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[Vorwort]

Ich fahre wieder einmal ein bischen in der Welt und horche die Leute aus, was sie meinen und sagen. Ich will sie jetzt über den Antisemitismus vernehmen. Nicht um Gründe für und gegen ihn zu sammeln, die billig und ohne Wirkung sind; sondern um in verwirrten Tagen ohne Zorn und ohne Liebe ein paar glaubliche Dokumente zu gewinnen, wie von dieser Frage wirklich die Gebildeten der verschiedenen Völker, der verschiedenen Staaten heute denken.

Es giebt viele Bücher über die Sache. Die einen sind gescheidt, die anderen sind dumm, aber keines trifft sie. Sie reden immer an ihr vorbei. Sie thun, als ob es Gründe und Beweise gelte. Aber ich glaube, es gilt vielmehr ganz was anderes. Ich habe da meine besondere Meinung – ich dränge sie niemandem auf, aber vielleicht darf ich sie sagen.

Der Antisemitismus will nur sich selber. Er ist nicht etwa ein Mittel zu einem Zwecke. Der einzige Zweck des Antisemitismus ist der Antisemitismus. Man ist Antisemit, um Antisemit zu sein. Man schwelgt in diesem Gefühle. Es liegt an der Zeit, daß, um die welken und verwüsteten Nerven zu montieren, künstliche Reize begehrt sind. Den holden Rausch, den sonst der den Massen jetzt verlorene Glaube und die entwichenen Ideale gaben, sollen sie ersetzen. Die Reichen halten sich an Morphium und Haschisch. Wer sich das nicht leisten kann, wird Antisemit. Der Antisemitismus ist der Morphinismus der kleinen Leute.

Man will Leidenschaft, Schwung und Taumel, und ihre natürlichen Quellen sind erschöpft. Sie haben keine große Idee, kein sittliches Pathos, die die Wonnen der Begeisterung erwecken könnten. Und weil ihnen die Wollust der Liebe fehlt, versuchen sie es mit der Wollust des Hasses. Man muß nur selber einmal von ihr mit den eigenen Sinnen und Nerven gekostet haben, um ihr verführerisches Gift zu kennen. Wer gehaßt wird, thut im Grunde dabei nichts. Der Jude ist ihnen nur eben bequem. Die Franzosen haben dafür der Reihe nach zuerst den Preußen und dann den Juden und neuestens den Bankier gebraucht und es hat sich ihnen nicht um den Preußen und nicht um den Juden und nicht um den Bankier gehandelt: es handelt sich immer nur um den Haß, um die starken Aufregungen, die er gewährt. Wenn es keine Juden gäbe, müßten die Antisemiten sie erfinden. Sie wären sonst um allen Genuß der kräftigen Erregungen gebracht.

Das scheint mir die Psychologie des Antisemitismus bei der Masse. Bei den »Führern« kommt wohl noch etwas dazu. Es giebt kein handlicheres Instrument des Demagogen.

Ich plauderte einmal mit Maurice Barrès und er begeisterte sich für Rochefort. Ich mußte über den seltsamen Bund des Schwärmers für Wagner mit dem Hetzer gegen Lohengrin lachen. Aber er verteidigte den Freund: »Glauben Sie mir, er schätzt die Würde und den Wert von Wagner so gut wie Sie oder ich; aber er findet nicht leicht etwas, das ihm besser die Massen in die Hand geben würde – wer die Massen meistern will, darf keine Gelegenheit der Leidenschaft versäumen.«

Die antisemitischen Führer, denen es nicht bloß um das Geschäft zu thun ist, sind Prätendenten um die Gunst des Pöbels, die herrschen wollen. Sie möchten in ihrem kleinen Kreise so eine Art von Nietzsche'schen Übermenschen werden, die durch alle Mittel den Genuß der Macht erwerben. Es kitzelt sie, auf den Instinkten und Begierden der Massen wie auf beweglichen Tasten zu spielen, die ihrem leisesten Drucke gehorchen.

Das meine ich über den Antisemitismus und meine deswegen, daß man mit Gründen gegen ihn nichts richten kann. Wer Antisemit ist, ist es aus der Begierde nach dem Taumel und dem Rausche einer Leidenschaft. Er nimmt die Argumente, die ihm gerade die nächsten sind. Wenn man sie ihm widerlegt, wird er sich andere suchen. Wenn er keine findet, wird es ihn auch nicht bekehren. Er mag den Rausch nicht entbehren. Heilen könnte ihn nur ein edlerer Taumel, wenn den Massen wieder ein Ideal, ein sittliches Pathos gegeben würde. Vielleicht ist so der Sozialismus der einzige Arzt des Antisemitismus.

Ich will also keineswegs den Antisemitismus »widerlegen«, was tausendmal geschehen und immer vergeblich ist. Ich frage einfach, mit welchen Empfindungen und welchen Antworten sich die Gebildeten der verschiedenen Nationen zu dieser Erscheinung im Volke stellen. Vielleicht giebt das für später einmal von der Verfassung des Geistes um 1893 ein ganz kurioses Dokument.


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