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Den 24. April.
Das rollt wieder und rollt und rollt, einsam, ohne Ende. Weithin nichts als mit kahlen, mageren Birken von trägen, trüben Tümpeln geädert, die unermeßliche Ebene. Stumm, schmerzlich, ohne Trost.
Und überall Soldaten und wieder Soldaten, immer mehr, nichts als Soldaten. Sie wandern und wandern und manchmal flattert kreischend ein großer Rabe. Aber sie hören ihn nicht, sie schauen nicht nach ihm, sie wandern nur immer weiter auf der glatten grauen Fläche, wandern ewig, mühsam und unverdrossen. Sie gleiten wie nächtliche Schatten. Es ist nichts Menschliches daran.
Und es rollt und rollt. Sonst nirgends ein Laut. Es rollt und die Gedanken rollen mit und die Gefühle rollen und es rollt alle Empfindsamkeit der Nerven. Eine sanfte Wollust rieselt daraus. Es löst sich das Spröde und Harte. Dem Geiste wachsen Flügel oder vielmehr, als schwömme er durch ein tiefes rauschendes Meer und es wüchsen ihm kräftige Flossen. Es ist wie ein Constitutional-Walk, aber viel wirksamer, rascher und tiefer.
Ich bin ganz allein. Ich strecke mich auf dem weichen, buhlerischen Sammet lange aus. Ich blase dichte, schwere Wolken aus der herben Cigarette, langsam, ganz langsam, mit schnuppernden Lippen, in großen Ringen, bis mir der weiße Dampf einen lieblichen Schleier vor die Welt zieht; kaum leise blinzelt dazwischen noch einmal ein schmaler Streif des gelben Himmels, in dem sich die öden Wasser spiegeln.
Und es rollt und rollt. Ich habe hinter den geschlossenen Lidern das Gefühl, ganz deutlich jeden einzelnen Nerv zu empfinden, jeden einzelnen Sinn, und als ob ich mich selbst von innen her betrachten könnte, alle versagten Geheimnisse des abgewendeten Leibes. Und es rollt und rollt.
Ich will eine letzte Revision meiner russischen Gefühle vornehmen. Was ich gewonnen habe und ob ich etwas verloren habe, daß ich die Bilanz erkenne.
Erstens die russischen Sensationen. Die Sensation der Stadt, die Sensation dieses Pöbels, die Sensation dieser Kunst, dieser Kultur, dieser Frauen. Ich habe sie ganz deutlich. Ich halte ihren Vorrat in der Hand. Ich kann sie jeden Moment erwecken. Das ist immerhin schon etwas. Anderswo hätte ich es niemals erworben. Aus Büchern geht es nicht, bis wir nicht einmal Künstler haben werden, welche ihre Empfindungen nicht blos ausdrücken, sondern auch mittheilen, bis wir nicht einmal suggestive Künstler haben.
Aber zweitens: Ich fürchte, daß mein sensationelles Talent gelitten hat. Freilich, ich vermag schon noch köstliche und seltene Gefühle. Aber ich habe auf einmal hinter ihrem Spiel einen neuen Reiz entdeckt – ich glaube, der kann noch gefährlich werden.
Ich hätte also auf der einen Seite allerdings neues Futter gewonnen, aber dafür auf der anderen die alte Verdauung verloren.
Ich hätte allerdings endlich mich selbst gefunden, aber muß ich deswegen auf die vielen lustigen Masken verzichten?
Und dann diese unvertreibliche Angst, ob es nicht am Ende, statt des erträumten Uebermenschen, nicht am Ende dennoch blos der verkappte Urphilister ist.
Oder es ist das wichtige Ereignis, von dem ich die Wiedergeburt meiner Seele und die zweite Periode meines Geistes datire, am Ende gar blos Schabernack und Schelmenstreich der blinden Liebe?
Ich kenne alle Theorien der Liebe. Ich kenne auch ihre Praxis – wie viel man eben gerade braucht. Aber –
Es wird wohl so das klügste sein: Ich muß mir die alten Künste der nervösen Empfindsamkeit sorgsam bewahren – ein netter Zeitvertreib werden sie immer bleiben; aber ich will mit der gleichen Sorge auch meine neue Entdeckung pflegen, das liebliche und sanfte Räthsel, das hoch im Norden plötzlich mir aus der bangen Seele aufgegangen ist.
Ich will mich theilen. Ich kann ja immerhin der internationale Stimmungsjongleur bleiben in meinen Verhältnissen zur Welt. Aber hoch über ihr, weit weg von ihrem fahlen und schweren Gedränge, soll mir für mich aus mir meine besondere Schöpfung sein.
Da sind schon die schwarzgelben Pfähle. Nun fordern sie das letzte Mal den Paß. Dann dürfen wir nach Europa zurück.
Und wer weiß: wenn ich erst wieder in Wien bin, – mein liebes, süßes Wien, wie aus haschischischem Zauber ein glühendes, gnadenreiches Märchen, wo der Tanz niemals verstummt und die Küsse nicht rasten … und es ist, über den hellen, stolzen, festlichen Palästen, ewig zwischen Rosen und Jasmin wie ein holder Reigen loser, runder Liebesgötter durch die milde, buhlerische Luft! Wer weiß, ob es mir den neuen Menschen nicht gleich am ersten Tage auf fächelnden Walzern wieder verweht?
Krakau den 26. April.
Ich liebe die Polen. Man sagt, daß sie nicht zuverlässig sind. Treulos und falsch heißen sie. Man darf ihrem Scheine nicht trauen. Aber ich liebe ihren bunten, anmuthigen, ritterlichen Schein. Sie haben einen kühnen, geschmeidigen, wehrhaften Wuchs, daß man unwillkürlich gleich in jede Faust einen blanken Degen ergänzt. Sie haben sanfte und weiche Profile, ein bischen müde zuweilen und vom Leide der Lebensfreude verwischt. Sie haben gerade, freie, beharrliche Blicke, die Niemanden aus dem Wege gehen und niemals sinken. Es ist etwas Adeliges an ihren Geberden, eine aus langer Herrschaft und vertheidigter Freiheit ererbte Anmut und Würde. Was kümmert es mich, ob sie im Grunde der Seele auch alle empfohlenen Tugenden bewahren? Das überlasse ich dem lieben Gott.
Sie sind die Pariser unter den Slaven. Ihr Geist ist leicht, beweglich und rasch. Ihr Gemüt ist reich und mitteilsam, aber ohne Rast zwischen Schmerz und Lust; in keiner Leidenschaft verweilen sie lange. Eine unruhige Neugier treibt sie. Niemals gewinnen sie eine seßhafte Zufriedenheit. Sie wandern unstet durch alle Stimmungen. Alles wollen sie wissen, alles erleben, überall kosten.
Sie lieben die schöne Form. Jeder ist ein Künstler. Jede Geste, jede Bewegung, die ganze Haltung ist gesucht und auserlesen. Sie haben eine liebe, rührende Freude an sich selbst, wenn ihnen eine schöne Pose gelingt. Sie sind immer wie vor dem Spiegel, wie auf der Bühne, unter der Zucht ihres verwöhnten und wählerischen Geschmackes. So habe ich mir auf der Schule die Athener des Perikles gedacht. Der deutsche Philister, der nicht immer tugendhaft, aber dann wenigstens flegelhaft ist, hätte sie wohl auch unzuverlässig und Windbeutel gescholten.
Die Stadt ist heiter und beredt. Sie weiß sehr viel zu erzählen. Aus grauen Mauern, schwarzen Thoren und bunten Türmen flüstern überall alte Geschichten. Man wandert wie durch eine lebendige Sage und überall ist wie ein Waffenklirren aus lustigen, bewegten Abenteuern, die nimmermehr verhallen.
Abends sammeln sich fröhliche Gruppen auf dem Ringe. Da plaudern die Offiziere, in der schlanken, zierlichen und koketten Tracht des österreichischen Heeres, das muntere Käppchen verwegen zurück. Da berathen die Stutzer, in winzigen, matten Seidenhüten, den Kragen steil und steif, mit ungetümen Knüppeln, das Repertoire der Nacht. Da streift manch warmer, mitnehmender Blick vorbei und von Blonden und von Braunen huschen liebliche Parfüme. Herz und Sinne sind zu Freuden eingeladen.
In der Akademie sind viele Matejkos. Merkwürdig. Man wird an Allem irre. Wenn einer seine besondere Vision der Welt hat, dann ist er ein Künstler. Das entscheidet mir alles. Aber Matejko hat seine besondere Vision der Welt, sehr deutlich und vernehmlich, und dennoch vermag er auf mich keine künstlerische Wirkung. Ich kann mich vielmehr des Verdachtes nicht erwehren, daß gerade seine Besonderheit mich von ihm trennt. Gerade was ich theoretisch an ihm verehren muß, verdrießt mich praktisch. Schon wieder ein Räthsel, aus dem ich mir nicht zu helfen weiß – man darf über die Kunst nicht denken, man muß sich ganz stupide dem Gefühle anvertrauen. – – – – – – – – – – – – – – – –
Mir quält ein tiefes Wort des Haraucourt das ängstliche Gemüt: heritiers de rêves accumulés, nous avons gagné de jour en jour des aspirations grandissantes: nous demandons davantage à la vie, c'est a dire à nos propres forces, et toi qui te plains dans la nuit sans le confesser à personue, tu n'auras pas ce que tu souhaites, car ce qui te fut permis et promis est plus humble que ton souhait.
Hier erkenne ich die ganze Geschichte unseres Leides. Wir haben uns draußen gesucht; aber draußen ist nur Gram, Wahn und Ekel, die schöne Güte wohnt allein in unseren Träumen. Wir müssen in die Träume zurück, dort haben wir das Glück und die Tugend.
Viele Organe des Guten und Schönen wurden von den Menschen entwickelt, aber sie wendeten ihre Forderungen an die Welt und die leere Welt konnte sie nicht gewähren. Die Welt ist taub gegen jede Bitte der Schönheit, die Welt ist stumm auf jede Frage der Güte. Die Wünsche sollen sie verlassen, die Wünsche sollen nach den Träumen fliehen.
Wir wollen auf das andere Ufer hinüber, wohin von der fernen Welt kaum ein blasses, mattes Bild verschwimmt. Dort, unbekümmert um die gespenstischen, zerrinnenden Scheine drüben, wollen wir uns in uns selbst versenken, geschäftige Gräber lange vergessener Schätze. Dort wollen wir stille nach dem Schönen trachten, das nirgends als in der schwülen Sehnsucht der einsamen Träume ist. – – – – – – – – –
Ich blättere in diesen Heften zurück und muß lachen. Es wird ihnen wieder schön verrückt vorkommen, wenn sie es lesen. Ich höre schon die milden und bekümmerten Vorwürfe der wohlwollenden Freunde. Es thut mir wirklich leid, daß ich ihnen so vielen Aerger bereiten muß. Denn es ist manche gute Seele darunter und für ihre Dummheit können sie nicht. Aber ich vermag ihnen nicht zu helfen: on ne peut refaire sa nature, sagt Saint-Saëns.
Seltsam und wunderlich ist es – und manchmal sehr confus. Vieles mag ganz albern sein und bald, wenn ich es wieder lese, werde ich lustig spotten. Aber es ist ein ehrliches und aufrichtiges Buch. Alle Stimmungen habe ich gehorsam und ergeben aufgezeichnet, wie sie waren. Ich kann nichts dafür, daß nichts Kluges daraus geworden ist. Wenn ich mir sie hätte aussuchen dürfen, ich hätte mir ganz gewiß andere gewählt, schönere und feinere.