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Ich treffe meinen lieben alten Freund Paul Dorn auf der Gasse.
»Servus!« sage ich. »Endlich sieht man dich wieder einmal! Ist das eine Manier? Es sind wenigstens sechs Monate – no, aber laß dich anschaun! wie geht's dir denn immer – jetzt, in der Ehe? Paul, Paul, wer hätte das von dir gedacht! Auf dich hätt' ich geschworen! Aber die Weiber – ja, die Weiber!«
Paul lacht, nimmt meinen Arm, hängt sich ein und wir bummeln so durch die Stadt. Ich werde beinahe sentimental: »Paul Dorn als Gatte! Ich kann es noch immer kaum glauben! wo ist unsere Jugend hin? Erinnerst du dich noch, wie wir damals – mit der Mizi –«
Aber ich merke, daß er sich lieber nicht erinnert. Ich lasse also die Mizi fallen, wir gehen weiter, er nimmt sich eine Zigarre, ich sehe ihn mir so von der Seite an. Er scheint ernster als er sonst war; er hat jetzt eine gewisse bürgerliche Ruhe, fast Würde. Ja, die Ehe! Ich schäme mich vor ihm, so frivol zu sein: »Schau, du kennst mich doch, wie ich bin. Ich meine es ja gar nicht so, und bei dir ist das ja auch etwas ganz anderes. wenn man so eine schöne Frau hat wie du –«
Er läßt meinen Arm los und wird nervös: »Ich bitt' dich, fang du mir jetzt auch noch an! Das fehlt mir gerade noch. Das hab' ich gar gern!«
Ich, förmlich erschrocken: »Aber Paul!«
»Weil es wahr ist! Immer mit diesen blöden Sachen! Meine schöne Frau und wieder meine schöne Frau und immer meine schöne Frau! Mei' Lieber, das kriegt man endlich satt! Ich hab' meine Frau gewiß sehr gern, aber alles was recht ist! Hast du eine Ahnung, was das heißt, eine schöne Frau zu haben? Mei' Lieber, das muß man kennen, sonst kann man überhaupt nicht reden! Da gehört eine Geduld dazu – ich sag' dir, da muß einer von gesunden Eltern sein!« Und er fängt grimmig zu pfeifen an.
Ich glaube zu verstehen und freue mich riesig. »Siehst' es, Paul, das ist die sogenannte Nemesis! Geschieht dir ganz recht! Es wird dir gar nicht schaden, wenn du auch einmal siehst, wie das ist, wenn man eifersüchtig ist.«
Paul schaut mich verblüfft an. »Ah, du bist ein Aff'! von Eifersucht ist doch gar nicht die Rede! Was fällt dir denn ein?«
»Nicht? Du bist nicht eifersüchtig?« sage ich; es tut mir eigentlich ein bißchen leid.
»Aber keine Spur! Sondern – aber das ist nicht so leicht, du wirst es nicht verstehen! Die Sache ist nämlich die: eine schöne Frau wär' ja etwas sehr Schönes, wenn sie nur – wenn sie nur nicht schön wär!«
»Herr, dunkel ist der Rede Sinn –«
»Also, mei' Lieber, hör' zu! Was soll ich dir das erst lange explizieren – ich werd' dir einfach erzählen, was mir passiert ist. Damit du einmal eine Idee hast!«
Ich sah ihm an, daß es ihm wohl tat, sich auszusprechen. Gut! Er zündete sich seine Zigarre wieder an und begann:
»Also, mei' Lieber, stell' dir vor, die Hochzeit ist aus, wir fahren fort – ich war schon sehr froh, diese ganze Heiraterei macht einen schrecklich nervös! Wir fahren also nach München, ich will ihr die Stadt zeigen, ein paar alte Freunde besuchen und dann noch ein bißchen ins bayrische Hochgebirg'. No, die ersten Tage kannst du dir ja denken, ich bin sehr glücklich, sie ist sehr glücklich – und so weiter! Aber ich merke doch bald: da ist was nicht in Ordnung – es fehlt ihr was, es paßt ihr etwas nicht. Was? Was kann das sein? Ich frage sie, ich geb' mir alle Mühe, aber sie behauptet, daß ich mich irre. Nein, sie ist sehr glücklich, es fehlt ihr gar nichts, sie ist zufrieden, sie findet München ganz hübsch, nur freilich – was? Sie will es zuerst nicht sagen, aber endlich und schließlich: die Leute sind hier so roh!
Ich verstehe das gar nicht. Mein Gott, die guten Münchner sind ein bißchen langsam und schwer, ja – aber roh?
›Nein,‹ sagt sie, ›sie sind direkt roh! Paß nur einmal auf! Man kann eine Stunde auf der Gasse gehen, und es dreht sich kein Mensch nach einem um, absolut nicht! Das ist roh. Mir ist es ja ganz gleich – ich konstatiere bloß, daß es roh ist!‹
Merkst was, mei' Lieber? Die Dame war beleidigt! Die schöne Frau ist gewohnt, daß man Spalier macht, wenn sie kommt – und das kann man von meinen guten Münchnern wirklich nicht verlangen! Natürlich, du hast leicht lachen! Aber wart' nur, dir wird das Lachen auch noch vergehen. Das war nämlich erst der Anfang.
Den nächsten Tag in der Früh' sitz' ich unten im Café Maximilian. Es ist zehn Uhr, wir wollen in die Sezession, und meine Frau zieht sich oben in unserem Zimmer an. Da muß man auch erst heiraten, um zu wissen, was das heißt: eine Frau zieht sich an! Ich sitze seit neun Uhr da und warte, ich habe bereits alle Zeitungen gelesen, ich bin schon bei den Annoncen, ich habe gefrühstückt, ich trinke schon das zweite Bier, weil ich mich vor der Kellnerin geniere, und ich sehe von meinem Tische, in der Nische des Fensters, melancholisch auf die Straße, zum Hoftheater hin. Du kennst das Lokal ja – weißt, wo der alte Ibsen immer gesessen ist! Es ist um diese Zeit ganz leer, die Kellnerinnen lehnen an der Kasse, nur ein paar Studenten sitzen in der Mitte um einen großen Tisch und spielen Skat. Das Lokal ist dunkel, man sieht nur die grünen Mützen der Saxonen, die an der Wand hängen – es sind nämlich die Saxonen, die hier kneipen. Und es ist ganz still, man hört nur die Studenten auf den Tisch schlagen, wenn sie ausspielen. Es wird halb elf, es wird elf, ich lese sogar schon den Bädeker – vorne über die Fußbekleidung bei Hochtouren. Dabei schiele ich nach der Tür hinten, wo sie kommen muß. Endlich ist sie da. Sehr elegant natürlich, sehr lieb in dem drapen englischen Kleid, mit dem kleinen Girardi, sehr gnädig, sie lächelt der Kassierin zu und fragt die Kellnerin, wo ich sitze. Lächelnd folgt sie ihr durch das ganze Café, an dem Tisch der Studenten vorüber, die gerade in einer höchst interessanten Partie sind, man sieht es ihnen an. Wie sie neben dem Tisch ist, läßt sie den Schirm fallen. Ich springe auf, ich bin aber zu weit weg, die Kellnerin bückt sich, Agathe dankt ihr, die Studenten spielen ihren Skat. Ich frage sie, was sie frühstücken will, aber ich bemerke: sie hat schon wieder etwas, sie ist schon wieder verletzt. ›Nein,‹ sagt sie, ›da am Fenster kann ich nicht sitzen, das blendet fürchterlich – diese weiße Mauer vom Hoftheater – geh, sei lieb, komm!‹
Und sie steht auf, um sich an einen anderen Tisch zu setzen, ganz in der Mitte, neben den Studenten. Und wie sie sich setzt, wirft sie einen Stuhl um, mit Zeitungen. Aber die Studenten spielen immer noch ihren Skat.
Ich komme, hebe die Zeitungen auf, frage, was sie frühstücken will, bin überhaupt möglichst nett, weil ich gern endlich in die Sezession kommen möchte. Sie nimmt ihre Lorgnette, schaut die Studenten an, die ihren Skat spielen, und fragt mich dann mit der vollen Melodie ihrer kräftigen Stimme: ›Sag' du mir, haben diese jungen Leute gar nichts zu tun, daß sie schon in der Früh' Bier trinken und Karten spielen?‹
Mei' Lieber, was soll ich tun? Ich lese krampfhaft in der ›Neuen Freien Presse‹ und sogar in der ›Kölnischen‹, die hat ein größeres Format. Aber sie läßt sich nicht stören. Sie hat sich eine Schokolade kommen lassen, hält den Löffel sehr graziös zwischen den süßen schmalen Fingern und wird immer lauter:
›Wenn die armen Eltern eine Ahnung hätten! Die sparen zu Haus', damit die Herren Buben hier Karten spielen und Bier trinken! Ja, wo bleibt denn da der Lehrer mit dem Staberl?‹
Ich bin ganz in die ›Kölnische Zeitung‹ versunken. Aber sie läßt nicht nach: ›Und die grünen Kapperln, ich bitte dich! Auf diesen Schädeln! Überhaupt, ausschaun tun sie wie die Dienstmänner!‹
Du kannst dir denken, wie mir zumute war. Ich bin nicht feig, aber im Sommer – in den Ferien! Nein, danke! Ich mache also kurzen Prozeß und sage: München gefällt dir nicht, ich sehe es dir an, das hat gar keinen Sinn, in zwei Stunden geht der Zug nach Schliersee, da ist mein alter Freund Drescher, und es soll da überhaupt sehr gemütlich sein – also lassen wir die dumme Sezession, packen wir und in zwei Stunden sind wir auf der Bahn! Fertig! Diesen Ton kennt sie und weiß, daß es da nichts gibt.
Um vier Uhr kamen wir in Schliersee an, dem guten Drescher hatte ich telegraphiert, er brachte uns ins Seehaus und wir bekamen ein großes Zimmer mit einer prachtvollen Aussicht auf den See und über das ganze Tal. Agathe war ein bißchen müde und legte sich schlafen. Ich nahm mein Bad und fuhr um den See, durch den Ort, auf die Post und so hin und her. Gegen acht kam ich zurück. Sie saß im Garten, in einem Buche lesend. An einem Tisch waren ein paar Bauern, an einem anderen der Pfarrer mit dem alten Förster. Ich fühlte: hier ist Ruhe, hier ist es schön, hier möcht' ich bleiben! Ich lehnte mein Rad an die Tür und ging zu ihr. Sie saß da in einem weiten weißen Gewande und sah, über das Buch weg, mit ihren großen stillen Augen, schwärmerisch und verträumt, auf den See hin. Es war wirklich ein liebes Bild, aber leider – weißt, da die Bauern, dort der Pfarrer mit dem alten Förster: dem Bilde fehlte das Publikum.
Ich näherte mich schüchtern: ›Wie geht's dir denn, Mädi?‹
Sie sah mich an, ich werde diesen Blick nie vergessen. Dann sagte sie: ›Also das nennt sich Schliersee – aber das schwöre ich dir, nicht zwei Tage bleibe ich dir hier; das ist keine Gegend für mich!‹
›Aber schau, es ist doch ganz nett hier: der See –.‹
›Der See ist mir zu klein!‹
›Das liebe Tal –‹
›Täler sind ungesund, da wird man nur nervös, das sagt jeder Doktor!‹
›Und rings die Berge –.‹
›Berge mag ich überhaupt nicht!‹
Pause. Schließlich resümiert sie: ›Dann ist das Essen schlecht, von diesem bayrischen Bier wird man dick, und ich habe keine Lust, hier zu verbauern. Wenn ich das gewollt hätte, hätte ich nicht geheiratet, wäre ins Kloster gegangen. Aber du hast mich eben nie geliebt!«
›No‹, sage ich, ›gut, wenn du nicht willst – fahren wir halt morgen wieder fort!‹
Ich bin aber ein bißchen traurig: Dieses ewige Wandern, immer hin und her, immer auf der Bahn, täglich packen, täglich in einem anderen Hotel, fremde Gesichter das – das ist mir schrecklich! Ich will irgendwo ruhig sitzen und mich ausschnaufen. Aber was konnte ich tun? Agathe ist nun einmal gewohnt, bewundert zu werden. Gehen wir hier in Wien aus und kommen ins Theater, in ein Konzert oder in einen Garten, so machen alle Leute große Augen. Seit sie sich erinnern kann, ist das immer so gewesen. Sie kann es nicht mehr entbehren. Ohne Bewunderung ist sie wie ein Raucher ohne Zigarren. Mei' Lieber, da gibt's keine Argumente – das ist einfach so. Wenn's einem nicht paßt, dann darf man eben keine schöne Frau haben. Entweder – oder!
Das alles sagte ich mir den anderen Tag in der Früh', als ich, sie schlief noch, einsam im Walde ging. Traurig sah ich auf den schimmernden See, in das heitere Tal. Ich liebe diese frohe Gegend mit ihren immer singenden Menschen sehr; wie gerne wäre ich dageblieben!
Da kam mir plötzlich eine Idee. Ja – vielleicht! Vielleicht ließ sich das machen. Und ich lief mehr als ich ging zu Drescher, meinem lieben alten Freund Drescher, dem berühmten bayrischen Komiker, den Lenbach und Stuck gemalt haben; der hat dort eine reizende Villa. Na, du kennst ihn ja, du weißt, wie er ist: immer fidel, immer die größten Pläne im Kopf, immer ein bißchen zerstreut, verwurstelt alles, aber der beste Kamerad, den es gibt.
›Drescher,‹ sage ich, ›Sie müssen mir einen Gefallen tun! Schauen Sie, Sie kennen hier doch alle Leute – wissen Sie mir nicht einen netten jungen Menschen, einen Bauer oder einen Schreiber von der Gemeinde, der – gegen Bezahlung natürlich – bewundern kann?· –
›Was soll er?‹
›Bewundern, nichts als bloß bewundern, meine Frau ist das so gewohnt. Wissen Sie, ich denke mir das so: ich zahle ihm, was er ißt und trinkt, und extra noch drei Mark für jeden Tag, dafür hat der Jüngling gar nichts zu tun, als daß er täglich zwei, drei Stunden bei uns im Garten sitzt und halt meine Frau liebevoll ansieht – liebevoll, oder sagen wir sogar: schmachtend.‹
›Schmachtend?‹ sagt Drescher, ›abgemacht!‹
Ich erkläre ihm nun geschwind das Ganze – was ich in München erlebt habe, und daß mir Agathe nicht hier bleibt, wenn sie keinen Bewunderer hat.
›Aber,‹ sagt Drescher, ›wird gemacht! Warten Sie nur – wer ist denn da? Vom Theater kann ich halt jetzt keinen – die brauchen wir jetzt alle selber – aber großartig! der Meßner – Sie, das is überhaupt ein begabter Mensch – und der hat sogar einen schwarzen Salonrock! Also, sind Sie ganz ruhig, ich laß mir ihn gleich kommen, der ist sehr intelligent, heute nachmittag funktioniert er schon! Nicht wahr, bewundern –‹
›Schmachten,‹ sage ich noch einmal.
›Schmachten – Augen verdrehen – und dann kann er vielleicht auch amal die Hand aufs Herz legen, was? Na also, da können Sie sich auf mich verlassen! Was die Regie betrifft – das wissen Sie ja!‹
›Lieber Drescher, ich danke Ihnen sehr! Nur, wissen Sie: ein Meßner! Ist er denn ein hübscher Mensch?‹
›Aber geh‹, zu was denn hübsch? Wer sie bewundert, das ist den Frauen ganz gleich – wenn sie nur bewundert werden! Paß nur auf‹
Er hatte recht. Ich sage dir: Der Meßner – nicht zu schildern! Malvolio, von Oberländer gezeichnet – und ein Salonrock! Aber ›geschmachtet‹ hat der Mann – das hab' ich in meinem Leben noch nicht gesehen! Der Drescher ist doch ein großer Regisseur.
Ich ging abends auf die Post. Agathe blieb im Garten sitzen, der schmachtende Meßner wich nicht. Als ich zurückkam, sagte ich: ›Ich war jetzt auf der Bahn und habe mir die Züge angesehen; es wird am besten sein: wir fahren morgen um zehn.‹
›Warum denn?‹ fragte Agathe verwundert. ›Ich begreife dich wirklich nicht. Kannst du denn nirgends ruhig sitzen? Schau, hier ist es so schön! Der liebe See –‹
›No,‹ sagte ich, ›der See ist ein bißchen klein!‹
›Gerade so ein kleiner See hat seinen Reiz; es ist viel intimer!‹
›Und dann so in den Bergen stecken!‹
›Das wird dir sehr gesund sein! Da atmet man erst auf. Frag' nur einen Arzt! Und dann schau: dieses ewige Hin und Her, immer auf der Bahn, täglich packen, täglich in einem anderen Hotel, das ist mir schrecklich! Geh', sei nett, bleiben wir hier!‹
Wir sind drei Wochen dort geblieben. Jeden Sonntag brachte mir der Meßner die Rechnung: einundzwanzig Mark Gage, für zehn bis zwölf Mark Bier, etliche drei Mark für Weißwürste. Zum Abschied ließ ich ihm noch in Miesbach einen neuen Salonrock machen; den alten hatte er beim Schmachten am Ärmel ganz abgewetzt. Ich denke,« schloß Paul, »wir gehen heuer wieder nach Schliersee.«