mehr böse, liebe Erna; ich vergesse es manchmal, daß du von anderm Schrot und Korn bist, als ich, seiner, zarter und daher leichter verletzlich. Bedenke, wie ich aufgewachsen bin, mutterlos von Kindesbeinen auf, ohne rechte Heimat: da hängt sich einem leicht etwas Unfeines an, ohne daß man's selber weiß. Ich wollte dich sicher nicht kränken.«

Der wehmütige Ton ging mir tief zu Herzen, wir küßten uns, und alles war wieder gut. Aber ich will mir doch aus dem kleinen Erlebnis die Lehre ziehen, daß man nicht gut thut, alles wiederzuerzählen, weil die Auffassungen gar zu verschieden sind.

Zu morgen ist Einquartierung angesagt, die Mannschaft wird im Dorf untergebracht, nur ein Offizier und ein Arzt werden im Hause aufgenommen. Es ist großer Backtag heute, niemand hat Zeit zu den gewöhnlichen Beschäftigungen; ich habe auch eine Weile geholfen, es ist nicht so unangenehm, wie die Schlächterei, und das Resultat ist poetischer. Die duftenden Kuchen, die frischen Brote sind wirklich ein hübscher, appetitlicher Anblick, und es geht alles dabei so sauber zu.


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